Patriotische Phantasien von Justus Moͤser. Dritter Theil. Herausgegeben von seiner Tochter J. W. J. v. Voigt , geb. Moͤser . Neue verbesserte und vermehrte Auflage. Mit Koͤnigl. Preußischer, Chursaͤchsischer, und Churbrandenburgischer allergnaͤdigster Freyheit. Berlin , bey Friedrich Nicolai , 1778 . Patriotische Phantasien. Dritter Theil. Erinnerung des Verfassers. Die Leser dieser Phantasien muͤssen sich alle- zeit erinnern, daß sie aus woͤchentli- chen Blaͤttern erwachsen sind, welche in einem kleinen Lande, worinn man den Verfasser der- selben leicht erriethe, zu Befoͤrderung verschiede- ner politischer Verbesserungen bekannt gemacht wurden. Hier erforderte manches, was man nicht blos vorschlagen, sondern auch ausfuͤhren wollte, eine besondere Schonung der Personen und eine eigne Behandlung der Sachen. Oft nahm ich denjenigen, die sich in ihre eigne Gruͤnde verliebt hatten, und sich blos diesen zu gefallen einer neuen Einrichtung widersetzten, die Worte aus dem Munde, und trug ihre Mei- nung noch besser vor, als sie solche selbst vorge- tragen haben wuͤrden; diese beruhigten sich dann entweder mit der ihnen erzeigten Aufmerksam- keit, oder verlohren etwas von der Liebe zu ih r * 3 ren Erinnerung des Verfassers. ren Meinungen, deren Eigenthum ihnen auf diese Weise zweifelhaft gemacht wurde. Oft durfte ich auch die Gruͤnde fuͤr eine Sache nicht gerade zu heraus sagen, um nicht da als Advo- cat zu erscheinen, wo ich als Richter mit meh- rerm Vortheil sprechen konnte, und bisweilen muste ich mich stellen, als wenn ich das Gegen- theil von demjenigen glaubte, was ich wuͤrklich fuͤr wahr hielt, um gewisse dreiste Gruͤnde, die in einer andern Stellung mir und meiner guten Absicht hoͤchst nachtheilig gewesen seyn wuͤrden, nur erst als Zweifel ins Publicum zu bringen. Mir war mit der Ehre, die Wahrheit frey ge- saget zu haben, wenig gedienet, wenn ich nichts damit gewonnen hatte; und da mir die Liebe und das Vertrauen meiner Mitbuͤrger eben so wichtig waren, als das Recht und die Wahrheit: so habe ich, um jene nicht zu verlieren und die- ser nichts zu vergeben, manche Wendung neh- men muͤssen, die mir, wenn ich fuͤr ein grosses Publicum geschrieben haͤtte, vielleicht zu klein geschienen haben wuͤrde. Der Erinnerung des Verfassers. Der wahre Kenner wird sich durch diese Blendungen nicht irre machen lassen; und die- jenigen, welche die Originale kennen, die hie und da in den Phantasien gespielet sind, werden z. E. die Klagen eines Edelmanns im Stifte Oßnabruͤck (Th. 1. S. 209.) welche man auswaͤrts als ernstlich gemeinet, aufge- nommen hat, fuͤr nichts weiter als eine Ironie halten. Das sonderbarste aber ist, daß man mich daheim als den groͤßten Feind des Leibei- genthums, und auswaͤrts als den eifrigsten Vertheidiger desselben angesehen hat. So sehr diese Verschiedenheit der Urtheile von meiner Behutsamkeit zeuget: so gern wuͤrde ich dersel- ben zuvor gekommen seyn, wenn es die Oeko- nomie jener Einschraͤnkungen erlaubt haͤtte. Die entfernten Leser einer Predigt urtheilen ganz anders, als die Zuhoͤrer derselben. Wo diese lauter bekannte Personen zu sehen glauben, finden jene nur allgemeine Menschen; und in dem Reiche der Gelehrsamkeit kann der Pfarrer weit freyer reden, als in seinem kleinen Spren- gel. Erinnerung des Verfassers. gel. Ich erinnere dieses so wohl um das Ur- theil zu berichtigen, das auswaͤrts von diesen Phantasien gefaͤllet ist, als auch um andre ge- schickten Maͤnner, welche nach dem jetzigen allge- meinen Wunsche das politische Detail im klei- nen Staate behandeln sollen, zu warnen, sich durch die Forderungen des grossen Publicums nicht verleiten zu lassen, es mit ihrem kleinen zu verderben. Dies ist immer meine erste Sor- ge, und die gluͤckliche Frucht davon, mein an- genehmster Lohn gewesen. Oßnabruͤck, den 30 Februar 1778. Moͤser. Innhalt Innhalt dieses dritten Theils. I. Also kann man der Mode ohne Gewissensserupel folgen: in einem Schreiben der Arabella an Ama- lien Seite 1 II. Antwort der Amalien 4 III. = = der Arabellen 6 IV. = = der Amalien 10 V. = = der Arabellen 14 VI. Schreiben der Eutalie an Amalien 17 VII. = = von Amaliens Kammerjungfer an den Gemahl derselben 19 VIII. Die Politik im Ungluͤck, in Briefen: erster Brief 24 IX. Zweyter Brief 25 X. Dritter Brief 28 XI. Vierter Brief 31 XII. Fuͤnfter Brief 36 XIII. Sechster Brief 40 XIV. Schreiben einer Dame, an einen Liebhaber der Kotterien 42 XV. Das war der Kammerjungfer recht 45 XVI. Die arme Tante Lore 50 XVII. So mag man auch noch im Alter lieben 54 XVIII. Fuͤr die Empfindsamen 59 XIX. Sollte nicht in jedem Staate ein obrigkeitlich angesetzter Gewissensrath seyn? 63 XX. Sollte Innhalt. XX. Sollte man nicht jedem Staͤdtgen seine besondre polische Verfassung geben? S. 66 XXI. Also sollte man mit Verstattung eines Begraͤb- nisses auf dem Kirchhofe nicht zu gefaͤllig seyn 71 XXII. Die weiblichen Rechtswohlthaten sind nicht zu verachten 76 XXIII Der Accusations-Proceß verdient den Vor- zug vor dem Inquisitions Proceß 80 XXIV. Ein neues Ziel fuͤr die deutschen Wochenschrif- ten; ein Schreiben eines Frauenzimmers 86 Antwort hierauf 91 XXV. Die erste Landeskasse 95 XXVI. Allerunterthaͤnigstes Memorial 107 XXVII. Der Unterschied zwischen der gerichtlichen und aussergerichtlichen Huͤlfe 110 (XXVII.) Schreiben eines abwesenden Landmannes, uͤber die gerichtlichen Ladungen in den Intelli- genzblaͤttern 114 XXVIII. Keine Satyren gegen ganze Staͤnde 120 XXIX. Ueber das Spruͤchwort: wer es nicht noͤthig hat, der diene nicht 125 XXX. Also soll man das Studieren nicht verbie- ten 126 XXXI. Jeder Gelehrte sollte ein Handwerk lernen 130 XXXII. Die Erziehung mag wohl sclavisch seyn 134 XXXIII. Sollte nicht auch ein Institut fuͤr die Hand- werkspursche noͤthig seyn? 136 XXXIV. Sollte man die Kinder nicht im Schwim- men sich uͤben lassen? 141 XXXV. Auch der Freund ist schonend bey nnangeneh- men Wahrheiten 142 XXXVI. Innhalt. XXXVI. Die Haͤuser des Landmanns im Oßna- bruͤckischen sind in ihrem Plan die besten S. 144 XXXVII. Die Klage eines Leibzuͤchters, als ein Bey- trag zur Geschichte der deutschen Kunst 147 XXXVIII. Der erste Jahrswechsel, eine Legende 149 XXXIX. Ueber die Feyerstunde der Handwerker 153 XL Eine Erzaͤhlung, wie es viele giebt 154 XLI. Also sollte man das Droͤschen bey offenem Lichte nicht verbiethen 158 XLII. Das Pro und Contra bey einer Landesordnung, nach welcher sich jedes Kirchspiel eine Feuerspruͤtze zulegen sollte 160 XLIII. Antwort hierauf 161 XLIV. Von besserer Einrichtung des Laufs der Steckbriefe 164 XLV. Ein sicheres Mittel, das gar zu haͤusige Cof- feetrinken abzuschaffen 166 XLVI. Von der Wirkung des Oels beym Ungestuͤm des Meers 168 XLVII. Von den ersten Anstalten des Seitenbaues in Westphalen 169 XLVIII. Von den ersten Anstalten zur Befoͤrderung der Bienenzucht daselbst 170 XLIX. Nachricht von den ehemaligen Streitigkei- ten der deutschen und englischen Handels-Com- pagnie 173 L. Von dem Unterschied zwischen der Hoͤrigkeit und der Knechtschaft 187 LI. Also ist die Anzahl der Advocaten nicht so schlech- terdings einzuschraͤnken 199 LII. Vom Huͤten der Schweine 206 LIII. Also duͤrfen keine Plaggen aus einer Mark in die andre verfuͤhret werden 225 LIV. Innhalt. LIV. Schreiben einer Gutsfrau, die Freylassung ih- rer Einbehoͤrigen betreffend S. 230 LV. Ein westphaͤlisches Minnelied 240 LVI. Wie ein Vater seinen Sohn auf eine neue Weise erzog. Aus einer ungedruckten Chronik 246 LVII. Also sollten die Kosten eines Concursprocesses billig nicht auf saͤmmtliche Glaͤubiger vertheilet werden 251 LVIII. Ueber die verfeinerten Begriffe 256 LIX. Also behalten die Regeln immer ihren grossen Werth. Eine Erzaͤhlung 259 LX. Gedanken uͤber den westphaͤlischen Leibeigenthum 261 LXI. Nichts ist schaͤdlicher als die uͤberhand nehmende Ausheurung der Bauerhoͤfe. 278 LXII. Der Bauerhof als eine Actie betrachtet 298 LXIII. Die Abmeyerungen koͤnnen dem Hofesherrn nicht uͤberlassen werden 317 LXIV. Betrachtungen uͤber die Abaͤusserungs- oder Abmeyerungsursachen 323 LXV. Also sind die unbestimmten Leibeigenthumsfaͤlle zu bestimmen 338 LXVI Gedanken von dem Ursprunge und Nutzen der so genannten Hyen, Echten oder Hoden 347 LXVII. Vom Glaͤubiger und landsaͤßigen Schuldner 365 LXVIII. Gedanken uͤber den Stillestand der Leibeig- nen 374 I. Also Also kann man der Mode ohne Gewissens- scrupel folgen. Arabelle an Amalien. B eruhigen Sie sich meine Liebe; Ihre Beaͤngstigun- gen kommen aus dem Gebluͤt, das sich vielleicht auf dem letzten Ball zu sehr erhitzt hat, und nicht aus dem Gewissen. Wenigstens sehe ich in aller Welt nicht, warum eine Haube à la Louis seize, mit Plumets à la Reine und Alonge à la D’artois das Gewissen mehr als eine andere beschweren sollte. Ihre Furcht, daß die ploͤtz- lichen und schnellen Veraͤnderungen der Mode, welche un- sere jetzige Zeiten so eigentlich charakterisiren, einen uͤblen Einfluß auf ihren Kopf haben moͤgten, ist eben so unge- gruͤndet. Etwas mehr Leichtfertigkeit, als unsere Groß- muͤtter blicken liessen, scheinet zwar darin zu liegen, und es wollte neulich eine alte Dame aus unsern seit Jahresfrist taͤglich veraͤnderten Huͤten schliessen, daß die Seele ihren Sitz verlassen und sich in die Gegend der Milz zuruͤckge- zogen haͤtte. Ich gab ihr aber einen Blick, woraus sie voͤllig schliessen konnte, daß die meinige noch aus ihren bey- den obersten Fenstern sehe, und sagte dabey, daß die Phi- losophen der Seele ihren Sitz laͤngst im Magen angewiesen haͤtten, daher es allenfalls kein Wunder waͤre, wenn sie zur Veraͤnderung einmal die Milz besuchte. Dieses mogte sie sich merken; denn so wie sie gut oder schlecht verdauet, denkt und empfindet sie auch. Eine andere wollte die Plumets à la Reine mit den Windfedern vergleichen, und daraus Moͤs. patr. Phant. III. Th. A das Also kann man der Mode das Wetter in unsern Koͤpfen prophezeyen; ich bewieß ihr aber mit physiognomischen, psychologischen und physiologi- schen Gruͤnden, wie allenfalls auch diese Windfedern der menschlichen Gesellschaft mehr Nutzen schaffen wuͤrden, als eine eiserne Haube, welche immer einerley Wetter anzeigte. Sie versetzte zwar ganz spitzig, unsere heutige ganze Ver- nunft bestuͤnde in der Wissenschaft, mit jedem Winde zu segeln. Allein wie ich sie fragte: ob Sie denn immer nur mit einem segelte? vergaß sie ihren Spott, und erinnerte sich vermuthlich mit Betruͤbniß ihres Alters. Doch was gehen uns die alten Matronen an? Wollen diese ihre Moden nicht veraͤndern: so moͤgen sie ihren Ei- gensinn mit ins Grab nehmen. Sie, meine Theureste! haben von ihnen kein Exempel zu nehmen, so wenig als wir verlangen ihnen eines zu geben; sie haben ihr Gutes genos- sen, und die Reihe ist jetzt an uns. Aber vor allen kein Gewissen uͤber die vielen und grossen Ausgaben. Diese fliessen den Fabrikanten und Kuͤnstlern zu, und was ist ed- ler, patriotischer und christlicher, als diese zu unterstuͤtzen? Lassen Sie den Herrn Gemahl immerhin ein bisgen daruͤber graͤmeln, daß ihm die oͤftern Veraͤnderungen der Moden zu vieles kosten; eine zur rechten Zeit angewandte Liebko- sung wird ihn schon besaͤnftigen, und die Sorgen der Nah- rung gehn ihn allein an. Hat er eine Frau genommen: so mag er auch sehen, wie er sie nach ihrem Stande un- terhaͤlt; das ist seine Sorge. Alle Jahr einen neuen Wagen — Alle Jahr einen neuen Wagen! — Nun der Herr Gemahl mag dieses zweymal oder hundertmal wiederholen; was seyn muß, das muß doch seyn. Man kann ja nicht ewig in einerley go- thischen Staatscarosse fahren; und der alte kann ja wieder verkauft werden. Er ist fuͤr einen Amtmann noch immer gut ohne Gewissensscrupel folgen. gut genug; aber in der Stadt! Ach kennen Sie den neuesten Lack von Martin? Wer kann ihn sehen und seinen Mann lieben, der einem nicht ein unvermuthetes Geschenk von einem Wagen nach dieser Art macht? Viele rechtliche Leute, sagen Sie, haͤtten Ihnen Vorwuͤrfe daruͤber gemacht Aber ich wette, diese sogenannten rechtlichen Leute sprechen von der Kinderzucht, und von allen was in den Predigten fuͤr das Frauenzimmer steht. Haben Sie es aber nicht ein- mal schon selbst bemerkt, daß die Theologie und Moral eben so veraͤnderlich in ihren Moden waͤren, wie andere Dinge? Lassen Sie also der Mode von Erziehung, Haushal- tung und Ordnung zu schwatzen ihren Lauf, und stoͤren Sie solche nicht; dieß ist ein Recht was wir selbst fordern, und andern der Billigkeit nach auch goͤnnen muͤssen. Ehe ein Jahr voruͤber geht, wird die Moral aus einem andern To- ne sprechen, und immittelst haben sie doch immer schon wieder einen andern neuen Wagen. Wie machen Sie es mit ihren Pferden? Ich hoffe doch nicht, daß Sie wie un- ser General-Superintendent immer mit schwarzen fahren? Sie muͤssen Ihren Herrn Gemahl bitten, daß er klein Ge- stuͤte fuͤr sie anlege; ach wenn der meinige das thun wollte, ich wuͤste nicht, ob ich ihm nicht .... doch wir wollen den Lauf der Mode abwarten; diese wird uns ja endlich auch noch wohl dahin bringen … Leben Sie wohl mei- ne Beste, und beunruhigen sich uͤber nichts. Arabelle. A 2 Ama- Also kann man der Mode II. Amaliens Antwort. Das heißt mir nun einmal Verstand; ich schreibe Ihnen ein bisgen philosophisch, und flugs soll ich ein unru- higes Gewissen haben. O! mein liebes Kind, mein Gewissen schlaͤft auf einem sammtnen Kuͤssen so ruhig wie mein jaͤh- riges Maͤdgen, und ein Plumet à la Reine wird es nicht beschweren. Aber mein Mann hat mir seinen Beutel ver- schlossen, und dieses war der Knote, der mir letzthin das Herz abschlang. Ich mogte Ihnen nur nicht alles so deut- lich schreiben, weil ich mich vor ihnen schaͤmte; jetzt aber zwingt mich die Noth, Ihnen meine ganze Verlegenheit zu entdecken. Ich thue Ihnen also hiemit kund und zu wis- sen, wie mein Mann des Morgens, als ich Ihnen den letzten Brief geschrieben habe, gestiefelt und gespornt in mein Cabinet gekommen sey, und mir eine ganz unerwar- tete aber recht feyerliche Erklaͤrung nachstehenden woͤrtlichen Inhalts gethan habe. Hier, fieng er an, liebe Amalie, ist die Rechnung von deinem neuen Wagen, sie belaͤuft sich auf 1800 Livres; zugleich habe ich dir hiemit einen Aufsatz von meiner jaͤhrlichen Einnahme und Ausgabe, wovon sich die erstere nicht vermehren, und die andre, da sie blos das nothwendigste enthaͤlt, nicht vermindern laͤßt, zur Nach- richt vorlegen wollen, damit du selbst darnach bestimmen muͤgest, was wir zu thun und zu lassen haben. Diesem fuͤge ich noch einen Auszug von demjenigen bey, was du seit den drey Jahren, die wir verheyrathet sind, auf neue Moden verwandt hast; er wird dir zeigen, daß wir in so kurzer Zeit fuͤnftausend Thaler mehr ausgegeben als einge- nommen haben. Aber ohne Gewissensscrupel folgen. Aber, fiel ich ihm hier in die Rede, wozu dieser feyer- liche Ernst, Sie wissen ja, daß es nur von Ihnen abhaͤngt, ob ich in einer Carrete oder in einer Carosse fahren soll? .. Diese Antwort schien ihn zu verdrießen. Denn er drehete sich mit einer stolzen Mine um, und sagte, indem er von mir gieng, ich moͤgte es besser uͤberlegen, seine und meine Ehre, die Wohlfart unser Kinder, und unsre ganze zeitli- che Gluͤckseligkeit hienge von der kuͤnftigen Einrichtung ab. Ich wollte antworten, aber er war schon fort, und ich mei- nen Betrachtungen uͤberlassen. In diesem Zustande schrieb ich Ihnen meine Beste; und nun werden Sie leicht errathen, warum ich letzthin sol- che melancholische Grillen ausheckte; das schlimmste dabey ist, daß ich noch uͤber dreytausend Thaler heimliche Schul- den habe, wovon mein Mann nichts weiß; und daß die Kaufleute in Lyon und Paris alle Posttage mich mit ihren verzweifelten Rechnungen quaͤlen, gerade als ob ich bis uͤber die Ohren im Gelde saͤße. Mein Mann ist ein derber kno- tiger und entschlossener Wirth, er hat mich lieb, aber nicht bis zur Thorheit, und wenn ich ihm auch die suͤßesten Na- men gebe: so schuͤttelt er sie ab, wie ein Reuter den Regen, wenn ich mich nicht auch ein bisgen nach seinem Sinne rich- te. Ich thue es auch gern, das weiß der Himmel, aber der Stand, worinn ich lebe, hat doch auch sein Recht, und die Mode ihre Forderungen, die man nicht mit Sitten- spruͤchen abweisen kann; dieses muͤßte er doch auch beden- ken, und dann mein Schatz sind ja mehrere Leute in der Welt, die mehr ausgeben wie sie einnehmen, wer kann alles so ge- nau nach dem Maaßstabe einrichten? und wer zehrt nicht wohl ein bisgen vorauf, wenn man noch Hofnung hat seine Einnahme dereinst zu vergroͤssern? Jetzt ist die Zeit da wir unser Vermoͤgen genießen koͤnnen, uͤber zwanzig Jahr will A 3 ich Also kann man der Mode ich gern alles zu ersparen suchen was nur irgend zu erspa- ren moͤglich ist. Nathen Sie mir indessen was ich thun soll, meine Liebe, aber bald, bald; denn ich muß doch endlich wohl meinem Manne etwas antworten. Er sagt mir zwar nichts, und wir gehen ganz hoͤflich mit einander um. Aber wenn doch ein recht Vertrauen wieder unter uns kommen soll: so mer- ke ich wohl, ich muß die Materie einmahl recht aus dem Grunde, und so mit ihm durchgehen, daß wir in unserm Leben nicht noͤthig haben, sie noch einmal zu behandeln … Also, bald bald; und rein von der Leber weg. Sie kennen mich, und wissen, wie eifrig ich bin ꝛc. Amalie. III. Arabellens Antwort. Wann Ihr lieber Herr Ihnen den Beutel verschließen, und der Kaufmann nicht mehr borgen will: so weiß ich weiter keinen Rath. Ihr Fall ist dann entschieden, und die Frage ist nur blos, wie Sie mit Anstand fallen koͤnnen? Die sterbenden Helden, sagt man, wickeln sich in ihren Mantel ein, um kein verzogenes Gesicht im Tode zu zeigen; aber wie ein Frauenzimmer den Mund halten muͤsse, das seinem Vergnuͤgen entsagen soll, hieruͤber haben die Gelehr- ten noch wenig bestimmtes gesagt. Anfangs wollte ich Ihnen in dem Tone unser pedanti- schen Sittenlehrer rathen, Sie moͤgten sich ganz ihren ehe- lichen und muͤtterlichen Pflichten widmen, und der Mode eine stolze Verachtung entgegen setzen. Wenn ich aber be- dachte, ohne Gewissensscrupel folgen. dachte, was die Welt dazu sagen, und wie ein jeder be- haupten wuͤrde: sie spielten die Vernuͤnftige, oder machten wohl gar die Andaͤchtige: so sahe ich wohl, daß die Aus- fuͤhrung dieses Vorschlags Ihnen nicht gelingen wuͤrde. Denn welche Frau von Ehre in der Welt wuͤrde eine solche Nachrede mit Gelassenheit ertragen? Es wuͤrde Ihnen ge- wiß wie mir ergehen, da einmahl der Prinz von .... dem ich meine Verachtung bezeugte, mich uͤberall in den Ruf brachte, ich spielte die Grausame. Um ihn voͤllig zu uͤber- fuͤhren, daß ich ihn in Ernst verachtete, begegnete ich ei- nem andern mit verdoppelter Gefaͤlligkeit; und so wuͤrden Sie auch, um sich außer allen Verdacht zu setzen, auf eine andre Art verschwenden muͤssen, wenn Sie sich in Ansehung der Moden einschraͤnken, und sich nicht in den Ruf setzen wollen, daß Sie die kleine Philosophin spielten. Es wird Ihnen der haͤrteste Stand seyn, wie Sie der Graͤfin ..... begegnen wollen, wenn diese in einem neuen Aufzuge koͤmmt, und Sie sich in einem unveraͤnderten zei- gen muͤssen. Wollen Sie hier die Augen verschließen, und thun als wenn Sie solches nicht bemerken: so wird die lose Spoͤtterin dieses Ihr Stillschweigen schon zu erklaͤren wis- sen. Wollen Sie den neuen Anzug bewundern, ihn aller- liebst finden, und der gluͤcklichen Besitzerin ein Compliment daruͤber machen, wie gezwungen wird solches nicht ausse- hen, wie sehr wird Ihr Herz dabey leiden, und wie gedemuͤ- thiget werden Sie dabey in aller Welt Augen erscheinen? Sollte die Graͤfin gar die Boßheit haben, und aus Barm- herzigkeit noch die vorige Mode ruͤhmen, worin Sie so dann erscheinen; so wuͤrden Sie gewiß Ihre ganze Haltung ver- lieren, und zum erstenmahl mit niedergeschlagenen Augen ihrem Triumphwagen folgen muͤssen. A 4 Tugend Also kann man der Mode Tugend, Vernunft und Muth haben unstreitig ihren großen Werth, und ich verehre sie von ganzen Herzen. Aber sie muͤssen im innerlichen bleiben, und sich keiner Herr- schaft uͤber die Mode anmaßen, sie muͤssen nicht in die Au- gen fallen, nicht oͤffentlich herrschen und sich nicht in die grosse Oekonomie des brillanten, galanten und magnifiquen Lebens mischen wollen. Ihre stille Wohnung ist die Seele, welche sich gar wohl in der Abend- und Morgenstunde ei- nem frommen Gedanken uͤberlassen kann, aber diese from- men Gedanken nicht einmal mit an den Nachttisch bringen muß. Dieses sind ausgemachte Wahrheiten, wogegen eine Person von feiner Erziehung nicht anstossen kann, ohne fuͤr eine offenbare Naͤrrin, oder, wenn man es fein sagen will, fuͤr eine Sproͤde gehalten zu werden, welche aus Noth den kleinen Mund macht. Haͤtten Sie so gewiß 30 Jahr als Sie zwanzig ha- ben, so wuͤrde Ihnen einige Zuruͤckhaltung wohl anstehen, und zu einer Art von Verdienst angerechnet werden; im vierzigsten Jahre erlaubte man Ihnen auch durch Vernunft und Verstand zu glaͤnzen, und hoͤher hinauf gehoͤren auch die Tugenden mit unter die erlaubten Mittel zu gefallen. Allein in Ihrem Alter kann man so wenig Tugend als Ver- stand zeigen, ohne daß die Welt solche nicht fuͤr Blendun- gen, Verstellungen und Behelfe ansehe. Der Contrast zwi- schen der Art der Auffuͤhrung in jungen Jahren und irgend einer ausgehangenen Tugend ist so erschrecklich, daß ich gar nicht absehe, wie Sie sich auf eine anstaͤndige Weise aus diesem Labyrinthe herausziehen wollen. Zwar giebt es auch einige feine Tugenden, die auf ge- wisse Weise mit zum Colorit gehoͤren, und gezeiget werden duͤrfen, als das edle Mitleid gegen Ungluͤckliche vom Stan- de, die Furcht Gottes bey einem entstehenden Gewitter, die sanfte ohne Gewissensscrupel folgen. sanfte Sittsamkeit bey schlecht gefuͤhrten Angriffen, eine stille Bescheidenheit bey stark hervorscheinender eignen Groͤs- se, und was dergleichen huͤbsche Tugenden, die sich der Mode unterwerfen und mit ihr allemal Hand in Hand ge- hen, mehr sind. Aber mir faͤllt keine bey, womit sich der Mangel du bon ton bey einer Dame von ihren Umstaͤnden nur einiger maßen decken ließe. Ein Wagen aus der Mo- de bleibt immer eine alte Carosse, man mag ihn mahlen und vergulden, wie man will, und eine Frau von Stande kann sich darinn nicht auf den oͤffentlichen Spatziergaͤngen zeigen, ohne mit Fingern gewiesen zu werden. Muͤssen Sie indessen in diese harte Nuß beissen: so rathe ich Ihnen nur, weder Witz noch Verstand zu zeigen, und alle Anspruͤche auf Bewunderung fahren zu lassen. Denn wemn Sie in einem altmodigen Kleide die geringste Ver- nunft haben, oder sich gar beygehen lassen wollten, Ihre Verlegenheit hinter eine Tugend zu verbergen; so wuͤrden Sie als die laͤcherlichste, unertraͤglichste und abgeschmack- teste Creatur uͤberall ausgezischet werden. Dieses ist der einzige Rath, den ich Ihnen geben kann, und nun moͤ- gen Sie es mit Ihren Eheherrn uͤberlegen, was Sie in dieser wahrlich kritischen Lage thun sollen? Der meinige be- kuͤmmert sich, Gott Lob! um die Haushaltung nicht, und legt die Rechnungen meiner Kaufleute ungelesen bey sich nie- der; weil er wohl weiß, daß sie ihn nicht verklagen wer- den — denn er koͤnnte ihnen bey Hofe leicht einen uͤblen Dienst thun — und dieses koͤnnte der Ihrige auch thun, wenn er nicht will, daß Sie sich lebendig begraben sollen. Ich bin recht begierig darauf was er sagen wird, und bedaure Sie meine Beste von ganzen Herzen, daß sie nach dem unerforschlichen Willen Gottes in Ihren schoͤnsten Jah- A 5 ren Also kann man der Mode ren schon so schwere Ungluͤcksfaͤlle zu ertragen haben. Sie koͤnnen versichert seyn, daß ich an diesem schweren Verhaͤng- niß den aufrichtigsten Antheil nehme und ꝛc. Arabelle. IV. Amaliens Antwort. Das haͤtten Sie mit ansehen sollen! So wie mein Mann eine Zeile, und wieder eine Zeile, von Ihrem freund- schaftlichen Briefe las, kurrete und murrete er immer vor sich hin — „Ey verflucht! warum nicht gar? Nun! hat die Hexe noch mehr? keine Vernunft und keine Tugend im zwanzigsten Jahre zeigen zu duͤrfen, ohne den Namen zu bekommen, daß man die Vernuͤnftige spiele oder die Tu- gendhafte mache? Hat der boͤse Feind jemals einen haͤmi- schern und giftigern Angriff auf die junge furchtsame und bescheidene Tugend unser auf bluͤhenden Kinder gemacht? Nun — nun — noch weiter, das sind mir Rathschlaͤge; welche alle darauf hinausgehen, daß man nicht allerliebst seyn kann, ohne alle Fehler seiner Jahre in ihrem besten Schmucke zu zeigen, und daß nichts abgeschmackter sey, als sich zu bessern und nach den Gesetzen der Vernunft zu handeln — wozu denn alle heutige Erziehung, Religion, Moral? — beym tausend„ — Hier sprang er mit bey- den Beinen auf einen Stuhl, zertruͤmmerte ihn aber auch in tausend Stuͤcken, und dieser Zufall, der uns beyde in das groͤßte Schrecken versetzte, brachte uns endlich zu einer angenehmen und vertraulichen Eroͤfnung unserer Herzen. Denn meine Besorgniß, daß er Schaden genommen haben moͤgte, und die seinige, daß er mich durch seinen Fall zu sehr ohne Gewissensscrupel folgen. sehr erschreckt haͤtte, erzeugten ploͤtzlich ganz andere Em- pfindungen, die sich mit einer zaͤrtlichen Umarmung, und mit Bitten um Vergebung von beyden Seiten endigten. Aber, werden Sie, meine Theureste, fragen, was war denn nun endlich ihr gemeinschaftlicher Entschluß? Hier- auf kann ich Ihnen vorerst nur so viel sagen, daß alle Gruͤnde auf beyden Seiten, welche von dem geschaͤtzten Nichts der eiteln Ehre, von dem Raupenstande, worinn wir uns hier auf Erden befinden, von der Spanne Zeit Worauf wir eben stehn, Von der wir nichts, eh heute ward, gesehn, Von der wir kaum die Spur, eh Morgen wird, noch wissen: Da von dem Augenblick, zu dem wir eben gehn, Schon wieder unter unsern Fuͤssen Das Meer der Ewigkeit — das unsern Schritt umringt, Stets vor ihm Land enthuͤllt und hinter ihm verschlingt — Den einen Theil hinabgerissen — und andern dergleichen schoͤnen poetischen Bilder entlehnt wurden, gar nichts verfangen wollten. Ich verschanzte mich blos, nachdem wir unser moralisches Pulver gegen einander verschossen hatten, hinter den Einwurf: aber wenn es nun der Wohlstand durchaus erfordert? und mein Mann blieb auf seiner Batterie: aber wenn ich es nun nicht bezahlen kann? In dieser Stellung, worinn wir uns als Personenfreunde und Sachenfeinde die Haͤnde uͤber die Verschanzungen reichten, standen wir beyde eine lange Zeit ohne einen Schritt zu weichen. Ich Also kann man der Mode Ich fragte meinen Mann endlich, ob ein Geistli- cher, wenn es ihm an einem schwarzen Mantel und Klei- de fehlte, mit Wohlstand vor den Altar treten koͤnnte; und ob er nicht dazu Rath schaffen muͤste, er moͤgte es nun be- zahlen koͤnnen oder nicht? Vergeblich behauptete er dage- gen, daß dieses einen alten hergebrachten und nothwendi- gen Wohlstand zum Grunde haͤtte, wovon sich auf den Conventions-Wohlstand in den Modetrachten kein Schluß machen liesse, denn ich bewieß ihm klar, daß es hiebey nicht auf Alter und Herkommen, sondern auf die allgemei- ne Denkungsart unserer Zeitgenossen ankaͤme, und daß der Conventions-Wohlstand bey den Moden, wenn er diese allgemeine Uebereinstimmung einmal vor sich haͤtte, eben so gegruͤndet waͤre wie jener. Aber wenn ich es nun nicht bezahlen kann? fiel er wieder ein. Aber wenn der Geistliche nun nicht bezahlen kann, versetzte ich? So jagt man ihn fort, war seine Antwort, wenn er ein Verschwen- der ist, oder zwingt die Gemeine ihm das noͤthige zu ver- schaffen, wenn sie vorher nicht davor gesorgt hat. Nun gut, rief ich, eine Verschwenderin bin ich nicht, ich ver- lange nur den hoͤchstnoͤthigen allgemein erforderlichen Ue- berfluß. Also laß ihn bezahlen wer da will und kann, so muß ich doch haben, was der Wohlstand unentbehrlich macht. Das ist doch erschrecklich, fuhr mein Mann wieder fort, daß wir in einer so offenbaren Sache nicht das Mit- tel zu unsrer Vereinigung treffen koͤnnen; ich soll doppelt so viel ausgeben, wie ich einzunehmen habe, nach einer noth- wendigen Folge Banquerott machen, in meinem Leben oder nach meinem Tode als ein Betruͤger verflucht werden — und das soll sich alles durch den Wohlstand rechtfertigen lassen? Es thut mir leid, mein Engel! erwiederte ich, aber sage doch nur, wie es moͤglich ist, daß ich in meinem Stan- ohne Gewissensscrupel folgen. Stande, in meinen Jahren und in der Lebensart, worin ich mit allen meines Gleichen uͤbereinkomme, anders han- deln soll, wie ich handle; wie du siehst ich behelfe mich ja hier in meinem Cabinet noch mit einem altmodigen Ca- nape, da ich doch wenigstens eine Ottomane, oder Lehn- stuͤhle en Cabriolet, wo nicht a la Reine haben muͤste. Du siehest ja also, daß ich im Verborgnen spare, und nur, um deiner Ehre willen, meine Kleidungen und meine Equi- page nach der neuesten Mode verlange, Kann ich weniger thun: so sprich, ich bitte dich. Er rieb sich die Stirn, stemmete seine Ellenbogen auf die Knie, und seine beyden Faͤuste vor die Augen ohne ein Wort zu sagen. Endlich stund er auf, kuͤßte mich, und verließ mich mit den Worten: Wenn du mich lieb hast; so weißt du wohl, was du thun must. Sehen Sie, meine Beste! so stehn die Sachen; ver- langte mein Mann eine heroische Verachtung des so noͤthi- gen Ueberflusses, man moͤgte daruͤber sagen was man woll- te, oder wuͤnschte er, daß ich mich als ein Original in der aͤffenden Welt zeigen sollte: so waͤre unser Streit bald ent- schieden; mit Freuden wollte ich mich dazu verstehen. Al- lein das ist seine Meynung nicht, ich soll den Wohlstand nicht beleidigen, ich soll mich auch zu keinem abstechenden Original erheben, ich soll auf eine kluge und feine Weise Sparsamkeit mit Groͤße, Anstand mit Einschraͤnkung, und folglich das Feuer mit Wasser vereinigen, das ist der Kno- te den ich nicht zu loͤsen weiß. Helfen Sie mir, meine Theureste! vielleicht faͤllt Ih- nen etwas bey, was uns beyden entwischt ist; aber wer- den Sie nicht boͤse, daß mein Mann Ihnen den Titel Hexe gegeben hat. Ich will mich dafuͤr auch unterzeichnen, Ih- re gehorsamste arme Hexe Amalie. Ara- Also kann man der Mode V. Arabellens Antwort. Was soll ich Ihnen weiter rathen? Die Worte: Wenn du mich lieb hast: so weist du wohl was du thun must, setzen die Sache in eine ganz andre Lage. Sie ha- ben nun leider nicht mehr mit Ihrem Eheherrn, sondern mit sich selbst zu zanken, und das ist eine Beschaͤftigung, wobey man sich ohne Gefahr nicht lange aufhalten darf. So machte ich es auch gestern mit mir. Mein naseweises Cammermaͤdchen hatte ausgerechnet, daß ich im vorigen Jah- re 15 Thaler fuͤr allerhand Calender und Allmanachs aus- gegeben haͤtte, da doch meine Mutter niemahls mehr als 4 Pfennige hierauf verwandt haͤtte. Hin ist hin, dachte ich, um nicht mit mir selbst zu rechten und eine Runzel mehr zu bekommen, und damit flog ich in die Gesellschaft. Aber aller meiner Munterkeit ungeachtet, verspielte ich doch mehr als ich bezahlen konnte, und nichts fuͤhrt so sehr zu ernsthaften Betrachtungen als der Verlust im Spiel, wenn man auf keine Art zum Gelde gelangen kann. Es waren nur elende 5 Louis d’or die mir fehlten, und ich dach- te hundertmahl an Harlekin, wie er den Brief seiner Colom- bine aus Mangel eines Gutengroschens nicht von der Post loͤsen konnte. Was fuͤr eine elende Summe ist ein Guter- groschen! rief er; aber wenn man ihn braucht und nicht hat, wie wichtig ist er! … Es blieb mir endlich kein ander Mittel uͤbrig als zu moralisiren, und Sie glauben nicht, wie das gut thut, wenn man kein Geld hat, und sich zer- streuen muß. Ich hatte mir des Tags vorher den Entwurf gemacht, wie ich ein Paar Spanier oder Neapolitaner vor meine Kut- ohne Gewissensscrupel folgen. Kutsche, ein Paar Englaͤnder vor mein Berlingot, ein Paar Barben vor meine Berutsche, und dabey einen huͤbschen Post- zug vor meine Volante haben muͤste. Nichts schien mir ab- geschmackter als ein Paar Friesen ohne Othem vor dem Wagen der Venus, oder ein Paar Heiducken aͤhnlicher La- kaien uͤberall bey sich zu sehen, wo nur ein Galopin, Mohr oder Laͤufer sich schickt. Ich dachte, man wuͤrde sich leicht daruͤber vereinigen koͤnnen, daß die Berlingotten, Berutschen, Imperialen, Vo- lanten und Dolenten, wenigstens zwey Jahr dauren, und alle inzwischen einfallende Moden dabey uͤbergangen werden sollten, um auf der andern Seite doch auch wieder etwas zu sparen. Allein die verzweifelten 5 Louis d’or — der verfluchte Jude — und meine Juwelen die man verkaufen will, wenn ich sie nicht in dreyen Tagen einloͤse, haben mir den Kopf ganz verruͤckt, so daß ich durchaus moralisiren muß, da ich aus guten Ursachen mit meinem Cammermaͤd- gen nicht schmaͤhlen darf, und meine andern Leute, die schon bey allen Juden gewesen, ihren Theil bereits empfangen haben. Aber moralisiren ist gut; nur hole der Kuckuck das Auf- schreiben. Kurz, meine Liebe! ich ergrif den ersten neuen Allmanach vom kuͤnftigen Jahr, dachte an Harlekin und seinen Gutengroschen, wollte mich aus Wielands Agathon erbauen, und war so voll von schoͤnen Gedanken, Entschluͤs- sen und Critiken, daß ich es nicht alles aufs Papier setzen kann. Es dauret mich recht; aber recht viel ist doch auch nicht dabey verlohren, denn das Resultat war blos: alle Dinge muͤssen doch ihre Grenzen haben; aber das wo? wo? wo? … hier blieb ich stecken? und antwortete mir wie Herr Euler, als ich ihn einmal bat, mir doch zu sa- gen, wie viel Kraft meine Uhrfeder haben muͤste um richtig zu Also kann man der Mode zu wuͤrken — das weiß ich nicht. Also wird auch wohl die Algeber nicht hinreichen das wo? auszufinden. So viel kann ich Ihnen indessen doch sagen. Verspie- len Sie nicht mehr als sie bezahlen koͤnnen, stellen Sie sich die Spanier, Neapolitaner, Barben und Englaͤnder nicht zu reitzend vor, verlieben Sie sich nicht in Mohren und Laͤufer — Aber wenn es doch nun die Mode wuͤrde? wenn es der Wohlstand durchaus erforderte dies alles zu haben, wenn man zum Vergnuͤgen seiner Gaͤste eine Bank, ein Orchester, und eine kleine Truppe zur Operette halten muͤ- ste? koͤnnte man denn mit ein Paar Friesen gegen der Graͤ- fin ihre Barben erscheinen, oder die Kuͤchenmagd zur Sou- brette gebrauchen? Ich glaube doch, man muͤste, wenn einem der elende Gutegroschen fehlte, und man wuͤrde sei- nen Friesen die Maͤhnen so frisiren lassen muͤssen, daß sie auch ein air de barbet bekaͤmen. Doch nein, das geht nicht; ich verachte den Bettel- stolz, der mitmachen will und nicht kann. Lieber zu Hause und in der Kinderstube geblieben .... Aber dann waͤren wir ja wieder bey dem heroischen Entschlusse oder bey dem abstechenden Original, und spielten die gute Mutter oder oder machten die zaͤrtliche Frau — verzweifelter Cirkel, der gar kein Ende nehmen will! Koͤnnte ich Ihnen, meine Theureste! die ganze Schelmerey meines Herzens, — aber es ist keine boͤse Schelmerey — die Franzosen nennen sie le savoir faire — so auf das Papier mahlen: so wuͤrde ich Ihnen vielleicht noch einen guten Rath geben, und zei- gen koͤnnen, wie man das Machen und Spielen, den Mangel und die Verlegenheit, den Stolz und die Beschei- denheit, mit dem Pinsel jener Schelmerey so durch einan- der vertiefen, vermischen, vertreiben und vereinigen koͤn- ne, daß die Abstiche gar nicht bemerkt, und so wenig der dispa- ohne Gewissensscrupel folgen. disparate Bettelstolz, als die contrastirende Tugend den Dilettauten auffallend werden. Aber das laͤßt sich so nicht mahlen, nicht in Regeln fassen, nicht vorschreiben. — Bey meiner Treu, ihr Mann hat Recht; es steckt alles in der Regel, wenn du mich lieb hast: so weist du wohl was du thun must. — Eine Frau die da klug ist — O Sie sind auch eine kluge Hexe; und ich brauche Ihnen weiter nichts zu sagen. Schicken Sie mir doch bey Ueberbringern die kahlen 5 Louisd’or, wenn Sie eben bey Gelde sind. Sollte das Gluͤck sich heut Abend wenden; so zahle ich sie Morgen um diese Minute wieder — unfehlbar. Sie koͤnnen mir in diesem Augenblick keinen groͤssern Dienst erweisen; ich bin auch ewig ⁊c. Arabelle. IV. Eutalie an Amalien. Haben Sie es auch gehoͤrt, wie der Frau Arabelle ihre Juwelen gestern auf dem Lombard verkauft, und ihre Glaͤubiger daruͤber in der groͤsten Bewegung sind? Die ganze Stadt ist voll davon, und man sagt sich einander ins Ohr, daß es zum foͤrmlichen Concurs kommen werde. Der gute Mann ist zu bedauren, aber er haͤtte auch ein bisgen mehr auf den Haushalt sehen sollen. Sie war gar nicht dazu gebohren, und haͤtte gewiß eine Reichsgrafschaft fri- caßirt, wenn sie eine zu beherrschen gehabt haͤtte. In meinem Leben habe ich so ein eitles Mensch nicht gesehen; sie wollte alles mitmachen, und dachte nicht, daß das En- de die Last truͤge. Mich wundert nur, daß sie gestern noch das Herz hatte in Gesellschaft zu kommen; jeder sahe hoch auf, wie frech sie daher strozte, und man steckte uͤberall Moͤs. patr. Phant. III. Th. B die Also kann man der Mode die Koͤpfe zusammen; der eine wuste noch mehr als der an- dre, und wie sie sich nach ihrer gewoͤhnlichen Parthie zum Spiele umsahe, standen die Herrn, welche bisher so gut gewesen sind, ihr das bisgen Geld abzunehmen, vor ver- schiedenen Fenstern, und waren gar nicht eilfertig ihr ein Compliment zu machen. Endlich erbarmte sich noch der Hauswirth uͤber sie, und brachte fuͤr sie ein Trisette qua- drigliate um 1 ggr. zusammen. Alte Liebe rostet nicht, dachte ich, er war aber doch hiebey so verlegen, daß es die ganze Gesellschaft fuͤhlte, und nur ihren Spott daruͤber hatte. Der Herr … und der Herr … die ihr ehe- dem, und wie die Medisance sagt, nicht ganz vergeblich die Cour gemacht haben, schienen den ganzen Abend auf sie keine Acht zu haben, ich neckte den letztern daruͤber ein wenig, aber seine Mine gab mir zu verstehen, daß er sie eben nicht sehr bedaurete. Als der Wagen fortrollte, sagte die Graͤfin … ganz spitzig: Die Neapolitaner gehen so langsam, als wenn sie vor einem Leichenwagen zoͤgen, und ein lautes Geraͤusch zeigte, daß noch mehrere spotten- de Anmerkungen gemacht wurden. Da ich aber keine Freun- din davon bin, und die boͤsen Nachreden auf den Tod hasse, ob ich wohl eben nicht sagen kann, daß sie diesmal unver- dient waren: so eilte ich nur fort nach Hause, um den Himmel zu danken, daß ich nicht so bin wie diese. Wenn ich Sie heute Abend sehen sollte, so koͤnnen Sie sich nur noch auf ein Paar recht allerliebste Anecdoten von ihr ge- faßt machen. Bis dahin … Eutalie. Von ohne Gewissensscrupel folgen. VII. Von Amaliens Kammerjungfer an den Ge- mahl derselben. Hab ichs doch wohl gedacht, daß es so kommen wuͤrde; die gnaͤdige Frau hat den ganzen Morgen nichts ge- than als Grillen fangen, und sich auch nicht einmal anzie- hen lassen wollen. Wenn eins die Treppe herauf kam: so fuhr sie in einander, als wenn sie befuͤrchtete, es kaͤme schon jemand ihre Juwelen abzuholen. Einige Thraͤngen fielen dann und wann mit unter, aber wie es mir vor- kam, aus herzlich boͤsem Sinn. Den letzten Brief von Eutalien konnte sie gar nicht aufkriegen. Ließ doch ein- mal Louise, sagte sie zu mir, und sieh wie impertinent bos- haft die Welt ist. Euer Gnaden koͤnnen leicht denken, daß ich den Brief recht herunter predigte, wo es sich schickte pausirte, und manches Da Capo machte. Wie wir an die Worte kamen: in meinem Leben habe ich so ein eit- les Mensch nicht gesehen, wiederholten wir solche einmal ums andre, und allemal mit einer neuen Anmerkung. Kei- ne Person war so guͤtig, so bescheiden, so gefaͤllig, so poli, so artig, so freundschaftlich und so wenig eitel gewesen, als die … Wohlselige haͤtte ich bald gesagt, aber nun daß sie gefallen waͤre, wollte jeder an ihr zum Ritter werden — dies sangen wir Duetto — ich laß weiter: wie frech sie daher strotzte. Himmel, sagte die gnaͤdige Frau, sie ist allezeit wegen ihres schoͤnen Ganges bewundert worden, und die Augen der ganzen Gesellschaft schienen sich zu erheitern, wenn sie hereintrat! jetzt aber heißt das frech einher stro- tzen; c’est affreux, c’est horrible, c’est criant Wie ich endlich darauf kam, daß der und der, wie die Medi- sance sagte, ihr nicht vergeblich die Cour gemacht haͤtte, B 2 sprang Also kann man der Mode sprang sie auf und rief: das ist, so wahr ich lebe, nicht an- dem; ich waͤre keinen Augenblick mit ihr umgegangen, wenn sie von der Art gewesen waͤre. Hier dachte ich, ist es Zeit, ein bisgen naͤher zu ruͤcken. Was diesen Punkt an- langt, sagte ich also, so hat ihre Cammerjungfer die Deh- wern doch eine so huͤbsche goldene Uhr und einen Ring mit einem so schoͤnen Steine von dem Herrn … erhalten; wo ich auch nicht irre, so schrieben die Frau Arabelle von Ihnen letzt selbst einmal in der Hitze eines boͤsen An- falls, wie sie mit ihrem Cammermaͤdgen aus guten Ursa- chen nicht schmaͤlen duͤrfte, und dieses ist doch wohl so et- was — hier schienen sich die Augen der gnaͤdigen Frauen etwas zu vergroͤssern. Ach! sagte sie, der Neid sieht im- mer zu viel und die Freundschaft zu wenig — Und was duͤnkt Ihnen, fuhr ich fort, von einer Frau, die das so hinschreiben kann, daß sie mit ihrem Cammermaͤdgen aus guten Ursachen nicht schmaͤlen duͤrfe; sollte die nicht schon wohl so ein Huͤhngen im Salze haben! — Es ist moͤg- lich — und kann man es der boͤsen Welt, die nun einmal so ist, wie sie ist, verdenken, wenn sie sich die Augen nur so lange verblenden laͤßt, als ihr die Sonne hineinscheint — Freylich so ganz und gar nicht — wenn sie an einer Per- son die auf alles Anspruch macht, die auch denen von hoͤ- hern Stande vordringen will, und durch Graß und Korn geht, wenn sie nur glaͤnzen kann, alle Fehler aufsucht. — Ach Louise! — wenn sie einer Person, welche mit der groͤßten Unbedachtsamkeit ihre besten Freundinnen zu glei- chen Ausschweiffungen mit sich fortreißt, aus der Kunst zu gefallen zu prangen und zu herrschen ihre einzige Beschaͤf- tigung macht, dabey die guten Leute, so ihr borgen, recht vorsetzlich betruͤgt, einen ehrlichen Mann ins Ungluͤck stuͤrzt, ihre Kinder mit Schande beladet, zuletzt mit voller Ver- achtung begegnet — O! schweig Louise. — Ich ohne Gewissensscrupel folgen. Ich schwieg so gleich, als ich fuͤhlte, daß meine Tropfen anfiengen zu wirken, und that als wenn ich aus dem Cabinett gehen wollte, mittlerweile sie, um ihre Be- wegung zu verbergen, nach einem Buche langte, und statt des Buches, das Paket ergrif, was ich ihr, auf Befehl Euer Gnaden, hinten auf ihrem Tisch geleget hatte. Was ist dieses, fragte sie mich, und indem sahe sie auch schon selbst was es war, und las: Quittungen uͤber meiner Frauen ihre bezahlten Schulden, so sich bis jetzt auf drey- tausend siebenhundert drey und achtzig Thaler 12 Mgr. belaufen. Sie wollte es oͤfnen, aber vor zittern konnte sie es nicht, und nun loͤsete eine Fluth von Thraͤnen das beklemmete Herz; sie fuͤhlte auf einmal alles, was Ew. Gnaden fuͤr sie gethan hatten, und sagte weiter nichts als, wo ist mein Mann? Der ist, erwiederte ich, nach seiner Gewohnheit ausgeritten, und wird wohl so fruͤh nicht wie- der zu Hause kommen. Sie suchte mich hierauf durch al- lerhand Fragen auszuholen, um zu wissen, ob Ew. Gna- den auch recht boͤse gewesen waͤren, wie sie mir das Paket gegeben haͤtten. Nein, sagte ich, der Herr ist diesen Mor- gen, wie Sie noch im Bette waren, selbst gestiefelt her- ein gekommen, und hat das Paket da so hingelegt, mit ei- nigem Eyfer, wie es schien, denn er stampfte es so dahin, wo Sie es gefunden haben. Sie blieb hierauf wohl eine halbe Stunde in tiefen Ge- danken sitzen; und man sahe es ihr recht an, wie sie in der unruhigsten Erwartung bey jedem Geraͤusche aufhoͤrte, ob Ew. Gnaden auch kaͤmen. Endlich aber, wie es ihr zu lange waͤhrete, klagte sie uͤber Herzklopfen, und ich muste ihr erst ein Glaß Wasser, hernach aber ihr den klei- nen Junker holen, mit welchem sie nun schon zwey Stun- den am Fenster sitzt, und recht peinlich auf den Augenblick wartet, da Ew. Gnaden kommen werden. B 3 Ich Also kann man der Mode Ich hoffe uͤbrigens, daß ich meine Commißion recht gut ausgerichtet habe, und wuͤnsche, daß Ew. Gnaden bald kommen moͤgen, die Betruͤbte zu troͤsten. Louise. N. S. Arabelle hat sich eben, und zwar nur auf eine Minute recht nothwendig zu sprechen, melden lassen, ist aber nicht angenommen worden; ich denke doch nicht, daß sie jetzt noch mit neuen Moden aufgezogen koͤmmt! Die boͤse Frau? sie taugt nicht, wie ich von der Jungfer Dehwern nur gar zu wohl weiß. Aber ich mogte es meiner gnaͤdigen Frau nicht sagen; sie denkt zu gut, und ihre Jugend hat kein Mißtrauen. Meine vorige Herrschaft dachte ganz anders; sie sahe unter jedem Maybluͤmgen so gleich eine garstige Kroͤte, wann auch nur ein Kaͤfer so groß wie ein Nadel- knopf daran war; ich bin ut in litteris, sagen die Ge- lehrten. Bericht des Herausgebers vorstehender Briefe. Unsre Leser werden vielleicht zu wissen verlangen, was weiter zwischen Mann und Frau vorgefallen sey. Al- lein der Briefwechsel hat hier aufgehoͤrt, und das Geruͤchte nichts davon erfahren. Wenn von ihr nachher gesprochen wurde, sagte man blos, es ist eine kluge Frau, und legte den vollen Ton auf das Wort klug; sonst kam sie in kein Gespraͤch, als wenn sie schwanger war. Einsmals traf ich sie in einem oͤffentlichen Garten an, als eben die Graͤ- fin von … mit vollem Geraͤusche in einem neuen Wa- gen vorbey fuhr. Ach, sagte sie, wie gluͤcklich schaͤtzte ich mich ehedem, als ich auch so hervorstechen konnte; ich glaubte nicht, daß es moͤglich waͤre, mit Anstand in der Welt zu leben, ohne die erste in allen Moden zu seyn. Aber wie ohne Gewissensscrupel folgen. wie der Beutel endlich mitsprach, und mich nur erst zu ei- niger Ueberlegung brachte: so erstaunte ich uͤber meine Ver- blendung; es war, als wenn mir auf einmal die Augen aufgiengen, und ich sahe, daß von sechzig Personen, wor- aus ungefehr mein Cirkel damals bestand, nur drey wa- ren, die so mit mir fortrauschten, anstatt daß ich vorhin glaubte, jedermann suchte mit mir in die Wette zu galop- piren, und ich koͤnnte nicht zuruͤck bleiben, ohne verspot- tet zu werden. Ich fragte endlich die vielen, welche so langsam nachfolgten, ob sie denn nicht mit wollten? O ja, antworteten sie mir, nach unsrer Bequemlichkeit, wer will, kann vorlaufen, er wird gewiß desto eher muͤde werden; Himmel! dachte ich; ist es so bestellt: so verlohnt es sich wohl eben der Muͤhe nicht, das kostbare Wettrennen mit jenen fortzusetzen, und wie ich erst mit denen, die der Mode so ganz gelassen folgten, vertraut wurde, erfuhr ich hundert kleine Geschichtgen von den drey Galopins, die ich mir nicht umsonst sagen ließ. Mein Entschluß ward bald gefaßt, wie sie denken werden, und seitdem bin ich nicht wieder in der Versuchung gekommen, einen so gefaͤhrlichen Triumph zu suchen. Man sieht hieraus, daß Amalie ihre Denkungsart so ziemlich nach ihres Mannes Wunsche gestimmet habe; und daß man am sichersten gehe, der Mode nicht weiter zu fol- gen, als der Beutel reicht. Nachrede fuͤr Nachrede, oder Medisance fuͤr Medisance: so ist es doch immer besser, sich eine kluge Frau schelten zu lassen, als die Ruthe zu verdienen, womit die Welt den gefallenen Stolz staͤupt. Blos unsre Em- pfindlichkeit oder Thorheit leget jeder Nachrede ihren Werth bey; und wenn wir diese einiger maßen in unsrer Macht haben: so werden wir dieses Schreckbild der kleinen Geister minder fuͤrchterlich finden. B 4 Die VIII. Die Politik im Ungluͤck. Briefe eines Frauenzimmers. H … den 30 Dec. 1773. Verbrennen Sie geschwind meinen letzten Brief, worin ich uͤber den hohen Fall unserer grossen A .... gespottet habe. Wahr bleibt es zwar immer, sie ist eine recht stolze Frau. Da sie sich aber durch das groͤste Un- gluͤck, was ihr begegnen konnte, nicht niederschlagen laͤßt; und in der Art, womit sie solches ertraͤgt, so viele Klug- heit als Standhaftigkeit zeigt: so soll sie von nun an nicht mehr der Gegenstand meines Spottes, sondern meiner groͤ- sten Hochachtung seyn. Auf einmal ein Vermoͤgen, was man auf 500000 Mark schaͤtzte, zu verlieren; ein Haus, was das praͤchtigste in der Stadt war, mit einem kleinen Stuͤbgen zu verwechseln; Equipage und Livree, wenn man von Jugend auf daran gewoͤhnt ist, nicht mehr zu haben; selbst die Stelle der Hausmagd und der Cammerjungfer vertreten zu muͤssen; sich von dem Vergnuͤgen, in allen Ge- sellschaften zu glaͤuzen, hundert Bewundrer und Anbeter um sich zu haben, und den Ton in allen Moden zu geben, ploͤtz- lich beraubt zu sehen … und diesen entsetzlichen Fall mit Klugheit und Standhaftigkeit zu ertragen, sich in alle die traurigen Folgen desselben gelassen zu schicken, darin einen neuen Muth zu fassen, und der haͤmischen Freude aller Nei- derinnen kein niedertraͤchtiges Opfer zu bringen … wenn das keine Bewunderung verdient: so weiß ich nicht mehr, was man bewundern soll. Des Tags vorher, wie der Bankerott ihres Mannes ausbrach, war sie noch in ihrem voͤl- Die Politik im Ungluͤck. voͤlligen Glanze bey mir; aber gestern besuchte sie mich in ihrem neuen Aufzuge, kam durch den tiefen Schnee zu Fuße, und hatte ihr wollenes Roͤckgen so aufgehoben, als wenn sie besorgt gewesen waͤre, daß etwas daran verderben moͤgte. Ich habe nicht ermangeln wollen, sagte sie zu mir, mich Ih- nen zu empfehlen; und sie zu ersuchen, mir einige Arbeit zu goͤnnen, wenn sie mich dazu tuͤchtig halten. Sie sagte dieses mit einem so freymuͤthigen und ungezwungnen An- stande, und redete von ihrem Ungluͤcke mit so vieler Maͤßi- gung, daß ich ohne alle Besorgniß sie zu kraͤnken, ganz frey mit ihr daruͤber reden konnte. Wir philosophirten lange zusammen, ohne daß ihr eine bittere Klage gegen ih- ren Mann oder dessen Glaͤubiger entfiel. Sie ließ sich, sie ließ andern Gerechtigkeit wiederfahren; und das mit so vie- ler Wuͤrde, daß ich es nicht wagen mogte, ihr einige Huͤlfe anzubieten. Aber beym Weggehen konnte ich mich nicht enthalten, sie zu umarmen, und ihr ins Ohr zu sagen: sie waͤre eine recht stolze Frau. Das bin ich, erwiederte sie, und jetzt noch mehr als jemals; ich will zeigen, daß ich bessere Anspruͤche auf Hochachtung habe, als diejeni- gen waren, die mir vorhin das Gluͤck geliehen hatte; und ohne Knicks gieng sie fort. Was sagen Sie dazu, meine Theureste! verdient ein solches Beyspiel nicht eine Stelle in der buͤrgerlichen Geschichte? Leben Sie wohl fuͤr heute. IX. H … den 18 Nov. 1773. In voriger Woche ist man endlich mit dem oͤffentlichen Verkaufe der A … ischen Sachen zu Ende gekommen. Die Frau war immer dabey, und sorgte dafuͤr, daß alles ordentlich vorgelegt, und zum theuresten verkauft wurde. B 5 Die Die Politik im Ungluͤck. Die Neugierde hatte eine Menge von Leuten herbey gezogen, um dieses sonderbare Schauspiel mit anzusehen; vielleicht auch um ihre Augen an der gefallenen Schoͤne zu weiden. Aber diese schien darauf nicht einmal Acht zu haben; sie brachte ihren Schmuck, ihre Kleidung und alle ihre besten Sachen, so wie ein Stuͤck nach dem andern verkauft wur- de, selbst hervor. Es war eine ungeheure Menge von al- lerley zum we i blichen Putz gehoͤrigen Ueberfluͤßigkeiten und darunter wuͤrklich sehr viel kosibares was die vornehmste Dame sich nicht besser haͤtte wuͤnschen koͤnnen. Sie that dieses mit einer solchen Entschlossenheit, daß sie von jeder- mann bewundert wurde. Man bemerkte weder Verzweif- lung noch Betruͤbniß in ihren Augen; sondern hoͤchstens dann und wann ein kleines Laͤcheln, welches der vergaͤngli- chen Ehre zu spotten schien. Nur wie sie ihre Hemden her- ein brachte, glaubte man, und sagte es sich einander ins Ohr, daß sie draussen geweinet haben muͤste; und wuͤrklich ihre Augen hatten eine etwas geschwindere Bewegung, wie man wohl zu haben pflegt, wenn man eine ausbrechende Thraͤne in der Geschwindigkeit verbergen will. Ein reicher Kaufmann erstand die Hemden, und wollte ihr ein Geschenk damit machen. Allein sie wegerte sich solche wieder anzu- nehmen, unter dem Vorwande, daß sie sich kuͤnftig mit g n nz andern behelfen muͤste. Beyde wurden hieruͤber ver- legen; der Kaufmann, weil seine Gabe oͤffentlich verschmaͤ- het wurde, und sie, indem sie aus der ploͤtzlichen Stille der ganzen Gesellschaft merkte, daß man ihr diesen Stolz uͤbel deutete. Sie, die es am ersten fuͤhlte, uͤberwand sich aber gleich, und nahm das Geschenk unter der Bedingung an, wenn es ihr erlaubt wuͤrde, die Hemden wieder zu verkau- fen, und statt derselben das Geld anzunehmen. Der Stolz des Kaufmanns ward hiedurch sogleich auf die augenehmste Art beruhiget; er nahm selbst ein Hemd nach dem andern, bot Die Politik im Ungluͤck. bot es den Anwesenden feil, und nun war keine Dame, die nicht wenigstens ein Hemde vierfach bezahlte, fuͤr das schlech- teste gab man hundert Mark. Hier konnte das edle Weib den Thraͤnen nicht wiederstehen; diese allgemeine Theilneh- mung an ihrem Ungluͤck brach ihr das Herz; und die ganze Gesellschaft gab sich die zaͤrtlichste Muͤhe, ihr etwas troͤstli- ches und verbindliches zu sagen. In meinem groͤsten Gluͤ- cke, erwiederte die rechtschaffene Frau, ist mir nie so sehr geschmeichelt worden, als heute. O Ungluͤck, wie vieles lehrst du mich! und wie vieles habe ich dir zu danken! In dem Taumel der Dankbarkeit und zaͤrtlichen Em- pfindungen riß ich sie nach geschlossenem Verkauf mit fort in meinem Wagen, und brachte sie unvermuthet zur Ge- sellschaft, worin sie vordem die erste Person gespielet hatte. Es schien ihr dieses zwar nicht angenehm zu seyn; jedoch fand sie sich sogleich; und begegnete den jungen Herrn, die sich mit einem neugierigen Ungestuͤm um sie versammleten, mit einer unnachahmlichen Bescheidenheit. Der Kreis ver- lohr sich, ohne daß sie ihn verscheuchte oder aufzuhalten be- muͤhet war. Sie fuͤhlte ihre Wuͤrde, ohne daraus eine Rolle zu machen; und erweckte stilles Mitleid, ohne die Ungluͤckliche zu spielen. Diejenigen, welche sie zuerst mit einer haͤmischen Freude erblickt hatten, vertieften sich in heimliche Bewunderung, und verziehen ihrem Ungluͤck den unbeleidigenden Stolz. Man wollte, sie sollte spielen; aber sie verbat durchaus die Charte, und wie die uͤbrige Gesellschaft sich diesem gewoͤhnten Vergnuͤgen uͤberließ, setzte sie sich zu unserm redlichen R … der auch nicht zu spielen pflegt, und zog ihn, wie ich aus einigen Worten schloß, uͤber verschiedene Entwuͤrfe zu Rathe, welche sie in Absicht auf ihren und ihrer Kinder kuͤnftigen Unterhalt gemacht hatte. Er antwortete ihr nur immer mit Lebhaftigkeit: O alles was Die Politik im Ungluͤck. was sie unternehmen, wird ihnen gerathen; meine Kasse ist ihnen zu Dienste; mit einer so klugen Einschraͤnkung, mit einem so entschlossenen Muthe, mit so vieler Einsicht … Aber sie unterbrach ihn oft, und schien mit allen diesen treuherzigen Schmeicheleyen unzufrieden zu seyn, wie ich aus der Bewegung ihrer Haͤnde wahrnahm, die, was mir ins Lachen fiel, so eifrig gegen einander giengen, als wenn sie noch ihren Faͤchel mit Brillanten darin gehabt haͤtte. Was endlich beschlossen wurde, hoͤrte ich nicht; sie dankte ihm aber auf die verbindlichste Weise, und fuhr mit mir zuruͤck, da ich sie denn bey ihrer Wirthin, einer Handschu- macherin absetzte, die ihr sogleich entgegen flog, und sie auf das liebreichste bewillkommete. Gute Nacht meine Liebe, sagte sie zu mir! und dieses will ich auch jetzt zu Ihnen sagen: Also gute Nacht meine Liebe. X. Ich habe gestern den ganzen Abend mit unsrer guten A .. philosophirt; es ist ein allerliebst vernuͤnftiges Weib. Wir kamen auf die Schaam, welche eine ungluͤckliche Per- son in ihrer Erniedrigung insgemein empfindet, und auf die falschen Mittel, die sie denn ergreift, um ihre Bloͤsse zu bedecken. Dieses merkte ich wohl, war eine Lieb- lingsunterredung fuͤr sie, weil sie dadurch eine Gelegenheit erhielt, den Plan ihres ganzen Betragens zu rechtfertigen, und Ungluͤckliche, wie Sie wissen, thun nichts lieber, als sich rechtfertigen. Ich will sehen, ob ich den Sinn ihrer Worte wieder zusammenbringen kann; denn ich wuͤnschte Ihnen auch ein recht vortheilhaftes Bild von ihr zu ma- chen. Wenn Sie ihren Wagen zerbrechen, sagte sie zu mir, Die Politik im Ungluͤck. mir, so machen sie sich keinen Schimpf daraus, zu Fuße und auch wohl ein bisgen durch den Koth zu gehen, wenn es nicht anders seyn kann; bleibt irgend ein Schuh stecken, nun so verstehts sich, man geht sodann im Strumpfe, be- sonders wenn es kein Wetter ist, sich lange zu verweilen. Unterwegens erzaͤhlen sie denn allen die ihnen begegnen, ihr kleines Ungluͤck, damit die Leute nicht glauben moͤgen, sie waͤren von den Leuten, die zu Fusse reiseten; sagen auch wohl zu sich selbst, daß sie dieses nur um deswillen thaͤten, da- mit man sie nicht fuͤr eine Landstreicherin ansehen moͤgte, die irgendwo mit einem Schuhe fluͤchten muͤßen: denn man will doch in seinen eignen Augen nicht gern eitel scheinen; und wenn Sie diese kleine Ceremonie mit sich und andern be- obachtet haben: so schaͤmen Sie sich ihres Zustandes, wenn Sie in einem Schuhe zu Fuße gehen, nicht weiter. Die- ses ist nun gerade mein Fall auch; nur mit dem Unterschiede, daß meine Reise zu Fuße vielleicht etwas laͤnger ist, und besonders, daß ich die eitle Erzaͤhlung sparen kann. Die ganze Stadt weiß meinen Fall; habe ich ihn verdient: so muß ich mich bessern, wo ich nicht im Kothe stecken bleiben will; und habe ich ihn nicht verdient, so muß ich auch lau- fen, daß ich aufs Trockne komme. In beyden Faͤllen thut meine Auffuͤhrung dasjenige, was ihre kleine Erzaͤhlung thut. Sie sagt den Leuten, zu welchen alle ich nicht selbst gehen moͤgte, daß ich nicht als eine Landstreicherin zu Fuße gehe. Meine Einschraͤnkung bis aufs Nothwendigste hat die Wuͤrkung, daß mich niemand flieht, weil niemand be- sorgen darf, daß ich etwas von ihm bitten oder borgen will. Je mehr ich in meinen Handlungen, Klugheit und Entschlos- senheit zeige, desto groͤßer ist das Vertrauen, was ich mir erwerbe, und die Achtung, die ich auf diese Weise erlange, haͤlt mich fuͤr die Bewunderung schadlos, die man ehedem meinem Aufzuge weihte. Ein bisgen Koketterie laͤuft hier vielleicht Die Politik im Ungluͤck. vielleicht mit unter; aber dieses edle Ingredienz unsrer Natur mag immer bleiben, wenn es so gut wuͤrkt. Wenn ich mich in einem falschen Staate erhalten, und in einem praͤchtigen Elend leben wollte: so wuͤrden sie mir nicht so freundschaftlich begegnen, sie wuͤrden sich vor meinen Klagen und Zumuthun- gen fuͤrchten, mir aus dem Wege gehen, wohl gar meine Redlichkeit in Zweifel ziehen, und mich fuͤr eine stolze Frau halten. Dieses ist meiner Empfindung nach so klar, daß ich keinen Menschenverstand haben muͤste, wenn ich hier in der Wahl der Mittel fehlte. Die falsche Schaam fin- det sich blos in dem Herzen einer Kokette ohne Verstand, die ihre eigenen Vortheile nicht kennet, und blos in einer einzelnen Situation, wo ihr alles zu Huͤlfe koͤmmt, glaͤnzt, so bald ihr aber die fremde Huͤlfe fehlt, sich die Bewunde- rung erbetteln will. Was koͤnnte mich reitzen, auf die Ge- fahr laͤcherlich zu werden, eine so elende Figur zu machen, da ich den sichern Weg, im Ungluͤck groß zu bleiben, vor mir habe? oder halten Sie es fuͤr etwas grosses und Nach- ahmungswerthes, daß die Frau eines Schuhflickers in Rom nicht zur Kirche geht, ohne einen Dominichino hinter sich zu haben, den sie sich fuͤr einen Stuͤber miethet? Mir gefaͤllt nichts, als was meinen Umstaͤnden angemessen ist; hiemit versoͤhne ich aller Welt Stolz und Neid, und man steht mir dagegen die Hochachtung freywillig zu, die ich vergeblich fordern, und noch vergeblicher erbetteln wuͤrde .. Mich deucht, dieses ist eine sehr vernuͤnftige Politik; ich finde nun nicht, daß sie sich ihres wollenen Roͤckchens zu schaͤmen habe, und verehre die Frau, die ihn mit so vieler Ueberlegung angeleget hat. Vor acht Tagen sahe ich sie bey dem franzoͤsischen Residenten, Es half nichts: sie muste sich in ihrem jetzigen Anzuge mahlen lassen, und der Mahler hat seitdem schon mehr als zehn Eopien davon ma- Die Politik im Ungluͤck. machen muͤssen. So begierig ist jederman ihr seine Hoch- achtung zu zeigen. Es faͤllt mir hiebey ein, daß Sie mir auch noch Ihr Bildniß schuldig sind. O! lassen Sie sich doch ja auch in Ihrem laͤndlichen Anzuge mahlen, die große Draperie hat jetzt vieles von ihrem Werthe bey mir verloh- ren; ich schaͤtze heute nichts als Vernunft und Herz; und Sie, meine Theureste! die beydes von der besten Art be- sitzen. XI. H … den 5 Febr. 1774. Sie haben Recht, meine Liebe, es ist nicht allen gege- ben, oder besser, nicht alle verstehen die Kunst, sich so fein herabzulassen, wie es unsere A … thut; besonders wenn es ein Muß ist. Allein besser ist doch immer besser; und jederman muß gestehen, daß sie in der Art, wie sie ihren Fall ertragen, einen grossen Verstand gezeigt habe. Es ist ihr aber auch so leicht nicht geworden, wie es jetzt nach geschehener Arbeit aussieht. Ich wuͤnsche, daß Sie es nur einmal aus ihrem eigenen Munde hoͤren moͤgten, wie sauer ihr der erste Kirchgang nach ihren veraͤnderten Um- staͤnden geworden ist, und was die Frau gelitten, wie ih- res Vaters Bruder ihr den Antrag gethan hat, einen Am- menplatz anzunehmen. Sie wuͤrden gewiß eben so laut mit ihr heulen, wie ich gethan habe. ”Bey aller Entschlossen- heit, und mit einem Muthe, worauf ich mich lange geuͤbt hatte, sagte sie, stieg mir doch immer das Herz in die Hoͤ- he, wie ich das erstemal in die Kirche gieng, ich haͤtte kei- nen Laut hervorbringen koͤnnen; und wie ich vor die Kir- chenthuͤr kam, wo sonst mein Wagen gehalten, und ein Be- dienter Die Politik im Ungluͤck. dienter mir Platz gemacht hatte, preßte sich eine wahrlich recht bittere Zaͤhre aus meinen Augen, so heißtrocken sie auch waren. Im hingehen durch die Kirche zogen sie sich fest zu, und wie ich mich gesetzt und gebetet hatte, muste ich die Augenlieder mit dem Finger unvermerkt ein bisgen in die Hoͤhe schieben, weil sie nicht aufgehen wollten; und ich konnte sie nicht wenden, ohne uͤberall einem spoͤttischen oder neugierigen Blicke zu begegnen. Unter diesem druͤcken- den und schadenfrohen Anschauen habe ich wohl zehn Sonn- tage zubringen muͤssen, ehe die haͤmische Neugier sich all- maͤhlig zu einer mitleidigen Bescheidenheit gewoͤhnen wollte. Aber doch war diese Empfindung noch nichts gegen dasje- nige, was ich bey der grausamen Barmherzigkeit meines Oheims empfand. Sie wissen, mein Kind, das nur acht Wochen alt war als mich das Ungluͤck traf, starb waͤhrend dem ersten Schrecken; und ich hatte es selbst gesaͤugt, weil es eben damals Mode war, und die Prinzeßin von .... sich dieser muͤtterlichen Pflicht unterzogen hatte. Mein Oheim ließ mich so gleich rufen, und fragte mich ohne wei- tere Umstaͤnde, wie es mit der Milch stuͤnde, und ob ich wohl das Kind der Amtmannin zu ..... die eben in den Wochen gestorben war, annehmen wollte; ich wuͤrde dort, fuͤgte er, ohne meine Antwort zu erwarten, hinzu, gut ge- halten werden, den Leuten hier aus den Maͤulern kommen, und die Kost besser haben, als ich sie mir mit meiner Haͤn- de Arbeit wuͤrde verschaffen koͤnnen; meine beyden Kinder wollte er indessen unterzubringen suchen ..... Sie koͤn- nen denken, wie mir hiebey zu Muthe war, und was es mir kostete, einem jungen naseweisen Arzte, den mein Oheim hatte rufen lassen, und der mir als einer kuͤnftigen Amme allerhand Fragen that, nicht eine Grobheit zu sagen. Zu meinem Gluͤcke erstarben mir die Worte im Munde, ich fieng an zu schluchsen, meine Beine wollten mich nicht hal- ten, Die Politik im Ungluͤck. ten, ich fiel auf einen Stuhl, und in dem Augenblick kam ein Brief von dem Amtmann, worinn er meldete, daß er aus Besorgniß, das Schrecken moͤgte meine Milch ver- dorben haben, ein gutes Landmensch in meine Stelle ge- nommen haͤtte, und mir also nicht dienen koͤnnte. Hier fieng ich an Othem zu schoͤpfen, und mein Oheim war so gut, mich mit dem zaͤrtlichen Troste, wie er es sehr bedau- rete, daß die Gelegenheit fehl geschlagen waͤre zu verab- scheiden. Und fuͤr diese Guͤte muste ich ihm denn noch danken.„ O! waͤren Sie doch bey dieser Erzaͤhlung gegenwaͤrtig gewesen! die arme Frau saß neben mir auf dem Kanape, voruͤbergebogen, den Ellenbogen auf das Knie gestuͤtzt, die Augen auf den Boden geheftet, und schlug sich bey dem Wort danken mit der zugemachten Hand vor die stolze Stirne. Ich legte ihr meine Arme um den Ruͤcken, und bat sie freundschaftlich, nicht wehmuͤthig zu werden. Aber sie fuͤhlte und hoͤrte es nicht; und war bey der blossen Er- zaͤhlung dieser grausamen Erniedrigung ganz ausser sich ge- rathen. Dennoch hat sie sich damals uͤberwunden, und ih- ren Oheim nicht boͤse gemacht, von dem sie auch noch die beste Huͤlfe genießt. Ja sie hat ihn durch ihre kluge Einschraͤnkung, und eben dadurch, daß sie ihn von aller Furcht befreyet hat, ihr einige Huͤlfe geben zu muͤssen, nach und nach dergestalt eingenommen, daß er sehr vieles fuͤr sie thut, und in ihrer Gesellschaft eine wahre Freude findet. Blos das erste Schrecken, daß sie mit ihren Kindern ihm nur allein auf den Hals fallen wuͤrde, hatte den guten Schoͤps dahin ge- bracht, seine Nichte fuͤr Amme auszubieten. Hier dachte ich meinen Brief zu schliessen, aus Furcht, er moͤgte zu lang werden. Da ich aber eben Zeit und Lust zu schreiben habe, weil die Gesellschaft abgesagt ist: so will Moͤs. patr. Phant. III. Th. C ich Die Politik im Ungluͤck. ich Ihnen doch noch eins von meiner Heldin erzaͤhlen. Sie koͤnnen es aber nach Ihrer Bequemlichkeit Morgen oder Uebermorgen lesen. Wie sie Braut gewesen war, hatte ihr ein alter Bedien- ter ihres Vaters heimlich tausend Mark zu Taͤndelgelde ge- liehen, was sie auch in einigen Abenden gluͤcklich vermanscht hatte. Dieses Geld war des armen Kerls ganzes Ver- moͤgen, was er in seinem dreyßig jaͤhrigen Dienste erspa- ret hatte. Bey dem Ausbruch des Concurses hatte sie sich dieser Schuld nicht erinnert; der Glaͤubiger hatte sie auch aus Achtung vor ihr vaͤterliches Haus nicht gemahnt; und so war der Concurs geendiget, ohne daß dieser ehrliche Mann etwas erhalten hatte. Auf einmal koͤmmt er vorige Woche zu ihr, sagt aber doch kein Wort von seiner For- derung, sondern begegnet ihr, wie der Tochter seines vor- maligen Herrn. Allein sie faͤllt vor Schrecken zur Erde; und ”nie, sagte sie einige Tage nachher zu mir, habe ich das Entsetzliche meines Zustandes so sehr empfunden als in diesem Augenblicke. Meine ganze Habseligkeit, fuhr sie fort, bestand damals eben in drey Mark vier ß.; das Geld, was ich fuͤr meine Hemden empfangen hatte, und mir ge- schenkt wurde, hatte ich zur Befriedigung einiger geringen und armen Glaͤubiger, die aus dem Concurs nichts em- pfangen sollten, angewandt, weil ich es nicht ertragen konnte, daß diese Leute, die das Ihrige sauer verdienet, und selbst kein Brod hatten, uͤber mich senfzen sollten. Zu verkaufen hatte ich nichts, weil ich weiter nichts behalten, als was zur aͤussersten Nothdurft gehoͤrete. Was sollt ich thun? … Der arme Kerl fieng an zu weinen, und wollte mich troͤsten, indem er sagte, er kaͤme ja nicht um etwas von mir zu begehren, er wollte wohl sehen, daß er sich noch behuͤlfe. Aber ich erinnerte mich jetzt, daß er schon Die Politik im Ungluͤck. schon zur Zeit, wie ich noch im Ueberfluß lebte, Noth gelitten, und die Zinsen, die ich ihm damals bezahlt, aͤngstlich be- gehret hatte. Ich erinnerte mich, o meine Theureste, wel- che Erinnerungen! daß er Frau und Kinder hatte, die mich zu Zeiten um einige Beyhuͤlfe angesprochen, und nun muste ich hoͤren, daß dieser Mann bescheiden genug seyn wolte, mir das Seinige zu lassen .... O mein Freund, rief ich ihm aͤngstlich zu, komm er Morgen wieder, er soll das Seinige bis auf den letzten Pfennig erhalten, wenn noch Menschen in der Welt sind, die ein Herz haben. Mehr konnte ich nichts sagen, ein heimlicher Fluch auf mich selbst entwischte mir in einer Art von Wuth, ich gieng aber noch desselben Tages in die Gesellschaft bey dem Residenten; zog ihn mit einer Lebhaftigkeit, die er, wie ich wohl merkte, fuͤr eine halbe Verwirrung ansahe, auf die Seite, und er- zaͤhlte ihm mein Ungluͤck. Ach er .... (das Wort wollte nicht heraus, und ihr Gesicht gluͤhete) … sammlete fuͤr mich, und ich erhielt das Geld fuͤr den guten Menschen, der es des andern Tages durchaus mit mir theilen wollte, das ich aber, dem Hoͤchsten sey Dank! nicht angenommen habe ..” Gestehen Sie jetzt, meine Theureste! daß die feine Her- ablassung, wie Sie es nennen, die ganze Kraft einer ed- len Seele, eine wahre Rechtschaffenheit, und die groͤßte Ueberwindung erfordere. Gestehen sie aber auch, daß man einer solchen Person nicht zu viel Hochachtung erweisen koͤn- ne, und daß wir Recht haben, wenn wir uns um die Wette beeifern, dieser Ungluͤcklichen einige angenehme Stunden zu verschaffen. Gestehen Sie endlich, daß es auch in dem staͤdtischen Zirkel bisweilen eine schoͤne Natur gebe, die eine heilige Betrachtung verdient! ich bin davon ganz enthusias- mirt … auch mir ist dabey eine suͤsse Thraͤne entfallen .. koͤnnte ich Sie, meine Beste, in einem gluͤcklichern Augen- blicke versichern, daß ich ganz die Ihrige sey? C 2 XII. Die Politik im Ungluͤck. XII. H .. den 26 Maͤrz 1774. Wie ich mein letzteres eben endigte, kam mein alter Li- centiat F … zu mir; und von einer Thorheit zur andern gieng ich endlich so weit, daß ich ihm meinen Brief, den ich an Sie geschrieben hatte, vorlas ”Habs lang ge- sagt, mags aber auch wohl wiederhol’n, fieng er an, wie ich auf den Onkle Schoͤps kam, wir sind alle solche Schoͤps’n. Wenn ein’ ungluͤckliche Person die Mien’ hat, daß sie uns beschwerlich fall’n wird, und diese Mien’ hat ein’ jede, so lang’ sie ein’n nicht fingerdeutlich vom Gegentheile uͤberfuͤhrt: so will man sie stracks zur Kinderwaͤrterin abwuͤrdigen; ’s ist hier keine Huͤlfe, denkt man, ein wenigs erkleckt nicht, und nach vielem wird wiederum viel, und mehr erfordert werden, als man geben kann. Besser also fluchs als langsam gebroch’n, und sich Undank erkauft. Mag sie ’s doch sich selbst zurechnen, daß man ihr aus dem Gleise weicht, koͤnnts ja gescheuter anfangen; ’n mal auch wol zweenmal hilft man ihr wol, aber dann ists auch aus, ihr Ungluͤck kuͤmmert ein’n weiter nicht. Wenn man aber weiß, daß die Person ihre tausend und ein Beduͤrfnisse so gemin- dert hat, daß sie von dem Krautkopfe, den sie noch uͤbrig hat, satt wird: o so freut’s ein’n zu helfen; man laͤuft ihr uͤberall entgeg’n, haͤlt ihr den ofnen Beutel zu, und ist bey meiner Treu ein großmuͤthiger Patron. Das Helfen und Troͤsten ist dann so suͤß, das Zutrauen so bequem, alles was man thut wuͤrkt so a propos, Dankbarkeit und Wohl- thun begegnen sich so herzlich; daß es eine rechte Kraftsuppe vor mich ist, wenn ich die groͤste Wohlthat in eine verfluchte Schuldigkeit verwandeln kann … Ich Die Politik im Ungluͤck. Ich mag Ihnen das uͤbrige nicht herschreiben; Sie ken- nen ihn, meine Theureste, und wissen, daß er zwar rich- tig im Text, aber sehr kauderwelsch in seinem Vortrage ist. Ich habe seit meinem letzten die A .. nicht gesehen; indessen aber doch gehoͤrt, daß ihr Mann, der sich, wie man ihn beschuldigte, mit seinem Hauptbuche, unsichtbar gemacht hatte, in A .. angelangt ist. Vermuthlich wird er sein Ungluͤck rechtfertigen koͤnnen; und solchergestalt sei- nem guten Weibe den einzigen Trost verschaffen, der ihr fehlte. Es nagte sie unaufhoͤrlich, daß er uͤberall fuͤr ei- nen Betrieger gelten muste; und uͤber diesen Punkt habe ich nie mit ihr sprechen moͤgen, sie auch nicht mit mir. Gleich zu Anfang ihrer Ehe klagte sie mir einmal, daß ihr Mann die Gluͤcksspiele, und besonders das Lotto, so sehr liebte; und ich wollte wohl sagen, daß dieses, wiewol ganz zufaͤlliger Weise, auch auf ihre Lebensart einen uͤbeln Ein- fluß gehabt hat. Ich erwartete gestern, sagte sie mir da- mals, meinen Mann bey einem kleinen haͤuslichen Abend- essen, und hatte mir eine kleine unschuldige Freude daraus gemacht, daß ich ihm ein Kinderhemdgen zeigen wollte, das ich selbst fertig gemacht hatte; ich rechnete auf sein Lob, als meine einzige Belohnung, und mein Herz schlug vor sanfter Freude bey dem Geraͤusche eines jeden Wagens, der durch unsre Gasse fuhr. Da wird er seyn, dachte ich … aber er kam nicht; das Essen das ich bereitet hatte, ver- darb am Feuer, und alle meine Erwartungen wurden ge- taͤuscht. Wie er endlich spaͤt kam, war ich unmuthig, hatte keine Freude mehr, ihm meine Arbeit zu zeigen; und er war so voll von einem Gewinnste, den er gethan hatte, daß ich mich schaͤmte ihm zu sagen, wie ich heute acht Schilling mit Naͤhen ersparet haͤtte.„ C 3 Ich Die Politik im Ungluͤck. Ich achtete damals auf diese ihre Klage so sehr nicht; und wir liessen es beyde, bey der allgemeinen Anmerkung bewenden, daß ein Spieler, wenn er auch sonst nichts uͤbels thaͤte schon aus dem einzigen Grunde strafbar waͤre, daß er den kleinen haͤuslichen Fleis, worauf doch so vieles ankoͤmmt, und wovon das Gluͤck der mehresten Haushaltun- gen abhaͤngt, voͤllig erstickte, und einem guten Weibe die Gelegenheit raubte, ihm durch ihre Aufmerksamkeit, Ord- nung und ein selbst gemachtes Gericht zu gefallen. Nach der Zeit habe ich wohl gedacht, daß er eben durch die kalte Gleichguͤltigkeit, womit er auf die stillen Tugenden seiner Frau herab sahe, durch die wenige Aufmerksamkeit auf ihre kleinen Liebesfeste, womit sie ihn bisweilen zu uͤberraschen wuͤnschte, und durch das bestaͤndige Gespraͤch von Sum- men die verlohren oder gewonnen waren, sie endlich auch dahin gebracht hat, taͤglich in Gesellschaften zu gehen, im- mer zu spielen, und ihre Haushaltung von selbst gehen zu lassen. Sie hatte zu vielen Stolz, um sich vor eine zweyte Rolle zu schicken. Sie wuͤrde als die beste Haushaͤlterin, als die zaͤrtlichste Mutter, und als die vernuͤnftigste Frau, uͤberall die erste gewesen seyn. Und wie sie in diesem Plan, welchen sie sich gleich nach den verrauschten Honigmonaten ihres Ehestandes gemacht hatte, von ihrem unvorsichtigen Manne gestoͤret wurde: so suchte Sie die erste Rolle unter unsern glaͤnzenden Prinzeßinnen zu erhalten; und die Per- son, die sich mit ihrem Kinderhemdgen eine Fuͤrstin duͤnkte, achtete hernach achthundert Mark nicht so viel, als ihre acht Schillinge. Dieses halte ich fuͤr den wahren Grund ihres Verderbens; und ihre jetzige Auffuͤhrung zeugt von ihren ersten Grundsaͤtzen. Auch in ihrem Ungluͤcke ist sie mit kei- ner zweyten Rolle zufrieden. Man sieht, sie will auch hier die einzige in ihrer Art seyn. Wie Die Politik im Ungluͤck. Wie gluͤcklich sind Sie, meine Beste, auf dem Lande, wo der Mann die gefaͤhrlichen Reitzungen der Gluͤcksspiele nicht sieht. Arbeit als eine Beduͤrfniß liebt, und dann auch die nuͤtzlichen Eigenschaften einer liebenswuͤrdigen Gehuͤlfin verehrt. Jeder Abend bringt sie zusammen; jedes Gericht, das Sie ihm vorsetzen, wird mit dankbarer Freude genos- sen; jede Erzaͤhlung von dem, was Sie des Tages wohl ausgerichtet haben, heftet ihn an Ihren Blick, die Kinder- gen empfangen den Segen von beyden; und eine ungestoͤrte Ruhe erwartet sie nach dem lieblichen Abend … Ich darf heute nicht weiter schreiben, mir kocht das Blut noch von einem naͤchtlichen Balle, und ich muß ein- mal zu meinen Kindern gehen, die ich in drey Tagen nicht gesehen habe. Kuͤssen Sie meine Gevatterin, und wenn Sie heute Abend ihrem Eheherrn meinen Brief vorlesen: so lassen Sie das aus, was ich von ihm gesagt habe; er wuͤr- de sonst beyde Fluͤgel schlagen, und hoch krehen. Es ist ge- nug, daß ich euch Landleuten heute den Sieg lasse; den Triumph koͤnnt ihr sparen; habt ja auch keine junge Herrn die ihm zuschauen und den Wagen ziehen koͤnnen. Der Triumph mag also vor uns bleiben, und vor euch die ge- rechte Sache und mein Herz. Koͤnnen sie etwas mehrers verlangen? … Nun ja, einen Kuß! .. den druͤcke ich in die Stelle meines Namens. C 4 XIII. Die Politik im Ungluͤck. XIII. H … den 26 Jun. 1774. Die A .. hat ihren Mann gluͤcklich wieder. Die Stock- jobberey Die Stockjobberey ist eine Art von Actienkraͤmerey, die vor zwey Jahren in England aufs hoͤchste gestiegen war. hat auch ihn, wie viele andre, gestuͤrzt. In der Angst war er nach England gereiset, weil er glaubte, daß ihn sein dortiger Compagnon hintergangen haͤtte; und wuͤrklich hat er durch seine geschwinde Reise noch vieles ge- rettet. Seine Glaͤubiger haben sich mit 60 p. C. begnuͤgt, nachdem er ihnen seinen Zustand aufrichtig eroͤfnet; und nun hat er noch so viel uͤbrig, daß er bey Fleiß und Ord- nung ein maͤßiges Auskommen finden wird. Der grosse Eindruck, den seine Frau durch ihr Betragen im Ungluͤck, bey allen und jeden gemacht hat, ist ihm sehr zu statten ge- kommen. Jeder glaubte, ihr eine Gerechtigkeit zu thun, indem er von seiner Forderung so viel nachließ. Man haͤtte mehrers gethan, wann sie gewollt haͤtte. Allein da sie auch dasjenige zu bezahlen gedenkt, was ihre Glaͤubi- ger jetzt nicht fordern wollen, so bald sie die Erbschaft von dem Oheim Schoͤps thut: so verlangte sie nicht mehr, als die gegenwaͤrtige Noth erforderte. Sie wohnet jetzt in einem zwar kleinen, aber doch nicht schlechten Hause, und hat ihre Haushaltung so nett eingerichtet, daß es ein Ver- gnuͤgen ist, sie zu sehen. Ich habe sie neulich besucht, und sie vergnuͤgter als jemals gefunden. Nichts, sagte sie, gleicht dem haͤuslichen Vergnuͤgen, und besonders dem Ver- gnuͤgen, sich in jedem Augenblick einen kleinen Gewinn zu verschaffen, es sey durch Ersparen oder Erwerben. So veraͤchtlich es auch den grossen Geistern vorkommen mag, so wahr ist es doch, daß ein selbsterworbener Schilling das Herz mit einer grossen Freude erfuͤllen koͤnne. Jeder Au- gen- Die Politik im Ungluͤck. genblick, den ich mir zu Nutze mache, verschafft mir dieselbe, und ich lasse nicht viele ungenutzt voruͤber. Die Ordnung, diese edle Freundin des Fleisses, macht alle diese kleinen Gewinne bestaͤndig sichtbar, und ich gefalle darin mir selbst und meinem Manne so sehr, daß wir uns nicht begegnen, ohne einander daruͤber etwas verbindliches zu sagen. Es war eine Zeit, wo ich mich wunderte, wie die Leute in nie- drigen Staͤnden, ohne Gesellschaft und Spiel, ohne Ope- ra und Comoͤdie, ohne Lustfahrten und Lectuͤre einen Tag wie den andern zubringen koͤnnten, da man doch bey jenen grossen Lustbarkeiten oft die groͤste Langeweile haͤtte, und ein herzliches Vergnuͤgen sehr oft vergeblich suchte. Ich finde aber, daß der haͤusliche Trieb etwas zu ersparen und zu gewinnen, und von diesem Gewinnste mit Ordnung wohl zu thun, die Quelle des reinsten, stillesten und dauerhafte- sten Vergnuͤgens sey. Er erhaͤlt einen in bestaͤndiger Be- schaͤftigung, verbannet auch die kleinste Langeweile, fuͤhret seine Belohnung fast immer mit sich, versuͤßt jede Muͤhe, erweckt und befriediget wahre Beduͤrfnisse, schmeichelt ei- nem auf die unschuldigste Art, und macht jeden Morgen nach einem sorgenfreyen Schlafe heiter. Ein schoͤner Ap- fel und ein frisch gelegtes weisses Ey ergoͤtzet mich laͤnger, als alle Schoͤnheiten der Natur aus dem Kasten der Dich- ter; und eine Nadel, die ich finde, macht mir eine kleine obgleich unvermerkte Freude. Jede Nath, die ich fertig gemacht habe, ist fuͤr mich eine Fruͤhlingsblume, und der Beyfall, den ich daruͤber von meinem Manne erhalte, ist die suͤsseste Schmeicheley. Nuͤtzliche Arbeiten geben zugleich mehr Stof zu Unterredungen, als alle Thorheiten der Stadt, und das unschuldige Spiel meiner Kinder naͤhrt meine Seele mehr, als die beste Operette. Habe ich vollends ein Braͤt- gen mit einem Freunde zu theilen: so verachte ich alle Ta- feln unsrer fuͤrstlichen Verschwender … C 5 Was Schreiben einer Dame, Was duͤnkt Ihnen, sollte man nicht Lust bekommen, alles wegzuwerfen, um so klein und vergnuͤgt zu leben? Wir handeln wahrlich thoͤricht, daß wir uns die vielen Vergnuͤ- gungen der Wirthschaft entziehen, und uns dafuͤr nichts wie leere Stunden verschaffen, die wir hernach nicht aus- zufuͤllen wissen. Jedoch Sie, meine Beste, machen ihre Kaͤse selbst, und fuͤhlen das Leere unsrer glaͤnzenden Freu- den nicht. O bleiben Sie immer dabey! bleiben Sie aber auch immer meine zaͤrtliche Freundin, wie ich die Ihrige. XIV. Schreiben einer Dame, an einem Liebhaber der Kotterien. Ich nehme heute keine Entschuldigungen von Ihnen an, Sie muͤssen kommen, es sey nun mit guter oder boͤ- ser Laune; ich habe meinem Mann auf den Abend eine kleine Ueberraschung zubereitet, und diese wuͤrde ohne Sie gar zu viel verlieren. Ich weiß zwar wohl, Sie hassen alle feyerliche Mahlzeiten und grosse Gesellschaften; Ihnen ist eine Parthie von Vieren zum Soupé, oder wie man in meiner Jugend sprach, un parti quarré de M. de Bouillon Madame de Bouillon pflegte zu sagen: Eine Gesellschaft von zwey Mannspersonen und zwey Frauenzimmern, erhaͤlt ein ge- doppeltes Interesse, das die Einheit stoͤrt; es ist n nschicklich, daß drey Frauenzimmer ihre Anfmerksamkeit auf eine Mannsper- son richten; und so ist die beste Gesellschaft, worinn Einheit herr- schen soll, diejenige, welche aus drey Mannspersonen und einem Frauenzimmer besteht. die ange- nehmste. Allein man wuͤrde noch erst eine besondere Einrich- tung machen muͤssen, wenn sich die hiesigen Freunde nicht an- ders als in so engen Zirkeln sehen wollten; und so lange die- ses nicht geschehen seyn wird, ist es eine Unbilligkeit, daß Sie sich an einem Liebhaber der Kotterien. sich den grossen entziehen, und fuͤr drey Freunde ihre gute Laune sparen wollen. Sie haben mir oft gestanden, daß Sie eine Einladung mit Widerwillen angenommen, und doch ein wahres und unerwartetes Vergnuͤgen in der grossen Gesellschaft genossen haͤtten; und wann dieses ist: so koͤnnen Sie es auch wohl einmal auf gut Gluͤck bey mir versuchen. Zur andern Zeit sollen Sie denn auch einmal niemand als mich, meinen Mann, und noch einen guten Freund, oder wenn Sie sich recht gut halten, die Gebieterin ihrer Freude bey mir sehen. Versagen Sie mir aber meine Bitte: so machen Sie sich auch nur auf einen recht ernstlichen Verweis von mir gefaßt; und damit Sie wissen, worinn er bestehen soll: so vernehmen Sie ihn jetzt frisch, wie er aus der Feder fließt. Der Grund ihres Verfahrens ist eine blosse Selbst- sucht, die andern zu Gefallen nicht das mindeste von ihrer Bequemlichkeit aufopfern, und sich von ihrem Polster nicht anders erheben will, als wenn ihr die Lust gerade mit der Bruͤhe aufgetischt wird, welche Sie nun einmal fuͤr die angenehmste halten. Sie kommen mir darin gerade so vor, wie der Philosoph, der alles, was nicht mit seinem Sy- stem uͤbereinkommt, abgeschmackt findet, oder wie der Dichter, welchem keine Prose schmeckt. Ist dieses aber nicht ein schielendes einseitiges Verfahren, und koͤnnen Sie den Mann groß finden, der niemals anders als auf seinen eignen Stecken reiten will? Was wuͤrden Sie sagen, wenn alle so daͤchten, und ein jeder sich blos auf seinen Klubb einschraͤnken wollte? Ist es daher nicht der Billigkeit, und dem allgemeinen Wohl, welches auch Freuden fordert, ge- maͤß, daß Sie sich eben sowohl nach andern, als andre nach Ihnen bequemen? Je Schreiben einer Dame, Je groͤsser der Mann ist, desto mehr muß er von seiner Bequemlichkeit aufopfern, der Koͤnig mehr als der Mini- ster, und dieser mehr, als der Cammerdiener ⁊c. Blos einem Pedanten erlaubt man es, fuͤr seinen eignen einge- schraͤnkten Geschmack zu leben, und wenn Sie nicht unter der Zahl der letztern gehoͤren wollen; so muͤssen Sie nicht zu lange auf ihrem Polster bleiben. Der Hang zum be- sondern nimmt mit den Jahren zu, wenn man ihm nicht widersteht, und mich duͤnkt, daß ein vernuͤnftiger Beobach- ter seiner selbst diesem Hange immer entgegen arbeiten muͤße. Ich hoffe nicht, daß Sie sich damit entschuldigen wer- wie Ihnen die grossen Mahlzeiten, wie Sie es zu nennen be- lieben, nur Ekel und Langeweile machten. Sonst werde ich antworten, dieses sey Ihre Schuld, und Sie besaͤssen Herz und Geist genug, beydes zu vertreiben. Was haͤlt Sie auch ab, den Geist und den Ton der Freude zu verbreiten, jedem Gaste ein bisgen Zufriedenheit mit sich selbst, und dem guten Wirthe einen freudigen Blick zu geben? Mangel an Geschick- lichkeit gewiß nicht; und Schade fuͤr Ihre ewige Laune, wenn sie immer saͤuert oder gaͤhret, und niemals geniesbar werden will. Tragen Sie ihren Theil nur aufrichtig bey, und bezahlen fuͤr ihre Person; die andern werden auch bald den Beutel ziehen, und sich nicht im Ruͤckstande finden lassen. In ei- ner guten Gesellschaft sitzt man allezeit auf einem Boden, wo man leicht electrisirt werden kann, und wenn nur einer erst den Strahl gefangen hat: so geht er von Hand zu Hand fort. Sehen Sie, mein Freund! was ich Ihnen alles sagen werde, wenn Sie meine Einladung abschlagen, und nun biete ich Ihre ganzen Laune Trotz, mir das Vergnuͤgen zu versagen, Sie heute Abend bey mir zu sehen. So wie Ihre Kirchspielsglocke fuͤnfe schlaͤgt, und keine Minute spaͤ- ter, befehle ich Ihnen hier zu seyn. Amalia. Das VX. Das war der Cammerjungfer recht. Es koͤmmt so mancher durch die Welt .... Freylich mein gutes Kind! aber wie? wie? — das ist die Frage. Wenn du verhungerst, koͤmmst du auch durch die Welt, und vielleicht ehrlicher, als wenn du an einer Bratwurst ersticktest; aber darum ist es noch eben nicht noͤ- thig, vor Hunger zu sterben, oder eine Lebensart zu ergrei- fen, wo man ja so kurz und gut durch die Welt kommen kann. Ein kindischer Einfall ist es, verstehst du mich Lisette, mit allem durch die Welt zu kommen. Man bleibt doch nicht darin, so gern man auch wollte, und Millionen kom- men durch, ohne daß man dabey setzen kann gut! Ich daͤchte du wartetest auch noch ein bisgen, ehe du es versuch- test, in der Haube durch die Welt zu kommen. Aber, gnaͤdige Frau, wenn es Gott doch so versehen haͤtte … Nicht wahr, so helfen alle meine Ermahnungen nichts, so ist die menschliche Klugheit uͤberfluͤßig. Weißt du aber wohl, wie ich diesen andaͤchtigen Schnoͤrkel schon oft geheissen habe! Das Faulbette aller Thoͤrinnen, und die Ausflucht verliebter Dinger, die mit ofnen Augen in ihr Ungluͤck rennen. Gottes Verhaͤngniß ist so, daß wir eine vernuͤnftige Wahl der Mittel treffen, nicht aber auf gerathe Wohl zusammen laufen, ein halb Dutzend ungluͤck- liche Kinder in die Welt setzen, und fuͤr dieselben das Brod vom Himmel erwarten sollen. Ach! erwiederte das gute Kind, Ew. Gnaden haben zu leben, und einen Herrn Gemahl, der Ihnen dieses Le- ben so suͤß, so suͤß macht; mich deucht, o verzeihen Sie mir meine Das war der Cammerjungfer recht. meine Freyheit! Sie haben gut predigen, und wissen nicht, wie einem armen Maͤdgen, das nun funfzehn Jahr gedient hat, und auch wohl einmal ein bisgen eignes Brod mit einem guten Mann theilen moͤgte, so recht zu Muthe ist. Waͤren Sie an meiner Stelle und ich an der Ihrigen … Nun heraus damit, hier ist ein Dukaten, wenn du mir aufrichtig sagst, was ich gethan haben wuͤrde, wenn ich an deiner Stelle gewesen waͤre? Sie haͤtten unsern Johann schon fruͤher genommen; es ist ein gar zu huͤbscher guter Mann. Was, Mensch! du meinst ich haͤtte deinen Kerl ge- nommen? geh mir aus den Augen, und wisse, daß ich nun und nimmermehr mich darum bekuͤmmern will, wie du durch die Welt kommen wirst; zaudere nur nicht lange, und wenn du nun ein Nest voll Kinder hast, und dann Krank- heit und Ungluͤcksfaͤlle, die natuͤrlichen Folgen solcher unbe- sonnenen Ehen, dich und deinen Kerl ausser Stand setzen, das Brod fuͤr so viele zu gewinnen, so denke an mich, komme mir aber nicht, um dir ein Stuͤck Brod zu geben. Denn wer sich nicht rathen lassen will, dem ist auch nicht zu helfen. Lisette gieng, ihre Noth ihrem lieben Braͤutigam zu klagen, vielleicht auch um die Suͤßigkeit des Trostes zu ge- niessen, womit die Liebe in solchen Faͤllen gleich bey der Hand ist. Zu ihrem Gluͤcke aber begegnete sie ihrem Herrn in dem Vorzimmer, der ihre gluͤende Wangen bemerkte, und sahe, wie sie eine bittere Thraͤne mit allen fuͤnfen aus den Augen rieb. Nun Lisette, redete er sie an … Aber die gnaͤdige Frau, welche seine Tritte bereits vernommen hatte, und an der Thuͤr horchte, kam ihm hier ganz feyer- lich in den Weg, und noͤthigte ihn, sich von ihr selbst die schreckliche Begegnung, welche sie von dem dummen Ge- sichte, das aͤusserlich einer Heiligen gliche, im Herzen aber voll Boßheit waͤre, erzaͤhlen zu lassen. Nun Das war der Cammerjungfer recht. Nun das muͤste ihm freylich angenehmer seyn, als al- les, was die Cammerjungfer ihm auch noch so bitterlich haͤtte klagen koͤnnen; und so hoͤrte er denn mit der Gedult eines Ehemanns, die fuͤrchterliche Geschichte von einem En- de bis zum andern an, ohne sie auch nur einmal mit einer Anmerkung zu unterbrechen, jedoch nicht ohne einige, wel- che der Leser leicht hinzudenken wird, vor sich zu machen. Seiner Frauen Unrecht zu geben, war in diesem Augen- blick nicht rathsam, die arme Lisette zu bedauren, gefaͤhr- lich, und die Sache doch so laufen zu lassen, etwas hart. Er wandte sich also auf die Seite seines Cammerdieners, und erzaͤhlte ihr, was ihm derselbe nun seit vielen Jahren fuͤr Dienste geleistet haͤtte, wie sehr er wuͤnschte, demselben endlich ein bisgen eigenes Brod zu verschaffen, und wie er geglaubt haͤtte, daß Sie fuͤr Lisetten, die ihr nun funfzehn Jahr treu gedient, gleiche Gesinnungen hegte. Inzwi- schen, und da er dieses nicht faͤnde: so wollte er fuͤr seinen Bedienten auf eine andre Art sorgen. Das wuͤnschte ich nun eben nicht, versetzte sie eifrigst, daß etwa die Cammerjungfer der uͤberklugen Frau Ober- stallmeisterin, durch Sie versorget werden sollte. Mich deucht es steht einer Herrschaft allemal wol an, wenn sie zunaͤchst fuͤr die Ihrigen sorgt, und Lisette mag seyn was sie will: so ist sie doch so lange Zeit bey mir gewesen, daß ich sie nicht auf die Gasse setzen will. Aber sie kann noch warten, und ihr Johann auch, wie mich duͤnkt … Nun freylich, erwiederte der schalkhafte Mann, sie sollen warten, so lange es Ihnen gefaͤllig ist; ich dachte nur, weil eben unser Organist verstorben ist, und Johann recht sehr gut die Orgel schlaͤgt; ich wollte lieber ihn, als ei- nen andern, den mir die Frau Priorin von .. empfohlen hat, dazu nehmen. Ich Das war der Cammerjungfer recht. Ich weiß nicht, was die Priorin sich immer untersteht, ihre Leute auf unsre Kosten zu versorgen: hat sie doch letzt- hin meinen Bedienten, fuͤr welchen ich mir von ihr die Stistsschreiberstelle ausbat, mit der kahlen Endschuldigung abgewiesen, daß er sich zu spaͤt gemeldet haͤtte. Nein, Ihr Johann muß Organist werden, und Lisette … ja, wenn das Mensch nur nicht so viel Staat auf dem Leibe haͤtte. Es ist ein Ungluͤck mit den Cammerdienern und Cammer- jungfern; sie gewoͤhnen sich so sehr den Herrn und die Frau zu spielen, daß sie hernach in keinem Stande auskommen koͤnnen, und bey aller Fuͤrsorge, die man fuͤr sie traͤgt, dennoch zuletzt betteln muͤssen. O! das ist eine sehr wahre Bemerkung, schlos endlich der liebe Mann; und ich habe lange gedacht, daß Johann nicht Organist, und Lisette nicht Frau Organistin werden sollte, ohne vorher beyde ihren jetzigen Flitterstaat zu ver- kaufen, und sich so zu kleiden, wie Sie, meine Liebe, es ihnen vorschreiben wuͤrden. Was duͤnkt Ihnen, wenn wir ihnen fuͤr ihre langjaͤhrige Dienste ein kleines Gnadengehalt unter der Bedingung dabey gaͤben, daß die Frau Organi- stin nicht anders, als in einem Rock von Camelot zur Kir- che kommen, widrigenfalls aber sogleich ihr Gnadengehalt verlieren sollte? Sie versprach dieses in naͤhere Ueberlegung zu nehmen; und klingelte sogleich, wie der Mann weg war, der be- truͤbten Lisette, die nun in Erwartung ihres foͤrmlichen Ab- schiedes mit Zittern herauf kam. Hoͤre, redete sie dieselbe an, du hast mich diesen Morgen auf eine recht empfind- liche Art beleidigt, aber ich war selbst Schuld daran, und hier hast du den Dukaten, den ich dir versprochen habe, betrachte ihn alle Tage einmal, und — bleibe immer so aufrichtig, wie du heute gewesen bist. Lisette, Das war der Cammerjungfer recht. Lisette, welche sich in diese Rede gar nicht finden konnte, wuste nicht, was sie antworten sollte, und die gnaͤdige Frau fuhr fort: ich sehe wohl, Johann ist dir lieber als ein Ducaten. Nimm ihn also, wie ich ihn genommen ha- ben wuͤrde, wenn ich an deiner Stelle gewesen waͤre — Noch hatte das Maͤdchen nicht das Herz, diese gute Laune fuͤr Ernst aufzunehmen — Aber wisse, daß er unter kei- ner andern Bedingung Organist, und du nicht Frau Or- ganistin werden wirst, als bis ihr euch beyde schriftlich an- heischig machet, daß du Zeit deines Lebens nicht anders als in einem Rock von Camelot zur Kirche gehen wollest. Doch, fuͤgte sie etwas erweicht hinzu, magst du auf hohen Festta- gen den blauen taftenen Rock, welchen ich dir juͤngst bey einer gewissen Gelegenheit geschenkt habe — Das Cammer- maͤdgen weinte vor Freuden — und den gelben, und gruͤ- nen, und schwarzen … Es war Zeit, daß der gnaͤdige Herr herein trat, sonst waͤre die gnaͤdige Frau gar zu weich geworden. Dieser machte also der barmherzigen Strenge ein Ende, und be- stimmte dem jungen Brautpaar zu dem Dienste, welchen er ihm gab, ein jaͤhrliches Gnadengehalt unter der Bedingung des Camelottenen Rocks. Jedoch wurde der blaue seidene fuͤr die hohen Festtage, der gnaͤdigen Frau zu Ehren, bey- behalten. Moͤs. patr. Phant. III. Th. D Die XVI. Die arme Tante Lore! Man sehe das Schreiben einer betagten Jungfer an den Stifter der Wittwencasse zu **** im II. Th. n. 39. Nun will ich die weisen Lehren von meines seligen Bru- dern Tochter, und die haͤmischen Anmerkungen aller meiner aufgeschossenen Vettern uͤber meine zusammengestop- pelte Figur, wie es ihnen zu sagen beliebt, mit christlicher Gedult ertragen, da ich endlich hoͤre, daß in Berlin auch fuͤr uns arme Maͤdgen, die keine gluͤckliche Wittwen wer- den koͤnnen, gesorgt wird Das Reglement fuͤr die Koͤnigl. Preußische allgemeine Wittwen- Verpflegungsanstalt vom 28. December 1775 enthaͤlt hieruͤber §. 29 folgendes: Um aber dieses Institutum noch gemeinnuͤtziger zu machen; und die Vortheile davon auch unverheyratheten Frauenspersonen zufließen zu lassen, welche oͤfters bey dem ein- geschraͤnkten Vermoͤgen der Familien ohne alle Versorgung blei- ben: Soll es auch einem Vater verstattet seyn, fuͤr seine unver- heyrathete Tochter, einem Oheim fuͤr seine Nichte, einem Bru- der fuͤr seine Schwester, einem jeden Verwandten fuͤr seine Ver- wandtin, und uͤberhaupt einer jeden verheyratheten oder ledigen Mannsperson fuͤr eine jede unverheyrathete oder verwitwete Frauensperson eine Pension versichern zu lassen, ja es kann dieses auch die Frauensperson selbst thun, und sich eine Mannsperson erwaͤhlen, auf deren Todesfall die Versicherung gestellet werden soll, jedoch darf dieses niemals ohne ausdruͤckliche Einwilligung der Mannsperson geschehen, als welche ohnehin die saͤmtlichen erfor . Dank sey es dem grossen Koͤnige, dessen vaͤterlicher Aufmerksamkeit auch das geringste nicht entwischet, und der unser Herz, was die Liebe nur gar zu leer gelassen hat, ganz mit Dankbarkeit ausfuͤllet. Wie Die arme Tante Lore. Wie fest wird er nicht die Wohlfahrt seines Reichs gruͤnden, wenn das Gluͤck unser aller von dessen Erhaltung abhaͤngt? Und wie vollkommen muß diejenige Staatsmaschine seyn, wo wir als die geringsten Springfedern derselben eine so schmeichelhafte Aufmerksamkeit verdienet haben! Nota: Ich meyne die Springfedern in allen Ehren. Aber nun — es ist doch leider immer ein Aber in der Welt — nun will niemand die Stelle eines Mannes bey mir vertreten. Mein Bruder ist tod, und alle die ich darum anspreche, sehen hoch auf, als ob sie fragen wollten: Wie hoffest du schon daß ich vor dir sterben soll? Unser alter Paͤchter sagte mir sogar ins Angesicht, als ich ihn um diese Gefaͤlligkeit ansprach: Ach Mademoiselle sie wuͤrden mich zu Tode seufzen; und meine spitzigen Vettern, die mich immer die eiserne Tante nennen, weil ich von ihnen als ein Inventarien Stuͤck auf dem Amthause angesehen werde, droheten, sie wollten nach Berlin schreiben, daß man mich nicht aufnehmen moͤgte, weil ich gewiß hundert Jahr alt werden wuͤrde, da sie mich aller ihrer Muͤhe un- geachtet nicht haͤtten zu Tode aͤrgern koͤnnen. Der Anbeter meiner Nichte, der Frau Oberamtmannin, rieth mir recht spashaft, ich moͤgte es machen wie die Polly in der Bett- D 2 lers- erforderlichen Atteste herbeyschaffen muß. In allen diesen Faͤl- len werden dergleichen zwo Personen in Absicht auf die Societaͤt und ihre Gesetze, wuͤrklich Eheleuten voͤllig gleich geachtet, nach dem Tode der Mannsperson genießet die Frauensperson die ihr versicherte Pension, und wenn sie heyrathet, behaͤlt sie gleich den wieder heyrathenden Wittwen, nach der Bestimmung des §. 27. die Haͤlfte davon. Wir setzen aber hiebey ein fuͤr allemahl fest, daß keine Mannsperson auf ihren eignen Todesfall mehr als einer Frauensperson, so lange selbige am Leben ist, eine Pen- sion versichern lassen kann, und eben deshalb ist die vorher be- stimmte Einwilligung noͤthig. Die arme Tante Lore. lersoper The Beggars opera. Sie fuͤhrt diesen Namen vermuthlich um deswillen, weil die darin vorkommenden Arien auf erborgte und zusammen gesuchte Melodien gemacht sind. Also geht eine Arie auf die Melodie: Ma commere quand je danse etc. und eine an- dre auf: Le printems rappelle aux armes. , und mir einen Straßenraͤuber zum Manne waͤhlen, der bald an den Galgen kommen wuͤrde. Unser Pastor, ein wuͤrdiger Geistlicher, mit dem ich die Sache mehrmals uͤberlegt, glaubt, ich wuͤrde taͤglich in die Versuchung gerathen, mich zu versuͤndigen und bey jedem Verdrusse den ich litte, den Tod des Mannes wuͤn- schen, wodurch ich in gluͤcklichere Umstaͤnde gerathen koͤnnte. Eine Ehefrau, fuͤgte er hinzu, haͤtte an ihrem Manne ihre Krone, und ihr Auskommen durch ihn, sie koͤnnte durch seinen Tod nie gluͤcklicher werden als sie waͤre, wofern der Mann nicht so unvorsichtig gewesen waͤre, ihr eine gluͤckli- chere Aussicht in die Zukunft zu versichern, als sie gegen- waͤrtig bey ihm genoͤsse; wenn Kinder vorhanden waͤren: so wuͤrde die Mutter die Erhaltung des Vaters noch eifri- ger von Gott erflehen, und ihr Gebet mit dem Gebete ihrer Kinder vereinigen; mithin sey es ganz etwas anders, wenn ein Mann fuͤr seine Frau, als wenn jemand fuͤr eine ledige Person in die Wittwencasse setzte .... Sehr richtig, antwortete ich ihm, aber wie gelange ich nun zu einer baldigen Wittwenpension? Dieses ist die Frage. Hier zuckte er die Achseln, und hustete aus voller Brust, damit ich seinen Husten, den er bereits eine Zeit- lang gehabt, nicht fuͤr schwindsuͤchtig halten, und ihn um sein christliches Mitleiden ansprechen moͤgte. Das fuͤhlte ich so stark, daß ich mich der Thraͤnen nicht erwehren konnte. Ich armes Kind! Sonst dachte ich der Wittwenstand sey so betruͤbt; so steht wenigstens in fnufzig Trauerbriefen die ich Die arme Tante Lore. ich gesammlet habe — und doch haͤlt es so schwer auch nur dem bloßen Namen nach, in diesen unerwuͤnschten Stand zu kommen. So viel sehe ich endlich wohl ein, daß der gluͤcklichste und ruhigste Weg um zu einer Wittwenpension zu gelangen, fuͤr eine ledige Frauensperson dieser sey, sich einen Mann zu waͤhlen, der ihr im Leben so viel gutes thut, daß sie durch seinen Tod nicht gluͤcklicher werden kann; und dieses ist auch der Grund, worauf die Koͤnigl. Verordnung am staͤrksten gebauet hat, da sie einen Vater, einen Oheim und einen Bruder zuerst nennet; vielleicht wuͤrden auch diese zu mehrer Wohlthaͤtigkeit verpflichtet, und wuͤrde uͤberhaupt das Band der Liebe unter Verwandten fester geknuͤpft, wenn sie durch ihr Wohlthun im Leben der Hofnung auf ihren Tod zu begegnen haͤtten .... Aber ich habe kei- nen Vater, keinen Oheim, keinen Bruder, und es ist auch kein großer Herr in der Welt, der mir bey seinem Leben eine Pension von zweyhundert Thaler geben will, damit ich ihn zu meinem Manne in der Wittwencasse benennen, und mich so von der Versuchung wie von dem Verdachte befreyen koͤnne, daß mir 100 Rthlr. nach seinem Tode lie- ber seyn wuͤrden, als zweyhundert Thaler bey seinem Leben. Schreckliche Verlegenheit! woraus ich mich nicht an- ders zu helfen weiß, als daß ich hiemit oͤffentlich bekannt mache: Wie ich einen Mann suche, wodurch ich hoͤchstens in zehn Jahren (ich bin jetzt sechzig) Wittwe werden, und so nur die letzten Tage meines kummervollen lieblosen Le- bens ausserhalb der Kinderstube meiner Verwandtinnen zu- bringen koͤnne? Ein Greiß von siebenzig oder achzig Jah- ren — unter diesen findet sich ja noch wohl einer, der sein Leben nicht laͤnger als auf zehn Jahr rechnet — soll mir der willkommenste seyn, und da ihm mit meiner Liebe nichts D 3 gedie- Die arme Tante Lore. gedienet seyn kann: so will ich den Himmel alle Morgen und alle Abende bitten, daß er ihn dagegen vor alle Anfaͤlle der Gicht, der Schlaflosigkeit und der Lehrsucht in Gna- den bewahren wolle. Meine Adresse ist, an Tante Lore, abzugeben im Intelligenzcomtoir. Schließlich bitte ich alle meine Leser, die Vater, Oheim und Bruder heissen, die Gelegenheit den Ihrigen gleichsam einen Stiftsplatz zu verschaffen, doch nicht zu versaͤumen. Sie werden sich dadurch eine Krone auf ihr Grab erwer- ben, und noch gute Werke nach ihrem Tode thun. Auch bitte ich alle unverheyrathete Toͤchter, Schwestern und Nich- ten ihren vermuthlichen Wohlthaten also zu begegnen, daß sie nicht noͤthig haben, sich dereinst ins Publicum so auszu- bieten, wie ich leider jetzt thun muß. Ach wenn sie wuͤ- sten … aber sie koͤnnen es nicht wissen; sie muͤßten erst so wie ich bis ins sechzigste Jahr die Gnade ihrer Bluts- verwandten als Kinderwaͤrterinnen genossen haben — sie wuͤrden gewiß keinen Augenblick versaͤumen, sich die Gele- genheit die ihnen nun geboten, mir aber versagt wird, ge- schwind zu Nutze zu machen. XVII. So mag man auch noch im Alter lieben. Stille! stille! mein Freund, verliebt moͤgte ich nun eben nicht gern heissen; aber wenn Sie einen andern Ausdruck haben, der einen liebenden Mann bezeichnet, und minder anstoͤßig ist: so geben Sie ihn mir immer, ob ich schon mein siebzigstes Jahr zuruͤck gelegt habe. Denn ich liebe in der That, und moͤchte es gern bis an mein seliges Ende thun, wenn es der Vorsehung gefallen sollte, solches noch So mag man noch im Alter lieben. noch einige Jahre hinauszusetzen. Es wird einem so sanft so warm dabey, daß man alles Uebel daruͤber vergißt, und wenn meine liebenswuͤrdige Freundin mich besucht: so ist es, als wenn die Mittagssonne im Winter, durchs Fen- ster auf meinen Fuß scheint, und die Gicht sanfter stechen macht. Meine Augen heitern sich auf, der Husten wird wohlthaͤtiger, und die Runzeln dehnen sich in lauter sanfte Wellenlinien aus. Ich werde munter und gespraͤchig, und wenn sie mich beklagt, so verwandelt sich der verstockteste Gram in geduldiges Leiden. Eine bessere Arzeney vor die Beschwerden des Alters als die Liebe, kenne ich nicht. Das Alter ist von Natur kalt, die Leidenschaften, welche unser Herz in der Jugend aufschwellen, wuͤrken nur noch in die Fuͤsse, das Blut stockt in den verbeinerten Gefaͤssen, die Nerven haben ihre leichte Reizbarkeit, und alles hat seinen Ton verlohren. Aber die Liebe bringt alles wieder in Gang, und erneuert durch ihr sanftes Feuer die erkaͤlteten Theile. Ihre Schmei- cheleyen sind doppelt kraͤftig, weil sie unerwartet sind, und das Verdienst derjenigen, die sich zu uns herablaͤßt, waͤch- set in unsern Augen: wir gefallen uns von neuen, und zu einer Zeit, wo wir niemanden mehr zu gefallen glaubten. Dieses Gefallen an uns selbst giebt uns gleichsam eine neue Seele, und erzeugt einen Stolz, der dem Zittern wider- steht, und das Fieber abwehrt, was uns sonst, wenn wir einmal den Muth verliehren, minder ruͤstig findet Das alles, mein Freund, erwarte ich von meiner Liebe; und ich darf sagen, daß ich ihr noch ein mehreres zu verdan- ken habe. Ein Zug vom Geize mischte sich in meine Ausga- ben, ich floh die Menschen als falsch und fluͤchtig, ich ward muͤrrisch und andern uͤberlaͤstig, ich vernachlaͤßigte den Wohlstand, tadelte jede Freude, litt mit Ungeduld, schwieg wann ich reden konnte, und erzaͤhlte, wenn mich niemand D 4 hoͤren So mag man noch im Alter lieben. hoͤren wollte. Das alles hat sich verlohren, und die Be- gierde zu gefallen hat mich so aufmerksam gemacht, daß ich fast alle Fehler des Alters vermeide. Selbst die Jugend, welche doch sonst ein ausschließliches Recht auf alle Freuden der Schoͤpfung behauptet, und den verliebten Alten so gern das Grab zeiget, erhaͤlt nicht so viel Bloͤsse von mir, daß sie mich laͤcherlich machen koͤnnte. Aber ich habe auch mei- ner liebenswuͤrdigen Freundin noch nie die Hand oder den Mund gekuͤßt, ich habe ihr noch nie etwas von meiner Liebe gesagt, nie ihr solche mit einem Blicke zugenickt oder mich auf andere Art gegen sie erklaͤrt; ich denke sie auch nie zu heyrathen, oder vom heyrathen abzuhalten; vielmehr bin ich fuͤr sie auf eine recht anstaͤndige Parthie bedacht. Mei- ne ganze Liebe geht nicht weiter, als sie vollkommen gluͤck- lich zu machen, und mein Herz an der Zufriedenheit zu wei- den, die ich in dem ihrigen erschaffen will … Doch die Glocke schlaͤgt fuͤnf, dieses ist die Zeit ihres Besuchs; ich werde sie bitten, diesen Brief zuzumachen, und wenn sie unter der Versuchung erliegt, ihn zu lesen; so wird sie mein ganzes Geheinmiß wissen … Von Ihr . Das Wort Geheimniß koͤnnte nur immer wegbleiben; er liebt mich, und ich liebe ihn, dessen bin ich mich voͤllig bewust. Nur schaͤmt er sich, es mir zu gestehen. Ich bin dagegen desto dreister, und habe ihm schon hundert mal meine Hand angeboten, wenn sie ihn gluͤcklich machen koͤnnte. Aber da spricht er, ich sey ein naͤrrisches Maͤd- gen, und er liebe mich zu sehr, um mich zur Kruͤcke zu gebrauchen. Jetzt soll ich durchaus seines Brudern einzi- gen Sohn heyrathen. Dann will er uns sein ganzes Ver- moͤgen uͤbertragen, und seine Tage bey uns zubringen. Da freuet So mag man noch im Alter lieben. freuet er sich dann schon im voraus uͤber unsre kuͤnftige Freude, und ordnet wo wir des Morgens zusammen trin- ken und des Abends miteinander essen sollen, und welche Tage in der Woche er allein zubringen wolle, um uns nicht immer mit seiner Gesellschaft beschwerlich zu fallen. In diesen Plan hat er sich so verliebt, daß er mir keine Ruhe laͤßt, um mich zu entschliessen, und den Mann, welchen er vor mich bestimmet hat, von seiner Hand anzunehmen. Was soll ich thun? ich zittre, wenn ich daran denke, daß sein guter Plan fehl schlagen koͤnne, und wollte es lieber auf mich allein ankommen lassen, ihn so gluͤcklich zu machen, als er es um mich verdient. Aber da hilft kein zittern; er ist in diesem Stuͤck unerbittlich und wird ordentlich boͤse, wenn ich ihm hieruͤber in allem Ernst zusetze: und doch ist er noch immer so heiter wie der juͤngste Mann; aber das macht das Vergnuͤgen gutes zu thun, welches er sich taͤg- lich und stuͤndlich verschaft, und worinn er so sinnreich ist, daß man ihm gar nicht entwischen kann, wenn er einem wohl thun will. Er kann wohl schreiben, daß er mir nie die Hand gekuͤsset habe, aber er sollte auch sagen, wie oft ich es ihm gethan, und wie oft er mich vor inniger Dank- barkeit weinen mache. Ich glaube bisweilen, er habe sein Spiel mit meinem Herzen, und suche dem Danke eine Thraͤ- ne abzulocken, die er der Liebe nicht schuldig seyn mag, und die ich ihm so gern gebe, ohne zu untersuchen, woher sie ruͤhrt. Indessen will ich seinem Willen folgen, und er kann meine Hand seinem Vetter geben. Aber dieser muß nie von mir verlangen, daß ich ihn hoͤher achten soll, als den Mann, den ich vor allen gluͤcklich zu machen wuͤnsche. Hieraus mache ich kein Geheimniß, er und die ganze Welt mag es wissen, und wenn mein Zukuͤnftiger so ungerecht waͤre, mir dieses zu verdenken, hassen wollte ich ihn, recht von Herzen hassen … D 5 Von So mag man noch im Alter lieben. Von Ihm . Wie sich das so artig gegen einander erklaͤrt, mein Freund! wir sind beyde allein, und schreiben Ih- nen, was wir uns einander zu sagen haben! In der That ein sonderbarer Einfall. Aber nichts uͤberwindet die Tu- gend eines siebzigjaͤhrigen Mannes, der an beyden Fuͤssen gelaͤhmt ist. Ich segne mein Alter und meine Gicht, die mir die unverdaͤchtige Freyheit verschafft, meine geliebte Freundinn, woͤchentlich zweymal zu sehen, und schmaͤhle auf meinen Vetter, daß er so lange ausbleibt, um dem gu- ten Kinde das zu sagen, was ich ihm, wenn ich funfzig Jahre weniger haͤtte, gern selbst sagte. Nun erwarte ich aber auch von Ihnen, daß Sie mei- ner Liebe Beyfall geben, und die Bewegungsgruͤnde recht- fertigen, woraus ich handle. In unserm ganzen Leben haben wir keine getreuere Freunde als unsre Neigungen und Leidenschaften, und wer sein theures Selbst untersucht, wird finden, daß sie der Tugend die groͤsten Dienste leisten. Unter allen ist die Liebe als Leidenschaft diejenige, so unser Wohlwollen, unsre Großmuth und unsre Thaͤtigkeit aufs angenehmste unterhaͤlt, und sich am besten zu einem gicht- bruͤchigen Koͤrper schickt, den der Ehrgeiz zu sehr erschuͤt- tern und der Geiz auszehren wuͤrde. Sie fuͤhrt die schmei- chelhaftesten Wuͤrkungen mit sich, und Schmeicheleyen sind unser Eigenliebe in jedem Alter willkommen. Unter dem Schutze der Achtung, welche uns ein liebenswuͤrdiges Frauen- zimmer erzeigt, gehn wir in Gesellschaften noch so mit durch, und die Jugend muß uns ehren, wenn sie derjenigen gefal- len will, die uns ihrer vorzuͤglichen Aufmerksamkeit werth haͤlt. Wie viel Bewegungsgruͤnde um auch im Alter zu lieben! wie viel Beduͤrfnis! wie viel Klugheit! wie viele gute So mag man noch im Alter lieben. gute Folgen! wie viele schoͤne Tage in dem Winter, nach welchem wir keinen Fruͤhling mehr zu erwarten haben! Und wenn nun das junge Ehepaar gluͤcklich ist? wenn es gute Gesellschaften hat die ich mit geniessen, und verlas- sen kann, so bald es mir gefaͤllt? wenn ihre Freunde auch die meinigen werden, und alle sich vereinigen mir Leben und Freuden zu erhalten? Sollte ich sie dann nicht noch zaͤrtlicher lieben! und sollte ich nicht die Siege mit genies- sen, die sie uͤber einander erhalten? Ich der Schoͤpfer ihres Gluͤcks! und sie meine dankbaren Geschoͤpfe! O Freund! meine Liebe schwaͤrmt: aber liebend will ich sterben, und nicht ungeliebt dahin scheiden! XVIII. Vor die Empfindsamen. Sie geben so manchen guten Rath aus, und zwar oft an Leute die es nicht einmahl verlangen, vielweni- ger erkennen, daß Sie mir hoffentlich auch eine Priese da- von nicht versagen werden. Ich kann Ihnen dabey sagen, daß er fuͤr ein recht liebes junges Maͤdgen seyn soll, bey welcher ich als Cammerjungfer manche gute und auch man- che traurige Stunden habe. Das gute Kind laboriert, wie es selbst spricht, an der Empfindsamkeit, einer Krank- heit, welche erst seit wenigen Jahren in hiesigen Gegenden bekannt geworden ist, und in so kurzer Zeit so weit um sich gegriffen hat, daß man sie fast als epidemisch ansehen muß. Die Natur derselben, werden Sie am besten beurtheilen, wenn ich Ihnen einige der haͤufigsten Zufaͤlle davon erzaͤhlet haben werde. Sie ist immer erstaunend weinerlich; wie vor zwey Jahren ihre Großmamma, eine steinalte Frau, die im vorigen Jahrhundert ihr letztes Kindbette gehalten hatte, in Vor die Empfindsamen. in dem Herrn sanft und selig entschlief: so weinte sie uͤber ein ganzes Jahr, und noch rollen ihr die Thraͤnen von den Wangen, wenn von der lieben Großmamma gesprochen wird. So oft ich einem Taͤubgen den Hals umdrehe, oder einer Endte den Kopf abhacke, girrt und winselt sie mir die Oh- ren so voll, daß ich mir nicht getraue ihr unter die Augen zu gehen. Dabey ist sie so schreckhaft, daß der geringste Schein eines Ungluͤcks sie ganz ausser sich setzt Vorigen Winter als das Feuer aus der Ofenroͤhre die Tapeten in ihrem Schlafzimmer ergriffen hatte, waͤre sie beynahe auf- gebrannt. Sie lag ohnmaͤchtig in ihrem Bette, dessen Vorhaͤnge die Flammen bereits ergriffen hatten. Ihr juͤng- ster Bruder fiel unlaͤngst in den Bach, der vor unserm Hause vorbeyfließt; und sie stand dabey wie eine Saͤule, ohne auch nur einmal ein Geschrey zu seiner Rettung zu machen. Ihr aͤltester Bruder ist nach Amerika abgereiset, und nun wehet kein Wind, der ihr nicht durchs Herz ge- het; sie zittert bey jeder Post, und ließt auf jedem Gesichte traurige Nachrichten. Aber ihre Zaͤrtlichkeit geht uͤber alles; ihre Sinnen sind so verfeinert, daß sie aus der ganzen Natur nichts wie den fluͤchtigsten Duft genießet. Gehe ich mit ihr des Abends in den Mondenschein: so hoͤrt sie nichts als das Saͤuseln der Zephire, das Gelispel der Blaͤt- ter, und das Rieseln unsers von ihr sogenannten Silber- bachs. Da singt ihr die Nachtigall so suͤß, die Aepfelbluͤ- ten duͤften ihr so sanft, und der Abend erscheinet ihr so Won- nevoll, daß ich oft befuͤrchte, sie thauet mir unter den Haͤn- den weg, und fließt mit dem Silberbach in die elyseischen Felder. Mich ergoͤtzen der Gesang der Voͤgel, das Gruͤn der Felder, und die Blumen der Baͤume zwar auch; aber mein ganzes Herz wird dadurch gestaͤrkt; es oͤfnet sich dem maͤch- tigen Danke fuͤr alles Gute was ich empfinde, fuͤr den Se- gen Vor die Empfindsamen. gen welchen uns ein gutes Fruͤhjahr verspricht, fuͤr die all- gemeine Freude aller Geschoͤpfe, die auf diesen Segen war- ten — und diese maͤchtige Staͤrkung athme ich mit jeden Luͤftgen und Duͤftgen ein; ich liebe die Kuͤhlung des Abends als eine wohlthaͤtige Erfrischung nach des Tages Last und Hitze. Meine alte Mutter pflegte und wartete ich so lange als sie krank war, und wie Gott sie zu sich nahm, dankte ich ihm freudig, daß er sie vor mehrern Truͤbsalen in Gna- den bewahret haͤtte; wo es brennet, da rette ich; und zu meinem Bruder sagte ich, als er zu Felde gieng, Junge halte dich wohl, und komme gesund wieder; fiele er ins Wasser: so spruͤnge ich ihm fluchs nach und holte ihn her- aus. Das sind so meine Empfindungen, und diese finde ich bey allen Menschen auf dem Lande, wo die Natur noch am wenigsten verdorben ist. Aber so eine Empfindsamkeit, wo man immer weint, bebt, zittert, erstarrt, und weder Hand noch Fuß ruͤhrt, wo man die Natur nur zum schoͤ- nen Spielwerk gebraucht, die scheint mir ein Fieber der Seele zu seyn, wogegen bey Zeiten etwas gebraucht wer- den muß, wenn das gute Kind nicht fruͤhzeitig ins Grab zittern soll. Gott sey mir gnaͤdig, wann sie einmal ver- liebt werden sollte. In Zaͤrtlichkeit aufgeloͤst, wird sie den bestaͤndigen Kreislauf in allen Adern ihres Geliebten haben wollen. Unser Leibarzt, ein geschickter und trockner Mann, sagt, es kaͤme von nichts, als von dem vielen Lesen; und sie sollte wohl besser werden, wenn sie sich allmaͤlig zur Landarbeit gewoͤhnte. Aber das will die liebe Patientin nicht, sie ist ohnehin echauffirt genug, wie sie sagt. Ey was echauffirt, rief er juͤngst; das Echauffement ist eine Aufforderung zur Arbeit, und eine huͤlfreiche Bemuͤ- hung der Natur, diejenigen Theile zu staͤrken, welche das mehrste bey der Arbeit verschwenden muͤssen. Das Echauf- fement ist am staͤrksten in der Erndte, und die Zeit bezeich- net Vor die Empfindsamen. net hier die Absicht der Natur deutlich; Flachs geranft, Garben gebunden, und die Hitze, welche das Gebluͤt in Wallung setzt, ausgedampft. — Hieruͤber wurde sie so empfindsam, daß wir ihr Tuͤcher mit Wein auf den Puls binden mußten, um die arme Seele von der Ohnmacht zu- ruͤck zu halten. Der Magister darf ihr nicht mehr vor Augen kommen, seitdem er unlaͤngst gegen die empfindsamen Buͤcher gepre- digt, und gezeigt hat, daß sie die ganze menschliche Natur verstimmten; und eine schleichende Schwaͤche durch alle Ner- ven verbreiteten. Anstatt einer wahren starken Natur ent- stuͤnde eine gemachte und gekuͤnstelte; eine kranke Einbildung traͤte an die Stelle einer richtigen Vorstellung; wo die Re- ligion Freude und Muth geboͤte, da winselte das weichflies- sende Herzgen; die Huͤlfe die man von ihnen erwartete, bestuͤnde in unfruchtbaren Thraͤnen, und wo sie mit Rath und That erscheinen sollten, da verwirreten sie nur andere mit Stoͤhnen und Aechzen, und waͤren zu aller Entschlossen- heit die in tausend Faͤllen des menschlichen Lebens erfordert wuͤrde, schlechterdings ungeschickt .... Ihre Tante, die juͤngst eine von unsern Viehmaͤgden, die sich das Bein auf dem Felde zerbrach, auf den Ruͤcken nach Hause trug, und waͤhrend der Zeit, ich zu dem Wund- arzt gieng, ihr alle Huͤlfe leistete, schrie vergebens dem zaͤrt- lichen Kinde zu, ihr doch nur ein bisgen Wein aus dem Keller zu bringen: ich fand sie ganz steif vor Schrecken, wie ich wieder kam. Nun sagen Sie mir aber, mein Herr, was man mit einem solchen Milchmuͤsgen anfangen soll? Ant- Vor die Empfindsamen. Antwort . Sey sie ruhig, meine liebe Jungfer; der Brand ist nicht im Brodkorn, sondern nur unter den Nelken, und von diesen wirft der Gaͤrtner doch immer einen Theil weg, ohne Saamen und Ableger von ihnen zu verlangen. Wo wollte es auch hinaus, wenn sie sich so stark, wie der Weitzen ver- mehrten? Vielleicht hat die Natur ihre guten Absichten da- bey; daß sie die zartesten Blumen nicht wider die Nachtfroͤ- ste gehaͤrtet hat. Das Geschlecht wird darum nicht verloh- ren gehen, sondern noch immer eine und die andere hinter der Glasscheibe bluͤhen, und damit sind die Liebhaber auch zufrieden. Also mache sie nur, daß das gute Kind in dem naͤchsten Maymonat einem suͤssen jungen Herrn in die Au- gen falle, und mit demselben im Mondenschein unter einem bluͤhenden Apfelbaum an den Silberbach komme. Wird sie dann in sanften Entzuͤckungen dahin schmelzen, so troͤste sie sich damit, daß so wie die verzaͤrtelten Gewaͤchse aus- sterben, staͤrkere an ihre Stette kommen, und Sie, meine gute Jungfer, um eine Stuffe hoͤher steigen werde. Hiemit Gott befohlen. XIX. Sollte nicht in jedem Staate ein Obrig- keitlich angesetzter Gewissensrath seyn? Billig sollte jeder Staat einen eignen von der Obrigkeit verordneten Gewissensrath haben, an welchen man sich in schweren Faͤllen wenden, und bey dessen Ausspruche man sich foͤrmlich beruhigen koͤnnte. Vielleicht wuͤrde da- durch mancher unnuͤtzer Proceß vermieden, und manche Un- gerech- Sollte nicht in jedem Staate gerechtigkeit in ihrer Geburt erstickt. Viele begnuͤgen sich damit ein so genanntes rechtliches Bedenken einzuholen, und ihr Gewissen darnach zu stimmen, ohne zu uͤberlegen, daß sie auf diese Weise ihren Beichtvater selbst gewaͤhlt, vielleicht nicht den strengsten genommen, vielleicht manchen kleinen Umstand verschwiegen, und so nach ihre Absolution erschlichen haben. Andre tragen ihre Gewissensscrupel, zu deren Aufloͤsung oft die groͤßte Kenntniß der Rechte erfor- dert wird, so gar einem Theologen vor, und dieser der blos nach der gesunden Vernunft und demjenigen was ihm christlich, billig und recht scheint, urtheilet, spricht einen Zweifelnden los, der doch den Rechten nach verdammet werden sollte. Noch andre folgen ihrem eignen Urtheil und einem gewissen innerlichen Gefuͤhle, was doch oft bey gesunden Tagen, und in der Hitze der Leidenschaft nicht so ausfaͤllt, wie es zur andern Zeit ausfallen wuͤrde. Und uͤberall schleicht sich der Selbstbetrug, worauf zuletzt eine spaͤte Reue folgt, mit ein, wie nicht geschehen wuͤrde, wenn man sich bey einem ordentlich dazu angesetzten Gewissens- rath mit seinen Zweifeln melden, und von demselben eine gewissenhafte Aufloͤsung fordern koͤnnte. Irrte ein solcher Rath: so behielte man doch immer die Beruhigung in sei- nem Gewissen, daß man einen gesetzmaͤßigen Weg einge- schlagen waͤre, und sich, wenn man demselben nichts ver- schwiegen, auch nichts vorzuwerfen haͤtte. Ich befinde mich jetzt in einem Falle, wo mir ein sol- cher Rath besonders noͤthig ist. Ich habe eine Forderung an einen verstorbenen Mann, uͤber dessen Guͤter jetzt ein Concurs entstanden. Diese Forderung besteht urspruͤng- lich aus Erbgeldern, womit ich allen andern Glaͤubigern vorgehen wuͤrde. Ich habe aber spaͤter eine gemeine Ver- schreibung darauf genommen, womit ich allen andern nach- stehen werde. Beziehe ich mich lediglich auf mein Erb- gelds- ein angesetzter Gewissensrath seyn? geldsrecht; so bekomme ich meine viertausend Thaler, die mir von Gott und Rechtswegen zukommen, richtig heraus. Klage ich aber aus der Verschreibung: so bekomme ich ge- rade nichts. Niemand weiß daß ich die Verschreibung habe; ich habe auch dem Verstorbnen nie eine Quittung auf mein Erbgeld ertheilt, folglich kann ich ohne Gefahr das erste thun. Eine andre Frage aber ist es, ob ich mit guten Gewissen die Verschreibung, welche ich einmahl an- genommen habe, zuruͤck halten, und so nach die Glaͤubiger, welche mir vorgehen wuͤrden, um das Ihrige bringen koͤnne! Ich, mein selbst erwaͤhlter Beichtvater, und mein selbst erwaͤhlter Consulent, sind einstimmig der Meynung, daß ich es thun koͤnne, da meine Forderung die gerechteste von der Welt ist, und ich schlechterdings an den Bettelstab gera- then wuͤrde, wenn ich mit der bloßen Verschreibung her- ausgienge. Ein andrer aber, der vielleicht ein gegenthei- liges Interesse hat, behauptet, ich habe mein Erbrecht durch die Annehmung einer Verschreibung einmal aufgegeben, und koͤnne also dasselbe zum Schaden andrer mit gutem Gewissen nicht weiter geltend machen. In dieser mißlichen Lage befuͤrchte ich eine spaͤte Reue. Ich denke die Noth, die starke Empfindung meines Ver- lustes, und das Mitleid meiner zu Rath gezogenen Freunde koͤnne mich in diesem Augenblicke verblendet und mein Ge- wissen unrichtig gestimmt haben; aber ich denke auch, wenn ich nun mich und meine Kinder um alles das Ihrige gebracht habe, mich koͤnnte einst der Vorwurf treffen, daß ich sie durch mein Verschulden ins Ungluͤck gestuͤrzt haͤtte. Wer ist nun der mir hier einen auf alle Faͤlle sichern Rath er- theilet, und wohin soll ich mich wenden? Amalia. Moͤs. patr Phant. III. Th. E Sollte Sollte man nicht jedem Staͤdtgen XX. Sollte man nicht jedem Staͤdtgen seine be- sondre politische Verfassung geben? Den schaͤdlichen Einfluß unser einfoͤrmigen philosophi- schen Theorien auf die heutige Gesetzgebung, haben wir zu einer andern Zeit gesehen. Ihnen und der Bequem- lichkeit der Herrn beym Generaldepartement haben wir es allein zu danken, daß wir so viele allgemeine Verordnun- gen haben, die entweder gar nicht, oder doch nur so in Bausch und Bogen befolget werden. Daß sie aber auch das ganze menschliche Geschlecht immer einfoͤrmiger machen, ihm seine wahre Staͤrke rauben, und in den Werken der Natur, wie in den Werken der Kunst, manches Genie ersticken, solches ist, so wahr es auch ist, noch von weni- gen beherziget worden; und doch haͤtten diejenigen, welche den Menschen in seine erste Wildheit zuruͤckwuͤnschen, um ihn in seiner Originalstaͤrke zu sehen, mehr als eine Gele- genheit gehabt, dieses zu bemerken. Der Mensch ist zur Gesellschaft bestimmt, und es fruch- tet wenig, ihn in seinem einzelnen Zustande zu betrachten. Der rohe Einsiedler mag mit der Keule in der Hand und mit einer Loͤwenhaut bedeckt, noch so stark, gluͤcklich und groß seyn; so bleibet er doch immer ein armseliges Ge- schoͤpf, in Vergleichung der grossen Gesellschaften, die sich uͤberall wider ihn verbunden haben, und ewig wider ihn verbinden werden. Das Recht, nach seiner eignen Theo- rie zu leben, dienet ihm also zu nichts. Allein, ob es nicht eine groͤssere Mannigfaltigkeit in den menschlichen Tugenden, und eine staͤrkere Entwickelung der Seelenkraͤfte wuͤrken wuͤrde seine politische Verfassung geben. wuͤrde, wenn jede grosse oder kleine buͤrgerliche Gesellschaft mehr ihre eigene Gesetzgeberin waͤre, und sich minder nach einem allgemeinen Plan formirte, das ist eine Frage, die noch immer eine Untersuchung verdient. Wenn wir auf den grossen Ruhm der vielen kleinen griechischen Republiken zuruͤckgehen, und nach der Ursache forschen, warum so manches kleines Staͤdtgen, was in der heutigen Welt nicht einmal genannt werden wuͤrde, ein so grosses Aufsehen gemacht: so ist es diese, daß jedes sich seine eigne religieuse und politische Verfassung erschaffen, und mit Huͤlfe derselben seine Kraͤfte zu einer ausserordent- lichen Groͤsse gebracht habe. Man sieht, daß sie in ihren Plan alles was ihnen die Natur gegeben, auf das schaͤrfste genutzt, und aus jeder Menschensehne ein Ankerseil gemacht haben. Dieses thaten sie ehe sie philosophische Theorien hatten, und blos von ihren Beduͤrfnissen geleitet, nach der Richtung arbeiteten, welche zu ihrem Ziele fuͤhrte. Der Eifer, womit jedes Volk in der Neuigkeit seinen eigenen Erfindungen froͤhnet, erhielt die ersten Stifter in ihrer patriotischen Schwaͤrmerey, eine dazu eingerichtete Er- ziehung pflanzte solche auf die Nachkommenschaft fort, und jede Tugend erhielt ihren Werth nach dem Maasse des Nu- tzens, welchen sie dem gemeinen Wesen schafte. Die Groͤße aller andern so beruͤhmten Nationen scheinet die Folge einer aͤhnlichen Art zu handeln gewesen zu seyn, ehe allgemeine Religionen, Sittenlehren und Systeme, diese eigenen Fal- ten jeder besondern Voͤlkerschaft ausgeglichen, und die Art der Menschen, zu denken und zu handeln, einfoͤrmiger ge- macht haben. So wie die allgemeine Menschenliebe fast alle Buͤrgerliebe, und die grosse Nationalehre die besondre Ehre jedes Staͤdtgens verschlungen hat; eben so scheinen die allgemeinen Natur- und Voͤlkerrechte die starken Ban- de, welche aus jenen besondern Verfassungen entsprungen, E 2 ver- Sollte man nicht jedem Staͤdtgen verdrungen zu haben; daher sie auch weniger wuͤrken, und einen, wenn man sie anwenden will, nicht selten verlassen. Mit leichter Muͤhe geriethen die Griechen auf den Schluß, daß man die jungen Menschen, wie die jungen Thiere ab- richten muͤsse, und die Abrichtung ihrer Kinder war ihre erste Sorge. Die gemeinen Beduͤrfnisse bestimmten die Art derselben, und alle ihre Kinder wuͤrden, wie die Haͤmpf- linge, ein Lied gepfiffen, oder wie die Hunde den Ball ge- holt haben, wenn das gemeine Wohl dieses erfordert haͤtte. Aber sie wollten und bildeten Krieger, tapfre und dauer- hafte Seelen, wie Harrisons Uhren, womit man die Welt umfahren kann, ohne daß sie einen Augenblick fehlen; und Buͤrger, die ihr Vaterland uͤber alles liebten. Nach unsrer jetzigen Verfassung brauchen wir derglei- chen Kriegerseelen nicht, so noͤthig es auch seyn moͤgte, daß die mindermaͤchtigen Voͤlker die Zucht ihrer Jugend ver- staͤrkten, und ein neues Geschlecht bildeten, das man nicht durch Tractaten zu Sklaven machen koͤnnte. Wir wollen jetzt lauter geschickte, arbeitsame und maͤßige Leute, die viel gewinnen und wenig verzehren muͤssen. Diese suchen wir zu erzielen, und auch dahin koͤnnte sich die Abrichtung er- strecken, wenn jedes Staͤdtgen seine Policey darnach anlegte, und solche auf seinen eignen Zweck richtete. In allen unsern jetzigen Verfassungen liegt der Fehler, daß ein Nachbar sich um die Auffuͤhrung des andern nicht weiter bekuͤmmert, als es die Neugierde erfordert. Was geht es mich an? was geht es dich an? heißt es, wenn einer den andern auf liederlichen Wegen antrift. Man fuͤrchtet nur den Fiscus, und was dieser nicht sieht, das wird auch nicht geruͤgt. Keiner will Anbringer seyn, und die Strafen werden als ein Zoll betrachtet, den man oͤffent- lich verfahren kann, ohne von seinen Nachbaren verrathen zu seine politische Verfassung geben. zu werden. Mit einer solchen Denkungsart, werden wir nie arbeitsame, fleißige und maͤßige Buͤrger ziehen. Ich erinnere mich einer kleinen Colonie in Pensylva- nien, die sich vom Spinnen und Weben ernaͤhrte. Alle ihre Kinder giengen mit blossen Koͤpfen und Fuͤßen, mit einem kurzen Ueberzuge gekleidet. Im siebenden Jahre erhielten sie eine bessere Art von Kleidung, wenn sie bey einer an- gestelleten oͤffentlichen Pruͤfung die ihnen vorgeschriebene Stuͤcken Garn spinnen konnten. Diejenigen so dieses nicht konnten, durften ihren Ueberzug nicht ablegen, und musten ihn so lange tragen, bis sie diese Geschicklichkeit erlangt hat- ten. Wer zugleich in diesem Jahre fertig lesen konnte, wurde zu gewissen fuͤr die Jugend eingesetzten Spielen zu- gelassen. Das Recht Struͤmpfe zu tragen erwarb man sich, so bald man solche selbst knuͤtten konnte, und zur Hey- rath wurden keine gelassen, als diejenigen, so den Preis im Weben davon getragen hatten. Im ganzen Staͤdtgen wurde auf einen Glockenschlag und nur einerley schlechte Kost gegessen. Diese war auf jeden Tag vorgeschrieben; eben so auch die Kleidung. Der Kraͤmer durfte nichts an- ders feil haben und verkaufen, als was zu geniessen oder zu tragen erlaubt war, und die Aufsicht hierauf war sehr scharf. Um aber so viele Strenge zu versuͤssen, muste jeden Sonnabend auf den Glockenschlag zwoͤlf alle Arbeit aufhoͤ- ren, und nun versammlete man sich zu einem oͤffentlichen Feste. Hier ward Wein, und Coffee und Braten nach Gefallen genossen; doch hatte man wenige Beyspiele, daß jemand dieser Erlaubnis, unter den Augen des Publicums mißbraucht haͤtte. Die Jugend hatte ihre Taͤnze und Spiele und die Alten spielten auch, oder genossen ihre vorigen Zeiten in dem frohen Anblick ihrer gesunden und raschen Kinder. Die ganze Woche freuete sich ein jeder auf diesen E 3 Tag Sollte man nicht jedem Staͤdtgen Tag, und aß seinen schwarzen Rockenbrey mit Vergnuͤgen, weil er schon den Sonnabendsbraten im Kopfe hatte. Die Versuchung heimlich Coffee zu trinken, verfuͤhrte die Wei- ber nicht, weil sie ihr Geluͤstgen alle Woche einmal voͤllig stil- len konnten; und wo sie es dennoch thaten; oder wo der Mann zu Hause etwas verbotenes genossen hatte, da hieß es am Sonnabend: Der oder die ist krank. Denn den Kranken war nichts vorgeschrieben; nur durften diejenigen, so an einem Tage in der Woche, sich des Privilegiums der Kranken bedienet hatten, am Sonnabend nicht gesund seyn, und bey den Lustbarkeiten erscheinen. In allen Verbrechen dieser Art hatte ein jeder auf das heiligste gelobt, des andern Anbringer zu seyn. Der Mann konnte seine Frau mit lachenden Munde angeben, und sa- gen: sie waͤre krank, so ein Freund den andern, und das ohne Beweis, so lange er nicht kam und ihn forderte. Ins- gemein schaͤmte sich aber der Kranke und blieb traurig zu Hause. Wer aber ein ganzes Jahr krank war, wurde fuͤr unheilbar erklaͤrt, und als ein Aussaͤtziger gemieden. Bey hoͤhern Verbrechen aber, als z. E. wenn jemand ein Stuͤck In der Oßnabr. Bauerschaft Rieste, haben die Eingesessene sich ebenfalls vereiniget, daß keiner ein Stuͤck Garn verkaufen will, um zu verhindern, daß liederliche Wirthe, Weiber und Gesinde nicht einzelne Stuͤcke zum Kraͤmer verschleifen und Brantwein, Coffee oder Zucker dafuͤr holen koͤnnen. Garn verkauft hatte, wurde mehrere Form beobachtet, und der uͤberwiesene Thaͤter vor dem Versammlungshause mit einem Stuͤcke Garn um den Hals eine Stunde lang zur schimpflichen Schau gestellt. Diese Art zu denken und zu handeln war mit Huͤlfe der Erziehung zu einer solchen Staͤrke gediehen, daß sie ihre voͤllige Wirkung that, und es ist unglaublich, wie sehr die zugelassene oͤffentliche Lustbarkeit die heimliche Schwelgerey verhin- seine politische Verfassung geben. verhinderte, und das Strenge milderte, was in der taͤgli- chen schlechten Kost und der regelmaͤßigen Kleidung herrschte. Die Einwohner genossen unendlich mehrere Freuden, als diejenigen, die sich solche durch taͤglichen Genuß unschmack- haft machen, und die Linnenweber Lieder klangen heller als alle unsre Opernarien. Dergleichen kleine Einrichtungen lassen sich im Großen gar nicht machen. Sie sind blos das gluͤckliche Spiel klei- ner Staͤdte oder Kotterien; und so sollte eine Landesobrig- keit diesen Geist zu erwecken, und durch dienliche Beguͤnsti- gungen oder Belohnungen zu befoͤrdern suchen. Vielleicht haͤtten wir denn auch unsre Solonen und Lycurgen. Wir sehen taͤglich was fuͤr große Dinge Innungen, Gesellschaf- ten, Bruͤderschaften und dergleichen Verbindungen schaffen koͤnnen. Was kann uns also abhalten die Menschen mit diesem Faden zu ihrem Besten zu leiten? Wie angenehm wuͤrde es nicht fuͤr Reisende seyn, auf jeder Station gleich- sam eine besondere Art von Menschen zu sehen? und in je- dem Hafen ein neues Otaheite zu finden? wie viele Philo- sophen wuͤrden nicht reisen, um das mannigfaltige Kunst- werk, den Menschen, zu sehen? XXI. Also soll man mit Verstattung eines Be- graͤbnisses auf dem Kirchhofe nicht zu gefaͤllig seyn. Es ist schon so manches Ungluͤck daher entstanden, daß die Obrigkeit solchen Personen, die sich selbst ums Le- ben gebracht, oder auf andre Art des Rechts, der christli- chen Gemeinschaft, verlustig gemacht haben, ein Begraͤbnis E 4 auf Also soll man mit Verstattung auf dem geweyhten Kirchhofe zugelassen hat, daß es wohl eine Untersuchung verdient, ob es besser sey, hierunter stren- gere als mildere Grundsaͤtze zu befolgen? Viele glauben die Obrigkeit habe hierunter freye Macht; und die Gemeine welche sich ihr in solchen Faͤllen nur gar zu oft widersetzt, sey durch die groͤbsten Vorurtheile verblendet. Allein so wenig ich dieses gegenwaͤrtig uͤberhaupt bestreiten will: so sehr scheint mir ein solches Vorurtheil Schonung, und die Macht der Obrigkeit Einschraͤnkung zu verdienen. In den mehrsten Faͤllen heißt es, der Mensch welcher sich selbst entleibt, sey nicht bey Verstande gewesen; in zweifelhaften Faͤllen muͤsse man die Vermuthung zum Be- sten fassen; durch die Verweigerung des christlichen Be- graͤbnisses leide der Todte nichts, die unschuldige und be- truͤbte Familie aber desto mehr, und der menschliche Rich- terspruch muͤsse dem gnaͤdigen Urtheil Gottes nicht vorgrei- fen, der keinen, um deswillen, daß er sich in dem Augen- blick einer Verruͤckung das Leben verkuͤrzet, verdammen werde. Gegen alle diese Gruͤnde wende ich nichts ein; ich will annehmen, daß sich kein Mensch bey voͤllig gesundem Ver- stande das Leben nehme, wenn er auch, wie unlaͤngst ein Deutscher in London, ein eigenhaͤndiges Zeugniß in der Ta- sche hat, worauf geschrieben stunde, daß er sich mit dem uͤber- legtesten und reiflichsten Entschlusse die Gurgel abgeschnit- ten haͤtte; ich will daher zugeben, daß man immer die Ver- muthung dahin fassen koͤnne, der Selbstmoͤrder habe bey allem aͤußerlichen Scheine der Vernunft und bey kalten Blute geraset — wer dieses nicht glauben will, der setze sich das Messer an die Kehle, und versuche es, ob er sich bey aller seiner Begierde mir hierin zu widersprechen, nur die halbe Gurgel abschneiden koͤnne — ich will zugeben daß die unschuldige Familie, mehr als die schuldige, leide, und Gott eines Begraͤbnisses nicht zu gefaͤllig seyn. Gott den zufaͤlligen Verlust der Vernunft nicht als ein Ver- brechen bestrafen werde. Dem allen aber ungeachtet schei- net mir doch hier wiederum die Menschenliebe und natuͤrli- che Weichherzigkeit in die buͤrgerlichen Rechte zu greifen, oder unpolitisch zu verfahren. Wenn wir einen enthaupteten Strassenraͤuber auf das Rad legen, einen erhenkten Dieb am Galgen verfaulen, oder den Rumpf eines Mordbrenners auf dem Scheiter- haufen verbrennen lassen: so leidet der getoͤdtete arme Suͤn- der dadurch nichts, und dem ungeachtet halten wir derglei- chen fuͤrchterliche Ceremonien noͤthig um andre von gleichen Unternehmungen abzuschrecken. Die Ruͤcksicht auf arme unschuldige Wittwen und Kinder, und auf eine eben so un- schuldige als betruͤbte Familie bewegt uns nicht, den Ge- haͤngten in die Erde zu verscharren, und jenen zum Trost das Aergernis abzunehmen. Ja wir haben wohl gar die Absicht die Unschuldigen zu bewegen, den Schuldigen in Zeiten zu warnen und zu bessern, ihn nicht in die aͤußerste Noth fallen zu lassen und alles moͤgliche anzuwenden, eine solche Beschimpfung von der Familie abzuhalten. Und wer mag zweifeln, wenn Kinder, Eltern und Verwandte uͤber einen Ungluͤcklichen wachen, daß derselbe nicht sicherer sey, als wenn jene ihn seinem boͤsen Hange uͤberlassen, und mit Ehren in die Grube bringen koͤnnen? Von dieser Seite hat also die bisherige christliche Ge- wohnheit einem Selbstmoͤrder ein christliches Begraͤbnis zu versagen, nichts widriges, sondern vielmehr etwas sehr loͤbliches; sie will den Todten nicht strafen, sondern den Le- bendigen Eindruͤcke und Bewegungsgruͤnde zu ihrer Erhal- tung und noͤthigen Aufmerksamkeit geben, die Schwa- chen befestigen und die Starken staͤrken. Und sollte dann dieser Eindruck nicht auch noch auf Tiefsinnige, Melancholische und Halbverruͤckte wuͤrken? E 5 sollte Also soll man mit Verstattung sollte er die Gruͤnde gegen den Selbstmord nicht verstaͤrken? sollte er die Freunde und Angehoͤrige des Tiefsinnigen nicht in der groͤßten Wachsamkeit halten? ich denke ja; und es sey nun wenig oder viel: so ist es doch immer besser als nichts, besser als gar eine Ehre nach dem Tode. Damit wuͤrde denn aber auch jene christliche Gewohnheit von der andern Seite noch immer gerechtfertiget; nemlich gegen den Einwurf, daß man vernunftlosen Menschen ihre Thaten nicht zurechnen koͤnne. Wo die Vernunftlosigkeit klar ist, und jemand sich in der Raserey eines hitzigen Fiebers, oder in einer offenbaren Verruͤckung den Hals abstuͤrzt, wird die Ermaͤßigung sich ohnehin von selbst finden. Dem Urtheil Gottes wird aber dadurch gar nicht vor- gegriffen, daß man demjenigen, der sich selbst entleibt, den Kirchhof verschließt; und den Lebenden zu ihrem eignen Be- sten die unfehlbare Verdammniß auf einen vorsetzlichen Selbstmord verkuͤndigt. Man wuͤrde vielmehr dem Men- schen einen schlechten Dienst erweisen, wenn man ihm diesen letzten Ankergrund zur Zeit des Sturms entziehen wollte. Aber die Hauptursache, warum man hierin zu unsern Zeiten milder ist, als man ehedem war, liegt wohl in un- ser immer speculirenden und raisonnirenden Philosophie. Diese entweihet fast alles; die Kirche oder das Haus wor- in die Gemeine sich zum oͤffentlichen Gottesdienst versamm- let, ist ihr nicht heiliger als der Berg worauf der Nomade anbetet; die Kirchhoͤfe sind ihr gemeine Aecker worauf man die Todten verscharret; sie findet es ungroßmuͤthig, diese letzte Ruhestaͤtte einem armen hingefallenen Pilgrim zu ver- sagen, und lehret, daß was Gott im Himmel aufnehme, wir arme kurzsichtige Geschoͤpfe in der Gruft nicht trennen sollten. Ist dieses nicht aber wiederum die Sprache der Men- schenliebe, welche alle Hurkinder zunftfaͤhig macht, und den eines Begraͤbnisses nicht zu gefaͤllig seyn. den Menschen mit dem Buͤrger und Christen verwechselt? heißt dieses nicht wiederum die Rechte der Menschheit uͤber die Buͤrgerlichen erheben, alle Staͤnde und geschlossene Ge- sellschaften vernichtigen, und die Menschen wie im Himmel, also auch auf Erden, in gleiche Bruͤder und Erben verwan- deln? Der Kirchhof ist das geheiligte Eigenthum einer christlichen Gesellschaft, und wer sich nicht zum Mitglied aufuehmen laͤßt, oder wenn er sich hat aufnehmen lassen, seinen Verbindungen entsaget, hat daran nichts zu fordern. Wer kein Buͤrger der Stadt Gottes ist, hat auch keine buͤr- gerliche Rechte in derselben; die natuͤrlichen werden keinem versagt, und dem Menschenfreunde steht es frey seinem Freunde eine Nuhestaͤtte in seinem Garten zu geben. Das koͤnnte der naͤchste Freund des Entleibten auch thun, wenn alles Vorurtheil waͤre. Zwar waͤre es gut, wenn jene allgemeine Freyheit und Gluͤckseligkeit, welche einer feurigen Einbildung so manches schimmerndes und auch wuͤrklich schoͤnes Gemaͤhlde darbie- tet, das Loos der Menschheit waͤre, und das menschliche Ge- schlecht nur eine Gesellschaft ausmachte. Da sie aber die- ses nach der Natur des Menschen nicht seyn kann, und die christlichen Policeygesetze in Ansehung der Kirchhoͤfe einen guten und vortreflichen Nutzen haben: so glaube ich, daß wir wohl thun, uns daran zu halten, und diejenigen, wel- che auf die gehoͤrige Weise fuͤr Unchristen erklaͤrt sind, mit- hin keinen Theil an den buͤrgerlichen Einrichtungen einer christlichen Gesellschaft haben, von dem ihr Ausschliessungs- weise zustehenden Kirchhofe auszuschliessen. Also Die weiblichen Rechtswohlthaten XXII. Also sind die weiblichen Rechtswohlthaten nicht zu verachten. Das ist recht, sagte mein Mann, daß man es endlich einsieht, wie wenig die sogenannten weiblichen Wohl- thaten dem schoͤnen Geschlechte zur Ehre gereichen, und wie uͤbel sich solche vor unsre deutschen Amazoninnen schicken, die Laͤnder und Berutschen mit gleicher Geschicklichkeit re- gieren, und oft an ihren Maͤnnern mehrere Schwachheiten finden, als die roͤmischen Rechte bey ihnen vorausgesetzet haben Es ist dieses gegen einen andern Aufsatz gerichtet, dessen Verfas- ser die weiblichen Rechtswohlthaten abgeschaffet wissen wollte. . Ich freue mich recht daruͤber, fuͤgte er hinzu, aber meine liebe Louise sey nun auch so gut, und uͤbernimm fuͤr mich hundert Ducaten zu bezahlen, die ich heut Abend an den Hern von ..... verlohren habe, und Morgen Vormittag bezahlen muß, wenn ich ein Mann von Ehre bleiben will. Bey diesen Worten druͤckte er mich an seine Brust, und sagte mir so viel zaͤrtliches, daß ich ihm un- moͤglich widerstehen konnte. Mein baares Geld hatte ich ihm schon einige Tage vorher gegeben; wir schickten also gleich zu einem Kaufmann, und glaubten, es wuͤrde keine Schwierigkeit mehr haben, die hundert Ducaten zu erhalten. Allein zu meinem Gluͤck machte derselbe so viel Umstaͤnde und forderte unter andern einen so feyerlichen Verzicht auf alle dem weiblichen Geschlechte zum besten verordneten Rechtswohlthaten, daß mein Mann daruͤber ungedultig wurde, und wie er vollends vom Eyde und Gericht hoͤrte, zum Hause hinaus lief, und des Nachts nicht wieder kam. O! seufzete ich einsam, wie gluͤcklich haben die Gesetze vor Uns sind also nicht zu verachten. Uns gesorgt, daß sie uns eine bessere Gegenwehr, als Bit- ten und Flehen gegeben haben! Was wuͤrde aus mir ge- worden seyn, wenn ich meinem Manne, welchem die un- gluͤckliche Spielsucht taͤglich einen Schritt seinem Verderben naͤher fuͤhrt, immer mit einem: ich will nicht, haͤtte be- gegnen muͤssen? oder wenn ich in dem Augenblicke, wo ihm die Ehre lieber als seine Frau und Kinder war, ihn mit Gruͤnden und Bitten haͤtte beruhigen wollen? Ver- muthlich haͤtte er mir das erstere nie vergeben; und so waͤ- re der Hausfriede auf ewig gebrochen worden; und uͤber meine Vorstellungen haͤtte er ganz gewiß gesiegt. Da ich die Nacht uͤber nicht schlafen konnte: so dachte ich bey mir selbst, daß unter Eheleuten, wie auch unter Eltern und Kindern billig ganz eigne Rechte in allen Faͤl- len seyn muͤßten, wo man entweder aus Ehrfurcht oder Lie- be nichts versagen duͤrfte; und nachher habe ich von einem Rechtsgelehrten gehoͤrt, daß kluͤgere Leute, als ich, diese na- tuͤrliche Forderung laͤngst eingesehen, und nicht allein aus diesem Grunde den Eheleuten alle unwiederruflichen Schen- kungen, so bald es auf etwas Erhebliches ankaͤme, verbo- ten, sondern auch alle Contrakte der Eltern mit ihren Kin- dern, so lange diese sich in ihrer Gewalt befinden, fuͤr un- verbindlich erklaͤret hatten. Jede Schmeicheley wuͤrde Gift, jede Weigerung Gefahr, und die edle haͤusliche Zufrieden- heit in tausend Faͤllen gestoͤret seyn, wenn die Gesetze hier- in nicht fuͤr den schwaͤchern Theil gesorget haͤtten. Mit Recht, setzte der Rechtsgelehrte hinzu, ist in vielen Staa- ten den Eheleuten unterschiedener Religion, verboten, waͤh- rend der Ehe die gesetzmaͤßige Erziehung ihrer Kinder in der einen oder andern Religion, woruͤber sie sonst vor der Ehe sich nach ihrem Gefallen vereinigen koͤnnen, zu veraͤn- dern, weil der Haß und die Uneinigkeit, so hieraus entste- hen Die weiblichen Rechtswohlthaten hen koͤnnte, um so viel dauerhafter und staͤrker werden wuͤr- de, je mehr jeder Ehegatte Froͤmmigkeit und Eifer haͤtte. Eben dieser Rechtsgelehrte erzaͤhlte mir, daß man zu Rom, so lange Mann und Frau in haͤuslicher Einigkeit gelebt, ihr Bestes mit gemeinschaftlichen Fleisse betrieben, und sich einander ihr Gut wie ihre Herzen anvertrauet, aber gar nicht daran gedacht haͤtten, einer redlichen Frauen das Verbuͤrgen fuͤr ihren Mann, zu verbieten; daß aber, wie der Luxus mit seinem weitlaͤuftigen Gefolge angelangt waͤ- re, und Noth und Versuchung manchen ehrlichen Mann zum Schelm gemacht haͤtten, der Kayser Augustus zuerst den vernuͤnftigen Einfall gehabt hatte, die Buͤrgschaften der Ehefrauen fuͤr ihre Maͤnner kraftlos zu machen; da denn manche tugendhafte Matrone, die wie billig die Schelme- rey ihres Mannes zuletzt geglaubt haͤtte, vor dem Bettel- stabe bewahret seyn moͤgte. Nachher und wie der Luxus die Weiber auch weitlaͤuftiger gemacht, und sie in mehrere Haͤndel eingeflochten, haͤtte der Senat unter dem Nero alle ihre Buͤrgschaften fuͤr unguͤltig erklaͤrt, und solche nur in dem Falle gelten lassen, wo sie dem ungeachtet, und nach- dem sie dieses ihres Rechts wohl belehret worden, sich des- sen ausdruͤcklich begeben haͤtten; der Kayser Justinian aber noch ganz weißlich hinzugesetzt, es solle auch dieser Verzicht nicht gelten, wenn er nicht in Gegenwart dreyer Zeugen, welche die vorhergegangene Belehrung und Warnung mit angehoͤret haͤtten, geschehen waͤren. Und diese Feyerlichkei- ten, welche den Verzicht begleiten, moͤgten manchen Freund und manche Freundin vom Buͤrgen abhalten. Ich ließe es gelten, erwiederte ich ihm, wenn dieses Gesetze blos fuͤr verheyrathetes Frauenzimmer, dem der Mann die Buͤrgschaften ohnedem nicht leicht gut geheissen haben wuͤrde, gemacht waͤre. Aber daß Wittwen, Vor- muͤnderinnen und andre bejahrte verstaͤndige Personen, die mit sind also nicht zu verachten. mit dem Ihrigen freye Macht haben, so gebunden seyn sol- len, dieses ...... Ach, versetzte er, das Buͤrgen ist uͤberhaupt eine gefaͤhrliche Sache; ein Freund der etwas borgen will, muß zufrieden seyn, so bald man mit Wahr- heit sagen kann, man habe dasjenige nicht, was er verlangt. So bald er uns aber nur um eine kleine Unterschrift unsers Namens bittet, sieht es schon ein bisgen verdaͤchtiger und unfreundlicher aus, wenn man sich mit einem Geluͤbde ent- schuldigen will. Wie gluͤcklich waͤre es in diesem Falle, dann und wann mit unsern Leibeignen sagen zu koͤnnen: Freund du weißt, alle Buͤrgschaft ist unguͤltig. Dieses Gluͤck haben die Gesetze, dem Frauenzimmer, welches ge- gen Liebe und Freundschaft empfindlicher, und gegen unge- stuͤmes Andringen furchtsamer seyn soll, erwiesen. War- um sollten sie dieses nicht mit Dank erkennen? und was koͤnnen sie selbst mehr begehren, als daß sie sich dessen im Fall der Noth auf die von dem Kayser Justinian vorge- schriebene feyerliche Art begeben koͤnnen? Wenn sie diese feyerliche Art, welche bisweilen so wohl den Freund als die Freundin auf andre Gedanken bringen wird, tadeln, so muß ich annehmen, daß sie sich gern oft in die Gefahr wuͤn- schen, heimlich ohne Zeugen uͤberlistiget zu werden. Dem Frauenzimmer sagt Montesquieu, koͤmmt blos die Ver- theidigung, wie den Maͤnnern der Angrif zu; und ich sollte denken, es schade nicht die Vertheidigung ein bisgen zu ver- staͤrken. Die Maͤnner sind zwar oft groͤßern Versuchun- gen ausgesetzt; und man hat auch wohl Exempel, daß sie an einem vergnuͤgten Abend mehr versprochen haben, als sie des andern Morgens zu bezahlen wuͤnschen. Aber ein hoͤhers Gesetz, was sie zu mehrern Geschaͤften und Gefah- ren fordert, hat ihre Buͤrgschaften nicht so sehr erschweren koͤnnen; und in den Faͤllen, wo die Frauen zu maͤnnlichen Geschaͤften berufen sind, kommen ihnen die weiblichen Wohl- Also verdient der Accusationsproceß Woblthaten auch minder zu statten. Vielleicht sind sie aber dann auch minder weich und mitleidig ...... Mein guter Rechtsgelehrte wollte mir noch weitlaͤuftig erzaͤhlen, wie das deutsche Frauenzimmer weit mindre Frey- heiten, als das roͤmische, gehabt; und wie sie bey den Wise- gothen sich nicht einmahl ohne einen Beystand zur Ader lassen duͤrfen Qu i a difficillimum non est ut sub tali occasione ludibrium in- terdum adhærescat. LL. Wisig. XI. 1. 2. ; ich dankte ihm aber fuͤr seine Muͤhe, und dachte, die Kirche, welche die boͤsen Ketzer, die einen Kuß zur Todsuͤnde machen wollten c. ult. Clement. de hæreticis. , so loͤblich verdammt, wuͤrde auch diejenigen als boͤse Ketzer verbannen, die uns unsre einzigen Waffen, welche wir zur Erhaltung des uns- rigen haben, so listig rauben wollen. Louise Z … XXII. Also verdient der Accusations-Proceß den Vorzug vor dem Inquisitions-Proceß. Man kann doch jetzt keinen Baͤrenhaͤuter einen Baͤren- haͤuter heissen, ohne daß nicht gleich eine Strafe darauf sitzt; und theilt man vollends Rippenstoͤsse aus, oder jagt seinem Feinde eine Kugel durch die Haar: so griesegrammet die heilige Criminal-Justitz gleich nicht anders, als wenn sie einen lebendig verschlingen wollte. Wahrlich, es ist jetzt eine traurige Sache, ein braver Kerl zu seyn. Je- de feige Femme macht die Obrigkeit zu ihrem Champion, und wenn man einmahl denkt, nun sey die Zeit, eine derbe Wahr- den Vorzug vor den Inquisitionsproceß. Wahrheit an den Mann zu bringen: so steht der Anbringer hinter der Thuͤr, und schreibt einen zur Ruͤge. Vordem war es nicht also; man haßte die Anbringer und forderte Klaͤger; und wo diese fehlten, da mußte der Herr ex offi- cio, oder wie er sonst heißt, seine Nase so lange zuruͤck las- sen, bis derjenige auftrat, der die Rippenstoͤsse empfangen hatte, oder wo dieser bey solcher Gelegenheit den Hals ge- brochen, bis sein naͤchster Verwandter kam, und fuͤr ihn Genugthuung forderte. Hoͤr er, sagt ich juͤngst zu einem Stubensitzer, den die Leute einen Philosophen schelten, woher koͤmmt es doch in aller Welt, daß die Obrigkeit sich jetzt in alle Haͤndel mischt, und uͤberall Amtshalber verfaͤhret? und was bewegt sie, von dem alten deutschen Grundsatze; wo kein Klaͤger ist, da ist auch kein Richter, abzugehen? Was geht es sie an, ob ein schlechter Kerl gepruͤgelt wird, wenn er damit zufrieden ist, und sich das Empfangene zur guten Lehre dienen laͤßt? Was geht es sie an, wenn auch einem huͤb- schen Maͤdchen Gewalt geschieht; klagt die Dirne nicht: so ist das ja ein Zeichen, das sie sich nur ein bischen aus Ver- stellung gewehrt, und gern hat berauben lassen? O! fuhr der Mann im Schlafrocke auf, wenn die leidende Unschuld zu ihrem Ungluͤck auch noch die Kosten ei- nes schweren Processes tragen, sich einem maͤchtigen Un- terdruͤcker entgegen stellen, und wo sie dieses nicht wagen duͤrfte, das erlittene Unrecht verschmerzen muͤste; wenn der Erschlagene ohne Anverwandte und Freunde, ungero- chen verscharret werden sollte; wenn der Raͤuber keinen maͤchtigen Verfolger an der Obrigkeit zu befuͤrchten haͤtte; wenn der Wucherer von keinem, als seinem bedraͤngten Schuldner zur Verantwortung gezogen werden koͤnnte, wenn die Obrigkeit nicht die Macht haͤtte, Leute, die zu dem Ver- Moͤs. patr. Phant. III. Th. F bre- Also verdient der Accusationsproceß brechen ihrer Freunde gern schweigen, oder das Zeugniß der Wahrheit scheuen, zum Reden zu bringen; und wenn jeder Verbrecher nichts weiter als die ohnmaͤchtige Anklage, und blos denjenigen Beweiß, welchen ein armer Klaͤger an- schaffen koͤnnte zu fuͤrchten haͤtte: so wuͤrde mancher Schelm ungestraft bleiben: so wuͤrde es um die oͤffentliche Sicherheit sehr schlecht aussehen; und einen ehrlichen Kerl keine andre Wahl offen seyn, als entweder selbst zu schlagen, oder sich schlagen zu lassen … Ist das alles, fragt ich ihn, und was meynen Sie nun damit erwiesen zu haben? In der That nichts weiter, als daß die Obrigkeit der unterdruͤckten Unschuld, dem be- draͤngten Schuldner, und dem armen geschlagenen oder be- raubten Mann ihren Anwald wie ihren Beutel leihen muͤsse. Allein dieses habe ich gar nicht geleugnet. Mein Satz war blos dieser, daß uͤberall ein Klaͤger erfordert werden sollte, nicht aber, daß dieser Klaͤger die Kosten eines langweiligen und beschwerlichen Processes nothwendig zu tragen haͤtte, Antworten sie mir also auf meinen Punkt. Verschlaͤgt es denn so viel, versetzte er, ob die Obrig- keit eine Sache Amtshalber untersucht und bestraft, oder dem Klaͤger ihren Anwald leiht, und demselben ihren Beu- tel oͤfnet? Ob das viel verschlage? Herr ich fasse ihn beym Kra- gen, und heiße ihn einen Erzstuͤmper, wenn er nicht so- fort einsieht, daß uͤberall, wo ein Klaͤger auftritt, niemals auf die Folter erkannt werden koͤnne? Weiß er denn nicht, daß der Englaͤnder eben so gut wie alle seine Nachbarn, die Tortur eingefuͤhrt haben wuͤrde, wenn er nicht auf dem al- ten deutschen Satze, daß ohne Klaͤger nicht gerichtet wer- den koͤnne, bis in die heutige Stunde geblieben waͤre. Ei- nen Klaͤger fordert man um deswillen, daß er seine Klage voll- den Vorzug vor dem Inquisitionsproceß. vollstaͤndig beweisen solle; und dieses wird auch von dem Anwalde erfordert, den die Obrigkeit einem armen gerin- gen Klaͤger leihet. Je mehr Geld die Obrigkeit auwenden kann, desto leichter kann sie auch den Beweis anschaffen; aber sie muß so wenig als ein anderer Klaͤger auftreten und bitten koͤnnen, daß der Richter, in Ermangelung eines voll- staͤndigen Beweises, den Beklagten ein klein bisgen peini- gen lassen solle. Nicht wahr, sie wuͤrden eine solche unter- thaͤnigste rechtliche Bitte in dem Munde eines Klaͤgers sehr laͤcherlich finden? Und wenn sie das thun, wie ich ihnen hiemit wohlmeinend rathe, verschlaͤgt es denn nichts, daß man das Klagen fast uͤberall, ausser in England, abschafft, und der Obrigkeit zumuthet, jedes Verbrechen sofort auf blosse Anzeige zu untersuchen? Es ist bey meiner Treu eine wunderliche Forderung eben diese Untersuchung! da soll die Obrigkeit auf die Gruͤnde vor und wider den Angeklagten mit gleicher Unpartheylichkeit herabsehen, mit den scharf- sichtigsten Augen hier alles moͤgliche, was nur irgend zu seiner Entschuldigung dienen kann, dort alles, was ihm zur Last faͤllt, aufsuchen; und wenn die Nothzucht sich in eine gemeine Hurerey, der Strassenraub in ein Spolium, der Diebstal in eine Veruntreuung, und die Schlaͤgerey in eine wohlverdiente Zuͤchtigung verwandelt, die Kosten von je- der Thorheit stehen. Der Angeklagte soll, wenn er nicht uͤberfuͤhret wird, bey der Entschuldigung, daß man Amts- halber gegen ihn verfahren habe, Schimpf und Schaden verschmerzen; oder wenn man alle scheinbare Umstaͤnde wi- der ihn aufgetrieben, Vermuthungen auf Vermuthungen gehaͤuft, und die sogenannten Anzeigen nach einem noch unerfundenen Maaßstabe berechnet hat, sich mit dem Eyde oder wohl gar mit der Marter reinigen; der Angeber soll ungesehn hinter dem Vorhange lauren, und ohne den Be- weiß vollfuͤhrt zu haben, sich hinter das obrigkeitliche Amt F 2 ver- Also verdient der Accusationsproceß verbergen; heißt dieses nicht der feigen Verlaͤumdung die Thuͤre oͤfnen, die Obrigkeit in unverantwortliche Kosten stuͤrzen, und unmoͤgliche Dinge fordern? Denn eine Un- moͤglichkeit ist es doch wohl, daß einer einerley Grad von Hitze, von Eifer, von Scharfsinn und von Leidenschaft in Aufsuchung der Gruͤnde fuͤr beyde Theile beweisen soll? Aber erwiederte mein Philosoph, die Obrigkeit nimmt nicht jede Augabe an; sie untersucht erst wenigstens eini- germassen den Werth der Gruͤnde, und des Beweises; sie kann und wird den Angeber noͤthigen, hinlaͤngliche Sicher- heit fuͤr den Beweiß zu bestellen, und der Angeber kann eben so gut als ein Klaͤger angewiesen werden, dem Ange- ktagten Schimpf und Schaden zu ersetzen. Das danke ihr ein andrer, daß sie nicht auf jedes An- geben einen Proceß anstellet, rief ich ihm zu. Aber so gut, wie sie von dem Angeber dem Befinden nach Sicher- heit fuͤr den Beweiß fordern kann; eben so gut koͤnnte sie ihn auch noͤthigen, seinen Namen zur Klage herzugeben: so bliebe denn doch immer der Proceß in derjenigen Form und Gleise, worinn alle Processe seyn muͤssen, und das Endurtheil koͤnnte darinn nicht anders kommen, als daß entweder der Angeklagte frey gesprochen oder verdammet wuͤrde; anstatt daß in unsern Inquisitionsprocessen, wo diese Form auf die Seite gesetzt wird, der unuͤberwiesene Beklagte nicht immer frey gesprochen, sondern oft um des- willen, daß er sich eines Verbrechens sehr verdaͤchtig ge- macht hat, ein paar Maymonate nach einander ins Zucht- hauß gesetzt werden kann. In England muß sogar der Koͤ- nig, wenn keiner fuͤr einen unschuldig ermordeten um Ra- che schreyt, die Klage wegen eines verlohrnen Unterthanen anstellen, damit kein Inquisitionsproceß daraus entstehe, sondern der Beklagte, wenn der Beweiß gegen ihn nicht voll- den Vorzug vor den Inquisitionsproceß. vollfuͤhret wird, so wie in einer gemeinen Schuldsache frey- gesprochen werden koͤnne. Eben so machten es unsre deut- schen Vorfahren. Sie belohnten den Klaͤger mit dem Wehrgelde der Erschlagenen; sie erkannten ihm den Werth einer gestohlnen Sache doppelt und vierfach zu; er konnte fuͤr eine empfangene Ohrfeige einen fetten Ochsen fordern, und ein Maͤdgen, der man wider ihren Willen das Strumpf- band abgebunden hatte, verdiente sich, wenn sie klagte, gewiß eine Schnur feiner Perlen … alles in der Absicht, um bey dem grossen Abscheu gegen die Inquisitionsprocesse, den Accusationsproceß zu beguͤnstigen, und die Klaͤger auf- zumuntern, sich durch die Kosibarkeit eines Processes und die Macht des Verbrechers nicht zum Schweigen bringen zu lassen. Aber bey uns … bey uns, fieng mein Phi- losoph an, stehlen die Leute nicht, die vierfach bezahlen koͤnnen, und die eine Schnur Perlen zu geben haben, brau- chen keine Gewalt. Auch werden die Verwandten desje- nigen, der in Duell erstochen, nicht aufs Wehrgeld kla- gen; und uͤberhaupt wird nie der Herausforderer oder der Herausgeforderte sich an den Richter wenden … Der verzweifelte Kerl! daß er das Maul nicht halten will; aber wenn gleich der alte Accusationsproceß sich mehr fuͤr die alten Zeiten schickt, wo noch keine vermischte Be- voͤlkerung uͤberhand genommen hatte, und ein Hofbesitzer gegen einen andern auftrat, so erfordert es doch die allge- meine Freyheit, ihn nicht ohne die hoͤchste Noth zu ver- lassen. F 3 Ein Ein neues Ziel, XXIII. Ein neues Ziel fuͤr die deutschen Wochenschriften, von einem Frauenzimmer. Ich weiß nicht woran es liegt allein mit der ewigen Sit- tenlehre, sie mag nun aus einem harten oder weichen Ton gesungen werden, wird doch in der That so vieles nicht ausgerichtet, als sich die Herru Verleger und ihre gelehrten Tagloͤhner vorstellen. Wenns recht hoch kommt: so ließt und lobt man sie, und duldet den neuen Noman so lange auf der Toilette, bis ihn ein neuerer verdringt. Es geht mir wenigstens damit wie mit vielen andern Dingen, wor- an die Vernunft den mehresten Antheil nimmt. Diese waͤrmt das Herz wohl ein bisgen in dem Augenblicke, wo- rin man ihr Gehoͤr giebt; aber das geringste Luͤftgen kuͤhlt es auch wieder ab, und man genießt ihrer so nicht recht, wie es die Beduͤrfniß erfordert. Der Mensch scheint mir eine maͤchtigere Reitzung zum Guten, als diese, zu erfordern, eine Reitzung die ihn in Bewegung setzt, ihn hebt, erhitzt, und zu grossen und kuͤhnen Unternehmungen begeistert; eine Reitzung, die ei- ner grossen Gefahr, einem wichtigen Vortheile oder einer Entscheidung gleicht, wovon Ehre und Gut abhangt; die alle seine Kraͤfte aufbietet, und ihm in sich selbst Entde- ckungen von Eigenschaften machen laͤßt, wovon er in sei- ner vorigen Stille kaum eine Vermuthung hatte. Nie habe ich lebhafter gedacht und maͤchtiger empfundeu, als zu der Zeit, wie mein erster Geliebter, ein Officier, fuͤrs Va- terland fuͤr die deutschen Wochenschriften. terland auszog. Der Entschluß, alles was mir theuer und werth war, in einer so grossen Sache aufzuopfern; die Arbeit, womit ich jede Thraͤne erstickte; der hohe Gedanke, daß meine Liebe einen Helden erschaffen haͤtte; der Stolz, womit mich eine so gute That erfuͤllte; der Schauer, wo- mit ich mir ihn in der blutigen Schlacht vorstellete; der Triumph, den ich in dem Kampfe der Angst und der stol- zen Liebe davon trug; die dankbare Thraͤne, die bey sei- nem Ruhme floß; das Feuer, womit ich ihn nach einem gluͤcklichen Feldzuge in meine Arme schloß; haben mich gluͤcklicher und groͤsser gemacht, als alle Sittenlehrer, die ich je gehoͤret oder gelesen habe. Nie wuͤrde ich so gut von mir selbst gedacht, nie diesen Grad des edelsten Vergnuͤ- gens erreichet haben, wenn ich mich blos an den Unter- richt gehalten, und in meinen Pflichten keine andre Lehre- rin als die Madame Begumont gehabt haͤtte. Ich wollte hieraus gern die Folge ziehn, mein Herr, daß man um ein Volk groß zu machen, dasselbe nicht aus einem blossen Vortrage belehren, sondern es in einer gros- sen Thaͤtigkeit und in einer solchen bestaͤndigen Crisis un- terhalten muͤste, worinn es immerfort seine Kraͤfte anspan- nen, und durch den Gebrauch derselben die Summe des Guten in der Welt vermehren koͤnnte. Nicht ein Zehntel der menschlichen Kraͤfte wird in unserm jetzigen Leyerstande genutzt. Wir tanzen wie Leute, die nichts dabey empfin- den, und lieben so suͤß und sanft, daß wir uns in einer Vier- telstunde ausgekuͤßt und ausgeplaudert haben, und uns ein- ander auf der Ottomane dem Schein nach mit schmachten- den, in der That aber mit unthaͤtigen Blicken ansehen. Indessen ist die Leidenschaft der Liebe noch die einzige, welche uns einigermassen thaͤtig macht, und die Summe der augenehmen Tugenden vermehren hilft. Sie fuͤhret uns F 4 aber Ein neues Ziel aber lange nicht mehr zu den heroischen Thaten, welche die Ritterzeiten bezeichnen. Sie erhaͤlt im Trauerspiele nur noch die zweyte Rolle, und ist nicht mehr das Sie- gesroß, worauf man sich zur Rettung der Unschuld an den ungeheuren Riesen wagte, sondern hoͤchstens ein Ste- ckenpferd, worauf man um die Toilette reitet. Aber die Leidenschaft der Ehre, die Patrioten, Helden und Red- ner bildete, die in buͤrgerlichen Kriegen mit einem festen Auge das Ziel faßte, uͤber den Abgrund hinwegsetzte, und etweder siegte oder starb, findet zu wenig Arbeit. Die Dichter moͤgen noch so sehr in Dithyramben rasen, oder uns in ihren Bardenliedern das warme Blut aus Hirnschaͤ- deln zutrinken, es bleibt immer ein muͤßiges Volk, und unsre Ehrbegierde, wird dadurch nicht nach ihrem Verdien- ste genaͤhrt. Setzen sie uns auch bisweilen in eine ange- nehme Begeisterung: so ist es doch nur ein kurzer Nausch, und die Thaͤtigkeit gewinnet bey einer vorgebildeten Gefahr dasjenige nicht, was sie bey einer wuͤrklichen und anhalten- den findet. Sie werden mir sagen, daß jeder rechtschaffener und fleißiger Mensch Nahrung genug fuͤr seine Thaͤtigkeit finde, und hinlaͤngliche Reitzung habe, wenn er seine Geschaͤfte ge- hoͤrig abwartet, und sich darin immer vollkommener macht; sie werden dann bey dieser Voraussetzung die Sittenlehrer als kluge Aufseher betrachten, die blos unterrichten, fuͤh- ren und bessern, aber die Leidenschaften fuͤr den Haushalt sorgen lassen sollen; sie werden weiter einwenden, daß man die aͤusserste Hoͤhe der menschlichen Tugenden, die Patrioten, Helden und Redner im hohen Stil zu theuer bezahle, wenu man um ihrentwillen buͤrgerliche Kriege anfangen, Tyran- nen und andere Ungeheuer naͤhren, und gleichsam eine Stadt in Brand stecken solle, um den hoͤchsten Muth und die groͤste Geschicklichkeit im Loͤschen zu zeigen; sie werden endlich fuͤr die deutschen Wochenschriften. endlich schliessen, es sey gefaͤhrlich vielen Sturm zu wuͤn- schen, um Gelegenheit zu haben, die Besonnenheit und Ent- schlossenheit seiner Seeleute zu pruͤfen: indem man nicht auch dem Sturme nach Gefallen gebieten, und eine buͤrger- liche Empoͤrung sogleich mit dem Scepter, oder mit dem Faͤchel niederschlagen kann. Allein so wahr dieses ist: so sehr fuͤhle ich doch, daß der bohe Stand, worinn ich war, wie meine Liebe dem Staate jenes grosse Opfer brachte, mich tausendmal gluͤck- licher machte, als ich jetzt bin; und wenn ich mit einem mei- ner Freunde spreche, der so wie ich die grossen Ebentheuer liebt: so klagt er bestaͤndig, daß er seine Zeit so ruhig zu- bringen muͤsse, und keine Gelegenheit habe, sich in der Hel- dentugend zu zeigen. Er glaubt, die Masse des Staats muͤsse in einer bestaͤndigen Gaͤhrung, und die Kraͤfte, wel- che seine Erhaltung wuͤrken, in einer anhaltenden Arbeit seyn, wofern seine Einwohner groß und gluͤcklich seyn soll- ten. Er sieht es als eine Folge des Despotismus an, die als eine ungeheure Masse, alle untern Federkraͤfte nieder- druͤckt, daß wir so ruhig und ordentlich leben, und glaubt, je freyer und maͤchtiger alle Federkraͤfte in der Staatsma- schine wuͤrkten, desto groͤsser sey auch der Reichthum der Mannigfaltigkeit, und der Privatgluͤckseligkeit. Erfordere es gleich mehr Klugheit und Macht, die Ordnung unter tausend Loͤwen und Loͤwinnen zu erhalten; so wolle er doch lieber Futterknecht bey diesen, als der oberste Schaͤfer seyn, und eine Heerde frommes Vieh spielend vor sich her trei- ben. Und wenn ich meinem Bruder, einem Manne der den ganzen Tag mit Buchstaben rechnet, trauen darf: so ist derjenige Staat, worinn der groͤste Hebel zur kleinsten Kraft wird, unendlich groͤsser als ein andrer, der entweder sich gar nicht bewegt, oder mit einer sehr leichten Hand in der Bewegung erhalten wird. F 5 In- Ein neues Ziel Indessen ist es freylich wahr, daß der Sturm ein ge- faͤhrliches Ding, und es eben nicht angenehm sey, bestaͤn- dig darinn zu fahren. Ich daͤchte aber doch, es muͤsse noch ein bequemer Mittel, als die ewige Sittenlehre und Oekonomie geben, um den Menschen zu unterrichten und zu bessern; besonders aber um demselben Feuer im Bu- sen und eine maͤchtigere Seele zu geben. Ich kann mich hieruͤber nicht deutlicher ausdruͤcken, als wenn ich Sie auf das Exempel von Engelland verweise, wo immer eine aus- serordentiiche Menge von Seelenkraft in Bewegung ist, und Redner, Dichter und Schriftsteller nicht blos mit fluͤchtiger Hand fuͤr den Unterricht und das Vergnuͤgen arbeiten, son- deru mit ihrer Begeisterung dem Staate zu Huͤlfe kommen, und durch grosse Bewegungsgruͤnde erhitzt, jede nuͤtzliche Wahrheit in ihr hoͤchstes Licht setzen. Der geringste Mann macht hier das allgemeine Wohl zu seiner Privatangelegen- heit. Alle Satyren, Comoͤdien und Sittenlehren, ja oft- mals auch die Predigten, stehen mit dem Staatsgeschaͤfte in der genauesten Beziehung. Und dieses hohe Interesse ist es, was dort die menschlichen Kraͤfte spannt, und ihnen ein hoͤher Ziel erreichen laͤßt, als andern, die mit kal- tem Gebluͤte, und blos aus loͤblichen Bewegungsgruͤnden schreiben. So etwas sollten Sie uns auch geben, und ihren Plan in diesen Blaͤttern kuͤnftig darnach anlegen ⁊c. Polyxena von Tobosa. Ant- fuͤr die deutschen Wochenschriften. Antwort an Polyxena von Tobosa. Sie haben mich, Ehr- und Tugendsame Polyxena von Tobosa, durch Ihre unvermuthete Zuschrift in ein solches Feuer gesetzt, daß es wenig fehlt, oder ich schil- derte ihn jetzt Den Degen freyssan, Die Wuͤrmin schadesan Und die Magd wohlgethan; Nebst dem Recken geheure, Der so mannich Abenteure Mit Streiten und Hoffarten Beym Koͤnig zu Lamparten Im Heldenbuch gethan. Allein ich besorge, Sie kennen den kuͤhnen Kern, Herrebrand nicht, der seiner minniglichen Ameye von Tarfis hofirte; und wenn ich Ihnen etwas vom Rosengarten zu Worms, und vom Koͤnig Laurin dem Gezwerge erzaͤhlen wollte, der mit Mannheit und Zauherey des kuͤhnen Weigands Diet- liebs Schwester entfuͤhrte, dafuͤr aber der Helden Gaukel- mann werden muste: so wuͤrden sie diese Halbgoͤtter unsrer deutschen Mythologie, in ihren neuen Bardenliedern ver- geblich sucheu; und vielleicht mehr vom Oßian, als von unsern tapfern Wolf dieterich wissen, der doch auf dem wilden Meere so tapfer gegen die Heyden stritt, und mau- chen so uͤber Bord stieß, daß er durch diese Tanfe ein Christ ward. Also weg mit diesen romantischen Geschoͤpfen uns- rer ungenutzten Heldenzeiten; und ernsthaft zu der Sache, welche Sie sowol empfnnden und vorgetragen haben. Sie Ein neues Ziel Sie haben ganz Recht, daß wir Verfasser der Wochen- blaͤtter anstatt blosse Schauspiele zu liefern, uns wie die Englaͤnder in die oͤffentlichen Staatsangelegenheiten einlas- sen, und die taͤgliche Geschichte der Zeit, worin wir leben, und woran wir selbst Theil nehmen, vorzuͤglich behandeln, und die guten Lehren, die wir vorzutragen haben, damit nuͤtzlich und eifrig verknuͤpfen sollten. Ich habe dieses selbst schon mehrmals uͤberlegt, mehrmals versucht, und meine Meinung unpartheyisch uͤber manches gesagt. Allein die Sache hat mehrere Schwierigkeiten, wie Sie sich vorzu- stellen scheinen. Gleich anfangs, wie ich die Feder einigemal in diesen Beytraͤgen ansetzte, gieng meine Absicht dahin, durch den Canal derselben die Landtagshandlungen und andere oͤffent- liche Staatssachen dem Publicum mitzutheilen; und mei- nen Landesleuten aus dem Ton, womit der Herr zu seinen Staͤnden spricht, und diese ihm antworten; aus den Gruͤn- den, warum jenes bewilliget, und dieses verworfen wird; aus der Sorgfalt, womit auch die kleinsten Sachen im Staate behandelt werden; aus der Art und Weise, wie man mit den gemeinen Auflagen verfaͤhrt, und uͤberhaupt aus jeder Wendung der Landesregierung und Verfassung, die vollstaͤndigste Kenntniß; und aus dieser eine wahre Liebe fuͤr ihren Herrn, und diejenigen, so ihm rathen und die- nen; ein sicheres Vertrauen auf ihre Geschicklichkeit und Redlichkeit, und einen edlen Muth beyzubringen. Jeder Landmann sollte sich hierinn fuͤhlen, sich heben und mit dem Gefuͤhl, seiner eignen Wuͤrde, auch einen hohen Grad von Patriotismus bekommen; jeder Hofgesessener sollte glauben, die oͤffentlichen Anstalten wuͤrden auch seinem Urtheil vor- gelegt; der Staat gaͤbe auch ihm Rechenschaft von seinen Unternehmungen; und zu den Aufopferungen die er von ihm fordere, wuͤrde auch seine Ueberzeugung erfordert; die Gesetze fuͤr die deutschen Wochenschriften. Gesetze und ihr Geist sollten lebhaft in seine Seele dringen; er sollte die Graͤnzlinie, wo sich sein Eigenthum von dem Obereigenthum des Staats scheidet, mit dem Finger nach- weisen koͤnnen; er sollte sein Auge auch bis zum Throne er- heben, und mit einem fertigen Blick die Blendungen durch- schauen koͤnnen, welche ein despotischer Rathgeber zum Nach- theil seiner und der Deutschen Freyheit, oft nur mit maͤßi- gen Kraͤften wagt; ihre Kinder sollten mit den zehn Gebo- ten auch die Gebote ihres Landes lernen, und in allen Faͤl- len, wo sie einst als Maͤnner gestrafet werden koͤnnten, auch ein Urtheil weisen koͤnnen; es schien mir nicht genug, daß ein Land mit Macht und Ordnung beherrschet wird, sondern es sollte dieser grosse Zweck auch mit der moͤglich- sten Zufriedenheit aller derjenigen, um derentwillen Macht und Ordnung eingefuͤhrt sind, erreichet werden; der wich- tigste und furchtbarste Staat, der sich auf Kosten der all- gemeinen Zufriedenheit erhalten muͤste, war mir dasjenige nicht, was er nach der goͤttlichen und natuͤrlichen Ordnung seyn sollte … Allein so gluͤcklich auch der Erfolg hievon in einem Lan- de gewesen seyn moͤchte, dessen Einwohner die eifrigsten Verfechter ihrer Rechte sind, und die sich allemal besser be- lehren als zwingen lassen; so schien mir doch der Schauplatz zu klein, und die Sache zu spitzig, um meinen Plan zu verfolgen. Nichts duͤnkte mir leichter zu seyn, als die Punkte, woruͤber ein Landesherr und seine Landschaft un- terschiedener Meynung sind, mit den beyderseitigen Gruͤn- den richtig und anstaͤndig vorzutragen; aber auch nichts schwerer, als die besondern Absichten, welche oft unter die- sen Gruͤnden spielen, und die Hauptschwierigkeit ausma- chen, zu beruͤhren und jene vorzutragen, diese aber zu ver- helen, deuchte mir ein Lustspiel zu seyn, wovon keiner den Knoten kennt. Der Ein neues Ziel Der Fall ist bisweilen, daß die Obermacht nuͤtzliche Anstalten in der Absicht macht, um eine besondere Rache zu vergnuͤgen, oder einen Feind zu ihren Nebenabsichten geschmeidig zu machen. So legt oft ein franzoͤsischer In- tendant dem widerspenstigen Edelmanne die schoͤnste und nuͤtzlichste Heerstrasse durch die Kuͤche; und so fuͤhrte Me- aupon eine bessere Verwaltung der Gerechtigkeit ein, um seine Feinde damit zu stuͤrzen. Auf der andern Seite ist der Fall auch nicht selten, daß die Untermacht im Staat Beschwerden fuͤhrt, oder sich einer Neuerung widersetzt, nicht mit der Absicht solche gehoben zu sehen, sondern nur um die Obermacht zu noͤthigen, ihr Privatvortheile einzu- raͤumen. Hier bleibt man immer bey den wahren Gruͤn- den, welche die Sache aufklaͤren konnten, gleichguͤltig; und in jene Nebenabsichten hinein gehen, dem Patrioten die Maske vom Gesichte reissen, oder dem Intendanten die Wahrheit ins Gesicht sagen zu sollen, ist eine unuͤberlegte Forderung. In England, worauf Sie mich verwiesen haben, lebt man wie in einem grossen Walde, wo man den Loͤwen bruͤl- len, den Hengst wiehern, die Kraͤhe kraͤchzen, den Heger schreyen, und den Frosch quacken laͤßt, und sich an dieser mannigfaltigen Stimme der Natur ergoͤtzt; dabey aber doch nicht mehr erhaͤlt als man bezahlen kann. Allein in dem kleinen Gartenzimmer, worin wir Nachbarskinder uns ver- sammlen, ist auch das Gezische einer Heime empfindlich. Urtheilen Sie also Selbst Ehr- und Tugendsame Po- lyxena, ob es rathsam sey, sich hierauf einzulassen: und ob auch wohl ein kleiner Staat einen Tummelplatz fuͤr die Heldentugenden, wofuͤr Sie so grosse Achtung zu haben scheinen, abgeben koͤnne? Waͤren Sie uͤberdem mit dem edlen Degen Wolf-Dieterich bekannt, und wuͤsten wie der beder- fuͤr die deutschen Wochenschriften. bederbe elendhafte Ritter zur Busse eine Nacht auf dem Todtenbaum sitzen, und was er dort von den Geistern al- ler Weygandten und Thanen, die er in seinem Leben erschla- gen hatte, erleiden muͤssen; so wuͤrden sie gewiß nicht ver- langen, daß ich auf solche Ebentheuer ausziehen solle. Gehaben Sie sich indessen wohl, Edle Polyxena; und glauben Sie gewiß, daß ich bis in den Tod sey ⁊c. Ortwein von der Linde. XXIV. Die erste Landeskasse. An Dame Polyrena. Omeine Theureste! ich habe Ihren Vorschlag noch ein- mal uͤberlegt. Vielleicht waͤre Ihnen damit gedient, wenn ich mich einigermassen auf die Landesverfassung ein- liesse. Ich kenne ihren Eifer fuͤr das gemeine Beste; und in dieser Absicht waͤre es denn wohl besser, Ihnen heute et- was von dem Fortgang unsrer Landeskassen, als von der Mehrheit der Welten, oder den Wuͤrkungen, welche ein gelbes Licht auf eine rothe Schminke hat, vorzuplaudern. Zwar bin ich so wenig ein Fontenelle als ein Algarotti. Allein Sie sind auch keine Markise, die das Flitterhafte dem Grossen vorzieht; und unter uns Leute von Verstande ge- sagt, das nuͤtzliche hat doch immer seinen eignen Werth. Unsre mehrsten Gelehrten steigen selten hoͤher als zu den Tuͤrkensteuren hinauf, wenn sie uns den Ursprung der heutigen Landeskassen erklaͤren wollen. Diese, meinen sie, haͤtten den ersten Anlaß zu einer Steuersammlung, und zu- letzt Die erste Landeskasse. letzt zu einer bestaͤndigen Steuerkasse gegeben. Das ist nun wohl so ganz unrecht nicht, wenn man auf das Wort Landes -Kasse einen besondern Nachdruck legt; und man kann zugeben, daß Landes -Herrn, Land -Staͤnde, Landes -Unterthanen und Landes -Kassen zusammen von keinem sehr hohen Alter sind. Sie schreiben sich mit einander hoͤchstens von der Zeit her, wo man den Begrif des Territoriums erzeugte, dadurch zuerst ein Land ver- stand, und diesen Begrif mit jenen Woͤrtern verknuͤpfte; und das wird ungefehr eine Periode von dreyhundert Jah- ren ausmachen. Allein wenn man nun fraͤgt, wie es denn vor diesem Zeitpunkt gehalten worden: so verschieben sie einem das Bild im Kasten, und sind wohl gar so boͤse, zu sagen, daß der Deutsche urspruͤnglich alle Steuren gehasset, und sich erst spaͤt unter dieses Joch gebeugt habe. An der Redlichkeit des Hasses unsrer Vorfahren gegen alle Steuren zweifle ich nun zwar nicht, ob schon der Beweis, welcher daruͤber gefuͤhrt wird, nicht so wohl die eigentlichen Steu- ren, als die Grundzinsen und andre Arten von Gefaͤllen, welche eines Mannes Freyheit und Eigenthum verdaͤchtig machten, betrift. Aber, sagte einst ein Franzose zu mir, „ihr Deutschen habt einen so großen Kayser, ihr habt so „wichtige und maͤchtige Reichsbeamte, und doch keine be- „staͤndige Reichskasse; dienen diese Herrn alle blos fuͤr die „Ehre, oder muͤssen sie vom Raube leben oder ist der Erz- „schatzmeister des Heiligen Roͤmischen Reichs zugleich ein „Alchymist, der ohne einzunehmen bezahlen kann?„ Und so moͤgte ich die Herrn Gelehrten auch wohl fragen, ob denn vor dreyhundert Jahren, wie es so wenig Landeskas- sen gegeben, als es jetzt eine foͤrmliche Reichskasse giebt, jeder Staat ein Perpetuum Mobile gewesen, das sich so von selbst bewegt und erhalten haͤtte? Unbeantwortet wer- den sie die Frage nicht lassen, das weiß ich gewiß, sollten sie Die erste Landeskasse. sie einen auch in die allzeit offnen Zeiten des Faustrechts verweisen. Aber schwerlich wird ihre Antwort so beschaf- fen seyn, daß sich eine Dame von ihrer Wißbegierde, Hoch- zuehrende Polyxena, damit befriedigen wird. Ich will also sehen, ob ich Ihnen die Sache ein wenig deutlicher machen kann. Die erste bekannte gemeine Kasse, wovon ich mit Ge- wißheit reden kann, war die Zehntkasse, welche Carl der Grosse in seinem ganzen Reiche einfuͤhrte, und die gerade so war, wie sie der Ritter Vauban in den neuern Zeiten vorgeschlagen hat. Schlechter konnte man sie auch von einem so grossen Geine, als Carl der Grosse war, nicht erwarten. Insgemein glaubt man, der Carolingische Zehnte sey keine gemeine Steuer, sondern nur ein geistli- ches Opfer gewesen. Wenn ich aber zeigen werde, daß alle damaligen oͤffentlichen Ausgaben eines Staats daraus bestritten wurden: so muß dieser Zweifel, so fruͤh sich auch die Wahrheit verdunkelt hat, von selbst wegfallen. Ein Viertel des Zehntens erhielt der Bischof; ein Vier- tel jedes Orts der Pfarrer; und die uͤbrigen beyden Vier- theile die Kirche, zu allerhand Ausgaben, oder fuͤr Arme, Reisende, und andere Beduͤrfnisse. Diese Kasse mag nun die Bischoͤfliche, oder die geist- liche Kasse, oder auch die Gottes- und Kirchenkasse geheis- sen haben, daran liegt nichts; genug es war die wahre Stifts- oder Sprengelskasse, so bald ich zeige, daß diese eben dazu diente, wozu jetzt eine Landeskasse dienet. Es liegt auch nichts daran, ob diese Kasse in jedem Kirchspiele oder in der Hauptstadt war. Denn wir koͤnnten auch jetzt eine Hauptsteuerkasse entbehren, wenn der Obersteuerein- nehmer jedem Empfaͤnger seine Hebung in Haͤnden liesse, und sich begnuͤgte Anweisungen darauf zu ertheilen, und Moͤs. patr. Phant. III. Th. G die Die erste Landeskasse. die einzelnen Kassen werden solchergestalt immer nur eine einzige idealische Hauptkasse ausmachen. Hier ist aber wohl zu merken: Man sagte damals: gebt mir eine An- weisung auf die oder die Kirche; in demselben Verstande, worinn wir jetzt sagen wuͤrden, gebt mir eine Anweisung auf diesen oder jenen Steuereinnehmer. Denn wofern man diesen Stil nicht kennet; so versteht man hundert Ver- ordnungen nicht, worinn die Kirchen gegen die Pluͤnderun- gen der Fuͤrsten, Grafen und Ritter sicher gestellet werden sollen. Diese Herrn gedachten so wenig den armen Pfar- rer als den Kuͤster zu pluͤndern; sondern sie fielen, nach unsrer Art zu reden, auf die Landeskasse; und der Kayser machte es oft nicht besser. Unsre heutigen Kirchen wuͤrden keinen Husaren, vielweniger einen grossen Partisan zur Suͤnde reizen. Es ist weiter zu merken, daß Carl der Grosse die Landmacht den Grafen, und die damalige Landsteuer der Geistlichkeit vertrauet habe: weil es ihm nicht sicher schien, beydes in einer Hand zu lassen. Wie aber solchergestalt die Steuer in der schwaͤchsten Hand war; so war kein an- drer Rath uͤbrig, als sie so viel mehr zu heiligen; und wohl dem Lande, worinn die Steuer heilig, und die Religion stark genug ist, den Kasten sicher zu bewahren. Jetzt will ich Ihnen nun zeigen, daß damals gar kei- ne andere oͤffentliche Beduͤrfnisse vorhanden waren, als diejenigen, welche aus jener Kasse bestritten wurden. Zur Landesvertheidigung war zu der Zeit, so wie jetzt noch in man- chen Laͤndern, jeder hofgesessener Unterthan verbunden. Diese musten sich selbst voͤllig ausruͤsten, und ihren Unter- halt bis zu der Mahlstatt mit sich fuͤhren. Wenn sie hier waren, so wurde eine Lieferung in dem Lande, wo das Heer stand, ausgeschrieben, und diese gieng oft bis auf zwey Die erste Landeskasse. zwey Drittel aller Fruͤchte. Es gab grosse Hoͤfe, die den Heerwagen zur Fortbringung der Artillerie stellen musten; und es gab andre, die zusammen einen geharnischten stelle- ten; mithin hatte man nicht noͤthig, auf Lehnung und Com- missariat etwas zu verwenden. Zum Unterhalt der Vestungen, Landwehren, Heerwe- ge, Bruͤcken und dergleichen, steurete jeder mit der Hand; und die Reichsbeamte, als der Graf und Hauptmann hat- ten ihre besondre ihnen in den Graf- und Hauptmannschaf- ten angewiesenen Gefaͤlle, wovon noch die Gowgrafendien- ste, das Gowgrafenkorn, und besonders verschiedene Bruch- faͤlle uͤbrig geblieben sind. Reisete einer von ihnen, oder ein kayserlicher Gesandte: so wurde er uͤberall frey gehal- ten, und der Kayser hatte jeden die ihm gebuͤhrende Ver- pflegung bis auf Huͤhner und Eyer vorgeschrieben. Wenn der Bischof jaͤhrlich seine Kirchen besuchte: so muste ihm jedes Kirchspiel hundert Muͤdde ( modios ) Haber, sechzig Bund Stroh, hundert und zwanzig Brodte, vier Schwei- ne, drey Spanferken, acht Hammel, vier Gaͤnse, acht Huͤh- ner, zwanzig Eymer ( situlas ) Meth; zwanzig Eymer Ho- nigbier, und eben so viel ander Vier darbringen, und der Kayser selbst zog immer aus einer Provinz in die andere, um einer einzigen mit seinem Aufenthalte nicht zu schwer zu fallen. Denn auch ihm muste, wenn er es verlangte, aus der Provinz die Tafel gehalten werden. Dieses vor- ausgesetzt, konnten schwerlich auf die damalige Sprengels- kasse andere oͤffentliche Ausgaben als diejenigen fallen, wel- che hier oben namentlich ausgedruckt worden. Das Viertel was der Bischof erhielt, gehoͤrte unstrei- tig in die idealische Hauptkasse, wenn er es auch gleich un- mittelbar einzog, welches jedoch, wie ich gleich zeigen werde, unmoͤglich war. Also erhielt der Bischof damals G 2 seinen Die erste Landeskasse. seinen ganzen Unterhalt aus der Sprengelskasse; und dieser mogte nicht gering seyn, da der bischoͤfliche Kir- chensprengel sich auf einer Seite an die Emse, auf der an- dern an die Friesen, und weiter uͤber die heutige Grafschaft Tecklenburg, auch einen Theil des jetzigen Ravenspergischen erstreckte. Er mogte nicht gering seyn, da der Zehnte nicht blos vom Felde und der Viehzucht, sondern von allem was der Mensch verdiente, erhoben werden sollte. Er mochte endlich nicht gering seyn, weil der Kaiser wie der Graf, und selbst die Kirche von ihren Gruͤnden den Zehn- ten zu geben, verpflichtet waren. Erwegt man hiebey, daß der Bischof von dieser seiner Einnahme nichts zur Lan- desvertheidigung, und nichts auf Landesbediente zu verwen- den hatte, indem dafuͤr auf andere Art gesorget war: Er- weget man weiter, daß er den freyen Brand, die Jagd, und verschiedene jetzt sogenannte Domanialgefaͤlle hatte; be- denkt man endlich, daß ihm alle Eingesessene seines Spren- gels zu einer Fuhr bey Grase und einer bey Stroh ver- pflichtet waren; und daß ihm, wenn er seine Kirchen be- suchte, die freye Bewirthung uͤberall verschaffet werden muste: so kann man auch diesen Unterhalt gewiß standes- maͤßig nennen. Der Unterhalt der Pfarrer, der Kirchen, der Armen, und der Fremden, und andere gemeine Beduͤrfnisse koͤnnten eben so in die damalige Stiftsrechnung zur Einnahme und Ausgabe gebracht werden; und wenn man dieses in Ge- danken thut: so zeiget es sich von selbst, daß die Rechnung uͤber die Zehntkasse, eben die Eigenschaften erhalte, welche die neuern Landesrechnungen haben. Nur Schade, daß die Unordnung in der Verwaltung, diese maͤchtige Kasse voͤllig zu Grunde gerichtet habe! Um dieses recht einzuse- hen, und um sich einen deutlichen Begrif von der Art und Weise zu machen, wie die Zehnten theils verdunkelt, theils in Die erste Landeskasse. in weltliche und Privathaͤnde gekommen sind, ohne daß die Kirche und ihr Haupt mit allen ihren eifrigen Bemuͤhun- gen das geheiligte gemeine Gut von seinem Untergange ret- ten koͤnnen, muͤssen Sie sich die Sache folgendermassen vor- stellen. Erstlich war es uͤberhaupt nicht wohl moͤglich, daß der Bischof sein Viertel, besonders im Stroh zusammen in eine Hauptkasse fuͤhren lassen konnte; folglich entstan- den viele besondre Empfaͤnger. Zweytens konnte jede Kirche die uͤbrigen drey Viertel nicht ordentlich und richtig empfangen, wenn der Zehnte des einen Kirchspiels mit dem Zehnten eines andern in eine Scheure gefahren wurde. Natuͤrlicher Weise erfolgten also gerade so viel Empfaͤnger als Kirchspiele vorhanden waren. Drittens war der ganze Zehnte eines Kirchspiels eine sehr grosse Einnahme; und es schickte sich so wenig fuͤr den Pfarrer, die Hebung zu haben; als wenig man solche ei- nem gemeinem Mann so leicht anvertrauen konnte. Zudem muste der Zehnte oft mit maͤchtiger Huͤlfe herbey geholet wer- den; diese war in den Haͤnden des Reichshauptmanns im Kirchspiel; und so war es so natuͤrlich als nothwendig, daß dieser die Zehntscheure oder die Zehntkasse verwaltete, und die ganze Hebung hatte. Ob er etwas mehr als Stroh und den Abfall zur Besoldung nahm, will ich jetzt nicht untersuchen. Man nennte ihn aber uͤberall den Kastenvogt, und haͤtte ihn nach einem neuern Ausdruck den Reichs-Kirch- spielspfennigmeister heissen koͤnnen. Viertens muste solchergestalt sowohl der Bischof, als der Pfarrer und der Kirchenprovisor, wenn es damals schon dergleichen gab, und der Kastenvogt nicht selbst die Kir- chen- und Armenrechnung fuͤhrte, dasjenige was sie haben G 3 wollten, Die erste Landeskasse. wollten, aus einer, zwar dem bischoͤflichen Banne unterwor- fenen, jedoch im uͤbrigen dem Kayser getreuen Hand erhal- ten; und wenn der Bann unkraͤftig war, vielleicht biswei- len mit einem ziemlichen Aufschub vorlieb nehmen. Fuͤnftens muste der Bischof bey dieser Einrichtung noth- wendig viele Zahlungen durch Anweisungen auf diese oder jene Kirche, oder welches einerley ist, auf diesen oder je- nen Kastenvogt verrichten; manchem aber mit einer solchen Anweisung auf einen unrichtigen oder maͤchtigen Vogt schlecht gedient seyn. Ein kluger Glaͤubiger nahm daher, wenn es immer moͤglich war, lieber eine Anweisung auf einen einzelnen Zehntpflichtigen, als auf den Kastenvogt und die Politik der Bischoͤfe gieng von selbst dahin, so bald die Ka- stenvoͤgte den Bann nicht mehr achteten, diese Art der An- weisungen zu beguͤnstigen, und damit den Kastenvogt nach und nach seine Einnahme zu entziehen; endlich und Sechstens mochten sich zwar auch die Kastenvoͤgte die- ser Politik widersetzen; es koͤnnen aber doch auch viele Ur- sachen eingetreten seyn, welche diese Art der Anweisungen befoͤrderten. Wenn man diese natuͤrliche Geschichte der Zehntkasse, welche in allen Laͤndern, und uͤberall, wo die Kunst das Rechnungswesen nicht verfeinert hat, immer eben dieselbe seyn wird, nur mit einiger Aufmerksamkeit erweget: so sieht man leicht ein, wie das Schicksal dieser Kasse in einer Zeit gewesen seyn muͤsse, wo man wenig Geld hatte, und die mehrsten Zahlungen in Naturalien verrichtete. Man sieht leicht ein, daß der Glaͤubiger, der eine Summe zu fordern hatte, und fuͤr die Renten eine Anweisung auf ei- nen Zehntpflichtigen erhielt, solchen so leicht nicht wieder- fahren ließ. Das Die erste Landeskasse. Das Hauptungluͤck aber hat man der gleich unter Lu- dewig dem Frommen eingetretenen Veraͤnderung in dem Kriegesstaat zu dauken. Alle Kayser hatten zwar vor ihm schon einige Liebe und besonders Getreue in ihrem Gefolge un- terhalten; auch mochten verschiedene grosse Reichsbeamten dergleichen in ihrem Dienste gehabt haben. Man hatte aber doch immer, wenn es zum Kriege kam, den hofgesessenen Mann, oder den jetzt sogenannten Arrierbann aufgeboten. Jetzt fieng aber der Kayser, und nach dessen Beyspiel auch mancher maͤchtiger Fuͤrst schon an, die Zahl seiner lieben Getreuen zu vermehren, und damit zu Felde zu ziehen. Es gieng damit eben wie mit unserer heutigen Militz; da ein Fuͤrst, der vor zweyhundert Jahren blos eine Leibgarde von funfzig Mann hatte, jetzt fuͤnftausend haͤlt. Ein an- deres Ungluͤck war dieses, daß der liebe Getreue, so we- nig als jetzt der Soldat, dem Hofgesessenen zu Kampfe ste- hen wollte; und so mit dieser zum Kriege nicht mehr wie vorhin aufgeboten werden durfte. Wie also der Krieg oder die Fehde blos mit ausgeson- derten geuͤbten und bald einen eignen Stand ausmachenden Maͤnnern gefuͤhret werden muste, trat auch nothwendig eine Loͤhnung ein; und der Bischof, der sich von seinen Nachbarn oder von einem kayserlichen Grafen und Haupt- mann nicht beeintraͤchtigen lassen wollte, muste ebenfalls einige Getreue anwerben, und auf ihre Bezahlung denken. Wo er konnte, wandte er sich billig zuerst an den Kasten- vogt, der als Reichshauptmann schon fuͤr sich ein angesehe- ner Mann war, und ihm, wenn es nicht gegen den Kay- ser und das Reich gieng, mit Freuden diente, aber — sich auch sogleich eine Anweisung auf seinen Kasten geben ließ, und sonach sich selbst bezahlt machte. War die Noth, worinn der Bischof war, groß: so reichte das bischoͤfliche Viertel zur Loͤhnung nicht hin; der G 4 Pfar- Die erste Landeskasse. Pfarrer, der die Gefahr des Bischofen billig mit ihm theilte, muste sein Viertel wohl auch hergeben; die Kirche mogte verfallen, die Armen hungern, die Pilgrimme zu Hause bleiben; die gemeine Gefahr forderte und rechtfertigte al- lenfalls auch noch die Ausgabe der uͤbrigen beyden Viertel in der Zehntkasse. Wie mit der Zeit der Kastenvogt wie- derum andere Getreue zu seinen und des Bischofes Dien- sten annahm, uͤberwieß er diesen, um kurz davon zu kom- men, einen Theil der Zehnten bey den Pflichtigen; und weil man die Geworbenen aus allerhand Ursachen auch in Friedenszeiten nicht wieder abdankt: so behielt jeder seine ihm aus der Zehntkasse angewiesene Loͤhnung in Haͤn- den; ließ sie fuͤr geleistete und zu leistende Dienste seinen Nachfolgern, bis endlich diese grosse Staatskasse zu nichts weiter hinreichte, der Bischof, so wie jetzt mancher Reichs- fuͤrst bey den vielen Soldaten sich einschraͤnken, der Pfar- rer sich an die Accidentien halten, und das Kirchspiel seine Kirche und Armen auf andre Weise unterhalten muste. In dem ersten Taumel, vielleicht auch in der grossen Gefahr, worinn die grausamen Normaͤnner fast ganz Eu- ropa, und besonders auch den untern Theil von Deutsch- land setzten, fuͤhlte man bey der Freude der Rettung, den grossen Verlust nicht, dachte auch vielleicht nicht daran, daß die Dienstleute sich in eine bestaͤndige Militz verwan- deln wuͤrden. Wenn man die benachbarten Kirchen bren- nen sieht: so ist man froh, die seinige mit Aufopferung eines Theils der Einnahme erhalten zu haben. Wie aber die Gefahr allmaͤhlig voruͤber war, erwachten Pabst, Bi- schoͤfe, Pfarrer und Kirche, und suchten ihr Heiligthum aus dieser entsetzlichen Unordnung zu retten; aber vergebens. Die Sache war zu verwickelt; das Recht derjenigen, welche ihre Loͤhnung verdient hatten, zu stark; ihre ploͤtzliche Abdan- kung nicht moͤglich; andrer Rath sie zu befriedigen nicht vor- Die erste Landeskasse. vorhanden; und so war selbst der hoͤchste Bann so wenig zureichend, als der Streit selbst zu einer allgemeinen Ent- scheidung ( in petitorio ) vorbereitet. Alle Kirchenverord- nungen blieben also ohne Kraft, so sehr auch zu wuͤnschen gewesen waͤre, daß durch sie die Sprengelskasse waͤre wie- der hergestellet worden; und diese erste unter allen Kassen gieng unwiederbringlich verlohren. Das sonderbarste unter allen war, daß keiner auf die wahre Ursache des Uebels zuruͤckgieng, und diese zu versto- pfen suchte. Augenscheinlich lag der Fehler in dem veraͤn- derten Kriegsstaat. Dieser hatte nach der Absicht Carls des Grossen immer aus unbesoldeten Landbesitzern bestehen sollen. Jetzt hatte man aber Dienstleute geworben, die besoldet werden musten. Diejenigen, welche also nicht wollten, daß diese Besoldung aus der Zehntkasse erfolgen sollte, haͤtten natuͤrlicher Weise darauf fallen sollen, jeden Hofgesessenen ein Gewisses zum Unterhalt der Dienstleute auf bringen zu lassen. Aber daran dachte niemand; und so war es eine widersinnige Bemuͤhung, auf einer Seite die Nothwendigkeit der Dienstleute zu erkennen, und auf der andern Seite die einzige Steuerkasse verschliessen zu wol- len, woraus sie besoltet werden konnten und musten, so lange keine andre vorhanden war. Indessen halfen doch die Bemuͤhungen der Kirche so viel, daß man allmaͤhlig suchte, einen Zehnten nach dem andern wieder an sich zu bringen Der Pabst Lucius schrieb dieserhalb im Jahr 1182 an unsern Bischof: Sicut pro certo credimus quod cum decimae sine pe- riculo nequeant a laicis possideri, non sunt eis sub occasione aliqua concedendae. Ideoquae autoritatae tibi apostolica prohi- bemus, ne decimas quae de manu laica sunt ereptae vel libe- rari poterunt, in futurum, cuiquam laicorum assignes, sed in . Aber diese erhielten G 5 eben Die erste Landeskasse. eben dadurch einen ganz neuen Character. Die Zehnten, die der Bischof und sein Domkapitel einloͤsete oder wieder kaufte, waren nun nicht mehr gemeine Steuren, sondern wieder gekaufte Privatgefaͤlle Nur die scharfsichtigen Roͤmer wuͤrden hier ihr jus postliminii angewandt haben. ; wovon der Geistliche so wenig als ein anderer Besitzer die Last der gemeinen Ver- theidigung zu stehen schuldig war. Es erwuchs also aus diesen Einloͤsungen und Wiederkaͤufen keine neue Steuer- kasse; sondern eine geistliche Kasse im engern Verstande. Der Hauptplan, nach welchem man hierbey verfuhr, war dieser, daß man den Kastenvoͤgten ihr Amt, oder ihre alte Heerbannscompagnie, mit der dabey erblich geworde- nen Zehnthebung abhandelte, und dann die Zehntpflichtigen, welche der Kastenvogt theils seinen eignen Dienstleuten zur Loͤhnung angewiesen, theils in Erbpacht gegeben, theils aber auch in der Noth fuͤr ein Stuͤck Geld frey gegeben hatte, wieder herbey zu ziehen sich bemuͤhte. Wo der Bi- schof die Kastenvogtey hatte, gieng dieses noch so ziemlich von statten, obwol er nicht alle Contrakte der Kastenvoͤgte sogleich vernichtigen, alle Verjaͤhrungen fuͤr unguͤltig er- klaͤren, und jede Erbpacht in Zeitpacht umschaffen konnte. Wo er aber die Kastenvogtey nicht hatte, da gieng es ihm wie dem Erzbischofe von Maynz, mit den Thuͤringern, der aus blosser bischoͤflicher Befugnisse, ohne zufoͤrderst die Heerbannshauptleute oder Kastenvoͤgte auszukaufen, die Zehnt- in resectionem ecclesiarum et sustentationem clericorum et pau- perum studiose convertas; und an das Domkapittel, das diese Verordnung nachgesuchet hatte; vestris justis postulationibus annuentes decimas ad ecclesiam ipsam spectantes, quibuscun- que modis poteritis de manu redimere laicorum et eas nullius contradictione obstante vestris usibus applicare liberam vobis impendimus facultatem. Allerunterthaͤnigstes Memorial. Zehntkasse wieder herstellen wollte, und daruͤber in einem schweren Krieg verwickelt wurde; und man kann dreist an- nehmen, daß die Ermahnung des Kaysers Henrich an alle hohe und niedrige Dienstleute in Westphalen H. Dei G. R. I. Augustus. Omnibus de Westph. suis fidelibus majoribus et minoribus gratiam dilectionem \& omne bonum. Quia ad omnia nobis placita vos promtissiimos scimus, procul dubio in his quae justa decernimus tanto promptiores spera- mus, quanto justitiae vos avidiores aestimamus. Unde ea quae super decimis et justitiis Osnabr. ecclesiae decrevimus tanto fir- miora , so sanft dieselbe auch gefasset war, wenige bewog, Dienstleute oh- ne Loͤhnung zu bleiben, oder welches einerley ist, die Zehn- ten wieder herzugeben. Denn diese Ermahnung wieß dem Bischofe nicht die Mittel an, seine Dienstleute auf andre Art zu besolden; und diese abzudanken litten die Umstaͤnde nicht, wenn sie auch sonst, da sie immittelst lan- ge erblich geworden waren, sich mit einem ehrlichen Ab- schiede haͤtten nach Hause schicken lassen wollen. Dies waren, theureste Polyxena! die Schicksale der ersten Stiftskasse. Naͤchsiens will ich Ihnen die zweyte Periode liefern. XXV. Allerunterthaͤnigstes Memorial. (Der Schutzjude Nathan zu S. bittet allerunterthaͤnigst, daß dem Pfarrer seines Orts die Lotteriecollection verboten werden moͤge.) Euer K. M. geruhen sich allerunterthaͤnigst vortragen zu lassen, was massen der hiesige Curat seit einiger Zeit eine Lotterie-Collection uͤbernommen hat, und um sich ei- nen desto groͤssern Abgang zu verschaffen, fuͤr das Gluͤck aller derjenigen oͤffentlich bittet, welche bey ihm einsetzen. Ein Allerunterthaͤnigstes Memorial. Ein Verfahren dieser Art verdienet um so mehr eine gerechte Ahndung, da ich nicht allein dadurch voͤllig ausser Stand gesetzet werde, mein Brod zu gewinnen, und mein Schutz- geld zu bezahlen, sondern auch zu meinem groͤßten Herze- leid sehen muß, daß Ew. K. M. getreueste Unterthanen aufs empfindlichste mitgenommen werden, weil keiner der etwas gewinnet, die Fuͤrbitte umsonst verlangt. Ich weiß zwar wohl, die Accidentien des hiesigen Curaten sind gering, indem die alte Pfruͤnde ihm entzogen ist; und er oft seine Lunge Stundenweise verheuren muß, wenn eine Leichenpre- digt zu halten ist, um nur ehrlich durch die Welt zu kom- men. Ich goͤnne es ihm auch von Herzen, daß er dem Heuermann, wenn er mehr als der Meyer dafuͤr bezahlt, einen naͤhern Weg zum Schosse Abrahams weiset, als die- sem. Allein da mir bisher die Lotterie-Collection allein anvertrauet gewesen, und ich ohne Ruhm zu melden, dem Lotto jaͤhrlich mehr eingeliefert habe, als die hiesige Scha- tzung betraͤgt: so hoffe ich, Ew. K. M. werden es gerech- test nicht gestatten, daß solchergestalt Dero allerhoͤchstes Interesse von meinen allerunterthaͤnigsten widerrechtlich ge- trennet werde. Ueberhaupt muß ich bey dieser Gelegenheit demuͤthigst anzeigen, daß so wohl der hiesige Curat, als der Kuͤster und Schulmeister Dero allergetreuesten Unterthanen auf alle Weise zu beschweren suchen. Der Kuͤster verpachtet den Schall der Glocken, und laͤßt so oft eine Leiche ist, die Bauern, wenn sie nur gut bezahlen, nach Gefallen laͤuten, so daß mir der Glockengießer letzt gestanden, es waͤren in dieser miora volumus, quanto rectiora judicamus. Praecipimus quia justum est, petimus quia vos diligimus, ut decimationes om- nes in universo Episcopatu Osnabr ficut jus canonicum exigit annuatim exhibeatis et neminem in hoc timeatis. Nos enim qui justitiam praecipimus, ut justitiam faciatis vos adjuvabi- mus Valete. Allerunterthaͤnigstes Memorial. dieser kleinen Provinz seit 30 Jahren, daß er Glockengies- ser gewesen, 163 Glocken geborsten, und von ihm umge- gossen worden. Der Curat verpachtet den heiligen Sonn- tag, und laͤßt diejenigen, so ihm eine frische Butter brin- gen, an demselben so viel arbeiten wie sie wollen. Der Schulmeister hat auf jedes Lied, was er bey der Leiche singt, eine Taxe gesetzt, und wer das laͤngste und schoͤnste haben will, muß auch am meisten dafuͤr bezahlen. Sogar hat fast jeder Bauer bey der letzten Viehseuche fuͤr sein Vieh von den Canzeln bitten lassen, und der Kuͤster, um nicht leer auszugehen, verkauft ein Mittel wider die blaue Milch, und will die boͤsen Geister vertreiben koͤnnen, wenn die But- ter nicht gerathen will. Ehe die Viehseuche kam, gieng bestaͤndig ein Geruͤchte, dieses oder jenes Haus, und bis- weilen das ganze Dorf waͤre im Feuer gesehen worden, da denn ein jeder sich mit einem andaͤchtigen Mittel dawider versorgte. Ja wie neulich des Meyers Schaafstall ab- brannte, sagte man oͤffentlich, und zwar in Gegenwart des Curaten, es kaͤme von nichts, als von des Meyers Geitze, der einen Gulden fuͤr die Fuͤrbitte gesparet, und nun auch dafuͤr seine gerechte Strafe empfangen haͤtte. Aller dergleichen Wendungen, worunter ich noch ver- schiedene mitzaͤhlen koͤnnte, welche die Gewohnheit bereits zu erlaubten Accidentien gemacht hat, gereichen aber Euer K. M. zum groͤßten Nachtheil, indem die Unterthanen, was sie solchergestalt hingeben, nicht dem Steuereinnehmer hin- bringen koͤnnen. Zwar geht es in dem Kirchspiele, worinn ich wohne, noch besser zu, als in einigen benachbarten, wo die Bauer- weiber bey den Curaten fast taͤglich zusammen kommen, und beten und Caffee trinken; und wo die Weiber ihren Maͤn- nern alles unter den Haͤnden wegstehlen, um es zur Ehre Gottes Der Unterschied zwischen der gerichtlichen Gottes und zum Vortheil des Curaten anzuwenden. Al- lein so wenig dieses gedultet, und so wenig es auch der hiesiegen Frau Curatin nachgesehen werden sollte, daß sie den Leuten, welche ihr Eyer und Butter bringen, ein Bit- ters, was doch weiter nichts ist, als Brantewein auf wilde Castanien gesetzt, schenkt: eben so wenig mag auch unter Euer K. M. gerechtesten Regierung dem hiesigen Unfuge nachgesehen werden, wofern nicht ich und alle Schutzjuden, denen solchergestalt der empfindlichste Eingriff geschiehet, mit der Zeit das Land verlaufen sollen. An Allerhoͤchstdieselbe ergeht demnach meine allerunter- thaͤnigste Bitte, diesem gemeinschaͤdlichen Aergerniß von Amtswegen allergerechtest abhelfen zu lassen. XXIV. Der Unterschied zwischen der gerichtlichen und aussergerichtlichen Huͤlfe Im Stifte Oßnabruͤck haben die Regierung und die Beamte keine Gerichtsbarkeit; auch ist die geistliche Gerichtsbarkeit da- selbst von der weltlichen getrennet. Der Verfasser will also in diesem Stuͤcke zeigen, daß wenn gleich die weltliche Obrigkeit sich nicht als Richter in geistliche Sachen mischen; und Regie- rung und Beamte keine Sachen richterlich entscheiden koͤnnne, derselben doch allemal das Vertheidigungs- und Widerstandsrecht gegen alle unbefugte Anmassungen gebuͤhre, und als eine Pflicht obliegt. Man nennet dieses in den Rechten: protentio regia vi oppressorum. . Das Recht des Staͤrkern ist noch immer eine gute Sa- che; und wenn ich zu meinem boͤsen Nachbar sagen kann: Kerl bleib mir mit deinen Schaafen von meinen Ruͤben, oder ich lasse sie herunter pruͤgeln, daß die Wolle davon und aussergerichtlichen Huͤlfe. davon fliegen soll: so kann er mir doch nicht darauf kom- men, ohne sich mit einem richterlichen Befehle zu versehen, und ehe er diesen auf fuͤnf Meile Weges einholet; so be- denkt er sich vielleicht noch unterwegens und findet meine Ruͤben fuͤr dasmal bitter. Aber auf diese Weise moͤgte jemand denken, sey der arme geringe Unterthan, der doch immer am ersten gedruͤckt werde, am uͤbelsten daran, besonders wo er mit einem un- mittelbaren Reichssassen zu thun haͤtte, gegen welchen er die richterliche Huͤlfe etwas weiter als auf fuͤnf Meilen su- chen muͤste. Nun freylich wer mit einem staͤrkern zu kaͤm- pfen hat, ist allemal uͤbel daran. Allein es ist denn doch auch noch ausser der richterlichen Huͤlfe uͤberall eine Macht vorhanden, die dem bedruͤckten Schwaͤchern zur Stelle bey- springen, und den Staͤrkern noͤthigen kann, den gebahnten Weg Rechtens einzuschlagen. Diese heißt nach Beschaffen- heit der Umstaͤnde Kaysers-Koͤnigs-Fuͤrsten oder Amts- schutz; und besteht in einer aussergerichtlichen Huͤlfe, welche dem Schwaͤchern im Staate zu dem Ende geleistet wird, da- mit der Staͤrkere von Eigenthaten abstehen, und sich zu sei- nes Gegners Richter wenden solle. Es ist die nemliche Macht, deren jeder sich selbst bedienen koͤnnte, wenn er der Staͤrkste waͤre; es ist die Vereinigung vieler Schwaͤchern un- ter der Anfuͤhrung eines Obern. Es ist das Gebot und Verbot, was den Ruhestand bis zur richterlichen Verfuͤ- gung erhaͤlt. Wollte es der Staͤrkere uͤbel nehmen, daß sich ihm sol- chergestalt ein Schutzvogt entgegen stellt: so duͤrfte dieser nur seine Hand abziehen, und dem Schwaͤchern die Macht sich mit dem andern seines gleichen zu vereinigen und zu wehren, erlauben, eine Macht, deren er sich mit eben dem Rechte bedienen koͤnnte, womit der Staͤrkere seine eignen Der Unterschied zwischen der gerichtlichen eignen Kraͤfte gebraucht; und dann wuͤrde vermuthlich der- jenige, der sich anfaͤnglich fuͤr den Staͤrksten gehalten, eben den Schutz noͤthig finden und anflehen, dessen seiner Mei- nung nach die einzelnen Schwaͤchern nicht geniessen sollen. Es ist also auch der wahre Vortheil des einzelnen Staͤrkern, daß ein ordentlicher Schutz vorhanden ist, ohne dessen Be- willigung und Anfuͤhrung die vielen Schwaͤchern sich nicht zusammen rotten, und ihm ihre Rache empfinden lassen duͤrfen. Dem ungeachtet hoͤret man diesen nicht selten klagen, daß ein solcher Schutzherr oder Schutzvogt, ob er gleich nicht mit der geringsten richterlichen Befugniß uͤber ihn ver- sehen waͤre, ihm etwas absprechen wolle. Allerdings spricht er ihm etwas ab, wann er aus Gefaͤlligkeit zuerst den Mund anstatt der Hand gebraucht. Aber er sagt doch nichts weiter, als was jeder Privatmann, wenn er zu sei- ner Vertheidigung stark genug waͤre, sagen koͤnnte: er sagt nemlich blos: Ich leide es nicht, und dieser Ausspruch, er mag aus dem Munde eines Fuͤrsten, oder eines Privat- mannes kommen, ist kein Urtheil, sondern eine blosse eigne natuͤrliche aussergerichtliche Vertheidigung. Oft koͤnnte ein solcher den Schutzherrn oder Schutz- vogt sofort uͤberzeugen, daß er sich des Schwaͤchern mit Unrecht annehme, und einem Menschen Beystand leiste, der es keinesweges verdiene. Allein, weil er sich den Begriff macht, daß diese Nachricht, welche ein Nachbar dem an- dern unbedenklich geben wuͤrde, einer gerichtlichen Einlas- sung gleich gelte: so irret er gleich zum Richter, oder macht es wie der Geistliche, der einen Layen pruͤgelte, und so oft dieser sich wehren wollte, ihm zurief: er stuͤnde nicht unter dem weltlichen Arm. Nicht und aussergerichtlichen Huͤlfe. Nicht selten geschieht es auch, wenn der Schutzherr ein unmittelbarer Reichsstand ist, daß derjenige, dem er seinen Willen nicht gelassen hat, sich sofort an die Reichs- gerichte wendet, und seine Beschwerde darin setzt, daß ihm ohne alle vorhergegangene rechtliche Untersuchung und Er- kenntniß etwas abgesprochen sey. Aber ein blosses: ich leide es nicht, erfordert weiter nichts als meine eigne auf- richtige Vorstellung, und keinesweges ein gerichtliches Ver- fahren. Nur dann hat er Ursache sich daruͤber zu beschwe- ren, wenn der Schutzherr sich wegert, die Sache zum rich- terlichen Ausspruch zu verweisen, und sich demjenigen, was dieser sowohl uͤber den augenblicklichen als ordentlichen Be- sitzstand verordnet, zu fuͤgen. Das blosse: ich leide es nicht, gilt nur so lange, als bis der Richter ein anders erkennet. Ein Schutzherr kann nie zugleich Richter seyn, weil die Gesetzgebende und Rechtsprechende Macht nicht in einer Per- son vereiniget seyn muß. Er koͤnnte in jedes Urtheil das er faͤllete, sofort eine Abaͤnderung des Gesetzes oder eine Dispensation mit einfliessen lassen, zwey Befugnisse, die mit dem groͤsten Bedacht allen Richtern genommen sind. Es ist also auch gar nicht zu fuͤrchten, daß er sich mit einem richterlichen Erkenntniß abgeben werde. Aber das Recht der Selbstvertheidigung kann ihm doch so wenig als einem andern ehrlichen Manne abgesprochen werden. Und seine Selbstvertheidigung tritt so oft ein, als seinen Schutzge- nossen auch nur ein Haar wider ihren Willen und ohne Recht gekraͤnket werden will Protectio et subditorum defensio, sagt der beruͤhmte Salgado de Somoza in der Vorrede zu seinem vortreflichen Werke de re- gia protectione) est proprium regis officium, attributum natu- rale . Dage- Moͤs. patr. Phant. III. Th. H Die gerichtlichen Vorladungen Dagegen ist es aber auch einem jeden, ohne sich fuͤr die Folgen einer gerichtlichen Einlassung fuͤrchten zu duͤrfen, erlaubt seinen Schutzherrn besser zu unterrichten, und ihm zu sagen: Quem sua culpa premit deceptus omitte tueri. Ein Rechtsgelehrter, der dieses bedenklich findet, und bey jedem Worte sehr feyerlich aber hoͤchst widersinnig pro- testirt, daß er sich nicht einlassen wolle, weiß nicht was er sagt. Jeder der mit seinem Nachbaren einen Proceß vermeiden will, kann demselben eine vollstaͤndige und beur- kundete Nachricht von seinen Gerechtsamen zuschicken, und ihn auf das instaͤndigste bitten, ihm die Unkosten eines sonst nothwendigen Processes zu ersparen, ohne daß dieser da- durch zum Richter erwaͤhlt, oder berechtiget wird, ihm sei- ne Sache rechtskraͤftig abzusprechen. XXVII. Schreiben eines abwesenden Landesman- nes, uͤber die gerichtlichen Ladungen in den Intelligenzblaͤttern. Sie wissen, mein Herr! ich bin kein Freund von Spott- schriften, aber heiligen moͤchte ich doch die Geissel, die einmal den Stil ihrer gerichtlichen Vorladungen und Ankuͤn- rale inhaerens visceribus regiminis, et qualitas infixa ossibus ac substantiae diadematis, ita ut regimen ac protectio unum sit effectum continens, indiscernibile et inseparabile, quae nec a rege tolli possunt, nec a regimine cuius est anima, separari, nisi simul et cum regno eradicetur — quam protectionem omni jure in den Intelligenzblaͤttern. Ankuͤndigungen, womit sich ihr und mein gutes Vaterland in jedem Intelligenzblatt zum Hohngelaͤchter macht, weid- lich zuͤchtigte. Ihre Geschichtschreiber moͤgen noch so viel Gelehrsamkeit, obsonstige Geschicklichkeit besitzen; so ma- che ich ihnen ahndurch oͤffentlich bekannt; daß sie in diesem Stuͤcke noch die groͤsten Barbaren sind, welche Deutschland zu unsern Zeiten aufzuweisen hat. Ich ver- ehre die alten bekannten Formeln, und gebe es zu, daß der Gerichtsstyl bey allen Nationen seine eignen Ausdruͤ- cke und Wendungen habe. Aber diese Wendungen nun der- gestalt zu verflechten, sie mit Fleiß so zu schrauben, daß ihnen oft der ganze Zusammenhang fehlet, im Ausdrucke sich bestaͤndig und ohne Noth von der gewoͤhnlichen Men- schensprache zu entfernen; eine Sache darin dreymal zu wiederholen, und mit solchem Zeuge ein kleines oͤffentliches Blatt zu fuͤllen, heißt die Barbarey mit Fleiß beybehalten, und dem gesunden Menschenverstande aufs hartnaͤckigste entsagen. Auch der gothische Geschmack ist seiner eignen Vollkommenheiten faͤhig, und selbst der Palmyrenische Es erschien unterm 20 Sept. 1771. zu London ein Werk unter folgenden Tittel: A Book of ornaments in the Palmyrene Ta- ste containing upwards of sixty new de signs for Ceilings Pan- nels Paterns and Mouldings, with the Raffle Leaves at Large by N. Wallis Architect. Der Name des Baumeisters, von welchem man auch the complete modern Joiner auf 36 Kupfer- platten hat, insbesondere aber der angekuͤndigte palmyrenische Geschmack verfuͤhrten mich das Werk kommen zu lassen. Ich hoffte in demselben ganz etwas eignes und besonders, das sich von dem griechischen, roͤmischen, gothischen und chinesischen ⁊c. Geschmack, macht Anspruͤche darauf. — Warum sollte denn nicht end- H 2 lich jure naturali divino et positivo tam Canonico quam civili Rex supremus exhibere adstringitur oppressis nonsolum laicis sed multo fortius clericis. Die gerichtlichen Vorladungen lich auch der altvaͤterische Gerichtsstyl, wenn er ja in sei- ner Eigenheit bestehen soll, wenigstens so geschliffen werden koͤnnen, daß das Schleppende abgeschnitten, das Rauhe in Staͤrke verwandelt, und das Kauderwelsche oder Lateinische ganz darinn vermieden werde? Unertraͤglich ist es, ich will nicht sagen in den oͤffent- lichen Vorladungen, sondern in der Anzeige Ihres Intelli- genzblattes, weitlaͤuftig zu lesen. Demnach N. N. um eine Ladung gebeten — darauf diese Ladung erkannt — als werden alle — vorgeladen. Wozu hier die dreymalige Wiederholung einer Sache, die mit wenigen Worten also gefasset werden koͤnnte? Auf Ansuchen des Schuldners und gerichtliches Erkennt- niß werden die Glaͤubiger — auf den vorgeladen. Eben so ist es mit dem Generalarrest. Wenn dessen ein- mal erwehnt ist: so bedarf es der uͤberfluͤßigen Wieder- holung, daß der mit Arrest und Kummer befangenen Guͤter An- maß- und Verbringung maͤnniglichen sub pœna nulli- tat.s insuperque arbitraria bis auf weitere gerichtliche Verordnung untersagt seyn solle, gar nicht, indem einem jeden die Wuͤrkung des General- arrests sattsam bekannt ist und bekannt seyn muß: Es ist nicht noͤthig zu sagen, daß Geschmack, voͤllig unterscheiden wuͤrde, zu sinden; und siehe da, es war weiter nichts, als ein sehr leichtes fluͤchtiges Spielwerk, womit die Italiaͤner im vorigen Jahrhundert die Decken in den Zimmern, wie die erste Stucco- Arbelt aufkam, verzierten; halb gothisches Schnitzwerk und dergleichen, so sich zu dem von dem Verfasser wieder angegebenen alten Kaminstuͤcken mit Meerwei- bern und Seehunden am besten schicken: mit einem Worte, der Palmyrensche Geschmack war Marktschreyerey. in den Intelligenzblaͤttern. daß jeder seine anhabende Ansprachen ex quocunque capite, oder sie haben Namen wie sie wollen, zum Pro- tocoll anzugeben, und die allenfalls in Haͤnden habende Siegel und Briefe in originali produci ren, fortan seine Forderungen rechtserforderlich beweisen solle. Die Worte, daß jeder seine Forderungen angeben und erweisen solle, reichen allein zu, und in den mehrsten Faͤllen ist auch die Warnung, daß den nicht erscheinenden ein ewiges Stillschweigen eingebunden, oder dieselben pro consentientibus gehal- ten werden sollen, uͤberfluͤßig, weil sie aus der Natur der Sache fließt, und sich ein jeder leicht die Rechnung machen kann, worin das rechtliche Nachtheil bey einer Ladung besteht; in besondern Faͤllen aber sagen die Worte: bey Strafe des ewigen Stillschweigens, oder, bey Ver- lust des Rechts zu widersprechen eben so viel aber kuͤrzer. Nichts ist aber schleppender und unertraͤglicher als die Erzaͤhlung desjenigen, was der Schuldner des breitern schriftlich zu vernehmen gegeben, und wie er ahndurch und anmitt zu Lande und Wasser ungluͤcklich gewesen. Hier haͤufen und verwickeln sich oft die Verbindungswoͤrter der- massen, und die Erzaͤhlung, welche der Richter nicht etwa aus einer vorhergegangenen Untersuchung, sondern aus dem Klagliede des Schuldners absingt, wird fuͤr den Leser so langweilig; sie nimmt dabey in einem kleinen Blatte so vie- len Raum ein, daß man solche billig als unnuͤtzes Geschwaͤtz brandmarken, und auf ewig daraus verweisen sollte. Findet der Richter nach einer angemessenen Untersuchung, daß der Schuldner wegen erlittener Ungluͤcksfaͤlle Mitleid H 3 ver- Die gerichtlichen Vorladungen verdiene: so will ich eben nicht sagen, daß er solches unan- gefuͤhrt lassen solle. Es ist aber weit wichtiger, wenn er sagt: daß der Schuldner wegen verschiedener erlittener betraͤcht- licher und wohl bekannter oder hinlaͤnglich bescheinigter Ungluͤcksfaͤlle, Nachlaß und Stillestand verlange, als wenn er dessen blosse Klage der Ladung einverleibt, und jedem muthwilligen Schuldner eine oͤffentliche Standrede haͤlt. Er muntert durch ein so erbauliches Gepraͤnge nur mehrere auf, sich des Galgens wuͤrdig zu machen, um recht andaͤchtig zu dem Orte ihrer traurigen Bestimmung hin- gesungen zu werden. Die Absicht und der Inhalt unser mehrsten Ladungen ist diese: Daß ein Landbesitzer gern unter einem Richter stehen; seinen Glaͤubigern vor demselben ihre voͤllige Sicherheit zeigen, und sie bewegen wolle, ihn doch nicht an vier Gerichte zu zerren, und ihre eigene Sicherheit nicht durch Gerichtssporteln zu erschoͤpfen; sondern jaͤhrlich nach der Ordnung mit demjenigen zufrieden zu seyn, was sein unterhabender Hof auf bringen kann. Diese Wohlthat, welche die Natur und die gesunde Ver- nunft, oder die Vorsorge des Gesetzgebers jedem ehrlichen Landbesitzer geben sollte, dem es unmoͤglich ist, mehr Geld aufzubringen, als die Fruͤchte seines Hofes gelden moͤgen, und der gleichwol, wenn er uͤber viermal zwanzig Thaler an vier Gerichtern besprochen, und in Zeit von vier Mo- naten gewiß in doppelt so viel Kosten gestuͤrzt wird, sich niemals retten kann, erfordert weiter nichts, als daß der Richter ihn mit einem Generalarrest gegen die andere Gerichte decke, hierauf seine Glaͤubiger auf einen bestimmten Tag vor sich fordere, um ihre Forderungen anzu- in den Intelligenzblaͤttern. anzugeben und zu erweisen, so dann ihnen die Umstaͤnde und Bedingungen des Schuldners eroͤfne, und folgends ihre Erklaͤrung daruͤber vernehme. und dieses kann allemal in wenigen Zeilen hinlaͤnglich ge- sagt werden. Der Name des Schuldners oder desjenigen der die Ladung sucht, der Ort des Gerichts, der Tag der Erscheinung, die Absicht, wozu die Ladung erkannt wor- den, und der Nachtheil der den Ausbleibenden zuwaͤchst, nebst der Ankuͤndigung des Arrestes, macht immer das Wesen derselben aus. Andere Arten von Ladungen leiden noch eine groͤssere Kuͤrze; als z. E. 1) In Sachen — wird auf den 25. dieses ein Urtheil eroͤfnet werden. 2) Es ist uͤber das Vermoͤgen des … der Concours eroͤffnet; und haben dessen Glaͤubiger ihre Forderun- gen am 25 dieses zum erstenmal bey Strafe eines ewigen Stillschweigen anzugeben und zu rechtfertigen. 3) Es soll der Verkauf des dem N zustaͤndigen zu N. belegenen und auf 100 Thaler gerichtlich gewuͤrdig- ten Hauses am 25. dieses am Gerichte hieselbst vor- genommen werden, welches sowohl den Glaͤubigern als Kauflustigen hiemit zur Nachricht bekannt ge- macht wird. 4) Auf Anhalten des Gutsherrn ist uͤber den zu … belegenen Hof General-Arrest erkannt, und wer- den dessen Glaͤubiger einmal fuͤr alle, auf den 25. dieses vorgeladen, um sich nach vorgaͤngigen Beweis ihrer Forderungen, uͤber die ihnen zu thuende guͤtliche Vorschlaͤge, und bey deren Verwerfung uͤber die ein- gegebenen Abaͤusserungsursachen zu erklaͤren; H 4 Man Keine Satyren Man wird diese Formeln so wenig einer Undeutlichkeit, als einer Unhinlaͤnglichkeit beschuldigen, oder doch solche alle- mal leicht so abaͤndern koͤnnen, daß mit uͤberfluͤßigen Weit- laͤuftigkeiten das Papier nicht verdorben, und dem Leser der groͤste Eckel verursachet werde. Stellen Sie doch dieses ihren Herren Landsleuten, wel- che dergleichen Ausfertigungen zu machen haben, recht nachdruͤcklich vor, und sagen Sie ihnen nur in meinem Na- men, daß alle ihre Nachbarn in Westphalen sich laͤngst hier- in dergestalt gebessert haͤtten, daß sie allein fuͤr Barbaren gehalten wuͤrden, und ich ohne zu erroͤthen ihr Intelligenz- blatt auswaͤrtig niemals ansehen konnte. Vielleicht bessern sie sich, und fangen auch an zu fuͤhlen, daß die Gerech- tigkeit sich gar wohl mit Vernunft und Geschmack vereini- gen lasse. Ich bin wie Sie wissen ⁊c. XXVIII. Keine Satyren gegen ganze Staͤnde. Antwort an Bibulus . Der in einem andern Aufsatze den Stand der Voͤgte angegrif- fen, und sich selbst als Vogt unterschrieben hatte. Sie haͤtten sich, mein lieber Herr Bibulus, fuͤr ihre Person so weit herabsetzen moͤgen, wie es Ihnen gefallen haͤtte; dieses wuͤrde Ihnen niemand uͤbel genommen haben, wenn sie sich auch ein bisgen in dem Kothe gewaͤl- zet haͤtten. Allein ihr Amt, ein Amt was der Landesherr rechtschaffenen und angesehenen Maͤnnern anvertrauet, haͤt- ten sie schonen, und kein Wort von dem jetzigen Vogte sagen sollen. Denn was von Ihnen selbst gilt, das gilt zum hoͤchsten noch von Einem, aber sonst auch von keinem andern, gegen ganze Staͤnde. andern, so viel ich auch ihrer zu kennen die Ehre habe. Was ehedem von dem seligen Vogte in diesen Blaͤttern ge- schrieben, zeigt die ganze Wuͤrde, und den grossen Werth des Amts, welches ein Vogt hieselbst bekleidet, den unend- lichen Einfluß auf das gemeine Beste, welchen er sich ge- ben kann, und die hohe Achtung so er verdient, wenn er sich durch Einsicht und Redlichkeit das noͤthige Ansehn er- wirbt. Die Absicht des Verfassers, der sich in seinen pa- triotischen Phantasien zu diesem Stuͤck bekannt hat, gieng dahin, den Dienst zu erheben, um grosse Maͤnner zu ver- moͤgen, denselben anzunehmen, und unwuͤrdige davon aus- zuschliessen. So oft derselbe die Satyre zur Besserung eines Standes gebraucht, will er durch Liebe gewinnen, und keine Abneigung gegen seine Lehren erwecken. Er macht es wie der Capitaͤin, der auch mit einem schlechten Unter- officier nicht anders als mit dem Hute in der Hand spricht, um Leuten, welche die Seele des Regiments sind, Achtung gegen ihren Stand, und durch diese Achtung einen Geist beyzubringen, der sich unter der Beschimpfung verlieret. Er spricht mit Ehrfurcht von dem Landmanne, wenn er gleich einem schlechten Wirthe die Geissel fuͤhlen laͤßt; er macht den Handwerker zum ersten Patrioten, um ihn von der Versuchung abzuhalten, ein schaͤdlicher Kraͤmer zu wer- den, und zieht den grossen Kaufmann allen grossen und kleinen Maͤnnergen vor, damit derselbe sich nicht durch ei- nen Adelbrief erniedrigen, oder seine Tochter zu unbuͤrger- lichen Eher bereden moͤge. Dieses ist, wenn Sie es be- merkt haben, immer seine Manier gewesen, und er glaubt, daß dieses noch der einzige Weg sey, um etwas zur allge- meinen Besserung beyzutragen. Wenn die Hohen dieser Welt einem Pfarrer nicht mit der gehoͤrigen Achtung be- gegnen: so denkt er, ihre Nachkommen werden bey dem Vorreuter zur Beichte gehen; und wenn er von Advocaten- H 5 strei- Keine Satyren streichen sprechen hoͤret, so fuͤrchtet er, daß sich mit der Zeit kein redlicher und grosser Mann in einem Stand bege- ben werde, welchem man auf eine so unwuͤrdige Art be- gegnet. Er fuͤrchtet, Eigenthum und Freyheit sey in der aͤussersten Gefahr, wenn ihre Vertheidigung Maͤnnern ob- liegt, die einen solchen Vorwurf zu erleiden haben. Man hasse, man verfolge, man geissele den schlechten Kerl, sagt er, aber man ehre seinen Stand, nach dem Maaße, wie er dem gemeinen Wesen noͤthig und nuͤtzlich ist. Ein roͤmi- scher Buͤrger stand nicht unter der Ruthe, und einer glei- chen Ehre geniessen in allen wohlgeordneten Staaten ver- schiedene Staͤnde. Man entsetzt sie erst ihres Standes, und peitschet sie hernach wie andre schlechte Missethaͤter. Dieses muß die Politik der Satyre seyn, wenn sie als ein oͤffentliches Strafamt gedultet werden soll; und Sie Herr Bibulus, da sie selbst, obgleich unverdient, die Ehre ha- ben, ein Vogt zu seyn, haͤtten solche nicht ausser Augen se- tzen sollen. Es ist ein schlechter Vogel, sagten unsre deut- schen Vorfahren, der sein eignes Nest verunreiniget; und eben das gilt von der Entehrung seines eignen Standes. Ich kenne einen Vogt im Lande, der sein Hauß brennen ließ, um die Rettungsanstalten fuͤr das Dorf anzufuͤhren; ich kenne einen andern, der die ihm fuͤr eine Kornausmes- sung bey der theuren Zeit zugebilligte Diaͤten verbat, weil er das Geschaͤfte zu seiner Pflicht rechnete; ich koͤnnte Ih- nen einen nennen, der in seiner Vogtey keinen Streit zu einem gerichtlichen Proceß kommen laͤßt, der seine Leute in der strengsten Zucht zu halten weiß, ohne ihre Liebe zu verliehren, der nie eine Erinnerung abgewartet hat, um seine Dienstpflichten zu erfuͤllen, und der zu seinem Vergnuͤ- gen seine ganze Vogtey mit den besten Obstbaͤumen unent- geldlich versorgt hat. Maͤnner von dieser Art verdienen nicht, gegenganze Staͤnde. nicht, daß man ihren Stand angreife, und sie dadurch mit schlechtern vermische. Die Gefahr, welche aus einer solchen Vermischung ent- steht, ist fuͤrchterlicher, wie Sie zu glauben scheinen. In dem vorigen Kriege hoͤrte ein englischer Generalcommissarius, ich will den redlichen Mann nennen, er hieß Elliot, daß ein allgemeiner Verdacht der Betriegerey die Maͤnner seines Standes druͤckte; sogleich faßte er seinen Entschluß, legte sein Amt nieder, und gieng nach England zuruͤck. Und vielleicht hat die Krone durch seinen Abgang eine Million mehr verlohren; vielleicht sind hundert ehrliche Leute da- durch um ihre Bezahlung gekommen, und gewiß ist das Ge- mische von den damaligen Commissarien dadurch immer schlechter geworden, daß ein solcher Mann sich demselben entzog. Wie viel Muͤhe hat die Wundarzeney gehabt, Genies und Maͤnner von Einsichten an sich zu ziehen, weil sie mit der Baderey in Deutschland vermischt und verach- tet wurde! Und wie elend sahe es um die Ehre des Militair- standes aus, als man noch sagte, daß blos ungerathene Soͤhne dem Kalbfelle nachliefen? Wer geht noch jetzt un- ter ein Regiment, das im uͤblen Rufe steht? Wer giebt sein gutes Kind in eine Bauerschaft die man diebisch heißt? Dieses sind aber die natuͤrlichen Folgen aller Satyren, welche einen ganzen Stand, ein Regiment oder ein Dorf angreifen; und wie soll man hernach Leute, denen man die Reitzung der Ehre, die Achtung gegen ihren Dienst, und die hieraus fliessende Empfindung aus dem Herzen schlaͤgt, in Ordnung halten? Derjenige Staat ist gluͤcklich, der viele rechtschaffene, geliebte und geehrte Diener hat. Um diese zu erhalten spart er gern das Geld, wozu der geringere Theil der Menschen das mehrste auf bringen muß, und belohnt sie mit der Ehre, die Keine Satyren uͤber ganze Staͤnde. die den Steuerbaren nichts kostet. Allein durch jene Art von Angriffen, welche einem ganzen Stande die Fehler seiner Mitglieder, sollten dieselbigen auch noch so gegruͤn- det seyn, aufruͤcken, verschuͤttet man diese edle Quelle; man zwingt diejenigen, die einen verachteten Stand ergrei- fen, sich wegen ihrer Verachtung aufs theureste schadlos zu halten, und nur blos um schnoͤden Gewinnst zu dienen. Man setzt den Staat in die Nothwendigkeit, scharfe Mittel zu ergreifen, und sich den Vorwurf eines despotischen Ver- fahrens zuzuziehen; man faͤhrt bey dem allen mit hartmaͤu- ligt gemachten Pferden schlechter wie mit muthigen und em- pfindlichen, und beladet sich endlich selbst mit allen den uͤblen Folgen, die aus dem daraus entstehenden Verder- ben Stromweise fliessen. Die moralischen Staͤnde der Menschen, als den Stand der Geitzigen, der Verschwen- derischen und anderer Lasterhaften kann man immerhin an- greifen, aber nicht den buͤrgerlichen. Ohnfehlbar hatten Sie die gute Absicht zu bessern. Urtheilen Sie aber jetzt seldst, ob Sie gluͤcklich in der Wahl der Mittel gewesen, da Sie den jetzigen Vogt, der eben so gut, wie in benachbarten Landen, Amtmann heissen koͤnnte, wenn man hier nicht mit der Ehre oͤkonomischer umgehen muͤste, von derjenigen Seite gezeigt haben, wel- che der Ihrige Preiß giebt. Urtheilen Sie selbst, ob nicht auch so gar in dem Falle, da der groͤste Theil, eben so schlecht waͤre, ihr Verfahren so ungerecht als unpolitisch zu nennen sey. XXIX. XXIX. Ueber das Spruͤchwort: wer es nicht noͤthig hat, der diene nicht. Ich sollte nicht dienen, weil ich es nicht noͤthig haͤtte? Nein, mein Freund! dieser Rath ist uͤbereilt. Ein Hof, dessen ganze Dienerschaft blos von Besoldungen lebte, die ohne Dienst nicht das liebe Brod haͤtte, wuͤrde fuͤr den Fuͤrsten, wie fuͤr das Land, woruͤber er regierte, eine sehr hungrige Gestalt haben. Der Fuͤrst kann allemal eine sehr schmeichelhafte Vermuthung fuͤr sich daraus ziehen, wenn er viele Diener hat, die auch ohne ihn leben koͤnnen, und ich wollte wohl sagen, daß er sich auf dasjenige, was diese ihm rathen und sagen, am meisten verlassen koͤnne. Wer wollte nun aber so grausam seyn ihm diese Sicherheit und diese suͤsse Belohnung zu entziehen? Wuͤrde das aber nicht geschehen, wenn Ihr Rath: Man sollte nicht dienen, wenn man es nicht noͤthig habe, gegruͤndet waͤre. Fuͤr ein Land ist es auch immer eine grosse Beruhigung, wenn es sieht, das Maͤnner im Dienste sind, die nicht blos fuͤr Brod, sondern aus Liebe fuͤr ihr Vaterland und fuͤr denjenigen, der es groß und gluͤcklich macht, dienen. Freylich kann auch der ehrlichste Mann fuͤrs Brod dienen. Allein seine Lage ist immer mißlich, und die Versuchung, worin er bestaͤndig leben muß, fast zu groß, um nicht wenigstens einmal zu wanken. Auch der beste Fuͤrst kann einen graͤm- lichen Augenblick haben, wo er gegen einen solchen Bedien- ten ungerecht wird, und ihn auf dem Wege der Wahrheit schuͤchtern macht. Dieses wird ihm aber nicht so leicht mit einem unabhaͤngigen freyen Mann wiederfahren. Auch in dem dunkelsten Gefuͤhl, und in der Hitze der Leidenschaft, wird Also soll man das Studiren wird die Erinnerung wuͤrken, daß er diesem dasjenige nicht bieten duͤrfe, was er jenem zu bieten wagt. Also, mein Werthester, muß er zu seinem und des Landes Besten auch Diener haben, die ihm nicht blos aus Noth ergeben sind; und ich wuͤrde mein Gewissen verletzen, wenn ich mich der Verpflichtung, die hieraus hervorgeht, entzoͤge. Dieses sagt mir: Hic sit alterius qui suus esse potest. XXX. Also soll man das Studiern nicht verbieten. Ey, zum Henker, mit den verzweifelten Studiren; Alle meine Unterthanen wollen ihre Kinder studiren lassen, und wann das so fort geht, so wird der Acker noch zuletzt mit Federn gepfluͤgt werden. Hoͤre er, mein lieber Canz- ler, setze er mir gleich eine Verordnung auf, daß kuͤnftig niemand ohne meine Erlaubniß studiren soll; die Rectoren und Magistern sollen mir keinen Burschen annehmen, ohne daß er nicht einen schriftlichen von mir selbst unterschriebe- nen Paß vorzeigen kann, und diesen will ich nie ertheilen, als auf die genaueste Untersuchung, ob der Knabe zum stu- diren Genie und Vermoͤgen habe. Wer kein Genie hat, thut besser, daß er den Bauern die Schweine huͤtet, und ohne Vermoͤgen ist jetzt nichts rechts zu lernen, und nichts auszufuͤhren. Ich lasse es noch gelten, daß es mit Kin- dern von guten Leuten, die Mittel haben, oder doch nicht so schlechterdings in die Klasse der Tagloͤhner herabgesetzet werden koͤnnen, so genau nicht genommen werde, wiewol sie auch eine Muskete auf die Schulter nehmen koͤnnten; allein nicht verbieten. allein daß jeder … haͤtte ich bald gesagt, aus seinem Jun- gen einen Doktor oder Magister haben will, das ist gar nicht mehr auszuhalten. Das ganze Publicum leidet dar- unter, und meine Officier klagen mir taͤglich, daß sie kei- ne Recruten mehr bekommen koͤnnen. Versteht er mich also? eine Verordnung, wodurch alles Studiren, ohne mei- ne Erlaubniß, schlechterdings verboten wird … Wie Ihro Durchlaucht befehlen, erwiederte der Canz- ler; aber Hoͤchstdieselben haben mir gestern noch geklagt, daß sie unter allen ihren Officieren keinen einzigen haͤtten, dem sie bey dem naͤchsten Marsch das Hauptcommando ih- rer Truppen anvertrauen koͤnnten. Wenn nun unter vier- hundert Officieren, von denen man doch mit Grunde sa- gen kann, daß es der Kern ihres Landes sey, sich kein ein- ziger findet, dem ein Hauptwerk anvertrauet werden koͤnne: wie wollen Hoͤchstdieselbe denn gerade fordern, daß aus den wenigen, welchen Sie die Erlaubniß zum Studiren er- theilen wollen, die Leute werden sollen, die der Staat gebraucht? O es muͤssen hundert und vielleicht tausend das Klimpern lernen, ehe ein einziger Virtuose entstehet, und unter zehntausend Rechtsgelehrten ist noch kein Me- vius, kein Strube. Mit seinem Mevius … aber gestehe er mir nur, daß der Mißbrauch mit dem vielen Studiren offenbar sey, und daß viele Eltern besser thaͤten, ihren Kindern ein Handwerk lernen zu lassen … O dieses gestehe ich unbedenklich. Aber das Mittel diesen Mißbrauch zu heben, ist kein Verbot, dessen Aus- fuͤhrung zu den groͤsten Ungerechtigkeiten fuͤhren wuͤrde. Ueberhaupt wuͤrde dieses Verbot die Leute vom geringen Stande am ersten treffen, und ich getraue mir doch zu sa- gen, daß aus diesem Stande die dauerhaftesten, fleißigsten und Also soll man das Studiren und arbeitsamsten Maͤnner gezogen werden. Aus den so- genannten Kindern von guter Familie, kommen jetzt fast nichts als Zaͤrtlinge oder Hypochondristen, die, wenn es zum Hauptwerke kommt, gemeiniglich in der Cur begrif- fen sind, und Ew. Durchlaucht moͤgen sicher glauben, daß in der Welt unendlich mehr durch Dauer, Fleiß und Ar- beit, als durch das sogenannte Genie bewuͤrket werde. Hiernaͤchst koͤnnen Hoͤchstdieselbe nicht selbst untersuchen, ob dieser oder jener Knabe Anlage zum Studiren habe; und wenn diese Untersuchung einem Bedienten uͤberlassen wird, so kann man sicher voraussetzen, daß er, wenn auch gleich Geld und Gaben nichts uͤber ihn vermoͤgen, dennoch ge- gen Freundschaften und Verbindungen nicht unempfindlich seyn werde. Und wie weit hat mancher eiserner Kopf, der in der Jugend wenig versprach, den lebhaften, witzigen und geistvollen Knaben, von dem man alles hoffte, hinter sich zuruͤck gelassen? wie viele Keime entwickeln sich erst spaͤt? und wie viele Beyspiele koͤnnte ich anfuͤhren, daß aus launigten, eigenwilligen, und dem Anschein nach un- gelehrigen Koͤpfen, gerade die Boͤcke geworden sind, worauf das ganze Geruͤste einer Staatsverfassung geruhet hat De dix ensans de neuf ans, voués à differentes voeations, je voudrois que celui qu’ on voue aux Sciences fut le moins Sca- vant: à douze ans Pascal et Neuton ne savoient point encore le latin. Tissot de la santé des gens de lettre. So richtig der- gleichen einzelne Faͤlle sind, so wenig darf man sie doch zur Re- gel machen. ? Aber so sage er mir doch nur ein Mittel … Meiner Meynung nach, gnaͤdigster Herr, liegt der Fehler darinn, daß die wenigsten Eltern mit ihren Kindern bis ins vierzehnte Jahr was anzufangen wissen, und sie in die lateinische Schule schicken, um sie nur vom Muͤßiggan- ge abzuhalten. Sie sehen die Schulen wie einen Nothstall an, nicht verbieten. an, worinn sie die wilden Knaben alle Tage sechs bis acht Stunden sicher aufstallen koͤnnen, und denken, er hoͤrt doch wohl noch eine gute Lehre, oder lernt ein Wort Latein, was ihm doch immer minder schadet, als alles, was er wie ein Gassenlauser lernen wuͤrde. Nun treten die Jahre heran, worinn die Knaben entweder zur Handlung oder zum Handwerk bestimmet werden sollen; und da haͤlt es denn, nachdem die Umstaͤnde sind, bey den Eltern und Lehrern, so wie bey den jungen Studenten schwer, ihn aus der Gesellschaft seiner lateinischen Freunde in eine andere, oder in eine Werksiatt zu bringen. Dieser uͤblen Folge kann nicht anders als durch Realschulen, deren Einrichtung Ihnen bekannt ist, vorgebeugt werden, und ich bin versi- chert, die Haͤlfte von den Kindern, welche von den Eltern in den lateinischen Nothstall geschickt werden, werden mit Freuden hieher gehen, und nachdem sie die Vorerkenntnisse von andrer Art erhalten haben, sich nachwaͤrts ohne Zwang zu nuͤtzlichen Kuͤnsten und Handwerken bestimmen, beson- ders wenn Ew. Durchlaucht diese Realschulen Dero gnaͤ- digsten Aufmerksamkeit wuͤrdigen: und in denselben nicht blos den Kaufmann und Handwerker, sondern auch, so wie zu Berlin geschieht, einen tuͤchtigen Officier, und einen ge- schickten Cammerrath bilden lassen wollten. Nun mein lieber Canzler, so mache er die Anstalt da zu, und lasse das Verbot erst ruhen. Ich werde ein Projekt entwerfen … (abgehend fuͤr sich) O, wenn sich doch alles durch Befehle zwingen oder durch Projecte ausfuͤhren liesse! Moͤs. patr. Phant. III. Th. J Also Also sollte jeder Gelehrter XXXI. Also sollte jeder Gelehrter ein Hand- werk lernen. Die Italiaͤner sprechen mit solchen Geschmack und mit einer so bedaͤchtlichen Mine von der grossen Kunst, Nichts zu thun, und wie noͤthig solche besonders jedem mit ganzer Seele arbeitenden Menschen sey, daß ich meine wenige Uebung in derselben mehrmals beklaget habe. Wahr- scheinlich ist es, wo nicht richtig, daß eine bestaͤndige An- strengung der Seele, und zwar eine bestaͤndige Anstrengung derselben, nach einer gewissen jedem Menschen eigenen Lieb- lingsseite, zuletzt eine Art von uͤblem Hange nach sich zie- hen muͤsse; und es ist vielleicht ein Hauptzug in dem Natio- nalcharakter der deutschen Gelehrten, daß sie durch ihre grosse Unerfahrenheit in der Kunst nichts zu thun, und durch die immer gleiche Spannung ihrer Seele nach einer bestimmten Seite, zuletzt ganz einseitig, oder welches ei- nerley ist, Pedanten werden. Man sieht es ihnen eben so gut an, daß sie Gelehrte sind, wie man es einem Hand- werker ansieht, daß er lange mit untergeschlagenen Beinen auf dem Tische gesessen habe. Sie zeigen sich links oder rechts, nachdem der Hang ihrer Seele auf diese oder jene Seite gewoͤhnt ist. Gleichwohl sollte die wahre Gesundheit der Seele und des Koͤrpers darinn bestehen, daß ihre bey- derseitigen Kraͤfte ein gewisses Ebenmaaß, und zu allem in den ordentlichen Beruf eines jeden Menschen einschlagenden Geschaͤften, eine gleich vollkommene Faͤhigkeit behielten. Ein Philosoph, mit welchem ich mich einsmals hier- uͤber unterredete, wandte mir zwar ein, daß eben dieser dem Anschein nach fehlerhafte Hang nothwendig zu einem grossen ein Handwerk lernen. einem grossen Manne erfordert wuͤrde: und daß derselbe, wenn er stark und lebhaft wuͤrde, den gluͤcklichen Namen des Enthusiasmus verdiente; er sagte ferner, daß von hun- dert Menschen immer einer ein Maͤrtyrer seiner Kunst werden muͤste, um die uͤbrigen so vielmehr aufzuklaͤren, und daß die Italiaͤner eben so gut Pedanten in der Mu- sik und Mahlerey haͤtten, wie wir Deutschen in andern Wissenschaften, nur waͤren wir nach dem Unterscheide un- serer Gegenstaͤnde traurige und ernsthafte, die Italiaͤner aber lustige Pedanten. Allein wenn ich ihm gleich hierin nicht voͤllig Unrecht geben konnte: so schien mir doch immer die Kunst, nichts zu thun, und die Seele dann und wann von ihrem starken Hange auf die entgegen gesetzte Seite zu wenden, eine be- neidenswerthe Kunst. Ruhe und Schlaf thun zwar zu die- ser Absicht etwas; aber sie reichen nicht hin, und der Schlum- mer eines Gelehrten ist so erquickend nicht, wie der Schlaf eines Tageloͤhners. Ruht er mit dem Koͤrper ohne zu schlafen, so verfolgen ihn seine Gedanken, und diese greifen ihn oft staͤrker an, als Lesen und Schreiben. Fuͤr ihn ist also keine solche Ruhe, wie fuͤr andre, die mit ihrem Koͤr- per arbeiten, und wenn sie sich auf einen weichen Polster oder auch nur auf einen Stein setzen, einer noͤthigen Erho- lung geniessen. Ich hoͤrte einmal, daß eine Braut ihren Geliebten ei- nen verliebten Pedanten nennete, weil er von nichts als Liebe sprach, und ausser ihr nichts sahe und nichts hoͤrte. Aber wie fange ich es an, antwortete er; um nur einen Augenblick nicht zu lieben? Dieses schien mir mit der Fra- ge eines Gelehrten, wie fange ich es an, um Nichts zu thun; so sehr uͤbereinzukommen, daß ich recht aufmerksam darauf wurde, was sie ihm auf seine Frage erwiedern wuͤr- de. Allein die Schoͤne zog sich mit einer Wendung her- J 2 aus, Also sollte jeder Gelehrte aus, und lenkte auf den Vorwurf ein, wie die Zeit bald kommen duͤrfte, worinn er mehr als eine Antwort auf sei- he Frage finden wuͤrde. Diese Zeit kommt aber bey den Gelehrten nicht, ihr Hang nimmt vielmehr mit der Ge- wohnheit und dem Alter zu, und ihre Ungeschicktheit sich auf andre Art zu vergnuͤgen, macht ihnen ihre Fehler zur Beduͤrfniß. Die Kunst nichts zu thun, mag indessen auf zweyerley Art ausgeuͤbet werden, als einmal auf diese, daß man wuͤrklich die Seele voͤllig ruhen laͤßt, und sich in dem Lau- newinkel ( boudoit ) einschließt: und dann auch auf diese, daß man sich entweder in Gesellschaften oder auch durch ei- ne koͤrperliche Bewegung zerstreuet, wobey die Seele feyern kann. Die erste Art ist, meiner Meynung nach, die schwer- ste; denn der Mathematiker wird auch im Launewinkel das Rechnen nicht lassen, und die andere hat die Erfahrung nicht fuͤr sich, indem die mehrsten jedes Vergnuͤgen, was ihrer Hauptneigung keine Nahrung bietet, ungeschmackt finden. Wie manchen Gelehrten sieht man in Gesellschaf- ten vor langer Weile erblassen, und wenn er solche verlaͤßt, gleich einem befreyeten Sklaven seinen Buͤchern zufliegen? Indessen erkennt man es doch immer fuͤr theoretisch rich- tig, daß es ein Gluͤck fuͤr die Gesundheit der wuͤrdigsten Maͤnner seyn wuͤrde, wenn sie einige Stunden des Tages, mit Nichts zubringen koͤnnten. Dieses Nichts ist aber nur relativ; und fuͤr einen Gelehrten ist Holzsaͤgen Nichtsthun; so wie um- gekehrt fuͤr einen Holzhacker das Denken eine Erholung ist. Ein solches Gluͤck koͤnnte man ihm verschaffen, wenn wir die Erziehung junger Gelehrte dahin einrichteten, daß jeden zu- gleich die Faͤhigkeit zu einer koͤrperlichen Beschaͤftigung, und mit dieser auch die Neigung dazu beygebracht wuͤrde. Eine jede Kunst, worinn man es zu einiger Geschicklichkeit ge- bracht ein Handwerk lernen. bracht hat, hat ihre Reitzung; und eine solche Reitzung al- lein ist vermoͤgend, den einseitigen Menschen auf die andre Seite zuruͤck zu ziehen. Der allgemeine Grund, der immer mehr und mehr uͤberhand nehmenden Hypochondrie liegt wahrscheinlich dar- in, daß wir nicht in dem Schweisse unsers Angesichts unser Brod erwerben. Wenn man sieht, wie viel ein Tageloͤh- ntr Schweiß vergießt, und wie wenig nahrhaftes er dage- gen genießt; so faͤllt einem leicht die Frage ein, wie ein stillsitzender Mann bey wenigem Schweisse und staͤrkerer Nahrung gesund seyn koͤnne? Die Einrichtung unsers Koͤr- pers beweißt, daß der Geist aller Nahrung in die Hoͤhe, und die Haͤfen nach unten gehen sollen; es ist offenbar, daß der Nahrungsgeist im Steigen immer mehr und mehr gelaͤu- tert, und blos das lauterste oder das rectificatissimum dem Gehirn zu statten kommen soll. Diese Stuffenweise Laͤuterung erfolgt aber blos durch eine angemesseue koͤrper- liche Arbeit. Und wie kann da, wo man immer auf dem Stuhle verdauet, und durch eine starke Anstrengung der Seele, die rohen Saͤfte nach dem Gehirn zieht, diese Laͤu- terung gehoͤrig geschehen? Zu gehen, um zu gehen, zu reiten, um zu reiten, ist kein Mittel, was einen einseitigen Mann zurecht bringt. Die Noth wird ihm jenes zwar eine Zeitlang empfehlen, der uͤble Haug zu einer gewohnten und zur Beduͤrfniß gewor- denen Arbeit ihn aber bald wieder zuruͤck ziehen. Hat er aber irgend eine koͤrperliche Arbeit lieb gewonnen; und die- ses wird allemal der Fall seyn, wenn er es darin zu eini- ger Vollkommenheit gebracht hat: so bewegt er sich nicht blos, um sich zu bewegen, sondern um zu arbeiten, und zwar an einer angenehmen Sache, die ihre Reitzungen dem uͤblen Hange maͤchtig entgegen setzt, und ihn dauerhaft an J 3 sich Die Erziehung sich zieht. Die Gelehrten des vorigen Jahrhunderts hatten noch Ackerbau, aber in diesem hat die Schreiberey so uͤber- hand genommen, daß sie von dem Morgen bis in den Abend, wie angeschmiedet auf einer Stelle sitzen, und mit der Feder rudern muͤssen. Was kann also fuͤr die kuͤnftige Nachkommenschaft heil- samer und noͤthiger seyn, als allen Kindern, die wir zum Studiren verdammen, zugleich eine Kunst, welche eine koͤrperliche Uebung erfordert, lernen zu lassen, und ihnen dadurch fruͤh eine Neigung zu dem einzigen Mittel, ihre Gesundheit zu erhalten, beyzubringen? XXXII. Die Erziehung mag wohl sclavisch seyn. Es ist wunderbar, wie weit uns oft eine glaͤnzende Theo- rie verfuͤhren kann. Wenn einer das Laufen lernen soll: so laͤßt man ihn in schweren Schuen und im gepfluͤgten Lande laufen, dagegen aber sollen Kinder, woraus man grosse Maͤnner ziehen will, alles spielend fassen. Es wird ihnen alles so suͤß und so leicht gemacht, sie durchfliegen den Kreis aller Wissenschaften, oder die so beliebt gewordenen Encyclopedien, so fruͤh und so kuͤhn, man bewundert die Wissenschaften, welche die Kinder auf ihren Rollwagen fuͤhren, so ausnehmend, daß man denken sollte, der roͤ- mische Redner, welcher seine Brust erst lange Jahr unter einer bleyernen Platte arbeiten ließ, um sie hernach mit de- sto mehrerer Macht heben zu koͤnnen, sey ein grosser Narr gewesen, und haͤtte besser gethan, die Wissenschaft in ei- nem Calender zu studiren. Was kommt aber bey diesen unserm spielenden Lernen heraus? Suͤßes Gewaͤsche, leichte Phan- mag wohl sclavisch seyn. Phantasien, und ein leerer Dunst. Der Geist bleibt schwach, der Kopf hat weder Macht noch Dauer, und alles sieht so hungrig aus, wie die heisse Liebe eines ver- lebten Greises. Der junge Mensch, der sich nun als ein grosser Mann zeigen soll, gleicht einem Kaufmann, wel- cher eine Handlung durch die ganze Welt anfangen will, ohne irgend ein Kapital oder auch nur einmal einen maͤßi- gen Vorrath von Producten zu haben. Ganz anders verhaͤlt es sich mit dem Knaben, der, so viel es ohne Nachtheil seiner Leibes- und Seelenkraͤfte ge- schehen koͤnnen, von Jugend auf zu einem eisernen Fleisse, und zur Einsammlung nuͤtzlicher Wahrheiten angestrenget worden. In dem Augenblick da er anfaͤngt sich zu zeigen, hat er einen ganzen Vorrath von nuͤtzlichen Wahrheiten in seiner Macht, und die Gewohnheit hat ihm eine zweyte Na- tur zur Arbeit gegeben. Eine Wahrheit zeugt die andre, und die Masse derselben wuchert in seiner Seele mit fort- gehendem Gluͤcke. Die schoͤnen Wissenschaften machen bey ihm ihr Gluͤck, wie Mahler und Bildhauer bey einem rei- chen Bauherrn, der alles, was zu dem praͤchtigsten Ge- baͤude erfordert wird, selbst besitzt und reichlich bezahlen kann; anstatt daß diese verschoͤnerten Kuͤnste jenen jungen Herrn, weiter zu nichts dienen, als Puppen zu schnitzen. Einen solchen Reichthum von Wahrheiten und Kennt- nissen, wird man aber nie spielend, und auf die Art er- langen, wie viele Kinder jetzt erzogen werden. Die Vor- sicht hat den Menschen nichts ohne grosse Arbeit zugedacht, und wenn das Kind auch hundertmal weint, und mit Stra- fen zum Lernen und zu Fertigkeiten gezwungen werden muß, so sind dieses wohlthaͤtige Strafen, und die Thraͤnen wird er seinen Lehrern einst verdanken. J 4 Woher Waͤre nicht auch ein Institut Woher kommt aber eigentlich dieses Verderben? Von dem Ton unserer Zeiten, nach welchem der Lehrer sich ent- weder einen groben Pedanten schelten, oder mit dem Kinde saͤuberlich verfahren muß. Da ist kein grosser Herr, keine zaͤrtliche Mutter, welche nicht diesen Ton fuͤhret, und der Lehrer, der endlich auch die Kunst zu schmeicheln lernt, fuͤhrt seinen Untergebenen spielend zu der Geschicklichkeit von allen Dingen witzig zu sprechen, und kein einziges aus dem Grunde zu verstehen; er laͤßt ihn auf einem gewaͤchsten Bo- deu tanzen, und bekuͤmmert sich nicht darum, ob er der- einst auf einem tiefen Steinpflaster den Hals brechen werde! XXXIII. Sollte nicht auch ein Institut fuͤr die Handwerkspurschen noͤthig seyn. Ach mein theurester Herr! ich haͤtte wohl eine recht grosse Bitte an Sie, oder an das Hochgeehrteste Publicum; ich habe nur einen einzigen Sohn, und diesen habe ich vor 14 Tagen einem Schneidermeister uͤbergeben, damit er das Handwerk erlerne. Nun ist der Junge ein bisgen lang aufgeschossen, und es faͤllt ihm so entsetzlich schwer, mit untergeschlagenen Beinen auf dem Tische zu sitzen; sein noch ungebeugter Nacken schmerzt ihn so abscheulich von dem bestaͤndigen Buͤcken, daß ich besorge, er verlieret seine ganze Gesundheit in den Lehrjahren, oder er bekoͤmmt doch, wenn er solche uͤberwindet, einen siechen Koͤrper. Sollte denn nicht ein Mittel seyn, die Erziehung der Schneider so ein- zurichten, daß sie ihre Wissenschaft ohne Nachtheil des Koͤr- pers erlangen koͤnnten? und sollte sich nicht die ganze mensch- liche Gesellschaft zu einer Erziehungsanstalt fuͤr die Hand- werker vereinigen, wodurch diesem Uebel abgeholfen wuͤrde? Ich fuͤr die Handwerkspurschen noͤthig? Ich hoͤre, das Lernen und Studiren wird jetzt so leicht gemacht, man sieht dabey so viel auf die Erhaltung eines gesunden Koͤrpers; es wird so ernstlich dafuͤr gesorgt, daß die Kinder in gewissen Stunden auch spielen muͤssen, und die ganze menschliche Gesellschaft scheinet diese Bemuͤhungen auf einmal so groß zu finden, daß ich mir schmeichle die Reihe der Aufmerksamkeit werde auch endlich uns arme Handwerker treffen, und der Mann mit dem eisernen Zep- ter, welcher uns allen Acker und Gartenbau entzogen, und das grausame Gesetz gegeben hat, daß ein Handwerksmann ohne alle Abwechselung seinem Geschaͤfte obliegen soll, von seinem Throne verstossen werden. Die Handwerksburschen machen gewiß einen betraͤcht- lichern Theil des menschlichen Geschlechts aus, als die studirenden Gesellen; und ich getraue mir zu sagen, daß die Welt jene noͤthiger als diese habe. Wie kann man es dann mit gelassenen Augen ausehen, daß so viele huͤbsche junge Leute aus den Stuben der Perukenmacher eine fruͤhe Schwindsucht holen? oder in den Werkstaͤtten krumm zu- sammen wachsen? und womit will die Verschwendung so grosse Opfer vor Gott rechtfertigen? Sollte nicht jeder Mensch so erzogen werden, daß er seine voͤllige Gesundheit behielte? und sollten sich nicht alle Menschenfreunde verei- einigen, um einen solchem Uebel, was die Menschheit in ih- ren edelsten Theilen angreift, ein maͤchtiges Ziel zu setzen? Ich erinnere mich zwar wohl, daß sie mir schon ein- mahl geantwortet haben, der Mensch sey blos zum Saͤen und Pflanzen erschaffen; dieses sey sein natuͤrlicher Beruf, wobey er allein voͤllig gesund und stark bliebe; der Stand aller gelehrten und ungelehrten Stubensitzer sey eben der- jenige nicht, welchen man zur Zucht verlangte, und man koͤnnte das Ackerbauende Geschlecht immer mit einer klei- J 5 nen Waͤre nicht auch ein Institut nen Abgift fuͤr denselben beschweren; es liege also so viel daran nicht, wenn es auch kruͤppelicht wuͤrde, oder im drit- ten oder vierten Gliede ausgienge; jener wuͤrde sich in dem Verhaͤltnisse vermehren, als dieser ihm Raum machte; es wuͤrden so viel weniger gesunde Kinder auf dem Lande ge- bohren werden, wenn der Stand der Stubensitzer eine eben so dauerhafte Nachkommenschaft als die Feldarbeiter erziel- te; und so komme es endlich auf eines hinaus, ob die Hand- werker sich gesund oder krank arbeiteten. Ja ich erinnere mich, daß Sie einmal den Einfall hat- ten, keine andere als Verschnittene zu irgend einem Amte zu lassen; daß Sie sagten: auf diese Weise koͤnnten keine vornehme Geschlechter dem Staate zur Last fallen, und die Soͤhne eines ehrbaren Landmannes wuͤrden eben so nahe zum Amte eines Großoeziers als die Soͤhne eines Bassa seyn; daß sie glaubten, die gemeine Freyheit koͤnne schlech- terdings ohne eine solche nothwendige Aufopferung nicht be- stehen; und diejenigen, welche auf diese Weise zu den hoͤch- sten Bedienungen des Staats gelaugten, koͤnnten sich mit Fuge nicht beschweren, da sie fuͤr den Mangel eines kleinen Vergnuͤgens so reichlich schadlos gehalten wuͤrden. Des- sen erinnere ich mich, so wie ihrer Freude, daß sodenn we- der Koͤnigs noch Fuͤrsten Kinder, weder junge Grafen noch Edelleute, weder Doctoren noch Pastoren Soͤhne in der Welt seyn wuͤrden, und das alles, was im Dienste zusam- men gescharret, gepluͤndert und erpresset wuͤrde, immer an den Landmann zuruͤckfallen muͤste, wovon jeder zu die- sem Preise gern einen Jungen dem Staate aufopfern wuͤrde. Allein ich hoffe nicht, daß Sie ein gleiches Gesetz fuͤr uns arme Handwerker billigen werden. Der Stand der Vornehmen in der Welt ist minder zahlreich als der unse- rige; viele unter ihnen koͤnnen, viele duͤrfen so schon nicht heyra- fuͤr die Handwerkspurschen noͤthig. heyrathen; es wird fuͤr ihr Aussterben auf mancherley Art gesorgt; und so ist das Opfer so groß nicht, vielleicht auch der Ordnung der Welt gemaͤß, was sie von ihm fordern. Aber fuͤr uns? … doch ihr Einfall mag so viel gelten, als er hat gelten sollen, das wichtigste was sie mir sagen koͤn- nen, ist dieses, wie jemals ein Schneider sich an das Buͤ- cken und Sitzen gewoͤhnen werde, wenn dessen Koͤrper nicht in der Jugend dazu gebogen und gewoͤhnet worden, und wie es uͤberhaupt mit allen Fertigkeiten aussehen werde, wenn man sowohl den Koͤrper als den Geist des Juͤnglings vollkommen gesund erhalten wolle? Allein hieruͤber wollte ich eben belehret seyn; ich wollte wissen, wie die so leicht ausgelernten gelehrten Gesellen, wenn sie dereinst Meister werden, sich an ihren Schreibti- schen geberden werden, wenn sie alles so leicht und spielend lernen? Ob sie, wenn ihre Jugend in einer bestaͤndigen Abwechselung des angenehmen und nuͤtzlichen verflossen, wenn sie mit Huͤlfe einer lebhaften Einbildungskraft, alles was ihnen vorgetragen worden, schnell gefaßt, und fruͤh beurtheilet, und wenn sie hiezu durch alle nur moͤgliche Auf- munterung gereitzt worden, eben so anhaltend in schweren und langweiligen Arbeiten, eben so dauerhaft in verdrieß- lichen und unbewunderten oder unbelohnten Geschaͤften, und eben so geschickt zur Anstrengung ihrer Seelenkraͤfte seyn werden, als diejenigen, welche in ihrer Jugend an Seele und Leib paß geplaget worden? Und wenn dieses, ob ich es sodann nicht wagen duͤrfte, meinen Jungen in irgend ei- ner Realschule, worinn man die leichteste Methode hat, das Handwerk lernen zu lassen? Die Fertigkeiten des Geistes und des Koͤrpers sollen zwar, wie ich hoͤre, sehr verschieden seyn. Aber mein Nachbar, der alle Charten im Spiele behalten kann, ist nicht Waͤre nicht auch ein Institut fuͤr ⁊c. nicht im Stande, einen Spruch aus der Predigt wieder zu erzaͤhlen; unser Stadtmusicant schreibt zu Hause ein gan- zes Concert auf, was er nur einmal gehoͤret hat, und kann doch das beste Gedicht lesen, ohne den Inhalt davon ange- ben zu koͤnnen; ich selbst kann die schwersten Bruͤche im Kopfe ausrechnen, und bin doch nicht im Stande meine Gedanken ordentlich vorzutragen. Es muß also doch eine eigne Beschaffenheit um die Fertigkeiten des Geistes haben, und sie muͤssen durch die bestaͤndige Uebung und Anstren- gung eben so gewandt und gewoͤhnet werden koͤnnen, als die koͤrperlichen Faͤhigkeiten. Sollte dieses aber mit jenen leichter und spielender geschehen koͤnnen als mit diesen? oder ist es unnoͤthig, den Fertigkeiten des Geistes einen so ho- hen Grad zu geben? Mich duͤnkt, alle diejenigen, die solche einzelne Fertig- keiten in einen hohen Grad besitzen, haben keine voͤllig ge- sunde Seele; eine Menge ihrer natuͤrlichen Faͤhigkeiten ist gelaͤhmt und wohl gar weggeschnitten; und diese Laͤhmung, diese Beschneidung muß fruͤh geschehen, wenn sie der Ab- sicht entsprechen soll. Aber wenn jetzt die groͤsten Maͤn- ner das Gegentheil richtiger finden: so muß ich schweigen, und nur fragen, ob nicht ein Mittel sey, die Handwerker eben so gesund zu erziehen? und ob nicht der Staat, wenn er die Gelehrten von der Aufopferung ihrer Gesundheit frey spricht, ein gleiches fuͤr uns thun koͤnne? die Kleider brauch- ten ja nicht so kuͤnstlich gemacht zu werden, und was ha- ben wir noͤthig, so manchen Schuster um seine Gesundheit zu bringen, da wir in Holzschuhen gehen koͤnnen? Hieruͤber bitte ich mir Ihre Meynung aus, und bin ⁊c. Ein Ein Beyspiel zur Nachahmung. Der Schulmeister, in dem Oßnabruͤckischen Kirchspiel Langenberg, laͤßt alle Sonntage dasjenige, was sei- ne Schuͤler die Woche uͤber geschrieben haben, vor der Kir- che, auf einer Tafel woruͤber ein Gitter von Drath gezo- gen, zur Schau ausstellen. Die Eltern, wenn sie in die Kirche gehen, bemerken den Fortgang ihrer Kinder; der eine Vater freuet sich daß sein Sohn der beste sey, und der andre, daß der seinige nicht zuruͤck bleiben werde. Diese Freude theilen sie ihren Kindern mit, wenn sie zu Hause kommen, und jedes wird dadurch angeflammt, sich am naͤch- sten Sonntage noch besser zu zeigen. Sollte dieses nicht Nachahmung verdienen? und ist diese Erfindung nicht so schoͤn und wohl angemessen, als ein Orden fuͤr das Ver- dienst? XXXIV. Sollte man die Kinder nicht im Schwim- men sich uͤben lassen? Mit Recht untersagt man den Kindern das Baden in Fluͤssen und andern Gewaͤssern, weil die Gefahr dabey zu groß ist. Aber man sollte die Gefahr davon neh- men, und dann immerhin baden lassen. Man sollte einen eignen Schwimmermeister dazu halten, unter dessen Auf- sicht die Jugend das Schwimmen lernen, und taͤglich baden muͤßte; nicht sowol in der Absicht, damit sie sich in kuͤnftigen Nothfaͤllen durch schwimmen retten koͤnnten, obgleich auch diese Absicht nicht ganz zu tadeln waͤre, sondern um ihre Gesundheit zu staͤrken. Nichts findet sich in gewissen Laͤn- dern Der Freund ist schonend dern haͤufiger, als daß Kinder an doppelten Gliedern, Fi- stelschaden und Nervenkrankheiten leiden. Aber nichts ist auch gewisser, als daß dergleichen Uebel durch das Baden in kalten Wasser abgewandt und geheilet werden. Es fin- det sich kein Beyspiel von Fistelschaden in den Gegenden, wo die Kinder fruͤh kalt baden, und die Beyspiele, daß Nervenkrankheiten und doppelte Glieder blos durch das taͤg- liche Baden im Flußwasser geheilet worden, sind unzaͤhlig. Es ist also das Baden eine sehr heilsame Sache, und ein Fehler, daß wir die Kinder dazu nicht zeitig anfuͤhren. Sie sollten taͤglich einmal, so wie sie aus der Schule kaͤ- men, in die Schwemme gejagt, und auf diese Weise ab- gehaͤrtet werden. Vielleicht wuͤrden wir auch weniger von Bruchschaden, die man bey alten Leuten haͤufig antrift, hoͤ- ren, wenn jedermann von Jugend auf an das Baden ge- wohnt, und durch dieses Mittel wider alle Erschlaffungen gesichert waͤre. Mit dem Baden ist fuͤr diejenigen, so dar- an gewohnt sind, ein grosses Vergnuͤgen verbunden; und unsre Vorfahren, welche sogar die Kinder gleich nach ihrer Geburth uͤber und uͤber ins Wasser tauchten, dachten nach ihrer Erfahrung ganz anders hievon als ihre Enkel. XXXV. Auch der Freund ist schonend bey unan- genehmen Wahrheiten. Damon ist mein guter Freund, er hat ein redliches Herz und viel Geschicklichkeit; aber ich kann ihm das freundschaftliche Vertrauen nicht bezeigen, was er wuͤnscht. Warum? er wendet seine Gedanken nicht genug, und traͤgt sie gemeiniglich mit einer uͤblen Laune vor, die an bey unangenehmen Wahrheiten. an sich wohl gemeint, aber doch fuͤr viele beleidigend ist. Wenn ich mich selbst pruͤfe: so fuͤhle ich zwar wohl, daß auch meine Eigenliebe sich zu leicht beleidiget glaube. Aber weil Damon weit juͤnger ist, wie ich; so denke ich, er muͤsse sich nach seinem aͤltern Freunde richten. Seine Absicht ist mir eine nuͤtzliche Wahrheit zu sagen, und sein Wunsch, daß sie bey mir die groͤßte Wuͤrkung thun moͤge; warum wendet er sie denn nicht so, daß seine Absicht und sein Wunsch erfuͤllet werde? Oft habe ich die Politik eines grossen Welt- mannes bewundert, der bey tausend verdrießlichen Geschaͤf- ten, doch nimmer eine verdriesliche Miene zeigt, und auch selbst das unangenehme, was er einem aus Pflicht sagen muß, so sanft und freundschaftlich zu wenden weiß, daß man ihn auch fuͤr das Boͤse danken muß. Sollte ein Freund minder schonend seyn, oder kann jene Politik mit der Red- lichkeit nicht bestehen? Ey was, wird Damon sagen, wer kann jedes Wort auf die Wagschale legen? Ein Freund muß kein Schmeich- ler seyn, und alle dergleichen kleine Wendungen verrathen doch im Grunde eine Falschheit, ich rede wie ich denke, und je mehr eine Wahrheit sticht, je besser wird sie gefuͤhlt. Aber, mein Freund, wenn Sie mir eine betruͤbte Nach- richt zu bringen haben: so wenden Sie doch alle Kunst an, meine Empfindlichkeit zu schonen; diese kleine Falschheit, wenn es eine ist, haben Sie doch gebilliget, und aus dem Umgang mit der grossen Welt angenommen; warum wol- len Sie mich dann in andern Faͤllen minder schonen und mir ohne Noth die Galle ins Gebluͤt jagen? Dieses ist ja ihre Absicht nicht; und da sie Verstand genug haben, um eine angenehme Wendung zu erfinden: so ist es vielleicht nichts als ein Eigensinn, oder der Hang einer Laune, um deren Richtung Sie sich keine Muͤhe geben, wodurch sie bey dieser Die Oßnabruͤckischen Bauerhaͤuser dieser Art des Verfahrens geleitet werden. Sie haben ih- ren gelehrten Vortrag uͤberaus verbessert, und befleißigen sich in demselben des schoͤnsten Styls, warum wollen Sie nicht einem redlichen Freunde zu gefallen Ihren uͤbrigen Styl eben so verbessern? Warum wollen Sie sich gerade diejeni- gen zum Muster waͤhlen, die fuͤr das Publicum glaͤnzen, und fuͤr Ihre haͤuslichen Freunde Tyrannen sind? XXXVI. Die Haͤuser des Landmanns im Oßna- bruͤckischen sind in ihrem Plan die besten. Die Frage, ob die hiesigen Hausleute ihre Wohnungen nicht bequemer einrichten koͤnnten, ist oft aufgewor- fen worden? Diejenige, welche solche zu entscheiden haben, moͤgen nachfolgende Vortheile der hiesigen Bauart nicht aus der Acht lassen. Der Heerd ist fast in der Mitte des Hauses, und so- angelegt, daß die Frau, welche bey demselben sitzt, zu gleicher Zeit alles uͤbersehen kann. Ein so grosser und be- quemer Gesichtspunkt ist in keiner andern Art von Gebaͤu- den. Ohne von ihrem Stuhle aufzustehen, uͤbersieht die Wirthin zu gleicher Zeit drey Thuͤren, dankt denen die her- ein kommen, heißt solche bey sich niedersetzen, behaͤlt ihre Kinder und Gesinde, ihre Pferde und Kuͤhe im Auge, huͤ- tet Keller, Boden und Kammer, spinnet immerfoct und kocht dabey. Ihre Schlafstelle ist hinter diesem Feuer, und sie behaͤlt aus derselben eben diese grosse Aussicht, sieht ihr Gesinde zur Arbeit aufstehen und sich niederlegen, das Feuer anbrennen und verloͤschen, und alle Thuͤren auf und zuge- hen, hoͤret ihr Vieh fressen, die Weberin schlagen, und beob- sind in ihrem Plan die besten. beobachtet wiederum Keller, Boden und Kammer. Wenn sie im Kindbette liegt, kann sie noch einen Theil dieser haͤus- lichen Pflichten aus dieser ihrer Schlafstelle wahrnehmen. Jede zufaͤllige Arbeit bleibt ebenfalls in der Kette der uͤbri- gen. So wie das Vieh gefuͤttert und die Dresche gewandt ist, kann sie hinter ihrem Spinnrade ausruhen, anstatt daß in andern Orten, wo die Leute in Stuben sitzen, so oft die Hausthuͤr aufgeht, jemand aus der Stube dem Fremden entgegen gehen, ihn wieder aus dem Hause fuͤh- ren und seine Arbeit so lange versaͤumen muß. Der Platz bey dem Heerde ist der schoͤnste unter allen. Und wer den Heerd der Feuersgefahr halber von der Aussicht auf die Deele absondert, beraubt sich unendlicher Vortheile. Er kann sodenn nicht sehen, was der Knecht schneidet, und die Magd futtert. Er hoͤrt die Stimme seines Viehes nicht mehr. Die Einfurth wird ein Schleichloch des Gesindes, seine ganze Aussicht vom Stuhle hinterm Rade am Feuer geht verlohren, und wer vollends seine Pferde in einem be- sondern Stalle, seine Kuͤhe in einem andern, und seine Schweine im dritten hat; und in einem eigenen Gebaͤude drischt, der hat zehnmal so viel Waͤnde und Daͤcher zu un- terhalten, und muß den ganzen Tag mit Besichtigen und Aufsicht haben zubringen. Ein rings umher niedriges Strohdach schuͤtzt hier die allezeit schwachen Waͤnde, haͤlt den Lehm trocken, waͤrmt Haus und Vieh, und wird mit leichter Muͤhe von dem Wir- the selbst gebessert. Ein grosses Vordach schuͤtzt das Haus nach Westen, und deckt zugleich die Schweinekoben, und um endlich nichts zu verlieren, liegt der Mistpfal vor der Ausfahrt wo angespannet wird. Kein Vitruv ist im Stan- de, mehrere Vortheile zu vereinigen. Moͤs. patr. Phant. III. Th. K Bey Die Oßnabruͤckischen Bauerhaͤuser ⁊c. Bey der Frage: Ob es nicht gut sey, dem Landmanne zu rathen, sparsamer mit dem Bauholze umzugehen, kom- men folgende Gruͤnde in Betracht. Erstlich hat jeder Mensch seinen Ehrgeitz, welchen er auf eine oder die andre Art befriedigen will, und es ist uͤberaus bedenklich, ihn von einiger Verschwendung in ein- heimischen Produkten, auf auswaͤrtige zu fuͤhren. Die ganze Kunst des Gesetzgebers besteht darin, den Ehrgeitz des Menschen wohl zu lenken. Zweytens ist es besser, daß das Bauholz theuer als wohlfeil ist. Das Geld dafuͤr geht nicht aus dem Lande. Ein theurer Holzpreiß muntert die Leute auf, fleißig zu pflanzen, und diejenigen Gegenden sind nicht gluͤcklicher, wo man das Holz gar nicht verkaufen kann, sondern zu Pottasche und Glaßhuͤtten verschwenden muß. Drittens ist es besser, daß die Leute zu viel als zu we- nig Holz nehmen, weil sie keine Baumeister bey sich haben, und durch die Staͤrke des Holzes ihre Fehler im Bauen er- setzen muͤssen. Viertens ist in den hiesigen Haͤusern die allergroͤste Sparsamkeit bereits darin beobachtet, daß die Balken nicht durchlaufen, sondern nur den sogenannten Stuhl bedecken. Dadurch sind bey jedem grossen Hause nach dem jetzigen Holzpreise 200 Thaler ersparet. Die Verschwendung ge- schieht also nur in Staͤnder- und Riegelholz, welches noch genug vorhanden ist, da es nur an Balken mangelt. Fuͤnftens findet man keine Verschwendung in den Ge- genden, wo das Holz rar ist. XXXVII. XXXVII. Die Klage eines Leibzuͤchters , als ein Beytrag zur Geschichte der deutschen Kunst. Es ist eine uralte Gewohnheit in Westphalen, daß bey jedem Voll- oder Halbhofe eine Leibzucht seyn, und wo solche fehlt, eine erbauet werden muͤsse. Lange habe ich den Geist dieses Gesetzes nicht so lebhaft eingesehen, als bey folgendem Vorfall. Ein Eigenbehoͤriger Mann kam unlaͤngst zu mir, und klagte mit vielen Thraͤnen, wie betruͤbt es ihm in seinen al- ten Tagen gienge, da er mit einer Stieftochter in einem Hause wohnen, und taͤglich aus jedem ihrer Blicke einem heimlichen Fluch auf sich lesen muͤste; des Morgens fruͤh, und des Abends spaͤt, wenn sie ihm auch nur ein Stuͤck Brod gebe, sagte ihm jede ihrer Minen, daß er sich zum Heuker scheren moͤgte. O schloß er endlich, es ist eine schreckliche Sache, daß die Obrigkeit nicht besser darauf haͤlt, daß bey jedem Hofe eine Leibzucht seyn muͤsse. Ich glaubte ihm recht vernuͤnftig zu rathen, da ich ihm sagte, er sollte doch bey andern Leuten einziehen, oder sich eine besondere kleine Wohnung miethen, ich wollte seine Schwiegertochter durch den Weg Rechtens leicht zwingen, daß sie ihm jaͤhrlich fuͤr die Leibzucht ein gewisses an Gelde bezahlen sollte, und wenn ihm der Weg Rechtens zu sauer wuͤrde: so wollte ich ihn wohl fuͤr ihn gehen, und die Rei- sekosten bezahlen. Der Mann dauerte mich von Herzen; es war einer von den redlichen Greisen, die man nicht an- ders als mit Ehrfurcht ansehen kann. K 2 Ach! Die Klage eines Leibzuͤchters. Ach! sagte der gute Alte, das geht nicht an; denn ich bin Leibeigen; ich habe es schon versucht, und wollte auf die adelichen Gruͤnde des Hauses … ziehen. Aber der gnaͤdige Herr sagte, er wolle nicht, daß ein fremder Gutsherr den Sterbefall aus seinen Haͤusern holen sollte; und er gestattete ihm auch dahin keine unmittelbare Folge. Ich gieng hierauf zu einem benachbarten Leibeigenen, aber der entschuldigte sich eben auch damit, wie sein Gutsherr es uͤbel nehmen wuͤrde, wenn er Leute, die einem fremden Sterbfalle unterworfen waͤren, auf seine Gruͤnde nehmen, und sein Erbe dadurch in Verdacht setzen wollte. Ein freyer Mann, zu dem ich mich in gleicher Absicht wandte, machte mir nicht allein fast eine gleiche Entschul- digung, sondern setzte auch ganz trocken hinzu, daß er keine Leibeigene aufnehme, weil er, wenn sie stuͤrben, fuͤr die Heuergelder kein stillschweigendes Unterpfand an Sachen haben wuͤrde, die zum Sterbefalle gehoͤrten. Endlich er- barmte sich doch noch ein armer Koͤtter uͤber mich und mei- ner seligen Frau, die ihn noch etwas verwandt war, und uͤberließ uns sein Backhaͤusgen. O wie froh, wie ruhig war ich hier; allein wie lange! Meine selige Frau starb, und nun kam auf einer Seite der Gutsherr, und auf der andern der Beamte; um mir beyde die Haͤlfte von allem dem Meinigen zu nehmen. Was sagte der Gutsherr zum Beamten, gedenkt er meine Leibeigne Magd als Biesterfrey zu behandeln? und wie, antwortete der Beamte dem Guts- herrn, geht der Gutsherrliche Schutz auch ausser der Wehr? Hieruͤber entstand ein Proceß, welchen der Gutsherr ver- lohr, und nun sieht mich jeder als einen Ungluͤcksvogel an, dem keiner eine Wohnung verheuren will. Der Beamte sagte ganz eifrig zu mir, es sind hundert freye Kotten durch die Nachlaͤßigkeit meiner Vorfahren verlohren gegangen, weil Die Klage eines Leibzuͤchters. weil sie Leibeigne darauf gelassen haben, und wann man nicht gleich die Leute als Biesterfrey behandelt; so ist gar kein Mittel einen Kotten gegen dergleichen Eingriffe zu retten. Denn die Biesterfreyheit zwingt die Leute zur Hode, und Hode redet wider den Leibeigenthum. Ich bat hierauf meinen Gutsherrn mir meinen Sterb- fall selbst dingen zu lassen, und mich so nach in Freyheit zu setzen: er war auch wuͤrklich dazu nicht abgeneigt. Al- lein meine Stieftochter hintertrieb es, aus der Ursache, weil ich sodann als ein freyer Mann das Meinige meinen Kindern zweyter Ehe wuͤrde zugewandt haben … Ich lernte hieraus, daß die praktische Einsicht des al- ten Greises weiter gieng, wie meine Theorie; und bedau- rete den Mann, der bey dem Mangel der Leibzucht die Hoͤlle mit seinen Kindern bauen muͤste, nachdem man das feine Kunstgewerbe der deutschen Rechtsgelehrsamkeit, worin die Nothwendigkeit der Leibzucht seine eigenthuͤmliche Stelle hat, nicht mehr erkennen will. XXXVIII. Der erste Jahrswechsel , eine Legende. Gott hatte die Thuͤr des Paradieses noch kaum abge- schlossen, als Eva von fern einen schoͤnen weitglaͤn- zenden Apfelbaum erblickte, und zu ihrem lieben Adam sagte: Siehst du wohl, auch da sind Aepfel. So wie sie dieses sagte, gieng sie auch hinzu, und Adam voll tiefer Wehmuth, wozu ihm noch der Ausdruck mangelte, hinter ihr drein. Ich wuͤste nicht, was den Aepfeln fehlte, daß sie nicht eben so gut, als im Paradiese seyn sollten, rief K 3 sie Der erste Jahreswechsel. sie nach dem ersten Biß aus; aber Adam schuͤttelte den Kopf, und spuckte das abgebissene auf die Erde. So brachten sie eine Weile mit dem Kosten verschiedener Fruͤchte zu, als Nacht und Muͤdigkeit die beyden Vertriebenen zur Ruhe lockte, und Adam zum erstenmal einschlief, ohne seiner Eva eine gute Nacht zu wuͤnschen. Sie muste indessen wie alle Schuldigen, den Schmerz verbeissen, so gern sie auch ihrem Mann noch einmal gesagt haͤtte, daß er es besser verstehen, und sich von seinem schwachen Weibe nicht ver- fuͤhren lassen sollen. Es regnete die Nacht gewaltig, und dabey war es schon etwas kalt, wie gemeiniglich in den Herbstnaͤchten. Ihre Pelze, welche ihnen Gott beym Abschiede auf die Reise gegeben hatte, waren durch und durch naß gewor- den, und ein nasser Pelz ist eine elende Decke. Wir muͤs- sen es machen wie die Thiere, und uns kuͤnftig des Nachts in eine Hoͤhle oder unter dem Laube verbergen, sagte Adam, und noch hatte er sich nicht dreymal umgesehen, als er ei- nige grosse abgeschlagene Zweige entdeckte, solche an einem grossen Baum stuͤtzte, und sich darunter ein besseres Lager bereitete. Sein Vergnuͤgen war, solches jeden Tag immer mehr und mehr mit Schilfe und grossen Blaͤttern gegen das Wetter, welches jede Nacht unfreundlicher wurde, zu ver- sichern, und in der That hatte ihn die Noth recht sinnreich gemacht: denn die Huͤtte war so groß und geraͤumig, daß sie sich beyde darin niederlegen, und vorn zur Thuͤr hinaus sehen konnten. Wenn sie hier des Morgens aufwachten, war ihr er- ster Blick nach der Sonne, und die erste astronomische Bemerkung die sie machten, war, daß dieses grosse Licht immer mehr und mehr zuruͤck blieb. O Gott, o Gott, sagte Adam, — die armen Leute hatten noch keinen Winter gese- Der erste Jahreswechsel. gesehn, und im Paradiese lauter gleich lange schoͤne Tage gehabt — ich befuͤrchte, es stirbt nun so alles nacheinan- der aus. Man hoͤrt weder Frosch noch Vogel, die Fruͤchte fallen uͤberall ab, die Baͤume verlieren ihre Blaͤtter, und sogar das Dach unsrer Huͤtte faulet, und faͤllt zusammen — ich fuͤrchte, ich fuͤrchte, Gottes Zorn folgt uns nach, es gehet alles aus, und wir mit, meine liebe Eva; auch du solltest wieder zur Erde werden. Hier entfiel ihm die erste bitterliche Thraͤne, und Eva schluchzte an seinem Halse: Auch du. Alle Morgen die Gott werden ließ, kam die Sonne spaͤter, und der Abend, da sie noch weder Feuer noch Licht kannten, so fruͤh, die Tage wurden allmaͤhlig so kurz, daß sie nun schon nichts anders als eine lange ewige Nacht er- warteten, und blos vom Hunger getrieben noch durch den dicken Nebel herum liefen, um einige abgefallene Fruͤchte zu sammlen, wobey Eva immer gluͤcklicher war als Adam, indem sie noch oft einen Apfel entdeckte, den der Mann uͤber- sehen hatte, und sich dann recht inniglich freuete. Aber auch diese Huͤlfe hoͤrte bald auf, die Thiere auf dem Felde sammleten fleißiger wie sie, und ein schoͤner Kuͤrbis, den Eva einsmals im Triumph nach Hause gebracht, und uͤber alle Aepfel im Paradiese erhoben, Adam aber, um ihr kein Recht zu lassen, aus der Huͤtte geworfen hatte, lag, wie sie ihn jetzt aufsuchte, verfaulet da. Nun wuͤhlte Eva mit ihren Haͤnden Wurzeln aus der Erde, bis der Frost kam, und sich ihren noch nicht abgehaͤrteten Fingern wi- dersetzte. Endlich bedeckte ein tiefer Schnee den ganzen Erd- boden, und vergrub das einsame Paar unter seiner armse- ligen Huͤtte. Keine Sonne leuchtete mehr, die ganze Natur war todt, kein Vogel sang, kein Kraut wuchs, und der blasse Schimmer des Schnees entdeckte ihnen nichts als ihr beyder- seitiges Elend. Sie legten sich hin um zu erstarren, um K 4 mit Der erste Jahreswechsel. mit der ganzen Natur einzuschlafen, um nie wieder zu er- wachen; aber der Hunger verstattete ihnen auch diese letzte Ruhe nicht. Sie musten wider ihren Willen die Rinde von dem Laube ihrer Huͤtte nagen, Wurzeln unter sich her- vor wuͤhlen, und den Schnee auflecken. Eva fuͤhlte dann und wann noch ein Herz unter dem ihrigen schlagen; sollte dieses, sagte sie zu Adam, wohl das Kind seyn, was ich mit Schmerzen gebaͤhren soll? sollte dieses wohl noch kom- men, um unser Elend zu vermehren, und mit uns zu ver- hungern? Bey dieser und andern dergleichen traurigen Anmer- kungen glaubte Adam zum erstenmale die Sonne wieder zu sehen; der Schnee vor der Huͤtte war duͤnner geworden, und er versuchte es, sich durch denselben mehr Licht zu ver- schaffen. Allein er konnte sie nicht entdecken. Des an- dern Tages hoffete er wiederum, und der erste Stral fiel in seine Huͤtte; doch war dieses noch ein schwacher Trost, indem alles um ihn herum noch immer tod blieb. Nach und nach aber merkte er, daß der Stral hoͤher herabfiel, und mehrere Waͤrme mit sich brachte. Er maß ihn einen Tag und alle Tage, und fand alle Morgen mit einer Freude, die sich nicht ausdruͤcken laͤßt, daß er immer etwas hoͤher fiel. Der Schnee fieng jetzt an zu schmelzen, und einige Muͤcken tanzten vor dem Loche der Huͤtte. Siehst du, sagte Eva, das Leben kommt wieder in die Natur, und wir werden nicht sterben. In dem Augenblick flog auch ein Vogel bey ihrer Huͤtte voruͤber, und jeder Morgen zeigte ihnen nun einen neuen Gegenstand, der sie entzuͤckte und begeisterte. Alle Geschoͤpfe sangen, huͤpften und bruͤteten Leben; alles was Odem hatte im Walde und auf dem Ge- filde frohlockte, und die leblose Natur fuͤhlte den lebendigen Geist der Schoͤpfung. Auch Eva brachte im Mayen den Erstling ihrer Liebe, und sahe nach uͤberstandnem Schmerze ihren Ueber die Feyerstunde der Handwerker. ihren Adam stolz an. Und nun rief Adam aus, indem er seinen neugebohrnen Sohn aus der Huͤtte ans Licht brachte: Ach Herr! wie wohl hast du auch den Winter gemacht, da du den Fruͤhling auf ihn folgen laͤßt! Wie gluͤcklich wird un- ser Leben seyn, wenn auch hierauf einst ein anders folgt! — Er bauete aber nun auch seine Huͤtte groͤsser, sorgte im Som- mer fuͤr den Winter, und in der Zeit fuͤr die Ewigkeit. XXXIX. Ueber die Feyerstunde der Handwerker. Ich habe noch kein Jahr erlebt, worin alle Menschen so fleißig gewesen sind, wie in dem vorigen. Meine Umstaͤnde erforderten es, daß ich ein neu Haus bauen mu- ste, und ob ich gleich eben so sehr eilig nicht war: so be- eiferte sich doch ein jeder, mir auch in den Feyerstunden seine Kraͤfte zu schenken. Maurer, Zimmerleute, Tischler, und sogar die Tagloͤhner opferten mir die Stunden, welche sonst zu ihrer Ruhe gewidmet waren, auf, und erwarte- ten, wie billig, meinen Beyfall durch eine verhaͤltnismaͤßige Verguͤtung. Anfaͤnglich glaubte ich viel dabey zu gewinnen, aber am Ende merkte ich doch, daß es auf eine Geldschneiderey hinaus lief, und daß ein jeder, der rechtschaffen arbeitete, auch seine Erholungsstunden noͤthig haͤtte. Was sollt ich indessen thun? Mich mit den Arbeitsleuten, und besonders mit den Gesellen zu uͤberwerfen, das war nicht rathsam, sie konnten mir auf andre Art schaden. Ich ließ mich also geruhig betruͤgen, um nicht noch aͤrger betrogen zu werden. In der That aber sollte die Obrigkeit hier ein Einsehen ha- ben, und uͤberhaupt das Arbeiten der Gesellen in den Feyer- K 5 stun- Eine Erzaͤhlung, stunden verbieten, weil es sowohl ein Betrug fuͤr den Mei- ster als den Bauherrn ist. Vor wenigen Jahren wuste man noch nichts von dieser Mode des Betrugs; aber seit- dem ist sie taͤglich allgemeiner worden. XL. Eine Erzaͤhlung, wie es viele giebt. Die Kunst in Gesellschaften zu erzaͤhlen, erfordert eine eigne Geschicklichkeit; und sie sollte billig mehr als andere studirt werden, da sie in der That wichtiger ist, und einem oͤfterer als andre freye Kuͤnste zu statten koͤmmt. Gleichwol wird sie jetzt ganz vernachlaͤßiget, seitdem ge- wisse Leute sie zum Handwerke herabgewuͤrdiget, und die guten Gesellschaften genoͤthiget haben, ihr den Abschied zu geben. Nur wenige denken daran, wie sie zu einer Erzaͤh- lung die Anlage machen sollen; um die Erfindung der Wahrheit, welche dadurch gelehrt werden soll, und deren Wichtigkeit fast ihren ganzen Werth entscheidet, bekuͤmmern sie sich am wenigsten; und die Art der Behandlung ist ih- nen fast gleichguͤltig, da sie nicht einmal vorher uͤberlegen, ob die Wahrheit, so sie vortragen wollen, eine lustige oder ernsthafte Einkleidung erfordere; und doch ist nichts gewis- sers, als daß die groͤste Wuͤrkung von der Art der Be- handlung abhange. Oft fordert der Gegenstand nur eine leichte Anspielung auf eine schon bekannte Geschichte; oft blos das Resultat oder die Lehre einer Fabel, oft einen spi- tzigen und treffenden Wink, oft eine sanfte und versteckte Lehre, die man angenehmer errathen laͤßt, als sagt; alle- mal aber eine kurze Erwartung und voͤllige Befriedigung; welche sich beyde nicht erreichen lassen, wo man nicht be- staͤn- wie es viele giebt. staͤndig seine ganze Aufmerksamkeit auf den Zweck richtet, alles was nicht zu demselben wuͤrket, vorbey laͤßt, dasje- nige aber, was dazu dienet, wohl ordnet, den Hauptzuͤ- gen mehreres Licht, als den Nebenzuͤgen giebt, und zuletzt die Begierde des Zuhoͤrers mit einer wichtigen Wahrheit, oder welches einerley ist, mit einer vernuͤnftigen Freude, so wie sie von einer solchen kleinen Erzaͤhlung zu erwarten ist, saͤttiget. Der gewoͤhnliche Lauf unsrer Erzaͤhlungen ist insgemein wie in der folgenden, welche ich neulich mit eigenen Ohren habe anhoͤren muͤssen. „Hiebey faͤllt mir ein, fieng jemand an, was mir „einmal unterwegens begegnete, wie ich nach Muͤnster „fuhr. Ja ich glaube es war nach Muͤnster, denn meine „Frau war damals mit ihrem ersten Kinde schwanger, und „sie wollte noch gern vor ihrer Niederkunft das dortige „neue Schloß besehen. Wir waren auf der ersten Sta- „tion von hier, ich meyne zu Lengerich, oder zu Latbergen, „das kann ich eben so genau nicht sagen, es liegt auch so „viel nicht daran; und die Fruͤhjahrszeit war so angenehm, „denn es war in der Woche nach Ostern, und wir hatten „Ostern damals etwas spaͤt gehabt, so daß es beynahe zu „Ende des Aprils eingefallen war, daß wir beyde, ich und „meine Frau, welche damals noch nicht daran dachte, daß „ihr der Tod das Kind, womit sie zum erstenmal geseg- „net war, so fruͤh wieder rauben wuͤrde, vor der Thuͤr „stunden, und sahen, wie die Leute im Mondenschein spa- „tzieren giengen. Denn, wo ich nicht irre, so war es ein „Festtag, und wohl gar der erste May, der wo mir recht „ist, noch dazu auf einen Sonntag fiel, so daß man es „wohl fuͤr einen doppelten Festtag halten konnte. Auf ein- „mal entstand ein Geschrey ganz aus der Ferne (das Haus, „worin wir waren, lag nach dem Felde zu, und nicht weit „da- Eine Erzaͤhlung, „davon stand etwas Holz, so jedoch nur aus einigen alten „pollsoren und zottigt bemooßten Eichen besteht) und zwar „aus der Gegend dieses Holzes, so daß alle Spatzierende „ihre Ohren wie ihre Fuͤsse dahin richteten. Ich sagte zu „meiner Frauen, wollen wir auch hingehen, wir haben „doch nichts bessers zu thun, weil es noch wohl eine Stunde „waͤhren soll, ehe der Postillion, der dem einen Pferde „noch ein Eisen unterlegen lassen muß, und seine Futter- „saͤcke noch nicht angefuͤllet hat, fertig seyn wird. Ja, „sagte meine liebe Frau, wie du willst, ich bin bereit, und „es soll mir recht angenehm seyn, mich noch ein bisgen „zu vertreten. Denn von dem Fahren sind mir die Fuͤsse „etwas angelaufen, und da wir die Nacht fahren wollen, „so ists vielleicht in meinen Umstaͤnden gesund, daß ich ein „bischen gehe. Wir folgten also den uͤbrigen nach, und „meine Frau haͤtte bald den einen Pantoffel verlohren, weil „sie ihre Schuh, wegen des vorerwehnteu Umstandes aus- „gezogen hatte. Wie wir auf dem Felde waren, hoͤrten „wir immer mehr schreyen; ich dachte, was Henker mag „da zu thun seyn, es giebt doch in dem Holze wohl keine „Raͤuber, diese koͤnnen sich gewiß nicht darin aufhalten, da „sich kaum ein Hase darin verbergen kann; und wenn es „auch waͤre: so sind unser so viel, daß sie uns nichts thun „sollen. Doch war mir Angst, meine Frau moͤgte sich in „ihren Umstaͤnden erschrecken, und so entschloß ich mich, „eben mit ihr wieder zuruͤck zu kehren, als ich ein lautes „Gelaͤchter hoͤrte. Nun sprach ich zu meiner Frau, hier „wird gewiß nichts schreckhaftes seyn, wir wollen in Got- „tes Namen hingehen. Wirf aber meinen Ueberrock uͤber „dich, damit du dich nicht verkaͤltest, denn es war doch et- „was frisch geworden, und ich hatte meinen Ueberrock, den „ich auf der Reise zu tragen pflege, anbehalten. Wir „giengen also getrost fort. Wie wir hinkamen, sahen wir eine wie es viele giebt. „eine Menge Volks um einen grossen Baum versammlet, und „indem alle sprachen, hoͤrten wir nicht was einer sagte. „Was ist hier zu thun, sagte ich zu einem Manne der bey „mir stund, und der, wie es schien, etwas mehr war als „die andern? O! nichts, war seine Antwort, es ist schon „fort; und wie ich mich weiter erkundigte, denn ich konnte „unmoͤglich glauben, daß man um nichts ein solches Ge- „schrey gemacht haben wuͤrde, siehe da, was meynen sie „wohl, was es war? Ich will es ihnen nur kurz und gut „sagen, denn wozu dient die Weitlaͤuftigkeit, es hatte eine „grosse Eule da gesessen. So wird der Faden unsrer mehrsten Erzaͤhlungen aus- gesponnen, so die Erwartung gemartert, und so betrogen. Wahrlich ein grausames Verfahren, da nichts aufrichtiger ist, als die menschliche Begierde, etwas neues und wun- derbares zu hoͤren; und es in der That eine Suͤnde ist, die- sen edlen und gutherzigen Trieb, da er jetzt die angenehm- ste Befriedigung seiner Muͤhe hofft, in einem kalten Schauer zu ersticken. Geschieht dieses nun vollends bey einer Mahl- zeit, wo man dem Erzaͤhlenden zu Ehren, und um ihm mit einem unverwandten Auge seine Aufmerksamkeit zu bewei- sen, den Braten kalt, und den Wein warm werden laͤßt: so hat man die Ursache der oͤftern uͤblen Verdanungen, der daraus folgenden Koliken, und anderer gefaͤhrlichen Zufaͤlle lediglich einem solchen Erzaͤhler zuzuschreibe; Zwar leidet er dafuͤr seine Strafe, wenn die ganze Gesellschaft, deren Ohren er mit der Witterung seiner Ge- schichte an sich gezogen hat, auf einmal durch ihr kaltsinni- ges Schweigen ihren Eckel zu erkennen giebt. Allein man kommt nicht zusammen, um ein verdruͤßliches Strafamt auszuuͤben, sondern um sich zu erheitern, und auch wohl durch eine lehrreiche und scherzhafte Erzaͤhlung zu ergoͤtzen. Also Also sollte man das Dreschen XLI. Also sollte man das Droͤschen bey offnem Lichte nicht verbieten. Es ist eine Erfindung des gegenwaͤrtigen Jahrhunderts, daß der Landmann nicht anders als am Tage oder bey der Leuchte droͤschen soll. Allein wenn man bedenkt, daß 1) ein guter Haushalter in den Morgenstunden vor Anbruch des Tages, und zwar in den kuͤrzesten Tagen droͤ- schen laͤßt, 2) jedesmal einer von den Droͤschern ohne Licht auf den Boden steigen und die Garben herunter werfen muß, 3) der Droͤscher beym schlagen alle Flecke des Getrei- des unterscheiden, und wann die Droͤsche gewand wird, ei- nen dicken Nebel von Staub um sich dulden muͤssen, be- sonders wenn das Korn nicht recht trocken unter das Dach gekommen ist, 4) die Doͤhle zum Droͤschen in den gemeinen Haͤusern 45 bis 55 rheinlaͤndische Fuß lang ist, 5) Die Leuchten von Horn, welche in Blech gefasset sind, grosse Zwischenraͤume haben, deren Schatten so viel breiter faͤllt, je weiter das Licht reichen soll, 6) das Horn auswendig vom Staube und inwendig vom Oeldampfe geschwind verdunkelt wird, 7) eine verschlossene Leuchte fast noch einmal so stark zehret, und also noch eine oͤftere Nachfoͤrderung des Dachts erfordert, als eine ofne Lampe, 8) Der Landmann, wo er noch einiges Licht davon haben will, anstatt des Ruͤboͤls oder Rapsaatoͤls, was ihm zu- bey offnem Lichte nicht verbieten. zuwaͤchst, fremden Theer gebrauchen muͤsse, indem erste- rer mehr Dampf von sich giebt als letzterer, und das Horn ganz verdunkelt, mithin im Stifte Oßnabruͤck jaͤhrlich fuͤr 10000 Thlr. Theer mehr als sonst erfordert wird, 9) die Leuchten mit Glaß mehrentheils eben denselben Unbequemlichkeiten unterworfen, und dabey zerbrechlicher sind, als die von Horn, 10) in den Nebenhaͤusern fast durchgehends zwey Fa- milien wohnen, worin die eine bey demselben Lichte spinnet, und die andre droͤschet; dieses aber wohl bey einem Lichte aber nicht bey einer Leuchte geschehen kann; und 11) kein Beyspiel vorhanden ist, daß von dem offnem Lichte, welches in den grossen Haͤusern, wo die Doͤhle 30 bis 34 Fuß, und die Droͤsche nur 10 Fuß breit gemacht wird, an der Wand, in den Nebenhaͤusern hingegen un- ter dem Feuer-Rahmen haͤngt, jemals ein Feuer ent- standen sey: so wird man leicht erkennen, daß jene Policeyanstalt aus dem Cabinet eines speculirenden Cammerraths gekom- men sey; und eine Leuchte die Forderungen, welche 1 2 3 und 4 erwehnen, nicht befriedigen; wegen des bey 5 6 7 8 entstehenden Schadens aber zu verwerfen sey. Das Das Pro und Contra XLII. Das Pro und Contra bey einer Oßna- bruͤckischen Landes-Ordnung, nach welcher je- des Kirchspiel sich eine Feuerspruͤtze zulegen muste. Sagen Sie mir doch, ums Himmels willen, mein lieber Herr! warum sollen die Hausleute, welche hier, wie bekannt nicht im Dorfe sondern einzeln ganze Stunden und weiter davon entfernt wohnen, zu den verordneten Feuerspruͤtzen und Feuergeraͤthschaften etwas beytragen, da sie nicht die allermindeste Huͤlfe davon zu erwarten ha- ben? Denn wenn 1) ein solches einzelnes entferntes Strohdach brennt: so wird die Spruͤtze aus dem Dorfe, wenn sie anch auf Raͤdern steht, viel zu spaͤt kommen: Es werden 2) die Zober mit Wasser auf Schleiffen niemals in Ge- buͤrgen und auf der Heide gebraucht werden koͤnnen. Sie dienen nur an wohlgepflasterten ebenen Orten. Die gros- sen Feuerleitern von 36 Fuß koͤnnen 3) bey einem brennenden niedrigen Strohdache so we- nig gebraucht als angelegt, oder einige Stunden weit auf der Achsel fortgetragen werden. An den mehresten Or- ten fehlt 4) das Wasser, um eine Spruͤtze zu fuͤllen; und da 5) sehr viele Kirchspiele 4 bis 5 Stunden im Umkreis haben, kein Nachbar den andern abrufen, der Kuͤster im Dorfe den Brand in der entlegenen Bauerschaft selten ein- mal sehen, und noch weniger den Klang seiner Glocke durchs ganze bey einer Oßnabruͤck. Landesordnung. ganze Kirchspiel, um die Leute zu versammlen, erschallen lassen kann; warum sollen denn die einzelnen Hausleute zu diesen Anstalten gezogen; warum sollen sie mit der Auf- sicht der Feuergeraͤthschaften belastet, warum sollen sie be- strafet werden, wenn im Dorfe, worinn der Bauerrichter nichts zu sagen hat, nicht alle Feuergeraͤthe in richtiger Ord- nung sind? Und wie ist es 6) billig, daß die Unkosten aus der Mark, worinn oft die Dorfgesessene nicht einmal intereßiret sind, genom- men werden? Koͤnnen endlich 9) Beamte ermessen, ob es am diensamsten sey, die Kosten aus der Mark oder aus der Bauerrechnung zu neh- men? Wenn der Holzgrafe mit seinen Markgenossen es nicht dienlich findet, die Mark damit zu beschweren: so bleibt den Beamten in hiesigem Stifte keine andere Ermaͤßigung oder Anordnung uͤbrig, als das Kirchspiel zur Anschaffung der Feuerspruͤtzen aus der Kirchspiels oder Bauerrechnung an- zuhalten. Alles dieses ist so klar, so gewiß und so unwi- derleglich, daß ich demjenigen hundert Ducaten verspreche, der mir mit gesunder Vernunft ein Wort darauf antworten kann. Ich bin … XLIII. Antwort. Nur geschwind die hundert Ducaten ausgezahlt. Das Publicum wird mir solche gewiß zuerkennen. Ha- ben Sie denn nicht ihre Kirche, ihre Pfarr- und Schulhaͤu- ser im Dorfe? Liegt nicht auch mehrentheils das Vogtey- Haus darin? Und ist das ganze Kirchspiel nicht schuldig, wenn diese abbrennen, zu deren Wiederaufbauung zu Huͤlfe Moͤs. patr. Phant. III. Th. L zu Antwort zu kommen? Gesetzt nun auch, Spruͤtzen, Leitern und Zu- ber dienten blos im Dorfe, und auf ebenen Pflaster, wuͤr- den denn nicht jene wichtige Gegenstaͤnde allein hinreichen, die Vorsorge der Obrigkeit zu rechtfertigen? Ist nicht die Leiter von 36 Sprossen dem Kirchdache gerecht? Und sind nicht kuͤrzere Leitern, welche zu andern Haͤusern dienen koͤn- nen, uͤberall so haͤufig, daß man ihre Anschaffung von Obrigkeitswegen nicht erst verordnen darf? Wissen Sie auch wohl ferner, daß die einzelnen Haus- leute mit den Dorfgesessenen in der Brand-Societaͤt gleiche Gefahr tragen? Der Feuerschade im Dorfe, wo die Haͤu- ser an einander stehen, laͤuft gleich auf zehn und zwanzig tausend Thaler; in den letzten sechs Jahren vor Errichtung der Brandcasse, brannten neun Flecken und Doͤrfer ab; und seit der Zeit ist, dem Hoͤchsten sey Dank! keinem ein solches Ungluͤck wiederfahren. Was meynen Sie aber, wenn wir nur ein oder zwey dergleichen Ungluͤcksfaͤlle er- lebten; sollte den einzelnen Hausleuten, als Societaͤtsgenos- sen, der Schade nicht hoͤher kommen, als der geringe Bey- trag zu den Feuerspruͤtzen? Und wo ist ein Kirchspiel, das nicht grossen Antheil am Dorfe habe? Sind ihnen die Dorfgesessenen nicht ins- gemein schuldig? Verheuren sie ihnen nicht ihre Laͤndereyen? Verkaufen sie ihnen nicht ihr Holz? Und wuͤrde es nicht das ganze Kirchspiel am mehrsten empfinden, wenn die Haͤuser der Dorfgesessenen im Feuer aufgiengen? wenn sie keine Landheuer mehr bezahlen und kein Holz mehr kaufen koͤnnten? Muß denn nicht auch der Hausmann einige Ach- tung gegen die Schenke im Dorfe und gegen alle die Be- quemlichkeiten haben, welche ihm aus dem Dorfe zu- wachsen? Die Zuber auf Schleiffen sind nicht so strenge verord- net, daß sie nicht auch unter Ermaͤßigung der Beamte, an Or- auf vorher Stehendes. Orten wo gar kein Pflaster und die Gegend hoͤckericht ist, Wasserfaͤsser auf zwey Raͤdern dafuͤr anlegen moͤgen. So viel Vernunft hat man einem jeden selbst zugetrauet. An den mehrsten Orten hat man dergleichen Wasserfaͤsser, wel- che hinten am Boden ein grosses Zapfloch haben. Dane- ben haͤngt ein Hammer an einer eisernen Kette; mit diesem schlaͤgt man das Zapfloch ein; und dieses ist gerade so hoch, daß es auf die Spruͤtze paßt. Ein einzelner Mann fuͤhret diesen Wasserkarrn geschwinder fort, als ein Pferd den Zu- ber mit der Schleiffe. Lassen Sie in ihren Gegenden der- gleichen auch machen. Der Beamte wird ihnen gewiß nicht zuwider seyn; da der Endzweck der Verordnung er- reicht wird. Finden Sie es aber nunmehro noch unbillig, daß die Kosten zu diesem heilsamen Werke aus der Mark genommen werden? Was ist die Absicht der Landesregierung hiebey gewesen? Ist es nicht diese, daß die Sache selbst dadurch erleichtert; die adlichen und andere Markgenossen, welche zur Bauerrechnung nichts beytragen, auf eine anstaͤndige und billige Art mit dazu gezogen, und die Kosten, ohne daß es jemand in seinem Beutel empfaͤnde, bestritten wer- den moͤchten? Darf man nicht auch hoffen, daß die Holz- grafen billig genug seyn werden, bey einer solchen Gele- genheit ihre Gebuͤhren und Aufkuͤnfte von dem gemeinen Grunde, welcher dazu aus der Heide oder aus der Mark verkauft wird, und wovon ihnen sonst der dritte Pfennig gebuͤhret, gern zu schenken? Bey dem allen ist der Mark nichts aufgezwungen. Es beruhet auf der Markgenossen ihren freyen Willen, ob sie es thun wollen, oder nicht. Sie koͤnnen diese ihnen den strengsten Rechten nach nicht obliegende Kosten, mit einem Worte, von sich ablehnen, und der Bauerrechnung zuwelzen. Alsdenn aber koͤnnen diejenigen, so zur letzten nichts bey- L 2 tragen, Von besserer Einrichtung tragen, auch ohne Huͤlfe brennen. Die schatzbaren Unter- thanen sind unverbunden, ihnen mit ihren Feuergeraͤthschaf- ten zu dienen. Und wie koͤunen Sie einen Eingrif der Beamte in Privatmarken fuͤrchten? Diese muͤssen doch erst die Kirch- spielsleute versammlen, und sie befragen, ob sie die Feuer- geraͤthschaften aus der Mark, oder aus der Bauerschaft zu nehmen wuͤnschen. Erwaͤhlen sie das erstere: so verweiset sie der Beamte zu ihrem Holzgrafen; und kommen sie da- her fruchtlos zuruͤck, oder bringen das Geld aus der Mark mit, so macht der Beamte im ersten Fall diese Policeyan- stalt aus der Kirchspielsrechnung, und im letztern sieht er zu, daß die Gelder recht angewandt und alle Absichten der Verordnung gemaͤs erreichet werden. Anders kann die Sache mit Ordnung nicht geschehen. Dies ist der Inhalt der Verordnung, und wer kann oder wird bey den loͤblich- sten und billigsten Absichten vermuthen, daß es darauf an- gesehen sey, die Holzgrafen den Beamten zu unterwerfen? Ich erwarte die hundert Ducaten und bin XLIV. Von besserer Einrichtung des Laufs der Steckbriefe. Die Verschiedenheit der Territorien im westphaͤlischen Kreise haͤlt die gemeine Kreisbestellung oft sehr auf. Wir haben aber doch noch im letztern Kriege ihren Nutzen gesehen, wenn ohne Ruͤcksicht auf jene Verschiedenheit die Bestellungen der Armee in einer Kette fortliefen. Von Stunden zu Stunden waren Ordonnanzen, und die Befehle durch- des Laufs der Steckbriefe. durchliefen einen Kreis von zwanzig Meilen in der groͤßten Geschwindigkeit. Auf gleiche Art sollten die gemeinen Kreisbestellungen, und besonders die offnen Steckbriefe ihren Lauf haben. Es ist nicht genung, wenn selbige jetzt nur eine Linie gehen. Selbige muͤßten sich sofort auf alle Kreuzstrassen und Neben- wege verbreiten, und in ihrem Fortlauf vervielfaͤltigen koͤn- nen. Wir wollen davon ein Beyspiel geben: Ein Steckbrief soll die Strasse von Frankfurt hinaus- laufen, so muͤßte 1) derselbe erstlich seine einmal festgesetzte und bekannte Route, ohne daß man eine Direction dabey zu geben ge- brauchte, halten; es muͤßte 2) die Minute der Ankunft und des Ablaufs darauf notirt, und auf die geringste Versaͤumniß eine Strafe ge- setzt seyn, was ich aber hauptsaͤchlich vorzuschlagen habe, ist dieses, daß 3) auf jeder Station eine bestaͤndige Vorschrift seyn muͤßte, wie vielmal jeder dort ankommender Steckbrief co- piirt, und auf beyde Seiten abgeschickt werden sollte. Je- der Hauptnebenort muͤßte wieder seine Vorschriften haben, wie vielmal er dort copiirt, und wiederum in kleinere Ne- benorte versandt werden sollte. Auf diese Art fischte man mit einem Garn von drey bis sechs Meilen in die Breite; alle von der Franfurter Strasse rechts und links abliegen- de Orte wuͤrden mit gleicher Schnelligkeit benachrichtiget, und es muͤßte erschrecklich seyn, wenn ein Steckbrief der in der Zeit von 24 Stunden gewiß 8 Meilen laufen, und mehr als hundert mal copiirt seyn kann, (wenn auf jeder Station zuerst nur eine Copey behalten, und solche immittelst, daß die eine fortlaͤuft, von neuem abgeschrieben wird), nicht L 3 meh- Ein sicheres Mittel mehrentheils seinen Endzweck erreichen sollte. Wenn auf diese Weise aus einem Hauptorte ein Steckbrief auf vier Hauptstrassen ausgeht, so muß er in 24 Stunden vierhun- dertmal copiirt, und der Kreis dieses Hauptorts auf 16 Meilen im Durchschnitt berennet seyn. Es waͤre dieses vielleicht auch ein Mittel, dessen sich die mit einauder Cartel habenden Kreisstaͤnde gegen die Deser- teurs bedienen koͤnnten. XLV. Ein sicheres Mittel, das gar zu haͤufige Coffeetrinken, abzuschaffen. Die Erfahrung hat es gewiesen, daß alle bisherigen Verordnungen Im Stifte Oßnabruͤck ist die Verordnung, daß geborgter Coffee, Zucker ꝛc. gegen einen steuerbaren Unterthanen nicht gerichtlich eingeklagt werden kann, auch bey entstehenden Concursen nicht bezahlet wird. Man hat dergleichen Schulden den Spielschul- den gleich gesetzt. und Anstalten einzelner Reichsstaͤn- de gegen das Coffeetrinken wenig oder nichts gefruchtet ha- ben, und man kann, ohne eben ein grosser Prophet zu seyn, wohl vorher sagen, daß dieselben kuͤnftig ein gleiches Schick- sal haben werden. Wenn aber saͤmtliche Reichsstaͤnde, wel- che die Handwerksmißbraͤuche so oft ihrer Aufmerksamkeit gewuͤrdiget haben, sich dahin vereinigten, daß kuͤnftig der Handel mit Coffee einzig und allein in den Haͤnden der Obrigkeit seyn, und diese bey Strafe von hundert Mark loͤthigen Goldes keinem andern diesen Handel in ihrem Lande gestatten, und selbst das Pfund nicht unter einen Gulden verkaufen lassen sollte: so wuͤrde dieses nicht allein ein gros- ser das haͤufige Coffeetrinken abzuschaffen. ser Vortheil fuͤr die Staͤdtischen Caͤmmereyen oder Steuer- cassen, sondern auch ein sicheres Mittel seyn, den gar zu haͤufigen Gebrauch des Coffeetrinkens einzuschraͤnken. Daneben wuͤrde jeder Reichskreis aus diesem Vortheile leicht die noͤthigen Besoldungen finden, um die auf allen Graͤnzen zu bestellenden Aufseher zu belohnen, und es da- mit in die Wege richten, daß kein Coffee fuͤr Privatperso- nen durchgelassen wuͤrde. Es verstehet sich dabey von selbst, daß in den deutschen Seestaͤdten aller Coffee in des Magistrats Magazin abgeliefert, und von demselben an die inlaͤndischen Magistraͤte spedirt, auch gar kein Coffee ins Reich als aus deutschen Seeorten zugelassen wuͤrde. Bey diesen Anstalten brauchte man den gehaͤßigen Un- terschied zwischen Vornehmen und Geringern, Reichen und Armen gar nicht zu machen; sondern ein jeder, der seinen Gulden fuͤr das Pfund bezahlte, haͤtte vor wie nach die Freyheit, denselben nach eigenem Belieben zu trinken; und die Magistraͤte sorgten dafuͤr, daß allezeit guter Coffee ver- kaufet wuͤrde. Vielleicht folgten andre benachbarte Rei- che, welche keine Coffeeplantagen haben, diesem Exempel, und legten durch ihre gemeinschaftlichen Bemuͤhungen den Grund zu Europens Gluͤckseligkeit. L 4 XLVI. XLVI. Von der Wuͤrkung des Oels, beym Ungestuͤm des Meeres. Es ist jetzt den Naturkuͤndigern eine neue Erscheinung, daß das Oel ins Meer geschuͤttet, die Wuth der Wellen besaͤnftige, und die See rings um das Schiff auch mitten im Sturm eben mache. Die Kunst selbst ist aber doch schon lange bekannt. Denn es wird unter die Wundertha- ten des heiligen Cudberts gerechnet, daß er einem Priester Oel auf die See mitgegeben habe, womit derselbe den Sturm gestillet. Cudbert sagte zu ihm: Petis æquor vt altum Obvius adverso insurget septentrio Flatu Venti sed fremitus tempestatesque sonoras Chrismate quod dederim promptim lenire memento. Vnguine tunc sumto nautae praepinguis olivi Aequora descendunt, velique patentibus alis. Sulcabat medium puppis secura profundum Cum subito gravis instat hiems furit undique pontus Tardans abreptae vestigia coepta carinae Immisso tandem pinguis medicamine guttae Mansuefacta feros componens unda tremores Pandit iter laetum etc. Beda de S. Cudberto Ep. Lindisfarnensi beym CANISIO Lect. ant. T. II. p. 8. Ed. Basn. Es muß aber doch noch damals ein Geheimniß gewe- sen seyn, weil Cudbert das Oel weihete. XLVII. XLVII. Von den ersten oͤffentlichen Anstalten zum Seidenbau im Hochstifte Oßnabruͤck. Man hat seit einigen Jahren sehr viel Geraͤusch vom Seidenbau gemacht; ich glaube aber doch, daß hier im Stifte eher als in einer andern Gegend Westphalens eine grosse Hand daran gelegt worden. Dafern wir aber auch nicht die ersten gewesen seyn sollten: so ist doch alle- mal billig, den Namen des ehrlichen Mannes der dankba- ren Nachwelt aufzubewahren, der seine Zeiten mit einem neuen Nahrungszweige bereichern wollen. Weiland Ihro Koͤnigl. Hoheit Ernst August der II. ; einer von den guten Landesvaͤtern, womit die goͤttliche Fuͤr- sehung noch dann und wann ein kleines Laͤndgen begluͤcket, sind es, welche zuerst im hiesigen Stifte den Seidenbau einzufuͤhren sich bemuͤhet haben. Aus der daruͤber abgeleg- ten Rechnung erhellet, daß Hoͤchstdieselbe im October 1727 den damals sogenannten Biermanskampf vor dem Johan- nisthor, nebst einem Stuͤcke Landes vor 1575 Thaler zu einer Maulbeerplantage haben kaufen, und solchen noch den- selben Winter, nachdem die Pflanzung am 24. Nov. d. J. ihren Anfang genommen, voͤllig bepflanzen lassen. Die daruͤber gefuͤhrte Taglohnsrechnung geht bis zum Aug. 1728, und folglich bis an den Tod eines Herrn, der mehr seine Liebe als seine Groͤsse zu verewigen suchte. Die Aufsicht daruͤber hatte einer Namens Fenoglio, welchen der Herzog als Truͤffelnjaͤger aus Italien hattte kommen lassen; und da in dessen Rechnung unterm 5ten Aug. 1718 bereits einiges Haspelgeld zur Ausgabe kommt: L 5 so Von den ersten oͤffentlichen Anstalten so mag damals die erste Oßnabruͤckische Seide durch eine oͤffentliche Anstalt gewonnen seyn. Vordem war es Mode die Bischoͤfe auf Muͤnzen und Siegeln mit einer segnenden Hand vorzustellen. Die neu- ern Zeiten haben diesen charakterisischen Zug nicht du bon ton gefunden. Die Nachwelt wird sich aber noch immer vor Hoͤchstgedachten Bischof mit einer segnenden Hand ge- denken. So groß und edel indessen die damalige Absicht mit dem Seidenbaue gewesen: so duͤrfte dennoch in den hiesigen Ge- genden allemal mit dem Flachsbau und der Spinnerey mehr zu gewinnen seyn. Nur solchen Laͤndern, deren Einwoh- ner des Tages von wenigen Castanien und einer Zwiebel leben koͤnnen, thut er gut. XLVIII. Von den ersten oͤffentlichen Anstalten zur Befoͤrderung der Bienenzucht daselbst. Nicht allein die Dankbarkeit, sondern auch die Klugheit, erfordert es, das Andenken solcher Handlungen, wo- durch grosse Herrn das Gluͤck ihrer Staaten in der Stille zu befoͤrdern gesuchet haben, nicht untergehen zu lassen. Denn da sie sowol als andre Menschen nach Ehre streben, und wenn man ihren nuͤtzlichen Handlungen nicht das ge- buͤhrende Lob giebt, solche in glaͤnzenden und kostbaren, ja wohl gar in zerstoͤrenden suchen muͤssen: so ist es eine noth- wendige Politik der Unterthanen, Ihnen auch aus dem Munde der Saͤuglinge ein Lob zu bereiten, damit sie nicht immer durch die Trommeln und Pfeiffen der Heldendichter betaͤubt werden. Man zur Befoͤrderung der Bienenzucht. Man darf und muß es also zum Ruhme Ihrer Koͤnigl. Hoheit Ernst August II. noch erwehnen, daß Hoͤchstdieselbe die jetzt noch in guter Aufnahme stehende Wachsbleiche vor hiestger Stadt ehedem angelegt, und zur Befoͤrderung der- selben die Bienenzucht in hiesigem Hochstift durch folgende Verordnung zu verbessern gedacht haben. Von Gottes Gnaden, Ernst August, Herzog von York und Albanien, Bischof zu Osnabruͤck, Herzog zu Braun- schweig und Luͤneburg ꝛc. ꝛc. Unsere Gnade zuvor, Ed- ler, liebe Getreue! Wir haben sehr mißfaͤllig wahrge- nommen, daß in diesem Fuͤrstenthum und Hochstifte auf die Bienenzucht gar wenig geleget werde, da dieselbe je- doch denen Unterthanen ein ansehnliches prosttiren kann; wann wir nun, wie euch bereits bekannt, zu Befoͤrde- rung des Commercii eine Wachsbleiche hieselbst anlegen zu lassen, gnaͤdigst resolvirt haben, und zu deren Eta- blirung eine grosse Quantitaͤt gelben Wachses von Jah- ren zu Jahren erfordert wird. Als ergehet an euch hiemit Unser gnaͤdigster Befehl, daß ihr in dem euch gnaͤdigst anvertrautem Amte zu introduciren, damit, so oft ein neuer Colonus auf die Staͤtte, es sey ein voll- oder halbes Erbe, ein Erb- oder Markkotte, gelassen wird, derselbe eine gewisse Anzahl Bienenstoͤcke an- und zuzulegen sich verpflichten muͤsse, und zwarn ein Voll- spanner, oder ein Colonus so auf ein volles und auf ein halbes Erbe zu wohnen koͤmmt (massen diese wohl gleich tractiret werden koͤnnen) wenigstens 12 Koͤrbe, ein Erbkoͤtter 6, und ein Markkoͤtter 4, auch denen Umstaͤnden nach 3, zum wenigsten aber 2 Stoͤcke an- lege, da dann der hieraus kommende Vortheil denen Unterthanen zu statten kommen, dieselbe aber dabey ver- pflichtet seyn sollen, vor einen gewissen, hiernaͤchst de- ter- Von Befoͤrderung der Bienenzucht. terminirenden billigen Preis das Wachs davon zu Un- serer Hofstadt anhero zu lieferen. Auch habt ihr denen saͤmtlichen Voͤgten dasigen Amts in Unserm Namen ernstlich anzubefehlen, daß sie hieruͤber stets ein wachsames Auge haben, und diejenigen, welche sich hierunter nachlaͤßig bezeigen, oder aber die Bienen anfaͤnglich zwar zulegen und nachgehends dieselbe nicht conserviren, beym Amte gebuͤhrend anmelden sollen, damit sie deshalben nach eines jeden Vermoͤgen mit einem proportionirten Bruͤchten beleget werden koͤnnen. Ihr habt so viel an euch mit allem Nachdruck hieruͤber zu halten, und Wir verbleiben euch mit Gnaden gewogen. Geben in Unserer Residenz-Stadt Oßnabruͤck den 9ten May 1719. Die Verordnung ist bis zur Unterschrift fertig, aber so viel ich weiß, an die Beamte nicht abgeschickt worden. Vielleicht haben Hoͤchstdieselbe es bedenklich gefunden, den Fleiß durch Strafen zu befoͤrdern; oder doch einen An- stand genommen, neue Bruchfaͤlle fuͤr gemeine Unterthanen, ohne Zuziehung der Landstaͤnde einzufuͤhren. Der Vorsatz an sich bleibt immer groß und schoͤn, und waͤre es zu wuͤn- schen, daß kein Gutsherr einen Anerben in den Gegenden wo die Bienenzucht vortheilhaft ist, zur Staͤtte lassen moͤg- te, wofern er nicht eine sichere Anzahl Bienenstoͤcke gezo- gen, und sich durch diese Probe als ein guter Haushalter legitimiret baͤtte. XLIX. XLIX. Nachricht von den Streitigkeiten der ehemaligen deutschen und englischen Handels-Compagnie. Die Streitigkeiten zwischen der deutschen Hanse und der englischen Compagnie, welche zuerst die Bruͤ- derschaft des H. Thomas Becket, nachwaͤrts aber the Societie of Marchants Adventurers genannt wurde, und wovon noch jetzt ein Rest in Hamburg ist, koͤnnen noch manchen Patrioten zur Erbauung dienen; und sind auch nicht ganz unwichtig fuͤr die deutsche Staatsge- schichte Man lernt wenigstens daraus, daß die Kayserl. Verfuͤgungen gegen die Monopolisten ꝛc. im Reichsabschied v. 1512. §. 6. 1524. §. 27. und 1530. §. 130. sodann in der Policeyordnung v. 1548. tit. 18. v. 1577. §. 18. urspruͤnglich versteckte Angriffe auf die Marchants Adventurers gewesen. . Ich glaube also nichts uͤberfluͤßiges zu thun, und vielleicht manchem eine Neuigkeit zu sagen, wenn ich einiges davon aus der hierunten bemerkten Schrift An dem Exemplar welches ich habe, fehlt der Titel. Die Ue- berschrift des ersten Capitels heißt aber also: a Treatise of com- merce where in are Shewed the commodities arising by a well ordred and ruled Trade such as that of the Societie of Mar- chants Adventurers is prooved to bee-Written principallie for the better information of those who doubt of the Necessarie- nes of the said Societie in the state of the Realme of England. By John Wheeler Secretarie of the Saide Societie. Die Vor- rede ist datirt Middelburg den 6. Jun. 1601. und das Werkgen enthaͤlt 178 Seiten in 4. bey- bringe. Der Nachricht von den Streitigkeiten Der Verfasser dieser Schrift, John Wheeler, Secre- tair der englischen Gesellschaft, schrieb bald nach dem Zeit- punkte, worinn der Kayser Rudolph der II. auf unablaͤßi- ges Anhalten der deutschen Hanse jener englischen Compag- nie in Deutschland Dieses geschahe durch ein Kayserl. Mandat sub dato Prag den 1. Aug. 1597, wovon gedachter Wheeler eine englische Ue- bersetzung liefert. ; und die Koͤnigin Elisabeth der Hanse zur Wiedervergeltung in England Die Proclamation der Koͤnigin ist vom 13. Jenner 1594, und ebenfalls eingeruͤckt. alle fernere Handlung untersagt hatte. Seine Absicht ist zu zeigen, daß England seine ganze Wohlfahrt den Marchants Adventurers zu danken, und folglich alle Ursache habe, sich ihrer mit Macht anzunehmen; ferner daß dieselben wie sie vom Kayser und der deutschen Hanse beschuldiget wuͤrden, keine Monopoli- sten waͤren; und letztlich, daß die deutscheu Kaufleute aus der Hanse der englischen Handlung uͤberall den groͤßten Schaden zugefuͤgt haͤtten. Der Handel wurde damals sowohl in Deutschland als in England durch Compagnien getrieben, weil einzelne Schiffe nicht sicher waren, und die Kauffarthey-Flotten durch Kriegesschiffe, dergleichen nur eine Compagnie zu- wege bringen konnte, begleitet werden mußten; und keinem Kaufmanne wurde ein auswaͤrtiger Handel gestattet, wo- fern er nicht ein Mitglied der Compagnie war. Dieses veranlassete eine gewisse einfoͤrmige Handlungspolicey, nach welcher sich alle Mitglieder im Kaufen und Verkaufen rich- ten musten, so daß einer dem andern den Haudel durch Vorkauf oder Vorverkauf Forestallung, wenn einer unterwegens, ehe er auf den Markt koͤmmt, oder außerhalb dem Markte verkauft. Der Ort, wo die nicht verderben konnte. Man hatte zu solchem Ende gewisse Marktstaͤdte, und in densel- ben der deutsch. und engl. Handelscompagnie. ben gewisse Orte und Tage festgesetzt, ausser welchen keine Handlung getrieben werden konnte. Die Hanse hatte fuͤr England in London, fuͤr Norwegen zu Bergen, fuͤr Ruß- land zu Novogrod, und fuͤr die Niederlande, Frankreich, Spanien, Italien, Portugall, Pohlen und Ober-Deutsch- land zur gluͤcklichsten Zeit zu Antwerpen ihre Messe oder ihreu Markt. Die englischen Kaufleute hingegen, welche noch gar nicht das deutsche Meer und die Ostsee befuhren, hatten zur Zeit nur eine Marktstadt in den Niederlanden, und mehrentheils mit der Hanse an einem Orte, erst zu Bruͤgge, dann zu Calais, hernach zu Antwerpen und zu- letzt zu Middelburg, Berg-Opzoom, Emden, Hamburg, Stade ꝛc. Der Erfolg dieser Policey, oder dieses allein auf die Marktstaͤdte eingeschraͤnkten Handels, war fuͤr die Orte, wohin ein solcher Markt verlegt wurde, erstaunlich, und beruhete auf eben den Gruͤnden, worauf die spaͤtern Zeit- messen, denn jenes waren bestaͤndige Messen, beruhen. Die ganze handelnde Welt fand sich an demselben zum Kau- fen und Verkaufen ein; alle Nationen, oder vielmehr de- ren Compagnien setzten in demselben ihre Waare gegenein- ander um. Die Fabriken kamen in den Gegenden, worin eine solche Stadt lag, zum hoͤchsten Flor; und die Nieder- lande, besonders Flandern und Braband hatten ihre ganze Aufnahme der Bequemlichkeit den Stapel von allen rohen Materialien in der Naͤhe, und den Markt zum Absatz gleich- sam vor der Thuͤr zu haben, einzig und allein dieser Ein- richtung zu danken. Man kann sich davon ungefaͤhr eine Vor- die deutschen Kaufleute von der Hanse sich aufhielten, ist die noch sogenannte Guild-Hall. Die Englaͤnder hießen solche vordem nur Steelyard, oder die Stahlniederlage, um damit anzuzeigen, daß die Deutschen urspruͤnglich keinen Handelsplatz, sondern nur ein Eisenlager in London gehabt haͤtten. Nachrichten von den Streitigkeiten Vorstellung machen, wenn man an den gluͤcklichen Einfluß der Leipziger Messe, auf die umliegende Gegend, gedenket. Der Verfasser merkt es von Antwerpen an, daß wie die Marchants Adventurers zuerst ihren Markt daselbst errichtet haͤtten, die Haͤuser daselbst noch mit Stroh ge- deckt gewesen waͤren, und die Einwohner blos vom Acker- bau und der Viehzucht gelebt haͤtten; ihre Schiffart haͤtte aus sechs Barken, die jedoch nur auf dem Strome waͤren zu gebrauchen gewesen, und die ganze Kaufmannschaft aus vier Kraͤmern bestanden. So bald aber die Compagnie diese Stadt zum Marktplatze erwaͤhlt, waͤre sie zu einem bewundernswuͤrdigen Wohlstande gediehen, und Haͤuser, die man anfangs vor 40 bis 60 Thaler gemiethet, waͤren in der Zeit von 50 Jahren auf die jaͤhrliche Miethe von 400, 600, ja 800 Thaler gestiegen. Zum Behuf seines ersten Satzes, daß England jener Compagnie allein die Groͤsse seiner Handlung zu danken habe, fuͤhrt der Verfas- ser unter andern an: Es waͤren vorher, die Kriegesschiffe ausgenommen, nicht vier Schiffe auf der Themse gewesen, und keines davon haͤtte uͤber 120 Tonnen gehalten: die Compagnie haͤtte zuerst (1248) von dem Herzog Johann in Braband einen freyen Stapel und die freye Handlung in den Niederlanden erhalten; sie haͤtte zuerst die englische Wolle auf den dortigen Markt, und den Handel damit zu einer solchen Hoͤhe gebracht, daß der Ausgangszoll in Eng- land auf die Wolle des Jahrs gemeiniglich zwischen 65 bis 70000 Pf. St., und im Jahr 1355, als das Parlament diesen Zoll dem Koͤnig auf 6 Jahr verwilliget, und jeden Sack Wolle mit 50 ß. St. belegt, uͤber 250,000 Pf. St. betragen, welches gewiß eine ungeheure Summe fuͤr die damaligen Zeiten waͤre; man haͤtte damals die Ausfuhr der Wolle auf 100000 Saͤcke gerechnet; als Koͤnig Eduard der der deutsch. und engl. Handelscompagnie. der Dritte die erste Tuchweberey in England angelegt, und zu solchem Ende den Zoll auf die Wolle erhoͤhet, das Tuch hingegen sehr leidlich belegt haͤtte, waͤren sie diejeni- gen gewesen, welche damit zuerst die Niederlaͤndische Markt- stadt besucht; sie haͤtten bald 60000 Stuͤck weisse Tuͤcher und eine grosse Menge von gefaͤrbten, von Boyen, Kyr- seys, Norder und andern schlechtern Tuͤchern, wovon jene uͤber 600,000 und diese uͤber 400,000 Pf. Sterling werth gewesen, ausgefuͤhrt; damit die Niederlaͤndischen Fabriken, welche vorhin die englische Wolle verarbeitet, und denen zu Ehren die Koͤnige von Spanien das goldne Fließ getragen, weil sie von den dort fabricirten Wollen- waaren ihre besten Einkuͤnfte gehabt, gestuͤrzt, und mit ihren auf eine lange Erfahrung gebaueten Handlungspoli- tik zuerst ihren Koͤnigen und der Nation die Augen geoͤfnet, indem sie von den andern Nationen nur rohe Materialien, und hoͤchstens solche Waaren erhandelt, welche in England nicht waͤren gemacht worden. Sie haͤtten in der Nieder- laͤndischen Marktstadt ihren eignen Oberrichter mit 24 Bey- sitzern gehabt, die auf Ordnung und Polizey, und in allen grossen Staͤdten wiederum Consuls gehalten, um von dem Laufe der Handlung und dem Beduͤrfniß der ganzen Welt Nachricht zu haben. Ihre Handlungsrechte waͤren die be- ruͤhmtesten in der Welt, und so beschaffen gewesen, daß sich auch die fremden Kaufleute, wenn sie mit der Compag- nie Streit gehabt, denselben freywillig unterworfen. Die Marktstadt waͤre zugleich die Akademie fuͤr die Kinder von den vornehmsten Familien gewesen, wo sie die Handlung erlernt und sich zu grossen Maͤnnern im Staate gebildet; die Deutschen haͤtten ihr Kupfer, Stahl, Eisen, Meßing, Linnen, Hampf, Zwiebelsaat, Salpeter, und Schießpul- ver, und ihre Rheinweine, Harnische, Kessel, Pfannen, Zeuge von Linnen und Baumwolle und die Nuͤrnbergschen Moͤs. patr. Phant. III. Th. M Waa- Nachricht von den Streitigkeiten Waaren dahin zu Kaufe gebracht, und sich mit dem Preise begnuͤgen muͤssen, den man ihnen dort gesetzt haͤtte; die Ita- liener haͤtten ihre Seidenwaaren, die Portugiesen ihre Gewuͤrze, und die Ostseeischen ihre Produkte von Flachs, Hampf, Wachs, Pech, Theer, Holz, Korn, Rauchwerk, Talg, Pottasche, Ankerseilen ꝛc. entgegen gefuͤhrt; und Frankreich und die Niederlande ihre Tapeten, Cammertuͤ- cher und andre Waaren dahin geliefert, so daß sich die ganze handelnde Welt auf ihrer Marktstadt eingefunden haͤtte, sie aber haͤtten alle in der Menge und Kostbarkeit der Waare uͤbertroffen. Nun faͤhrt der Verfasser fort zu zeigen, daß die Mar- chands Adventurers keine Monopolisten waͤren. Ihre Compagnie, sagt er, hat eine gleiche Einrichtung mit der Hanse. Beyde haben ihre ausschließlichen Rechte so wohl zum Einkauf als Verkauf, deren nur solche geniessen, die zu diesen Gesellschaften gehoͤren. Allein darum geschieht Einkauf und Verkauf nicht auf gemeine Rechnung, die Mitglieder haben sich nicht uͤber einen sichern Preis unter- einander vereiniget, zu welchen sie die Waaren annehmen und wieder losschlagen wollen, jeder handelt auf seinen eig- nen Verlust oder Gewinnst, er kann theuer oder wohlfeil verkaufen, wie es ihm beliebt, die Compagnien sind weiter nichts als Gilden, die zwar andre von dem Gewerbe, was sie treiben, ausschliessen, aber unter sich keine gemeinschaft- liche Taxen haben, unter welche sie nicht arbeiten oder ver- kaufen wollen. Zum Ueberfluß bringt er Zeugnisse von der Stadt Antwerpen, von 28 italienischen, spanischen, portugiesischen und deutschen Kaufleuten, daselbst, von der Stadt Emden, von 14 fremden Kaufleuten zu Stade, und von der Stadt Middelburg bey, welche mit einander dahin uͤbereinstimmen, daß die englische Compagnie keinen Alleinhandel fuͤhre. Der der deutsch. und engl. Handelscompagnie. Der groͤßte Vorwurf des Monopoliums wurde ihnen aber in England selbst gemacht, indem die dortigen Kauf- leute die Ausfuhr der englischen Wollen Waaren frey ha- ben wollten, und daruͤber so wohl bey dem Koͤnige als dem Parlament die bittersten Klagen fuͤhrten, daß ihnen ver- wehret wuͤrde, ein Stuͤck Tuch auszufuͤhren. Sie wiegel- ten die Wollenweber und andre Manufacturisten auf, mit der Hoffnung, daß sie weit mehr fuͤr ihre Waaren bekom- men wuͤrden, wenn mehrere zum Einkauf derselben concur- riren wuͤrden, und dieses wuͤrde geschehen, wenn so wie jetzt, jedem erlaubt waͤre dergleichen auszufuͤhren. Allein so scheinbar auch diese Gruͤnde waren, und so sehr sich die Hanse dieses einheimischen Zwistes zu ihrem Vortheil zu bedienen suchte: so uͤberwog doch das Gluͤck oder das Geld der Gesellschaft so wohl im Cabinet als im Parlament das Geschrey ihrer nicht so festgeschlossenen Gegner; und jene behielt ihr Recht der alleinigen Ausfuhr nach den Markt- staͤdten, und in die Gegenden so davon natuͤrlicher Weise ressortirten. Ausser deuselben aber war kein betraͤchtlicher Handel anzufangen. Der Hauptgrund der Compagnie war, daß, wenn der Handel offen waͤre, viele schwache Haͤnde denselben verderben, und die Waaren verschleudern wuͤrden, wodurch die Nation um Ehre und Vortheil kom- men wuͤrde. Der Bewegungsgrund im Cabinet, warum man die Compagnie beguͤnstigte, mogte aber darinn beste- hen, daß England in seinen damaligen Kriegen, alle seine auswaͤrtigen Zahlungen durch dieselbe verrichten ließ, und sich ihres grossen Credits durch die ganze Welt bedienen konnte. Die Compagnie war damals fuͤr ganz Europa, was jetzt Amsterdam ist. Alle Zahlungen geschahen durch sie, wie jetzt durch die Amsterdammer und Rotterdammer. Um aber die Klagen, welche der Verfasser uͤber die Hanse fuͤhrt, recht zu verstehen, muß ich vorher einiges M 2 bemer- Nachricht von den Streitigkeiten bemerken. Eduard der Dritte hatte zu Anfang des 14 ten Jahrhunderts zuerst die Wollenweberey aus dem untern Theil von Deutschland und den Niederlanden, wo solche in dem groͤsten Flor war, nach England gebracht, und um solche zu befoͤrdern, den Sack englischer Wolle mit 50 ß., ein Stuͤck englisches Tuch hingegen nur mit 14 Pence (etwa 14 mgr.) belegt. Dieses wuͤrkte, wie wir oben angefuͤhret haben, eine so erstaunliche Revolution, daß in kurzer Zeit alle andre Nationeu die Haͤnde davon abzie- hen mußten, weil sie ohne die englische Wolle nichts an- fangen konnten. Die deutsche Hanse, welche viele Wol- lenwaaren in England nahm, und solche nach dem Norden fuͤhrte, hatte also auch nicht mehr als 14 Pence fuͤr das Stuͤck bezahlt, und glaubte, weil sie solches einige hundert Jahre gethan, auch in allen ihren Privilegien die Versiche- rung erhalten haͤtte, daß sie mit keinen neuen Imposten belegt werden sollte, sich allen Erhoͤhungen widersetzen zu duͤrfen. Nun hatte der Zoll auf die Manufactur mit der Zeit ungleich weniger eingebracht, als der alte urspruͤngli- che Zoll auf die ausgefuͤhrte rohe Wolle; und die Koͤnigin Maria sahe sich genoͤthiget zu befehlen, daß die Einheimi- schen von jedem Stuͤcke Tuch, was sie ausfuͤhrten, 6 ß. 8 P., die Fremden, und so auch die hansischen Kaufleute hingegen 13 ß. 4 P. Die Beschuldigung eines Monopoliums, welche der Verfasser bestaͤndig unrecht aufnimmt, muͤssen die Hanseatischen auf diese Verschiedenheit im Zolle gegruͤndet haben. Denn dadurch er- hielt die englische Compagnie den Alleinhandel, und schloß alle Fremde aus. bezahlen sollten. Dieser Neue- rung widersetzten sie sich aber, und wollten, ohnerachtet die Einheimischen den erhoͤheten Zoll entrichteten, sich kraft ihrer Privilegien bey dem alten von 14 P. erhalten. Sechs Jahr vorher hatte Eduard der Sechste, welcher vermuth- lich der deutsch. und engl. Handelscompagnie. lich eben das schon im Sinne gehabt, was Maria ausge- fuͤhrt hatte, die Privilegien der Hanse untersuchen, und ihr solche foͤrmlich aberkennen zu lassen; aus der Ursa- che, ( a ) weil die Hanse oder der Name Bund keine nahm- hafte und bestimmte Gesellschaft, sondern eine allgemeine Benennung waͤre, die keiner Rechte in England geniessen koͤnnte. So dann naͤhme dieselbe ( b ), unter diesem son- derbaren unbestimmten Namen, alle Staͤdte, Leute und Guͤ- ter auf, wovon man nicht wissen koͤnnte, ob sie darunter zur Zeit der ertheilten Privilegien gehoͤrt haͤtten; dieses sey ( c ) um so viel unbestaͤndiger, da eigentlich nur der urspruͤng- lichen Hanse, oder dem aͤltesten Bunde die Handelsfreyheit, und zwar blos in der Maaße verliehen, daß sie ihre eige- nen Waaren nach England bringen, und englische Waaren blos in ihre eigne Heymath zuruͤckfuͤhren, nicht aber wie bisher geschehen, mit aller Welt Waaren nach England kommen, und mit englischen Waaren aller Welt Maͤrkte besuchen sollten. In dieser Maaße gereichten jene Privi- legien zum offenbaren Ruin der englischen Handlung, und man sey ( d ) auch allenfalls befugt solche einzuschraͤnken, da die Hanse es nicht besser machte, und zu Danzig den Englaͤndern die freye Handlung verboten, auch ihre Waa- ren welche sie dahin braͤchten, gegen alle Rechte und den mit Eduard den Vierten geschlossenen Tractat, mit neuen Imposten beschweret haͤtte. Die Koͤnigin Maria hatte aber, weil sie sich die Freund- schaft der Hanse erwerben wollte, dieses Erkenntniß im Jahr 1563. aufgehoben, und war bereit, nachdem die Hanse sich einiger maaßen erklaͤrt, daß sie kuͤnftig mehr Maͤs- sigung in dem Handel mit fremder Waare auf England ge- brauchen, und keine englische Wollen Manufacturen in die Niederlande, als den Haupthandelsdistrict der englischen Compagnie, bringen wolle, ihre vorigen Freyheiten in die- M 3 ser Nachricht von den Streitigkeiten ser Maaße zu bestaͤtigen, wie sie denn auch wuͤrklich im Jahr 1556. eine darauf eingerichtete Verordnung erließ, und der Hanse eines Jahrs Frist setzte, sich desfalls naͤher zu erklaͤren, in der Hoffnung wie es scheint, daß dieselbe von ihrer Forderung in Absicht auf die 14 Pence abstehen, und sich wenigstens zu dem Zoll von 6 ß 8 P., welchen die englische Compagnie von jedem Stuͤck Tuch erlegen mußte, bequemen wuͤrde. Allein die Hanse, welche sich auf den Beystand des Kaysers und des Reichs, vielleicht auch auf ihr altes An- sehn, und noch mehr darauf verlassen mogte, daß die Eng- laͤnder ihres eignen Vortheils wegen nachgeben muͤsten, machte sich die guten Gesinnungen der Koͤnigin Maria nicht zu Nutze, sondern beharrete darauf, daß ihren Kauf- leuten kein neuer Zoll aufgebuͤrdet werden, sondern der alte von 14 Pence auf jedes Stuͤck Tuch, was sie ausfuͤhrten, stehen bleiben sollte. Dieses war in der That unbillig; sie haͤtte sich wenigstens zu eben demjenigen Impost beque- men muͤssen, welchen die Adventurers selbst zu entrichten hatten. Letztere zeigten, daß die Hanse im Jahre 1551. 44000 Stuͤck Tuͤcher, ihre Compagnie hingegen nur 1100 ausgefuͤhrt haͤtte, welches einzig und allein daher ruͤhrte, daß erstere nur 14 Pence, sie aber 6 ß. 8 P. zu bezahlen haͤtten. Diese Rechnung und was solche bestaͤrkte, der große Ausfall im Zoll, der jetzt an die 10000 Pf. St. weniger betrug, als er vorhin von der ausgefuͤhrten rohen Wolle betragen hatte, redete zu stark wider alle Privilegien der Hanse, und es war gar nicht zu erwarten, daß die Englaͤnder, welche um ihre Wollenmanufacturen in Auf- nahme zu bringen, den Zoll auf die ausgehende Wolle ausserordentlich erhoͤhet, und auf die ausgehenden Tuͤcher ausserordentlich erniedriget hatten, dieses, nachdem sie ihre Absicht erreicht, ewig bestehen lassen sollten. Kein Wun- der der deutsch. und engl. Handelscompagnie. der also, wenn die Koͤnigin Maria endlich das Urtheil, was ihr Bruder Eduard der Sechste im Jahr 1553. gefaͤllet hatte, 1556. so weit in seine voͤllige Kraft gehen ließ, daß die Hanse keine englaͤndische Tuͤcher nach den Nie- derlanden, und keine fremde Waaren in England bringen sollte, jedoch mit dem Erbieten, daß ihnen noch auf ein Jahr der Weg zur naͤhern Behandlung offen seyn sollte. Die Hanse verbot hierauf in einer Versammlung zu Luͤbeck allen Handel mit England, hob die bestimmte Zu- fuhr von Korn auf, und erklaͤrte zugleich, daß sie wegen ihrer Privilegien in England, wo alles, und die Koͤnigin selbst, partheyisch waͤre, kein Recht nehmen konnte; und auf diese Weise suchten sich beyde Compagnien einander den Handel zu erschweren. Endlich starb Maria, und ihre Nachfolgerin, die Koͤnigin Elisabeth, war so nachgebig der Hanse mit Vorbehalt beyderseitigen Rechtens Die Clausel hieß eigentlich so: Neque tamen excellentissima Regina propter hanc moderationem ab ullo superiori jure le- gitimo ulla ex parte recedi vuls; sed salvum jus, salvas actio- nes, salvam denique reliquorum omnem in hac causa mate- riam, \& sibi ex altera parte \& ex altera parte confœderatis civitatibus \& eorum posteris reservat. , einen sehr billigen Vergleich anzubieten. Diese wies aber den- selben von der Hand, und die Sachen blieben bis ins Jahr 1578. auf diesen Fuß, waͤhrend welcher Zeit die Hanse, mit Huͤlfe der spanischen Politik und Macht, den Adven- turers zu Danzig, Deventer, Campen, Zwoll, vielen Schaden zufuͤgte, und wie diese endlich ihren Stapel auf Antwerpen wieder einschraͤnken musten, ihnen auch diese Stadt zu enge machte, wozu hauptsaͤchlich der zu einer un- ermeßlichen Groͤße angewachsene Reichthum der Antwerper das meiste beytrug, als welche sich nunmehro in lauter Vorkaͤufer verwandelten, alle Waaren die dort zu Markte M 4 kamen, Nachricht von den Streitigkeiten kamen, auf kauften, und solchergestalt einen jeden der dahin zum Einkauf kam, noͤthigten, dasjenige was er gebrauchte, von ihnen zu nehmen. Die Adventurers errichteten immit- telst 1567. auf 10 Jahr ihre Niederlage zu Hamburg, mit der Bedingung, daß ihnen dieses Recht von zehn zu zehn Jahren erneuert werden und solchergestalt ewig waͤhren sollte. Allein die Hamburger musten nach Ablauf der er- sten zehn Jahre auf einen zu Luͤbeck gemachten Schluß ihrer Mitverbundenen, und aus Furcht fuͤr die kayserliche und spanische Macht, ihr Versprechen zuruͤckziehen. Die Ham- burger erklaͤrten dieses unterm 20 Jun. 1578; und wie die Koͤnigin Elisabeth hierauf unterm 25 Jul. 1579. der Hanse gleichfalls alle Privilegien, welche sie vor andern Fremden in England hatte, absagte: so belegte die Hanse in ihrer Versammlung zu Luͤneburg, welche im Nov. 1579. gehalten wurde, alle Waaren, welche durch Englaͤnder in Deutschland oder durch dieselben herausgefuͤhrt werden wuͤrden, mit einer Abgift von 7¾ pro Cent; und Elisabeth schraͤnkte zur Wiedervergeltung die deutsche Handlung auf England in gleicher Maaße ein. In der Zwischenzeit hatte sich auch in England eine Moskovische Compagnie gebildet, die durch Beguͤnstigung des rußischen Fuͤrsten Johann Basiliwiz 1569. große Freyheiten e r hielt, und so nach die Hanse, welche bis dahin die Ostsee fuͤr sich allein behauptet hatte, in ihren Handlungsrevieren eben so viel Schaden zufuͤgte, als die Hanse den Adventuͤrers in den Niederlanden. Der Krieg, welchen Elisabeth mit Spanien fuͤhrte, vermehrte die Verwirrung; sie ließ 1589. der Hanse auf einmal 60 Schiffe, die mit Korn nach Portugall giengen, verbrennen, und obgleich die Hanse sich daruͤber beschwer- te, auch der Koͤnig von Pohlen sich der Preußischen Staͤdte, so zum deutschen Bunde gehoͤrten, und die Handlung auf Spanien der deutsch. und engl. Handelscompagnie. Spanien frey behalten wollten, durch seinen Gesandten Paul Dialien, welcher der Koͤnigin mit einer langen latei- nischen Rede die Ohren voll schrie, und daruͤber von ihr einen derben Verweis erhielt Ihm wurde unter andern gesagt; der Brief seines Herrn ent- enthielte nichts was mit dessen Eingange, a rege fratre ad Re- ginam sororem carissimam, uͤbereinstimmte, und noch weniger eine Vollmacht ihr eine lange lateinische Predigt, welche sie mit großer Gedult angehoͤrt hatte, zu halten, er sollte ihr die- selbe schriftlich geben, und seines unwuͤrdigen und Stentorischen Betragens halber Genugthuung geben ꝛc. ꝛc. Dem Kayser nahm es die Koͤnigin auch sehr uͤbel, daß er ihr in deutscher Sprache geschrieben hatte, und sagte in ihrer Antwort: Quod sane primo affectu, cum id genus idiomatis hactenus inter nos haud usitatum sit, dubitationem commentetiæ essent, non levem ingessit. , annahm: so wollte sie sich doch zu keiner Entschaͤdigung verstehen, sondern blieb fest auf ihrem Entschluß, und wieß sie endlich, ausser vie- len andern wichtigen Gruͤnden, mit einem Gesetze aus den Pandecten Cotem ferro subigendo necessariam hostibus quoque venun- dari, ut ferrum \& frumentum \& sales non sine periculo ca- pitis licet l. 11. de publicanis. ab. So war die Lage der Sachen, als der Kayser Rudolf, auf Begehren der Hanse, fuͤrnehmlich aber auf Betrieb des spanischen Gesandten, Don Guilielmo S. Clement, das gleich anfangs bemerkte Verbot vom 1 Aug. 1597. erlies; die Koͤnigin Elisabeth demselben das ihrige vom 13 Jenner 1598. entgegen setzte, und der Ver- fasser, John Wheeler, woraus ich diese Umstaͤnde genom- men, seinen Aufsatz verfertigte. In dem Befehle, welchen der Kayser auslies, wird es zuletzt als eine Hauptbeschwerde angefuͤhrt, daß die Eng- laͤnder sich unterstanden haͤtten, ihre Kauffahrteyschiffe von London nach Stade mit Kriegesschiffen in die deutsche der M 5 Kayserl. Nachricht von den Streitigkeiten Kayserl. und des Reichs Gerichtsbarkeit allein unterwor- fene See begleiten zu lassen. Bey dem Verfahren der Koͤnigin aber ist zu bemerken, daß sie zwar ihr Gegenma- nifest, worinn der Hanse die Kaͤumung ihres Kauf hauses zu London ( Steelyard ), auf den 24 Maͤrz angesetzt war, ausgehen lies, gleichwohl aber zwey Gesandten an den Kayser und verschiedene Reichsfuͤrsten abschickte, und sich zur guͤtlichen Unterhandlung erbot, woraus man wohl schliessen mag, daß durch das gegenseitige Verbot die Eng- laͤnder mehr als die Deutschen beschweret waren. Haͤtten vollends die Hansischen, ihren Willen, welcher dahin gieng, den Gehrauch und Verkauf aller englischen Waaren in Deutschland zu verbieten, erreicht: so moͤgte ihnen der Streich noch empfindlicher gewesen seyn. Dadurch nun daß dieses nicht geschehen, haben sich die Sachen in der Folge also geaͤndert, daß ausserdem was die jetzige englische Compagnie in Hamburg noch thut, alle englische Waaren, welche nur abzusetzen sind, entweder mit deutschen oder englischen Schiffen ohne besondre von dem Reiche oder einem deutschen Handlungsbunde darauf geleg- te Imposten frey eingehen und verkaufet werden moͤgen, und unsre Seestaͤdte ihnen dazu die Haͤnde bieten; dagegen aber nach England aus Deutschland nicht alles was dort abgesetzt werden kann, sondern nur dasjenige, was die daruͤber einverstandene Nation zulassen, und nachdem es ihr einheimischer Vortheil erfordert, bald mehr bald min- der beschwert, abgehen mag. Die Englaͤnder koͤnnen uns so viel eigne und fremde Seiden- und Wollen- Holz- und Eisenwaaren zufuͤhren, als sie absetzen koͤnnen, wir hinge- gen duͤrfen nur mit unsern eignen Producten, welche sie nicht entbehren koͤnnen, dahin handeln. Die Seestaͤdte vertreten dabey die Stelle der Antwerper, die zuletzt den ganzen der deutsch. und engl. Handelscompagnie. ganzen Handel an sich gezogen, und die uͤbrige Welt noͤ- thigten, alles aus der zweyten Hand zu nehmen. — Ob eine Aenderung hierinn zu erwarten oder je- mals zu hoffen sey, ist eine Frage die wohl niemand so gerade zu beantworten wird. In der jetzigen Lage ist es besser den Paßivhandel zu erhalten, als es durch gar zu heroische Unternehmungen dahin zu bringen, daß die See- staͤdte so wenig fremde als einheimische Waaren vorkaufen koͤnnen. Die Folge davon moͤgte leicht seyn, daß die Eng- laͤnder uns alle ihre Waaren fuͤr die Thuͤr braͤchten, und unsre deutschen Producte gegen eine ihnen beliebige Provi- sion uͤberall an der Quelle auf kauften. Und dann … L. Von dem wichtigen Unterscheide zwischen der Hoͤrigkeit und Knechtschaft. Der Graͤnzstein woran sich der Hoͤrige Mann ( litus oder lito ) von dem eigentlichen Leibeignen ( ho- mine proprio ) scheidet, wird zwar von allen erkannt, aber nicht so deutlich angegeben, daß man sich nicht immer noch eine kleine Erlaͤuterung wuͤnschen sollte. Wenigstens habe ich dieses oft und so lange gethan, bis ich mir die Hoͤrigkeit unter der roͤmischen Suitaet gedachte. Nun aber glaubte ich auch, wie es uns Gelehrten bisweilen zu gehen pflegt, die Sache viel klaͤrer einzusehen als alle meine Vorgaͤnger; jedoch um versichert zu seyn, ob ich darunter meiner Einbildung zu viel eingeraͤumet habe, will ich den Gang meiner Gedanken getreulich vorlegen. Die Roͤmer kannten die Suitatem nur im Hausstande, und nach derselben waren die Kinder, so lange sie nicht frey gelassen Von dem wichtigen Unterschied gelassen wurden, mit allen was von ihnen gebohren wurde, dem Vater hoͤrig. Die Deutschen hingegen hatten diesen Begriff aus dem Hausstande in die Staatsverfassung uͤber- tragen, und nach derselben konnte auch ein Herr ein gan- zes Gefolge von Suis halten, welche ihm eben so hoͤrig, wie einem roͤmischen Vater seine ungefreyeten Kinder waren. Sie nenneten dergleichen Leute gemeiniglich Liti oder Li- tones. Die Hoͤrigkeit bey den Roͤmern hinderte den Sohn nicht an Ehren und Wuͤrden, nur die hoͤchsten Wuͤrden ver- trugen sich nicht damit, weil es fuͤr die gemeine Freyheit gefaͤhrlich gewesen seyn wuͤrde, wenn z. E. Maͤnner, wel- che die wichtigsten Aemter bekleideten, in eines andern Hoͤ- rigkeit geblieben waͤren. Die Freylassung aus der Hoͤrig- keit ( emancipatio ) machte keinen zum eigentlichen Freyge- lassenen ( libertum ), sondern unmittelbar zum roͤmischen Buͤrger. Ein roͤmischer Vater konnte seinen Sohn ver- kaufen, nicht fuͤr Knecht, sondern fuͤr einem Suum, und der Kaͤufer erhielt uͤber ihn nicht die Rechte eines Herrn, sondern die Rechte der Suitaet. Eben so waren die Rechte der deutschen Hoͤrigkeit be- schaffen. Ein hoͤriger Mann konnte zu ritterlichen Ehren und Wuͤrden gelangen. Wenn er der Hoͤrigkeit entlassen wurde, erhielt er freyer Landsassen Recht; und wann sein Dienstherr ihn verkaufte oder verwechselte, muste solches in eine gleiche Hoͤrigkeit geschehn, er war nicht befugt ihn in die Knechtschaft, oder auch nur eine minder edle Hoͤrig- keit hinzugeben. Alles dieses laͤßt sich von dem roͤmischen Knechte und deutschen Leibeigenen nicht sagen. Ehre und Wuͤrde vertra- gen sich mit ihrem Stande nicht; sie erhielten, wenn sie freygelassen wurden, lange Zeit kein Buͤrgerrecht, und man zwischen Hoͤrigkeit und Knechtschaft. man verkauft sie wie man will, weil ihr Stand nicht ernie- driget werden kann. Der Unterschied zwischen der Hoͤrig- keit und Knechtschaft ist also von der aͤussersten Wichtigkeit, und zwar so wichtig, daß wenn man ihn nicht bestaͤndig fest im Auge haͤlt, die ganze Lehre von den Lehnen, dem Dienstadel und den hofhoͤrigen Leuten, welche doch einen so starken Einfluß auf unsre deutsche Geschichte hat, gar nicht verstanden oder auseinander gesetzt werden kann. Ich will nur einige wenige Beyspiele davon anfuͤhren. Der Ursprung der Lehne ( feudorum ) ist manchem noch nicht so handgreiflich, wie er nach dieser Voraussetzung gemacht werden kann; er zeigt sich aber gleich selbst, und geht aus der Natur der Sache hervor, wenn man nur auf die Hoͤrigkeit Acht giebt. Zuerst bestanden die Gefolge bey den Deutschen aus hoͤrigen Leuten. Die Edlen, die Fuͤrsten, die Kayser, und nachher die kayserlichen Fuͤrsten, Grafen und edle Hauptleute hielten nach dem Unterschiede der Zeiten und ihrer Macht dergleichen starke oder schwaͤ- chere hoͤrige Gefolge, welche sie zu ihren Hauskriegen und Privatfehden, auch wohl zur gemeinen Landesvertheidigung, wenn die Nation selbst nicht ausziehen wollte, und ihnen der Billigkeit nach dafuͤr begegnete, gebrauchten. In die- ser ganzen Hoͤrigkeit fand sich aber kein Lehn ( feudum ) sondern nur eine Loͤhnung ( beneficium ), die freylich auch in verliehenen Guͤtern bestehen konnte, die aber darum keine feuda wurden, sondern beneficia blieben. Man- cher wird vielleicht diesen Unterschied nicht fuͤhlen, und die- sem zu Gefallen will ich mich durch ein Beyspiel erklaͤren. Die Kirche giebt keinem eine Pfruͤnde ( beneficium ), er habe sich denn zuvor durch die erste Tonsur ihrer Ge w alt unterworfen, oder um in den vorigen Stil zu bleiben, hoͤ- rig gemacht. Gesetzt aber, es erforderten Zeit und Um- staͤn- Von dem wichtigen Unterschied staͤnde, wie z. E. die jetzige Verschiedenheit der Religionen, daß sie einem Layen, ohne daß er die Tonsur nehmen duͤrfte, eine Pfruͤnde geben muͤßte: so erhielte dieser solche nicht anders als gleichsam in feudum. Jener steht unter ihrer Gewalt ( potestate ), dieser aber kann nur auf seine gelei- stete Treue gemahnet und vorgefordert werden. Jener ist treu und hoͤrig, dieser blos treu, und wo solchergestalt die Treue nicht aber die Hoͤrigkeit das Band zwischen dem Dienstherrn und seinen dienenden Manne ausmachte, da suchte man dafuͤr einen eigenen Namen, und nannte diese Art der Bestallung auf Treue, mit Recht feudum, von dem Italiaͤnschen fe, oder dem Lateinschen fide. Dies vorausgesetzt begreift man nun leicht, warum die feuda so spaͤt entstanden sind. Zuerst wurde der Natio- nalkrieg mit dem Heerbann gefuͤhrt; und Fuͤrsten und Herrn hatten nur wenige hoͤrige Leute fuͤr sich in ihren Privatge- folgen. Sie vermehrten solche immer nach dem Verhaͤlt- niß, als der Heerbann weniger gebraucht wurde. Wie aber die unruhigen Zeiten eine staͤrkere Vermehrung dersel- ben erforderten, als sie aus hoͤrigen Leuten zusammen brin- gen konnten, und diejenigen Edlen, welche ihnen die besten Dienste leisten konnten, zwar wohl als Treue aber nicht als Hoͤrige dienen wollten: so gaben sie auch endlich diesen be- neficia und nannten solche aus der vorhin angefuͤhrten Ur- sache, feuda. Sie thaten es jedoch nicht ohne die hoͤchste Noth, und forderten gern, daß ihre Kinder, wenn sie das Lehn erblich behalten wollten, sich hoͤrig machen sollten. So mußte der Graf Walderich von Oldenburg, als ihm von unserm Bischof Gerhard ein Lehn gereichet wurde, ge- loben, daß sein Sohn eines dem Stifte hoͤrigen Mannes Tochter heurathen sollte, und der Abt von Corvey forderte in einem gleichen Falle von Alberten von der Lippe, ut uxor zwischen Hoͤrigkeit und Knechtschaft. uxor sua ministerialis ecclesiae efficeretur alioquin feudo careret Beym Treuer in der Geschlechtshistorie der von Muͤnchhausen in app. n. 6. . Eben wie ein Gutsherr in der Noth zwar einen freyen Mann auf sein Erbe nimmt, aber sich doch bedingt, daß seine Kinder eigen werden sollen. Die Geschichte stimmt mit diesem Gange der Nothwendigkeit, zu den hoͤrigen Leuten, auch Edle und Freye als blosse Getreue anzuwerben, auf das genaueste uͤberein, und die feuda sind in demjenigen Lande erfunden worden, was ent- weder zuerst einem Mangel an hoͤrigen Leuten gehabt, oder aber fruͤher in die Nothwendigkeit gesetzt worden, solche mit unhoͤrigen Getreuen zu vermehren. Es ist unglaublich, wie oft der Redegebrauch dieser Tyrann oder die Unvollkommenheit der Sprache den hoͤrigen Mann mit dem eigentlichen Knechte verwechselt habe. So gar der paͤbstliche Titel, Servus Servorum, hat sich nach dem Redegebrauch bilden lassen muͤssen. Der Pabst ist Suus Suorum, in dem oben angefuͤhrten roͤmischen Ver- stande; und die geistliche Suitas, worinn sich Fuͤrsten und Herrn ohne Nachtheil ihres Standes begaben, und wel- chen sie verlassen koͤnnen, ohne Freygelassene zu heissen, ist von der Servitute, welche den Stand eines Mannes pe- remtorisch aufhebt, unendlich unterschieden. Man glaube nicht, daß dieses blosse Wortspiele sind. Der Vorwurf welchen man dem geistlichen Stande und dem Dienstadel macht, daß er in der Knechtschaft gestanden, beruhet auf der gefaͤhrlichen Verwechselung der Hoͤrigkeit mit der Knecht- schaft, und wie mancher hof hoͤriger Mann wird zur Leib- eigenschaft herabgeschlossen, mithin auch nach der Freylas- sung aus der Hoͤrigkeit, an manchem Orten der Buͤrgerschaft und anderer Wohlthaten unfaͤhig gehalten, weil er aus Mangel der Sprache Servus genannt worden. Freylich tra- Von dem wichtigen Unterschiede traten auch Fuͤrsten und Herren, nicht gleich anfangs in die geistliche Hoͤrigkeit; und wandten zuerst die Andacht vor. Freylich traten auch Fuͤrsten und Herren nicht gleich in die weltliche Hoͤrigkeit ihres gleichen. Allein es lenkte sich doch bald so gut, wie es sich im heutigen Militairstande, wo- rinn ein Fuͤrst Hauptmann, und sein gewesener Unterthan Oberst seyn kann, gelenkt hat; und man thut Unrecht, wenn man den Begriff der Hoͤrigkeit nicht nach dem Unterschied der Zeiten nimmt, und dann noch gefaͤhrliche Folgen dar- aus zieht. Die Verwandelung der beneficiorum in feu- da bleibt ohne die Hoͤrigkeit immer ein Geheimniß. Man hebe aber die letztere auf, so wie sie in ganz Deutschland wuͤrk- klich stillschweigend aufgehoben ist; so besitzt jeder Belehnter jetzt sein beneficium unter dem alleinigen Bande der Treue, und folglich nicht als beneficium sondern als feudum. Man erkennet schwerlich ohne dieselbe die wahre Natur des feudi ligii Die Schreiber der Urkunden haben den hominem ligium durch Ledigmann uͤbersetzt, welches gerade einen umgekehrten Be- griff giebt. Liig - Mann, wie man sprechen mogte, wuͤrde freylich ein Westphaͤlinger durch Ledigmann ausdruͤcken. Aber dann verwechselt er sein Lieg, was ledig bedeutet, mit dem Liig , was von ligare gemacht ist, und durch hoͤrig uͤbersetzt werden muß. , der feinsten Wendung, welche der menschliche Verstand gegen die Hoͤrigkeit nehmen konnte. Er legte nemlich einem Lehne die Kraft bey, demjenigen der es annahm, und fuͤr seine Person noch nicht hoͤrig ( ligius ) war, eben so fest als einen hoͤrigen Mann zu binden. Auf diese Weise schonte er der Empfindlichkeit, die sich fuͤr eine persoͤnliche Hoͤrigkeit scheuete, und erhielt doch denselben Endzweck. Eben so giebt es Faͤlle, wo die gleba die Kraft der Ligeitaet hat, das ist, einen Men- schen eigen macht, ohne daß dieser noͤthig habe, sich aus- druͤck- zwischen Hoͤrigkeit und Knechtschaft. druͤcklich zu eigen zu ergeben; und wo er die Freyheit wie- derum mit Verlassung der glebae erhalt. Das Urtheil des roͤmischen Koͤnigs Wilhelm, vom Jahr 1253. Coram nobis pro tribunali sedentibus sententionatum extitit et communiter ab omnibus approbatum quod nullus in Episcopali curia et Sala ac ipsarum attinen- tiis jus feudale , quod Volge vulgariter appellatur, de- bet et potest habere. was den Gelehrten so viele Muͤhe gemacht hat, weil die Lehnsfolge damals schon laͤngst erblich gewesen ist, wird durch die Hoͤrigkeit sogleich klar. Die bischoͤflichen Lehns- leute sollten nemlich damals mit einander hoͤrig seyn, und kein Freyer der es blos auf Treue, das ist in feudum em- pfing, sollte zur Folge gelassen werden. Es ist eben dieses die Forderung der Roͤmer, welche den unhoͤrigen non suum von der vaͤterlichen Erbschaft ausschlossen. Bey der Abtey zu Pruͤm hieß es: Si quis ministerialis ecclesiae obierit, et non filium sed filiam de familia ecclesiae superstitem reli- querit, dominus abbas de bona et pia consuetudine potest eum de feudo patris sui infeudare Beym Hontheim in Inst. Trev. T. I. p. 668. . Man macht hier offenbar einen Unterschied zwischen hoͤrigen und unhoͤrigen Toͤchtern, indem man nur die Tochter de familia oder die hoͤrige, zur Lehnsfolge laͤßt, mithin diejenige,! so nicht mehr de familia, das ist gefreyet war, ausschließt. In gleicher Absicht fordern die westphaͤlischen Hofrechte, daß jeder Erbfolger huldig und hoͤrig seyn sollte, und der Guts- herr gestattet dem freygelassenen Sohne keine Folge am Hofe. Die Geistlichen muͤssen aus einem doppelten Grunde des Lehnrechts darben, einmahl weil sie die Hoͤrigkeit verlassen Moͤs. patr. Phant. III. Th N hat- Von dem wichtigen Unterschiede hatten, und dann auch, weil sie in eine andre Hoͤrigkeit getreten waren. Die Hofrechte forderten: der Erbe sollte seyn huldig, hoͤrig und ledig, und durch die Ledigkeit zeigten sie an, daß einer sich einem andern nicht hoͤrig ge- macht haben sollte. Dem ersten Anblick nach scheint die Ledigkeit uͤberfluͤßig zu seyn, weil derjenige, der einem hoͤ- rig ist, keinem andern hoͤrig seyn kann, und folglich noth- wendig auch ledig seyn muß. Allein so wie nemlich der Praetor bey den Roͤmern den unhoͤrigen Sohn ( emancipa- tum ) nach der Billigkeit zur vaͤterlichen Erbschaft rief, und nur den unledigen ( qui se alteri in arrogationem dederat ) ausschloß: so ließ auch mit der Zeit die Billigkeit bey den Deutschen den unhoͤrigen Sohn zu, wenn er nur ledig war, das ist, wann er sich keinem andern hoͤrig gemacht hatte, und sich folglich bey dem Empfang des Lehns sei- nem Lehnherrn ungehindert hoͤrig machen konnte. Eben so verfaͤhrt auch jetzt der Gutsherr; er giebt dem freygelas- senen Sohne sein Erbe aus Gnaden; aber demjenigen, der in eines andern Eigenthum steht, muß er nothwendig aus- schließen. Die Geistlichen erhielten zuerst die Lehnsfolge in den Reichslehnen, wo die Hoͤrigkeit nicht so lange uͤblich war, wenn sie sich nur ledig machten, das ist, ihre geistliche Hoͤ- rigkeit verließen; und sie sind mit Recht auch spaͤter in mit- telbaren Lehnen zugelassen worden, wie die Hoͤrigkeit der Dienstleute aufgehoͤret hat. Der Gerichtsgebrauch hat hier die richtigste Wendung genommen, ohne die Ursache zu fuͤh- len, und die deutschen Rechte haben sich wie die roͤmischen gewandt, welche zuletzt in Absicht der Erbfolge den Unter- scheid zwischen hoͤrigen und unhoͤrigen, emancipatos et non emancipatos, ganz verließen. Die zwischen Hoͤrigkeit und Knechtschaft. Die Toͤchter wurden urspruͤnglich, jedoch mit Gnade des Herrn, von den beneficiis ausgeschlossen, vermuthlich nicht blos um deswillen, weil sie in Person nicht fechten oder dienen konnten, sondern weil sie freyeten, das ist ihre bisherige Hoͤrigkeit verließen, und dann in eine fremde Hoͤ- rigkeit, wovon die Muͤtze, welche ihr zuletzt anstatt der Krone aufgesetzt wird, das Symbolum seyn mogte, uͤber- giengen, wodurch sie das Lehn einem fremden Herrn unter- wuͤrfig gemacht haben wuͤrden. Eben dieser Grund war es vielleicht auch, warum die Roͤmer die Toͤchter als unhoͤrig ausschlossen; und sowohl der Praetor als der Hofesherr hat beyde zugelassen, wenn keine Gefahr von einer fremden Hoͤrigkeit, und der daraus folgenden Lehnsentfremdung zu befuͤrchten war. So nimmt auch der Gutsherr noch wohl aus Gnaden eine freygelassene und unledige Tochter zuruͤck, wenn sie sich von der fremden Hoͤrigkeit wieder befreyen kann. Nie wird er aber sein Erbe einem Manne geben, der in einem fremden Eigenthum steht, weil es sonst der fremde Gutsherr durch den Sterbfall an sich ziehen koͤnnte. So haͤtte auch die Kirche die den Geistlichen angefallene Lehne an sich ziehen koͤnnen. Die Hulde hat mit der Hoͤrigkeit etwas aͤhnliches; ist aber doch wesentlich von ihr unterschieden. Denn es kann einer hoͤrig seyn und nicht huldig, auch umgekehrt. Zum Bey- spiel will ich setzen, daß ein hoͤriges Kind sich außerhalb Landes oder nur außer Hofrecht ( extra curtem ) besetze und einem andern Herrn huldig mache Dieses Kind kann das Recht seiner Hoͤrigkeit dadurch bewahren, daß es jaͤhrlich gleich den Buͤrgern, die aus einer Stadt in die andre ziehen, und ihr verlassenes Buͤrgerrecht noch beybehalten wollen, auf dem Pflichttag, an welchem die Hoͤrigen ihre Hofversamm- lung halten, eine hergebrachte Urkunde, sie bestehe nun in N 2 einem Von dem wichtigen Unterschied einem Pfennig oder Schilling, einsendet. Faͤllt dann diesem Kinde hiernaͤchst ein Erbe zu: so muß es zuruͤck kommen, und sich auch huldig machen. Dann ist es ein hoͤriger und huldiger Erbe, wie es die Hofrechte nennen. Auch hievon zeigt sich die Wuͤrkung bey den Lehnen. Das Lehn (feu- dum), erforderte zuerst weder Hoͤrigkeit noch Hulde, son- dern blos Treue. Das Lehn (beneficium), hingegen erfor- derte Hoͤrigkeit und Hulde, unter welchen beyden maͤchti- gen Ausdruͤcken mehr als Treue begriffen war Treue sollte eigentlich nur ein freyer Mann geloben. Cum res propria nemini serviat. . Die ge- sammte Hand kann in gewissen Faͤllen eine Wahrung der Hoͤrigkeit, und der daraus fließenden Folge ad beneficia seyn. Sie mogte also auch anfaͤnglich bey den Lehnen (feu- dis), nicht statt finden, weil die Treue nicht wie die Hoͤ- rigkeit durch Urkunden gewahret werden konnte. In Leh- nen (benesiciis), konnte Huldigung erfordert werden, nicht aber in eigentlichen feudis; und die jetzigen Lehnhoͤfe, wel- che keinem ein Lehn reichen, der den Huldigungseyd nicht ablegt, verfahren nach dem jure beneficiali nicht aber dem eigentlichen feudali. Man schließt weiter, daß blos der treue Mann eine Felonie begehen konnte, nicht aber der huldige und hoͤrige. Fuͤr die letztere wuͤrde es eine ganz unangemessene Strafe gewesen seyn, wenn man sie blos ihres Lehns verlustig er- klaͤret haͤtte. Sie sind sich selbst dem Lehnsherrn schuldig, und musten als Diebe ihrer selbst gestraft werden, wenn sie ihn verließen. Der alte Bannalist, wenn er aus der ge- meinen Kriegerreihe zuruͤck blieb, begieng heerschlitz; der Freye und auf Treue dienende Mann Felonie ; und der huldige und hoͤrige, der sich seinem Herrn entzog, ohn- fehlbar ein weit groͤßers Verbrechen, wovon sich der Name nicht zwischen Hoͤrigkeit und Knechtschaft. nicht erhalten hat, vielleicht, weil es niemand wagte sein Gehoͤr zu brechen. Wie man anfieng den Begriff der Hoͤrigkeit zu verlie- ren, und solche mit der Knechtschaft zu verwechseln, ward alles was den Namen beneficium und Beneficial recht fuͤhrte, verhaßt; und das Wort feudum behielt die Oberhand. Jetzt nach dem die Hoͤrigkeit ganz verdunkelt, und blos das Heergewedde, welches urspruͤnglich nicht auf der Treue, sondern einzig und allein auf der Hoͤrigkeit haftete, mithin nicht bey feudis sondern nur bey beneficiis statt fand, als eine todte Urkunde davon uͤbrig ist, weiß man von nichts als von feudis. Viele nahmen jedoch zuerst Lehne an Dienstmannstatt ; das ist, sie verpflichteten sich zu allem, wozu ein hoͤriger Mann verbunden seyn konnte, ohne sich jedoch foͤrmlich hoͤ- rig zu machen. So wie aber der Unterscheid zwischen hoͤ- rigen und nicht hoͤrigen aufhoͤrte: so verwandelte sich auch jene Art von Belehnungen in eine leere Formel. Wo- zu die Veraͤnderungen im Militairwesen das ihrige mit beytragen mogten. Blos in Rußland musten die hoͤrigen Strelitzen mit Gewalt aufgehoben werden. In den uͤbri- gen Gegenden Europens, die Tuͤrkey ausgeschlossen, wo die Janitscharen noch hoͤrig sind, hat die Zeit alle Hoͤrig- keit aufgehoben, so daß jetzt die Erbfolge in fcudis wie in beneficiis fuͤr sich geht, und die Erbschaften aus einer Hoͤ- rigkeit in die andre folgen, außer daß hie und da der un- huldige Erbe solche noch mit dem Abzugsgelde loͤsen muß, wie in den aͤltesten Zeiten alle unhoͤrige thun musten, wenn man sie aus Gnaden dazu ließ. Aus der Leibeigenschaft oder Knechtschaft wird aber gar kein Erbe verabfolgt, und der Freygelassene muß darauf, ehe er die Freyheit erlangt, Ver- zicht thun. Die Erbfolge bey den Roͤmern hatte sich durch N 3 die Von dem wichtigen Unterschied ꝛc. die beybehaltenen Begriffe der Hoͤrigkeit (Suitatis), und durch die von dem Praetor dagegen erkannte possessiones bonorum dergestalt verwickelt, daß endlich Justinian dieses Recht ganz umschaffen muste. Was hier der Kayser ge- than, hat in Deutschland die Gewohnheit nach und nach verrichtet, und nur bey Hofhoͤrigen und mit Leibeignen be- setzten Guͤtern zeigen sich noch die aͤltern Begriffe, welche auch nicht verlassen werden koͤnnen, ohne die sonderbarste Verwirrung anzurichten. Diese wenigen Erlaͤuterungen werden hoffentlich zurei- chen, die Wichtigkeit des Unterschiedes zwischen Hoͤrigkeit und Knechtschaft zu zeigen, und besonders auch einen jeden auf die Geschichte der Hoͤrigkeit, welche sich in der Art un- srer Vorfahren zu denken und zu handeln uͤberall zeigt, auf- merksam zu machen. Man wird mir zwar in hundert ein- zelnen Faͤllen zeigen koͤnnen, daß der Redegebrauch, ja so- gar Urkunden und Gesetzgeber, Hoͤrigkeit und Knechtschaft, beneficium und feudum, ministeriales und Vasallos, und alles worauf ich sonst jenen Unterscheid gruͤnde, verwechselt haben. Allein die Begriffe von beyden werden in einigen Faͤllen einander so aͤhnlich, der Unterschied wird oft so fein, und nach veraͤnderten Umstaͤnden unerheblich, die Sprache verlaͤßt einen dabey so sehr, daß man sich bey einzelnen Aus- druͤcken gar nicht aufhalten, sondern die Theorie im Gros- sen befolgen muß. LI. LI. Also ist die Anzahl der Advocaten nicht so schlechterdings einzuschraͤnken. Ihr Sohn will auch die Zahl der Advocaten vermehren, sagte juͤngst mein Herr College zu mir, und zwar mit einer so wiederbuͤrstigen Mine, als wenn er mich recht empfinden lassen wollte, ihrer waͤren laͤngst mehr als zu viel gewesen, und man muͤßte eine Aenderung da- runter machen. Freylich, antwortete ich ihm erst ganz nachlaͤßig, es ist ja hier der allgemeine Anfang fuͤr junge Leute, und ich denke nicht, daß man zu einer Zeit, wor- inn man alle geschlossenen Zuͤnfte aufzuheben wuͤnscht, um jeden Genie die voͤllige Freyheit zu verschaffen, seine Faͤhigkeiten auszuuͤben, das edle Recht seines Naͤchsten Rath und Beystand zu seyn, auf eine gewisse Zahl ein- schraͤnken, und dieser ein Bannrecht mittheilen werde. Ey, versetzte mein College, es ist ein Unterschied unter Handwerkern und Fabricanten, die das Vermoͤgen des Staats vermehren, und solchen die blos von dem sauren Schweisse andrer Leute leben wollen. Es ist kein einziger Advocat, der das natuͤrliche Vermoͤgen des Staats auch nur um ein Korn vermehrt; keiner der davon das allermindeste veredelt; sie leben alle wie die Raubbienen von dem Fleisse der guten Bienen; zerstoͤren ihre Stoͤcke, und fliegen, wenn sie den einen aufgefressen haben, zum andern. Wie mancher frommer Mann wuͤrde ein kleines Unrecht als ein Ungluͤck verschmerzen; oder den Frieden mit seinen Nachbaren, welcher wenn er mit Fleiß ge- sacht wird, leicht zu finden ist, unterhalten, wenn nicht N 4 die- Also ist die Anzahl der Advocaten diejenigen, so einzig und allein von den Zaͤnkereyen an- drer leben, und nachdem sie daraus ihr ganzes Geschaͤfte gemacht haben, auch leben muͤssen, ihm uͤberall auflau- reten, und sich seine ersten heftigen Leidenschaften zu Nutze machten. Unsre Vorfahren sind groß und gluͤcklich ge- wesen, ehe sie Advocaten gekannt haben, und wenn wir gleich seitdem die Menge von Gesetzen, und die Kunst zu richten einen gelehrten Mann erfordert, und seitdem dieser nicht mehr von den Partheyen gewillk uͤ hrt, sondern von der O b rigkeit angesetzt wird, auch eigne dazu ausge- lernte Leute haben muͤssen, welche die Sachen vor Ge- richte vortragen, dem Richter die Arbeit erleichtern und darauf Acht haben, daß er nicht in das unrechte Fach greife: so ist es doch allezeit besser ihrer wenig, als viel, zu haben. Man sollte daher hier, eben so wie in andern Staaten, wo man die Sache laͤngst besser eingesehen hat, nur eine gewisse maͤßige Zahl annehmen, und nicht einem jeden, der dazu geschickt ist, diese Freyheit goͤnnen. Auf diese Weise wuͤrden die wenigen, welche sich damit abgaͤ- ben, ihr Auskommen dabey finden, ihrem Stande Ehre machen, und nicht in die Versuchung gerathen koͤnnen, jede geringe Zaͤnkerey in einen kosibaren Proceß zu ver- wandeln. Das sind allgemeine Saͤtze, erwiederte ich ihm, wo- gegen sich im allgemeinen auch wiederum vieles einwen- den laͤßt, und hiebey halte ich mich nicht gern auf. Wir wollen die Sache lieber so fort auf zwey Hauptfragen stel- len: „entweder will der Staat den Stand der Advocaten „in eine eigne abgesonderte Zunft verwandeln, und dieje- „nigen, so sich darinn begeben, von fernern Befoͤrderun- „gen ausschließen; oder er sieht ihn als eine bluͤhende „Pflanzschule an, worinn er die Maͤnner ziehen will, „wel- nicht so schlechterdings einzuschraͤnken. „welche ihm dereinst in wichtigen Ehrenstellen dienen soll- „ten?„ Im erstern Falle bin ich voͤllig ihrer Meinung, es ist dann besser ihrer eine bestimmte als unbestimmte Zahl zu haben. Im andern aber, welche ich fuͤr den gluͤcklichsten halte, kann ich ihnen nicht beypflichten. Meiner Meinung nach sind die Gesetzgeber allein Schuld daran, wenn der Stand der Advocaten unter sei- ne Wuͤrde sinket. Dadurch daß sie denselben von den wichtigsten Bedienungen ausschliessen, und ihre Raͤthe durch die Auditorey ziehen, haben sie denselben um alle Hoffnung, mit dieser um die beste Aufmunterung, und nach einer natuͤrlichen Folge auch um allen Eifer gebracht, sich als grosse und verdiente Maͤnner zu zeigen. Sie ha- ben demselben blos den Weg des Gewinnstes uͤbrig ge- lassen, welcher immer gefaͤhrlicher wird, je weiter er ohne Begleitung der Ehre fortgeht. Sie haben dem Staate mit solchen Advocaten oft nur eine Last von schlechten Leuten zugezogen, und sich in die Nothwendigkeit gesetzt, diesel- ben mit Strafbefehlen in Ordnung zu halten; und den- noch soll der Advocat ein grosses Herz fuͤr Wittwen und Waysen; einen edlen Muth gegen maͤchtige Unterdruͤcker; und alle Eigenschaften eines geschickten, redlichen und feurigen Mannes haben; er soll unter einer empfindli- chen Ausschliessung von wichtigen Ehrenstellen, auf nichts als auf Ehre sehen; unter bittern Verweisen, die ihm ein junger Rath bey der geringsten Gelegenheit giebt, Liebe zu seinen Geschaͤften, Eifer fuͤr die Unschuld, und Freyheit des Geistes behalten; er soll, von guten Ge- sellschaften ausgeschlossen, den Ton des Hofmanns haben, sich kurz und groß fassen, und Wahrheit mit Geschmack verbinden; … Das und viel mehrers soll er thun, und dennoch bestaͤndig auf den Fuß eines gerichtlichen N 5 Tag- Also ist die Anzahl der Advocaten Tagloͤhners oder Actenkraͤmers gehalten werden. Ich zweifle ob sich ein aͤhnlicher Fall angeben lasse, worinn die Gesetzgeber so viele widersprechende Forderungen ver- einigt haben. Und was ist denn der Vortheil von diesen Anstalten gewesen, wodurch man die Advocaten von allen Befoͤr- derungen abgeschnitten, sie auf den blossen Gewinnst ein- geschraͤnkt, und sich den Zwang uͤber Handlungen erlaubt hat, die man nicht anders als von einer edlen wohlge- naͤhrten Freyheit so erwarten kann, wie sie das wahre Wohl des Staats erfordert? Eine Menge von uͤberzaͤh- ligen Raͤthen, Referendarien, Assessoren, Auscultatorn, Auditorn und andern Figuranten, die um dem ihnen so fruͤhzeitig und ohne Gehalt ertheilten Range gemaͤß zu leben, ihr bestes Vermoͤgen verzehren, in langen Er- wartungen oft stumpf, in sichern auch wohl faul, und wenn sie bey den Collegien arbeiten, von einem alten uͤberhaͤuften Conreferenten nicht immer aufs beste zurecht gewiesen werden, — eine lange Reihe von Hagestolzen, die allen guten Toͤchtern mit ihrem Range in die Augen leuchten, und doch ihre zaͤrtlichen Wuͤnsche, weil der Stand zu viel erfordert und das Gehalt noch fehlt, nicht befriedigen koͤnnen; indessen aber manche abhalten, einem ehrlichen untitulirten Manne die Hand zu geben, und wenn sie endlich zum wuͤrklichen Genuß eines Dienstes ge- langen, viel zu klug und bedachtsam geworden sind, um mit einem gutherzigen Kinde gluͤcklich zuzuplatzen, — an manchen Orten eine ziemliche Vermehrung der Bedie- nungen, welche durch die ungedultigen Erwartungen ti- tulirter Personen, durch das ungestuͤme Anhalten dieser zu sichern Hofnungen berechtigten jungen Maͤnnern, durch ihren erlangten Zutritt, erhaltene naͤhere Bekanntschaften, und nicht so schlechterdings einzuschraͤnken. und andre Arten von gelernten Erschleichungen zur groͤß- ten Last des Staats erschaffen sind; — sehr oft auch eine minder scharfe Wahl und Pruͤfung eben dieser jun- gen Leute, die man zuerst auf kuͤnftigen Zuwachs an Ge- schicklichkeit, mit wenigerer Vorsicht annimmt, und doch nachwaͤrts Ehrenhalber nicht verstossen kann; — eine gefaͤhrliche Erhoͤhung des aͤusserlichen Gepraͤges der Men- schen in Verhaͤltniß ihres innern Werths, und ein daher entstandener schaͤdlicher Hunger nach Bedienungen — uͤberall aber und hauptsaͤchlich eine unuͤberwindliche Ab- neigung der vornehmsten und besten Genies sich dem Ad- vocatenstand zu widmen, und demselben durch ihren Bey- tritt den noͤthigen Grad von Ehre zu verschaffen. Nun stellen sie sich aber die Advocaten als eine Pflanz- schule des Staats vor, worinn er diejenigen, die er der- einst zu den wichtigsten Geschaͤften noͤthig hat, bilden will. Was fuͤr ein maͤchtiger Trieb muß hier die Maͤnner beseelen, welche den Advocatenstand waͤhlen muͤssen, um sich den Weg zu den groͤßten Ehrenstellen zu oͤfnen? Je- der Bewegungsgrund, der einen Mann zu grossen Hand- lungen reitzen kann, kommt hier dem Stande wie dem Staate zu statten. Der Sohn des Praͤsidenten wird sich hier wie ehedem der Sohn eines Consuls zu Rom, eben so gut uͤben muͤssen als ein andrer, und jeder wird sich in dem hohen Lichte zu erhalten suchen, worinn er von dem Fuͤrsten, von den Edlen des Landes und von den Patrioten bemerkt werden kann. Die geringste Un- redlichkeit wird ihm in diesem Lichte schaden, und Unge- schicklichkeit und Traͤgheit den oͤffentlichen Vorwurf eines Stuͤmpers zuziehen. Er steht unter dem allgemeinen Urtheil, und das Gepraͤge was er traͤgt, ist nicht das Werk eines Heckemuͤnzmeisters, sondern des redlichen ge- mei- Also ist die Anzahl der Advocaten meinen Wesens. Da er durch seine Bemuͤhungen zu- gleich fuͤr seinen Unterhalt und fuͤr seinen Ruhm arbeitet: so hat er einen gedoppelten Grund zum Fleisse; und eig- ner belohnter Fleiß ist ein ganz andrer Lehrmeister als ein graͤmlicher Conreferent, der uͤber die Verbesserung der ersten Uebungen eines Auditors ermuͤdet. Von einem bestaͤndigen Wetteifer angereitzt, eher als andre, das vorge- steckte Ziel zu erreichen, wird er oft einen Geldgewinnst verachten, und blos fuͤr die Ehre dienen; sich schaͤmen kleinen Zaͤnkereyen zu verewigen, oder grosse und maͤch- tige Familien in unnoͤthige Processe zu verwickeln. Wann dann der Staat ihn auf den oͤffentlichen unbefleckten und unverdaͤchtigen Ruf, als einen erfahrnen und bewaͤhrten Mann zu seinem Dienste fordert: so wird er mit gestaͤrk- ten Auge die verwickeltesten Streitigkeiten durchschauen, solche mit der groͤßten Fertigkeit beurtheilen, und in einer Stunde oft mehr thun, als viele von denjenigen, welche auf andre Art gebildet sind, in Tagen und Wochen thun koͤnnen. Er wird das prakticable unter den verschiede- nen Meynungen der Rechtsgelehrten, ohne zu schwanken, ergreifen; die Verfassung seines Landes aus einer schaͤr- fern Erfahrung genauer kennen; die Wendungen schlech- ter Advocaten mit einem halben Auge entdecken, und fuͤr keine Arbeit, so schwer sie auch immer seyn mag, er- schrecken. Der Staat hat dabey den Vortheil, sich be- staͤndig, wenn er eine Ehrenstelle zu vergeben hat, eine gluͤckliche und freye Wahl unter einer Menge von geschick- ten Leuten zu verschaffen; diese Menge ohne seine Kosten, und die gemeine Ehre, welche durch Tittel zu Grunde ge- richtet wird in ihrem wahren Werthe zu erhalten. Der Stand der Advocaten wird solchergestalt fuͤr ihn ein Eh- renstand werden; ein jeder der sich darinn begiebt, den Ton, welchen dieser allezeit mit sich fuͤhrt, und der in der nicht so schlechterdings einzuschraͤnken. der heutigen Welt mehr als alle Sittenlehre wuͤrket, von selbst annehmen; kein Maͤdgen wird sich in der Hofnung dereinst Frau Raͤthin zu heissen, schaͤmen eine Zeitlang Frau Advocatußin oder um in unsern Stil zu sprechen, Frau Doctorin zu heissen … Herr, fiel endlich mein College hier ein, ich glaube Sie declamirten noch einen Monat so fort, wenn ich die Gedult haͤtte ihnen zuzuhoͤren. Aber wissen Sie was? einer unsrer groͤßten Fuͤrsten will jetzt die Advocaten ganz abschaffen, und dafuͤr bey jeder Regierung vier Raͤthe einfuͤhren, welche die Sachen der Partheyen vortragen und die Stellen der Advocaten vertreten sollen … Das hoͤre ich gern, erwiederte ich, daß man die Ad- vocaten solchergestalt als Raͤthe in die grosse Thuͤr wieder einfuͤhren will, nachdem man sie unter ihren vorigen Na- men zur Hinterthuͤr hinausgeschickt hat. Es beweiset dieses so viel, daß man von der Ehre zunaͤchst rechtschaf- fene Leute erwarten koͤnne; und daß man uͤbel gethan habe solche den Advocaten zu entziehen. Nur zweifle ich sehr, daß dieser Plan alle die vorhin beschriebene Vor- theile mit sich fuͤhren werde; jener scheint mir weit leich- ter, freyer und unendlich ergiebiger zu seyn; er hatte die Maͤnner erzeugt, woraus der Großcanzler bey der er- stern Einrichtung verschiedene Raͤthe und Praͤsidenten waͤhlte … und es scheint mir doch immer problematisch zu seyn, ob besoldete Richter und besoldete Advocaten .. Nehmen Sie es nicht uͤbel, sagte mein Herr College, meine Frau erwartet mich, und gieng mit Angst fort, weil er besorgte, ich wuͤrd ihn noch um seine Suppe brin- gen, wenn ich meinen Text nach allen seinen Theilen voͤl- lig ausfuͤhrte … LII. LII. Vom Huͤten der Schweine. Es kommen jaͤhrlich viele Klagen daruͤber ein, daß die Schweine auf dem Lande hie und da ohne Hirten herumlaufen, und besonders den Gaͤrten sehr vielen Schaden zufuͤgen. So oft man aber diesem Unwesen von Policey-Amtswegen begegnen wollen, hat man gefunden, daß sich solches am wenigsten durch allgemeine Verord- nungen zwingen lassen wolle. Vielleicht ist die Aufklaͤ- rung der solcherhalb vorhandenen Gesetze und Gewohn- heiten, eben so nuͤtzlich als irgend eine andre philosophi- sche Betrachtung. Andre moͤgen von Liebe und Wein singen; ich will einmal den Schweinen folgen, und die Faͤlle, wo solche nach der Beschaffenheit des hiesigen Landes gehuͤtet werden muͤssen oder nicht, zu bestimmen suchen. Darinn daß die Schweine von Maytag bis Bartho- lomaͤus gehuͤtet und in Acht genommen werden muͤssen, ist man fast durchgehends einverstanden. Der groͤssere Vortheil, nemlich die Erhaltung der Kornfruͤchte, wird hier mit Recht auf Kosten des mindern gesucht; und man nennt jene Zeit die beschlossene Zeit. Meiner Meinung nach redet hier auch der Tag oder der Calender von selbst, und es bedarf solcherhalb jaͤhrlich keines besondern neuen Gebots. Wo aber die gute Witterung im Fruͤhjahr eine fruͤhere Schonung der Felder, oder die sich verspaͤtende Erndte eine spaͤtere Eroͤfnung derselben erfordert, da ist ein besonders Gebot noͤthig; und dieses Gebot muß oͤf- fentlich verkuͤndiget werden, wenn diejenigen, so vor Maytag oder nach Bartholomaͤi ihre Schweine ungehuͤtet laufen lassen, bestrafet werden sollen. Ein solches Ge- bot Vom Huͤten der Schweine. bot kann aber wegen Verschiedenheit des Bodens nicht allgemein seyn, weil man auf dem warmen Sande und in der Ebene fruͤher erndtet, wie auf kaͤltern Gruͤnden oder in den Bergen. Am besten wuͤrde ein solches Ge- bot nach eigner Willkuͤhr der Feld- und Weidegenossen jedes Orts von den Beamten gegeben, und man koͤnnte dabey die Regel des Sachsenspiegels B. II. Art. 55. Was der Bauermeister um des Dorfes Frommen willen mit Verwilligung der Menge setzt, das mag der mindere Theil nicht widersprechen, gelten lassen; ohne sich jedoch auch dabey eben durch den Vortheil eines Einzelnen, der seine Fruͤchte zu spaͤt im Felde laͤßt, aufhalten zu lassen, indem der Sachsenspie- gel B. II. Art. 48. ganz vernuͤnftig sagt: Laͤsset ein Mann sein Korn laͤnger draussen als an- dre Leute ihr Korn einhaben gefuͤhrt, wird es ihm gefretzet oder abgetreten, man gilt es ihm nicht. wie wohl hier im Lande, wo der Heuermann keine Pferde hat, und selten seine Fruͤchte ehender aus dem Felde ha- ben kann, als bis der Bauer die seinigen zu Hause hat, die spaͤtern Schnitter mehrere Achtung verdienen. Sonst ist die Stoppelweide eine so grosse und wich- tige Sache, der Anger ist nach der Erndte insgemein so abgenagt, das Vieh hat sich an der magern Weide so muͤde gefressen, und alles hungert so sehr nach den Stop- peln und den darunter befindlichen, oder jetzt nach ent- bloͤssetem Boden aus der Ruhe frisch hervorschiessenden wuͤrzhaften Kraͤutern, daß der Schaden eines einzelnen Mannes, der seine Fruͤchte zu spaͤt im Felde laͤßt, gegen jene allgemeine Beduͤrfniß nicht in Betrachtung koͤmmt. So viel von den Huͤten zur beschlossenen Zeit. Meh- Vom Huͤten der Schweine. Mehrere Schwierigkeiten setzt es wegen des Huͤtens zur unbeschlossenen Zeit, indem einige ihrer Gartenfruͤchte halber verlangen, daß man das Vieh und besonders die Schweine das ganze Jahr durch huͤten oder verwahren lassen solle; andre aber die Schweinezucht und was solche erleichtern kann, fuͤr so wichtig halten, daß sie solche mit dem kostbaren Unterhalt eines Hirten zur unbeschlossenen Zeit hier im Lande nicht erschwert haben wollen. Hier ist meiner Meinung nach ein Unterschied unter beschlossenen und unbeschlossenen Oertern zu machen. Ein ofnes Gehoͤlze, worinn das Jahr Mast ist, gehoͤrt un- ter die beschlossenen Oerter, und vor denselben muß gehuͤ- tet oder das Vieh, was darinn lauft, kann gepfaͤndet werden. Nur muß man nicht jeden Busch, worinn sich einige Eichbaͤume befinden, fuͤr einen beschlossenen Ort halten. Das Gehoͤlz muß groß, und die Mast erkannt seyn, wenn eine ganze Gemeine ihre Schweine dafuͤr huͤ- ten lassen soll; und ich sollte glauben, daß nur diejenigen Masthoͤlzer fuͤr beschlossen geachtet werden koͤnnten, wo es sich der Muͤhe verlohnt, und Recht oder Gewohnheit es mit sich bringen, die Schweine ordentlich zur Mast zu mahlen oder einzubrennen; doch hat auch hiebey der Besitz sein eignes Recht. Sonst ist es in verschiedenen Marken keinem Genossen erlaubt, auf der ofnen Mark neben sei- nen Gruͤnden, oder unter sein Dustholz Eichen Telgen zu pflanzen, damit die Genossen nicht mit der Dienstbarkeit des Abhuͤtens zu leichtfertig beschwert, oder die Schweine von den Eignern der Baͤume, welche solche doch, wenn Mast darauf ist, heimlich oder oͤffentlich schuͤtzen wollen, zuruͤckgeschlagen werden moͤgen. Einen angelegten Eichelkamp kann man nicht fuͤr be- schlossen halten, sondern er muß sich selbst schuͤtzen, weil der Vom Huͤten der Schweine. der Eigner desselben solchen leichter bewahren, als eine ganze Gemeinheit ihre Schweine davor huͤten lassen kann. Das Groͤssere uͤberwiegt hier das Kleinere. Eine Stadt und ein Marktflecken aber kann sich durch eigne Willkuͤhr zu einem beschlossenen Ort machen: und wenn es dieses auf Gutbefinden seiner Obrigkeit, und mit Bewilligung der Menge thut: so duͤrfen an einem solchen Orte die Schweine auch zur unbeschlossenen Zeit die Gassen nicht belaufen. In einem Staͤdtgen oder Fle- cken hat die buͤrgerliche Nahrung den ersten Rang; und man kann dieser die Schweinezucht daselbst um so viel eher aufopfern, weil der Buͤrger sein Schwein insgemein erst auf Maytag kaͤuft, selbst keine anzieht, und der Brauer oder Branteweinsbrenner, der eine Menge haͤlt, solche selten herumlaufen laͤßt. So koͤnnen auch auf gleiche Weise die Genossen eines gemeinschaftlichen Feldes, in so weit es ohne Nachtheil eines Dritten geschehen kann, solches nach Ablauf der gewoͤhnlich beschlossenen Zeit, weiter schliessen, mithin zum Vortheil des Klafers, der Ruͤben, der Kartoffeln und andrer in der Flur nach der Erndte gebaueten Gar- tenfruͤchte, einen beschlossenen Ort daraus machen; doch glaube ich, daß solches nicht nach der Mehrheit der Zahl der Genossen, sondern nach der Mehrheit der darinn be- legenen Felder, und der dafuͤr bestimmenden Eigner, ge- schehen muͤsse. Wo aber nun weder eine beschlossene Zeit noch ein beschlossener Ort ist, da haben die Einwohner nicht noͤ- thig mit vieler Beschwerde und geringem Vortheil ihre Schweine vor einem besondern Hirten zu halten. Ein Schwein bezahlt seine Sommerfuͤtterung und Wartung insgemein gut; aber so wenig eine Winterfuͤtterung auf Moͤs. patr. Phant. III. Th. O dem Vom Huͤten der Schweine. dem Stalle, wie einen Winterhirten, und wenn man die Schweinezucht nicht zum allgemeinen Nachtheil des Lan- des vermindern will: so muß man um kleinerer Vortheile willen, den groͤssern nicht verderben. Dennoch aber sind beyde Theile nemlich die Gartenbesitzer im Dorfe, und diejenigen so Schweine halten, selten daruͤber einverstan- den. Ein gewisser Mann stellte weiland Ihro Koͤnigl. Hoheit Ernst August dem Andern vor, wie die Schweine nicht allein die Kirchhoͤfe entweyheten, sondern auch so- gar in die Kirche kaͤmen, und den Gottesdienst stoͤrten; und Hoͤchstdieselben liessen sich dadurch bewegen unterm 2 Jan. 1718. eine Entschliessung dahin zu fassen, daß die Eingesessene des Dorfs ihre Schweine auch zur Winterzeit entweder huͤten lassen, oder auf dem Stalle halten sollten. Dies brachte endlich die Frage hervor: Ob nicht Dorfgesessene schuldig waͤren ihre Gaͤrten so zu verwahren, daß kein Schwein hinein kom- men koͤnnte? Diejenigen, welche solche bejaheten, sagten oder konnten sagen: ‚Der Kirchhof muͤsse sich selbst gegen den Anlauf der Schweine wehren; dies bezeugeten die daran befind- lichen Fallthuͤren und Rosten; Privatgaͤrten koͤnnten aber kein mehrers Recht verlangen, als die geweyhte Kirchhoͤfe; die Dorfgesessenen, die insgemein aus Kraͤmern, Be- ckern und Brauern, mithin aus vermoͤgenden Leuten be- stuͤnden, koͤnnten mit mindrer Beschwerde eine Mauer oder ein Gelaͤnderwerk um ihre Gaͤrten, als die Gemeinde einen bestaͤndigen Hirten halten; sie brauchten uͤberhaupt nur mehrentheils die Gassenseite ihrer Gaͤrten zu bewah- ren, und an die Aussenseite wuͤrde kein Schwein kommen, wenn das Dorf gegen das Feld mit einem Schutzwerk ge- schlos- Vom Huͤten der Schweine. schlossen wuͤrde. Ihre Gaͤrten aber koͤnnten uͤberhaupt mit den Feldern nicht in Vergleichung gebracht werden; es waͤren weit hoͤhere Gruͤnde, warum man die Schweine vor den Feldern, als vor den Gaͤrten huͤten muͤßte, die doch allemal einigermassen verwahret werden koͤnnten; waͤre es gleich ausserhalb des Dorfs nicht moͤglich so stark zu zaͤunen, daß kein Schwein durchbrechen koͤnnte: so waͤren doch einmal die Jochhecken, so man den Schwei- nen umhienge, um sie vom Durchbrechen abzuhalten, ein besseres und leichters Mittel, als ein kostbarer Hirte; dann aber verstuͤnde es sich von selbst, daß wenn ein her- umlaufendes Schwein jemanden zu Schaden gienge, sol- ches nach dem Sachsenrecht gepfaͤndet, und der Eigner des Schweins zur Ersetzung des Schadens, und der dabey gewillkuͤhrten Strafe angehalten werden koͤnnte; dieses wuͤrde einen jeden schon bewegen seine herumlau- fenden Schweine nicht ganz aus der Acht zu lassen; und es sey solchemnach nicht noͤthig, das blosse Herumlaufen derselben so fort fuͤr straffaͤllig zu erklaͤren, mithin jeden durchaus zu zwingen, seine Schweine auf dem Stalle oder bestaͤndig vor dem Hirten zu halten; zu der Stall- fuͤtterung koͤnne kein geringer Mann gelangen und ein Hirte sey zu kostbar. Dieser muͤsse also sein Schwein ab- schaffen; und sich seiner besten Huͤlfe berauben; der Sach- senspiegel (B. II. Art. 47.) habe ebenfals nur auf den Schaden, nicht aber auf das Herumlaufen gesehen; und der Churfuͤrst Carl habe unterm 28 Sept. 1702. mit einer eben so billigen Ruͤcksicht auf das allgemeine Beste ver- ordnet: Daß jeder Unterthan seine Schweine dergestalt huͤ- ten solle, damit niemand dadurch einiger Schade zugefuͤgt wuͤrde, O 2 nicht Vom Huͤten der Schweine. nicht aber befohlen, daß so gleich jeder sein Schwein auf dem Stalle oder vor einem Hirten halten solle; das Her- kommen rede fuͤr die Freyheit, wie die Rosten und Fall- thuͤren an den Kirchhoͤfen zeugten, welche ihre Vorfah- ren nicht gemacht haben wuͤrden, wenn die Schweine nicht das Recht gehabt haͤtten, frey zu gehen. Diese Gruͤnde bewogen auch wuͤrklich Ihro Koͤnigl. Hoheit jenen Befehl wieder einzuziehen, und dagegen un- term 2 May 1722. zu verabschieden: Daß die Supplicanten zwar ihre Schweine den Winter uͤber wie bisher ohne Hirten laufen zu lassen berechtiget seyn, selbige aber doch des Nachts auf- stallen und bewahren, auch den uͤbersteigenden Schweinen sogenannten Heckhoͤlzer umhangen, die Unterthanen hingegen ihre Gaͤrten gehoͤrig befriedi- gen sollten, wobey es auch mehrerer dagegen geschehenen Vorstellun- gen ungeachtet, nachwaͤrts belassen wurde. Noch weniger mag es mit Billigkeit den Genossen eines gemeinschaftlichen Feldes oder Esches verarget wer- den, wenn sie zu der Zeit, wo das Schwein eine guͤldne Schnautze haben soll, ihr Vieh in demselben ohne Hirten herumlaufen lassen. Die Universitaͤt zu Jena erkannte dieses in Sachen der Heker und Waller Bauerschaften ge- gen den Landesfuͤrstlichen Fiscus folgendermassen: Daß sie wegen des Weidens, welches sie zur Win- terzeit, auf ihren eignen eingefriedigten Eschen, ohne jemandes Schaden, mit den Schweinen vor- nehmen, mit aller Strafe billig zu verschonen. jedoch wurde dieses Urtheil nachwaͤrts von der Universitaͤt zu Rinteln dergestalt daß Vom Huͤten der Schweine. daß besagte Bauerschaften ihre Schweine auf ihren Eschen ungehuͤtet gehen zu lassen nicht befugt, son- dern solches wieder auf die unbesaamten Felder, in ihren Eschen einzuschraͤnken und sie ihre Schweine huͤten zu lassen schuldig — wieder aufgehoben, wobey es auch die Leute, welche sich durch eine andre Wendung helfen konnten, bewenden liessen, und den Heuerleuten, welche die Klage dem Fiscus angebracht hatten, das Land nahmen. Hiebey entsteht aber die wichtige Frage, in wie fern der Fiscus sich in dergleichen Sachen mischen, und wenn ein Vieh zur beschlossenen Zeit oder an beschlossenen Oer- tern zu Schaden geht, solchen Amts halber ruͤgen koͤnne, wie nach vorstehenden Erkenntnissen zu urtheilen, der Fiscus nothwendig gethan haben mußte, weil alle Feld- genossen daruͤber einig waren, daß sie ihre Schweine des Winters im Esche frey und ungehuͤtet herumgehen lassen wollten, der Fiscus aber behauptete, daß sie auch zur ofnen Zeit die Schweine huͤten lassen muͤßten, eine Frage die man, nachdem der Fiscus mehr oder minder strenge gewesen, bald so, bald anders, entschieden hat? Nichts ist gewisser, als daß alle Theilhaber eines Esches oder gemeinschaftlichen Feldes uͤber verschiedene Dinge, als wegen der Sommer- und Wintersaat, der Wucherblumen, des Huͤtens auf den Reinen, und so auch der Feld- und Viehschaden halber sich vereinigen, auch Strafen auf die Uebertretungen willkuͤhren, solche mindern und mehren, und entweder vertrinken oder auf andre Art verwenden koͤnnen, so lange dieser Verein blos die Einwilligenden verbinden soll. Dieses scheinet die natuͤrliche Freyheit mit sich zu bringen, und der Sachsen- spiegel (B. II. Art. 47.) nebst der Glosse bauet auf diesen O 3 Grund- Vom Huͤten der Schweine. Grundsatz. Es ist ferner eine uͤberaus billige und wahr- scheinliche Vermuthung, daß ein Landesherr, der uͤber dergleichen Dinge Verordnungen erlaͤßt, sich lediglich nach dem eigenen Verlangen der Interessenten gerichtet, und blos dasjenige bestaͤtiget habe, was sie zu ihrem eig- nen Besten gut gefunden, und gewillkuͤhret haben. Wann nun die Feldgenossen unter sich daruͤber einig sind, daß z. E. auch zur beschlossenen Zeit im Felde auf den Reinen, oder den dahier so genannten Anwenden gehuͤtet werden moͤge; oder wenn sie unter sich beschliessen, daß die vorfallenden Feldschaͤden nur alsdenn verguͤtet und be- strafet werden sollen, wenn der beschaͤdigte Theil selbst daruͤber klagt: so sollte man glauben, daß der Fiscus sein Amt ruhen lassen koͤnne und muͤsse. Nach diesem Grund- satze rescribirte die hiesige Regierung in einem gewissen Falle unterm 10 Sept. 1767. folgendermassen: 1. Ob zwar unterm 6 Febr. 1766. resolvirt worden, daß ihr vorerst bis zu anderweiter Ver- ordnung hinfuͤhro wegen des Viehhuͤtens im Felde, keine Klagen von dem Fisco anzunehmen haͤttet, wann nicht derselbe zugleich jemand, der sich daruͤber beschweret, namhaft machen koͤnnte: so hat doch dieses die Meinung nicht gehabt, daß damit das Viehhuͤten zwischen den Korn erlaubt seyn sollte, sondern nur allein daß aus bewegenden Ursachen der Fiscus daruͤber keine Klagen ex officio anbrin- gen solle. und gab dadurch zu erkennen, wie die fiscalischen Klagen in dergleichen Faͤllen nicht leicht statt finden moͤgten. Gleichwohl mag dieses nicht als eine allgemeine Ver- ordnung angesehen werden, indem sich Localumstaͤnde fin- den koͤnnen, welche ein anders erfordern. Denn a) fin- det Vom Huͤten der Schweine. det man an vielen Orten Deutschlandes so genannte Feld- huͤter und Feldschuͤtzen, welche das Vieh, was zu Scha- den geht, ohne Erwartung einer Klage von dem Beschaͤ- digten, Amts halber zur Ruͤge bringen; es finden sich b) Gerichtsbarkeiten, welche den Feldschuͤtzen zu setzen und zu besolden haben, mithin dafuͤr auch die Bruchfaͤlle geniessen; wir haben c) in der ofnen Mark hieselbst Mahl- leute, welche Amts halber die Markbruͤche ruͤgen muͤssen, und es haͤngt nicht von den Markgenossen ab, sich unter einander den Schaden zu verzeihen, oder solchen nach ihrem Gefallen zu bestrafen, ob es gleich auch besondre Ausnahmen von dieser Regel giebt. Gesetzt nun eine Obrigkeit habe von langer Zeit die Feldschaͤden durch einen Fiscus ruͤgen lassen, sollte denn nicht die rechtliche Ver- muthung eintreten, daß derselbe die Stelle des Feld- schuͤtzen vertrete, und die Obrigkeit fuͤr dessen Unterhaltung die Bruchfaͤlle geniesse? Ich zweifle, daß man dieser starken Rechtsvermuthung etwas anders mit Bestande entgegen setzen koͤnne, als die- ses, daß es nemlich in dem Willkuͤhr der Feldgenossen be- ruhen muͤsse, ob sie den alten Contrakt, wodurch die Obrig- keit von ihnen um den Feldschutz ersuchet worden, wieder aufkuͤndigen wollen oder nicht. Allein so gern ich einraͤu- me, daß eine Obrigkeit ihre Rechte nachgeben muͤsse, so bald es die gemeine Wohlfarth und ein groͤsserer Zweck erfor- dert, weil ihr Recht, wenn es auch die laͤngste Verjaͤhrung fuͤr sich hat, diese Nachgebung zum unausloͤschlichen Cha- rakter hat: So moͤgte ich es doch ungern einraͤumen, daß Feldge- nossen dergleichen alte Contrakte sogleich ohne Unterschied aufkuͤndigen koͤnnten. Die hiesigen Holzgrafen, denen nach getheilter Mark, die Natur selbst ihr Richteramt aufkuͤn- O 4 digte, Vom Huͤten der Schweine. digte, haben sich wenigstens diese Regel nicht gefallen lassen, so uͤbel auch die Folgen davon einst seyn moͤgten; und ich glaube, daß man hierbey lediglich auf dasjenige zu sehen habe, was das groͤßte Beste jedes Orts erfordre. Dieses erfordert nun meines Ermessens an den meisten Orten schlechterdings, daß das Huͤten auf den Reinen oder Streifen zwischen dem Korn, zur beschlossenen Zeit, so viel als immer moͤglich verhuͤtet werde; die Spanisch Lingische Holzungsordnung von 1590, ( Tit. 4. §. 49.) welche als ein Meisterstuͤck ihrer Zeit angesehen werden mag, verbietet die- ses bey schwerer Strafe, und belohnt den Anbringer beson- ders, zum sichern Zeichen, daß man nicht die Klage eines Beschaͤdigten abgewartet, sondern jeden, und mithin auch den Fiscus dazu aufgemuntert habe. Der Schade welchen das Vieh anrichtet, was durch spielende Kinder oder bos- hafte Leute im Felde zur beschlossenen Zeit auf den Reinen und Grasstreifen gehuͤtet wird, ist so mannigfaltig und so heimlich, daß es fast in keinem Falle erlaubt seyn muß; und wenn dieses ist: so kann nicht erst der Beweis eines wuͤrklichen Schadens oder die Klage eines frommen Man- nes, der sich einen boͤsen Nachbar nicht zum Unfreunde ma- chen will, erwartet werden; sondern der Fiscus, der sich mit dem Hasse gern beladet, und die Feindschaften schlechter Leute nicht fuͤrchten darf, muß Recht und Macht haben, alle diejenigen anzuzeigen, welche zur beschlossenen Zeit mit ihrem Viehe im Felde huͤtend betreten werden; es waͤre denn, daß eine andre Einrichtung, wie bey dem Rescript vom 10 Sept. 1767. vorausgesetzt ist, von langen Jahren her Platz gegriffen habe. Denn wo z. E. die Feldgenossen einen eignen Feldschuͤtzen oder einen besondern Feldrichter haben, da hat der Fiscus nichts zu thun. Ich verstehe dieses aber blos vom Huͤten, was mit Vorsatz geschieht, nicht aber von dem Falle, wo ein Stuͤck Vieh Vom Huͤten der Schweine. Vieh unversehens ins Feld gelaufen ist. Viele Bauerhoͤfe sind dergestalt gelegen, daß sie unmittelbar an die Feldflur stossen, und es kann aller Aufmerksamkeit ungeachtet ge- schehen, daß ein Reisender oder nachlaͤßiges Gesinde, die so genante Hake offen laͤßt, da denn die auf dem verschlos- senen Hofe laurenden Schweine, welche vom Fruͤhjahr her noch ins Feld gewoͤhnt sind, sich so gleich die Gelegenheit zu Nutze machen, und ins Feld laufen. Der Mann, dem die Schweine gehoͤren, empfindet den Schaden am mehr- sten, weil seine Laͤndereyen zunaͤchst an der Hake liegen, und das Vieh zuerst hierauf fallen wird. Er wird also nicht sorglos seyn, und noch weniger aus einem boͤsen Vorsatze die Schweine ins Feld lassen. Soll nun hier der Fiscus auflauren, und die Unterthanen in unendliche Bruͤchten stuͤr- zen: so wird kein einziger Feldgenosse von der Strafe frey bleiben. Dieses kann des Gesetzgebers Absicht nicht seyn; und so nach wuͤrde ich in diesem Falle, wenn auch der Fiscus sein Amt in demselben seit langen Jahren ausgeuͤbt haͤtte, einer Gemeinheit erlauben, den alten Contrakt, wodurch derselbe auch hieruͤber zum Feldhuͤter erbeten seyn moͤgte, aufzukuͤndigen. Viele Gemeinheiten haben sich daruͤber in neuern Zeiten vereiniget, und die Regierung hat solche Ver- einigungen als rechts bestaͤndig gelten lassen. Aber auch da, wo ein solcher Verein nicht gemacht worden, kann er alle- mal stillschweigend angenommen werden. In diesem Falle also sollte meiner Meinung nach keine Bestrafung statt fin- den, als wenn daruͤber von dem Beschaͤdigten geklagt wuͤrde. So gestattet und erfordert es auch die gemeine Wohl- fart, daß nach eroͤfneten Feldern, die Feldgenossen sich dar- uͤber nach ihrem Gefallen vereinigen moͤgen, ob sie das Vieh auf den Stoppeln huͤten oder ungehuͤtet laufen lassen wol- len. In vorigen Zeiten gieng der Fiscus, so bald die ge- O 5 schlos- Vom Huͤten der Schweine. schlossene Zeit nach dem Calender zu Ende war, ins Feld, und setzte alle diejenigen, welche ihr Vieh auf ihren eignen abgeerndteten Feldern huͤten liessen, zur Klage, so lange noch ein einziger Acker mit Fruͤchten in der Flur war. Alle Theilhaber waren daruͤber eins, daß sie sich die Stoppel- weide einander goͤnnen, und das Vieh vor dem noch un- abgeerndteten oder mit Ruͤben und Klaver bestelleten Fel- dern huͤten wollten. Es half aber nicht; der Fiscus gieng seinen Gang. Der Fehler ruͤhrte unstreitig daher, daß man die Eroͤfnung des Feldes nach dem Calender rechnete, und nicht vor den Beamten zusammen trat, um durch die Mehrheit die Eroͤfnung nach der Witterung entweder fruͤ- her oder spaͤter eintreten zu lassen. Der Fiscus hielt das Feld fuͤr geschlossen, so lange noch Korn darinn war; und jeder Eigner hielt es zur Huͤtung nicht aber zum ungehuͤte- ten Betreiben, fuͤr eroͤfnet, so bald Bartholomaͤi Tag vor- bey und sein Feld ledig war. Endlich befahl die Landes- obrigkeit, nachdem sich alle Genossen vereiniget hatten, der Fiscus solle sein Amt ruhen lassen; und wer den vernuͤnfti- gen Geitz der Leute nach der Stoppelweide kennt, wird die- ses um so mehr der allgemeinen Wohlfart gemaͤs finden, je weniger die in solchen Faͤllen eintretende Strafen ihren Zweck erreichten, weil solche weiter nichts wuͤrkten, als daß die Genossen die ihnen unentbehrliche Stoppelweide mit ei- nem Bruͤchten erkaufen muͤßten. In solchen Faͤllen also kann dem Fiscus eine Aufkuͤndi- gung des alten Contrakts, welchen der Zeitlauf vermuthen laͤßt, mit allgemeiner Einstimmung geschehen, und die Obrigkeit thut wohl selbige zuzulassen; wo aber das groͤßte Beste em anders erfordert, wie beym Huͤten im Felde zur beschlossenen Zeit, kann man dem epidemischen Willen der Genossen nicht immer nachgeben. An Vom Huͤten der Schweine. An einigen Orten duͤrfen auch nach besondern Verord- nungen die Schweine nicht anders als gekrampet auf die ge- meine Weide kommen, und ist die Krampe ein Drat der ihnen durch den Ruͤssel gezogen wird, und einen Schmerz erregt, wenn sie wuͤhlen wollen Es ist dieses vermuthlich ein sehr alter Gebrauch, weil die Roͤmer sich dieser Krampe unter dem Namen Fibula, wiewohl so viel man lieset, nicht bey den Schweinen, bedienten Hiebey entsteht oft die Frage, ob die Weidegenossen sich dahin vereinigen moͤgen, ihre Schweine ungekrampt herum laufen zu lassen? So viel ich weiß, ist solches allemal ungestraft geschehen, wenn alle Interessenten der Weide darinn einig gewesen, und ihr Bruch oder ihre Weide zum Schaden ihres uͤbrigen Viehes zerwuͤhlen lassen wollen. Da jedoch die hiesigen Bruͤcher so liegen, daß das Vieh mehrer Bauerschaften den gegen- seitigen Weidegang haben: so mag eine Bauerschaft allein ihre Weide damit nicht verderben, und solchergestalt ihr Hornvieh noͤthigen, den uͤbrigen Weiden desto beschwerli- cher zu fallen; oder den von andern Bauerschaften zu ihnen heruͤber weidenden Vieh das reciprocum zu entziehen. Wo jedoch eine Bauerschaft ihre Weide gegen eine andre mit der Pfandung vertheidigen mag, sollte es auch jaͤhrlich nur einmal zur Urkunde geschehen, da kann ihr das Recht zu einem solchen Verein, nach welchem sie ihre Schweine un- gekrampet gehen lassen wollen, nicht abgesagt werden. Im Jahr 1732. den 25 May erliessen weiland Ihro Churfuͤrstl. Durchlaucht von Coͤlln folgendes Rescriptum an saͤmtliche Beamte: Auch sollen die Schweine das ganze Jahr hindurch vor den Hirten getrieben werden, mithin den Einge- sessenen dasigen Amts erlaubt seyn, ihr Vieh zwischen dem Korn huͤten zu lassen: falls aber dadurch einem oder Vom Huͤten der Schweine. oder andern Schade zugefuͤgt werden wuͤrde, soll der- jenige, welcher solchen verursacht, nicht allein denselben ersetzen, sondern auch deshalben mit einem convenablen Bruͤchten belegt werden. Dieser Befehl wurde auf Andringen eben derjenigen erlas- sen, welche Ihro Koͤnigl. Hoheit, Ernst August dem Andern, zu der ersten hiebevor angezogenen Verordnung bewogen hatten. Allein er hatte auch eben das Schicksal. Denn auf Vorstellung Loͤbl. Stiftsstaͤnde erfolgte unterm 9 Dec. 1732. die gnaͤdigste Resolution: Bey vorigen Jahrs Landtage und denen a statibus ge- horsamst eingebrachten desideriis, haben Se. Churfuͤrstl. Durchl. auf deren Staͤnden Gesuch dahin sich gnaͤ- digst resolvirend, willfahret, daß zwar die Stoppel- weiden an sich zu keiner Zeit verboten, die Untertha- nen aber ihr Vieh, damit selbiges keinem andern zu Schaden gehen, wohl zu huͤten schuldig, oder aber bey daruͤber erfolgenden Klage, den Bruͤchten so wohl als den Schaden des Beleidigten zu zahlen gehalten seyn sollen, ohne jedoch daß der Fiscus, wann kein Klaͤger ist, zu agiren habe. Se. Churfuͤrstl. Durchl. seyn nicht destoweniger auch anjetzo (um den Staͤnden in allen nur thunlichen Faͤllen die gnaͤdigste Willfah- rung bezeigen zu koͤnnen) gnaͤdigst geneigt, das ge- machte Desiderium Fuͤrstvaͤterlich einzuraͤumen, wes- halben es denn mit dem Huͤten der Schweine, gleich- wie es wegen der Stoppelbruͤchten resolvirt, gehalten werden soll. und wie die Staͤnde darauf fernerweit antrugen, daß diese gnaͤdigste Erklaͤrung oͤffentlich bekannt gemacht, und zu- gleich die Verordnung vom 18 Nov. 1712, worinn der Churfuͤrst Carl sich also erklaͤret hatte, dafern Vom Huͤten der Schweine. dafern das Vieh nicht gebuͤhrend gehuͤtet, und denen Benachbarten einiger Schade dadurch zugefuͤget wer- den moͤgte, soll nicht allein sothaner Schade ersetzt sondern auch die Nachlaͤßigkeit im Huͤten zum gerin- gen Bruͤchten angesetzet werden, erneuert werden moͤgte, erklaͤrten Hoͤchstdieselben unterm 7 Jan. 1733, wie Sie die begehrte Abstellung der Stop- pel- und Schweinehuͤtens-Bruͤchten per edictum publicum aufzuheben bedenklich faͤnden, gleichwohl an saͤmtliche Be- amte so wohl wegen der Stoppelweide als auch wegen des Schweinehuͤtens, in Conformitaͤt der denen Staͤnden die- serhalb bereits ertheilten gnaͤdigsten Resolution eine solche zulaͤngliche Verordnung ergehen lassen wollten, auf daß Staͤnde sich in ein so wenig als andern einigerley Gestalt zu beschweren Fug und Ursache wuͤrden nehmen koͤnnen. Diesem allen nach wuͤrden in den von mir laͤngst ge- wuͤnschten kurzen Unterricht vor die Landleute, in dem Ca- pittel vom Schweinehuͤten, folgende Warnungen zu stehen kommen: a) Zur beschlossenen Zeit must du deine Schweine der Regel nach vor dem Hirten halten. Laͤßt du sie frey herum laufen, und der Fiscus oder ein andrer giebt dich an: so wirst du dafuͤr gebruͤchtet, wenn auch die Schweine noch keinen Schaden gethan haben sollten. b) Auf den Rheinen oder Anewenden zwischen den Korn- feldern must du nicht huͤten; klagt jemand uͤber Schaden, oder der Fiscus giebt dich an: so wirst du gebruͤchtet. c) Laͤuft dir zur beschlossenen Zeit dein Vieh vom Hofe ins Korn: so mag dich zwar der Fiscus nicht angeben. Aber wenn dein Nachbar, dem das Vieh zu schaden geht, klagt: so must du den Schaden ersetzen und wirst gestraft. d) Auf Vom Huͤten der Schweine. d) Auf den Stoppeln mag dein Vieh frey und ungehuͤ- tet weiden, hat aber dein Nachbar noch Korn im Felde, und du willst dein Vieh auf die Stoppeln treiben: so must du es huͤten lassen: oder wenn dein Nachbar uͤber Schaden klagt, must du ihm solchen ersetzen, und wirst noch dazu gestraft. Der Fiscus darf dich aber daruͤber nicht verklagen. e) Die beschlossene Zeit geht nach dem Calender von Maytag bis Bartholomaͤi. Soll sie wegen guter Witterung fruͤher anfangen, oder wegen uͤbler Witterung laͤnger waͤh- ren: so muß es dir verkuͤndiget werden. f) Ausser der beschlossenen Zeit kanst du dein Vieh zwar ungehuͤtet gehen lassen, und der Fiscus kann dich nicht dar- uͤber verklagen. Thut es aber Schaden, und der Beschaͤ- digte klagt: so mußt du den Schaden ersetzen und wirst gestraft. g) Sind beschlossene Oerter in deiner Mark vor welchen entweder bestaͤndig oder zu gewissen Zeiten gehuͤtet werden muß: so mußt du solche selbst kennen, und dich davor in Acht nehmen, oder du wirst auf Klage desjenigen, zu dessen Vortheil der Ort beschlossen ist, bestraft, und must auch den Schaden ersetzen. Es sind diese Warnungen zwar nicht allen den erlasse- nen bald aufgehobenen, bald abgeaͤnderten Verordnungen ge- maͤs, und koͤnnen mithin auch nicht anders zureichen, als wenn ein solcher Unterricht oͤffentlich bestaͤtiget seyn wuͤrde. Allein da jene Verordnungen in einigen Aemtern noch beste- hen, in andern aber laͤngst vergessen, oder wie mehrere Ver- ordnungen, die auf das Locale nicht passen, niemals befolgt sind, wie das hierunten angehaͤngte Zeugniß bewaͤhret: so habe ich diesen Vorschlag blos nach dem allgemeinen wah- ren Interesse thun wollen. Das Vom Huͤten der Schweine. Das Zeugniß, dessen ich oben gedacht habe, ist folgen- den Inhalts: Auf gebuͤhrendes Ansuchen verschiedener Amts Unter- thanen wird hiermit bezeuget daß 1) die Schweine gleich denen Pferden und Kuͤhen in denen Marken dieses Amts ungehuͤtet gehen und ihre Nah- rung suchen moͤgen, massen dann 2) die Friedigungen an denen eingezaͤuneten oder binnen Gruͤnden von deren Eigenthuͤmern in einen dermassen unta- delhaften Stande erhalten werden muͤssen, daß dadurch die Schweine sowohl als die Pferde und Kuͤhe abgekehret wer- den koͤnnen, gleich dann 3) in dem Falle die Friedigung mangelhaft befunden wird, dem Eigenthuͤmer des Grundes einige Schuͤttung so wenig zustehet oder erlaubet ist, als wenig derselbe von dem Eigener des durch sothane mangelhafte Friedigung herein- getretenen Viehes die Erstattung des verursachten Schadens fordern mag, jedoch wird 4) die Mastzeit hierunter gar nicht verstanden, sondern es ist sodann ein jeder die Schweine vor des anderen Gruͤn- den oder Eichelfaͤllen zu huͤten, allerdings schuldig. Daß nun dieses alles in hiesigem Amte dermassen von je her gehal- ten worden und gesprochen werde, solches haben wir hie- durch vermittelst Unserer eigenhaͤndigen Unterschrift und Bey- druͤckung angebohrnen und respective gewoͤhnlichen Pett- schafts beglaubigen wollen. Geben aufm Amthause Fuͤrste- nau den 21 Febr. 1754. Churfuͤrstlich-Coͤllnische, Hochfuͤrstlich-Oßna- bruͤckische Beamte des Amts Fuͤrstenau. (L. P.) C. H. von Bösclager mpr. (L. P.) C. L. Balcke mpr. Ich Vom Huͤten der Schweine. Ich will diesem zur Ergaͤnzung des Artikels noch ein an- ders, das Huͤten zur Mastzeit betreffend, beyfuͤgen. Auf beschehenes Ansuchen der benachbarten Dinniger Mark Interessenten (wie es nemlich zu Mastzeiten mit dem Mastvieh im Nortrupper Bruche, so dann auch in den naͤchst daran ruͤhrenden Suttrupper und Druchhorner Bruche respective gehalten wuͤrde) wird hiemit der Wahrheit ge- maͤs attestiret, daß nach uralter Observanz zu Mastzeiten das Mastvieh im Nortrupper Bruche ohngehuͤtet gehe, und wann selbiges ausserhalb dem Bruche verstreichet oder auch in besagten Suttrupper und Druchhorner Bruche unter der Mast befunden wird, solches keinesweges geschuͤttet werden doͤrfe, sondern ohngekraͤnket wiederum zuruͤck gekehret wer- den muͤsse, auch von niemand dafuͤr Schuͤttegeld praͤtendi- ret werden koͤnne, herentgegen aber im Suttrupper und Druchhorner Bruche zu Mastzeiten das Mastvieh gehuͤtet werden muͤsse, und wann selbiges aus ebengemeldeten Bru- che verstreicht und im Nortrupper Bruche unter der Mast ertappet wird, dasselbige gleich anderen fremden auch der Nortrupper ihren eigenen unter der Mast nicht gebrannten und sonst der Mast schaͤdliches Vieh saͤmtlich geschuͤttet wer- de und dafuͤr Schuͤttegeld erleget werden muͤsse. Signatum Loxten den 19 Dec. 1753. (L. P.) B. S. Witwe von Hammerstein, geb. von der Schulenburg, Erbholzgraͤ- fin der Nortrupper, Suttrupper und Druchhorner Mark. Herman Nortrup, Mallman in der Nortrupper Mark. Gerd Engelke, Mallman in der Nor- trupper Mark. LIII. LIII. Also duͤrfen keine Plaggen aus einer Mark in die andre verfahren werden. Nein, Herr Holzgraf! das ist nicht laͤnger auszuhalten. Die ganze Mark ist beynahe abgenarbet; und wenn wir dem Plaggenmehen nicht steuren: so moͤgen wir unser Vieh nur an die Zaͤune binden. Wir muͤssen hier eine an- dre Ordnung haben, es muß eine Eintheilung gemacht wer- den, wie viel ein jeder mehen soll, oder unsre Koͤtter und Heuerleute schaben uns die Mark dergestalt ab, daß auch eine Endte nicht mehr darauf weiden kann. Nun dann, sagte der Holzgraf, es sollen drey Tage im Fruͤhjahr und eben so viel im Herbste ausgemacht werden, woran ein jeder, der dazu berechtiget ist, nach dem Verhaͤlt- niß seines Erbes mit 6. 4. oder 2 Segeden Das Justrument, womit die Plaggen oder Rasen, die man in den Heidelaͤndern, wo keine Brach zuruͤck gehalten wird, so viel zum Dinger braucht, gehauen werden. erscheinen und seine Plaggen mehen kann; wer ausser dieser Zeit betroffen wird, soll einen doppelten Bruͤchten bezahlen. So ist es recht, antworteten die Markgenossen, was einer in dreyen Tagen davon reissen kann, das mag er dann endlich haben; und unsre Koͤtter koͤnnen so dann nicht Jahr aus Jahr ein auf dem gemeinen Anger liegen und solchem die elende Narbe abschaben. Kaum aber hoͤrten sie auf zu sprechen: so schrien die Weiber der Koͤtter: Was, ihr wol- let das Plaggenmehen an gewisse Tage binden, und zwar an solche, woran unsre Maͤnner und Soͤhne in Holland sind? Das koͤnnen wir nimmer zugeben. Wir Weibsleute koͤn- Moͤs patr. Phant. III. Th. P Keine Plaggen duͤrfen aus einer Mark koͤnnen keine Plaggen mehen, und in den dreyen Tagen, worinn jeder fuͤr sich beschaͤftiget ist, wird er andern nicht helfen koͤnnen. Man lasse es also beym alten, da ein jeder mehen konnte, wenn er Zeit hatte; gesetzt, unsere Maͤnner scharreten bey muͤßigen Stunden ein paar Fuder mehr zu- sammen: so fressen wir sie doch nicht, und auf die Dauer koͤnnen wir doch nicht mehr nehmen, als unsre Gruͤnde ver- tragen koͤnnen. Es ist also kein Uebermaaß zu besorgen, und der muͤßte sein Fleisch und Blut wohl recht sehr hassen, der Plaggen zum Zeitvertreibe mehen sollte. Schaufeln ist ja so schon verboten, damit der Narbe nicht zu viel ver- schwendet werde, und der elenden Heyde ist so viel, daß es ja wohl auf ein paar Fuder weniger oder mehr nicht ankom- men wird. Das laͤßt sich hoͤren, versetzte der Holzgrafe; von den Hollandsgaͤngern muͤssen wir unser bestes Geld haben, und da der eine fruͤh der andre spaͤter wieder kommt: so werden sich nicht wohl gewisse Tage festsetzen lassen. Aber wenn wir auch das ganze Jahr dazu offen lassen: so ist offenbar, daß die Koͤtter und Heuerleute, die sich wie das Ungeziefer ver- mehren, und weniger Arbeit haben als die Erbmaͤnner, dreymal mehr Plaggen zusammen kruͤppeln werden, als die vollwahrigen Erbleute. Was meinet ihr also wenn man einem jeden nach Erbesgerechtigkeit einen gewissen District zum Plaggen anwiese: so koͤnnte ein jeder fruͤh oder spaͤt mehen, sparen oder verschwenden, schaufeln oder mehen, und sein Plaggenmatt so nutzen, wie es ihm am besten duͤnkte. Auch damit sind wir zufrieden, riefen die Erbmaͤnner, und wir sind bereit unsere Heuerleute nach dem Verhaͤltniß, wie sie Land von uns miethen, auch die nothduͤrftige Plaggen aus unsern Theilen zu gestatten. Jeder Wirth sieht sodann wohl in die andre verfahren werden. wohl zu, daß ihm sein Heuermann nicht zu nahe an die Zaͤune komme. In Ewigkeit kann dieses nicht geschehen, versetzten die Weiber der Koͤtter. Wir liegen auf der Markgraͤnze, und muͤs- sen unsere mehresten Laͤndereyen ausserhalb der Mark heuren. Seit hundert und mehr Jahren haben wir solche aus dieser Mark mit Plaggen geduͤnget, und wenn wir kein groͤsser Plaggenmatt erhalten sollten, als nach dem Verhaͤltniß unsrer Kotten: so wuͤrden wir diese auswaͤrts angeheurete Laͤndereyen schlechterdings liegen lassen muͤssen. Unsre Nachbarn, von denen wir solche haben, wollen uns nicht gestatten dieselben aus ihrer Mark zu duͤngen, weil wir das Stroh in unsre Mark bringen, sie selbst auch eben deswe- gen diese Laͤndereyen an auswaͤrtige verheuren, weil sie zu wenig Plaggenmatt, und die Laͤndereyen so wir geheuret, blos uns zu gefallen, und weil wir in unsre Mark keine Gelegenheit dazu hatten, urbar gemacht haben; diese wer- den also zum allgemeinen Landesschaden wieder verwildern muͤssen, wenn wir solche aus unser Mark nicht duͤngen sol- len; oder wir werden das Stroh aus jener Mark gar nicht heraus fahren duͤrfen, und uͤberhaupt wird kuͤnftig niemand mehr ausserhalb etwas heuren koͤnnen, wenn die eine Mark keine Plaggen, und die andre kein Stroh folgen lassen will. Der Holzgraf, um die Weiber zu besaͤnftigen, gab ihnen zwar so weit recht, daß ihnen die Markgenossen in diesen Umstaͤnden die Ausfuhr der Plaggen bisher nicht un- billig gegoͤnnet haͤtten. Aber, sagte er, als ein Recht koͤnnt ihr es nie fordern. Wo wollte das hinaus, wenn jeder nach dem Maasse seiner auswaͤrts geheureten Laͤnde- reyen ein Plaggenmatt fordern wollte? Es kann auch nie- mand wehren, so viele Laͤndereyen auswaͤrts zu heuren wie ihr wollet; eure Nachbaren koͤnnen ihres Vortheils halben P 2 die Keine Plaggen duͤrfen aus einer Mark die halbe Mark urbar machen, und euch dieses Land ver- heuren; auf diese Weise aber wuͤrde euer vermeintliches Recht keine Graͤnzen haben, und das ist eben so viel als gar kein Recht. Wir selbst widersetzen uns allen neuen Zu- schlaͤgen, und besonders allen, welche zu Saͤelande ge- macht werden sollen, weil das Plaggenmatt dadurch ver- mindert, und gleichwohl dessen immer mehr erfordert wird, nachdem mehr Zuschlaͤge gemacht werden. Da wir nun selbst um unser Plaggenmatt zu schonen, kein Saͤeland ma- chen, wie koͤnnen wir euch denn in aller Welt gestatten, daß unsre Nachbarn den Vortheil, wir aber den augenschein- lichsten Schaden haben sollen? Jede andre Sache kann zwar, der Regel nach, aus der Mark, wenn sie zufoͤrderst in der- selben zu Hause und Hofe gebracht ist, verkaufet werden; auch selbst das Zehntstroh, obgleich der Zehnte nicht vom Felde aus der Mark gefahren werden darf, mag aus der Scheune an Ausmaͤrker verkaufet werden; allein bey Plag- gen, die nicht von der Heyde aufs Feld, sondern allemal erst zu Hause gefahren werden muͤssen, ehe sie gebraucht wer- den koͤnnen, faͤllt diese natuͤrliche und uͤberaus vernuͤnftige Einschraͤnkung weg. Indessen sieht man doch aus eben der- felben, wohin der Geist dieser Gesetze gehe. Man sieht fer- ner leicht durch die Finger, wenn einer ein Fuder Dorf vom Mohre verkauft; wenn aber ein geringer Genosse allen Torf den er machen kann, auf diese Weise losschlaͤgt, und dem auswaͤrtigen Kaͤufer zugleich erlaubt, denselben vom Mohre abzuholen: so zwingt man den Koͤtter nicht mehr zu verkaufen, als er selbst vom Mohre zu Hause bringen kann. Diese einzige Einschraͤnkung hebt allen Mißbrauch; indem einer gewiß viermal so viel auf dem Mohre verferti- gen, und dort verkaufen, als mit seinen oder kostbar ge- dungenen Pferden nach Hause bringen kann. Es in die andre verfuͤhret werden. Es kann alles nichts helfen, fuhren die Weiber fort, wir wollen und koͤnnen es nicht nachgeben; und wenn ihr uns nicht helfen wollet: so gehn wir zum Richter. Zum Richter? fragte der Holzgraf; was kann der er- kennen? Wenn die Gruͤnde, so ihr ausser der Mark bauet, eure Erbgruͤnde waͤren; und ihr koͤnntet solche aus der Mark, worinn sie liegen, nicht duͤngen: so koͤnnte er euch ein Nothrecht (servitutem necessariam) zubilligen. Wenn wir die Verguͤnstigung die Plaggen auszufuͤhren zur Unzeit wiederrufen wollten, da ihr die auswaͤrtigen Laͤndereyen in der Voraussehung unserer stillschweigenden Genehmigung geheuret hab.: so koͤnnte er uns hier ein billiges Ziel von Jahren setzen; wenn alle Markgenossen damit einig waͤren, daß ihr die Plaggen ausfuͤhrtet, ich aber allein darinn zu- wider waͤre so koͤnnte er, nachdem er meinen Bericht hier- uͤber erfordert, den Umstaͤnden nach meine Einwilligung er- setzen. Aber zu erkennen, daß ihr in dem Besitze die ausser- halb angeheureten Laͤndereyen aus dieser Mark zu duͤngen schlechterdings geschuͤtzet und daß ihr dadurch nach einer nothwendigen Folge berechtiget werden solltet, euch der Theilung des Plaggenmatts nach Erbesgerechtigkeit zu wi- dersetzen, das leidet die Natur der Sache nicht, es waͤre denn, daß den auswaͤrtigen Laͤndereyen, und nicht euch als Heuerleuten derselben dieses Recht anklebt. In dem letztern Falle ist es eine blosse Verguͤnstigung, und wird es auch ewig bleiben muͤssen, wofern wir nicht die Mark in unendliche Verwirrung setzen, und alle Theilung derselben, die der Staat immer mehr und mehr wuͤnschet, unuͤbersteig- liche Hindernisse in den Weg legen wollen. Bisher ist es der allgemeine Markgebrauch gewesen, daß keine Plaggen ausserhalb der Mark gefahren werden duͤrfen. Die grossen Gruͤnde dieses Gebrauchs eroͤfnen sich aͤus demjenigen was P 3 ich Schreiben einer Gutsfrau, ich gesagt habe; und ihr werdet auch schwerlich einen Rich- ter finden, der die Ausfuhr der Plaggen zu den erlaubten und freyen Handlungen rechne, worinn niemand gestoͤret werden duͤrfe. Dies erforderte ein besonders Gesetze; oder eine Gnade, wodurch ihr von jenem allgemeinen Landesge- brauch aus hoͤhern Ursachen befreyet wuͤrdet, und beydes kann euch der Richter nicht geden. Die Weiber schwiegen dem ungeachtet nicht; allein da der Holzgrafe hungrig war; so wurde das Gericht fuͤr das- mahl aufgehoben. LIV. Schreiben einer Gutsfrau, die Freylassung ihrer Eigenbehoͤrigen betreffend. Endlich hat mein Mann es doch gewagt und allen seinen Leibeignen die Freyheit geschenkt. Ihr zu Ehren ist bereits das erste Fest gefeyert worden, und dieses soll jaͤhr- lich mit dem Dankfeste, welches wir hier nach der Erndte feyern, wiederholet werden. Ich denke jetzt nur darauf, ob ich nicht auch so etwas vom Rosenmaͤdgen dabey anbrin- gen koͤnne Der Baum der Freyheit, wozu ich eine schlan- ke, glatte und wohlgekroͤnte junge Eiche erwaͤhlt habe, ist mit aller Feyerlichkeit gepflanzt Mein Mann hat sie ge- setzt, und jeder von den vormaligen Eigenbehoͤrigen zu ihrer Befestigung geholfen. Gott gebe, daß sie ewig gruͤne. Amen. Bald haͤtte ich vergessen Ihnen zu sagen, daß wir den von unsern Freyen erwaͤhlten Obermann des Tages mit uns speisen lassen, und die jungen Maͤdgen einen Zaun von wilden Rosen um den Baum der Freyheit gemacht ha- ben, damit ihm das Vieh nicht schaden moͤge: Unter die- sem wegen Freylassung ihrer Einbehoͤrigen. sem Baum sollen kuͤnftig alle Jahr die Freyheitsartikel in oͤffentlicher Versammlung abgelesen, und die Ehrentaͤnze gehalten werden. Ehe mein Mann aber diesen von mir so lange gewuͤnsch- ten Schritt that, ließ er sich von unserm gnaͤdigsten Lan- desherrn die Schutzgerechtigkeit uͤber alle seine Freygelassene, weil er uͤber sie vorhin keine Gerichtsbarkeit gehabt, erthei- len, und auch die Freyheitsartikel bestaͤtigen, welche er vor sie entworfen und mit ihnen verabredet hatte, weil er nicht glaubt, daß einzelne Wohner, die in keinen Bezirken unter einer geschlossenen Gerichtsbarkeit leben, sich ohne Schutzverein und Innungsartikel bey dem wahren Genuß der Freyheit erhalten und vertheidigen moͤgen. Ich will Ihnen doch einige davon hersetzen. Vorher muß ich Ihnen aber sagen, daß er sie nach ih- rem wahren Verhaͤltnisse in ganze, halbe und viertel Leute eingetheilt, und uͤberdem noch eine Klasse fuͤr geringere, auch so viel immer moͤglich gewesen, die Pflichten jeder Klasse gletchfoͤrmig gemacht, und zum Exempel den Halb- mann zu der Haͤlfte desjenigen verbunden habe, was der ganze voͤllig zu entrichten schuldig ist Hiernaͤchst sind alle diese Pflichten in eine ofne Rolle geschrieben worden, die saͤmtlichen Freyen unter der Eiche vorgelesen und von ihnen als richtig anerkannt ist. Von dieser Rolle sind zwey gleich- lautende Exemplar auf Pergament geschrieben worden, wo- von das eine mit Glas bedeckt, zwischen zween Saͤulen hin- ter dem Altar in der Kirche, das andre aber von meinem Manne bewahret wird. Gegen diese Rolle gilt kuͤnftig we- der Verjaͤhrung noch Besitz. Sie soll jaͤhrlich auf dem Freyheitstage von den drey aͤltesten aus der Kirche geholet, und oͤffentlich unter der Eiche vorgelesen, so dann aber in Begleitung aller Freyen wieder an ihren Ort getragen wer- P 4 den. Schreiben einer Gutsfrau, den. Auf diese Art ist es nicht leicht moͤglich, daß einiger Streit uͤber ihre Pflichten entstehen koͤnne; und die Bitte die mein Mann sich in gewissen Nothfaͤllen vorbehalten hat, kann zu keiner Zeit in eine ordentliche und gewoͤhnliche Pflicht uͤbergehen, weil das Bitten selbst redet, und der Nothfall so eingeschraͤnkt ist, daß diese Bitte nur alsdenn gewaͤhret werden muß, wenn der Schutzherr sein Haus oder sein vornehmstes Oekonomiegebaͤude ganz neu bauet. In diesem Falle kommen sie ihm mit Bittfuhren und Dien- sten zu Huͤlfe; aber ausser demselben entrichten sie nichts da- fuͤr. Jetzt zu den Artikeln. Der erste bestimmte zu den Ablieferungen der Korn- paͤchte einen gewissen Tag, an welchem sich alle Pflichtigen, in so fern sie wegen erlittener Ungluͤcksfaͤlle keinen Nachlaß zu rechter Zeit gesucht und erhalten haben, mit ihren Pachtkorn zugleich einfinden muͤssen. Wer diesen versaͤu- met, darf das Jahr an dem Feste der Freyheit nicht er- scheinen; stirbt er vor dem naͤchsten Freyheitstage, ohne sich binnen den ersten vierzehn Tagen nach verflossenem Ter- min, mit seiner Pacht eingestellet zu haben; so mag er als ein Leibeigner beerbtheilt werden. Ueberdem mag ihn der Schutzherr, wenn diese 14 Tage vorbey sind, nach Guts- herrn Recht pfaͤnden lassen, und gegen ihn weiter zu Rechte verfahren. Erscheinet er aber das naͤchste Jahr ordentlich: so tritt er wieder in das vorige Freyenrecht, jedoch muß er den Freyen eine halbe Tonne Bier geben; und der Ehren- tanz wie der Ehrenbrecher koͤmmt an ihn zuletzt. Der zweyte bestimmt die schuldigen Dienste. Mein Mann war nicht der Meinung, daß es besser sey, die Dien- ste auf ewig in Geld zu verwandeln Er hielt vielmehr da- fuͤr, daß seine Freyen in hiesigen Gegenden manchen Tag und manche Stunde Zeit von ihrer Arbeit uͤbrig haͤtten, worinn wegen Freylassung ihrer Einbehoͤrigen. worinn sie nichts mit dem Spanne und der Hand verdie- nen koͤnnten, und daß es eine doppelte Beschwerde fuͤr sie seyn wuͤrde, wenn sie diese muͤßigen Tage nicht allein fuͤr ihre Rechnung behalten, sondern sie noch uͤberdem bezahlen sollten. Das Geld fuͤr 52 Dienste am Ende des Pachtjahrs, wolle schon etwas sagen, und man koͤnne darauf wetten, daß der Zehnte solches noch eine gute Weile schuldig blei- ben, mancher aber gar nicht bezahlen wuͤrde. Daher hat er den Naturaldienst beybehalten, jedoch darinn eine Reihe eingefuͤhrt daß einer vor dem andern damit nicht beschweret werden kann. Um indessen doch auch den Rath derjenigen, welche wollten, daß er ihnen die Dienste zu Gelde setzen sollte, nicht ganz zu verachten, hat er ihnen die Wahl gelassen, ob sie ein gewisses Dienstgeld bezahlen, oder den Naturaldienst leisten wollten, und wie ihrer mehrere, als er entrathen konnte, das Geld waͤhlten, sie alle darum loosen lassen; und nun giebt vorerst die eine Haͤlfte auf vier Jahr das Geld und die andre dient; hernach koͤnnen sie wechseln, wenn sie wollen, oder auch alle in Natur dienen. Wenn sie wechseln: so dient die Haͤlfte, welche also bestaͤndig be- reit seyn und vielleicht einen Knecht oder ein Pferd mehr halten muß, nicht auf den Kerbstock, holen auch die Dien- ste die nicht gebraucht sind, nicht nach. Wenn sie aber alle den Dienst waͤhlen sollten: so wuͤnscht mein Mann, daß sie auf den Kerbstock dienen, und dagegen lieber zwey und zwey zusammen spannen moͤgten. Uebrigens haben wir ihnen versprochen, die Dienste nie an andre zu verpachten, welches wir doch auch vordem, wie sie noch Leibeigen wa- ren, unbillig gefunden haben. Der dritte bestimmt die Lieferung der Pachtschweine, deren wir 24 zu empfangen haben. Da wir jaͤhrlich nur sechse gebrauchen: so ist die Ordnung so gemacht, daß im- mer zwey unter den sechsen, welche die beyden besten liefern, P 5 auf Schreiben einer Gutsfrau, auf acht Jahr von der Naturallieferung befreyet werden. Diejenigen, so das Jahr kein Schwein liefern, entrichten dafuͤr ein Malter Gersten, oder bezahlen so viel als dieses zur Lieferungszeit gilt. Der vierte betrift das Holz. Ihr Brand-Wagen- und Zaunholz moͤgen sie zu ihrer Nothdurft auf ihren Hoͤfen ohne Anweisung hauen und der Verkauf des Buchen Holzes wird ihnen frey gelassen, jedoch nach Schlaͤgen, welche bey allen nach der Beschaffenheit des Holzes und Bodens ein- mal fuͤr alle reguliret sind Sieht man, daß ein abgeholz- ter Ort nicht wieder gehoͤrig in Anwachs ist: so wird ihm der Verkauf auf die erforderliche Zeit ganz verhoten. Die- jenigen aber, so Bauholz verlangen, muͤssen es des Mor- gens, wann das Freyen Fest gehalten wird, bey uns an- zeigen, und dann senden wir unsern Verwalter mit zweyen der aͤltesten Freyen herum, die es ihnen auf der Reihe aus- zeichnen Ausser dieser Zeit darf sich niemand darum mel- den, wenn ihn nicht ein grosses Ungluͤck dazu noͤthiget. Auch vergoͤnnen wir denjenigen, die besonders fleißig pflan- zen, und uͤberfluͤßiges Holz haben, Bauholz, jedoch auf vorherige Anweisung zu verkaufen, und machen ihnen sol- ches nicht schwer, so bald wir sehen, daß sie kluge und red- liche Holzbauer und Haushalter sind. Der fuͤnfte untersagt ihnen ihre unterhabende Hoͤfe zu zertheilen, und mit Schulden oder neuen Pflichten und Dienstbarkeiten zu beschweren. So viel Geld als aus einem vierjaͤhrigen Ertrage ihres Hofes wiederum bezahlt werden kann, moͤgen sie vor sich aufleihen, damit sie nicht ohne al- len Credit sind. Es muß aber doch mit Vorwissen des Freyen Vogts, welcher die Schuld in ein besonders Buch traͤgt, das ein jeder einsehen kann, geschehen. Ist die Noth groͤsser und die Schuld soll weiter gehen: so laͤßt mein wegen Freylassung ihrer Einbehoͤrigen. mein Mann die Umstaͤnde untersuchen, und ertheilt nach den Umstaͤnden seine Bewilligung dazu, will aber so denn auch fuͤr den richtigen Abtrag sorgen. Die Landesgerichte, denen sie unterworfen sind, koͤnnen zwar einen Freyen zur Bezahlung verdammen: aber der Freyen Vogt, der die Execution hat, verrichtet solche nicht weiter, als auf den Ueberschuß eines jaͤhrigen Ertrages. Wer mehr verlangt, muß ihnen nicht borgen. So oft sechstens der Wirth oder die Wirthin sich ver- heyrathen, erhaͤlt mein Mann eine doppelte Pacht; und wenn ein Kind ausgesteuret wird, oder das elterliche Haus verlaͤßt, bekoͤmmt dasselbe einen Taufschein von dem Pfar- rer, und darunter einen Schein seiner freyen Geburt von meinem Manne. Ist es ein Maͤdgen: so muß sie drey Ta- ge auf unserm Hause seyn, und in demselben ein Stuͤck Garn spinnen, eine Elle Linnen weben, ein Strumpf knuͤt- ten und ein Hemd nehen. Ein Sohn muß ein Stuͤck Garn spinnen und einen vollstaͤndigen Pflug machen. Verstehen sie dieses nicht, oder machen es nach dem Urtheil dreyer andern Freyen nicht tuͤchtig: so muͤssen sie uns so lange umsonst dienen, bis sie dieses gelernt haben. Fuͤr den Schein der freyen Geburt wird nach dem festgesetzten Ver- haͤltniß der Hoͤfe 5. 4. 3 2 und ein Scheffel Weitzen ent- richtet. Stirbt siebentens ein Wirth oder eine Wirthin vom Hofe: so wird fuͤr das freye Gelaͤut, in der Patronalkirche meines Mannes, nach einem gleichen Verhaͤltniß etwas be- zahlt, und wenn Kinder versterben, bezahlen sie die Haͤlfte. Dagegen wird ihnen der Freyen Kranz geschickt, welchen sie bey der Leichenbegleitung auf den Sarg legen, und dann zuruͤck in die K irche bringen muͤssen. Eine geschwaͤchte Person, wenn sie unverheyrathet stirbt, verlieret das Recht zum Schreiben einer Gutsfrau, zum Kranze, und ihre Verlassenschaft steht unter meines Mannes Gnade. Verheyrathet sie sich aber: so muß sie den Kranz vorher mit einem Scheffel Weitzen bezahlen, und den Freyen eine Tonne Bie r geben. Das erste ist wohl ein bisgen hart fuͤr die armen Hexen; aber sie sollen sich auch in Acht nehmen, und vor Schimpf und Schaden huͤten. Jeder Braut, die mit Ehren aus einem freyen Hofe geht. wird dagegen aber auch ein fliegendes Haar zu tragen er- laubt, und ich als Schutzfrau setze ihr, wenn sie sich in diesem Schmucke bey mir einfindet, die Krone darauf. Processe duͤrfen sie gar nicht fuͤhren, ohne es vorher am Hause zu melden; und mein Mann haͤlt ihnen fuͤr ein gewisses Jahrgeld einen gemeinschaftlichen Advocaten, an welchen sie sich einzig und allein wenden duͤrfen, und der vorher, ehe die Sache ans Gerichte kommt, sein rechtliches Bedenken daruͤber abstatten muß. Dieses haͤlt mein Mann fuͤr die wahre und heilige Pflicht eines jeden Schutz- oder Gutsherrn, wofuͤr er ihre Paͤchte und Dienste zu geniessen hat. Vordem, sagt er, haͤtte der Schutzherr seine Leute sowohl zu Kampfe als Gerichte vertreten; und Schutzherr- schaften waͤren darum aufgekommen, weil einzelne arme Leute wider Unrecht und Gewalt nicht bestehen koͤnnen, sondern sich zu einer gemeinsamen Vertheidigung vereinigen muͤssen. Wenn sie aber unter sich Streit haben, muͤssen sie sich Schiedsfreunde unter den uͤbrigen Freyen waͤhlen, und sich deren Ausspruch unweigerlich gefallen lassen. Je- der Theil erwaͤhlt dazu drey, und diese muͤssen des Sonn- tags Nachmittags sich in ein besonders Zimmer in der Schenke begeben, und duͤrfen nicht eher trinken, bis sie sich eines gemeinschaftlichen Ausspruchs vereiniget, oder daruͤber verglichen haben. Diesen muß sich ein jeder Freyer hernach gefallen lassen. Hier- wegen Freylassung ihrer Einbehoͤrigen. Hieauf folgen die Rechte, welche die Freyen sich selbst gesetzet haben, und mein Mann nur bestaͤtigt hat. Ich will auch hievon einige anfuͤhren. Was die Braut oder der Braͤutigam in einen Hof bringt, faͤllt nie wieder zuruͤck. Der uͤberlebende Ehegatte hat den Nießbrauch des ganzen Hofes, und verliert ihn, so bald er sich wieder verheyra- thet. Doch kann mein Mann als Schirmherr ihnen ge- wisse Jahre geben, wenn die Kinder erster Ehe noch min- derjaͤhrig sind. Dieses geschieht nach dem Gutachten der drey aͤltesten Freyen, und gegen eine vorherbestellete Si- cherheit, daß der Hof in diesen Jahren nicht verschlimmert werden solle. Sind aber keine Kinder vorhanden: so muß der fremd eingekommene Theil, welcher zur andern Ehe schreitet, den Hof und das Hofgewehr dem naͤchsten Erben raͤumen, was daruͤber ist, mag er mitnehmen, und wenn hieruͤber Streit entsteht, entscheiden ihn die Schiedsmaͤn- ner. Der letzte Wille einer kranken Person gilt fuͤr nichts, wenn auch ein Notarius die Gesundheit des Gemuͤths noch so deutlich erkannt haͤtte. Verlassungen und Vermaͤchtnisse koͤnnen nicht anders als bey gesunden Tagen in Person un- ter der Eiche und vor gehegten Freyhofe geschehen. Das juͤngste Kind erbt, damit die aͤltern aus dem Neste sind, wenn der Erbe wieder bruͤten will; und wenn diesen sein Erbrecht genommen werden soll, muͤssen die Ursachen, wel- che den Vater dazu bewegen, von den zwoͤlf aͤltesten Freyen unter der Eiche gebilligt seyn. Die abgehenden Soͤhne erhalten Kost und Kleidung in ihrem elterlichen Hause bis ins 21 Jahr; und dann bekom- men sie zur Aussteuer sechs Hemde, ein vollstaͤndiges Kleid, und ein Malter Korn. Giebt ihnen der Vater mehr: so ist es sein freyer Wille, der Sohn aber kann es mit Recht nicht fordern. Die Toͤchter hingegen, welche bis in ihr 18 Jahr in dem elterlichen Hause frey unterhalten werden, be- kom- Schreiben einer Gutsfrau, kommen einen Brautwagen, so wie ihn drey der aͤltesten Freyen bestimmen. Das unbewegliche Gut, die Gebaͤude und alles was zum Hofgewehr gehoͤrt, darf dabey nicht in Betracht gezogen werden; weil mein Mann es widersinnig findet, den Leuten zu verbieten ihre Hoͤfe und Gruͤnde mit Schulden zu beschweren, und dem ungeachtet nach dem Werth derselben etwas herauszugeben. Eine solche Abfin- dung, wenn sie auch auf mehrere Jahre vertheilet, und nach dem jaͤhrlichen Ertrag ermaͤßiget wird, ist zu vielen Zufaͤllen unterworfen, und es findet sich kein Exempel, daß die Erfahrung hierinn mit der Vorschrift uͤberein gestimmt. Zur Erbschaft kommt nichts wie das vorhandene baare Geld, das unangeschnittene Linnen, und das vorraͤthige Silbergeraͤthe. Der Hof mit allem was dazu gehoͤrt, faͤllt auf den naͤchsten Erben, und wenn mehrere vorhanden sind, auf den aͤltesten unter Ihnen; wenn der letzte Besitzer ihn in seinem Leben keinem andern unter der Eiche uͤbertragen hat. Ist der Erbe abwesend: so wartet man auf ihn, ein Jahr und 6 Wochen. Laͤßt er in dieser Zeit nichts von sich hoͤren: so wird er als tod angesehen, und lebt zur Erbsol- ge nie wieder auf. Seinen Miterben giebt der aͤlteste Erbe nichts heraus. Das Hofgewehr ist besonders bestimmt. Es wuͤrde aber zu weitlaͤuftig seyn, wenn ich Ihnen dieses nach dem Verhaͤltniß eines jeden Hofes abschreiben wollte. Sie wis- sen ohnedem, daß darunter Pferde und Vieh, Wagen und Pflug, Boden und Keller mit dem was darauf und darinn gehoͤrt, nach einer sichern Zahl, begriffen sind. Einige unsrer Nachbarn, welche ihre Leibeigne auch in Erbpaͤchter verwandelt haben, haben verschiedenes von der Knechtschaft beybehalten, und unter andern auch die Er- laubniß erhalten, ihre sogenannten Freyen, wenn sie etwas ver- wegen Freylassung ihrer Einbehoͤrigen. verbrechen, mit Gefaͤngniß auch wohl mit dem spanischen Mantel bestrafen zu duͤrfen. Allein Leute, die nach der Will- kuͤhr eines Schutzherrn unter solchen Strafen stehen, sind keine wahre Freyen, sondern Zwitter, die so wenig den Ton als den Muth rechtlicher Leute bekommen werden; und wo dieser Endzweck verfehlt wird, da ist es weit besser, die ganze Leibeigenschaft in ihrer voͤlligen Strenge beyzubehalten. Meines Mannes Absicht ist den Seinigen ein richtiges Ge- fuͤhl der Ehre beyzubringen, und sie durch dieses zu guten Haushaͤltern und vermoͤgenden Paͤchtern zu machen, die ihm das Seinige mit dankbarer Freude geben sollen … Schreiberin dieses, meine aͤlteste Tochter, welcher ich den Anfang dieses Briefes in die Feder gab, und ihr her- nach das uͤbrige aus meines Mannes Papieren zusammen zu schreiben befohlen, ist … Denken Sie doch, liebste Freundin! das naͤrrische Maͤd- gen ist davon gelaufen, und wollte nicht schreiben, daß sie die Braut waͤre, ich muß es also wohl eigenhaͤndig hinzu- setzen, daß sie den Herrn von R .. heyrathet, und ich sie zur Strafe, weil sie gestern das Jawort nicht aussprechen wollte, dieses entsetzliche Paket habe schreiben lassen. Ich wußte es aber auch nicht besser anzufangen, um ihnen die verlangte Nachricht zu geben. In meinem Leben hatte ich so viel nicht zusammen gebracht ꝛc. LIV. LV. Ein westphaͤlisches Minnelied. Die Mode dient einem Kraͤmer oft eine alte Waare an den Mann zu bringen. Mit dieser kleinen Ent- schuldigung sey es mir erlaubt, ein altes westphaͤlisches Minnelied, welches ich unlaͤngst auf dem pergamenen Umschlage eines alten Registers entdeckt habe, dem Publi- cum mitzutheilen. Denn daß jetzt die Mode der Minne- lieder die Bardengesaͤnge in Deutschland verdrungen haben, wird jedem bekannt seyn, ob es gleich nicht so bekannt seyn mag, daß unsre neuen Minnesaͤnger eben nicht die Zeit er- waͤhlet haben, wo ihnen die Sitte der Nation, das hohe Gefuͤhl der Liebe und der Rittergeist die Vortheile verschaf- fen wird, welche diese vereinten Umstaͤnde den alten Minne- singern zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts darboten. Die Handschrift, woraus ich dieses Lied mittheile, ist aus dem dreyzehnten Jahrhundert, und das Blatt worauf es steht, hat zu einer Sammlung von Minneliedern ge- hoͤrt, welche von der Maneßischen, die sich in der Koͤnigl. Franzoͤsischen Bibliothek No. 7266 befindet, und bisher fuͤr die einzige in der Welt gehalten worden, ganz unter- schieden ist. Ein Kenner wird gleich fuͤhlen, daß es aus dem aͤchten Zeitalter der deutschen Poesie sey, und ver- muthlich ist es das einzige alte Lied das wir von einem westphaͤlischen Minnedichter noch uͤbrig haben. Er verraͤth sich durch gewisse Eigenheiten eben so wie Heinrich von Vel- dig, den man an dem Verse La mich wesen dyn und bis du myn fuͤr einen Niedersachsen erkennet. Twi- Ein westphalisches Minnelied. T wivel nicht du Leveste myn. Laz allen Twivel ane syn. Hert Synne unde Mod is allend dyn. Des schaltu wal gheloven my. Ich will myn sulves nemen war. Queme alde Werlt an eynen Schar. Nen schoner konde kommen dar. Ich wolde vil lever syn by dy. Darumb wes vrich und wolghemod. Ich will myn sulven haven hod. Dat dyr nenes Twyvels Not en Dot. Des sulven ghelik is myn begher. Alle Hote en helpet nicht. War men sülves nicht to en sycht. Blif stete als ik nu van dir schyd. Ro kert myn Herte an Vroyden her. Froh; er ist recht, her sagt man noch. Het sy Vrouwe eder Man. De holde sik vaste an syn Ghespan. Nicht beters ik öme raten kan. Und latet sik neyman leiden. Verdriessen, einem etwas verleiden, sagt man auch noch. Darume wünsche ik öme al dat Heil. Myn Hertzken ghans und nicht en Deyl. Wer nu an Twyvel wyl wesen gheil. Wo kan he des ghebeden. Twyvel maket al dat Leyd. Twyvel deet Unstedicheit. Wer echte Leve an Herten dreit. (traͤgt) Syn Vrowde schal sik meren. Myr Moͤs. patr. Phant. III. Th. Q Ein westphaͤlisches Minnelied Myr sal nemand leiden dyk. Mir soll doch niemand verleiden, oder zuwider machen. Twyvel nicht so doen och ik. Al Twyvel mot verberghen syk. So mach uns nycht beschweren. Das ich öch segge das is war. Schold ik leven dusend Jar. An myr so en twyfle nicht en Har. War ik myr henne bere. Bere, trage, wohin ich mich auch tragen oder wenden werde. Alle Hote en helpet nicht. \&e. Darume wes vrich un wolghemoth. \&c. Das Da Capo al Segno oder die Wiederholung der beyden zu Ende bemerkten Strophen ist nicht uͤbel ausgedacht. Das folgende Lied, das auf eben diesem Blatte steht, und worinn der Nachtwaͤchter einer jungen Frau den Tag zu fruͤh verkuͤndiget, scheint von einem Dichter zu seyn, der dem Rheine naͤher gewohnt hat. Das Lied selbst aber muß sehr beruͤhmt gewesen seyn, weil ich mich sehr irren muͤste, wenn der Koͤnig Wenzel von Boͤhmen nicht in folgender Zeile S. Proben der alten schwaͤbischen Poesie S. 6. darauf angespielet haͤtte. Wan es ist Zit und nicht ze fruo. Das man ein Scheiden werbe. Süs sang der Wächter è das sich geverbe. Der Tag mit siner Roete. Wol uf wol uf ich gan ia nicht ze beliben bi der Noete. Ich fürchte das der Minne ir Teil verderbe. Hier Ein westphaͤlisches Minnelied. Hier ist das Lied Ich synghe ich saghe. Et is an deme Taghe. Lat üch myn Wervent wal behaghen. Trud Vrouwelyn her nu merke an dyn Ghebrechte. Der Vöchlyn Schal man over al. Hört uf den Berghen und in dem Tal. Ghar lustichligen … dorch Vruchten. Ich stell eyn Horn an mynen Mund Dar mede do ich des lichten Taghes Röten kund. Ver nu eyn Tzund. Vart up der Mynne Straten. Der merke an my dat is myn Raten. Ik see den lechten Sternen. De dar irre gat. Und des nicht lat. He ne kundige was rechte Maten. Dat Vrouwelyn war ververet. Das mynnichliche Wyf. Wächter dyn Sang uns leret. Des rechten Taghes Tyt. Des dünkst du uns so schnelle. Synt ik und myn Gheselle. Aldererstén Schlaphen syt. Ich fuͤge diesem noch ein drittes Lied bey, das die Ueber- schrift Henricus fuͤhrt, und dem Stile nach vom Kayser Hein- rich dem Sechsten ist, wovon sich auch eines in der Ma- neßischen Sammlung befindet. Das feurige Gefuͤhl dieses gekroͤnten Dichters zeichnet sich gar zu merklich vor an- dern aus. Henricus . O we’ hertzeliker Leyde. De ik sende traghen mutz. Q 2 Owe Ein westphaͤlisches Minnelied. Owe lechter Oghen Weyde. Wanner wird myr Sorghen butz. Wenner sol din roter Mund mich lachen an. Und sprechen selichman. Watz du wilt dat sy ghetan. Ja meyn ik den Mund so losen. An dem al myn Trosten leghet. Sprechent alle rote Rosen. Dat eyn Mund myt roten Seghet. Batz dem Munde tzimt eyn lilien witzes Ja. Den eyn Neyn van Jamer bla Dat wort myn Jughent maken gra. Minne kannstu Vroude borghen. Des ghen ik dir number Tach. When du lachest keghenst den Morgen. Twarn dem Wind dyn afon Slach Dyne luste Rosen heygent scarphen torn. Leyt is Leben tzu geborn. Sulken Wöher treyt dyn Korn. Minne wilt tu sollen jamer. Uph mich erben myne Tzyt. Dyner Laste solden Amor Myr de cleynen Ture gyt. Ny. Den Heren ywane wers heyn Maghed thet. Sam de seone Vorluvct. Halp dat Leben der Trost en het. Ach sold ik den Apel teylen. Den Paris der Mynne gaf. Tzwarn du mostes jamer seylen. Sold ik dardorch in myn Graph. Pallas edde Juno mosten holden ir. So roch ik myn Leyt an dir. De du hast gheerbet myr. Die Ein westphaͤlisches Minnelied. Die Verse sind, eben wie in der Maneßischen Sammlung, am Ende nicht abgesetzt, doch jedesmahl mit einem Punkt geschlossen. Spracherklaͤrungen uͤber die unverstaͤndlichen Stellen sind fuͤr diese Blaͤtter zu weitlaͤuftig. Zum Beschluß will ich aus einer Handschrift des vier- zehnten Jahrhunderts ein geistliches Trinklied mittheilen, das die Ueberschrift fuͤhret: Carmen biblicum. S umus hic sedentes Sicut conferentes In omnibus gaudentes Nullum offendentes Sed læti faceti concinentes. Hospitem laudemus Sibi decantemus Tunc iterum potemus Secundum convivemus Honesti modesti jubilemus. Ergo infundatur Si cor jucundatur Tristitia fugatur Plausus innovatur Et læti faceti concinentes: Virgo generosa Dei speciosa Præ cæteris formosa Paradisi rosa Sit genti bibenti gratiosa. Nach den Worten zu urtheilen, mag dieses Lied recht hell geklungen haben. Q 3 LVI. Wie ein Vater seinen Sohn LVI. Wie ein Vater seinen Sohn auf eine neue Weise erzog. Aus einer ungedruckten Chronick. Zu dieser Zeit war auch ein Mann, dem brachte seine Frau einen gar huͤbschen jungen Sohn, und er ließ ihn ganz philosophisch erziehen; mit blossen Fuͤßen auf den Steinen und ohne Hut im Regen. Und damit der Junge fein wahr in seinen Reden, recht stark in seinem Vorsatze, und in allen Ausfuͤhrungen unerschrocken werden moͤgte: so muste er jede Sache ausdruͤcken, wie er sie erkannte oder empfand, und sein Wille durfte gar nicht gebeuget werden. Und der Knabe ward recht groß und stark, und hatte Mus- keln die einen ganzen Kerl zeigten. Und der Vater brachte den jungen Kerl, wie er ausgewachsen war, an den Hof seines Koͤnigs, der ihn sehr gnaͤdig aufnahm, und sich ob der Aufrichtigkeit und Staͤrke des Burschen sehr verwunderte; auch freueten sich alle Hofdamen seiner. Es waͤhrete aber nicht lange: so kamen viele Klagen an den Koͤnig. Der junge Kerl hatte die Gewohnheit, daß er allen Luͤgnern ins Gesicht spie, und jedem Verlaͤumder auf der Stelle einen Zahn ausschlug, wodurch der Hof in kurzer Zeit gar er- baͤrmlich verunstaltet wurde. Da ließ der Koͤnig den Vater kommen, und sagte zu ihm: er haͤtte ihm da einen jungen Loͤwen gebracht, der sich zwischen die Hirsche im Hof- Thiergarten nicht recht schickte, er moͤgte ihn also wieder heim nehmen, und in den Wald versetzen. Und als der Vater ihn darauf in den Wald unter die andern Loͤwen thaͤte, da war er ein Loͤwe wie andere Loͤwen, doch bruͤlle- ten die andern noch treflicher als er. Indessen liessen alle auf eine neue Weise erzog. alle Hofleute ihre Jungen eben also erziehen, um sie nicht auch der Gefahr auszusetzen, dereinst ihre Zaͤhne zu verlie- ren, oder sich ins Gesicht speyen zu lassen. Und es war eine Freude anzusehen, was fuͤr baumstarke Kerls um den Koͤnig waren, und wie sie wehneten, es mit allen Bauern im Dorfe aufnehmen zu koͤnnen. Und die Hofdamen folg- ten ihrem Beyspiele und zogen Dirnen auf die mit einem Malter Korn wie mit einem Federmuffe davon liefen. Und der ganze Hof ward so ausgebildet, daß der Mensch am Hofe, dem Menschen auf dem Lande fast voͤllig gleich wur- de. Doch konnten sie diesen nicht ganz erreichen, weil er der Mutter Natur, im Schoosse saß, und ihr die besten Leh- ren vom Maule wegnahm. Und der Gaͤrtner pflanzte dem Koͤnige lauter Eichen in seinen Garten. Aber der Koͤnig ward zornig daruͤber, und sagte: er haͤtte seinen Hofgarten dazu, daß darinn Blumen und Pfirschen und Trauben wachsen sollten; und verwies es dem Gaͤrtner, daß er ihn mit lauter Eichen besetzte. Und wie der Gaͤrtner ihm hierauf eine lange Lobrede auf die Schoͤnheit und Staͤrke der Eichen hielt; so antwortete ihm der Koͤnig, er liebte die Eichen auch, aber nur im Walde, und in seinem Garten waͤre ihm ein Spalierbaum lieber. Und der Gaͤrtner gehorchte, und der Garten trug Rosen, und Lilien und Tulipanen, und Zwergbaͤume von allerhand Fruͤchten, die lieblich anzusehen, und zu geniessen waren. Und der Koͤnig versammlete alle Weisen seines Landes, und sagte zu ihnen: er haͤtte einen Hund, eine Katze, eine Maus und einen Vogel so erzogen, daß sie miteinander in seinem Zimmer ruhig herum giengen, und aus einem Ge- schirre zusammen fraͤssen. Und nun wollten boͤse Leute sa- gen, es waͤre dieses eine schlechte Katze, weil sie ihre Natur so sehr veraͤndert haͤtte. Aber die sieben Weisen, welche gar wohl merkten, daß der Koͤnig von seinem Hofgesinde Q 4 redete, Wie ein Vater seinen Sohn redete, zankten sich treflich und sprachen, eine Katze, welche sich taͤglich ihre Maus hole, sey besser als zehen andre, die solches nicht thaͤten; diese waͤren blosse Heuchlerinnen und Schmeichlerinnen, und bisweilen noch dazu sehr falsch. Aber der Koͤnig befahl seiner Katze taͤglich eine gebratene Taube zu geben. Des war sie sehr froh, und lachte uͤber die Katzen und uͤber die Weisen, welche ihr fuͤr die gebrate- nen Tauben rauhe Maͤuse geben wollten. Und die Dirnen, welche auf die neue Art erzogen waren, kamen auch an Hof, und hatten breite Fuͤsse, und hohe Leiber. Und die Weisen bewiesen es dem Koͤnige klar, daß man den Kindern, ehe und bevor sie voͤllig ausgewachsen waͤren, keine Schuh anziehen duͤrfe, so daß es auch keiner wagte ein Wort dagegen zu sagen. Tausend und aber tau- send waͤren gefallen, und haͤtten sich den Hals zerbrochen, blos weil sie nicht recht fest gestanden haͤtten. Und die Wei- sen zeigten eben so klar, daß nichts gefaͤhrlicher sey, als den Leib einzuschnuͤren, und das mit so vielen Gruͤnden, daß es langweilig werden wuͤrde, sie alle zu erzaͤhlen. Und den Dirnen platzten die Schuhe, welche ihnen der Hofschuster gemacht hatte, von den Fuͤssen, und ihre dicken Leiber gefie- len dem Koͤnige nicht. Da das die Dirnen merkten, woll- ten sie ihm baß gefallen, und herzten ihn recht kraͤftig. Aber dem Herrn Koͤnig war das nicht immer gelegen, er wollte viel jagen und wenig schiessen. Und darauf waren die Dir- nen nicht abgerichtet; sie hiessen das eitel Verstellung und liebten die Wahrheit. Und es begab sich daß der Koͤnig einsmahls jagte in der grossen Senne, und die Jaͤger sahen ein Thier laufen, das glich einem Affen und schien doch kein Affe zu seyn, und das lief nicht allein auf der Erden, sondern auch auf die Baͤume, und setzte durch die Stroͤme, so daß es weder der Koͤnig, noch die Jaͤger, noch die Hunde einholen konnten. End- auf eine neue Weise erzog. Endlich aber wurden die listigen Leute des wunderbar schnel- len Thiers Meister, und brachten es gen Hof. Und siehe es war ein wildes Maͤdgen, das lief auf allen Vieren, schneller wie ein Reh, und konnte allerley Thiere fongen im Wasser und auf Erden. Und das Maͤdgen brauchte keine fuͤnf andere, um sich zu putzen, und die Weisen bewiesen dem Herrn Koͤnige, daß die Menschen gebohren waͤren auf Haͤnden und Fuͤssen zu laufen, und daß es der groͤste Grad der Freyheit waͤre, wenn man so wenig von einem Schnei- der als einem Schuster abhienge, sondern sich in allem selbst fertig machen koͤnnte. Und das Maͤdgen konnte die Weisen nicht leiden, und biß ihnen in die Waden; und der Koͤnig sprach: waͤhrt dem Maͤdgen nicht, denn es ist Freyheit. Darnach begab es sich abermals daß der Koͤnig kam in den Wald, und der Forstmeister hatte denselben sehr aus- gelichtet, so daß man nichts sahe als grosse starke und schoͤne Eichen. Und der Koͤnig sprach: Lieber, warum hast du das gethan; brauchet mein Gaͤrtner doch auch Zaunholz und mein Muͤller Kruͤmmlinge? laß kuͤnftig auch etwas Dickigt stehen, damit das Wild sich darinn verberge; und er befahl seinem Forstmeister, die jungen Baͤume aufzuschnei- teln, wo ihrer viele bey einander stehen muͤsten, oder sie doch an einigen Orten so zu ziehen, daß mehrere bey einan- der Raum haͤtten. Und der Forstmeister gehorchte, und zog dem Koͤnige auch Stangen, die ihm in seinem Wein- berge bessere Dienste thaͤten, als die Eichen. Und nun gruͤnen in dem Walde, Eichen, Buͤchen und Erlen; und allerley Voͤgel nisteten auf denselben, daß der Koͤnig eine große Freude daruͤber hatte. Darnach zu Hand beriethen sich die Weisen unter ein- ander, und dachten den Koͤnig zu fangen, und sprachen zu ihm: ob ein Adler in der Luft nicht besser waͤre als hundert Canarienvoͤgel in der Hecke? Und der Koͤnig antwortete Q 5 ihnen Wie ein Vater seinen Sohn ihnen und sprach: fuͤr die Adler ist die hohe Luft, wie fuͤr die Wallfische das Meer; und die Erde ist fuͤr die Finken, wie mein Schloßgraben fuͤr die Karpen. Diese besser hier, und jene besser dort. Und sie beriethen sich abermals und fragten: ob nicht ein Mensch der gerade gienge besser waͤre, als einer der hinkte? er aber sagte: wenn man nicht schreiben kann ohne zu hinken, und nicht jagen kann ohne gerade zu gehen: so ist zum Schreiben der Hinkende besser als der beste Trappenschuͤtze. Und die Weisen wurden daruͤber uneins unter sich, ob ein Vater das Recht haͤtte seinem Sohne ein Bein zu laͤh- men, um ihn zum Schreiber zu machen? und fragten dar- uͤber ein Urtheil vom Koͤnige. Da erkannte der Koͤnig zu Recht, daß der Vater die Macht haͤtte mit seinen Kindern zu thun was er wollte, so weit er es ihm nicht verboͤte. Und der Koͤnig erzaͤhlte ihnen, er habe es einmal gebieten wollen, wie ein jeder Vater seine Kinder erziehen sollt; aber da sey ihm das Ding so bunt geworden, daß er es daran geben muͤssen; ein Vater koͤnne sich zwar hierinn leicht an seinem Sohne versuͤndigen, aber ein andrer noch mehr. Und sie fragten um ein anderes Urtheil: wenn der Va- ter nun seinem Sohne alles das beybraͤchte, was er selbst glaubte, und irrig in seiner Meinung waͤre, ob es dann nicht besser seyn wuͤrde, ihn so aufwachsen zu lassen bis der Sohn die Sachen selbst pruͤfen koͤnnte? Und der Koͤnig ward des eiteln Fragens muͤde, und sagte, die Kinder wuͤr- den nicht blos durch die Lehre, sondern auch durch das Ex- empel des Vaters unterrichtet, und da man dieses nicht hindern koͤnnte: so waͤre es besser, daß der Vater ihrem Urtheile, die Ursachen, nach welchen er handelte, erklaͤrte, als daß er es gar bleiben liesse; und wie die Weisen hierauf den Bart strichen und sagten; es waͤre nichts laͤppischer als auf eine neue Weise erzog. als das Urtheil eines Juͤnglings, fragte er sie: ob sie sich nie an einem Apfelbaum in der Bluͤte ergoͤtzt haͤtten? Und die sieben Weisen giengen wieder zuruͤck, jeder in seine Heymath; und jedermann sagte am Hofe, daß wann die Hunde, Katzen und Maͤuse und Voͤgel zusammen in einem Korbe oder einer Kammer leben sollte, wie denn die Welt nicht groß genug waͤre, um einem jeden Thiere sein besonders Revier zu geben, sie so erzogen werden muͤsten, wie sie der alte weise Koͤnig erzogen haͤtte. LVII. Also sollten die Kosten eines Concurs- processes billig nicht auf saͤmmtliche Glaͤubiger vertheilet werden. Die Absicht Ihres Koͤnigs, mein Freund! ist unstrei- tig, die Sicherheit der Glaͤubiger auf alle Weise zu befoͤrdern, und wenn es moͤglich waͤre, ihnen ihre Forde- rungen gegen jeden Zufall zu versichern. Zu diesem großen Zwecke hat er eine neue Justitzverfassung erschaffen, die be- sten Gerichtsordnungen gegeben, die redlichsten und geschick- testen Maͤnner zu Richtern erwaͤhlt, die Sportuln aufs schaͤrfste bestimmt, die Hypothekenbuͤcher eingefuͤhrt, dem Zinslauf wie dem Concursprocesse ein gemessenes Ziel ge- setzt, und dem Glaͤubiger gleichsam bis auf eine Minute und bis auf einen Pfennig gesagt, wie lange ihn ein un- gluͤcklicher Schuldner hinhalten, und wie viel er bey ihm verlieren koͤnne. Der geringe Rest der Unsicherheit, wel- cher sich durch menschliche Weisheit nicht zwingen laͤßt, ist dadurch aufs moͤglichste verkleinert, und dergestalt zum An- schlag gebracht, daß jeder der einem andern Geld leiht, sei- nen moͤglichen Verlust in voraus berechnen, allenfalls die Assecu- Die Kosten eines Concursprocesses Assecuranz dafuͤr in einem hoͤheren Zinsgenuß beziehen kann. Wie laͤßt sich aber diese große, und auf die Erhaltung des innern und aͤussern Credits so deutlich gerichtete Absicht, mit dem Gesetze vereinigen, daß die Glaͤubiger nach Ver- haͤltniß ihrer Forderungen zu den ungewissen Kosten eines Concursprocesses beytragen sollen? Urtheilen Sie selbst, ich habe aus einer Concursmasse vor zehn Jahren eintausend Thaler Capital mit dreyjaͤhri- gen Zinsen richtig erhalten; und nun soll ich hundert sechzig Thaler Kosten, welche nachher noch aufgegangen sind, er- statten; aus einem andern soll ich nun ein gleiches Capital empfangen, aber vorerst 10 pro Cent fuͤr die kuͤnftigen Ko- sten zuruͤckstehen lassen: der Verlust in dem letztern Falle geht weit, und daß er unter allerhand Zufaͤllen noch weiter gehen koͤnne, zeigt der erste unwidersprechlich; raubt mir hier nicht der Gesetzgeber mit der einen Hand was er mir mit der andern giebt? Und kann ich es als eine Wohlthat ansehen, daß man mir auf alle Faͤlle dreyjaͤhrige Zinsen versichert, und dagegen mein Capital einer augenscheinlichen Unsicherheit aussetzt? Scheint Ihnen hierinn nicht ein Wi- derspruch zu liegen? Nie haben die gemeinen Rechte, nie die Roͤmer und Griechen diese Meister in der Kunst, dergleichen gebilliget. Der Deutsche, welcher die Aeusserung nach Landrecht erfunden, und darinn Natur und Kunst auf das schaͤrfste vereiniget hat schiebt demjenigen Glaͤubiger die Kosten zu der seine Mitglaͤubiger aͤussern will. Es war blos ein Einfall einiger einzelnen Rechtsgelehrten, die Concursko- sten auf saͤmtliche Glaͤubiger zu vertheilen. Diese glaub- ten man muͤsse hier nach dem Rhodischen Gesetze verfah- ren, welches die Erleichterung eines Schiffes in Gefahr, auf die ganze Ladung vertheilt. Allein nicht alle Glaͤu- biger sind in gleicher Gefahr; die aͤltesten waren schon im Hafen, sollten nicht gleich vertheilet werden. Hafen, wie die jungen noch mit allen 32 Winden kaͤmpf- ten. Noch ehe der junge Glaͤubiger, dem zu Gefallen die Erleichterung geschieht, ins Schiff kam, hatten sie ihre besten Waaren so gut als gelandet; und diesem der mit seinem Gute das Schiff uͤberlud, der es zu sinken zwang, der an aller Unsicherheit Schuld ist, sollte das Rhodische Gesetz zu statten kommen? Wie selten suchen oder verlangen uͤberdem die aͤltern Glaͤubiger den Concurs oder den Verkauf eines Guts? Der Tisch des Schuldners ist ihnen gedeckt, warum soll- ten sie mehr Gaͤste dazu bitten als satt werden koͤnnen? Wenn sie ja ihre Capitalien zuruͤck haben wollen: so uͤber- tragen sie solche einem andern, der froh ist eine alte und sichere Pfandverschreibung einzuloͤsen, oder sie lassen sol- che stehen, wenn das dafuͤr verpfaͤndete Gut auf das Ge- schrey eines jungen Glaͤubigers verkauft wird. Ihnen ist es eins, ob der Eigner des Guts Titius oder Cajus heißt, ihre Zinsen folgen ihnen aus dem Gute, und ihr Vorrecht bleibt ihnen unveraͤnderlich. Blos der junge unvorsichtige Mann, der zu viel borgte, der vielleicht seine Assecuranz in einem hoͤhern Zins bezogen, und zum voraus die Unsicherheit genutzt hat, erregt den Concurs. Ihm allein zu Gefallen geschieht der Verkauf; um ihn zu retten wird das Pfand ein, zwey oder dreymahl feil ge- boten, ein Curator angeordnet, und ein Urtheil gespro- chen; und zu solchen Unkosten soll der Glaͤubiger beytra- gen, der vor hundert Jahren in der vollkommensten Si- cherheit borgte? Das Hypothekenbuch ruft einem jeden zu, trau schau wem! Dieser Zuruf ist so gut wie eine oͤf- fentliche Protestation der aͤltern Glaͤubiger gegen alle juͤn- gere; und wenn diese sich daran nicht kehren: so muͤssen sie auch ihre Gefahr stehen. Nur dann, wenn der Concurs uͤber bewegliches Gut, uͤber ein Waarenlager, oder uͤber andre vergaͤngliche und dem Die Kosten eines Concursprocesses dem Verbrennen unterworfene Guͤter erregt wird, sind alle Glaͤubiger in gleicher Gefahr, und jeder muß der Billig- keit nach, zu den Concurskosten beytragen. Aber das ist hier der Fall nicht; die Rede ist von unbeweglichen Guͤ- tern, und nicht von Kosten, so zu deren Erhaltung ge- gen Einbruͤche der See oder gegen Anspruͤche einiger Lehn- und Fideicommisfolger angewandt sind. Die aͤltern Glaͤubiger sind wider ihren Willen aufgeboten worden, ihre Urkunden und Rechte vorzulegen, und den juͤngern Nachrichten zu geben, die diese aus dem Hypothekenbuche vorher haͤtten aufsuchen lassen sollen, ehe sie unvorsichtig borgten. Die juͤngern Glaͤubiger sind es, welche die aͤl- tern in ihrer gesetzmaͤßigen Ruhe stoͤren, und ihnen kost- bare Haͤndel machen; und um diese dafuͤr zu belohnen, sollen jene Schaden leiden? Um diese zu retten, sollen jene einen Theil ihres Capitals aufopfern? Ja wenn es noch juͤngere Soͤhne waͤren, welche mit zu der aͤltern Erb- schaft kaͤmen; allein es sind wildfremde, die bey offnen Hypothekenbuͤchern muthwillig geborgt, und wie gesagt, die Assecuranz dafuͤr mit ein oder zwey pro Cent bezo- gen haben. Und wie sehr hangen endlich diese Kosten, welche die alten Glaͤubiger mit tragen muͤssen, von dem Muthwillen der juͤngern, und von dem Willkuͤhr der Richter ab? Diese stiegen in dem Concursprocesse, worinn ich 160 Thaler von tausend zuruͤck bezahlen muste, und worinn ein ganz unbetraͤchtliches Lehnstuͤck, das den juͤngern Glaͤubigern zur Speculation gelassen werden konnte, auf gemeinsame Kosten herbey gezogen werden sollte, gewiß uͤber dreytausend Thaler, und schwerlich haben die Gesetze, welche mir dreyjaͤhrige Zinsen gewiß versichern wollten, einen solchen Verlust fuͤr moͤglich gehalten. Die zehn pro Cent, so man mir in dem andern zum voraus abzieht, sind sollten nicht gleich vertheilet werden. sind gewiß auch verlohren, und wenn ich ja noch ein Quart herausbekomme: so will ich zufrieden seyn, wenn der Agent, der die letzte Liquidation in meinem Namen mit ansieht, solches und nicht mehr fuͤr seine Bemuͤhung rechnet. Ich habe lange nicht gewust, mein Freund! warum die Zinsen in Ihrem Lande bey allen guten Anstalten be- staͤndig um 1 oder 2 Rthlr. vom Hundert hoͤher stehen, als in den benachbarten Laͤndern, worinn die Justitz noch wenig verbessert, und wie eine Eiche im Walde aufge- wachsen ist; und warum der Canal von Murcia jetzt so vieles Geld aus Westphalen zieht? Allein wenn ich die Unsicherheit betrachte, worinn die aͤltesten Glaͤubiger, die dem Großvater geborgt, und den Glaͤubigern des Enkels zu gefallen verlieren muͤssen, solchergestalt versetzt sind; wenn ich das allgemeine Schrecken sehe, das sich dadurch in den Gemuͤthern solcher Menschen verbreitet, die den eigentlichen Zusammenhang nicht einsehen, und sich die wunderbarsten Dinge davon vorstellen, so brauche ich nicht weiter zu fragen, warum die Leute lieber auf den Canal von Murcia als auf Ihre besten Verschreibungen trauen wollen. Die Helmstaͤdter Juristen, waren auch einmahl, wie Leyser Spec. 481. m. 5. erzaͤhlt, der Meinung zugethan, daß die Concurskosten allen Glaͤubigern zur Last fallen muͤsten. Sie schlugen aber geschwind einen andern Weg ein, und ich wuͤnsche von Herzen, daß bey Ihnen ein gleiches erfolgen moͤge; ja ich wuͤnsche, daß man endlich den ganzen verderblichen Concursproceß, der in Frank- reich wie in England bey adlichen Guͤtern unbekannt ist, und den die Deutschen nie gekannt haben, voͤllig abschaf- fen, und dafuͤr den alten ehrlichen Aeusserproceß, worinn das Gut in banco liegt, und jeder Glaͤubiger sein folio hat, Ueber die verfeinerten Begriffe. hat, wieder einfuͤhren moͤge. Diesen hat die Natur Landbesitzern angewiesen, und die Hypothekenbuͤcher, wel- che die banco vertreten, schicken sich nicht einmahl fuͤr den Concursproceß, sondern sind fuͤr den Aeusserproceß gemacht. Dieser allein kann die Landbesitzer erhalten, und die Verschreibungen zur lebhaften Circulation bringen. Aber der Concursproceß ist fuͤr Kraͤmer. LVIII. Ueber die verfeinerten Begriffe. Mein Muͤller spielte mir gestern einen recht artigen Streich, indem er zu mir ins Zimmer kam, und sagte: es muͤssen vier Stuͤck metallene Nuͤsse in die P oller und Pollerstuͤcke gegen die Kruke gemacht werden, auch haben alle Scheiben, Buͤchsen, Bolten und Splinten eine Verbesserung noͤthig, der eine eiserne Pfalhacke mit der Hinterfeder ist nicht mehr zu gebrauchen und das Krey- tau — So spreche er doch deutsch mein Freund! ich hoͤre wohl daß von einer Windmuͤhle die Rede ist, aber ich bin kein Muͤhlenbaumeister, der die tausend Kleinigkeiten, so zu einer Muͤhle gehoͤren, mit Namen kennet. Hier fieng der Schalk an zu lachen und sagte mit einer recht witzigen Geberde: machte es doch unser Herr Pfarrer am Sonntage eben so, er redete in lauter Kunstwoͤrtern, wobey uns ar- men Leuten Hoͤren und Sehen vergieng; ich daͤch t e er thaͤte besser, wenn er wie ich seiner Gemeine gutes Mehl lieferte und die Kunstwoͤrter fuͤr die Bauverstaͤndigen sparte. Wie, mein Freund! fieng der Pfarrer laͤchelnd an, der, ohne daß ihn der Muͤller gesehen hatte, im Fenster stand, — aber dieser machte sich geschwind aus dem Staube — und so gieng die Rede unter unsbeyden an wor- Ueber die verfeinerte Begriffe. worinn der Pfarrer, welcher ein sehr vernuͤnftiger Mann war, dem Muͤller wuͤrklich Recht gab, ob er gleich dafuͤr hielt, daß er selbst gegen die von demselben angegebene Regel nicht gefehlt, und seiner Gemeine etwas vorgetra- gen haͤtte, das ihren Begriffen nicht angemessen gewesen waͤre. Wie aber ein Wort so das andre holte: so kamen wir endlich auf die jetzt allgemein herrschende Verfeinerung der Begriffe, und auf die Frage: ob solche nicht in ihrer Art ein eben solches Uebel, als die weiland beliebte Em- pfindsamkeit werden wuͤrde? Und Sie wollten es nicht billigen, hob der Pfarrer an, wenn unsre Philosophen in das innerste der Natur dringen, jeden Begriff bis in seine Quelle verfolgen, hier die wuͤrkenden Kraͤfte aufsucher, solche mit Namen bezeichnen und das Unsichtbare der Na- tur gleichsam zum Anschauen bringen? Sie wollten es nicht gut finden, daß unsre Physiognomisten in unendli- chen bisher unbemerkten Zuͤgen die Abdruͤcke unsers Cha- racters finden, und damit unser Erkenntniß bereichern, daß unsre Psychologisten alle Toͤne und Kraͤfte der Seele unterscheiden, und den Maaßstab ans Unendliche legen, und daß endlich unsre Sittenlehrer die unzaͤhligen Wen- dungen des menschlichen Herzens in Klassen ordnen, und die chaotische Masse der dunkeln Begriffe zu lauter deutli- chen erheben? Das kann ich freylich wohl nicht mißbilligen, war mei- ne Antwort, so lange solches fuͤr Bauverstaͤndige und nicht fuͤr solche geschieht, die nun endlich das Mehl erwarten, ohne sich um die Nuͤsse, Poller und Splinten zu bekuͤm- mern. Aber mich duͤnkt, die wenigsten unter den Schrift- stellern, welche jetzt fuͤr das Publicum schreiben, beweisen diese Maͤßigung. Auch die besten unter ihnen schreiben nicht mehr vor das gemeine Auge, ihre Worte sind nach ihrer zu scharfen Einsicht gestimmt, ihre Begriffe sind zu Moͤs. patr. Phant. III. Th. R tief Ueber die verfeinerte Begriffe. tief aus der Sache geschoͤpft, sie beziehen sich auf Verhaͤlt- nisse, die nur den Baumeistern bekannt sind, und es koͤmmt mir oft so vor, als wenn sie durch ein Vergroͤsserungsglas arbeiteten, und die Dinge in einem ganz andern Lichte, in einem so ausserordentlichen Verhaͤltnisse saͤhen, worinn sie sonst niemand erblickt. Man kann doch, wenn man sich unterrichten, erbauen oder vergnuͤgen will, nicht immer auch sein Vergroͤsserungsglas vor sich haben, oder wenn man krank ist, den feinen Zergliederer dem nuͤtzlichen Arzte vorziehen. Die natuͤrliche Folge jenes Verfahrens ist, daß sie auch ihre Empfindungen erhoͤhen, und da jauchzen oder heulen, wo ein andrer ehrlicher Mann, der das nicht sie- het was sie sehen, ganz gleichguͤltig bleibt. Ja ich kenne ihrer viele, die durch die neu entdeckten Aehnlichkeiten und Verhaͤltnisse in dem Unendlichen der Natur in eine fuͤr den gemeinen Leser ganz unbegreifliche Schwaͤrmerey versetzet werden. Die Wissenschaft sollte meiner Meinung nach fuͤr den Meister, und die Frucht derselben fuͤr das allgemeine Beste seyn. Mir ist das Resultat einer grossen Geistesar- beit, und zum Beyspiel der Gedanke, das Einweyhungs- fest der neuen catholischen Kirche in Berlin, mit dem Ge- sange: Wir glaͤuben alle an einen Gott ⁊c. anzufangen, lieber, und lehrreicher, auch in seiner Stelle schoͤner und besser, als die feinste Zergliederung einer menschlichen Tugend. Wenn aber, fiel hier der Pfarrer ein, die feinsten Wahr- heiten populaͤr gemacht werden koͤnnen! O, sagte ich, wo das geschehen kann, da hoͤret mein Widerspruch auf; aber es ist gegen die Natur der Sache unendlich kleinen Theilgen, und unendlich feinen Unterscheiden, Groͤsse und Farbe zu geben, daß sie ein jeder sehen und empfinden kann. Ausser dem engen Kreise der Wissenschaften verwirret man nur da- mit den gesunden Menschenverstand. Die ganze Behand- lung einer Sache, und die zu deren Vortrag gewidmete Spra- Ueber die verfeinerte Begriffe. Sprache wird dadurch entweder zu scharf bestimmt oder zu mannigfaltig, um sie zu seinen ordentlichen Beduͤrfnissen zu gebrauchen. Es geht derselben wie unsern fuͤnf Sinnen, wenn sie schaͤrfer empfinden, als es fuͤr unsre Gesundheit und Bequemlichkeit gut ist. Das ganze Reich des Unendli- chen, das vor unsre Sinnen versteckt liegt, ist uͤberdem das Feld der Speculation und Systeme. Jeder legt hier sein eignes an, bestimmt darnach seine Worte, oder erfindet fuͤr seine Hypothese besondre Zeichen, und wann die gemeine Menschensprache damit uͤberladen wird: so entsteht daraus eben wie aus einer Menge zu vielerley Muͤnzen, Beschwer- de und Verwirrung; man unterscheidet, wo man nicht un- terscheiden sollte, und wird spitzfindig anstatt brauchbar zu werden; oder ein Mensch versteht den andern nicht mehr; und unsrer jetzigen Sprache wird es wie der ehmaligen scho- lastischen ergehen, die durch ihre Feinheit verungluͤckt ist, oder sie wird der gothischen Schnitzeley aͤhnlich werden, welche den Mangel der Groͤsse ersetzen sollte. Sehe ich nun weiter auf die Menge derjenigen die in Raphaels Manier arbeiten, ohne Raphaels Geist zu haben — O! der Muͤller soll Recht haben, schloß mein Freund; das Kreytau soll fuͤr die Kunstverstaͤndigen bleiben; wir wollen uns an sein Mehl halten. LIX. Die Regeln behalten immer ihren grossen Werth. Eine Erzaͤhlung . Vor einem gewissen westphaͤlischen Dorfe stand eine hohe Saͤule mit einer eisernen Hand, welche seit vielen Jahren den rechten Weg in die Stadt gewiesen hatte. Ne- ben derselben begegnete ein reise n der Seiltaͤnzer dem Dorf- R 2 schul- Die Regeln behalten ihren grossen Werth. schulzen, und fragte ihn: was ihn doch in aller Welt be- wogen haͤtte, allen Leuten einerley Weg zu zeigen? ob nicht jeder seinen eignen haͤtte? und ob man uͤberhaupt sagen koͤnnte, daß es richtige Wege gebe? er z. B. wollte auf dem Seile uͤber Graben und Hecken nicht allein weit geschwinder und kuͤrzer, sondern auch zu aller Menschen Bewunderung dahin kommen. O! antwortete der Schulze: unser Weg- weiser zeigt nun einmahl den gemeinsten, sichersten und eben- sten Weg, und wenn derselbe nicht gewiesen wuͤrde, so wuͤste man ja nicht einmal, wie viel kuͤrzer und geschwinder ein an- drer waͤre. Indem kam ein Juͤngling auf einem raschen Pferde, und setzte, waͤhrend der Zeit daß der Seiltaͤnzer seine Linien spannete, uͤber Zaͤune und Graben weg. Hier sagte der Schulze zum Seiltaͤnzer: seht guter Freund, der kommt noch geschwinder und kuͤrzer uͤber weg als ihr, und ich be- wundre ihn eben so sehr, was duͤnkt euch, wenn wir den Wegweiser so stelleten, daß alle, die in die Stadt wollen, diesem folgen muͤsten? Ihr seyd ein einfaͤltiger Mann, versetzte jener, wie viele wuͤrden nicht den Hals brechen, oder in den tiefen Graͤben stecken bleiben, wenn ihr dieses thaͤtet? das meyne ich auch, beschloß der Schulze; und so ist es wohl am besten, daß wir jedem einen ebnen richtigen und sichern Weg zeigen, und uns um diejenigen, die auf dem Seile tanzen, oder mit ihren Pferden uͤber Hecken und Graben setzen koͤnnen, nicht bekuͤmmern. Ein Philosoph, der ihre Unterredung mit angehoͤrt hatte, machte hieruͤber die Anmerkung, daß die gemeinen Wege oder Regeln immer noͤthig blieben, wenn die Genies sich auch noch so weit davon entfernten. LX. LX. Gedanken uͤber den westphaͤlischen Leibeigenthum. Nicht wenige Gutsherrn und zwar solche, denen es ge- wiß nicht an Einsicht mangelt, gerathen allmaͤhlig auf die Gedanken, daß es weit besser fuͤr sie seyn wuͤrde, die Hoͤfe ihrer Leibeigenen mit Vorbehalt ihres Gutsherrli- chen Rechts verkaufen, als solche, wie jetzt geschieht, zum besten der Glaͤubiger ausheuren zu lassen, wenn sich ihre Leibeigne mit Schulden Um dieses in seinem voͤlligen Maasse zu verstehen, muß man bemerken, daß es in dem Stifte Oßnabruͤck Leibeigne giebet, die ihre Hoͤfe mit zehn und zwanzig tausend Thaler Schulden beladen haben. beladen, und dadurch außer Stand gesetzt haben, die ihnen anvertraueten Hoͤfe in Reihe und Ordnung erhalten zu koͤnnen. „Bey den jetzigen Ausheurungen, sagen sie, bekommen „wir doch so nichts mehr als unsre Paͤchte und Dienste. „Denn wenn der von seinen Glaͤubigern ausgezogene Leib- „eigne stirbt: so findet sich nichts zu erben, und was soll „man von Leuten, denen die Glaͤubiger außer der Haut, „wenig gelassen haben und die insgemein aus Mismuth und „Gram oder wegen ihrer liederlichen Gemuͤthsart auf kei- „nen gruͤnen Zweig kommen, fuͤr Freybriefe fordern? Da- „bey gehen die Gerechtigkeiten unsrer Hoͤfe bey den Verheu- „rungen vielfaͤltig verlohren; jederman sucht seinen Weg „daruͤber; und waͤhrender Zeit andre sich in der Mark aus- „dehnen und ihre Hoͤfe verbessern, stehen die unsrigen in „Gefahr, sogar ihre alten Grenzen zu verlieren. Das Ge- „hoͤlz auf dem Hofe wird vollends ein Raub. Die Gebaͤude, R 3 „da Gedanken „da sie auf Rechnung gebessert werden, verzehren entweder „die Heuergelder oder fallen in wenigen Jahren zusammen; „und durch die vielen einzelnen Ausheurungen werden un- „sre eignen Gruͤnde zuletzt selbst herunter sinken. „Mit dem Adel ist es nun leider einmal so weit gekom- „men, daß er seine Ehre im Dienste suchen muß. Man „will heut zu Tage keine Edelleute mehr, die ihren Haus- „halt fuͤhren und selbst auf den Acker gehen sollen. Es „geht auch hier im Stifte gar nicht mehr an, nachdem wir „unsre Gruͤnde so hoch als moͤglich verheuret, unsern Staat „darnach eingerichtet, und die Erbtheile unsrer Bruͤder und „Geschwister darnach bestimmet haben. Wir wuͤrden diese „und andre unsre hierauf gemachte Schulden nicht verzin- „sen koͤnnen, wenn wir unsern Acker selbst unternehmen soll- „ten. Denn dabey koͤmmt fuͤr uns, die wir kein Auge, „keine Hand und keinen Fuß mehr dazu haben, nichts her- „aus als Schade. Wir muͤssen also durchaus darauf den- „ken, die Heuer unsrer Aecker und Wiesen nicht sinken zu „lassen; und dies werden wir wahrlich nicht verhindern, wo „man nicht endlich der Verheurung unsrer mit Leibeignen „besetzten Hoͤfe ein vernuͤnftiges Ziel setzen, und wenigstens „deren Verheuerung an einzelne schlechterdings verbieten „wird. „Dies kann aber nicht besser geschehen, schliessen sie, als „wenn wir den Glaͤubigern des Leibeignen erlauben, gegen „ihren Schuldner eben so als gegen einen freyen Mann zu „verfahren, und seinen Hof an einen andern verkaufen zu „lassen, so bald er nicht bezahlen kann. Wir koͤnnen uns „10 pro Cent zum Weinkaufe von dem neuen Kaͤufer be- „dingen, und denn moͤgen die Glaͤubiger unsere Hoͤfe so oft „subhastiren lassen als es ihnen gefaͤllt, wenn wir nur un- „sre Paͤchte und Dienste behalten. Verfaͤhrt man doch mit „den uͤber den westphaͤlischen Leibeigenthum. „den Lehnen jetzt eben so. Und was sind wir thoͤricht, daß „wir mit den Glaͤubigern daruͤber kostbarlich zanken: ob „ein Leibeigener abgeaͤußert werden solle oder nicht? Wenn „einer von uns nicht bezahlen kann: so verkauft man ihm „sein Gut uͤber dem Kopfe, und fraget nicht darnach, ob „er gut oder schlecht gewirthschaftet habe. Genug, daß er „nicht bezahlen kann; und eben dies, oder doch wenigstens „der blosse Mangel des Hofgewehrs Hofgewehr ist in Westphalen das nothwendige Inventarium eines Bauerhofes, welches hie und da durch Gesetze mit dem Hofe in Verhaͤltniß gesetzt ist. , und das daraus „hervorgehende Unvermoͤgen einer Pachtung vorzustehen, „sollte genug seyn, den Leibeignen vom Hofe zu setzen. Un- „sere Politik erfordert es mit den Glaͤubigern des Leibeignen „einerley Interesse zu haben. Denn diese sind es die den „Leibeignen unterstuͤtzen; und wir erlangen einerley Interesse „mit ihnen, so bald wir den Verkauf gegen sichere Procent- „gelder zulassen. Wir bekommen einen freudigen Paͤchter „an den Kaͤufer fuͤr den verarmten Quaͤler; und erhalten „endlich, wenn unsere Leibeignen sehen, daß sie nicht fester „auf dem Hofe sitzen als freye Eigenthuͤmer, die oft gerin- „ger Schulden halben davon springen muͤssen, ein sicheres „Mittel ihrer uͤblen Wirthschaft Ziel zu setzen. „Es ist eine große Frage, ob das Grundeigenthum nicht „mehr ein philosophischer Begriff als eine nuͤtzliche Wahr- „heit sey. In der Welt kommt alles auf die Erbnutzung an, „und die Gruͤnde bleiben da liegen, wo sie seit der Schoͤ- „pfung gelegen haben. Den Verkauf freyer Guͤter kann „man ebenfalls eine Abaͤußerung nennen. Ein Besitzer geht „davon ab und der andere wieder darauf. Hier nuͤtzen die „Glaͤubiger das Geld; bey den Leibeignen nuͤtzen sie den „Grund; und in der That kommen beyde gleich weit. Die „Sache bleibt nur in unsern Begriffen unterschieden; und R 4 „wenn Gedanken „wenn wir von diesem philosophischen Begriffe des Grund- „eigenthums 10 oder 20 pro Cent so oft erhielten, als eine „zufaͤllige Veraͤnderung mit der Erbnutzung vorgenommen „wuͤrde: so duͤnkt mich koͤnnten wir wohl zufrieden seyn, „und wenigstens besser als jetzt stehen.„ Dies sind die Klagen der Gutsherrn; und man kann wuͤrklich gerade zu nicht in Abrede seyn, daß selbige nicht vollkommen gegruͤndet waͤren. Dennoch aber ist die Sache so leicht nicht zu heben, wie sie sich solches vorstellen: und es gehoͤret eine muͤhsame Entwickelung verschiedener Be- griffe dazu, um auf den rechten Punkt zu kommen. Unser Leibeigenthum ist aus lauter Widerspruͤchen zusammengesetzt. Es ist das seltsamste Gemische das sich in der Rechtsgelehr- samkeit findet; und wird durch neuere Begriffe noch immer mehr und mehr verworren. Der Gutsherr, sagt man, hatte ehedem das hoͤchste Recht uͤber seinen Leibeignen; er konnte ihn toͤdten wenn er wollte; der Leibeigne stellete keine Person vor; er hatte nichts eignes; er war keines Rechts, keines Besitzes, keiner Erbnutzung faͤhig. Die Gutsherrliche Willkuͤhr war sein Gesetze. Heute muste er diesen Acker pfluͤgen, morgen einen andern. Hatte er Pferde: so muste er so weit damit fahren, als der Gutsherr wollte, nicht woͤchentlich, sondern taͤglich, und so weit die Pferde ziehen wollten. Wenn der Gutsherr etwas schenkte, versprach oder bewilligte: so konnte er es morgen wiederrufen. Der Leibeigne konnte gar nicht kla- gen. Er war echt- und rechtlos, und nichts als das oͤf- fentliche Mitleid oder die Religion bauete zuerst eine Saͤule, bey welcher der Leibeigne gegen eine uͤbertriebene Grausam- keit seines Herrn Schutz finden konnte. So war der Leib- eigenthum bey den Roͤmern; so soll er noch im Mecklen- burgischen und in Liefland seyn; und so muß er uͤberall nach rechtlichen Begriffen zuerst angenommen werden. Aber uͤber den westphaͤlischen Leibeigenthum. Aber nun koͤmmt der Gegensatz: Dieser Leibeigne saß oder wohnte in Bezirken, so wie er noch jetzt im Mecklen- burgschen und Lieflaͤndischen darinn wohnt; nicht aber auf Hoͤfen die zur gemeinen Vertheidigung ohne Mittel gezo- gen werden, und deren Besitzer dem Aufgebot der Landes- obrigkeit folgen muͤssen. Der Gutsherr ist dort selbst steuer- bar, wo jene Art von Leibeigenthum eingefuͤhrt ist. Das ist er in Maͤhren und Boͤhmen, in der Laußnitz und in Lief- land, und das war er auch zu Rom. Dem Buͤrger und freyen Mann lagen alle oͤffentliche Lasten auf; und dem Staate war es sehr gleichguͤltig, ob einer tausend Zugscla- ven oder so viel Stuͤck Zugvieh hielt; eins war so gut als das andre. Vermuthlich ist die Beschaffenheit des westphaͤlischen Bo- dens, der nur lauter Flecke von Lande hat, und mit Heide, Mohr, Sand und Gebuͤrgen untermischt ist, Schuld daran gewesen, daß man keine natuͤrliche Bezirke angelegt hat. Es sey aber diese oder eine andre Ursache: so wollen wir setzen, daß anstatt der viertausend Hoͤfe woraus unser Stift zum Exempel bestehen mag, fuͤnfhundert adeliche Bezirke vorhanden waͤren: so ist nichts gewisser, als a) daß alle unsre Bauern, eben so gut wie im Meck- lenburgschen und anderwaͤrts voͤllig leibeigen, und von der Willkuͤhr des Bezirksherrn abhaͤngig seyn wuͤrden; b) daß gar keine Beamte, Gowgrafen, Voͤgte und ge- meine Bediente vorhanden seyn koͤnnten; und c) daß wenn eine Steuer von hunderttausend Thaler, oder eine Kriegsfuhr von zehntausend Wagen erfordert wuͤrde, jene fuͤnfhundert Bezirksherrn fuͤr Haupts zwey- hundert Thaler dazu bezahlen und zwanzig wohlbespannete Wagen schicken muͤßten. Dies geht aus der Anlage her- vor; und wird durch die Verfassung andrer Laͤnder unwi- dersprechlich bestaͤtigt. R 5 Im Gedanken Im Stifte Oßnabruͤck befinden wir uns nun aber gerade im Gegensatze. Anstatt jener Bezirke befinden sich lauter einzelne Hoͤfe; und wir koͤnnen es so wohl nach der Natur, als nach der Geschichte voraus setzen, daß jeder einzelner Hof urspruͤnglich mit einem freyen Eigenthuͤmer besetzt ge- wesen. Es sey nun geschehen zu welcher Zeit es wolle; aus Noth, von einem erwaͤhlten Heerfuͤhrer, oder von einem Ueberwinder: so sind einmal je zehn und zehn, oder hun- dert und hundert Bauerhoͤfe in eine Compagnie zusammen- gesetzt und einem Hauptmann untergeben worden. Dieser Hauptmann hat den Meyerhof zum Eigenthum besessen; und hat d) alle zu diesem Hofe gehoͤrige Leute jaͤhrlich, oder so oft es die Noth erfordert, auf seinem Hofe versammlet. Auf diesem Meyerhofe ist e) die gemeine Burg gewesen, wohin alle Hofhoͤrige sich mit dem Ihrigen, zur Zeit eines feindlichen Ueberfalls, bege- ben haben. Sie haben f) diese Burg mit gemeiner Hand erbauet, die Steine dazu gefahren, das Dachstroh dazu geliefert, die Graben umher geraͤumet und aufgeeiset, und kurz alles was wir jetzt Burgfestendienste nennen, als gemeine Dienste dahin verrichtet. Da man noch nicht schreiben konnte, haben sie g) um ihr Recht zu dieser Burg, und ihre Angehoͤrig- keit zu beurkunden, dem Hauptmann jaͤhrlich ein Ey, ein Huhn oder eine andre Sache geliefert. Sie haben, um ihn h) fuͤr seine Muͤhe und Aufsicht zu belohnen, ihm zweymal im Jahr bey Grase und bey Stroh einen Dienst gethan; ihm einen Schutzpfennig gegeben, und es zu ihrer Sicherheit auf seine Vorsorge ankommen lassen, welche Fremde uͤber den westphaͤlischen Leibeigenthum. Fremde er aufnehmen und geleiten, oder ausschaffen und wegweisen wollte. Er war zugleich i) ihr Richter in allen kleinen Zaͤnkereyen, gab demje- nigen der an einen andern etwas zu fordern hatte, seinen Schulzen zur Pfandung mit, und genoß fuͤr diese seine rich- terliche Muͤhe die Bruchfaͤlle, so sie ihm verwilligten. Da es ihr allgemeines Beste erforderte, daß jeder Hof im guten Stande mit einem handfesten Wirth und gutem Spanne versehen war; weil sonst bey einem feindlichen Ueberfalle, oder bey einem gemeinen Nothwerke die tuͤchtigen fuͤr den untuͤchtigen haͤtten dienen muͤssen: so war k) der Hauptmann verpflichtet dafuͤr zu sorgen, daß keiner unter ihnen seinen Hof verwuͤsten, sein Holz ver- hauen, sein Spann versaͤumen, oder sich mit Alter und Leibesschwachheit entschuldigen moͤchte. Nach einer natuͤr- lichen Folge setzte also l) der Hauptmann, so bald einer verstorben und der Erbe minderjaͤhrig war, auf sichere Jahre einen Wirth auf den Hof und forderte von ihm gegen die ganze Nutzung auch die ganze Vertheydigung; untersuchte, ob der Erbe, wenn er den Hof antreten wollte, handfest zum gemeinen Dienst sey; gieng, wenn einer verstarb, ins Sterbhaus, und sahe darnach daß das Heergeraͤthe nicht vertheilet und verbracht, sondern bey dem Hofe gelassen wurde; und zog dafuͤr bey der Einfuͤhrung des Erben eine Erkenntlichkeit, welches jetzt die Auffarth oder der Weinkauf genannt wird, so wie bey dem Sterbfalle, das beste Pfand oder eine an- dre Urkunde. Dies war ungefehr die aͤlteste Anlage, welche so lange dauerte als man den Heer- oder wie wir jetzt sprechen, den Arrierbann im Felde gebrauchte; und es in Westpha- len so gehalten wurde, wie es unter den Croaten und Pan- duren, Gedanken duren, die noch jetzt von ihren Hoͤfen zu Felde dienen, ge- halten wird. Der Heerbann wich dem Lehndienst, so wie der Lehn- mann den heutigen geworbenen weichen muͤssen. Jener be- stand aus Leuten, die nur zu gemeiner Noth dienten; der Lehnmann folgte auch nicht jedem Wink, und so war es fuͤr große Herrn besser geworbene zu haben, die alle ihre Absichten bereitwillig erfuͤllen. Die Folge der letzten Ver- aͤnderung sehen wir noch. Sie ist diese, daß der Lehnmann seine Guͤter verpachtet und Dienste nimmt. Eben das er- folgte bey der ersten Veraͤnderung auch. Der Hauptmann verachtete seine Landcompagnie und die Eigenthuͤmer gien- gen vom Hofe und nahmen Lehn. Erster setzte einen Meyer oder Schulzen auf dem Meyerhof; und diese uͤberliessen ih- ren Pflug einem Aftermann, beyde mit Vorbehalt sicherer Dienste und Paͤchte. Die Eigenthuͤmer, so noch zuruͤck blieben, wurden immer mehr geplagt, gedruͤckt und ver- achtet, so daß sie, wenn sie auf dem Hofe blieben und Schutz und Beystand haben wollten, sich dem Bischoffe und an- dern maͤchtigen Herrn auf gewisse Bedingungen uͤbergeben, oder empfehlen, und ihre Hoͤfe von diesen zur Precarie oder zum Leibzuchtsgenuß wieder annehmen mußten. Wie solchergestalt nach und nach alle Eigenthuͤmer aus der Landcompagnie traten und ihre Guͤter andern uͤberließen, kam die Frage natuͤrlicher Weise vor: Ob sie solche verpach- ten, oder gegen einen Erbzins verleihen, Leibeigne oder Freye darauf setzen, ein Meyerrecht oder Landsiedelrecht stiften, und uͤberhaupt, ob sie diesen oder jenen Contrakt mit ihren Afterleuten errichten wollten? Dem ersten An- schein nach standen ihnen alle diese Contrakte frey. Allein eben so wie jetzt der spanische Oberfiscal Campomanes for- dert, daß alle schatztragende Gruͤnde im Koͤnigreich nicht durch uͤber den westphaͤlischen Leibeigenthum. durch Gesinde, Heuerleute, Leibeigne und solche Menschen bestellet seyn sollen, welche zur Zeit der Werbung nicht frey und ohne Widerspruch eines Halsherrn aufgefordert werden koͤnnen: eben so forderte damals die gemeine Reichs- und Landeswohlfart, und fordert es noch jetzt, daß die Hoͤfe besetzt, nicht aber verheuert oder auf eine solche Art aus- gethan seyn sollten, wodurch der Staat einen aͤchten Unter- thanen verlieret. Wo Bezirke eingefuͤhret sind, wendet sich der Staat an den Bezirksherrn, und fordert von ihm eine Recrutenstellung. Wo aber keine Bezirke sind, und der Staat sich an jeden Hof ohne Mittel haͤlt, fordert er den Mann vom Hofe, und duldet es nicht, daß ihm dieser durch Verbindungen vorenthalten werde, oder zur Zeit der Noth als ein fluͤchtiger Heuerling zum Lande hinaus gehen koͤnne. Es ist ein zwar scheinbarer aber doch im Grunde unrich- tiger Schluß, daß unsre heutigen Bauern anfaͤnglich ins- gemein Heuerleute oder Paͤchter gewesen; und ihre Heuern oder Pachtungen mit der Zeit erblich geworden seyn. Von einem Heuermann hat nie gefordert werden koͤnnen, daß er zur Vertheidigung des Staats sein Leben aufopfre; diese Aufopferung geht einzig und allein aus dem Eigenthum, welches einer im Staate besitzt, hervor. Blos die Noth kann es rechtfertigen, daß ein Heuermann mit Gewalt zum Recruten ausgenommen werde. Denn da er alles was er im Lande besitzt, baar bezahlt: so hat er kein Eigenthum zu versteuern oder mit seinem Leibe zu vertheidigen. Kein Buͤrger, kein Markkoͤtter, und uͤberhaupt niemand, der nicht so viel als einen vollen Hof zum Eigenthum besitzt, braucht sein ganzes Leben dem Staate aufzuopfern. Zwey Halbhoͤfe, vier Viertelhoͤfe und acht Markkoͤtter sind dem Staate im Verhaͤltniß mit jenem, nur ein Leben oder einen Mann zum Heerbann zu stellen schuldig; und der Heuer- mann Gedanken mann kann hoͤchstens zum Sechzehntelmann angeschlagen werden. Die Folge, welche hieraus hervorgehet, ist diese, aß kein Heuermann oder Paͤchter der Regel nach jemals hat auf einen Hof gesetzt werden koͤnnen. Vielmehr ist jeder Hof im Staate eine mit dem Dienste der gemeinen Vertheidigung behaftete Pfruͤnde, welche der Eigenthuͤmer, als er davon gezogen, einem Vicar auf Le- benszeit conferirt; und dieser mit der Zeit und aus oͤkonomi- schen Gruͤnden auf sein Gebluͤt vererbet hat. Ein gleiches wuͤrde sich mit allen geistlichen Pfruͤnden zugetragen haben, wenn nicht zu der Zeit, als der geistliche Dienst mit einer Pfruͤnde (officium cum beneficio) verknuͤpft wurde, die Kirche weislich zugetreten, und dem Geistlichen nicht allein das Heyrathen verboten, sondern auch die Kinder, welche er vorher gezeugt, von aller Folge an der Pfruͤnde ausge- schlossen haͤtte. Vielleicht, wird man sagen, haͤtte es solchergestalt doch dem Eigenthuͤmer als Patron frey gestanden, seinen Hof einem Leibeignen zu conferiren, und diesen dem Heerbanns- Hauptmann an seine Stelle darzustellen. Ich antworte hierauf ja und nein, und will dieses sogleich naͤher erlaͤutern. Schon zu der Carolinger Zeit konnten zwoͤlf Mansi da- mit frey kommen, daß sie anstatt zwoͤlf Mann ins Feld zu bringen, einen geharnischten stelleten Omnis homo de XII mansis bruniam habeat Capit. ann. 805 . §. 8. . Die Folge davon ist, daß ein Eigenthuͤmer von zwoͤlf Actien, oder zwoͤlf Naͤgeln, wie man im Bremischen spricht, (wo der Besitzer von zwoͤlf Naͤgeln eine Stimme in der Directionscompagnie hat, oder zu Landtage gehet) eilf Mansos zur todten Hand bringen, das ist, mit Leibeignen besetzen, und sie mit seinem Harnische in der Heerbannsreihe vertreten konnte. Solche eilf uͤber den westphaͤlischen Leibeigenthum. eilf Mansi fielen also aus der Liste des Reichshauptmanns ganz weg; es brauchte ihm davon keiner praͤsentirt zu wer- den; und da die Geharnischten ihre eigne Compagnie aus- machten, mithin dem Aufbote des Hauptmanns entgiengen: so hatte er sich um diese gar nicht mehr zu bekuͤmmern. Die eilf Mansi konnten also nach Gefallen besetzt werden; dies geschahe vielfaͤltig mit Leibeignen; und daher entstand ver- muthlich der noch jetzt sogenannte Leibeigenthum nach Ritterrechte. Ganz anders verhielt es sich mit denen Hoͤfen, die nicht durch geharnischte außerhalb des Hauptmannscompagnie vertreten oder verdienet wurden. Diese blieben in der Rolle; und der Eigenthuͤmer, wie er davon zog, muste dem Haupt- mann einen tuͤchtigen Mann praͤsentiren, der kein Leibeigner seyn durfte, weil er im Heerbann mit ausziehen und folg- lich ein Eigenthum zu verfechten haben mußte Dies gab in der Folge Gelegenheit zu unserm Eigenthum nach Ha- ves- oder, wie wir es zusammen ziehen, Hausgenossen- rechte; und wir finden hierinn sofort den Grund, warum sich im Hausgenossenrechte eine Heergewedde, worunter Stiefel und Sporn, im Leibeigenthum nach Ritterrechte hin- gegen dergleichen nicht, befindet. Denn das Heergewedde der letztern steckt in dem Harnische, wodurch zwoͤlf Mansi dispensiret waren, ein eigenes Heergewedde zu haben. Un- fehlbar liegt auch hierinn der Grund, warum die Leibeig- nen nach Ritterrecht kein Hofgewehr, und alle unsre alten Landesordnungen niemals eines Hofgewehrs bey Leibeignen gedacht haben; da es doch hingegen im Hausgenossenrechte und in allen Laͤndern bekannt ist, wo die Ackerhoͤfe nicht mit Leibeignen besetzt sind. Denn das Hofgewehr ist dieje- nige geheiligte Ruͤstung, womit jeder Unterthan zum ge- meinen Dienst allezeit in dienst- und marschfertigem Stande seyn muß, und wovon kein Stuͤck fehlen darf. Wo der Pflug Gedanken Pflug fehlt, da kann der Acker nicht gebauet werden; wo der Acker nicht gebauet werden kann, da fehlen die Pferde; und wo diese fehlen, da muß, wenn es zum Dienste koͤmmt, ein Nachbar des andern Last tragen. Es fordert also die Wohlfart aller Mitpflichtigen, oder der Staat, ein voll- kommenes und wider alle Angriffe, selbst gegen die Beerb- theilung, gesichertes Hofgewehr. Dies konnte er aber da nicht fordern, wo mit dem Harnisch der ganze gemeine Dienst erfuͤllet wurde. Es hindert dagegen nicht, daß wir in den spaͤtern Zeiten, nachdem sich die Art zu kriegen ver- aͤndert, andre Grundsaͤtze angenommen haben; und man, ehe funfzig Jahr voruͤber gehen, dem Leibeignen von hoher Landesobrigkeitswegen, ebenfalls e in Hofgewehr wird zule- gen und heiligen muͤssen. Ich rede jetzt nur von den aͤltern Zeiten, und diese werden genug gerechtfertiget, wenn die neuern nach fuͤnfhundert Jahren zu den alten Grundsaͤtzen wieder zuruͤckkehren muͤssen. Mit Recht wird man aber hier einwerfen, daß diejeni- gen Leute, welche die Eigenthuͤmer solchergestalt an ihre Stelle setzten, keine freye Leute gewesen, oder bleiben koͤn- nen. Die Ehre, welche nach dem alten Costume das voll- kommene Eigenthum an unsrer Person und unsern Guͤtern, und solchergestalt das Resultat des Eigenthums selbst ist, jetzt aber in unsrer niedertraͤchtiger gewordenen Sprache Freyheit Das englische Liberty and property ist schielend. Besser waͤre honor and property; oder schlechtweg property. Denn pro- perty oder dominium setzt in subiecto civem Romanum oder einen vollmaͤchtigen Mann voraus. genannt wird, konnte damit gar nicht bestehen; und schwerlich bequemte sich ein freyer oder ehrenhafter Mann, eines andern Zinnsmann oder Paͤchter zu werden; oder wenn er es that: so ward er nicht viel besser als ein Leib- uͤber den westphaͤlischen Leibeigenthum. Leibeigner. Aber hier muͤssen wir erst die alte saͤchsische Ver- fassung naͤher betrachten. Es ist unglaublich, aber ein aufmerksamer Leser der deut- schen Gesetze fuͤhlet es, wie sehr der menschliche Verstand gearbeitet habe, diese Sachen zu ordnen, ehe und bevor man Unterthanen im heutigen Verstande oder eine Hoheit erfunden hat, die sich auf den Boden des Landes und nicht mehr auf die Koͤpfe der Eingesessenen bezieht. Indessen ha- ben es die Sachsen Die saͤchsische Nation ist die einzige gewesen, welche die Men- schen in vier Classen, nemlich in Edle, gemeine Eigenthuͤmer, zweydrittel Knechte und ganze Knechte eingetheilet hat. hierinn allen Nationen und selbst den Roͤmern zuvorgethan, daß sie eine Art von Menschen erfunden haben, die zweydrittel Leibeigen und eindrittel Frey seyn sollten De Lito occiso duæ tertiæ compositionis cedunt domino, una tertia propinquis. V. Lex. Fris. Tit. I. §. 3. Die Folge zieht sich von selbst. . Sie hiessen solche Litos und Litones, wo- von die heutige Benennung von Leuten ihren Ursprung hat. Man kann sich schwerlich eine feinere Theorie gedenken. Denn der Mann der ein drittel Freyheit hat, ist doch nun- mehr im Stande einen Contrakt zu schliessen; etwas Echt- und Recht zu haben, fuͤr ein drittel Eigenthum Es ist vermuthlich noch eine Folge hievon, daß man spaͤter den Leibeignen indirecte zugestanden hat, ein Drittel ihres Guts zu verschulden, indem sie nicht eher abgeaͤussert werden, als bis sie dieses Drittel uͤberschritten haben. zu be- sitzen, und solchergestalt auch fuͤr ein drittel ein Mitglied des Staats zu seyn. Er hat zugleich seinen ganzen Leib ge- gen die Willkuͤhr seines Herrn gesichert, weil man nicht auf zwey drittel geschlagen werden kann, ohne daß nicht das dritte Moͤs. patr. Phant. III. Th. S Gedanken dritte Drittel, woruͤber der Herr nichts zu sagen hat, mit darunter leide. Auf der andern Seite aber konnte er auch seinem Herrn nicht entlaufen, ihm seine Kinder ohne Frey- brief nicht entziehen, und sich sonst einer vollkommenen Freyheit bedienen, wohingegen der Leibeigne nach der Theo- rie seinem Herrn mit Gut und Blut unterworfen ist. Das peculium Servorum in Ansehung dessen die roͤmischen Knech- te contrahiren konnten, ist lange so systematisch und har- monisch nicht. Diese Art von Knechtschaft, welche hernach auch in der Lehnsverfassung gebraucht wurde, und wie es scheinet, auch noch diesen feinen Vortheil Der heutige Soldatenstand ist ebenfalls eine Art von Knecht- schaft; aber er hat eben das feine, daß ein Fuͤrst als Musketier dienen kann, ohne seiner Ehre zu schaden. In verschiedenen Oß- nabruͤckischen Urkunden vom Jahr 1000 heißt es: quidam liber- tus et miles. Hier muß man einem libertum e statu litonico nicht aber e statu se r vili annehmen. hatte, daß sie Ehre und Frey- heit nicht peremtorisch aufhob, wie der Leibeigenthum thut; indem derjenige, der einmal Leibeigen geworden, durch die Freylassung nicht wieder zu seiner vorigen Ehre gelangt; anstatt daß einer der Leut wird, als Freygelassener in sein voriges Recht trat: war es, welche die Sachsen bey Ver- leihung ihrer Hoͤfe und Erbe vorzuͤglich in Betracht zogen, und sie ist auch vielleicht die einzige, welche fast allen Ab- sichten ein Genuͤgen thut, indem ein solcher Knecht einiges Eigenthum im Staate zu vertheidigen hat, und kein fluͤch- tiger Heuermann ist, der zur Zeit der Noth den Spaden in den Deich steckt und das Wasser einbrechen laͤßt. Jedoch wir muͤssen nach allen diesen Ausschweifungen endlich zur Eroͤrterung der anfaͤnglichen Frage, welche dar- inn bestand: ob nicht ein Gutsherr am besten thaͤte, seine Hoͤfe mit Vorbehalt Gutsherrlicher Paͤchte und Dienste ge- gen uͤber den westphaͤlischen Leibeigenthum. gen sichere Procentgelder verkaufen zu lassen, so oft deren Besitzer sich Schulden halber darauf nicht mehr erhalten koͤnnen? zuruͤckkehren. Den Rechten nach ist hiebey kein Zweifel, indem mit der Gnade Unter dem Worte Gnade verstanden die Deutschen bisweilen das nobile officium judicis; bisweilen das discretum arbitrium domini; bisweilen auch ipsum consensum; und giebt es auch nothwendige Gnade als z. E in Lehnsveraͤusserungen zur Er- loͤsung des Vasallen aus der Gefangenschaft ⁊c. des Hauptmanns, des Schutzherrn und des Gutsherrn alle diensibare Gruͤnde, sie seyn nun mit Libertus homo qui full-freal (Vollfreyer) factus est, res quas a patrono tenet, ipsi relinquat. Lex Rotharis regis 228. Voll- oder Halb- oder Drittelfreyen oder Leibeignen besetzt, gar wohl verkaufet werden koͤnnen. Man kann auch kei- nen Grund angeben, warum nicht das Erbrecht des Bauers an dem Hofe eben so gut als das Erbrecht einer Familie an einer Pfruͤnde zum Verkauf gezogen werden kann; in- dem solches allemal mit der Clausul, daß die Gruͤnde in ih- rer Verpflichtung und Verbindung bleiben, und die Kaͤu- fer faͤhig und willig zu allen erforderlichen Diensten seyn sollen, geschehen kann. Allein die Hauptsache ist, daß der Gutsherr bey einer solchen Zulassung die Auffahrts- oder Weinkaufsgelder so wie die Freybriefe auf ein sichers wuͤrde setzen, und hiernaͤchst auch den Sterbfall, wenigstens nicht anders als nach Hofrechte, das ist blos von sichern vorge- schriebenen Stuͤcken wuͤrde ziehen koͤnnen, indem schwerlich ein Kaͤufer sich ohne alle Bedingung der Willkuͤhr eines Gutsherrn uͤbergeben wuͤrde. Geschaͤhe nun dieses: so erhielte der Gutsherr ein sichers und der Kaͤufer ebenfalls ein sichers gleichsam zu seinem wohlerworbenem Eigenthume; und weil solchergestalt ein rechtsbestaͤndiger Contrakt zwischen dem Gutsherrn und sei- S 2 nen Gedanken nen Leibeignen entstuͤnde: so verwandelte sich der letzte we- nigstens in jenen alten saͤchsischen zweydrittel Knecht, und es entstuͤnde ein ganz neues Amalgama von Freyheit und Eigenthum, worauf auch ein ganz neues Recht wuͤrde ge- wiesen werden muͤssen. Jedoch dieses ist das wenigste. Die Repraͤsentation der Eigenthuͤmer bey allen Steuerbewilligungen, welche der Geist der nordischen Verfassung und das erste Gesetz der Vernunft ist, fiele ganz uͤber den Haufen. Die Gutsherrn hoͤrten nicht allein auf Repraͤsentanten des ganzen zu seyn; sondern der Theil, oder dasjenige sichere, was der Kaͤufer erhielte, bliebe solchergestalt der einzige Gegenstand der Steuer, und das nicht unter ihrer eignen sondern unter einer fremden Bewilligung. Gegenwaͤrtig muß der Gutsherr bey jeder neuen Steuer- bewilligung, bey jedem neuen Bruͤchten denken, daß alles was der schatzbare Leibeigne auf die eine oder andre Art entrichten muß, auf sichere Weise ihm selbst entgehe. Dies macht ihn vorsichtig in seinen Bewilligungen; aufmerksam auf die Bruͤchtensatzungen; und geneigt, seinen Leibeignen zu helfen, ihn zu schuͤtzen und zu vertheidigen. Diejenigen Eigenthuͤmer, welche zuerst unter einem Hauptmann zusammen traten, wusten von keinen Steuren, indem ihre Steuer im Heer- und im Burgfestendienst, und in dem feststehenden Unterhalte des Hauptmanns bestand. Die Bruchfaͤlle bewilligten sie selbst; sie repraͤsentirten ihr Eigenthum zu Hause; und der Hauptmann repraͤsentirte sie in der Landesversammlung. Der Lito oder zweydrittel- Knecht war ebenfalls genug gedeckt, da er sein bewilligtes Hofrecht, und seine Hofversammlung hatte, und in dersel- ben von seinem Drittel Freyheit eine Person vorstellete. Er war uͤber den westphaͤlischen Leibeigenthum. war so weit von jenem nicht unterschieden; nur daß er wie unser heutiger Soldat fuͤr seinen Leib gebunden war. Bey- de waren also nach damaliger Art ihres Eigenthums halber gesichert, und bey den damaligen gemeinen Anstalten genugsam repraͤsentirt. Allein dies wuͤrde der Leibeigne, mit dem der Gutsherr sich gleichsam voͤllig abfindet, nicht seyn. Dieser wuͤrde das Seinige von ihm fordern und nehmen, und ihn fuͤr das uͤbrige ohne alle Repraͤ- sentation lassen. Noch eine Hauptsache ist der Luxus, welchem sich der Leibeigne aus politischen Ursachen nicht uͤberlaͤßt, aus Bey- sorge, die Weinkaufs- und andre Gelder moͤgten ihm nach der scheinbaren Groͤsse, die er sich in Kleidungen und sonst geben wuͤrde, zugemessen werden. Er ist also wider die staͤrkste von allen Versuchungen, nemlich den Ehrgeiz eini- germassen gedeckt; und auch diesem wuͤrde er ausgesetzt wer- den, wenn der Gutsherr nur ein gewisses erhielte. Mehrere Gruͤnde koͤnnen wir hier nicht anfuͤhren. Vielleicht liessen sich auch noch sehr starke Gruͤnde fuͤr die gegenseitige Meinung entdecken, wenn man von einer Ma- terie alles sagen wollte, was davon gesagt werden koͤnnte. S 3 LXI. Nichts ist schaͤdlicher LXI. Nichts ist schaͤdlicher als die uͤberhandneh- mende Ausheurung der Bauerhoͤfe. Ich habe mich in meinen Gedanken mehrmalen ins kuͤnf- tige Jahrhundert versetzt, und mich in die Versamm- lungen unsrer Urenkel begeben, um zu hoͤren, woruͤber sie sich am mehrsten beschwerten, und was manche Sache nach ihrem jetzigen Laufe fuͤr ein Ziel erreichet haͤtte. Das erste, was ich hoͤrete, war dieses: „Es ist unbegreiflich, warum unsre Vorfahren die Ho- fesbesatzung so sehr vernachlaͤßiget, und den Grund zu dem verwuͤnschten Heuerwesen gelegt haben. Anstatt unsre Paͤchte zu bekommen, werden wir durch Rechnungen ge- pluͤndert. Da hat die Kriegesfuhr so vieles gekostet; hier hat der Reuter so viel verfressen; das haben die Lieferungen weggenommen; jenes die feindlichen Erpressungen oder die Gerichtskosten. Nun sind die Haͤuser eingefallen; die Heuerleute haben zum Theil das Holz gestohlen, zum Theil aber nicht wieder nachgepflanzt; wo soll man die Kosten hernehmen? Eine zehnjaͤhrige Aufopferung unserer Paͤchte verschlaͤgt nichts; und wenn man einen Hof zur Erbpacht austhun will, so ist niemand, der ihn annehmen mag. Den mehrsten fehlt es an Mitteln, einen Hof, worauf die Gebaͤude den Einsturz drohen, und dessen Aecker mit star- ker Hand angegriffen werden muͤssen, anzufassen; und die- jenigen, so es wohl thun koͤnnten, wollen sich theils unse- rer Willkuͤhr nicht unterwerfen; theils aber finden sie sich besser dabey, wenn sie die Laͤndereyen zur Heuer nutzen und uns die Lasten tragen lassen. Die Gerichte und die Voͤgte sind fast die einzigen Herrn unserer Hoͤfe. Jene schuͤtzen den als die Ausheurung der Bauerhoͤfe. den Heuermann, der nicht weichen will, bevor ihm seine ganze Besserung bezahlet worden; und dieser pfaͤndet im- mer darauf los, ohne fuͤr unsre Paͤchte etwas uͤbrig zu lassen. Wo noch ein armer Eigenbehoͤriger ist: da hat er so viel Geschwister von seinem Vater und Großvater, die ihre Kindestheile von ihm fordern, daß er sich gar nicht mehr retten kann Mit den Abfindungen oder Auslobungen der Geschwister von einem Bauerhofe ist es im Stift Oßnabruͤck eine besondre Sache, nachdem durch eine ungluͤckliche Folge roͤmischer Begriffe, der Erbe zum Hofe vor seinen Geschwistern nur eine doppelte Por- tion voraus hat, und ihnen nach diesem Verhaͤltniß herausge- ben muß. Alle Hoͤfe muͤssen dabey zu Grunde gehen. . Kurz, wir muͤssen darauf denken, entwe- der die Verfassung so wie solche vor dreyhundert Jahren war, wieder einzufuͤhren, oder dem Heuerwesen eine ganz andre Form geben. Das erste wird schwer halten, bemerkte ein Moralist, die ganze Nation ist leichtfertig und fluͤchtig geworden. Es ist keiner mehr, der es fuͤhlt, was es sey ein vaͤterliches Erbe mit eignen Pferden zu bauen. Der Heuerling zieht von einem Erbe aufs andre, ohne einen zaͤrtlichen Blick nach dem Verlassenen zu werfen. Jeder sieht seine Woh- nung als eine Herberge an, und denkt nicht an denjenigen, der nach ihm koͤmmt. Ueberall fehlt die Liebe zu dem ge- heuerten Grunde; mit ihr die Sorge fuͤr eine Nachkom- menschaft; und mit dieser der edle Trieb zur dauerhaften Verbesserung. Man rupft von den Hoͤfen was man kann, und denkt: wann die Heuerjahre um sind, so moͤgen Di- steln und Dornen den Grund bedecken. Ich habe neulich meinen Leibeignen abaͤussern muͤssen. Himmel! wie quaͤlte mich der Mann, ihn auf dem Hofe zu lassen; er weinete und heulete nicht anders, als wenn er Frau und Kinder verlieren sollte; ich mußte ihn mit Gewalt aus dem Hause S 4 fuͤh- Nichts ist schaͤdlicher fuͤhren lassen. Nun, dachte ich, zu einer solchen Staͤtte, die so ungern verlassen wird, sollen sich gewiß tausend Lieb- haber finden. Aber es fand sich schlechterdings kein ein- ziger. Die Liebe des Gebluͤts zu dem elterlichen Gute ist eine edle Leidenschaft, aber unsre Vorfahren haben nicht daran gedacht, sie zu unterhalten. Sie haben ihre eignen Guͤter zu Stamm- und Fideicommißgůtern gemacht, aber die Fideicommisse des Staats zu Grunde gehen lassen. Sie haben sich der Verschuldung der Hoͤfe nicht kraͤftig genug widersetzt; sie haben solche vielmehr durch schwere Auslo- bungen beguͤnstiget; sie haben der Willkuͤhr von einigen kein genugsames Ziel gesetzet, und nun muß der beste gleich dem schlechtesten darunter leiden. Vordem suchten die reich- sten Heuerleute Leibeigne zu werden, um nur auf einen Hof zu kommen. Jetzt, da sie ganze Hoͤfe zur Miethe er- langen koͤnnen, finden sie ihre Rechnung weit besser, wenn sie sich zur Heuer setzen, und uns am Ende des Jahrs mit Rechnungen bezahlen. Wir thun wahrlich unrecht, versetzte ein Alter, daß wir uns uͤber unsre Vorfahren beschweren; da wir selbst den Mißbraͤuchen kein Ziel setzen. Ich habe einen Hof, wovon 9 Kinder auszusteuren sind: jedes erhaͤlt jaͤhrlich den ganzen Ueberschuß des Erbes, und diese Abgift wird noch zwey und zwanzig Jahr waͤhren. Immittelst ist mei- nem Bauren sein bestes Pferd gefallen; und er hat daher, weil er sich ein anders anschaffen muͤssen, in diesem Jahre den Ueberschuß wie gewoͤhnlich nicht abliefern koͤnnen. Was meynen Sie, daß der Richter gethan? Er hat ihm zwey Pferde pfaͤnden und solche verkaufen lassen, um den Ueber- schuß zu ermaͤchtigen. Herr! sagte ich zu ihm, und faßte ihn beym Knopf, der Henker pfaͤnde ihm das Herz aus dem Leibe, und dann gehe Er und richte. Er schwur mir als die Ausheurung der Bauerhoͤfe. mir aber zu, daß er die beyden Pferde mit Recht Es ist dieses Oßnabruͤckischen Rechtens, welches leyder mit der Landesverfassung so verflochten ist, daß man es durch Sa- tyren und Predigen nicht ausrotten, und mit Verordnungen nicht zwingen kann. ge- nommen. Ich fuͤhre vor eben diesem Richter zween Processe. In dem einen fordert mein Leibeigner von seinen Geschwistern, die ihre Auslobung bey seines Vaters Leben erhalten ha- ben, daß sie ihm von dem empfangenen wieder zu Huͤlfe kommen sollen, nachdem der Vater nach der Auslobung durch Ungluͤcksfaͤlle zuruͤckgekommen, und seinem Anerben einen Hof verlassen hat, wovon nach Abzug der Abgiften und Zinsen gar nichts uͤberschießt; allein der Richter sagt mir: Mein Leibeigner werde mit Recht verlieren. In dem andern fordern die Geschwister eine verbesserte Auslobung, nachdem der Vater reicher verstorben, wie er bey der Aus- lobung war; und der Richter sagt mir: Auch diesen wuͤrde er mit Recht verlieren. Nun moͤchte ich gern noch einen dritten anfangen. Einer von meinen Leibeignen der eine reiche Erbschaft aus Holland gethan, ist damit auf die Leib- zncht gezogen, und wird alles was er hat, heimlich den abgehenden Kindern zuwenden. Immittelst wollen diese von dem Hofe ausgelobet seyn, und der Anerbe wird ihnen ihren Erbtheil bey lebendigem Leibe der Eltern nach Ver- haͤltniß des Hofes auszahlen muͤssen. Sollte ich dieses nicht verhindern moͤgen? Allein ich scheue die Processe; und mein Leibeigner hat auch kein Geld dazu, weil ihm nur fuͤr die ordentlichen Bauerlasten bey der Theilung etwas weni- ges zu gute gerechnet worden, und der Richter sagt aber- mal: Er koͤnnte verlieren, denn die Auslobung waͤre nach unserm Rechte heute Brautschatz und morgen Erbschaft. Wo will das aber hinaus? und ist es moͤglich, daß sich S 5 ein Nichts ist schaͤdlicher ein Mensch auf einen Hof setzen kann, wenn er auf diese Art gezerret wird? Wird sich also unsre ganze Verfassung nicht endlich voͤllig in das verderbliche Heuerwesen aufloͤsen? Das hat sie schon gethan, schloß ein andrer. In dem Kirchspiel, worinn ich wohne, sind nur noch zwey besetzte Hoͤfe uͤbrig. Wenn gefahren werden muß: so faͤllt diesen alles zur Last. Die uͤbrigen Hoͤfe sind alle ausgeheuret, und mit kleinen Quaͤlern besetzt, die ihren Acker nicht be- stellen, sondern nur umkratzen. Der Duͤnger fehlt ihnen, da sie keine rechte Spannung halten; das Korn, das sie zie- hen, ist um eine Spanne kuͤrzer und unterscheidet sich durch sein elendes Ansehen unter allen. Der Abfall im Stroh und Korn ist uͤber ein Drittel gegen die Zeiten meiner Ju- gend; und ich erinnere mich, wie wir vor zehn Jahren eine schwere Theurung hatten, und Korn von Bremen geholet werden sollte, daß von den Pferden der Heuerleute kein ein- ziges eine Meile gehen konnte. Auf diese Weise muͤssen die wenigen so noch gut stehen, und worauf man zur Zeit der Noth doch greifen muß, nothwendig zu Grunde gehen, sie moͤgen sich auch noch so lange wehren. Die Obrigkeit sollte darauf halten, daß jeder Hof nach Landsittlichem Gebrauch besetzet werden muͤßte; und dann auch den Besitzer schuͤtzen, daß ihm sein Vieh und Feldgeraͤthe nicht gepfaͤndet werden koͤnnte. Hurry! Murry! unterbrach sie hier ein Officier. Wenn meine Soldaten ihren Tornuͤster versetzet haben: so lasse ich ihnen das Gewehr verkaufen, damit man ihre Tornuͤster wieder einloͤsen koͤnne; und gehts denn zum Marsch, Puf so nimmt jeder einen Stecken in die Hand. Das ist die ganze Geschichte eurer Heuerleute. Wenn der Kerl ein Pferd schuldig ist: so pfaͤndet ihm der Richter zur Bezah- lung zween, und ihr guten Leute sehet nicht ein, daß der Hof als die Ausheurung der Bauerhoͤfe. Hof mit seinem Gewehre den der Leibeigne unterhat, die Loͤhnung des Staats ist, welche vermoͤge der urspruͤngli- chen Verbindung gegen allen Angriff geheiliget seyn muß. Wenn meine Soldaten von ihrem Gewehr und ihrem Tor- nuͤster ihren Kindern nach dem Werth derselben etwas aus- kehren muͤßten: so werden diese zwar wenig erhalten, die Vaͤter aber wahrhaftig mit Stecken zu Felde ziehen. Mit dem Trommelschlag bezahlen wir alles; und das muͤßten eure Leibeignen auch thun. Es ist wahrlich keine Sache, woruͤber man spotten sollte, fieng hier der Moralist wieder an. Ist es gleich traurig und erschrecklich, einem Landmanne zur Bezahlung einiger Kuͤhe, sein bestes Pferd; zur Bezahlung eines an- dern Pferdes seine Kornfruͤchte, und zur Bezahlung neuer Kornfruͤchte Wagen und Pflug zu pfaͤnden, und zur Be- friedigung des Wagenmachers wieder bey den Kuͤhen anzu- fangen; mithin ihn in diesem landverderblichen Spiele, wo- bey zuletzt alles mit Cartengeldern fuͤr die Bediente aufgeht, herumzujagen: so liegen doch die grossen Mittel, wodurch diesen Uebeln abgeholfen werden koͤnnte, so tief in dem Ge- birge, daß eine Art von Wunderwerk geschehen, und die grosse Kaiserin aller Reussen, Catharina die Andre, diese weise und maͤchtige Gesetzgeberinn des vorigen Jahrhunderts, aus der Erde wiederum aufstehen muͤste, um sie heraufzu- bringen, und vom rohen Gestein zu saͤubern. Unsre aͤlte- sten Vorfahren, um sich kurz zu helfen, schnitten den roͤmi- schen Richtern und Advocaten die Zungen aus, und ich stelle mir die wilden Fleischer mit der Zunge in der Hand noch oftmals vor, wie sie sprachen: Verdammt seyn alle geschriebene Gesetze und ihre Ausleger! Hervor du alter Druide, und halte deinen Richterst ab in die Hoͤhe; versammle zu dir zwoͤlf, und wenn Nichts ist schaͤdlicher wenn die Sache wichtig ist, vier und zwanzig ehrliche Maͤnner aus unserm Mittel! Was diese fuͤr das ge- meine Beste gut und billig finden, das kann und soll uns ein Recht seyn! Wer dann leidet, der leide als durch Gottes Gericht. Allein andern Rechtsprechern aber thue man, wie ich diesem Roͤmer gethan! So sprachen sie ohne Zweifel, und wann wir nach diesem Vorgange erstlich alle Rechtsgelehrten, es sey nun als so viel Aristides, oder als so viel Verraͤther aus dem Lande verbanneten, und hiernaͤchst die Auslobungen der Kinder durch drey oder fuͤnf ehrliche Vaͤter erkennen liessen; wenn wir ferner jaͤhrlich in jedem Kirchspiele einen Aeussertag hielten, und auf demselben durch drey Gutsherrn und durch drey der aͤltesten Gemeinen, unter dem Vorsitze eines von beyden Theilen erwaͤhlten oder vorgesetzten Obmanns, ge- gen alle schlechte Wirthe ein Urtheil ohne Gnade finden liessen; wenn bey diesen Aeussertagen alle Schulden, die einer im Jahre gemacht, angezeigt, gepruͤft und nach einer Vorschrift wieder bezahlt werden muͤsten; wenn endlich je- desmal, wie solches geschehen, bey dem naͤchsten Aeusser- tage bescheiniget, und sonst weder Schuld noch Pfandung gestattet wuͤrde: so sollten unsere Hoͤfe gewiß nicht mit Heuerleuten, sondern mit guten tapfern Wirthen besetzt seyn. Allein wir wollen alles mit Verordnungen zwingen, und diese besser machen als Gott sein Wort, uͤber dessen Sinn die verschiednen Partheyen nun schier uͤber achtzehn- hundert Jahre streiten. Die ganze Weisheit unsrer Vor- fahren gieng auf den grossen Grundsatz: Daß man das Recht niemals mit der Schnur aus- messen koͤnnte, sondern vieles dem Ermessen ehrlicher Maͤnner uͤberlassen muͤsse. Nach als die Ausheurung der Bauerhoͤfe. Nach diesem Grundsatze gieng ihre einzige Vorsorge auf die Ausfindung ehrlicher Leute, welchen das Ermessen anvertrauet werden koͤnnte, und in deren Ermange- lung lieber auf ein paar Wuͤrfel oder auf ein ander Gottes-Urtheil, als auf alles was Menschenkoͤpfe von Rechtswegen aussprechen wollen, und was niemals einen ehrlichen Kerl so gut beruhigen wird, als ein ungluͤcklicher Wurf. Anstatt daß wir immer an den Gesetzen flicken und solche zu einer Vollkommenheit bringen wollen, wozu uns in der Sprache der Ausdruck, und im Kopfe diejenige Weisheit mangelt, welche alle moͤgliche Faͤlle uͤbersehen kann. Ein andrer Pedant, denn einen Pedanten konnte man diesen Philosophen doch wohl nennen, fiel ihm hier in die Rede, und behauptete, die ganze Schuld der Veraͤnderung laͤge allein in der entdeckten neuen Welt. Vorher, sagte er, und ehe diese uns zu unserm Ungluͤck Geld und Silber in zu grosser Menge geschickt hat, war es dem Landbesitzer nicht leicht moͤglich mehr als eine Erndte in einem Jahre zu verzehren. Seine Geschwister steurete er etwa mit einem Fuͤllen, einem Rinde und einem Bunde Flachs aus; dem Staate diente er mit der Faust, und dem Gutsherrn gab er was der Boden und die Haushaltung vermogte. Schul- den konnte er so viel nicht machen, und so blieb Ausgabe und Einnahme sich so ziemlich gleich. Wer einen Hof hat- te, der blieb also darauf, und man wuste nichts von Geld- heuren, sondern nur von Kornpaͤchten und andern Natio- nallieferungen, die der Herr, wenn sie nicht entrichtet wur- den, vom Felde und vom Boden mit kurzer Hand ermaͤch- tigen konnte. Allein durch die spaͤtere Einfuͤhrung des Gel- des ist dieser gute Plan ganz veraͤndert. Durch Huͤlfe des Geldes kann ein Landmann in einem Jahre die Erndte von zwan- Nichts ist schaͤdlicher zwanzigen verzehren. Er nimmt tausend Thaler auf, und verspricht solche nach einer halbjaͤhrigen Loͤse zu bezahlen, ein Versprechen, daß er der Natur nach nicht anders hal- ten kann, als unter der mißlichen Bedingung, wenn ein andrer so thoͤricht ist, ihm solche wieder vorzustrecken. Der Richter, welcher die Unmoͤglichkeit und Eitelkeit dieses Ver- sprechens einsehen sollte, treibet ihn dem ungeachtet zur Be- zahlung, und man nennet dieses eine gesetzmaͤßige Gerech- tigkeit, ohne auch nur einmal eine Ahndung zu haben, daß es eine offenbare Grausamkeit sey; und daß man Unmoͤg- lichkeiten fordere, wenn man von einem Landbesitzer mehr erwartet als was er am Ende des Jahrs uͤberschuͤßig hat. Kann nun der Schuldner nicht bezahlen, so pfaͤndet ihn der Richter auf die tausend Thaler, so lange er ein Pfand im Hause hat; und dabey soll der Mann dem Staate von seinem Hofe dienen, und — vermuthlich mit seinen Naͤ- geln — den Acker bestellen. Wenn die Sache irgend wie- der in ein gutes Gleise gebracht werden soll: so muß entwe- der das Geld ganz verbannet, oder der Ueberschuß eines verschuldeten Hofes ein vor allemal festgestellet, und keine Pfaͤndung weiter als auf den Ueberschuß geduldet werden. Ich mag das Gewaͤsche nicht laͤnger hoͤren, rief hier der Officier. Kurz, der ganze Fehler liegt an dem Man- gel der Kriegeszucht. Anstatt Vieh und Pferde zu pfaͤnden, sollte man die schlechten Haushalter besonders aber die Saͤu- fer und Zaͤnker fleißig durch die Gassen laufen lassen. Bey meiner Ehre, sie sollten mir anders werden, oder vom Hofe herunter. Ich habe in einem alten Buche gelesen, daß vordem jedes Kirchspiel unter einem eignen Obersten oder Landeshauptmann gestanden, der seine untergebene Hoͤfe und Leute alle Woche visitirt, und uͤber die schlechten Wir- the sofort mit Zuziehung einiger Achtsleute Standrecht ge- hal- als die Ausheurung der Bauerhoͤfe. halten. Geschaͤhe dieses wieder: so sollte das Ding sich bald aͤndern. Aber so heißt es nichts, daß der Schuldner jaͤhrlich nicht weiter als auf seinen Ueberschuß gepfaͤndet werden soll. Gesetzt, er haͤlt den Termin nicht, er bezahlt auch nicht was verglichen, und der Ueberschuß reicht nicht zu den Kosten: so wird ihm doch der Richter, wenn der Credit noch irgend auf eine Weise erhalten werden soll, in Ermanglung andrer Sachen, Pferde und Kuͤhe nehmen muͤs- sen; oder er wird eine weitlaͤuftige Untersuchung anstellen; ob der Schuldner mit oder ohne sein Verschulden von neuem ausser Stand gerathen sey zu bezahlen? Und dann kommen die Rechtsgelehrten zur Nebenthuͤr wieder herein, wann ihr sie durch die grosse ausgewiesen. Kurz, der Edelmann zieht sein Gehalt von der gemeinen Masse des Staats da- fuͤr, daß er die Controlle uͤber die Wirthschaft der Gemei- nen fuͤhren sollte; diesen sollte man an seine Pflicht erin- nern, und die aus der Compagnie verstreuten Hoͤfe, wo- von jetzt ein jeder seinen eignen Capitain oder Gutsherrn hat, bey hunderten und hunderten wiederum unter eine Aufsicht bringen, und das Zerstreuen solcher Compagnie- hoͤfe fuͤrs kuͤnftige bey Verlust der Landhauptmannschaft verbieten, so wie es wuͤrklich in den Reichsgesetzen, nach der Meynung unsers Auditeurs schon vor fuͤnfhundert Jah- ren verboten gewesen. Bey einer solchen Compagnie waͤre dann anstatt des Richters blos ein Landauditeur, der das Protocoll fuͤhrte, und weiter kein Gelehrter. Ich denke, das beste ist, wir setzen einen Preis von hun- dert Dukaten auf die Beantwortung der Frage: Welches die beste Art des Colonats sey? versetzte ein andrer, der bis dahin in aller Stille den uͤbrigen zugehoͤret hatte, und fuͤgen derselben allenfalls noch die zweyte Frage bey: Was Nichts ist schaͤdlicher Was ein Staat in dem Falle, wo die Heuer vor der Landsiedeley das Uebergewicht erhalten, fuͤr Maasre- geln zu ergreifen habe? Ueber die letzte will ich jetzo meine Meinung eroͤfnen, bis einem andern der Preis wegen der ersten, deren Beantwor- tung eine eigne Reise durch Europa und die Aufmerksamkeit aller philosophischen Gesetzgeber verdienet, von Einsichts- vollen Richtern zugesprochen seyn wird. Ehe ich aber hier weiter gehen kann, muß ich die ver- schiedenen Arten von Verheurungen, worauf ich jetzt ziele, und welche man sonst unter diesem Namen gewoͤhnlich alle nicht begreift, mit wenigem beruͤhren. Ich nenne erstlich denjenigen schatzbaren Landeigenthuͤ- mer einen Heuermann, der jaͤhrlich so viel an Steuren und Zinsen zu bezahlen hat, als ihm sein Hof, wenn er ihn ver- pachten wuͤrde, einbringen koͤnnte. Zweytens rechne ich dahin, den gewoͤhnlichen Paͤchter oder Heuermann, der einen ganzen Hof von andern geheuret hat: und drittens die kleinen Heuerleute, deren oft zwanzig einen schatzbaren Hof stuͤckweise unterhaben. Alle diese Arten von Heuerleuten haben unsre Vorfah- ren im Staate nicht geduldet; und zwar aus folgender Hauptursache, weil in dem Falle, wo z. E. hundert Landei- genthuͤmer und hundert solche Heuerleute mit einander einen gleichen Strang ziehen sollen, diese gegen jene zur Zeit der Noth nicht aushalten koͤnnen; sondern entweder davon ge- hen, oder stecken bleiben, mithin die ersten die ganze Buͤrde tragen lassen muͤssen. Der Feind, sagten sie, welcher ein Land brandschatzt, rechnet den Staat auf zweyhundert Hoͤ- fe, die er auch wuͤrklich enthaͤlt, und richtet seine Forde- rung an Geld, Fuhren und Lieferungen darnach ein. Wenn es aber zur Bezahlung koͤmmt: so sind diejenigen, wel- als die Ausheurung der Bauerhoͤfe. welche nichts uͤbrig haben, weiter nichts als leere Namen auf dem Papier, und die andern muͤssen noch dazu fuͤr sie bezahlen. Fordert der Staat, zur Zeit einer gemeinen Noth, in der Voraussetzung, daß zweyhundert Wirthe da sind, eine Huͤlfe: so ist die Haͤlfte davon blind; und steigt die Noth zu einer gewissen Hoͤhe, so, daß die Heuerleute nichts mehr zu verliehren haben: so entweichen sie aus dem Staat, und verlassen ihre Mitbuͤrger, mit denen sie viel- leicht mehrere Jahrhunderte alle Vortheile der Ruhe, des Schutzes, und der Landnutzung getheilet haben. Die Ge- setzgebung muß ferner zum Nachtheil der Eigenthuͤmer Leib- und Lebensstrafen einfuͤhren, weil die Landesverweisung fuͤr einen Heuerling keine Strafe bleibt; oder sie muß wohl gar auf Kosten der Eigenthuͤmer, fuͤr welche die Verweisung eine uͤberaus schwere Strafe ist, ein Zuchthaus anlegen, um die Fluͤchtlinge in Ordnung zu halten. Aus diesen und mehrern Gruͤnden, welche ich jetzt nicht anfuͤhren will, litten sie auf schatzbaren Hoͤfen keine Heuer- leute, sondern forderten bey ihrer Vereinigung, wie die oͤf- fentliche Sicherheit nicht anders, als durch den Wirth vom Hofe mit seinem ganzen Vermoͤgen behauptet werden konnte, einen freyen wehrhaften Mann, ohne Schulden und Pri- vatabgiften. Die Mitglieder des Staats rechneten sich da- mals gegen einander, wie Besitzer von ganzen Actien die baar zur gemeinschaftlichen Casse erleget sind. Wie aber die Sicherheit gegruͤndet war, und die Vertheidigungsan- stalten sich aͤnderten oder verminderten, und gleichsam die halbe Actie zuruͤck bezahlet werden konnte: so hatte auch der Staat an dem halben Hofe Buͤrgschaft genug, und nun war es dem Eigenthuͤmer frey, diese dem Staate unver- bundene Haͤlfte nach Gefallen zu gebrauchen; und so konnte zuerst ein Pacht- oder Erbpacht, ein Zins- oder Erbzins- contract, oder eine andre Art von Colonat entstehen, in Moͤs. patr. Phant. III. Th. T Ge- Nichts ist schaͤdlicher Gefolge dessen der Eigenthuͤmer seinen Hof einem After- mann uͤbergab, und der in die Reihe getretene Mann sei- nem Guts- oder Zinsherrn oder auch seinem Glaͤubiger so viel jaͤhrlich entrichten moͤgte, als der halbe Hof zur Heuer thun koͤnnte. Der Staat schien zwar dadurch seinen hal- ben Fond zu verlieren. Es war aber in der That nichts, weil auf der andern Seite der Guts- und Zinsherr fuͤrs Vaterland focht, waͤhrender Zeit der Erbzinsmann seinen Acker in Ruhe bauete. Solchergestalt bestand nun in spaͤtern Zeiten bie gemeine Reihe noch aus halben Eigenthuͤmern; und sie koͤnnte viel- leicht bey ruhigen und gluͤcklichen Zeiten aus Vierteleigen- thuͤmern bestehen. Allein dieselbe ohne alles Eigenthum be- stehen zu lassen, oder einen Staat aus hundert ganzen Ei- genthuͤmern, und hundert Heuerleuten, die beyde zu glei- chen Pflichten verbunden seyn sollen, zusammen zu setzen, ist, was das erste betrift, gefaͤhrlich, und in Ansehung des letztern, fuͤr die Eigenthuͤmer unverantwortlich. Dies ge- schieht aber in allen obangezogenen Faͤllen der Verheurung, und ich habe es noch vor wenigen Tagen gesehen, daß in einer Reihefuhr der Hengst eines Eigenthuͤmers, die ganze Ladung, die darauf liegende Futtersaͤcke der zugespanneten Heuerleute, und deren ihre ohnmaͤchtigen Pferde uͤberweg zog, aber auch daruͤber stuͤrzte. Ich glaube also den Satz annehmen zu koͤnnen, daß die zu gleicher Reihe verpflichteten Unterthanen eigentlich ein gleiches und allemal ein ziemliches Eigenthum im Staate haben muͤssen, welches demselben auf den Nothfall zur Si- cherheit verhaftet bleibt, und das Unterpfand ausmacht, worauf er zur Zeit der zunehmenden oͤffentlichen Lasten grei- fen koͤnne. Dieses Eigenthum ist in der Erbpacht, und in andern Landsittlichen Besetzungsarten immer einigermassen vor- als die Ausheurung der Bauerhoͤfe. vorhanden, wenn es auch in keinem wahren Rechte am Grunde, sondern nur in den Gebaͤuden und der Besserung desselben bestehen sollte, welche deren Besitzer bey einer ge- meinen Noth so leicht nicht verlassen werden. Es ist aber nicht vorhanden, wo dem Verpaͤchter sowohl der Grund als die Gebaͤude zugehoͤren, oder der Hof von seinem Be- sitzer in der Maasse beschweret ist, daß sowohl Grund als Gebaͤude nicht weiter als fuͤr das Capital der Abgiften und Zinsen hinreichen; und es bleibt dem Staate gar keine Si- cherheit uͤbrig, wenn eine Menge von kleinen Heuerleuten den Reihepflichtigen Ort unter haben, die bey dem gering- sten Sturm mit ihrer Kuh am Stricke, und dem Spinn- rade in der Hand uͤber die Grenze ziehen und beym ersten Sonnenschein wieder herein kommen koͤnnen. Dergleichen geringe Leute haben als Nebenbewohner ihren Werth: sie moͤgen auch wohl von schatzbaren Hoͤfen heuren. Allein die Hauptwirthschaft auf einem Reihepflichtiger Hofe muß zum Besten und zur Sicherheit des Staats nicht geschwaͤcht, und auch nicht veraͤndert werden. Die gerade Linie besteht also darinn, daß jeder Reihe- pflichtiger Unterthan ein fuͤr den Staat zulaͤngliches Eigen- thum habe und sicher behalte; und die Mittel, welche sich einem Staat, worinn das Heuerwesen zu sehr uͤberhand genommen hat, darbieten, muͤssen dahin gehen, zu verhin- dern, daß von dieser geraden Linie so wenig als moͤglich abgewichen und wo davon abgewichen ist, solche wiederum hergestellet werde. Beyde Absichten werden sich aber nicht ploͤtzlich, sondern nach und nach durch eine bestaͤndige leb- hafte Ueberzeugung von der Richtigkeit dieser Linie, und einer darauf gegruͤndeten Policey erreichen lassen. Unter die Mittel dazu zaͤhle ich 1) ein Verbot, daß gar keine Hoͤfe weiter ausgeheuret werden sollen. T 2 2) Daß Nichts ist schaͤdlicher 2) Daß der ganze Hof zu einem oͤffentlichen Fideicom- miß erklaͤret werde, worauf der Staat und der Gutsherr zwar ihr Recht behalten, aber kein Glaͤubiger, und wenn es auch ein abgehendes Kind waͤre, jemals einigen An- spruch erhalten koͤnnen. 3) Daß aus den Gebaͤuden auf dem Hofe, und dem Hofgewehr, welches nach einer vorgegangenen Bestimmung vor allem richterlichen Angrif zu sichern ist, und bestaͤndig vollzaͤhlig seyn muß, unter Gutsherrlicher Guarantie ein Freystamm in jedem Erbe errichtet und gerichtlich einge- tragen werde. 4) Daß alle Schulden, welche der Hofes Besitzer macht, so wie alle Pfandzettel, welche gegen ihn erkannt werden, in so fern des Schuldners uͤbriges zum Hofgewehr nicht gehoͤriges Vermoͤgen unzureichend ist, anstatt der Execution lediglich in jenes Buch geschrieben werden. 5) Daß so bald die Summe der Schulden die Summe jenes Freystamms erreicht, sofort ohne weitere Ursachen zu erwarten, zur Abaͤusserung geschritten, und der Hof dem Gutsherrn gegen Erlegung der Freystammgelder, welche unter die eingetragenen Glaͤubiger nach der Ordnung zu vertheilen sind, zur freyen Besetzung uͤberlassen werde. 6) Daß dem Gutsherrn, welcher sein ausgelegtes Geld nebst einem billigen Weinkauf, von dem neuen Besitzer wie- der fordern mag, eine sichere Zeit gesetzet werde, binnen welcher er den Hof wieder besetzen, oder gewaͤrtigen muß, daß solches von dem Landesherrn als obersten Vertheidiger der gemeinen Reihe geschehe. 7) Daß der geringste Mangel an dem vorgeschriebenen Hofgewehr, und uͤberhaupt im Freystamm, worunter die Gebaͤude mit gehoͤren, wenn er auf dreymaliges Erinnern des als die Ausheurung der Bauerhoͤfe. des Gutsherrn nicht wieder ergaͤnzet wird, als eine hin- laͤngliche Ursache der Abaͤusserung angesehen werde. 8) Daß die Gerichtskosten, welche die Abaͤusserung ko- stet, zu einer Summe bestimmet, und gerichtlich mit einge- tragen, auch bey erfolgter Abaͤusserung, den Glaͤubigern nicht mehr als eines Jahres Zinse verguͤtet werde. 9) Daß alle Auslobungen sich einzig und allein nach dem verschuldeten Freystamm richten muͤssen, dagegen aber den Eltern frey bleibe, ihren abgehenden Kindern, von demjenigen Vermoͤgen, was sie uͤber den Freystamm haben, nach eigenen Gefallen bey lebendigem Leibe Gutes zu thun. 10) Daß jeder Bauer jedesmal die gerichtlich eingetra- genen Schulden vorn in seinem Pachtbuche haben muͤsse, damit der Gutsherr jaͤhrlich sehen koͤnne, ob er zuruͤck oder vorwaͤrts gekommen. 11) Daß keine Gutsherrliche Bewilligungen fernerhin besonders ertheilet werden, sondern die gerichtliche Eintra- gung auf den Freystamm die vollkommene und ofne Sicher- heit des Glaͤubigers ausmache. Beym ersten Anblick scheinet es zwar, als wenn der Gutsherr dabey verliere, daß er nicht allein einen Frey- stamm auf seinem Hofe erkennen, und solchen bey der Ab- aͤusserung den Glaͤubigern bezahlen, sondern auch fuͤr die einmal bestimmte und gerichtlich eingetragene unveraͤnderli- che Taxe desselben einstehen soll. Es scheinet auch mit den Begriffen, welche wir vom Sterbefall haben, zu streiten, und die so leicht ausgesprochene roͤmische Regel: quicquid servus acquirit, acquirit Domino, auf einmal umzustossen. Es scheinet weiter hart zu seyn, dem Gutsherrn die Pflicht aufzulegen, dafuͤr sorgen zu sollen, daß auf seinem schatzba- ren Hofe jedesmal ein Hofgewehr, so wie es das gemeine T 3 Beste Nichts ist schaͤdlicher Beste erfordert und bestimmet, vorhanden sey. Mancher moͤgte auch wohl nicht ohne Grund besorgen, daß er sol- chergestalt, anstatt eine Auffarth zu ziehen, noch wohl Geld wuͤrde zugeben muͤssen, um einen guten Wirth, der die Pflicht eines Reihemanns gehoͤrig zu erfuͤllen und sich mit einem bey der jaͤhrlichen Musterung bestehenden Hofgewehr zu versehen, im Stande waͤre, auf seine Staͤtte zu be- kommen. Allein bey einer genauern Einsicht, und wenn man die Sachen aus ihrem wahren Gesichtspunkte faßt, werden diese Schwierigkeiten sich entweder heben oder durch groͤs- sere und dauerhaftere Vortheile uͤberwiegen lassen, voraus- gesetzt, daß dem Gutsherrn nur die gehoͤrige Macht gege- ben werde, den Plan ohne fremde Verhinderungen ausfuͤh- ren zu koͤnnen. Denn was den Freystamm betrift: so ist der Name zwar fremd, die Sache aber allezeit vorhanden gewesen. Er steckt wuͤrklich in dem Erbrechte, was der Leibeigne oder Hofhoͤrige an dem Hofe hat. Hausheuren in den Staͤdten sind gar nicht erblich geworden; Heuren von Laͤndereyen ohne Gebaͤude selten; und vielleicht nur bey solchen, die der Anbauer zuerst roden oder urbar machen muͤssen. Aber so bald Gebaͤude auf oder neben den Laͤnde- reyen errichtet worden, und der Bauer diese gebauet und erhalten hat, ist sogleich Erbrecht entstanden. Und woher dieses? Blos aus der Ursache, weil man den Sohn des Vaters mit Billigkeit nicht vertreiben konnte, welcher die Gebaͤude auf seine Kosten errichtet hatte. Wer haͤtte Laͤn- dereyen annehmen, Haͤuser darauf bauen und wenn ihn am Rande seines Lebens ein ungluͤcklicher Brand heimsuchte, sein ganzes Vermoͤgen an neue Gebaͤude verwenden wollen, wenn man ihm gesagt haͤtte: nach vier, acht oder zwoͤlf Jahren oder mit deinem Tode must du dieses alles einbuͤssen? Zwar finden sich auch dergleichen Contrakte auf der Heyde an als die Ausheurung der Bauerhoͤfe. an der Emse und in einigen Gegenden im Bremischen, wo der Bauer nach vollendeten Heuerjahren die Pfaͤhle seiner Huͤtte aufziehet, und solche weiter setzt. Das giebt aber armselige Leute fuͤr den Staat, und geht nur in Gegenden an, wo ein leichter Boden, ohne Holzungen dem Heuer- ling untergeben wird. Hier im Stifte sind die Haͤuser dauer- hafter gegruͤndet, und so lange in der Winnnottel oder dem Heuercontrakt nicht steht oder bey der Auflassung nicht be- dungen wird, wie man es am Ende der Heuerjahre mit Bau- und Besserung halten wolle, ist die Heuer, Pacht oder das Colonat, in so fern der Heuermann oder Paͤchter die Haͤuser ohne Berechnung bauet und unterhaͤlt, erblich. Hat das Erbrecht des Leibeignen also den vaͤterlichen Bau und dessen Besserung zum Grunde: so ist die letztere ein wuͤrklicher Freystamm; und fehlt ihm nichts als der Name und die Bestimmung. Nichts ist aber feiner als das Mittel, wodurch unsre Voreltern verhinderten, daß der Freystamm nicht auf freye Erben fallen konnte. Da sie vorhersahen, daß bey Einraͤumung des Satzes vom Frey- stamme, sich auch freye Erben beym Gutsherrn melden, und eine Verguͤtung dafuͤr fordern koͤnnten: so machten sie das Gesetz, daß keiner als der naͤchste Erbe im Gehoͤr Das Gut soll fallen an den naͤchsten Erben huldig und hoͤrig. S. Essensches Hofrecht beym von Steinen im VI Stuͤck sei- ner Westphaͤl. Gesch. p. 1754 sq. Die Erben sollen seyn ledig, huldig und Hofboͤrig an dem Gute. S. die Westhofischen Hofrechte beym von Senkenberg in corp. jur. Germ. T. I. p. 115. post præfat. Die Hoͤrigkeit schloß alle emancipatos, clericos, cives, und in genere alle diejenigen von der Hofes Erbschaft aus, die sich entweder als Frey oder Eigne in an- dern Schutz oder Hulde begeben hatten. Sie hat die Schick- sale der emancipation erlitten, die sich auch spaͤter verdunkelt hat. Man fuͤhlt es kaum mehr, daß sie der Grund gewesen, warum Geistliche des Lehnrechts darbten, und noch der Grund der gesammten Hand als eines brieflichen Gehoͤrs ist. T 4 den Nichts ist schaͤdlicher den Hof erben konnte. Dadurch blieb allemal Land und Gebaͤude unzertrennlich, und fiel auf den Erben des Hofes, oder wenn dieser starb, an den Gutsherrn zuruͤck. Mel- dete sich ein Freyer als Erbe: so trieb ihn der Hoses- oder Gutsherr mit der Ausrede zuruͤck, du bist nicht in meinem Gehoͤr. Und so brauchte er niemals der Besserung halben mit jemanden abzurechnen, eine Berechnung die sonst alles Gute auf einmal umstuͤrzen, und jene Einrichtung zu einer Quelle unsterblicher Processe machen wuͤrde. Der Sterbfall leidet durch die vorgeschlagene Einrich- tung nicht, denn Gebaͤude und Besserungen gehoͤren eigent- lich nicht darunter, oder das Erbrecht des Anerben muͤste auch dem Gutsherrn heimfallen, und dieser jedesmal zum Anerben sagen koͤnnen: alles was dein Vater erworben und hinterlassen, gehoͤret mir, folglich hast du an nichts Erb- recht. Da er aber dieses nicht sagen kann: so sieht man gleich, daß die Ursache, warum die Gebaͤude und Besserun- gen dennoch wuͤrklich zum Sterbfall gerechnet werden, kei- ne andre, als die Verdunkelung des alten Gehoͤrs sey. Waͤre dieses nicht verdunkelt worden: so koͤnnte der Guts- herr, weil er alle freye Erben und alle Glaͤubiger damit zuruͤck weisen koͤnnte, Bau und Besserung Sterbfallsfrey erkennen. Nun aber und nachdem man den Begriff vom Gehoͤr verlohren, muß er es nothwendig zum Sterbfall rechnen, wo er sich nicht allerley Anspruͤchen blos stellen soll; Anspruͤche die einzig und allein dem naͤchsten Erben im Gehoͤr zukommen, mag man der alten oder neuen Rechts- gelehrsamkeit folgen. Das aber bleibt allemal wahr, daß es schwerer halten werde, solche Wirthe zu bekommen, die gleich mit einem zulaͤnglichen Hofgewehr aufziehen und den Freystamm be- zahlen koͤnnen, als kleine Heuerleute, die unbesonnen auf den als die Ausheurung der Bauerhoͤfe. den groͤßten Hof ziehen, und sich darauf so quaͤlen wie sie koͤnnen. Allein laßt uns nun einmal dasjenige, was wir vor Augen sehen, betrachten. In dem Kirchspiele worinn ich wohne, sind zwanzig Hoͤfe, so unter Hofrecht stehen, zu kausen, und der Ho- fesherr hat seine Einwilligung dazu ertheilet. Der Richter hat sie schon dreymal ausgeboten, und es findet sich kein Kaͤufer der sich ins Hofrecht begeben will. Was soll nun geschehen? Das weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß wenn die jetzt noch darauf hangende Gebaͤude auf dem Bo- den liegen, man den Hof umsonst ausbieten wird. Eben so geht es mir mit den Hoͤfen verschiedener Rittereignen. Ich kann mit der Abaͤusserung nicht zu Stande kommen, weil ich nicht weiß: ob ich zu viel oder zu wenig thue, wenn ich dazu schreite, und der Richter in einer Sache, wo es sehr auf sein Gewissen ankoͤmmt, eben so unschluͤßig ist. Da nun immittelst die Heuer fortgehet, und 54 kleine Heuer- leute auf dem Lande herumwuͤhlen: so weiß ich wahrlich nicht, was ich thun soll, wenn einmal die Gebaͤude fallen, und ich einen Bauer noͤthig habe, der solche von neuen auf- richten und den Hof in der oͤffentlichen Reihe vertheidigen soll. Waͤre es nun aber bey solchen Umstaͤnden nicht tau- sendmal besser, daß eine standhafte Linie gezogen wuͤrde, nach welcher den Eigenbehoͤriger ein gewisser bestimmter Freystamm ausgesetzt, und dieselben sofort, wenn sie diesen mit ihren Schulden erreichten, vom Hofe gesetzt wuͤrden. Wenn ein freyer Eigner im Stifte nicht bezahlen kann: so fragt man nicht darnach, ob er durch uͤble Wirthschaft oder auf andre Art zuruͤckgekommen sey; sondern verkauft ihm sein Gut. Der Leibeigne hingegen bleibt auf dem Hofe hangen, wenn er ihn auch noch so sehr verschuldet hat, weil man seinem Rechte am Hofe keinen bestimmten Werth T 5 gesetzt Der Bauerhof, gesetzt hat. Der eine Gutsherr macht sich ein Gewissen daraus ihn abzuaͤussern; der andre, so dazu schreitet, fin- det keinen der den Hof wieder annehmen will, weil sich jeder im Kirchspiel ein Gewissen daraus macht, auf einen Hof zu ziehen, wovon das Gebluͤt entsetzet worden. So bald ist aber nicht der Freystamm erklaͤrt: so faͤllt das Gewissen von beyden Seiten weg, und die Abaͤusserung wird gleich- sam ein gemeiner Verkauf des Freystamms, wodurch nie- mand betruͤbt, verkuͤrzet oder betrogen werden kann, so lange das Schuldbuch oͤffentlich und richterlich gehalten wird .. So sprachen unsre Urenkel. Was wir jetzt sagen, weiß ein jeder. LXII. Der Bauerhof, als eine Actie betrachtet Man muß es dem Verfasser nicht verdenken, daß er zu oft von dieser Materie redet. Sie ist die wichtigste fuͤr das Wohl der Staaten, und in oͤffentlichen Schriften noch wenig behandelt. Die Aufsaͤtze, so hier auf einander folgen, sind in den Zeitraͤu- men von mehrern Jahren geschrieben, und enthalten oft einen Gedanken mehrmals. Allein wer in einem Regierungscollegio sitzt, und taͤglich den verschiednen Beschwerden und Forderun- gen, nach einer Theorie, welche auf die mindeste Aufopferung von Freyheit und Eigenthum gegruͤndet ist, abhelfen soll, weiß es am besten, wie vieles daran gelegen, solche Grundsaͤtze auf- recht zu erhalten. . Wir haben alle einigen Begriff von den grossen Com- pagnien, welche nach Ost- und Westindien han- deln; wir wissen, daß dieselben aus Leuten bestehen, wovon jeder ein sichers Capital hergeschossen hat; wir nennen die- ses als eine Actie betrachtet. ses Cavital eine Actie, und denken es uns ganz deutlich, daß keiner zu dieser Compagnie gehoͤre, er besitze denn eine solche Actie, und daß nur diejenigen, welche eine solche Actie besitzen, Schaden und Vortheil zu theilen haben; das sage ich, wissen wir deutlich, und zwar so deutlich, daß, wenn jemand fragen wuͤrde: ob nicht auch billig alle und jede Menschen, welche zur christlichen Kirche gehoͤren, als Mitglieder der ostindischen Compagnie anzusehen waͤren? der Einfaͤltigste daruͤber lachen wuͤrde. So einleuchtend diese Begriffe sind, wann wir sie uns unter einer so be- kannten Gestalt gedenken: so dunkel scheinen sie manchem zu werden, wann man ihm jede buͤrgerliche Gesellschaft als eine solche Compagnie schildert, jeden Buͤrger als den Be- sitzer einer gewissen Actie vorstellet, und nun zu eben den Folgerungen uͤbergeht, welche wir vorhin gemacht haben; nemlich, daß Menschenliebe und Religion keinen zum Mit- gliede einer solchen Gesellschaft machen koͤnnen, und daß wir in die offenbarsten Fehlschluͤsse verfallen, so bald wir den Actionisten oder Buͤrger mit dem Menschen oder Chri- sten verwechseln. Hier strauchelt oft der groͤßte Philosoph, und unter allen, so viel ihrer die gesellschaftlichen Pflichten und Rechte der Menschen behandelt haben, ist mir keiner bekannt, der seine idealische Gesellschaft auf gewisse Actien errichtet, und aus dieser naͤhern Bestimmung, die Rechte und Pflichten eines jeden Mitgliedes gefolgert habe. Gleich- wol ist es natuͤrlich und begreiflich, daß die Verschiedenheit der Actien auch ganz verschiedene Rechte hervorbringen, und der Mangel derselben eine voͤllige Ausschliessung nach sich ziehen muͤsse. Vielleicht findet mancher auch dieses schon undeutlich, oder fuͤhlet es doch nicht kraͤftig genug, was ich sagen will; ich will also gleich ein Beyspiel zur Erlaͤuterung geben. Viele Philosophen und Juristen sind verlegen, wenn sie einen Der Bauerhof, einen fruchtbaren Begriff von der Knechtschaft geben sollen; sie schwanken wenn sie uns den Ursprung derselben erklaͤren wollen, und kommen mit aller ihrer Gelehrsamkeit in die- sem Stuͤcke nur selten zu genauen und bestimmten Folge- rungen. So bald nimmt man aber nur erst an, daß der Knecht ein Mensch im Staate ohne Actie sey: so zeigt sich die Knechtschaft in einem ganz neuem Lichte; man sieht gleich, warum der Knecht so wenig die Vortheile als die Lasten eines Buͤrgers habe; warum er so wenig zur Lan- desvertheidigung dienen, als zu Ehren gelangen koͤnne, ob er gleich alle christlichen und moralischen Tugenden im hoͤch- sten Grad besitzt; man erkennet, daß die Knechtschaft eben so wenig gegen die Religion sey, als es gegen die Religion ist, kein Mitglied der ostindischen Compagnie zu seyn; man sthließt, daß das Buͤrgerrecht so wenig als das Kirchenrecht die Befugnisse der Menschheit aufhebe; daß der Knecht ohne einen besonderen Vertrag nichts weiter zu fordern habe, als was man ihm nach dem Rechte der Menschheit, und in den spaͤtern Zeiten, nach der christlichen Liebe schuldig ist; und daß die grosse Linie, welche den Buͤrger von dem Men- schen, oder den Actionisten von demjenigen der keine Actie im Staate besitzt, trennet, zu einer vollstaͤndigen und brauchbaren Theorie unumgaͤnglich nothwendig sey. Zu unsern Zeiten haben wir schon eine Daͤmmerung in der Rechtsgelehrsamkeit, welche uns bald einen bessern Tag verkuͤndiget. Man faͤngt nemlich an, das Sachenrecht eher als das Personenrecht vorzutragen. Allein es ist noch zur Zeit blos ein dunkeles Gefuͤhl der Wahrheit. Denn noch keiner hat die Sache unter dem Begriffe der Actie vor- gestellet; ich muß mich hier wieder durch ein Beyspiel er- klaͤren. Ein Mann der z E. tausend Thaler besitzt, und davon die Haͤlfte zu einer Compagniehandlung einschießt, besitzt nur fuͤnfhundert Thaler als Actie, und die uͤbrigen fuͤnf- als eine Actie betrachtet. fuͤnfhundert Thaler sind freyes natuͤrliches (allodial) Ver- moͤgen, womit er nach seinem Gefallen handeln kann. We- gen der erstern ist er ein Mitglied der Compagnie, und wer das Recht der Sachen in einem Compagnierecht abhan- deln wollte, wuͤrde blos die Pflichten bestimmen, welche auf der Actie haften, sich aber durchaus nicht um das uͤbri- ge Vermoͤgen des Actionairs bekuͤmmern. Gegen diesen of- fenbar richtigen Begriff stossen noch alle diejenigen an, wel- che das buͤrgerliche Sachenrecht behandeln. Man glaubt nicht, daß dieses auf eine blosse Specula- tion hinaus laufe, und daß in unsern Zeiten, wo jeder Einwohner eines Staates mit seinem ganzen Vermoͤgen fuͤr alle Ausgaben der buͤrgerlichen Compagnie zu haften scheinet, jener Unterschied voͤllig unnuͤtz sey. Wahr ist es zwar, daß wir eben dadurch, daß wir nach und nach, da wir Vermoͤgen- und Personensteuren eingefuͤhret haben, nicht allein unsre liegende Gruͤnde, sondern auch unsern Geldreichthum und selbst unsre Leiber mit in die Compagnie gelegt, folglich alles was wir haben und uns selbst zu Staatsactien gemacht haben. Allein eben diese Art der Vorstellung leitet uns doch zu einer bessern Ordnung unsrer Begriffe; sie zeigt in der natuͤrlichen Geschichte der Staats- verfassung, wie zuerst blos das Land, was einer besessen, und wovon allein gedienet oder gesteuret wurde, die ur- spruͤngliche Einlage zur Compagnie gewesen; wie zu dieser Zeit der Mann, der Waaren zu verkaufen oder Schuh zu machen gehabt, ohne Actie und folglich ein Knecht gewe- sen; wie derselbe spaͤter als die Landactie zur Bestreitung der Compagnieauslagen nicht mehr zureichen wollen, und er ebenfalls etwas von seinem baaren Vermoͤgen oder Ver- dienste zuschiessen muͤssen, das Recht eines Actionisten er- halten; wie solches, so lange die Auslagen der Compagnie in persoͤnlichen Heerdiensten bestanden, lange nicht fuͤglich gesche- Der Bauerhof, geschehen koͤnnen, bis endlich der persoͤnliche Heerdienst von sichern ausgesonderten Maͤnnern uͤbernommen worden, de- ren Unterhalt und Ausruͤstung mit Gelde oder Anweisung auf Fruͤchte bestritten werden koͤnnen; wie nachwaͤrts, als auch Verdienst- und Vermoͤgensteuren nicht zugereicht, Per- sonensteuren aufgekommen, und dadurch zuletzt jeder Mensch ein Mitglied der grossen Staatscompagnie, oder wie wir jetzt sprechen, ein Territorialunterthan geworden, mithin diejenige allgemeine Vermischung von buͤrgerlichen und menschlichen Rechten entstanden, worinn wir mit unsrer philosophischen Gesetzgebung dermalen ohne Steuer und Ru- der herumgefuͤhret werden. Diese und unzaͤhlige andre Fol- gen, welche das wahre pragmatische in der Geschichte aus- machen, und hier nicht aus einander gesetzt werden koͤnnen, zeigt uns obige Art der Vorstellung, und um ihrentwillen allein, wuͤrde das Recht der Sachen, in der Maasse als Actien betrachtet, vor dem Personenrechte abzuhandeln seyn; jedoch nicht unter Nationen, welche zu Fusse ziehen; denn hier ist der Leib die Actie; sondern unter Voͤlkern, wel- che Land besitzen, und nach dem Verhaͤltniß ihrer Laͤndereyen dienen. Unter Nationen die zu Pferde ziehen, saͤngt die Be- handlung des buͤrgerlichen Rechts mit den Pferden und de- ren Ruͤstung an; denn das Pferd ist ein grosser Theil der Actie, und wer kein Pferd hat, ist auch kein Mitglied die- ser reitenden Voͤlkercompagnie. Diese Art der Vorstellung wird aber noch weit wichti- ger, wenn wir in das besondre Staats- und Landrecht hin- eingehen. Alle unsre Westphaͤlischen und Niedersaͤchsischen sogenannten Eigenthumsordnungen oder Hofrechte fangen damit an, daß sie den Ursprung des Leibeignen, die Pflich- ten seiner Person, und die Rechte so aus seiner persoͤnlichen Verbindung folgen, zuerst vortragen, und dann zuletzt auf die Sachen kommen. So lange wir diesen Plan verfolgen, wer- als eine Actie betrachtet. werden wir nie zu irgend einer guten Theorie gelangen; es giebt lauter falsche Schluͤsse und Spruͤnge: und ob gleich das Resultat was wir zuletzt durch viele Umwege heraus- bringen, richtig ist; so ist das System doch immer falsch, aus Truͤmmern zusammen gesetzt, und unzulaͤnglich eine wahre und grosse Gesetzgebung zu unterstuͤtzen. Kein Wort koͤmmt in den Nordischen Urkunden haͤufiger vor als das Wort Mansus , und noch hat es kein Gelehrter vermogt davon einen richtigen Begriff zu geben. Ich muͤste mich aber sehr irren, oder es hat eine Actie bedeutet, und zwar eine Landactie. Nach dieser Vermuthung kann ein Mansus, nach der Verschiedenheit der Staatsvereinigungen aus 40, 80 oder hundert Morgen Landes bestanden haben, eben wie eine Actie aus grossen und kleinen Summen beste- hen kann. Das Wort Actie laͤßt sich nicht bequem uͤber- setzen, das Wort Mansus auch nicht; aber wir kennen den ganzen Begriff davon; man kann den Mansus ein ganzes Wehrgut nennen, hier zu Lande heißt es ein Vollerbe; Halb- und Viertelerbe sind Coupons, oder Theile des Loo- ses, Erbes, oder Mansus. Vereinigte Landbesitzer machen eine Compagnie aus, und sie moͤgen nun durch einen besonders errichteten So- cialcontract oder stillschweigend, es sey wie es wolle, ver- einiget seyn: so ist ein jeder nach dem Verhaͤltniß seines Mansus zu gemeinem Vortheil und Schaden berechtiget und verpflichtet. Er ist ein ganzer, halber oder viertel Actionist, nachdem er viel oder wenig Land besitzt. Unsre nordischen Vorfahren liessen es bey dieser Eintheilung so lange bewen- den, als die gemeine Auslagen oder Beschwerden in per- soͤnlichen Heerdiensten bestanden; es war ihnen eine einfache und leichte Rechnung, daß jeder ganzer Mansus ein Pferd oder einen Mann, und zwey halbe eben so viel stellen musten. Wie Der Bauerhof, Wie aber die Geldsteuren aufkamen, und mit Huͤlfe des Geldes die Ausgleichung feiner und schaͤrfer gemacht werden konnte, fieng man an die Mansus auszumessen, und die Geldsteuren nach einem neuen Verhaͤltniß zu vertheilen. Dem ungeachtet aber blieb die Stellung der Pferde- und Mannzahl nach dem alten Socialcontract, weil die kleinen Bruͤche im Naturaldienste nicht fuͤglich berechnet werden koͤnnen. Vermuthlich waren auch diese Bruͤche Schuld daran, daß man die Markkoͤtter, Brinksitzer und andre geringere Leute, so keine Viertel Actie, und oft kaum ein Vier und zwanzigstel derselben besitzen, damals nicht in die Compa- gnie aufnahm, sondern ihnen ihren Rang in der Classe von Knechten anwies, jedoch ihren Stand einigermassen uͤber andre Knechte erhoͤhete, wenn sie eine Urkunde, als z. E. ein Pfund Wachs an die Kirche der Compagnie, eine ge- meine Brieftracht zum Dienst derselben, eine Flußraͤumung, eine Galgenerrichtung oder so etwas uͤbernahmen, oder auch sich gegen den Director der Compagnie zu andern Ur- kunden und Gefaͤlligkeiten verpflichteten, welche dieser zur Verguͤtung seiner Muͤhe in den Angelegenheiten der Com- pagnie billig geniessen mogte. Es konnte aber bey jener Einrichtung keinen Unterschied machen, wie einer zum Besitz eines Mansus gelanget war, ob er ihn nemlich als erledigt von dem Director zum Ge- schenk empfangen, oder solchen zuerst frey besessen, und sich mit demselben in die Compagnie begeben hatte. Es konnte in so weit nichts zur Sache thun, ob der Mansus mit ei- nem urspruͤnglich freyen Mann, mit einem Meyer, Erb- paͤchter oder Leibeignen besetzt wurde; denn die Verpflich- tungen der Actie bleiben nach der Natur der Sache, oder nach den urspruͤnglichen und nothwendigen Anspruͤchen der Ge- als eine Actie betrachtet. Gesellschaft, immer dieselben, es mag sie ein Jude oder Christ besitzen; sie mag verkauft, verschenkt, verliehen, ver- heuret oder verpachtet werden. Die Person des Besitzers hat bis dahin nicht den geringsten Einfluß, und so ist auch auf diese die letzte Ruͤcksicht zu nehmen, wenn ein dauerhaf- tes und vollstaͤndiges Buͤrger- Bauer- oder Landrecht ent- worfen werden soll. Allein der wahre Bestand dieser Actie oder dieses Man- sus erfordert eine desto genauere und umstaͤndlichere Be- trachtung. Ihr wahres Maaß, ihre Erhaltung, die Ver- huͤtung ihrer Versplitterung, ihre Wiederergaͤnzung, wenn sie versplittert worden, ihr Bau und Gewehr, ihre Ge- rechtsame in der Mark, ihre Holzung, ihre Beschwerden, ihre Verbindlichkeit gegen den Staat, das Amt, das Kirch- spiel und die Bauerschaft, alles dieses gehoͤrt zum Sachen- recht, und muß bestimmt und beurtheilet werden, ohne die geringste Einmischung der Person, welche die Actie be- sitzt. Wenn dieses in dem ersten Buche eines Landrechts nach den Localbeduͤrfnissen und Absichten jeder Staatscom- pagnie gehoͤrig auseinander gesetzt worden: so kann im zweyten Buche die Materie von Contracten abgehandelt werden, und dieses noch immer wiederum ohne alle Ruͤck- sicht auf die Person des Actionisten. Daß von der Actie nichts veraͤussert, nichts beschweret oder versetzt, und nichts zum Brautschatze mitgegeben werden duͤrfe; daß die Ge- baͤude der Actie, die darauf erforderliche Viehzucht, und alles was zum Bestande derselben gehoͤret, in gutem Stan- de seyn muͤsse, damit die gemeine Last der Compagnie ge- tragen werden koͤnne, und der gute Actionist zur Zeit der Noth nicht fuͤr den schlechten bezahlen oder dienen muͤsse; daß zu mehrerer Sicherheit der Director dahin sehen muͤsse, daß die Holzung der Actie nicht verhauen oder verwuͤstet, und der Landbau mit dem gehoͤrigen Fleisse getrieben werde; Moͤs. patr. Phant. III. Th. U daß Der Bauerhof daß wenn eine gemeine Noth oder ein besonders Ungluͤck einen Actionisten noͤthigt etwas zu verpfaͤnden oder zu ver- aͤussern, dieses mit Einwilligung des Directors und mit Vorbewust der ganzen Compagnie, das ist, vor gehegtem Gerichte, geschehe; daß hierunter ein gewisses gemein be- stimmtes Maaß beobachtet, und jeder Actionist auf sichere Weise angehalten werde, seine Actie binnen einer gewissen Zeit von den gemachten Schulden und Lasten wiederum zu befreyen: dieses folgt aus dem Wesen der Landactie, und der Besitzer derselben mag frey oder eigen seyn, so bleiben demselben alle Contracte, wodurch dieses Wesen veraͤndert werden will, durchaus verboten, und mag auch ein Leib- eigner mit Einstimmung seines Gutsherrn dawider nichts unternehmen. Zwar koͤnnen Localumstaͤnde, und beson- ders wenn die zur Landactie gehoͤrigen Gruͤnde nicht in ei- nem Bezirk, sondern im gemeinen Felde mit andern ver- mischt liegen, gar wohl einige Ausnahmen, wobey auf die Person mit gesehen werden muß, erfordern. So war es z. E. bey den Roͤmern mit der Praͤscription und Usucapion. Die letztere Art der Verjaͤhrung galt lediglich unter Actio- nisten, so daß durch dieselbe der Theil einer Actie an einen andern Compagnon uͤbergehen konnte, wohingegen durch die Praͤscription der Theil der Actie aus den Verbindungen der Compagnie an einen ganz Fremden uͤbergieng; ein Un- terschied den die allgemeine Vermischung der Menschen, da man nemlich den Buͤrger mit dem Einwohner vermengt, und alles was auf dem Boden des Staats lebt, unter dem Namen von Territorialunterthanen befasset, nachwaͤrts verbannet hat, ob er gleich in Faͤllen, wo z. E. die zu einer Hofrolle, oder zu einem Freygericht gehoͤrigen Gruͤnde aus der Rolle fallen, oder schatzbare Gruͤnde durch die Verjaͤh- rung fuͤr frey erklaͤret werden wollen, seinen feinen Nutzen haben wuͤrde. Hier muß natuͤrlicher Weise der Unterschied der als eine Actie betrachtet. der Person, welche etwas durch Verjaͤhrung erlangen will, in Betracht kommen. Aber dieses erfordert doch immer nur noch einen Seitenblick auf dieselbe, und noch keine Einmi- schung des Personenrechts. Dieses Sachenrecht aber gehoͤrig zu finden und zu be- stimmen, sind nur zwey allgemeine Grundsaͤtze noͤthig, als erstlich, daß die Actie blos zu getreuer Hand gehalten wer- de, und zweytens, daß die Geschaͤfte der Compagnie mit der mindesten Aufopferung gefuͤhret werden muͤssen. In eine Handlungscompagnie legt man ein gewisses Capital entwe- der baar oder in Credit ein, und erhaͤlt eine Obligation zu- ruͤck. Bey der Staatscompagnie geht es umgekehrt; hier legt der Actionist diese Obligation ein, und behaͤlt das Ca- pital in Besitz; diese Obligation sey nun ausdruͤcklich oder stillschweigend geschehen; sie fließt allemal aus der Natur der Sache. Der Actionist im Staat, besitzt also dasjenige, was die Actie ausmacht, unter einer gewissen Verpflichtung, oder zu getreuer Hand eben wie ein Soldat, dem ein Hof zur Loͤhnung angewiesen seyn wuͤrde; und es thut zur Sa- che nichts, ob es aufgetragenes oder empfangenes Gut sey. Das Gesetz der mindesten Aufopferung, nach wel- chem es unerlaubt ist einen Pfennig aus dem Vermoͤgen der Compagnie zu verwenden, wenn man mit einem Heller das Erforderliche bestreiten kann, ist das ewige Gesetz des Staats wie der Natur, und bleibt allezeit die grosse ideali- sche Scheidungslinie zwischen dem Directorium und der Compagnie. Kein Actionist hat sich je der Regel nach zu einem mehrern verpflichtet, als die gemeine Noth des Staats erfordert. Hierauf beruhet die grosse Vermuthung fuͤr Freyheit und Eigenthum, und was davon abgeht, gehoͤrt zur Ausnahme die so weit sie kann, auf Vertraͤgen und Be- willigungen beruhen mag. U 2 Ich Der Bauerhof Ich will mich bey den Folgen nicht aufhalten, welche aus diesen beyden allgemeinen Grundsaͤtzen fliessen, aber doch leicht herausgezogen werden koͤnnen. Der erste bietet einem jeden den ganzen Faden des Lehn- oder Beneficial- rechts dar, und nirgends ist das Recht der Sachen so or- dentlich und zusammenhangend vorgetragen, als in diesem. Der andre hingegen fuͤhret zu den grossen Grundsaͤtzen, worauf bey der Collision der gemeinen Lasten und Pachtge- faͤlle zuruͤckgesehen werden muß. Alles was das Directo- rium der Compagnie nach dem Gesetze der mindesten Auf- opferung fordert, hat vor allem uͤbrigen den Vorgang: hier muß der Altar nachstehn, und die Steine von der Kir- che muͤssen das Loch ausfuͤllen, wenn das Meer einbricht und Land und Leute nicht anders zu retten sind. Indessen will ich doch noch hier des Hauptcontracts, worunter die Landactie jetzt in den mehrsten Laͤndern steht, mit wenigen gedenken. Unsre groͤßten Rechtslehrer nen- nen solchen einen Erbpacht, und es ist nicht zu leugnen, daß jener sehr viel aͤhnliches mit diesem habe. Wenn es aber doch auf die Frage ankoͤmmt: Kann denn nun der Verpaͤchter seinen Erbpaͤchter so verbinden, wie es ihr beyderseitiger guter Wille zu- lassen will? eine Frage, die ohnstreitig die wichtigste unter allen ist: so verlaͤßt einen die ganze Lehre von der Erbpacht, nach wel- cher jene Frage sicher bejahet werden muͤßte, und man muß sich drehen und wenden, um den Schluͤssen auszuweichen, welche diese Lehre darbietet. Unsre Vorfahren sahen lange die Verpachtung der Actie als eine Ausnahme von der Regel an, und der Zeitpunct laͤßt sich aus der Geschichte bestimmen, worinn diese Aus- nahme zuerst durch schriftliche Contracte eingefuͤhret wor- den. als eine Actie betrachtet. den. Vorher war alles Besetzung zu Landrechte, Bese- tzung zu Hofrechte, Besetzung zu Ritterrechte. Es war Leihe zu Landsiedelrechte, Behandung, Landsaßigkeit, Erbesbesatzung und was dergleichen Ausdruͤcke mehr sind, welche im Grunde so viel sagen wollten, daß der Hof- Land- oder Gutsherr, die ihm eroͤfneten Guͤter ohne die geringste Neuerung und Steigerung der alten Abgiften, zu besetzen und zu verleihen schuldig sey. In mehrern Hofrechten heißt es: item, da die Huisgenotten von den Gotherrn mit hohre Pacht und nyn Uplagen beschweret, aver dat se ureltlick gegeven, dem bedorven se nicht to gehor- samen; und der Bauer hat durchgehends den ganz politischen und auf eine kundbare alte Gewohnheit gegruͤndeten Aberglau- ben, daß derjenige ewig spuͤken gehe, der neue Pflichten auf seinen Hof nimmt. Dieses laͤßt sich nun mit der Erbpacht nicht wohl reimen, als welche es nothwendig dem freyen Willen beyder Partheyen uͤberlaͤßt, so viel Pacht auf den Hof zu legen, als einer davon tragen kann und will. So bald betrachtet man aber den Hof als eine Actie, welche der Besitzer dem Staate oder der Compagnie zu ge- treuer Hand haͤlt; so folgt der Schluß von selbst, daß solche in ihrem Verhaͤltniß fuͤr die Ausgaben des Di- rectoriums zulaͤnglich seyn, und so wenig durch Schulden als durch einige Paͤchte dergestalt erschoͤpfet werden muͤsse, daß die Compagnie bey ihm Gefahr laufe. Zwar kann hierauf auch bey der Erbpacht Ruͤcksicht genommen wer- den, und der Erbpaͤchter, der die gewissen Lasten mit uͤber- nimmt, steht seine Gefahr. Allein dieses gilt nur bey sol- chen Staatscompagnien, wo die gemeinen Ausgaben nach dem ganzen Verhaͤltniß der Actie, nicht aber nach dem Ver- U 3 haͤlt- Der Bauerhof, haͤltniß des freyen Ueberschusses, welchen der Erbpaͤchter behaͤlt, angelegt werden. Um mich deutlicher zu erklaͤren, will ich den Fall setzen, daß zwey ganze Actionisten, wovon jeder von seiner Land- actie jaͤhrlich hundert Thaler einzunehmen, der eine aber funfzig Thaler Pacht, der andre hingegen nichts abzugeben hat, zu einer gemeinen Ausgabe beytragen sollen. Wie soll hier die Anlage gemacht werden? Sollen sie beyde gleich, oder soll der Freye doppelt so viel als der Schuldner, bey- tragen? Im ersten Fall kann es der Compagnie zur Noth gleichguͤltig seyn, ob der letztere viel oder wenig Paͤchte uͤbernehme. Sie haͤlt sich an die Actie und laͤßt die Pacht nicht folgen, wenn die gemeinen Beschwerden es nicht ge- statten. Im andern Falle aber widersetzt sie sich der will- kuͤhrlichen Verpachtung, und findet den Willen des Paͤch- ters und Verpaͤchters nicht hinlaͤnglich, um der Compagnie den Werth der halben Actie oder doch wenigstens ihre ein- heimische Sicherheit zu entziehen. Noch weiter; der Verpaͤchter hat insgemein seinen An- theil an dem Directorium, der Erbpaͤchter aber nicht. Gesetzt nun, jener koͤnne seine Pacht rein weg ziehen, und dieses geschieht so oft die Paͤchte bey der Anlage der gemei- nen Ausgaben vorabgezogen werden; dieser aber muͤsse sich alles gefallen lassen, was ein solches Directorium be- williget: so ist die Erbpacht ein solcher Contrakt, wodurch sich der Paͤchter der Willkuͤhr des Verpaͤchters unterwirft, und diesem fehlt es an einer gesetzmaͤßigen Verbindlichkeit; sie ist ein Contrakt, wo derjenige, der nichts zu verlieren hat, die Handlung treibt, und derjenige, der fuͤr alles ste- hen muß, gar nichts zu handeln hat, ein Contrakt der den letzten Grund aller buͤrgerlichen Freyheit aufhebt, und wenn er gleich in der That nicht gefaͤhrlich seyn sollte, den- noch als eine Actie betrachtet. noch immer ein theoretisches Ungeheuer, ein vielkoͤpfiger Des- potismus ist. In einigen Staaten hat man dieses Ungeheuer erkannt, und daher zur Regel angenommen, daß die Pacht dem Pachtmanne nicht hoͤher als auf die Haͤlfte seines Einkom- mens gesteigert werden solle; und man nennet dergleichen Leute halben: die vorfallenden oͤffentlichen Lasten tragen Verpaͤchter und Paͤchter zur Haͤlfte, und obgleich auch hier der letztere weder Sitz noch Stimme in der Direction hat: so ist er doch auf sichere Weise dabey repraͤsentirt, weil der Verpaͤchter um seine eigne Haͤlfte zu schonen, die andre nicht ohne die hoͤchste Noth beschweren wird. Ein solcher Contrakt, so bald er zu einer allgemeinen Regel gemacht ist, hat nichts bedenkliches, indem es allenfalls jeder Com- pagnie frey steht, die Actie auf 500 oder 1000 Rthlr. und den Beytrag davon auf diese oder jene Art zu bestimmen. Allein wo er keine allgemeine Regel abgiebt, wo der eine Verpaͤchter um die Haͤlfte, der andre um die dritte, vierte oder zehnte Garbe mit seinem Paͤchter schließt, und dieses noch dazu ohne Vorwissen der Compagnie, da wuͤrde es eine hoͤchst unbestaͤndige Art der Handlung seyn, die Paͤchte frey vorabgehen zu lassen, und den gemeinen Beytrag nach dem Verhaͤltniß des freyen Ueberschusses auszuschreiben. Einer von beyden muß die Regel seyn, entweder haftet die halbe Actie oder ein jeder andrer durch einen allgemeinen Schluß bestimmter Theil fuͤr die Ausgaben der Compagnie, und uͤber die andre Haͤlfte moͤgen Paͤchter und Verpaͤchter nach ihrem freyen Willen contrahiren; oder die ganze Actie wird in das Compagniekataster eingetragen, und der Ver- paͤchter muß nachstehn, so oft die nothwendigen gemeinen Ausgaben so weit gehen, daß er seine Pacht nicht erhalten kann. Wo es anders gehalten wird, da wird der billigste Verpaͤchter von dem unbilligen hintergangen. Jedoch wir U 4 muͤssen Der Bauerhof, muͤssen noch etwas von den Personen sagen, welche die Actie besitzen. Die Abtheilung derselben hat viele Schwierigkeiten, weil es unsrer Sprache an geschickten Ausdruͤcken mangelt, und der Gebrauch so eigensinnig ist, daß er oft die wider- sinnigsten Dinge mit einander verknuͤpft; wie zum Exempel in dem Worte: freyadlich, welches zwar mit Recht aufge- bracht, aber doch ganz widersinnig ist. Denn die Benen- nung adel soll den hoͤchsten Grad einer urspruͤnglichen Frey- heit erschoͤpfen; und man konnte nicht freyadlich sagen, als bis man die, welche sich zu Dienste verpflichtet und ihren Adel damit aufgegeben hatten, auch noch aus Gefaͤlligkeit edle nannte. Ausserdem ist das Wort frey immer nur rela- tiv, und bedeutet eine Ausnahme, und Leute die Leibeigen sind, koͤnnen Freye und Hochfreye genannt werden, wenn sie durch Privilegien von gemeinen Lasten befreyet sind. Dieses macht die Eintheilung sehr schwer. Mir hat indessen allemal die Eintheilung in Wehren und Leute die beste zu seyn geschienen. Erstere gehoͤren fuͤr ihre Personen keinen Menschen an, letztere hingegen sind andern entweder von ihrer Geburt an oder durch Enrolle- ment verpflichtet oder zugebohren. Nun theile ich erstlich die Wehren ab in edle und gemeine, nobiles et ingenuos, und ob sich gleich beyde in Dienste begeben, folglich wuͤrk- liche Diener seyn koͤnnen: so sind es doch allemal edel- und frey- gebohrne Leute. Aber auch die Leute theile ich in edle und gemeine ab. In der ersten Classe befinden sich die Edlen, welche den Leuteid freywillig abgelegt haben, so wie diejenigen, welche von diesen im Dienste gebohren sind. Die Classe der letz- tern, ist wie leicht zu erachten, sehr mannigfaltig und ver- mischt, nachdem einer minder oder mehr angehoͤrig gewor- den als eine Actie betrachtet. den oder gebohren ist. Indessen haben doch die deutschen Rechte alle Arten gemeiner Leute auf drey Hauptstaͤmme zu- ruͤckgebracht, wovon Der erste diejenigen enthaͤlt, so den kleinen Sterbfall, als z. E. blos von dem vierfuͤßigen Gute, oder das beste Pfand geben; Der zweyte diejenigen, so den grossen Sterbfall, nem- lich von ihrer ganzen Verlassenschaft geben muͤssen; und Der dritte den Ueberrest befaßt, der in sogenannten Hyen und Hoden steckt, und eine kleine Sterbfallsurkunde entrichtet, es sey nun daß er sich diese Hode, um nicht von dem Landesherrn als biesterfrey gefangen und dem grossen Sterbfall unterworfen zu werden, selbst erwaͤhlt hat, oder seiner unterhabenden Gruͤnde halber zu waͤhlen genoͤthiget worden, wovon die erstern Churfreye, die letztern aber Nothfreye genannt worden. Alles was dem Sterbfalle nicht unterworfen ist, ist auch nicht angehoͤrig oder leibeigen; und Auffarten (laude- mia) , Auslobungen, Bewilligungen auf Schulden, Ab- aͤusserungen und andre Einschraͤnkungen machen nicht die geringste Vermuthung gegen eines Mannes persoͤnliche Frey- heit, so wie hingegen auch die persoͤnliche Freyheit keinen Menschen bey der Actie schuͤtzet, wenn er solche wider den Socialcontract verschuldet, verwuͤstet oder versplittert. Der Sterbfall allein ist durch die ganze nordische Welt die Urkunde der persoͤnlichen Angehoͤrigkeit, diese mag nun durch Landgesetze, Gewohnheit, Religion und Philosophie in dem einen Lande mehr oder weniger strenger seyn als in dem andern. Insgemein hat jede Leibeigenthumsordnung ein Capit- tel von dem Ursprunge des Leibeigenthums an der Spitze, worinn oft ruͤhrende Sachen von der Kriegesgefangenschaft, U 5 von Der Bauerhof von den zu Sclaven gemachten Roͤmern, ja wohl gar alte Historien aus der Bibel, wo nicht noch andre herzbrechende Sachen vorkommen. Allein alle diese kleinen Unterlagen tragen das weite Gebaͤude der persoͤnlichen Angehoͤrigkeit, das sich durch die ganze alte Welt erstreckt und aus der Hand der Natur koͤmmt, nicht. Der Grund der Angehoͤ- rigkeit liegt in einer wahren natuͤrlichen Staatsbeduͤrfniß, die sich aber von der Zeit an verlohren hat, wie der Be- griff eines Territorialunterthanen bekannt geworden ist, fruͤh bey den Roͤmern, und sehr spaͤt unter den nordischen Voͤlkern. Die Ausfuͤhrung hievon duͤrfte vielen dunkel seyn, und der Kenner wird leicht den Gang der Natur in der Angehoͤrigkeit entdecken. Also das Capittel in dem Personenrecht uͤbergeschlagen, und nur zu der Frage uͤbergegangen: Wie ist die Person beschaffen welche die Actie besitzt? ist sie angehoͤrig oder nicht? Die Unangehoͤrigen haben freye Macht mit ihrem na- tuͤrlichen Vermoͤgen, oder allem demjenigen, was sie nicht als Actie besitzen, zu schalten und zu walten; die Compa- gnie hat darauf kein Recht, so lange sie nicht durch Noth und schwere Auflagen gezwungen worden, Personen- und Vermoͤgensteuren einzufuͤhren, und so nach alles was ei- ner hat, mit zur Actie zu ziehen, welches der hoͤchste Grad des Drucks, und der Grund ist, warum man sich gegen alle Personen- und Vermoͤgensteuren so lange als moͤglich wehret. Die Angehoͤrigen hingegen haben ausser ihrer gemeinen Verpflichtung noch eine besondre, so wie Soldaten die zu- gleich Wirthe auf einem Erbe sind, und nicht allein zu ge- meinen Lasten steuren, sondern auch nebenher ihrem Dienst- eide genug thun muͤssen. Vermoͤge der gemeinen Verpflich- tung als eine Actie betrachtet. tung kann diesen obliegen, ihr Holz nicht zu verhauen; vermoͤge der besondern, gar nichts ohne Anweisung zu faͤl- len und was dergleichen Einschraͤnkungen mehr sind. Die besondre Verpflichtung gruͤndet sich aber doch nicht auf den willkuͤhrlichen Contract zwischen dem Capitain und seinen Soldaten, sondern auf das allgemeine Kriegsreglement, oder das Landrecht. Eine Hauptfrage koͤnnte es nun seyn: wie die Compag- nie zulassen koͤnnen, daß dergleichen verpflichtete Personen zu dem Besitze der Landactie gelangt; und besonders solche verpflichtete, welche ihre Personen voͤllig abhaͤngig gemacht haben? denn die besondre Verpflichtung kann doch manchen hindern im gemeinen Dienste der Compagnie zu erscheinen. Aber man koͤnnte auf gleiche Weise fragen: wie koͤmmt es, daß Soldaten als Wirthe auf dem Hofe geduldet werden, da es sich doch ebenfalls zutragen kann, daß der Soldat im Feld seyn muß, wenn der Wirth die Heerstrasse bessern sollte? Es sind dieses Fehler, welche sich einschleichen, je nachdem die Zeiten solche minder oder mehr beguͤnstigen. In vielen Laͤndern hat sich das Directorium der doppelten Verpflichtung widersetzt, und in diesen giebt es keine Voll- pflichtige oder Leibeigne auch keine Soldaten als Wirthe. Der Leibeigne war anfaͤnglich ein Mensch ohne Actie; nachdem aber von der Actie nicht mehr persoͤnlich gedienet wurde, und die mehrsten Dienste in Geld verwandelt, oder durch Vicarien verrichtet werden konnten, hat der Staat nachgegeben, doch also, daß da, wo es das Gesetz der min- desten Aufopferung erfordert, die besondern Verpflichtun- gen den gemeinen nachstehen muͤssen. Den ersten Anlaß zu jener Nachgebung gab vermuthlich der Dienst im Harnisch. Zwoͤlf Actien mußten einen Mann im Harnisch stellen; und nun konnte es die Compagnie zulassen, daß der geharnischte Mann Der Bauerhof als eine Actie betrachtet. Mann nach und nach die eilf Actien, welche zu seiner Ruͤ- stung steureten, an sich brachte, und nach seinem Gefallen oder nach Ritterrecht besetzte. Dieses mußte unvermeidlich erfolgen, wenn der Dienst im Harnisch zunftmaͤßig getrie- ben, und keiner dazu gelassen wurde, sein Vater haͤtte denn auch schon einen Harnisch getragen; hiedurch blieben die eilf Actien auf ewig dem Besitzer der zwoͤlfen verpflichtet, und die Compagnie wahrete blos den Geharnischten, ohne sich um die eilf uͤbrigen weiter zu bekuͤmmern. Der Dienst im Harnisch hat aufgehoͤret, und seitdem hat die Compagnie immer daran gearbeitet, das Recht der zwoͤlften Actie zu schwaͤchen, und die eilfe wieder herzustel- len, jene aber auch alles, was in ihrem Vermoͤgen gewe- sen, angewandt, um ihre einmal verjaͤhrten Rechte zu be- haupten. Wie der Ausgang endlich seyn werde, liesse sich zwar wohl berechnen, jedoch nicht anders als mit Huͤlfe mehrerer Formeln. So viel bleibt indessen gewiß, daß die zwoͤlfte Actie bey steigenden, und die eilf uͤbrigen bey sin- kenden Ausgaben der Compagnie, verlieren, und diese ih- ren Verlust gluͤcklicher, als die erstern, ertragen wer- den. Plura latent. LXIII. LXIII. Die Abmeyerungen koͤnnen dem Hofes- herrn nicht uͤberlassen werden. Nichts scheint dem ersten Ansehen nach unangenehmer und unschicklicher zu seyn, als daß ein Gutsherr sei- nen Leibeignen nicht selbst vom Hofe stossen kann, sondern erst den Richter darum angehen, demselben die Ursachen der Entsetzung anzeigen, und dessen Urtheil daruͤber erwarten muß. Man ist geneigt zu glauben, daß der Gutsherr, der seinem Leibeignen den Hof ohne alle Umstaͤnde unter- giebt, denselben auch billig auf gleiche Art muͤsse zuruͤck nehmen koͤnnen; und daß alles was die Gewohnheit oder das Gesetz dieser natuͤrlichen Freyheit zuwider eingefuͤhret hat, ein wahrer Eingrif in die Gutsherrlichen Rechte sey. Allein bey einer naͤhern Ueberlegung zeigt sich bald, daß die gerichtliche Form, welcher ein Gutsherr sich unterworfen hat, ihren sichern und vortreflichen Grund habe, und daß man wohl Ursache habe, solchen als ein Meisterstuͤck der menschlichen Ueberlegung zu bewundern. Denn gesetzt, es koͤnnte der Gutsherr seinen Leibeignen nach eignem Gefallen des Hofes entsetzen: so wuͤrde es kein Freyer wagen, einen Hof unterzunehmen und anzubauen. Zu welchem Ende, wuͤrde er sagen, soll ich Gebaͤude errich- ten, Pflanzungen anlegen und mein gutes Geld in fremde Gruͤnde stecken, wenn ich dieses meines Vermoͤgens durch eine blosse Willkuͤhr beraubet werden kann? Wofuͤr soll ich einen grossen Weinkauf bezahlen und meine bewegliche Haa- be dem Sterbfalle unterwerfen, wenn ich weiter keine Si- cherheit als die leicht zu verscherzende Gnade meines Herrn habe? Die Abmeyerungen koͤnnen dem habe? Wer wuͤrde mir in Noth und Ungluͤck einen Gro- schen auf Gruͤnde leihen, die ich alle Augenblick verlieren kann? — Der Gutsherr wuͤrde sagen: ich wollte daß der Leibeigenthum aus der Welt waͤre; alle Augenblick koͤmmt mir der elende Kerl ohne Geld, ohne Credit, und will bald ein Haus, bald ein Pferd, bald eine Kuh haben; ich muß des Kerls dumme Streiche bezahlen, und alle seine Unvor- sichtigkeiten entgelten. Jage ich einen Bettler fort: so be- komme ich einen andern wieder, und ich werde von ihm, wie von dem vorigen, betrogen. So wuͤrde allem Ansehen nach die Lage der Sache seyn, wenn nicht die gerichtliche Form zwischen dem Gutsherrn und seinem Leibeignen eingetreten waͤre, und dem einen wie dem andern den Besitz seiner Rechte oͤffentlich und feyerlich gewaͤhret haͤtte. Durch dieselbe ist der Glaͤubiger, der dem Leibeignen in der Noth ausgeholfen, in billiger Maasse ge- sichert; der Freye welcher sich zum Leibeignen ergiebt, wird dadurch aufgemuntert, den Hof anzunehmen und zu ver- bessern, da er weiß, daß ihm solcher nicht ohne seine eigne grosse Schuld entzogen werden koͤnne. Der Werth des Hofes steigt unter der Guarantie des Staats; und der Guts- herr erhaͤlt den Preis dieses erhoͤheten Werths und den Vortheil der gerichtlichen Form in dem Weinkaufe. Er braucht endlich dem Leibeignen keinen ofnen Beutel zu hal- ten, weil dieser unter dem Schutze der gerichtlichen Form selbst einen billigen Credit findet. Traurig ist es nun freylich, wenn diese gerichtliche Form zu einer Zuchtruthe fuͤr die Gutsherrn wird, und die Ent- setzung eines schlechten Haushalters dermassen erschweret, daß auch auf der andern Seite nicht allein der Staat und die Gutsherrn, sondern auch der Glaͤubiger, der einem sol- chen schlechten Wirthe das Seinige aufgeopfert hat, in grossen Hofesherrn nicht uͤberlassen werden. grossen Verlust gestuͤrzet wird. Allein so vernuͤnftig und nothwendig auch die Bemuͤhungen sind, wodurch man die- ser Form eine verbesserte Gestalt zu geben wuͤnschet, eben so nothwendig ist auch die Politik, sich von jenem Grund- satze nicht zu weit zu entfernen, und den Richter zum blossen Ausrichter der gutsherrlichen Willkuͤhr zu machen. So bald dieses geschieht, treten alle obige zuerst erwehnte Fol- gen richtig ein: jeder Freyer wird sich scheuen unter solchen Bedingungen in den Leibeigenthum zu treten; aller Credit faͤllt nothwendig weg; und der Gutsherr traͤgt am Ende die Last eines jeden nichtswuͤrdigen Kerls. Wenn aber gleich die Regeln, daß eine groͤssere Stren- ge der Abaͤusserungsursachen dem wahren Interesse des Gutsherrn zuwider laufe, und daß mildere Gesetze fuͤr bey- de am zutraͤglichsten seyn, dadurch ausgefunden und ausser Streit gesetzet sind: so muß ich doch aufrichtig bekennen, daß man dadurch nur noch wenig gewonnen, und hoͤch- stens den Punkt festgesetzet habe, woraus man die Sache uͤbersehen muͤsse. Denn es liegt so wenig an der Milde als an der Strenge der Ursachen, daß wir mit den Abaͤusse- rungen nicht fortkommen koͤnnen, sondern in der Mannig- faltigkeit der Umstaͤnde, welche eben und dasselbe Verbre- chen bald vergroͤssern und bald verkleinern; es liegt auch zum Theil mit an dem Richter, der ohne den Leibeignen nach seinem wahren Charakter und Haushalt zu kennen, blos nach demjenigen sprechen kann und muß, was vor ihm in den Acten angefuͤhret und erwiesen ist, welches denn wiederum nicht allemal in der Kuͤrze geschehen kann, worinn man es zu haben wuͤnscht. Mord und Raub sind grosse Verbrechen, und dennoch treten oft fuͤr den Schuldigen solche besondre grosse und ruͤhrende Umstaͤnde ein, daß man Muͤhe hat ein Urtheil zu faͤllen. Die Abmeyerungen koͤnnen dem faͤllen. Die Gesetze koͤnnen auf diese Verbrechen die Strafe leicht bestimmen; aber die verschiedene Moralitaͤt der Hand- lungen bleibt immer unter dem vernuͤnftigen Ermessen des Richters. Der menschliche Verstand hat hier noch kein Maaß erfunden, wodurch der Gesetzgeber zu einer ganz genauen Bestimmung seiner Gesetze gelangen kann. Die Verbrechen, wodurch ein Leibeigner sich um den Hof bringt, lassen nothwendig noch eine groͤssere richterliche Ermaͤßigung zu, weil sie nicht so schreyend sind, wie jene, und folglich auch den Richter nicht berechtigen koͤnnen, hier so wie in jenen groͤssern Verbrechen wohl geschieht, die ganze Mora- litaͤt bey Seite zu setzen und den Thaͤter des Exempels we- gen die ganze Strenge des Gesetzes empfinden zu lassen. Wollte man auf gleiche Art die Moralitaͤt der Hand- lungen bey den Abaͤusserungsursachen ausser Betracht setzen; und z. E. den besten Wirth, der sich in dem hoͤchsten Grad der Versuchung, in einem ungluͤcklichen Augenblick, worinn vielleicht der rechtschaffenste Mann gefehlet haͤtte, einen Ehebruch zu schulden kommen lassen, so fort mit Weib und Kindern vom Hofe jagen: so wuͤrde man gegen alle Politik handeln, und die Sicherheit der Glaͤubiger, die dem besten Wirthe, in den besten Umstaͤnden und in der groͤßten Noth geborget, von einer Schwachheitssuͤnde abhangen lassen, und jeden abschrecken einem solchen Manne (vor einem lie- derlichen Wirth kann sich ein jeder huͤten) auszuhelfen. Will man aber die Moralitaͤt mit in Betracht ziehen: wel- cher Meister wird dann die Grenzlinie ziehen koͤnnen? Wollte man sagen: der Proceß soll ganz summarisch seyn, und Ein Urtheil das Gluͤck oder Ungluͤck des Men- schen entscheiden; oder alle Verschickung der Acten soll in diesem Falle verboten seyn: so erreichte die Sache freylich ein kuͤrzers Ziel; aber wird ein Freyer sich auf diesen Wurf eigen Hofesherrn nicht uͤberlassen werden. eigen geben, oder ein Glaͤubiger darauf borgen? und wird der Gutsherr so viel Vertrauen auf einen einzelnen Richter oder einen von diesem erwaͤhlten Referenten setzen, um es auf dessen Urtheil allein ankommen lassen? Wuͤrde nicht in einem solchen Falle wenigstens das Urtheil eines Collegiums noͤthig seyn? und kann man hoffen, wenn dieses dazu an- gesetzet, mithin alle fernere Appellation verboten wuͤrde, daß die Reichsgerichte sich dadurch die Haͤnde binden lassen wuͤrden? Niemand kennet unstreitig einen schlechten Wirth besser als seine Nachbaren, und die Eingesessenen des Kirchspiels: diese wissen es aufs genaueste was er fuͤr ein Vogel sey, und ob man von ihm noch Besserung hoffen koͤnne Koͤnnte man sich ihre Entscheidung ohne Eigennutz und ohne Ab- sichten gedenken: so wuͤrde ihr Urtheil das sicherste und ge- schwindeste seyn; man brauchte keine Entscheidungsgruͤnde von ihnen zu erfordern und kein Glaͤubiger wuͤrde sich fuͤrchten; die vollkommenste Beruhigung wuͤrde auf allen Seiten seyn koͤnnen: aber die Eingesessene des Kirchspiels sind mehrentheils unter einander verwandt; sie haben an dem Beklagten zu fordern und wollen nicht gern verlieren; sie sind, wenn es zum Entscheiden koͤmmt, furchtsam und mitleidig; sie sind natuͤrlicher Weise mit einander gegen die Gutsherrn; und so faͤllt auch diese Art des Verfahrens, worauf sich sonst ein jeder mit Sicherheit stuͤtzen koͤnnte, ausser Betracht. Die Eingesessene eines andern Kirchspiels koͤnnen aber keine Urtheiler abgeben, weil sie den schlechten Wirth in seinem ganzen Umfange nicht genugsam kennen. Bey so bewandten Umstaͤnden verdienen hauptsaͤchlich diejenigen Abaͤusserungsursachen, welche der Augenschein darlegt, und die der Richter des Orts mit Zuziehung der Churgenossen, so fort ausser Zweifel setzen kann, allemal Moͤs. patr. Phant. III. Th. X die Die Abmeyerungen koͤnnen dem die vorzuͤglichste Aufmerksamkeit. Wahr ist es zwar, daß ein Hagelschlag, ein Mißwachs, ein Viehsterben, ein so genanntes Ungluͤck am Vieh, ein gerechter aber schwerer Proceß und viele andre Umstaͤnde einen Leibeignen dergestalt zuruͤck bringen koͤnnen, daß seine Gebaͤude und Zaͤune, den Gebaͤuden und Zaͤunen eines liederlichen Wirths voͤllig aͤhn- lich sehen; wahr ist es auch, daß dergleichen Strafen Got- tes wohl einen ehrlichen Mann in die Versuchung fuͤhren koͤnnen, die Axt an eine heilige Eiche zu legen, oder sein Buͤchenholz etwas staͤrker anzugreifen, als ein anderer. Allein wenn doch der Augenschein zuerst geredet, und den Leibeignen mit dem Beweise jener Ungluͤcksfaͤlle, in so fern er etwas erhebt, beladen hat: so pflegt sich die Sache doch bald aufzuklaͤren, indem der Grund oder Ungrund jener Ungluͤcksfaͤlle mit einiger Muͤhe leicht uͤbersehen werden kann. Das sicherste Mittel unter allen wuͤrde seyn, die etwa- nige Besserung, welche ein Leibeigner in dem Hofe hat, meistbietend zu verkaufen, und ihn und die Glaͤubiger mit dem daraus erhaltenen Gelde abzufinden; alsdenn beduͤrfe es gar keiner besondern Abaͤusserungsursachen, sondern man verfuͤhre mit den Leibeignen wie mit den Freyen, wenn sie ihre Schulden nicht bezahlen koͤnnen. Diese Besserung koͤnnte man durch Churgenossen (erwaͤhlte Achtsleute) schaͤ- tzen, und wenn der Gutsherr die Schaͤtzung bezahlte, dem- selben gegen deren Erlegung den Hof zur anderweiten Be- setzung uͤberlassen. Der Gutsherr behielte von der Schaͤ- tzung was er selbst zu fordern haͤtte, und befetzte sodann den Hof mit andern nach seinem Gefallen. Wollten die unbewilligten Glaͤubiger sich dieses nicht gefallen lassen; so muͤßten sie einen bessern Kaͤufer stellen, der ein mehrers fuͤr die Besserung erlegte, so dann sich zum Leibeignen uͤber- gaͤbe. Von dem Uebergebot erhielte der Gutsherr die Haͤlfte Hofesherrn nicht uͤberlassen werden. Haͤlfte zum Weinkauf, und die uͤbrige Haͤlfte waͤre fuͤr die Glaͤubiger. Allein es ist dieses nur ein Vorschlag, wogegen ein an- drer leicht neue Bedenklichkeiten, besonders, wenn man erst fragen wuͤrde: worinn die Besserung bestehe? vorbrin- gen wird. Mein heutiger Wunsch wird indessen erfuͤllet, wenn man nur uͤberzeugt wird, daß das Ziel was man sucht, so leicht nicht zu erreichen sey, wie viele wohl glau- ben moͤgen. LXIV. Betrachtungen uͤber die Abaͤusserungs- oder Abmeyerungsursachen. Es ist schon lange eine allgemeine Klage der Gutsherrn gewesen, daß sie viele schlechte und liederliche Wirthe auf ihren Hoͤfen dulden muͤßten, weil ihnen die Richter zu viele Schwierigkeit machten, wenn sie solche davon setzen, oder wie man hier sagt, abaͤussern wollten. Man glaubte zwar derselben durch die Eigenthumsordnung voͤllig abzu- helfen, indem man die Faͤlle, worinn eine Abaͤusserung statt finden sollte, namentlich bestimmte, und den Richter an- wies ohne alle Weitlaͤuftigkeit zu verfahren. Allein die Kla- ge ist immer noch dieselbe, es sey nun, daß der Menschen Witz, dessen Erfindungen in allen Handlungen so buͤndig ausgeschlossen werden, immer noch eine Luͤcke findet, wo- durch er seinem alten Lehrmeister das: On ne pense jamais à tout zuruft; oder daß der Gesetzgeber die Ursachen der Abaͤusserung (weil von zween Personen, die sich des nemli- chen Verbrechens schuldig machen, die eine oft Mitleid, die andre aber eine strengere Strafe verdienet) nicht zu all- X 2 gemei- Betrachtungen uͤber die Abaͤusserungs gemeinen Regeln fuͤr alle Faͤlle erheben kann. Dem sey nun aber wie ihm wolle: so ist die Betrachtung der Ab- aͤusserungsursachen, womit sich jetzt unter uns die groͤßten Maͤnner beschaͤftigen, eine der wichtigsten fuͤr den Staat, dessen Wohlfahrt nothwendig sehr darunter leidet, wenn schlechte Wirthe auf den Hoͤfen, ihren Ackerbau versaͤumen, ihr Gehoͤlze verderben, ihre Spannung vermindern, ihren Viehstapel schwaͤchen, und weder Muth noch Kraͤfte zu neuen Unternehmungen und Verbesserungen besitzen. Wie mancher Hof wuͤrde doppelte Fruͤchte tragen, wenn statt des jetzigen faulen Gebluͤts, oder statt der schwachen Heuer- leute ein froher arbeitsamer und vermoͤgender Wirth darauf gesetzet wuͤrde? Allein diese Betrachtungen werden nie das rechte Ziel treffen, so lange man blos bey dem Eigenbehoͤrigen stehen bleibt, und sich durch diese Einschraͤnkung den ganzen Ge- sichtspunkt, worinn die Sache betrachtet werden muß, ver- dirbt. Die Abaͤusserung hat mit der Leibeigenschaft nicht so viel gemein als man glaubt. Sie ist die Verbannung eines unwuͤrdigen Mitgliedes aus der Reihepflichtigen Gesellschaft , und dieses Mitglied mag Rittereigen oder Hofhoͤrig, Churmuͤndig oder Nothfrey, ja es mag der ur- spruͤngliche Eigenthuͤmer des unterhabenden Hofes seyn: so muß es abgeaͤussert werden koͤnnen, so bald es den Be- dingungen zuwider handelt, welche die reihepflichtige Ge- sellschaft zu ihrer Erhaltung und Vertheidigung eingegan- gen ist, und eingehen muͤssen. Man setze nur einen Augenblick den Fall, daß hundert Hoͤfe einen kleinen Staat ausmachen, der seine oͤffentliche Lasten hat; und daß die Haͤlfte davon mit Leibeignen, die andre Haͤlfte aber mit Freyen besetzet seyn. Werden hier die Leibeignen den Freyen gestatten koͤnnen. a) ihre oder Abmeyerungsursachen. a) ihre Hoͤfe mit Schulden zu beschweren? b) sich bey Gelegenheit der Erbfaͤlle mit uͤbermaͤßigen Absteuren zu entkraͤften? c) ihr Spannwerk ausser Stand zu setzen? d) ihr Gehoͤlze zu verhauen? e) ihre Staͤtten zu versplittern? f) solche zu verlassen und mit Heuerleuten zu besetzen? Werden sie nicht so fort ihr Oberhaupt, dem sie die Voll- macht zur Erhaltung der Reihepflichten gegeben, angehen, und ihn bitten, den Freyen diese dem gemeinschaftlichen In- teresse der Gesellschaft nachtheilige Unternehmungen zu un- tersagen? oder werden sie, wenn Fuhren, Einquartierun- gen und andre gemeine Werke vorfallen, wozu Futter, Korn, Spann, Holz, Geld und andre Lieferungen erfor- dert werden, fuͤr jene Freyen, die ihr Holz verdorben, ihre Haͤuser abgebrochen, ihre Staͤtten versplittert und sich in Schulden vertieft haben, den Vorschuß thun, und dennoch geschehen lassen, daß jene Freyen sich immer mehr zu Grun- de richten? Dies wird ihnen gewiß nie angemuthet werden koͤnnen, und so ist es offenbar, daß es gar keine sonderliche Verschiedenheit in Ansehung der Abaͤusserung mache, ob der reihepflichtige Hof mit einem Leibeignen oder mit einem Freyen besetzet sey. Die ganze Blendung, welche man sich bisher hieruͤber gemacht hat, ruͤhrt einzig und allein davon her, daß die mehrsten gemeinen Lasten in neuern Zeiten mit Gelde bestrit- ten und zu einer Generalcasse bezahlet worden, und der Staat hierauf nicht so genau darnach gesehen, ob er dieses Geld aus eines Heuermanns, Paͤchters, Winners oder ei- nes Wehrfesters Haͤnden empfangen; folgends seine ganze Ausmerksamkeit auf die Ermaͤchtigung des Geldes gerichtet X 3 und Betrachtungen uͤber die Abaͤusserungs- und sich um die Wirthschaft der Freyen zum grossen Nach- theil der reihepflichtigen Leibeignen fast gar nicht mehr be- kuͤmmert; ein Fehler, dessen Folgen immer gefaͤhrlicher wer- den muͤssen, da viele, die sich frey kaufen, ihre Holzungen angreifen, Laͤndereyen veraͤussern, auch wohl ihr ganzes Erbe stuͤckweise verheuren, und ihren ganzen Haushalt ein- gehen lassen; ohne daß der Beamte, der die Rechte der reihepflichtigen Gesellschaft zu vertheidigen hat, sich in die- sem Stuͤcke um ihre Wirthschaft bekuͤmmern und in die Stelle der Gutsherrlichen Localcontrolle treten darf. Nichts beweiset den geringen Unterschied unter Leibeig- nen und Freyen, welche auf reihepflichtigen Hoͤfen sitzen, deutlicher, als die Bemuͤhungen der Rechtsgelehrten, wel- che von der unvollkommenen Freyheit der Bauern ge- handelt; und die Zeugnisse der Beamten und Richter, wo- durch sie alle sogenannten Freyen in Leibeigne umgeschaffen haben. Der Uebergang von der einen Art zur andern ist in dem Falle, wo sie in einer Reihe stehen, fast unmerklich; aber der Grund davon keinesweges eine ehemalige Sclave- rey, wie jene Gelehrte behaupten, und manche gern schlies- sen moͤgten, sondern der simple Satz, welchen ich nicht bes- ser als mit den Worten des Verfassers du Traité des vertus et des recompenses ausdruͤcken kann. Dieser sagt: L’as- semblage de toutes les portions de liberté que chaque par- ticulier a sacrifiées pour le bonheur public, forme les for- ces et le tresor de chaque nation. Le Souverain en est le depositaire et l’administrateur de droit Das heißt unge- sehr so viel: Wenn Landbesitzer eine Gesellschaft zur gemein- samen Vertheidigung errichten: so schliessen sie so viel von ih- rer Freyheit und von ihrem Vermoͤgen zusammen, als zur Erhaltung des Endzwecks noͤthig ist; und vertrauen die Aufsicht uͤber dieses Zusammengeschossene einem Oberhaupte an. oder Abmeyerungsursachen. an. Auf diese Weise haben alle Freyen sich der natuͤrlichen Freyheit ihr Holz zu verwuͤsten, ihre Hoͤfe zu versplittern, ihre Spannungen abzuschaffen und sich in Schulden zu vertiefen, weil solches der gemeinschaftlichen Reihe nach- theilig ist, urspruͤnglich begeben; und der Beamte, der an die Stelle des Oberhaupts steht, fordert im Namen der ganzen Gesellschaft mit Recht, daß sie in vorkommenden Nothfaͤllen ohne sein Vorwissen, Ermessen und Bewilligen, nichts zum Nachtheil des Erbes unternehmen sollen. Ja man kann sagen, es giebt gar kein Eigenthum unterm Amte , weil der natuͤrliche Eigenthuͤmer solches beym An- fang der Gesellschaft nothwendig aufgeben muͤssen. Moses in der Theocratie sagte: Die Erde ist des Herrn; und in unsern Verfassungen heißt es: Die Erde ist des Staats. Eigenthum findet sich blos im Stande der Natur und der Exemtion. Die Sprache hat hier einen zu starken Einfluß auf unsre Begriffe gehabt; und sie wuͤrde schon manches Land um seine ganze Verfassung gebracht haben, wenn nicht eine Menge von Leuten die Wahrheit im Gefuͤhl gehabt haͤtten, und mit den undeutlichsten Begriffen auf richtige Folgen gekommen waͤren. Schade nur, daß man diese Begriffe uͤberhaupt nicht eher philosophisch behandelt, und vielmehr die Schluͤsse be- guͤnstiget hat, welche von dem Mangel des Grundeigen- thums unter dem Amte, auf die wuͤrkliche Leibeigenschaft gemacht sind: denn eben daher ruͤhret die bestaͤndige Bestre- bung eines grossen Theils der Menschen, sich, wo immer moͤglich, den gemeinen Lasten oder dem Amte zu entziehen, weil es einen Verdacht der Leibeigenschaft erweckt; und wir moͤgen es als die Haupthinderniß ansehen, warum wir in Westphalen auf schatzpflichtigen Hoͤfen keine solche Land- haͤuser und Landmaͤnner haben, wie wir in England an- treffen, daß alle diejenigen, die sich fuͤhlen und Kraͤfte ha- X 4 ben, Betrachtungen uͤber die Abaͤusserungs- ben, die reihepflichtige Hoͤfe fliehen und dieselbe einem Leib- eignen uͤbergeben; welches nicht geschehen wuͤrde, wenn die persoͤnliche Freyheit unterm Amte mehr gesichert und geehret worden waͤre. Um aber wieder auf den Hauptsatz zu kommen: so glau- be ich es sattsam dargethan zu haben, daß die Abaͤusserung uͤberhauvt so wohl gegen freye als leibeigne Besitzer reihe- pflichtiger Hoͤfe Statt finde. Zwar wird man mir hier einwenden, daß ich gleichwohl hierinn den Gerichtsgebrauch und den Mangel eines ausdruͤcklichen Gesetzes gegen mich haͤtte. Allein ich antworte, daß die Abaͤusserung der Rit- tereignen und Hofhoͤrigen ausser allem Zweifel stehe; daß ferner die moͤgliche Abaͤusserung der Ravensbergischen, Wet- terischen und andern Freyen genugsam erwiesen; daß der Schluß, welcher gegen diese gilt, auch gegen die Noth- freyen gelte, und schon oft gegolten haben wuͤrde, wann dergleichen Leute nur auf solchem reihepflichtigen Gute saͤs- sen, wovon sie Laͤndereyen versplittern, Gehoͤlze verhauen, und Spannung vernachlaͤßigen, mithin sich in den Fall einer Abaͤusserung verwickeln koͤnnten. Es bleiben also blos die Sonderfreyen , welche schatzpflichtige Guͤter besitzen, und weder Rittereigen noch Hofhoͤrig, noch in einer Freyen- rolle sind, uͤbrig, und von diesen behaupte ich, daß sie sich insgesamt in der Zeit von zweyhundert Jahren freygekauft, und es blos der Nachlaͤßigkeit ihrer Unterbeamte zu danken haben, daß sie nicht zu einer oder andern Freyenrolle gezo- gen und den Ravensbergischen und Wetterischen Freyen gleich gemacht worden. Denn die Regel: ut liberi subsint advocatiœ , findet sich durch ganz Deutschland Item in liberis hominibus et ecclesiarum servis, qui nobis ratione advocatiae subsunt intra districtum et terminos praeno- tatos. Docum. de 1259 ap. Eccard in orig. fam. Habsburgo austriacae p. 243. , und in allen oder Abmeyerungsursachen. allen unsern alten Amtsregistern geht die Ordnung also: daß zuerst die Freyen und dann die Klosterleute mit ihren Schutzurkunden, Schatzungen und freyen Diensten, zu- letzt aber die Hof hoͤrige mit ihren Schulden und Paͤchten vorkommen; und wuͤrden diejenigen, die sich binnen den letztern zweyhundert Jahren von einem Gutsherrn freyge- kauft haben, und auf reihepflichtigen Hoͤfen sitzen (denn mindere haben Churmund oder die Wahl der Hode), sich hier gewiß eben so wie in andern Laͤndern unter die Zahl der Freyen eingeschrieben finden, wenn darauf sofort waͤre geachtet worden; nicht eben darum, weil es ein oder an- der altes Recht so mit sich bringt In einer ganz neulich beym Reichstag uͤbergebenen Schrift wur- de aus einem Schenkungsbrief Kaisers Lothars l, worin es heißt: Coloni et siscalini tam de Fquestre quam pedestre ordine (beym Eccard l. c. p. 108) behauptet, daß auch der Dienstadel unterm Amte gestanden haͤtte. Allein in unsern Registern heißt es freyen Wagen- und freyen Fußdienste, und das sind bis in die heutige Stunde keine von Adel, sondern Pferde- und Fußkoͤtter de Eque- stre et pedestre ordine. , sondern weil es die Noth erfordert, und das vorangezogene Recht der reihe- pflichtigen Gesellschaft durchaus erheischt, daß sie unter einer beamtlichen Localcontrolle stehen. Der Landmann muß sich vom Hofe, wie der Soldat von seinem Solde und mit der ihm anvertrauten Ruͤstung wehren. Beyde werden abgeaͤussert oder aus der Reihe gestossen, wenn sie ihr Gewehr versetzen, und ihren Sold zu geschwind verzehren, und macht es keinen Unterschied, ob jener sei- nen Hof dem gemeinschaftlichen Oberhaupt aufgetragen oder von ihm empfangen habe. Der Landmann besitzt die Actie zu getreuen Haͤnden, wovon die Eompagnie den Handel fuͤhret. Diese wuͤrde aber mit grosser Unsicherheit bestehen, wenn der Actionair das Capital veruntreuen wollte. X 5 Ich Betrachtungen uͤber die Abaͤusserungs- Ich will jedoch hiermit gar nicht sagen, daß gegen Freye und Leibeigene aus einerley Ursachen zur Abaͤuße- rung geschritten werden koͤnne. Der Leibeigene steht ins- gemein in einer doppelten Verbindung; wovon die erste sich auf das Wohl des Staats, die andere aber auf ei- nem Pachtcontrakt zwischen ihm und seinem Gutsherrn gruͤndet. Die erste verpflichtet zum Exempel den Freyen nur, sein Gehoͤlz nicht zu verhauen , die andere aber ver- hindert den Leibeigenen uͤberhaupt, sein Blumenholz ohne Bewilligung anzugreifen und so versteht es sich von selbst, daß die Abaͤusserungsursachen in allgemeine , welche so- wol Freye als Leibeigene betreffen, und in besondre , wo- durch letztere allein verbunden werden, abgetheilet wer- den muͤssen. Eben so hat die Gutsherrlichkeit einen doppelten Grund, als einmal die vogteyliche Befugniß, kraft wel- cher der Gutsherr gleichsam von obrigkeitlichen Amtswe- gen dahin sieht, daß sein Leibeigener nicht gegen das Wohl des Staats wirthschafte, und dann das aus dem Pacht- contrakte hervorgehende Recht, vermoͤge wessen er von seinem pachtpflichtigen Eigenbehoͤrigen fordert, sich seinem Contrakte gemaͤß zu verhalten. Beyde Befugnisse koͤnnen auch getrennet seyn. So hat zum Exempel der Gutsherr, der ein Erbe auf Zeit- oder Erbwinn ausgethan hat, uͤber den freyen Besitzer desselben nicht die vogteylichen Gerecht- same, und umgekehrt derjenige, so von einem Freyen nur Schutzrinder, Schuldkoͤrner, oder Schuldschweine, aber keine Paͤchte zu erheben hat, blos die Vogtey, und er kann im ersten Fall nur auf die Aeusserung klagen, wenn der Freye seinen Pacht- oder Winncontrakt nicht erfuͤllet; und im andern blos wenn er den urspruͤnglichen Bedin- gungen der reihepflichtigen Gesellschaft zuwider handelt. Wo oder Abmeyerungsursachen. Wo der Leibeigne Pachtpflichtig ist, wird durch die Ab- aͤusserung das Erbe dem Verpaͤchter erlediget; wo aber der Freye blos unter der Gutsherrlichen Vogtey stehet, kann es ihm dem Herkommen oder der Billigkeit nach verstattet seyn, sein Erbe einem andern annehmlichen Manne zu uͤbergeben, und sich auf diese Weise als ein untuͤchtiger der reihepflichtigen Gesellschaft zu entziehen. Die Roͤmer, welche blos die Gutsherrlichkeit ohne Vogtey kannten, waren strenge gegen jeden Pacht- oder Zinspflichtigen, wenn er seinen Canon nicht bezahlte; die Deutschen hin- gegen, welche dem Gutsherrn mit der Vogtey die Macht der Selbsthuͤlfe gegen seinen Leibeignen und Schutzfreyen eingeraͤumet haben, waren gelinder, und legten es mehr dem Gutsherrn zur Last, wenn er seine Gefaͤlle zuruͤckste- hen ließ. Diesemnach ist auch das gedoppelte und ein- fache Recht des Gutsherrn wohl von einander zu unter- scheiden. Wird dieser und jener Unterscheid nicht zufoͤrderst deut- lich auseinander gesetzt: so wird die Klage des Gutsherrn nie aus dem Grunde gehoben werden, und jeder Schritt, den man zur Verbesserung thut, einen neuen Anstoß fin- den. Zum Exempel will ich nur den Satz aus der Eigen- thumsordnung nehmen, wo es heißt: Wenn ein Eigenbehoͤriger das Erbe mit so vielen Schul- den beschwert, daß sie den Werth des Erbes nach Pro- portion der Pachtlieferung zu 3 p. C. erreichen oder gar uͤbersteigen: so soll es pro unica causa discussio- nis gehalten werden. Dieser ist in der That so vernuͤnftig und so billig gewaͤhlet, als es ein leibeigner Paͤchter verlangen kann. Wie will man aber hier zu Rechte kommen, wenn man nicht weis, ob Betrachtungen uͤber die Abaͤusserungs- ob der Pflichtige blos unter der Gutsherrlichen Vogtey oder auch zugleich unter einem urspruͤnglichen Pachtcon- trakt stehe? Schuldkorn ist kein Pachtkorn. Ein Schuld- oder Holzschwein ist kein Pachtschwein. Das Dienstgeld was fuͤr die Vogteyfrohne bezahlet wird, ist kein Pacht- geld; Spanndienste, so in der Stelle der Frohnen getre- ten; Herbst und Mayschatzgelder, Schutzrinder, Zehnt- korn und was dergleichen mehr sind, die sowohl Leibeigne als Freye entrichten, setzen keinen Pachtcontrakt, sondern die vogteyliche Befugniß voraus, und die Verwechselung dieser ganz unterschiedenen Begriffe hat bisher jene fuͤr je- den leibeigenen Paͤchter nicht unbillige Verordnung voͤllig unbrauchbar gemacht, und mehrmalen die Frage veran- lasset: Ob dann ein Leibeigener, der von dem groͤßten Hofe jaͤhrlich nur einen Schilling entrichtet, sofort abge- aͤussert werden koͤnne, wenn er mehrere Schulden gemacht, als mit dem dritten Theil dieses Schillings zu drey 3 p. C. verzinset werden konnten? Wo steht es aber geschrieben, daß dieser Schilling eine Pacht sey? Die Alten sind keine solche Narren gewesen, daß sie einen Hof so wohlfeil ver- pachtet haben sollten. Wahre Paͤchte, sind dem Ertrag des Hofes, nach Abzug der oͤffentlichen Vertheidigung des- selben, ziemlich angemessen, und sie unterscheiden sich durch ihre Groͤsse leicht von vogteylichen Gefaͤllen. Eine andere Ursach der Abaͤusserung in der Eigenthums- ordnung, nemlich diese: Wann eine eigenbehoͤrige Person sich dem schaͤndlichen Hurenleben ergiebt, imgleichen Ehebruch oder Diebstal begehet, oder sonst einer groben Missethat uͤberfuͤhret wird, wodurch dem Erbe eine schwere Last zuwaͤchst; so ist solches alleinig pro causa discussionis zu achten. hat oder Abmeyerungsursachen. hat sehr vieles von ihrem innerlichen Gehalte verlohren, weil man hier blos auf das Verhaͤltniß zwischen den Leib- eignen und Gutsherrn als Erbverpaͤchtern gesehen hat; der allenfalls zufrieden ist, einen schlechten Kerl, wenn er sonst richtig bezahlt, auf dem Hofe zu lassen, so lange der Staat ihn nicht verbannet. In der That aber gehoͤrt diese Ursache zu den allgemeinen, und die Beamte sollten jeden Freyen, und der Gutsherr, kraft der vogteylichen Gerechtsame, jeden Leibeigenen, der sich so schaͤndlich be- traͤgt, des Hofes entsetzen koͤnnen. Ein Soldat mag noch so schoͤn gewachsen und noch so tapfer seyn: so wird er vom Regiment gejagt, so bald er etwas begeht, was mit der Dienstehre nicht bestehen kann. Eine gleiche Denkungs- art herrschte unter den urspruͤnglichen Reihepflichtigen bey den Deutschen, und dem Staat ist daran gelegen, um die gemeine Reihe bey Ehren folgends mit dieser Ehre Ackerbau und Amtssaͤßigkeit in Ansehen zu erhalten, diese Denkungsart nicht zu schwaͤchen. Daß der Mann oder die Frau, welche in solchem Falle durch den schuldigen Theil mit ins Ungluͤck gezogen wird, eine Auffahrt ( lau- demium ) bezahlet habe, ist zwar ein hinlaͤnglicher Grund fuͤr den Gutsherrn als Erbverpaͤchtern, um sie nicht zu verstossen, aber nicht fuͤr den Gutsherrn, in so fern er die Vogtey hat, oder fuͤr den Staat, der in vielen Faͤl- len mit einer Dienst und Hofeserlassung mehr als mit ei- ner Landesverweisung und Zuchthausstrafe ausrichten kann. Ich wuͤrde zu weit gehen, wenn ich die Verwirrung, welche daher, daß man entweder immer mit dem engen Begriffe einer Erbpacht in die Sache hineingegangen, oder ganz verschiedene Menschen unter Eine Regel zwingen wol- len, entstanden sind, mit einander anzeigen wollte. Es verlohnet sich auch nicht der Muͤhe, und alles was aus den Betrachtungen uͤber die Abaͤusserungs- den Abaͤusserungsursachen nach jenen Begriffen gemacht werden kann, wird der Absicht, die man hat, nie ent- sprechen. Um die Beschwerden aus dem Grunde zu he- ben, muß das ganze zusammengeflickte Gebaͤude in die Luft gesprenget und ein ganz neues dafuͤr aufgefuͤhret wer- den, wovon die beyden Grundpfeiler folgende seyn muͤssen: „Jeder reihepflichtige Hof, er sey besetzt wie und von „wem er wolle, ist in Gefolge des gesellschaftlichen „Originalcontrakts eine Pfruͤnde des Staats, oder „wenn man lieber will, ein Stammlehn oder Fideicom. „mißgut, welches der Besitzer auf Zeitlebens zu ver- „theidigen und zu nutzen hat, und mit seinem Tode „demjenigen eroͤfnet, der durch die Gesetze dazu geru- „fen ist; und ferner „Kein Sohn oder Nachfolger am reihepflichtigen „Hofe ist verpflichtet, seines Vaters oder Vorgaͤngers „Schulden zu bezahlen, in sofern sie nicht bewilligt sind. Ist dieses erst festgesetzt; wie es die wahren deutschen Rechte, Noth und Vernunft erfordern; so wird sich das uͤbrige leicht bestimmen lassen. Die Pflichten eines Pfruͤn- deners oder Beneficanten sind bekannt. Man weiß: 1) In welcher Maaße er das Eichen- und Buͤchen- holz auf seinen Wehdumsgruͤnden angreifen darf; 2) Wie er die Pfruͤnde mit keinen Schulden beschwe- ren moͤge; 3) Wie er in Nothfaͤllen, auf Erkenntniß und mit Vorwissen seiner Obern, Gelder darauf leihen kann, die sein Nachfolger bezahlen muß; 4) Wie seine Kinder und Erben aus der Pfruͤnde nicht ausgesteuret und abgefunden werden; 5) Wie oder Abheuerungsursachen. 5) Wie sein Nachfolger sich nicht in seine Erbschaft mische; 6) Wie er durch ein liederliches Leben seine Pfruͤnde verwuͤrke, ohne Ruͤcksicht, ob mit der Frauen Brautschatz eine Simonie begangen worden oder nicht; 7) Wie er auf eine Competenz oder die Leibzucht ge- setzt werde, wenn er seine Dienste nicht mehr leisten kann; ⁊c. Und die Sache selbst, da von der geistlichen Pfruͤnde dem Staate am Altar, von der weltlichen im Gegentheil dem- selben im Felde, wenigsiens durch die von ihm in Sold und Kleidung zu unterhaltende Vicarien gedienet wird, leidet eine so vollkommene Vergleichung, daß ich nicht sehe, warum dabey einiges Bedenken seyn koͤnne. Das einzige, was man sagen moͤchte, waͤre dieses, daß die weltlichen Pfruͤnden erblich besessen wuͤrden. Allein sind Erbpraͤ- benden, die ganzen Familien gehoͤren, andern Gesetzen unterworfen? steht es dem zeitigen Besitzer frey, solche mit Schulden zu beschweren? und ist die Familie oder selbst der Sohn des Erbpfruͤndeners verbunden, dessen Schul- den aus der Pfruͤnde zu bezahlen? Laͤngst hat man dahier erkannt, daß der Sohn eines Leibeignen sich der vaͤterlichen Erbschaft, die doch, weil sie zum Sterbfall gehoͤrt und von ihm geloͤset werden muß, gar nicht vorhanden ist, entschlagen, folgends das Erbe aus der freyen Hand des Gutsherrn empfangen koͤnne. Warum macht man aber dieses nicht zum allgemeinen Ge- setz? und setzt einmal fuͤr alle fest, daß der Sohn eines reihepflichtigen Leibeigenen wegen unbewilligter elterlicher Schulden nie in gerichtlichen Anspruch genommen werden solle? Vielleicht ist dieses zu sirenge; und dem Credit nach- theilig, welchen der Pfruͤnder doch dann und wann noth- wen- Betrachtungen uͤber die Abaͤusserungs- wendig haben muß. Gut, man verordne dann den un- bewilligten Glaͤubigern zum Besten ein Nach- und Gna- denjahr; man setze deren allenfalls viere; oder nach dem Exempel Moses sechse, und lasse das siebende ein Frey- jahr seyn: so bleibt die Pfruͤnde so lange in des Anerbens blosser Verwaltung ( custodia beneficii ); und man weiß doch endlich die Zeit, worinn der weltliche Pfruͤndener zum ruhigen und freyen Besitz des Hofes gelangen kann. Ist ihm nun aber dieser einmal gewaͤhret: so kann man mit der Abaͤusserung um so viel strenger durchfahren, weil er sich sodann nicht wie jetzt auf seiner Vorfahren Schul- den berufen kann, das einzige was sonst die mehreste Schwierigkeit macht. Man glaubt nicht, daß ich die Vergleichung der geist- lichen und weltlichen Pfruͤnde nur obenhin gemacht habe. Ich mache mich anheischig, jeden Punkt, auch selbst das Nach- und Gnadenjahr, die Verehrung des Patrons mit Gold und Silber, das jus resignandi, das jus devolu- tionis, wann der Gutsherr mit der Erbesbesatzung nach- laͤßig ist, und sehr viel andre Uebereinstimmungen aus den westphaͤlischen Hofrechten buchstaͤblich zu erweisen, und zugleich zu zeigen, daß das canonische Recht und nicht das roͤmische bey unserm Eigenthumsrechte zu Huͤlfe ge- nommen werden sollte. Auch dieses, daß die Kinder aus der weltlichen Pfruͤnde nicht ausgesteuret, sondern mit einem Hute, einem Stocke und einem paar Klumpen in die Welt geschicket werden sollen, ist in jenem Hofrechte deutlich verordnet. Folgten wir nun diesem Plan: so wuͤrden wir mit den uͤbrigen Abaͤusserungsursachen gar leicht zu rechte kommen. Ein Freyer und ein Leibeigner darf so wenig seinen Hof eigenmaͤchtig verheuren, als der Pfarrer fuͤr sich einen Vicar oder Abmeyerungsursachen. Vicar ansetzen; er darf sein Spann so wenig schwaͤchen als der Geistliche sich ausser Stand setzen, seinen Dienst am Al- tar zu thun: beyde duͤrfen ihre Haͤuser oder Curien nicht verfallen lassen. Beyde duͤrfen ohne Vorwissen und Bewil- ligung ihrer Obern nichts veraͤussern oder versetzen; und der Gutsherr kann so wenig als die untere geistliche Obrigkeit in ihrer Einwilligung so weit gehen, daß der Dienst der ganzen Pfruͤnde daruͤber zu Grunde gehe. Alles dieses koͤnnte aufs genaueste und deutlichste bestimmet, und dem Eigenthumsrecht seine wahre alte aus dem urspruͤnglichen Contrakt unter Landesbesitzern hervorgehende philosophische Gestalt gegeben werden; aber nur blos in dem Falle, wo die steuerbaren Hoͤfe als Erbpfruͤnden, die der Gutsherr aus der Familie seines Leibeignen, und der Beamte mit dem naͤchsten Erben des Freyen zu besetzen hat, betrachtet, und die Nachfolger nicht zu Erben ihrer Vorgaͤnger gemachet wuͤrden. Diejenigen Contrakte die unter gehoͤriger Bewil- ligung geschlossen sind, behalten ohnehin ihre Verbindlich- keit, der Nachfolger mag Erbe seyn oder nicht; so wie im Gegentheil alle Nebenverbindungen zwischen dem Patron und Beneficiaten unguͤltig sind, wann sie die Pfruͤnde mit neuen Diensten und Pflichten beschweren. Dieses waͤre aber nur das Mittel, die allgemeinen Abaͤusserungsursachen festzusetzen, nicht aber die besondern , so aus dem Erbpachtcontrakt zwischen dem Gutsherrn und seinem Leibeignen hervorgehen. Aber diese sind auch nicht so schwer zu bestimmen. Moͤs. patr. Phant. III. Th. Y LXV. Also sind die unbestimmten LXV. Also sind die unbestimmten Leibeigen- thumsgefaͤlle zu bestimmen? Die Frage: ob es nicht gut seyn wuͤrde, die ungewissen Eigenthumsgefaͤlle, auf ein gewisses Jahrgeld zu setzen? muß meines Ermessens mit einem aufrichtigen Ja beantworte t werden. Denn 1) wird niemand leugnen, daß nicht jedem Schuldner die Bezahlung eines ziemlichen Capitals leichter in klei- nen jaͤhrlichen Terminen, als in einer Summe fallen muͤsse; und ob man gleich einwenden moͤchte, daß wenn eine solche Einrichtung sofort ihren Anfang naͤh- me, verschiedene Leibeigne, dasjenige was sie bey ei- nem sich kuͤnftig erst eraͤugendem Fall zu bezahlen haͤt- ten, in voraus bezahlen wuͤrden: so kann man doch 2) mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß wenn die eine Haͤlfte etwa einige Jahre im voraus bezahlen muͤßte, die andre Haͤlfte gewiß die Wohlthat der Nachbezah- lung geniessen wuͤrde, indem es nicht fehlen koͤnnte, daß nicht sehr viele Auffahrten und Sterbefaͤlle sofort zu bedingen seyn wuͤrden. Zudem wird 3) jeder Leibeigne es nicht auf die letzte Stunde ankom- men lassen, sondern wenn er erst weiß, daß das Er- sparte seinen Erben zu statten koͤmmt, immer etwas zu Bezahlung kuͤnftiger Sterbfaͤlle und Auffahrten zuruͤck- legen; und da ist es, wo nicht besser und sicherer, doch gewiß gleichguͤltig, ob er solches in seinen Schrank legt, oder seinem Gutsherrn auf Abschlag bezahlt. Es geht auch 4) einem Leibeigenthumsgefaͤlle zu bestimmen. 4) einem Gutsherrn nichts dabey verlohren. Denn da man annehmen kann, daß von 25 Leibeignen jaͤhrlich einer einen Sterbfall oder eine Anffahrt zu dingen ha- ben wuͤrde: so wird ihm nichts dadurch abgehen, wenn nach der neuen Einrichtung die 25 zusammen eben so viel des Jahrs bezahlen, als jaͤhrlich einer aufgebracht haben wuͤrde. Fuͤr solche Gutsherrn aber, die 5) ihre Leibeignen nur fuͤr ihre Person, und nicht fuͤr ihre Erben, auch wohl nur bey gewissen Commenden, Pfruͤnden und Beneficien besitzen, wuͤrde die neue Ein- richtung unstreitig besonders gut seyn, weil sie allemal ihr Gewissen frey haben, und den wahren oder fal- schen Vorwurf vermeiden koͤnnten, daß sie ihre Leib- eignen, zum Nachtheil ihrer Dienst- Lehn- oder Fidei- commißfolger, ausgepluͤndert haͤtten. Nicht zu ge- denken, daß auch 6) dem zeitigen Besitzer solcher Leibeignen die Gelegen- heit benommen wuͤrde, seinem Nachfolger zum Scha- den, Auffahrten, Sterbfaͤlle und Freybriefe in vor- aus dingen zu lassen, und diesem solchergestalt das Geld vor der Nase wegzuziehen. Wenigstens wuͤr- de man 7) nie von einem solchen Processe, wie vor einigen Jah- ren gefuͤhret wurde, wieder hoͤren, da die Erben ei- nes solchen Gutsherrn, welcher seinem Leibeignen be- fohlen hatte, binnen Jahresfrist zu heyrathen, gegen den saͤumhaften Eigenbehoͤrigen den Caducitaͤtsproceß fortfuͤhrten, waͤhrender Zeit der neue Besitzer der Pfruͤnde eben demselben Leibeignen einen andern Ter- min zur Heyrath setzte, und wie er solchen versaͤumte, gegen denselben mit einem 2ten Caducitaͤtsproceß her- ausgieng. Und uͤberhaupt duͤrfte diese sonderbare Art Y 2 von Also sind die unbestimmten von Processen ganz wegfallen, indem ein weltlicher Gutsherr, der einen Leibeignen fuͤr sich und seine Er- ben besitzt, seinen Leibeignen nicht leicht zum heyrathen zwingt, sondern lieber dessen Todesfall, wodurch ent- weder ihm oder seinen Erben das Gut erledigt wird, a wartet. Insbesondre aber wuͤrden 8) die geringen Pfruͤnder ihren Vortheil dabey finden, die wenn sie einmal zur Erhaltung ihres Rechts eine Verhoͤhung der ausserordentlichen Gefaͤlle vornehmen wollen, in weitlaͤuftige Processe gestuͤrzet werden, und wenn sie ihre uͤbrigen Einkuͤnfte darauf zum Vortheil ihrer Nachfolgern nicht verwenden wollen, dem Leib- eignen nachgeben muͤssen Zudem ist 9) der Sterbfall nach Ritterrecht, der zuerst auf Sun- dergute Bonis extra curtem vel a curte separatis. eingefuͤhret worden, und welchen ehedem der Bischof und seine Geistlichkeit nie gezogen haben, allezeit ein trauriges Recht. Denn was kann trauri- ger seyn, als Wittwen und Waisen, sofort in der groͤß- ten Betruͤbniß und wenn die Leiche noch im Hause steht, zu uͤberfallen; alles was sie im Hause und Vermoͤgen haben, aufzuschreiben und wegzunehmen, und ihnen von den Empfindungen der Vornehmen die allerunan- staͤndigsten Begriffe beyzubringen? Welcher Gutsherr fuͤhlt es nicht, was eine solche Handlung fuͤr widrige Begriffe bey dem gemeinen Manne hervorbringen, und wie dieser von dem Manne, der ins Sterbhaus koͤmmt, und gleich alle Winkel durchschnauft, denken muͤsse? Es giebt daher auch 10) wenige Gutsherrn, die sich dieses traurigen Rechts der Strenge nach bedienen, und den armen Waisen die ganze elterliche Erbschaft entziehen; wenigstens trei- ben Leibeigenthumsgefaͤlle zu bestimmen. ben sie es ungern zu einer eidlichen Eroͤfnung, weil die Versuchung zum Meineide zu stark wird, und ohne diese Eroͤfnung duͤrfte doch der Leibeigne die vorhan- dene Capitalien schwerlich anzeigen. Die mehresten sehen auch 11) wohl ein, daß ein Gutsherr ohne sich selbst zu scha- den, das Erbe nicht von allem entbloͤssen, oder auch nur fuͤr den Sterbfall eine gar zu starke Summe auf einmal nehmen koͤnne, indem solchenfalls der Leibeigne selten wieder zu Kraͤften koͤmmt, ja sich wohl gar, weil jeder Landhaushalt mit zureichender Faust gefuͤhret seyn will, in deren Ermangelung fruͤh zu Grunde ar- beitet, und eine muthlose Nachkommenschaft zeuget. Daher ist 12) der Sterbfall nach Ritterrecht, da christliche und billige Gutsherrn solchen fast nirgends ziehen, ein un- noͤthiges aber schaͤdliches Schreckbild, das die Leibeig- nen in bestaͤndiger Furcht und vom Erwerben zuruͤck haͤlt. Denn die Vorstellung, daß alles was sie mit ihrem sauren Schweisse erwerben, ihren Kindern nicht anders als in so fern sie einen falschen Eid daran wa- gen wollen, zu statten kommen werde, muß die Leute nothwendig niederschlagen und ihren Fleiß schwaͤchen. In Ansehung der Auffahrten ist es 13) so wohl der Gutsherrn als Leideignen wahren Vor- theil, daß die neue Einrichtung Platz greife, indem die Eigenthumsordnung keine Regel festgesetzt hat, nach welcher solche gefordert oder bezahlt werden moͤ- ge; welches nothwendig zu unzaͤhligen Processen An- laß geben muß, wobey so wenig der Gutsherr als der Leibeigne gewinnet, indem die Gerichtskosten gewiß allezeit eben so viel, wo nicht ein mehrers, wegnehmen, Y 3 als Also sind die unbestimmten als woruͤber beyde Theile streiten. Der Gutsherr leidet 14) doppelt dabey, da er, so lange seine Forderung kei- ne bestimmte Graͤnzen hat, nach einer ganz natuͤrli- chen Folge alle Richter wider sich haben muß; und hiernaͤchst wenn sein Leibeigner alles der Chicane auf- geopfert hat, entweder einen schlechten Wirth oder ei- nen elenden Sterbfall findet. Der Leibeigne hat aber 15) auch keine Freude davon, wenn er endlich nach vie- len und schweren Kosten eine mildere Auffahrt erhal- ten hat; indem ihm der Gutsherr solches gewiß beym Sterbfall und bey andern Gelegenheiten wieder geden- ket. Ueberhaupt liegt es 16) in der menschlichen Natur, und zwar in dem edelsten Theile derselben, daß man sich der schwaͤchern und dem Scheine nach unterdruͤckten gern annimmt; und die gerechtesten Forderungen der Gutsherrn muͤssen darun- ter leiden, so lange einige derselben unbestimmet sind. Die Eigenthumsordnung hat 17) den Gutsherrn in Ansehung der Auffahrten die Bil- ligkeit empfohlen, und in deren Ermangelung, die richterliche Billigkeit zu Huͤlfe gerufen; die Begriffe der Billigkeit in dem fordernden, bezahlenden und richtenden Theile sind aber so von einander unterschie- den, daß man nie eine Einigkeit hoffen darf, sondern allezeit eine Willkuͤhr befuͤrchten muß, und diese Will- kuͤhr, womit sich das Mitleid und die natuͤrliche Nei- gung fuͤr den schwaͤchern Theil gern vermischt, sucht leicht alles dasjenige auf, und haͤlt es fuͤr das wich- tigste, das dem Leibeignen nur mit einigem Scheine zu statten kommen kann. Da heißt es dann: 18) die Leibeigenthumsgefaͤlle zu bestimmen. 18) die Roͤmer haben den Erbgewinn auf den funfzigsten Pfennig bestimmt; in diesem und jenem Lande ist der zwanzigste oder zehnte Pfennig dafuͤr angenommen; dort ist ein jaͤhriger Betrag der Staͤtte, hier ein zwey- jaͤhriger die hergebrachte Regel; dort wird nur ein neuer Meyerbrief, hier nur ein Saertuchen - Wamms bezahlt; und der auswaͤrtige oder einheimische Rechts- gelehrte, der selbst nicht Gutsherr ist, kann die ver- schiedenen Meinungen der Gelehrten in einen Gluͤcks- topf werfen und eine herausziehen, ohne daß man ihm mit Bestande einen Vorwurf machen kann. Denn was sollte er besser thun, als die bey dem menschlichen Gluͤcke wachende Vorsehung da walten lassen, wo ihm Gesetze und Rechte nichts vorgeschrieben haben? Will man 19) noch eine vernuͤnftige Regel annehmen: so ist es diese, daß der Betrag des Erbes als eine Leibrente an- gesehen und demjenigen Theile, der die Auffahrt be- zahlet, verkaufet wird. Gesetzt, der Theil des Aner- ben am Hofe thue jaͤhrlich 90 Thaler nach Abzug aller Auflagen, Bauerlasten, Gefaͤlle und Auslobungen; so erhalten der Wirth und die Wirthin gemeinschaft- lich diese Einnahme. Die Haͤlfte derselben ist also das- jenige, was dem neu aufkommenden Theile verkauft wird. Das Drittel der Haͤlfte oder 15 Thaler bezahlt er mit seinem Leibe, indem er sich eigen giebt. Er kauft also eine jaͤhrliche Leibrente von 30 Thaler; und bezahlt dafuͤr nachdem solche zu 5. 6. 7. 8. 9. oder 10. pro Cent verkauft wird, das Capital zur Auffahrt. Allein diese wenigstens auf einen Rechnungssatz zuruͤck- fuͤhrende Regel wird dem Gutsherrn hart scheinen, wenn die Zinsen der unbewilligten Schulden an dem jaͤhrlichen Ertrage vorabgezogen werden sollen; indem Y 4 er Also sind die unbestimmten er solchergestalt seiner Leibeignen Schuld mit entgelten muß; und sollen diese nicht abgezogen werden: so er- haͤlt der neu aufkommende Theil, der mit dem Anerben in Gemeinschaft der Schulden treten muß, die reine Leib- rente nicht, die ihm doch auf Treue und Glauben verkau- fet wird. Am Ende aber fuͤhren dergleichen Berechnun- gen und Anschlaͤge zu Beweisen und Gegenbeweisen, und richterlichen Erkenntnissen, welche im Gegentheil durch einen bestaͤndigen jaͤhrlichen Satz vermieden werden. Sie fuͤhren auch wohl zu Betruͤgereyen, weil der Leib- eigne seine unbewilligte Schulden dem Gutsherrn ver- heelen und lieber seine Braut hintergehen als jene ent- decken wird. Die Freybriefe , da sie eben so wenig einen bestimmten Satz zum Grunde haben, koͤnnen 20) ebenfalls leicht zu grossen und kostbaren Weitlaͤuf- tigkeiten fuͤhren, wobey fuͤr beyde Theile nichts als Schaden herauskoͤmmt; und dieser Mangel eines be- stimmten Grundsatzes wird sicher einmal zu demjeni- gen fuͤhren, nach welchem ein Hauptmann seinen Ge- meinen fuͤr ein festgesetztes Geld verabschieden muß, ohne auf dessen Vermoͤgen eine Ruͤcksicht nehmen zu duͤrfen. Denn es arbeiten 21) Religion, Sittenlehre, Mode, Ton, Satyre und was noch kraͤftiger als dieses ist, das Interesse aller Landesherrn gegen ein zu strenges Leibeigenthum, so wie gegen alles was Privatgutsherrn von schatzbaren Unterthanen und Gruͤnden ohne Bestimmung zu genies- sen haben. Diesem jetzigen Hange der menschlichen Sachen, welchem alle besoldete Lehrer und Richter frohnen, und alle empfindende Leute so lange opfern werden, als der Angriff gegen unbestimmte und schwan- Leibeigenthumsgefaͤlle zu bestimmen. schwankende Forderungen gerichtet bleibt, widersteht am Ende eines kuͤnftigen Jahrhunderts nichts als ein fester Satz. Man darf nur einen Blick in andre Laͤn- der thun, um die Wahrheit davon deutlicher zu em- pfinden, als solche dahier beschrieben werden kann. Nichts ist aber bey dem allen 22) augenscheinlicher als der eigne Vortheil der Leibeig- nen, welche nach jener neuen Einrichtung mit dop- peltem Fleisse und Muthe fuͤr sich und ihre Kinder ar- beiten koͤnnen, ohne den Verlust ihres sauer erworbe- nen Vermoͤgens fuͤrchten zu duͤrfen; welche bey ihren sich vermehrenden Kindern nicht an die Beschwerde der Freybriefe; und bey der Verheyrathung derselben nicht an den Verlust des Brautschatzes zu denken haben. Die Obrigkeit wird gegen einen uͤblen Wirth mit aller Strenge verfahren koͤnnen, wenn ihm einmal die Ent- schuldigung benommen ist, daß er zu Bezahlung der ungewissen Gefaͤlle seinen Hof in Schulden stuͤrzen, sein Land versetzen, und sein Holz verhauen muͤsse. Wie wenige Wirthe werden sich auf den Trunk legen, wenn sie gewiß sind, daß dasjenige was sie versau- fen, nicht dem Gutsherrn am Sterbfalle, sondern ihren Kindern am Erbtheile abgehe? Wie wenige wer- den ungerechten und harten Glaͤubigern zum Raube werden, wenn sie nicht zur Unzeit grosse Summen bor- gen duͤrfen? Wie sehr werden sich ihre Processe da- durch mindern? Und wie mancher reicher Freyer wird einen Gutsherrlichen Hof annehmen, wenn er nicht mehr befuͤrchten darf als ein Leibeigner behandelt zu werden? Nie ist auch die Zeit zu einer solchen neuen Einrichtung guͤnstiger gewesen als jetzt, wo Y 5 23) der Also sind die unbestimmten ⁊c. 23) der grosse Geld- und Creditmangel bey den Leibeig- nen eine solche Veraͤnderung nothwendig zu machen scheinet. Die Menge der verheureten Staͤtten ist noch nichts in Vergleichung derjenigen, welche sich uͤber funfzig Jahr finden wird, wenn die Auslobungen nach dem zum Versuche und zur Verkuͤrzung der daruͤ- ber entstandenen Processe eingefuͤhrten Fusse bestehen bleibt. Denn dadurch wird sich alles mit der Zeit in Heuergut verwandeln und der jetzige Eigenthum voͤl- lig aufgeloͤset werden Es ist wider alle Wahrscheinlichkeit und wider den Lauf der menschlichen Sachen, daß der Besitzer eines Landgutes, wenn es auch jaͤhrlich 10000 Thaler einbringt, seinen juͤngern Ge- schwistern nur die Haͤlfte des Werths auszahlen und dabey be- stehen kann. Nicht einer unter Hunderten gewinnet, wenn man dreyßig Jahr fuͤr sein Leben rechnet, diese Summe wie- der, und wenn sein Sohn abermal mit seinen Geschwistern ge- theilet hat, so geht der Enkel gewiß dabey zu Grunde. Weit schwerer ist der tand eines Leibeignen, der nur einen doppelten. Kindestheil behalten und folglich in den mehrsten Faͤllen Drey- viertel der Erbschaft ausgeben soll. Dieser muß nothwendig in die Umstaͤnde und in die Versuchung gerathen, lieber der Heuer- mann als der Colon seines Hofes zu seyn. Geschieht dieses, wie man es vorher sehen kann, ohne eben Prophet zu seyn: so werden sich die Eigenthumsfaͤlle immer mehr und mehr verlie- ren. Wenigstens wird der Leibeigne immer mehr und mehr ein Sclave der abgehenden Geschwister bleiben. Diese werden alles wegnehmen, was er eruͤbrigen und borgen kann; das Anerb- recht wird minder gesucht und beneidet werden; und so wird we- der der Leibeigne zu grossen Baarschaften, noch der Gutsherr zu einer billigen Auffahrt auf einmal gelangen. . LXVI. LXVI. Gedanken von dem Ursprunge und Nutzen der sogenannten Hyen, Echten oder Hoden. Luft macht eigen , heißt es an manchen Orten Deutsch- landes; und ich habe unsre Vorfahren oftmal in mei- nen Gedanken einer Grausamkeit beschuldiget, daß sie die Luft gleichsam vergiftet, und die Sclaverey auf einen in der ganzen Welt freyen Odemzug gesetzet haͤtten. Oft dachte ich aber auch: Wie ist es moͤglich, daß sie, die mit Heeren von hunderttausenden zu Felde giengen, Gut und Blut fuͤr die Freyheit aufopferten, und keinen leibeignen Knecht die Waffen fuͤhren liessen, die Dienstbarkeit dergestalt beguͤn- stiget, und ganze Doͤrfer durch die Einfuͤhrung derselben von dem Heerzuge befreyet haben sollten? Voll Zweifels uͤber die Wahrheit und voll Unmuths uͤber die Ungerechtig- keit der Sache selbst, kam ich von ungefehr auf einen alten Rechtshandel, woraus sich dieses Lufteigenthum auf einmal als eine sanfte Freystaͤdte zeigte: ich will ihn meinen Lesern erzaͤhlen. Vielleicht nehmen sie auch an der Ehre unsrer Vorfahren einen patriotischen Antheil, und lernen, wie ge- faͤhrlich es sey, aus veralteten Worten neue Schluͤsse zu ziehen. Die Koͤnigin von Pohlen Richezza, eine gebohrne Pfalz- graͤfin beym Rhein, ließ sich in der Stadt Coͤlln nieder, und weil sie nicht Lust hatte das Buͤrgerrecht zu nehmen, begab sie sich in die Hode der heiligen Jungfrau, wor- inn der Sterbfall mit dem besten Kleide geloͤset werden konn- Gedanken von dem Ursprung und Nutzen konnte Die Urkunde steht beym Lunig in spec. eccl. Contin. I. p. 134. : Ihre Cammerjungfer aber, welche aus dem Dorfe Guͤtersloh, worinn noch jetzt die Luft eigen macht, zu Hause war, verheyrathete sich in unser Stift und setzte sich auf ein o f nes Dorf, worinn ihr Mann ein freyes Haus gekaufet hatte. Kaum hatte sie ein Jahr in vergnuͤgter Ehe gelebt: so entriß ihr der Tod den besten Mann; und zur Vermehrung ihres Schmerzens kamen die Beamte, um ihr alles was er verlassen hatte, zu nehmen. Voll Schrecken zeigte sie ihr einziges Kind, den Erben ihres Mannes, und bat mit Thraͤnen, wo nicht ihr, doch diesem Unmuͤndigen das vaͤterliche Erbtheil zu lassen. Allein ihr Flehen war vergebens. Die Beamte, so sehr sie auch selbst uͤber diesen Vorfall bewegt waren, antworteten nach Landesrecht: Ihr Mann sey Biesterfrey Biester heißt bey den Westphaͤlingern so viel als arg. Er ist biester krank, biester graͤmlich ⁊c. sagt man. Die arge reyheit ist aber, wenn einer ohne Schutz und Schirm so frey als ein Vogel (doch muß es kein Auerhahn seyn, der Koͤnigs- frieden hat) in der Luft ist, den man herabschiessen kann. verstorben, und seine Nachlassen- schaft daher der Landesherrschaft verfallen. Seine Schul- digkeit sey gewesen, sich sofort, als er sich dahier niederge- lassen, in eine Hode einschreiben Dies ist wie bekannt noch jetzt im ganzen Stifte Oßnabruͤck gebraͤuchlich. zu lassen; und da er dieses versaͤumet, und daruͤber weggestorben: so waͤre nichts als die Gnade der Landesherrschaft uͤbrig, um sich von den Folgen der Biesterfreyheit zu retten. O Himmel, rief sie aus, ich bin aus einem Dorfe zu Hause, wo die Luft das Einschreiben ersetzt; wo jedes Haus in einer Hode steht, und diejenigen so darinn ziehen, so bald als sie die Schwelle betreten haben, nicht mehr zu besor- der sogenannten Hyen, Echten oder Hoden. besorgen haben, daß ihre Erbschaft der Landesherrschaft, gleich der Erbschaft eines Wildfangs verfalle. Mein Mann war aus dem Lippischen gebuͤrtig, wo alle Biesterfreyheit mit einem Groschen abgewehret werden kann Eben dergleichen Gewohnheiten gab es auch an verschiedenen Orten in Frankreich, als z. E. Et si aucun de ces Aubains mourut et n’eut commandé à rendre 4 deniers au Baron, tous les meubles seroient au Baron v. Stabilimenta S. Lodovici L. I. c. 87. ap. du fresne v. Aubenæ. , welchen die Erben auf den Sarg legen, und die Landesherrschaft zur freyen Urkunde annimmt. Die Oßnabruͤckischen Rechte sind uns beyden unbekannt gewesen; wir haben nicht ge- wust, daß wir uns eben einschreiben lassen muͤsten; ich ha- be gedacht, die Luft, die ich als Unterthan genossen, ersetzte die leere Ceremonie der Einschreibung; und mein Mann ist ohne Zweifel in dem Glauben gestorben, daß ich seine Ver- lassenschaft mit dem traurigen Pfennig noch fruͤh genug loͤ- sen koͤnnte. Alles dieses, versetzten die Beamte, kann die Landes- herrschaft, nicht aber uns bewegen, von unserer Forde- rung abzugehen. Jene kann Gnade thun; wir aber sind aufs Recht gewiesen. Wir muͤssen alles was Ihr seliger Mann verlassen hat, zu uns nehmen. Will sie aber Gna- de suchen: so wollen wir ihr einen Monat Zeit dazu geben, und uns immittelst begnuͤgen, den Nachlaß des Biester- freyen aufzuschreiben, und ihr solchen gegen genugsame Buͤrgschaft zur getreuen Verwahrung uͤberlassen. Der ar- men Witwe blieb also nichts uͤbrig als sich an den damali- gen Bischof zu wenden, und dasjenige unter neuen Thraͤ- nen zu wiederholen, was sie den Beamten vorgebracht hat- te. Dieser war weit entfernt, sich mit einer so traurigen Erbschaft zu bereichern. Inzwischen reizte ihn doch seine Wißbegierde sich uͤber den Ursprung und den Nutzen der Hoden, Gedanken von dem Ursprung und Nutzen Hoden, Hyen oder Echten , und von der Ursache der Biesterfreyheit naͤher unterrichten zu lassen. Gnaͤdigster Herr, berichteten diese, man hat ehedem von Territorien und Territorialunterthanen nichts gewust Dieser Begrif haͤngt uns jetzt immer nach; und wir sind zu bekannt mit ihm geworden, um ihn gaͤnzlich zu vergessen. Allein wer die alte Verfassung beurtheilen will, muß schlechterdings an keine Laͤnder, Landesunterthanen und Landesordnung den- ken. Wie eifrig war man in alten Zeiten auf die Huldigungen, wie man noch eines jeden Menschen Einwilligung in die Unter- thanenpflicht fuͤr noͤthig hielt. Jetzt da der Boden Unterthanen macht, haͤlt man die Huldigung der Bauern fuͤr eine uͤberfluͤßige Ceremonie. . Man kannte den Grundsatz nicht, daß derjenige, der sich auf diesen oder jenen Theil des deutschen Reichsbodens setzte, sofort mit der Luft die Oberherrschaft desjenigen Reichs- beamten erkannte, in dessen Amtsbezirk er sich niederließ. Es gieng damals auf dem Lande, wie noch jetzt in den Staͤdten, worinn nicht alle so zwischen den Mauren woh- nen, das Buͤrgerrecht haben, sondern nur diejenigen, die solches ausdruͤcklich nehmen und gewinnen. Die saͤmtlichen Eingesessene eines Landes theilten sich also uͤberhaupt in sol- che welche das Unterthanenrecht genommen oder gewonnen, und solche welche es nicht gewonnen hatten. Diejenigen welche es gewonnen hatten, genossen der Rechte und Wohlthaten, welche der Classe, worinn sie sich begeben hatten, zukamen; und der oberste dieser Classe, oder der Schutz- und Schirmherr genoß von ihrer Verlas- senschaft entweder das beste Kleid, oder das beste Pferd, oder das beste Pfand, oder eine andre Urkunde seiner Schirmgerechtigkeit. Der Kaiser genoß dieses von allen Reichsbeamten; der Bischof von seinen Capitularen; der Archidiacon von seinen belehnten Pfarrern; der Lehnsherr von der sogenannten Hyen, Echten oder Hoden. von seinen Lehnsleuten, und der Reichsvogt von allen ein- gesessenen seiner Vogtey. Diejenigen aber so das Unterthanenrecht nicht in der einen oder andern Classe, wozu sie ihrer Geburt nach kom- men konnten, gewonnen hatten, beerbte der Kaiser als arg- oder biesterfreye Leute De his qui a litterarum conscriptione ingenui sunt, si sine traditione (i. e. absque electione patrocinii) mortui fuerint, hereditas eorum ad opus nostrum recipiatur. capit. II. ann. 813 § 6. , und, nachdem die Reichsfuͤrsten an dessen Stelle getreten, der Landesherr. Sie genossen jedoch auch dagegen, ob wohl nicht als Buͤrger, doch als Menschen, des hoͤchsten Schutzes Qui per chartam ingenuitatis dimissi sunt liberi, ubi nullum patrocinium \& desensionem non elegerint, regi componantur 40 Solidis. Capit. Baj. anni 788. §. 7 Die manumissi in ec- clesia traten sofort aus der Knechtschaft in das patrocinium sanctissimæ summæ ecclesiæ und brauchten daher kein parroci- nium zu waͤhlen. v. LL. Rip. tit. 58. Auch diejenigen, so per acceptionem denarii freygelassen wurden, verbiesterten nicht, wenn sie sich keinen patronum erwaͤhlten, weil sie als denariales in mundeburde regia blieben. , indem der Kaiser ihr Wehrgeld erhob, wenn sie erschlagen wurden, folglich von oberstrichterlichen Amtswegen ihr Raͤcher war. Die Einziehung der Erbschaft von allen solchen Leuten, welche sich in keine Klasse der Unterthanen begeben hatten, beruhete in der hoͤchsten Billigkeit. Denn erstlich hatte man damals fast keine Geldsteuren, sondern jede Classe im Staat hatte ihre angenommene oder angewiesene Verpflich- tung. Wer sich also nicht in die eine oder die andere ein- schreiben ließ, der entzog sich den oͤffentlichen Lasten. Zweytens hatte man keine Territorialgesetze, oder Ver- ordnungen fuͤr Menschen, sondern die Gesetze und Verord- nun- Gedanken von dem Ursprung und Nutzen nungen bezogen sich alle auf Classen; eben wie jetzt die Kriegsartikel keine Territorialgesetze sind, sondern nur die- jenigen, so zum Kriegesstaat gehoͤren, verbinden. Ein Biesterfreyer entzog sich also auch den Gesetzen. Er hatte folglich drittens auch kein Recht, keinen Richter, keinen Advocaten nach damaliger Art, und keine Zeugen. Denn dies waren derozeit buͤrgerliche Wohlthaten, welche einem jeden umsonst angediehen; und Richter, Advocaten und Zeugen waren immindesten nicht verpflichtet, solchen un- holden, ungetreuen und ungewaͤrtigen Leuten ihre Dienste zu weihen. Er war viertens ohne Ehre, weil alle Ehre nothwendig ganz allein fuͤr die Classe war; und uͤberall mit der Last, welche einer fuͤr das gemeine Beste uͤber- nimmt, verknuͤpft ist. Er konnte, wenn er starb, so wenig auf den Kirchhof kommen, als verlaͤutet und be- gleitet werden. Denn der Kirchhof und die Glocke gehoͤrte einzig und allein den Genossen; und die Leichenbegleitung ist uͤberall die Folge einer Vereinigung. Der Biesterfreye hatte sich aber darinn nicht begeben. Da fuͤnftens das roͤmische und canonische Recht noch nicht das Recht aller derjenigen war, die gar keines hatten: so wuͤrde es hun- dert Schwierigkeiten gesetzt haben, ihnen zu Rechte zu helfen. Denn man wuste nicht, ob sie in Gemeinschaft der Guͤter lebten, ob der aͤlteste oder juͤngste erbte, ob die Wittwe ein Witthum hatte ⁊c. ⁊c. Diejenigen aͤchten, wah- ren und rechtmaͤßigen Einwohner eines Staats, handel- ten also gar nicht unbillig, wenn sie sich dergleichen Wild- faͤnge gar nicht annahmen, ihnen kein Recht, keinen Richter, keine Ehre, keine Ehe, kein Witthum, keinen Contrakt gestan- den, sondern sie der blossen Willkuͤhr der Landesherrschaft uͤberliessen. War es doch ihre Schuld, daß sie sich nicht hatten in eine privilegirte Classe einschreiben lassen. Ganz der sogenannten Hyen, Echten oder Hoden. Ganz zu Anfang der deutschen Verfassung mogten alle freye Landeigenthuͤmer in einem gewissen Bezirk sich vereini- gen; jedem Hofe eine oder zwey Leibzuchten fuͤr die Alten gestatten, im uͤbrigen aber Fremde, welche nicht auf einen Hof geheyrathet, und zugleich das gemeine Einwohnerrecht erlangt hatten, als Knechte behandeln; ihre eignen abge- henden Kinder aber, welche auf keinen Hof heyratheten, sich aber vor der Knechtscyaft schaͤmten, zum Ausziehen ver- moͤgen. So zeigt sich wenigstens die erste Verfassung, worinn keine Staͤdte, Doͤrfer und flecken geduldet wur- den; und wo sofort, wenn auf einem Hofe zwey Leibzuch- ten fuͤr zwey Wittwen gesetzt waren, die eine niedergelegt werden muste, wenn eine Wittwe starb. Der Plan dieser Verfassung gruͤndete sich darauf, daß jeder Hofeigenthuͤmer sich auf eigne Kosten ausruͤsten und fuͤrs Vaterland fechten muste. Eine solche Beschwerde konnte man den Koͤttern, Brinkliegern und andern kleinen Leuten nicht anmuthen; und da man keine Geldsteuren kannte, folglich diese Leute auch ihren Antheil zu der gemeinen Vertheidigung in keine Wege beytragen konnten; wovon und wofuͤr haͤtte man ihnen denn gemeine Hut und Weide geben, ihnen den Brand verstatten und fuͤr sie fechten sollen? Diese Verfassung, worinn zwischen der wahren Freyheit und Knechtschaft kein Mittel war, dauerte aber vermuth- lich nicht lange. Und so entstanden Schirme, Schuͤtzun- gen, Hoden, Echten, Hyen, Buͤrgschaften und derglei- chen Genossenschaften, worinn diejenigen Freyen aufge- nommen, geheget, geschuͤtzet, vertheidigt und zu Rechte ge- holfen wurden, welche nicht zu jenen alten Hofgesessenen Eigenthuͤmern gehoͤrten und sich nicht in die vollkommene Knechtschaft begeben wollten. Eine solche Hode wurde nun gleichsam eine vom Staate privilegirte Gilde, welche eine Abrede unter sich willkuͤhren und solchergestalt die Rechte Moͤs. patr. Phant. III. Th. Z freyer Gedanken von dem Ursprunge und Nutzen freyer Menschen erhalten konnte. Sie erhielt folglich eig- nes Recht, einen eignen Richter; ebengenosse Zeugen; sie erhielt ein Begraͤbniß; die Hodengenossen begleiteten einan- der zur Leiche und waren fuͤr die Biesterfreyheit, oder den Verlust ihrer Erbschaft, sicher. Nur an der Ehre im Staat fehlte es ihnen, weil sie nicht zur gemeinen Landesvertheidigung kamen; sondern dafuͤr einen Pfennig- oder Wachszins, oder eine andre Auflage uͤbernehmen, auch vermuthlich bey allen oͤffentli- chen Arbeiten mit der Hand dienen musten; daher sie cen- suales, denariales, cerocensuales, oder frey wachszinsige Leute genannt, und den alten Landeigenthuͤmern in keinem Stuͤcke gleich geschaͤtzt werden. Ein schlimmer Umstand war es auch fuͤr sie, daß die Erbschaften nicht ausserhalb der Hoden giengen S. die Capitulat. Conradi de Ritberg. art. 17. beym Kress. vom Archid. Wesen in app p. 7. Dieses findet man in allen Hofrechten beym Strodmann de jure curiali litonico. Und noch verliert der leibeigne Sohn sein Erbrecht an dem vaͤterli- chen Hofe, wenn er aus der Gutsherrlichen Hulde tritt. Den emancipatis gieng es zu Rom lange Zeit eben so. . Daher ein Sohn der sich aus der einen Hode in die andre begeben hatte, seinen Vater nicht beerben konnte. Jeder Erbe muste mit dem Erblasser in gleicher Hulde und Gehoͤr stehen Spaͤter ließ man jedoch gegen einen gewissen Abzug die Erbschaften folgen, wie wohl auch nur auf gewisse Grade, deren jede Hode ihre eigne hatte; denn in einigen erbte schon der Schirmherr, wenn keine huldige und hoͤrige Kinder vorhanden waren; in an- dern aber spaͤter. Aus eben dem Grunde, woraus ein Feld- herr die Marketenter, Lieferanten, und den ganzen Troß, welcher nicht zur Regimentsrolle gehoͤret, gern schuͤtzt; schuͤtzten und beguͤnstigten erst die Kaiser, hernach deren Beamte, und zuletzt die Reichsfuͤrsten diese neue Art Leute gern. der sogenannten Hyen, Echten oder Hoden. gern. Sie hatten nehmlich ihren Vortheil davon, an statt daß der Landeigenthuͤmer eben wie die Enregimentirten ih- rem Obersten und Hauptleuten nichts entrichteten. Daher ward in allen Capitularien so wie in den spaͤtern Reichs- und Landesgesetzen so sehr fuͤr die Armen , so hiessen diese zwischen den Hoͤfenern gesessene Schutzgenossen, gesorgt; und denen die es bezahlen konnten, ein Passeport, eine Salvaguardia, ein Privilegium uͤber das andre ertheilet. Es laͤßt sich nicht erweisen, daß die Landeigenthuͤmer ihren ersten Vorstehern und Anfuͤhrern das beste Kleid oder ein anders Stuͤck ihrer Erbschaft haben hinterlassen muͤssen; wiewohl sie nicht umgehen konnten, ihnen ihre persoͤnliche Anhaͤnglichkeit, da der Boden noch nichts sagte Jetzt schreyt der Boden aus vollem Halse: Quicquid est in territorio, est etiam de territorio. , auf die eine oder andre Art zu beurkunden. Denn da man noch keine schriftliche Rollen und Steuren hatte; so wuͤrde es oft besonders nach einem langen Frieden, dem Vorsteher schwer gefallen seyn zu erweisen, daß dieser oder jener zu seiner Aufmahnung gehoͤrte, falls dergleichen Beweißthuͤ- mer nicht eingefuͤhret waren. Allein erweislich und begreif- lich ist es, daß die Vorsteher so viel immer moͤglich trach- teten, das Landeigenthum in die Haͤnde einiger lieben Ge- treuen zu spielen, oder die Eigner sich allmaͤhlig zur beson- dern Treue zu verbinden: und alles was lieb, getreu, hold und gewaͤrtig war, muste sich zu einer solchen Urkunde ver- stehen. Man kann also dreist annehmen, daß die Urkunde der Anhaͤnglichkeit wo nicht in die ersten doch in die aͤlte- sten Zeiten reiche. Wir wollen jetzt derjenigen, die in des Kaisers und der Reichsfuͤrsten unmittelbarem und besondern Schutze und Dienste standen, nicht erwehnen. Der Kaiser zog diesen Z 2 Sterb- Gedanken von dem Ursprunge und Nutzen Sterbfall von allen Reichsfuͤrsten; auch von den Bischoͤ- fen S. Coll. Concil. Germ. beym Harzheim T. I. p. 495. 505. ; die Bischoͤfe zogen ihn wieder von ihren Capitularen und Dienstleuten; und war Unser Bischof Adolph der erste der davon abgieng Er sagt in der desfalls erlassenen Ver- ordnung vom Jahr 1217: „Inde est quod ab antiquis antecessorum nostrorum temporibus consuetudo fuit in ecclesia Osnabrugensi, quod decedentibus ecclesiarum canonicis ab Episcopo imbenefi- ciatis tam in ecclesia cathedrali quam in aliis conventuali- bus ecclesiis, episcopi per executores suos laicos vestes et equitatus decedentium occasione cuiusdam exactionis pessi- mæ quæ vulgo dieitur Herewedde sibi vendicabant — Nos igitur benigniore quadam consideratione libertatem cleri ampliare potius quam restringere volentes, nolentes ut oc- casione modici quæstus qui nobis vel successoribus nostris ex eo posset provenire, clerus noster tam onerosa de cæ- tero servitute prematur, præsenti seripto cum totiur eccle- siæ nostræ consilio statuimus, ut nullus de cætero Episco- pus canonicorum suorum — decedentum per se ipsos aut per alios exuvias recipiat; et quivis eorum tam de equitatis et vestibus quam de rebus aliis liberam habeat — dispo- nendi facultatem.„ Und der Pabst Honorius III. bestaͤtigte diese billige Ver- ordnung im Jahr 1218 Aus einem gleichen Grunde sollte auch der Exuvienthaler, das Heergewedde und die uͤbrigen Arten von Mortuariis, welche ih- ren Grund in dem alten Costume haben, und unter der Terri- torialhoheit nur zu allerhand widrigen Vermuthungen Anlaß geben, ganz abgeschaffet werden. . Die einzige Lehncammer und der Archidiacon haben sie unter jenen noch beybehalten. Erstere zieht das Heergewedde, oder das beste Pferd von dem der sogenannten Hyen, Echten oder Hoden. dem Sterbfalle des Lehnmanns, entweder in Natur oder nach einer dafuͤr hergebrachten Geldsumme Bey den hiesigen Lehnshoͤfen hat das Heergewedde seine fest- stehende Taxe; die Hausgenossen behaupten aus demselben Grunde ein gleiches Herkommen; und der alte Anschlag wie das Vieh im Sterbfall zu schaͤtzen, hat ein aͤhnliches Hofrecht oder Hofesherkommen zum Grunde. ; und letzter hat sich mit seinen belehnten Curatis dahin verglichen, daß sie ihren Sterbfall bey lebendigem Leibe verdingen, und da- fuͤr jaͤhrlich den Exuvienthaler bezahlen. Wir wollen auch jetzt der Kaiserlichen Cammerhode, worinn die Juden stan- den; noch der Kesselfuͤhrerhode, welche der Pfalzgraf, in dessen Amtsbezirk die ersten Kessel gemacht, und in Deutsch- land verfuͤhret wurden, hatte, nicht gedenken, noch auf die Verfassung zuruͤck gehen, wie Spieß- und Handwerks- gesellen, ohne Gefahr der Verbiesterung reisen konnten. Die Frage schraͤnkt sich blos auf den niedrigen Theil der Einwohner, der insgemein unter den Beschwerden stecken bleibt, ein. Von diesen heißt es in einer Urkunde des Stifts Buͤken: „Dat Stichte (und eben so jedes Amt) hefft drigerley Echte; „de erste de hettet Godeshus-luͤde, dat sint de Hofener, de „in de seven Meigerhoͤfe gehoͤrt. De andre Echte dat sind „Sunderluͤde, de werdet geboren und besadet up Sunder- „gude, dar en is nene Vogdy an, noch in Luͤden noch in „Guden. De richtet sick na den Heren de de Hove unter „sich hebbet. Wann de verstervet, so mag de Here sick rich- „ten na allen oͤren nagelatenen Gude. De derde Echte dat „sind fryge Godesluͤde, und dat sind ankommende und „vryge Luͤde, de gevet sick in Suͤnt Maternians Echte. „Und wann de stervet: so gevet se in Suͤnt Maternians „Ehre oͤre beste overste Kleid und oͤre beste Hovet Quekes. Z 3 „Und Gedanken von dem Ursprunge und Nutzen „Und de gevet sick darum in die Echte, dat se unde oͤre Kin- „der den Heren des Landes nicht willet eigen wesen S. Boͤhmer in præf. ad Strodtmanni jus curiale litonicum. .„ Die Leute so in die Meyerhoͤfe gehoͤren, sind unsre Haus- genossen, die einen Gesammtschutz haben. Die Sunder- leute sind unsre Eigenbehoͤrige, welche in dem besondern Schutz ihrer Gutsherrn stehen; und die Freyen, welche sich in St. Maternins Echte begeben, damit sie den Herrn des Landes nicht eigen werden , sind diejenigen, welche sich bey uns in die eigentlichen Hoden einschreiben lassen. Die erstern beyden Arten sitzen wie man sieht auf dem Gute, wovon ein alter Eigenthuͤmer mit zum Heere gezogen; und sie sind von ihrem unterhabenden Gute entweder an die Reichsvogtey oder Amtshode; oder ihrer Gutsherrn be- sondern Schutz gebunden. Diese verbiestern dahero auch nicht, wenn sie die Einschreibung versaͤumen; sie werden aber Ballmuͤndig Wenn von den Hausgenossen eines dem Domcapitul gehoͤrigen Meyerhofes einer sein Recht versaͤumt: so wuͤrde sein ganzer Sterbfall zwar verfallen, aber nicht dem Landesherrn, sondern dem Domcapitul als Hofesherrn. Letzters ist verballmuͤnden, ersters aber verbiestern. Die Ursache warum Hausgenossen nicht verbiestern, ist offenbar diese, weil sonst der Hofesherr, der ein jus quæsitum auf die Einschreibung hatte, solches in- juria \& incuria Coloni verlieren wuͤrde. . Die freyen hingegen verbiestern, weil vor ihrer Wahl kein Schutzherr einiges Recht uͤber sie hat; und diesem folglich nichts entgeht, wenn der Landesherr ihren Nachlaß zu sich nimmt. Sie heissen daher Churmuͤn- dige oder Churechten In der alten Mark Brandenburg giebt es Corecti, und Ger- ken schreibt davon in diplom. vet. March. Brand. S. 15. Die Erklaͤrung des Worts Corecti habe in den Glossatoribus ver- , weil sie sich ihre Hode mundium, oder der sogenannten Hyen, Echten oder Hoden. oder Echte nach Gefallen waͤhlen koͤnnen. Jedoch verhaͤlt es sich mit den Necessairsreyen anders, als welche Zwang- muͤndig oder Zwangecht sind, folglich an eine nahmhafte Hode gebunden sind. Diese wuͤrden auf den Fall, da sie die Einschreibung versaͤumeten, nicht verbiestern, sondern verballmuͤnden, wenn ein anderer als der Landesherr eine Zwanghode uͤber sie haͤtte In Frankreich behauptet der Koͤnig, daß seine aubains auch insgesamt seine Necessairfreyen seyn; S. de Laurere in praef. ad T. I. ordin. reg. p. XV. und dieses e stabilimentis Ludovi c i S. L. I. c. 31. wo es heißt: Mes aubains ne püent faire autre Seigneur que le Roy en son obiessance, ne en autre Seigneu- rie, ne en son ressort qui vaille, ne qui soit stable selon l’Usa- ge de Paris d’Orleannois et de la Soleigne. Aubain wird ins- gemein von alibi natus hergeleitet; allein nicht alle aubains sind alibi nati, und nicht alle alibi nati aubains. Weit wahr- scheinlicher, und ich moͤchte sagen, wahr ist es, daß man diejeni- gen, welche im Heer- oder Arierban zu fechten nicht verpflich- tet waren, albanos oder aubains genannt habe; Al zeigt extre- mitatem an, und so zeigt sich die Bedeutung leicht. Eben so muß einer bey der Armee entweder zur Fahne geschworen haben, oder doch im Schutze des Generals seyn, wofern er nicht als ein Fremder, Feind, oder Spion behandelt werden will. Die Schutzgenossen des Generals als z. E. Marketenter ⁊c. sind hier aubains . Es sind aber hier im Stifte Z 4 keine vergeblich gesucht; vermuthlich aber sind darunter Cos- santen gemeint, weil von Bauern die Rede ist, und dabey steht , qui mansos non habuerunt. Sollte man wohl glauben, daß die Wahlhode oder die Churecht , welche zur ersten Kenntniß des status hominum in Deutschland gehoͤrt, und sich durch ganz Europa erstreckt hat, dermassen verdunkelt werden koͤnnen? Si mansos habuissent: so wuͤrden sie von die- sem Heerbannsgute in der Vogteyrolle, oder aber wenn diese verdunkelt, als Sonderleute in dem besondern Schutze ihrer dem Vaterland fuͤr das Sundergut verpflichteten Gutsherrn gestan- den haben. Gedanken von dem Ursprunge und Nutzen keine andre Necessairfreye als in der Amt Iburgischen Hode; folglich ist es einerley, ob sie verbiestern oder verballmuͤnden, weil in beyden Faͤllen der Landesherr ihren Sterbfall zieht. Dies aubains oder albani. Da bey den Deutschen ausser dem aller- groͤßten Nothfalle keine andre aufgeboten wurden, als diejeni- gen qui mansos habebant: so waren folglich die andern, qui mansos non habebant, albani oder aubains. Auf gleiche Art sind ganze Voͤlker albani genannt worden, weil sie denjenigen, so ihnen diesen Namen gaben, ex tr a bannum lagen. Die Fran- zosen haben die Lehre von den a u b a ins zu keiner Deutlichkeit bringen koͤnnen, weil sie keine Woͤrter in ihrer Sprache haben, um Churmuͤndige und Nothfreye, Ballmuͤndige und Biester- freye aubains zu nnterscheiden; ohne diese vier Hauptbegriffe aber von einander abzusondern, sich nothwendig verwirren muͤs- sen. Ihre Regalisten schreiben aus dem oben angezogenen Sta- bilimento Ludouici saucti dem Koͤnige das droit d’Aubaine al- lein zu, da ihm doch nur die Biesterfreyen aubains verfallen sind; indem nach dem vorhin angefuͤhrten s tabilimento der Ba- ron die Ballmuͤndigen aubains, qui ne lui paioient pas leurs 4 deniers beerbte. In den Staͤdten sind diejenigen ungefreyten Einwohner aubains, so kein Buͤrgergut besitzen, und folglich im Buͤrgerbann nicht zu Walle gehen. Unter seinen aubains versteht der Koͤnig von Frankreich alle seine Freygelassenen, und die von seinen gehegeten Leuten gebohrne Kinder, auch frem- de; denen er nicht gestattet, sich in die Hode eines Barons zu geben. Die Franken hielten schon ehedem sehr strenge darauf; Nullus tabularius denarium ante regem præsumat jactare; quod si fecerit, ducentis Solidis culpabilis judicetur; heißt es in LL. Ripuar. tit 58. Dies heißt in unsrer Sprache: Es soll sich keiner der in die Kirchenhode gehoͤrt, in des Koͤ- nigshode begeben; und in die Kirchenhode gehoͤrten nicht allein die freygelassenen ihrer Leibeignen; sondern auch alle die- jenige, welche von Leyen in der Kirche freygelassen wurden. Bey den Franken war also lauter Necessairfreyheit und fast we- nig Churmund; anstatt daß in unserm Stifte bis auf einige we- nige alles Churmund ist; doch kann auch manches verdunkelt seyn, der sogenannten Hyen, Echten oder Hoden. Dies vorausgesetzt, begreift man einer Seits leicht, wa- rum die Biesterfreyheit eingefuͤhret worden; und andrer Seits, wie jede Hode oder Echte , es mag nun einer dieselbe erwaͤhlen, oder daran von seiner Geburt und seinen Gruͤn- den gebunden, oder derselben durch die Luft theilhaftig seyn, einen sichern und wohlthaͤtigen Schutz gegen die Knecht- schaft verleihen sollen; und daß unsre Vorfahren, die von Territorialunterthanen nichts wußten, eben dadurch der Knechtschaft ausweichen, und verhindern wollen, daß die geringen Leute dem Herrn des Landes nicht eigen werden sollten: und wie konnten sie witziger und vorsichtiger han- deln, als daß sie Churecht einfuͤhrten, und folglich solchen Menschen die Freyheit liessen, sich nach eigner Wahl in den Schutz der Heiligen zu begeben? Das schlimmste Loos das einer zu gewarten hatte, war dieses, daß seine ganze Erbschaft zum Sterbfall gezogen wurde. Wer also irgend eine Urkunde, sie bestehe nun in dem besten Pferde, oder in dem besten Kleide, in dem besten Pfande, oder in dem vierten Fusse, in dem Exuvienthaler oder in dem Exuvienpfennig, entrichtet, der hat dieses schlimme Loos nicht zu fuͤrchten, und wo die Luft eigen Das Wort: eigen entscheidet fuͤr sich nichts. Ein Herr wird jetzt Z 5 macht, seyn, indem sich in einigen Amtsregistern mehr als hundert Freyen befinden, so die Pfennigsurkunde geben; und nach ob- angefuͤhrten lege Ripuariorum wuͤrkte die projectio denarii ante regem, Koͤnigsschutz; und ein homo denarialis war in des Koͤ- nigs Zwanghode. Ueberhaupt scheinen die Gutsherrn, welche keine Gerichtsbarkeit und folglich auch kein Recht hatten, au- bains aufzunehmen, die Wahl gehabt zu haben, ob sie ihre Freygelassene in des Koͤnigs oder eines spaͤter dazu privilegirten Heiligen Schutz geben wollten; dis war eine resignatio juris patronatus ad manus competentes. Nachwaͤrts aber hat man diese freye Wahl den Freygelassenen selbst uͤberlassen, und sie sind corecti geworden. Gedanken von dem Ursprunge und Nutzen macht, oder welches einerley ist, wo die Luft die Stelle der Einschreibung vertritt und Schutz und Hode giebt, da kann kenntlich niemand verwildern, oder als ein Leibeigner seine ganze Erbschaft verlieren, ob er gleich zu einer guͤtlichen Behandlung derselben berechtiget und verbunden ist. Nur da wo die Luft nichts wuͤrket, ist die Verbiesterung oder die voͤllige Knechtschaft moͤglich; nur da wo keine Urkunde ent- richtet wird, laͤßt sich eine arge Freyheit oder die aͤrgste Knechtschaft gedenken; denn jede angenommene Urkunde setzet einen Vergleich mit dem Staate voraus; und niemand hat sich verglichen, um seinen ganzen Nachlaß zu verlie- ren In einigen franzoͤsischen Orten hat die Sache eine ganz ver- kehrte Wendung genommen. On arrache le serf à sa mort de la maison de son Epouse desolée, on le transporte dans une terre étrange, mais libre, une famille en pleurs suit son Per e expirani dans des lieux inconnus, et a souvent la douleur de voir, qu’un transport perilleux pour le malade, mais dont la liberté commune est le prix, a abregé ses jours. S. Disserta- tion sur l’Abbaye de St. Claude, im Anhang, p 35. Hier hat die Fahrlosigkeit der Koͤnigl. Beamte gemacht, daß die Leute, so sich aus dem Bezirk der Abtey St. Claude tragen lassen, frey sterben, anstatt daß ihre Erbschaft sodann als Biesterfrey dem Koͤnige heimfallen sollte. Dagegen hat die Abtey St. Claude ihre Hode in eine Scl a verey verwandelt. . Dis konnte er ohne Vergleich. Es ist aber eine ganz andre Frage: Ob dergleichen Ein- richtungen seitdem das Territorium einen zum Unterthanen macht, und das ehmalige Band der persoͤnlichen Anhaͤng- lichkeit von den grossen Herrn, welche sich bey dem Satze: Quicquid est in territorio est etiam de territorio, besser stan- jetzt leicht sagen: Meine eigne Leute, meine eigne Untertha- nen haben es gethan, ohne daraus ein Leibeigenthum zu ma- chen. Wie viel weniger kann also aus dem Gebrauch des Worts eigen in der Periode der persoͤnlichen Anhaͤnglichkeit etwas ver- faͤngliches geschlossen werden? der sogenannten Hyen, Echten oder Hoden. standen, vernachlaͤßiget ist, dermalen noch billig beyzube- halten seyn? In den mehrsten Laͤndern weiß man schon nichts mehr davon, wohl aber von einem Schutzthaler. Dieser aber ist in der That der Exuvienthaler, womit die Schutzgenos- sen ihren Sterbefall bey lebendigen Leibe loͤsen. Denn ein solcher Thaler, wie uͤberhaupt alles Schutzgeld, wird in keinem Lande zur Steuerkasse kommen, sondern allezeit als ein Cammergefaͤll berechnet werden. Die Cammer aber, die von keinem Unterthanen Steuern zu erheben hat, koͤnnte nie an dieses Schutzgeld gekommen seyn, wenn die Schutzgenossen nicht entweder als Cammerlinge oder Cam- merhoͤrige Leute, die in der Amts- oder Cammerhode, oder aber als Heiligen Schutzleute in der Kirchenvogtey- lichen Hode ehedem gestanden haͤtten, solches entrichteten. Hier im Stifte hat man auch schon einmal angefangen, mildere und der Territorialhoheit angemessenere Grundsaͤtze einzufuͤhren. Denn so setzt die Canzley in einem Rescripte vom 13. Maͤrz 1680. „Es sind die Unterthanen fuͤr genugsam immatriculir t „zu achten, welche Schatz und Steuer geben, auf „Schatzregistern stehen, und billig Landesfuͤrstl. Schirm „und Schutz geniessen.‟ Allein der Schluß war unrichtig, weil Schatz und Steuer in die Landescassen fliessen, und ein zeitiger Landesherr nicht schuldig ist, die auf die Versaͤumniß des Schutzrechts gesetzte Strafe um deswillen nachzugeben, weil die Unter- thanen gemeine Steuer entrichten. Haͤtte man so ge- schlossen: Diejenige so einen Pfennig ins Amtsregister, oder ei- nen Pfennig vom Sarge an die Cammer; oder ein Schutzgeld dahin entrichten, sind fuͤr genugsam imma- triculirt zu achten: so Gedanken von dem Ursprunge und Nutzen so waͤre nichts dagegen zu erinnern gewesen, und jene Meynung wuͤrde unfehlbar den Beyfall, woran es bis diese Stunde ermangelt, erhalten haben. Auch in den aͤltern Zeiten, wo der Reichsvogt die gemeinen Steuren, als Herbst- und Maybeden, Herbst- und Maygeld, Herbst- und Mayschatz, welche jetzt als Cammer oder auch wohl als Gutsherrliche Gefaͤlle, nachdem ihr Ursprung verdun- kelt ist, angesehen werden, erhoben haben, wuͤrde der Schluß richtig gewesen seyn. Es hat sich also dieses alte Recht durch jenen unrichtigen Schluß nicht verdraͤngen lassen, und kann auch nicht wohl anders dadurch aufgehoben wer- den, als daß ein zeitiger Landesherr auf den Nachlaß aller Biesterfreyen Verzicht thut, mithin die Nothwendigkeit sich in eine Hode zu begeben aufhebt. Dieser Verzicht kann aber nicht ohne viele Schwierigkeit geschehen, weil die Necessairfreyheit, die Hausgenossenschaft, das Heerge- wedde, der vierte Fuß, und verschiedene andere Freyheits- urkunden, damit eine ganz widrige Bedeutung erhalten wuͤrden, wann ihnen ihre vornehmste Beziehung genom- men wuͤrde Sobald der Landesherr auf den Sterbfall der Biesterfreyen kein Recht mehr hat: so braucht auch keiner seine Verlassenschaft auf den vierten Fuß, auf einen Exuvienthaler oder einen Todtenpfen- nig zu accordiren. Denn wo das mortuarium ejusque redemtio aufhoͤrt: da faͤngt so fort die restamentisactio an; und das Gesetz: Pater familias uti legassi t ist eine groͤssere Epoque der buͤrgerlichen Freyheit in Rom, als man insgemein glaubt. Der Bischof Adolph verknuͤpfte die Freyheit der testamentifaction mit der Aufhebung des juris exuviarum; und diese combination wird man in tausend Faͤllen finden. Fast sollte man auf den Gedan- ken gerathen, bey der ersten rohen Vereinigung der Menschen, haͤtten die Vorsteher, um Zank, Mord und Todtschlag unter den Erben zu vermeiden, jedes Mitgliedes Nachlaß ad sequestrum genommen, und hernach jedem gegen einen gewissen Abzug das Seinige .... Der der sogenannten Hyen, Echten oder Hoden. Der Bischof hatte nicht Lust den Bericht seiner Raͤthe, der gar zu lang gerathen war, weiter zu lesen, (vielleicht geht es manchen unsrer Leser auch so); und so begnuͤgte er sich, dem ehemaligen Cammermaͤdchen der Koͤniginn Richezza ihres Mannes Nachlaß zu schenken, und im uͤbri- gen die Sache Es ist keine Stadt in Deutschland, die nicht ein privilegium gegen alle Beerbtheilungen habe, woraus viele die alte Leibeigen- schaft ihrer Einwohner folgern wollen, und insgemein hat der Stadtschreiber noch ein gutes Pfand von jeder versiegelten Erb- schaft, eben wie der Meyer von der Erbschaft eines verstorbenen Hausgenossen, welche er zum Behuf des Hofesherrn beschreibt. , da sie sich mit so vielen andern verwi- ckelte, in dem vorigen Stande zu lassen. LXVII. Vom Glaͤubiger und landsaͤßigen Schuldner. Der dreyßigjaͤhrige Krieg hatte so manchen ehrlichen Mann arm gemacht, daß man in dem darauf er- folgten westphaͤlischen Frieden Art. VIII. §. 5. den un- gluͤcklichen Schuldnern zum Besten einen eignen Artikel ein- ruͤcken muste. Und alle Reichsstaͤnde waren hierauf be- muͤhet, den Punct ausfindig zu machen, worauf sich Glaͤu- biger und Schuldner scheiden sollten. Der Reichsabschied vom Jahr 1654 verordnete zum Besten der durch den Krieg verdorbenen Schuldner, daß ihnen Seinige loͤsen lassen; da denn unaͤchte Erben (die nemlich in kei- ner Echte gestanden) kein Recht zur Abloͤsung gehabt. Das jus spolii exuviarum \&c. setzet eine solche Anstalt voraus; und so wie die custodia hereditatis zuerst dem patri familias nachgelassen worden: so ist sie auch nachwaͤrts a comite ad Episcopum, ab Episcopo ad Capitulares \&c gekommen. Auf diese Weise er- hielte man einen sehr vernuͤnftigen Ursprung des juris mortuarii vel spolii. Vom Glaͤubiger ihnen binnen drey Jahren kein Capital geloͤset, der Ruͤck- stand aller waͤhrend dem Kriege angelaufenen Zinsen bis auf ein Viertel erlassen, und vorerst uichts weiter als eine alte und neue Zinse jaͤhrlich zu bezahlen angemuthet wer- den sollte. Es ist dieses das einzige Exempel in der Reichsgeschich- te, daß man sich des hoͤchsten und aͤussersten Obereigen- thumsrechts auf eine so maͤchtige und allgemeine Weise be- dienet habe. Die vorgaͤngige Zuziehung aller Landstaͤnde, die Einwilligung saͤmtlicher Reichsstaͤnde; das Gutachten beyder hoͤchsten Reichsgerichte; und die beyfaͤllige Mey- nung der groͤsten Rechtsgelehrten der damaligen Zeit, sind aber auch solche feyerliche und wesentliche Umstaͤnde, daß man wohl einsehen kann, wie die Reichsstaͤnde einen fuͤr die Aufrechterhaltung des Eigenthumsrechts und der da- von abhangenden Nationalfreyheit so bedenklichen Schritt nicht anders als mit der reiflichsten und zaͤrtlichsten Ueber- legung gewaget haben. Die damalige Noth, worin bin- nen einer Zeit von drey Jahren alle Bauern dieses Hoch- stifts entweder von ihren Hoͤfen entsetzt, oder doch unter eine gerichtliche Verfuͤgung gestellet seyn sollen, war auch wuͤrklich sehr groß; und ruͤhrte hauptsaͤchlich daher, daß man im Jahr 1622 und 1623 die gar zu schlecht gewor- dene Muͤnze ohne eine genugsame Menge besserer einzu- fuͤhren, ploͤtzlich verrufen, und damit den Schuldnern die Mittel genommen hatte, sich noch einigermassen zu be- freyen. Wer Gelegenheit gehabt hat, Geldregister von solcher Zeit einzusehen, wird finden, daß von 1623 bis 1648 alle Zinsen und Geldgefaͤlle ruͤckstaͤndig geblieben seyn. Der letztere Krieg hat zwar nicht so lange gedauret; diejenigen Gegenden aber, welche er in einer bestaͤndigen Folge betroffen, nicht weniger ungluͤcklich gemacht. Gleich- wohl ist in dem darauf erfolgten Frieden fuͤr die verungluͤck- ten und landsaͤßigen Schuldner. ten Schuldner nicht gesorgt. Man hoͤrt auch nicht, daß auf Reichs- oder Landtaͤgen ihrenthalben etwas beschlossen werde. Was soll also ein Richter, der taͤglich von dem Glaͤubiger um Huͤlfe und von dem Schuldner um Gedult angeflehet wird, thun, um sein Gewissen nicht zu verletzen? Auf der einen Seite verpflichtet ihn sein Amt, dem Glaͤu- biger ohne allen Verzug zu helfen. Auf der Gewißheit und Fertigkeit dieser Huͤlfe beruhet aller Credit. Der ge- ringste Ordnungswidrige Verzug, womit er einem Schuld- ner dienet, schadet hundert andern, denen kein Glaͤubi- ger aushelfen will, so bald sie Aufzuͤge zu befuͤrchten ha- ben. Wo die Handlung bluͤhen soll, muß die richterli- che Huͤlfe sich weder durch die Thraͤnen der Wittwe noch durch das Geschrey der Waisen aufhalten lassen. In Lon- don, Amsterdam, Hamburg und Bremen kennt man kei- nen Stillestand, den Richter und Obrigkeit ertheilen. Es ist ein Raub, den der Richter begeht, wenn er einem Glaͤu- biger das seinige vorenthaͤlt, oder Schuld daran ist, daß es ihm vorenthalten werde. Wenn Gott den Schuldner mit Ungluͤckssaͤllen heimsucht: so muß er und nicht der Glaͤubiger leiden. Die Gesetze Quid? tu tam imprudentes judicas fuisse majores nostros, ut non intelligerent iniquissimum esse eodem loco haberi eum, qui pecuniam quam a creditore acceperat, libidine aut alea absum- sit, et eum qui incendio aut latronico aut alio quodam casu tristiori aliena cum suis perdidit? Nullam excusationem recepe- runt ut homines scitent fidem utique præstandum. Satius enim erat a paucis etiam justam exceptionem non accipi, quam ab omnibus aliquam tentari, Seneca de benef. VII. 26. haben dem Glaͤubiger das Seinige auf den Fall nicht abgesprochen, wenn der Schuldner ungluͤcklich werden wuͤrde. Die Gesetzgeber wusten die Moͤglichkeit der Ungluͤcksfaͤlle vorher. Sie ver- aͤnderten aber das allgemeine Gesetz, daß jeder ohne Auf- ent- Vom Glaͤubiger enthalt zu seinem Rechte und Eigenthum verholfen wer- den muͤste, darum nicht. Sie liessen vielmehr dies Recht gehen, so weit es konnte, und bis zur Knechtschaft des Schuldners. Die Kaiser Gratian und Theodosius erklaͤr- ten sich auf die gewissenhafte Art: daß sie sich nie der Voll- kommenheit ihrer Macht bedienen wollten, einem Schuld- ner Ausstand zu geben; und wenn es ja geschaͤhe, ihre Rescripte von dem einzigen Falle verstanden haben wollten, wo der Schuldner hinlaͤngliche Buͤrgschaft stellen koͤnnte. Es kann auch kein Reichsfuͤrst nach den Reichsgesetzen, und ohne allen Credit aus seinen Laͤndern zu verbannen, minder Vorsicht gebrauchen, als bey dem Reichsabschied von 1654 gebrauchet worden. Auf der andern Seite duͤnkt es dem Richter oft grau- sam, die Kinder von ihrem vaͤterlichen Hofe um einer ge- ringen Schuldforderung willen zu verdraͤngen. Er sieht fast gewiß, daß das Gut, was er in einer geldlosen unbe- quemen Zeit losschlagen muß, uͤber einige Jahre weit mehr gelten, und zur Sicherheit des Glaͤubigers voͤllig hinreichen werde. Er denkt: Der Blitz der die Gruͤnde des Glaͤu- bigers nicht ruͤhren koͤnnen, weil sein Vermoͤgen in Schuld- verschreibungen besteht, hat vielleicht nicht blos den Schuld- ner, sondern auch den Glaͤubiger heimsuchen wollen. Je- ner hat sich gegen die Kriegsbeschwerden als ein treuer Un- terthan gewehret, das Unterfand des Glaͤubigers mit Auf- opferung seines uͤbrigen Vermoͤgens gerettet, und alles Ungewitter uͤber sich ergehen lassen; dieser hingegen ist mit seinem Schuldbuche in fremde Laͤnder gefluͤchtet, und hat dem Sturm vom Ufer zugesehen. Soll ich, schließt er, dem ungluͤcklichen Landbesitzer sein Hofgewehr neh- men: womit will er dann seinen Acker bestellen; und will ich den Hof verkaufen, wie groß sind nicht auch die noth- wendigsten Kosten? Ich weiß gewiß, sagt er dem Glaͤu- biger und landsaͤßigen Schuldner. Glaͤubiger, der am eifrigsten auf seine Bezahlung dringt, daß ihr doch am Ende nichts erhalten, und ein anderer jetzt noch schlafender oder guͤtigerer Glaͤubiger damit durch- gehen werde; soll ich also den Schuldner bloß um deswil- len zu Grunde richten, um euch zu uͤberzeugen, daß nach Abzug aller Kosten und Bezahlung aͤlterer Schulden nichts uͤbrig sey? Aber was soll nun der Richter thun? Was der Richter thun solle? Wenn der Schuldner ein freyer Mann ist: so nehme er ihm alles was er hat, und verkaufe es. Fuͤr den Staat ist es vielleicht besser, daß ein freudiger Kaͤufer als ein verarmter und muthloser Eigenthuͤmer auf dem Hofe liege. Und was kann man in aller Welt fuͤr einen Grund angeben, warum der Glaͤu- biger jetzt eher als der Schuldner verlieren solle? Hat der Glaͤubiger nicht schon genung dadurch gelitten, daß er seinem Schuldner die grosse Wohlthat gethan, ihm waͤhrend des Krieges alle Zinsen in leichter Muͤnze abzunehmen? Soll er jetzo noch das Bisgen, was er vielleicht in dreyßig schweren Jahren mit Aufopferung seiner Gesundheit bey saurer Milch und trocknem Brodte in Holland erworben hat Der grosse Credit der Oßnabruͤckischen Eigenbehoͤrigen ruͤhrt da- her, daß die Menge Heuerleute, welche nach Holland zur Arbeit gehen, ihnen ihr erworbenes Geld leihen, um etwas Land zur Heuer zu bekommen. , und durch dessen Huͤlfe er seinen kraͤnklichen Koͤr- per bis an irgend ein nah gelegenes Grab zu schleppen gedachte; soll er dies jetzt am Rande des Grabes missen? soll er seine Kinder vor fremde Thuͤren schicken? soll er sein Weib unter der Last ersticken sehen? blos darum, da- mit sein Schuldner und kein andrer ehrlicher Mann diesen oder jenen Hof bewohne? Nein. Die Sache ist leicht entschieden. Man wuͤrge Buͤrgen und Schuldner, und helfe dem Glaͤubiger. Aber Moͤs. patr. Phant. III. Th. A a Vom Glaͤubiger Aber wie, wenn der Schuldner ein Leibeigner ist, und den Hof nur zum Bau unter hat? Wenn die Sache auf diese Spitze zu stehen koͤmmt: Daß der Glaͤubiger keinen Stillestand geben will; gleich- wol aber der Leibeigne ohne solchen zu erhalten, kein Vieh im Stalle, und kein Korn auf dem Felde behal- ten kann? Was soll hier der Richter thun? Diese Frage ist freylich schwerer zu beantworten, so leicht sie auch manchem scheinen mag, der dem Gutsherrn sagen wuͤrde: er solle gegen die Glaͤubiger hervor treten, und den Leibeignen, der sich in solche Umstaͤnde versetzt, so fort vom Erbe jagen. Allein gesetzt, die Glaͤubiger erwiedern: „Der Gutsherr moͤge dieses thun, wenn er es auf sein Gewissen nehmen, und vor Gott verantworten koͤnne. Sie koͤnnten ihrer Seits keinen Stillestand geben, weil sie arme Leute waͤren, und ihres Geldes, ohne selbst Bettler zu werden, nicht entrathen koͤnnten„. Gesetzt weiter, der Gutsherr habe ein zaͤrtliches Gewissen? Er wisse oder glaube doch wohl, sein Leibeigner habe im Kriege oder sonst durch Ungluͤck seine Pferde, und durch die Seuche sein Vieh verlohren. Er wisse, der Schuldner habe sich mit dem geliehenen Gelde beydes wieder angeschaffet; und die Glaͤubiger, welche ihm damals in der Noth ausge- holfen, haͤtten jetzt selbst kein Vieh; er koͤnne also Kraft sei- ner Ueberzeugung, seinen Leibeignen, der zwar ein ungluͤck- licher aber kein straͤflicher Wirth gewesen, nicht vom Hofe stossen; oder es eraͤugnen sich andre Umstaͤnde, wie dann de- ren taͤglich viele vorkommen, weswegen der Gutsherr seinen verschuldeten Leibeignen nicht vom Hofe setzen koͤnne. Was soll hier der Richter thun, wenn die Glaͤubiger oder die mehrsten unter ihnen keinen Stillestand einwilligen wollen? Auch hier, glaube ich, muͤsse der Richter sein Amt thun, dem Leibeignen, bis der Glaͤubiger befriediget, alles nehmen, und und landsaͤßigen Schuldner. und den Hof ausheuren; so lange die Landesobrigkeit nicht andre Gesetze macht. Denn der Richter ist kein Gesetzgeber, sondern ein Knecht des Gesetzes. Aber was soll denn der Gesetzgeber thun? Kann dieser, kann der Gutsherr leiden, daß kein Wirth, kein Spann, kein Haushalt auf dem Hofe bleibe? Erfordert es nicht die allgemeine Noth, daß jeder Hof ein taugliches Spann habe? Und ist der Gutsherr nicht berechtiget, seinen moͤchentlichen Spanndienst zu fordern? Allerdings. Die Sache selbst re- det so klar, daß man sich wundern muß, warum der Ge- setzgeber nicht hier im Stifte, so wie in benachbarten Laͤn- dern wuͤrklich geschehen, dem Bauer mit seinem ganzen Hof- gewehr eisern gemacht habe. Doch jetzt faͤllt mir ein einziger kleiner Zweifel ein. Wie soll es der Leibeigne machen, wenn er sein Hofgewehr durch Feuer, Krieg, Seuchen oder andre Ungluͤcksfaͤlle verlieret, aber kein baar Geld hat? Woher nimmt alsdann der Guts- herr den Spanndienst und die gemeine Noth ihre Kriegs- fuhr? Wird er hier nicht borgen muͤssen? Und wenn er die- ses thun muß: hat er es denn nicht auch vorher in gleichen Faͤllen thun koͤnnen? Freylich, wird man sagen; allein diese Faͤlle sind nicht vorhanden gewesen. O! wenn der Proceß nur erst so weit koͤmmt, daß es auf den Beweis der Un- gluͤcksfaͤlle ankoͤmmt: so gehts dem Gutsherrn mit seinem Leibeignen wie der Schoͤnen mit ihrem Anbeter. So bald sie anfangen zu philosophiren, sind beyde halb verlohren. Nun so mag der Leibeigne dann so viel borgen als die hoͤchste Noth immer ersordert; braucht doch der Gutsherr um deswillen nicht zuzugeben, daß Pferde und Kuͤhe fuͤr den Glaͤubiger vom Hofe gepfaͤndet werden? … Nein. Aber die Frage ist vorerst noch, wie Kuͤhe und Pferde herauf kommen, wenn sie durch Ungluͤck abfallen? Ob ein Glaͤu- biger im ganzen Lande sey, der dem Leibeignen eine Klaue A a 2 leihen Vom Glaͤubiger leihen werde, wenn sie eisern wird, so bald sie auf den Hof kommt? oder ob ihm jemand Geld zu einem Pferde leihen werde, ohne ihm dieses und was er sonst hat, wenn er nicht bezahlt, pfaͤnden zu duͤrfen? Hier wird wuͤrklich guter Rath theuer, und ich moͤchte beynahe sagen, man muͤsse dem Leibeignen befehlen allezeit baar Geld in Vorrath zu haben, oder die Glaͤubiger zwin- gen, ihm so viel zu leihen, als er zur Anschaffung und Er- gaͤnzung seines Hofgewehrs noͤthig hat. Sonst werde in Ewigkeit weder Hof- noch Landdienst vom Hofe erfolgen. Doch mir faͤllt noch ein Mittel bey. Man verwandle den westphaͤlischen Eigenthum in den Mecklenburgischen, wo der Gutsherr die Schatzungen bezahlt, die Krtegsfuhren ver- richtet, und den Leibeignen auf den Fuß eines Tagloͤhners oder Heuerknechts haͤlt; wo Pferde und Kuͤhe, Mauren und Zaͤune, Haͤuser und Scheuren dem Gutsherrn stehen und fallen; und wo wenn der Leibeigne etwas verdirbt, ver- saͤumet oder zu Grunde gehen laͤßt, die allezeit fertige Be- zahlung durch den geradesten Weg Rechtens — aus seiner Haut erfolgt. Denn dis wird doch die nothwendige Folge seyn muͤssen, im Fall der Leibeigne, in Ermangelung alles Credits, das verungluͤckte Hofgewehr nicht wieder anschaf- fen kann, und der Gutsherr ihm seine eigne Pferde und Kuͤhe zur Ackerbestellung geben muß. Allein diese Gluͤckseligkeit, wobey die adlichen Guͤter zu 5-6 pro Cent verkauft werden, wuͤnscht sich der westphaͤli- sche Edelmann nicht Er verlangt seinem Leibeignen die Zaͤune nicht zu bessern, noch fuͤr ihn die Schatzungen zu ent- richten; und die Pferde, die dem Bauren fallen, soll er selbst bezahlen. Folglich ist ihm mit dem Mecklenburgischen Eigenthum gar nicht gedient. Was ist denn nun uͤbrig, um ein Spann auf den Hof zu bringen? Soll ichs sagen? Er muß seinem Leibeignen Credit machen. Wieder Credit? Ja nun: und landsaͤßigen Schuldner. nun: so sind wir ja wieder an dem Fleck wovon wir abge- reiset sind. Und wodurch macht er dem Leibeignen Credit? Dadurch daß er und sein Hofgewehr eisern wird? Ich zweifle sehr. Durch Bewilligungen? Nun wenn diese so oft er- theilet werden muͤssen, als der Bauer kein Vieh hat, seinen Ackerbau gehoͤrig zu treiben: so bedaure ich den Gutsherrn, der viele Leibeigne hat. Denn er wird entweder ihre Wirth- schaften selbst fuͤhren, oder alle Augenblick hoͤren muͤssen, daß eine Bewilligung noͤthig sey, um dieses und jenes an- zuschaffen. Noch mehr. Diese Art von Credit durch Be- willigung kann nicht bestehen, oder jedes Fohlen, jedes Kalb, jeder Vortheil muß dem Gutsherrn wieder zu gute kommen, oder doch zu Einloͤsung der Bewilligungen (welch eine genaue Aufsicht wird hier noͤthig seyn?) angewandt werden, weil er sonst die Gefahr des Schadens ganz allein stehen wuͤrde. Und wo sind wir alsdenn? bey dem Mei- sterstuͤcke der roͤmischen Philosophie, dem Knechte der gar nichts eignes hatte; und der vermuthlich durch die Reihe von obigen Schluͤssen zur Welt gekommen ist? Womit er- halten wir aber diese Art von Knechten? Und koͤnnen diese anders als auf roͤmische Art in Privatzuchthaͤusern gehal- ten werden? Unstreitig sind unsre Vorfahren durch diese Bedenklich- keit abgehalten worden, das Hofgewehr der Leibeignen eisern zu machen. Haͤtten sie es gethan; so wuͤrden beym letztern Kriege tausend und abermal tausend Befehle an die Guts- herrn ergangen seyn, ihren verungluͤckten Bauern Pferde zu verschaffen, oder ihnen Bewilligung zu deren Ankauf zu ertheilen. Es wuͤrden viele Hoͤfe so dann mit so vielen be- willigten Schulden beschweret seyn, als sie mit unbewillig- ten beschweret sind. Und haͤtte der bewilligte Glaͤubiger nur im geringsten fuͤrchten duͤrfen, daß ihm der Richter we- gen der eisernen Beschaffenheit des Hofgewehrs nicht helfen A a 3 wuͤr- Gedanken uͤber den Stillestand wuͤrde: so haͤtte er gewiß auch in diesem Falle nicht geborgt. Woher waͤre sodenn die Kriegsfuhr erfolgt? Blos von den Hoͤfen, deren Spannung im guten Stand gewesen? Das wuͤrden diese gewiß nicht lange ausgehalten, und die Guts- herrn, denen sie gehoͤrt, nicht mit Gedult ertragen haben. Was ist aber der Schluß von diesem allen? einen Preis fuͤr denjenigen auszusetzen, der die Frage : Was der Gesetzgeber in obigem Falle thun solle? besser beantworten wird. LXVIII. Gedanken uͤber den Stillestand der Leibeignen. Der Stillestand ist bekannter massen ein Mittel, einen verschuldeten leibeignen Unterthanen, dessen unter- habendes Gut die Glaͤubiger nicht angreifen koͤnnen, und dessen Hofgewehr sie nie angreifen sollten, auf einige Jahre so zu setzen: daß er jaͤhrlich so viel, als der Hof etwa zur Heuer thun, oder als ein fleißiger Besitzer desselben ohne Lot- terien und Kucksen darauf gewinnen kann, zum Behuf seiner schuldigen Abgaben und der Glaͤubiger aufbrin- gen muß. Eigentlich sollte man immer das letzte waͤhlen, weil die Glaͤubiger ein Recht auf des Schuldners ganzes Vermoͤgen und folglich auch auf seinen Fleiß und seine Kraͤfte haben; wegen verschiedener Zufaͤlle aber, die man nicht vorher se- hen kann, wird das erste als das sicherste dem letzten billig vorgezogen. Die Absicht dieses Stillestandes ist auf die Er- haltung des Hofes, des Hofgewehres und eines ungluͤckli- chen Unterthanen gerichtet, indem dem gemeinen Wesen dar- an gelegen, daß alle Hoͤfe tuͤchtig besetzt und zur Zeit der Noth der Leibeignen. Noth so wenig entbloͤsset als ausgespannet seyn moͤgen. So nothwendig und billig nun auch diese gesetzmaͤßige Vorsorge ist, besonders in den Gegenden, wo nach einer vorgegan- genen Abaͤusserung, sich nicht sogleich neue Wirthe finden, die mit einem Feld- und Viehinventarium wieder aufziehen und sich eigen geben wollen: so haͤufig sind dennoch die Faͤlle, wo die desfalls vorhandenen heilsamen Verordnungen und die besten Absichten nicht zum Zwecke wuͤrken. Der erste Fall ist insgemein, daß zwey oder drey der maͤchtigsten Glaͤubiger, welche die andern uͤberstimmen koͤn- nen, sich mit dem Schuldner heimlich zusammen setzen ihm durch die Mehrheit ihrer Forderungen einen Stillestand ge- gen alle uͤbrige verschaffen, und hernach, wenn allen andern die Haͤnde gebunden, den Schuldner allein rupfen. Dieser bringt sodenn jaͤhrlich zum Schein nach der Mehrheit ge- wonnener Stimmen ein gewisses auf, und die maͤchtigen ziehen nebenher ihre voͤlligen und vielleicht gar wucherlichen Zinsen. Nun hat es zwar seine anscheinende Richtigkeit, daß der Schuldner sich solchergestalt den maͤchtigern verbindlich ma- chen koͤnne, indem ihm waͤhrend dem Stillestande die Ver- waltung seines Hofes vertrauet wird, und er, wenn er das verglichene richtig bezahlt, das uͤbrige verzehren, verschen- ken und folglich auch nach Gefallen einigen ihn beguͤnstigen- den Glaͤubigern bezahlen kann. In der That liegt hier aber ein gedoppelter Betrug zum Grunde: der eine, welchen der maͤchtigere Glaͤubiger in An- sehung seiner Mitglaͤubiger begeht; und der andre, dessen der Richter sich selbst mit schuldig macht, indem auf den Fall, da der Schuldner noch nebenhin etwas aufbringen konnte, der Stillestand ohne genugsame Untersuchung bestaͤtiget ist. Der Richter hat sodann blos auf die Mehrheit der mit dem Schuld- Gedanken uͤber den Stillestand Schuldner unter einer Decke spielenden Glaͤubiger gebauet, und selbst keinen richtigen Ueberschlag gemacht; dergleichen Betruͤgereyen verdienen aber keine rechtliche Beguͤnstigung; und wenn es gleich nicht moͤglich ist, sie gaͤnzlich zu ver- hindern: so sollte doch kein Richter uͤber jene Nebenbedin- gungen waͤhrend dem Stillestande jemals die Huͤlfe erkennen. Der zweyte Fall ist, wo der Schuldner einige gute Freunde bittet, so gar falsche Forderungen gegen ihn auf- zustellen, und durch deren Mehrheit die wahren Glaͤubiger zum Stillestand zu noͤthigen. Hier ist nun wiederum, ohne eine Menge gefaͤhrlicher Eyde, zuzulassen, keine Huͤlfe; in- dessen sollte doch, wenn sich ein solcher Fall zutruͤge und klar gemacht werden koͤnnte, der falsche Glaͤubiger verdam- met werden, dem Richter, zum Besten der uͤbrigen recht- lichen Glaͤubiger so vieles zu bezahlen, als er faͤlschlich an- gegeben hat. Der dritte Fall ist, wenn der Richter nach der Mehr- heit der Stimmen den Stillestand erkennet, und einen oder andern, wegen eines habenden besondern Rechts, davon ausnimmt, mithin den Stillestand zum Theil bestaͤtiget, zum Theil aber nicht. Dieser Fall sollte eigentlich nie eintreten, ohnerachtet er sich oft zutraͤgt. Denn hat der Schuldner mehr, als er zur nothwendigen Vertheidigung des Hofes gebraucht: so sollte dieses vor dem Stillestande verkauft, und das Geld nach vorgaͤngiger Erkenntniß dem ersten Glaͤubiger in der Ordnung zuerkannt werden. Hat er aber nicht mehr: so ist es der allgemeinen Absicht, den Hof im Stande zu er- halten, entgegen. Hat ein Glaͤubiger ferner allein ein Recht dem Stillestande sich zu widersetzen: so muß dieser gar nicht erkannt, sondern entweder der Abaͤusserung, oder dem Ver- kauf aller auf dem Hofe vorhandenen Fruͤchten und Mobi- lien, der Leibeignen. lien, so lange solcher nicht durch Gesetze eingeschraͤnkt wird, der Lauf gelassen, mithin allen Glaͤubigern die Concurrenz zugestanden, nicht aber einem geholfen und den uͤbrigen durch Bestaͤtigung des Stillestandes ihre Concurrenz abge- schnitten werden. Ueberdem ist es seltsam, daß der Rich- ter den letztern die gerichtliche Versicherung ertheilet, wie der Schuldner zu ihrem Behuf jaͤhrlich ein gewisses aufbrin- gen soll, und diesen gleichwohl durch die Execution zur Gunst des einen privilegirten Glaͤubigers, ausser allen Stand setzt, den Vergleich mit seinen uͤbrigen Glaͤubigern zu erfuͤllen. Wie aber, wird man sagen, wenn ein bewilligter Glaͤu- biger vorhanden, und derselbe seine Befriedigung auf ein- mal verlangt? Hier muß entweder der Gutsherr, oder der Schuldner Rath schaffen, oder die unbewilligten Glaͤubi- ger, zu deren Besten der Stillestand bewilliget wird, muͤssen den bewilligten Glaͤubiger ablegen, und sich solchergestalt ihren Schuldner erhalten. Wenn zu einem von diesen dreyen Mitteln nicht zu rathen ist; und zum besten des bewilligten Glaͤubigers alles was auf dem Hofe an Fruͤchten und Vieh vorhanden, verkauft werden muß: so wird dem Schuldner, ohne daß die bisheriger Gesetze geaͤndert werden, auch gar nicht zu helfen seyn. Der vierte Fall zeigt sich, wenn der Schuldner selbst uͤbernommen, die Steuren und Gutsherrlichen Gefaͤlle rich- tig abzufuͤhren, und daneben jaͤhrlich ein Gewisses fuͤr seine unbewilligte Glaͤubiger aufzubringen; die beyden erstern Bedingungen aber nicht erfuͤllet, und so dann durch die natuͤrlicher Weise auf Steuren und Gutsherrliche Gefaͤlle erfolgende Execution ausser Stand gesetzt wird, das ver- sprochene aufzubringen. Eine gleiche Bewandniß hat es damit, wenn er waͤh- rend dem Stillestande die Zinsen zu berichtigen uͤbernimmt, Moͤs. patr. Phant. III. Th. B b und Gedanken uͤber den Stillestand und weil er solches nicht erfuͤllet, auf Anrufen eines einzi- gen Glaͤubigers gepfaͤndet und ausser Stand gesetzet wird, die uͤbrigen Bedingungen des Stillestandes zu erfuͤllen. Hier muͤssen oft zehn Glaͤubiger zusehen und erleiden, daß ihr gemeinschaftlicher Schuldner einem einzigen zum Vor- theil heruntergebracht, und dessen fahrendes Vermoͤgen, welches sie ihm aus Gutheit gelassen und waͤhrend dem Stil- lestande gleichsam nur anvertrauet haben, einem einigen Glaͤubiger zuerkannt wird, ohne daß sie dagegen sprechen koͤnnen. In beyden Faͤllen ist keine rechtliche Huͤlfe vorhanden, und man mag daraus dreist schliessen, daß das ganze Stil- lestandeswesen ein widersinniges Gemische sey, woran die Gesetze nun und zu ewigen Tagen umsonst flicken werden. Aber nun was bessers! wird man mir zurufen; was hilft es die Fehler anzuzeigen, wenn keine Mittel dagegen vorhanden sind? Ihr erster Vorschlag, den Sie einmal ge- than haben, alle Bauerhoͤfe wie weltliche Erbpfruͤnden an- zusehen, und dem zeitigen Besitzer derselben nicht mehr als einem andern Pfruͤndner zu gestatten, mithin dessen Glaͤu- bigern hoͤchstens zwey Nach- und zwey Gnadenjahre zu gute kommen zu lassen, ist zu heroisch; und seitdem der Pfruͤndner durch Gesetze gezwungen ist, seinen Bruͤdern von der Pfruͤnde ordentliche Kindestheile herauszugeben, wi- dersinnig; man kann einem nicht Haͤnde und Fuͤsse binden, und zugleich von ihm fordern, daß er laufen soll. Vielleicht hat der weltliche Pfruͤndner auch oft des allgemeinen Be- stens wegen einen groͤssern Credit noͤthig, als der geistliche. Ihr anderer Vorschlag, die zerstreuten Gutsherrlichkei- ten voͤllig aufzuheben, und dafuͤr kleine Bezirke zu machen, uͤber diese Erbgerichtsherrn zu setzen, und von diesen zu er- warten, daß sie ihre Gerichtsunterthanen in strengerer Zucht der Leibeignen. Zucht halten, und so wohl uͤber ihre Anlehen als deren zei- tige Wiederbezahlung wachen sollen, mag zwar wohl der Carolingischen Verfassung gemaͤs seyn; aber es wird so viel dazu gehoͤren, um es wieder dahin zuruͤck zu bringen; es streiten so viel heimliche Ahndungen dawider, besonders wann die Paͤchte und Pflichten der Gerichtsunterthanen nicht auf ehernen Tafeln eingegraben werden sollten, daß ich nicht weiß, ob es rathsam seyn moͤchte, sich auf diese Art zu helfen. Ihr dritter Vorschlag, die naͤrrische Rechtsgelehrsam- keit, nach welcher ein Landbesitzer Capitalien aufnimmt, und in der ungewissen Voraussetzung, daß ihm ein andrer Narr wieder borgen werde, solche nach einer halbjaͤhrigen Loͤse zu bezahlen verspricht, zum Lande hinauszupeitschen, und da- fuͤr den alten Rentcontrakt wieder herzustellen, ist schoͤn, aber so leicht nicht auszufuͤhren; ohnerachtet der gesunde Menschenverstand eben diesen Contrakt in Italien, England und Frankreich erhalten hat, und es unmoͤglich ist auf die Dauer jenen beyzubehalten. Ihr ehmaliger vierter Vorschlag, dem Beyspiel der ver- schuldeten Roͤmer zu folgen, die ihren Glaͤubigern und viel- leicht ihren Patronen oder Gutsherrn auf einmal die ganze Schuld absagten, und solchergestalt das durch langjaͤhrige Verpflichtungen zum Nachtheil des gemeinen Wesens er- schoͤpfte Eigenthum befreyeten, ist wiederum zu heroisch, ohnerachtet es schon einmal der Kaiser mit allen Reichsfuͤr- sten durch ein oͤffentliches Reichsgesetze befohlen hat Das Beyspiel der Roͤmer ist gewiß tausendmal erzaͤhlt. Aber von Deutschland hat es kein einziger Geschichtschreiber bemerkt; ohnerachtet es eine groͤssere Epoque fuͤr unsere Geschichte, als das Datum der Magna Charta fuͤr England seyn sollte. Das Gesetz ist deutlich: omnes census vini, pecuniæ, frumenti vel alii . B b 2 Und Gedanken uͤber den Stillestand Und wenn man Ihren dritten und vierten Vorschlag vereinigen, mithin die Loͤsbarkeit aller auf schatzbaren Hoͤ- fen haftenden Capitalien durch einen Machtspruch, der sich doch, da die Gesetze wenigstens den Leibeignen die unbe- willigten Schulden verbieten, gar wohl in einen Rechts- spruch verwandeln liesse, aufheben, und dafuͤr jedem Glaͤu- biger eine sichere nach der Menge der Schulden und dem Ertrag des Hofes abgemessene jaͤhrliche Rente verschreiben wollte: so wuͤrde dennoch in jedem Kirchspiel einmal eine eigne oͤffentliche Anstalt, oder eine Art von ofnem Renten- buch, worinn diese Renten eingetragen wuͤrden; und hier- naͤchst ein naher Schulthets noͤthig seyn, der diese mit dem jaͤhrlichen Ertrage des Hofes in einer moͤglichen Gleichheit stehenden Renten zeitig und fuͤr eine kleine Gebuͤhr einmahn- te, so dann aber die Schuldner von Zeit zu Zeit zur Ein- loͤsung dieser Renten anhielte, damit solche nicht in Ewig- keit stehen blieben und vermehret wuͤrden. Wie vieles wuͤr- de ohnedem noch erfordert werden, um diese Renten zu ei- nem sichern Gegenstande des oͤffentlichen Handels zu ma- chen, und ihnen den Credit wieder zu geben, den sie vor zweyhundert Jahren hatten? Man wuͤrde auch dabey die Vorsicht gebrauchen muͤssen, welche man in England bey den Annuitaͤten gebraucht, so daß keiner mehr als die Haͤlfte seiner reinen Einkuͤnfte in Renten verwandeln koͤnnte, und das uͤbrige zu seiner Competenz und auf unsichere Zufaͤlle behalten muͤßte. In Deutschland scheint vordem bereits eine gleiche Vorsicht geherrscht zu haben, indem man eine alte und neue Rente zugleich fordern und beytreiben lassen mochte, mit- alii, quos rustici constituerunt se solutoros, relaxentur \& ul- terius non recipiantur. S. die Reichstagsverordnung zu Utin vom Jahr 1232. in der Senkenbergischen Sammlung der Reichsabschiede T. I. p 18 Nur muß man das Wort census von den Advocatiegefaͤllen wohl unterscheiden; diese wurden nicht aufgehoben. der Leibeignen. mithin voraussetzte, daß der Hof jedesmal zu einer gedop- pelten Bezahlung der Renten hinreichen muͤßte … So weit geht der Zuruf meiner Freunde; aber nun die Antwort — nun bessere Mittel! — diese weiß ich zwar nicht anzugeben. Es bleibt aber doch allemal wahr, daß es eine schlechte Mannszucht sey, wenn der Hauptmann ei- nen Soldaten lahm schlaͤgt um einen guten Kerl aus ihm zu ziehen; und dis thut der Richter so oft er einem Leibeignen, er stehe nun in einem Stillestande oder nicht, bey einer Pfaͤndung nicht so viel an Vieh oder Fruͤchten laͤßt, als er zur nothwendigen Vertheidigung seines Hofes in allen oͤf- fentlichen Lasten noͤthig hat. Es bleibt ferner gewiß, daß jeder Landbesitzer einen na- tuͤrlichen Stillestand habe, der von dem gerichtlichen gar nicht unterschieden ist, ausser daß bey diesem die jaͤhrliche Abgift zum Behuf der Glaͤubiger ausgerechnet und bestim- met, bey jenem zwar eben so gewiß aber unbekannt ist. Man kann keinem von beyden mehr nehmen, als er jaͤhrlich uͤbrig hat, oder der Richter muß jedem, dem er ein mehrers ab- fordert, zugleich einen Narren anweisen, der ihm borgt. Da nun ein Leibeigner im gerichtlichen Stillestande so we- nig, als der andere, der sich im natuͤrlichen befindet, vor Ungluͤcksfaͤllen sicher ist; ja, da die Ungluͤcksfaͤlle eben wie Gicht und Fluͤsse sich eher auf die kranken als gesunden Glie- der werfen; so ist es beynahe unmoͤglich auf acht oder zwoͤlf Jahre zu bestimmen, daß dieser jaͤhrlich die ganzen Heuer- gelder seines Hofes zum Vortheil der Glaͤubiger aufbringen soll; und wenn dieses ist: so muß derselbe wenigstens einmal oder zweymal in den Stillestandsjahren einen gerichtlichen Verkauf seiner Fruͤchte erleiden — und es giebt deren viele, die ihn das erste Jahr, sodann aber alle Jahr hinter einan- der erfahren, — auf solche Weise kann aber der wahre End- zweck des Stillestandes fast nie erreichet werden. In- Gedanken uͤber den Stillestand ⁊c. Indessen bleibt doch auch wiederum gewiß, daß wenn nicht die strengsten Executiones geschehen, die liederlichen Wirthe nie zur Ordnung zu bringen sind, und gar kein Cre- dit, der doch unentbehrlich ist, zu erhalten steht. Ueber- haupt scheint der Mensch dazu gebohren zu seyn, um unter der Zucht zu leben. Den Vornehmen peitscht die Ehre oder die erschreckliche fuͤrstliche Gnade mit Scorpionen zur Scla- venarbeit; der Soldat wuͤrde ohne Zucht ein Fluch des menschlichen Geschlechts seyn; und wie sollte denn der von einer nahen und strengen Aufsicht in der jetzigen Verfassung beraubte Landmann in Ordnung erhalten werden, wenn nicht entweder Noth, oder Geiz, oder ein pfaͤndender Rich- ter ihn dazu noͤthigten? Bey dem allen lernt man aber nur so viel, daß das Uebel gewiß, die Arzney aber unbekannt ist; besonders bey uns, wo jeder Bauer wenigstens unter vier Gerichtsbarkeiten zu- gleich steht, und seines natuͤrlichen Stillestandes nie genies- sen kann, weil alle vier Richter, wenn auch jeder von ihnen das billigste Maaß gebraucht, und die Execution nach dem Ertrag des Hofes einschraͤnkt, ihm dennoch zusammen das- jenige vierfach abnehmen, was er nur einmal zu bezahlen im Stande ist. In den benachbarten Laͤndern muß ein leibeigner Schuld- ner jaͤhrlich gewisse Scheffelsaat bestellen. Diese werden un- ter die Glaͤubiger meistbietend versteigert; wer am ersten be- zahlt seyn will, giebt das mehrste dafuͤr. Dies scheint mir noch das beste Palliativmittel zu seyn. Ende des dritten Theils .