Titan von Jean Paul Vierter Band. Berlin, 1803. In der Buchhandlung des Commerzien-Raths Matzdorff. Vorrede. D ieser Band beschließet den ganzen Ti¬ tan, ohne weitere komische Anhänge, zu welchen der Verfasser schon sonst noch Zeit und Stoff genug zu finden scheuet und hofft. Aufgeweckte Köpfe mögen vielleicht die gewöhnlichen gelehrten Ur¬ theile darüber selber für die ordentlichen komischen Anhänge zum Werke nehmen. Freilich ist am poetischen Schmetterlings- Flügel der bunte lose Staub oft am Ende — näher besehen — wahres Ge¬ fieder. Meiningen, im Dezemb. 1802. J. P. F. Richter. Inhalt Inhalt des vierten Bandes. Sechs und zwanzigste Jobelperiode. 101 – 103 Zykel. Die Reise — die Quelle — Rom — das Forum Seite 1 Sieben und zwanzigste Jobelperiode. 104 – 107 Zykel. Peterskirche — Rotunda — Coliseo — Brief an Schoppe — der Krieg — Gaspard — der Korse — Verwicklung mit der Fürstin — die Krankheit — Gaspards Bruder — Peterskuppel und Abschied — 36 Acht und zwanzigste Jobelperiode. 108 – 110 Zykel. Brief aus Pestiz — Mola — die Him¬ melfahrt eines Mönchs — Neapel — Ischia — die neue Göttergabe — 95 Neun und zwanzigste Jobelperiode. 111 – 115 Zykel. Julienne — die Insel — Sonnenunter¬ gang — Neapel — Vesuv — Linda's Brief — Streit — Abreise — 142 Dreißigste Jobelperiode. 116 – 119 Zykel. Tivoli — Streit — Isola bella — die Kinderstube — die Liebe — Abreise. Seite 211 Ein und dreißigste Jobelperiode. 129 – 126 Zykel. Pestiz — Schoppe — Ehescheu — Ar¬ kadien — Idoine — Verwicklung. — 257 Zwei und dreißigste Jobelperiode. 127 – 130 Zykel. Roquairol — 357 Drei und dreißigste Jobelperiode. 131 – 136 Zykel. Albano und Linda — Schoppe und das Portrait — das Wachskabinet — das Dual — das Tollhaus — Leibge¬ ber — 416 Vier und dreißigste Jobelperiode. 137 – 139 Zykel. Schoppe's Entdeckungen — Liane — die Kreuzkapelle — Schoppe und der Ich und der Oheim. — 482 Fünf und dreißigste Jobelperiode. 140 – 146 Zykel. Siebenkäs — Beichte des Oheims — Brief von Albano's Mutter — das Kron-Rennen — Echo und Schwa¬ nengesang der Geschichte. — 511 Sechs Sechs und zwanzigste Jobelperiode. Die Reise — die Quelle — Rom — das Forum. 101. Zykel. S o lange die Nacht dauerte, schimmerten Albano's Traumbilder mit den Sternbildern fort, und erst vor dem hellen Morgen erloschen sie alle. Gaspard sagte ihm lächelnd, er sey auf dem Wege nach Italien. Unerwartet ge¬ fasset empfing er die Nachricht seiner Auswan¬ derung; er fragte bloß, wo sein Schoppe sey. Als er hörte, er habe nicht mit gewollt: rückte ihm die Lindenstadt plötzlich über die Berge und Thäler nach und sein letzter Freund stand Titan IV . A mitten auf dem Markte, ganz allein, mit sich selber im Mockirspiele begriffen, um ein treues starkes Herz zu stillen, das verschmerzen will und lieben. An diesem Freunde, den Albano nicht aus seiner Seele ließ, zog er sich wie an einer Jupiters-Kette die ganze Bühne und Welt seiner Vergangenheit nach und jeder traurige Ort kam dicht an ihn. Ungesehen rollten die Städte, die Länder vor ihm vorbei. Die Wellen, die der Schmerz um uns auf¬ treibt, stehen hoch zwischen uns und der Welt und machen unser Schiff einsam mitten im Ha¬ fen voll Schiffe. Schaudernd kehrt' er sich von jeder schönen Jungfrau weg; sie erinnerte ihn wie eine Klage an die erblaßte; ewig auf¬ gedeckt zog Lianens bleiches Angesicht — wie eine Leiche in Italien Die Leiche gehet aufgedeckt zum Begräbniß, ihre Begleiter folgen vermummt. — auf dem unendli¬ chen Weg zum Grabe und nur unkenntliche Gestalten mit Larven giengen hinter ihr leben¬ dig. So ist der Mensch und sein Schmerz; zum Widerspiele des Schiffziehens, wo die Le¬ bendigen den Todten mitschleppen, nimmt der Todte die Lebendigen mit und zieht sie weit nach in sein kaltes Reich. Durch die Zeit wurde allmählig sein Schmerz entwickelt, nicht entkräftet. Sein Leben war ihm eine Nacht geworden, wo der Mond un¬ ter der Erde ist und er glaubte nicht daran, daß Luna allmählig mit einem wachsenden Licht- Bogen wiederkehre. Keine Freuden, nur Tha¬ ten — diese entfernten Sterne der Nacht — waren jetzt sein Ziel. Er hielt es für Un¬ recht, die Thränen, die oft mitten im fremden Gespräche aus ihm drangen, darum vor dem Vater zurückzuhalten, weil dieser keinen Theil an ihnen nahm; doch zeigt' er ihm durch die Kraft seiner Gespräche und Entschlüsse noch den starken Jüngling. Nur der Vorwurf, den er sich über seine Schuld an Lianens Tod gemacht, hatte sich in den Frieden aufge¬ löset, den ihm Idoine gegeben, ob er gleich jetzt ihre Erscheinung nur für einen wachen Fiebertraum von Lianen hielt. Sein Vater schwieg ganz über Idoinens Auftritt so wie über alle unangenehme Erinne¬ A 2 rungen, er sprach aber viel von Italien und von dem Kunst-Gewinn, den Albano da erbeu¬ ten werde, zumal durch die vorausgehende Ge¬ sellschaft der Fürstin, des Kunstrathes und des deutschen Herrn, die man bald einholen könne. Der Sohn wandte sich endlich mit der kühnen Erkundigung an ihn, ob er wirklich noch eine Schwester habe, und erzählte die Geschichte mit dem Kahlkopf. „Es könnte wohl seyn, (sagte Gaspard unangenehm spaßhaft,) daß du noch mehr Brüder und Schwestern hättest als ich wüßte. Aber was ich weiß, ist, daß deine Zwillingsschwester Severina in diesem Jahre in ihrem Kloster gestorben ist. Wofür hältst denn du die Nacht-Geschichte?“ — Beinah für einen Traum, versetzt' er. Zufäl¬ lig kam seine Hand hier in die Tasche und traf zu seinem Erstaunen auf den halben Ring, den die Schwester ihm geschenkt. Das Wunder¬ bare trat dicht unter seine Sinne und jene Schauer-Nacht gieng schnell und kalt durch seinen Mittag. Er und der Vater besahen die Enden des zerschnittenen Rings, an deren jedem ein abgerissener Namenszug aufhörte. „Es giebt aber nichts Wunderbares“ sagte der Ritter. „Woher wissen wir alsdann, daß es „etwas Natürliches giebt?“ sagte Albano. „Das Wunder, (versetzte Gaspard,) oder die „Geisterwelt wohnt nur im Geiste.“ — „Wir „müssen uns, (fuhr jener fort,) auch bei den ge¬ „meinsten optischen Kunststücken auf etwas an¬ „deres als auf die Auflösung des Trugs der „Phantasie in einen Trug der Sinnen freuen, „weil uns sonst nach der Auflösung das Zau¬ „berwerk mehr gefallen müßte als vorher. Das „sind die Stillen und Pole der menschlichen „Natur, worüber die ewigen Polarwolken hän¬ „gen. Unsere Landkarten vom Wahrheits- und „Geisterreiche sind die Landkartensteine, welche „Ruinen und Dörfer abbilden; diese sind er¬ „ logen , aber doch ähnlich . Der Geist, ewig „unter Körper gebannt, will Geister.“ — Un¬ gefähr so meint' ich auch, sagte Gaspard. Albano drang aber bestimmter auf dessen Urtheil über den Kahlkopf und die Schwester. „Von etwas anderem, (sagte der Ritter ganz „verdrüßlich,) für mich ist's ein sehr unangeneh¬ „mes Gespräch. Nimm die Welt nach deiner „Weise und sey ruhig!“ — Lieber Vater, fragte Albano betroffen, klären Sie mich ir¬ gend einmal bestimmt darüber auf? — „So¬ „bald ich kann,“ sagte kurz der Ritter, mit so scharfen und stechenden Blicken auf den Sohn, daß dieser ihnen wie Pfeilen ausweichend den Kopf eilig aus dem Wagen hinausbeugte: als er erst merkte, daß ihn der Vater gar nicht meine; denn noch blickte er so scharf in der vo¬ rigen Richtung fort, als sey er nahe daran, in seine alte Erstarrung zu fallen. Gaspard's Wort über das Inwohnen der Geisterwelt im Geiste und sein Blick und der Gedanke an sein Erstarren gaben für Albano der Stunde und der Stille romantische Schauer. Drunten am Ufer des Stroms standen zusam¬ mengelaufne Menschen und einer eilte wie flie¬ hend oder ansagend aus dem Haufen. Ein ferner Knabe warf sich auf einem Hügel nie¬ der und legte das Ohr an die Erdkugel, um ihren rollenden Wagen etwan recht zu hören. Im Dorfe, wo sie Mittag hielten, läutete es unaufhörlich. Ihr Wirth war zugleich ein Müller; das Toben der Wellen und Räder füllte das ganze Haus; und Kanarienvögel lärmten noch durch den Lärm hindurch. Es giebt Augenblicke, wo die beiden Wel¬ ten, die irdische und die geistige, nahe an ein¬ ander vorüberstreifen und wo Erdentag und Himmelsnacht sich in Dämmerungen berühren. Wie die Schatten der himmlischen Glanzwolken über die Blüthen und Ernten der Erde weglau¬ fen: so wirft überall der Himmel auf die ge¬ meine Fläche der Wirklichkeit seine leichten Schatten und Wiederscheine. So fand es jetzt Albano. Der Ring und das schwärmerische Wort seines kalten Vaters hatten ihn wie Blitze geblendet. Unten an der Hausthüre fand er ein Mädchen, das ein Waarenlager von Zitronen vor sich trug. Plötzlich und un¬ angenehm brach das Geläute ab; er blickte zum Glockenthurm und ein weisser Geier saß auf der Fahne. Bald kam der Glocken-Zie¬ her selber, um etwas zu trinken, und fieng mit starkem, und doch nicht übel gemeintem Flu¬ chen auf den Kammerherrn an, der ihn seit drei Wochen läuten lasse und dem er bloß wünsche, daß solcher wie Er selber im vorigen Jahre, nur drei Tage lang ordentlich hinter der seeligen Tochter nachläuten müßte. Er er¬ mahnte den Müller, „von den Zitronen zu „kaufen, weil's gute wären, saftig, von dünner „Rinde — und Er und der „„Pfarrbube““ So heisset z. B. in Ungarn der Diakonus. „kennten sie von dem Begräbniß des gnädigen „Fräuleins her — und in 14 Tagen brauch' „Er doch für die gesammte Geistlichkeit welche, „als Brautvater!“ — Wie sind hier die Sit¬ ten? fragte Albano. „Wenn nehmlich jemand stirbt, (sagte der Küster sehr ehrerbietig und freundlich,) so be¬ kommt der Pfarrer und meine Wenigkeit eine Zitrone und so auch die Leiche. — Wird aber jemand getrauet, so bekommt die Geistlich¬ keit und so auch die Braut dergleichen. Das ist aber bei uns so Sitte, mein gnädigster Herr!“ — Albano gieng in den nahen Garten am Haus, in welchen die aufgedeckten Mühlenrä¬ der ihre Silberfunken warfen und welcher vom Glanze und Getöse des offnen Wassers wie ver¬ schlungen ward. Indem er in die schimmern¬ den fliegenden Wirbel sah: schwebten die Zitro¬ nen, welche die Leiche sowohl als die Braut bekommt, vor dem bewegten Geist. Die Rüh¬ rung ist voll Gleichnisse; Liane sollte einst, dacht' er, in das Zitronenland und in die niedrigen Wälder, wo der Schnee der Blüthen und das Gold der Früchte zwischen Grün und Blau zu¬ sammenspielen, ziehen, und erquickt genesen; nun hält sie die Zitrone in der erkalteten Hand, und sie wurde nicht erquickt. Er blickte umher und glaubte in einer frem¬ den Welt zu stehen; im Himmelsblau rauschte wie ein Geist ein unsichtbarer Sturm ohne Wolken — lange Hügel-Reihen funkelten be¬ wegt mit rothen Früchten und rothen Blättern, aus den bunten Bäumen wurden glühende Äpfel geworfen und der Sturm flog von Gi¬ pfel zu Gipfel und herunter auf die Erde und rauschte durch den langen aufgewühlten Strom hinab. Wie wenn Geister um die Erde spiel¬ ten oder auf ihr erscheinen wollten, so seltsam schien die helle Gegend bewegt und beleuchtet. Da war Albano unbewußt in eine dunkle Baum¬ Wildniß gekommen; darin hüpfte ungesehen, ungehört eine reine lichte Quelle aus der Erde auf die Erde — der Sturm draussen war still, nur die Quelle hörte man, — „Die Heilige ist „mir nahe, (sagte sein Herz,) ist die Quelle „nicht ihr Bild, nicht ihrer ewigen Thränen „Ebenbild, dringt sie nicht aus der Erde her¬ „auf, wo sie wohnt?“ Auf einmal sah er in seiner Hand — als hab' es ihm eine fremde darein gelegt — die Zeichnung von Linda's Kopf, welche Liane mit sterbenden Händen ge¬ macht und gegeben hatte; aber seine Phantasie drückte gewaltsam dem Bilde die Ähnlichkeit mit der Zeichnerin auf, er sah Lianens sanftes Ge¬ sicht so klar auf dem Blatt. Er gieng wieder hinaus in die glänzende Welt. „Wie arm bin ich! (rief er.) Ich sehe „Sie auf der goldnen Wolke, die von der Abend¬ „sonne nach dem Morgen zieht, ich sehe Sie in „der kalten Quelle im Thal und auf dem Mond „und auf der Blume — ich sehe Sie überall; „und Sie ruht nur an Einem Ort. O wie „arm!“ — Und er blickte zum Himmel und eine einzige lange Wolke zog darin eilig weiter. 102. Zykel. So flogen die Tage mit ihren Städten und Landschaften vorüber und in Albano's Leben spiegelte sich wie in einem Gedichte die Welt. Eine Kraft nach der andern, die ganze ge¬ beugte Ernte seines Innern stand allmählig wieder auf und grünte tropfend; aber zu glei¬ cher Zeit erstarkte auch der Dorn des Schmer¬ zes. Während sein Auge und Geist sich mit der Welt und jeder Beute der Kenntniß er¬ füllte: so wohnte das böse Gespenst der Pein in der Ruine und drang hervor, wenn das Herz allein war und ergriff es. Er berührte Wien, wo er sich gefallen las¬ sen mußte, einigen vornehmen Freunden Ga¬ spard's vorgestellt zu werden, der ihm erst hier entdeckte, daß er nicht zu den Cavalleros del Turone gehöre, sondern ein österreichischer Vlies¬ ritter sey. „Mir ist es hier, (sagte Albano,) so „sonderbar bekannt, woher kommt das?“ — „Von irgend einer ähnlichen Stadt, (sagte Ga¬ spard,) wer viel reiset, kommt aus ähnlichen Städten in ähnliche.“ Täglich wurd' ihm der Vater lieber und verständlicher; und doch nicht vertrauter und näher; nach einem warmen Tage und vertrauten Gespräche mit Gaspard stand man in der nächsten Zusammenkunft darauf wieder im Vorzimmer seiner Bekannt¬ schaft; wie bei strengen Mädchen fieng nach jedem Wonnemondstag der geschmolzene Mai¬ frost wieder von neuem einzufallen an. Das Alter achtet die Liebe, aber — ungleich der Ju¬ gend — wenig die Zeichen der Liebe. Indeß behielt Albano den Stolz, daß er sich dem Vater ganz und mit allen Verschiedenheiten sehen ließ, ohne den Sommer vor dem Winter zu verstecken. Von Tag zu Tag fand Gaspard Briefe an sich auf den Posten, besonders von Pestiz, wie Albano aussen an den Post-Lettern ersah; denn es wurden ihm keine gegeben. Er wünschte immer mehr, der Fürstinn nachzukommen, die nur noch eine Tagereise von ihnen voraus hatte. Sie sahen schon die Riesen des Winters, die Schweizer- und Tyroler Alpen, im Lager; die Göttersöhne standen, mit Lauwinen und Kata¬ rakten und Wintern bewaffnet, Wache um das göttliche Land, wo Götter und Menschen ein¬ ander wechselseitig nachahmten. Wie oft blickte Albano, wenn abends die Sonne sich glühend mit den beschneieten Alpenhöhen vermischte, schmerzlich ergriffen nach diesen Thronen hin, die er einmal ganz anders, viel goldner, so hoffend und so glaubend, von Isola bella an¬ geschauet. — Die Höhen deiner Vergangen¬ heit, sagt' er sich, sind auch weiß und keine Alphörner tönen mehr droben unter sonnenhel¬ len Tagen und du bist tief im Thal! Sie kamen noch vor dem Volksfeste einer verspäteten Weinlese vorüber. Der Ritter er¬ kundigte sich nach allem mit der Wißbegierde eines Weinhändlers und mit der Kenntniß eines Winzers. So botanisirte er überall auf der Erde nach jedem Gräsgen und Kraut der Er¬ kenntniß. Albano verwunderte sich darüber, da er bisher geglaubt, Gaspard suche und lange nach nichts als nach den Paris- und Hesperi¬ den-Äpfeln der Kunst, weil er alle andre Früchte und ihr Fleisch und ihren Kern in sei¬ nem Stande weder zum Geniessen noch zum Säen brauchen konnte. Sie versanken in die Tiefen der Tyroler Ge¬ bürge. Die Höhen standen schon ins feste weisse Leichentuch des Winters gehüllt und durch die Thäler gieng nur der kalte Sturm lebendig hin und her. Albano's Sehnen nach dem milden Lande der Jugend wuchs zwischen den Stür¬ men und Alpen immer höher; und Rom's Bild breitete sich kolossalisch aus, je länger es sich ihm näherte. Gaspard ließ die Reise auf Flü¬ geln gehen, um den Regenwolken des Herbstes vorzukommen. In einer dunkeln Reise-Nacht arbeiteten sie sich gleichsam durch das Gebürge hindurch, gleich ihrem Gefährten, dem Adigo-Strom, der einen Riesen-Felsen aufreisset und in die milde Ebene stürzt und darin sanft weiter tau¬ melt. Die Sonne erschien — und Italien. Es hatte geregnet, eine laue Luft flatterte von den Zypressenhügeln durch das Thal und durch die Wein-Gehenke der Maulbeerbäume her und hatte sich zwischen Blüthen und den Früchten der Pomeranzen durchgedrängt — der Adigo schien wie eine geringelte Riesenschlange auf der vielfarbigen Landschaft an den Land¬ häusern und Olivenwäldern zu ruhen und Re¬ genbogen an einander zu setzen. — Das Leben spielte im Äther — nur Sommervögel schweif¬ ten in dem leichten Blau — nur der Venus¬ wagen der Freude rollte über die sanften Hügel. Albano's volle Seele ergoß sich gleichsam in das breite Bette, das ihn von der milden Ebene zu der prächtigen Roma führte! — „Wenn wir rückwärts reisen, (sagte Gaspard,) so erinnere dich an deinen Eintrit.“ — Sie hielten in einem Dorfe mit großen steinernen Häusern. Albano sah das warme ausserhäusliche Leben um sich an, den unbedeckten Kopf, die nackte Brust und die blitzenden Augen der Männer — das große Schaaf mit Seidenwolle — das schwarze kleine muntre Schwein und den schwarzen Truthahn — als er plötzlich vom Balkon herab einen deutschen Gruß und seinen Namen hörte. Es war die Fürstin, ihre Wagen standen seitwärts, Bouverot und Fraischdörfer bei ihr. Wie dringt es balsamisch durchs Herz, im frem¬ den Lande, und sey es das schönste, den Bru¬ der, die Schwester des rauhern wiederzufinden, gleichsam in der zweiten Welt den verwandten Erdensohn! — Auch der Adigo, der vorher ihn im wilden Gebürge unter dem Namen Etsch begleitet hatte, folgte ihm mit dem schönern in die Ebene nach. Die Fürstin schien ihm, er wußte nicht warum, milder, jungfräulicher ge¬ worden in Gestalt und Blick, und er warf sich seinen frühern Irrthum vor. Aber er begieng einen spätern; über ihre stark gezeichnete Phy¬ siognomie stiegen hinter Wien die welschen schärfern empor und die schreienden Farben, worein sie sich gern kleidete, wurden von den italienischen überschrieen. Ein fremder Boden ist ein Redouten- und Brunnensaal, wo nur menschliche Verhältnisse und keine politische walten und in der Fremde ist man sich am wenigsten Fremdling — alles berührte sich freundlich, wie fremde Hände sich suchen und fassen unter dem Steigen von Bergen. Wie verehrend sah Albano die Fürstinn an! Denn er dachte: „sie wollte die Erblaßte mitnehmen „in das heilende Eden. — O die Heilige würde „ja an diesem Morgen glücklich seyn und wei¬ „nen mit dem blauen Auge vor Seeligkeit.“ — Dann that es seines, aber nicht vor Seelig¬ keit; keit; und so sind die Feuerwerke des Lebens, wie die andern, immer an und auf Wasser gebauet. Da wurde in ihm der Schwur feier¬ lich vor dem schönen Todtenhaupte Lianens abgelegt: „ich will der Freund ihrer Freundin recht seyn!“ — Eine neue Rolle des Lebens spielt der Mensch am wärmsten und besten; über unsern Antrittspredigten schwebt der hei¬ lige Geist brütend mit Taubenflügeln — nur später liegen die Eier kalt. Albano, noch in keine Freundschaft eingeweiht als in die männ¬ liche, betete die weibliche an wie ein aufstei¬ gendes Gestirn und für diese fand er, wie für die männliche, weit mehr Opfer-Kräfte in sei¬ ner warmen Seele aufbewahrt, als für die Liebe. In der Freundschaft ist der Mann wie in der Liebe die Frau, — und umgekehrt —; nehmlich mehr den Gegenstand suchend als die Empfindung für ihn. Mit neuen vollen Segeln und Wimpeln — in geschmückten singenden Schiffen — mit gün¬ stigen Seitenwinden — flog die muntere Fahrt durch Städte und Auen. Nichts hängt über einen langen Reise-Korso Titan IV B eine schönere Frucht- und Blumenschnur hin — für einen Wagen, der vorausgeht — als ein Paar Wagen, die nachkommen. Welche Ge¬ meinschaft der Freude und Gefahr im Nacht¬ quartier! Welches Besprechen der Marschroute! Welche Freude über die nach- und vorfahren¬ den Avanturen, nehmlich über die Berichte da¬ von! Und wie liebt einer den andern! Nur gegen Bouverot bewies Albano eine feste Kälte; aber der Ritter war freundlich. Albano, mehr unter Büchern als unter Men¬ schen aufgewachsen, wunderte sich oft, daß ihm in jenen die Verschiedenheit der Meinungen so leicht vorübergieng, die ihn unter diesen so scharf anfiel. Am Ende fragt' ihn einmal sein Vater: „Warum benimmst du dich gegen Herrn v. Bouverot so fremd? Nichts erbittert mehr als ein besonnenes stilles Hassen, das leiden¬ schaftlichste weit weniger.“ — „Weil es mein Gesetz ist, (antwortete er,) die ewige Unwahr¬ heit der Menschen in ihren Verbindungen zu fliehen und zu hassen. Aus bloßer Humanität sich Ungleichen gleich stellen, einem irgend einer Absicht wegen ein freundliches Gesicht machen, so seyn gegen jemand, daß man es ihm nicht auf der Stelle heraussagen darf, das ist wohl ganze Knechtschaft und verwirrt den Reinsten.“ — „Wer nichts lieben will als sein Ebenbild, (versetzte Gaspard,) hat außer sich nichts zu lieben. Von Bouverot (setzt' er lachend hin¬ zu,) ist doch ein braver Wirth und Reise-Kom¬ pagnon.“ — Albano, der sogar Menschen wi¬ derstehen konnte, die er verehrte, fragte nichts nach seinem Vater, sondern fand den deutschen Herrn nur desto verächtlicher. Dieser, ganz zu Hader und Handel gebo¬ ren, hatte sich nehmlich tiefe Fußstapfen im Schnee des Ritters und der Fürstinn — wel¬ che beide, wie alle lange Reisende, ungemein geizig waren — dadurch gebahnt, daß er alle Wirthe und Welsche das Patto berichtigend übersah und überlistete, und daß er sogar die Kunst verstand, zur rechten Zeit tief-grob zu seyn, indeß er vom Wirthe sich umkehrend ge¬ gen die Fürstinn wieder ein Mann von Welt war wie Fontenelle oder irgend ein Franzose, der in solchen Fällen länger rechnet und flucht, als zehrt. Der Vliesritter, der, wie er gestand, B 2 nie so wohlfeil gereiset, bedeckte ihn daher mit dem Lorbeer, der hier überall wuchs, und sah so heiter aus wie niemals. Nur dem Sohne war der kalte, zornige, grobe Mensch ein Vul¬ kan, der Schlamm und Wasser auswirft. Rei¬ tet einem gekrönten Haupte oder einem klassi¬ schen Autor, der auch eines ist, eine Meile vor und überhaupt Leuten, die Geld haben und nicht schonen, und erkargt ihnen nur täglich einige Goldstücke, nie werdet ihr beide Häup¬ ter froher oder dankbarer gesehen haben, als in diesem Fall! — Überall wollte Albano aussteigen, und in große Ruinen und in den Glanz der entfallnen Kleinodien treten, welche den Welteroberern auf dem Wege nach Rom von den Triumph¬ wagen verloren gegangen. Aber der Ritter rieth ihm an, seine Augen und Begeisterung zu sparen und aufzuheben für Rom. Wie schlug sein Herz, als sie endlich in der wüsten Campagna , die voll Lava-Würfe um den Horst der römischen Adler, dieser über die Welt getriebnen Sturmvögel, lag, auf der Flamini¬ schen Straße rollten! — Aber er und Gaspard fühlten sich wunderbar-beklommen — den ste¬ henden See einer schwülen Schwefelluft glaubt' man zu durchwaten, die sein Vater den Schwe¬ felhütten zu Baccano zuschrieb — er lechzete nach dem Schnee auf den fernen Bergen — der Himmel war schwarzblau und still — ein¬ zelne hohe Wolken flogen pfeilschnell durch die stille Wüste — ein Mann in der Ferne setzte eine ausgegrabene Urne wieder hin und betete, ängstlich gen Himmel blickend, seinen Rosen¬ kranz — Albano wandte sich nach den Gebür¬ gen, denen die Abendsonne, wie aufgelöset in stechendem Glanz, zusank. — Auf einmal ließ der Ritter den Postillon halten, der heftig die Arme, da es unter dem Wagen noch fortrollte, gen Himmel warf und rief: Heilige Mutter Gottes, ein Erdbeben! Aber Gaspard berührte den sonnentrunknen Sohn und sagte zeigend: ecco Roma ! — Albano blickte hin und sah in tiefer Ferne die Kuppel der Peterskirche im Sonnenglanz. Die Sonne gieng unter, die Erde bebte noch einmal, aber in seinem Geiste war nichts als Rom. 103. Zykel. Eine halbe Stunde nach dem Erdstoße wi¬ ckelte sich der Himmel in Meere ein, und warf sie stück- und stromweise herunter. Die nackte Campagna und Heide verdeckte der Regenman¬ tel — Gaspard war still — der Himmel schwarz — der große Gedanke stand einsam in Albano, daß er dem Blut- und Throngerüst der Mensch¬ heit, dem Herzen einer erkalteten Helden-Welt, der ewigen Roma zueile; und als er auf dem Ponte molle hörte, daß er jetzt über die Tiber gehe: so war ihm, als sey die Vergangenheit von den Todten auferstanden und er schiffe im zurücklaufenden Strome der Zeit; unter den Strömen des Himmels hört' er die alten sieben Bergströme rauschen, die einst von Rom's Hü¬ geln kamen und mit sieben Armen die Welt aus dem Boden aufhoben. Endlich rückte das breitstehende Sternbild der Bergstadt Gottes in Nächte auseinander, Städte mit sparsamen Lichtern lagen hinauf und hinab und die Glocken, (für ihn Sturm¬ glocken,) schlugen vier Uhr Zehn Uhr. , als der Wagen durch das Triumphthor der Stadt, die Porta del Popolo , rollte: so riß der Mond seinen schwarzen Himmel auf und goß aus der Wol¬ ken-Kluft den Glanz eines ganzen Himmels hernieder; da stand der ägyptische Obeliskus des Thors wolkenhoch in der Nacht und drei Straßen liefen glänzend auseinander. So bist du (sagte sich Albano, als sie im langen Corso nach der zehnten Region fuhren,) wirklich im Lager des Kriegsgottes; hier, wo er das Heft des ungeheuern Kriegsschwerdtes faßte, und mit der Spitze die drei Wunden in drei Welt¬ theile machte. — Guß und Glanz durchflogen die weiten, breiten Straßen — zuweilen kam er plötzlich vor Gärten vorbei und in breite Stadtwüsten und Marktplätze der Vergangen¬ heit. — Das Rollen der Wagen unter dem Rau¬ schen des Regens glich dem Donner, dessen Tage dieser Heldenstadt sonst heilig waren, gleichsam der donnernde Himmel der donnern¬ den Erde — eingemummte Gestalten mit klei¬ nen Lichtern schlichen durch die finstern Straßen — oft stand ein langer Pallast mit Säulen-Reihen im Feuer des Mondes, oft eine graue einsame Säule, oft eine einzelne hohe Fichte, oder eine Statue hinter Zypressen. Einmal, da weder Regen noch Mondlicht war, gieng der Wagen um die Ecke eines großen Hauses, auf dessen Dache eine blühende lange Jungfrau mit ei¬ nem aufblickenden Kinde an der Hand, eine kleine Handleuchte bald gegen eine weisse Sta¬ tue, bald gegen das Kind selber richtete und so wechselnd die ganze Gruppe beleuchtete. Mitten in das erhobene Gemüth drang die freundliche Gesellschaft und brachte ihm manche Erinnerungen mit; besonders war ihm ein rö¬ misches Kind eine ganz neue und mächtige Idee. Sie stiegen endlich aus bei dem Fürsten di Lauria , Gaspard's Schwiegervater und altem Freund. Nah' an seinem Pallast lag der Cam¬ po vaccino (das alte Forum,) und auf die breiten Treppen und die drei Wunder-Gebäude des Kapitols schien der helle Mond; in der Ferne stand das Coliseo . Zögernd gieng Al¬ bano in das erleuchtete Haus, wovor der Wa¬ gen der Fürstin stand, und wandte schwer das Auge von diesen Höhen der Welt, wovon einst ein leichtes Wort, wie eine Schneeflocke lange rollte und ewig wuchs, bis es in einem frem¬ den Lande eine Stadt erdrückte mit der Schlag¬ lauwine. Die Fürstinn mit ihrer Gesellschaft sah er¬ freuet die neue kommen. Der alte Fürst Lau¬ ria empfing höflich und zurückhaltend seinen Enkel. Seine unzähligen Bedienten redeten fast alle Sprachen Europa's durch einander. Al¬ bano fragte sogleich den Ritter nach seinem Lehrer Dian, diesem auf den Römer geimpf¬ ten Griechen; aber gerade an das Menschlichste hatte, wie immer die Großen, Gaspard nicht gedacht. Man schickte in dessen nahe Wohnung; er war nicht zu Hause. Man speisete. Der Fürst bewirthete sogleich mit seinem Lieblings-Schaugericht, mit dem politischen Weltlauf, und gab das Neueste von der französischen Revolution. Zeitungen waren ihm Ewigkeiten, Nouvellen Antiken; er hielt alle Blätter Europa's und daher zu jedem den deutschen, den russischen, den englischen, den pohlnischen Bedienten, der es ihm übersetzte. Bei seiner satirischen Kälte gegen alle Men¬ schen und Sachen erschien der politische und welsche Eifer stärker, womit er gegen den Rit¬ ter die Franzosen beschirmte, der sie gelassen verachtete und sich nach seiner Weise sogar in schlechten Wortspielen auslassend den alten Rö¬ mern das Forum und den neuern das Campo vaccino , und eben so den alten Galliern das Marsfeld und den neuern ein Märzfeld ein¬ gab. Albano glaubte, so nah' am Forum geb' es keinen Scherz und jedes Wort müsse groß seyn in dieser Stadt. Der kalte Lauria sprach warm für Gallien, wie ein Minister nur Völker, nicht Individuen achtend, und seine Meinung gefiel dem Jüngling. Da lenkte die Fürstinn den Strom auf Rom's hohe Kunst. Fraischdörfer zerlegte den Koloß in Glieder und wog sie auf der engsten Waage. Bouverot stach den Riesen in histori¬ sches Kupfer. Die Fürstinn sprach mit vieler Wärme, aber ohne Bedeutung. Gaspard schmolz alle ein, gleichsam zu einem korinthischen Erz, und umfaßte alle, ohne gefasset zu werden. Auf seiner kalt, über stark aufdringenden Le¬ bensquelle ließ er die Welt wie eine Kugel spielen und schweben. Albano bewahrte, mit allen unzufrieden, seine Begeisterung, den unterirdischen Göttern der Vergangenheit um ihn her nach alter Sitte opfernd, nehmlich mit Schweigen. Wohl hätt' er reden wollen und können, aber anders, in Oden, mit dem ganzen Menschen, mit Strö¬ men, die aufwärts stiegen und wüchsen. Im¬ mer sehnsüchtiger sah er an die Fenster nach dem Mond im reinen Regenblau und nach ein¬ zelnen Säulen des Forum's; draussen glänzte ihm die größte Welt. — Endlich stand er zür¬ nend und schmachtend auf und schlich hinunter in die dämmernde Herrlichkeit und trat vor das Forum; aber die Mondnacht, die Deko¬ rationsmahlerinn, die mit unförmlichen Stri¬ chen arbeitet, macht' ihm fast die Bühne un¬ kenntlich. Welch' eine öde, weite Ebene, hoch von Rui¬ nen, Gärten, Tempeln umgeben, mit gestürzten Säulen-Häuptern und mit aufrechten einsa¬ men Säulen und mit Bäumen und einer stum¬ men Wüste bedeckt! Der aufgewühlte Schutt aus dem ausgegossenen Aschenkrug der Zeit — und die Scherben einer großen Welt umherge¬ worfen! Er gieng vor drei Tempel-Säulen Des Jupiter tonans . , die die Erde bis an die Brust hinuntergezogen hatte, vorbei und durch den breiten Triumph- Bogen des Septimius Severus hindurch, rechts standen verbundne Säulen ohne ihren Tempel, links an einer Christen-Kirche die tief in den Bodensatz der Zeit getauchte Säulenreihe eines alten Heidentempels, am Ende der Siegesbo¬ gen des Titus, und vor ihm in der öden wal¬ digen Mitte ein Springwasser in ein Granit¬ becken sich giessend. Er gieng dieser Quelle zu, um die Ebene zu überschauen, aus welcher sonst die Donner¬ monate der Erde aufzogen, aber wie über eine ausgebrannte Sonne gieng er darüber, welche finstere todte Erden umhängen. O der Mensch, der Mensch-Traum! rief's unaufhörlich um ihn. Er stand an der Granitschaale gegen das Coliseo gekehrt, dessen Gebürgsrücken hoch in Mondlicht stand, mit den tiefen Klüften, die ihm die Sense der Zeit eingehauen — scharf standen die zerrissenen Bogen von Nero's gold¬ nem Hause wie mörderische Hauer darneben. — Der palatinische Berg grünte voll Gärten und auf zerbrochnen Tempel-Dächern nagte der blühende Todtenkranz aus Epheu, und noch glühten lebendige Ranunkeln um eingesenkte Kapitäler. — Die Quelle murmelte geschwätzig und ewig, und die Sterne schaueten fest her¬ unter mit unvergänglichen Strahlen auf die stille Wahlstatt, worüber der Winter der Zeit gegangen, ohne einen Frühling nachzuführen — die feurige Weltseele war aufgeflogen und der kalte zerstückte Riese lag umher, auseinanderge¬ rissen waren die Riesen-Speichen des Schwung¬ rads, das einmal der Strom der Zeiten selber trieb. — Und noch dazu goß der Mond sein Licht wie ätzendes Silberwasser auf die nackten Säulen, und wollte das Coliseo und die Tem¬ pel und alles auflösen in ihre eignen Schat¬ ten! — Da streckte Albano die Arme in die Lüfte, als könnt' er damit umfassen und zerfliessen wie mit Armen eines Stroms, und rief aus: „o ihr großen Schatten, die ihr einst hier strit¬ tet und lebtet, ihr blickt herab vom Himmel, aber verachtend, nicht trauernd, denn euer gros¬ ses Vaterland ist euch nachgestorben! Ach, hätt' ich auf der nichtigen Erde voll alter Ewigkeit, die ihr groß gemacht, nur eine That eurer werth gethan! Dann wär' es mir süß und erlaubt, mein Herz zu öffnen durch eine Wunde und zu vermischen das irdische Blut mit dem geheiligten Boden und aus der Grä¬ ber-Welt wegzueilen zu euch Ewigen und Un¬ vergänglichen! Aber ich bin es nicht werth!“ — Hier kam plötzlich auf der via sacra ein lan¬ ger, tief in den Mantel gewickelter Mann da¬ her an die Fontaine, warf, ohne umzublicken, den Hut hin und hielt den pechschwarzen, lo¬ ckigen, fast steilrechten Hinterkopf unter den Was¬ serstrahl. Aber kaum erblickte er, sich aufwärts kehrend, das Profil des in seine Bilder versunk¬ nen Albano: so fuhr er tropfend auf — starrte den Grafen an — staunte — warf die Arme hoch in die Luft — sagte: amico ? — Albano sah ihn an. — Der Fremde sagte: Albano ! — „Mein Dian!“ rief Albano; sie nahmen sich heftig und weinten vor Liebe. Dian begriff es gar nicht; er sagte italie¬ nisch: Ihr seyd es aber ja nicht, Ihr sehet alt aus. — Er glaubte so lange deutsch zu sprechen, bis er hörte, daß Albano italienisch antwortete. Beide thaten und bekamen nur Fragen. Al¬ bano fand den Baumeister blos bräuner, aber den Blitz der Augen und jede Kraft im alten Glanz. Mit drei Worten erzählt' er ihm die Reise und die Begleitung. „Wie bekommt Euch Rom?“ fragte Dian heiter. „Wie das Leben, (versetzte sehr ernsthaft Albano,) es macht zu weich und zu hart.“ — „Ich erkenne hier gar nichts wieder (fuhr er fort); gehören jene Säulen dem herrlichen Friedenstempel?“ „Nein, (sagte Dian,) dem Konkordientempel; von jenem steht dort nichts als das Gewölbe.“ „Wo ist Saturnus Tempel?“ fragte Albano. „In der St. Adrians-Kirche begraben; (sagte Dian, und setzte eilend hinzu) „neben¬ an stehen die zehn Säulen von Antonins Tem¬ pel — drüben Titus Thermen — hinter uns der palatinische Berg und so weiter. Nun er¬ zählt mir!“ Sie giengen das Forum auf und ab, zwi¬ schen den Bogen des Titus und Severus. Al¬ bano war — zumal neben dem Lehrer, der ihn in der Kinderzeit so oft hieher geführt — noch voll vom Strome, der über die Welt gezogen war und das alles bedeckende Wasser sank nur lang¬ sam. Er fuhr fort und sagte: „Heute als er den Obeliskus erblickt, sey ihm der leise, zarte Schein des Mondes ordentlich unpassend für die Riesenstadt verschienen; eine Sonne hätt' er lieber auf ihrer weiten Fahne blitzen sehen; aber jetzt sey der Mond die rechte Leichenfackel neben dem Alexander, der zusammenfällt nur angerührt.“ — „Mit dergleichen Gefühlen kommt der Künstler nicht weit, (sagte Dian,) auf ewige Schönheiten schau' er, rechts und links.“ — „Wo ist (fragte Albano fort,) der alte Curtius-See — die Rednerbühne — die pila horatia — der Tempel der Vesta — der Venus, und aller jener einsamen Säulen?“ — „Und wo ist das marmorne Forum selber? (sagte (sagte Dian,) dreißig Spannen tief liegt's un¬ ter dem Fuß.“ — „Wo ist das große freie Volk, der Senat aus Königen, die Stimme der Redner, der Zug auf das Kapitolium? Begraben unter den Scherbenberg. O Dian, wie kann ein Mensch, der in Rom einen Vater, eine Geliebte verliert, eine einzige Thräne ver¬ giessen und bestürzt um sich sehen, wenn er hierhertritt, vor dieses Schlachtfeld der Zeit, und hineinschauet ins Gebeinhaus der Völ¬ ker? — Dian, hier wünschte man ein eiser¬ nes Herz, denn das Schicksal hat eine eiserne Hand!“ — Dian, der sich nirgends ungerner als auf solchen tragischen, gleichsam ins Meer der Ewig¬ keit hineinhängenden Klippen aufhielt, sprang immer mit einem Scherze davon; wie die Grie¬ chen mischte er Tänze ins Trauerspiel: „man¬ ches konservirt sich, Freund! (sagt' er,) dort in der Adrians-Kirche werden Euch noch von drei Männern die Knochen gewiesen, die im Feuer gewesen.“ — „Das ist eben (versetzte Albano,) das fürchterliche Spiel des Schick¬ sals, daß es mit den zu Sklaven geschor¬ Titan IV . C nen Mönchen die Höhen der alten Großen be¬ setzt.“ — „Neue Räder treibt der Strom der Zeit, (sagte Dian,) dort liegt Raphael zweimal be¬ graben Der Leib im Pantheon, der Kopf in der heil. Luka-Kirche. . Was macht Chariton und die Kin¬ der?“ — „Sie blühen fort,“ sagte Albano, aber in traurigem Ton. „Himmel! (rief Dian mit allem Vater-Schrecken,) es ist doch so?“ — Dian!“ sagte Albano sanft. „Kommt noch (sagte Dian,) Liane oft zu Chariton? Und was macht denn die Hol¬ de?“ — Leise versetzte Albano: „sie ist todt.“ — „Was, todt? — Unmöglich! Froulay's Toch¬ ter, Albano? Die Gold-Rose? O sprecht!“ — rief er. Albano nickte bejahend. — „Nun du gutes Mädchen, (klagt' er mit Thränen in den schwarzen Augen,) so freundlich, so liebreizend, so feine Zeichnerinn! Wie ging's aber zu? Habt Ihr denn das holde Kind gar nicht gekannt?“ „Einen Frühling lang (sagte schnell Albano). Mein guter Dian, ich will jetzt zum Vater zu¬ rück und antworte nicht mehr.“ — „O mei¬ netwegen! — Ich muß aber mehr erfahren,“ beschloß Dian. Und so stiegen sie schweigend und eilend über Schutt und Säulentorsos und keiner gab auf die große Rührung des andern Acht. C 2 Sieben und zwanzigste Jobelperiode. Peterskirche — Rotunda — Coliseo — Brief an Schoppe — der Krieg — Gaspard — der Korse — Verwicklung mit der Fürstinn — die Krank¬ heit — Gaspard's Bruder — Peterskuppel und Abschied. 104. Zykel. R om ist wie die Schöpfung ein ganzes Wun¬ der, das sich allmählig in neue Wunder zer¬ gliedert, in das Coliseo, in das Pantheon, die Peterskirche, in Raphael u. s. w. Mit dem Durchgang durch die Peterskirche fieng der Ritter den schönen Lauf durch die Un¬ sterblichkeit an. Die Fürstinn ließ sich von der Kunst mit dem Männer-Kreise verbinden. Da Albano mehr von Gebäuden, als von jedem andern Kunstwerk ergriffen wurde: so sah er mit heiligem Herzen von weiten das lange Kunst-Gebürg, das wieder Hügel trug — so trat er vor die Ebene, um welche zwei unge¬ heuere Kolonnaden wie Korso's laufen, ein Volk von Statuen tragend; in der Mitte steigt der Obeliskus und zu seiner Rechten und Linken ein ewiges Wasser auf und von den hohen Stufen schauet die stolze Kirche der Welt, in¬ nen mit Kirchen besetzt, auf sich einen Tempel gen Himmel reichend, auf die Erde herunter. — Aber wie waren in der Nähe ihre Säulen und ihre Felsenwand ungeheuer aufgestiegen und flohen den Blick! Er trat in die Zauberkirche, die der Welt Seegen, Fluch, Könige und Päbste gab, — mit dem Bewußtseyn, daß sie wie das Weltge¬ bäude sich immer mehr erweitere und entferne, je länger man in ihr ist. Auf zwei Kinder von weissem Marmor, die eine Weih-Muschel von gelbem hielten, giengen sie hin, die Kin¬ der wuchsen durch das Nahen, bis sie Riesen waren. Endlich standen sie am Hauptaltar und dessen hundert ewigen Lampen — welch eine Stille! — Über sich das Himmelsgewölbe der Kuppel, auf vier innern Thürmen ruhend, um sich eine überwölbte Stadt, von vier Straßen, worin Kirchen standen. — Am größesten wurde der Tempel durch Gehen; und wenn sie um eine Säule traten, so lag ein neuer vor ihnen und heilige Riesen schaueten ernst herab. — Hier wurde dem Jüngling nach langer Zeit das große Herz gefüllt: „in keiner Kunst (sagt' er zu seinem Vater,) wird die Seele so gewal¬ tig vom Erhabnen angefasset, als in der Bau¬ kunst; in jeder andern steht der Riese in ihr und in den Tiefen der Seele, aber hier steht er außer und dicht vor ihr.“ — Dian, dem alle Bilder deutlicher waren, als abstrakte Ideen, sagte: „er hat vollkommen Recht.“ — Fraisch¬ dörfer versetzte: „das Erhabene stecke auch hier nur im Kopfe, denn die ganze Kirche stehe doch in etwas größerem, nehmlich in Rom und un¬ ter dem Himmel, wobei wir ja nichts empfän¬ den.“ Auch klagt' er, „daß dem Erhabnen der Platz in seinem Kopfe sehr verengt werde durch die unzähligen Schnörkel und Monumente, die der Tempel zugleich mit sich in ihn hineintreibe.“ Gaspard sagte, alles mit einem großen Sinne neh¬ mend: „steht nur einmal das Erhabne wirklich da, so verschlingt und vertilgt es eben seiner Natur nach alle kleinen Zierden um sich her.“ Er führte zum Beweise den Münsterthurm und die Natur selber an, die durch ihre Gräser und Dörfer nicht kleiner werde. Die Fürstinn genoß unter so vielen Kunst¬ verständigen schweigend. Das Ersteigen der Kuppel rieth Gaspard ei¬ nem regen- und wolkenlosen Tage aufzuheben, um die Welt-Königinn Roma auf und von dem rechten Throne zu schauen; er schlug da¬ für sehr eifrig den Besuch des Pantheons vor, weil er es gern schnell hinter den Eindrücken der Peterskirche wollte folgen lassen. Sie gien¬ gen dahin. Wie einfach und groß thut sich die Halle auf! Acht gelbe Säulen tragen ihre Stirn, und majestätisch wie das Haupt des Homerischen Jupiters, wölbt sich sein Tempel! Es ist die Rotonda oder das Pantheon. — „O der Niedrigen, (rief Albano,) die uns neue Tempel geben wollen! Hebt die alten aus dem Schutte höher, so habt ihr genug ge¬ bauet Die Pantheons-Halle scheint zu niedrig, weil einen Theil ihrer Stufen der Schutt verbirgt. .“ — Sie traten hinein; da wölbte sich ein heiliges, einfaches, freies Weltgebäude mit seinen hinaufstrebenden Himmelsbogen um sie, ein Odeum der Sphärentöne, eine Welt in der Welt! — Und oben 27 Fuß hat die Dach-Öfnung im Durchmesser. leuchtete die Au¬ genhöhle des Lichts und des Himmels herab und das ferne Flug-Gewölk schien die hohe Wölbung zu berühren, über die es wegschoß! — Und um sie her standen nichts als die Tem¬ pel-Träger, die Säulen! — Der Tempel al¬ ler Götter vertrug und verbarg die kleinlichen Altäre der spätern. Gaspard befragte Albano über sein Gefühl. Dieser zog die größere Peterskirche vor. Der Ritter billigte es und sagte: „daß überall der Jüngling gleich den Völkern das Erhabene besser empfinde und leichter finde als das Schöne, und daß der Geist des Jünglings vom Starken zum Schönen reife, wie der Kör¬ per desselben vom Schönen zum Starken; in¬ deß zieh' er selber das Pantheon vor.“ „Wie könnten auch Neuere (sagte der Kunstrath Fraischdörfer,) etwas bauen, außer einige Ber¬ ninische Thürmlein?“ — „Dafür (sagte der verletzte Land-Baumeister Dian, der den Kunst¬ rath verachtete, weil dieser niemals eine gute Figur machte, als in der ästhetischen Richter¬ stube als Richter, nie in dem Ausstellungssaal als Mahler,) sind wir Neuern ohne Widerrede in der Kritik stärker, wenn wir auch in der Praxis sammt und sonders Lumpe sind.“ Bouverot merkte an: „die korinthischen Säu¬ len könnten höher seyn.“ Der Kunstrath sagte: „er wisse doch nichts dieser schönen Halbkugel ähnlicheres, als eine viel kleinere, die er im Herkulanum in Asche ausgedrückt gefunden — vom Busen einer schönen Flüchtlingin.“ Der Ritter lachte und Albano trat unwillig zur Fürstinn. Sie fragte er um ihre Stimme über bei¬ de Tempel. „Hier Sophokles, dort Shakes¬ pear; aber den Sophokles fass' ich leichter;“ versetzte sie und blickt' ihm mit neuen Augen in das neue Angesicht. Denn die überirdische Erleuchtung durch das Zenith des Himmels, — nicht durch einen dunstigen Horizont — ver¬ klärte ihr das schöne bewegte Gesicht des Jüng¬ lings; und sie setzte voraus, der Heiligenschein der Kuppel hebe auch ihre Gestalt. Da er ihr antwortete: „sehr gut! Aber in Shakespear steckt auch Sophokles, aber in Sophokles nicht Shakespear — und auf der Peterskirche steht Angelo's Rotonda!“ so gieng plötzlich das hohe Gewölk, wie durch den Schlag einer Hand aus dem Äther, entzwei und die entrückte Sonne schauete, wie das Auge der durch den alten Himmel ziehenden Venus, die sonst auch hier stand, aus hoher Tiefe mild herein — da füllte ein heiliger Glanz den Tempel und brannte auf dem Porphyr des Bodens und Albano sah betroffen und entzückt umher und sagte mit lei¬ ser Stimme: „wie ist jetzt alles so verklärt an dieser heiligen Stelle! Raphael's Geist geht in der Mittagsstunde aus seinem Grabe und al¬ les, was sein Wiederschein berührt, erglänzt göttlich!“ Die Fürstinn sah ihn zärtlich an und er legte leicht seine Hand auf ihre und sagte wie überwältigt: „Sophokles!“ — Am nächsten mondhellen Abende darauf be¬ stellte Gaspard Fackeln, damit das Coliseo mit seinem Riesen-Kreis zuerst im Feuer vor ihnen stände. Dem Ritter, der nur allein mit dem Sohne düster im düstern Werke, wie zwei Gei¬ ster der alten Zeit, umhergehen wollte, drang sich noch die Fürstinn auf, aus zu lebhaftem Wunsch, mit dem edlen Jüngling große Mi¬ nuten und wohl gar ihr Herz und seines zu theilen. Die Weiber begreifen nicht genug, daß die Idee, wenn sie den männlichen Geist er¬ füllt und erhebt, ihn dann vor der Liebe ver¬ schließe und die Personen verdränge, indeß bei Weibern alle Ideen leicht zu Menschen wer¬ den. — Sie giengen über das Forum auf der via sacra zum Coliseo, dessen hohe zerspaltene Stirn unter dem Mondlicht bleich herniederschauete. Sie standen vor den grauen Felsenwänden, die sich auf vier Säulenreihen übereinander hinauf¬ baueten und die Flammen schossen hinauf in die Bogen der Arkaden, hoch oben das grüne Gesträuch vergüldend; und tief in die Erde hatte sich das schöne Ungeheuer schon mit sei¬ nen Füßen eingegraben. Sie traten hinein, und stiegen am Gebürge voll Felsenstücke von einem Sitze der Zuschauer zum andern; Ga¬ spard wagte sich nicht zum sechsten oder höch¬ sten, wo sonst die Männer standen, aber Al¬ bano und die Fürstinn. Da schauete dieser über die Klippen auf den runden grünenden Krater des ausgebrannten Vulkans herunter, der einst auf einmal neuntausend Thiere verschlang und der sich mit Menschenblut löschte — der Flam¬ menschein fuhr in das Geklüft und ins Geniste des Epheus und Lorbeers und unter die gros¬ sen Schatten des Mondes, die wie Abge¬ schiedne sich in den Höhlen aufhielten, — in Süden, wo die Ströme der Jahrhunderte und der Barbaren hereingedrungen waren, standen einzelne Säulen und geschleifte Arkaden — Tempel und drei Palläste hatte der Riese mit seinen Gliedern genährt und gefüttert und noch schauete er lebendig mit seinen Wunden in die Welt. — „Welch' ein Volk! (sagte Albano) Hier ringelte sich die Riesenschlange fünfmal um das Christenthum — Wie ein Hohn liegt drunten das Mondlicht auf der grünen Arena, wo sonst der Kolossus des Sonnengottes stand — Der Stern des Nordens Der Polstern steht wie andere nördliche Stern¬ bilder in Süden tiefer. schimmert gesenkt durch die Fenster und der Drache und die Bären bücken sich. Welch' eine Welt ist vorüber!“ — Die Fürstinn ant¬ wortete: „daß zwölftausend Gefangne dieses Theater baueten und daß noch weit mehrere darauf bluteten.“ „O die Bau-Gefangnen ha¬ ben wir auch, (sagt' er,) aber für Festungen; und das Blut fliesset auch noch, aber mit dem Schweiß! Nein, wir haben keine Gegenwart, die Vergangenheit muß ohne sie die Zukunft gebähren.“ Die Fürstinn gieng weg, um einen Lorbeer¬ zweig und blühenden Güldenlack zu brechen. Albano versank ins Sinnen — der Herbstwind der Vergangenheit gieng über die Stoppeln — auf dieser heiligen Höhe sah er die Sternbil¬ der, Roms grüne Berge, die schimmernde Stadt, die Cestius-Pyramide, aber alles wurde zur Vergangenheit und auf den zwölf Hügeln wohnten, wie auf Gräbern, die alten hohen Geister und sahen streng in die Zeit, als wä¬ ren sie noch ihre Könige und Richter. „Zum Andenken der Stelle und der Zeit!“ sagte die kommende Fürstinn, ihm den Lorbeer und die Blume gebend. — „Du Gewaltige, ein Koliseo ist dein Blumentopf, dir ist ja nichts zu groß und nichts zu klein!“ sagte er und brachte die Fürstinn in einige Verwirrung, bis sie merkte, daß er die Natur meine. Sein gan¬ zes Wesen schien neu und schmerzlich bewegt und wie fern entrückt — er sah nach dem Va¬ ter hinab und suchte ihn auf — er blickte ihn scharf an und drückte heftig seine Hand und sprach diesen Abend über nichts mehr. 105. Zykel. Albano wurde wie eine Welt von Rom wunderbar verändert. Nachdem er so mehrere Wochen zwischen Roma's Ruinen und Schö¬ pfungen gelagert war — nachdem er aus Ra¬ phaels krystallenem Zauberbecher getrunken, dessen erste Züge nur kühlen, wenn die letzten ein welsches Feuer durch alle Adern führen — nachdem er den Bergstrom Michel Angelo's bald als Katarakte, bald als Ätherspiegel ge¬ sehen — nachdem er sich vor den letzten größten Nachkommen Griechenlands gebeugt und ge¬ heiligt hatte, vor dessen Göttern, die mit ruhigem heitern Antlitz in die unharmonische Welt her¬ einblicken und vor dem vatikanischen Sonnen¬ gott, welcher zürnt über die Prosa der Zeit, über diese niedrige Pythonische Schlange, die sich immer wieder verjüngt — nachdem er lange so vor dem Vollmond der Vergangenheit im Glanze gestanden: so überzog sich auf einmal seine ganze innere Welt und wurde ein einzi¬ ges Gewölk. Er suchte Einsamkeit — er hörte auf zu zeichnen und Musik zu treiben — er sprach wenig mehr von Roms Herrlichkeit — Nachts, wo der tägliche Regen aufhörte, be¬ sucht' er allein die großen Trümmer der Erde, das Forum, das Coliseo, das Kapitolium — er wurde heftiger, ungeselliger, schärfer — ein tief eingesenkter Ernst waltete auf der hohen Stirn und durch das Auge brannte ein düste¬ rer Geist. Gaspard schickte unbemerkt seinen Blick al¬ len geheimen Entfaltungen des Jünglings nach. Ein bloßer Nachschmerz über Liane schien sein Zustand nicht zu seyn. Im nordischen Winter wäre diese Wunde nur zugefroren und nicht zugeheilt; aber hier, im Tempel der Welt, wo Götter begraben liegen, stärkte sich ein edles Herz und schlug für ältere Gräber. Die Für¬ stinn, die unter dem Deckmantel des Vaters dem Sohne nachjagte, suchte er weniger als den alten kalten Lauria und den feurigen Dian. In derselben Zeit sehnt' er sich schmerzlich nach seinem Schoppe; an dieser Brust, dacht' er, hätte das Geheimniß der seinigen den rech¬ ten Ort und Trost gefunden. Es war ihm als hab' er seit dieser Abwesenheit in Einem fort mit ihm zusammengelebt und sich fester verbrü¬ dert. So wohnen und schmelzen die Geister im unsichtbaren Lande zusammen; und wenn sich die Leiber im sichtbaren wieder begegnen, fin¬ den die Herzen sich bekannter wieder. Leider hört' hört' er, so viel auch sein Vater Briefe aus Pestiz bekam, keinen Laut von dem Freunde über die Berge herüber, den er in den dunkeln Verhältnissen einer wunderbaren verwirrenden Leidenschaft zurückgelassen. Er rechnete Schop¬ pen, dessen Haß und Zank gegen alles Brief¬ schreiben er kannte, das Schweigen nicht an; aber sein eignes Herz konnt' es nicht verlän¬ gern und er schrieb so an ihn: „Wir wurden schlafend von einander geris¬ sen, Schoppe! Jene Zeit hat sich bedeckt und bleibt es. Sehr wach wollen wir uns wieder erblicken. Von Dir weiß ich nichts; wenn mir Rabette nicht schreibt, muß ich die brennende Ungeduld bis zu unserer Zusammenkunft im Sommer umhertragen und leiden. Was ist von mir zu schreiben? Ich bin verändert bis ins Innerste hinab und von einer hineingrei¬ fenden Riesenhand. Wenn die Sonne über den Scheitelpunkt der Länder zieht, so hüllen sie sich alle in ein tiefes Gewölk'; so bin ich jetzt unter der höchsten Sonne und bin eingehüllt. Wie im Rom, im wirklichen Rom, ein Mensch Titan IV . D nur genießen und vor dem Feuer der Kunst weich zerschmelzen könne, anstatt sich scham¬ roth aufzumachen und nach Kräften und Tha¬ ten zu ringen, das begreif' ich nicht. Im ge¬ malten, gedichteten Rom, darin mag die Muße schwelgen; aber im wahren, wo Dich die Obe¬ lisken, das Coliseo, das Kapitolium, die Tri¬ umphbogen unaufhörlich ansehen und tadeln, wo die Geschichte der alten Thaten den gan¬ zen Tag wie ein unsichtbarer Sturmwind durch die Stadt fortrauschet und Dich drängt und hebt, o wer kann sich unwürdig und zusehend hinle¬ gen vor die herrliche Bewegung der Welt? — Die Geister der Heiligen, der Helden, der Künst¬ ler gehen dem lebendigen Menschen nach und fragen zornig: was bist Du? — Ganz anders gehst Du aus dem Vatikan des Raphaels und über das Kapitolium herunter, als Du aus ir¬ gend einer Deutschen Bildergallerie und einem Antikenkabinet heraustrittst. Dort siehst Du auf allen Hügeln alte ewige Herrlichkeit, jede Römerinn ist mit Gestalt und Stolz noch ihrer Stadt verwandt, der Transteveriner ist der Sparter und Du findest so wenig einen Rö¬ mer als einen Juden stumpf; indeß Du in Pestiz fast unduldsam werden mußt schon ge¬ gen den Kontrast der bloßen Gestalt. Sogar der ruhige Dian behauptet, die häßlichen Mas¬ ken der Alten sähen wie die deutschen Gassen- Gesichter und ihre Faunen und andere Thier¬ götter wie edlere Hof-Gesichter aus; ihre Ko¬ pirbilder Alexanders, der Philosophen, der römischen Tyrannen wären, so scharf und pro¬ saisch sie sich auch von ihren poetischen Statüen der Götter abschnitten, den jetzigen Idealen der Mahler gleich. Thut es da genug, mit Augen voll Bewun¬ derung und gefalteten Händen um die Riesen zu schleichen und dann welk und klein zu ihren Füßen zu verschmachten? Freund, wie oft pries ich in den Tagen des Unmuths die Künstler und Dichter glücklich, die ihre Sehnsucht doch stillen dürfen durch frohe leichte Schöpfun¬ gen, und welche durch schöne Spiele die gros¬ sen Todten feiern, Archimimen der Helden¬ zeit. — Und doch sind diese schwelgerischen Spiele nur das Glockenspiel am Blitzableiter; es giebt etwas Höheres, Thun ist Leben, darin D 2 regt sich der ganze Mensch und blüht mit allen Zweigen. — Es ist nicht von den bangen engen Kleinthaten auf der Ruder- und auf der Ruhebank der Zeit die Rede. Noch stehet an der Krönungs¬ stadt des Geistes ein Thor offen, das Opferthor, das Janusthor. Wo ist denn weiter auf der Erde die Stelle, als auf dem Schlachtfeld, wo alle Kräfte, alle Opfer und Tugenden eines gan¬ zen Lebens, in Eine Stunde gedrängt, in gött¬ licher Freiheit zusammenspielen mit tausend Schwester-Kräften und Opfern? Wo sind denn allen Kräften, von dem schnellsten Scharf¬ blick an bis zu allen körperlichen Fertigkeiten und Abhärtungen, von der höchsten Großmuth und Ehre an bis auf die weichste Thräne herab, von jeder Verachtung des Körpers an bis zur tödtlichen Wunde hinauf so alle Schran¬ ken aufgethan für einen wetteifernden Bund? Wiewohl eben darum der Spielraum aller Göt¬ ter auch dem Larventanz aller Furien frei steht. Nimm nur den Krieg höher, wo die Geister, ohne Verhältniß des Gewinnstes zum Verlust, nur aus Kraft der Ehre und des Zwecks, sich dem Schicksal verdingen, daß es unter ihren Körpern die Leichen auslese und das Loos des Sieges aus den Gräbern ziehe. — Zwei Völ¬ ker gehen auf die Schlacht-Ebene, die tragi¬ sche Bühne eines höhern Geistes, um ohne persönlichen Haß die Todesrollen gegen einan¬ der zu spielen — still und schwarz liegt die Ge¬ witterwolke auf dem Schlachtfeld — die Völ¬ ker ziehen hinein in die Wolke und alle ihre Donner schlagen und düster und allein brennt die Todesfackel über ihr — es wird endlich Licht und zwei Ehrenpforten stehen aufgebauet, die Todespforte und das Siegesthor, und das Heer hat sich getheilt und ist durch beide gezo¬ gen, aber durch beide mit Kränzen. — Und wenn es vorüber ist, stehen die Todten und die Lebendigen erhaben in der Welt, weil sie das Leben nicht geachtet hatten. — Wenn aber der große Tag noch größer werden, wenn dem Geiste das Köstlichste kommen soll, was das Leben heiligen kann: so stellt Gott einen Epaminondas, einen Kato, einen Gustav Adolph vor das geheiligte Heer — und die Freiheit ist zugleich die Fahne und die Palme — o seelig wer dann lebt oder stirbt für den Kriegs-Gott und für Friedens-Göttinn zugleich. — — Lasse mich das nicht durch Sprechen entwei¬ hen. Nimm aber hier mein leises festes Wort und leg' es in Deine Brust zurück, daß ich mir, sobald Galliens wahrscheinlicher Freiheitskrieg anhebt, meine Rolle durchaus nehme in ihm, für ihn. Abhalten kann mich nichts, auch nicht mein Vater. Dieser Entschluß gehört zu mei¬ ner Ruhe und Existenz. Aus Ehrgeiz ergreif' ich ihn nicht; obwohl aus Ehrliebe gegen mich selber. Schon in meinen frühern Jahren konnt' ich nie das platte Lob einer ewigen häuslichen Glückseeligkeit genießen, was gewiß eher Wei¬ bern als Männern geziemt. Freilich Deine Stärke oder Gemüthsweise, alles Große ruhig aufzunehmen und die Welt still in einen innern Traum zu zerschmelzen, hat wohl niemand. Du schauest die Abendwolken an und hernach die Milchstraße und sagst kalt: Gewölk! Kommst Du aber doch nicht zu tief in dieses Gefühl, in diese kalte Gruft hinunter? Zwar will das Gift dieses Gefühls einen überall und gerade in Rom, diesem Kirchhof so ferner Völker, so entgegengesetzter Jahrhunderte, süßer als ir¬ gendwo verzehren; aber wüßtest Du vom Ver¬ gänglichen ohne den Nebenstand des Unver¬ gänglichen und wo wohnt der Tod als im Le¬ ben? Lasse verstieben und versiegen! es giebt doch drei Unsterblichkeiten, — wiewohl Du die erste, die überirdische, nicht glaubst — die un¬ terirdische (denn das All kann verstäuben, aber nicht sein Staub;) — und die ewigwirkende darin; die, daß jede That viel gewisser eine ewige Mutter wird als eine ewige Tochter ist. Und dieser Bund mit dem Universum und mit der Ewigkeit macht der Ephemere Muth, in ihrer Flug-Minute das Blüthenstäubchen wei¬ ter zu tragen und auszusäen, das im nächsten Jahrtausend vielleicht als Palmenwald dasteht. Ob ich mich meinem Vater entdecke, ist mir noch zweifelhaft, weil ich es noch darüber bin, ob ich seine bisherigen Äusserungen gegen die Neufranken für scharfen Ernst zu nehmen habe oder nur für die scherzhafte Kälte, womit er sonst gerade seine Gottheiten — Homer, Ra¬ phael, Cäsar, Shakespear — aus Ekel gegen den nachsprecherischen Götzendienst, den der Pö¬ bel der wahren Hoheit wie der falschen erwei¬ set, im Munde führet. — Grüße meinen bra¬ ven mannhaften Wehrfritz und erinner' ihn an unser Bundesfest am Zeitungstage der nieder¬ gerissenen Bastille. Lebe wohl und bleibe bei mir! Albano .“ An dem Abende dieses Briefes gieng er mit seinem Vater in eine Conversatione im Pa¬ lazzo Colonna ; — hier fanden sie die schwarz¬ marmorne Gallerie voll Antiken und Gemälde aus einem Kunst- und Gesellschaftszimmer in einen Fechtboden verkehrt, alle Arme und Zun¬ gen der Römer waren in Bewegung und Kampf über die neuesten Entwicklungen der gallischen Revoluzion, und die meisten für sie. Es war damals, wo fast ganz Europa einige Tage lang vergaß, was es aus der politischen und poetischen Geschichte Frankreichs Jahrhunderte lang gelernt hatte, daß dasselbe leichter eine vergrößerte als eine große Nazion werden könnte. Der Ritter allein gab sich lieber den Kunstwerken als dem leeren Gefechte seiner Nachbarschaft hin; endlich aber hört' er von weitem, wie Albano, gleich allen damaligen Jünglingen, der Himmels-Königinn , der Freiheit , jauchzend nachzog, unter den ewi¬ gen Freien und ewigen Sklaven mitgehend nach der damaligen Gleichheit: da trat er nä¬ her und merkte nach seiner Weise an: „die Re¬ voluzion sey etwas sehr Großes; er finde indeß an großen Werken, z. B. an einem Coliseo, Obeliskus, an dem Flor einer Wissenschaft, an dem Kriege, an der Höhe der Astronomie, der Physik weniger als andere zu bewundern, denn bloß die Menge in der Zeit oder im Raume schaff' es, eine beträchtliche Vielheit kleiner Kräfte. Aber nur große achte man Die Summe und das System elektrischer, gal¬ vanischer, chemischer, anatomischer Erfahrun¬ gen, die Taktik, ein corpus juris u. s. w. kön¬ nen uns wol in Erstaunen setzen, aber die Menschheit selber erscheint nicht größer durch Riesengebäude, die von Millionen Elephan¬ tenameisen zusammengetragen werden; allein wenn Ein Elephant ein Gebäude trägt, wenn ein Individuum irgend eine Kraft in neuen Gra¬ . In der Revoluzion seh' er mehr jene als diese — Freiheit werde an Einem Tage so wenig ge¬ wonnen als verloren; wie schwache Individuen im Rausche gerade ihr Gegentheil wären, so geb' es auch wol einen Rausch der Menge durch die Menge.“ — Bouverot versetzte darauf: „das ist ganz meine Meinung auch.“ Albano antwortete recht sichtbar nur seinem Vater — weil er den deutschen Herrn tief verachtete und ihn ganz unwürdig des Genusses hoher Kunstwerke hielt, wofür er vornehmen Geschmack mitgebracht, obwohl keinen Sinn — und sagte: „lieber Vater, die 12000 Juden entwarfen nicht das Coliseo, das sie baueten, aber die Idee war doch ir¬ gendeinmal ganz in Einem Menschen, im Vespa¬ sian; und so muß überall den konzentrischen den und Verhältnissen zeigt, Newton die ma¬ thematische Anschauung, Raphael die bildende, Aristoteles, Lessing, Fichte den Scharfsinn, oder ein anderes die Güte, die Festigkeit, den Witz u. s. w.: dann gewinnt die Menschheit und ihre Schranken rücken hinaus. Richtungen kleiner Kräfte irgend eine große vorstehen und wär' es Gott selber.“ — „Da¬ hin, (sagte Gaspard,) wo alles Göttliche ver¬ legt wird, magst Du es denn auch versetzen.“ — Bouverot lächelte. — „Der gallische Rausch (versetzte Albano heftig,) ist doch wahrlich kein zufälliger, sondern ein Enthusiasmus in der Menschheit und Zeit zugleich gegründet, wo¬ her denn sonst der allgemeine Antheil? — Sie können vielleicht sinken, aber um höher zu flie¬ gen. Durch ein rothes Meer des Bluts und Kriegs watet die Menschheit dem gelobten Lande entgegen und ihre Wüste ist lang; mit zerschnittenen nur blutig-klebenden Händen klimmt sie wie die Gemsenjäger empor.“ — „Die Gemsenjäger selber (sagte der Ritter,) thun das mehr, wenn sie von der Alpe her¬ ab wollen; indeß sind solche Hoffnungen rei¬ zend und wir wollen gern ihre Erfüllung wün¬ schen.“ — „ Signor Conte (setzte Bouverot da¬ zu,) nannte sehr gut den Aufstand einen Rausch. Man schläft ihn aus; aber am Morgen ist manches zerbrochen und zu bezahlen.“ — „Rausch? (sagte Albano.) Welches Beste ist nicht im Enthusiasmus geschehen, und welches Schlechteste nicht in der Kälte? — Welches, Herr von Bouverot? Ja es giebt einen grä߬ lichen, grimmigen Seelen-Frost, so wie einen ähnlichen physischen, der wie die größte Hitze schwarz und blind und wund macht In Grönland macht die heftige Kälte schwarz und blind. ; so et¬ was wie die französische Tragödie, kalt und doch grausam .“ — „Du näherst Dich dem Tragischen, Sohn. (unterbrach ihn Gaspard und schützte den deut¬ schen Herrn.) Wir dürfen von den Franzosen recht viel politische Sagazität erwarten, zumal in der Noth; das ist ihre Stärke. Darin kom¬ men sie den Weibern bei. Auch sind sie wie die Weiber entweder ungemein zart, sittlich und human, wenn sie gut sind, oder wie diese eben so grausam und roh, wenn sie außer sich kom¬ men. — Es lässet sich weissagen, daß sie in einem Freiheitskriege, wenn er ausbräche, an Tapferkeit es allen Partheien zuvorthun wer¬ den. Das wird sehr blenden, da doch nichts seltener ist als ein feiges Volk. Man lernt die Kriegstapferkeit gemäßigt schätzen, wenn man sieht, daß die römischen Legionen gerade als sie feil, schlecht, sklavisch und zur Hälfte Frei¬ gelassene waren, nehmlich unter dem Triumvi¬ rat, muthiger stritten als vorher. Für den un¬ bedeutenden Mordbrenner Katilina stritten und starben die Bürger bis auf den letzten Mann und nur Sklaven wurden gefangen.“ — Diese Rede drückte ein heißes Siegel auf Albano's Mund; es schien ordentlich als er¬ rathe ihn der Vater und mache sich die alte Freude, wie ein Schicksal einen Enthusiasmus zu erkälten und Erwartungen Lügen zu strafen, sogar trübe. Der beleidigte, sich selber aus¬ brennende Geist blieb nun fest vor Gaspard und Bouverot zugedeckt. Aber seinem Dian zeigt' er alles am Mor¬ gen darauf; er wußte, wie dieser mit dem Ar¬ me eines Künstlers und Jünglings zugleich die Freiheitsfahne trug und schwang, und darum brach er vor ihm das dunkle Siegel seines bis¬ herigen Trübsinns auf. Er gestand dem ge¬ liebtesten Lehrer den großgewachsenen Vorsatz, sobald der unheilige Krieg gegen die gallische Freiheit, der jetzt seine Pechkränze in allen Straßen der Stadt Gottes aushieng, in Flam¬ men schlage, an die Seite der Freiheit zu tre¬ ten und früher zu fallen als sie. „Wahrlich, Ihr seyd ein wackerer Mensch (sagte Dian). — Hätte ich mir nicht Kind und Kegel aufge¬ halset, bei Gott! ich zöge selber mit. Der Alte wie dergleichen, sieht viel und hört schlecht. Wittern soll er nichts und seine Bestie von Ba¬ rigello auch nicht.“ Den Kunstrath Fraisch¬ dörfer meint' er, den er mit Künstler-Eigen¬ sinn ewig verabscheuete, weil der Kunstrath schlechter mahlte und besser kritisirte als er. „Dian, Euer Wort ist schön gesagt, ja wohl macht das Alter physisch und moralisch weit¬ sichtig für sich und taub gegen den andern (sagte Albano).“— „Hab' ich gut gesprochen, Al¬ bano? Aber wahrlich so ist die Sache,“ sagt' er, sehr erfreuet bei seinem Mißtrauen in seine Sprache, über das Lob ihrer Schönheit. Nach einiger Zeit sagte der Ritter, gleich als sehe er durch das Siegel hindurch, einige Wor¬ te, die den Jüngling auf allen Seiten griffen: „Es giebt (sagt' er,) einige wackere Naturen, die gerade auf der Gränze des Genies und des Talentes stehen, halb zum thätigen, halb zum idealischen Streben ausgerüstet — dabei von brennendem Ehrgeize. — Sie fühlen alles Schöne und Große gewaltig, und wollen es aus sich wieder erschaffen, aber es gelingt ih¬ nen nur schwach; sie haben nicht wie das Ge¬ nie Eine Richtung nach dem Schwerpunkt, son¬ dern stehen selber im Schwerpunkte, so daß die Richtungen einander aufheben. Bald sind sie Dichter, bald Mahler, bald Musiker; am mei¬ sten lieben sie in der Jugend körperliche Ta¬ pferkeit, weil sich hier die Kraft am kürzesten und leichtesten durch den Arm ausspricht. Da¬ her macht sie früher alles Große, was sie sehen, entzückt, weil sie es nach zu schaffen denken, später aber ganz verdrüßlich, weil sie es doch nicht vermögen. Sie sollten aber einsehen, daß gerade sie, wenn sie ihren Ehrgeiz früh einzulen¬ ken wissen, das schönste Loos vielartiger und harmonischer Kräfte gezogen; sowohl zum Ge¬ nusse alles Schönen, als zur moralischen Aus¬ bildung und zur Besonnenheit ihres Wesens scheinen sie recht bestimmt zu seyn, zu ganzen Menschen; wie etwan ein Fürst seyn muß, weil dieser für seine allseitige Bestimmung allseitige Richtungen und Kenntnisse haben muß.“ Sie standen gerade, als er dies sagte, auf dem Aventinischen Berge, vor sich die Cestius- Pyramide, dieses Epitaphium des Ketzer-Got¬ tesackers, worin so mancher unausgebildete Künstler und Jüngling schläft, und nahe dabei der hohe Scherben-Berg Wohin seit Servius Tullius Zeit alle Scher¬ ben geworfen werden. ( monte testaccio ), wovor Albano immer mit einem ekeln kahlen Gefühl schaaler Ödheit vorbeigieng. Der Stoß der väterlichen Ideen gegen seine und die Ver¬ wandtschaft des Scherben-Bergs mit dem Frem¬ den-Kirchhof machten, daß Albano mehr sich als dem Vater antwortete, mit einem geschmol¬ zenen Eisen-Tropfen des Unwillens im Auge: „ein solcher namenloser Töpfer-Berg ist im Gan¬ zen auch die Geschichte der Völker. — Aber man möchte sich doch lieber auf der Stelle tödten als als erst nach einem langen Leben sich so nahmen- und thatenlos in die Menge eingraben.“ — Seit seiner Einigkeit mit sich selber wurd' er glücklicher; mit Eifer that er sich schon jetzt zum Werk, seiner Natur gemäß, die wie im Saa¬ menkorn, Stamm und Wurzel aus Einer Saa¬ menspitze trieb, Gedanken und Thaten. Er warf alles andere Treiben weg und stu¬ dirte alte und neue Kriegskunst, wozu ihm Dian die Bücher und das Museum borgte und lieferte. Mit nahmenloser Entzückung und Erhebung durchlief er wieder die Sonnenkar¬ ten der römischen Geschichte, hier auf dem aus¬ gebrannten Sonnenkörper selber und oft, wenn er ihre Entzündungen gezeichnet las, stand er eben in den Kratern, wo sie aufgegangen waren. Dian gab noch dazu seine Kenntniß des kleinen Dienstes und sich gern zu körperlichen Übungen her; wenn er ihn vorher zu dem Got¬ tesdienste unter Raphaels-Kunsthimmel hin¬ aufgezogen, wo Grazien wie Sternbilder im hohen Äther gehen; denn bei Dian war Leib und Seele Ein Guß, der weichste Augennerve Titan IV . E und härteste Armmuskel Ein Band. Zuletzt führt' er, da ihm ein Wort viel sauerer wurde als eine That und da er lieber den ganzen Leib als die Zunge regte, dem Grafen einen rednerischen Kriegs-Genossen zu, einen korsi¬ schen Jüngling, lebendig wie aus lauter Mark des Lebens geformt. Beide Jünglinge liebten und übten sich eine Zeitlang in romantischer Freiheit, ohne einan¬ der nur die Nahmen abzufragen. Sie fochten, lasen, schwammen. Der Korse vergötterte fast Albano's Gestalt, Kraft, Kopf und Muth, und goß sein ganzes Herz in eines, das er nicht ganz faßte; wie viele Mädchen nirgends als in der Liebe, so zeigte er nirgends als im Kriegsspiele Seele und Sinn. Albano's helles Gold spiegelte gefällig die fremde Gestalt zu¬ rück, ohne wie Glas dabei die eigne zu ver¬ nichten. Einst wurde des Korsen Gluth eine Flamme, die das ganze eigne Leben dem Freunde be¬ leuchtet zeigte und seinen einzigen Zweck und Durst, nehmlich den nach Franzosen-Blut, „den er (sagt er,) im kommenden Kriege zu löschen hoffe.“ Wär' ihm Albano ähnlich ge¬ wesen, so hätten sie sich wie kämpfende Hirsche in die Geweihe tödtlich verwickelt; denn die störrische, unbiegsame Tapferkeit des Korsen — mehr eine sinnliche, so wie Albano's seine mehr eine geistige — litt kein Gegenwort. Gleich seiner Klasse begehrte er auf seine Rede ein recht starkes Zuwort von Albano; aber dieser sagte: „das ist eben das Große im Kriege, daß man ohne leidenschaftliche Erbitterung, ohne persönliche Feindschaft alles kann und wagt, was der Schwächling nur durch sie ver¬ mag; wahrlich es wäre edler, in der Schlacht einen Geliebten als einen Gehaßten zu töd¬ ten.“ — „Tolle Chimären! (sagte der Korse zornig) wie? Du willst die Franzosen tödten und sie doch lieben?“ — Albano's Großsinn warf jede bange Larve ab und sagte: „mit Einem Wort, ich streite einst für die Gallier mit.“ — „Du, Falscher? (sagte der Korse) Unmöglich! — Gegen mich?“— „Nein, (versetzte Albano,) ich bitte Gott, daß wir uns in jener Stunde nie begegnen.“ — „Und ich will ihn recht an¬ flehen, (sagte der Korse,) daß wir uns nicht E 2 mehr treffen als einmal mit dem Bajonet. Adio!“ So schied er entrüstet von ihm und kam nicht wieder. 106. Zykel. Unähnlich andern Vätern war Gaspard ge¬ gen Albano seit dem ersten Kriege über den Krieg noch wie sonst, ja fast besser; mit seiner alten Achtung für jede starke Individualität nahm er es heiter auf, daß so merklich des Jünglings Sonne in die Zeichen des Sommers trat und über die Erde sowohl höher stieg als wärmer. Er gab ihm den nächsten Beweis dadurch, daß er unter den allmähligen Anstalten zur Rückreise nach Pestiz ihm einen ganz unerwar¬ teten Wunsch der — Trennung bejahte. Nehm¬ lich Albano, der jetzt wie Epheu mit allen Blü¬ then und Zweigen immer fester um und in alle Denkmähler der heroischen Vergangenheit gieng, wollte nicht von Rom scheiden, ohne Neapel gesehen zu haben. Zu seiner Sehnsucht kam noch Dian's Begeisterung für dies Tochterland seines Vaterlandes, für dessen Glanz des Him¬ mels und der Erde, für dessen griechische Trüm¬ mer, die der Baumeister den römischen vorzog. „In Rom (hatte Dian gesagt,) habt Ihr nur Vergangenheit, hingegen in Neapel tapfere Gegenwart — ich begleit' Euch hin und her und wir gehen zusammen nach Haus. Denn eigentlich versteht Ihr Euch doch nicht recht auf das Schöne, sondern auf die Natur, auf das Heroische und den Effekt. Da ist Neapel der Ort.“ Der Ritter willigte — obgleich durch Albano's Erheiterung der ganze Zweck der Rei¬ se schon gewonnen war — ohne Zögern in den Zusatz einer zweiten unter der Bedingung, daß er nicht länger als einen Monat nachbleibe. Aber dieser Zeit, wo sich seine innere Welt so harmonisch stimmen durfte, kamen feindliche Mißtöne immer näher, die er in der Ferne noch für Wohllaut hielt. Aus seinem unbe¬ stimmten Verhältniß mit der Fürstinn entwi¬ ckelte sich langsam der Mißlaut; weil jedes unbestimmte mit Weibern sich endlich hart ent¬ scheidet, seltener zu Liebe als zu Haß. Die Fürstinn that und litt bisher alles, um ihm noch früher gefährlich zu werden als verständ¬ lich. Sie spielte Lianen so gut sie wußte nach und nahm den Nonnenschleier einer religiösen Jungfräulichkeit aus ihrer Bühnen-Garderobe hervor, obgleich genialische Weiber meistens ungläubig sind wie genialische Männer gläu¬ big. Sie machte ihn zum Vertrauten ihrer — Vergangenheit und gab die Geschichte derer, die für sie gestorben waren, oder doch ver¬ schmachtet, nach weiblicher Art mehr froh als reuig; nur das Verhältniß mit seinem Vater ließ sie schonend hinter einem rührenden Leichen¬ schleier auferstehen, und ahmte überhaupt dem Sohne in der Achtung für den Ritter nach, den sie innerlich bitter haßte. Wenn Albano stundenlang die Gegenwart vergaß und starr ins Opferfeuer der Vergangenheit und Kunst blickte und ihr auf den Bergen seiner Welt Flammen zeigte, die nicht auf ihrem Altar brannten, so begleitete sie ihn geduldig auf diesem Kunst-Wege und hielt nur wo sie konn¬ te, vor Stellen an, wo man einige Aussicht in die — Gegenwart hatte. Er wurde täglich ihr wärmerer Freund, ohne sie nur zu errathen. Nur ein Mann — keine Frau — kann eine fremde Liebe gänzlich übersehen; die lang übersehene wird dann sel¬ ten oder nie eine erwiederte. Albano war zu zart, um in der Geliebten seines Vaters und in der Frau eines Andern und in einer Freun¬ din seiner eignen Geliebten diesen Wunsch einer Unschicklichkeit vorauszusetzen. Auch setzt' er auf seinen Werth immer ein eben so kleines Vertrauen als auf sein Recht ein großes. Sie zweifelte, aber verzweifelte nicht an ei¬ ner wärmern Gesinnung. Ein Weib hofft so lange als ein zweites nicht mit hofft. Albano's nächtliche Besuche des Kapitol's und Koli¬ seo's wurden von nachgeschickten Augen im¬ mer seines edlen Karakters würdig befunden. Täglich lieber wurd' ihr der feste Jüngling durch sein neues Aufblühen und durch seine männliche Entwickelung. Zuweilen hoffte sie stark, von seiner freundschaftlichen Redlichkeit und von jener heroischen Schwermuth bestochen, die ihr sonst aus keiner Ferne und Nähe zu er¬ klären war. Dieses ihr ungewohnte Auf- und Niedersteigen auf ihren Wellen erschütterte ihre Gesundheit und ihren Karakter und sie wurde wider Willen der Liane ähnlicher, mit deren Taubengefieder sie sich anfangs nur weiß schmü¬ cken wollen — der glänzende Sonnenregenbo¬ gen wurde ein Mondregenbogen — sie warf mit ihren starken Kräften die Hälfte ihres vo¬ rigen Selbstes weg, die Putz-, Kunst- und Ge¬ fallsucht — und sie wurde heftig getroffen, wenn eine Römerin mit südlicher Lebhaftigkeit oft hinter dem vorbeigehenden Grafen ausrief: wie schön er ist! — Schwer wurde sie für ihr früheres muthwilliges Lustspiel mit fremden Herzen und Leiden gezüchtigt durch das eigne; aber in solchen dunkeln Tagen wurzelt eben die Liebe mehr, wie man Bäume am besten an wolkigen impft. Albano merkte ihre Veränderung; die rei¬ zende Schwermuth ihres sonst kräftigen Ge¬ sichts, dieser Niederschein ihres stillen Nebels, bewegte ihn zur theilnehmenden Frage über ihr Glück. Sie antwortete immer so verwor¬ ren und verwirrend — zuweilen sogar bei Al¬ bano's Scharfsinn mit dem Glauben an dessen Verstellung und Bosheit — daß sie ihn in den sonderbarsten Irrthum führte. Nehmlich bei so großer Gewißheit, daß ein Erdschatte durch ihr ganzes jetziges Leben gehe und nicht rücke, mußt' er den Weltkörper dazu suchen; — dieser ward ihm Gaspard, den sie, wie er glaubte, noch liebe. Er führte diese Ver¬ muthung leicht durch alle ihre frühern Gesprä¬ che und Blicke hindurch; — es war so natür¬ lich, daß die früher durch einen Thron Ge¬ trennten sich jetzt im schönen Lande der freien Verhältnisse wieder zusammensehnten; — noch dazu hatte der Ritter nach seiner unerbittlichen Ironie ihren Schein, ihn zu suchen, auch mit Schein, nehmlich mit Ernst aufgenommen und sich daher immer zu ihrem Genusse des Sohnes als Zukost gesetzt und einen Nachwinter in den Frühling verlegt; — diesen doppelten Schein rief sich Albano zurück als doppelte Wahrheit. — — Da trat das Schicksal plötzlich unter seine neuen Schlüsse — sein Vater wurde bedenk¬ lich krank an einem entnervenden Frühlingsfie¬ ber unter dem Scirocco -Wind. „Nimm kei¬ nen besondern Theil (sagte Gaspard zu ihm) weder an meinen Leiden noch Äusserungen; ich habe in solchem Zustande eine Erweichung deren ich mich nachher schäme und doch nicht erwehre.“ Albano wurde von manchen un¬ erwarteten Herzens-Ausbrüchen des kran¬ ken Mannes bis zur wärmsten Liebe be¬ wegt. Wenn die Ruinen eines Tempels weh¬ müthig begeistern, dacht' er, warum sollen es mich nicht noch mehr die Ruinen einer großen Seele? Es giebt Menschen, voll kolossalischer Überreste, gleich der Erde selber; in ihrem tie¬ fen schon erkalteten Herzen liegen versteinerte Blumenbilder einer schönern Zeit; sie gleichen nordischen Steinen, auf welchen Abdrücke in¬ discher Blumen stehen. — Die Krankheit grub unter sich. Gaspard blieb ohne Theilnahme an sich selber; nur seine Geschäfte, nicht sein Ende, bekümmerten ihn. Mit seinem Schwiegervater Lauria hielt er ge¬ heime Unterredungen, um auf sein Leben das schwarze Gerichtssiegel schließend zu drücken. Ein Eilbote mußte fertig stehen, um nach sei¬ nem Todesaugenblick mit einem Brief zu Linda zu fliegen, sein Sohn sollte einen selber erbre¬ chen und einen versiegelten an die Fürstinn übergeben. Sehr hart und gebietend benahm er sich gegen diesen, als er von ihm den Eid begehrte, sogleich nach seinem Tode nach Pe¬ stiz abzureisen. Denn da Albano, der so gern Neapel sah und dem alle diese den väterlichen Tod voraussetzenden Bedingungen schwer an¬ kamen, zögernd weigerte: so sagte Gaspard: „das sey so recht menschlich und üblich, fremde Schmerzen ungemein zu beklagen und redlich mitzufühlen, sie aber ohne Anstand zu schär¬ fen, sobald das Geringste gethan werden solle.“ Albano gab das Wort und den Eid; und zeigt' es ihm nie mehr, wenn er weinte aus Kin¬ desliebe. Unerwartet erschien vor diesem Kranken¬ bette Gaspards nächster und frühester Anver¬ wandter, sein Bruder. Albano stand dabei, als das seltsame Wesen ankam und den Todt¬ kranken ansprach und zwei starre gläserne Au¬ gen, als wären sie eingesetzte, weit von dem wegdrehte, womit es redete — so phantastisch und doch voll kalter Welt gegen den sterben¬ den Bruder — mit hängender Gesichtshaut auf bedeutenden Gesichtsknochen — ein aufgerichte¬ ter falber Währwolf, erst aus der thierischen Haut in die menschliche getrieben — gleich dem Würgengel, ein Würgmensch und doch ohne Leidenschaft. — Es streckte nach Albano die lange Hand aus, aber dieser, von etwas Un¬ nennbarem abgestoßen, konnte sie nicht anfas¬ sen. Dieser Bruder sagte, er komme von Pe¬ stiz — übergab zwei Briefe daraus, einen an Gaspard, einen für die Fürstinn — und fieng an, einiges über seine Reisen zu sagen, was ungemein scharfsinnig, phantastisch, gelehrt, unglaublich und oft recht unverständig schien. Einmal sagte Albano: „das ist geradezu un¬ möglich.“ Er fieng die Erzählung wieder an, machte sie noch unglaublicher und betheuerte, es sey so in der That. Darauf gieng er fort, wie er sagte, nach Griechenland und nahm vom sterbenden Bruder den kühlsten Abschied. Gaspard sagte jetzt zu Albano: „er möge nach seinem Tod diesen Sonderling, wenn er ihm nahe komme, recht wägen oder lieber meiden, da er nie ein wahres Wort sage, blos aus reiner Freude an reiner Lüge ohne Eigen¬ nutz; noch mehr, (fuhr er fort,) weiche dem tiefen tödtlichen Skorpionstachel Bouverot's aus, so wie seinem betrügerischen Spiel.“ Al¬ bano wunderte sich über die Ansicht dieser An¬ rede, (freudig über die moralische Schärfe,) da er bisher ganz andere Gesinnungen für Bou¬ verot im Vater anzutreffen geglaubt. Am Tage darauf fand er den Vater schon wieder auf der Treppe aus der Gruft. Der Eilbote wurde abgedankt — alle Briefe zurück¬ gefodert — der Fürst Lauria stand heiter da —: „bloß eine fremde Krankheit hat meine geheilt“ sagte der Vater. Der Brief, den ihm der Bru¬ der aus Pestiz gebracht, hatte die Nachricht enthalten, daß sein alter Freund, der dasige Fürst, der letzten Stunde schnell zueile, weil man seine Wassersucht bloß für Embonpoint gehalten und ihn versäumet habe. — „Ich hoffe, (sagte Gaspard,) durch meinen Antheil so heilsam erschüttert zu seyn, daß ich noch früh genug die Reise zur letzten Stunde der Freund¬ schaft zu machen vermag.“ Er setzte dazu, daß dann diese Reise wieder Bahn zu Albano's sei¬ ner nach Neapel mache. Da kam die Fürstinn in der Bestürzung über den Brief, der ihres Gemahles Gefahr und ihre Abreise ansagte. — Gaspard antwortete mit einem verlangenden Winke zur Einsamkeit, den er dem Sohne gab. Sie blieben lange allein. Endlich kam die Fürstinn verändert wieder und bat ihn fast stotternd, heute sie in die Opera seria zu begleiten. Sie war bewegt und verlegen, ihre Augen schimmernd, ihre Züge begeistert; — auch den Vater fand er auf¬ geregt, aber wie gestärkt. Hier schoß ihm ein langer Mittagsstrahl durch den ganzen bisherigen Irrwald, nehmlich die bestätigte Vermuthung der Liebe seines Va¬ ters, die jetzt durch die annahende Lösung der Ehekette der Fürstinn und in der kränklichen Erweichung stärker ausgebrochen sey; daher Gaspard's Brief an die Fürstinn, daher ihr Beisammenbleiben in Rom und auf dem Wege dahin u. s. w. Nie liebte Albano seinen starken Vater mehr als nach dieser Entdeckung einer zärtern Gesin¬ nung; und gegen die Fürstinn wurde nun sein Herz aus einem Freunde auf einmal ein Sohn. Da er ohnehin von den fünf Treffern der menschlichen Erb-Liebe nur einen, den Vater, (keine Mutter, keinen Bruder, keine Schwester und kein Kind,) gewonnen: so war er so neu ent¬ zückt über den Gewinn einer Mutter. Was die Achtung thun, die Wärme sprechen und die Hoffnung verrathen durfte, das ließ er zu. Es war eine Nacht, wo in Rom schon wie¬ der der Frühling Blumen durch die Wolken des Winters warf. Im Schauspielhause gab man Mozarts Tito . Wie nimmt den Men¬ schen auf fremdem Boden das vaterländische Lied dahin, das ihm nachgezogen! Die Lerche, die über römischen Ruinen gerade so singt wie über deutschen Feldern, ist die Taube, die uns mit ihrem bekannten Gesang den Ölzweig aus dem Vaterland bringt. — Bis hieher hatte Albano auf dem Alpenwege über Ruinen, das Auge straff nur durch die künftige Kriegs- Laufbahn blicken lassen und es selten gen Him¬ mel gehoben, wo die verklärte Liane war und hatte gewaltsam jede Thräne darin zerstäubt. Aber jetzt hatte der kranke Vater den Vorhang des unterirdischen Bettes aufgezogen, wo ihre Hülle schlief. Nun drang auf einmahl der helle Strom der Töne, der durch seine Jugendländer, in seinen Paradiesen gegangen war, über die Gebürge herüber und rauschte mit den alten Wellen herab so nahe an ihm. Anfangs wehrte sich sein Geist gegen die alte eingeschlafne Zeit, die im Schlummer sprach; aber als endlich die Töne, die Liane selber einst vor ihm gespielet und gesungen hatte, über die Bahre der Ge¬ bürge herüber kamen und sich herunter hiengen als glänzende Teppiche der goldnen Tage; als er daran dachte, welche Stunden er und Liane hier gesunden hätten aber nicht fanden: da lief der schwarze Gram wie ein böser ausplün¬ dernder Genius die Tonleiter hinauf und Al¬ bano sah seinen entsetzlichen Verlust hell im Himmel stehen. Da kehrt' er das Auge nicht gegen die Fürstinn, aber in der Weihe der Töne drückt' er die Hand, an der einst die Verklärte hatte in diese Gefilde kommen sollen. Spät sagte er: „ich werde mich im reichen Neapel immer sehnen nach meiner einzigen Freundin und den Glücklichen beneiden, der sie begleiten darf.“ Sie kam in große Bewegung über diese neue Nachricht von seinem trennen¬ den Abweg, und in eine noch größere über seine seine leidenschaftliche Veränderung, die sie mit der reichsten Aussteuer für ihre zartesten Hoff¬ nungen, aus ihrer Abreise und sogar aus ih¬ res Gemahls bevorstehender herzuleiten wußte. Aber sie verbarg die größere Bewegung hinter die kleinere. Beide schieden mit gegenseitigen Freuden und Irrthümern aus einander. Al¬ bano wurde immer seeliger durch den genesen¬ den Vater; die Fürstinn wurd' es durch den wärmern Sohn, und ihr Leben stieg aus dem Kriegsschiff in ein fliegendes Friedensschiff über. So kamen beide immer dichter an den Vor¬ hang, dessen Gemählde sie für die Bühne sel¬ ber hielten, um desto mehr zu staunen, wenn er aufgieng. 107. Zykel. Im Ritter war das vertrocknete Bette des Lebens wieder reichlich angequollen durch die Erschütterungen seines Herzens; — eben weil er in gesunden Tagen sich gleich Bergen durch Eis und Moos zusammenhielt, so stellte in kranken, schien es, eine rechte innere Bewe¬ gung leichter die alte Kraft und Ruhe wieder Titan IV . F her. Er rüstete sich zum Reisen, das am be¬ sten seinen eigensinnigen Körper auf- und nachbauete. Die Fürstinn verschob das ihrige von Tag zu Tag, bloß in der festen, feurigen Erwartung, Albano werde ihr das schönste Endwort ihres ganzen Lebens mitgeben auf den Weg. In Albano war die Sehnsucht nach — Spanien aufgewacht im blühenden Land, und Neapel, hofft' er, werde sie stillen. Der Frühling dämmerte schon in Rom und gieng auf in Neapel — die Nächte durchsang die Nachtigal und der Mensch — und die Man¬ delbäume blühten überall. Aber es schien als ob die drei Menschen mit dem Reisen auf ein¬ ander warteten. Konnte die Fürstinn von dem Herzen eilen, auf welchem ihr Daseyn blühte und wurzelte, sie gleich einem abgerissenen Ros¬ marienzweige, dessen Wurzeln zugleich mit de¬ nen eines keimenden Waizenkorns doppelt in die Erde greifen? — Auch Albano wollte nicht die Stunde beschleunigen, die ihn zugleich von dem Vater und der Freundinn in ferne Erd-Ecken warf, jene in den Nachwinter, ihn in den Vor- und Nachfrühling; — gerade jetzt am wenig¬ sten; sein Geist hatte sich durch den Entschluß zum Kriege befriedigt und versöhnt mit sich, sein Portici war glänzend aufgebauet auf dem verschütteten Herkulanum seiner Vergangenheit. Ein Brief von Pestiz entschied — der todt¬ kranke Fürst schrieb an die Fürstinn und bat um das Wiedersehen — der Brief war ein Feuer, das den gemeinschaftlichen Boden und wer darauf stand auseinander sprengte — die drei Verbündeten faßten den Schluß, an Ei¬ nem Tage abzureisen, an Einem Morgen, so daß Eine Morgenröthe ihr Gold zugleich in drei Reisewagen würfe. Noch etwas begehrte die Fürstinn am Abend vor der Abreise, am Morgen Albano's Beglei¬ tung auf die Peterskuppel; sie wollte Rom noch einmal in die scheidende Seele fassen, wenn es Morgenroth und Morgenglanz bedeckten. Auch Albano wollte gern den Most einer feu¬ rigen Stunde trinken, der sich zu einem ewigen Wein für das ganze Leben aufhellt; denn er wußte nicht, daß die lebhafte Fürstinn — noch lebhafter durch Italien — nach langem Har¬ ren auf das schönste Wort von ihm, endlich F 2 zornig sich in eine Abschiedsstunde wagte, in der es ihm entfahren sollte. Früh vor Sonnenaufgang, wo in Rom noch mehrere einschlafen als aufstehen, holte er sie ab; nur ihre treue Haltermann begleitete sie. Von der durchwachten Nacht glühte sie noch und schien sehr bewegt. Rom schlief noch; zu¬ weilen begegneten ihnen Wagen und Familien, die eben ihre Nacht beschließen wollten. Der Himmel stand kühl und blau über dem däm¬ mernden Morgen, dem frischen Sohn der schö¬ nen Nacht. Der weite Zirkus vor der Peterskirche war einsam und stumm, wie die Heiligen auf den Säulen; die Fontainen sprachen; noch ein Sternbild erlosch über dem Obeliskus. — Sie giengen die Wendeltreppe von anderthalb hun¬ dert Stufen auf das Dach der Kirche und ka¬ men aus einer Gasse von Häusern, Säulen, klei¬ nen Kuppeln und Thürmen durch vier Thüren in die ungeheuere Kuppel, — in eine gewölbte Nacht — unten in der Tiefe ruhte der Tempel wie ein weites finsteres einsames Thal mit Häusern und Bäumen, ein heiliger Abgrund, und sie giengen nahe vor den musivischen Rie¬ sen, den farbigen breiten Wolken am Himmel des Doms vorbei. Während sie in der hohen Wölbung stiegen, blinkte immer röther Auro¬ rens Goldschaum an den Fenstern und Feuer und Nacht schwammen im Gewölb' in ein¬ ander. Sie eilten höher und blickten hinaus, da schon ein einziger Lebensstrahl wie aus einem Auge hinter dem Gebürg in die Welt zückte — um den alten Albaner rauchten hundert glü¬ hende Wolken, als gebähre sein kalter Krater wieder einen Flammentag und die Adler flo¬ gen mit goldnen in die Sonne getauchten Flü¬ geln langsam über die Wolken. — Plötzlich stand der Sonnengott auf dem schönen Ge¬ bürg, er lichtete sich auf im Himmel und riß das Netz der Nacht von der bedeckten Erde weg; da brannten die Obelisken und das Co¬ liseum und Rom von Hügel zu Hügel, und auf der einsamen Campagna funkelte in vielfachen Windungen die gelbe Riesenschlange der Welt, die Tiber — alle Wolken zerliefen in die Tie¬ fen des Himmels und goldnes Licht rann von Tuskulum und von Tivoli, und von Reben¬ hügeln in die vielfarbige Ebene, an die zer¬ streueten Villen und Hütten, in die Zitronen- und Eichenwälder — im tiefen Westen wurde wieder das Meer wie am Abend, wenn es der heiße Gott besucht, voll Glanz, immer von ihm entzündet und sein ewiger Thau. In der Morgenwelt lag unten das große stille Rom ausgebreitet, keine lebendige Stadt, ein einsamer ungeheuerer Zaubergarten der al¬ ten verborgnen Heldengeister, auf zwölf Hügel gelegt. — Der menschenlose Lustgarten der Gei¬ ster sagte sich durch die grünen Wiesen und Zypressen zwischen den Pallästen an und durch die breiten offnen Treppen und Säulen und Brücken, durch die Ruinen und hohen Spring¬ brunnen und den Adonisgarten, und die grü¬ nen Berge und Götter-Tempel; die breiten Gänge waren ausgestorben; die Fenster waren vergittert; auf den Dächern blickten sich die steinernen Todten fest an — nur die glänzen¬ den Springwasser waren rege und eine einzige Nachtigall seufzete als sterbe sie zuletzt. — „Das ist groß (sagte endlich Albano), daß unten alles einsam ist und man keine Gegen¬ wart sieht. Die allen Heldengeister können in der Leere ihr Wesen treiben und durch ihre al¬ ten Bogen und Tempel ziehen und oben an den Säulen mit dem Epheu spielen.“ „Nichts (versetzte die Fürstinn) mangelt der Pracht als diese Kuppel, die wir auf dem Ka¬ pitolium gar dazu sähen. Aber nie werd' ich diese Stelle vergessen.“ „Was wär' es sonst mit Allem (sagt' er). Ohnehin gehen die flachen Gegenden des Le¬ bens ohne Merkmal vorüber, aus mancher lan¬ gen Vergangenheit schlägt kein Echo zurück, weil kein Berg die breite Fläche stöhrt! — Aber Rom und diese Stunde neben Ihnen leben ewig in uns.“ „Albano, (sagte sie) warum muß man sich so spät finden, und so früh trennen? Dort geht Ihr Weg neben der Tiber her, Gott gebe in kein verschlingendes Meer!“ — „Und dort geht Ihrer über die hellen Ber¬ ge (sagt' er).“ Sie nahm seine Hand, denn sein Ton war so bewegt und bewegend. Gött¬ lich leuchtete die Welt von den dunkeln Früh¬ lingsblumen bis zum hellen Kapitol empor, und die Horen-Glocken tönten herauf — die Freudenfeuer des Tags loderten auf allen Hö¬ hen — das Leben wurde weit und hoch wie die Aussicht — sein Auge stand unter der Thräne, aber keiner trüben, sondern unter jener, wo es wie das Weltauge unter dem Wasser sonnig glänzt und höhere Farben hat, welche die trockne Welt verzehrt. — Er drückte ihre Hand, sie seine. — „Fürstinn, Freundinn, (sagt' er) wie acht' ich Sie! — Nach dieser heiligen Stunde trennen wir uns — ich möchte ihr ein unver¬ gängliches Zeichen geben und meinem Vater ein kühnes Wort sagen, das mich und meine Achtung ausspräche und das wol manche Räth¬ sel lösete.“ Sie schlug das Auge nieder und sagte bloß: „dürfen Sie wagen?“ — „O verbieten Sie es nicht! (sagte er.) So manches Götterglück gieng durch eine zaghafte Stunde verloren. Wenn soll denn der Mensch ungewöhnlich handeln als in ungewöhnlichen Lagen?“ Sie schwieg, den Morgenlaut seiner Liebe erwar¬ tend und beide giengen im fortgesetzten Hand¬ druck von der hohen Stelle herab. Alban's Wesen war eine bebende Flamme. Die Für¬ stinn begriff nicht, warum er noch diesen Früh¬ lingston verschiebe; er errieth sie eben so we¬ nig, ungeübt die Weiber und deren halbe ab¬ getheilte Wörter zu lesen, diese Bildergedichte, halb Gestalt und nur halb Wort . — Gleich¬ sam als wäre ein Adler aus seinem Morgen¬ glanz herabgeflogen und hätte als ein Raub- Genius die Flügel über seine Augen geschla¬ gen: so hatt' ihn der leuchtende Morgen so sehr verblendet, daß er wagen wollte, jetzt in der Abschiedsstunde zwischen seinem Vater und der Fürstinn der Mittler durch Ein Wort zu werden, das beiden die Scheidewand zwischen ihrer Liebe wegzöge. Vieles wandt' ihm seine Zartheit dagegen ein, aber gegenüber einem wichtigen Ziele verabscheute er nichts so sehr als zagende Vorsicht; und Wagen hielt er für einen Mann so viel werth als Gewinnen. Die Fürstinn, mißverstehend, doch nicht mi߬ trauend, folgte ihm in des Vaters Haus, mit einer Erwartung — kühner als seine —, er be¬ kenne vielleicht gar dem Ritter die Liebe gegen sie. Sie fanden den Vater allein und sehr ernst. Albano fiel ihm, wiewohl er dessen Abneigung gegen körperliche Herzenszeichen kannte, um den Hals mit den halb erstickten Worten des Wunsches: „Vater! Eine Mutter!“ — Zu die¬ sem kindlichen Verhältniß hatte sich sein bishe¬ riges gehoben und gereinigt. „Gott, Graf!“ rief die Fürstinn über Albano bestürzt und ent¬ rüstet. — Der zornfunkelnde Ritter ergriff voll Entsetzen eine Pistole, sagte: unglückliches — aber ehe man nur wußte, auf wen von drei Menschen er sie abdrücken wolle, faßte ihn seine Starrsucht und hielt wie eine umwindende Schlange ihn in der mörderischen Lage gefan¬ gen. „Graf, verstand ich Euch?“ sagte die Fürstinn wegwerfend gegen ihn, gleichgültig gegen den versteinerten Feind. — „O Gott, (sagte Albano, von der väterlichen Gestalt be¬ wegt,) ich verstand wol niemand.“ — „Das konnte (sagte sie) nur ein Unwürdiger. Lebt wohl. Mög' ich niemals Euch mehr begeg¬ nen!“ — Dann gieng sie. Albano blieb, unbekümmert ob er nicht sel¬ ber mit der Pistole gemeint sey, bei dem Kran¬ ken, der einer vornehmen Männer-Leiche ge¬ genüber entgegenstarrte, die man eben zu schmin¬ ken beschäftigt war. Allmählig rang sich das Leben wieder aus dem Winter auf und der Ritter setzte, wie Starrsüchtige müssen, die mit dem Worte „Unglückliches“ angefangne Anre¬ de so fort: „Weib, von wem bist du Mutter?“ — Er kam zu sich und sah wach umher; aber schnell rann wieder die Lava des Zorns durch seinen Schnee: „Unglücklicher, wovon war die Rede?“ Albano entdeckte ihm mit gerader un¬ schuldiger Seele, daß er bei dem wahrscheinli¬ chen Tode des Fürsten auf eine Vereinigung zwischen beiden und auf das Glück, eine Mut¬ ter zu erhalten, sich die Hoffnung gemacht. „Ihr junges Volk bildet euch immer ein, man könne keine ächte Liebe haben, ohne sie nach aussen zu treiben und auf jemand zu rich¬ ten,“ versetzte Gaspard und fieng an, hart zu lachen und das „sentimentalische Mißver¬ ständniß“ sehr komisch zu finden; aber Albano fragte ihn nun sehr ernst nach dem Ursprunge des seinigen. Gaspard gab ihm diesen. Neu¬ lich in seiner Krankheit hatt' er bei der ersten Nachricht von des Fürsten naher Abblüthe ei¬ nen erbitterten Kampf mit der Fürstinn, welche in dessen Todesfalle eine Regentschaft — oder Vormundschaft — begehre, schon wegen der Möglichkeit eines Fürstenhut-Erben. Der Rit¬ ter sagt' ihr gerade zu, diese Möglichkeit sey eine Unmöglichkeit und er werde, mit neuen ihr unbekannten Beweisen sie ohne Weiteres an¬ greifen. Er gab ihr geradezu zu verstehen, daß er sogar gegen den Fall gerüstet sey, wo ein augenscheinlicher Beweis des Gegentheils (ein Erbprinz) ihm entgegengestellet würde. Die Fürstinn versetzte erbittert, sie errathe nicht, war¬ um er für die Haarhaarsche Linie und Erbfolge sich im Geringsten mehr bekümmere und sorge als für die Hohenfliesser. Er brachte sie bis zu Thränen; denn er konnte ohne Schonung ihr die grausamsten Worte wie Wiederhaken tief ins Herz werfen; er hatte die vollendete Ent¬ schlossenheit eines Staatsmannes, der wie ein großer Raubvogel, das Opferthier, das er nicht bezwingen oder schleppen kann, an einen Ab¬ grund treibt und mit den Flügeln hinunter¬ schlägt, um es drunten besiegt zu finden. Ein Leben, das so wie es fortrückt, gleich den fort¬ rückenden Gletschern, alte Leichen aufdeckt! So wie der Glückliche seine Liebe eines Individu¬ ums wärmend über die Menschheit ausbreitet, so hält der Menschenfeind den stechenden Brenn¬ oder Frostpunkt seiner weiten Kälte gegen die Menschheit auf Einen großen Feind allein, in¬ deß vorher jede kleinere Beleidigung dem Ein¬ zelnen vergeben, und nur der gesammten Mensch¬ heit angeschrieben wurde. Das war also jene geheime Unterredung, deren Spuren Albano für schönere Bewegun¬ gen genommen hatte als des Hasses. „Als Du nun (sagte der Ritter jetzt gerade heraus, um mit der schneidenden Frechheit sein Hochgefühl zu strafen,) die kurz- und dunkelgefaßte An¬ rede: Eine Mutter! hieltest, mußt' ich Dich für den Vater nehmen, und daraus magst Du leicht das Übrige erklären.“ — „Vater, (sagt' er) das war schreiend unrecht gegen jeden“; und schied mit drei heissen Wunden, vom Drei¬ zack des Schicksals gerissen. Beim Abschiede erinnerte ihn Gaspard, sein Wort der monat¬ lichen Zurückkunft zu halten, und fügte noch scherzend bei: „der Alte, den man drüben schminke, sey ein deutscher Herr, womit er ehedem wohl den Spaß getrieben, ihn eilig zu bekehren S. Titan I . S. 33. .“ Noch in dieser Stunde reisete Albano mit seinem Dian aus dem erleuchteten Rom. Auf den Höhen und auf der Peterskuppel wogte herunter schwebend der blaue Himmel und lan¬ ge Schatten schliefen noch mit Thauperlen um¬ kränzt, auf den Blumen; aber der seelige Mor¬ gen war weit zurückgeflohen aus dem harten Tage. Beide begegneten vor dem Thore einer Kreis-Menge, die um einen schönen Ermor¬ deten stand und statt unwillig über den Mör¬ der, freudig über die Gestalt wiederholte: quanto è bello ! Wie schön ist er! — und Albano dachte daran, wie oft man hinter ihm gesagt: quanto è bello ! — Acht und zwanzigste Jobelperiode. Brief aus Pestiz — Mola — die Himmelfarth eines Mönchs — Neapel — Ischia — die neue Göt¬ tergabe. 108. Zykel. E in kleines Licht in unserm Zimmer kann uns gegen das Blenden des ganzen himmelbreiten Blitzes schirmen; so braucht es in uns eine ein¬ zige fortleuchtende Idee und Tendenz, damit uns der schnelle Flammen- und Licht-Wechsel von aussen nicht betäube. Hätte Albano nicht ein weit zu sehendes Ziel, einen Obeliskus in seiner Lebensbahn vor seinem Auge behalten: wie lange würde ihn die letzte Szene mit ih¬ ren durcheinandergreifenden Schmerzen verwirret haben! — Jetzt glich er den angezündeten Öl- und Lorbeerblättern um ihn, deren Flammen so gut grünen wie sie selber. Dian, der fremde Schmerzen wegtrieb, weil er leicht beweglich bald aus einem Zuschauer derselben ein Mitspieler wurde, machte Albano und sich durch seine feurige Theilnahme an je¬ der schönen Gestalt, an jeder Ruine, an jeder kleinen Freude heiter. Er hatte die schöne sel¬ tene Gabe, auf Reisen froh zu seyn, jede Blu¬ me zu brechen, aber keine Distel; indeß der größere Theil mit der Schlafmütze unter dem Hute, von Stazion zu Stazion unter dem Fah¬ ren gährend und im murrenden Kriege mit je¬ dem Gesichte ganze Paradiese wie Vorhöllen durchziehet. In den leeren pontinischen Sümpfen, wor¬ in nur Büffel gedeihen und die Menschen er¬ bleichen, suchte Dian alles und auch seine Brief¬ tasche hervor, um über das letzte Fischwasser des Kirchenstaats aus Petrus-Nachfischern, zu kommen, ohne tödtlich einzuschlafen. Da stieß er mit einem neu-griechischen Fluch auf einen Brief an Albano, der in einen von Chariton ein¬ eingeschlossen gewesen und den er in Rom in der Eile der Abreise zu geben vergessen; aber er lachte bald darüber und fand es gut, daß man in diesem „Teufelsthal“ etwas gegen den Schlaf zu lesen habe. Es war folgender von Rabette: „Herzlieber Bruder, man möchte wohl wis¬ sen, ob Du noch ein Bischen an Deine Blu¬ menbühler denkst, da Du in dem prächtigen Italien gewiß ganz in Deinem Essée bist, daß Du in unser aller Herzen lebst, das weißt Du längst, und Du solltest nur wissen, wie lange wir alle bei Deinem Abschied um Dich geweinet haben, sowohl die Mutter als ich, und ein Gewisser Roquairol. denkt jetzunder ganz anders von Dir als vordem. In diesem Winter fiel viel vor. Die Ministerin hat sich von ihrem Ge¬ mahl geschieden und lebt auf ihrem Gute, zu¬ weilen in Arkadien bei der Prinzesse Idoine, unser Fürst ist an der Wassersucht gefährlich krank und kann der Vater ein Stück Arbeit Titan IV . G von der Landschaft dabei kriegen, wie er sagt. Dein Schoppe ist auf ein paar Monate ver¬ reiset mit Zurücklassung eines Briefs an Dich, den er dem Vater anvertrauet. Er hielt sich letztlich bei uns auf in Deiner Stube und be¬ suchte fleißig die Gräfinn Romeiro . Es ist Schade für ihn, denn er meints gut, aber der Magister Wehmeier und wir alle im Orte sind überzeugt, daß er in Kurzen toll wird und er glaubts auch und sagt, er bestelle deshalb schon sein Haus. Was die Gräfinn Romeiro anlangt, so ist sie mit der Prinzeß Julienne. abgerei¬ set, kein Mensch weiß aber wohin, man sagt, der Fürst hab' ihr zu deutliche attentions be¬ wiesen und sie sey lieber fort nach Spanien. Andere reden von Griechenland, aber mich ver¬ sichert der Gewisse, sie sey nach Rom zu ihrem Vormund, das wirst Du nun besser wissen als ich. Der Gewisse unternahm alles Menschmög¬ liche, sie zu gewinnen, theils durch Briefe, theils selber, umsonst, keinen guten Blick konnt' er er¬ langen, so oft er sie auch bei cour anredete. Das alles hab' ich (wirst Du es glauben?) aus seinem Munde, denn er ist wieder oft bei mir und vertraut mir sein ganzes Herz. Mei¬ nes aber halt' ich fest zusammen, daß nur kein Blutströpfchen daraus quillt, und Gott allein sieht, wie es darin hergeht und weint. Ach Albano, ein armes Mädchen, das gesund ist, muß viel ausstehen eh' es sterben kann. Oft kann mein Auge nicht länger trocken bleiben und ich sage dann, sein Reden thu es, was doch theils auch wahr ist. Dir aber zeig' ich das dessous des cartes . — Nie, nimmer kann ich mehr die Sei¬ nige werden, denn er hat nicht redlich an mir gehandelt, sondern ganz ruchlos und er weiß es auch. Es wird ihm auch kein Kuß gestat¬ tet und ich sag ihm, er möge das nur nicht ums Gottes willen für eine coquette Manier halten, ihn an mich zu ziehen. Die guten El¬ tern wissen nicht recht was sie aus unserem Umgang machen sollen und ich fürchte, der Vater bricht los, dann hab ich sehr bittere Tage. Aber soll ich das arme kranke blasse Gemüth auch von mir verstoßen, soll die glü¬ hende Seele wie Rauch verduftend gen Him¬ G 2 mel steigen und sich consumiren ? Wem will nicht das Herz zerspringen, wenn er bei einem Festin ist und sie seinetwegen sogleich beleidigt nach Hause zurückfährt, wie neulich geschah und er mir im vollen Toben sagte: gut, gut, Linda, einmal wird Dir doch um mich Dein Auge naß. Da weiß ich ja, daß er nichts Gu¬ tes meint und ich schone ihn aus Angst davor, sollen denn die zwei Geschwister in ihrer Blü¬ the untergehen? Er wäre ihr längst nachge¬ reiset, wenn er nicht täglich hoffte, sie komme wieder. Ach könnt' ich mein liebendes Herz aus meiner Brust ausreissen und in ihre einsetzen statt des andern, damit sie ihn recht liebte mit meiner ganzen Liebe, Albano ich wollt es gerne thun. Das Papier geht aber auf dieser Seite zu Ende und die Mutter will auf die andere einen Gruß schreiben. Lebe wohl, das wünscht Deine treue Schwester Rabette. Wie geht es meinem theuersten Sohn? Ist er glücklich, noch fromm, und gesund? Denkt er seiner treuen Pflegeeltern noch? Das fragt und wünscht im Namen des Vaters, und in ih¬ rem eignen seine treue Mutter Albine v. W. P . S . Auch der alte Lehrer Wehmeier grüßet seinen Liebling in fernen Landen; und wir alle freuen uns auf seine Wiederkehr. A. P . S . Bruder, ich muß auch ein P . S . machen, Schoppe hat die Bewußte gemahlt, und auch daraus entstanden Scenen . Aber ein Mehres Mündlich. Die Prinzesse Idoine fuhr diesen Winter oft zu unserer. R.“ Da Briefe sich mehr nach dem Orte, wo sie geboren, als nach dem, wo sie abgegeben wer¬ den, richten: so kommt oft, was als Saame abgieng, schon keimend und mit Wurzeln an nach dem langen Wege und umgekehrt Blüthen als trockner Saame; und jedes Blatt ist eine Doppel¬ geburt von zwei fernen Zeiten, der schreibenden und der lesenden. So wurde jetzt Albano unter diesem hellern Himmel, auf diesem Boden einer größern Vorzeit und mit dem Geiste voll neuer Triebfedern weniger von Rabettens Brief, durch welchen die nordischen Winternebel zo¬ gen, erreicht und verfinstert. Die redliche Ra¬ bette, die linde Albine, kamen ihm nur sanft über die fremden Berge und Lüfte nach und legten an seine heisse Stirn die kühlende Hand; sein alter Schoppe stand in alter Würde vor ihm und Liane schwebte wieder durch das hohe Blau. Gegen den verwitterten Roquairol fühlt' er nicht einmal Mitleid, sondern eine harte Geringschätzung; und Linda's standhafter Sinn war recht nach seinem, wie der stolze Blick und Gang der Römerinnen. Jetzt dacht' er über Manches heiterer als sonst und wünschte sogar, einmal jener Heroine ins Zauber-Gesicht zu schauen. In Fondi sieng der neapolitanische Welt¬ garten an und sie fuhren auf dem Wege nach Mola , in immer dichtere Blüthen und Blu¬ men. In fliegenden Blättern — vielleicht an seinen Vater, noch wahrscheinlicher an seinen Schoppe — sprach sich sein Glück und seine Seele aus; sie bewahrte gleichsam einige ent¬ fallne Orangenblüthen des schnell durchflognen Edens auf. Hier sind sie: Kurz vor Sonnenuntergang kamen wir am Himmelfahrtstag in Mola an, der eingebohrne Dian war eben so überwunden von der grü¬ nenden Herrlichkeit, die er lange nicht gesehen, wie ich und ich glaub' ihm noch nicht, daß es um Neapel schöner blühe und dufte. Ich gieng gar nicht in die Stadt, denn die Sonne hieng schon gegen das Meer. Um mich quillt der Blumenrauch aus Zitronenwäldern und Jes¬ min- und Narzissen-Auen — zu meiner Lin¬ ken wirft der blaue Apennin seine Quellen von Berg zu Berg und zu meiner Rechten dringt das gewaltige Meer an die gewaltige Erde an und die Erde streckt den festen Arm aus und hält eine glänzende Stadt Gaeta. , mit Gärten be¬ hangen, weit ins Wogen-Gewimmel hinein — und ins unergründliche Meer sind hohe Inseln als unergründliche Berge Die Insel Ischia mit dem Berg Epomeo, so hoch wie der Vesuv — Kapri u. s. w. hinein geworfen — tief in Süden und Osten greift ein schimmerndes Nebelland, die Küste von Sorento, wie ein ge¬ krümmter Jupiters-Arm, um das Meer und hinter dem fernen Neapel steht der Vesuvius mit ei¬ ner Wolke im Himmel unter dem Mond. „Fall' auf Deine Kniee, Glückseeliger, (sagte Dian) vor der kostbaren Weite!“ O Gott, warum nicht ernstlich es thun? Wer kann denn im Abendscheine das ungeheuere Wellen-Reich anschauen, wie dort das Regen sich in der Ferne stillt und nur glänzt und endlich blau und golden mit dem Himmel verschwebt, und wie hier die Erde das weiche schwebende Feuer mit ihren langen Ländern in einen rosigen fe¬ sten Erdschatten einschliesset, wer kann den Feuerregen des unendlichen Lebens, den weben¬ den Zauberkreis aller Kräfte im Wasser, im Himmel auf der Erde erblicken, ohne niederzu¬ knieen vor dem unendlichen Natur-Geiste und zu sagen: wie bist du mir so nahe, Unaus¬ sprechlicher! — O hier ist er in der Nähe und Ferne, die Seeligkeit und die Hoffnung schim¬ mert von der Nebel-Küste her, und auch aus den nahen Quellen, die das Gebürge in das Meer heruntergiesset und in der weißen Blüthe über meinem Haupt. O rufet denn nicht diese Sonne von brennenden Wellen umflattert, und das Blau droben und drüben und die erglü¬ henden Menschen-Länder, die Welten in der Welt, rufet nicht diese Ferne das Herz und alle seine stolzen Wünsche heraus. Will es nicht schaffen und in die Ferne greifen und seine Le¬ bensblüthe vom höchsten Gipfel des Himmels reissen? Wenn es aber sich umsieht auf seinen Boden, auch da wieder ist der Gürtel der Ve¬ nus um den blühenden Umkreis geworfen, hell grünt der hohe Myrtenbaum neben seiner klei¬ nen dunkeln Myrte, die Orange schimmert im hohen kalten Grase und oben duftet ihre Blü¬ the, der Waizen weht mit breiten Blättern zwischen dem Mandel- und Narzissen-Schmel¬ ze und ferne ist die Zypresse und die Palme stolz; alles ist Blume und Frucht, Frühling und Herbst. Soll ich hin, soll ich her, das fragt das Herz in seinem Glück. So gieng mir die Sonne unter die Wellen hinab — die rothen Küsten flohen unter ihre Nebel — die Welt erlosch von Land zu Land, von ei¬ ner Insel zur andern — der letzte Goldstaub auf den Höhen wurde verweht — und die Ge¬ betglocken der Klöster führten das Herz über die Sterne hinauf. — O wie war meines so froh und so sehnend, zugleich ein Wunsch und ein Feuer, und in meinem Innersten sprach ein Dankgebet fort, dafür, daß ich war und bin auf dieser Erde. Nie vergess' ich das! Wenn wir das Leben wegwerfen als zu klein gegen unsere Wünsche: gehören nicht diese zu jenem und kamen von ihm? Wenn die bekränzte Erde solche Blüthen- Ufer, solche Sonnen-Gebürge um uns zieht, will sie damit Unglückliche einschließen? War¬ um ist unser Herz enger als unser Auge, war¬ um erdrückt uns eine kaum meilenlange Wolke, die doch selber unter unermeßlichen Sternen steht? Ist nicht jeder Morgen ein Frühlings¬ anfang und jede Hoffnung? Was sind die dich¬ testen Lebensschranken anders als ein Rebenge¬ länder, zum Reifen der Weingluth aufgebauet? — Und da das Leben sich immer in Viertel zerhackt, warum sollen es lauter letzte seyn, nicht eben so oft erste, auf welche ein voll¬ strahlender Mond nachfolgt? — O Gott, sagt' ich, als ich durch die grünende Welt zurückgieng, die am nächsten Morgen eine glühende wird, nie lasse mich deine Ewigkeit irgend einer Zeit leihen, ausgenommen der seeligsten; die Freude ist ewig, aber nicht der Schmerz, denn du hast ihn nicht geschaffen. „Freund,“ sagte Dian unterwegs zu mir, da ich ihm meine innigste Bewegung nicht recht verhüllen konnte, „wie kann Euch erst seyn, wenn Ihr nach Neapel zurückschauet etwan auf der Überfahrt nach Ischia! — denn man merkt's sehr, daß Ihr in Nordland geboren seyd.“ — Lieber, sagt' ich, jeder wird mit sei¬ nem Norden oder Süden gleich geboren, ob in einem äussern dazu — das macht wenig. So weit sein Blatt über Mola. Aber eine wunderbare Begebenheit schien ihn über die letzte Versicherung desselben noch diese Nacht beim Worte zu nehmen. Im Hofe des Gasthauses sammleten sich viele Schiffer und Andere, alle stritten heftig über eine Meinung und die mei¬ sten sagten immer: es ist doch heute Himmel¬ fahrt und Wunder hat Er auch gethan. „Him¬ melfahrt?“ dachte Albano und erinnerte sich seines Geburtstages, der an diesem Feste oft fiel. Dian kam herauf und erzählte lachend, das Volk drunten erwarte die Himmelfahrt ei¬ nes Mönchs, der sie in dieser Nacht verspro¬ chen, und viele glaubten ihm darum, weil er schon ein Wunderwerk gethan, nehmlich einem Todten auf zwei Stunden die Sprache gege¬ ben vor ganz Mola. Beide wurden eins, das Werk mit anzusehen. Die Menge schwoll an — der versprochene Mensch kam nicht, der sie zu dem Orte der Auffahrt leiten sollte — alles wurde zornig mehr als ungläubig — endlich spät in der Nacht erschien eine Maske und gab mit einem Wink der Hand das Zeichen ihr zu folgen. Alles strömte nach, auch Albano und sein Freund. Der reine Mond schien frisch aus blauen Lüften, der weite Garten der Gegend schlief in seinen Blüthen, aber alles duftete, die schlummernden und die wachen Blumen. Die Maske führte die Menge an die Rui¬ nen von Zizero's Haus oder Thurm und zeigte aufwärts. Oben auf der Mauer stand ein zit¬ ternder Mensch. Albano fand sein Gesicht im¬ mer bekannter. Endlich sprach der Mensch: „ich bin ein Vater des Todes — der Vater des Lebens sey mir gnädig. — Wie es mit mir geht, weiß ich nicht — Unter Euch (setzt' er auf einmal in fremder, nehmlich in spanischer, Sprache dazu) steht einer, dem ich auf Jsola bella am Charfreitage erschien und den Tod einer Schwester kundthat; er reise fort nach Jschia , dort trifft er seine Schwester an.“ Ergriffen und ergrimmend mußte Albano diese Worte hören, die Gestalt des Vaters des Todes auf jener Insel sah er jetzt recht klar auf der Ruine; und dessen Versprechen, ihm an einem Charfreitage zu erscheinen, fiel ihm wieder ein. Er suchte sich jetzt an der Ruine hinaufzuarbeiten, um den Mönch zu packen. Ein Molaner rief, da er die fremde Sprache hörte, der Mönch spricht mit dem Teufel. — Der Himmelfahrer sagte nichts darwider — er zitterte heftiger — aber das Volk suchte den, der es gesagt, und schrie: der mit der Maske sey es, denn der sey nicht mehr zu finden. Endlich bat der Mönch bebend, sie möchten still seyn, wenn er verschwinde, und für ihn beten, und nie seinen Körper suchen. Albano war ihm jetzt, von Dian ungesehen, nahe hin¬ ter dem Rücken. Da kam hoch im dunkeln Blau ein Zug Wachteln langsam geflogen. Der Mönch hob sich schnell und wankend auf — zerstreuete die Vögel — rief in dunkler Ferne: betet — und schwand in die weiten Lüfte dahin. Das Volk rief und jauchzete und betete zum Theil, viele glaubten jetzt, der Teufel sey im Spiel. Unter den Zuschauern lag ein Mensch mit dem Gesicht auf der Erde und rief immer: Gott sey mir gnädig! Aber niemand brachte ihn zu einer Erklärung. Dian, heimlich ein wenig übergläubig, sagte: hier steh' ihm der Verstand still. Aber Albano erklärte, schon lange zucke und ziehe ein Geister-Komplott an seinem Lebensvorhang, allein irgend ein¬ mal greif' er gewiß glücklich durch den Vor¬ hang durch, und er sey fest entschlossen, so¬ gleich von Neapel nach Ischia überzugehen, um seine Schwester zu suchen. „Wahrlich, (setzt' er dazu,) in diesem Mutterlande der Wunder¬ phantasie und jeder Größe glaubt man so leicht schöne gebende Wunder des Schicksals, wie in Norden entsetzliche raubende Wunder der Gei¬ ster.“ Dian war auch für den frühsten Besuch der Insel Ischia, „weil sonst (setzt' er dazu), wenn Albano in Neapel seine Briefe übergeben hätte und in die Ricevimenti hinein oder auf den Posilippo und den Vesuv hinaufgerathen wäre, dann kein Wegkommen seyn würde.“ Am Tage darauf giengen sie von Mola ab. — Das schöne Meer deckte sich an ihrem Wege auf und zu und nur der goldne Himmel ver¬ hüllte sich nie. Neapels Freudenbecher berausch¬ te schon von Fernen mit seinem Dufte und Geiste. Albano warf trunkne Blicke auf die campania felice , auf das Coliseo im Kapua und auf den weiten Garten voll Gärten und sogar auf die rauhe appische Straße, die ihr alter Nahme sanfter machte. Aber er seufzete nach der Insel Ischia, die¬ sem Arkadien des Meers, und dieser Wunder¬ stelle, wo er eine Schwester finden sollte. Sie konnten nicht eher als Sonnabends in der Vor¬ nacht — wenn anders Wachen und glänzendes Leben eine ist, besonders eine welsche Sonn¬ abends-Nacht — in Aversa ankommen. Al¬ bano bestand darauf, in der Nacht fortzurei¬ sen nach Neapel. Dian wollte noch ungern. Zufällig stand ein schönes etwan vierzehnjähri¬ ges Mädchen im Posthause, sehr betrübt über die verfehlte Post, und entschlossen, noch diese Nacht nach Neapel zu gehen, um am heiligen Sonntag noch früh genug nach Ischia zu kom¬ men, wo ihre Eltern waren. „Aus Santa Agata (sagte sie) komme sie her, heiße aber nur Agata , und nicht Santa .“ „Wahrschein¬ lich ihr alter Spaß,“ sagte Dian, war aber nun — bei seinem Umschweben jeder schönen Form — selber recht zur Nachtreise aufgelegt, damit man die Schwarzäugige, die freudig und hell in fremdes Augenfeuer blickte, fortbringen könnte. Sie nahm es lustig an, und schwatzte vertraut wie ein Naturforscher viel vom Epo¬ meo und Vesuv und weissagte ihnen unzählige Freuden auf der Insel und zeigte überall eine verständige Besonnenheit weit über ihr Alter. Endlich Endlich flogen sie alle unter die hellen Sterne in die schöne Nacht hinaus. 109. Zykel. Albano fährt in der Beschreibung seiner Reise so fort: „Eine helle Nacht ohne Gleichen! Die Sterne allein erhellten schon die Erde und die Milchstraße war silbern. Eine einzige mit Weinblüthen durchflochtene Allee führte der Prachtstadt zu. Überall hörte man Menschen, bald nahes Reden, bald fernes Singen. Aus schwarzen Kastanienwäldern auf mondhellen Hügeln riefen die Nachtigallen einander zu. Ein armes schlafendes Mädchen, das wir mit¬ genommen, hörte das Tönen bis in den Traum hinab und sang nach und blickte, wenn es sich damit geweckt, verwirrt und süßlächelnd umher, mit dem ganzen Ton und Traum noch in der Brust. Singend rollte auf einem dünnen leichten Wagen mit zwei Rä¬ dern, ein Fuhrmann auf der Deichsel stehend lustig vorüber. — Weiber trugen in der Kühle schon große Körbe voll Blumen nach der Stadt: Titan IV . H — in den Fernen neben uns dufteten ganze Paradiese aus Blumenkelchen; und das Herz und die Brust sogen zugleich den Liebestrank der süßen Luft. — Der Mond war hell wie eine Sonne an den hohen Himmel heraufgezo¬ gen und der Horizont wurde von Sternen ver¬ goldet — und am ganzen wolkenlosen Himmel stand die düstere Wolkensäule des Vesuv's in Osten allein. — Tief in der Nacht nach zwei Uhr rollten wir in und durch die lange Prachtstadt, worin noch der lebendige Tag fortblühte. Heitere Menschen füllten die Straßen — die Balkons warfen sich Gesänge zu — auf den Dächern blühten Blumen und Bäume zwischen Lampen und die Horen-Glöckchen vermehrten den Tag und der Mond schien zu wärmen. Nur zuwei¬ len schlief ein Mensch zwischen den Säulengän¬ gen gleichsam an seinem Mittagsschlafe. — Dian, aller Verhältnisse kundig, ließ an einem Hause auf der Süd- und Meerseite halten, und gieng tief in die Stadt, um durch alte Bekannte die Abfahrt nach der Insel zu be¬ richtigen, damit man gerade bei Sonnenauf¬ gang aus dem Meere herüber die herrliche Stadt mit ihrem Golf und ihren langen Küsten am reichsten auffassete. Die Ischia¬ nerinn wickelte sich in ihren blauen Schleier gegen Mücken und entschlief am schwarzsandi¬ gen Ufer. Ich gieng allein auf und ab, für mich gab's keine Nacht und kein Haus. Das Meer schlief, die Erde schien wach. Ich sah in dem eiligen Schimmer (der Mond sank schon dem Posi¬ lippo zu,) an dieser göttlichen Gränzstadt der Wasserwelt, an diesem aufsteigenden Gebürg von Pallästen hinauf bis wo das hohe Sant' Elmo-Schloß weiß aus dem grünen Strauße blickt. Mit zwei Armen umfassete die Erde das schöne Meer, auf ihrem rechten, auf dem Posilippo trug sie blühende Weinberge weit in die Wellen und auf dem linken hielt sie Städte und umspannte seine Wogen und seine Schiffe und zog sie an ihre Brust heran. Wie eine Sphinx lag dunkel das zackige Kapri am Ho¬ rizont im Wasser und bewachte die Pforte des Golfs. Hinter der Stadt rauchte im Äther der H 2 Vulkan und zuweilen spielten Funken zwischen den Sternen. Jetzt sank der Mond hinter die Ulmen des Posilips hinab, die Stadt verfinsterte sich, das Getöse der Nacht verklang, Fischer stiegen aus, löschten ihre Fackeln und legten sich ans Ufer, die Erde schien einzuschlafen, aber das Meer aufzuwachen. Ein Wind von der Sorrentini¬ schen Küste trieb die stillen Wellen auf — hel¬ ler schimmerte Sorrento's Sichel vom Monde zurück und vom Morgen zugleich wie silberne Fluren — Vesuv's Rauchsäule wurde abgeweht und vom Feuerberg zog sich eine lange reine Morgenröthe über die Küste hinauf wie über eine fremde Welt. O es war der dämmernde Morgen, voll von jugendlichen Ahnungen! Spricht nicht die Landschaft, der Berg, die Küste gleich ei¬ nem Echo desto mehr Sylben zur Seele, je fer¬ ner sie sind? — Wie jung fühlt' ich die Welt und mich und der ganze Morgen meines Le¬ bens war in diesen gedrängt! Mein Freund kam — alles war berichtigt — die Schiffer angekommen — Agata wurde zur Freude geweckt — und wir stiegen ein, als die Morgenröthe die Gebürge entzündete, und aufgebläht von Morgenlüften flog das Schiff¬ chen ins Meer hinaus. Ehe wir noch um das Vorgebürg des Po¬ silippo herumschifften, warf der Krater des Ve¬ suv's den glühenden Sohn, die Sonne, lang¬ sam in den Himmel und Meer und Erde ent¬ brannten. Neapels halber Erdgürtel mit mor¬ genrothen Pallästen, sein Marktplatz von flat¬ ternden Schiffen, das Gewimmel seiner Land¬ häuser an den Bergen und am Ufer hinauf und sein grünender Thron von S. Elmo, stan¬ den stolz zwischen zwei Bergen, vor dem Meere. Da wir um den Posilippo kamen, stand Ischia's Epomeo wie ein Riese des Meers in der Ferne, mit einem Wald umgürtet und mit kahlem weissen Haupt. Allmählig erschienen auf der unermeßlichen Ebene die Inseln nach einander wie zerstreuete Dörfer und wild dran¬ gen und wateten die Vorgebürge in das Meer. Jetzt that sich gewaltiger und lebendiger als das vertrocknete vereinzelte starre Land, das Wasserreich auf, dessen Kräfte alle, von den Strömen und Wellen an bis zum Tropfen, zu¬ sammengreifen und sich zugleich bewegen. — Allmächtiges und doch sanftes Element! Grim¬ mig schießest du auf die Länder und verschlingst sie und mit deinen aushölenden Polypenarmen liegst du an der ganzen Kugel. Aber du bän¬ digst die wilden Ströme und zerschmilzest sie zu Wellen, sanft spielest du mit deinen kleinen Kindern, den Inseln, und spielest an der Hand, die aus der leichten Gondel hängt, und schickst deine kleinen Wellen, die vor uns spielen, dann uns tragen, und dann hinter uns spielen. Als wir vor dem kleinen Nisita vorbei ka¬ men, wo einst Brutus und Kato nach Zäsar's Tod Schutzwehr suchten — als wir vor dem zauberischen Baja und dem Zauberschlosse, wo einst drei Römer die Theilung der Welt be¬ schlossen, und vor dem ganzen Vorgebürge vor¬ übergiengen, wo die Landhäuser der großen Römer standen, und als wir nach dem Berge von Cuma hinabsahen, hinter welchem Szipio Afrikanus in seinem Linternum lebte und starb: so ergriff mich das hohe Leben der alten Großen und ich sagte zu meinem Freunde: „„Welche Menschen waren das! Kaum erfahren wir es gelegentlich im Plinius oder Zizero, daß einer von ihnen dort ein Landhaus hat, oder daß es ein schönes Neapel giebt, — mitten aus dem Freudenmeer der Natur wachsen und tragen ihre Lorbeer so gut wie aus dem Eis¬ meere Deutschlands und Englands, oder aus Ara¬ biens Sand — in Wüsten und in Paradiesen schlu¬ gen ihre starken Herzen gleich fort und für diese Weltseelen gab es keine Wohnung, außer die Welt. Nur bei solchen Seelen sind Em¬ pfindungen fast mehr werth als Thaten, ein Römer konnte hier groß vor Freude weinen! Dian, sage, was kann der neuere Mensch dafür, daß er so spät lebt hinter ihren Ruinen?““ — Jugend und Ruinen, einstürzende Vergan¬ genheit und ewige Lebensfülle bedeckten das misenische Gestade und die ganze unabsehliche Küste — an die zerbrochnen Aschenkrüge todter Götter, an die zerstückten Tempel Merkurs, Dianens, spielte die fröhliche leichte Welle und die ewige Sonne — alte einsame Brückenpfei¬ ler im Meer, einsame Tempelsäulen und Bo¬ gen sprachen im üppigen Lebensglanze das ernste Wort — die alten heiligen Nahmen der elysäischen Felder, des Avernus, des todten Meers wohnten noch auf der Küste — Felsen- und Tempeltrümmer lagen unter einander auf der bunten Lava — alles blühte und lebte, das Mädchen und die Schiffer sangen — die Berge und die Inseln standen groß im jungen feurigen Tage — Delphine zogen spielend ne¬ ben uns — singende Lerchen wirbelten sich im Äther über ihre engen Inseln heraus — und aus allen Enden des Horizonts kamen Schiffe herauf und flogen pfeilschnell dahin. Es war die göttliche Überfülle und Vermischung der Welt vor mir, brausende Saiten des Lebens waren über den Saitensteg des Vesuv's und Posilip's herüber bis an den Epomeo gespannt. Plötzlich donnerte es Einmal durch den blauen Himmel über das Meer her. Das Mädchen fragte mich: „„warum werdet Ihr bleich? es ist nur der Vesuv.““ Da war ein Gott mir nahe, ja Himmel, Erde und Meer traten als drei Gottheiten vor mich — von einem göttlichen Morgensturm wurde das Traumbuch des Lebens rauschend aufgeblättert und überall las ich unsere Träume und ihre Auslegungen. — Nach einiger Zeit kamen wir an ein lan¬ ges den Norden verschlingendes Land, gleich¬ sam der Fuß eines einzigen Bergs, es war schon das holde Ischia und ich stieg seelig-trunken aus und da erst dacht' ich an das Versprechen daß ich da eine Schwester finden sollte.“ 110. Zykel. Bewegt, gleichsam feierlich betrat Albano das kühle Eiland, es war ihm als wehten ihm die Lüfte immer die Worte zu: der Ort der Ruhe. Agata bat sie beide, bei ihren Eltern zu wohnen, deren Haus am Ufer, nicht weit vom Vorstädtchen Borgo d'Jschia . , liege. Als sie über die Brücke giengen, die den grünen mit Häusern umwundenen Fels mit dem Ufer und dem Städt¬ chen zusammenhängt: so zeigte sie freudig in Osten das einzelne Haus. Wie sie so langsam giengen und sich der hohe runde Felsen und die Häuserreihe im Wasser abspiegelte — und wie auf den flachen Dächern die schönen Wei¬ ber, welche die Feier-Lampen für den Abend ordneten, zu einander ämsig herübersprachen und wie sie die wiederkommende Agata grü߬ ten und fragten — und wie alle Gesichter so heiter waren, alle Gestalten so zierlich und sel¬ ber die ärmste in Seide — und wie die leben¬ digen Knaben kleine Kastaniengipfel niederzo¬ gen — und wie der alte Vater der Insel, der hohe Epomeo, vor ihnen ganz in Weinlaub und Frühlingsblumen gekleidet stand, aus de¬ ren süßem Grün nur zerstreuete weisse Lusthäu¬ ser beglückter Berganwohner schaueten: so war es Albano als sey ihm das lästige Gepäcke des Lebens in die Wellen entfallen und die aufrech¬ te Brust sauge weit den kühlen von Elysium her wehenden Äther ein; — über dem Meere drüben lag die vorige stürmische Welt mit ih¬ ren heißen Küsten. Agata führte beide ins elterliche Haus am östlichen Abhang des Epomeo und rief sogleich im lauten frohlockenden Empfang eben so laut: „Das sind zwei brave Herren, die ins Haus wollen.“ Der Vater sagte sofort: „Willkom¬ men, Exzellenzen! Ihr sollt gern die Zimmer behalten, wenn auch nachher viele Badgäste kommen. Ihr findet nirgends besseres Quar¬ tier. Ich war sonst nur ein „„Dreher““ in der Fayence-Fabrik; aber seit acht Jahren bin ich ein Winzer und kann etwas geben. Wenn war denn irgend ein Dezember und März Er meint die Traube, die dreimal des Jahres da gewonnen wird, im Dezember, März und August. besser als diesmal? Befehlt, Exzellenzen!“ — Plötzlich weinte Agata; die Mutter hatt' ihr das Begräbniß der jüngsten Schwester berich¬ tet, zu dessen Feier, nach der Sitte der Insel, heute ein Freuden-Abend angeordnet war, weil man einander zur ewigen seeligmachenden Bestätigung einer Kindes-Unschuld durch den Tod Glück zu wünschen pflegte. Der Alte wollte erst recht ins Erzählen eingehen, als Dian sei¬ nen Albano bat, nach so langer Seelen- und Körperbewegung schlummern zu gehen bis Sonnenuntergang, wo er ihn wecke. Agata wies ihm sein kühles Zimmer an und er gieng hinauf. Hier vor dem kühlenden See-Zephyr war das Einschlummern schon der Schlummer, und das nachklingende Träumen schon der Schlaf. Sein Traum war ein unaufhörliches Lied, das sich selber sang: der Morgen ist eine Rose, der Tag eine Tulpe, die Nacht ist eine Lilie und der Abend ist wieder ein Morgen. Er träumte endlich sich in einen langen Schlaf hinab. — Spät, im Dunkeln, schlug er verjüngt wie ein Adam im Paradies das Auge auf, aber er wußte nicht, wo er war. — Er hörte fernes süßes Tönen, — unbekannte Blüthendüfte durchschwammen die Luft — er sah hinaus, der dunkle Himmel war mit gold¬ nen Sternen wie mit feurigen Blüthen bestreuet — an der Erde, auf dem Meere schwebten Lichter-Heere und in tiefer Ferne hieng eine helle Flamme mitten im Himmel fest. Ein un¬ bekannter Traum verwirrte noch die wirkliche Bühne mit einer verschwundenen, und Albano gieng durch das stille menschenleere Haus fort¬ träumend heraus ins Freie wie in eine Gei¬ sterinsel. Hier zogen ihn Nachtigallen zuerst mit Tö¬ nen in die Welt herein. Er fand den Namen Ischia wieder, und sah nun, daß das Schloß auf dem Felsen und die lange Dächer-Gasse der Ufer-Stadt voll brennender Lampen stand. — Er gieng auf die erleuchtete von Menschen umlagerte Stelle der Töne zu, und fand eine ganz in Freudenfeuern stehende Kapelle. Einer Madonna und ihrem Kinde in der Nische wurde unter dem geschwätzigen Rausche der Freude und Andacht eine Nachtmusik vorgespielt. Hier fand er seine Wirthsleute wieder, die ihn alle im Jubel ganz vergessen hatten, und Dian sagte: „ich hätt' Euch schon geweckt, die Nacht und die Lust währt noch lange.“ „Hört und seht doch dort den göttlichen Vesuvio , der das Fest so recht gut mitfeiert,“ rief Dian, der sich so tief in die Wellen der Freude eintauchte, als irgend ein Ischianer. Albano sah hinüber nach der hoch im Ster¬ nenhimmel webenden Flamme, die wie ein Gott den großen Donner unter sich hatte, und die Nacht hatte das misenische Vorgebürg wie eine Wolke neben dem Vulkan aufgerichtet. Neben ihnen brannten tausend Lampen auf dem kö¬ niglichen Pallaste der nahen Insel Prozita. Indem er über das Meer hinblickte, dessen Küsten in die Nacht versunken waren und das unermeßlich und finster als eine zweite Nacht dahin lag: so sah er zuweilen einen zerfließen¬ den Glanz darüber schweifen, der immer brei¬ ter und heller floß. Auch zeigte sich eine ferne Fackel in der Luft, deren Lodern lange Feuer- Furchen durch die flimmernden Wellen zog. Es kam eine Barke näher mit eingezognem Segel, weil der Wind vom Lande gieng. Weibliche Gestalten erschienen auf ihr, worunter eine nach dem Vesuv gewandte von königlichem Wuchs, an deren rothem Seidenkleide der Fackelschein lang herunterfloß, das Auge fest hielt. Wie sie näher schifften und das helle Meer unter den schlagenden Rudern auf beiden Seiten aufbrannte: so schien eine Göttinn zu kommen, um welche das Meer mit entzückten Flammen schwimmt und die es nicht weiß. Alle stiegen ln einiger Ferne ans Land, wo bestellte Die¬ ner, wie es schien, dazu gewartet hatten, um alles zu erleichtern. Von der langen Gestalt nahm eine kleine mit einer Doppellorgnette versehene einen kurzen Abschied und gieng mit einem ansehnlichen Gefolge fort. Die rothge¬ kleidete zog einen weißen Schleier über das Gesicht und gieng, von zwei Jungfrauen be¬ gleitet, ernst und einer Fürstinn ähnlich, der Stelle zu, wo Albano und die Töne waren. Albano stand nahe an ihr, zwei große schwarze Augen mit Feuer gefüllt und mit in¬ nigem Ernst auf dem Leben ruhend strahlten durch den Schleier, der die stolze gerade Stirn und Nase verrieth. In der ganzen Erscheinung war für ihn etwas Bekanntes und doch Gros¬ ses, sie kam ihm als eine Feenköniginn vor, die vorlängst sich mit einem himmlischen Angesicht über seine Wiege lächelnd und begabend her¬ eingebückt und die nun der Geist mit alter Lie¬ be wieder erkennt. Er dachte wohl an einen Nahmen, den ihm Geister genannt, aber diese Gegenwart schien hier nicht möglich. Sie hef¬ tete ihr Auge mit Wohlgefallen und Aufmerk¬ samkeit auf das Spiel zweier Jungfrauen, welche niedlich in Seide gekleidet, mit Gold besetzten seidnen Schürzen zur Tamburine ei¬ ner Dritten anmuthig mit verschämt gesenktem Haupte und gesenkten Augen tanzten; die bei¬ den andern von der Fremden mitgebrachten Jungfrauen und Agata sangen mit italienischer halber Stimme süß zur holden Lust. „Es ge¬ schieht alles (sagte ein alter Mann zur Frem¬ den,) in der That zur Ehre der heil. Jungfrau und des heil. Nikola.“ Sie nickte langsam ein ernstes Ja. Da stand plötzlich Luna, vom Opferfeuer des Vesuv's umspielet, drüben am Himmel, als die stolze Göttinn des Sonnengottes, nicht bleich sondern feurig, gleichsam eine Donnergöttinn über dem Donner des Bergs — und Albano rief unwillkürlich: „Gott, der große Mond!“ — Schnell hob die Fremde den Schleier zurück und sah sich bedeutend nach der Stimme wie nach einer bekannten um; als sie den fremden Jüngling lange angeblickt, wandte sie sich nach dem Monde über dem Vesuv. Aber Albano war von einem Gott erschüt¬ tert, und von einem Wunder geblendet; er sah hier Linda de Romeiro. Als sie den Schleier hob, strömte Schönheit und Glanz aus einer auf aufgehenden Sonne; zarte jungfräuliche Far¬ ben, liebliche Linien und süße Fülle der Jugend spielten wie ein Blumenkranz um eine Götter¬ stirn, mit weichen Blüthen um den heiligen Ernst und mächtigen Willen auf Stirn und Lippe, und um die dunkle Gluth des großen Auges. Wie hatten die Bilder über sie gelo¬ gen und diesen Geist und dieses Leben so schwach ausgesprochen! Als wollte die Zeit die glänzende Erschei¬ nung würdig umgeben, so schön spielten Him¬ mel und Erde mit allen Strahlen des Lebens in einander — liebesdurstig flogen Sterne wie Himmelsschmetterlinge ins Meer — der Mond war über die ungestüme Erdflamme des Vesuv's weggezogen und bedeckte mit seinem zarten Licht die frohe Welt, das Meer und die Ufer — der Epomeo schwebte mit seinen versilberten Wäl¬ dern und mit der Einsiedelei seines Gipfels hoch im Nacht-Blau — darneben lebten die singenden, tanzenden Menschen mit ihren Gebeten und ih¬ ren Fest-Raketen, die sie in die Höhe warfen. — — Da Linda lange über das Meer nach dem Vesuv gesehen: redete sie den stillen Al¬ Titan IV . I bano, um seinem Ausruf zu antworten und ihr schnelles anblickendes Umwenden nach ihm gut zu machen, selber an: „ich komme vom Vesuv, (sagte sie,) aber er ist eben so erha¬ ben in der Nähe als in der Ferne, was so selten ist.“ — Ganz fremd und geistermäßig klang es ihm, daß er diese Stimme wirklich hörte. Mit sehr bewegter versetzt' er: „aber in diesem Lande ist ja alles groß, sogar das Kleine durch das Große — diese kleine Menschenfreu¬ de hier zwischen dem ausgebrannten Vulkan Die Insel Ischia selber. und dem brennenden — alles ist eins und dar¬ um recht und so göttlich.“ Zugleich an- und weggezogen, ihn nicht kennend, obwohl vor¬ hin von seiner Stimmen-Ähnlichkeit mit Ro¬ quairol getroffen, seinen einfachen Worten gern nachdenkend, blickte sie länger als sie merkte das redliche, aber trotzige und warme Auge des Jünglings an; antwortete nichts, wandte sich langsam ab und sah wieder still den Spie¬ len zu. Dian, der schon lange die schöne Fremde angesehen, fand endlich in seinem Gedächtniß ihren Nahmen und kam zu ihr mit der halb stolzen halb verlegnen Miene der Künstler ge¬ gen den Stand. Sie kannte ihn nicht wieder. „Der Grieche Dian, (sagte Albano,) edle Grä¬ finn!“ — Verwundert über des Grafen Erken¬ nung sagte sie zu diesem: „ich kenne Sie nicht.“ — „Meinen Vater kennen Sie, (sagte Albano,) den Ritter von Cesara.“ — „ O dio! “ rief die Spanierinn erschrocken, wurde eine Lilie, eine Rose, eine Flamme, suchte sich zu fassen und sagte: „wie sonderbar! Eine Freundinn von Ihnen, die Prinzessinn Julienne, ist auch hier.“ Das Gespräch floß jetzt ebener. Sie sprach von seinem Vater und drückte als Mündel ihre Dankbarkeit aus: „es ist eine mächtige Na¬ tur, die sich vor allem Gemeinen bewahrt,“ sagte sie, sogleich gegen die vornehme Sitte schon theilnehmend von Personen sprechend. Den Sohn beglückte das Lob auf einen Vater, er erhöhte es und fragte in froher Erwartung wie sie seine Kälte nehme. „Kälte? — (sagte sie lebhaft,) das Wort, I 2 hass' ich recht; wenn einmal ein seltener Mensch einen ganzen Willen hat und keinen halben und auf seiner Kraft beruht und nicht wie ein Schaalthier sich an jedes andere klebt: so heis¬ set er kalt. Ist die Sonne in der Nähe nicht auch kalt?“ — „Der Tod ist kalt, (rief Al¬ bano sehr bewegt, weil er oft selber mehr Kraft als Liebe zu haben glaubte,) aber eine erha¬ bene Kälte, eine erhabene Quaal kann es wohl geben, die mit Adlersklaue das Herz in die Hö¬ he entführt, aber es zerreisset mitten im Him¬ mel und vor der Sonne.“ Sie sah ihn groß an: „Ihr sprecht ja wie ein Weib; (sagte sie) das allein hat ohne die Macht der Liebe nichts zu wollen und zu thun; aber es war artig.“ — Dian, zu allgemeinen Betrachtungen verdorben und nur zu indivi¬ duellen tüchtig, unterbrach sie mit Fragen über einzelne Kunstwerke in Neapel; sie theilte sehr offen ihre eigenthümliche Ansicht mit, obwohl ziem¬ lich entscheidend. Albano dachte zuerst an seinen zeichnenden Freund Schoppe und fragte nach ihm: „bei meiner Abreise (sagte sie) war er noch in Pestiz, ob ich gleich nicht begreife, was ein so ungemeines Wesen da will — es ist ein gewaltiger Mensch, aber verworren und nicht klar. Er ist sehr Ihr Freund.“ — „Was macht (fragte Dian halb scherzend) mein alter Gönner, der Lektor Augusti?“ — Sie ant¬ wortete kurz und fast über dessen vertrauliches Fragen empfindlich: „es geht ihm gut am Hofe.“ — „Wenigen Naturen (wandte sie sich über Augusti fortfahrend an Albano) geschieht so viel Unrecht des Urtheils als solchen einfa¬ chen, kühlen, konsequenten wie der seinigen.“ Albano konnte nicht ganz Ja sagen; aber er erkannte in ihrer Achtung für die fremdeste Ei¬ genthümlichkeit froh die Schülerin seines Va¬ ters, der ein Gewächs nicht nach der glatten oder rauhen Rinde, sondern nach der Blüthe schätzte. Nie zeichnet der Mensch den eignen Karakter schärfer als in seiner Manier, einen fremden zu zeichnen. Aber Linda's hohe Of¬ fenherzigkeit dabei, die feingebildeten Weibern so oft abgeht als kräftigen Männern Feinheit und Hülle, ergriff den Jüngling am stärkesten und er glaubte zu sündigen, wenn er nicht seine große natürliche gegen sie verdoppelte. Sie rief ihre Jungfrauen zum Fortgehen. Dian gieng fort. „Diese sind mir nöthiger, (sagte sie zu Albano) als sie es scheinen.“ Sie habe nehmlich, erzählte sie, etwas von der Augen¬ krankheit Taggesicht (Hemeralopie) ist gewöhnlich in heissen Ländern; der stärkste Grad ist, Nachts, sogar gegen Licht blind zu seyn und erst am Morgen wieder sehend. vieler Spanierinnen, Nachts unend¬ lich kurzsichtig zu seyn. Er bat, sie begleiten zu dürfen, und es geschah; er wollte sie führen ihrer Anmerkung wegen, sie verbat's. Unter dem Gehen stand sie oft still, um nach der schönen Flamme des Vesuvs zu bli¬ cken. „Er steht (sagte Albano) in diesem Hir¬ tengedicht der Natur als eine tragische Muse da und hebt alles wie ein Krieg die Zeit.“ — „Glauben Sie das vom Krieg?“ sagte sie. — „Entweder große Menschen, (versetzte er) oder große Zwecke muß ein Mensch vor sich haben, sonst vergehen seine Kräfte, wie dem Magnet die seinigen, wenn er lange nicht nach den rech¬ ten Welt-Ecken gekehrt gelegen.“ — „Wie wahr! — (sagte sie.) Was sagen Sie zu ei¬ nem gallischen Krieg?“ — Er bekannte seinen Wunsch für dessen Entstehung und die eigne Theilnahme daran. Er konnte, sogar auf Ko¬ sten seiner Zukunft, gegen sie nichts seyn als offenherzig. „Seelig seyd Ihr Männer, (sagte sie) Ihr grabt Euch durch den Lebens-Schnee durch und trefft endlich die grüne Saat darun¬ ter an. Das kann keine Frau. Ein Weib ist doch ein dummes Ding der Natur. Ich ehre ein Paar Häupter der Revoluzion, besonders das politische Kraft-Ungeheuer, den Mira¬ beau, ob ich ihn gleich nicht lieb haben kann.“ Unter diesen Reden stiegen sie am Epomeo auf. Agata begleitete die beiden Gespielinnen ihrer frühern Zeit mit voller Zunge und hun¬ grigem Ohre für so viele gegenseitige Neuig¬ keiten. Da er jetzt neben der schönen Jung¬ frau gieng und zuweilen in das Angesicht blick¬ te, das durch die geistige Kraft noch schöner wurde, zugleich Blume, Blüthe und Frucht, statt daß sonst umgekehrt der Kopf durch das Gesicht gewinnt: so richtete er strenge über sein bisheriges Betragen gegen dieses edle Wesen; ob er gleich wie sie aus Zartheit über das bis¬ herige Gaukelspiel mit ihrem Nahmen so wie über das Wunder des heutigen Begegnens schwieg. — Still giengen sie in der seltnen Nacht und Gegend. Auf einmal blieb sie auf einer Höhe stehen, um welche der Brautschatz der Natur nach allen Seiten in Bergen aufge¬ häufet war. Sie blickten im Glanze umher, der Schwan des Himmels, der Mond, wogte fern vom Vesuve im hohen Äther — die Rie¬ senschlange der Erde, das Meer, schlief fest in ihrem von Pol zu Pol reichenden Bette — die Küsten und Vorgebürge dämmerten nur wie Mitternachts träume — Klüfte voll Baumblü¬ then flossen über von ätherischem Thau aus Licht und unten in Thälern standen finstere Rauchsäulen auf heissen Quellen und verwall¬ ten oben in Glanz — hoch lagen überall er¬ leuchtete Kapellen und tief um das Ufer dunkle Städte — die Winde standen still, die Rosen¬ düfte und die Myrtendüfte zogen allein — weich und lau umfloß die blaue Nacht die ent¬ zückte Erde, um den warmen Mond wich der Äther aus und er sank liebestrunken mitten aus dem Himmel immer größer auf den süßen Er¬ denfrühling herein — der Vesuv stand jetzt ohne Flamme und ohne Donner, weiß von Sand oder Schnee, in Morgen — im dunk¬ lern Blau waren die Goldkörner der feurigen Sterne weit auseinander gesäet. — — Es war die seltene Zeit, wo das Leben den Durchgang durch eine überirdische Sonne hat. Albano und Linda begegneten sich mit heiligen Augen und die Blicke löseten sich wieder sanft auseinander; sie schaueten in die Welt und in das Herz und sprachen nichts aus. Linda kehrte sich sanft um und gierig still weiter. Da rief auf einmal eines der nachgehenden geschwätzigen Mädchen aus: „es kommt wahr¬ lich ein Erdbeben, ich fühl' es recht, gute Nacht!“ — Es war Agata. „Gott geb' ei¬ nes,“ sagte Albano. „O warum?“ sagte Lin¬ da eifrig aber leise. — „Alles was die unend¬ liche Mutter will und giebt, ist mir heute kind¬ lich-lieb, sogar der Tod — gehören wir nicht mit zu ihrer Unsterblichkeit?“ sagt' er. — „Ja, das darf in der Freude der Mensch fühlen und glauben, nur im Schmerze sprech' er nicht von Unsterblichkeit, in solcher Seelenohnmacht ist er ihrer nicht würdig.“ Albano's Geist stand hier von der Fürsten¬ bank auf, um die hohe Verwandte zu grüßen und sagte: „Unsterbliche! und wär' es sonst niemand!“ Sie lächelte still und gieng fort. Sein Herz war ein beschriebenes Asbestblatt ins Feuer geworfen, brennend, nicht verbren¬ nend, das ganze vorige Leben losch weg, das Blatt glänzte feurig und rein für Lin¬ da's Hand. Als sie die letzte Anhöhe erreichten, worun¬ ter Linda's und Juliennens Wohnung lag und sie neben einander zur Trennung standen, da rief plötzlich unten das Mädchen: „ein Erdbe¬ ben!“ — Aus der Hölle heran rollte ein Don¬ nerwagen in den unterirdischen Wegen — ein breiter Blitz schlug die Flügel am reinen Him¬ mel unter den Sternen auf und zu — die Er¬ de und die Sterne zitterten und aufgeschreckte Adler flogen durch die hohe Nacht. — Albano hatte die Hände der wankenden Linda ergrif¬ fen. Ihr Angesicht war vor dem Monde zu einer blassen Götter-Statue aus Marmor ver¬ blüht. Es war schon vorbei; nur einige Sterne der Erde schossen noch aus dem festen Himmel ins Meer und wunderbare Wolken zogen un¬ ten ringsherum auf. „Bin ich nicht recht furcht¬ sam?“ sagte sie weich. Albano schauete ihr le¬ bendig und heiter wie ein Sonnengott im Mor¬ genroth ins Angesicht und drückte ihre Hände. Sie wollte sie heftig wegziehen. „Gieb sie mir ewig!“ sagte er heftig. — „Kühner Mensch, (sagte sie verwirrt,) wer bist Du? — Kennst Du mich? — Wenn Du bist wie ich, so schwöre und sage, ob Du immer wahr gewesen?“ — Albano sah gen Himmel, sein Leben wurde ge¬ wogen, Gott war nahe bei ihm, er antwortete sanft und fest: „Linda, immer !“ — „Ich auch!“ sagte sie und neigte schamhaft das schöne Haupt an seine Brust, hob es aber so¬ gleich wieder auf mit den großen feuchten Augen und sagte schnell: „gehen Sie jetzt! Früh Morgens kommen Sie, Albano! Adio , adio !“ — Die Mädchen kamen herauf, Albano gieng hinab, die Brust gefüllt mit Lebenswärme, mit Lebensglanz — die Natur wehte mit frischern Düften aus den Gärten her — das Meer rauschte unten wieder und auf dem Vesuv brannte eine Amors-Fackel, ein Freudenfeuer — durch den Nacht-Himmel zogen noch einige Adler nach dem Mond wie nach einer Sonne — und an das Himmels-Gewölbe war die Himmelsleiter aus goldnen Sprossen von Ster¬ nen gelehnt. Da Albano so einsam in der Seeligkeit gieng, aufgelöset in die Wonne der Liebe, in den Duft der Thäler, in den Glanz der Hö¬ hen, träumend, schwebend: so sah er Zugvö¬ gel über das Meer gegen den Apennin nach Deutschland fliegen, wo Liane gelebt. „Heili¬ ge droben, (rief sein Herz,) du wolltest dies Glück, erscheine und segne es!“ Unerwartet stand er vor einer Kapellen-Nische, worin die heilige Jungfrau stand. Der Mond verklärte die blasse Statue — die Jungfrau belebte sich unter dem Glanze und wurde Lianen ähnli¬ cher — er knieete hin und heiß gab er Gott die Dankgebete und Lianen die Thränen. Als er aufstand, girrten in Träumen Turteltauben und schlug eine Nachtigall, die heißen Quel¬ len dampften schimmernd, und er hörte das frohe Singen der fernen Menschen herauf. Neun und zwanzigste Jobelperiode. Julienne — die Insel — Sonnenuntergang — Nea¬ pel — Vesuv — Linda's Brief — Streit — Ab¬ reise. 111. Zykel. N ach einer langen Nacht wehte der frische Morgen, wo Albano die Schätze des seeligsten Traums, die vom Monde geöffneten Blumen des Glücks, vor der Sonne wiederfinden sollte. Ihm jauchzete das Leben, da er die gestrigen Höhen, die vom Firniß des Lichtes überzogen glänzten, wieder bestieg; nicht zu einem Ro¬ senfest, sondern zu allen Blumen- und Erndte¬ festen auf einmal, zu Myrten- und Lilienfe¬ sten, zu Ährenlesen und Blüthenlesen gieng die Sonne über den glücklichen Boden hervor, und wie ein Pfau mit seinem schleppenden Regen¬ bogen in einen Blüthenbaum hineinfliegt, so hob sich der junge Tag farbenschwer und mit Gärten beladen und voll Wiederscheine auf die blauen Höhen und lachte kindlich in die Welt. — Albano sah jetzt von seiner Höhe unten das Zauberschloß, worein sich gestern die mächtige Zauberinn verloren. Er kam unten an. Ein singendes Mädchen auf dem blumenvollen Dache, das auf ihn ge¬ wartet zu haben schien, zeigte unter dem Fort¬ singen sich herüberbeugend, ihm das nahe Zim¬ mer unter ihr, in das er gehen sollte. Er trat hinein; es war einsam — durch die Fenster aus geöltem Papier quoll ein wunderliches Mor¬ genlicht — auf die hölzerne Stubendecke wa¬ ren Figuren aus dem Herkulanum gemahlt — in einer kampanischen Vase standen gelbe Schmetterlingsblumen und Myrtenblüthen und zogen einen süßen Duftkreis um sich her. Die sonderbare Umgebung umschloß ihn immer enger, da er gar einige Bilder und Geräthe fand, die ihm bekannt vorkamen. Endlich erblickte er bestürzt auf dem Tische einen halben Ring. — Er nahm seinen halben hervor, den er im gothischen Zimmer in jener Geisternacht von der angeblichen Schwester bekommen und den er für den Zufall der Vergleichung immer bei sich trug. Er drückte die Halbzirkel in einan¬ der — plötzlich schlossen sie einfassend sich zu einem festen Ringe zu — Gott! dacht' er, was greift wieder ins Leben! — Da wurde hastig die Thür geöffnet und die Prinzessinn Julienne eilte lächelnd und weinend herein und rief, ihm zufliegend: „o mein Bru¬ der! Mein Bruder!“ — „Julienne, (sagt' er ernst und innig,) bist Du endlich meine Schwe¬ ster wirklich?“ — „O lange genug ist sie es,“ versetzte sie und sah ihn zärtlich und seelig an und lächelte ins Weinen. Dann umarmte sie ihn wieder, und sah ihn wieder an und sagte: „Du schöner Albano-Bruder! — So lange bin ich wie ein Mond um Dich herumgezogen und mußte kälter und weiter bleiben wie er; nun will ich Dich auch ausnehmend liebhaben, so recht zurücklieben und vorwärts dazu!“ — „Allmächtiger, (brach Albano weinend aus, da da er sich so plötzlich von einem gebenden Arm aus der Wolke umschlungen fand,) das alles giebst Du mir auf einmal jetzt?“ — „Ach, (rief Julienne lebhaft,) weint' ich nur auch vor lauter Freude! Aber ich esse mein bit¬ teres Stück Schmerz mit dazu! Lieber Bruder, Luigi schreibt mir gestern aus Pestiz, ich sollte zurückeilen, sonst erleb' er schwerlich meine Wie¬ derkunft. Dacht' ich das bei der Abreise? So soll ich, was ich mit der einen Hand einnehme, mit der andern ausgeben.“ Albano schwieg dazu, weil er am Fürsten keinen Antheil neh¬ men konnte. Desto mehr erquickt' er sich mit frischer klarer Freude, am offnen wehenden Orient der frühesten Lebenstage, an dem Bli¬ cke auf diese junge reine Blume, die gleichsam in und aus der hellen frischen Quelle seiner Kindheit wuchs und spielte. „Aber Himmel! erkläre mir (fieng Albano an) wie alles zugieng.“ — „Jetzt, weiß ich, hebt das Fragen an (versetzte sie). Die osten¬ sible Hauptsumme sollst Du kurz haben — fragst Du nach mehr, willst Du ins Geheimbuch gu¬ cken, so schlag' ichs zu und sage Dir einige Titan IV . K Lügen vor. Im nächsten Oktober, wohl eher, kommt alles ans Licht. Zu allererst! Meine Mutter war und bleibt wahrlich rein und hei¬ lig bei dieser Verwandtschaft, bei dem allmäch¬ tigen Gott!“ — „Welch ein Räthsel! (sagt' er.) Bist Du die Tochter meines Vaters? Ist Luigi mein Bruder? Ist meine todte Schwester Severina Deine Schwester?“ fragt' er. Julienne . Frage den Oktober! Albano . Ach Schwester! Julienne . O Bruder! Traue der Tochter Melchisedeks. Ferner: ich war wohl die erschei¬ nende Schwester, die der Mensch mit dem kah¬ len Kopfe Dir in Lilar zuführte; ich konnte nicht, ich mußte Dich haben, eh' Du ins Aus¬ land entflogst. Das Alter, das ich damals im Spiegel hatte, war wie Du siehst nur vom Kunstspiegel Es giebt metamorphotische Spiegel, die junge Gesichter veraltet darstellen. gemacht. Albano . Wahrlich, ich dachte damals an niemand als an Dich. Nur wie kommt ein Mensch wie der Kahlkopf und wie der Vater des Todes — der mir so unbegreiflich in Mola vorausgesagt, daß ich Dich finden würde — — Julienne . Das ist unmöglich — Meinen Nahmen nannt' er? Albano . Bloß dieser fehlte. Der Pater ist übrigens nach aller Wahrscheinlichkeit mit dem Kahlkopf Ein Mensch. Er fuhr dabei gen Himmel. Julienne . Da bleib' er ja und der An¬ dere mit. Geht und ficht mich oder Dich dieser dunkle Zauber-Bund etwas an, der in seinen falschen Wundern bisher immer durch seltsame wahre unterbrochen wurde? Ich kam damals in Lilar unschuldig dazu und verhütete vielleicht etwas Fürchterliches. Albano . Bei Gott, ich muß fragen. Was ist denn sein Zweck, wer sein Leiter, sein Obe¬ rer? — Julienne . Vermuthlich der Vater der Grä¬ finn, denn der lebt noch unbekannt und unge¬ sehen, hör' ich, obgleich Dein Vater Vormund ist. Erstaune, wenn Du zu Hause bist und lasse die Räthsel, die sich ja für uns beide schon K 2 so freudig entwickeln und erwarte die Okto¬ bertage. Albano . Aber eins, geliebte Schwester, versage mir doch nicht ein klares Wort über mein und Dein wunderbares Verhältniß zur edlen Gräfinn! Nur das! Julienne . Hat Dir's denn schon mein Herz versagt? — Die Herrliche! — Wohl ihr und mir und Dir! Dein erstes Wort der Lie¬ be — die Götter setzten dies nun so fest — sollte das Merkwort zu dem meinigen an Dich werden, erst von der Geliebten durftest Du die Schwester empfangen. Was Gaukler und Gei¬ ster dazu und davon thaten, das weiß niemand besser als der — Oktober; was soll ich erst lange zwischen Lüge und Meineid auslesen? Ich that bloß alles, euch beide nur vor einan¬ der hinzustellen; das Übrige wußt' ich voraus. Nichts gelang — lauter erwürgender Wirrwarr — alles gieng bergan — ich sah theuere Men¬ schen Ihn und Liane. in einem unseeligen Frühling entsetzli¬ che Schmerzen säen, und dabei so voll Hoff¬ nungen lächeln und konnte ihre unglücklichen Hände nicht halten — ich, die so gewiß allen Jammer voraus wußte. „O du fromme reine Seele droben!“ sagte sie auf einmal mit zit¬ ternder Lippe zum Himmel hinauf — die Ge¬ schwister umfaßten sich sanft und weinten still über das unschuldige Opfer. „Nein, (sagte Albano sehr warm,) kein Höllenbund konnte uns scheiden, wäre Sie nur bei mir geblieben oder doch auf der Erde.“ — „Sieh Albano, (sagte Julienne, ihre frohern Lebensgeister wieder zusammenrufend und öff¬ nete alle dunkele Fenster,) wie der Morgen- Hügel auf und ab prangt und wallet! — Las¬ se mich ausreden! Recht zum größten Glück erfuhr ich im Winter, daß Du nach Neapel gedächtest. Linda war schon einmal da gewe¬ sen, und ihre Mutter in den hiesigen Bädern. „„Mir (sagt' ich zu ihr) thäten Ischia's Bä¬ der so wohl als einer, reise mit, den tristen Vormund in Rom wollen wir gar nicht berüh¬ ren und besuchen.““ Sie willigte leicht ein. Deiner wurde natürlich nicht gedacht, vorher aber oft genug in Briefen und sonst, wo ich Dich immer unmäßig lobte. — Und nun nous voici donc . — Gestern erhielt ich in Neapel den traurigen Brief meines Bruders. Von Deiner Ankunft wußt' ich noch nichts. Ich ließ die Gräfinn allein zu Deinem Ton-Fest gehen und eilte mit dem schweren Herzen heim. Da sie freudig kam, that sie ihres auf und sagte mir alles — und dann ich ihr alles. — Ach, Gott Lob, (setzte sie ihm an den Hals fallend dazu,) daß wir nun endlich im Elysium ausgestiegen sind und daß uns der morsche Charons-Kahn nicht hat ersaufen lassen. — Aber für ganz Europa, auch für Deinen Dian, bleibet auf un¬ serer Verwandtschaft das Sekretsinsiegel daran, merke!“ Er mußte noch einige Fragen thun; sie antwortete immer aufgeweckt, der Oktober, der Oktober! bis sie auf einmal wie erwachend ausrief: „o wie kann ich das so lustig sagen?“ aber ohne sich darüber zu erklären. „Jetzt will ich Dich, wie ichs bisher machte, zur Gräfinn bringen, aber über einen kürzern Weg!“ sagte sie, nahm seine Hand, führte ihn hinaus, öffnete das Zimmer gegenüber, wo Linda wohnte, und sagte: „ich stelle Dir mei¬ nen Bruder vor.“ Hoch erröthend gieng ihnen die edle Gestalt entgegen und umarmte ohne ein Wort die liebe Freundin. Als ihr Auge Al¬ bano wiederfand, wurde sie so betroffen, daß sie die Hand zurückzuziehen suchte, die er küßte; denn sie hatte gestern kaum nur dämmernd sein schönes Auge und seine edle Stirn und den Mund der Liebe gesehen; und dieser blühende Mensch stand, von doppelter Rührung beseelt, so hell und still und ernst vor ihr, voll edler, rechter Liebe. Ihr Herz wäre gern an seines gefallen; wenigstens ihre Hand gab sie ihm in seine wieder und wünschte ihm Glück zu die¬ sem Morgen. Die nahe Antwort: „und zum gestrigen Abend,“ konnt' er nicht über die Lippe bringen, aus eigner verschämter Scheu, Lob zu geben wie zu nehmen. „Endlich ist der dritte Mann zum Reise-Kollegium gefunden (sagte Julienne). Denn Du mußt in einigen Tagen gleich fort, nach Pestiz mußt Du mit, Albano.'‚ „Ich mit, Schwester? (sagt' er) ich wollte ei¬ nen Monat bleiben, in einige Tage aber ist der Besuch des Vesuvs, Herkulanums und Neapels zusammengedrängt.“ — Er wunderte sich nachher selber über den süßen Gehorsam unter die schönen Befehle der Liebe, da er sonst zu sagen pflegte: „befiehl mir, zu befehlen: so gehorch' ich nicht.“ — „Ich begleite meine Freundinn, (sagte Linda,) so gern ich nach Grie¬ chenland gegangen wäre, dem ich schon zwei¬ mal so nahe bin.“ — „Noch in dieser Nacht flieg' ich fort, (sagt' er) ich will nur wachen, sehen, leben, lieben.“ Julienne fieng schon mit Schwester-Sorgen für seine Gesundheit und seine Zwecke an — getheilt zwischen zwei Brüder, hätte sie sich gern, wär' es nur möglich, beiden zugleich ge¬ opfert. — „ Ischia hat der gute Mensch auch noch nicht genossen, (sagte sie) das muß er heute haben.“ Albano fühlte bei dieser neuen weiblichen Liebe, das Weib sey das Herz in der schönsten Gestalt. In ihm klang ein Freudenlied: welch' ein Tag liegt vor dir, und welche Jahre! — Vom Überhang der doppelten Liebes-Blüthen süß umschlungen und eingesponnen, sah er das Leben und die Erde voll Duft und Licht — über den Morgenthau der Jugend war nun eine Sonne heraufgeführt und die dunkeln Tro¬ pfen strahlten durch alle Gärten hinauf und hinab. Er warf endlich einen Blick auf den Ort, der ihn umgab; Niobe's Gruppe, der Genius von Turin, Amor und Psyche, standen abge¬ gossen da, aus dem Kabinette eines Künstlers in Neapel entlehnt — die Wände waren mit seltenen Gemählden geschmückt, worunter der — niesende Schoppe war. Dieser allein drang mit der nordischen Vergangenheit heftig in sein erweichtes Herz und er sagte der Geliebten sein Gefühl. „Sie ziehen (sagte sie) der Kunst die Freundschaft vor, denn das Portrait ist das Schlechteste in meiner Sammlung; aber das Original verdient wohl alle Achtung.“ Sie gieng ins Kabinet und holte ein Mi¬ niaturbild von sich selber, das sie nach türki¬ scher Sitte darstellt, eingeschleiert und nur Ein Auge aufgedeckt. Wie neben der Schleier-Däm¬ merung das offne Seelen-Auge lebendig blickte und traf! Wie die Flamme ihrer Macht die Hülle der Milde durchbrannte! — Linda nannte den Meister des herrlichen Bildes, eben diesen Schoppe und setzte dazu: er habe gesagt, hier müsse der Meister aus Gegengefälligkeit selber ein Werk loben, das ihn so partheiisch und kräftig lobe, wie noch kein anderes Werk von ihm. Sie erklärte diese Verschiedenheit seines Pinsels aus einer Ursache, die er ihr selber fast wörtlich gesagt: er habe nehmlich in seiner frü¬ hesten Jugend ihre Mutter so lange geliebt, als er sie gesehen und hernach niemand weiter und darum hab' er, da sie ihr ähnlich sey, sie con amore gemahlt und wirklich etwas zu lei¬ sten gesucht. „O redlicher alter Mensch!“ sagte Albano, und konnte sich kaum der Thränen aus Augen, die so oft glücklich waren, erwehren; aber nur aus heiligem Freundschafts-Schmerz. Denn es fuhr nun durch ihn — wie ein Wetterstrahl durch den hellsten Himmel — die durch alles, durch Schoppens Tagebuch und Linda's Worte und Rabettens Brief gewisse Vermuthung, daß Linda die Seele sey, die der sonderbare Mensch verborgen geliebt. Ein scharfer Schmerz schnitt eilig aber tief durch seine Stirn; und er über¬ wand sich bloß durch seine jetzige jüngere Fri¬ sche des Geistes, durch neu gesammelte Kraft und Gewalt und durch den freien Gedanken, daß ein Freund dem Freunde wohl und leicht die Geliebte , aber nicht die Liebende ge¬ ben und opfern könne oder dürfe. Julienne sagte: „ein Wunder ist's nur, daß der Bruder zwischen zwei solchen Phantasten — wie dieser Schoppe und Roquairol — nicht selber einer geworden.“ Ein flüchtiger Krieg brach aus. Linda sagte: „Schoppe ist nur eine südliche Natur im Kampfe mit dem nordischen Klima.“ „Eigentlich mit dem Leben selber,“ sagte Albano. Julienne blieb dabei: „ich lie¬ be überall Regel im Leben; bei beiden ist man nie ruhig und à son aise , sondern nur à leur aise .“ Sie fragte ihn geradezu über Roquairol. „Er war einmal mein Freund und ich spreche nicht mehr von ihm;“ sagt' Albano, dem des zernichteten Lieblings folternde Liebe gegen Linda und selber dessen Verwandtschaft mit Liane die Zunge band. Linda gieng mit dem bloßen Urtheile eines überspannten Schwäch¬ lings leicht und ohne besonderes Gedenken seiner Liebe gegen sie oder ihres Abscheues vor ihm darüber hin; sie vergaß in der Ferne eben so kalt jeden, der ihrem Innern widrig war, als sie in der Nähe ihn heftig davon stieß. Julienne entfernte sich, um die Anstalten zur kleinen Tag- und Inselreise zu treffen. Al¬ bano schickte ein Blatt an Dian als Marsch¬ route nach Neapel; Linda sagte über Julienne: „ein tief- und fest gegründetes Gemüth!“ — „Das Stamm und Zweige nur in lauter kleine duftende Blüthen einhüllt,“ setzt' er hinzu. — „Und gerade, was sie in Büchern und Gesprä¬ chen hasset, die Poesie, die treibt sie recht in Thaten. Individualität ist überall zu schonen und zu ehren als Wurzel jedes Guten. — „Sie sind auch sehr gut,“ setzte sie mit sanfter Stim¬ me dazu. „Wahrlich, jetzt bin ichs, (sagt' er,) denn ich liebe recht; und nur ein vollendetes Wesen kann man recht lieben und ganz unei¬ gennützig!“ — So muß das Sonnenbild vollendet und rund auffallen, um zu brennen. „Oder ei¬ nes, das man dafür hält (sagte sie). Ich bin was ich bin und werde schwerlich an¬ ders. Wenn nur der Mensch einmal einen Wil¬ len hat, der durch das Leben geht, nicht von Minute zu Minute, von Mensch zu Menschen wechselt — das ist die Hauptsache.“ — „Lin¬ da, (rief Albano,) ich höre meine Seele — es giebt Wörter, welche Thaten sind, Ihre sind's.“ Wenn sie so ihre Seele aussprach, verschwand vor seinem bezauberten Geiste die schöne Ge¬ stalt, wie die goldne Saite verschwindet, wenn sie zu tönen anfängt. Von der Vergangenheit verwundet und bestraft für seine oft harte Kraft hauchte er — ob ihn gleich jetzt das Leben, die Welt und selber das Land kühner, heller, fe¬ ster und heisser gemacht — die unisonen Äolssaiten, dieser vieltönigen Seele, nur mit leisem Athem an. Aber wie mußte sie ein Mann bezaubern, zugleich so mächtig und so zart — ein sanftes Sternbild aus nahen Son¬ nen — ein schöner Kriegsgott mit der Lyra — eine Sturmwolke voll Aurora — ein muthiger, heisser Jüngling, der so redlich dachte! — Aber sie sagte es nicht, sondern liebte bloß wie er. Er warf einen zufälligen Blick auf ihre kleine Tisch-Bibliothek. „Lauter Franzosen!“ sagte sie; er fand den Montaigne , das Leben der Guyon, den Contrat social nnd zuletzt Mdme Stael, sur l'influence des passions. Er hatte diese gelesen und sagte, wie ihm die Ar¬ tikel über die Liebe, die Partheien und die Ei¬ telkeit unendlich gefallen und überhaupt ihr deutsches, oder spanisches Feuerherz, aber nicht ihre französische kahle Philosophie, am wenig¬ sten ihre unmoralische Selbstmordsucht. — „Lie¬ ber Gott, (rief Linda,) ist nicht das Leben sel¬ ber ein langer Selbstmord? — Albano, alle Männer sind doch irgendwo Pedanten, die gu¬ ten in der sogenannten Moralität, und Sie besonders — kantische Maximen, breite weite Fächer, Prinzipien müssen sie alle haben. — Ihr seyd alle geborne Deutsche, recht deutsche Deutsche, Sie auch, Freund. Hab' ich Recht?“ setzte sie sanft dazu, als begehre sie ein Ja. „Nein! (sagte Albano.) Sobald einmal ein Mensch etwas recht ernstlich und ausschliessend treibt und verlangt: so heisset er ein Phantast oder Pedant.“ — „O die ewigen Leser und Leserinnen!“ rief Julienne, hereintretend, über sein Buch in der Hand aus. „Nie hat die Prinzessinn eine Vorrede und eine Note gele¬ sen, (sagte Linda,) wie ich noch keine wegge¬ lassen.“ — Weiber, die Vorreden und Noten lesen, sind bedeutende; bei Männern wäre höch¬ stens das Gegentheil wahr. — „Wir können reisen, alles ist fertig,“ sagte Julienne. 112. Zykel. Wie wehte draussen — als sie in die festli¬ che Welt kamen — das kühle Himmelsblau herab statt der Erdenlüfte! Wie glänzte die Welt und der Tag — und die Zukunft! Wie schäumte im Lebenskelche der Liebestrank, für jeden der drei Menschen aus zwei berauschen¬ den Mitteln gemacht, glänzend über! — Sie folgten dem Wege nach dem Gipfel des Epomeo, aber in ausweichender Freiheit und in einem Wechsel der Natur, der nirgends wei¬ ter auf der Erde so ist. Sie begegneten Thä¬ lern mit Lorbeern und Kirschen, mit Rosen und Primeln zugleich. — Es kamen kühle Schluch¬ ten mit reifen Orangen und Äpfeln ausgefüllt, neben heissen Felsen von Aloe und Granaten und an die Gipfel des Kirsch- und Apfelbaums rührten oben die Wein- und Orangenblüthen. — In den blühenden Klüften schlugen sichere Nachtigallen und aus den Ritzen schossen gift¬ lose Schlangenköpfe ans Licht — Zuweilen kam ein Kloster in einem Zitronenwäldchen, zuwei¬ len ein weißes Haus am Weingarten, bald eine kühle Grotte, bald ein Kohlgarten neben rothen Klee, bald eine kleine Aue voll weißer Rosenblumen und Narzissen, und überall ein Mensch, der singend, tanzend und anredend vorübergieng. — Wechselnd deckten Höhen und Gärten das Land und das Wasser auf und zu und lange schimmerte oft das weite ferne Meer und seine Wolken-Küste wie ein zweiter Him¬ mel durch die grünen Zweige nach. — — Sie kamen dem Hause des Einsiedlers auf dem Gipfel immer näher, auf bunten goldnen Schwungfedern des Lebens sich wiegend. Sie sagten einander zuweilen ein freudiges Wort, aber nicht um sich mitzutheilen, sondern weil das Herz nicht anders konnte und ein Wort nichts war als ein freudiger Seufzer. Sie stan¬ den endlich auf dem Erden-Thron und blickten wie von der Sonne herunter. Rings um sie war das Meer gelagert, ins Blau des Hori¬ zonts verschmolzen — von Kapua her zog in der der Tiefe der weiße Apennin um den Vesuv und herüber auf der langen Küste Sorrento's fort — und vom Pausilip an verfolgten die Län¬ der das Meer bis über Mola und Terracina — auf der geöffneten Welt-Fläche erschien alles, die Vorgebürge, die gelben Krater-Ränder auf den Küsten und die Inseln rings umher, die der verhüllte fürchterliche Gott unter dem Meere aus seinem Feuerreich an die Sonne ge¬ trieben — und das holde Ischia, mit seinen kleinen Städten an den Ufern und mit seinen kleinen Gärten und Kratern, stand wie ein grü¬ nendes Schiff im großen Meer und ruhte auf zahllosen Wogen. Da verschwanden drunten die Größen der Erde, nur die Erde allein war groß und die Sonne mit ihrem Himmel war's. „O wie sind wir glücklich!“ sagte Albano. Ja, ihr waret glücklich dort, wer wird es nach euch seyn? — Sich auf dem Baum des Lebens wiegend, auf welchen schon sein Kindes-Auge so früh und sehnsüchtig geblickt, sagt' er alles was ihn erhob und ergriff: „daran erkenn' ich die All¬ gewaltige, zornig und flammend steigt sie aus Titan IV . L dem Meersboden herauf, pflanzt ein brennen¬ des Land und dann theilt sie wieder lächelnd an ihre Kinder Blumen aus; so sey der Mensch, Vulkan — dann Blume.“ — „Was sind da¬ gegen (sagte Julienne) alle Winterlustbarkei¬ ten des deutschen Wonnemonds! Ist das nicht eine kleinere Schweiz nur in einem größern Genfersee?“ — Die Gräfinn, durch ihr Spa¬ nien einheimischer in solchen Reizen, hielt sich meistens still. „Der Mensch (sagte sie) ist die Oreade und Hamadryade oder sonst eine Gott¬ heit und beseelet Wald und Thal und den Men¬ schen selber beseelet wieder ein Mensch.“ Der Einsiedler erschien und sagte, ihr her¬ aufgesandtes Mahl sey längst angekommen; er lobte seine Höhe mit: „oft (sagt' er und machte Julienne lachen,) raucht mein Berg wie der Vesuv und Badgäste sehen herauf und fürchten etwas, es ist aber, weil ich mein Brod hier oben backe.“ — Sie lagerten sich im schattigen Freien. Man mußte immer wieder auf die lieblichen verkleinerten Inseln hinabsehen, die mit ihren in Gärten gesäeten Gärten, mit ihren mit Herbsten durchflochtenen Frühlingen so ganz und nahe lag, ein großer Familiengarten, wo die Menschen alle beisammen wohnen, weit nicht Länder sich mit Ländern verwirren, und die Bienen und die Lerchen fliegen nicht weit über den Garten des Meeres hinaus. Gleich offnen stillen Blumen waren die drei Seelen neben einander, duftend fliegt der Blumenstaub hin und her, neue Blumen zu erzeugen. Linda versank ganz in ihr großes tiefes Herz; der Liebe ungewohnt, wollte sie sie darin anschauen und genießen, indeß kein Wort Albano's ihr entfloh, denn es gehörte zur Liebe im Herzen. Von Milde übergossen und sinnend war sie da, mit dem großen Auge halb unter dem nieder¬ gehenden Augenlied — nach ihrer Sitte immer lange schweigend wie lange sprechend. Wie der Diamant eben so glänzt wie der Thautropfe, nur aber mit fester Kraft und auch ohne Sonne: war ihr Herz dem weichsten in jeder weiblichen Milde und Reine gleich und übertraf es nur an Stärke. Entzückt sah Julienne es an, wenn sie etwa — nach einem kindlichen Vergessen Al¬ bano's, weil ihr Rede-Strom sie von einer Welt in die andere gerissen — plötzlich und mit L 2 unbefangener Freude mit ihrer feingeformten Hand zu des Jünglings seiner zurückkehrte, dem ihr Händedruck nichts kleineres war als eine zärtere Umarmung. Sie nahmen den nähern Rückweg gegen Al¬ bano's Wohnung herab, die immer in ihrem Reben-Geniste zu ihnen heraufsah. Man war noch so kurz bei einander — am Morgen rei¬ sete Albano. — Er sollte von Portici aus schrei¬ ben, ein Bote den Brief holen — „und er bringt mir auch einen,“ sagt' er; — „gewiß nicht!“ sagte Linda. Albano bat. „Sie wird sich schon ändern und schreiben,“ sagte Julienne. Sie verneinte. Allmählig liefen Schattenfurchen neben den schwarzen Lavaströmen den Berg hinab, und in den Pappeln fiengen Nachtigal¬ len schon ihre melodische Dämmerung an. Sie kamen Albano's Hause nahe; Dian lief entzückt der Prinzessinn entgegen. Albano bat ihn, ohne beide gefragt zu haben, eine Barke zu schaffen, damit man den Abend genieße. Gerade zu ge¬ waltsamen Anträgen der Freude sagen die Mäd¬ chen am liebsten das Ja. Dian war sogleich mit einer zur Hand; mit seiner Freude hieng er schnell an jeder fremden. Sie stiegen alle ein, und fuhren unter die Sonnenblumen, die jeder Sonnenstrahl auf die Wellen-Beete immer dichter pflanzte. Albano vergaß — im jetzigen Feuer, gewohnt an die Sitten des warmen Landes, wo der Liebende vor der Mutter spricht und sie von ihm mit der Tochter, wo die Liebe keinen Schleier trägt, nur der Haß und das Gesicht und wo die Myrte in jedem Sinne die Einfassung der Felder ist — sich einen Augenblick vor Dian und nahm Linda's Hand; schnell entriß sie ihm sie, der Mäd¬ chen Sitte treu, die den Arm verschenkt und den Finger und Fingerhut verweigert. Aber sie sah ihn sanft an, wenn sie abgeschlagen. Sie kamen auf ihrer Fahrt von Osten nach Norden wieder vor dem Felsen mit den Häu¬ sern und vor den Gassen der Ufer-Vorstadt vorüber. Alles war froh und freundlich — al¬ les sang, was nicht schwatzte — die Dächer waren mit Webstühlen seidner Bänder besetzt und die Weberinnen sprachen und sangen zu¬ sammen von Dach zu Dach. Julienne konnte kaum das Auge von diesem südlichen Vereine ablassen. Sie zogen weiter ins Meer, und die Sonne gieng ihm näher zu. Die Wellen und die Lüfte spielten mit einander, jene wehend, diese wogend — Himmel und Meer wurden zu Einem Blau gewölbt und in ihrer Mitte schwebte, frei wie ein Geist im All, das leichte Schiff der Liebe. — Der Umkreis der Welt wurde ein goldner geschwollner Ährenkranz voll glühender Küsten und Inseln — Gondeln flo¬ gen singend ins Weite und hatten schon Fackeln für die Nacht bereit — zuweilen zog hinter ih¬ nen ein fliegender Fisch seinen Bogen in der Luft, und Dian sang ihnen ihre bekannten vorübergleitenden Lieder nach. — Dort seegel¬ ten stolz und langsam große Schiffe her, mit rothem und blauem Helmbusch gleich dem Him¬ mel flatternd, und als Sieger dem Hafen zu. — Überall war Lebens-Most ausgegossen und arbeitete brausend — So spielte eine gött¬ liche Welt um den Menschen! „O hier an dieser großen Stelle, (sagte Albano,) wo alles Platz hat, die Paradiese und die schwarzen Or¬ kus-Ufer aus Lava — und das weiche Meer — und Vesuv's graues Gorgonenhaupt — und die spielenden Menschen — und die Blüthen und alles — hier wo man glühen muß wie eine Lava — dürfte man da nicht sich gleich der heißen Lava umher in die Wellen begraben in seiner Gluth, wenn man wüßte, es könne et¬ was vergehen von dieser Stunde, nur etwas von Andenken davon, oder ein Pulsschlag für ein Herz? — Wäre das nicht besser?“ — „Viel¬ leicht“ sagte Linda. — Julienne wurde durch die weiche Freude vor das ferne Krankenbette ihres Bruders gezogen und sagte lächelnd: „kann man es nicht wie die schöne Sonne drüben machen, und unter die Wellen gehen und doch wiederkommen? — Schauet doch ihrem Unter¬ gange recht zu, nirgends ist er auf der Erde so.“ — Die Sonne stand schon zu einem großen Goldschild gewachsen vom Himmel gehalten über den Ponzischen Inseln und vergoldete das Blau derselben — die weiße Krone aus Felsen- Stacheln, Kapri, lag in Gluth und von Sor¬ rento's bis Gaeta's Küsten war den Welt- Mauern dämmerndes Gold angeflogen — die Erde rollte mit ihrer Axe wie mit einer Spiel¬ welle nahe an der Sonne und schlug aus ihr Strahlen und Töne — seitwärts lagerte sich versteckt der Riesen-Bote der Nacht auf das Meer, der unendliche Schatte des Epomeo. — Jetzt berührte die Sonne ihr Meer und ein goldner Blitz zitterte durch den nassen Äther umher — und sie wiegte sich auf tausend feu¬ rigen Wellen-Flügeln — und sie zuckte und hieng liebesbrünstig, liebeglühend an dem Meere und das Meer sog brennend alle ihre Gluth — Da warf es, als sie vergehen wollte, die Decke eines unendlichen Glanzes über die erblassende Göttinn — — Dann wurd' es still auf der Welt — eine bewegliche Abendröthe überfloß mit Rosen-Öl alle Wogen — die hei¬ ligen Untergangs-Inseln standen verklärt — die fernsten Küsten traten heran und zeigten ihr Roth der Entzückung — auf allen Höhen hien¬ gen Rosenkränze — der Epomeo glühte bis zum Äther hinauf und auf dem ewigen Wol¬ kenbaum, der aus dem hohlen Vesuv aufwäch¬ set, verglomm im Gipfel der letzte dünne Glanz. Sprachlos wandten sich die Menschen von dem Westen nach dem Ufer um. Die Schiffer fiengen wieder an zu sprechen. „Mache, (bat Linda ihre Freundinn leise,) daß Dein Bruder sich immer nach Abend wendet.“ Sie erfüllte die Bitte, ohne deren Grund sogleich zu erra¬ then. Immer sah Linda in sein schön beglänz¬ tes Angesicht. „Bitt' ihn wieder, (sagte sie zum zweitenmal,) es dämmert zu sehr und meine kranken Augen sehen ohne Licht so übel.“ Es geschah nicht; denn sie stiegen sogleich ans Ufer. Die Erde zitterte ihnen, da sie sie betra¬ ten, als ein Sangboden der seeligen Stunde nach. Albano war in sprachloser Rührung auf das geliebte Angesicht geheftet, das er bald wie¬ der verlassen sollte: „ich schreibe Ihnen,“ sagte sie unaufgefodert mit einem so rührenden Wi¬ derrufe der vorigen Drohung, daß er sich, wär' er nicht unter fremden Augen gewesen, dank¬ trunken auf ihre Hand, an ihr edles Herz ge¬ stürzet hätte. Das Scheiden und das Ende ei¬ nes harmonischen Tages wurde schwer, worin der Ton jeder einzelnen Minute wieder ein Dreiklang gewesen. Jetzt schied Dian schon. „Nicht einmal die Rosen des Abends (sagte Julienne) sind ohne Dornen.“ „Abgebrochen, ist überall das Beste; wir wollen nach Hause,“ sagte Linda. Albano bat, daß er begleiten dürfe. „Wozu?“ sagte Linda. — Leise setzte sie ihrer Augen wegen dabei: „ich kann Euch kaum mehr sehen — indeß kommt nur, ich hö¬ re doch.“ — „Schöne Veränderliche!“ sagte Julienne. „Ich verändere mich, (sagte sie,) aber kein Anderer — nur bis zur Kapelle, Al¬ bano, Ihr schiffet morgen früh fort,“ — „Nicht einmal, heute noch vielleicht,“ sagte er. Indem sie nun so langsam und immer lang¬ samer den Berg hinangiengen und die Nachti¬ gallen schlugen und die Myrtenblüthen dufte¬ ten und die lauen Lüfte flatterten und oben die ganze zweite Welt wie eine verschleierte Nonne durch die Silber-Gitter der Sternbilder heilig schauete: so überfloß jedes Herz von treuer Liebe, und der Bruder und die Schwester und die Geliebte nahmen wechselnd einander die Hand. Auf einmal stand Linda an der Stelle der gestrigen Vereinigung und sagte: „hier soll Er gehen, Julienne!“ und zog schnell ihre Hand aus seiner und streichelte leicht über seine Locken und seine Wange, und dann über sein Auge und fragte: Wie? in einen Traum verirrt. „Gleich, (sagte Julienne,) aber auf den italienischen Winter muß man doch, um nur heimzukommen, gar warten, auf den Mond.“ Da fiel der Bruder der zarten Schwester, welche ihm dadurch die längere Gegenwart und der Freundinn das Wiederse¬ hen durch die stärkere Beleuchtung zubereiten wollte, an das Herz und rief mit Thränen aus: „O Schwester, wie viel hast Du nicht für mich gethan, eh' ich etwas thun oder Dir danken konnte, — Du reichst mir ja alles, jedes Glück, die höchste Seeligkeit, o wie bist Du!“ — „Der Mond ist da! (rief sie) nun reise glück¬ lich und scheide!“ Wie ein silberner Tag war der Mond auf die Gebürge heraufgetreten und die verklärte Geliebte sah des Geliebten blühendes Angesicht wieder. Er nahm ihre Hand und sagte: „lebe wohl, Linda!“ — sie sahen sich lange an, die Augen voll Seelen und sie wurden sich frem¬ der und höher — da drückte er, ohne zu wis¬ sen wie, die erhabene Jungfrau wie ein seeli¬ ger Geist eine Frühlingssonne, sich an das Herz — und er berührte das Heiligthum ihres Ange¬ sichts mit dem seinigen und wie Morgenröthen zweier Welten schmolzen ihre Lippen zusammen. Linda schloß die Augen und küßte zagend und nur ein einziges Leben und Glück rollte und glühte zwischen zwei Herzen und Lippen. Ju¬ lienne umschlang leise die Umarmung mit ihrer und begehrte kein anderes Glück. Darauf schie¬ den alle, ohne wieder zu sprechen, oder sich umzusehen. 113. Zykel. Albano flog mit der neuen Hastigkeit, die jetzt in seinen Handlungen regierte, schon un¬ ter dem kühlen Morgenstern von dem glückli¬ chen Boden davon. Er sagte dem Baumeister Dian sein ganzes Glück, weil er wußte, wie sehr der Mann noch ein Jüngling für die Lie¬ be blieb: „bravo! (antwortete Dian.) Wer kann ohne Liebe in Italien auskommen? Un¬ ser einer wenigstens nicht. Hoffentlich ist Euere prächtige Juno gegen Euch nicht so stolz wie gegen andere Leute: dann mag's wohl ein Göt¬ terleben geben.“ In den Morgenlüften, von Sonne und Woge angestrahlt, schwebt' er gleitend auf dem blauen Spiegel-Meer zwischen zwei Himmeln, und sein Auge war seelig, wenn es nach dem Olymp, Epomeo, zurücksah, und war seelig, wenn es wieder auf die hinauf und hinabschim¬ mernden Küsten, auf den langen ausgelegten Markt der Erde blickte. Als sie unter den schwimmenden Pallästen, den Schiffen, vorbei an die stehenden kamen: trafen sie das Volk im Taumel eines Heiligen- Festes. Er vergrub gezwungen den blauen Tag und das Meer in Tempeln — in Bildersälen — in vierten Stockwerken, wo nach der Sitte ei¬ nige Große wohnten, an welche er von seinem Vater Briefe abgab — und schöner in der un¬ terirdischen finstern Gasse, die sich durch den blühenden Posilippo wölbt. Nur die Aussicht, daß er in der ersten näch¬ sten Einsamkeit mit dem entrückten Herzen re¬ den werde, beruhigte seinen immer aus der Ge¬ genwart fliehenden Geist. Abends bestiegen sie die schönste Höhe über Neapel, das Kamaldo¬ lenser Kloster, wo er unter den Freuden der Aussicht in grauer Ferne hinter dem Posilippo den hohen Epomeo stehen sah. Er hielt sich nicht länger, sondern fieng, an einer dichter umblühten Stelle, die er sich dazu aussuchte, diesen Brief an Linda an: „Endlich, edle Seele, kann ich zu Dir reden und Deine Insel wieder schauen, wiewohl nur als eine aufgerichtete sonnenrothe Abendwolke am Horizont. Linda, Linda, o daß ich Dich habe und hatte! Dauert denn der zweitägige Götter- Traum noch herüber ins kalte Heute? Du bist jetzt so fern und stumm und ich höre kein Ja. Als ich in Rom auf der Peterskuppel in den blauen Morgenhimmel sah und das Leben um mich brausend schwoll, wie die Lüste mich umwehten: so war mir als müßt' ich mich in ein fliegendes Königsschiff werfen und ein Ufer suchen, das unter dem tiefsten Sternbild grünt; als müßt' ich wie eine Kaskade hinabflattern durch den Himmel und mich drunten durch das steinige Leben reissen, dringend und zerstörend und tra¬ gend. Und so ist mir jetzt wieder und noch stärker; ich möchte zu Dir hinüberfliegen und sagen: Du bist mein Ruhm, mein Lorbeerkranz, meine Ewigkeit, aber ich muß Dich verdienen; ich kann nichts für Dich thun, außer für mich. — In der alten Zeit waren geliebte Jünglinge groß, Thaten waren ihre Grazien und der Pan¬ zer ihr Feierkleid. — Heute als ich auf den Golf von Baja und auf die Ruinen hinübersah, wo die Gärten und Palläste der großen Römer noch mit Trümmern oder Nahmen liegen; und als ich die alten trotzigen Riesen stehen sah mitten in Blumen und Orangen und in lauen Duftlüften, davon erquickt, aber nicht erweicht, mit der Hand den schweren Dreizack hebend, der drei Welttheile bewegte und mit der mar¬ kigen Brust entgegentretend dem Winter in Norden, der Gluth in Afrika und jeder Wun¬ de: da fragte mein ganzes Herz: bist du so? O Linda, kann der Mann anders seyn? Der Löwe geht über die Erde, der Adler geht durch den Himmel und der König dieser Könige habe seine Bahn auf der Erde und in dem Himmel zugleich. Noch war und that ich nichts; aber wenn noch das Leben ein leerer Nebel ist, kannst Du ihn übersteigen, oder festgreifen und zerschlagen? Willst Du einmal, Du Ura¬ nide, einen Mann lieben, so tret' ich vor kei¬ nem zurück. Aber Worte sind an Thaten nur Sägespähne von der Herkuleskeule, wie Schop¬ pe sagt. Sobald der Krieg und die Freiheit auf einander stoßen, so will ich Dich im Sturm der Zeit verdienen und Dir Thaten mitbringen und die unsterbliche Liebe. Hier steh' ich auf der göttlichen Höhe des Klostergartens und blicke in ein grünes Him¬ melreich ohne Gleichen hinab. Die Sonne ist schon über den Golf hinüber und wirft ihre Rosenfeuer unter die Schiffe und ein ganzes Ufer voll Palläste und voll Menschen brennt roth — durch die langen ausgebreiteten Stras¬ sen unter mir rollt das Festgetümmel schon her¬ auf, und die Dächer sind voll geschmückter Men¬ schen und voll Musik, Balkons und Gondeln erwarten die göttliche Nacht zu den Gesängen. Und hier bin ich allein und bin doch so glück¬ lich und sehne mich ohne den Schmerz. Aber wär' wär' ich vor vier Tagen, Linda, wo ich Dich noch nicht kannte und noch nicht hatte, hier gestanden und hätte angesehen diesen Abend — das goldne Meer — das heitere Portici, das Sonne und Meer mit Flammen anspühlen — den herrlichen Vesuv mit goldgrünen Myrten umwunden und mit dem grauen Aschen-Haupt voll Sonnengluth — und hinter mir die grüne Ebene voll Wolken aus Blüthenstaub, die aus Gärten steigen und in Gärten regnen — und den ganzen webenden Zauberkreis freudiger Kräfte, diese in Licht und Leben schwimmende Welt: — dann, Linda, hätte ohne Dich durch die warme Seeligkeit ein kalter Schmerz gezückt und im goldnen Abendlicht wären Erinnerungen mit Trauer-Larven gegangen. O Linda, wie hast Du meine Welt gerei¬ nigt und erweitert und ich bin nun überall glücklich. Du hast den schweren scharfen Pflug des Lebens, der mühsam an der Ernte arbeitet, in einen leichten Griffel und Pinsel verwandelt, der umherspielt bis er eine Götter-Gestalt er¬ schafft. Sah' ich heute nicht jeden Tempel und jeden Hügel froher, wie von Dir vergoldet und Titan IV . M jede Schönheit, sie mochte an der Statue, auf der Leinwand, oder auf der singenden Lippe oder auf den Gipfeln blühen, prangte und duf¬ tete üppiger und dann flog ich von der kleinen Blume auf zur blühenden Linda? — Wie herrschet die dunkle Gewalt hinter der Wolke! Versiegelte Befehle giebt sie uns mit, damit wir sie auf einer späten fremden Stelle erbrechen. Gott, erst auf Ischia's Epomeo mußt' ich meinen öffnen, da gieng ein Augen¬ blick über das Leben und gebahr die Ewigkeit, der Schmetterling brachte die Göttinn! Der Abend geht unter und ich muß schwei¬ gen. Wüßt' ich nur, wie der Deinige ist! Mein Leben besteht jetzt aus zwei Stunden, Deinen und meinen, und ich kann nicht mehr mit mir allein leben. — Dieser Tag sey Dir doch reich und mild entwichen und Dein Abend wie meiner! Die Sonne röthet nur noch den Vesuv, die Inseln verglühen langsam im dun¬ keln Meer, ich schaue nun ohne mit Dir zu sprechen, den großen Abend an, aber o Gott so anders als in Rom! Seelig werd' ich mein Auge nur an Deine auslöschende Insel im Glanz-Getümmel des Abendroths heften und lange noch hinsehen, wenn schon Epomeo's Gi¬ pfel in der Nacht verwittert; und dann werd' ich heiter in das mit Lichtern umstellte Grab der Farben unter mir schauen — frohe Gesän¬ ge werden durch die Dämmerung ziehen — die Sterne werden liebreich schimmern — und ich werde sagen: „„ich bin allein und still, aber unaussprechlich seelig, denn Linda hat mein Herz und ich weine nur aus Liebe, weil ich an ihres denke,““ und trunken werd' ich durch den Blüthenrauch des Bergs hinuntergehen.“ — Er kam langsam nach Neapel zu seinem Freunde Dian zurück, alle Fest-Lust, die ihm begegnete, das ganze Odeum der Wonne, in welchem das klingende Rad der Leier schwin¬ delnd umrollte, schien ihm bloß sein Nachklang zu seyn, indeß sonst erst den äußern sinnli¬ chen Saiten des Menschen die innern nachklin¬ gen. Er wollte nur immer weiter, und noch — wenn es gienge — diese Nacht auf den Weg nach dem Vesuv, für ihn gab es jetzt M 2 nur Eine Tagszeit. Das wärmere Klima sammt der Liebe und dem Mai schienen alle Frühlings¬ winde seiner Kräfte zu wecken, sie wehten un¬ gestüm, ihm selber sogar bewußt; nur vor der Geliebten war er, noch wund von der Vergan¬ genheit, bloß ein Zephyr, der die stäubende Blüthe schont. Am andern Tage wollt' er nun den Vesuv besteigen und am Morgen darauf seinen Dian in Portici erwarten, wenn er vorher auf dem Vulkan die Sonne hatte aufgehen sehen. 114. Zykel. Seine Reise beschrieb er seiner Geliebten: In der Hütte des Einsiedlers auf dem Vesuv. „Warum liegt nicht der Mensch auf den Knieen und betet die Welt an, die Berge, das Meer, das All? Wie erhebt es den Geist, daß er ist und daß er die ungeheuere Welt denkt und sich! — O Linda, ich bin noch voll von dem Morgen; auch wohne ich noch auf der er¬ habnen Hölle. Gestern reisete ich am Morgen mit meinem Bartolomeo durch den reichen vol¬ len Gartenweg nach dem heitern Portici, das sich an den Riesen anschmiegt wie Katana an den Ätna. Immer dieselbe große durch dies erhabene Land ziehende epische griechische Ver¬ schmelzung des Ungeheuern mit dem Heitern, der Natur mit den Menschen, der Ewigkeit mit der Minute. — Landhäuser und eine lachende Ebene gegenüber der ewigen Todesfackel — zwischen al¬ ten heiligen Tempelsäulen geht ein lustiger Tanz, der gemeine Mönch und der Fischer — die Gluth- Blöcke des Bergs thürmen sich als Schutzwehr um Weingärten und unter dem lebendigen Por¬ tici wohnt das hohle todte Herkulanum — ins Meer sind Lavaklippen gewachsen, und in die Blumen schwarze Sturmbalken geworfen. Das Steigen war anfangs meiner Seele Erquickung, der lange Berg wurde der vollen Wolke ein Ableiter. Spät Nachts im ewigen Steigen kamen wir ohne Genuß der Abendsonne, durch deren rothen Glanz auf der Asche wir schnell waten mußten, hier beim Einsiedler an; der Mond war noch nicht herauf, Deine Insel noch unsichtbar. Oft donnerte es unter dem Fußboden der Stube. Da wurd' ich auf ein¬ mal vom Einsiedler schön an meinen alten Schoppe erinnert, indem er mir erzählte, daß einmal ein hinkender Reisende mit einem Wolfs¬ hund hierüber gesagt: im Vesuv sey der Stall der unaufhörlich polternden Donnerpferde. Das war nach Allem gewiß nur Schoppe. In der Mitternacht, meine Linda, als der Mond über dem Apennin herüber war und mit einem entzückten langen Silberblick vom Himmel sah und ich an Dich dachte, stand ich auf und gieng leise hinaus, um wieder zu se¬ hen, wo Du wohnest, meine Linda. Draussen war es überall still, ich hörte gleichsam die Er¬ de auf ihrer Bahn im Himmel donnern — die Schatten der Lindenbäume um mich schliefen fest auf dem grünen Rasen — Vesuv's Rauch stieg empor in die reine Luft — über das dampfende Meer hin glänzte wunderlich der Mond, und mühsam sucht' und fand ich end¬ lich den einsamen Berg Deiner Insel, hoch ins Blau gezogen, silbern blühend unter den Ster¬ nen um ihn her, eine schimmernde Tempelzinne für mein Herz. — „„Dort wohnt und schlum¬ mert Sie auf dem Thabor, eine Verklärte des Elysiums!““ sagte ich mir. — Um mich war Asche der Jahrhunderte, Stille des Sargs, und nur zuweilen ein Poltern, als werfe man auf jenen den Grabhügel — ich war weder im Land des Todes noch der Unsterblichkeit — Die Länder wurden Wolken — Neapel und Portici lagen verdeckt — das weite Himmels¬ blau umfieng mich — ein hoher Nachtwind bog die Rauchsäule des Vulkans nieder und führte sie wechselnd-beglänzt in langen Wolken durch den reinen Äther fort. — Da sah ich nach Ischia, und sah gen Himmel, o Linda, ich bin aufrichtig, hör' es, daß ich die fromme Liane, die Dich so unendlich liebte, bat, jetzt um Dich zu schweben und Dir das Glück zu bereiten, das sie Dir sonst so gönnte. Auf einmal wurden die Donner des Berges ganz still, die Sterne blitzten heller; da schauderte mich die Stille und das Leben und ich gieng in die Hütte zurück, aber lange noch weint' ich vor Entzückung über den bloßen Gedanken, daß Du glücklich würdest. Der Morgen gieng auf; und mitten in sei¬ nem dunkeln Winter traten wir die Reise nach der Feuer-Schlucht und Rauchpforte an. Wie in einer abgebrannten dampfenden Stadt gieng ich neben Höhlen um Höhlen, neben Bergen um Berge vorbei, und auf dem zitternden Boden einer ewig arbeitenden Pulvermühle dem Pul¬ verthurm zu. Endlich fand ich den Schlund die¬ ses Feuerlands, ein großes glühendes Dampf- Thal wieder mit einem Berg — eine Landschaft von Kratern, eine Werkstätte des jüngsten Tags — voll zerbrochner Welt-Stücken, gefrorner geborstener Höllenflüsse — ein ungeheuerer Scherbenberg der Zeit — aber unerschöpflich, unsterblich wie ein böser Geist, und unter dem kalten reinen Himmel sich selber zwölf Donner¬ monate gebährend. Dunkelröther steigt auf einmal der breite Dampf, wilder gehen die Donner in einander, heißer raucht die schwere Höllen-Wolke — plötzlich fährt Morgenluft herein und schleppt den flammenden Vorhang den Berg hinab — — Da stand die helle gütige Sonne auf dem Apennin, und der Somma und Ottayano und Vesuv blühten im Friedens-Glanz und die Welt gieng langsam nach der Sonne auf mit Gebürgen, Inseln und Küsten. Der Ring der Schöpfung lag auf dem Meere vergoldet vor mir und wie die Zauberstäbe der Strah¬ len die Länder berührten, so fuhren sie leben¬ dig empor. — Und der alte Königs-Bruder des Vesuv's, der Ätna, saß auf seinem goldnen Thron und schauete über sein Land und Meer. — Und wie Schnee rollte von den Gebürgen der lichte Tag in das Meer herunter, in Glanz zerrinnend und floß über das weite glückliche Kampanien und in dunkle Kastanien-Thäler. — Und die Erde wurde unabsehlich und die Sonne zog im weiten Strahlen-Netz die sü߬ gefangne Welt im schönsten Äther weiter. O Linda, da prangte Deine Insel ausge¬ breitet, stolz gelagert im Meer mit herun¬ terfliessendem Morgenrothe, ein hochmastiges Kriegsschiff — und ein Adler, der Vogel des Donnergottes, flog in die seelige Weite, als trag' er mein Herz in seiner Brust zu Deinem Epomeo hin. — O ich möchte ihm nach, sagte mein Geist. — Der heisse Boden that Don¬ nerschläge und der Rauch umhüllte mich. — Ich möchte sterben, damit ich dem Adler nach¬ flöge und jetzt in Ischia wäre . . . . Hier hielt die heftig erregte Seele sich innen. Er gieng oder glitt den Abhang nach Portici herab. In einem gegenseitig vorher festgesetzten Hause glaubt' er seinen Freund wiederzufinden. Aber er fand weder Dian noch den erwarteten Brief von Linda. Entkräftet von Gehen, Wa¬ chen und Glühen fiel er im kühlen, stillen Zim¬ mer in einen Traumschlaf. Da er erwachte, stand die Mitternacht des italienischen Tags um ihn, die Siesta — alles ruhte unter dem heissen stillen Lichte — im Himmel war keine Lerche — die grünen Sonnenschirme neben sei¬ nem Fenster, die Fichten, standen ungeregt in der Erde und nur die Pappeln wiegten leise die neugebohrne Blüthe des Weins, die in ihren Armen lag — und der Epheu, der von Gipfeln hieng, schwankte ein wenig. — Solche Schat¬ tenzweige spielten einst in Lilar in Chariton's Zimmer, als er Lianen erwartete und damals an Italien dachte. — Der große ebene einfa¬ che Garten von Portici nach Neapel, ein von Wellen umspültes Garten-Gewebe von Dör¬ fern, Baumwäldchen und Landhäusern, führte sein Auge über Blüthen nach seinem Paradies im Meer. — Diese einsame stille Zeit voll Sehnsucht erweichte unendlich sein schönes Herz. Er endigte so den abgebrochnen Brief: In Portici. O meine Linda! Ich bin Dir wieder nä¬ her, aber die Ferne zwischen uns wird mir hier in der Stille so weit! O Linda, ich liebe Dich mit Schmerzen, in der Nähe, in der Ferne — o mit welchen verlör' ich Dich erst? — War¬ um bin ich denn Deiner Liebe so gewiß? Oder so ungewiß? Leise spricht Dein Herz zu mir. Leise Musik und Liebe ist einer entfernten gleich, — und die ferne auch wieder der leisen. hat mich der erhabne Säulenstuhl des Donner¬ gottes neben mir so sehr erschüttert, oder denk' ich zu lebhaft an das hohle todte Herkulanum unter mir, wo Eine Stadt Ein Sarg ist: wei¬ nend und beklommen seh' ich über das Meer an die stille Insel, worauf Du wohnst. — O daß es so lange wird, bis wir uns sehen, daß Du nicht gleich jeden Gedanken aus meinem Herzen schöpfst und ich aus Deinem! Warum stellt mir das Ausbleiben Deines Briefs auf einmal größere Schmerzen, ach die größten vor die Seele? Warum denk' ich die tiefsten Schmer¬ zensstriche auf unserer Stirn, die Runzeln des Lebens sind nur kleine Linien aus dem unge¬ heuern Bauriß, den der Weltgeist zieht, unbe¬ kümmert, welche Stirnen und Freuden seine Glückslinie schmerzhaft durchschneide? — Wenn diese Linie einmal durch unsere Liebe gienge — O vergieb den voreilenden Schmerz, in diesem Leben, dem Wechsel zwischen Strichgewittern und Sonnenblicken, ist er wohl erlaubt . . . . Hier unterbrach ihn die Freude und Dian in Begleitung eines Ischianers, der einen Brief von Linda brachte, um seinen mitzuneh¬ men. Er las ihn heftig und gab seinem noch die Worte wie eine Freudenthräne mit: „Über¬ morgen komm' ich auf die Insel. Was ist die Erde gegen ein Herz? Du bist mächtig, Du hältst mein ganzes blühendes Daseyn em¬ por in den Himmel und es stürzt auf Dich, wenn es stürzt. Lebe wohl! Ich fürchte wahr¬ lich weder das heisse Öhl noch die Flamme der Psyche.“ — Hier ist Linda's Brief: Wir beide leben sehr still, seit der artige Flüchtling auf Bergen und in Pallästen umher¬ schwärmt. Wir sprachen fast zu viel von ihm und ließen uns noch dazu die schwatzende Agata holen, um gar von seiner Reise zu erfahren. Ihre Julie ist voll Seegen und Hülfe für Lin¬ da. Noch nie sah' ich eine so klare, bestimmte, scharf durchblickende und doch kalte Natur, die nur gebend liebt, mehr als liebend giebt. Sie wird zwar nie die Schmerzen fühlen, die Ve¬ nus Urania ihren Erwählten schenkt; aber sie ist eine gebohrne Mutter und eine gebohrne Schwester; und ich frage sie zuweilen, warum hast Du nicht alle Brüder und alle Waisen? Seit dem Erdbeben bin ich etwas kränklich. Ich habe es vielleicht nicht gewohnt, zu lieben und so zu sterben. Ich nehme ein philosophisches Buch — denn Dichter greifen mich jetzt zu hef¬ tig an — und glaub' ihm noch zu folgen, wenn ich schon längst weggeflogen bin über das Meer. Ich lese jetzt das Leben der herrli¬ chen Guyon , diese weiß wie man liebt — die¬ ser göttliche Affekt gegen das Göttliche, dieses Selbst-Verlieren in Gott, dieses ewige Leben und Bestehen in Einer großen Idee — diese wachsende Heiligung durch die Liebe und die wachsende Liebe durch die Heiligung! Mir ent¬ sinkt das Buch, ich schließe die Augen, ich träume und weine und liebe Dich. O Albano, komme früher. Was willst Du jetzt an Ber¬ gen und Ruinen suchen? Kommen wir nicht wieder? Aber ihr zerstreueten Männer! Nur die Weiber lieben, es sey Gott oder Euch lei¬ der. Die Guyon , die heilige Therese , die et¬ was prosaische Bourignon , liebten Gott wie kein Mann (außer der heilige Fenelon), der Mann geht mit dem höchsten Wesen nicht viel besser als mit dem schönsten um. Albano, hast Du eine andere Sehnsucht als ich, begehrst Du mehr auf der Erde als mich, mehr im Pa¬ radies als mich: so sag' es, damit ich aufhöre und sterbe. Wahrlich, wenn Du Deine Schwe¬ ster umarmest: so bin ich eifersüchtig und möchte Deine Schwester seyn, und Dein Freund Schop¬ pe und Dein Vater und alles was Du liebst, und Dein Ich, wenn Du es liebtest und Dein ganzer Himmel und Dein ganzes Du im Ich, Dein Ich im Du. Ich will Euch einiges von meiner Geschichte erzählen. Still gieng ich lange über die Erde — ich sah die Höfe, die Nazionen und Länder und fand, daß die meisten Menschen nur Leute sind. Was gieng es mich an? Man sage gar von nichts, das ist bös, sondern nur, das ist dumm — und denke nicht mehr daran. Was ich nicht liebe, existirt für mich auch nicht und anstatt lange zu hassen oder zu verachten, hab' ichs vergessen. Ich wurde für stolz und phan¬ tastisch gescholten und konnt' es niemand recht machen. Aber ich bewahrte und nährte mein Inneres, denn kein Ideal darf aufgegeben wer¬ den, sonst erlischt das heilige Feuer des Lebens und Gott stirbt ohne Auferstehung. — Ich sah die Männer und fand immer bloß den Unter¬ schied unter ihnen, daß die einen fein, verstän¬ dig und zart waren ohne Enthusiasmus und Gemüth, die andern sehr herzlich und enthusi¬ astisch mit bornirter Rohheit, alle aber selbst¬ süchtig; wiewohl sie, wenn ihr Herz voll und nicht im Abnehmen ist, eben wie der volle Mond die wenigsten Flecken zeigen. Neben den Leh¬ ren meiner großen Mutter, neben Ihrem gros¬ sen Vater bestand Keiner. Ihren Roquairol konnte man weder lieben noch hassen noch ach¬ ten noch fürchten, wiewohl sehr nahe an alles dieses zusammen kommen. Es machte viel auch, daß ich immer reisete; Reisen erhält oft kälter. Wenn ich nach der Küste sehe und denke, daß ein großer Römer bald in Baja, bald in Deutschland, bald in Gallien bald in Rom war, und daß ihm die Erde eine große Stadt wurde: so begreif' ich leicht, daß ihm die Menschen zu Massen wur¬ den. Reisen ist Beschäftigung, was uns Wei¬ bern immer fehlet. Die Männer haben immer zu thun und schicken die Seele auswärts, die Weiber müssen den ganzen Tag daheim bei ih¬ rem Herzen bleiben. In der Schweiz legt' ich mir (so wie die Prinzessinn Idoine) eine kleine Ökonomie an und ich weiß, wie man über kleine kleine Ziele, die man täglich erreicht, sich über das Hohe tröstet, das wie ein Gottes-Thron in der Höhe liegt. Da kam ich gerade in dieser stillen Wo¬ che des Lebens an den Eissee in Montanvert . An pittoresken Bergen, Ebenen, Klüften hatt' ich mich in Spanien satt gesehen, und an Eis¬ bergen in der Schweiz. Aber ein Eismeer in dieser Höhe, ein einsames uraltes blaugrünes Meer von rothen Felsen umstanden, eine breite Wüste voll reger aufstehender Wellen im Sturm, die ein plötzlicher Tod, ein Medusenhaupt so mitten im Leben starr und fest gemacht! Es schlug ein Gewitter, mir sonst furchtbar, da¬ mals mit Flammen den Berg herauf, ich merkt' es kaum, meine Seele hieng sinnend an der Stille eines versteinerten Sturms, an der Ruhe des — Eises! Ich erschrack, weinte ungewöhn¬ lich den Berg herab und in derselben Woche legt' ich das ökonomische Spielwerk bei Seite und reisete fort. Ich machte aber keine Wettergebete, sondern wohnte drunten ohne Klage in der Regenschlucht eines dunkeln kalten Daseyns. Da brachte mich Titan IV . N das Schicksal auf den Epomeo und da wollten die Götter, daß es sich änderte. Aber nun muß es so bleiben. Wenn ein seltenes Wesen zu einem seltenen Wesen gesagt hat: Du bist's! so sind sie nur durch und für einander. Die Psyche mit der Lampe wird es nicht fühlen, wenn die Lampe ihre Locken und ihre Hand und Herz ergreift und verbrennt, während sie seelig den schlummernden Amor anschauet; aber wenn der entschlüpfende heisse Öhltropfe aus der Lampe den Gott berührt und er aufwacht und ihr zornig entfliegt auf ewig — auf ewig. Ach du arme Psyche! — Was hilft dir der Tod im aufgelös'ten Eismeer? — — Hat denn noch kein Mann den Schmerz der verlohrnen Liebe empfunden, damit er wisse, wie noch tausendmal härter er eine Frau ver¬ heere? Welcher hat denn Treue, die rechte, die keine Tugend und keine Empfindung ist, son¬ dern das Feuer selber, das den Kern der Exi¬ stenz ewig belebt und erhält? — Ich bin krank, Albano, sonst weiß ich nicht, wie ich zu diesen tristen Ideen komme. Ich bin so ruhig im Innersten; ich habe nur die Saiten, nicht die Stimmung gezeigt. Wir sol¬ len nicht auf die Zukunft wirken und sehen, sondern auf die nächste Gegenwart. Erschiene je die Zeit, — ich habe weder Reue noch Ge¬ duld —, je die Zeit, wo Du mich nicht mehr und recht liebtest: ach ich würde stiller, stärker, kürzer seyn als jetzt, und was giebt es weiter als entweder für den Geliebten sterben oder — durch ihn? Komme bald, Holder! Es ist sehr schön um uns, es hat geregnet, alle Welt jubiliret und sieht die Sonnen-Tropfen und hat sich einen Himmels-Trank gesammlet; auch ich habe für Dich Tassen und Vasen in der Eile hinausge¬ stellt. Komme, ich will Dir das Öhlblatt und den Myrtenzweig bringen und um das Haupt Rosen und Violen winden. Komme, ich dachte sonst nicht, daß ich so oft nach dem Posilippo sehen würde. — L. N. S. Auch die Nebenbuhlerinn sieht nach dem Posilippo und freuet sich auf Dein Wiedersehen. Doch übereile nichts. Adio , caro . I. N 2 Albano fand in diesem Karakter eine stille Rechtfertigung und Erfüllung aller Foderungen, die er früher bei Lianens Leben immer an ein geliebtes Wesen machen mußte; er nahm aber in der Unschuld seiner Liebe nicht wahr, daß gerade diesem Wesen die in seinem Briefe re¬ gierende Sehnsucht nach Krieg und Thaten nicht gefallen könne. Er besuchte nun die unterirdische Stadt in ihrem Gottesacker, gleichsam neben der Cestius- Pyramide des Vulkans. Dian gieng mit ihm das Herkulanum als ein antiquarisches Lexikon durch, um ihm die ganze Haushaltung der Al¬ ten bis zum Mahlen hinauf aufzublättern; aber Albano war bewegter als sein Freund von die¬ ser mitten in der Gegenwart wohnenden Ver¬ gangenheit, von den stillen Häusern und nächt¬ lichen Gassen und von den häufigen Spuren der fliehenden Verzweiflung. „Wären denn nicht diese Leute alle jetzt doch todt ohne den Vesuv?“ fragt' ihn Dian heiter im heitern Lande. „Ich frag' Euch lieber (fuhr er fort,) ob ein Baumeister, wenn er aus dieser Kunst¬ kammer oder Kunststadt gekommen, in Eurem Deutschland noch viel Lust haben kann, nach der größten Ruine der Erde die erbärmlichen winzigen für Eure Fürstengärten anzugeben?“ — Sie sahen in einem dunkeln Vorhaus eben eine irdene Maske an, die man in Gräber stell¬ te, mit Lampen wie Augen darhinter. Da blickte ihn Albano starr an und sagte: „sind wir nicht blitzende Larven aus Erde am Grab?“ — „Pfui, die häßliche Idee!“ sagte Dian. Noch lange draussen im lebendigen Sonnen¬ schein giengen ihm dunkle Gedanken nach, neben dem glänzenden Portici stand der Vesuv als Schei¬ terhaufen und der Todesengel darauf. Er dachte an Hamiltons Weissagung, daß das schöne Ischia einst auf der Mine eines Erdbebens sterbe. Selber Linda's Brief betrübte ihn mit dem bloßen Gemählde ihres möglichen Verlusts. In Neapel besah er noch einige Merkwür¬ digkeiten; dann schifft' er sich am andern Mor¬ gen nach dem Eden der Wellen ein. 115. Zykel. Und als sie sich wieder sahen und wieder faßten: waren sie entzückter und verbundner, als es jedes glückliche Herz vorausgesehen. Lin¬ da saß still und sanft, sah den schönen Jüng¬ ling an und ließ ihn und die Schwester erzäh¬ len, die sich oft unterbrach, um beide zu küs¬ sen. Er sprach sehr erfreuet über Linda's Brief; Männer machen überall mehr aus dem Geschrie¬ benen, als Weiber. Linda sprach gleichgültig: „Ach was! Ist's geschrieben und gelesen, so sey es vergessen. In Ihren ist zuweilen auch ein nordisches Faux-brillant .“ — „Die Grä¬ finn (sagte Julienne,) lobt niemand ins Gesicht, als sich.“ Linda ertrug mit eigner Gutmüthig¬ keit den Spott. Albano, ihr oft gefallend und mißfällig, wo ers nicht wußte, vergab der Lie¬ be so leicht. Der Freundschaft vergiebt die be¬ leidigte Eitelkeit schwerer. „Zwar doch! (holte Julienne plötzlich unter dem Schleier der Lustigkeit zu einer ernsten Re¬ de aus,) Dein Emigrir-Projekt nach Frank¬ reich ist ein Faux-brillant . Kannst Du denn glauben, daß man es Dir zulässet, daß eine Prinzessinn-Schwester von Hohenflies dem Bru¬ der Pässe zu einem demokratischen Feldzuge unterschreibt? Nimmermehr! Und gar kein Mensch, der Dich liebt!“ — Albano lächelte, wurde aber am Ende ernst. Linda war still und senkte das Auge. „Zeige mir (sagte er sanft wie nur mit halbem Ernst und Scherz) auf der Landkarte eine bessere Laufbahn!“ — „Ei¬ nen bösern Laufgraben? (sagte sie spielend.) Wohl kaum!“ Nun schattete sie mit aristokra¬ tischen, weiblichen und fürstlichen Farben zu¬ gleich, mit dreifarbigen Farbenerden alle Flam¬ men, Rauchwolken und Wellen ab, womit der Monte nuovo der Revoluzion aus dem Grunde aufgestiegen war. Und setzte dazu: „lieber ein müßiger Graf als das!“ — Er wurde roth. Von jeher war ihm das weibliche Binden der männlichen Kraft, das liebende Krummschlies¬ sen zu Blumen herab, das ungerechte Umschmie¬ den des Liebes-Rings Galeeren-Ring zum so aufschreckend und verhasset; — „in einer Welt, die nur eine Meßwoche und ein Maskenball ist, nicht einmal Meß- und Maskenfreiheit zu behalten, ist stark,“ hatte einmal Schoppe ge¬ sagt und er nie vergessen, weil es aus seiner Seele in sie kam. „Schwester, Du bist entwe¬ der nicht mein Bruder, oder ich Deine Schwe¬ ster nicht, (sagt' er,) sonst verständen wir uns leichter.“ Linda's Hand zuckte in seiner, und ihr Auge gieng langsam zu ihm auf und schnell nieder. — Julienne schien vom Vorwurfe des Geschlechts betroffen zu seyn. Albano dachte an die Zeit, wo er ein Herz aus Wachs zer¬ drückte mit einem aus Eisen und sagte, heller und kälter: „Julienne, ich will gern kein Nein zu Dir sagen, wenn Du es nur für kein Ja ansiehst.“ — Er könnte, fiel ihm ein, seinen Widerspruch leicht hinter die Zukunft verstecken, da ja noch kein Krieg in Europa entschieden war; aber er fand das nicht ehrlich und stolz genug. — „Quäle nicht!“ sagte Linda zu ihr. „Ja wohl, (sagte Julienne aufspringend,) ich darf ja nur an das und an das denken — was weiß ich!“ und sah sehr ernsthaft aus. „Noch zwei Tage (setzte sie dazu und suchte aus dem Ernst zu kommen,) können wir auf der Insel wie Götter, ja wie Göttinnen, ver¬ leben; wiewohl zu einem Gott taug' ich allen¬ falls, nur zu keiner Göttinn; diese muß länger seyn; ich bin nur die Folie der Gräfinn aus unendlicher Güte.“ Denn Juliennens Gestalt verlohr durch die Nachbarschaft der majestäti¬ schen Linda. Aber der Krieg der liebenden Menschen hatte sich durch keinen Frieden geschlossen und blieb daher in seinen Waffen. Wie der Vesuv glü¬ hende Steine, so wirft der Mensch seine Vor¬ würfe so lange in sich empor und erhebt und verschlingt sie wechselnd, bis endlich eine glück¬ lichere Richtung sie über den Rand hinaus¬ treibt. In Albano arbeitete wohl die Frage, was Linda's Schweigen zum kleinen Kriege über und wider den großen bedeute; allein er legte sie nicht vor. Der Unabänderlichkeit seines Ent¬ schlusses sich bewußt, war er milder gegen die Schwester, die er, glaubt' er, doch einmal sehr damit verwunden würde. So war er durch den kalten und warmen Wechsel des Lebens sanft geworden, wie ein Edelstein durch schnelles Er¬ glühen und Abkühlen sich in Arzenei verwan¬ delt. Schnell und schön giengen die letzten Freu¬ dentage über die Insel hinüber, die nach dem Regen wie ein deutscher Garten grünte. Die weiche kühle Luft — die Myrten- und die Oran¬ gendüfte — einzelne Glanzwolken am warmen Himmel — der Zauberrauch der Küsten — die goldne Sonne am Morgen und am Abend — und die Liebe und die Jugend schmückten und krönten die einzige Zeit. Hoch brannte auf der blühenden Erde die Opferflamme der Liebe in den blauen stillen Himmel. Wie zwei Spiegel vor einander stehen und der eine den andern und sich und die Welt abmahlt und der andere alles dies und auch die Gemählde und den Mahler: so ruhten Albano und Linda vor ein¬ ander, Seele in Seele ziehend und mahlend. Wie der Montblanc herrlich sich im stillen Che¬ dersee hinabspiegelt in einen blassern Himmel: so stand Albano's ganzer fester lichter Geist in Linda's ihrem. Sie sagte: er sey ein Redlicher und Edler zugleich und habe, was so selten sey, einen ganzen Willen; nur woll' er, wie oft die Männer, noch mehr lieben als er liebe, und daher merk' er seine stille Erbsünde vor Selbstsucht nicht genug. Gegen nichts sträubt' er sich zorniger und aufgebrachter, als gegen den letztern Tadel und er vergab ihn niemand als der Gräfinn. Er widerlegte sie so stark er konnte; aber ihre Meinung wurde durch die beste Vertilgung nur eine Scheinleiche und trat ihm in der nächsten Stunde wieder lebendig entgegen. Mit sich wurd' er durch sie näher bekannt als mit ihr selber. Er nannte sie die Uranide, weil sie ihm wie der Himmel zugleich so nahe und so fern erschien; und sie hatte nichts ge¬ gen diesen vollen Lorbeerkranz. Es giebt eine himmlische Unergründlichkeit, die den Menschen göttlich und die Liebe gegen ihn unendlich macht; so ließen die Alten die Freundschaft der Tochter der Nacht und des Erebus seyn. Wenn Alba¬ no so über den weiten reichen Geist Linda's hin¬ sah — sie, zugleich ihrer Liebe lebend, und jede fremde beschirmend und doch gleichsam vom Wissens-Durste trunken — zugleich ein Kind, ein Mann und eine Jungfrau — oft hart und kühn mit der Zunge, für und gegen Religion und Weiblichkeit und doch voll der zärtesten kindlichsten Liebe gegen beide — glühend zer¬ schmelzend vor dem Geliebten und schnell er¬ starrend bei kaltem Anrühren — ohne alle Ei¬ telkeit, weil sie immer vor dem Throne einer göttlichen Idee stand und der Mensch nie eitel ist vor Gott, aber sich alles zutrauend und vor niemand demüthig, ohne doch sich oder andere zu vergleichen — voll männlicher kecker Auf¬ richtigkeit und voll Achtung für Gewandtheit und listigen Welt-Verstand — so ohne Eigen¬ nutz und kindlich über Frohe froh, ohne beson¬ dere Sorge und Achtung für Menschen — so unbeständig und unbiegsam, jenes in Wünschen, dieses im Wollen — aber ewig ihr Auge und Leben gegen die Sonne und den Mond des geistigen Reichs, gegen Würde und Liebe ge¬ richtet, gegen das eigne und gegen ein gelieb¬ tes Herz: — wenn Albano das Alles vor sich spielen und weben sah, so lebt' er gleichsam auf dem einfachen, und doch unabsehlichen, dem beweglichen und doch allgewaltigen Mee¬ re, dessen Gränze bloß der klare Himmel ist, der keine hat. An dem Himmel der drei Liebenden erschien endlich die Morgenröthe des Reise-Tages. Es wurde von beiden Freundinnen bestimmt, daß Albano sie nur bis Neapel, wo ihre Leute ih¬ rer warteten, begleiten — dann sie in Rom einmal zufällig — dann auf Isola bella zum letztenmale zufällig finden dürfte; eine sehr unfreundliche Unterwürfigkeit unter den Welt- Schein, auf welche aber Linda so stark als Ju¬ lienne drang und zu welcher selber Albano, durch seine Geburt mehr zum Standes-Zwange abgehärtet als ein bürgerlicher Jüngling von gleicher Seele leicht das schmerzliche Ja unter dem schweren Schleier aller Verhältnisse her¬ gab. Julienne entschied über alle kleinern Maa߬ regeln; sie war auf der ganzen Reise die Ge¬ schäftsträgerin der Gräfinn gewesen, die, wie sie sagte, nicht Kopf genug habe, um sich einen Hut darauf zu kaufen, so rasch, geldvergessen und träumend sey sie. Die Schwester war so munter und ganz hergestellt, sagte aber, alle fünf und dreißig heiße Quellen der Insel hät¬ ten nicht halb so viel für ihre Genesung gethan, als eben so viele Freudenthränen, die sie zum Glück vergossen habe. Sonderbar erschien alles um sie am Reise- Morgen; ein helles warmes Gewölk' vertropfte silbern — die Sonne schien zwischen zwei Ber¬ gen darein — die entzückten Eiländer sangen ein neues Volkslied unter der Regen-Ernte oder Tropfen-Lese — indeß ihre Freunde eilig von den Wellen aus ihrem Freuden-Kreise weg¬ gezogen wurden. Agata stand, um sich zu küh¬ len, mit einer Schlange in der Hand am Ufer und Albano fühlte dabei einen Schmerz, den er sich nicht zu erklären wußte. Jetzt warf der Epomeo den Wolken-Himmel aus einander und glänzende Wolken-Stücke zogen langsam ihnen voraus, nach dem Apennin dem Norden zu, dem Wohnhimmel der Nebel und schnell und leicht glitten die Schatten des Himmels über die wimmelnden Wellenspitzen. „Immer (sagte Albano nach der nach We¬ sten zurückschwimmenden Insel blickend,) be¬ stehe mit deinem Berg; nie reiße ein Unglück das schönste Blatt aus dem Buche der Seeli¬ gen!“ — „Wie wird es mit uns allen seyn, (sagte Linda,) wenn wir einmal wiederkommen und den schönen Boden wieder suchen?“ — Da erblickten sie einen hochgewölbten Regen¬ bogen, der halb auf der Insel und halb auf den Wellen stand, die ihn wie einen gewölbten bunten Wasserstrahl auf das Ufer auszuwerfen schienen. „Wir werden (sagte Julienne ent¬ zückt) durch den Bogen des Friedens einge¬ hen.“ Bei diesem Worte verschwand der Re¬ gen und der Farbenkranz; und allein die Sonne glänzte hinter ihnen. Durch den Fackeltanz der Wellen lief die Fahrt. Die Fernen glänzten und dampften herrlich. „Warum ergreifen die Fernen so mächtig die Seele, obgleich aus denselben Far¬ ben wie die Nähe gemahlt?“ — sagte Albano. „Das ist eben die Frage,“ sagte Dian. Ge¬ waltig lag das Meer wie ein Ungeheuer an den Küsten über ihren ganzen Weg nach Rom hin, ausgestreckt und hob die Schuppen von Wellen auf und nieder. Albano sagte: „Da ich auf dem Vesuv das Gebürg' ansah und das Meer: so dacht' ich daran, wie klein und falsch theilet der enge Mensch die zwei Kolossen der Erde in kleine benannte Glieder entzwei und thut als reiche nicht dasselbe Meer um die ganze Erde. Seine Freundinnen konnten, zu innig und trübe bewegt, nichts antworten und vor den fremden Augen standen ihnen keine Worte, kaum Blicke frei. Als Albano wieder das Schlachtfeld der Zeit, die Ruinen-Küste nä¬ her sah, die den Mann ewig fassen und heben die alten Tempel und Thermen, wie alte Schiffe auf dem Lande sterbend — hier einen niedergedrückten Riesentempel, dort eine Stadt¬ gasse unten auf dem Meersboden Bei Baja. — die heiligen Gedächtnißsäulen und Leuchtthürme vo¬ riger Größe leer und ausgelöscht neben der ewig jungen Schönheit der alten Natur: so vergaß er die Nachbarschaft seiner eignen Ver¬ gänglichkeit und sagte zu Linda, deren Auge er dahin gerichtet: „vielleicht errath' ich, was Sie jetzt denken, daß die Ruinen der zwei grö߬ ten Zeiten, der griechischen und römischen, uns nur an eine fremde Vergangenheit erinnern, indeß andere Ruinen uns nur gleich der Musik an die eigne mahnen, das dachten Sie viel¬ leicht.“ — „Wir denken hier gar nichts, (sagte Julienne,) es ist genug, wenn wir weinen, daß wir wir fort müssen.“ „Wahrlich, die Prinzessinn hat Recht,“ sagte Linda und setzte wie unmu¬ thig über Albano und alles dazu: „und was ist das Leben weiter als eine gläserne Himmels¬ pforte? Sie zeigt uns das Schönste und jedes Glück, aber sie ist doch nicht offen.“ Durch Zufälle fremder Umgebung waren sie gezwungen, sich mit kaltem Scheine zu verlas¬ sen und nach der Gewohnheit des neckenden Schicksals eine große Vergangenheit mit einer kleinen Gegenwart zu beschließen. Albano reisete so schnell sein Sinn es ver¬ mochte über die erhabne Welt um ihn her. Als er in Mola ankam, hört' er die seltsame Nachricht, daß man in Gaeta eine ganze le¬ derne Kleidung mit einer Maske weit im Meere schwimmend gefunden, die des aufgefahrnen Mönchs seine gewesen seyn müsse und bei wel¬ cher man nichts so unbegreiflich gefunden als die Leerheit ohne einen todten Leib. — In Mola verduftete endlich die schöne Ischias-In¬ sel, die hohe Himmelsburg und der steigende Pol bedeckte unter andern südlichen Sternbil¬ dern auch dieses warme, das mit Glückssonnen Titan IV . O so lange über ihm geschimmert; und der letzte Stern des kurzen Frühlings gieng hinab. Das ist das Leben, das ist das Glück. Wie der spielende Mond, besteht es aus ersten und letzten Vierteln und langsam nimmt es zu und langsam ab, — in seiner Hoffnung, in seiner Furcht —; ein kurzer Blitz ist der Vollmond der innersten Entzückung, eine kurze Unsichtbar¬ keit der Neumond der innersten Öde; — und immer hebt das leichte Spiel wie der Mond seinen Kreis von neuem an. Dreißigste Jobelperiode. Tivoli — Streit — Isola bella — die Kinderstube — die Liebe — Abreise. 116. Zykel. A lbano trat wieder bei dem Fürsten Lauria ab, der bisher in einem solchen Zustrom neuer Begebenheiten geschwommen war, daß er die Abwesenheit kaum innen geworden und sich über die Wiederkunft wundern wollte. Es war unterdessen der deutsche Krieg gegen Frankreich festgesetzt worden. Diese Bothschaft trug er seinem Enkel voll von der freudigen Erwar¬ tung entgegen, welche große Szenen ein sol¬ cher Kampf entfalten müsse. Auch Albano wur¬ de lange mit ihm von diesem hohen Strome O 2 gezogen, eh' er daran dachte, daß diese Nachricht anders und niederschlagender auf seine Schwe¬ ster wirken würde als auf ihn. Aber das he¬ roische Feuer, in welches er sich mit dem poli¬ tischen Lauria hineinsprach, spielte ihm einen leichten Sieg über die schwesterliche Liebe vor. Er wollte den Freundinnen seine Ankunft sagen, als er vom Fürsten vernahm, daß bei¬ de, wie er von der Fürstinn Altieri, bei der sie wohnten, gehört, schon nach Tivoli gegangen. — Wie glücklich reisete er, die freundliche Ab¬ sicht dieser Zwischenreise errathend, aus dem von Liebe und Frühling strahlenden Rom und sah eben so heiter nach der Zukunft, wo sein Leben sich blühend auseinanderschlug, als nach Tivoli, wo er zwei Herzen an eines zu drü¬ cken hoffte. Er fand, da er in der Stadt Tivoli ankam, die feurigen Mädchen schon entwichen nach der Kaskade. Wie ein Mensch im Tempe-Thal oder vor dem Genfersee nur im unachtsamen Traum am Ufer vor den Wasserbildern des Himmels und der Erde vorübergeht, weil ihn die blühenden Urbilder rings umher umfangen und entzünden: eben so glitten die Felsen der bevölkerten Landschaft und der runde Vesta's- Tempel und die in einander fliessenden Thäler vom römischen Thore an bis zum Tempel, diese glänzenden Reihen glitten nur als Traum- und Wasserbilder vor dem Herzen vorüber, worin eine Geliebte lebendig blühte und mit der Fülle einer Welt eine Welt verdrängte. Er irrte unter dem Gewühle der Aussichten umher, ohne die schönste zu finden, als ihn ein kurzer blaßgelber reichgekleideter Mensch mit eingeschrumpftem Gesichte erblickte und mit dem seidnen Arm auf den Weg zur Kaskade zeigte ungefragt sagend: wenn er die Damen suche, so seyen sie bei der großen Kaskade. Albano schwieg, gieng weiter, sah zwei und erkannte Linda an ihrer hohen Gestalt. End¬ lich sahen, fanden, umfaßten sich die drei Men¬ schen und der herrliche Wassersturm wehte in die Entzückung. Linda sagte zärtliche Worte der Liebe und glaubte stumm zu seyn, denn das schöne Gewitter aus Strömen zerriß die zarten Sylben wie Schmetterlinge. Sie hatten sich nicht gehört und standen, schmachtend nach ihren Lauten, umrungen von fünf Donnern, mit weinenden Augen voll Liebe und Freude vor einander. Heilige Stelle, wo schon so viele tausend Herzen heilig brannten und seelig wein¬ ten und sagen mußten: das Leben ist groß! — Heiter und fest glänzt in der Sonne oben die Stadt über dem Wasser-Krater dahin — stolz schauet Vesta's zerrissener Tempel, mit Mandelblüthe bekränzt, von seinem Felsen auf die Strudel nieder, die an ihm graben — und ihm gegenüber spielet der strudelnde Anio alles auf einmal vor, was Himmel und Erde Gros¬ ses hat, den Regenbogen, den ewigen Blitz und den Donner, Regen, Nebel und Erdbeben. Sie gaben sich Zeichen zu gehen und das stillere Thal zu suchen. Wie klangen ihnen dar¬ in die Worte: Bruder, Schwester, Linda, wie neue Menschenlaute im Paradies! Hier, ehe sie den Hügel voll neuer Wasserstürze, Blitze und Farben bestiegen, suchten sie sich ihre Reisen und ihre Nachrichten einander zu erzählen. Ju¬ lienne berichtete die frohe, ihr Bruder, der Fürst, gebe wieder Hoffnung der Genesung, seitdem er wachend, wie er betheuere, seinen todten Vater ge¬ sehen, der ihm längeres Leben versprochen. Die schöne Linda blühte im Paradies wie eine verhüllte Göttinn, die ihren Geliebten auf der Erde lan¬ ge suchte und endlich gefunden hat. Sie nahm oft seine Hand und drückte sie wider ihre Au¬ gen und Lippen und lispelte kaum hörbar, wenn er mit ihr oder Juliennen sprach: „Lieber! — Freundlicher Mensch!“ — Über die Gegend schwieg sie; denn über jede sprach sie erst, wenn sie aus ihr gekommen war. Julienne, über die brüderliche Genesung so froh, fieng allerlei Scherze an, sagte, daß sie bedauere, aus Neapel ihrem Ludwig ein ver¬ gebliches Spezifikum gegen sein Übel gesandt zu haben und fragte endlich Albano: „kennst Du nicht einen Jüngling Nahmens Cardito , er will Dich kennen?“ — Er sagte nein, er¬ zählte aber, ein kleiner stämmiger Mensch hab' ihn hier zu kennen geschienen und zur Kaskade gewiesen. Julienne fuhr auf und sagte, es sey entschieden der Haarhaarische Prinz, der auf Luigi's Tod und Thron so boshaft hoffe, er wohne in Tivoli im Hause des Herzogs von Modena und gehe gewißlich als ihrer aller Spion umher. Um sich selber nach diesem ge¬ haßten Mißlaut wieder auszustimmen, setzte sie die Frage über Cardito fort und sagte: „es ist ein sehr schöner derber Korse (der Prinz ist ja die lebendige Ungestalt) und er kündigt Dir ganz ernsthaft den Krieg an.“ „Den soll er wahrlich haben,“ sagte Albano, der nun alles begriff; und — alles erzählte. Cardito war jener Korse, mit dem er früher sich über den gallischen Krieg entzweiet hatte. „Bruder, das ist noch Dein Ernst?“ sagte Ju¬ lienne mit gedehntem Akzent. „Jetzt beson¬ ders!“ sagt' er entschieden, um den Streit so¬ gleich auszuschließen. Heftig drückte Linda seine Hand in ihre Augen, als wolle sie sie damit bedecken. „Nun, so verhandle Deinen Prozeß mit mir, so vernünftig Du kannst, und lasse Deine Rechtsgründe hören, aber lass' uns erst auf den Hügel, damit man dabei auch etwas sieht,“ sagte die Schwester. Auf dem Hügel — vor dem Grün des bli¬ tzenden Thals, wo überall der Strom wie ein verwundeter Adler mit dem Flügel an der Erde schlug — vor den auf die Blumen herunter¬ blitzenden drei Kaskatellen — fieng Albano be¬ wegt und begeistert an: „ich habe nur Einen Grund, liebe Schwester — ich bin noch nichts — ich bin kein Dichter, kein Künstler, kein Philo¬ soph, sondern nichts, nehmlich ein Graf. Ich habe aber Kräfte zu manchem, warum soll ichs nicht sagen? — Wahrlich wenn ein Da Vinci alles ist, oder ein Crichton, oder wenn ein Ri¬ chelieu, ob er gleich den politischen Thron be¬ hauptet, doch noch den poetischen besteigen will: soll ein anderer mit kleinern Wünschen nicht entschuldigt seyn? — Und bei Gott! ei¬ gentlich will ein Mensch doch alles weiden, denn er kann nicht anders, er sehnet und treibt sich dazu hin und das innige versteckte Herz weint Blutstropfen, die keine Menschenhand ab¬ trocknet, nur die hohen Eisenschranken der Noth¬ wendigkeit halten ihn auf — Schwester, Linda, was hab' ich denn noch gethan auf der Erde?“ — „Diese Frage; — und diese ist genug vor Gott,“ sagte Julienne, bewegt von der wund¬ stolzen Bescheidenheit des Jünglings und von seiner schönen Stimme, welche zornig so klang wie gerührt. „Worte! was sind Worte? (sagt' er.) O man schämt sich wohl freilich, daß man etwas früher nur denken und sagen muß, eh' man's thut, obgleich der dürftige Mensch nicht anders kann, sondern jede That wie eine Sta¬ tue vorher im elenden Wachs der Worte mo¬ delliren muß. Ach, Linda, liegen hier nicht überall um uns Thaten, statt der Worte und Wünsche? — Hab' ich nicht auch einen Arm, ein Herz, eine Geliebte, und Kräfte wie andere und soll mit einem morschen mürben spanisch- oder deutschen Grafenleben aus der Welt ge¬ hen? — O meine Linda, streite Du für mich!“ „Ich bin (sagte sie, scharf nach der großen Kaskatella blickend, die hoch aus Bäumen her¬ niederstürmte,) nicht von vielen oder beredten Worten und verstehe Sie auch nicht ganz. Ich muß mir immer die Worte in Ideen und Wahr¬ heiten übersetzen und vermag es nicht allzeit. Bei Ihren Worten, Graf, denk' ich mir gar nichts. Wem die Liebe nicht allein genügt, der ist von ihr nicht erfüllet worden. Freilich, so mit dem Herzen alles vergessend, wie wir, so konzentrirt in Eine Idee des Lebens sind die Männer nie. Ach und so wenig ist der Mensch dem Menschen, ein Menschen-Bild ist ihm mehr und jede kleine Zukunft!“ „Auch Du Brutus?“ sagte Albano betrof¬ fen. „Würden Sie (fuhr er sich fassend fort) dem Elysiums-Leben auf Ischia eine Ewigkeit für einen Mann geben? Würden Sie ihn als Jüngling ins Kloster der seeligsten Ruhe schi¬ cken? Gewiß nur als Greis. Jenes hiesse den Baum mit dem Gipfel in die finstere Erde pflanzen.“ „Das ist wieder der Deutsche (sagte sie); nur immer recht Betriebsamkeit. Die ruhigen Neapolitaner, die Völker am Apennin, an den Pyrenäen, am Ganges, in Otaheiti, voll Ge¬ nuß und Beschauung, sind diesem Spanier ein Greuel. Ich dächte, wenn ein Mensch nur für sich etwas würde, nicht für andere; das reichte zu. Was große Thaten sind, das kenn' ich gar nicht; ich kenne nur ein großes Leben ; denn jenen Ähnliches vermag jeder Sünder.“ — „Wahrlich, das ist wahr (sagt' er); es giebt nichts erbärmlicheres als einen Menschen, der sich durch dies oder das zeigen will, was ihm selber groß, selten und ohne Verhältniß zu sei¬ nem Wesen vorkommt, und ihm daher gar nicht angehört. Jede Natur treibt ihre eigne Frucht und kann es nicht anders; aber ihr Kind kann ihr niemals groß erscheinen, sondern immer nur klein oder gerecht. — Ist's anders, so ist ihr eine ganz fremde Frucht an den Zweig ge¬ hangen.“ „Albano! wie wahr! Aber Ihr hattet sonst nie einen halben Willen, wie ist's?“ sagte Lin¬ da. „Jetzt auch nicht!“ sagt' er ohne Härte. Man ist am sanftesten, wo man am stärksten ist mit dem Entschluß. Er suchte nun seine eig¬ nen Worte — das Ohl und den Wind für sein Feuer — recht zu sparen und zu meiden; um so mehr, weil Worte doch gegen nichts helfen sondern vielmehr das fremde Gefühl anstatt aus-nur anblasen; wurd' er noch der häufigen Fälle eingedenk, wo er Linda mit ei¬ nem einzigen Worte bei aller Unschuld zur Flamme aufgetrieben. Sie standen, und er schauete hin über das göttliche Land, als Lin¬ da, nach einem stummen Blicken in sein Ange¬ sicht, ungeachtet ihres scheinbar-ruhigen Phi¬ losophirens, auf einmal heftig seine Hand an¬ faßte und rief: „Nein, Du darfst nicht, bei meiner Seeligkeit, bei allen Heiligen — bei der heiligen Jungfrau — bei dem Allmächti¬ gen! — Du darfst, Du sollst nicht!“ Einen Raub giebt es, wogegen ewig der Mann un¬ aufhaltsam entbrannt aufsteht und begieng' ihn eine Göttinn aus Liebe und böte sie dafür eine Welt von Paradiesen, es ist der Raub seiner Freiheit und freien Entwickelung. Ja, daß es Liebe ist, aber despotische, zugleich Frei¬ heit übende und raubende, das erbittert ihn nur noch mehr, und aus dem Nebel des Irrthums wird später das Gewitter der Leidenschaft. — Linda wiederholte: „Du darfst nicht.“ Er sah' ihr bewegtes glänzendes Antlitz an, dessen süd¬ liche Heftigkeit doch mehr einem Enthusiasmus glich als einem Zorn und sagte fest: „O Lin¬ da, ich werde wohl dürfen und wollen!“ — „Nein, ich sage nein!“ rief sie. — „Bruder!“ sieng die Schwester an. „O Schwester, (rief er,) sprich sanft, ich bin ein Mann und habe heftige Fehler.“ Ihn zog der erhabene Krieg des Wassers mit der Erde und mit Felsen, das Durcheinanderstürmen der blitzenden Regengestirne umher wie an Flügeln in die Wirbel — die große Kaskatella warf aus hohen Bäumen ihren Wolkenbruch her¬ aus, und aus dem Himmel ohne Donner stäubte eine schimmernde Welt — und in Osten zeigte sich fern das Meer im dunkeln Schlaf und die untergehende Sonne drang glänzend in den Glanz herein. „Gewiß werd' ich sanft reden, (sagte die Prinzessinn, die viel empfindlicher und nach¬ klingender als Linda, einige Mühe hatte, den Sprachton zu ihrem Versprechen zu stimmen. —) Es braucht nichts weiter als die Betrachtung, daß unser Streit zu früh ist; ich thue bloß die Bitte, ihn bis zum Oktober auszusetzen, und das Versprechen, daß er dann anders aus¬ geht.“ — „O es sey.“ sagte Albano. Linda nickte sanft und langsam und legte wider Er¬ warten seine Hand mit beiden an ihr Herz und sah ihn an aus großen Augen weinend, denen sonst Feuer gewöhnlicher war als Wasser. Ihn zerschmolz der Anblick, daß diese kräftige Na¬ tur nur Heftigkeit ohne Hassen und Zürnen hatte, und ihn erfrischte unendlich sein voriges geheimes Niederschlagen seiner auffahrenden Flammen. Die Schwester wurde durch beide erweicht und eine Minute der zärtesten Liebe umschlang bald die drei Menschen mit Einer Umarmung. Die Hyperbeln des Zorns sind dem Menschen nie so ernst als die der Liebe, jene soll nur der andere glauben, diese glaubt er selber; alle hatte das Aussprechen ausgeheitert. Wenn sonst eine vergangne kalte Minute den Liebenden wie eine kalte Nacht den Bie¬ nen, noch die Blumen zuschliesset, woraus sie den Honig nehmen, so war hier nach dem Sturm aus klarer blauer Luft der Himmel, rei¬ ner und stiller und die Ruhe wurde Seeligkeit wie die Seeligkeit Ruhe. Durch Albano war obwohl schnell die Furie der Furcht gegangen, die ein umgekehrtes Sternrohr hält und da¬ durch den Menschen einen ganz fernen ausge¬ leerten Himmel ohne Sterne zeigt; aber nicht so durch Linda; sie hatte immer in Liebe und Hoffnung fortgesprochen und für ihr glühen¬ des Herz gab es keine Stellen mit Eis. Dar¬ um war er jetzt so seelig, und so beglückt vom Anschauen der kräftigen Natur! Eine hohe lange Thal-Kette, worin Wein und Öhl in Blüthendüften flossen, führte alle dem großen Rom entgegen. Eine Zeitlang durfte sie der Jüngling begleiten; endlich mußt' er zu einer langen Entfernung Herz und Auge von den Geliebten reissen, als über die grünen Thäler her schon die mächtige Peters-Kuppel herüber¬ glänzte und die Zypressen, stolz nur von Zy¬ pressen umgeben, das Gold des Abends auf den Zweigen trugen, ohne sie zu regen. Alle hatten das Auge am schönen Rom, aber ihr Herz war nur auf Isola bella , wo sie einan¬ der wiederzufinden versprachen. 117. Zykel. Auf dem Wege nach I sola bella dacht' er seiner kriegerischen Stunde mit der heftigen Linda nach und dem Karakter dieser Kriegsgöt¬ tinn. Er erschrack über die steile Höhe, über welche er sich vor wenigen Tagen so weit her¬ übergebückt, da Linda so entschieden ist, nichts kennt als Leidenschaft oder Vernichtung. Und doch fand er jetzt in der Abkühlung ihre gebie¬ tende tende Foderung an seine Freiheit noch härter und sagt' es sich stark, das Weib dürfe nicht das heilige Gebiet der männlichen Entfaltung einengen oder beherrschen. Von der andern Seite war ja alles Liebe und deren Übermaaß — und je länger er reisete und verglich, desto einsamer und dunkler wurd' es auf der Stelle seines Lebens, auf welche nur sie die große Flamme warf. Sie rückte ihm durch sein stil¬ les Beschauen ihres Geistes im Geiste viel hel¬ ler und näher als durch die Gegenwart vor¬ her, weil jenes sie auf einmal in Harmonie, diese sie mit den einzelnen Dissonanzen ohne die Auflösung gab. Ihre Kraft der allseitigen Unpartheilichkeit für alle Karaktere war ihm an einem Weibe eben so selten als groß erschie¬ nen; zumal da er selber diese Kraft mehr in der Achtung für sie und in dem freudigen freien Auffassen großer, exzentrischer, poetischer Er¬ scheinungen, aber nicht aller und der platten und schlechten wirken ließ. Gleich mächtig und gewachsen standen in ihm neben einander Liebe und Freiheit; nur durch einen neuen Entschluß wurden sie ver¬ Titan IV . P bunden und versöhnt, sanft zu seyn, nicht bloß stark, ihr sein Freiheitsrecht und seine liebende Seele recht offen hinzulegen und das edle We¬ sen zu werden, das ihr gehört: bin ich's nicht, wenn ich's recht will? sagt' er. In der höchsten Lebensfreude, in der Einig¬ keit mit sich und dem Schicksal, machte er seine Reise nach Isola bella so schnell, als hab' er da die Geliebte schon zu finden, nicht erst zu erwarten. Wie manches stand jetzt kleiner an seinem Wege, an das er das römische Maaß und nicht das deutsche legte und wovor er nun, wie ihm sein Vater vorausgesagt, flüchtiger vorübergieng! — Endlich sah er die Kunst-Alpe Isola von bella in den Wellen stehen; und landete freu¬ dig mit seinem Lehrer in dem Kindheits-Gar¬ ten an, wo er so viel erwarten und mit neuen welschen Lebens-Blüthen am Herzen aus dem gelobten Lande scheiden sollte. Er wartete mehrere lange Tage, sich seh¬ nend und bangend nach den Freundinnen, ob ihm gleich der heitere Freund immer die Ge¬ schwindigkeit seiner Reise vorrechnete. Sein Entschluß, recht sanft zu seyn, wurde immer unnöthiger und unwillkührlicher. Die Insel selber lösete schon mit ihren Frühlingen aus Düften und mit dem fernen Kranz aus Alpen die Seele auf. Im vorigen Jahre hatt' er sie mehr in Blättern als in Blüthen gesehen. Es war ja sein Kindheitsland — an vielen Plä¬ tzen an der See schimmerten ihm Sterne aus einer tiefen nachmitternächtlichen Lebens-Frühe herauf — hier hatt' er zuerst seinen Vater ge¬ funden, und zuerst Linda's Gestalt über den Wellen gesehen — hier findet und verliert er sie nach der längsten Trennung wieder für eine noch längere — und hier steht er im Thore zwischen Norden und Süden. Das freie duf¬ tende Land voll Inseln, die Himmelsleiter des Lebens steigt ihm in den Äther zurück und er geht herab in ein kaltes voll Zwang und voll Augen — seine Liebe wird gerichtet vom Va¬ ter, sie wird angefallen vom untergegangnen Freund. „Ihr Tage in Ischia, (seufzte er,) ihr Stunden auf dem Vesuv und in Tivoli, könnet ihr umkehren? könnet ihr je wieder¬ kommen und das unersättliche Herz von neuem P 2 überströmen, daß es trinken und sagen kann: es ist genug?“ Zu seinem Dian sprach er, gleichsam um sich und sein gränzenloses Sehnen zu entschul¬ digen, häufig von Chariton und ihren Kindern und fragt' ihn, wie es seinem Herzen dabei gehe: „sprecht mir nicht so viel davon, (sagt' er, nach seiner Weise mehr empfindend als erra¬ thend und verrathend,) wir sind noch so hä߬ lich weit davon — man verdirbt sich die Reise ohne Grund — hab' ich sie alle aber . . . . nun ei Gott!“ — — Dann schwieg er, riß sich den Jüngling in die Arme und küßt' ihn nicht. An einem blauen frischen Morgen stand Al¬ bano noch eh' die Sonne am Himmel aufer¬ standen war, auf der hohen umblühten Terras¬ sen-Pyramide, wo er einmal im Erwachen den theuern Vater ohne Abschied hatte entflie¬ hen sehen — und blickte bewegt in den leeren weiten See hinab — und an die Gipfel der Eisberge umher, welche schon im Niederscheine der hoch herabziehenden Aurora blühten — und niemand war bei ihm als die Vergangenheit. Er blickte auf sich und in seine Brust und dachte: welche lange schwere Zeit ist seitdem durch diese Brust gezogen! Eine ganze Welt ist darin zum Traum geworden! Und das Herz schlägt noch frisch und fest darin! — Auf einmal sah er im lichten Morgen-Rauche des See's ein Fahr¬ zeug rudern. Langsam, träge watet' es, denn er sah es aus großer Ferne. Endlich glitt es, flog es, das Seegel blühte auf im Morgen¬ brande und die grünen Wellen wurden ein um¬ spielendes Lauffeuer wie damals in Ischia um Linda's Schiff. — — Linda war es und die Schwester. Sie sa¬ hen hinauf und grüßten winkend. Er rief in eiliger Wonne: „Dian, Dian!“ und lief die vielfachen Treppen hinab, ganz verwundert und entzückt über den ausgebreiteten Glanz, weil er unter der frohen Erscheinung den Auf¬ gang der Sonne nicht gesehen, welche vor der Geliebten die schönen Flammen, die Morgen¬ blumen gleichsam in den Weg des Wassers un¬ terstreuete. „Seyd Ihrs wieder, Ihr Göttlichen? O sprecht, weint vor Freude, daß ich seelig wer¬ de und Euch habe! Kommt Ihr denn mit al¬ ter rechter Liebe wieder?“ so sprach er fort in beredter Trunkenheit, aus dem langen träu¬ menden Warten geschöpft. Linda sah mit heim¬ licher Engels-Lust, mit lieblichem Wiederschein in die hoch spielenden Flammen seiner Liebe; und die Schwester genoß in süßer Regung die schöne Milde auf beider Angesicht, welche an der Kraft so bezaubert wie Mondlicht an einem Gebürg'. Reisebeschreibungen wurden von bei¬ den Seiten angefangen, aber keine geendigt; Tags- und Insel-Ordnungen vorgelegt, aber keine gewählt. Julienne hielt ihm sein Wort und ihre Bedingung, daß er abends weiter zie¬ hen müsse, ans Herz als eine kleine Kühlung gegen das Freudenfeuer darin; traurig sah' er zur freundlichen hellen Morgensonne auf, als steige sie nicht höher sondern schon tiefer. Sie giengen nun in schönem Irren durch die Insel, überall blühte neben der Gegen¬ wart eine stille Vergangenheit, unter der Rose ein Vergißmeinnicht. Hier in dieser Grotte vor den aufhüpfenden Wellen hatt' er einst mit sei¬ ner Schwester Severina gespielt und auf die¬ sem Eiland wurde ihm ihr Tod verkündigt; „Aber Julie, Du bist meine Severina und mehr“ sagt' er; „ich denke (sagte sie sanft) eben so viel.“ — Nicht weit von der Arkade hatt' er zum erstenmal in das Angesicht seines Vaters geschauet: „o wenn findest Du aber Deinen endlich? Sprich darüber, gute Linda!“ sagt' er. Sie erröthete und sagte: „ich werd' ihn finden, wenn das Schicksal es zulässet.“ „Wenn aber ist das?“ — „Ich weiß nichts,“ sagte sie zögernd sanft. Da rührte ihn Julienne winkend an und sagte in so vielem französischen Latein, als sie zusammentreiben konnte, aber in einem gleichgültigen Ton als spreche sie vor sich selber hin: „ non eam interroga amplius, nam pater veniet (ut dictur) die nuptiarum Frage sie nicht länger, denn ihr Vater soll, wie man sagt, an ihrem Hochzeittage kommen. .“ Er blickte sie verwundert an, sie nickte sehr oft. „Julie ist (sagte Linda lächelnd) wie die Wei¬ ber, so listig im Handeln als offen im Spre¬ chen. Ich hätte mich keinem Bruder so lange verstecken können.“ — „Dafür (versetzte sie) bekamen die Geschwister einander gleich ausge¬ wachsen und mit allen Vollkommenheiten, und können sich leicht liebhaben, wenn andere Schwe¬ stern erst viele Jahre die Fehler des heranwach¬ senden Bruders zu verwinden haben.“ Jetzt kamen sie auf die Gallerie zwischen Limonien-Blüthen, wo Gaspard seinem Sohne so viele Schleier und Masken um die Zukunft hängend hatte sehen lassen; da sagte Albano mit Unwillen: „hier mußt' ich mir viele Räth¬ sel ankündigen lassen — und dort (er meinte die Stelle im Meer, wo ihm zuerst Linda's Bild auf den Wellen erschien,) wurde sogar diese theuere Gestalt nachgeäfft.“ — „Mein Gott, (sagte Linda heftig,) warum es noch gar aus¬ sprechen? o es war so schlecht, es zu thun!“ — „Eingebüßet aber hat doch niemand viel da¬ bei, (sagte scherzend Julienne,) ausgenommen ein Paar die Herzen und ich die Anonimität!“ „Könnten wir beide nicht antworten, Albano?“ sagte Linda leise und hob die Augen auf. „Bei Gott!“ sagte er stark, denn ohne jene Vor¬ spiele hätten sie sich früher gesucht und ge¬ funden. Unter diesen Blicken in eine seltsame mit Zukunft durchwebte Vergangenheit waren sie in den borromäischen Pallast, der diesen Tag zum Glück ohne die Besitzer war, getreten; weil Albano beide, auf Linda's Gesuch, in die Zim¬ mer führen sollte, wo er mit Severina erzogen worden. Der Schloßwärter wollte sie, glau¬ bend, sie suchten nur Aussicht — denn die Kind¬ heitszimmer lagen im fünften Stockwerk — auf das Dach hinaus bringen; er betheuerte, es wären staubige Kinderstuben und seit undenkli¬ chen Jahren zugesperrt. Mühsam drehte der Mann mit einem rostigen Schlüssel ein einge¬ rostetes Schloß auf. Sie traten ins bestäubte helldunkle leere hohe Zimmer, worin eine leere Wiege, ein Blumentopf mit einem gleich seiner Erde vertrockneten sinesischen Rosenstöckchen, eine Kinder-Zinn-Uhr, eine weibliche Spiel-Kü¬ che mit altmodischem Geschirr, eine gerollte glän¬ zende Klaviersaite, ein deutscher Kalender von 1772, viele schwarze Siegel mit bloßen antiken Köpfen, ein ausgetrockneter Lianenzweig und dergleichen verlohren umher lag. Der Mensch sieht bewegt in die tiefe Zeit hinunter, wo seine Lebensspindel fast noch nackt ohne Faden um¬ lief; denn sein Anfang gränzt näher als die Mitte an sein Ende, und die aus- und ein¬ schiffende Küste unsers Lebens hängt ins dunkle Meer. Albano wurde wehmüthig angeregt von der Umgebung und von dem Blicke auf das Menschenleben und auf seine eignen grünen noch winterlich-niedrig stehenden Felder hinaus — und von der Stätte, wo er mit einer Mut¬ ter und Schwester gelebt, die aus der Er¬ de, ja sogar aus seiner Phantasie entwichen waren. — Er nahm die Zinn-Uhr zu sich und sagte: „giebt es für das Alter, das keine Zeit sondern eine Ewigkeit hat, eine bessere Uhr als die mit dem Zeiger ohne Gewerk?“ Überrascht wurde Linda als sie von einem Glaskästchen einen Vorhang wegzog und als ein engelschönes Kind von Wachs darin in die hellen Augen Licht bekam. „Es ist die todte Severina,“ sagte Albano eilig, mit dem rauhen Beiwort „todt“ was Linda nicht gern litt. Immer mehr wurd' ihm in der helldunkeln Stube unheimlich — ein Sonnenstreif brannte seltsam durch das hohe Fenster herab — beseel¬ ter auferstandner Staub spielte in ihm — die Geister der Schwester und Lianens konnten jede Minute durch das Erdenlicht blitzen — und entfernter standen die Gebürge draußen im Leben. Er sah die blühende Linda an, da kam sie ihm auf einmal anders vor, fremd, überirdisch, als erscheine sie unter den Geistern und gehe wieder von hinnen. Sie sah ihn be¬ deutend an mit den Worten: „hier ist's un¬ heimlich, gehen wir!“ „Weib,“ sagt' er mit starker Stimme auf deutsch, einem innerlichen Schrecken antwortend und faßte ihre Hand, „wir wollen zusammenhalten wie ein lebendi¬ ges Herz, wenn man es zerreissen will.“ Lin¬ da versetzte: „ich bleibe nicht länger Julienne!“ Und man gieng. Auf der Schwelle kam es dem Grafen ein, in das Nebenzimmer zu schauen; er macht' es auf und fuhr zusammen, rief aber: „geht nur voraus,“ und gieng hinein. Er hatte nehmlich sich im Spiegel zweimal nachgespielt erblickt. Drinnen fand er sich in einer Nische in franzö¬ sischer Uniform stehen in Wachs, aber schon als Jüngling, und darneben, was die Thür bedeckt hatte, seinen Vater auch als Jüngling, altmo¬ disch bekleidet, aber schön wie ein griechischer Gott; das warme volle blumige Gesicht war noch nicht im starren Leben überwintert und blühte noch liebend. Er stürzte tief ins Meer der Vergangenheit. Die kolossalischen Statuen draussen, und die beglänzten Gebürge halten sich aus dunkeln Wellen aufgerichtet und stan¬ den in tropfendem Schimmer. Man rief draus¬ sen. Er blickte wieder in sein Gesicht, aber zor¬ nig. „Wozu zweimal,“ sagt' er und zerquetschte sein Gesicht, aber ihm war es wie Selbstmord und Betasten des Ichs. Die väterliche Gestalt gönnte er noch weniger der fremden unbewach¬ ten Stelle, aber sie war ihm zu heilig zur klein¬ sten Berührung. Er gieng zurück und schwieg über die Bil¬ der, um nicht an Linda's Phantasie die großen widerspenstigen Flügel aufzumachen. Der grü¬ nende, blühende, glänzende Tag verschlang bald die kalten Schatten, die von Höhen und Grä¬ bern der Vergangenheit hereingefallen waren. „Aber jetzt, (sagte Albano zu Linda,) da Sie eben aus meiner Kinderstube gekommen sind, führen Sie mich einmal in die Ihrige.“ — „Ich will Dich nur erst bekränzen, da wir am rechten Orte sind,“ sagte sie und brach und band aus dem Lorbeerwald, durch dessen Ge¬ wimmel von lichten und dunkeln Wellen sie jetzt giengen, Zweige zum Kranz. Körperliche Geschäftigkeit gab dieser Jungfrau, welche leich¬ ter Töne und Farben und Ideen verknüpfte, ein besonders rührendes Ansehen von Kindlich¬ keit und naiver Herablassung. Sie flocht die Krone aber mühsam, verwechselte einmal den ähnlichen Erdbeerbaum mit dem Lorbeerbaum, that noch einen blühenden Myrtenzweig hinein und schmückte damit sein lockiges Haar, aber sehr ernst: „der Kranz geziemt Dir; die hohen Lorbeern oben am Gipfel wirst Du Dir schon einmal selber holen,“ sagte sie. Er glaubte, sie spiele unter dem Ernst, allein sie sah den Be¬ kränzten freudig und prüfend an und lächelnd, aber wie eine Mutter und sagte: — „So ist's recht! Was willst Du noch? Ich bring' es. Albano, ich habe in dieser Stunde eine ganz besondere und neue Liebe zu Dir, ich möchte für Dich viel thun, viel leiden. Mein Herz ist bewegt von überschwenglicher Liebe. Küsse mich nicht. Ich will Dir erzählen.“ Die schöne Weiblichkeit, die den Geliebten heisser und nä¬ her liebt, wenn sie zum erstenmale sein Eigen¬ thum, seine Kindheitsörter, seine Wohnungen betreten, erfüllte unerkannt ihr starkes Herz. Er küßte sie nicht — er sah sie an und weinte in Liebes-Wonne — sie neigte sich herüber und sagte, aber heiter: „ich weine sehr schwer, Lie¬ ber! Ich will Dir das von meiner Kindheit er¬ zählen, was Du verlangtest. Von meinen er¬ sten Kindheits-Plätzen ist mir wenig geblieben, vielleicht weil wir immer reiseten und weil ich auch mehr nach Menschen als nach Gegenden sehe — außer mein längster Aufenthalt in Valenzia. — Vom frühen hab' ich wohl meine Reise-Sucht. Am Ende liegt sie doch in mir. Aber Ihr glaubt immer, wie die Deutschen, das zu erlernen, was Ihr eigentlich ererbt oder erschafft. Von meiner Mutter wurd' ich mehr als von jemand gehasset und geliebt. Jetzt bin ich klar über sie. Sie war ganz für die Kunst oder für die Künste gebohren, ob ich wohl glaube, daß sie von den Göttern eigentlich für die Bühne ausersehen war. Sie war alles in dieser Minute, nichts in der andern — Flüche und Gebete, Glaube und Unglaube, Haß und Liebe wechselten ab in dieser epischen Natur. — Sie hätte eine Welt verschenken und eine stehlen können. — Sie drückte mich einmal an ihr Herz und sagte: wärst Du nicht meine Toch¬ ter, ich würde Dich stehlen oder tödten aus bloßer Liebe; — und das war, als ich gesagt hatte: ich liebe die Medea mehr als Kreusa! — Indeß war sie zu inkonsequent, um ganz geliebt zu werden; meinen unsichtbaren Vater liebt' ich weit mehr, ich dacht', er sey Gott der Vater. Ich bildete mir einmal ein, er müsse in Porta Celi Eine sehr schöne Karthause bei Valencia. wohnen; stundenlang gieng ich um den Todtengarten des Klosters und blickte sehnsüchtig durch die Palmen über die Rosen der Gräber. Ich hieng an allem Lebendigen bis zum Schmerz; ein sterbender Kanarienvo¬ gel machte mich einmal krank und die Todten¬ messe glaubt' ich werde für ihn gelesen. Auch an Gott und Geistern hieng ich trunken. Im Feuer, das ich im Dunkeln einmal aus dem Zucker schlug, blitzten sie mir vorüber. Ich habe nie gespielt, sondern früh gelesen. Da ich sehr ernst war und meine Gestalt sich zeitig entwickelte, so wurd' ich früh als eine Erwach¬ sene behandelt und ich begehrt' es auch. Nie¬ mand war mir ernst genug, außer der Vor¬ mund, der mit heimlicher Hand meine Entwick¬ lung regierte. Vor Büchern und im Reisewa¬ gen da vergieng mein erstes Leben. Ich be¬ neidete die Männer um ihr Wissen und ihre Freiheit, aber sie gefielen mir nicht, die Weiber noch weniger. Ich galt für stolz — und frü¬ her war ich's auch — und für phantastisch; ich nahm es nicht übel, und sagte: ihr habt euere Weise und ich meine.“ — — Durch Dian und Julienne wurde die Erzählung gestöhrt. 118. Zykel. Die erste einsame Minute, die Albano mit seiner Schwester fand, legte er zur Nachfrage über ihre lateinische Nachricht an, daß Lin¬ da's Vater gerade an ihrem Hochzeittage er¬ scheinen würde; aber sie verwies ihn auf seinen eignen, der ihm alles über Linda's ihren sagen könne könne — und bat ihn, „Linda zu schonen, nicht nur in ihrer Zartheit, sondern auch in ihrer eignen Ehe-Scheu, die sehr weit gehe. Sie konnte nicht einmal eine Freundinn an den Traualtar begleiten, (setzte Julienne dazu,) sie nannte diesen den Richtplatz der weiblichen Freiheit, den Scheiterhaufen der schönsten freie¬ sten Liebe und sagte, das Heldengedicht der Liebe werde dann höchstens zum Schäfergedicht der Ehe. Freilich weiß sie nicht, wohin solche Grundsätze endlich führen.“ — „Ich hoffe auch, daß Du ihr vertrauest,“ sagte Albano, sich die¬ se Seltsamkeit anders und höher ableitend als seine strenge Schwester. Sie brach schnell ab, um ihm noch den Rath nach Pestiz mitzuge¬ ben, die Fürstinn zu fliehen, die ins Innerste hinein kalt, falsch, rach- und selbstsüchtig sey. „Sie hat etwas und zwar viel mit Dir vor' — und ihr Haß gegen die Gräfinn kommt jetzt dazu — Linda fasset sie scharf auf, aber doch lässet sie sich aus Heftigkeit durch alle hinreis¬ sen und benutzen, die sie übersieht und voraus¬ sieht.“ Albano blieb bei seinem alten sanftern Urtheil über die Fürstinn — um so mehr, da Titan IV . Q er Juliennens moralische Härte gegen jede ge¬ nialische schon aus ihrem Mißurtheil über Lia¬ nen kannte —; aber er gab ihr das leichte Wort, sie zu fliehen, ohne ihr den Grund, nehmlich ihre so hart entzauberte Liebe für ihn, zu sagen. Für sein Zartgefühl gab es keine größere Rohheit als dieses öffentliche Erbre¬ chen und Vorlesen eines Liebesbriefs, als das männliche Auffangen und Ausrufen eines weib¬ lichen Seufzers der Liebe durch ein Sprach¬ rohr fürs Volk. Alle kamen wieder zusammen — lagerten sich auf eine Stelle, die den See und die Al¬ pen und die Blüthen-Schatten gab — der Tag glühte sich ab und sank von Schönheit zu Schönheit zum Abend hinunter. — „Auf dieser feinen Insel (sagte Dian) fängt sich schon das nordische Wesen an und wir ste¬ hen bald zu Hause unter einem spitzen Dach.“ — „Nun ja, (sagte Julienne,) aber endlich hat man's doch auch gern, wenn man wieder einen reinlichen Menschen, eine Blondine und einen Schatten sieht und ein Paar Vögel hört Die Sangvögel sind in Italien selten, weil man sie für die Küche auf dem Markt verkauft. .“ — „An Tivoli und Ischia und den Posilippo denk' ich hier nicht, (sagte Albano,) ich denke an meine Kindheit und an die Alpen. — Drüben am Ufer des Langsee's ( lago Mag¬ giore ) mögen sich freilich die beiden Insel-Zu¬ ckerhüte nicht zum Besten darstellen, aber da¬ für stellet sich hier auf dem Zuckerhut das Ufer und der See desto besser dar, und für den der auf dieser Seealpe steht, ist sie doch gemacht.“ — „Mir ist alles gleichgültig, (sagte Linda,) denn ich finde mich hier ganz wohl. Das Re¬ zensiren schöner Gegenden ist auch ein nordisch Wesen, weil man sie da nur aus Büchern ken¬ nen kann; der Italiener, der sie hat, genießet sie wie die Gesundheit und ist sich nur der Ent¬ behrung bewußt; deswegen ist er nicht einmal ein großer Landschaftsmahler.“ „Man sollte (sagte Dian) das prächtige Welschland noch auf der Gränze besingen, wenn man von dem Kastellan eine Guitarre bekäme.“ Er gieng und brachte eine. Nun fieng er ita¬ Q 2 lienisch zu improvisiren an. Er sang: „in Apol¬ lo wurde die alte Liebe nach dem vorigen Schä¬ ferlande auf der Erde und nach der verlohrnen verhüllten Daphne wieder wach — er stieg vom Himmel, um beide zu finden — ihm hatte Ju¬ piter den Momus mitgegeben, der ihm das Häßliche zeigen sollte, damit er zurückfliege — als ein schöner lächelnder Jüngling gieng er über die Inseln, durch die Ruinen der Tem¬ pel, durch ewige Blüthen, vor göttlichen Ge¬ mählden einer unbekannten hehren Jungfrau mit einem Kinde und vor neuen Tönen vor¬ über, und zog wie über die Zauberkreise einer schönern neuen Erde. — Vergeblich zeigte Mo¬ mus ihm die Mönche und Seeräuber, und seine von der Zeit niedergeworfnen Tempel und ließ ihn spottend Thermensäulen für Tempelsäulen nehmen — der Gott sah hinauf zum hohen kalten Olymp und sah herab auf dies warme Land, auf diese große goldne Sonne, diese hellblauen Nächte, diese ewigblühenden Düfte, diese Zypressen, diese Myrten- und Lorbeer¬ wälder und sagte: hier ist Elysium, nicht in der Unterwelt, nicht auf dem Olymp — da gab ihm Momus einen Lorbeerzweig von Virgils Grabe Dian liebte den Virgil nicht. und sagte: das ist deine Daphne. Jetzt erzürnte sich seine große Schwe¬ ster Diana, sie gab Daphnen ihre Gestalt und Kleidung, als komme sie aus den Wäldern der Pyrenäen herüber; aber er erkannte die Ge¬ liebte und gieng mit ihr in den Olympus zu¬ rück.“ — Als Dian das sang und die Lieder mit den Saitentönen fliegen ließ, so standen hoch drüben im Himmel die ewigen Glanz-Ge¬ bürge aus Eis, von den Bergen flatterten Quel¬ len und Schatten in den hellen See und der Abend bewegte sich entzündet und entzückt. Da ergriff der stille Albano die Saiten, senkte das Auge in den Blitz der Gebürge ein und fieng erröthend an: „verweile, o Sänger, bei den ho¬ hen Geistern, die auf das Schlachtfeld zogen, tödtend, sterbend — und die aufbaueten die ewigen Tempel der Menschheit — verweile bei den reinen Demanten, die glänzend und fest unter dem Hammer des Schicksals blieben — verweile bei der alten Zeit, bei dem Meere Roms, das einen Welttheil trug und die an¬ dern untergrub — aber fliehe vor der Zeit, die ihren Gipfel in ihren eignen Krater senkte. — Verweile, Sänger, auf der Höhe und schaue in den Garten der Welt herunter, der ein spie¬ lendes Menschenleben ist — die Ruine wird Fels, und der Fels Ruine — auf dem hohen Vorgebürge duftet die Blüthe, unten liegt das Meer mit offnem Rachen — über die Szylla glänzen schöne Häuser und Gassen zwischen dem Lager erschrecklicher Felsen. — Und der Gott fliegt über das Land, und sieht das Kind auf der Tempelsäule am Ufer und die Götter¬ tempel voll Mönche, die Sümpfe voll namen¬ loser Ruinen und die Küste voll Blüthen und Grotten — und die blühenden Myrten und Reben und die Feuerberge und die Inseln — und Ischia . . . .“ Aber ihm entsank die bestürmte Guitarre und die Stimme, das Auge gieng tief in den Himmel und in das Leben des Menschen ein und er entfernte sich, um das laute Herz zu stillen. In der kühlenden Einsamkeit bemerkte er, wie weit schon die Sonne hinabgeflogen sey wie mit Amorsflügeln durch einen kältern Himmel; — er kehrte schnell zurück, in der Abend¬ röthe schlug seine Scheidestunde aus. Als er wiederkam, war Linda allein — denn Julienne hatte seinen Dian unter dem Vor¬ wande, das Bilderkabinet zu besehen, von den Liebenden weggezogen, denen heute ohnehin nur ein kürzester Tag des Glücks beschieden war — und die Geliebte sah ihn bedeutend an: „Dian sang eigentlich besser (sagte sie) und epischer, aber Euer lyrisches Wesen hab' ich doch auch sehr lieb.“ Sie blickte ihn wieder an, dann wieder, dann in sein Auge, dann umarmte sie ihn schnell und kein Laut erklärte den plötzlichen Kuß. „Wir wollen auf die Ter¬ rasse,“ sagte sie leise. Sie bestiegen die schöne Höhe der zehn Terrassen, welche mit Lorbeer- und Zitronenbäumen und mit Pyramiden und kolossalischen Statuen und mit der Aussicht auf das ferne von Dörfern und Alpen umzogne Ufer das Auge füllt und wo einst Albano sei¬ nen Vater hatt' entfliehen sehen. „Du gefällst mir immer mehr, Albano, (sagte Linda,) ich glaube fast, Du kannst recht lieben; erzähle mir Deine erste Liebe, ich habe Dir auch er¬ zählt.“ — „O Linda, (sagt' er,) wie viel be¬ gehrst Du! Aber ich bin wahr und sage Dir alles; Du wirst Sie lieben wie Sie Dich liebte. — Sieh hier Dein Bild, das Sie sterbend machte und mir gab!“ Er reichte ihr die kleine Zeichnung und ihr Auge wurde naß. Darauf fieng er leise und feier¬ lich das Gemählde seiner ersten Liebe an — wie er Sie so früh noch ungesehen und in ersten Morgenstrahlen des Lebens verehrt und ge¬ sucht — und wie er Sie fand — und wie Sie glücklich machte und es nicht wurde — wie sanft Sie war und er so wild und hart — wie er seinen eignen Ungestüm des Herzens Ihr zu¬ muthete — wie grausam er Ihre Entsagung aufnahm und wie Sie durch ihn untergieng. Linda weinte mehr als gewöhnlich. „O ich habe hart gehandelt, gute Linda!“ sagt' er. „Nein, (sagte sie,) ich wein' über Euch beide.“ — „Ich habe große Mängel,“ sagt' er. „Alle vergeb' ich Dir, (sagte sie,) wenn Du nur lie¬ ben kannst; aber das liebliche Wesen hat auch sehr gefehlt und gegen die Liebe.“ — Sie hielt innen, dann fragte sie leise: „Albano, ist Sie noch in Deinem Herzen?“ — „Ja, Linda,“ sagte er. „O Du redlicher und treuer Mensch, (rief sie begeistert und legte ihr Haupt an seine Brust und betete:) heiliger Gott, gieb deinen Unsterblichen alles, nur laß mir ewig dieses Menschen Brust, damit er recht geliebt wird, recht unaussprechlich und damit ich nicht un¬ tergehe! — Willst Du, Lieber, (lispelte sie plötzlich und richtete sich auf, ihn anblickend mit unend¬ licher Liebe und Hingebung,) daß ich in Lilar wohne, so gebiet' es nur.“ Dieses weibliche gehorchende Ergeben eines so freien mächtigen Geistes machte ihn sprach¬ los — wie ein Adler faßte ihn die Liebesflam¬ me und hob ihn empor — er glühte an ihrem blühenden Angesicht und die Brautfackel der untergehenden Sonne schlug mit großen Flam¬ men zwischen beide herein. „Linda, (fieng er end¬ lich mit zitternder feierlicher Stimme an,) wenn wir es wissen könnten, daß wir uns je verließen oder verlöhren — O! Linda, (fuhr er müh¬ sam fort, unter seinen Thränen und Küssen,) wenn das möglich wäre, es sey durch meine Schuld, oder durch das kalte Schicksal: wär' es dann nicht schöner, wenn wir uns in dieser Minute hinunterstürzten in den See und in unserer Liebe stürben?“ — Die Sonnengluth brannte wie eine Aurora herein, welche Jüng¬ linge und Jungfrauen zu den Göttern entführt; und die Lebens-Dämmerung war zu hellem Morgenroth entzündet. „Wenn Du das weißt, (sagte Linda,) so stirb jetzt mit mir.“ — — Da weckte beide Juliennens ferne Stimme — endlich kam sie selber mit Dian zum Ab¬ schied. Sie sahen erwachend, von der Sonne und Liebe geblendet umher und alles war ver¬ ändert — die Sonne war versunken, der weite See mit Nebel-Schatten bezogen und die Welt erkältet, nur die hohen Eisberge loderten noch rosenroth ins Blau, wie Gedächtnißsäulen der flammenden Bundes-Stunde. Vor Albano's Seele stand noch das men¬ schentrennende Schicksal, die kalte verhüllte Fel¬ sen-Gestalt, deren Schleier auch steinern ist und den niemand hebt. Er wollte nun durch¬ reißen und sogleich ohne feiges Zögern in den Winter hinunter. „O bis der Hesperus unterge¬ gangen, verzieh!“ lispelte Linda. Er blieb; aber beide hatten keine Worte mehr, nur die Au¬ gen; die festgehaltenen Adler, die vorhin den himmlischen Venuswagen durch den Himmel gerissen, flatterten daran wild auf. Der Abend¬ stern gieng unter; der halbe Mond in der Him¬ melsmitte legte Strahlen als Zauberstäbe an die Erde an und verwandelte sie in eine heili¬ ge blasse Welt des Herzens. „Nur noch den großen Stern lass' hinab“ — sagte sie und sah ihn sehnsüchtig an. Er that's. Die Nach¬ tigallen hüpften tönend zwischen den Silber¬ zweigen; nur die Menschen hatten Himmel und Liebe ohne Stimme. „Nur noch ein Sternchen!“ bat sie; er ge¬ horchte, schon vom Worte gerührt; aber sie entschied sich selber und sagte: „Nein, geh!“ — „Wir wollen, Dian!“ sagt' er. Dieser gieng Liebe-schonend die Terrassen voraus hinab. Heftig und lange lagen die beiden Geschwister einander am Herzen und wünschten sich ein hei¬ teres unbestürmtes Wiederfinden. Linda gab ihm nur die Hand und sagte kein Wort; wie der stille Himmel der Nacht seine heisse Sonne be¬ deckt, so war ihr stammendes Herz verborgen; und da er gieng, schloß sie, ohne nachzublicken, seine Schwester an die wallende Brust. Glanz und Nacht und Duft bestreueten die Himmelsleiter der Terrassen, die er herunter gieng. Leise flog sein Schiff durch den Ster¬ nen- und Blüthen-Schnee, der auf den Wel¬ len wehte — die Nachtigallen der beiden In¬ seln klangen zusammen — die Schiffer sangen ihnen frohe Lieder zurück — die Orangendüfte führte der günstige Wind dem Schiffchen nach; — aber Albano hatte Herz und Angesicht wei¬ nend nach der versinkenden Pyramide gewandt. Die Schwester hatte allein auf der Höhe nach¬ gesehen, dann war auch diese verschwunden — die Nachtigallen riefen noch leise nach — end¬ lich war alles verhüllt. — Er kehrte sich um nach den blaß-schimmernden Eisgebürgen, wie nach den Leuchtthürmen seiner Fahrt und vom Him¬ mel dieses Tags war ihm nun nichts geblieben als die leitende Liebe, wie der Schiffer dem Magnete folgt, wenn die heiligen Sterne sich verborgen haben und ihn nicht mehr führen. 119. Zykel. Albano und Dian flogen über die deutschen Gefilde freudig so manchem theuern Herzen entgegen und nichts wurde getäuscht als ihre — Furcht vor dem Abstande ihrer Reise-Län¬ der. Statt des schwarzen Lavasandes und des verbrannten Bodens hinter ihnen deckte jetzt das helle frische Grün die Ebenen und kühlte das geblendete Auge. Die Wellen grüner Äh¬ ren-Fluren schlugen sich so lustig als die Wel¬ len des blaugrünen Meers. In dichtern, län¬ gern, höhern Wäldern wehten neue Schatten, gleichsam schöne kleine Abende, die sich vor dem Tag verkrochen. Nach dem schwarzen Grün der welschen Bäume kehrte das helle lachende der deutschen Gärten zurück; und neue Vögel- Chöre wiegten sich in Wolken und in Wäldern und grüßten das Menschen-Herz und schickten ihm ihre leichte schuldlose Freude herab. Von Frühling zu Frühling zog der glück¬ liche Albano mit seinen Liebesträumen; wie hinter ihm eine südliche Blüthe fiel, so that sich vor ihm eine nördliche auf; und sein Rei¬ sewagen blieb auf dem bunten Wege und unter den Blüthen-Schatten eines langen Gartens. Endlich stand er vor dem Hause, wozu ihn der Garten führte, vor der Lindenstadt; so stand er auch im vorigen Jahre auf der Höhe vor ihr, zum Wolkenzuge der Zukunft aufse¬ hend ohne zu errathen wozu das Gewölk' sich bilde, ob zur Aurora, oder zum Abendgewitter. Wie viele alle Schmerzen streiften jetzt gleich Schatten von Wolken über die alte Gegend, über die Blumenbühler Höhen und über die Häuser hinüber, als er die bekannten zuweilen mit Thränen bezeichneten Wege der Vergan¬ genheit überschauete! Er gieng jetzt, das be¬ dacht' er, seinem Vater mit der Nachricht sei¬ nes neuen Glücks entgegen — seinem abtrünni¬ gen Freunde mit der geraubten Geliebten — mit alter und neuer Liebe seinem wiederkehren¬ den Schoppe, dessen Herz und Schicksal ihm jetzt zugleich so dunkel und so wichtig waren — und der sonderbaren Zeit und Stunde, wo die unterirdischen Wasser, deren Treiben und Rau¬ schen er bisher so oftmals erfahren, auf ein¬ mal aufgedeckt, und mit allen Krümmungen und Quellen entblößet vor dem Tagslicht liegen sol¬ len — und der heiligen Stelle, wo er die Ge¬ liebte, die ihm jetzt auf dem utschen Wege und in der Nähe der vorigen Schwierigkeiten noch größer und unerreichbarer erschien, als auf dem Epomeo in der Nachbarschaft alles Erhabnen am Himmel und auf der Erde, kühn ans Herz nehmen und schließen durfte auf ewig, ohne wieder zu fragen: wirst Du mich lieben? — Da dacht' er an ein Bild zurück, das er auf dem Vesuv So schwer und langsam wälzt sich der breite Lavastrom herunter, daß ein Mensch vor diesem glühenden Todesfluß, der alles verschlingt, er¬ stickt und zerschmilzt was er berührt, vorausge¬ hen und die Zerstöhrung hinter sich sehen kann, ohne sich in die Gefahr einer eignen zu setzen. gefunden und sagte zu Dian: „hinter dem Menschen arbeitet und geht ein langsamer Strom, der glühend ihn verzehrt und zermalmt, wenn er ihn ergreift; aber der Mensch schreite nur tapfer vorwärts und schaue oft rückwärts, so entkommt er unbeschädigt. Mein geliebter Lehrer, so will ich's jetzt in mei¬ nen neuen bedenklichen Verhältnissen machen; wende Du mich aber nach der Lava um, wenn ich's in schön u n Gegenden zuweilen vergessen sollte!“ — „Sprecht bessere, günstigere Worte! (sagte Dian.) Heil uns, die Götter sind schon gewo¬ gen! — Dort kommt Euer Vater den Schlo߬ berg herauf und sieht so lustig und glücklich aus wie ich ihn nie getroffen!“ Ein Ein und dreißigste Jobelperiode. Pestiz — Schoppe — Ehescheu — Arkadien — Idoine — Verwicklung. 120. Zykel. G aspard hatte gegen seinen Sohn die gewöhn¬ liche vornehme Kälte der ersten Stunde, wie Briefe kälter anfangen als endigen. Erst als dieser Morgen-Reif geschmolzen und es wär¬ mer um ihn geworden, entdeckte ihm Albano ohne Furcht und ohne kleinmüthiges Erröthen mit gereifter Männlichkeit den Bund, den er mit Linda und mit sich auf ewig geschlossen und bat ihn um das dritte Ja. „So hat es doch (versetzte der Ritter) der alte Zauberer am Ende noch durchgesetzt; freilich unter dem Beistand Titan IV R einer jungen Zauberinn. Daß ich Dich in dem was Du mit ganzer Seele und auf immer er¬ greifest, niemals stöhre, das weißt Du noch vom vorigen Jahre aus einem ähnlichen Fall.“ Albano wurde über die bittere Erwähnung sei¬ ner ersten Liebe roth, hatte aber seit einem hal¬ ben Jahre die Kraft gewonnen, da männlich zu schweigen, wo er sonst jugendlich sprach. Gaspard, heute froher und gegen ihn wärmer als sonst, fuhr doch, als er dessen Empfindlich¬ keit bemerkte, fort: „Ich heiss' es gut! Wie der Siegelgräber das Wappen anfangs in Wachs, und erst dann in den Edelstein sticht, so versucht der Mann das seinige in mehr als ein Herz zu graben, bis er endlich das festeste hält. Man muß bekennen, Du hast nicht am schlimmsten ausgewählt in meiner Mündel und ich gebe gern mein Wort dazu.“ — Albano drückte die Hand, die den süßen Knoten der Liebe noch fester zog und sagte im Rausche des Danks: „auch meine Schwester fand ich, die Prinzessinn, aber ich thue an Sie keine Frage wie neulich, sondern rechne auf die Zeit.“ — „Spötter! (sagte Gaspard und nahm, ihn abzukühlen, wie es schien den grau¬ samen Schein an als denk' er, der reine edle Sohn hab' ihm mit der Erwähnung der Schwe¬ ster den Spott der vielfachen Liebe zurückgeben wollen,) schweige nur über alles im Innersten wie ich selber bisher; und verbirg dein Wissen dem Hofe; gieb mir Dein Ehrenwort.“ Albano sagte, auch Juliennen hab' er's schon gegeben; er wurd' aber durch Gaspards gan¬ zes Betragen auf Schlüsse zurückgetrieben, die weder seinem Vater noch Juliennens Mutter sittliche Kränze aufsetzten. Gaspard setzte noch dazu, es sey für einen Mann ein Unglück, mit phantastischen Weibern — wie Albano schon seine Mutter kenne — und zwar mit dreien auf einmal verwickelt zu seyn und rieth ihm, seinen Schritt wie bisher tapfer durch alle Räthsel fort zu thun und sie ihrer eignen Auflösung zu überlassen; darauf legt' er ihm als eine Probe der dritten Phantastinn die Frage vor, ob er schon wisse, daß die Gräfinn ungeachtet seiner Vormundschaft ihren lebendi¬ gen Vater noch habe, der erst an ihrem Hoch¬ zeittage erscheinen wolle. Er bejaht' es. Ga¬ R 2 spard fuhr nun fort: schon dieser Grund allein — damit Linda ihren Vater und sie alle end¬ lich die Ruhe der Klarheit fänden — bestimme ihn für eine frühe heimliche Verbindung beider durch den ehrlichen Spener. Albano — ordentlich erschreckend vor der schnellen nahen Verwandlung seeliger Stunden in seelige Jahre und eben so unvermögend, sich seine Titanide als Gattinn zu denken wie als Kind — antwortete bescheiden und mit uneigen¬ nütziger Rücksicht auf Linda's Ehe-Scheu: über die Zeit seines besiegelten Glücks dürfe und könne niemand entscheiden als Linda selber. Gaspard war zufrieden: „nur um einen Aufschub halt' ich bei Euch an (fügt' er noch bei); mein Freund, der Fürst, ist seinem Ende wieder näher — die wohlthätige Wirkung, die auf ihn eine Geister-Erscheinung gemacht, hat allmählig nachgelassen, und er fürchtet täglich die Wiederkunft des Phantoms, das ihm die letzten Stunden vorauszusagen versprochen. — In solcher Zeit taugt mir Euer Fest nicht. — Im Vertrauen gesagt, der arme Kranke hatte selber ein Auge auf die schöne Braut. — Es ist doch billig, ihn mit der größten Gewißheit seines Verlustes zu verschonen. Seinetwegen verschieb' ich auch meine Abreise.“ Wie wenn ein Mensch in das junge Para¬ dies träte und alle Vögel auf einmal, Nachti¬ gallen und Adler und Eulen und Paradiesvö¬ gel und Geier und Lerchen umzögen ihn: so verworren fühlte sich Albano durch diese durch¬ kreuzende Ansichten erregt und er merkte, hier¬ in geb' es keinen Verlaß und Vorhalt als auf sein eignes Herz und Linda ihres. Gaspard schien ungeduldig auf das Wieder¬ sehen der Gräfinn zu seyn, die er seine einzige Freundinn nannte. „Ich glaubte leider in Rom meinem Bruder nicht, (setzt' er dazu,) da er beiden Frauen in Neapel wollte begegnet seyn. — Apropos dieser ist vor einiger Zeit hier durch nach Spanien gegangen; in Rom behauptete er, nach Griechenland zu reisen — Du siehst, mit welcher poetischen Lust und Genialität er das reine Lügen treibt.“ Gaspard schied sehr warm von ihm mit den Worten: „Albano, ich bin mit Dir zufrieden, ich wär' es unendlich, wenn die Reinheit des Jünglings in den Mann übergienge — noch hab' ich's nie gefunden.“ — Albano wollte gerührt betheuern und beschwören. „Darum (fuhr er mit einer leichten den Eid wegtreiben¬ den Hand-Bewegung fort) fandest Du mich so froh über Dein Glück, denn die Fürstinn, Freund, hatte mir Deine Liebe schon am Mor¬ gen verkündigt. Nimm Dich in Acht vor ihr, denn sie hasset Dich ohne Gränzen.“ Hart und schauerlich tritt wie ein neues wunderbares Raubthier hinter dem Gitter, zum erstenmal ein rechter wenn auch waffenloser Haß vor ein gutes Herz. Albano begehrte keine Bekräftigung und Erklärung dieser trau¬ rigen Nachricht, denn der Fürstinn Liebe und Irrthum, ihre Bekanntschaft mit seiner vorigen Kälte gegen Linda, ihr stiller Ingrimm gegen diese selber, waren ja für sie Flammen genug, um daran den stärksten Gift zu kochen. Er wohnte wieder auf des Vaters Ersuchen bei dem für ihn unbedeutend in der Tiefe lie¬ genden D. Sphex; und Gaspard wieder im Schloß nahe am kranken Freund. Der Ritter stellte ihn schnell dem Hofe vor, der das Reise¬ Braun, den schärfern Augen-Blitz und die ganze letzte Entwicklung seiner großen Gestalt schnell bemerkte und bemerken ließ. Die Für¬ stinn empfing ihn mit der leichtesten feinsten Kälte, gleichsam einer aqua toffana , die nur reines geschmackloses Wasser scheint. Der Fürst saß im Krankenbette aufrecht mit verdrüßlichem Gesicht vor herkulanischen Zeichnungen und ließ sich darüber von Bouverot belehren. Wie ein Gesicht, auf welchem in den späten grauen Jah¬ ren des Lebens noch schöne Freudigkeit sich bil¬ den kann, ein schönes Leben und schönes Herz verkündigt: so lächelt der Heilige nie himmli¬ scher als auf dem Krankenbette, und der Ver¬ lohrne nie härter als eben da. Albano wandte sein Auge ab vom siechen verzerrten Bruder seiner Schwester. Schmachtend sah er nach dem vergangnen Hesperien zurück und auf die Paradieses-Pforte hin, die endlich aufgehen und Linda und die Schwester im Eden zeigen sollte. „Es wird Dir recht seyn, (hatte Gaspard gesagt,) daß ich es unter dem Vorwand der Krankheit Lui¬ gi's gemacht, daß beide im alten Schloß zu Li¬ lar wohnen, wo Du sie unbemerkter sehen kannst.“ Er begegnete dem Minister Froulay, und ihm kam entgegen der Lektor; — mit bei¬ den gieng ein dunkles vielfaches Schatten-Ge¬ folge von harten alten Erinnerungen mit. Noch hatt' er den Hauptmann Roquairol nicht gese¬ hen, jetzt für ihn der Abendnebel eines unter¬ gegangnen Frühlingstags. Er trug so schnell er konnte sein stummes Herz — das eine Äolsharfe in der Windstille war — nach dem kindlichen Blumenbühl, um die elterlichen Menschen zu begrüßen und die Blät¬ ter seines nächsten Seelen-Nachbars Schoppe zu lesen, nach dessen versprochner Wiederkunst er sich jetzt mehr als jemals sehnte. 121. Zykel. Es war ein blauer frischer Sommertag, da Albano nach seinem alten Blumenbühl gieng, ohne zu wissen, daß er's gerade an dem Ja¬ kobi- oder väterlichen Geburtstag thue, den er einmal in der Kindheit mit so seltsamen Vor¬ spielen seines Lebens verbracht. In den alten Gärten und auf den alten Höhen umher bis nach Lilars Walde hinüber lag überall noch der junge schimmernde Thau der Kindheit un¬ vertrocknet von der Sonne Hesperiens; auch manche Thränentropfen standen darunter auf Blumen; aber sein frischer genesender Geist wehrte sich jetzt gegen weiches Verschwimmen in die laue Verflossenheit, diese Lethe der Ge¬ genwart. Im Dorfe wurd' er über ein Pferd, das man beschlug, betroffen, weil ers an Zeu¬ ge und allem als Roquairol's Freudenpferd er¬ kannte. Ein Fest trug er in das Fest hinein, als er in die laute Vaters-Stube voll Geburts¬ tagswähler trat, blühend, entwickelt, gerade, ein befestigter Mann mit entschiednem Blick und Zug. Rabette schrie auf — Roquairol rief: „Aha!“ — und der alte Lehrer Weh¬ meier: „Gott und mein Herr!“ — und seine Kindheits-Engel, die Eltern, umfaßten ihn unverändert und aus Albinens blauen Augen rannen die hellen Tropfen. Aber verändert stand die fremde Jugend neben seiner. Rabettens Angesicht, die vorigen vollen Wangen und blühenden Lippen waren niedergefallen und mit dem aufliegenden weis¬ sen Schleier überlegt und verwachsen und sie hatte zwei graue Thränen statt der Augen; in¬ deß lächelte sie sehr. Wie sein eignes Gorgo¬ nenhaupt, erschien Roquairol's Gesicht blaß und hart, gleichsam auf seinen Grabstein gehauen; nur schroffe Pfeiler standen in der Fluth ohne die leichten Bogen der schönen Brücke. Zu Al¬ bano's Blüthen-Stamme sahen Albine und Rabette unverwandt hinauf, er schien ein ita¬ lienisches Gewächs zu seyn, ein Neapolitaner, im täglichen Bade des Golfs genervigt. Ro¬ quairol hatte sogleich seine Rolle in der Ge¬ walt, leichter als Albano seine Wahrheit; er benahm sich gegen den, der ihm den Zauber¬ stab des Lebens entzweigebrochen und als zwei Bettelstäbe hingeworfen hatte, mit der höchsten Höflichkeit, küßte ihn auf die Wange, hielt in dem leichtesten oft französischen Sprachton aus, zog die nächsten Nachrichten über Welschland ein und gab wieder die erheblichsten, so gut er sie, sagt' er, für einen Mann mit hesperischem Maa߬ stab auftreibe, aus dem Lande zum Besten. Auch erzählte er, „daß des Ritters Bruder dagewesen, ein Mann voll Talente, zumal mimischer der Art, und von der sonderbar-hef¬ tigsten Phantasie bei der höchsten Kälte des Karakters, vielleicht aber nicht immer wahr genug.“ — „Bei meinem Trauerspiel (setzt' er dazu) wär' er Goldes werth. Lieber Bru¬ der, sey bei dieser Gelegenheit auch gleich ein¬ geladen dazu; es heisset: der Trauerspieler — Ich geb' es bald — Rabette kennt's.“ Sie nickte, Albano schwieg unter seiner Gluth. Un¬ ter allen Rollen gelang dem Hauptmann die eines Weltmanns am reinsten; auch ist der Schein der Kälte leichter und wahrer als der Schein der Wärme. Albano blieb in einem stolzen Abstande. Der gekränkten welken Ra¬ bette gegenüber konnte Roquairol durch nichts gewinnen, auch nicht durch die Vorbitte seiner Gestalt voll zertrümmerten Lebens; etwas auf ewig verworrenes und die Wachsflügel zu ei¬ nem Klumpen gequetscht, fand Albano und ihm war hier enge wie einem, der von der hel¬ len Welt herab auf einmal in eine niedrige feuchte Kellerhöhle kriecht. Der Hauptmann stand auf, erinnerte noch einmal an seine Bitte für den „Trauerspie¬ ler,“ und sprengte auf dem Freudenpferde davon. Hinter ihm schwieg jeder von ihm wie ver¬ legen. Die Weiber, von Albano's glänzender Gegenwart ein wenig scheu, getraueten sich nur schwer mit der alten einheimischen Vergangen¬ heit hervor, indeß der Pflegevater Wehrfritz, in seinen Meinungen und Sitten fortgewachsen, noch in das alte Geschrei der Kanarienvögel, und Hunde eingefasset, gar keine Zeit kannte, dem Pflegesohne innigen Dank für die verbind¬ liche Erinnerung und Wahl seiner Geburtstags¬ feier sagte, den Albano nothwendig und ver¬ geblich ausschlug, im vorigen Du und Vater¬ wesen fortfuhr, sich über die Franzosen und ihre künftigen Siege entzückte und jetzt dem äl¬ tern Pflegesohne mehr Prämien des Lobes als jemals dem jüngern bewilligte, um ihm da¬ durch, hofft' er, ein so großes Vergnügen zu machen wie sonst. Der Magister unterstützte von weitem das Lob, ob er gleich nicht unter¬ lassen konnte, sofort als sein Schüler Neapel, Baja, Cuma ausgesprochen hatte, eine Gelegen¬ heit zu ergreifen, um Neapel, Baja, Cuma aus¬ zusprechen. Albano war rein, wahr, menschlich, offen und herzlich gegen alle; Eitelkeit war nicht in seinem selbstvergessenen Stolz. Rabette fand endlich ein Hebezeug, den glänzenden und doch trauten Bruder aus dem Gastzimmer in ihres oder sein voriges aufzu¬ winden, um allein zu seyn an seiner Brust. Als sie hineintraten: so fieng sie sogleich mit den Worten: „kennst Du die Stube noch, Al¬ bano?“ unendlich zu weinen an mit den so lange gesammelten Thränen; und Alba¬ no zeigt' ihr in den seinigen sein langes bis¬ heriges Mitleiden, riß aber dadurch die ganze wundenvolle Vergangenheit auf. Sie griff sel¬ ber zum Heilmittel, zum Erzählen — so sehr er auch vorschützte, er wisse und errathe ja al¬ les —; und berichtete die Augen trocknend, wie alles stehe — und „daß Karl viel bei seiner Mutter in Arkadien sey — daß der Minister noch gegen das einzige Kind den alten Wüthrich mache und ihm nicht einen Heller mehr als sonst zuschieße, ob er gleich immer große und größere Schulden häufe, zumal seitdem keine Liane sie mehr im Stillen tilge — daß er über¬ all borge, nur aber von ihr nichts annehme — daß er noch immer weiter nichts begehre und kenne als die Gräfinn — und daß Gott wisse, wohinaus das alles noch wolle.“ — Allem Fra¬ gen zuvorkommend, setzte sie dazu: „er weiß schon jetzt alles, Dein ganzes Leben mit dersel¬ bigen Person — er thut dabei still und lustig, aber ich kenn' ihn genugsam.“ — „Ach! (seuf¬ zete sie in der Jammer-Fülle; und setzte sogleich mit derselben Stimme dazu:) Du siehst mich an, nicht wahr, Du findest mich sehr mager gegen sonst?“ — „Ja wohl, Arme!“ sagte er. „Ich trank viel Essig seinetwegen, weil Karl schlanke Taillen liebt; und der Gram thut auch viel,“ sagte sie. Albano wollte sie trösten mit der nähern Möglichkeit einer Verbindung Karls mit ihr, seit der entschiednen Unmöglichkeit jeder andern und bot sich ihr gern zu jedem Vorwort und Zwangsmittel an —; „er ist vor Gott und uns Dein Mann,“ sagt' er. „Das hat er nie (ver¬ setzte sie erröthend) seyn mögen, nehmlich ho¬ nett; ich schrieb Dir ja, daß ich jetzt auch zu stolz bin dazu.“ — Nichts bestach ihn mehr als sittlicher Stolz: „so wirf ihn einmal weg auf immer!“ sagt' er.— „Ach, (sagte sie bäng¬ lich,) weiß ich denn, daß er kein Leid gegen sich selber vorhat? — Dann würf' ich mir's ewig vor.' ' Unwillkührlich mußte er mit dieser liebenden heiligen Furcht die Härte der Fürstinn vergleichen, die es so froh und stolz erzählen konnte, daß manches verliebte Leben das Opfer ihres spröden Herzens und koketten Gesichts ge¬ worden. „Was willst Du nun thun?“ fragt' er. „Ich weine, (sagte sie,) ach Alban, das ist ja genug, daß Du mir Gehör und Rath gegeben; ich bin wieder ganz heiter. Aber wer¬ de wieder sein Freund.“ Er schwieg, über die weibliche Unart ein wenig erzürnt, die unter dem Vorwand, Rath zu suchen, nur Gehör verlangt. „Was ist das, (fragt' er, ein Blatt ihr zeigend,) das ist völ¬ lig meine Hand und ich hab' es nie geschrie¬ ben?“ — Sie sah es an und sagte: „Karl pro¬ bire oft so in den Händen bei ihr.“ Es wun¬ derte ihn und er sagte: „überall nur Nachspie¬ len und Nachmachen! Aber wie kannst Du den¬ ken, daß ich ihm vergebe?“ — Einige Reise¬ beschreibungen auf ihrem sonst bücherarmen Nachttisch fielen ihm auf: „ich wollte doch wissen, (sagte sie,) wie es Dir etwan da und dort mochte ergehen und las deshalb das lan¬ ge Zeug.“ — „Du bleibst meine Schwester!“ sagt' er und küßte sie herzlich. Sie fragte ihn noch viel und zudringlich über sein neues Ver¬ hältniß, aber er eilte wortkarg mit dem vollen Herzen hinab. — Das erste Wort drunten an den Landschafts¬ direktor war die Bitte um das „deponirte Schop¬ pische Schreiben.“ Wehrfritz brachte den im Eisen¬ kästchen der Schuldscheine aufbewahrten breiten Brief und lieferte ihn hoffentlich, wie er sagte, richtig ab. Kaum hielt Albano die Thränen zu¬ rück, als er die krausen aber werthen Spuren der geliebten Hand, die gewißlich nie im Le¬ ben gewankt oder sich befleckt, in der seinigen hielt. Da er nichts erbrach, so fiengen sie alle gutmüthig an, ihm seinen Freund Schoppe noch den Muthmaßungen und Ansichten, die sich der Mensch über jeden höhern Geist so keck und froh erlaubt, mit allen seinen Thaten oder Far¬ ben vorzuschildern, als wären Thaten oder Far¬ ben ben Striche und Umriß. Wehrfritz und Weh¬ meier bedauerten, daß er toll würde, wenn er's nicht schon sey. Der Magister hielt mit seinem Hauptbeweise zurück, bis der Landschaftsdirek¬ tor die kleineren Nebenbeweise beigebracht. Sein Leben unter diesem Schloßdache wurde ab- und aufgedeckt, aber im Guten. Er hatte bisher — so giengen die Berichte — nichts Re¬ elles oder Solides „bezweckt“. Wehrfritz schwur, er habe selber zugesehen, daß er die Litteratur¬ zeitung so gelesen, wie sie ineinander Halbbo¬ gen-Weise steckte, und sagte, daß er's freilich weniger der Tollheit als einer Geistes-Abwe¬ senheit zuschreibe, weil er wisse, mit welcher Lust er immer den Reichsanzeiger — den sol¬ cher selber für den Thorschlüssel der Reichsstadt Deutschland erkläret — in die Hand genommen und verständig durchgegangen. Mitten in der Gesellschaft hab' der Bibliothekar seine Hände angesehen mit den Worten: da sitzt ein Herr leibhaftig und ich in ihm, wer ist aber solcher? — Gearbeitet hab' er sehr wenig, Bücher von Gewicht, wie H. Wehmeier wisse, selten ange¬ sehen, leichter die allerschlechtesten von Bauern, Titan IV . S z. B. ganze Traumauslegebücher. — Sein lieb¬ ster Umgang sey ihm sein Wolfshund gewesen, mit dem er Stundenlang ordentlichen Diskurs geführt und von dessen Murren er ernsthaft behauptet, es klinge wie ein sehr ferner Don¬ ner. — Gern sey er vor dem Spiegel gesessen und habe sich in ein langes Gespräch mit sich eingelassen; zuweilen hab' er in die camera obscura gesehen, dann schnell wieder in die Gegend, um beide zu vergleichen, und habe unoptisch genug behauptet, die laufenden re¬ gen Bilder der camera würden von der äus¬ sern Welt vergrößert, aber täuschend nachge¬ äfft. „Ein schlauer Vogel (setzte der Direktor dazu) blieb's bei alle dem; verschiedene mei¬ ner Bekannten auf den benachbarten Rittersi¬ tzen ließen sich von ihm mahlen, weil er's wohl¬ feil gab; er wußte aber immer etwas ins Ge¬ sicht einzuschieben, daß einem die Physiognomie ganz lächerlich oder einfältig vorkam; und das hieß er sein Schmeicheln. Natürlich saß ihm in die Länge nichts Honettes mehr.“ „Wär' es mir verstattet, (fieng Wehmeier an,) so würd' ich jetzt dem H. Grafen ein Fak¬ tum vom H. Bibliothekar mittheilen, das viel¬ leicht, das ist wenigstens meine Meinung, so frappant ist als manches andere. Die Schul¬ wohnung ist, wie Sie gewiß noch wohl wissen, dicht an der Kirche.“ Darauf gab er in einer langen Erzählung diese: Einst sey in der tie¬ fen Mitternacht die Orgel gegangen — Er habe an der Kirchthüre gelauscht und Schop¬ pen deutlich einen kurzen Vers aus einem Haupt¬ lied singen und orgeln hören — Darauf sey dieser laut vom Chore herab und auf die Kan¬ zel hinauf gestiegen und habe eine Kasualpre¬ digt an sich selber mit den Worten angefan¬ gen: mein andächtiger Zuhörer und Freund in Christo — Im Exordium hab' er das stille lei¬ der so schnell vergangne Glück vor dem Leben berührt, obwohl nicht nach rechter Homiletik, da der zweite Theil fast den Eingang repetire — Darauf einen Kanzelvers mit sich gesungen und aus Hiob, Cap. 3., wo dieser die Freude des Nicht-Seyns zeigt, den 26sten Vers verle¬ sen, der so lautet: „war ich nicht glückseelig? war ich nicht fein stille? hatt' ich nicht gute Ruhe? Und kommt solche Unruhe“ — Vor¬ S 2 gestellt hab' er sich: die Leiden und Freuden eines Christen, im ersten Theil die Leiden, im zweiten die Freuden — Hierauf hab' er, aber auf närrische Art und Sprache, aber doch auch mit Bibelsprüchen die Noth auf der Welt kurz zusammengedrängt, worunter er sehr unerwartet sonderbare Sachen, lange Predigten, die beiden Pole, häßliche Gesichter, die Komplimente, die Spieler und die Welt-Dummheit gezählt — Dar¬ auf sey er zum Trost im zweiten Theile vorge¬ schritten und habe die künftigen Freuden eines Christen beschrieben, welche, wie er lästerlich gesagt, in eine Himmelfahrt ins zukünftige Nichts, in dem Tode nach dem Tode bestände, in einer ewigen Befreiung vom Ich — Da hab' er, grausend sey es zu hören gewesen, die benachbarten Todten unten in der Kirche und in der fürstlichen Gruft angeredet und gefragt: ob sie zu klagen hätten? „Ersteht, (sagt' er,) setzt euch in die Stühle und schlagt die Augen auf, falls sie naß sind. Aber sie sind trockner als euer Staub. O wie liegt die unendliche Vorwelt so still und schön gewickelt in den eig¬ nen Schatten, auf das Bette der Selbst-Asche weich gelegt und hat nicht ein Traum-Glied mehr, in das eine Wunde geht. Swift, alter Swift, der du sonst so sehr in der letzten Zeit nicht bei Verstande warst und an jedem Ge¬ burtstage das ganze Kapitel durchlasest, wor¬ aus der h. Text unserer Erntepredigt genom¬ men ist, Swift, wie bist du nun so zufrieden und gänzlich hergestellt, der Haß deiner Brust ausgebrannt, die Zahlperle, dein Ich in der heissen Thräne des Lebens endlich zerbaizt und zerlassen und diese sieht allein hell da! — Und du hattest vor dem Küster gepredigt wie ich.“ — Hier habe Schoppe geweint und sich über die Rührung, Gott weiß vor wem, entschuldigt — Darauf sey er an die Nutzanwendung ge¬ gangen und habe scharf auf Besserung des Zu¬ hörers und Predigers gedrungen, auf lautere redliche Wahrhaftigkeit, Freundestreue, stolzen Muth, bittern Haß der Süßlichkeit, des Schlan¬ gengangs und weicher Unzucht — Endlich hab' er mit einer Bitte an Gott, daß er ihn, sollt' er einmal Gesundheit oder den Verstand oder dergleichen verliehren, doch möge sterben lassen wie einen Mann, die Andacht beschlossen und sey auf einmal aus der Kirchenthüre herausgefahren. „Er brachte mich (setzte Wehmeier dazu) fast um meinen Verstand durch Schrecken, da er auf einmal zornig mich anfuhr: Scheinleiche, was schleichst du ums Grab; und ich machte mich entfärbt und hurtig nach Hause, ohne ihm das Geringste darauf versetzt zu haben. Was sagen aber der Herr Graf?“ — Albano schüttelte den Kopf mit Heftigkeit, ohne ein belehrendes Wort, mit Schmerz und Thränen auf dem Gesicht. Er nahm bloß schnell von allen Abschied und bat sie um Vergebung der Eile; — und suchte Abend-Sonne und die Freiheit, um des edlen Menschen Brief und die Absicht seiner Reise zu lesen. Er schlug den al¬ ten Weg nach Lilar ein, wo er an der frohen südlichen Brust seines frohen Dian's wieder die südliche Heiterkeit und Gewohnheit zu finden hoffte; denn sein Herz war durch ein Erdbeben aufgedrängt und aufgehoben, weil ihm in die¬ sem Schoppe doch manches wilde Zeichen, gleich¬ sam ein übermäßiges Leuchten und Blitzen die¬ ses Gestirns, einen Untergang und jüngsten Tag zu melden schien, den er zu seinem höch¬ sten Schmerz dem Aufgehen des neuen Sterns der Liebe, der diese Welt anzündete, zuzuschrei¬ ben gezwungen war. 122. Zykel. Er las folgenden Brief von Schoppe: „Dein Schreiben, mein lieber Jüngling, kam mir richtig zu. Ich preise Deine Thränen und Flammen, die einander wechselnd unter¬ halten und nicht löschen. Werde nur etwas, auch viel, nur nicht alles, damit Du es in ei¬ ner so äußerst leeren Sache wie das Leben ist — ich möchte wissen wer's erfunden hat — ausdauern kannst vor Wüstenei. Ein Homer, ein Alexander, die nun die ganze Welt erobert und unter sich haben, müssen sich oft mit den verdrüßlichsten Stunden plagen, weil nun ihr Leben aus einer Braut eine Frau geworden. So sehr ich mich dagegen verpallisadirte und mich festmachte, um nicht über Jedermann zu steigen und als das Faktotum der Welt oben zu sitzen: so kam ich doch am Ende unvermerkt und stehend in die Höhe, bloß weil unter mei¬ nem langen Besehen der ganze Erdkreis voll Schaumberge und Nebel-Riesen immer tiefer aufthauete und zusammenkroch; und schaue nun allein und trocken von meinem Berghorn her¬ unter, ganz besetzt mit den Blutigeln des Welt- Ekels. Bruder, es wird aber in diesem Jahre an¬ ders und ich flott. Deswegen wird Dir hier im Februar ein langer mir ganz verdrüßlicher Brief geschrieben, der Dir über meine nahe Einspinnung und Verpuppung sagt, wo und wie; denn bin ich einmal eine glänzende Chry¬ solide, so kann ich mich nur schwach mehr re¬ gen und zeigen. Ich will mich deutlicher erklären, setzen die Deutschen hinzu, wenn sie sich deutlich erklärt haben. Es schickt und trifft sich beson¬ ders glücklich — was ich schätze wie einer —, daß gerade Ende des Jahrs Ende meines bis¬ herigen väterlichen Vermögens ist und folglich, wenn Amsterdam aufhört zu zahlen, ich auch falle und nichts mehr in Händen habe als schwa¬ che chiromantische Wahrsagungen und nichts im Leibe habe außer dem Magen. Ich wollte, ich könnte noch von meinem Nabel leben wie in meinen frühern Zeiten und mich so weich betten. Was soll ich dann machen? Mich von den Herren Menschen Jahraus Jahrein beschenken zu lassen, dazu acht' ich sie nicht genug; und die wenigen, die man etwa bei Gelegenheit achtet, sollen wieder mich zu hoch achten, es anzubieten. Was, ein Floh soll ich seyn am dünnsten goldnen Kettlein und ein Herr, der mich daran gelegt, damit ich ihm springe, aber nicht davon, zieht mich öfters auf den Arm und sagt: saug' nur zu, mein Thierchen! — Teu¬ fel! Frei will ich bleiben auf einer so ver¬ ächtlichen Erde, — keinen Lohn, keinen Befehl in diesem großen Bedientenzimmer erhaltend: — kerngesund, um kein Mitleiden und keinen Hausarzt zu erwecken — ja wollte man mir das Herz der Gräfinn Romeiro unter der Be¬ dingung zuschlagen, es zu erknieen, so würd' ich das Herz zwar annehmen und es küssen, aber gleich darauf aufstehen und davonlaufen (entweder in die zweite oder in die neue Welt) ehe sie Zeit hätte, sich die Sache zu rekapitu¬ liren und mir vorzurücken. Werden freilich etwas — und dadurch eben so viel verdienen —, das könnt' ich (schlägt man mir vor) dach versuchen, ohne sonderliche Einbuße von Freiheit und Ungleichheit. In der That seh' ich hier aus meinem Zentrum an 360 Weg-Radien laufen und weiß kaum zu wäh¬ len, so daß man lieber das Zentrum zum Um¬ kreis auszuplätten oder diesen zu jenem einzu¬ ziehen versuchen möchte, um nur fortzustehen. Dienen , wie die Regimentsstäbe sagen, wäre freilich das nächste am Herrschen. Du willst selber, wie Du schreibst, ins Feld. (Deinen Brief hab' ich richtig erhalten und darin Deine Scheu und Sucht recht und gut gefunden und Dich ganz.) Und in Wahrheit, errichtete der Erzengel Michael eine heilige Legion, eine legio fulminatrix von einigen schwachen Septuagin¬ ta's gegen das gemeine Wesen der Welt, kündigte er den Riesenkrieg dem Pöbelsaufge¬ bote an, um vier oder fünf Welttheile durch ein sechstes Welttheilchen (auf einer Insel hätt' es vielen Platz) aus der Welt zu treiben oder in die Kerker und um alle geistige Knechte zu leiblichen zu machen: sey versichert, in diesem glücklichen Fall stellte ich mich am ersten hinter die Spitze und führte die Kanonen mit der kur¬ zen flüchtigen Bemerkung, wie Händel zuerst Kanonen in die Musik, so brächte man hier umgewandt zuerst Musik in die Kanonen. Kä¬ men wir nun sämmtlich zurück, wehte der hei¬ lige Landsturm wieder herwärts: so stände Got¬ tes Thron auf der Erde und heilige Männer giengen mit hohen Feuern in Händen hinauf, viel weniger um droben den Weltkörper zu re¬ gieren als dem Weltgeiste zu opfern. Mit der Franzmannschaft demnach stehst Du für Deine Person, wie Du schreibst, künftig für Einen Mann. Freilich hält mir's schwer, son¬ derlich von 25 Millionen zu denken, wovon zwar die Kubikwurzel frei lief und wuchs, aber Stamm und Gezweig doch Jahrhunderte lang am Sklaven-Gitter trocknete und dorrte. Wer nicht vor der Revoluzion ein stiller Revoluzionär war — wie etwan Chamfort , mit dessen feuerfesten Brust ich einmal in Paris an meiner schönes Feuer schlug, oder wie Montesquieu und J. J. Rousseau — der spreize sich mit seiner Tropfen¬ haftigkeit nicht breit unter seine Hausthür aus. Freiheit wird wie alles Göttliche nicht gelernt und erworben, sondern angebohren. Freilich sitzen im Frank- und Deutschreich überall junge Autoren und Musensöhne, die sich über ihren schnellen Selbst-Gehalt verwundern und erklä¬ ren, nur verflucht erstaunt, daß sie nicht früher ihr Freiheitsgefühl gefühlt, weiche Schelme, die sich als ganze blasende Wallfische ansehen, weil sie einiges Fischbein davon um die Rippen zu schnüren fanden — Immer würd' ich in einem Kriege, wie ihn die todte Zeit geben kann, glauben, zwar gegen Thoren zu kämpfen, aber auch für Thoren. Die jetzigen, zynischen, naiven, freien Na¬ turmenschen — Franzen und Deutsche — glei¬ chen fast den nackten Honorazioren, die ich in der Pleisse, Spree und Saale sich baden sah; sie waren, wie gesagt, sehr nackt, weiß und natürlich und Wilde, aber der schwarze Haar¬ zopf der Kultur lag doch auffallend auf den weissen Rücken. Einige große lange Menschen und Väter der Zeit, wie Rousseau, Diderot, Sidney, Ferguson, Plato, haben ihre abge¬ tragnen Hosen abgelegt und diese tragen ihre Jungen nach und nennen sich, weil sie ihnen so weit, lang und offen sitzen, deswegen Ohne- Hosen. Zwar statt des Degens, könnte ich auch sehr gut das Federmesser ergreifen und als schrei¬ bender Zäsar aufstehen, um die Welt zu bes¬ sern und ihr und sie zu nutzen. Es wird mir denkwürdig bleiben, das Gespräch, das ich dar¬ über mit einem berlinischen allgemeinen deut¬ schen Bibliothekar aushielt, als wir still im Thiergarten auf- und abgiengen. „„Jeder wu¬ chere doch seinem Vaterland mit seinen Kennt¬ nissen, die sonst vergraben liegen,““ sagte der deutsche Bibliothekar. Zu einem Vater¬ land gehört zuvörderst einiges Land, sagt' ich, der maltheser Bibliothekar aber, der hier spricht, erblickte das Licht der Welt zur See unter einem pechfinstern Sturm. Kenntnisse be¬ sitz' ich freilich genug und weiß, daß man sie wie ein Glas voll Kuhpocken, vernünftig ge¬ nommen, nur dazu hat, um sie einzuimpfen — der Schüler seiner Seits schlingt sie wieder nur ein, um sie von sich zu geben und so giebt sich das Weitere. So fährt das Licht, wie im Spiel „stirbt der Fuchs, so gilt's den Balg“ der glimmende Spahn, von Hand zu Hand, bis aber doch der Spahn in einer — meiner — verlöscht und verbleibt. „„Launig genug! (sagte der allgemeine Bibliothekar.) Mit einer solchen Laune ver¬ binden Sie nur noch Studium schlechter Men¬ schen und guter Muster, so bilden Sie uns ei¬ nen zweiten Rabener, der die Narren geis¬ selt.““ — „„Herr, (versetzt' ich ergrimmt,) ich würde die Weisen vorziehen und Euch den ersten Schlag versetzen. Weise lassen sich be¬ richten und waschen, haben überall ihr Einse¬ hen und sind gute Narren und meine Leute; ein Mann wie ein allgemeiner deutscher Kur¬ schmidt, der dem Musenpferd an den Puls greift, halte mir seinen vor und ich befühl' ihn gern. Aber der Welt-Rest, Sir ? Wer kann das Weltmeer abschäumen, wenn er ihm nicht die Ufer wegbricht? Ist's nicht ein Jammer und Schade, daß alle genialische Menschen, von Plato bis zu Herder, laut und gedruckt worden und häufig gelesen und studirt vom gelehrten Pack und Packhof, ohne daß dieser sich im Geringsten ändern können? Bibliothe¬ kar, ruft und pfeift doch alles, was in den kri¬ tischen Hundshütten neben jenen Tempeln Wa¬ che liegt, heraus und fragt sämmtliche Wind¬ spiele, Doggen und Packer, ob in ihren See¬ len sich etwas anders bewege als ein poten¬ ziirter Magen, statt eines poetischen und hei¬ ligen Herzens? Im Bergkessel sehen sie den Wurst- und Braukessel, im Laub die Schelle der Karte und der Donner hat für sie — als ein größerer elektrischer Funke — einen sehr säuerlichen Geschmack, den er nachher dem März- Biere einflößet.““ „„Spielen Sie an?““ fragt' er. Sicher! — (sagt' ich.) Aber weiter, Bibliothekar, ge¬ setzt wir beide wären so glücklich, uns auf dem Absatze herumzudrehen und mit Einem Um¬ herhauchen alle Thoren wie mit einem Hütten¬ rauche ganz verpestet umzuwehen und maus¬ todt hinzuwerfen: so kann ich doch nicht abse¬ hen, wo der Seegen herauskommen will, weil ich außerdem daß wir noch selber neben einan¬ der stehen und auch uns anzuhauchen haben, in allen Ecken umher Weiber sitzen sehn, welche die erlegte Welt von neuem hecken. — Bester Püsterich Oder Püster, die bekannte altdeutsche Götzen¬ statue voll Löcher, Flammen und Wasser. voll Feuer, (fuhr ich fort,) kann aber das sehr zum satirischen Hand¬ werke rufen und prägen? — O nein! Ächte Laune ist bei mir da, vielleicht fremde Tollheit gleichfalls, vielleicht — aber ach wird nicht der seltsame Scherzmacher, sogar in ihrer ungemei¬ nen Bibliothek, dem Stachelschweinmanne in London (dem Sohne) gleichen, der bei dem Thierhändler Brook den Dienst hatte, den Frem¬ den im wilden Viehstand und ausländischen Thiergarten herumzuführen und der auf der Schwelle dabei anfieng, daß er sich selber zeig¬ te als Mensch betrachtet: — Bedenken Sie es kalt und vorher! Noch schwing' ich meinen Satyr-Schweif ungebunden und lustig und etwan gegen eine gelegentliche Bremse; wird mir aber ein Buch daran gebunden wie in Pohlen an den Kuh-Schwanz eine Wiege, so rüt¬ rüttelt das Thier die Wiege der Leser und giebt Lust, der Schwanz aber wird ein Knecht.““ „„Zu solchen Bildern (sagte der Bibliothe¬ kar) wäre allerdings die gebildete Welt durch keinen Rabener oder Voltaire gewöhnt und ich erkenne nun selber die Satyre nicht für Ihr Fach.““ — „„O so wahr!““ versetzt' ich und wir schieden gütlich. — Aber ernsthaft genommen, Bruder, was hat nun ein Mensch übrig (sowohl an Aus¬ sichten als an Wünschen), dem das Säkulum so versalzen ist, wie mir und das Leben durch die Lebendigen — den die allgemeine matte Heuchelei und die glänzende Politur des giftig¬ sten Holzes verdriesset — und die entsetzliche Gemeinheit des deutschen Lebenstheaters — und die noch größere des deutschen Theater-Lebens — und die pontinischen Sümpfe Kotzebuischer ehr- und zuchtloser Weichlichkeit, die kein hei¬ liger Vater austrocknen und fest machen kann — und der ermordete Stolz neben der lebendi¬ gen Eitelkeit umher, so daß ich mich, um nur Luft zu schöpfen, stundenlang zu den Spielen der Kinder und des Viehs hinstellen kann, weil Titan IV . T ich doch dabei versichert bin, daß beide nicht mit mir kokettiren sondern nichts im Sinne und liebhaben als ihr Werk — was hat, fragt' ich auf der letzten Zeile des vorigen Blattes, einer nun übrig, den wie gesagt so vielerlei anstinkt und vorzüglich noch der Punkt, daß Besserung schwer ist, aber Verschlimmerung ganz und gar nicht, weil sogar die Besten den Schlimm¬ sten etwas weißmachen und dadurch sich auch und weil sie bei ihrer verborgnen Verwünschung und Sänften- und Achselträgerei der Gegen¬ wart wenigstens um Geld und Ehre tanzen und sich dafür gern vom festern Pöbel brauchen las¬ sen, als Weinfässer zu Fleischfässern — was hat ein Mann, sag' ich, Freund, in Zeiten, wo man wie jetzt im Druck, aus Schwarz zwar nicht Weiß macht, aber doch Grau und wo man, wie Katecheten sollen, gerade die Fragen auf Nein und Ja vermeidet, noch übrig aus¬ ser seinem Hasse der Tyrannen und Sklaven zugleich und außer dem Zorne über die Mi߬ handlung sowohl als über die Gemißhandel¬ ten? Und wozu soll sich ein Mann, dem der Panzer des Lebens an solchen Stellen dünn gearbeitet oder dünn gerieben ist, ernsthaft ent¬ schließen? Ich meines Orts, falls von mir die Rede ist, entschloß mich im halben Scherze zu einer dünnen hellen Anfrage für den Reichsanzeiger, die Du vielleicht schon in Rom gelesen, ohne mich eben zu errathen. „„Allerhand Wohl zuverlässig steht gesunder Ver¬ stand u d ( mens sana c . s .) unter den zu würdigenden Gütern des Lebens zunächst nach einem reinen Gewissen oben an. Ein Satz, den ich bei den Lesern dieses Blattes vorauszusetzen wage. Was sonst hier¬ über noch gesagt werden kann (sowohl von als gegen Kantner,) [so schreibt Campe statt Kantianer viel richtiger,] gehört gewiß nicht hieher in ein ganz populäres Volksblatt . Unterzeichneter dieses ist nun in dem betrüb¬ ten Falle, daß er hier genöthigt die Ärzte Aus- und Deutschlands befrägt. — Mitleiden mit Leiden gebe, schicke die Antworten ein —, wenn er (gerade heraus vor Deutschland!!) ganz toll T 2 werden werde, indem der Anfang davon schon einen genommen. Das Wenn aber nicht das Ob liegt edeln Menschenfreunden zu beantworten ob. Hier meine Gründe, Deutsche! Abgesehen, daß man¬ cher schon aus der Anfrage folgern könnte — was doch wenig entscheidet — so sind folgende Stücke bedenklich und gewiß: 1) des Verfas¬ sers bunter Styl selber, der weniger aus die¬ sem Inserat (in den überlegtesten Intervallen gemacht) als aus der ähnlichen S c h r eibart ei¬ nes sehr beliebten und geschmacklosen Schrift¬ stellers zu erkennen ist, wie denn ein buntes Übermaaß ganz wildfremder Bilder so gut am Kopfe wie buntes Farbenspiel am Glase, nahe Auflösung bedeuten — 2) die Weissagung ei¬ nes Spitzbuben Des Kahlkopfs, der ihm nach 14 Monaten Wahnsinn prophezeiete. , an die er immerfort denkt, was schlimme Folgen haben muß — 3) seine Liebe und sein Treiben Swift's, dessen Tollheit Gelehrten nicht fremd ist — 4) seine gänzliche Vergeßlichkeit — 5) seine häufige schlimme Ver¬ wirrung geträumter Sachen mit erlebten und vice versa — 6) sein Unglück, daß er nicht weiß was er schreibt bis er's nachgelesen, weil er gegen seinen Zweck bald etwas auslässet oder bald etwas hinsetzt, wie das durchstrichne Manuskript leider am besten bezeugt — 7) sein ganzes bisheriges Leben, Denken und Spaßen, was hier zu weitläuftig wäre und 8) seine so unvernünftigen Träume. Nun ist die Frage, wenn in solchen Verhältnissen (schlagen nehm¬ lich keine Fieber, keine Liebschaften dazu) voll¬ ständige Verrückung ( Idea fixa, mania, rap¬ tus ) eintritt. Bei Swift fiel's sehr spät, im Alter, wo er ohnehin schon an und für sich halb närrisch seyn mochte und nachher alles nur mehr zeigte. Wenn man betrachtet, daß ein¬ mal der Professor Büsch ausrechnete, daß seine Augen-Schwäche sehr gut ohne seinen Schaden von Jahr zu Jahr wachsen könnte, weil die Periode seiner gänzlichen Erblindung über sein ganzes langes Leben hinausfiele blos auf sein Grab, so sollt' ich annehmen, daß meine Schwä¬ che so stufenweise aufschwellen könnte, daß ich keine petites maisons brauchte als den Sarg sel¬ ber; so daß ich vorher dabei heirathen und amthiren möchte wie jeder andere rechtschaf¬ fene Mann. Was ich hiermit bezwecke, ist bloß, mich hierüber mit irgend einem Menschenfreunde (er sey aber philosophischer Arzt!!) in Korrespon¬ denz zu setzen. Meine Adresse hat die Expedi¬ zion des R. Anzeigers. Näher bekannt mach' ich mich vielleicht körperlich und bürgerlich in eben diesem Blatte auf dem Blatte, wo ich eine Gattinn suche. Pestiz, den Februar. S—s L—d , L—r , G—l , S—e .““ Albano, Du weißt, unter welchem Gebüsch mein Ernst liegt. Der Reichs- und Schoppens- Anzeiger hat acht Gründe für die Sache, die nicht nur mein Ernst sind, sondern auch mein Spaß. Seit der Kahlkopf mir nach einem Jahre den Aufgang meines tollen Hundssterns ansagte, sah ich immer die Aurora dieses Fix- Gestirns vor mir und sah mich daran zuletzt blind und feige; ich muß es heraussagen. O ich hatte im Januar, Bruder, acht furchtbare Träume hintereinander — nach der Zahl der Gründe im Anzeiger und selber unter den ach¬ ten Grund gehörig — Träume, worin ein wil¬ der Jäger des Gehirns durch den Geist jagte und ein reissender Strom voll Welten, voll Ge¬ sichter und Berge und Hände wallete — ich will Dich nicht damit ängstigen — Dante und sein Kopf sind Himmel dagegen. Da würd' ich verdrüßlich über die Feigheit und sagte zu mir: „„Hast bisher so lange ge¬ lebt und die reichsten Ladungen leicht ins Was¬ ser geworfen, sogar diese und die zweite Welt, und dich von allem, und von Ruhm und von Büchern und Herzen so rein entkleidet und hast nichts behalten als dich selber, um damit frei und nackt und kalt auf der Kugel zu stehen vor der Sonne: auf einmal krümmst du dich unversehends vor dem bloßen tollen fixen Ge¬ danken an eine tolle fixe Idee, die dir jeder Fieber-Pulsschlag, jeder Faust-Schlag, jedes Giftkorn in den Kopf graben kann und ver¬ schenkst auf einmal deine alte göttliche Freiheit — Schoppe, ich weiß gar nicht, was ich von dir halten soll; wer irgend etwas noch fürchtet im Universum, und wär' es die Hölle, der ist noch ein Sklave.““ — Da ermannte sich der Mann und sagte, ich will das haben was ich fürchtete; und Schop¬ pe trat näher an den breiten hohen Nebel und siehe! es war (man hätte sich gern auf der Stelle hineingebettet,) nur der längste Traum vor dem längsten Schlaf, mehr nicht, was sie Wahnsinn nennen. Geht man nun auf einige Zeit z. B. in ein Irrhaus zum Scherz: so kann man den Traum haben, lässet es sich sonst al¬ les so dazu an wie bei Manchem. Und dahinein will ich nun allgemach sinken, in den Traum, wo an der Zukunft die Dolchspitze abgebrochen ist und an der Vergangenheit der Rost abge¬ wischt — wo der Mensch ohne Stöhrung in dem Schattenreich und dem Barataria-Eiland sei¬ ner Ideen das regierende Haus allein ist und der Johann ohne Land und er wie ein Philosoph alles macht was er denkt — wo er auch sei¬ nen Körper aus den Wellen und Brandungen der Aussenwelt zieht und Kälte, Hitze, Hunger, Nervenschwäche und Schwindsucht und Wasser¬ sucht und Armuth ihn nicht mehr antasten und den Geist keine Furcht, keine Sünde, kein Irr¬ thum im Irrhaus — wo die 365 Träume jähr¬ licher Nächte sich in einen einzigen, die flüchti¬ gen Wolken in Ein großes Gluth-Abendroth zusammengewebt — — Da sitzt etwas Böses! Der Mensch muß im Stande seyn, sich seinen Traum, seine gute fixe Idee — denn ein hoher Ameishaufen der grimmigsten und der liebreizendsten wimmelt vor ihm — mit Verstand auszuklauben und zuzueignen, sonst kann er so schlimm fahren als wär' er noch bei Verstand. Ich muß nun besonders meine Anstalten treffen, daß ich ei¬ nen liebreichen favorablen Fix-Wahn finde und anerkenne, der gut mir mir umgeht. Kann ich's dahin bringen, etwan der erste Mensch zu seyn im irrigen Hause — oder der zweite Momus — oder der dritte Schlegel — oder die vierte Grazie — oder der fünfte Kartenkö¬ nig — oder die sechste kluge Jungfrau — oder die siebente weltliche Chur — oder der achte Weise in Griechenland — oder die neunte See¬ le in der Arche — oder die zehnte Muse — oder der 41ste Akademiker — oder der 71ste Dolmetscher oder gar das Universum — oder gar der Weltgeist selber: so ist allerdings mein Glück gemacht und dem Lebens-Skorpion der ganze Stachel weggeschlagen. Aber was steht nicht noch für goldnes edelsteinernes Glück of¬ fen? Kann ich nicht ein sehr begünstigter Lieb¬ haber seyn; der den Sonnenkörper einer Ge¬ liebten den ganzen Tag im Himmel ziehen sieht und hinaufschauet und ruft: ich sehe nur Dein Sonnen-Auge, aber es genügt? — Kann ich nicht ein Verstorbner seyn, der voll Unglauben an die zweite Welt in solche gefahren ist und nun da gar nicht weiß wo er hinaus soll vor Lust? — O kann ich nicht — denn der kürzere Traum und das Alter verkindern ja schon — wieder ein unschuldiges Kind seyn, das spielt und nichts weiß, das die Menschen für Eltern hält und das nun einen aus der bunten Blase des Le¬ bens zusammengefallenen Thränentropfen vor sich stehen hat und den Tropfen wieder mit der Pfeife geschickt zum flimmernden Farben-Welt¬ kügelchen aufbläset? Es ist eben Mitternacht; ich muß jetzt in die Kirche gehen, meine Vesper-Andacht zu halten. Drei Wochen später. Nota bene ! Gewissermaßen war ich seit Deiner Reise verdammt unglücklich bis diesen Morgen gegen 1 Uhr; — um 2 Uhr faßt' ich meinen Ent¬ schluß, jetzt um 5 die Feder, um 6, wenn ich ausgetrunken und ausgeschrieben, den Rei¬ sestab, dessen Stachel nach 2 Monaten in den Pyrenäen steht. O Himmel! mußte etwas Ge¬ stacheltes längst neben mir stehen, was ich so lange für einen Herisson nahm, indeß es die beste Spielwalze voll Stifte ist, aus der ich nichts Geringeres (ich drehte sie vor einigen Stunden) haben kann als das beste Flötengedakt — unverfälschte Sphären- und Kreismusik zu den Bravourarien der drei Männer im Feuer — einen ganzen lebendigen Vaucansons Flö¬ tenspieler von Holz — und unerhörte Sachen, womit die Maschine nicht sich einen Bruch bläset, sondern einigen Spitzbuben, wovon ich vorzüglich den Kahlkopf nenne? — O höre Jüngling! Es geht Dich an. Ich will Deinetwegen, was die Welt offenherzig nennt, jetzt seyn, nehmlich unverschämt, denn wahrlich ich decke lieber meinen Steiß als mein Herz auf und bin weniger roth. Es gab einmal in alten Zeiten eine junge Zeit, eine voll Feuer und Rosen, wo der alte Schoppe seines Orts auch jung genug war — wo der alerte, anschlägige Vogel leicht her¬ aushatte, wo der Hase liegt und die Häsinn — wo der Mann sich noch mit den bekannten vier Welttheilen in Güte setzte, oder auch eben so leicht wie ein Stier, mit dem Horn nach jeder Fliege stieß — wo er, jetzt ein Silberfa¬ san kühler Zeit, noch als ein warmer Goldfa¬ san im ganzen Welschland auf- und abschritt oder flog, und bald auf Buanorotti's Moos saß, bald auf dem Koliseo, bald auf dem Ät¬ na, bald auf der Peterskuppel, und vor Lust krähete, die Flügel schlug, und gen Himmel stieg. — Es war nehmlich dieselbe Zeit, wo der noch ungerupfte Sturmvogel einmal in Tivoli sich durch die Wasserfälle hin - und herschwang, kostbar seelig war und da gelegentlich — plötz¬ lich — oben — in Vesta's Tempel — zum er¬ stenmale — weiter nichts erblickte als — die Prinzessinn di Lauria , nachher, muthmaß' ich, von einem Vliesritter weggeholt als sein güld¬ nes Vlies. Solche sehen — sich aus einem Sturmvogel in einen Tauber an der Venus Wagen verwandeln — von Gespann und Zü¬ gel sich abreißen — vor jene Göttinn fliegen — sie in immer engern Kreisen umziehen, das al¬ les war nicht eins, sondern dreierlei. Ich mußte erst zu einem Paradiesvogel wachsen und mich färben, um in ein Paradies zu fliegen; ich mußte nehmlich Mahlerei erlernen, um vor Sie zu dürfen. Als ich endlich den Portrait-Pinsel und die Silhouetten-Scheere in der Gewalt hatte und an einem Morgen mit beiden vor der Prinzessinn und dem Fürsten erschien, mußt' ich ihn selber mahlen und schneiden; seine Tochter war schon vermählet und heimlich abgereiset; denn Dein Großvater weissagt, (anstatt wie andere ihr Treiben voraus,) seines nur hin¬ tennach und öffnet den Mund bloß zum — Hören. Ich schnitt ihn schnell aus, den Mann — packte ein — gieng in alle Welt — nach bei¬ nah drei Jahren stand ich auf der zehnten Terrasse der Isola bella ganz unerwartet vor der Gräfinn Cesara — Himmel und Hölle! welch ein Weib war Deine Mutter! Sie warf jeden in beide auf einmal, ich weiß nicht ob Deinen Vater auch. Schreiber dieses stand in seiner letzten ornithologischen Verwandlung vor ihr, als stiller Perlhahn (Thränen müssen die Perlen seyn) und konterfeiete sie ab, nach we¬ nigen Wochen. Sie hatte zwei Kinder, Dich — Deiner schon damals geschärften Bildung entsinn' ich mich klar — und Deine Schwester, die sogenannte Severina. Dein Vater war nicht da, aber sein Wachsbild, wornach ich ihn gleich achtzehn Jahre später in Rom wieder erkannte. Auch Deine Schwester war noch wächsern wiederholt, nur Du nicht. Eine Dir von weitem ähnliche Wachsfigur, die Dich als einen Mann vorgau¬ kelte, stellte der Bruder Deines Vaters, der mit da war, Dir immer als einen Flügelmann Deiner Zukunft vor, sagte, Du seyest hier im voraus kubirt und schon ins Große getrieben, von der Flasche auf das Faß gefüllt, um Dich anzufeuern, damit Du erwüchsest. Man mußte Dir eine ähnliche Uniform, wie der Wachsmann trug, anziehen — ich weiß nicht welche — Du fordertest dann keck, um Deinen eignen Mi¬ kromegas schreitend, ihn heraus, aus der Zu¬ kunft in die Gegenwart. Jetzt weißt Du was Du geworden und magst wohl wieder und mit mehr Recht so stolz auf den Kleinen herabsehen wie der Kleine sonst zu dem Großen hinauf. Ich wollte nie Deinem Oheim diese Maschine der geistigen Streckbarkeit gutheißen; dabei hab' ich vor allen Wachs-Marionetten einen so hassenden Schauder! Mein einziger Zweck auf der schönen Insel war die Abreise von ihr und von der schönen Insulanerinn, sobald ich diese abgemahlt hätte. Dummes Jahrhundert, sagt' ich, will ich denn mehr von Dir? Sie saß mir gern — wie auf einem Thron — ich riß, halb im Gewitter halb im Regenbogen wohnhaft, sie ab und mußt' ihr natürlich das Bild lassen unkopirt. Aber, Jüngling, einige Buchstaben, die meinen damaligen Namen formirten und die ich aufs Bild an der Stelle des Herzens unter die Was¬ ser-Farben schrieb und versteckte, können für Dich ein Tetragrammaton, elf Sonntagsbuch¬ staben und Lesemütter ( matres lectionis ) Dei¬ nes Daseyns werden, falls ich glücklich nach Spanien komme und in Valencia am Bildniß die Färberei von meinen Buchstaben wegwi¬ schen und nun in dessen Herzen lesen kann: Löwenskiold . So dänisch hieß ich damals. Dann ist die Gräfinn Linda de Romeiro ohne Gnade Deine Schwester Severina. Gott schenke nur, daß Du sie nicht vor diesem Brief etwan gesehen hast und geheirathet; sie soll, wie ich gestern hörte, nach Italien abgerei¬ set seyn. Denn als ich die Gräfinn Linda hier zum erstenmale sah, war mir auf dem Pestizer Markt-Viereck als ständ' ich oben auf der Terrasse der Isola bella , und schauete die Al¬ pen. Deine Mutter, meine Jugend kaum drei Schritte vor mir! Bei Gott, wie als wäre aus der tiefen Ferne im Pfeilerspiegel der Zeit auf einmal das weiße Rosenbild Deiner ver¬ hüllten Mutter heraufgerissen worden dicht ans Glas heran und hienge davor nun rothblühend, so so stand Linda vor mir! Denn die göttliche Ähn¬ lichkeit beider ist so groß! Gar kein Arianisches Homoiouson , sondern ein ganzes orthodoxes Homousion ist hier zu glauben, würd' ich Dir gerne schreiben, hättest Du sonst die nö¬ thige Kirchengeschichte dazu auf dem Lager. Ich mahlte auch Linda in diesem Winter. Was sie mir vom Karakter ihrer Mutter er¬ zählte, war ganz dasselbe, was ich ihr hätte vom Karakter der Prinzessinn di Lauria berich¬ ten können — Linda's Vater oder Herr von Romeiro wollte nie erscheinen und doch ist er noch nicht verschwunden wie ich höre — Linda's Mutter hieß sich eine Römerinn und eine Verwandte des Fürsten di Lauria — In Spanien, wo ich zweimal war und fragte, wollte nirgends der Nahme einer Ce¬ sara wohnen — Trillionen Spinnenfäden der Wahrscheinlich¬ keit spinnen sich zum Ariadnens-Strick im Labyrinth — Eine neue unbekannte Schwester wird Dir Titan IV . U im gothischen Hause mit Schleiern und in Spie¬ geln vorgeführt — — Und zwar wird vom redlichen Kahlkopf, — dem fast mehr zum Christuskopf fehlt als die Locken, und den ich im Herbste einen Hund geheißen — Dirs vorgespiegelt aus wirklichen Spiegeln — Gedachter Anubis- oder Kahl-Kopf stand nun (der Himmel und der Teufel wissen am besten warum, aber ich glaub' es,) als Vater des Todes auf Isola bella , lag als Handwerks¬ pursch am Fürstengrabe und in jedem Hinter¬ halt, um Dir Deine Schwester zur Frau zu ge¬ ben — — falls ichs litte; aber sobald ich jetzt zugesiegelt, brech' ich nach Spanien auf, und in Linda's Bilderkabinet ein, suche nach einem gewissen Bilde ihrer Mutter, dessen Stelle und Zimmer ich mir deutlich angeben lassen — und ist es das Bild von mir: so ist alles richtig und der Donner kann in alles schlagen — Der Kahlkopf ist schon ein Fünfviertelsbe¬ weis — er gehört unter die wenigen Menschen, die schon, kaum Spinnen-dick, in ihrer Mut¬ terleib aus Bosheit pißten — Vielleicht treff' ich Deinen Oheim, der mich hier, wie er sagte, wieder erkannte und der wirklich nach Valencia abgereiset ist Der Oheim hatte wieder gelogen, denn er war, wie man aus diesem Bande weiß, vorher nach Rom gegangen, wo er dem Ritter und der Für¬ stinn die Pestizer Briefe übergeben. — O Himmel, wenn mir's gelänge (aber war¬ um nicht, da meine Zunge von Eisen bleibt und dieses Blatt in Eisen kommt, beim redli¬ chen Wehrfritz, dessen Herz ein alter Deut¬ scher ist, und mit Recht stellt in der Jungfer Europa Deutschland das Herz vor?), ich schreibe, wenn mir's gelänge, daß ich anbrennte an einem verfluchten Geheimniß eine Strohthür, risse alles auf, ein und weg, blinde Thore und Opferthore und ein starkes Licht fiele herein auf die tapfere Linda und den tapfern Jüng¬ ling, anleuchtend den nahen Kahlkopf (viel¬ leicht noch jemand), der eben in der Dunkel¬ heit mit zwei langen blanken Okulir- und Schlachtmessern in die Geschwister schief herun¬ terstechen will — — U 2 Wenn mir das einmal gelänge, nehmlich im Erntemonat — denn da käm' ich in Pestiz wieder an und hätte das Bildniß in der Ta¬ sche — und ich hätte mich und zwei Unschuldi¬ ge tapfer gerächt an Schuldigen: dann würd' ich mir's für sehr erlaubt halten, an meinen Kopf zu greifen und zu sagen: à bas , gare , Kopf weg! Wozu gewiß, da ja von keiner dummen Abtreibung des Leibes durch ein Wer¬ ther-Pulver die Rede ist, sondern nur vom Vorsatze, das was Sachverständige meinen Verstand nennen, gelegentlich zu verlieren — meine Freunde stimmen müßten, weil sie mich noch hätten (der Körper wird dabei anbehal¬ ten) obwohl als das Nachtstück eines Men¬ schen, weil ich dann einen vernünftigen Dis¬ kurs so gut über alles (nur den Fix-Wahn greife keiner an) führen wollte als einer und dabei einen gesitteten guten Spaß (wahrlich die wahre Würze) einzustreuen gewiß nicht vergäße und weil der Staat mich Tag und Nacht gerüstet und gesattelt finden sollte, ihm nach dem Beispiele der Berliner Irrhäusler, die einmal beim Feuer im Haus am besten löschten und retteten, zu dienen und zu Hülfe und zu Passe zu kommen, wenn die dunkeln Intervalle seiner andern Staatsdiener nicht an¬ ders auszufüllen wären als mit unsern hellen. Lebe wohl! Ich brech' auf. Die Welt lacht mich heiter an. In Spanien find' ich ein Stück Jugend wieder — wie in diesem Schreiben. Schoppe. Apropos! Stieß Dir der Kahlkopf nirgends auf? — Ich kann Dir nicht sagen, wie ich täg¬ lich jetzt arbeite, um mir vor dem Wunsche, ihn künftig in der Tollheit niederzustoßen, wahren Abscheu und Greuel im Voraus einzuprägen und eigen zu machen, damit nachher die etwa¬ nige That mir nicht als eine Spätfrucht des vorigen vernünftigen moralischen Zustandes könne herüber zugerechnet werden in den andern. Vernichte diesen Brief! Als Albano die feurigen Augen von dem Briefe aufhob, stand er vor Lilar unter einem hochgewölbten Triumphbogen und die Sonne gieng in Pracht hinter dem Elysium unter. „Kennst Du mich nicht?“ fragte leise neben ihm Linda in Reisekleidern weinend in heller Liebe und Wonne — und Julienne drängte sich, beiden Vorsicht zuwinkend, aus dem Ein¬ gangsgebüsch des Flötenthals hervor und rief zum listigen Scheine: „Linda, Linda, hörst Du denn die Flöten nicht?“ — Und Albano hatte den schweren Brief vergessen. 123. Zykel. Wie ein schnell mit hundert Flügeln aufrau¬ schendes Konzert, so schlug die schnelle Gegen¬ wart alter Liebe und Freude über den verlas¬ senen, um den Freund bekümmerten Jüngling in schönen Fluchen zusammen; und von der Entzückung getroffen, sah er Linda wieder wie auf Ischia; aber diese sah ihn wieder wie in einem andern Elysium, sie war weicher, zärter, heißer, eingedenk seiner Vergangenheit in die¬ sem Garten. Sie wollte gar nichts von ihrer eignen Reise, Geschichte erzählen oder hören. Albano bedeckte sein Geheimniß von Schoppe mit mächtiger aber zitternder Brust; nur seinem Vater brannt' er sie aufzuthun. Unaufhörlich hielt er sich die Unmöglichkeit einer Verwandt¬ schaft vor und die Leichtigkeit, daß Schop¬ pe die angebliche Schwester mit der wahren, mit Juliennen, verwechs'le; noch diesen Abend wollt' er den Vater fragen. Er gab ihr das Ja desselben zu ihrem Bun¬ de mit großer Freude, aber nicht mit der grö߬ ten, weil Schoppe's Brief nachtönte. Julienne nahm es wahr, daß nur eine Kaskatella statt der Kaskade heute aus ihm komme und sucht' ihn lustig-listig auszuholen, indem sie ihn leicht durch das ganze wichtige Personale seiner und ihrer Bekanntschaft durchantworten ließ. Sie hatte einige Neigung, am Theatervorhang zu weben und zu mahlen oder auch ein Soufleur¬ loch in ihn zu stechen. Sie fieng die Fragen von Idoine an, — welche kurz nach seiner An¬ kunft ihren Rückweg aus der Stadt genommen — und hörte mit ihnen bei Schoppen auf, — nach dessen Reise-Ziele sie forschte —; aber Albano hatte jene nicht gesehen, dieser, sagt' er, hab' es ihm allein vertraut. Eine schöne, unbiegsame Marmorader der Festigkeit lief durch sein Wesen. Linda's schwarzes Auge war ein offnes treues deutsches und sah ihn nur an, um ihn zu lieben. Aus dem Flötenthal kam der Rest der Ge¬ sellschaft, der Lektor u. a.; Julienne nöthigte die Liebenden zur Scheidung, und sagte: „hier ist kein Ischia; ohne mich könnt ihr euch hier im Schloß gar nicht sehen; ich werde Dirs durch Deinen Vater allzeit sagen lassen, wenn ich da bin.“ Als er allein stand in Lilar, mit dem schwe¬ ren Gedanken an Schoppe und Linda, und er die anmuthigen Gegenden und Stellen schöner Stunden übersah: so kam ihm auf einmal vor als verziehe sich in der Dämmerung das Ely¬ sium wie ein reizendes Gesicht zu einem Hohn über ihn und über das Leben — kleine bos¬ hafte Feen sitzen an den kleinen Kinder-Tisch¬ chen als wären sie sanfte Kinder und sähen sehr gern Menschen und Menschenlust — sie fahren auf als wilde Jägerinnen und rennen durch die Blüthen — tausend Hände wenden den Garten mit Blüthenbäumen um und richten sein schwar¬ zes finsteres Wurzeln-Dickigt wie Gipfel im Himmel auf — aus den Zweigen blicken Gor¬ gonenhäupter und oben im Donnerhäuschen weint und lacht es unaufhörlich — nichts ist schön und sanft als der tapfere große Tar¬ tarus. Indeß gieng Albano, da es der kürzere Weg zu seinem Vater war, hart und zornig durch den Garten, über die Schwanenbrücke, vor dem Traum-Tempel, vor Charitons Häus¬ chen, vor den Rosenlauben vorbei und über die Wald-Brücke; und kam bald im Fürsten¬ schlosse bei seinem Vater an, der eben vom kranken Luigi zurückgekommen. Mit ironischer Mine erzählte ihm dieser, wie der Pazient von neuem schwelle, bloß weil er fürchte der todte Vater, der ihn zum zweitenmal als Zeichen des Todes zu erscheinen versprochen, gebe das Zeichen und hole ihn darauf. Nun erzählte Albano, ohne allen Eingang und ohne Erwäh¬ nung von Schoppen und von dessen Verhält¬ nissen, die Hypothese der seltsamsten Verwandt¬ schaft, ohne etwa ausforschende lange Fragen oder auch nur die kurze schnelle: „ist Linda meine Schwester?“ zu thun aus Achtung für den Vater. Dieser hörte ihn ruhig aus: „je¬ der Mensch (sagt' er erzürnt) hat eine Regen- Ecke seines Lebens, aus der ihm das schlimme Wetter nachzieht; die meinige ist die Geheim¬ nißträgerei. Von wem hast Du die neueste?“ — „Darüber muß ich schweigen aus Pflicht,“ versetzt' er. „In diesem Falle (sagte Gaspard) hättest Du besser ganz geschwiegen; wer den kleinsten Theil eines Geheimnisses hingiebt, hat den andern nicht mehr in der Gewalt. Wie viel glaubst Du, daß ich von der Sache weiß?“ — „Ach was kann ich glauben?“ sagte Albano. „Dachtest Du an meine Erlaub¬ niß Deiner Verbindung mit der Gräfinn?“ sagte zorniger Gaspard. „Sollt' ich denn schwei¬ gen, und entwickelte sich nicht am Ende aus allen Geheimnissen die Schwester Julienne?“ — Hier sah ihn Gaspard scharf an und fragte: „kannst Du auf das ernste Wort eines Man¬ nes vertrauen, ohne zu wanken, zu irren, wie auch der Schein dagegen rede?“ „Ich kann's,“ sagte Albano. „Die Gräfinn ist Deine Schwe¬ ster nicht; vertraue mir!“ sagte Gaspard. — „Vater ich thu' es! (sagte Albano ganz freu¬ dig) und nun kein Wort weiter darüber.“ Aber der ruhigere Alte fuhr fort und sagte, dieser neue Irrthum veranlasse ihn, jetzt ernst¬ lich bei Linda auf ein Ja zur schnellen Verbin¬ dung zu dringen, weil der Vater derselben, vielleicht der geheime bisherige Wunderthäter, seine Erscheinung durchaus an einen Hochzeit¬ tag gebunden. Noch einmal ließ er den Sohn seinen Wunsch nach dem Wege merken, auf welchem er zu jener Hypothese gekommen; aber umsonst, die heilige Freundschaft konnte nicht entheiligt oder verlassen werden, und seine Brust schloß wie der dunkle Fels um den hellen Krystall, sich mächtig um sein offnes Herz. So schied er warm und glücklich vom schwei¬ genden Vater. — In der harten Stunde des Briefs hatt' er nur eine künstliche Felsenpartie des Lebens überstiegen, und die bunten Gärten lagen wieder da bis an den Horizont; — doch der vergebliche mühvolle Irrthum seines Schop¬ pe und dessen von Hassen und Lieben verheer¬ ter Geist, der sich sogar im Ton des Briefes niederzubeugen schien, und die Zukunft eines Wahnsinns giengen wie ein fernes Leichenge¬ läute in seiner schönen Gegend klagend und das glückliche Herz wurde voll und still. 124. Zykel. Bald darauf ließ die gütige Schwester Al¬ bano's an der Spieluhr seines Glücks, deren Wächterin sie war, wieder eine hesperische Stun¬ de schlagen und spielen, wo das ganze Leben hinauf und hinab mittönte und sich aushellte und wo nun wie in der Schweiz, wenn eine Wolke sich öffnet, auf einmal Höhen, Eisber¬ ge, Berghörner aus dem Himmel blicken. Er sah seine Linda wieder, aber in neuem Licht, glühend, aber wie eine Rose vor dem glühenden Abendroth; ihr Lieben war ein weiches stilles Flammen, nicht ein Hüpfen irrer stechender Funken. Er schloß, daß sein wortfester Vater die Bitte um eine priesterliche Verbindung ihr schon gethan und sogar ihre Bejahung bekom¬ men. Julienne sagt' ihm, sie woll' ihn den nächsten Abend um 6 Uhr auf dem väterlichen Zimmer sprechen; das macht' ihn noch gewis¬ ser und froher. Mit neuen noch zärter anbe¬ tenden Gefühlen schied er von Linda; die Göt¬ tinn war eine Heilige geworden. Als er den andern Tag ins väterliche Zim¬ mer kam: fand er niemand darin als Julienne. Sie küßte ihn kurz und kaum, um schnell mit ihren Nachrichten fertig zu werden, da ihre Ab¬ wesenheit auf so viele Minuten eingeschlossen war als die Fürstinn brauchte, um vom Kran¬ kenbette des Mannes in das Zimmer der Prin¬ zessinn zu kommen. „Sie heirathet Dich nicht, (fieng sie leise an,) so sehr und so fein auch Dein Vater ihr bei dem ersten Empfang nach der Reise die Freude über das neue Glück sei¬ nes Sohnes ausdrückte, für das er nun bloß nichts mehr zu wünschen brauchte, sagt' er, als das Siegel der Fortdauer — Es war noch fei¬ ner versilbert und vergoldet, ich weiß es nicht mehr. — Darauf erwiederte sie in ihrer Spra¬ che, die ich nie behalte, ihr und Dein Wille wären das rechte Siegel, jedes andere politi¬ sche drücke Ketten und Sklaven auf dem schön¬ sten Leben aus.“ — Hart wurd' Albano von einer offnen Wei¬ gerung verletzt, die ihn bisher als eine stille und als Philosophie auftretende nur wie we¬ senloser Schatte unberührt umflossen hatte. „Das war nicht recht; spät konnte sie sagen, aber nicht nie “ sagt' er empfindlich. — „Ge¬ mäßigt, Freund, (sagte Julienne,) daeauf er¬ innerte sie Dein Vater freundlich an die be¬ dingte Erscheinung des ihrigen, indem er sagte, daß er sehr wünschen müsse, ihr Glück aus sei¬ nen Händen in nähere zu übergeben. Keine künstliche Bedingung darf einen Willen zwin¬ gen oder vernichten, sagte sie. Dein Vater fuhr ruhig fort und setzte dazu, er habe den schönsten Lebensplan für Euch beide in diesem Falle entworfen; im andern aber stehe seine Ein¬ willigung in die Liebe nur so lange offen, als sein Hierseyn, das mit dem Tode seines Freundes endi¬ ge. Dann gieng er gelassen fort wie die Männer pflegen, wenn sie uns recht entrüstet haben.“ „Hesperien, Hesperien! (rief Albano zornig.) Linda verdoppelte doch ihr Nein?“ — „O lei¬ der! Aber Bruder?“ fragte staunend Julienne. „Lasse mich, (versetzt' er,) ist es denn nicht unge¬ recht, dieses elterliche Antasten der schönsten zarte¬ sten Saiten, deren Klang und Schwung sie auf ein¬ mal tödten, um einen neuen aus ihnen zu ru¬ pfen? Ist's denn nicht sündlich, Göttergeschen¬ ke zu Staats-Zöllen und Partie-Geldern, ja wohl Partie -Geldern herabzuziehen? — Gute Linda, nun stehen wir wieder auf dem Boden, wo man die Blumen der Liebe zu Heu an¬ schlägt — und wo es im Paradies keine an¬ dere Bäume giebt als Gränzbäume. — Nein, freies Wesen, durch mich sollst Du nie aufhö¬ ren, es zu seyn!“ — Julienne trat einige Schritte zurück, sagte: „ich will Dich nur auslachen,“ that es und setzte ernst dazu: „ Sie also, willst Du, soll Dir den Tag anberaumen, wo der alte Vater sichtbar werden soll?“ — „Das folge gar nicht,“ sagt' er. Sie bemerkte ruhig, daß immer ein hitziger Mann über die Hitze des andern klage und daß Albano schon in der Ruhe zu strenge auf fremdes und eignes Recht dringe; daß sol¬ che Leute dann in der Leidenschaft etwas über das Recht hinaus verlangten, wie ein Stift, der in der Uhr zu genau passet, erwärmt sie durch seine Größe anhält. Jetzt bat sie ihn liebreich, das Auseinanderzupfen des „gan¬ zen Wirrwarrs“ bloß ihren Fingern zu überlas¬ sen und sanft und still zu bleiben, damit nicht noch mehr Leute, etwa gar ihre „ belle - soeur “ zwischen ihren Bund sich drängten. Albano nahm es freundlich an, bat sie aber ernst, nur keine Plane zu machen, weil er zu ehrlich da¬ zu gegen Linda seyn und ihr sogleich das ganze Wort der Charade sagen würde. Sie entdeckte ihm, sie habe weiter keinen zu etwas gemacht als zu einem frohen Tage für morgen, den nehmlich, mit Linda die Prin¬ zessinn Idoine in Arkadien zu besuchen, der sie außer dem Besuch noch größere Dinge schul¬ dig sey, besonders ihr halbes Herz: „Du rei¬ test uns zufällig nach und triffst uns mitten im Schäferleben an (setzte sie dazu), und über¬ raschest Deine Linda.“ — Er sagte sehr ent¬ schieden Nein; weil er vor Idoinens Ähnlich¬ keit mit Lianen — ob er gleich nur wußte daß Liane jene im Traum-Tempel vorgespielt, noch nicht aber, daß Idoine diese vor seinem Kran¬ kenbette nachgebildet — und vor der Gegen¬ wart der Ministerinn die Flucht aus Scheu so¬ wohl der bittern Erinnerungen als der süßen nahm, welchen beiden Roquairol in solchem Falle nachgezogen wäre. Julienne wandte bos¬ haft haft ein: „fürchte nur nichts für die Prinzes¬ sinn; sie mußte, um vom verhaßten Bräutigam nur loszukommen, allen Ihrigen eidlich ange¬ loben, nie einen unter ihrem Stande zu wäh¬ len — und das hält sie, sogar bei Dir.“ — Er beantwortete den Scherz bloß mit der ern¬ sten Wiederholung des Neins. Nun so bestehe sie darauf, versetzte sie, daß er ihnen beiden wenigstens auf halbem Weg entgegenkomme und sie im „ Prinzengarten “ — einem von Luigi als Erbprinz angelegten und auf dem Fürstenstuhle vergessenen Park — erwarte. Das ergriff er sehr freudig. Sie fragte scheidend noch scherzhaft: „wer hat Dich von neuem mit einer Schwester be¬ schenkt?“ Er sagte: „das konnte mein Vater nicht von mir erfahren.“ — „Bruder, (sagte sie sanft,) ein Herr war's, der Prinzessinnen leicht für Gräfinnen nimmt und der nächstens noch toller zu werden glaubt als er schon ist — Dein Schoppe“ und flog davon. 125. Zykel. Am Morgen darauf fuhren beide Freundin¬ nen nach Arkadien. Julienne — obwohl be¬ Titan IV . X trübter durch ihren kränkern Bruder — hei¬ terte sich durch das Vertrauen auf einen Plan auf, den sie ungeachtet ihrer Versicherung zum Glücke des gesunden entworfen, um ihn in Arkadien auszuführen. Sie verbarg öfters, wie andere hinter den schwarzen Trauerfächern der Trauer und Empfindung, so hinter den heitern Putzfächern des Lachens, der den Zuschauern die bemahlte Seite zukehrte, ihren Kopf mit seinen Entwürfen; unter Lachen und Weinen gieng und dachte sie diesen nach. So hatte sie an Albano die Bitte, Idoine mit zu besuchen, nur aus Schein und in der Gewißheit gethan, daß er sie abschlage oder im Falle er komme, daß es dann Idoine thue; denn sie wußte aus Idoinens Besuchen im vorigen Winter, daß diese an den von ihr hergestellten schönen Fi¬ berkranken häufig in Gesprächen gedacht und daß sie jetzt vor seiner Ankunft geflohen war, um nicht über seine helle liebende Gegenwart, die ihr am leichtesten durch die Fürstinn be¬ kannt geworden, als ein Gewölke aus der Ver¬ gangenheit hereinzuziehen voll trüber Ähnlich¬ keiten. Julienne hatte sogar erfahren, daß die Fürstinn sie umsonst länger halten und aufbe¬ wahren wollen, um vielleicht den Jüngling durch sie zu erinnern, zu schrecken, zu ändern, oder zu strafen. Juliennens Liebe gegen die Prinzessinn wäre durch jene zarte Flucht vor Albano vielleicht so warm geworden als die gegen Linda war, wenn eben diese Liebe nicht dazwischen gestanden hätte; wenigstens hatt' ihr diese schöne Flucht ein ungemessenes Vertrauen — was eben das rechte und einzige ist — auf die Prinzessinn gegeben. Der Reisetag war ein schöner Erndte-Mor¬ gen voll bevölkerter Kornfluren, voll Kühle und Thau und Luft. Linda freuete sich kindlich auf Idoine, und sagte die Gründe in frohem Tone: „zuerst weil sie Deinem Bruder das Leben ge¬ rettet — und weil sie doch wußte, was sie wollte und darauf muthig beharrte und sich nicht wie andere Prinzessinnen zum Opfer des Thrones verhandelte — und weil sie die deut¬ scheste Französinn ist, die ich kenne, außer der Mdm. Necker — Ja mir gehört sie ordentlich mit aller schönen Jugend unter die alten Frauen, und diese sucht' ich von jeher vor, denn es ist X 2 doch etwas von ihnen zu lernen. Dich liebt sie sehr, mich glaub' ich weniger, einem so reizen¬ den Mittelding von Nonne und Ehefrau schein' ich zu weltlich, ob es gleich nicht ist.“ Beide kamen im schönen Zauberdorfe — als schon die netten Kinder sich zur Ährenlese ver¬ bündeten und die Wagen schon den Sammlern der Garben entgegenfuhren — Nachmittags vor dem Mittagsessen an. Idoinens Bruder, der künftige Erbfürst von Hohenflies, — der Zwerg in Tivoli — sah aus dem Fenster und Julienne bedauerte fast die Reise. Idoine flog ihr ent¬ gegen und drückte sie herzlich an die Brust. Als Julienne dieses große blaue Auge und je¬ den verklärten Zug der Gestalt, die einst ihr Bruder so seelig und schmerzlich geliebt, vor und auf ihrem Angesicht hatte: so glaubte sie jetzt, da sie seine Schwester geworden, gleich¬ sam als seine Stellvertreterlnn die Liebe der Stellvertreterinn Lianens zu empfangen; und sie mußte, wie allzeit seit diesem Tode bei dem ersten Empfange, innig weinen. Linda wurde von der Prinzessinn mit einer so tiefen Zärtlichkeit empfangen, daß sich Ju¬ lienne wunderte, da sonst beide in einem Wech¬ sel von Kälte und Liebe lebten. Die Ministe¬ rinn Froulay stand da, von der Trauer so alt, kalt, still und höflich, so kalt gegen die Zeit und die Menschen, (ausgenommen das Eben¬ bild ihrer Tochter) besonders gegen Linda, de¬ ren kecker, entschiedner, philosophischer Ton ihr unweiblich und eine Trommete an zwei Frauen- Lippen zu seyn schien. Der künftige Eebprinz von Hohenflies ent¬ fernte sich zum Glücke bald von einem so un¬ bequemen Ort, wo er auf einem Schiffbruchs¬ brett, statt in einer Gondel fuhr. Nachdem er Julienne mit Antheil um das Befinden ihres Bruders, seines jetzigen Vorfahrers, gefragt — und sie und Linda an ihre und seine welsche Reise erinnert hatte: so würd' er über Julien¬ nens Kaltsinn und über die moralischen Gesprä¬ che der Weiber und über einen gewissen sittli¬ chen Gewitterdruck — den Lüstlinge bei Wei¬ bern empfinden, wo alles Rauhe, die Gelb¬ sucht, die Anmaßung als Mißton schreiet —, und über die allgemeine plagende Heuchelei — wofür er sogleich alles nehmen mußte —, so verdrüßlich und verstimmt, daß er leicht auf¬ brach und dieses Schäferleben um den einzigen Wolf verkürzte, der darin schlich. Lüstlinge hal¬ ten es unter vielen edlen Frauen, gedrückt von deren vielseitigen scharfen Beobachtungen, nie lange aus, obwohl leichter bei einer allein, weil sie diese zu verstricken hoffen. Was ihm am we¬ hesten that, war, daß er sie alle für Heuchle¬ rinnen erklären mußte. Er fand keine gute Weiber, weil er keine glaubte; da man sie glau¬ ben muß, um sie da zu sehen wo sie sind; so wie die Tugend üben, um sie zu kennen, nicht umgekehrt. Mit ihm schien eine schwarze Wolke aus diesem Eden und Äther wegzuziehen. Die Mi¬ nisterinn erhielt eine Karte von ihrem Sohne Roquairol, der eben angekommen, und gieng auch — zu Juliennens Freude, die an ihr ein kleines Hinderniß ihres Bekehrungsplans für Linda fand, weil diese die Ministerinn für eine einseitige, enge, bängliche, unnachgiebige Na¬ tur ansah. Idoine bat die beiden Jungfrauen, ihr kleines Reich mit ihr zu bereisen. Sie gien¬ gen hinab ins reine weite Dorf. Auf den Trep¬ pen begegneten ihnen heitere dienstgefällige Ge¬ sichter. Aus den fernen Zimmern des Schlosses hörte man bald Singen bald Blasen. Wie am Vogel sich das glänzende Gefieder schnell und glatt in- und auseinander schiebt: so bewegten um Idoine sich alle Geschäfte; ihre ökonomische Maschine war keine plumpe knarrende Thurm¬ uhr, sondern eine spielende Bilderuhr, welche hinter Töne die Stunden, hinter Bilder die Rä¬ der versteckt. In einem Wiesengarten spielten die jüngsten Kinder wild durch einander. Herrnhutische und Holländische Reinlichkeit hatten das Dorf zu einer glatten hellen Putzbude gewaschen und gemahlt. Neu und blank hieng der Eimer über dem Brunnen — unter der Linden-Rotunda des Dorfs war die Erden-Diele sauber gekehrt — überall sah man reine, ganze, schöne Klei¬ der und freudige Augen — und Idoine zeigte unter der fremden Heiterkeit bedeutenden Ernst in den Blicken, womit sie ihr Arkadien Blume nach Blume prüfte. Sie führte ihre Freundinnen über die ver¬ schiednen Sonntags-Tanzplätze der verschied¬ nen Alter, vor dem Hause des Amtmanns vor¬ über, worin die Ministerinn wohnte und jetzt, zu Juliennens Furcht, ihr Sohn war — in die helle schmucklose Kirche. Bald kamen ihr der Pfarrer und Amtmann, für welche das Vor¬ übergehen ein Wink gewesen, in die Kirche nach und holten von ihr Aufträge; beide wa¬ ren junge schöne Männer mit offner Stirn und ein wenig Jugendstolz. — Als man aus der Kirche war, sagte sie: durch diese jungen Män¬ ner regiere sie über den Ort und sie selber len¬ ke sie sanft; nur junge seyen mit Haß und Muth gegen den Schlendrian und mit Enthu¬ siasmus und Glauben ausgerüstet. Sie setzte scherzhaft dazu, nichts beherrsche sie als eine Schule von Mädchen, an der ihr mehr gele¬ gen sey als an der andern, weil Erziehung An¬ gewöhnung sey und diese ein Mädchen mehr als ein Knabe brauche, dem die Welt doch keine lasse; und sie habe einigen Hang eine la Bonne zu seyn, weil sie es schon als Mädchen oft bei ihren Schwestern habe seyn müssen. Sie führte beide darauf in mehrere Häus¬ chen; überall fanden sie ausgeweißte geordnete Zimmer, Blumen und Weinreben an Fenstern, schöne Weiber und Kinder, und bald eine Flöte, bald eine Violine, und nirgends ein spinnen¬ des Kind. In allen hatte sie Aufträge zu ge¬ ben und was bloßer Spaziergang schien, war auch Geschäft. Sie zeigte einen scharfen Durch¬ blick durch Menschen und ihr verwachsenes Trei¬ ben und einen Geschäftsverstand, der das All¬ gemeine und Besondere zugleich besaß und ver¬ knüpfte: „ich wünschte freilich auch (sagte sie) nur Freuden und Spiele um mich; aber ohne Arbeit und Ernst verdirbt das Beste in der Welt; nicht einmal ein rechtes Spiel ist mög¬ lich ohne rechten Ernst.“ — Linda lobte sie, daß sie alle an Musik gewöhnte, diesen rechten Mondschein in jedem Lebens-Dunkel; „ohne Poesie und Kunst (setzte sie dazu) vermoose und verholze der Geist im irdischen Klima.“ — „O was wäre ohne Töne der meinige?“ sagte Idoine feurig. Linda fragte nach dem Bürgerrechte in die¬ sem heitern Staate. „Meistens bekamen es Schweizerfamilien, (sagte Idoine,) die ich an Ort und Stelle selber kennen lernte auf meiner Reise. Nach den Französinnen stell' ich sogleich meine Schweizer.“ — Julienne versetzte: „Sie sagen mir Räthsel vor.“ Sie lösete ihr sie, und Linda, die kurz nach ihr in Frankreich ge¬ wesen, bestätigte es, daß da unter den Wei¬ bern von gewissem höhern Ton, zu denen kein Crebillon je hinaufgekommen, eine in Deutsch¬ land ungewöhnliche Ausbildung der zartesten Sittlichkeit, beinahe Heiligkeit gegolten. „Nur (setzte Linda hinzu) hatten sie in der Sittlich¬ keit wie in der Kunst, Vorurtheile des feinen Geschmacks und mehr Zartheit als Genie.“ — Sie giengen zum Dorfe hinaus, der schön¬ sten Abendsonne entgegen; auf den Bergen ant¬ worteten sich Alphörner, und im Thale gien¬ gen heitere Greise zu leichten Geschäften. Die¬ se grüßte Idoine mit besonderer Liebe, weil es, sagte sie, nichts schöneres gebe als Heiterkeit auf einem alten Gesicht, und unter Landleuten sey sie immer das Zeichen eines wohl und fromm geführten Lebens. Linda öffnete ihr Herz der goldnen Gegen¬ wart und sagte: „wie müßte dies alles in ei¬ nem Gedicht erfreuen! Aber ich weiß nicht, was ich dagegen habe, daß es nun so in der wirk¬ lichen Wirklichkeit da ist?“ — „Was hat Ihnen (sagte Idoine scherzend) diese genommen oder gethan? Ich liebe sie, wo sind Sie für uns denn anders zu finden als in der Wirklichkeit?“ — „Ich (sagte Julienne) denke an etwas ganz anderes, man schämt sich hier, daß man noch so wenig that bei allem Wollen. Vom Wollen zum Thun ist's hier doch weit (fügte sie dazu, indem sie den klei¬ nen Finger aufs Herz aufsetzte und die Hand vergeblich nach dem Kopf ausspannte). Idoi¬ ne, sagen Sie mir, wie kann man denn ans Große und Kleine zugleich denken?“ — „Wenn man ans Größte zuerst denkt (sagte sie). Wenn man in die Sonne hineinsieht, wird der Staub und die Mücke am sichtbarsten. Gott ist ja un¬ ser aller Sonne.“ Die Erden-Sonne stand ihnen jetzt tief auf einer unabsehlichen Ebene unter milden Rosen des Himmels entgegen — eine ferne Wind¬ mühle schlug breit durch die schöne Purpur- Gluth — an den Bergabhängen sangen Kin¬ der neben den geweideten Heerden und ihre klei¬ nern Geschwister spielten bewacht — die Abend¬ glocke, welche in Arkadien allzeit unter dem Scheiden der Sonne gezogen wurde, wiegte Sonne und Erde mit ihren Tönen ein — nicht nur jugendlich, sogar kindlich lag das sanfte Dörfchen und seine Welt um sie her — kein Sturm, dachte man, kann hereingreifen in dies sanfte Land, kein Winter im schweren Eispan¬ zer hereinschreiten, hier ziehen nur, dachte man, Frühlingswinde und Rosenwolken, keine Regen fallen als Frühregen und keine Blätter als der Blüthen ihre, nur Staub aus Blumen kann steigen und den Regenbogen halten nur Ver¬ gißmeinnicht und Maiblumen auf ihren blau und weißen Blättchen — die Gegend und alles und das Leben schienen hier nur eine unauf¬ hörliche Morgendämmerung zu seyn, so frisch und neu, voll Ahnung und Gegenwart ohne Gluth und Glanz, und mit einigen Sternen über dem Morgenroth. Kinder mit Ähren-Sträußern in der Hand saßen auf fremden Wagen voll Garben und fuhren stolz herein. Idoine hieng mit inniger Liebe, als wär' alles neu durch diesen Abend, an den doppel¬ ten Gruppen. „Nur der Landmann allein ist so glücklich, (sagte sie,) daß er in allen ar¬ kadischen Verhältnissen seiner Kindheit fort¬ lebt. Der Greis sieht nichts um sich als Ge¬ räthschaften und Arbeiten, die er auch als Kind gesehen und getrieben. Endlich geht er jenen Garten drüben hinauf und schläft aus.“ — Sie zeigte auf den Gottesacker am Berge, der ein wahrer Garten mit Blumenbeeten und ei¬ ner Mauer aus Fruchtbäumen war. Julienne blickte erschüttert hin, sie sah den schwarzen Vorhang zittern, hinter welchen ihr kranker Bruder bald getrieben wurde. Mit durchsichtigem Abend-Goldstaub war der Garten überweht — der laute Tag war gedämpft und das Leben friedlich, Öhlzweige und ihre Blüthen sanken aus dem stillen Him¬ mel langsam nieder. — „Dort ist der einzige Ort, (sagte Idoine,) wo der Mensch mit sich und andern einen ewigen Frieden schließet, sagte so schön zu mir ein französischer Geistli¬ cher.“ — „Solchen christ-katholischen Jam¬ mergedanken (versetzte Linda) bin ich so gram wie den Geistlichen selber. Wir können so we¬ nig eine Unsterblichkeit erleben als eine Ver¬ nichtung.“ — „Ich versteh' das nicht, (sagte Julienne,) — ach Idoine, wenn es nun keine Unsterblichkeit gäbe, was thäten Sie?“ — „ J'aimerois “ Ich würde lieben. sagte sie leise zu ihr. Plötzlich wurde vor ihnen wie aus weiter Ferne gesungen: „ Freut “ — dann spät „ Euch des “ — endlich „ Lebens “ — „Das ist aus dem Gottesacker das Echo,“ sag¬ te Idoine und suchte zur Rückkehr zu bere¬ den. „Echo und Mondschein und Gottesacker zusammen (fuhr sie scherzend fort) sind wohl zu stark für Frauenherzen.“ — Dabei berührte sie ihr Auge mit einem Wink an Julienne, gleichsam als thu' es ihr weh, daß die Gräfinn nur hinter dem Nebel ihrer Augen den schönen Abend von Fernen stehen sehe. „Die Sing¬ stimme klingt mir so bekannt,“ sagte Linda. „Roquairol ist's, nichts weiter, wollen wir fort!“ sagte Julienne; aber Linda bat zu bleiben und Idoine willigte höflich ein. Nun gab das Echo — das Mondlicht des Klangs — wieder Töne wie Todtenlieder aus dem Todten-Chor; und es war als sängen die vereinigten Schatten sie in ihrer stillen Wa¬ che unter der Erde nach, als regte sich der Lei¬ chenschleier auf der weißen Lippe und aus den letzten Höhlen tönte ein hohles Leben wieder. Das Singen hörte auf, Alphörner fiengen auf den Bergen an. Da gieng wieder das Nach¬ spiel des Tonspiels feurig herüber als spielten die Abgeschiednen noch hinter der Brustwehr des Grabhügels und kleideten sich ein in Nach¬ klänge. Alle Menschen tragen Todte oder Ster¬ bende in der Brust; auch die drei Jungfrauen; Töne sind schimmernd zurückflatternde Gewän¬ der der Vergangenheit und erregen damit das Herz zu sehr. Sie weinten, und keine konnte sagen, ob trübe oder froh. Die bisher so gemäßigte Idoine ergriff Linda's Hand und legte sie sanft an ihr Herz und ließ sie wieder sinken. Sie kehrten schweigend und einig um. Idoine behielt Linda an der Hand. Die unterirdischen Wasser der Todten-Echos und Alphörner rausch¬ ten ihnen nach, obwohl ferner. Juliennen ent¬ gieng es nicht, wie sehr Idoine ihr Gesicht, bloß um es ihr mit den großen Tropfen in den großen Augen zu entziehen, immer der dicht verschleierten Linda zuwandte; und sie schloß daraus, daß Idoine vieles wisse und kenne und die Braut des Jünglings ehre, dem sie durch ihre schöne Ähnlichkeit das frohe Leben zurück¬ gegeben. „Was haben wir nun davon? (sagte Idoine spät und nahe am Dorfe.) Wir sehen's vor¬ aus, daß wir zu weich würden und geben uns doch hin. Darum nennen uns eben die Männer schwach. Sie bereiten sich auf ihre Zukunft durch lauter Abhärtungen vor, und nur wir uns durch lauter Erweichungen.“ — — „Was soll man denn machen, (sagte Julienne,) in Flüsse springen, auf Berge, auf Pferde und so weiter?“ — „Nein, (sagte Idoine,) denn ich seh' es an meinen Bäuerinnen; sie leiden an Nerven bei aller Muskel-Arbeit so gut wie andere — Mit dem Geiste, glaub' ich, müßten wir wir alle mehr thun und suchen; aber wir las¬ sen immer nur die Finger und Augen sich üben und regen, das Herz selber weiß nichts davon und thut dabei was es will, es träumt, weint, blutet, hüpft — Ein wenig Philosophiren wär' uns dienlich; aber so geben wir uns allen Ge¬ fühlen gebunden dahin und wenn wir denken, ist's bloß, um ihnen noch gar zu helfen.“ — Sie kamen ins Dorf zurück, es war voll geschäftigen Abendlärms, Kinder tanzten Idoi¬ nen entgegen, von den Höhen klangen Alphör¬ ner herein und aus den Häusern Flöten und Lieder heraus. Idoine gab heiter Abendbefehle. „Wie doch (sagte sie) die äußere Ruhe so leicht die innere aufhebt. Ein beschäftigtes Herz ist wie ein umgeschwungenes Gefäß mit Wasser; man halt' es still, so fließet es über.“ Julienne hatte schon einigemal, aber vergeb¬ lich, nach dem Steuerruder der Zeit und Rede gehascht, um ihren Plan zu vollführen; jetzt da sie Linda's Schweigen, Rührung und Träumen bemerkte, glaubte sie die lang' erwartete gün¬ stige Stunde zu treffen, wo einige Worte, die Idoine über die Ehe ausstreuete, in Linda einen Titan IV . Y aufgeweichten Boden für ihre Wurzeln finden würden. Durch die leichte Wendung eines Lobs, das sie Idoinen über ihren muthigen Wider¬ stand gegen das Schiffziehen in einer verha߬ ten Fürsten-Ehe und über den Gewinn eines ewigen Jugendlebens gab, brachte sie die Grä¬ finn dazu, ihren ketzerischen Haß gegen die Ehe zu offenbaren und zu sagen, daß diese die Blume mit einem scharfen Eisenringe an ihren Stab peinlich gefangen lege — daß Liebe ohne Freiheit und aus Pflicht nichts sey als Heuche¬ lei und Haß — und daß das Handeln nach der sogenannten Moral so viel sey als wenn einer nach der Logik, die er vor sich hätte, den¬ ken oder dichten wollte und daß die Energie, der Wille, das Herz der Liebe etwas Höheres sey als Moral und Logik. Jetzt kam ein Briefchen von der Ministe¬ rinn, worin sie ihre heutige Abwesenheit mit dem zu traurigen Abschiede entschuldigte, den ihr Sohn diesen Abend so sonderbar und wie auf immer von ihr genommen. So viele stille Gedanken auch diese Nachricht in Julienne und Linda nachließ: Idoine kam durch sie nicht aus der lebhaften Bewegung, worein die vorige Rede sie gesetzt, sondern mit einem edlen Zürnen, das aus der schönen Jungfrau einen schönen Jüngling machte und ihr Minervens Helm auf¬ setzte, erklärte sie der hohen Gegnerin, die we¬ niger durch fremde Heftigkeit als durch fremde Gesinnung aufzureizen war, diesen Krieg: gewiß sey nur ihre Abneigung gegen die „Priester“ an der zweiten Abneigung gegen die Ehe schuld — sey denn das Eheband etwas anders als ewige Liebe, und halte sich nicht jede rechte für eine ewige? — eine Liebe, die einmal zu ster¬ ben glaube, sey schon todt und die ewig zu le¬ ben fürchte, fürchte umsonst — wenn sogar Freunde am Altare verbunden würden, wie ir¬ gendwo geschehen soll Bei den Morlacken. S. Sitten der Morlacken. Aus d. Italien. 1775. , sie würden höchstens sich nur noch heiliger binden und lieben — man zähle eben so viele wo nicht mehrere un¬ glückliche Liebeshändel als unglückliche Ehen — man könne zwar eine Mutter, aber nicht ein Vater seyn ohne die Ehe und dieser müsse jene Y 2 und sich durch die Sitte ehren — „ich bin eine Deutsche (beschloß sie) und achte die al¬ ten Ritterfrauen, meine Ahnen, hoch, seelig ist eine Frau wie eine Elisabeth und ein Mann wie Götz von Berlichingen, in ihrer heiligen Ehe.“ — — Auf einmal fand sie sich selber überrascht von ihrem Feuer und ihrem Strome: „ich bin ja (setzte sie lächelnd hinzu) eine pedantische Predigerswittwe geworden; das macht, ich bin die höchste Obrigkeit von dem Dörfchen, und lasse, da fast in jeder Hütte eine glückliche Wi¬ derlegung der Ehelosigkeit wohnt, ungern an¬ dere Meinungen hier aufkommen.“ „O, Mädchen (sagte Julienne lustig, weil sie Linda ernst sah,) sprechen immer mitunter ein wenig von Liebe und Ehe; sie ziehen sich gern aus einem Brautkranz Blumen.“ „Daraus, wissen Sie, könnt' ich mir wohl keine nehmen“ sagte Idoine, auf das eidli¬ che Versprechen anspielend, welches sie ihren über ihre enthusiastische Kühnheit argwöhnischen Eltern geben müssen, nie unter ihrem Fürsten¬ stande zu heirathen, was ihr nach ihrer schar¬ fen Gesinnung und Lage so viel hieß als Ehe¬ losigkeit. — „Recht hatten Sie indeß, (verfolgte Julienne und wollte scherzhaft bleiben,) die Liebe ohne Ehe gleicht einem Zugvogel, der sich auf einen Mastbaum setzt, der selber zieht, ich lobe mir einen hübschen grünen Wurzelbaum, der da bleibt und ein Nest annimmt.“ — Wider ihre Gewohnheit lachte Linda darüber nicht, sondern gieng allein, ohne ein Wort zu sagen, in den Garten und Mondschein hinunter. „Die Gräfinn (sagte Idoine zur Freundinn, bekümmert über die Bedeutung des stummen Ernstes,) hat uns, hoff' ich, nicht mißverstan¬ den.“ — „Nein, (sagte Julienne mit freudi¬ gen Mienen über den errungnen Eindruck, den die Rede auf Linda gemacht,) sie hat die sel¬ tenste Gabe, zu verstehen, und das häufigste Unglück, nicht verstanden zu weiden.“ — „Das ist immer beisammen,“ sagte sie, sann nach, sah Juliennen an, endlich sagte sie: „ich muß ganz wahr seyn, ich wußte der Gräfinn Verhältniß durch meine Schwester — Freundinn, ist Er ihrer ganz werth?“ Eine Frage, deren Quelle die P.inzessinn nur in rachsüchtigen Einflößun¬ gen der Fürstinn suchen konnte. „Ganz!“ antwortete sie stark. „Ihnen glaub' ich gern,“ versetzte Idoine, mit den Lauten ei¬ lend, aber mit Blicken ruhend. Sie sah die Schwester Albano's immer länger an — die großen blauen Augen schimmerten stärker — Minervens Helm war vom jungfräulichen Haup¬ te abgehoben — das sanfte Angesicht erschien lieblich, ruhig, klar, nicht stärker bewegt als es ein Gebet vor Gott erlaubt, und so wenig begehrend wie eine Verklärte, und doch immer himmlischer glänzend — Juliennens schönes Herz stürmte auf, sie sah Liane wieder, als sey sie vom Himmel gekommen, den geliebten Men¬ schen an einem neuen Herzen einzusegnen; — sie sagte mit Thränen: „Du, Du hast Ihm einst den Frieden gegeben.“ — Idoine wurde überrascht — aus ihren hellen Augen drangen zwei Thränen — mit Nachdruck antwortete sie: „ gegeben “ — erschrocken und heftig drückte sie sich an die Freundinn — sagte: „ich liebte Sie schon lange“ und weiter sprachen sie nichts. Schnell faßte sie sich, — erinnerte Julienne an Linda's Nachtblindheit — und bat sie ge¬ radezu, ihr als ihre Freundinn nachzugehen, ob sie gleich selber gern ihr dieses Verdienst abstehlen würde, wenn sie dürfte. Julienne eilte in den Garten, fühlte es aber nach, daß Idoine ihr Du nicht erwiedert hatte. Idoine mied das weibliche Du; ungleich den Orienta¬ lerinnen, welche vor Verwandten den Schleier weglassen, nahm sie wie ihre Französinnen, so¬ gar in die Herzlichkeit die zarten Gesetze der Politesse herüber. Julienne fand ihre Freundinn im Garten in einer dunkeln Laube still, mit tief gesenkten Augen, in Träume eingegraben. Linda fuhr auf: „Sie liebt Ihn! (sagte sie mit Schmerz und Feuer) Hör' es, Julienne, Sie I — Diese konnt' ihr über das Aussprechen einer Wahrheit, mit der sie gerade aus Idoinens Armen gekommen war, nichts als ihr Erschre¬ cken zeigen; aber Linda nahm es für Erstau¬ nen und fuhr fort: „bei Gott! — Mein Blick hat sie aufgehascht. O sonst war sie weit nicht so lebhaft und ernst und rührbar und weich — Ihre innerste Bewegung bei meinem Erblicken — und ihr Weinen bei Roquairol's Stimme, weil sie seiner gleicht — und ihre lange feuri¬ ge Hochzeitpredigt — Und die Seelenblicke auf mich — o hat sie Ihn denn nicht im großen herrlichen Augenblick gesehen, da der Blühende weinend knieete und das göttliche Haupt gen Himmel hob und die Verklärte und den Frie¬ den herunterrief? — O daß sie es nur wagte, ihm beides vorzuspielen! Und kann sie das ver¬ gessen?“ — Julienne kam endlich zum Worte: „so setz' es denn; ist Idoine aber nicht edel und fromm?“ — „Ich habe nichts wider sie und nichts für sie (antwortete Linda). Wenn aber Er sie nun sieht, wenn er die Fromme noch einmal der Verstorbnen ähnlich findet, wenn die ganze er¬ ste Liebe umkehrt und über die zweite trium¬ phirt? ... Bei Gott! Nein, (setzte sie stolz und stark dazu,) nein, das duld' ich nicht; bit¬ ten will ich nicht, weinen nicht, oder resigni¬ ren, um ihn aber kämpfen will ich. — Bin ich nicht auch schön? Ich bin schöner, und mein Geist ist kühner geschaffen für seinen. Was kann sie geben, was ich ihm nicht drei¬ fach biete? Ich will's ihm geben, mein Glück, mein Daseyn, auch meine Freiheit, ich kann ihn so gut heirathen wie sie, ich will's . . . . O sprich, Julienne! Aber Du bist eine kalte Deutsche und ihr heimlich zugethan aus glei¬ cher Gottesfurcht. O Gott, Julienne, bin ich denn schön? Betheuer' es mir doch. Bin ich der Verklärten gar nicht ähnlich? Säh' ich nur so aus wie er es gerade wollte! Warum war ich nicht seine erste Liebe, und seine Liane und wäre auch gestorben? — Gute Julienne, war¬ um sprichst Du nicht?“ — „Lasse mich nur sprechen“ sagte diese, wie¬ wohl nicht ganz wahr. Sie war ergriffen und gestraft von Linda's treffender Wahrheit und vom eignen Bewußtseyn, daß sie einen Plan, Linda's Vorurtheile gegen die Ehe aufzulösen, angelegt, dessen Hülfsmittel ihr von Linda ge¬ rade als Rechtfertigungen der Eifersucht vorge¬ zählt worden; und daß sie einen Felsen auf der Spitze eines Felsen in Bewegung und in den Fall gebracht, den sie nun nicht mehr regieren konnte. Auch war sie betäubt, ja erzürnt von einem ihr fremden Ungestüm der Liebe, vor welchem sie den verhaßten Trost gar nicht aus¬ sprechen durfte, daß Albano stets nach der Pflicht der Treue handeln würde. — Schön war sie überrascht von der geglückten Bekeh¬ rung zum Trauungs-Ja. Mit einiger Unge¬ wißheit des Erfolgs bei Linda, die durch das Mondlicht und die ferne milde Bergmusik nur stürmischer geworden, fuhr sie fort: „ich wollte Dich nicht gern unterbrechen mit dem Lobe Dei¬ nes Entschlusses zur Ehe — Unrecht hast Du sonst in allen Stücken. Freilich ist Sie jetzt ern¬ ster; aber sie stand am Sterbebette ihres Eben¬ bildes und sah sich in Lianen erbleichen — das mäßigt sehr. Ihn anlangend: so, hätt' Er Dich früher gesehen ....“ „Sah er nicht früh das Bild auf dem Lago¬ maggiore , aber unähnlich wie er sagt?“ — „So will ich Dir's denn gestehen, Wilde, (versetzte Julienne,) weil man Dich nicht über¬ raschen soll, daß ich ihn gestern gebeten, mit zur Prinzessinn zu reisen und daß er eben aus Rücksicht und Kälte gegen alle Ähnlichkeiten mir es derb abgeschlagen; aber morgen erwartet er uns im Prinzengarten.“ Verändert — weich — mit verklärten Au¬ gen sagte Linda mit gesunkner Stimme: „mein Freund liebt mich so sehr? — Ich lieb' ihn aber auch sehr, den Reinen. Morgen will ich zu ihm sagen, nimm meine Freiheit und bleibe ewig bei mir. Vom Altare ziehen wir davon, meine Julienne, Du und er und ich nach Va¬ lencia , nach Isola bella oder wohin er will und bleiben beisammen. Du guter Mond und Musik! Wie die Töne und die Strahlen so kindlich mit einander spielen! — Umarme mich, meine Geliebte, vergieb, daß Linda unartig gewesen!“ — Hier war der Sturm des Her¬ zens in süßes Weinen zergangen. So wird in den Ländern unter der scheitel-rechten Sonne täg¬ lich der blaue Himmel Donner, Sturm und schwarzer Regen, und täglich geht die Sonne wieder blau und golden unter. Julienne versetzte bloß: „Schön! nun wol¬ len wir hinauf!“, weniger als sie zu schnellen Übergängen fähig. Als sie oben die stille, helle, nichts begehrende Idoine wieder sah — die fest und heiter Handelnde — klagenlos und hoff¬ nungslos — nur den Ährenkranz der Thaten, nie den blumigen Brautkranz tragend — so viele weiße Blüthen zu ihren Füßen, die zu keinem Kranz und Gewinde zusammengehen — ihre helle reine Seele einem hellen reinen Tone gleich, der seinen Reiz durch nasse wolkige Luft ungetrübt und ungebrochen trägt: so fühlte sie, Idoine sey ihr schwesterlicher verwandt als Lin¬ da, jene sey ihr ein Ideal und Sternbild in ihrem Himmel über ihr, diese ein fremdes, das fern und unsichtbar in einer zweiten Halbkugel des Himmels glänzt; aber in ihr wirkte die weibliche Kraft, fortzulieben fast bis in den Haß hinein, stärker als in irgend einer Frau und sie blieb der alten Freundinn getreu. Idoi¬ ne gehörte unter die weiblichen Seelen, die dem Monde ähnlich sind; blaß und matt muß er am prächtigen Abendhimmel, den Glanz und brennende Wolken schmücken, stehen und kann auf der Erde keinen einzigen Schatten verdrängen, und steigt mit unsichtbaren Strah¬ len, aber das fremde Licht verblicht und seines wächset aus dem Schatten auf, bis zuletzt sein überirdischer Glanz die Erden-Nacht umzieht und in eine zweite Welt umkleidet und alle Herzen lieben ihn weinend und die Nachtigal¬ len singen in seinen Strahlen. Alles war nun bestimmt und geendigt. Lin¬ da hielt sich in ihrer Ferne und bloß aus Ge¬ setz der geselligen Artigkeit, das sie niemals übertrat. Idoine zog sich, eine Veränderung errathend, aus der vorigen Nähe sanft zurück. Früh am dunkeln Morgen schieden sie, aber Julienne sagte es ihrer Freundinn nicht, daß sie Idoinen, als sie von einander giengen, sich mit nassen Augen hatte wenden sehen. 126. Zykel. Albano hatte während Linda's Abwesenheit von Roquairol die Bitte bekommen, nur jetzt nicht lange zu verreisen, damit er in einigen Tagen sein Trauerspiel „den Trauerspieler “ noch sehen könne. Gaspard, den er unwillig über Linda's Ehescheu antraf, gab ihm ein sonderbares Kartenblatt für Linda mit, worauf von ihrem unsichtbaren Vater nichts stand als dies: Ich genehmige Deine Liebe. Ich erwarte, daß Du sie besiegelst, damit ich meine Tochter endlich umarme. Der Zukünftige. So viele fremde wichtige Wünsche, die mit dem seinigen zusammenflossen, hielten nun von seinem zarten Ehrgefühl den Verdacht der Selbst¬ sucht und Zudringlichkeit ab, wenn er sie um das schönste Fest seines Lebens bat. Er machte seinen Vater sehr zufrieden durch diesen Entschluß zu bitten. Gaspard theilt' ihm geheime Kriegs¬ nachrichten mit und sagte ihm scherzend, nun sey es bald Zeit, daß er für seine Freunde, die Neufranken, fechten helfe. Albano sagte, es sey sogar sein Ernst. Das hör' er gern von einem Jüngling — sagte Gaspard — der Krieg bilde für Geschäfte und das Recht oder Unrecht desselben thue nichts zur Sache und gehe andere an, die ihn erklären. Albano machte seine Reise froh durch Erin¬ nerung, noch froher durch Hoffnung. Er hat¬ te jetzt den Muth, sich den Tag auszudenken, wo Linda, eine Königinn, in die glänzende Krone ihres Geistes den weichen Brautkranz schmiegt — wo diese Sonne als eine Luna auf¬ geht — wo ein Vater, den der seinige liebt, das hohe Fest unterbricht durch ein höchstes — und wo einmal zwei Menschen zu sich sagen dür¬ fen: nun lieben wir uns ewig. — So beglückt und mit einer unendlichen Liebe und sonnen¬ warmen Seele kam er im Prinzengarten an. Überall kam er viel zu früh nach seiner lei¬ denschaftlichen Pünktlichkeit. Niemand war noch da als zwei — Abreisende, Roquairol und die Fürstinn. Beide sah man jetzt oft und so öf¬ fentlich beisammen, daß das Scheinen Absicht schien. Roquairol gieng ihm höflich entgegen und erinnerte ihn an das erhaltene Billet: „das ist der Schauplatz, Lieber, (sagt' er) wo ich nächstens spiele, die meisten Zurüstungen hab' ich schon getroffen, besonders heute. Meine treffliche Fürstinn hat mir diesen Platz vergönnt.“ — „Sie kommen doch auch?“ sagte diese zu Albano freundlich. „Ich hab' es ihm schon ver¬ sprochen“, sagte Albano, den mitten in seinem Frühling zwei Eiskeller anwehten. Das Fräu¬ lein v. Haltermann allein zeigt' ihm großen ent¬ schiedenen Zorn. „Gehen wir zu meiner Schwe¬ ster vorher?“ fragte Roquairol die Fürstinn unter dem Wegführen. Albano verstand das nicht. Die Fürstinn nickte. Sie nahmen von ihm Abschied. Fräulein v. Haltermann schien ihn zu vergessen. Sie entflogen, hielten oben auf einem von der ganzen blühenden Gegend umrungnen Berge neben einem Blumengärtchen still und rollten dann hinunter. Der Himmelswagen mit den geliebten Mäd¬ chen kam jetzt in den französischen Prinzengar¬ ten herein. Feurig drückten sich Albano und Linda einander an die Herzen, die sie sich — gleichsam zum zweitenmale für einander ge¬ schaffen und geschmückt durch das Schicksal — mit neuen Hoffnungen und Welten heute noch einmal täuschend geben wollten! — Alles war so glänzend um sie her, alles neu, selten, ru¬ hig, die ganze Welt ein Garten voll hoher flatternder Springbrunnen, welche vor der Sonne glanztrunken ihre Bogen durch einan¬ der warfen! — Julienne zog ihn bei Seite, um ihm Linda's schönen Entschluß zu sagen; aber er kam ihr mit der Nachricht des seinigen zuvor. Sie bestärkte ihn durch die ihrige, ent¬ zückt zückt über das seltne Getriebe zusammengrei¬ fender Glücksräder. Als Albano wieder bei der Braut war, und sie bei ihm, fühlten sie eine neue Wärme des Herzens, — keine von einer ausbrennen¬ den dumpfen Gluthkohle, die am Ende schwarz zerbröckelt, sondern die einer höhern Sonne, die aus lauten Flammen stille Strahlen macht und die die Menschen mit einem warmen mil¬ den Frühlingstag umgiebt. Albano schob nicht auf und leitete nicht ein, sondern er gab ihr das Blatt ihres Vaters hin und sagte unter dem Lesen mit bebender Stimme: „Dein Va¬ ter bittet mit mir und für mich.“ — Linda's Thränen stürzten — der Jüngling zitterte — Julienne rief: „Linda, sieh wie er Dich liebt!' — Albano nahm sie an sein Herz — Linda stammelte: „so nimm sie denn hin, meine liebe Freiheit und bleibe bei mir“ — „bis zu mei¬ ner letzten Stunde“ (sagt' er) — „und bis zu meiner und gehst in keinen Krieg“ — sagte sie zärtlich-leise — er drückte sie bestürzt und stark ans Herz — „nicht wahr, Du versprichst es mein Lieber?“ wiederholte sie. — Titan IV . Z „O, Du Göttliche, denke jetzt an etwas Schöneres“ sagte er. — „Nur ja, Albano, ja?“ fuhr sie fort. — „Alles wird sich durch unsere Liebe lösen“ sagt' er. — „Ja? Sage nur Ja!“ bat sie — er schwieg — sie erschrack: „Ja?“ sagte sie stärker. — „O Linda, Linda!“ stammelte er — sie entsanken einander aus den Armen — „ich kann nicht“ sagt' er — „Men¬ schen versteht Euch“ sagte Julienne — „Alba¬ no sprich Dein Wort“ sagte Linda hart. — „Ich habe keines“ sagt' er. Linda erhob sich beleidigt und sagte: „ich bin auch stolz — ich fahre jetzt Julienne.“ Kein Bitten der Schwester konnte die Staunende oder den Staunenden schmelzen. Der Zorn, mit sei¬ nem Sprachrohr und Hörrohr, sprach und hör¬ te alles zu stark. Die Gräfinn gieng fort und befahl anzu¬ spannen. „O ihr Leute, und Du Hartnäckiger, (sagte Julienne) geh ihr doch nach und stille sie.“ Aber der empfindlichen Sinnpflanze seiner Ehre waren jetzt Blätter zerquetscht; das ihm neue Auffahren, der Schlagregen ihres Zorns hatt' ihn erschüttert; er fragte nach nichts. „Schau hinauf zu jenem Garten, (sagte die Schwester außer sich,) dort liegt Deine erste Braut begraben und schone die zweite!“ — Das wirkte gerade das Gegentheil: „Liane (sagt' er kalt) wäre nicht so gewesen; begleite nur die Gräfinn!“ „O die Männer!“ rief sie und gieng. Bald darauf sah er beide davon fahren. Allmahlig zerstob das wilde Heer des Zorns. Aber er hatte, fühlt' er, nicht anders gekonnt. Er war ihr, sie ihm mit solcher neuen Zärtlich¬ keit entgegengereiset — keines wußte von der fremden — und der unbegreifliche Kontrast ent¬ rüstete darum beide so sehr — Er haßte schon an andern Menschen das Bitten, wie viel mehr an sich selber, und nie war er vermögend, ei¬ nen Menschen, der ihn verkannte, zurecht zu weisen. Er sah jetzt um sich, alle prangenden Springbrunnen der Freude waren plötzlich nie¬ dergefallen, die Lüfte verödet und das Wasser murmelte in den Tiefen. Er ritt hinauf zum Garten, wo Lianens Grab seyn sollte. Nur Blumenbeete, einen Lindenbaum mit einer Zir¬ kelbank sah er darin, aber kein Grab. Betäubt Z 2 und verworren blickt' er hinein und in den glänzenden Gegenden umher. Verstockt — thrä¬ nenlos — mit einem im zurückgetriebnen Strom der Liebe erstickenden Herzen — hinschauend in die weite Zukunft, die zwischen Bergen in krum¬ me Thäler gieng und sich versteckte, ritt er dü¬ ster nach Hause. Hier traf er folgendes Blatt von Schoppe an, das der vorauseilende Oheim bei ihm abgegeben: „Es ist richtig — Ich fand das bewußte Portrait — Ich bring' es in der Jagdtasche mit — In wenigen Wochen oder Tagen komm' ich — Den Kahlkopf hab' ich angetroffen, und hinlänglich todtgemacht — Ich bin sehr bei Sinnen. Dein seltsamer Oheim reisete lange mit mir. S.“ Zwei und dreißigste Jobelperiode. Roquairol. 127 . Zykel. L inda hatte den ganzen Tag darauf in schwei¬ gendem Seelenschmerze zugebracht über den Ge¬ liebten, der ihr, wie einst Liane ihm, nicht im ganzen lebendigen Feuer der Liebe zu leben schien wie sie — sie war lange von der Für¬ stinn umlagert und dann durch sie Juliennens für eine Lustreise beraubt worden, die ihr nur die Nachricht zuwerfen konnte, daß Albano die¬ sen Tag auch einen Ausflug gemacht, um Schop¬ pen früher zu umarmen — sie war still geblie¬ ben nach ihrem Grundsatze, daß der weibliche Stolz hier Schweigen, Ruhe und sogar Ver¬ gessen gebiete: — als sie Abends durch das blin¬ de Mädchen aus Blumenbühl, das sie in ihre Dienste genommen, folgenden Brief erhielt: „Du Meine! Sey es wieder! Ich will noch sterben, aber für Dich, nicht für ein Volk auf dem Schlachtfeld. Vergieb das Gestern und beglücke das Heute. Ich habe meinen Vorsatz einer Entgegenreise wieder aufgegeben, um Dir heute noch an das Herz zu stürzen und Deinen Himmel auszuschöpfen und meinen zu füllen. Ich kann nicht warten bis Julienne wieder¬ kommt; mein Herz brennt nach Dir. Morgen muß ich ohnehin im Prinzengarten seyn, wo Roquairol seinen Trauerspieler endlich giebt. Komme diesen Abend — ich flehe Dich bei un¬ serer Liebe an — um 8 Uhr entweder, wenn es hell ist, in die Tartarus-Höhle, deren Tod¬ tengräber-Putz und Orkus-Ameublement Dir gewiß nur lächerlich seyn wird, oder wenn es wolkig ist, in das Ende des Flötenthals. Dein blindes Mädchen nimmst Du nur mit. Du kennst ja das Spionenwesen, das gerade uns umstellt. Ich erwarte und begehre keine Antwort von Dir, sondern Schlags acht Uhr schleich' ich durch das Elysium, um zu sehen, wo die Göttinn steht, der Himmel, die Sonne, die Seeligkeit, Du. Dein Albano .“ Wie durch einen Wetterstrahl des Himmels war ihr ganzes Wesen geschmolzen zu weicher seeliger Gluth; denn sie glaubte der Handschrift, daß das Blatt von Albano sey — so unerwar¬ tet ihr auch an ihm eine so schnelle Umkehrung erschien —; ob es gleich von Roquairol ge¬ schrieben war. Lasset uns zurückgehen bis an die finstere Quelle des reissenden Höllenflusses, der seinen eiskalten Arm nach der Unschuld und nach dem Himmel ausstreckt. Roquairol war im Winter bei allen Fehl¬ schlagungen seiner unbändigen Wünsche ziemlich glücklich und gut geblieben; der Abendstern der Liebe, ob er wohl für ihn mehr ab- als zu¬ nahm, stand doch noch nicht unter dem Hori¬ zont, sondern nur unter Gewölke. Aber sobald Linda mit Julienne abgereiset war — und zwar, wie er sogleich errieth und früh erfuhr — nach Italien: so bewegte sich ein neuer Sturm durch sein Leben, der ihm die letzten Blüthen abriß und mit dem lange gelegenen Staub verfinster¬ te, weil er nun, wie er Albano selber voraus¬ gesagt, das Netz zu diesem und der Gräfinn im Strome heraufkommen sah, das beide eng ge¬ fangen nahm. Das fressende Gift der Viel- Liebhaberei und Vielgötterei lief wieder heiß in allen Adern seines Herzens um —: er machte wilden Aufwand, Spiele, Schulden, so weit es nur gieng — setzte Glück und Leben auf die Waage — warf seinen eisernen Körper dem Tode zu, der ihn nicht sogleich zerschlagen konnte — und berauschte sich in der Wilden¬ Trauer um sein gemordetes Leben und Hoffen im Leichentrunk der Schwelgerei; ein Bund, den Wollust und Verzweiflung schon oft auf der Erde mit einander auf Kriegsschauplätzen und in großen Städten geschlossen haben. Nur etwas hielt den Hauptmann noch auf¬ recht, die Erwartung, daß A!bano in seiner Ferne von Linda beharre, und die, daß diese wiederkomme. Jetzt kam die Fürstinn zurück, noch mit allem frischen Hasse gegen den kalten Albano, für dessen „ dupe “ sie sich hielt. Ro¬ quairol bewog leicht seinen Vater, ihn ihr nä¬ her zu bringen, da er bei ihr über Albano und alles Nachrichten zu finden hoffte. Er wurd' ihr bald durch die ähnliche Stimme und die vorige Freundschaft gegen ihren Feind bedeu¬ tend, und noch mehr durch seine seltene Ge¬ wandtheit, einer Frau immer das zu seyn, was sie gerade begehrte. Da sie alle seine frühern Verhältnisse und Wünsche schon längst gekannt: so warf sie, sobald ihre Fernschreiber von Albano ihr die Nachricht von seiner neuen Liebe gegeben, ihm leicht die Erwähnung davon hin. Trotz der warmen Rolle, die Roquairol gegen sie zu spielen hatte, wurd' er doch vor ihr wüthend¬ blaß, athemlos, bebend und starrend im Ab¬ wechsel, „ist's so?“ fragt' er leise — sie zeigt' ihm einen Brief — „Fürstinn, (sagte er wü¬ thend ihre Hand an seine Lippen fortpressend,) Du hattest Recht, vergieb mir nun alles.“ Wie groß er von Albano gedacht, sah er erst jetzt aus seiner Verwunderung über das Natürlichste von der Welt. Nie hasset das Herz bitterer als wenn es den Gegenstand, den es vorher unter dem Hassen achten mußte, nun ohne Achten hassen muß; so wie aus dem¬ selben Grunde den schlimmen Menschen die Heu¬ chelei des andern weit tiefer und eigennütziger entrüstet als den frommen. Roquairol glaubte jetzt, den stolzen Freund recht anfeinden zu dür¬ fen; er wurde aus einer deutschen Ruine eine welsche voll Skorpionen. Die Fürstinn wurde das heisse Klima, das die Skorpionen erst recht vergiftet. Sie erzahlte ihm, wie Albano sie so lange zu gewinnen und auf seine tiefen Mie¬ nen zu locken gesucht, bloß um bei deren Auf¬ springen den Genuß der Kälte und des Hohns zu haben und wie er so gleichgültig vom Haupt¬ mann gesprochen, ohne ihn nur des Hasses zu würdigen. Die Fürstinn erlaubte dem Hauptmann eine Stufe noch der andern an ihrem Throne hin¬ aufzugehen, bis er keine mehr hatte als ihre eigne Person. Sie gab ihm auch die letzte Stufe unter der Bedingung Preis, sie zu rä¬ chen. Er sagte, er räche sie und sich, denn Al¬ bano habe feierlich in dem Tartarus der Grä¬ finn für ihn entsagt. So schienen beide ihre wahre Liebe unter die Larve der Rache zu ste¬ cken, die Fürstinn ihre für den Hauptmann, er seine für Linda. Sie brachte ihm einen Plan immer dichter vor das Auge, den er nicht erblickte, so sehr sie ihn reizte durch die Bemerkung, daß Albano ein größerer Weiber-Liebling sey und seyn werde als man bisher noch dachte, daß sogar ihre fromme besonnene Schwester Idoine nach ihren stillen Fragen in Briefen und nach an¬ dern Zeichen fast beides durch ihn verloren, was sie ihm am Krankenbette wiedergegeben, Gesundheit und Friede und daß er nie hoffen solle, die Gräfinn je abtrünnig zu sehen oder auch zu machen. Endlich sagte sie langsam das fürchterliche Wort: „Roquairol, Sie haben Seine Stimme und Sie hat abends kein Auge.“ — „Himmel und Hölle!“ rief er aus, wechselnd roth und blaß und zugleich in Himmel und Hölle sehend, deren Thüren vor ihm aufsprangen. „ Va !“ setzt' er schnell dazu, ohne die schwarze Tiefe dieses weißschäumenden Meers noch durch¬ drungen zu haben. Die Fürstinn umarmt' ihn feurig, er sie noch feuriger. „In einer poeti¬ schen Dichtung (sagt' er) wäre mir Dein Ge¬ danke leicht gekommen, aber in der Wirklich¬ keit hab' ich keine List!“— „O Schalk!“ sagte sie. So früh und so lang' er nur durfte, sagte er Du, weil er das Herz kannte, besonders das weibliche. — Bald darauf, als sie noch offen¬ herziger gegen einander gewesen waren, sagte sie: „bleibt Sie unschuldig bei Ihnen, so ha¬ ben Sie niemand beleidigt und niemand hat verlohren; bleibt Sie es nicht, so war Sie es entweder nicht, oder sie verdiente die Probe und Strafe, getäuscht zu werden.“ — „Ja, das ist göttlich — das gehört in den herrlichen Trauerspieler kurz vor dem Ende“ sagt' er, wollte sich aber nicht darüber erklären. Jetzt kam Ziel und Mittelpunkt in die wil¬ den Kreise seines Treibens. Er zerlegte kalt Albano's Briefe der Liebe in große und kleine Buchstaben, bloß um sie pünktlich nachzuma¬ chen; daher fand einmal Albano bei Rabetten seine Handschrift ohne seine Gedanken. Er fragte Rabetten alle kleine Verhältnisse Al¬ bano's ab, um seine Rolle bis ins Kleinste auszuarbeiten; und eben so las er alle italie¬ nische Reisebeschreibungen, um mit Linda über jede schöne Stelle frei zu sprechen, wo er als Schein-Albano mit ihr das hesperische Leben genossen. Es kitzelte ihn, so mit der Flamme in der Brust und mit dem kalten Eislicht im Kopfe einmal alle theatralischen Zurüstungen und Verwickelungen, so wie sonst für die Bühne, jetzt für das Leben anzulegen und besonnen zu regieren. Er sah Albano von der Reise kommen, der ihn stolz behandelte — er sah die blühende Göttinn in Lilar gehen — er hörte durch die Spionen der Fürstinn von ihrer Verbindung: hoch gieng sein todtes Meer in schweren Wel¬ len und suchte die Opfer aus ihrem Fluge bis vom Himmel herabzuziehen. Unmittelbar nach dem Trauerspiel, das er mit Linda zu spielen vorhatte, sollte sein eigenes im Prinzengarten kommen, das er von Zeit zu Zeit zu geben versprach und verschob; er mußte lange harren und spähen bis eine Zeit erschien, in welche so viele Zähne eines doppelten Maschinenwerks zu¬ gleich eingreifen konnten. Endlich erschien die Zeit und er schrieb das oben mitgetheilte Blatt an Linda. Alles war berechnet und abgethan und jede Hülfe des Zufalls in den Plan gewebt. Sein Trauer¬ spiel war von seinen Bekannten längst einge¬ lernt, obwohl niemals einprobirt, weil er, wie er sagte, die Mitspieler selber mit seiner Rolle mitten im Spiele überraschen wollte. Die Freu¬ de, die er von jeher hatte, Abschied zu neh¬ men, — weil ihn hier die Rührung zugleich durch Kürze und Stärke erquickte — macht' er sich bei so vielen als ihn liebten. Von Ra¬ bette schied er so stürmisch-weich, daß sie er¬ schrocken zu ihm sagte: „Karl, das bedeutet doch nichts Böses?“ — „Jetzt ist alles böse an mir“ sagt' er. Durch Verwendung der Fürstinn waren für sein Trauerspiel auf den nächsten Tag die be¬ deutendsten Zuschauer geworben, auch Gaspard und Julienne sammt dem Hof. Das Geheim¬ niß zog an; auch der Fürstinn war seine Rolle verdeckt. Nur seinen Vater, der dem Hof gern folgen wollte, strich er aus der Zahl durch ei¬ nen großen Zorn, worein er ihn setzte, weil er ihn mit keiner andern als dieser Dornhecke ab¬ zuhalten wußte. Seine Mutter und Rabette hatt' er beschworen bei ihrem Glück, bei seinem Glück, keine Zuschauerinnen seines Spiels zu werden. Ein neuer Wind des Zufalls war ihm zum Heben seiner Flugmaschine durch den seltsamen Bruder des Ritters gekommen, der mit solcher Freude von der eisernen Maske seiner tragi¬ schen Maske hörte, daß er mit dem Antrag zu ihm kam, er wolle ihm einen neuen wunderba¬ ren Spieler zuführen. „Alles ist besetzt“ sagte der Dichter. „Man mache ein Chor zwischen den Akten und geb' es Einem“, sagte der Spa¬ nier. Roquairol fragte nach dem Namen des Spielers. Der Spanier führt' ihn in seinen Gasthof; innen im Zimmer rief schon eine thie¬ risch-dumpfe Stimme: „kommst Du denn schon wieder, mein Herr?“ sie fanden darin nur eine schwarze Dohle. „Man stelle den Vogel auf das Theater, er sey das Chor, er sage in hal¬ bem Gesang mezza voce bloß zwei, drei Zei¬ len her, die Wirkung wird kommen,“ sagte der Spanier. Roquairol staunte über die langen Sprüche der Dohle. Der Spanier erbat sich einen län¬ gern von ihm, um ihn ihr vor seinen Ohren einzulernen. Roquairol gab ihm den: im Le¬ ben wohnt Täuschung, nicht auf der Bühne. Der Spanier sagte anfangs bloß ein Wort zum Nachsprechen vor, dann wieder eins, wie¬ derholte es dreimal, sagte dann mit den Fin¬ gern den Vogel ermunternd: „ allons diables¬ se !“ und das Thier stotterte dumpf die ganze Zeile her. Roquairol fand in dieser komischen Thier-Larve etwas Fürchterliches, und nahm den Vorschlag, einige Chorzeilen zu dichten und dem Vogel anzuvertrauen, unter einer eig¬ nen Bedingung an, — daß nehmlich der Spa¬ nier seinen Neffen Albano den Abend vorher von Pestiz entferne unter irgend einem Vor¬ wand und dann mit ihm im Prinzengarten er¬ scheine. Der Spanier sagte: „Herr Haupt¬ mann, ich brauche keinen Vorwand, ich habe Wahrheit! Ich werde mit ihm seinem Freund Schoppe entgegenreisen, er will morgen abends kommen; auch dieser wird mit zusehen.“ — Albano konnte in seiner verworrenen Stim¬ mung gegen Linda und in der erwartungsvol¬ len len gegen Schoppe nichts so leicht annehmen als einen kleinen Reiseplan, um diesen gelieb¬ ten Schoppe früher an der Brust zu haben. Julienne wurde in Gegenwart des kranken Für¬ sten von der Fürstinn gebeten, sie zu Idoine zu begleiten, die ihrer auf halbem Wege in einem Gränzschloß wartete, und den andern Tag in den Prinzengarten zurückzugehen. Sie weigerte sich. Der kranke angestiftete Bruder that die von ihm erbetenen Bitten dazu. Die Schwe¬ ster erfüllte sie. Nun war alles für den Abend, woran Ro¬ quairol Linda sehen wollte, berichtigt — So glimmen Nachts in den Scheuern eines schuld¬ losen Dörfchens die eingelegten Brände — der Sturmwind brauset um die müden schlafenden Einwohner — die Räuber stehen auf den Ber¬ gen im Abendnebel und schauen wartend her¬ ab, wenn die Feuerschwerter der Flammen auf allen Seiten durch die Nebel glänzen und mit ihnen rauben und morden werden, um zu ih¬ nen herabzukommen. 128. Zykel. Linda las das Blatt unzählige mal, weinte Titan IV . A a vor süßer Liebe und dachte nicht daran, zu — vergeben. Dieses Wehen der Liebe, das alle Blumen beugt und keine pflückt, hatte sie schon so lange gewünscht; und jetzt auf einmal nach der nebligen Windstille des Herzens, gieng es lebendig und frisch durch den Garten ihres Le¬ bens. Sie konnte schwer acht Uhr erwarten. Sie half sich über die Zeit hinweg durch Wäh¬ len des Putzes, der zuletzt ganz in dem Schleier, Hute, Kleide und allem bestand, was sie ge¬ tragen, als sie ihren Geliebten zum erstenmal auf lschia gefunden. Sie steckte die Paradieses- oder Orangen¬ blüthen, die Zeiger jener Zeit und Welt, an ihr klopfendes Herz und gieng zur bestimmten Stunde, mit dem blinden Mädchen am Arme, in den Garten hinunter. Sowohl aus Haß gegen den Tartarus als aus Willigkeit gegen den Brief nahm sie den Weg ins Flötenthal. Die Nacht war finster für ihr Auge und das blinde Mädchen wurde ihre Führerin. Oben auf dem Lilarsberg mit dem Altare stand wie der böse Geist auf der Zinne des Pa¬ radieses, Roquairol und blickte scharf in den Garten herab, um Linda und ihren Weg zu finden. Sein Freudenpferd war unten im tie¬ fen Gebüsch an ausländische Gewächse ange¬ bunden. Voll Ergrimmung sah er noch Dian und Chariton mit den Kindern in dem Garten gehen; und oben im Donnerhäuschen ein klei¬ nes Licht. Er verfluchte jede störende Seele, weil er entschlossen war, heute im Nothfall je¬ den Stürmer seines Himmels zu ermorden. End¬ lich sah er Linda's lange rothe Gestalt gegen das Flötenthal zugehen und das Schwellen- Gebüsch aufziehen und darhinter verschwinden. Er eilte den langen Schneckenberg herab, warm wie eine vergiftete Leiche. Hinter sich hörte er im langen Busch-Gewinde jemand nacheilen — er entbrannte und zog seinen Stock¬ degen, den er nebst einem Taschenpistol bei sich hatte — endlich sah er eine häßliche Ge¬ stalt, einem bösen Geiste ähnlich, die ihm nach¬ rannte — sie packte ihn — es war der Für¬ stinn langarmiger Affe — Er durchstach ihn auf der Stelle, um nicht von ihm verfolgt zu werden. Unten im freien Garten gieng er langsam, A a 2 um keinen Verdacht zu wecken. Er schlich leise wie der Tod, der auf dem Donnerwagen einer Wolke ungehört durch Lüfte über den Blüthen¬ baum zieht, worunter eine Jungfrau lehnt, und versteckte den mörderischen Wetterstrahl in seine Brust. Er öffnete das hohe Pforten-Ge¬ sträuch des Flötenthals; alles war darin still und dunkel; nur hoch im Himmel gieng ein seltsamer brausender Sturm und jagte die Wol¬ ken-Heerde, aber auf der Erde war es leise und kein Blatt bewegte sich. „Ist jemand da?“ fragte die blinde Thürhüterin. „Guten Abend, Mädchen!“ sagte Roquairol, um durch seinen Sprachton für Albano zu gelten. Tief im engern laubigen Thale sang Linda leise ein altes spanisches Lied aus ihrer Kinder¬ zeit. Endlich wurde sie erblickt — die Riesen¬ schlange that den giftigen Sprung nach der süßen Gestalt und sie wurde tausendfach um¬ wunden. Er hieng an ihr sprachlos — athemlos — die Wolke seines Lebens brach — Thränen der Gluth und Pein und Wonne rannen bren¬ nend fort — alle Arme, worein der Strom seiner Liebe bisher seicht umhergelaufen war, schossen brausend zusammen und faßten und trugen Eine Gestalt — — „Weine nicht, mein guter Mensch, wir lieben uns ja immer wie¬ der,“ sagte Linda und die zarte schöne Lippe gab ihm den ersten innigen Kuß. Da kreisete das Feuerrad der Entzückung mit ihm reissend um und um den darauf geflochtenen Kopf weh¬ ten die Flammen-Kreise hoch auf. Aus Furcht, erblickt zu werden, wenn er erblicke und aus Lust hatt' er die Augen geschlossen, jetzt that er sie auf, — so nahe an sich und in seinen Armen sah er nun die hohe Gestalt, das stolze blühende Antlitz und die feuchten warmen Lie¬ bes-Augen. „Du Himmlische, (sagt' er,) tödte mich in dieser Stunde, damit ich sterbe im Him¬ mel. Wie will ich nachher noch leben? — Könnt' ich meine Seele in meine Thränen gies¬ sen und mein Leben in Deines, und wäre dann nicht mehr!“ „Albano, (sagte sie) warum bist Du heute so anders, so traurig und weich?“ — „Nenne mich (sagt' er) lieber bei Deinem Namen, wie die Liebenden auf Otaheiti die Na¬ men tauschen. — Vielleicht hab' ich auch etwas getrunken — aber ich bereue ja das Gestern — und ich liebe Dich ja neu. Ach, Du, liebst Du denn auch mein Innres, Linda?“ „Süßer Jüngling, kann ich es denn jetzt nicht ewig lieben? — Ich bleibe ja bei Dir und Du bei mir.“ „Ach Du kennst mich nicht. Wenn weiß es denn der Mensch, daß gerade Er, gerade die¬ ses Ich gemeinet und geliebet werde? Nur Gestalten werden umfasset, nur Hüllen umarmt, wer drückt denn ein Ich ans Ich? — Gott etwa . — „Und ich Dich“ — sagte Linda. „O Linda, liebst Du mich fort in meinem Grabe, wenn die Spreu des Lebens verflo¬ gen ist — liebst Du mich fort in meiner Hölle, wenn ich Dich aus Liebe gegen Dich belogen habe? Ist denn Liebe die Entschuldigung der Liebe?“ — „Ich liebe Dich fort, wenn Du mich liebst. Bist Du die Giftblume, so bin ich die Biene und sterbe in dem süßen Kelch.“ Die Braut sank an seinen Hals. Er um¬ klammerte sie heftig — und wurde immer ähn¬ licher dem Gletscher, der durch Wärme weiter rückt und schmelzend verheert. Um ihn zogen die Freuden mit glänzenden, mit himmlischen Gesichtern, zeigten ihm aber in den Händen Furienmasken. „Du willst sterben aus Liebe; ich bin schon gestorben aus Liebe — O Du weißt nicht, wie lange ich Dich schon liebte!” antwortete er. „Glühender (sagte sie) denk an diese Nacht, wenn Du einst Idoinen siehst!“ — „So seh' ich nur meine aufgestandne Schwester“ sagt' er, aber sogleich über die entfahrne Wahrheit erschreckend. „Man steht (setzt' er eilig dazu) das auferstandne Herkulanum, aber man wohnt im blühenden Portici darüber; ich und Du sa¬ hen im Baja-Golf unter dem Meer die ver¬ sunknen Bogen und Thore und wir schifften nach lebendigen Städten weiter. — Ist mir doch auch Roquairol in so manchem so ähnlich und liebt Dich so sehr und so lange und starb auch einmal wie Liane?“ — „Aber diesen hatt' ich nie geliebt und nun bin ich Deine ewige Braut.“ „Der arme Mensch! Aber ich that, glaub' ich, doch nicht Recht, da ich einst in der Tar¬ tarushöhle Dir Ungesehenen im Voraus ent¬ sagte aus Liebe gegen den Freund.“ „Gewiß nicht; aber wie kommen wir beide auf dieses unheimliche Wesen?“ sagte sie küssend. „ Heimlich möcht' ich's eher nennen“ ver¬ setzt' er, entbrennend in hassender Liebe, im Zwiespalt der Rache und Lust und entschlossen, nun den Leichenschleier über ihre ganze Zukunft zu weben Er schlug die schwarzen Adlerschwin¬ gen um das Opfer, und erstickte und erweckte Küsse, er riß die Orangenblüthen von ihrer Brust und warf sie zurück. „Liebe ist Leben und Sterben und Himmel und Hölle, (sagt' er,) Liebe ist Mord und Gluth und Tod und Schmerz und Lust — Kaligula wollte seine Zä¬ sonia foltern lassen, um nur von ihr zu wis¬ sen, warum er sie so liebe — ich wäre das auch im Stand.“ „Göttlicher Albano! trinke nicht mehr so! Du bist zu ungestüm, Deine Augenbraunen stürmen sogar mit — wie bist Du denn?“ „Alles auf einmal, wie ein Gewitter, voll Gluth — und mein Himmel ist hell durch den Blitz — und ich werfe kalten Hagel — und eine Zerstöhrung nach der andern und es reg¬ net warm auf die Blumen — und Himmel und Erde verknüpft ein stiller Bogen des Frie¬ dens.“ Jetzt sah er am Himmel die Sturmwolken wie Sturmvögel zwischen den Sternen und ne¬ ben dem zornigen Blutauge des Mars schon heller fliegen; der Mond, der ihn verjagte und verrieth, warf bald das Richter-Auge eines Gottes auf ihn. Im Hohne gegen das Schick¬ sal riß er auf für seine küssende Wuth den Nonnenschleier und Heiligenglanz ihrer jung¬ fräulichen Brust. Fern stand der Leuchtthurm des Gewissens von dicken Wolken umzogen. Linda weinte zitternd und glühend an seiner Brust. „Sey mein guter Genius, Albano!“ sagte sie. — „Und Dein böser; aber nenne mich nur ein einzigesmal Karl“ sagt' er voll Wuth. „O heisse denn Karl, aber bleibe mein voriger Albano, mein heiliger Albano!“ sag¬ te sie. — Plötzlich fiengen im Thal die Flöten an, die der fromme Vater zu seinen Abendgebeten spielen ließ. Wie Töne auf dem Schlachtfeld, riefen sie den Mord heran — da schmolz Lin¬ da's goldner Thron des Glücks und Lebens glühend nieder und sie sank herab und das weisse Brautkleid ihrer Unschuld wurde zerris¬ sen und zu Asche. „Nun die Deinige bis in meinen Tod!“ sagte sie leise mit Thränenströmen. „Nur bis in meinen“ sagte er und weinte jetzt weich mit den weinenden Flöten. An der goldnen Kugel auf dem Berge glomm schon der Mond, der wie ein bewaffneter Komet, wie ein einäugi¬ ger Riese heraufdrang, den Sünder aus seinem Eden zu jagen. „Bleibe bis der Mond kommt, damit ich in Dein Angesicht sehe“ bat sie. „Nein, Du Göttliche, mein Freudenpferd wie¬ hert schon, die Todesfackel brennt herab in meine Hand“ sagte er tragisch-leise. Der Sturm war vom Himmel auf die Erde gezogen; sie fragte: „der Sturm ist so laut, was sagtest Du, Schöner?“ — Er küßte wild ihre Lippe und ihren Busen wieder; er konnte nicht gehen, er konnte nicht bleiben: „gehe morgen nicht (sagt' er) in den Trauerspieler, ich flehe Dich, das Ende, hör' ich, ist zu erschütternd.“ „Ich liebe ohnehin dergleichen nie. O blei¬ be, bleibe länger, ich seh Dich ja morgen wie¬ der nicht.“ Er preßte sie an sich — deckte ihre Augen mit seinem Angesicht zu — das Gorgo¬ nenhaupt des Mondes wurde schon in den Mor¬ gen heraufgehoben — er ließ das Leben los, wenn er sie entließ — und doch zehrte jedes gestammelte Wort der Liebe an der kurzen Zeit. Der Sturm arbeitete in den gerissenen Bäu¬ men und die Flötentöne schlüpften wie Schmet¬ terlinge, wie schuldlose Kinder unter dem gros¬ sen Flügel weg. Roquairol, wie betäubt von solcher Gegenwart, war nahe daran zu sagen: sieh 'mich an, ich bin Roquairol; aber der Gedanke stellte sich schnell dazwischen: „das verdient sie nicht um Dich; nein, sie erfahr' es erst in der Zeit, wo man den Menschen alles vergiebt.“ — Noch einmal heftig hielt er sie an sich gedrückt, das Mondlicht fiel schon auf beide herein, er wiederholte tausend Worte der Liebe und Scheidung, stieß sie zurück, fuhr schnell um und schritt in Albano's Kleidung durch das Thal hindurch. „Gute Nacht, Mädchen“ sagt' er vorüber¬ gehend zur Blinden. Linda sang nicht wieder wie vorhin. Die Sterne sahen ihn an, die Sturmwinde redeten ihn an — die Freuden giengen neben ihm, hatten aber die Furien¬ masken nun auf den Gesichtern — aus dem Himmel griff ein Arm herab, aus der Hölle griff ein Arm herauf und beide wollten ihn fassen, um ihn auseinander zu reissen — „nu, nu, (sagt' er,) ich war wohl glücklich, aber ich hätt' es noch mehr seyn können, wär' ich Ihr verdammter Albano gewesen“ — und schwang sich auf sein Freudenpferd und jagte noch in der Nacht nach dem Prinzengarten. 129. Zykel. Albano und sein Oheim zogen dem ange¬ kündigten Schoppe von Dorf zu Dorf weiter entgegen; der Oheim schob die Hoffnung wie einen Horizont immer vor ihnen voraus; ein¬ mal abends glaubte der Graf, Schoppe's Stim¬ me nahe neben sich zu hören — umsonst, der geliebte Mensch kam noch nicht an sein Herz und schmachtend sah Albano die Wolken im Himmel auf dem Weg herziehen, den sein Theue¬ rer unter ihnen auf der Erde nahm. Der Oheim erzählte ihm lange von einem geheimen Kum¬ mer, der den Bibliothekar oft niederdrücke, und von dessen Ansatz zur Tollheit, der ihn auch früher von ihm weggetrieben, weil er unter allen Menschen keine so fürchte als tolle. Von Romeiro's Portrait schien er nichts zu wissen. Albano schwieg verdrüßlich, weil der Spanier unter die unleidlichen Menschen gehörte, die mit glattem festen Gesicht und mit zugeschraub¬ ter gehelmter Seele den fremden Widerspruch, ohne eignen Widerspruch, ohne Echo, ohne Spiegel und Änderung um sich flattern lassen können und für welche die fremde Rede nur ein stiller Thau ist, dessen Fallen keinen Stein aus¬ höhlt. Dazu kam Albano's Erbitterung gegen dessen neue Unwahrhaftigkeit über Schoppens Nähe und gegen sein eignes Unvermögen, eine Stunde lang alles ungläubig anzuhören, was ein Lügner sagt. „Schoppe ist auf mein Wort durch einen andern Weg schon im Prinzengarten“ sagte endlich der Spanier ganz munter, und rieth umzukehren an, im warmen Genusse seiner fre¬ chen kalten Kraft, jeden der ihm nicht huldigte, zwischen scharfe langsame Eisfelder zu pressen. Sie kamen vor dem Prinzengarten unter lauter Wagen an, aus welchen die Zuschauer des heutigen Spielfestes ausstiegen. Albano fand schon unter jenen seinen Vater, die Für¬ stinn und Julienne; und unter den Mitspielern Bouverot, seinen alten Exerzizienmeister Falterle und die gelbgekleidete Kaufmannsfrau in ro¬ them Schaul, die einmal weniger in als an Roquairol's Herzen gewesen, und diesen selber. Der Hauptmann trat vor aller Welt sofort den bekannten Albano an und sagte mit gesuchter Leichtigkeit, das Spiel beginne bald, nur Dian mit seiner Frau werde noch erwartet. Dian, überall leicht beweglich, am meisten durch eine Bitte, konnte einer für die Kunst am wenigsten widerstehen; durch ihn wurde bald auch Cha¬ riton für das Spiel gewonnen, aber nicht ohne den Umstand, daß sie im Stücke eine Geliebte gegen niemand als ihren Gemahl zu spielen hatte. Als Roquairol mit Albano sprach, so wurde seinem Gesicht so wie einem geschwollnen oder gefrornen das leichte Lächeln schwer und das Aufheben des Augenlieds; und innen drück¬ te ein strafender beugender Geist den seinigen vor dem frohen reinen Freunde zur Erde, aus dessen Frühling er die helle Sonne weggerissen und geworfen und dem er eine ewige Pestwol¬ ke über das Leben gehangen. Unter dem Getümmel der Gartenreden und im fruchtlosen Wunsche, der Schwester Julienne drei sanfte Worte für die ihm so lange ver¬ deckte Linda mitzugeben, sah Albano den Wa¬ gen der Gräfinn auf die Höhe an Lianens letz¬ ten Garten rollen, da halten, und sie und Dian und Chariton aussteigen. Da kannt' er weiter nichts als den Flug zur entbehrten Geliebten, der sich vor den vielen Augen leichte in die Sehnsucht nach Dian ein¬ kleidete; und jetzt fragt' er im Durst der Liebe nach gar keinem Auge. „Ach da bin ich doch!“ sagte Linda und gieng ihm entgegen, mit den weichen Rebenschlingen zarter Blicke sich in seine verwebend — so scheu und so liebevoll — und das Abendroth der Verschämtheit zog, wie Frühlingsröthe in der Nacht, um ihren Himmel und der weisse Mond der Unschuld stand mit¬ ten darin! — Albano zergieng vom Thauwind dieser Verzeihung, warf sich seine süße Freude an ihrer Umkehrung als selbstsüchtigen Stolz über sein Siegen vor und konnte in der schö¬ nen Verwirrung des Glücks kaum das süße Staunen regieren und das aufgelößte Herz, das vor ihr zerrinnen wollte wie ein Gewitter in Abendthau. Er legte in sein Auge die Seele und gab sie der Geliebten. Vor Chariton mußt' er sich verhüllen. Zu Dian und Linda sagt' er, als sie in die hinuntersteigende Sonne sahen, bloß das Wort: Ischia! „Da liegt nun freilich, lieber Anastasius (sagte Chariton zu Dian,) meine gute Fräulein Liane begraben und man weiß nicht eigentlich wo im Garten, denn man sieht ja nichts als Blumen und Blumen; sie hat's aber so be¬ stellt.“ — „Das ist sehr betrübt und hübsch, (sagte Dian,) aber lass' es, — weg bleibt weg, Chariton!“ und führte sie seitwärts von den Liebenden schonend. An Albano, der nichts über¬ überhörte und übersah, war die Erschütterung davon so sichtbar. Auch Linda nahm sie wahr. „Sprich nur aus Dein Weh, (sagte sie,) ich liebe sie ja auch.“ — „Ich denke an die Le¬ bendigen (sagt' er, sich zusammenfassend und blickte scheu nicht auf den Blumengarten, son¬ dern auf die sonnentrunkne Abendgegend,) — kann man denn genug auf der Erde vergeben und errathen? — Linda, o wie vergiebst Du mir heute!“ „Freund, (sagte sie,) wenn Ihr sündigt, sollt Ihr Vergebung empfangen; aber bis da¬ hin seyd noch still!“ Er sah sie bedeutend an: „hast Du nicht schon vergeben und ich noch nicht? — Aber wüßtest Du, wie ich in diesen Tagen auf dem Weg zu meinem Schoppe innigst bei Dir lebte und die göttliche Vergan¬ genheit in die Zukunft brachte — ach, kann ich Dir denn alles sagen an diesem Orte?“ — Zum Glück hörte sie — gleich andern Frauen, weniger auf Worte als auf Minen, Winke und Thaten merkend — mehr mit dem geistigen als leiblichen Ohre und trat nicht in den so nahe aufgesperrten Abgrund seiner Worte. So spiel Titan IV . B b ten jetzt beide, wie Kinder, neben der kalten mit Donner durchzognen Gewitterstange, aus welcher bei der kleinsten nähern Nähe die bli¬ tzende Sense des Todes fährt. Beide gaukelten neben dem Gewitter fort. Die Sonne zog neben dem kleinen Berge und ebenen Blumen-Grabe, mit ihren Flammen in die fernen Ebenen hinein. Aus dem tiefen Prinzengarten flatterten Töne durch die lan¬ gen Abendstrahlen herauf und vergötterten die goldne Gegend. — Die Töne waren einsame Schwingen, die sich ihr Herz suchten und dann an ihm weiter flogen — und die liebenden Her¬ zen wurden voll Flügel — Die Strahlen san¬ ken, die Töne stiegen — Um Linda und Alba¬ no lag ein goldner Kreis aus Gärten und Ber¬ gen und grünen Tiefen und jede Blume schwank¬ te reich unter dem letzten Gold und wurde die Wiege des Auges, die Wiege des Herzens — Die Liebenden blickten sich und die Erde begei¬ stert an, die glänzende Welt erschien ihnen nur im Zauberspiegel ihrer Herzen und beide selber waren darin leuchtende schwebende Bilder. „Linda, ich will sanfter werden, (sagt' er,) bei der Heiligen schwör' ichs, in deren Garten wir stehen!“ — „Werd' es, Lieber, in Lilar warst Du es eben nicht!“ sagte sie. Er ver¬ stand es von dem Sturme gegen Liane: „ver¬ hülle dies Andenken in Deine Liebe!“ sagt' er erröthend. Sie sah ihn jungfräulich an, ihr Inneres war jungfräulich geblieben und un¬ schuldig; wie die Pfirsich sich roth und glühend der Sonne zukehrt, aber in den Blättern das zarte Weiß erhält. Ihr Auge trank aus sei¬ nem, seines trank aus ihrem, der Himmel ver¬ mischte sich mit ihrem Himmel, die Purpur¬ sonne schimmerte aus dem warmen Liebesthau der Liebesaugen zurück. „O dürft' ich Dich jetzt küssen!“ sagte Albano. „Ach dürftest Du es!“ sagte Linda. „So golden gieng einst die Sonne auf dem Meere unter!“ sagte er. — „Und nachher gaben wir uns den ersten Kuß!“ sagte sie. — „Wir wollen uns jetzt viel öfter sehen“ sagt' er. „Ja wohl, und länger am Tage, Nachts hab' ich Arme ja kein Auge. Nun geht mir dort schon mein Auge unter“ sagte sie, als die Sonne versank. Es w ein guter, sanfter Geist, oder Lia¬ B b 2 nens ihrer — jener, der den Menschen nur an der Dämmerung in die Nacht führt, der uns mildernde Thränen in den Jammer und in die Entzückung giesset und der dem Abendstern der Liebe die kurze Bahn nicht überwölkt — Die¬ ser Geist war es, welcher ihre Zungen und Ohren vor dem schrecklichen Laute bewahrte, der auf einmal den goldnen Abendkreis in eine ringsumher aufbrennende Hölle aufgeris¬ sen hätte. „Wer kommt dort so eilig?“ sagte Linda. „Mein Feind“ sagte Albano. Roquairol hatte ihn vermisset und Linda's Ankunft vernommen; in der Höllenangst, daß sich an diesem Abende vor ihnen der gestrige aufdecke, eilte er unter dem Vorwande, Dian zum Spielen und Al¬ bano zum Hören zu holen, den Berg heran. Wie ein Zentaur, halb Mensch, halb Wild, trat er mit verworrenem dumpfen Kriege sei¬ nes ganzen Wesens unter die melodischen See¬ len und Freuden. Aber kaum daß er an ihnen die Weihe der Entzückung wahrnahm und die schwarze Decke noch auf seinem Morde festlie¬ gen sah: so lichtete sich in ihm der grimmige Geist der Eifersucht auf: „sie ist nun meine Verlobte“ sagt' er sich; und die Sonnenfinster¬ niß verworrner Reue wurde vom Gewitter des Unmuths verdeckt. Linda, über seine Stim¬ menähnlichkeit zürnend aus innerm Schauder, stand vor ihm wie ein Diamant, hell, glän¬ zend, hart und schneidend, Albano aber sanft, im Nachtönen der Harmonie, auf dem Gottes¬ acker der Schwester dieses Bruders und in eini¬ ger Verwirrung. In Roquairol schlich wieder der gestrige unreine Argwohn herum, daß viel¬ leicht Albano und Linda nicht mehr unschuldig seyn. Zornig bat er heute Linda, sein Trauerspiel mit anzusehen. „Sie sagten mir (sagte sie zu Albano) es schließe so tragisch, ich bin davon keine Freundinn.“ — „Er kennt es gar nicht,“ sagte Roquairol. „Nein“, sagte Albano. — Wie die Schlange sah er auf das Paradies der ersten Menschen herab, sich froh bewußt, daß er ihnen vom Baume seines Erkenntnisses den Apfel reichen konnte, der sie sogleich dar¬ aus verjagte. „Zudem (fügte sie dazu) seh' ich abends schlecht oder gar nicht.“ Roquairol stellte sich fremde dabei, scherzte über den Gewinn, den er als erster Liebhaber dabei habe, wenn sie ihn nur höre und bat Dian, mitzubitten. Nicht an¬ gebohrne, sondern erworbene Kälte ist der höch¬ sten Falschheit mächtig, jene nur der Verstellung, diese auch noch der Anstellung, weil sie zugleich al¬ le Wege und Mittel des Feuers kennt und nützt und sich auf dem Glatteis durch die Asche vo¬ riger Gluth fest macht. Da endlich Albano ihr selber anrieth, an der tragischen Freude Theil zu nehmen, und ihren Freunden und Freundin¬ nen drunten die schöne, reine ihrer Gegenwart zu gönnen: so willigte sie ein, verwundert über den Widerruf. Sie nahm Chariton in ihren Wagen. Die Männer giengen voraus. Unterwegs sagte Ro¬ quairol zu Dian, der im Stücke Albano's Rolle zu spielen hatte: „sobald ich im vierten Akte gesagt habe: auch die geistige Liebe geht der sinnlichen entgegen und kommt wie ein See¬ fahrer, auf dem Wege nach Osten endlich doch in den Ländern des Untergangs an: so fallen Sie ein.“ — Dian lachte und sagte: „ich fall' ein. In Italien aber fängt die Fahrt gleich südlicher und westlicher an.“ Albano schwieg verdrüßlich und bereuete, daß er Linda zu die¬ sem ungewissen Feste bereden helfen. Die Für¬ stinn warf einige schnelle Blicke der Verachtung auf die betrogne Linda, und diese antwortete darauf mit gleichen; ausgezeichnete Weiber ver¬ rathen ihr Geschlecht am meisten im feindlichen Zusammenstoßen mit ausgezeichneten. 130. Zykel. Die meisten Zuschauer waren anfangs mehr der Zuschauer und Spieler wegen als des Spieles halber gekommen; aber bald wurden sie vom Ge¬ heimniß und der seltsamen Bühne selber ange¬ zogen. Die Bühne war auf der sogenannten Schlummerinsel des Prinzengartens, welche mit einer wilden dicken Vermischung von Blu¬ men, Gebüschen und hohen Bäumen zugedeckt war. Ihre Morgenseite zeigte einen offnen freien Vorgrund, auf welchem gespielt werden sollte, mit einer weissen Sphinx auf einem lee¬ ren Grabmahl tiefer im Grün. Die Kulissen waren die dunkeln Laubpartien; Parterre und Logen das jenseitige Ufer, das von der Insel sich durch einen See abtrennte, der so breit war als ein mäßiges Schiff. An zwei Bäume der beiden Ufer gebunden hieng in die Mitte des Sees wie eine Laterne, der Käfig der Dohle oder des Chors herab, um ihre dumpfe Stim¬ me den Zuschauern zu nähern. „Ich bin in der That neugierig, (sagte der Ritter zu sei¬ nem Sohne,) woher Er das Tragische nehmen wird.“ — „Doch! (sagte Roquairol, der bis¬ her schweigend und unruhig und auf den Bo¬ den schauend auf- und abgegangen war.) Nur muß ich allgemein um Vergebung des Aufschubs ersuchen. Da ich im fünften Akte den Mond anrede, so kann ich den wahren sehr gut brau¬ chen, wenn ich nur gerade so anfange, daß sein Aufgang mit der letzten Szene zusammen¬ trifft.“ Endlich stieg er blaß werdend in den Cha¬ rons-Nachen, wie er sagte, und fuhr allein hinüber. Dann schifften die übrigen Spieler nach einander fort. Alle verlohren sich hinter die Bäume. Nun hob sich hinten in den zuge¬ laubten Abend-Ländern der Insel die ewige Ouvertüre aus Mozarts Don Juan wie ein unsichtbares Geisterreich, langsam und groß in die Lüfte. „ Diablesse !“ rief darauf der Bruder des Ritters zur Dohle und klatschte dabei zum Zei¬ chen in die Hände. „Macht auf den Sarg (begann dumpf das Thier, begleitet von einzelnen lugubern Tönen des Orchesters) auf dem Gottesacker und zeigt zum letztenmale die Leichenbrust und Sein trocknes Augenlied und dann drückt ihn zu auf immer.“ Jetzt traten Lilia (Chariton) und Carlos (Dian) heraus, zwei Liebende noch in der er¬ sten Zeit der ersten Liebe — noch kein trüber Thränenregen verschwemmte den goldnen Mor¬ genthau — sie sind sich so treu. Lilia freuet sich mit ihm, daß jetzt ihr Bruder Hiort von seinen Reisen kommt und seinen Jugendfreund Carlos als ihren ewigen findet. „Vielleicht ist er auch recht glücklich“ sagte Lilia. „O so ge¬ wiß, (sagte Carlos,) er ist ja sonst alles.“ Zuweilen schwiegen beide im frohen Anblicken, dann giengen Töne aus dem verhüllten Abend der Insel und trugen die stumme Wonne in den Äther und zeigten sie ihnen schwebend und verklärt. Unter den Zuschauern breitete sich eine süße Theilnahme an Dians und Charitons zartem aber mit südlicher Gluth verwebtem Nach¬ spielen ihrer schönen Wirklichkeit aus; man hörte und sah die Griechen. — Auf einmal entfloh Lilia hinter die Blumen-Gebüsche; denn ihr Feind Salera , Carlos Vater, kam, von Bou¬ verot gespielt. Salera verkündigte dem Sohne zürnend die Ankunft seiner Braut Athenais . Carlos offenbarte ihm jetzt das Geheimniß seiner frü¬ hern Liebe und zeigte sich gewaffnet gegen eine ganze Zukunft. Salera rief erbittert: „wäre Sie doch nicht schön, damit ich Dich zwänge und strafte! Aber Du wirst Sie sehen und mir gehorchen, und ich werde Dich doch has¬ sen.“ Carlos versetzte: „Vater, ich habe schon Lilia gesehen.“ — Salera gieng mit zornigen Wiederholungen ab und Carlos wünschte jetzt noch heftiger Hiorts Wiederkehr, um mit ihm die Schwester leichter zu entführen durch dessen Bereden und Begleiten zugleich. Hier schloß sich der erste Akt. Der Bruder des Ritters rief zur Dohle: „ Diablesse !“ und scharrte zum Zeichen mit dem Fuße. „Erscheine blasser Mann (sprach das Thier), die Uhr wiegt die Zeit, Mensch des Jammers, lande auf der stillen Insel an!“ Hiort trat blaß geschminkt hervor mit off¬ ner Brust, blickte das Grabmahl an und sagte aus innerster Seele: „endlich!“ Die Musik spielte einen Tanz. „Ja wohl Schlummerinsel — unser Tag endigt mit Schlaf,“ setzt' er da¬ zu. Jetzt kam sein Carlos: „Hiort bist Du todt?“ rief er im Schrecken über die Leiche. „Ich bin nur bleich,“ sagt' er. „O wie kommst Du so aus der schönen bunten Erde zurück!“ sagte Carlos. „Ausgeschöpft Karl — mit todt¬ gebohrnen Hoffnungen — meine Gegenwart ist von der Vergangenheit enterbt — das Sin¬ nenlaub ist gefallen — nicht einmal die schöne Natur mag ich mehr und Wolken wie Gebür¬ ge sind mir lieber als wahre Gebürge — ich habe das bittere Unkraut auf dem Leben recht abgeerndtet — Und doch muß ich in dieser lee¬ ren Brust einen Würgengel herumtragen, der ewig gräbt und schreibt, und jeder Buchstabe ist eine Wunde — Rathe nicht! Sie nennen's das Gewissen. Aber ein wenig Schlaftrunk her auf der Schlafinsel, Karl!“ Man brachte Wein. Er erzählte uun dem Freunde sein Leben — seine Fehler, worunter er auch den aufführte, den er eben fortsetzte, das Trinken — seine sich wiedergebährende Ei¬ telkeit sogar mit ihrem Selbst-Geständniß — seine Weiber-Siege, die ihn zu einem Mag¬ net-Berge voll angeflogner Nägel zerfallner Schiffe machten — seinen Hang, wie Kardan Freunde zu beleidigen, ein eigenes oder frem¬ des Glück zu unterbrechen, wie schon als Kind den Prediger, oder im schönsten Spiel das Kla¬ vier zu zerschlagen, und in einem Enthusias¬ mus das Frechste zu denken — „Sonst hatt' ich doch noch zwei Ichs, eines das versprach und log, eines, das dem andern glaubte; jetzt lügen sie beide einander an und keines glaubt.“ Carlos antwortete: „schreck¬ lich! — Aber Deine Trauer ist ja selber Hülfe und Gabe“ — „Ach was! (versetzt' er.) Der Mensch verdammt weniger das Schlimme als die vergangne Lage, worin ers begieng, indeß er es in einer frischen wieder neu und süß fin¬ det und fortliebt. — Was dort kalt liegt, das ist mein Bild (indem er auf die Sphinx zeigte), das bewegt sich lebendig in meiner blutigen Brust — hilf mir, ziehe das reissende Unthier heraus!“ — Albano ergrimmte im Innersten über die frevelnde Wiederholung jener bekennenden zärt¬ lichen Nacht mit ihm Titan II . Seite 30 ꝛc. . „Er ist frech genug (sagte leise Gaspard zu Albano), weil er, wie ich höre, wirklich sich selber spielen soll; aber da er sich so sieht, ist er doch besser als er sich sieht.“ — „O (sagte Albano), so dacht' ich sonst! Aber ist denn das Schauen auf den schlechten Zustand ein guter? Ist er nicht de¬ sto schlechter, daß er dieses Bewußtseyn erträgt und wird desto schwächer, daß er einen unheil¬ baren Krebsschaden an sich wachsen sieht? Das Höchste hat er ohnehin verlohren, die Un¬ schuld.“ — „Eine flüchtige Wiegen-Tugend! — Ein helles, keckes Reflektiren hat er doch“ sagte Gaspard. „Nur weichliche, ehrlose, zwei¬ deutige, vielseitige Mattigkeit des Herzens hat er; spricht von Kraft und kann nicht die dünn¬ ste Lust-Schlinge zerreißen“ sagte Albano. „Karl, (sagte Hiort weich als antwortete er jenen,) ja, noch Eine Hülfe giebts. Wenn am Leben eine frische Farbe nach der andern verschießet — wenn das Daseyn nun nichts wird, kein Lust- kein Trauer- Spiel, nur ein fades Schau- Spiel: so ist dem Menschen noch ein Himmel offen, der ihn aufnimmt, die Liebe. Schließet sich dieser zu, so ist er ewig verdammt. Carlos, mein Carlos, ich könnte noch glücklich werden — denn ich habe Athe¬ nais gesehen — aber ich kann noch unglückli¬ cher werden, denn sie liebt mich nicht. In mei¬ nem Herzen liegt dieser prangende, aber scharf fortschneidende Demant, an dem es blutet so oft es schlägt.“ — Ueberall ließ jetzt Roquai¬ rol Linda's Bild mitspielen. Hier brachte an¬ fangs Carlos den Freund mit der Nachricht in Aufruhr, daß Athenais von seinem Vater zu seiner Braut erlesen sey und bald komme; aber er stillte ihn, da seine Schwester Lilia erschien, indem er schnell ihre Hand nahm und sagte: „nur diese lieb' ich.“ — Sie sprachen über die Hindernisse von Seiten des alten Salera, den Carlos ein Eisfeld nannte, das unter keiner Sonne trüge und nicht anzubauen wäre. „Ste¬ he mir bei, Karl, (sagte Hiort,) denke was Du mir geschrieben: wie zwei Ströme wollen wir uns vereinigen und mit einander wachsen und tragen und eintrocknen Eine Stelle aus Albano's Brief an Roquairol. Titan I . S. 468. .“ — So ver¬ ständigten, verketteten und erhoben die drei Menschen sich einander wechselseitig, alle hat¬ ten Ein Ziel, das gemeinschaftliche Glück. — Carlos beschwor ewigen Widerstand gegen sei¬ nen Vater, Hiort den Schutz seiner Schwester und rief: „Endlich giesset das leere Füllhorn der Zeit, das bisher nichts gab als Klänge, wieder Blumen aus — O die Weiber! Wie gemein und alltäglich sind fast alle Männer! Aber fast jede Frau ist neu!“ — Lächelnd sagte Gaspard: „das Umgekehrte sagen die Weiber von uns und sich.“ — Froh und friedlich schloß der zweite Akt. „ Diablesse !“ rief der Spanier und streckte seine Rechte hoch in die Luft. „Flüchtig (fieng die schwarze Dohle un¬ ter Tönen an) ist der Mensch, flüchtiger ist sein Glück, aber früher stirbt der Freund mit seinem Wort.“ — Der dritte Akt drang sofort nach und hob durch die ununterbrochne Fortsetzung des Kunst- Zaubers — welche jedem Schauspiel und jedem gelesenen Kunstwerk gebührte — alles prosai¬ sche kalte Erstaunen auf, sogar das über das wunderbare Sprechen der Dohle auf dem See. Eine große schöne stolze Frau erschien — Athe¬ nais, (von der Kaufmannsfrau, Roquairol's Nebengeliebte, gespielt) voll Hoffnung auf ihre alte Freundinn Lilia, die sich „die kleine Athe¬ nais“ nannte, und süß nachträumend den Traum der vorigen Zeiten. Lilia sinkt in ihre Arme mit doppelten Thränen; in ihrer Hand trägt Athenais ja drei Himmel und drei Höllen. „Wie schön kommst Du wieder! — Mein ar¬ mer Bruder!“ sagte Lilia leise. — „Nenn ihn nicht, nicht, (sagte sie stolz,) er kann für mich ster¬ ben, aber ich kann nicht für ihn leben.“ — Hier fliegt Carlos herein zu seiner Lilia — er¬ starrt im Fluge — fasset sich und nähert sich Lilia. Diese sagt: „Graf Salera — Athe¬ nais“ — er wurde blaß, diese roth. Eine pein¬ liche enge Verwirrung verstrickte sie drei; jeder Honigtropfen wurde aus einer Dornhecke ge¬ holt. Lilia wird schaudernd immer stärker Athe¬ nais plötzlichen Sieg über ihr Glück und Lie¬ ben gewahr. Athenais gieng ab. Beide Lie¬ bende sehen sich lange zitternd an: „hab' ich Recht?“ fragt Lilia. „Hab' ich Schuld?“ sagt Carlos. „Nein, (sagt sie,) denn Du bist ein Mensch und, was noch schlimmer, ein Mann.“ — „Was soll ich denn thun?“ versetzt Carlos. „Du sollst (sagte sie feierlich) nach einem Jahr in einen Garten auf einer Höhe gehen und Dich umsehen und mich suchen im Garten — im Garten — unter den Beeten — tief unter Einem — ich weiß nicht wie tief“ — Sie eilte wie wahnsinnig davon und sang: „vor¬ über, vorüber, das Lieben und Leben!“ Carlos stand einige Minuten mit dem wil¬ Titan I V C c den Blick am Boden und sagte dumpf: „Du thust's, Gott!“ und gieng ab — begegnete sei¬ nem Freund, der ungestüm und froh ausrief: „Sie ist da!“ — eilte aber stolz weiter und rief nur zurück: „jetzt nicht, Hiort!“ Zu die¬ sem kam weinend Lilia und führte ihn fort: „Komm, (sagte sie,) sieh das Grabmahl nicht an, wir sind beide zu unglücklich.“ Da trat der alte Salera auf mit Athenais — vergriff sich zwischen Eis und Brand und nahm seine kalte Münze für warme — lobte männlich sie, und väterlich den Sohn — und sagte wie in einem Schauspiel: da kommt er selber. „Hier stell' ich Dir, Sohn, (sagt' er,) Dein Glück vor, wenn Du es verdienen kannst.“ Carlos hatte Lilia's Herz verlohren — der Wunsch des Vaters, die Macht der Schönheit, die Allmacht der liebenden Schönheit standen vor ihm, seine Sehnsucht und der Gedanke der Grausamkeit gegen diese Göttinn, und endlich eine Welt in ihm, die so nahe an ihrer Sonne stand, siegten über eine doppelte Treue — er sank aufs Knie vor ihr und sagte: „ich bin schuldlos, wenn ich glücklich bin.“ — Das Paar geht auf der einen Seite ab; Salera auf der andern und trifft auf Lilia, deren Hand er mit den Worten nimmt: „Sie als eine Freundinn meines Hauses und Sohnes neh¬ men gewiß den innigsten Antheil an dem neue¬ sten Glück desselben durch Athenais.“ — So schloß sich der dritte Akt, der Albano durch ungerechte alles verdrehende Anspielungen mit dem erbitterten Wunsche des Endes entflammte und füllte, bloß um Roquairol über dieses meuchelmörderische Zücken des tragischen Dolchs zur Rede zu stellen. „Der Patron (sagte la¬ chend Gaspard) glaubt mich auch hereinzumah¬ len; ich wünsche aber, daß er derbere Farben nehme.“ Ehe der vierte Akt sich anfieng, hob der Spanier die Linke empor und die schwarze Dohle sprach sogleich: „die Sünde straft die Sünde und den Feind der Feind; zaumlos ist die Liebe, zaumlos auch die Rache — Seht, nun kommt der Mensch, den sie nicht mehr lie¬ ben und bringt seine Wunden mit und seinen Zorn.“ Hiort stand da, wie vor seinem Grab, das seinen Kopf niederzog — unendlich wei¬ C c 2 nend und trinkend — sanfte Abend-Töne der Musik verschmolzen mit dem aufgelößten Le¬ ben: — „ach so ist's! (rief er aus tiefer, schmerzender Brust.) Wirf sie nur endlich weg, die zwei letzten Rosen des Lebens Liebe und Freundschaft. — zu viele Bienen und Stacheln stecken in ihnen — sie ziehen dein Blut und geben dir Gift — O wie ich liebte! Allmächtiger droben, wie ich liebte! Ach nicht Dich! — Und nun so steh' ich leer und arm und kalt, nichts, nichts ist mir geblieben, kein einziges Herz, nicht mein eig¬ nes — das ist schon hinunter ins Grab — Der Docht ist aus meinem Leben gezogen und es rinnt dunkel hin — O ihr Menschen, ihr dum¬ men Menschen, warum glaubt ihr denn, daß es noch Liebe gebe hienieden? Schauet mich an, ich habe keine — Wohl ein luftiges Far¬ benband der Liebe, ein Regenbogen zieht sich hin und stellt sich fest herüber unter uns wan¬ kende Wolken, als binde und trag' er sie — Spaßhaft! er ist auch Wolke, und lauter Fall — anfangs glänzen bunte Freudentropfen, dann schlagen schwarze!“ — Er schwieg — gieng langsam auf und ab — sah ernst einem Waffen- und Larventanz innerer Gespenster zu — stand still — Die Schat¬ ten schwarzer Thaten spielten durch einander um ihn — plötzlich fuhr er auf, ein Wetter¬ strahl eines Gedankens hatte in sein Herz ge¬ schlagen — er lief auf und ab, schrie: „Töne her, gräβliche Töne her!“ — und die Hochzeit¬ musik aus Don Juan, die ihn bisher begleitet hatte, erhob das Zetergeschrei des Schreckens — „göttlich!“ sagte er und nur einzelne Wor¬ te, nur Tygerflecken erschienen verschwindend am vorübergehenden Unthier — „teuflisch! — das Rosen-Seyn, das Blüthen-Seyn — nun ja! — — ich wickle mich selber in die Lauwine und rolle hinunter — und dann sterb' ich schön auf meiner Schlummerinsel“ beschloß er sanft und matt. „O Lilia! gewähre mir Eine Bitte!“ rief er der kommenden Schwester entgegen. „Jede, die mich nicht am Sterben hindert“ sagte sie. Er legte ihr die Bitte vor: sie sollte ihre Freundinn Athenais in die „Nachtlaube“ der Insel jetzt Nachts unter dem Vorwand be¬ reden, daß ihr Bräutigam Carlos ihr zwei Geheimnisse über Lilia noch heute zeigen wolle — „ich habe (setzt' er dazu) Carlos Stimme, mit ihr sag' ich ihr mein liebendes Herz und dann, wenn sie mich liebt, nenn' ich mich Hi¬ ort.“ — „Ist Deine Bitte Wahrheit?“ fragte die Schwester. „So wahr ich morgen noch le¬ ben will,“ sagt' er. „So ist sie bald erfüllt, denn Athenais erwartet mich eben in der Nacht¬ laube — komme mir nur nach sieben Minuten nach.“ Sie gieng; er sah ihr nach und sprach mit sich: „eile, bestelle den Himmel! Schöne Schlummerinsel, zugleich die Schlafstätte für das Brautgemach und für den ewigen Schlaf — O wie wenige Minuten stehen zwischen mir und ihrem Herzen!“ — „Du bist doch da?“ sagt' er und sah nach seiner Pistole. — „Jetzt (rief er feierlich im Ab¬ gehen) ist's Zeit zur helldunkeln That, dann wird das Leichentuch darüber geworfen“ und gieng schnell ins Laub hinein. Der Spanier warf einen Zweig ins Was¬ ser und die schwarze Dohle sprach leise: „still ist das Glück, still ist der Tod.“ „Der Mensch (sagte Gaspard) hat etwas im ganzen Spiele wie wahren Ernst, ich stehe nicht dafür, daß er sich nicht wirklich vor uns allen todtschießet.“ — „Unmöglich, (sagte Al¬ bano erschreckend,) zu einer solchen Wirklich¬ keit hat er keine Kraft;“ indeß vermocht' er doch sich selber nicht recht von dieser bangen Möglichkeit loszubringen. Verstört, ungestüm, mit losem Haar kam Hiort zurück und sagte leise: „es ist geschehen. — Ich war seelig — niemand wird's nach mir.“ — „Bei der Gelben und jetzt in der Nacht steh' ich für nichts,“ sagte Gaspard. Al¬ bano erröthete über die freche Vermuthung verschämt und noch mehr über Roquairols Frevel erzürnt, im Spiele die geheiligte Ge¬ liebte zu entehren und zu entführen. „Töne her, aber weiche, gute“ rief er und ließ sich vom Zephyr der Harmonie umwehen und trank unaufhörlich „Leichentrunk“ oder Wein; bei¬ des zum Verdrusse des Ritters, der das Trin¬ ken verabscheuete und die Musik vermied, weil diese oder beide weich machten. Er legte sich auf den Rasen und die Pi¬ stole neben sich und sagte stammelnd: „so lieg' ich denn in der warmen Asche meines aufge¬ brannten Lebens — und meine kalte kommt dazu — (Er legte seine Doppellorgnette an die Augen fest und blickte funkelnd hinüber zu Linda) Ich habe sie am Herzen gehabt, die göttliche Schönheit, meine ewige Liebe; meine Tulpe, die sich nun am Abend über der Biene schließet, damit sie im Blumenkelche sterbe — auf den Rasen meines Abends ruh' ich und sterb' ich — Ich schaue die Holde noch seelig an — Ich kann nicht bereuen — Vergieb nur, armer Carlos, ich streiche die Schuld mit Blut durch, aber mit Buß-Thränen kann ich nicht — Sollte sich am Ufer der Ewigkeit das, was die Zeit an diesem Ufer abspühlt, wieder anle¬ gen: so hab' ich's dort schlimm, ich kann mich dort so wenig ändern als hier.“ — Jetzt geschah in der Stadt ein Kanonen¬ schuß, um einen Deserteur anzukündigen. Er nahm seine Pistole in die Hand: „ja ja, ein Schuß bedeutet einen Flüchtling, — auch aus der Welt — O wenn hebt sich die scharfe Si¬ chel Der Mond. am Morgen und zerschneidet das Le¬ ben! Ich bin so müde.“ Er sah nach dem Morgenhimmel, aber ein Gewitter, das schon leise donnerte, überzog die Pforte des Monds. Er lächelte bitter: „Auch diese kleine letzte Freude mißgönnt mir das Geschick! Ich soll den Mond nicht mehr sehen — Nun, ich werde wohl höher kommen als er und sein Gewitter — Nur wer¬ den mir meine lieben Zuschauer und Zuhörer des Todes durch den Regen vertrieben — Ja! bist du aus, so bin ich aus!“ Er zeigte auf die Flasche. „Wilde, gräßliche Töne aus der Tiefe her¬ auf! — Mein blutiges Brautkleid her! Es ist Zeit, die abgehende Freude wirft einen langen, wachsenden Schatten hinter sich.“ Albano und Julienne erkannten erstarrend im kleinen Rocke, den man ihm brachte, den mit Blut bespritzten, den er auf der Redoute getragen, wo er als Knabe sich vor Linda ermorden wollen. „Sie sollen es auf meine kalte Brust legen“ sagt' er, da ers von Falterle empfieng. Der Donner zog näher, die Blitze wurden glühender und ans Gewitter wuchs eine Wolke nach der an¬ dern. Er trank die Gläser schnell. „Schaden kann's mir jetzt nichts, (sagte er,) auch der Blitz nicht sonderlich, ob ich gleich unter Bäu¬ men liege — in dieser Röhre steckt ein Blitz gegen alle Blitze, ein rechter Gewitterableiter.“ — Das eilende Wetter drängte ihn der Zu¬ schauer wegen zum Ziel und er wurde zornig empört vom Spotte des Zufalls über seine thea¬ tralischen Zurüstungen. „Nichts ist lustiger und passender als dies Gewitter, (sagte Gaspard,) indeß scheint ihn das Reden und Warten ziemlich zu ergötzen.“ Die andern Zuschauer wurden von der Szene gepeinigt und doch riß sich keiner los. Den Mitspielern war befohlen, den Schuß als das Merkwort zu nehmen und nicht früher zu kom¬ men. Er sagte: „die Todesschlange klappert in der Nähe — dort auf der Zukunft schwimmt die Leiche heran“ — Man hörte, daß er durch einander sprach und aus dem Stegreif, vom Gewitter gequält. Er sah die Pistole an: „dein Aufblick! so ist der Blick des Lebens gethan und wieder unter dem Augenlied — Ein Funke, ein einziger Funke, so ist der Theatervorhang hin¬ aufgelodert und ich sehe die Zuschauer stehen, die Geister — oder auch nichts und den weiten Äther der Welt füllt die ewige schwere Wolke — So steh' ich denn am todten Meer der Ewigkeit, so schwarz, still, weit, tief liegt's unter mir, ein Schritt und ich bin drinnen und sinke ewig — Meinetwegen! Ich schwamm ja vor der Geburt auch drinnen. — — Nu nu — (sagt' er, indem es tröpfelte und er nahm das letzte Glas,) der Regen will den armen Er¬ kaltenden erkälten — Spielt jetzt etwas Sanf¬ tes, Schönes, ihr guten Leute!“ — Darauf spannte er den Hahn des Ge¬ wehrs, stand auf, sagte weinend: „lebe wohl, schönes und hartes Leben! — Ihr paar schö¬ nen Gestirne, die ihr oben noch niederblickt, mög' ich euch näher kommen — Du heilige Erde, du wirst noch oft beben, aber der nicht mehr mit, der in dir schläft — Und ihr guten fernen Menschen, die ihr mich liebtet, und ihr nahen, die ich so liebte, es geh' euch besser als mir und verdammt mich nicht zu hart, ich strafe mich ja selber und Gott richtet mich so¬ gleich — Lebe wohl, mein lieber beleidigter aber sehr harter Albano, und Du, Du bis in den Tod heiß geliebte Linda, verzeihet mir und beweinet mich!“ — „Liane, lebst Du noch, so stehe Deinem Bruder in der letzten Stunde bei und bitte bei Gott für mich.“ Hier drückte er schnell das Gewehr an der Stirne ab und stürzte hin, ei¬ niges Blut floß aus dem zerspalteten Kopfe und er athmete noch einmal und dann nicht mehr. Bouverot flog nach seiner Rolle heraus und fieng sie an: „eben, mein lieber Hiort, besinnt sich mein Carlos;“ aber er fuhr zurück vor der Leiche, stammelte: „ mais ! — Mon dieu ! il s'est tué re vera — diable, il est mort — Oh qui me payera ?“ Aber! — Gott, er hat sich re vera umgebracht — Teufel, er ist todt! — O wer wird mich be¬ zahlen? — Linda sank ohnmächtig an Juliennens Busen und diese stammelte: „o der Sünder und Selbstmörder!“ — Die Fürstinn rief erzürnt: „ oh le traitre !“ — Albano schrie: „ach Karl! Karl!“ und stürzte in den See und schwamm hinüber — warf sich über die zertrümmerte Gestalt — und jam¬ merte weinend: „o hätt' ich das gewußt! — Bruder und Schwester todt — und ich bin schuld — o! wäre ich unglücklich geblieben — ach mein Karl, Karl vergieb — Ich war nicht Dein Feind — wie er jammervoll zerworfen da liegt, der große Tempel!“ — „Sey doch ruhiger, (sagte Gaspard — der endlich im Kahne herübergekommen war und der mit ei¬ ner anatomischen Kälte und Neugier jede Ver¬ stümmlung ertrug —) er hatte auch seine Re¬ gimentsschulden und fürchtete die Untersuchung bei einer neuen Regierung — Jetzt kann man doch Respekt vor ihm haben, er hat seinen Ka¬ rakter wirklich durchgefühlt.“ Albano richtete sich auf und sagte in der Taubheit der Quaal: „wer sprach das? Ihr, jammervoller Bouverot, Ihr kennt nur Schul¬ den!“ „ Monsieur le Comte !“ sagte dieser tro¬ tzig. „Ich sagt' es,“ sagte Gaspard zum Sohn. — „O mein Dian, (rief Albano und streckte die Hand nach diesem aus, der seine weinende Chariton selber weinend hielt,) komme Du her, laß uns ihn verbinden, es kann ja helfen.“ Zur bestürzten Fürstinn, welche an ihrem Ufer blieb, trat der Kunstrath Fraischdörfer mit den Worten, die ableiten sollten: „von der bloßen Seite der Kunst genommen, wäre die Frage, ob man diese Situazion nicht mit Effekt entlehnte. Man müßte wie im genialischen Hamlet ein Schauspiel ins Schauspiel flech¬ ten und in jenem den scheinbaren Tod zum wahren machen; freilich wär' es dann nur Schein des Scheins, spielende Realität in reel¬ lem Spiel und tausendfacher, wunderbarer Re¬ flex! — Aber wie es jetzt regnet!“ — Der Fürstinn wurde von ihrer Haltermann etwas ins Ohr gesagt — sie fuhr auf, mit Armen und Tönen: „ oh monstre! homicide ! Mein armer, unschuldiger Gibbon! — Du Unthier!“ — Den Affen-Mord hatte sie gehört und schied untröstlich. Auf einmal trat ins tiefe Blau der ent¬ blößte Mond und jeder merkte ihn, aber das Regnen vorher halte niemand außer Fraisch¬ dörfer wahrgenommen. Albano sah nun die todten Augen und weissen, starren Lippen recht deutlich: „nein, sie regen sich nicht“ sagt' er. Da klang es wie aus Roquairol's Brust und eisernem Mund: „seyd still, ich werde gerich¬ tet!“ Und sogleich fieng, die Dohle als Schluß- Chor des letzten Aktes an: „der Arme ruht nun fest und Ihr könnt ihn zudecken!“ — Gaspard sah seinen Bruder sehr ernst an: „Bei Gott! (erwiederte dieser) so steht in sei¬ nem Stück.“ Der ganze Sternenhimmel klärte sich auf. Die Gesellschaft fuhr nach Hause. Albano und Dian mit Chariton blieben bei der Leiche. Drei und dreißigste Jobelperiode. Albano und Linda — Schoppe und das Portrait — das Wachskabinet — das Dual — das Toll¬ haus — Leibgeber. 131. Zykel. A lbano wollte am Tage darauf sich einker¬ kern, bitter weinen und büßen, und sich nicht erquicken durch den Sonnenschein der Liebe; aber er fand abends folgendes von unbekann¬ ter Hand geschriebene Blatt auf seinem Tisch: „Herr Graf! Man benachrichtigt Sie hie¬ mit, daß Freitags Nachts, da Sie verreiset waren, der seel. Hauptmann R. v. Froulay Ihre Rolle bei der Gräfinn Romeiro durch alle Akte durch im Flötenthal gespielt. Sie müssen müssen sich der Nebenbuhler wegen eine an¬ dere Stimme und der Gräfin Nachts Augen schaffen, wiewohl es dieser nicht so ganz un¬ angenehm seyn mag, sich auf diese Weise öf¬ ters in Ihnen zu täuschen. Leben Sie wohl und künftig ein wenig bescheidener!“ Bleich starrte er das Todtengerippe an, das zwei Riesenhände gewaltsam aus blühenden jugendlichen Gliedern auf einmal herausgezogen emporhielten. Aber das Feuer der Pein schoß schnell wieder auf und erleuchtete den Jammer rings umher. Mit schmerzlicher Gewalt, mit blutigen Armen mußte sein Geist den felsen¬ schweren Gedanken, den Leichenstein seines Le¬ bens hin und her werfen, um zu prüfen, ob er sich einfüge in die Todtengruft: — in Ro¬ quairol's ganzes Spiel und Ende und Leben griff der Jammergedanke so fassend ein — aber wieder nicht in Linda's Karakter und in den göttlichen Augenblick, den er mit ihr in Lianens letztem Garten zugebracht — und doch wieder sehr in ihre schnelle Versöhnung und in einzelne Worte — und gleichwohl war vielleicht dieses vergif¬ tete Blatt nur eine Frucht der rachsüchtigen Titan IV . D d Fürstinn, von deren Zorn über Roquairol's eignen und Affen-Mord ihm Dian erzählet hatte. So schmerzlich bewegte er sich auf seinen Wunden hin und her und entschloß sich, noch diesen Abend Linda aufzusuchen, wo sie auch sey: als er von ihr dieses Briefchen bekam: „Komme doch diesen Abend zu mir ins Elysium; er wird gewiß heiter seyn. Jetzt lad' ich ein wie Du neulich. Du sollst mich auf die schönen Berge führen, und es soll mir genug seyn, wenn Du nur sehen und genießen kannst. Julienne brauchen wir immer weniger. Dein Vater dringt auf unsere Verbindung durch Vorschläge, die Du heute hören und wägen sollst. — Komme unausbleiblich! — In mei¬ nem Herzen stehen noch so viele scharfe Thrä¬ nen über das böse Trauerspiel. Du mußt sie verwandeln in andere, Du Geliebter! Die Blinde.“ Er lachte über das Verwandeln; „in ge¬ frorne eher,“ sagt' er. Die heisse Liebe war ihm ein heftiger Kuß in die Wunde. Er gieng nach Lilar, dumpf, hastig, tief in einen rothen Mantel gewickelt wie gegen böses Wetter, — blind und taub gegen sich und die Welt — und wie ein Mensch, der stirbt, den Augen¬ blick erwartend, wo er entweder vernichtet hin¬ abraucht oder neu belebt in göttliche Welten hinein fliegt. Als er Lilar betrat, verzerrte sich der Gar¬ ten nicht wie neulich sondern er verschwand ihm bloß. Er gieng nahe an einigen vermummten Leuten vorüber, die ein Grab zu machen schie¬ nen: „Unrecht ist's doch, (sagte einer davon,) er gehört auf den Anger wie jedes Vieh.“ Al¬ bano blickte hin, sah eine bedeckte Leiche, glaubte schaudernd, es sey der Selbstmörder, bis er den zweiten Gräber sagen hörte: „ein Affe, Peter, wenn er vornehm gehalten wird, in Kleidern, sieht reputirlicher aus als mancher Mensch, und ich glaube, er stände auch wieder von Todten auf, wenn man ihn nur ordentlich taufte.“ — Eben da ihm der Gibbon der Fürstinn, der hier begraben wurde, wieder jenen gewit¬ tervollen Freitag vor die Seele zog: erblickte er Linda, unweit des Traumtempels am Arme D d 2 einer sehenden Kammerfrau. Sie grüßte ihn, nach ihrer Weise vor andern, nur leicht, sagte zur Frau: „Justa, bleib' nur hier im Traum¬ tempel, ich gehe hier auf und ab.“ Durch diese Einschränkung auf die Perspek¬ tive des Traumtempels schloß sie jedes schöne sichtbare Zeichen der Liebe aus und Albano kannte an ihr schon jene stille Zufriedenheit mit der bloßen Gegenwart des Geliebten so wie zuweilen die Wildheit ihres süßen Mundes. Als er sie zitternd berührte und nahe neben sich wiedersah: so überfiel ihn dieses Wesen voll Macht mit der ganzen göttlichen Vergangen¬ heit. Aber er verzögerte nicht die Frage der Hölle: „Linda, wer war Freitag Abends bei Dir?“ „Niemand, Guter; wenn?“ versetzte sie. — „Im Flötenthal“ — stammelte er. „Mein blindes Mädchen“ antwortete sie ru¬ hig. — „Wer noch?“ fragte er. — „Gott! Dein Ton ängstigt mich; (sagte sie,) Roquai¬ rol brachte in jener Nacht den Affen um. Ist er Dir begegnet?“ — „O schrecklicher Mörder! — Mir? (rief er.) Ich war verreiset die ganze Nacht, ich war mit Dir in keinem Flötenthal“ — — „Sprich aus, Mensch, (rief Linda, ihn an beiden Hän¬ den mit Heftigkeit ergreifend,) schriebst Du mir nicht die rückgängige Reise und kamst?“ — „Nichts, nichts, (sagt' er,) lauter Höllenlüge. Das todte Ungeheuer Roquairol brauchte meine Stimme — Deine Augen — und so ist's — sage das Übrige.“ — „Jesus Maria!“ schrie sie von der Schlagfluth getroffen, worein die schwarze Wolke zerriß — und griff mit beiden Armen durch die Laubzweige des Laubengangs und preßte sie an sich und sagte bittend: „Ach Albano, Du bist gewiß bei mir gewesen.“ „Nein, bei dem Allmächtigen nicht! — Sage das Übrige,“ sagt' er. — „Weiche auf ewig von mir, ich bin seine Wittwe!“ sagte sie feierlich. — „Das bleibst Du,“ sagt' er hart und rief Justa aus dem Traumtempel. „So lebt er fort, Dein Schmerz, mein Schmerz, ich sehe Dich nie mehr. Ich will Le¬ bewohl zu Dir sagen. Sage Du keines zu mir!“ Sie schwieg und er gieng. Justa kam, und er hörte sie noch in der Laube beten: „Laß, o Gott, mir diese Finsterniß morgen, verschone mit deinem Tageslicht die schwarze Wittwe!“ Das Mädchen weckte sie auf, nahm sie an der Hand und sie freuete sich am Arm derselben ihrer Nachtblindheit. Albano gieng in die Nacht. Auf einmal stand er wie hinaufgetragen auf einer jähen Felsenpitze, unten schlug ein schäumender Strom. Er kehrte sich um und sagte: „du irrest dich, böser Genius; mich ekelt des Selbstmords, er ist zu leicht und gehört für Affen-Mörder — aber es giebt etwas Besseres, und du sollst mich begleiten.“ Er verirrte sich — konnte den Weg zur Stadt nicht finden — glaubte wieder in Lilar zu seyn und trieb sich bange umher ohne Aus¬ weg, bis er zuletzt ermüdet niedergezogen in den Arm des Schlummers sank. Als er er¬ wachte am Morgen: war er im Prinzengarten und die Schlummerinsel wehte mit ihren Gi¬ pfeln vor ihm. Eine jähe Felsenspitze über ei¬ nem reissenden Strom gab es in der ganzen Landschaft nicht. Er sah den Himmel an und den Tag und sein Herz. „Ja, so ist denn das Leben und die Liebe (sagt' er)! Ein gutes, rechtes Feuer¬ werk, besonders wenn man eine Linda durch viele Zurüstungen haben soll! Lange steht es da mit einem bunten hohen Schaugerüst, voll Statuen, mit kleinern Gebäuden, Säulen und wunderlich und verspricht noch mehr als es schon verkleidet und verräth — Dann kommt die Nacht in Jschia , ein Funke springt, die Formen reissen, es schweben weisse, helle Pal¬ läste und Pyramiden und eine hängende Son¬ nenstadt am Himmel — in der Nachtluft ent¬ faltet sich gewaltig eine rege fliegende Welt zwischen den Sternen und füllt das Auge und das arme Herz und der glückliche Geist, selber ein Feuer zwischen Himmel und Erde, schwebt mit — — Einen ganzen Augenblick lang, dann wird's wieder Nacht und Wüste und am Mor¬ gen steht das Gerüst da, dumm und schwarz.“ — 132. Zykel. „Krieg“ — dies Wort allein gab Albano Frieden; Wissenschaft und Dichtkunst steckten ihm ihre Blumen nur in seine tiefen Wunden. Er rüstete sich zur Reise nach Frankreich. Nur et¬ was verschob noch den Aufbruch, Schoppens Ausbleiben, den er mit seinen Räthseln erwar¬ ten mußte und, wo möglich, mit entführen wollte. Er hielt sich den ganzen Tag in Wäl¬ dern auf, um seinem Vater und Juliennen und jedem zu entgehen. Linda's unglückliche Nacht wurde tief in seine Brust hinabgesenkt, und nur er allein sah hinunter, kein Fremder. Er wünschte, daß sie selber gegen Julienne schweige, weil diese nach ihren frommen weibli¬ chen Ordensregeln hiegegen keine Nachsicht kann¬ te. In seiner Seele hatte jetzt die erste eifersüchtige Aufbrausung einem schmerzlichen Mitleiden mit der betrognen Linda, deren heiliger Tempel ausgeraubt da stand, Platz gemacht. Was ihn unleidlich schmerzte, war das Gefühl der Demüthigung, mit welchem die schöne Stolze nun, wie er glaubte, an ihn denken mußte, und das er bei seiner jetzigen bittern Verach¬ tung Roquairol's desto stärker annahm. „Nie, nie, wenn sie auch meine Schwester würde, dürfen wir uns mehr erblicken; ich kann sie wohl blutend vor mir sehen, aber nicht ge¬ beugt,“ sagt' er sich. Zuweilen überfiel ihn ein kalter Grimm gegen das Verhängniß, das immer mit einem schnellen Wirbelwind zwischen seine Umarmungen fuhr und alles auseinander drängte — bald ein Zorn gegen Linda, die nicht wie eine Liane gehandelt hatte und die den Irrthum der Verwechslung durch ihren Grundsatz, der Liebe alles zu vergeben, selber mit verschuldete — bald inniges Mitleiden, da sie ohne alle geistige Ähnlichkeiten nicht hätte verwechseln können, wie ihm das heimliche Ge¬ richt des Gewissens sagte, und da sie nun al¬ lein dafär büßte, daß sie ihm, ihm sich opfern wollte. Unaussprechlich haßte er den todten Ver¬ führer, weil durch seine That sein Tod nur zu einer feigen Flucht geworden war. Den armen Deserteur, dessen Entwischen unter dem Trauerspiel laut geworden, sah er gefangen vor sich vorüber führen; aber der Hauptmann desselben war auf immer der Rache entronnen. Nach einigen Tagen wurden ihm Papiere von dem Todten zugestellt; aber er sah sie voll Ab¬ scheu nicht an. Sie enthielten Rechtfertigungen und zugleich Nach-Sünden. Roquairol hatte nach der Freuden-Nacht den ganzen Morgen lm Prinzengarten schreibend verlebt, um die Erinnerung zu koloriren, die allein ihn, schrieb er, belohnet und beredet habe, daß er nicht schon in der Nacht den fünften Lebens-Akt ausgespielt. Der Lektor gab in Albano's Abwesenheit kleine Briefe von Juliennen ab, worin sie ihn um seine Erscheinung bat und ihm Ort und Zeit im Schloß bestimmte, wohin sie aus Lilar gezogen war. Er kam nicht. Sein Vater schien sich nichts um ihn zu bekümmern. Zuweilen kam ihm vor, als wenn ferne Spür-Menschen ihn in weiten Kreisen umschlichen. Einst stand er abends noch unten an einem Waldhügel, als er oben einen herausschreiten¬ den Wolf erblickte — der Wolf sah ihn, sprang zu ihm herunter und wurde Schoppe's Wolf¬ hund — bald trat oben sein Freund selber mit einem alten Manne aus den Bäumen heraus — erblickte ihn, gab dem Manne schnell Geld und gieng langsamer zu ihm herunter als er zu ihm hinauf. „Ei, einen guten Abend, Al¬ bano,“ sagte Schoppe mit der alten Kälte, womit er sprach, wenn er nicht schrieb, und lä¬ chelte dabei, aber mit so vielen Linien, daß er Albano ganz fremd erschien. Albano preßte ihn heftig ans Herz und verwandelte die heis¬ sen Worte, die jener nicht liebte, in heisse Thrä¬ nen. Es war ein alter Stern aus dem Früh¬ lingsmorgen, wo seine Liane noch lebte und liebte; er gieng ihm unter an einem Grabe in jener Reise-Nacht; jetzt gieng er auf und Al¬ bano war wieder unglücklich. Schoppe besah mit sichtbarem Wohlbeha¬ gen Albano's gereifte Gestalt und zog gleich¬ sam dessen schimmernde Flügel auseinander: „Du hast Dich (sagt' er) recht gut gestreckt und angefärbt — hast Mai und August auf Einem Ast, wie ein Pomeranzenbaum.“ Al¬ bano hatte keine Freude darüber: „erzähle mir nur Dein Leben, mein Bruder,“ sagte er. — „Ich dächte, Du erst Deines, ich bin müde bis zur Dummheit“ sagte Schoppe, indem er sich setzte und seine Jagdtasche aufschnallte. „Künf¬ tig (versetzte Albano). Was Du brauchst, will ich Dir sagen — ich bekam Deine Briefe — ich liebte wirklich die Bewußte — ein Unglück trennte uns — ich bin unschuldig, und sie ist groß — o Gott, sey heute damit zufrieden!“ Nie konnt' er seinen Freunden Schmerzen kla¬ gen; noch weniger jetzt das Unglück einer Ge¬ liebten entblößen. „Noch länger, (versetzte Schoppe,) nur sage, setzt es neues Elend, wenn ich die Beweise für eure Schwester- und Bruderschaft aus Spanien mitbringe und aus¬ packe?“ — „Nein, (sagte Albano,) ich brau¬ che über keine Vergangenheit zu erschrecken.“ — „Du gehst noch nach Frankreich?“ fragte Schoppe. „Morgen, wenn Du mitgehst,“ ver¬ setzte Albano. „Allerdings als Deine Feldpredigerei — Nicht aus Mangel an Kunstgeist, wie Du aus Rom schreibst, sondern aus Überfluß daran gehst Du unter die Soldaten. Ich säh' es gern, wenn Du bedächtest, daß auch Dante, Zäsar, Cervantes, Horaz vorher dienten, eh sie kostbar schrieben — nur Studenten kehrens um und dichten etwas Kurzes und Gutes und nehmen später Dienste. — Auf meine Reise zu kommen, so kostet's mich schon viel, nämlich Zeit, wenn ich Dir erzähle, daß ich Deinen närrischen Oheim mit einem Wagen Gepäck im Neste Ondres anderthalb Posten von Bayonne ertappte. Ich gestand ihm, ich gienge nach Valencia , um die dasigen Seidenstrumpfwür¬ kerstühle zu zergliedern, meinen Tropfen Eis und eine Westentasche voll Valenz-Mandeln dabei zu genießen und die wenigen Professoren zu besuchen, die bessere Kompendien für 3000 Realen geliefert So viel bekommt jeder Professor Preis-Geld für jede bessere Grammatik und jedes bessere Kompendium; so für jede Dissertazion 50 Du¬ katen u. s. w. Tychsens Zusätze zu Bourgoings Reise. 2. B. . Er komme vor mir gewiß an, sagt' er. Wir bestellten uns in Einen Gast¬ hof in Valencia . Mir war an ihm gelegen, da er mich am leichtesten einführen konnte in Romeiro's Haus. Aber ich paßte da 14 Tage um¬ sonst auf ihn. — Bei dem Haushofmeister fand ich kein Gehör, ob ich ihm gleich seinen dum¬ men Schatten fünfmal mit der Bitte ausschnitt, einem reisenden Mahler das Bilderkabinet auf¬ zusperren, wo ich das mütterliche Bild der Grä¬ finn suchte. Jetzt war ich halb und halb entschlossen, schwanger zu werden und in diesem Habit al¬ les für meine Sehnsucht zu fordern, was sel¬ ber der spanische König keiner Schwangern ab¬ schlägt Eine verlangte z. B. den König zu sehen; er trat so lange auf den Balkon heraus, bis sie be¬ friedigt war. . In Italien hat man das Kind auf dem Arm, um zu erbitten; in Spanien braucht's diese Sichtbarkeit nicht einmal. Aber zum Glück kam der Oheim. Die Bilderkabinetsthür wurde aufgethan. Ich machte mich ans Kopiren, — eines dummen Küchenstücks — und schauete überall nach meinem Insel-Portrait. Aber nichts war zu sehen — (Hier zog er ein höl¬ zernes Futteral aus der Jagdtasche und legt' es vor sich und fuhr fort): bis ich's sah zuletzt — ein Bild lehnte auf der Diele an der Wand, mir die Winter- und Hinter¬ seite zuweisend — — es war mein Pinsel- Kind und seine Zurücksetzung gieng mich an — verdrüßlich und ruhig steckt ich's bei — und schnappte im Küchenstück mitten in einem halben Iltis ab — — Sieh das Bildniß an!“ — Er zog den Futteral-Deckel davon ab — und Linda strahlte seinen Freund mit einem Strom von Geist und Reizen an, nur in äl¬ tere Tracht gehüllt. Albano konnte kaum stam¬ meln vor Bewegung: „das wäre meines Va¬ ters Gemahlinn und meine theuere Mutter? Und Du weißt gewiß, daß dieses hier das Bild ist, das Du auf Jsola bella von ihr gemacht?“ — „Eben thu' ich's dar!“ (sagte er und scheu¬ erte an einer Rose des Bildes auf der Stelle des Herzens.) Mein damaliger Paphos-Name Löwenskiould steckt sub rosa und wird gleich vorkommen. Hätt' ich ihn schon unterwegs aufgekratzt, so hättet Ihr geglaubt, ich hätte mich erst unterwegs hineingeschrieben.“ — Wie vor einer schreibenden Geisterhand schauderte Albano zurück, als wirklich ein L und ö unter der Rose vortraten: „weiter schab' ich (sagte Schoppe) nicht vor, das Übrige heb' ich Ihr auf.“ Albano goß nun vor seinem biedern Herzensfreund sein Herz aus; ihm durft' er sa¬ gen und einwenden, daß Julienne seine Schwe¬ ster sey — „wogegen ich gar nichts habe“ sagte Schoppe — und daß Gaspard eine künf¬ tige Heirath zwischen ihm und Linda geneh¬ migt habe: „es ist kein Ausweg, (setzt' er da¬ zu,) ist sie seine Tochter, so bin ich nicht sein Sohn — ich kann sein heiliges Ehrenwort un¬ möglich zur Lüge machen — und Gott! in welchen ungeheueren Lasterpfuhl müßte man dann schauen.“ — „Anlangend das Wort und den Pfuhl, (sagte Schoppe ganz kalt,) so las¬ sen sich, wiewohl ich überflüssig doch mit Dei¬ nem Vater vorher aus der Sache spreche und vorher mit der Gräfinn, wahrscheinliche Be¬ weise führen, daß der Kahlkopf, der wie er mir selber beichtete, Deines Vaters Meßhelfer, Braut- und Bärenführer gewesen, kein Mann von den frischesten Sitten war, sondern daß er — obwohl sonst in viele Sättel gerecht, den moralischen ausgenommen — seine Stunden und Jahrhunderte hatte, wo er als ein solcher Hund und Strauchdieb handelte, daß mein Hund da ein Monatsheiliger gegen ihn ist und ein Kirchenvater. Ich hätt' ihm nur das Le¬ benslicht benslicht nicht ausblasen sollen, das freilich mehr stank als glomm.“ Albano konnt' ihm seinen Schauder über die That nicht verhehlen. „Ich kann nichts be¬ reuen, höre“ sagte Schoppe und berichtete die¬ ses: „Schon in Valencia erzählte mir Dein Oheim, daß er in Madrid einen Kerl so und so — ganz wie der Kahlkopf — angetroffen, der ein Wachsfigurenkabinet von lauter Tollen an¬ führe und herumzeige; oft spreche das ganze Kabinet und er sitze selber mit darin als Wachs und helfe reden — Dein abergläubiger Oheim warb und lieh ihm Geister dazu und machte böse und fürchterliche Sachen daraus.“ „Einst in einer Posada hört' ich im Schlaf¬ zimmer neben dem meinigen allerlei Stimmen durch einander murmeln und sagen: „„Schop¬ pe kommt auch zu uns.““ Ich stand auf, das fremde Zimmer war zugeschlossen. Ich hör' es wieder, das teuflische: „„Schoppe kommt auch herein.““ Meine Stube hatte einen Erker, aus dem konnt' ich durch das nahe Fenster in die Murmel-Stube bei dem Mondlicht sehen. In Graus und kraus saß sämmtliches Wachs Titan IV . E e drinnen und ließ sich hören, der wächserne Kahl¬ kopf mitten darunter, ich suchte aber den leben¬ digen auf. Die Wachs-Bestien wechseln ge¬ gen einander ihre fixen Ideen aus und mich wechseln sie ein — „„dort guckt unser Ehren¬ mitglied herein““ sagte der Wachs-Kahle. — Bei Gott! ich muß kurz seyn, mir brennt das Blut wieder durchs Herz. — Ich wüthe, hole Geschoß und ersuche Gott um ein verträgliches Gemüth, das nachgiebt. Zum Unglück merk' ich hinten in einer mondleeren Ecke neben ei¬ nem Vater des Todes und einer Schwangern von Wachs einen schwarzen Mantel, der sich legt und aus welchem der lebendige Tongeber, der Kahlkopf, guckt. „„Schwarzer Bauch¬ sprachmeister, (rief ich,) schweige um Gottes¬ willen, ich seh Dich dort hinten und schieße hinein.““ — Ich hielt's für Bauchsprache.“ „Jetzt fieng erst das Tollhaus recht an, ich hörte es lachen — mich hineinrufen und einen Kameraden und Klubisten mich betiteln — „„Präses, (sagt' ich,) ich bin bekanntlich ein Mensch und seh Dich ganz deutlich““ — Es half nichts, der wächserne Kahlkopf versetzte vielmehr: „„dort sitzt ja Bruder Schoppe schon““ und ich sah wirklich auch mich bos¬ sirt und poussirt alldort. — „„Hier ist er auch zu haben,““ rief ich grimmig und schoß auf den Logenmeister hin, der blutend um¬ stürzte.“ „Ich machte mich in dieser Stunde davon. — Dem Oheim kam ich später in den Wurf für kurze Zeit; er scheuet Tolle und wollte mich aus Furcht, ich schlage selber dahinein, nicht lange haben. Er befragte mich, ob mir der Wachsfiguren-Direktor des fahrenden Tollhau¬ ses aufgestoßen; ich konnt' ihm nur wenig an¬ vertrauen — behalt' es allein.“ — „Du bist ein wilder, treuer Mensch, (sagte Albano mit so innigem Wunsch, ihn zu umarmen,) Du thust viel für andere und bist doch viel für Dich. Ich kann Dich nun nicht mehr lassen. Meine vorige Lebens-Insel mit allen Blumen steht tief unter Wasser; und ich muß mich ins unendliche Weltmeer werfen; gieb mir Deine Hand und schwimme mit. Wir reisen morgen nach Frankreich!“ — „Morgen? (sagte Schoppe.) Ja wohl! E e 2 so geh' ich heute abends zur Gräfinn und dann zu Don Cesara.“ — „Sag' ihr (bat Albano), daß ich sie auch als Bruder, wenn ich's wür¬ de, nicht besuche, nicht aus Kälte sondern weil ich ihr großes Gemüth verehre, sag' ihrs — und Gott helfe Dir.“ Albano wollte gehen und ihn allein ins nahe Lilar wandern lassen. „Nein, begleitet mich, mein Herr; (sagte Schop¬ pe ungestüm) ich habe den alten Kerl abge¬ dankt droben im Wald durch redliche Auszah¬ lung des Geleite-Geldes — und wäre jetzt al¬ lein vis-à-vis vis de moi .“ „Ich versteh' Dich nicht, (sagte Albano,) wovor scheuest Du Dich?“ — „Albano (sagte er leise und wichtig und seine sonst geraden Blicke schlugen scheu seitwärts und seinen lächelnden Mund umzin¬ gelten unzählige große Faltenkreise,) der Ich könnte kommen, ja ja!“ Verwundert und fragend, wer das sey, blickte ihm Albano ins Gesicht. „Verflucht, (sagte Schoppe,) ich errathe Euch ganz gut, Ihr haltet mich nicht für achtels so vernünftig als Euch selber, sondern für toll. Wolf, komm herauf! Du Bestie warst häufig auf einsamen Wegen und Stegen mein Schirmvoigt und Teu¬ felsbanner gegen den Ich. — Herr, wer Fich¬ ten und seinen Generalvikar und Gehirndiener Schelling so oft aus Spaß gelesen wie ich, der macht endlich Ernst genug daraus. Das Ich setzt Sich und den Ich samt jenem Rest, den mehrere die Welt nennen. Wenn Philosophen etwas, z. B. eine Idee oder sich aus sich ab¬ leiten, so leiten sie, ist sonst was an ihnen, das restirende Universum auch so ab, sie sind ganz jener betrunkne Kerl, der sein Wasser in einen Springbrunnen hinein ließ und die ganze Nacht davor stehen blieb, weil er kein Aufhören hör¬ te, und mithin alles, was er fort vernahm, auf seine Rechnung schrieb — Das Ich denkt Sich, es ist also Ob-Subjekt und zugleich der Lagerplatz von beiden — Sapperment, es giebt ein empirisches und ein reines Ich — die letzte Phrasis, die der wahnsinnige Swift nach She¬ ridan und Oxford kurz vor seinem Tode sagte, hieß: ich bin ich — Philosophisch genug!“ — „Und was schließest Du Furchtbares aus allem?“ sagte Albano mit innigster Trauer. „Alles kann ich leiden, (sagte Schoppe,) nur nicht den Mich, den reinen, intellektuellen Mich, den Gott der Götter — Wie oft hab' ich nicht schon meinen Namen verändert wie mein Namens- und Thaten-Vetter Sciop¬ pius oder Schoppe und wurde jährlich ein Anderer, aber noch setzt mir der reine Ich merk¬ bar nach. Man sieht das am besten auf Rei¬ sen, wenn man seine Beine anschauet und sie schreiten sieht und hört und dann fragt, wer marschirt doch da unten so mit? — Ewig re¬ det er ja mit mir; sollt' er einmal leibhaftig vor mir auffahren; dann wär' ich nicht der letzte, der schwach würde und todtenblaß. Frei¬ lich braucht kein Hund Zahnpulver. Aber Kin¬ der sollte man schminken, es stände und gien¬ ge. Ich für meinen Theil beobachte das Zeit¬ alter so so und lächle, weil ich nichts sage; man bricht Menschen wie Servietten auf Tel¬ lern in schönste, vielste Formen, zu Schlafmü¬ tzen, zu Pyramiden, zu Kreuzschnäbeln, Sap¬ perment, Albano, zu was denn nicht? Aber die Folge, Bruder? — O Himmel die Folge? Ich sage nichts, verflucht, ich bin mausstill wie wenige — aber Zeiten können kommen, wo et¬ wa ein Herr anmerkt, Menschen und Musik¬ noten, Musiknoten und Menschen, kurz und gut und schlecht, bald ist bei beiden der Kopf oben, bald der Schwanz, wenns nämlich schnell gehen soll. Das sind Gleichnisse, ich weiß wohl, Bester, aber die Bäcker kündigen das weiche Gebäck durch steinernes oder tönernes im La¬ den an, Menschen indeß ihre härtesten Sachen, worunter das Herz gehört, durch ihre weichsten, wozu Worte gehören.“ Stumm auf diese Ströme führte Albano ihn an der Hand nach Lilar vor Linda's Woh¬ nung. Alles war an dieser ohne Licht und schwarz. „Sprich droben sanft Dein Wort, mein Schoppe, und morgen ziehen wir wei¬ ter!“ sagte sehr leise unten Albano scheidend und ließ ihn ins finstere Trauerschloß allein hin¬ aufgehen. — „Welch eine Gegenwart!“ sagte Albano auf dem Rückweg durch den Garten. 133. Zykel . Lange erwartete Albano seinen Freund am andern Tag, niemand erschien, kein Mensch wußte von ihm. Am zweiten Morgen lief das Gerücht, die Gräfinn sey in der Nacht und Gaspard am Morgen abgereiset. „Hat Schop¬ pe beide durch Wahrheit fortgetrieben?“ fragt' er sich verlassen und allein. Vergeblich spürte er Schoppen mehrere Tage nach; nicht einmal gesehen war er worden. „Auch Du, lieber Schoppe!“ sagt' er und schauderte über die Grausamkeit des Schicksals gegen sich. Als er so über sich und die stille dunkle Wüste sei¬ nes Lebens hinsah: so war ihm auf einmal, als würde sein Leben plötzlich erleuchtet und ein Sonnenblick fiele auf den ganzen Wasserspie¬ gel der verflossenen dunkeln Zeit; es sprach in ihm: „was ist denn da gewesen? Menschen — Träume — blaue Tage — schwarze Nächte — Ohne mich hergeflogen, ohne mich fortgeflogen, wie fliegender Sommer, den die Menschenhand weder spinnen noch befestigen kann. Was ist da geblieben? Ein weites Weh über das ganze Herz — aber das Herz auch — Es ist freilich leer, aber fest — unzerrüttet — heiß — Die Geliebten sind verlohren, nicht die Liebe, die Blüthen sind herunter, nicht die Zweige — Ich will ja noch, wünsche noch, die Vergangenheit hat mir die Zukunft nicht gestohlen — Noch hab' ich die Arme zum Umfassen, und die Hand, um sie ans Schwerdt zu legen, und das Auge zum Schauen der Welt — — Aber was unter¬ gegangen ist, wird wieder kommen und wieder fliehen und nur das wird Dir treu bleiben, was verlassen wird, — Du allein. — Freiheit ist die frohe Ewigkeit, Unglück für den Sklaven ist Feuersbrunst im Kerker — — Nein, ich will seyn , nicht haben ; Wie, kann der heilige Sturm der Töne nur ein Stäubchen rücken, indeß die roh' bewegte Luft Aschenberge ver¬ setzt? Nur wo gleiche Töne und Saiten und Herzen wohnen, da bewegen sie sanft und un¬ gesehen. So klinge nur fort, frommes Saiten¬ spiel des Herzens, aber wolle nichts ändern an der rohen, schweren Welt, die nur den Winden gehört und gehorcht, nicht den Tönen.“ Hier fand ihn der Lektor Augusti, der mündlich von der Prinzessinn Julienne instän¬ dige Bitten brachte, mit ihm in Gaspards Zim¬ mer zu gehen, wo sie ihm die wichtigsten Wor¬ te über Schoppen zu sagen habe. Er gieng leicht mit; über das bedeckte Schicksal seines Schoppe erwartete er am ersten bei ihr Auf¬ schluß; auch sah er aus der kühnen Wahl des Boten, wie wichtig der armen Schwester seine Erscheinung sey. In Gaspards Zimmer verließ ihn Augusti schnell, um ihn anzukündigen und — allein zu lassen. In seinem Leben gieng jetzt ein langer Donner; kam er vom Himmel, von einem Strome, oder nur von einer Mühle, das wußt' er noch nicht. Julienne stürzte weinend herein, konnte nicht sprechen vor heftigem Herzen: „Du gehst fort?“ fragte sie. „Ja!“ sagt' er und bat sie sehr, weniger heftig zu seyn; denn er wußte, wie leicht ihn fremder Ungestüm an¬ steckte, da er ohne Zorn nicht einmal lange Schach spielen oder fechten konnte. Sie flehte ihn noch heftiger, nur zu bleiben, bis Gaspard wieder komme. — „Kommt er wieder?“ fragte Albano. „Wie anders? Aber die Unwürdige nicht“ sagte sie. — (versetzt' er ernst,) o sey nicht so hart gegen Sie wie das Schicksal — und lasse mich schweigen!“ — „Ich hasse jetzt alle Männer und Dich auch (sagte sie). Das kommt aus poetischen Gemüthern heraus. — O welche rechtschaffene Braut hätte sich so leicht von einem solchen Selbstmörder verblen¬ den lassen, welche? — Aber ich sehe, Du weißt nicht alles.“ — „Dient's aber zu was?“ frag¬ te er. — Sie fieng, verwundert über diese Frage, ohne Antwort die Erzählung an. Am Tage, wo Albano Schoppen gefunden, wollte Julienne ihre Freundin Linda, die sie seit dem Abende des Trauerspiels nicht gesehen, wieder besuchen. Alle Zimmer in Lilar waren dicht verhangen gegen den Tag. Julienne fand sie in der Finsterniß sitzend, mit niedergesenkten, halboffnen Augen, äusserlich sehr ruhig. Nur in langen Zwischenräumen fiel eine kleine Thräne aus den Augen heraus. Der reissende Strom gieng hoch über die Räder ihres Lebens und sie standen tief unter ihm still. „Bist Du es, Julienne? (sagte sie sanft.) Verzeih' die Fin¬ sterniß; Nacht ist für meine Augen jetzt Grün. Es thut mir weh, etwas zu sehen.“ Die Braut¬ fackel ihres Daseyns war ausgelöscht, nun woll¬ te sie Nacht zur Nacht. Julienne that bange Fragen der Verwun¬ derung; sie gab keine Antwort darauf. „Ist's ein Unglück zwischen Dir und meinem Bruder?“ fragte Julienne, in welcher die Verwandtschaft immer wärmer sorgte als die Freundschaft. „Er¬ warte nur den Ritter, (antwortete sie,) ich hab' ihn herbitten lassen.“ Er trat eben herein. Sie bat ihn, sich in diese kurze Nacht zu fügen. Nach einigem Schweigen stand sie stolz vom Stuhle auf, die schwarzgekleidete lange Gestalt hob vor dem Ritter, den sie nicht sah, die großen Augen gen Himmel, ihr stolzes Leben, bis jetzt ins Lei¬ chentuch gewickelt, schlug das Tuch zurück und stand blühend von Todten auf und sie redete den Ritter an: „verehrter Gaspard, Sie ver¬ sprachen es mir, so wie auch mein Vater, daß dieser an meinem Hochzeittage mir erscheinen werde. Der Tag ist vorbei. — Ich bin eine Wittwe. Nun erschein' er mir.“ Hier unterbrach sie der Ritter: „vorbei? — O, ganz recht! Ist er denn etwas gescheu¬ teres und sittlicheres als ein Mensch?“ — und spottete wider seine Weise zornig-aufglühend, weil er glaubte, voa Albano, dem er so lange vertrauet, sey die Rede. „Sie verkennen mich, (sagte Linda,) ich spreche von einem Verstorbenen.“ Vor Ju¬ lienne fuhr plötzlich Roquairol's Schatte, ferne Anklänge der Fürstinn hatten ihn eingeläutet: „Allmächtiger Gott, (schrie sie auf,) des ver¬ fluchten Selbstmörders Spiel hat Wahrheit?“ — „Er spielte, was geschah, (sagte Linda ru¬ hig.) Wir brechen ab. Ich reise. Ich verlan¬ ge nichts als meinen Vater." — Hier hielt Gaspard den von Starrsucht versteinerten Arm wie von einem gezückten Dolch bewaffnet, ge¬ gen die Gräfin — die Finsterniß machte die Erscheinung schwärzer und wilder — aber er brach das Eis des Todes wieder mit kalten Händen entzwei und bewegte sich und antwor¬ tete mit gelähmter Zunge: „Teufel und Gott! Der Vater ist da! — Der wird alles so neh¬ men — wie es ist — Weiß Er's?“ — „Wer?“ (fragte Linda.) — „Und was beschloß Er? — Himmel! Albano nehmlich.“ — Gaspard hatte in der Leidenschaft zugleich Cromwell's Blöd¬ sinn der Zunge und dessen Schlausinn der Tha¬ ten; und blieb daher jeder Aufwallung, sogar der liebenden so gram und fern wie „der Dummheit, die ihm (wie er sagte) noch viel verhaßter sey als das gerade Laster.“ — „Ich weiß nicht (sagte Linda.) Ich ge¬ höre allein dem Todten an, der zweimal für mich gestorben ist. Sagt das meinem Vater. O ich wär' ihm längst nachgefolgt, dem Unge¬ heuren, ins tiefe Reich; ich stände nicht hier vor dem kalten bösen Tadel oder der christli¬ chen Verwunderung, da es noch Dolche gegen das Leben giebt! — Aber ich bin Mutter und darum leb' ich!“ — „Noch diesen Abend seh ich Sie wieder“ sagte Gaspard gefasset und eilte hinweg. „Ich glaube, liebe Julienne, (sagte Linda,) jetzt ver¬ stehen wir uns nicht mehr so recht, wenigstens nicht bis zum höchsten Punkte, so wie wir frü¬ her über Ihre belle-soeur differirten, und Sie an Ihr die Koketterie, ich aber gerade die Prüderie groß und unsittlich fand.“— „Das ist wohl wahr, (sagte Julienne kalt,) Sie sind so wahrhaftig poe¬ tisch, ich bin so prosaisch und altfromm. Ein Un¬ geheuer darum zu lieben, weil es mich so grau¬ sam betrügt wie seine Regimentskasse oder weil es sich genialisch so viele Freiheit lässet als sei¬ nem Regimente, oder weil es nach seinem Tode noch Rollen für die übrigen Schauspieler nach¬ lässet oder Briefe an mich Betrogene“ — — „That er das?“ fragte Albano. — „Sie pries es sogar als genialisch an ihm, (versetzte Ju¬ lienne.) — Einen Solchen zu lieben, sagt' ich, oder solche Leute, die ihn lieben, dazu find' ich in mir kein Herz. Leben Sie denn so wohl als es gehen mag.“ Linda antwortete: „ich hasse alle Wünsche;“ gab ihr die Hand, drückte sie nicht, schwieg still und sah in ihre Nacht. Sie wußte wenig vom leichten und schlaffen Abschied der verlohrnen Freundin. Noch in derselben Nacht reisete Linda, nachdem sie ganz allein lange mit dem Ritter gesprochen, in einem Wagen ohne Fackeln, in ihre Schleier gehüllt, ganz einsam ab und nie¬ mand wußte, ob sie geweinet oder nicht. Als Albano seine Schwester ausgehört hat¬ te, sagte er mit sanfter, bewegter Stimme: „schließe Frieden mit der Vergangenheit, sie kann der Mensch nicht stürmen. Der großen Unglücklichen lasse die Nacht, in die sie selber hineingezogen ist. — Weswegen wolltest Du mich aber so eifrig zu Dir haben? Besonders weißt Du etwas von meinem Schoppe, so fleh' ich darum.“ — „Ich antworte Dir; (sagte sie weinend und verwundert,) aber Bruder, be¬ theuere, daß Deine Stille nicht wieder der Vor¬ hang eines neuen Unglücks ist — Ich kenn' Euch Männer darin, man sollt' Euch alle has¬ sen und ich thu' es auch.“ — „Ich habe nichts Trübes vor, vor Gott bezeug' ich's. Ihr Wei¬ ber, die ihr euere Hölle erst ausgiessen wollt mit Thränen und ausblasen mit Seufzern, be¬ greift nicht, daß oft eine einzige Stunde Den¬ ken dem Manne einen Stab oder Flügel geben kann, der ihn auf einmal aus der Hölle hebt und dann mag sie fortbrennen.“ — „So zeige mir (sagte sie weinerlich-komisch) Deinen Flü¬ gel.“ — „Daß ich (versetzt' er) nicht auf Men¬ schen baue, sondern auf den Gott in mir und über mir. Der fremde Epheu geht um uns herum, an uns herauf, steht als ein zweiter Gipfel neben unserem und der ist dadurch ver¬ dorrt. Die Geister sollen neben einander, nicht auf einander wachsen. Wir sollten lieben wie Gott, als Unvergängliche die Vergänglichen.“ — „Recht „Recht gut, (sagte sie,) wenn's Dir nur Ruhe schafft. Was Deinen armen Schoppe betrifft, so ist er zur Strafe ins Tollhaus ge¬ steckt, aber hör' erst ordentlich. Er kramte ein Mährchen von einer zweiten Schwester von Dir bei Deinem ohnehin durch so vieles gereiz¬ ten Vater aus. Man konnt' ihm diese neue Verstandes-Verwirrung hingehen lassen; aber Dein Oheim wurde gerufen, der ihm ins Ge¬ sicht sagte, er habe den Kahlkopf ermordet; und ihm wurde stolz die Wahl zwischen Ge¬ fängniß und Irrhaus gelassen; so begab er sich in dieses. Bleibe, bleibe! Das Wichtigste kommt. Wie ich auch von ihm denke, ich sehe, er ist Dein redlicher Freund; und frei heraus zu reden, sogar Linda legte noch vor der Ab¬ reise eine Vorbitte im letzten Blatte an mich für ihn ein. Nicht bloß die närrische Reise nach Spanien macht' er für Dich, auch Deine Kur; vielleicht bist Du ihm das Leben schuldig. Mich wundert, daß ich oder irgend jemand es Dir noch nicht gesagt.“ Sie fieng nun an mit Idoinens mildthäti¬ gem festen Karakter, mit ihrem Arkadien und Titan IV . F f mit dem letzten Tage, da sie bei ihr gelebt und ihr in die helle Seele geblickt. Sie kam dann an sein Fieber- und Trauerbette neben Lianens Bahre und auf des alten Schoppe Reden und Laufen und auf seinen schönen Sieg, da er die verklärte Liane endlich in Idoinens Gestalt vor sein Auge gebracht, damit sie das Heil-Wort sage: habe Frieden. Jetzt war er in Sturm und Julienne in Frieden: „darum (fuhr sie fort) halt' ich's für Pflicht, mich Deines Freundes ein wenig an¬ zunehmen. Der arme Teufel ist unschuldig — durch Gewissensbisse und selber durch seinen jetzigen Ort kann er das, was er von Ver¬ stand noch hat, vollends verlieren — ganz unschuldig sag' ich; denn Dein Oheim, den ich längst hasse und der nur erst vor kurzem, aber vergeblich versuchte, meinem kranken Bruder geistermäßig und mordmäßig zu erscheinen — er hätt' es auch bei Lianen wohl gethan, wenn sie es erlebt hätte — dieser Mensch ist — war¬ um darf ich's nicht ruchbar machen, da sich alles geändert und umgeworfen — eine und eben dieselbe Person mit dem Kahlkopf und ein Bauchredner — Bruder!?“ Aber Albano war ihr schon entflogen. 134. Zykel. Albano wollte seinen Freund früher be¬ freien als rächen; daher wollte er erst zu Schop¬ pe eilen und dann zum Oheim. Aber als er an des letztern erleuchteten Zimmern vorüber¬ gieng, erfaßte ihn ein plötzlicher Zorn und er mußte hinauf. Der lange, hagere Oheim gieng dem aufgebrachten Jüngling mit der Dohle auf der Hand langsam entgegen. Albano warf ihm ohne Umstände seine Doppel-Rolle, sein himmelschreiendes Zerstören Schoppens und die Blendwerke gegen ihn selber mit Flammen¬ augen vor und forderte Antwort und Rache. „Ja, ja, (sagte der Spanier seine Diablesse streichelnd,) ich habe die Pistolen — ich habe keine Zeit, keine Zeit Reden.“ — „Sie müssen sie haben“ sagte Albano. „Ich habe keine deo patre et filio et spiritu sancto testi¬ bus ; es ist bald zwischen 11 und 12 und der Finstere steht hier.“ — „Himmel! wozu diese F f 2 einfältige tragische Szenerie? O Gott, ist es denn nicht möglich, daß Ihr einmal ein Mensch seyd, (sagte Albano, mit Grausen in seine Ge¬ sichtshaut blickend, die durchaus nicht freudig und nicht liebend aussehen konnte,) daß Ihr erschrecken, erröthen, bereuen, Euch erfreuen könnt? — Was wußten Sie von meinem Schoppe, da Sie sich einst im Keller bei Ratto als Kahlkopf anstellten, als wüßten Sie eine fürchterliche That von ihm?“ — „Niemand braucht etwas zu wissen, (versetzt' er,) man sagt zum Menschen: ich kenne Deine verruchte That, der Mensch denkt zurück, er findet so eine.“ — „Aber was hatt' er Ihnen gethan?“ fragte Albano erschüttert. Er versetzte trocken: „Er hat zu mir gesagt: Du Hund! — Es schlägt 11 Uhr, ich sage nichts mehr als was ich will.“ Hier brachte der Spanier zwei Pistolen und einen Sack, wieß ihm, daß sie nicht ge¬ laden wären, bat, eine zu laden (er gab ihm Pulver und Blei), aber die andere nicht. „In den Sack, jede in den Sack, (sagt' er,) wir loosen!“ Je kühner, je besser, dachte Albano. Der Spanier rüttelte beide um, und ersuchte Albano, mit dem Fuße auf eine zu treten zum Wahlzeichen. Es geschah. „Wir schießen zu¬ gleich, (sagte der Oheim,) sobald es die zwei Viertel ausschlägt.“ — „Nein, (sagte Albano,) schießet bei dem ersten Schlag, ich bei dem zweiten.“ — „Warum nicht?“ versetzte jener Sie stellten sich in den entgegengesetzten Zimmer-Winkeln einander gegenüber — mit den Pistolen in den Händen den Schlag halb zwölf Uhr erwartend. Der Spanier machte im stummen Horchen die Augen zu. Als Al¬ bano in dieses geschlossene Büsten-Gesicht sah, kam ihm vor, als könne an einem solchen We¬ sen gar keine Sünde begangen werden, ge¬ schweige ein Todtschlag. Plötzlich murmelten im leisen Zimmer fünf Stimmen durcheinander, als kämen sie von den alten Philosophen-Bü¬ sten an den Wänden; der Vater des Todes, der Kahlkopf, die Dohle schienen zu reden und eine unbekannte Stimme als sey es der soge¬ nannte Finstere. Sie sagten unter einander: „Finsterer, nicht wahr, ich habe keine Wahr¬ heit gesagt? — Ich bringe fünf Thränen, aber kalte — Ich trage die Räder des Leichen¬ wagens auf dem Kopf — Ich führe das Pan¬ therthier am Strick — Ich schneid' es los — Ich zeige mit dem weissen Finger auf Ihn — Ich bringe den Nebel — Ich bringe den käl¬ testen Frost — Ich bringe das Schreckliche.“ — Hier that es den ersten Glockenschlag und der Spanier schoß ab — bei dem zweiten feu¬ erte Albano — beide standen unverwundet da; Pulverdampf zog umher, aber eine Zersplitte¬ rung erschien nirgends, als sey die Kugel nur eine mit Quecksilber gefüllte gläserne gewesen. Mit grimmiger Verachtung sah ihn Albano wegen der vorigen Stimmen an: „ich mußte,“ sagte der Oheim. Plötzlich brach der Lektor athemlos herein, den Julienne abgeschickt, um einen wahrschein¬ lichen Zweikampf zu hindern. „Graf! (stam¬ melte er) ist etwas geschehen?“ — „Es muß (versetzte der Oheim) in der Nähe etwas ge¬ ben, der Dampf zog herein; wir wollten uns eben zur guten Nacht umarmen.“ Er klingelte und befahl dem Bedienten, den Wirth zu be¬ fragen, wer so spät noch abfeuere. Albano staunte und konnte scheidend nur sagen: „es sey! Aber fürchtet den Wahnsinnigen, den ich loskette!“ — „Ach thut's nicht!“ sagte der Spanier und schien zu fürchten. Augusti begleitete ihn auf die Gasse und ließ ihn nur nach dem Ehrenworte los, nicht wieder hinauf zu gehen. Albano aber flog noch in der späten Nacht dem Hause des Jam¬ mers und dem gekränkten Herzen zu. 135. Zykel. Kaum hatte Albano dem Irrhaus-Inspek¬ tor, einem jungen glatten rothen Männchen, seinen Namen, den dieser schon kannte, und sein Gesuch um Schoppe's Freiheit samt sei¬ ner Bürgschaft für ihn bekannt gemacht: so lächelte der Inspektor ungemein vergnügt ihn an und sagte: „still beobacht' ich seit Jahren das ganze Haus — die kleinsten Züge hasch' ich für ein künftiges philosophisches Publikum; und so legt' ich's sehr ernsthaft auch auf Hrn. Schoppen an. Aber nie, mein Herr Graf, nie ertappt' ich ihn über einem Zuge, der Tollheit versprochen hätte; alle meine englischen und deutschen Werke darüber lieset er vielmehr und bespricht sich m mir über die Heilanstal¬ ten in Irrenanstalten. Ein Fichtianer kann er seyn (aus seinem Ich schließ' ich's) und ein Humorist auch; ist nun aber eines von beiden schon schwer von Verrückung zu trennen, wie viel mehr ihre Einigung! Mit welcher Freude über das Zusammentreffen unserer Beobachtun¬ gen ich Ihnen hier den Schlüssel zu seiner Stu¬ be gebe, das denken Sie sich selber!“ — „Wenn er kein Narr ist, (sagte seine Frau,) warum zerschlägt er denn alle Spiegel?“ „Eben dar¬ um (versetzte der Inspektor), ist er aber einer, so ist Dein Mann ein noch größerer.“ Keine Thür öffnete Albano je beklommener als die zu Schoppens kleinem Zimmerchen. „Ich hole Dich ab, mein Bruder,“ rief er so¬ gleich, um sich und ihm Schamröthe zu erspa¬ ren; aber als er den alten Löwen näher sah, fand er ihn in dieser Fanggrube ganz verwan¬ delt, nicht zahm, kriechend, wedelnd, aber ent¬ zweigeschlagen und mit zerbrochnen Tatzen auf die Erde gedrückt; — die Anklage des Mords, die er rechtschaffen eingeräumt, verbunden mit Gaspards unbarmherziger Verurtheilung, hat¬ ten seine stolze freie Brust mit giftiger Scham gefüllt und zerfressen. „Es geht mir hier wohl, nur verspür' ich mich unpaß;“ sagte Schoppe mit glanzlosem Auge und tonloser Stimme. Albano konnte die Thränen nicht verbergen, er schlang sich um den Kranken und sagte: „gro߬ müthiger Mensch, Du gabst mir einst in mei¬ ner Krankheit Genesung und Heil zurück und ich wußte es nicht und dankte Dir nicht, gehe mit mir, ich muß Dich in der Deinigen pfle¬ gen, Dich heilen und trösten wie ich kann, dann reisen wir.“ „Glaubst Du, mein Kriton, (versetzte er, durch den Balsam seines wunden Stolzes ge¬ stärkt,) daß ich etwan kein Socrates bin, son¬ dern wirklich herausgehe aus meinem torre del filosofo ? Ein Ehrenwort ist eine dicke Kette.“ — „Erzähle mir alles, verschone niemand; aber ich sage Dir darauf eine Neuigkeit, an der so¬ gleich Deine Kette schmilzt“ sagte Albano. „Ei! — Indessen ist der Ort hier seines Orts gut genug, wie gesagt ein torre del filo¬ sofo , quai de Voltaire und Shakespeare's Streat und wie man sonst sagen mag und soll — Auch hör' ich immer Nachts einen oder den andern Mann neben mir an spechen; und so fürcht' ich gar nicht, daß der Ich kommt. Ich werfe täglich fünf Brodkügelchen; bilden sie ein Kreuz, so bedeutet es — denke was Du willst — daß ich mir noch nicht erscheine — Sie machen aber immer eines. Ich bin hier in die¬ sem Anticyra über so manches Wahnbild so be¬ ruhigt worden — auch durch jene Bücher — sieh sie an, lauter Traktate über den Wahn¬ sinn — daß ich, wenn's auch meinen Mor¬ dian seinen Hund. eben so wenig ansteckt wie mich, gern hier gewesen seyn will. Mein Umgang ist frei¬ lich nicht ohne Gefahr, es ist das Inspek¬ torats-Ehepaar, (ein Reim) die beide das hiesige Kerkerfieber tüchtig weghaben. Der Mann hat sich — und dadurch der Frau — die fixe Idee in den Kopf gesetzt, er sey unser zeitiger Inspektor und habe aufzuhelfen, auf¬ zusehen und trefliche Bücher zu lesen, die in sein Amt einschlagen — jene Traktate sind vom Narren — Vermuthlich hat er draussen in der Stadt seine Inspektorats-Idee zu breit vor¬ gucken lassen, und das medizinische Kollegium steckte ihn mit seiner brauchbaren Idee herein, weil sie am Ende doch jeder Inspektor zum Am¬ thieren haben muß, er sey toll oder nicht. Un¬ ter allen hier im Hause gefallen wir uns bei¬ de am meisten. Er sondirte mich zu meinem Vortheil; und ich kann ihn sehr brauchen zur Freiheit, nur greif' ich seinen faulen fixen Fleck nicht an. Bloß einen Abendsegen — weil sie kein Gebetbuch haben — improvisir' ich oft beiden vor und flechte in den Segen Winke, die kurmäßig für das Paar seyn könnten, wenn's wollte. So wandeln wir beide in den Irrgän¬ gen dieses Irrgartens vor den Pazienten vor¬ bei — hinter ihm, dem unheilbaren Hub von allen, geh' ich ganz tolerant — im Kränzchen herrscht allgemeine Polemik und Skepsis wie in keinem andern Universitätsgebäude — — Es ist zum Tollwerden, sagt er leise zu mir, es ist zum Tollseyn, sagt man in diesem Palais d'éga¬ lité , versetz' ich — Ich schneide ihm die Pa¬ zienten in Schatten aus für sein Manuskript — Wie die Kinder noch etwas haben, das ih¬ nen selber kindisch vorkommt, so haben die Tollen etwas, das ihnen selber toll erscheint — Deutlicher aber werd' ich ihm nie und halte schärfern Spaß an mich. Ach was ist der Mensch, zumal ein gescheuter und wie dünn sind seine Stecken und Stäbe! — — Rührt Dich etwas an mir, Albano? Etwan mein dummes blasses Gesicht?“ Aber Albano konnt' es ihm unmöglich ge¬ stehen, daß dieser umgebrochene edle Mensch mit seinen Täuschungen und sogar mit seinem Stiele, dessen Flügel auch gerädert waren, ihm die Thränen in die Augen treibe, sondern er sagte bloß: „ach ich denk' an vieles; aber er¬ zähle doch endlich, Lieber!“ — Schoppe hatt' es aber schon wieder vergessen, was er erzäh¬ len sollte; Albano nannte den Ablauf der Portrait-Geschichte bei der Gräfinn und jener fieng an: „Die Prinzessinn Julienne sprang eben in ihren Wagen, als ich das blinde Mädchen die Treppen hinaufführte, um sagen zu lassen, Bibliothekar Schoppe sey aus Spanien da. Ich wurde in ein verfinstertes Gemach gelassen, worin ich ruhig auf und abgieng, auf Leute passend, bis die Gräfinn mich grüßte aus dem Dunkeln. „„Die Finsterniß (sagt' ich) ist mir bei dem Lichte, das ich zu geben habe, er¬ wünscht, nur möcht' ich lieber irisch oder let¬ tisch oder spanisch sprechen, weil ich nicht weiß, wer mich behorcht.““ — „„Spanisch!““ sag¬ te sie ernst. Ich erzählte ihr, ich hätte Deine Mutter gekannt und gemahlt und so weiter und meinen Nahmen ins Bildniß eingeschwärzt — lange darauf, neulich im Herbste, hätt' ich Sie selber auf hiesigem Marktplatz ange¬ troffen und für das Spiegelbild Deiner Mutter genommen, so ähnlich sey sie ihrer eignen — „„Ich weiß nicht, fuhr sie hier mit hitzigem Stolz zwischen meine Narrazion, in wiefern Ihre Geheimnisse zu meinen werden können.““ — „„Dadurch, (sagt' ich ernst,) daß Sie mich nach Licht klingeln lassen; denn ich halte das Portrait der Frau von Cesara und von Ro¬ meiro, zweier Namen Einer Person, hier in der Hand.““ Sie faßte nichts, fragte nichts und ich sollte nicht klingeln. Ich bekannte ihr, daß ich mich genöthigt sähe, mit der rhetorischen Schach-Figur mich zu decken, die man allge¬ mein die Wiederholung der Erzählung nennte; und griff zur Figur. Aber sobald ich darin wieder auf Deinen Nahmen kam, sagte sie: „„ich hätte vermuthlich ganz aufgehobene Verhält¬ nisse im Sinne““ — „„nein, (sagt' ich,) ein ewiges und hergestelltes hab' ich darin, auch seinen Gruß voll innigster Achtung mit.““ — Der Gruß schien ihr empfindlich zu fallen, gleichsam als halte man sie einer solchen Ver¬ sicherung für bedürftig, und sie bat mich, Dich lieber wegzulassen. „„Himmel! er ist Ihr Bru¬ der, und hier hab' ich das Portrait Ihrer Mut¬ ter aus Valencia gestohlen bei mir, und nur kein Licht!““ „Da wurde Licht gefodert. Als die Flam¬ me die lange trefliche Gestalt in Gold einfaßte, sagte ich geradezu bei mir selber: „„sie war es so gut werth als der Bruder, daß man den langen Weg nach beider Stammbaum zog, denn sie ist nicht ohne ihre Annehmlichkeiten.““ — Albano, wär' ich ihr Bruder, wie Du die Ehre hast, mein Blut müßte, wenn sie eine Gondel aber keinen Paradiesesfluß dazu hätte, für sie schiffbar seyn, ich trüge sie auf den Hän¬ den nicht nur, sondern wie ein Äquilibrist, auf Nase und Mund, die Leidliche! Kaum sah sie das Bild, so rief sie: „„Mutter, Mutter!““ und fuhr immer über die Augen, klagend, daß sie jetzt noch schlechter wären als sonst. Ich hob wieder das Schaben an und grub endlich vor ihren Augen meinen ganzen Nahmen Lö¬ wenskiould aus, sogar mit dem Beisatz, der mir entfallen war: liebt sehr .“ „„Der Mahler hieß so? (fragte sie.) Sie sind's? — Sie liebten auch?““ — „„Schön¬ heit ist eine Klippe, (versetzt' ich ernst,) an der denn ein und der andere Mann zu scheitern sucht, weil sie voll Perlen und Austern sitzt.““ Freundlich bat sie mich um die deutlichste Wieder¬ holung der Wiederholung, sie wolle besser aufmer¬ ken; Hören und Denken werd' ihr jetzt so schwer als leben. Albano, Ihr hättet mich mit mehr Vor¬ kenntnissen zu ihr abschicken sollen. So aber wurd' ich halb verwirrt und neblig und als ihr un¬ ter meiner Schilderei der Langsee-Insel etwas Nasses aus den Augen sprang, sank ich in den Tropfen hinein und ersoff beinahe darin und wurd' erst spät von mir ins Leben gerieben. Endes meiner Rede stand sie langsam auf, fal¬ tete die Hände und betete mit Weinen, als wenn sie dankte: „„o Gott, o Gott! Du hast mich ge¬ schonet!““ — Was ich doch nicht ganz verstehe.“ Albano verstand's wohl, daß sie dem Schick¬ sal für die zufällige Verspätung Schoppens dankte, welche sie mit der kurzen aber furcht¬ baren Verwandlung Roquairol's in einen Bru¬ der verschonet hatte. „Sie brach darauf in zu vielen Dank gegen den Mahler, Räuber und Lieferanten des ge¬ mahlten Geburtsscheins aus. Wem das Herz wie ein Arm eingeschlafen und schwer und fühl¬ los zu bewegen ist, dem durch- und überläufts das erwachende Glied sehr närrisch, wenn er's regt: „„weniger (sagt' ich) konnt' ich nicht thun für den H. Bruder; die Sonnenseite ist dann die Mondseite,““ — Sie sprang auf Deinen Vater über und fragte, da er sogleich komme, ob sie oder ob ich ihm diese Räthsel vorlegen sollte. „„Oder lieber beide!““ versetzt' ich kaum, da trat er wild ein.“ „Nun ist Gaspard freilich und entschieden Dein Dir und der Schwester angebohrner Va¬ ter ter — und kindliche Liebe gegen ihn ist Dir nie zu verdenken; — aber wenn ich zu Dir sagen wollte, er sey kein Bär, kein Nashorn, kein Währ- und anderer Wolf, so thät ichs mehr aus seltener Politesse. Er schnaubte mir einen guten Abend zu, ich ihm. Viele Menschen glei¬ chen dem Glas, glatt und geschliffen und stumpf so lange als man sie nicht zerbricht, dann ver¬ flucht schneidend und jeder Splitter sticht. Die Sache würd' ihm vorgehalten und das mitge¬ brachte Gesichtsstück. Wärst Du weitläuftiger mit ihm verwandt, so ließ' ich mich heraus. Denn sein Gesicht wurde vom Nordschein des Grimms überzogen, aus den Augen flogen mir gelbe Wespen zu, gerade Linien fuhren auf seiner Gewitterstirn wie elektrische Spieße auf, besonders zwei steilrechte Unglückslinien. Aber wie gesagt bist Du meines Wissens sein Sohn. „„Mein Freund, (donnert' er los,) mit welchem Rechte stehlet Ihr denn Gemähl¬ de?““ — „„Das sollte mir (versetzt' ich sanft) schwer anzusagen fallen; aber ein Unvermö¬ gen hab' ich, einem ungerechten Truge zuzu schauen, ich fahre d'rein.““ „„Gräfin, (sagt Titan IV . G g er dampfend,) in drei Minuten sollen Sie die¬ sen Herrn genau kennen.““ O nein, nein! Er brauchte ein anderes Wort als Herr, aber ich greif ihn einmal dafür an die Brust und stän¬ den wir auf den höchsten Stufen des Gottes- Thrones und rängen im Glanz.“ — „Schoppe!“ sagte Albano: „Erhitze mich nicht!“ versetzte Schoppe und fuhr fort: „Er klingelte — ein Bedienter flog mit ei¬ ner Karte — wir alle schwiegen — „„Nach¬ sicht, Gräfin, (sagt' er,) nur auf eine Minute lang!““ — Er gab ihr darauf einige elende Hof-Novitäten, sie aber blickte schweigend zur Erde. Da kam Dein langer Oheim, nickte 16mal mit dem kleinen Kopf, denn das hält er für eine Verbeugung — und trat weit von mir weg. „„Bruder, sage bloß, was hat dieser Herr da hinter Valencia gethan?““ — „„Umgebracht, umgebracht,““ sagt' er schnell. „„Unter welchen Umständen?““ fragte Dein Vater. Hier fieng er an, die kleinsten bei mei¬ nem Nothschuß auf den Kahlkopf so unbegreif¬ lich-scharf vorzulegen, daß ich sagte: „„das ist wahr!““ — und selber fortfuhr und immer fragte: „„nicht so?““ — und er hurtig nickte — bis ich am Ende war, dann fragt' ich: „„aber Spaniard, sagt's bei Gott! woher wisset Ihr es denn?““ „„Von mir““ antwortete eine fremde, dumpfe Stimme, ganz wie des Kahl¬ kopfs seine.“ „Das Herz wurde mir kalt wie eine Hunds¬ schnauze und die Zunge voll Stein. „„Als convictus und confessus (fieng Dein Vater an) könnet Ihr Euch nun leicht Euer Schicksal pro¬ phezeien..““ — „„Freilich, (murmelte der Oheim, packte sein Schnupftuch aus und ein, faßte das Gemählde an und legt' es weg,) prophezeien, prophezeien.““ — „„Inzwischen (fuhr Dein Vater fort) bleibt es Euch freige¬ stellt, ob Ihr bis zu näherer Untersuchung statt des Gefängnisses, das Euch für den Mord und Diebstahl gehört, den gelindern Ort, das Irr¬ haus, das Euch für Euere Reise gebührt, er¬ wählen wollt; wählet Ihr nicht, so wähl' ich.““ — „„Ins Tollhaus, ins Tollhaus, (rief ich,) wahrer Geselligkeit wegen, auf meine Ehre — Aber ich frage nach nichts, auf dem Waschzettel meines Gewissens steht kein Mord — Brennt Ihr G g 2 Euch nur weiß und rein — Euer Sonnen- und Ehrenwagen geht bis an den Radnagel in Koth — Gräfin, lasset Euch doch alles bestens aufklären und denkt unaufhörlich an mich, um einen Vater zu bekommen, freilich dem Lan¬ desvater der Studenten gleich, der in einem Loch durch den Hut besteht.““ — „„Tritt weiter weg, (sagte Dein Vater zu Deinem Oheim,) die Tollheit ist ausgebrochen.““ Da that der Hase achtzehn Sätze über Schwellen und Treppen hinüber. Ich vollzog mein eig¬ nes Marsch- und Sitzreglement. Dein Vater wedelte mir noch mit einem leckenden Flam¬ menblick nach; ich lud Gift in mein Auge und sah ihn unter der Thüre davon niederstür¬ zen.“ — — Albano fuhr zusammen, fragte nach dem Wie. Da schwieg Schoppe, sann lange und sagte betrübt: „das hat mir wohl freilich nur geträumt, aber so meng' ich jetzt den Traum ins Wahre und umgekehrt. Ich sollte mehr über Schoppe gerührt seyn — er ist doch ein Greis und Greise weinen gleich dem Eulenspie¬ gel, wenn es bergab geht.“ — „Ich will Dich nun trösten, mein Freund, (sagte Albano mit zerrissener Brust,) ich will einen Irrthum von Deinem treuen Herzen nehmen und dann gehst Du gewiß mit mir; dieser Kahlkopf, unser Spötter und Gaukler, ist nach dem heiligen Wort meiner Schwester eine und dieselbe Per¬ son mit meinem Oheim, und ist ein Bauchred¬ ner.“ Lange stand Schoppe wie todt als hab' er nicht gehört, plötzlich stürzte er mit aufblü¬ hendem Gesicht, mit funkelnden Augen auf die Kniee und stammelte: „Himmel! Himmel! Ver¬ rücke mich! — Das Weitere thu' ich — —“ Hier macht' er eine böse abwürgende Bewe¬ gung mit den Händen und sagte erstarkt: „ich kann Dir folgen.“ Jetzt konnt' er das wirklich, vorher aber kaum stehen. Und so führte Albano den un¬ glücklichen gereizten Freund betrübt in seine eigne Wohnung. 136 Zykel. Albano wandte nun alles an, was Freund¬ schaft im Vermögen hat, den edlen Kranken wieder innerlich und äußerlich aufzurichten und zu verjüngen. Besonders suchte er den Steg, worüber alle seine Saiten gezogen waren und den der Ritter und sein Bruder vor Linda um¬ gerissen hatten, wieder aufzustellen, nehmlich sein stolzes Bewußtseyn, das an der grausa¬ men Demüthigung so sehr darnieder lag. Wie nur reine Bruder-Achtung und heiliges Anbe¬ ten einer göttlichen Reliquie einen wunden Stolz sanft erwärmen und beleben kann, so versucht' es der biedere Albano. Allein ohne Genug¬ thuung am Spanier, dem Anstifter des Unheils und dem Verführer des Ritters, laufe, wie Schoppe selber sagte, sein Rückgrad nie wieder steilrecht und sein Rückenmark bleibe gebogen. Nur Albano's Duel mit dem Oheim war fri¬ sches Wasser für ihn; es mußte ihm mehrmals erzählt werden. Sein durstiger Wunsch war, so gesund zu werden als er zum Kriege mit dem Spanier brauchte und dann als ein Tol¬ ler ihm die Beichte aller Streiche und Gaukle¬ reien auf einem Sterbebette, worauf er ihn zu legen dachte, abzupressen: „dann (setzt' er je¬ desmal lächelnd hinzu) kann es mir wohl egal seyn, ob die Welt rund wird oder eckig und nach Frankreich ist mein erster Schritt.“ Albano mußte dieses griechische Feuer des Zorns, das am Ende zur stärkenden Kur des durch Demüthigung erfrornen Körpers wirkte, immer tiefer unter sich brennen lassen, da jedes Löschen es nur nährte; nur mußt' er wachen, daß er keine freie einsame Minute bekäme, um brennend zu entspringen und den Spanier auf¬ zusuchen. Albano wich Tag und Nacht nicht von seinem Kanapee-Lager, auch aus andern Gründen. Denn war Schoppe einsam und sein Mordian schlief, (den er niemals weckte, weil der Hund, sagt' er, offenbar träume und da in idealischen Welten fliege und schnuppere, wovon auf den Gassen der wirklichen kaum eine Schatten-Spur zu wittern sey,) war er also allein mit dem stillen Thier (denn wacht' es, so hatt' er Gesellschaft genug) und sein Blick fiel zufällig auf seine Beine oder Hände: so fuhr seine kalte Furcht über ihn her, daß er sich erscheinen und den Ich sehen könne. Der Spiegel mußte verhangen werden, damit er sich nicht fände. Seine Nächte waren ohne Schlaf, aber die Träume giengen nackt und keck um ihn. Albano opferte ihm leicht seine gesunden Näch¬ te, konnt' aber doch nicht alle Träume des Freundes, diese Gespenster, die sonst vor Le¬ bendigen entfliegen und einsinken, von dannen treiben. Sie schlichen und blickten in Winkel- Schatten der Stube. — Einst gegen Mitter¬ nacht war Albano hinausgegangen und traf wiederkommend ihn an, wie er eben mit einer Hand die andere fieng und sagte: „wen hab' ich da, Mensch?“ — „O guter, bester Schop¬ pe, (rief Albano halbzürnend,) solche grund¬ lose Spiele! Eben so gut könnte ein Finger den andern fassen!“ — „Ja freilich,“ versetzt' er. „Aber höre (sagt' er leise, und kauerte sich, bückte den Kopf und wies mit dem rech¬ len Zeigefinger über die Nase hin in die Höhe), Du nanntest mich Schoppe — so heiß' ich nicht, aber ich darf meinen Nahmen nicht ausspre¬ chen, der Ich, der mich so lange sucht, hört's und fährt her — Ein langer Leichenstein liegt auf dem Nahmen. Schoppe oder Scioppius konnt' ich mich sehr wohl nennen, weil mein vielnahmiger Nahmensvetter und Nahmensva¬ ter (im Bayle steht alles) sich selber bald so bald so hieß, bald Junipere d'Amone, bald Denig Vargas, oder Grosippe, oder Krigsö¬ der, Sotelo, bald Hay. — Daß der Mann noch wirklicher Titular-Fürst von Athen und Herzog von Theben war durch ottomannische Kanzlei und Gnade, muß ich ganz zu verges¬ sen scheinen, wenn ich Maltheser-Bibliothekar bleiben will. In der That trat ich sonst in Gasthöfe noch mit manchem Nahmen ein, der dem nachsetzenden Ich prächtig mitspielte und vormachte, z. B. Löwenskiould, Leibgeber, Graul, Schoppe ohnehin, Mordian (den ich meinem Hund schenkte), Sakramentirer und einmal hu¬ leu — manche kann ich ganz vergessen haben — Der wahre ist (sagte er scheu lispelnd) ein ß oder S — s S — s , heisset Siebenkäs. Aus den Blumen- , Frucht- und Dornenstücken ist bekannt, daß Schoppe früher Siebenkäs sich genannt — Dann diesen Nahmen an seinen ihm bis zum — Gieb mir eine dritte Hand her — Aus Todtenkleidern wird der Nahme herausgeschnitten und ich liege darin schon unter dem Grabe. — „„ Ich bin ich ““ das waren zwar des alten hübschen Swifts Endworte, der sonst wenig sagte in seiner so langen Tollheit — Ich möcht' es aber nicht wagen, so bei mir zu seyn — Nu, getrost, die unendliche Weisheit hat alles geschaffen, auch Tollheit in Menge. — Aber Gott gebe nur, daß Gott selber niemals zu sich sagt: Ich! Das Universum zitterte auseinander, glaub' ich, denn Gott findet keine dritte Hand.“ Albano schauderte über den Sinn des Un¬ sinns — Schoppe schien Eis — dann warf er sich plötzlich an die Bruder-Brust — beide sprachen nichts über die Sache — und Albano fieng heitere Schilderungen vom glücklichen He¬ sperien an. So bracht' er pflegend, schonend, liebko¬ send, geduldig und einsam die Tage, die er Gesichte ähnlichen Freund Leibgeber abgegeben, von dem er den seinigen angenommen — und daß der Freund sich zum Schein ein Grabmahl als Siebenkäs errichten lassen. gern zu seiner Flucht aus Deutschland verwen¬ det hätte, mit dem kranken Freunde zu; und liebte ihn immer heftiger, je mehr er für ihn that und ausstand. Er wollt' es durchaus vom Schicksal nicht leiden, daß eine solche Welt voll Ideen ihrem Erdbrand und ein so freies Herz voll Redlichkeit dem letzten Schlage näher kom¬ me. Schoppe hatte in des Jünglings Herzen sogar noch ein größeres Reich als Dian; denn er nahm das Leben freier, tiefer, größer, mu¬ thiger; und wenn Dians Lebensgesetz Schön¬ heit war, so hieß seines Freiheit und er gieng, wie unser Sonnensystem, nach dem Gestirne des Herkules zu. Aller Bitten ungeachtet nahm er keine Heil¬ mittel vom D . Sphex; denn er habe schon, sagt' er, sich einem alten bekannten Praktiker und Kreisphysikus anvertrauet, der Zeit. Er ver¬ stattete Sphexen gern, ein Rezept aufzusetzen, es zu bringen, sah es willig durch, disputirte über den Inhalt, merkte an, es sey leichter ein Gesundheitsrath zu seyn als einen Gesundheits¬ rath zu geben, und er sehe wohl, daß er sei¬ nen Zustand treffe, weil er ihn schwächend be¬ handle, was bei Wahnsinnigen das Erste sey; aber er setzte dazu, er begehre eben keine Ver¬ nunft, sondern nur ein Paar tapfere Schenkel zum Gehen und Stehen und ein Paar gefüllte Arme zum Zuschlagen und übrigens sey er ihm gram, weil er Hunde zerschneide. Auch Albano nahm zuletzt an, habe Schoppe nur Muskel¬ kräfte zu einer geselligen Reise mit ihm wieder¬ gewonnen, so fliehe der Wahnsinns-Traum, worein ihn die ungesellige gewiegt, leicht von selber hinweg. Immer fuhr er den Arzt am meisten an. Einst sagte dieser: „folgen Sie wenn nicht mir, doch Ihrem zweiten Ich“ und zeigte auf Albano. „Zum Teufel, (versetzt' er,) mein zweites Ich, das möget Ihr selber seyn — ich scheue mich genug davor — aber der da ist gewiß, das verhoff' ich, kaum mein sechstes, zwanzigstes oder dergleichen Ich.“ — Indeß blieb Sphex bei der Meinung, seine sthenische Schlaflosigkeit, die wechselnd die Toch¬ ter und die Mutter seiner Fieberbilder, zumal des Kahlkopfs sey, versperre die Kur und müsse schwächend bezwungen werden. Als einstmals Dian, der seinen Freund Albano oft besuchte, dies vernahm, fragte er, warum man ihn nicht geradezu mit der Nachricht, der Spanier sey aus Furcht vor ihm abgereiset, etwan nach Frankreich, täuschen und heilen wolle. Albano versetzte: „wahrlich ich wollt' es gern sagen, aber ich kann's nicht, ich könnte eben so gut Gott oder mir eine Lüge sagen wollen.“ — „Einbildungen! (sagte Dian) ich sag's ihm sel¬ ber.“ — „Wessen ich mir auch gleich vom Spaniard versehen habe,“ versetzte Schoppe auf die offizinelle Rezept-Lüge. Als Dian fortgegangen war, fragt' er Albano: „sitz' ich jetzt nicht viel kühler und eisiger da? Und zwar seit der Kahlkopf in Frankreich ist, bin ich fast so ein neuer Mensch. Freilich lüg' ich, aber Dian log früher.“ Endlich entschloß sich der Arzt, ihm gera¬ dezu einen Schlaftrunk in sein Getränk zu mi¬ schen. Albano erlaubt' es. Schoppe bekam ihn; glühte und phantasirte einige Minuten lang, endlich stieg der Nebel des Schlafs und überdeckte bald den Kranken. Albano besuchte da nach langer Zeit das Grün der Erde und das Blau des Himmels wieder und seinen Dian in Lilar. Wie viel war seitdem verändert, durch einander, über ein¬ ander gestürzt! Wie viele Blätter waren wie¬ der Knospen geworden! Und mancher Schaum des Lebens, der weiß und zart und leicht ihn sonst erfreuet hatte, erkältete setzt als graues, schweres Wasser seine Brust, und er hatte aus¬ ser seinen Lebensmuth fast wenig behalten. Bei Dian hört' er von neuen Veränderungen, von des Fürsten nahem Sterben, von Idoinens na¬ hem Kommen zur Schwester vor der Trauer. Wie wunderbar-verstöhrt schlug seine Seele aus ihrem Winter-Schlafe in den warmen Sonnenschein, den dieses Ebenbild Lianens um sein Leben legte, die Augen auf! — In man¬ cher stillen Nacht neben Schoppens Geister-La¬ ger war ihm schon, seitdem Julienne ihn zum erstenmal die Erscheinung dieses Friedensengels ohne den Schleier sehen lassen, die vorige Zeit und Liebe wie ein Himmel ferner Sterne wie¬ der aufgegangen, und in dem Helldunkel der von Schlaf entkleideten Träume sah er auf dem Meere der Zeit eine ferne, ferne Insel — hin¬ ter sich, oder vor sich, wußt' er nicht —, wo eine weisse abgewandte Gestalt Lianen gleich oder ähnlich schwebte und als Nachhall sang — Jetzt dicht nach dem Sterbemonat des Bru¬ ders folgte der Sterbemonat der Schwester Liane. Wär' es möglich, daß die Überirdi¬ sche aus dem stillen Spiegel der zweiten Welt und aus dessen unabsehlichen Fernen heraus¬ träte wieder in den irdischen Luftzug und nach der Verklärung wieder verkörpert hier gienge? Aber die Freundschaft foderte Raum für ihre Schmerzen und diese Wolken-Bilder wur¬ den bald von ihr bedeckt oder umgestürzt. Er war nicht im Stande, so sehr er's auch wünsch¬ te, von Schoppe eine Beschreibung jener Hei¬ lungs-Nacht zu fodern, ja nur zu leiden, worin Idoine Liane gewesen; und doch war diese Ge¬ stalt der einzige lebendig-spielende Juwel im Tod¬ tenring an dem Skelet der harten Zeit, das vor ihm stand. Welche Tage! Was ihm die Grä¬ ber nicht wegschlangen, hatte die Erde dahin genommen und Gaspard, sonst sein hoher Va¬ ter auf einem reinen Thron des Himmels, war nun seiner Phantasie mit fürchterlichen Höllen- Kräften und Waffen nach unten erschienen, auf einem Throne des Abgrunds sitzend. — Desto milder umfloß ihn nun, als er in Dians Hause war, die stillere Gegenwart, der Gedanke des ruhenden Freundes, der Anblick des nahen Traum-Tempels, wo Liane einmal Idoine gewesen, und die Verkündigung, daß das Ebenbild der Geliebten nahe. Er mahlte sich den süßen und bittern Schrecken ihrer Er¬ scheinung vor ihm; denn wie in dem Strome die hinübergebogne Blume nicht nur ihr Bild , auch ihren Schatten entwirft, so ist sie Lia¬ nens schönes Bild und Schatten zugleich — und in der Lebendigen würde ihm eine Ver¬ lohrne und eine Verklärte zugleich erscheinen. Unter diesem träumerischen Helldunkel und Abendroth, aus Vergangenheit und Zukunft zu¬ sammengeflossen, kam er in sein Haus zurück. Ein scharfer Blitzstrahl schlug weiß über das träumerische Roth, sein Schoppe war nach we¬ nigen Minuten des Zwangschlafs wild aufge¬ fahren und wahnsinnig entsprungen, niemand wußte wußte wohin. Der Arzt kam und sagte ent¬ scheidend, entweder hab' er sich ins Wasser ge¬ stürzt oder jeden andern, er sey wild dahin gerannt und habe noch seinen Stockdegen mitge¬ nommen. Titan IV . H h Vier und dreißigste Jobelperiode. Schoppe's Entdeckungen — Liane — die Kreuz¬ kapelle — Schoppe und der Ich und der Oheim. 137. Zykel. D a Schoppe seinen großen Degenstock mitge¬ nommen: so vermuthete Albano, daß er als Würgengel zum Spanier gegangen. Er eilte in den Gasthof des Oheims. Ein Bedienter sagte ihm, ein Rothmantel mit einem dicken Stocke sey da gewesen und habe vor den Herrn gewollt, aber man habe ihn auf des letztern Befehl ins Schloß geschickt, unterdessen sey der Herr nach dem Prinzengarten abgereiset, um dem starken Bruder entgegen zu gehen. Al¬ bano fragte: „Wer ist der starke Bruder?“ „Dero Herr Vater,“ versetzte der Bediente. Albano eilte auf das Schloß. Hier war lau¬ fende Verwirrung um das Krankenbette des Fürsten, der es bald mit dem Paradebette zu vertauschen drohte. Eilige Diener begegneten ihm. Einer konnt' ihm sagen, er habe einen Rothmantel ins große Spiegelzimmer gehen sehen. Albano trat hinein, es war leer, aber voll seltsamer Spuren. Ein großer Spiegel lag auf der Erde, eine Tapetenthür darhinter stand offen, ein offnes Souvenir, Räder und weibliche Kleidungsstücke waren um einen wäch¬ sernen alten Kopf verstreuet. Ihm war als seh' er etwas was er schon gesehen und konnte sich's doch nicht nennen. Plötzlich erblickte er in einem Eckspiegel tief hinter seinem jungen Gesicht sich noch einmal, aber mit Alter bedeckt, und dem wächsernen Kopfe ähnlich. Er blickte sich um, ein erhobner Spiegel-Zylinder schloß ihm gleichsam die Zeit auf und er sah in ihrer Tiefe sein graues Alter. Schauernd verließ er das sonderbare Ge¬ mach. Eine Kammerfrau Juliennens stieß ihm H h 2 auf, sie konnte ihm sagen, daß sie den „Schat¬ ten-Schneider“ im rothen Mantel mit einem Perspektive in der Hand über den Schloßhof habe hinausgehen sehen. Er eilte nach, da kam ihm Augusti unter dem Thore entgegen mit der Bitte des Fürsten, ihn noch einmal zu besu¬ chen; „jetzt unmöglich, ich muß erst den wahn¬ sinnigen Schoppe wieder haben“ versetzt' er. In seiner Brust lebte nur der Freund; auch nahm er den Fürsten nur für die Maske seiner sprechsüchtigen Schwester. „Ich sah ihn auf dem Wege nach Blumenbühl“ sagte der Lektor. Er flog davon. Am Thore wurde Augusti's Nach¬ richt von der Wache bestätigt. Auf der Blumenbühler Straße begegnete ihm der Wagen des Hofpredigers Spener, der zum Fürsten fuhr. Albano fragte nach Schop¬ pe. Spener berichtete, er habe mit ihm, da er vor einem einzelnen Hause einer kranken al¬ ten Beichttochter wegen, eine Stunde lang ge¬ holten, viel gesprochen, ihn gesund, ungemein vernünftig, nur älter und zurückhaltender als gewöhnlich gefunden. Auf die Frage nach sei¬ nem Wege, versetzte der Hofprediger: er sey nach der Stadt. Das schien ihm unmöglich, aber Spener's Leute bestätigten es vom Grün¬ rock. Albano sprach von einem rothen Man¬ tel, alle und Spener blieben bei dem grünen Rock. Er kehrte wieder um in sein eignes Haus, wo vielleicht ihn selber, dacht' er, Schoppe su¬ che und erwarte. Der Leibeigne des Doktors, der hagere Malz, sprang ihm mit der Nach¬ richt entgegen, Herr v. Augusti hab' ihn eben gesucht und der kranke Herr sey zum alten Thor hinaus spazieren gegangen in einem neuen grünen Rock. Es war die Straße nach dem Prinzengar¬ ten, die er nach Albano's Vermuthung gewiß ge¬ nommen, sobald ihm des Spaniers gleiche kund geworden. Draussen wurde sie durch Falterle bestätigt, welcher erzählte, er habe bei dem Ausritt ihn eingeholt und sogleich befragt: „wohin so eilig, Herr Bibliothekar?“ darauf sey er still gestanden, hab' ihn ernsthaft ange¬ sehen und die Antwort gegeben: „wer sind Sie? Sie irren sich“ und sey fortgegangen. Albano fragte nach der Kleidung: „in grüner“, versetzte Falterle. Jetzt war sein Weg entschie¬ den. Der müßige Reiter konnte sogar bekräf¬ tigen, daß der Oheim früher denselben ge¬ nommen. Spät abends kam Albano im Prinzengar¬ ten an. Er sah einige Wagen an dem Hofe des kleinen Gartenschlosses. Endlich begegneten ihm Leute seines Vaters, die ihm sagen konn¬ ten, Schoppe sey ruhig, froh und lange in dem Garten mit einem Herrn von Hasenreffer aus Haarhaar umhergegangen und mit ihm nach der Stadt gefahren. „An einem Menschen hat er doch wieder einen Schutzgeist und Wärter“ dachte Albano und der kalte Regen, der ihn bisher quälte, war weggezogen, obgleich der Himmel noch trübe blieb. Er wich mit seinem angegriffnen Herzen, das in dieser Landschaft nur von einem dunkeln Horizont umgeben war, jeder Gesellschaft und dem Lustschloß aus. Fern vorübergehend wagt' er es, einen traurigen Blick auf die Schlummerinsel zu werfen, wo Roquairol's Grabhügel, wie ein ausgebrannter Vulkan, neben der weissen Sphinx zu sehen war. „Still liegt endlich das unbändige Schwungrad um, aus dem Strom der Zeit gehoben, nur mit dem Grabe schloß sich der Janustempel deines Lebens zu, du gequälter und quälender Geist,“ dachte Abano voll Mitleiden, denn er hatte den Todten sonst so sehr geliebt. Droben auf dem Gartenberg mit einem Lindenbaum ruhte seine sanfte Schwester, der freundliche, liebliche Friedensengel mitten im Kriegsgetüm¬ mel des Lebens, Sie der ewige Friede, wie Er der ewige Krieg. Er beschloß hinauf zu gehen und allein oben bei der Himmelsbraut zu seyn und auf dem den Blumen geweihten Boden das Beet aufzusuchen, unter welchen ihre Blumen-Asche sich vor den Stürmen zu¬ gedeckt. Da er den Vorsatz nur dachte, so drangen Thränenströme wie Schmerzen aus seinen Augen; denn die bisherigen Nachtwa¬ chen und Sorgen hatten ihn träumerisch-auf¬ gelöset und so manches Unglück in so kurzer Zeit dazu, das ihm das schöne feste Leben von einem Ende zum andern mit giftigem Stachel und Zahn durchgraben hatte. A!s er in der noch mondlosen aber stern¬ reichen Dämmerung, worin nur der Abendstern der Mond war, gleichsam ein kleinerer Spie¬ gel der Sonne, den Hügel hinaufgieng: sah er aus dem Prinzengarten ein Paar graugeklei¬ dete Menschen heftig winken, als wollten sie ihm den Gang verbieten. Er gieng unbeküm¬ mert weiter, ja er wußte nicht einmal, ob nicht sein vom Wachen glühendes und von Lebens-Stößen erschüttertes Gehirn ihm diese Gestalten wie aus einem Hohlspiegel vorflat¬ tern lasse. Wie in einen griechischen dachlosen Tem¬ pel, trat er in den heiligen Kloster-Garten der stillen Nonne, worin der Lindenbaum laut sprach und die stillen Blumen wie Kinder über der Ruhenden spielten und sich neigten und wiegten. Hoch und weit giengen die Sternen¬ bogen wie schimmernde Ehrenbogen über die kleine Erdenstelle her, über den geheiligten Ort, wo sich Lianens Hülle, das kleine Licht- und Rosenwölkchen, niedergesenkt, als es den En¬ gel nicht mehr zu tragen hatte, der in den Äther gegangen war und aller Wolken nicht mehr bedurfte. Plötzlich erblickte der schaudernde Al¬ bano Lianens weisse Gestalt an die Linde ge¬ lehnt und gegen den Abendstern und die Abend¬ röthe gewandt; lange schauete er an der seit¬ wärts gekehrten Gestalt die himmlisch-herab¬ steigende Antlitz-Linie an, womit Liane so oft als eine Heilige unbewußt neben ihm gestan¬ den — noch glaubt' er, ein Traum, der Pro¬ teus der menschlichen Vergangenheit, ziehe das Luftbild aus dem Himmel hernieder und spiel' es vor und er erwartete das Vergehen. Es blieb, aber ruhig und stumm. Hinknieend, wie vor der offnen Pforte des weiten langen Him¬ mels voll Verklärung und Gottheit, und auf¬ gerissen aus den Erden-Thälern, rief er aus: „Erscheinung, kommst Du von Gott, bist Du Liane?“ und ihm war als sterb' er. Schnell blickte die weisse Gestalt sich um und sah den Jüngling, sie stand langsam auf und sagte: „ich heisse Idoine, ich bin unschul¬ dig an der harten Täuschung, sehr unglückli¬ cher Jüngling.“ — Da bedeckte er seine Au¬ gen, aus schnellem Schmerz über die Wieder¬ kehr der schweren kalten Wirklichkeit. Darauf sah er die schöne Jungfrau wieder an und sein ganzes Wesen zitterte vor ihrer verklärten Ähn¬ lichkeit mit der Todten, so lächelte sonst Lianens zarter Mund im Lieben und Trauern, so öf¬ nete sich ihr mildes Auge, so gieng ihr feines Haar um das blendend-weisse, gefällige An¬ gesicht, so war ihr ganzes schönes Gemüth und Leben aufrichtig in ihr Antlitz gemahlt — Nur stand Idoine größer da, wie eine Auferstan¬ dene, stolzer und länger ihre Gestalt, blasser ihre Farbe, denkender die jungfräuliche Stirn. Sie konnte, da er sie so schweigend und ver¬ gleichend anblickte, sich der Rührung über den getäuschten Unglücklichen nicht erwehren und sie weinte, und er auch. „Betrüb' ich Sie auch?“ sagte er in höch¬ ster Bewegung. Mit dem Sprachtone der Jungfrau, die unter den Blumen lag, sagte unschuldig Idoine: „ich weine nur, daß ich nicht Liane bin.“ Schnell setzte sie hinzu: „ach diese Stelle ist so heilig, und doch ist's der Mensch nicht genug.“ — Er verstand ihre Selbst-Rüge nicht. Ehrfurcht und Offenher¬ zigkeit und Begeisterung bemächtigten sich sei¬ ner, das Leben stand glänzend aus der engen, bangen Wirklichkeit auf, wie aus einem Sarg, der Himmel sank näher herzu mit hohen Ster¬ nen und beide standen mitten unter ihnen: „Edle Fürstinn, (sagt' er,) hier entschuldigen wir uns beide nicht — Die heilige Stelle nimmt, wie eine zweite Welt, das Fremdseyn weg — Idoine ich weiß es, daß Sie mir einst den Frie¬ den gegeben und vor der verborgnen Hülle des Geistes, in dessen Sinne Sie sprachen, dank' ich Ihnen hier.“ Idoine antwortete: „ich that es, ohne Sie zu kennen und darum konnt' ich mir den kur¬ zen Gebrauch oder Mißbrauch einer entfliehen¬ den Ähnlichkeit erlauben. Hätt' es von mir ab¬ gehangen, so hätt' ich Sie nie mit einer so unbedeutenden, wie eine äussere ist, doch so schmerzlich erinnert. Aber ihr Herz verdient Ihr Andenken und Ihre Trauer. Man schrieb mir, Sie wären nicht mehr in Lindenstadt.“ — Sie suchte jetzt zum Fortgehen zu eilen. „In einigen Tagen (antwortete er) werd' ich auch reisen. Ich suche Trost im Kriege gegen den Frieden des Grabes und der Wüste, der mein Leben stille macht.“ — „Ernste Thätigkeit, glau¬ ben Sie mir, söhnet zuletzt immer mit dem Le¬ ben aus“ sagte Idoine, aber die ruhigen Wor¬ te wurden von einer bebenden Stimme getragen, denn durch Hülfe ihrer Schwester hatte sie das ganze graue Regenland seiner Gegenwart vor das Auge bekommen und ihr Herz war voll tiefen Mitleidens gegen die Menschen. Er sah sie hier scharf an, ihre Nonnen-Au¬ genlieder, die immer unter dem Sprechen sich über die ganzen großen Augen niedersenkten, machten sie einer entschlummerten Heiligen so ähnlich; — er wurde von ihren letzten Worten an ihr fruchttragendes Leben in Arkadien erin¬ nert, wo der bunte Blüthenstaub ihrer Ideen und Träume, ungleich dem schweren todten Goldstaub des bloßen Reichthums, leicht im heitern Leben flatternd, unbemerkt belebend, endlich feste Wälder und Gärten auf der Erde ausbreitete — alles in ihm liebte sie und rief: nur sie könnte deine letzte wie deine erste Lie¬ be seyn — und sein ganzes Herz, durch Wun¬ den offen, war der stillen Seele aufgethan. Aber ein ernster, harter Geist schloß es wieder zu: „Unglücklicher, liebe keine mehr, denn ein dunkler Würgengel geht hinter Deiner Liebe mit dem Schwerdt, und welche Rosenlippe Du an Dich drückst, diese berührt er mit der schar¬ fen Schneide oder mit der Giftspitze, und dann vergeht oder verblutet sie.“ — Er sah schon den Glanz dieses Schwerdts im langen Dunkel ziehen; denn Idoine hatte das Gelübde gethan, nie unter ihrem Fürsten¬ stande die Hand zum Bunde der Liebe zu rei¬ chen. So standen beide geschieden neben ein¬ ander in Einem Himmel, eine Sonne und ein Mond, durch eine Erde getrennt. Sie beschleu¬ nigte ihre Entfernung. Albano hielt es nicht für recht, sie zu begleiten, da er jetzt errieth, daß die graugekleideten Menschen, die ihm zu¬ rückgewinket, ihre Bedienten gewesen, die ihr Einsamkeit zusichern sollen. Sie reichte ihm an der Gartenthüre die Hand und sagte: „leben Sie glücklicher, lieber Graf; einst hoff' ich Sie so glücklich wieder zu finden als Sie sich ma¬ chen sollen.“ Die Berührung der Hand wie einer himmlischen, die sich aus den Wolken giebt, durchströmte ihn mit einem verklärten Feuer jener Welt, wo Auferstandne leicht und schimmernd schweben und die hohe Ehrfurcht gebende Gestalt begeisterte sein Herz; — er konnte nicht sagen, was er in sich besiege und bedecke, aber auch kein anderes kaltes verklei¬ detes Wort; — er knieete nieder, drückte ihre Hand an die Brust, sah weinend an den Ster¬ nenhimmel und sagte bloß: „Frieden, Allgüti¬ ger!“ — Idoine wandte sich eilig ab und gieng nach einigen schnellen Schritten langsam den kleinen Hügel in den Prinzengarten hinunter. Nach wenigen Minuten sah er die Fackeln ihres Wagens durch die Nacht fliegen, in der sie gern zu reisen wagte. Um den Hügel war es dunkel, die Abendröthe und der Abendstern waren untergegangen, die Erde wurde ein Rauch und Schutt der Nacht, am Horizont bauete ein Trauergerüst von Wolken sich auf. Aber in Albano war etwas unbegreiflich Freu¬ diges, ein lichter Punkt in der Finsterniß des Herzens. Und als er den Leucht-Atom an¬ schauete, breitete er sich aus, wurde ein Glanz, eine Welt, eine unendliche Sonne. Jetzt er¬ kannt er es, es war die rechte unendliche und göttliche Liebe, welche schweigen kann und lei¬ den, weil sie nur Ein Glück kennt, aber nicht das eigne. Er war erfreuet über das Überhüllen feiner Brust und über seinen Entschluß, sie nicht wie¬ der zu sehen in der Stadt. „So still (sagt' er halb betend halb sprechend) will ich Sie ewig lieben — ihre Ruhe, ihr Glück, ihr schö¬ nes Streben bleibe mir heilig und ihre Gestalt mir verdeckt und fern wie die ihrer Himmels- Schwester — Aber wenn die Schlacht für das Recht anfängt und die Töne neben den Fah¬ nen in die Höhe wehen und das Herz eifriger schlägt, um stärker zu bluten, dann ziehe dein Bild, o Idoine, mir im Himmel voran und ich streite für dich; und wenn im Getümmel ein unbekannter Würgengel die giftige Schnei¬ de über die Brust zieht: so will ich im ermat¬ tenden Herzen dich festhalten bis mir die Erde vergeht.“ Er sah sich nach diesem Gebete heiter um auf dem Gottesacker des jungfräulichen Her¬ zens, er fühlte, Liane allein dürf' es wissen und sie werd' ihn segnen. 138. Zykel. Albano konnte in einer Gegend, in wel¬ cher die einzelnen Säulen und Bogen des zer¬ störten Sonnentempels seiner Jugend umher¬ lagen, keine Nacht zubringen: sondern er be¬ gab sich traurig-träumend auf den Weg zur Stadt. Unterwegs fand er den Landschafts- Direktor Wehrfritz zu Pferd, der ihn suchte. „Herr Sohn, (sagt' er,) es sind mir von Dei¬ nem intimen Freunde, Herrn Schoppe, die wichtigsten Sachen zu Händen gestellt wor¬ den, die ich nur in Deine eignen wieder auszuhändigen habe, was ich denn hiemit eilig thue. Denn Muße hab' ich bei Gott wenig, der Fürst ist diesen Abend mit Tod abgegangen vor Schreck, weil jemand sagte, sein alter Va¬ ter, der ihm zum Todes-Anzeichen soll zum zweitenmal zu erscheinen versprochen haben, sey im Spiegelzimmer zu sehen, was aber nur, hör' ich, was von Wachs gewesen. Es sind die Sachen, die ich auszuliefern habe, erstlich ein Perspektiv, womit Du Deine Mutter und Schwester gemahlt sehen wirst (ich bediene mich mit Fleiß Herrn Schoppens eigner Ausdrücke), zweitens ein geschriebenes Paquet, addressirt an: Albano, erzogen bei Wehrfritz, das noch halb in einer zerschlagnen schwarzen Marmor¬ stufe stufe steckt und drittens Dein Portrait.“ Das Portrait stellte Albano im jetzigen Alter dar, fand man — so viel die Sterne zu sehen gönn¬ ten —, indeß er sich doch nie mahlen lassen. Die schwarze Marmorstufe und das Perspek¬ tiv brachten ihm die Prophezeiung seines Va¬ ters auf Isola bella Titan I . Band S. 58 u. s. w. vor die Seele: ihm wer¬ de in einem Bilderkabinet eine weibliche Gestalt aus der Wand entgegen treten und ihm einen Ort aufschreiben, wo er die schwarze Stufe und vorher einen zeigen, wo er das Per¬ spektiv zu finden habe, dessen Okularglas ihm aus dem alten Bilde seiner Schwester ein jun¬ ges kenntliches und dessen Objektivglas aus dem jungen Bilde seiner Mutter ein altes kennt¬ liches machen werde. Albano that ängstliche Fragen nach Schop¬ pe und der Fundgeschichte der seltsamen Fracht. „Mit H. Schoppe geht es gut genug, (ant¬ wortete Wehrfritz,) er muß hier in der Nähe seyn mit einem fremden Herrn.“ Albano frag¬ te nach seiner Kleidung; diese wurde zu seinem Titan IV . I i Erstaunen wieder aus einer grünen zur rothen. Kaum hatte Wehrfritz die wunderbare Geschich¬ te, wie Schoppe jene Wunderdinge überkam, zu geben angefangen: so unterbrach Albano, der daraus die Auflösung der väterlichen Pro¬ phezeiung abnahm, vor Erwartung den Bericht mit der Bitte, ihn zu der nahen Kreuzkapelle zu begleiten, um welche mehrere Laternen stan¬ den. Er hatte beide Medaillons immer bei sich, und war jetzt so begierig, das Angesicht seiner Mutter durch das Objektivglas zu sehen so wie das Papier zu lesen. Bei der äussersten Laterne hielten sie, Al¬ bano nahm das Medaillon der veralteten Ge¬ stalt hervor, worunter stand: nous nous ver¬ rons un jour, mon frère , er besah es durch das Okularglas: siehe, das alte Gesicht war das junge seiner Julienne. Vertrauend und ungestüm hielt er das altmachende Glas ans junge Bild, worunter stand: nous ne nous verrons jamais. mon fils , — ein freundliches aus einem langen Leben herüberlächelndes al¬ tes Gesicht erschien, dessen erblicktes Urbild ihm in einer tiefen, dunkeln Erinnerung lag aber nahmenlos; von Linda's Mutter hatt' es indeß keinen Zug. Auf einmal hört' er eine bekannte Stimme: „ ecco ecco ! — Mein Neveu, mein Herr!“ Es war Albano's Oheim, der den schwarzge¬ kleideten, wehklagenden Schoppe zu ziehen schien und weinerlich den Neffen anredete: „ach, Neveu! O ich sage die Wahrheit, nur Wahrheit pour jamais .“ Er sah lachend aus und glaubte zu weinen. Der Schwarzrock trat näher, wurde ein Grünrock und sagte: „Herr Graf, täuschen Sie sich keine Minute, unsre Bekannt¬ schaft beginnt mit einem gemeinschaftlichen Ver¬ lust.“ — „Mein Schoppe, (sagte Albano er¬ schüttert,) kennst Du mich nicht mehr?“ — „O wär' ich es jetzt! Ich heiße Siebenkäs,“ versetzte der Grünrock und hob jammernd die Hän¬ de in die Höhe. „Er liegt aber da in der Ka¬ pelle, (sagte der Spanier,) ich will alles so wahrhaftig erzählen, daß es schön ist. Ich glaube nicht, daß der Finstere kommt.“ — Al¬ bano warf einen Blick in die Kapelle und mit einem Schrei des Schmerzens stürzt' er dar¬ nieder. I i 2 139. Zykel. Schoppens Geschichte war nach Wehrfritzens und des Oheims Aussagen diese: er war aus dem Nothschlummer glühend aufgefahren, auf dem schnaubenden Streitroß der Rachsucht ge¬ gen den Spanier wurd' er fortgerissen. Im Gasthofe des letztern wies ihn der Bediente mit einer Lüge nach dem Schlosse. Hier ge¬ langt' er, im verworrenen Getümmel um den leidenden Fürsten, ungefragt, ungesehen in das Spiegelzimmer, wo er einmal die Gräfin Lin¬ da um Idoinens Friedenswort für den wahn¬ sinnigen Freund gebeten hatte. Als der Zylin¬ der-Spiegel, der die langen Jahre des Alters auf das junge Gesicht gräbt und Moos und Schutt der Zeit darauf schüttet, ihm sein Bild vermooset und verraset entgegen warf, sagt' er: „ho ho, der alte Ich steckt wo in der Nä¬ he“ und schauete grimmig umher. Aus den Spiegeln der Spiegel sah er ein Ichs-Volk blicken. Er sprang auf einen Stuhl, um einen langen Spiegel loszumachen. Indem er den Nagel desselben rückte, schlug in der Wand eine Uhr zwölfmal. Hier fiel ihm die Weissagung Gaspards ein, die sein Freund ihm auvertrauet hatte, und alle Regeln, die diesem zur Lösung der Räthsel vorgeschrieben waren. In der Weissagung war zwar die Re¬ de von einem Bilderkabinette, aber ein Spie¬ gelzimmer ist auch eines, nur flüssiger und tie¬ fer hinter der Wand. Er nahm (folgsam den von Gaspard gegebnen Regeln) den Spiegel herab, — fand und öffnete die Tapetenthür in der Größe des Spiegels — die hölzerne weib¬ liche Gestalt mit dem offnen Souvenir in der Linken und dem Crayon in der Rechten saß darhinter — er drückte (nach der Vorschrift) den Ring am linken Mittelfinger — die Ge¬ stalt stand, innen rollend, auf — trat in das Zimmer hinaus — hielt an der entgegengesetz¬ ten Wand still, zeichnete daran mit dem Crayon in der Hand eine Linie herab, er zog die Wandleiste auf — das Perspektiv und der wächserne Abdruck des Sargschlüssels lagen in einem Fach darhinter — Jetzt drückt' er den Ringfinger, die Figur setzte den Crayon aufs Souvenir und schrieb: Sohn, gehe in die Für¬ stengruft in der Blumenbühler Kirche und öffne den Sarg der Fürstin Eleonore, so findest Du die schwarze Stufe. — Wenn das geschehen, hatte der Ritter zu Albano gesagt, und die Marmorstufe doch nicht im Sarge gefunden sey: so soll' er den dritten Ring am Ohrfinger drücken, worauf etwas ge¬ schehe was er selber nicht vorauswisse. Schop¬ pe versuchte vorher, eh' er in die Blumenbüh¬ ler Kirche gieng, den Druck dieses Fingers — die Figur blieb stehen — aber innen fieng es zu rollen an — die Arme dehnten sich aus und fielen ab — Räder rollten heraus — endlich zerlegte sich die ganze Gestalt durch einen me¬ chanischen Selbstmord und ein alter Kopf von Wachs erschien. Hier gieng Schoppe davon, um nach Blu¬ menbühl zu laufen und aus der Gruft die Leuchte für dieses Nachtstück zu holen. Eben waren Mittags Kirche und Gruft — vielleicht weil man dem neuen sterbenden Höhlen-Gast Raum vorbereitete — offen gelassen. Ohne erst den wächsernen Schlüssel in einen eisernen zu ver¬ wandeln, erbrach er ungestüm mit einem Ar¬ beitseisen den Sarg und holte die Marmorstu¬ fe und Albano's Portrait schnell heraus. Er zerschlug jene hinter einem Busch. Als er die Aufschrift las, untersucht' er nicht weiter; er eilte in Albano's Haus, um alles zu überge¬ ben. Beide aber suchten sich wechselseitig um¬ sonst. Indeß traf er den rechtschaffenen Wehr¬ fritz an, durch welchen allein er eine so wich¬ tige Beute abschicken konnte; er selber war jetzt dem Todfeinde, dem Spanier, auf der Spur und keine Gewalt konnt' ihn aus der zornigen Jagdbahn treiben. Bei Sonnenuntergang erblickte Schoppe den Spanier, der aus dem Prinzengarten dem Ebenbilde Siebenkäs entfliehend, ihm in die Hände gelaufen kam — Er erstarrte vor des Wahnsinnigen Anblick, rief: „Herr und Gott, seyd Ihr hinter mir und vor mir? seyd Ihr roth und grün“ — und stürzte seitwärts in die alte Kreuzkapelle hinein, um die heil. Jung¬ frau knieend anzurufen. Schoppe spannte seine Kontursschwingen aus, schoß hinzu und schlug sie vor der Kapelle zusammen: „dreh Dich um, Spaniard, ich fresse Dich von vorne“ sagte er. „Heilige Mutter Gottes, hilf mir, — guter böser Geist, steh mir bei, o Finsterer!“ betete der Kahlkopf. — „Rutsche herum, Spitzbube, ohne weitern Spaß,“ sagte Schoppe, indem er mit dem gezognen Stockdegen in der Luft von hin¬ ten ein Hufeisen vor dessen Gesicht beschrieb. Er drehte sich elend auf den Knieen herum und der Kopf hieng schlaff vom Halse herab. Schop¬ pe fieng an: „nun hab' ich Dich, Missethäter, Du betest mich ohne Nutzen auf den Knieen an — ich habe das Richtschwerdt — toll bin ich auch — in wenigen Minuten, wenn wir uns ausgesprochen haben, stech' ich gegenwär¬ tigen Stockdegen in Dich — denn ich bin ein Toller voll fixer Ideen.“ — „Ach Herr, (ver¬ setzte der Kahlkopf,) Ihr seyd gewiß sehr ver¬ ständig und bei Verstand und bei sich, ich bitte zu leben, es ist so große Todsünde das Todtma¬ chen.“ — Schoppe versetzte: „von meinem Ver¬ stande ein andermal! In effigie hab' ich Dich schon erschossen, nun will ich die Todsünde und den Gewissensbiß nicht umsonst herumtragen, sondern mich in natura dazu thun, Du Seelen- Henker, Du Herz-Trepan!“ „Schoppe, Schoppe!“ rief es jetzt einige¬ mal von Fernen mit Albano's Stimme. Er sah sich schnell um, nichts war zu sehen. „Gu¬ ter Schoppe, (fuhr es fort,) lasse meinen Oheim gehen!“ Jetzt entbrannte Schoppe und hob den Dolch zum Stich: „Du gar zu versteinerter Bauchredner! Sollte man nicht gleich ins Zeug hineinstechen wie in ein blessirtes Pferd? Siehst Du denn nicht den höllischen verdammten Mord und Todschlag vor der Nase, Deinen Pestwa¬ gen schon angespannt, das ausgepolsterte Ge¬ rippe des Todes in mein Fleisch gesteckt und jetzt die Sense heben? — Beichte, Spaniard, um Jesus Willen, beichte, Fliege, eh' ich spies¬ se, steche! Etwas präkavirst Du Dich doch da¬ mit vor den Teufeln in der Hölle; bist sonst drü¬ ben ein ganz ruinirter Mann.“ „Wo sitzt der Pater? Ich beichte ja wohl.“ sagte der Spanier. „Hier steht Dein Galgenpater, schau' die Schur“, sagte Schoppe, vom gebückten tonsu¬ rirten Kopf den Hut abschüttelnd. „Hört meine Beichte! — Aber Nachts lei¬ det es der Finstere nicht, daß ich die Wahr¬ heit sage — er kommt gewiß, er holt mich, Vater, räuchert mich, wässert mich ein gegen den Teufel.“ „Stief-Beichtsohn und Dieb, bin ich Dir nicht Beichtpaters und Beichtvaters genug, der Dich schon einwässern wird? Sage nur, Hund, alles, ich absolvire Dich und schlage Dich dann todt zur Pönitenz. — Sage an, Du Krönungs¬ münze des Teufels, bist Du nicht der Kahlkopf, und der Vater des Todes und der Mönch zu¬ gleich, dessen Figur voll Gas in Mola gen Himmel fuhr, und hattest Bauchrednerei und Wachsbilderei und einige Spitzbüberei bei der Hand?“ „Ja, Vater, Bauchredne rie und Wachs¬ bildne rie und den Spitzbuben. Aber der böse Geist war überall dabei, ich sagte oft nichts, und es wurde doch gesagt und die Gestalten liefen.“ — „Mordian, (sagte Schoppe darüber er¬ grimmt,) fass' den Hund! — Noch lügst Du, Du Kloak ins Paradies gegraben, noch ins Ohr der großen Parze hinein, Du mimische Mumie, Dein Todtenkopf ohne Lippe und Zunge regt sich noch zur Lüge? O Gott, was sind Deine Menschen!“ „O Pater, nicht Lügen! Aber der Finstere will sie Nachts, ich habe einen Bund mit ihm angestiftet — Ich hab' ihn heute abends gese¬ hen, er sah wie Ihr aus und grün — O Ma¬ ria, o Pater, ich habe die Wahrheit gesagt, dort kommt er grün — o Pater, o Maria, und hat Eure Gestalt und ein feuriges Auge in der Hand — —“ „Niemand hat meine Gestalt, (sagte Schop¬ pe erschüttert,) als der Ich.“ „O umguck'! Der böse Geist kommt zu mir — absolvire — stich — ich will wegster¬ ben!“ — Schoppe schauete sich endlich um. Der schreitende Abguß seiner Gestalt bewegte sich her — das Feuerauge in der Hand stieg in das Gesicht — die Ichs-Larve war grün ge¬ kleidet — „Böser Geist, ich bin doch in der Ohrenbeichte, Du kannst nicht her, ich bin hei¬ lig“ rief der Spanier und faßte Schoppen. Ihn faßte der Hund. Schoppe starrte die grüne Gestalt an — der Degen entfiel ihm. „Mein Schoppe, (rief sie,) ich suche Dich, kennst Du mich nicht?“ „Lange genug! Du bist der alte Ich — nur her mit Deinem Gesicht an mein's und ma¬ che das dumme Seyn kalt“ rief Schoppe mit letzter Manns-Kraft. „Ich bin Siebenkäs,“ sagte das Ebenbild zärtlich und trat ganz nahe. — „Ich auch, Ich gleich Ich“ sagt' er noch leise, aber dann brach der überwältigte Mensch zusammen und dieser reinigende Sturm wurde ein seufzendes, stilles Lüftchen. Mit weiß wer¬ dendem Gesicht, krampfhaft sich selber die star¬ ren Augen zuziehend stürzte er um, die spielen¬ den Finger schienen den Hund noch anzulocken und die Lippen wollten sich zu einem Spott¬ wort spitzen, das sie nicht sagten — Sein Freund Siebenkäs, der nichts errathen konnte, hob weinend die kalte, festgeschlossene Hand an sein Herz, an seinen Mund und rief: „Bru¬ der, blick' auf, Dein alter Freund aus Vaduz steht ja neben Dir und sieht Dich in der Todes¬ noth, er sagt Dir tausend Lebewohl, Lebe¬ wohl!“ — Das schien durch die dem Leben noch offnen Ohren ins brechende Herz noch süße Töne der alten lieben Zeit und heitere Träume der ewi¬ gen Liebe zu führen — Der Mund fieng ein kleines Lächeln an, von Lust und Tod zugleich gezogen — die breite Brust stieg noch einmal voll auf zu einem frohen Seufzer — es war der letzte des Lebens und lächelnd blieb der Verstorbne auf der Erde zurück. Nun hast Du hienieden geendigt, strenger, fester Geist, und in das letzte Abend-Gewitter auf Deiner Brust quoll noch eine sanfte, spie¬ lende Sonne und füllte es mit Rosen und Gold. Die Erdkugel und alles Irdische, wor¬ aus die flüchtigen Welten sich formen, war Dir ja viel zu klein und leicht. Denn etwas höheres als das Leben suchtest Du hinter dem Leben, nicht Dein Ich, keinen Sterblichen, nicht einen Unsterblichen, sondern den Ewigen, den All-Ersten, den Gott. — — Das hie¬ sige Scheinen war Dir so gleichgültig, das böse wie das gute. Nun ruhst Du im rech¬ ten Seyn , der Tod hat vom dunkeln Herzen die ganze schwüle Lebens-Wolke weggezogen, und das ewige Licht steht unbedeckt, das Du so lange suchtest; und Du, sein Strahl, wohnst wieder im Feuer. Fünf und dreißigste Jobelperiode. Siebenkäs — Beichte des Oheims — Brief von Albano's Mutter — Das Kron-rennen — Echo und Schwanengesang der Geschichte. 140. Zykel. L ange lag Albano im einsamen finstern Ab¬ grund, bis endlich Licht die Schlucht und die grüne Höhe erleuchtete, von welcher er herun¬ ter stürzte. Das sonst lebensfärbige männliche Gesicht des Freundes lag weiß vor ihm, der rothe Mantel erhöhte noch den Leichenschnee. Der Hund lag mit dem Kopfe auf der Brust, als woll' er sie wärmen und schützen. Als Al¬ bano den nackten Degen sah: blickte er im Krei¬ se umher, schauderte vor dem kalten Oheim, vor dem lebendigen Bruderbild des Todten und vor dem ersten Argwohn zwischen fremden und Selbstmord und fragte leise: „wie starb er?“ — „Durch mich, (sagte Siebenkäs,) an unse¬ rer Ähnlichkeit, er glaubte sich zu sehen, wie dieser Herr hier versichert.“ Der Oheim er¬ zählte einige Punkte, Albano kehrte Ohr und Auge von ihm ab; aber in den warmen Wie¬ derschein der befreundeten Gestalt senkt' er den Blick, dem das Tageslicht der Freundschaft un¬ tergegangen war. Siebenkäs schien sich in ei¬ ner seltenen männlichen Haltung zu behaupten. Auch Albano, der jüngere Freund, verbarg sei¬ nen Jammer, daß er so viel verlohren und daß nun sein Waisen-Herz ausgesetzt sey wie ein hülfloses Kind in die Wüste des Lebens. Wehrfritz fragte ihn, ob er ihm ein Pferd zur Reise in die Stadt noch schicken solle? „Mir? Ich jemals mehr in die Stadt? (frag¬ te Albano.) Nein, guter Vater, ich und Schop¬ pe gehen heute in den Prinzengarten.“ Er ent¬ setzte sich vor der bloßen schwarzen Kirchhofs- Landschaft der Stadt, wo einmal ein goldner Sonnenschein und Laubengänge und Himmels¬ pforten pforten voll Blumengewinde für ihn geblühet hatten. O der junge Honig der Liebe, der alte Wein der Freundschaft, beide waren ja vom Schicksal in Gräber gegossen! — Der Todte wurde in das neue Schloß des Prinzengartens gebracht. Nur Albano und Siebenkäs folgten ihm nach. Als sie allein waren, sah Albano erst, daß der Freund sei¬ nes Freundes bebe und wanke und daß bis jetzt nur der Geist den Körper getragen. „Nun wir beide (sagte Albano) dürfen vor einander trauern; aber nur Ihnen glaub' ich. Gott wie war denn sein Ende?“ Siebenkäs ließ vor ihm die letzten Mienen und Laute des Armen vor¬ übergehen. „O Gott, (sagte Albano,) er starb nicht leicht, wenn der Wahnsinn der Monate zu Einer Minute wurde — reißend mußte der Höllenfluß seyn, der ein so festes Leben weg¬ riß.“ — Siebenkäs nahm schwer den Glauben an dessen Wahnsinn an, weil der Todte so oft in seinen schönsten Momenten auf ähnliche Weise verkannt worden; aber Albano über¬ wand ihn endlich. Er erzählte weiter, daß er auf der Heimreise begriffen gewesen, als ihn Titan IV . K k die wiederholte Verwechslung seiner Person mit dem Todten auf die Vermuthung geleitet, hier müsse sein lang entbehrter Leibgeber wandeln, wiewohl er vor der ersten Erscheinung und Ver¬ gleichung sich fast fürchten müssen: „denn, H. Graf, (sagt' er,) Jahre und Geschäfte, juristi¬ sche vollends, ach das Leben selber ziehen den Menschen immer weiter herab, anfangs aus dem Äther in die Luft, dann aus der Luft auf der Erde — Wird er mich kennen? sagt' ich. Ich bin ja nicht mehr der ich war und die phy¬ siognomische Ähnlichkeit möchte wohl die einzige und festeste noch geblieben seyn. Aber auch diese war vergangen; der Seelige sieht noch aus wie vor 10 Jahren. O nur eine freie See¬ le wird nicht alt! — Herr Graf, ich war sonst ein Mann, der einen und den andern Spaß mit dem Leben trieb und mit dem To¬ de auch und ich konnte ausrufen: Himmel! wenn die Hölle aufgieng und derlei mehr — — Ach Leibgeber, Leibgeber! Die Zeit hat wei¬ che, kleine Wellen, aber am Ende wird doch der eckigste, schärfste Kiesel darin glatt und stumpf.“ — „Zählen Sie mir jede Kleinigkeit seiner Vor¬ zeit, (bat Albano,) jeden Thautropfen aus sei¬ nem Morgenrothe zu, er war so karg mit sei¬ ner dunkeln Geschichte!“ — „Und das gegen jeden (sagte der Fremde). So viel will ich Ihnen einmal aus wahren an Ort und Stelle gesammelten Datis beweisen, daß er ein Hol¬ länder ist wie Hemsterhuis und eigentlich Kees heisset wie Vaillants Affe, woran er Sieben oder Seven gesetzt; denn Siebenkäs ist sein er¬ ster Nahme. Aus der Amsterdammer Bank be¬ zog er seine Intraden. An jedem Neujahrs¬ abend verbrannt' er die Papiere des vorigen Jahrs; und wie seine clavis Leibgeberiana be¬ kannt geworden, begreif' ich noch nicht.“ — Darauf erzählte er ihren ersten Nahmen-Wech¬ sel, wo Schoppe von ihm den Nahmen Leibge¬ ber annahm, dann jede Stunde und That sei¬ nes treuen Herzens gegen den vorigen Armen- Advokaten, dann ihren zweiten Nahmentausch, wo Siebenkäs sich nahmentlich begraben ließ und als Leibgeber fortfuhr, und ihren ewigen Abschied in einem voigtländischen Dorf. Als Siebenkäs hier stand bei der Erzäh¬ K k 2 lung, faßte er die kalte Hand mit den Wor¬ ten: „Schoppe, ich dachte, ich fände Dich erst bei Gott!“ und neigte sich weinend über den Todten. — Albano ließ seine Thränen stürzen und nahm die zweite todte Hand und sagte: „wir fassen treue, reine, tapfere Hände.“ — „Treue, reine, tapfere, (wiederholte Siebenkäs und sagte mit einem Schoppischen Lächeln:) sein Hund sieht zu und bezeugt es einmal.“ Aber er wurde von der Bewegung blaß und sah jetzt ganz wie der Todte aus. Da berühr¬ ten er und Albano sinkend sich auf dem kal¬ ten Gesicht und Albano sagte: „sey auch mein Freund, Lebendiger, wir können uns lieben, weil er uns liebte. — Blasser, Deine Gestalt sey das Siegel meiner Liebe gegen Deinen al¬ ten Freund.“ Albano riß jetzt das Fenster auf und zeigte ihm ein Grab in Osten und eines in Süden neben dem offnen dritten in der Nacht und sagte: „so weint' ich dreimal über das Leben.“ — Siebenkäs drückt' ihm die Hand und sagte bloß: „die Parzen und Furien ziehen auch mit verbundnen Händen um das Leben, wie die Grazien und die Sirenen.“ Er sah den seltenen schönen feurigen Jüngling mit innig¬ ster Liebe an; aber Albano, der nur wenig geliebt zu seyn voraussetzte und den die Feuer¬ zeichen eines Dians und Roquairol's verwöhnt, wußt' es nicht, wie sehr er das ruhigere Herz gewonnen hatte. 141. Zykel. Am Morgen kehrte mehr Sonne und Kraft in Albano's Brust zurück. Er mußte nun in der plattgedrückten Ebene seines Lebens sich den Berg selber vorheben. Nur Pestiz wieder zu sehen, wo alle Turnirgenossen seiner glän¬ zenden Tage verschwunden waren, den einzi¬ gen Dian ausgenommen, verabscheuete er; „hat dieser sein Grab auf der Brust, so zieh ich und scheide von niemand“ sagte er. Da langte der verhaßte Oheim mit den Wagen voll Zauberstäbe an und sagte weiner¬ lich, er geh' ins Karthäuser-Kloster, büße für viele Sünden, und er wolle vorher dem Nef¬ fen gern alles erklären, sowohl mit Worten als mit den Wagen, was er begehre. „Ich glaub' Euch nichts“ sagte Albano. „Jetzt darf ich alle Wahrheit sagen, denn der Finstere thut mir nichts, ich denke, Cousin (versetzte der Spa¬ nier) — ist der da (setzt' er leise mit einem scheuen Blick auf Siebenkäs dazu) nicht der Finstere, Cousin ?“ Albano wollte nichts wis¬ sen und hören. Siebenkäs fragt' ihn, wer der Finstere sey. „Es sey der unendliche Mann, (begann er,) sehr schwarz und finster, und sey zum erstenmal vor ihn geschritten über das Meer her, als er an der Küste stand vor einem Nebel — Nachts hab' er ihn oft rufen hö¬ ren und zuweilen hab' er seine Bauchreden wie¬ derholt — er sey ihm sogleich erschienen mit einer Hand voll Drohungen, sobald er nach Sonnenuntergang viele Wahrheiten gesagt, da¬ her hab' er sich in der Kreuzkapelle vor dem gegenwärtigen Herrn sehr gefürchtet — aber jetzt, seitdem er sich ohne allen Schaden in der Ka¬ pelle bekehret habe, sag' er den ganzen Tag Wahrheiten und im Karthäuser-Kloster gedenk' ers noch mehr.“ „In Klöstern wohnen sie sonst eben nicht, daher wird glaub' ich eben das Gelübde des Schweigens gefodert, das immer der Wahr¬ heit zuträglicher ist als dessen Bruch“ versetzte Siebenkäs. „O Ketzer, Ketzer!“ rief der Spa¬ nier so unerwartet zornig, daß Albano durch die¬ se Menschlichkeit auf einmal von dessen jetziger Wahrhaftigkeit Pfänder bekam, so wie von des¬ sen engerm Geistes-Umfang. Nun erst fragt' er ihn über die Erde und den Samen aus, die er bisher gebraucht, um seine schnellen Wunder¬ blumen vorzutreiben. Er ließ auf diese Frage einen Kasten her¬ auftragen. „Fragt“ sagt' er. „Wie stieg aus dem Lago Maggiore Romeiro's Gestalt?“ sag¬ te Albano. Der Oheim schloß auf, zeigte eine Wachsfigur und sagte: „es war nur ihre Mut¬ ter.“ Albano schauderte vor dieser nahen Ne¬ bensonne seiner untergegangnen Sonne und vor der Vermuthung der Verwandtschaft, die ihm Schoppe eingeflößet: „bin ich ihr verwandt?“ fragt' er schnell. Der Oheim versetzte bestürzt: „es wird wohl anders seyn.“ Albano fragte nach dem himmelfahrenden Mönch in Mola: „er oben mit Gas gefüllt, ich unten an der Mauer stand,“ sagte der Oheim. Albano wollte nichts weiter wissen; im Kasten waren noch Hör- und Sprachröhre, eine Gesichtshaut, blaues Glas, durch welches die Landschaften beschneiet erscheinen, seidene Blumen mit Pul¬ ver von einem endormeur u. s. w.; Albano wollte nichts mehr sehen. „Böses Wesen! wer stiftete Dich dazu an?“ fragte Albano. „Der starke Bruder, (sagte der Oheim, denn so nannte er den Ritter gewöhn¬ lich,) er gab mir zu leben und er wollte mich todtschießen; denn er lacht sehr, wenn die Menschen sehr hübsch betrogen werden.“ — „O keinen Laut darüber (rief Albano peinlich, dem der Zorn gegen den Ritter alle Adern mit Thränen-Feuer und Gift aussprützte) — Un¬ glücklicher! wie wurdest Du der?“ — „So? Bin ich unglücklich?“ fragt' er eiskalt. Er be¬ richtete — aber abgebrochen und verworren, welches ihm in jeder Sprache in seiner eignen Rolle begegnete, indeß er in fremdem Nah¬ men, z.B. des Kahlkopfs, gut und lange spre¬ chen konnte —: er habe ein schwarz-graues und ein blaues Auge, seit der Mannbarkeit einen verborgnen Kahlkopf, und ein besonde¬ res Gedächtniß und habe daher Schauspieler werden wollen; weil er nichts zu thun gehabt, denn er sey nie verliebt gewesen; aber so lang' er nicht improvisirt, sey es nicht gegangen. — Den Joseph Klark, der alle Verwachsene nach¬ machen können, und den Betrüger Price, der in dreifacher Person herumgegangen, hab' er immer im Sinne gehabt — Da sey ihm der Finstere Abends wieder in einem Nebel des Ufers über dem Wasser entgegengetreten und habe wie aus dem Bauche gemurmelt: „ Pep¬ po, Peppo ! Josephchen. schluck' das wahre Wort zu¬ rück, ich will das andere schon aussprechen“ — Und von dieser Stunde an hab' er die Bauchsprache gekonnt — Er habe damit Todte und Stumme und Sprachmaschinen und Pa¬ pagaien und Schlafende und fremde Leute ins Theater, gut reden lassen, aber niemand in der Kirche, und das hab' ihn wohl ergötzt — Ein unaufhörliches Echo hab' er oft auf Fel¬ sen gegeben, so daß die Menschen gar nicht wußten, wenn sie fortgehen sollten. Er habe auch einmal ein ganzes Schlachtfeld voll Tod¬ ter untereinander reden lassen, in allen Spra¬ chen, zum Erstaunen des alten Generals. „Wo war das?“ fragte Siebenkäs. — Der Spanier kam zu sich und versetzte: „ich weiß es nicht; ist es denn wahr? Omnes , ho¬ mines sunt mendaces , sagt die heil. Schrift.” — „So wenig wahr (sagte Albano) als Euer finsterer Geist!“ — „O Maria, nein (sagt' er entschieden,) — wenn ich etwas weissagte, so macht' er ja, daß es doch eintraf; dann er¬ schien er mir und sagte: siehst Du, Peppo , aber sage nur keine Wahrheit! — Und in der Nacht, da ich neben Euch nach Lilar gieng, gieng, er unten im Thale als ein Mensch durch die Luft hin.“ — „Das sah ich auch, (sagte Albano,) er schwebte weiter ohne sich zu re¬ gen.“ — „Das war bloß einer (sagte Sieben¬ käs lächelnd) der in einem fortschwimmenden Kahne mit versteckten Beinen stand und nichts weiter.“ — Da blickte der Spanier dieses Eben¬ bild der Leiche mit dem alten Grausen an, wo¬ mit er es bisher heimlich für den finstern Geist selber gehalten, murmelte Albano ins Ohr: „sieh, dieses Wesen weiß es“ und sagte zur Entchsuldigung der Wahrheiten: „die Sonne ist noch nicht untergegangen“ und eilte, ohne auf Menschen-Bitten zu hören, deren Kraft ihm nie bekannt geworden, ohne Leid und Freud' davon, um noch vor Sonnenuntergang ins nahe Karthäuser-Kloster einzutreten. Al¬ les Trugs-Geräthe hatt' er stehen lassen. „Ein fürchterlicher Mensch! (sagte Sieben¬ käs.) Als er vorhin einmal sich über etwas freuen wollte, sah er aus als greif' ihm ein Schmerz über das Gesicht — Und daß er so dünn und hager dasteht, und seitab blickt und die Silben verschluckt! — Ich weiß gewiß, er könnte tödten, ohne die Miene zu ändern, nicht einmal zum Zorn.“ — „O, er ist der finstere Geist, den er sieht — zitiren Sie ihn nicht!“ sagte Albano, in eine ganz neue Welt wegeilend, die jetzt plötzlich vor seinen Geist gezogen war. 142. Zykel. Er dachte nehmlich an das bisher vom Nebel des Schmerzens verdeckte Papier, das Schoppe aus der Fürstengruft geholet und an das Mutterbild, das er unter dem Okularglas hatte finden sollen. Eh' er anfieng zu lesen, legt' er das Bild unter dem Glase dem Frem¬ den vor, ob er's etwan zufällig kenne. „Sehr! Es ist die verstorbene Fürstin, Eleonore, so weit ein Kupferstich vor dem Landes-Gesangbuch Ähnlichkeiten vorauszusetzen verstattet; denn sie selber sah ich nie.“ Bewegt zog Albano das Papier aus der zerbrochnen Marmorkapsel, aber er wurd' es noch mehr, da er die Unterschrift „Eleonore“ und Folgendes in französischer Sprache las: „Mein Sohn! Heute hab' ich Dich nach langen Zeiten wieder gesehen S. 245 im I . Band des Titans. in Deinem B . (Blumenbühl); mein Herz ist voll Freude und Sorge und Dein schönes Bild schwebet vor meinen weinenden Augen. Warum darf ich Dich nicht um mich haben und täglich anblicken? Wie bin ich ge¬ bunden und geängstigt! Aber von jeher schmie¬ dete ich mir Fesseln und erbat andere, mich da¬ mit zu binden. Höre Deine eigne Geschichte aus dem Munde Deiner Mutter an; sie wird Dir aus einem andern nicht lieber und wahr¬ hafter kommen. Ich und der Fürst lebten lange in einer unfruchtbaren Ehe, welche unserem Vetter in Hh. (Haarhaar) immer lebhafter mit der Hoff¬ nung der Succession schmeichelte. Spät ver¬ nichtete sie ihnen Dein Bruder L . ( Luigi ). Man konnte uns das kaum vergeben. Der Graf C . (Cesara) bewahrt die Beweise einiger schwarzen Handlungen ( de quelques noirceurs ), die Deinen armen ohnehin schwächlichen Bru¬ der das Leben kosten sollten. Dein Vater war eben mit mir in Rom, als wir es erfuhren. „Man wird doch endlich über uns siegen“, sagte Dein Vater. In Rom lernten wir den Fürsten di Lauria kennen, der seine schöne Toch¬ ter dem Grafen C . (Cesara) nicht eher geben wollte, bis er Ritter des goldnen Vlies-Or¬ dens geworden wäre. Der Fürst wirkte ihm diesen Orden am kaiserlichen Hofe aus. Dafür glaubte die Cesara mir sehr dank¬ bar seyn zu müssen, une femme fort decidée , se repliante sur elle même, son individualité exagératrice perca à travers ses vertus et ses vices et son sexe . Wir lernten uns lieben. Ihr romantischer Geist theilte sich dem meini¬ gen mit, besonders in dem romantischen Lan¬ de. Dazu half mit, daß ich und sie uns im rechten Zustande der weiblichen Schwärmerei zugleich befanden, nehmlich der Hoffnung zu gebähren. Sie kam nieder mit einem wunder¬ schönen ihr ganz ähnlichen Mädchen, Severina oder wie man sie nachher nannte Linda . Hier machten wir den seltsamen Vertrag, daß wir, wenn ich einen Sohn gebähre, austauschen wollten; ich konnte ohne Gefahr eine Tochter erziehen, und bei ihr konnte mein Sohn ohne diejenige aufwachsen, die Deinem Bruder bei mir schon gedrohet hatte. Auch sagte sie, ich könne besser eine Tochter, sie einen Sohn lei¬ ten, da sie ihr Geschlecht wenig achte. Der Graf war es gern zufrieden, der Hh. Hof hat¬ te ihm kurz vorher die älteste Prinzessin, um die er geworben, unter dem spöttischen Vor¬ wande ihrer noch kindischen Jugend, abgeschla¬ gen, und er aus Rache beleidigter Ehre und verletzter Eitelkeit, denn er war der schönste Mann und aller Siege gewohnt, war zu allen Maaßregeln und Kämpfen gegen den stolzen Hof bereit. Nur der Fürst billigte es nicht, er fand eine Erziehung außer Landes u. s. w. ganz zweideutig und mißlich. Aber wir Weiber ver¬ webten uns eben desto tiefer in unsere roman¬ tische Idee. Zwei Tage darauf gebahr ich Dich und — Julienne zugleich. Auf diesen reichen Zufall hatte niemand gerechnet. Hier warf sich vieles ganz anders und leichter sogar. „Ich behalte (sagt' ich zur Gräfin) meine Tochter, Du be¬ hältst die Deinige; über Albano (so soll er heissen) entscheide der Fürst.“ Dein Vater er¬ laubt' es, daß Du zwar als Sohn des Geafen, aber unter seinen Augen, bei dem rechtschaffe¬ nen W . (Wehrfritz), erzogen würdest. Indeß traf er Vorkehrungen, deren guten Werth ich damals im phantastischen Rausche der Freund¬ schaft nicht ganz abzuwägen im Stande war. Jetzt wunder' ich mich nur, daß ich damals so muthig war. Die Dokumente Deiner Ab¬ stammung wurden nicht nur dreimal gemacht — ich, der Graf, und der Hofprediger Spener wurden in deren Besitz gesetzt — sondern spä¬ ter wurdest Du auch dem Kaiser Joseph II . als unser Fürstensohn präsentirt, und sein gütiges Blatt, das ich einst Deinen Geschwistern ver¬ traue, entscheidet allein genug. Der Graf nahm jetzt selber am Geheimniß thätigen Theil, indem er — sey es aus Liebe für seine Tochter, sey es aus dem Wunsche ei¬ ner geschärftern Rache am Hh. Hofe — als Lohn des Antheils verlangte, daß einst Du und Linda ein Paar werden möchten. Hier trat wieder die Gräfin mit ihren Wundern und Phantasiren ein: „Linda wird mir gewiß ähn¬ lich an Gemüth, wie sie jetzt es ist an Gestalt — Gewalt bewegt sie dann nie — aber Ma¬ gie des Herzens, der Feenwelt, Reiz des Wun¬ ders mag sie ziehen und schmelzen und bin¬ den.“ Ich weiß ihre eignen Worte. Ein son¬ derbarer Zauberplan wurde dann entworfen, dessen Gränzen der Graf durch die Abhängigkeit, worin sein tausendkünstlerischer Bruder sich zu allem dingen ließ, noch mehr erweiterte, so wie er den Plan dadurch annehmlicher machte. — Linda Linda wird lange vorher, eh' Du dies gelesen, Dir erschienen, ihr Nahme genannt, Deine Ge¬ burt geheimnißvoll verkündigt seyn — — Mö¬ ge, möge Dein Geist sich in alles wohl finden und möge das schwere Spiel Dir Gewinn auf seinen aufgeschlagnen Blättern reichen! — Ich bin bange, wie soll ich es nicht seyn? — O welche Nachrichten hab' ich nicht eben aus Ita¬ lien durch den Grafen empfangen, vor denen nun alle meine Hoffnungen auf meinen Lud¬ wig ( Luigi ) auf einmal erlöschen! Gesiegt hätte nun Hh. (Haarhaar) durch den bösen B . ( Bouverot ), wenn Du nicht lebtest. Und ich muß so froh seyn, daß Du diesen giftigen Ein¬ flüssen entzogen lebst — Ja es scheint, als ha¬ be der Graf die Zernichtung Deines Bruders absichtlich gern geschehen lassen, um desto stär¬ ker mit Deiner Auferstehung zu schrecken. Doch will ich ihm nicht Unrecht thun. Aber wem soll eine Mutter am Hofe vertrauen und mißtrauen? Und welche Gefahr ist größer? — Drei Jahre lang mußtest Du des Scheines wegen auf Isola bella mit Deiner scheinbaren Zwillingsschwester Severina , obwohl unter den Titan IV . L l Augen des Fürsten, bleiben, indeß ich mit Ju¬ liennen nach Deutschland zurückgieng. Länger aber durft' es nicht dauern, so gern es Deine Pflegemutter gesehen hätte; Du wurdest Dei¬ nem Vater zu ähnlich. Diese Ähnlichkeit kostete mich manche Thräne — denn darum durftest Du nie aus B . nach P . (Pestiz), so lange der Fürst noch Jugendzüge trug — sogar die Por¬ traits seiner Jugendgestalt mußt' ich darum allmählig wegstehlen und sie dem treuen Spe¬ ner zu bewahren geben — ja dieser gelehrte Mann sagte mir, daß ein erhobner Spiegel, der junge Gesichter zu alten formte, bei Seite zu bringen sey, weil Du sogleich als der alte Fürst daständest, wenn Du hineinsähest — O, da mein guter, frommer Fürst in seinen mat¬ ten Tagen allerlei unbewußt ausplauderte und mich über das sichere Schicksal des wichtigen Geheimnisses immer sorglicher machte: wie er¬ schrak ich, als er einstens am Morgen (zum Glück war nur Spener und eine gewisse Toch¬ ter des Ministers v. Fr . dabei, eine sanfte, fromme Seele) geradezu und freudig sagte: „unser lieber Sohn, Eleonore, war gestern Nachts oben am Altar, er wird gewiß ein frommer Mensch, er knieete und betete schön, und ich sagt' ihm nur, denn ich wollte mich nicht decouvriren, nach Haus, nach Haus, mein Freund, es donnert schon nahe.“ 1. Band des Titans, S. 239. Ich weiß, daß verschiedene über einen natürlichen Sohn des Fürsten schon Winke fallen liessen. Die Gräfin C . ( Cesara ) gieng nun mit S . ( Severina ) nach V. ( Valencia ) ab; gab sich aber vorher den Nahmen R . ( Romeiro ) und der Tochter den Nahmen L . ( Linda .) Der Prinz di Lauria mußte der Erbschaft wegen mit seiner Einwilligung in dieses Spiel gezo¬ gen werden. Durch diesen Nahmen-Wechsel konnte alles so dicht zugehüllet werden, als es jetzt noch steht. Neun Jahre darauf starb die edle R . ( Romeiro ) und der Graf hatte unter dem Vorrecht eines Vormunds die Tochter al¬ lein in seinem Schutze und in seiner Vorsorge. Ich sah sie kurz nach dem Tode der Mut¬ ter hier 1. Bd. S. 173. ; entfaltet sich die Blume ganz aus L l 2 dieser vollen Knospe, so gehört sie als die voll¬ ste Rose an Dein Herz. Möge nur das Gei¬ sterspiel, das ich der Gräfin zu leichtsinnig zu¬ geschworen, ohne Unglück vorüberziehen! — Sollt' ich vor dem Fürsten auf das Sterbe¬ bette kommen, so muß ich noch Deine Schwe¬ ster und Deinen Bruder in das Geheimniß zie¬ hen, um ganz gesichert meine Augen zu schlies¬ sen. Ach ich werd' es nicht erleben, daß ich Dich öffentlich als meinen Sohn in meine Ar¬ me schließen darf! Die Ahnungen meiner Hin¬ fälligkeit kommen immer häufiger. Es gehe Dir wohl, theueres Kind! Werde fromm und redlich wie Dein Vater! Gott lenke alle un¬ sere schwachen Hülfsmittel zum Besten! Deine treue Mutter Eleonore . N. S. Noch sehr wichtige Geheimnisse kann ich nicht dem Papier vertrauen, sondern sterbend wird sie mein Mund in das Herz Deiner Schwester niederlegen. Leb' wohl! Leb' wohl!“ 143. Zykel. Albano stand lange sprachlos, schauete gen Himmel, ließ das Blatt fallen und faltete die Hände, und sagte: „Du schickst den Frieden — ich soll nicht den Krieg — wohlan, ich habe mein Loos!“ Lebenslust, neue Kräfte und Plane, Freude am Throne, wo nur die geisti¬ ge Anstrengung gilt wie auf dem Schlachtfelde mehr die körperliche, die Bilder neuer Eltern und Verhältnisse und Unwille gegen die Ver¬ gangenheit stürmten durcheinander in seinem Geist. Er riß sich von seinem ganzen vorigen Leben los, die Seile des bisherigen Todten¬ geläutes waren entzwei, er mußte, um die Eu¬ ridice aus dem Orkus zu gewinnen, wie Or¬ pheus das Zurückschauen auf den vergangnen Weg vermeiden. Er enthüllte dem neuen Freun¬ de alles, denn er kämpfe, sagt' er, nunmehr öffentlich auf freier offner Bahn um sein bis¬ her verstecktes Recht und reise sogleich in die Stadt. Unter dem Erzählen erzürnte ihn das lange gewagte Spiel mit seinen heiligsten Ver¬ hältnissen und Rechten noch mehr, und das Mißtrauen in seine Kräfte und Waffen gegen die Feinde, denen Luigi unterlag, und dieser Bruder selber, der ihn bisher in einer so har¬ ten unbrüderlichen Maske umarmen konnte. „Wie anders war die treue Schwester!“ sagt' er. „Warum (fuhr er fort) ließ man mich so manchem stolzen harten Geiste so vielen Dank schuldig werden für mein bloßes — Geburts¬ recht? — Warum traute man nicht meinem Schweigen eben so gut? — O so mußt' ich die arme Todte droben Er meint Liane, welche Spener durch die feier¬ liche Enthüllung von Albano's Geburt und Be¬ stimmung einer unter lauter giftigen Blumen aufgewachsenen Liebe zu entsagen nöthigte. verkennen, weil sie meinem geoffenbarten Stande in jener feindli¬ chen Nacht am Altare ihr schönes Herz auf¬ opferte! So mußt' ich durch Vermuthungen und Vorsätze so manche rechte Seele verletzen! Wie unschuldig könnt' ich seyn ohne dies al¬ les!“ — „Beruhigen Sie sich, (sagte Sieben¬ käs mit seiner Rüge,) die Stärke des Feindes wird zu dem Widerstande geschlagen und von der Niederlage abgezogen; und was wäre ein Sieg auf leerem Schlachtfelde gewesen?“ Siebenkäs war vor dem glänzenden Stan¬ de und vor dem Feuer der Leidenschaftlichkeit, die er nur in gemeiner, nicht in edler Erschei¬ nung kannte, um einige Schritte zurückgetre¬ ten, die Albano nicht bemerkte, weil er sie nicht voraussetzte. So gut es gieng, suchte Sieben¬ käs — indem dessen innerer Mensch seine im Grabe des Freundes starr gefrornen Glieder allmählich wieder aufwickelte — den sanften Scherz wieder zu gewinnen und in diese Blu¬ menketten den heftigen Jüngling einzuschließen: „ich freue mich, (sagt' er,) daß ich der erste bin, der zu Ihrem Geburts- und Krönungs¬ tage Wünsche bringt, die aber alle in den ein¬ zigen gehen, daß sie immer Ihren Taufnahmen behaupten mögen — denn Alban ist der be¬ kannte Schutzheilige der Landleute. — Außer dem Haarhaarschen Prinzen, dem der Ritter recht mit der Devise seines Ordensstifters Phi¬ lipp trifft: ante ferit quam flamma micet, ist wohl niemand dabei zu bedauern als der Fi¬ nanzstempelschneider, der jetzt nichts neues zu schneiden erhält, da die Linie weiter regiert.“ Er setzte noch leicht hinzu, weil er den schweren Wälder- und Wolkentragenden Fels Gaspard nie gesehen: „welches sonderbare Namenspiel, das noch wenige Cavelleros del Tuzone ge¬ spielt, ist es, daß er sich gerade de Cesara nennt, da, wie Sie wissen, die Spanier sich wie die alten Römer oft die Nahmen von ih¬ ren Thaten und Begegnissen zutheilen. So ists aus den Pièces interéssantes T . I . überall be¬ kannt, daß z. B. Orendayn sich den Nahmen la Pas zuerkannte, weil er 1725 den Frieden zwischen Oestereich und Spanien unterschrieben, — mit einem dritten Nahmen, Transport Réal, tauft' er sich ein, um es zu behalten und zu bemerken, daß er den Infanten nach Italien abgeführt. Cesara ist wohl freilich mehr Zu¬ fall.“ Albano wurde durch solche geistige Ähnlich¬ keiten mit dem freien Schoppe erst recht seinem Herzen zugezogen. Er nahm Abschied von ihm und sagte: „Freund unsers Freundes, wollen wir beisammen bleiben.“ — „Wahrlich, der Zweifel an der Entscheidung Ihres Schicksals, Prinz, (versetzte Siebenkäs,) wäre allein da¬ für entscheidend, wenn nur mein Herz allein entschiede; aber —“ Albano zuckte die Ach¬ seln wie entrüstet, schwieg aber. „So lange bleib' ich indeß hier, (fuhr jener sanfter fort,) bis der Hügel auf dem Seeligen liegt; dann steck' ich das hölzerne schwarze Kreuz auf ihn, und schreibe alle seine Nahmen daran.“ — „Wohl! So werd' es (sagte Albano)! Aber seinen Hund nehm' ich, weil er mich länger kennt. Ich bin ein junger Mensch, noch jung an verlohrnen Jahren, aber schon sehr alt an verlohrnen Zeiten und verstehe so gut wie man¬ cher, den die Zeit bückt, was Menschen-Ver¬ liehren ist. Sonderbar ist's, daß ich immer auf Gräbern Spiegel finde, worin die Todten wieder lebendig gehen und blicken. So fand ich auf Lianens Grabe ihr lebendiges Bild und Echo; meinen alten liegenden Schoppe fand ich, wie Sie wissen, auch hinter einem Spiegelglas aufrecht und rege, durch das meine Hand eben so wenig durchkann. Ich versichere Sie, sogar meine Eltern werden mir vorgespiegelt , meinen Vater kann ich in einem Zylinderspie¬ gel, und meine Mutter durch ein Objektivglas sehen. — Hier ist nun nichts zu thun, wenn man in einer Nacht steht, wo alle Sterne des Lebens hinunterziehen, als sehr fest darin zu stehen. — Aber zu meinem alten Humoristen muß ich noch Adio sagen.“ Er gieng ins Leichenzimmer. Schweigend folgt' ihm Siebenkäs, betroffen über die unge¬ wöhnliche Laune der — Schmerzen. Mit trock¬ nen Augen zog Albano das weisse Tuch von dem ernsten Gesicht, dessen feste Augenbraunen sich zu keinem Scherze mehr zogen und das eisern hinschlief ohne Zeit. Der Hund schien den kalten Menschen zu scheuen. Albano suchte durch scharfe, heftige, trockne Blicke das Tod¬ tengesicht bis auf jede Falte tief abzudrücken in sein Gehirn wie in Gyps, zumal da ihm der lebendigste Abdruck, der Freund, entgieng. Dann hob er sich die schwere Hand auf die Stirn, die den Fürstenhut tragen sollte, gleich¬ sam um sie damit zu segnen und einzuweihen. Endlich bückt' er sich auf das Gesicht nieder und lag lange auf dem kalten Mund; aber als er sich spät aufrichtete, weinten seine Au¬ gen und sein ganzes Herz, und er reichte dem Zuschauer bebend die Hand und sagte: „nun, so lebe Du auch wohl!“ — „Nein, (rief Sie¬ benkäs,) ich kann das nicht, wenn ich gehe, — Schoppe! ich bleibe bei Deinem Albano!“ — Da kamen Wehrfritz und Augusti und un¬ terbrachen die weinende Feier der dreifachen Liebe durch heitere Mienen und Worte. 144. Zykel. Der alte Pflegevater nannte ihn zwar Prinz und nicht mehr Du, aber in landeskindlicher Entzückung drückte er sich den Pflegling seines Hauses innig ans Herz. Augusti übergab ihm mit ernster Höflichkeit und kurzem Glückwunsch folgendes Schreiben von Julienne. „Liebster Bruder! Nun kann ich Dich erst recht Bruder nennen. Ich hab' in einem Auge Trauerthränen und doch im andern frohe, da nun alle Wolken von Deiner Geburt genom¬ men sind und in Haarhaar auch alles ziemlich gut geht. Der Lektor ist abgeschickt, Dir alles zu erzählen, wo hätt' ich Zeit? Auch von H. von Bouverot soll er Dir sagen, dessen rothe Nase und aufgebognes Kinn und geizige Grau¬ samkeit gegen seine wenigen Leute und vielen Gläubiger und dessen Grobheit und Weichlich¬ keit und trockne Bosheit ich dermaßen hasse — — Inzwischen wird er jetzt durch Deine Er¬ scheinung so recht bestraft. Freilich alles ist wie ich in Unordnung und Bestürzung. Lud¬ wigs Testament wurde diesen Morgen nach seinem Willen eröffnet und er gab Dir Dein ganzes Recht. Ich will nicht über diesen Bru¬ der mitten unter dem Weinen zürnen; er war eigentlich hart gegen seine zwei Geschwister, gegen mich sehr auch, denn er haßte alle Wei¬ ber, bis zu seiner Frau, die nur etwas taugt, wenns ihr gut geht, und die Kunstwerke selber härteten ihn ordentlich ab gegen die Menschen. Aber er ruh' in seinem Frieden, ach den er wohl wenig gefunden! Diesen Abend muß er schon wegen seiner Krankheit und wegen des langen Wegs nach Blumenbühl voraus beer¬ digt werden. Da bin ich nun bei Deinen Pfle¬ geeltern in der Nähe unserer eingeschlossenen Eltern. Deswegen komm' unabänderlich! Du bist allein mein Trost in der trüben Nacht, ich muß Dich wieder am Herzen halten, das sehr an Dir klopfen will und weinen und reden, wenn es nur darf. Nur komme! Nunmehr wird doch Gott, da alles im Tanzsaal zu den Reigen bereit steht, keine kalte Gespenster und und entsetzliche Larven hineinbringen lassen! Ich bete. Auch nur Deinetwegen bin ich so froh und ich weine genug. Julie.“ Kaum hatte Albano dem Pflegevater das erfreuliche Versprechen, diesen Abend in seinem Hause zu seyn, gegeben, als dieser ohne Wei¬ teres davon eilte, um die Seinigen auf die Freude des zwiefachen Besuches vorzubereiten. Der Lektor wurde um seine Nachrichten ge¬ beten, mit welchen er bedenklich über Sieben¬ käs zu zögern schien, bis Albano bat, ihm und seinem neuen Freund frei alles mitzutheilen. Seine Erzählung war bis auf einige Einschal¬ tungen, die Albano später zukamen, diese: Bouverot — bei welchem er auf Fragen des neugierig gemachten Albano anfieng — war bisher in verborgner Verbindung mit dem Haar¬ haarschen erbsüchtigen Prinzen gewesen und hat¬ te in entschiedener Berechnung, durch diesen das längste Glück und sogar eine unerwartete Hei¬ rath zu machen, auf dessen Wort hin sein mit Ehelosigkeit und Einkünften zugleich verknüpftes Ordenskreuz eines Deutsch-Herrn abgehangen und an die Schwester dieses Prinzen, an Idoine, durch diesen selber, der ihm für die Aufhebung ihres ähnlichen Gelübdes Nie unter ihrem Stand zu heirathen. stand, ein Minia¬ türbild von ihr, das er im Fluge gestohlen ha¬ ben wollte, sammt einem halben Bilderkabinet und mit vielen feinen Anspielungen auf seinen Wahl-Nahmen Zefisio als eines römischen Ar¬ kadiers und auf den Nahmen ihres Arkadiens übergeben lassen. „ Oh la différence de cet homme au diable, comme est - elle petite !“ sagte ganz ungewöhnlich-heftig Augusti. Al¬ bano mußte fragen warum; „ein ganz ande¬ res Bild gab er für der Prinzessin ihres aus“ sagte der Lektor. Mithin war's Lianens ihres, schloß Albano und hatte leicht durch wenige Fragen jene traurige Geschichte von der blin¬ den vom Tyger Bouverot gejagten Liane er¬ forscht. — „O ich Unglücklicher!“ rief Albano halb in Grimm und halb in Schmerz. Die Leiden thaten ihm weh, womit das heilige Herz die kurze reine karge Liebe gegen ihn bezahlen müssen — die zum erstenmal blind wurde, weil sie seinen Vater so liebte Liane wurde, wie bekannt, als ihr Bruder ne¬ ben dem alten Fürsten auf die Brust ohne Herz die Rede hielt, krank und blind. I. Bd. des Titans, S. 303. , und zum zweiten¬ mal, weil sie der Sohn verkannte und liebte. Aber er bezwang sich und sprach nicht darüber, die Vergangenheit war ihm wie Bienen das Echo schädlich. Siebenkäs bezeugte seine Freu¬ de über Bouverots Bestrafung durch das Fehl¬ schlagen aller Plane. Albano hörte, daß auch Luigi die ehelichen Absichten Bouverots zu unterstützen den Schein angenommen, bloß um ihn desto höher herab¬ fallen zu sehen. „Mit welch' einer bittern kalten langen Schadenfreude, (dachte Albano,) konn¬ te mein Bruder in der Hoffnung auf die Gru¬ be, die sein Tod dem feindlichen Hofe und des¬ sen Anhängern graben würde, allen ihren Er¬ wartungen zusehen und alle ihre Maaßregeln von der Ehe der Fürstin an bis auf die Glück¬ wünsche dazu freundlich aufnehmen, indeß er die Fürstin und alles haßte! Und wie konnt' er diese lebenslange schweigende Kälte gegen mich behaupten? —“ Aber Albano bedachte zwei nahe Ursachen nicht, sein eignes stolzes Beneh¬ men gegen den Fürsten und den gewöhnlichen Fürstengeiz, der sich vor Apanagen-Geldern scheue. Gaspards Verhandlungen in Haarhaar, wel¬ che der Lektor nur mit einigen von Juliennen anbefohlnen Auslassungen gab, waren diese: Mit eigner Lust und Stille sah der Ritter von jeher den Einwirrungen der menschlichen Verhältnisse zu und gab sie ihrer eignen Auf¬ lösung oder Zerreissung hin. Hier ließ er alle fremde Träume immer lebendiger und wilder werden, bis er mit einem Griff an die Brust sie alle dem Schläfer wegraffte. Der alte Zorn über die stolze Verweigerung der Fürstenbraut wurde befriedigt, da er ihnen unter dem schim¬ mernden Triumphthore ihrer Wünsche und Ar¬ beiten die Dokumente über Albano's Geburt, von der Hand des alten Fürsten an bis auf die die des Bruders Luigi als eben so viele bewaff¬ nete Wachen zeigen konnte, die sie aus dem Siegesthore wieder rückwärts trieben. Man erstaunte mitleidig, gieng auf nichts ein, Al¬ bano war weder dem Lande noch Reiche vorge¬ stellt. Gaspard trug sehr ruhig eine frühe Aner¬ kennung von Joseph II . nach. Auch dieses wurde außer der Regel und als ungültig gefunden. Darauf gestand er mit dem entschlossenen Zorn, mit dessen Blitzfunken er so oft plötzlich Men¬ schen und Verhältnisse durchbohrte, daß er ohne Weiteres das ganze Betragen des Hofs gegen Luigi's achtes Jahr und dessen Reise- Jahre allen Höfen entschleiern werde. Hier brach man erschrocken die vormittägi¬ gen Unterhandlungen ab, um sich zu neuen nachmittägigen zu rüsten. In diesen — welche der Lektor Albano zu verheimlichen beordert war — wurde von weitem der Wunsch eines fortdauernden nähern Bandes zwischen beiden Häusern gezeigt. Unter dem Bande wurde Idoine verstanden, deren Ähnlichkeit mit Lia¬ nen und dadurch Albano's Liebe gegen letztere längst als Anekdote bekannt gewesen. Aber Titan IV . M m Gaspards ganzem Entwurfe seiner vollständi¬ gen Genugthuung stand dieser eingemischte schuldlose Engel entgegen; er — der mit sei¬ nem hohen zackigen Geweih doch leicht durch das verworrene niedrige Gezweig des Weltle¬ bens flog — stieß gegen die Schranke seiner Vollmacht an, sagte geradezu Nein und man brach entrüstet ab, mit der höflichen Erinne¬ rung, daß Herr v. Hafenreffer als Bevollmäch¬ tigter ihn begleiten und in Pestiz das Übrige verhandeln solle. So kamen beide an. Hafenreffer, eben so fein und kalt als redlich, erforschte leicht alle Verhältnisse der Wahrheit. Gaspard theilte Juliennen — noch im Wahne ihrer alten Liebe gegen seine Tochter Linda — den Wunsch des fremden Hofes mit; aber er wurde bestürzt über ihre Eröfnungen, welche so sehr für Idoi¬ ne sprachen, als ihre bisherigen geheimen Ein¬ wirkungen auf Albano. Dazu entrüstete sie ihn noch im verworrenen Helldunkel ihres Zu¬ standes durch den gutgemeinten Antrag, ihm seine väterlichen Auslagen für Albano einiger¬ maßen zu erstatten. „Der Spanier lieset keine Haushaltungsrechnungen, er bezahlt sie bloß“ sagt' er und nahm empfindlich Abschied auf immer, um alle Inseln der Erde zu bereisen. Albano wollt' er nicht mehr sehen, aus Ver¬ druß über den Zufall, daß ihm durch Schop¬ pens Kirchen- und Gräberraub das Vergnü¬ gen entwendet war, Albano durch die Entde¬ ckung, daß er nur Linda's Vater und nicht sei¬ ner sey, für kühne Zweifel an seinem Werthe zu strafen und zu demüthigen. Wohin Linda noch in jener Nacht seiner Entdeckung als Va¬ ter gegangen war, verbarg er allen kalt. Darauf nahm er auch feierlichen Abschied von seiner vorigen Braut, der fürstlichen Witt¬ we. „Er halte es für Pflicht, (sagte er ihr,) ihr die neueste Erbfolge zu hinterbringen, da er einigermaßen sich selber sehr in den Gang der Sache habe verflechten lassen.“ Nie war ihr Blick stolzer und giftiger: „Sie scheinen (sagte sie gefasset) in mehr als einen Irthum verleitet zu seyn. Wenn es Sie so interessirt, wie Sie Sich denn überhaupt für dieses Land zu interessiren scheinen, so mach' ich mir eine Freude daraus, Ihnen zu sagen, daß ich das Glück bekannt zu M m 2 machen nicht mehr anstehen darf, dem ich nun gewiß entgegensehe, dem Lande vielleicht durch einen Sohn ihres geliebten verstorbnen Fürsten jede Veränderung zu ersparen. Wenigstens darf man vor der Entscheidung der Zeit keine fremde Einmischung dulden.“ Gaspard, über das Erwartete erzürnt, versetzte darauf bloß ein unendlich-freches Wort — weil er leichter Geschlecht als Stand zu vergessen und zu verletzen vermochte — und nahm darauf von ihr seinen höflichen Abschied mit der Versiche¬ rung, daß er gewiß sey, die Bestätigung die¬ ser sonst so angenehmen Nachricht, wo er auch seyn werde, zu erhalten und daß es ihm dann Leid thun würde, ihr aus Liebe zur Wahrheit öffentlich einige seltsame — gerichtliche Papiere entgegen setzen zu müssen, die er ungern in Umlauf bringe. „Sie sind ein wahrer Teu¬ fel“ sagte die Fürstin außer sich. „ Vis-à-vis d'un Ange ? Mais pourquoi non ?“ versetzt' er und schied mit den alten Zeremonien. Albano, dessen Herz in allen diesen Tiefen und Abgründen die nackten verletzten Wurzeln und Fibern hatte, konnte nichts sagen. Aber sein Freund Siebenkäs äußerte ohne Weiteres, „daß Gaspard bei jedem Schritte, und mit dem ewigen feinen Wanken und Zögern, wie z. B. über die Heirath seiner Tochter und sonst, nichts dargestellt habe als den lebendigen Spanier, wie ihn Gundling im I . Theil seiner Otia so gut schildere.“ Augusti verwunderte sich über diese Offenheit, indeß erschien sie ihm leidlicher und zierlicher als Schoppens rauhe. „Was mich am meisten frappiren würde, (setzte Sie¬ benkäs dazu, der wie es schien die Weltge¬ schichte zum Nebenfach genommen,) wäre das lange Verschwiegenbleiben einer so wichtigen Abstammung unter so vielen Theilhabern des Geheimnisses, wenn ich nicht zu wohl aus Hume wüßte, daß die Pulver-Verschwörung unter Karl I . über ganze anderthalb Jahre von mehr als zwanzig Mitwissern wäre ver¬ borgen gehalten worden.“ Viel verwundet und durch sich gereinigt gieng Albano nach diesen Erzählungen Nach¬ mittags ab ins zwieträchtige Reich, aber mit heiterer heiliger Kühnheit. Er war sich höherer Zwecke und Kräfte bewußt als alle harten Seelen ihm streitig machen wollten; aus dem hellen, freien Ätherkreise des ewigen Guten ließ er sich nicht herabziehen in die schmutzige Land¬ enge des gemeinen Seyns — ein höheres Reich als was ein metallener Zepter regiert, eines, das der Mensch erst erschafft, um es zu beherr¬ schen, that sich ihm auf — im kleinen und in jedem Ländchen war etwas Großes, nicht die Volksmenge sondern das Volksglück — höchste Gerechtigkeit war sein Entschluß, und Beför¬ derung alter Feinde, besonders des verständigen Froulay. — So sprang er nun zuversichtsvoll aus seinem bisherigen schmalen, nur von frem¬ den Händen getriebnen Fahrzeug auf eine freie Erde hinaus, wo er allein ohne fremde Ruder, sich bewegen kann und statt des leeren, kahlen Wasser-Weges ein festes, blühendes Land und Ziel antrifft. Und mit diesem Trost schied er von dem todten Schoppe und dem lebendigen Freund. 145. Zykel . In der Dämmerung kam er auf dem Berge an, wo er die Stadt, die der Zirkus und die Bühne seiner Kräfte werden sollte, überschauen konnte, aber mit andern Augen als sonst: — Er gehört nun einer deutschen Heimath an — die Menschen um ihn sind seine Landesver¬ wandte — die ahnenden Ideale, die er sich einst bei der Krönung seines Bruders von den warmen Strahlen entwarf, womit ein Fürst als ein Gestirn Länder beleuchten und befruch¬ ten kann, waren jetzt in seine Hände zur Er¬ füllung gelegt — sein frommer, von Landes- Enkeln noch gesegneter Vater zeigte ihm die reine Sonnenbahn seiner Fürsten-Pflicht — nur Thaten geben dem Leben Stärke, nur Maaß ihm Reiz — Er dachte an die um ihn her in Gräber gelegten eingesunknen Menschen, zwar hart und unfruchtbar wie Felsen, aber auch hoch wie Felsen, an die vom Schicksal geopferten Menschen, welche die Milchstraße der Unendlichkeit und den Regenbogen der Phantasie zum Bogen ihrer Hand ge¬ brauchen wollten, ohne je eine Sehne darüber ziehen zu können. — „Warum gieng ich denn nicht auch unter wie Jene, die ich achtete? Wallete in mir nicht auch jener Schaum des Übermaßes und überzog die Klarheit?“ Das Schicksal trieb jetzt wieder Spiele der Wiederholung mit ihm; ein flammender Wagen rollte auf einem seitwärts vom Prinzengarten ablaufenden Wege davon; langsam rückte der Leichenwagen des Bruders mit seinen Todten¬ lichtern den Blumenbühler Berg hinan. „Den langsamen Wagen kenn' ich, wer ist der schnel¬ le?“ fragte Albano den Lektor. „Herr von Cesara hat uns verlassen“ versetzt' er. Albano schwieg, aber er empfand den letzten Schmerz, den ihm der Ritter geben wollte. Er bat den Lektor sehr, ihn allein den Weg nach Blumen¬ bühl gehen zu lassen, weil er lauter Umwege nehme. Er wollte im Tartarus das Grabmahl des Vater-Herzens ohne Brust besuchen. Als er durch die lärmvolle Vorstadt gieng, sah ihn ein alter Mann lange starr an, floh plötzlich mit Schrecken davon und rief einer Frau, die ihm begegnete, zu: „der Alte geht um!“ Der Mann war in der Jugend ein Bedienter des alten Fürsten gewesen, war blind und vor kur¬ zem wieder heil geworden; darum sah er den ähnlichen Sohn für den Vater an. — In der Stadt war die gewöhnliche Volksfreude über Wechsel laut. In einem Hause war ein Kin¬ derball, in einem andern eine Truppe von Sprichwörterspielern; indeß die Landtrauer je¬ den Tanzsaal und jede Bühne verschloß. Aus Roquairol's Stube sahen fremde lustige Mu¬ sensöhne heraus. Im Wirthshause des Spa¬ niers hatte ein Knabe die Dohle an einem Fa¬ den. Einige Leute hört' er im Vorbeigehen sa¬ gen: „wer hätte sich das träumen lassen?“ — „Ganz natürlich, (versetzte der andere,) ich mauerte damals auch mit an der fürstlichen Gruft und sah Ihn wie Dich.“ In der Berg¬ stadt waren am Trauer-Schloß alle Fenster¬ reihen hell beleuchtet, als geb' es ein froheres Fest. Im Hause des Ministers waren alle fin¬ ster, oben unter den Statuen des Dachs schlich ein einziges Lichtchen umher. „Nein, (dachte Albano,) ich brauche nicht nachzusinnen, warum sank ich nicht auch mit unter. O genug, genug fiel von mir in die Gräber — Ich muß mich doch ewig nach al¬ len entflohenen Menschen sehnen; — wie Tau¬ cher schwimmen die Todten unten mit und hal¬ ten mein Lebensschiff oder tragen die Anker.“ Draussen sah er die alte Leichenseherin auf dem Blumenbühler Wege stehen, die ihm einst bei der Begleitung des Kahlkopfs begegnete; sie schauete starr hinauf dem erleuchteten Leichen¬ wagen nach und glaubte, Träume zu denken und die Zukunft, als sie der Wirklichkeit zu¬ schauete. Überall lagen in seiner Bahn die zu¬ ckenden Spinnenfüße, welche der erdrückten Tarantel der Vergangenheit ausgerissen wa¬ ren. Durch einen Flor sah er das Leben lie¬ gen, wiewohl es kein schwarzer sondern ein grüner war. Sehnsüchtig kam er im Tartarus, aber schaudernd vor ihm, weil ihm die Vergangen¬ heit mit ihren Geistern nachzog, auf dem herrn¬ hutischen Gottesacker an, wo in einem Garten ohne Blumen, den eingesunkne, eingeschlafne Trauerbirken umstanden, der weisse Altar mit dem Vater-Herzen und der goldnen Inschrift schimmerte: „nimm mein letztes Opfer, Allgü¬ tiger!“ Vor dem in eine Brust von Stein ge¬ schlossenen Herzen, das sich mit nichts regte, nicht mit einem Stäubchen, that er sein kindli¬ ches Gebet zu Gott und fühlte, daß er seine Eltern würde geliebt haben und schwur sich, ihnen zu gefallen, wenn ihre hohen Augen sich noch in das tiefe Thal des Lebens richten. Er drückte den kalten Stein wie eine Brust an sich; und gieng mit sanften Schritten weg als gienge der Greis neben ihm in seiner eignen ihm so ähnlichen Gestalt. Er sah auf von seinem Wege zum Berge, wo ihn der Vater abends am Pfingst- und Abendmahlstage gefunden, wie zu einem Tha¬ bor der Vergangenheit; und im Gange durch das Birkenwäldchen erinnerte er sich noch wohl der Stelle Titan, 1ter Bd. S. 138. , wo einst zwei Stimmen, seine Eltern, seinen Nahmen ausgesprochen hatten. So von der heiligen Vergangenheit eingeweiht, kam er in seinem Kindheits-Dörfchen an und sah die Kirche wie das Wehrfritzische Haus von Lichtern erfüllt, obwohl jene zu traurigem Zweck und dieses zum frohen der Gäste. 146. Zykel. Albano fand in der Verklärung, worin der Himmel ihm nur der Vergrößerungsspiegel ei¬ ner schimmernden Erde war und die Vergan¬ genheit nur das Vater- und Mutterland hei¬ liger Eltern, in diesem Seelenglanz fand er das Erziehungshaus, worein er trat, festlich und als einen Tempel und alles Gemeine und Schwere geläutert oder nur nachgespielt auf einer Bühne. Seine Mutter Albine und die Schwester Rabette kamen mit ihren freudigen Minen als höhere Menschen an sein bewegtes Herz. Sie wichen eilig zurück, Julienne flog die Treppe herab und küßte den Bruder zum erstenmal öffentlich, in einer schweigenden Ver¬ mischung von Lust und Weh. Als sie ihn los¬ ließ, fieng aus der Nacht im Kirchthurm das Geläute als Zeichen an, daß der todte Bruder in die Kirche einziehe; da stürzte sie wieder auf Albano zurück und weinte unendlich. Sie gieng mit ihm hinauf, ohne zu sagen, wen er droben neben dem Pflegevater finde. Eine alte Flö¬ tenuhr, deren mühsames Spiel von jeher selte¬ nen Gästen dargeboten wurde, quoll ihm, als er die Thüre öffnete, mit den Nachklängen der Kindertage entgegen. Eine weibliche lange schwarzgekleidete Ge¬ stalt mit einem seitwärts herabgehenden Schleier, welche mit seinem Pflegevater sprach, wandte sich um nach ihm, da er eintrat. Es war Idoine, aber der alte Zauberschein fuhr wieder über seine heute so bewegte Seele, als wenn es Liane aus dem Himmel sey, mit Unsterblichkeit gerü¬ stet, auf überirdische Kräfte stolzer und kühner, nichts von der vorigen Erde mehr tragend als die Güte und den Reiz. Beide fanden sich mit gegenseitigem Erstaunen hier wieder. Julienne sah — ihrer kleinen Verhehlungen und Anstal¬ ten sich bewußt — ein rothes Wölkchen des Un¬ willens über Idoinens mildes Gesicht fliegen; es war aber bald unter dem Horizont, sobald Idoine es bemerkte, daß die Schwester unter dem Leichengeläute des Bruders die Thränen nicht bezwingen konnte, und sie gieng ihr freund¬ lich entgegen, ihre Hand aufsuchend. Idoine hatte, durch ihre Strenge leicht zum launischen Zürnen, diesem kleinen Kriege des Zorns, ge¬ neigt, sich durch scharfe lange Übung von die¬ sem feinsten, aber stärksten Gift des Seelenglü¬ ckes freigemacht, bis sie zuletzt an ihrem Him¬ mel stand als ein reiner, lichter Mond ohne einen Regen- und Wolkenkreis der Erde. Albano, dem die Erde, mit Vergangenheit und Todten gefüllt, eine Luftkugel geworden war, die in dem Äther gieng, fühlte sich frei zwischen seinen Sternen und ohne irdisches Ban¬ gen; er nahete sich Idoinen — obwohl bei dem Bewußtseyn der kämpfenden Verhältnisse ihres und seines Hauses — mit heiligem Muthe: „Ihr letzter Wunsch im letzten Garten (sagt' er) wurde vom Himmel gehört.“ — Mit jung¬ fräulich-entschiednem Sinn gieng sie durch die Wildniß, worin sie bald Blumen bald Dornen auseinander zu beugen hatte, um weder verle¬ gen noch verletzt zu werden; sie antwortete ihm: „ich freue mich von Herzen, daß Sie Ihre treue Schwester auf immer gefunden haben.“ Wehrfritz war über die Freimüthigkeit, womit sie die Wahrheit redlich wider alle Familien- Verhältnisse sprach, eben so erfreuet als ver¬ wundert. „So muß man immer auf der Erde viel verlieren, (erwiderte ihr Albano,) um viel zu gewinnen“ und wandte sich an seine Schwe¬ ster, als woll' er dadurch diesem Worte einen vieldeutigern Sinn verwehren. Das Todtengeläute dauerte fort. Die selt¬ same, frohe und trübe Vermischung der irdi¬ schen Schicksale gab allen eine feierliche und freie Stimmung Albine und Rabette kamen herauf, festlich dunkel gekleidet zum Gange in die Begräbnißkirche. Julienne theilte sich zwi¬ schen zwei Brüder und nie hob sich ihr Herz romantischer auf, das zugleich in Thränen und in Flammen stand. Sie errieth, wie über ih¬ ren Bruder Albano ihre Freundin Idoine den¬ ke, an der sie eine festere Stimme kannte als die heutige war und deren süße Verwirrung ihr am leichtesten aus dem kurzen Berichte klar wurde, den ihr die offne Seele von dem Wie¬ dersehen Albano's in Lianens Garten gemacht; auch das kleine jungfräuliche Zurückzittern ih¬ res heutigen Stolzes, da sie sich hier überall für eine auferstandene Liane, diese Geliebte des Jünglings, verlegen mußte gehalten fin¬ den, machte Juliennen nicht irrer, sondern ge¬ wisser. „An einem schönen Abend (sagte Albano zu Idoinen) sah ich einst in Ihr schönes Arka¬ dien herab, aber ich war nicht in Arkadien“ — „Der Nahme (versetzte sie und senkte wieder die klaren Augen bezogen zur Erde) ist auch bloß Scherz; eigentlich ists eine Alpe und doch nur mit Sennenhütten in einem Thale.“ Sie hob die großen Augen nicht wieder auf, als Ju¬ lienne schweigend ihre Hand nahm und sie fort¬ zog, weil jetzt das Leichengeläute mit traurigen einzelnen Stößen ausklang, als Zeichen daß die Todtenfeier angehe, deren Theilnahme Ju¬ lienne ihrem schwesterlichen Herzen unmöglich abdingen ließ. „Wir gehen in die Kirche“ sagte Idoine zur Gesellschaft. „Wir wohl alle“ versetzte Wehrfritz schnell. Als die beiden Mäd¬ chen an Albano vorübergiengen, bemerkte er zum erstenmal an Idoinen drei kleine Blatter¬ narben, gleichsam als Erden- und Lebens-Spu¬ ren, die sie zu einer Sterblichen machten. Er blickte der hohen edeln Gestalt mit dem langen wehenden Schleier nach, welche neben seiner Schwester eben so majestätisch, nur zärter gebauet, erschien als Linda, und deren heiliger Gang eine eine Priesterin verkündigte, die in Tempeln vor Göttern zu wandeln gewohnt gewesen. Kaum waren beide verschwunden, als die alten Bekannten Albano's, zumal die Wei¬ ber, denen Juliennens Gegenwart immer Al¬ bano's Stammbaum nahe gehalten, mit allen Zeichen der lang zurückgedrängten Herzlichkeit, voll Wünsche, Freuden und Thränen auf sein Herz eindrangen. „Bleibt meine Eltern“ sagte Albano. „Bravheit ist alles auf der Erde“ sagte der Direktor. — „Ich that das Meinige wie eine Mutter, (sagte Albine,) aber wer konnte das wissen?“ — Rabette sagte nichts, ihre Freude und Liebe waren überschwenglich wie ihre Erinnerung. „Meine Schwester Ra¬ bette (sagte Albano) hat mir, als ich das er¬ stemal nach Italien gieng, die Worte auf eine Börse gestrickt mitgegeben: gedenke unserer — Diese werd' ich Euch allen in jedem Schicksal erfüllen“ — und hier dacht' er, obwohl zu ver¬ schämt-bescheiden, um es zu sagen, an das was er etwan als Fürst für seinen Pflegevater thun könnte, worunter die Zurückgabe von des¬ sen heimfallenden Männer-Lehn zuerst gehörte. Titan IV . N n „So wird uns denn manches zeitherige Herze¬ leid —“ fieng Albine an. „O was Herze, was Leid, (sagte Wehrfritz,) heute wird alles rich¬ tig und glatt.“ Aber Rabette verstand die Mutter sehr wohl. Alle begaben sich auf den Weg zum Trauer- Tempel. Sie hörten aus der Kirche die Musik des Liedes: „wie sie so sanft ruhn“; in eini¬ ger Ferne versuchten sich Waldhörner zu fro¬ hern Tönen. Rabette drückte Albano's Hand und sagte sehr leise: „es ist gut mit mir ge¬ worden, weil ich alles erfahren habe.“ Sie hat¬ te dem unglücklichen Roquairol, seitdem er ein vielfaches Glück und sich selber ermordet hatte, ihre ganze Liebe ins Grab zum Verwesen nach¬ geworfen, ohne eine Thräne dazu zu thun. Sie sprang auf Idoinens Güte über, auf ihre Ähnlichkeit, „mit deren Erwähnung der Vater den Engel heute roth gemacht“ und auf ihr schönes Trösten Juliennens, die vor Albano's Ankunft unaufhörlich geweint. Albine lobte mehr Juliennen wegen Ihrer Geschwister-Liebe. Rabette schwieg über diese; beide waren schwe¬ sterliche Nebenbuhlerinnen; auch hatte Julienne sie als Schlachtopfer des von ihr verachteten Roquairol's nach ihrem scharfen unerbittlichen System sehr kalt angesehen, indeß Idoine, welche, durch ihre größere Kenntniß der Menschen, Milde gegen die weiblichen Irthümer des Herzens und Augenblicks mit Strenge gegen Männer verbinden lernen, nur sanft und gerecht gewe¬ sen war. Als sie in die Kirche voll Trauerlampen traten: schlich sich Albano in eine unbeleuchtete Ecke weg, um nicht zu stören und gestört zu werden. Am hellen Altare stand heiter der ehrwürdige Spener mit dem unbedeckten Haupt voll Silberlocken, der lange Sarg des Bruders stand vor dem Altare zwischen Lichter-Linien. Am Gewölbe der Kirche hieng Nacht und die Ge¬ stalten verlohren sich in das Dunkel, unten durch¬ kreuzten sich Strahlen und Schlagschatten und Menschen. Albano sah wie eine Todespforte die eiserne Gitterthüre des Erbbegräbnisses auf¬ gethan, worein seine frommen Eltern gezogen waren; und ihm war als schreite noch einmal Schoppens brausender Geist hinein, um in das letzte Haus des Menschen einzubrechen. Der N n 2 Bruder rührte ihn nur wenig, aber die Nach¬ barschaft der stillen Eltern, die so lang für ihn gesorgt und denen er nie gedankt, und die un¬ aufhörlichen Thränen der Schwester, die er in der Empor über der Todespforte sah, ergrif¬ fen heftig sein Herz, aus welchen die tiefen ewigen Trauertöne die Thränen, gleichsam das warme Blut der Trauer und Liebe sogen. Er sah Idoine, mit ihrer halb rothen halb weis¬ sen Lankaster-Rose auf der schwarzen Seide neben der Schwester stehen, sich gegen man¬ chen vergleichenden Blick den Schleier über die Augen ziehend — Hier neben solchen Altarlich¬ tern hatte einst die bedrängte Liane unter dem Abschwören der Liebe geknieet — Das ganze Sternbild seiner glänzenden Vergangenheit, sei¬ ner hohen Menschen, war hinunter unter den Horizont und nur Ein heller Stern davon stand noch schimmernd über der Erde, Idoine. Da erblickte den Jüngling sein Freund Dian und eilte herzu. Ohne viele Rücksichten um¬ armte ihn der Grieche und sagte: „Heil, Heil der schönen Veränderung! Dort steht meine Chariton, auch sie möchte nach ihrer Spra¬ che Nehmlich freue Dich. grüßen.“ — Aber Chariton blickte un¬ aufhörlich Idoinen wegen ihrer Ähnlichkeiten an. „Nun, mein guter Dian, ich habe manches Herz und Glück dafür hingezahlt und mich wundert es, daß Dich mir das Geschick gelassen“ sagte Albano. — Darauf fragt' er ihn als den Bau¬ meister der Kirche nach der Beschaffenheit des Erbbegräbnisses, weil er nachher sich wolle die Asche seiner Eltern aufdecken lassen, um wenigstens stumm und dankend hinzuknieen. „Davon (sagte Dian betroffen) weiß ich sehr wenig; aber ein grausamer Vorsatz ist's und wozu soll er führen?“ — Die Musik hörte auf, Spener fieng leise seine Rede an. Er sprach aber nicht von dem Fürsten zu seinen Füßen, auch nicht von seinen Geliebten in der Erbgruft, sondern von dem rechten Leben, das keinen Tod kenne und das erst der Mensch in sich erzeuge. Er sagte, daß er, obwohl ein alter Mann, weder zu sterben noch zu leben wünsche, weil man schon hier bei Gott seyn könne, sobald man nur Gott in sich habe — und daß wir müßten unsere hei¬ ligsten Wünsche wie Sonnenblumen ohne Gram verwelken sehen können, weil doch die hohe Sonne fortstrahle, die ewig neue ziehe und pfle¬ ge — und daß ein Mensch sich nicht sowohl auf die Ewigkeit zubereiten als die Ewigkeit in sich pflanzen müsse, welche still sey, rein, licht, tief und alles. Für manche Menschen-Brust in der Kir¬ che wurde durch die Rede der Vergangenheit die Giftspitze abgebrochen. Auf Albano's stei¬ gendes Meer halte sie glattes Öhl gegossen und um sein Leben wurd' es eben und glän¬ zend. Juliennens Augen waren trocken und voll heitern Lichtes geworden; und Idoinens ihre hatten sich schimmernd gefüllet, weil heute ihr Herz zu oft in Bewegung gekommen war, um nicht in der süßen, andächtigen und erhe¬ benden zu weinen. Einmal war Albano, da er zu ihr blickte, als glänze sie überirdisch und, wie auf eine Luna die Sonne unter der Erde, strahle Liane aus der andern Welt auf ihr An¬ gesicht und schmücke das Ebenbild mit einer Heiligkeit jenseits der Erde. Nach dem Schlusse der Rede gieng Albano ruhig zu beiden Freundinnen, drückte seiner Schwester die Hand und bat sie, nicht das Ende der dunkeln Feier abzuwarten. Sie war getröstet und willig. Da sie aus der Kirche traten, war ein wunderbarer heller Mondschein auf der Erde verbreitet wie ein süßes Morgen¬ licht der höhern Welt. Julienne bat sie, statt zwischen die Mauern, die Kerker der Augen und Worte, und unter das Getümmel hinein¬ zugehen, lieber vorher die hellen stillen Gegen¬ den zu schauen. Alle trugen in ihrer Brust die heilige Welt des heitern Greises in die schöne Nacht hinaus. — Kein Wölkchen, kein Lüftchen regte sich am weiten Himmel, die Sterne regierten allein, die Erdenfernen verlohren sich in weisse Schatten und alle Berge standen im silbernen Feuer des Mondes. „O wie lieb' ich Ihren heitern hei ligen Greis (sagte Idoine zu Albano und hat¬ te schon oft Juliennens Hand gedrückt) — Wie gut ist mir! — Ach das Leben wird wie das Meerwasser nicht eher ganz süß, als bis es gen Himmel steigt.“ — Plötzlich kamen zu ih¬ nen ferne Waldhorntöne heraus, welche gut¬ meinende Landleute vor Albano's Erziehungs¬ hause als Grüße brachten. „Wie kommt's, (sagte Julienne,) daß im Freien und Nachts auch die unbedeutendste Musik gefällig und rüh¬ rend wird?“ — „Vielleicht weil unsere innere heller und reiner dazu mittönt“ sagte Idoine. — „Und weil vor der Sphärenmusik des Uni¬ versums menschliche Kunst und menschliche Ein¬ falt am Ende gleich groß sind“ setzte Albano dazu. „Das meint' ich eben, denn sie ist doch auch nur in uns“ sagte Idoine und sah ihm liebreich und offen in die Augen, die vor ihren zusanken, wie wenn ihn jetzt der Mond, der milde Nachsommer der Sonne, blendend über¬ glänzte. Sie wandte sich seit der Kirchenfeier öfter an ihn, ihre süße Stimme war theilnehmender obwohl zitternder, die jungfräuliche Scheu vor Lianens Ähnlichkeit schien besiegt oder verges¬ sen, so wie an jenem Abende im letzten Gar¬ ten; in ihr hatte sich unter Speners Rede ihr Daseyn entschieden und an der Liebe der Jung¬ frau waren, wie an einem Frühling durch Einen warmen Abend-Regen alle Knospen blühend aufgebrochen. Indem er jetzt dieses klare milde Auge unter der wolkenlosen reinen Stirn anschauete und den feinen vom uner¬ schöpflichen Wohlwollen gegen jedes Leben über¬ hauchten Mund: so begriff er kaum, daß diese weiche Lilie, diesen leichten Duft aus Morgen¬ roth und Morgenblumen aufgestiegen, der fe¬ ste Geist bewohne, der das Leben regieren konnte, so wie die zarte Wolke oder die kleine Nachtigallen-Brust der schmetternde Schlag. Sie standen jetzt auf dem vom Immergrün der Jugenderinnerung bedeckten hellen Berge, wo Albano sonst in den Träumen der Zukunft geschlummert hatte, wie auf einer lichten hohen Insel mitten im Schatten-Meere zweier Thä¬ ler. Die Lindenstädter Gebürge, das ewige Ziel seiner Jugendtage, waren vom Mond be¬ schneiet und die Sternbilder standen blitzend und groß auf ihnen hin. Er sah Idoine nun an — wie gehörte diese Seele unter die Ster¬ ne! — „Wenn die Welt rein ist vom niedrigen Tage — wenn der Himmel mit seinen heilig¬ sten fernsten Sonnen das Erdenland ansieht — wenn das Herz und die Nachtigall allein spre¬ chen: — nur dann geht ihre heilige Zeit am Himmel an, dann wird ihr hoher stiller Geist gesehen und verstanden und am Tage nur ihr Reiz“; dachte Albano. „Wie manchmal, mein guter Albano, (sagte die Schwester,) hast Du hier in Deinen verlas¬ senen Jugendjahren zu den Bergen nach den Deinigen gesehen, nach Deinen verborgnen El¬ tern und Geschwistern; denn Du hattest immer ein gutes Herz!“ Hier blickte ihn Idoine un¬ bewußt mit unaussprechlicher Liebe an — und sein Auge ihres. — „Idoine, (sagt' er und ihre Seelen schaueten in einander wie in schnell aufgehende Himmel und er nahm die Hand der Jungfrau,) ich habe noch dieses Herz, es ist unglücklich, aber unschuldig.“ — Da verbarg sich Idoine schnell und heftig an Juliennens Brust und sagte kaum hörbar: „Julienne, wenn mich Albano recht kennt, so sey meine Schwe¬ ster!“ — „Ich kenne Dich, heiliges Wesen“ sagte Albano und drückte Schwester und Braut an Eine Brust. — Und aus allen weinte nur Ein freudetrunknes Herz. „O ihr Eltern, (betete die Schwester,) o du Gott, so segne sie beide und mich, damit es so bleibe!“ Und da sie gen Himmel sah, als die Liebenden im kurzen heiligen Elysium des ersten Kusses wohnten, so blickten unzähliche Unsterbliche aus der blauen tiefen Ewigkeit — die fernen Töne und die milden Strahlen verwoben sich in einander — und das schlummernde Reich des Mondes er¬ klang — „schauet auf zum schönen Himmel, (rief die freudentrunkne Schwester den Lieben¬ den zu,) der Regenbogen des ewigen Friedens blüht an ihm und die Gewitter sind vorüber und die Welt ist so hell und grün — wacht auf, meine Geschwister!“ — Ende . Berlin, gedruckt bei Gottfried Hayn. Druckfehler des vierten Bandes. Seite 5 Zeile 12 statt Stillen lies Stellen — 32 — 13 — verschienen l. erschienen — 38 — 2 — Stille l. Stelle — 162 — 3 v. u. lies: liebliche verklei¬ nerte Insel — 188 — 5 nach denk' ich setz' ein : — 193 — 2 statt Hohe l. hohe — 268 — 3 v. u. statt Neapel l. Napel — — letzte Zeile statt Baja, Cuma lies: Bajä , Cumä . — 300 Zeile 14 statt Moos l. Moses — 335 — 6 — Wache l. Woche — 408 — 11 — Rasen l. Rosen — 421 — 4 v. u. nach: zu mir! fehlt: sagt' er — 460 — 11 statt Stiele l. Stile — 541 — 5 — Auch l. Ach