Muͤnchhausen . Eine Geschichte in Arabesken von Karl Immermann . Non fumum ex fulgore, sed ex fumo dare lucem Cogitat, ut speciosa dehinc miracula promat, Antiphatem, Scyllamque et cum Cyclope Charybdim. Horatius . Erster Theil . Duͤsseldorf, Verlag von J. E. Schaub . 1838 . Erstes Buch . Muͤnchhausens Debuͤt . Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 1 Eilftes Capitel . Worin der Freiherr seinen Abscheu vor dem Laster des Lügens nicht allein aus- spricht, sondern auch bethätigt . Was für ein schändliches Laster ist das Lügen! Denn erstens kommt es leicht heraus, wenn Einer zu arg flunkert, und zweitens kann Jemand, der sich’s angewöhnt hat, auch einmal die Wahrheit sprechen, und Keiner glaubt sie ihm dann. Daß mein Ahnherr, der Freiherr von Münch- hausen auf Bodenwerder einmal in seinem Leben die Wahrheit sagte, und Niemand ihm glauben wollte, das hat bei dreihundert Menschen das Leben gekostet. Wie? riefen der Baron und seine Tochter aus einem Munde. Geschätzte Freunde und liebe Wirthe, mäßiget Euer Erstaunen, versetzte der Gast, indem er, wie 1* ein Kaninchen, die Nasenflügel zitternd bewegte, und mit den doppelfarbigen Augen zwinkerte. Nichts natürlicher, als das. Hört nur zu. Der besagte Ahnherr war leider Gottes, wie Ihr wißt, ein ungemeiner und erschrecklicher Lügensack. Wer erinnert sich nicht der zwölf Enten, die er mit einem Stücke Schinkenspeck fing, nicht seines halbirten Rosses, welches in diesem Zustande der Halbheit dennoch eine Nachkommenschaft zu erzielen vermögend war, nicht des tollgewordnen Jagdpel- zes, nicht der im Posthorn eingefrornen Töne, und — und — o! o! o! — — Das blaue Auge des Enkels weinte, sein braunes blitzte von tugendhaftem Zorne, er konnte nicht weiter reden. Dem alten Baron und seiner Tochter gelang es endlich, ihn zu beruhigen. Der edle Redner schluchzte noch ein Weniges, dann fuhr er so fort: Es ist meiner Treu recht schlecht von mir, daß ich von meinem in Gott ruhenden Ahnherrn Uebles rede, aber Ehrlich währt am längsten. Dieser Mensch und Lügner hat die historische Wahrheit auf Jahrhunderte hin vergiftet, und die nachgebornen Geschlechter gewis- sermaßen unter die Botmäßigkeit jedes Irrwahn’s gegeben, der seitdem in der Welt auftrat. Ja, um mich eines Gleichnisses aus einer seiner abge- schmackten Fabeln zu bedienen, es erging der Menschheit nachmals mit jedem falschen Propheten wie dem Bären, den der Ahnherr an die honigbe- schmierte Wagenstange lockte, und der sich durch und durch auf selbige hinaufleckte. Denn es mochte den Leuten etwas noch so Unglaubliches vorgeschwätzt werden, sie riefen immer: Das muß wahr seyn; Münchhausen hat ganz andre Sachen erfahren! So leckten sich die Leute vor fünfzig bis sechszig Jahren auf den Eiszapfen der Auf- klärung hinauf, und als sie mit Mühe und Noth von diesem wieder heruntergeschroben waren, und die grimmige Erkältung noch in ihren Einge- weiden rasselte, da kamen die Franzosen und hiel- ten ihnen den Freiheitsbaum vor, mit einer Mischung von Sirup und Cognac bestrichen, und die Narren leckten wieder so tapfer darauf los, daß sie bald Alle mit Schmerzen an dem stach- lichten Stamme festsaßen, und Napoleon mit leichter Mühe sie daran hinter sich herziehen konnte. Nun, diese Begeisterung nahm denn endlich auch ein Ende mit Schrecken und gegenwärtig … Gegenwärtig? fragte der Baron erwartungs- voll. Gegenwärtig, versetzte der Freiherr bedächtig, werden so viele und verschiedenartige Stangen, Bäume und Zapfen, worunter sich auch einige Eisenschienen befinden, mit Honig bestrichen, daß sich noch nicht entscheiden läßt, welches dieser Fang- mittel die Meisten zu fesseln im Stande seyn werde. Aber das Wort der Wahrheit, durch welches Ihr Ahnherr an die dreihundert Menschen töd- tete! rief das Fräulein Emerentia sanft und dringend. Recht so, meine Gnädige, erwiederte der Freiherr. Allegorie und Phantasiespiele sind aus der Mode, gehören der Ramlerschen Zeit an; Stoff! Stoff! Stoff! ruft die nach Realitäten hungrige Welt. Hier ist der meinige. Münchhausen, der Ahnherr, war trotz seines gräulichen Lasters eine selten- begabte Natur. Er hatte mit Cagliostro in Ver- bindung gestanden, zu seiner Zeit Gold gemacht, von der Sorte, die man Knallgold nennt, man versicherte, er höre, nicht im figürlichen, sondern im buchstäblichen Sinne, das Gras wachsen, kurz, er hatte tiefe Blicke in so manches Naturgeheimniß gethan. Besonders war an ihm ein scharfes Ahnungsvermögen für eigne Körperzustände ausge- bildet worden, und Alles, was nachmals in diesem Betreff von nervösen oder somnambülen Personen erzählt worden ist, war Kleinigkeit gegen das, was glaubwürdige Gewährsmänner mir von ihm berich- tet haben. Er wußte an sich selbst jede Befin- densveränderung, wie die Homöopathen die Krank- heiten nennen, vorauszuspüren, und trug, so zu sagen, seine ganze somatische Zukunft, im Geruch vorgebildet, mit sich umher. Daß Einer merkt, wenn ein Schnupfen bei ihm im Anzug ist, will nicht viel bedeuten; aber durch den Schnupfen hindurch die späteren Uebel, die ihn noch betreffen sollen, zu merken, ist allerdings nicht Jedem gege- ben. Theophilus, sagte der Ahnherr eines Tages zu dem Manne, der mein Vater vor der Welt heißt, Theophilus, ich kriege morgen einen rech- schaffenen Schnupfen, wenn der vorüber ist, giebt’s ein kaltes Fieberchen, und darnach wird der Rest der bösen Schärfe als Podagra in den rechten Fuß fahren. Und richtig, so kam es. Er hatte durch den Schnupfen hindurch das kalte Fieber, durch dieses hindurch das Podagra an sich abgewittert. Sie haben gewiß von jenem südamericanischen Indianerstamme im Gebiete Apapurincasiquinitsch- chiquisaqua gehört? A … pa … pu … rin … buchstabirte der alte Baron. Ja wohl, ja wohl haben wir von diesem Stamme gehört, fuhr er nach einigem Besinnen fort. Wer sollte auch davon nicht gehört haben! Apapurincasiquinitschchiquisaqua, flüsterte das Fräulein schwärmerisch vor sich hin. Dieser Indianerstamm, sagte der Freiherr, wohnt dreiundsechszigdreiviertel Meilen südlich vom Aequator auf einem Bergplateau zweitausendfünf- hundert Fuß über der Meeresfläche. Von den schneeigten Pics der Cordilleras rings geschützt, leben jene Menschen ein einfaches Ur- und Natur- leben hin. Nie suchte die Habsucht und Grau- samkeit der Conquistadoren sie hinter ihren beschir- menden Felsenwällen heim. Bäume giebt es nicht auf Apapurincasiquinitschchiquisaqua wegen seiner hohen Lage, aber unendliche Flächen dehnen sich an den sonnebeschienenen Abhängen der Pics aus, smaragdgrün von einer Grasart, in deren breiten, fächerartigen Blättern der Westwind, welcher da beständig weht, ein melodisches Säuseln zu erwecken nicht müde wird. Zahlreiche Heerden von phirsich- blüthenen Kühen und Stieren, (so lieblich scherzt dort die Natur in Farben) weiden in den grünen Grasweiden; die feurigen Kälber sind goldgelb, erst nach und nach nehmen sie jenen kälteren Far- benton an. Dieses Rindvieh ist der einzige Reichthum der unschuldigen Apapurincasiquinitschchi- quisaquaner. Sie leben fast nur von der sauren oder sogenannten Schlippermilch, welche ihre schönen Jungfrauen, vom Antlitz bis zu den Fußknöcheln tättowirt, mit den feinen, roth und gelbbemalten Fingern den strotzenden Eutern der Kühe entziehn. Ihr himmlischen Mächte, wie reizend! sagte das Fräulein, in Gefühl schwelgend. Das heißt, erinnerte der Baron, und rieb sich die Stirn, aus den Eutern gewinnen sie süße Milch, und nachher machen sie den sauren Schlipper daraus. Nein! antwortete der Freiherr. Der saure Schlipper kommt auf jenem glücklichen Bergplateau von der Kuh, und nur, wenn er lange gestanden hat, und dem Zustande der Verderbniß sich nähert, dann geht er in Süßigkeit über. Hm! Hm! Hm! Ja … aber — — murmelte der Alte und schüttelte den Kopf. Erstaunen Sie nicht, hören Sie mich ruhig aus. Ist nicht alles Ursprüngliche sauer? Wie schmeckt die wilde und unverbildete Castanie? Kannst du in den jugendgrünen Apfel beißen, ohne das Gesicht verzerren zu müssen, oder in die kindliche harte Pflaume? Geben Trauben, die der buhlerische Strahl der Sonne noch nicht um ihre Unschuld betrog, etwas Anderes, als Essig? Pindar singt: Das Fürnehmste ist Wasser; ich aber sage: Das Ursprüngliche ist sauer. O, das Ursprüngliche! seufzte Emerentia. Sauer ist daher die Milch jener Natur-Kühe. Alle Hausthiere verlieren bekanntlich durch den Umgang mit Menschen viel von ihrer ursprünglichen Ausstattung; Hund und Katze, die in der Wild- niß zottige, energische Bestien sind, werden in unsern Stuben kleine glatte Schmeichler, und so giebt denn auch unser Hornvieh, weil es in alle Widersprüche abschwächender Cultur mit einging, einen Saft, von welchem wir zwar glauben, er sei das Ergebniß unverstimmter Kräfte, welcher aber gleichwohl in seiner süßen Schlaffheit nur die herabgekommne Constitution der zahmen oder Kunst- Kuh anzeigt. Erst wenn diese sogenannte süße, eigentlich aber entnervte Milch eine Zeitlang gestanden hat, besinnt sie sich wieder auf ihre ver- scherzte Ursprünglichkeit, fährt in Reue und Schaam zu den klaren Molken und dem gehalt- vollen Schlipper auseinander, den die Leute in Niedersachsen auch wohl Waddicke nennen, und nun, in diesem biedern Zustande, wird sie von allen reinen Seelen in der holden Einsamkeit eines bäuerlichen Düngerhofes mit Wollust verschlürft. Aber Reue ist keine Unschuld, und unsre Schlip- permilch nicht die, welche auf den Höhen von Apapurincasiquinitschchiquisaqua warm von der Kuh gezogen wird. — O tränke wieder jeder deutsche Mann saure Milch … Und rauchte dazu seine Pfeife Tobak … fiel der alte Baron mit Wärme ein. … ginge dann zwischen Gemüsebeeten auf und nieder spazieren! … rief der Freiherr. Und hörte nichts, als: Alle Neun! oder Sand- hase! von der benachbarten Kegelbahn — seufzte der alte Baron. Dann wäre Germanien wahrhaft restaurirt! schloß der Gast mit Emphase. Aber um der Götter willen, rief ein hagrer Mann, welcher während dieser Gespräche einge- treten war, wir erfahren ja noch immer das Wort der Wahrheit nicht, wodurch Ihr Ahnherr dreihundert Menschen vom Leben zum Tode brachte! Der Freiherr sah auf seine Uhr, und sagte mit dem Tone geistiger Ueberlegenheit, welcher ihm eigen war: Es möchte dazu heute zu spät seyn. Auf morgen also, wenn Sie vergönnen. Er stand auf, nahm eine Kerze, und verließ, Allen eine gute Nacht wünschend, das Zimmer. Warum fielt Ihr ihm in die Rede, Schul- meister? sagte der alte Baron verdrießlich zu dem Hagern. Einen solchen Mann, mit einem so Welt- umfassenden Gesichtskreise muß man nie im Flusse der Worte stören, es kommt immer dabei etwas zum Vorschein, was unterhält und belehrt, und am Ende wären wir doch wohl noch zu dem Worte der Wahrheit seines Ahnherrn gediehen, wenn Ihr ihn nicht unterbrochen hättet. Schelten Sie mich nicht, mein Gönner, um diesen Freiherrn von Münchhausen, der uns da so unversehens in das Schloß geworfen ist; erwie- derte der Hagre. Er kann den an Kürze und Laconismus Gewöhnten schon ungeduldig machen, dieser endlose Redner und Erzähler, denn er ver- fällt immer aus dem Hundertsten in das Tausendste. Kürze aber, die körnige Kürze der Sparter, ist wie ein Köcher, darin gar viele Pfeile stecken; indem erstens … Es ist schon gut, Schulmeister, fiel ihm der Alte in die Rede, indem er ihn mit einem zwei- deutigen Blicke maaß. Warum kommt Ihr heute so spät? Wir haben Alles aufgespeist. Der Schulmeister Agesilaus ließ seine Augen in die Ecke des Zimmers dringen, worin ein klei- ner Tisch stand, ärmlich gedeckt. Die Knochen eines verzehrten Huhns lagen auf den Tellern verstreut. Es wollte sich in der Eile nicht des Schilfes genug für mein Nachtlager schneiden lassen, ver- setzte er. So bin ich denn hier nach dem Mahle erschienen, und werde mich zu Hause mit schwar- zer Suppe verköstigen müssen. Er zündete seine Blendlaterne an, schlug den groben, zerrißnen Mantelkragen, den er statr des Rockes trug, fester um sich, und entfernte sich nach höflicher Verbeu- gung gegen den Baron und das Fräulein. Der Alte sah sich um und murrte: Kein zweiter Leuchter mehr hier? Er nahm aus dem Wand- schranke ein Lichtstümpfchen, steckte es in den Hals einer Flasche, und ging mit dieser Vorrich- tung aus dem Stegreife davon, in tiefen Gedan- ken über die Erzählungen des Gastes, ohne der Tochter weiter zu achten. Diese hatte von allen seitherigen Verhandlun- gen nichts bemerkt, weil sich nach der Schilderung jenes glückseligen Bergplateaus die romantische Träu- merei ihrer bemächtigt hatte, in die sie nicht selten versinken konnte. Jetzt fuhr sie aus diesen Ent- zückungen der Abwesenheit empor, und rief: Gro- ßes, ungeheures Naturbild! Das Smaragdgrün der Wiesen am Abhange der Pics, vermischt mit dem Phirsichroth der Kühe und dem Goldgelb der Kälber, sich abhebend von dem Schneeweiß der Cordillerasgipfel im Hintergrunde! O wäre ich auf Apapur … auf Apapur … auf der Berg- ebene mit dem unaussprechlichen Namen! Ein Windstoß warf das Fenster auf, dessen einer Flügel, nur noch morsch in seinen Nägeln hangend, zu Boden fiel, und klirrend zertrümmerte. Das Fräulein aber achtete dieses Umstandes nicht sonderlich, sondern hob eine Tischplatte ab, stellte sie gegen die Lücke, und begab sich dann, gleich den übrigen Personen, zur Ruhe, um von der Bergebne, mit deren langen Namen ich meine Zuhörer schon so oft habe behelligen müssen, wei- ter zu träumen. Zwoͤlftes Capitel . Der Freiherr bringt zwar die angefangne Geschichte nicht zu Ende, handelt aber von andern außerordentlichen Dingen . Münchhausen hob am folgenden Abende ohne Vor- rede also an: Der südamericanische Indianerstamm, welcher uns gestern beschäftigte, bringt es bei sei- ner sauren Milchnahrung meistens zu einem sehr hohen Alter. Es ist unter ihnen gar nicht selten, daß Männer und Frauen das hundertste Jahr zurück- legen. Weil ihre Sinne und Säfte nun immer in der unmittelbarsten Gemeinschaft mit der Natur verblieben, so wissen sie auch durch ein richtiges Gefühl, wenn die Natur sich ihr Ziel gesetzt hat. Ein solcher Sterbegreis sagt daher ganz genau Stunde, Minute und Augenblick seines Todes vor- aus, flicht sich die Strohflasche, worin er sich zu bestatten gedenkt … Die Strohflasche? fragte der Schulmeister Agesilaus. Die Strohflasche, erwiederte der Freiherr kaltblütig. Wenn man mir von Anfang an zu- gehört hätte, so würde manche Frage zu sparen seyn. Holz haben sie nicht, das sagte ich schon gestern, Särge können sie folglich nicht zimmern, sie müssen sich mit getrocknetem Grase oder Stroh helfen, um ihre Leichenfutterale zu fertigen. Ein solches Futteral hat die Form desjenigen Geflechts, worin der Maraschino von Triest verschickt wird, länglicht-viereckicht, oben mit einem kurzen, etwas engeren Halse. Dahinein kriecht nun der Sterbe- greis, nachdem er von seinen Angehörigen Abschied genommen hat, und endet pünktlich in dem vorher- gesagten Augenblicke. Sobald er verschieden ist, binden sie eine Blase über die Mündung, und dann setzt sich die ganze Familie im Kreise um das Sterbefutteral her und ißt zum Gedächtniß des Verewigten saure Milch. Hierauf tragen sie die Strohflasche nach der Felsenbank Pipirilipi, dem allgemeinen Begräbnißorte des Volks. Dort wird sie zu den Uebrigen gestellt. Ich habe jene Ruhe- statt selbst gesehen; sie gewährt einen schönen An- Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 2 blick. Wie auf Rayolen in einem wohlversehenen Keller stehen dort auf der Felsenbank viele tausend Flaschen neben einander, die Vorzeit des Volks ist so zu sagen auf Stroh abgezogen. Sie waren auch auf dem smaragdgrünen Pla- teau? fragte das Fräulein einigermaßen befremdet. Liebe Seele, wo wäre ich nicht gewesen! ant- wortete lächelnd der Freiherr. Ich war vor eini- gen Jahren Europamüde, warum? weiß ich selbst nicht, denn es hatte mir Niemand etwas zu Leide gethan, aber ich war Europamüde, wie man gegen Eilf Uhr Abends Schlafmüde wird. Be- schloß also, zu reisen, so weit weg, wie möglich. Weil aber heut zu Tage jeder Mensch, der in Betrachtung kommen will, absonderlich unterweges, interessant seyn und den Spleen haben muß, reiste ich erst nach Berlin und ließ mich dort im Inte- ressantseyn unterrichten; dafür zahlte ich zwei Frie- drichsd’or Honorar. Dann ging ich nach London, und lernte dort bei einem Master den Spleen; der Tausendsassa war aber theuer, ich mußte ihm, Sie mögen es mir glauben, oder nicht, zwanzig Guineen entrichten, und außerdem schwören, das Geheimniß nicht verrathen zu wollen. Nachdem ich so das Interessante und den Spleen weg hatte, glückte es mir überall recht sehr. Ich trug mich bald als Engländer, bald als Neugrieche, zuweilen lag ich als Dame auf dem Sopha und hatte Migraine; dabei redete ich ein Kauderwälsch von Französisch und Deutsch, wie es zu Anfang des Achtzehnten Jahrhunderts während der großen Sprachverderbniß Mode war. In jenen wechselnden Costümen, und in diesem Deutsch, gorge — de — pigeon, bestand das Interessante; was aber den Spleen angeht, so führte ich immer Kampher bei mir, um das Geheimniß frisch zu erhalten. Davon bekommt man nämlich eine blasse Couleur; ich sah bald aus, als hätte ich schon zehn Jahre im Grabe gelegen. Als ich mich eines Tages in meinem Toilettenspiegel, deren ich damals, wo ich der Eitelkeit fröhnte, stäts mehrere besaß, zu Gesichte bekam, und meine bleiche Farbe erblickte, ging mir ein lichter Gedanke im Kopfe auf. Sehe ich nicht wie eine Leiche aus? sagte ich zu mir selber. Ich will mich den Verstorbenen nen- nen. Gesagt, gethan! Dieser Einfall hat Wun- der gewirkt. Einen Verstorbenen hatten die Deut- schen noch nicht gehabt. Und nun gar ein Ver- storbener, der so traulich mit ihnen zu plaudern 2* wußte, und ihnen tausend Geschichtchen erzählte, die ein Lebender allenfalls auch in jedem Klatschzim- mer der Societät hätte auftreiben können! Jung und Alt, Männer und Weiber, Gelehrte und Idioten drängten sich zu den Leichenspuren des Verstorbenen; die alte Fabel wurde wieder neu, welche das Volk hinter einem geschmückten Ver- wes’ten jubelnd herwandern läßt. Geheime Künste haben es aus der Gruft emporbeschworen, die Menge zu locken. Die Jünglinge drängen sich be- gehrlich heran, mit der buntgeschminkten Frau Venus zu tanzen; immer weiter lockt die Pest- dampfende Schönheit, welche ihnen wie Zibeth und Ambra riecht, die Lüsternen; endlich auf einem Kirchhofe fallen die Gewänder von den klappernden Gebeinen ab, und ein scheußliches Skelett faucht ihnen den Spruch zu: Sic transit gloria mundi. Aber mit mir kam es nicht so weit, vielmehr blieb ich, obgleich ein duftender Verstorbener, recht in- mitten der Gloria Mundi. Nachdem ich so be- rühmt geworden war, strich ich durch die ganze Welt, kam auch im Vorbeigehen durch Africa; in Algier wurde ich Arabisch mit allen Formalitäten, hatte dann gutes Logis bei Vicekönigs von Egypten. Er wurde mein Dutzbruder, und ich mußte ihm tausend Sachen erzählen, die er mir alle geglaubt hat. Weiter oberhalb nach Nubien zu, unfern der großen Katarakte, stieß mir ein hübsches Aben- theuer mit einem Nilpferde auf. Ich sitze am Strom im Schilf, in naturalibus, wie mich der Herr geschaffen hat, denn anders bin ich in Africa nie gegangen; esse mein Mittagsbrod in guter Ruhe, siehe da, schießt eine Bestie von Hippopo- tamos auf mich zu, und hat mich im Rachen, ehe ich noch rufen kann: Qui vive ! Ich indessen nehme in der Geschwindigkeit mein Bischen Geistesgegen- wart zusammen, schreie in dem Rachen, als das Vieh mich eben verschlucken will: Monsieur! Mon- sieur! avec permission, je suis son Altesse telle et telle ! Was geschieht? Sie mögen es mir glauben oder nicht: Die gute Seele von Nilpferd spuckt mich auf der Stelle aus, wischt sich die Thränen aus den Augen … Womit? Womit? rief der Baron. … mit einem Palmblatte, welches die ehr- liche Haut in die rechte Vorderpfote nimmt; erröthet, und rennt beschämt davon. So weit haben es Vicekönigs schon in Egypten gebracht, daß selbst die Hippopotamoi vor literarischen Sommitäten Respect bezeigen. Ich meine, das Nilpferd nähre sich nur von Vegetabilien, nicht von Fleisch, wandte das Fräu- lein bescheiden ein. Es ist vermuthlich kurzsichtig gewesen, und hat mich für eine Pflanze angesehen, antwortete der Freiherr. Ich weiß, was ich weiß; ich habe im Rachen drin gesteckt. Wahrheit muß Wahrheit bleiben, und Ehrlich währt am längsten. Wo blieb ich stehen? Ja, in Africa. Warum soll ich Sie aber mit solchen Kleinigkeiten aufhalten? Ich war bald Africamüde, wie ich Europamüde gewesen war, beschloß daher nach America zu reisen, vor- her aber einen Abstecher nach Deutschland und England zu machen, wohin mich verschiedne Gründe zuvor riefen. Erstens hatte ich das Interessante und den Spleen etwas verlernt, und wollte daher wieder in Berlin und in London meinen Cursus machen. In Africa sind die Leute gar nicht interessant, der Koran begünstigt diese Richtung nicht, eine ara- bische Schnauze ist wie die andre, und was den Spleen betrifft, so vertreibt den der Vicekönig von Egypten durch die Vastonade; es giebt kein efficaceres Mittel gegen Schwermuth, als sie. Einmal hatte ich mich mit ihm etwas brouillirt, wie das unter Freunden wohl kommen kann; da dachte ich an die möglichen Folgen für die Fuß- sohlen, und von dem Gedanken schon war aller Spleen weg, selbst bis auf die Erinnerung. Es kam zum Glück nicht zu jenen Folgen, wir ver- söhnten uns und aßen noch denselben Mittag Sauer- kraut mit Schweineohren zusammen, denn er ist ein aufgeklärter Türke, und will nächstens in einer Schrift beweisen, daß Mahomet ein Product der Gläubigen sei. Wo blieb ich stehen? Ja so; bei dem Spleen. Nun, das Interessante hatte ich aus Mangel an Anschauungen in meiner Umgebung ebenfalls wieder eingebüßt. Ich mußte also schon deßhalb nach Deutschland und England. Dießmal war ich genöthigt, in Berlin für den Unterricht im Interessanten eine Bonne zu nehmen, die Mere Oye, der es im Rückblick auf Personen und Zustände nicht gegangen war, wie Loths Weibe bei einer ähnlichen Gelegenheit. Denn, anstatt zur Salzsäule zu erstarren, war sie nur immer gesprächiger und mercurialischer geworden. Viele Leute wollten der guten Mere und Commere etwas am Zeuge flicken; sie sagten, all ihr Geistreicheln und Interessantisiren sei doch purer Waschschaum, aber ich muß die Mere Oye vertheidigen. Auf hohe Ziele hat sie es überhaupt nicht abgesehen; sie gedenkt nur ihrer Ahnmütter, die urlängst durch Schnattern das Capitol retteten. Und da übt sie nun mittlerweile ihr Organ, um bei Stimme zu seyn, wenn dermaleinst das Capitol des plattirten-Liberalismus in Deutschland gefährdet werden sollte. Warum gingen Sie aber nicht zu Ihrem alten Lehrer? fragte der Baron. Der saß in Paris dazumal und las Altfranzö- sische Manuscripte. Ich reiste von Algier über Toulon und jene Hauptstadt, und traf ihn auf der Bibliothek. Da sah ich nun ein wahres Wunder jetziger Bücherschnellfabrication oder Schnellbücher- fabrication. Denn es ist gewiß; Sie mögen mir es glauben, oder nicht, mit der linken Hand schlug er die Blätter des pergamentenen Folianten um, der vor ihm lag, und mit der rechten schrieb er gleichzeitig ein Buch darüber oder daraus, so daß, wenn er links in Folio fertig gelesen hatte, ihm rechts ein Octavband abgegangen war. Da- zwischen dictirte er noch ein spirituelles Billet an eine Comödiantin, und unterhielt sich mit einem Arrondissementscommissair gründlich über das Pari- ser Grisettenwesen. Er blieb folglich nur drei Stadien hinter Cäsar’s Vielseitigkeit zurück. Was aber der zweite Grund meines Abstechers nach Deutschland war, ich wollte mir dort wieder einen guten Bedienten miethen. Meinen bisherigen hatte ich abschaffen müssen; er wollte auch interes- sant seyn, und hielt deßhalb beständig Maulaffen feil. Als Interessanter von Distinction glaubte ich Einspruch thun zu dürfen, aber da die Gewerbe- freiheit überall herrschte, so war in der Sache nichts zu machen; jeder Lump durfte interessant seyn. Nur aus Deutschland wollte ich mir den Ersatz- bedienten holen, denn jedes Land hat seine eigenthüm- lichen Producte, die man nirgends anders so gut be- kommt. Spanien hat seine Weine, Italien den Gesang, England die Constitution, Rußland den festesten Juch- ten, Frankreich die Revolution, und in Deutsch- land gerathen die Bedienten am besten. Dreizehntes Capitel . Der Freiherr beginnt eine historische No- velle von sechs verbundnen Kurhessischen Zöpfen zu erzählen, wird aber von dem Ausbruche der Verzweiflung bei dem Schul- meister Agesilaus unterbrochen, und ver- spricht geordnetere Mittheilungen . Da, wo die buschichten Anhöhen des Habichtwal- des gegen Abend, die Hügelketten des Reinhartwal- des gegen Mitternacht, der felsichte Sörewald gegen Mittag zu einem weiten Thale auseinandertreten, durch welches die Fulda in mannigfachen Krümmun- gen von Mittag nach Mitternacht ihre Fluthen wälzt, gegen Morgen aber eine lachende Ebne sich auf- thut, über welcher in weiter Ferne der majestäti- sche Meißner sein blaues Haupt erhebt, liegt Cassel … O Ihr heiligen und gerechten Götter, wohin soll denn nun das wieder führen? stöhnte der Schulmeister Agesilaus, den die Erzählungen des Freiherrn in einen Zustand versetzt hatten, welcher sich schwer beschreiben läßt. … liegt Cassel, die Hauptstadt des Kurfür- stenthums Hessen. Reinliche, breite Straßen durch- schneiden die obere oder Neustadt, deren Gebäude fast alle von regelmäßiger Bauart sind, während die untere oder Altstadt mehr dem Schmutze und der Krümme anheimgefallen ist. Mehrere schöne öffentliche Plätze verschönern jenen schöneren Theil der Stadt, unter allen jedoch ist der Friedrichs- platz der schönste, an welchem sich das prachtvolle Schloß mit seinen langen Fensterfluchten erhebt. Es war um die Zeit, als nach der glücklichen Herstellung der alten Verhältnisse Kurfürst Wilhelm in die Hallen seiner Väter zurückgekehrt war, und unter mehreren früheren bewährten Einrich- tungen auch jene Verlängerung des Haarwuchses wieder eingeführt hatte, welche man im Deutschen mit dem Namen Zopf zu belegen pflegt. Auch diese Zeit ist längst vorüber, die Kunde von ihr klingt fast wie die Mähr von dem versunkenen Eilande Atlantis; der historischen Dichtung aber ziemt es, nichts in der Geschichte verloren geben zu lassen, nicht einmal den ehemaligen Kurhessischen Zopf. Es war spät Abends und Cassels Bewohner schliefen schon, oder legten sich zu Bett. Auf dem Schlosse aber war es im Cabinett des Für- sten noch hell. Die Soir é e war zwar geen- digt, jedoch hielt der alte würdige Herrscher noch einige seiner Auserwählten um sich versammelt. Man hatte sich auf die gewohnte Weise von der Zwischenregierung und von dem wunderbaren Umschwunge der Dinge unterhalten. Der Kurfürst, welcher seine Gardeuniform, Klappenweste und steife Stiefeln trug, stand fest auf das spanische Rohr mit goldnem Knopfe gestützt, und sagte: Es bleibet dabei, Ich agnoscire Nichts von dem, was Mein Verwalter Jerome inzwischen angeordnet hat. Wer darunter leidet, mag sich an Meinen Verwalter halten, dem Wir nicht die Macht gege- ben hatten, auf seinen Kopf neue Sachen einzu- führen, und der mithin bei derartigen Thathandlungen Mandatum excediret hat. Wir wissen wohl, daß Wir dieserwegen der Censur etlicher unruhiger Köpfe unterliegen, aber das läßt Uns völlig unan- gefochten in Unsrem Gewissen, und Wir vertrauen hierinnen gänzlich der göttlichen Providentz, die Uns nach kurzer Ueberwältigung in Unsre Erb- staaten zurückgeführet, und deutsche Treue und Redlichkeit auch auf Unsrem Territorio retabliret hat. Habt Ihr das Edict verfasset, wodurch den Domainen-Ankäufern alle und jegliche Hoffnung, sich in ihrem unrechtfertigen Besitze zu mainteniren, entzogen wird? Das ließ ich meine eiligste Sorge seyn, ver- setzte der Angeredete, der Geheimerath Vellejus Paterculus. Es war in der That hohe Zeit, daß deutsche Treue und Redlichkeit bei uns retablirt wurde. Man kennet Mich noch nicht gehörig, fuhr der alte kräftige Fürst mit erhobener Stimme fort. Ich habe schon einmal die Gassenkehrer zur Correc- tion der Weichlinge und Schwelger in neumodischen französischen Kleidern die Straßen fegen lassen, und es dürfte passiren, daß sich Gleiches oder Aehnliches abermalen ereignete, wenn man Uns zu viel Aergerniß giebt. Dieses Cassel war unter der Wirthschaft Meines Verwalters ein liederlicher Ort geworden, und alle Zucht und Sitte hatte Abschied genommen. Eine Dame näherte sich dem Fürsten, und sagte mit schmeichelndem Tone: Ereifre dich nicht, Väterchen, du hast ja beides, Zucht und Sitte, hier wieder eingeführt. Sie und der Geheimerath Vellejus Paterculus wurden hierauf entlassen. Nur der Baron von Rothschild verblieb noch bei dem Fürsten. Er war nach Cassel gekommen, um mit seinem erlauchten Geschäftsfreunde Abrechnung zu halten, und hatte jetzt zu vernehmen, daß der Kurfürst die in des Barons Händen beruhenden Fonds ihm nicht länger zu sieben Procent lassen könne, sondern auf dem achten fortan bestehen müsse. Der Baron von Rothschild war durch diese Nachricht und Eröffnung im Tiefsten erschüttert. Er schwor bei dem Gotte Abrahams, Isaaks und Jakobs, daß ihn eine solche Maaßregel in das Verderben stürze, da aber sein hoher Gläubiger fest darauf bestand, und ihn für den Fall des Weigerns mit der Kündigung bedrohte, so gab der Baron endlich mit blutendem Herzen nach und erwog zu seinem Troste im Stillen, daß in seiner Bank das Pfund mit zwanzig Procent wuchre, ihm sonach allerdings zwölf noch übrig verblieben. Der Fürst hatte bei der ganzen Verhandlung seine Haltung unerschütterlich bewahrt. Jetzt stieß er das Fenster auf, sah in die sternenklare Nacht und sagte: Wenn Ich considerire, daß Ich wieder hier im Palais bin, und welche Interessen Mir die Englischen Gelder, die Ich dazumal für das Americanische Corps erhielt, in Seinen Hän- den getragen haben, Rothschild, so muß Ich spre- chen: Der alte Gott lebet noch und lässet nicht zu Schanden werden. Der Baron erwiederte etwas verstimmt: Warum soll nicht leben der alte Gott, da noch leben Eur’ Hoheit? Wie kann man werden zu Schanden mit acht Procent? Während sich diese Begebenheiten im Innern des Schlosses zutrugen, erzählten unten in der Wachtstube die sechs Gebrüder Piepmeyer ihren Cameraden Gespenstergeschichten. Die sechs Gebrü- der Piepmeyer waren die sechs Söhne des Kastel- lans Piepmeyer auf der Löwenburg. Dieser Mann hatte, wie es bei solchen Aufsehern herrschaftlicher Schlösser der Fall zu seyn pflegt, die loyalsten Gesinnungen, und in denselben auch seine Söhne erzogen. Man konnte daher von dieser Familie behaupten, daß in sieben Individuen nur ein und dasselbe hessische Herz schlage. Vater Piepmeyer war derjenige gewesen, welcher sich bei dem Ein- zuge des Kurfürsten auf einen Eckstein gestellt, jubelnd seinen durch alle Verführungen der Fremd- herrschaft hindurch geretteten Zopf geschwungen und gerufen hatte: Durchlaucht! Durchlaucht! meiner sitzt noch! was dem alten Herrn die erste wahre Regentenfreude in seinen Staaten bereitet haben soll. Sobald nun die sechs Söhne Piep- meyer, welche zwei Paar Drillinge waren, die Mutter Piepmeyer in zwei nach einander folgenden Jahren ihrem Gatten geschenkt hatte, in das Soldatenalter traten, ließ Vater Piepmeyer alle sechs an einem und demselben Tage in die Kur- fürstliche Zopf- und Stiefeletten-Garde eintreten. Sie hatten alle sechs dasselbe Maaß, nämlich sechs Fuß, drei Striche; hielten auf die völlige Iden- tität ihrer Stiefeletten und Zöpfe, und sahen einander überhaupt zum Verwechseln gleich, so daß der Commandeur sie mit verschiedenfarbigen Strichen über der Nase bezeichnen lassen mußte, um sie im Dienst unterscheiden zu können. Karl Piepmeyer bekam einen gelben, Heinrich Piepmeyer einen blauen, Ferdinand Piepmeyer einen rothen, Guido Piepmeyer einen orangefarbnen, Christian Piepmeyer einen grünen, Romeo Piepmeyer einen silbergrauen und Peter Piepmeyer einen schwarzen Strich über der Nase. Aber außer dem Dienste, wo sie sich als Menschen fühlten, wischten sie die Striche ab. Diese sechs Brüder von der Löwenburg erzähl- ten den andern Hessischen Wachtmannschaften folgende Geschichte: Ihr mögt es nun glauben oder nicht, aber so ist der alte Herr alle Jahre, während er in der Fremde war, an seinem Geburtstage jedesmal droben auf der Burg gewe- sen. An diesem Tage war es von früh Morgens an schon immer unruhig droben, es that sich ein Schwirren in den seidnen Gardinen hervor, die Gardinenbetten knackten, die Harnische in der Rüstkammer rasselten, der Wetterhahn auf dem Thurme hat unaufhörlich mit den Flügeln geschla- gen. Schon als Knaben bemerkten wir alles Dieses und noch Mehreres, aber wir achteten dessen nicht, bis uns der Vater, nachdem wir fünfzehn Jahre alt und confirmirt worden waren, bei Seite nahm und uns das Burggeheimniß ent- deckte, welches in nichts Anderem bestand, als daß der Kurfürst, wiewohl weit entfernt im Böhmischen Immermann’s Münchhausen 1. Th. 3 Lande, dennoch auf seiner Burg seinen Geburtstag feire. Er komme nämlich um sechs Uhr Abends gerade zur Stunde, wo vor Zeiten an der Stän- detafel die Gesundheit ausgebracht worden sei, und man die Kanonen vor der Aue gelöst habe, in das gelbe Commodenzimmer, worin der alte Fritz als kleiner Junge abgemalt hängt, gegan- gen, und verlustire sich dort eine halbe Stunde lang. Das nächste Jahr gab uns der Vater die Sache zu schauen. Nämlich, wir steckten uns mit ihm sacht hinter den grünen Vorhang im gelben Commodenzimmer. Was geschieht? Wie die Glocke auf dem Schloßthurm sechs schlägt, hören wir auf dem langen Rittergange, der zum Zimmer führt, Thüre nach Thüre aufklappen, endlich springt auch die vom gelben Commodenzimmer auf, und herein tritt der Herr, wie er leibt und lebt, steife Stiefeln, gekollerte Hosen, Montirung, drei- eckichter Hut, Klebelocken, kurz Alles und Jedes. Setzt sich an das Fenster, was nach dem Garten sieht, macht sich eine Pfeife Taback an, raucht, daß der Dampf davon geht, kuckt unterweilen in den Garten, klopft, wie die Pfeife zu Ende geraucht ist, dieselbige aus, daß wir nachmals noch die Asche auf dem Getäfel gefunden haben, erhebt sich dann, geht still aus dem gelben Commoden- zimmer und so weiter, wo wir denn die Thuren im langen Rittergange nach einander wieder zuklap- pen hören. Das ganze gelbe Commodenzimmer war voll Rauch, Varinas linker Hand oben, wir haben alle sieben, wir sechs Brüder und unser Vater, deutlich die Sorte gerochen. Als die Gebrüder Piepmeyer diese Geschichte ihren Cameraden erzählt hatten, erhob sich in der Wachtstube ein hitziger Streit; denn … Aber der Freiherr konnte seine Geschichte nicht weiter führen, denn es erhob sich auch in dem Zimmer, worin die Gesellschaft versammelt war, ein heftiger Lärmen. Bei dem Schulmeister Age- silaus brach nämlich in diesem Augenblicke die Verzweiflung, in welche ihn die Erzählungen des Freiherrn versetzt hatten, auf die gewaltsamste Weise aus. Er warf seinen groben und zerrissenen Mantelkragen ab, und rannte in der kurzen wollnen Jacke, die er unter demselben trug, mit den Gebärden eines Verlornen im Zimmer auf und nieder. Nein, was zu viel ist, ist zu viel, und 3* der menschlichen Geduld sind ihre Grenzen gesteckt! rief er schluchzend aus. Meine hochverehrten Gönner, ich bitte zehntausendmal wegen dieser meiner Unhöflichkeit um Vergebung, aber ich kann mir nicht helfen, ich muß mir Luft machen, sonst bin ich ruinirt mit Kind und Kindeskind! Münch- hausens Lügen, Homöopathie, Kurhessische Zöpfe, saure Milch, Apapurincasiquinitschchiquisaqua, Manna Gans, Rhinocerosse, Verstorbne, Vicekönigs von Egypten, Altfranzösische Manuscripte, Grisetten, Juchten, Rothschild, Varinas linker Hand oben — — wer dabei den Verstand behalten will, der muß einen weniger geordneten Kopf haben, als ich leider besitze. Herr von Münchhausen beginnen zu erzählen, dann fangen wieder andere Personen an, in diesen Erzählungen zu erzählen; wenn man nicht schleunig Einhalt thut, so gerathen wir wahrhaftig in eine wahre Untiefe des Erzählens hinein, worin unser Verstand nothwendig Schiff- bruch leiden muß. Bei den Frauen, die mit Schachteln handeln, stecken oft vierundzwanzig in einander, so kann es fürwahr auch hier mit den Geschichten gehen, denn wer schützt uns davor, daß alle sechs Gebrüder Piepmeyer sich wieder von sechs Wachtcameraden sechs Geschichten vorplau- dern lassen, und daß solchergestalt sich die historische Perspective in das Unendliche verlängert? Herr von Münchhausen wollten uns das Wort der Wahrheit vertrauen, wodurch Ihr Ahnherr an drei- hundert Menschen tödtete; statt dessen werden wir auf die Cordilleras und von da nach Africa gehetzt, und jetzt sind wir wieder in Hessencassel, und wissen nicht, warum wir da sind. Herr von Münchhausen, ich halte Sie für einen großen, wunderbar begabten Mann, aber ich bitte Sie um die einzige Gnade, erzählen Sie etwas geordneter und schlichter. Sie wollen, wie ich vernehme, unsrem Herrn Baron länger die Ehre Ihres Besuchs schenken; es muß Ihnen daher selbst daran liegen, uns nicht schon in den ersten Tagen außer Fassung zu setzen und geistig zu vernichten. Nach dieser Rede entstand eine bedeutende Pause. Der Wirth sah verlegen, der Gast groß vor sich hin, das Fräulein warf einen Blick des Zorns auf den Schulmeister, einen Blick der begei- stertsten Hingebung auf den Freiherrn. Der Schulmeister stand athmend in einer Ecke, und schien sehr angegriffen zu seyn. Zuerst redete der Freiherr wieder und sagte: Daß ich so brüsk unterbrochen worden bin, thut mir leid. Ich kann versichern, daß ich meinen Stoff beherrsche, und daß in meinen Geschichten, wie in meinem Geiste, Alles zusammenhängt. Ich würde Sie aus der hessischen Wachtstube wieder zu den Indianern auf der smaragdgrünen Berg- ebne … O die smaragdgrüne Bergebne! rief das Fräu- lein enthusiastisch. … auf der smaragdgrünen Bergebne zurück- zuführen im Stande gewesen seyn, und Sie würden bald eingesehen haben, in welcher Verbindung die sechs verbundenen Kurhessischen Zöpfe mit dem Worte der Wahrheit stehen, durch welches mein Ahnherr an die dreihundert Menschen vom Leben zum Tode brachte. Freilich für Manche sind manche Combinationen zu hoch. Ja wohl! rief das Fräulein scharf und bitter. Caviar ist nicht für das Volk. Anders als sonst in Menschenköpfen, malt sich in diesem Kopf die Welt. Da sich keine behagliche Unterhaltung wieder machen wollte, sagte endlich der alte Baron, der dem Schulmeister eigentlich im Stillen beistimmte: Das Schlimmste wäre nun, wenn wir Ihrer fer- neren, so sehr interessanten Mittheilungen verlustig gingen, lieber Münchhausen. Mein Geist hat die Eigenheit, erwiederte dieser, daß er, wie ein Räderwerk, sofort still steht, wenn auch nur ein Zahn, nur ein Federchen gebrochen wird. Alles, was den Vorfällen in der Wachtstube zu Cassel folgte, die ganze Ideenverbindung zwi- schen diesen Ereignissen und meines Ahnherrn Worte der Wahrheit, von welchem ich ausging, ist nun für immer verloren und bleibt Ihnen auf ewig verhüllt; das Einzige, was ich zusagen kann, besteht darin, daß ich die Geschichte von den sechs verbundenen Zöpfen zu Ende erzähle. Dann muß ich, wenn Sie mich noch weiter hören mögen, auf andre Materien übergehen. Der alte Baron rückte ihm freundlich näher, und flüsterte ihm schmeichelnd ins Ohr: Und bei diesen Materien haltet Ihr Euch mehr an der Stange, nicht wahr, trautestes Münchhausenchen? Ich bitte Euch nicht der Sache halber darum, die ist gewiß so am besten versorgt, wie Ihr sie gegriffen habt; es ist nur wegen unsrer schwachen Fähigkeiten, zu denen Ihr Euch herablassen müßt, wenn wir durch Euch aufgeklärt werden sollen. Ich will alles Fernere herunter erzählen, trocken wie die Zeitung, erwiederte der Freiherr. Uebrigens kann ich versichern, daß ich mich nach den besten jetztlebenden Mustern gebildet habe, und meine Darstellung so einrichtete, wie die Autoren, welche das Zeitalter und die Nation gegenwärtig entflammen und hinreißen, es mich gelehrt haben. Vierzehntes Capitel . Die angefangene historische Novelle kommt glücklich, wenn auch auf uner- wartete Weise zu Ende . Nach der Erzählung der sechs Gebrüder Piep- meyer entstand, wie ich sagte, in der Wachtstube zu Cassel ein großer Streit. Einige Hessen woll- ten die Wahrheit derselben bezweifeln, und mein- ten, daß Niemand bei lebendigem Leibe umgehn könne. Ein Skeptiker aus Witzenhausen sagte, kein Geist rauche Taback, und noch viel weniger bleibe von seiner Pfeife Asche nach, das Ganze sei daher eine „Einbildungskraft“ der Gebrüder Piepmeyer, wie er sich ausdrückte. Dagegen sagten vier Gardisten aus Schaumburg, mit Potentaten verhielte es sich anders, als wie mit Particuliers, die hätten etwas voraus, sie könnten überall und doch nirgends seyn. Zwei Ziegenhainer riefen: Wenn er da war und sich verlustiren wollte, so that er rauchen, und wenn er rauchen that, so that Rauch und Asche darnach kommen. Einer aus Hofgeismar drehte diese Sätze um, und folgerte also: Weil Piepmeyers Asche finden thaten, so hat er rauchen gethan, und weil er rauchen gethan hat, so hat er auf der Löwenburg seyn gethan. Es nahmen immer mehrere Wachtmannschaf- ten an diesen Debatten Theil, und der Lärmen wuchs von Minute zu Minute. Da rief der commandirende Fähnrich, ein junger Herr von Zinzerling, aus einer der ersten Familien des Lan- des, mit seiner hohen Discantstimme in das Ge- töse hinein: Ihr Sacramenter, in dreier Teufel Namen, raisonnirt nicht weiter! — Jede Unter- suchung hörte demnächst auf, und alle Wachtmann- schaften enthielten sich aus Subordination selbst der stillen Gedanken über den Gegenstand. Die Nacht hatte inzwischen den ersten Strah- len des Frühlichts Raum gegeben, welche den Ofen und die Bänke der Wachtstube mit gelbröth- lichen Streifen säumten. Unvergleichlich war die Wirkung eines scharfen Schlaglichtes am oberen Zinnrande eines Bierkrugs, von welchem ein selt- samer, aber verstandner Reflex den Knopf des Feldwebelstocks traf, welcher darüber am dritten Haken hing. Ueberall tiefe, satte Farbentone, klare, durchsichtige Schatten! Die Wachtstube schien keine wirkliche Wachtstube zu seyn, sie war heute mehr, sie war eine gemalte. Was Piepmeyers betrifft, so hatten sie ihre Postenstunden abgestanden, sie durften sich nun einem kurzen Schlafe überlassen. Ruhig lagen sie neben einander auf der Pritsche und schnarchten. Hinter der Pritsche hingen ihre sechs Zöpfe ein- trächtig herunter, damit der Wachtfriseur dieselben auch während ihres Schlummers neu einflechten könne. Um diese Zeit ereignete sich folgende wunder- würdige Begebenheit. Nämlich der Wachtfriseur Isidor Hirsewenzel trat in die Wachtstube. Darin sehe ich denn eben kein großes Wunder! fuhr der alte Baron unwillkührlich heraus. Alles in der Natur und in der Geschichte hängt zusammen, sagte der Freiherr mit Würde. Man höre mich ohne Unterbrechung an, das Wunder folgt dem Kurhessischen Wachtfriseur Isidor Hirse- wenzel auf der Ferse. Dieser Isidor ist doch nicht … sagte das Fräu- lein schüchtern. Der nämliche Hirsewenzel, welcher seither die deutsche Bühne mit einer so unermeßlichen Anzahl von Stücken bedacht hat, versetzte der Freiherr. Unser Mann und Held, aus einem guten aber herabgekom- menen Geschlechte in Olgendorf, einem Flecken in der Nähe der Lüneburger Haide entsprossen, hat einen sonderbaren Lebenslauf gehabt. Dramatiker wurde er erst spät; von der Natur war er durch- aus zum Lederhändler bestimmt. Der erste Laut, den sein kindlicher Mund von sich gab, klang wie: Leder! Kein Spielzeug von Holz oder Blech ver- gnügte den heranwachsenden Knaben, die muntre braun und gelbbemalte Erbsenflinte war ihm ein Gräuel, mit Abscheu stieß er das gefällig construirte grüne Nürnberger Wägelchen, das schuldlose Weih- nachtsschaaf mit den sinnigen rothen Lackaugen zurück, dagegen begannen seine Blicke zu leuchten, wenn er der Peitsche ansichtig wurde, und der fünfgeflochtenen Schnur, wenn er das Leder-über- zogene Hottpferd besteigen durfte, wenn man ihm die kleine Scherzpatrontasche umhing. Später war er oft halbe Tage lang aus der väterlichen Woh- nung verschwunden, und wo fand man ihn wie- der? In irgend einer der Gerbereien, welche dem Städtchen die Hauptnahrung gaben. Ja, einmal war er, kecken Jugendmuthes voll, selbst in eine Lohgrube gesprungen, um zu versuchen, ob er nicht noch lebend seine Haut in den so heiß verehrten Zustand bringen möchte; leider zog man ihn zu früh heraus, als die Ledrification erst halb vor sich gegangen war. Unentwickelt blieb demnach der höhere Zustand seiner Bedeckungen, indessen woll- ten die Kundigen versichern, er habe nach jenem Ver- suche denn doch immerdar ein dickes Fell behalten. O Ihr Väter und Erzieher, die Ihr die hei- lige Aufgabe habt, die Keime der Euch anvertrau- ten Pflanzen in die Blüthe zu fordern, hieher tretet, und lernt an einem furchtbaren Beispiele vor den Folgen schaudern, wenn Ihr die Stimme der Natur mißachtet, und die Gerte, welche rechts hinaus wachsen will, links hinüber zwingt. Nicht allein macht Ihr den Baum zum brandigen Krüppel, nein! er wird auch seine Nebenstämme anstecken, das Ungeziefer, welches die krankende Krone aus- brütet, wird die Verwüstung viel weiter tragen, als Ihr ahnen und berechnen könnt! Isidor Hirsewenzel von Olgendorf hätte für Deutschland ein Lederhändler werden können, wie wir ihn noch nicht besessen haben. Möglich, daß in der Tiefe seiner Seele Gedanken schlummerten, wodurch der Dampf vom Throne des neunzehnten Jahrhunderts gestoßen, und die gegerbte Haut zur Weltbeherrscherin erhoben worden wäre! Aber der Vater verstand den Sohn nicht. Er verstand nicht die zukunftschwangern Regungen des Geistes, der über Bälgen, über Alaun und Lohbereitung, über Sämisch- und Kalkgerberei erfindungengebä- rend brütete. Du bist ein Narr, Dorus, sagte der harte Vater zu ihm, Leder kann aus der Mode kommen, die Menschenliebe ist so hoch gestiegen, daß sie sich unversehens auf das Vieh werfen kann; woher aber soll Leder kommen, wenn jeder Hund und Ochs unser Bruder, jedes Schaf unsre Schwe- ster wird, und wir des verwandtschaftlichen Lebens schonen? Du also wirst das werden, mein Sohn, wozu ich dich bestimmt habe. Isidor weinte, verzweifelte, aber seine Thränen und Seufzer verfingen gegen den eisenfesten Vater nichts; Isidor mußte Perückenmacher werden. Das heißt: Vor der Welt wurde er simpler Friseur in der Stille aber errichtete er zu seiner Tröstung, um seinem Triebe zum Compacten zu folgen, um sich durch das zerstreute Haar, durch die charakter- schwache Pomade, durch den gesinnungslosen Puder dem Zaͤhen, Ledernen wenigstens anzunähern, jene wunderbaren Haargebilde, welche die Welt längst über Schwedenkopf und Naturscheitel vergessen zu haben schien. Ich will kurz seyn. So wie der alte Hessen- fürst zurückgekeyrt war, entstand über seinen Wunsch, oder vielmehr Befehl, die größte Verlegenheit. Die Novella I. de capillis pudrandis zopfi- ficandisque war erlassen, aber es ging mit dieser, wie mit so mancher Institution, sie hatte ihr Da- seyn vorläufig nur auf dem Papiere, und das war die Hauptfrage: Konnte der Zopf eine Wahr- heit werden? Denn man wußte Niemand, der jene Haarformationen der Urwelt noch zu bereiten verstand. Der alte Herr besaß zwar seinen in diesen Dingen ergrauten Künstler, allein es wider- sprach der Rangordnung und Etiquette durch- aus, daß dieselbe Hand, welche um die Majestät beschäftigt war, sich gemeinen Köpfen widmen solle. In dieser Noth und Bedrängniß sprang unser Meister aus seinem Puderdunste, wie Aeneas aus der Wolke. Er verstand zu frisiren, Toup é ’s ein- zusalben und aufzusteifen, Zöpfe von allen Längen- und Dickenmaaßen zu flechten. Er wurde präsen- tirt, tentirt, approbirt, placirt. Der Staat konnte hiemit für organisirt erachtet werden. Nun also, dieser Mann betrat die Wachtstube … sagte das Fräulein, welche bei aller Begeiste- rung für den Erzähler sich doch nach einem rasche- ren Fortschritte der Geschichte sehnte. Noch nicht, meine Gnädige, versetzte Münch- hausen kalt, so weit sind wir noch nicht. Die historische Darstellung erheischt langsame Entfal- tung; auf den Landstraßen sind Eilwagen einge- führt, aber, Sie wissen es ja selbst, unsre Roman- ciers fahren in ihren Geschichten noch mit der Sächsischen gelben Kutsche, welche sich ehemals zwi- schen Leipzig und Dresden bewegte, und zur Vol- lendung dieser Reise drei Tage gebrauchte, vor- ausgesetzt nämlich, daß der Weg gut war. In unsrem Isidor war während seiner Lehrjahre eine große psychische Revolution vorgegangen. Man sah ihn einsam durch die Wälder streifen, er floh der Brüder wilde Reihn, aber ach! das Schönste suchte er nicht auf den Fluren, womit er seine Liebe schmückt’! Die Liebe erstarb in diesem Busen, eine sinistre Falte des Unmuths lagerte sich auf der denkenden Stirn, Entschlüsse reiften in ihm, die zum Schrecken des Geschlechts finstre Thaten wurden. Haarscheerer durch Bestimmung, dem in- neren Berufe nach Lederhändler, Perückenmacher aus Resignation, wurde er Tragiker aus Menschen- haß, dem leider die Reue bis jetzt nicht gefolgt ist. Ja, meine Freunde, alle jene Trauerspiele, worin entweder der Held die Stiefeln seines Bru- ders zu putzen hat, die Geliebte aber ihn auf jene Welt vertröstet, in welcher er nicht mehr nach Wichse riechen wird, oder worin der Landrath Friedrich Barbarossa seine Dienstleiden erzählt, der Steuerexecutor Heinrich der Sechste sich mit Bei- treibung der Gefälle-Reste plagt, oder der biedre, aufgeklärte Pastor Friedrich der Zweite aus Giels- dorf wegen Rationalismus verdammte Scherereien mit dem Lyoner Consistorium hat, die stuhlsetzen- den Kämmerlinge jedoch, also die Abräumer, eigent- lich die einzigen handelnden Personen sind, ja meine Freunde, alles das, und o Gott! wie unendlich Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 4 viel mehr hat nur die Misanthropie Hirsewenzels geboren. Wir wären damit verschont geblieben, wenn er seinem wahren Berufe hätte folgen dürfen. Könnte man denn nicht noch jetzt dem Fort- schritte des Unheils Einhalt thun? fragte das Fräulein, sonderbar verlegen. O, meine Gnädige! rief Münchhausen begeistert; es bleibt doch ewig wahr, das Wort unsres Schiller: Was kein Verstand der Verständigen sieht, das über in Einfalt ein kindlich Gemüth! Sie haben da in Ihrer Einfalt einen großen Ge- danken gefunden. Ja, wir wollen, da gegenwärtig auf so Vieles subscribirt wird, eine Subscription durch ganz Deutschland eröffnen, zu dem Ende- mit vereinten Nationalkräften für Hirsewenzel eine Gerberei in Schlesien unter den Wasserpolacken anzupachten, ihm so einen heitern Abend des Le- bens zu schaffen, die Bühne aber von ihm zu be- frein. Ich bin überzeugt, selbst unsre Fürsten, denen ja Poesie und Literatur so sehr am Herzen liegen, geben etwas dazu, einen Gulden oder einen Thaler, je nachdem sie über Gulden- oder Tha- lerland herrschen. Doch für jetzt nur weiter in meinem Texte. Als in Isidor der Gedanke an sein verfehltes Daseyn einmal recht zum Durchbruch gekommen war, da rief er aus: Weil Ihr mich im Leben nicht habt zum Leder kommen lassen, so will ich Euch, da ich Euch leider nicht an’s Leben selbst kommen kann, wenigstens das Bild des Le- bens, die Bühne ruiniren. ........ Die Welt Ist noch auf einen Abend mein. Ich will Ihn nützen, diesen Abend, daß nach mir Kein Pflanzer mehr in zehen Menschenaltern Auf dieser Brandstatt ernten soll. Meine Vorgänger im Geschäft, Iffland und Kotzebue, machten die Misere zu Helden; ich will die Sache umkehren, und Helden zu miserabeln Personen machen. Müllner wirkte durch Schuld und Blut, Houwald durch alte Camillen und Bilder, die an den Galgen gehören, ich will durch Langeweile wirken. Ich will die Langeweile zur dramatischen Dynamis erheben, der Sandmann in den Augen der Helden soll meine Katastrophen bewirken. Meine Helden sollen lieber sterben, oder sonst ein Unglück erleben, als daß sie noch länger meine Redensarten abhaspeln. Ich will Euch ein Stück schreiben, Namens König Enzian, ein Stück, 4* dessen Perspective nicht der Stern der Hoffnung über dem Grabe, nicht die Nacht des Tartarus unter den Füßen des hinsinkenden Frevlers, nicht die reinliche Entsagung der Wüste oder des Klo- sters seyn soll, sondern eine Chambre garnie im Felsen bei Zwielicht, oben mit einem Deckel ver- sehen, worin der gähnende Miethsmann mit seiner gähnenden Geliebten bei hinlänglichem Essen und Trinken nichts zu thun hat, als Kinder zeugen, die bei der Geburt, anstatt zu schrein, auch schon gähnen. Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, es wird eine Krankheit über unsern Welttheil herauf- ziehn, geheißen die Cholera. Hin und her werden die Aerzte rathen, woher das Miasma gekommen, welches die Seuche fortleitete, und man soll nicht errathen, daß es aus der Grube aufstieg, in welche ich den König Enzian verspündete. Wehe über dich Sand-Jerusalem, die du die Juden begünstigest, und kreuzigest immerdar die Propheten; du sollst zweimal die Cholera kriegen, weil du meinen En- zian so oft wirst haben spielen lassen! Ich will Einundzwanzigmillionen dreihundertausend und einen halben Vers, folglich einen halben Vers mehr machen als Lope de Vega; Alle sollen parallel neben einander herlaufen, wie die Lombardischen Pappeln zu beiden Seiten der Chaussee von Halle nach Magdeburg, und dieses Wunder soll nur von dem Wunder der Kühnheit übertroffen werden, womit ich versichern will, daß ich nie einen un- schönen Vers verfertiget habe. Nicht durch Fehler und Ausschweifungen will ich die Bretter reizen; nein, ich will das Theater nivelliren, entnerven und abmergeln. Es soll aus meiner Feder Nichts kommen, was selbst der Censur von China ver- dächtig werden könnte, ich will ein völlig etats- mäßiger Poet werden, gleichwohl aber will ich von mir behaupten, ich sei durch große Geschichtsepochen, die von keinem Etat etwas wußten, zu Thränen der Rührung hingerissen worden, denn Klingeln gehört zum Handwerk. Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, es wird die Zeit kommen, da die Schauspieler meine Rollen im Schlaf abspielen, das Auditorium schläft, und der Kritiker Gottsched am folgenden Tage während seines Nachmittags- schläfchens eine Recension in die velinpapiernen Blätter stiftet, worin er sagt, das neuste geniale Werk aus meiner unermüdlichen Feder habe das Publicum zum Enthusiasmus hingerissen. Mit einem Worte: Ich will Ich seyn, und nur mir selber gleich! Wie Isidor Wort gehalten hat, das wissen die blasirten Hofräthe, Justizräthe, Geheimen-Secre- tarien und Papierjuden von Sand-Jerusalem, aus welchen gegenwärtig das dortige Theaterpublicum allein noch besteht. Kein Mädchen schleicht sich mit einem Bande seiner dramatischen Werke „ernster oder komischer Gattung“ (ich weiß nicht, warum er den bezeichnenden Ausdruck: Sorte, verschmäht hat?) frühmorgens oder gegen Abend in die duf- tende Fliederlaube hinten im Garten, wo das gelbe Nasturtium blüht, und der Convolvulus auf seinen Ranken den Falter wiegt und den goldgrün- glänzenden Käfer, und lies’t sich an seinen Sachen heimlich-glühend in die Bekanntschaft mit ihrem pochenden Herzchen hinein; kein Student, der dro- ben auf dem Weinberge am Flusse von seinem Jugendbruder Abschied nimmt, und mit ihm das Stammbuchblatt wechselt, schreibt einen Vers von Isidor hinein, keinen Künstler haben seine sogenann- ten Gestalten zu einem Bilde entzündet. Wer um sechs Uhr Abends noch eine Spur von Stimmung in seiner Seele fühlt, ja, wer auch nur die Aus- sicht auf einen Robber Whist hat, der meidet das Haus, worin Isidor seine dramatische Suppenanstalt für Arme errichtet hat, und den Gottsched befrie- digt, und die Blasirten von Jerusalem abfüttert. Es ist ihm gelungen, seine dämonische Drohung in Erfüllung zu setzen. Ja, sie dreschen nunmehr das dreimal gedroschne leere Stroh und worfeln die Spreu, die nicht einmal der Gastwirth Angely seinen vierfüßigen Gästen vorgesetzt hätte. Die Bühne kam nach dem etwas derben Ausdrucke der Jugend durch Isidor auf den Hund. Er, er hat es verstanden, wie man die Deutschen be- handeln soll. Denn nicht durch Blitze des Genius ist diese sogenannte Nation zu entzünden — wie kann man nasse Wolle in Brand stecken? — sondern man muß immerfort dasselbe thun, es mag aus- fallen, wie es will; dann sagen sie: Der muß es doch verstehn. Es ist ihnen überhaupt nur daran gelegen, daß das Inventarium in allen literarischen Wirthschaftsrubriken vollständig sei; denn sie sind gute Haushälter. Sie würden, wenn Hirsewenzel sich nicht gefunden hätte, auch einen zweiten Cro- negk, oder Gellert oder Weiße wieder aufgenom- men haben. Isidor, hundertmal Abends kritisch todtgeschlagen, feierte am andern Morgen seine Auferstehung mit drei neuen mittelmäßigen Stücken, die wie ein Echo die ihm vorgerückten Albernhei- ten wiederholten. Die Leute aber sagten: Der versteht es, so muß man es machen. Selbst der Heroismus erlahmte endlich an dieser Beharrlich- keit der Industrie; man ließ die Fabrik zuletzt spulen und schnurren, ohne ferner Eingriffe in ihre thranduftigen Räder zu versuchen. — Aber in die Walhalla kommt er doch nicht, wenn sie fertig wird und ihre Bestimmung behält, und nicht mit der Zeit vielleicht in ein Bräuhaus verwandelt wird. Der Graf von Platen kommt hinein, und der gehört auch hinein, trotz aller seiner Thorheiten und Mißgriffe, aber Hirsewenzel kommt nicht hin- ein und schriebe er auch noch Einundzwanzigmil- lionen Verse mehr. Doch ist es freilich noch un- gewiß, ob er überhaupt sterben, und ob nicht vielmehr der Tod jedesmal einnicken wird, so oft er ihn sieht. Nun, Gott beßre das deutsche Theater! Melpomene sitzt, von der Scene verscheucht, unten im Keller, da wo die Arbeitsleute an den Versenkungen und Verwandlungen handthieren, der Dolch ist ihrer entkräfteten Hand entfallen und rostet im Moder, im Moder liegt die Maske, welche die gemeinen menschlichen Züge verschönernd be- decken soll; Schimmel überzieht dieselbe, und Einer der Theaterarbeiter hat ihr die Nase platt getreten. Droben aber über ihrem Haupte, auf dem Po- dium, scharrwerkt der lärmende Emporkömmling mit seinen breitgerührten und doch hölzern geblie- benen Jamben. Ach, die Arme! Nicht einmal weinen kann sie mehr. Isidor hat sie mit dem Stockschnupfen angesteckt, und verlangt nun grausam spottend von ihr, sie solle Macuba schnupfen lernen, dadurch helfe er sich in allen Nöthen. Das Alles ist weltbekannt. Nicht so bekannt ist aber der Umstand, daß der Tragöde alle die Stücke, die seitdem wie ein nie versiegender Spü- licht zwischen den Coulissen hervorgebrodelt sind, bereits während seiner Beschäftigung mit Zöpfen und Frisuren in müßigen Nebenstunden verfertigte. Ja, meine Freunde, er hat sie sämmtlich auf den Vorrath gearbeitet; die Manuscripte lagen in seinem Haaratellier geordnet zwischen den übrigen Fabri- caten und Sachen, ungefähr so: Ein Zopf; die Erdennacht, eine Perücke; Genoveva, Pomade; Rafa ë le, der Puderbeutel; die Schule des Lebens, und so weiter. Daher es ihm leicht war, her- nachmals den Markt von Sand-Jerusalem mit seiner Waare zu überführen. Doch meine Farben reichen bei diesem Bilde nicht aus und mein Pinsel ist zu stumpf; ich fühle das wohl. Solche tiefsinnige aesthetisch-poetische Seelenentwickelungsgemälde abzuwickeln, daß sie Jedem so klar werden, wie baumwollnes Garn, müßte ich Hotho seyn, der in den „Vorstudien des Lebens und der Kunst“ an seiner eignen Geschichte „aufgewiesen“ hat, daß man den Don Ramiro schreiben, an den aesthetischen Artikeln der Jahr- bücher für wissenschaftliche Kritik, herausgegeben von der Societät für wissenschaftliche Kritik, mit- arbeiten, und dennoch sich wichtig vorkommen kann. Man sang vor Zeiten, als Don Ramiro zur Welt gebracht wurde: Don Ramiro, Don Ramiro! Langes Leben spinn’ dir Clotho; Rühmen werden dich die Weisen, Und dich lesen wird Herr Hotho. Ich ahme diesem Volksliede nach und singe: Don Ramiro, Grand zu Hotho, Du allein, du könntest schildern Hirsewenzels trag’sches Werden Dir gemäß mit Hegels Bildern. Isidor näherte sich den sechs Gebrüdern Piep- meyer mit Kamm und Nadel bewaffnet. Er kniete nieder, lösete die Bänder, welche die sechs Haar- wüchse fesselten, so daß sie in sechs Fluthen von sechs Nacken herniederwallten, und nachdem er mit seinem Geräthe in diesem Sechsgelock Ordnung gestiftet hatte, ging er daran, zu strählen und zu flechten. In diesem Augenblicke empfing er in seiner melancholisch-humoristischen Weltanschauung die Gestalt des Till. Sie erinnern sich gewiß dieser wundersamen Figur, mit welcher unser damaliger Wachtfriseur, nunmehriger Dichter, so vielen genialen Spaß aus- zurichten sich bemüht hat. Meistens hat der Till es mit einem Barbierer, Namens Schelle, er ver- schmäht aber auch Räthinnen und Polizeidirectoren nicht, nein! es ist zum Todtlachen, was für Späße der Till angiebt, der durchtriebne Vogel, der Till … und wenn ich an den Till denke, und an Till und Schelle, und Schelle und Till … und an Tell und Schille … und an alle die Späße von dem Till, so — — so — — Der Freiherr brach bei der lebhaften Erinne- rung an Tills Späße in ein convulsivisches Lachen aus, welches so klang, als wenn hölzerne Klötz- chen in einer Büchse von Blech hin und herge- schüttelt werden. Der alte Baron klopfte ihm den Nacken, Münchhausen erholte sich wieder und fuhr fort: … so kann ich nur bedauern, daß die „Meer- rettiche,“ die der Dichter auch in sechs Paar Tri- logien auf seinem Krautfelde ziehen wollte, nicht fertig geworden sind. Doch vielleicht kommen sie noch nach, denn bei Hirsewenzel ist nichts unmöglich. Bis nun der Meerrettich zum Rindfleisch abgesotten seyn wird, müssen wir uns mit dem Till behelfen, dem ich wohl eine Petersilie wünschen möchte, das gäbe eine Mariage von Küchenkräutern, worüber jeder Köchin das Herz im Leibe poppern würde. Ich habe immer, wenn ich die Tille sah, an einen Menschen denken müssen, den ich einmal in einem Dorfe zwischen Jüterbogk und Treuenbrietzen, mich dünkt, es hieß Knippelsdorf, oder so ungefähr, kennen lernte. Die Gegend um Knippelsdorf ist etwas unfruchtbar, nur bei großen Ueberschwem- mungen werden die Felder grün, dann giebt es große Festlichkeiten, wobei sich die Leute in Grütze satt essen. Aber hübsche Kiefern haben sie da, und Windhafer, so viel ihr Herz begehrt. Die Achse war mir am Wagen gebrochen; ich mußte ein Paar Stunden im Kruge sitzen, bis der Stellmacher sie, nämlich die Achse, reparirt hatte. Dieser Aufenthalt zeigte mir „Knippelsdorfer Zu- stände.“ Es war Neun Uhr Morgens, und ein schöner heißer Julius, indessen schien der Tag durch die runden Fenster der Krugstube nicht absonderlich hell, sie waren gar zu verschmaucht. In der Stube gingen die Hühner spazieren, unei- gennützig, denn zu essen gab es da nichts, wie ich erfuhr, als ich nachfragte. Zu trinken konnte ich bekommen, wenn ich bis zum folgenden Tage blei- ben wollte, da würden sie Dünnbier von Zahne holen, sagten sie. Es roch abscheulich in der Stube, aber auf Reinlichkeit hielten sie doch, denn eine Magd im Neglig è mit fliegendem Haar wischte gehörig den langen Tisch ab, und nachher mit demselben Tuche die irdenen Teller. Eine Anzahl von Fliegen summte in der Stube, und die schlug ein höhnischer, blasser, verdrossen-schläfriger Mensch todt, derselbe eben, an den ich mich nachmals immer bei den Tillen erinnerte. Er trug eine Nachtmütze schief über’m Ohr, den thönernen Stum- mel hatte er im Munde, in herabgetretnen Pan- toffeln schlorrte er auf und nieder. So oft er eine Fliege mit der Klatsche erlegt hatte, verzog er die schlaffen Lippen zu einem unangenehmen Lächeln und machte einen Spaß über die todte Fliege. Man konnte sich darauf verlassen, auf jede todte Fliege kam ein Spaß; ich habe sie aber sämmtlich vergessen. Die Magd lachte nicht darüber, ich konnte auch nicht darüber lachen. Sie sagte mir, als ich mich nach ihm erkundigte, er sei der jüngere Bruder des Krugwirthes und habe nicht gut thun wollen, deßhalb müsse er jetzt das Gnadenbrod essen. Seine einzige Beschäf- tigung sei, sich über die Fliegen aufzuhalten, die er todtgeschlagen habe. Der Till also ging dem Hirsewenzel, wie gesagt, auf, als er die sechs Zöpfe der Gebrüder Piepmeyer einflechten wollte. Halt, dachte er, hier kannst du sofort für diesen komischen Heros die Studien nach dem Leben machen. Laß uns eine Verwickelung bilden, die an grenzenloser Lustigkeit und kühner Laune Alles hinter sich läßt, was Sha- kespeare, Holberg und Moliere ersonnen haben. Ich werde die Zöpfe der Piepmeyers unentwirrbar zusammenflechten, und wenn sie dann aufstehn, und nicht von einander können, und bei dem Ziehen und Zerren unter Schmerzen Gesichter schneiden, o welche Fülle von komischen Anschauungen werde ich dann haben, ich sehe schon ganze Dutzende von Tilliaden fertig. Gesagt, gethan; er flocht Peter mit Romeo, Romeo mit Christian, Christian mit Guido, Guido mit Ferdinand, Ferdinand mit Heinrich, Heinrich mit Karl zusammen, so daß vier Piepmeyers, ein Jeder doppelseitig, linker und rechter Flügel aber einseitig gefesselt waren. Als Isidor sein Werk vollbracht hatte, steckte er sich hinter den Wachtofen, um die Wirkung dieser Intrigue zu beobachten. Ruhig schliefen die Opfer Hirsewenzelscher Ko- mik, träumten von Brod und Fleisch und doppel- tem Tractament und hatten kein Arg. Als nun der Tag höher zu steigen begann, und die Strah- len der Sonne den Ordensstern an der Bildsäule Landgraf Friedrichs des Zweiten auf dem Platze vor dem Schlosse vergoldeten, mit einem Worte, als es Sechs geschlagen hatte, trat der Feldwebel zu der Piepmeyerschen Pritschabtheilung, um die Farbenstriche über den Nasen der Brüder aus seinem Vorrathe zu erneuen, denn die ganze Strenge des Dienstes sollte nun bald wieder beginnen. Als er indessen einen Blick über die Pritsche hinaus in ihr Jenseits that, und die selt- same Verflechtung der brüderlichen Hinterhaupt- haare wahrnahm, da entsank ihm vor Erstaunen der aufgehobene Malerpinsel und er starrte die Erscheinung einige Secunden lang lautlos an. In der That war diese auch verwunderlich genug anzuschaun; Piepmeyers sahen von hinten aus wie ein Kurhessischer Garderattenkönig. Indessen kommt ein Feldwebel immer bald wieder zu sich selber. Auch der unsrige gewann nach kurzer Rathlosigkeit seine ganze Fassung sich zurück, und fuhr die Verbündeten mit den wackern Worten an: Kerls! Euch soll ja ein Kreuzstern- schockmillion-Donnerwetter sechstausend Klafter tief unter den Winterkasten in die Erde schlagen! Von diesem biedern Zurufe des tüchtigen Manns fuhren Piepmeyers gleichzeitig aus dem Schlummer auf, und wollten sich gleichzeitig erhe- ben. Da ihnen aber dies Schmerzen verursachte, so sanken sie zurück, tasteten gleichzeitig nach ihren Zöpfen, entdeckten die Ursache der Schmerzen und sagten gleichzeitig wie aus einem Munde, kalten Blutes: Herr Feldwebel, es muß sich, derweil wir schliefen, ein dummer Junge in die Wacht geschlichen und einen Jux mit uns verübt haben. — Auf Ehre, so ist es, sprach der Fähnrich von Zinzerling, der herzugetreten war. Feldwebel, machen Sie den einen Mann los, und der kann wieder seinen Brüdern helfen. Wo bleibt der Schelm, der Hirsewenzel? — Der Feldwebel lös’te Karl Piepmeyer von Heinrich Piepmeyer ab, Karl trennte demnächst Heinrich von Ferdinand, Heinrich schied Ferdinand von Guido, Ferdinand dismembrirte Guido und Christian, Guido setzte Christian mit Romeo aus- einander, Christian endlich stellte den Dualismus zwischen Romeo und Peter her. Nachdem die sechs Brüder solchergestalt wieder in das Fürsich- seyn getreten waren, vollendeten sie ihre reale Immermann’s Münchhausen 1. Th. 5 Existenz durch wechselseitige Herstellung von sechs schlechthin gesonderten Zopfindividualitäten. Hie- mit hatte das Ereigniß seinen Kreis absolut mit Inhalt erfüllt, war der Begriff des Vorfalls zum Von-Sich-Wissen gekommen, oder deutlicher zu reden, das Ding hatte nun ein Ende. Denn dem Feldwebel, welcher sich an den Fähnrich mit der Frage, ob der Vorfall gemeldet werden solle? wendete, erwiederte von Zinzerling gedankenvoll: Nein! Wir leben in bewegten Zeiten, und wollen die Gährung nicht fortleiten. Der dient den Königen nicht, der ihrem Argwohne dient. Die Sache bleibt ungemeldet, und ich nehme die Ver- antwortung auf mich. Wie Hirsewenzel unbemerkt hinter dem Ofen entkommen, ist Wachtgeheimniß geblieben. Fuͤnfzehntes Capitel . Zwei Zuhörer sind in ihren Erwartungen so getäuscht, wie die Leser, der dritte Zuhörer fühlt sich dagegen höchst befrie- digt. Der Freiherr theilt einige dürftige Familiennachrichten mit . Der Schulmeister Agesilaus hatte schon während des letzten Theils dieser Erzählung deutliche Zeichen hergestellter Zufriedenheit von sich gegeben. Ver- gnügt hatte er seine Hände gerieben, sich auf dem Stuhle hin und hergewiegt, ein Hm! Hm! Ja! Ja! So! So! Ei! Ei! dazwischen geworfen, und den Freiherrn mit einer Schalkhaftigkeit angesehen, welche eine Schattirung von Tiefsinn durchschimmern ließ. Nachdem nun Münchhausen zu Ende gekom- men war, sprang der Schulmeister auf, lief zu dem Erzähler, schüttelte ihm die Hand, und rief: Ver- zeihung, mein hochzuverehrender Gönner, daß ich die Standesunterschiede nicht achte, und Ihnen so 5* geradezu mich nähere, aber wie Noth kein Gebot hat, so achtet die Begeisterung keiner Schranke. Erlauben Sie mir, Ihnen auszusprechen, wie mich Ihre dießmalige Diatribe, in die Form einer historischen Novelle gegossen, erquickt hat. So fah- ren Sie fort, dann sind Sie des Dankes aller Edeln gewiß. Endlich doch einmal Nahrung für Geist und Herz! Ich verstehe Sie nicht, versetzte ernsthaft der Freiherr. O! O! O! aber ich verstehe Sie , mein Hoch- geschätzter, rief der Schulmeister. Ja, Ja, Erleuch- teter, das kommt bei den Uebertreibungen heraus! Das haben wir davon, daß wir Alles auf die Spitze stellen, von Allem und Jeglichem das Höchste, Ueberschwänglichste begehren! Nicht wahr, mein Verehrtester, Sie wollten mit Ihrer anschein- lichen Ironie gegen jenen so oft verkannten und angefeindeten Mann sagen: Seht, zu solchen maaß- losen Extravaganzen gelangt man, so überspringt der Spott sich selbst, so fallen die stärksten Hiebe, wenn Leidenschaft sie führt, immer über den zu Hauenden hinaus in das Leere, und darum lernt Euch begnügen, Ihr Leute, mit dem Vorhandenen, geht zwischen Haß und Enthusiasmus die Mittel- straße, die von den Weisen aller Zeiten immer die goldne genannt wurde! Diese und ähnliche Lehren wollten Sie durch Ihren ausschweifenden Angriff einschärfen, wenn ich sonst, nicht oberflächlich an der Oberfläche Ihrer Reden haftend, deren inneren Sinn richtig aufgefaßt habe. Auf diese Anrede erwartete der Schulmeister etwas Schmeichelhaftes. Der Freiherr sah ihn jedoch nur mit weitgeöffneten Augen starr an, und sagte nach einem langen Schweigen nichts, als: Herr Professor, Sie sollten uns doch auch noch einen Commentar über den Faust schreiben. — Dann wandte er ihm den Rücken und suchte die Blicke des Fräuleins auf, die ihn aber mieden. Diese liebte eigentlich im Stillen den Helden der Novelle, weßhalb ihr auch der Vorschlag, seiner uner- schrocknen Wirksamkeit ein Ziel zu setzen, nicht vom Herzen gekommen war. Sie pflegte sich in ihren erreg- testen Stunden seine lombardischen Chausseepappel- verse zu ihrer Aufrichtung laut vorzusagen. Nun hatte sie jedoch auch, wie alle Damen, eine unglaubliche Furcht vor dem Lächerlichen, und da sie denn doch wäh- rend Münchhausen’s Erzählung sich mit ihrem Lieb- linge in dieser Beleuchtung zu einer Gruppe vereinigt sah, so fühlte sie sich in ihrem Bewußt- seyn völlig vernichtet, und rang vergebens nach einem Anker für ihre rathlose Seele. Zugleich aber ängstigte sie das Schweigen, welches nach den Verhandlungen zwischen dem Freiherrn und dem Schulmeister in der Gesellschaft entstanden war, und nicht weichen wollte. Denn ihr Vater schnitzte, wie er zu thun pflegte, wenn er gänzlich verstimmt war, mit seinem Federmesser Einkerbungen in den schlechten hölzernen Tisch, um welchen Alle saßen, und murrte nur halblaut vor sich hin: Der Schul- meister schnappt noch gar über! Es war ja die pure, blanke Gottes-Satire auf den Hirseschwenzel, oder Schmirsehenzel, oder wie der Mensch sonst heißen mag! Denn Dichterei und Romanenwesen ist meine Sache nicht, sondern Natur- und Völkerkunde. Der Schulmeister aber saß schweigend und zornroth da. Er hatte zwar Münchhausen’s Ant- wort nicht eben ganz verstanden, fühlte jedoch, daß darin ein Stich liegen müsse. In diesem Punkte war nun nicht mit ihm zu scherzen, denn seine Eitelkeit war nur seiner unbegrenzten Vorliebe für die Sitten der alten Sparter gleich. Wer hat nicht einmal die Last solcher Wind- stillen in der Gesellschaft erfahren? Die gesammte Societät sitzt wie eine Flotte, die sich auf dem unbewegten Meeresspiegel nicht zu rühren vermag. Schlaff hangen die Segel herab, verzweiflungsvoll schaun alle Blicke nach ihnen hinauf, ob nicht ein frisches Lüftchen sie endlich schwellen wolle. Um- sonst! Das ist, als ob ein Rad in der Schöpfung gebrochen, und die ganze Maschine mit Sonne, Mond und Fixsternen in Stockung gerathen sei. So sucht eine in Windstille versetzte Gesellschaft auch verzweiflungsvoll nach einem Gedanken, nach einer Vorstellung, ja nur nach einer Redensart, um sie in die Segel der Conversation zu hauchen; vergebens! Nichts will über die Lippen, Nichts hörbaren Laut gewinnen. Der Mythus sagt, in solchen Zeiten fliege ein Engel durch das Zimmer, aber nach der Länge derartiger Pausen zu urtheilen, müssen zuweilen auch Engel diese Flugübungen anstellen, deren Gefieder aus der Uebung gekommen ist. Endlich pflegt Einer sich zum Opfer für das Gemeinwesen darzubringen, er fährt mit einer un- geheuren Dummheit heraus, und damit ist der Zauber gelöset, das Band der Zungen entfesselt; die Ruder klatschen, die Segel sausen, der Kiel schwirrt lustig durch das Meer von Kunst, Stadt- neuigkeiten, Politik, Krankheits- und Gesundheits- umständen, Religion und Carnevalsbällen. Nachdem das Schweigen in der Gesellschaft, von welcher hier die Rede ist, etliche Minuten gedauert hatte, und die verschiednen Affecte der Schweigen- den in die heiße Sehnsucht, ein menschliches Wort zu vernehmen, übergegangen waren, sagte das Fräu- lein zu Münchhausen plötzlich, wie von einem guten Geiste erleuchtet: Es pflegt doch immer im Sommer schöneres Wetter zu seyn, als im Winter. Nach dieser Explosion athmeten Alle frei auf und fühlten sich von dem Zauber erlöset, der über ihnen gelastet zu haben schien, nachdem von unsrem Nationaltragöden so viel die Rede gewesen war. Münchhausen aber küßte dem Fräu- lein die Hand und versetzte: Sie haben da eine tiefsinnige Wahrheit ausgesprochen, meine Gnädigste, und ich kenne außer Ihnen nur noch eine Dame, welche diese großartige Naturbetrachtung fest im schönen Gemüthe ergriffen hat, und sie einem Dichter zu äußern pflegt, jederzeit, wo er das Glück hat, ihr zu nahn. Vergebens, daß der Dichter Manches ausgehen ließ, was der Welt nicht unbekannt blieb, daß man überhaupt mit ihm von Allem und Jedem sprechen kann, weil er so ziemlich für Alles und Jedes sich interessirt, und über die Dinge, von denen er nichts versteht, gern Belehrung empfängt — vergebens alles dieses, sage ich — die Dame äußert, so oft er das Glück hat, ihr zu nahen, nur ihre Ueberzeugung, daß im Sommer das Wetter schöner zu seyn pflege, als im Winter. Unmöglich! rief der alte Baron. Vielleicht unmöglich, aber gewiß wahr, versetzte Münchhausen. Der Dichter ist mein Freund und hat mir die Thatsache bei seinem Ehrenworte betheuert. — Münchhausen fuhr heiter fort: Ich wollte Ihnen einige kurze Nachrichten über meine Familie geben; hier sind sie. Der sogenannte Lügenmünchhausen ist mein Großvater, wenn unser Stammbaum in Bodenwerder Recht hat. Adolph Schrötter in Düsseldorf hat ihn jüngst gemalt, wie er unter Jägern und Pachtern sein Pfeifchen schmaucht, und diesen Leuten seine Geschichten erzählt. Ein dicker Mann sitzt ihm gegenüber und hat den Rock ausgezogen, um besser zuhören zu konnen, in seinem Gesichte spricht sich die gläubigste Hingebung aus, und sein großer Hund, der neben ihm liegt, sieht ihm sehr ähnlich. Adolph Schrötter hat meinen Großvater getrof- fen, wie kein Anderer vor ihm. Das ist aber auch kein Wunder, denn mein Großvater ist ihm im Traume erschienen, er hat eine Vision von ihm gehabt. Die frommen Maler haben nicht allein Visionen, nein! die Andern haben die ihrigen auch. Es malt Keiner ein Paar Kinder, die von zwei schlechten Kerlen todtgemacht werden sollen, oder eine Kegelbahn, oder auch nur ein Portrait, ohne daß er eine Vision von diesen Dingen gehabt hätte. Und das ist der Vortheil dieser weltlichen Gesichte: Man kann immer da die Vergleichung anstellen, und urtheilen, ob die Erscheinungen richtig gewesen sind, denn überall giebt es unschuldige Kinder und schlechte Kerle und Kegelbahnen, und Leute, die sich portraitiren lassen; aber bei den frommen Visionen kann man das nie, und man weiß daher auch nicht, ob die lieben Engelein und Heiligen und die Mütter Gottes so ausgesehen haben, wie die Leute behaupten, daß sie ihnen vorgekommen seien. Daß Adolph Schrötter eine richtige Vision gehabt, bestätigte noch letzthin ein alter eisgrauer Jäger von Bodenwerder, der jetzt mit Ratten- und Mäusepulver handeln geht, und der denn endlich auch an den Rhein gewandert war. Er kam auf die Kunstausstellung, weil er glaubte, dort Geschäfte machen zu können und rief, als er das Bildchen sah: Das ist der alte Herr, wie er leibte und lebte, wenn er von den zwölf Enten erzählte! — Das Bildchen soll jetzt, Figuren über Lebensgröße, al fresco für * * * * * * * * ausgeführt werden. Meinem Vater that die Abstammung von diesem Manne Zeit seines Lebens den größten Schaden. Wenn er Geld erborgen wollte und auf Cavalier- parole die Rückzahlung versprach, sobald sie sich thun lasse, sagten die Wucherer, mit denen er unterhandelte: Wir bedauern sehr, aber wir konnen nicht dienen, denn Sie sind der Herr von Münch- hausen. Er trat in Kriegsdienste und machte als Stabsrittmeister einst einen allerdings unwahr- scheinlich lautenden Rapport; der General glaubte ihm nicht, und davon war die Folge, daß eine große Schlacht verloren ging. Cabale über Cabale wurde gegen ihn gespielt; man drehte die Sache ganz herum, er erhielt in Ungnaden seinen Abschied. Nun widmete er sich dem Finanzfache, da entdeckte er ein geheimes Mittel, die edeln Metalle zu vervielfältigen, wollte es dem Staate verkaufen, aber der Staat wies ihn zurück und sagte, es sei schon gut, man wisse, daß er Münchhausen heiße. Auch aus dem Finanzfache wurde er ungnädig dimittirt, weil er ein Schwindler sei, wie es in dem Entlassungsrescripte hieß. Was hat der Staat von seiner Zurückweisung gehabt? Papiergeld mußte er machen. Mein Vater aber hatte von seinem Geheim- mittel auch nichts; er konnte es für sich nicht in Anwendung bringen, die Kosten der ersten Auslagen waren für einen Privatmann zu bedeutend. Bei zwölf Fräuleins hielt er nach einander um ihre Hand an, aber Die Erste sagte scheu, Die Zweit’ — ein Leu — Die Dritte spitzig, Die Vierte witzig, Die Fünfte hitzig, Die Sechste Zornwinkend, Die Siebente Borntrinkend, Die Achte Stickeiferig sehr, Die Neunte Blickschweiferig mehr, Die Zehnte Rücksteiferig-hehr, Die Eilft’, ein Bärbchen, schnipp’sch, zwar weichend, doch gütig, Die Zwölft’, ein Körbchen hübsch darreichend, hochmüthig: Herr von Münchhausen, wir danken für die uns zugedachte Ehre; Sie führen uns doch nur an. So schlugen alle meine zwölf projectirten Mütter dem armen Manne sein Begehr ab, bloß wegen seines Namens und wegen der Erinnerung an den Großvater. Ich wäre ohne Mutter geblie- ben, wenn er nicht zuletzt noch bei einer Dreizehnten Gehör gefunden hätte, bei einer Denkerin, die in des Großvaters Lügenbuche einen geheimen Sinn ahnete, und Alles allegorisch und theosophisch aus- legte. Sie gab meinem Vater ihr Jawort, nicht aus Liebe zu ihm, wie sie ihm bei der Verlobung offen sagte, sondern aus Achtung für den Großvater. Ueber diese Ehe darf ich mich nicht aus- sprechen. Sie birgt Geheimnisse, die wieder tief in andre Geheimnisse meines tiefsten Seyns ver- flochten sind, und welche mit mir zu Grabe gehen werden. Nur so viel mag ich Ihnen vertrauen: Eine Ehe aus Achtung für den Vater des Gatten ist für diesen die unglückseligste unter den unglück- seligen Ehen. Die unglückliche Ehe aus Delicatesse von Schröder bedeutet gar nichts dagegen, und die Heirath durch ein Wochenblatt gründet ein Para- dies, mit der Achtungs-Ehe verglichen. Theophilus, Freiherr von Münchhausen, (so heißt der Mann, welcher vor der Welt mein Vater heißt;) ergab sich ganz den ernstesten Stu- dien, nachdem es ihm im Leben und in der Ehe so äußerst schlecht gegangen war. Er wurde ein großer Wassertrinker, und ich habe ihn, während ich in Bodenwerder verweilte, nur dreimal lächeln sehen. Meine früheste Jugend verlebte ich durch eine seltsame Verkettung von Zufall, Schickung und Leidenschaft unter dem Vieh, und zwar bei einer Ziegenheerde am Oeta. Was ich da erfahren, will ich Ihnen späterhin erzählen, für jetzt nur so viel, daß ich meine Knabenjahre, abermals durch eine seltsame Verkettung von Zufall, Schickung und Leidenschaft im väterlichen Hause zubringen durfte. Da trieb ich denn nun Alles und Jedes mit dem Manne, dem ich, die Geheimnisse mögen nun seyn, welche sie wollen, doch immer meine Tage verdanke. Vormittags : Philologie, Geographie, Alchymie, Technologie, Specialhistorie, Generalhistorie, Physik, Mathematik, Statik, Hydrostatik, Aerostatik; Nachmittags : Literatur, Poesie, Musik, Plastik, Drastik, Phelloplastik, gemeinnützige Kennt- nisse; Abends : Gymnastik, Hippiatrik, Medicin, inson- derheit Anatomie, Physiologie, Pathologie, Semiotik, Biotik, Materia medica; Nachts repetirten, experimentirten, disputir- ten wir. Bei diesem Lehrplane konnte ich denn allerdings Manches aufschnappen. Und wann schliefen Sie? fragte das Fräulein. Hin und wieder eine Viertelstunde bei den leichteren Doctrinen, versetzte der Freiherr. Ich war Schnellschläfer, wie man Schnellläufer hat. In wenige Minuten konnte ich den Gehalt von Schlafstunden gewöhnlicher Menschen zusammen drängen. Von Schlaf kann überhaupt für Jemand, der sich auf der Höhe des Jahrhunderts halten will, nach der großen Ausdehnung, welche die Wissenschaft gewonnen hat, heut zu Tage wohl nicht mehr viel die Rede seyn. — Neben dieser intellectuellen Bildung, die ich auf Bodenwerder erhielt, wurde mein Charakter, mein Gemüth nicht verabsäumt. Ganz besonders brachte mir mein sogenannter Vater den heftigsten moralischen Wider- willen gegen das Lügen bei, weil der Großvater durch dieses Laster das ganze Familienglück zerstört hatte. Er folgte in manchen Dingen seinen eigenen Grundsätzen, mein sogenannter Vater, und hielt erstaunlich viel auf die Gewalt der ersten sinnlichen Eindrücke in der Jugend. Ich bekam daher alle Sonn- und Feiertage eine allegorische Figur der Wahrheit, aus Honigkuchenteig gebacken, zu verzeh- ren, nämlich, eine unbekleidete Person, die Augen zwei Rosinen, die Nase eine Bamberger Pflaume, auf der Brust eine Sonne von Mandelkernen. Hatte ich nun diese Allegorie mit Wollust ver- speiset, so wurde mir dabei unaufhörlich wieder- holt: Süß, wie der Honigkuchen, ist die Wahrheit. Wenn ich mir aber den Magen verdorben hatte, und Rhabarber einnehmen mußte, so hieß es im einschärfendsten Tone: Das ist der bittre Trank der Lüge. Die Richtigkeit der Methode bewährte sich an mir. Ich bekam wirklich einen unbesieglichen Ab- scheu gegen das Lügen und kann wohl sagen, daß aus meinem Munde nie ein unwahres Wort gegan- gen ist, mit einer einzigen Ausnahme, die aber sofort sich bitter an mir rächte. Lange Zeit konnte ich der Wahrheit oder gewisser Wahrheiten nicht denken, ohne daß mir Honigkuchen, Rosinen und Mandelkerne und Bamberger Pflaumen einfielen, endlich erhob ich mich freilich zu gereinigteren Vorstellungen. Was aber die einzige Lüge meines Lebens, und ihre Folgen betrifft, so ging es damit folgender- maßen zu. Ich sitze eines Tages in meinem Zimmer am Schreibepult und habe eine sehr noth- wendige Arbeit vor. Der Bediente meldet mir einen Besuch. Geh’ hinaus, sage ich, ich wäre nicht zu Hause. Der Herr wäre nicht zu Hause, sagt er draußen. So wie der Mensch seine Bot- schaft ausgerichtet hat, und ich höre, daß mein Besuch abzieht, spüre ich eine Unruhe, die mich am Pult nicht weilen läßt; ich muß aufspringen, es wird mir heiß, es wird mir kalt, jetzt wird mir so, dann wird mir so; der Rhabarber fällt mir ein aus meinen Jugendjahren und dessen alle- gorische Deutung, die Phantasie tritt in ihre unge- heuren Rechte, die geheimen Bezüge zwischen Seele Immermann’s Münchhausen 1. Th. 6 und Leib fangen an zu ziehen, immer wesenhafter, creatürlicher wächst die Idee des Rhabarbers in mir, bald bin ich vom Kopf bis zur Fußzehe jeder Zoll Rhabarber, die Natur folgt der Vor- stellung, das Uebel bricht aus — — Sie errathen das Uebrige! — Die Folgen meiner Lüge, durch Rhabarber- Allegorie-Erinnerung bedingt, treten mit einer Stärke auf, vor welcher die Wissenschaft scheu zurückweicht. Vierundzwanzig Aerzte gab es in der Stadt; Alle kommen nach und nach zu der leidenden Creatur. Vierundzwanzig Ansichten werden laut, vierundzwanzig verschiedene und ent- gegengesetzte Mittel werden verordnet. Der Erste hält die Krankheit für eine Schwäche, der Zweite für Hypersthenie, der Dritte für eine neue Form der Schwindsucht. Der Vierte verschreibt Sina- pismen, der Fünfte Cataplasmen, der Sechste Bähungen; der Siebente Adstringentia, der Achte Mitigantia, der Neunte Corroborantia; Ipecacu- anha! ruft der Zehnte, Nein, Hyosciamus! schreit der Eilfte; keines von beiden, sondern Meerzwiebel, sagt ruhig der Zwölfte; Dreizehn, Vierzehn, Fünf- zehn, Sechszehn, Siebenzehn operiren, scarificiren, amputiren, evacuiren, trepaniren; Nummer Acht- zehn hat in der Diagnose Recht, Nummer Neunzehn findet die Prognose schlecht; der Zwanzigste giebt Borax, der Einundzwanzigste Storax, der Zwei- undzwanzigste findet des Uebels Sitz im Thorax; der Dreiundzwanzigste mir Frankenwein bot, der Vierundzwanzigste macht mich Kranken scheintodt. Aus diesem Zustande erweckt mich ein Homö- opath mit Gran Arsenik. Herr Medi- cinalrath, flüstre ich ihm, entkräftet von vierund- zwanzigfacher allopathischer Behandlung zu, Herr Medicinalrath, ich hab’s vom Lügen! — Vom Lügen? versetzt er. Nichts leichteres dann, als die Hei- lung. Similia similibus. Sie müssen verläumden d. h. lügen mit feindseliger Absicht, denn giebt sich die Krankheit sofort. Ein Blitz fährt durch meine Seele. Nach Schwaben! rufe ich; nach Stuttgart! Doctor Nachtwächter ist ein Menschenfreund, er wird mir die Liebe erzeigen, und mich zu meiner Herstellung einige Zeit lang am Literaturblatte mitarbeiten lassen. — Ich werde in Betten eingepackt, in den Wagen gesetzt, erreiche Stuttgart halbsterbend. Der Herausgeber des Literaturblattes kommt eben 6* aus der Ständekammer, worin er von dem Drucke, unter dem die Kirche schmachte, redete, bei der Berathung der Kammer über das Moststeuergesetz. Edler Mann, sage ich, Sie, aus dessen Antlitz Güte und Redlichkeit leuchten, Nachtwächter Sie Germaniens, der immer abtutet, wie hoch es an der Zeit sei, wenn die Stunde vorüber ist, so und so geht mir’s. Ich erzähle ihm den Casus und trage ihm mein Anliegen vor. Gern gewährt, versetzt Nachtwächter, was schiert mich die Litera- tur? Er ertheilt mir seine Instructionen für einen Artikel des Blattes, ich fange d n ach an zu schreiben. Bei der ersten Seite verspüre ich schon Linderung, bei der zweiten Minderung, bei der dritten sammle ich Kräfte, bei der vierten bessern sich meine Säfte, mit der fünften kommt den abgemagerten Gliedern die vorige Rundheit, und die sechste schenkt mir die vollkommene Gesund- heit, so daß ich nicht nöthig hatte, von Autoren und Büchern, denen etwas versetzt werden sollte, weiter zu schreiben, und Nachtwächtern die Vollen- dung des Artikes überließ. So half mir das Stuttgarter Literaturblatt ho- möopathisch von den durchschlagenden Wirkungen der Lüge. Nachtwächter muß in seiner Jugend keinen Rhabarber eingenommen haben, oder keine Imagi- nation besitzen, sonst wäre er an seinem Blatte längst verschieden. Ich aber werde mich wohl hüten, zum zweitenmale gegen das Gesetz der Wahrhaftigkeit zu sündigen, denn Nachtwächter hilft mir nicht wieder, das weiß ich. Er schreit über Undank; ich hätte an seinem Heerde gesessen, er hätte mich aufgenommen, gastfrei, wie der Capitain Rolando den Gil Blas in seiner Spe- lunke aufnahm, und doch wäre ich so pflichtvergessen gewesen, nicht weiter für ihn lügen zu wollen, als ich mich auscurirt hätte. Auf diese und ähnliche Anklagen führt nun freilich ein alter Vers die Vertheidigung, welche also lautet: Die Wahrheit nur verknüpft, die Lüge hält nicht Stich; Betrügest du die Welt, betrügt der Lügner dich. Eine Correspondenz des Herausgebers mit seinem Buchbinder . I. Der Herausgeber an den Buchbinder . Aber, lieber Herr Buchbinder, was für Streiche machen Sie in jüngster Zeit! Neulich schicke ich Ihnen: Zur Philosophie der Geschichte. Von Karl Gutzkow. Sie aber setzen hinten auf den Titel: Zur Philosophie der Geschichte von Karl Gutzkow, so, als ob dieses Buch eine innere Geschichte des Autors enthalte, ungeachtet er doch darin von den todten Kräften und den natürlichen Voraus- setzungen in der Geschichte, vom abstracten und concreten Menschen, von Mann und Weib, von der Leidenschaft, vom Staat, von Krieg und Frieden, von den Uebergangszeiten, von Revolutionen, und endlich vom Gott in der Geschichte handelt; mithin das ganze Gebiet des historischen Nachdenkens in seinem Werke durchwandert. Heute aber bekomme ich von Ihnen das erste Buch meiner Münchhau- senschen Denkwürdigkeiten zurück, und da sehe ich, daß Sie die zehn ersten Capitel gänzlich verheftet, sie hinter die Capitel Eilf bis Fünfzehn gebracht haben. Ich ersuche Sie unter Rückgabe des Buches eine Umheftung vorzunehmen. Der ich übrigens mit Achtung u. s. w. II. Der Buchbinder an den Herausgeber . Ew. Wohlgeboren haben mir schmerzliche Vor- würfe gemacht, die ich so nicht auf mir sitzen lassen kann. Ich bin lange genug im Geschäft, und weiß, was es damit auf sich hat. Heut zu Tage muß, wenn der Autor sich verpudelt hat, ein ordentlicher Buchbinder ein bischen auf das Verständniß wirken, durch Winke auf den Rücken- titeln, oder, wo sie sonst sich anbringen lassen. Die Schriftsteller sind etwas confuse geworden. Die jungen Leute lesen und lernen zu wenig, aber Unsereins, dem so zu sagen, die ganze Literatur unter das Beschneidemesser kommt, und der alle die Nachrichten „für den Buchbinder“ durchstudiren muß, deshalb aber genöthigt ist, noch rechts und links von den Nachrichten sich umzuschauen, o der gewinnt ganz andre Uebersichten. Da muß man denn helfen, so gut man kann, und oft läßt sich der rechte Gesichtspunct für ein Buch feststellen, blos dadurch, daß man einen Punct oder ein Comma wegläßt, oder zusetzt, wie denn gerade die Sachen sich verhalten. Bei dem Buche von Karl Gutzkow that es die Weglassung des Punctes hinter „ Geschichte .“ Ew. Wohlgeboren! Ich habe Spittler eingebunden und Schlözer, und Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit sind mir wenigstens hundertmal unter’m Falzbein gewesen, und jetzt binde ich Ranke viel ein — ich sage Ihnen, die Männer schrieben so schöne dicke Bücher, und so viele Noten und Citate stehen in den Büchern, daß man sieht, wie die Verfasser sich’s haben sauer werden lassen mit der Philosophie und der Geschichte — ich sage Ihnen, es ist rein unmöglich, daß man auf 305 Seiten, wie Karl Gutzkow gethan, den Gott, und die Revolutionen und den Teufel und seine Großmutter in der Geschichte abhandeln kann. Aber das ist auch gar nicht seine Absicht gewesen, wie sich aus dem Vorworte ergiebt, welches ich lesen mußte, weil ich einen Carton einzulegen hatte. Denn darin sagt der Autor, er habe keine anderen Quellen zur „Philo- sophie der Geschichte“ benutzen können, als höchstens einige an die Wand gekritzelte Verwünschungen der Langenweile, oder einige in die Fensterscheiben geschnittne Wahlsprüche zahlloser unbekannter Na- mensinschriften. Wenn er nun das Buch, was er vermuthlich auch nur schrieb, um sich die Lange- weile zu vertreiben, dennoch herausgab, so konnte das nur in der einzigen Absicht geschehen, Memoiren über seine schlechten und mangelhaftigen Studien zu liefern, und der Titel, wie ich ihn mit goldenen Lettern setzte, ist ganz richtig, nämlich: Zur Phi- losophie der Geschichte von Karl Gutzkow. Warum ich aber die letzten Capitel Ihres Buches zu den ersten machte, das sollen Sie auch gleich vernehmen. Sie hatten die Münchhausenschen Geschichten wieder so schlicht angefangen, wie Ihre Manier ist: „In der deutschen Landschaft, worin ehemals das mächtige Fürstenthum Hechelkram lag, erhebt sich eine Hochebne“ u. s. w. hatten dann von dem Schlosse und seinen Bewohnern berichtet, und waren endlich nach und nach auf den Helden dieser Erzählungen gekommen. Ew. Wohlgeboren, dieser Stylus mochte zu Cervantes Zeiten gut und ersprießlich seyn, wo die Leser so sacht und gelind in eine Erzählung hinein kommen wollten, wie in eine Zaubergrotte, von der die Mährlein singen, daß eine schöne Elfe davor sitzt, und den Ritter mit wunderleisen Klängen in die karfunkelleuchtenden Klüfte lockt. Sie stößt auch nicht in die Trompete, oder bläs’t die Baßposaune, oder macht Pizzicato, sondern sie hat eine kleine goldne Laute im Arm; aus deren Saiten quellen unschuldige, naive Töne, wie harm- lose Kinder, die um den Ritter Blumenfesseln schlingen, und eh er sich’s versieht, ist er umspon- nen und durch den Grotten-Eingang gezogen, und steht mitten in dem Reiche der Wunder, bevor er nur gemerkt hat, daß er aus der Welt da draußen hinweggegangen ist. Aber heut zu Tage paßt die Magie eines sol- chen süßfesselnden Styls gar nicht mehr. Ew. Wohlgeboren, heut zu Tage müssen Sie noch mehr thun, als die Baßposaune blasen, Sie müssen den Tam-Tam schlagen, und die Ratschen in Bewegung setzen, womit man in den Schlacht- musiken das Klein-Gewehrfeuer macht, oder falsche Quinten greifen, oder vor die Dissonanz die Con- sonanz schieben, wenn Sie die Leute „packen“ wollen, wie es genannt wird. Ew. Wohlgeboren, die ordentliche Schreibart ist aus der Mode. Ein Jeder Autor, der etwas vor sich bringen will, muß sich auf die unordentliche verlegen, dann entsteht die Spannung, die den Leser nicht zu Athem kommen läßt, und ihn par force bis zur letzten Seite jagt. Also nur Alles wild durcheinander gestopft und geschoben, wie die Schollen beim Eisgange, Himmel und Erde weg- geläugnet, Charaktere im Ofen gebacken, die nicht zu den Begebenheiten stimmen, und Begebenheiten ausgeheckt, die ohne Charaktere umherlaufen, wie Hunde, die den Herrn verloren haben! Mit einem Worte: Confusion! Confusion! — Ew. Wohlge- boren, glauben Sie mir, ohne Confusion richten Sie heut zu Tage nichts mehr aus. Ich habe, soweit ich vermochte, in diesem Stücke bei den Münchhausianis für Sie gesorgt, und ein bischen Confusion gestiftet, so viel es sich thun ließ, damit die benöthigte Spannung entstehe. Sehen Sie, so wie jetzt das Heft gebunden ist, ann kein Mensch bisher errathen, woran er ist, wer der alte Baron ist, und das Fräulein und der Schulmeister, und wo sich die Sache zuträgt? Hat sich aber ein tüchtiger Leser erst durch einige Capitel hindurchgewürgt, dann würgt er sich auch weiter, denn es geht den Leseleuten so, wie man- chem Zuschauer in der Comödie. Er ärgert sich über das schlechte Stück, er gähnt, er möchte vor Ungeduld aus der Haut fahren, aber dennoch bleibt er sitzen, weil er einmal sein Entree-Geld gegeben hat, und dafür auch seine drei Stunden absitzen will. Also, Ew. Wohlgeboren, ich dächte, Sie ständen von dem Verlangen nach Umheftung ab. Der ich übrigens u. s. w. III. Der Herausgeber an den Buchbinder . Lieber Herr Buchbinder, Sie haben mich über- zeugt. Ach, ich lasse mir jetzt von Jedermann rathen in meinem Metier, selbst von Ihrem Jungen, wenn er mir etwa Vorschläge über das neue Buch machen kann. Es hat mir schon so mancher Junge Zurechtweisungen ertheilt, und ich habe sie nicht befolgt und schwer darob büßen müssen. Es soll also bei der Verheftung bleiben, und wenn Sie oder Ihr Junge in der Folge merken, daß ich wieder gegen die Spannung, oder die unordent- liche Schreibart gesündigt habe, dann heften Sie nur nach Gutdünken die Capitel durcheinander, und verbessern auf solche Weise das Buch. Ich glaube sogar, daß ich nicht der Erste in solchem Verfahren bin; Herr Steffens hat gewiß bei seinen Novellen von Walseth und Leith und den vier Norwegern und Malcolm dem Buchbinder eine gleiche Vergünstigung eingeräumt. Vor ein sieben, acht Jahren hätte mir noch Keiner so etwas bieten dürfen, aber ich bin — — — — müde geworden, hatte ich geschrieben, lieber Herr Buchbinder, und recht im Vertrauen auseinandergesetzt, warum man in der Welt jetzt so müde werden kann. Zwei Damen aber, denen ich den Brief vorlas, sagten, das dürfe durchaus nicht stehen bleiben; der müde und weinerliche Ton zieme sich platter- dings nicht für mich. Sie haben Recht. Mag die Welt uns Alles versagen, die Geschichte und die Natur kann sie uns nicht versperren. Ich will die Buben heulen und greinen lassen über das Elend, welches sie doch eben hauptsächlich machen helfen. Nein, Herr Buchbinder, unsere Augen sollen wacker bleiben, und die Wunden sollen uns schön stehen. Aber was halten Sie von dem Münchhausen, und was meinen Sie, das aus ihm werden wird? IV. Der Buchbinder an den Herausgeber . Ew. Wohlgeboren, aus dem Münchhausen wird nichts; da Sie denn doch meine Meinung wissen wollen. Dieses thut indessen nichts. Ein Buch, aus dem nichts wird, mehr oder weniger in der Welt, verschlägt nichts. Und dann können wir den einzelnen Abschnitten doch noch in etwa nach- helfen. Für diesen ersten habe ich schon so ein Hausmittelchen in Gedanken. Der ich übrigens u. s. w. V. Der Herausgeber an den Buchbinder . Welches Hausmittelchen, lieber Herr Buch- binder? Ich bin äußerst gespannt auf Ihre ferneren Mittheilungen. Mit Achtung u. s. w. VI. Der Buchbinder an den Herausgeber . Ew. Wohlgeboren, Briefwechsel sind jetzt beliebt, wenn sie auch nur Nachrichten von Schnupfen- und Hustenanfällen der Correspondenten enthalten. Lassen Sie unsern Briefwechsel im ersten Buche mit abdrucken; der hilft ihm auf. VII. Der Herausgeber an den Buchbinder . Auch unsre letzten Zettel? VIII. Der Buchbinder an den Herausgeber . Ja wohl. IX. Der Herausgeber an den Buchbinder . Wohl! X. Der Buchbinder an den Herausgeber . (Couvert um die Briefe des Herausgebers.) Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 7 Erstes Capitel. Von dem Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr und seinen Bewohnern . In der deutschen Landschaft, in welcher ehemals das mächtige Fürstenthum Hechelkram lag, erhebt sich eine Hochebne, von braunem Haidekraute überwachsen. Hin und wieder sticht aus dieser dunkeln Fläche ein spitziges Gestein hervor, mit weißstämmigen Birken oder dunkeln Tannen umsäumt. Nach Mitternacht rücken die Steinlager so nahe aneinander, daß sie für eine kleine Gebirgskette gelten können. Verschiedne Fußpfade laufen durch die Ebne, vereinigen sich aber in der Nähe der bei- den höchsten Felsen zu einem breiteren Wege, der zwischen diesen Felsen sacht bergan führt. Nach einigen Windungen fällt derselbe in eine Straße, welche ehemals bepflastert gewesen seyn mag, nun aber durch ausgerissene Steine und grundlose Geleise mehr das Ansehen eines gefährlichen Klippen- weges erhalten hat. Nichts desto weniger ist diesem holprichten und halsbrechenden Wege bis auf die neusten Zeiten der Name der Schloßstraße verblieben. Denn man sieht oder sah, kurz nachdem man sie betreten, das Schloß, welches die Ueberschrift dieses Capitels nennt, auf einem ziemlich kahlen Hügel liegen. Je näher man demselben kommt, oder kam, denn am heutigen Tage ist davon nur noch ein Trümmerhaufen übrig, desto deutlicher springt, oder sprang die ungemeine Baufälligkeit des Schlosses in das Auge. Was zuvörderst die Pforte betrifft, oder betraf, so standen zwar deren beide steinerne Pfeiler noch, und auf dem rechten hatte sich sogar der statuarische Löwe als Wappenhalter zu behaup- ten gewußt, während sein Partner von dem linken Pfeiler hinab in das hohe Gras gesunken war, allein das eiserne Pfortengegitter selbst war längst wegge- brochen und zu andern Zwecken verwendet worden. Die Gefahr, welche hieraus für das Gebäude von räuberischen Ueberfällen zu besorgen stand, war aber nur bei trocknem Wetter vorhanden. Wenn 7* es regnete, (und es pflegt oft in jener Gegend zu regnen;) so verwandelte sich bald der Burghof in einen undurchwatbaren Sumpf, auf welchem, wenn die Geschichte nicht Lügen berichtet, zuweilen selbst Schnepfen sich hatten betreten lassen. Völlig entsprechend diesem Zugange war das Aeußere und Innere des Schloßgebäudes selbst. Die Wände hatten ihre Tünche, ja zum Theil ihren Bewurf verloren. Nach einer Seite hin war die Giebelwand bedeutend ausgewichen und durch einen Balken gestützt worden, der aber am unteren Ende auch schon zu morschen begann, und daher nur eine geringe Zuversicht gewährte. Ließ man sich nun durch diesen Anblick nicht abschrecken, in das Gebäude eintreten zu wollen, so bot die Thüre immer noch ein großes Hinderniß dar. Denn die Feder war in dem alten verrosteten Schlosse längst unthätig geworden, und die Klinke gab nur wiederholtem und gewaltsamem Drücken nach, bei welchem sie aber nicht selten aus ihrer Mutter fuhr und dem Klinkenden in der Hand sitzen blieb. Die Bewohner pflegten sich daher auch mehr eines nach und nach sehr erweiterten Loches in der Wand zum Ein- und Ausgange zu bedienen, und dieses nur für die Nachtzeit durch vorgesetzte Tonnen und Kasten zu versperren. Wenn man die Fenster die Augen eines Hauses nennen darf, so konnte man dieses sogenannte Schloß mit gutem Rechte zum Theil erblindet heißen. Denn nur vor wenigen und den noth- wendigsten Zimmern waren jene Augen noch ersichtlich, viele andere Gelasse waren für immer durch die zugemachten Läden in Dunkelheit versetzt worden, weil sich die Scheiben nach und nach aus den Rahmen verloren hatten. Zwischen so morsch gewordnen vier Pfählen und in kahlen, vernutzten Zimmern hauste noch vor wenigen Jahren ein bejahrter Edelmann, den sie in der ganzen Gegend nur den alten Baron nannten, mit seiner gleichfalls verblühten nachgerade vierzig- jährigen Tochter Emerentia. Er gehörte zu dem weitläuftigen Geschlechte derer von Schnuck, welches weit umher in diesen Landschaften seine Besitzungen hatte, und sich in folgende Linien, Zweige, Aeste und Nebenäste spaltete, nämlich in die I. Aeltere, oder graumelirte Linie — Linie Schnuck-Muckelig; gestiftet von Paridam, Herrn auf und zu Schnuck-Muckelig. 1. Aelterer oder aschgraumelirter Zweig—Zweig Schnuck-Muckelig-Pumpel. 2. Jüngerer oder silbergraumelirter Zweig — Zweig Schnuck-Muckelig-Pimpel. II. Jüngere oder violette Linie — Linie Schnuck-Puckelig, gestiftet von Geyser, Burgman- nen auf und zu Schnuck-Puckelig. 1. Aelterer oder violetter Zweig mit Schütt- gelb. Zweig Schnuck-Puckelig-Schimmel- sumpf. a. Ast Schnuck-Puckelig-Schimmelsumpf- Mottenfraß. b. Ast Schnuck-Puckelig-Schimmelsumpf, genannt aus der Rumpelkammer. ( NB. Stand nur auf vier Augen.) 2. Jüngerer oder violetter Zweig, genannt im Grützfelde. Zweig Schnuck-Puckelig-Erb- senscheucher. a. Ast Schnuck-Puckelig-Erbsenscheucher von Donnerton. b. Ast Schnuck-Puckelig-Erbsenscheucher in der Boccage. Davon der Nebenast: Schnuck-Puckelig-Erb- senscheucher in der Boccage zum Warzentrost. Von diesem Nebenaste war unser alter Baron entsprossen. Die vielfältige Theilung des Geschlechts derer von Schnuck hatte eine bedeutende Theilung des Stamm-Erbes zur Folge gehabt, und namentlich in der jüngeren Linie, welche von jeher durch große Fruchtbarkeit ausgezeichnet war, die Güter in eines jeden Erbherrn Händen merklich gemindert. Man war daher zu der Erfindung überzugehen genöthigt gewesen, daß denen von Schnuck alle Kirchenpfründen und alle Kriegsämter im Fürsten- thume von Rechtswegen gehören; eine Erfindung, die um so eher bei den Fürsten von Hechelkram Glauben fand, als die Schnucks, wie gesagt, über das ganze Land verbreitet waren, und Vetter Botho sagte, es sei so, Vetter Günther behauptete, es sei so am besten, Vetter Achaz einfließen ließ, die Schnucks und ihr Anhang bildeten die eherne Mauer um den Thron, Vetter Vartholomäus fol- gerte, weil es nothwendig sei, daß die Schnucks existirten, so müßten sie auch die Mittel zu ihrer Existenz, d. h. Pfründen und Aemter haben, sechs- unddreißig andre Schnucks aber noch sechsunddreißig andre Gründe für die Richtigkeit der Erfindung zum Vorschein brachten. Die Fürsten, welche nur von Schnucks umgeben waren, und von diesen nichts Anderes hörten, als vorgedachte Reden, mußten wohl endlich an die Richtigkeit der Erfindung glauben. Bedeutend wirkte auch auf die Stärkung dieses Glau- bens der Umstand ein, daß nach der Verfassung von Hechelkram der jedesmalige Fürst seine jedesmalige Geliebte aus dem Geschlechte derer von Schnuck zu beziehen hatte. Diese Damen waren aber, wie sich von selbst versteht, im agnatischen Interesse thätig. Die Erfindung war daher bald festbegründet, und gelangte als Anhang in den Landes-Catechis- mus. Nun konnten die von Schnuck unbesorgt hinleben und ihren Saamen mehren, wie Sand am Meere. Wenn sie das Ihrige verzehrt hatten, so zehrten sie als Generale auf Regiments-Unkosten weiter, und die Söhne, außer Einem, ließen sie Prälaten oder Geheime-Räthe im höchsten Collegio werden. Denn ich habe die Erfindung nicht ganz vollständig vorgetragen: Nach derselben war jeder Schnuck, wenn er den Civildienst wählte, geborner Geheimer-Rath im höchsten Collegio. — — „Sie stocken … Sie seufzen … Herr Heraus- geber?“ Ach, meine Gnädige, ist es nicht ein Unglück für einen armen Erzähler, daß er immerfort die alten Geschichten wieder aufwärmen muß? Die Sachen, die ich da berichte, schienen schon vor fünfzig Jahren durch die Romanenschreiber jener Zeiten so verbraucht zu seyn! Und ich muß den längstgekochten Kohl doch wieder zum Feuer rücken! „Sie erzählen ja von der Vergangenheit, Herr Herausgeber, und dahinein gehören allerdings solche alte Geschichten.“ Ich danke Ihnen tausendmal für diese Erinne- rung, meine Gnädige. Ja wohl, ich erzähle von der Vergangenheit, von Dingen, die ab und todt sind, wie die weiland in der Schmiede gewesene Adelskette. Meine Phantasie riß mich nur hin, daß ich mir die Erfindung derer von Schnuck als der Gegenwart oder nächsten Zukunft angehörig vorstellen mußte. Nein, sie wird nicht wieder aufkommen, diese Erfindung; gegen sie spricht wirklich eine ungeheure Majorität, die Majorität aller rechtlichen Leute, die es sich haben sauer werden lassen in der Welt. Also nur ohne Stocken und Seufzen weiter in diesen Sagen der Vorzeit! Unser alter Baron hatte in seinen jungen Tagen von dem Herrn Vater nur das Schloß Schnick- Schnack-Schnurr ererbt, welches früherhin ein Pachthof gewesen, und erst späterhin zu seinem Ehrentitel gediehen war. Es warf jährlich etwa zweitausend Gulden ab, oder höchstens zweitausend- fünfhundert. Der selige Vater hatte das Wohn- haus wohl in Fach und unter Dach erhalten, die Wappenlöwen standen recht majestätisch auf den bei- den Pfeilern, zwischen denen sich eine eiserne Pforte befand, wie sie nur seyn mußte, der Hof war damals auch noch gepflastert, und in den Zimmern hingen schöne bunte Familienbilder, standen röthlich- lackirte Stühle und Commoden mit goldnen Leisten. Hinter dem Schlosse aber hatte der Vater einen Garten in streng-französischem Geschmack anlegen und Schäfer und Liebesgötter von Sandstein hin- einsetzen lassen. Zweitausend oder zweitausendfünfhundert Gulden jährlich sind zwar nur ein schmales Einkommen für einen Edelmann, allein unser alter Baron hätte sich damit in seiner ländlichen Abgeschiedenheit doch wohl aufrecht zu erhalten vermocht, wenn er nur nicht mit dem Gedanken aufgewachsen wäre, er sei geborner Geheimer-Rath im höchsten Collegio. Aber seit seinem vierzehnten Jahre legte er sich mit dieser Vorstellung nieder, und stand mit der- selben Morgens wieder auf; sie gab ihm eine Sicherheit des Bewußtseyns, welche nichts zu erschüttern vermochte. Gelernt hatte er, die Wahrheit zu sagen, wenig oder nichts, sein Herr Vater war dagegen, und der Meinung gewesen, viel wissen sei für einen Cavalier unanständig. Er hatte eine freie, sorglose und gutmüthige Sinnesart; es vergnügte ihn, Andern mitzutheilen, und sein eignes Vergnügen liebte er nicht minder. Er gab gern Gastereien, ging gern mit einem Dutzend guter Freunde auf die Rehjagd, und hielt nach dieser Anstrengung ein, wo möglich hohes Spielchen mit seinen Waidgenossen für die beste Erholung. Auch wenn er allein war, speiste er nicht gern unter sechs Schüsseln, wozu, wie sich von selbst versteht, alter Rheinwein vom Besten gehörte. In Kleidern hielt er sich sauber, Diener unterhielt er nicht übermäßig viele, etwa fünf oder sechs für sich und seine Gemahlin, die aus der älteren, oder graumelirten Linie, aus der Linie Schnuck-Muckelig-Pumpel entsprossen war; nebst einer Kammerjungfer und einer Garderobiere für diese seine Gemahlin. Letztere hatte nun wieder ihr hauptsächliches Vergnügen an Brillanten, Perlen, Roben und Spitzen, und ihr Gemahl versagte ihr in Beziehung auf solche Gegenstände keinen ihrer Wünsche; denn, sagte er, wenn das Zeug auch viel kostet, so gehört es einmal zu unserm Stande, und was standesmäßig ist, kostet nie zu viel. Ermüdete unsern alten Baron die häusliche Einformigkeit, so machte er mit Gemahlin, Kam- merjungfer, Garderobiere, mit den fünf oder sechs Dienern und diesem oder jenem Hausfreunde, welcher auch der Erholung bedürftig war, und ihn um Mitnahme ansprach, interessante Reisen in die benachbarten fremden Länder, von denen er dann neugestärkt zu seinen Gastereien, Jagden und Spie- len zurückkehrte. Diese stillen Familienfreuden mundeten ihm nach solchen Ausflügen immer dop- pelt wohl. Der Himmel hatte seine Ehe mit einer einzigen Tochter gesegnet, welche in der heiligen Taufe den Namen: Emerentia erhielt. Dieses Kind war von jeher ausnehmend schwärmerischer Art, es verdrehte schon als Säugling die Augen auf eine wunderbare Weise. Als die kleine Emerentia größer wurde, hörte sie ihre Mutter fast von nichts Andrem er- zählen, als von den Damen der Linien Schnuck- Muckelig und Schnuck-Puckelig, welche die Geliebten der Fürsten von Hechelkram gewesen waren. Die Mutter zeigte auch dem Kinde diese Damen unter den Familienbildnissen; lauter schöne Frauenzimmer mit hohen Frisuren, gelben, grünen oder rothen Adriennen, großen Blumensträußen und entblößten Schultern! Da sie nun immerfort von den Ge- liebten hörte, und die Frauenzimmerbildnisse ihr gar zu wohl gefielen, so setzte sie sich in den Kopf, daß sie ebenfalls zu einem solchen Berufe ausersehen sei, ein Gedanke, der noch mehr be- festigt wurde, als der Fürst Xaverius Nicodemus der Zweiundzwanzigste von Hechelkram das Schloß besuchte. Er nahm die damals dreizehnjährige Emerentia auf den Schooß, liebkoste ihr zärtlich, und fragte sie: Willst du mein Bräutchen wer- den? Sie bedachte sich nicht lange, sondern ver- setzte rasch: Ja, wie alle die Damen, die da hangen. Der Fürst hob die Kleine vom Schooße und sagte lächelnd zu ihrer Mutter: Ah, la petite Ingenue! Die Zeit verwischte zwar den Fürsten Xaverius Nicodemus den Zweiundzwanzigsten, da sie ihn nicht wieder sah, allgemach aus ihrem Herzen, da- gegen setzte sich in ihr die Standesvorstellung, die Vorstellung an sich, daß sie bestimmt sei, mit einem Hechelkramischen Fürsten in zärtliche Verhältnisse zu treten, immer fester in ihr, wobei sie sich durch- aus nichts Arges dachte, woran sie aber mit solcher Innigkeit hing, wie ihr Vater an seinen Geheimen- raths-Gedanken. Weil nun das Herz nicht in das Leere seinen Drang versenden mag, sondern gern an liebevoll-gediegner Wirklichkeit ausruht, so hatte ihre schwärmende Phantasie nach einigem Umher- schweifen im leeren Raume auch bald den sichtbaren Gegenstand gefunden, der ihr den künftigen Lieb- haber unter den Fürsten von Hechelkram vorbilden mußte. In der That war dieser Gegenstand ganz geeignet, die Einbildungskraft eines fühlenden Mädchens zu entzünden. Von schöner, gedrungner, proportionirlicher Gestalt, sprach sich in allen seinen Gliedern männliche Kraft aus, aus seinem glän- zenden, hellrothen Gesichte mit breiten, festen Kinnbacken leuchtete der Entschluß, auch die härteste, vom Geschick ihm vorgelegte Nuß zu knacken, der Mund wollte zwar seines Berufes wegen für die Gesetze reiner Verhältnisse etwas zu groß erscheinen, aber ein schwarzer Schnurbart von wunderbarer Fülle, welcher über den Lippen hing, machte diesen Uebelstand wieder gut. Die großen, grellen, him- melblauen Augen blickten sanft und grade vor sich hin, und ließen auf eine Seele vermuthen, in welcher die Milde bei der Stärke wohnte. Bekleidet war dieser idealisch-schöne Nußknacker mit einer rothlackirten Uniform und weißem Unter- zeuge; auf dem Haupte aber trug er einen impo- nirenden Federhut. Emerentia hatte ihn zu ihrem Namenstage geschenkt bekommen. Sobald sie seiner ansichtig wurde, erzitterte sie, erseufzte sie, erröthete sie. Niemand verstand ihre Regung. Sie aber trug den Nußknacker auf ihr einsames Zimmer, stellte ihn auf den Kamin, blickte ihn lange glühend und weinend an, und rief endlich: Ja, so muß der Mann aussehen, dem sich dieses volle Herz zu eigen ergeben soll! Von der Zeit an war der Nußknacker ihr vorläufiger Geliebter. Sie hielt mit ihm die zärtlichsten Zwiegespräche, sie küßte seinen schwarzen Schnurbart, sie hatte dem ganzen Verhältnisse eine so tiefe Beseelung gegeben, daß sie jederzeit des Abends, wenn sie sich zum Schlafengehen entkleiden wollte, schamhaft zuvor ihrem Freunde auf dem Kamin das Haupt mit einem Tuche verhüllte. Nußknacker ließ sich das Alles gefallen, stand zuversichtlich auf seinen Füßen, und blickte mit den großen, blaugemalten Augen mildkräftig vor sich hin. Emerentien hatte diese schöne Liebe rasch gereift. Von der Natur war sie, wenn auch nicht mit Reizen, doch mit blühenden Gesichtsfarben und runden Armen ausgestattet worden; es konnte ihr daher an Verehrern unter den benachbar- ten Landjunkern nicht fehlen. Aber sie schlug alle Bewerbungen von der Hand und sagte, sie folge ihrem Ideal und gehöre der Zukunft an. Unter dem Ideal verstand sie den auf dem Kamin und unter der Zukunft einen Hechelkramischen Fürsten. Ihre Eltern ließen ihr ganz freie Hand. Sie sagten, in den Linien Schnuck-Muckelig und Schnuck- Puckelig seien alle Gefühle seit Jahrhunderten der heraldisch-richtigen Bahn gefolgt. Es lasse sich also nichts daran ändern und modeln, was ihre Tochter empfinde. Um die Zeit der vielfältigsten und heißesten Bewerbungen machte ihr Vater mit den Seinigen eine der obengedachten Erholungsreisen zur Stär- kung auf die Beschwerden der Jagd und des Spiels. Der Ausflug war diesmal in die Bäder von Nizza gerichtet. Die Familie reiste unter fremdem Na- men, denn sechs feurige Landjunker hatten geschworen, dem Fräulein nachzueilen bis an das Ende der Welt, und sie wollte allein seyn, allein mit ihrem Nußknacker, dem heiligen Meer und den ewigen Alpen gegenüber. Die Familie hieß in Nizza die von Schnur- renburg-Mixpickelsche. Eines Tages gehen Schnur- renburg-Mixpickels am Strande spazieren; das Fräulein geht etwas voran, den Freund im Ridi- cüle. Plötzlich sehen die Eltern sie wanken; der Vater springt zu, und empfängt die Tochter in seinen Armen. Bleich ist ihr Antlitz, aber von Entzücken strahlen ihre Augen, sie liegt wie eine Selige am Busen des Vaters. Ihre Blicke dringen schüchtern in die Ferne, und kehren dann wie mit goldnen Schätzen der Wonne beladen, in sich zurück. Auch die Eltern erstaunen, als sie den Blicken der Tochter in die Ferne folgen. Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 8 Denn von der andern Seite des Strandes schreitet ihnen eine Gestalt entgegen, Nußknacker im Großen, weiße Unterkleider, rothe Uniform, Federhut, grell- blaue, und doch milde Augen, hellroth-glänzendes Gesicht, wie lackirt, breiter Mund, verborgen von der wunderbaren Fülle des schwarzen Schnurbarts, eine schöne gedrungne Gestalt, Kraft in allen Glie- dern, kurz Nußknacker in jeder Miene, Form, Falte. Besorgt tritt er hinzu und fragt, was der Dame fehle? Der Vater fragt ihn seinerseits: Mit wem er die Ehre habe …? Ich bin, ver- setzt der Fremde, indem er die Nasenflügel zit- ternd bewegt, und mit den Augen zwinkert, Signor Rucciopuccio, von Geburt ein Sanese, in Kriegsdiensten Seiner Majestät, des Kaisers aller Birmanen, bei den Truppen auf Europäische Art, Commandeur der sechsten Elephantencompagnie. Ei der Tausend, da sind Sie wohl verteufelt weit her? fragte der alte Baron. Es geht noch, erwiederte der Fremde, indem er sich in den Hüften zurechtrückte, daß die Gelenke knackten. Der Alte fragte ihn über die Birmanen aus, die Mutter musterte die Stickerei an seinem Kra- gen, Emerentia flüsterte, in einen Abgrund von Glück verloren, nichts als: O Rucciopuccio! … So kamen sie in das Hotel der Familie, wo sich der Fremde nach kurzem Verweilen beurlaubte mit der Bitte, seine Besuche wiederholen zu dürfen, und nachdem er die Augen nochmals bedeutend- zwinkernd auf Emerentia geworfen hatte. Laßt mich von ihr schweigen! Der Traum ist Wahrheit geworden, das Herz hat sich seinen Wunsch verkörpert, und in die Sichtbarkeit ausge- schaffen! Am andern Tage läßt sich der Comman- deur der sechsten Birmanischen Elephantencompag- nie wieder anmelden. Wo das Schicksal gesprochen hat, sind die Menschen über Worte hinweggehoben. Er tritt in die eine Thüre, sie tritt in die Andre; er zupft am Schnurbart, sie zupft am Schnupf- tuch; heut wird er blaß, und sie wird roth, er breitet die Arme aus, sie breitet die Arme aus, er neigt sich zu ihr, sie neigt sich zu ihm, und: Für einander geschaffen! ist der erste Laut, den ihre glühenden Lippen nach der Wonne des ersten Kusses finden. Für einander geschaffen! wiederholt Rucciopuccio betheuernd, indem er abermals mit den Augen zwinkert und die Nasenflügel zitternd bewegt. 8* Aber diesem rascherblühten Lenze der Liebe folgte ein verheerender Sturm, der alle Rosen jäh- lings zu knicken drohte. In Emerentien erwachte nämlich die ganze Dialektik feinfühlender weiblicher Herzen, wenn sie nicht wissen, was sie wollen. Die Arme fühlte sich durch einen scharfen Conflict der Gefühle zerspalten. Der Nußknacker war ihr Ideal, ein Fürst von Hechelkram ihre Zukunft, der Birmane Rucciopuccio aus Siena die Gegenwart und Wirklichkeit. Sollte sie dem Ideale und der Zukunft untreu werden um Gegenwart und Wirk- lichkeit? Sollte sie Wirklichkeit und Gegenwart opfern und bei Ideal und Zukunft vielleicht eine alte Jungfer werden? Böse Wahl, schreckliche Kämpfe, die alle Götter und Dämonen ihres Busens aus dem Schlummer weckten! Eine weib- liche Feder wird in einem Anhange zu den gegen- wärtigen Erzählungen diesen Theil von Emerentia’s Geschichte ausmalen. Nur eine Schriftstellerin versteht sich auf die Entzaserung aller der gehei- men Fasern und Zasern, welche das Gewebe sol- cher Nöthe bilden. Endlich siegten Gegenwart und Wirklichkeit über Zukunft und Ideal. Das Schicksal räumte nämlich zuvörderst das Ideal hinweg, indem es die Hand der Mutter leitete. Diese ergriff, als sie einmal sich von der Tochter unbemerkt wußte, den Nußknacker, und ließ ihn auf den Kehricht hinter dem Hotel werfen. Dahin gehörte er auch, nachdem er seine Mission erfüllt, und die Idee, deren hölzerner Träger er gewesen war, volles geschichtliches Leben in Rucciopuccio gewonnen hatte. Rucciopuccio aber schwor, als er bei seiner Gelieb- ten auf den Grund des Kummers gedrungen war, ihr mit heiligen Eiden bei dem Affen Hannemann: Er sei eigentlich ein Hechelkramischer Fürst, ein vertauschter Knabe, durch teuflische Cabale nach Siena gebracht, und von dort zu den Birmanen verschlagen. Bald werde er nach Hechelkram zurück- kehren, sein väterliches Reich unter Vorlegung authentischer Urkunden in Anspruch zu nehmen. Zweites Capitel . Emerentia’s Liebe glaubte, was Rucciopuccio’s Liebe beschworen hatte, besonders da der Eid auf den Affen Hannemann abgelegt worden war, der in Hindostan eines noch größeren Ansehens genießt, als je einem Affen in Europa, wo sie doch auch viel gelten, zu Theil geworden ist. Alles hatte sich nun in den schönsten Einklang gesetzt; die Bestimmung der Töchter aus dem Gesammthause Schnuck, das Nußknacker-Ideal und der Fürst von Hechelkram unter der Hülle des Kaiserlich Birmanischen Kriegsbeamten aus Siena. Man konnte in diesem Falle sagen, die Erfüllung habe die Erwartung überflügelt. War Emerentia in das tiefste Geheimniß ihres Rucciopuccio eingedrungen, so konnte sie sich dagegen nicht entschließen, ihm ihren wahren Namen zu entdecken. Der Geliebte war arglos und schwatzhaft; das merkte sie nach kurzer Bekannt- schaft. Wie leicht war es möglich, daß er das Geheim- niß ausplauderte, daß es über die Alpen zu den sechs feurigen Landjunkern drang, daß diese ihr Wort lös’ten, und nachgesprengt kamen, und dann — ade, du stilles Himmelsglück in Nizza! Für Ruccio- puccio blieb Emerentia daher die Freiin von Schnur- renburg-Mixpickel, und hieß Marcebille, weil ihr die- ser Taufname besonders süß und romantisch klang. Es waren nun für beide Liebende die herr- lichen Tage angebrochen, in welchen die Leute ein- ander beständig beim Kopfe haben, Lippen auf Lippen pressen, in welchen, wenn die Geliebte nieset, der Liebende Aeolsharfen und Engelsgesang zu vernehmen meint, und wenn der Geliebte ein Gähnen verbirgt, die Liebende einen neuen himm- lischen Ausdruck in seinen theuren Zügen entdeckt, in welchen, lustwandeln sie mit einander, Sonne, Mond und Sterne beschworen werden, auf ihr Glück herabzuschauen, wenn sie sonst nichts zu sprechen wissen. Rucciopuccio und Emerentia machten alle diese Krisen der Liebe gründlich durch; besonders gingen sie viel mit einander spa- zieren. Er führte sie an das Meer, er führte sie auf die Alpen, er führte sie in Gärten, er führte sie in Olivenwäldchen, er führte sie bei Tage, er führte sie bei Nacht, und zärtlich rief sie oft, noch nie sei sie so anmuthig geführt worden. Ein leichtes Wölkchen am Horizonte ihrer Freuden war es, daß der Prätendent von Hechel- kram nie Geld hatte. Er versicherte sie, er habe so und so viel tausend Lack Rupien vom Birmanen- Kaiser an rückständigem Solde zu beziehen, die jeden Posttag eintreffen könnten; indessen bis zum Eingange dieser Zahlung mußte sie ihm frei- lich mit ihrer Sparbüchse aushelfen. Als diese erschöpft war, sagte er, es müsse nun durchaus ein Wechsel des Schicksals vor der Thür stehen, und um diesem gleichsam symbolisch vorzuarbeiten, wolle er kleine Papierstreifen beschreiben, die in der Welt auch Wechsel genannt würden, weil sie die wunderlichsten Abwechselungen von Freiheit und Nothwendigkeit hervorzubringen pflegten. So flossen abermals einige Wochen in Liebes- glück und Wechselverfertigung hin. Eines Abends gingen sie wieder in einer paradiesischen Gegend spazieren, angeweht von jenen Lüften dort, welche in die Brust des Kranken wie Balsam dringen, und der Wange des Gesunden gleich seidnen Händchen schmeicheln. Sie hatten sich ganz in hohe Ahnun- gen über Gott und Unsterblichkeit verloren, sie sprachen, daß es gleich in den Stunden der Andacht hätte abgedruckt werden können, da standen plötz- lich acht Juden und sechszehn Häscher, denn jeder Jude hatte sich zwei Häscher auf den Leib gemie- thet, vor dem seligen Paare. Die Juden hielten Rucciopuccio’n ganze Hände voll symbolischer Pa- pierstreifen unter die Augen, und die Häscher riefen auf Italiänisch: Marsch! indem sie ihre Spieße wie Wegweisend ausstreckten. Um alle Heiligen, Geliebter! rief Emerentia, was ist dieses? Nichts, meine Theuergeschätzte, als eine höllische Cabale, Wechselarrest geheißen, versetzte Rucciopuccio, der keinen Augenblick seine Fassung verlor. Der Kaiser aller Birmanen ist ein Tyrann. Ein Tyrann, sage ich; ein schmäh- licher Tyrann! Er kann mich nicht entbehren, er reclamirt mich; ich soll ihm auch die siebente, achte und neunte Elephantencompagnie, die er inzwischen gebildet hat, organisiren helfen. Auf gradem Wege setzt er es nicht durch, da spielt er denn mit den ruppigen Juden unter einer Decke, (o wie klein für einen Kaiser!) die müssen mich hier in Wech- selarrest setzen, und von da komme ich auf den Schub von Gefängniß zu Gefängniß, bis nach Hinterindien; ich sehe es voraus. O Fürstendienst! Fürstendienst! * * * * * * * * * * Verlasset Euch nicht * * * * auf die Kinder der Menschen, weil bei ihnen kein Heil zu hoffen ist! Rucciopuccio hob bei diesen Worten die Augen gen Himmel und legte die Hand auf sein Herz, wie der Graf von Strafford, als man ihm ankün- digte, daß Karl Stuart es sich gefallen lassen wolle, daß er, Strafford, sich für den König köpfen lassen wolle. Emerentia aber näherte sich ihm zitternd, und rief: Du verlässest mich, da — — Sie flüsterte ihm etwas in das Ohr. Ueber das hellrothglän- zende Antlitz Rucciopuccio’s legte sich eine Todten- blässe, worauf ein Farbenspiel in demselben sichtbar ward, welches von allen sonst in menschlichen Gesichtern vorkommenden Färbungen so sehr abwich, daß selbst die Juden und Häscher erstaunt zurück- traten, und Emerentia außer sich hätte gerathen müssen, wäre sie nicht mit sich und ihrem Geschick zu sehr beschäftigt gewesen. Rucciopuccio erholte sich aber bald wieder, und sagte zu Emerentien mit ruhiger Freundlichkeit: Dieses sind natürliche Folgen natürlicher Ursachen, die kein weiser Mann bestaunt. Verlasse dich auf mich, Marcebille, ich sprenge die Ketten des Tyran- nen, ich komme wieder als Hechelkramischer Fürst, und hole dich ab von dem Schlosse deiner Väter zu Schnurrenburg. Der Geist legt mir ein Trostlied auf die Lippen, bewahre es im tiefsten Schrein des Herzens als heiliges Gemüthsgeheimniß; daran wollen wir uns einst wiedererkennen: Einst liebtest du den Nußknacker, Nach dem Nußknacker liebtest du mich; Nun holet das Schicksal, der Racker, Erst den Nußknacker, dann holt es mich! Der Nußknacker sank auf den Kehrich, Und mich rauben die wilden Birmanen; Nußknacker kehrt nicht, aber kehr’ ich, Hol’ ich ab dich vom Schloß deiner Ahnen! Die Häscher verhinderten die Fortsetzung dieser Ode, indem sie ihn abführten. Emerentia sank in Ohn- macht. Zwei Juden brachten sie ihren bestürzten Eltern. Drittes Capitel . Weitere Nachrichten von dem alten Baron und seinen Angehörigen . Als die Eltern nach einer ziemlich trübseligen Reise mit Emerentien wieder auf dem Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr angekommen waren, woll- ten die feurigen Landjunker ihre unterbrochnen Wer- bungen erneuern, aber das verstimmte Fräulein wies sie jetzt noch entschiedner zurück, als früher- hin. Ihre Gesundheit hatte offenbar durch den Kummer gelitten, die Züge des Gesichtes nahmen oft einen seltsamen Ausdruck an, die Speisen machten ihr Widerwillen, sie befand sich hin und wieder sehr übel. Der alte Baron ließ einen Arzt kommen; der Arzt sprach mit dem Fräulein unter vier Augen, kam mit einem länglichten Gesichte aus dem Zimmer und sagte zu den Eltern: Die Luft von Nizza ist ihr zu nahrhaft gewesen, das ist eine Luft für Schwindsüchtige, aber nicht für Vollblütige, es entstand eine Ueberfüllung von Säften in ihr, sie muß in eine zehrende Luft, in ein anderes Bad, da kommt Alles wieder in das Gleichgewicht. Auch allein muß sie reisen, damit sie Trübsal hat und Sehnsucht, dann zehrt sie um so eher ab. Die Eltern glaubten dem guten ver- ständigen Arzte, und ließen Emerentien in ein anderes Bad, worin eine zehrende und abmagernde Luft wehte, reisen, ganz allein ließen sie sie reisen, weil der Arzt es so haben wollte. Die Kur mußte sehr gründlich und nachhaltig vorgenommen werden, wenn sie anschlagen sollte; das Fräulein blieb deßhalb viele Monate lang im Bade. Dann kam sie zurück, gesünder und wohler, als sie je zuvor gewesen war. Auch ihre Stimmung hatte sich ganz wieder erheitert; sie lebte in dem festen Vertrauen, daß Signor Rucciopuccio als glück- licher Prätendent von Hechelkram eines Tages ankom- men werde, sie aus dem Schlosse abzuholen. Die Mutter sagte: Wenn das ist, so steht Alles wohl, dann hast du in Nizza nur deine Bestimmung erfüllt. Viele Jahre verflossen seitdem. Der alte Baron war nun wirklich ein alter Baron, Fräulein Emerentia eine alte Jungfer geworden, die alte Baronesse aber inzwischen an einem erbli- chen Familienübel des Zweiges Schnuck-Muckelig- Pumpel gestorben. Die Jahre hatten das Alter gemehrt und die Gelder gemindert, woraus sich aber der Baron wenig machte. Sagte ihm sein Rentmei- ster: Herr Baron, die Pächte und die Zinsen reichen nicht zu, so war die Erwiederung: Thut nichts, wenn Alles aufgezehrt ist, gehe ich in das höchste Collegium, und lebe von meiner Besoldung; ich bin geborner Geheimer-Rath. Geld muß ich haben, also verkauft nur einige liegende Gründe, lieber Rentmeister. Der Rentmeister achtete sich nach diesen Wor- ten, und verzettelte nach und nach alle liegenden Gründe, die zum Schlosse gehörten, Felder, Wie- sen, Triften, Holzungen. Als er das letzte Stück losgeschlagen hatte, trat er wieder zu dem alten Baron in das Zimmer und sagte: Ew. Gnaden, mit den liegenden Gründen wären wir nun fertig; ich begehre meinen Abschied, denn wo keine Renten sind, da ist kein Rentmeister mehr vonnöthen. Sehr wahr! versetzte der alte Baron, so wahr, als wie, daß zweimal zwei Vier thun; ich will Euch ein Attest schreiben über wohlgeführte Admi- nistration; was mich betrifft, so gehe ich jetzt in das höchste Collegium und werde Geheimer-Rath. Ach! aber als er nach dem höchsten Collegio fragte, so war ein solches nicht mehr vorhanden, und als er nach den Fürsten von Hechelkram fragte, so sagte man ihm, die hätten längst aufge- hört zu regieren, und als er sich bei dem Reichs- tage erkundigen wollte, wie er seine wohlherge- brachten Ansprüche durchzusetzen habe, so hörte er, das deutsche Reich wäre schon vor so und so vielen Jahren einmal unversehens dem Kaiser unter den Händen weggekommen. Sonderbar! rief der alte Baron, wie ist das nur zugegangen? Er versank in tiefes Nachdenken, und dachte mehrere Jahre lang darüber nach, wie nur das deutsche Reich habe wegkommen, der Hechelkramische Fürstenstamm aufhören können, zu regieren, und wie es möglich seyn sollte, daß er nicht mehr geborner Geheimer Rath im höchsten Collegio sei? Für die beiden ersten Probleme fand er zuletzt noch eine Lösung, aber das Letzte, das Geheimeraths-Problem blieb ihm unlösbar, und deßhalb kam er endlich auf den Gedanken, die gegenwärtigen Verhältnisse seien nur ein kurzer Uebergang, die alte, gute Zeit stehe schon wieder vor der Thüre, und werde bald anklo- pfen. Mit diesem Gedanken erhielt er seine ganze Heiterkeit zurück. Er nahm sich vor, in der dar- aus entspringenden Ueberzeugung zu leben und zu sterben. Inzwischen waren die Brillanten, Perlen, Ro- ben und Spitzen der seligen gnädigen Frau vertrödelt worden, dann wurde das eiserne Git- terwerk von der Pforte abgebrochen und, benebst den Pflastersteinen des Hofplatzes, sammt allen ent- behrlichen Hausmobilien, nach und nach in Geld um- gesetzt. Derweilen biß auch der Wappenlöwe in das Gras, darauf bröckelte der Bewurf von den Wän- den, und dann wich die Giebelmauer gefährlich aus ihrer lothrechten Stellung, ohne daß eine Reparatur versucht werden konnte, weil die rohen Handwerksleute nur, wenn sie Geld sehen, Hand und Fuß regen. Viertes Capitel . Die blonde Lisbeth . In dem nach und nach sothanerweise herab- gekommenen sogenannten Schlosse Schnick-Schnack- Schnurr mußte sich der alte Baron mit seiner Tochter Emerentia, die seit dem Eintritte in die stehenden Jahre so sehr an Fülle zunahm, wie die Mittel abnahmen, kümmerlich und einsam behelfen. Die Jagd hatte natürlich aufgehört, weil die Waldgründe verschwunden waren, in denen dieses Vergnügen sich betreiben läßt, und an Spiel war auch nicht mehr zu denken; man hätte um Rechen- pfennige die Stiche machen müssen. Allmählig waren daher auch die Freunde seltener geworden, zuletzt blieben sie ganz aus, waren auch wohl zum Theil gestorben. Vater und Tochter hätten sich am Ende den Kaffee und die spärlichen Mahlzeiten Immermann’s Münchhausen 1. Th. 9 selbst bereiten müssen, denn auch die Bedienten und Mägde schlichen sich allgemach aus Mangel der Bezahlung weg, wäre diesem dürftigen und zusammensinkenden Haushalte nicht eine Stütze in der blonden Lisbeth erwachsen, welche, sobald sie die Hände zu Dienstleistungen zu regen im Stan- de war, dem alten Baron und dem Fräulein wie die geringste Magd aufwartete, kochte, wusch, säu- berte, dabei aber immer hold und freundlich aus- sah, und wenn sie das Schwerste verrichtet hatte, so that, als habe sie nichts gethan. Die blonde Lisbeth war ein Findelkind. Ein altes Weib hatte einst vor Jahren eine große Schachtel, mit kleinen Löchern versehen, auf das Schloß gebracht, sie einem Bedienten übergeben, und ihm gesagt, darin sei ein Geschenk für den Herrn, welches ein guter Freund schicke. Indem nun der Bediente die Schachtel zu dem gnädigen Herrn hineintrug, fing das Geschenk darin an, sich zu regen, und ein feines Geschrei zu erheben. Der Mensch hätte es bald vor Schreck zu Boden fallen lassen, besann sich indessen doch, und setzte die Schachtel vorsichtig auf einen Tisch in des gnä- digen Herrn Zimmer. Der alte Baron öffnete den Deckel, und ein kleines Mägdlein von höch- stens sechs Wochen streckte ihm aus den Lümpchen, womit der arme Wurm kümmerlich bekleidet war, wie hülfeflehend die Aermchen entgegen, indem die kleine Kehle sich wacker in den ersten Lauten übte, welche die Menschheit von sich giebt. Uebrigens lag das Kindlein weich in Baum- wolle gebettet. Sonst aber fanden sich durchaus keine Amulete, Kleinodien, Kreuze, versiegelte Pa- piere, welche auf den Ursprung des kleinen Wesens hindeuteten, und ohne welche ein wohlconditionirter Romanenfindling sich eigentlich gar nicht sehen las- sen darf. Kein Maal unter der linken Brust, kein eingebranntes, oder eingeätztes Zeichen am rechten Arme, von welchem sich dermaleinst im Schlafe das Gewand verschieben konnte, daß Jemand, der zufällig die Schlafende sieht, Soup ç on bekommt, und weiter nachfragt, wie? oder wann? und so fort — kurz nichts, gar nichts, so daß mir selbst um die Wiedererkennung bange wird. Nur ein graues Blatt Papier lag in der Schachtel, mit der Nachricht beschrieben, daß das kleine Mädchen christlich getauft sei und Elisabeth heiße. Die Worte waren kaum leserlich; der 9* Schreiber hatte offenbar seine Hand verstellt. Rings umher in den Ecken des Blattes wimmelte es von Buchstaben, Krähen- und Krackelfüßen, die aber trotz aller Bemühungen, sie zusammenzustellen, sich denselben eben so wenig fügten, als die Cha- raktere, welche auf dem Papiergelde sich zerstreut vorzufinden pflegen. Dieses Blatt war um einen Cylinder geschlungen, welcher zwei optische Gläser einfaßte. Der alte Baron nahm den Cylinder, blickte durch das Ocularglas, richtete das Perspec- tiv gegen das Freie, um sich die Erläuterung des Fundes aus der Luft zu holen, aber so viel er auch richtete und durchblickte, er bekam nichts, als blaue Luft und verworrenschwimmende Gegenstände zu sehen. Ueber diesen vergeblichen Anstrengungen, die Krackelfüße zusammenzustellen, und durch das op- tische Glas die Wahrheit zu entdecken, war wohl eine halbe Stunde vergangen, während welcher der Baron noch gar nicht dazu gekommen war, sich nach dem Geber der vor ihm liegenden Gottesga- be zu erkundigen. Auch der Bediente, der mit auf- gesperrtem Munde bald das Kind, bald die An- strengungen seines Gebieters betrachtete, hatte bisher verabsäumt von dem alten Weibe zu reden. Endlich verfiel der alte Baron auf die unter den obwaltenden Umständen so natürliche Frage, der Bediente gab die Auskunft, die er ertheilen konnte, wurde der Spitzbübin nachgesandt, rannte einen halben Tag lang in allen Richtungen umher, kam aber unverrichteter Sache zurück, denn er hatte weder das alte Weib gesehen, noch Jemand ge- troffen, der sie gesehen hätte. Inzwischen waren die Frauen, die alte Ba- ronesse, welche damals noch lebte, und Fräulein Emerentia, in das Zimmer getreten, und der alte Baron, der mit seiner eigenen Verwunderung noch zu schaffen hatte, mußte jetzt dem Sturme von Ausrufungen und Fragen Rede stehn, welcher über die Lippen der Gemahlin und Tochter strich. Eine Dienerin war gefolgt und sorgte, während die Herrschaften über die Exegese des Ereignisses verhandelten, für die nothdürftige Fütterung und Stillung des noch immer schreienden Kindes. Als dieses still, lächelnd und schlummernd wie- der in seiner Schachtel lag, setzte sich die Familie um den Tisch, worauf letztere stand, zu einer Be- rathung nieder, was mit dem Findlinge zu begin- nen sei. Der Haus- und Schloßherr, dessen Thor- heiten nur von seiner unverwüstlichen Gutmüthig- keit übertroffen wurden, war sofort der Meinung, daß das Kind zu behalten, und wie ein eignes auf- zuziehen sei. Seine Gemahlin leistete ihm einigen Widerstand, bequemte sich indessen doch bald zum milderen Entschlusse, da ihr einfiel, daß der ältere Zweig der graumelirten Linie, der Zweig Schnuck- Muckelig-Pumpel selbst mütterlicherseits von einem Findlinge abstamme, in welchem eine Toch- ter hoher Herkunft gesteckt habe. Den heftig- sten Einspruch hatte er von Emerentien zu erlei- den. Das Fräulein war nach ihrer zweiten Ba- dereise so überaus tugendsam, zartsinnig und ver- schämt geworden, daß auch die entfernteste Be- ziehung auf die Verhältnisse, durch welche wir ent- stehen und werden, sie tief verletzen konnte. Sie mochte die Blumen nicht mehr leiden, seitdem ihr ein durchreisender Professor die Bedeutung der Staubfäden auseinandergesetzt hatte, sie war vom Tische aufgestanden, als man erzählte, daß die braune Diane sechs Junge geworfen habe, und hatte vor ihrem Fenster Scheuchanstalten besonde- rer Art gegen die Sperlinge anbringen lassen, um die Schnäbeleien nicht mit ansehen zu dürfen, wo- mit diese Thiere nach der Lebhaftigkeit ihres Na- turells leider gegen einander nur zu freigebig sind. In dem Findlinge ahnete sie nun, wie sie sagte, (und die Ahnung der Frauen ist stäts sicher und wahr) eine Frucht verbotener Liebe. Worte, die sie vor Schaam kaum hervorzubringen vermochte! Sie erklärte, daß sie eine solche nur mit Abscheu anzusehen vermöge, daß ihr das Verbleiben der Creatur unerträglich seyn werde. Sie beschwor ihren Vater, das Kind einer öffentlichen An- stalt zu übergeben. Aber der alte Baron blieb fest bei seinem Vorsatze, und da die Mutter, wie schon berichtet worden ist, auch auf seine Seite getreten war, so mußte sich Emerentia endlich, wiewohl mit großem Widerwillen, fügen. Diesen ließ sie aber in der Folge auf jede Weise an dem Kinde aus, und selbst, als die blon- de Elisabeth, oder Lisbeth, wie sie im Schlosse ge- nannt wurde, heranwuchs, und das beste, zuthätig- ste Wesen wurde, mochte sie sich selten dazu ver- stehen, ihr einen gütigen Blick zu gönnen. Lisbeth dagegen war durch nichts in den sonderbaren Nei- gungen, die ihr die Natur vorgezeichnet zu haben schien, irre zu machen. An dem Fräulein, die ihr so übel begegnete, hing sie mit einer unglaublichen Zärtlichkeit, sie verrichtete freudig das Schwerste für sie, ließ sich von ihr schelten, und lächelte da- nach noch eins so freundlich, wogegen sie dem al- ten Baron, der doch eigentlich ihr alleiniger Be- schützer und Wohlthäter war, nur eine Empfin- dung widmete, welche die Gränzen der Dankbar- keit nicht überschritt. Fuͤnftes Capitel . Der alte Baron wird Mitglied eines Journal-Lesecirkels . In ihm war, als Jagd, Spiel und Gastereien für ihn aufgehört hatten, und nur die Schwal- ben oder Fledermäuse, welche durch die Mauerlü- cken schlüpften, in den unbewohnten Zimmern des sogenannten Schlosses zu nisten, allenfalls noch für Besuche gelten konnten, eine große Langeweile ent- standen, die anfangs auf keine Weise sich beschwich- tigen lassen wollte. Zwar malte er sich zur Un- terhaltung seine Erwartung bestens aus, wie er bald als Geheimer-Rath im höchsten Collegio sitzen werde, neben sich den Herrn von so und so und den Herrn von da und da auf der Adelsbank, er stellte sich den Präsidenten lebhaft vor, und alle Besonderheiten des alterthümlichen Conferenzsaals, er entwarf das Bild des Sessionstisches mit den großen Haufen von Schriften und Papieren dar- auf, die er mit seinen Herrn Nachbarn nicht zu lesen habe, sondern welche von gelehrten und bür- gerlichen Beisitzern durchzustudiren seien; aber als dieses Gemälde von ihm zum hundertsten und aber hundertsten Male im Stillen vollendet und seinen zwei Angehörigen beschrieben worden war, wurde es ihm doch zu eintönig, und er sehnte sich nach anderer Beschäftigung. Diese versuchte ihm nun seine Tochter Emerentia zu gewähren, indem sie ihrerseits eine Schilderung zu liefern begann, wie Fürst Hechelkram, pseudonym Rucciopuccio ge- heißen, plötzlich eines Tages in einem rothlackirten Wagen mit sechs Isabellen bespannt, ankommen, einen schottischquarrirten Läufer mit Blumenhut und seidenem goldbefranztem Schurz hereinschicken und anfragen lassen werde, ob Marcebille oder Emerentia, nach der er so lange das ganze Schnur- renburg-Mixpickelsche Geschlecht vergebens hindurch gefragt habe, bis er endlich zufällig erfahren, sie sei eine geborne Schnuck-Puckelig — ob sie, Eme- rentia, noch an die Stunde denke, die Stunde der Andacht in Nizza? Wie sie sich für diesen Fall schon ihre Antwort ausgedacht, also lautend: Gnä- digster Herr! In den Blüthentagen der Jugend opferten wir der Leidenschaft auf dem Altare un- serer Herzen! Für dieses Opfer ist uns der Weih- rauch ausgegangen. Aber der Altar blieb stehen; lassen Sie uns auf demselben der Freundschaft ein Opfer entzünden, für welches ich ewig, Ihnen ge- genüber, Vorrath besitzen werde! — Wie sie dann, mit dem großen goldenen Stiftskreuze begnadiget, ein Schloß in der Nähe seiner Residenz beziehen, nur seine Freundin im reinsten platonischen Sinne seyn, ihn nie anders als vor Zeugen sprechen, ihn mit seiner Gemahlin versohnen, überhaupt der segnende Genius des Fürstenhauses und des Landes werden wolle. Allein den alten Baron unterhielt diese Schil- derung auch nicht; er hielt sie für ein „Carmen“ wie er sich ausdrückte, und womit er Gedicht sa- gen wollte. Von Gedichten war er aber nie ein sonderlicher Liebhaber gewesen. Endlich fiel er auf den Gedanken, zu lesen, da er gehört hatte, daß damit so viele Menschen ihre Zeit hinbrächten. Indessen wollten auch die Bücher, deren eine klei- ne Sammlung von seinem Vater her noch auf dem Speicher stand, und unter denen er auf gut Glück jetzt wählte, wenig Trost gewähren. Die Sachen wurden ihm darin alle zu lang und aus- gesponnen abgehandelt; der Autor sagte oft erst auf der vierundzwanzigsten Seite, was er mit der ersten gemeint hatte, pflegte überhaupt die Forderung an den Leser zu stellen, daß er seine Gedanken zusammenhalten solle, und dazu konnte sich der alte Baron in seinen vorgerückten Jahren nicht mehr bequemen. Er wollte Abwechselung, Zerstreuung, Mancherlei, wie vorlängst in seinen grünen und lustigen Tagen. Alles dieses fand er auf einmal, da ihm der gute Einfall wurde, in einen Journalcirkel einzu- treten, der alle Wißbegierige auf dem Flächen- raume der umliegenden vier Quadratmeilen mit Geistesnahrung versorgte, und dessen Reichhaltig- keit ihm schon lange gepriesen worden war. Der Unternehmer hatte, um die Nebenbuhler in der erwähnten weiten Ausdehnung unrettbar danieder- zuschlagen, nicht weniger als sämmtliche Zeitschrif- ten des deutschen Vaterlandes in seinen Mappen versammelt. Es fanden sich sonach darin nicht nur die Morgen- die Abend- die Nachmittags- und Mitternachtblätter, sondern auch die Boten für West, Ost, Süd, Nord, Nordwest und Südsüdost; der Gesellschafter und der Eremit; die groben und die eleganten Journale; die Lesefrüchte und die Extracte aus den Lesefrüchten; die liberalen, die servilen, die rationalistischen, feudalistischen, supra- naturalistischen, constitutionellen, superstitionellen, dogmatischen, kritischen Organe; die Fabelwesen: Phönix, Minerva, Hesperus, Isis; das Ausland, das Inland; Europa, Asien, Africa, America und die Stimmen aus Hinterpommern; der Komet, der Planet, das Weltall — kurz, im Ganzen vierund- achtzig Hefte, so daß jeder Theilnehmer am Cirkel die Woche hindurch in jeder der zwölf Tagesstun- den ein Journal zu lesen bekam. Diese Unterhaltung war ganz nach dem Sinne des alten Barons. Endlich, rief er fröhlich aus, als er sich mit dem Umfange der ihm neu eröff- neten Vorrathskammern bekannt gemacht hatte, end- lich doch Gedrucktes, welches Einen belehrt, ohne zu beschweren! In der That gewannen seine Vor- stellungen durch das Lesen der Journale bald eine außerordentliche Bereicherung. Hatte ihm das eine Blatt eine kurze Notiz von dem großen Gift- baume Boan Upas in Indien gegeben, der die Atmosphäre auf tausend Schritte hin ansteckt, so lehrte ihn das folgende, wie die Kartoffeln im Winter vor Frost zu bewahren seien; in dieser Minute las er von Friedrich dem Großen, in der nächsten von der Gräfenberger Wassercur, aber nicht lange, denn gleich darnach erzählte Einer die Geschichte der neuen Entdeckungen im Monde. Eine Viertelstunde war er in Europa, dann spa- zierte er wieder, wie von Faust’s Mantel entrückt, unter Palmen; bald hatte er einen historischen Christus, bald einen mythischen, bald gar keinen; Vormittags fiel er mit der äußersten Linken die Minister an, Nachmittags war er absolutistisch gesinnt, Abends wußte er nicht, wo ihm der Kopf stand, und ging als Jüste-Milieu zu Bette, um Nachts vom Taschenspieler Janchen von Amsterdam zu träumen. Er hätte nie geglaubt, noch so glücklich werden zu können. Daß seine Umstände indessen immer- mehr sich verschlimmerten, und daß er endlich nur auf einen kleinen Lehnsstamm, der ihn eben vor dem äußersten Mangel schützte und unangreifbar war, beschränkt ward, kümmerte ihn wenig. Sagte ihm die blonde Lisbeth, das Haus bekomme nach der Giebelwand zu Risse, und könne über Nacht einmal einstürzen, so pflegte er zu erwiedern: Laß mich zufrieden. Ich habe noch sechs Hefte durch- zustudiren. Wurde sie dringender, so rief er ärger- lich: Ehe das Schloß einstürzt, bin ich Geheimer- Rath! und sie mußte unverrichteter Sache weichen. Freilich entstand durch das unendliche Material, welches er täglich zu verarbeiten hatte, in seinem Kopfe eine große Verwirrung der Vorstellungen, und er mußte zuweilen das Haupt in beide Hände nehmen, um sich zu besinnen, ob er noch in unserem, oder in einem fremden Welttheile, oder ob er überhaupt nur noch auf der Erde und nicht schon längst im Sirius sei? Auch begann er von jetzt an, Alles zu glauben, was er hörte, und wenn man ihm gesagt hätte, die Vögel sängen nach Noten. Denn, pflegte er oft gegen die Sei- nigen zu äußern, es kann heut zu Tage nichts Dümmeres geben, als den Kopfschüttler und Zwei- felmüthigen zu machen; man muß nur Mitglied unsres Journal-Lesecirkels geworden seyn, um zu erfahren, daß nichts so wunderbar ist, was nicht jetzo vorfällt; die Menschen und die Sachen und die Erfindungen sind in einem erschrecklichen Fort- schritte, und wenn er noch zunimmt, so erleben wir, daß das Wasser Balken bekommt, und daß man mit Extrapost von hier direct nach London fährt. Konnte etwas seine Stimmung trüben, so war es der Mangel eines Freundes, dem er sich hätte erschließen, mit dem er seine Ideen hätte austau- schen mögen. Die Sehnsucht nach einem Gleich- gestimmten, nach einem fördernden Umgange wurde oft sehr groß in ihm. Seine Tochter konnte die- sem Verlangen nicht genügen, sie hing nur ihren empfindsamen, ideellen Richtungen nach, und hegte für Realkenntnisse wenig Sinn; Lisbeth aber hatte ein für allemal, da er mit ihr von den Dingen, die ihn so mannigfach beschäftigten, reden wollen, ablehnend erwiedert: Sie wolle sich nichts in den Kopf setzen lassen. Sechstes Capitel . Wie der Dorfschulmeister Agesel durch eine deutsche Sprachlehre um seinen Ver- stand gebracht wurde, und sich seitdem Agesilaus nannte . Einigermaßen, wenn auch nicht genügend, wurde die Sehnsucht des alten Barons befriedigt, sie erhielt so zu sagen, wie das Sprichwort lautet, eine Birne für den Durst, als der Schulmeister Agesilaus in seine Nähe kam. Dieser Mann, wel- cher früher Agesel geheißen hatte, und ein alter Bekannter des Barons war, bekleidete bis zu dem Umschwunge in seinem Schicksale das Amt, die Jugend eines benachbarten Dörfchens im Lesen und Schreiben zu unterrichten. Er wohnte in einer Hütte von Lehmwänden, die außer der Schul- stube nur sein Schlafkämmerchen faßte, hatte drei- ßig Gulden jährlichen Gehalt, außerdem das Schul- Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 10 geld; zwölf Kreuzer für den Knaben und sechs für das Mädchen, einen Grasfleck für ein Rind und das Recht, zwei Gänse in die Gemeindeweide mit einzutreiben. Er versah seinen Dienst ohne Tadel, lehrte die Jugend nach der alten Manier, so wie sie im Dorfe seit hundert und mehreren Jahren gebräuchlich war, buchstabiren: G-e-, Ge, s-u-n-d, sund, h-e-i-t heit; Gesundheit — B-e-t, Bet, t-e-l, tel, Bettel, s-a-ck, sack; Bettelsack u. s. w. und brachte die fähigsten Köpfe nicht selten soweit, daß sie Gedrucktes ohne sonderliche Anstrengung lesen lernten. Was das Schreiben anlangte, so ging auch aus seinen Händen Dieser und Jener hervor, der den eignen Namen zu Stande zu bringen wußte, wenn man ihn nicht übereilte, son- dern ihm die nöthige Zeit ließ. In diesem Systeme war unser Schulmeister fünfzig Jahre alt geworden. Da ereignete es sich, daß die allgemeinen Steigerungen des Zeitalters auch einen neuen Lehrplan im Lande hervorriefen, der bis zu den Dorfschulmeistern umbildend durch- greifen sollte. Seine Vorgesetzten schickten ihm ein Lehrbuch der deutschen Sprache zu, eines von denen, welche die A B C-Wissenschaft tiefsinnig und philosophisch begründen wollen, und ertheilten ihm die Weisung, seine bisherige rohe Empirie zu rationalisiren, sich selbst zuvörderst aus dem Buche zu unterrichten, und dann danach die veränderte Belehrung der Jugend anzufangen. Der Schulmeister las das Buch durch, er las es noch einmal durch, er las es von hinten nach vorn, er las es aus der Mitte, und er wußte nicht, was er gelesen hatte. Denn es war darin gehan- delt von Stimmlauten und Mitlauten, von Auf- In- und Umlauten; er sollte daraus die Laute trüben und verdünnen lernen, er sollte durch Säuseln, Zischen, Pressen, durch Näseln und Gur- geln die Laute hervorbringen, er vernahm, daß die Sprache Wurzeln treibe und Seitenwurzeln, er erfuhr endlich daraus, daß das J der reine Urlaut sei, und daß dessen Erzeugung durch star- kes Zusammendrücken des Kehlkopfes nach dem Gaumen hin geschehe. Er bat Gott um Erleuchtung in diesen Finster- nissen, aber sein Flehen prallte zurück von dem ehernen Himmel. Er setzte sich wieder vor das Buch, mit der Brille auf der Nase, um schärfer zu sehen, wiewohl er bei Tageslicht wohl noch ohne Gläser fertig werden 10* konnte. Ach, nur deutlicher traten seinen bewaffneten Augen die furchtbaren Räthsel des Daseyns, die Sau- se- Zisch- Preß- Nasen- und Gurgellaute entgegen! Darauf legte er das Buch weg, fütterte seine Gänse und gab einem Jungen, der gerade dazukam und sagte, der Vater wolle das Schulgeld nicht zahlen, zwei derbe Maulschellen, um durch das praktische Leben Aufschluß für die Theorie zu ge- winnen. Umsonst. Er aß eine Knackwurst, sich körperlich zu stärken. Vergebens. Er leerte einen ganzen Senftopf, weil er gehört hatte, dieses Gewürz schärfe den Verstand. Eitles Bemühen! Er legte das Buch Abends vor dem Schlafen- gehen unter sein Kopfkissen. Leider fühlte er am andern Morgen, daß weder die Wurzeln, noch die Seitenwurzeln ihm in den Kopf gedrungen waren. Gern hätte er das Buch, wie Johannes jenes vom Engel getragne, auf die Gefahr der empfindlichsten Leibschmerzen hin, verschlungen, wäre er dadurch des Inhaltes Meister geworden; aber welche Hoff- nungen konnte er nach dem Bisherigen von einem so gewagten Versuche hegen? Die Schule stand still, die Kinder fingen Mai- käfer, oder jagten die Enten in den Teich. Die Alten aber schüttelten den Kopf und sagten: Mit dem Schulmeister hat es seine Richtigkeit nicht. Eines Tages, nachdem er sich wieder in seinen verzweiflungsvollen Bemühungen um den Sinn der Dünnung und Trübung abgearbeitet hatte, rief er: Wenn ich dieser Bestie von Buch nur erst an einem Flecke beigekommen bin, so giebt sich vielleicht das Uebrige von selbst! — Er nahm sich vor, zuvörderst den reinen Urlaut J nach der Anweisung des Buchs zu erzeugen. Er setzte sich daher auf seinen Grasfleck zum Rinde, welches dort, unbekümmert um rationelle Lauterzeugung, empirisch brummte, stemmte die Arme in die Seite, drückte den Kehlkopf stark nach dem Gaumen hin, und stieß nun die Töne hervor, welche sich auf solche Weise veranstalten lassen wollten. Sie waren höchst sonderbar, und so auffallend, daß selbst das Rind vom Grase emporblickte und seinen Herrn mitleidig ansah. Eine Menge Bauern hatte der Schall herbeigezo- gen; sie standen neugierig und verwundert um den Schulmeister her. Gevattern! rief dieser und ruhte einen Augenblick von seiner Anstrengung aus; paßt einmal auf, ob es der reine Urlaut J wird? Darauf gab er sich wieder an die Kehlkopf-Gau- mendrückung. Gott behüte! riefen die Bauern, und gingen nach Hause, der Schulmeister ist über- geschnappt, er quiekt schon wie ein Ferkel. Und wirklich stand der arme Schulmeister nahe an der Grenze, über welche die Bauern ihn bereits gesprungen glaubten. Die Frist war abgelaufen, welche man ihm zum Selbstunterrichte gesetzt hatte, er sollte jetzt nach dem Buche lesen lernen lassen, eine Visitation seiner Schule durch den Herrn Schulrath Thomasius nahte heran, die Verzweif- lung trat ihm zum Herzen, und seine Gedanken begannen zu schwärmen. Andre sind durch das Brüten über der unbefleckten Empfängniß der Jung- frau Maria, oder über dem Geheimnisse der Trinität, oder von dem Gedanken an die Ewigkeit verrückt ge- worden; warum sollte ein Dorfschulmeisterlein nicht durch eine moderne Sprachlehre den Verstand ver- lieren können? Genug, ich erzähle es, und wer mir nicht glauben will, frage im Dorfe Hackel- pfiffelsberg nach. Da hat sich die Geschichte zuge- tragen, und jedes Kind weiß dort davon. Ein reisender Student kam in jenen Tagen durch Hackelpfiffelsberg, der kehrte in der Schenke ein, und vernahm von dem närrischgewordenen, oder närrischwerdenden Schulmeister. Es war ein feiner, denkender Kopf, der sich besonders auf Psycholo- gie verlegt hatte, und der daher eine große Be- gierde verspürte, den Kranken kennen zu lernen. Er fand ihn in leinenen Aermeln sitzen, die behaarte Brust offen, eine große weiße Nachtmütze auf dem Kopfe. Wie geht es, Meister? fragte der Stu- dent. So, so, Fremdling, versetzte der Schul- meister. Nicht wahr, die alten Spartaner waren Kerle? Keine müßige Gelehrsamkeit, keine Quäle- rei mit Umlauten, Inlauten, Brustlauten! Alles auf Thatkraft, auf das wirkliche Leben berechnet, den Körper abgehärtet, den Sinn zugespitzt zu Apophtegmen! Mich soll der Henker holen, wenn ich mir nicht Alles in Zukunft Lacedämonisch ein- richte! Meine wackern Vorfahren! Denn was ist Agesel? Agesel ist nichts, verstümmelt, verdorben aus Agesilaus, dem tapfern Könige von Sparta. Die Türken vertrieben die Griechen, darunter waren natürlich die Nachkommen des Königs Age- silaus auch, und die haben sich allmählig bis hieher verzettelt, die Endsylbe ist aber unterweges verlo- ren gegangen. O, man müßte nicht von den Wur- zeln und den Ableitungen die Zeit her die Kränk’ gekriegt haben, wenn man so etwas unglaublich finden wollte! Hoho, dachte der Student, steht es dermaßen hier? Aber ein anziehender Fall! Ich muß ihn beobachten. Er blieb den ganzen Tag über bei dem Schulmeister, und merkte durch viele Fragen aus seinen krausen Antworten endlich sich soviel ab, daß der Kranke in früheren Jahren eine alte Schwarte über die Sitten und Gebräuche jenes griechischen Freistaates gelesen hatte, schon damals von denselben höchlich entzückt gewesen war, daß nun gegenwärtig die gleichsam in Schlummer gelegenen Vorstellungen erwachten und ein fieberhaftes Leben in ihm gewannen. Abends trug der Student fol- gendes Notizenschema in seinem Tagebuche ein: Paralysirung des Denkvermögens in einem beschränk- ten Geiste durch unverdaulichen Denkstoff. Allmähliges Denk-Nichts. Eintreten einer prägnanten antiken Idee im Vacuo. Die Atome des aufgelösten Denkvermögens schießen an dieser Idee an. Zustand des Rappelns. Consolidation des Rappelns. Fixe Idee. Außerdem vernünftiger Mensch. NB. Nach der Ferienreise weiter auszuführen. Es mochte ohngefähr ein Vierteljahr nach die- sen Vorfällen verstrichen seyn, als der Schulmeister, nur bekleidet mit einem braunen, groben Mantel, in der Hand eine junge Tanne, vor den alten Baron trat, der in seinem verwilderten Franzosi- schen Garten hinter dem Schlosse die freie Luft genoß. Der Baron wußte im Allgemeinen schon von den Dingen, die seinem Bekannten wieder- fahren seyn sollten, und trat daher drei Schritte vor ihm zurück, befonders da er ihn mit dem nicht gerade dünn zu nennenden Tannenstamme gerüstet sah. Aber der Schulmeister lächelte, und legte, als ob er die Gedanken des Andern erriethe, die junge Tanne ab. Dann machte er dem Baron eine höfliche Verbeugung, und sprach die üblichen Begrüßungsworte, ohne daß in Ton oder Wendung etwas Excentrisches hervorgesprungen wäre. Der Baron faßte daher Muth, ging auf den Schulmei- ster zu, ergriff seine Hand und sagte: Nun, wie geht’s Euch, alter närrischer Teufel? Was für Streiche habt ihr denn angefangen, Agesel? Agesilaus, wenn ich bitten darf, gnädiger Herr, erwiederte der Schulmeister sanft und höflich. Ich habe diesen meinen guten, ehrlichen Stammnamen wieder angenommen. Der Baron entfernte sich nun doch wieder etwas von seinem Besuche, und sah ihn mit scheuen Blicken von der Seite an. Der Schulmeister aber fuhr gesetzten Wesens so fort: Ich weiß, was Sie von mir denken, mein Gönner. Sie halten mich für verrückt. Sie irren sich, Herr Baron; ich bin nicht verrückt. Es sollte mir Leid thun, wenn ich mich in diesem Zustande befände, denn dann könnten Sie mir mit Recht dasjenige versa- gen, um welches ich Sie dringend ansprechen muß. Ich habe meine fünf Sinne vollkommen beisammen, und weiß, daß ich ein Nachkomme des alten Königs Agesilaus bin, daß ich folglich die Verpflichtung habe, spartanisches Leben und Wesen in mir dar- zustellen, welches wohl überhaupt ein herrliches Correctivum für diese weichliche, abgeschwächte, übergelahrte und sophistische Zeit seyn möchte. Der Baron fragte, um nur etwas zu sagen: Ist es denn wahr, was ich gehört habe, daß Ihr abgesetzt seid, Herr … Herr … Agesilaus … nicht? so nennt Ihr Euch? Abgesetzt allerdings, fortgejagt, wenn Sie so wollen, durch den Schulrath Thomasius, erwiederte Agesilaus ruhig. Nachdem ich das grammatische Fieber, in welches ich durch jene Höllen-Lautlehre gestürzt worden war, überwunden hatte, hielt ich es für meine Schuldigkeit, die mir anvertraute Dorfjugend Lacedämonisch zu bilden. Ich wies sie daher an, zu stehlen und sich nur nicht betreffen zu lassen, um ihre List und Kühnheit zu üben, ich erregte Streit und Schlägerei unter ihnen, um ihre Herzhaftigkeit zu prüfen, und ich prügelte sie allwöchentlich dreimal ohne Grund ab nach dem Muster der Geißelung am Altare der Diana. Herrlich schlug auch meine Methode an. Die Jun- gen fanden, daß noch nie so lustig Schule gehalten worden sei, rauften sich, daß es eine Art war, ohne zu mucksen, stahlen ihren Eltern die Aepfel vor der Nase weg, und ließen sich nicht erwischen, verschmerzten selbst die grundlosen Prügel wegen der sonstigen Ergötzlichkeiten, die sie jetzt unge- straft hatten. Aber die dummen Bauern konnten meinen Plan nicht fassen. Sie schrien, daß ich ihre Brut von Grundaus verderbe, und verklagten mich. Da hat mich nun der Schulrath — nun, er ist auch keiner von den hellsten Köpfen — von dannen getrieben, und also ereilte mich das Fatum. Ich wundre mich nur, sagte der Baron, der sich noch immer von seinem Erstaunen nicht erho- len konnte, über alle die gelehrten Anspielungen, die Euch da so vom Munde stäuben, wie Federn vom Kissen, wenn das Bett gemacht wird. Woher habt ihr das Fatum und die sophistische Zeit, und was Ihr sonst noch vorbrachtet? Es kommt mir alles Dieses und mehreres dergleichen, wenn ich es gebrauche, wie durch innere Eingebung und Erleuchtung, antwortete der Schul- meister. Seit die Urerinnerung an meine tapferen und unvergleichlichen Vorfahren in mir aufgewacht ist, stehen meinem Geiste Dinge zu Gebote, welche freilich vordem in meinem Dorfleben mir nicht geläufig waren. Er trug nun dem Baron sein Anliegen vor, welches darin bestand, ihm Obdach und nothdürf- tige Leibesnahrung zu gewähren, da er nach seiner Absetzung von Allem entblößt sei und nichts besitze, als was er um und an sich trage. Der Baron nahm Anstand, einen tollen Menschen, (denn dafür hielt er den Schulmeister) im Schlosse zu beher- bergen, gleichwohl litt es sein gutes Herz nicht, einen Dürftigen hungern und frieren zu lassen. Er wies ihm daher ein kleines, verfallenes Gar- tenhäuschen, welches in der entferntesten Ecke des französischen Gartens auf einem Schneckenberge stand, und ehemals grün angestrichen gewesen war, zum Quartier an. Damit war sein Schutzbefohlner vollkommen zufrieden. Er zog ein, nannte den Schneckenberg das Gebirge Taygetus, und taufte ein kleines Wässerchen, welches ziemlich träge unter sogenanntem Entenflott in der Nähe dahinschlich, zum Eurotas um. Einmal des Tages kam er auf das Schloß, mit den Bewohnern ihre kärg- liche Mahlzeit zu theilen; die zweite hielt er in seiner Behausung ab. Sie pflegte in der Regel aus einer Art von Mehlbrei zu bestehen, den er auf dem Schneckenberge an Reisigfeuer zurichtete, und seine schwarze Suppe nannte. Außer seinem Mantel hatte er keine Kleidungsstücke; sein Getränk schöpfte er vom Brunnen mit einem alten irdenen Topfe, der ihm den spartanischen Becher oder Ko- thon bedeuten mußte, und von welchem er rühmte, daß er, wie jenes antike Schöpfgefäß, wegen seines eingebognen Randes jegliches Trübe und Unreine vom Munde abhalte; alle Woche aber holte er vom Schlosse sich frisches Stroh zur Lagerstatt, und hieß dieß, sich Schilf im Eurotos schneiden. Nach einiger Zeit hatte der Baron alle Furcht vor seinem Gaste verloren. Denn er bemerkte, daß dieser über jeden Gegenstand so verständig dachte und redete, wie der gesetzteste Alltags- mensch, und daß auch seine spartanischen Vor- stellungen sich zu einer sogenannten unschädlichen Schrolle, oder zu dem, was man den Wurm bei einem Menschen nennt, gemildert hatten. In der That mußte er gestehen, daß unter den Ge- setzen Schmalhansens, des Küchenmeisters, die über Schloß und Gartenhäuschen herrschten, die lacedämonische Einfachheit vollkommen gerechtfer- tigt war, und daß ihrem Anhänger daher die Zugabe von der Ahnenschaft des Königs Agesilaus wohl mit durchgehen konnte. Seine Gesellschaft wurde ihm nun sehr lieb; er hatte doch Jemand, mit dem er in den langen Herbst- und Winterabenden plaudern konnte; er durfte nicht mehr befürchten, an dem Ideenreichthume, den die Journale in ihm her- vorbrachten, zu ersticken. Freilich war, wie wir im Anfange dieses Capi- tels sagten, der Schulmeister nur eine Birne für den Durst. Ueber Geschichten und Anecdoten konnte sein Gönner mit ihm verhandeln, und des lebhaftesten Gespräches sicher seyn, wenn er wichtige Punkte der Historie zur Sprache brachte, wie zum Beispiel: Ob Brutus Recht gehabt habe, Cäsar’n zu erstechen, was aus der Welt geworden seyn möchte, wenn die Fran- zosen die Revolution nicht zu Stande gebracht hätten, oder wenn Friedrich der Große und Napo- leon Zeitgenossen gewesen wären, und was der- gleichen mehr war. Dagegen fehlte dem vermeint- lichen Abkömmlinge des Königs von Lacedämon aller Sinn für die Curiositäten aus der Länder- und Völkerkunde, und aus dem Gebiete der Erfin- dungen, Handels- und Gewerbsverhältnisse, denen der Baron gerade am leidenschaftlichsten sich zuneigte. Mit dem Fräulein hatte der Schulmeister man- chen Streit und sie duldete ihn eigentlich nur ihres Vaters wegen. Er war ihr besonders durch eine feurige Rede verhaßt geworden, in welcher er die Sitte der Spartaner, auch die Jungfrauen bei den Festen der Götter nackt tanzen zu lassen, höch- lich herausstrich. Ein Nervenanfall hatte sie nach dieser Rede ergriffen und mehrere Wochen lang unpäßlich gemacht. Er nahm sich daher auch später- hin eine größere Vorsicht in seinen Lieblingsreden zur Richtschnur, um den Boden, auf dem er seine Freistatt gefunden hatte, nicht zu unterwühlen. Anderntheils wurde es nach und nach der allge- gemeine Grundsatz der drei Academiker von Schnick- Schnack-Schnurr, eine zarte Schonung der gegenseiti- gen Schooßneigungen walten zu lassen. In diesen Verhältnissen lebten der alte Baron, das Fräulein und der Schulmeister ihre seltsam- abgeschiedenen Tage hin. Eines Abends sagte der Schloßherr zu seinem Schützlinge: Ihr seid jetzt weit ruhiger und gleichmüthiger, Herr Agesilaus, als vor Zeiten, wo es Euch doch im Grunde besser ging, als jetzunder. Damals konntet Ihr Streckenlang sehr mürrisch und verdrießlich seyn. Mürrisch und verdrießlich nun woh nicht, mein Gönner, versetzte der Schulmeister, a er tiefsinnig und melancholisch. Wenn ich so meine schmutzigen Jungen in einem fort buchstabiren ließ, eine Woche nach der Andern, einen Monat nach dem Andern, und sich das ohne Resultate fortsetzte, diejenigen, welche lesen gelernt hatten, die Schule verließen, und frische Rangen, die noch nichts wuß- ten, wieder hineinkamen, und immer, immerdar wieder von vorn dasselbe angefangen werden mußte, da konnte mir das ganze Leben zuletzt völ- lig dünn und unzusammenhangend vorkommen, und es gab Nächte, worin mir träumte, das menschliche Daseyn sei nur ein langes, leeres A B C, von dem die Buchstaben X Y Z in der Ewigkeit ständen, und aus welchem nie ein verständiger Satz, ja nur ein sinnvolles Wort würde. Wollte ich mir dann zu meinem Troste sagen, ich sei eben nur ein armer Dorfschulmeister, die Trübe dieser Meinung entspringe aus meiner gedrückten Lage, und glücklichere Menschen, wie hohe Obrig- keiten oder gar durchlauchtige Potentaten seien wohl in dem Falle, ihrer Existenz einen Zusam- menhang zu geben, so war die Beschwichtigung doch nicht lange stichhaltend. Denn ich mußte erwägen, daß das Regieren über Land und Leute doch auch nur so ein ödes, langwieriges Buchsta- biren sei, und daß, wenn man es an irgend einem Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 11 Zipfel zum Lesenlernen gebracht habe, dieser ver- schwinde, und an der andern Seite ein neues Fibelschützenwesen zu stammeln beginne. Aber seit ich meine Ahnen kenne, seit ich weiß, welche herr- liche Erinnerungen in mir sich fortsetzen, und durch mich lebendig zu erhalten sind, ist Alles in mir Ruhe und Freudigkeit, haben sich die Bestand- theile des Lebens im Kreise um mich her gestellt, kurz, bin ich zur Klarheit und zum Bewußtseyn durchgedrungen. Sonderbar! rief der alte Baron vor sich hin, als der Schulmeister nach dieser Aeußerung fort- gegangen war. Wie es scheint, muß der Mensch immer einen Sparren haben, um recht zusammen- zuhalten. Die Vernunft ist wie reines Gold, zu weich, um Fa ç on anzunehmen; es muß ein tüch- tig Stück Kupfer, so eine Portion Verrücktheit darunter gethan werden, dann ist dem Menschen erst wohl, dann macht er Figur und steht seinen Mann. Was für ein Gimpel war der Schul- meister sonst, und wie gescheidt spricht er jetzt, seitdem es bei ihm rappelt. Das Leben ist doch ein curioses Ding, und wäre ich nicht geborner Geheimer-Rath im höchsten Collegio, so könnte mir auch vor mir bange werden. Aber da ich der bin, so muß ich natürlich meinen vollen Verstand besitzen. 11* Siebentes Capitel . Der Freiherr von Münchhausen wird auf den Boden dieser Geschichten geschleu- dert . Die blonde Lisbeth war in das Gebirge gegan- gen, Zinsenrückstände von den Bauern einzutreiben. Sie hatte dieselben zufällig in einem alten ver- geßnen Rentenregister, welches unter anderem Gerüll in einer Polterkammer lag, verzeichnet gefunden. Ihr Pflegevater war ängstlich gewesen, das Kind so allein in das Gebirge ziehen zu lassen, sie aber hatte muthig geantwortet: Wer wird mir etwas thun? Ich schaff’ das Geld! hatte sich an des Schulmeisters Eurotas einen Weidenstecken geschnit- ten, ein Reisetäschchen voll der nöthigsten Wäsche umgehängt, Schnürstiefelchen angezogen, einen Stroh- hut verwegen auf das kecke Häuptlein gesetzt, und war so fürbaß gewandert. Während ihrer Abwesenheit gingen die drei Zurückgelassenen, der Baron, das Fräulein und der Schulmeister eines Nachmittags in dem verwilder- ten französischen Garten spazieren. Sie verkehrten aber nicht mit einander, wie dieß meistens bei sol- chen Gartenwanderungen zu geschehen pflegte, son- dern hingen in verschiedenen Wegen und Stegen ihren eigenen Gedanken nach. Die Pfade um das Schloß her waren fast überall von Dor- nen versperrt, oder durch sumpfiges Erdreich feucht, der trockne Sand, welcher die Gartenstege noch immer einigermaßen bedeckte, verdiente daher ohne Zweifel den Vorzug, wenn man lustwandeln wollte. Damit aber diese gemeinsame Erholung einem Jeden seine völlige Freiheit lasse, und der Stoff der Gespräche nicht zu verschwenderisch eingezehrt werde, hatte der alte Baron für die Gartenerho- lung Aufhebung des geselligen Verkehrs als Regel festgesetzt. Sollte eine Ausnahme eintreten, und Gespräch herrschen, so war von ihm ein untrüglich andeutendes Zeichen erfunden worden. Er schrieb nämlich an solchen Tagen einem Genius von Sand- stein, der, den Finger auf dem Munde, vor einer kleinen düsteren Laube stand, und zu den noch am besten erhaltenen Kunstwerken des Gartens gehörte, mit Kreide das Wort: Colloquium auf die Brust; eines von den wenigen lateinischen Wörtern, deren er sich noch aus seinem Jugendunterrichte erinnerte. So wie daher Jemand von der täglichen Gesell- schaft in den Garten trat, sah er nur nach der Brust des Genius, und schwieg oder redete, jenach- dem die Meinung des Schloßherrn lautete, denn, in so großer Armuth er sich befand, alle seine Umgebungen waren gewohnt, sich pünktlich nach seinen Wünschen zu richten. Heute stand kein Colloquium auf der Brust des Genius angekreidet. Der alte Baron war schon seit einigen Wochen in einer trüben, sehn- süchtigen Stimmung, welche, gerade heute zu beson- derer Verdüsterung erwachsen, ähnlichen Launen bei dem Schulmeister und Emerentien begegnete, so daß Beide mit der ihnen auferlegten Trappisten- regel an diesem Tage besonders zufrieden waren. Wie es wohl zu gehen pflegt; lange Zeit bleiben die eigentlichen Grundempfindungen eines Kreises von Tagestäuschungen überhüllt; endlich aber drän- gen sie sich doch wie Springfluthen unwiderstehlich an die Oberfläche hervor. Die Gefühle der drei lustwandelnden Personen brachen, da letztere weit genug von einander gingen, um sich für unbelauschbar halten zu können, in Selbstgespräche aus. Der alte Baron schritt zwi- schen zwei Taxuswänden auf und nieder, welche ehemals auf ihrer oberen Fläche die zierlichste Abwechselung von Kreuzen, Pfeilern und Urnen dargeboten hatten, nun aber längst aus aller Schur gewichen waren, und nur noch unförmliche, mißge- staltete Klumpen grüner Blätter und Aeste zeigten. Sein Schritt war heftig, sein Blick schwer. Ja, rief er aus, wenn ich einen Mann hätte, der mich verstände, mit dem ich laut denken könnte, der Sinn für einen weiten Gesichtskreis besäße, dann ließe sich herrlich und in Freuden leben! Immer Neues, Wunderbares muß ich haben, die Jour- nale genügen mir schon nicht mehr, sie fangen an, mir schaal vorzukommen; Hypothesen, Hypothesen begehre ich, eine gewaltiger als die Andre, denn nur Hypothesen löschen den Wissensdrust, wenn er einmal entflammt worden ist. Was hilft es mir, daß ich heute von den Ungeheuern gelesen habe, die in jedem Wassertröpfchen leben, mit Kugelleibern, oder tausend Füßen, oder Rüsseln oder Sägezähnen? Bin ich danach klüger, als zuvor? Nein. Dümmer im Gegentheil. Wie entstehen sie? Was treiben sie? Was fressen sie? Wie begatten sie sich? Sind es Säugethiere, die lebendige Junge zur Welt bringen, oder Eier- legende Fische? — O fände ich doch nur einen Mann, mit dem ich Alles so recht durchsprechen könnte, der eine Erklärung auch für das Dunkelste gäbe, gleichviel welche! Der Schulmeister ist ein ehrlicher Kauz, aber doch im Grunde ein dummer Teufel mit seinen alten Spartaner-Flausen. Ich habe mir einen verrückten Menschen unterhaltender ge- dacht; der Agesel beginnt, mich zu langweilen. — Er trat verstimmt zu einem steinernen Schäfer, der an dem einen Ende der Taxuswände stand, und vor Zeiten Flöte geblasen hatte, nun aber nur noch vergeblich den Mund spitzte und die Arme in der gezwungenen musicalischen Haltung leer vor sich hinstreckte, weil die Flöte ihnen längst von der Zeit entführt worden war. Der alte Mann lehnte sich düster an den verstümmelten Schäfer; vor seinem geistigen Gesichte wälzten sich, schossen und kugelten riesige Infusionsthiere umher, bis ihm die Gedanken in das Formlose zergingen. Inzwischen umkreisete Fräulein Emerentia ein mit Muscheln eingefaßtes Becken, welches freilich schon seit geraumen Jahren so trocken lag, wie das rothe Meer, als die Israeliten hindurchgingen. Ein Delphin streckte in der Mitte dieses Beckens seine aufgestülpte Nase empor. Er hatte von Glück zu sagen, daß er aus Kupferblech bestand; ohne diese Constitution hätte er in solcher Trockniß ret- tungslos verschmachten müssen. Auch ein Unbe- schäftigter! Woher sollte der Wasserstrahl ihm zu- fließen, den er sonst aus den Nüstern in die Höhe gesendet hatte? — Das Fräulein umschritt, wie gesagt, das Becken, und sah bald auf dessen Grund, bald auf den Delphin, bald auf die bunten Kiesel, welche in Sternen, Rauten und Blumen eingelegt, den Platz um das Becken zierten, ohne daß sie von einem dieser Gegenstände Trost für ihre weh- müthigen Empfindungen zugesprochen bekommen hätte. Hartes Loos, flüsterte sie schwermuthsvoll vor sich hin, mit einem reichen Herzen, mit einem zarten Gemüthe unter kalten, abstoßenden Naturen leben zu müssen! Wer versteht hier die heilige Sehn- sucht, die mich so ganz nach Rucciopuccio erfüllt, dem Fürsten von Hechelkram im Geheimen? Ich weiß, das Schicksal, welches unser Leben wendet, will still erwartet seyn, und darum greift kein un- gestümes Verlangen im Busen der Entwickelung der Tage vor, nein, geduldig harrt der gläubige Sinn des liebenden Weibes auf den seligen Augenblick, da der goldlackirte Wagen vor dem Schlosse halten und der Läufer mit Blumenhut und Schurz in die Thüre springen wird, fragend nach Emerentien, die in den Stunden der Andacht zu Nizza Marce- bille hieß. Aber eine feinfühlende zweite Seele, ein sympathetisches Gemüth wünschest du dir, und darfst du dir wünschen, arme Emerentia, die Qual des Harrens zu lindern! Nun, wie steht es um die Befriedigung dieses Verlangens hier? Welche Personen umgeben dich? Wirst du in deinen Seuf- zern von irgend Jemandem, mit dem dich dein Loos verbunden hat, begriffen? Der gute Vater ist gut, sehr gut, aber lacht er nicht, wenn du ihm die Geheimnisse deiner Brust leise und schamhaft enthüllst? O wie verderblich ist die einseitige Ver- standescultur, welche der Mensch von Journalen empfängt! Wie höhlt sie das Herz aus! Und jener spartanische Pöbelnarr — — nein, denke ihn nicht zu Ende, diesen Narren, dessen cynische Reden schon in der Erinnerung meine keusche Seele aus tausend Wunden bluten machen. O komm, Mensch, fühlender Mitmensch, den ich nicht kenne, aber gestaltet vor den Augen meines Geistes sehe, der du mich verstehen wirst ohne Wort, wie der heilige Mond, wenn ich zu ihm aufblicke, dem das Unaussprechliche in mir klar seyn wird, wie ein Spruch der Einfalt, komm, Tröster, Paraclet, mir meine süßen Ahnungen auszudeuten, und mich in dem zu begreifen, worin ich mich selbst nicht fasse! — Nach dieser Rede, die Emerentien gewiß jeder Leserin von Gemüth theuer macht, setzte sie sich dem Delphin gegenüber auf einen unformlichen Rasen- hügel, der ehemals eine Bergere gewesen war, und fuhr fort, herzbrechende Seufzer auszustoßen. Auch der Schulmeister war nicht glücklich. Er kauerte auf seinem Gebirge Taygetus, oder Schne- ckenberge, vor einem Feuer, welches der Wind hin und herwehte, und kochte schwarze Suppe. Denn es hatte zum Mittagsessen auf dem Schlosse Spi- nat gegeben, das einzige Gericht, welches er, sonst nicht auf Leckerei gestellt, zu genießen unvermögend war, weil er behauptete, es schmecke nach Rauch- tabak. Während seiner Beschäftigung polterte und brummte er folgende Reden heraus: Schlimm! Schlimm, beim Kuckuk, wenn man mit Ignoranten zu thun hat! Das Fräulein ist eine Mondschein- prinzessin, und der alte Baron, dem übrigens Gott seine Güte an mir vergelten mag, ein Confusio- narius! Ich kriege es nicht heraus! Bis nach Böhmen kann ich die Spuren meiner Vorfahren verfolgen, als sie sich vor den Türken flüchteten, aber weiter geht’s nicht, von da bis hieher Nacht, Finsterniß, unwegsame Wüste! Mein Aeltervater war aus Buxtehude, also haben die Spartaner einen Haken bis zur Nordsee geschlagen. Wie reim’ ich nun diesen Haken mit der Niederlassung der übrigen Ageselschen oder vielmehr Agesilaus’schen Familie in hiesigen Landen zusammen? Und doch, da die Sache ihre Richtigkeit hat, so muß sie sich auch beweisen lassen. O, ein Gelahrter, ein For- scher, der mir hülfe, die Vermuthungen zusammen- stellte, und selbst Vermuthungen hätte, wo mir alle Vermuthungen ausgehn; o, ein solcher Mann fehlt mir nur allzusehr! — Er rührte heftig in der schwarzen Suppe und seine Reden gingen in einzelne abgebrochne Ausrufungen über, die von dem Verdrusse seiner Seele zeugten. Nach einigen Minuten erseufzte das Fräulein am trocknen Wasserbecken so laut, daß selbst ihr Vater am Flötenbläser ohne Flöte und der Schul- meister auf dem Taygetus es vernahmen. Aus Sympathie stimmten sie ihrerseits ein, so stark sie nur vermochten, und es stieg daher ein dreifacher, gewaltiger Seufzer der Sehnsucht im Garten des Schlosses Schnick-Schnack-Schnurr empor. Kaum war er verklungen, so ertonte aus einer Ecke des Gartens, zunächst der einfassenden Hecke, ein lautes Geräusch, wie wenn Jemand von einer nicht unbe- deutenden Höhe herabfalle, ein Hufschlag, wie von einem davoneilenden Pferde, und das Gespräch zweier Menschen, von denen der Eine fragte: Wie ist es, mein gnädiger Herr? Haben Sie sich wehe gethan? der Andre aber antwortete: Durchaus nicht, durchaus nicht, du weißt ja, daß mir kein Sturz etwas thut, auch liegt hier, wie du siehst, ein weicher Haufen Unkraut und Gras zusammen- getrieben, auf den bin ich gesunken, als ich aus den Lüften herniederschwebte. Soll ich dem Pferde nachrennen? fragte die eine Stimme. Nein, ver- setzte die Andre, wir sind am Ziel, welches das Schicksal uns wies. Laß die Creatur auch ihrem Ziele nachlaufen, welches ohne Zweifel in dem Stalle des Verleihers seyn wird, aus dem ich den Klepper im Städtchen entnahm. Der alte Baron, das Fräulein und der Schul- meister näherten sich jetzt dem Orte, wo der Fall und dieses Gespräch erschollen war, und sahen zwei Männer, welche sie in nicht geringes Erstaunen versetzten. Der Eine war eine stämmige Figur, deren Eigenthümer seine vierzig und mehrere Jahre zählen mochte, mit einem durchaus blassen, aber kräftig musculösen Gesichte, aus dem zwei große lebhafte Augen hervorstrahlten. An seiner Kleidung zeichnete sich sonst nichts aus, dagegen konnte ein übermäßig großer Strohhut mit fuß- breiten Krempen auffallend erscheinen, welcher einige Schritte von dem Fremden im Sande lag. Dieser Strohhut war eigentlich kein Strohhut; seine Form schwankte zwischen Mütze und Casquett. In Zukunft soll er, wo er noch vorkommt, der Strohhelm heißen. Der Andere war noch untersetzter und gedrun- gener, als der Erste, schien mit ihm in gleichen Jahren zu seyn, hatte aber die gewöhnliche Gesichts- farbe eines gesunden Menschen. Seine Augen waren wo möglich noch greller, als die des Herrn, denn in diesem Verhältnisse mußte wohl der Erste zu dem Zweiten stehen, da Letzterer in einer eiergel- ben Livree stak, einen lackirten Bedientenhut auf dem Kopfe trug und sich um den Ersten mit einer Kleiderbürste bemühte, allerhand Erd- und Gras- spuren von dem lichtgrauen Ueberrocke desselben zu tilgen. Indem die Gesellschaft vom Schlosse sich den Fremden näherte, blickten diese auf, der Erste sagte dem Zweiten etwas in das Ohr, worauf der Diener den Strohhelm von der Erde erhob und seinem Herrn darreichte. Letzterer trat den Dreien entgegen und sagte mit wunderbaren Muskelbewe- gungen im Antlitz zum alten Baron einige höfliche Worte der Entschuldigung, daß er so unangemel- det in seinen Garten gefallen sei. Der Baron ver- setzte, das habe gar nichts zu bedeuten, und der Schul- meister machte dazu eine tiefe Verbeugung. Beide musterten erstaunt die Zubehörungen des Fremdlings, wie man die Papierhefte, Rollen und Streifen wohl nennen durfte, welche aus den Seiten-Rücken- und Brusttaschen seines Rocks, ja sogar aus den Oeff- nungen eines ledernen Ranzens hervorsahen, den er an einem Querriemen über die Schultern geworfen trug. Die Aufmerksamkeit des Fräuleins war dage- gen in diesen ersten Angenblicken weit mehr von dem Bedienten gefesselt worden. In der That zeigte der Aufzug dieses Menschen auch so manches von einer gewöhnlichen Livree Abweichende. Denn um von dem Strauße wilder Feldblumen zu schwei- gen, der an seinem Hute duftete, so mußte gewiß Jedem sonderbar vorkommen, daß er einen großen bunten Tuch wie einen Schurz sich um die Hüften geknüpft hatte. Der Herr war indessen in die Mitte zwischen den Baron und den Schulmeister getreten, durch diese Bewegung war auch das Fräulein veranlaßt worden, ihn achtsamer zu betrachten, und sich zu nähern; so bildeten die Drei eine Gruppe von Hörern um den Fremden, welche wie von selbst entstanden war. Lassen Sie uns, geschätzte drei Unbekannte, nicht zu lange in einem leeren Erstau- nen einander gegenüber stehen, hob er mit einer gewissen Feierlichkeit an, welche jedoch die Wie- derholung jener Muskelbewegungen im Antlitz, auf die wir schon hingedeutet haben, nicht verhinderte. Ich fühle etwas in mir, welches mir sagen will, daß unser Zusammentreffen in diesem verwilderten französischen Garten Folge einer siderischen Con- junction ist, welcher die Signatur unserer vier Mikrokosmen entspricht. Ist dem also, so würde alles gehaltlose Verwundern, und der eitle Apparat nichtssagender Complimente, welcher die Vorhalle unbedeutender Bekanntschaften auszieren muß, nur eine Verschwendung köstlicher Minuten seyn. Hasche nach Minuten, denn auf ihren Fittichen ruht die Ewigkeit! sagt uns ein weiser Dichter. Die tiefste Ahnung meiner Seele ruft mit vernehmli- cher Stimme: Es war vorbestimmt; die Zeit war dazu reif, daß mein Pferd an jener Hecke bocken, sich bäumen und mich zuerst auf jenen Unkrauthau- fen schleudern, dem zu Folge aber in Ihren freund- lichen und empfänglichen Kreis befördern mußte. Sind Sie vom Pferde gestürzt? fragte der alte Baron. Ja wohl, versetzte der Fremde; doch eigentlicher zu reden, ich flog mehr und beschrieb in der Luft eine Curve, deren Berechnung wohl die Elemente der Ellipse ergeben möchte. Ich bin auf einer gelehrten Fußwanderung begriffen, deren Zweck es ist, das Mineral zu entdecken, wodurch man Luft — — — doch still vor der Hand noch von diesen Dingen! Weil ich mich aber ermüdet Immermann’s Münchhausen 1. Th. 12 fühlte, nahm ich in der Stadt, vier Meilen von hier, ein Miethpferd zu dem Abstecher in diese Gegend. Hieher wiesen mich geheime Andeutun- gen in manchen Schriften, welche die Menge nicht beachtet, die aber Körner gediegenen Goldes ent- halten. Auch eigne Combinationen machten es mir wahrscheinlich, daß hier ein Stock des Min — — doch, wie gesagt, still davon! Ich hing auf meinem Pferde verschiednen Untersuchungen nach, wie es denn meine ziemlich ausgebreiteten Studien mit sich bringen, daß das Verschiedenartigste mir gleich- zeitig durch den Kopf zu laufen pflegt. Ich fand, daß die Infusionsthiere, deren Oeconomie mich unter Andrem kürzlich beschäftigt hat, eigentlich unentwickelte Karpfen sind, und Gedächtniß be- sitzen … Können Sie mir mehr von den Infusions- thieren sagen? unterbrach der alte Baron mit einem schwärmerischen Eifer den Redner. So viel Sie begehren; mit diesen Geschöpfen habe ich in dem vertrautesten Umgange gestanden, erwiederte Jener. Dazwischen sann ich meinen Hypothesen über die Vertreibung und Verpflanzung der alten Natio- nen durch die Völkerwanderung nach, bewies mir, daß viel griechisches Blut unter uns rollt, worauf auch schon in der Sprache so Manches hinweiset, wie z. B. Kater , abstammend von καϑείρω; rei- nigen, säubern, weil jenes Thier die Häuser von Mäusen reiniget; Katze , von der Präposition κατά, herab, gegen, darauf hin, drüber hin, durch hin, entlang; denn sind nicht die Katzen in ihrer geschmeidigen und stürmischen Beweglichkeit gewis- sermaßen die lebendig gewordene Präposition Kat à ? Springen sie nicht unaufhörlich von Dächern und Bäumen herab? Nicht gegen Mauern? Nicht, wenn ein Vogel im Laube spielt, drauf hin? Nicht, scheint der Mond auf den Söller, drüber hin? Nicht durch Dick und Dünn hin? Nicht Kornfel- der entlang? Also, griechische Rudera, wohin wir in Deutschland treten … Spartanische doch insbesondere auch? fragte der Schulmeister mit funkelnden Augen. Die werden sich natürlich ebenfalls sehr leicht entdecken lassen, erwiederte der Fremde. Der Schulmeister drückte dem alten Baron hinter dem Rücken des Fremden feurig die Hand, und der Schloßherr, der an die Infusionsthiere 12* dachte, und alle Standesunterschiede vergessen hatte, erwiederte dieses Zeichen der Begeisterung mit Wärme. Der Fremde fuhr fort: Diesen und vielen andern Gedanken hing ich auf dem Rücken meines Thieres mit Bequemlichkeit nach, denn es gehörte zu denen- welche aufgehört haben, Freunde von Leibesbewe- gung zu seyn, und konnte nur durch die Gerte meines nachwandelnden Dieners, womit derselbe die Schenkel des Lässigen bestrich, im nothdürftig- sten Gange erhalten werden. Ich erzähle diese Umstände so ausführlich, weil sie dem nachfolgen- den Vorfalle erst seine volle Bedeutung geben. Nämlich, als ich in den Weg einbiege, der sich dort entlängst Ihrer Gartenhecke hinzieht, und mein Miethroß im gesetztesten Schritte einherschleicht, ich aber an nichts weniger denke, als mit dem Schlosse und seinen Bewohnern anzuknüpfen, scheut das Pferd, als sähe es, gleich Bileams Eselin eine Erscheinung, wirft den Kopf in die Höhe, hebt sich auf die Vorderfüße, bockt mit einer unglaublichen Schnellkraft, schlägt sofort auch hin- ten aus, springt mit einem Seitensatze in das Dornengebüsche; ich aber, bügellos geworden, schwebe in der von mir schon beschriebenen Curve, gemäß dem Parallelogramm der zusammenwirkenden Kräfte des Bockens, des Ausschlagens und des Seiten- satzes über die Gartenhecke auf den Krauthaufen. Während des Schwebens aber und bei dem Nie- derprallen entsteht in mir blitzartig eine intel- lectuelle Anschauung, die mit sinnlicher Stärke vom Kreuze aufwärts durch das Rückenmark in die Gehirnnerven steigt, und in Worte übersetzt, lautet: Dieß ist ein großer historischer Moment, ein Ausgangspunct wichtiger Entwickelungen. Damit Sie aber erfahren, wer so unvermuthet in die Mitte aller Ihrer Beziehungen geschleudert wurde, so vernehmen Sie meinen Namen, Stand und Cha- rakter. Ich bin der Freiherr von Münchhausen, Mitglied fast aller gelehrten Gesellschaften, in die Academie der Arcadier zu Rom mit der Bezeich- nung: Der nie Verwelkende, aufgenommen. Achtes Capitel . Handelt von dem Bedienten Karl Butter- vogel, und von der freundlichen und ehrenvollen Aufnahme, welche der Frei- herr von Münchhausen im Schlosse Schnick- Schnack-Schnurr fand . Und ich, sagte der Diener, dreist zu den Herr- schaften herantretend, bin der Bediente Karl But- tervogel, bürste meinem Herrn die Kleider aus, und putze seine Stiefeln. Die gnädige Dame da sehen verwundert meinen Blumenstrauß am Hute, und dieses Tuch an, welches beinahe wie ein Lau- ferschurz läßt; ja, ich wäre so ein Laufer, den jede Schnecke einholen würde; ich habe zu schwer hier an meinem Tornister zu schleppen, worin die Instrumente des gnädigen Herrn stecken. Nein, ich pflückte mir die Blumen aus Langerweile, wäh- rend mein Herr die Luft untersuchte, und was den Schurz betrifft, so habe ich mir den umge- knüpft, meine Unterkleider vor den verdammten Dornen in Acht zu nehmen, durch die der gnädige Herr sich absolut hindurcharbeiten wollte. Ich glaube nicht, daß die Schindmähre vor einem histo- rischen Momente gescheut ist, wie Sie sagen, sondern die Dornen rissen sie, und davon wurde das Vieh fuchstoll. Der alte Baron und der Schulmeister hörten mit Verwunderung diesen überkecken Reden eines Dieners zu. Münchhausen suchte mit einem gewich- tigen Blicke den Vorlauten in seine Schranken zurückzuweisen, da aber Jener den Blick ertrug, ohne sich niederschlagen zu lassen, so senkte der Herr die Augen, und die Züge seines Gesichtes begannen, ein geheimes geistiges Leiden auszuspre- chen. In dem Fräulein aber war die heftigste Gemüthsbewegung entstanden. Ihre Wangen hatten sich bei den Reden Karl Buttervogel’s in Purpur- gluth gefärbt, ihre fliegenden Blicke schweiften von dem Herrn zum Diener, und von diesem zu jenem, während die Lippen leise Fragen an das Schicksal vor sich hin flüsterten, welche wie: Lau- ferschurz? Blumenhut? lauteten. Der alte Baron lud den Freiherrn von Münch- hausen auf das Freundlichste ein, bei ihm so lange vorlieb zu nehmen, als es ihm gefiele, was Münch- hausen dankbar annahm. Alle begaben sich hierauf aus dem Garten in das Haus, nachdem der Schloßherr seinem Gaste, der das zerstörte Gebäude einigermaßen stutzig anblickte, zuvor eröffnet hatte, die Wirthschaft sei in diesem Augenblicke durch allerhand Zufälligkeiten etwas in Unordnung gera- then, auch solle gebaut werden. Auf der Treppe, die vom Hausflure zu dem Wohnzimmer führte, hätte der Freiherr beinahe wieder ein Unglück gehabt. Denn eine von den morschgewordnen Stufen knackte, als er sie betrat, und brach. Hier- auf verlor er das Gleichgewicht, wollte sich an dem Geländer halten, faßte aber nur in die dünne Luft, weil das Geländer vorlängst zu Brennholz verwendet worden war. Er wäre gefallen, wenn ihn nicht der alte Baron am Rockzipfel gehalten hätte. So aber kam er doch wieder glücklich auf seinen Füßen zu stehen, und wurde vorläufig in das Wohnzimmer geführt, bis seine Appartements in Stand gesetzt waren. Diese Einrichtung besorgte der Schulmeister, da mit dem Fräulein nichts anzu- fangen war. Sie saß verklärten Blicks in einer Ecke des Zimmers, sah vor sich hin, und ihre Gedanken schienen abwesend zu seyn. Als der Vater zu ihr sagte: Renzel, (so nannte er sie, wenn er besonders guter Laune war) wo kriegen wir den Nachttisch her für den Fremden? ver- setzte sie: O Vater, es wird Tag! und als er sie bat, die Bettung des Gastes zu besorgen, blickte sie ihm starr in das Antlitz und verstand ihn nicht. Der Schulmeister, welcher unter sothanen Umständen sich zum Haushofmeister anerbot, bewies dagegen eine nicht geringe Anstelligkeit. Er war während seines Dienstes zu Hackelpfiffelsberg sich Knecht und Magd gewesen, und hatte dadurch die genauste Kenntniß aller kleinen häuslichen Geschäfte erworben. — Flink räumte er von der Vorraths- kammer, die der Schloßherr zum Gastzimmer bestimmt hatte, weil sie das einzige Gelaß war, welches noch Fenstern hatte, die getrockneten Aepfel, die Bohnen und Erbsen hinweg, welche für den Winterbedarf dort aufgeschüttet lagen, sorgte für das Haupt des Fremden, indem er die lose Gyps- bekleidung der Decke mit einer Stange abstieß, fegte den Estrich rein, verjagte die Spinnen aus ihren luftigen Schlössern, nahm aus den Betten der Schloßbewohner die noch einigermaßen ent- behrlichen Stücke, stellte verschiedene Holzfragmente mittelst Säge, Hammer und Nägel zu einer Art von Sponde zusammen, und wußte selbst noch einen erträglichen Tisch und Stuhl für den Frei- herrn aufzutreiben. Nach vollbrachtem Werke ging er hinunter und fand den alten Baron um zehn Jahre verjüngt. Münchhausen hatte ihm die Wirthschaft der Infu- sionsthiere mit so reizenden Farben geschildert, daß sein Zuhörer in Entzückung gerathen war, er hatte ihm ganze Idyllen, Epen und Tragödien vorgetragen, die sich in jedem Wassertropfen seiner Versicherung nach ereigneten. Als der Schulmei- ster nun einige Augenblicke mit Münchhausen allein gelassen wurde, gab ihm dieser auf Verlangen sein Wort, daß er unfern von Buxtehude in einem Bauerndorfe die deutlichsten Spuren spartanischer Sitte und Abkunft angetroffen habe, indem die Leute dort nichts von den Wissenschaften hielten und von Schmutz starrten. Der Schulmeister ging höchst befriedigt von dannen, um seine schwarze Suppe zu verzehren, und überließ Emerentien den Freiherrn. Nach einer Pause, die so feierlich war, als die- jenige zu seyn pflegt, welche die Comödianten vor der großen Scene machen, in welcher die Liebe dadurch über die Cabale siegt, daß Ferdinand sei- ner Louise Rattenpulver in Limonade eingiebt, nach einer Pause, lang und lastend, wie die vorstehende Periode, sagte das Fräulein schüchtern zum Frei- herrn: Herr von Münchhausen, Sie treten wie ein mythisches Product unsrer Zustände mit innerer Nothwendigkeit in die Burg meiner Väter. Schon haben Sie sich selbst in Ihrer Gartenrede als einen durch beziehungsvolle Beziehungen mit unsern Wünschen und Aussichten Verknüpften empfunden. Verargen Sie es daher der schüchternen Jungfrau nicht, wenn sie, die Gesetze der Zurückhaltung, welche sonst meinem Geschlechte eignen, brechend, Sie herzlich und dringend fragt: Giebt es noch Laufer? Ja, meine Gnädige, erwiederte der Freiherr mit ernster Rührung; es giebt allerdings noch Laufer. Pflegen sich wohl Fürsten dergleichen Laufer zu halten? fragte das Fräulein, indem sie eine Thräne im rechten Auge zerdrückte. Nur ein Fürst ist dessen fähig! rief Münch- hausen, und führte das Taschentuch an sein linkes weinendes Auge. Und nun die letzte Frage an Ihr schönes Herz, edler Mann, eine Frage, in der Sie meine Seele empfangen: Trägt ein Laufer, wo er erscheint, Blumenhut und Schurz? Blumenhut und Schurz bleiben die Zeichen eines Laufers bis an das Ende der Tage, sprach der Freiherr erhaben, und streckte, wie schwörend, den Daumen und die beiden ersten Finger der rechten Hand empor. Ich danke Ihnen für diese Stunde, sagte das Fräulein. Mein Leben beginnt wieder seine Schwingen zu regen. Das Schicksal giebt mir ein Zeichen; auf die Lippen der Unschuld, auf die Lippen Ihres Karl legte es sein bedeutendes Wort, wundersamen Tönen meines Tiefinnersten entsprechend, Schätzen des Busens, die sich eben leuchtend dem Dunkel entrungen hatten. Sie aber, hoher Meister, legten zart und weise die süße Fabel als schlichte, treue Wahrheit aus. O ich wußte wohl, daß ich hier verstanden werden würde! Durchaus verstanden! rief Münchhausen. In diesem Augenblicke trat der alte Baron, der inzwischen die Einrichtung der Gaststube besichtigt hatte, wieder in das Zimmer, und lud Münchhausen ein, ihm dahin zu folgen, damit er es sich vor der Hand etwas bequem machen könne. Emerentia sagte, als sie allein war: Er ist erschienen, der mich ohne Wort versteht; der Him- mel hält uns die Verheißungen, die er uns in der Sehnsucht giebt! Bald, bald wird nun auch Ruccio- puccio kommen, der Fürst von Hechelkram, seine Freundin im reinsten Sinne des Worts abzuholen. Neuntes Capitel . Verständnisse und Mißverständnisse, Sehn- sucht, Orden, Gesinnungen und Ehrenstel- len; Görres und Strauß; die Pücelle d’Orleans, Zeichen, Wunder und neue Geheimnisse . In den nächsten Tagen nach der Ankunft des Fremden ging das schwärmende Entzücken der Schloßbewohner über den wunderbaren Mann in den ruhigeren, aber um so festeren Glauben über, daß in ihm der vom Verhängniß bestimmte Hei- land ihrer Wünsche erschienen sei. Denn der alte Baron merkte schon am ersten Abende, an welchem er Münchhausen’s Unterhaltung genoß, daß mit den Kenntnissen, Erfahrungen, Schicksalen, Blicken, Ideen und Hypothesen seines Gastes Niemand zwischen Himmel und Erde sich zu messen vermöge. Er war, seinen Erzählungen zu Folge, fast in allen bekannten und unbekannten Gegenden der Erde gewesen, hatte sämmtliche Künste und Wis- senschaften getrieben, zu Weinsberg Blicke in das Geisterreich gethan, war durch alle Lagen des Lebens abwechselnd als Küchenjunge, Krieger, Staatsmann, Naturforscher und Maschinenbauer gegangen. Selbst in außermenschliche Regionen war sein Lebensloos geworfen worden; er ließ nach den ersten Stunden der Bekanntschaft merken, daß er einen Theil seiner Tage unter dem Vieh zugebracht habe. Der alte Baron hatte hauptsächlich die Abend- stunden, in welchen die Gesellschaft sich im Wohn- zimmer zu versammeln pflegte, und bei dem Scheine einer Kerze auf den hölzernen Schemeln um den kiefernen Tisch saß, sich zu Mittheilungen erbeten. Für die Gartenpromenaden war von ihm ein noch strengeres Silentium festgesetzt worden, als früher- hin, denn, sagte er, man muß den Tag zum Nach- denken frei behalten, darüber, was Münchhausen am Abend erzählt; des Stoffes wird sonst zu viel, und wir werden Alle drehend, wie die Schafe, von der Weisheit dieses Mannes. — Aus dem Journalcirkel trat er nun wieder aus; in seinem Gaste besaß er jetzt mehr, als ihm eine Zeitschrift bieten konnte, der Geist aller Journale erschien in Münchhausen verkörpert. Immer ging der wunderbare Mann bei seinen Erzählungen von etwas Bekanntem und Verbürgtem aus, erhob sich aber von dieser Grundfläche zu den kühnsten und abentheuerlichsten Schwüngen, so daß man wohl sagen konnte, er stelle recht eigentlich in seiner Person den gewaltigen Fortschritt unserer Zeit dar. Freilich blieb die Empfindung des Schloßherrn nicht ganz ohne eine hin und wieder hervortre- tende entgegengesetzte Beimischung. Münchhausen redete auch viel von Literatur und Poesie, und konnte bei solchen Gesprächen leicht satirisch wer- den. Der alte Baron hatte aber an diesen Gegen- ständen kein Interesse, und haßte die Satire; weßhalb er denn auch derartigen Conversationen sich nur mit einem gewissen Unbehagen hingab. Wirklich verletzt aber fühlte er sich, wenn Münch- hausen, wie er nicht selten that, seine Meinung äußerte, alle Menschen seien gleich geboren, und nur der Wahn, der aber für immer ab und todt sei, habe den Einen durch seine Geburt zu Vor- zügen bestimmt ausgeben können, die nicht auch das Eigenthum aller seiner Mitbrüder gewesen seien. Mit dem Fräulein gestaltete sich das Verhält- niß des Gastes bald gründlich und tief in das zarte Verstehen ohne Worte aus, welches unsere sinnigen und hochstehenden Frauen so sehr lieben. Wenn sie ihm zuflüsterte, ein unaussprechliches Etwas durchwoge sie, so versicherte er, daß er sie vollkommen begreife; und konnte sie für den Drang ihrer Empfindungen nur Vordersätze ohne Nachsätze finden, so ließ er sie ahnen, daß Letztere in seiner verschwiegenen Seele ausgespro- chen ruhten. Daneben erquickten sie die glänzenden Schilderungen, welche er von fremden Gegenden gab, im Grunde ihres Herzens, und bis zur Schwärmerei stieg ihre Regung, wenn er die vier- undzwanzigsylbigen Namen, welche in Mexico, Peru oder Indien gebräuchlich sind, aussprach. Zwar fühlte auch sie sich jezuweilen durch ihn verwundet. In dem Glauben nämlich, ihr dadurch nur noch um so mehr zu gefallen, sprach er eini- gemale seine Meinung aus, daß nur das Weib ihren Empfindungen treu bleibe, bei dem Manne aber der Spruch gelte: Aus den Augen, aus dem Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 13 Sinne! weßhalb denn auf kein von diesen unbe- ständigen Wesen gegebnes Versprechen jemals zu rechnen sei. Er konnte freilich nicht wissen, wie ungestüm solche Aussprüche ihren Erwartungen ent- gegentraten. Sie pflegte darauf zu versetzen: Herr von Münchhausen, Karls und Ihre Erscheinung widerlegt mir im Sinne höherer Ahnung zum Vor- aus diesen Satz. Wenn sie nun das sagte, ver- stand er sie wirklich nicht, und war auch nicht so dreist, es ihr zu versichern. Indessen gingen diese einzelnen Mißstimmungen immer bald in dem Gefühle der Hingebung und Begeisterung unter, welches Vater und Tochter ihm widmeten; ja sie dienten durch den Contrast dazu, diesem Gefühle nur noch größere Leidenschaftlichkeit zu geben. Dagegen war der Schulmeister dem Freiherrn gegenüber in einer eignen Stimmung, die sich nur mit den Scherzbildern vergleichen ließ, welche von der einen Seite angesehen, ein lächeln- des Gesicht, von der andern betrachtet, eine ver- drießliche Fratze zeigen. Die Persönlichkeit Münch- hausens nebst seinen Reden hatte nicht verfehlen können, auch auf den Schulmeister einen tiefen Eindruck zu machen; wir wissen, welche Aussichten für die Bestätigung seiner theuersten Ueberzeugun- gen auch er an diesen Mann des Schicksals knüpfte. Nun aber konnte er sich schon nicht mit der Dar- stellungsweise Münchhausens überall einverstanden erklären. Er war von seinem Elementarunterrichte her an Einfachheit gewöhnt; er hatte den Knaben und Mädchen die Erschaffung der Welt, den Sün- denfall, die Opferung Isaaks, und die Geschichte des keuschen Joseph, ohne Episoden einzumischen, immer schlicht heraberzählt. Der Freiherr aber, überwältigt von seinen Erinnerungen, überfüllt mit Bezügen, Rückblicken und Seitenblicken, schachtelte dermaßen Nebengeschichten in seine Hauptgeschichten ein, und verstieg sich oft in ein solches Labyrinth dabei, daß dem armen Schulmeister, welcher noth- gedrungen den Theseus in jenen Irrgängen spielen mußte, der Faden der Ariadne häufig aus den Händen schlüpfte. Außerdem hatte er zu bemerken, daß Münchhausen, der ihn für einen untergeord- neten Mitesser ansah, wie er es denn in der That auch war, ihm keinesweges mit der gefälligen Auf- merksamkeit begegnete, wie dem alten Baron und dem Fräulein, ja sich sogar vergebens von ihm anmahnen ließ, die Wanderung der vertriebenen 13* Spartaner nach dem Fürstenthume Hechelkram urkundlich für ihn auseinander zu setzen. Er war daher abwechselnd böse auf den Frei- herrn, und hingerissen von ihm. So wahr ist es, daß jeder Prophet schon in seiner ersten Gemeine den Thomas findet, welcher ihm heute folgt, und ihn morgen verläugnet. An einem der Erzählabende sagte der alte Baron zu seinem Gaste: Weiß Gott, daß ich nicht gern an Wunder glaube, und im Grunde auch der Meinung bin, die Natur sei ein Haus, worin man noch immer jeden Tag neue Zimmer und Kammern entdeckt, aber wenn ich bedenke, wie Ihr, liebster Münchhausen, uns dahergeschleudert wurdet, just, als wir, wie ich nun von Emerentien und dem Schulmeister herausgebracht habe, gleichzeitig nach einem Manne, wie Ihr seid, das allerlebhafteste Verlangen empfanden, und auf einen Schuß den dicken Sehnsuchtsseufzer hervorstießen — so weiß ich wahrhaftig nicht, ob dergleichen mit rech- ten Dingen zugehen kann. Und was wäre denn daran so wunderbar, wenn Sie, meine Freunde, mich herangeseufzt hätten? rief Münchhausen. Darüber sind wir denn doch nun wohl aufgeklärt, daß dem menschlichen Geiste, wenn er sich recht in einem Punkte concentrirt, ein gesteigertes Vermögen beiwohnt, wie denn z. B. Görres in einem überaus glaubwürdigen Buche, in seiner christlichen Mystik, erzählt, die hei- lige Catharina habe einmal wegen leichter Indis- position nicht communiciren können, und deßhalb während der Altarhandlung in einer entfernten Ecke der Kirche gekniet; das habe aber gar nichts zu sagen gehabt, denn die Hostie sei über das ganze Schiff der Kirche hinweg ihr in den Mund geflogen. Nun sage ich immer: Was dem Einen recht ist, muß dem Andern billig seyn. Können die Frommen sich das Venerabile von hundert und mehreren Schritten herbeibeten, so haben die Welt- lichen, wenn sie nur ihr Verlangen auch energisch auf einen Punkt richten, gewiß ebenfalls die Macht, diesen Punkt, bestehe er nun in Geld, Frauen, Ehre, herbeizuziehn; und jede Parthei kriegt auf solche Weise, was sie wünscht, die Frommen empfangen das Eine, was Noth thut, die Weltlichen das Andre, was hilft. Ich bin also überzeugt, daß Ihre drei Sehnsuchten meinem Miethpferde magi- sche Schlingen um die Füße legten, die es in den Dornenweg entlängst der Gartenhecke zogen, und daß es dann vor der mystischen Gewalt Ihrer Seufzer scheute, solchergestalt aber durch die nach- folgenden Zwischenursachen hindurch mich zu Ihnen beförderte. Ja, Münchhausen, rief der alte Baron, Ihr seid gleichsam aus der Luft wie ein Donnerkeil unter uns geschlagen! Münchhausen fuhr fort: Wie käme es denn, wenn eine solche Macht des menschlichen Willens nicht bestände, daß so manches gute, schöne Mäd- chen sich mit den häßlichsten, einfältigsten Tropfe vermählt? Der Tropf hat es sich einmal in den Kopf gesetzt, eine schöne Frau zu bekommen; er richtet sein ganzes Verlangen auf eine solche, und sie giebt ihm richtig ihre Hand, ohne selbst zu wissen, wie es zugegangen ist. Wieder ein Andrer hat mehr Liebhaberei an Ehrenstellen und hohen Posten; er weiß Nichts, gar Nichts, er kann eigentlich keinem Schreiberdienste vorstehen, aber er ist ein Mann von „Gesinnung“ d. h. nach der Auslegung, die wir Eingeweihten unter uns dem Worte geben; er besitzt die stärkste Intensivität des Sinns, sich und seinen Herrn Vettern alles mögliche Gute und noch etwas mehr zu verschaffen, überzeugt, daß, wenn es nur ihm und den Herrn Vettern wohl gehe, es auch mit dem Glücke des Landes wohl bestellt sei. Louis quatorze sagte: l’Etat, c’est moi. Wir haben nun gegenwärtig keinen Louis quatorze, aber eine Clique haben wir, eine schöne, vollständig organisirte Clique, mit Ober- und Untercliquiers von dauerhafter Gesinnung und die Clique sagt: l’Etat, c’est la clique. Mais, pour revenir à mes moutons: Ein Gesinnungsmann ohne Kenntnisse und Verstand wünscht sich in der Stille so lange mit solcher Inbrunst zum Statthalter oder Minister, bis er eines Tages, also brevetirt, aufsteht. Die Welt schreit von kleinen Intriguen, die gespielt worden seien; ach, Possen! sie sollte dafür sich einen Blick in große Naturgeheimnisse anzueignen suchen. Die mystische Kraft der Sehnsucht hat gewirkt, daß dem Gesinnungsmanne die Statthalterei in den Mund flog, wie … Eine gebratene Taube! fiel der alte Baron ein. Die Hostie der heiligen Catharina, nach Gör- res; sagte Münchhausen. Ich habe mir im Her- zogthume Dünkelblasenheim einmal den Landesorden ersehnt; d. h. ich habe nicht sehnsuchtsvoll, wiewohl vergebens, danach geseufzt, sondern ihn realiter an meinen Rock herbeigesehnt. Der Herzog ist ein guter alter Mann, seine Bildung datirt noch von Gellerts Fabeln, darüber ist er nicht hinaus- gekommen, und in heiterer Rückerinnerung an dieses kindliche Lehrmittel hat er den Orden vom grünen Esel gestiftet, mit Comthuren, Großkreuzen und Kleinkreuzen. Der Esel frißt in einer Umkrän- zung von Sternen Disteln, und die Ordensdevise lautet: l’appetit vient en mangeant. Nun, nach diesem grünen Eselorden verlangte ich heftig, denn man war in Dünkelblasenheim kaum noch bei’m Wege angesehen, wenn man nicht zu den Eseln gehörte; so wurden die Ritter nach einer abkür- zenden Redefigur benannt. Eines Morgens kommt mein damaliger Stiefelputzer Kalinsky vor mein Bette, hält mir den Frack, der in der Stube gehangen hatte, ausgespreitet unter die Augen und ruft: Herr von Münchhausen, Sie sind über Nacht auch ein Esel geworden. Ich sehe hin und erstaune denn doch ein wenig, denn richtig sitzt im dritten Knopfloch das changeante Band, und daran hängt das Kreuz mit dem Distelfreunde und der Devise. Ich springe aus dem Bette, erkundige mich im Hause, ob Jemand sich habe einschleichen und den Spaß verüben können? Aber die Thüre war die ganze Nacht über fest verschlossen gewesen, Kalinsky war der Erste, der von außen kam. Der Orden ist da, wo aber stecken deine Ver- dienste? frage ich mich selbst. Hast du irgend Verdienste um Dünkelblasenheim? Ich prüfte auf das Ernsteste mein Gewissen; ich lös’te die letzt- gedachte Hauptfrage in sechs Unterfragen auf: Aber auf alle Fragen und Unterfragen mußte ich mir mit Nein! antworten. Ich hatte kein Verdienst, gar kein Verdienst, nicht das geringste Verdienst um jenen Staat. Um andere Staaten habe ich mir Verdienste erworben, aber nicht um Dünkelblasenheim. Ich lüge Ihnen nichts vor, mein Wahlspruch ist: la verité, toute la verité, rien que la verité. Und der Orden war doch da. Also abermals eine Erfahrung von der mystischen Kraft der reinen Sehnsucht. Das Wunderbare bei der Sache, und was ich mir noch nicht habe erklären können, war, daß nicht allein das Kreuz von meinem Wunsche herbeigezogen worden war, sondern daß es auch seinerseits auf das changeante Band eingewirkt hatte, so daß dieses sich von selbst in das Knopf- loch knüpfte. Ich versuchte, den Knoten zu lösen, aber er war so fest geschlungen, daß mir dieses nur mit der größten Mühe gelang. Auch nachher blieb das Band untrennbar haften, wie Johanna Rodriguez nach Görres christlicher Mystik, Band 2 pagina 569 fest am Kreuze haften blieb, auf wel- ches sie sich locker gelegt hatte. O wäre ich Johanna Rodriguez! flötete das Fräulein. Dummes Zeug! brummte der Schulmeister. In diesem Buche von Görres müssen ja erstaun- liche Dinge stehen, sagte der alte Baron. O, rief Münchhausen, ganz andere Dinge stehen noch darin! Dem heiligen Filippo Neri schwoll, nach Görres, das Herz vom Beten so an, daß es ihm zwei falsche Rippen zerbrach, nämlich die vierte und fünfte; der heilige Petrus von Alcan- tara brannte so in Liebesflammen, daß der Schnee um ihn schmolz, und daß er einmal bei Winters- zeit, um sich abzulöschen, in einen gefrornen Teich springen mußte, worauf das Eis um ihn zischte und kochte, wie in einem Gefäße über großem Feuer … Hört auf, hört auf! rief der alte Baron. Mir schwindelt. Feurig fuhr Münchhausen fort: Görres sagt auch: Die Heiligen röchen sehr schön, besonders wenn sie den Aussatz hätten. Was aber das Lieb- lichste ist: Sie geben Oel von sich. Die heilige Lutgardis drückte sich das Oel aus den Fingern, Christina mirabilis hatte es in den Brüsten, und von der Aebtissin Agnes von Monte Pulciano füllten die Klosterschwestern ganze Krüge ab. Gör- res hat auch diesen Oelbildungsproceß sehr richtig an den Körper vertheilt, wie er denn überhaupt Nichts so roh und unzugerichtet hinschreibt, sondern alle die Sachen, welche sich an den Heiligen ereig- nen, aus der höheren Physiologie ableitet. In den unteren, beschatteten Regionen des Leibes bilde sich das milde oder fette Oel, sagt Görres … Verstehe, verstehe, eine Art von Baumöl, Salatöl, rief der alte Baron dazwischen und schwenkte seine Mütze; wo aber rechte Heiligkeit herrscht, grünliches Provenceroel … O gäbe ich auch Oel von mir! schmachtete das Fräulein. … Oben jedoch, in den höheren Regionen, also etwa vom Zwerchfelle aufwärts, komme es mehr zur Production eines flüchtigen Oels, Aroma’s, sagt Görres. Zuweilen nun, wenn gerade in der Luft eine besondere Beschaffenheit obwaltet, schlägt sich dieses Aroma als Manna in Form eines Kreuzes nieder, was dann die Gläubigen vom Hei- ligen abkratzen und aufessen. So hat es sich nach Görres bei der schon erwähnten Aebtissin Agnes von Monte Pulciano zugetragen. Münchhausen! Münchhausen! rief der alte Baron, blies die Backen auf, und stieß einen Strom Luft aus denselben hervor, wie er zu thun pflegte, wenn ihm ein Gedanke zu mächtig wurde — wir leben in einer großen Zeit. Ueberall, durch das ganze Reich des Wissens hin, stiftet sich Licht und Zusammenhang. Was dem Filippo Neri mit seinem Herzen begegnete, ist ja in einem höheren Gebiete nur dasselbe, was sich tagtäglich in einer niederen, animalischen Sphäre ereignet. Wenn doch die Zeiten der Görres’schen Wun- der ganz wiederkehrten, so könnte man ja fast alle Haushaltungsbedürfnisse mit einem seiner Hei- ligen bestreiten, und ersparte hundert Auslagen, die das Leben jetzt so sehr vertheuern! Ein Gör- res’scher Heiliger heizte uns das Zimmer durch, gäbe Oel, unten fettes, oben flüchtiges, ein Paar- mal im Jahre auch eine Schüssel Manna … Guter, schuldloser Vater! sagte Emerentia und blickte ihren Vater mitleidig an. — Ob es je dahin wieder kommen wird, weiß ich nicht, sagte Münchhausen, aber mit dem Görres’schen Buche habe ich selbst mein dreifarbiges Wunder erlebt. Der Schulmeister war hinausgegangen. Ihm machten diese Erzählungen große Beschwerlichkeit, denn er war entschiedner Rationalist. Der Baron und seine Tochter forderten den Freiherrn dringend auf, das dreifarbige Wunder zu berichten, und Münchhausen hob wieder an: Geschätzte Freunde und Zuhörer, wissen Sie hiemit, daß ich das vielbelobte christlich-mystische Buch auf meinem Bücherbrette neben dem Leben Jesu von Strauß stehen hatte. Doctis pauca sufficiunt; Gelehrten ist gut predigen, ich brauche Ihnen, mein würdiger Altvater und Schloßherr, nicht des Breiteren den Inhalt der letzteren Schrift auseinander zu setzen, denn es ist Ihnen aus Ihrer Journallectüre bekannt, daß, wie der christ- liche Mystiker noch bis auf die neueste Zeit die Nägelmaale sich hat reproduciren lassen, der Andere dagegen dem Heilande nicht einmal sein Daseyn in den Evangelien gönnt, sondern behauptet, die apostolische Kirche sei eine Art von Actiengesell- schaft gewesen, die sich den Erlöser auf gemein- schaftliche Kosten angeschafft habe, weil sie ihn bedurft. — Es war unvorsichtig von mir, daß ich zwei so widerhaarige Bücher zusammengestellt hatte; ich mußte voraussehen, daß sie sich nicht vertragen würden. Und so kam es auch. Eines Nachts wache ich von einem sonderbaren Geräusch auf, welches aus meiner Bibliothek tönt. Ich nehme die Kerze, leuchte hin, und habe einen seltsamen Anblick. Strauß und Görres sind in wüthendem Kampfe begriffen, nämlich so, daß die beiden ein- ander zugekehrten Buchdeckel auf einander zu schlagen, wie die Flügel erboster Truthähne. Der Kirchen- rath Paulus, Stäudel, Marheineke, selbst Tholuck, die rechts und links von diesen beiden Werken gestanden hatten, waren scheu zur Seite gewichen, so daß die Gegner vollen Raum zur Entfaltung ihrer Polemik in den Buchdeckeln gefunden hatten. Dabei gaben sie sonderbare Töne zu vernehmen. Im Leben Jesu ließ sich ein feines, nagendes Knis- pern, wie von fressenden Mäusen hören, dagegen grunzte und grölzte die dicke Mystik in einer Art von Strohbaß. Ich nahm meinen armen Görres, der auch schon ganz warm geworden war, wenn gleich nicht glühend, wie der heilige Petrus von Alcantara, vom Brette, streichelte ihn, redete ihm mit guten Worten zu, und brachte es denn endlich auch dahin, daß sich das Buch von seiner entsetz- lichen inneren Aufregung beruhigte; während das Leben Jesu noch immer mit dem einen Deckel in die leere Luft hineinfocht, gegen einen Wunderglau- ben, der ihm gar nicht mehr gegenüber stand. Wie ich nun aber den Einband von Görres unter- suchte, um zu sehen, ob er in diesem Strauße mit Strauß nicht Schaden gelitten habe, da erschien mir das dreifarbige Wunder. Ich hatte nämlich den Gör- res in Purpur binden lassen, und, was sagen Sie dazu, meine Freunde? der Autor hatte vor Alteration zwischen dem Purpur blaue und weiße Streifen bekommen. In der That, meine Werthesten, die christliche Mystik hatte das alte, wohlbekannte, revo- lutionaire Coblenzer Blau, Roth und Weiß von Anno 1793 angelegt. Ein Farbenkundiger sagte mir nachmals, diese Tricolore sei die eigentliche Grundfarbe des Autors und trete bei jeder Erregung, auch bei der mystischen, aus allen anderen Ueber- pinselungen immer wieder siegreich an ihm hervor. Nun, dem sei, wie ihm wolle. Ich stellte meinen Gorres auf ein andres Brett, hatte ihm jedoch in der Nachtmüdigkeit abermals einen unschick- lichen Platz gegeben, wie ich am folgenden Mor- gen sah. Nämlich, neben Voltaires Pucelle hatte ich ihn gestellt. Aber diesem verschollnen Spotte gegenüber hat sich die christliche Mystik sehr mäch- tig und überwältigend erwiesen. Denken Sie sich, die Pucelle war in der Nacht von dem frommen Buche bekehrt worden, wahrscheinlich durch die sich in demselben entwickelnde fette und aromatische Oelbildung. Sie mögen es glauben, oder nicht, es liegt mir nichts daran, aber es ist wahr. Das frivole Gedicht war in sich geschlagen, der Text verschwunden, und ich hielt, als ich einen Blick hineinthat, ein in Halbfranz gebundnes Buch voll unschuldigweißer Papierblätter in Händen, statt der gotteslästerlichen Späße von Charles sept, Agnes Sorel, Dünois, Jeanne und ihrem Esel. Ja, was noch mehr sagen will, das Papier schämt sich seiner früheren Sünden, es liegt ein leiser rother Schimmer darüber, dem Satze zum Trotz: litterae non erubescunt. Ich will es doch gleich herbei- holen, Sie durch den Augenschein zu überzeugen. Münchhausen lief rasch, wie eine Bachstelze hinaus. Der alte Baron ging, mit den Händen in der Luft fechtend, seine Mütze in die Höhe werfend, und sie, wie einen Ball wieder auffan- gend, im Zimmer auf und nieder und rief: Ein Teufelskerl, der Münchhausen! Man muß ihm nach, man mag wollen oder nicht! Im Anfang stemme ich mich jederzeit gegen seine Geschichten, aber ehe ich mich dessen versehe, haben sie mir die Schlinge über den Kopf geworfen und nehmen mich mit fort. Was sagst du dazu, Renzel? Emerentia versetzte: Ich hoffe, die besondere Luftbeschaffenheit auch noch zu erleben, und aus meinem Aroma Manna zu erzeugen. Eine Närrin bist du, polterte der alte Schloß- herr, die immer nur an sich denkt, und nie ihren Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 14 Gesichtskreis erweitern mag! Wenn ich nun eben so wäre, und nichts von heute Abend mir zur Ausbeute gewänne, als den selbstsüchtigen Wunsch, mir den grünen Esel in das Knopfloch zu sehnen? Denkst du, daß dein alter Vater nicht auch noch gern in seinen letzten Tagen einen Orden trüge, ohne irgend eins der sechs Verdienste um Dün- kelblasenheim? Aber ich bin nicht so enggesinnt; mir liegt meine Ausbildung am Herzen, und noch heute Abend frage ich Münchhausen über seine zweifarbigen Augen und sein Ergrünen aus, denn wir stecken einmal mitten in den sonderbaren und außerordentlichen Dingen, zudem stört uns auch der Schulmeister nicht mit seiner einfältigen höh- nischen Miene. Zehntes Capitel. Das kürzeste Capitel dieses Buches nebst einer Anmerkung des Herausgebers . Die letzteren Reden zu verstehen, muß gesagt werden, bevor Münchhausen wieder das Zimmer betritt, daß unter den vielen wunderwürdigen Din- gen, die den Schloßbewohnern an dem Gaste auf- fielen, zwei im vorzüglichsten Grade ihr Erstaunen erregten. Er hatte nämlich ein blaues und ein braunes Auge, welcher Umstand seinem Antlitze einen ungemein charakterischen Ausdruck gab, um so charakteristischer, als, wenn seine Seele voll gemischter Empfindungen war, die verschiedenen Ele- mente solcher Stimmungen gesondert in den beiden Augen hervortraten. Fühlte er z. B. eine freudige Wehmuth, so leuchtete die Freude aus dem braunen Auge, die Wehmuth dahingegen zitterte im blauen. 14* Denn diesem blieben die zarten, dem braunen die starken Gefühle zugewiesen. Sein Gesicht war, wie ich es schon beschrieben habe, nämlich bleich, mit einem gelblichen Anfluge, etwa von der Farbe des Penthelischen Marmors, oder eines in Wachs gesottnen Meerschaumpfeifen- kopfes, der seinen Raucher noch nicht gefunden hat. Stiegen in ihm Affecte auf, welche bei uns Andern ein Erröthen hervorzubringen pflegen, so lief über seine Gesichtsfläche ein grüner Farbenton. Daher hatte der alte Baron auch sehr richtig den Ausdruck: Ergrünen, gebraucht, und wir werden uns desselben ebenfalls bedienen müssen, wenn Münchhausen im Verlaufe dieser Geschichten in Affect gerathen und die Farben wechseln sollte. Anfangs hatten die Schloßbewohner diese Phä- nomene mit einem geheimen Schrecken betrachtet. Bald indessen tilgten die großen Eigenschaften des Mannes und seine hinreißenden Darstellungen den Schrecken, und es blieb nur eine starke Neugier nach, was es mit jenem Farbenspiele für eine Bewandniß haben möge? Diese Neugier war begreiflicherweise in dem alten Baron am stärk- sten. Aber sie sollte auch an diesem Abende noch nicht gestillt werden. Denn nachdem er mit seiner Tochter eine geraume Zeit auf die Rückkunft Münch- hausens gewartet hatte, trat statt seiner der Bediente Karl Buttervogel in das Zimmer und sagte: Mein Herr läßt sich entschuldigen; er kann das Buch nicht finden. Auch muß er — setzte der Mensch geheimnißvoll und halbleise hinzu — seine chemischen Mittel brauchen. Mittel? Chemische Mittel? fragte der alte Baron besorgt. Ist sein Herr krank geworden? Das nicht, versetzte Karl Buttervogel, aber der Lebenspurzeß kam in Abnahme und die Gassen müssen angewendet werden. Er will wohl sagen: Lebensproceß, und: Gase? sprach der alte Baron nach einigem Besinnen. Aber was soll denn das bedeuten? Ich weiß nicht, erwiederte der Bediente mit einer wichtigen Miene. Es ist noch nicht aller Tage Abend und mit meinem Herrn steht es so so. Ein gescheidter Herr, ein gelahrter Herr, aber, aber, ich lobe mir Vater und Mutter! Der Schloßherr drang vergebens in den Men- schen, sich näher zu erklären. Das neue Geheimniß hatte indessen nicht Zeit, in den Seelen der Schloßbewohner Wurzeln zu schlagen, denn Münch- hausens Reden waren gerade in den Tagen, welche diesem Abende folgten, besonders gehaltreich, so daß der alte Baron selbst die Frage nach den Ursachen des Farbenspiels im Antlitze seines Gastes eine Zeitlang vergaß. Wir werden im Folgenden einige dieser Reden und Erzählungen zur Kunde der Lesewelt bringen. Anmerkung . Hier schließen sich die Capitel Eilf bis Fünf- zehn an, welche der wohlwollende Buchbinder der Spannung halber vorgeheftet hat. Ich habe über die Rathschläge nachgedacht, welche mir von diesem Manne heimlicher Weise ertheilt worden sind, werde sie befolgen, und kann dem günstigen Leser in den folgenden Büchern die allerherrlichsten und kostbarsten Dinge versprechen. Der Münchhausen wird ein Buch, bei dem man nicht begreift, wie Gott der Herr, ohne es gelesen zu haben, mit der Schöpfung fertig geworden ist. Die deutsche Litteratur hebt erst von meinem Münchhausen an. Der günstige Leser glaube die- sen Verheißungen! Ich hätte mir zu denselben wohl eigentlich einen von den jungen Leuten in Hamburg, Berlin oder Leipzig miethen müssen, aber ich dachte zuletzt, eigne oder fremde Fabrik gelte gegenwärtig in diesem Artikel gleich viel, und darum ersparte ich mir den Heuerlohn und die Complimente. Sechszehntes Capitel. Warum der Freiherr von Münchhausen grün anlief, wenn er sich schämte oder in Zorn gerieth . Nach so manchen interessanten Abenden fiel dem alten Baron wieder seine Frage ein, welche er vorlängst hatte thun wollen. Es war eine schöne Stunde des Vertrauens; Münchhausen hatte seit mehreren Tagen nur Dinge vorgetragen, die den Schloßherrn und seine Tochter auf das Ange- nehmste berühren mußten; selbst der Schulmeister schien von seiner Verstimmung wieder etwas zurück- gekommen zu seyn. Der Wirth rückte daher dem Gaste, nachdem das spärliche Abendessen, bestehend aus Salat und Eiern, verzehrt worden war, freundlich näher, und sagte: Ihr wärt recht gefällig, lieber Münch- hausen, wenn Ihr uns heute eine stichhaltende Hypothese über Eure zweifarbigen Augen und Euer Ergrünen zum Besten gäbet. Unmöglich können Euch diese Naturwunder entgangen seyn; nun seid Ihr aber ein Mann, der über Alles nachdenkt, also habt Ihr gewiß auch darüber eine Hypothese fertig. Keine Hypothese habe ich darüber fertig, sondern ich weiß, wie es damit sicherlich zusammenhängt, versetzte Münchhausen und zog die Augenbraunen in die Höhe, daß das blaue und das braune Auge noch gewaltiger hervortrat, als gewöhnlich. — Was die Zwiefarbigkeit meiner Sehorgane betrifft, so leiten sich diese aus Geheimnissen meiner Erzeu- gung ab — werden Sie nicht roth, meine Gnädige, ich berühre diesen Punkt nicht weiter — die leider über ganze Regionen meines Daseyns einen schwar- zen Schatten werfen. Wie oft habe ich den Tage- löhner beneidet, der im sauren Schweiße seines Antlitzes, bei dem harten Stücke Schwarzbrod, welches seine Kinnladen zermalmen, doch den süßen Trost nimmer entbehrt: Du bist, wie jeder andre Mensch entstanden, und fährest dahin, wo deine Väter ruhn. Aber ich … oh! — — Doch den Schleier über diese Abgründe! Sie sind tief und schrecklich, armer Münchhausen! Meine Freunde, ich kann Ihnen über mein blaues und braunes Auge nur Folgendes sagen: Die Säfte, oder Substanzen, oder Materien, oder Species — — Himmel, wie soll ich es anfangen, Ihnen die Sache deutlich zu machen, ohne meinen sogenannten Vater bloßzustellen? — — Oder die Ingredienzien, oder die Simpla — — Meine Theuren, kennen Sie Mischungen? Lieber Meister, mühen Sie sich nicht ferner ab, sagte das Fräulein weich und herzlich; ich verstehe Sie ganz. O Gott, welches Glück, einander immer ohne Wort zu verstehen! rief Münchhausen und küßte dem Fräulein, wie gewöhnlich, die Hand. Ich brauche also von diesem Gegenstande nicht weiter zu reden, und wende mich gleich zu der Erklärung des Grünwerdens, um — Ja, dabei verlieren wir aber! riefen der alte Baron und der Schulmeister wie aus einem Mun- de; denn wir haben Sie durchaus nicht verstanden. Münchhausen räusperte sich, antwortete und sprach: Römische I. 0,208 Glycerin + 0,558 Wasser + 1,010 Kohlensäure bei 110° getrock- net = Blau . Römische II. 0,035 kohlensaures Natron + 0,312 Chlorwasserstoffsäure + 0,695 Gly- cerin bei 108° getrocknet = Blau , zum Nachdunkeln geneigt. Verstanden? Ja, das läßt sich eher hören! riefen der Baron und der Schulmeister. Dabei kann man doch etwas denken. Nun also genug von dem blauen und braunen Auge, sagte Münchhausen. Was mein Grünwerden betrifft, wenn andere Leute erröthen, so habe ich das von einem furchtbartragischen Schicksale in der Liebe wegbekommen. Wenn es Sie nicht ermüdet, so will ich Ihnen einen kurzen Abriß meiner Lie- besschicksale liefern. Münchhausen, Sie in der Liebe, es muß etwas Großes gewesen seyn! rief das Fräulein mit leuch- tenden Augen. Ja, mein Fräulein, es war ein außerordent- liches Schauspiel, erwiederte Münchhausen. Und besonders deßhalb war es außerordentlich, weil ich die Liebe nicht so auf das Gerathewohl, wie andere junge Leute, sondern nach einem gewissen Plane trieb. Ich bin, so lange ich denken kann, immer klares Bewußtseyn gewesen; alle Seelenkräfte lagen gesondert in mir, wie die Species in den Büchsen einer Apotheke, ich habe Tage erlebt, an welchen ich zugleich mit dem Verstande Schlußfolgerungen machte, mir von der Phantasie goldene Luftschlösser vormalen ließ, und in unbestimmten Gefühlen schwelgte. So gelang es mir denn auch, den mächtigsten Affect, der den Menschen sonst überfällt, wie ein Feuer bei Nacht, aus seinen Bestandtheilen in mir aufzuerbauen, und mich auf die eigentliche Hauptleidenschaft meines Lebens förmlich vorzu- bereiten. Ich war in die Entwickelungsjahre ge- treten, und hatte mir klar gemacht, daß die Liebe aus Sinnlichkeit, Geist, Empfindung und Phantasie, Selbstsucht und Hingebung bestehe. Also sechs Elemente, die ich nach und nach in mir durchzu- arbeiten versuchen mußte. Ich hielt mich damals, in diesem Theile meiner wunderlich umhergeworfenen Jugend im Pallaste eines fränkischen Prälaten auf, der bei der gewalt- samen Umkehrung der dortigen Verhältnisse die Prälatur verloren, die Einkünfte derselben jedoch zum größeren Theile behalten hatte, und daher noch immer seine Tage in Wohlleben hinbringen konnte. Hauptsächlich hielt der alte Herr auf eine leckere Tafel, und diesen Genuß ihm vorbereiten zu helfen war auch ich bestimmt. Ich entzündete das Feuer des Heerdes, ich nahm die herkömmlichen Abwaschungen der dem Dienste geweihten Gefäße vor, ich setzte die Maschine in Gang, mit welcher der Spieß zusammenhing, des Bratens Halter; kurz, denn wozu Umschreibungen? ich war Küchen- junge bei dem Prälaten, aber ich war ein denken- der Küchenjunge. Der Prälat ging von dem Grundsatze aus, daß eine jede Köchin nur die sechs ersten Monate ihres Dienstes hindurch gut koche, nachher aber sich zu vernachlässigen pflege. Er schaffte daher auch alle Semester eine neue Kochmagd an, und ich erkannte bald, daß, wenn ich bei ihm nur drei Jahre lang aushielte, ich alle sechs Elementarstudien der Liebe mit den Köchinnen der sechs Semester werde durchmachen können. Denn es war in dieser Küche hergebracht, daß die Köchin den Küchenjun- gen lieben mußte. Die Sache hatte also keine Schwierigkeit. Das erste Vorstudium mußte, wie sich von selbst versteht, die Sinnlichkeit seyn. Das Fräulein wollte sich erheben. Münchhau- sen hielt sie zurück und sagte: Fürchten Sie auch jetzt nichts, meine Verehrte, von der Sinnlichkeit, ich habe von diesem Zeitabschnitte nur zu berichten, was selbst in einer Mädchenpension mit angehört werden könnte. Es diente damals in der Küche die alte Wally; wie man sagte, eine natürliche Tochter von Lucinde Schlegel. Sie hieß bei dem Gesinde die Zweiflerin, weil sie in ihrer Häßlich- keit und Welkheit daran verzweifelte, noch einen Mann zu bekommen. Wenn man sie reden hörte, so hätte man frei- lich glauben sollen, daß sie ein ziemlich freies Leben geführt habe, denn ihre Aeußerungen klangen frech und unanständig genug. Aber der Kutscher, der auf seine Weise ein Spötter war, behauptete, er habe sie von jeher gekannt; sie sei alle ihre Lebtage über eine garstige Person gewesen und schon deßhalb von Sünde frei geblieben. Ihre Zoten seien nur wie die Krankheit der Hühner, wenn sie anfangen, zu krähen, ohne gleichwohl durch solche Stimmübun- gen jemals die rechte Hahnenhaftigkeitzu erringen. Wir hatten bloß ein Titularverhältniß der Küchen- ordnung gemäß zusammen; ich glaube, daß wir uns kaum einmal die Hand gegeben haben. Dennoch lernte ich von ihr, was Sinnlichkeit sei, nämlich der gerade Gegensatz von Allem, was die alte Zweiflerin von sich sehen und hören ließ. Nachher hat sie freilich in der Welt ausgebreitet, wir wären sehr zärtlich gewesen; ich hätte, da mein Taufname zu prosaisch geklungen, ihr Cäsar geheißen, und was dergleichen Schnurren noch mehr sind, woran kein wahres Wort ist. Die Sinnlichkeit hatte ich also nun theoretisch kennen gelernt, die Wally kam fort, und Seraphine wurde Köchin. Sie schimpfte gewaltig auf ihre Vorgängerin und sagte, in ihr erscheine das wahre ächte weibliche Wesen, wovon Wally nur ein Zerr- bild gewesen sei. Sie trug einen graugelben Um- schlagetuch und befand sich leider auch im ehernen Zeitalter, obgleich sie aus Jung-Deutschland stammte. Es war ein sonderbares ächt weibliches Wesen, dieser Seraph Seraphine! Ich schlug aber mit ihr, oder mit einer Klappe zwei Fliegen, kriegte näm- lich bei ihr zugleich den Geist und die Empfindung in der Liebe weg, hatte sonach großen Profit von ihr, denn ich sparte durch sie ein Semester. Unser Bündniß kam folgendermaßen zu Stande. Ich spickte just einen Hasen auf der einen Seite, und sie that es auf der andern Seite. Da sah sie ver- schämt auf, warf mir einen seelenvollen Blick zu, daß sich mir das Herz im Leibe umdrehte, und fragte: Will Er mich, mit Erlaubniß zu sagen, lieben, Musje? Ich versetzte: Ja, wenn Sie so befehlen, Jungfer Seraphine. Darauf gaben wir uns über dem Hasen einen Schmatz und spickten den Hasen, trunken von Entzücken, fertig. Wie ich sie beschrieben, so war die Form der Bund- schließung in der Prälatenküche. Die Köchin mußte observanzmäßig anfangen, der Küchenjunge durfte es beileibe nicht, er hätte, wenn er sich unterstan- den, zuerst den Liebesantrag zu machen, von der Geliebten die schönsten Ohrfeigen gekriegt. Die Seraphine war auf zwei Tage mit ihren Gaben eingerichtet. Den einen Tag war sie näm- lich voll Geist, und den Andern voll Empfindung und so immer regelmäßig einen um den andern Tag abwechselnd. Ich bekam also von ihr den Geist und die Empfindung in der Liebe. Damit war es aber folgendermaßen bestellt. Sie liebte eine Herzstärkung in der Stille zu nehmen, konnte jedoch nicht viel vertragen und wurde leicht duselig. In diesem Zustande hatte sie Geist, das heißt, sie sprach Zeug, was kein Mensch verstand. Den andern Tag hatte sie den Katzenjammer, da war sie voll Empfindung. Ich machte ihr nun alles Dieses nach, um das Verhältniß im Schwunge zu erhal- ten. Aber unglücklicherweise war es gleich in der Anlage versehen worden. Ich hatte nämlich an dem Tage, wo sie den Katzenjammer ausstand, der Flasche zugesprochen und war geistvoll geworden. Den folgenden Tag, wo sie wieder Geist bekam, befand ich mich im Katzenjammer und in der Empfindung, und so ging nun das Verfehlen immer fort, wir paßten nie auf einander, mein Katzen- jammer traf auf ihren Geist, und mein Geist auf ihre Empfindung. Daraus entstanden natür- lich heftige Zänkereien, unter denen die Küchenan- gelegenheiten litten, so daß auch der Prälat sich genöthigt sah, sie noch vor Ablauf ihres Semesters fortzuschicken. Es war ein Glück. Ich bin nie der Stärkste gewesen, und kann wohl sagen, daß ich auf dieser Liebesstation jämmerlich herunterge- kommen war. Die folgende Köchin hieß das Kind, weil sie sich selbst so nannte. Warum? weiß ich nicht, Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 15 denn ich glaube schwerlich, daß sie zu denen gehörte, von denen gesagt worden ist: So Ihr nicht werdet, wie diese u. s. w. Die konnte Einem was zu rathen aufgeben. Zuweilen war sie Stundenlang verschwunden, und wenn wir sie suchen gingen, fan- den wir sie auf dem Dache sitzen, oder sie kam auch wohl schäkernd auf einem Besen den Rauch- fang herabgefahren. Es kann kein Menschenwitz erfinden, was für Zeug das Kind zusammen zu flunkern verstand. Ihr Hauptkunststück aber war — Ach, gnädiges Fräulein, wenn ich nicht irre, wur- den Sie draußen gerufen. Das Fräulein verstand diesen zarten Wink und ging hinaus, mit dem dankbarsten Blicke auf Münch- hausen. Er fuhr fort: Das Kind konnte nämlich Rad schlagen, oder Purzelbäume schießen, ohne die Schamhaftigkeit zu verletzen. Wie sie es möglich gemacht, weiß ich nicht, aber die Sache ist richtig; sie kehrte ihr Unterstes zu oberst, und alle Ken- ner und Stimmführer, die zusahen, versicherten einstimmig, sie habe die weibliche Schamhaftigkeit dadurch nicht verletzt, vielmehr seien ihre Purzel- bäume eine wahre Bereicherung der höheren Ge- müthswelt. Bei ihr studirte ich die Phantasie der Liebe. Unsre Liebe war nämlich pure, klare Phantasie, wir konnten einander leiden, wie Hund und Katze; aber die hochtrabendsten Sachen schrieb sie darü- ber, wahre Hymnen; und hinterher wußte sie mir doch immer so einen recht tüchtigen Kniff abzuge- ben, daß ich hätte aufschreien mögen. Die gemeine Sage bleibt wahr, die von den * s, wozu sie gehörte, behauptet, diese fingen in der Schalkheit da an, wo andere Schälke aufhörten. Es ist ein Buch über das Kind verfaßt worden, worin es das personificirte Mittelalter genannt wird. Nun, es hatte denn freilich auch schon ein mittleres Alter erreicht, und die Schönheit drückte es eben- falls nicht sonderlich mehr, als es sich auf kindi- sche Weise der Phantasie in der Liebe ergab. Ich war recht vergnügt, als ich des Kindes quitt war, denn Sie glauben nicht, wie sehr solche Einzelstu- dien der Liebe angreifen. Die folgenden beiden Köchinnen, Jule und Jette, waren die Besten von Allen, sie waren reine Köchinnen, ohne Geist, Empfindung, Phantasie. Bei diesen lernte ich die Selbstsucht und die Hin- gebung der Liebe. Nämlich Julen, die den Herrn 15* betrog, wo sie konnte, übrigens aber das rechtschaf- fenste, gutherzigste Ding von der Welt war, nahm ich alle ihre Schwänzelpfennige, die sie sich bei den Markteinkäufen machte, ab. Sie schnellte bloß für mich; wahrhaftig, so that sie. Ich aber brauchte Geld, ich wollte mir gern einen neuen Rock kau- fen und Rumohrs Geist der Kochkunst, um mich in meinem Fache auszubilden. Ich sagte immer zu ihr: Gebe Sie nur her, Geliebte; Geben ist seliger als Nehmen; ich gönne Ihr die Seligkeit, und bin mit dem Geringeren, mit dem Gelde zufrieden. Was hatte ich davon? Meine fünfte Probegeliebte, die Jette, ein durchtriebener Vogel, hat mir die ganze Summe wieder gemaust, als wir unter Schwüren der Zärtlichkeit schieden. Nun, Hingebung muß auch seyn; ich habe es ihr nicht nachgetragen. Münchhausen machte eine Panse, um sich zu erho- len. Das Fräulein war wieder eingetreten. Nach einigem Schweigen, während dessen er einen Blick, in dem die ganze Schwärmerei der Jugend leuchtete, zum Himmel emporgeschickt hatte, fuhr er also fort: O, was ist die gewöhnliche, unbewußte, roh-zu- täppische Liebe gegen die bewußte Liebe, gegen die Liebe, die nach Principien liebt? Jahre waren verflossen, die Küche lag weit hinter mir. Das Spiel des Lebens sah mich heiter an vom grünen Tisch, wenn stark pointirt wurde, und die Kugel für die Bank sprang. Münchhausen war ein Mann geworden, ein Mann im vollen Sinne des Worts. Dennoch trafen auch ihn die Zweideutigkeiten des Glücks. Ich hatte eine kleine Verdrießlichkeit gehabt, die mich zwang, incognito zu leben, weit, weit von hier. Nun muß ich Sie, meine Freunde, mit einer Eigenschaft bekannt machen, die mit den Geheim- nissen meiner Erzeugung zusammenhängt. Je rei- fer ich wurde, desto mehr entwickelten sich in mir gewisse mineralische, oder genauer zu reden, metal- lische Bezüge, so daß ich von Geld nicht reden hören konnte, ohne in ein Zittern der Ekstase zu gera- then. Da sah ich in meinem Incognito, welches so streng war, daß ich nur verstohlen ausgehen durfte, Die, welche alle sechs Bestandtheile der Liebe zu einem großen Ganzen in mir combinirte. Sie war nicht schön, sie hatte wenig Verstand und keine Eigenschaften, dennoch — — aber mein gnä- diges Fräulein, mich dünkt, Sie werden schon wieder draußen gerufen. Emerentia stand abermals auf, warf von Neuem einen dankenden Blick auf den Erzähler, und sagte: Münchhausen, ich habe Sie immer verehrt, aber von heute bete ich Sie an. Darauf ging sie wie- der hinaus. Zum Geier! rief der alte Baron, warum schickt Ihr denn heute meine Tochter immer fort? Ihr Zartgefühl zu schonen, versetzte der Frei- herr. O könnten wir so alle Frauen zur Literatur hinausschicken, die Getauften und die Egyptischen Marquisen, dann sollten Sie einmal sehen, wie bald Alles kräftig wieder in Witz, Laune und Ironie aufblühen würde! Meine Geliebte war also nicht schön, nicht klug, nicht angenehm, aber sie sagte mir, daß sie eine außerordentlich reiche Erbin sei. Und so wie die- ses Wort erklungen war, regten sich in mir die metallischen Bezüge, und, Sie mögen es glauben oder nicht, es liegt mir nichts daran, aber es ist wahr; es that in mir einen Ruck, daß mir die Rippen krachten, wie dem Filippo Neri, als ihm das Herz schwoll, und auf einen Schuß, wie sechs Rosen von Damascus an einem Stengel, brachen in mir auf 1. die Sinnlichkeit 2. der Geist 3. die Empfindung 4. die Phantasie 5. die Selbstsucht 6. die Hingebung in der Liebe. Mich soll der Teufel holen — denn ich werde allemal lyrisch, wenn die selige Rückerinnerung an diese Tage über mich kommt — habe ich meine angeb- liche reiche Erbin nicht geliebt, wie noch nie eine Frauensperson geliebt worden ist! Ich war sinn- lich, aber nie ohne Empfindung, denn ich weinte immerfort, so daß ich mir eine Thränenfistel zuzog. Geist spendirte ich, daß es nur so eine Art hatte; wie oft rief ich: Arm in Arm mit dir fühle ich eine Armee in meiner Faust! Ich habe Heroen- muth, den alten Sauerteig des Jahrhunderts weg zu fegen, und die Käuzlein aus den Höhlen zu treiben, worin sie noch immer blinzelnd über ihren verlegnen faulen Eiern brüten, denen nie eine lebendige Wirklichkeit entkriechen wird! Münchhausen! fuhr der Schloßherr auf; die Geschichte nimmt eine unangenehme Wendung. Das Alte ist gut, und man muß wohlerworbene Rechte achten. Auch er ging hinaus. Meine Geschichte muß zu Ende, und da Nie- mand sonst mehr hier ist, so will ich sie Ihnen auserzählen, Herr Schulmeister, sagte der Gast des Schlosses Schnick-Schnack-Schnurr. Hinge- bung und Selbstsucht flutheten wie zwei Ströme durch unser Verhältniß. Ich gab ihr mein Herz, mehr werth, als eine Million, und bekam von ihr manchen Louisd’or. Schöne, freundliche Taille des Lebens, in welcher Beide einsetzten, gewinnend zu verlieren! Daß die Phantasie nicht leer ausginge, ersann ich ein freundlich Mährchen, ich stamme von Fürstenblut ab, sagte ich ihr, sagte es ihr so oft, daß ich es endlich selbst glaubte. Der Schulmeister warf das Haupt in den Nacken, als habe er einen Schlag vor die Stirne bekom- men. Seine Lippen krämpelten sich zu einer Art von Wulst zusammen; er sah sehr verdrießlich aus. Münchhausen aber achtete in seinem Feuer die- ses Umstandes nicht. Herrlicher Traum! warum mußte ich aus dir erwachen? rief er. Ich hätte ja Alles gern dulden wollen, das Erkalten der Geliebten, die Entdeckung, daß sie schon Andre vor mir geliebt, und was sonst noch Widerwärtiges an und von ihr? Warum aber mußtest du mich so hart prüfen, Schicksal? Warum berührtest du die Stelle, wo ich sterblich war, da du doch meine inneren metallischen Bezüge kanntest? Es kam der Tag — o laßt von ihm Sich Höllengeister nächtlich unterreden! — es kam der Tag, an welchem unheimliche Gestalten in mein Leben traten, bedrohliche Gewal- ten mich umspannen mit geisterhaftem Netz und die grause Trennung befahlen. In den Schaudern jenes Augenblicks sagte sie mir unter andern Klei- nigkeiten, zu denen unser Verhältniß geführt hatte, das entsetzliche Wort: Mit der reichen Erbschaft werde es kläglich genug ausfallen, denn sie habe erfahren, daß ihr Vater arm, wie eine Kirchen- maus sei. — Das traf! Ich fühlte meine Säfte gerinnen, ich fühlte, daß sie sich nach neuen chemi- schen Gesetzen mischten und entmischten. Meine Gebeine schlotterten, und obschon ich bald meine äußere Fassung wiedergewann, so merkte ich doch, daß über meine Wangen ein fremdes Etwas lief, als ich erröthen wollte. Die Elemente in mir waren in Aufruhr, und aus diesem Chaos haben sich denn ganz neue Humoralgruppen in mir gestaltet. Seit jenem Tage sah ich immer bleich aus, und wenn mir nachmals Zorn, Schreck, Freude, Scham das Blut in das Gesicht trieb, so lief ich grün an. Dieses Ergrünen kam daher, daß ich durch die furchtbare Entdeckung meiner sechsten oder Hauptgeliebten alle Verwandtschaft mit edlen Metal- len einbüßte, und daß daher eines der unedlen, nämlich cuprum oder Kupfer, mir in das Blut trat. Kupfer steckt in jedem menschlichen Körper nach den neuesten Untersuchungen; bei meiner Ent- stehung aber war etwas zuviel davon verwendet worden, und der Ueberschuß ging mir ins Blut. Wenn ich mir zur Ader lasse, kriegt der Cruor eine ganz grüne Haut. Alle mögliche Mittel habe ich gebraucht, um die Sache wieder in das Geschick zu bringen, jedoch vergebens. Es ist immer ange- nehmer, roth zu werden, als grün. Ich bin durch die Cuprosität meines Blutes in so manchen unschul- digen Freuden gehemmt. So darf ich nichts Sau- res genießen, keine Gabelspitze Sallat, denn, habe ich mich einmal in dieser Beziehung vergessen, gleich schlägt der Grünspan mir an allen Gliedern aus, wie das Manna an der Aebtissin Agnes von Monte Pulciano. Es ist sehr lästig. Berzelius in Stock- holm, der mich vielfach analysirt hat, warnte mich vor Zinn- und Zinkgruben, weil Zinn und Kupfer Glockenspeise, Zink aber damit vermischt, Tombach giebt, und die Ausdünstungen in jenen Gruben mir leicht eine abermalige metallische Composition zuziehen könnten. Sie ermessen, wie unange- nehm mir bei meiner Wißbegierde und Reiselust solche Beschränkungen vorkommen mußten, und noch dazu, da ich gerade den Rammelsberg bei Goslar, wo sie auf Zink bauen, besuchen, und von da nach den Zinnbergwerken von Cornwall reisen wollte. Ich schlug nachher die Warnung in den Wind und befuhr dennoch die Zinkgrube am Rammels- berge bei Goslar. Es waren böse Wetter darin, mir wurde heiß und schwül. Als ich mit mei- nem Steiger wieder an das Tageslicht gekom- men war, sah er mich verwundert an, und sagte: Mein Herr, Sie müssen an Mennige gekommen seyn, denn Sie sind orangegelb im Gesicht gewor- den. Er wollte mich abwischen; mir aber fiel die Warnung ein, ich ließ mir einen kleinen Hand- spiegel reichen, und siehe da! ich war wirklich im Antlitz hochgelb, wie eine reife Pomeranze. Mein Blut war in der Zinkgrube tombachen geworden. Ich schämte mich vor dem Steiger, sagte ihm, ich wisse nicht, was es sei, aber abwischen helfe nichts. Recht beschämt ging ich von dem Grubenhäuschen fort, aus dem mir der Steiger mit allen alten und jungen Burschen, Zimmerheuern und Pochjun- gen, die gerade zu Tage waren, verwundert und lächelnd nachsah. Das Bischen Zink wurde ich zwar glücklicher- weise wieder los durch eine Schmelzcur, aber die Reise nach Cornwall mußte ich zu meinem größten Leidwesen aufgeben. Was wäre daraus geworden, wenn mich die Zinndämpfe noch gar in Glocken- speise umgesetzt, und wenn ich angefangen hätte, ohne Privilegium zu läuten? Solche metallische Naturspiele im Menschen bleiben also immer höchst verdrießlich. Kupfer im Blute ist so schlimm, als Kupfergeld in der Tasche. Nicht leicht ward ein Sterblicher gleich mir in der Liebe gezüchtigt. Ich habe aber auch durch dieses Schicksal einen solchen Widerwillen gegen die Leidenschaft bekommen, daß ich mich nachher nie wieder dazu verstehen wollte, obgleich ich Gräfin- nen, Fürstinnen und Prinzessinnen die Hülle und die Fülle haben konnte. Vornehme Damen haben häufig den seltsamsten Geschmack in der Liebe. Daher mochte es rühren, daß die ganze vornehme weibliche Welt hinter mir her war, wo ich erschien. Sie wandten den schönsten Adonissen in Dolman, Uhlanencollet und Legationsfrack den Rücken, wenn ich, der schlichte Particulier, der unscheinbare Pri- vatgelehrte, dahertrat mit dem Penthelischen Mar- morcolorit und grün anlief. Was für Erklärungen habe ich anhören, was für Winke überhören müs- sen, welches Unheil habe ich gestiftet! In Dün- kelblasenheim machte ich grüne Schminke Mode, weil die regierende Herzogin gesagt hatte, in mir sei der ewiggrüne Gott der Jugend erschienen, und die ganze höhere Welt die Andeutung ver- stand. Sie waren eben einmal wieder ganz asch- grau geworden in Dünkelblasenheim; nun strichen sie sich grün an und meinten, sie hätten die Jugend damit. — An einem andern Orte fiel mir die Prinzessin von Mezzo Cammino da Napoli di Roma- nia zu Füßen und bat mich um Gotteswillen, ihr nur wenigstens eine Exspectanz auf mein Herz zu geben. Sie that mir in der Seele weh — sie war eine schöne Person — aber gebrannte Kinder scheuen das Feuer! Ich hob sie höflich auf, führte sie zum Sopha und sagte: Durchlaucht, es geht nicht. Ich habe einmal Unglück in der Liebe und wer weiß, was durch Sie bei mir in Confusion gebracht würde. Sie dauern mich, liebe Durchlaucht, aber jeder Mensch ist sich selbst der Nächste. Den höchsten Abscheu empfinde ich vor meiner ehemaligen sechsten oder Hauptgeliebten. Ich habe mir tausendmal gesagt: Sie konnte ja nichts dafür, daß sie keine reiche Erbin war, aber — die Natur läßt sich nicht zwingen. Immer und immer durch Grünspan an die Enttäuschung über seine schönsten Hoffnungen erinnert zu werden, ist am Ende auch keine Kleinigkeit! Der Mensch bleibt Mensch. Ich glaube, daß, wenn ich die Hauptgeliebte wieder- sähe, ich mich nicht würde fassen können, ich, der ich doch sonst so ziemlich mich zu beherrschen weiß. Siebenzehntes Capitel . Die drei Schloßbewohner ertheilen dem Freiherrn von Münchhausen vernünftigen Rath; er aber bleibt auch für den Bedien- ten Karl Buttervogel theilweise ein Räthsel . Nachdem Münchhausen seine Erzählung vollen- det hatte, fragte er den Schulmeister, warum der alte Baron fortgegangen sei, und noch immer nicht wiederkomme? Herr von Münchhausen, versetzte Agesilaus, Sie haben zwar auf eine eben nicht freundliche Weise in Ihrer Liebesgeschichte meiner theuersten Ueberzeugungen gespottet, indessen ist meine Sin- nesart nicht so beschaffen, Andern etwas nachzu- tragen, und ich kann ganz gerne Unrecht leiden, ohne mich dafür zu rächen. Ich will Ihnen, trotz Ihrer satirischen Anspielungen auf mich, in Betreff unsres alten Herrn einen wohlgemeinten Rath ertheilen. Welche satirische Anspielungen auf Sie, Herr Schulmeister? Sie beliebten zu sagen, daß Sie jenem Frauen- zimmer eine fürstliche Abstammung vorgelogen hätten. Ich aber erlaube mir, Ihnen zu versichern, daß, wenn ich eine ähnliche Abstammung von mir aus- sage, damit keinesweges Lügen vorbringe, welche ich überhaupt herzlich verabscheue. Ich betheure, Herr Schulmeister, daß meine Seele nicht an Sie gedacht hat. Großer Gott, kann denn ein Erzähler nicht einmal in dieser Ein- öde den Deutungen entgehen? Wohl, diese Angelegenheit bleibe, wie manches Andere, vor der Hand auf sich beruhen, sagte der Schulmeister. Der Rath, den ich Ihnen ertheilen wollte, ist folgender. Unser alter Herr hat sich die Rückkehr früherer Verhältnisse, und die Hoff- nung auf das Amt, welches er sein angebornes nennt, steif und fest in den Kopf gesetzt. In die- ser Beziehung ist er toll, und schon lange quält mich die Besorgniß, daß aus der Geheimeraths- Idee, wenn wir sie nicht so sehr schonten, einmal plötzlich der völlig ausgewachsene Wahnsinn her- vorspringen wird. Sie aber rühren unvorsichtig — verzeihen Sie meine Freimüthigkeit, Herr von Münchhausen — nur zu oft daran, wie es denn heute Abend auch noch geschehen ist. Und es wäre doch schlimm, wenn der sonst so vortreffliche und geistesgesunde Mann muthwilligerweise von uns andern Vernünftigen um seine Besinnung gebracht würde. Die menschliche Seele hat, wie der Körper, nur ein bestimmtes Maaß von Kräften des Wachs- thums, fuhr der Schulmeister fort. Ward dieses erschöpft, so bleibt der Mensch geistig stehen, wie er nach dem zwanzigsten Jahre nicht mehr leiblich wächst. Deßhalb begreift das Alter die Jugend nicht, und ungewöhnliche Ereignisse finden darum immer nur bei Denen Anklang, die noch im geistigen Wachsthum stehen. Kann sich nun der Mensch mit allen seinen Seelenkräften vollständig in die von der Natur ihm bestimmte Länge und Breite legen, so wird er nicht verrückt, sondern er bleibt an einem Ziele stehen, andernfalls aber geht es ihm wie Einem, der in der Entwickelungs- Immermann’s Münchhausen 1. Th. 16 zeit eine starke Hemmung erleiden muß; der Ueber- schuß von Kräften schlägt ihm als Krankheit nach Innen und er bekommt einen Stich. Unser alter Herr war durchaus bestimmt, Geheimerrath auf der Adelsbank zu werden, da wäre er stehen, oder vielmehr sitzen geblieben, und als vollig vernünf- tiger Mann zu seinen Vätern versammelt worden. Weil er aber bis dahin nicht vordringen konnte, so setzte sich ihm der Geheimerath gewissermaßen als Knoten in die Seele, der, nicht gereizt, viel- leicht ein ruhiges Lebensende herankommen läßt, gerieben und entzündet aber, einen unheilbaren Brand auch über die noch gesunden Theile des Geistes verbreiten möchte. Der Freiherr wunderte sich über die Weisheit des Schulmeisters und gelobte, seinem Rathe Folge zu leisten. Darauf zündete Agesilaus seine Hand- laterne an und ging nach dem Gebirge Taygetus, überzeugt, ein gutes Werk gethan zu haben. Münchhausen suchte den alten Baron auf und fand ihn draußen im Mondschein hinter dem Schlosse wandeln. Er wollte ihn um Entschuldigung bitten, der Andere fiel ihm aber in die Rede und sagte: Laßt doch die Narrenpossen; ich habe Euch den Hieb lange vergeben, da ich weiß, daß Ihr mich nicht absichtlich beleidigen wolltet. Zudem könnt Ihr Andern auch gar nicht fassen, was es bedeutet, durch die Geburt zu einer Ehre, oder einem Vor- zuge, oder einem Amte, wie der Geheimerathspo- sten ist, bestimmt zu seyn. Ihr redet also über solche Sachen, wie der Blinde von der Farbe, und man muß Euch Euer Geschwätz darüber nicht so übel nehmen. Nein, ich blieb nur hier draußen, weil ich, aufrichtig gesagt, an Liebessachen keinen sonderlichen Antheil nehme und dachte, Ihr würdet wohl so gütig seyn, mir einmal unter vier Augen ohne Umschweif das Ergrünen zu erklären. Ueber- haupt wünschte ich, bester Münchhausen, meiner Tochter wegen, Ihr sprächet von Romanenangele- genheiten wenig oder gar nicht mehr. Meine Tochter hat in diesem Puncte einen Sparren, fuhr der Alte mit leiserer Stimme fort, indem er dicht zu Münchhausen trat. Es ist immer schlimm, wenn die Frauenzimmer nicht heirathen, oder keine Kinder bekommen, denn auf Zärtlichkeit sind denn doch nun einmal die armen Dinger durch- aus gestellt, und die versetzt sich ihnen dann leicht, daß sie entweder langweilige, empfindsame Bücher 16* schreiben, oder mit Papagaien und Schooßhunden quängeln, unerträglich für Andere. Meine Tochter hält sich nun weder Schooßhund noch Papagai, dagegen einen Gedanken- und Erinnerungsliebha- ber, mit dem sie verkehrt, wie mit einer lebendigen Mannsperson. Besonders im Mondschein, wie jetzo, ist sie immer sehr aufgeregt, und deßhalb hütet Euch, Freund, diesen Zustand zu steigern; bedenkt, was für ein Elend für mich alten Mann es wäre, wenn ihre Krankheit aus diesem stillen und sonst unschädlichen Faseln in einen lauten Raptus über- ginge! Münchhausen fehlte die Zeit, dem Vater beru- higende Versicherungen zu geben, denn in der Taxus- laube hinter dem Genius des Schweigens entstand ein Geräusch und hervor trat Fräulein Emerentia, die in der Laube der ganzen Rede zugehört hatte. Zum Henker, rief der alte Baron, das habe ich sauber gemacht! Er entfernte sich eilig in das Schloß. Emerentia näherte sich Münchhausen und sprach mit sanfter Stimme: Es ist eine zu alte Erfah- rung, daß die höherstehende Natur von ihren Umge- bungen für wahnwitzig gehalten wird, als daß mich die Worte des Vaters verletzen könnten. Verge- bung daher ihm, und ferne sei es von mir, das Recht der Wiedervergeltung zu üben und Sie auf seine Einbildungen aufmerksam zu machen. Aber Dank bin ich Ihnen schuldig, theurer Meister, für die unvergleichliche Zartheit, mit wel- cher Sie mich heute zweimal aus dem Zimmer sendeten. Eine so rücksichtsvolle Behandlung thut unendlich wohl. Ich muß Ihnen meinen Dank durch eine Warnung bethätigen. Hüten Sie sich vor dem Schulmeister, reizen Sie seine Ihnen bekannte Verrücktheit nicht durch hingeworfene Aeußerungen, welche er auf sich und seine fixe Idee beziehen kann. Ich habe Ursache, zu glauben, daß die Krankheit dieses Mannes im Steigen ist; denn er kocht schon die sogenannte schwarze Suppe, ohne ihrer benöthigt zu seyn und schläft zuweilen im Freien auf dem lächerlichen Gebirge Taygetus — Zeichen gewiß einer innerlichen Gährung. Wel- ches Unglück, wenn er plötzlich wüthend würde, den Vater, wie leicht möglich, ansteckte, und Beide die Riesenkraft der Raserei entfalteten! Wir Vernünftigen wären schwerlich im Stande, sie zu bewältigen, ja nur uns vor ihnen zu retten. Das Fräulein fuhr fort: In den Stunden, in welchen ich der Empfindung nicht nachhing, habe ich viel über den Wahnsinn nachgedacht und bin auf folgendes Resultat gekommen. Aller Wahn- sinn ist eigentlich eine krankhafte Richtung der Natur, das Individuum in das Maaßlose zu erwei- tern, und über die Schranken hinaus, welche die Selbstverläugnung und eine edle Ergebung in die Beschlüsse des Schicksals ihm setzt, ihm Güter, Gefühle und Genüsse anzueignen. Deßhalb ist die geistige Krankheit auch verhältnißmäßig häufiger bei Personen aus den geringen Ständen, die so vieles entbehren müssen, und schafft bei ihnen die Einbil- dung, daß sie Könige, Kaiser, ja Gott seien, oder daß sie große Schätze besitzen. Auch die Furcht vor Feinden und Verfolgern, welche nicht selten als Aeu- ßerung des Wahnsinns auftritt, und auf den ersten Anblick meiner Erklärung zu widersprechen scheint, bestätigt sie doch nur. Solche arme und unange- sehene Leute haben nicht selten das geheime, nagende Gefühl ihrer Unbedeutendheit; nun kann nur ein Zufall, ein Mißgeschick ihre Seele erschüttern, so fangen sie an, eine erträumte Wichtigkeit in der Menge von geheimen Feinden, welche ihnen die schwärmende Phantasie vergaukelt, zu genießen. Da- her kommt es denn auch im Gegentheil, daß Für- sten und vornehme Personen, wenn sie ihren Ver- stand verlieren, in Stumpfsinn und Hinbrüten zu verfallen, oder sich ganz alberne Ideen einzubilden pflegen, wie z. B. daß sie von Glas seien, einen Sperling im Kopfe tragen und was dergleichen mehr ist. Natürlich; sie haben schon Alles, was das menschliche Herz begehrt, deßhalb muß die kranke Seele entweder über dem Ungestalteten brüten, oder sich mit den abentheuerlichsten, von Wunsch und Begehren ganz fernen Vorstellungen nähren. Die Anwendung dieser allgemeinen Bemerkun- gen auf den Schulmeister zu machen, ist sehr leicht. Die Natur hatte ihm eine Beimischung von Selbst- gefühl gegeben, welche mit seinem geringen Amts- berufe nicht in Einklang stand, und diesen Einklang hat er sich nun durch seine stolze Träumerei von der spartanischen Abkunft luftschloßartig gestiftet und erbaut. Münchhausen erstaunte noch mehr über diese Rede, als über die der andern Personen, welche er heute Abend hatte sprechen hören. Er ging auf sein Zimmer, roch in die Luft hinaus, wie er oft zu thun pflegte, um die Beschaffenheit dersel- ben für seine Zwecke zu erkunden, setzte sich auf sein Bett, und ließ sich vom Bedienten Karl But- tervogel, welcher inzwischen mit dem Waschwasser hereingekommen war und seinem Herrn die Nacht- mütze aufgesetzt hatte, die Stiefeln ausziehen. Karl, sagte Münchhausen, wir sind hier in einem Tollhause. Der alte Baron, das Fräulein, der Schulmeister sind sämmtlich verrückt. Jeder von ihnen hat merkwürdigerweise einen klaren Blick in den Zustand des Andern, und was noch merk- würdiger ist, sie reflectiren äußerst gescheidt über den Wahnsinn. Aber nimm dich doch in Acht; denn solche Zustände können durch die geringste Veranlassung gesteigert werden. Ich werd’ schon, versetzte Karl Buttervogel, indem er seinem Herrn die Beinkleider abstreifte. Dem Fräulein hab’ ich lang’ was angesehen, sie schießt zuweilen so verzwickte Blicke auf mich. Aber gnädiger Herr, warum sind wir denn so fort- gegangen, wo uns die drei Herren so reichlich in Allem unterhielten, und Sie nichts zu thun hatten, als sich ein Paar Stunden von ihnen studiren zu lassen? Und warum kriechen wir hieher in dieses verwunschene Schloß, wo sich wahrhaftig keine Maus satt fressen kann? Ich liege in einem dunkeln Loche, weder von Sonne noch Mond beschienen, und will ein Hallunke seyn, wenn ich seit drei Tagen Fleisch gerochen habe! Dazu sind die Wan- zen in meiner Spelunk’, jeden Morgen bin ich zerbis- sen, als hätte ich mich mit sechs Jagdhunden her- umgebalgt! Lassen Sie uns je eher, je lieber fort, gnädiger Herr, denn so gern ich Ihnen diene, hier halte ich es nicht lange aus. Hier bleibe ich, so lange die Ursache dauert, welche mich hergeführt hat; erwiederte der Freiherr mit Ansehn. Die Ursache, welche hergeführt hat, sagte Karl Buttervogel, ist doch nur, daß Sie vom Pferde fielen, und diese hat aufgehört. O du Thor und Kurzsichtiger, rief Münchhau- sen zornig, der du immer nur den Sturz vom Pferde erkennst und nicht wahrnimmst — — Was, mein gnädiger Herr? Nichts! versetzte Münchhausen barsch, warf sich auf sein Bette, daß die Noth- und Hülfssponde, welche der Schulmeister roh zusammengefügt, knackte, und schlief sogleich ein. Karl Buttervogel stand mitten im Zimmer, die Kleidungsstücke seines Herrn auf dem Arme, und sagte, als er ihn schnarchen hörte: Es ist wahr- haftig recht schlecht von meinem Herrn, daß er mir nicht sagen will, warum wir hier in dem ver- maledeiten Neste bleiben? Keinen Lohn kriegt man von ihm, sondern wird ewig vertröstet auf die Zeit, wo er die Luft wird festmachen können, wie sie’s in Paris thun, und dennoch kein ganzes Zutrauen! Ich weiß doch, daß er nicht mit rech- ten Dingen in die Welt gekommen ist, warum sagt er mir denn nicht, was er hier vorhat? Zweites Buch . Der wilde Jaͤger . Erstes Capitel . Der Hofschulze . Im Hofe zwischen den Scheuren und Wirth- schaftsgebäuden stand mir aufgekrämpten Hemd- ärmeln der alte Hofschulze und schaute achtsam in ein Feuer, welches zwischen Steinen und Kloben am Boden entzündet, lustig flackerte. Er rückte einen kleinen Amboß, der daneben stand, zurecht, legte sich Hammer und Zange zum Griffe bereit, prüfte die Spitzen einiger großen Radnägel, die er aus dem Bruststücke des vorgebundenen Schurzfells zog, legte die Nägel auf das Bodenbrett des Lei- terwagens, dessen Rad er ausbessern wollte, und drehte die Stelle des Rades, von welcher ein Stück Schiene abgebrochen war, achtsam nach oben, wor- auf er durch untergeschobene Steine das Rad in seiner Stellung festigte. Nachdem er wieder ein Paar Augenblicke in das Feuer gesehen hatte, ohne daß seine hellen und scharfen Augen davon zu blinzeln begannen, fuhr er rasch mit der Zange hinein, hob das roth- glühende Stück Eisen heraus, legte es auf den Amboß, schwang den Hammer darüber, daß die Funken sprühten, schlug das noch immer Gluth- röthliche um das Rad, da wo die Schiene fehlte, schlug und schweißte es mit zwei gewaltigen Schlä- gen fest, und trieb dann die Nägel, welche es in seiner weichen Dehnbarkeit noch immer leicht hin- durchließ, an ihre Plätze. Einige der stärksten und heftigsten Schläge gaben dem eingefügten Stücke das letzte Geschick. Der Schulze stieß mit dem Fuße die vor das Rad gelegten Steine hinweg, faßte den Wagen bei der Stange, um das geflickte Rad zu prüfen, und zog ihn ungeachtet seiner Schwere ohne Anstrengung quer über den Hof, so daß die Hühner, Gänse und Enten, welche sich ruhig gesonnt hatten, mit gro- ßem Geschrei vor dem rasselnden Wagen entflohen, und ein Paar Schweine aus ihrem eingewühlten Lager grunzend auffuhren. Zwei Männer, von denen der Eine ein Pfer- dehändler, der Andre ein Rendant oder Receptor war, hatten, unter der großen Linde am Tische vor dem Wohnhause sitzend und ihren Trunk verzeh- rend, der Arbeit des alten, rüstigen Mannes zuge- sehen. Das muß wahr seyn, rief jetzt der Eine, der Pferdehändler, Ihr hättet einen tüchtigen Schmidt abgegeben, Hofschulze! Der Hofschulze wusch in einem Stalleimer voll Wasser, welcher neben dem kleinen Amboße stand, sich Hände und Gesicht, goß dann das Feuer aus, und sagte: Ein Narr, der dem Schmidt giebt, was er selbst verdienen kann. Er nahm den Am- boß, als sei er eine Feder, auf, und trug ihn nebst Hammer und Zange unter einen kleinen Schoppen zwischen Wohnhaus und Scheure, in wel- chem Hobelbank, Säge, Stemmeisen, und was sonst zu Zimmer- und Schreinergewerk gehört, bei Holz und Brettern mancher Art stand, lag oder hing. Indem der Alte sich unter dem Schoppen noch zu schaffen machte, sagte der Pferdehändler zu dem Receptor: Wollen Sie glauben, daß der auch alle Pfosten, Thüren und Schwellen, die Kisten und Kasten im Hause mit eigner Hand flickt, oder, wenn das Glück gut ist, auch neu zuschneidet? Ich meine, wenn er wollte, könnte er auch einen Kunst- schreiner vorstellen und würde einen richtigen Schrank zu Wege bringen. Da seid ihr im Irrthum, sprach der Hofschulze, der das Letzte gehört hatte und, das Schurzfell jetzt abgethan, im weißleinenen Kittel aus dem Schoppen trat. Er setzte sich zu den beiden Män- nern an den Tisch, eine Magd brachte ihm auch ein Glas, er that seinen Gästen Bescheid und fuhr dann fort: Zu einem Pfosten, zu einer Thüre und Schwelle gehören nur ein Paar gesunde Augen und eine firme Faust, aber ein Schreiner braucht mehr. Ich habe mich einmal vom Hoch- muth verleiten lassen, und wollte, wie Ihr es nennt, einen richtigen Schrank zu Wege bringen, weil mir Hobel und Meißel und Reißschiene auch bei dem Zimmerwerk durch die Hände gegangen waren. Ich maaß und zeichnete und schnitt die Hölzer zu, auf Fuß und Zoll hatte ich Alles abgepaßt; ja, als es nun an das Zusammenfügen und Leimen gehen sollte, war Alles verkehrt. Die Wände standen windschief und klafften, die Klappe vorne war zu groß, und die Kasten für die Oeffnungen zu klein. Ihr könnt das Gemächt noch sehen, ich habe es auf dem Sill stehen lassen, mich vor Ver- suchung künftig zu wahren, denn es thut dem Menschen immer gut, wenn er eine Erinnerung an seine Schwachheit vor Augen hat. In diesem Augenblicke ließ sich ein lustiges Wiehern aus dem Pferdestalle gegenüber verneh- men. Der Pferdehändler räusperte sich, spuckte aus, schlug sich Feuer an, blies dem Receptor eine starke Dampfwolke in das Gesicht, sah sehnsüchtig nach dem Stalle und dann gedankenvoll vor sich nieder. Hierauf spuckte er nochmals aus, nahm den lackirten Hut vom Kopfe, strich mit dem Arme über die Stirn und sagte: Noch immer eine schwüle Witterung. — Dann schnallte er seine lederne Geldkatze vom Leibe, warf sie mit Getöse auf den Tisch, daß der Inhalt klang und klirrte, lösete die Riemen und zählte zwanzig blanke Gold- stücke hin, bei deren Anblicke die Augen des Recep- tors zu funkeln anfingen, und nach denen der alte Hofschulze gar nicht hinsah. Hier ist das Geld! rief der Pferdehändler, die Faust geballt auf den Tisch stemmend, krieg’ ich die braune Stute dafür? Sie ist, weiß Gott, nicht einen Heller mehr werth. Dann behaltet Euer Geld, damit Ihr nicht zu Schaden kommt, versetzte der Hofschulze kalt- Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 17 blütig. Sechsundzwanzig, wie ich gesagt habe, und keinen Stüber darunter. Ihr kennt mich nun die Jahre her, Herr Marx, und solltet daher wissen, daß das Dringen und Feilschen bei mir nicht verschlägt, weil ich nie von meiner Sprache abgehe. Ich begehre, was mir eine Sache werth ist und thue niemalen vorschlagen, und so könnte ein Posau- nenengel vom Himmel dahergefahren kommen, er kriegte die Braune nicht unter Sechsundzwanzig. Aber Gott’s Sackerlot, schrie der Pferdehänd- ler erbos’t, aus Fordern und Bieten besteht doch der Handel, und meinen eignen Bruder überfrage ich, und wenn kein Vorschlagen mehr in der Welt ist, so hört alles Geschäft auf! Im Gegentheil, erwiederte der Hofschulze, das Geschäft kostet dann weit weniger Zeit und ist schon um deßhalb profitlicher, aber auch außerdem haben beide Theile von einem Handel ohne Vor- schlagen vielen Nutzen. Ich habe es immer erlebt, daß, wenn vorgeschlagen wird, sich die Natur erhitzt, und zuletzt Niemand mehr recht weiß, was er redet oder thut. Da läßt denn der Verkäufer, um nur dem Gehader ein Ende zu machen, die Waare oft unter dem Preise, den er im Stillen bei sich festsetzte, und der Käufer seinerseits in der Begierde und Brunst des Bietens verthut sich eben so oft- mals. Ist aber gar keine Rede von Ablassen, dann bleiben Beide schön ruhig, und wahren sich vor Schaden. Da Ihr so vernünftig redet, so werdet Ihr meinen Antrag jetzt besser erwogen haben, hob der Recep- tor an. Wie gesagt, die Regierung will alle Korn- gefälle der Höfe in hiesiger Gegend in Geld umwandeln. Sie hat allein den Schaden davon, denn Korn bleibt Korn, aber Geld ist heute so viel und morgen so viel werth, indessen ist es nun einmal ihr Wille, um der Last des Aufspeicherns quitt zu werden. Ihr thut mir also den Gefallen, und unterschreibt diese neue, auf Geld lautende Urkunde, die ich da zu diesem Behufe schon mitge- bracht habe. Durchaus nicht, antwortete der Hofschulze eifrig. Es ist ein alter Glaube hier zu Lande, daß wer seinem Hofe eine Last auflegt, dafür zur Strafe nach seinem Tode auf dem Hofe umgehen muß. Ich weiß nicht, wie es damit beschaffen ist, aber das weiß ich: Vom Oberhofe sind seit vielen hun- dert Jahren nur Körner an die Gotteszelle gegeben 17* worden, und damit wolle sich also das Rentamt begnügen, wie das Stift sich damit begnügt hat. Wächst Geld auf meinem Acker? Nein. Korn wächst darauf. Woher wollen Sie also das Geld nehmen? Ihr sollt ja nicht übervortheilt werden! rief der Receptor. Es muß Alles bei’m Alten bleiben, sagte der Hofschulze feierlich. Das war noch eine gute Zeit, als die Tafeln mit den Verzeichnissen der Lasten und Abgaben der Bauerschaft in der Kirche hingen. Dazumalen stand Alles fest, und kein Gezänk hat sich nimmer darüber begeben, wie neuerdings nur gar zu oft. Hernacher hieß es, die Tafeln mit den Hühnern und Eiern und Maltern und Süm- mern schadeten der Andacht, und sie wurden hin- weggethan. Im Gegentheil, sie hatten immer zu Predigt und Gesang gehört, wie Amen und Segen; ich für mein Theil, wenn ich sie ansah, besonders beim dritten Theile oder der Nutzanwendung, hatte die erbaulichsten Gedanken bekommen, zum Exempel: Ueberhebe dich nicht, denn da steht geschrieben, wie viel Zinsroggen und Schloßhafer du geben mußt, oder auch so: Wenn du draußen Lasten zu tragen hast, hier im Gotteshause bist du frei, und was dergleichen mehr war. Nun aber, als man auf die leeren Stellen sah, gingen die Gedanken immer wandern und suchen nach den Tafeln, und es dauerte geraume Zeit, ehe und bevor die Mensch- heit wieder recht nach dem Pastor hinhörte. Er ging in sein Haus. — Das ist ein alter Racker! rief der Pferdehändler, als er seinen Handelsfreund nicht mehr sah, indem er den lackir- ten Hut verdrießlich wieder auf den Kopf stülpte. Wenn der nicht will, so bringt ihn der Teufel nicht herum. Das Schlimmste ist, daß der Kerl die besten Pferde in der Gegend zieht, und sie im Grunde so zu sagen billig genug losschlägt. Ein starres, widerhaariges Volk hier zu Lande, sagte der Receptor. Ich bin erst vor Kurzem aus Sachsen herversetzt, und merke den Abstand. Dort wohnen die Leute beisammen und deßhalb müssen sie schon höflich und nachgiebig und bethulich mit einan- der seyn. Aber hier sitzt ein Jeder auf seinem Kampe, hat sein Holz, sein Feld, seinen Wiesewachs um sich, als gäbe es sonst nichts in der Welt. Darum halten sie auch auf ihre alten Schnurren und Faxen so steif, die anderwärts überall abgekom- men sind. Was für Mühe habe ich schon mit den andern Bauern wegen der dummen Um- schreibereien gehabt, aber dieser hier ist doch der Schlimmste. Das kommt daher, Herr Receptor, weil er so reich ist, bemerkte der Pferdehändler. Mich wun- dert, daß Sie es mit den Andern in der Bauerschaft ohne ihn durchgesetzt haben, denn der hier ist ihr General und Advocat und Alles, sie richten sich in jeglicher Sache nach ihm. Er bückt sich vor Keinem. Vor’m Jahre kam ein Prinz hier durch; wie er den Hut vor dem abnahm, war es wahrhaftig, als wollte er sagen: Du bist der und ich bin der . Der Mistfink! Für die Stute sechsundzwanzig Pistolen haben zu wollen! Aber das ist das Unglück, wenn der Bauer zu viel Ver- mögen kriegt. Wenn Sie dort durch das Eich- holz hindurch sind, gehen Sie eine geschlagene halbe Glockenstunde durch seine Felder. Und Alles bestellt, daß es nur so eine Art hat. Ich bin mit mei- ner Koppel vorgestern durch den Roggen und Waizen geritten, und Gott strafe mich, wenn was Anderes als die Köpfe von den Pferden über die Aehren hinübersahen. Ich dachte, ich würde er- saufen. Woher hat er’s denn? fragte der Receptor. O! rief der Pferdehändler, da liegen hier meh- rere solcher Höfe herum, man heißt sie Oberhöfe; wenn die nicht manchen Edelmann ausstechen, so will ich nicht Marx heißen. Das Erdreich ist von uralter Zeit zusammengeblieben. Und sparsam und fleißig ist der Nichtsnutz von jeher gewesen, das muß man ihm lassen. Sie sahen ja, wie er sich abäscherte, nur um dem Schmidt die paar Groschen Verdienst zu nehmen. Jetzt freit seine Tochter einen andern jungen Geldschlingel; die kriegt mit! Ich bin an der Leinwandkammer durch- gegangen, der Flachs und das Garn, das Gebild, die Wäsche und alle mögliche Kramerei ist bis unter die Decke gestopft. Und dazu giebt ihr der alte Schabhals noch baare sechstausend Thaler mit. Blicken Sie nur um sich; ist es nicht hier, als ob man bei einem Grafen wäre? Während der letzten Reden hatte der verdrieß- liche Pferdehändler sacht in die Geldkatze gegriffen und den zwanzig Goldstücken, gleichsam gleichgül- tig thuend, noch sechs hinzugefügt. Der Hof- schulze trat wieder in die Thüre, und der Andre sagte brummend, ohne ihn anzusehen: Da lie- gen die Sechsundzwanzig, weil es einmal nicht anders seyn soll. Der alte Bauer lächelte schalkhaft und sprach: Ich wußte wohl, daß Ihr das Pferd kaufen wür- det, Herr Marx, denn Ihr sucht für den Rittmeister in Unna eins zu dreißig Pistolen, und mein Bräun- chen paßt Euch dazu, wie bestellt. Ich ging auch nur in das Haus, um die Goldwage zu holen, und konnte vorher sehen, daß Ihr Euch unterdessen besonnen haben würdet. Der Alte, welcher in seinen Bewegungen bald etwas ungemein Rasches, bald wieder die größte Bedächtigkeit zeigte, jenachdem das Geschäft war, was er trieb, setzte sich an den Tisch, wischte lang- sam und sorgfältig seine Brille ab, spannte sie über die Nase und fing nun an, die Goldstücke genau zu wägen. Zwei oder drei musterte er als zu leicht aus, worüber der Pferdehändler ein heftiges Ge- zeter erhob, welchem der Hofschulze schweigend und kaltblütig, die Wage in der Hand behaltend, zuhörte, bis der Andre statt der verworfenen voll- wichtige hervorholte. Endlich war die Sache been- digt, der Verkäufer packte bedächtig das Geld in ein Papier und ging mit dem Pferdehänd- Pferdehändler nach dem Stalle, um ihm das Pferd zu überliefern. Der Receptor wartete die Rückkunft der Beiden nicht ab. Mit solchem Klotz ist nichts anzufangen, sagte er, aber wenn du uns nur nicht so ordentlich auf die Termine bezahltest, wir wollten dich — Er fühlte nach seinen urkundlichen Papieren in der Tasche, merkte an ihrem Knittern, daß sie noch darin seien, und schlich vom Hofe. Aus dem Stalle traten der Roßkamm, der Schulze und ein Knecht, welcher zwei Pferde, das des Roßkammes und die erkaufte braune Stute hinter sich herführte. Der alte Schulze sagte, indem er die Letztere zum Abschiede streichelte: Es thut Einem immer Leid, wenn man eine Creatur, die man aufzog, losschlägt, aber wer kann dawider? — Nun, halte dich brav, Bräunchen! rief er und gab dem Thiere einen herzhaften Schlag auf die runden, glänzenden Schenkel. Der Pferdehändler war indessen aufgestiegen und sah mit seiner langen Figur und der kurzen Schooßjacke unter dem breitkrämpigen lackirten Hute, mit seinen erbsengelben Hosen über den dürren Lenden und den hochhinaufreichenden ledernen Kama- schen, mit seinen Pfundspornen und mit seiner Peitsche wie ein Wegelagerer aus. Er ritt, ohne Lebewohl zu sagen, fluchend und wetternd davon, die Braune am Leitzaum nachziehend. Kei- nen Blick wandte er nach dem Gehöfte zurück, die Braune dahingegen drehte mehreremale den Hals um und wieherte wehmüthig, als wollte sie klagen, daß ihre gute Zeit nun vorüber sei. Der Hofschulze blieb, die Arme in die Seite gestemmt, mit dem Knechte stehen, bis der Zug durch den Baumgarten verschwunden war. Dann sagte der Knecht: Das Vieh grämt sich. Warum sollte es nicht? erwiederte der Hofschulze, grämen wir uns doch auch. Komm auf den Fut- terboden, wir wollen Hafer messen. Zweites Capitel. Rath und Antheil . Indem er sich mit dem Knechte dem Hause zuwandte, sah er, daß der Platz unter den Linden schon wieder von neuen Gästen eingenommen war. Diese hatten aber ein sehr verschiedenartiges Anse- hen. Denn es saßen da drei bis vier Bauern, seine nächsten Nachbarn, und neben ihnen saß ein bildschönes Mädchen. Dieses bildschöne Mädchen war die blonde Lisbeth, welche im Oberhofe genächti- get hatte. Ich werde mich nicht vermessen, ihre Schönheit zu beschreiben; es käme dabei doch nur auf rothe Wangen und blaue Augen hinaus, und diese aller- liebsten Dinge, so frisch sie sich in der Wirklichkeit halten, sind schwarz auf weiß etwas abgestanden. Es denke sich daher jeder Leser seine jetzige oder ehemalige Geliebte, und jede Leserin blicke in den Spiegel, oder erinnere sich, wie sie an ihrem Braut- tage ausgesehen hat, so wird die Lisbeth vor allen Leuten dastehen, wie sie leibt und lebt. Der Hofschulze ging, ohne sich vorläufig um die langhaarigen, bekittelten Nachbarn zu kümmern, auf seinen blühenden Gast zu und sagte: Nun? Gut geschlafen, Mamsellchen? Prächtig, versetzte Lisbeth. Was haben Sie denn am Finger? Sie tragen ihn ja verbunden? fragte der Alte. Nichts, antwortete das junge Mädchen und errothete. Sie wollte eine andere Unterredung anfangen. Der Hofschulze ließ sich aber nicht irren, ergriff ihre Hand, an welcher sie den Finger ver- bunden trug und rief: Es ist doch nicht schlimm? Nicht der Rede werth, versetzte Lisbeth. Als ich Eurer Tochter gestern Abend nähen half, fuhr mir die Nadel in den Finger, und da hat er geblutet, das ist Alles. Ei! Ei! sagte der Hofschulze schmunzelnd, und wie ich sehe, ist es sogar der Ringfinger; das bedeutet was Gutes. Wissen Sie wohl, daß wenn eine Jungfer einer Braut hilft am Brautlinnen nähen und verwundet sich am Ringfinger, sie noch im nämlichen Jahre auch Braut wird? Nun, ich gratulir’ schönstens zum schmucken Freiersmann. Die Bauern lachten; die blonde Lisbeth ließ sich nicht aus der Fassung bringen, sondern rief frohlich: Und wißt Ihr auch meinen Spruch, den ich von der Spröden gelernt habe? Er lautet: So weit der Herr die Lilien kleidet, Und auch die jungen Raben weidet, Geht mein Hab’ und Gut; Drum, wer nach mir fragen thut, Der soll thun nach mir fragen Mit vier Pferden vor’m Wagen! Und — fiel der Hofschulze ein — Er soll mich fangen, wie die Maus Und angeln, wie einen Fisch , Und schießen, wie ein Reh — Ein Schuß fiel in der Nähe. Sehen Sie, Mam- sellchen, das trifft zu, rief der Alte. Laßt jetzt Eure losen Reden, Hofschulze, sagte das junge Mädchen. Ich bin darum bei Euch eingekehrt, um von Euch Rath wegen der Gülten zu bekommen, und den gebt mir also nun auch ohne Scherz und Possen. Der Hofschulze setzte sich, um zu hören und zu reden, in Positur, die Lisbeth zog ein Schreib- täflein heraus und las die Namen der Bauern ab, bei welchen sie in den Tagen zuvor umherge- wandert war, um die Rückstände der Zinsen für ihren Pflegevater einzutreiben. Sie erzählte dabei dem Hofschulzen, daß und unter welchen Vorwän- den sie sich geweigert hätten, ihre Schuld abzusto- ßen. Der Eine wollte längst bezahlt haben, der Andere hatte gesagt, er sei neu auf dem Hofe, der Dritte wußte von gar nichts, der Vierte hatte gethan, als höre er nicht gut, und so fort, so daß das arme Mädchen, wie ein Vöglein, das bei Win- terszeit nach Futter fliegt und kein Körnlein aufzu- picken findet, von Thür zu Thür leer abgewiesen worden war. Wer aber glaubt, daß diese vergeb- liche Mühe sie in Kümmerniß gestürzt habe, der irrt; ihr konnte nichts etwas anhaben, sie erzählte ihre beschwerlichen Wanderungen mit heitrem Munde. Der Hofschulze schrieb mehrere der ihm genann- ten Namen mit Kreide auf den Tisch und sagte, als sie ihre Liste geschlossen hatte: Was die Andern betrifft, so wohnen die nicht bei uns, über die habe ich keine Macht, und wenn sie so schlecht sind, ihre Pflicht und Schuldigkeit zu verläugnen, so streichen Sie die Schelme nur aus, denn mit Pro- zessen kriegt man nichts vom Bauer. Aber die in unserer Gemarke wohnen, gegen die werde ich Ihnen zu Ihrem Rechte helfen, dazu haben wir noch Mittel. Oho! sagte einer der Bauern halb laut zu ihm; thut Ihr doch, Schulte, als hättet Ihr immer das Strop So heißt in manchen Gegenden ein Strick. im Rockärmel bei Euch. Wann soll die Heimlichkeit vor sich gehen? Schweigt, Baumschulte, denn solche spöttliche Worte möchten Euch zu Schaden werden, versetzte der Alte mit Ernst. Der Angeredete wurde betreten, schlug die Augen nieder und erwiederte kein Wort. Lisbeth dankte dem Alten für die zugesagte Hülfe und fragte nach den Wegen und Stegen zu den Andern, die sie noch in der Schreibtafel hatte. Der Hof- schulze bezeichnete ihr den Pfad zu dem nächsten Hofe über die Pfaffenwiese, an den drei Mühlen vorbei, durch die Hollenberge. Als sie ihren Stroh- hut aufgesetzt, ihren Stecken genommen, für gute Be- wirthung gedankt, und sich solchergestalt zum Gehen gerüstet hatte, bat er sie, bei der Wiederkehr sich so einzurichten, daß sie die Hochzeit über und bis zum zweiten Tage nach derselben im Hofe bleibe, dann hoffe er ihr die Versicherung über die Zinsen oder diese sogar vielleicht selbst zugleich nach Hause mitgeben zu können. Als die schlanke und edle Gestalt des jungen Mädchens hinter den letzten Wallnußbäumen des Baumgartens verschwunden war, sagte einer der Bauern: Wenn der alte Herr Baron die früher zur Schaffnerin gehabt hätte, so wäre er nicht so heruntergekommen und hätte nicht zu besorgen, daß ihm das Haus einmal über dem Kopfe zusammen- stürzt. — Uebrigens ist es unrecht, daß sie das Kind allein im Lande herumlaufen lassen. Daran sehe ich eben kein Unrecht, erwiederte der Hofschulze. Ich habe noch nicht erlebt, daß einem ordentlichen Mädchen Schlechtigkeiten wider- fahren wären. Eine reine Jungfer kann unter Räu- ber und Mörder gehen, unter Gesindel und Be- trunkne, sie thun ihr so leicht nichts. Vorigen Herbst, als hier nebenan das Volk auf der Haide im Lager stand, hatte sich meine Tochter bei einem Gange über Feld unter einen marschirenden Trupp verlo- ren. Ja, von Niemand war sie angetastet worden; sie hatten sie, weil sie müde geworden war, ganz sauber auf einen von ihren Vorspannwagen gehoben, und so wurde sie hier am Hofe richtig abgesetzt. Ein Frauenzimmer, was die Mannsleute angreifen, pflegt von Hause aus angreifische Waare zu seyn. Die Bauern sprachen jetzt von dem Gegenstande, welcher sie zu dem Hofschulzen geführt hatte. Eine neue Straßenanlage, die mit der großen Chaussee Verbindung stiften sollte, bedrohte sie mit dem Ver- luste einiger kleinen Wiesenstücke, über welche der Weg nothwendig zu legen war, wenn er zu Stande kommen sollte. Gegen diesen Verlust suchten sie sich nun, obgleich die Anlage zum Vortheil aller umliegenden Bauerschaften gereichte, auf jede Weise zu schützen, und wie er abzuwenden seyn möchte, darüber wollten sie sich bei dem Besitzer des Ober- hofes Raths erholen. Wirklich zeigte sich auch der Hofschulze in dieser Angelegenheit sehr eifrig und gab ihnen die besten Mittel und Wege an die Hand, wie sie der Forderung des Staates unter dem Schutze buchstäblicher Vorschriften der Gesetze ent- gehen, oder doch wenigstens das Nachgeben hinzö- gern könnten. Sie möchten nur sagen, die Stücke seien ihnen ganz nothwendig, wenn sie nicht zu Grunde gehen sollten, möchten einen übermäßigen Preis auf sie setzen, den und den angehen, welcher Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 18 in der Sache abzusprechen habe und welcher, wenn sie ihn recht zu behandeln wüßten, schon ein Zeug- niß ausstellen werde, daß die Straße auch anders gelegt werden könne, und was dergleichen mehr war, welches freilich auf eine ganz andere Sinnes- weise hinauszulaufen schien, als die mir schon von dem Hofschulzen in seinem Verkehre mit Menschen kennen gelernt haben. Indessen wurde aus seinem Gespräche mit den Nachbarn klar, daß diese Bauern sich den Heischun- gen des Staats zum öffentlichen Nutzen gegenüber im Zustande des Krieges glaubten, welcher bekannt- lich alle Mittel, die zum Zweck führen, gutheißt. Wir werden schon unsre Frucht einfahren und zu Markte führen können, wie bisher, ohne große Stra- ßen nöthig zu haben, und was geht uns alles Uebrige an? sagte der Hofschulze im Verlaufe der Unterredung. Mogen sie bauen und graben, was sie wollen, sie sollen uns aber ungeschoren lassen. Wenn es nach denen ginge, so wären wir bald vom Erb von wegen des gemeinen Nutzens, wie es heißen würde, fügte er hinzu. Guten Tag, wie geht’s? rief eine hier wohl- bekannte Stimme. Ein Fußwanderer, ein Mann in anständiger Kleidung, aber von den grauen Kama- schen bis zur grünen Schirmkappe bestaubt, war durch den Thorweg eingetreten und hatte sich dem Tische genähert, ohne von den Redenden anfänglich bemerkt zu werden. Ei, Herr Schmitz, sieht man Sie auch ein- mal wieder? sagte der alte Bauer sehr freundlich und ließ für den Ermüdeten durch den Knecht das Beste, was sich im Keller befand, herbeiholen. Die Bauern rückten vor dem neuen Ankömm- linge höflich zusammen. Er wurde zum Sitzen genöthigt und bewerkstelligte diese seine Niederlas- sung mit bedachtsamer Vorsichtigkeit, um nicht, was er bei sich trug, zu zerbrechen. In der That war ein solches Verhalten auch nothwendig, denn der Mann war bepackt wie ein Lastwagen, und die Umrisse seiner Gestalt glichen einem Conglomerate zusammengeschnürter Ballen. Nicht allein, daß die Rocktaschen, mit manchem Runden, Viereckten, Läng- lichten befrachtet, in sonderbarer Bauschung weit vom Leibe abstanden, auch Brust- und Seitenbehäl- ter, zu gleichen Zwecken verwendet, bildeten man- nigfach geformte Wülste und Erhöhungen, die um so schärfer hervortraten, als der Sammler, um nichts von seinen Schätzen zu verlieren, den Rock, 18* ungeachtet der herrschenden Sommerwärme, fest zu- geknöpft trug. Selbst das Innere der Kappe hatte zur Aufbewahrung kleinerer Gegenstände dienen müssen und erhielt von diesem Inhalte ein kürbiß- artiges Ansehen. Er schlürfte den ihm vorgesetzten guten Wein mit sichtbarem Behagen, das ältliche, von Wandern und Hitze aufgedunsene und gerö- thete Antlitz gewann allmählich seine ihm natür- liche Farbe und Form wieder. Gute Geschäfte gemacht, Herr Schmitz? fragte der Hofschulze lächelnd. Dem Anscheine nach sollte man es glauben. Es geht noch, versetzte der Sammler. In der lieben Erde steckt ein rechter Segen. Nicht allein Korn und Gewächse bringt sie immerdar hervor und wird nicht müde; auch Alterthümer erndtet ein aufmerksamer Forscher ihr fortwährend ab, soviel auch danach schon gescharrt und gegraben worden ist. Ich habe denn einmal wieder so mein Gän- gelchen durch das Land gehalten, kam dieses- mal bis an die Grenze vom Siegenschen. Nun bin ich auf dem Rückmarsch, will heute noch zur Stadt, mußte aber unterweges bei Euch, Schulze, mich etwas ausruhen, denn müde ward ich freilich. Was bringen Sie denn mit? fragte der Hof- schulze. Der Sammler klopfte sacht und freundlich auf alle Erhöhungen und Wülste seiner verschiedenen Taschen und sagte: Ei nun, Liebes und Gutes, allerhand Siebensachen. Eine Streitaxt, ein Paar Donnerkeile, Kattenringe, prächtig mit grünem Rost überzogen, Aschenkrüglein, Thränenflaschen, drei Götzen und ein Paar kostbare Lampen. Dann schlug er mit der umgewandten Hand an seinen Nacken und fuhr fort: Und ein ganz complett erhaltenes Stück korinthischen Erzes habe ich mir hier, weil ich sonst keinen andern Platz mehr hatte, hier im Rücken unter dem Rocke festgebunden. Nun, es wird sich denn wohl leidlich machen, wenn es Alles erst gesäubert ist und in Reihe und Glied steht. Die Bauern bezeugten ihre Neugier nach eini- gen der Sachen; der alte Schmitz erklärte sich aber unfähig, dieselbe zu befriedigen, weil die Alter- thümer so sorgfältig verpackt und mit so ausgeklü- gelter Benutzung jedes Räumchen’s eingesenkt seien, daß es schwer halte, die ganze Befrachtung, wenn sie gelöset worden, wieder zu Stande zu bringen. Der Hofschulze sagte seinem Knechte etwas in das Ohr; dieser ging in das Haus. Inzwischen erzählte der Sammler ausführlich von dem Fundorte der verschiedenen Erwerbungen, rückte dann seinem Gast- freunde näher und sagte vertraulich: Was aber die allerwichtigste Entdeckung dieser Reise ist; ich habe nun wahr und wahrhaftig den Ort gefunden, wo Hermann den Varus schlug. Ei, Ei, Ei, versetzte der Hofschulze und schob seine Mütze hin und her. Alle sind sie auf dem falschen Wege gewesen, Clostermeier, Schmid, und wie sie heißen mögen, die darüber geschrieben haben! rief der Sammler feurig. Immer wollten sie den Varus in der Rich- tung auf Aliso, wovon doch auch noch kein Mensch ausgeforscht hat, wo es eigentlich gelegen — genug aber Mitternachtwärts — sich zurückziehen lassen, und demnach sollte die Schlacht zwischen den Quel- len der Lippe und Ems, bei Detmold, Lippspringe, Paderborn und Gott weiß wo noch? vorgefallen seyn — Der Hofschulze sagte: Ich glaube, der Varus mußte aus allen Kräften suchen, nach dem Rhein zu kommen, und das konnte er nur, wenn er ins offene Land gelangte. Drei Tage soll die Bataille gedauert haben, darin läßt sich schon ein Stück marschieren, und so bin ich vielmehr der Meinung, daß die Attaque in den Bergen, die unsre Börde einschließen, also gar nicht weit von hier vorge- fallen ist. Falsch! Falsch, Hofschulze! rief der Sammler. Hier unterwärts war Alles besetzt und verstopft von Cheruskern, Katten und Sicambrern. Nein, weit mehr nach Mittag ist die Schlacht gewesen, der Ruhrgegend nahe, nicht weit von Arnsberg. Varus mußte sich durch das Gebirg hindurchworgen, er hatte nirgends einen Ausweg, und seine Gedanken standen auf den Mittelrhein, wohin der Weg quer durch das Sauerland geht. So dachte ich es mir immer, so, und jetzt habe ich die untrüglichsten Bestätigungs- zeichen entdeckt. Dicht an der Ruhr fand ich das korinthische Erz und kaufte die drei Gotzen, und da sagte mir ein Mann aus dem Dorfe, daß kaum eine Stunde davon im Walde zwischen den Bergen eine Stelle liege, wo Knochen in ungeheurer Anzahl zwischen dem Sand und Kies aufgeschichtet seien. Hui! rief ich, es wird Tag. Ging mit einigen Bauern hinaus, ließ nachgraben, und siehe da, wir fanden Knochen, wie ich sie nur wünschte. Das ist also der Platz, wo Germanicus sechs Jahre nach der Teutoburger Schlacht die Ueber- reste der römischen Legionen bestatten ließ, als er seine letzten Züge wider Hermann machte, und folglich habe ich dort das richtige Schlachtfeld ent- deckt. An die tausend und mehrere Jahre pflegen sich Knochen nicht zu erhalten, sagte der Schulze und bewegte zweifelmüthig das Haupt. Sie haben sich versteinert in den Mineralien dort, sprach der Sammler zorneifrig. Ich muß Euch nur den Glauben in die Hand geben, da ist Einer, den ich mitgebracht habe. Er zog einen großen Knochen aus dem Busen und hielt denselben seinem Widerpart unter die Augen. He, was ist das? fragte er triumphirend. Die Bauern starrten den Knochen verdutzt an. Der Hofschulze antwortete, nachdem er ihn prüfend betrachtet hatte: Ein Kuhknochen, Herr Schmitz. Sie sind auf einen Schindanger gestoßen und nicht auf das teutoburger Schlachtfeld. Grimmig steckte der Sammler das bescholtene Alterthum wieder an seinen Platz und stieß einige heftige Reden aus, denen der alte Bauer in der- ben Weise zu begegnen wußte. Es sah daher nach einem Zanke zwischen beiden Männern aus; indessen hatte es damit nicht viel zu bedeuten. Denn es war schon hergebracht, daß sie über solche und ähn- liche Dinge aneinander geriethen, wenn sie zusam- menkamen. Immer aber blieben sie trotz dieser Streitigkeiten gute Freunde. Der Sammler, der sich das Brod am Munde absparte, um seine Lieb- haberei zu befriedigen, pflegte sich das Jahr hin- durch wochenlang bei den gefüllten Fleischtöpfen des Oberhofes auszufüttern und half wieder sei- nerseits dem Gastfreunde mit allerhand Schreibe- reien in dessen Geschäften; denn er war seines Zeichens ein ehemaliger Kaiserlicher geschworner und immatriculirter Notarius. Endlich sagte der Hofschulze nach vielem nutz- losen Hin- und Herreden von beiden Seiten: Ich will mit Ihnen über den Wahlplatz nicht streiten, obgleich ich dabei verbleibe, daß Hermann den Va- rus hier herum geschlagen hat. Es liegt mir aber überhaupt nicht viel daran, die Sache ist mehr für die Herrn Gelehrten, denn wenn der andere römi- sche General sechs Jahre darauf, wie Sie mir oft- malen erzählt haben, schon wieder mit einer Armee in hiesigen Gegenden stand, so hat die ganze Ba- taille wenig zu bedeuten gehabt. Davon versteht Ihr nichts, Hofschulze! fuhr der Sammler auf. Auf der Hermannsschlacht beruht das gesammte deutsche Wesen. Wenn Her- mann der Befreier nicht gewesen wäre, so säßet Ihr nicht so breit hier zwischen Euren Hecken und Pfählen. Aber Ihr Leute lebt nur von einem Tage zum Andern und Geschichte und Alterthümer sind Euch nichts nütze. Oho, Herr Schmitz, da thun Sie mir doch groß Unrecht! versetzte der alte Bauer stolz. Weiß Gott, was für Plaisir es mir macht, bei Win- terszeit die Chroniken und Historienbücher zu le- sen, und Sie selbst wissen, daß ich mit dem Schwerte von Carolus Magnus, (der Alte sprach die zweite Sylbe lang aus;) welches nun seit tau- send und mehreren Jahren im Oberhofe aufbe- wahrt wird, umgehe, wie mit meinem Augapfel, folglich … Das Schwert Karls des Großen! sagte der Sammler höhnisch. Freund, ist es denn nicht mög- lich, Euch diese Grillen aus dem Kopfe zu bringen? Hört doch nur — Und ich sage und behaupte, daß es das ächte und aufrichtige Schwert Caroli Magni ist, womit er hier auf dem Oberhofe den Freistuhl gesetzet und eingerichtet hat. Und das Schwert wirket und vollbringet noch heut zu Tage sein Amt, obgleich davon nicht weiter geredet werden darf. Der Alte sprach diese Worte mit einem Ausdrucke in den Mienen und mit einer Gebärde, die etwas Erha- benes hatten. Und ich sage und behaupte, daß das eitel Thor- heiten sind, eiferte der Sammler. Ich habe den alten Flederwisch an die hundertmale untersucht, er hat kein halb Jahrtausend erlebt und rührt viel- leicht aus der Soester Fehde her, wo ihn ein Reisiger des Erzbischofs, der sich hier in den Bü- schen verkrochen, mag haben stehen lassen. Daß dich! rief der Hofschulze und schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann murmelte er vor sich hin: Nun warte! Dafür sollst du heute deine Strafe kriegen. Der Knecht trat aus der Thüre. Er trug ein Gefäß aus gebrannter Erde, von bedeutendem Um- fange und fremdartigem Ansehen, es steif und acht- sam mit beiden Händen an den Henkeln gefaßt. Ei Gott! rief der Sammler, als es ihm näher zu Gesichte kam, das ist ja eine prächtige große Amphora! Woher stammt denn die? Ich habe, versetzte der Hofschulze gleichgültig, den alten Topf vor acht Tagen in meiner Kies- grube gefunden, als Grand ausgestochen wurde. Es stand noch mehr des Zeuges umher, was aber die Leute mit den Grabscheiten zerschlagen haben. Der Topf allein ist erhalten worden. Ich wollte doch, daß Sie ihn sähen, da Sie einmal hier sind. Mit feuchten Blicken betrachtete der Sammler das große, wohlerhaltene Gefäß. Endlich stammelte er: Ist darüber kein Handel zu machen? Nein, versetzte der alte Bauer kalt, ich will den Topf mir selber aufheben. Er gab dem Knechte einen Wink, dieser wollte die Amphora in das Haus zurücktragen, wurde aber daran von dem Sammler gehindert, welcher, die Augen nicht von dem Gefäße wendend, den Eigenthümer mit den mannigfaltig- sten und beweglichsten Wendungen anging, ihm den ersehnten Weinkrug abzustehen. Es war indessen Alles vergebens; der Hofschulze verblieb den ein- dringlichsten Bittworten gegenüber in unerschütter- licher Seelenruhe und machte auf diese Weise den unbewegten Mittelpunkt der Gruppe, um welchen die Bauern, die dem Handel mit aufgesperrten Mäulern zuhorchten, der Knecht, der das Gefäß an den Henkeln gefaßt, dem Hause zustrebte, und der Alterthümler, welcher dasselbe am untern Ende festhielt, die aufgeregten Seiten- und Nebenfiguren bildeten. Zuletzt sagte der Hofschulze, daß er in Willens gewesen sei, seinem Gaste den Topf, wie so manches früher aufgefundene Stück zu schenken, weil er selbst seine Freude daran habe, die alten Sachen auf den Brettern der Sammlung an den Wänden ringsherum in Ordnung gestellt, zu sehen, daß ihm aber die beständigen Angriffe auf das Schwert Caroli Magni verdrießlich seien, und daß er deßhalb auch mit dem Topfe seinen Willen behal- ten wolle. Kleinlauten Tons versetzte hierauf der Sammler nach einer Pause, daß Irren menschlich wäre, daß die Waffen des Mittelalters sich nach den Zeital- tern oft nicht genau unterscheiden ließen, daß er auf diese Ueberbleibsel sich weniger, als auf Romer- sachen verstände, und daß allerdings Manches an dem Schwerte auf ein höheres, über die Soester Fehde hinausreichendes Alter zu deuten schiene. Worauf der Hofschulze entgegnete, daß ihm der- gleichen allgemeine Redensarten nichts frommen könn- ten, daß er den Zwist und den Zweifel an seinem Schwerte einfürallemal abgethan wissen wollte, und daß es nur ein Mittel gäbe, in den Besitz des alten Topfes zu kommen, nämlich, wenn der Herr Schmitz auf der Stelle eine Schrift von sich gäbe, worin das im Oberhofe aufbewahrte Schwert förm- lich für das wahre Schwert Caroli Magni aner- kannt würde. Nach dieser Eröffnung hatte der Alterthümler freilich einen harten Kampf zwischen seinem anti- quarischen Gewissen und seiner antiquarischen Be- gierde zu kämpfen. Er warf die Lippe auf und trommelte mit den Fingern auf der Stelle umher, wo er den Knochen vom teutoburger Schlachtfelde stecken hatte. Sichtlich war sein Bestreben, über die Anmahnungen des ihn zur Unwahrheit verlocken- den Gelustes Herr zu werden. Endlich aber erhielt dennoch die Leidenschaft, wie dieses immer zu gesche- hen pflegt, die Oberhand. Hastig forderte er Feder und Papier und stellte mit fliegender Eile, zuwei- len seitwärts nach der Amphora schielend, ein unumwundenes Bekenntniß aus, daß er nach oft- maliger Besichtigung des Schwertes im Oberhofe solches für das des Kaisers Karls des Großen erkannt und befunden habe. Diese Urkunde ließ der Hofschulze von den bei- den Bauern als Zeugen mit unterschreiben, und steckte dann das Papier, mehrmals zusammenge- schlagen, zu sich. Der alte Schmitz aber faßte hef- tig nach der auf Kosten seines besseren Bewußtseyns erkauften Amphora. Der Hofschulze sagte, er wolle ihm den Topf andern Tages nach der Stadt schicken; wie hätte aber ein Sammler wohl jemals auch nur einen Augenblick lang die körperliche Innehabung eines theuer erworbenen Besitzstückes entbehrt? Entschieden lehnte der Unsrige jeden Verzug ab, ließ sich eine Schnur geben, zog diese durch die Henkel, und hing sich daran das große Weinge- fäß über die Schulter. Sie schieden demnächst im besten Einvernehmen, nachdem der Samm- ler noch zur Hochzeit gebeten worden war. Er gewährte mit seinen Winkeln, mit den bau- schig abstehenden Rockschößen und der hin und her wackelnden Amphora an der linken Seite ei- nen abentheuerlichen Anblick, als er von dannen zog. Die Bauern boten ihrem Rathgeber die Zeit, ver- sprachen, sich seinen Rath merken zu wollen und gingen dann, ein Jeder zu seinem Gehöfte. Der Hofschulze, dem im Laufe einer Stunde mit allen Menschen, die sich bei ihm zusammengefunden hatten, jegliches Vornehmen geglückt war, trug erst die erwonnene Anerkennungsurkunde auf die Kammer, worin er das Schwert Caroli Magni verwahrte, dann ging er mit dem Knechte auf den Futterbo- den, um den Hafer für die Pferde ihm zuzumessen. Drittes Capitel . Der Oberhof . „Westphalen bestund aus einzelnen Höfen, deren jeder seinen eigenthümlichen und freien Besitzer hatte. Mehrere solcher Höfe machten eine Bauer- schaft aus, die gewöhnlich den Namen des ältesten und vornehmsten Hofes führte. Es gründet sich in der ersten Anlage der Bauerschaften, daß der älteste Hof auch der erste im Range bleiben und der vornehmere werden mußte, wo von Zeit zu Zeit die davon ausgegangenen Kinder, Enkel, Hausge- nossen zusammenkamen und einige Tage feuerten und zechten. Der Anfang, oder das Ende des Sommers war die gewöhnliche Zeit dazu, wo jeder Hofbesitzer etwas von seinen gezogenen Früchten und auch wohl ein junges Stück Vieh zum Bauer- mahl mitbrachte. Man besprach sich über man- nichfaltige Gegenstände und nahm Rücksprache, Hei- Immermann’s Münchhausen 1. Th. 19 rathen wurden da geschlossen, Todesfälle angezeigt, und der Sohn als eingetretenes Haupt seines väter- lichen Erbes erschien dann gewiß mit volleren Hän- den und ausgesuchterem Viehe bei seinem ersten Eintritt in die Versammlung. An Zwisten konnte es bei solchen Freudentagen nicht fehlen, dann trat der Vater als Haupt des ältesten Hofes in die Mitte und legte mit Einstimmung der Uebrigen den Zank bei. Wurden einige Hofbesitzer während der andern Jahrszeit irgend einer Ursache halber uneins, so brachten Beide bei der nächsten Ver- sammlung ihre Beschwerde vor, und Beide waren damit zufrieden, was ihre Mitgenossen für gut oder recht fanden. War Alles aufgezehrt, der zur Feier bestimmte Baum ausgebrannt, so hatte das Fest, die Versammlung ein Ende. Jeder kehrte dann zurücke, erzählte seinen zu Hause schon wartenden Hausgenossen die Begebenheiten des Festes und ward mit ihnen lebendige und stäts fortdauernde Urkunde aller Vorfälle ihrer Bauerschaft. Dergleichen Zusammenkünfte hießen Sprachen, Bauersprachen, weil sämmtliche Hofbesitzer einer Bauerschaft, um sich zu besprechen, zusammenkamen, und Bauergerichte, weil hier die Irrungen der schon stillschweigend in einen Verein getretenen Männer beigelegt oder zurückgewiesen wurden. Da die Bauersprachen und Bauergerichte bei’m ältesten oder vornehmsten Hofe gehalten wurden, so hieß solcher Hof auch Richthof, und die Bauergerichte und Bauersprachen auch Hofsprachen und Hofge- richte, welche bis auf heutigen Tag noch nicht ganz verschwunden sind. Der älteste Hof, der Richt- hof ward nun im vorzüglicheren Sinne Hof genannt, womit man den Haupthof oder Oberhof in der Bauerschaft und dessen Besitzer als das Haupt oder den Hauptmann der Uebrigen bezeichnete. So hätten wir ungefähr die Entstehung von dem ersten Vereine und den ersten Gerichtsanstalten der Westphälischen Höfe oder Bauerschaften. Sie kann uns um desto weniger befremden, wenn man bedenket, daß Westphalens ehemalige Gestalt nur eine langsame Bevölkerung und allmähligen Anbau verstattete, und dieses allmählige Fortschreiten ge- rade so zu den simpeln und einförmigen Einrich- tungen, als zu der gleichen Bildung, Sitte und Gewohnheit führte, die wir bei Westphalens alten Bewohnern antreffen.“ 19* Diese Stelle aus Kindlinger’s Münsterischen Beiträgen führt uns auf den Schauplatz der Hand- lung. Sie verdeutlicht uns den Helden der Letz- teren, den Hofschulzen. Er war der Besitzer eines der größten und reichsten Haupt- oder Oberhöfe, welche in den dortigen Gegenden, freilich jetzt bis zu geringer Anzahl zusammengeschmolzen, liegen. Ueber diese uralten Wehren freier Männer ist der Athem der Zeiten Markenverrückend und Rech- tetilgend hingefahren. Die anfängliche germanische Genossenschaft, in welche Jeder nur eintrat, Leibes und Lebens sicher zu werden, nicht, Leib und Leben zu verlieren, ist längst zerstört; der Vasallendienst hat an der Freiheit gerüttelt, die Ministerialität hat daran gerüttelt, und endlich sind die Trümmer eigenartiger Selbstständigkeit in den großen Noth- und Bergehafen des modernen Staats getrieben worden. In diesem schwimmen sie, (um dem Gleichnisse treu zu bleiben,) stoßen und prallen an einander an, oder sind auch wohl, seitwärts auf das Trockne geworfen. Dort verwittern sie, mit Tang, Flechten und Schneckenhäusern besetzt, nach und nach, während jener Ueberzug den Schein eines neuen Gebildes fortsetzt. Aber es ist etwas Merkwürdiges um die ersten Stammerinnerungen, und die Völker haben ein so langes Gedächtniß, wie die einzelnen Menschen, denen ja auch die Eindrücke der frühesten Kinder- zeit bis in das höchste Alter hinauf getreu zu blei- ben pflegen. Erwägt man nun, daß eines Menschen Leben Neunzig währen kann und darüber, daß der Völker Jahre aber Jahrhunderte sind, so ist es weiter nicht zu verwundern, daß in den Gegenden, in welche sich unsere Geschichte nunmehr begeben hat, Manches noch hin und wieder aufstößt, welches nach der Zeit zurückweis’t, in welcher der große Frankenkaiser die eigensinnigen Sassen mit Feuer und Schwert zu bekehren wußte. Weckt also die Natur da, wo sonst der oberste Rich- ter und Erbe der Gegend wohnte, wieder einmal beson- dere Eigenschaften in einem Menschen auf, so kann an den Jahrtausendalten Erinnerungen und zwischen den Grenzen und Gräben, die doch noch erkennbar sind, eine Gestalt erwachsen, wie unser Hofschulze, eine Gestalt, deren Geltung zwar von den Mächten der Gegen- wart nicht anerkannt wird, welche aber für sich selbst und bei ihres Gleichen einen längstverschwundenen Zustand auf einige Zeit wiederherstellt. Doch das klingt für diese Arabeskengeschichte zu ernsthaft. Sehen wir uns lieber im Oberhofe selbst um! Wenn das Lob der Freunde immer ein sehr zweideutiges bleibt, so darf man dagegen dem Neide der Feinde vertrauen, und am glaubwürdigsten ist ein Pferdehändler, der die guten Umstände eines Bauern herausstreicht, mit welchem er nicht des Handels einig werden konnte. Zwar ließ sich von dem Hofe nicht, wie der Roßkamm Marx sagte, behaupten, es sei darin, als ob man sich bei einem Grafen befinde, dagegen nahm man, wohin man blickte, bäurischen Wohlstand und einen Segen wahr, welcher dem hungrigsten Menschen zurufen mußte: Hier kannst du dich mit satt essen, die Schüssel ist immerdar voll. Der Hof lag ganz allein an der Grenze der fruchtbaren Börde, da wo sie in das Hügel- und Waldland übergeht. Die letzten Felder des Hof- schulzen stiegen schon sacht die Anhöhen hinauf, und eine Meile von dort war Gebirg. Der nächste Nachbar der Bauerschaft wohnte eine Viertelstunde vom Hofe. Um diesen breitete sich alles Besitz- thum, welches eine große ländliche Wirthschaft nöthig hat, aus; Feld, Wald, Wiese, unzerstückelt, in geschlossenem Zusammenhange. Von der Anhöhe herab liefen die Felder durch die Ebene, bestens bestellt. Es war aber um die Zeit der Roggenblüthe; der Rauch ging von den Aehren und wallte in den warmen Sommerlüften, ein Opfer der Scholle. Einzelne Reihen hoch- stämmiger Eschen oder knorrichter Rüstern, zu bei- den Seiten der alten Grenzgräben gepflanzt, faßten einen Theil der Kornfelder ein und bezeichneten, von Weitem her kenntlich, die Marken des Erbes, bestimmter als Steine und Pfähle vermögen. Ein tiefer Weg zwischen aufgeworfenen Erdwällen führte quer durch die Felder, mündete rechts und links an verschiedenen Orten in Seitenpfade aus und führte, wo das Getraide aufhörte, in ein kräftig bestandenes Eichenwäldchen, unter welchem sich erd- gelagerte Säue gütlich thaten, dessen Schatten aber auch für den Menschen erquicklich waren. Dieser Kamp, welcher dem Schulzen sein Holz lieferte, drang bis wenige Schritte vom Gehöfte vor, um- faßte es von beiden Seiten und gab so zugleich gegen die Ost- und Nordwinde Schutz. Nur mit Stroh war das Wohnhaus, welches sich in seinen weiß und gelb angestrichenen Wänden von Fachwerk zweistöckig erhob, gedeckt, aber da diese Bedeckung immer sehr wohl in Stand erhal- ten ward, so hatte sie nichts Dürftiges, verstärkte im Gegentheil den behaglichen Eindruck, den das Gehöft machte. Das Innere lernen wir schon bei Gelegenheit kennen; jetzt sei nur gesagt, daß auf der andern Seite des Hauses um einen geräu- migen Hof Ställe und Scheunen liefen, an denen auch das schärfste Auge keine schadhafte Stelle an Mauer und Bewurf erspähen konnte. Große Linden standen vor der Hofthüre, und dort, nicht nach der Waldseite zu waren auch, wie wir schon erfahren haben, die Ruhesitze angebracht. Denn der Hofschulze wollte, selbst wenn er rastete, seine Wirthschaft im Auge behalten. Gerade dem Wohnhause gegenüber sah man durch ein Gitterthor in den Baumgarten. Dort breite- ten starke und gesunde Obststämme ihre belaubten Zweige über frischem Graswuchs, Gemüse- und Sal- latstücken aus; hier und da ernährte ein schmales Beet dazwischen rothe Rosen und gelbe Feuerlilien. Doch waren solcher Beete nur wenige. In einer äch- ten Bauerwirthschaft bleibt der Boden dem Bedürf- nisse gewidmet, selbst wenn dem Eigenthümer seine Umstände Luxus mit der Natur verstatten. Deßhalb haben wir in solchen Höfen eine Empfin- dung froher Ruhe aller Sinne, wie sie Prachtgär- ten, Parks und Villen nicht zu erregen vermögen. Denn das aesthetische Landschaftsgefühl ist schon ein Product der Ueberfeinerung, weßhalb es denn auch nie in eigentlich robusten Zeiten auftritt. Diese halten vielmehr die Stimmung zur Mutter Erde, als zu der Allernährerin fest, wollen und verlangen nichts von ihr, als die Gabe des Feldes, der Viehweide, des Fischteiches, des Wildforstes. So weit das Auge über den Baumgarten hin- ausblickte, sah es auch nur Grün. Denn jenseits des Gartens lagen die großen Wiesen des Ober- hofes, auf welchen der Schulze Raum und Futter für seine Pferde besaß. Ihre Zucht, mit Fleiß betrieben, gehörte zu den einträglichsten Nahrungs- quellen des Erbes. Auch diese grünen Grasflächen waren von Hecken und Gräben umschlossen; eine derselben faßte einen Weiher ein, in welchem aus- gefütterte Karpfen zugweise umherschwammen. Auf diesem reichen Hofe zwischen vollen Scheuern, vollen Böden und Ställen handthierte der alte, weit und breit angesehene Hofschulze. Bestieg man aber den höchsten Hügel, zu dem sich seine Felder hinauf erstreckten, so erblickte man von dort die Thürme dreier der ältesten Städte Westphalens. Es ging zu der Zeit, von welcher ich rede, auf Eilf Uhr Vormittags, und der ganze weit- läufige Hof war so still, daß sich fast nur das Rauschen der Lüfte in den Baumwipfeln des Kamps vernehmen ließ. Der Schulze maaß dem Knechte Hafer zu, womit dieser, den Sack über der Schul- ter, langsamen Schrittes nach dem Pferdestalle ging, die Tochter zählte in der Linnen- und Garnkam- mer ihre Ausstattung nach, eine Magd besorgte die Küche. Was sonst von Menschen im Hofe lebte, lag und schlief, denn es ging gegen die Ernte, in welcher Zeit es bei den Bauern am wenigsten zu thun giebt, und die Arbeiter jede Minute zu benut- zen pflegen, um gewissermaßen auf Rechnung der herannahenden schweiß- und mühevollen Tage in voraus zu schlafen. Ueberhaupt können die Land- leute, wie die Hunde, zu allen Stunden bei Tage und bei Nacht schlafen, wann sie wollen. Viertes Capitel . Worin der Jäger einem Menschen, Na- mens Schrimbs oder Peppel seinen Be- gleiter nachsendet, und selbst auf den Oberhof kommt . Aus den Hügeln, welche die Felder des Hof- schulzen begrenzten, traten zwei Männer von ver- schiedenem Ansehen und Alter. Der Eine, im grünen Jagdcollet, die kleine Mütze über das locki- ge Haupt geworfen, die leichte Lütticher Flinte im Arme, war ein blühendschöner Jüngling, der Andere, in stillere Farben gekleidet, ein ältlicher Mann von treuherziger Miene. Der Jüngere schritt rasch wie ein Edelhirsch dem Aelteren voran, der seines Orts mehr den langsamen Gang eines ausgedienten, aber dem Herrn noch stäts anhänglich nachschleichenden Jagdhundes hatte. Als sie auf einen freien Platz vor den Hügeln getreten waren, setzten sie sich auf einen großen Stein, der dort nebst mehreren Andern lag, im Schatten einer mächtigen Linde. Der Jüngere gab dem Alten Geld und Schriften, deutete ihm die Richtung an, in welcher er nun seinen Weg fortsetzen müsse, und sagte zu ihm: Jetzt Jochem, geh und sei gescheidt, daß wir des vermaledeiten Schrimbs oder Peppel habhaft werden, der solche abscheuliche Lügen ausgedacht hat. Und sobald du ihn entdeckt hast, gieb mir Nachricht. Ich werd’ g’scheidt seyn, erwiederte der alte Jochem. Ich frage immer so sacht und unter der Hand in den Flecken und Städten nach Einem, der sich Schrimbs oder Peppel schreibt, und es müßte mit dem Henker zugehen, wenn ich den Gauch nicht ausfindig machen wollte. Sie halten sich der- weile incognito-verborgen, bis Sie von mir ein Weiteres vernehmen. Wohl, sagte der junge Mann, und nur immer äußerst vorsichtig und bedachtsam gehandelt, Jochem, denn wir sind nicht mehr im lieben Schwabenland, sondern dahaußen unter Sachsen und Franken. Die wüsten Kerl’! versetzte der alte Jochem. Sie haben halt lang von Schwabenstreichen gesprochen, sie sollen verspüren, daß der Schwab auch ein fei- ner Vogel seyn kann, wann’s Noth thut. Immer rechts dich gehalten, mein Jochem, denn dahin weisen die letzten Spuren von dem Schrimbs oder Peppel, sagte der junge Mann, indem er auf- stand, und dem Alten zum Abschiede herzlich die Hand schüttelte. Immer rechts, versteht sich, erwiederte Dieser, gab dem Andern die vollgestopfte Waidtasche, die er bis jetzt getragen hatte, lupfte den Hut, und ging dann zwischen den Kornfeldern einen Seitenpfad rechts nach der Gegend zu hinab, wo man in der Ferne eine der im vorigen Capitel angedeuteten Thurmspitzen ragen sah. Der junge Mann mit der Jagdflinte ging dage- gen gerade gegen den Oberhof hinunter. Er mochte etwa hundert Schritte weit gegangen seyn, als er etwas keuchend hinter sich herkommen hörte und sich umdrehend sah, daß sein alter Begleiter ihm folgte. Ich wollte Sie noch um Eins gebeten und ersucht haben, rief Dieser, thun Sie, da Sie nun allein und sich selbst überlassen sind, das Schieß- gewehr von sich, denn Sie treffen doch nichts und richten, weiß Gott, noch einmal ein Unglück an, wie neulich schon beinahe geschehen wäre, da Sie nach dem Hasen zielten und beinahe das Kind niedergeschossen hätten. Ja, es ist verwünscht, immer zu zielen und nimmer zu treffen! rief der junge Mann. Ich will mich auch wahrhaftig überwinden, so schwer es mir fallen wird, denn du weißt ja, daß es mir von meiner seligen Mutter her anklebt, allein ich will mich, wie gesagt, überwinden, und es soll kein Schrotkorn aus diesen Läufen fliegen, so lange ich von dir entfernt bin. Der Alte bat ihn um das Gewehr. Dem aber weigerte sich der junge Mann, indem er sagte, daß es ohne Gewehr ja gar keine Ueberwindung koste, das Schießen zu lassen, und seine Handlungsweise dann alles Verdienst einbüße. Das ist auch wahr, erwiederte der Alte und ging nun getrost, ohne einen zweiten Abschied zu nehmen, da der Erste noch vorhielt, seine ihm angewiesene Straße zurück. Der junge Mann blieb stehen, setzte das Gewehr auf den Boden, stieß den Ladestock in den Lauf und sagte: Es wird hart halten, den Schuß her- auszubringen, und er darf doch nicht darin bleiben. Dann warf er es wieder über die Schulter und schritt auf den Eichenkamp des Hofschulzen zu. Dicht vor demselben von einem schmalen Raine ging eine Kette Feldhühner mit schmetterndem Flü- gelschlage und Geschrei auf. Jauchzend riß der junge Mann das Gewehr von der Schulter, rief: Da werde ich ja gleich der Schüsse quitt! schlug an, es knallte zweimal aus dem Doppelgewehre, die Vogel flogen unversehrt davon, der Jäger sah betroffen ihnen nach, sagte: Dießmal, meinte ich, müßte ich was getroffen haben, nun will ich mich aber auch gewiß überwinden; und setzte seinen Weg durch das Eichenwäldchen nach dem Hofe fort. Als er zur Thüre eintrat, sah er in einem geräumigen, hohen Flure, welcher den ganzen mitt- leren Theil des Hauses einnahm, den Hofschulzen mit Tochter, Knechten und Mägden bei dem Mit- tagsessen sitzen. Er bot mit seiner sonoren, wohl- klingenden Stimme freundlichen Gruß; der Hof- schulze sah ihn achtsam, die Tochter verwundert an, was die Knechte und Mägde betrifft, so sahen ihn diese gar nicht an, sondern aßen, ohne seiner zu achten, weiter. Der Jäger trat zu dem Hofwirthe und erkundigte sich nach der Entfernung der näch- sten Stadt und dem Wege dahin. Anfangs ver- stand der Schulze diese ihm fremdklingende Sprache nicht, die Tochter aber, welche kein Auge von dem schönen Jäger verwandte, half ihm den Sinn ent- decken, und er gab darauf richtigen Bescheid. Diesen verstand wieder der Jäger seinerseits erst nach dreimaligem Fragen, brachte aber endlich doch her- aus, daß die Stadt auf dem schwer zu findenden Fußwege unter zwei starken Stunden nicht zu erreichen sei. Die Mittagshitze, der Anblick des vor ihm stehenden reinlichen Mahls und sein eigner Hunger riefen in dem Jäger die Frage auf: Ob er nicht hier für Geld und gute Worte Essen und Trinken und bis zur Abendkühle Obdach erhalten könne? — Für Geld nicht, versetzte der Hofschulze, für ein gutes Wort aber Mittagsessen und Abendbrod dazu und Rast, so lange es dem Herrn beliebt; ließ einen spiegelblanken zinnernen Teller, Messer, Gabel und Löffel, eben so blank wie der Teller, aufsetzen und nöthigte den Gast zum Sitzen. Dieser sprach dem kräftigen gekochten Schinken, den großen Boh- nen, den Eiern und Würsten, woraus die Mahlzeit bestand, mit allem Appetite der Jugend zu, und fand, daß die weit und breit als böotisch ver- schrieene Landeskost gar so übel nicht sei. Geredet wurde von den Wirthen wenig, denn der Bauer spricht während des Essens nicht gern, doch erfuhr der Jäger von dem Hofschulzen auf Befragen, daß hier herum in der ganzen Gegend kein Mensch, Namens Schrimbs oder Peppel, bekannt geworden sei. Die Knechte und Mägde, welche gesondert von den Herrenplätzen am andern Ende der langen Tafel saßen, waren ganz stumm und blickten nur auf die Schüssel, aus welcher sie mit ihren Löffeln die Speise zum Munde führten. Nachdem sie aber abgegessen und sich die Mäu- ler gewischt hatten, trat Eines nach dem Andern vor den Herrn und sagte: Baas, Ausdruck für Brodherr . meinen Spruch. — Der Hofschulze theilte hierauf Jedem eine sprichwörtliche Redensart oder eine Bibelstelle mit. So sagte er zum ersten Knechte, einem roth- haarigen Kerl: Jach seyn zum Hader, zündet Feuer an, und jach seyn zu zanken, vergießt Blut; zum Zweiten, einem dicken, langsamen Menschen: Gehe hin zur Ameise, du Fauler, sieh ihre Weise an und lerne; zum Dritten, einem kleinen schwarz- äugichten verwogen blickenden Gesellen: Besser ein Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 20 Sperling in der Hand, als ein Reiher auf dem Dache. — Die erste Magd empfing den Spruch: Hast du Vieh, so warte sein, und trägt dir’s Nutzen, so behalte es; und zur Zweiten sagte er: Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen. Nachdem Jeder auf solche Weise bedacht worden war, gingen Alle zu ihren Arbeiten, der Eine gleich- gültig, der Andere betroffen aussehend. Die zweite Magd war von ihrem Spruche blutroth geworden. Der Jäger, welcher allgemach den ortsüblichen Dialect verstehen lernte, hatte diesem Unterrichte mit Erstaunen zugehört und fragte nach dessen Beendigung, was er bezwecke? Daß sie darüber nachdenken, sagte der Hof- schulze. Wenn sie heute Abend hier wieder zusam- menkommen, so sagen sie mir, was sie sich bei den Sprüchen gedacht haben. Die meiste Arbeit auf dem Lande ist der Art, daß die Leute nebenbei noch allerhand Gedanken haben können, und da fallen ihnen denn alle die schlechten Sachen ein, die hernachmals in Liederlichkeit, Lug und Trug aus- brechen. Bei’m Pferdefüttern denken sie, wie sie Hafer auf die Seite bringen können, und wenn die Magd die Kuh melkt, so steht ihr immer der Liebste vor Augen. Kriegt aber der Mensch so einen Spruch auf zu rathen, so ruht er nicht ehen- der, als bis er die Moral davon heraus hat, und derweile ist die Zeit vergangen, ohne daß ihm etwas Uebles in den Sinn kam. Ihr seid ja ein wahrer Weltweiser und Priester! rief der Jäger, dessen Verwunderung hier mit jedem Augenblicke zunahm. Es läßt sich viel mit dem Menschen ausrichten, wenn man ihm die Moral beibringt, sagte der Hofschulze bedächtig. Die Moral steckt aber in kurzen Sprüchen besser, als in langen Reden und Predigten. Meine Leute halten sich viel länger, seitdem ich auf die Moral verfallen bin. Freilich das ganze Jahr hindurch geht es mit den Sprüchen nicht; während der Bestellzeit und in der Ernte hört alles Nachdenken auf. Dann thut es aber auch nicht Noth, denn sie haben zu Schlechtigkeiten keine Zeit. Ihr macht also förmliche Abschnitte in Eurem Unterrichte? fragte der Jäger. Bei Winterszeit gehen die Sprüche gemeiniglich nach dem Dreschen an und dauern bis zum Säen, 20* versetzte der Hofschulze. Im Sommer aber wer- den sie von Walpurgis bis gegen die Hundstage zugetheilt. Das sind die Zeiten, wo es bei dem Bauer am wenigsten zu verrichten giebt. Der Jäger erkundigte sich, was für eine Be- wandniß es mit dem Rothwerden des einen Mäd- chens gehabt habe, und erhielt darauf folgende Antwort: Die hat etwas auf dem Gewissen, und in solchen Fällen ist es meine Manier, einen Spruch anzubringen, woraus das räudige Schaf sieht, daß ich um den Fehler weiß. Wir wollen abwarten, ob er bis heute Abend gewirkt haben wird. Er ließ den jungen Mann allein, und dieser sah sich in Haus, Hof, Baumgarten und Wiesen um. Mehrere Stunden brachte er in dieser Be- schauung zu, da jedes Einzelne ihn anzog. Die ländliche Stille, das Wiesengrün, die Wohlhaben- heit, die aus dem ganzen Hofe ihm entgegenstrotzte, machte den angenehmsten Eindruck auf ihn und regte in ihm den Wunsch an, lieber in so weiter Naturfreiheit, als in den engen Gassen einer klei- nen Stadt die acht oder vierzehn Tage zuzubringen, welche bis zum Empfange der Nachrichten vom alten Jochem verstreichen konnten. Da er sein Herz auf der Zunge trug, so ging er auf der Stelle zu dem Hofschulzen, der im Eichenkampe ein Paar Bäume zum Fällen anschlug, und sprach sein Begehr aus. Er erbot sich dagegen zu Allem, worin er seinem Wirthe nützlich werden könne. Die Schönheit ist eine gar gute Mitgift. Sie ist ein Schlüssel, der wie jener kleine goldne, sie- ben Schlösser, von denen keins dem Andern ähnlich sah, zauberisch öffnet. Ein Paß ist sie, auf den der Träger, ohne daß in den Nachtquartieren Visa’s genommen zu werden brauchen, frei durch alle Welt geht; in Romanen und Novellen spannt sich die Schönheit über alle Klüfte und Abgründe der Unwahrscheinlichkeit hinweg, wie die siebenfarbige Brücke der Iris. Wäre der Jäger nicht so schön gewesen, was für weitläuftige Motive hätte ich ersinnen und erspinnen müssen, um den Hofschulzen zur Gewäh- rung des Quartiers an ihn willig zu machen! So jedoch brauche ich nur zu sagen, daß der Alte die schlanke und doch kräftige Gestalt, das ehrliche und dabei vornehmprächtige Antlitz des Jünglings eine Zeit lang betrachtete, erst zwar nachhaltig den Kopf schüttelte, dann aber freundlich werdend nickte und zuletzt ihm seine Bitte erfüllte. Er wies dem Jäger ein Eckstübchen im obern Stocke des Hauses an, von wo man nach der einen Seite über den Eichenkamp nach den Hügeln und Bergen, nach der Andern über weite Wiesenflächen und Kornfel- der sah. Freilich mußte der Gast anstatt des Miethzin- ses die Erfüllung einer sonderbaren Bedingung versprechen. Denn der Hofschulze ließ auch der Schönheit nicht gern etwas ganz unentgeltlich zufließen. Fuͤnftes Capitel . Der Jäger verdingt sich zum Wildschützen, und des Abends erzählen Knechte und Mägde die Ergebnisse ihres Nachdenkens über die moralischen Sprüche . Er fragte nämlich den jungen Mann, ehe und bevor er ihm Quartier zusagte, ob er, wie sein grüner Anzug, das Gewehr und die Waidtasche zu lehren scheine, ein Liebhaber von der Jagd sei? Jener erwiederte darauf, daß, so lange er denken könne, er mit Leidenschaft, ja mit einer wahren Raserei gepirscht habe, wobei er denn freilich ver- schwieg, daß durch sein Pulver und Blei außer einem Sperlinge, einer Krähe und einer Katze noch kein Gottesgeschöpf vom Leben zum Tode gebracht worden war. Wirklich verhielt es sich so. Er konnte nicht leben, ohne nicht des Tages einige- male geknallt zu haben, schoß aber regelmäßig vor- bei und hatte nur in seinem achtzehnten Jahre einen Sperling, in seinem Zwanzigsten eine Krähe, in seinem Vierundzwanzigsten eine Katze erlegt; das war Alles. Ein sonderbares Ereigniß vor seiner Geburt mochte ihm die bei so wenigen Erfolgen sonst unbegreifliche Neigung, wie ein Maal, aufge- drückt haben. Wenigstens hielt er selbst dafür, daß aus dieser Signatur der Hang abzuleiten sei, über den er in besonnenen Stunden höchst ver- drießlich werden konnte. Nachdem der Hofschulze die bejahende Antwort des Gastes empfangen hatte, rückte er mit seinem Antrage hervor, welcher dahin ging, daß der Jäger täglich ein Paar Stunden gegen das Wild im Felde lie- gen solle, welches seinen Kornbreiten, besonders den die Hügel hinansteigenden manchen Schaden zufüge. Dort in den Bergen, sagte der alte Bauer, sind die großen Jagden der Edelleute; die Creaturen haben mir schon in den vergangenen Jahren Saat genug abgeatzt und daniedergewälzt, aber in diesem ist es erst recht schlimm geworden, denn der junge Graf drüben ist auch ein scharfer Jäger und hat seinen Wildstand vermehrt, so daß die Hirsche und Rehe wie die Schafe aus dem Walde treten und mein’ Mühe und Schweiß verruiniren. Ich ver- stehe mich nicht auf die Sache und den Knechten mag ich es nicht gerne erlauben, weil sie unter dem Vorwande, sich auf den Anstand zu stellen, mir leicht unordentlich werden können, darum haben die Bestien mitunter gewirthschaftet, daß sich Einem das Herz im Leibe umwenden mußte. Nun kommen Sie mir gerade zu Paß, und wenn Sie mir diese vierzehn Tage bis zur Ernte die Höllenteufel aus dem Korne halten, so sollen Sie damit Ihr Quartier bezahlt haben. Was? Ich ein Wildschütz? Ich ein Wilddieb? rief der junge Mann und lachte so herzlich und schallend auf, daß er den Hofschulzen ansteckte. Noch lachend strich dieser über das feine Tuch, aus welchem die Kleidung seines Gastes gemacht war, und sagte: Eben darum, weil es bei Ihnen wohl keine sonderliche Gefahr haben wird, wenn Sie auch attrapirt werden. Sie werden sich schon eher loszumachen wissen, als so ein armer Knecht. Die Fliegen fangen sich in den Spinnweben, die Wes- pen schlüpfen durch. Doch was ist das überhaupt ein Verbrechen, sein Eigenthum gegen die Unge- thüme, die es fressen und zu Grunde richten, zu verdefendiren! rief er, indem plötzlich der lachende Ausdruck seines Gesichts in den des loderndsten Zornes überging. Die Stirnadern schwollen ihm an, das Blut trat dunkelroth in seine Wangen, die Augäpfel verloren ihr Weißes und wurden röth- lich; man hätte vor dem Alten erschrecken können. Ihr habt Recht, Vater, es giebt nichts Unvernünf- tigeres, als die sogenannten Jagdgerechtsame, sagte der Jäger, um ihn zu beruhigen. Deßhalb will ich die Sünde über mich nehmen, zum Frommen Eures Gutes am Wildbann der hiesigen Edelleute zu freveln, obgleich ich eigentlich dadurch — — Er wollte etwas hinzusetzen, brach aber schnell ab und ging auf andere gleichgültige Gegenstände über. Wer aber glaubt, daß die Unterhaltung dieses westphälischen Hofschulzen und schwäbischen Jägers so flüssig von Statten gegangen sei, wie meine Autorfeder sie niedergeschrieben hat, der irrt sich. Vielmehr waren noch oft mehrmalige Wiederho- lungen nöthig, ehe und bevor ein nothdürftiges Verständniß zwischen ihnen eintrat. Hin und wie- der mußte selbst die Finger- und Zeichensprache zu Hülfe genommen werden. Denn der Hofschulze hatte in seinem Leben nichts von einem: ch hinter dem: s gehört, auch brachte er alle Töne hinten aus der Gurgel, oder wenn man will, aus dem Rachen hervor. Dagegen war dem Jäger das gött- liche Geschenk, welches uns von den Thieren unter- scheidet, ganz zwischen die Lippen und Vorderzähne gelegt worden, von wo denn die Laute mit wun- dersamer schwerträchtiger Fülle und sausendem Zi- schen ausbrachen. Aber durch diese fremden Schaa- len hindurch hatten der alte und der junge Mann bald an einander Behagen gefunden. Da sie Beide vom ächtesten Schrot und gewichtigsten Korn waren, so mußten sie wohl Einer des Andern Kern erkennen. Auf seiner Eckstube hatte jedoch der Jäger auch Schaalen entdeckt, die ihn nach ihrem Kerne verlangen machten. Er sah nämlich, als er seine leichten Habseligkeiten und schweren Goldrollen aus der Jagdtasche nahm, um sich häuslich einzurichten, in der Ecke des Zimmers ein Nachthäubchen, ein Tüchlein und ein Röckchen sauber über die Lehne eines Stuhles gehängt. Alle diese Stücke waren, wie der Augenschein lehrte, getragen, dennoch leuch- teten sie von Schneeweiße. Ei! rief der Jäger, hat hier vor mir ein hübsches Maidel gehaust? Da werde ich schon Glück haben. Er wollte in einer Laune, die ihn plötzlich anstieß, sich das Nacht- häubchen aufsetzen, es war aber viel zu klein für sein Haupt. Er maaß an der Zerknitterung der Bänder das Oval des Gesichtes ab und fand dieses ohne Tadel. Das Röckchen deutete auf den zier- lichsten Leib und das Tüchlein ließ nach den Fal- ten und nach der Beugung, die es behalten, ver- muthen, daß unter ihm ein junger, runder Busen geschlagen habe. Plötzlich aber erröthete er unter diesen Spielereien bis hoch hinauf zu den Schläfen, er schämte sich ihrer, die ihn freventlich bedünken wollten, er stellte den Stuhl mit den Kleidungs- stücken hinter einen Schirm, um sie nicht ferner zu sehen, und setzte sich zum Schreiben nieder, die schweifenden Gedanken in Ordnung zu bringen. Als er Abends in den Flur hinunter zum Essen gerufen wurde, fand er die Knechte und Mägde, die ihr Abendbrod schon früher genossen hatten, im vollen Erzählen um den Hofschulzen. Dieser hatte auch bereits seinen Sallat verzehrt, hörte zu, und bestätigte oder bestritt, was seine Moralschüler vorbrachten. Der rothhaarige Knecht, welcher die Warnung vor dem Zanken erhalten hatte, sagte: Das ist ein rechtes Glück, Baas, daß Ihr mir gerade heute die Lehre gegeben habt, denn ich begegnete, wie ich die Pferde in die Nacht- weide trieb, dem Pitter vom Bandkotten, auf den ich schon längst fuchsfalsch bin, und da habe ich ihm die Nase braun und blau geschlagen. Dieses ging ja aber schnurstraks gegen die Ver- mahnung! rief der Hofschulze. Behüte Gott, versetzte der Rothhaarige. Als zum Beispiel, so führte ich einen Zaunpfahl bei mir, um damit die Pferde einzutreiben, und wie ich nun den Pitter ansichtig wurde und ihn niedergeschmissen hatte, so dachte ich, du willst dem Hund mit dem Pfahl Eins versetzen, daß er auf Lebenszeit genug hat, weil er nämlich an allen Mädchen herumca- ressirt, so daß man gar nicht mehr ankommen kann. Aber da dachte ich auch, daß ich so viel darüber nachgedacht hatte: „Jach seyn zum Hader, zündet Feuer an, und jach seyn zum Zanken, vergießt Blut,“ und gab ihm bloß einen Puff auf die Nase und damit gut, und dann noch einen Tritt in’s Kreuz und ließ ihn laufen. Nun insofern mag es gut seyn, aber künftig kannst du auch das Puffen und Treten unterlassen, wenn du über den Spruch nachgedacht hast, erwie- derte der Hofschulze. Der kleine Schwarzäugige, Verwegne sagte: Meiner Treu, es ist und bleibt wahr, daß ein Sperling in der Hand besser ist, als ein Reiher auf dem Dache. Darum habe ich die Gedanken auf die Gertrud drüben eingestellt, weil sie gar zu hoffähr- tig ist, und auf Michael einen Verspruch mit dem Wicht Provincialismus für: Mädchen . von Hölscher’s gethan, die ich kriegen konnte. Magst du sie denn leiden? fragte der Hofschulze. Ne, erwiederte der Kleine, es wird aber doch schon gehen. Der dicke Langsame, welcher zur Ameise geschickt worden war, ihre Weise anzusehen, erklärte, dabei nichts gelernt zu haben, denn, sagte er, ich bin auf keine Ameise gestoßen. Dagegen sagte die erste Magd: Euer Spruch, Baas, trifft nicht zu. „Hast du Vieh, so warte sein, und trägt dir’s Nutzen, so behalte es.“ Denn ich habe die Kühe zu Abend gehörig gemelkt und abgewartet, und Nutzen würden sie mir auch tragen, aber behalten darf ich sie darum doch nicht. Der Spruch geht auf eine eigene Wirthschaft, und wenn du eine bekommst, so wird er eintreffen, antwortete der Hofschulze. Ja so, sagte das Mäd- chen. — Aber Ihr habt eine eigene Wirthschaft, Baas, und das Vieh trägt Euch Nutzen und Ihr behaltet es, und doch wartet Ihr nicht sein. Es ist ein Spruch für Frauenzimmer, nicht für Mannsleute, antwortete der Hofschulze etwas barsch. Und nun laß dein Fragen und schließ die Milchkammer zu. Das Mädchen, welches am Mittage von dem Spruche: „Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen,“ roth geworden war, hatte bisher seitwärts und in sich gekehrt gesessen, an ihrer Schürze gezupft und scheu vor sich nieder geblickt. Als nun die übrigen Knechte und Mägde gegan- gen waren, schlich sie sich zu ihrem Herrn, zupfte ihn verstohlen am Rock und ging mit ihm vor die Thüre in’s Freie. Nach einiger Zeit kam der Hofschulze allein zurück und sagte zu seiner Tochter: Es ist richtig, die Gitta Abgekürzt für: Brigitta . hat mir’s eben gestan- den, sie hat sich mit dem Matthies vergangen. Sprich du weiter mit ihr und sag ihr, wenn sie sich sonst ordentlich halte, wolle ich sorgen, daß der Matthies an ihr seine Schuldigkeit thue. Ich habe mir’s gleich gedacht, antwortete die Tochter, ohne über die Entdeckung und den ihr ertheilten Auftrag verlegen zu werden. Nach ihrer Entfernung sprach der Jäger seine Verwunderung über die Gewalt aus, welche er seinen Wirth in diesem Falle hatte üben sehen. Das ist ganz leicht, versetzte der Hofschulze. Ein Jeder weiß, daß er nicht bei mir in Dienst bleibt, wenn ich auf ihn einen Argwohn habe, und er nicht bekennt und zu Kreuz kriecht. Thut er das aber, so vergebe ich ihm oder nehme mich seiner an. Da es mir meine Umstände zulassen, bei allem Lohn einen Thaler mehr zu geben, als meine Nachbaren, so mag Keiner vom Oberhof herunter. Kriege ich nun von etwas Wind, so ziele ich darauf mit einem Spruche hin, und gemeiniglich wird dann gebeichtet, weil nämlich der Sünder weiß, daß außerdem ihm der Dienst aufgesagt ist. Sie wünschten einander gute Nacht, und der Jäger ging auf sein Zimmer. Er entkleidete sich, schlug die Decke des Bettes zurück und sah an kleinen Fältchen der übrigens blendend weißen Leintücher, daß die Leute nicht für nöthig gefunden hatten, dieselben nach dem letzten Besuche, welcher auf dieser Stube geherbergt, zu wechseln. Eine wunderbare Empfindung durchrieselte ihn; er hatte das Mädchen, welches hier geruht, schon ganz ver- gessen gehabt, nun fiel ihm das Nachthäubchen wie- der ein, er nahm es vom Stuhl, maaß abermals an der Zerknitterung das Oval des Gesichtes ab, drückte es an seine Wange, wie um sie zu kühlen, und brach plötzlich in heftige Thränen aus. Denn in dieser jungen, saftschwangern Natur lagen noch alle Widersprüche des Ernsten und Närrischen, welche das Leben später bis zur Gleichgültigkeit abdämpft, chaotisch neben einander. Seine Unruhe, als er sich zwischen den Decken ausgestreckt hatte, wurde vermehrt, als er sich auf einmal erinnerte, daß er bei dem Abschiede von dem alten Jochem diesem ja gar nicht gesagt habe, wo er während dessen Spürfahrt verweilen wolle. Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 21 Sechstes Capitel . Der Jäger schreibt an seinen Freund Ernst im Schwarzwalde . „Mentor, mein Mentor, dem leider der ver- ständige Jüngling Telemachos fehlt, was wirst du sagen, wenn du meine Hand und die Ueberschrift des Briefs zu schauen bekommst? Du, unter deinen Tannen und Uhrmachern, wirst mich nach Reisen und Fahrten aller Art endlich weich und still auf meiner Alm im Schlosse meiner in Gott ruhenden Väter wissen und ausrufen, nachdem du Gegen- wärtiges gelesen: Unser Wissen ist eitel Stückwerk! Du wirst dir einbilden und wohlgefällig (du Treuer!) dir sagen, wenn du Abends in der Schreibtafel die Agenda durchstreichst, weil sie Nummer für Nummer Acta geworden sind: Endlich wird er nun sich zur Decke gestreckt haben, des Feldbau’s warten, oder eine nützliche Anlage, etwa eine Papier- mühle, machen, und das heiße Blut höchstens an den Sauen und Hirschen seines Wildbanns aus- lassen, und ist von allem dem nicht ein Tüttelchen wahr, obgleich ich auch hier, Gott sei es geklagt, auf die Jagd gehe, aber im Dienste eines Westphä- lischen Bauern als Wilddieb gegen meine Herrn Standesgenossen. Ich bitte dich, verliere die Geduld nicht; denn wenn seltsame Dinge von der Seele her- untergebeichtet werden sollen, so darf der Sün- der schon etwas stocken und zaudern, und der Beichtvater muß es sich gefallen lassen, das Tüchel lange vor dem Antlitz zu halten. In der Ohren- beicht aber fühle ich mich trotz meines guten Tübin- ger Protestantismus immer dir gegenüber, wenn ich etwas habe auslaufen lassen, was nicht inner- halb der Schnur war. Die Sünde kann ich nicht verschwören, aber, ist sie begangen, so verspüre ich wie ein Glaubiger der allgemeinen Kirche ein wahres Reinigungsbedürfniß in der Seele, und mein moralischer Reiniger bist du . Du hast mich in hundert Nöthen der Art schon losgesprochen — — ach nein! das hast du nicht, du hast immer bitter gezankt und gescholten, aber es ist nun ein- mal mein Schicksal; ich kann die Last nicht bei 21* mir verschließen, ich lege sie an die Schwelle des Tempels der Athene, heißt des wohlbekannten Ober- amtmannshauses unfern der Hölle (bei Donaue- schingen) nieder, und habe dann neue Kraft und frischen Muth zu Gutem und Bösem. — Also: Iterum confiteor ohne auf’s absolvo zu rechnen. Confiteor … aber was? Seit vierzehn Tagen aus Schwaben, liege ich seit Acht hier in einem sogenannten Oberhofe unweit — — Ich mußte gestern abbrechen, denn nachdem ich geschrieben, wo ich sei, fehlte mir auf einmal die Brücke zu der Eröffnung, warum und weßwegen ich hergekommen? Ich muß also die Sache auf eine andere Weise einleiten. Trotz der bunten Schreibart, die vielleicht noch mit unterlaufen wird, bin ich ernst, klar und in mir gefaßt. Daher sollen dir Dinge entdeckt werden, die du wenigstens in dieser bestimmten Gestalt noch nicht von mir ver- nommen hast. Die Geschichtschreiber pflegen an die Spitze ihrer Werke zuweilen allgemeine Sätze zu stellen, in denen sich der innerste Sinn der Begebenheiten, welche sie schildern wollen, ausprägen soll. Einige solcher Betrachtungen werde ich jetzt meiner Ge- schichtserzählung voranschicken, weil sie dir dadurch vielleicht faßlicher wird. Nach der scharfsinnigen und fruchtbaren Hypo- these eines tiefblickenden Naturlehrers entspringen die Instincte der Thiere aus traumartigen Vorstel- lungen von den Dingen, welche der Instinct erstrebt. Der Zugvogel träumt von den fernen Gegenden, in welche er wandert, in traumartigen Umrissen sieht die sibirische Waldschnepfe die deut- schen Sumpfstrecken, die Schwalbe den Küsten- saum Africa’s. Traumartig schweben der Spinne die Umrisse und Radien ihres Netzes, der Biene die Sechsecke ihres Stockes vor. Es ist eine Hyothese, aber ich nannte sie sinnreich und frucht- bar, weil sie die Creatur gerade in dem, was ihre bedeutendste Thätigkeit ist, aus der Region des Maschinenmäßigen in ein Gottdurchleuchteteres Ge- biet hebt. Wir armen bewußten Menschen scheinen nun von dieser göttlichen Sicherheit des Angreifens und Fassens alles Stoffes entblößt zu seyn. Aber es ist nur schein- bar. Alles Genie und Talent ist nichts weiter als Instinct. Nenne mir den Künstler, den Dichter, der beides nicht aus sogenanntem dunklem Drange geworden wäre! Wir Andern haben freilich so bestimmte Fingerzeige nicht in uns, indessen sind fast jedem Menschen — vielleicht jedem — auch ganz feste Richtungen, unverrückbare Puncte eingeboren, welche außen oft als Launen, Grillen, Seltsamkeiten, Lieb- habereien erscheinen, dennoch aber vielleicht auf das allerfesteste Gesetz der Seele hindeuten. Es sind die- ses nicht die sogenannten Grundsätze, Maximen, Le- bensweisen, Gewöhnungen — das Alles kann angebil- det und angelernt werden — nein, was ich meine, ist etwas ganz Anderes, aber freilich schwer zu beschreiben. Diese Lichter des innern Menschen sind Halb- träume des Instincts. Von dem nüchternen Tages- scheine des Verstandes entscheucht, von der wühlenden Hand der Selbstbeschauung zerschlagen, wirken sie nicht so siegreich, wie bei dem Wandervogel und bei der Biene das unwiderstehliche Muß, glücklich ist aber derjenige, der die Stimme jener Träume hört und ihr folgt. Das Genie wird geboren, sagt man, und dar- über ist Jeder einverstanden Ich füge hinzu: Nicht Alle werden als Genies, aber dazu wird Jeder geboren, sich sein Schicksal zu machen. Selbst die willkührlichscheinenden Grillen sind zuweilen feste Wegweiser zum Glück. Erinnerst du dich noch des armen Tagelöhners in Ludwigsburg, wel- cher, sonst verständig und fleißig, sich steif und fest einbildete, im Park lägen Granaten, und der zu jeder Freistunde in den Alleen danach suchte, Kiesel und Quarz aufhob und betrachtete? Die Leute hielten ihn für verrückt, und eines Abends fand er in einem der dunkelsten Gänge, eifrigst auf Gra- naten erpicht, eine vollgespickte Brieftasche, die er ehrlich genug war, dem Verlierer einzuhändigen. Dieser belohnte ihn mit einem Geschenke, welches seine Umstände auf Lebenszeit verbesserte. Das Sonderbarste war, daß, sobald jener Fund gethan war, sein Suchetrieb in ihm versiegte. Ich habe nun auch in mir ganz bestimmte Instincte, denn ich will sie nur geradezu so bei mir nennen. Meine Jagdlust mag ich nicht anführen, denn es bleibt mit der abentheuerlichen Seite der Region, welche ich dir bezeichnete, allerdings immer etwas Mißliches, obgleich ich nicht berge, daß ich des Gedankens nicht Meister werden kann, mein beständiges Schießen und Fehlen müsse doch irgend einen, mir freilich nicht begreiflichen Zweck haben. Aber lassen wir diesen waidmännischen Instinct, der mir den Spitznamen; der wilde Jäger, bei Euch zugezogen hat, vor der Hand auf sich beruhen! Aber ein Zweites in mir ist etwas Ernsteres, und doch kein Vorsatz, keine Ueberzeugung, keine Leidenschaft — sondern ein wahrer Instinct. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl für die Frauen. So lange ich denken kann, wohnt es mir bei. Ich kann es dir eigentlich nicht schildern. Mich durch- säuselt die Ahnung einer unendlich milden Lösung aller Schmerzen, das Vorempfinden des überschwäng- lichsten Erfüllens und Ergänzens, sehe ich eine Frau. Und nicht bloß Jugend und Schönheit, Reiz und Anmuth bewegen meine Seele in einem Bade so erquickender Fluthen, sondern in der Un- scheinbarsten gewahre ich etwas Göttliches, wenn sie mir begegnet. Oft hat mich ein solches zufäl- liches und gleichgültiges Treffen von trüben leiden- schaftlichen Aufregungen wie mit einem Zauberschlage geheilt; oft habe ich mich auch scheu vor allen weiblichen Cirkeln zurückgehalten, weil in mir etwas vorgegangen war, was ich unter Frauen zu bringen für unerlaubt hielt. Seit einiger Zeit habe ich angefangen, meine Blicke auf die Verwickelungen der Welt und Zeit zu richten. Da muß ich dir nun gestehen, daß unter allen den Dingen, nach deren Rückkehr die Menschen seufzen, mir die Herstellung des wahren und beseligenden Verhält- nisses zwischen den beiden Geschlechtern als das sehnenswertheste erschienen ist. Aber freilich mag dieser Friede wohl der Lohn seyn, welcher andern, erst in den übrigen Puncten zum Frieden gelangten Zeiten aufbewahrt wird. Dich werden diese Bekenntnisse überraschen, denn du hast mich nicht gar zu selten rauh und tölpisch im Umgange mit Frauen gesehen, auch war ich noch nie verliebt. Vielleicht werd’ ich es auch nie. Das schlimmste Unrecht thätest du mir, wenn du glaubtest, daß aus mir noch gar ein Süß- ling werden könnte. Nein, dazu passen wir über- haupt bei uns zu Lande nicht. Nimm meine Worte, wie sie geschrieben sind — sie stammeln von einem Naturgeheimniß. Nun genug der Reflexion und jetzt eine schlichte Historie. Als ich eben nach den Gütern zurückge- kehrt war, lernte ich in der Nachbarschaft meine Verwandte, Baroneß Clelia kennen, die sich früher in Wien aufgehalten hatte. Ich benahm mich gegen sie, wie es einem schwäbischen Vetter geziemte, sie deßgleichen, wie meinem Mühmchen zukam. Keines von Beiden dachte an eine Verbindung, wohl aber mochte der Verwandtschaft eine solche gar paßlich vorgekommen seyn, denn aus freundlichen Blicken, geselligen Aufmerksamkeiten und zwei oder drei Händedrücken, wie sie ein unbefangenes Wohlwollen giebt und nimmt, war bald für uns ein Netz zusam- mengestrickt worden, aus welchem wir schlechterdings als Braut und Bräutigam hervorgucken sollten; und der alte Oheim fragte mich eines Tages ganz naiv, wann denn die öffentliche Erklärung vor sich gehen werde. Wir waren gewaltig betroffen, und wie zwei Leute sonst alles Mögliche anwenden, um einander habhaft zu werden, so ließen wir nichts unversucht, in der Meinung der Sippschaft von einander zu kommen, was in der freundlichsten Einigkeit von beiden Seiten geschah. Mühmchen Clelia hatte bei diesen Lockerungsbestrebungen ein noch größeres Interesse, als ich, denn es ließ sich bald vermerken, daß ihr Herz ihr nach Schwaben nur an einem Faden gefolgt war, den ein schöner Cavalier in den oester- reichischen Erblanden hielt. Bei den Anstrengungen, die wir solcherweise machten, fielen die lächerlichsten Scenen vor, ins- besondere von meiner Seite, der ich für diese spitz- findigen Combinationen der Verhältnisse gar nicht zugerichtet bin. Ich wollte alle Schuld, daß ein Schein von Neigung entstanden war, auf mich neh- men, verwickelte mich darüber in die unsinnigsten Erklä- rungen, bekannte mich endlich für schon anderweit im Auslande verlobt, widerrief diese Lüge im nächsten Augenblicke — kurz, ich stellte bei der ganzen Sache den Helden einer ziemlich lustigen Novelle dar. Indessen würde diese nur im Kreise der näch- sten Bekanntschaft angeklungen und verklungen seyn, wenn sich nicht ein fremder Störenfried herbeige- macht und sie zur Befriedigung seines schlechten Witzes gemißbraucht hätte. Es hielt sich nämlich damals seit einiger Zeit bei uns ein Mensch auf, Namens Schrimbs, oder Peppel, wie er anderer Orten geheißen hat. Der Himmel weiß, wie viel Namen er überhaupt in der Welt geführt haben mag und noch führt! Schon das Aeußere dieses Menschen war höchst auffallend, er sah im Gesichte ganz verwittert aus, und dennoch konnte man kein rechtes Alter an ihm abnehmen, denn trotz der Runzeln auf Wangen und Stirn war unter seinen Haaren kein weißes zu entdecken, und seine Haltung ungebeugt, sein Muskelfleisch straff, sein Benehmen jugendlich-petu- lant. Ich weiß nicht, wie ich dir diesen Schrimbs oder Peppel beschreiben soll; er war Alles und Jedes. Wie der Aal entschlüpfte sein Geist jegli- chem Bemühen, ihn in einer bestimmten Lage fest- zuhalten, wie Quecksilber zerrann dieses kalte, schwere, und doch unendlich flüchtige und trennbare Wesen unter der leisesten Berührung in lauter perlende Kügelchen, die denn doch immer wieder zu einer größeren coagulirten. Du mußt von ihm gehört haben, denn er war nach und nach in vielen Städ- ten unter den verschiedensten Gestalten. Vielleicht ist er sogar in deine Nähe gekommen. In Tübin- gen machte er den Magister und focht sich theolo- gisch herum, in Stuttgart abwechselnd den Politiker und lyrischen Dichter, in Weinsberg half er unserem alten Justinus noch mehr Geister sehen, als dieser schon mit seinen zwei Augen erblickt. Dieser Mensch hatte eine Gabe zu fabuliren und zu schwadroniren, wie ich sie noch nimmer bei Jemand wahrgenommen habe. Er besaß einen aristophanischen Witz, eine gaukelnde Einbildungs- kraft und eine unerschöpfliche Laune, vor allem aber eine Lust und Freude am Lügen, die wirklich auch genial war. Keiner achtete ihn und doch war er überall eingeführt; unsre geschlossenen Gesellschaften thaten ihre Thüren vor ihm auf, unsre Familien- Wein- und sonstigen Kränzchen flochten ihn sich als Blume ein, denn du weißt wohl, daß, so schwerfällig und abgesondert wir uns halten, es doch noch von je alle Charlatane bei uns mit uns durchgesetzt haben. Man hielt ihn für nichts Bes- seres, als für ein Stück honnetten Gauners und doch blickte man sehnsüchtig nach ihm aus, ließ er einmal auf sich warten. Obgleich ich überzeugt bin, daß er eigentlich schlechte Streiche nirgends begangen hat, denn sonst würde er leiser, versteckter, künstlicher aufgetreten seyn. Eine gewisse theoretische Unwahr- haftigkeit war in ihm zur andern Natur geworden; gegen die Gesetze wird er sich nicht verfehlt haben. Du fragst: Wodurch fesselte er Euch denn? Ja, wodurch? Durch tolle Mährchen, die er uns erzählte, durch Sarcasmen, Luftsprünge. In seinen Mährchen griff er mit unerhörter Dreistigkeit das Nächste auf, oder eine öffentliche Person, und drehte und wendete und drillte sie so lange, bis sie unter seinen Händen ein phantastischer Popanz wurde, der dann, wenn man ihm näher in das Gesicht sah, in Blasen auseinanderplatzte. Mir war oft bei seinen Geschichten zu Muthe, als sehe ich eine Wasserhose entstehen, wandeln, sich auflösen. Eine schwache Wolke schwebt über dem Meere, diese faßt mit einem langen, feinen Finger in den unend- lichen Ocean, aufwärts kocht, wirbelt und tanzt das emporgestörte Wasser, es pfeift und zischt; Nebel und Schaum rings umher, und Blitz ohne Donner! so rückt das Phantom, welches nicht Dunst und nicht Woge mehr ist, sprungweise vor, bis es plätschernd zerbricht. Ich sagte zuweilen für mich: In diesem Erzwind- beutel hat Gott der Herr einmal alle Winde des Zeit- alters, den Spott ohne Gesinnung, die kalte Iro- nie, die gemüthlose Phantasterei, den schwärmenden Verstand einfangen wollen, um sie, wenn der Kerl crepirt, auf eine Zeitlang für seine Welt stille gemacht zu haben. Dieser Schrimbs oder Peppel, dieser geistreiche Satiricus, Lügenhans und humo- ristisch-complicirte Allerwelts-Haselant ist der Zeit- geist in persona; nicht der Geist der Zeit, oder richtiger gesagt; der Ewigkeit, der in stillen Klüf- ten tief unten sein geheimes Werk treibt, sondern der bunte Pickelhäring, den der schlaue Alte unter die unruhige Menge emporgeschickt hat, auf daß sie, abge- zogen durch Fastnachtspossen und Sycophanten-Decla- mation von ihm und seiner unergründlichen Arbeit, nicht die Geburt der Zukunft durch ihr dummdrei- stes Zugucken und Zupatschen störe. Denn zweier- lei war das Merkwürdigste an dem Vagabunden: Erstens, er trug nicht reine Mährchenpoesie vor, sondern die grotesken Erfindungen und Gestalten wurden von ihm mit solcher Ruhe, Ueberzeugung und Ernsthaftigkeit hingestellt, sie saßen ihm so in Fell und Fleisch fest, daß man in währender Er- zählung zu keinem dichterischen Behagen gelangte, man mußte ihn entweder für verrückt halten, oder an seinen Sachen, wie unsinnig sich das ausnahm, auf eine Stunde glauben. Zweitens, wenn er auch meistens in seinen milesischen Fabeln die Tho- ren und Schächer der Zeit durchnahm, so fühlte man bald — wenigstens ich hatte die Empfindung nach kurzer Bekanntschaft — daß der Hohn nicht aus einer tugendhaft-erzürnten Seele quoll, sondern aus einem Sinne, dem eigentlich das Verkehrte lieb, nothwendig, Bedürfniß und Stoff des Daseyns war. Und darin kennst du nun meine Grundsätze. Ich halt’ mich an’s Positive. Begeisterung und Liebe ist die einzigwürdige Speise edler Seelen. Einen Schwank mag ich wohl leiden. Aber das Spötteln, Nergeln und Grinseln um den Kehricht her, dem schon viel zu viel Ehre geschieht, wenn er nur genannt wird, ist mir im innersten Muthe zuwider. Als ich zurückkam, fand ich ihn in unserm gan- zen Kreise eingebürgert. Die alten Oehme und Vettern wollten sich ausschütten über seine Einfälle oder sperrten den Mund so weit auf, als die Mus- keln es vertragen wollten, wenn er ihnen ihre eige- nen hausbackenen Personen, in wunderbaren Capric- cio’s diese zurückspiegelnd, zeigte. Ich hörte mit zu, war wechselsweise von seinen Reden berauscht und unangenehm ernüchtert. Es kann selbst seyn, daß ich mich Clelien nicht so genähert haben würde, hätte ich nicht bei den verzwickten Schnurren ein doppeltes Bedürfniß nach einer einfachen, wahren Geselligkeit empfunden. — Zu den Abentheuerlich- keiten des Schrimbs oder Peppel gehörte auch, daß er sich regelmäßig des Tages drei Stunden über mit drei jungen Leuten einschloß, die kurz nach ihm eingelaufen waren und die Unbefriedig- ten hießen. Sie sprachen nämlich nie ein anderes Wort, als; sie fühlten sich unbefriedigt, und sahen immer starr und sonderbar vor sich hin. Woher die gekommen waren, wußte auch Niemand, da sie aber still und nüchtern lebten, so konnten sie nicht verdächtig erscheinen. Mit den drei Unbefriedigten schloß sich also Schrimbs, wie gesagt, täglich drei Stunden lang ein. Was sie zusammen trieben, erfuhr Keiner. Aber weder ein Geschäft, noch eine Einladung, noch ein Spaziergang mit andäch- tigen Zuhörern, noch sonst etwas, konnte ihn abhal- ten, wenn die Stunde des Einschließens kam, Alles aufzugeben, und in das Haus zu gehen, worin die geheimnißvollen Zusammenkünfte Statt fanden. Wollte man ihn darüber ausforschen, so pflegte er mit seiner abscheulichen Ruhe und Würde zu sagen, die Unbefriedigten studirten ihn; wollte man den Sinn dieses räthselhaften Ausdrucks kennen lernen, so versetzte er gemeiniglich, es sei ihrer Studien Immermann’s Münchhausen 1. Th. 22 wegen, daß sie ihn studirten, und fragte man ihn, was für Studien diese seien, so war die Aus- kunft; diejenigen, weßwegen ihn die Unbefriedigten studirten. Nun zum Schluß der Geschichte. Unsere ganze Nicht-Liebesnovelle, Clelia’s und meine, hatte er mit durchgelebt, schien indessen nicht sehr darauf geachtet zu haben. Als die Sache aber allmählig wieder in das Gleiche kam, bringt mir, wie ich mich zum Besuch in der Stadt aufhalte, Freund Pfleide- rer bestürzt ein lithographirtes Blatt, worauf unser ganzes Verhältniß, alle unsere Wendungen und Schritte, um ohne Aufsehen in eine gleichgültige Ferne auseinanderzurücken, zur wildesten Bamboc- ciade verstellt zu lesen sind. Sie hieß: Geschichte von Gänserich und Gänschen, die sich in ihren Herzen irrten. Er sagte mir, daß das Ding vom Abentheurer herrühre, was auch nach den ersten Sätzen zu erkennen war. Der habe es in einer Gesellschaft erzählt, es sei allerliebst befunden worden, ein schnellfassender und schreibender Kopf habe es auf- gezeichnet und auf allgemeines Begehren der lieben Schadenfreude zum Frommen für die Mitglieder der Gesellschaft lithographiren lassen. Jeder theile es im Vertrauen seinen nächsten Bekannten mit, und so mache es schon die Runde durch die halbe Stadt. Ich las und las, und was mich darin betraf, hätte ich verschmerzen können, ja ich gestehe, daß ich über Manches lachen mußte. Aber auch Cle- lia war natürlich nicht darin verschont. Und das versetzte mich in einen Zorn, der mich taub und blind und rasend machte. Ich schwor dem Schelme die schrecklichste Rache. Nun hätte ich, um diese zu kühlen, mich in seiner Wohnung auf Lauer legen sollen. Aber da siehst du den dummen Streich, der sich immer meinem Han- deln beizumischen pflegt! Einsiegelte ich das litho- graphirte Blatt und schrieb dem Urheber, ich werde dann und dann mich bei ihm melden und Genugthuung fordern, kurz, eine formliche Kriege- erklärung. Als ich zur bestimmten Stunde nach seiner Wohnung ging, fand ich das leere Nest; Hals über Kopf war er abgereist. Ich hielt es für eine Finte, stürzte nach dem Hause, worin die geheimnißvollen Zusammenkünste gefeiert wurden, weil ich ihn dort vermuthete, aber da saßen die 22* drei Unbefriedigten und jammerten, daß ihnen der Meister, wie sie den Gauch nannten, entschwunden sei. Vielfältige Nachfragen zeigten mir endlich eine Spur des Flüchtigen. Sie wies hieher, nach Rorden, nach Niederland. In den Wagen gesetzt, mit dem alten Jochem, der noch verwirrter ist, als ich, und von Stadt zu Stadt nachgesprengt, bis ich denn hier vorläufig vor Anker gegangen bin. Ich habe nämlich den Jochem allein weiter spüren lassen, denn vor allen Dingen ist Incognito nöthig, wenn wir ihn entdecken wollen, und mich erkannten die Leute überall für das, was ich war. Weiß Gott, wie es zuging, da ich mir doch alle Mühe gab, mich zu verstellen. Des Incognito’s wegen ist auch der Wagen in Coblenz stehen gelassen wor- den. Von da fuhren wir per Post, oder gingen auch Streckenweise. Ich freue mich, wie ein Kind, daß ich die Geschichte vom Herzen heruntergebeichtet habe, denn nun darf ich von Dingen schreiben, die angenehmer sind. Nicht sagen kann ich dir, wie wohl mir hier zu Muthe geworden ist in der Einsamkeit der westphälischen Hügelebene, wo ich bei Menschen und Vieh seit acht Tagen einquartirt bin. Und zwar recht eigentlich bei Menschen und Vieh, denn die Kühe stehen mit im Hause zu beiden Seiten des großen Flurs, was aber gar nichts Unange- nehmes oder Unreinliches hat, vielmehr den Ein- druck patriarchalischer Wirthschaft vermehren hilft. Vor meinem Fenster rauschen Eichenwipfel, und neben denen hin sehe ich auf lange, lange Wiesen und wallende Kornfelder, zwischen denen sich dann wieder jezuweilen ein Eichenkamp mit einem einzel- nen Gehöfte erhebt. Denn hier geht es noch zu, wie zu Tacitus Zeiten. „Colunt discreti ac diversi, ut fons, ut campus, ut nemus placuit.“ Darum ist denn auch so ein einzelner Hof ein kleiner Staat für sich, rund abgeschlossen, und der Herr darin so gut König, als der König auf dem Throne. Mein Wirth ist ein alter prächtiger Kerl. Er heißt Hofschulze, obgleich er gewiß noch einen andern Namen führt, denn jener bezieht sich ja nur auf den Besitz seines Eigenthums. Ich höre aber, daß dieß überall hier so gehalten wird. Nur der Hof hat meistentheils einen Namen, der Name des Besitzers geht in dem der Scholle unter. Daher das Erdgeborne, Erdzähe und Dauerbare des hie- sigen Geschlechtes. Mein Hofschulze mag ein Mann von etlichen sechszig Jahren seyn, doch trägt er den starken großen knochichten Körper noch ganz ungebeugt. In dem rothgelben Gesichte ist der Sonnenbrand der fünfzig Ernten, die er gemacht hat, abgelagert, die große Nase steht wie ein Thurm in diesem Gesichte, und über den blitzenden blauen Augen hangen ihm weiße struppige Brauen, wie ein Strohdach. Er gemahnt mich, wie ein Erz- vater, der dem Gotte seiner Väter von unbehaue- nen Steinen ein Mal aufrichtet und Trankopfer darauf gießt und Oel, und seine Füllen erzieht, sein Korn schneidet, und dabei über die Seinigen unumschränkt herrscht und richtet. Nie ist mir eine compactere Mischung von Ehrwürdigem und Ver- schmitztem, von Vernunft und Eigensinn vorgekom- men. Er ist ein rechter uralter freier Bauer im ganzen Sinne des Worts; ich glaube, daß man diese Art Menschen nur noch hier finden kann, wo eben das zerstreute Wohnen und die altsassische Hartnäckigkeit, nebst dem Mangel großer Städte den primitiven Charakter Germania’s aufrecht erhal- ten hat. Alle Regierungen und Gewalten sind darüber hingestrichen, haben wohl die Spitzen des Gewächses abbrechen, aber die Wurzeln nicht aus- rotten können, denen dann immer wieder frische Schößlinge entsprossen, wenn gleich sich diese nicht mehr zu Kronen und Wipfeln zusammenschließen dürfen. Die Gegend ist durchaus nicht, was man eine schöne nennt, denn sie besteht lediglich aus wellen- den Hebungen und Senkungen des Erdreichs, und das Gebirge sieht man nur in der Ferne; ’s ist dieses auch mehr eine finstre Berglehne, als eine schönliniirte Kette. Aber eben ihre Anspruchs- losigkeit, daß sie sich nicht aufgeputzt Einem gegen- über stellt, fragend: Wie gefall’ ich dir? sondern bis in die kleinsten Partikeln als fromme Schaffnerin dem Aubau durch menschliche Hände dient, macht sie mir doch sehr werth, und ich habe gute Stunden auf meinen einsamen Streifereien genossen. Vielleicht thut der Umstand auch das seinige, daß mein Herz ein- mal wieder ganz ungestört seine Pendelschwingungen ausschwingen darf, ohne daß vernünftige Leute am Uhrwerke rücken und drehen. Poetisch bin ich sogar geworden, was sagst du dazu, mein alter Ernst? Hab’ etwas hingeworfen, wozu mich ein göttlichschöner Sonnentag, den ich vor Zeiten in den Waldgründen des Spessart ver- lebte, zuerst anspornte. Ich glaube, es wird dir gefallen. Es heißt: Die Wunder des Spes- sart. Am liebsten sitze ich droben auf dem Hügel an einem stillen Platze zwischen den Kornfeldern des Hofschulzen, die dort zu Ende gehen. Man hat eine geräumige mit Kraut und Brombeerge- büsch bewachsene Einsenkung des Bodens vor sich; rings im Kreise um sie her liegen große Steine, einer, gerade dem Felde gegenüber, ist der größte, über dem spannen drei alte Linden ihre Zweige aus. Dahinter rauscht der Wald. Die Stelle ist unendlich einsam und beschlossen und heimlich, besonders jetzt, wo man im Rücken das manns- hohe Korn hat. Da droben bin ich viel. Freilich nicht immer in sentimentaler Naturbetrachtung, es ist auch mein gewöhnlicher abendlicher Anstandsort, von wo ich dem Schulzen die Reh’ und Hirsch’ aus dem Korn schieße. Sie nennen den Platz den Freistuhl. Vermuth- lich hat also dort vor Alters das Vehmgericht im Schrecken der Nacht seine Verdicte ausgebrütet. Als ich meinem Schulzen ihn lobte, ging eine Freundlichkeit über sein Gesicht. Er versetzte nichts, nahm mich aber nach einiger Zeit ohne Veranlas- sung mit auf eine Kammer im obern Stock des Hauses, öffnete dort einen eisenbeschlagenen Koffer und zeigte mir in demselben ein altes rostiges Schwert liegend. Mit Feierlichkeit sagte er: Das ist eine große Rarität; es ist das Schwert Caroli Magni, seit tausend und mehreren Jahren bei’m Oberhofe aufbewahrt, und noch in voller Kraft und Gewalt. Ohne weitere Erklärungen hinzuzu- fügen, klappte er den Deckel wieder zu. Ich hätte um Alles seinen Glauben an dieses Heiligthum nicht zerstören mögen, obgleich mich mein flüchtiger Blick lehrte, daß der Flamberg kaum ein paar hundert Jahre alt sein könne. Er zeigte mir aber ein förmliches Attest über die Aechtheit der Waffe, von einem gefälligen Provincialgelehrten ihm ausgestellt. Hier will ich denn nun unter den Bauern blei- ben, bis mir der alte Jochem Nachricht von dem Schrimbs oder Peppel giebt. Es ist zwar die achtzig Meilen her kühler in mir geworden, denn gar viel thut’s, wenn vierzehn Tage zwischen dem Vorsatz und der Ausführung liegen, auch steht nun die Frage, welche Rache ich eigentlich an ihm nehmen soll? aber das wird sich schon Alles finden. Dieser Brief, wie ich ihn überlese, kommt mir ganz possirlich vor. Vorn stehen recht hübsche Bemerkungen, hinten dergleichen, ich brauche mich ihrer gar nicht zu schämen, und in der Mitte ist’s, als ob ein dummer Bub’ seine Eulenspiegelei erzählt. Nun, ich werd’ ja endlich auch klug werden. — Wenn Einen die Leut’ nur verständen in der Fremde! Alles muß man dreimal sagen, bevor’s gefaßt wird. Und wenn man nicht gar ein Stock- schwab ist, sondern im Gegentheil in der Welt umhergekommen, und Andere vielfältig hat reden hören, so kann man sich selbst durch unser Zischen und Prasseln hin und wieder beschwert fühlen. Wir haben doch Geist, so viel wie die Uebrigen, warum können wir denn das Wort nicht gelind, sanft und zart von uns geben, sondern sprechen immer: Keescht ? Aber ich denke, aus: Keescht kann allezeit durch Abschwächen und Filtriren: Geist werden, nicht aber umgekehrt aus Geist, Keescht. Und so wird’s der Herr in diesem Punct, wie in allen Andern wohl mit uns brav gemeint ha- ben. Mentor, hoffentlich hörst du bald mehr von deinem Nicht-Telemach. Schilt ihn aber tüchtig aus, darum bitt’ ich dich. Siebentes Capitel . Worin der Jäger dem Hofschulzen eine alte Geschichte von seinen Eltern er- zählt . Mehrere Tage gingen im Oberhofe auf die gewohnte stille und einförmige Weise hin. Der alte Jochem ließ noch immer weder von sich noch von dem entwichenen Abentheurer hören, und seinen jungen Gebieter wollte doch nach gerade eine stille Unruhe beschleichen. Denn so umspinnt uns Alle die jetzige geregelte Zeit, daß Niemand, und sei er noch so ungebunden, lange ausdauern kann ohne den Rücken an ein Geschäft, oder an ein Verhältniß zu lehnen. Mit dem Hofschulzen verkehrte er zwar, so oft er konnte, und die originelle Eigenthümlichkeit des Mannes behielt für ihn ihre ganze Anziehungskraft, welche sie am ersten Tage der Bekanntschaft über ihn ausgeübt hatte, aber theils war der Alte mei- stens in seiner Wirthschaft sehr beschäftigt, theils hatte er viel mit Andern abzureden, da täglich Menschen im Hofe einsprachen, die ihn um Rath oder Hülfe angingen. Bei diesen Gelegenheiten bemerkte der Jäger, daß der Hofschulze im eigent- lichen Sinne des Worts nie etwas umsonst that. Er war gegen Nachbarn, Gevattern und Freunde zu Allem bereit, aber sie mußten ihm immer etwas dagegen leisten, und wäre es nur die unentgelt- liche Ausrichtung eines Auftrags nach einer in der Nähe belegenen Bauerschaft, oder eines andern klei- nen Dienstes dieser Art gewesen. Täglich wurde geknallt, freilich immer vorbei, so daß der Alte, der stäts in’s Schwarze traf, er mochte zielen, worauf er wollte, über diese frucht- losen Bemühungen verwunderte Augen zu machen begann. Es war ein Glück für unsern Jäger, daß gerade um jene Zeit der zunächstwohnende Gutsbesitzer sich mit seiner Familie und Dienerschaft auf einer Reise befand, sonst würden ihn wahrscheinlich doch einmal die zünftigen Schützen oben am Freistuhl ertappt haben. Gern wäre der junge Schwabe in Manches eingedrungen, was ihm verhüllt blieb. Der erste Knecht fragte den Schulzen eines Tages, ob das Korn droben am Stuhl nicht angeschnitten werden solle, da es vollkommen reif sei? erhielt aber von seinem Herrn den Bescheid, daß es bis nach der Hochzeit stehen bleiben müsse. Diese Worte wür- den dem Jäger nicht weiter aufgefallen seyn, wenn er damit nicht unwillkührlich den Inhalt eines Gesprächs in Verbindung gesetzt hätte, dessen unbe- merkter Ohrenzeuge er kurz zuvor geworden war. Zwei benachbarte Hofbesitzer, welche seinen Wirth besuchten, hatten ihn nämlich, so daß der Jäger es hörte, befragt: Wann das Geding seyn solle? und zur Antwort erhalten: Am zweiten Tage nach der Hochzeit, mit dem Hinzufügen, daß dann zugleich der Schwiegersohn die Loosung empfan- gen werde. Der junge Mann brachte diese Reden mit der Schonung des reifen Korns am Freistuhl in Zusammenhang, ohne gleichwohl die eigentliche Bedeutung sich klar machen zu können. Seinerseits sagte der Hofschulze einmal zum Jäger, als dieser wieder mit leerem Pulverhorn und leerer Waidtasche in den Hof zurückkehrte: Wie ist das, junger Herr? Sie treffen ja nie- malen was? Der Jäger war gerade in einer verdrießlichen Stimmung, die zuweilen am offensten macht. Er versetzte daher kurzweg: Daß ich nichts treffe, ist nicht meine Schuld, und daß ich dennoch immerdar schießen muß, liegt auch nicht an mir, das hängt mir von Mutterleib an. Wie? Von Mutterleib? fragte der Hofschulze. Ich kann es nicht anders nennen, erwiederte der Jäger. Ihr seid ein so verständiger Mann, daß ich keinen Grund habe, Euch eine Geschichte vorzuenthalten, welche Euch meine Jägerei, über die Ihr, wie ich sehe, schon seit einiger Zeit den Kopf schüttelt, einigermaßen erklärlich machen wird. Man hat Muttermäler in Form von Sternen, Kreuzen, Kronen, Schwertern, weil die Frau, welche den Menschen trug, sich an einem großen Orden, an einem Kirchenzuge, an einer Krönung versah, oder unter Kriegsgetümmel ihre Schwangerschaft abhielt; warum sollte Einer nicht Jäger von Mutterleib aus seyn können? Der Hofschulze nöthigte seinen jungen Gast an den Tisch unter den Linden vor der Thüre, ließ eine Fla- sche sehr trinkbaren Weins bringen, und der Jäger begann hierauf folgendergestalt seine Erzählung. Meine Mutter hatte sich mit meinem Vater erst nach einem trauer- und thränenvollen Braut- stande verbinden dürfen. Die Verwandten und viele Umstände waren gegen die Heirath gewesen, indessen hatte die Liebe, welche Beide zu einander trugen, doch endlich obzusiegen gewußt, und die Ringe durften gewechselt werden. Die Folge jenes langen Hinderns und Zurückhaltens war nicht, wie es oft zu geschehen pflegt, ein rasches Erkalten nach gewonnenem Besitze, sondern eine äußerst zärt- liche Ehe gewesen, so daß also in diesem Falle der Wunsch der Leidenschaft sein Recht darwies. Noch in jetzigen Tagen erzählen bejahrte Leute, welche meine Eltern in den ersten Jahren ihrer Ehe gekannt haben, von dem schönen Paare, das immerfort wie Liebhaber und Geliebte mit einander umgegan- gen sei. Die Zärtlichkeit meiner Mutter äußerte sich nun auch in einer Sorge um das Leben und die Gesundheit des Vaters, welche freilich oft in das Uebertriebene ging. Blieb er von einem Spa- ziergange oder einem Besuche in der Nachbarschaft einige Minuten über die bestimmte Zeit aus, so schickte sie ängstlich nach ihm; war seine Farbe nicht ganz so munter, wie gewöhnlich, gleich fürch- tete sie eine schwere Krankheit und wollte den Arzt herbeigeholt wissen, um Alles hätte sie ihn nicht in der Nacht reisen lassen, und wo er ging oder stand, mußte er sich vor Zugluft in Acht nehmen. Während sie für ihre eigene Person hart, unbeküm- mert und muthig blieb, sah sie in Jeglichem, was meinen Vater umgab, Schreck und Gefährde. Ja, Ja, murmelte der Hofschulze vor sich hin, die vornehmen Leute haben zu dergleichen Zeit. Bei uns Bauern kommt es auf einen Puff nicht an. Am inständigsten flehte ihn meine Mutter an, sich der Jagd zu enthalten. Sie hatte in den ersten Jahren ihrer Ehe einen verworrenen Traum, von dem sie sich beim Erwachen nur einer schönen grünen Uniform, worin sie meinen Vater gesehen' und daß ihn in derselben ein Unglück betroffen, zu erinnern wußte. Nun fielen ihr alle die Ge- schicke, die sich auf Jagden ereignen können; scheu- gewordene Pferde, unvermuthet losgegangene Schüsse, Eber, die den Schützen anrennen, und was der- gleichen mehr war, ein, und sie ließ sich daher von meinem Vater das Wort geben, nie diesem ver- hängnißvollen Genusse wieder fröhnen zu wollen. Er willfahrte ihr gern, denn er sah ihre Liebe zu Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 23 ihm, und war überhaupt dem Waidwerke nicht lei- denschaftlich ergeben, obschon er es, wie ihm sonst nach seinen Verhältnissen zukam, getrieben hatte. Mehrere Jahre der Ehe blieben kinderlos. Endlich fühlte meine Mutter ihren Schooß geseg- net. Sonst pflegt, wie man mir gesagt hat, in diesem Zustande die Neigung der Frau zu dem Manne abzunehmen, und sich der verborgenreifenden Frucht zuzuwenden, meine Mutter machte aber von dieser Regel eine Ausnahme. Ihre Liebe zu dem Vater wuchs noch, wenn sie eines Wachsthums fähig war. Zugleich stellte sich die Erinnerung an den früher gehabten und seitdem fast vergessenen Traum wieder bei ihr mit Heftigkeit ein, dessen eigentliche Bilder ihr jedoch nicht deutlich werden wollten, obgleich sie stundenlang sich damit abmühte, sie hervorzurufen. Nochmals mußte mein Vater sein früheres Gelübde in ihre Hand wiederholen. Inzwischen rückte der Sanct Hubertustag heran, an welchem der Fürst, mit dem mein Vater eng zusammenhing, die jährliche große Jagd zu veran- stalten pflegte. Es war in seiner Umgebung schon verwundernd viel davon geschwätzt worden, warum mein Vater sich in den Jahren zuvor unter aller- hand Vorwänden von den Jagden zurückgehalten habe, endlich hatte man den wahren Grund aufgespürt, und der etwas rohe und leichtfertige Kreis mag sich trefflich über den gehorsamen Ehemann lustig gemacht haben. Der Fürst, derb und zufahrend, wie er war, nahm sich vor, den Gehorsam zu Falle zu bringen. Es war so Sitte, daß schon an dem Tage vor Hubertus ein lustiges Banquett auf dem Jagdschlosse gegeben wurde. Der Saal, in wel- chem es Statt fand, war an den Wänden mit Hirsch- geweihen, Armbrüsten und alten Jagdspießen ausge- ziert. Da wurde denn, wie man bei uns zu sagen pflegt, tapfer gebürstet, d. h. gezecht, und wer an dem Banquette Theil nahm, konnte sich natürlich von der Hubertusjagd nicht lossagen. Mein Vater würde also um keinen Preis einen Partner des Schmauses abgegeben haben, wenn ihn nicht der Fürst durch eine List nach dem Jagd- schlosse zu ziehen gewußt hätte. Er ließ ihn näm- lich unter dem Vorwande eines Geschäfts berufen und hielt ihn in langen Gesprächen hin, bis der Lakai meldete, daß servirt sei. Da wollte mein Vater fortreiten, aber ein zweiter Lakai brachte, ausgesandt, die Nachricht, der Reitknecht habe ver- 23* standen, der Herr bleibe zur Tafel, und sei bis auf den Abend mit den Pferden nach Hause gerit- ten. Nun, da es so ist, laß dir’s gefallen und nimm hier vorlieb, sagte der Fürst. Du kannst doch nicht die zwei Stunden zu Fuß nach Hause gehen. — Was sollte mein Vater beginnen? So unlieb es ihm war, er mußte bleiben. Bei Tafel, als es ziemlich lärmend zu werden anfing, warf Einer die Frage hin, ob er morgen mit zur Jagd komme? Ohne seine Antwort abzuwarten, rief ein Ande- rer: Nein, er darf nicht, seine Frau hat es ihm streng verboten. — Ist es wahr, fragte der Fürst laut über die ganze Tafel hin, daß dir deine Frau befohlen hat, kein Gewehr mehr abzudrücken? Wenn dem so ist, und du gehorchst, so bist du ja ein wahrer Mustermann für Stadt und Land. Ein schallendes Gelächter folgte diesen Worten, obgleich darin nicht viel Lachenswerthes steckte. Mein Vater ärgerte sich, nahm sich aber zusam- men und versetzte, daß dem nicht so sei; wie man denken könne, daß seine Frau ihm so etwas befeh- len werde? und dergleichen mehr, was ein Jeder in seiner Lage und in einer so wilden Gesellschaft entgegnet haben würde. — Topp! rief der Fürst, das ist recht, so hilfst du uns also morgen Sanct Hubert Devotion erzeigen — und als mein Vater sich mit einer Reise, mit Besuch, mit Unpäßlichkeit entschuldigen wollte — Oho! die Frau Gemahlin steckt doch dahinter! Nun, der Sache müssen wir auf den Grund kommen! Erinnert mich das näch- stemal, wo ich mit der Gestrengen zusammentreffe, daß ich ernstlich danach bei ihr anfrage. In diesem Augenblicke faßte mein Vater seinen Entschluß. Er hielt es für nöthig, der Mutter einen ärgerlichen Auftritt, wie er von des Fürsten Derbheit immer zu besorgen stand, zu ersparen, und sagte daher: Damit Jedermänniglich sehe, daß an all dem Argwohn nichts sei, so werde ich die Jagd morgen mitmachen. Ein Beifallsklatschen erscholl, unter Getöse wurde die Tafel aufgehoben; der Fürst rief mit etwas schwerer Zunge: Bist du aber morgen nicht um sechs Uhr am Versamm- lungsplatze, so holen wir Alle dich in corpore aus den Federn. — Mein Vater nahm kurz und trocken seinen Urlaub, fuhr den lügnerischen Lakaien, der draußen im Vorgemache ihn verschmitzt lächelnd befragte, ob er nun die Pferde befehle? barsch an, und ging die Treppe hinunter über den Hof selbst nach dem Stalle, wo er den Reitknecht mit den Pferden fand, der sich keinen Augenblick vom Jagd- schlosse entfernt hatte. Hieraus ersah nun mein Vater, daß das Ganze ein angelegter Plan gewesen sei. Beim Heimreiten überlegte er den seinigen. Sich von dem gegebe- nen Worte zurückzuziehen, war unmöglich, denn dann hätte er wirklich am nächsten Morgen den ganzen Schwarm vor dem Hause gehabt zu Aengsten und Schrecken der Mutter. Er beschloß daher die Jagd wirklich mitzumachen, jedoch sobald als nur möglich sich zu entfernen, und um sein Abseyn eine Zeitlang vor den Uebrigen zu verbergen, sei- nen guten Freund, den Oberjägermeister, dessen fin- steres Gesicht Mißbilligung der getriebenen Scherze ausgedrückt hatte, zu ersuchen, daß ihm der ent- fernteste Stand angewiesen werde, von dem er bei günstiger Gelegenheit entkommen zu können hoffte. Um aber für die Zukunft dem Fürsten und der ganzen Gesellschaft Respect einzuflößen, sollten Tags darauf schriftliche Erklärungen an die ärgsten Schreier des Jagdschlosses abgehen, welche diese entweder einstecken, oder worauf sie zu Pistolen greifen mußten. Zu Hause zog er einen alten verschwiegenen Diener in sein Vertrauen, ließ die prächtige Jagd- uniform, in welcher jeder Cavalier bei den großen Hofjagden erscheinen mußte, heimlich aus dem Schranke nehmen, und verspürte, wie er selbst lange Jahre nachher, wenn diese Geschichte wieder auf das Tapet kam, zu erzählen pflegte, trotz seines Mißmuths ein geheimes Behagen, als er das grüne, schimmernde Collet mit den blitzenden Knöpfen, der goldenen, reichen Stickerei, den Achselschnüren, den schweren Epauletts aus dem umgelegten Sei- denpapier, und das prächtige Couteau mit glänzen- den Steinen am Griff aus dem Futteral hervor- kommen sah, nachdem er so lange den Anblick die- ser Gegenstände entbehrt hatte. Meiner Mutter sagte er irgend einen gleichgültigen Grund, weßwe- gen er den folgenden Tag über von Hause entfernt seyn werde. Es gelang ihm, sie zu täuschen; sie legte sich ruhig an seiner Seite schlafen. In der Nacht aber hatte sie den früheren ängst- lichen Traum, auf dessen Einzelheiten sie sich seither im Wachen nicht zu besinnen vermocht hatte. Sie sah meinen Vater sich vom Lager erheben, einen Blick der Bekümmerniß auf sie, die Schlafende, werfen, leise auf den Zehen aus dem Zimmer schlei- chen. Der Traum führte sie hierauf nach der Garde- robe. Dort legte mein Vater Stück vor Stück die prächtige grüne Uniform an. Sie konnte sich nicht satt an ihm sehen, er kam ihr gar zu schön vor, und doch beschwor sie ihn inständigst und mit der äußer- sten Herzensangst, von seinem Vorhaben abzustehen. Er ließ sich aber nicht hindern, schnallte das Cou- teau um, und in dem Augenblicke wieherte ein Pferd. Nun zerbrach blitzschnell das bisherige Traumgesicht, und mit Entsetzen sah sie meinen Vater blutigen Hauptes unten im Hofe auf dem Pflaster liegen. Ehe sie noch sich zu ihm helfend hinbeugen konnte, wieherte das Pferd, welches sie wunderbarerweise nicht sah, zum zweitenmale, und — sie erwachte, wie es ihr vorkam, von einem wirklichen Pferdewiehern aus den Schrecknissen des Traumes geweckt. Schlaftrunken tastete sie umher, um des Vaters Wange sich zur Beruhigung zu streicheln, aber der Taumel ihrer Sinne wich der angstvollsten Ermunterung, denn das Bett neben ihr war verlassen, die Decke zurückgeschlagen. Sie schellte dem Mädchen, fragte, wo der Herr sei? Diese, welche ihn im Gange verstohlen an sich hatte vorüberschlüpfen sehen, antwortete zögernd: In der Garderobe. Nun war sie nicht länger zu halten, eiligst warf sie ein Nachtgewand über und begab sich mehr laufend als gehend nach der Gar- derobe. Dort die Thüre geöffnet, hatten beide Eltern vor einander den gleichen Schreck und mein- ten zu Boden sinken zu müssen. Der Vater stand, wie ihn die Mutter geträumt hatte, prächtig ge- schmückt, in seinem Glanz und Flimmer von der rothen Morgensonne umspielt, und schnallte eben das Couteau an. Es folgte ein heftiges Fragen und Erklären, die Mutter wollte ihn durchaus nicht ziehen lassen, bis er auf die eindringlichste Weise ihr erwiesen hatte, daß für diesesmal schlech- terdings an dem Vorhaben nichts zu ändern sei. Indem sie noch mit einander stritten, wieherte des Vaters gesattelt stehendes Reitpferd unten vom Hof herauf zum drittenmale. Sie stürzte an das Fenster, sah das feurige Thier in den Boden hauen und sich heben, das böse Ende ihres Traums trat ihr vor die Augen, sie beschwor meinen Vater bei dem Lebendigen unter ihrem Herzen, wenigstens nicht zu reiten, da sie die bestimmte Ahnung habe, daß ihm heute damit ein Unglück begegnen werde, sich vielmehr des leichten Wagens zu bedienen. Höchst ver- stimmt rief er dem Bedienten zu: So laß anspan- nen! drückte die Mutter sanft nach der Thüre zu und bat sie um Gotteswillen, sich doch nur wieder niederzulegen, da sie ja in ihrem leichten Gewande von der Morgenkälte schwer krank werden könne, und sprang dann, als er sie auf dem Wege nach dem Schlafcabinet glaubte, rasch die Haupttreppe hinunter, um nur zu Roß und an diesem vermale- deiten Tage vom Hofe zu kommen. Aber meine Mutter, einmal argwöhnisch gemacht, schlüpfte eine kleine Seitentreppe hinab, die eben- falls auf den Hof führte, um sich zu versichern, ob auch der Wagen genommen werde. Indem sie nun unten anlangte, sah sie, daß mein Vater schon zu Pferde saß, und mit dem Thiere, welches er in seinem Verdrusse heftig behandelt und dadurch unru- hig gemacht hatte, kaum zurecht kommen konnte. Mit einem lauten Geschrei flog sie durch die Thüre auf den Hof; das Pferd, von der plötzlich erschei- nenden weißen Gestalt bis zur Wuth gesteigert, drehte sich wie toll auf den Hinterfüßen um, gerieth auf eine schlüpfrig-abschüssige Stelle, rutschte aus und stürzte. Nun lag mein Vater wirklich mit blutendem Kopfe auf dem Pflaster, meine Mutter aber konnte ihm nicht helfen, denn auch sie sank ohnmächtig an der Thüre zusammen. Der Jäger hielt athmend inne, bewegt von seiner eigenen Erzählung, deren Einzelheiten, wie er nach einer Pause sagte, ihm so lebhaft vor- schwebten, weil der Vorfall mit den kleinsten Zügen von den Dabeigewesenen ihm mehr als hundertmal berichtet worden sei. — Er sei die Haus- und Fa- miliengeschichte geworden. Sein Zuhörer strich sich die Haare bedächtig aus der Stirn und sagte nach einer Weile: Daß die Sache keine schlimmen Folgen gehabt hat, stellt sich dar, denn Sie sitzen da ganz frisch und gesund, junger Herr. Glücklicherweise war der Schreck das Aergste dabei gewesen, erwiederte der Jäger. Mein Vater hatte sich schnell bügellos zu machen gewußt, sein Epaulett war ihm, von der heftigen Bewegung gelöst, unter den Kopf gefahren und schützte vor einem zu harten Aufschlagen; er kam mit eine leichten Wunde davon. Auch meiner Mutter, für welche das Schlimmste zu befürchten stand, half ihre überaus kräftige Natur. Sie erholte sich und dauerte ihre Zeit aus, obgleich die Gedanken an an jenen Morgen sie keinen Augenblick verlie- ßen. Und daher, meinen Sie, rühre Ihre Jagdlust? fragte der Hofschulze. Ich kam einige Monate nach dem Ereignisse zur Welt mit einem Maale unter dem Herzen in der Form eines Hirschfängers. Sobald ich zum Buben erwachsen war, hielt mich keine Vermah- nung und Züchtigung ab, mit den Jägern umher- zulaufen. Und so ist das fortgegangen bis auf den heutigen Tag, ohne daß ich, wie Ihr ja leider nun auch gemerkt habt, zu diesem Treiben durch Beute und Erfolg irgend eine Anreizung empfinge. Wenn Ihre Frau Mutter von den Jagdsachen einen solchen Schreck bekommen hat, so müßte sie Ihnen ja ehender einen Abscheu davor eingeimpft haben, sagte der Hofschulze. Nein! rief der junge Jäger, und seine Augen begannen in dunklerem Feuer zu leuchten, wie immer der Fall war, wenn sich die Rede auf solche Gegen- stände wandte. Davon versteht Ihr nichts, Hofschulze. Kann ein menschliches Wesen unwillkührlich auf ein Andres durch Blut, Seele und Sympathie wirken, so fällt diese Wirkung auch ganz in der dunkeln Kam- mer vor, darin die Kräfte nach ihren eigenen Rech- ten hin- und herfahren, sausen und weben, und Gebild schaffen, dessen Figur kein Verstand vorher- sieht und auf welches Niemand gefaßt ist. Abscheu kann Lust, Furcht kann Muth, Sehnsucht Ekel erzeugen, und ist Niemand, der den Stammbaum die- ser und ähnlicher Zeugungen aufzurichten vermöchte. Davon verstehe ich wirklich nichts, und geht mich auch nichts an, sagte der Hofschulze. Aber aus der Geschichte, welche Sie da so plaisirlich erzählt haben, ziehe ich eine dreifache Moral. Ihr haltet sehr viel auf Moral. Die Moral unterscheidet uns von dem Vieh, versetzte der Hofschulze feierlich. Das Vieh hat eigentlich Alles besser als die Menschencreatur, es findet den Weg sicherer, es hat sein ihm gewiese- nes Futter und lüstert nicht nach Anderem, es trägt seinen Rock anerschaffen auf seinem Leibe, es fürchtet sich nicht vor dem Tode, es treibt keine unnütze Wollust, aber Moral hat das Vieh nicht; Moral hat nur der Mensch. Und in meiner Geschichte stecken drei Moralen? Drei. Die will ich Ihnen jetzt auch nicht vor- enthalten, junger Herr Jäger. Achtes Capitel . Worin der Hofschulze eine dreifache Mo- ral aus der Geschichte des Jägers zieht . Erstens, sagte der Hofschulze, lehret die Ge- schichte, daß, wenn Ihre Passion wirklich von Ihrer Frau Mutter sich herschreibt, der Herr noch jetzun- der seinen Spruch wahr macht, welcher lautet: Ich will die Sünden der Väter heimsuchen an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied. Denn an und vor sich ist die Jägerei eine erlaubte und lustige Sache. Nun aber sündiget der Mensch jederzeit, wenn er sich wider etwas setzt, was Herkommens ist bei seinesgleichen, dadurch kriegt die Gleichgültigkeit ein Gewicht und hat Folgen, wie Pestilenz darnach kam, als David sein Volk zählen ließ, weil das nicht Herkommens bei den Ju- den war. Ihre Frau Mutter nun verfiel in Sünde, weil sie den Herrn Vater nicht auf die Jagd gehen lassen wollte, da das zu seinem Stande gehörte, und darum ist an Ihnen eine Thorheit gesetzt, das Schießen ohne Treffen. Sie sollten aber suchen, mit der Gewalt davon los zu kommen, weil solche Neigungen nicht aus den Wirkungen in der dunkeln Kammer, nicht aus den Kräften und den eigenen Rechten, wie Sie es nannten, herrühren, sondern einzig und allein aus der Thorheit, durch welche Sie groß Unglück anrichten können. Auch die Mädchen haben mitunter das Gelüst, Feuer anzu- legen, sie lassen es aber wohl bleiben, wenn sie scharf zusammengenommen werden. Es kann und soll aber der Mensch, über den kein Anderer gesetzt worden, an ihm selber der Herr und Zuchtmeister seyn. Zweitens thut die Geschichte lehren, daß im Ehestande gar zu viel Liebe schädlich ist. Denn Ihr Herr Vater würde mit dem Pferde nicht gestürzt seyn, wenn Ihre Frau Mutter nicht so be- sorgt aus der Thüre gesprungen wäre. Sie wollte ihn vor Gefahr hüten und brachte ihn eben recht in Gefahr. Wie leicht konnte ihn Einer von den Herrn niederschießen, an die er nach der Jagd Briefe schreiben wollte! Im Ehestande muß Alles moderirt seyn, auch die Liebe, weil die Sache für die Hitze und den Eifer zu lange währt. Vorher kann der Mensch thun, was er will, danach kommt nichts, aber der Ehestand macht einen Abschnitt und giebt ein Exempel, da muß der Mensch sich zusammennehmen, denn auf Eheleute sieht ein Jeder, und Aergerniß, welches durch sie kommt, ist doppelt Aergerniß. Mit einem losledigen Menschen haben We- nige Verkehr, aber auf den Haus- und Ehestand ver- läßt sich aller Handel und Wandel, Nachbarhülfe und Ansprache, Christenthum, Kirchen- und Schulzucht, Haus und Hof, Rind und Kind, und wie sollen nun alle diese Sachen in gehöriger Ordnung und Ver- fassung bleiben, wenn die Eheleute selbst sich wie die Gecken betragen? Bei uns Bauern kommt der Fehler weniger vor, aber bei den Stadtleuten, mit denen ich vielfältig hier und dahaußen verkehre, und deren Gebräuche ich daher kenne, will mir in dem Puncte Manches schlimm gefallen. Wenn ein Mann sein Weib schlägt, oder angrunzt ohne Noth, so giebt er Aergerniß, denn der Apostel schreibt, daß die Männer ihre Weiber lieben sollen, wie der Herr Christus seine Gemeine liebt, aber wenn ein Weib ihren Mann so unterkriegt mit Caressen und süßen Reden, daß er zwischen guten Freunden vor Angst nicht mehr zu bleiben weiß, wenn die Stunde schlägt, da er hat nach Hause kommen sollen, oder daß er sich von Allem zurück- halten muß, was ihm das Herze fröhlich macht, so giebt sie auch Aergerniß, denn der Apostel Pau- lus schreibt nicht minder, das Weib solle den Mann fürchten. Die Furcht aber besteht mit solchem Ver- halten nicht, vielmehr treibet sie dahin, daß dem Manne sein freier Wille gelassen werde, denn der Ehestand soll den Mann erbauen, nicht aber ihn daniederreißen, weil abermals der nämliche Apostel Paulus an die Corinther schreibt: Der Mann ist nicht vom Weibe, sondern das Weib ist vom Manne. Ich habe hier jezuweilen bei guter Witterung große Gesellschaft von Stadtleuten, die für Plaisir den Tag im Freien zubringen, und gegen Abend wieder heimfahren. Da sehe ich nun mitunter, daß die Neugeheiratheten, die etwa erst im zweiten Jahre Mann und Frau sind, denn späterhin hört dieses Wesen gemeiniglich auf, mit einander ein Anblicken und Anblinzeln, Löffeln und Schlecken treiben, als seien sie mutterseelenallein und Nie- mand außer ihnen um sie und neben ihnen. Darin stecken nun wieder drei Aergernisse. Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 24 Schade, unterbrach ihn der Jäger lachend, daß Euch kein Philosoph von Profession anhört, Hof- schulze. Er würde die architectonische Symmetrie Eures Gedankenbau’s loben. Drei Aergernisse, ent- sprechend drei Moralen! Der Schulze fuhr, ohne sich stören zu lassen, fort: Erstens sind immer in der Gesellschaft Leute, die gerne freien möchten und nicht können, und in denen stiftet so ein öffentliches Liebeswesen gehei- men Neid und stille Abgunst, wovor der Mensch seinen Nächsten bewahren soll. Dieses ist das erste Aergerniß. Zweitens läßt, wenn sie sich vor so vielen Leuten nicht scheuen, das zu thun, was in die Verborgenheit gehört, vermuthen, daß sie da- heim eine Brinneiferigkeit haben, welche die Gesund- heit ruinirt, und drittens denkt Dieser und Jener in der Gesellschaft: Was dem Einen recht, ist dem Andern billig, genirt Ihr Euch nicht, genir’ ich mich auch nicht, dürft Ihr schmatzen, darf ich kratzen; läßt nun alle geheimen Würmer und Ottern- gezüchte, welche er im Herzen trägt und sonst bei sich behielte, los, die schlechten, spöttischen Reden, die Schraubereien und Verläumdungen, welche denn wie- der von Andern aufgefangen und erwiedert werden, so daß das ganze Plaisir zu Grunde geht. Auf diese Weise habe ich es erlebt, daß durch so ein öffent- lich löffelndes Ehepaar lauter Zank und Hader in eine Gesellschaft kam, der immer mehr stieg, je mehr die Eheleute mit einander caressirten. Dagegen ist es eine wahre Freude, bisweilen vernünftige junge Leute zu sehen, die bescheiden und anständig sich betragen; das Frauchen sitzt da, und der Mann da, Jedes discurirt höflich mit sei- nen Nachbarn, Keines scheint auf das Andere zu achten, von Handgeben und Küssen ist nun gar nicht die Rede, und doch sieht man den rothen, muntern Gesichtern an, daß sie zu Hause Glück und Segen mit einander haben; gleichsam zwei Aepfel sind sie an einem Zweige, die auch nicht nach einander umgucken und doch zusammen wachsen, gedeihen und reifen. Der Ehestand ist ein Segens- stand, aber er will mit Vernunft und Geschick und Manierlichkeit angegriffen seyn, sonst macht er, wie der Wein im Uebermaaß, trunken, dumm und unge- sund. Er ist wie der grüne Zweig am Apfelbaum; was darauf zum Gedeihen kommen soll, muß hübsch still und ruhig sich daran halten bei Sonnenschein und Regen. 24* Eure Moralien klingen zwar ziemlich hausbacken, aber es liegt doch etwas Wahres darin, sagte der Jäger. Der gesunde Menschenverstand behält immer Recht, obschon er selbst nicht das letzte Recht ist. Was meine Eltern betrifft, so spricht deren nachheriges Verhältniß auch gewissermaaßen für Eure Sätze. Meine Mutter ist nach dem ent- setzlichen Schreck wie umgewandelt gewesen, er hatte auf sie wie ein Sturzbad gewirkt, der Vater hat späterhin gehen, kommen, sich kleiden dürfen, wie, vornehmen können, was er gewollt, und von der Zeit an, wo ich selbst zum Bewußtseyn gelangte, erinnere ich mich der Ehe meiner Eltern, als einer zwar liebevollen, aber freien und ruhigen. Ja, Ja, sprach der Hofschulze, so mußte es sich wenden. Allzuscharf macht schartig, der Bogen, welcher zu sehr gespannt wird, bricht, und hinter heißem Wetter kommt kühles. Aber Ihnen will ich doch eine gute Lehre geben, junger Herr. Wenn Sie incognito bleiben, und wie Sie sich mir verkündiget haben, für den Sohn von Bürgersleuten gelten wol- len, so müssen Sie mir keine Geschichte erzählen von Jagdschlössern und fürstlichen Banquetten und golde- nen Uniformen und Bedienten und Reitknechten. Ach, die Lehre kommt zu spät! rief der junge Jäger lustig. Das Verstellen hilft mir nichts, ich sehe es wohl ein, und wenn ich auch wie der Vo- gel Strauß den Kopf wegstecke, man erblickt mich dennoch. Verrathet mich aber nicht; ich habe meine Gründe zu der Bitte, die Ihr mit gutem Gewissen erfüllen könnt, denn ein Verbrechen habe ich nicht begangen. Nein, das soll wohl seyn, Sie sehen nicht danach aus, sagte der Hofschulze lächelnd. Jetzt nehmt von meiner Seite eine Lehre an. Ihr seid ein alter, gesetzter Mann, dem mehr daran liegen muß, seine Absichten für sich zu behal- ten, als mir. Wenn Ihr Eure Geheimnisse, welche Ihr zweifelsohne habt, vor mir und meinem Nach- spüren bewahren wollt, so müßt Ihr meine Auf- merksamkeit nicht selbst rege machen, müßt mir nicht das Schwert Karls des Großen mit so feierlicher dunkler Rede zeigen. Der Hofschulze richtete sich in die Höhe. Seine große Gestalt schien noch zu wachsen, und der Mond, welcher inzwischen aufgegangen war, warf seinen Schatten lang in den Hof. Er sagte mit tiefem Tone und mit einem Nachdruck, der dem Andern durch Mark und Bein ging: Wehe dem, welcher die Geheimnisse des Schwertes Caroli Magni sieht oder hört, wenn es dergleichen giebt! — Darauf setzte er sich nieder, schenkte seinem Gaste das letzte Glas ein, und that, als ob nichts vorgefallen sei. Dieser schwieg verlegen. Er merkte, daß mit dem Alten in manchen Dingen nicht zu scherzen sei. Um wieder ein Gespräch in Gang zu bringen, sagte er endlich: Ihr verspracht drei Moralen aus meiner Geschichte, habt aber bis jetzt mir nur zwei mitgetheilt. Die dritte, versetzte der Hofschulze, ist keine Rede, sondern eine Handlung und Verrichtung. Mit diesen Worten deren Sinn er nicht weiter aufklärte, ging er in das Haus. Neuntes Capitel . Der Jäger erneuert eine alte Bekannt- schaft . Am folgenden Tage zur Mittagsstunde hörte der Jäger unter seinem Fenster ein Geräusch, sah hinaus und bemerkte, daß viele Menschen vor dem Hause standen. Der Hofschulze trat in sonn- täglichem Putze so eben aus der Thüre, gegenüber aber hielt am Eichenkampe ein zweispänniger Kar- ren, auf welchem ein Mann in schwarzen Kleidern, anscheinend ein Geistlicher, zwischen mehreren Kör- ben saß. In einigen derselben schien Federvieh zu flattern. Etwas hinterwärts saß eine Frauens- person in der Tracht des Bürgerstandes, welche steif vor sich hin auf dem Schooße ebenfalls einen Korb hielt. Vorn bei den Pferden stand ein Bauer mit der Peitsche, den Arm über den Hals des einen Thier’s gelegt. Neben ihm hielt sich eine Magd, auch einen Korb, mit schneeweißer Serviette überlegt, unter dem Arme. Ein Mann in weitem, braunem Oberrocke, des- sen bedächtiger Gang und feierliches Antlitz ohne Widerspruch den Küster erkennen ließ, schritt mit Würde von dem Wagen dem Hause zu, stellte sich vor den Hofschulzen hin, lupfte den Hut und gab folgenden Reimspruch von sich: Wir sind allhier vor Eurem Thor, Der Küster und der Herr Pastor, Des Küsters Frau, die Magd daneben, Die Gift und Gabe zu erheben, So auf dem Oberhofe ruht; Die Hühner, Ei’r, die Käse gut. So sagt uns an, ob Alles bereit, Was fällig wird zur Sommerszeit. Der Hofschulze hatte bei Anhörung dieses Spruchs den Hut tief abgenommen. Nach dem- selben ging er zum Wagen, verbeugte sich vor dem Geistlichen, half ihm in ehrerbietiger Stellung her- unter und blieb dann mit ihm seitwärts stehen, mancherlei Reden wechselnd, welche der Jäger nicht hören konnte, während die Frau mit dem Korbe auch abstieg und sich nebst dem Küster, dem Bauer und der Magd wie zu einem Zuge hinter jenen beiden Hauptpersonen aufstellte. Der Jäger ging, um den Zusammenhang dieses Auftritts zu erfah- ren, hinunter, sah im Flur weißen Sand gestreut, und die daranstoßende beste Stube mit grünen Zweigen geschmückt. Die Tochter saß darin, eben- falls sonntäglich geputzt, und spann, als wolle sie noch heute ein ganzes Stück Garn liefern. Sie sah hochroth aus und blickte von ihrem Faden nicht auf. Er ging in das Zimmer und wollte eben bei ihr Erkundigung einziehen, als schon der Zug der Fremden mit dem Hofschulzen die Schwelle vom Flure aus betrat. Voran ging der Geistliche, hinter ihm der Küster, dann der Bauer, dann die Küsterfrau, dann die Magd, zuletzt der Hofschulze; Alle einzeln und ungepaart. Der Geistliche trat auf die spinnende Tochter, welche noch immer nicht emporsah, zu, bot ihr freundlichen Gruß und sagte: So recht, Jungfer Hofschulze, wenn die Braut noch so fleißig ihr Rädchen dreht, da kann sich der Liebste volle Kisten und Kasten erwarten und ver- hoffen. Wann soll denn die Hochzeit seyn? — Auf Donnerstag über acht Tage, Herr Diaconus, wenn es erlaubt ist, versetzte die Braut, wurde wo mög- lich noch röther, als zuvor, küßte dem Geistlichen, welcher noch ein jüngerer Mann war, demüthig die Hand, nahm ihm Hut und Stock ab und reichte ihm zum Willkomm einen Erfrischungstrunk. Die Andern, nachdem sie Reihe herum die Braut eben- falls mit Handschlag und Glückwunsch bedacht hatten und durch einen Trunk erquickt worden wa- ren, verließen die Stube und gingen auf den Flur, der Geistliche aber unterhielt sich mit dem Hof- schulzen, der beständig seinen Hut in der Hand, in ehrerbietiger Stellung vor ihm stand, über Gemeinde-Angelegenheiten. Gern hätte der junge Jäger, welcher, von den Uebrigen unbeachtet, aus einer Ecke der Stube den Auftritt mit angesehen hatte, schon früher den Geistlichen begrüßt, wenn es ihm nicht unbescheiden vorgekommen wäre, die Anreden und Antworten der Fremden und Hofesgenossen, welche trotz der bäuerlichen Scene etwas Diplomatisches hatten, zu stören. Denn in dem Diaconus war von ihm mit Erstaunen und Freude ein ehemaliger acade- mischer Bekannter wiedergefunden worden. Jetzt verließ der Hofschulze auf einen Augenblick das Zimmer und nun ging der Jäger zum Diaconus, ihn bei seinem Namen begrüßend. Der Geistliche stutzte, fuhr mit der Hand über die Augen, erkannte jedoch auch den Andern sogleich wieder und freute sich nicht weniger, ihn zu sehen. Aber — fügte er den ersten Grußworten hinzu — jetzt und hier ist keine Zeit zur Unterhaltung, kommen Sie nach- her mit, wenn ich vom Hofe abfahre, dann wollen wir zusammen plaudern; hier bin ich ein öffentli- cher Charakter und stehe unter dem Banne des gebietendsten Ceremoniells. Wir dürfen von ein- ander keine Notiz nehmen, fügen auch Sie sich passiv dem Ritual; vor allen Dingen, lachen Sie über nichts, was Sie sehen, das würde die guten Leute auf das höchste beleidigen. Und diese alten, festen Sitten, so seltsam sie aussehen mögen, haben doch auch immer ihr Ehrwürdiges. — Sorgen Sie nicht, versetzte der Jäger, aber ich möchte doch wissen … Alles nachher! flüsterte der Geistliche, nach der Thüre blickend, durch welche so eben der Hofschulze wieder hereinkam. Er trat vor dem Jäger, wie vor einem Fremden, zurück. Der Hofschulze und seine Tochter trugen die Speisen auf dem Tische, welcher in dieser Stube gedeckt stand, selbst auf. Da kam eine Hühner- suppe, eine Schüssel grüner Bohnen mit einer lan- gen Mettwurst, Schweinsbraten mit Pflaumen, But- ter, Brod und Käse, wozu eine Flasche Wein gestellt wurde. Alles dies wurde zu gleicher Zeit auf den Tisch gestellt. Der Bauer war von den Pferden ebenfalls hereingekommen. Als Alles stand und dampfte, lud der Hofschulze den Diaconus höflich ein, es sich gefallen zu lassen. Es war nur für zwei Personen dort gedeckt; der Geistliche, nachdem er ein Tischgebet gesprochen, setzte sich und etwas von ihm entfernt der Bauer. Esse ich hier nicht mit? fragte der Jäger. Ei behüte, antwortete der Hofschulze, und die Braut sah ihn verwundert von der Seite an. — Hier ißt bloß der Herr Diaconus und der Colonus, Sie setzen sich draußen bei dem Küster zu Tische. Der Jäger ging in ein anderes, gegenüberliegendes Zim- mer, nachdem er noch zu seiner Verwunderung bemerkt hatte, daß der Hofschulze und seine Toch- ter auch die Bedienung jenes ersten und vornehmsten Tisches selbst übernahmen. In dem andern Zimmer traf er den Küster, die Küsterin und die Magd um den dort gedeckten Tisch stehen, und, wie es schien, mit Ungeduld ihres vierten Genossen warten. Auch auf diesem Tische dampfte dieselbe Speise, wie auf der Pastors- tafel, nur fehlte Butter und Käse, auch zeigte sich dort statt des Weines Bier. Mit Würde trat der Küster an den Oberplatz und ließ die Augen in den Schüsseln, abermals folgenden Spruch ver- nehmen: Alles, was da fleucht und kreucht auf der Erden, Ließ Gott der Herr für den Menschen erschaffen werden; Hühnersuppe, Bohnen, Wurst, Schweinsbraten, Pflaumen sind allerwegen Gottesgaben, gieb, o Herr, dazu uns deinen Segen! Worauf die Gesellschaft Platz nahm, der Küster obenan. Dieser wurde von seiner Gravität nicht verlassen, wie die Küsterin nicht von ihrem Korbe, den sie dicht neben sich hinstellte. Dagegen hatte die Pastorsmagd den ihrigen anspruchslos bei Seite gesetzt. Bei dem Mahle, welches aus wahren Ber- gen auf den Schüsseln bestand, wurde kein Wort gesprochen; der Küster verschlang in ernster Hal- tung ungeheuer zu nennende Portionen, und die Frau blieb wenig hinter dem Manne zurück; am bescheidensten zeigte sich in diesem Puncte auch wieder die Magd. Was den Jäger betrifft, so beschränkte er sich fast nur auf das Zusehen; das heutige Ceremonialessen war nicht nach seinem Geschmack. Nach beendigtem Mahle sagte der Küster zu den beiden Mägden, welche diesen Tisch bedient hatten, feierlich schmunzelnd: Jetzt wollen wir denn, geliebt es Gott, die allhier erfallende Ge- bühr und den guten Willen in Empfang nehmen. Die Mägde hatten vorher schon den Tisch abge- räumt und gingen jetzt hinaus, der Küster aber setzte sich auf einen Stuhl mitten in der Stube, die beiden Frauenspersonen, die Küsterin und die Magd, setzten sich ihm rechts und links zur Seite, vor sich die neugeöffneten Körbe. Nachdem die Erwartung, welche diese Drei ausdrückten, einige Minuten gedauert hatte, traten die beiden Mägde, begleitet von ihrem Herrn, dem Hofschulzen, wie- der ein. Die Erste trug einen Korb mit weit- läuftigem Flechtwerk oben, in welchem Hühner ängstlich gackerten und mit den Flügeln pluhsterten. Sie stellte ihn vor den Küster hin und dieser sagte, hineinschauend und nachzählend: Eins, Zwei, Drei, Vier, Fünf, Sechs; es ist ganz richtig. Darauf zählte die zweite Magd aus einem großen Tuche ein Schock Eier in den Korb der Pastorsmagd, und sechs Stück runde Käse, nicht ohne genaues Nachzählen des Küsters. Dieser sagte, als es ge- schehen war: So, nunmehro hätten der Herr Dia- conus das Ihrige; jetzunder käme der Küster. — Ihm wurden in den Korb seiner Ehehälfte drei- zehn Eier und ein Käse zugetheilt. Sie prüfte jedes Ei durch Schütteln und Geruch, ob es auch frisch sei, und merzte zwei aus. Nach diesen Ver- handlungen erhob sich der Küster und sprach zum Hofschulzen: Wie ist es, Herr Hofschulze, von wegen des zweiten Käses, welchen Küsterei annoch vom Hofe zu gewärtigen hat? — Ihr wißt selbst, Küster, daß der zweite Käse vom Oberhofe nimmer anerkannt worden ist, versetzte der Hofschulze. Die- ser angebliche zweite Käse ruhte auf dem Bau- mannserbe, welches vor hundert und mehreren Jahren mit dem Oberhofe in einer Hand vereinigt war. Hernachmalen ist die Trennung wieder eingetreten, und es haftet demnach hier auf dem Hofe nur ein Käse. Ueber des Küsters rothbräunliches Gesicht hatten sich die stärksten Falten gelagert, welche dasselbe nur aufzutreiben vermögend gewesen war, und zerlegten es in mehrere bedenkliche Abschnitte von viereckter, rundlichter, winklichter Gestalt. Er sprach: Wo ist das Baumannserbe? Zersplittert und zer- spellt wurde es in den unruhigen Zeitläuften. Soll Küsterei darunter leiden? Dem sei nicht so. Jedennoch, unter ausdrücklichem Vorbehalt aller und jeder Rechtszuständigkeiten wegen des seit hun- dert und mehreren Jahren strittigen, vom Oberhofe erfallenden zweiten Käses, empfange ich und nehme ich hiemit an auch den einen Käse. Sonach wäre die Zinsgebühr an Pastor und Küster abgestattet- und es käme nunmehr der gute Wille. Dieser bestand in frischgebackenen Rollkuchen, wovon sechs in den Pastorskorb und zwei in den des Küsters gelegt wurden. Hiemit war das ganze Empfangsgeschäft beendigt. Der Küster trat dem Hofschulzen näher und sagte folgenden dritten Spruch her: Die Hühner waren alle sechs richtig, Und die Käse alle vollwichtig; Die Eier sind befunden worden frisch, Und was sich gebührte, stand auf dem Tisch. Deßhalb der Herr Euren Hof bewahr’ Vor Hungersnoth und Feuersgefahr! Bei Gott und Menschen ist beliebt, Wer Gift und Gaben richtig giebt. Der Schulze machte darauf eine dankende Ver- beugung. Die Küsterin und die Magd trugen die Körbe hinaus und packten sie auf den Wagen. Zu gleicher Zeit sah der Jäger, daß die eine Hofes- magd aus dem Zimmer, worin der Geistliche gespeist hatte, Schüsseln und Teller auf den Flur trug, und sie, indem Jener auf die Schwelle des Zim- mers trat, vor seinen Augen wusch. Nachdem sie diese Reinigung verrichtet, näherte sie sich dem Geistlichen, er holte aus einem Papiere eine kleine Münze und gab sie ihr. Der Küster ließ sich indessen den Eaffee schmecken, und da auch für den Jäger eine Tasse hingestellt worden war, so setzte sich dieser zu ihm. Ich bin hier fremd, sagte der junge Mann, und verstehe zum Theil die Gebräuche nicht, welche ich heute gesehen habe; wollen Sie mir dieselben nicht erklä- ren, Herr Küster? Ist es eine Verpflichtung, daß die Bauern den Herrn Diaconus in Naturalien unterhalten müssen? Verpflichtung in Betreff der Hühner, Eier und Käse, nicht der Rollkuchen, welche der gute Wille sind, jedoch auch jederzeit unweigerlich abgestattet werden, erwiederte der Küster höchst ernsthaft. Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 25 Zum Diaconat oder zur Oberpfarre in der Stadt sind drei Bauerschaften als Filiale eingepfarrt, und ein Theil der Pfarr- und Küstereieinkünfte bestehet in der Zinsgebühr, welche von den einzel- nen Hofesstellen alljährlich erfället. Diese nun, wie sie überall seit undenklichen Zeiten feststeht, einzusammeln, halten wir per Jahr zwei Gänge, oder Fahrten, nämlich die gegenwärtige Sommer- oder kleine Fahrt, und dann die Winter- oder große Fahrt, kurz nach Advent. Bei der Sommer- fahrt erfallen die Zinshühner, die Zinseier und Zinskäse, an dem einen Hofe so viel, an dem andern so viel; erstere Rubrik, nämlich die der Hühner, erfället jedoch nur pro Diaconatu, Küsterei hat sich mit Eiern und Käsen zu begnügen. — Im Winter erfallen die Kornzinsen an Gerste, Hafer und Roggen; da kommen wir mit zwei Karren, weil eine die Säcke nicht zu fassen vermöglich wäre. So halten wir denn zweimal per Jahr die Rund- fahrt durch die drei Bauerschaften. Und wohin geht die Reise von hier? fragte der Jäger. Directe nach Hause, versetzte der Küster, knöpfte seinen Oberrock los und zog ein Federkissen hervor, welches er, ungeachtet der warmen Witterung zum Schutze seines Magens aufgelegt hatte. Nunmehr aber, nach der starken Mahlzeit mochte ihm dasselbe doch beschwerlich fallen. — Gegenwärtige Bauer- schaft ist die letzte, und gegenwärtiger Oberhof der letzte Hof in selbiger, auf welchem denn auch das herkömmliche Zinsessen vor sich geht, sagte er. Der Jäger bemerkte, daß, wie es ihm vorge- kommen, in der Mahlzeit, bei den Begrüßungen, bei der Empfangnahme der Lebensmittel, ja sogar bei dem Waschen der Teller und Schüsseln eine vorherbestimmte Ordnung geherrscht habe, worauf sich der würdige Küster, wie folgt, weiter verneh- men ließ: Allerdings; in Jeglichem bei diesen Zins- fahrten ist eine Observanz und ein strictes Recht, von welchem nicht abgewichen werden darf. Mor- gens um sechs Uhr rücken wir aus der Stadt aus, der Herr Diaconus, ich, meine Frau und die Pastorsmagd. Vom Reymannskotten wird, jedoch auf höfliches Suchen und Erbitten, die Karre gestellt, welche das liebe Gut läd’t, und der Colonus geht mit und verläßt den Herrn Diaconus nun und nimmer, setzt sich auch, wie Sie gesehen haben, einzig und allein mit ihm zu Tisch. Den ersten 25* Hühnerkorb nahmen wir aus der Stadt mit, da dieser aber bei dem ersten Hofe schon voll wird, so leihet nunmehr letzterer einen neuen für den zweiten, und sofort bis hieher. Der Colonus füt- tert hier seine Pferde mit einem Scheffel Hafer, der vom Balstrup erhoben und mitgenommen wor- den ist, und die Magd, welche die Teller und Schüsseln vor den Augen des Herrn Diaconus wieder rein waschen muß, erhält dafür ihre drei und einen halben Stüber, gleichfalls heute zu diesem Zweck und Ende erfallen und empfangen auf dem kleinen Beek, Bauerschaft Branstedde. Und die Sprüche, die Sie so laut und ver- nehmlich vortrugen, Herr Küster, rühren diese auch von Alters her? fragte der Jäger. Ja freilich, versetzte der Küster. Indessen, fuhr er wohlgefällig fort, habe ich Einiges, was darin an die finstern Zeiten erinnerte, weggelassen oder verbessert, wie es sich für die Gegenwart schicken will. So lautet der Text in der Danksa- gungsrede eigentlich zum Schluß: Wenn Ihr aber uns verkürzen wollen, So soll Euch Alle der Teufel hohlen, Und fehlt am Käs ein einzig Loth, So kriegt Ihr gar die schwere Noth! Diese unschicklichen Reime habe ich nach und nach eingehen lassen, indem ich Jahr für Jahr einen nach dem Andern bei mir behielt, oder so that, als ob ich den Husten dabei kriegte, und was der- gleichen Anschläge mehr waren, denn mit den Bauern muß man freilich bei allen Neuerungen langsam zu Werke gehen. Es hat doch Wider- spruch abgesetzt, und Einige von den Dorfmicheln wollen durchaus diese Grobheiten nicht fahren lassen, weil sie sagen, daß selbige einmal dazu gehören. Sie entrichten die Zinsgebühr nicht, wenn ich ihnen den Teufel und die schwere Noth nicht anwünsche; der Hofschulze ist darin vernünftiger. Der Küster wurde abgerufen, denn die Karre war angespannt, und der Geistliche nahm von dem Hofschulzen und seiner Tochter, die jetzt eben so ehrerbietig und freundlich vor ihm standen, wie bei allen übrigen Verhandlungen dieses Tages, mit herzlichen Händedrücken und Worten Abschied. Nun schwankte der Zug einen andern Weg, als den er gekommen war, zwischen Kornfeldern und hohen Wallhecken fort. Der Colonus mit der Peitsche vor seinen Pferden, die Karre langsam hinterdrein be- wegt, auf ihr jetzt außer den beiden Frauenspersonen der Küster sitzend zwischen den Körben, und der Fürsorge wegen wieder das Federkissen vor die Magengegend gestopft. Der Jäger hatte sich bei der Abfahrt beschei- dentlich zurückgehalten, war aber, als die Zinskarre sich eine Strecke weit entfernt hatte, mit raschen Sprüngen nachgeeilt, und fand den Diaconus, wel- cher ebenfalls hinter seinem eingesammelten Gute zurückgeblieben war, auf einem anmuthigen Baum- platze schon seiner harren. Hier, frei vom Cere- moniell des Oberhofes, umarmten sie einander, und der Diaconus rief lachend: Das hätten Sie wohl nicht gedacht, in Ihrem ehemaligen Bekannten, der in jener großen Stadt seinen jungen schwedischen Grafen so säuberlich auf dem schlüpfrigen Boden der Wissenschaft und des eleganten Lebens umher- führte, eine Figur wiederzufinden, welche Sie an Ehrn-Lopez in dem spanischen Pfarrer von Fletcher erinnern muß? Ihr Küster ist, wenn auch kein lustiger Diego, doch ein ganzer Mann, versetzte der Jäger. Er hat mir wie ein wahrer Ceremonienmeister der Zinspflicht das ganze Ritual ausgelegt, und sich bei dem Empfangen, Verwahren und Spruchsprechen mit solcher Würde und Klugheit benommen, daß ich ihn jedem bevollmächtigten Minister, welcher eine verwickelte Angelegenheit seines Hofes zu schlichten hat, als Muster empfehlen möchte. Ja, sagte der Geistliche, das ist heute sein Eh- rentag, auf den er sich schon sechs Wochen vorher freut. Ueberhaupt giebt es unter den Küstern noch viele komische Figuren, welche sonst so sehr jetzt abnehmen. Das beständige Anhören hoher und erbaulicher Worte von ihrem Standpuncte der Dienstbarkeit dabei, das Läuten, das Ansagen der Geburten und Sterbfälle giebt ihrem Wesen einen wundersamen Schwung, mit welchem nun wieder ihr glücklicher Appetit, oder besser zu sagen, ihre maaßlose Freßgier seltsam contrastirt. Denn da sie zu Hause nicht viel zu beißen und zu brechen haben, so versorgen sie sich auf Kindtaufen, Hochzeiten und Leichenschmäusen für ganze Wochen, und ver- schlingen die außerordentlichsten Portionen, aber immer mit einem Anstriche von Salbung, und nicht selten die hellen Thränen der Mitfreude oder Mit- trauer in den Augen. Der meinige hat nun zu allen diesen Standeseigenschaften noch den Privat- charakter der Feigheit; er ist ein ausgemachter Poltron und ich habe mit ihm auf einsamen nächt- lichen Wanderungen zu Kranken oder Sterbenden schon die lustigsten Scenen erlebt. Doch lassen wir den Küster und seine Narrhei- ten. Was die Procedur betrifft, welcher Sie heute beiwohnten, so ist es unumgänglich nothwendig, daß ich mich ihr in Person unterziehe; mein ganzes Verhältniß zu den Leuten wäre gebrochen, wenn ich zu ekel wäre, die alte Sitte mitzumachen. Mein Vorgänger im Amte, der nicht aus hiesiger Gegend war, schämte sich der terminirenden Fahrten, und wollte schlechterdings nichts damit zu thun haben. Was war die Folge davon. Er gerieth in die übelsten Zwistigkeiten mit diesen Landgemeinen, welche selbst auf den Verfall des Kirchlichen und des Schulwesens Einfluß hatten. Zuletzt mußte er gar um seine Versetzung einkommen und ich nahm mir gleich vor, als ich die Pfarre erhielt, in allen Dingen mich nach Ortsgebrauch zu verhalten. Hie- bei habe ich mich denn bisher sehr wohl befunden, und weit gefehlt, daß der Schein der Abhängigkeit, welchen mir diese Fahrten geben, meinem Ansehen schaden sollte; es wird vielmehr dadurch erhöht und befestiget. Wie sollte es auch anders seyn! rief der Jäger. Ich muß Ihnen gestehen, daß bei dem ganzen Ein- hergange, ungeachtet alles Komischen, was Ihr Küster darüber auszubreiten wußte, mich ein Gefühl der Rührung nicht verließ. Ich sah in diesem Empfangen der einfachsten leiblichen Gaben einer- seits, und in der Ehrfurcht, womit sie anderseits dargeboten wurden, gewissermaßen das frömmste, schlichteste Bild der Kirche, welche zu ihrem Bestande des täglichen Brodes nöthig hat, und das Bild der Glaubigen, welche ihr das irdische Bedürfniß in der demüthigen Ueberzeugung, daß sie damit sich ein Höchstes und Ewiges erhalten, darreichen, so daß weder auf der einen noch auf der andern Seite eine Knechtschaft, vielmehr bei Beiden nur die Innigkeit des vollkommensten Wechselbezuges entsteht. Es freut mich, rief der Diaconus, und drückte dem Jäger die Hand, daß Sie die Sache so anse- hen, über welche vielleicht ein Anderer gespöttelt haben würde, daher es mir, wie ich Ihnen nun gestehen darf, im ersten Augenblicke auch gar nicht recht war, in Ihnen unvermuthet einen Zeugen jener Scenen zu finden. Gott bewahre mich, daß ich über etwas, was ich in diesem Lande gesehen, spöttelte! versetzte der Jäger. Ich freue mich jetzt, daß mich ein toller Streich zwischen diese Wälder und Felder geschleu- dert hat, denn sonst würde ich die Gegend wohl nicht kennen gelernt haben, da sie auswärts wenig in Ruf steht, und in der That auch nichts Anzie- hendes für abgespannte und überreizte Touristen haben kann. Aber mich hat hier die Empfindung stärker, als selbst in meiner Heimath angefaßt: Das ist der Boden, den seit mehr als tausend Jahren ein unvermischter Stamm trat! Und die Idee des unsterblichen Volkes wehte mir im Rau- schen dieser Eichen und des uns umwallenden Fruchtsegens fast greiflich möchte ich sagen, ent- gegen. Es ergaben sich aus dieser Aeußerung Reden zwi- schen dem Diaconus und dem Jäger, welche Beide führten, indem sie der Karre langsam folgten. Zehntes Capitel . Von dem Volke und von den höheren Ständen . Das unsterbliche Volk! rief der Diaconus. Ja, dieser Ausdruck besagt das Richtige. Ich ver- sichere Ihnen, mir wird allemal groß zu Muthe, wenn ich der unabschwächbaren Erinnerungskraft, edr nicht zu verwüstenden Gutmüthigkeit und des geburtenreichen Vermögens denke, wodurch unser Volk sich von jeher erhalten und hergestellt hat. Rede ich aber von dem Volke in dieser Beziehung, so meine ich damit die Besten unter den freien Bürgern und den ehrwürdigen, thätigen, wissenden, arbeitsamen Mittelstand. Diese also meine ich, und Niemand anders vor der Hand. Aus ihnen aber, und aus dieser ganzen Masse haucht es mich wie der Duft der aufgerißnen schwarzen Ackerscholle im Frühling an, und ich empfinde die Hoffnung ewigen Keimens, Wachsens, Gedeihens aus dem dunkeln, segenbrütenden Schooße. In ihm gebiert sich immer neu der wahre Ruhm, die Macht und die Herrlichkeit der Nation, die es ja nur ist durch ihre Sitte, durch den Hort ihres Gedankens und ihrer Kunst, und dann durch den sprungweise her- vortretenden Heldenmuth, wenn die Dinge einmal wieder an den abschüssigen Rand des Verderbens getrieben worden sind. Dieses Volk findet, wie ein Wunderkind, beständig Perlen und Edelsteine, aber es achtet ihrer nicht, sondern verbleibt bei seiner genügsamen Armuth, dieses Volk ist ein Riese, wel- cher an dem seidenen Fädchen eines guten Wortes sich leiten läßt, es ist tiefsinnig, unschuldig, treu, tapfer, und hat alle diese Tugenden sich bewahrt unter Umständen, welche andere Völker oberflächlich, frech, treulos, feige gemacht haben. Ich werde nicht, wie Le Vaillant die Tugen- den der Hottentotten auf Kosten der europäschen Civilisation herausstrich, den Lobredner idyllischer Rusticität und kleinbürgerlicher Enge machen, ich fühle sehr wohl, daß uns Allen durch den Um- schwung der Zeiten die Neigung zu glänzenden, geschmackvollen Dingen, zu einer Art von Aristo- cratie des Daseyns mitangeboren ist, welche außer- halb der Mittelverhältnisse liegt, und von der wir uns, ohne an der Natürlichkeit unseres Wesens Einbuße zu leiden, nicht losmachen können, aber ich muß doch Folgendes aus meiner eigenen Ge- schichte hier anführen. Ich war, da ich jenen jun- gen Vornehmen zu führen hatte, während ich noch selbst der Führung gar sehr bedürftig war, unter allen den geistreichen, eleganten, schillernden und schimmernden Gestalten der Kreise, die mir durch mein damaliges Amt zugewiesen waren, eben so geistreich, halbirt, kritisch und ironisch geworden, wie Viele; genial in meinen Ansprüchen, wenn auch nicht in dem, was ich leistete, unbefriedigt von irgend etwas Vorkommendem, und immer in eine blaue Weite strebend; kurz ich war dem schlim- meren Theile meines Wesens zu Folge, ein Neuer, hatte Weltschmerz, wünschte eine andere Bibel, ein anderes Christenthum, einen andern Staat, eine andere Familie, und mich selbst anders mit Haut und Haar. Mit einem Worte, ich war auf dem Wege zum Tollhaus, oder zur insipidesten Phi- listerei; denn diese beiden Ziele liegen meistens vor den Füßen der modernen Wanderer. Und da bin ich denn doch erst hier zwischen den wunder- lichen aber achtbaren Originalen meiner Mittelstadt und unter diesen ländlichen Wehrfestern wieder zu mir selbst gekommen, habe Posto gefaßt, den Schaum der Zeit von mir weichen sehen und Muth bekom- men, mir ein liebes häusliches Verhältniß zu grün- den. Denn in dem Volke sind die Grundbezüge der Menschheit noch wach, da ist das richtige Verhältniß der Geschlechter noch fest ausgeprägt, da gilt das Geschwätz noch nichts, sondern das Gewerbe und der Beruf, den Jeder hat, da folgt der Arbeit in gemessener Ordnung die Ruhe, da ist von den Vergnügungen das Vergnügen noch nicht verbannt. Hören Sie den Jubel in der Stadt oder auf dem Lande bei sonntäglichen Tänzen, bei Hochzeiten und Scheibenschießen, und urtheilen Sie, ob der Spaß sobald in der Welt aussterben wird, wie die grämlichen Jünglinge der Gegenwart mei- nen? Es giebt Müßiggänger, schlechte Ehen und böse Weiber auch hier in Stadt und Land, aber sie heißen bei ihren und nicht bei vornehm umge- bogenen Namen. Jene Mischungen von Langeweile und Begeisterung endlich, wie sie mir einst ein Freund treffend nannte, aus denen in den subli- mirten Kreisen der Gesellschaft manches Perverse hervorgeht, und aus deren einer derselbe Freund auch die blutige That der armen, schönen, bejam- mernswerthen Frau ableitete, deren Unglück darin bestand, einen mittelmäßigen Dichter und großen Selbstling geheirathet zu haben, liegen dem Volke ganz fern. Das ganze potenzirte und destillirte Genre, der Hermaphroditismus des Geistes und Gemüthes, welchen die Muße eines langen Friedens hie und da erzeugt hat, wird dem Stock und Stamm der Gemeinschaft immer fremd bleiben. In dieser orthopädischen Anstalt gerader und normaler Verhältnisse legten sich denn meine etwas verbogenen Glieder auch wieder zurecht. Freilich muß man in der Stille und Abgeschiedenheit von den brausenden Strömungen der Gegenwart auf sich wachen, denn die Gefahr des Verbauerns steht auch nahe, indessen noch hange ich durch stille aber feste Fäden mit dem Weltganzen zusammen, nur mit dem Unterschiede, daß sie sich jetzt bloß um die Gegenstände schlingen, zu denen mich ein geisti- ges Bedürfniß hinweist, während ich mir früher manches geistige Bedürfniß, wie es so Manche unserer Zeitgenossen machen, einzubilden wußte. Der Jäger ging nach dieser Rede des Diaco- nus schweigend und mit gesenktem Haupte neben ihm her. Was ist Ihnen? fragte sein Bekannter nach einer Pause. Ach, sagte Jener, Ihr Bild vom deutschen Volke ist wahr, und es macht mich nur traurig, daß theilweise über dieser Grundfläche ein so wenig entsprechender Gipfel steht. Dieses tüchtige Volk würde bei weitem mehr ausrichten, es würde weit entschiedener Front machen, wenn in den höheren Ständen eine gleiche Tüchtigkeit lebte! Schlimm, daß ich, ich selbst sagen muß: Dem ist nicht so. Leider, erwiederte der Diaconus, sind unsre höheren Stände hinter dem Volke zurückgeblieben, um es kurz und deutlich auszusprechen. Daß es viele höchst ehrenwerthe Ausnahmen von dieser Regel gebe, wer wollte es läugnen? Sie befestigen aber eben nur die Regel. Der Stand als Stand hat sich nicht in die Wogen der Bewegung, die mit Lessing begann und eine grenzenlose Erweiterung des ge- sammten deutschen Denkens, Wissens und Dichtens herbeiführte, getaucht. Statt daß vornehme Per- sonen geboren sind, die Patrone alles Ausgezeich- neten und Talentvollen zu seyn, halten bei uns noch viele Große das Talent für ihren natürlichen Feind, oder doch für lästig und unbequem, gewiß aber für entbehrlich. Es giebt ganze Landstriche im deutschen Vaterlande, in welchen dem Adel, ein Buch zu lesen, noch immer für standeswidrig gilt, und er statt dessen lärmende, nichtige Tage abhetzt, wie in den Zeiten jener Bürgerschen Parforcejagd- Ballade. Das Auffallendste hiebei ist, daß selbst nach der ungeheuren Lehre, welche die Weltkriege den Privilegirten ertheilt hatten, diese noch nicht eingesehen haben, es sei mit dem leeren Scheine nunmehr für immer vorbei, und der erste Stand müsse nothwendig sich in sich selber gründlich fassen und restauriren. Es war seine erste Obliegenheit, dieß zu begreifen, es war die Lebensfrage für ihn, ob er sich mit dem Heiligthume deutscher Gesin- nung und Gesittung nunmehr inniglich verbünden, allem wahrhaftquellenden geistigen Leben der Ge- genwart Schirm und Schutz geben möchte, damit das Zauberbad dieses Lebens seine altersstarren Glieder verjünge. Er hat seine Stellung und diese Frage nicht verstanden, hat in allerhand kleinen Hausmittelchen seine Erkräftigung gesucht, und ist darüber obsolet geworden. Nie und zu keiner Zeit Immermann’s Münchhausen 1. Th. 26 hat ein Stand anders als durch Ideen existirt. Auch den ersten haben Ideen geschaffen und erhal- ten, anfänglich die der Kampfestapferkeit und Lehns- treue, demnächst die der besondern Ehre. Gegen- wärtig ist durch die Errettung des Vaterlandes, welche von allen Ständen ausging, die höchste Ehre ein Gemeingut geworden; weßhalb denn die oberen Stände das Protectorat des Geistes hätten übernehmen müssen, wenn sie wieder etwas Beson- deres seyn und vorstellen wollten. Ich habe, sagte der Jäger kleinlaut, in einer hohen und vornehmen Familie, die ich vor Kurzem auf meinen Streifereien kennen lernte, die zwan- zigjährigen Töchter auf gut Schwäbisch mit der Iphigenie bekannt machen müssen, welche sie noch nie gelesen hatten, weil die Eltern Goethe für einen jugendverführerischen Schriftsteller hielten. Und wer weiß, ob das Haupt dieser Familie, welche ich übrigens nicht kenne, nicht einer von den Figuren ist oder seyn wird, welcher man Bahnen der Cultur anvertraut? sagte der Diaconus. Der unbefangene Beobachter hat in dieser Hinsicht zu- weilen die erschreckendsten Contraste anzuschauen. Nun müssen Sie einräumen, daß ein französischer Marquis oder Düc, von dem eine gleiche Barbarei gegen einen Classiker seiner Nation verlautete, in der Pariser Societät für Lebenszeit verloren wäre. Das Beispiel von Frankreich fordert hier von selbst zur Frage auf, sagte der Jäger. Wie kommt es nur, daß sich dort ganz natürlich gemacht hat, was bei uns nie zu Stande kommen will, nämlich; ein beständiger Contact der Großen mit den Gei- stern und mit dem Geiste der Nation, eine zarte Achtung vor dem geistigen Ruhme der Nation, und eine unbedingte Anerkennung der Literatur, als der eigentlichen Habe der Nation? Die französische Nation, ihr Geist und ihre Literatur haben und sind Esprit, versetzte der Diaconus. Der Esprit ist ein Fluidum, welches die Natur unter den zu seiner Erzeugung günstigen Voraussetzungen an ganze Länder und Völker aus- theilen kann. Es ist also dort in Frankreich eine natürliche Brücke von dem Volksgeiste und von der Literatur zu dem Geiste der vornehmen Classen geschlagen, Letztere ergreifen in ihrem Interesse ohne Anstrengung nur das ihnen Gleichartige. Wir haben keinen Esprit. Unsere Literatur ist ein Pro- duct der Speculation, der freiwaltenden Phantasie, 26* der Vernunft, des mystischen Puncts im Menschen. Die Gaben dieser von Grundaus gehenden Arbeit des Geistes sich anzueignen sind eben nur wieder Geister, welche die Arbeit stählte, vermögend. Mit Leichtfertigkeit ist deutscher Art nicht beizukommen. Die Vornehmen arbeiten aber nicht gern, sie ziehen es bekanntlich vor, zu ernten, wo sie nicht gesäet haben. Deßhalb ist es wieder natürlich — wenn auch das Verwerfungsurtheil über die Barbarei des ersten Standes bei Kräften stehen bleibt — daß er locker mit deutschem Geiste zusammenhängt; zu einem näheren Bündnisse hätte er sich über Gebühr anstrengen müssen. Zu läugnen ist doch auch nicht, daß gerade durch die Absonderung des deutschen Geistes von dem Athem der hohen Societät ihm manche Tugen- den erhalten worden sind, sagte der Jäger; seine Frische, seine eigensinnige herbe Jungfräulichkeit, sein rücksichtsloses Um- und Vorgreifen. Denn jede Erfin- dung der schaffenden Seele, welche vor Augen haben muß, mit gewissen Forderungen der Gesellschaft zu- sammenzutreffen, wird nothwendigerweise mechani- sirt. Unsere Wissenschaft, unsere Philosophie, unsere Literatur sind Töchter Gottes und der Natur; mit welchen andern möchten sie einen Tausch solches Stammbaum’s eingehen? Hier wurden diese Gespräche von einem hef- tigen Schreien, ja Brüllen unterbrochen, welches sich an der Zinskarre erhob. Hinzueilend sahen sie den Küster in entsetzter Stellung, die Arme wie Wegweiser ausgebreitet, das Gesicht braun und weiß gesprenkelt, den Mund wie Laocoon aufge- sperrt. Um ihn her standen die Frauenspersonen und der Colonus, der seine Karre zum Stehen gebracht hatte. Die Küsterin klopfte dem Küster den Rücken, die Magd hatte ihm den Rock halb aufgeknöpft, aus welchem das Federkissen gefähr- lich hervorhing. Der Diaconus forschte nach der Ursache des Auftritts und erfuhr von seiner Magd, (denn der Küster war noch immer sprachlos) daß der Küster von der Karre abgestiegen sei, um, wie er gesagt, der lieben Verdauung wegen etwas zu gehen, da sei ein großer schwarzer Hund dicht an ihm vorbei quer über den Weg hinübergeschossen, der Küster habe aber sofort jenes Geschrei oder Gebrüll erhoben, so daß beinahe die Pferde scheu geworden seien. In diesem Augenblicke gab die Küsterin ihrem Manne, bei dem das Klopfen nicht verfangen wollte, mit den Worten: Wenn Alles bei der Maulsperre vergebens ist, so hilft das! aus Lei- beskräften eine Ohrfeige. Alsobald flogen die Kinnbacken des entsetzten Mannes zusammen wie Thorflügel, er wischte sich die Thränen aus den Augen und sagte zu seiner Frau: Ich danke dir, Gertrud, für diese Backpfeife, durch welche du mich von schweren Leiden curirt hast. Und zum Diaconus sich wendend: Ja, Herr Diaconus, ein wüthender, ein toller Hund! Schweif eingeklemmt, rothe und dabei triefende Augen, Schaum vor der Schnauze, blaue Zunge, heraushängend, taumeln- der Gang, kurz alle Kennzeichen der wasserscheuen Wuth! Um Gotteswillen, wo hat er Euch gebissen? rief der Diaconus erblassend. Nirgend, mein Herr Diaconus, versetzte der Küster feierlich, nirgend; dem Allmächtigen sei Dank dafür. Aber wie leichtlich hätte er mich beißen können. Ich habe das Ungeheuer, wie An- dere einen grimmen Wolf durch Geigenspiel in die Flucht schlugen, durch den Ton meiner Stimme, die mir Gott gegeben, verscheuchet und verjaget, als es eben im Anspringen auf mich begriffen war. Es stutzete und schwang sich seitwärts die Wallhecke hinauf. Mir aber blieben von der übermenschlichen Anstrengung jenes heilsamen Angstrufes die Kinn- backen in der Maulsperre verfangen und verfestiget, bis meine gute Ehefrau, wie Sie gesehen, mir die wirksame Backpfeife verordnete. Das ist ein Zins- tag, an welchen ich gedenken werde! Der Diaconus und der Jäger hatten Mühe, ein Lachen zu verbeißen. Die Magd sagte, sie glaube nicht, daß der Hund toll gewesen sei, er möge wohl nur seinen Herrn verloren gehabt haben, in welchem Falle die Creaturen sich immer sehr un- gebärdig anstellten. Wirklich sah man den Hund in einiger Entfernung auf einem Feldwege ruhig und schweifwedelnd hinter einem Packenträger her- gehen. Der Küster, dem diese Bemerkung mitge- theilt wurde, ließ sich nicht aus der Fassung brin- gen, sondern sprach ernsthaft: Wie leichtlich hätte der Hund toll seyn können! Der Diaconus ließ ihn und sein Fuhrwerk sich wieder in Bewegung setzen, und trennte sich an dieser Stelle von dem Jäger, da, wie er sagte, ihr Gespräch doch gestört sei, und der Colonus es ihm verdenken werde, wenn er dessen Gesell- schaft auf dem ganzen Heimwege meide. Bei dem Abschiede mußte der junge Schwabe seinem Be- kannten das Versprechen geben, ihn auf einige Tage in der Stadt zu besuchen. Darauf gingen sie nach verschiedenen Richtungen aus einander. Eilftes Capitel . Die fremde Blume und das schöne Mäd- chen. Die gelehrte Gesellschaft . Die Sonne stand noch hoch am Himmel, und dem Jäger war es nicht gelegen, so früh in den Oberhof zurückzukehren. Er trat auf eine der höchsten Wallhecken, sah sich in der Gegend um und meinte, daß er eine Hügelgruppe, welche in gerin- ger Entfernung ihre buschichten Häupter erhob, wohl noch durchstreifen und doch vor spät Abends wieder in seinem Quartiere seyn könne. Das Wiederfinden des Diaconus und sein Gespräch hatte manche Erinnerungen der früheren Zeiten in ihm aufgeweckt; er war unruhig und sehnte sich in dieser Stim- mung nach Pfaden, die er noch nicht betreten, nach Bergen und Bäumen, an deren Anblick er sich noch nicht gewöhnt hatte. Tief, tief seine heiße Seele in das kühle Waldesdunkel, in den feuchten Dunst bemooster Felsen, in den begeisteten Schaum sprin- gender Quellen zu tauchen, danach lechzte er; danach schmachtete er aus der brütenden Wärme der Korn- felder. Der Anblick des Diaconus hatte ihm wohl und wehe gemacht; ihre erste Bekanntschaft war durch die unerschrockene Gymnastik des Geistes, in wel- cher die Jugend ihre ersten überschwellenden Kräfte zu tummeln liebt, bezeichnet gewesen. Jener, älter, und wie erwähnt worden, schon Führer eines jun- gen vornehmen Schweden, hatte sich dennoch als ein immer fertiger Disputant und Opponent zu den Studenten gehalten, und manche Stunde der Mitternacht war dem Jäger mit ihm in eifrigem Kämpfen und Ringen vergangen. — Ja, rief er, indem er immer fürbaß den Hügeln zuschritt, du, mein deutsches Vaterland, bleibst doch der ewig geweihte Heerd, die Geburtsstätte des heiligen Feu- ers! Ueberall, auf jedem Fleckchen in dir wird dem Dienste des Unsichtbaren geopfert, und der Deut- sche ist ein Abraham, der dem Herrn den Altar baut allerwege, wo er auch nur die Nacht über geras- tet hat. — Er gedachte der Reden seines Bekannten und der Situation, in welcher sie vorgefallen waren. — Das wird auch anderwärts nicht vorkom- men, daß ein armer Pastor, hinter seiner Hühnerkarre herschreitend, sich an der unsterblichen Idee der Nation begeistert, sagte er. Lächerlich und erhaben! Lächer- lich, weil das Erhabene auch durch das Aermlichste und Kleinste bei uns hindurchsieht und die Formen des Geringen siegreich zerbricht! Wie reich bist du, mein Vaterland! Sein Fuß betrat frisches, feuchtes Wiesengrün, besäumt von Büschen, unter denen ein klares Was- ser rann. Dieser vollen, gesunden, jungen Seele thaten noch symbolische Handlungen Noth, sich und ihrem Drange zu genügen. In kurzer Entfernung zeigten sich kleine Felsen, über die ein schmales, schlüpfriges Pfädchen lief. Er ging hinüber, klomm zwischen den Klippen nieder, streifte den Aermel auf, ritzte das Fleisch seines Armes und ließ das Blut in das Wasser rinnen, indem er ein stilles, frommes Gelübde ohne Worte sprach. Er legte den Arm in das Wasser, die Fluth kühlte ihm mit anmuthigem Schauder das heiße Blut ab. So, halb knieend, halb sitzend an den feuchten, dunkeln, umklippten Orte blickte er seitwärts in das Offene; da wurden seine Augen von einer prachtvollen Erscheinung gefangen genommen. Zwi- schen den Gräsern waren alte Baumtrümme ver- weset und starrten schwarz aus dem umgebenden lustigen Grün. Einer derselben war ganz ausge- höhlt, in seinem Inneren hatte sich der Moder zu brauner Erde niedergeschlagen, und aus dieser und aus dem Trumm, wie aus einem Crater, blühte die herrlichste Blume empor. Ueber dem Kranze sanfter runder Blätter erwuchs ein schlanker Sten- gel, der große Kelche von unnennbar schöner Röthe trug. Tief in den Kelchen stand ein geflammtes zartes Weiß, welches in leichten grünen Aederchen nach dem Rande zu auslief. Es war offenbar keine hiesige, es war eine fremde Blume, deren Samenkorn, wer weiß, welcher? Zufall in den durch die Verwesungskräfte der Natur bereiteten Gartenboden getragen, und eine günstige Sommer- sonne auch hier zum Wachsen und Blühen gebracht hatte. Der Jäger erquickte sein Auge an diesem rei- zenden Anblicke, der ihn belohnte, als er das Ge- lübde gethan hatte, mit Leib und Seele dem Vater- lande angehören und Zeitlebens keine Götter haben zu wollen, als die heimischen. Trunken von der Magie der Natur lehnte er sich zurück und schloß in süßen Träumereien die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatte sich die Scene ver- ändert. Ein schönes Mädchen in einfachem Gewande, den Strohhut über den Arm gehängt, kniete vor der Blume, hielt deren Stengel zärtlich, wie den Hals des Geliebten umschlungen, und blickte, die holdeste Freude der Ueberraschung in den Augen, tief in einen der rothen Kelche. Sie mußte, wäh- rend der Jäger zurückgebeugt lag, leise herbeige- kommen seyn. Ihn sah sie nicht; die Klippen verdeckten ihn, und er hütete sich wohl, eine Bewe- gung zu machen, welche ihm die Erscheinung ver- scheuchen konnte. Aber, als sie nach einer Weile athmend von dem Kelche emporschaute, fiel ihr Blick seitwärts in das Wasser, und sie gewahrte den Schatten eines Mannes. Nun sah er sie sich verfärben, die Blume aus ihren Händen entlassen, übrigens aber regungslos auf den Knieen bleiben. Er erhob sich mit halbem Leibe zwischen den Klip- pen, und vier junge, unschuldige Augen trafen einander mit feurigen Strahlen. Nur einen Au- genblick! denn alsobald stand das Mädchen, Gluth im Antlitz, auf, warf den Strohhut über das Haupt und war mit drei raschen Schritten hinter den Büschen verschwunden. Er kam nun auch aus den Klippen hervor und streckte den blutigen Arm nach den Büschen aus. War der Geist der Blume lebendig gewor- den? Er sah diese wieder an, sie wollte ihm nicht mehr so schön bedünken, wie wenige Augenblicke zuvor. Eine Amaryllis, sagte er kalt, ich erkenne sie jetzt, ich habe sie im Gewächshause. Sollte er dem Mädchen nachfolgen? Er wollte es, eine geheime Scheu fesselte aber seinen Fuß. Er faßte an seine Stirne; geträumt hatte er nicht, das wußte er, und das Ereigniß, rief er endlich mit einer Art von Anstrengung, ist auch so abson- derlich nicht, daß es geträumt werden müßte! Ein hübsches Mädchen, die des Weges daherkommt und sich auch an einer hübschen Blume erfreut, das ist das Ganze! Er strich zwischen unbekannten Bergen, Thälern Geländen umher, so lange ihn die Füße tragen wollten. Endlich mußte er an den Rückweg den- ken. Spät, im Dunkeln, und nur mit Hülfe eines zufällig gefundenen Führers erreichte er den Ober- hof. In diesem brummten die Kühe, der Hofschulze saß auf dem Flure mit Tochter, Knechten und Mägden zu Tische und wollte moralische Gespräche beginnen. Aber dem Jäger war es unmöglich, darauf einzugehen, es kam ihm Alles verwandelt, roh und ungefüge vor. Er suchte rasch seine Stube, nicht wissend, wie er noch länger in das Ungewisse hin hier werde verweilen können. Ein Brief, den er oben von seinem Freunde Ernst aus dem Schwarzwalde fand, vermehrte noch sein Mißbehagen. In dieser Stimmung, welche einen Theil der Nacht dem Schlummer raubte und die sich selbst am folgenden Morgen noch nicht verloren hatte, war es ihm sehr erwünscht, daß ihm der Diaconus ein kleines Wägelchen schickte, ihn nach der Stadt abzuholen. Schon von weitem zeigten Zinnen, hohe Mauern und Bastionen, daß der Ort, einst ein mächtiges Glied im Bunde der Hansa, seine große, wehrhafte Zeit gehabt habe. Der tiefe Graben war noch vorhanden, wenn gleich zu Baumpflanzungen und Küchengärten verwendet. — Sein Fuhrwerk bewegte sich, nachdem das dunkle, gothische Thor durchfahren war, etwas mühsam auf dem zerschrotenen Steinpflaster und hielt endlich vor einer freundlichen Wohnung, an deren Schwelle ihn schon der Diaconus empfing. Er trat in einen heitern, behaglichen Haushalt ein, belebt von einer munteren, hübschen Frau, und einem Paar lebhafter Knaben, die sie ihrem Eheherren geboren hatte. Nach dem Frühstück machten sie einen Gang durch die Stadt. Die Straßen waren ziemlich menschenleer. Zwischen alten Schwiebbögen, Thürm- chen, Kragsteinen, Fragmenten von Steinfiguren zeig- ten sich nichts elten Sumpfstellen, Baumplätze, Gras- flecke. Um ein altes Gebäude, mit vier zierlichen Spitzsäulen an den Ecken und einer Kränzung von Rauten und Rosen aus Sandstein sprang ein muth- williges Wässerchen; Epheu und wilder Wein hatte sich in den Ritzen des Mauerwerks einge- nistet. Ringsumher die tiefste Einsamkeit. Ist es nicht, als ob man den Geist der Geschichte leib- haftig weben und spinnen sieht? sagte der Jäger an dieser oder einer anderen ihr ähnlichen Stelle. Ja, versetzte der Diaconus, man wird hier, wie von selbst, zum Alterthume hingeführt, und eine erinnernde Stimmung bemächtigt sich der Seele. Dazu kommt, daß auch ein Theil der Bevölkerung aus menschlichen Ruinen besteht. Wie so? fragte der Jäger. Weil es hier sehr wohlfeil leben ist, ferner wegen der Stille des Orts und vielleicht auch we- gen seiner dem menschlichen Alter ähnlichen Phy- siognomie ziehen sich hieher viele bejahrte Leute aus Amt und Geschäft zurück, ihre letzten Tage unter diesem verwitternden Gemäuer zuzubringen, sagte der Diaconus. Greiser Beamten und Offi- ziere, welche hier ihre Pensionen verzehren, betagter Rentner, welche das Comptoir jüngeren Händen überlassen haben, giebt es hier eine Menge. Wenn nun auch Viele dieser Ausruhenden nur langwei- lige alte Tröpfe sind, so stößt man doch auch auf Manchen, der sich umgethan hat, einen reichen Schatz von Erfahrung bewahrt und von dem man Dinge zu hören bekommt, die nicht so allgemein bekannt sind. So erzählen gewissermaßen die stei- nernen Trümmer Geschichte und die Menschentrüm- mer, welche darunter umherwanken, Memoiren. Hier sollen Sie gleich ein solches Fragment kennen Immermann’s Münchhausen 1. Th. 27 lernen, einen alten Hauptmann; nur bitte ich Sie, widersprechen Sie ihm in nichts, denn Widerspruch kann er nicht ertragen. Er klingelte an der Thüre eines ziemlich gut aussehenden Hauses, welches hinter Kastanien beschattet lag, ein Diener öffnete und führte mit steifer militairischer Haltung den Besuch in ein Zimmer, welches von Sauberkeit glänzte. Dann ging er den Herrn zu rufen, welcher, wie er sagte, die Hühner füttere. Der Diaconus blickte sich flüchtig im Zimmer um und sagte dann rasch zum Jäger: Der Hauptmann ist heute Französisch, also um Gotteswillen keine patriotische deutsche Auf- wallung, er mag vorbringen, was er will! Der Jäger hatte sich gleichfalls im Zimmer umgesehen. Alles athmete darin das Andenken an die Thaten des Empire. Napoleon stand als ganze Figur im bekannten Oberrocke, die Arme gekreuzt, auf dem Schreibschranke, außerdem war er mehrmals in Büsten und Medaillons vorhanden. Da hing Mü- rat in dem bekannten Theatercostüme zu Roß, Eugen, Ney, Rapp. Es fehlte nicht der General bei dem Besuche der Pestkranken zu Jaffa, der erste Consul zu St. Cloud und der Kaiser bei dem Abschiede von den Garden zu Fontainebleau. Viele, diesen gemäße Darstellungen reihten sich ihnen an. In einer Ecke des Zimmers sah der Jäger ein Bücher- brett mit den Werken von Segur, Gourgaud, Fain, LasCases und Andern, welche zu dieser Autoren- Reihe gehörten. Dennoch hatte er die Mahnung seines Beglei- ters nicht ganz verstanden und wollte ihn eben um nähere Erläuterung bitten, als der Hauptmann das Zimmer betrat. Es war ein ältlicher Herr in blauem Oberrock, das rothe Band im Knopfloch. Durch das hagere Gesicht zogen sich unzählige Runzeln und auch einige Schmarren. Er begrüßte seine Gäste mit trockener Höflichkeit, lud sie zum Sitzen und ließ sich den Namen der Jägers nen- nen, den der Diaconus ohne Arg aussprach, ehe sein Träger es verhindern konnte. Ich habe, sagte der Hauptmann, indem er nachsann, Einen dieses Na- mens bei den Würtembergern in Rußland gekannt. Der Zufall führte uns mehrmals zusammen, bei Smolensk geriethen wir beide in Gefangenschaft, halfen uns aber bald wieder heraus. Das war mein Oheim, erwiederte der Jäger. — Diese Entdeckung gab ihm sogleich einen näheren 27* Bezug zu dem Hauptmann, dessen ganzes Gesicht sich erheiterte. Er drückte dem Neffen seines alten Cameraden die Hand und ließ sich nun in seinen Kriegeserinnerungen bis zur Schlacht von Leipzig ungemessen gehen. Dort aber bekamen sie einen Halt und stockten, so zu sagen, hinter einem Schlagbaume, über den sie nicht hinwegsprangen. Am Schlusse seiner Erzählungen sagte er: Es ist um einen großen Mann eine eigene Sache, und die Menschheit schaufelt sein Bild aus dem Schutte hervor, mag das Unglück diesen noch so hoch über ihm aufgethürmt haben. Was haben alle die Siege, die zweimal nach Paris führten, den Siegern in Betreff des Nach- ruhmes geholfen? Nichts. Es sind Thatsachen geblieben, die alle Welt kalt anhört und weiter erzählt, aber der Kaiser, der Kaiser bleibt die ein- zige Gestalt jener Tage. Er hat die Menschen gequält, und dennoch vergöttern sie ihn, ei, ein wenig Qual ist dem Menschengeschlechte nützer als allzuschlaffes Wohlleben! Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch: An den gußeisernen Monumenten mit den spitzigen Kirchendächern werden die Invaliden wachen und die Gegitter den reisenden Englän- dern aufschließen, aber nur an der Vendomesäule werden jeden fünften Mai frische Immortellen liegen. Der Diaconus erhob sich; der Hauptmann fragte, ob er den Fremden nicht noch anderweit zu sehen bekomme, was der Diaconus bejahte, da, wie er hinzufügte, sein junger Freund ihm das Vergnügen machen werde, an der gelehrten Gesell- schaft Theil zu nehmen. In ihr hoffen wir dieß- mal stark auf Sie, liebster Hauptmann, sagte er. — Ich werde Euch aus den Papieren meines seligen Freundes einen Beitrag liefern, welcher Euch zei- gen soll, welche Jüngelchen den großen Kaiser geschlagen haben wollen, versetzte der Hauptmann ironisch. Das ist ja ein wüthender Bonapartist, sagte der Jäger draußen zum Diaconus. Tageweise, ver- setzte dieser. Johann, können Sie uns nicht das preußische Zimmer zeigen? mit diesen Worten wandte er sich an den begleitenden Diener. Der Mensch sah sich ängstlich um, nach einigem Schwei- gen antwortete er: Der Herr wird wohl gleich ausgehen; treten Sie nur sacht hinein, ich will hier auf Posten bleiben. — Der Diaconus ging mit seinem Gaste über den Flur nach der andern Seite des Hauses und that ihm ein Zimmer auf, vor dessen Fenstern Weinranken einen grünen Schim- mer verbreiteten und welches eine anmuthige Aus- sicht auf blühende Gartenbeete hatte. Das Erste, was dem Jäger auffiel, weil es der Thüre ge- rade gegenüber stand, war ein Tropäon auf hohem Postamente, zusammengefügt aus Kanonen, Waffen, Fahnen, Kriegesgeräth. An dem Postamente glänz- ten in goldenen Ziffern die Jahreszahlen 1813, 1814, 1815 und über dem Tropäon an der Wand prangten in einer Einfassung von goldenen Sternen die Namen der Befreiungsschlachten auf weißem Grunde. Die Wände dieses Zimmers waren von den Büsten der verbündeten Herrscher und ihrer Feldherrn geschmückt. Da sah man den Abschied der Freiwilligen, Blücher und Gneisenau in ihren Regenmänteln nach der Schlacht an der Katz- bach über die Haide reitend, den Einzug in Paris, die Plane von Leipzig und Belle-Alliance. Und um den symmetrischen Gegensatz zu dem französischen Zimmer zu vollenden, so fehlte auch hier eine kleine Sammlung von Kriegsbü- chern nicht, von Deutschen in deutschem Sinne geschrieben. Nun sagen Sie mir, was bedeutet das? fragte der Jäger, welcher die Gegenstände umher mit Verwunderung betrachtete. Ist Ihr Hauptmann ein Amphibium? — Ein Stück davon, erwiederte der Diaconus. Ich höre eben die Thüre klinken, er hat das Haus verlassen, ich kann Ihnen mit Muße die Contraste auslegen, über welche Sie erstaunen. Er nöthigte seinen Gast auf ein Canap é , dann fuhr er so fort: Unser Hauptmann ist ein recht- winklichter, schroffer und unvermischter Charakter. Deßhalb haben sich seine Erinnerungen wie zwei mathematische Figuren aus einander gelegt. Er diente bei den Franzosen mit großer Auszeichnung; Sie haben gesehen, daß ihm unter jenen Adlern das rothe Band zu Theil geworden ist. Nach der Schlacht von Leipzig wurde sein Corps aufgelöst, er war als Deutscher sich selbst und den vaterländischen Verhält- nissen zurückgegeben. Indem nun das Kriegsgetüm- mel weiter raste, und alle Welt gen Frankreich zog, wäre es unnatürlich gewesen, wenn der alte Degen hätte zurückbleiben sollen; er nahm daher preußi- sche Dienste, und kämpfte mit so vielen andern Tausenden nun auf derselben Seite, welche er noch vor wenigen Monaten zu vernichten sich bestrebt hatte. Auch unter diesen Fahnen war seine Tapferkeit belobt, namentlich soll er späterhin in den mörderischen niederländischen Schlachten wie ein Löwe gestritten haben. Er empfing zu dem Kreuze der Ehrenlegion das eiserne, jenem so feindlich gewordene. Nach dem Frieden blieb er nur noch kurze Zeit im Heere; seine Strapazen und Wunden hatten ihn mürbe gemacht. Hieher zog er sich mit seiner Pension zurück, welche ihm ein anständiges Aus- kommen gewährte. Indem nun Jedermann um ihn her in den wiedererworbenen westlichen Theilen des Vaterlandes sich mit seinen Gefühlen einzu- richten wußte, die Sympathien des gestürzten Reichs und der neuen Deutschheit amalgamirte, oder we- nigstens zusammenschweißte und löthete, wollte es unserem armen störrigen Hauptmann nicht so wohl gelingen. Den Degen in der Faust hatte er ohne Reflexion darauf losgeschlagen, für oder wider; aber in der Muße und im Nachdenken des Frie- dens überfiel ihn eine Spaltung und Verwirrung, welche ihn fast toll machte. Er konnte es nicht in sich beherbergen, daß er binnen Jahresfrist ein tapferer Franzose und ein tapferer Preuße gewesen seyn sollte, daß er bis zum October „la perfidie du cabinet de Berlin“ habe züchtigen und nach dem October das Vaterland retten helfen. Mit seltsamen Blicken betrachtete er die beiden Orden, die streitbaren Löwen, welche wie friedliche Lämmer neben einander auf seiner Brust ruhten. Er stieß Reden aus und verübte Handlungen, die seinen Bekannten bange um ihn machten. Ich weiß von diesen Dingen nur durch Andere, denn ich war damals noch nicht hier. Möglich, daß der Zustand durch die Nachwirkung seiner Kopf- wunden und des russischen Eises befördert worden ist, doch bin ich überzeugt, daß die Ursache dessel- ben im Geistigen, in dem Leisten- und Fachartigen seines ehrenwerthen Sinnes gelegen hat. Endlich nahm sich ein Fieber seiner an, machte ihm Leib und Seele frei. Unmittelbar nach der Herstellung richtete er die sonderbare Lebensweise sich ein, deren Zeichen und Spuren Ihnen aufgefallen sind, und in dieser habe auch ich ihn erst kennen gelernt. Er stiftete nämlich militairische Ordnung in seinen Erinnerungen und theilte sie, so zu sagen, in zwei abgesonderte Corps ein, die für sich agiren. Eine Zeitlang ist er Franzose und ganz versenkt in die Herrlichkeit der Napoleonischen Zeit, dann wird er wieder eine Zeitlang eben so entschiedener Preuße und Lobredner des Aufschwungs jener gro- ßen Epoche der Volksbewegung. Diese Phasen treten abwechselnd ein, jenachdem ihn eine Vorstel- lung, die dem einen oder andern Kreise angehört, in Beschlag nimmt, und sie dauern so lange, bis der Stoff der Vorstellung sich abgesponnen hat. Es versteht sich, daß er auch immer nur einen Orden, entweder den Preußischen, oder den Fran- zösischen trägt. Diesem Turnus gemäß hat er denn auch die beiden abgesonderten Wohngelasse sich ausgerüstet, und neben jedem ein besonderes Schlafgemach. Drüben unter den Marschällen bringt er zu, wenn er Franzose ist, und hier bei den Tro- päon verweilt er, wenn er die preußischen Tage hat. Nicht wahr, wir besitzen hier zu Lande gute Ori- ginale? In der That, versetzte der Jäger, man fühlt sich bei Ihnen wie in der Welt des Tristram Shandy. Uebrigens kann ich nicht sagen, daß mir die Manier des guten Hauptmanns, so barock sie auch aussieht, gerade unvernünftig vorkäme. Man- cher Deutsche, welcher eine geraume Zeit lang selbst nicht gewußt hat, was er eigentlich war, Franzose oder Deutscher, würde durch sie seinen Charakter reiner und einfacher erhalten haben. — Wie das Gemüth ihm unbewußt einen Streich spielte! Zu dem vaterländischen Zimmer erwählte er das bestgelegene mit grüner lieblicher Aussicht, während das Französische unerquicklich an der kah- len, öden Straße liegt. In einem Puncte ist der Hauptmann höchst achtbar, sagte der Diaconus, in dem, daß, wenn auch seine Fantasie Tage- und Wochenweise an den fremden Erinnerungen haftet, dennoch nie der leiseste Wunsch nach der Zeit des allgemeinen Elends in ihm aufkeimt. Für unsere gelehrte Gesellschaft ist er vom größten Nutzen, denn er besitzt einen wahren Schatz an einem Hefte persönlicher Denk- würdigkeiten eines verstorbenen, ihm innigst ver- bunden gewesenen Freundes, eines Offiziers. Man lernt aus denselben das Kleinleben des Krieges kennen, was die eigentlichen Geschichtsbü- cher, Schlachtbeschreibungen und militairischen Be- richte gar nicht enthalten, und weil ein Mensch von hinreißendem Gefühl und treuer Beobachtungs- gabe jene unbefangenen Notizen aufgeschrieben hat, so ist mir nicht selten bei einzelnen Parthien zu Muthe geworden, als rolle sich vor mir eine neue Ilias und Odyssee ab. Wenigstens leidet und handelt darin der Einzelne trotz des passiven Ge- horsams und der mechanischen Kriegsführung unserer Tage, wie ein homerischer Held. Von diesen Denk- würdigkeiten liest nun zuweilen der Hauptmann in unserer Gesellschaft Abschnitte vor. Der Jäger erkundigte sich nach der gelehrten Gesellschaft, deren Daseyn er in dieser Stadt nicht vermuthet hatte, und der Diaconus erzählte ihm, indem er ihn aus dem Hause des Hauptmanns weiter durch die Stadt führte, lächelnd und heiter von ihrer eigenthümlichen Gestalt, ihren Gesetzen und ihren productivsten Mitgliedern, unter denen außer einem Dichter ein Sammler und ein Rei- sender von Profession vorkamen. Er sagte ihm, daß er ihm schon deßhalb heute den Wagen geschickt habe, damit er einer Sitzung beiwohnen könne, die auf den Abend bestimmt worden sei und ihm viel- leicht einige angenehme Stunden bereite. Unter diesen Gesprächen waren sie zu einem geräumigen Wiesenplatze gekommen, welcher aber gleichwohl noch innerhalb der Ringmauern der Stadt lag. Auf demselben erhob sich eine alte gothische Kirche, grün wie die Wiese. Der Jäger konnte an ihrem Anblicke sein Auge nicht ersättigen. Theils war schon die Farbe des Sandsteins, wie sie bezeichnet worden, äußerst eigen; theils aber hatte die Natur auch ihr willkührlichstes Spiel mit dem lockeren und mürben Material getrieben, und in dem reichen Pfeiler- und Schnitzwerk, an den Kanten und Ecken durch Regenschlag und Nässe ganz neue Figurationen hervorgebracht, so daß das Gebäude wenigstens stellenweise aussah, als sei es nicht aus des Menschen, sondern aus ihrer Hand hervorgegangen. — Wie sonderbare Symbole wer- den oft um uns hergestellt! rief der Jäger. Hier steht die Kirche, an welcher, mindestens an deren Ornamenten sich nicht unterscheiden läßt, was davon der Baumeister gewollt, und was Zeit und Wetter hinzugefügt haben, und gestern erschien mir an einer Blume im Walde ein schönes Mädchen. Der Diaconus fragte näher nach, und der Jä- ger erzählte ihm mit glänzenden Augen und beweg- ter Stimme sein Waldabentheuer. Nach Ihrer Beschreibung zu urtheilen, sind Sie mit der blonden Lisbeth zusammengetroffen, sagte Jener. Das liebe Kind streift im Lande umher, ihrem alten faseln- den Pflegevater Geld zu verschaffen; sie war auch bei mir vor einigen Tagen, wollte sich aber nicht verweilen. Wenn sie es war, so hat Ihnen die Natur wirklich ein Symbol gezeigt, denn auch das Mädchen ist in Moder und Verfall aufgeblüht, wie Ihre Wunderblume aus dem alten Baumtrumm. Ueber ihr halten schirmende Geister die Hände, sie ist das liebenswürdigste Aschenbrödel und ich wün- sche ihr nur den Prinzen, der sich in ihren kleinen Schuh verliebt. Auf dem Rückwege sollten der Sammler und der Reisende besucht werden, Beide waren aber nicht zu Hause. In der Wohnung des Diaconus hatten sich dagegen bei der Frau mehrere Freun- dinnen eingefunden, anscheinend zufällig, eigentlich jedoch wohl in der Absicht, den jungen hübschen Fremden in Augenschein zu nehmen. Sein mun- teres trauliches Wesen brachte ihn bald mit allen den Frauenzimmern, unter denen keine einzige Häß- liche war, in naive Berührung, und es schadete ihm bei ihnen nicht, daß sie hin und wieder über seine Zischlaute heimlich lächeln mußten. Er hatte sich bei Tische seiner Verschwiegenheit gerühmt. Als man aufgestanden war, zog ihn die Wirthin rasch bei Seite und flüsterte ihm zu: Sagen Sie den Beiden — sie zeigte auf zwei ihrer Freundinnen, welche zum Essen geblieben waren — nichts vom heutigen Abende, es soll daraus eine Ueberraschung für sie gesponnen wer- den. — Sie meinen, versetzte er, die gelehrte Gesellschaft des heutigen Abends. — Dieselbe, erwiederte die Frau schalkhaft, und verschweigen Sie, wenn Sie sich auch sonst verschnappen sollten, wenigstens den Ort der Zusammenkunft, wie heißt er doch nur gleich? Er nannte ihr harmlos den Ort, den er zufäl- lig auch bereits vom Diaconus erfahren hatte. Richtig! rief die Frau, eilte zu ihren Freundinnen, und alle Drei verließen flüsternd und lachend das Zimmer. Zwoͤlftes Capitel . Brief und Antwort . Der Oberamtmann Ernst an den Jäger . „Wenn du mich Mentor nennst, so steckt Pallas Athene in mir, und wenn ich dann trotz meiner Göttlichkeit immer noch an dem unfolgsamen Tele- mach hange, so muß wohl das unerbittliche Schick- sal daran Schuld seyn, dem Götter und Menschen sich beugen. Sage mir, was bist du? Wo fängt bei dir die Vernunft an, und wo hört die Thorheit auf — Mischwesen? Willst du ewig ein Kind bleiben? Kommt es denn immer in dir nur zu Blüthen und setzen sich nie Früchte ab? Ich dächte, man würde Alles müde, absonderlich dummer Streiche, und du hättest den Reiz der Neuheit in dieser Materie allgemach überwunden. Allerdings glaube ich, daß der Mensch von dun- keln Instincten Manches zu erdulden hat, und in- sonderheit mag deinem Blute durch die schwärmende und übertriebene Zärtlichkeit deiner Eltern, welcher du deine Entstehung verdankst, der Kitzel einge- impft worden seyn, von Abentheuern zu Abentheu- ern fortzustrudeln. Wenn du aber meinst, daß aus solchen instinctelirenden Anstößen irgend etwas Großes, ja daß nur etwas Gutes und Gescheidtes daraus hervorgehen könne, so bist du gewaltig im Irrthum, ich habe immer die Handlungen der Men- schen erst anfangen sehen, wo diese Region dämm- riger Willkührlichkeiten hinter ihren Füßen lag. Von der Geschichte deines Ludwigsburger Grana- tensuchers hast du das Ende vergessen. Der Mensch gewöhnte sich nach dem kleinen Glücke, welches ihm sein Raptus gebracht, das Trinken an, ging oder taumelte einmal bei später Abend- zeit in der Gegend umher und fiel in den Neckar, aus dem man am andern Morgen seine Leiche zog. Ihr Ritter der Nachtseite der Natur greift aber immer aus den Thatsachen nur das heraus, was in Euren Kram paßt, und woran Ihr kapuzinerhaft Euren Spruch demonstriren könnt. Immermann’s Münchhausen. 1. Th. 28 Dein Umherschweifen hat dir manche schöne Stunde und viele tausend Gulden unnütz ge- raubt, mit deinem verwünschten Schießen wirst du einmal übel ankommen; was deine Verehrung der Frauenzimmer betrifft, so ist diese Andacht für mich eine neue Bekanntschaft, ich hatte bis etzt in der Hinsicht nichts Absonderliches an dir verspüren können. — Beinahe krank bin ich aber von deinem Briefe geworden, denn es giebt nichts Verhängnißvolleres, als wenn ein Mensch in dei- nen Jahren und Verhältnissen noch Streiche macht, die man kaum einem heimathlosen Studenten ver- zeiht. Die Leute glauben nicht an die Thorheit, sie suchen und finden in solchen Eulenspiegeleien Gründe und Absichten. Was die deinige zur Fol- ge gehabt hat, will ich dir kurz und practisch vor- halten. Man steht bei deinem einmal hingeworfenen Worte fest, du seist schon im Auslande versprochen, man setzt deine Reise mit diesem Geschwätz in Verbindung, sagt, du habest nur einen Vorwand ergriffen, um zu entrinnen, und werdest unversehens mit einem aufgelesenen alten academischen Liebchen wiederkehren. Fräulein Clelia ist durch deine Rit- terschaft auf’s äußerste bloßgestellt und ganz trost- los. So erzählte mir Pfleiderer, der von Stutt- gart hier durchreiste. Außerdem hat die Sache verblümt schon im Mercur gestanden, und was der Mercur weiß, das weiß bekanntlich ganz Schwaben. Ich habe mich nun kurz resolvirt. Deiner seligen Mutter versprach ich einst, für dich Sorge tragen zu wollen bei allen Excessen, zu denen dich dein stürmisches Temperament verleiten möchte; und als guter Geschäftsmann will ich mein Wort halten. Die Sommerferien stehen vor der Thür, eine Bewegung thut mir auf die ewige Schreiberei auch Noth, der Aerger, wenn ich dich treffe, wird die Motion verstärken — kurz, in acht Tagen schließ’ ich mein Oberamt zu, reise den Rhein hinab, biege nach deiner Tacitischen Germania, wo du unter Bohnen, Schweinen und Bauern so genuß- reiche Tage verlebst, hinüber, fasse dich, wo ich dich finde, und will dann sehen, ob du mich wirst allein zurückreisen lassen. Uebrigens bin ich, wie immer Dein Freund Ernst.“ 28* Der Jäger an den Oberamtmann Ernst . „Ich sende dir diese Zeilen nach Stuttgart entgegen, wo sie in Wilhelms Händen für dich beruhen bleiben, denn du wirst als ein wahrer Glaubiger gewiß erst in unserer National-Kaaba dein Gebet verrichten, bevor du hinausziehst in die Fährlichkeiten des falschen Auslandes. Nun ist mir erst wohl. Du hast mir die Lec- tion gegeben, und so steht Alles in gehöriger Ord- nung. Daß du mir nachrennst, entzückt mich, denn ich sehe daraus, daß Thorheit ansteckt und mächtiger ist, denn Vernunft. Wenn du kommst, will ich mit dir, geduldig wie ein Lamm heimreisen, sofern sich nicht inzwischen der Schrimbs oder Peppel noch findet, wozu freilich wenig Anschein. Könnte ich nur des alten Jochem erst wieder hab- haft werden! Wer weiß, wo der arme Kerl umherrennt? Ich habe schon in verschiedenen öffentlichen Blättern nach ihm Erkundigung gethan, jedoch bis jetzt vergebens. Hier in dieser alterthümlichen Stadt verweile ich seit mehreren Tagen bei einem guten Bekannten, den ich unversehens wiedergefunden habe. Eine gar hübsche Häuslichkeit und ein angenehmer Kreis umgiebt ihn. Auch hier habe ich närrische Son- derlinge kennen gelernt, welche doch dabei gute, schätzbare, unterrichtete Menschen sind, so daß man über sie lächeln und ihnen zugleich von Herzen zugethan seyn kann. Welche Masse von Bildung, Wissen und Eigenartigkeit ist bei uns überallhin verbreitet! Wenn diese Reise auch weiter keinen Nutzen hat, so wird sie mir schon dadurch, daß sie mir jene Ueberzeugung recht in die Hand gab, heilsam seyn. Der Gipfel unserer Geselligkeit war der vor- gestrige Abend, wo ihre gelehrte Gesellschaft (lache nicht!) eine Sitzung hielt. Sie haben eine Aca- demie zusammen gestiftet, in welcher die verschieden- artigsten Aufsätze vorgelesen werden. Diese sind aber statutenmäßig bis auf Weiteres aller Veröf- fentlichung durch den Druck streng entzogen. Jeder muß Strafe zahlen, der sich zur Unterstützung einer vorgetragenen Meinung auf eine Flugschrift oder ein Zeitblatt beruft, und von den Zusammenkünften bleiben die Frauen ausgeschlossen. In dieser Gesellschaft brachte ich einen wahrhaft platonischen Abend zu, denn wenn wir Alle auch lange nicht so schön redeten, wie die Griechen, so kam doch so viel Urtheil, Beobachtung, Scherz und Laune zum Vorschein, daß du dich verwundern wirst. Ich schreibe nämlich in den Morgenstunden die Geschichte dieses Abends unter dem Titel: Ein Gastmahl, für dich nieder. Eine unvermuthete Wendung hatte ich der Sache zubereitet, indem ich in meiner Unschuld gegen die Frauen zum Verräther der Zusammenkunft geworden war, und diese dem Abende einen phantasievoll humoristischen Abschluß gaben. Ach, Lieber! es ist mir zu Muthe, als stehe mir die Poesie des Lebens so nahe, daß ich sie hinter jedem Busche jetzt und jetzt werde mit Hän- den greifen, aus jedem Blumenkelche in mich hineinsaugen können! Da, dort, überall guckt die Elfe hervor und sieht mich mit Liebesaugen an. Ward denn jegliches Daseyn bestimmt, wie eine der verwickelten algebraischen Gleichungen nur annäherungsweise ein Analogon von Auflö- sung darzubieten, oder giebt es nicht auch schlichte, plane Existenzen, die aus Sehnsucht und Erfüllung ein reines Facit ziehen? — Und was denkst du dir bei diesen geschraubten Worten, die da unwill- kührlich meiner Feder entflossen sind? Ich bin so wenig ein Dichter, als du ein schwarzwälder Uhrmacher bist, aber bisweilen bricht die Poesie aus Jedem, wie die Thräne aus der Rebe im Lenz. Das sind dann schicksals- schwangere Momente, Momente, in denen unsere Sterne sich rühren, und dadurch die Kräfte unsres kleinen Selbstes rühren und regen. Ich schrieb dir von dem Spessarter Mährchen, welches ich da hin- geworfen, und nun ist’s sonderbar, daß sich einzelne Elemente dieser Erfindung, z. B. das unvermuthete Treffen eines Freundes, ein curioses Waldaben- theuer, körperlich hinstellen, freilich ganz verschieden von meinem Poem, aber im innersten Sinne doch verwandt, so daß es ist, als wollten mich meine Spessarter Zauberfiguren mit Wirklichkeit necken. Hiebei mußt du dir gar nichts Besonderes vorstellen; es giebt nur so wunderbare Stimmungen, in denen man mehr seine Gedanken, als sein Leben lebt. So will mir das Waldgefühl nicht aus dem Sinn, es fluthet grün und kühl mit frischem Bor- kengeruch durch meine Seele, und gelbe Funken kreuzen den stillen, tröstlichen Schein. In Leben und Tod, mein alter Ernst, Dein Narr. N. S. Die arme Clelia dauert mich herzlich. Wie schlecht, daß ich ihrer erst jetzt gedenke! Was mich betrifft, so mögen sie von mir schwätzen, was sie wollen.“ Dreizehntes Capitel . Der Jäger schießt und trifft . Immer wurde unser junger Schwabe von seinen schwärmerischen Empfindungen wieder durch einen äußeren Eindruck abgezogen, der ihm etwas Neues zuführte. So besuchte er den Sammler, den wir auf dem Oberhofe kennen gelernt haben, einige Tage, nachdem er den Brief an seinen Freund geschrieben hatte. Der alte Schmitz hatte ihm schon hin und wieder ein saures Gesicht gemacht, daß seine Schätze noch nicht früher in Augenschein genommen worden waren, indessen erheiterte sich dieses jetzt bald, als der Jäger, angelegentlich fragend, in der kleinen, engen und dunkeln Woh- nung mit ihm durch die aufgestapelten alten Klosterbilder, Pergamenthaufen, Waffen, Urnen und Gefäße hindurchwanderte, und den gelegentlich erfolgenden Auseinandersetzungen: Wo Hermann den Varus geschlagen? ein aufmerksames Ohr lieh. — Der Jäger sah manches ihm Neue und würde von der ganzen Beschauung noch mehr Nutzen gehabt haben, wenn ihm sein Führer Muße gelassen hätte, die einzelnen Stücke genauer zu betrachten. Allein, sobald er einige Secunden lang bei einem verweilt hatte, riß ihn der Ungeduldige mit schreienden Worten zu einem andern hin, in der Besorgniß, daß irgend etwas übersehen bleiben möchte. Er lebte, nach Sammlermanier, ganz einsam und nur seinen Seltenheiten hingegeben. Ein großer, schwarzer Kater, welcher ihm treu anhing, machte seine ganze Hausgenossenschaft aus. Dieser ging denn auch heute, wie es seine Gewohnheit war, ernsthaft durch die Zimmer hinter den beiden menschlichen Beobachtern, wie ein dritter Alterthums- freund einher. Der Alte war eigentlich in Folge einer unglück- lichen Liebe Sammler geworden. In seiner Jugend hatte er einem schönen Mädchen sein Herz zuge- wandt, welche, zu früh elternlos, unter der Obhut oder vielmehr Nichtobhut eines schwachen, nach- lässigen Vormundes stand und bei ihrem Leichtsinn zu unabhängig war, um verständig bleiben zu können. Nachdem sie den treuen Verehrer vielfältig durch Grillen und Zweideutigkeiten gekränkt hatte, setzte sie ihrem Benehmen durch offenbare Untreue die Krone auf. Der Himmel strafte sie aber doppelt dafür; er ließ sie ihr Herz an einen Unwürdigen hängen und bald hernach in eine schwere Krankheit verfallen, von welcher sie nicht wieder erstand. Auf dem Todtenbette trat die Reue ihren wankel- müthigen Busen an, sie schickte nach dem Verlassenen, es erfolgte eine Aussöhnung, und sie setzte ihn zum Erben ihres Nachlasses ein. Unter diesem befand sich eine Menge goldener, silberner, emaillirter, seidner Kleinigkeiten, die das lebhafte Ding zusam- mengekauft, erbettelt, erstoppelt hatte, da ihr Auge, wie das der Elstern, an allen glänzenden Dingen hing, und ihre Hand besitzen mußte, was ihrem Auge gefiel. Der Hinterbliebene stellte nun daraus ein kleines Cabinet sehr ordentlich zusam- men, aber bald wollte ihm das Vorhandene nicht mehr genügen, die Medaillen, die Figürchen, die gemalten Portefeuilles und Mappen forderten Gesellschaft, und er gab sie ihnen durch Münzen, Metallsachen, Siegelkapseln, schöngeschriebene Per- gamenturkunden. Dergleichen greift aber immer weiter um sich, es zieht gewissermaßen magnetisch das Gleichartige an, und ehe er es sich versah, hatte daher seine Umgebung und sein Leben die nachherige Gestalt bekommen. Da nun die Lieb- haberei bei ihm gefühlvollen Ursprungs war, so gab sie ihm auch nicht das Trockene und Leblose, wodurch die Sammler in der Regel der Abdruck ihrer Sachen werden; er behielt vielmehr eine freundliche und milde Sinnesart. Der Jäger hatte neben einigem Guten viel Geringes besichtigen müssen. Jetzt fiel sein Blick in eine Ecke, worin die uns bekannte Amphora mehr versteckt als gewiesen stand. — Wie? Und dieses herrliche Gefäß zeigen Sie mir nicht? Das ist ja leicht das schönste Ihrer ganzen Sammlung! rief er erstaunt. Eine Traurigkeit beschattete das Antlitz des Sammlers, seine geläufige Zunge stockte, er ging in die Ecke, streichelte die Amphora, wie ein Vater sein krankes Kind streichelt, und erzählte dem Jäger zutraulich die Geschichte ihrer Erwer- bung. — Seit der Zeit nun, fuhr er fort, daß ich gegen mein Gewissen dem Hofschulzen ein Attest über sein falsches Karls ‒ des ‒ großen ‒ Schwert aus- stellte und mir durch diese Unwahrheit die Amphora zueignete, macht mir oft die ganze Sammlung keine rechte Freude mehr. Denn bei Alterthümern beruht Alles auf der Wahrheit, und wer für ein fremdes gelogen hat, der kann auch leicht den Glauben an seine eigenen verlieren. Es geht mir schon hin und wieder so; ich sehe die Donnerkeile zweifelnd an, ich habe bereits geträumt, meine so schönen Bracteaten seien nachgemachte Scharteken. Das Ende vom Liede wird wohl seyn, daß ich die Amphora zurückgebe und mir mein falsches Attest wieder aushändigen lasse, wenn ich gleich nicht weiß, wie ich den Verlust des prächtigen Gefäßes werde überstehen können. Der Jäger mußte ungeachtet des kummervollen Gesichtes, welches der alte Mann machte, lächeln, und sagte: Mit Ihrer Gewissenhaftigkeit wäre nie ein Musäum zu Stande gebracht worden. — Aber sagen Sie mir, was für eine Bewandniß hat es eigentlich mit dem Schwerte, auf welches der Hof- schulze einen so außerordentlichen Werth legt? Hierauf gab der Sammler dem Jäger folgende wundersame Auskunft. Daß hier auf unserer rothen Erde der geweihte Boden der Freigerichte, welche man nur sehr uneigentlich Vehmgerichte genannt hat, war, wissen Sie, sagte er. Freigerichte waren sie, und Freigerichte blieben sie trotz aller späteren Entstellungen und Mißbräuche, nämlich die Gerichte der ursprünglich freien Markengenossen, die so unbeschränkt auf ihrer Wehr saßen, als der König in seiner Pfalz. Das aber werden Sie nicht wissen, daß in mehreren Districten und so auch nahe hiebei manche Höfe, welche das Freischöffen- recht hatten, immer noch die Tradition dieses Besitzes erhalten, und daß dieselbe vom Vater auf den Sohn, vom Sohn auf den Enkel fortgepflanzt wird. Natürlich ist jetzt die Sache zu einer bloßen Spielerei herabgesunken. Aber Wissende giebt es wirklich noch immer, die von Zeit zu Zeit sich bei den alten Freistühlen versammeln, und durch Mit- theilung der geheimen Erkennungszeichen und des Rituals neue Wissende machen. Anfangs nahmen einige Behörden von dem Hokuspokus Notiz, woll- ten in die Mysterien eindringen, aber das gelang ihnen nicht, die Bauern trieben ihr Wesen nur um so vorsichtiger und blieben gegen alle Anmuthungen, den Sinn der Losung zu verrathen, standhaft. Seitdem bekümmert man sich nicht mehr darum. Der Oberhof gehört nun recht eigentlich zu den alten Freischöffengütern. Nach dem Bauern- glauben war es Karl der Große, der die Gerichte einsetzte, und das Gewaffen, was in dem Hofe aufbewahrt wird, gilt für das Richtschwert, welches der Kaiser zum Zeichen der Investitur dem ersten Besitzer gegeben habe. Der Hofschulze, der ein gar schlauer Vogel ist, hat, sein Ansehen zu stei- gern, sich diesen Glauben zu Nutze gemacht, und spielt nun eine Art von Freigrafen. Er soll nicht selten mit den Schöffen der umliegenden großen Höfe am Freistuhl zusammenkommen. Ja man spricht, daß durch ihn in die leeren Possen wieder ein Gehalt gebracht worden sei, daß sie über manche Sachen wirklich ihre geheimen Urtheile fällen. So viel ist wenigstens gewiß, daß die Gerichte sich selbst über die wenigen Streitigkeiten wundern, die aus jener Gegend vor sie gebracht werden, obgleich unser Land sonst die Heimath der Prozeßkrämer ist. Aber wie ist das möglich, da ihnen ja jede Macht der Ausführung fehlt? fragte der Jäger, den diese seltsame Entdeckung ganz träumerisch bewegte. Nun, sagte der Sammler, sie können freilich keinen Wiederspänstigen mehr am Baume aufknü- pfen, aber wenn sie ihm nun Hülfe, Beistand, Vorschub versagten, es durch ihren Einfluß, da sie die Reichsten in der Gegend sind, dahin brächten, daß ihn auch die Andern mieden, Keiner mit ihm im Kruge tränke, Knecht und Magd nicht ihm aushielte; wie dann? Wäre das nicht auch ein Zwang, zwingend genug? Was vermag nicht die Meinung von Standesgenossen über den Menschen? Es werden mitunter dort umher Einzelne in auf- fallender Art Freunde- und Genossenlos, das dauert eine Weile, dann nähert sich ihnen wieder Alles. Man spricht, diese seien Verfehmte, und nur ihre Nachgiebigkeit hebe den Bann wieder von ihrem Hause. Der Jäger reimte nunmehr sich Manches zusammen, was ihm bisher unverständlich geblieben war. Er theilte seine Vermuthung, daß binnen Kurzem am Frei- stuhl etwas vorgehen werde, dem Sammler mit, und fragte ihn eifrig, ob es nicht möglich zu machen sei, einem solchen heimlichen Gerichte aus der Verborgen- heit zuzuschauen? Damit wollte indessen der Sammler als mit einer gefährlichen Sache nichts zu thun haben. Der Fuhrmann trat ein, welcher den Jäger nach dem Oberhofe befördern sollte und sagte, daß der Wagen vor der Thüre stehe. Der Jäger hatte nämlich mit dem Diaconus die Absprache genommen, sich in der Stadt einquartieren zu wollen, hielt es jedoch für ziemlich, seinem alten Wirthe Person Dank und Lebewohl zu sagen. Einen Theil des Weges über hatte er weder auf diesen, noch auf das Fuhrwerk Acht, da seine Gedanken um den Freistuhl und die Geheimnisse des Vehmgerichtes schwebten, die noch immer schat- tenartig in der Gegenwart fortlebten. Sonderbares Land, rief er für sich, in welchem Alles ewig zu seyn scheint! Wie kommt es, daß aus dir noch kein großer Dichter hervorgegangen ist? Diese Erinnerungen, welche von dem Boden nicht weichen wollen, diese alten Sitten und Gebräuche mußten doch wohl im Stande seyn, eine Einbildungskraft zu entzünden! Er übersah, daß das Talent keine Feldfrucht ist, sondern wie das Manna in der Wüste vom Himmel fällt. Als er auf die Außendinge wieder zu merken begann, nahm er wahr, daß sein Wäglein sich schneckenartig fortbewegte, weil das eine Pferd Immermanns’ Münchhausen. 1. Th. 29 stark lahmte. Er entschloß sich kurz, ließ das Fuhrwerk heimgehen und machte den übrigen Weg zu Fuß. Freilich konnte er nun nicht, wie er gewollt, am nämlichen Tage zur Stadt zurückkehren, mußte sich vielmehr bequemen, die Nacht auf dem Lande zuzubringen. Er fand den Hofschulzen an einem Scheuren- thore zimmern. Als dieser von seiner Arbeit die blitzenden Augen unter den weißen Brauen gegen ihn emporhob, kam er ihm nach den erhaltenen Aufschlüssen wie der Alte vom Berge vor. Der Jäger meldete ihm seinen bevorstehenden Abzug. Jener erwiederte: Das ist mir lieb, das Frauen- zimmerchen, welches vor Ihnen die Stube hatte, ließ mir sagen, sie würde heute oder morgen zurück- kommen; der müßten Sie doch weichen, und ich könnte Sie nur unbequem logieren. Der ganze Hof schwamm in dem beginnenden rothen Abendlichte. Eine reine Sommerwärme durchdrang die von keinem Dunste beschwerten Lüfte. Es war ganz einsam zwischen den Gebäu- den; alle Knechte und Mägde mußten wohl noch auf dem Felde zu thun haben. Auch im Hause sah er Niemand, als er nach seinem Zimmer ging. Dort ordnete er, was er an diesem Orte zuwei- len aufgeschrieben hatte, packte seine wenigen Sachen zusammen und sah sich dann nach dem Gewehre um. Dieses war jedoch verschwunden. Er begriff nicht, wer es ihm fortgenommen haben könne, und ging, bei dem Hofschulzen Erkundigung einzuziehen, über den Gang nach der Treppe zu. In einem Gelasse seitwärts glaubte er ein Geräusch zu ver- nehmen — vielleicht ist eine Magd darin, die dir es auch nachweisen kann — dachte er und klinkte die Thür auf. Er war aber in die Schlafkammer der Tochter gerathen und sah erschreckt eine unzwei- deutige Gruppe. Herzklopfend schritt er rasch nach seinem Zimmer zurück; der Bräutigam, ein junger starker Bauer, folgte ihm dahin nach. Das müssen Sie nicht für übel nehmen, sagte dieser. Denn das zweite Aufgebot ist gewesen, und nächsten Donner- stag ist die Hochzeit, und wenn es so weit ist, so hat sich Keiner um so etwas zu bekümmern, und der Pastor und der eigene Vater fragt nichts dar- nach. Es wird diese Nacht bei uns im Hofe Korn gesackt, deshalb mußte ich meine Braut heut zu Nachmittage besuchen. 29* Mich geht das nichts an, antwortete der Jäger verwirrt, wenn ich nur wüßte, wo mein Gewehr ist. Dieses will ich Ihnen sagen, antwortete der junge Bauer, der Schwiegervater hat es heimlich weggenommen und dort hinter dem großen Schranke versteckt, denn er sagte, der dritte Choral aus Ihrer Geschichte wäre — Was? Choral? Ihr wollt wohl Moral sagen? Ja wohl. Also der dritte Choral aus Ihrer Geschichte wäre, daß man einem Fehlschützen von Mutterleib aus kein Schießgewehr unter Händen lassen müsse. Ein gewöhnlicher Fehlschütz wäre wenig zu aestimiren, aber ein Fehlschütz von Mut- terleib könnte großen Schaden anrichten. Der Jäger hörte nicht länger auf diese Reden hin, warf vielmehr seine Waidtasche um, eilte nach dem Schranke, zog hinter demselben das Gewehr hervor, lud, und war mit zwei Schritten aus dem Hofe nach dem Freistuhl, sich die unruhig wogen- den Bilder aus der Seele zu schießen. Schon im duftigen goldenen Dämmer des Eichenkamps hatte er seine Lebensgeister wieder beisammen. — Nun das muß wahr seyn, rief er, die Idyllenschreiber haben uns die Bauernwelt arg verzeichnet! Sowohl die schäferlich-zarten, als die knolligen Kartoffelpoeten. Sie ist eine Sphäre, so mit derber Natur, wie mit Sitte und Ceremonie ausgefüllt, und gar nicht ohne Anmuth und Zierlichkeit, nur liegt letz- tere wo anders, als wo sie in der Regel gesucht wird. Ist der Bursch aus Unenthaltsamkeit vor der Zeit in sein Recht getreten? Gewiß nicht. Es ist so Herkommen, lieblicher, lustiger Brauch, und sein Mädchen würde sich vielleicht für verach- tet halten, wenn er ihn nicht mitmachte. Droben auf dem Hügel am Freistuhl ward ihm sehr wohl. Das Korn wiegte säuselnd die Aehren, schwer von Segen, des Vollmondes große glührothe Scheibe stieg am Ostrande des Himmels auf und noch wirkte der Wiederschein der in Westen abgeschiedenen Sonne. Die Atmosphäre war so rein, daß dieser Wiederschein gelbgrün glänzte. — Er empfand seine Jugend, seine Gesundheit, seine Hoffnungen. Hinter einen großen Baum am Waldrande stellte er sich; heute will ich doch erproben, sagte er, ob das Geschick nicht zu beugen ist. Ich schieße nur, wenn mir etwas bis auf drei Schritte vor dem Rohre nahe kommt, und da müßte es ja mit Zauberei zugehen, wenn ich fehlen sollte. Im Rücken hatte er den Forst, vor sich die Senkung mit den großen Steinen und Bäumen des Freistuhls, gegenüber umschlossen die gelben Kornfelder den einsamen Ort. In den Wipfeln über ihm gurrten noch einzelne verlorne Töne der Turteltaube, durch die Aeste der Bäume am Freistuhle fingen die wilden Lindenschwärmer an mit den grün-rothen Flügeln zu schwirren. All- gemach begann es auch im Walde am Boden sich zu rühren. Ein Igel kroch schläfrig durch das Laub; ein Wieselchen zog den geschmeidigen Leib aus einer Steinspalte, nicht breiter, als der Kiel einer Feder, hervor. Buschhäslein sprangen mit vorsichtigen Sätzen, zwischen jedem innehaltend, sich duckend und die Löffel legend, ins Freie, bis sie, muthiger geworden, auf dem Rain am Kornfelde sich emporhoben, tänzelten, mit ein- ander spielten, und die Vorderläufe zu scherzenden Schlägen brauchten. Der Jäger hütete sich wohl, dieses Hasenvolk zu stören. Endlich trat ein schlankes Reh aus dem Walde. Klug die Nase in den Wind streckend, links und rechts aus den großen, braunen Augen umherschauend, schritt das Thier auf den feinen Füßen mit leichter Grazie einher. Jetzt war das Zarte, Wilde, Flüchtige dem Geschosse des Ver- steckten gegenüber angelangt, es war so nahe, daß es fast nicht gefehlt werden konnte, er wollte ab- drücken, da schreckte das Reh zusammen, that einen Sprung in veränderter Richtung gerade auf den Baum zu, hinter welchem der Jäger stand, sein Schuß ging los, das Wild setzte in gewaltigen Sprüngen unverwundet waldein, zwischen dem Korne aber war ein Schrei erschollen, und wenige Augenblicke nachher kam eine weibliche Gestalt auf einem schmalen Pfade, der in der Linie des Schusses lag, aus den Feldern hervorgewankt. Der Jäger warf die Flinte weg, stürzte auf die Gestalt zu und meinte vergehen zu müssen, als er sie erkannte. Es war das schöne Mädchen von der Blume im Walde. Sie hatte er statt des Rehes getroffen. Sie hielt die eine Hand auf der Gegend zwischen Schulter und linker Brust, dort quoll unter dem Tuche reichlich das Blut hervor. Ihr Antlitz war bleich und etwas von Schmerz verzogen, doch nicht entstellt. Sie holte dreimal tief Athem und sagte dann mit sanfter und matter Stimme: Gottlob, es muß nichts ge- fährlich verletzt seyn, denn ich kann Athem holen, wenn es mir auch Schmerzen macht. — Ich will versuchen, fuhr sie fort, den Oberhof zu erreichen, zu dem ich auf diesem Richtwege gelangen wollte, wo mich nun das Unglück treffen mußte. Geben Sie mir Ihren Arm. — Er führte sie einige Schritte hügel-abwärts, da zuckte sie zusammen und sagte: Es geht doch nicht, die Schmerzen sind zu heftig, ich könnte unterweges ohnmächtig werden. Wir müssen schon an diesem Orte aushalten, bis Leute herbeikommen und eine Tragbahre verschaffen können. Trotz ihrer Wundschmerzen hielt sie ein Päckchen fest in der linken Hand, dieses reichte sie ihm jetzt und sagte: Verwahren Sie es mir, es ist das Geld, welches ich für den Herrn Baron ein- gesammelt habe, ich möchte es verlieren. — Wir müssen auf längeres Bleiben uns gefaßt machen, fügte sie hinzu. Wenn es Ihnen möglich wäre, mir ein Lager zu bereiten und etwas Wärmendes zu geben, daß die Kälte nicht zur Wunde schlägt! So hatte sie die Besonnenheit für sich und ihn. Er stand sprachlos, bleich und starr, wie eine Bildsäule; die Verzweiflung wühlte in seinem Her- zen und ließ kein lautes Wort über die Lippen. Jetzt gab ihm ihre Aufforderung Bewegung, er eilte nach dem Baume, hinter dem er seine Waid- tasche abgelegt hatte. Dort sah er auch das un- glückliche Gewehr liegen. Wüthend ergriff er es und schlug es mit solcher Kraft gegen einen Stein, daß der Schaft zersplitterte, die Läufe sich bogen. und die Schlösser von ihren Schrauben losspran- gen. Er verwünschte den Tag, sich, seine Hand. Zu dem Mädchen zurückgestürzt, welches sich auf einen Stein des Freistuhls gesetzt hatte, fiel er ihr zu Füßen und flehte, den Saum ihres Kleides küs- send, unter heftigen Thränen, die nun aus seinen Augen mit Gewalt brachen, sie um ihre Verge- bung an. Sie bat ihn, doch nur aufzustehen, er habe ja nicht dafür gekonnt, die Wunde sei gewiß nicht bedeutend, er möge ihr nur jetzt helfen. Er richtete ihr nun einen Sitz auf dem Steine zu indem er die Waidtasche auf denselben legte. Um ihren Hals band er sein Tuch, um ihre Schultern legte er locker und lose seinen Rock. Sie setzte sich auf den Stein, er nahm neben ihr Platz und bat sie, zu ihrer Erleichterung ihr Haupt an seine Brust zu neigen. Sie that es. Der Mond war in völliger Klarheit über einen Theil des Himmels gedrungen und beschien fast taghell die beiden durch einen rohen Zufall einan- der so Nahegerückten. In der vertraulichsten Nähe saß der Fremde mit der Fremden, sie stieß leise Schmerzenstöne an seiner Brust aus, und von seinen Wangen flossen unaufhaltsame Thränen. Rings aber um sie her verbreitete sich nach und nach das Schweigen und die Einsamkeit der Nacht. Endlich wollte es das Glück, daß ein später Wanderer durch die Kornfelder ging. Der Ruf des Jägers erreichte sein Ohr, er eilte herzu und wurde nach dem Oberhofe geschickt. Bald darauf ließen sich Fußtritte hügelan-Kommender verneh- men; es waren die Knechte, welche einen Trag- sessel mit Kissen brachten. Der Jäger hob die Verwundete sanft hinein und so gelangte sie spät in der Nacht unter das Obdach ihres alten Gast- freundes, der sich freilich sehr verwunderte, die Erwartete in diesem Zustande ankommen zu sehen.