Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung . Von Rudolph Jhering, ordentlichem Professor der Rechtswissenschaft in Gießen. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung . Leipzig , Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel. 1858 . Vorrede . M eine in der Vorrede zu der ersten Abtheilung des zweiten Bandes ausgesprochene Hoffnung, in Jahresfrist die zweite Abtheilung und mit ihr den Schluß des zweiten Systems bringen zu können, hat leider in dem Maße Schiffbruch gelitten, daß ich selbst jetzt noch mich nur mit einer Stückzahlung begnü- gen muß; mit der gegenwärtigen Abtheilung ist der zweite Band , das zweite System wird aber erst mit dem dritten Bande geschlossen sein. Der Druck der bisherigen Abtheilung hat bereits vor mehr als drittehalb Jahren begonnen — ein Umstand, der mich gegenüber der laufenden Literatur in eine üble, je länger, je mehr sich steigernde üble Position versetzt hat. Könnte ich noch daran zweifeln, daß das Beste von dem, was wir zu finden glauben und das unsrige nennen, in der Atmosphäre schwebt — eine reife Frucht am Baume der Zeit, die wir nur brechen , nicht erzeugen — die Bemerkung daß manche von den in der gegenwärtigen Abtheilung ausgesprochenen Ideen, die ich zur Zeit des Drucks noch in jenem Sinne meine eignen glaubte nennen zu dürfen, seitdem auch in andern Schriften auftau- chen, würde genügen meine Zweifel zu heben. Mögen diejenigen Schriftsteller, die sich mir gegenüber in dieser Lage zu befinden glauben, in diesem Umstand die Erklä- rung suchen, warum sie an den betreffenden Stellen meines Vorrede . Buchs nicht genannt sind; So finden sich z. B. in Kuntze Der Wendepunkt der Rechtswissen- schaft Leipz. 1856 S. 74 fl. einige Anklänge an Ideen, die ich in §. 41 aus- gesprochen habe. Die allgemeine Theorie der Technik (§. 37—41) war bereits im Frühjahr 1856 vor dem Erscheinen jener Schrift gedruckt, und die Quint- essenz derselben hatte ich schon in dem Einleitungsaufsatz zu den von Gerber und mir herausgegebenen Jahrbüchern gegeben — freilich in zu gedrungener Weise, als daß sie Schriftstellern von der Fassungskraft eines Herrn Hof- rath Lang in Würzburg oder vorlauten Anfängern wie Herrn Muther in Kö- nigsberg, der in dem „Durch arbeiten eines Collegienheftes“ eine „productive“ Leistung finden will, nicht ein Geheimniß hätten bleiben müssen. ich habe sonst überall, wo ich Ideen, die nicht bereits Gemeingut geworden sind, bewußter Weise von Andern entlehnt habe, das fremde Eigenthum ge- wissenhaft respectirt. Die gegenwärtige Abtheilung bricht mitten in der römischen Technik ab, aber das Hauptstück derselben: das Haften an der Aeußerlichkeit, ist wenigstens innerlich und äußerlich abge- schlossen. Was mir jetzt noch bleibt, ist vor allem die Schil- derung der analytischen Methode der ältern Jurisprudenz. Wann der dritte Band erscheinen wird, darüber will ich, gewitzigt durch meine bisherige Erfahrungen, keinerlei Zusiche- rung ertheilen. Je länger ich an meinem Werke arbeite, desto mehr überzeuge ich mich, daß die Ergiebigkeit eines Stoffs und die Länge der Zeit, die er mich muthmaßlich in Anspruch neh- men wird, sich im Voraus gar nicht berechnen lassen. Die Ausarbeitung für den Druck hat mir fast immer an einem Ge- genstand, der mich seit Jahren beschäftigt hatte, die eine oder andere neue Seite und zugleich Schwierigkeiten erschlossen, die ich früher kaum geahnt hatte. Ein solches Thema, wie das meinige, läßt sich nie erschöpfen, und hätte ich nicht in richtiger Erkenntniß davon mir zum Grundsatz gemacht, einen fertig gewordenen Paragraphen sofort in die Druckerei zu senden, ich würde auch bei aller Arbeit nie mit demselben fertig geworden sein. Ich habe in der Vorrede zum ersten Bande den „Geist des Vorrede . Römischen Rechts“ als meinen Quälgeist bezeichnet. Hinter der burlesken Form steckte mehr Ernst, als Manche dahinter finden mögen. Ich glaube, daß es keine wissenschaftliche Aufgabe gibt, die demjenigen, der es ernst mit ihr meint, mehr Qualen be- reitet, ihn mehr aufreibt und an ihm zehrt, als eine derartige, wie es die meinige ist, d. h. eine Aufgabe geschichtsphilo- sophischer Art. Ich meine nicht etwa die Schwierigkeiten der Abstraction, nicht jenes unbehagliche, demüthigende Gefühl, das sie hinterlassen, auch bei angestrengtester Arbeit nie ihrer Herr geworden zu sein, stets etwas in der Sache zurücklassen zu müssen, das man ahnt, aber nicht finden kann. Ich meine etwas anderes. Einmal zunächst die Gefahr des Abweges zur Oberflächlichkeit, Seichtigkeit, geistreichen Nichtssagerei. Sie liegt nicht etwa in dem Subject, sondern in der Aufgabe selbst. Sie ist es, die gründlichen und vorsichtigen Naturen so häufig eine Abneigung gegen die Aufgabe selbst einflößt und sie mit gerechtem Mißtrauen gegen die von keckeren Naturen unter- nommenen Lösungsversuche erfüllt. Und in der That! es sind nicht immer die Besten, welche sich ihr zuwenden. Welche Schaar hat sich unter dem Banner versammelt, das ich an- geblich zuerst aufgesteckt haben soll, welche Phrasen, welche Seifenblasen, welche schiefen, in ihrer eignen Unwahrheit und Absurdität sich vernichtenden Anschauungen und Offenbarungen hat man uns aufgetischt! Auf diesem Felde glaubte man am mühe- losesten Lorbeern erringen zu können, zu ärndten, wo Andere gear- beitet, ihren auf dem Wege mühsamer Forschung gewonnenen Resultaten nur eine bunte Jacke anziehen zu brauchen, um sie zu den seinigen zu machen. Jene Lorbeern sind aber schnell ver- welkt, und soweit die meinigen in ähnlicher Weise erworben sind, wünsche ich dasselbe auch von ihnen. Ich darf von mir behaupten, daß mich nicht die Flucht vor ernster Arbeit jener Vorrede . Aufgabe in die Arme geführt hat; ich habe in ihr mehr Arbeit erwartet und gefunden, als mir irgend ein concreterer Stoff in Aussicht gestellt hätte. Eben darum aber ist mir der Unfug, den man mit der Sache getrieben, die Frivolität und Seichtig- keit, die dabei zu Tage getreten, in innerster Seele verhaßt, und schon lange suchte ich nach der Gelegenheit, die mir jetzt erst zu Theil wird, meinem Urtheil einen öffentlichen Ausdruck zu geben. Ich fürchte nicht, daß ich mir damit selbst das Urtheil spreche. Daß nicht auch ich der Versuchung des Construirens und gewagten Combinirens öfters unterlegen sein sollte, wie könnte ich es mir verhehlen? Gehe Einer hin und versuche es —, ob er frei davon bleibt! Aber wessen ich mir bewußt bin und wessen ich leider gezwungen bin mich zu rühmen, ist die Liebe zu meiner Aufgabe und der Fleiß und Ernst, die einmal die untrennbaren Begleiter der Liebe sind. In diesem Bewußtsein fühle ich mich stark genug, das Urtheil über mich heraus zu fordern und auf Schonung zu verzichten. Aber andererseits er- hebe ich auch den Anspruch, mich nach mir selbst zu beurtheilen und mir nicht Verirrungen Anderer zur Last zu legen, über die mein Urtheil nicht anders lautet, als das aller Verständigen. Daß ich an meinen Richter den Anspruch erhebe, mein Buch zu lesen , könnte als ein Hohn klingen. Leider hat es seinen triftigen Grund. Ob der bloße Titel meines Buchs in den Augen Mancher schon ausreichend ist, um ihm ungelesen das Verdammungsurtheil zu sprechen? — kurzum Walter in Bonn hat sich nicht entblödet dies über sich zu gewinnen. Sein Durchzug durch sämmtliche Disciplinen der Jurisprudenz führte ihn auch auf die Encyclopädie, und wir verdanken dieser Gele- genheit das lehrreiche und erbauliche Schauspiel, einen Mann, der auf concret historischem Gebiet sich immer mit Geschick und Vorsicht bewegt hat, auf dem philosophischen Seile mit der Vorrede . Balancirstange in der Hand sich abmühen zu sehen. Neben den sonstigen auf ein philosophisch unmündiges Publicum berech- neten Productionen ergeht er sich auch über die Philosophie des positiven Rechts (§. 48) und gibt bei dieser Gelegenheit ver- schiedene „Cautelen“, wie Thomasius sie nennen würde, zur „umsichtigen und fürtrefflichen Herstellung“ einer solchen. Die dritte lautet dahin, daß man sich „bei der Charakteristik dessen, was man den Geist eines Rechts nennt, vor einer zu vagen Allgemeinheit hüten müsse. Das Recht eines Volks sei, wie das Volk selbst, aus so vielen geistigen Elementen zusammen- gesetzt, es herrsche so sehr in den Instituten bald das eine, bald das andere Element vor, daß ein für alle gelten sollender Cha- rakterzug, zumahl wenn noch die Färbung einer philosophischen Schule hinzukomme, nur zu leicht auf unwahre und unfrucht- bare Redensarten hinauslaufe.“ In der Note wird neben Anderen dann auch mir die Ehre zu Theil, als abschreckendes Beispiel zu figuriren, und zwar soll ich als Charakter des römischen Rechts die Subjectivität, als die des deutschen die Objectivität hingestellt haben, während Schmidt (Unterschied zwischen dem röm. u. german. Recht) denselben gerade entgegen- gesetzt bestimme. Daß der letztere Schriftsteller mit aller seiner Mühe, die er sich gegeben, dem deutschen Recht die Objecti- vität, dem römischen die Subjectivität zu vindiciren — eine Formel, die sich in jedem Paragraphen des Buchs wiederholt — so wenig ausgerichtet hat, daß gerade er sich als Zeugen für das Gegentheil aufführen lassen muß, — nun, das würde in Betracht kommen, wenn es sich fragte, ob Walter, ich will nicht sagen, das Schmidtsche Buch gelesen , sondern nur einen Blick hineingethan habe. Für mich handelt es sich nur um mein Buch. Und darüber fordere ich jeden Leser zum Richter auf. Wo habe ich den Versuch gemacht den principiellen Vorrede . Gegensatz zwischen römischem und deutschem Recht zu bestimmen oder gar auf die mir untergelegte Formel (die Schmidtsche, gegen die ich Bd. 2 S. 125 selbst Protest erhoben habe) zurück- zuführen? Wo habe ich von einer Objectivität des deutschen Rechts gesprochen? Wo das römische über den kahlen und dürren Leisten der Subjectivität geschlagen? Ich meine, mein ganzes Buch liefert den schlagenden Gegenbeweis gegen die Möglich- keit, den Charakter eines Rechts auf eine Formel zurückzu- führen. Doch, warum soll ich mich über Walter beklagen? Wie könnte ich mehr verlangen, als die alten Schriftsteller, deren Citate nicht selten falsch, also ungelesen aus der Zimmern- schen Rechtsgeschichte in die Waltersche übergegangen sind? Nur den Rath will ich diesem Gelehrten nicht vorenthalten: will er wiederum über Bücher urtheilen, ohne sie gelesen zu haben, so verdecke er es durch das, was mir in seinen Augen zum Schaden gereicht haben soll: „vage Allgemeinheit.“ In der Vorrede zu seiner römischen Rechtsgeschichte hat Ru- dorff Aeußerungen gethan, die auch auf mich bezogen worden sind. Er spricht hier von einer neuern Richtung, die sich durch ihre „exclusive Verfolgung der allgemeinsten Rechtsanschauun- gen, bedenkliche Unterschätzung treuer Erforschung auch des scheinbar Geringfügigen, Versuche neuer Methoden und durch eine der niedern Naturwissenschaft entlehnte Terminologie“ cha- rakterisire. In der Verdammung dieser Richtung stimme ich ganz mit ihm überein, um so mehr aber habe ich Anlaß dagegen zu protestiren, daß man mich ihr zuzähle. Meine Ansicht über allgemeine Gesichtspunkte kann ich mit einem Worte wiedergeben: ich betrachte sie als Schlüssel zum Verständniß des Einzelnen. Für den, der sich nicht im Besitz des Einzelnen befindet, ist der Schlüssel ohne allen Werth, und ich könnte mir nichts Verkehrteres denken, als den akademischen Vorrede . Vortrag der Rechtsgeschichte statt auf die Erlernung des Ein- zelnen auf allgemeine Gesichtspunkte zu stellen. Es hieße die studirende Jugend systematisch zur Oberflächlichkeit und Un- gründlichkeit zu erziehen, ihr anstatt eines wirklichen Besitzthums Nachschlüssel in die Hände zu geben, abstracte Dieteriche, mit denen sie mehr verdrehen , als öffnen würden. Also: der Werth der allgemeinen Gesichtspunkte bestimmt sich sowohl für den Einzelnen als die Wissenschaft nach dem Concreten, das sie erschließen. Wie nun, wenn man sich so in die Arbeit theilte, daß der Eine das Concrete, der Andere das Abstracte zu liefern übernähme? In der That scheinen Manche mich in den Ruf bringen zu wollen, als hätte ich es auf eine solche Theilung der Arbeit abgesehen, und als ob ich von der Höhe des „Geistes“ mit einem gewissen Mitleiden auf die mit der treuen Erforschung des Einzelnen beschäftigten Ar- beiter herabsähe. Mit Worten dagegen zu protestiren, wäre vergeblich, ich hoffe durch die That jenen Vorwurf mehr und mehr verstummen zu machen. Ich unterstelle die gegenwärtige Abtheilung ganz und gar der Kritik vom Standpunkt des Con- creten. Möge man also bei der Beurtheilung derselben gerade das, woran für mich der Schweiß jahrelangen Ringens klebt: die Auffindung, Verfolgung und plastische Gestaltung des All- gemeinen ganz außer Anschlag lassen, mich lediglich messen und wiegen nach den Einzelnheiten, die ich selbst zuerst in den Quellen entdeckt oder in den rechten Zusammenhang und da- durch zu ihrem Verständniß gebracht habe — in meinen eignen Augen hat dies zwar nur einen untergeordneten Werth, aber gegenüber denen, die sich mir gegenüber mit derartigen Lei- stungen zu brüsten gedenken, will ich es getrost in die Wag- schale werfen und mir ganz und gar das Maß gefallen lassen, mit dem sie gemessen sein wollen, ohne meinerseits zu ver- Vorrede . langen, daß sie sich ihrerseits auch einmal meinem Maße un- terwerfen sollen. Der Wunsch, meinen Gegnern diesen bequemen Einwand gegen ein ihnen unbequemes Buch aus den Händen zu nehmen, ist auf die Ausarbeitung der vorliegenden, wie bereits der vor- hergehenden Abtheilung nicht ohne Einfluß geblieben. Ich habe nämlich bei beiden des Stofflichen lieber eher zu viel als zu wenig gethan, und einen Theil der Schuld an dem Anschwellen meines Werkes mögen diejenigen tragen, welche mich zu diesem Akt der literarischen Selbsterhaltung genöthigt haben. Mich gegen den „Versuch einer neuen Methode“ zu recht- fertigen, kann mir so wenig in den Sinn kommen, daß ich umgekehrt diesen Vorwurf mit Freuden acceptire. Darauf ist allerdings mein ganzes Buch berechnet, die bisher ausschließlich herrschende Methode in der Darstellung der römischen Rechts- geschichte zu verlassen, um eine andere daneben zur Geltung zu bringen. Nicht aber sie zur ausschließlichen zu machen. Ich selbst würde, wenn ich römische Rechtsgeschichte zu lesen hätte, die meinige für ungeeignet halten, aus demselben Grunde, aus dem eine Vorlesung über Philosophie der Geschichte die historischen Vorträge nicht ersetzen kann. Aber etwas anderes ist es, die Methode zum Zweck der Forschung und litera- rischen Darstellung zu verwenden, und daß sie nach dieser Seite hin vollkommen berechtigt ist, darüber warte ich ohne Bangen das Urtheil der Zeit ab. Die „Terminologie der niederen Naturwissenschaft für die höhere Jurisprudenz“ verwandt zu haben — von diesem Vorwurf kann ich mich allerdings nicht lossprechen. Aber daß ich sie mit der „durch ihre Festigkeit und Eigenthümlichkeit unschätzbaren Rechtssprache vertauscht hätte“, damit hat es doch eine etwas andere Bewandniß. Wer alte Begriffe statt mit alten Vorrede . Ausdrücken mit neuen, selbstfabricirten bezeichnet, ist ein Narr, und die Welt nimmt von seinen Umtaufungsversuchen keine Notiz. In einer andern Lage aber befindet sich der, welcher neue Begriffe und Anschauungen vorzutragen hat, bestände das Neue auch nur darin, daß er etwas bereits Vorhandenes auf eine bestimmte einzelne Wissenschaft überträgt. Will er sich nicht bloß auf einige wenige Fachgenossen beschränken, will er zu einem größeren Publicum sprechen und namentlich, wie ich, auch Studierenden und Laien verständlich werden, so ist er ge- zwungen, für seine Ideen nach Anknüpfungspunkten zu suchen, über die ein Jeder gebietet, Bilder und Vergleiche zu be- nutzen u. s. w. Wo fänden sich diese Anknüpfungspunkte an das sinnliche Denken in dem Maße, als in der Natur, und mithin die zu recipirenden Ausdrücke in dem Maße, als in der Naturwissenschaft? Ein Anderer, der mit lauter gegebenen Begriffen operirt, hat leicht zu meistern: mach’s wie ich, ge- brauche nur abstracte Ausdrücke. Nach funfzig Jahren, wenn jene Anschauungen erst Gemeingut geworden und allseitig ge- prüft, berichtigt und ausgetragen sind, kann ich’s auch; wenn ich’s aber jetzt versuchen wollte, würden die meisten meiner Leser mein Buch als ein abstruses in die Ecke werfen. Dies führt mich auf einen andern Punkt hinsichtlich der Darstellung, der mir viele Schwierigkeiten verursacht und das raschere Fortarbeiten ungemein erschwert hat. Ich meine die richtige Verbindung des abstracten mit dem concret histori- schen Element. Wenn irgendwo die Darstellung sich wie auf schmaler Linie zwischen zwei Extremen zu bewegen hat, so ist dies bei einer Aufgabe wie der meinigen der Fall. Das Ab- stracte ohne starke, stoffliche Füllung ist ermüdend, trocken und bei den meisten Lesern wirkungslos. Also als Gegengewicht ein bedeutendes stoffliches Element. Aber eben damit beginnt Vorrede . die Gefahr des Zuviel und Zuwenig, das auf den rein subjecti- ven Takt gestellte Abmessen des richtigen Gleichgewichts: eine Klippe, die für einen Schriftsteller, welcher einen concreten Stoff vor sich hat, gar nicht existirt. Ob man die allgemeinen Ideen, zunächst mit einzelnen Beispielen untermischt, voraus- schicken , ob man sie in die Darstellung des Concreten ver- weben oder erst durch die unbefangene concrete Darstellung Grund und Boden für die abstracte Betrachtung gewinnen soll, ob man das historische Material seinem ganzen Umfang nach mittheilen oder als bekannt voraussetzen oder nur wie im Vorübergehen an die wesentlichen Punkte erinnern soll — das sind lauter Fragen, die sich mir fast bei jedem neuen Ge- genstand wiederholt haben und bei jedem in individueller Weise zu lösen waren. Ob die Lösung immer die richtige gewesen, darüber will ich mit Niemanden rechten. Dem Einen mag ich des Allgemeinen, dem Andern des Concreten zu viel gethan haben. Darüber gibt es eben keinen objectiven Maßstab. Ich bitte nur zu berücksichtigen, daß es mir nach meiner Erklärung in der Einleitung meines Werks (B. 1 S. 11) nicht bloß auf das römische Recht ankommt, sondern zugleich darauf, an und in dem römischen Recht das Wesen des Rechts überhaupt zur Anschauung zu bringen. Wer liest heutzutage noch Unter- suchungen über das Wesen des Rechts? Wer sie feil hat, darf sie daher dem Publicum nicht in dieser Gestalt vorführen, son- dern in und an einem concreten Stoff. Meiner festen Ueber- zeugung nach gereicht dies ihnen selbst zu hohem Nutzen. Die Rechtsphilosophie würde ihren Kredit nicht in dem Maße ein- gebüßt haben, wie sie es leider heutzutage hat, wenn sie sich das Element des Historischen und Concreten nicht zu sehr hätte ab- handen kommen lassen. Ihre Zukunft liegt m. E. in einer ener- gischeren Wiederaufnahme desselben, in einer auf dem Wege Vorrede . der Analyse und Vergleichung des Einzelnen zu gewinnenden Naturlehre des Rechts . Dazu Beiträge zu liefern, ist der ausgesprochene Zweck meines Buchs, und von der vorliegenden Abtheilung bitte ich namentlich die allgemeine Theorie der Technik und des Formalismus aus diesem Gesichtspunkt zu beurtheilen. Meiner oratio pro domo habe ich noch einen Punkt hinzu- zusetzen. Zu den Vorwürfen, die mir gemacht sind, gehört na- mentlich auch der der Verwegenheit im Combiniren und der Aufstellung von Hypothesen. Ich nehme ihn hin. Aber ich gebe ihn auch zurück. Ich bin nicht Zöllner genug, um dem Pharisäer gegenüber an meine Brust zu schlagen und zu sagen: Gott sei mir Sünder gnädig. Daß ein Werk, wie das meinige, seiner ganzen Bestimmung und Anlage nach mehr Anlaß zu Hypothesen und Combinationen gibt, als eine auf einen ein- zelnen Punkt sich beschränkende rechtshistorische Abhandlung oder ein Compendium der Rechtsgeschichte, liegt auf der Hand. Immerhin möge man nun über manche derselben den Stab brechen, aber ich verlange in dieser Beziehung nicht anders be- handelt zu sein, als jeder Andere. Oder bin ich etwa der, der zuerst die Sünde in die Welt gebracht hat? Das Gedächtniß Mancher scheint sehr kurz zu sein, und ich will es etwas auf- frischen. Ich rede nicht von Leuten, wie Gans und dem ver- storbenen J. Christiansen, sondern ich will meine Mitschuldigen aus der Zahl derer greifen, die sich „den neuern Zeitrichtungen gegenüber auf dem Boden soliden Erkennens und Fortarbeitens wissen.“ Der Schriftsteller, dem ich diese letzteren Worte entnehme, Rudorff , belehrt uns in seinen gromatischen Institutionen (Schriften der römischen Feldmesser von Blume, Lachmann und Rudorff B. 2 S. 303) daß das ältere Recht keine Veräußerung der Grundstücke kannte. Als Gründe figuriren 1) der Aus- Vorrede . druck: heredium, nebst der ihm von Varro hinzugefügten Er- klärung quod heredem sequeretur und 2) der angebliche gänz- liche Mangel einer Veräußerungsform. Die mancipatio soll nämlich ursprünglich nur bei beweglichen Sachen gegolten und erst unter dem Einfluß der mobilisirenden Tendenz von dem Verkehr auf die unbeweglichen übertragen, diese „Praxis“ aber sodann von den XII Tafeln sanctionirt worden sein. Nun, wenn der „Boden des soliden Erkennens“ solche Früchte trägt, so können auch die meinigen auf ihm gewachsen sein! Fassen wir die äußere Beglaubigung jener in Form einer historischen Thatsache vorgetragenen Hypothese, so hängt sie mit ihrem gan- zen Gewicht an einem einzigen Nagel: dem Wort heredium. Und ich denke, es ist ein recht schwacher. Denn der Gegensatz, den heredium involvirt, braucht nicht zu sein der zwischen un- veräußerlichem und veräußerlichem Eigenthum, sondern er kann auch sein der zwischen Privateigenthum und Gemeindeland, heredium und ager publicus. Der letztere Gegensatz ist historisch beglaubigt, von dem ersteren wissen wir nichts. Dem lateinischen heredium entspricht das deutsche „Erbeigen“. Würde ein Ger- manist sich noch auf dem Boden solider Forschung wissen, wenn er ohne weitere positive Anhaltspunkte bloß auf dies eine Wort hin sich eine Geschichte des deutschen Eigenthums construirte, die mit dem historisch allein erkennbaren Zustand in grellem Widerspruch stände? An Jeden, der eine Hypothese aufstellt, darf man die An- forderung erheben, daß er sich ihres Zusammenhanges mit dem ganzen System, dem sie angehört, ihres Eingreifens in connexe Gebiete, ihrer Postulate u. s. w. bewußt sei. Ob jener Schrift- steller diese Anforderung erfüllt hat? Ich möchte es sehr be- zweifeln. War die Veräußerung des Grundeigenthums un- möglich, so war es auch die Bestellung von Servituten, da sie Vorrede . bekanntlich unter den Gesichtspunkt der Veräußerung fällt. Oder war letztere vielleicht möglich unter Zustimmung der nächsten Anwärter? Dann hätte auch jene es sein, und es hätte folglich auch zu diesem Zweck eine Veräußerungsform geben müssen. War aber für den einen wie den anderen Fall die Einwilligung der Agnaten wirkungslos, nun dann haben, seitdem angeblich Romulus die heredia vertheilt, Jahrhunderte lang keine andern Servituten existiren können, als die bei dieser Gelegenheit aufer- legt worden waren. Oder hätten sie durch Usucapion entstehen können? Dann hätte letztere auch beim Eigenthum Platz greifen müssen. Mit dem Erbrecht kömmt diese Hypothese ebenfalls etwas ins Gedränge. Wo bleibt die „Stammgutseigenschaft dieser Güter“, wenn man sie durch Legat oder Erbeseinsetzung einem andern, als dem nächsten Blutsverwandten zuwenden konnte? Oder gab es, bevor die XII Tafeln die Veräußer- lichkeit des Grundeigenthums zum Gesetz erhoben, noch keine Testamente?! Wenn der Verfasser in derselben Abhandlung (S. 428 da- selbst) den uns bisher wohl bekannten römischen arbiter in einen deutschen „Gangrichter“ verwandelt, so kann sich mein testis (B. 1 S. 136) (dessen etymologische Ableitung ich übri- gens gern zurücknehme, um die von Lange vorgeschlagene von stare anzunehmen) desselben nur freuen; er braucht sich vor diesem arbiter wahrlich nicht zu schämen! Wollte ich gar der rechtshistorischen Phantasie Huschkes folgen, welche reiche Ausbeute würde sie mir gewähren, selbst bevor sie sich zur Schöpfung eines eignen, später untergegan- genen Thieres, des Bovigus, steigert! Ich denke, es wird genügen, wenn ich seinen vom Staat angestellten Getreidemesser (Nexum S. 100) herausgreife, unter dessen Beistand in grauer Vorzeit die Getreidegeschäfte ( stipulationes !) abgeschlossen wurden. Vorrede . Und ist denn das älteste römische Recht, wie Puchta (Cursus der Instit. §. 40) es schildert, mit seinem Gegen- satz des „quiritischen und ramnischen Rechtsbewußtseins“, sei- nem fehlenden Privateigenthum u. s. w. besser als eine der verwegensten meiner Hypothesen? Ich habe absichtlich diese drei Schriftsteller herausgenommen, weil gerade ihnen trotz dieser „kühnen Griffe“ Niemand bestreiten wird, daß sie zu un- sern ersten Rechtshistorikern gehören. Wollte ich tiefer hinab- steigen, wie manches stände mir da zu Gebote. Wie vieles wird selbst in unsern Institutionenlehrbüchern als ausgemachte Wahrheit hingestellt, was rein auf Construction beruht. Aus einem der gangbarsten will ich folgende Proben mittheilen. „Das älteste Recht spaltete sich in ein patricisches und plebeji- sches.“ Es bestand aus „Rechtsgewohnheiten, von denen manche gleich anfangs aus den verschiedenen Gegenden Italiens und von den verschiedenen Volksstämmen, also auch mit einer par- ticularrechtlichen Färbung in den neugebildeten Staat mitge- bracht worden sind. Viele aber fanden dort erst ihren Ursprung. — Die vielen ursprünglich zusammengetroffenen particular- rechtlichen Elemente gingen allmählig in einem gemeinen römi- schen Recht unter.“ In der zweiten Periode beginnt derselbe Proceß von neuem. Das römische Recht „vereinfacht sich durch allmählige Verschmelzung mancher genealogisch oder sonst ver- schiedenartiger Elemente darin, namentlich des besondern Pa- tricierrechts mit dem Plebejerrecht, zu einem mehr allgemeinen gleichförmigen Recht.“ Um dieselbe Zeit „fühlten die Römer auch, daß ihr bisheriges strenges Princip, wornach alle Pere- grinen für ganz rechtlos gelten, sich nicht mehr durchsetzen lasse, seitdem sie mit Peregrinen nicht bloß in feindliche, sondern auch in freundschaftliche Berührungen des Verkehrs und Zusammen- lebens gekommen, der peregrinus also nicht mehr als hostis Vorrede . erschien“ — wornach es also bis ins vierte Jahrhundert der Stadt hinein keinen Handel gegeben haben muß. So machten denn die Römer für die Peregrinen das jus gentium, und „ sehr natürlich war es, daß ein nicht unbedeutender Theil dieses jus gentium, was dem eigentlichen römischen Recht bisher (bis wann?) noch ganz fremd gewesen war, förmlich in dasselbe als integrirender, ergänzender Theil mit aufgenom- men wurde. — Daß aber nicht alles jus gentium schon damals (wann?) mit in das römische Recht aufgenommen wurde, ist gewiß, vielmehr schied sich das eigentliche Peregrinenrecht noch längere Zeit hindurch scharf davon.“ — Der Senat hatte in dieser Periode eine „anerkannte und entschiedene gesetzgebende Gewalt, ja er entwickelte dieselbe noch früher als das Volk und die Senatsbeschlüsse waren und hießen im weitern Sinne leges. “ Das Bedürfniß der alten Jurisprudenz wird folgendermaßen motivirt. „Es wurde überhaupt jetzt (wann?) seitdem das rö- mische Recht anfing sich in seinem Material zu erweitern, be- sonders durch die Vereinigung des jus gentium mit dem jus civile die Nothwendigkeit einer zweckmäßigeren Verar- beitung und Fortbildung dieses letztern durch die prudentes und ihre Interpretation um so lebhafter gefühlt, weil es sonst in Vergleichung mit dem jus gentium offenbar zurückgeblieben wäre“, wogegen freilich der bei Gelegenheit des prätorischen Edicts behauptete „immer fühlbarer hervortretende Mangel passender Grundsätze des jus gentium “ seltsam contrastirt. In der Geschichte des Eigenthums erfahren wir auch hier, daß dasselbe „ursprünglich nur an beweglichen Sachen Statt fand, diese Beschränkung jedoch schon ziemlich früh hinwegfiel, ohne daß wir das Genauere davon wissen“, bei den Obli- gationen, daß „vielleicht schon vorher (d. h. vor den Verbal- und Realcontracten) wenigstens sicher schon sehr früh “, Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. * Vorrede . sich der Literalcontract gebildet hatte (an einer andern Stelle „verliert er sich in die ältesten Zeiten “), und daß es „weder möglich, noch sonst passend erschien, jedem der unbenannten Realcontracte und jeder daraus entspringenden Klage einen eignen Namen zu geben.“ In welche Verlegenheit würde der Verfasser gerathen, wenn er uns für diese Behauptungen, ich will nicht sagen, einen Beweis, sondern nur den allerdürftigsten Anhaltspunkt geben sollte! Und doch tritt hier die Construction nicht etwa auf im Gewande der Vermuthung, der Combination, sondern in dem der ausgemachten historischen Wahrheit. In der That wer Angesichts solcher Proben den Stein auf- heben will, um vorzugsweise mich damit zu werfen, möge zu- sehen, ob er damit nicht die meisten unserer heutigen Rechts- historiker und sich selber mit trifft. Daß trotzdem so Mancher gern den Stein aufhebt, dafür ist die Erklärung schon in der Parabel vom Splitter im fremden und Balken im eignen Auge gegeben. Wenn ich nun die Steine, mit denen man mich hat treffen wollen, zurückgeworfen und unter dem Einfluß der durch den Angriff hervorgerufenen Stimmung gegen diejenigen, welche sich mir gegenüber im Alleinbesitz der correcten historisch- kritischen Methode zu sein rühmen, meiner Kritik und Polemik öfters einen Zusatz von würzender Schärfe gegeben habe, so denke ich, wird mir jeder Billige diesen Akt literarischer Noth- wehr zu gute halten — eine Bemerkung, die sich namentlich mit auf Ad. Schmidt (von Ilmenau) bezieht, der durch seine von mir in keiner Weise provocirten Ausfälle gegen mich die Re- pressalien, die ich in §. 47 gegen ihn ergriffen, mehr als ver- dient hat. Gießen , 1. August 1858. Inhalt des zweiten Theiles. Zweite Abtheilung . III. Die juristische Technik des ältern Rechts . A. Das Wesen der Technik im Allgemeinen . I. Gegensatz der natürlichen und juristischen Auffassung . §. 37. Thatsächlichkeit und Nothwendigkeit dieses Gegensatzes — Apologetik der Jurisprudenz — die angebliche Natürlichkeit der Laien-Auffassung — der gesunde Menschenverstand ohne die Erfahrung — der Werth und der Einfluß der Erfahrung — die Jurisprudenz ein Niederschlag des gesunden Menschenverstandes in Dingen des Rechts. S. 321—333. II. Theorie der juristischen Technik . I. Die Aufgabe der Technik und die Mittel zur Lösung im Allgemeinen . §. 38. Die Verwirklichungsfrage im Recht — die Aufgabe und die Mittel zur Lösung, namentlich die Technik — die beiden technischen Interes- sen — die Praktikabilität des Rechts. S. 334—359. II. Die drei Fundamental-Operationen der juristischen Technik . 1. Die juristische Analyse (das Rechtsalphabet) . §. 39. Der einfache Rechtskörper — localisirende und abstracte Rechtspro- duction — historische Erscheinung des Abstracten im Concreten (die Durchbruchspunkte; analoge Ausdehnung) — die Buchstaben des Rechts — Vergleichung des Alphabets des Rechts mit dem der Sprache. S. 359—379. 2. Die logische Concentration . §. 40. Die Möglichkeit einer Concentrirung des Stoffs — das logische Cen- trum und die Peripherie — innere Erweiterung des Princips in der historischen Form einer Ausnahme. S. 379—384. 3. Die juristische Construction . §. 41. Die naturhistorische Anschauungsweise des Rechts — der juristische Körper — allgemeine Schilderung desselben — Gewinnung desselben durch die juristische Construction — die drei Gesetze derselben (positi- ves, logisches, ästhetisches) — technischer Werth der naturhistorischen Methode. S. 384—414. Inhalt des zweiten Theiles. B. Die Technik des ältern Rechts . Die Jurisprudenz . §. 42. Die Pontifices — die Geheimhaltung des Rechts — das jus civile im engern Sinn — der pontificische Styl — das Ende der ponti- ficischen Herrschaft. S. 415—445. Haften des Rechts an der Aeußerlichkeit . (Sinnliches Element des ältern Rechts.) I. Der Materialismus . §. 43. Das sinnliche Element auf der innern Seite des Rechts — der ma- terialistische Zuschnitt der Begriffe und Institute — Beispiele: das furtum, damnum injuria datum, der Irrthum, Besitz und die Usu- capion — wirthschaftliche und rechtliche Präponderanz der Sache ; die Sache die Axe des ältern Verkehrs und der Ausgangspunkt des ganzen Vermögensrechts. S. 446—467. II. Das Haften am Wort . §. 44. Der Gedanke und das Wort — grammatische und logische Interpre- tation — Verhältniß der alten Jurisprudenz zu diesem Gegensatz — strenge Wortinterpretation der Rechtsgeschäfte — freiere der Gesetze — tendentiöses Element derselben. S. 467—495. III. Der Formalismus . 1. Das Wesen desselben im Allgemeinen . §. 45. Begriff des formellen und formlosen Geschäfts — Kritik des Forma- lismus vom praktischen und ethischen Standpunkt — allgemeine und besondere Vortheile und Nachtheile der Form, wechselndes Verhält- niß beider — die historischen Gründe des Formalismus — die Macht des Sinnlichen und der Formensinn. S. 496—545. 2. Der Formalismus des ältern Rechts . §. 46. Extensive Erstreckung der Form — Uebersicht der formellen Geschäfte — die Scheingeschäfte, Begriff, Arten und Behandlung derselben von Seiten der ältern Jurisprudenz — die mancipatio, in jure cessio, stipulatio . S. 545—587. 3. Analyse des römischen Formenwesens . §. 47. Der Stoff — die hauptsächlichsten symbolischen Zeichen und Hand- lungen, vor allem die Hand — das Wort — Abgränzung der For- meln von den Formularen — Arten der Formeln nach Maßgabe ihrer Bestimmtheit — das Requifit des Sprechens; Verbindung desselben mit der Schrift — Theorie der Composition der Formeln: Gebrauch der Verbalformen; juristische Syntax; Correspondenz der Form — die Folgen des Formfehlers — Zeit und Ort als Element der Rechts- geschäfte. S. 588—695. III. Die juristische Technik des ältern Rechts. A. Das Wesen der Technik im Allgemeinen. I. Gegensatz der natürlichen und juristischen Auffassung. Thatsächlichkeit und Nothwendigkeit dieses Gegensatzes — Apo- logetik der Jurisprudenz — die angebliche Natürlichkeit der Laien- Auffassung — der gesunde Menschenverstand ohne die Erfahrung — der Werth und der Einfluß der Erfahrung — die Jurisprudenz ein Niederschlag des gesunden Menschenverstandes in Dingen des Rechts. XXXVII. In dem vorhergehenden Abschnitt von den Grund- trieben haben wir die höchsten Ziele des älteren Rechts, die Ideale des römischen Rechtsgefühls, zu bestimmen versucht; der gegenwärtige soll uns mit der eigenthümlichen Kunst bekannt ma- chen, die dasselbe zum Zweck der Verwirklichung jener Gedanken in Anwendung gebracht hat. So eng demnach auch der gegenwär- tige Abschnitt mit dem vorherigen zusammenhängt, so bezeich- net er dennoch den Uebergang zu einer völlig neuen Seite des Rechts. Diejenige, mit der wir uns bisher beschäftigten, ließe sich die ethische Seite des Rechts, diejenige, der wir uns jetzt zu- wenden, die specifisch juristische nennen. Dort handelte es sich um Ideen und Anforderungen, die objectiv in der sittlichen Bestimmung des Rechts und subjectiv in dem natürlichen Rechts- gefühl ihren letzten Grund haben, daher dem Laien nicht min- der zugänglich und geläufig sind, als dem Juristen. Ganz an- ders von jetzt an. Unsere Darstellung versetzt uns, so zu sagen, auf eine ganz andere Hemisphäre, auf der dem Laien Alles neu Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 21 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. und fremdartig, ja Vieles höchst verwunderlich erscheinen muß, in eine Welt, für die er kein Verständniß, wohl aber umgekehrt manche Vorurtheile mitbringt. Wenn ich den Laien dennoch auffordere, mir auf dies Gebiet der eigentlichen Jurisprudenz zu folgen, so verhehle ich mir keineswegs das Gewagte und die großen Schwierigkeiten der Aufgabe, die ich damit übernehme. Aber ich halte dieselben weder für unüberwindlich, noch fürchte ich, durch eine Berücksichtigung der Bedürfnisse des Laien das Interesse des juristischen Lesers zu sehr auf die Probe zu stellen. Der Punkt, an dem jeder Laie sich seines Laienthums be- wußt werden muß, und auf dessen Erläuterung ich mithin mein Hauptaugenmerk richten werde, ist die juristische Methode . Dem Juristen sollte billigerweise nichts bekannter sein, als sie, denn gerade sie ist es, die ihn zum Juristen macht. Und doch ist es nicht zu viel behauptet, daß ein eigentliches Bewußtsein über sie den meisten Juristen völlig fehlt, und daß unsere Wis- senschaft alle anderen Gesetze besser kennt, als die Gesetze ih- rer selbst . Aus und in der Anwendung ist die juristische Me- thode uns sehr wohl bekannt, aber sie ist uns eben nur eine Sache des Gefühls und der Uebung. Sollten wir angeben, worin das Wesen derselben liege, wie die Weise, in der wir die Rechtsverhältnisse beurtheilen, sich von der des Laien unter- scheide, was die Aufgaben, Mittel und Grundgesetze der juristi- schen Methode seien: — die Antwort würde unendlich dürftig ausfallen und schwerlich über die recipirte Phrase eines „Rech- nens mit Begriffen“ hinausreichen. So war es in Rom, so ist es noch heutzutage — ein neuer Beleg für die alte Wahrheit, daß die richtige Ausübung und selbst die höchste Blüthe einer Kunst nicht bedingt ist durch eine wissenschaftliche Erkenntniß ihrer Gesetze und ihres Wesens. Wenn ich nun, bevor ich auf die römische Technik eingehe, jenem Mangel, so weit dies bei einem ersten Versuch möglich ist, abzuhelfen, also das Wesen und die Grundgesetze der juristischen Technik im Allgemeinen zu bestimmen ver- I. Gegensatz der natürl. u. jurist. Anschauungsweise. §. 37. suchen werde, so bitte ich, nicht außer Acht zu lassen, daß diese Ausführung nur den Zweck hat, das Verständniß der Technik des älteren römischen Rechts vorzubereiten, daß man also darin nichts suchen möge, was ich an dieser Stelle, ohne mei- nen Zweck aus dem Auge zu verlieren, nicht geben kann. An der gegenwärtigen Stelle würden Ausführungen über den Beruf der Jurisprudenz, die durch die Entwicklungsstufe des älteren römischen Rechts nicht geboten sind, verfrüht und ungehörig sein. Die spätere Entwicklung der römischen Jurisprudenz wird mir hinlängliche Gelegenheit geben, das Fehlende nachzu- holen und dem Leser eine Anschauung von der vielseitigen Wirk- samkeit einer ausgebildeten Jurisprudenz zu gewähren. Hier handelt es sich zunächst nur um den Elementarunterricht in der juristischen Kunst; denn die Kunst selbst beginnt historisch überall mit den Elementen. Die Theorie der Technik, die ich im Folgenden aufstellen werde, ist zwar einer Betrachtung des römischen Rechts ent- nommen, allein sie macht nichts desto weniger auf allgemeine Wahrheit Anspruch. Wie den Erscheinungen, an denen uns der vorige Abschnitt vorüberführte, bei aller national-römischen Form, die die Sache hier angenommen hatte, dennoch Motive von allgemeiner Wahrheit zu Grunde lagen, d. h. Aufgaben, an deren Lösung jedes Recht sich zu versuchen hat, so auch hier. Denn nicht blos ist die Aufgabe selbst, um die es sich hier handelt, eine absolut nothwendige, ein mit den letzten Zwecken des Rechts selbst gesetztes Problem, sondern es muß auch die Art ihrer Lösung in Rom trotz aller römischen Form im Wesent- lichen als die absolut richtige, als die einzig denkbare bezeichnet werden. Mit derselben apodiktischen Gewißheit, mit der man behaupten kann, daß die Grundsätze der mathematischen Me- thode für alle Zeiten unwandelbar dieselben bleiben werden, läßt sich ein Gleiches für die der juristischen Methode behaup- ten. Der Weg, den das ältere römische Recht hier eingeschlagen, ist der einer jeden Jurisprudenz; er ist so wenig ein römischer, 21* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. wie der, den Euklid und Archimedes in der Mathematik verfolgt haben, ein griechischer. Hätten nicht die Römer ihn entdeckt oder richtiger uns ihn geebnet, so würde ein anderes Volk es gethan haben, denn jedes Recht wird mit Nothwendigkeit in ihn hin- eingetrieben. Die Ansätze zur juristischen Methode finden sich überall und der Ruhm der Römer besteht nur darin, daß sie es nicht bei bloßen Ansätzen haben bewenden lassen. Die juri- stische Methode ist nicht etwas von außen ins Recht Hineingetragenes, sondern die mit innerer Noth- wendigkeit durch das Recht selbst gesetzte einzige Art und Weise einer sicheren praktischen Beherr- schung des Rechts . Das Historische dabei ist nicht sie selbst, sondern das Geschick und Talent, mit dem sie von diesem oder jenem Volk gehandhabt wird. Es ist eine bekannte sich überall wiederholende Erscheinung, daß das Recht, wenn es eine gewisse Bildungsstufe erreicht, sich der Kenntniß der Masse mehr und mehr entzieht und Gegenstand eines besonderen Studiums wird. Nicht gerade eines gelehrten oder Schulunterrichts, sondern das Wesentliche ist, daß die nöthige Vertrautheit mit dem Recht, die früher einem Jeden mühelos zufiel, jetzt eine besondere Aufmerksamkeit, Absicht, An- strengung voraussetzt, und da nicht ein Jeder diese Arbeit daran setzen kann, daß sich rücksichtlich der Rechtskenntniß mehr und mehr ein Gegensatz ausbildet, den wir in seiner schließlichen Gestalt als Gegensatz des Juristen und Laien bezeichnen. Das historische Auftreten des Juristen bekundet die Thatsache, daß das Recht die Periode der Kindheit und der naiven Existenz zu- rückgelegt hat; der Jurist ist der unvermeidliche Herold dieses Wendepunktes im Leben des Rechts. Aber nicht der Jurist ruft den Wendepunkt, sondern der Wendepunkt den Juristen her- I. Gegensatz der natürl. u. jurist. Anschauungsweise. §. 37. vor; — der Laie tritt nicht zurück, weil der Jurist ihn ver- drängt, sondern der Jurist tritt auf, weil der Laie ihn nicht mehr entbehren kann. Man hat diesen Entwicklungsprozeß und die damit verbundene Entfremdung des Rechts vom Laienbewußt- sein als eine beklagenswerthe Thatsache angesehen, und die Ge- schichte der Wissenschaft wie der Gesetzgebung berichtet von man- chen Versuchen, die Kluft zwischen Juristen und Laien auszu- füllen oder letzterem wenigstens eine bequeme Brücke in die Ju- risprudenz zu schlagen. Ein eitles Bemühen, eine ohnmächtige Auflehnung gegen die Geschichte! Denn jene Thatsache, die man ungeschehen machen möchte, ist nichts Anderes, als die Verwirklichung eines allgemeinen Culturgesetzes auf dem Ge- biete des Rechts — des Gesetzes der Theilung der Arbeit — und so machtlos und widersinnig ein Widerstand gegen dies Gesetz anderwärts sein würde, ebenso wird er es auch hier sein. Der Grund, der dem Laien bei einem ausgebildeten Recht die Kenntniß und Anwendung desselben unmöglich macht, liegtweniger in dem, worin der Laie geneigt sein wird, ihn zu finden, in der Massenhaftigkeit als vielmehr in der Art des Stoffs, in der eigenthümlichen Schwierigkeit seiner Auffassung und Handha- bung. Das Recht, das dem Laien nur als eine Masse von Gesetzen erscheint, ist in der That etwas ganz Anderes, unendlich Höheres (S. B. 1. S. 25—33). Gesetze kann der Laie so gut auswendig lernen, als der Jurist, und wenn sie gerade Verhältnisse betreffen, die ihm geläufig sind, mag er sie auch zur Noth anwenden kön- nen. Aber um das Recht zu verstehen und anzuwenden, dazu reicht der einfache Verstand und der natürliche Sinn nicht aus, dazu bedarf es vielmehr zweierlei, nämlich erstens eines nur durch vieljährige Anstrengung und Uebung zu gewinnenden ei- genthümlichen Auffassungsvermögens , einer besonderen Fertigkeit des abstracten Denkens, und zweitens einer besonde- ren Geschicklichkeit im Operiren mit Rechtsbegriffen — namentlich der juristischen Diagnose . Beides zusammen begreifen wir unter dem Ausdruck der juristischen Bildung . Sie ist es, Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. die den Juristen vom Laien unterscheidet, nicht die Masse der Kenntnisse, sie ist es, die den Werth des Juristen bestimmt, nicht das Maß der Gelehrsamkeit. Darum kann Jemand bei mäßigem Wissen ein ausgezeichneter, und bei großem Wissen ein schlechter Jurist sein. Keine im Uebrigen noch so werthvolle Beschäftigung mit dem Recht, wie die rechtsphilosophische und rechtshistorische, kann für sie Ersatz gewähren, ja so hoch ich ein Wissen der letzteren Art stelle, als juristisches läßt es sich nicht bezeichnen. Die juristische Bildung wird zwar erworben an einem einzelnen positiven Recht, allein sie ist darum nicht an letzteres gebunden, steht und fällt nicht mit ihm. Wäre dies der Fall, so müßte der Jurist zittern bei dem Gedanken, daß das bisherige Recht und damit seine Existenz als Jurist aufgehoben würde. Al- lein in dem bestimmten einzelnen Recht lernt er zugleich das Recht kennen, so wie Jemand, der eine Sprache wissenschaft- lich studirt, zugleich das Wesen, die Gesetze u. s. w. der Sprache. Neben seinem rein positiven Wissen, der Kenntniß dieses Rechts, besitzt er also noch ein höheres allgemeineres Gut, das nicht an die Scholle gebunden ist, das keine Rechts- und Orts-Veränderung ihm entwerthen kann, und gerade dies ist die eigentliche Blüthe, die edelste Frucht eines dem Recht gewidmeten Lebens. Die juristische Bildung ragt über das Landesrecht weit hinaus, in ihr begegnen sich wie auf neutra- lem Boden die Juristen aller Länder und Zeiten. Die Gegen- stände ihrer Kenntnisse, die Einrichtungen und Rechte der ein- zelnen Länder sind verschieden, aber die Art, sie zu betrachten und aufzufassen, dieselbe — die wahren Juristen aller Orten und Zeiten reden dieselbe Sprache , sie verste- hen sich untereinander; aber Juristen und Laien verstehen sich nicht, auch wenn sie über das Recht ihres Landes mit einander reden. Die Kluft zwischen dem gebildetsten Laien und einem Juristen der Ge- genwart ist z. B. ungleich größer, als sie es zwischen einem Juristen des alten Rom und einem englischen, der nichts vom römischen I. Gegensatz der natürl. u. jurist. Anschauungsweise. §. 37. Recht gehört, sein würde. Die englische Jurisprudenz athmet bei all’ ihrer Unbekanntschaft mit der römischen fast denselben Geist, wie die altrömische. Dieselbe Handhabung der Form, dieselbe Pedanterie, dieselben Umwege und Scheingeschäfte; selbst die Fictionen fehlen nicht. Für diese freilich etwas schwer- fällige und baroke Art der juristischen Technik [den juristischen Rococostyl] fehlt dem Laien das Verständniß in dem Maße, daß sie ihm kaum etwas Anderes, als ein Lächeln abnöthigen wird. Aber auch ganz abgesehen von diesen, einer niederen Ent- wicklungsstufe angehörigen Formen der juristischen Technik wird letztere selbst in ihrer vollendetsten Gestalt, in der Reinheit des classischen Styls, dem Laien vielfach ein Räthsel und ein Stein des Anstoßes sein. Daß der Jurist da, wo er, der Laie, nur einen Akt bemerkt, deren zwei annimmt, z. B. wenn der Schuldner im Auftrage des Gläubigers an eine dritte Person zahlt, einmal eine Zahlung des Schuldners an den Gläubi- ger und sodann ein Rechtsgeschäft zwischen Gläubiger und der dritten Per- son (sei es gleichfalls eine solutio, oder eine Schenkung, oder ein Darlehn, oder ein anderes Geschäft); L. 44 de solut. (46. 3) . Auf solche Fälle be- zieht sich die Bemerkung des Juristen in L. 3 §. 12 de don. i. v. et u. (24. 1): celeritate inter se conjungendarum actionum unam occultari. oder da, wo Je- ner überall keinen Akt wahrnimmt, einen oder gar mehre sta- tuirt z. B. wenn der Pächter die Sache vom Verpächter kauft, eine Tra- dition von jenem an diesen und von diesem zurück an jenen ( traditio brevi manu; der entgegengesetzte Hergang beim constitutum possessorium ). und umgekehrt da, wo ein äußerer Akt in der That vorliegt, denselben nicht sieht, oder ihn in ganz anderer Weise auffaßt, als er äußerlich erscheint; z. B. die Ratihabition eines früheren ungültigen Geschäfts als Ab- schluß eines neuen L. 1 §. 2 pro donato (41. 6) quasi nunc donasse videtur. daß er Geschäfte, die äußerlich sich durchaus gleichsehen, ganz verschieden behan- delt: z. B. die Aneignung einer vom Eigenthümer preisgegebenen Sache — alles dieses wird dem Laien unnatürlich erscheinen. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. Und dennoch handelt es sich in allen diesen Fällen nicht etwa um eine eigenthümliche Auffassungsweise der römischen Juri- sten, sondern um Gesichtspunkte und Entscheidungen von einer solchen juristisch-logischen Nothwendigkeit, daß jede Jurispru- denz zu ihnen hätte gelangen müssen. Die juristische Auffassung also und die der Laien stehen in einem entschiedenen Gegensatz. Aus dieser Differenz nun, die eine überall wiederkehrende historische Thatsache ist, hat man der Jurisprudenz einen Vorwurf gemacht, man hat ihre Entfernung von der „ natürlichen “ Betrachtungsweise als etwas Unna- türliches betrachtet, sie der Künstlichkeit, Spitzfindigkeit u. s. w. beschuldigt, und auch hier die „Umkehr“ als Ziel hingestellt. Im Munde des großen Haufens sind solche Ansichten ganz ver- zeihlich, und vernähme man sie bloß hier, so würde ich gar nicht darauf antworten. Allein da sie auch bei gebildeten Laien nichts weniger als selten sind, und da es sogar an Juristen nicht ge- fehlt hat und schwerlich je fehlen wird, welche, sei es aus ideo- logischer Verblendung, sei es aus Gefallen an wohlfeiler Po- pularität, oder aus Unmuth über die geistige Arbeit, welche die Jurisprudenz ihren Jüngern zumuthet, sich in dieser Hinsicht zum großen Haufen geschlagen haben, Hat doch sogar vor einigen Jahren ein Jurist sich nicht gescheut, so möge man es nicht für überflüssig halten, wenn ich einem Abschnitte, der wie kein anderer von den Leistungen und Verdiensten der Jurisprudenz Zeugniß abzulegen gedenkt, eine kurze Apologetik der Jurispru- denz vorausschicke, um bei denjenigen meiner Leser, bei denen dies noch nöthig sein sollte, dasjenige Gefühl hervorzurufen, ohne welches man wie an keine Wissenschaft, so auch nicht an die Jurisprudenz, herantreten sollte — — dasjenige der Ach- tung und Ehrfurcht vor der in ihr fixirten geistigen Kraft, und bald als Occupation einer derelinquirten, bald als Erwerb einer tradirten Sache, oder die gewaltsame Aneignung einer Sache bald als erzwungene Tradition, bald als Raub. I. Gegensatz der natürl. u. jurist. Anschauungsweise. §. 37. damit zugleich das der Bescheidenheit und des Mißtrauens in das eigene Urtheil. In der Anklageschrift gegen die Jurisprudenz pflegen zwei Stichwörter: natürliche Anschauung und gesunder Menschenverstand eine große Rolle zu spielen, und man glaubt die Jurisprudenz nicht empfindlicher treffen zu können, als wenn man ihr unnatürliche Auffassung und Widerspruch mit dem gesun- den Menschenverstand Schuld gibt. Es stände aber in der That schlimm um die Jurisprudenz und das Recht selbst, wenn es anders wäre! Es würde soviel heißen, als daß eine durch Jahr- tausende fortgesetzte Beschäftigung mit dem Recht vor der angebo- renen Unkenntniß und Unerfahrenheit keinen Vorsprung gewon- nen hätte. Die natürliche Auffassung ! Was ist sie denn an- ders, als der erste Versuch des Sehens und folglich die völlige Abhängigkeit eines blöden, ungeübten Auges vom äußeren Schein? Jede Erkenntniß beginnt mit ihr , aber nur, um bald inne zu werden, daß der äußere Schein trügt, und der Fortschritt in der Erkenntniß besteht gerade in einem unausge- setzten Sichlosreißen von dem Glauben an die Wahrheit der sinnlichen Erscheinung. Gilt nun für alle übrigen Gebiete des menschlichen Wissens der Satz, daß anhaltende Beschäftigung mit einem Gegenstande und fortgesetzte Beobachtung und Er- forschung desselben zu anderen Resultaten führen, als eine ober- flächliche Betrachtung desselben — zu Resultaten, die der letzte- ren nicht bloß völlig unverständlich sein, sondern geradezu als widersinnig und unmöglich erscheinen müssen — dann meine ich, wird dieser Satz auch wohl für das Recht gelten. In den meisten anderen Wissenschaften würde kein gebildeter Laie im Fall einer solchen Differenz es wagen, sich die Wahrheit und der Wissenschaft den Irrthum zuzutheilen; in Dingen des Rechts aus der Werthlosigkeit seines Urtheils über die Jurisprudenz eine „ Werthlosigkeit der Jurisprudenz “ zu machen! — ein Einfall, den man durch eine ernstliche Widerlegung viel zu sehr geehrt hat. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. kommt dies täglich vor! Erfahrung und Wissen werden als Verkehrtheit und Befangenheit gestempelt, die völlige Unbe- kanntschaft mit der Sache als Vorurtheilslosigkeit! Wer denn einmal auf die Wahrheit der „natürlichen“ Ansicht in Dingen des Rechts pocht, möge dasselbe auch bei den Erscheinungen der Natur thun, möge behaupten, daß die Erde still steht, und die Sonne auf- und untergeht. Die Sonne und die Erde liegen der natürlichen Anschauung näher, als das Recht, aber wäh- rend hinsichtlich jener nur ein völlig Ungebildeter seinen Augen mehr traut, als dem Urtheil der Wissenschaft, macht sich beim Recht auch der Gebildete täglich derselben Selbstüberschätzung schuldig. Man wende mir nicht ein, daß doch das Recht im Rechts- gefühl seinen Ursprung und Sitz habe. Gewiß! das Rechtsge- fühl ist das Samenkorn, dem das Recht entsprossen ist, aber das Samenkorn enthält nur den Keim des Baumes, nicht den Baum selbst; es wächst und gedeiht nur dadurch, daß es die enge und unvollkommene Behausung des Rechtsgefühls sprengt und sich folgeweise dem Blick und Urtheil des Laien immer mehr entzieht. So wie der Baum nicht wieder zum Samenkorn wer- den kann, so vermag auch keine Macht der Erde ein einmal ent- wickeltes Recht auf die Form des Rechtsgefühls zurückzuführen, es dem Laien zurückzugeben, und das Urtheil desselben über ein solches Recht ist darum um nichts competenter, daß es eine Zeit gab, wo auch ihm ein solches in der That zustand. Die Autorität des „gesunden Menschenverstandes“ erkenne ich für die Jurisprudenz als eine ganz entscheidende an, ja ich möchte letztere definiren als: Niederschlag des gesunden Menschenverstandes in Dingen des Rechts . Aber sie ist eben ein Niederschlag d. h. eine Ablagerung des gesun- den Menschenverstandes unzähliger Individuen, ein Schatz von Erfahrungssätzen, von denen jeder tausendfältig die Kritik des denkenden Geistes und des praktischen Lebens hat bestehen müs- sen. Wer sich dieses Schatzes zu bemächtigen weiß, der operirt I. Gegensatz der natürl. u. jurist. Anschauungsweise. §. 37. nicht mehr mit seinem eigenen schwachen Verstande, der stützt sich nicht bloß auf seine eigene unbedeutende Erfahrung, son- dern der arbeitet mit der Denkkraft vergangener Geschlechter und der Erfahrung verflossener Jahrhunderte. Durch diese künstliche Ergänzung der eigenen Kräfte und Mittel ist es möglich, daß auch der Schwache im Dienste des Rechts eine nützliche Ver- wendung finde, denn was das Genie auf diesem Gebiete ent- deckt und geschaffen, was aber der gewöhnliche Verstand, wenn er auf sich selbst angewiesen wäre, nie finden würde, kann er mit Hülfe des Fleißes wenigstens in so weit zu seinem Eigen- thume machen, um im Stande zu sein, es richtig anzuwenden. Ich kenne kein Gebiet des menschlichen Wissens und Könnens, auf dem nicht der Schwächste, der mit der Intelligenz und der Erfahrung von Jahrhunderten operirt, dem Genie, das dieser Beihülfe entbehrte, überlegen wäre. Welch ein leichtes Ding ist es, das Feld zu bestellen, und ein Handwerk zu betreiben ge- genüber der Aufgabe, die schwierigsten Rechtsfragen zu lösen! Wenn aber einer zum Betriebe jener beiden Geschäfte nichts mit- brächte, als den gesunden Menschenverstand, er würde es mit dem schlechtesten Sachverständigen nicht aufnehmen können, und wollte er gar die Erfahrungssätze mit seinem subjectiven, gesun- der Menschenverstand titulirten Meinen umstoßen und den Kun- digen meistern und belehren, es würde ihn der dümmste Bauer und Handwerker mit vollem Recht verlachen. Und uns Juristen sollte nicht dasselbe Recht zustehen, wenn ein Laie sich uns ge- genüber dasselbe erdreistete? Wer einem Schuster und Schnei- der die Fähigkeit zutraut, über Fragen des Rechts zu entschei- den, wer den Muth hat, sich von ihnen seine Urtheile machen zu lassen, möge sich auch umgekehrt seine Kleider und Stiefel bei dem Juristen bestellen. Juristen aber, die den Wahn von der Möglichkeit eines populären, jedem Bürger und Bauer zugäng- lichen, den Juristen entbehrlich machenden Rechts zu theilen und gar zu fördern im Stande sind, verdienten, diese Bestellung auszuführen, um an Stiefeln und Kleidern inne zu werden, Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. was sie an der Jurisprudenz selbst nicht begriffen haben: näm- lich, daß die einfachste Kunst ihre Technik hat, eine Technik, die zwar nichts ist als der angesammelte und objectivirte Niederschlag des gesunden Men- schenverstandes, aber doch nur von demjenigen an- gewandt und beurtheilt werden kann, der sich die Mühe nimmt, sie zu erlernen . In diesem einfachen Satz ist die Gegensätzlichkeit der Juris- prudenz und des Laienthums und damit die Rechtfertigung der Jurisprudenz enthalten. Eine ungleich interessantere und frucht- barere, aber auch um eben so viel schwierigere Weise der Ver- theidigung der Jurisprudenz würde darin bestehen, daß man jene von uns behauptete Uebereinstimmung derselben mit dem gesunden Menschenverstande im Einzelnen nachwiese. An eine solche Selbstkritik und Apologetik der Jurisprudenz ist frei- lich wenig gedacht. Zufrieden mit dem festen Besitz dessen, was sich durch die Erfahrung als brauchbar bewährt hat, und sich beruhigend bei der realen Kritik, die ihre Lehrsätze täglich im Leben zu bestehen haben, hat die Jurisprudenz sich dieser Mühe gern entschlagen; sie läßt sich in dieser Beziehung von dem Vorwurf einer gewissen Indolenz und eines sich beim Positiven beruhigenden Quietismus nicht frei sprechen. Nur so ward es möglich, daß einzelne ihrer Jünger an ihr irre wurden und selbst den Stein auf sie warfen. Die folgenden Paragraphen ge- ben mir die erwünschte Gelegenheit, jenen Weg der Rechtferti- gung einzuschlagen und meine obige Definition der Jurispru- denz an einem der wichtigsten Punkte zu erhärten. So sehr ich aber von der Möglichkeit einer solchen Apologe- tik der Jurisprudenz überzeugt bin, so darf man doch zweierlei dabei nicht außer Acht lassen. Erstens: ich habe diese Möglich- keit nur für die Jurisprudenz in Anspruch genommen, also für das, was sie eingeführt und aufgebracht, nicht aber für das, was eine äußere Autorität ihr an positivem Stoff aufge- drängt hat, und wofür sie die Verantwortlichkeit von sich ab- I. Gegensatz der natürl. u. jurist. Anschauungsweise. §. 37. lehnen darf, noch weniger aber für individuelle Ansichten ein- zelner Juristen, deren Uebereinstimmung mit der gesunden Ver- nunft allerdings mitunter mehr als zweifelhaft und von ihren Urhebern selbst vielleicht am wenigsten beanspruch ist. Die ge- sunde Kritik des praktischen Lebens richtet die ungesunden An- sichten einfach dadurch, daß sie sie ignorirt. Zweitens : die Zweckmäßigkeit oder Nothwendigkeit des Einzelnen liegt, wie überall, so auch hier nicht bloß in ihm selbst, sondern in dem Zusammenhange desselben mit dem Gan- zen, kann mithin auch nur aus letzterem begriffen und nachge- wiesen werden. Gerade dadurch entsteht so leicht und so häufig der Schein der Unvernünftigkeit oder Zweckwidrigkeit des Ein- zelnen, daß der Urtheilende jenen Zusammenhang nicht kennt und daher in aller Unbefangenheit von der Annahme ausgeht, als verstatteten die einzelnen Punkte eine isolirte Feststellung und Beurtheilung. Wäre diese Annahme eine richtige, so würde die Entscheidung, die die Jurisprudenz getroffen, nicht so häufig von der, die der Laie für die sachgemäße hält, divergiren. Aber eben weil sie es nicht ist, weil beide auf ganz verschiedenen Standpunkten stehen, kann nicht bloß, sondern muß so häufig eine solche Divergenz eintreten. Darum ist es oft kaum mög- lich, einem Laien die Vernünftigkeit eines einzelnen Satzes be- greiflich zu machen, denn ihm fehlt gerade das, woran man an- knüpfen müßte, die Kenntniß der Mittelglieder zwischen jenem Satz und dem letzten Grunde, kurz die Kenntniß des Zusam- menhanges. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. II. Theorie der juristischen Technik. I. Die Aufgabe der Technik und die Mittel zur Lösung im Allgemeinen. Die Verwirklichungsfrage im Recht — die Aufgabe und die Mit- tel zur Lösung, namentlich die Technik — die beiden technischen In- teressen — die Praktikabilität des Rechts. XXXVIII. Das Recht ist dazu da, daß es sich verwirkliche. Die Verwirklichung ist das Leben und die Wahrheit des Rechts, ist das Recht selbst. Was nicht in Wirklichkeit übergeht, was bloß in den Gesetzen, auf dem Papiere steht, ist ein bloßes Scheinrecht, leere Worte, und umgekehrt was sich verwirklicht als Recht, ist Recht, auch wenn es in den Gesetzen nicht zu fin- den, und Volk und Wissenschaft sich dessen nicht bewußt ge- worden ist. Nicht also der abstracte Inhalt der Gesetze entscheidet über den Werth eines Rechts, nicht die Gerechtigkeit auf dem Papiere und die Sittlichkeit in den Worten, sondern die Objectivirung des Rechts im Leben, die Thatkraft, mit der das, was als noth- wendig erkannt und ausgesprochen ist, ausgeführt und durchge- setzt wird. Es kömmt nun aber nicht bloß darauf an, daß das Recht sich verwirkliche, sondern auch darauf, wie dies geschieht. Was nützt die Sicherheit und Unausbleiblichkeit der Verwirklichung, wenn letztere so schwerfällig und langsam ist, daß sie immer zu spät kömmt? Können wir nun dies Wie absolut bestimmen? Ich glaube, al- lerdings. Bei der ganzen Frage von der Verwirklichung des Rechts handelt es sich nicht um etwas Materielles, sondern um etwas rein Formelles. Wie verschieden auch der materielle Inhalt der einzelnen Rechte sein möge, die Verwirklichung derselben kann und soll überall eine gleiche sein, es gibt in dieser Beziehung ein absolutes Ideal, dem jedes Recht nachzustreben hat. Worin besteht dasselbe? Ich glaube, wir können es auf eine doppelte II. Theorie derselben. Die Aufgabe. §. 38. Anforderung zurückführen. Die Verwirklichung soll sein einer- seits eine unausbleibliche, mithin sichere, gleichmäßige, anderer- seits eine leichte und rasche. Fragen wir, wie diese Anforderungen sich in der Geschichte erfüllen, so finden wir zwischen den positiven Rechten eine große Verschiedenheit. Hier ein einfaches, rohes Recht, aber sich aus- zeichnend durch die der Jugend eigne Thatkraft und Raschheit des Handelns, eine schnelle und strenge Form des Verfahrens, dort ein ausgebildetes Recht, das alle Vorzüge des Alters be- sitzt, aber daneben auch die Mängel desselben, die schwache und unsichere Hand, die Langsamkeit und Schwerfälligkeit des Ver- fahrens. Man könnte geneigt sein, diesen Gegensatz an die Al- tersstufen der Rechte anzuknüpfen, in jener Leichtigkeit und Schnelligkeit nur eine natürliche Folge der Einfachheit, in die- ser Schwerfälligkeit eine natürliche Folge der Weitschichtigkeit und Complicirtheit des Rechts zu erblicken. Allein dies wäre verkehrt. Allerdings will ich den Einfluß des äußeren und in- neren Wachsthums der Rechte auf die Leichtigkeit und Schnellig- keit der Operation der Rechtsanwendung nicht in Abrede stel- len; je schwerer die Last wird, desto schwerer ist sie zu heben und zu bewältigen; das gilt von körperlichen wie geistigen Dingen. Allein andererseits ist es möglich, den nachtheiligen Einfluß dieses natürlichen Moments des Wachsthums durch Kunst zu verringern und auszuschließen, und das ist eben die Aufgabe der Kunst, die wir hier zu betrachten haben, der juristischen. Wir wollen uns zunächst der Gründe bewußt werden, die über die Verwirklichungsfrage (nicht bloß über die Raschheit und Leichtigkeit der Anwendung, sondern über die Lösung der Aufgabe schlechthin) entscheiden. Nach welchen Gründen, Ein- flüssen, Voraussetzungen u. s. w. bestimmt sich also, um für die Sache einen eignen Ausdruck zu haben, das Verwirkli- chungsvermögen der positiven Rechte? Diese Gründe lie- gen theils in, theils außer dem Recht. Zur letzteren Classe ge- hört die intellektuelle und sittliche Culturstufe des Volks, die Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. Entwicklung der Staatsidee und der Staatsgewalt, die sociale Gliederung des Volks, das Machtverhältniß der einzelnen Clas- sen, vor allem aber die moralische Kraft, die der Gedanke des Rechts bei diesem Volk genießt, ob die Gerechtigkeit dem Volk als etwas Hohes und Heiliges erscheint, oder als ein Gut, wie jedes andere. Von der Energie des Gerechtigkeitsgefühls im Volk hängt im wesentlichen die Unpartheilichkeit, Integrität u. s. w. des Richterstandes ab. Bei einem Volk, dem die Ge- rechtigkeit als etwas Heiliges gilt, wird der Richterstand un- bestechlich und pflichttreu sein, denn ein solcher wird ihm einerseits diejenige Stellung einräumen, die ihn gegen Versuchungen schützt, andererseits aber durch die Schmach, mit der es die Bestechung brandmarkt, mehr noch als durch die gesetzlichen Strafen auch den unverläßlichen Richter auf der Bahn des Rechts erhalten. Zu der ersten Classe von Gründen, die in dem Recht selbst liegen, gehören theils die Organisation der Behör- den (die Gerichtsverfassung) sowie die Form des Verfahrens (der Prozeß) theils die Beschaffenheit des materiellen Rechts, und dieser letzte Punkt bezeichnet uns das Gebiet, auf dem die juristische Technik vorzugsweise thätig wird. Daß der materielle Inhalt des Rechts vom größten Einfluß auf dessen Verwirklichung ist, bedarf auch für den Laien keiner Bemerkung. Bestimmungen, die völlig zweckwidrig sind, schei- tern an ihrer eignen Unausführbarkeit, und Gesetze, die mit der Zeit in Widerspruch stehen, mögen sie hinter ihr zurück oder ihr voraus sein, können des ärgsten Widerstandes gewiß sein. Von dieser materiellen Angemessenheit oder Unangemessenheit wird aber im Folgenden gar keine Rede sein; der Jurist hat keine Macht darüber, es geht über die Aufgabe der Technik hin- aus. Die Angemessenheit des Rechts, die für sie allein in Be- tracht kömmt, und mit der wir uns fortan ausschließlich zu be- schäftigen haben, ist rein formaler Art. Die Frage ist nämlich die: wie soll das Recht unbeschadet seines Inhaltes eingerichtet und gestaltet sein, daß es durch die Art seines Mechanismus II. Die Aufgabe derselben. §. 38. zur Erfüllung der obigen Anforderungen in Bezug auf die Ver- wirklichung des Rechts so viel wie möglich mitwirkt, die Ope- ration der Anwendung seiner selbst auf den concreten Fall mög- lichst erleichtert und sichert? Der s. g. gesunde Menschenverstand wird keine andere Ant- wort darauf haben, als: klare, bestimmte und detaillirte Abfas- sung der Gesetze; die Antwort, die die Jurisprudenz d. h. die Erfahrung darauf ertheilt, lautet ganz anders. Daß jene Eigen- schaften, so wenig ich sie im übrigen gering schätzen will, nicht ausreichen, läßt sich leicht nachweisen. Was nützen die genaue- sten und ausführlichsten Gesetze, wenn sie der Richter, wie dies z. B. in der spätern Kaiserzeit in Rom und heutzutage in Eng- land der Fall, mit dem besten Willen nicht bewältigen kann? Was ferner die schärfsten Begriffsbestimmungen und Unterschei- dungen, wenn die Anwendung auf den einzelnen Fall mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hat, es dem Gesetze, um einen frühern Ausdruck zu gebrauchen (S. B. 1. §. 3) an der formalen Realisirbarkeit gebricht? Die Frage, um die es sich handelt, ist eine reine Frage der Zweckmäßigkeit, und die ganze Theorie der Technik ist nichts, als die erkannte und befolgte Zweckmäßigkeit in Bezug auf die Lösung der obigen Aufgabe. Aber so leicht es ist sich hiervon zu überzeugen, nachdem das Richtige einmal gefunden, so täusche man sich doch nicht über die Schwierigkeit der Aufgabe. Wir haben es hier mit einer Aufgabe zu thun, deren Lösung auch der höchsten geistigen Kraft und Anstrengung des Einzelnen nicht einmal näherungsweise gelungen sein würde, einer Aufgabe vielmehr, an der ganze Völker und Jahrhunderte arbeiten müs- sen, und bei der der Instinkt vielleicht mehr gethan hat, als alle Wissenschaft und Ueberlegung. Die Methode der Lösung oder die Technik des Rechts ist nicht erst mit der Jurisprudenz zur Welt gekommen. Längst vor aller Wissenschaft pflegt sich der juristische Instinkt in dunkler Ahnung des Richtigen an der Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 22 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. Aufgabe zu versuchen, und wie Treffliches er zu leisten vermag, davon legt namentlich das ältere römische Recht beredtes Zeug- niß ab. Möge immerhin die feinere Ausbildung der Technik der eigentlichen Jurisprudenz vorbehalten bleiben, die rohe Arbeit der früheren Zeit ist selbst hierfür von solchem Werth und von solcher Bedeutung, daß das Gelingen aller späteren Bemühungen zum wesentlichen Theil von der Güte dieser Vorarbeit abhängt. Willig und leicht gedeiht die Pflanze juristischer Kunst und Wis- senschaft auf einem von Anfang an richtig bestellten Rechtsbo- den, schwer und mühsam aber auf einem verwahrlosten. Die Jurisprudenz vermag viel, trotz aller Mißgriffe der Gesetzge- bung, trotz der unjuristischen ursprünglichen Anlage des Rechts — und gerade hier feiert sie ihre größten Triumphe — aber nicht genug kann ich die Bemerkung betonen, daß wie jede Kunst, so auch sie in Abhängigkeitsverhältniß zum Stoff steht, daß also die ursprüngliche Anlage des Rechts, die juristische Natur und Bildsamkeit desselben für die Erfolge der juristischen Thätigkeit von wesentlichem Einfluß ist. Aus dem sächsischen Civilgesetzentwurf würden Ulpian und Paulus und alle römischen Juristen zusammengenommen kein römisches Recht gemacht haben, und wenn die meisterhafte Kritik, der Wächter denselben unterzogen hat, die Publication desselben in seiner gegenwärtigen Form abwenden sollte, so würde ihm Sachsen für diese negative That zu kaum geringerem Dank verpflichtet sein, als Würtemberg für die Bearbeitung des wür- temb. Privatrechts. Die juristische Technik also datirt nicht erst von der eigent- lichen Jurisprudenz an. Die Kunst ist auch auf dem Gebiete des Rechts früher, als die Wissenschaft , denn die Kunst verträgt sich mit dem Ahnen und dem bloßen Gefühl oder In- stinkt, während die Wissenschaft erst mit dem Erkennen beginnt. Darum spreche ich bereits für die ältesten Zeiten Roms von einer Technik des Rechts. Wenn ich so eben gesagt habe, die Technik habe bloß eine II. Die Aufgabe derselben. §. 38. Frage der Zweckmäßigkeit zum Gegenstande, so muß ich noch in einer anderen Beziehung gegen die Unterschätzung dieser Auf- gabe warnen. Man könnte nämlich glauben, (und wie vielen Ur- theilen neuerer Juristen liegt ein solcher Irrthum zu Grunde!) Namentlich bei der beliebten Frage über deutsches und römisches Recht. daß die Technik mit der sittlichen Seite des Rechts nichts gemein habe, eine abgesonderte, selbständige Parthie desselben darstelle, die technische Unvollkommenheit eines Rechts mithin bloß eine partielle Unvollkommenheit, die Vernachlässigung einer einzelnen Seite des Rechts enthalte. Sehr verkehrt! Technische Un- vollkommenheit ist Unvollkommenheit des ganzen Rechts , ein Mangel, der das Recht überall, mithin auch in sei- nem rein sittlichen Inhalt beeinträchtigt. Was hilft das Wollen und Setzen der höchsten ethischen Anforderungen, was die wür- digste Erfassung der Idee der Freiheit, Gerechtigkeit u. s. w. in Form gesetzlicher Bestimmungen, wenn die Verwirklichung dieser Ideen im concreten Rechtsverhältniß aus dem Grunde mangel- haft, schwerfällig, ungleichmäßig u. s. w. ist, weil es der Technik an der manuellen Geschicklichkeit fehlt, das Abstracte, so wie es sich gehört, in Wirklichkeit umzusetzen? Darum hat die Technik mittelbar die höchste ethische Bedeutung, und die praktische Ju- risprudenz, indem sie bei der technischen Gestaltung des Stoffs auch das Kleinste mit äußerster Sorgfalt behandelt, darf sich rühmen durch Vervollkommnung der Technik des Rechts für das Höchste und Größte thätig zu sein; ihre niedere und unschein- bare Arbeit fördert letzteres in Wirklichkeit oft mehr, als die an- spruchsvolle Thätigkeit des Philosophen. Die bisherigen Bemerkungen über die Technik habe ich geglaubt vorausschicken zu dürfen, bevor wir uns über den Ausdruck selbst verständigt haben. Ich gebrauche letzteren in einem doppelten Sinn, in einem subjectiven und objectiven. In 22* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. jenem verstehe ich darunter die juristische Kunst, deren Aufgabe die formale Vollendung des gegebenen Rechtsstoffs in dem oben angegebenen Sinn ist, in diesem die Verwirklichung dieser Auf- gabe am Recht selbst, also den kunstgemäßen Mechanismus des Rechts, diejenige Einrichtung und Gestaltung desselben, die die Operation der Anwendung des Rechts möglichst unterstützt und erleichtert. Aehnlich gebraucht ja die Sprache auch den Aus- druck Mechanik von der Kunst und von dem durch die Kunst bewerkstelligten Mechanismus. Ein Nachtheil ist von dieser zwiefachen Bedeutung des Aus- drucks nicht zu befürchten, die Einsicht des Lesers wird es mir ersparen, durch einen eignen Zusatz anzugeben, welche von bei- den Bedeutungen jedesmal gemeint ist. Indem ich es jetzt unternehme, eine Theorie der Technik auf- zustellen, bemerke ich, daß mir dies nicht möglich ist, ohne Ideen, die ich bereits früher (B. 1 S. 25—32, S. 42—47) angedeu- tet habe, theilweise aufzunehmen und weiter auszuführen. Die dort gegebenen Andeutungen können erst an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang ihre nähere Entwicklung und Be- gründung erhalten. Die gesammte Thätigkeit der juristischen Technik läßt sich auf zwei Hauptrichtungen oder Hauptzwecke zurückführen — ich nenne sie die technischen Interessen — 1. die möglichste Erleichterung der subjectiven Beherr- schung (Aneignung, Erlernung, Erkenntniß, Auffassung) des Rechts — das Mittel dazu ist die quantitative und qualitative Vereinfachung des Rechts — und 2. die möglichste Erleichterung der Operation der Anwen- dung desselben (Praktikabilität des Rechts). Nach diesen beiden Richtungen hin wollen wir jetzt die Thä- tigkeit der Technik im allgemeinen verfolgen, um dieselbe zu- nächst im Zusammenhange und mit Einem Blick zu überschauen; die nähere Ausführung einzelner Punkte, die einer solchen be- dürftig sind, bleibt den folgenden Paragraphen vorbehalten. II. Die Aufgabe derselben. §. 38. I. Die Vereinfachung des Rechts . Um das Recht auf den einzelnen Fall richtig anzuwenden, muß man es zunächst in seinem abstracten Inhalt richtig erken- nen, es sich aneignen, kurz es geistig beherrschen. Diese Er- kenntniß und subjective Aneignung ist theils Sache des Ver- standes, theils Sache des Gedächtnisses, und je nach Beschaf- fenheit der Rechte ist das Maß des erforderlichen Aufwandes der einen oder andern Geisteskraft ein verschiedenes. Es gibt Rechte, die mehr den Verstand als das Gedächtniß, andere, die mehr das Gedächtniß als den Verstand in Anspruch nehmen, Rechte ferner, bei denen die Arbeit für beide eine relativ leichte, andere, bei denen sie eine ungemein schwierige ist. Im allge- meinen wird sich die Anstrengung des Gedächtnisses nach dem quantitativen, die des Verstandes nach dem qualitativen Ver- halten der Rechte bestimmen. Die Leichtigkeit oder Schwierigkeit der subjectiven Aneignung des Rechts hat aber nicht bloß ein subjectives Interesse, sondern mit letzterem trifft hier ein objectives d. h. das der Rechtspflege genau zusammen. Je mehr das Recht dem, der es anzuwenden und mithin zu erlernen hat, durch seine Weit- schichtigkeit die Uebersicht, durch seine Dunkelheit und Unbe- stimmtheit das richtige Verständniß erschwert, um so unvoll- kommener wird, wenn wir im übrigen auf Seiten des Sub- jects dasselbe Maß der Kräfte und der Anspannung derselben annehmen, das Recht selbst zur Anwendung kommen. Das In- teresse des Richters und des Verkehrs gehen hier also Hand in Hand, und es ist mithin für letzteren eine Frage von äußerster Wichtigkeit, ob und wie es sich erreichen läßt, daß die subjective Aneignung des Rechts ersterem möglichst erleichtert wird, in der Weise daß auch bei der reichsten extensiven und intensiven Ent- wicklung des Rechts das gewöhnliche Maß von Kraft und Fleiß zur Lösung dieser Aufgabe genüge. Das Mittel zur Erreichung dieses Zwecks besteht in der Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. quantitativen und qualitativen Vereinfachung des Rechts . In dieser Formel ist uns die geistige Herrschaft über das Recht gegeben, in ihr läßt sich die ganze Aufgabe der juristischen Technik nach dieser Seite hin zusammenfassen. I. Die quantitative Vereinfachung . Sie bezweckt eine Verringerung der Masse des Stoffs, natürlich unbeschadet der mit demselben zu gewinnenden Resultate. Ihr Gesetz ist: mit möglichst wenig möglichst viel auszurichten. Je weniger Stoff und Mittel wir bedürfen, um die gewünschten Resultate zu er- zielen, desto leichter die Handhabung und Beherrschung des Ap- parats; je mehr, desto schwieriger. Die Kunst besteht darin, die extensive Reichhaltigkeit des Stoffs möglichst durch seine in- tensive Brauchbarkeit zu ersetzen, mit Einem Begriff oder Prinzip dasselbe zu erreichen, wozu der weniger Geschickte einen ganzen Apparat von Mitteln nöthig hat. Es verhält sich damit ebenso, wie mit der Construction einer Maschine. Je einfacher die Maschinerie bei sonstiger Gleichheit ihrer Brauchbarkeit, desto vollkommner ist sie. Ich nenne dies das Gesetz der Sparsamkeit und er- blicke darin eins der Lebensgesetze aller Jurisprudenz. Eine Ju- risprudenz, die dies Gesetz nicht begriffen hat, die es nicht ver- steht, mit dem Material zu ökonomisiren, wird von der anschwel- lenden Masse des Stoffs zu Boden gedrückt und erliegt ihrem eignen Reichthum. Für das richtige Verständniß der altrömi- schen Technik ist die Kenntniß dieses Gesetzes geradezu unent- behrlich. Je mehr man sich durch die pedantische und ans Lächer- liche streifende Weise, wie die ältere Jurisprudenz dasselbe zur An- wendung brachte, täuschen lassen kann, je weniger die Umwege, die sie einschlug, die verzweifelten Anstrengungen, die sie machte, um ein neues Bedürfniß mit den vorhandenen Mitteln zu be- friedigen und sich, so zu sagen, die Anleihe eines neuen Be- griffs oder einer neuen Geschäftsform zu ersparen, je weniger alles dies uns von vornherein natürlich und verständlich er- scheint, um so mehr muß ich darauf dringen, daß man sich den II. Die Aufgabe derselben. §. 38. Zusammenhang dieser Erscheinung mit jenem obersten Gesetz der Technik klar mache. Als einzelne Punkte, in denen jenes Gesetz sich äußert, lassen sich namentlich folgende hervorheben. 1. Die Zersetzung des Stoffs oder die Reduc- tion desselben auf einfache Grundbestand- theile . Der Zweck und die Bedeutung dieser Operation läßt sich vor- läufig am kürzesten durch den Vergleich mit der Reduction der Worte auf einfache Grundlaute, Buchstaben, klar machen. Die- selbe Ersparniß, die das Alphabet uns beim Lesen und Schrei- ben rücksichtlich der Sprachzeichen verschafft, wird durch jene Operation im Recht rücksichtlich des erforderlichen Rechtsstoffs bewirkt. Sie beruht bei beiden darauf, daß nicht jedes Wort und Rechtsverhältniß ein einfacher Körper, sondern daß die mei- sten zusammengesetzte sind und sich mithin aus den einfachen Elementen durch richtige Combination derselben herstellen lassen. 2. Die logische Concentration des Stoffs . Sie bewirkt eine Verminderung des äußern Volumens dessel- ben, indem sie die Masse der Einzelnheiten auf allgemeinere Prinzipien zurückführt, die Scheidemünze in schweres Geld um- wechselt. 3. Die systematische Anordnung des Stoffs . Wenn auch die Abkürzung des Materials nicht gerade Zweck, so ist sie doch eine wichtige Folge derselben. Die systematische Classification eines Punktes enthält keine bloße Orts anweisung für denselben, ohne Einfluß auf ihn selbst, sondern zugleich eine höchst prägnante Aussage sowohl über das relative Ver- hältniß desselben zu andern Punkten, als über ihn selbst; es ist ein Sprechen ohne Worte. Gegenüber einer namentlich unter praktischen Juristen viel verbrei- teten Ansicht, als ob die systematische Frage im Recht ein rein formales oder theoretisches Interesse habe, kann ich die hohe praktische Bedeutung derselben Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. 4. Die juristische Terminologie . Eine scharf bestimmte und reich entwickelte Terminologie ist wie für jede Wissenschaft, so auch für die Jurisprudenz von äu- ßerster Wichtigkeit. Welch ein Mittel zur Kürze sie ist, Wie viel Worte hätten wir nöthig, um z. B. den Satz: die Evic- tionsleistung erstreckt sich nicht auf necessariae impensae, in die Sprache des Laien zu übersetzen. bedarf ebensowenig der Ausführung, als daß die Kürze nicht der ein- zige Vortheil derselben ist. Was das Bett dem Strom, ist sie den Gedanken d. h. sie drängt ihn nicht bloß zusammen, ver- mindert nicht bloß den Raum , den er einnimmt, sondern sie hält und sichert ihn selbst und erleichtert die Controle und die Uebersicht. Ein sicheres Operiren ist erst dann und erst da mög- lich, wann und wo es Kunstausdrücke gibt. Der Eifer gegen die juristische Terminologie, das Verlangen, daß die Jurisprudenz möglichst sich der Ausdrücke des gewöhnlichen Lebens bedie- Auch die Wis- senschaft muß taufen , die Geburt allein genügt nicht! nicht genug hervorheben. Das Interesse der richtigen systematischen Stellung eines Instituts ist kein anderes, als das der richtigen materiellen Erkenntniß und Darstellung desselben. Wer irgend einen Gegenstand falsch classificirt, z. B. einen Vogel zu den Säugethieren stellt, sagt damit von dem Gegenstand etwas materiell Falsches aus, und dieser Eine Irrthum kann die Quelle von unzähligen andern werden. Systematische Versehen sind daher nicht harmlose, unschuldige Irrthümer, sondern mit die gefährlichsten, die es gibt, und die Sorgfalt, welche die Theorie auf die systematische Frage verwendet, ist im höchsten Grade gerechtfertigt. Ich glaube, daß es ein höchst ergiebiges und dankbares Thema sein würde, eine Geschichte der Irrthümer zu liefern, die lediglich aus einer falschen systematischen Stellung hervorgegangen sind. Man erinnere sich z. B. einmal der früheren verkehrten Stellung des Retentions- rechts beim Besitz; welche verkehrte Ideen über dies Recht sind dadurch ver- anlaßt, und welchen Halt hatten sie, und wie wurden sie stets genährt bloß durch den systematischen Mißgriff. Jeder systematische Fehler ist das Product und zugleich die Quelle einer mangelhaften Erkenntniß des Gegenstandes, ein falscher Wegweiser, und so lange die Wissenschaft noch die rechte systematische Stelle für den Gegenstand nicht gefunden, hat sie ihn auch noch nicht recht begriffen, denn begreifen heißt nicht, den Gegenstand bloß an und für sich er- fassen, sondern auch in seinem Zusammenhange mit andern. II. Die Aufgabe derselben. §. 38. 5. Die Kunst der geschickten Verwendung des Vorhandenen (die juristische Oekonomie) . Es ist so eben schon im allgemeinen davon die Rede gewe- sen, im übrigen aber verweise ich auf die Darstellung der ältern römischen Jurisprudenz. Von diesen genannten fünf Punkten bedürfen der dritte und vierte keiner näheren Erörterung, der fünfte wird am passend- sten an der angegebenen Stelle abgehandelt werden, es verblei- ben uns mithin nur der erste (§. 39) und zweite (§. 40). II. Die qualitative Vereinfachung des Rechts . Die Leichtigkeit und Schwierigkeit der Auffassung und Aneig- nung eines Gegenstandes bestimmt sich nicht bloß nach dem quantitativen Moment, nach der Ausdehnung und dem Umfang, sondern ebenso sehr nach dem qualitativen, nach der innern Ordnung, Symmetrie, Einheit des Gegenstandes. Qualitativ einfach ist das Recht, wenn es wie aus Einem Gusse ist, wenn die Theile unter sich scharf begränzt und geschieden sind und den- nen solle, zeugt von einer zu großen Unkenntniß der praktischen Lebensgesetze nicht bloß der juristischen, sondern einer jeden Wissenschaft, als daß ich ein Wort dagegen verlieren möchte. Ob man für die lateinischen Ausdrücke: culpa, dolus u. s. w. deutsche wählt, nützt dem Bürger und Bauer für das Verständniß des Rechts nicht das mindeste, es handelt sich nicht um das Ver- ständniß von Ausdrücken, sondern von Begriffen, und so wenig der Bauer eine algebraische Formel darum versteht, weil sie mit gewöhnlichen Buchsta- ben, Zahlen u. s. w. geschrieben ist, ebensowenig versteht er unsere juristischen Formeln, wenn wir statt culpa Schuld, dolus Betrug u. s. w. sagen. Daß aber die Ausdrücke einer todten Sprache für die Terminologie vortheilhafter sind, als die einer lebendigen, bedarf schwerlich eines Nachweises. Der Sinn, in dem die Wissenschaft die Worte der Muttersprache gebraucht, wird und muß nothwendigerweise ein anderer sein, als in dem das Leben sie nimmt, schon darum weil die Bedeutung des Ausdrucks im Leben sich nicht selten än- dert, während die Wissenschaft bei der bisherigen verbleiben muß, und umge- kehrt, weil das Leben sich durch die scharfe Begriffsbestimmung der Wissen- schaft seinerseits nicht abhalten läßt, den Ausdruck in seinem Sinn zu neh- men. Die Sprache der Wissenschaft und des Lebens sind zwei verschiedene Sprachen. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. noch sich harmonisch zu Einer Einheit zusammenfügen, wenn also das Auge leicht den Theil, wie das Ganze erfassen kann. Dies ist möglich trotz des noch so großen äußern Volumens des Rechts. Ich möchte in dieser Beziehung von einem Baustyl des Rechts sprechen. So wie bei einem Gebäude nicht bloß die Masse, sondern auch die Art der Durchführung eines bestimm- ten Baustyls die Leichtigkeit oder Schwierigkeit der Auffassung bestimmt, ebenso auch bei dem geistigen Gebäude. Die quali- tative Einfachheit des Rechts und damit die Uebersichtlichkeit und Leichtigkeit seiner Auffassung hängt also ab von der Beschaffen- heit des Baustyls und der Strenge und Consequenz, mit der derselbe durchgeführt ist. Dieser Baustyl ist das Product des Stoffes und der Geschicklichkeit der Jurisprudenz d. h. es be- stimmt ihn weder der Stoff allein, noch die Jurisprudenz allein. Die Kunst nun, deren Aufgabe darin besteht zu bauen , den Rohstoff zu glätten und zu gestalten, ihn in kunstgerechte For- men zu bringen und aus der gesammten Masse des Materials ein künstlerisches Ganze zu errichten, heißt juristische Con- struction . Sie beschränkt sich keineswegs auf eine bloße Anord- nung des Stoffes, sondern sie nimmt mit ihm eine wesentliche Umgestaltung vor, specificirt ihn. Die Rechts sätze verwandeln sich in Rechts begriffe , das ganze Recht tritt in einen höhern Aggregatzustand, aus dem niedern eines rein positiven Gel- tens in den eines begrifflichen und künstlerischen Daseins , das Recht wird Kunstwerk . Diese Metamorphose des Rechts ist für unsern obigen Gesichtspunkt der subjectiven Aneignung desselben von äußerster Bedeutung, denn nicht bloß erleichtert sie die Arbeit, sondern sie verwandelt die Arbeit in Genuß, sie ge- währt dem Recht eine Anziehungskraft, wie nur irgend ein anderer Gegenstand des menschlichen Wissens sie auszuüben vermag. Soviel möge hier zur vorläufigen Orientirung über diesen Punkt genügen; eine genauere Entwicklung dieser Andeutungen erfolgt in §. 41. II. Die Aufgabe derselben. §. 38. Die bisherige Darstellung hatte die innere Perfectibilität des Rechts als eines Objects der Erkenntniß zum Gegen- stande. Wir haben aber oben bemerkt, daß sich noch ein zweiter Gesichtspunkt hinzugesellt, nämlich II. Die Praktikabilität des Stoffs . Es ist dies nur ein anderer, aber, wie ich glaube, besserer Ausdruck für das, was ich früher (B. 1. S. 42—47) die for- male Realisirbarkeit des Rechts genannt habe. An der angege- benen Stelle habe ich das Wesentliche über diesen Punkt zum großen Theil bereits bemerkt, und um so weniger wird es erfor- derlich sein, ihm einen eignen Paragraphen zu widmen; ich werde ihn daher hier sofort absolviren. Das Recht anwenden heißt die abstracten Bestimmungen concret ausdrücken, und da jede gesetzliche Bestimmung, wenn auch nicht der Form, so doch der Sache nach an gewisse Vor- aussetzungen gewisse Folgen knüpft (z. B. „die Kinder sollen erben“ = wann Jemand gestorben ist und Kinder hinterlassen hat, so sollen letztere erben), so erfordert die Anwendung eines jeden Rechtssatzes zweierlei: die Untersuchung der Frage, ob die Voraussetzungen im concreten Fall vorliegen (die Diagnose), und die concrete Feststellung dessen, was nach Ab- sicht des Gesetzes eintreten soll z. B. die Feststellung der Scha- densersatzsumme. Das Recht kann nun, wie an jener Stelle bereits bemerkt ist, beide Operationen außerordentlich erleichtern oder erschwe- ren. Je innerlicher beide Momente vom Gesetzgeber aufgefaßt sind, je mehr also z. B. die Voraussetzungen nicht in eine äu- ßerlich leicht erkennbare Form (Formulare, Worte z. B. do lego, damnas esto, „Wechsel“) sondern in innerliche Momente z. B. die Absicht des Subjects (zu noviren, schenken, animo domini zu besitzen) oder den Zweck des Geschäfts (Hingabe zum Zweck der Sicherung des Empfangens für eine Forderung oder zum Zweck der Aufbewahrung) gesetzt sind, desto schwieriger ist die Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. Operation der concreten Bestimmung jener Momente; je äußer- licher, desto leichter. Die innere, rechtsphilosophische Vollkom- menheit des Gedankens oder die rationelle Genauigkeit und die praktische Brauchbarkeit des Gesetzes stehen hier vielfach im um- gekehrten Verhältniß. Der Gesetzgeber kann den Gedanken nicht in seiner abstracten Reinheit zum Gesetz erheben, er muß etwas ablassen davon, der Gedanke muß, so zu sagen, eine gröbere, handfestere Constitution bekommen, damit er sich leichter im Le- ben realisire — eine Beobachtung, die bereits Cicero Ich habe die Stelle erst nach dem Erscheinen des ersten Bandes ge- funden, sonst würde ich sie dort bereits benutzt haben. Es ist Cic. de off. III 17: Aliter leges, aliter philosophi tollunt astutias; leges, quatenus manu tenere possunt, philosophi, quatenus ratione et intelligentia. ge- macht, die aber die Wissenschaft sowohl wie die Gesetzgebung nicht selten viel zu wenig beachtet hat. Ich will der Wichtigkeit der Sache wegen zu meinen frühern Beispielen noch einige an- dere hinzufügen. Die geistige und körperliche Reife tritt bei verschiedenen In- dividuen bekanntlich nicht in demselben Zeitpunkt ein, rechtsphi- losophisch ließe es sich also nicht rechtfertigen, daß die Periode der infantia, Impubertät und Minderjährigkeit abstract für alle gleich bestimmt ist. Allein wenn nun dem entsprechend der Ge- setzgeber es dem Richter überlassen wollte, jene drei Stufen im einzelnen nach der individuellen Reife zu bestimmen: wie völlig verkehrt würde dies sein, welche Schwierigkeiten würde es ma- chen, welche Ungleichheit der Entscheidungen würde sich ergeben, wie unberechenbar würden letztere im einzelnen Fall sein, und wie viel Mühe und Arbeit würde um eines praktisch unendlich geringen Gewinnes wegen consumirt werden! Darum hat das römische Recht sehr verständig feste Gränzen gesetzt und nur in einigen Beziehungen die Möglichkeit einer individuellen Abwei- chung offen gelassen. Infantiae und pubertati proximi und venia aetatis. Interessant ist in Bezug auf den obigen Gesichtspunkt namentlich die Geschichte der Be- II. Die Aufgabe derselben. §. 38. Die Verjährung, insofern sie durch den Gesichtspunkt der Nachlässigkeit des Berechtigten gerechtfertigt werden soll, würde nur da Platz greifen, wo und soweit eine solche Nachlässigkeit sich im einzelnen Fall nachweisen ließe. Sie würde also zu be- ginnen haben nicht mit dem Moment des objectiven Ereignisses, sondern mit dem des subjectiven Wissens dieses Umstandes, und ebenso würde sie nur so lange laufen, als subjectiv die Möglich- keit einer Ausübung oder Geltendmachung des Rechts vorhan- den war. Ein solcher Zuschnitt der Verjährung, also in der Sprache des römischen Rechts das tempus utile, wäre abstract genommen das allein Richtige, und die entgegenstehende Be- handlungsweise, das tempus continuum (S. 109) das Ver- kehrte. Praktisch aber steht die Sache gerade umgekehrt, und darin hat es seinen Grund, daß das neueste Recht die Idee des tempus utile, obgleich sie die neuere und freiere war, nicht wei- ter ausgebildet, sondern sie im Gegentheil wesentlich beschränkt ( restitutio in integrum ) und für fast alle wichtigeren Verhält- nisse das tempus continuum in verbesserter Gestalt (d. h. mit verlängerten Zeitfristen) beibehalten oder eingeführt hat (Klag- verjährung). Bei der Berechnung der Zeitfristen müßte man eigentlich von der Minute und Sekunde des Anfangspunktes bis zu der ent- sprechenden des Schlußtages zählen ( computatio naturalis ), al- lein eine solche Genauigkeit wäre namentlich bei größern Fristen geradezu sinnlos. Weniger genau ist besser; das Recht rechnet bloß nach Tagen, auf Minuten und Stunden kömmt es nicht an ( computatio civilis ). stimmung der Pubertät. Die Sabinianer vertheidigten in dieser Beziehung die abstract richtige, aber praktisch unbrauchbare einer individuellen Bestim- mung der Reife, die Proculejaner die praktischere Ansicht des Eintritts der Pubertät mit einem bestimmten Alter ( Gaj. I, 109), und letztere Ansicht ist von Justinian mit Recht gebilligt. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. Der Strenge nach hätte der Kläger bei der act. legis Aqui- liae den Werth der verletzten Sache im Moment der That beweisen müssen, und er würde mithin sich solcher Zeugen nicht haben bedienen können, die nicht bei der That selbst gegenwärtig waren und nur über den Werth der Sache in den letzten Tagen, Wochen, Monaten vor der That aussagen konnten, d. h. er würde den nöthigen Beweis in der Regel gar nicht haben er- bringen können. Daher war die Bestimmung der lex Aquilia, daß der Beweis des Werthes auf die letzte Zeit (Monat, be- ziehungsweise Jahr) gerichtet werden dürfe, im hohen Grade praktisch. Das legatum per vindicationem setzte voraus, daß der Te- stator die legirte Sache im Moment der Testamentserrichtung wie des Todes im Eigenthum gehabt habe. Gaj. II, 196. Wollte man diesen Gesichtspunkt streng durchführen, dem Legatar also den Beweis des wirklichen Eigenthums in jenen beiden Momenten aufbürden, so wäre es damit um die meisten Legate geschehen gewesen. Wie schwer hätte der Beweis nicht schon für den Te- stator selbst sein können, ungeachtet er doch wußte, wann und von wem er die Sache erworben, welche Zeugen gegenwärtig gewesen u. s. w. Von alle dem wußte der Legatar vielleicht nichts. Und selbst angenommen, der Beweis hätte sich einfach durch Urkunden erbringen lassen, die sich im Nachlaß befanden: der Legatar hatte sie weder in Händen, noch wußte er etwas von ihnen, und gerade der, welcher sie besaß, der Erbe, war bei der Nichterbringung des Beweises aufs Höchste interessirt. Of- fenbar konnte man hier vom Legatar keinen andern Beweis ver- langen, als daß der Testator die Sache zu jenen beiden Zeit- punkten gehabt, besessen habe. Und bei fungiblen Sachen war selbst dieser Nachweis noch zu schwer. Denn wenn der Te- stator z. B. ein gewisses Quantum Wein, Getraide vermacht hatte, so genügte der Beweis nicht, daß er dasselbe Quantum , II. Die Aufgabe derselben. §. 38. welches sich beim Tode vorfand, bereits im Moment der Testa- mentserrichtung besessen, sondern daß er diesen Wein, dieses Getraide bereits damals hatte. Der Beweis der Identität der Sache ist aber bei fungiblen Sachen häufig geradezu ein un- möglicher, ein solches Legat wäre also in der Regel nicht zu rea- lisiren gewesen. Der Gesichtspunkt der Praktikabilität erforderte hier eine Abweichung von dem abstract Richtigen, und die Ju- risprudenz erkannte den Beweis des Eigenthums (Habens) im Moment des Todes für genügend. Eine ähnliche Schwierigkeit konnte der Beweis des Eigen- thums am Gelde beim Darlehn haben. Nach der Theorie war das Eigenthum des Darleihers am Gelde Voraussetzung der Gültigkeit des Darlehns, der Strenge nach hätte also der Klä- ger, wenn diese Voraussetzung vom Beklagten bestritten ward, diesen Beweis erbringen müssen. Mit einer solchen Strenge aber hätte man das Darlehn zu einer Unmöglichkeit gemacht. Daher erklären sich verschiedene Eigenthümlichkeiten in der Theo- rie des Darlehns, so z. B. der Satz, daß die Consumtion der Geldstücke den ursprünglichen Mangel der Eigenthumsübertra- gung heilt, namentlich aber der, daß ein Dritter durch Hinge- ben seines Geldes auf Namen eines Andern letzterm die Dar- lehnsobligation erwerben kann. Wollte man diesen Satz nicht , so mußte man, wenn der Darleiher sein eignes Geld durch einen Boten überbringen ließ, den Beweis verlangen, daß das Geld, welches der Bote abgeliefert, dasselbe gewesen sei, welches er erhalten d. h. einen unmöglichen Beweis auferlegen. Nahm man aber Anstand dies zu thun, erklärte man also den Beweis für genügend, daß der Schuldner von dem Boten im Namen des Darleihers irgend welche Geldstücke ausbezahlt erhalten habe, so war durch diese prozessualische Concession der mate- rielle Rechtssatz gewonnen, daß Jemand seine eignen Geld- stücke auf unsern Namen und für uns als Darlehn hingeben kann — ein Rechtssatz, der abstract genommen als große Sin- gularität erscheinen müßte, von unserm Gesichtspunkt der Prak- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. tikabilität aus aber ein durchaus motivirter, ja unvermeidli- cher war. Ich könnte die Zahl dieser Beispiele noch um viele vermeh- ren, Ich will einige wenigstens andeuten. 1. Beweis der Testaments- errichtung erforderte Beweis der familiae mancipatio und nuncupatio; Er- leichterung: Production eines Testaments mit 7 Siegeln, Bon. poss. sec. tabulas Gaj. II, 119. 2. Beweis der erbschaftlichen Gläubiger gegen den Er- ben: Antretung der Erbschaft; Erleichterung: pro herede gestio. 3. Die Publiciana actio als Erleichterung des Eigenthumsbeweises; 4. Beweis des mündlichen Abschlusses der Stipulation; Erleichterung: Production der un- terschriebenen Stipulationsurkunde. allein ich fürchte schon so den Vorwurf, daß ich mit ih- nen etwas zu freigebig gewesen bin. Der Grund davon lag in dem Wunsch, den Einfluß, den die Rücksicht auf Praktikabi- lität auf die materielle Gestaltung des Rechts ausübt, die materiell-productive Kraft unseres Gesichtspunktes mög- lichst zu veranschaulichen und einzuprägen. Wer den Gesichts- punkt der Praktikabilität nicht stets im Auge hält, wird manche Rechtssätze gar nicht verstehen und läuft namentlich Gefahr dem positiven Recht gerade da Vorwürfe zu machen, wo dasselbe sie am wenigsten verdient. Das technische Problem, um das es sich bei dieser Praktika- bilität des Rechts handelt, unterscheidet sich in mannigfacher Beziehung von dem, welches wir unter I haben kennen lernen, vor Allem aber darin, daß die Macht der Wissenschaft hier eine geringere und eine Mitwirkung der positiven rechtssetzenden Ge- walten (Gesetz, Gewohnheitsrecht, Autonomie des Verkehrs) Als Beispiel für die Betheiligung des Verkehrs an dieser Aufgabe diene namentlich der Gebrauch der Conventionalpön im römischen Leben. S. darüber S. 113. hier in ungleich höherm Maße geboten ist, als dort. Es hat dies darin seinen Grund, daß die Lösung dieser Aufgabe nicht rein und ausschließlich durch eine formale Vervollkommnung des Stoffs möglich ist, sondern eine gewisse materielle Zu- richtung desselben verlangt. Kann nun auch die Wissenschaft, II. Die Aufgabe derselben. §. 38. wo sie völlig freie Hand hat d. h. wo sie selbst erst die Rechts- sätze zu finden hat, letzteren selbst von vornherein den erforder- lichen praktikabeln Zuschnitt geben, so ist dies doch da nicht möglich, wo sie positive Rechtssätze vorfindet, denen die Prakti- kabilität abgeht. Was soll die Wissenschaft machen, wenn z. B. das Gesetz die höchst unpraktische Bestimmung enthält, daß bei einem Erbfall die Erbschaft nach dem Ursprung der Güter in der Weise getheilt werden soll, daß die von Seiten des Vaters und väterlichen Verwandten ererbten Stücke an die väterlichen, die von Seiten der Mutter und mütterlichen Verwandten ererb- ten an die mütterlichen Verwandten fallen sollen? Die Wissen- schaft d. h. die bloße Deduction ist derartigen Bestimmungen gegenüber machtlos; hier kann nur die real gestaltende Macht des Lebens, die Praxis, das Gewohnheitsrecht helfen. Die Praktikabilität ist demnach ein technischer Maßstab, mit dem wir das positive Recht selbst, nicht bloß die juristische Bear- beitung desselben zu messen haben, eine Technik, die bis zu einem gewissen Grade schon von Anfang an im Stoff stecken muß, wenigstens durch die Jurisprudenz allein nicht in die Sache hineingebracht werden kann. In dieser Beziehung kömmt es also im hohen Grade auf den praktischen Takt an, der bei der Bildung des Rechts, möge dieselbe durch Gesetz oder Ge- wohnheitsrecht erfolgen, thätig war, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn nicht gerade in dieser Hinsicht die ungebildeten Rechte den gebildeten überlegen wären. Das ältere römische Recht wenigstens übertrifft das neuere in dieser Beziehung um eben so viel, als letzteres das heutige. Worauf beruht dies? Theils auf der Verschiedenheit der innern Durchbildung und des äußern Umfanges des Rechts, theils auf der Differenz rück- sichtlich der Art und Weise, mit der in dem einen und andern Recht die Form und die Formeln gehandhabt werden. Je sinn- licher das Recht d. h. je äußerlicher seine Formen, je massiver die Begriffe, je geringer ferner die Zahl derselben, und je weni- ger sie bis zu ihren äußersten Spitzen, in denen sie sich berühren Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 23 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. und ineinander übergehen, entwickelt sind, um so leichter sind sie anzuwenden, weil im concreten Fall leichter zu erkennen und zu unterscheiden. Namentlich ist der Formalismus für unsere Frage von höchster Bedeutung. Denn die Form rückt eben das Innerliche auf die Oberfläche, sie erspart ein Eingehen auf das Materielle, ähnlich wie die Form bei der Münze, das Gepräge, uns der Mühe überhebt, den Werth der Münze durch eine Unter- suchung ihres Gehaltes und Gewichtes zu ermitteln. Der For- malismus ist aber im ältern römischen Recht am stärksten ent- wickelt, im neuern bereits beträchtlich abgeschwächt, im heutigen auf einige wenige Gebiete (namentlich Testamente, Wechsel) zu- rückgedrängt. Je weniger Begriffe und Institute vorhanden sind, desto weiter der Zwischenraum zwischen ihnen, desto größer die Verschiedenheit, desto leichter mithin die Unterscheidung der- selben. Je mehr neue Institute und Begriffe sich aber erheben, um so kleiner wird der Abstand des einen vom andern, um so mehr wächst mit der Annäherung die Aehnlichkeit und mit der Aehnlichkeit die Gefahr der Verwechslung. Die Obligation und die Herrschaft über eine Sache waren früher diametral entgegen- gesetzte Verhältnisse; in der Superficies, Emphyteusis und dem Pfandrecht des neuern Rechts reichen sie sich die Hand. Aber nicht blos das Aufkommen neuer vermittelnder und verbinden- der Institute bewirkt eine solche Annäherung, sondern eben so sehr die innere Durchbildung der vorhandenen. Was in seinen Anfangspunkten weit auseinander liegt, trifft in seinen End- punkten zusammen. Man nehme z. B. das mutuum, depositum und den ususfructus. Wie sehr sind sie verschieden, wie wenig scheint hinsichtlich ihrer die Gefahr einer Verwechslung im con- creten Fall zu drohen, und dennoch, seitdem die beiden letztern Verhältnisse nicht mehr auf specifisch bestimmte Gegenstände beschränkt, sondern auch bei generisch bestimmten zugelassen sind ( depositum irregulare und quasi ususfructus ), ist jene Gefahr im hohen Maße vorhanden. Ist ein Quasi-ususfruct oder ein II. Die Aufgabe derselben. §. 38. Darlehn gemeint, wenn der Testator bestimmt: mein Erbe soll dem A bis zu seiner Volljährigkeit ein Kapital von 1000 zins- los überlassen? Wie verschieden erscheinen der Pfandcontract und Kaufcontract, und doch können ein Kaufcontract mit hinzu- gefügtem pactum de retrovendendo oder pactum displicentiae und ein antichretischer Pfandcontract sich zum Verwechseln ähn- lich sehen. Andere Beispiele: eine erzwungene Tradition und Raub; Stellver- treter und Bote; Servitut und eine auf Errichtung einer solchen oder auf eine bloß persönliche Erlaubniß gerichtete Obligation; Vermächtniß oder Ver- kauf zukünftiger Früchte und ususfructus oder Pacht; donatio sub modo und zweiseitiger Contract; Prädialservitut und s. g. irreguläre Personalservi- tut; Trödelcontract, Dienstmiethe, Mandat mit Honorar, Societät, bedingter Kaufcontract (wenn Jemand das Verkaufen einer fremden Sache übernimmt); Verpfändung der actio emti und Verpfändung der res emta; Delegation, Assignation, Cession; Pfandrecht, ususfructus an einer Masse einzelner Gegenstände als universitas oder als Summe von Einzelnheiten; Verpflich- tung als Correalschuldner und als Bürge, und letzteres in Form der fidejus- sio, des mandat. qualif. und constitutum. Dieser Fortschritt in der innern Ausbildung der Institute wird also mit einer nicht geringen Einbuße erkauft; in der Ju- risprudenz nicht minder wie in der Medicin ist die Diagnose mit jedem Jahrhundert schwieriger geworden! Ob der Gewinn mit der Einbuße immer im richtigen Verhältniß steht, ist, wenn eine Frage, jedenfalls eine müßige Frage, denn nicht unser Entschluß und freier Wille treibt uns in der Wissenschaft weiter, so daß wir die unbequemen Resultate vermeiden könnten, sondern die Macht und Nothwendigkeit des Gedankens, die Dialektik der Sache selbst. So ist auch die Mehrheit der Mittel und Formen, mit und in denen sich ein und derselbe rechtliche Zweck befriedigen läßt, keineswegs immer aus einem Bedürfniß des Verkehrs hervorgegangen, sondern häufig nur die un- beabsichtigte Folge einer consequenten Ausbildung der vorhandenen Begriffe. Man nehme das Beispiel der vorigen Note in Betreff des Verkaufens einer fremden Sache. Die kleinste Verschiebung begründet hier eine Verschiedenheit des ganzen Verhältnisses. Vom Standpunkt des Verkehrs oder der Legis- Die Wurzeln der Begriffe sind weit von ein- 23* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. ander getrennt, aber die Spitzen berühren sich und verzweigen sich oft in einer Weise, daß im einzelnen Fall schwer zu erkennen, ob dieses oder jenes Verhältniß vorliegt und daß ein unbedeu- tendes Moment, eine kleine Nüance des Willensinhalts oder Ausdrucks hier den Ausschlag geben kann. Dem Laien erscheint das als Spitzfindigkeit; der Vorwurf ist aber so begreiflich und eben so unbegründet, als wenn ein Ungebildeter einem Chemiker die Sorgsamkeit und Genauigkeit im Wägen als Pedanterie an- rechnen wollte. Je feiner und zarter die Gegenstände sind, die wir zu wägen haben, um so genauer müssen die Gewichte sein; die Wissenschaft kann nicht mehr mit Pfunden wägen, wenn die Gegenstände selbst nur um Lothe differiren. Daß aber eine Diffe- renz von einem Loth im praktischen Resultat einen höchst wich- tigen Unterschied begründen kann, das ist eben nicht unsere Schuld, sondern der Dinge selbst. Je mehr nun, wie gesagt, die feinere Durchbildung der Be- griffe die Unterscheidung derselben im concreten Fall erschwert, um so mehr wird die Anwendung des Rechts den Charakter einer eignen Kunst annehmen, einer Kunst, die mit der theore- tischen Kenntniß des Rechts keineswegs gegeben ist, sondern einer besonderen Anstrengung und vieljähriger Uebung bedarf. Diese Kunst der juristischen Diagnose, ohne die das theoretische Wissen ein Besitz ist, mit dem man im Leben nicht operiren kann, ist vielleicht in noch höherem Grade als das erforderliche Wis- sen der Umstand, der den Laien vom Juristen scheidet und ihm die Hülfe des letzteren unentbehrlich macht. Die Hauptsache bei dieser Kunst muß allerdings die eigene Uebung thun, allein die Wissenschaft kann dennoch bis zu einem gewissen Grade hülf- reiche Hand leisten. Sie soll nämlich die Kriterien, an denen lation aus wäre eine solche Genauigkeit keineswegs erforderlich, allein selbst wenn sie statt etwas Wünschenswerthes etwas Nachtheiliges wäre — die Ju- risprudenz kann sich dem einmal nicht entziehen, es ist die Logik des Verhält- nisses, die sie weiter treibt. II. Die Aufgabe derselben. §. 38. man das concrete Dasein eines Begriffs erkennen kann, auf- suchen und angeben. Dazu genügt freilich nicht, daß sie die Momente bezeichnet, die den abstracten Thatbestand des Ge- schäfts ausmachen — die rein theoretische Analyse desselben — sondern sie hat vor allem das praktische Auftreten des Begriffs ins Auge zu fassen d. h. die regulären Formen, Ausdrücke z. B. das Zeichnen der Waare L. 1 §. 2 L. 14 §. 1 de peric. (18. 6), Ueberlieferung der Urkunden L. 1 Cod. de donat. (8. 54), Geben einer arrha u. s. w. anzugeben, in die das Leben ihn zu kleiden pflegt, die Zwecke, denen er erfahrungsmäßig dienen soll, die Umstände, Verhält- nisse, unter denen er regelmäßig auftritt. Eine der ausgebildetsten derartigen Theorien scheint in der römi- schen Jurisprudenz für die Novation gegolten zu haben. S. Justinians Be- richt darüber in L. ult. Cod. de novat. (8. 42). Sie wird hier mit- hin auf die Statistik des Rechts verwiesen. Wie nun die Sta- tistik überhaupt zur Aufstellung einer Wahrscheinlichkeitstheorie führt, so auch hier. Der Zweck und Werth der juristischen Wahrscheinlichkeitstheorie besteht darin, daß sie uns aus dem Zustand absoluter Ungewißheit errettet. Es kann näm- lich ein concretes Rechtsverhältniß so eigenthümlich gestaltet sein, daß es die Merkmale zweier Begriffe an sich trägt, und mithin eine Entscheidung für den einen oder andern absolut unmöglich ist. In einem solchen Zweifelsfall bedarf es nun, da eine Ent- scheidung einmal getroffen werden muß, eines Gewichts, das den Ausschlag gibt, und dies ist die Vermuthung , die juri- stische Präsumtion ( praesumptio juris ). Ich will ein bekanntes Beispiel wählen. Wenn vor Eingehung der Ehe die zur Dos bestimmten Gegenstände dem Manne übertragen werden, so kann dadurch bloß eine Uebertragung des Besitzes oder bereits die des Eigenthums beabsichtigt sein. Wie nun wenn im einzelnen Fall nicht erhellt, was von beiden beabsichtigt ist? Hier soll der Eigenthumsübergang angenommen werden. L. 8 de jure dot. (23. 3). Woher nahm Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. das Recht diese Bestimmung? Offenbar daher, daß diese Art der Uebertragung im Leben die gewöhnlichere und wahrschein- lich auch die angemessenere war. Denn das Gewöhnliche, Regelmäßige ist muthmaßlich auch das dem Verhältniß Entspre- chende, Richtige, wenigstens das von dem allgemeinen Urtheil dafür Angesehene und Gebilligte. Der Gesetzgeber könnte die Aufstellung derartiger Vermuthungen im Einzelnen ganz der Jurisprudenz überlassen. Letztere ist nicht bloß völlig in der Lage die Aufgabe zu lösen, sondern sie ist es oft besser, als der Gesetz- geber, und in der guten Zeit der römischen Jurisprudenz blieb in der That die Aufgabe rein der Wissenschaft und Praxis über- lassen. Justinian aber hielt es für nöthig selbst vielfach einzu- greifen. z. B. bei den Novationen L. ult. Cod. de novat. (8. 42), bei der Frage, ob die von den Partheien verabredete schriftliche Abfassung des Con- tracts der Perfection desselben oder dem Beweis gelten soll L. 17 Cod. de fide instrum. (4. 21), bei der Frage, ob beim Abschluß eines Contracts das in Bezug genommene arbitrium tertii als arbitrium boni viri oder als persön- liches gemeint sei. L. ult. Cod. de cont. emt. (4. 38) u. a. Rücksichtlich der einzelnen im römischen Recht ent- haltenen Vermuthungen sind wir heutzutage zwar gebunden, allein nichts hindert uns, für Fragen, bei denen wir freie Hand haben, Präsumtionen aufzustellen. Unsere heutige Jurisprudenz hat aber diese Aufgabe viel zu wenig beachtet; es wäre zu wün- schen, daß Jeder, der uns einen neuen Begriff bietet, auch Rede und Antwort stände, woran wir denselben im concreten Fall erkennen, und was wir im Zweifel vermuthen sollen. Wie wichtig ist die Frage z. B. bei der Stellvertretung; ist hier im Zweifel für den Boten oder für den Stellvertreter zu präsumiren? u. s. w. An der Vernachlässigung dieser Aufgabe merkt man, daß unser heuti- ges Recht mehr von Theoretikern als Praktikern bearbeitet wird; dem Theoretiker kömmt jene Frage nie, dem Praktiker täglich. Es sollen jetzt die drei oben genannten Operationen, die man Fundamental-Operationen der juristischen Technik 1. Die juristische Analyse. §. 39. nennen könnte: die Analyse, Concentration und Con- struction , näher erörtert werden. Dieselben greifen im Ein- zelnen allerdings vielfach ineinander über, allein dennoch ist eine Unterscheidung derselben im Begriff nicht bloß möglich, sondern zum Zweck der gesonderten Darstellung absolut noth- wendig. Es verhält sich damit ähnlich, wie mit der Unterschei- dung der verschiedenen Geistesvermögen. Von letzteren arbeitet nie eine einzelne Kraft für sich allein, oder richtiger, die verschie- denen Kräfte, die wir annehmen, sind nur eben so viele Seiten oder Richtungen einer und derselben Kraft, allein dennoch ist, um sich diese Verschiedenheit zum Bewußtsein zu bringen, eine Trennung und abgesonderte Darstellung derselben unvermeid- lich. In diesem Sinn bitte ich auch die Unterscheidung jener drei Operationen aufzunehmen. II. Die drei Fundamental-Operationen der juristischen Technik. 1. Die juristische Analyse (das Rechtsalphabet) . Der einfache Rechtskörper — localisirende und abstracte Rechts- production — historische Erscheinung des Abstracten im Concre- ten (die Durchbruchspunkte; analoge Ausdehnung) — die Buch- staben des Rechts — Vergleichung des Alphabets des Rechts mit dem der Sprache. XXXIX. Eine der großartigsten, fruchtbarsten und doch zugleich einfachsten Entdeckungen, die der menschliche Geist je gemacht hat, ist das Alphabet. Vierundzwanzig Zeichen geben uns die Herrschaft über einen unerschöpflichen Schatz, und die Handhabung dieses Mittels ist in dem Maße leicht und einfach, daß die Operationen des Fixirens der Worte durch Zeichen und die Entzifferung der Zeichen, das Schreiben und Lesen, selbst einem Kinde begreiflich gemacht und von ihm bis zur größten Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. Vollkommenheit erlernt werden können. Ohne das Alphabet würde eine solche Herrschaft über die Sprache selbst durch die äußerste Kraft und Anstrengung nicht erreicht werden können, und Lesen und Schreiben die schwierigste aller Künste und Wis- senschaften sein. Das Alphabet enthält für das Gebiet der Sprache die Lösung einer Aufgabe, die wir oben für das Recht als das Hauptpro- blem der Technik bezeichnet haben: die Erleichterung der Herr- schaft über den Stoff durch Vereinfachung desselben, und es liegt daher sehr nahe zu fragen, ob nicht dieselbe Weise der Lösung auch hier anwendbar, die Idee des Alphabets auf das Recht übertragbar sei. Die Idee des Alphabets aber beruht auf Zer- setzung, Zurückführung des Zusammengesetzten auf seine Ele- mente, das Alphabet ist aus der Beobachtung hervorgegangen, daß die Sprache ihren ganzen Reichthum an Worten durch eine verschiedene Combination gewisser Grundlaute gebildet hat, und daß mithin die Entdeckung und Bezeichnung dieser Grundlaute ausreicht, um mit und aus ihnen jedes beliebige Wort zusam- menzusetzen. Was die Worte in der Sprache, das sind die Rechtsverhält- nisse im Recht — die Formen, in denen die geistige Bewegung der Menschheit (Denken und Wollen) vor sich geht und sich bethä- tigt; in Worten wie in Rechtsverhältnissen tritt das Indivi- duum aus sich heraus und zu andern in eine geistige Verbin- dung. Diese Bewegung ist aber eine unübersehbar reiche, ewig neue und productive; jeder Tag bringt neue Worte, jeder Tag neue Rechtsverhältnisse. Aber bei letzteren wie bei ersteren ist dieser Reichthum und diese Verschiedenheit nur das Product einer Combination einfacher Elemente, und hierauf beruht, wie bei der Sprache, so auch beim Recht, die Möglichkeit einer verhältniß- mäßig leichten Beherrschung der Sache. Die Aufgabe ist hier wie dort Entdeckung dieser Elemente, Aufstellung eines Alpha- bets. Ohne Alphabet wären wir verloren. Müßte der Gesetz- geber für jedes Rechtsverhältniß oder jede besondere Gestaltung 1. Die juristische Analyse. §. 39. eines solchen eine Regel aufstellen, es würde der Stoff uns nicht bloß durch seine Massenhaftigkeit erdrücken, sondern trotz der- selben uns täglich im Stich lassen, da die Erfindungskraft des Lebens aller Voraussicht und Berechnung spottet. Zersetzung des Stoffs, Auffindung der einfachen Elemente des Rechts ist also der in der innersten Nothwendigkeit der Sache selbst gelegene Weg zum Ziel. Es bewährt sich hier eine Bemer- kung, die wir früher (S. 27) bei einer andern Gelegenheit zu machen hatten, daß das Wesen des Rechts in Zersetzen, Schei- den, Trennen bestehe. Die juristische Technik läßt sich nach die- ser Seite hin als eine Chemie des Rechts bezeichnen, als die juristische Scheidekunst, welche die einfachen Körper sucht. Auf je weniger einfache Körper sie den Stoff zurückführt, je mehr sie alle zusammengesetzten als das erkennt, was sie sind, und ihnen damit den Schein selbstständiger juristischer Existenz ent- zieht, um so höher ihre Kunst, um so vollkommener das Recht. In welcher Weise geschieht diese Zersetzung, wie ist sie mög- lich? Ich hoffe dies bereits an dieser Stelle klar machen zu können, will jedoch bemerken, daß dieser Gegenstand erst bei Gelegenheit der juristischen Construction sein volles Licht erhal- ten wird. Ich nehme an, daß man bei Ausarbeitung eines Gesetz- buches zuerst den Kaufcontract behandelt und alle denkbaren Fra- gen, die im Leben bei ihm vorkommen können, entschieden hat. Späterhin handelt es sich um eine gleiche legislative Normirung anderer Contracte z. B. des Tausch-, Miethcontractes. Hier werden nun neben solchen Fragen, die rein und ausschließlich auf dies besondere Verhältniß sich beziehen, auch solche wieder- kehren, die bereits bei Gelegenheit des Kaufcontracts und mit Rücksicht auf ihn entschieden worden sind z. B. die Frage über den Einfluß des Irrthums auf die Gültigkeit des Contracts, über die Folgen der Mangelhaftigkeit oder Verzögerung der Lei- stung. Es wäre nun denkbar, daß man eine solche sich öfter wie- derholende Frage mit Rücksicht auf die wirkliche oder vermeint- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. liche Besonderheit des Verhältnisses jedes Mal von neuem und in anderer Weise entschiede. Das Gesammtmaterial, das zur Beantwortung der einen Frage producirt worden wäre, würde sich hier von den einzelnen Verhältnissen, in und an denen es existirte, nicht in der Weise trennen lassen, daß aus demsel- ben eine für alle einzelnen Verhältnisse zutreffende allgemeine Theorie jener Frage gebildet werden könnte; dem Stoff selbst fehlte das allgemeine Dasein und mithin der Jurisprudenz die Möglichkeit zum Analysiren und Abstrahiren. Wollte sie das Material dennoch trennen und zusammentragen, so wäre dies eine rein äußerliche, nutzlose Zusammenstellung, ein Aggregat von abgerissenen Bruchstücken verschiedener juristischer Körper, von denen sich jedes hier, so zu sagen, deplacirt fühlte und nach seinem natürlichen Zusammenhang zurücksehnte. Das Allge- meine lag nicht in der Antwort , sondern in der Frage ; mit einer Generalisirung der Frage ist nichts gewonnen, wenn nicht die Antwort darauf, sei es auch nur in irgend einer Be- ziehung, generell lauten kann. Ich möchte eine solche Methode der gesetzlichen Regulirung einer Frage, die den Stoff local zerstreut, zersplittert, die loca- lisirende nennen. Eine absolute Localisirung des Rechtsstoffs ist eine Unmöglichkeit; das Moment der Allgemeinheit, das ein- mal in den Dingen liegt, wird sich auch ohne Wissen und Wil- len des Gesetzgebers geltend machen, und hätte er den Stoff auch noch so sehr localisirt, die Jurisprudenz würde immer einige, wenn auch noch so allgemeine Abstractionen demselben entneh- men können. Den Gegensatz zu dieser Methode bildet die abstracte Rechtsproduction. Ich nenne sie so, weil und insofern sie eine Frage von den einzelnen Verhältnissen, bei denen dieselbe prak- tisch allein zum Vorschein kömmt (z. B. der Irrthum nur bei Abschluß eines einzelnen Contracts) abstrahirt, sie für alle d. h. allgemein , abstract entscheidet. Das Ziel derselben ist nicht, daß der ganze Rechtsstoff allgemein werde, sondern so viel 1. Die juristische Analyse. §. 39. davon als möglich ist d. h. daß eine Frage, die ihrer Natur nach eine allgemeine (nicht auf eine einzelne Species beschränkte) ist, als solche erkannt und möglichst allgemein beantwortet werde. Sie beruht also auf einer Zersetzung der Institute, denn sie löst diejenigen Fragen, die bei diesem wie bei jenem vorkommen kön- nen, ab, sie scheidet die allgemeinen Elemente aus und läßt nur das Specifische des Instituts, das absolut nicht mehr zu verflüchtigende Residuum der Momente oder Fragen, welche das Wesen dieser Species ausmachen, zurück. Für letztere ist die locale Rechtsproduction, soweit überhaupt positive Rechts- sätze dazu nöthig sind (die Individualität sich also nicht als rein begriffliche Nothwendigkeit darstellt) ebenso am Platz, wie für jene allgemeinen Elemente die abstracte. Je mehr die Gesetz- gebung oder (wovon nachher das Nähere) die Wissenschaft sich vervollkommnet, um so mehr wird sich demgemäß der Rechtsstoff aus den concreteren Parthien in die abstracteren Regionen zu- rückziehen; in einem unentwickelten Recht werden erstere über letztere, in einem entwickelten letztere über erstere das Ueber- gewicht haben. Die Macht der Dinge setzt aber auch dieser Richtung eine gewisse Gränze; eine absolut abstrahirende Gestaltung des Stoffs ist praktisch nicht minder unausführbar, wie eine absolut loca- lisirende. Das praktische Bedürfniß ( utilitas ) wird es mitunter erheischen, daß die abstracte Regel zu Gunsten eines besonders eigenthümlichen Verhältnisses verlassen, die an sich allgemeine Frage hier local entschieden werde. Dies ist das jus singulare der Römer. Nicht das locale Recht schlechthin heißt so, z. B. nicht die eigenthümlichen Grundsätze der Consensual- im Gegen- satz zu den Real-Contracten, sondern nur die locale Abweichung von einem an sich allgemeinen Princip ( ratio juris ). Diejeni- gen localen Rechtssätze, die ihrer Natur nach nothwendig local sind (s. oben), enthalten keine Abweichung von einem Allgemei- nen, weil es für sie kein Allgemeines gibt; sie sind speciell, aber nicht singulär. Ebenso wenig dürfte man da von einem jus sin- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. gulare sprechen, wo der ganze Stoff localisirt ist, wie es z. B. bei den Fristen der Verjährung denkbar wäre; wo keine Regel, gibt es keine Ausnahme. So wenig ich es nun verkenne, daß es Interessen und Gründe geben kann, welche eine derartige Abweichung durchaus moti- viren, so sehr hat doch das Recht Ursache, diesen Abweichungen möglichst wenig hold zu sein, sie vielmehr als Opfer oder Con- cessionen zu betrachten, die nur durch den Fall der Noth ent- schuldigt werden können. Zwei Interessen stehen sich hier gegen- über, das des besonderen Verhältnisses, welches die Abwei- chung vom allgemeinen Recht begehrt, und das der Technik des Rechts, welches sich dem widersetzt. Die praktische Bedeu- tung des letzteren ist dem blöden Auge weniger sichtbar, da dasselbe nicht in den Niederungen einzelner Fragen, sondern nur auf der Höhe des Rechts zum Vorschein kömmt; der Un- kundige wird es daher überall nicht anerkennen oder höchstens für ein rein theoretisches erklären. Aus diesem Grunde erscheint ihm jenes erstere Interesse mindestens als das überwiegende wenn nicht einzige; ein Gesetzgeber, der die Sache mit diesem Auge ansieht, wird mithin den Conflict zu Gunsten dieses Interesses entscheiden. Von dem Preise, um den er hier ein vielleicht höchst untergeordnetes und beschränktes Bedürfniß be- friedigt, dem Schaden nämlich, den das Recht in seinem Lebens- princip erleidet, hat er keine Ahnung. Eine solche Unkenntniß der praktischen Bedeutung der Interessen der Technik ist lei- der auch in der Wissenschaft keineswegs selten; man würde sonst nicht so häufig die individualisirende (oder in meiner Sprache localisirende) Methode des deutschen Rechts als das Wahre und Rechte preisen (S. 121—123). Beide Extreme sind vom Uebel, aber soll es dann einmal eins sein, so ist ein zu weit getriebe- nes Centralisiren weniger gefährlich, als das Individualisiren. Dort ist wenigstens im Centrum eine gewaltige Kraft, es ist ein Ganzes , wenn auch auf Kosten des Besondern; hier hingegen ist nicht einmal das Einzelne kräftig entwickelt, denn als Ein- 1. Die juristische Analyse. §. 39. zelnes ist es eben zu klein und gering. Für die technische Beurtheilung der Rechte ist das Verhältniß, in dem sich in ihnen die abstracte und locale Rechtsproduction bethätigt haben, ein ganz entscheidender Gesichtspunkt. Je mehr erstere in einem Recht überwiegt, je größer mithin die Summe der allgemeinen Bestandtheile in demselben ist, je weniger das Allgemeine zu Gunsten einzelner Verhältnisse durchbrochen ist, um so mehr hat sich in demselben das Ideal der juristischen Technik d. h. die Idee des Alphabets verwirklicht. Denn die allgemeinen Bestand- theile eines Rechts sind, wie wir nachher zeigen werden, die eigentlichen Buchstaben des Rechts, die localen Rechtssätze keine Buchstaben, sondern Zeichen für ein einzelnes Wort. Auf jedem Gebiet der Erkenntniß erblickt und gewinnt der menschliche Geist früher das Concrete, als das Abstracte. Darum erscheinen auch im Recht die concreten Parthien d. h. die Rechts- sätze für einzelne Rechtsverhältnisse historisch ungleich früher ent- wickelt, als die abstracten Parthien. Bevor letztere in ihrer wah- ren d. h. allgemeinen Form von der Gesetzgebung oder Wissen- schaft erkannt und ausgesprochen sind, haben sie nicht selten eine lange Vorgeschichte durchmachen, verschiedene Phasen zurück- legen müssen. Diese Entwickelungsgeschichte derselben gehört zu den interessantesten Erscheinungen auf dem Gebiete der Rechts- geschichte, und es ist uns um so nöthiger dieselbe kennen zu ler- nen, als an ihr eine der wichtigsten Aufgaben und Operationen der juristischen Technik zu Tage tritt. Die Erscheinung, die ich meine und zu der uns nicht bloß die Geschichte des römischen, sondern eines jeden Rechts eine Reihe von Beispielen liefert, besteht darin, daß ein abstracter Gedanke ursprünglich erst in beschränkter Weise bei einem einzel- nen Punkt, den ich den historischen Durchbruchspunkt Nicht zu verwechseln mit dem Einfluß, den irgend ein besonderes Verhältniß, Interesse u. s. w. auf die Hervorbringung eines allgemeinen Rechtssatzes ausüben kann. Als historisches Motiv der Einführung der Codi- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. derselben nennen möchte, zum Vorschein kömmt und erst nach und nach die Ausdehnung und Ausbreitung erlangt, die ihm seiner Natur nach gebührt. Auch die Gedanken haben um ihre Existenz zu ringen und nicht selten sich jeden Fußbreit Landes mühsam zu erkämpfen. Träten sie gleich in ihrer ihnen dermal- einst beschiedenen Allgemeinheit auf, man würde sie nicht ver- stehen und sich ihnen widersetzen. Darum erscheinen sie in höchst bescheidener Gestalt und begnügen sich anfänglich mit einem klei- nen Gebiet, bis die Geister sich an sie gewöhnt, und sie selbst in irgend einem Punkte Wurzel gefaßt, feste Gestalt und damit die Kraft zum weitern Vorschreiten gewonnen haben. Die Incon- sequenz, deren man sich durch diese Beschränkung des Gedankens auf ein einzelnes Verhältniß schuldig macht, der Anspruch des- selben auf Allgemeinheit, kann sich auf die Dauer der Wahrneh- mung nicht entziehen, denn die Consequenz ist eine Macht, die langsam, aber sicher, unbewußt, aber nicht minder wirksam im Geist fortarbeitet, und längst empfunden und gefühlt ist, bevor sie ausdrücklich anerkannt wird. Darum kömmt auch für jenen Gedanken unausbleiblich die Zeit, wo man fragt: warum gilt er bloß hier, warum nicht auch in dem und jenem völlig gleich- artigen Verhältniß, eine Zeit, wo Manchem die seitherige Be- schränktheit seiner Geltung nicht minder auffällig und ver- wunderlich erscheinen mag, als vor und zur Zeit seiner Einfüh- rung einem Andern der Versuch, ihn überhaupt, wenn auch nur in beschränktester Weise zuzulassen. Ich will das Gesagte jetzt an einer tabellarisch geordneten Reihe von Beispielen aus dem römischen Recht erläutern. Die Columne links bezeichnet den Gedanken in seiner späteren reinen d. h. abstract allgemeinen Gestalt, die Columne rechts den Durch- bruchspunkt desselben, bei dem er historisch zuerst in beschränkter Weise zum Vorschein gekommen. cille wird uns die Abwesenheit genannt ( pr. I. de codicill. 3. 25 .. pro- pter magnas et longas peregrinationes ). Allein das Institut ward nicht auf diese Voraussetzung beschränkt, es galt allgemein für Anwesende und Abwesende. 1. Die juristische Analyse. §. 39. Diese Beispiele ließen sich noch um viele vermehren, für un- sern Zweck reichen jedoch die mitgetheilten vollkommen aus. Worauf es mir vor allem bei dieser ganzen Erscheinung an- kömmt, ist, den Gedanken fern zu halten, daß es sich hier um etwas Zufälliges oder eine unvollkommene Entstehungsweise des Rechts handle. Zufällig ist weder die Erscheinung selbst im allgemeinen, denn es ist nichts als das allbekannte Gesetz des Werdens , das sich in ihr verwirklicht, noch ist es zufällig im einzelnen Fall, daß ein neuer Gedanke bei diesem und keinem andern Punkt zum Durchbruch kömmt. Was entscheidet darüber? Ich glaube, theils die größere Stärke des Bedürfnisses, theils die größere Leichtigkeit der ersten Gestaltung des Gedankens gerade an diesem Punkt. Was den ersten Grund anbetrifft, so Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. nehme man z. B. das Beispiel 1 und 3 aus unserer Tabelle. Der Handel ist an juristischer Gewandtheit und productiver Kraft dem übrigen Verkehr überall voraus, eben weil sein Be- dürfniß ein dringenderes ist, die Gewähr der Fehler der gekauf- ten Sache ist aber viel nöthiger bei Thieren, als bei leblosen Sachen, weil man wenigstens im allgemeinen sich bei letzteren durch Beschauen und Probiren leichter sicher stellen kann, als bei ersteren. Unter diesen Gesichtspunkt fällt auch die nament- lich in der folgenden Periode so häufige Form der ersten Erschei- nung eines Rechtssatzes, nämlich als eines Privilegiums einzel- ner Stände oder Classen von Personen (z. B. der Soldaten, Minderjährigen u. s. w.). Was den zweiten Grund anbetrifft, so verweise ich namentlich auf Fall 2 und 4 und, wenn ich an- dere Beispiele hinzufügen soll, auf die Priorität des Sachen- besitzes vor dem Quasibesitz, auf die ursprüngliche Beschränkung des Ususfructus, Depositums, der Miethe auf individuell bestimmte Gegenstände gegenüber der spätern Ausdehnung dieser Verhältnisse auf generisch bestimmte Sachen, auf die ursprüng- liche Fassung des damnum injuria datum als eines corpore corpori datum u. s. w. Der Vollständigkeit wegen muß ich noch eines andern Grundes gedenken. Die beiden so eben angeführ- ten setzten voraus, daß der Rechtssatz oder Gedanke von vorn- herein in allgemeiner Gestalt hätte auftreten können , d. h. daß ein weiterer Anwendungskreis, als auf den er sich beschränkte, für ihn vorhanden gewesen wäre. Nun ist aber auch der Fall möglich, und er ist im römischen Recht nicht selten, daß irgend ein Princip oder Begriff ursprünglich sich aus dem Grunde an ein besonderes Verhältniß angelehnt, sich localisirt hat, weil letz- teres damals das einzige war, bei dem er denkbarerweise gelten konnte, oder m. a. W. so lange eine Gattung bloß aus einer Species besteht, muß nothwendigerweise ein Moment des Gat- tungsbegriffs in der beschränkten Form eines Moments der Spe- cies auftreten. Ich nehme den Begriff eines jus in re aliena. Ihm gehören an verschiedene wichtige Rechtssätze (z. B. daß der 1. Die juristische Analyse. §. 39. Inhalt eines solchen Rechts nicht in Handlungen des Herrn der belasteten Sache bestehen kann, daß dasselbe durch Consolidation untergeht u. s. w.); dieselben gelten mithin im neuern Recht für alle Species, die zur Gattung jus in re aliena gehören. Wenn dieselben nun historisch als rein locales Recht der Servituten auftreten, so hat dies eben darin seinen Grund, daß die Servi- tuten Jahrhunderte lang die einzige Art eines solchen Rechts waren. Manche dieser Sätze haben ihre ursprüngliche, auf die Species lautende Form noch beibehalten (z. B. servitus in faciendo consistere nequit, nulli res sua servit ). Aehnlich verhält es sich mit dem Begriff und dem Recht der Universalsuc- cession in das Vermögen Verstorbener. Im ältern Recht war die hereditas die einzige Art der Universalsuccession, der Gat- tungsbegriff konnte also nur an ihr entwickelt werden, die erb- rechtlichen Regeln lauteten daher sämmtlich auf die hereditas. Seit dem Aufkommen der Bonorum Possessio hätten sie diese Fassung wenigstens überall da, wo sie nicht etwas Specifisches der hereditas, sondern etwas der ganzen Gattung Gemeinsames betrafen, ablegen müssen, nichtsdestoweniger aber haben sie die- selbe auch im neuern Recht beibehalten. Werfen wir schließlich noch einen Blick auf die Art und Weise, wie die Verallgemeinerung des Gedankens zu geschehen pflegt, so hat dieselbe etwas durchaus Charakteristisches. Es scheint näm- lich diese Art der Fortbildung des Rechts vorzugsweise der Ju- risprudenz vorbehalten zu sein. Im römischen Recht wenigstens sind, abgesehen von dem Fall, wo es sich um Verallgemeinerung eines ursprünglich nur einem einzelnen Stande verliehenen Pri- vilegiums handelt, mir keine Fälle bekannt, in denen die Gesetz- gebung sich selbst dieser Aufgabe unterzogen hätte. Die Opera- tion, mittelst deren die Jurisprudenz dieselbe löst, ist unter dem Namen der analogen Ausdehnung allbekannt, sie dürfte jedoch durch den Zusammenhang, in den unsere Darstellung sie bringt, nicht unwesentlich an Klarheit und Bestimmtheit gewon- nen haben. Zunächst nämlich ergibt sich daraus die Berechtigung Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 24 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. und Nothwendigkeit derselben. So lange in der Geschichte das Gesetz besteht, daß das Allgemeine nicht in allgemeiner, sondern beschränkter Form zur Welt kömmt, wird auch das Bedürfniß der analogen Ausdehnung bestehen; die Natur selbst macht hier eine mäeutische Hülfsleistung des Juristen nothwen- dig. Es ergibt sich ferner hieraus die Möglichkeit einer genaue- ren Bestimmung des Begriffes und damit der Gesetze der ana- logen Ausdehnung. Der Begriff läßt sich dahin bestimmen, daß diese Operation nichts ist, als die Ablösung des seiner Natur und Bestimmung nach Allgemeinen von seiner localen histori- schen Erscheinungsform . Sie beruht also auf einer Ana- lyse des historisch zur Einheit eines Instituts vereinigten Rechtsstoffes, und zwar besteht die Aufgabe darin, diejenigen Bestandtheile (Rechtssätze), welche lediglich aus dem eigenthüm- lichen Zweck und Begriff dieses Instituts fließen, rein der Species angehören ( absolut-locale Bestandtheile), von den- jenigen zu trennen, welche nur in und an diesem Institut zur Erscheinung gekommen, ihrem Wesen nach aber abstracter Art sind ( historisch-locale ). Der Gedanke, der der act. exercit. und instit., der publiciana, der redhibit. und quanti minoris zu Grunde lag, war ein allgemeiner, und als die Juri- sten diese Klagen auf andere analoge Verhältnisse erstreckten, dehnten sie denselben nicht sowohl aus , als sie erkannten ihn in seiner wahren Gestalt und befreiten ihn von seiner zu engen historischen Ausdrucksform. Die Jurisprudenz überhebt sich hier- bei nicht, sie greift nicht in die Rechte des Gesetzgebers ein, sie schafft nicht, sondern sie übt nur eine höhere Kritik und Inter- pretation, eine Kritik und Interpretation nicht der Worte, aber des legislativen Gedankens. Allerdings erfordert diese Opera- tion eine größere Geschicklichkeit der Abstraction und ein feineres Unterscheidungsvermögen, als die gewöhnliche Interpreta- tion, und Mißgriffe sind hier nach beiden Seiten möglich, näm- lich sowohl daß zu viel als daß zu wenig gethan wird d. h. daß man fälschlich die wesentlich-localen Bestandtheile für abstracte 1. Die juristische Analyse. §. 39. und umgekehrt die abstracten für wesentlich-locale erklärt. Was den ersten Mißgriff anbetrifft, so ist er wenigstens regelmäßig Bei der späteren Form der römischen Rechtsbildung durch kaiserliche Rescripte war die Gefahr einer ungehörigen Generalisirung d. h. einer Aus- dehnung rein individueller, lediglich für den concreten Fall bestimmter Ent- scheidungen ( constitutiones personales ) allerdings ungleich größer, aber nicht die Jurisprudenz verschuldete sie, sondern die Willkühr, mit der die Kaiser das Recht als Gnadensache behandelten. In dem Verbot einer analogen Benutzung ihrer Rescripte sprachen sie sich selbst das Urtheil. kaum zu befürchten, schon darum weil es bequemer und sicherer ist, bei dem unmittelbaren Inhalt des Gesetzes stehen zu bleiben. Was den zweiten anlangt, so ist er nicht bloß verzeihlich, son- dern, wie bereits bemerkt, historisch-nothwendig; so wenig wie der Gesetzgeber sich einen neuen Gedanken sofort in seiner gan- zen Allgemeinheit denken kann, ebenso wenig auch die Jurispru- denz. Auch für sie gehört erst eine längere Zeit der Gewöhnung dazu, bis sie ihn in seiner abstracten Allgemeinheit zu denken lernt und den Muth gewinnt, ihm dieselbe auch praktisch zu vin- diciren. Das gilt nicht bloß für die niederen Stufen der Juris- prudenz, sondern eben sowohl für uns trotz aller unserer Bil- dung und philosophischen Auffassung, denn auch unsere Erkennt- niß steht unter dem Gesetz des Werdens. Die analoge Ausdeh- nung ist daher in der Regel nicht die That eines Individuums, sondern das Werk eines Jahrhunderts, das Resultat eines lang- samen Umschwunges in der Anschauung. Darin liegt die sicherste Garantie gegen eine Uebereilung bei derselben; wenn ihre Zeit noch nicht gekommen, so findet sie kein Verständniß und keine Anerkennung, ist aber letzteres der Fall, so darf man des erste- ren sicher sein. Die Ausführung der letzten Seiten knüpfte an den obigen Gegensatz der localisirenden und abstracten Rechtsproduction an, auf letztere aber führte uns der Nachweis der Möglichkeit einer Zersetzung des Rechtsstoffs. Wir kehren jetzt zu unserm ursprüng- 24* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. lichen Ausgangspunkt, der Verwirklichung der Idee des Alpha- bets im Recht, zurück. Nehmen wir an, daß die Zersetzung des Rechtsstoffs in der angegebenen Weise vollkommen gelungen ist, so stellt sich das Recht dar als eine Summe von einfachen, nicht weiter aufzu- lösenden Elementen, die wie die Buchstaben sich zu zusammen- gesetzten Einheiten vereinigen können und uns wie sie in Stand setzen, alle, auch die complicirtesten und ungewöhnlichsten Com- binationen des Lebens zu entziffern. Wir wollen die Beschaf- fenheit, Brauchbarkeit und Benutzung dieses Rechtsalphabets unter beständigem Hinblick auf das der Sprache etwas näher erläutern. Dasselbe besteht aus Bestandtheilen doppelter Art, aus Be- griffen und Rechtssätzen von localer und von abstracter Anwend- barkeit. Erstere lassen sich, da sie als solche im Leben ohne wei- tern Zusatz vorkommen können, auch als selbständige oder concrete Rechtskörper bezeichnen. Beispiele gewähren der Kaufcontract, die Weggerechtigkeit, das Testament. Die ab- stracten hingegen gelangen nie für sich allein zur Erscheinung, so wenig wie eine Eigenschaft, sondern immer nur in und an selbst- ständigen Körpern. Beispiele gewähren der Irrthum, die Nich- tigkeit, Mora. Ein Irrthum als solcher d. h. unabhängig von einem concreten Rechtsverhältniß, eine Mora als solche d. h. ohne Beziehung auf eine bestehende Obligation ist ein praktisches Unding, beide müssen sich mit selbständigen Körpern verbinden. Letztere also treten nur in Zusammensetzungen auf, erstere hin- gegen rein, isolirt. Wenn wir den Vergleich mit den Buchstaben hierauf ausdehnen wollen, was aber in anderer Beziehung leicht irre führen kann, so können wir die abstracten die Consonanten, die concreten die Vocale nennen. Hiermit hängt ein anderer Unterschied derselben zusammen. Die abstracten Elemente näm- lich haben eine ungleich größere Anwendbarkeit, weil sie nicht an ein einzelnes Verhältniß gebunden sind; der Irrthum z. B. kann bei einem Contract, einer Tradition, einer Zahlung, einem 1. Die juristische Analyse. §. 39. Legat u. s. w. vorkommen. Die selbständigen hingegen betreffen immer nur ein ganz specielles Verhältniß, sie sind ungleich enger, beschränkter. Obgleich sie nun insofern sich weniger mit Buch- staben, als etwa mit Zeichen für ein ganzes Wort, stereotypir- ten Wörtern vergleichen ließen, so üben doch auch sie die wesent- liche Function der Buchstaben aus d. h. sie können sich nicht bloß mit den abstracten, sondern auch unter sich zu einem zusammen- gesetzten Rechtsverhältniß verbinden, die oben genannten (Te- stament, Weggerechtigkeit, Verkauf) also z. B. in der Weise, daß ein Testator seinem Erben auferlegt, dem Nachbar gegen Zahlung einer gewissen Summe eine Weggerechtigkeit zu verkau- fen. L. 44 i. f. de solut. (46. 3) .. damnatus, ut venderet. Auch bei ihnen also realisirt sich die Idee des Alpha- bets d. h. die Bildung des Zusammengesetzten aus einfachen Elementen, auch bei ihnen müssen wir, um das Verhältniß zu entscheiden, lesen d. h. es in diese einfachen Bestandtheile auflösen. Vergleichen wir nun unser Rechtsalphabet mit dem der Sprache, so steht es zunächst darin hinter letzterem weit zurück, daß die Buchstaben desselben theilweise eine ungleich beschränk- tere Anwendbarkeit besitzen, als die der Sprache. Mit letzteren lassen sich in dieser Beziehung nur unsere abstracten Elemente des Rechts in Parallele bringen. Schon aus diesem Grunde muß die Zahl der Buchstaben dort ungleich größer sein, als hier, es gesellen sich aber noch andere Gründe hinzu, namentlich der, daß das Alphabet des Rechts ungleich genauer und exacter ist und sein muß, als das der Sprache. Wenn letzteres mit so außer- ordentlich wenig Zeichen ausreicht, so beruht das zum großen Theil auf der Ungenauigkeit, mit der die Sprachlaute wieder- gegeben werden. Wie viele Zeichen wären erforderlich, wenn all die feinen Schattirungen und Nüancen namentlich in der Aussprache der Vocale angedeutet werden sollten. Die Schrift gewährt nur eine sehr rohe Reproduction der Sprache, genü- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. gend für den, der die Aussprache kennt, aber für den, der letztere darnach lernen wollte, durchaus unzureichend. Rücksichtlich des Rechts gilt für die niedersten Stufen allerdings ganz dasselbe (Bd. 1 S. 17—21), das geschriebene Recht gewährt auch hier nur einen sehr ungenauen Anhaltspunkt für das Sprechen des Rechts, allein ich brauche kaum zu bemerken, daß die mög- lichste Congruenz zwischen dem Schreiben oder Setzen des Rechts und dem Recht-Sprechen gerade eins der Ziele aller Entwicke- lung des Rechts bildet. Soll Recht gesprochen werden, wie es geschrieben ist, so muß es auch geschrieben werden, wie gespro- chen werden soll. Für die Sprache hat jene möglichste Con- gruenz, wenigstens was den Inländer anbetrifft, keine praktische Bedeutung, für das Recht die äußerste. Darum also kann die Sprache ungenau, das Recht aber nicht exact genug verfahren, und so erklärt es sich, daß erstere mit einer kleinen Zahl von Buch- staben ausreicht, während letzteres eine große Zahl nöthig hat. Aus dieser Verschiedenheit beider rücksichtlich des Maßes der von ihnen beiden angewandten Genauigkeit ergibt sich ein fer- nerer Unterschied zwischen ihnen. Während nämlich das Alpha- bet der Sprache vollkommen abgeschlossen ist und mithin trotz aller Umwandlung der Sprache dasselbe geblieben ist und blei- ben wird, da es eben die feineren Nüancen in der Aussprache nicht wiedergibt; während dasselbe ferner sich nicht auf eine ein- zelne Sprache beschränkt, sondern für ganze Sprachfamilien im wesentlichen dasselbe ist, kann das des Rechts auf eine gleiche von Zeit und Ort, von der Geschichte und Nationalität unab- hängige Geltung keinen Anspruch machen. Man könnte mir einwenden, daß es doch auch im Recht Grundbegriffe von abso- luter Wahrheit gebe, seien es auch nur juristisch-logische Kate- gorien, oder rein formale Begriffe wie z. B. der Begriff der juristischen Unmöglichkeit, der Gegensatz der Nichtigkeit und An- fechtbarkeit, des Rechts und der Ausübung, des Irrthums im Object und in den Beweggründen u. s. w., und daß dieselben mithin, bei welchem Volk sie immerhin zuerst entdeckt und aus- 1. Die juristische Analyse. §. 39. gebildet worden seien, dennoch nicht dem Rechtsalphabet die- ses Volks angehörten, sondern einem supernationalen, univer- sellen, absoluten. Allein so sehr ich die absolute Wahrheit dieser Begriffe und damit die Möglichkeit eines universellen Rechtsalphabets zugebe, so darf man doch nicht außer Acht lassen, daß dieselben rein formaler Art sind, und daß wir es mit- telst ihrer mithin nicht über eine formale juristische Logik (deren hohen didaktischen Werth ich übrigens nicht bestreiten will) hin- aus bringen würden. Die praktische Gestaltung, die substantielle Ausfüllung derselben würde immer noch eine Sache des positiven Rechts bleiben. So ist z. B. jener Unterschied rücksichtlich des Irrthums ein begrifflich nothwendiger und ganz geeignet, die juristische Denkfähigkeit zu üben, allein ob dem Irrthum überall eine praktische Beachtung zu Theil werden und, wenn dies, ob sie bloß dem Irrthum in dem Object oder auch dem Irrthum in den Motiven geschenkt werden soll, das ist Sache positiver Rechts- satzung, und wenn letztere die erstere Frage verneint oder das zweite Glied der zweiten Frage bejaht, so ist der Unterschied selbst für dieses Recht nicht vorhanden, weil nicht praktisch. So war z. B. der Gegensatz der Nichtigkeit und Anfechtbarkeit im ältern Recht gar nicht vorhanden, da dasselbe die Ungültigkeit ausschließlich in der Form der Nichtigkeit vermittelte. Es steht also mit jenen Begriffen so , daß das Absolute daran etwas rein Formales, das Praktische daran etwas rein Positives ist. Aller- dings kann diese positiv-praktische Gestaltung eine so verstän- dige, zweckmäßige sein, daß man ihr da, wo sie einmal gilt, gern eine ewige Dauer und selbst eine universelle Verbreitung progno- sticiren möchte, allein nichts desto weniger müssen wir sie doch als etwas Positives und mithin möglicherweise dem Wechsel der Ansichten und Dinge Unterliegendes bezeichnen. Unser praktisches Rechtsalphabet ist daher etwas Posi- tives, Historisches, und die Geschichte eines jeden Rechts bethä- tigt uns dies. Es ändern sich nicht bloß die Recht ssätze , son- dern mit ihnen auch die Begriffe und Institute, und es ändert Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. sich nicht bloß die Beschaffenheit und Bedeutung unserer vor- handenen Rechts-Buchstaben, sondern die Zeit bringt uns völlig neue und streicht die alten aus. Wie sehr aber dennoch ein ein- zelnes Rechtsalphabet bei aller seiner Positivität den Einflüssen von Zeit und Ort zu trotzen vermag, davon gibt uns das römi- sche ein schlagendes Beispiel. Die praktische Gestaltung des Ei- genthums, der Servitut, Obligation u. s. w. im römischen Recht und mithin auch die begriffliche Construction des Stoffs von Seiten der römischen Juristen ist römisch , wie sehr man auch in der Verehrung vor dem römischen Recht sich oft dagegen ver- schlossen und in erklärlicher Selbsttäuschung sich das Römische als das Absolute zu deduciren versucht hat. Aber wie lang hat dies Römische vorgehalten! Die aufgeführten Begriffe gelten heutzutage im wesentlichen fast ebenso, wie vor anderthalb Jahr- tausenden, und, was mehr ist, das römische Recht bietet uns selbst für Verhältnisse und Fragen, die erst die moderne Welt gebracht hat, vielfach völlig ausreichende Entscheidungsnormen. Erklärlich genug, daß der Glaube an den absoluten Charakter des römischen Rechts, jene Idealisirung desselben zu einer ratio scripta, einer geoffenbarten Vernunft in Dingen des Rechts, schon so früh Wurzel schlagen und sich bei einzelnen Schwär- mern selbst bis auf den heutigen Tag erhalten konnte! Daß nun trotz der angegebenen Verschiedenheiten zwischen dem Rechts- und Sprach-Alphabet ersteres dennoch den Namen eines Alphabets verdient, bedarf wohl keiner Bemerkung. Will man es einen Vergleich nennen, so gibt es wenigstens keinen, der treffender wäre und geeigneter, dem Unkundigen das Wesen und Walten der analytischen Kraft im Recht mit Einem Worte zu veranschaulichen. So einfach und natürlich aber selbst einem Laien die Sache mittelst dieses Vergleichs erscheinen wird, so kann ich doch die Bemerkung nicht unterdrücken, daß im Grunde der Laie für jene Methode der Zersetzung, die ihm bei der von mir gewählten Einkleidung so natürlich erscheint, von vornher- ein nicht bloß kein Verständniß besitzt, sondern sich zu ihr ent- 1. Die juristische Analyse. §. 39. schieden antipathisch verhält. Denn jene Methode ist die reine Negation seiner eignen Anschauungs- und Gefühlsweise, sie ist berechnet darauf, der Herrschaft des Rechtsgefühls ein Ende zu machen. Das Charakteristische der Auffassungsweise des Laien, möge es sich um das abstracte Recht oder um die Beur- theilung eines einzelnen Rechtsverhältnisses handeln, besteht in dem Nicht-Scheiden , oder positiv ausgedrückt in der Hin- gabe an den Totaleindruck. Der Gegensatz der Beurtheilung eines Rechtsverhältnisses nach Weise des Juristen und Laien ist schon von Tryphonin in der L. 31 §. 1 Depos. (16. 3) ausgesprochen. Er unterscheidet hier 1. si per se dantem acci- pientemque intuemur (wenn wir die verschiedenen Verhältnisse zwischen den zwei Gebern und Empfängern unterscheiden), haec est bona fides etc., 2. si totius rei aequitatem, quae ex omnibus personis, quae negotio isto continguntur (wenn wir das Gesammtverhältniß und das schließliche End- resultat ins Auge fassen). Alle jene einzelnen Elemente, Seiten, Beziehungen eines Rechtsinstituts oder Rechtsfalles, die sich dem juristischen Auge als einzelne darstellen, fließen für ihn zusammen, und die Gesammtwirkung, die der Gegenstand auf sein Gefühl ausübt, der Totaleindruck dieses Bildes, ist es, der sein Urtheil bestimmt. Der Laie wird es unbegreiflich fin- den, daß der Jurist ein Institut des Lebens, in dem er, der Laie, Ein organisches Ganze erblickt, und das ihm jedenfalls als eine gegebene Thatsache des Lebens eines weiteren Suchens nicht mehr bedürftig erscheint, mühsam in einzelne Atome auf- löst und es sodann erst aus ihnen wieder zusammensetzt. Wenn ein Kläger, der einen durchaus begründeten Anspruch hat, eine unvortheilhafte Wahl der Klage trifft z. B. statt der act. in pers . eine act. in rem, so prüft der Richter lediglich, ob die Voraus- setzungen dieser Klage vorhanden sind und weist mithin im Verneinungsfall den Kläger mit dieser Klage ab, ungeachtet aus den Verhandlungen sich ergibt, daß der Anspruch des Klä- gers, wenn er mit einer andern Klage geltend gemacht werden sollte, durchaus begründet ist. Dies wird dem Laien höchst an- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. stößig erscheinen, und doch ist es nichts als eine einfache Schei- dung der Gesichtspunkte und eine Beschränkung auf denjenigen, unter dem der Kläger selbst die Beurtheilung des Falles ver- langt hat. Wie wenig das Wesen der zersetzenden Methode zur Zeit noch von Seiten der Wissenschaft begriffen ist, hat sich nament- lich in dem Streit über den Gegensatz des römischen und deut- schen Rechts kundgegeben. Zwei heutige Rechtsphilosophen Stahl in der als Anhang zum zweiten Bande seiner Rechtsphilo- sophie aufgenommenen Abh. über den Werth des röm. Privatrechts (Aufl. 2 S. 400) und Röder , Grundgedanken u. Bedeutung des röm. u. germ. Rechts, Leipz. 1855. haben den Mangel des römischen Rechts darin zu finden ge- glaubt, daß es demselben an „Organismen, organischen Gestal- tungen, einem positiven Prinzip organischer Gestaltung“ u. s. w. gefehlt habe. Worauf aber beruht diese Behauptung? Ich glaube, nur auf Folgendem. So lange die juristisch-zersetzende Kraft sich an einem Rechtsinstitut noch nicht bethätigt hat, macht uns dasselbe nothwendig den Eindruck eines „Organismus;“ alles greift in schönster Weise in einander, rechtliche und ethische Momente, Form und Inhalt, dingliches und obligatorisches Element u. s. w. So wie aber die Jurisprudenz sich des Insti- tuts bemächtigt und ihre Pflicht und Schuldigkeit daran thut, ist es, ohne daß sich an dem realen, praktischen Bestande des- selben das Geringste änderte, um jenes poetische „Verwachsen- sein,“ „Sich-organisch-Durchdringen“ u. s. w. geschehen; die schöne Blume ist dahin, und wir haben statt dessen Stickstoff, Sauerstoff u. s. w. Das Eine Element des Instituts gelangt im System hierhin, das andere dorthin. z. B. beim Pfandrecht das dingliche ins Sachenrecht, das obliga- torische, der contractus pigneratitius ins Obligationenrecht. So muß man die einzelnen Elemente der Vormundschaft aus den verschiedensten Theilen des Systems zusammensuchen: die Handlungsfähigkeit der bevormundeten Perso- nen und den Begriff und die Arten der Stellvertretung im allgemeinen Theil, Wenn nun das deutsche 2. Die logische Concentration. §. 40. Recht uns Organismen, das römische aber Atome oder Elemente bietet, so ist das nicht sowohl eine Verschiedenheit der beiden Rechte — oder sollte etwa z. B. die Vormundschaft im römi- schen Leben weniger eine „organische Einheit“ gewesen sein, als bei uns? — sondern eine Verschiedenheit der wissenschaftlichen Behandlung beider und zwar eine solche, die für die germa- nistische Rechtswissenschaft nicht ein Lob, sondern einen Vor- wurf in sich schließt. Die positive Jurisprudenz soll keine Or- ganismen kennen, so wenig wie die organische Chemie. Dem obigen Vorwurf gegen das römische Recht scheint die Idee zu Grunde zu liegen, als ob jene Rechtsatomistik nicht eine bloß juristische, sondern eine reale gewesen, als ob der römische Geist eine Abneigung gegen alles Zusammengesetzte, Gemischte, oder was man sonst unter organisch versteht, gehabt habe. Als praktische Moral, die ich mir erlauben möchte aus jenem Irr- thum zu ziehen, stehe hier die Bemerkung, die ich namentlich allen Rechtsphilo- sophen, welche keine Juristen sind, dedicirt haben will: daß selbst eine rein ethische Würdigung eines bestimmten Rechts nicht möglich ist ohne Kennt- niß der Technik . Allein die zersetzende Kraft des römischen Geistes zersetzte doch nicht die Dinge, sondern nur die Begriffe, und nicht um das praktische Bestehen von Organismen zu verhindern, sondern um dasselbe zu sichern. 2. Die logische Concentration . Die Möglichkeit einer Concentrirung des Stoffs — das logische Centrum und die Peripherie — innere Erweiterung des Prin- cips in der historischen Form einer Ausnahme. XL. Die gegenwärtige Operation verfolgt, wie oben bemerkt ward, denselben Zweck, wie die vorhergehende, aber auf gerade das Pfandrecht am Vermögen des Vormundes im Pfandrecht, die reiv. util . gegen ihn beim Eigenthum, das obligatorische Verhältniß im Obligationen- recht oder Familienrecht. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. entgegengesetztem Wege, statt durch Zersetzen durch Verbinden und Zusammendrängen. Sie ist keine specifisch juristische Ope- ration, sondern die allgemein logische der Abstraction eines Prin- cips aus gegebenen Einzelnheiten, die Substituirung einer an- dern, intensiveren logischen Ausdrucksform. Wir können die Aufgabe in etwas anderer Weise auch so fassen: es handelt sich hier um die Zusammendrängung des äu- ßern Volumens einer Masse Rechtsstoff, die das positive Recht für irgend ein bestimmtes Rechtsverhältniß producirt hat. Dies Volumen bestimmt sich nicht bloß oder auch nur vorzugs- weise nach der Wichtigkeit des Verhältnisses, nach der Menge von Fragen, die bei demselben zu beantworten sind, kurz nach einem objectiven Moment, sondern eben sowohl nach dem rein subjectiven Moment der Geschicklichkeit des Antwortenden. Wer es versteht, entscheidet mit Einem Wort ebenso viele Fragen, als ein Anderer Worte für eine einzige Frage nöthig hat. Diese Eigenschaft der Kürze, überall höchst werthvoll, ist nirgends wichtiger, als am Gesetzgeber — je concentrirter der Stoff, den er uns gibt, desto wirksamer. Die Kürze liegt aber nicht in der kleinen Zahl der Worte, die das Gesetz zählt, son- dern in der Tragweite derselben, in der Fruchtbarkeit des auf- gestellten Princips. Wir können uns denken, daß dasselbe Ver- hältniß, zu dessen legislativer Gestaltung dieses Gesetz eine Menge einzelner, auf keinem Princip beruhender Bestimmun- gen producirt hat ( casuistische Gestaltung), in einem andern Gesetzbuch mittelst eines einzigen Princips regulirt wird ( prin- cipielle Gestaltung). Bei jener ersten Art ist der Juris- prudenz die Möglichkeit einer Concentrirung des Stoffes nicht gegeben; Dasselbe gilt, wenn der Gesetzgeber uns ausnahmsweise die Abstrac- tion eines Princips da, wo sie an sich möglich wäre, ausdrücklich verboten hat, wie dies z. B. Justinian bei den Enterbungsgründen der Nov . 115 gethan hat. Einzelnheiten, die keinem Princip entstammen, lassen sich auch nicht auf ein solches zurückführen. Ebenso wenig 2. Die logische Concentration. §. 40. aber würde ihr diese Möglichkeit geboten sein, wenn der Gesetz- geber selbst das Princip bereits in seiner ganzen Schärfe und Bestimmtheit ausgesprochen hätte. Allein diese Annahme tritt in den seltensten Fällen ein; es ist dafür gesorgt, daß es der Jurisprudenz in dieser Beziehung nicht an Arbeit fehlt. Die Möglichkeit einer Concentrirung des gesetzlichen Stoffs durch die Jurisprudenz setzt voraus, daß der Gesetzgeber ein Princip gehabt und angewandt hat, ohne dasselbe als sol- ches unmittelbar erkannt oder ausgesprochen zu haben. Die Geschichte lehrt uns, daß dies nicht bloß nichts seltenes, son- dern sogar der gewöhnliche Fall ist, und um so weniger kann dies bei dem Gesetzgeber befremden, als ja auch die Wissenschaft darin nur zu oft das Schicksal desselben theilt; auch bei ihr ist das Gefühl der Erkenntniß oft um Jahrhunderte voraus. So wird es möglich, daß ein Princip, bevor es in seiner wahren Gestalt erkannt und ausgesprochen wird, oft bereits die längste Zeit bestanden, ja vielleicht zu bestehen aufgehört hat. Die einzelnen Rechtssätze, in denen der Gesetzgeber unbewußt ein Princip zur Anwendung bringt, verhalten sich zu letzterem selbst, wie die Kreislinie zum Centrum. Das Princip ist der Punkt, den der Gesetzgeber sucht, aber so lange es ihm noch nicht gelungen sich seiner zu bemächtigen, ist er gezwungen, ihn zu umkreisen d. h. mit Rechtssätzen einzuschließen. Das Prin- cip ist der dunkle Punkt, der ihn zieht und der, je nachdem die Ahnung desselben in ihm lebendig ist, ihn zur Innehaltung einer mehr oder minder regulären und mehr oder minder entfernten Kreislinie veranlaßt. Ebenso wie er , irrt auch die Wissenschaft in der Peripherie herum, bevor sie das Centrum gefunden. Die Ausführlichkeit der Darstellung, zu der sie sich gezwungen sieht, der descriptive und enumerative Charakter derselben ist nur ein Beweis, daß sie den rechten Punkt noch nicht getroffen. Mit jedem Schritt, um den sie sich dem Centrum nähert, wird der Kreis enger, nimmt die Zahl ihrer Lehrsätze ab, der Gehalt Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. derselben zu. Aber erst in dem Centrum beherrscht sie die ganze Masse des Stoffes mit Einem Satz. Aber nicht bloß diese Concentrirung des bisherigen Stoffs ist es, die die Auffindung des Princips für die Wissenschaft so wichtig macht, sondern es gesellt sich noch der höhere Vortheil hinzu, daß in dem Princip eine Quelle neuer Rechtssätze erschlossen wird. Wer das Princip will, genehmigt auch die Consequenzen, einerlei ob er sich derselben bewußt geworden; das Princip will aber, wer uns die Punkte bezeichnet, aus denen wir es entnehmen können. Der von uns gewählte Vergleich der Abstraction des Prin- cips mit der Auffindung des Centrums bei gegebener Peripherie könnte leicht zum Glauben verleiten, als sei diese Operation eine höchst einfache. Allein, wenn ich im Bilde bleiben soll, so ist zu- nächst die Peripherie von Rechtssätzen, mit denen der Gesetzgeber das Princip eingeschlossen, keineswegs immer eine regelmäßige, es kommen vielmehr Abweichungen vor, die uns auf eine ganz falsche Bahn locken können, und sodann kündigen die einzelnen Rechtssätze, selbst wenn sie in der That einem einzigen Princip entstammen, nicht immer selbst ihre Abstammung und Verwand- schaft an, ja sie können umgekehrt einer unbefangenen Betrach- tung so heterogen erscheinen, daß der Gedanke an ihre Zu- sammengehörigkeit gar keinen Raum findet. Ich nehme z. B. die Regeln über die Verzeihbarkeit des Rechtsirrthums und des factischen Irrthums. Wer ahnet, daß sie sich auf denselben Ge- sichtspunkt zurückführen lassen? Oder die Verschiedenheit rück- sichtlich der Nothwendigkeit des Ablaufs des letzten Tages bei Fristen, durch deren Ablauf ein Recht verloren und erworben werden soll u. a. m. Die meisten Schwierigkeiten aber dürfte die Aufgabe in dem Fall haben, wenn der Gesetzgeber das Princip theilweise beach- tet, theilweise verlassen hat. Von vornherein wissen wir nicht, ob dies geschehen, es wird also auch hier zunächst versucht werden, das gesammte Material auf ein einziges Princip zurückzuführen. 2. Die logische Concentration. §. 40. Aber gesetzt, wir sind zu der Ueberzeugung gelangt, daß dies unmöglich, daß sich hier vielmehr zwei Gedanken kreuzen oder bekämpfen, daß der eine die Regel, der andere die Ausnahme in sich schließe: was ist Regel, was ist Ausnahme, und ist über- haupt noch an Eine Regel zu denken, oder ist das Ganze nicht vielmehr völlig zwiespältig? Es ist auch der entgegengesetzte Fall möglich, daß eine Be- stimmung sich fälschlich als Ausnahme gibt, die es in der That nicht ist, sich vielmehr durch eine richtigere Fassung des Princips beseitigen läßt. Ja es ist sogar nicht ungewöhnlich, daß ein Rechtssatz historisch d. h. dem bisherigen Recht gegenüber eine wirkliche Ausnahme begründet, während doch im Grunde mit dieser Ausnahme nur das bisherige Princip modificirt wor- den ist, so daß es also nur einer andern Fassung desselben bedarf, um den Gegensatz der Regel und Ausnahme darin aufgehen zu lassen. Die Ausnahme ist häufig nur die Form, in der das Princip selbst sich verjüngt . In diesem Fall verlockt uns, so zu sagen, die Geschichte selbst zum Irrthum, und so wird es möglich, daß Jahrhunderte lang als Regel und Ausnahme figurirt, was in der That gemeinschaftlich unter ein und dasselbe höhere Princip fällt. Das Darlehn erforderte ursprünglich, daß der Schuldner unmittelbar vom Gläubiger das Eigenthum erwarb. L. 34 pr. Mand. (17. 1) .. nummi, qui mei erant, tui fiunt. Als nun die Praxis in mehren Punkten diesen Satz verlassen hatte, erschien diese Abweichung der alten Regel gegenüber als Ausnahme, und als solche erkannten auch die späteren römischen Juristen sie an. L. 15 de R. Cr. (12. 1) Singularia quaedam recepta sunt etc. Allein hinter der Aus- nahme versteckt sich nur eine Erweiterung des Begriffs oder Prin- cips des Darlehns selbst, nämlich die: daß das Darlehn nicht mehr den Uebergang des Eigenthums von dem Einen auf den Andern, sondern den (also auch mittelbaren d. h. durch Eigenthumsübertragung von einem Dritten vermittelten) Ueber- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. gang von einem Vermögen in ein anderes Vermögen (Ver- ringerung des einen und Vermehrung des andern dem Werth nach) zur Voraussetzung hat. Ein anderes Beispiel gewährt die Vermögensfähigkeit der Hauskinder gegenüber der patria pote- stas . Sie fiel historisch unter den Gesichtspunkt einer Aus- nahme; der erste Fall derselben ( peculium castrense ) enthielt eine so bedeutende Abweichung vom bestehenden Recht, wie kaum ein anderes Beispiel zu finden sein dürfte. Im justiniani- schen Recht aber ist die Ausnahme Regel und die Regel Aus- nahme geworden, und das dogmatische Resultat läßt sich hier in das Princip fassen: die Kinder sind vermögensf ähig und mit Ausnahme des Vaters allen Personen gegenüber erwerbf ähig. 3. Die juristische Construction . Die naturhistorische Anschauungsweise des Rechts — der juri- stische Körper — allgemeine Schilderung desselben — Gewinnung desselben durch die juristische Construction — die drei Gesetze der- selben (positives, logisches, ästhetisches) — technischer Werth der naturhistorischen Methode. XLI. Unsere heutige Jurisprudenz hat zwei Lieblingsaus- drücke — beide erst seit etwa einem Menschenalter aufgebracht, aber dann schnell in Gebrauch gekommen, beide für sie gleich charakteristisch, der eine für ihre Richtung in der Rechts- geschichte, der andere für ihre Richtung in der Dogmatik — die Ausdrücke organisch und juristische Construction . Der ganze Umschwung, der in unserer Wissenschaft seit den letzten fünfzig Jahren eingetreten, läßt sich mit diesen beiden Worten angeben; sie dürfen die Losungsworte der Jurisprudenz des neunzehnten Jahrhunderts genannt werden. Es geht aber mit diesen Losungsworten, wie mit so vielen anderen, Jeder gebraucht sie, ohne sich über den damit zu ver- bindenden Sinn genaue Rechenschaft zu geben, und hinsichtlich desjenigen, das uns hier allein interessirt, ist dies auch kaum 3. Die juristische Construction. §. 41. anders möglich, da die Wissenschaft meines Wissens bisher noch nicht einmal den Versuch gemacht hat, den Begriff desselben zu bestimmen, geschweige eine Theorie der juristischen Construction aufzustellen. Wir unsererseits können uns dieses Versuchs nicht überheben, da er uns die nöthigen Vorkenntnisse zum Verständ- niß der römischen Jurisprudenz verschaffen muß, so sehr ich es andererseits bedauere, daß ich bei dem gänzlichen Mangel aller Vorarbeiten mich länger bei diesem Punkt verweilen muß, als es mir lieb ist. Ich gebe im Folgenden nur einen Auszug einer größeren Abhand- lung, zu deren Ausarbeitung der gegenwärtige Paragraph mich veranlaßt hatte. Der Stoff war mir während der langen Zeit, die ich bei diesem Punkt habe verweilen müssen, so angewachsen, daß ich ihn in dieser Form unmöglich in mein Buch aufnehmen konnte. Ich habe darum nicht bloß manches ganz weglassen müssen, sondern auch hie und da das mitgetheilte nicht in der Ver- bindung lassen können, in der es sich ursprünglich befand, wodurch der Zusam- menhang vielleicht etwas gelitten hat. Im übrigen habe ich den Gesichts- punkt, daß ich auch für Laien schreibe, auch hier festgehalten und habe daher in den Hauptpunkten eine gewisse Ausführlichkeit nicht vermeiden zu sollen geglaubt. Es schiene nun am natürlichsten, zu unter- suchen, was der Sprachgebrauch unter diesem Ausdruck ver- steht. Ich werde jedoch einen andern Weg einschlagen, bei dem wir die juristische Construction zunächst völlig aus den Augen verlieren, um erst späterhin zu ihr zurückzukehren. Der Weg wird sich hinterher von selbst rechtfertigen. Die höhere Jurisprudenz oder die naturhistorische Methode. Die regelmäßige Form, in der das Recht in den Gesetzen zum Vorschein kommt, ist die eines Verbots oder Gebots, kurz einer Vorschrift, Regel. Dieselbe charakterisirt sich als die un- mittelbar praktische d. h. imperativische Form des Rechts. Ob das Imperativische im Ausdruck selbst liegt, ist gleichgültig, denn es liegt in der Sache, in dem Gedanken; in dem Munde Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 25 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. des Gesetzgebers hat das „Ist“ die Bedeutung des „Seinsollens“ (z. B. die Klage ist verjährt mit 2 Jahren = soll verjährt sein). Diese Erscheinungsform des Rechts nenne ich die niedere . Man könnte sie auch, da Form und Inhalt sich hier noch decken, die natürliche, naive nennen. Sie ist historisch die erste, frühere, aber eben darum auch die unvollkommenere. So lange nun die Jurisprudenz dem Stoffe diese seine Ge- stalt läßt, ihn also mittelst der Verarbeitung, der sie ihn unter- zieht, nicht innerlich umgestaltet, specificirt, erstrecke ich das Prädicat „nieder“ auch auf sie und scheide demgemäß, wie zwi- schen niederer und höherer Erscheinungsform des Rechts, auch zwischen niederer und höherer Jurisprudenz . Die Thätigkeit der niederen Jurisprudenz läßt sich mit einem Wort als Interpretiren bezeichnen. Die Aufgabe der Inter- pretation besteht darin, den Stoff aus (auseinander) zu legen, die scheinbaren Widersprüche zu beseitigen, die Dunkelheiten, Unbestimmtheiten zu heben, den ganzen Inhalt des gesetzgeberi- schen Willens zu Tage zu fördern, namentlich also auch aus den gegebenen einzelnen Bestimmungen das ihnen zu Grunde lie- gende Princip und umgekehrt aus dem gegebenen Princip die Consequenzen abzuleiten. Die Interpretation ist keine specifisch juristische Operation — jede Wissenschaft, deren Quellen Ur- kunden sind, hat zu interpretiren — und darum gewinnt auch der Stoff selbst durch diese Operation keinen eigenthümlich juri- stischen Charakter. Was immerhin die Jurisprudenz auf diese Weise zu Tage fördern möge: es ist nichts specifisch Ande- res, Neues, sondern immer die ursprüngliche Rechtssubstanz d. h. ein Aggregat von engeren oder weiteren Regeln (Recht ssätzen und Recht sprincipien ) Ich brauche wohl nicht zu bemerken, daß der Unterschied von Rechts- satz, Rechtsregel und Rechtsprincip etwas durchaus Relatives ist. , ein unmittelbar praktischer Stoff. Mit der Interpretation hat nun nicht bloß überall die Juris- prudenz begonnen, sondern zu jeder Zeit muß sie die erste Ope- 3. Die juristische Construction. §. 41. ration sein, die die Jurisprudenz an dem gesetzlichen Rohstoff vornimmt. Um zu construiren, muß sie erst inter- pretiren; die niedere Jurisprudenz ist die noth- wendige Vorstufe der höheren . Aber sie ist eben auch nur eine Vorstufe, und die Jurispru- denz soll nicht länger auf ihr verweilen, als nöthig. Erst auf der höheren Stufe erreicht sie ihre wahre Bestimmung, erst hier wird ihre Aufgabe und Methode eine specifisch juristische, und erst hier gewinnt sie ihren eigenthümlichen wissenschaftlichen Charakter, der sie von allen andern Wissenschaften unterscheidet. Die Gränzlinie zwischen der niederen und höheren Jurispru- denz läßt sich, wenn auch nicht im einzelnen Fall, so doch im Begriff ganz scharf bezeichnen. Sie hängt zusammen mit einer eigenthümlichen Anschauungsweise des Rechts, die ich die natur- historische nennen möchte. Aber nicht sowohl mit dem bloßen unthätigen Besitz derselben, als mit ihrer energischen und con- sequenten Verwirklichung am Rechtsstoff. Ob jene Anschauungs- weise eine künstliche oder natürliche, eine nahe oder fernliegende ist, darüber will ich nicht rechten. Will man sie zu derjenigen, durch welche sich die niedere Jurisprudenz bei der Bearbeitung des Stoffs leiten läßt, mit zwei Worten in Gegensatz stellen, so sind es die Worte: Recht sinstitut , Recht sbegriff auf der einen und Recht ssätze , Recht sprincipien auf der andern Seite. Das Rechtsinstitut ist kein bloßes Conglomerat von einzelnen Rechtssätzen, die sich auf dasselbe Verhältniß beziehen, sondern etwas wesentlich von ihnen Verschiedenes. Die Rechts- sätze sind eine Masse Stoff, Gedanken, haben nur ein rein sub- stantielles Dasein, die Rechtsinstitute aber sind Existenzen, logi- sche Individualitäten, juristische Wesen. Wir erfassen und erfül- len sie mit der Vorstellung des individuellen Seins und Lebens, sie entstehen, gehen unter, wirken, treten in Conflict mit ande- ren, sie haben ihre Aufgaben, Zwecke, denen sie dienstbar sind, und dem entsprechend ihre eigenthümlichen Kräfte und Eigen- schaften u. s. w. Ich würde sie, um dem Leser diese Vorstellung 25* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. des Seins und Lebens derselben stets gegenwärtig zu halten, gern juristische Wesen nennen, wenn der Ausdruck nicht etwas gesucht erschiene. Ich werde daher lieber den Ausdruck juri- stische oder Rechts-Körper wählen (im Gegensatz zur bloßen Recht ssubstanz oder zum Recht sstoff ). Man könnte von vornherein leicht geneigt sein, die Bedeu- tung dieser Anschauungsweise sehr gering anzuschlagen. Was soll es für einen Unterschied machen, wird Mancher fragen, ob man statt „Rechtssätze über das Eigenthum“: „Eigenthumsinsti- tut“ oder „Eigenthum“ sagt? Gewiß! Wenn es beim bloßen Ausdruck oder bei einem unthätigen Besitz jener Vorstellung sein Bewenden behielte, dann allerdings würde dieselbe keinen beson- dern Werth haben. Sie enthält nur einen Keim, aber einen Keim, der, wenn er erschlossen wird, eine totale Umgestaltung des Rechts nach sich zieht. Sache der Jurisprudenz ist es, die- sen Keim zu erschließen und zur vollen Entfaltung zu bringen, also den gesammten Rechtsstoff im Sinne jener Auffassungsweise zu gestalten, den Gesichtspunkt eines individuellen Seins und Lebens in allen seinen Consequenzen durchzuführen. Wie kann die Anlegung und Durchführung eines bloßen Gesichtspunkts solche Wunder thun? Dieser Zweifel wäre durch- aus berechtigt, wenn der Gesichtspunkt bloß eine andere Art der Betrachtung des Gegenstandes enthielte, ihn uns in einer ande- ren Beleuchtung, in einem bessern Licht zeigte. Allein er hat eine ungleich höhere Kraft, die ich vielleicht am kürzesten dadurch bezeichne, daß ich sie mit der der Wärme vergleiche, die Verän- derung aber, die dadurch mit dem Körper selbst vor sich geht, als Erhebung desselben in einen höhern Aggregat- zustand charakterisire. Die feste, starre Masse, die in dieser Form unserer Kunst die engsten Gränzen setzt, wird, so zu sagen, in Fluß und dadurch in einen Zustand versetzt, in dem sie willig künstlerische Form und Gestaltung annimmt, alles, was in ihr ist, kömmt zum Vorschein, die gebundenen Kräfte und Eigen- schaften werden frei. 3. Die juristische Construction. §. 41. Diese Erhebung des Stoffs ist nun zugleich Erhebung der Jurisprudenz selbst. Von einer Lastträgerin des Gesetzgebers, einer Sammlerin positiver Einzelnheiten schwingt sie sich auf zu einer wahren Kunst und Wissenschaft; zu einer Kunst, die den Stoff künstlerisch bildet, gestaltet, ihm Leben einhaucht — zu einer Wissenschaft, die trotz des Positiven in ihrem Gegenstande sich als Naturwissenschaft im Elemente des Geistes bezeichnen läßt. Dieser Vergleich mit der Naturwissenschaft ist keine müßige Spielerei; denn es gibt, wie aus dem Verlauf der Darstellung hervorgehen wird, keinen Ausdruck, der das Wesen ihrer Me- thode so völlig erfaßte und träfe, als den der naturhistori- schen Methode . Auf dieser Methode beruht das ganze Ge- heimniß der Jurisprudenz, alle ihre Anziehungskraft, alle ihre Macht über den Stoff, ihre ganze Würde und Ehre. Wir wollen uns jetzt die Consequenzen, welche diese An- schauungsweise für die Behandlung des Stoffs nach sich zieht, vergegenwärtigen. Der juristische Körper . An die Annahme eines Seines knüpft sich mit Nothwen- digkeit die Frage nach dem Anfang und Ende desselben (Ent- stehungs- und Endigungsarten der Rechtsverhältnisse), an die Annahme eines Körpers die Frage nach seiner Natur, Be- schaffenheit, Bestimmung, seinen Kräften, Eigenschaften, seiner Aehnlichkeit und Verschiedenheit von andern Körpern, den Ver- bindungen, die er mit ihnen eingehen, oder den Conflicten, in die er mit ihnen gerathen kann. Ich will die hauptsächlichsten Punkte, auf die es hier ankömmt, etwas näher ausführen. Ich gebe gleich hier einiges Quellenmaterial, das der Leser für die folgende Darstellung benutzen kann. Der Rechtskörper hat in der Sprache der römischen Juristen seine bestimmte Natur: natura z. B. die Servitut L. 32 §. 1 de S. P. U. (8. 2), die habitatio L. 3 Cod. de usufr. (3. 33), die Emphyteuse §. 3 I. de loc. (3. 25), die Obligation L. 2 §. 1 de V. O. (45. 1), die Correalobligation L. 5 i. f. de fidej. (46. 1), das Depositum Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. 1. Begriff, Structur . Die erste Aufgabe bei der Unter- suchung des juristischen Körpers besteht in der Frage: was ist er, ist er ein selbständiger Körper oder läßt er sich auf einen andern zurückführen? Also z. B. ist die s. g. Genossenschaft ein eigenthümlicher juristischer Begriff oder eine (wenn auch modificirte) Societät oder juristische Person? Als Beispiel aus dem römischen Recht diene die Zurückführung der traditio brevi manu, des constitutum possessorium, des Erwerbs der Früchte von Seiten des Pächters, des jactus missilium auf die Tradition. Es wiederholt sich hier für uns das Gesetz der juristischen Analyse, keinen Körper als selbständig anzuerkennen, der sich aus einem oder mehren andern herstellen läßt, oder richtiger, es wiederholt sich hier die Analyse selbst und zwar in einer Anwendung oder auf einer Stufe, auf der sie uns eigentlich erst in ihrer wahren Bedeutung klar werden kann. Die ganze Ausführung über die Analyse hatte im Grunde die naturhistorische Methode zur stillschweigenden Voraussetzung, und es geschah nur aus Rücksichten der Darstellung, daß ich die Erörterung der letzteren bis jetzt verschob. Die Angabe dessen, was der Körper ist , ist gleichbedeutend mit dem Begriff desselben, der Begriff „begreift“ d. h. ergreift ihn in seiner Wesenheit, er „definirt“ ihn d. h. gränzt ihn von andern ab, gibt ihm ein logisches „Für sich sein.“ Der Begriff enthält also die logische Quintessenz des Körpers, seinen inner- sten Kern oder Individualitätspunkt, in ihm muß die ganze Kraft des Körpers beschlossen liegen, alles und jedes, was an L. 24 Dep. (16. 3), die Frucht L. 69 de usufr. (7. 1); auch wohl causa L. 24 §. 21 de fid. lib. (40. 5) . Er hat eine bestimmte Macht und Kraft: potestas z. B. die Klage L. 47 §. 1 de neg. gest. (3. 5), L. 11 §. 1 de act. emt. (19. 1), die Obligation L. 13 de duob. reis (45. 2), oder ef- fectus L. 47 §. 1 cit., einen status L. 9 §. 1 de duob. reis (45. 2) . Diese Natur und Kraft ist ein praktischer Begriff, es werden daraus z. B. in den obigen Stellen folgende Folgerungen abgeleitet: daß die Servitut nicht besessen, gewisse Obligationen nicht getheilt werden können, daß gewisse Ver- abredungen als gegen das Wesen des Vertrags (des Depositums, der Correal- obligation) verstoßend ungültig sind, daß das Eigenthum erlischt u. s. w. 3. Die juristische Construction. §. 41. und mit ihm vorgeht, muß sich mit dem Begriff vertragen. Eine Begriffsbestimmung ist daher im Grunde nicht das Erste, son- dern als formelle Redaction oder Concentrirung der gefundenen Resultate erst möglich, nachdem die Untersuchung des Körpers vollständig abgeschlossen ist. Uebrigens verwechsele man nicht die Anschauung und Formulirung des Begriffs. Die An- schauung kann eine durchaus richtige sein, während die Formu- lirung, die Definition mißlungen ist. So operiren die römischen Juristen mit ihren Begriffen mit größter Sicherheit, nichts desto weniger aber sind ihre Definitionen, wie sie selbst zugestehen, L. 202 de R. J. (50. 17). nicht selten durchaus ungenügend. Der Begriff also erfaßt den Körper in dem, was er ist , allein worin liegt dies „Ist“? Man könnte meinen, in dem Zweckmoment , denn die praktische Aufgabe, die er zu lösen habe, enthalte den Grund, warum er überhaupt existire, warum er gerade so und nicht anders sei, kurz seinen logischen Schlüs- sel. Ich will nun allerdings nicht läugnen, daß das Zweck- moment für das (ich meine nicht bloß rechtsphilosophische, son- dern auch praktisch-juristische) Verständniß des Instituts höchst wichtig, ja unerläßlich ist; In unserm juristischen Unterricht könnte und müßte es in viel höhe- rem Grade berücksichtigt werden, als es gewöhnlich geschieht, namentlich rück- sichtlich so mancher römischen Einrichtungen, die unserm heutigen Verständniß ferner liegen. Die römischen Juristen heben das Zweckmoment nur selten her- vor (als Beispiel diene die Usucapio, Savigny System Bd. 5 S. 268 Note e ), weil es Demjenigen, der im Leben selbst steht, ganz geläufig ist. Von den neuern Juristen hat namentlich Savigny in seinem System ihm die gebüh- rende Beachtung zu Theil werden lassen. was ich bestreite, ist nur, daß man darnach definiren darf. Als bekanntes Beispiel einer solchen teleologischen Definition nenne ich die Einertsche Definition des Wechsels als kaufmännischen Papier- geldes; sie charakterisirt bloß die hauptsächlichste praktische Verwendung des Wechsels, nicht seine juristische Natur. Ontologisch definirt ist der Wech- sel ein von seiner causa abgelöstes Geldversprechen, oder, um mit Thöl zu reden, ein Summenversprechen. Ist denn aber z. B. die Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. Definition des Depositums und Commodats als Hingabe zum Zweck der Aufbewahrung und Benutzung eine fehlerhafte? Gewiß nicht, aber auch nur aus dem Grunde, weil hier das Wort Zweck nur ein anderer Ausdruck für Inhalt ist. Hin- gabe zum Zweck der Aufbewahrung oder Benutzung heißt hier nichts, als Hingabe mit der Verpflichtung zur Aufbewah- rung mit dem Recht der Benutzung. Wo wir aber den Aus- druck in seinem rechten Sinn gebrauchen, meinen wir mit dem „Zweck“ des Instituts etwas dem Inhalt Entgegengesetztes, etwas Höheres, außer ihm Liegendes, zu dem letzteres selbst sich nur als Mittel verhält. Ist nun aber unsere Wissenschaft nur eine Theorie der Mittel , so zu sagen, der materia medica, die das Recht für die Zwecke des Lebens in Bereitschaft hat, so müs- sen wir die Mittel nach Momenten, die ihnen immanent sind, bestimmen, ganz abgesehn davon, daß eine Bestimmung dersel- ben nach Zwecken, wenn vielleicht auch bei einzelnen denkbar, im allgemeinen absolut unausführbar sein würde. Denn nicht bloß sind diese Zwecke etwas höchst unbestimmtes, schwankendes, und durchkreuzen sich in einer oft unentwirrbaren Weise, ändern und wechseln, ohne daß mit dem Institut selbst die geringste Veränderung vor sich geht, sondern es gibt auch eine ansehnliche Zahl von Rechtskörpern, bei denen ein Zweck überall gar nicht angegeben werden kann, da sie nicht einem praktischen Bedürfniß ( utilitas ), sondern nur der juristischen Consequenz oder Noth- wendigkeit ( ratio juris ) ihren Ursprung verdanken, nur existiren, weil sie nicht nicht-existiren können (z. B. die Specification, die Accession im Gegensatz zur Usucapion). Definiren aber darf man nur nach einem Moment, nach dem man auch classifici- ren kann; ein Gesichtspunkt, der für die Bestimmung sämmt- licher Körper oder die Systematik des Ganzen ungeeignet ist, ist es auch für die Bestimmung des einzelnen . Wir definiren den Körper also nicht nach dem, was er soll oder was er lei- stet, sondern nach seiner Structur , seinen anatomischen Momenten . Solche Momente sind z. B. Subject, Object, 3. Die juristische Construction. §. 41. Klage, Wirkung. Jene Momente bedürfen natürlich ihrerseits selbst wieder einer De- finition, man denke z. B. an die juristische Person, die universitas rerum. Als Beispiele der Verschiedenheit der Wirkung nenne ich die conditio und den dies, den einseitigen und zweiseitigen Contract. Den Hauptgegenstand unserer Defini- tionen bilden die Rechte im subjectiven Sinn, und an ihnen will ich die Aufgabe und die Methode etwas näher veran- schaulichen. Bei jedem Recht kömmt zunächst in Betracht das Subject . Die Bestimmung der Frage, wer juristisch als Subject anzu- sehen, und wie das Verhältniß zwischen Subject einerseits und dem Gegenstand und Inhalt des Rechts andererseits gedacht werden soll, kann oft mit großen Schwierigkeiten verknüpft sein. Dies namentlich dann, wenn entweder die Verbindung des Sub- jects mit dem Gegenstand keine unmittelbare, sondern durch irgend ein Verhältniß, wie z. B. bei der Prädialservitut durch das praed. dominans, bei Obligationen auf den Inhaber durch das Papier vermittelt ist, oder wenn bei einem und demselben Recht mehre Subjecte concurriren, sei es so, daß sie sich theilen sollen, oder so, daß Einer von ihnen das Ganze haben soll. Für den ersten Fall ist die einfachste Form die einer Theilung des Rechts nach Zahl der Personen (z. B. beim Mitbesitz, Mit- eigenthum, bei der Obligation); hier drückt sich die Thatsache der Vielheit der Personen im Innern des Rechts selbst aus, es spaltet sich das Recht in so viel Theile, als Personen sind. Aber selbst bei dieser einfachsten Form des Verhältnisses kann man darüber streiten, wie man sich jenen innern Vorgang — soll ich sagen naturhistorisch, sinnlich oder juristisch? — zu denken habe, z. B. beim Miteigenthum als eine atomistische Theilung der Sache oder als Theilung des Rechts oder richtiger des In- halts des Rechts. Eine andere Form für dies Verhältniß einer nicht-solidarischen Concurrenz gewährt die juristische Person. Letztere ist nicht selbst der Destinatär der Rechte, die sie hat, son- dern dies sind die physischen Personen, die, so zu sagen, hinter Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. ihr stehen und für die sie nur den technisch-nothwendigen Stell- vertreter abgibt, sei es ein geschlossener Kreis von Individuen ( universitas personarum ) oder eine unbestimmte Vielheit ( uni- versitas bonorum, bei einem Hospital z. B. die Kranken, bei einer Kunstanstalt die Kunstfreunde). Sie ist (wenigstens ihrer privatrechtlichen Bedeutung nach) nur ein technisches In- strument, um den Mangel der Bestimmtheit der Subjecte un- schädlich zu machen. Auch bei der hered. jac. fungirt sie in dieser Weise, auch hier näm- lich ist das Subject noch unbestimmt, auch hier also ist sie nur ein Mittelglied zwischen der physischen Person und dem Vermögen. Für den zweiten oben genannten Fall der subjectiven Con- currenz (der solidarischen Berechtigung) bieten uns die solida- rischen Obligationen im engern Sinn und die Correalobligatio- nen ein bekanntes Beispiel. Die Structurfrage lautet hier so: haben wir uns das Verhältniß als zwei Obligationen mit demselben Inhalt oder als Eine Obligation mit zwei Sub- jecten vorzustellen? Als Beispiel für die Bestimmung des Gegenstandes des Rechts nenne ich das Erbrecht und die Obligation, da für beide die Ansichten vorzugsweise auseinander gehen. Ist dort die Masse der einzelnen Rechtsverhältnisse oder die niedergeschlagene vermögensrechtliche Persönlichkeit des Erblassers der Gegen- stand? Ist es hier der Schuldner, dessen Wille, oder die zukünf- tige Handlung desselben? Auch für den Inhalt kann die Obli- gation uns insofern ein Beispiel darbieten, als man gefragt hat, ob das Recht des Gläubigers auf die Handlung oder deren Geldwerth gehe? Bei den Servituten streitet man ebenfalls über die Bestimmung des Inhalts, nämlich ob sie abgelöste Eigen- thumsbefugnisse oder bloß Beschränkungen des Eigenthums enthalten. Zur Frage von der Structur der Rechte gehört auch das Accessionsverhältniß derselben zu andern Rechten, so z. B. die 3. Die juristische Construction. §. 41. Abhängigkeit des Pfandrechts von der Forderung, der Verzugs- zinsen von der Principalobligation, der Servitut vom Eigen- thum des herrschenden Grundstücks. Die übrigen Momente des juristischen Körpers, denen ich mich jetzt zuwende, hängen mit dem so eben entwickelten und unter sich so eng zusammen, und rücksichtlich mancher Punkte, die im Folgenden erwähnt werden sollen, ist es so willkührlich und gleichgültig, ob man sie unter diesen oder jenen Gesichts- punkt bringt, daß ich nur aus Rücksicht auf den Leser, um ihm einige Hauptanhaltspunkte zu gewähren, mich zu einer Sonde- rung derselben entschlossen habe. 2. Eigenschaften und Kräfte des juristischen Kör- pers . Ich nenne beispielsweise die Theilbarkeit und Untheil- barkeit der Rechte, die Expansionskraft derselben (das Accres- cenzrecht beim Eigenthum, Ususfructus, Erbrecht — hier dehnt das Recht sich, so zu sagen, über einen leer gewordenen Raum aus), die Trennbarkeit und Untrennbarkeit von der Person (Ab- hängigkeit vom Leben derselben, Möglichkeit der Uebertragung auf Andere u. s. w.), die Möglichkeit einer solidarischen Verviel- fältigung des Rechts an demselben Gegenstand (sei es neben einander, sei es hinter einander z. B. beim Pfandrecht), die Möglichkeit einer Beschränkung oder Verminderung des regulä- ren Inhalts des Rechts (Elasticität; die Gränze wird bezeichnet durch die essentialia negotii, den beweglichen Theil stellen dar die naturalia und accidentalia ). 3. Phänomene im Leben des Körpers . Dahin gehö- ren vor allen die beiden, welche die Existenz des Körpers selbst betreffen, die Entstehung und der Untergang. Die Existenzfrage erledigt sich aber nicht bloß durch eine Angabe der verschiedenen Entstehungs- und Endigungsarten — dies ist mehr die concrete, specielle Parthie der Aufgabe — sondern sie schließt eine Reihe allgemeiner Erörterungen in sich. Dahin zählen z. B. der Zu- stand der Unentschiedenheit des Seins (Pendenz; nicht bloß bei Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. Bedingungen, sondern auch in vielen andern Verhältnissen); die Frage von der ewigen oder vorübergehenden Dauer eines Rechts- verhältnisses, die so wichtige Datumsfrage (z. B. wann gilt das Geschäft als abgeschlossen, wann der Verschollene als verstor- ben, wann ist die actio nata? auf sie bezieht sich auch die rück- wirkende Kraft der Bedingung und der Ratihabition), Zwischen- raum zwischen dem Begründungsact und der Entstehung des Rechts (anticipirte Abschließung des Geschäfts vor Eintritt sei- ner Requisite, z. B. beim Pfandrecht vor Entstehung der Forde- rung); oder Zwischenraum zwischen der Entstehung und der Wirksamkeit ( dies ), dauernde oder vorübergehende Lähmung der Rechte ( exceptio ); theilweiser Untergang, Wiederherstellung des Untergegangenen, Metamorphose, Uebergang in andere Ver- hältnisse u. s. w. 4. Verhalten des Körpers zu andern Körpern . Unverträglichkeit gewisser Körper mit andern (z. B. der patria potestas und tutela, testamentarische und Intestaterbfolge, Be- sitz in Anwendung auf die Obligation), Verträglichkeit anderer (z. B. des Besitzes und der Servitut d. h. Quasibesitz), Zusam- mentreffen derselben an demselben Object oder demselben Ver- hältniß und Conflict derselben (z. B. des Eigenthums und der Obligation d. h. der reivindicatio und der exceptio rei vend. traditae, des Eigenthums und Pfandrechts, Einfluß der Con- currenz der Klagen), Wegfallen des einen Körpers und Einwir- kung dieses Umstandes auf den anderen (z. B. des vorstehenden Pfandrechts, Dereliction des praedium serviens oder dominans, Einfluß auf das nachstehende Pfandrecht und die Servitut). Die letzte Consequenz der naturwissenschaftlichen Methode und die Spitze der ganzen Aufgabe ist 5. die systematische Classification der Rechts- körper oder das System . Letzteres ist, so zu sagen, die Stammtafel der Begriffe . Soweit es überhaupt nöthig, habe ich diesen Punkt schon oben berührt. 3. Die juristische Construction. §. 41. Die juristische Construction und ihre Gesetze . Die ganze bisherige Darstellung hatte im Grunde nur einen vorbereitenden Zweck, dem Leser nämlich eine Anschauung von den Objecten und Aufgaben der naturhistorischen Methode, oder, was dasselbe sagt, eine Anschauung des juristischen Körpers zu gewähren. Ich hoffe, daß es keiner Rechtfertigung bedürfen wird, war- um ich mich bei diesem Punkt so lange aufgehalten habe, ver- hältnißmäßig länger, als ich es bei der eigentlichen Aufgabe, zu der ich jetzt übergehe, thun werde. Jene Anschauung gilt mir als das Wesentlichste und Unerläßlichste, und versehen mit ihr wird der Leser manches, was ich im Folgenden genöthigt bin, nur kurz anzudeuten, zu suppliren vermögen. Wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, um zu dem Ausgangspunkt des Para- graphen, der juristischen Construction, zurückzukehren und sie mit Einem Wort definiren zu können, nämlich als Gestal- tung des Rechtsstoffs im Sinn der naturhistori- schen Methode . Die juristische Construction ist, so zu sagen, die bildende Kunst der Jurisprudenz, ihr Gegenstand, ihr Ziel ist der juristische Körper. Jede Arbeit, die sich auf ihn bezieht, insofern sie gestaltender Art ist, möge sie im übrigen den Körper in seiner Totalität zum Gegenstande haben, ihn erst als solchen ins Leben rufen, oder bloß adminiculirender Art sein, einzelne Vorgänge im Leben des Körpers erklären, scheinbare Wider- sprüche des Einzelnen gegen den Grundbegriff beseitigen, kurz, wie immerhin sie auch sei, wenn sie nur die Structur des Kör- pers zum Gegenstand hat, fällt unter den Begriff der juristischen Construction. Ich habe die Beschränkung hinzugefügt: insofern sie gestaltender Art ist. Den Gegensatz dazu bildet die rein receptive Bearbeitung desselben d. h. das bloße Operiren mit den von der Construction aufgestellten Gesichtspunkten, die Er- schließung der mittelbar bereits gegebenen Consequenzen. Ich glaube, daß der Sprachgebrauch mit unserm Ausdruck nur die Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. erste Art der Thätigkeit belegt. Nur sie construirt, nur sie baut, die andere baut nur fort, jene ist eine künstlerische Production, ein Erfinden, Damit ist zugleich ausgesprochen, daß sie weniger Sache des Flei- ßes und der Gelehrsamkeit, als des Talents und der Intuition ist. Nirgends verwerthet sich die Arbeit so gut und so schlecht je nach dem Erfolg, den sie hat, als hier. Eine gelungene Construction ist in meinen Augen eine juri- stische That , eine Leistung von bleibendem Werth, eine mißlungene ist abso- lut werthlos, die Arbeit völlig verloren. Niemand, der sich an eine solche Aufgabe wagt, sollte sich verhehlen, daß er Lotterie spielt; auf Einen Treffer fallen hier, wie die Erfahrung lehrt, hundert Nieten. Die Schwierigkeit und das Verdienstliche derartiger Leistungen wird im allgemeinen viel zu wenig anerkannt. Es beruht dies vielleicht darauf, daß, während der eigentlich gelehrten Arbeit stets der Schweiß anklebt, man einer derartigen Leistung von all der Mühe und Anstrengung, die ihr vorhergegangen, nichts ansieht und daher nur zu leicht geneigt ist in dem, was die Frucht langjährigen Suchens war, das mühelose Geschenk einer glücklichen Stunde zu erblicken. Ein ein- ziges Wort kann hier oft die Lösung geben, und wenn das Wort ausgespro- chen, erscheint die Sache so natürlich und einfach, daß Jeder es hätte finden können. Man wird unwillkührlich an die Lösung eines Räthsels erinnert, das bekanntlich ebenfalls ganz anders aussieht, je nachdem man die Lösung kennt oder erst sucht. Daß unsere civilistischen Räthsel nicht so leicht zu rathen sind, kann man schon daraus entnehmen, daß unsere heutige Jurisprudenz, na- mentlich die germanistische, sich noch mit einer großen Zahl trägt, für die der Oedip noch erst erwartet wird! letztere hingegen nur ein consequentes logisches Denken, ein Untersuchen, Forschen. Wir unterziehen die juristische Construction jetzt einer nähern Betrachtung und zwar erörtern wir zunächst ihre Gesetze . Die Construction bezweckt die kunstgerechte Gestaltung des juristischen Körpers. Worin besteht nun das Kunstgerechte d. h. welche Rücksichten, Regeln hat sie dabei zu beobachten, kurz was sind ihre Gesetze ? Ich nehme folgende an. 1. Das Gesetz der Deckung des positiven Stoffs . Die positiven Rechtssätze sind die gegebenen Punkte, bei denen die juristische Construction, wie immerhin sie dieselben auch ver- binden möge, unter allen Umständen anlangen muß. Während 3. Die juristische Construction. §. 41. sie aber in Beziehung auf den Inhalt durch den positiven Stoff gebunden ist, verhält sie sich zu ihm in Bezug auf die Form d. h. was die Art der Gestaltung desselben anbetrifft, vollkom- men frei. Das heißt m. a. W. die eignen Constructionen des Gesetzgebers besitzen für sie keine verpflichtende Kraft. Der Ge- setzgeber soll nicht construiren, er greift damit in die Sphäre der Wissenschaft über, entkleidet sich seiner Autorität und Macht als Gesetzgeber und stellt sich mit dem Juristen auf eine Linie. Haben nun zwar aus diesem Grunde die Constructionen des Gesetzgebers keine andere, als eine doctrinäre Bedeutung, lassen sie sich mithin jeder Zeit durch die Jurisprudenz berichtigen und beseitigen, so sind sie nichts desto weniger höchst bedenklich. Denn es ist erklärlich, daß der Widerspruch gegen sie nicht so leicht rege wird und einen ungleich schwereren Stand hat, als gegen- über rein doctrinellen Constructionen. Ein bekanntes Beispiel einer gesetzlichen Construction aus der frü- hern Zeit des römischen Rechts liefert die fictio legis Corneliae, aus der spätern Zeit die Bestimmung Zenos über die selbständige Natur des emphy- teuticarischen Contracts. Im allgemeinen aber kann man der römischen Legis- lation bis auf Justinian den Vorwurf eines solchen Uebergreifens in das Gebiet der Wissenschaft nicht machen. Dagegen verfolgte Justinians ganzes Unternehmen bekanntlich den gerade entgegengesetzten Zweck, seine Institutio- nen und Pandekten sind Compendien und Gesetzbücher zugleich, und diese Vermischung der Wissenschaft und der Gesetzgebung hat nicht bloß für die moderne Bearbeitung des römischen Rechts in reichem Maße die im Text an- gedeuteten nachtheiligen Folgen nach sich gezogen, indem die Wissenschaft bei rein wissenschaftlichen Fragen sich durch die Autorität Justinians hat einschüchtern lassen, sondern das Beispiel des Schulmeisters auf dem Thron oder Gesetzgebers auf dem Katheder, das Justinian gegeben, hat auch in neuern Gesetzgebungen nur zu willige Nachfolge gefunden. Die Wissenschaft soll dem Kaiser lassen, was des Kaisers ist, aber letzterer auch der Wissen- schaft, was der Wissenschaft ist. Die Jurisprudenz ist also hinsichtlich der künstlerischen Ge- staltung des Stoffs vollkommen frei, insofern ihm nur in der Form, die sie ihm verleiht, dieselbe praktische Kraft verbleibt, wie in seiner bisherigen. Ich wähle folgendes Beispiel. Aus Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. baupolizeilichen Rücksichten versagte das ältere Recht dem Eigen- thümer die Vindication des Baumaterials, das ein Anderer in sein Haus verbaut hatte, und verwies ihn auf eine persönliche Entschädigungsklage; nach Trennung des Materials z. B. durch Zusammenstürzen des Hauses stand jedoch der Vindication nichts im Wege. Dieser Thatsache konnte man einen verschie- denen juristischen Ausdruck geben, nämlich den, daß das Eigen- thum untergehe, späterhin aber wieder aufwache, oder aber, daß zwar das Eigenthum fortdauere, allein nur nicht geltend gemacht werden könne, so lange die Verbindung dauere. Letz- tere Vorstellungsweise verdiente vor ersterer offenbar den Vor- zug; denn daß das Eigenthum durch bloßes Einbauen verloren gehen sollte, war eben so anstößig, als daß es einmal unter- gegangen späterhin wieder aufwachen sollte. Angenommen, es hätte nun das Gesetz diese Vorstellungsweise adoptirt gehabt, so wäre meiner Ansicht nach die Jurisprudenz durchaus berech- tigt gewesen, dieselbe als eine unvollkommene Construction durch die zweite zu ersetzen. Beide führten praktisch ganz zu denselben Resultaten, sie waren also nichts als juristische Constructionen, Versuche, die praktischen Sätze rationell zu erklären. 2. Das Gesetz des Nichtwiderspruchs oder der syste- matischen Einheit. Ich brauche kaum zu bemerken, daß es sich hier nicht um Widersprüche des Gesetzgebers, sondern um Wi- dersprüche der Wissenschaft mit sich selbst handelt. Die Juris- prudenz ist wie an das Gesetz, so auch an sich selbst gebun- den, sie darf bei ihren Constructionen nicht mit sich selbst, mit den Begriffen, Lehrsätzen, die sie anderwärts aufgestellt hat, in Widerspruch treten, ihre Constructionen müssen stimmen, sowohl in sich, als unter einander. Ein Begriff duldet keine Aus- nahme, so wenig wie ein Körper sich verläugnen, ausnahms- weise etwas andres sein kann, als er ist . Läßt sich also eine Lage des Körpers auffinden, die mit dem aufgestellten Begriff unverträglich ist, die ihn, so zu sagen, zum Schweigen bringt, so fehlt ihm die wissenschaftliche Lebensfähigkeit und das Recht 3. Die juristische Construction. §. 41. auf Existenz. Ob diese Lage eine ungewöhnliche und praktisch völlig unwichtige ist, relevirt nichts, denn es handelt sich bei der ganzen Aufgabe nicht um ein praktisches, sondern um ein logi- sches Problem. So behandeln die römischen Juristen z. B. beim Eigenthum die Frage von der Fortdauer desselben an einer ins Meer gefallenen Sache, an einem entflogenen Vogel, entronnenem Wilde, so untersuchen sie das Eigen- thumsverhältniß an den erbschaftlichen Sachen vor Antretung der Erbschaft, an den unter einer Bedingung legirten Sachen während der Pendenz derselben u. s. w. So stellen sie an sich die Anforderung, da, wo ein Rechtsverhältniß in irgend einem Zei traum entstanden, den Zei tpunkt der Entstehung anzu- geben und läugnen daher z. B. auch ganz consequent die Möglichkeit der Ent- stehung überhaupt, wo kein solcher einzelner Entstehungsmoment denkbar war, L. 9 §. 3 qui post. (20. 4) . Die Probe der Construction besteht darin, daß die Wissenschaft ihren Körper durch alle erdenkliche Lagen hindurchführt, ihn in jede mögliche Verbindung mit an- dern Körpern bringt, ihn mit jedem ihrer Lehrsätze vergleicht. Erst wenn alles zusammenstimmt, hat er seine Probe bestanden, ist er ächt und wahr. Als Beispiel nehmen wir die Obligation. Fassen wir dieselbe mit den römischen Juristen einmal als Qua- lität der beiden verbundenen Personen auf, so folgt daraus, daß sie ohne die beiden Personen nicht existiren kann — denn eine ohne Subject bestehende Qualität ist ein Unding — daß sie mithin mit dem Tode des Gläubigers oder Schuldners unter- gehen müßte. Wenn sie nun dennoch praktisch fortdauert, so muß entweder jene Auffassung selbst aufgegeben werden oder aber — und diesen Weg haben die römischen Juristen eingeschla- gen — jener Widerspruch muß dadurch beseitigt werden, daß die Person als fortdauernd gedacht wird. Ein Drittes gibt es nicht, denn das Dritte könnte nur darin bestehen, daß man sich bei dem bloßen Factum der Fortdauer der Obligation beruhigte, darauf verzichtete, es mit dem Begriff der Obligation in Einklang zu setzen. Das wäre aber ein wissenschaftlicher Bankerott, ein Abfall von aller und jeder Jurisprudenz. Fer- ner! Wenn die Jurisprudenz einmal den Lehrsatz aufstellt, daß Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 26 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. die Obligation durch Zahlung untergeht, so muß es als ein juristisches Unding erscheinen, daß der Gläubiger nach erhalte- ner Zahlung die Klage noch cediren kann. Nichts desto weniger erkennt das Recht eine Cession des Gläubigers an den Bürgen nach geleisteter Zahlung als möglich an. Auch hier kann die Wissenschaft sich nicht dabei beruhigen, daß es einmal so Rech- tens sei, sondern entweder muß sie jenen Satz fallen lassen, oder aber, wenn sie dies nicht will oder kann, einen Gesichtspunkt aufsuchen, der den Widerspruch beseitigt, ihn als einen bloß scheinbaren hinstellt, und dies ist den römischen Juristen in einer höchst ungezwungenen, überzeugenden Weise gelungen. Die Zahlung des Bürgen hat die Bedeutung eines Kaufs der For- derung, siehe darüber die L. 76 de solut . (46. 3). Wir können der Anforderung, um die es sich bei unserm zweiten Gesetz hier handelt, den Ausdruck geben: die Wissen- schaft darf keine juristische Unmöglichkeiten statuiren. Der Begriff der juristischen Möglichkeit und Unmöglichkeit scheint nun auf den ersten Blick ein absoluter zu sein, in der That aber ist er ein relativer. Wie vieles würde den römischen Juristen als juristisch unmöglich erscheinen, was heutzutage als juristisch möglich gilt (z. B. Forderungen, die dem jedesmaligen Innehaber eines Papiers zustehen, Indossamente in blanco u. s. w.), und an wie manchem nehmen wiederum sie keinen Anstoß, worin die älteren Juristen geradezu einen Verstoß gegen jede juristische Logik erblickt haben würden! z. B. die traditio in incertam personam. Die ältere Jurisprudenz konnte sich den jactus missilium nur als Dereliction von der einen und Occu- pation von der andern Seite construiren. Wie im Recht selbst, so findet auch in der Anschauungsweise der Wissenschaft ein ewiger Fort- schritt statt, ihr geistiger Horizont und damit der Kreis des Möglichen erweitert sich, sei es durch ihr eignes Verdienst, rein aus eignem Antriebe, sei es durch die Macht der Thatsache, die ihr das bisher für juristisch unmöglich Gehaltene aufdrängt und ihr damit den Anlaß gibt, das Gebiet des theoretisch Möglichen 3. Die juristische Construction. §. 41. dem entsprechend auszudehnen. Es gibt für sie in letzterem Fall nur folgende Alternative: entweder muß das bisherige Dog- ma Worauf dies Dogma beruht, daß es nämlich nicht bloß in positiven Rechtssätzen und juristischen Grundanschauungen, sondern auch in allgemein logischen Axiomen besteht (Beispiele der letzteren folgen bei der Theorie des subjectiven Willens), führe ich hier nicht weiter aus. sich dem Neuen oder das Neue sich dem Dogma fügen, entweder die bisherigen Begriffe, Lehrsätze verändert werden, um dem Neuen Raum und Unterkommen zu gewähren, oder aber letzteres durch eine geschickte Manipulation, durch irgend einen geeigneten Gesichtspunkt so zugerichtet werden, daß es mit dem Dogma in Einklang tritt. Dieser letztere Weg ist der nächst gelegene, und es ist nicht bloß verzeihlich, sondern durchaus motivirt, wenn die Jurisprudenz vorzugsweise auf ihm die Lö- sung sucht, alle ihre Kunst aufbietet, um sich der Nothwendig- keit zu entziehen, mit ihren bisherigen Lehrsätzen zu brechen. Die römischen Juristen haben diese Kunst der Vermittelung des praktisch Neuen mit dem theoretisch Alten in hohem Grade ver- standen, und das folgende System wird uns namentlich glän- zende Proben davon geben; ich nenne hier vorläufig die Be- nutzung des Gegensatzes zwischen Recht und Ausübung zum Zweck der praktischen Uebertragung der Erbschaft, Forderung und des Nießbrauchs. Aber auch in der älteren Zeit blühte diese Kunst, ja sie ward hier sogar mit einer Aengstlichkeit und Pe- danterie geübt, bei der sie anfängt ins Lächerliche zu spielen. Aber man hüte sich über der Uebertreibung den richtigen Takt, den ächt juristischen Sinn, aus dem selbst sie hervorging, so wie die höchst vortheilhaften Folgen jener Strenge und Pedanterie zu übersehen. Soll das wissenschaftliche Gebäude Festigkeit erlan- gen, so rüttle man nicht ohne Noth an dem Fundament, so lerne man sich zu behelfen. Gerade dies Sichbehelfen trägt der Wissen- schaft reichliche Früchte. Die Noth macht erfinderisch! Der Noth- stand, in den der Conflict des Neuen mit dem Alten den Juristen versetzt, oder richtiger das Bestreben, diesen Conflict ohne Scha- 26* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. den des Alten zu erledigen, hat sich für die Entwicklung des juristischen Scharfsinns sehr wohlthätig erwiesen. Er treibt und preßt die ganze dialektische Kunst des Juristen zur äußersten An- spannung und damit zu Erfindungen und Entdeckungen, die ganz abgesehen von dem unmittelbaren Zweck, dem sie dienen sollen, der Wissenschaft höchst werthvolle und fruchtbare Bereicherungen bringen. So hat die spätere römische Jurisprudenz unter dem Einfluß solcher transitorischen Veranlassungen eine Reihe von Unterschieden entdeckt, die für ewige Zeiten ihren Werth behal- ten werden. Diese Kunst der Vermittelung hat aber ihre Gränzen. Es gibt einen Punkt, über den hinaus das Festhalten des Bisheri- gen in Unnatürlichkeit und Zwang ausartet. So z. B. definirten die römischen Juristen ursprünglich das pignus als Vertrag , und sie konnten diese Definition bei den ersten Fällen des s. g. gesetzlichen Pfandrechts noch mit Anstand aufrecht halten ( quasi tacite convenerit; pignus tacitum ). Allein als auch eine testamentarische Be- stellung eines Pfandrechts aufkam, ward dies unmöglich, und für das justi- nianeische Recht mit seinen vielen gesetzlichen Pfändern wäre die Zurückführung desselben auf den Gesichtspunkt eines stillschweigenden oder fingirten Vertra- ges geradezu eine Absurdität. Wann und wo derselbe eintritt, ist mehr Sache des Gefühls, als einer objec- tiven Bestimmung. Vermittelnde Constructionen, die dieser Zeit genügten, machen einer anderen den Eindruck des Gekün- stelten, und so entschlossen sich selbst die römischen Juristen, so sehr sie sich im übrigen gerade durch ihr Festhalten an das her- gebrachte Dogma auszeichnen, doch hie und da letzteres zu än- dern, wo die ältere Jurisprudenz sich dieser Zumuthung durch eine vermittelnde Construction entzogen hatte. Ich erinnere z. B. an den jactus missilium in der Note 518. Das alte Dogma lautete: kein Rechtsgeschäft kann in personam incertam gerich- tet werden. Wollte man dasselbe aufrecht erhalten, so blieb nichts übrig, als den jactus missilium in Dereliction und Occupation zu zerlegen. Aber die vermittelnde Construction war eine gekünstelte, denn sie that dem Willen des Jacenten, der eben nicht auf Dereliction, sondern auf Uebertragung gerichtet Für die heu- 3. Die juristische Construction. §. 41. tige Jurisprudenz gibt es in dieser Beziehung an der rein römi- schen Theorie (also ganz abgesehen von den Aenderungen des heutigen Rechts) noch viel zu ändern. Man nehme z. B. die erbrechtlichen Sätze: nemo pro parte testa- tus etc., semel heres, semper heres und so manche andere, die bereits zur Zeit der klassischen Juristen mehr figurirten, als galten. Die bisherige Erörterung hat unser zweites Gesetz bloß nach der Seite hin verfolgt, nach der es uns vom Standpunkt der altrömischen Technik aus interessirt, das Gesetz selbst reicht wei- ter und wird namentlich für die systematische Classification höchst wichtig, was ich hier jedoch nicht weiter ausführen darf. Wenn wir die beiden Gesetze der juristischen Construction, die wir bisher erörtert haben, in Gegensatz stellen wollen, so können wir sagen, daß das erste im positiven , das zweite im logischen Element wurzelt. Das Element des dritten und letz- ten Gesetzes, zu dem ich jetzt übergehe, möchte ich als ästheti- sches bezeichnen. 3. Das Gesetz der juristischen Schönheit . Man wird es für gesucht halten, wenn ich von einem juristischen Kunst- oder Schönheitssinn spreche. Aber die Sache selbst bringt es mit sich, und wenn man mir einmal verstattet hat, von einer künstlerischen Gestaltung des Stoffs zu reden, so wird man sich auch den Kunstsinn gefallen lassen müssen. Den römischen Juristen schwebte dieselbe Vorstellung vor, sie kann- ten ein juristisches Schönheitsgefühl und erkannten es als berechtigt an, man denke z. B. an den Vorwurf einer inelegantia juris (bei Gajus I §. 84. 85) und an das angebliche Gesetz der Symmetrie ( L. 35 de R. J. 50. 17 ). Auf ihm war, Zwang an. Die spätere Jurisprudenz gab hier nur der Wahrheit die Ehre, indem sie eine traditio in incertam personam annahm, und damit änderte sie in der That das obige Dogma; was bis dahin als juristisch un- möglich galt, ward jetzt als möglich angenommen. Wie neuere Juristen den Gegensatz beider Constructionen (bei der einen liegen zwei einseitige, bei der andern Ein zweiseitiger Akt vor) übersehen und beide für vereinbar halten konnten (als ob eine Tradition aus Dereliction und Occupation bestände!), ist mir wahrhaft unbegreiflich. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. beruht das Wohlgefallen und Mißfallen, das gewisse Construc- tionen in uns erregen. Die einen befriedigen uns durch ihre Natürlichkeit, Durchsichtigkeit, Einfachheit, Anschaulichkeit, die andern stoßen uns durch das Gegentheil ab, erscheinen uns gezwungen, unnatürlich u. s. w., ohne daß wir sie darum für verkehrt erklären könnten. Dies Gesetz ist also nicht, wie die beiden ersten, ein absolutes. Eine Construction, die gegen jene verstößt, ist absolut unrichtig, ist keine Construction, hingegen eine schwerfällige, gezwungene Construction ist, so lange man keine bessere an ihre Stelle setzen kann, berechtigt und unent- behrlich. In dieser letzteren Hinsicht gibt es also Gradationen, vollkommnere und unvollkommnere Constructionen. Der Ver- gleich mit der Kunst trifft selbst insofern zu, daß wir von einem verschiedenen Kunststyl verschiedener Epochen der Jurisprudenz sprechen können, wie denn z. B. die Verschiedenheit der ältern und neuern römischen Jurisprudenz in dieser Hinsicht sich einem aufmerksamen Beobachter kaum entziehen kann und von uns an den betreffenden Stellen angedeutet werden soll. Der Styl der ältern Jurisprudenz charakterisirt sich namentlich durch das Be- streben einer plastischen Darstellung und Motivirung innerer Thatsachen und Vorgänge, während die spätere Jurisprudenz mehr mit begrifflichen, innerlichen Mitteln operirt z. B. das Scheingeschäft durch Fictionen ersetzt. Einer näheren Ausführung dieses dritten Gesetzes enthalte ich mich, da sie zum Zweck des Verständnisses der altrömischen Technik nicht geboten erscheint, und die Beispiele, die letztere uns vorführen wird, auch ohne Commentar verständlich sind. Darum nur folgende Bemerkungen. Je einfacher die Con- struction, um so vollkommner d. h. anschaulicher, durchsichtiger ist sie; in der höchsten Einfachheit bewährt sich auch hier die höchste Kunst. Die verwickeltsten Verhältnisse sind von den Römern nicht selten mit den einfachsten Mitteln construirt (man denke z. B. an die juristische Person), und Constructionen, die den Eindruck des Gekünstelten, Complicirten machen, dürfen 3. Die juristische Construction. §. 41. uns mit gerechtem Mißtrauen erfüllen. Anschaulich ist die Construction, wenn sie das Verhältniß unter einem Gesichts- punkt erfaßt, der unserer Vorstellung leicht zugänglich ist (wie z. B. bei dem Begriff der univ. rerum distantium ); durchsich- tig , wenn die Consequenzen des Verhältnisses in diesem Ge- sichtspunkt offen hervortreten, wie in dem Begriff der juristi- schen Person; natürlich , wenn die Construction keine Abwei- chung von dem, was sonst in der sinnlichen oder geistigen Welt vor sich geht, Solche der Anschauung der natürlichen Welt entnommene, von den römischen Juristen für die juristische Construction adoptirte Sätze sind z. B.: was einmal untergegangen, kann seine alte Existenz nicht wieder erlangen; Geschehenes läßt sich nicht ändern (z. B. L. 2 de resc. vendit 18. 5); An- fang und Ende, Ursache und Wirkung verstatten kein vacuum in der Mitte (darauf beruht die logische Nothwendigkeit der rückwirkenden Kraft der Be- dingung; s. das weitere bei der Theorie der Rechtsgeschäfte). Dahin gehört der Gedanke vom Gleichgewicht der Kräfte, mit dem z. B. Venulejus L. 13 de duob. reis (45. 2) operirt: cum vero ejusdem potestatis sint, non pot- est reperiri, qua re altera potius quam altera consumatur. postulirt. Beruht unsere ganze Construction einmal auf einer naturhistorischen Anschauung, so ist es erklär- lich, daß sie sich den Gesetzen und Vorgängen der Natur mög- lichst eng anzuschließen, sie auf ihrem Gebiete und in ihrem Stoff möglichst nachzubilden sucht, und nicht selten scheint das „naturale“ der Römer eben diese Bedeutung einer Natur- Imitation zu haben. z. B. in der freilich nicht ganz richtigen Abstraction der Gleichheit der Entstehungs- und Endigungsarten L. 38 de R. J. (50. 17): nihil tam naturale est, quam eo genere quidquid dissolvere, quo colligatum est. Die bisherige Erörterung hat uns die Anforderungen an- gegeben, denen die juristische Construction zu entsprechen hat, es mögen jetzt noch einige Worte folgen über die Mittel , die sie zu diesem Zweck in Anwendung bringt, ich nenne sie den Constructionsapparat . Die niederste Stufe in demselben nehmen ein die von der Sprache recipirten Bilder , z. B. die Bezeichnung der Servi- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. tuten als jura praediorum, die der reivindicatio als actio in rem, die des Pfandrechts als obligatio rei. Eine Sache kann weder ein Recht haben, noch verklagt werden, noch Subject einer Obligation sein. Allerdings kennt unsere Wissenschaft die Möglichkeit einer Personificirung dessen, was in Wirklichkeit nicht Person ist, allein in jenen Fällen ist daran nicht zu denken, die Personification ist hier keine juristische, sondern eine bloß figürliche. Nichts desto weniger aber glaube ich jene Ausdrücke als Constructionsversuche vom Standpunkt der natürlichen Auf- fassungsweise bezeichnen zu dürfen — hat man doch sogar wirk- liche Constructionen in ihnen finden wollen — und es läßt sich nicht läugnen, daß sie mit Geschick gewählt sind und der An- schauung höchst brauchbare Anhaltspunkte gewähren. Als gleich- falls einer niederen Stufe angehörige Constructionsmittel nenne ich sodann die Scheingeschäfte , die hier aber nicht weiter besprochen werden sollen, da das ältere Recht uns Gelegenheit genug darbietet, sie kennen zu lernen. An sie reihen sich sodann die Fictionen , die häufig nur das Caput mortuum früherer Scheingeschäfte sind. Eine gewisse Aehnlichkeit mit der Fiction hat die künstliche Erweiterung natürlicher Begriffe z. B. die Ausdehnung des Fruchtbegriffs auf das uti (fructus civiles), die der Person auf juristische Personen, die der Sache auf Complexe von Sachen (juristische Sachen) u. s. w. Eins der scheinbar künstlichsten Mittel in unserm römischen Recht ist die rückwirkende Kraft; von ihr wird an einer andern Stelle die Rede sein. Uebrigens will ich bemerken, daß in den bei weitem meisten Fällen ein eigner Constructionsapparat gar nicht zur An- wendung kömmt, sondern die Lösung einfach durch richtige Erfas- sung des Begriffs, durch Entdeckung und Benutzung begrifflicher Unterschiede, durch Vereinigung des an sich Verschiedenen unter einen höhern Gesichtspunkt, kurz auf dem Wege einer logischen Zersetzung und Durchdringung des Stoffs bewerkstelligt wird. Es verbleibt uns jetzt als letzter Punkt noch die Frage nach dem eigenthümlichen technischen Werth und Nutzen der juristi- 3. Die juristische Construction. §. 41. schen Construction. Wie verhält sich letztere zu der früher (§. 38) entwickelten höchsten Aufgabe der Technik, der Erleichterung der subjectiven Beherrschung des Rechts? Wir wollen das durch die Construction im Sinn der naturhistorischen Methode gestal- tete Recht das System nennen und fassen den Inhalt der fol- genden Ausführung in die beiden Sätze zusammen: das System ist die praktisch vortheilhafteste Form des positiv gegebenen Stoffs; und: es ist die Quelle neuen Stoffs. 1. Das System ist die praktisch vortheilhafteste Form des positiv gegebenen Stoffs . Die Erhebung des Rechts zum System im obigen Sinn ent- zieht demselben, wie bereits früher bemerkt, seine äußerlich praktische Form, ohne die innere praktische Kraft desselben zu vermindern. Alle unsere Begriffe, Eintheilungen sind praktische Potenzen; gewonnen aus Rechts sätzen , lassen sie sich jederzeit von dem, der es versteht, auf sie zurückführen. S. Bd. 1 S. 27, 28. Wenn nun jene Umwandlung einerseits die bisherige Brauch- barkeit des Stoffs um nichts beeinträchtigt, vervollkommnet sie ihn andererseits in höchst wesentlicher Weise. Erstens : das System ist die anschaulichste , weil pla- stische Form des Stoffs. Während derselbe bisher als rein stoff- artige Substanz mit dem Gedächtniß erfaßt werden mußte, geschieht dies jetzt vermittelst des juristischen Anschauungs- vermögens . Das Charakteristische der Anschauung liegt in der Einheit, Totalität und Simultaneität des Bildes, das sie dem Geist vorführt. Die Anschauung sucht nicht erst das Ein- zelne zusammen, wie das Gedächtniß, sondern sie hat dasselbe gleichzeitig und in seinem ganzen Zusammenhang vor Augen. Dies setzt aber voraus, daß ein solcher Zusammenhang, eine Ein- heit, kurz ein objectiv Anschauliches existire. Diese objective An- schaulichkeit wird nun für das Recht eben begründet durch das Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. System. Denn im System hat ja der Stoff plastische Formen angenommen, er hat sich getheilt und zusammengethan zu ein- zelnen individuell bestimmten Körpern. Jeder solcher Körper ist der Träger einer Masse von Rechtssätzen oder richtiger nicht ein bloßer Träger, ein mit ihnen behangenes Gerippe, sondern er ist sie selbst, sie sind sein Fleisch und Blut geworden. In ihm hat die Masse individuellen Ausdruck und die Möglichkeit eines Totaleindrucks gewonnen. Jeder dieser Körper hat für uns seine bestimmte Physiognomie und Individualität, und wer län- gern Verkehr mit ihnen gepflogen, dem werden sie wie alte Be- kannte — er kennt sie, wo und wie er sie trifft (Diagnose), und er weiß, was sie können und nicht können, Man vergleiche z. B. die Stellen in der Note 507, wo die römi- schen Juristen in dieser Weise mit der „natura,“ „potestas“ u. s. w. des Körpers operiren. ohne daß er nöthig hätte, viel darüber zu reflectiren und sich der Gründe bewußt zu werden. Wie sehr nun durch diese Möglichkeit, das Recht mit der Anschauung zu erfassen, unsere ganze Beschäftigung mit dem- selben gewinnt, gewinnt an Raschheit, Sicherheit, Leich- tigkeit — das werde ich dem eignen Nachdenken des Lesers überlassen dürfen. Zweitens : das System ist die bequemste , weil kür- zeste, concentrirteste Form des Stoffs — eine Behauptung, die nach den Ausführungen in diesem und den vorhergehenden Paragraphen keiner weiteren Erörterung bedarf. S. auch Bd. 1 S. 27, 28. Drittens : das System ist die ergiebigste, durchsich- tigste Form des Stoffs. In dieser Form wird die ganze Fülle seines Inhalts zu Tage gefördert, alles, was in ihm steckt, her- vorgetrieben: die Beziehungen der entferntesten Punkte, die fein- sten Unterschiede und Aehnlichkeiten, die stillschweigenden Vor- aussetzungen, die dem Gesetz zu Grunde liegen, und die gerade 3. Die juristische Construction. §. 41. wegen ihrer Natürlichkeit und Nothwendigkeit sich der Beob- achtung entziehen konnten, die allgemeineren Principien, die zu abstract, zu ätherisch waren, als daß der Gesetzgeber ihre An- wesenheit und Influenz bei dem Act der Rechtsproduction hätte wahrnehmen sollen — kurz das Innerste und Geheimste des Stoffs wird ins Bewußtsein gebracht. Darum könnte man die naturhistorische Methode etwa die peinliche Frage des Rechts nennen, die den Stoff zum Geständniß zwingt. Jene allgemei- nen Kategorien, die wir oben mitgetheilt haben: Entstehung, Untergang, Eigenschaften u. s. w. des Rechtskörpers sind zwar an sich inhaltslos, formal, allein so wie sie mit dem Stoff in Verbindung gesetzt werden, entwickeln sie eine außerordentliche dialektische Triebkraft. Immerhin mögen sie nur Fragen sein, die wir an ihn richten, allein die Frage ist der erste Schritt zur Erkenntniß, ja nicht selten die Erkenntniß selbst. Allerdings versorgt uns auch die Praxis täglich mit Fragen und verhilft uns dadurch mittelbar zu einer Erweiterung unserer Kenntnisse, allein die Fragen der Praxis sind nicht immer gerade die lehr- reichsten. Eine völlig unpraktische Frage, die aber das Institut, so zu sagen, an seiner empfindlichsten Stelle, an seiner Wurzel erfaßt, kann für die wahrhafte Erkenntniß desselben unendlich viel wichtiger sein, und mit der Beantwortung Einer solchen Frage können mittelbar eine Reihe der praktisch-wichtigsten Fra- gen, die man bisher auf unmittelbarem Wege vergebens zu lösen suchte, ihre definitive Erledigung finden. So wie die Na- turwissenschaft die für das Leben folgenreichsten Entdeckungen in der Regel bei Fragen und Untersuchungen macht, die von vorn- herein gar keine praktische Beziehung hatten, wie die Wissen- schaft hier gerade dadurch dem Leben dient, daß sie sich demsel- ben entzieht, so auch die Jurisprudenz. Ihre besten Entdeckun- gen macht sie nicht selten in völlig unpraktischen Regionen, und hätten die römischen Juristen uns auch sonst nichts gelehrt, wir wären ihnen schon für die Eine Lehre zu ewigem Dank verpflich- tet: daß nämlich die Jurisprudenz, um wahrhaft prak- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. tisch zu sein, sich nicht auf praktische Fragen be- schränken darf . So enthält also das System die Emancipation der Juris- prudenz von dem Zufall des unmittelbaren Bedürfnisses; auf ihm beruht also die eigentliche wissenschaftliche Freiheit der Jurisprudenz . Mit dieser Bemerkung aber treffen wir zugleich unsern zweiten Hauptsatz, nämlich 2. Das System ist eine unversiegbare Quelle neuen Stoffs . Wenn die Jurisprudenz bloß erschließt, was der Gesetzgeber mittelbar gesetzt und gegeben hat, so kann man hier nur uneigent- lich von einem neuen Stoff reden; es ist nicht sowohl eine Production, als eine Enthüllung. Man kann Gajus Worte von der Specification hier anwenden: non novam speciem facit, sed eam, quae est, detegit. Dagegen gibt es auch eine juristische Production im strengsten Sinn, die Hervorbrin- gung eines absolut neuen Stoffes. Wer nur die oberflächlichste Anschauung von den Arbeiten der römischen Juristen hat, muß sie kennen; denn jedes Blatt unserer justinianeischen Pandekten legt Zeugniß von ihr ab. Wie viel Lehren hat die römische Ju- risprudenz geschaffen, zu denen das positive Recht ihr auch nicht den geringsten Anhaltspunkt, den leisesten Anstoß gegeben hat! Welches Gesetz hatte z. B. etwas bestimmt über die Theilbarkeit oder Untheilbarkeit der Servituten, des Pfandrechts u. s. w.? Und doch ist diese Lehre von der Theilbarkeit eine der stoffreich- sten, umfangreichsten, die es gibt. Oder wo stand etwas über den Eigenthumserwerb durch Specification und Accession? Kurz diese Lehren sind wahrhafte juristische Productionen, gewonnen rein auf dem Wege der juristischen Speculation . Der Stoff z. B., aus dem die Jurisprudenz die Lehre von der Spe- cification und Accession entwarf, war nichts, als der allgemein logische Begriff der Identität , angewandt auf die Umge- staltung einer Sache . 3. Die juristische Construction. §. 41. Das praktische Leben kann dieser Ergänzung des positiven Rechts durch die Jurisprudenz gar nicht entbehren und letztere sich ihr eben darum, auch wenn sie möchte, gar nicht entziehen. Jede Jurisprudenz producirt, Darum bezeichneten die spätern römischen Juristen ihre Vorgänger aus der Zeit der Republik ganz zutreffend als veteres, qui tunc jura con- diderunt . selbst wenn sie sich dessen nicht bewußt ist und wohl gar sich in der Theorie das Recht dazu abspricht, wie dies ja noch heutzutage von Manchen geschieht. Es war ein ganz richtiges Gefühl, das einen Juristen des vori- gen Jahrhunderts, den Germanisten Runde, bestimmte, die Na- tur der Sache als Rechtsquelle aufzustellen; es giebt kaum einen Ausdruck, der der von mir im Bisherigen entwickelten naturhistorischen Anschauung sowohl der Sache wie dem Namen nach so nahe käme. Wie sehr nun diese juristische Production durch die natur- historische Auffassungsweise bedingt ist, bedarf schwerlich einer Erläuterung. Vom Standpunkt der niedern Jurisprudenz ist sie schlechterdings nicht zu begründen, vom Standpunkt der höhern aus hingegen ergibt sie sich als nothwendige Consequenz. Ha- ben wir einmal die Vorstellung der Rechtskörper adoptirt, die Idee des individuellen Seins und Lebens auf den gegebenen positiven Stoff angewandt, so müssen wir dieser Idee auch da treu bleiben, wo der positive Stoff uns im Stich läßt d. h. das Fehlende in irgend einer Weise ergänzen. Das Material aber zu dieser Ergänzung gewährt uns theils der einzelne Körper selbst, seine Natur und innere Dialektik, theils die allgemeine Theorie der juristischen Körper. So öffnet sich denn der Wissenschaft im System ein unab- sehbares Gebiet der Thätigkeit, ein unerschöpfliches Feld des Forschens und Entdeckens, und eine Quelle des reichsten Genus- ses. Nicht die engen Schranken des positiven Gesetzes bezeichnen Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem. ihr hier die Gränzmarken ihres Reichs, nicht die unmittelbar praktischen Fragen die Pfade, die sie zu wandeln hat. Frei und ungehindert, wie in der Philosophie, kann der Gedanke hier schweifen und forschen und dennoch zugleich sicher gegen die Gefahr sich zu verlieren, die ihm dort so leicht droht. Denn die praktische Natur der Welt, in die er sich versetzt findet, lenkt ihn immer wieder zu den realen Dingen zurück. Aber daß er, indem er zurückkehrt, sich gestehen darf, nicht einem bloß subjec- tiven Erkenntnißdrange genügt zu haben, nicht die bloße Erin- nerung an einen hohen geistigen Genuß, sondern etwas für die Welt und Menschheit Werthvolles mit zurückzubringen, daß die Gedanken, die er gefunden, keine bloßen Gedanken bleiben, son- dern praktische Gewalten werden — eben das gibt all unserm Philosophiren und Construiren in der Dogmatik erst seinen wahren Werth. Bringen wir diese Auffassung der Jurisprudenz, diese Anschauung des Rechts mit, dann glaube ich wird es uns nicht Wunder nehmen, daß diese Wissenschaft mehr als ein halbes Jahrtausend in Rom die äußerste Anziehungskraft ausüben und den Rang der ersten Wissenschaft einnehmen konnte. Sie gewährte dem römischen Geist, so zu sagen, die Arena einer dia- lektischen Gymnastik. Sie erklärt uns zugleich, daß und warum die Römer keine Philosophie hatten, denn alles, was an philo- sophischem Trieb und Talent in ihnen war, hat in ihr seine Befriedigung und seinen Auslaß gefunden. Und so wird es sich rechtfertigen, wenn wir, indem wir uns ihr jetzt zuwenden, sie von vornherein charakterisiren als: das durch die praktische Richtung des Römervolkes bestimmte geistige Ge- biet, an dem ihre Philosophie zum Durchbruch kam , oder kurz weg als die national-römische Philosophie . Die Jurisprudenz. §. 42. B. Die Technik des ältern Rechts. Die Jurisprudenz. Die Pontifices — die Geheimhaltung des Rechts — das jus ci- vile im engern Sinn — der pontificische Styl — das Ende der pontificischen Herrschaft. XLII. Nach einer langen Abschweifung haben wir jetzt wie- der historischen Grund und Boden erreicht. Allein bevor ich ihn betrete, muß ich mir noch eine Bemerkung über das Verhältniß des vorhergehenden Abschnitts zu dem gegenwärtigen erlauben, nicht bloß zu meiner eignen Rechtfertigung, sondern auch im Interesse des Lesers. Meine Darstellung der Theorie der Tech- nik nämlich ist nicht bloß darauf berechnet, das Verständniß des ältern, sondern auch das des spätern römischen Rechts vorzu- bereiten. An irgend einer Stelle mußte ich sie einschalten, und da schien mir die gegenwärtige Stelle die passendste zu sein, weil uns hier die Frage von der Technik zum ersten Mal begeg- net. Allein ich habe mich und konnte mich bei meiner Darstel- lung nicht durch die Rücksicht auf das ältere Recht beengen las- sen, nicht ängstlich abwägen, ob alles und jedes, was ich sagte, unmittelbar im älteren Recht seine Anwendung finde; ich hatte nur die Wahl, die Theorie der Technik entweder in ihrem gan- zen Zusammenhang oder gar nicht zu behandeln. Dieser Zu- sammenhang aber brachte es mit sich, daß ich der Technik bis zu ihrem äußersten Höhenpunkt, bis zur Höhe der ausgebildeten Wissenschaft folgte, und gerade der Umstand, daß der Schluß unserer Einleitung uns auf diesem Punkt gelassen hat, machte das gegenwärtige Vorwort nöthig. Denn dieser äußerste Punkt liegt für uns gegenwärtig noch zu hoch. Er bildet allerdings das Ziel, dem das ältere Recht nachstrebt, und insofern war uns auch die Kenntniß dieses Punktes unentbehrlich, allein das ältere Recht ist, wenn auch dem Ziele ungleich näher, als man gewöhnlich annimmt, doch nur auf dem Wege zu ihm. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Indem wir nun an das ältere Recht herantreten, wollen wir uns in unseren Erwartungen möglichst herabstimmen. Daß wir eine Technik finden werden, wissen wir, denn eine Technik hat jedes Recht, auch das ungebildetste, sie ist vor aller Jurispru- denz da (S. 337). Aber ob wir bereits eine Jurisprudenz antreffen werden, davon wissen wir noch nichts, dies muß viel- mehr erst Sache der historischen Untersuchung sein. Ich halte es nun für nöthig, diese Frage gleich hier beim Eintritt in das ältere Recht zu beantworten, wäre es auch nur, um mir dadurch das Recht zu verschaffen, im Verlauf der Darstellung von Ju- risten zu sprechen, aber ich fasse sie hier ganz äußerlich, ich frage nämlich nur: kannte das ältere Recht bereits den äußern Gegen- satz zwischen Juristen und Laien, gab es eine eigene Classe von Leuten, deren Beruf in der Kenntniß und Anwendung des Rechts bestand? Ob ihnen der Name von „Juristen im eigentlichen Sinn“ abzusprechen sei, Wie Puchta Cursus der Instit. Bd. 1 §. 76 es will. Das Wissen der ältern Juristen hätte sich, meint er, von dem eines jeden Andern nicht qua- litativ, sondern bloß quantitativ unterschieden, Juristen im eigentlichen Sinn könne man sie nicht nennen. ob ihr Können und Wissen den Namen eines juristischen verdiene, ist eine Frage, die sich erst beantworten läßt, wenn wir mit ihren Leistungen vertraut geworden sind, also erst am Schluß dieses ganzen Abschnittes. Uebrigens ist jenes äußerliche Moment, nach dem ich die Frage hier beantworte, bei weitem nicht so äußerlich, wie es scheint. Diese äußere Ab- sperrung der Jurisprudenz ist der erste Ansatz zur inneren Ent- wickelung derselben als Wissenschaft; damit der Kern sich ent- wickele, bedarf er der Schale, und wenn die Schale sich bildet, so ist das ein Zeichen, daß der Kern sich vorbereitet. Wer den Gegensatz zwischen Juristen und Laien als etwas Unnatürliches betrachtet, für den hat die Unnatürlichkeit in Rom schon früh begonnen, denn er ist eine der ersten rechtshistorischen Die Jurisprudenz. §. 42. Thatsachen, von denen die Tradition zu berichten weiß. Ja sie gibt ihm sogar die Gestalt einer förmlichen Geheimnißkrämerei, die die Juristen mit dem Recht getrieben, um sich dem Volk unentbehrlich zu machen. L. 2 §. 35 de orig. jur. (1. 2). Liv. IX, 46. Cicero pro Murena c. 11. Val. Max. II, 5 §. 2. Die historische Kritik hat diese Mittheilung als eine handgreifliche Erdichtung einfach zur Seite schieben wollen; Puchta Cursus der Inst. Bd. 1 §. 17. richtiger wäre es gewesen zu fragen, wie sich, wenn an der Sache gar nichts Wahres gewesen, eine solche Fabel hätte bilden können? Man hüte sich nur, die Uebertrei- bung erst selbst hineinzutragen. Daß das Volk sich in völliger Unkunde des Rechts befunden, wäre allerdings unglaublich, allein das ist doch nicht der Sinn jener Erzählung. Sondern der Sinn ist der: daß das Recht durch die Jurisprudenz dem Volk entfremdet worden sei, daß sich neben dem Volksrecht ein Juristenrecht gebildet habe, und diese Thatsache ist so wenig auf- fällig, daß sie im Gegentheil die unausbleibliche Folge ist, die sich historisch überall an das Auftreten und Wirken der Juris- prudenz knüpft. Die Sage hat diese Thatsache nur in ihrer Weise ausgeschmückt, indem sie, wie sie es so gern thut, als Werk der Absicht hinstellt, was ein unbeabsichtigtes und unver- meidliches Resultat der Verhältnisse ist. In jener Sage besitzen wir also einen Bericht über einen der wichtigsten Wendepunkte in der Geschichte des römischen Rechts, den Uebergang von der naiven Auffassung des Rechts zur Reflexion d. h. zur Jurispru- denz, und zwar besteht das Interessante und Beachtenswerthe dieses Berichts in zweierlei. Zuerst theilt er uns mit die Zeit, wann dieser Wendepunkt eingetreten ist, nämlich bald nach den XII Tafeln, und sodann — zwar nicht mit dürren Worten, aber für Jeden, der Sagen zu lesen versteht, nicht minder deutlich — wie tief der Riß, der damit erfolgte, vom Volk empfunden sein muß, welch’ bleibenden Eindruck dieser Umschwung in der Erin- Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 27 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. nerung des Volks zurückgelassen hat. Und in der That war der Riß ein schroffer — um dies behaupten zu können, reichen un- sere sonstigen Nachrichten vollkommen aus — und zwar beruhte diese Schroffheit wesentlich mit auf der eigenthümlichen Form, die die Jurisprudenz während der ersten Jahrhunderte ihres Bestehens an sich trug. Die Kenntniß der Gesetze, die Kunst der Interpretation und die Legis Actionen, berichtet uns Pomponius, L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2). waren in der Zeit nach den XII Tafeln in den Händen der Pontifices, und jährlich ward ein Mitglied aus dem Collegium zur Handhabung der Rechtspflege ( qui praeesset privatis ) committirt. Derselbe Pomponius aber redet in §. 27 des citirten Fragments von einem gleichzeitigen jus dicere der Consuln. Wie vereinigt sich beides? Alle Maßregeln, die Ausflüsse des imperium waren z. B. die addictio des Schuldners, der Erlaß eines Befehls u. s. w., konnten nur von dem Magistrat verhängt werden, da- gegen fiel die Entscheidung eigentlicher Prozesse den Pontifices anheim. Dies aber mit einer Beschränkung. Mit Streitigkei- ten nämlich, die keine Rechtskenntniß voraussetzten z. B. über Theilung eines Nachlasses zwischen den Erben, Taxation einer Sache, über Regulirung des Laufs der Gewässer brauchte man die Pontifices nicht zu behelligen; jeder Bürger und Bauer war hier eben so brauchbar und vielleicht brauchbarer, als sie. Für derartige Rechtsstreitigkeiten ( jurgium, arbitrium ) war höchst wahrscheinlich die legis actio per judicis arbitrive postulatio- nem bestimmt, und zwar ward der Antrag auf Bestellung eines solchen Richters aus dem Volk beim Consul, nach Einführung der Prätur beim Prätor gestellt. Die betreffende Formel bei Valerius Probus §. 4 lautet nach der ohne Zweifel allein richtigen Lesart, die der neueste Herausgeber, Th. Momm- sen, in den Text aufgenommen, so: te, Praetor , judicem arbitrumve po- stulo uti des. Praetor hieß bekanntlich früher auch der Consul. Im übrigen nun waren ausschließlich die Pontifices competent, wie schon daraus her- Die Jurisprudenz. §. 42. vorgeht, daß die einzige eigentliche Prozeßform , die wir für das ältere Recht annehmen dürfen, die legis actio sacramento Von den fünf legis actiones war die per pignoris capionem eine außergerichtliche, die per manus injectionem und per judicis postulatio- nem gehörte ausschließlich vor den Magistrat, die durch sacramentum aus- schließlich vor die pontifices; von der per condictionem wird unten die Rede sein. in ihrer ursprünglichen Gestalt unverkennbar auf eine Mitwir- kung von ihrer Seite hinweist. Das sacramentum ward an- fänglich bei dem pons publicius (Bd. 1 S. 266) deponirt und fiel nicht, wie später, dem Staat, sondern dem religiösen Fond zu. Den Gerichtshof der Pontifices dürfen wir nun für jene Zeit als den Sitz der eigentlichen Justiz und Jurisprudenz bezeich- nen, und wir brauchen bloß den Umstand, daß es eine ständige und geistliche Behörde war, in Anschlag zu bringen, um die Nachrichten über den Charakter und die Stellung der ältesten Ju- risprudenz begreiflich zu finden. Wären die Pontifices auch von jener Tendenz nach einem esoterischen Wissen, die alle Priester- schaften des Alterthums beseelte, völlig frei gewesen — und in dieser Allgemeinheit wäre die Behauptung mehr als gewagt, denn in der römischen Religion tritt der Zug nach dem Geheim- nißvollen deutlich hervor — bei einer Genossenschaft, deren ver- fassungsmäßiger Beruf das Wissen und die Gelehrsamkeit war, deren Stellung nicht bloß eine höhere Einsicht, sondern auch die Verpflichtung, den Glauben daran im Volk zu erhalten, mit sich brachte, die aus lebenslänglichen sich selbst ergänzenden Mit- gliedern patricischen Standes bestand, bei einer solchen Genos- senschaft mußte das Recht mit Nothwendigkeit einer gewissen gelehrten Abgeschlossenheit verfallen, und die erforderliche Kennt- niß desselben sich mehr und mehr auf das Collegium zurückzie- hen. Man hat dies „im Angesicht der Volkssitte, in der das Recht lebte und webte, der geschriebenen Gesetze, die öffentlich ausgestellt waren, endlich der allervollkommensten Oeffentlichkeit der Gerichte“ (Puchta) für unmöglich gehalten und die Differenz 27* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. zwischen den Juristen und Laien der damaligen Zeit nicht in eine Verschiedenheit ihres Wissens , sondern des Könnens setzen wollen; die Ueberlegenheit der ersteren habe sich lediglich auf die Anwendung des Rechts bezogen. Allein dieser Be- hauptung stehen nicht bloß alle äußern Zeugnisse, sondern auch die innere Wahrscheinlichkeit entgegen. Waren auch die Gesetze Jedermann vor Augen, so war doch die Interpretation Sache der Pontifices; L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2). bot auch die Oeffentlichkeit der Gerichts- sitzungen Gelegenheit, den Gang des Verfahrens und das rein Aeußerliche der Klagformulare kennen zu lernen, so war doch schon die Kenntniß, wo und wie die verschiedenen Formeln an- zuwenden, welcher Sinn mit ihnen zu verbinden etwas mehr Theoretisches, durch das bloße Zusehen nicht so leicht zu Erler- nendes. Allein der entscheidende Umstand ist der, daß es außer der Volkssitte und den Gesetzen noch eine dritte Rechtsquelle das Recht der Wissenschaft oder das jus civile im engern Sinn S. die Darstellung bei Pomponius L. 2 §. 5, 6 cit., in der das jus civile oder das alte Juristen-Recht sich unmittelbar an die XII Tafeln anschließt. gab, zu der nur der Pontifex völlig freien Zutritt hatte. Als nothwendiger Inhalt dieser pontificischen Rechts- disciplin stellt sich uns zunächst dar die Tradition der bisheri- gen Praxis . Daß der Boden zur Bildung einer constanten Praxis ein höchst geeigneter war, wird eben so wenig der Bemer- kung bedürfen, als daß die Fortpflanzung derselben durch schrift- liche und mündliche Tradition sich der Natur der Sache nach nur auf die Mitglieder des Collegs beschränkte. Im Volk mußte die Erinnerung wichtiger Rechtsfälle und Entscheidungen leicht ver- fliegen, bei jenem Colleg hingegen ward sie fixirt und pflanzte sich treu von einer Generation zur andern fort. Wie fest und treu die römische juristische Tradition war, dafür gibt die Notiz bei Pomponius L. 2 §. 38 de orig. jur. (1. 2) über den ersten ple- bejischen Pontifex Maximus Tib. Coruncanius, daß man von demselben zwar Den zweiten Die Jurisprudenz. §. 42. Bestandtheil dieser Disciplin bildete die eigentliche Lehre , die von den Pontifices selbst entworfene Theorie des Rechts . Eine unabweisbare Aufforderung zur Ausarbeitung einer eige- nen, selbständigen Theorie des Rechts lag in der religiösen Bezie- hung desselben. Soweit diese Beziehung reichte — und, wie wir Bd. 1 S. 262 gesehen, reichte sie im ältern Recht sehr weit — war das Recht der gesetzgebenden Gewalt des Volks verschlossen; hier waren nur die Pontifices competent, das fas dürfen wir ausschließlich als ihr Werk betrachten. Allein ihre gestaltende und rechtsbildende Thätigkeit erstreckte sich eben so wohl auf das jus. Ganz abgesehen davon, daß ihnen gleichmäßig die Anwen- dung des jus wie des fas anvertraut war, und ein gewisser rechts- bildender Einfluß von jeder Anwendung des Rechts untrennbar ist, so ließ sich, selbst wenn sie aus irgend welchem Grunde ihre Doctrinen auf das fas hätten beschränken wollen, doch eine strenge Gränzlinie zwischen beiden Gebieten des Rechts in man- chen Verhältnissen gar nicht ziehen. Wie Vieles war beiden völlig gemeinsam (man denke z. B. an die Lehre von der Zeit) und wie oft erforderte die Durchführung irgend eines Zwecks oder Gesichtspunkts des fas die Unterordnung des jus d. h. eine entsprechende Gestaltung der profanen Seite des Instituts (man denke z. B. an das, was Gajus II, 55 über das ursprüngliche Motiv der usucapio pro herede berichtet)! Und sodann wenn einmal die Pontifices, wie wir nachher sehen werden, im Besitz einer gewissen Methode und gewisser allgemeinen Anschauungen waren, durch die sie sich bei der Gestaltung des fas bestimmen ließen: wie kann man annehmen, daß sie dieselben beim jus hät- ten verläugnen, oder, wenn nicht, daß letztere sich für das jus minder fruchtbar hätten erweisen sollen, als im fas? Aber ganz abgesehen von dieser Einwirkung des fas auf das jus, wie kann man überhaupt nur daran zweifeln, daß eine so fest gegliederte, keine Schriften, aber eine Reihe wichtiger Responsen kenne, einen eclatanten Beleg. Beide Juristen trennte ein Zeitraum von vier Jahrhunderten! Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. abgeschlossene, mit einem solchen Nimbus umgebene und mit einer solchen Macht ausgestattete Jurisprudenz, wie diese, nicht mindestens denselben, ich meine nicht bloß gestaltenden, form- gebenden, sondern materiell-productiven Einfluß auf das Recht sollte gewonnen haben, den die Jurisprudenz selbst bei einer ungleich ungünstigeren Stellung erfahrungsmäßig überall aus- zuüben pflegt? Schwerlich würde sich der große Gegner, den wir hier bekämpfen, dieser Einsicht verschlossen haben, wenn er nicht aus reinem Vorurtheil, oder indem er die Form mit der Sache verwechselte, den Pontifices den Namen von Juristen „im eigentlichen Sinn“ von vornherein abgesprochen hätte. Allein wenn man nicht etwa den Maßstab der heutigen Jurisprudenz mitbringen will, so rechtfertigt sich eine solche geringschätzige Behandlung derselben keineswegs. Sie waren Juristen im äch- ten, wahren Sinn und in dem Maße würdige Vorgänger der späteren römischen Juristen, daß letztere nur dadurch, daß sie auf ihren Schultern standen, groß wurden. Sie hatten ihre Methode, und zwar eine sehr strenge und consequente, ihre all- gemeinen juristischen Anschauungen und Axiome, die sie zu ein- zelnen Rechtssätzen verwertheten, und ihr Einfluß auf die ganze Gestaltung des Rechts war meiner festen Ueberzeugung nach ein so bedeutender, wie sich die spätere römische Jurisprudenz, die ihn mit dem Prätor und Kaiser theilen mußte, desselben nicht rühmen kann. Doch ich auticipire bereits ein Urtheil, das sich erst, nach- dem wir die Technik des ältern Rechts haben kennen lernen, wird motiviren lassen. An der gegenwärtigen Stelle handelt es sich nur darum, ob die Pontifices bereits eine eigene, dem Volk fremde Rechtsdisciplin, kurz eine Jurisprudenz hatten, und diese Fragen glaube ich mit aller Gewißheit beantworten zu können. Die directen Nachrichten über die Leistungen der Pontifices auf dem Gebiet des Civilrechts sind spärlich, denn sie beschrän- ken sich darauf, uns die Legisactionen als ihr Werk zu nen- Die Jurisprudenz. §. 42. nen. Die legis actiones werden von spätern Schriftstellern auf die Bü- cher der Pontifices zurückgeführt, so von Cicero de orat. I, 43 (Leist Ver- such einer Geschichte der römischen Rechtssysteme S. 15) und Valerius Pro- bus de notis antiquis. Der letztere Schriftsteller identificirt geradezu die monumenta pontificum (§. 1) mit den legis actiones (§. 4). S. darüber Th. Mommsen in seiner Ausgabe dieses Schriftstellers in den Berichten der Sächs. Gesellschaft der Wiss., philos.-histor. Classe 1853, S. 131 (besonde- rer Abdruck, Leipzig bei Hirzel). Freilich darf man die Bedeutung dieser Legisactionen nicht unterschätzen, denn sie enthielten nicht bloß die Form des Rechts, sondern zum großen Theil das Recht selbst . Allein für unseren Zweck gewähren sie uns doch kaum einen Anhalts- punkt. Eine um so ergiebigere Quelle aber zur Beantwortung unserer Fragen können wir uns dadurch erschließen, daß wir das ältere Civilrecht mit der alten Religion und dem fas ver- gleichen. Auf diesen letzten beiden Gebieten waren die Ponti- fices unbestrittenermaßen autonom; was sich hier findet, kam jedenfalls von ihnen. Treffen wir nun auf dem Gebiete des Civilrechts dieselben Grundsätze, dieselbe Methode, kurz densel- ben Styl wieder, wie auf diesen beiden Gebieten, und zwar einen künstlichen, gelehrten Styl, wie er nur dem Techniker eigen, der Periode der reinen Volksthümlichkeit aber völlig fremd ist — in dem Fall werden wir, da wir einmal für zwei jener Gebiete den Styl mit aller Gewißheit als den pontifici- schen bezeichnen dürfen, zu der Behauptung berechtigt sein, daß alles, was innerhalb des Civilrechts in demselben Styl gearbei- tet ist, im Wesentlichen von den Pontifices stammt. Um jedem Einwande gegen die Beweiskraft dieses Schlusses vorzubeugen, bemerke ich, daß die Annahme: es sei dieser Styl schon für den Pontifices im Rechte heimisch gewesen und von ihnen die Religion und das fas adoptirt, in dem Maße gegen alle geschicht- lichen Gesetze verstoßen würde, daß sie einer ernstlichen Wider- legung nicht bedarf. Gibt man aber den pontificischen Ursprung desselben zu, so wird eine andere denkbare Annahme, nämlich Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. daß die Anwendung desselben auf das Civilrecht nicht von den Pontifices, sondern erst von den spätern Juristen herrühre, schwerlich mehr Beifall finden, ohne daß ich damit in Abrede nehmen will, daß nicht die spätern Juristen noch lange in der- selben Weise fortgearbeitet hätten, wie ihre Vorgänger, und daß also nicht alles und jedes, was im Geist der letzteren gearbeitet ist, unmittelbar ihnen angehörte. Darauf aber kömmt es auch nicht an, ob sie den Bau selbst bis ins Kleinste ausgeführt, jeden einzelnen Stein selbst eingefügt, sondern ob sie den Plan gemacht, den Styl bestimmt und wenigstens die Fundamente selbst gelegt haben. Und davon, hoffe ich, soll der Leser sich jetzt überzeugen. Wir vergleichen zu dem Zweck zunächst das ältere Recht mit der Religion rücksichtlich der Methode ihrer Bearbeitung . Die Methode ist bei beiden genau dieselbe, die charakteristischen Momente der ältern Technik, die uns die spätere Darstellung vorführen wird, kehren sämmtlich bei der Religion wieder. Zu- nächst der Formalismus. Dieselbe Bestimmtheit, Verba certa, solemnia, legitima. S. die Belegstellen bei Brisso- nius de voc. ac formul. lib. I, c. 181, 191 und anderwärts z. B. Festus sub fanum: .. certa verba. Cicero pro domo c. 47 .. solennibus verbis. dieselbe scrupulöse Genauigkeit in der Fassung der Formeln, z. B. die Formel sive deus sive dea es und seu quo alio nomine appellari volueris. Brissonius a. a. O. c. 89. dieselbe Strenge in der Handhabung derselben, wie im ältern Recht; das geringste Versehen im Aussprechen der Formel begründete hier nicht minder wie im Legisactionenprozeß Nichtigkeit. Ambrosch, die Religionsbücher der Römer S. 29, 30. Daher das Vorsprechen der von einem weltlichen Beamten anzuwendenden Formel (z. B. beim öffentlichen votum, bei der devotio, dedicatio u. s. w.) durch den Pon- tif. Maximus. Brissonius c. 181, c. 192 und anderwärts, die Zuziehung eines custos. Plinius Hist. nat. XXVIII, 3. Auf diese Uebereinstimmung will ich aber kein so hohes Gewicht legen, denn der Zug und Hang zum Formalismus steckte tief im römischen Volk selbst und bethätigte sich auch da, wo den Ponti- Die Jurisprudenz. §. 42. fices eine Mitwirkung oder ein unmittelbarer Einfluß überall nicht zustand z. B. im öffentlichen Recht. Erhielt sich doch noch bis in die Periode der Aufklärung hinein der Glaube an die mystische Kraft gewisser Sprüche und Worte. Die classische Stelle darüber ist Plinius Histor. nat. XXVIII, 3—5. Eine zweite Parallele zwischen Recht und Religion bieten uns die Umwege, Scheingeschäfte, z. B. die Ersetzung der Menschenopfer durch geflochtene Binsenmän- ner. Hartung, römische Religion Bd. 2 S. 103 fl. Es galt ja, wie Serv. Aen. II, 116 sagt, als Grundsatz, daß bei den Opfern der Schein für die Wirklichkeit genommen werde, und man daher, wenn man sich die nöthigen Thiere nicht verschaffen könne, sie von Wachs oder Brod nachforme. Hartung Bd. 1 S. 160. Wir haben diesen Punkt bereits Bd. 1 S. 324 fl. berührt, s. namentlich die Beispiele auf S. 326. kurz jene ganze Opera- tionsmethode in Fällen, wo man auf directem Wege, ohne mit den bisherigen Grundsätzen in Widerspruch zu gerathen, den gewünschten Zweck nicht erreichen konnte. Auch dieser Erschei- nung aber könnte man zur Noth noch in ähnlicher Weise wie der vorhergehenden die Beweiskraft absprechen. Dagegen halte ich dies für völlig unmöglich rücksichtlich eines dritten Punktes, nämlich der auf beiden Gebieten bis zur äußersten Consequenz in Anwendung gebrachten Methode der dialektischen Zersetzung. Wir werden bei der Technik sehen, daß gerade diese Methode, die Schärfe und Strenge, mit der sie durchgeführt ward, den entscheidenden Charakterzug des ältern Rechts begründet. Dieser charakteristische Zug der juristischen Technik nun findet sich in der Religion in einer Weise wieder, die jeden Gedanken an eine Zurückführung desselben auf das Volk absolut unmöglich macht, und die nur in der Literatur der Talmudisten und Jesuiten, also ebenfalls theologisch-juristischer Schriftgelehrten , ein Seitenstück findet. In der Weise spaltet nicht der Glaube und eben so wenig das naive Rechtsgefühl des Volks. Die römi- schen Götter sowohl wie die römischen Begriffe sind zum großen Theil Destillate des Laboratoriums. Die ganze römische Götter- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. lehre ist nichts als ein Triumph oder richtiger eine Verirrung der zersetzenden Kraft, sie enthält keine Götter, keine Individuen von Fleisch und Blut, wie die griechischen, sondern ein System von abstracten Unterscheidungen. Alle Ereignisse und Erschei- nungen der Natur, alle Kräfte, Eigenschaften, Tugenden, Feh- ler der Menschen, ihre Zwecke, ihre Arbeit und selbst die trivial- sten Verrichtungen sind bis ins Kleinste hinein zergliedert, und aus jedem Begriffsatom ein Gott geschaffen. S. Ambrosch in dem oben angeführten Werk, dem ich auch die im Texte folgende Notiz über die Classification der Götter nach der Kategorie von res und persona entnommen habe. Ein Pontifex, der einen spitzfindigen Unterschied entdeckte, hatte einem neuen Gotte das Leben gegeben! So widerwärtig und unnatürlich eine derartige Behand- lungsweise am religiösen Stoff war, so vollkommen entsprechend war sie dem rechtlichen, und wenn man den Pontifices einerseits die abstracten Götter mit Recht zum Vorwurf machen darf, so muß man andererseits gegen die Götter die Rechtsbegriffe in die Wagschale werfen. Gehen wir jetzt von der Methode zum Einzelnen über, so findet sich auch hier eine reiche Ausbeute. Zunächst die interes- sante Thatsache, Dadurch rechtfertigt sich also wenigstens zum Theil die Vermuthung von Hugo (Civil. Magaz. Bd. 6 S. 284), die Eintheilung in res, personae und actiones sei ursprünglich nicht für das Recht erfunden, sondern nur auf dasselbe übertragen, und die Bedenken, die dagegen von Andern (z. B. Savi- gny, System Bd. 1 S. 396) ausgesprochen sind, möchten sich hiermit erledigen. daß die oberste Eintheilung den Göttern und dem Recht gemeinschaftlich war. Jener für die Systematik des römischen Rechts so wichtig gewordene Gegensatz von res und persona, nach dem von Gajus Zeit an das römische Recht Jahr- hunderte lang vorgetragen ist, war ursprünglich ein Gesichts- punkt zur Classification der Götter, und die actiones in rem und in personam fanden ihr Vorbild unter den Göttern; auch letztere gingen, mit juristischem Ausdruck gesprochen, entweder Die Jurisprudenz. §. 42. in rem oder in personam, je nachdem das Verhältniß, der Ge- genstand, den man ihnen zum Sitz bestimmt hatte, eine Sache oder eine Person betraf. Es ist oben aus innern Gründen angenommen, daß die Ponti- fices sich im geistlichen Recht durch dieselben Anschauungen und Tendenzen haben leiten lassen, wie im weltlichen; dazu jetzt einige Belege. Ein Grundzug des ältern Civilrechts war die Ab- neigung gegen alles Ungewisse und Unbestimmte, die Richtung auf das certum. Man vergleiche damit die Controverse der Pontifices bei Livius XXXI, 9. Nach früherem Recht waren die öffentlichen Spiele nur von bestimmtem, real dafür ausge- worfenem Gelde (pecunia certa) gelobt, Toties ante ludi magni de pecunia certa voti erant, ii primi de incerta. und als im Jahre der Stadt 552 ein Consul im öffentlichen Auftrage Spiele und ein Geschenk schlechthin gelobte, erklärte der Pontifex maximus dies für ungültig, indem er es bestritt: ex incerta pecunia vovere debere; si ea pecunia non posset in bellum usui esse, reponi statim debere nec cum alia pecunia misceri , quod nisi factum esset, votum rite solvi non posse, während das Collegium sich für die freiere Ansicht entschied, die auch im Civilrecht späterhin in manchen Anwendungen sich Eingang verschaffte. Um der Verwirrung vorzubeugen oder sagen wir, im Geiste der zersetzenden Methode, durften nicht zwei Klagen cumulirt werden, ebenso auch nicht zwei Götter zu einem Tempel. Liv. XXVII, 25: .. cum aedem Honori et Virtuti vovisset, dedicatio ejus a pontificibus impediebatur, quod negabant unam cellam duobus recte dedicari, quia si de coelo tacta aut prodigii in ea ali- quid factum esset, difficilis procuratio foret, quod, utri Deo res divina fieret, sciri non posset; neque enim duobus nisi certis Deis rite una hostia fieri. Ein wahrer Knotenpunkt juristischer Grundsätze und gewiß der Ausgangspunkt mancher Lehren, die wir heutzutage nur noch Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. als civilistische kennen, war das Votum. Um der Terminologie: voti reus, damnatus, vota solvere, reddere, vota rata, irrita, caduca, titulus u. s. w. und des bereits angeführten Grund- satzes über die certa pecunia zu geschweigen, so war das Votum dasjenige Verhältniß des geistlichen Rechts, bei dem von jeher Bedingungen vorkamen Es gab unbedingte und bedingte Vota. Man vergleiche rücksichtlich der letzteren die Menge von Beispielen, die Brissonius a. a. O. c. 159—162 zusammengestellt hat, si bellatum prospere esset, si rediero u. s. w. und wo die Veranlassung zur Aus- bildung einer Theorie der Bedingungen unerläßlich war. Ein Verhältniß des weltlichen Rechts, bei dem dasselbe ebenfalls von Alters her der Fall war, s. oben S. 176 Note 235. Ebenso war die schriftliche Aufzeichnung und die auf die „tabu- lae“ Bezug nehmende nuncupatio, die die spätere Form der Testamente bildete, bei dem Votum etwas ganz gewöhnliches. Auch die rückwirkende Kraft war dem geistlichen Recht bekannt und zwar bei einem Verhältniß, bei dem die Annahme, daß sie hier von Alters her stattgefunden, schwerlich auf Widerspruch stoßen dürfte. L. 28 §. 4 de stip. serv. (45. 3): .. heredis familia ex mortis tempore funesta facta intelligitur. Die Idee der rückwirkenden Kraft der Antretung der Erbschaft für das Civilrecht wird in dieser Stelle geradezu auf dies Argument gestützt und es kann kaum zweifelhaft sein, daß das geistliche Recht diese Idee hier früher hatte und haben mußte, als das Civilrecht. Und wer wird nicht gleich an die exheredatio nominatim facta und inter ceteros erinnert, wenn er hört, daß derselbe Gegensatz auch bei Anrufung der Götter stattfand, und daß hier der Ausdruck ceteri sogar ein technischer war? Brissonius a. a. O. c. 88. Liv. VI, 16: .. Jupiter … ceteri- que dii deaeque, und die dort abgedruckte Stelle von Servius: .. more Pontificum, per quos ritu veteri in omnibus sacris post speciales Deos, quos ad ipsum sacrum quod fiebat necesse erat invocari generaliter omnia numina invocabantur. Selbst die Idee, daß die Erbeutung die normale Quelle des Eigen- thums sei (Bd. 1 S. 108 fl.), fand in dem „capere“ der Ve- stalischen Jungfrau ihren religiösen Ausdruck, Gellius I, 12: veluti bello capta. Damit vergleiche man Gaj. IV, 16. und das jus Die Jurisprudenz. §. 42. liberorum kannte das geistliche Recht gewiß längst vor dem Civilrecht. Gell. a. a. O.: excusandam (filiam, nämlich gegenüber dem ca- pere zur virgo vest.) ejus, qui liberos tres haberet. Nach allen diesen Belegen wird sich die Behauptung recht- fertigen, daß die Pontifices eine eigene Theorie und Methode, kurz eine Jurisprudenz besaßen. Ist nun schon die Juris- prudenz der großen Masse überall etwas Unverständliches, so erklärt es sich aus der eigenthümlichen zunstmäßigen Abgeschlos- senheit, in der sie in Rom auftritt, sehr wohl, wie sie geradezu den Eindruck einer Geheimlehre machen konnte. So tief das römische Volk diese Absperrung und die damit verbundene Entfremdung des Rechts empfinden mochte, so war doch dieselbe für die technische Entwicklung des Rechts selbst von heilsamem Einfluß. Der Atmosphäre der Volksthümlichkeit bis zu einem gewissen Grade entrückt, hatte das Recht sich so zu sagen zurückgezogen an einen abgelegenen Ort, an dem es un- gestört seine Schuljahre durchmachen konnte. Die Schule, in die es hier kam, war eine strenge; man merkt dem ältern Recht überall an, daß es nicht wild aufgewachsen ist, wie unser deut- sches Recht, sondern daß es schon früh unter die Leitung eines fast pedantisch gestrengen, aber consequenten Zuchtmeisters gera- then ist. Eine ähnliche Idee scheint auch dem Pomponius vorgeschwebt zu haben, wenn er von den legis actiones in L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2) sagt: quas actiones ne populus prout vellet institueret, certas solennes- que esse voluerunt. Aber gerade dieser Strenge verdankt das römische Recht im wesentlichen jene Solidität und Festigkeit seines Fun- daments, jene Einfachheit und Consequenz seiner ganzen Anlage. Um aber eine solche Zuchtmeisterrolle über das Recht auszu- üben, dazu bedurfte die Jurisprudenz jener Autorität und excep- tionellen Stellung, wie nur eine geistliche Corporation von der Art des Pontificalcollegiums sie zu behaupten vermochte. Von dem Uebergange der Rechtspflege und Rechtswissen- schaft von den Pontifices auf die Prätoren, beziehungsweise Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. nichtzünftige Juristen, weiß die Geschichte uns weiter nichts zu berichten, als die Zeit. Nach Pomponius soll die Herrschaft der Pontifices bald nach den XII Tafeln (303) begonnen und beinahe ein Jahrhundert bestanden haben. Man könnte darnach die Einführung der Prätur (387) als Endpunkt betrachten. Allein ganz abgesehen davon, daß solch ein plötzlicher und gewaltsamer Umschwung aller sonstigen historischen Entwicklung in Rom völlig widersprechen würde, so beschränkte sich die ursprüngliche Dotation der Prätur auf den Antheil an der Rechtspflege, den damals die Consuln in Händen hatten, und noch in der Mitte des folgenden Jahrhunderts bei Gelegenheit des Berichts über die bekannte That des Flavius L. 2 §. 6 de orig. jur. (1. 2). bezeichnet Livius (IX, 46) das jus civile als repositum in penetralibus pontificum, und am Anfang des sechsten Jahrhunderts konnte es als eine Merk- würdigkeit gelten, daß der erste Pontifex Maximus aus der Plebs, Tib. Coruncanius Jeden, der Lust hatte, zu seinem Rechtsunterricht zuließ. Auch jetzt muß das jus civile und jus pontificium noch eine Zeit lang als gleichbedeutend gegolten haben. S. z. B. Liv. XXX, 1 (a. U. 549): .. juris pontificii peritissimus. Nach allen diesem möchte sich etwa die Mitte des fünften Jahrhunderts als der Wendepunkt bezeichnen lassen. Verstattet man mir nun über die Art und Weise, wie der Umschwung erfolgte, eine Muthmaßung, so möchte ich denselben in folgen- der Weise construiren. Den ersten Anstoß zu einer Aenderung des bisherigen Zu- standes finde ich in der Einführung der Prätur. Bekam auch der Prätor ursprünglich kaum etwas mehr, als den Antheil, den bisher die Consuln an der Rechtspflege ausgeübt hatten, so ist es doch ganz erklärlich, daß die Abzweigung dieses Bestandtheils der consularischen Gewalt zu einer eignen Magistratur in ähn- licher Weise wie bei der Censur (rei a parva origine ortae, Die Jurisprudenz. §. 42. Liv. IV, 8) eine bedeutende Steigerung desselben zur Folge haben mußte. Das Wachsen der Prätur aber war nur möglich auf Kosten der Pontifices, und es ist außer Zweifel, daß letztere schließlich ihre Gerichtsbarkeit d. h. die legis actio sacramento an die Prätoren verloren haben, denn in der Darstellung dieser legis actio bei Gajus ist nur vom Prätor die Rede. Die Ver- änderung, die bei dem Uebergange derselben auf die Prätoren eintrat, war eine doppelte; einmal nämlich die Verweltlichung des sacramentum (dasselbe fiel jetzt ans Aerar statt wie früher an den geistlichen Fond) und sodann der Erlaß der reellen Depo- sition der Summe gegen Sicherheitsbestellung an den Prätor. Allein bevor eine solche totale Reform des bisherigen Zustan- des eintrat, muß dieselbe, wenn sich das Gesetz der historischen Entwickelung in Rom hier nicht ausnahmsweise völlig sollte verläugnet haben, allmählig vorbereitet gewesen sein, es muß ein Uebergang Statt gefunden haben. Solche Uebergänge pfleg- ten in Rom in der Weise zu erfolgen, daß dem Alten ein Neues an die Seite gesetzt ward. Im vorliegenden Fall glaube ich nun, daß dieser Uebergang durch die beiden Gesetze vermittelt ward, welche nach Gajus die legis actio per condictionem einführten, die lex Silia und Calpurnia. Auf diese Weise würde sich der Zweifel von Gajus IV, §. 20: quare autem haec actio desiderata sit, cum de eo, quod nobis dari oportet, potuerimus sacramento [aut per judicis postulationem] agere, valde quaeritur. Den Pontifices verblieb nach wie vor die legis actio sacramento, allein da die neue Prozeß- form einen entschiedenen Vortheil bot, nämlich die Ersparniß des Succumbenzgeldes, so läßt sich annehmen, daß in Fällen, wo sie anwendbar war (bei den actiones in personam auf Geld und andern res certae direct, bei act. in rem durch Einkleidung derselben in eine sponsio praejudicialis d. h. also in allen Fällen der pontificischen Competenz), sich kaum Jemand mehr an die Pontifices wandte. So ward denn die Gerichtsbarkeit derselben zwar nicht direct, aber indirect durch diese Maßregel Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. beträchtlich geschmälert, sie gerieth nach und nach in Abnahme und Vergessenheit, und die Uebertragung der legis actio sacra- mento auf die Prätoren und Centumvirn ließ sich ohne wesent- lichen Eingriff in ihre Rechte bewerkstelligen. In Folge dieser Umgestaltung des Prozesses, die wir nach den obigen chronologischen Daten in die erste Hälfte des fünf- ten Jahrhunderts setzen dürfen, mußte nothwendigerweise auch das bisherige Verhältniß in Betreff der Rechtskunde eine Aen- derung erleiden, und es möge mir erlaubt sein, auch hierüber eine Vermuthung zu äußern. Wollte man nicht mit der ganzen bisherigen Theorie und Praxis brechen — und wer möchte so etwas für denkbar halten? — so mußte man sich die Kenntniß derselben von den Pontifices zu verschaffen suchen. Das ein- fachste und wirksamste Mittel dazu war Eintritt in das Colle- gium, und ich glaube, daß dies bis auf Coruncanius der allei- nige Weg war, den Jemand einschlug, um Jurist zu werden. Das Collegium war, so zu sagen, die Rechtsfacultät, bei der der zukünftige Jurist seine Schule durchmachte, die Juristenzunft, in die er sich aufnehmen ließ, ähnlich wie dies noch heutzutage bei den Inns in England der Fall ist. Wie aber bei letztern ursprünglich nur die filii nobilium Zutritt hatten, so bei den Pontifices nur die Patricier, bis im Jahre 452, also drei Jahr nach der Veröffentlichung der legis actiones durch Flavius und vielleicht unter dem Einfluß dieses Ereignisses auch die Plebejer mit Creirung von vier neuen Stellen Aufnahme erlangten. Liv. X, c. 6—9. Da die Eigenschaft als Pontifex die Beförderung desselben zu einem höhern Staatsamt Selbst nicht zum Consulat. Liv. XXIII, 21 i. f., rücksichtlich des Pont. Max. s. Liv. epit. 59. nicht ausschloß, so stand jedem Pontifex die praktisch-juristische Laufbahn offen, und so ward z. B. gleich einer der vier ersten plebejischen Pontifices zum Prätor erwählt. Die Jurisprudenz. §. 42. War nun schon der Eintritt der Plebejer bei Verdoppelung der Stellen für die Verbreitung juristischer Kenntnisse gewiß nicht ohne Bedeutung, so ward der letzte Rest des Zunftzwanges durch die oben berichtete Handlungsweise des Coruncanius völ- lig beseitigt. Von jetzt an war der Bann gebrochen, und die Jurisprudenz eine freie Kunst und Wissenschaft geworden. Bald nach ihm war bereits die Sitte des öffentlichen Respondirens in lebendigster Uebung. L. 2 §. 37 de orig. jur. (1. 2). Pomponius hat hier nur irriger- weise den Scipio Nasica vor Coruncanius gesetzt. Zimmern, Rechtsgesch. Bd. 1 §. 14. Diese Veränderung muß sowohl für die Rechtspflege als die Jurisprudenz einen Wendepunkt begründet haben. Für jene — denn an die Stelle eines ständigen Collegiums, welches sich überall schwerer entschließt von der bisherigen Praxis abzugehen, traten jährlich wechselnde Prätoren und mit ihnen nicht lange nachher an die Stelle des Legisactionenprozesses der freiere Formular- prozeß. Für diese, die Wissenschaft — denn an die Stelle einer Zunftlehre trat die Freiheit der individuellen Meinung und For- schung, der rege Wetteifer der Kräfte und Talente. Freilich ver- ging noch lange Zeit, bevor der Umschwung, der hiermit für die Wissenschaft vorbereitet war, sich gänzlich vollzogen hatte, und es würde sehr verkehrt sein, zu glauben, als ob die Jünger der Pontifices die Lehre und Methode der Meister verläugnet hätten; wir dürfen vielmehr die ganze Jurisprudenz dieser Periode als Eine und zwar als die pontificische Schule bezeichnen. Allein nichts desto weniger war doch die obige Ver- änderung in der äußern Form dieser Jurisprudenz der erste An- satz oder die nöthige Voraussetzung zu einer innern Umwand- lung derselben. Auch in dem Verhältniß der Jurisprudenz zum Volk trat jetzt eine wesentliche Aenderung ein. Nicht als ob die Ab- hängigkeit des Volks von den Juristen dadurch beseitigt, das Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 28 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Recht dem Volk zurückgegeben wäre. Die Juristen blieben so unentbehrlich, wie die Handwerker es bleiben nach Aufhebung des Zunftzwanges. Jene Veränderung hob nicht die Juris- prudenz auf, sondern sie öffnete nur den Zutritt zu ihr. Diese Freiheit des Zutritts bedeutete aber nichts weiter, als die Möglichkeit, durch Studium Jurist werden zu können, d. h. also dem Volk als solchem kam sie unmittelbar gar nicht zu gute. Wohl aber, wie überall die Aufhebung des Zunstzwan- ges, mittelbar . Ich meine nicht sowohl den bereits ange- deuteten inneren Aufschwung der Jurisprudenz, die höhere gei- stige Freiheit und Beweglichkeit derselben, kurz die gewöhnlichen Folgen, welche die Eröffnung der freien Concurrenz nach sich zieht, sondern die Aenderung in dem Verhältniß zwischen Volk und Jurisprudenz. Dasselbe wurde ein ungleich innigeres und näheres. Zunächst schon dadurch, daß es ein freieres ward. Die Jurisprudenz verlor mit dem Zunftzwang nichts an ihrer Herrschaft, aber letztere verlor ihr Gehässiges. Bisher mehr oder minder Sache des Monopols, eine Folge der äußeren Stellung, war sie jetzt nur das natürliche Resultat und Zeugniß der gei- stigen Ueberlegenheit und Unentbehrlichkeit der Wissenschaft. Keine Macht verdiente und fand fortan so wenig Widerstand, Anfechtung und Neid, keine umgekehrt eine so bereitwillige Un- terordnung und dankbare Anerkennung, als sie. Sodann aber dadurch, daß sich die Jurisprudenz von jetzt an dem Dienste des Volks in einer Weise widmen konnte und widmete, wie sie we- der vorher, noch nachher ihres Gleichen hat. Dieses Dienst- verhältniß ist für das ganze Verständniß der römischen Rechts- zustände und Rechtsentwicklung von so eingreifender Wichtigkeit, daß wir demselben eine nähere Betrachtung widmen müssen. In der geringen Zahl sowohl wie der Amtsthätigkeit der Pontifi ces lag es begründet, daß dieselben nicht in dem Maße, wie ihre Nachfolger, dem juristischen Bedürfniß des Verkehrs gerecht werden konnten, und vielleicht war auch dies einer von den Gründen, der ihnen den Vorwurf der Geheimnißkrämerei Die Jurisprudenz. §. 42. einbrachte, jedenfalls aber ein wenn auch unverschuldeter, so doch höchst drückender Uebelstand. Ihren Nachfolgern fiel es nicht schwer, demselben abzuhelfen. Seitdem die Jurisprudenz eine freie Kunst geworden, fehlte es ihr weder an Jüngern, noch letzteren an Muße, um allen Wünschen des Volks in dieser Beziehung nach zu kommen. Die Jurisprudenz ward und blieb Jahrhunderte lang eine Lieblingsbeschäftigung der höhe- ren Stände — eine noble Passion, S. den Ausspruch des Q. Mucius in L. 2 §. 43 de orig. jur. (1. 2) turpe esse patricio et nobili et causas oranti jus in quo versare- tur, ignorare. ein Ersatz für eine ver- sagte oder verschmähte, ein würdiger Rückzug für eine unter- brochene oder beendete politische Thätigkeit. Cic. de orat. I, 60 senectutem a solitudine vindicari juris civilis scientia. Was man in ihr suchte und an ihr schätzte, war nicht bloß die wissenschaft- liche Befriedigung, die das Studium als solches gewährte, Zerstreuung, Unterhaltung, Anregung, kurz der Genuß einer geistigen Gymnastik, sondern die Gelegenheit, sich auch ohne Staatsamt nützlich zu machen, ins Leben einzugreifen, Ansehn und Einfluß zu gewinnen. Ein Sich Vertiefen in die Wissen- schaft bloß ihrer selbst wegen war dem gesunden Sinn der Rö- mer fremd; die Wissenschaft, die sie locken sollte, mußte nicht bloß dem Subject, sondern der Welt zu gute kommen. Gerade darauf beruhte die hohe Anziehungskraft der Jurisprudenz, daß sie nicht bloß dem wissenschaftlichen Bedürfniß, sondern auch dem Triebe nach praktischer Thätigkeit volle Befriedigung ver- sprach. Sie war gewissermaßen der Abzugskanal für die im Staatsdienst nicht verwendbare, überschüssige praktische Kraft. So kam die Jurisprudenz schon ihrer selbst wegen dem Le- ben mit größter Bereitwilligkeit entgegen. Ja mehr, als das. Sie trieb ihren Diensteifer so weit, daß man sagen möchte, die Jurisprudenz habe mehr das Leben, als das Leben sie gesucht, 28* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. und der Drang, die Dienste zu erweisen, auf der einen sei stärker gewesen, als das Bedürfniß nach denselben auf der andern Seite. Wir können uns den thätigen Antheil, den die Jurisprudenz an dem Geschäftsleben nahm, nicht ausgedehnt genug denken, und wenn Cicero den Juristen den Vorwurf macht, sie hätten das Recht so eingerichtet, daß sie überall mit dabei sein müßten, pro Murena c. 11: notas composuerunt, ut omnibus in rebus ipsi interessent, womit er auf die Formeln zielt. Das Beispiel, das er folgen läßt, ist zwar dem Prozeß entlehnt, allein der Vorwurf selbst ein all- gemeiner. so dürfen wir demselben, indem wir ihn im übrigen auf sich beruhen lassen, jedenfalls die Thatsache entnehmen, um die es uns hier zu thun ist, die der Allgegenwart des Juristen. Nur freilich mit einer Beschränkung. Gerade da nämlich, wo wir ihn nach unsern heutigen Verhältnissen am ersten erwar- ten würden, vor Gericht als Sachwalt, trat er wenigstens spä- terhin regelmäßig zurück, um den Platz der Parthei selbst oder dem eigentlichen Redner zu überlassen. So wenigstens zu Cicero’s Zeit. Ob es früher anders gewesen, und aus welcher Zeit die Trennung zwischen Juristen und Redner herrührt, läßt sich nicht bestimmen. Von dem Juristen als solchem wird auch in älterer Zeit immer nur das respondere, nie das causas orare erwähnt, und von ersterem trägt er auch seinen Namen: jure consultus . Von Tubero heißt es in L. 2 §. 46 de orig. jur. (1. 2): transiit a causis agendis ad jus civile. Aehnlich von Servius §. 43 ibid. Schon im sechsten Jahr- hundert der Stadt verbot ein Gesetz, die lex Cincia, sich pro causa oranda bezahlen oder beschenken zu lassen. Schon damals also scheint es ein Er- werbszweig gewesen zu sein, und ist es übrigens auch trotz der lex Cincia geblieben. Tac. Ann. XI, 5 — 7. Um dies zu begreifen, muß man die von unserer heutigen völlig abweichende Einrich- tung des römischen Prozesses kennen, wornach derselbe in zwei Theile zerfiel, jus und judicium, oder in ein Verfahren vor dem Prätor und vor dem Richter, judex. Dort hatte der Anspruch seine juristische Prüfung zu bestehen, ob er, das Vorbringen des Klägers als wahr angenommen, juristisch haltbar sei, ob und Die Jurisprudenz. §. 42. welche Einwendungen des Beklagten zuzulassen u. s. w., und es erfolgte darauf hin gewissermaßen ein hypothetisches Urtheil, nämlich die Instruction an den Richter zu condemni- ren oder zu absolviren, wenn sich die von der einen oder andern Parthei vorgebrachten Thatsachen bewahrheiten sollten. Das Hauptaugenmerk des Richters war also auf den Beweis ge- richtet, und daher erklärt es sich, daß derselbe kein Jurist zu sein brauchte und es regelmäßig auch nicht war, und sodann daß die Lehre vom Beweise , die in unserer heutigen Juris- prudenz eine so große Rolle spielt, in der römischen ungleich weniger hervortritt, da sie mehr Sache des Redners, als des Juristen war. Allerdings handelte es sich bei der richterlichen Untersuchung nicht lediglich und ausschließlich um die That- frage , sondern auch um die rechtliche Beurtheilung dersel- ben, allein in der Regel nur so weit, daß dazu die gewöhnlichen Rechtskenntnisse eines Laien ausreichten. Wo ausnahmsweise ein mehres erforderlich war, namentlich also bei intrikaten Rechtsfragen, Controversen u. s. w., holte der Richter Beleh- rung bei einem Juristen ein, oder die interessirte Parthei oder deren Sachwalt brachte von demselben ein Gutachten oder ihn selbst als Gewährsmann mit vor Gericht. Cic. Top. 17: nam et adsunt multum et adhibentur in consilio et patronis diligentibus ad eorum prudentiam confugientibus hastas ministrant. L. 2 §. 47 de orig. jur. (1. 2) .. judicibus scribebant aut testabantur qui illos consulebant. Insoweit pflegte also auch ein Jurist in die Verhandlungen vor dem Richter einzugreifen, im übrigen aber fielen dieselben, wie ge- sagt, gewöhnlich dem Patron d. i. dem Redner zu. Wo der Rich- ter ein Laie war, begreift es sich, daß auch der Sachwalt keiner großen Rechtskenntniß bedurfte. Eine eigentlich gelehrte juri- stische Bildung ging ihm regelmäßig ab, Dies gibt auch Cicero von sich zu, ungeachtet er doch einen Cur- sus in der Jurisprudenz bei Quintus Mucius durchgemacht hatte, pro Mu- aber nichts desto Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. weniger mußte sein Beruf ihn mehr mit dem Recht vertraut machen, als den gewöhnlichen Laien, und er mochte zwischen Laien und Juristen etwa eine ähnliche Mittelstufe bezeichnen, wie das heutige Subalternpersonal der Gerichte. Was man von ihm verlangte, war nicht Wissen, Studium, sondern das Talent und die Künste des Advokaten, den Fluß und Glanz der Rede, eindringliche Diction, schlagfertige Dialektik, dreistes, muthiges Auftreten selbst bei schlechter Sache, kurz Eigenschaften, die, wie Cicero bemerkt, auch in Rom nicht Jedermanns Sache waren. pro Murena c. 13. Sic nonnullos videmus, qui oratores eva- dere non potuerunt, eos ad juris studium devenire. Es verräth den feinen Takt der Römer, daß sie die- sen Beruf weniger achteten, als den des Juristen, eine Thatsache, die Cicero bezeugt, indem er sie bekämpft. Der Jurist konnte der Wahrheit die Ehre geben, er blieb dem Gezänke und dem Kampf der Leidenschaften fremd und nahm für seine Gefällig- keit kein Geld. Der Redner aber, dem nicht selten erst die Aus- sicht auf Lohn den Mund öffnen mußte, Tac. Ann. XI, 7: eloquentiam gratuito non contingere. hatte die Verpflich- tung, sich auf den Standpunkt der Partei zu stellen; er konnte es oft nicht umgehen, die Wahrheit zu bestreiten, der Lüge sei- nen Mund zu leihen, das Sachverhältniß zu entstellen und zu verwirren, spitzfindige Argumente vorzubringen, an die er selbst nicht glaubte — kurz zu Mitteln seine Zuflucht zu nehmen, die vor der Kritik des feineren Ehrgefühls nicht immer die Probe bestehen. In recht anschaulicher Weise tritt dieser Gegensatz zwischen Ju- risten und Redner in der Anekdote hervor, die Cicero de orat. I. 56 mit- rena 13 und de orat. I, 58. Wie weit die Unkenntniß der Redner gereicht haben mag, sieht man aus Cic. de orat. I. 56 sq. quod vero impuden- tiam admiratus es eorum patronorum u. s. w. Servius (cum in causis orandis primum locum obtineret ..) war so unkundig, daß er nicht einmal ein Responsum des Quint. Mucius sofort verstand. L. 2 §. 43 de orig. jur. (1. 2). Die Jurisprudenz. §. 42. Wie es sich nun auch mit dieser Theilung der Arbeit zwi- schen dem eigentlichen Juristen und Redner verhält, der Um- fang der Geschäftsthätigkeit des ersteren blieb immerhin noch ein so ausgedehnter, daß der Ausdruck: Allgegenwart des Juri- sten ein völlig angemessener ist. Der thätige Antheil, den der- selbe am Rechtsleben nahm, beschränkte sich keineswegs auf rein juristische Dinge, auf Ertheilung eines rechtlichen Gut- achtens (respondere) , Abfassung von Contracten, Testamenten u. s. w. (cavere, scribere) , Auf Grund der militia urbana respondendi, scribendi, cavendi bei Cic. pro Murena c. 9 hat man die gesammte praktische Thätigkeit in drei abgesonderte Zweige: respondere, scribere, cavere zerlegen wollen und Bach Hist. Jurisp. II 2, §. 8—11 gibt sich die erdenklichste Mühe, dieselben zu be- stimmen und gegen einander abzugränzen. Allein ich glaube, man hat hier Cicero zu viel Ehre angethan; ich wenigstens kann in seiner angeblichen Clas- sification nichts als eine höchst äußerliche, wissenschaftlich völlig werthlose Aufzählung einzelner juristischer Geschäfte erblicken, und er selbst war wohl weit davon entfernt ein weiteres zu beanspruchen, denn sonst hätte er doch in seiner Schrift de oratore I, 48 das scribere nicht völlig weglassen und dafür agere setzen können, was Puchta Curs. der Instit. I, §. 76 veranlaßt, noch von einem „vierten Bestandtheil“ zu reden. Auf Grund einer andern Stelle, nämlich de republ. V, 3. .. responsitando et lectitando et scriptitando hätte Puchta noch einen fünften Bestandtheil annehmen können. Der Versuch von Bach hätte, wie ich meine, jeden Spätern von dem Glau- ben an den Werth dieser Eintheilung heilen sollen. Enthält denn das scri- bere einen Gegensatz zu cavere und selbst zu respondere? Wer ein schrift- liches Gutachten ausstellte, der nahm zugleich das scribere und respon- dere vor ( L. 2 §. 47 de orig. jur. 1. 2), wer einen Contract aufsetzte, das cavere und scribere u. s. w. Von einer solchen Eintheilung sollte man lieber schweigen, als reden, jedenfalls aber nicht zu viel Wesens von ihr machen. sondern er erstreckte sich auch auf Maßregeln rein wirthschaftlicher Art, und selbst auf Fra- theilt. Das Responsum, das der Jurist ertheilt hatte, war verum magis, quam ad rem suam (consulentis) accommodatum. Der Redner weiß aber Rath: alludens varie et copiose multas similitudines afferre multaque pro aequitate contra jus dicere u. s. w., kurz er accommodirt seine Ansicht dem Bedürfniß und Wunsch des Anfragenden. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. gen des Familienlebens z. B. Verheirathung der Tochter. Cic. de orat. III, 33. Der Jurist war der Vertrauensmann der Familie, ohne dessen Rath nichts geschah, und oft gewiß auch der Unterhändler und Vermittler, kurz er nahm ungefähr die Stellung ein, wie sie der Beichtvater vielerwärts zu bekleiden pflegt. Seine Dienstlei- stungen waren also mehr prophylaktischer Art, während die des heutigen mehr therapeutischer Art sind. Ein Gegensatz, den Cicero pro Murena 13 mit salubritas und salus bezeichnet, indem er jene dem Juristen, diese dem Redner zuweist. Gewiß war es nicht der bloße Thätigkeitsdrang oder eine uninteressirte Dienstfertigkeit, die ihn zu seinen Mühwal- tungen bestimmte; auch er selbst mußte dabei seine Rechnung finden. Und allerdings fehlte der Lohn nicht. Nur war’s freilich kein klingender; die Consultanten kamen mit leeren Händen. Aber wenn auch kein Geld, so brachten sie doch etwas anderes, das einem unabhängig gestellten Römer nicht minder galt — Ehre, Achtung, Ansehn, Popularität und Einfluß. Der ex privatorum negotiis collecta gratia gedenkt Cicero de orat. III, 33. Wie sehr der Jurist auf Dank rechnete, darüber s. die Anekdote bei Val. Max. IX, 3, 2. Je mehr Consultanten, desto höher der Ruf des Juristen; am Con- sultirtwerden erkannte man den „Jure consultus “. Wessen Haus den ganzen Tag über von ihnen nicht leer ward, bei wem sie, um mit Horaz Hor. Sat. I, 10. zu reden, schon beim ersten Hahnenschrei anpochten und ihm selbst auf dem Krankenlager keine Ruhe ließen, Cic. de orat. I, 45 … in ejus infirmissima valetudine af- fectaque jam aetate. der genoß eine kaum minder geachtete und einfluß- reiche Stellung, als die höchsten Würdenträger der Republik. Ein solches Haus galt in den Augen des Volks als ein öffent- liches, in das Jeder aus- und einging, zu dem Jeder freien Die Jurisprudenz. §. 42. Zutritt hatte, es war nach Cicero de orat. I, 45 oraculum totius civitatis. das Orakel der ganzen Stadt, und diese juristischen Erkundigungsbüreaus gehörten wesentlich mit zur Physiognomie Roms. Von dieser Auffassung ausgehend schenkte einst der Senat einem namhaften Juristen, um dem Volk den Weg zu kürzen, ein Haus an bequem gele- gener Stelle. L. 2 §. 37 de orig. jur. (1. 2). Wer einen solchen Zuspruch zu Hause nicht erwarten konnte, wie namentlich der Anfänger, oder es dem Volk bequemer machen wollte, verstand sich zur ambulanten Praxis und verlegte, so zu sagen, sein Büreau auf die juristi- sche Börse, das Forum, mitten in das Gewühl des Verkehrs und das Getreibe der Rechtspflege, um hier für alle Fälle des unmittelbarsten Bedürfnisses mit Rath und That sofort bei der Hand zu sein. Cic. de orat. III, 33. Die ganze Einrichtung habe ich berührt nicht ihrer selbst wegen, sondern weil sie ein unentbehrliches Hülfsmittel für das Verständniß des römischen Rechts ist. Daß letzteres so und nicht anders geworden, hat zum wesentlichen in ihr seinen Grund; sie hinweggedacht — und Vieles hätte völlig anders werden müssen. Dahin gehört vor allem der von der römischen Jurisprudenz mit eiserner Strenge durchgeführte Formalismus (§. 46). Bei manchen Ausflüssen desselben Eine Blumenlese daraus habe ich bei einer andern Gelegenheit gegeben. S. Gerbers und meine Jahrbücher B. 1. S. 31 fl. muß, wie ich meine, jeden Unbefangenen ein gewisses Grauen beschleichen, und es gehört ein eingefleischter Romanismus dazu, um keinen Anstoß an ihnen zu nehmen oder gar für das heutige Recht ihre Gültigkeit zu vertheidigen. Man denke sich, daß an einem verkehrten Wort (z. B. heres ne esto statt exheres esto ) die Gültigkeit des ganzen Testaments oder der Verlust des Pro- zesses hing, und daß ein einziges weggelassenes oder gesetztes et Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. vermöge der Grundsätze des Accrescenzrechtes dem Erben oder Legatar eine Million wiegen konnte. So sehr immerhin die Strenge in der Handhabung des Wortes der Weise des römi- schen Volkes entsprach, so kann ich mir doch den Umstand, daß derartige Subtilitäten praktisch durchführbar waren, das Volk sich nicht dagegen opponirte und sie abschüttelte, nur aus der obi- gen Einrichtung erklären. In der Hand des Juristen , welcher die Testamente und sonstige Urkunden abfaßte, verloren sie ihr Ge- fährliches, denn wenn seiner Zeit das Wort auch aufs strengste ur- girt ward, so kam doch kein anderes Resultat heraus, als was die Parthei selbst beabsichtigt und durch den Juristen nur in kunst- gerechter Weise hatte formuliren lassen; was man den Worten entnahm, war in sie hineingelegt. Nur dadurch waren meiner Meinung nach die strengen Gesetze, welche die Jurisprudenz dem Verkehr dictirte, haltbar, daß die Juristen ihm die Anwen- dung derselben abnahmen, nur darum waren die schmahlen und hart an Abgründen vorbeiführenden Wege, die die ältere Juris- prudenz im Recht angelegt hatte, erträglich, daß jederzeit ein kundiger und williger Führer bereitstand. Copia jurisconsulti. Daß es daran gefehlt hätte: raro acci- piendum est L. 9 §. 3 de jur. ign. (22. 6). Die Allgegen- wart des Juristen war ein stillschweigendes Po- stulat des alten Rechts . Der Jurist mußte gegen den Juristen schützen; die Dienstfertigkeit des Praktikers war das unentbehrliche Gegengewicht gegen die strengen Anforderungen des Theoretikers; hätte dies Gegengewicht gefehlt: ich kann mir nicht denken, daß die Theorie so hätte lauten können, wie sie gelautet hat. Darauf beruhte auch die dem Soldaten- stande in rechtlicher Beziehung eingeräumte eximirte Stellung. Dieselbe war nicht eine Sache der reinen Gunst und Bevorzu- gung, sondern durch die eigenthümlichen Verhältnisse dieses Standes mit Nothwendigkeit geboten, denn dem Soldaten fehlte, ganz abgesehen von seiner eignen geringeren Geschäfts- Die Jurisprudenz. §. 42. kenntniß, die stets bereite Hülfe des Juristen — auf das Lager und die Schlacht erstreckte sie sich nicht. Die Allgegenwart des Juristen bedeutete also für den Ver- kehr zuerst eine unentbehrliche Hülfe . Sie bedeutete aber so- dann zweitens auch einen heilsamen Einfluß auf denselben. Die Innigkeit des Verhältnisses zwischen der Jurisprudenz und dem Verkehr kam beiden zu gute. Dem Verkehr , indem die Jurisprudenz beständig die Hand an seiner Pulsader hatte, wußte, was ihm Noth that, und wie ihm zu helfen. Der Juris- prudenz , indem sie, ohne seinen materiellen Exigenzen etwas zu versagen, ihnen die Form geben konnte, die sie von ihrem Standpunkt aus für die wünschenswertheste halten mußte. Die Ansätze zur Bildung neuer Geschäfte, die das Leben machte, namentlich auf dem Gebiet der Verträge (man denke z. B. an das pactum de vendendo beim pignus ) erhielten durch die Juristen ihre formelle Redaction. Indem letztere die Vertragsurkunden abfaßten, hatten sie es in ihrer Hand, ihnen die passendste Form zu geben, die juristische Construction nicht erst zu begin- nen, wenn der Bildungsprozeß des Instituts abgeschlossen, und dasselbe als ein fertiges, unabänderliches vor ihnen lag, son- dern das juristische Element schon dem in der Bildung begriffe- nen Stoff selbst zuzusetzen, die Bildungen des Verkehrs im juri- stischen Geist zu leiten und lenken und regeln, kurz den Verkehr juristisch zu discipliniren. Wie wäre aber diese juristische Er- ziehung, der das römische Recht so unendlich viel verdankt, denkbar gewesen ohne jene Allgegenwart des Erziehers? Und wiederum frage ich, wie wäre letztere denkbar gewe- sen, wenn die Kunst in Rom, wie bei uns, nach Brod gegan- gen wäre? Für die Charakteristik der römischen Jurisprudenz ist es, so paradox es klingt, einer der wesentlichsten Züge, daß sie sich nicht bezahlen ließ. In diesem einen , scheinbar so äußerlichem Umstand liegt unendlich viel, liegt die halbe rö- mische Jurisprudenz. Das Honorar des Juristen, so unent- behrlich es heutzutage ist, darf nichts desto weniger sein ärgster Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Feind, sein Versucher genannt werden — ein Hinderniß seines vortheilhaften, eine Quelle seines unheilvollen Einflusses, ein Fluch unseres heutigen Rechtslebens. Das Geld ist es, das ihm da, wo er nicht fehlen dürfte, beim Abschluß der Rechts- geschäfte den Weg versperrt, das Geld, das ihn, wenn er endlich im Fall der Noth zugezogen wird, auf Abwege lockt, auf Ab- wege, wo seine Kunst nur dazu dient, das Feuer der Zwietracht anzufachen und zu unterhalten und der Lüge und dem Unrecht die Mittel zum längern Widerstand und selbst zum Siege zu leihen. An das Geld knüpfen sich die frivolen und langen Prozesse, an das Geld die Juristen ohne Lust und Liebe, ohne Talent und Verständniß für ihre Wissenschaft, an das Geld die gerechten und ungerechten Vorwürfe des Volks, kurz an dem Gelde klebt der Schmutz unseres Standes und die Er- niedrigung unseres Berufes . Alles dies blieb der römischen Jurisprudenz erspart. Wer sich ihr widmete, suchte nicht in ihr das Geld, sondern sie selbst; der innere Beruf war das Motiv für die Wahl des äußern , die falschen, unfähigen, verdrossenen Jünger blie- ben ihr fern. Darum aber stieß sie auch im Volk nicht auf Ab- neigung, Mißtrauen, Widerstand; gern und dankbar nahm dasselbe eine Hand, die sich nicht, indem sie half, zugleich nach dem Gelde krümmte. Daher auch die Allgegenwart des Juri- sten. Wo der rechtliche Rath und Beistand ein Handelsartikel ist, der nur gegen Bezahlung verabreicht wird, wie dies bei uns der Fall, ökonomisirt man im Gebrauch desselben, und der Jurist wird wie der Arzt häufig erst dann gerufen, wenn es zu spät ist. Anders aber, wo dieser Artikel, wie in Rom, kein Handelsartikel, sondern eine res communis war, überall umsonst zu haben wie Luft und Wasser. Hier durfte man von ihm den verschwenderischsten Gebrauch machen und that es auch. Darauf aber beruhte wiederum die ganze Herrschaft und Macht der alten Jurisprudenz über das Leben, ihre Aufsicht, ihre Erziehungsgewalt, ihr bildender Einfluß, die Gewöhnung Die Jurisprudenz. §. 42. desselben an die Beobachtung des strengen juristischen Sprach- gebrauchs, die Erträglichkeit der engen, knappen Formen des Verkehrs, die Möglichkeit der rücksichtslosen Consequenz, die Freiheit ihrer eignen wissenschaftlichen Bewegung, kurz die Durchführbarkeit der alten Theorie und damit sie selbst — das Reich und der Triumph der Jurisprudenz als einer Mathematik des Rechts ! Auch in Rom änderte sich dies, und als Ulpian L. 1 §. 5 de extr. cogn. (50. 13). seinen schönen Ausspruch that, den man als Motto über die alte Ju- risprudenz schreiben könnte: civilis sapientia est res sanctis- sima, quae pretio nummario non sit aestimanda nec dehone- standa, hatte derselbe weder für die Lehrer des Rechts, denen Ulpian die Worte zurief, noch für den größten Theil der prakti- schen Juristen, die Advokaten, eine praktische Wahrheit mehr, und die Einzigen, die noch in seinem Sinne handelten, waren jene namhaften von Staatswegen mit dem jus respondendi versehenen Juristen, deren Gedächtniß noch die ferne Nachwelt feiert. Wie wesentlich auch dies jus respondendi, wenigstens in der ihm später gegebenen Gestalt, mit dem Gesichtspunkt der Unentgeltlichkeit zusammenhängt, wie es in den Händen von Leuten, die aus dem Respondiren eine Erwerbsquelle gemacht hätten, absolut unmöglich gewesen wäre, das will ich, da die Einrichtung selbst nicht mehr in unsere Periode gehört, dem eignen Nachdenken des Lesers überlassen. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Haften des Rechts an der Aeußerlichkeit. (Sinnliches Element des ältern Rechts.) I. Der Materialismus. Das sinnliche Element auf der innern Seite des Rechts — der materialistische Zuschnitt der Begriffe und Institute — Beispiele: das furtum, damnum injuria datum, der Irrthum, Besitz und die Usucapion — wirthschaftliche und rechtliche Präponderanz der Sache ; die Sache die Axe des ältern Verkehrs und der Aus- gangspunkt des ganzen Vermögensrechts. XLIII. Hat uns der vorige Paragraph die Baumeisterin, so soll uns der jetzige ihr Werk kennen lehren. Nicht alles und jedes aber an diesem Werk gehört ihr an, und nicht alles, was wirklich von ihr herrührt, ist das Resultat einer eigentlichen Production. Der juristische Instinkt, die glückliche Organisa- tion des römischen Rechtsgefühls, die bildende Kraft des Ver- kehrs u. s. w. sind Factoren, die daran ebenfalls ihren Antheil hatten, aber es wäre vergebene Mühe, die Bausteine, die der eine oder andere zugetragen hat, sondern zu wollen. Im Wech- selverkehr mit dem Volk und Leben gab und nahm die Juris- prudenz, regte an und ward angeregt, bestimmte und ward be- stimmt, und wenn wir daher die technische Gestaltung des ältern Rechts als ihr Werk bezeichnen, während wir dasselbe in ge- nauerer Redeweise eine Schöpfung des juristischen Gei- stes nennen müßten, so geschieht es nur darum, weil sie die hauptsächlichste Trägerin und die eigentliche Personification die- ses Geistes war. Es ist also nicht die bloße Methode der alten Jurisprudenz , mit der sich die folgende Darstellung be- schäftigen soll, ihre Art zu denken und zu operiren im Gegen- satz zu der des Volks, sondern das Ringen des römischen Geistes mit dem Rechtsstoff, das im Recht selbst objectiv gewordene juristische Denken der Nation . Von dieser Weite in der Fassung unserer Aufgabe machen wir gleich jetzt Gebrauch. Die Erscheinung nämlich, der sich Haften an der Aeußerlichkeit. I. Materialismus. §. 43. der gegenwärtige Paragraph zuwendet, enthält nichts weniger als ein Product der Jurisprudenz. Aber sie gewährt uns einen höchst wichtigen Aufschluß über die Rechtsanschauung der ältern Zeit, sie signalisirt uns den Höhenpunkt ihres Auffassungsver- mögens, das geistige Niveau der Zeit, das für die Jurispru- denz maßgebend war. Die nächstfolgenden Paragraphen werden uns schon mehr in die eigentliche Thätigkeit der Jurisprudenz hinein führen. Wie eng aber das Juristische und Nichtjuristi- sche hier zusammenhängt, können gerade sie am besten zeigen; denn derselbe Gedanke, mit dem wir in diesem Paragraphen be- ginnen, der der Richtung der alten Zeit auf die Aeußerlichkeit oder, wie ich es nennen will, das sinnliche Element des Rechts, wird uns auch dort zur Seite bleiben. Die Sinnlichkeit ist die Vorstufe der Geistigkeit. Alles ur- sprüngliche Denken der Individuen und Völker ist ein sinnliches, der Geist wird nur dadurch frei von der äußern Erscheinung, daß er eine Zeitlang an ihr gehaftet und an ihr die Vorschule des abstracten Denkens durchgemacht hat. Diesem Naturgesetz, das sich auf allen Gebieten des menschlichen Denkens und Wis- sens bewährt, unterliegt natürlich auch das Recht. Aber wie, wird man fragen, ist nicht das Wesen des Rechts damit unverträglich? Denn besteht dasselbe nicht gerade in dem Sichlosreißen von der concreten, äußern Erscheinung, im Ab- strahiren? Jeder Begriff, jeder Rechtssatz enthält ja eine Ab- straction, ein Allgemeines, das von dem Besondern absieht. Gewiß; allein nichts desto weniger ist auch hier dem Sinnlichen ein breiter Zugang geöffnet. Zuerst und vor allem nämlich auf der Erscheinungs- oder Verwirklichungs seite des Rechts d. h. in den Formen, in denen das Recht im Leben wie vor Ge- richt zur Anwendung und concreten Wirklichkeit gelangt. In der Religion entspricht dieser Seite der Cultus, und so wie letz- terer durch das Ceremonienwesen dem sinnlichen Hange des Geistes volle Befriedigung gewähren kann, so das Recht durch das Formenwesen. Nach dieser Seite hin leistet das innere Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Wesen des Rechts dem sinnlichen Element so wenig Wider- stand, daß sich letzteres hier umgekehrt mit großem Nutzen ver- werthen läßt. Von dieser Erscheinung, die ich als Forma- lismus bezeichne, wird §. 45 u. fl. die Rede sein. Anders freilich auf der innern Seite des Rechts, der auf dem Gebiet der Religion das Dogma entspricht. Hier handelt es sich nämlich um ein Innerliches und Allgemeines, nennen wir es nun den Rechtssatz oder den Begriff. In und aus den Verhältnissen des Lebens soll hier die Rechtsidee erkannt und zur Allgemeinheit des Ausdrucks gebracht, es soll von allem, was die concrete Anschauung besticht und bestimmt, der äußeren Verschiedenheit der Personen, Gegenstände, Verhältnisse, Lagen, Umstände abstrahirt und der reine abstracte Kern gewonnen wer- den. Ein Beharren in der sinnlichen Vorstellungsweise würde hier ja, wie es scheint, mit Nichtlösung der Aufgabe gleichbedeutend sein. Und in der That setzt das Recht hier jener Vorstellungs- weise einen ungleich stärkeren Widerstand entgegen, als die Religion. Denn die religiösen Ideen und Abstractionen neh- men willig concrete Gestalt an, die Abstraction der Kraft, in der dem Menschen zuerst die Ahnung des Göttlichen aufgeht, versinnlicht sich zu einem Gott, aber welche concrete Gestalt fände sich für die rechtlichen Abstractionen? Die Rechtsbegriffe und Rechtssätze bleiben, was sie sind; denn die concrete oder selbst poetische Form ihres Ausdrucks betrifft eben nur die Fassung, nicht ihre innere Beschaffenheit und Substanz. Dar- um, glaube ich, ist es nicht gewagt zu behaupten, daß das Recht das Gebiet ist, auf dem der menschliche Geist mit Noth- wendigkeit sich zuerst zur wahren Abstraction hat aufschwingen müssen; das erste Gesetz , mochte es betreffen, was es wollte, war der erste Ansatz des Geistes zur bewußten All- gemeinheit des Denkens , die erste Veranlassung und der erste Versuch, sich über das allgemeine geistige Niveau der Zeit zu erheben. Allein so sehr nun auch einerseits das Recht gebieterisch zur Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. Abstraction drängt, so findet doch das sinnliche Element Gele- genheit, sich in und bei diesem Akt wieder einzudrängen. Der Geist abstrahirt — gewiß! aber die Sinnlichkeit ist das Prisma, durch das er die Dinge betrachtet. Er gewinnt Rechtssätze — aber der Zuschnitt derselben ist ein substan- tieller; nur die gröberen, derberen, äußerlich in die Sinne fallenden Momente des Verhältnisses sind in ihnen berücksich- tigt, alle feineren übersehen. So vergegenwärtigt uns diese Erscheinung, für die ich den Namen Materialismus wähle, gewissermaßen das Ringen der Abstraction mit der sinnlichen Anschauungsweise. Zwischen Materialismus und Formalismus schiebe ich noch eine andere Erscheinung ein (§. 44), die gleichfalls unter den ihnen beiden gemeinsamen Gesichtspunkt des Haftens an der Aeußerlichkeit fällt, auf die ich hier aber nicht weiter eingehe, das Haften am Wort oder die Wortinterpretation der älteren Jurisprudenz. Wir wenden uns zunächst dem Materia- lismus zu. Die materialistische Auffassungsweise im Recht äußert sich darin, daß sie sich bei ihren Abstractionen an das in die Augen Fallende hält, ihre Rechtssätze, Begriffe, Unterschiede nach äußerlichen Momenten zuschneidet, die idealeren Beziehungen, Seiten und Unterschiede ignorirt. Die Gesetze und Begriffe einer rohen Zeit sind, wie die Menschen selbst, handfeste, un- geschlachte Gesellen, die nur fassen und fangen, was sie mit der ganzen Faust packen können. Anstatt uns bei einer allgemei- nen Charakteristik des Materialismus aufzuhalten, wollen wir ihn lieber in seiner concreten Gestalt, die er im ältern Recht gewonnen hat, vorführen; die Beispiele sprechen für sich selbst, namentlich wenn man ihnen, wie dies geschehen soll, die ab- weichende, mehr innerliche, spiritualistische Gestaltung im heu- tigen oder neuern römischen Recht gegenüber stellt. Ich beginne mit zwei Delicten des ältern Rechts. Unser heutiges Recht straft den Diebstahl von Staatswegen, das äl- Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 29 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. tere römische bloß auf Antrag des Bestohlenen. Was liegt dieser Verschiedenheit zu Grunde? Dem äußern Vor- gange nach ist der Diebstahl ein Eingriff in fremdes Ver- mögen, einem auf das Aeußere gerichteten Blick wird mithin der Diebstahl als eine bloße Verletzung des Bestohlenen, deren Verfolgung lediglich ihm selbst zusteht, erscheinen. Die Be- ziehung des Diebstahls zum Staat, die mittelbare Richtung desselben gegen die Rechtsordnung, setzt, da sie etwas Unsicht- bares, Idealeres ist, zu ihrer Wahrnehmung eine geistigere Auffassung voraus. Während nun dieses innere Moment im ältern römischen, wie in so vielen andern Rechten unberücksichtigt bleibt, begrün- dete dagegen der rein äußerliche Unterschied zwischen dem Er- tapptwerden des Diebes auf der That ( furtum manifestum ) und der späteren Entdeckung des Diebstahls ( f. nec manife- stum ) eine höchst einflußreiche Verschiedenheit. Der ertappte Dieb fiel früher dem Bestohlenen als Sklave anheim, später konnte er sich mit dem Vierfachen des Werths der gestohlenen Sache loskaufen, der nicht ertappte hingegen kam mit dem Doppelten des Werthes davon. Fragen wir: woher dieser Unterschied? so finden wir keine andere Antwort darauf, als unsern Gesichtspunkt des Haftens an der Aeußerlichkeit. Der verbrecherische Vorsatz ist in dem einen wie dem andern Fall ganz derselbe, die innere Strafwürdigkeit ganz gleich; was zwi- schen beiden den Ausschlag gibt, ist ein reiner Zufall. Allein dieser Zufall bewirkt eine auffällige äußere Verschiedenheit beider, und dadurch läßt das naive Rechtsgefühl sich bestechen. Ein anderes Beispiel gewährt das damnum injuria datum des ältern Rechts. Die Jurisprudenz definirte dasselbe, indem sie die von der lex Aquilia namhaft gemachten einzelnen Fälle auf ein Princip zurückführte, als damnum corpore corpori datum Gaj. III, 219. §. ult. Inst. ad leg. Aq. (4. 3). d. h. als Beschädigung eines Gegenstandes durch Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. unmittelbare positive äußere Einwirkung auf denselben. Wer durch Oeffnen des Käfichs das Entfliehen oder durch Einsperren den Tod eines Thieres verschuldet hatte, haftete für nichts, denn im ersten Fall war das Thier nicht beschädigt , im zweiten Fall nicht durch unmittelbare Einwirkung, dort lag kein damnum corpori , hier kein damnum corpore datum vor. Die lex Aquilia hatte sich in materialistischer Weise an den sichtbaren Schaden gehalten. Anders die neuere Doctrin, die dem Begriff der Beschädigung erst die erforderliche Ausdeh- nung gegeben hat. Den äußersten Gegensatz zu dem damnum injuria datum des alten Rechts bildet im neuern die actio de servo corrupto des prätorischen Edicts. In ihr prägt sich der ganze Umschwung der Anschauung aufs unverkennbarste aus, denn das corpore corpori datum ist hier in sein directes Ge- gentheil umgeschlagen, das Delict setzt nämlich voraus eine durch moralische Einwirkung ( animo ) bewirkte moralische Corruption eines Sklaven ( animo datum ). Ebenso bedeutungsvoll wie die Delicte, die das ältere Recht kennt , sind die, die ihm fehlen . Plünderung einer Erbschaft (das spätere crimen expilatae hereditatis ) gilt nicht als Un- recht; es ist ja Niemand da, dem die Sachen gehören, die Be- ziehung derselben zum künftigen Erben ist etwas lediglich im Gedanken existirendes. Ebenso wenig der Betrug ( dolus ). Denn der Betrug enthält keinen äußeren Eingriff in eine fremde Rechtssphäre; eine falsche Nachricht, ein schlechter Rath u. s. w. ist an sich kein Delict, die Mittel, deren sich der Dolus bedient, sind äußerlich legal . Es ist der Wolf, der sich in den Schafpelz kleidet, der Heuchler unter den Delicten, und erst als man gelernt hatte aufs Herz und nicht mehr bloß auf die Hände zu sehen, griff man auch diesen Sünder, der früher frei durch ging. Nicht minder lehrreich ist die Behandlung des Irrthums über das Object . Im ältern Recht findet nur der Irrthum über das Individuum ( error in corpore ), im neuern Recht 29* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. hingegen auch der über die Eigenschaften (s. g. error in sub- stantia, materia ) Berücksichtigung. Ueber jenes s. die L. 22 de V. O. (45. 1), in welcher von der Stipulation d. h. der aus dem ältern Recht stammenden obligatio stricti juris die Rede ist, über dieses s. die L. 9 §. 2 de cont. emt. (18. 1), welche von dem dem neuern Recht angehörigen Kaufcontract handelt. Marcellus stellt hier zwar noch rücksichtlich desselben im Geist des ältern Rechts die Behauptung auf: emtionem esse, quia in corpus consen- sum est, allein Ulpian berichtigt ihn. Worauf beruht diese Verschiedenheit? Ich meine darauf, daß das ältere Recht die Richtung des Willens auf seinen Gegenstand mehr äußerlich, das neuere sie mehr innerlich erfaßt. Wenn der Käufer das bleierne Gefäß irrthümlich für ein silbernes hält und bezahlt, so hat er, sagt die ältere Jurisprudenz, nichts desto weniger dies Gefäß gewollt, sein Irrthum bezieht sich bloß auf etwas Innerliches, nicht auf die äußere Identität des Objects. Die neuere Jurisprudenz hingegen sagt folgendermaßen: Das Ob- ject, wie es äußerlich erscheint, ist nicht das, was der Käufer wahrhaft will , sondern er will in demselben die Bestimmung, Macht, Kraft, Tauglichkeit der Sache. Ist dieselbe also eine völlig andere, als er annahm, so ist die Sache selbst eine an- dere, als die er meinte; sie hat mit letzterer nur den äußern Schein gemein. Es ließe sich hier auch die erst durch das ädilitische Edict ein- geführte (also dem ältern Recht unbekannte) Verpflichtung des Verkäufers für die heimlichen Fehler und Mängel einzustehen, in Bezug nehmen. Nach älte- rem Recht hat der Käufer nur im Fall des Nicht- habens (Eviction) einen Regreß gegen den Verkäufer, nach dem Edict auch im Fall des Schlechter- habens. — Auch die bekannte Controverse der Sabinianer und Prokulejaner über die Specification ( Gaj. II, 79 ) dreht sich um unsern Gegensatz. Eine materialistische Auffassung des Begriffs der Identität der Sache wird mit den Sabinianern die Substanz als das Wesentliche der Sache betrachten und daher den Einfluß der Specification auf das Eigenthum läugnen, eine spiritualistischere Auffassung aber mit ihren Gegnern die Form und Bestim- mung der Sache für das Entscheidende ansehn und darum mit einer Verände- rung derselben eine neue, dem Specificanten zufallende Sache annehmen. Besonders ergiebig für den Gegensatz des ältern und neuern Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. Rechts ist die Lehre von dem Besitz und der Usucapion. Ob- gleich der Besitz seiner ursprünglichen Natur nach ein rein that- sächliches Verhältniß ist, mithin ganz und gar der materialisti- schen Behandlungsweise anheimzufallen scheint, so findet doch auch hier der Gegensatz des Materialismus und Spiritualis- mus Raum genug, sich zu bethätigen, wie eben der Vergleich des ältern und neuern Rechts lehrt. So würde z. B. der Er- werb des Besitzes nach materialistischer Ansicht ein Ergreifen (Apprehension im wörtlichen Sinn) erfordern, und daß auch das ältere Recht dies gethan und sich nicht, wie das neuere, mit der bloßen Möglichkeit unmittelbarer Einwirkung, na- mentlich also nicht mit der s. g. traditio longa manu, dem Zeigen und Sehen der Sache, begnügt habe, wird wohl kaum in Zweifel gezogen werden, wenn man bedenkt, daß sich dies Requisit noch bis ins neuere Recht hinein als formeller Akt in dem manu capere der Mancipation erhalten hat. Das Ergrei- fen ( loco movere ) verlangten die älteren Juristen „plerique veterum“ in L. 3 §. 18 de poss. (41. 2). auch bei der Unterschlagung der deponirten Sache von Seiten des De- positars, während die neuere Jurisprudenz die Möglichkeit der Unterschlagung auch ohne eine solche materialistische Vollziehung derselben anerkennt. Papinian in L. 47 de poss. (41. 2). Ebenso bei der Verwand- lung des Depositums in ein Darlehn in L. 9 §. 9 de R. Cr. (12. 1) … etiam antequam moveantur .... animo coepit possidere. Die ältere Jurisprudenz sprach den juristischen Personen die Besitzfähigkeit ab, abermals ganz in Uebereinstimmung mit der natürlichen Gestalt des Verhältnisses, die neuere hingegen erkannte sie ihnen zu. L. 1 §. ult. L. 2 de poss. (41. 2). Die Zulassung des Besitzerwerbes durch freie Stellvertreter ist ebenfalls ein Fortschritt des neue- ren Rechts, in dem sich unverkennbar eine freiere Behandlung des Verhältnisses kundgibt. Nach der natürlichen Anschauung ist der Besitz verloren , Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. sowie ein Dritter sich denselben angeeignet hat. Dabei hat es das ältere Recht gelassen, während das neuere den Besitz eines Abwesenden bei Grundstücken trotz der Invasion fortdauern läßt. Ueber jenes s. die Ansicht von Labeo in L. 6 §. 1 L. 7 de poss. (41. 2), über das neuere L. 3 §. 7, 8 L. 25 §. 2 L. 46 ibid. In ungleich höherem Grade aber hat sich der obige Gegen- satz im Lauf der Zeit in der Usucapion bewährt. Die ur- sprünglichen Requisite derselben bestanden meiner Meinung nach Zu einer ähnlichen ist gelangt Stintzing über das Wesen von bona fides und titulus. Heidelberg 1852. in der Usucapionsfähigkeit der Sache ( res furtiva ) und dem rein äußerlichen Moment des fehlerfrei ( nec vi, clam, precario ) erworbenen Besitzes. Die spätere Entwicklung des Instituts bis ins heutige Recht hinein besteht nun darin, einmal, daß sich zu diesem äußern Element des Besitzes noch ein inneres hinzugesellt, welches im Lauf der Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnt, und sodann darin, daß das äußere Moment umgekehrt an Strenge verliert. Jenes innere Moment ist theils das objective Requisit des Titels, theils das subjective der bona fides, und zwar ist letzteres, wenn nicht rücksichtlich seines ersten Auftretens, so doch jeden- falls rücksichtlich seiner weiteren Ausdehnung und steigenden Zunahme das späteste; ihm gehört die letzte Periode unsers Instituts an. Dieselbe charakterisirt sich durch die Tendenz, den Schwerpunkt des Instituts mehr und mehr in die subjective Innerlichkeit des Usucapienten zu verlegen — eine Tendenz, die schon in der spätern römischen Jurisprudenz in der Zulassung eines titulus putativus unverkennbar zu Tage tritt und in der bekannten Bestimmung des Canonischen Rechts über die mala fides superveniens ihren definitiven Abschluß erlangt. Die Ab- schwächung des äußeren Moments äußert sich theils darin, daß dem Usucapienten der Besitz einer andern Person (seines Vor- gängers oder des Pfandgläubigers) angerechnet wird, theils Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. darin, daß bei dem Tode des Besitzers die Usucapion sogar ohne allen Besitz weiter läuft. Das Aeußerste, wozu es nach dieser Seite hin kommen könnte, wäre die völlige Beseitigung des Einflusses der Besitzunterbrechung d. h. die Zusammenrechnung der Zeit vor und nach der Besitzesstörung. Damit würde der letzte materialistische Rest der altrömischen Usucapionslehre beseitigt sein. Der erste Ansatz dazu findet sich schon im römischen Recht selbst, nämlich in der angegebenen Fortdauer der Usucapion während der her. jac. Einen weiteren Schritt hat das Preuß. Landrecht I 9 §. 601, 602 gemacht, indem es die Zusammenrechnung verstattet, wenn inzwischen kein Anderer den Besitz gehabt hat, während das österreichische Recht es beim römischen gelassen. Nur das französische hat sich hier, und wie ich glaube mit gutem Grunde und nachahmenswerthem Beispiel, völlig von der traditionellen Behandlungs- weise emancipirt, indem es dem Verlust des Besitzes, wenn er nicht über Jahresfrist gedauert, oder wenn während der Zeit auf Restitution des Be- sitzes geklagt ist (die spätere Verurtheilung vorausgesetzt), die Kraft der Unter- brechung der Usucapion abgesprochen hat. K. S. Zachariä Handbuch des franz. Civilrechts. Aufl. 5 von Anschütz Bd. 1 S. 531. Daß die Anstellung der Vindication von Seiten des Eigenthümers die Usucapion nicht unterbrach, war dem materialistischen Charakter derselben durchaus angemessen; bei der longi temporis possessio fand nach der Ansicht, die mir die richtigere zu sein scheint, das Gegentheil Statt, v. Wächter Erörterungen Hft 3 S. 101. Interessant ist es, wie Constantin in L. 10 Cod. de poss. (7. 32) dies rechtfertigt, nämlich damit, daß der Besitzer jetzt super jure possessionis vacillet et dubitet — auch hier schimmert wieder die obige Tendenz nach der subjectiven Innerlichkeit durch. und auch dadurch documentirt sie sich als ein Institut neueren Ursprunges. Käme es bloß darauf an, die materialistische Anschauungs- weise des ältern Rechts an einzelnen Beispielen zu veranschau- lichen, so würden wir die Zahl derselben hiermit schließen kön- nen. Anders aber, wenn wir, wie es unsere Absicht ist, uns über den Umfang und den Grad, in dem jene Ansicht sich im Recht verwirklicht hat, Rechenschaft geben wollen; hier ist es nöthig sich aller und jeder Spuren derselben, deren wir habhaft werden können, zu bemächtigen. Während nun die bisher mit- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. getheilten mehr locale und sporadische Aeußerungen waren, die untereinander in keinem weiteren Zusammenhange standen, gruppiren sich diejenigen, welche noch übrig sind, um zwei ge- meinsame Mittelpunkte, um den Begriff des Willens und die wirthschaftliche und rechtliche Bedeutung der Sache im äl- tern Recht. Es sind dies zwei wahrhafte Knotenpunkte der ma- terialistischen Ansicht, zwei centrale Ideen, die ihre Fäden und Ausläufer über alle Theile und Institute des ganzen Systems erstrecken. Die erste derselben werden wir aber besser im Ge- sammtzusammenhange mit der Theorie des Willens S. im zweiten Abschnitt den Paragraphen über die realistische Natur des Willens. behan- deln, die zweite soll hier ihre Erledigung finden. Das Gesetz des Materialismus und Spiritualismus gilt, wie überall, so auch für die wirthschaftliche Entwicklung. Dieselbe beginnt mit den Gütern, die man sehen und grei- fen kann, und erhebt sich erst nach und nach zur Wahrnehmung und praktischen Verwerthung idealerer Güter. Der Credit, das Talent, die Idee fungiren in unserm heutigen Güterleben als höchst werthvolle wirthschaftliche Factoren und sind von der Wissenschaft auch als solche anerkannt, allein wie lange haben diese Güter unbenutzt und unbekannt da gelegen, bis die Noth des Lebens dazu zwang, auch sie zu beachten und zu verwer- then. Mit der wirthschaftlichen Entwicklung aber hält die des Rechts gleichen Schritt, letzteres läßt sich als das Flußbett der wirthschaftlichen Strömung bezeichnen d. h. es ist zu jeder gege- benen Periode so weit und breit, als das Verkehrsbedürfniß es erheischt. Darum kann uns denn die Rechtsgeschichte dazu die- nen, uns über die Stufen und Fortschritte der wirthschaftlichen Ansicht und Bewegung Auskunft zu geben. Dies gilt nament- lich auch von der römischen So z. B. bezeugt die mancipatio , daß die Römer die Periode des Tauschhandels schon früh zurückgelegt hatten, daß der Kauf ursprünglich ein Baarkauf war und erst später ein Handel auf Credit ward. Die ältesten und insbesondere auch von der Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. Frage, die wir derselben hier vorlegen wollen, nämlich: was waren die wirthschaftlichen Factoren des ältern Verkehrs. Die Antwort lautet: Sachen und als Sachen behandelte Men- schen. Die freie menschliche Kraft das Talent, die Fertigkeit u. s. w., waren noch nicht als solche d. h. unabhängig von dem Product, in dem sie sich mittelbar bezahlt machen, Erwerbsquellen, Gegenstände des Verkehrs geworden. Die entsprechende juristische Form für die Verwerthung der mensch- lichen Kraft ist die Klagbarkeit der auf sie gerichteten Verträge; wo sie fehlt, wie dies im ältern Recht der Fall (S. Kap. 4), ist dies ein Beweis, daß der Verkehr das Bedürfniß darnach noch nicht empfindet. Allerdings kannte man auch im ältern Rom den wirthschaftlichen Werth des Arbeiters ; die juri- stische Form dafür waren die Herrschaftsverhältnisse der Skla- verei und der operae servorum, des Mancipium und der Schuldknechtschaft. Aber was man nicht kannte, war die Ab- lösung der einzelnen geistigen oder körperlichen Arbeit von dem Arbeiter, die Erhebung derselben zu einem rechtlichen Tausch- object. War diese Idee der alten Zeit zu hoch, oder überhob das Institut der Sklaverei sie der Nothwendigkeit, der Arbeit Anerkennung und Rechtsschutz zu gewähren? Ich zweifle freilich nicht daran, daß nicht auch schon in ältester Zeit Dienstleistun- gen und Handlungen bezahlt, noch auch daran, daß sie nicht vermittelst der Conventionalpön schon früh indirect zum Gegen- stande einer Obligation gemacht worden sind. Allein die directe Klagbarkeit eines auf entgeltliche Erweisung von Dienstleistun- beweglichen Tauschmittel waren Vieh und Getraide (Bd. 1 S. 132 Anm. 50). In der Werthschätzung der Sachen standen obenan Grundstücke, Sklaven und Zug- und Lastvieh; dies ergibt sich aus ihrer Auszeichnung gegenüber allen andern Sachen ( res mancipi — erstes Kapitel der lex Aquilia — ädi- litisches Edict —). Von den Prädial-Servituten sind Wege- und Wasser- gerechtigkeiten die ältesten, erst später erkannte man auch den Werth und das Bedürfniß der übrigen, die Urbanalservituten sind das Product der Zeiten des Luxus, in denen die Begriffe über Bedürfniß (servitus fundo utilis ) Brauchbarkeit, Werth sich wesentlich verfeinert hatten. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. gen gerichteten Vertrages gehört erst den letzten Jahrhunderten der Republik an, und sie beschränkte sich zudem lange Zeit hin- durch auf Dienstleistungen niederer Art (operae locari solitae). Kunst und Wissenschaft treten erst spät in den Kreis des Rechts, und nur mit Widerstreben öffnet es ihnen denselben und erst, nachdem das Leben thatsächlich ihren Anspruch auf Lohn an- erkannt hatte. Wie es nun die ältere Zeit noch nicht zu einer Abstraction der einzelnen Arbeit von dem Arbeiter, so hat sie es auch noch nicht zu einer Abstraction der einzelnen Gebrauchshandlung von der Sache gebracht. Wie der Arbeiter, so zu sagen, nichts ist, als der Inbegriff, die Summe von zukünftigen, einzelnen Lei- stungen, so die Sache der reale Niederschlag, die von der Natur gegebene Concentration einer Reihe von möglichen Dienstlei- stungen; der Werth beider ist im Grunde nichts anderes, als die nach Grundsätzen des Disconto berechnete Summe der sämmtlichen während ihrer Existenz möglichen Dienste nach Abzug der Gewinnungskosten. Haben nun beide nur darum einen Werth, weil sie die Summe dieser einzelnen Dienstlei- stungen sind, so bilden letztere eine Quote dieses Werths, und in wirthschaftlicher wie rechtlicher Beziehung müßte von den Nutzungen einer Sache ganz dasselbe gelten, wie von der Sache selbst, das Recht müßte also nicht bloß die entgeltliche Ueber- lassung, sondern auch die Vorenthaltung, Störung oder ver- zögerte Ueberlassung der Nutzungen auf gleiche Linie stellen mit dem Verkauf und der Vernichtung oder Beschädigung der Sache selbst. Allein jene idealen Stücke der Sache fallen in die Zeit , die Sache selbst in den Raum , und diese Verschiedenheit, die das geübte Auge nicht beirrt, wird doch für die materialistische Anschauungsweise sehr einflußreich. Dies wollen wir jetzt am ältern Recht nachweisen. Die Entziehung der Nutzungen einer Sache kann theils den Charakter eines Delicts (furtum usus) annehmen, theils bei Gelegenheit eines anderen auf Restitution der Sache selbst Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. gerichteten Verhältnisses (in rem und in personam actiones) Grund eines accessorischen Anspruches werden (omnis causa und mora). Daß nun das furtum usus späteren Ursprunges ist, als das furtum rei, davon bin ich zwar fest überzeugt, habe dafür jedoch keinen äußeren Beleg. Anders aber rücksichtlich des zweiten Falles. Hier läßt sich meiner Ansicht nach positiv nach- weisen, daß das ältere Recht auf entzogene Nutzungen, inso- fern sie sich nicht räumlich d. h. als Früchte abgelöst hatten, keine Rücksicht genommen hat. Denn bei den persönlichen Kla- gen lassen sich dieselben nur unter dem Gesichtspunkte des In- teresses verfolgen, das ältere Recht aber kennt keine Liquidation des Interesses (S. 112 fl.), bei dinglichen Klagen aber kom- men nur die Früchte in Anrechnung. Nun fallen zwar im neuern Recht auch die Nutzungen (als fructus civiles ) unter den Fruchtbegriff, L. 62 pr. de R. V. (6. 1). Den ersten Anstoß zu jener Ausdeh- nung mag die fructus licitatio beim interdictum uti possidetis gegeben haben; hier machte sie sich gewissermaßen von selbst. allein daß der ursprüngliche Umfang dieses Begriffs ein engerer war, sich auf die wirklichen Früchte be- schränkte, liegt schon im Namen, und jene Ausdehnung verräth meines Erachtens unverkennbar die spiritualistischere Auffassung einer späteren Zeit. Der Grund, warum man in allen jenen Fällen die entzogenen Nutzungen nicht in Anrechnung bringen konnte, liegt nicht in der Strenge des alten Rechts, welchen Ausdruck man namentlich gern für die Condictionen gebraucht — das ist eine hohle Phrase — sondern in der Rohheit der wirthschaftlichen Ansicht, der nur das sichtbare und greifbare Object, die Sache selbst und die Früchte, nicht aber das idea- lere Stück der Sache, die zeitweise Möglichkeit ihres Gebrauchs als wirthschaftliches Gut und rechtlich zu verfolgendes Object erschien. Hätte man den wirthschaftlichen Werth desselben er- kannt, so würde auch der Richter ihn haben zuerkennen müssen. Was der Verkehr schätzt, schätzt (aestimat) auch der Richter. Die richterliche aestimatio enthält den rechtlichen Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Ausdruck des wirthschaftlichen Werthbewußtseins der Zeit , beide können auf die Dauer nie erheblich divergiren. Ignorirte nun der ältere Verkehr die Nutzungen der Sache, wo sie nur accessorisch in Betracht kamen, so folgt daraus zwar nicht, daß er sie nicht dennoch selbständig in Form von Pacht und Miethe hätte verwerthen können, allein auch nach dieser Seite hin scheint mir die oben bereits erwähnte Thatsache höchst beachtenswerth, daß es für sie dem alten Recht an einem Maß- stab der richterlichen Schätzung fehlte. Worauf hätte der Richter den Vermiether oder Verpächter, der sich der Erfüllung des Vertrages weigerte oder den Gegner vor der Zeit exmittirte, verurtheilen sollen? Allerdings bot, wie bereits bemerkt, die Conventionalpön ein indirectes Sicherungsmittel, allein daß es eben eines indirecten Mittels bedurfte, daß das Recht nur Verpflichtung auf das Geben (dare) einer Sache anerkannte, das facere aber (im römischen Sinn fällt darunter auch die Miethe von Sachen wie von Personen) nicht für ein richterlich schätzbares Werthobject anerkannte, beweist eben die von mir dem ältern Verkehr und Recht zur Last gelegte materialisti- sche Erfassung des Werthbegriffs . Der Ausdruck: quanti ea res est, mittelst dessen der Prätor den Richter zur Aestimation anwies, hatte wie der Ausdruck fructus ursprüng- lich eine rein wörtliche Bedeutung; Sache und Werth waren ursprünglich und lange gleichbedeutend. Wie lange die alte Anschauungsweise, die bei der Schätzung nur die Sache selbst in ihrer Totalität ins Auge faßte, sich erhielt, dafür gibt die L. 3 § 1 uti poss. (43. 17) einen interessanten Beleg. Wie der Besitz juri- stisch etwas anderes ist als das Eigenthum, so hat er auch einen andern Ästi- mationswerth. Nichts desto weniger wollte noch Servius den Werth der Sache als Werth des Besitzes gelten lassen: tanti possessionem aestiman - dam, quanti ipsa res est, wogegen denn Ulpian mit Recht bemerkt: sed longe aliud est rei pretium, longe aliud possessionis. S. auch Fr. Mommsen Lehre vom Interesse S. 47 fl. Das Resultat der bisherigen Ausführung läßt sich in den Satz zusammen fassen: der ältere Verkehr operirte mit Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. Sachen , und wir gewinnen damit zugleich einen passenden Uebergang zum Folgenden. Dieser Satz hat nämlich außer der so eben betrachteten wirthschaftlichen noch eine specifisch juristi- sche Bedeutung. Vom Standpunkt der natürlichen Betrachtung aus möge man den Tauschverkehr als eine Uebertragung und Circulation der Sachen ansehen, vom Standpunkt des Juristen ist er eine Uebertragung von Rechten . Wer eine Sache erwirbt, ver- langt vom Recht den rechtlichen Schutz seines Erwerbes, der Ausdruck aber für den ihm darauf gewährten Anspruch ist Recht . Die Uebertragung einer Sache heißt daher juristisch Uebertragung des Rechts . Der Güterverkehr ist juristisch Begründung, Uebertragung, Aufhebung von Rechten . Die Richtigkeit dieser Bemerkung springt überall, wo es die Bestellung oder Uebertragung eines anderen Rechts an der Sache, als des Eigenthums gilt, sofort in die Augen, anders aber bei der Uebertragung des Eigenthums, bei dem, so zu sagen, Recht und Sache sich decken. Aeußerlich geht hier die Sache selbst über, und eine an der äußeren Erscheinung klebende Auffassung kann über diesem äußern Vorgang leicht den innern, den Uebergang des Rechts, übersehen oder richtiger mit ihm verwechseln. So auch das ältere Recht. Eigenthumsübertragung ist ihm in der That, so paradox es klingt, nicht Uebertragung des Eigen- thums, sondern der Sache. Der Uebergang des Rechts selbst als eines von dem bisherigen Innehaber zu lösenden Dinges von objectiver idealer Existenz ist ihm zu spitz, zu abstract. Darum löst die ältere Zeit den Hergang bei der Eigenthums- übertragung auf in ein Zurücktreten des bisherigen Eigen- thümers von der einen und ein Eintreten des neuen in die frei gewordene Sache von der andern Seite. So entschieden bei der mancipatio (B. 1. S. 107). So auch bei der gericht- lichen Abtretung (in jure cessio). Der juristischen Form nach findet bei letzterer das gerade Gegentheil der Succession in ein Recht Statt, denn der Erwerber, anstatt von dem bisherigen Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Innehaber sein Recht abzuleiten , bestreitet ihm umgekehrt die Zuständigkeit desselben, letzterer überträgt nicht, sondern tritt ab , weicht zurück (cedit in jure) , jener aber leitet sein Recht formell aus seiner eignen Person ab (vindicat). Ob auch die Tradition in dieser Weise aufgelöst werden darf, kann zweifelhaft sein. Für das neuere Recht halte ich es allerdings nicht für zulässig, allein dies schließt die Annahme für das äl- tere Recht nicht aus. Der im vorhergehenden aufgestellten Behauptung ließe sich die Fassung geben, daß das ältere Recht keine eigentliche Suc- cession d. h. keinen Eintritt in das Recht , sondern nur in die Sache eines Andern kannte. Daraus aber würde folgen, daß alle Rechte mit Ausnahme des Eigenthums unübertragbar gewesen seien, denn jener Ersatz der Succession ins Recht durch Succes- sion in die Sache war nur beim Eigenthum möglich, weil nur hier Sache und Recht sich deckten. Ist nun jene Behauptung nicht eine verwegene? So scheint es. Allein man erlaube mir folgende Erläuterung. Zunächst kann man mir entgegensetzen die Universalsuccession. Allein hier erfolgt der Eintritt bekannt- lich nicht in die einzelnen Rechte, sondern in die Gesammtper- sönlichkeit des Erblassers oder, um diesen neuerdings angefoch- tenen Ausdruck zu vermeiden, der Erbe wird in allen Beziehun- gen Repräsentant des Erblassers, loco defuncti. Dies Ver- hältniß scheidet von unserer Betrachtung völlig aus, denn unsere Behauptung bezieht sich nur auf die Unübertragbarkeit der einzelnen Rechte oder die Möglichkeit der Singularsuc- cession . Nun läugne ich allerdings nicht, daß das römische Recht neben den Verhältnissen, in denen es an dieser Unübertragbar- keit fortdauernd festgehalten, nämlich dem Mancipium (S. 192 Anm. 277), der Obligation, den Servituten und der Erbschaft (mit Ausnahme der deferirten hereditas legitima ) andere auf- weist, in denen es eine Uebertragung zuläßt, nämlich aus dem Familienrecht: die Uebertragung der väterlichen Gewalt und der Tutel, aus dem Vermögensrecht die gerichtliche Abtretung Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. der deferirten hereditas legitima. Daß der Innehaber der patria potestas das Kind einem Andern ins mancipium oder in die manus geben, und ebenso der Ehemann als Inne- haber der manus die Frau durch Remancipation in das Mancipium bringen konnte, berührt meine obige Behauptung nicht, denn hier wird nicht das bisherige Herrschaftsverhältniß übertragen, sondern ein neues , das bis- herige nicht bloß beschränkendes, sondern aufhebendes und die Person in ihrer Totalität ergreifendes Herrschaftsverhältniß begründet. Auch hier wird aber nicht ein Recht an der Person, sondern die Person selbst übertragen, oder wenn wir für Person und Sache einen gemeinsamen Namen wählen, der Gegenstand . Der Einfall Walters, daß der Mann die manus als solche auf einen Andern hätte übertragen können, verdient kaum eine Erwähnung, geschweige eine Widerlegung. Allein gerade die Art und Weise, wie es den Uebergang hier bewerkstelligt, ihn nämlich künstlich mit seiner Anschauungsweise vermittelt, setzt letztere selbst in ein helles Licht. In allen diesen Fällen greift es näm- lich zur in jure cessio, gibt also der Sache nach der obigen Bemerkung die Wendung, daß der Cedent nicht überträgt , sondern sich die Anerkennung des Cessionars als des allein Be- rechtigten durch den Prätor gefallen läßt. Ganz schlagend tritt dieser Vorgang namentlich im Fall der Adoption hervor, Wie v. Scheurl in seiner dissert. de modis liberos in adoptio- nem dandi Erlangae 1850 treffend nachgewiesen hat. Er vergleicht den Her- gang mit Recht mit der Delegation, die bekanntlich nicht sowohl eine Ueber- tragung der Obligation, als Untergang der alten und Errichtung einer neuen ist. denn hier hat der dreimalige, beziehungsweise einmalige Schein- verkauf ins Mancipium (S. 190) geradezu den erklärten Zweck, die väterliche Gewalt zu vernichten , damit der Cessionar als Vindicant auftreten könne. Ich werde an einer andern Stelle versuchen, für den so eben begründeten Satz von der Unübertragbarkeit der Rechte noch einen andern Erklärungsgrund zu gewinnen, an der gegenwär- tigen Stelle genügt es, seinen Zusammenhang mit dem Mate- rialismus der ältern Rechtsansicht aufzudecken. Oder richtiger gesagt, es bedarf dessen nicht, denn derselbe liegt auf offner Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Hand. Ein Eintritt in fremde Rechte mag uns immerhin noch so natürlich erscheinen, der ganze Vorgang beruht nichts desto weniger auf Abstraction, er geht rein auf dem Gebiete des Gedankens vor sich, das natürliche Auge sieht ihn nicht. Ganz anders, wenn der Gegenstand selbst (Sache oder Person) über- tragen wird, hier ist ein sichtbares Object vorhanden, an dem der Wechsel der Personen augenfällig hervortritt. Es läßt sich hier die Stelle von Quintilian. Inst. O. V, 10 §. 111 sq. benutzen, worin er die Frage untersucht, ob Forderungen Gegen- stand der occupatio bellica sein können. Dabei heißt es in §. 116: non potuisse donari a victore jus, quia id demum sit ejus, quod teneat ; jus, quod sit incorporale, apprehendi manu non posse … ut alia sit conditio heredis, alia victoris, quia ad illum jus , ad hunc res transeat. Eine Spur dieser alten Auffassung, von der sich im übrigen das neuere römische Recht mehr und mehr emancipirt hat, ist noch erhalten in der von Justinian in seinen Institutionen ad- optirten und dadurch zur großen Celebrität gelangten Classifica- tion der Dinge in res corporales und incorporales. Iust. de reb. corporal. et incorpor. (2. 2). Ulp. XIX §. 11 L. 14 pr. de serv. (8. 1) L. 1 §. 1 de R. D. (1. 8). Wäh- rend alle übrigen Rechte zur letzteren Classe gestellt werden, figurirt hier das Eigenthum als res corporalis. Ueber die Ver- kehrtheit dieser Identificirung des Eigenthums mit seinem Ge- genstande sollte man meiner Ansicht nach kaum getheilter Mei- nung sein können. Das Eigenthum ist ebensowohl eine res incorporalis , als die übrigen dinglichen Rechte, und bei der Uebertragung desselben geht juristisch nicht die res corporalis, sondern das Recht, die res incorporalis, über. Nichts desto weniger hat dieser systematische Fehler eine historische Wahr- heit, denn er enthält eben den völlig adäquaten Ausdruck der entwickelten älteren Vorstellungsweise, wonach beim Eigenthum die Sache, so zu sagen, das Recht verdeckte. Interessant ist auch die Erscheinung, auf die Windscheid Die Actio des römischen Civilrechts S. 6 aufmerksam macht, daß der römische Sprach- gebrauch „die Thatsache nennt statt des Rechts auf dieselbe“ z. B. pignus Haften an der Aeußerlichkeit. I. Der Materialismus. §. 43. So erscheint also nach unsern bisherigen Ausführungen der Werth-, Frucht- und Successionsbegriff ursprünglich zuerst an der Sache und geht erst später von ihr auch auf an- dere Verhältnisse über. Diese Beobachtung führt von selbst zu der Frage, ob sich dieselbe Erscheinung nicht auch rücksichtlich anderer wiederhole, und in der That brauchen wir nicht lange zu suchen. Alle Begriffe und Verhältnisse, die im spätern Recht außer an Sachen auch an andern Gegenständen vorkommen, haben in der Sache ihren ursprünglichen und natürlichen Aus- gangspunkt gehabt. So zuerst der Besitz . Die primitive Form desselben ist der Sachenbesitz , der Quasibesitz ist ungleich jüngeren Ursprunges, ja er ist bei den Römern nicht einmal zum völligen Abschluß gelangt. Sodann das Pfandrecht . Ursprünglich beschränkt auf Sachen ist es im spätern Recht auf alle Rechte ausgedehnt, die einen Geldwerth haben und sich irgend- wie übertragen lassen z. B. Forderungen und Nießbrauch. So auch das pignus in causa judicati captum. Die Bedeu- tung des Fortschrittes vom verus ususfructus zum quasi ususfructus nebst den entsprechenden Erscheinungen des Obligationenrechts ( depositum irre- gulare, locatio irreg. u. a.) kann ich erst im dritten System klar machen. Von den Universalklagen, der hereditatis petitio, dem inter- dictum quorum bonorum, dem interd. possessorium des bo- norum emtor geht die erstere zur Zeit der classischen Juristen auch gegen juris possessores; daß sie ursprünglich nur gegen die Besitzer erbschaftlicher Sachen gerichtet war, wird um so weniger beanstandet werden, als diese Beschränkung bei den beiden letztern sich auch noch in späterer Zeit erhalten hat. L. 2 quor. bon. (43. 2). Huschke Ueber das Recht des Nexum S. 156 u. fl. ist der Ansicht, daß von dem Uebergang der bona auf den bo- norum possessor, emptor und sector ursprünglich die Forderungen und Schulden ausgenommen gewesen, der Begriff der Masse (bona) sich also an- fänglich auf die körperlichen Sachen beschränkt habe. Vom Standpunkt der im Text entwickelten Idee aus hat diese Ansicht eine große innere Wahr- (das Pfand und Pfandrecht), superficies (das Haus und das Recht darauf), iter, via (der Weg und die Weggerechtigkeit) u. a. m. Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 30 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Schließlich und vor allem ist aber die Obligation hervorzu- heben. Für sie bildete die Sache ursprünglich sowohl das Fun- dament, den Grund, als den Zweck, den Gegenstand des An- spruchs. Jenes — denn der Grund einer jeden Obligation im Sinn des älteren Rechts Der Anspruch des durch ein Delict Verletzten fiel ursprünglich nicht unter den Gesichtspunkt der Obligation B. 1. S. 122 fl. ist der Umstand, daß der Schuld- ner vom Gläubiger etwas (res) erhalten , (de - habet , debet) letzterer ihm etwas gegeben (cre - dedit , credidit) , sei die Hingabe wirklich erfolgt (Realcontract) oder nur rechtlich angenommen (Literal- und Verbalcontract). Dieses — jede Obligation geht im ältern Recht auf ein dare , das Geben einer Sache, rem persequitur; in dem Ausdruck actio rei persequendae causa, der später auch die obligationes faciendi umfaßt, §. 17 I. de act. (4. 6) .. rei persequendae causa comparatae videntur veluti .... commodati, depositi, mandati, pro socio u. s. w. ist res wie in dem obigen quanti ea res est ur- sprünglich im wörtlichen Sinn gebraucht gewesen. Die nähere Ausführung bleibt einer spätern Stelle vorbehalten. An keinem Verhältniß bewährt sich der Spiritualismus des neuern römi- schen Rechts in dem Maße, als an der Obligation. Denn nicht bloß daß sie sich von der res nach beiden Seiten hin abgetrennt hat, so hat sie selbst sich gewissermaßen zu einer idealen res aufgeschwungen. Der neuere Verkehr operirt mit diesem Object mit derselben Leichtigkeit und Sicherheit, wie es der alte nur mit den Sachen thun konnte. So kann z. B. ein Versprechen und eine Klage wie auf Hingabe eines körperlichen, so auf Lei- stung dieses unkörperlichen Objects (Abschluß eines Con- tracts), z. B. damnatus vendere vel locare L. 44 de solut. (46. 3). wie auf Rückgabe jenes, so auf Rückgabe dieses (Liberation) gerichtet werden. So kann man schenken, erfüllen, scheinlichkeit. Im Justinianeischen Recht ist selbst die immissio in possessio- nem oder das pignus praetorium auf Forderungen ausgedehnt L. 1 Cod. de praet. pign. (8. 22). Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. liberiren, Auslagen machen u. s. w. statt durch Sachen durch Uebernahme einer Obligation. Die bestehende Obligation kann verkauft, verpfändet, legirt, cedirt, durch den Richter mit Beschlag belegt, durch das Gesetz transferirt werden — kurz sie fungirt hier in der That ganz so, wie in älterer Zeit die Sache. Hiermit schließe ich meine Ausführung über die Bedeutung der Sache im ältern Recht und damit zugleich die über den Ma- terialismus des ältern Rechts überhaupt. Als Gewinn dersel- ben dürfen wir die Gewißheit bezeichnen, daß die sinnliche Vorstellungsweise der ältern Zeit auch im Recht sich nicht ver- läugnet hat. Völlig irrig aber wäre es zu meinen, als ob dieser Zug derber Sinnlichkeit, mit dem das Recht der Zeit seinen Tribut bezahlt, diese substantielle Schwere, dieser massive Zu- schnitt seiner Verhältnisse und Begriffe die scharfe juristische Er- fassung und Durchbildung derselben ausgeschlossen habe. Ja andererseits versteigt sich das ältere Recht zu so feinen Abstractio- nen wie z. B. der der hereditas im Gegensatz zu den res heredi- tariae, daß wir uns hüten müssen, den Entwicklungsgrad seines Abstractionsvermögens lediglich nach dem Inhalt des gegenwär- tigen Paragraphen zu bestimmen. Ein Urtheil darüber läßt sich nur fällen, wenn man dabei das gesammte Begriffsmaterial des ältern Rechts einer Kritik unterwirft; dazu aber ist hier noch nicht der Ort. II. Das Haften am Wort. Der Gedanke und das Wort — grammatische und logische Inter- pretation — Verhältniß der alten Jurisprudenz zu diesem Ge- gensatz — strenge Wortinterpretation der Rechtsgeschäfte — freiere der Gesetze — tendentiöses Element derselben. XLIV. Das Haften am Wort ist eine von den Erschei- nungen, durch die sich die niedere Stufe der geistigen Entwick- lung wie überall so auch im Recht kennzeichnet, und die Rechts- 30* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. geschichte könnte den Satz „im Anfang war das Wort“ als Motto über ihr erstes Buch schreiben. Allen ungebildeten Völ- kern erscheint das Wort, sowohl das geschriebene als das ge- sprochene solenne Wort (die Formel) als etwas Geheimnißvol- les und der naive Glaube stattet es mit übernatürlicher Kraft aus. Nirgends war dieser Glaube an das Wort mächtiger, als im alten Rom. Der Cultus des Worts geht durch alle Ver- hältnisse des öffentlichen und Privatlebens, der Religion, Sitte und des Rechts. Es genügt auf das bekannte Werk von Brissonius de vocibus ac formulis zu verweisen. Das Wort ist dem alten Römer eine Macht , es bindet und löst, und es hat, wenn auch nicht die Kraft, Berge, so doch Früchte auf ein fremdes Feld zu ver- setzen. Die XII Tafeln enthielten gegen den Versuch einer solchen An- wendung der Zaubersprüche Strafbestimmungen Plin. Hist. Nat. XXVIII, 2, 4: qui fruges excantasset. Ueber die dem Wort beigelegte mystische Kraft siehe die in Anm. 544 mitgetheilte Stelle. Mit welcher Strenge und Pedanterie daher auch die alte Jurisprudenz auf ihrem Gebiete das Wort handhaben mochte, sie gerieth dadurch mit der nationalen Denkweise in keinen Widerspruch, ja im Gegentheil es gab eine Zeit, und sie dauerte lange, wo dieselbe Wortklauberei der Juristen, die spä- terhin ein so dankbarer Stoff für die Persiflage eines Cicero ward und selbst aus dem Munde von Juristen und Kaisern ihr Verdammungsurtheil hören mußte, Gaj. IV § 30: nimia subtilitas veterum; Constantin in L. 1 Cod. de form. subl. (2. 58): Juris formulae aucupatione syllabarum in- sidiantes, namentlich aber Cicero z. B. pro Caecina c. 23: aucupia ver- borum et literarnm tendiculas; de off. I c. 10, pro Murena c. 11—13, de orat. I, 55: praeco actionum, cantor formularum, auceps syllaba- rum. Keiner nahm übrigens wohl einen für das Verständniß jenes Wort- und Formelwesens so ungeeigneten Standpunkt ein, als Cicero. Denn ganz abgesehen von seiner unverkennbaren Tendenz, die Jurisprudenz im Interesse der Redekunst zu erniedrigen, einer Tendenz, die ihn eingestandenermaßen bei einer Rede pro Murena zu seiner bekannten Diatribe gegen die Juristen ver- in den Augen des Volks, Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. weit entfernt zum Vorwurf zu gereichen, als Beweis des Scharf- sinns und der Ueberlegenheit galt, und wo die entgegengesetzte freiere Interpretation, die die spätere Jurisprudenz namentlich bei den Verträgen des jus gentium zur Anwendung brachte, nicht bloß auf kein Verständniß, sondern auf die entschiedenste Opposition hätte rechnen dürfen. Es gehörten viele Jahrhun- derte dazu, um die Jurisprudenz sowohl wie das Volk in dieser Beziehung umzustimmen und einer freieren Art der Auslegung zugänglich zu machen. Die Herrschaft des Worts im ältern Recht äußert sich nach zwei Seiten hin, oder was dasselbe sagen will, der Wille ist rücksichtlich des Gebrauchs der Worte in doppelter Weise be- schränkt. Einmal nämlich dadurch, daß ihm die Wahl derselben bis zu einem gewissen Grade völlig entzogen ist, indem die gül- tige Vornahme der verschiedenen Rechtsgeschäfte an den Ge- brauch gewisser Stichworte oder stehender Formeln gebunden ist. Andererseits aber, auch insoweit die Wahl der Worte für die Fassung des concreten Willensinhalts ihm selbst anheim fällt, dadurch daß es hierbei der peinlichsten Genauigkeit und Achtsamkeit bedarf, indem vermöge des Princips der Wort- interpretation nur das als gesetzt und gewollt gilt, was direct und ausdrücklich gesagt ist. Dort handelt es sich um eine typi- sche, abstracte, hier um die rein individuelle, concrete Form, und wir könnten daher von zwei formalistischen Beschrän- kungen sprechen und beide mit dem Zusatz abstract und concret unter dem Ausdruck Formalismus zusammenfassen. Da jedoch der Sprachgebrauch diesem Ausdruck einmal eine aus- schließliche Beziehung auf das erste Verhältniß gegeben hat, so stehe ich um so eher davon ab, als mir ein solches Bedürfniß der Zusammenfassung beider unter einen Namen überall nicht leitete, so mußte einem Redner, wie ihm, dem man alles andere eher vorwer- fen kann, als Aengstlichkeit im Gebrauch seiner Worte, oder gar einem Lite- raten, wie Mommsen ihn nennt, jenes peinliche und scrupulöse Abwägen der Worte von Seiten der Juristen doppelt anstößig sein. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. vorhanden zu sein scheint. Beide sind, wenn sie auch dieselbe Quelle gemeinschaftlich haben, doch im übrigen völlig selbstän- dig gegen einander; der Formalismus kann ohne die Wort- interpretation vorkommen (man denke z. B. an unser heutiges Testament) und umgekehrt letztere ohne ersteren (z. B. bei der Interpretation der Gesetze). Die gemeinsame Quelle, aus der beide hervorgehen, ist mei- ner Ansicht nach das subjective Haften an der äußern Erscheinung . Beide charakterisiren sich nämlich durch die Präponderanz des äußern über das innere Moment, der Form über den Inhalt; die subjective Stimmung aber, die dieser ob- jectiven Thatsache entspricht, und in der mithin ihr historisches Motiv zu suchen ist, besteht in der Richtung des Geistes auf die Aeußerlichkeit, der Sinnlichkeit der Anschauungsweise. Die Richtigkeit dieser Auffassung rücksichtlich des Formalismus kann erst in §. 45 nachgewiesen werden, rücksichtlich der Wortinter- pretation, der unsere gegenwärtige Betrachtung gewidmet ist, wird sie sich aus der folgenden Ausführung über das Verhält- niß des Worts zum Gedanken ergeben. Die Art und Weise, wie das Wort den Gedankenaustausch vermittelt, kann man sich in doppelter Weise denken, und auf dieser Verschiedenheit beruht die Möglichkeit jener zwiefachen Art der juristischen Interpretation, für die man den wenig zu- treffenden Namen der grammatischen und logischen ge- wählt hat. Das Beste über diesen Unterschied findet sich bei Kierulff Theorie des Civilrechts S. 21 fl., allein auf den letzten Grund desselben ist auch er nicht eingegangen. Es klingt paradox, wenn ich die Frage aufwerfe, ob das Wort überall im Stande ist, den Gedanken wieder zu geben , und doch ist diese Frage nicht bloß zu erheben, sondern sogar zu verneinen. Der Gedanke ist ein innerer Vorgang des subjecti- ven Geisteslebens, eine Thätigkeit, Bewegung — eine Denk- welle ; eine Bewegung aber läßt sich nicht objectiviren. Nur Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. um den Preis also kann der Gedanke aus dem Schooß der sub- jectiven Innerlichkeit in die Außenwelt treten, daß er sein eigent- liches Wesen einbüßt d. h. daß er erstarrt ; der ausgesprochene Gedanke ist, so zu sagen, gefrorenes Denken . Nur im uneigentlichen Sinn können wir daher von einer Uebertragung oder Mittheilung des Gedankens sprechen; übertragen wird nicht der Gedanke selbst, sondern das Wort gewährt nur den Anstoß und die Möglichkeit eines ähnlichen Denkens , der Reproduction einer ähnlichen geistigen Bewegung in der Seele des Hörers, wie in der des Sprechenden. Sprechen heißt eine Bewegung hervorrufen, eine physische in der Luft , eine gei- stige im Hörer . So wenig wie das Wort auf der Luftwelle treibt und schwimmt, die an das Ohr des Hörenden schlägt, sondern wie das Wort nichts ist, als Schwingung der Luft- welle, ebensowenig trägt das Wort den Gedanken, so zu sa- gen, als geistiges Product zu uns hinüber, sondern es be- wirkt nur eine entsprechende Schwingung unseres Gei- stes . Das Wort ist keine Gabe , sondern physikalisch wie moralisch eine Einwirkung auf einen andern Gegenstand, ein Stoß. Diese Einwirkung hervorzurufen und zwar ganz die, welche der Urheber beabsichtigt, dazu ist oft ein Blick, eine Gebehrde, ein Wink eben so gut im Stande, als das Wort; der beste Beweis, daß die Möglichkeit der geistigen Mittheilung nicht auf der Nothwendigkeit einer Objectivirung des Ge- dankens beruht — denn was hat sich in jenen Zeichen objecti- virt oder wie unendlich weit bleiben auch bei der wörtlichen Mittheilung die gebrauchten Worte hinter dem Gedanken zu- rück, ohne daß dadurch die Hervorbringung desselben in der Seele des Andern in seiner ganzen beabsichtigten Gestalt und Ausdehnung im mindesten beeinträchtigt würde — sondern auf der Gewährung eines Impulses zum verwandten Denken. Das Princip der Mittheilung ist bei der durch Worte ganz dasselbe, wie bei der durch Zeichen; das eine Mittel ist vollkommen, das andere unvollkommen, aber sie wirken in derselben Weise, Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. beide gebennicht den Gedanken selbst, wäre immerhin die For- mulirung desselben eine noch so genaue, so wenig wie das treueste Bild den Gegenstand selbst gewährt, sondern nur die Aufforderung und den Anhaltspunkt, sich ihn zu recon- struiren . Eben darum aber genügt in beiden Fällen nicht ein bloß passives Verhalten, ein bloßes Entgegennehmen eines Gegebenen , denn das Gegebene ist nicht das, was man geben will , sondern es soll nur als Mittel für den Andern dienen, sich das, was er haben soll, bei richtigem Ge- brauch zu verschaffen ; es bedarf vielmehr einer Selbst- thätigkeit von seiner Seite. Hier scheiden sich nun die gram- matische und logische Interpretation. Erstere entzieht sich die- sem Ansinnen einer selbstthätigen Verwendung des Gegebenen, sie bleibt bei letzterem, bei den Worten stehen , wie es die Sprache ganz treffend ausdrückt. Sie betrachtet also die Worte als das, was sie nie sind und sein können, als den Ge- danken selbst in seiner Sichtbarkeit und Objectivität oder, was dasselbe ist, als das ansschließlich in Betracht kommende Sur- rogat desselben. Letztere hingegen geht, dem wahren Wesen der Gedankenmittheilung gemäß, um mich auch hier des ganz bezeichnenden Ausdrucks der Sprache zu bedienen, über die Worte hinaus d. h. sie versetzt sich in die Seele des Re- denden, sucht den Gedanken gewissermaßen in seiner Heimath auf. Der Schauplatz ihrer Thätigkeit ist die Seele des Re- denden, der Schauplatz jener das nackte Wort. Was nicht in den Worten liegt, sondern jenseits derselben in der Seele des Redenden, existirt für letztere nicht, weil es sich eben nicht im Wort verkörpert hat. Sie hält sich, wie die Sprache es nennt, an das todte Wort; todt , weil es nicht den lebendigen Ge- danken wieder gibt, sondern nur eine Todtenmaske desselben. Ihr einziges Augenmerk kann also nur darauf gerichtet sein, den Sinn anzugeben, den die Worte als solche nach Maßgabe des Sprachgebrauchs haben, den objectiven Wortgehalt; ob Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. derselbe der wirklichen Meinung des Redenden entspricht, ist für sie gleichgültig und muß es sein, wenn sie sich nicht selbst verläugnen will. Damit aber ist sie gerichtet. Der Gegensatz beider Auffassungsweisen läßt sich demgemäß mit den Ausdrücken objectiv und absolut für die eine, und subjectiv und individuell für die andere bezeichnen. Letztere setzt das Wort in Verbindung mit seinem Urheber und gibt unter Zuhülfenahme von sonstigen Momenten an, was dieses Subject in diesem individuellen Fall damit hat sagen wollen, bestimmt also am letzten Ende die Kraft und Bedeutung des Wortes nicht aus ihm selbst, sondern anders- woher. Darauf beruht es, daß bei dieser Art der Auslegung dasselbe Wort und derselbe Satz je nach Verschiedenheit jener rein individuellen Beziehungen einen verschiedenen Sinn erhal- ten kann. Bei der andern Art ist dies nicht möglich; für sie, die das Wort als etwas Selbständiges, von der Subjectivität des Redenden Unabhängiges, rein aus und durch sich selbst zu Bestimmendes nimmt, muß dasselbe Wort, derselbe Satz, von wem und unter welchen Verhältnissen er auch gebraucht wird, immer dieselbe Bedeutung haben. Der Gegensatz der absoluten oder objectiven und subjectiven oder individuellen Bestimmung, den wir bereits bei einer früheren Gelegenheit als einen charak- teristischen Divergenzpunkt des ältern und neuern Rechts haben kennen lernen, (S. 109 u. fl.) und für den auch der nächste Paragraph einen neuen Beleg liefern wird, wiederholt sich also wie bei der Bestimmung des Werthes und der Zeit , so auch bei der des Wortes . Ueber das Werthverhältniß jener beiden Interpretationen zu einander kann nach dem bisherigen kein Zweifel sein. Dem Wesen der geistigen Mittheilung entspricht allein die logische Interpretation; sie legt dem Wort keine andere Function und keinen andern Werth bei, als dasselbe einmal hat. Wäre die Annahme, von der die grammatische Interpretation ausgeht, wahr, daß nämlich der Gedanke selbst sich als solcher wieder- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. geben läßt, so würde sie freilich unbedingt den Vorzug verdie- nen. Denn ganz abgesehen von der geringeren Anforderung, die sie an den Interpreten stellt, so hat sie den Vorzug der Un- mittelbarkeit des Resultats und damit den der größeren Sicher- heit voraus. Bei ihr gilt es nicht erst ein Suchen und Operi- ren, keine Schlußfolgerungen und künstliche Deductionen, wie bei der logischen Interpretation, sondern sie hält sich gläubig an das, was unmittelbar vorliegt, an die äußere Erscheinung. Aber letztere — und damit fällt jener scheinbare Vorzug der Sicherheit zusammen — ist oft höchst trügerisch, das Wort dem Gedanken gegenüber zu weit oder zu eng; jene Sicherheit kömmt also eben so wohl dem Irrthum, als der Wahrheit zu gute. Die logische Interpretation hingegen beruht auf der Skepsis , sie erkennt die äußere Erscheinung nicht als untrüg- lich an und gelangt, indem sie dieselbe einer Kritik unterwirft, möglicherweise zu einem völlig andern Resultat, als die Worte erwarten lassen. Aus eben dem Grunde aber ist sie historisch nicht die ur- sprüngliche. So befremdend es von vornherein erscheinen mag, daß gerade die Zeiten am strengsten am Wort haften, die des Gebrauchs des Wortes am wenigsten mächtig, mithin am we- nigsten befähigt sind, die Voraussetzung der grammatischen Interpretation, daß die Worte einen getreuen Ausdruck des Gedankens enthalten, zur Wahrheit zu machen, so sehr ent- spricht doch dieser Wortcultus andererseits dem Charakter ihrer ganzen Bildungsstufe. Der Glaube an die äußere Erscheinung ist das Ursprüngliche, Natürliche, die Skepsis und die Los- reißung von der Erscheinung das Spätere. Das Wort ist das Greifbare, Unmittelbare, der Geist das Unsichtbare, Mittel- bare, das Greifen aber ist, wie überall, so auch beim Wort dem Begreifen vorausgegangen. Die Emancipation vom Wort ist erst dann an der Zeit, wenn der Geist die erforderliche Kraft gewonnen hat, um auch ohne dasselbe mit Sicherheit operiren zu können. Zu dieser Höhe hatte sich aber, wie wir Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. bereits wissen, der römische Geist im ältern Recht noch nicht aufgeschwungen; letzteres steht im wesentlichen noch auf der Stufe der Wortinterpretation. Bei unserer Darstellung trennen wir die Interpretation der Rechtsgeschäfte von der der Gesetze. An und für sich zwar macht es für die Interpretation keinen Unterschied, ob der Gegenstand derselben ein Gesetz oder ein Rechtsgeschäft ist, und diese Er- wägung hat mich lange verleitet, beide auch für das ältere Recht auf eine Linie zu stellen, allein ich habe mich später von der Irrigkeit dieser Annahme überzeugt. 1. Interpretation der Rechtsgeschäfte . Bei den Rechtsgeschäften begegnen uns im spätern Recht beide Arten der Interpretation, die eine bei denen des strenge- ren, die andere bei denen des freieren Rechts. Die Juristen drücken denselben aus als Gegensatz des Wortes und des Wil- lens oder Inhalts , L. 219 de V. S. (50. 16): In conventionibus contrahentium voluntatem potius quam verba spectari placuit L. 11 §. 19 L. 18 de leg. III (32) (bei Fideicommissen) L. 3 §. 9 de adim. leg. (34. 4) … sensum magis, quam verba. Cicero pro Caecina c. 23: Si contra verbis et literis et ut dici solet summo jure contenditur, solent ejusmodi iniquitati boni et aequi nomen dignitatemque opponere … tum aucupia ver- borum et literarum tendiculas in invidiam vocant, tum vociferantur, ex aequo et bono, non ex callido versutoque jure rem judicari oportere: scriptum sequi calumniatoris esse, boni judicis volun- tatem scriptoris auctoritatemque defendere. pro Murena c. 12: In omni denique jure civili aequitatem reliquerunt, verba ipsa tenuerunt. de off. I, 10: Existunt etiam saepe injuriae calumnia quadam et nimis callida, sed malitiosa juris interpretatione. Ex quo illud: sum- mum jus, summa injuria. charakterisirt ihn als Strei- ten mit Buchstaben, als Unbilligkeit, strenges, verschlagenes Recht, als chicanöse Auslegung auf der einen, und Beachtung der Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. wahren Willensmeinung des Sprechenden, als billiges Recht auf der andern Seite. Dem ältern Recht war dieser Gegensatz fremd. Die Ver- hältnisse, bei denen die subjective Interpretation Platz greift, sind sämmtlich erst in späterer Zeit klagbar geworden; rücksicht- lich der Fideicommisse ist dies bekannt, rücksichtlich der Verträge des jus gentium wird der Beweis an einer andern Stelle er- bracht werden; für das ältere Recht bleibt demnach nur die Wortinterpretation übrig. Um nun ein Bild von derselben zu entwerfen, dazu reichen unsere directen Quellenäußerungen nicht aus, denn sie beschrän- ken sich auf eine ganz allgemeine Charakteristik derselben als einer mit äußerster Strenge und minutiöser Peinlichkeit verfah- renden Wortinterpretation (s. die Anm. 610). Dagegen gibt es für uns eine indirecte Quelle, die diesen Mangel vollständig ersetzt und es uns namentlich ermöglicht, unsere Schilderung durch Beispiele anschaulicher zu machen, nämlich die Wortinter- pretation des spätern Rechts. Mag auch nicht das ganze Material, das wir hier vorfinden, der ältern Zeit entstammen, mögen immerhin auch die spätern Juristen manches Einzelne erst hinzugefügt haben, darüber, meine ich, wird wohl kein Zweifel sein können, daß nicht bloß die Wortinterpretation selbst, ihre ganze Methode und Weise, sondern auch der größte Theil des Materials ein Vermächtniß der älteren Jurisprudenz ist, und daß der Geist, in dem sie gehandhabt ward, im Lauf der Zeit wohl ein milderer, unmöglich aber ein strengerer ge- worden sein kann. Oberster Grundsatz der Wortinterpretation nun, so wie sie sich in der spätern Jurisprudenz erhalten, ist, daß alles, was gewollt, ausdrücklich gesagt sein muß; was gewollt, aber nicht gesagt, kommt nicht in Betracht, während umgekehrt was ge- sagt, aber nicht in dem Umfang gewollt ist, gilt, ungeachtet in beiden Fällen die Discrepanz des Wortes und Willens mit Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. größter Sicherheit dargethan werden kann und auch dem Gegner nicht unbekannt war. Wer in seinem Testament seinen Sklaven zum alleinigen Erben einsetzt, gibt damit in der That aufs un- zweideutigste zu erkennen, daß er demselben auch die Freiheit zuwenden will, denn um Erbe zu werden, muß der Sklav frei sein. Allein frei werden und Erbe werden ist zweierlei, es han- delt sich also um zwei an sich völlig von einander unabhängige Dispositionen, die Worte des Testators betreffen aber nur eine derselben, folglich wird der Sklave weder frei, noch Erbe. §. 2 I. quib. ex caus. (1. 6), worin zugleich die Aenderung von Justinian referirt wird. Wenn Jemand für den Fall, daß seine Kinder vor ihm sterben sollten, einen Andern zum Erben einsetzt, so ist offenbar seine Vorstellung die , daß im entgegengesetzten Fall die Kinder erben sollen; man könnte letztere also auf Grund dieser indirecten Be- rücksichtigung, auch ohne daß sie selbst ausdrücklich eingesetzt sind, aus dem Testament zur Erbschaft berufen. Allein sie sind nicht ausdrücklich eingesetzt, und folglich ist, da sie auch nicht ausdrücklich enterbt sind, das Testament nichtig. L. 19 de hered. inst. (28. 5) L. 16 §. 1 de vulg. et pup. subst. (28. 6). Nach den meisten neuern Pandektenlehrbüchern und selbst nach dem von Puchta (§. 473 not. c ) müßte dies noch heutzutage gelten! S. dagegen v. Vangerow Leitfaden §. 449 Anm. 1. Aehnliche Beispiele gewährt das Erbrecht in Menge, namentlich in der Lehre von der Exheredation und Präterition. Der Vater kann seine Kinder beliebig von der Erbschaft ausschließen, mithin auch unter einer Bedingung. Gesetzt nun der Vater ernennt den Sohn unter einer casuellen Bedingung zum Erben, so ist offenbar seine Meinung, daß derselbe für den entgegengesetzten Fall ausgeschlossen sein soll. Allein er hätte dies ausdrücklich sagen müssen, denn Einsetzung und Enterbung ist zweierlei; — das Testament ist nichtig. S. z. B. L. 83 de cond. et dem. (35. 1). Ebenso verweise ich auf die cretio perfecta und imperfecta. Ulp. XXII, 34. Die Nichtigkeit tritt selbst dann Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. ein, wenn er ihn zwar für den entgegengesetzten Fall ausdrück- lich ausgeschlossen, aber nicht mit den hergebrachten Worten — was jedoch in den folgenden Paragraphen gehört. Es ist Jemand dem Andern zur Eigenthumsübertragung (dare) eines Sklaven verpflichtet, der Sklav erkrankt und stirbt aus Mangel an Pflege oder ärztlicher Behandlung. Haftet der Schuldner dafür? Nein, denn er hat sich nur zum dare , nicht zu einem facere verpflichtet. L. 56 §. 2 de evict. (21. 2). Der Verkäufer hat für den Fall der Entwährung der Sache die stipulatio dupli geleistet, es wird jetzt ein Theil evincirt, haftet er? Nein! So noch Paulus in L. 91 pr. de V. O. (45. 1). Wer die Stel- len in den beiden vorigen Noten noch für heutiges Recht hält, müßte auch diese noch für anwendbar erklären, und man dürfte z. B. bei einem Tausch- contract die dem Andern versprochene Sache ruhig verbrennen, verderben u. s. w. lassen, obgleich man sie mit leichtester Mühe hätte retten können! Wie rück- sichtlich dieses Punktes, so bestimmen rücksichtlich aller andern die Vertragsworte L. 26 §. 2 de V. O. i. f. (45. 1). genau den Umfang der Verpflichtung; satis est, sagt Cicero (de off. III, 16) von dem Rechte des Verkaufs nach den XII Tafeln, ea praestari, quae sunt lingua nuncupata. Darum haftet der Verkäufer für keine Fehler und Mängel, wenn er nicht ausdrücklich die Garantie übernahm, selbst wenn er sie kannte. Erst das spätere Recht hat hier, wie in so vielen andern Fällen geholfen und den Anspruch der Partei auf Punkte ausgedehnt, deren im Vertrage selbst keine Erwähnung geschehen war. Z. B. Verzugszinsen, Verpflichtungen zur diligentia, zur Be- stellung einer cautio dupli (L. 31 §. 20 de aed. ed. 21. 1), Verkaufsrecht des Pfandgläubigers (früher bedurfte es eines pactum de re vendenda). Das läßt sich auch so ausdrücken: es hat die accidentalia (quae extrin- secus veniunt) in naturalia (quae tacite insunt) verwandelt. Eine beträchtliche Auslese für unsern Zweck gewähren auch die Geschäfts- und Prozeßformeln. Die Fassung dieser Formeln war eine außerordentlich prägnante; jedes Wort wog schwer. Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. Ob es z. B. in der Klagformel hieß: est oder erit, war für die richterliche Aestimation vom größten Einfluß und ebenso bei der Einsetzung mehrer Erben oder dem Vermächtniß an mehre Legatare, wie sie aufgezählt, ob sie z. B. durch et verbunden oder einzeln neben einander genannt waren, oder ob zwei Lega- taren zusammen das Ganze oder jedem einzelnen die Hälfte ver- macht war. Wer den Sinn und Einfluß dieser Worte nicht kannte, sich derselben vielmehr in naiver Weise ebenso bediente, wie er es im Leben gewohnt war, also z. B. meinte, daß zwei Hälften, um es einmal paradox auszudrücken, gleich seien dem Ganzen, und daß es auf ein et mehr oder weniger nicht an- komme, konnte sich und Andere dadurch ohne sein Wissen im höchsten Grad benachtheiligen; jenes Wörtchen et konnte für einen der Erben ein Drittel der Erbschaft bedeuten. Für den Verkehr begründete diese Strenge der Interpreta- tion die Möglichkeit und die Gefahr arger Uebervortheilungen. Wer es verstand, einer Vertragsberedung, über deren Sinn er mit der Gegenpartei völlig einverstanden war, bei der schrift- lichen oder mündlichen Formulirung, je nachdem sein Interesse es erforderte, einen zu engen oder zu weiten Ausdruck zu geben, der hatte gewonnenes Spiel, selbst wenn er hätte einräumen wollen, daß die beiderseitige Absicht auf etwas anderes gerichtet gewesen, als die Worte aussagten. Ebenso stand es ihm frei, das Recht des Gegners durch Umgehung des Vertrages d. h. durch eine Handlungsweise, die den Worten entsprach, der wirklichen Intention aber widerstrebte, zu elidiren. Der Begriff der Umgehung (fraus) wird zwar gewöhnlich nur auf die Gesetze bezogen und in den Quellen definirt als Beachtung der Worte und Uebertretung des wirklichen Willens des Gesetzes z. B. L. 29, 30 de leg. (1. 3) .. in fraudem, qui salvis verbis legis sententiam ejus cir- cumvenit L. 5 Cod. de leg. (1. 14) verba legis amplexus contra legis nititur voluntatem, allein es bedarf keiner Bemerkung, daß die Statthaftig- keit der Umgehung als unvermeidliche Folge der Wortinterpretation dieselbe Ausdehnung hatte, wie letztere, also auch bei Rechtsgeschäften Platz griff. Die Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. malitiosa juris interpretatio, wie Cicero (de off. I c. 10) Quo in genere, setzt er hinzu, etiam in re publica multa pec- cantur und fügt als Beispiel die Auslegung eines Waffenstillstands von 30 Tagen hinzu, bei der man den Ausdruck Tag wörtlich genommen und sich die Nacht hindurch nicht an den Waffenstillstand gebunden erachtet hatte. sie nennt, war eine unvermeidliche Consequenz der alten inter- pretatio überhaupt, der dolus, die fraus war legalisirt und das „summum jus“, die äußerste Strenge in der Handhabung der Worte, schlug daher nach der bekannten römischen Parömie, die Cicero hierbei in Bezug nimmt, nicht selten in eine „summa injuria“ um. Das ältere Recht kannte dagegen keine Hülfe, im neuern konnte sich bei den Verträgen des strengen Rechts (bei denen die Gefahr überall nur bestand) der Kläger durch die clausula doli, der Beklagte durch die exceptio doli schützen. Uebrigens betrachte man diese Gefahr nicht mit heutigen Augen. Sie war in der That ungleich geringer, als es den Anschein hat. Wo ein Wort den Ausschlag gibt, pflegt man, durch eignen oder fremden Schaden gewitzigt, die Worte ganz anders abzuwägen, als wo eine Ungenauigkeit im Gebrauch derselben keine weitere nachtheiligen Folgen hat. Das natür- liche Bedürfniß des Verkehrs führt hier von selbst zu Siche- rungsmitteln gegen jene Gefahr, die uns in dem Maße wenig- stens unbekannt sind. Dahin gehörte in Rom die Benutzung der Geschäftsformulare, von der im folgenden § die Rede sein wird, so wie die bereits §. 42 erwähnte Zuziehung eines Ju- risten bei Entwerfung des Vertragsinstruments (das cavere ). Andererseits verdient gegen jenen Nachtheil der Wortinterpre- tation auch der in unserer allgemeinen Betrachtung der Wort- interpretation hervorgehobene Vortheil der Sicherheit, den sie dem Verkehr gewährt, in Gegenrechnung gebracht zu werden. Wo das Wort und nichts als das Wort gilt, vermag keine Kunst, keine Deutung ein richtig gewähltes Wort zu entkräften, das Re- sultat der Interpretation ist hier im voraus mit aller Gewißheit zu berechnen, während dies bei der logischen Interpretation keines- Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. wegs der Fall ist, da die Subjectivität des Richters hier einen ungleich größeren Spielraum hat. Gefährlich für den Unkun- digen und Unvorsichtigen, war jene Strenge der Interpretation für den Kundigen und Vorsichtigen eher vortheilhaft, als nach- theilig. Schließlich darf ich den Antheil nicht übergehen, den die- selbe an der für das römische Recht so einflußreichen Ausbil- dung einer festen und prägnanten Kunstsprache hatte. Die Kunstsprache des Verkehrs wird allerdings nicht von der Juris- prudenz, sondern von dem Verkehr selbst gemacht, allein die Ju- risprudenz kann ihn dazu zwingen, und das war eben in Rom der Fall. Die scharfe Abgränzung der von dem Verkehr benutz- ten Worte wie z. B. von dare und facere wird zuerst von den Juristen geschehen sein, allein wirkliche Realität erhielt sie erst dadurch, daß der Verkehr sie respectirte oder respectiren mußte. Aus demselben Grunde erklärt sich auch die in der literarischen Thätigkeit der römischen Juristen, namentlich gegenüber der unserer heutigen, so entschieden hervortretende juristisch-lexi- kalische Richtung, ihre Erörterungen de verborum significa- tione, de verbis priscis u. s. w. 2. Interpretation der Gesetze . Ein Mißgriff in den Worten gereicht bei dem Rechts- geschäfte bloß einer einzelnen Person zum Nachtheil und in der Regel nicht ohne eignes Verschulden, und der Schaden, den er erzeugt, ist ein vorübergehender. Ganz anders bei gleichem Mißgriff von Seiten des Gesetzgebers, denn nicht bloß trifft der Schaden hier eine unbegränzte Zahl schuldloser Personen, sondern das Uebel ist, wenn das Gesetz nicht aufgehoben wird, ein dauerndes. In dieser Verschiedenheit mag es liegen, daß, während an und für sich die Interpretation der Rechtsgeschäfte und Gesetze unter denselben Grundsätzen steht, die alte Juris- prudenz sich veranlaßt gefunden hat, die Strenge, die sie dort zur Anwendung brachte, hier in etwas zu ermäßigen. Aller- Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 31 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. dings spielt auch hier das Wort eine große Rolle, allein fast in ähnlicher Weise, wie die Auspicien (B. 1 S. 327 u. fl.) d. h. die einer principiell anerkannten und respectirten, aber, so wie sie mit gebieterischen Bedürfnissen des Lebens in Widerspruch tritt, auf irgend eine Weise gefügig gemachten Autorität. Wenn man sich die von der Interpretation der alten Ge- setze, namentlich der Zwölf Tafeln uns erhaltenen Beispiele ver- gegenwärtigt, so kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, daß die alte Jurisprudenz bei Auslegung der Gesetze streng im Geist der Wortinterpretation verfahren sei, und ich glaube nichts nutzloses zu thun, wenn ich einige der schlagendsten Fälle her- vorhebe. Ich beginne mit den wenigen Worten der Zwölf Tafeln über das Intestaterbrecht. Sie lauten: Si intestato moritur, cui suus heres nec escit, agnatus proximus familiam habeto, si agnatus nec escit, gentiles familiam habento. Fast jedes Wort ist hier die Quelle eines wichtigen Rechtssatzes geworden und zwar eines Rechtssatzes, an den der Gesetzgeber selbst gar nicht gedacht hat, der also nicht in seinem Willen, sondern nur in dem Wort seinen Grund hat. Zuerst das Wort: intestato . Aus ihm folgerte man, daß wenn die Erbschaft nur von einem der mehren Testamentserben angetreten, die ausfallenden Theile nicht, wie man erwarten könnte, an die Intestaterben gelang- ten, denn die Bedingung, unter der sie gerufen, war das in- testato mori des Erblassers; wessen Erbschaft aber auch nur von einem der mehren Testamentserben angetreten war, von dem ließ sich nicht behaupten, daß er intestatus gestorben sei. Sodann das Wort: moritur . Hierauf stützte man das Requisit, daß wer zur Erbschaft gelangen wolle, im Moment des Todes des Erblassers (wenn auch nur im Mutterleibe) exi- stirt haben müsse. L. 6 de suis (38. 16) lex XII tabul. eum vocat ad heredita- tem, qui moriente eo, de cujus bonis quaeritur, in rerum natura Ferner: agnatus proximus . Das Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. Wort proximus mußte als Vorwand zur Ausschließung der successio graduum, die folgenden: si agnatus nec escit zur Ausschließung der successio ordinum dienen. Beide Pas- sus nahm man nämlich im absoluten Sinn, d. h. wenn ein nächster Agnat im Moment des Todes des Erblassers exi- stirte , am Leben war, mochte er im übrigen auch die Erb- schaft ausgeschlagen haben oder vor der Antretung verstorben sein, so erklärte man den nächst folgenden Agnaten nichts desto weniger für beseitigt, weil er im Moment des Todes des Erb- lassers nicht der proximus gewesen, und ebenso ließ man in dem Fall die Gentilen nicht zu, weil sie nur für den Fall: si agna- tus nec escit gerufen waren, der spätere Tod oder Verzicht des Agnaten aber die Existenz desselben nicht ungeschehen machte. Es war dies in der That ein Musterstück der Wort- interpretation, denn bei unbefangener Betrachtung kann man sich doch nicht verhehlen, daß bei der Intestaterbfolgeordnung der Entferntere nicht an sich und schlechthin, sondern nur im Interesse des Näheren ausgeschlossen ist, daß mithin, wenn letzterer später ausfällt, kein Grund abzusehen ist, warum der Entferntere nicht einrücken soll, da er, wenn auch nicht absolut, so doch relativ für diese Erbschaft jetzt der Nächste geworden ist. Wir würden daher, wenn jene Ausdrücke in einem heutigen Gesetz vorkämen, sie im relativen Sinn interpretiren d. h. sagen: der nächste Agnat ist derjenige, dem für diese Erb- schaft kein näherer im Wege steht, und ebenso sind die Genti- len zuzulassen, wenn in diesem Sinn kein Agnat existirt d. h. kein Erbrecht geltend machen kann oder will. Eine lex Atilia setzte fest, daß Personen, die eines Tutors bedürften, desselben aber entbehrten, von Amtswegen ein solcher gegeben werde. Ueber den Fall, wenn zwar ein Tutor vorhan- den , derselbe aber z. B. wegen Wahnsinns, Taubheit u. s. w. fuerit. Mit dem moriente eo ist eben dies intestato moritur ge- meint. 31* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. zur Führung der Vormundschaft absolut unfähig war, hatte das Gesetz sich nicht ausgelassen. Wie war hier zu entscheiden? Wir heutigen Juristen würden hier, vom Zwecke der Vormundschaft aus, folgendermaßen argumentiren. Ob überall kein Vormund existirt oder derselbe unfähig ist, steht sich völlig gleich; wenn also das Gesetz dem Bedürfniß nach Vormündern Abhülfe gewäh- ren will, so muß die Bestimmung desselben in dem einen sowohl wie in dem andern Fall Platz greifen. Die alte Jurisprudenz hingegen hält sich hier an die Worte des Gesetzes, welche den Personen, „die keine Vormünder haben ,“ einen solchen zu bestellen be- fehlen. Ulp. XI, 18 hat die Fassung: mulieribus pupillisve non ha- bentibus tutores, Gaj. l §. 185 und die Institutionen in pr. I. de Atil. tut. (L. 20): si cui nullus omnino tutor sit. Eine Person, sagt sie, deren Vormund wahnsinnig oder sonst unfähig ist, hat einen Vormund. Es bedurfte erst verschiedener Senatsbeschlüsse, um diese Doctrin nach allen An- wendungen hin zu beseitigen. L. 17 de tut. (26. 1). Als letztes Beispiel möge genannt sein die bereits bei einer früheren Gelegenheit (S. 190) berücksichtigte Stelle der Zwölf Tafeln über den Verkauf des Sohnes von Seiten des Vaters: Si pater filium ter venumduit, filius a patre liber esto. Die Stelle erwähnte bloß den „filius,“ während es doch schwerlich die Absicht des Gesetzes gewesen, sich lediglich des Sohnes an- zunehmen, Töchter und Enkel aber gänzlich schutzlos zu lassen. Die spätern Juristen würden den Ausdruck filius, wie sie es sonst thun, L. 84 de V. S. (50. 16): filii appellatione omnes liberos intelligimus. auch auf letztere erstreckt haben, allein die ältern bezogen ihn streng wörtlich nur auf den Sohn . So scheint also nach allen diesen Beispielen ein absolutes Haften am Wort der Charakterzug der ältern Interpretation zu sein. Allein, wie bereits bemerkt, es ist Schein. Um uns da- von zu überzeugen, stellen wir zunächst eine Reihe anderer Fälle Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. zusammen, in denen die Jurisprudenz dem Wort entschieden den Gehorsam aufgekündigt hat. Die Zwölf Tafeln setzten die Usucapionsfrist für den „fun- dus“ auf zwei , für die „ceterae res“ auf ein Jahr. Wozu ge- hörten nun die Häuser? Bei strenger Wortinterpretation offenbar zu den ceterae res, Dies bemerkt auch Cic. Top. c. 4 at in lege aedes non ap- pellantur et sunt ceterarum rerum omnium, quarum annuus est usus. allein die Interpretation stellte sie prak- tisch aus gutem Grunde dem fundus gleich. Das Recht des Eigen- thümers, Obst, Früchte u. s. w., die auf des Nachbarn Grund- stück gefallen, aufzulesen, stammt aus den Zwölf Tafeln, Plin. Hist. nat. XVI, 5. allein der Ausdruck des Gesetzes war theils zu eng, theils zu weit. Denn einmal sprach dasselbe bloß von glans (Eichel oder eichel- ähnliche Frucht z. B. Kastanien) und sodann fügte es für die Ausübung gar keine Beschränkung hinzu. Hätte man hier wört- lich interpretiren wollen, so hätte man alle andern Früchte außer der genannten Art ausnehmen und andererseits dem Eigenthü- mer die Befugniß einräumen müssen, jeder Zeit, z. B. also auch bei Nacht das Grundstück der Nachbarn zu betreten. Beides ist nicht geschehen. Rücksichtlich des ersten Punktes half die Jurisprudenz L. 1 §. 1 de glande leg. (43. 28), rücksichtlich des letzteren der Prätor L. 1 pr. ibid. Das Gesetz enthält ferner die Bestimmung, daß der Sklave, dem der Herr im Testament gegen Entrichtung eines bestimmten Lösegeldes die Freiheit vermacht hatte, das Lösegeld nicht bloß dem Erben, sondern, wenn letzterer ihn ver- äußert hatte, dem „emtor“ zahlen dürfe. Diesen Ausdruck nahm man im weitesten Sinn für jeden, der das Eigenthum am Sklaven erworben habe. L. 29 §. 1 de statul. (40. 7) .. quoniam lex XII tab. emtionis verbo omnem alienationem complexa videretur, non interesset, quo genere quisque dominus ejus fieret. Ebenso dehnte man den Aus- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. druck patronus auch auf die Kinder des Patrons aus. Vat. fragm. §. 308: in XII patroni appellatione etiam liberi patroni continentur. Die Worte der Zwölf Tafeln, auf die sich die act. aquae pluviae ar- cendae stützte, lauteten: si aqua pluvia nocet . Wollte man wört- lich interpretiren, so mußte man die Klage auf den Fall beschränken, wenn ein Schaden bereits geschehen, allein die Jurisprudenz faßte das nocet auf im Sinne von: Schaden droht. L. 21 pr. de statul. (40. 7) .. sic et verba legis XII tabul. veteres interpretati sunt: si aqua pluvia nocet i. e. nocere poterit . Bei der Intestat- erbfolge rief das Gesetz den suus und agnatus proximus. Wollte man hier die masculinische Form urgiren, so war das weibliche Geschlecht von der Intestaterbfolge ausgeschlossen. Und selbst das Erbrecht der männlichen sui hätte man wegdisputiren kön- nen, da das Gesetz es ihnen nicht ausdrücklich ertheilt, sondern es nur stillschweigend vorausgesetzt hatte. Ja, wer die Worte: si intestato moritur streng wörtlich nehmen wollte, mußte so- gar zu dem Resultate gelangen, daß die Intestaterbfolge in dem Fall ausgeschlossen sei, wenn der Erblasser mit Hinterlassung eines Testaments gestorben , einerlei ob die eingesetzten Erben angetreten oder ausgeschlagen hatten. Ueber das testamenta- rische Erbrecht enthalten die Zwölf Tafeln nur den einen bekannten Satz: uti legassit super pecunia tutelave suae rei ita jus esto. Wohin würde es geführt haben, wenn man diesen Satz in dem Umfange hätte gelten lassen, wie er lautete! Von einem Ein- fluß der capitis deminutio des Testators, von dem Requisit der Erbfähigkeit der Erben u. s. w. hätte dann gar keine Rede sein können. Diese und andere Beschränkungen wurden also gegen den Wortlaut von der Jurisprudenz in das Gesetz hineinge- tragen. L. 120 de V. S. (50. 16) … sed id coangustatum est vel legum vel auctoritate jura constituentium . Doch genug! Die angeführten Beispiele lehren zur Ge- nüge, daß die alte Jurisprudenz sich nicht, unbekümmert um Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. das Resultat, bei der Auslegung der Gesetze blindlings dem Wort dahin gegeben, sondern für die Anforderungen der Ver- nunft und die Bedürfnisse des praktischen Lebens ein offnes Auge hatte und ihnen entsprechend das Gesetz zu deuten wußte. Dazu war doch trotz aller Verehrung für das Wort der Sinn der Rö- mer zu gesund, als daß sie bei einem Mißgriff im Ausdruck von Seiten des Gesetzgebers ihre bessere Ueberzeugung und die In- teressen des Lebens sklavisch dem Buchstaben geopfert hätten. Darum ist denn auch die Vermuthung berechtigt, daß in jenen obigen Fällen, wo scheinbar das Wort den Sieg davon trug, in der That dieser Sieg ein aus anderen Gründen erwünschter war m. a. W. daß man das Resultat wollte und das Wort nur als erwünschten Vorwand, als äußeren gesetzlichen An- haltspunkt benutzte. Um davon an den obigen Beispielen die Probe zu machen, so hätte es, wenn man sonst nur die testa- mentarische und Intestaterbfolge für verträglich mit einander ge- halten, keine Schwierigkeit verursacht, die Worte: si intestato moritur damit zu vereinigen. Nahm man doch auch in der auf S. 486 angegebenen anderen Beziehung das Wort: in- testatus nicht im strengen Sinn. Die Benutzung des Wortes: moritur für den Satz, daß der Erbe im Moment des Todes des Erblassers gelebt haben müsse, war gleichfalls nur ein Vor- wand, der entgegengesetzte Satz hätte sich mit diesem Wort eben so wohl vertragen. In dem Fall, wenn die Testamentserben ausgeschlagen hatten, hatte man ja dies Wort nicht auf die To- deszeit des Testators, sondern auf den Moment der Eröffnung der Intestaterbfolge bezogen. Die Ausschließung der successio graduum und ordinum auf Grund der angeführten Worte der Zwölf Tafeln scheint mit der Tendenz zusammenzuhängen, den von dem Gesetz in keiner Weise berücksichtigten bloßen Blutsver- wandten (cognati) einen Zugang zum Nachlaß zu gewähren — einer Tendenz, die in späterer Zeit wenigstens aufs unzweideu- tigste hervortritt und einen der Hauptzwecke der prätorischen Bo- norum Possessio bildete. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Zum richtigen Verständniß der so auffälligen Interpretation der lex Atilia (S. 483 unten) muß man sich erinnern, daß die Vormundschaft im älteren Recht einen ganz andern Charakter an sich trug, als in unserm heutigen. Die heutige Vormundschaft ist ausschließlich eine Schutzanstalt im Interesse des Mündels, die altrömische war zugleich ein Recht des Vormundes. Ging die patria potestas, die doch nicht minder als die Tutel den Beruf zur Erziehung und zum Schutz der ihr unterworfenen Personen in sich schloß, durch Wahnsinn und sonstige Unfähig- keit des Vaters zur Erfüllung dieses Berufes nicht unter, eben weil sie ein Recht war (so wenig wie in gleichem Falle die manus des Mannes über seine Frau), so konnte man dasselbe auch bei der Tutel gelten lassen, und wir sind daher nicht zu der Annahme genöthigt, als ob man bloß aus Rücksichten der Wortinterpretation sich einen Rechtssatz hätte gefallen lassen, den man im übrigen für verkehrt hielt. Daß derselbe später auf- gehoben ward, spricht nicht dagegen, denn es hängt mit dem Umschwung in der ganzen Auffassung der Vormundschaft zu- sammen. Mit dem letzten der obigen Beispiele, dem Satz über den Verkauf des Sohnes hat es dieselbe Bewandniß, wie mit der Ausschließung der successio graduum et ordinum d. h. man urgirte absichtlich das Wort, um die Bestimmung, die es ent- hält, möglichst einzuschränken; die Wortinterpretation war eine tendentiöse . Dem Verkaufsrecht des Vaters war schon zur Zeit der Zwölf Tafeln das bessere Gefühl des Volks abhold, die Beschränkung, der das Gesetz dies Recht unterwarf, legt davon Zeugniß ab. Unter dem Einfluß derselben Stimmung schränkte nun die Jurisprudenz die Bestimmung des Gesetzes auf den Sohn ein und ließ — und darin eben liegt der unwidersprech- liche Beweis der Tendenz — Töchter und Kinder durch ein- maligen Verkauf von der Gewalt frei werden. Hätte man unbefangen verfahren wollen, so hätte der Schluß nicht so gelautet: weil das Gesetz nur den Sohn nennt, so werden Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. Töchter und Enkel durch einmaligen Verkauf frei, sondern: so ist rücksichtlich ihrer das dem Vater an sich zuständige Ver- kaufsrecht keiner Beschränkung unterworfen. Das eben aber war es, was man vermeiden wollte! Auf Grund der bisherigen Ausführung wird sich die be- reits früher S. 70 angedeutete Behauptung rechtfertigen, daß das Verhältniß der alten Jurisprudenz zu dem Gesetz keines- wegs das einer rückhaltslosen Unterordnung unter den Buch- staben desselben war, wie das Wesen der strengen Wortinterpre- tation es mit sich bringt, sondern ich möchte fast sagen, ein freieres, als es unsere heutige Jurisprudenz einnimmt. Denn sie beschied sich nicht bloß aus zulegen, sondern sie legte unter , sie drehte und deutete das Gesetz, wie sie es haben wollte , sie stellte sich, wenn auch der Form nach unter , doch der Sache nach über das Gesetz. Daß manche ihrer Auslegungen weder den Worten, noch dem Sinn des Gesetzes entsprachen, daß sie mit den Worten des Gesetzes hie und da geradezu ein Spiel trieb, das kann sie sich selbst unmöglich verhehlt haben. Nicht die Frage nach der Richtigkeit der Auslegung, sei es der bloßen Worte, sei es des legislativen Gedankens, entschied über die Annahme oder Verwerfung derselben, sondern die Frage von der praktischen Angemessenheit derselben. Oder hätten in der That die alten Juristen so blöden Auges sein sollen, daß sie nicht gesehen, auf wie schwachen Füßen so manche von ihren Auslegungen stand? Sie wollten es nicht sehen, es war Sache einer stillschweigenden Convention, es mit dem, was Noth that, rücksichtlich der Gründe nicht so genau zu nehmen. Das praktische Bedürfniß, das Interesse der juristischen Kunst, kurz Rücksichten, die der Auslegung als solcher fremd sind, saßen bei der Auslegung des Gesetzes mit zu Rathe, und die Ueber- zeugung von dem innern Werth der aufgestellten Ansicht be- ruhigte das Gewissen des Exegeten über die Schwäche ihrer äuße- ren Begründung. Als die Zeit es mit sich brachte, für die Er- haltung des Vermögens im Mannsstamm Vorsorge zu treffen, Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. und wahrscheinlich noch bevor die lex Voconia das Beispiel zu einer Verkürzung des Erbrechts der Weiber gegeben hatte, fan- den die Juristen subtilitate quadam excogitata, wie Justi- nian L. 14 C. de legit. her. (6. 58). sagt, daß das Zwölftafelngesetz das Intestaterbrecht der Weiber auf agnatische Schwestern hatte einschränken wollen. Mit welcher Stirn hätte ein Jurist eine solche Behauptung vor- bringen dürfen, wenn er sich nicht eben bewußt gewesen, daß er nicht sowohl das Gesetz auszulegen, als dasselbe den Interessen und Bedürfnissen der Zeit anzupassen den Beruf habe? Mit dem Wechsel dieser Bedürfnisse wechselte daher auch die Inter- pretation. Zu einer gewissen Periode bedurfte es der Usucapion der Erbschaft, und sie war da, zu einer andern Periode war sie nicht mehr nöthig, und sie verschwand, oder, wie Gajus sagt, Gaj. II, 54 .. postea creditum est, ipsas hereditates usucapi non posse. man hielt es jetzt nicht mehr für möglich , daß Erbschaften usu- capirt werden könnten! Kurz! das tendentiöse Element der älteren Interpretation scheint mir ganz unbestreitbar. Ich bin aber weit entfernt, ihr daraus einen Vorwurf zu machen, im Gegentheil, glaube ich, darf man es der alten Ju- risprudenz zum Lobe anrechnen, daß sie, anstatt sich blindlings dem Gesetz unterzuordnen, dasselbe vielmehr den Bedürfnissen des Lebens und den Anforderungen der Zeit anzupassen ver- suchte. Sie läßt sich in dieser Beziehung als Vorgängerin des Prätors bezeichnen, und was von letzterem, gilt auch von ihr. Beide haben eine sehr beträchtliche rechtsbildende Thätigkeit aus- geübt und zwar nicht selten auf Kosten des gesetzlichen Rechts, während ihr Beruf doch nur darin bestand, die Gesetze anzuwenden oder die Anwendung zu vermitteln. Aber ge- rade dieser Beruf gewährte beiden die Gelegenheit, den Werth oder Unwerth derselben, ihre Mängel, Lücken, ihre ursprüng- liche oder erst im Lauf der Zeit eingetretene praktische Unange- messenheit, Unhaltbarkeit, wie kein Anderer, kennen zu lernen, Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. und so lange man es nicht dahin gebracht haben wird, in den Personen, die mittelbar oder unmittelbar dem Recht dienen, allen gesunden Sinn und alles Gefühl zu ersticken, wird die Opposition gegen ein unhaltbares Gesetz immer zuerst gerade von denen ausgehen, die ihm am nächsten stehen. In der Theo- rie möge man dies verdammen, wie man will, dem Richter na- mentlich noch so sehr die Pflicht einprägen, seinem Urtheil über die Unangemessenheit des Gesetzes keine praktische Folge zu ge- ben, die Thatsache wird dadurch nicht anders: dem Verdam- mungsurtheil der Juristen ist auf die Dauer kein Gesetz gewachsen . Absichtlich oder unabsichtlich wird die Hand des Richters läßig, der Arm der Gerechtigkeit erlahmt, der Scharfsinn des Exegeten bietet alle seine Erfindungskraft auf, das Gesetz zu durchlöchern und unterminiren, Voraussetzungen hin- einzutragen, von denen das Gesetz nichts wußte und wollte, die Worte, je nachdem es Noth thut, im weitern oder engern Sinn zu deuten, und wie durch stillschweigende Verschwörung finden auch die erzwungensten Deductionen Eingang und willigen Glau- ben — auch die Logik fügt sich dem Interesse . Dieser stille Krieg der Juristen gegen das Gesetz wiederholt sich überall, wo ein Gesetz zu einer Unmöglichkeit geworden und doch von der Staatsgewalt nicht zurückgenommen wird. Es ist die natürliche Reaction des Rechtsgefühls gegen eine eclatante Mißachtung desselben von Seiten der Gesetzgebung. Ein Beispiel aus neue- rer Zeit bietet uns die Geschichte der peinlichen Halsgerichtsord- nung. In demselben Maße, in dem der Widerspruch stieg, den die veränderte Gefühls- und Denkweise einer späteren Zeit gegen die Härte ihrer Strafbestimmungen erhob, in demselben Maße ward die Kunst ihrer Interpreten erfinderischer, diese Härten zu beseitigen, und es konnte sich gar Einer derselben rühmen, daß er auch nicht einen Buchstaben mehr habe stehen lassen. Be- trachtet man derartige Tendenzinterpretationen, wie wir deren oben einige zur Probe angeführt haben, mit unbefangenem Auge d. h. vergißt man oder weiß man von vornherein nicht, Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. welche Bewandniß es mit ihnen hat, so begreift man nicht, wie sie bei ihrer völligen Unhaltbarkeit, bei ihrer offensichtlichen Un- wahrheit nur den geringsten Beifall haben finden, ja wie sie nur von irgend Jemand im Ernst haben aufgestellt werden kön- nen. In dieser Lage haben sich manche gelehrte Theoretiker der Neuzeit gegenüber den Interpretationen der früheren Praktiker befunden und sich nicht wenig darauf gedünkt, die Unrichtigkeit derselben aufzudecken. Verdienstlicher wäre es gewesen zu fragen, ob denn diese Vorgänger so mit Blindheit ge- schlagen waren, daß sie handgreifliche Unwahrheiten für wahr halten konnten. Dann wäre man wohl dem wahren Grunde auf die Spur gekommen und hätte sich nicht verleiten lassen im Widerspruch mit dem vielgepriesenen Vorbilde der römischen Juristen und der Vorschrift der L. 23 de leg. (1. 3) an Sätzen zu rütteln, die die Praxis ihrer selbst wegen für nöthig hielt, und für die sie in den Quellen nur nach einem noch so schwachen äußeren Anhaltspunkt suchte. Dahin gehört meiner Ansicht nach z. B. die Spolienklage und das Summariissimum. Dies ist der Gesichtspunkt, aus dem wir die alte Interpre- tation zu beurtheilen haben. Materiell war das, was sie einführte, gewiß völlig untadelhaft, durch ein gebieterisches Be- dürfniß des Lebens motivirt, und in dieser Beziehung würde man sehr Unrecht thun, den Vorwurf, den Cicero In der bekannten Stelle pro Murena c. 12 .. nam quum per- multa praeclare legibus essent constituta, ea jurisconsultorum in- geniis pleraque corrupta ac depravata suut. Er selbst räumte bekanntlich später ein, daß dies apud imperitos dicta gewesen sei, de finibus IV 27. den früheren Juristen machte, daß sie das alte Recht corrumpirt hätten, für einen ernstgemeinten zu halten. Der Impuls zu dieser angeb- lichen Corruption ging nicht von ihnen, sondern von der Nation aus, und hätten sie auch der Strömung der Zeit Widerstand leisten wollen, so würde dieselbe sich in anderer Weise Bahn ge- brochen haben. Aber eben weil und insoweit ihre Kunst ausreichte, das Nöthige zu beschaffen, bedurfte es keiner Thätigkeit der Ge- setzgebung, und letztere wird regelmäßig nur da eingegriffen ha- ben, wo die Jurisprudenz sich außer Stand sah, sie zu ge- währen. Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. So verdient denn die alte Interpretation für ihre Zeit in der That dasselbe Prädicat, das man später dem Prätor beilegte, das einer viva vox juris civilis, eines lebendigen Organs des Rechts, nicht eines bloßen Sprachrohrs desselben. Dem Namen nach eine bloße Erklärung , waren ihre Auslegungen in der That eine wahre Umgestaltung und Weiterbildung des Gesetzes im Geist der Zeit, eine wahre Production. So faßten auch die Römer, wenigstens in späterer Zeit, die Sache auf, denn sie bezeichneten die älteren Juristen als veteres, qui tunc jura condiderunt, Gaj. IV, 30. und sprachen von einem eignen Juristenrecht ( jus civile im en- gern Sinn). L. 2 §. 5 de orig. jur. (1. 2). So sehr man aber einerseits den materiell - productiven Charakter dieser alten Doctrin betonen darf, so we- sentlich gehört zu ihrer Charakteristik auch das andere von mir hervorgehobene Moment, der formelle Anschluß derselben an die Gesetzgebung, und auch dies wird von den Römern selbst bemerkt. So von Pomponius in der Stelle der vorigen Note, worin das Juristenrecht als Resultat der interpretatio bezeichnet wird. S. auch S. 73. Es ist, als ob die Jurisprudenz sich damals noch nicht, wie in späterer Zeit, getraut hätte, den schöpferischen Be- ruf, den sie der Sache nach einmal hat und nirgends mehr aus- übte, als in Rom, geradezu und offen in Anspruch zu nehmen; daher stets das Bestreben nach einer Deckung durch das Gesetz . Wäre uns eine genauere Einsicht in ihre Entwicklungs- geschichte verstattet, wir würden gewiß noch für manche von ihren Sätzen die Fäden finden, mit denen sie dieselben, wenn auch noch so lose und äußerlich mit dem Gesetz verknüpft hatte. Ich habe eine Frage bis auf den Schluß verspart, weil sie, obgleich sie dem Zusammenhang nach an einen frühern Ort gehört, mir doch erst hier ihre Erledigung finden zu können scheint. Es ist nämlich die: wie betrachtete die alte Interpreta- tion die Umgehung der Gesetze? Dem Princip der Wortinter- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. pretation gemäß hätte sie dieselbe wie bei Rechtsgeschäften, so auch bei Gesetzen für statthaft erklären müssen. Denn die Um- gehung des Gesetzes enthält ja keinen Verstoß gegen die Worte , sondern nur gegen die wirkliche Absicht des Gesetzes, S. Note 620. mit- hin gegen ein Moment, das die Wortinterpretation als solche grundsätzlich nicht kennt. Das positive Material, das uns zur Beantwortung dieser Frage zu Gebote steht, ist außerordentlich dürftig. Einerseits werden uns zwar Fälle der Umgehung der Gesetze aus alter Zeit berichtet, so namentlich der Zinsgesetze, S. 158 Anm. 190. der Gesetze über die Provocation, Wenigstens scheinen die Worte, mit denen Livius X, 9 die dritte Redaction desselben berichtet: legem tulit diligentius sanctam darauf hin zu deuten, daß die Nothwendigkeit einer wiederholten sorgfältigeren Re- daction in der Umgehung des bisherigen Gesetzes ihren Grund hatte. allein Versuche zur Um- gehung von Gesetzen kommen jederzeit vor, es fragt sich nur, wie das Recht sie ansieht und behandelt, darüber aber versagen uns die Berichte in jenen Fällen eine bestimmte und sichere Ant- wort, obgleich allerdings durchzuschimmern scheint, daß die Ver- suche zur Umgehung mit Erfolg gekrönt gewesen seien, das Recht letztere also für legal gehalten habe. Nur in einem ein- zigen Fall wird uns, so viel mir bekannt, eine ganz bestimmte und unzweideutige Auskunft gegeben, und hier zwar eine ganz andere, als wir erwarten mußten. Licinius Stolo, der bekannte Urheber der nach ihm benannten Rogationen, hatte sein eignes Ackergesetz dadurch umgangen, daß er seinen Sohn emancipirt und den das gesetzliche Maß übersteigenden Theil seines Grund- besitzes ihm übertragen hatte, und darauf hin ward er, wie Li- vius Liv. Vii, 16. sagt, nach seinem eignen Gesetz verurtheilt, quod eman- cipando filium fraudem legi fecisset. Die Glaubwürdigkeit dieses Zeugnisses läßt sich nicht in Zweifel ziehen, allein es würde meiner Meinung nach übereilt sein, wenn man dadurch Haften an der Aeußerlichkeit. II. Die Wortinterpretation. §. 44. die ganze Frage für entschieden hielte. Denn der Richter, der den Licinius verurtheilte, war das Volk , Die Uebertreter des Gesetzes wurden von den Aedilen vor dem Volk auf eine Geldstrafe belangt. So z. B. Liv. X, 13. und wenn man weiß, wie dasselbe bei Ausübung seiner Strafgerichtsbarkeit verfuhr (S. 43 fl.), wird man schwerlich den Schluß von ihm auf den gewöhnlichen Richter für stringent halten. Jedenfalls verdient gegenüber diesem einzigen Zeugniß auf der andern Seite in die Wagschale geworfen zu werden, daß unter den Scheingeschäften des ältern Rechts nicht wenige sich befanden, die geradezu eine Umgehung gesetzlicher Bestimmungen enthiel- ten, Cic. pro Murena c. 12. Nam quum permulta praeclare legi- bus essent constituta, ea jureconsultorum ingeniis pleraque corrupta ac depravata sunt. so wie daß die Gesetzgebung selbst in Fällen, wo sie sich scheute, ein früheres Gesetz direct und ausdrücklich aufzuheben, sich des Mittels einer Umgehung desselben bediente. Das Hauptbeispiel gewährt die lex Furia über die Höhe der Le- gate, von der bereits S. 61 die Rede war. In einer Zeit, die die Umgehung des Gesetzes mit unsern heutigen Augen oder denen der späteren römischen Juristen angesehen hätte, wäre beides wohl nicht möglich gewesen. Vielleicht ver- hält es sich nun mit dieser Frage, wie mit der Wortinterpreta- tion der Gesetze überhaupt d. h. die Jurisprudenz erkannte die Berechtigung der Umgehung des Gesetzes im Princip an, und fußte selbst darauf mit ihren Scheingeschäften, wußte aber nichts desto weniger im einzelnen Fall, wo die Verstattung des Umweges dem Rechtsgefühl oder höhern Interessen widerstrebte, irgend ein künstliches Mittel zu finden, um ihn abzusperren. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. III. Der Formalismus. 1. Das Wesen desselben im allgemeinen . Begriff des formellen und formlosen Geschäfts — Kritik des For- malismus vom praktischen und ethischen Standpunkt — allge- gemeine und besondere Vortheile und Nachtheile der Form, wech- selndes Verhältniß beider — die historischen Gründe des Forma- lismus — die Macht des Sinnlichen und der Formensinn. XLV. Von allen Charakterzügen des älteren Rechts drängt sich in dem Maße kein anderer sofort auch der oberflächlichsten Betrachtung auf, als das durch und durch formelle Gepräge desselben. Liegt dies an uns, an unserm einer solchen Erschei- nung im heutigen Recht minder gewöhnten und darum beson- ders dafür empfänglichen Auge? Gewiß nicht! Dieser Cha- rakterzug ist objectiv der am schärfsten ausgeprägte, am conse- quentesten durchgeführte; selbst der Gedanke der Freiheit, der ihm im übrigen am nächsten kömmt, und der wie er durch das ganze Recht, das öffentliche wie das Privatrecht geht, selbst er kann sich nicht mit ihm messen. Kein materielles Princip ver- stattete eine so rücksichtslose, ungehemmte Durchführung, wie das der Form, kein Element des alten Rechts hat sich so lange erhalten; die römischen Formen haben die römische Freiheit überlebt . Es ist ein eigenthümliches Verhältniß, welches gerade zwi- schen diesen beiden Fundamentalgedanken des römischen Rechts obwaltet. Scheinbar sich widersprechend — denn der höchsten Freiheit des materiellen Wollens, welche der eine gewährt, setzt der andere die äußerste Gebundenheit in formeller Be- ziehung entgegen — scheinbar sich widersprechend verrathen sie durch den Parallelismus ihrer Entwicklungslinien , daß sie sich gegenseitig bedingen und durch eine geheime Wechsel- beziehung aufs engste aneinander gekettet sind. Die Blüthezeit der Freiheit ist zugleich die Periode der peinlichsten Strenge in Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. der Form, dem allmähligen Verfall jener entspricht das Nach- lassen der Strenge auf dieser Seite, und als jene völlig gebro- chen und unter dem fortgesetzten Druck des Cäsaren-Regiments den letzten Rest dessen, was noch an alter Kraft in ihr war, ausgeathmet hatte, folgten auch die Formen und Formeln des alten Rechts ihr bald nach; und würde es nicht schon an sich zum Nachdenken auffordern, daß ihre Beseitigung gerade in eine Zeit fällt, wo sich das souveräne Belieben unverhüllt und offen als oberstes staatsrechtliches Princip auf den Thron ge- setzt hatte: die Zeit der byzantinischen Kaiser, die Leichenrede, mit der letztere dieselben begleiteten, die Abneigung und Gering- schätzung gegen die, die sich in ihr ausspricht, L. 1 Cod. de form. subl. (2. 58) (342) juris formulae aucu- patione syllabarum insidiantes .. L. 15 Cod. de testam. (6. 23) (339) quoniam indignum est ob inanem observationem … L. 9 Cod. qui admitti ad B. P. p. (6. 9): Verborum inanium excludimus captiones: (Constantin) L. 17 Cod. de jure delib. (6. 30) (407) cretionum scru- pulosam solennitatem hac lege penitus amputari decernimus. müßte uns über das Verhältniß zwischen der Freiheit und der Form die Augen öffnen. Die Form ist die geschworene Feindin der Willkühr, die Zwillingsschwester der Freiheit . Denn die Form hält dem Versucher, der die Freiheit zur Zügel- losigkeit zu verleiten sucht, das Gegengewicht, sie lenkt die Frei- heitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zersplittern, und kräftigt sie dadurch nach innen und schützt sie nach außen. Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und andererseits eine Schutzmauer gegen äußere Angriffe, — sie lassen sich nur brechen, nicht biegen — und wo ein Volk sich wirklich auf den Dienst der Freiheit verstanden, da hat es instinctiv auch den Werth der Form herausgefühlt und geahnt, daß es in seinen Formen nicht etwas rein Aeußer- liches besitze und festhalte, sondern das Palladium seiner Freiheit . Schon diese erste Beobachtung, die wir an dem Object un- Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 32 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. serer Betrachtung gemacht haben, muß uns lehren, daß wir es hier nicht mit einer rein äußerlichen Erscheinung, sondern mit einem Gegenstand von tief innerlicher Bedeutung zu thun haben. Hätte die Rechtsphilosophie oder die positiv-romanisti- sche Jurisprudenz, die beide die dringendste Veranlassung hat- ten, diese Bedeutung festzustellen, sich der Aufgabe unterzogen, ich würde nicht nöthig haben, mir auch hier wieder durch eine Untersuchung allgemeinerer Art den Weg zur historischen Dar- stellung zu bahnen. Allein der Rechtsphilosophie war die Frage wohl zu speciell und stofflich und der positiven Jurisprudenz umgekehrt zu abstract, Der einzige, der sie meines Wissens berührt und, wie nicht an- ders zu erwarten, in höchst beachtenswerther Weise, ist Savigny System III S. 238 und Oblig. R. II 218. Erst nach Abschluß der folgenden Dar- stellung ist mir eine eigne Schrift über den Gegenstand: von Völderndorf Die Form der Rechtsgeschäfte u. s. w., Nördlingen 1857, zugegangen. Sie hat mir keinen Anlaß gegeben an meiner Darstellung irgend etwas zu ändern, so wenig ich damit im übrigen dem guten Willen, der sich in ihr ausspricht, die Anerkennung versagen will. und so glaube ich nicht an ihr vor- übergehen zu dürfen. Der Gegensatz von Inhalt und Form wird wie von den Dingen der äußern Natur, so auch von denen des Geistes ge- braucht, wir sprechen von den Formen der Gefühle, des Gedan- kens, des Willens u. s. w. und verstehen darunter die Mittel, in denen die inneren Vorgänge, Ideen, Empfindungen, Ent- schlüsse u. s. w. Ausdruck und äußere Existenz gewinnen. In beiden Anwendungen aber hat der Gegensatz keine reale Exi- stenz: er ist nichts als eine Abstraction; unter Form verstehen wir den Inhalt von Seiten seiner Sichtbarkeit . Eben darum aber setzt die Form stets den Inhalt voraus; es gibt weder einen Inhalt ohne Form, noch eine Form ohne Inhalt. Der Schein des Gegentheils hängt mit dem Wechsel der Form zusammen; der schließlichen Form, die wir dem Inhalt ent- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. gegenstellen, geht nicht ein Inhalt ohne Form , sondern ein Inhalt in anderer Form voraus. In dieser Weise verhält es sich mit diesem Gegensatz auch bei dem Gegenstand unserer Betrachtung, dem rechtlichen Wil- len . Die Annahme desselben ist bedingt durch seine Erkennbar- keit, letztere durch seine Aeußerung. In diesem Sinn gibt es also keinen formlosen Willensact — ein Wille ohne Form wäre gleich dem Lichtenbergschen Messer ohne Klinge, dem der Stiel fehlt. Wenn wir nichts desto weniger von formlosen Willens- erklärungen reden, so liegt auf der Hand, daß der Ausdruck Form hier eine andere und zwar engere Bedeutung haben muß. Damit aber hat es folgende Bewandniß. Das Recht kann dem Willen rücksichtlich der Mittel seiner Aeußerung im Rechtsgeschäft Daß und warum der folgende Gegensatz nur bei Rechtsgeschäften, nicht auch bei Delicten Anwendung leidet, bedarf keiner Ausführung. entweder völlige Freiheit lassen, so daß also jedwedes Mittel, sei es das Wort, die Hand- lung, das Zeichen und unter Umständen selbst das Schweigen, insofern nur der bestimmte Willensinhalt daraus mit Sicherheit entnommen werden kann, zur Hervorbringung der beabsichtigten Wirkung ausreicht, oder aber es kann ihn in der Wahl dieser Mittel beschränken und zwar entweder so, daß es die Erreichung des beabsichtigten Zwecks an die Benutzung einer bestimmten Aeußerungsform knüpft, so daß also im Unterlassungsfall ent- weder gar keine Wirkung (Strafe der Nichtigkeit) oder nicht die volle Wirkung Man vergleiche z. B. das pignus publicum und privatum des neuern römischen Rechts, im deutschen Recht den Gegensatz der läugenbaren und unläugenbaren Schuld s. u. eintritt, oder aber in der Weise, daß die Nichtbeachtung der Form, ohne das Rechtsgeschäft selbst in irgend einer Weise zu afficiren, für den Urheber desselben eine von letzterem völlig unabhängige Strafe z. B. eine fiscalische Geldstrafe In dieser Weise hat man hie und da das Gebot der Zuziehung von nach sich zieht. Nur die in der ersten Weise po- 32* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. stulirten Formen sind es, die den Begriff des formellen Rechtsgeschäfts constituiren. Bei der zweiten Art erscheint das Rechtsgeschäft lediglich als äußere Veranlassung zur Vor- nahme einer anderen bedingungsweise vorgeschriebenen Hand- lung. Der Miethcontract mit dem Gesinde ist in unserm heutigen Recht durch das vielfach vorkommende Gebot polizeilicher Anmeldung des Gesindes kein formeller geworden. Das formelle Rechtsgeschäft läßt sich mithin definiren als dasjenige, bei dem sich die Nichtbeachtung der rechtlich erforderlichen Form der Willensäußerung im Rechtsgeschäft selbst rächt . Requisite des Rechts- geschäfts, die sich nicht auf die Form der Willensäußerung beziehen, gehören gar nicht hieher. Jede Formvorschrift enthält eine Beschränkung des Willens in der Wahl seiner Ausdrucksmittel, aber nicht jede derartige Beschränkung begründet den Begriff des formellen Geschäfts. Die Beschränkung kann eine negative oder positive sein. Erste- res, wenn nur ein gewisses Aeußerungsmittel (z. B. die still- schweigende Erklärung) oder der Abschluß an einem gewissen Ort, zu einer gewissen Zeit gesetzlich ausgeschlossen ist, letzteres, wenn die Aeußerungsform positiv fixirt ist. Diese Fixirung kann auch lediglich den Ort (z. B. vor Gericht, auf der Börse) und denkbarerweise könnte sie auch die Zeit betreffen. Dort dürfen wir von „Formbeschränkungen“, nicht aber von einem formellen Geschäft reden, denn die von dem Handelnden angewandte Form ist trotz der Beschränkung in der Wahl nichts desto weniger ein Werk der Wahl gewesen, sie hat alle Eigenschaften der freien oder individuellen Form, von denen sogleich die Rede sein wird, während das formelle Geschäft, soweit die Formvorschrift reicht, jede Wahl und Freiheit ausschließt. Demzufolge würde sich der Begriff des formlosen Rechts- Stempelpapier gesichert. Mit dem obigen Gegensatz hängt, insoweit es sich dabei um Beachtung einer Form handelt, der der leges perfectae und mi- nus quam perfectae zusammen. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. geschäfts als mehr oder minder freie Selbstbestimmung des Willens rücksichtlich der Form seiner Aeuße- rung definiren lassen, und wir könnten demgemäß den Gegen- satz der Formlosigkeit und des Formalismus als den der freien und unfreien Form bezeichnen. Dies Moment der Freiheit ist das allein entscheidende. Darum also begründen Formen, die auf freier Wahl der Partheien beruhen z. B. die Zuziehung von Zeugen, die schriftliche Aufzeichnung des Contracts, kein formelles Geschäft, selbst dann nicht, wenn sie noch so feier- lich und noch so allgemein üblich sind, ohne aber rechtlich nothwendig zu sein. Nicht das äußere Gepränge, sondern der innere Charakter der Form d. h. ihre rechtliche Noth- wendigkeit entscheidet. Mündlicher Abschluß eines Vertrags ist an sich nichts Solennes, allein wo er gesetzlich vorgeschrie- ben, ist der Vertrag ein formeller. Ebenso die Zuziehung von Zeugen. Nicht minder gleichgültig für den Begriff des for- mellen Geschäfts ist das legislative Motiv der Form. Der Zweck, den das Gesetz im Auge hatte, kann ein mannigfaltiger sein z. B. Sicherstellung des Beweises, Ausschließung von Uebereilungen, Uebervortheilungen u. s. w. Ob dieser Zweck durch die Form wirklich erreicht wird, ob er auch auf andere Weise erreichbar ist, und die Parthei ihn auf andere Weise wirk- lich erreicht hat, relevirt nichts; der Gesetzgeber hat einmal die Sorge für die Erreichung dieses Zweckes nicht der Einsicht und dem guten Willen der Parthei überlassen wollen, sondern selbst in die Hand genommen; der von ihm vorgezeichnete Weg zur Erreichung derselben ist zum ausschließlichen zum noth- wendigen gemacht. Diese Nothwendigkeit und Ausschließlichkeit, welche das We- sen der unfreien Form ausmacht, ist aber eine äußere, posi- tive , jede derartige Form ist also in diesem Sinn etwas Zufäl- liges, Willkührliches, so sehr sie im übrigen auch das Product einer gesunden und naturgemäßen historischen Entwicklung gewe- sen sein mag. Darum also ist die Tradition, Occupation, kurz Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. die Apprehension des Besitzes kein formeller Act, denn die Noth- wendigkeit derselben ist eine innere , sie liegt in dem Zustand, den sie begründen soll, und verhält sich zum Besitz kaum anders, als die Geburt zum Leben. Dies Moment der Positivität der Form im Gegensatz zu der rationellen Natur der Formlosig- keit ist auch den römischen Juristen nicht entgangen, wie seiner Zeit bei dem Gegensatz des jus civile und jus gentium nach- gewiesen werden wird. Der bisher entwickelte Gegensatz der Freiheit und Unfreiheit rücksichtlich der Aeußerungsform des Willens schließt einen an- dern in sich, nämlich den des Individuellen und Ab- stracten . Die freie Form ist zugleich eine individuelle , denn sie geht ganz auf in diesem bestimmten Rechtsgeschäft, sie entsteht und vergeht mit ihm, ja sie ist im Grunde nichts, als dieser bestimmte concrete Inhalt von Seiten seiner Sichtbar- keit. Die unfreie Form hingegen ist zugleich eine abstracte, stereotype . Denn wenn sie gleich nur an und in dem concre- ten Rechtsgeschäft zur Erscheinung gelangt, so hat sie doch andererseits eine davon unabhängige (abstracte) Existenz, sie geht nicht hervor und auf in diesem bestimmten Rechtsgeschäft, sondern sie tritt von außen als etwas Fremdes, bereits Vorhan- denes, Gegebenes, Selbständiges mit dem Anspruch auf unbe- dingte Beachtung an das Rechtsgeschäft heran, und die Bil- dung des letzteren erfolgt durch eine Combination zweier sepa- rater Elemente: des concreten Inhalts und der ein für alle Male bestimmten Form. So erklärt sich der obige engere Sprachgebrauch rücksichtlich des Ausdrucks Form, demzufolge die Rechtsgeschäfte mit freier Form als „formlose“ gelten. Bei letzteren nämlich, bei denen die Form ganz dem Willen anheim gegeben ist, Daher bezeichnen die Römer das Princip der Formlosigkeit mit Recht als Princip des nackten Willens, nuda voluntas im Gegensatz zum rigor juris civilis z. B. Ulp. XXV, 1. L. 18 de leg. III (32). gelangt die Form nicht zur eignen selbständigen Existenz, sie ist ein bloßes Accidens des Inhalts, bei den for- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. mellen Geschäften hingegen ist die Form in der That zum Range einer eignen juristischen Größe, zur selbständigen Existenz erho- ben. So läßt sich also der Gegensatz der formlosen und formel- len Geschäfte oder, um hier gleich den Ausdruck einzuführen, mit dem ich ihn fortan bezeichnen werde, der Gegensatz der Formlosigkeit und des Formalismus, auf jenen allgemeinen Gegensatz zurückführen, der sich uns bereits verschiedentlich als einer der Angelpunkte des älteren und neueren römischen Rechts bewährt hat (s. z. B. S. 93 fl., S. 119 fl., S. 473), auf den des Individualismus und der abstracten Gleichheit. Erscheint nun dem bisherigen nach das Princip der Form- losigkeit vom aprioristischen Standpunkt aus als das nor- male, weil dem natürlichen Verhältniß zwischen Form und In- halt entsprechende, das des Formalismus aber wegen seiner Abweichung von demselben als das irreguläre, so möchte man erwarten, daß sich dieses aprioristische Verhältniß beider auch historisch bethätigte, d. h. daß ersteres die Regel, letzteres die Ausnahme bilde. Diese Annahme trifft in der That für unser heutiges gemeines Recht zu, nichts desto weniger aber ist sie falsch. Ueberhaupt straft die Geschichte unsere Erwartung hier in jeder Weise Lügen. Würde uns gesagt, daß von den drei Möglich- keiten, wie das positive Recht sich zu unserm Gegensatz verhal- ten kann, der Combination beider Principien, der ausschließ- lichen Herrschaft der Formlosigkeit und der ausschließlichen Herr- schaft des Formalismus nur zwei historisch sich realisirt hätten, so würde ohne Zweifel Jeder auf die beiden ersten rathen und sicherlich ebensosehr darüber frappirt sein, daß der dritte Fall dazu , als daß der zweite nicht dazu gehört. Mit der Form- losigkeit, so scheinbar natürlich sie ist, allein kann das Recht nicht bestehen, mit dem Formalismus wohl; es erträgt eher das äußerste Uebermaß, als den gänzlichen Mangel der Form . Diese Hinneigung des Rechts zur Form läßt auf ein inne- res Bedürfniß oder auf eine eigenthümliche den Zwecken des Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Rechts entsprechende Brauchbarkeit der Form schließen. Letztere muß demselben offenbar wichtige Vortheile bieten. Gewiß! Allein so wenig ich die Berechtigung und die Richtigkeit dieses Schlusses bestreiten will, so sehr muß ich doch gegen einen Irrthum warnen, der sich demselben leicht beigesellen kann. Man könnte nämlich den Grund des historischen Auftretens des Formalismus lediglich in seinen praktischen Vortheilen finden wollen, ich meine nicht gerade die bewußte Erstrebung derselben von Seiten des Gesetzgebers, sondern auch das instinctive Ge- fühl derselben bei der gewohnheitsrechtlichen Bildung der For- men. Dies halte ich jedoch für falsch, wie ich im folgenden nachzuweisen hoffe, und ich werde daher bei der folgenden Dar- stellung zwei Fragen streng von einander trennen: die von dem praktischen Werth des Formalismus und die von den historischen Gründen seines Erscheinens . I. Praktischer Werth des Formalismus . Wenn irgendwo das abstractphilosophische Urtheil über Dinge des Rechts Gefahr läuft fehl zu greifen, so möchte es bei dem Formalismus sein. Der Philosoph vom Fach, der von den eigen- thümlichen technischen Interessen und Bedürfnissen des Rechts keine Vorstellung hat, kann in dem Formalismus nichts anders erblicken, als einen Ausfluß der sinnlichen Anschauungsweise, eine Präponderanz des äußern über das innere Moment, eine positive Störung des Verhältnisses zwischen Form und Inhalt. Gerade ihm bei seinem auf das Innere der Dinge gerichteten Blick muß diese Ueberhebung der dürren, nackten Form, dieser ängstliche, pedantische Cultus des an sich völlig werth- und be- deutungslosen Zeichens, diese Dürftigkeit und Kümmerlichkeit des Geistes, der das ganze Formenwesen beseelt und sich in ihm breit macht — gerade ihm also, sage ich, muß dies ganze We- sen einen recht unerquicklichen und abstoßenden Eindruck machen. Und in der That, wir müssen zugestehen, dieser Bestandtheil Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. unserer juristischen Technik hat für den Unkundigen durchaus nichts Achtung Erweckendes, und vielleicht ist hierin der Grund zu suchen, daß die Rechtsphilosophie von demselben meines Wissens bisher kaum Notiz genommen hat. Und doch handelt es sich dabei um eine Erscheinung, die, eben weil sie im inner- sten Wesen des Rechts begründet ist, sich im Recht aller Völker wiederholt und stets wiederholen wird. Um sie richtig zu würdigen, muß man die allgemeine, soll ich sagen culturhistorische oder philosophische mit der juristisch- praktischen Auffassung verbinden. Ersteres wird unter II, letz- teres soll hier geschehen. Wir werden zu dem Ende die in der Ueberschrift bezeichnete Frage von dem praktischen Werth des Formalismus zu erörtern haben. Dieselbe erfordert den Nach- weis der Nachtheile (1) und Vortheile (2) des Formalismus und die Bestimmung des Verhältnisses beider zu einander (3). 1. Die Nachtheile der Form . Ich beginne mit ihnen, weil sie sich der unbefangenen Be- obachtung zuerst aufdrängen. Ungleich den Vortheilen bedürfen sie weder eines längeren Suchens, noch eines juristischen Au- ges, ein Umstand, der ihnen von vornherein ein Uebergewicht über jene gibt und die absprechenden Urtheile erklärt, die man so oft aus dem Munde der Laien über das Formenwesen im Recht vernehmen muß. Der erste Eindruck bestimmt sich immer nach dem, was ins Auge fällt. Wie müßte derselbe aber nicht ein verkehrter sein, wenn Licht und Schatten sich über den Gegen- stand in der Weise vertheilen, daß für den Beobachter die un- vortheilhafte Seite desselben beleuchtet, die vortheilhafte be- schattet ist! So verhält es sich aber mit dem unsrigen, und die abgeneigte Stimmung und das ungünstige Urtheil dessen, der sich hier durch den ersten Eindruck leiten läßt, wie es regelmäßig der Laie thut, ist daher nicht bloß durchaus erklärlich, sondern von seinem Standpunkt aus völlig gerechtfertigt, nothwendig. Die üblen Eigenschaften des Formalismus werden ihm in Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. vollem Maße fühlbar, von den vortheilhaften merkt er nur wenig, die schädlichen Wirkungen desselben, namentlich das Unheil, das mitunter ein an sich höchst unbedeutender Formfehler anrichtet, kömmt durch den damit verbundenen Eclat vollständig zu seiner Kunde, die heilsamen Wirkungen hingegen, die tausend und aber tausend Fälle, in denen die Form Unheil abwendet und von denen Niemand spricht, entziehen sich sei- ner Beobachtung. Die Nachtheile der Form lassen sich auf zwei Eigenschaften zurückführen, ihre Gefährlichkeit und Unbequemlich- keit . Beide liegen schlechthin in der Form als solcher, einerlei wie dieselbe im übrigen beschaffen sei; der letztere Umstand ist nur bestimmend für das Maß derselben. An jede Form knüpft sich die Gefahr eines Versehens, eines Formfehlers , und ein solches Versehen rächt sich unerbittlich bei jeder Form, dies liegt einmal in ihrem Begriff, aber die Beschaffenheit der Form kann diese Gefahr näher oder ferner rücken. Es wird dies später an mehren Beispielen gezeigt werden. Ebenso verhält es sich mit der zweiten Eigenschaft. Unbequem ist jede Form, be- stände sie auch nur, wie die der Stipulation, in dem mündlichen Abschluß des Geschäfts, aber die eine ist es mehr als die andere z. B. die des testamentum in comitiis calatis mehr, als die des test. per aes et libram, denn in der letzteren Form konnte man jederzeit , in jener hingegen nur zwei Mal im Jahr testiren. Die Gefährlichkeit der Form, der ich mich zuerstzuwende, ist so eben bereits im wesentlichen angegeben. Die Form erhebt den Anspruch einer genauen Kenntniß ihrer selbst und belegt die Unkenntniß derselben, die Unachtsamkeit, Ungeschicklichkeit, den Leichtsinn mit schwerer Strafe. Das materielle Recht verlangt diese Eigenschaften in ungleich geringerem Grade. Einen form- losen Contract abschließen kann Jemand, auch wenn er die Rechtsgrundsätze, die bei ihm zur Anwendung kommen, nicht kennt, wenn er im Recht sich irrt und in den Worten sich ver- greift. Das Recht und der Richter kommen ihm zu Hülfe. Aber Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. einen formellen Contract kann nur der abschließen, der die Form weiß und zu handhaben versteht, der etwaige Mangel wird nicht supplirt. Darum ist die Lage eines Unkundigen oder Unvor- sichtigen innerhalb eines formellen Rechts oder Rechtstheils eine ungleich ungünstigere, als auf dem Gebiete des formlosen Rechts. Namentlich aber, wenn er einem Kundigen gegenüber steht, der von seiner Unkenntniß oder Arglosigkeit Gebrauch machen will. Der ehrliche, aber geschäftsunkundige Mann ist gegenüber dem geriebenen Betrüger in einem formellen Recht weit mehr im Nachtheil, als in einem formlosen, denn letzterer besitzt in der Form noch ein höchst brauchbares Mittel mehr, um ihn zu bestricken, und vorzugsweise für ein formelles Recht gilt der bekannte Ausspruch: L. 24 i. f. quae in fraud. (42. 8). jura vigilantibus scripta sunt. Die Momente, nach denen sich der Grad der Gefährlichkeit bestimmt, liegen theils in ihr selbst, theils außer ihr. Für letz- tere wird sich mir an einer anderen Stelle eine passendere Gele- genheit bieten (s. 3), ich beschränke mich hier daher auf erstere. Es sind ihrer drei : das quantitative, morphologische und principielle oder die Zahl der vorhandenen Formen, ihr äußerer Zuschnitt und der principielle Charakter der Bestimmungen über ihre Nothwendigkeit . Dieselben hätten ganz unabhängig von dem Gesichtspunkt, der uns hier auf sie führt, ein Anrecht auf unsere Beachtung; es wird nichts im Wege stehen, ihr letztere auch in diesem Zusammenhange zu Theil werden zu lassen. Die Bedeutung des quantitativen Moments bedarf keiner Ausführung (s. S. 342). Je kleiner die Zahl der Formen, je mehr einige wenige Grundformen durch das ganze Recht hin- durch gehen, um so leichter die Kenntniß und Handhabung der- selben, um so geringer die Gefährlichkeit ihres Gebrauchs. Unter dem morphologischen Moment der Form ver- stehe ich die Gestaltung, Zusammensetzung, den Zuschnitt der- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. selben, ob derselbe also z. B. mehr oder minder complicirt oder einfach, knapp und eng oder weit und elastisch ist, ob die Form lediglich eine Thätigkeit der Parthei oder auch die Mitwirkung anderer Personen erfordert, ob sie im Sprechen, Schreiben, Handeln besteht, kurz die Elemente, aus denen die Form ge- bildet, und die Art, wie sie es ist. Einige Beispiele sollen den Einfluß dieses Moments veranschaulichen. Vergleichen wir die Form des römischen Testaments mit der der Stipulation. Erstere war ungleich complicirter, und anderer- seits knapper, als letztere, eben darum aber die Gefahr eines Formfehlers bei ihr viel höher, als hier. Aus je mehr Stücken eine Form zusammengesetzt ist, um so mehr Quellen von Formfehlern enthält sie. Die Stipulation bestand, wenn man will, aus ei- nem Stück, aus der Frage des Gläubigers, denn die entspre- chende Antwort des Schuldners hatte keine Schwierigkeit. Die Testamentsform hingegen erforderte die Rogation der Zeugen, die familiae emtio, die nuncupatio, die Anwendung der richtigen Formeln für die einzelnen Bestimmungen, die richtige Reihen- folge der letzteren, die unitas actus. Bei der Stipulation ge- nügte jede Art der Wortfassung in Frageform, und nur für gewisse Zwecke bedurfte es eines bestimmten Schlagwortes ( spondeo, fidejubeo, fidepromitto u. a.). Ein unfähiger Zeuge unter sieben, ein Mißgriff in der Formel der Erbeseinsetzung, und das ganze Testament mit allen seinen Anordnungen war hinfällig. Ein anderes ganz instructives Beispiel gewährt der Ver- gleich des Legisactionenprocesses mit dem Formularproceß. Er- sterer war ungleich gefährlicher, als letzterer, und gerade hier- durch soll, wie Gajus Gaj. IV §. 30. uns berichtet, sein Untergang veran- laßt worden sein. Auch im Formularproceß blieb, wie es ein- mal im Wesen der Form begründet ist, ein Mißgriff in der Form nicht ohne nachtheilige Folgen, allein der Zuschnitt dieser Pro- ceßform machte die Gefahr eines Formfehlers ungleich seltener. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. Im ältern Proceß ward die Form gesprochen , im neuern geschrieben — man verspricht sich aber leichter, als man sich verschreibt; sodann geschah jenes von der Parthei , dieses vom Prätor — eine Verschiedenheit, deren Bedeutsamkeit für un- sern Gesichtspunkt ich nicht weiter anzugeben brauche. Dann endlich waren die Formeln dort bis ins Kleinste hinein unab- änderlich fixirt — auch das Auslassen oder Vertauschen eines völlig gleichgültigen Wortes enthielt einen Formfehler — hier hingegen waren sie elastisch, und nur die wirklich entscheidenden Worte gaben den Ausschlag. Zur Einsicht in das Wesen und die Bedeutung des dritten obigen Moments, des principiellen , hoffe ich den Leser am leichtesten zu führen, indem ich ihm ein Beispiel aus einem neuern Gesetzbuch mittheile. Es sollen mir dazu die Bestimmun- gen des preußischen Landrechts über die schriftliche Abfassung der Verträge Die Belege zu dem folgenden s. bei Bornemann Erörterungen im Gebiet des preuß. Rechts Heft 1. Berlin 1855. S. 144 fl. dienen, sie gewähren ein Muster dafür, wie derartige Bestimmungen nicht sein sollen. Das Gesetz erfor- dert diese Form bei allen Verträgen, deren Gegenstand über 50 Rl. beträgt, durchbricht jedoch die Regel nach zwei Seiten hin, denn einmal soll es in fünf Fällen der Form schlechthin nicht , andererseits aber umgekehrt in zwölf Fällen selbst dann bedürfen, wenn das Object jene Summe nicht erreicht, welche Anordnung aber zum Theil wiederum verschiedenen Modifica- tionen und Restrictionen unterliegt. S. folgende Beispiele bei Bornemann S. 168: „Die Real- verträge über bewegliche Sachen bedürfen keiner schriftlichen Form, wenn nur das Rechtsverhältniß, welches nach den Gesetzen durch das Hingeben der Sache begründet wird, eintreten soll; Verabredungen über Nebenverpflichtun- gen müssen dagegen schriftlich festgestellt werden.“ S. 151: „Verträge, wo- durch Jemand zu fortdauernden oder auf unbestimmte Zeit versprochenen wie- derkehrenden persönlichen Leistungen verpflichtet wird, bedürfen schlechthin der Form, jedoch sind ausgenommen die Miethverträge mit gemeinem Gesinde, bei welchem das Nehmen und Geben des Miethgeldes die Stelle des schrift- Schon das bloße Be- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. halten dieser Bestimmungen würde eine Gedächtnißanstrengung erfordern, die man kaum von einem Andern, als dem Juristen erwarten dürfte, und ich würde unbedenklich dies Thema zu den schweißtreibenden Fragen des juristischen Examens zählen. Und dieses wüste Conglomerat zusammenhangs- und principloser Verordnungen soll der Bürger und Bauer sich einprägen? Fürs Volk eine Regel, die nach der einen Seite ein Dutzend, nach der andern beinah ein halbes Dutzend Ausnahmen erleidet? Nun aber die Anwendung der Bestimmungen im Leben! Man soll erst taxiren, ob die Sache über oder unter 50 Rl. werth ist, man soll wissen, ob die bei einem Realcontract beliebten Bestim- mungen eine Abweichung von dem gesetzlichen Typus des Ge- schäfts enthalten oder nicht, was unter Hausofficianten zu ver- stehen ist (Gouvernante, Gesellschafterin, Inspector, Hausarzt?), was unter gewagten Geschäften u. s. w. In der That derartige Bestimmungen lassen sich nicht anders, denn als Fallstricke und Fußangeln bezeichnen, die der Gesetzgeber selbst dem Verkehr gelegt hat, ungesunde Producte der Studierstube, die dem Volk ewig fremd bleiben müssen. Denn ins Volk dringt nur, was aus dem Volk hätte hervorgehen können. Es wird jetzt ein Leichtes sein, auf Grund dieser Exempli- fication den Begriff unseres dritten Moments zu bestimmen. Dasselbe betrifft die innere Gestaltung des Formenwesens, die lichen Vertrages vertritt. Dagegen müssen Miethverträge mit Hausoffi- cianten immer schriftlich errichtet werden.“ S. 160: 7. „Pachtverträge über Landgüter. Ist der Pachtvertrag bloß mündlich geschlossen, so gilt er nur auf ein Jahr. 9. Verlagsverträge. Ist der Vertrag nicht schriftlich errichtet, die Handschrift jedoch vom Schriftsteller abgeliefert worden, so gilt die mündliche Verabredung zwar in Ansehung des Honorars, in allen übrigen Stücken aber sind die Verhältnisse beider Theile lediglich nach den gesetzlichen Vorschriften zu beurtheilen.“ Siehe noch Fall 10 und 12 bei Bornemann S. 160, 161 Schenkungen endlich erfordern noch einer besondern Form, der gerichtlichen Abschließung. In der That dies völlig principlose Schwanken und Schaukeln zwischen Form und Formlosigkeit ist ganz geeignet das Gefühl des Schwindels und der Seekrankheit zu erregen. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. Frage nämlich, inwieweit die Bestimmungen über die Noth- wendigkeit der Form principieller , oder casuistischer, sporadischer Natur sind, ob sie den Eindruck der Einheit und Consequenz oder den der Zerrissenheit und Willkühr machen. Die höchste Entfaltung dieses und zugleich des zweiten Mo- ments und die innigste gemeinsame Durchdringung beider be- thätigt sich in der Harmonie oder ich will lieber sagen: dem Parallelismus der Formen und Begriffe , darin näm- lich, daß die Form sich den innern Unterschieden des materiellen Rechts anschmiegt, so daß also die Mehrheit der Rechtsgeschäfte nicht bloß in der Mehrheit der Formen sich kund gibt, sondern daß die innere Eigenthümlichkeit des oder der mit einer beson- dern Form ausgestatteten Rechtsgeschäfte in dem morphologi- schen Moment der Form sich abspiegelt und ausprägt. Es er- hebt sich hier das bloß stoffliche Element der Form zur Höhe einer idealen juristischen Kunstschöpfung. Ein höchst belehrendes Beispiel gewährt der Vergleich der römischen Formen der Sti- pulation, der Mancipation und Abtretung vor Gericht ( in jure cessio ), und des Testaments. Die Form der ersten war die der Frage ( spondesne, dabisne u. s. w.). Eine Frage aber ist die Form der Beziehung , sie wird gerichtet an eine bestimmte Person, sie ist daher ganz angemessen für das relative Ver- hältniß der Obligation; die innere Rothwendigkeit einer ge- genüber stehenden Person ist durch die Form selbst äußerlich an- gedeutet. Die Form des zweiten und dritten Rechtsgeschäfts war die der Assertion , der Behauptung (Hunc ego homi- nem ex jure quiritium meum esse ajo isque mihi emtus est hoc aere aeneaque libra Gaj. I 119. — hunc ego hominem ex jure quiritium meum esse ajo Gaj. II 24); ebenfalls höchst bezeichnend. Denn die absolute Natur der in ihnen auftreten- den Rechte findet in dem absoluten Charakter der Form ihren Ausdruck. Eine Behauptung ist unabhängig von der Beziehung zu einer bestimmten Person. Oder mit andern Worten die Sti- pulation und die durch sie begründete Klage war concipirt in Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. personam , die Formel der beiden andern Rechtsgeschäfte und die auf sie sich stützende Klage in rem . Die Form des vierten Rechtsgeschäfts war die eines Befehls ( heres esto, heredem esse jubeo Gaj. II 117. damnas esto, ibid. §. 201, sumito §. 193, statt der letzteren auch do lego ). Wiederum ganz tref- fend. Einmal in historischer Beziehung: als Reminiscenz an die ursprüngliche Gesetzesform der Testamente, sodann in dogmatischer Beziehung: als Ausdruck des in dem Testa- ment sich verwirklichenden eigenthümlichen Rechts der Autono- mie (wovon an anderer Stelle). Die Stipulation beschränkte ihre Wirkungen auf die handelnden Personen, die drei andern konnten dieselben möglicherweise auf andere ausdehnen. Auch dieser Unterschied erhielt seine morphologische Signatur; und zwar darin, daß dort die handelnden Personen für sich allein blieben, hier aber dritte Personen (Zeugen, Prätor) zugezogen wurden. Ein anderes Beispiel für die obige Behauptung wird uns der §. 47 in der inneren Oekonomie der Testamente bringen. Ich wende mich der Unbequemlichkeit der Form zu. Sie liegt zunächst schon darin, daß die Form das bequeme Sichgehenlassen des Willens, wie die Formlosigkeit es verstattet, unmöglich macht, denn es bedarf hier außer dem bloßen Wol- len noch eines besonderen Ansatzes, eines eignen Actes, um der Form ein Genüge zu leisten. Dazu gesellt sich sodann ferner der hemmende Einfluß gewisser unabweisbarer Rücksichten. Der Stempel des Geschäftlichen , den die Form an der Stirn trägt, macht die vom Recht begehrte Interposition der- selben in manchen Lagen geradezu zu einer moralischen Unmög- lichkeit. Die socialen Formen legen gegen die juristische Form nicht selten ein absolutes Veto ein. Wer könnte überall, wo eine Verabredung getroffen wird, mit der juristischen Form dahineinfahren, wer sich jedes Anerbieten oder Versprechen schwarz auf weiß geben lassen? Auf der billigen Erwägung dieses Umstandes beruht die Exemtion Ein solches Verfahren würde nicht bloß Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. in manchen Verhältnissen eine Verletzung aller Rücksichten des Anstandes und der Sitte, eine grobe Taktlosigkeit, sondern nicht selten durch das in ihr sich äußernde Mißtrauen eine schwere Beleidigung des andern Theils enthalten. In Wirklichkeit er- reicht die Form hier den gerade entgegengesetzten Erfolg von dem, den sie bezweckt, denn anstatt die Sicherheit des Contrahi- rens zu erhöhen, schließt sie dieselbe gänzlich aus, verweist den Handelnden von dem festen Boden des Rechts auf den un- sichern des persönlichen Vertrauens. Das bisher Gesagte gilt für jede Form, wie immerhin sie auch beschaffen sei. Es ist aber begreiflich, daß gerade für die hier zur Betrachtung stehende Eigenschaft der Form die beson- dere Beschaffenheit derselben von entscheidendem Einfluß sein muß. Ich will dies an einigen Beispielen nachweisen. Jede besondere Form hat ihre eigenthümlichen Inconve- nienzen. Ist mündlicher Abschluß unter den Partheien vor- geschrieben, wie z. B. für die Stipulation und die meisten römischen Rechtsformen, so ist damit das Contrahiren unter Abwesenden abgeschnitten, man muß zu dem Zweck erst eine Reise machen oder durch Benutzung von Mittelspersonen auf Umwegen das Ziel erreichen. Ebenso ist der Strenge nach der Taube und Stumme von der Benutzung dieser Form aus- geschlossen, und in der That hatte das römische Recht diese Con- sequenz gebilligt. Ist schriftliche Abfassung bestimmt, wie durch das obige preußische Gesetz, so ist umgekehrt vielfach das Contrahiren unter Anwesenden erschwert, denn wer führt, wie Shyllock, überall Papier, Dinte und Feder im Gürtel mit der Schenkung von der Stipulationsform im justinianeischen Recht, die sonst auf den ersten Blick etwas Befremdendes hat. Die Offerte eines Con- tractes rechtfertigt eine geschäftsmäßige Behandlung derselben von der andern Seite, nicht so aber das Versprechen einer Schenkung. Hängt hier- mit auch die dotis dictio des ältern Rechts zusammen? Schwerlich, aber meiner Anficht nach entschieden die Formlosigkeit der promissio dotis im neuern Recht, die man ohne Grund und ohne Noth zu einer pollicitatio erhoben hat. Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 33 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. sich? Der preußische Gesetzgeber verlegt das Contrahiren von dem Markt und der Straße auf die Stube und den Schreibtisch, das römische Recht umgekehrt von letzteren auf jene — beides für sie und ihre Zeit gleich charakteristisch. Ist Errichtung vor Zeugen, vor Gericht oder vor dem Notar vorgeschrieben, so muß man, um zu contrahiren, erst die Zeugen suchen, vor Gericht oder dem Notar erscheinen. Wie nun, wenn die Zeu- gen nicht zu haben z. B. in einsamer Gegend oder bei einer herrschenden Epidemie die 7 Testamentszeugen, Hierauf beruhen zwei Formen der erleichterten Testamentserrich- tung, das testamentum ruri und tempore pestis conditum. Die Gestalt des Soldatentestaments hängt nur zum Theil damit zusammen, wohl aber das Aufkommen und die Zulassung der Fideicommisse. wie, wenn die Gerichtsstätte weit entfernt, Hierin lag eine der Ursachen der unförmlichen Rechtsgeschäfte der Römer in Fällen, in denen es der in jure cessio d. h. für Entfernte einer Reise nach Rom bedurfte, z. B. der unförmlichen Freilassung. Die be- schränkte Anerkennung, die der Prätor der letzteren gewährte, war nur eine billige Berücksichtigung der in der Form gelegenen Inconvenienz, ähnlich wie in Anm. 659 und 660. Daß aber auch andere Motive mitwirkten, wer- den wir im dritten System zeigen. oder die Umstände zum sofortigen Abschluß drängen, und Richter und Notar nicht so- fort zu haben sind, oder der Vertrag die Kosten nicht trägt? Man sieht, daß jede Form, wie sie auch sei, ihre eigenthümlichen Nachtheile hat, durch die sich der Verkehr mehr oder minder be- engt fühlen muß. Die unvermeidliche Folge davon ist, daß er sich in dring- lichen Fällen der Form entschlägt, ein unförmliches (im Ge- gensatz zum formlosen ein der Form an sich bedürftiges, aber ihrer ermangelndes) Rechtsgeschäft abschließt. Eine rechtliche Wirkung hat dasselbe nicht, seine Wirkung ist ausschließlich auf den guten Willen des Verpflichteten, auf seine Scheu vor der öffentlichen Meinung, seine Redlichkeit, Zuverlässigkeit, kurz die bona fides gestellt. Diese Flucht des Verkehrs vor der lästigen Form wiederholt sich überall, und zwar meine ich nicht Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. etwa eine ausnahmsweise, sporadische, sondern eine förmlich zur Regel und zur zweiten Natur gewordene Nichtbeachtung der Form. So in Rom, wie demnächst ausgeführt werden soll, so aus neuerer Zeit z. B. in den Ländern des preußischen Rechts. So weiß ich z. B. aus meinem Vaterlande Ostfriesland, in dem dieses Recht gilt, daß der ganze Productenhandel des Landes sich über das Erforderniß der schriftlichen Abfassung der Verträge hinwegsetzt. Das System der bona fides im altrömischen Sinn d. h. des lediglich auf Treu und Glauben basir- ten Verkehrs ist ein nothwendiger Ausfluß des jus strictum, des Systems des Formalismus . So wiederholt sich also hier der bereits oben constatirte Widerspruch der Form mit sich selbst und ihrem eignen Zweck. Bestimmt, dem Verkehr einen höhern Grad der Sicherheit zu gewähren, veranlaßt sie ihn umgekehrt, auf alle und jede recht- liche Sicherheit Verzicht zu leisten, eine bequeme Unsicherheit einer unbequemen Sicherheit vorzuziehen. Man könnte es als eine Selbstanklage des Formalismus, als das Eingeständniß seiner mangelnden absoluten Durchführbarkeit bezeichnen. Soviel über die beiden Eigenschaften der Gefährlichkeit und Unbequemlichkeit, die man meiner Ansicht nach dem Formalis- mus mit Recht zum Vorwurf machen kann. Nicht so verhält es sich mit einem Vorwurf anderer Art. Er betrifft die ethische Seite desselben. Derselbe ist zwar meines Wissens noch von Niemanden bestimmt formulirt und ausgeführt — seine Aus- führung würde zugleich seine Widerlegung gewesen sein — allein die ihm zu Grunde liegende Vorstellung hat sich doch in manchen Spuren und Anklängen geäußert, und für unklare Köpfe besitzt sie einen gewissen Reiz und Schein. Sie ist namentlich befördert und unterstützt durch eine historische Annahme, die nicht minder irrig ist, als sie selbst, nämlich daß das germanische Recht von jeher dem Grundsatz der Formlosigkeit der Verträge gehuldigt habe. Der neuste an die Oeffentlichkeit getretene Versuch von Stobbe, Es bedurfte nur der kleinen Wendung, in unserm 33* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Sprüchwort: Ein Mann, Ein Wort — einem Sprüch- wort, mit dem sich in dem Sinn, den es hat, jedes gesittete Volk der Erde einverstanden erklären wird — ein Rechts princip zu finden, C. A. Schmidt Der princip. Unterschied zwischen dem röm. und germ. Recht S. 250: „Das germanische Vertragsrecht ist ganz einfach auf die Vorschrift des Sittengesetzes gegründet, daß Verträge gehalten werden müssen u. s. w. Anders dachte der alte Möser (S. Anm. 666) darüber, und sein Urtheil wiegt um so schwerer, als er weder ein Ideolog oder ein romani- sirender Theoretiker, sondern eine durch und durch praktische und kernhaft deutsche Natur war. „Der Narr , sagt er in nicht sehr höflicher Weise, der zuerst das Sprichwort: ein Mann ein Mann, ein Wort ein Wort so ausgelegt hat, daß ein ehrlicher Mann sein erstes Wort nicht widerrufen könne, hat mehr Unglück angestiftet, als man glauben sollte.“ und die principielle Formlosigkeit des deutschen Rechts stand fest. Von diesem festen Punkt aus fand sich dann leicht die Anknüpfung an den specifisch germanischen Zug zur Sittlichkeit und als Gegensatz die Anknüpfung des Formalis- mus an die angebliche moralische Indifferenz des römischen Rechts, um schließlich die Frage: ob Form oder nicht Form zur Competenz der Ethik zu verweisen und mit billigem Pathos von diesem Standpunkt aus eine Anklageschrift gegen den For- malismus zu entwerfen. Welche Mißachtung des sittlichen Ge- fühls von Seiten des Rechts, das gegebene Wort wegen des geringsten Formfehlers für unverbindlich zu erklären, den schreiend- diese Behauptung zu beweisen, hatte mich nicht überzeugt. Je weniger ich aber in der Lage war, mir über diese Frage eine selbständige Ansicht zu bilden und zu begründen, mit um so größerer Freude habe ich die Lösung aufgenom- men, die dieselbe in einer demnächst erscheinenden an neuen Ergebnissen höchst reichen Schrift eines Germanisten von Fach gefunden hat, nämlich in dem mir bereits in einzelnen Druckbogen mitgetheilten Werk von H. Siegel B. 1 S. 40 über das deutsche Gerichtsverfahren. Derselbe unterscheidet zwischen läugenbaren und unläugenbaren Schulden. Der Anspruch aus einem form- losen Vertrag konnte durch den bloßen Eid des Beklagten beseitigt werden, zur vollen Wirkung des Vertrages d. h. damit die Schuld eine läugen- bare sei, verlangt auch das germanische Recht eine Form. Der Gegensatz erinnert an den des Legats und des fideicommissum heredi praesenti in- junctum. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. sten Mißbrauch des Vertrauens, ich sage nicht einmal ungestraft, sondern selbst ungerügt zu lassen, ja dem Richter die Pflicht auf- zulegen, dazu nöthigenfalls seinen Arm zu leihen, und der Schlechtigkeit und dem Betruge, wie oben zugegeben, in der Form einen sichern Schlupfwinkel zu eröffnen! Welchen ver- derblichen Einfluß muß der tägliche Anblick dieses Schauspiels auf das Rechtsgefühl des Volks ausüben. Heißt nicht die Stimme desselben zum Schweigen bringen: dasselbe abtödten, heißt nicht die Form als das allein Entscheidende hinstellen: das Fundament allen Verkehrs, die Treue , untergraben, den Schwerpunkt desselben verrücken? Und was ist darauf zu antworten? Zunächst und vor al- lem, daß diese ganze Anklage von einer totalen Verkennung der eigenthümlichen Aufgabe des Rechts gegenüber der der Moral zeugen würde — ein Fehler, der freilich häufiger (und nicht bloß bei dieser Frage) begangen wird, als man es erwarten sollte, den ich aber am wenigsten bei dieser Veranlassung Beruf in mir fühle zu berichtigen. Ueberhaupt liegt es nicht in meiner Absicht, gegen jene Anklage ernstlich zu Felde zu ziehen. Wer einiges Nachdenken daran setzen will, für den werden, wie ich hoffe, folgende Andeutungen vollkommen genügen. Höher noch, als das bloße Wort steht der Eid, und diesel- ben ethischen Gründe, aus denen man vom Gesetzgeber begeh- ren könnte, daß er das formlose Versprechen für erzwingbar er- kläre, könnten in verstärktem Maße für das eidliche Versprechen in die Wagschale geworfen werden. Das canonische Recht hat denn in der That die Erzwingbarkeit desselben festgesetzt, und gerade damit ein lehrreiches Beispiel dafür geliefert, wohin es führt, wenn der Gesetzgeber moralische Anforderungen zu recht- lichen erhebt. Durch jene Bestimmung nämlich ward der Eid zu einem Mittel, um die heilsamsten Bestimmungen des Rechts zu vereiteln. Alle Schutzmaßregeln, die das Recht für das Subject getroffen, waren beseitigt, so wie geschworen war, und hätte nicht das canonische Recht eine Art von Taschenspieler- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. kunst angewandt (indem es bei erzwungenen, wucherischen u. a. Contracten den Schuldner zur Erfüllung, den Gläubiger aber zur sofortigen Rückgabe zwang), der Erfolg der ganzen Bestim- mung wäre vorzugsweise Wucherern und Betrügern zu gute gekommen. Sollte es einen ungünstigen Einfluß auf die Sitt- lichkeit des Volks gehabt haben, daß die Partikulargesetzgebung jene Bestimmung nach und nach fast überall aufgehoben hat? Es ist eine bedeutungsvolle Erscheinung, daß das sittliche Ge- fühl des Volks gerade bei den Verhältnissen, die der Gesetzgeber sich selbst überlassen hat, am empfindlichsten ist, gleich als müßte es sich ihrer in ihrer Hülf- und Schutzlosigkeit doppelt annehmen, eine Behauptung, deren Wahrheit in Bezug auf das römische Volk sich uns seiner Zeit an der Gestalt der Infa- mie im ältern Recht schlagend bewähren wird. Ich muß sodann noch auf eine andere Seite der Frage auf- merksam machen. Enthielt es schlechthin eine Unredlichkeit, wenn ein Römer ein von ihm in unförmlicher Weise abgeschlos- senes Geschäft (z. B. Tradition einer res mancipi, Versprechen ohne Stipulationsform) nicht als verbindlich anerkannte? Man geht dabei unwillkührlich von der Supposition aus, daß es in seiner Absicht gelegen, sich wirklich zu binden, und daß nur aus irgend welchem Grunde die erforderliche Form verabsäumt wor- den sei. Allein es war auch der entgegengesetzte Fall möglich, nämlich die Unterlassung der Form in der Absicht, um nicht ge- bunden zu sein, und ich glaube, es ist keine zu kühne Annahme, wenn man für die ältere Zeit gerade diesen Fall als die Regel und jenen als Ausnahme setzt. Wenn die Anwendung einer jedem Römer so geläufigen Form, wie die Stipulation, Man- cipation u. s. w., unter Verhältnissen unterblieb, die derselben kein weiteres Hinderniß entgegensetzten, so hieß dies nichts an- ders, als nach übereinstimmender Absicht der Par- theien soll das Rechtsgeschäft keinerlei rechtliche Wirkung ha- ben, es soll in das Belieben der Parthei gestellt sein, davon abzugehen. Was wir erst durch eine ausdrückliche Verwahrung Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. erreichen müssen, nämlich daß der Handelnde zunächst noch nicht rechtlich gebunden sein wolle oder sich den Rücktritt vor- behalte, lag dort bereits stillschweigend in der Nichtanwendung der Form. Tradition einer res mancipi bedeutete für den rö- mischen Verkehr, was für unsern der Vorbehalt des Eigen- thums (das s. g. pactum reservati dominii ), das bloße pactum, was für unsern vorläufige unverbindliche Beredungen (Tracta- ten), die unförmliche Freilassung eines Sklaven Ertheilung der factischen Freiheit mit Vorbehalt des Widerrufs. Die Ur- girung des Mangels der Form enthält in allen diesen Fällen keine Treulosigkeit, sondern die Geltendmachung des von An- fang an Gewollten. 2. Vortheile der Form . Wir haben bei der Darstellung derselben zwei Arten genau von einander zu unterscheiden, nämlich diejenigen, die in der Form als solcher gelegen sind, sich mithin bei allen formellen Geschäften wiederholen — ich will sie die allgemeinen nen- nen — und diejenigen, die auf dem morphologischen Element der einzelnen Form beruhen und mithin dieser besonderen Form eigenthümlich sind — ich nenne sie die besondern Vortheile. Ich beginne mit jenen und zwar, indem ich etwas weit aus- hole. Die Entscheidung eines Rechtsstreites besteht in der An- wendung des abstracten Rechts auf das concrete Verhältniß. Die Schwierigkeiten derselben können daher entweder in dem abstracten Recht gelegen sein, darin nämlich daß die Bestim- mungen desselben, die zur Anwendung kommen müßten, an Unklarheit, Unbestimmtheit leiden u. s. w. oder in dem con- creten Verhältniß , sei es in der Zweifelhaftigkeit des rein factischen Vorganges (Beweisfrage), sei es in der seines juri- stischen Charakters (Subsumtion, Diagnose). An den Schwie- rigkeiten der zuletzt genannten (dritten) Art bewährt sich der all- gemeine Nutzen der Form; denen der zweiten Art kann sie Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. ebenfalls begegnen, wenn sie nämlich darnach eingerichtet ist (Errichtung des Geschäfts vor der Obrigkeit, Zeugen u. s. w.), allein sie braucht es nicht , dieser Vortheil gehört also zur Classe der besonderen . Jene sind in den meisten Fällen durch die Parthei selbst ver- schuldet; die objective Zweifelhaftigkeit, Unklarheit des Rechts- geschäfts ist regelmäßig nur die Folge der subjectiven Unklar- heit, sei es des Denkens und Wollens oder des Sprechens. Der Handelnde wollte z. B. dem Gegner nur den Gebrauch einer Servitut ( precaria juris possessio ) einräumen, aber er hat sich so ausgedrückt, als habe er beabsichtigt ihm die Servitut selbst zu gewähren. Ober der Handelnde war sich dieses recht- lichen Unterschiedes und der Nothwendigkeit der Entscheidung für die eine oder andere Möglichkeit gar nicht bewußt, und sein Wille oscillirte, so zu sagen, in aller Naivität zwischen beiden in der Mitte. Diese doppelte Unklarheit und in ihr eine der reichsten Quellen der Processe völlig auszuschließen, liegt nun zwar außerhalb der Macht des Rechts. Aber viel, sehr viel kann im- merhin zu diesem Zweck geschehen theils durch freie Thätigkeit des Verkehrs (Benutzung stehender Formulare, Zuziehung von Juristen) theils durch eine Einrichtung des Rechts, und diese Einrichtung ist keine andere, als unser Formalismus. Ich bin gezwungen gewesen, diesen eigenthümlichen Nutzen der Form schon öfter gelegentlich zu berühren (S. 15, 347, 354), und ich will den Vergleich, den ich früher gebraucht habe, wieder auf- nehmen und weiter durchführen. Die Form ist für die Rechtsgeschäfte, was das Gepräge für die Münzen . Wie das Gepräge uns die Prüfung des Metallgehaltes, Gewichtes, kurz des Werthes der Münze erspart, zu der wir bei ungeprägtem Metall, wenn es zur Zahlung verwandt werden sollte, gezwungen wären, so überhebt die Form den Richter der Mühe der Untersuchung, ob ein Rechtsgeschäft beabsichtigt ist, und wenn für verschiedene Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. Rechtsgeschäfte verschiedene Formen festgesetzt sind, auch der Untersuchung, welches beabsichtigt ist. Im System der Form- losigkeit können beide Fragen mit der größten Schwierigkeit ver- knüpft sein. Die erstere . Denn so sehr immerhin im Begriff das Rechtsgeschäft von den vorbereitenden Handlungen, das wirkliche Sich Binden des Willens von der bloßen Ankündigung der vorhandenen Geneigtheit zum Binden, die Bethätigung, Ausführung eines Entschlusses von der bloßen Mittheilung über das innerliche Vorhandensein desselben unterschieden ist, so sehr vermischen sich häufig die Grenzen in dem concreten Fall. „Ich will Dir legiren, verkaufen, schenken“ kann heißen: ich thue es hiermit, oder: ich mache mich verbindlich es dem- nächst zu thun, oder: ich habe für mich die Absicht , wovon ich Dich in Kenntniß setze, aber in nicht anderer Weise und mit nicht anderer Wirkung, als von irgend einem anderen Gedan- ken, der in meiner Seele auftaucht. Angenommen nun, daß letztwillige Verfügungen keiner Form bedürften; welche endlose Menge von Processen würde sich über den Sinn derartiger im Leben durchaus nicht seltener Mittheilungen erheben. Im Sy- stem des Formalismus ist die Aeußerung der Absicht des Wollens durchaus ungefährlich, sie läuft nie Gefahr mit dem Wollen selbst verwechselt zu werden, im System der Formlosig- keit hingegen droht stets die Gefahr einer solchen Verwechselung sowohl der Absicht mit dem Willen als des Willens mit der Absicht. So dient also die Form zunächst als Stempel des fertigen juristischen Willens. Vortrefflich hat Savigny System III S. 238 dies ausgedrückt: „Ein Entschluß, sagt er, über wichtige Dinge kömmt selten mit einemmal zur Reife; es pflegt ihm ein Zustand der Unentschiedenheit vorauszugehen, worin die Uebergänge allmählig und unmerklich sind, und dessen Unterschei- dung von dem vollendeten Wollen eben so schwierig sein kann, als sie für den später urtheilenden Richter unentbehrlich ist. Hier dient nun die Form als untrügliches Kennzeichen des reifen Entschlusses.“ Wie sie hier nun das Juristische vom Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Nichtjuristischen, so kann sie zweitens auch ersteres unter sich abgränzen d. h. den Gegensatz zwischen den einzelnen rechtlichen Geschäften signalisiren. Ich will dies an dem obigen Beispiel der Servitut nachweisen. Die dem Richter vorgelegten Ver- handlungen zwischen zwei Partheien über die angebliche Bestel- lung einer Servitut können ihn zwischen vier verschiedenen An- nahmen schwanken lassen: 1. die Servitut ist bestellt (Ding- liches Rechtsgeschäft), 2. sie ist bloß versprochen (Obliga- tion), 3. es ist bloß die widerrufliche Benutzung einge- räumt (Precarium), 4. es ist bloß die innere Geneigtheit zur Einräumung derselben ausgesprochen. Für den römischen Richter bot die Frage kaum eine Schwierigkeit, denn für den ersten Zweck bedurfte es der Mancipation oder der Abtretung vor Gericht, für den zweiten der Stipulation, fehlte es an jeder Form, so konnte nur der dritte oder vierte Fall vorliegen. Ge- rade für die beiden letzten Fälle aber war der Mangel eines äußern Unterscheidungsmerkmals völlig gleichgültig, denn in beiden Fällen war alles auf den guten Willen des Concedenten gestellt, der Gegner hatte keine Klage, der Richter ihn also hier wie dort schlechthin abzuweisen. Für unsern heutigen Richter kann unter Umständen die Frage, ob eine im Testament bedachte Person nach Absicht des Erblassers Legatar oder Erbe sein soll, große Schwierigkeiten haben, für den römischen Richter waren dieselben durch die verschiedene Form der Erbeseinsetzung und der Legate völlig abgeschnitten. Der Nutzen der Form besteht also dem bisherigen nach in der Erleichterung und Sicherung der Diagnose — ein Gewinn, der scheinbar und zunächst nur dem Richter, in der That und schließlich aber der Parthei selbst und dem Verkehr zu gute kömmt. Denn wie unter der Schwierigkeit und Unsicherheit der patho- logischen Diagnose weniger der Arzt, als der Patient, so leidet unter der der juristischen weniger der Richter, als die Parthei. Jene Erleichterung für den Richter aber muß der Verkehr mit einem Opfer von seiner Seite erkaufen, die Mühe und Ar- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. beit des Richters und der Partheien stehen hier im entgegengesetzten Verhältniß . Im Formalismus hat es der Richter bequem, die Parthei unbequem, im System der Formlosigkeit umgekehrt die Parthei bequem, der Richter unbequem. Zu diesem ersten allgemeinen Vortheil der Form gesellt sich ein zweiter, der unmittelbar in der Person der Parthei selbst wirksam wird. „Für das Gedeihen des Rechtsverkehrs“, sagt Savigny, Obl. Recht II S. 217. Diesen Gesichtspunkt hatte bereits Möser patriot. Phantas. B. 2. XXIV (Berlin 1778) S. 121 fl. in seiner launi- gen, aber höchst treffenden Weise hervorgehoben. ist es wünschenswerth, daß Verträge nicht über- eilt, sondern in besonnener Ueberlegung der daraus entspringen- den Folgen geschlossen werden. Die Natur des formellen Ver- trags (wie der römischen Stipulation) führt dahin, die beson- nene Uebertragung zu wecken, also jenen wünschenswerthen Zu- stand zu befördern.“ Gewiß! bei allen Formen, die mit einem gewissen Aufschube verbunden sind, wie z. B. gerichtliche Er- richtung oder Insinuation liegt dies auf der Hand. Allein auch bei der Stipulation? Der mit ihr verknüpfte Aufenthalt war viel zu kurz, um dem, der in Aufregung oder Uebereilung etwas versprochen, Zeit zu lassen, sich zu beruhigen und zu be- sinnen; es war ein Moment, weniger als eine Minute. Allein es würde eben auch verkehrt sein, jenen heilsamen Einfluß der Form lediglich in dem durch sie veranlaßten Aufschub finden zu wollen. Er liegt vielmehr in ihr selbst, in den Ideen des Ge- schäftlichen, rechtlich Gebundenen u. s. w., die sich mit ihr ver- knüpfen, darin also, daß sie die Stimmung in dem Handeln- den hervorruft, in der sich jeder beim Abschluß eines Rechts- geschäfts befinden sollte, die geschäftsmäßige . Für das rö- mische Ohr war das kleine Wörtchen spondesne, sowie es im Lauf des Gesprächs ertönte, eine Benachrichtigung, daß die Un- terhaltung einen andern, geschäftsmäßigen Charakter anneh- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. men sollte, ein Signal für die Vornahme einer Handlung von rechtlicher Natur und Bedeutung. Wer im Fluß der Rede Aeußerungen gethan, Zusicherungen ertheilt hatte, die dem Geg- ner einen rechtlichen Vortheil in Aussicht stellten, mußte stutzig werden, sowie letzterer ihn beim Wort nehmen und die Sache rechtlich fest (das ist die Bedeutung von stipulari ) machen wollte; mit der Frage über den rechtlichen oder nicht recht- lichen Sinn seiner Worte, die der Gegner an ihn richtete, trat an ihn die Nöthigung heran, sich dieselbe vorher für sich selbst zu beantworten, sich den Inhalt, die Tragweite und die Folgen der proponirten Stipulation klar zu machen. Jenes Wörtchen hatte also den unschätzbaren Werth, als Wecker des juristischen Bewußtseins zu dienen. Wie manche Zusicherungen, Versprechungen u. s. w. werden heut- zutage ertheilt, bei denen der Redende, so ernstlich er auch ge- sonnen ist, sie zu halten, sich doch die Möglichkeit einer dem- nächstigen zwangsweisen Geltendmachung gar nicht vergegen- wärtigt, und bei denen, träte ihm die Hinweisung darauf durch das Ansinnen einer formellen Bestätigung derselben von Seiten des Gegners entgegen, er die Uebernahme einer rechtlichen Haftung entschieden verweigern würde. Erst die Klage bringt ihn zum Nachdenken über die Art seines Wollens. Die Ent- scheidung einer Frage, die rechtzeitig aufgeworfen ihn ein ein- ziges Wort gekostet hätte, ist jetzt dem Richter überwiesen und bildet den Gegenstand eines höchst zweifelhaften Streites. Schließt der Formalismus die Gefahr in sich, daß Jemand, der wirklich die Absicht hatte, sich juristisch zu binden, wegen eines Formfehlers frei kömmt, so das System der Formlosigkeit die entgegengesetzte, daß Jemand, der nicht diese Absicht hatte, verurtheilt wird. Ich wende mich jetzt den besondern Vortheilen der Form zu. Ich verstehe darunter, wie oben bemerkt, diejenigen, die auf der besonderen Gestaltung der Form (z. B. der Schrift- lichkeit, Oeffentlichkeit) beruhen. Bei einer Einführung der Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. Form auf legislativem Wege (wie im späteren römischen Recht bei der der instrumenta publica vel quasi publica, der Insinua- tion, im preußischen Recht der der schriftlichen Form) bilden vorzugsweise sie das Ziel, welches der Gesetzgeber im Auge hatte, und das ihn veranlaßte, der Form gerade diesen bestimm- ten Zuschnitt zu geben. Ich will die gangbareren Formen in dieser Rücksicht einer Prüfung und Vergleichung unterwerfen. Es ist ein Vorzug der schriftlichen Aufzeichnung des Rechtsgeschäfts vor der mündlichen Errichtung, daß sie den demnächstigen Beweis desselben sichert. Die Zuziehung von Zeugen gewährt einen ähnlichen Nutzen, aber die Fixirung des Rechtsgeschäfts in der Erinnerung ist theils eine minder ge- naue, als die durch die Schrift , denn sie erstreckt sich nur auf den Sinn, nicht auf die Wortfassung, und doch kann gerade letztere unter Umständen von höchster Wichtigkeit sein; theils eine minder dauerhafte, denn sie ist abhängig von dem Erinne- rungsvermögen und dem Leben der Zeugen; theils endlich ist sie bei solchen Rechtsgeschäften, die eine Menge detaillirter, schwer zu behaltender Bestimmungen, Zahlen u. s. w. enthalten, wie z. B. nicht selten die Testamente, von vornherein höchst un- geeignet. Einen andern folgenreichen Differenzpunkt zwischen beiden Formen bietet der Umstand dar, daß die eine eine abso- lute Geheimhaltung des Rechtsgeschäfts möglich macht, die an- dere eine Mittheilung desselben an die Zeugen erfordert; ersteres wird mehr dem Interesse der Parthei, letzteres mehr dem dritter Personen und des Verkehrs entsprechen. Einen hierauf bezüglichen Gesichtspunkt in Betreff der mündlichen Errichtung des Testaments habe ich S. 163 Anm. 204 hervorgehoben. Beide Formen lassen sich übrigens auch verbinden wie z. B. in unserer heuti- gen Form der Errichtung vor Notar und Zeugen. Eine eigen- thümliche Combination derselben enthält das schriftliche Privat- testament des römischen Rechts, insofern es dem Testator ver- stattet, den Zeugen den Inhalt des Testaments vorzuenthalten. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Die höchste Steigerung der schriftlichen Form besteht in der amtlichen Aufzeichnung (Eintragung in die Flur-, Lager-, Hypothekenbücher, Handelsregister, Aufnahme zu Protokoll), die des Zeugnisses in dem amtlichen Zeugniß ( testam. in comitiis calatis, judici oblatum, in jure cessio, Insinuation). Die allgemeinen Vortheile der Form beschränken sich auf die Personen, welche in unmittelbare Berührung mit dem Rechts- geschäft treten, die Partheien und den Richter, die besondern erstrecken ihre Wirkungen unendlich viel weiter. Hervorhebung verdient in dieser Beziehung namentlich die Eigenschaft der Oeffentlichkeit der Form, vermöge welcher das Rechts- geschäft zur allgemeinen Kunde gelangt. Durch sie erhielten z. B. die Gläubiger eines Schuldners, der sich arrogiren lassen wollte, Gelegenheit rechtzeitig ihre Ansprüche geltend zu machen, und erst als die Arrogationen nicht mehr vor der Volksversamm- lung vorgenommen wurden, und damit dieses in der Form gele- gene Sicherungsmittel hinweggefallen war, bedurfte es für die Gläubiger eines eignen selbständigen Schutzmittels, der resti- tutio propter capitis deminutionem. Einen ähnlichen Dienst leistete die alte Form der Testamentserrichtung vor versammelter Gemeinde ( testamentum in comitiis calatis ) den Verwandten des Testators. Aus heutiger Zeit nenne ich das öffentliche Aufgebot bei der Ein- gehung der Ehe. — Wie auch fiscalische, polizeiliche, statistische u. s. w. kurz staatliche Zwecke durch die Form verfolgt werden können, will ich hier über- gehen. Auch wer die von mir früher (B. 1 S. 138 fl.) aufgestellte Hypothese nicht theilt, daß das Volk über die Testa- mente wie über Gesetze abgestimmt und mithin das Recht gehabt habe, unbillige, lieblose Testamente ( inofficiosa ) zu verwerfen, wird mir wenigstens darin beistimmen, daß die Publication des letzten Willens vor dem gesammten Volk factisch eine gewisse Garantie gegen einen schnöden Mißbrauch der Testirfreiheit ge- währte. Denn sie setzte ihren Urheber noch bei seinen Lebzeiten Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. der Kritik des öffentlichen Urtheils und der Reaction der ver- letzten Interessen aus (s. oben S. 13, 14). Als die heim- liche Form der Testamente auf- und damit dieses Correctiv ge- gen jene Gefahr abkam, mußte der Ausfall in der Form auch hier auf dem Wege des materiellen Rechts gedeckt werden ( que- rela inofficiosi testamenti ). So kann also die Form mate- rielle Rechtssätze ersetzen . Die Dürftigkeit eines Rechts an letzteren hat zum Theil in der Beschaffenheit jener ihren Grund, eine Veränderung der Formen wird daher, wenn der Ausfall gedeckt werden muß, eine Veränderung jener nach sich ziehen. Von welcher Bedeutung die Oeffentlichkeit für das Kre- ditsystem ist, und wie bestimmend dieser Gesichtspunkt im Formenwesen gewirkt hat, namentlich in unserm heutigen Han- delsrecht, will ich übergehen, überhaupt aber bemerken, daß es mir bei diesen besondern Vortheilen der Form, da sie nach Zeit, Ort und Beschaffenheit derselben wechseln, nicht auf Vollstän- digkeit abgesehen war und sein konnte. Um so nöthiger scheint es mir zu sein, die Aufmerksamkeit auf einen andern Punkt zu leiten, nämlich 3. Das Verhältniß zwischen den Vortheilen und Nach- theilen . Mit dem im bisherigen versuchten Nachweis der Vortheile und Nachtheile des Formalismus ist die oben von uns auf- geworfene Frage von dem praktischen Werth des Formalismus wenn auch ihrer Beantwortung näher geführt, so doch noch kei- neswegs beantwortet. Zu diesem Zweck ist vielmehr die An- gabe nöthig, welche von ihnen beiden überwiegen. Wie die Vortheilhaftigkeit des Erwerbs von äußern Gütern sich darnach bestimmt, in welchem Verhältniß Gewinn und Ko- sten zueinander stehen, so wird das letztere Verhältniß auch über den praktischen Werth einer Einrichtung entscheiden. Ge- wiß! Allein bleiben wir im Vergleich. Eine und dieselbe Sache Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. hat nicht für Jeden denselben Werth; dem einen ist sie nöthiger, dem andern entbehrlicher, und nicht überall sind die Kosten gleich hoch. So verhält es sich auch mit den Rechtseinrichtun- gen. Ihr Werth steigt und fällt je nach der Dringlichkeit des Bedürfnisses, welches sie decken sollen, nach den Voraussetzun- gen, die sie vorfinden — der Cours, zu dem die Geschichte ihn notirt, ist ein wandelbarer — kurz der Begriff: praktischer Werth ist ein relativer . Eine und dieselbe Einrichtung kann daher hier ebenso drückend werden, als sie sich dort wohl- thätig beweist. Diesen relativen Werth des Formalismus ins rechte Licht zu setzen und die Momente, die für ihn maßgebend sind, aufzusuchen, ist die Aufgabe der nächsten Seiten. Jene Relativität ergibt sich schon durch einen flüchtigen Blick auf die Geschichte. Wäre der Werth des Formalismus ein ab- soluter, wie ginge es zu, daß die Geschichte ihn bislang noch nicht gefunden, m. a. W. daß der Gebrauch, den die verschie- denen Rechte vom Formalismus machen und gemacht haben, ein so wenig constanter ist? Wäre die Brauchbarkeit überall dieselbe, warum nicht auch der Gebrauch ? Wir wollen uns von der Geschichte die Antwort ertheilen lassen. Unser heutiges Recht hat für Contracte im allgemeinen den Grundsatz der Formlosigkeit adoptirt, dagegen steht der Wech- sel ausnahmsweise unter dem Gesetz der äußersten formellen Strenge. Ist unser Schluß von dem Gebrauch auf die Brauch- barkeit begründet, so müssen die Vortheile des Formalismus für den Wechsel oder für die Zwecke und Verhältnisse, für die er bestimmt ist, einen höhern Werth haben, als für die Con- tracte des gewöhnlichen Lebens, dort müssen sich die Kosten be- zahlt machen, hier nicht. Und in der That, wenn man in An- schlag bringt, daß der Wechsel vorzugsweise das Instrument des kaufmännischen Verkehrs ist („kaufmännisches Papiergeld“ S. 391 Anm. 511) und was gerade für den eigentlichen Han- del die Rechtssicherheit, namentlich aber die Klarheit, Zweifel- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. losigkeit dieses Circulationsmittels bedeutet, so wird man dies begreiflich finden. Sodann aber werden andererseits die Nach- theile der Form dem Publikum, das vorzugsweise mit dem Wechsel operirt, d. h. den eigentlichen Geschäftsleuten ungleich weniger fühlbar, als sie es bei einer Ausdehnung der Form auf die Geschäfte des gewöhnlichen Lebens dem Bürger und Bauer werden müßten. Aus diesem Grunde verdient es alle Anerkennung, daß die augen- blicklich in Nürnberg tagende Conferenz zur Abfassung eines gemeinsamen deutschen Handelsrechts, soweit es bis jetzt zur öffentlichen Kunde gekommen, auf die kaufmännischen Verhältnisse das Princip der Form in energischer Weise zur Anwendung gebracht hat. Es ist in der Beziehung vieles gut zu machen! Für andere Rechtsgeschäfte, namentlich letztwillige Verfügun- gen, Uebertragung von Grundeigenthum, Bestellung von Hy- potheken, Prädialservituten u. s. w. haben die neuern Rechte theils die Formen des römischen beibehalten, theils neue hinzu- gefügt. Gerade bei ihnen stellt sich wiederum das Verhältniß zwischen Gewinn und Kosten besonders günstig. Denn einmal hat für sie die Form einen viel höhern Werth, als bei den Con- tracten, Von der Eigenthumsübertragung beweglicher Sachen gilt etwas ähnliches. Ich komme an einer andern Stelle (Abschn. IV ) darauf zurück. da letztere ihre Wirkungen auf die handelnden Per- sonen beschränken und in verhältnißmäßig kurzer Zeit sich er- schöpfen, während jene ihre Wirkungen, sowohl was die Zeit- dauer derselben als die davon betroffenen Personen anlangt, möglicherweise sehr weit ausdehnen können. In demselben Ver- hältniß wie diese Ausdehnung wächst der Werth einer Be- glaubigung des Rechtsgeschäfts durch die Form. Andererseits aber sind die Nachtheile hier wiederum weniger drückend. Denn diejenigen Rechtsgeschäfte, die sich rasch consumiren, wie z. B. die Realcontracte, die Consensualcontracte mit Ausnahme der Societät, werden auch regelmäßig ohne lange Vorbereitung ab- geschlossen, ja ein durch eine schwerfällige Form veranlaßter Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 34 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Aufschub könnte bei ihnen unter Umständen das Zustandekom- men geradezu verhindern. Nicht so bei denen, die ich oben ge- nannt habe. Sie drängen und eilen nicht so, regelmäßig geht ihrem Abschluß eine längere Zeit der Vorbereitung, Ueberlegung, Verhandlung voraus, und ob diese Zeit durch die Zuthat der Form um etwas vermehrt wird, fällt gar nicht ins Gewicht. Sodann endlich bietet das Leben zu ihnen bei weitem nicht den häufigen Anlaß; auf tausend Contracte kömmt vielleicht kaum ein Testament, auf hundert Eigenthumsübertragungen beweg- licher Sachen kaum eine von einer unbeweglichen Sache. Auf diese Weise erklärt und rechtfertigt sich auch der einfachere Zu- schnitt der römischen Stipulation gegenüber dem der Mancipa- tion und Abtretung vor Gericht; die formelle Differenz ent- sprach der materiellen. So variirt also das Werthverhältniß zwischen den Vorthei- len und Nachtheilen des Formalismus nach Verschiedenheit der Rechtsinstitute, und eine Form, die für das eine höchst an- gemessen ist, würde für das andere das gerade Gegentheil sein. Dieselbe Bemerkung gilt für die verschiedenen Entwicklungs- stufen eines und desselben Rechts sowie für die Rechte der ver- schiedenen Völker. Hätten die Römer den Druck ihres Formen- wesens in dem Maße empfunden, wie wir ihn empfinden müß- ten, sie würden sich desselben im Ganzen und Vollen nicht min- der entledigt haben, als sie es in einzelnen Theilen wie z. B. bei dem Legisactionenproceß und später bei den Formeln letztwilli- ger Verfügungen in Wirklichkeit gethan haben. Der Druck kann also für sie kein so schwerer gewesen sein, und dies führt uns auf zwei Umstände, welche ebensowohl für die relative Natur des Formalismus im allgemeinen, als für das specielle Verständniß des römischen Formalismus von hoher Bedeutung sind. Der erste ist die bereits früher (S. 436 u. fl.) mit beson- derem Hinblick auf den Formalismus besprochene Stellung der römischen Jurisprudenz zum Volk, die Allgegenwart der Juristen im Leben und die Unentgeltlichkeit ihrer Dienstleistungen. Wie Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. theuer im eigentlichen Sinn würden dem heutigen Verkehr die römischen Formeln werden — am theuersten, wenn er die Kosten der Zuziehung des Juristen sparen wollte! Der zweite Umstand besteht in einer Eigenschaft, die wenn auch dem römischen Volk keineswegs eigenthümlich, sich doch bei ihm in ungleich höhe- rem Grade vorfand, als mit Ausnahme des englischen bei allen Völkern der Gegenwart, ich meine jenen nationalen Zug zur Form, den ich im Folgenden als Formensinn bezeichnet habe, und der das Volk die Formen nicht als etwas äußerlich Auf- gedrungenes, Positives und Fremdartiges, sondern als etwas innerlich Nothwendiges, Natürliches, Homogenes erscheinen ließ. Ich wende mich jetzt der oben S. 504 aufgeworfenen zwei- ten Frage zu. II. Die historischen Gründe des Formalismus . Ich habe mich dort bereits dahin ausgesprochen, daß ich den Grund des historischen Auftretens und Bestandes des For- malismus keineswegs bloß in seine im Bisherigen ausgeführte praktische Brauchbarkeit setze, und ich will im Folgenden den Versuch machen, die übrigen mitwirkenden Gründe aufzu- suchen. Wir müssen zu dem Ende zwei Arten der Formen wohl von einander unterscheiden. Wenn ein Gesetzgeber eine Form ein- führt, so geschieht es eines bestimmten Zweckes wegen. Hier verdankt die Form in der That ihr Dasein sowohl wie ihren Zuschnitt ausschließlich einem praktischen Motiv; sie tritt in die Welt mit einer bestimmten Tendenz an der Stirn, und in Hinblick darauf will ich diese Art der Formen tendentiöse nennen. Anders bei denjenigen Formen, die aus dem Leben und dem Volke selbst hervorgegangen sind, wie namentlich alle der Ur- zeit des Rechts angehörige. Ich nenne sie naive . Der Um- stand, daß sie nicht mit Absicht und Bewußtsein eingeführt, daß 34* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. sie nicht gemacht, sondern geworden sind, schließt zwar die Möglichkeit nicht aus, daß nicht unbewußt und instinctiv das Gefühl des praktischen Nutzens der Form bei ihrer Bildung mitgewirkt habe. Auf diesen „der Nation inwohnenden bewußtlosen Bildungstrieb, in welchem aber das Bedürfniß der heilsamen Folgen wirksam ist“ stellt Sa- vigny System B. 3 S. 239 die Sache. Im Obligationenrecht Bd. 2 S. 220 äußert er sich nur dahin, daß diese Formen „auf uralter Volkssitte beruhen.“ Allein daß sie nicht ausschließlich die- sem Motive ihren Ursprung verdanken, daß vielmehr noch an- dere Gründe sowohl bei der ersten Bildung als bei der Erhal- tung derselben wirksam werden, ihr Unterschied von den ten- dentiösen also nicht bloß in der Verschiedenheit der Rechts- quelle besteht, durch die sie eingeführt werden (in welchem Fall die Unterscheidung derselben völlig unberechtigt sein würde), dies, sage ich, läßt sich aus manchem abnehmen. Zunächst aus dem morphologischen Zuschnitt derartiger Formen. Derselbe ist nämlich nicht bloß ungleich voller, reicher, als er durch das rein praktisch-juristische Interesse geboten sein würde (man denke z. B. an die römischen Hochzeitsfeierlichkeiten), sondern er kann ebendadurch mit dem letzteren geradezu in Widerspruch treten. Jeden Zweifel aber beseitigt der Umstand, daß derartige Formen sich auch auf andern Gebieten wiederholen, und zwar auf Gebieten, für die der Gesichtspunkt des praktischen Werths der Form keine Anwendung leidet, wie z. B. auf dem des religiösen Cultus, und eben diese Wahrnehmung kann und muß uns hier auf den rechten Weg leiten, uns nämlich zu der Erkenntniß führen, daß wir in dem Formalismus keine specifisch rechtliche, sondern eine allgemeine cul- turhistorische Erscheinung zu erblicken haben, die innerhalb des Rechts nur einen ungewöhnlich günstigen Boden vorfindet, nur eine besonders gesteigerte Wirksamkeit entfaltet . Der Formalismus in diesem weitesten Sinn bezeichnet ein Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. nothwendiges Entwicklungsmoment in der Bildungsgeschichte des menschlichen Geistes. Wie der in den Banden des sinn- lichen Denkens befangene Geist überall, wo es die Darstellung eines Innerlichen gilt, zu sinnlichen Ausdrucksmitteln seine Zuflucht nimmt, zu Bildern in der Sprache, zu Personi- ficationen in seiner Natur- und religiösen Anschauung, zu Emblemen, Symbolen u. s. w., so benutzt er auch die Handlung , um seinen Gefühlen, Stimmungen, Ahnungen, Entschlüssen eine sinnlich-substantielle, plastische Gestalt zu geben. So wird ihm das Unsichtbare sichtbar, das Ferne nahe, das Tiefe an die Oberfläche gerückt. Dies ist die Sprache, die er versteht, und durch die er die Unbehülflichkeit im abstracten Denken und Reden ausgleicht. Und eben weil sie ihm na- türlich und nothwendig ist, gelingt ihm die Darstellung in und mit ihr in einer Weise, mit der alle Kunst und Ueber- legung der abstracten Periode sich nicht messen kann. Ein ein- ziges Zeichen erschließt ihm das Wesen des Verhältnisses oft besser und hält es ihm gegenwärtiger und geläufiger, als alle Worte es vermöchten. In den Fasces und den Beilen der rö- mischen Consuln steckte sowohl für sie selbst als für das Volk ein sehr beträchtliches Stück von dem Consulate — es erinnerte beide beständig an das, was es bedeutete Consul zu sein, und ich glaube, es ist nicht zu viel gesagt, daß ohne jenes Attribut der Geist, in dem die Consuln ihre Macht gehandhabt, die Stellung, die sie dem Volk gegenüber einnahmen, und damit die Geschichte des Consulats und des ganzen Staats eine an- dere geworden wäre. Jene sinnlichen Ausdrucksmittel sind die Hülle, in der Gedanken, Ideen, Anschauungen, kurz ein geisti- ger Kern einem Organismus zugeführt werden kann, der ihn in seiner nackten Gestalt sich anzueignen noch nicht befähigt wäre. Was er ergreift und faßt, ist allerdings zunächst nur das Aeußere, die Schale, allein unbewußt hat er in ihr ein geistiges Samenkorn in sich aufgenommen, das auch in unfruchtbarster Erde auf die Dauer nicht regungslos verharren kann, sondern Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. das unvermerkt keimt und sproßt, und dem Geist wenn auch kein klares Bewußtsein, so doch eine dunkle Ahnung zuführt, das Gemüth stimmt, die Phantasie in Bewegung setzt. Zeichen und Handlungen, die diesen Zweck haben, einen geistigen Inhalt sinnlich darzustellen, heißen bekanntlich sym- bolische . Symbol ist ein sinnliches Ausdrucksmittel für et- was Uebersinnliches ; wo das Auszudrückende seinerseits wieder etwas Sinnliches ist, wie z. B. wenn im römischen Recht Gaj. IV, 17. bei der Vindication das Grundstück durch eine Scholle oder im germanischen Recht bei der Tradition durch Rasen und Zweig Michelsen über die festuca notata und die germanische Traditions- symbolik. Jena 1856. vertreten wird ( Pars pro toto ), sollte man, wenn man genau sprechen wollte, den Ausdruck vermeiden (sonst könnte man auch das Gemählde, die Skizze ein Symbol des Gegenstandes nennen, den sie darstellen sollen), und ich werde für diese letztere Art im Folgenden den Ausdruck: re- präsentative Darstellung gebrauchen. Der Speer war ein Symbol des Eigenthums, denn er drückte etwas Inneres, Geistiges aus: die rechtliche Macht und Herrschaft des Eigen- thümers, dagegen der Stab, dessen man sich an seiner Statt be- diente, kein Symbol, sondern ein Repräsentant, ein Surrogat des Speeres. Gaj. IV, 16. Ebenso war der Scheingang zum Grundstück, zu dem der Prätor bei der Vindication die Partheien auffor- derte, Cic. pro Murena 12: Inite viam … redite viam. keine symbolische Handlung, sondern eine Schein- handlung (§. 46), sie sollte etwas Aeußeres : das wirkliche Gehen zum Grundstück vorstellen und ersetzen. Ebensowenig verdient daher das Geschäft per aes et libram den Namen einer symbolischen Zahlung, denn das, was hier angedeutet werden soll: eine Zahlung in alter Form ist wiederum etwas Aeußeres. Man müßte sonst die 30 Lictoren, welche in späterer Zeit bei Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. der Arrogation die 30 Curien repräsentirten, eine symbolische Volksversammlung nennen. Dagegen war es eine symbolische Handlung, wenn der Sklav bei der Freilassung sich herum- drehen mußte, denn diese Veränderung seiner äußern Stel- lung (des status im natürlichen Sinn) sollte ein Zeichen sein für die seiner inneren (des status im juristischen Sinn). Ich will übrigens nicht verkennen, daß sich die Gränzen zwischen den symbolischen und repräsentativen Handlungen im einzelnen Fall sehr verwischen können, allein es kömmt auch weniger auf die Durchführung , als die Aufstellung des Unterschie- des an; welches Interesse sich daran knüpft, wird aus dem Fol- genden klar werden. Symbole und symbolische Handlungen sind nun, wie oben bemerkt, recht eigentlich die Sprache des naiven Geistes — eine Hieroglyphenschrift, deren er sich bedient, weil er die Buch- stabenschrift der abstracten Darstellung noch nicht erfunden, und darum fällt die Blüthezeit derselben in die naive Periode. Allein es ist doch nicht die Noth allein , die ihn zu dieser Zeichensprache seine Zuflucht nehmen läßt, nicht das bloße Un- vermögen oder die Unbeholfenheit des abstracten Ausdrucks, sondern es ist zugleich das sinnige Behagen, das poetische Wohlgefallen an der sinnlichen Gestaltung des Geistigen, es ist der Reiz der Plastik des Gedankens . Dies ergibt sich aus Folgendem. Zuerst daraus, daß wir jene Darstellungsweise keineswegs bloß bei solchen Gedanken antreffen, die durch ihre Tiefe zum Gebrauch derselben nöthigten. Der geistige Kern ist nicht selten ein so platter und dürftiger, daß auch die Mittel einer noch so wenig entwickelten Sprache zur Formulirung des- selben vollkommen ausgereicht haben würden. Ja manche For- men — ich erinnere z. B. an die repräsentativen — schließen überhaupt gar keinen Gedanken in sich. Und sodann: wäre es bloß jener Grund allein gewesen, so müßte der Fortschritt der geistigen Entwicklung oder, was dasselbe, die Ausbildung der Sprache — denn was der Geist erwirbt, bucht die letztere — Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. eine allmählige Verdrängung der Formensprache nach sich gezo- gen haben, auf der Höhe der Cultur müßten alle Reste der nai- ven Periode abgethan sein, und die Form, insoweit nicht, wie im Recht, ein praktisches Motiv ihr das Dasein fristete, dem nackten, dürren, abstracten Gedanken Platz gemacht haben. Allein dies ist keineswegs der Fall, so wenig ich im übrigen läugnen will, daß die Veränderung der geistigen Atmosphäre einen bemerklichen Einfluß in dieser Beziehung ausübt. Also: der Formalismus ist nicht bloß ein Nothbehelf des nach dem Ausdruck ringenden Geistes, er hat nicht bloß seinen Grund in der ursprünglichen Unvollkommenheit der Sprache. Zu diesem ersten Motiv seines historischen Auftretens, das sich mit der Kindheitszeit der Völker erschöpft, gesellt sich vielmehr noch ein zweites , das dieselbe weit überdauert. Es ist das so eben angegebene: das Wohlgefallen an der Aeußerlichkeit, die Freude am Sinnlichen — jene Eigenschaft, deren ich bereits oben S. 531 unter dem Namen des Formensinns gedacht habe. Die Anziehungskraft, die die Form auf den menschlichen Geist ausübt, ist mannigfaltiger Art. Fesselt sie den poetischen Sinn von der rein ästhetischen Seite durch das plastische und dramatische Element, durch das sie die Vorgänge des Lebens zu verschönern weiß, so den nüchternen, verständigen Sinn von der praktischen Seite durch die Ordnung, Regel- mäßigkeit, Gleichmäßigkeit, Sauberkeit des menschlichen Seins und Thuns, und das Gemüth endlich bei allen Vorgängen, bei denen dasselbe betheiligt ist, von der ethischen Seite, indem sie dasselbe mit dem Gefühl des Ernstes und der Feierlichkeit durch- dringt, indem sie den Handelnden über sich selbst und das rein Individuelle und Vorübergehende seiner eignen Situation auf die Höhe der allgemein menschlichen, typischen Bedeutung des Akts erhebt, ihn mit denen, die vor ihm da waren und nach ihm sein werden, in eine unsichtbare Gemeinschaft bringt. Diese Mannigfaltigkeit der Anknüpfungspunkte, die die Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. Form dem menschlichen Geiste darbietet, ist maßgebend für die specielle Gestaltung, die sie bei den verschiedenen Völkern und auf den verschiedenen Culturstufen sowohl als auf den ver- schiedenen Gebieten, Kreisen, Sphären des menschlichen Den- kens, Fühlens und Lebens annimmt. Die Formen bei einem Volk von überwiegend verständiger Art tragen einen andern Charakter, als die bei einem mehr poetischen, die des Rechts einen andern, als die des religiösen Cultus. Dazu gesellen sich sodann noch gewisse der Form an sich fremde Elemente: der mehr conservative oder bewegliche Charakter des Volkes oder Kreises, bei dem sie gelten, die äußeren Verhältnisse desselben, die locale Abgeschiedenheit (z. B. der Bergleute), die absichtliche Absperrung desselben (z. B. die der Zünfte in den letztverflosse- nen Jahrhunderten) und endlich der Einfluß der Religion (Katholicismus und Calvinismus). Ich wende mich jetzt einer Erscheinung zu, welche für die richtige Einsicht in das Wesen und die Motive des Formalis- mus im höchsten Grade lehrreich ist und, wenn irgend etwas, von der Macht, die meiner Behauptung zufolge die Form auf das menschliche Gemüth ausübt, Zeugniß ablegt. Es ist dies die Entstehung, beziehungsweise Fortdauer der Formen, die von vornherein aller Bedeutung entbehrten, beziehungsweise dieselbe verloren haben — also der reine, nackte Cultus der Form als solcher. In der römischen Welt, sowohl im Recht, als in der Sitte des Lebens und dem religiösen Ritus, und im heutigen Eng- land begegnet uns namentlich häufig eine Art von Formen, die ich residuäre nennen will. Die Formbildung erfolgte bei ihnen auf die Weise, daß Einrichtungen, Handlungen, Ge- bräuche oder Elemente derselben, die bis dahin durchaus keinen formellen Charakter hatten, vielmehr durch die damaligen Zu- stände des Lebens, durch den Stand der Fabrication, des Ge- werbes, Landbaus, durch die Mode u. s. w. gegeben und ge- boten waren, für gewisse Gelegenheiten und Verhältnisse als Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Solennien beibehalten wurden, während sie im ernstlichen Ge- brauch des Lebens durch den Wechsel der Mode oder durch die Fortschritte der Technik verdrängt wurden. Dadurch wird, was bis dahin keine Form, sondern ein flüssiges, freies Stück des damaligen Lebens war, zur reinen Form — ein versteinertes Stück Vergangenheit, das oft seltsam in die spätere Zeit hin- einragt. Der Sprecher des englischen Unterhauses trägt be- kanntlich noch bis auf den heutigen Tag seine aus früherer Zeit stammende gewaltige Perücke; während dieselbe von den andern Köpfen verschwand, ist sie auf dem seinigen als „resi- duäre Perücke“ sitzen geblieben — ein Beispiel, zu dem auf dem Continent Hamburg ein Seitenstück gibt, das sich ebenfalls für gewisse Gelegenheiten z. B. Leichenbegängnisse — die residuä- ren Perücken nicht hat nehmen lassen. Die älteste Getreideart, welche die Römer oder ihre Vorfah- ren bauten, war der Spelt ( far ), die älteste Art des Brodes der Teig ( puls ). Im Leben hatten beide längst anderen Arten und Zubereitungsweisen Platz gemacht, allein im religiösen Ritus und namentlich auch bei Eingehung der Ehe durch Con- farreation hielt man an jenen fest. In uralter Zeit hatte man sich zum Schneiden in Ermangelung von Messern und Scheeren des Speeres bedient, und so auch der Bräutigam bei Eingehung der Ehe, um der Braut das Haar zu schneiden. Ueberall war der Speer gewichen, allein in den Händen des Bräutigams hielt er sich nach wie vor ( hasta caelibaris ). Ebenso verhält es sich mit dem Kopftuch der Braut ( flammeum ). Die Mode kannte längst bessere Gewebe, aber die Braut bei der Hochzeit und die Priesterin durften sich von der ältesten Form nicht lossagen. Ueber diese von den Hochzeitsgebräuchen hergenommenen Beispiele vergl. Roßbach Untersuchungen über die röm. Ehe. S. 104, 282, 291. Ein anderes Beispiel bei Plin. Hist. Nat. XXXIII, c. 4 .. quo argumento etiam nunc sponsae muneri ferreus auulus mittitur isque sine gemma . Vor Einführung des geprägten Geldes war man gezwungen, das Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. Metall zuzuwägen — durch jene Maßregel ward man dessen überhoben. Allein im Nexum und in der Mancipation behielt man, wenn auch nicht das Wägen selbst, so doch das Erz und die Wagschale bei (§. 46). In allen diesen Fällen, die sich noch durch manche vermeh- ren ließen, hatte die Form von vornherein nicht die geringste innere Bedeutung, sie war ein bloßer Niederschlag vergangner Zustände, ein reines Caput mortuum. Was verhalf ihr nun zu diesem Leben als Form? Die bloße Vis inertiä, die Macht der Gewohnheit? Mögen wir immerhin so sagen, aber übersehen wir nur nicht, daß die Macht der Gewohnheit ihrerseits hier wiederum subjectiv eine der Form geneigte Stimmung voraus- setzt. Bei einem gleichgültigen Verhalten des Geistes gegen das Moment des Aeußerlichen würde das Alte, nachdem es einmal der Sache nach und in der praktischen Anwendung dem Neuen Platz gemacht, es auch der Form nach gethan haben. Uebrigens ist es sehr wohl möglich, daß die residuären Formen für eine spätere Zeit, der der historische Ursprung derselben entschwunden ist, dadurch daß sie in dieselben einen Sinn hin- einträgt, den sie ursprünglich nicht hatten, die Kraft und Be- deutung von symbolischen erhalten, und ich bin überzeugt, daß eine Menge von Formen als symbolische angesehen werden, die von Haus aus nichts waren als residuäre. So ist z. B. die Auffassung, deren Puchta Curs. der Instit. B. 2 §. 162 Note m gedenkt, nicht so weit wegzuwerfen, als er es thut. Wie nun in den letztern ein Stück Vergangenheit, ganz so wie es war, zur Form versteinert, so wird in andern Fällen, wenn ich so sagen darf, wenigstens die Reminiscenz erhal- ten, nämlich vermöge repräsentativer Darstellung (s. oben). An Stelle der bisherigen Weise, die man gezwungen ist ganz oder zum Theil zu verlassen, wird eine bequemere, zeit- gemäßere Nachbildung gesetzt und zwar lediglich als Form , lediglich des Aeußern wegen — eine Concession, durch die man Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. sich unbeschadet der Forderungen des Lebens mit dem an dem Aeußerlichen haftenden Sinn abfindet. So lange die römische Herrschaft sich auf ein kleines Stadt- gebiet beschränkte, war es ausführbar, daß bei der Vindication eines Grundstücks der Prätor sich mit den Partheien an Ort und Stelle verfügte. Als jenes Gebiet in seiner Ausdehnung einen gewissen Punkt überschritten, mußte man die Einrichtung fallen lassen. Indem man sich aber einerseits der Nothwendig- keit fügte, suchte man doch andererseits den Schein und die Er- innerung der alten Einrichtung dadurch aufrecht zu erhalten, daß man das Grundstück durch eine von den Partheien geholte Scholle vor Gericht repräsentiren ließ. Man ermöglichte da- durch zugleich die Beibehaltung der auf die Anwesenheit des Grundstücks berechneten Vornahmen und Formeln. Die Arro- gation geschah in alter Zeit in den Curiatcomitien unter Mit- wirkung der Pontifices durch einen förmlichen Volksbeschluß. Auch diese Einrichtung ward später unhaltbar, und wahrschein- lich kam sie einfach dadurch ab, daß das Volk aus Mangel an Interesse wegblieb. Bekanntlich wurden von da an die Arroga- tionen lediglich durch die Pontifices vollzogen — denn daß die Lictoren ihnen gegenüber kein selbständiges Entscheidungsrecht hatten, bedarf nicht der Bemerkung — allein da es einmal eines Beschlusses der Curiatversammlung bedurfte, so half man sich dadurch, daß man die 30 Curien durch 30 Lictoren vertreten ließ. Der Sache nach war die alte Einrichtung aufgegeben, aber bis zu einem gewissen Grade war doch der äußere Schein derselben gerettet. Andere Beispiele werden noch gelegentlich nachfolgen (s. auch B. 1 S. 326 und oben S. 534). Ich wende mich jetzt der Fortdauer von Formen zu, die ihre Bedeutung verloren haben. Das so eben betrachtete Verhältniß der repräsentativen Formen steht gewissermaßen in der Mitte zwischen diesem und dem ersten Fall; insofern diesel- ben eine morphologisch neue Form enthalten, neigen sie sich Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. hierhin, insofern letztere selbst aber nur die Imitation einer vorhandenen ist, dorthin. Das Verhältniß, das wir hier zu betrachten haben: die Fortdauer des Aeußern als leere Form nach Absterben des In- nern, ist sowohl bei Formen als Einrichtungen möglich. Bei ersteren — nämlich bei symbolischen Formen, die sich überlebt haben, d. h. die subjectiv, sei es kein Verständniß, sei es keinen Glauben mehr finden. Bei diesen — wenn sie ihre praktische Wahrheit und Bedeutung verloren haben, z. B. dadurch daß die freie Handlung sich in eine nothwendige ver- wandelt, z. B. das Bestätigungsrecht der Curiatcomitien Liv. I, 18 .. id sic ratum esset, si patres auctores fierent; hodieque in legibus magi- stratibusque rogandis usurpatur idem jus vi ademta (d. h. indem das Recht der Verweigerung der auctoritas entzogen ist); priusquam populus suffragium ineat, in incertum comitiorum eventum patres auctores fiunt, die tutela mulierum testamentaria der späteren Zeit Gaj. I, 190— 192, die Huldigung u. s. w. daß an die Stelle der Leistung, auf die das Gesetz, der Richterspruch, der Vertrag lautet, in der Ausführung eine andere gesetzt wird, So z. B. statt der Talion eine Geldstrafe (B. 1 S. 130), statt der Rinder und Schaafe, worauf die Multa lautete, die gesetzlich tarifirte Summe. So wird namentlich auch heutzutage noch an einigen Orten und Ländern (z. B. Schweden) in gewissen Fällen Todesstrafe erkannt, wo praktisch eine unbedeutende Geld- oder Gefängnißstrafe an die Stelle tritt. u. s. w. Als letzter Rest der alten Ein- richtung bleibt nicht selten das nackte, bloße Wort , die For- mel, der Name, ungeachtet die Sache selbst eine völlig andere geworden ist. Der Wein, der in den Tempel der Ops gebracht ward, kam, wie Macrobius berichtet, Saturn. I, 12. Auch der Ceres durfte nicht mit Wein libirt wer- den. Macr. III, 11. nicht unter seinem eignen Namen hinein, sondern als „Milch“, das Gefäß ward „Honigtopf“ genannt, was darauf hinweist, daß in dem Tempel ursprünglich nur Milch und Honig zugelassen war. In alter Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Zeit wurden in England die Oberrichterstellen nur mit Lords besetzt, dies änderte sich später, allein der Name und die An- rede: Lord Oberrichter ist bis auf den heutigen Tag geblieben. Diese Anhänglichkeit an die gewohnte aber aller innern Bedeutung beraubte Form, dieser Cultus der nackten Aeußer- lichkeit erscheint auf den ersten Blick als etwas völlig Werth- loses und Verwerfliches, und die seichte Weisheit der Aufklä- rungsperiode hat ihn von den Tagen des Cicero an (S. 468 Anm. 610) bis auf unsere Zeit hinab als vogelfreien Gegen- stand des Witzes betrachtet. Es wäre verdienstlicher gewesen, die Sache zu begreifen, als zu verspotten. Sie hat eine höchst ernste Seite, und ich nehme nicht Anstand, in ihr eine der be- deutungsvollsten culturhistorischen Erscheinungen zu erblicken. Die Sicherheit und Festigkeit des Fortschrittes beruht be- kanntlich auf der historischen Continuität, auf dem innigen Zu- sammenhang der Gegenwart mit der Vergangenheit. Zu den Fäden und Anknüpfungspunkten nun, durch die sich diese Con- tinuität vermittelt, gehört namentlich die Form, denn während die innern, sachlichen, historischen Anknüpfungspunkte dem Be- wußtsein der Menge mehr oder weniger entschwinden und nur einer kleinen Zahl von Kundigen eigentlich geläufig bleiben, so ist die Form als etwas Sichtbares und stets sich Wiederholen- des die hauptsächlichste Trägerin des historischen Continuitätsbewußtseins des Volks . Je mehr sich in den Formen irgend eine späterhin verschwundene Eigenthüm- lichkeit ihrer Entstehungszeit ausgeprägt hat, sei es der Verfas- sung, sei es der Sitte, Mode u. s. w., je fremdartiger sie also den Beschauer anmuthen und in ihm das Gefühl der historischen Ferne hervorrufen, wie etwa durch längst abgekommene Trach- ten und Moden die Bilder der Ahnen, um desto mehr ver- binden sie ihn andererseits mit der Vergangenheit, indem sie ihm dieselbe in anschaulicher und charakteristischer Weise vor- führen, die Erinnerung der alten Tage, das Gedächtniß der Ahnen im Volk wach und lebendig halten und damit jene maß- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45. volle Stimmung und Haltung in den praktischen Fragen der Gegenwart hervorrufen, die wir mit Recht an den alten Rö- mern und Engländern bewundern. Das Festhalten an den überkommenen Formen, selbst nachdem sich dieselben überlebt haben, ist wie einerseits ein Ausfluß, so andererseits eine un- versiegbare Quelle jenes historischen Sinns, ohne den in Staat und Kirche noch nie ein fester Bau gelungen ist. Zu diesem ersten Grunde, der den historischen Sinn die For- men als solche lieben, schätzen und pflegen lehrt, diesem, wenn ich so sagen darf, allgemein pädagogischen Werth dersel- ben für den Volkscharakter gesellt sich sodann als zweiter der er- haltende Einfluß, den die Formen auf die Ideen, Einrichtungen u. s. w. ausüben, die in ihnen ihren äußern Ausdruck finden. Je kräftiger diese ihre Außenseite entwickelt ist, desto höher ihre eigne Lebenskraft. Denn mit den Formen schmiegen und klam- mern die Ideen und Einrichtungen sich fest an die sinnliche Welt, an die äußere Weise des Lebens, an das Erinnerungs- vermögen des Auges, an die Macht der äußeren Gewohnheit. Wird dadurch schon unter gewöhnlichen Umständen ihre Exi- stenz und Kraft gesichert und erhöht, so tritt doch der unschätz- bare Werth des Rückhalts, den sie damit gewonnen, erst unter ganz besondern Verhältnissen in sein volles Licht. Für alle Ideen — ich habe im Folgenden vorzugsweise, aber nicht aus- schließlich die religiösen im Auge — für alle Ideen also gibt es Perioden der vorübergehenden Lauheit und Gleichgültigkeit, des Ermattens und des Abfalls, Perioden der Prüfung und Gefahr, bei denen es sich für sie um Sein und Nichtsein han- delt. Ideen, die rein auf sich selbst gestellt sind d. h. jenes Rückhaltes der Form entbehren, verlieren mit der moralischen Macht über die Gemüther ihre Existenz, sie gehen unter, indem sie dem Volk abhanden kommen, und es kostet, wann die feind- liche Strömung der Zeit sich verlaufen, einen neuen Kampf, sie wieder ins Leben zu rufen, eine neue Geburt und neue Geburts- wehen. Anders aber bei denjenigen, die sich in festen, äußern Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Formen verkörpert haben, denn die Form hat, wie alles Niedere im Vergleich zum Höheren, eine zähere Lebenskraft; sie kann, was die Idee nicht kann: vegetiren d. h. fort dauern ohne Verständniß. Als ein gleichgültiges Stück des äußern Le- bens beibehalten, nachdem die Ideen selbst, die sie ausdrücken soll, gewichen, gedankenlos fortgeführt, vegetirt sie fort, inner- lich hohl und leer und scheinbar ohne allen Werth. Da erheben sich denn nicht selten die Klugen und Gescheuten und nennen das ganze Wesen Lug und Trug und begehren, daß was ver- fault und innerlich todt, auch begraben werden solle. Aber wo ein Volk jenen Sinn und jene Empfänglichkeit für die Form besitzt, die ich oben als Formensinn bezeichnet habe, läßt es nichts desto weniger im richtigen Instinct von der als todt ge- schmählten Form nicht so leicht ab. Und mit Recht! Denn jener angebliche Tod der Form, jene innere Entseelung dersel- ben ist mitunter nur ein Scheintod — ein Winterschlaf in öder, dürrer Zeit, dem das erste Wehen des Frühlingshauchs ein Ende macht. Auf der „ todten “ Form beruht hier die ganze Hoff- nung des Lebens . Sie abzuthun heißt unter diesen Umstän- den nicht einen entseelten Körper bestatten, sondern die Larve zerstören, die den Schmetterling in sich birgt. In diesen Lagen also, wo die Form scheinbar allen und jeden Werth verloren, entfaltet sie umgekehrt ihre höchste Brauchbar- keit, leistet sie der Idee den unschätzbarsten Dienst. Das Fort- vegetiren der Form wird hier in den Händen der Geschichte das specifische Mittel, um die Möglichkeit des Wiederanknüpfens, die Continuität der historischen Entwicklung zu sichern . Möge immerhin in den bei weitem meisten Fällen was todt scheint, auch todt sein und bleiben, der Geist und das Leben nie wieder in die entseelten Formen zurückkehren — wer die Gefahr, den Scheintod für den Tod anzusehen, vermeiden will, kann es nur um den Preis, daß er im zweifelhaften Fall den Tod als Scheintod nimmt. Die bisherige Ausführung hat uns gelehrt — und ich fasse Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. damit die beiden Theile derselben unter einen Gesichtspunkt zusammen — daß das Festhalten an den Formen als solchen nicht etwas rein Aeußerliches und Werthloses ist, sondern ein Ausfluß und wesentliches Förderungsmittel des Zuges nach Continuität der Entwicklung. Darum eben finden wir diese Eigenschaft bei den Völkern am stärksten entwickelt, die sich durch diesen Zug am meisten hervorthun; und so namentlich auch beim römischen. 2. Der Formalismus des ältern Rechts. Extensive Erstreckung der Form — Uebersicht der formellen Ge- schäfte — die Scheingeschäfte, Begriff, Arten und Behandlung derselben von Seiten der ältern Jurisprudenz — die mancipatio, in jure cessio, stipulatio. XLVI. Hätte uns die Geschichte jede directe Auskunft über das Verhalten des ältern Rechts zum Formalismus vorenthal- ten, die übrigen Theile des römischen Alterthums würden uns die Frage beantworten. Die Lust und Liebe zu der Form, das Streben, das menschliche Thun und Treiben in feste Formen zu bringen, das Unsichtbare sichtbar zu machen, kurz der Zug zum Formalismus geht durch die ganze alte Welt. Der religiöse Cultus, das Opfer, das Gebet, das Gelübde, die Auspi- cien, kurz jede Berührung mit den Göttern hatte in alter Zeit ihre bestimmten Formen und Formeln. In ebenso abge- messenen und fest bestimmten Formen und Formeln bewegte sich das öffentliche Leben, daheim wie nach außen, in der Volks- versammlung wie in der Curie, im Krieg wie im Frieden. Der- selbe Zug nach der Form beherrschte das Privatleben, die Sitte des Hauses, das Auftreten in der Gesellschaft, den Verkehr. An dem Kleide, das er trug, erkannte man den Freien und Skla- ven, den Mündigen und Unmündigen, den Rang und den Stand, den Bewerber um ein Amt und den in Anklagestand Versetzten. Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 35 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Doch die Geschichte hat es uns erspart, auf diesem Um- wege die Antwort zu holen, und wenn ich der Möglichkeit des- selben überhaupt gedachte, so geschah es nur, um auch hier, wie im vorigen Paragraphen, den Formalismus des Rechts in einen höhern Zusammenhang einzureihen und als Glied einer allgemeineren Erscheinung hinzustellen. Eigenschaften der Völker und Individuen sind in ihrem letz- ten Grunde gegebene Thatsachen, die man nicht weiter analy- siren, begründen oder erklären kann. Dies schließt aber nicht aus, daß man nicht des Einflusses gedenken dürfte, den gewisse Umstände auf die Ausbildung derselben gewonnen haben, und noch weniger, daß man nicht den Bezügen, in denen sie unter- einander stehen, nachforschen dürfte. Wenn ich daher einerseits die starke Entwicklung des Formensinns als eine hervorstechende national-römische Eigenschaft bezeichnet habe, so hält mich dies nicht ab, in der angegebenen Weise nach Anknüpfungspunkten zu suchen. Und da bieten sich denn folgende dar, die ich hier jedoch, da ich ihrer bereits an andern Stellen gedacht habe, nicht weiter ausführe, sondern nur der Uebersichtlichkeit wegen zusammenstelle: die Beziehung des Formalismus zum System der Freiheit (S. 497), zur Tendenz der abstracten Gleichheit (S. 503), zur militärischen Disciplin (B. 1 S. 255) und zu dem conservativen Charakter des Volks (B. 1 S. 308), um der Beziehung der prakti- schen Seite des Formalismus zu der praktischen Richtung des römischen Geistes (B. 1 S. 302) völlig zu geschweigen. Indem wir nun das Gebiet des ältern Rechts betreten, dür- fen wir es thun mit der Erwartung, daß die Herrschaft der Form auf ihm ihren Culminationspunkt erreicht. Und in der That ist dies meiner Ueberzeugung nach in dem Maße der Fall gewesen, daß formlose und rechtlich-bedeutungslose Willenserklärungen synonym waren, m. a. W. ich vindicire der Form für das äl- tere Recht eine exclusive Herrschaft. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. Diese Behauptung muß darauf gefaßt sein, einem hart- näckigen Widerspruch zu begegnen. Verständigen wir uns zunächst über den Sinn derselben. Es ist nicht meine Meinung, als ob das römische Alterthum nicht von jeher formlose Geschäfte gekannt habe, denen die Ge- walten des Lebens, die Macht der Sitte, die Treue, der Credit eine factische Anerkennung und Beachtung sicherten. Ich gebe nicht bloß diese Thatsache bereitwillig zu, sondern ich erblicke in ihr sogar ein wesentliches Complement des älteren Rechts selbst. Allein warum es sich bei unserer Frage lediglich handelt, ist die rechtliche Wirksamkeit der Geschäfte, ihre gerichtliche Erzwingbarkeit, und ich kann diese läugnen und läugne sie, ohne jene Thatsache in Abrede zu stellen. Sodann aber muß ich ferner zwei Verhältnisse, die man versucht sein könnte mei- ner Behauptung entgegenzustellen, als gar nicht hierher ge- hörig ausscheiden. Zunächst den Besitz. Denn der Besitz als rein thatsächliches Verhältniß schließt seinem Begriff nach die Form aus. Wie er immerhin auch entstanden sein möge, ist gleichgültig; er ist da, und dies genügt. Sodann die Con- dictionen. Sie stützen sich, wenn man will, ebenfalls auf ein thatsächliches Moment, nämlich auf das rein sachliche (von einer Willensthätigkeit unabhängige) Moment der Vermögens- bereicherung ohne Grund. Es ist nicht der Wille, sondern das Haben, die res, welche hier die Klage begründet. Ich würde dieses Verhältnisses gar nicht gedenken, wenn nicht in manchen Fällen der Schein entstände, als ob der Wille hier ein wesent- licher Factor sei. Eine condictio indebiti oder ob causam da- torum ist nicht möglich, ohne daß ein Geschäft zwischen Kläger und Beklagten voraus gegangen ist. Aber dies Geschäft ist hier nicht selbständiger Grund der Klage, sondern letzterer besteht in der Bereicherung, die bei Gelegenheit dieses Geschäfts ein- getreten ist. Derselben Auffassung läßt sich auch das Darlehn unterstellen. Um die Verpflichtung zur Zurückforderung zu be- gründen, braucht der Kläger nicht in anderer Weise das Willens- 35* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. moment hineinzuziehen, als bei jenen beiden Klagen. Es liegt hier wie dort eine Bereicherung vor, vermittelt durch mensch- liche Thätigkeit, Geben und Annehmen, der juristische Grund der Klage aber ist auch hier nicht sowohl der Wille, als die res, und darum gilt das Darlehn trotz allem, was gesagt , doch nicht weiter, als so weit es gegeben . Allein was hilft es, den Besitz und das Darlehn abzuweh- ren, da nichts desto weniger noch eine stattliche Reihe von form- losen Rechtsgeschäften des älteren Rechts übrig bleibt? Ich will die Antwort darauf zunächst aussetzen und statt dessen den Gegensatz des Formalismus und der Formlosigkeit auf dem Culminationspunkt seiner Entfaltung tabellarisch veranschau- lichen. Ich habe bei der folgenden Tabelle die formlosen Ge- schäfte, die unzweifelhaft neuern Ursprunges sind, von denen, deren Alter zweifelhaft ist, durch eine besondere Columne ge- trennt. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. Ueber zwei Punkte in dieser Tabelle könnte man mit mir rechten. Zunächst darüber, daß ich das pignus unter die erste Columne gebracht habe; der Zusatz: „als dingliches Recht“ zeigt, in welchem Sinn dies gemeint ist; das Vorkommen des pignus als Besitzpfandes im ältern Recht fällt unter den so eben von mir für den Besitz aufgestellten Gesichtspunkt. So- dann darüber, daß ich die formlose Antretung der Erbschaft in die zweite Columne gestellt habe. Wird aber Jemand dieselbe im Ernst in das alte Recht verlegen mögen? Es gibt keinen Theil desselben, der so formalistisch gestaltet wäre, als das Erb- recht. Im Testament erreicht die Form und das Formelwesen Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. seine höchste Höhe. Zu glauben, daß dem im strengsten Styl gehaltenen ersten Act des erbrechtlichen Schauspieles: der Te- stamentserrichtung als zweiter eine völlig formlose Antre- tung der Erbschaft gefolgt sei, zu glauben, daß die Juristen dabei sich selbst und ihre ganze Weise, ihren Sinn für Sym- metrie so ganz und gar verläugnet hätten, dazu würde ein gänz- licher Mangel alles historischen Sinns und Urtheils gehören. Daß ein römischer Jurist die hereditatis aditio unter den actus legitimi aufführt, L. 77 de R. J. (50. 17). will ich nicht in die Wagschale werfen, denn es steht dahin, ob die Verfasser der Pandekten hier nicht, wie so oft, einen nicht mehr passenden Ausdruck des früheren Rechts ( cretio ) mit einem passenderen vertauscht haben. Aus der obigen Tabelle ergibt sich nun folgendes Resultat. Alle Geschäfte, die unzweifelhaft dem ältern Recht angehören, sind formell, alle, die dem neuern angehören, formlos oder m. a. W. der Zug der frühern Zeit geht eben so entschieden zur Form, als der der spätern zur Formlosigkeit. Je weiter wir in letztere hinabsteigen, um desto mehr wächst einerseits die Zahl der formlosen Geschäfte, und desto mehr sterben die vorhan- denen formellen innerlich ab, welches letztere ich hier der Kürze wegen nur hie und da habe andeuten können. Nur das Fami- lienrecht bleibt, abgesehen von der angeblichen Formlosigkeit der Ehe, von dem Gegensatz vollständig verschont, und die Einwir- kung der neuern Zeit äußert sich hier lediglich in Erleichterung und Abkürzung der vorhandenen Formen, bis sie schließlich völlig neuen weichen. Die Reaction der spätern Kaiserzeit ge- gen das alles überfluthende Princip der Formlosigkeit und die Zurückführung des letzteren auf sein rechtes Maß (Codicill, pignus publicum, instrumenta publica, Insinuation, Formen der Freilassung u. s. w.) hatte für den Zweck, den ich mit jener Tabelle verfolgen wollte, keinen Werth und bleibt dem dritten System vorbehalten. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. Dieser Zweck aber, um es offen zu bekennen, besteht darin, den Leser zu stimmen . Ich wünsche ihn von vornherein auf einen Standpunkt der Betrachtung zu versetzen, der ihn mei- ner Ansicht zugänglich macht, ihn zu veranlassen, seinen Blick von dem Einzelnen zu dem Ganzen und Großen zu erhe- ben. Dieser Blick muß ihm die Ueberzeugung gewähren, daß es sich bei der allmähligen Entfaltung des obigen Gegensatzes um ein historisches Gesetz handelt, um einen stetigen Fortschritt von der Form zur Formlosigkeit. Erstreckt sich dies Gesetz nun auch rückwärts , m. a. W. hat dieser Fortschritt mit dem Nullpunkt begonnen, gab es eine Zeit, wo die Geschäfte der dritten Columne noch gar nicht exi- stirten? Wer könnte eine solche Frage unterdrücken? Ich mei- nerseits nehme nun, wie bereits bemerkt, keinen Anstand diese Frage zu bejahen. Der Nachweis dieser Behauptung mit seinen ins reichste Detail eingehenden Untersuchungen würde jedoch aus dem Rahmen der gegenwärtigen Darstellung zu weit hin- austreten und den ganzen Zusammenhang unterbrechen, und habe ich aus dem Grunde denselben an eine Stelle verlegt, an der er durch derartige Rücksichten nicht beeinträchtigt wird (Abth. IV: angebliche freiere Bildungen des ältern Rechts). Die Aussetzung dieses Punktes hat auf die folgende Darstellung keinen weitern Einfluß. Es würde mir jetzt zunächst obliegen, die sämmtlichen for- mellen Geschäfte des ältern Rechts im Einzelnen dem Leser vor- zuführen. Wenn ich dies nicht thue, mich vielmehr auf eine flüchtige Uebersicht derselben beschränke und nur drei von ihnen zur nähern Betrachtung verstelle, so geschieht es theils, weil diese Seite unseres Gegenstandes zu den bekanntesten Dingen gehört und in jedem Compendium der Rechtsgeschichte und In- stitutionen zu finden ist, theils aber, um für eine andere Seite desselben, der sich ein Gleiches nicht nachrühmen läßt, um so mehr Raum zu gewinnen. Ueber dem Concreten , der Aeußer- lichkeit der einzelnen Formen, hat unsere „positive“ Rechts- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. geschichte auch hier einmal wieder das Abstracte , die Er- mittlung der ihnen zu Grunde liegenden gemeinsamen Ideen versäumt; ob sich das Versäumniß hier minder gerächt, als an- derwärts, ob sie hier auch nur einmal den Sinn des Einzelnen überall richtig getroffen, möge der Verlauf der Darstellung zei- gen. Diesem Mangel durch eine auf dem Wege einer Ana- lyse der römischen Formen zu gewinnende Theorie des rö- mischen Formenwesens abzuhelfen, ist Aufgabe des §. 47, die des gegenwärtigen ist so eben angegeben. Die formellen Geschäfte des ältern Rechts lassen sich am natürlichsten nach der Kategorie der mitwirkenden Perso- nen gruppiren, und darnach gewinnen wir folgende Classen derselben: 1. Mitwirkung des Volks : Testamentum in comitiis calatis, (beziehungsweise: in procinctu), arrogatio. 2. Mitwirkung der weltlichen Behörden ; vor dem Cen- sor : die manumissio censu (vielleicht auch Uebertragung des Eigenthums durch Umschreibung); vor dem Prätor : die sämmtlichen legis actiones des Processes mit Ausnahme der pignoris capio; die der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Form der in jure cessio (manumissio vindicta, in adoptio- nem datio, emancipatio, cessio der tutela und hereditas legitima ). 3. Mitwirkung geistlicher Behörden namentlich der Pon- tifices; bei eigentlichen Civilgeschäften, wie es scheint, nur in Verbindung mit dem Volk ( testam., arrog. ) oder Zeu- gen ( confarreatio ); im übrigen s. B. 1 S. 259 u. fl. und oben S. 418 und fl. 4. Mitwirkung von Zeugen , Wegen der weiten Ausdehnung des Zeugengeschäfts war die Strafe der Unfähigkeit zu demselben eine der schwersten, die das Recht verhängen und zwar von 10 ( confar- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. ratio), 5 (nexum, mancipatio, coemptio, testamentum per aes et libram). Ueber die Zuziehung derselben zu pro- cessualischen Handlungen ist nicht viel bekannt, es gehören hierher der Zeuge bei der in jus vocatio, die Zeugen bei der Litis contestatio und bei dem Scheingang auf das vindi- cirte Grundstück ( ex jure manum consertum vocare ), hier superstites genannt. 5. Geschäfte ohne Mitwirkung anderer Personen, als der Partheien. Das hauptsächlichste Anwendungsgebiet dieser Form ist das Obligationenrecht (Verbal- und Literalcon- tract). Die tutoris autoritas schließt sich jeder andern Form an, läßt sich also nicht als selbständige Form betrachten, und die öffentliche Bekanntmachung ( palam praedicere ) wie sie z. B. bei Annahme von Bürgen Gaj. III, 123. vorgeschrieben war, so- wie die öffentliche Vorführung des verurtheilten Schuldners gehört ebenso wenig hierher. Dagegen ist eine Classe von Geschäften hier absichtlich übergangen, es sind dies die, welche der Staat mit den Privaten abschließt; das Eigen- thümliche derselben kann erst an einer andern Stelle ins rechte Licht gesetzt werden. Aus jener Zusammenstellung ergibt sich, daß die Zahl der selbständigen Formen des ältern Rechts nicht gerade groß war. Die weitaus bedeutendste Stelle unter ihnen nehmen die man- konnte. Der „intestabilis“ war nicht bloß unfähig, bei einem solchen Ge- schäft als Zeuge zu fungiren, sondern auch es in eigner Person vorzu- nehmen, und da auch im Proceß Zeugen aufgerufen werden mußten, war er wahrscheinlich insoweit auch unfähig, processualische Handlungen mit Erfolg vorzunehmen. Liegt in Plautus Curc. V, 2. 24 eine Andeutung darauf? Es wird hier Jemand aufgerufen, als Zeuge bei einer in jus vocatio zu dienen, und da er sich weigert, stößt der Andere den Fluch gegen ihn aus: Jupiter te male disperdat, intestatus vivito d. h. doch wohl nur: möge es Dir ebenso gehen und Dir Niemand (unter andern auch zu einer in jus vo- catio ) Zeugniß gewähren. Im neuern Recht hat der Begriff der Intestabilität aber jedenfalls eine engere Bedeutung erhalten. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. cipatio, in jure cessio und stipulatio ein. Denn während die übrigen sich auf einzelne bestimmte Geschäfte beschränken, so sind sie gewissermaßen abstracte, der mannigfachsten Anwendung fähige Grundformen, und gerade auf der ihnen gegebenen aus- gedehnten Brauchbarkeit beruht es, daß das ältere Recht mit verhältnißmäßig so wenig Formen ausreichte — ein Vorzug, auf den ich nach meinen früheren Ausführungen (S. 507) nicht wieder zurückzukommen brauche. Wir wollen diese drei Ge- schäfte jetzt einer nähern Betrachtung unterziehen, aber auch hier weniger in der Absicht, Allbekanntes zu wiederholen, als mit der Hoffnung, ihnen hie und da eine neue Seite abzu- gewinnen. Bei allen dreien spielt ein Begriff eine große Rolle, den wir bisher noch keine Gelegenheit gefunden haben genauer zu erörtern, der des Scheingeschäfts . Zwei derselben, die mancipatio und in jure cessio sind schon an sich nichts weiter als Scheingeschäfte. Bei der ersteren wird das Scheingeschäft in dem testam. per aes et libram so zu sagen zur zweiten Po- tenz erhoben, letzteres war eine „imaginaria mancipatio“, die mancipatio selbst aber eine „imaginaria venditio“. Gaj. I, 119. Ulp. XX, 1. Auch die Stipulation gestaltet sich in der sponsio praejudicialis des römischen Processes zu einem Scheingeschäft, und so wird es sich rechtfertigen, wenn wir uns über einen Begriff, dem wir hier bei jedem Schritt und Tritt begegnen, vorher verstän- digen. „Zum Scheine handeln“ ( dicis causa ) bildet den Gegensatz zum „ernstlichen Handeln“, es ist ein äußeres Handeln, Re- den, dem die innere Absicht nicht entspricht. Bei dem Rechts geschäft besteht der Mangel dieser innern Absicht in der intendirten Ausschließung der an dasselbe geknüpften Wir- kungen, ein Erfolg, der nur durch Einverständniß mit der Ge- genparthei möglich ist. Hierauf beruht der Begriff des simu- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. lirten Rechtsgeschäfts. Nicht zu verwechseln mit demselben ist ein Verhältniß, das mit ihm auf den ersten Blick große Aehn- lichkeit hat, nämlich die Eingehung eines Rechtsgeschäfts lediglich in der Absicht, um einzelne vielleicht ganz secundäre Wirkungen desselben zu erzielen. Als Licinius Stolo seinen Sohn emancipirte, um den Bestimmungen seines eignen Ge- setzes, der lex Licinia de modo agri, zu entgehen (S. 494), nahm er kein Scheingeschäft im juristischen Sinn vor, denn der Sohn war und blieb frei . Es fehlte dem Genannten nicht an dem für die juristische Würdigung allein in Betracht kom- menden rechtlichen Willen , wohl aber an der ächten ethi- schen Gesinnung ; er nahm die Emancipation nicht ihrer selbst willen vor, sondern wegen secundärer daran geknüpfter Vortheile, und darum war er vom Volk verurtheilt. Der- artige, wenn man will, Scheingeschäfte im natürlichsittlichen Sinn kamen bei den Römern durchaus nicht selten vor und werden uns noch öfter begegnen. Die Scheingeschäfte in unserm obigen Sinn sind nun von diesen beiden Verhältnissen streng zu trennen. Sie beruhen nicht auf irgend einem Mangel des Willens oder der Ge- sinnung, sondern lediglich auf der Macht der Form. Ihre Entstehungsweise kann eine doppelte sein. Entweder eine secundäre : nämlich auf dem Wege, daß Geschäfte oder Bestandtheile derselben, die ihre ernste Bedeutung verloren haben, sich in der oben S. 538 geschilderten Weise fort erhal- ten: residuäre Scheingeschäfte . Oder eine primäre : nämlich in der Weise, daß ein Geschäft, welches an sich eine ernste Bedeutung hat, als reine Form für ein anderes verwandt wird. Hier ist also das Scheingeschäft im Gegensatz zum ersten Fall etwas Gemachtes , von vornherein als Scheingeschäft ins Leben gerufen: originäres Scheingeschäft . Dahin gehört die in jure cessio und sponsio praejudicialis. Das Scheingeschäft enthielt für die ältere Jurisprudenz ein eigenthümliches Problem. Einerseits nämlich sollte der Schein Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. doch wirklich vorhanden sein. Der zu erreichende Erfolg durfte dem äußern Hergang nicht geradezu Hohn sprechen, man mußte das äußere Dekorum bis zu einem gewissen Grade wahren — kurz wie bei jeder Comödie durfte auch bei dieser juristischen die Illusion nicht gänzlich fehlen. Der Einfluß, den die Juris- prudenz dieser Rücksicht zugestand, tritt in manchen Spuren un- verkennbar hervor. Ich werde einige derselben mittheilen. Zu- nächst verstand es sich wohl von selbst, daß das Geschäft sich nicht selbst als Scheingeschäft bezeichnen durfte. Bei der sponsio praejudicialis Um über irgend eine Frage z. B. ob Jemand der nächste Ver- wandte, Eigenthümer sei, dies oder jenes gethan habe u. s. w. einen richter- lichen Ausspruch zu erwirken, schloß man eine Stipulation ab, in der der Eine dem Andern unter der Bedingung, daß die (zur richterlichen Unter- suchung verstellte) Thatsache wahr sei, eine beliebige Summe versprach. Diese Summe ward eingeklagt und dadurch der Richter gezwungen die Be- dingung zu untersuchen und mittelbar, indem er den Beklagten verurtheilte oder freisprach, über das Dasein oder Nichtdasein der Thatsache zu entschei- den. Was man hier wollte, sagte man nicht und was man sagte, wollte man nicht. Gaj. IV, 93. 94. Puchta Instit. II §. 168. Keller Civilproceß §. 25, 26. sollte die Summe nicht wirklich ausgezahlt werden. Allein gesagt werden durfte dies nicht — Stipulation und Urtheil lauteten auf Verpflichtung zur Zahlung. Zur meh- rern Sicherheit aber hätte man ja die Summe auf einen Aß oder Sesterz stellen können, wie es z. B. bei Scheinverkäufen ( venditiones nummo uno ) üblich war. Allein auch dadurch wäre der Scheincharakter des ganzen Geschäfts wieder zu sehr mar- kirt worden; man griff eine höhere Summe, bei Centumviral- gerichts-Sachen 125 Sesterzien, bei gewöhnlichen 25. Gaj. IV, 93. 95. Die Fixirung bei den Centumviralgerichtssachen hing mit der Sacramentssumme zusammen ( Gaj. IV, 14). Bei der coemptio und in jure cessio fiduciae causa sollte der Empfänger die Person oder Sache nicht wirklich haben und behalten, wie in andern Fällen, sondern sie je nach getroffener Vereinbarung restituiren. Allein diese Vereinbarung hatte in Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. dem Geschäft selbst (als nuncupatio ) keinen Platz, sie wider- sprach dem eigentlichen Zweck desselben; der einfachnatürlichen Vorstellungsweise wollte es nicht in den Sinn, daß man „er- werbe“, wenn man den Erwerb nicht behalten solle. Die Ver- abredung konnte also, wie bei der sponsio praejudicialis, und wie auch heutzutage bei jedem simulirten Geschäft nur neben- bei d. h. außerhalb des eigentlichen Geschäfts getroffen wer- den. Besonders schlagend tritt dies hervor bei der in jure cessio. Wo hätte hier in der Vindicationsformel der Nebenvertrag stehen sollen? Welche juristische Monstrosität wäre darin zum Vorschein gekommen! Allein für die mancipatio steht die Sache um nichts anders, und es ist keine bloße Verges- senheit, wenn Gaj. I, 132 bei Beschreibung der dreimaligen Mancipation des Sohnes das pactum fiduciae gar nicht erwähnt; es trat ja im Act selbst gar nicht hervor. Das Kriterium des fiduciae causa geschlossenen Geschäfts lag lediglich in seinem Zweck , nicht in der Form, daher auch die Bezeich- nung desselben nach diesem Moment: fiduciae causa mancipare, coemptio- nem facere u. s. w. Hieraus ergibt sich, wie derartige Wendungen, wie res mancipatur, ut eam mancipanti remancipet (Boethius ad Cic. Top. c. 10. Orelli p. 340) quem pater ea lege mancipio dedit, ut sibi remancipe- tur (Gaj. I, 140) zu verstehen sind. Darauf beruht der Begriff der fiducia oder des fiduciae causa abgeschlossenen Geschäfts. So erklärt es sich, daß die fiducia nur eine bonae fidei actio erzeugte, ungeachtet jene Ge- schäfte selbst dem strictum jus angehörten. Hätte diese Neben- beredung einen integrirenden Bestandtheil derselben gebildet, so würde die in den XII Tafeln ausgesprochene Anerkennung aller Nebenberedungen ( Cum nexum faciet mancipiumve, uti lingua nuncupassit, ita jus esto ) sich auch auf sie erstreckt haben. Eben aus diesem Grunde aber theilte die fiducia Jahrhunderte lang das Schicksal aller andern Verhältnisse der bona fides d. h. ihre Wirksamkeit beruhte lediglich auf der fides des Gegners, be- ziehungsweise wie bei einigen andern derselben auf der Furcht desselben vor der im Fall der Wortbrüchigkeit eintretenden Infa- mie; das Recht gab aus derselben keine Klage. So erklärt es sich ferner, warum die fiducia auf die solennen Rechtsgeschäfte Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. beschränkt war, ungeachtet Verträge desselben Inhalts ebenso- wohl bei der Tradition vorkommen konnten. Bei letzterer fiel das in der Form gelegene Hinderniß hinweg, sie hatten, soweit sie juristisch möglich waren, Platz im Geschäft selbst und bilde- ten nicht einen Vertrag neben demselben, sondern einen inte- grirenden Bestandtheil desselben. Die im Text gegebene Deutung ist von den Römern selbst nirgends ausdrücklich ausgesprochen, sie gehört zu den Dingen, die man nur finden kann, wenn man zwischen den Zeilen liest. Ob ich richtig gelesen, über- lasse ich dem Urtheil jedes Kundigen. Die „solide“ Rechtsgeschichte hat hier andere Wege eingeschlagen. Um Anderer zu geschweigen, so vergleiche man z. B. Huschke Recht des Nexum S. 76 „weil dies Geschäft ( fiducia ) auf Mancipation beruhte“ und S. 117 „er gab das Grundstück zur fiducia mit der nuncupatio “, über welche seltsame nuncupatio ein Römer kein gelindes Erstaunen empfunden haben würde. Bachofen das röm. Pfandrecht Bd. 1 S. 2 Note 1 spricht freilich von der „Unmöglichkeit, mit der Tradition das pactum fiduciae zu verbinden“, allein worauf er dieselbe stützen will, ist schwer einzusehen. Er scheint sich, da er auf Vat. fr. §. 47 verweist, dies pactum als etwas ganz Apartes und Rares vorzustellen, das sich für die simple Tradition, da sie nur juris gentium ist, nicht schickt; seiner Versiche- rung nach hätten jedoch auch die res nec mancipi durch in jure cessio desselben theilhaftig werden können, was ungefähr so gut ist, als wenn Je- mand, der durch die Thür ins Haus gehen kann, durch den Schornstein hin- einkriechen wollte. Einen ferneren Ausfluß des obigen Gesichtspunkts finde ich in einer Erscheinung, die sich auf andere Weise schwerlich wird erklären lassen. Es geht aus verschiedenen Andeutungen her- vor, daß das als Durchgangsstadium für gewisse Zwecke, also Scheines halber benutzte Verhältniß des mancipium und der manus Das erstere zum Zweck der in adoptionem datio und emancipa- tio (Gaj. I, 132), das letztere mit späterem mancipium und Freilassung aus demselben 1. zum Zweck des Wechsels der tutores legitimi (Gaj. I, 115); 2. zur Erlangung der Testirfähigkeit ( Gaj. I, 115 a ); 3. zur Befreiung von den sacris (Cic. pro Murena c. 12). nicht, wie man geneigt sein könnte zu glauben, re- gelmäßig bloß einen Moment bestanden, sondern sich über eine gewisse Zeit, über deren Kürze oder Länge wir nichts weiteres Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. wissen, ausdehnen konnte. S. z. B. Gaj. I, 135 …: qui ex eo filio conceptus est, qui in tertia mancipatione est. Der §. 115 b hätte sonst gar keinen Sinn, ebenso §. 118 .. nec ob id filiae loco sit; ferner §. 132 .. etiamsi non- dum manumissus sit, sed adhuc in causa mancipii, und noch weniger die Bemerkung: sed in usu est eidem mancipari und die Wiederholung dersel- ben in Anwendung auf die dritte Mancipation. S. auch Gaj. II, 41. Da nun dies Durchgangsver- hältniß ein reines Mittel zum Zweck war, so läßt sich durchaus nicht begreifen, aus welchem praktischen Grunde man demselben irgend welche Dauer hätte einräumen, und warum man nicht vielmehr z. B. die Emancipation eines Sohnes mit ihren drei- maligen Mancipationen und Freilassungen im Lauf eines ein- zigen Tages hätte beschaffen sollen. Allein so sehr es sich hier auch nur um Schein-Acte und Schein-Verhältnisse handelte, so durften doch selbst sie nicht in eine reine Form ausarten; es lag in der römischen Weise, auch eine Comödie mit einem ge- wissen Ernst und Anstand aufzuführen, jenen Schein-Verhält- nissen also eine gewisse reale Existenz einzuräumen. Beobachtet man doch auch heutzutage bei dem unvermeidlichen Avancement eines Prinzen vom gemeinen Soldaten zum General gewisse Zwischenräume, ungeachtet die Mittelstufen auch hier keine ernstere Bedeu- tung haben, als bei der Emancipation eines römischen Haussohns, und zur Noth ebenfalls in einen Tag zusammengedrängt werden könnten. Wie rücksichtlich der äußern Form, so mußte man auch rück- sichtlich der innern juristischen Natur des zum Scheingeschäft verwandten Geschäfts eine gewisse Rücksicht beobachten. So konnte man z. B. die in jure cessio nicht auf Verhältnisse an- wenden, bei denen eine Vindication undenkbar war. In ei- nem Fall allerdings wage ich nicht zu behaupten, daß diese Gränzen inne gehalten sind, nämlich bei dem testam. per aes et libram. Eine Mancipation, die das gesammte Vermögen übertragen sollte mit Schulden und Forderungen, und die es noch dazu nicht sofort und unwiderruflich, sondern erst in der Zukunft und unter einer (stillschweigenden) Bedingung thun sollte, und aus der ferner dritte Personen, die Legatare, Rechte Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. ableiten konnten — ein solches Geschäft war keine mancipatio mehr, sondern in der That etwas völlig Anderes geworden. Aber eben dieses Beispiel ist recht geeignet, uns die Eigen- thümlichkeit der Lage, in der sich die Jurisprudenz bei der Ge- staltung des Scheingeschäfts befand, zu veranschaulichen. Der obigen Rücksicht stand auf der andern Seite eine ungleich dring- lichere, die auf den praktischen Zweck des Rechtsgeschäfts gegen- über. Man konnte letzteren nicht der bloßen Form zum Opfer bringen, sich nicht Consequenzen derselben gefallen lassen, die mit dem beabsichtigten Zweck des Geschäfts selbst im Wider- spruch standen. So galt es hier denn möglichst zwischen Form und Inhalt zu vermitteln und, soweit dies ohne wesentliche Ge- fährdung wichtigerer Interessen möglich war, der Form , dar- über hinaus aber der Sache den Vorzug zu geben. Dieses eigenthümliche Transactionssystem zwischen dem formal technischen und dem praktischen Interesse ist für das wahre Verständniß der Scheingeschäfte des ältern Rechts unentbehrlich, wie dies die folgenden Beispiele zeigen werden. Personen in der Gewalt können ihrem Herrn durch Rechts- geschäft keine Personal- und Urbanalservituten, wohl aber Ru- sticalservituten erwerben. L. 12 de Serv. (8. 1) Vat. fr. §. 51. Ein seltsamer Satz! Besäßen wir nicht die Lösung des Räthsels, wie vergebens würden wir uns an demselben abmühen; denn vom Standpunkt des mate- riellen Rechts aus ist der Satz schlechterdings nicht begreiflich. Die Lösung liegt in Folgendem. Rusticalservituten waren res mancipi, Urbanalservituten res nec mancipi, jene konnten durch mancipatio, diese nur durch in jure cessio erworben werden, jenen Act konnten auch Personen in der Gewalt vornehmen, Gaj. II §. 87. 167. Vat. fr. §. 51. — Mußten sie die dabei zu sprechenden Worte auf den Herrn stellen? Daß es möglich und zwar mit individueller Bezeichnung desselben ( „nomen adjectum“ ), zeigt der citirte §. 167 von Gajus. Als Gegensatz zu dieser individuellen Bezeichnung können wir uns ebensowohl die Stellung der Formel auf den Herrn mit ab- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. diesen nicht. Warum nicht? Weil er eine Scheinvindication war, die Vindication aber für diese Personen, da sie nichts Eignes haben konnten, eine Unmöglichkeit enthielt. Ganz consequent vom Standpunkt der Form aus, allein dem materiellen We- sen des Rechtsgeschäfts als eines Erwerbsactes durchaus nicht entsprechend. So kam das wunderliche Resultat heraus, daß jene Personen ihrem Herrn durch letztwillige Verfügung eines Dritten auch diese Rechte erwerben konnten, Vat. fragm. §. 51. nicht aber durch Rechtsgeschäft; daß sie Erbschaften für ihn antreten, Landgüter und alle möglichen Sachen und auch die wichtigsten der Servituten ihm verschaffen konnten, nicht aber die minder wichtigen derselben. Eben darin aber, daß es minder wichtige Rechte waren, mag der Grund gelegen haben, daß man hier der Form eine Concession machte; hätte es bedeutendere In- teressen gegolten, man würde sich dazu schwerlich verstanden haben. Bei dem Testament durften alle mit dem familiae emtor durch das Band der väterlichen Gewalt verbundenen Personen (Söhne, Brüder, Vater) nicht als Zeugen fungiren, Gaj. II §. 105, 106: domesticum testimonium. Ulp. XX §. 3—5. wohl aber die eingesetzten Erben und Legatare und alle ihnen in der- selben Weise verbundenen Personen. Gaj. II, 108. Cic. pro Milone c. 18. Warum? Das Te- stament war formell ein Geschäft zwischen Testator und familiae emtor. Ursprünglich, so lange man noch dem Erben selbst die Familia mancipirte, hatte der Satz Sinn, allein als dies auf- stracter Bezeichnung desselben ( ajo rem domini esse ) als auf den Spre- chenden selbst ( ajo rem meam esse ) denken. Letztere Fassung hätte eine Un- genauigkeit oder richtiger Unwahrheit enthalten, denn cum istarum perso- narum nihil suum esse possit, conveniens est scilicet ut nihil (suum esse) in jure vindicare possint Gaj. II, 96 und können wir hinzusetzen: ut nihil suo nomine mancipio accipere possint. Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 36 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. hörte, ward er wahrhaft sinnlos und zwar nach beiden Seiten hin. Nach Seiten des fam. emtor — denn welches Interesse hatte er am Testament, das das Zeugniß jener seiner Verwand- ten hätte verdächtigen können? Nach Seiten des Erben — denn bei ihm lag umgekehrt ein solches Interesse vor. Man hatte also der Form zu Liebe das wahre Verhältniß völlig verscho- ben, den an sich richtigen Begriff des domesticum testimo- nium durch verkehrte Anwendung um allen Werth gebracht. Der Tadel, den Justinian in §. 10 I. de test. ord. (2. 10) dar- über ausspricht, daß das ganze Recht hier auf den Kopf gestellt worden sei ( totum jus conturbatum erat ) war daher ganz treffend. Nach jener Seite freilich knüpfte sich an diesen Mißgriff kein irgendwie erhebliches Interesse, man fand Zeugen genug, um jene Beschränkung nicht zu fühlen; die Concession, die man hier der Form machte, war also durchaus harmloser Natur. Ganz anders jedoch in der zweiten Richtung, denn wenn irgend Jemand, so mußten gerade die genannten Personen ausgeschlos- sen werden. Die römische Jurisprudenz befand sich hier in der Verlegenheit, die die heutige freilich auch oft genug empfindet oder nicht empfindet, einen Rechtssatz lehren zu müssen, gegen den ihr gesundes Gefühl sich auflehnte. Sie suchte sich dadurch zu helfen, daß sie gegen die wirkliche praktische Benutzung des- selben aufs angelegentlichste warnte. So Gaj. II §. 108 sed tamen … minime hoc jure uti debemus. Er kann jedoch nicht der letzte gewesen sein, der gegen den Rechtssatz bloß warnte, wenn sonst dem Bericht von Justinian in §. 10 I. cit. Glauben zu schenken. L. 20 pr. qui test. (28. 1) von Ulpian muß daher interpolirt sein (Glück Erläuterung der Pandekten B. 34 S. 245) was durch Ulp. XX, 3—5 fast zur Gewißheit erhoben wird. Während nun diese beiden Beispiele der Ansicht Raum ge- ben könnten, als ob die ältere Jurisprudenz bei dem Schein- geschäft einer ungesunden Consequenzenmacherei gehuldigt hätte, werden die folgenden sie gegen diesen Vorwurf sicher stellen und uns die Ueberzeugung gewähren, daß sie auch hier, wie bei der Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. Interpretation der Gesetze (S. 478), ihrem Charakter treu ge- blieben: nämlich die Form beziehungsweise den Buchstaben zu respectiren, so lange kein ernsteres praktisches Interesse zur Frage stand, entgegengesetzten Falls aber sich von ihnen loszusagen. Wollte man sich bei der Theorie der in jure cessio streng an das Vorbild der Vindication halten, so mußte man sie in allen Fällen gestatten, wo letztere Statt fand. Allein der Spielraum, den man ihr gönnte, war ungleich enger; nicht die abstracte Consequenz, sondern die Erwägung des wahren Bedürfnisses hatte ihn abgesteckt. Eine Erbschaft vindiciren konnte der testamentarische Erbe so gut, als der Intestat-Erbe; sie mit voller Wirkung in jure cediren nur der heres legitimus vor geschehener Antretung. Gaj. II, 34—36. Die Tutel vindiciren konnte jeder Tutor; sie cediren nur der tutor legitimus einer Frau. Gaj. I, 168. Ulp. XI, 6. 8. 17. Die tutela cessitia ist auch im übrigen ein redendes Zeugniß für die Behauptung im Text. S. Ulp. XI, 7. Die wirkliche Manus verschaffte dem Manne das ge- sammte Vermögen der Frau und letzterer ein Erbrecht an seinem Nachlaß, beides fiel bei der Schein manus hinweg, Ueber jenes Gaj. II, 98, über dieses Gaj. I, 118 verb. nec ob id filiae loco sit und 115 b . es sei denn, daß dieselbe mit dem Manne selbst eingegangen war; Gaj. I, 115 b . das eine so angemessen, wie das andere. Das ernstlich vom Vater verkaufte Kind ward mit Ablauf der Censusperiode frei (S. 190), das zum Schein verkaufte mußte ihm zurück manci- pirt werden. Gaj. I, 140. Eine Sache, die man ernstlich mancipirt oder in jure cedirt hatte, konnte man nicht ohne Titel usucapiren, wohl aber diejenige, welche man fiduciae causa veräußert hatte. Gaj. II, 59, 68. 36* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Ich wende mich jetzt den drei oben bezeichneten Rechts- geschäften zu. Die mancipatio, der solenne Verkauf Gaj. I, 113 imaginaria venditio. einer res mancipi per aes et libram, beruht auf der gleichzeitigen Darstellung der beiden Elemente des Kaufs: der Leistung der Sache und der Zahlung des Kaufpreises, und zwar ist diese Darstellung in der Gestalt, in der uns diese Form überliefert ist, nach beiden Seiten hin zu einer bloßen Förmlichkeit geworden. Die Zah- lung — denn das äußere Gepränge derselben: die Wagschale mit dem Libripens, der sie hält, deutet auf die Vornahme der- selben in ältester Gestalt durch Zuwägen hin, es wird aber nicht wirklich gewogen, sondern statt dessen nur ein Stück Erz oder eine Kupfermünze an die Wagschale geschlagen. Ob außerdem, sei es vorher oder nachher, eine wirkliche oder, wie bei der Schenkung, gar keine Zahlung erfolgt, ist völlig gleichgültig. Die Leistung — denn die Sache braucht nicht übergeben zu werden, sondern sie wird nur ergriffen (daher res mancipi d. i. manu captae ), sie kann also immerhin im Besitz des Ge- bers verbleiben. Dieser beiden Elemente des Acts hat die For- mel, die der Empfänger zu sprechen hat, zu gedenken, des einen mit den Worten: hunc ego hominem (fundum u. s. w.) ex jure Quiritium ajo meum esse, des anderen mit den Worten: isque mihi emptus est In dieser Fassung mit est, nicht esto wird die Formel von drei verschiedenen Gewährsmännern angegeben: Gaj. I, 119 und mit ausdrück- licher Bezugnahme auf ihn von Boethius ad Cic. Top. c. 5. (Orell. 322) und Paulus in den Vat. fr. §. 50. Schon dieser Umstand hätte Huschke Nexum S. 23 abhalten sollen, diese Lesart zu verdächtigen und wegen Gaj. II, 102 (wo das esto vielleicht mit der imperativischen Form der Testa- mente zusammenhängt) und III, 167 (wo das esto vielleicht aus est hoc entstanden, die Abweichung von der gewöhnlichen Form aber zur Noth auch durch die Besonderheit des Falls motivirt sein könnte) das esto in jene an- dern Stellen hineinzuemendiren. Das für die Kritik des Gajus so wichtige hoc aere aeneaque libra. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. Von diesen beiden Elementen, die hier zu einem einzigen Geschäft zusammengeschmolzen sind, kömmt das eine, die Dar- stellung einer Zahlung per aes et libram, auch selbständig vor, nämlich bei dem Nexum, und zur richtigen Auffassung desselben ist es nöthig auch diesen Anwendungsfall desselben mit in die Betrachtung zu ziehen. Vor Einführung des gemünzten Geldes blieb für die Be- schaffung einer Geldzahlung nichts übrig, als das Metall zu wägen, und daß man dazu, da es sich nicht bloß um das Hal- ten der Wage, sondern um genaues, richtiges Abwä- gen handelte, einen dritten Unpartheiischen ( libripens ) zuzog, daß man sodann das Metall nicht bloß wog, sondern auch an Ton und Klang seine Aechtheit darthat Der verstorbene J. Christiansen hat mit großer Hartnäckigkeit daran festgehalten, daß das Schlagen des Erzes an die Wagschale nur ein Zeichen der Perfection des Vertrages gewesen sei. S. dessen Wissenschaft der röm. Rechtsgesch. B. 1 S. 147 fl. und Institutionen S. 566 fl. Als ob man darum erst hätte eine Wagschale requiriren sollen! In der That es ist zu leicht, diese Grille zu persifliren, als daß ich mich der Versuchung hingeben möchte. Ueber die vermeintliche Unerklärlichkeit des libram percutere aere hätte ihm auch unser heutiges Leben Aufklärung geben können. Wer hätte es nicht schon gesehen, daß man Geldstücke zweifelhafter Aechtheit am Klange, also durch ein percutere prüft! ( aere percutere libram ), wozu der Zahlende durch die Formel: raudusculo libram ferito Fest. Rodus. Raudusculum hieß, wie Festus hier bemerkt, un- verarbeitetes Metall, und der Ausdruck ward in bekannter römischer Weise auch dann noch beibehalten, als man sich statt dessen der Bequemlichkeit wegen eines Asses bediente. Daß der Libripens sprechen mußte, ist für die Testamentserrichtung dadurch bezeugt, daß er nicht stumm sein durfte Ulp. XX, 7. Wir werden schwerlich fehlgreifen, wenn wir ihm jene Aufforderung in den Mund legen. aufgefordert ward — das, sage ich, ist so einfach und natürlich, daß es eben darum vielleicht den Wider- spruch herausgefordert hat. Zeugniß von Boethius hat er freilich ganz übersehen. Ueber die innere Un- wahrscheinlichkeit seiner Conjectur s. den folgenden §. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. In dieser Weise pflegte man nun in alter Zeit alle und jede Zahlungen zu bewerkstelligen und so namentlich auch die beim Nexum, sowohl bei der Hingabe ( nexi datio ) als der Rückgabe ( nexi solutio, liberatio ), nur daß hier noch wegen der geschärf- ten Wirksamkeit des Geschäfts (der Statthaftigkeit der manus injectio ) die Zuziehung der fünf Zeugen oder die Stellung des Geschäfts unter öffentliche Autorität erforderlich war. Als nun das gemünzte Geld aufkam, hätte man sich die Wagschale und das Wägen ersparen können, und gewiß wird dies auch für gewöhnliche Geldzahlungen d. h. für solche, bei denen es sich nicht um die eigenthümlichen Wirkungen des Nexum handelte, wie z. B. bei dem gewöhnlichen Darlehn, Steuerzahlungen u. s. w., schnell Sitte geworden sein; bei ihnen war ja auch früher keine besondere Solennität erforder- lich. Beim Nexum hingegen als einem solennen Geschäft blieb die alte Form als residuäres Scheingeschäft bestehen. Möglich, ja wahrscheinlich, daß man noch längere Zeit hindurch fort- fuhr, ein Stück unverarbeitetes Erz wirklich zuzuwägen . In der Gestalt, in der wir diesen Act kennen, ist das Wägen überall nicht mehr erforderlich, es genügt das Schlagen der Wage mit dem Stück Erz oder dem As, in ähnlicher Weise wie bei der Vindication an die Stelle des Grundstückes die Scholle, an die des Speeres der Stab trat. Ob wirklich gezahlt war oder nicht, darauf kam es jetzt nicht weiter an, und eben dar- auf beruhte sicherlich mit die große Gefährlichkeit des Geschäfts. Dem zahlungsunfähigen Schuldner stellte man die Alternative, ein neues Nexum auf einen höheren Schuldbetrag einzugehen oder die Personalexecution zu gewärtigen — ein wucherisches Manöver, zu dem heutigen Tages der Wechsel ein Seitenstück bieten kann, und gegen das es, abgesehen von der criminellen Bestrafung des Wuchers, kein Schutzmittel gab. Der Einwand der nicht erhaltenen Valuta fand nämlich, da es bei diesem Verhältniß nicht erst zur gerichtlichen Verhandlung, sondern so- fort zur Execution kam, wie beim Wechsel keinen Raum. Eben Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. dieser Umstand war gewiß einer der Hauptgründe der in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts durch die lex Poetelia erfolgten Abschaffung des Nexum. Zwar konnte man auch jetzt noch durch Stipulation oder Literalcontract sich einer Summe, die man nicht erhalten hatte, schuldig bekennen, allein hier ge- langte der Anspruch doch zur gerichtlichen Verhandlung, und die exceptio doli, die nicht so lange nachher aufgekommen sein kann, gewährte dem Schuldner Rettung. Nur bei dem auf Geld gerichteten Damnationslegat, das sich auf ein Geschäft per aes et libram, das Testament, stützte, erhielt sich noch einige Zeit ein minder gefährlicher Anwendungsfall des Nexum, bis die allmäh- lige Abschwächung Gaj. IV §. 24, 25. und schließliche Aufhebung der legis actio per manus injectionem der Sache nach auch diesen beseitigte. Die Theorie freilich ließ sich ihn noch zu Gajus Zeit nicht neh- men; man sprach hier fortwährend noch von einer per aes et libram begründeten Schuld, Gaj. III, 173. 175. und es war von diesem Stand- punkt aus eine, praktisch freilich höchst müßige, Consequenz, daß man zum Zweck der Aufhebung derselben fortdauernd noch eine Scheinzahlung per aes et libram: die nexi solutio oder libera- tio erforderte. Gaj. III §. 173—175. Ein anderer Fall, bei dem sich diesem Zeugniß zufolge diese Scheinhandlung noch erhalten, war der Erlaß der Ju- dicatsschuld, welche letztere zwar niemals unter , aber stets neben dem Nexum gestanden hatte. Den zweiten Anwendungsfall dieser Schein- zahlung enthält, wie oben bemerkt, die Mancipatio, nur daß sie hier nicht, wie im Nexum, allein und selbständig, sondern in Verbindung mit einer andern Handlung auftrat. War nun diese Verbindung eine uranfängliche? Kannte das römische Recht von jeher keine andere Weise, Eigenthum zu übertragen, als gegen Baarzahlung? Mußte in ältester Zeit, wer einen Stier gegen eine Kuh vertauschen wollte, den Con- tract in Form zweier Käufe kleiden und zwei Mal — und hier Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. doch von Anfang an nicht anders, als zum reinen Schein! — Geld zuwägen? Schwerlich! Die uns bekannte Gestalt der Mancipatio stammt sicherlich erst aus der Periode, wo das Metall oder Geld das allgemeine Tauschmittel geworden war. Aber ist sie darum ganz und gar neu, hat man die alte Form völlig aufgegeben? Es würde dies der sonstigen Weise der rö- mischen Entwicklung wenig entsprechen. Um es kurz zu sagen, ich erblicke in der Mancipation eine Combination zweier Ele- mente, eines ursprünglichen : des eigentlichen Acts der Mancipation, von dem das Geschäft selbst seinen Namen trägt, des manu capere der Sache, und eines jüngeren : des Geldes oder der Zahlung per aes et libram. Aber woher und warum dieser Zusatz, der ja die Brauchbarkeit der alten Form verringerte, indem er sie weitläuftiger machte? In an- derer Weise erhöhte er sie, wenn sonst die folgende Hypothese das Rechte getroffen. Justinian berichtet, §. 41 I. de R. D. (2. 1). die XII Tafeln hätten verfügt, daß verkaufte Sachen nicht eher ins Eigenthum des Käufers über- gehen sollten, als bis der Käufer den Preis gezahlt oder den Verkäufer auf andere Weise sicher gestellt habe. Es liegt kein Grund vor, diese Mittheilung auf die res nec mancipi zu be- schränken, ich hoffe im Gegentheil an einer andern Stelle wahr- scheinlich zu machen, daß er sich gar nicht auf sie bezog. Galt jener Satz aber für res mancipi, und erfolgte die Mancipation derselben schon zur Zeit der XII Tafeln in der späteren Weise, so bleibt nur ein Doppeltes übrig. Entweder nämlich sollte im Sinne des Gesetzes die Scheinzahlung per aes et libram nicht genügen, es sollte wirklich gezahlt werden, damit das Eigen- thum übergehe, oder aber jene sollte ausreichen. Im letztern Fall hätte die Aufstellung des Requisits der Zahlung gar keinen Sinn gehabt; wozu eine Zahlung einschärfen, die in Wirklich- keit keine war? Die erstere Annahme aber ist eben so miß- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. lich; sie widerstreitet allem, was uns über die mancipatio ge- lehrt wird. Da bliebe denn nur der Ausweg anzunehmen, daß die Scheinzahlung erst nach den XII Tafeln und eben unter dem Einfluß jener Bestimmung, um nämlich dem aufgestellten Requisit zu genügen und bei dem Beweise des Eigenthums die Frage von der Zahlung des Preises völlig abzuschneiden, in die Mancipation gekommen sei. Die Form dieser Scheinzah- lung ergab sich von selbst. Wirkliche Zahlungen bewerkstel- ligte man damals nicht mehr durch Wägen, sondern durch Zäh- len, das Wägen, die aes et libra, galt schon damals als Aus- druck einer bloßen Scheinzahlung, aber als einer vom Civil- recht für wirksam anerkannten . So nahm man denn die aes et libra vom Nexum hinüber, dem einzigen Verhältniß, bei dem sie sich damals noch erhalten. Eine Unterstützung fin- det diese Hypothese in der Composition des Mancipations- formulars (S. 564). Der erste Theil: ajo … esse steht selb- ständig für sich da, ihm schließt sich in rein äußerlicher Verbin- dung (durch que ) und in anderer Redeform mit isque emtus est u. s. w. der zweite Theil an. Warum nicht: ajo … meum esse eumque emtum esse? Sodann und vor allem aber welche seltsame Ordnung beider Theile! Zuerst wird der Ei- genthumsübergang constatirt und dann erst der Kauf Daß emere ursprünglich etwas anderes bedeutet hat als kaufen (B. 1 S. 108 Anm. 12), was namentlich zu dem Zweck geltend gemacht worden ist, um die Auffassung der manc. als eines Scheinkaufes abzuweh- ren, kann man gern zugeben, ohne sich den Schluß gefallen lassen zu müssen; jene Auffassung stützt sich nicht bloß auf das Wort emere, sondern auf emere hoc aere d. h. kaufen. und die Zahlung! Gerade bei der logischen Peinlichkeit, mit der die alten For- meln abgefaßt sind (§. 47), hat diese Umstellung etwas höchst Auffälliges. Sie wiederholt sich übrigens auch noch in den bei- den entsprechenden Handlungen: dem Ergreifen der Sache mit der Hand als der Darstellung des Eigenthums erwerbs und Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. dem Anschlagen des Erzes an die Wagschale als der Darstel- lung der Zahlung. Die obige Hypothese löst das Räthsel. Die mancipatio beginnt mit dem Ergreifen und dem ihm ent- sprechenden Theil der Formel, weil dies der eigenthümliche Kern und ursprüngliche Stamm der Mancipatio, also das Prin- cipale ist, das Zahlen aber und der entsprechende Theil der Formel bekömmt als neuerer Zusatz und bloßes Accessorium die zweite Stelle. Ebenso erklärt sich auf diese Weise, wie Mani- lius und Gallus Aelius bei ihren Definitionen des Nexum auch die Mancipation mit unter diesen Begriff bringen konn- ten. Varro de L. L. VII, 5 §. 105: Nexum Mamilius (Manilius) scribit omne quod per libram et aes geritur, in quo sint mancipia. Fest. Nexum. Nexum est ut ait Gallus Aelius quodcunque per aes et libram geritur idque necti dicitur, quo in genere sunt (nämlich als zu seiner Zeit praktische Fälle) haec: testamenti factio, nexi datio, nexi liberatio. Es hätte jeder Schein eines Grundes dazu gefehlt, wenn beide Geschäfte sich von jeher fremd gegen einander über gestanden hätten, während wenn, wie ich annehme, die Schein- zahlung vom Nexum in die Mancipation hinübergenommen war, jene Auffassung allerdings eine gewisse Wahrheit hatte. Sie litt nur an dem Fehler, daß sie die Wortbedeutung von Nexum zu weit griff, man hatte zwar die Sache , nicht aber den Ausdruck mit entlehnt, und in dieser rein sprach- lichen Beziehung traf daher ein dritter Jurist, Q. Mutius Scävola, Varro a. a. O.: Mutius: quae per aes et libram fiant, ut obligentur (Huschke: obligetur), praeter quam (Niebuhr: quae, Huschke: quum), mancipio detur (Niebuhr: dentur). Hoc verius esse ipsum ver- bum ostendit, de quo quaerit, nam idem quod obligatur per libram ne- que suum fit (was nicht behalten, sondern zurückgegeben werden soll d. h. geliehen wird) inde nexum dictum. gewiß das allein Richtige, wenn er das Nexum als obligatorisches Geschäft per aes et libram defi- nirte. Bei nicht juristischen Schriftstellern kömmt jedoch der Ausdruck Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. Der geleisteten Zahlung des Kaufpreises bedurfte es außer beim Eigenthumsübergang auch noch bei der actio auctoritatis, der aufs Doppelte gerichteten Klage des Käufers wegen Evic- tion der ihm mancipirten Sache. Man hat darin, und wie ich glaube mit Recht, eine Anwendung der aufs Doppelte gerichteten Diebstahlsklage ( furt. nec manifestum ) finden wollen. Der Verkäufer hatte den Käufer um sein Geld gebracht. Galt auch hier der Schein für die Wirklichkeit, oder da dies zu verneinen, Paul. S. R. II, 17 §. 1 .. pretio accepto auctoritatis manebit obnoxius, aliter enim non potest obligari. enthält dies nicht einen Widerspruch gegen die obige Ansicht? Der Ein- wand, der übrigens ebensowohl die herrschende als meine Ansicht trifft, erledigt sich dadurch, daß die Scheingeschäfte nicht in allen und jeden Beziehungen die Wirkungen der wirk- lichen ausübten, so wenig wie dies bei den Fictionen der Fall war. Man denke z. B. an die Fiction: si peregrinus civis Romanuus esset Gaj. IV, 37, an die coemptio fiduciae causa. S. oben S. 563. Bei beiden reichten dieselben nicht weiter, als der Zweck es erforderte. Die Scheinzahlung bei der Mancipation hatte lediglich den Zweck, die Unabhängigkeit des Eigenthums- überganges von der wirklichen Zahlung des Kaufpreises for- mell zu rechtfertigen und den Empfänger bei dem Beweis seines Eigenthums von dem Beweis des letzteren Umstandes zu be- freien. Wie wenig sie aber abgesehen hiervon die Bedeutung einer Zahlung haben sollte, erhellt schon daraus, daß sie über- all d. h. auch da, wo die Sache nicht auf Grund eines Kaufes, sondern aus irgend einer andern causa z. B. der Schenkung Man wende mir nicht ein: warum man auch bei der Schenkung mit aes et libra mancipirt habe, da hier ja ein Preis überall nicht entrichtet öfter in Anwendung auf die Mancipation und das Eigenthum vor, so z. B. bei Cicero Top. 5 traditur alteri nexu und dazu Boethius (Orelli p. 322), de harusp. c. 7 jure nexi, de Republ. I c. 7 u. a. In den Augen des Volks hatte die aes et libra über das minder hervortretende Ergreifen der Sache das Uebergewicht erlangt, man charakterisirte den Act nach jenem, nicht nach diesem Moment. Daher Wendungen wie mercari libra et aere (Horaz), emere per assem et libram (Sueton) und ähnliche. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. mancipirt ward, nöthig war. Das Gegentheil ist zwar behauptet (Huschke Nexum S. 45, bei den Mancipationen des Personenrechts hätte es keines sestertius nummus unus bedurft), allein ohne allen Grund und im Widerspruch mit den klarsten Quellenzeugnissen. Darum also konnte z. B. der Käufer sich der Klage auf wirkliche Zahlung des Kaufpreises durch Verweisung auf jenen Scheinact nicht entziehen und ebenso wenig bei der actio auctoritatis auf letzteren Bezug nehmen. Ueber das andere Element der Mancipation, das Ergreifen der Sache ( rem tenens ita dicit Gaj. I, 119) habe ich an dieser Stelle wenig zu bemerken, da dasselbe wegen seines Zu- sammenhanges mit allgemeineren Gesichtspunkten nur bei Gele- genheit der letzteren seine richtige Würdigung finden kann. S. §. 47 (bei Gelegenheit der Bedeutung der Hand) und die Ausführung über das realistische Element des Willens in der Theorie des subjectiven Willens. Bei unbeweglichen Sachen bedurfte es zu Gajus Zeit der Gegen- wart der Partheien nicht mehr; Gaj. I, 121. ob dies von Anfang an so war, wird sich gleichfalls erst an späterer Stelle entscheiden lassen. Das dritte Element unseres Geschäfts bestand in den 5 Zeugen und dem bereits erwähnten Libripens. Indem ich auch hier bekannte Dinge übergehe, beschränke ich mich auf einige Fragen, die man gewöhnlich zu übergehen pflegt. Zu- nächst die Frage: ob es bei jeder Mancipation einer förm- lichen Aufforderung an die Zeugen ( rogatio ) Ueber den symbolischen Act des Ohrzupfens s. §. 47. bedurfte. Be- zeugt ist dieselbe, so viel mir bekannt, nur bei der Testaments- errichtung und bei der Litiscontestation. Ist es Zufall oder hat es einen uns verborgenen Grund, daß gerade diese beiden Geschäfte von dem Acte des Zeugen-Aufrufens ( testari ) ihren werden sollte? Eben darum, um alle Fragen und Beweise über die causa des Eigenthumsüberganges abzuschneiden. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. Namen erhalten haben? Bei dem Testament erfolgt eine An- sprache des Testators an dieselben in der nuncupatio (.. ita testor, itaque vos Quirites, testimonium mihi perhibetote, Gaj. II, 104. Ulp. XX, 9. daß derselben eine solenne Aufforderung zur Assistenz bei dem Act vorausgehen mußte, läßt sich kaum bezweifeln. Gajus an d. a. Stelle gebraucht freilich bloß den Ausdruck: ad- hibitis quinque testibus, allein die L. 21 §. 2 qui test. (28. 1) .. si ante testimonium certiorentur und L. 20 §. 8 ibid. suprema conte- statio (womit die in der nuncupatio enthaltene gemeint sein wird) scheinen auf eine vorhergehende rogatio hinzuweisen. Bei der Litis Contestatio rufen beide Partheien die Zeugen auf, Fest. Contestari est cum uterque reus dicit: testes estote. Daß das con nicht nothwendig auf eine Mehrheit der Partheien, sondern auch der Zeugen gehen kann, zeigt der Ausdruck contestatio der vorigen Note, für den derselbe Ulpian freilich an anderer Stelle ( Ulp. XX, 9) den Ausdruck testatio gebraucht. weil es das beiderseitige Interesse gilt, bei der Testaments- errichtung hätte bei strenger Durchführung des Gesichtspunktes, daß der familiae emptor die Stelle des Erben vertrete, dasselbe geschehen sollen. Warum geschah es nicht ? So lange das Te- stament in der Volksversammlung errichtet ward, fiel dasselbe nicht unter den Gesichtspunkt eines Geschäfts mit dem Erben, sondern einer beantragten lex (B. 1 S. 138), einer, um mit Mommsen zu sprechen, Dispensation von der gesetzlichen Erb- folge, und es verstand sich von selbst, daß hierbei nur der Te- stator, nicht der Erbe dem Volk den Antrag vorlegte. Als die fünf Zeugen an die Stelle des Volks traten (B. 1 S. 140), behielt man diese Consequenz der alten Form bei. Wäre der Schluß von der Form des Mancipationstesta- ments auf die der gewöhnlichen Mancipation ein stringenter, so wäre die obige Frage damit auch für letztere erledigt. Allein daß die Form beider nicht durchweg gleich ist, zeigt schon die Verschiedenheit der Formeln, sowie der Umstand, daß dort Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. auch der Mancipant zu reden hat, während er hier schweigt. Nichts desto weniger läßt es sich aus allgemeinen Gründen kaum bezweifeln, daß die Zeugen bei jeder solennen Handlung auch in solenner Weise haben aufgefordert werden müssen. Es würde zu der Genauigkeit, mit der die alte Jurisprudenz alles, was geschah, auch durch Worte ausdrücken ließ, wenig stimmen, wenn sie eine so wichtige Thatsache, wie die Zuziehung der Zeugen zum Rechtsgeschäft, nicht durch eine Erklärung der Par- thei constatirt hätte. Bei der Mancipation ging die Aufforde- rung schwerlich, wie beim Testament, von dem Mancipanten aus; das Interesse lag ausschließlich auf Seiten des Em- pfängers. Mußten die Zeugen ihrerseits, oder einer von ihnen im Na- men aller, der an sie gerichteten Aufforderung mit Worten, und zwar im Geist des ältern Rechts mit hergebrachten, fest be- stimmten, entsprechen? Auch diese Frage würde ich schon aus allgemeinen Gründen zu bejahen nicht anstehen, ein positives Zeugniß aber dafür finde ich in der Bestimmung, Ulp. XX, 7. daß ein Stummer beim Testament weder Zeuge, noch Libripens sein durfte, was völlig unmotivirt gewesen wäre, wenn beide nichts zu reden gehabt hätten. Der Schluß von dem Testament auf die gewöhnliche Mancipation dürfte hier weniger gewagt sein, als oben. Die drei Elemente, welche wir bisher betrachtet haben, die Scheinzahlung, das Ergreifen der Sache und die Zeugen nebst den auf sie bezüglichen Formeln bildeten den unerläßlichen Thatbestand einer jeden Mancipation, im übrigen aber scheint es, als hätten die XII Tafeln mit dem bekannten Satz: Cum nexum faciet mancipiumve, uti lingua nuncupassit, ita jus esto der Autonomie der Privaten einen unbeschränkten Spiel- raum eingeräumt. Allein die Jurisprudenz führte denselben auf sein natürliches Maß zurück. Alle Verabredungen, die sich mit Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. dem Zweck oder Hergang nicht vertrugen, waren als Bestand- theile des Actes (als nuncupatio ) Von nomine capere: beim Namen nennen, sagen. Cic. de off. III, 16 de orat. I, 57. unzuläßig. Dahin ge- hörte, wie oben nachgewiesen, das pactum fiduciae, ferner die Bestimmung, daß das Eigenthum erst mit Eintritt einer Be- dingung oder von einem gewissen Tage an übergehen solle — der Empfänger würde nicht haben sagen können: rem meam esse , und ebenso wenig würde die sofortige Zahlung gepaßt haben. Aus diesem Grunde glaube ich denn auch nicht, daß eine Bestimmung über die demnächstige Bezahlung des Kauf- preises in die Nuncupation aufgenommen werden durfte. Es wäre eine contradictio in adjecto gewesen, einerseits mit den Worten: est emtus hoc aere u. s. w. den Kaufpreis als be- zahlt , andererseits durch jenen Zusatz ihn als noch rück- ständig zu bezeichnen. Ja es ist mir zweifelhaft, ob nur ein- mal, wie Huschke angenommen hat, die Angabe des wirklichen Preises in der Nuncupation Platz finden konnte. Denn letztere lautete auf Bezahlung mit „ diesem Erz und dieser Wage“, und dazu hätte die Angabe einer bestimmten Geldsumme nicht gestimmt. Für den Uebergang des Eigenthums, um den es sich bei der Mancipation allein handelte, war ja die Angabe des wirklichen Preises völlig bedeutungslos, für die act. aucto- ritatis aber die bloße Angabe des Preises ohne Wirkung, denn diese Klage ging nur auf das Doppelte dessen, was wirklich gezahlt war, den Beweis der wirklichen Zahlung aber konnte, wie bereits bemerkt, die Bezugnahme auf die Scheinzahlung nicht ersetzen. Was blieb denn für die nuncupatio, abgesehen von der stereotypen Formel, noch übrig? Ich meine nur das, was sich auf das mancipirte Object selbst bezog, also z. B. bei einem Grundstück die Zusicherung gewisser Servituten, der Freiheit von ihnen, der Vorbehalt von Servituten zu Gunsten des Mancipanten ( deductio ), Vat. fragm. §. 50. bei dem Verkauf eines Skla- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. ven die Angabe, daß und unter welcher Bedingung er statu liber sei, daß das Pekulium mitgegeben oder vorbehalten werde, bei einem Thier das Alter, die Fehler oder deren Nicht- dasein u. s. w. Ist dies richtig, so konnte demnach durch die Mancipation nur der Mancipant, nie der Empfänger ver- pflichtet werden, und diesen Satz halte ich allerdings in seiner weitesten Ausdehnung für wahr. Die entgegengesetzte Behaup- tung von Huschke, der zufolge die Mancipation für den Käufer rücksichtlich des schuldigen Kaufpreises die Kraft eines Nexum gehabt hätte, hat, ganz abgesehen von ihrem Mangel an allem und jedem positiven Anhaltspunkt, die Analogie des ältern Rechts aufs entschiedenste gegen sich. Alle formellen Geschäfte des eigentlichen jus civile sind streng einseitig, es gibt keins, aus dem beide Contrahenten gegenseitig verpflichtet würden, und selbst der Kauf und die Miethe zerfielen, wie ich an an- derer Stelle nachzuweisen hoffe, früher in zwei einseitige Ge- schäfte (Stipulationen): emtio und venditio, locatio und con- ductio. Kurz der Grundsatz der Einseitigkeit ist eins der Fun- damentalprincipien des ältern Rechts. Wie bei der Stipula- tion, so hat auch bei der Mancipation der, dessen Interesse das Geschäft bezweckt, die getroffenen Verabredungen (die lex con- tractus ) zu publiciren. Daß der Mancipant wie bei der Sti- pulation auf die Rede des Andern habe antworten müssen, wird mit Ausnahme des Testaments nirgends erwähnt, und bei der gewöhnlichen Mancipation werden wir es schwerlich annehmen dürfen. Bei der Stipulation lag die Nothwendig- keit der Antwort in der Frage selbst ausgedrückt, bei der Mancipation hingegen lautete die Formel assertorisch, ähnlich wie bei der in jure cessio, und daß es bei letzterer keiner Ant- wort bedurfte, ist ausdrücklich bezeugt. Gaj. II, 24 quo negante aut tacente . Schon diese Verschieden- heit in der Fassung der Formeln hätte, ganz abgesehen von andern Gründen, die Idee ausschließen sollen, als ob die Stipulation aus der Nuncupation der Mancipation entstanden sei. Woher die Ab- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. weichung beim Testament? Vielleicht von dem Satz der XII Tafeln: uti legassit super pecunia tutelave suae rei, ita jus esto, denn ein „legare“ erforderte ein Sprechen . Viel- leicht war sogar die nuncupatio testamenti nichts, als die aus der ehemaligen Form der Testamentserrichtung in die neuere hinübergegangene Ansprache ans Volk (… itaque vos, Quirites , testimonium mihi perhibetote ) Hierzu stimmt denn auch die Art, wie Ulp. XX, 9 die Sache dar- stellt: in testamento, quod per aes et libram fit, duae res aguntur, familiae mancipatio et nuncupatio testamenti. Ebenso Gaj. II, 116. Diese nuncupatio gehört demnach nicht mehr zu der mancipatio, sie ist etwas außer und neben ihr , während die nuncupatio bei der gewöhnlichen mancipatio einen integrirenden Bestandtheil derselben bildet. , jedenfalls aber steht fest, daß die Nothwendigkeit einer nuncupatio des Mancipanten nur für die Testamentserrichtung bezeugt ist, und es wird nicht zu kühn sein, darin eine Besonderheit dieses Actes zu erblicken. Es verbleiben uns schließlich noch die verschiedenen An- wendungsfälle der mancipatio. Es lassen sich im ganzen nach der Verschiedenheit des durch sie zu begründenden Rechts fünf unterscheiden, nämlich die mancipatio in Anwendung 1. auf das Eigenthum , 2. die Rusticalservituten (beziehungsweise die vier ältesten Species derselben: iter, via, actus, aquaeductus ), 3. die Begründung der manus (coem- tio), 4. das mancipium und 5. das Erbrecht . Alle diese Fälle haben ihr mehr oder minder Eigenthümliches. Wenn der dritte und vierte dem ersten, den wir als den eigentlichen Ty- pus betrachten dürfen, in der Beziehung am nächsten stehen, daß bei ihnen wenn auch keine Sache, so doch noch ein sicht- barer und faßbarer Gegenstand vorhanden ist, so weichen sie darin von ihm ab, daß im vierten das verliehene Recht, ganz abgesehen von der mancipatio fiduciae causa, regelmäßig Gaj. I, 140. S. oben S. 190. eine vorübergehende Dauer hat, praktisch mehr der Miethe, als Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 37 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. dem Kauf gleicht, im dritten aber — um uns bei dieser über- aus bestrittenen Frage Roßbach Untersuchungen über die röm. Ehe. S. 67—81. auf das allein Sichere zu beschrän- ken — jedenfalls in der Formel eine der materiellen Ver- schiedenheit des Verhältnisses entsprechende Abweichung von der gewöhnlichen Mancipationsformel Statt fand. Gaj. I, 123 .. cum a parentibus et coemptionatoribus iisdem verbis mancipio accipiuntur, quibus servi, quod non similiter fit in coemptione. Im Sinne des gewöhnlichen Lebens — denn eine juristische Wahrheit hatte die Auffassung schwerlich — mochte man sogar die Frau selbst als Subject der Coemption bezeichnen: coemptionem facit z. B. Gaj. I, 115 u. a. a. Stellen. In dem zweiten und fünften Fall erreichte die Mancipation ihren Cul- minationspunkt, sie hatte sich hier von dem natürlich sinnlichen Requisit eines faßbaren Gegenstandes völlig losgerissen. Dazu kamen in dem letzten Fall noch andere im Verlauf der Darstellung bereits berührte Abweichungen und zwar von dem Gewicht, daß wenn auch nicht die äußere Physiognomie, so doch das innere Wesen und die juristische Natur der Mancipation in diesem Fall bis zur gänzlichen Unkenntlichkeit entstellt oder richtiger völlig geopfert war. Im richtigen Gefühl davon haben denn auch die römischen Juri- sten die hereditas nicht unter die res mancipi gerechnet, während sie die Ru- sticalservituten, trotzdem daß auch sie res incorporales sind ( Gaj. II, 17) unter ihrer Zahl aufführen. Ulp. XIX, 1. Daß die mancipirten freien Per- sonen unter den res mancipi nicht mit genannt wurden, bedarf keiner Er- klärung. Die Anwendbarkeit der Mancipation erstreckte sich demnach fast über das gesammte Privatrecht: das Vermögensrecht, Fa- milienrecht und Erbrecht; nur das Obligationenrecht war ihr verschlossen. Mittelbar reichte sie allerdings auch in letzteres hinein ( actio auctoritatis, Damnationslegat). Allein so wenig man die Antretung der Erbschaft aus dem Grunde einen obli- gatorischen Act nennen darf, weil sie mittelbar auch obligato- rische Verhältnisse begründet, so wenig darf man dasselbe aus Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. diesem Grunde bei der Mancipation thun. Primär und aus- fchließlich konnte keine Obligation durch sie erzeugt werden. Die hohe Bedeutung dieser Geschäftsform möge es ent- schuldigen, daß ich mich so lange bei ihr verweilt habe, ich werde mich bei den beiden andern um so kürzer fassen. Die in jure cessio (Abtretung vor Gericht) bietet mir wenig Anlaß zum nähern Eingehen dar. Sie ist das Gegen- stück der sponsio praejudicialis; wie bei letzterer der Vertrag dem Proceß, so hilft hier der Proceß dem Vertrage aus. Ihrer Form nach eine Scheinvindication, bei der der Erwerber als Vindicant auftrat, der Cedent sich der Contravindication ent- hielt, und der Prätor jenem die in Anspruch genommene Sache oder das Recht zusprach, fand sie nur bei solchen Rechten Statt, die möglicherweise Gegenstand der Vindication sein konnten. Zur Begründung obligatorischer Verhältnisse war daher auch sie ungeeignet, ja sie schloß vermöge der Natur des Actes, in dessen Formen sie sich kleidete, selbst die mittelbare Begründung derselben aus. Von der fiducia ist oben, soweit es hier nöthig ist, bereits das Erforderliche gesagt. An Alter steht sie hinter der Mancipation höchst wahrscheinlich zurück, Die frühste Erwähnung geschieht in Anwendung auf die Manu- mission für das erste Jahr der Republik ( Liv. II, 5), und zwar verhielt sich die manumissio per vindictam zu der bis dahin üblichen manumissio censu in ähnlicher Weise, wie das testamentum per aes et libram zu dem in comitiis calatis d. h. beide stellten eine zu jeder Zeit anwendbare also be- quemere Form der früheren an gewisse Zeiten gebundenen gegenüber. Nach Paulus in den Vat. fr. §. 50 sollen die XII Tafeln die in jure cessio an- erkannt haben; ob „propalam“ oder „per consequentiam“ (Ulp. XI, 3) d. h. dadurch daß sie die Vindication anerkannten, stände wohl noch zur Frage. Das „confirmat“ von Paulus kann denselben Sinn haben, wie das „jubet“ von Ulp. X, 1. an ausgedehnter Anwendbarkeit aber nicht, wie dies die folgende tabellarische Vergleichung ihrer beiderseitigen Anwendungsgebiete nachwei- sen soll. 37* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Wir werden nicht fehlgreifen, wenn wir den Ursprung der in jure cessio auf ihrem ausschließlichen Anwendungsgebiet su- chen. Ihre Anwendung auf die Fälle der zweiten Columne war eine bloße Consequenz, nicht Zweck; hier reichte die Mancipa- tion vollkommen aus, ja hier verdiente und erhielt sie im Leben den entschiedenen Vorzug vor ihr. Gaj. I, 25: Plerumque tamen et fere semper mancipationibus utimur, quod enim ipsi per nos praesentibus amicis agere possumus, hoc non est necesse cum majore difficultate apud Praetorem aut apud Praesidem provinciae quaerere. Dasselbe Verhältniß wird sich zwischen ihr und der Tradition der res nec mancipi annehmen lassen. Auf jenem Gebiet hin- gegen entfaltete sie ihre eigenthümliche praktische Brauchbar- keit, weil sie Zwecken diente, die sich auf andere Weise theils gar nicht, theils, wie die Manumission, nur in unvollkomm- nerer Weise erreichen ließen. Daß sie nicht von vornherein und mit einem Male, sondern erst nach und nach in Besitz dieses weiten Gebiets gekommen, wird Niemand, der etwas von dem Gange der historischen Entwicklung im römischen Recht kennt, bezweifeln wollen. Ueber das relative Altersverhältniß der einzelnen Fälle fehlt es uns an allen positiven Nachrichten, Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. allein bis zu einem gewissen Grade kann die Combination die- sen Mangel ergänzen. Als einen der ältesten Fälle betrachte ich die manumissio vindicta, er ist zugleich der einzige, für den uns eine bestimmte Entstehungszeit angegeben wird (Note 637). Erst nach den XII Tafeln können sich, vielleicht überhaupt, jedenfalls aber erst in der uns bekannten Gestalt, die Emanci- pation und Adoption gebildet haben, da sie eine Allusion auf einen Satz dieses Gesetzes enthalten (S. 190 und 484). Die Urbanalservituten sind nach allen Anzeichen noch weit jüngern Ursprunges (Note 359), rücksichtlich der übrigen Fälle führt die Wahrscheinlichkeitsbestimmung so sehr ins Allgemeine und auf einen so unsichern Boden, daß ich mich ihrer enthalten will. In allen diesen Fällen war der Gegenstand der gerichtlichen Abtretung, um den römischen Ausdruck beizubehalten, eine res incorporalis, und damit ist zugleich der Gesichtspunkt für den principiellen Gegensatz dieses Geschäfts zu der Mancipa- tion gewonnen. So scheint auch Gaj. II, 17 sich das Verhältniß derselben zu denken. Die historische Wurzel und der praktische Schwerpunkt der einen liegt in der res corporalis, bei der an- dern in der res incorporalis; erst in ihren Verzweigungen kreu- zen sie sich. Es bleibt uns jetzt noch die Stipulation (S. 511): der auf Eingehung einer Obligation gerichtete Vertrag in Form mündlicher Frage und Antwort . Sie hat folgende Requisite: 1. Die Gegenwart der Partheien. 2. Die vorausgehende Frage des Gläubigers. Die Umkehr der Ordnung, ein vorausgehendes Versprechen von der einen und eine Acceptation von der andern Seite begründete keine Stipulation (über den Grund s. §. 47). Das römische Recht kennt zwei Formen der Stipulation: eine strengere, engere und eine freiere, abstractere. Jene: die dem jus civile angehörige, an die Worte: spondes? spondeo gebundene und Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. auf Römer beschränkte sponsio — diese: die dem jus gen- tium angehörige, lediglich an das abstracte Requisit der münd- lichen Frage- und Antwortform geknüpfte und folglich mit be- liebigen Worten (z. B. dabis, facies, promittis? ) und in jeder Sprache mögliche stipulatio schlechthin. Gaj. III, 92, 93. L. 1 §. 6 de V. O. (45. 1). Daß letztere, we- nigstens in ihrer Anwendung auf Römer unter sich, jüngeren Ursprunges ist, dafür sprechen, wenn auch keine äußeren, so doch gewichtige innere Gründe (§. 47). 3. Die sofortige Antwort. Ein Zwischenraum hebt die Verbindung zwischen Frage und Antwort auf, beide sollen ein Ganzes bilden, es muß folglich auch der Act selbst ein einiger sein ( unitas actus ). L. 1 §. 1 de V. O. (45. 1). 4. Die entsprechende Antwort. Eben weil beide ein Ganzes darstellen sollen, müssen sie sich decken. Lautet die Antwort anders, als gefragt, sei es auf mehr oder auf weniger, und bei der Sponsio nicht auf den Ausdruck: spondeo, so ist die Stipulation verfehlt. Gaj. III, 102. Die L. 1 §. 2—5 de V. O. (45. 1) veranschau- licht zugleich die freiere Entwicklung, die schon in der verhältnißmäßig kurzen Zeit von Gajus an bis auf Ulpian Statt gefunden; sollte das, was Gajus lehrt, noch ganz das ursprüngliche gewesen sein? Die alte Gestalt der Sache schimmert unter den Milderungen der neuern Zeit noch deutlich genug durch. In späterer Zeit ward man darin laxer, aber in der alten Zeit hielt man daran mit äußerster Pedanterie fest und erließ auch nicht einen Buchstaben. Und in der That es war jedenfalls das Sicherste, denn wenn man einmal nachließ, wo war die Gränze? Jene Strenge hatte einen ganz vernünftigen Sinn, und was Gellius ( XVI, 2) von dem gleichen Grundsatz der Dialektik sagt, paßt wörtlich auf die Stipulation. „Es ist ein Gesetz dieser Kunst, bemerkt er, daß wenn man sich über irgend ein Thema streitet, man nicht mehr und nicht weniger antworte, als man gefragt wird, entweder mit Ja oder Nein; wer mehr oder anders antwortet, gilt als Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. Idiot. Und darauf muß man halten, denn es gibt kein Ende des Streites, wenn man die einzelnen Streitpunkte nicht fixirt und einfach durch Frage und Antwort erledigt.“ In ähnlicher Weise, meinten die alten Juristen, ließe sich auch bei den Ver- handlungen rechtlicher Art die Gewißheit der erreichten Ei- nigung nur dadurch constatiren, daß der Schuldner sich streng an die Frage binde; thue er es nicht, so sei das ein Zeichen, daß die Partheien noch nicht eins geworden. Im Geist der alten Zeit (§. 47) darf man annehmen, daß der Schuldner ur- sprünglich den ganzen Inhalt der Stipulation wiederholen mußte und sich nicht wie später mit einem einfachen Ja oder spondeo, dabo u. s. w. begnügen durfte. Das wahre Wesen der Stipulationsidee ist sowohl von ihrer psychologischen als praktischen Seite bereits von einem Andern J. Christiansen (der Aeltere) Institutionen des römischen Rechts S. 308—310 — ein Buch, das neben manchem Ungenießbaren und Verwe- genen viele tiefe Einblicke enthält. Die zum Theil nicht unverschuldete geringe Verbreitung des Buchs hat mich bestimmt, die citirte Stelle mit Auslassung einiger überflüssigen Breiten wörtlich abdrucken zu lassen. in so vorzüg- licher Weise entwickelt, daß ich nichts besseres thun kann, als dessen Worte wörtlich wieder zu geben. „Die neuern gebildeten Sprachen und die gebildeten Spre- cher dieser gebrauchen zum Ausdruck absoluter Bejahung oder Verneinung der Frage ein einfaches Abstractum, welches abso- lut und rein nur Bejahung oder Verneinung ohne weitere Be- stimmung ist. Wie kurz, wie lang, welchen Inhalts immer die Frage sei, so wird die Bejahung mit „Ja“ u. s. w. gleichmäßig auf die kürzeste und bündigste Weise abstract ausgedrückt. Die ältern concreteren Sprachen überhaupt wie auch noch die un- geübteren Sprecher ausgebildeter Sprachen haben nur eine con- crete Bejahung. So auch die römische Sprache. Sie kennt gar keine abstracte Bejahung. Statt der reinen Antwort hat sie nur ein Antworten auf dieses Gefragte. Es wird in die Ant- wort mehr oder minder alles Gefragte wieder aufgenommen. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Das ist so allgemein die Natur des concreteren sinnlicheren und sinnigeren Bildungszustandes. Der Antwortende kann noch nicht nach-denken und nach-wollen ohne nach-zu sprechen und hat die instinktmäßige Vorsicht bei dieser Weise, die ihm dien- licher und sicherer ist, zu bleiben. Denn nur wenn das Ge- fragte nach gesprochen ist, können beide Theile sicher sein, daß auch dasselbe gemeint ist. Im gebildeten Zustande würde auf die Frage: „willst du für zweitausend mir u. s. w. geben“ mit einem bloßen Ja ge- antwortet werden und damit die unumwundeste Einigkeit vor- zuliegen scheinen. Im Einzelnen, also im Ganzen ist aber in- nerlich vielleicht die größte Uneinigkeit vorhanden; der Ver- käufer verstand vielleicht „drei“ statt „zwei“ u. s. w. Alle diese Dinge wären beim wörtlichen Nachsprechen zum Vorschein gekommen. Wenn dagegen bei den Alten der Gläubiger fragte: spondesne Stichum hominem .... dare, so antwortete der Gläubiger nicht bloß mit spondeo, sondern er wiederholte den ganzen Satz. Nur bei der feierlichsten Form der Aussage oder Zusage durch rechten Eid verlangen auch wir noch jenen ur- sprünglich ganz allgemein üblichen umständlichen, detaillirten Ausspruch. Beim Katechisiren mit Kindern, bei Aufträgen an Ungebildete begnügt man sich ebenfalls nicht mit einem bloßen „Ja“, sondern verlangt umständliche Wiederholung. Es ist einleuchtend, in welchem Grade diese concrete Be- jahung größere Garantie des Einverständnisses und Ernstes gibt, als die abstracte. Es ist zwischen beiden in Hinsicht der Zuverlässigkeit ungefähr der Unterschied, wie ob man eine zu hebende Last mit dem bloßen Augenmaße probirt und approbirt oder sie wirklich auf die Schultern nimmt.“ Soweit Christiansen. Die von ihm in Bezug genommene Analogie des Eides gibt mir den Anlaß, auf die von mir bei einer andern Gelegenheit (B. 1 S. 264) versuchte Anknüpfung Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. des historischen Ursprunges der sponsio an den Eid Die Ansicht ist inzwischen auch von Danz der sacrale Schutz im römischen Rechtsverkehr S. 105 u. fl. angenommen und von neuem ver- theidigt. zurück- zukommen. Dieselbe Form, die uns in Anwendung auf jene min- destens gesagt als etwas Positives, Römisches erscheint, findet sich für den letztern Act als die regelmäßige bei fast allen Völ- kern. Wer sich einen Eid schwören läßt, nimmt ihn ab , er sagt ihn vor, und der Andere spricht ihn wörtlich nach oder sagt wenigstens die entscheidenden Worte: ich gelobe und schwöre. War nun die sponsio ursprünglich das eidliche Versprechen, das Wort: spondeo das „Geloben und Schwören“ und zwar, wie sich von selbst verstand, für Römer bei den römischen Göttern, so ist damit außer der Unfähigkeitserklärung der Peregrinen für diese Form zugleich das Charakteristische der letzteren selbst erklärt. Als unter der religiösen Hülle die Idee der bindenden Kraft des Versprechens genügend er- starkt war, streifte letzteres die religiöse Beziehung ab, behielt aber die Form der Frage und Antwort bei — ein Uebergang von der ursprünglich sacralen zur profanen Form, zu dem die römische Rechtsgeschichte noch manche andere Seitenstücke lie- fert. S. z. B. das sacramentum B. 1 S. 267 Anm. Welche andere Idee aber sich jetzt mit dieser Form verband, das auszuführen muß ich einem andern Zusammen- hang überlassen. S. den schon oben citirten § in der Theorie des subj. Willens: reales Element des Willens. Rücksichtlich ihrer ausgedehnten Anwendbarkeit durfte die Stipulation sich füglich mit den beiden bisher betrachteten Formen messen; was letztere für die absoluten Rechte, war sie für das relative, die Obligation: eine allgemeine Form, wo- durch, wie auch in ihrem Namen liegt, Stipulatio kommt von stips, letzteres von der Sanskrit-Wurzel sthâ, von der auch Stab und Stift. Im Lateinischen hieß stip, stipit, die Sache fest ge- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. macht wurde. Alle und jede Verträge, insofern sie nur nichts Unerlaubtes enthielten und auf eine erzwingbare Leistung ge- richtet waren, mochten sie im übrigen schon an sich klagbar sein oder nicht, konnten in diese Form eingekleidet werden. Doppelt wichtig aber war sie gerade im älteren Rechte bei der beschränk- ten Zahl der vorhandenen Obligationsformen — ein Punkt, den ich an dieser Stelle noch aussetzen muß. Dabei beschränkte sich ihre Anwendbarkeit keineswegs bloß auf das jus civile, sie erstreckte sich vielmehr auch auf den Proceß — es war kaum ein Rechtsstreit möglich, in dem nicht zwischen den Par- theien gewisse Stipulationen abgeschlossen wurden, und bei der reivindicatio per sponsionem mußte sie sogar als Einklei- dungsform und Basis des ganzen Verfahrens dienen. So- dann auf den völkerrechtlichen Verkehr — wenigstens gefielen die Römer sich darin, auch die publicistischen Verträge, insofern sie nicht constitutiver, sondern promissorischer Art waren, unter die Form der sponsio zu bringen. Gaj. III, 94. Das foedus war constitutiver Art. Das Nähere an späterer Stelle. Und endlich auch auf den internationalen Privatverkehr — es war die oben angegebene abstractere Stipulationsform des jus gentium. Dieser extensiven Brauchbarkeit entsprach die inten- stirp Stamm, welches auch in obstipescere (gleichsam zum Stock werden) erhalten ist. So Pott Etymol. Forsch. B. 1 S. 198. Die Institutionen pr. I. de V. O. (3. 16) treffen mithin das Richtige, indem sie das Wort daher ableiten: quod stipulum apud veteres firmum appellabatur, forte a stipite descendens. Ganz entsprechend sowohl sachlich wie sprachlich sind die deutschen Ausdrücke: bestäti gen, rechts beständig , vor Gericht ge- stedegen (Sachsenspiegel II, 30 d. i. festmachen, wie stipulari ). Mit den Getraidegarben hat zwar das „stipendium“ (Austheilung derselben an die Soldaten), dagegen die „stipulatio“ nichts zu thun, und das „Getraide- geschäft“, das Huschke Nexum S. 100 aus ihr gemacht und höchst anschau- lich beschreibt, ist um nichts besser, als der etymologisirende Erklärungsver- such von Isidor V, 24 §. 30. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. sive . Die Hinzufügung eines dies und einer conditio, bei den andern beiden Geschäften ausgeschlossen, war bei der Stipula- tion, wie das die Natur eines promissorischen, also auf die Zu- kunft gerichteten Vertrages mit sich bringt, durchaus zulässig, und gerade der Zulässigkeit der Bedingung verdankte die Stipulation zum wesentlichen Theil den hohen Grad ihrer Brauchbarkeit. Mittelst ihrer nämlich ward es möglich, indirect alle gedenk- baren Gegenstände, Leistungen u. s. w. in den Bereich der Obligation zu ziehen, der Stipulation die weiteste Ausdehnung zu geben. Die einfache Formel war: versprichst Du die und die Summe, wenn Du dies und das gethan oder nicht gethan hast? Unter dieser letzteren Rubrik ( in conditione positum ) hatte alles und jedes Platz; die einzige Gränze war das Un- erlaubte, sei es der Handlung selbst oder der Tendenz des Ver- trages. In einem Recht, wo alle erlaubten Beredungen klagbar d. h. direct erzwingbar sind, ist der Werth dieser indirecten Er- zwingung um etwas verringert. Allein wo, wie im alten Recht, zwischen dem Klagbaren und dem Unerlaubten die große Menge der zwar erlaubten, aber nicht direct erzwingbaren Leistungen in der Mitte lag, wo, wie ich andern Orts nachzuweisen hoffe, Obligationen auf ein bloßes Thun als solches (d. h. insofern es nicht eine Sache zum Gegenstand hatte, ein Geben war) noch keine Anerkennung gefunden hatten, war der Werth dieses Mittels ein unschätzbarer. Ich führe zunächst nur dies eine Beispiel an, Ueber die Conventionalpön in Anwendung auf präventive Fest- stellung des Interesses s. S. 113. ein weiteres Eingehen auf die praktische Ver- werthung der Bedingung muß ich mir für eine andere Stelle vorbehalten. An der gegenwärtigen, wo es sich im wesentlichen nur um die Form der Stipulation handelt, muß ich überhaupt eine nähere Erörterung ihres sachlichen Wesens ablehnen. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. 3. Analyse des römischen Formenwesens. Der Stoff — die hauptsächlichsten symbolischen Zeichen und Handlungen, vor allem die Hand — das Wort — Abgränzung der Formeln von den Formularen — Arten der Formeln nach Maßgabe ihrer Bestimmtheit — das Requisit des Sprechens; Verbindung desselben mit der Schrift — Theorie der Composi- tion der Formeln: Gebrauch der Verbalformen; juristische Syn- tax; Correspondenz der Form — die Folgen des Formfehlers — Zeit und Ort als Element der Rechtsgeschäfte. XLVII. Unsere Aufgabe führt uns auf ein in einer gewissen Richtung kaum durchforschtes Feld, ein Umstand, der die Aus- beute auf der einen Seite ebensosehr erleichtert, als auf der andern erschwert. Die Richtung, in der die Rechtsgeschichte dasselbe bisher fast ausschließlich untersucht hat, ist eine einsei- tige. Wie die Botanik vor nicht gar langer Zeit die natürlichen Pflanzen, so behandelt sie die Pflanzen, die dies Feld ihr bietet d. h. sie sammelt sie, beschreibt sie und legt sie ins Herbarium, kurz ihre Behandlungsweise trägt im wesentlichen noch den descriptiven Charakter. Daß aber auch hier die Abstrac- tion einen dankbaren Stoff vorfindet, daß wir auch hier auf dem Wege der Analyse allgemeine Resultate gewinnen können, wird, wie ich hoffe, die folgende Darstellung zeigen. Das Allgemeine, was die bisherige Lehre uns bietet, geht über das, was bereits Cicero und Gajus haben, nicht hinaus. Es ist jenes allgemeine Urtheil (S. 468 Note 610) über die Strenge und Peinlichkeit, mit der die ältere Jurisprudenz die Formeln handhabte, erläutert durch die bekannten von Gajus mitgetheilten Beispiele. Ueber einen Versuch aus neuster Zeit, diese Erscheinung aus dem religiösen Gesichtspunkt zu erklären, s. u. Allein selbst diese unzweifelhafte Thatsache ist, so lange man sie nicht in den rechten Zusammen- hang bringt, mehr geeignet, das Urtheil über das ältere Recht irre zu führen, als zu fördern; sie dient weniger dazu, uns mit Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. demselben zu versöhnen, als zu entzweien, sie gibt uns ein Räthsel ohne die Auflösung. Um nun gleich den Punkt anzugeben, in dem meiner Mei- nung nach diese Auflösung und allgemeiner: das Verständniß des ganzen Formenwesens zu suchen ist, so ist dies das mor- phologische Element desselben, aber n ic htin seiner dürren Aeußerlichkeit, sondern in seiner innern Ursächlichkeit . Wir sollen dasselbe nicht hinnehmen als etwas Gegebenes, bei dem man sich beruhigen müsse, bei dem man sich keine Rechen- schaft geben könne, warum das Einzelne gerade so und nicht anders sei, und bei dem dies auch kein höheres Interesse habe. Der Gesichtspunkt vielmehr, unter dem wir es zu erfassen ha- ben, und den ich im Folgenden möglichst durchführen werde, ist der einer bewußten und berechneten juristischen Schöpfung, einer tiefdurchdachten Zeichensprache, kurz eines Kunstpro- ductes des juristischen Geistes. Von dem Scharfsinn, ja ich darf sagen, dem Geist, den die alten Juristen in den scheinbar so unfruchtbaren und dürren Gegenstand hineinzulegen verstan- den, haben wir, denen unser heutiges Recht und unsere heutige Wissenschaft jede Parallele versagt, heutzutage kaum eine Ah- nung. Die Aufgabe und damit auch die Methode unserer heu- tigen Wissenschaft ist eine andere geworden, und mit der Sache selbst ist uns der Sinn und das Verständniß für jenen un- tergegangenen Zweig der juristischen Kunst, die sich im alt- römischen Formenwesen bethätigte, abhanden gekommen. Mich gemahnt dieser Umschwung, dieses völlige Aussterben einer Kunst, die einst im höchsten Flor und Ansehn stand und den ganzen Scharfsinn der Juristen in Bewegung setzte, an so manche Erscheinungen des modernen Culturlebens. Ein recht verwickel- ter Kanon, ein Gedicht nach den Regeln des Meistergesanges brachten einst dem Musiker und Meistersänger nicht mindere Ehre und Anerkennung, als eine fein ersonnene Formel einem altrömischen Juristen. Heutzutage würde man kaum etwas anderes darin finden, als ein nutzloses Spiel des Verstandes. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Allein hüten wir uns, unsern heutigen Maßstab an frühere Zeiten anzulegen und zu verkennen, daß was für uns werthlos sein würde, für sie vollkommen berechtigt gewesen sein kann. Unsere heutige Wissenschaft hat nicht mehr nöthig, ihre Kraft auf Worte und Formeln zu richten, aber nur darum, weil unser Recht selbst eine höhere Stufe beschritten hat. Der römischen Jurisprudenz aber war umgekehrt durch die Stufe, auf der sich das ältere Recht befand, zugleich die Art und Richtung ihrer Thätigkeit vorgezeichnet; daß sie ihren ganzen Scharfsinn und ihre ganze Kraft an ein scheinbar so untergeordnetes Object verwandte, als das Formelwesen, war nicht Sache ihrer freien Wahl , sondern der geschichtlichen Nothwendigkeit. Der Stoff, aus dem das ältere Recht die formellen Ge- schäfte gebildet hat, sind Handlungen, Zeichen und Worte. Unter ihnen nehmen letztere die erste Stelle ein. Zunächst rück- sichtlich der ihnen zu Theil gewordenen juristischen Durchbil- dung. Sodann aber sind sie und nur sie das absolut unent- behrliche Element eines jeden Rechtsgeschäfts; es gab Rechts- geschäfte z. B. die Stipulation, bei denen das bloße Wort , keins, bei dem die bloße Handlung genügte. Man könnte darauf hin versucht sein, sich das Verhältniß zwischen dem Wort, der Formel auf der einen und dem Zeichen, der Hand- lung auf der andern Seite so zu denken, als ruhe der eigentliche Nachdruck des Geschäfts überall auf dem ersteren Element, und als sei letzteres nur eine ziemlich unwesentliche decorative Zu- that, eine bloße Begleiterin des Worts gewesen, gleich wie es im gewöhnlichen Leben die Hand von der Zunge ist: — wenn der sinnlich natürliche Mensch spricht , so pflegt er seine Worte pantomimisch, namentlich mit der Hand zu unterstützen. Allein so wenig ich die Zulässigkeit dieser Auffassung für die meisten Rechtsgeschäfte bestreiten will, so hat sie doch keinen Anspruch auf ausschließliche Geltung. So wie die Hand die Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Zunge, so pflegt umgekehrt auch letztere jene zu secundiren, m. a. W. der Nachdruck kann auch auf dem Handeln ruhen und die Rede nur den Zweck haben, dasselbe zu erläutern, oder zu constatiren. Es ist eine beachtenswerthe Eigenthümlichkeit des älteren Rechts, namentlich aber des Processes, alle relevanten Thatsachen, wenn ich nach Analogie des Ausdrucks: actenkun- dig so sagen darf, ohrenkundig zu machen. Es genügt z. B. zum Anfang der Verhandlungen nicht, daß die Partheien da sind, sie müssen erst citirt werden. Ebenso die Richter bei dem Verfahren der Quästiones perpetuä. Haben die Partheien gesprochen, so erfolgt mündlicher Actenschluß durch das Wort des Gerichtsdieners: dixerunt, auch die Zeit und das Ende der Sitzung muß durch Ausruf desselben constatirt werden, ähn- lich wie bei Abhaltung der Auspicien das „Silentium“ durch Meldung des Augur an den Magistrat. Das Material zu dem obigen s. bei Pseudo Ascon. in Verrem I, §. 55 (Orelli II, 152) II, §. 1 (Orelli II, 156). Cic. de divin. II, 34. Briss. de voc. ac form. I, c. 219. V, 213. Aus Gründen der Darstellung behandle ich das wichtigere Element an zweiter Stelle und beginne mit den 1. Zeichen und Handlungen . Ich habe in §. 45 drei Arten derselben unterschieden: sym- bolische, repräsentative und residuäre, und für die beiden letzten dort bereits die meisten Beispiele aufgeführt, die das ältere Recht uns darbietet. Es verbleibt uns hier noch die erste Classe, und für sie liefert das ältere Recht und Leben eine reiche Ausbeute. Die gründliche und gelehrte Schrift von Ever. Otto: de Juris- prudentia symbolica exercitationum trias. Traj. ad Rhen. 1730 behan- delt nur einzelne Seiten des Gegenstandes und schließt selbst rücksichtlich ihrer manche Nachträge nicht aus. Mit Rücksicht auf sie habe ich im Folgen- den es mir regelmäßig erspart, die Belegstellen anzuführen. Die Fasces mit den Beilen in den Händen der Lictoren Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. erinnern das Volk an das den Consuln zustehende Recht über Leben und Tod, das Schwert in den Händen des Judex quä- stionis der spätern Zeit enthält für den Angeklagten die Mah- nung, daß über seinem Haupte das Schwert schwebe. Der Speer gilt im Privatrecht als Zeichen der kriegerischen Erbeu- tung und folgeweise des ächten Eigenthums, worüber bereits bei einer frühern Gelegenheit (Bd. 1 S. 110) das Nöthige gesagt ist. Das dort über die hasta caelibaris Gesagte habe ich nach den Untersuchungen von Roßbach über die röm. Ehe S. 289 fl. bereits S. 538 berichtigt. Im Völkerrecht verkündet er, indem er über die feindliche Gränze geworfen wird, den Krieg. Der Siegel- ring ist das Mittel der Beglaubigung und daher das Zeichen der Glaubwürdigkeit und das Vorrecht des freien Mannes. Die goldenen Ringe als Anzeichen des Ritterstandes, be- ziehungsweise der freien Geburt stammen erst aus späterer Zeit, die ältere kannte nur eiserne. Macrob. Sat. VII, 13: Veteres non ornatus, sed signandi causa anulum secum circumferebant, unde nec plus habere quam unum licebat nec cuique nisi libero, quos solos fides deceret. Plinius H. N. XXXIII, c. 5. Otto p. 204. Der Huth ( pileus ) ist das Zeichen der erlangten oder wiedererlangten Freiheit. Wo- her dies? Man hat es mit der bei dieser Gelegenheit Statt fin- denden Sitte des Haarschneidens in Verbindung gebracht; der Huth habe zur Bedeckung des nackten Kopfes dienen sollen. Otto p. 172. Ueber den Fall der wieder erlangten Freiheit oder der Rückkehr des Römers aus feindlicher Gefangenschaft, dessen Otto nicht gedenkt, s. Liv. XXX, 45. XXXIV, 52. Val. Max. V, 2, §. 5, 6 u. a. Der Huth kam auch auf dem Kopf von zum Verkauf ausgebotenen Sklaven vor zum Zeichen, daß der Verkäufer für sie keine Garantie über- nehme (servi pileati) Gell. VII, 4 — soll er bedeuten, daß der Sklave die Bedeckung nöthig habe, weil man ihm nicht auf den Kopf sehen dürfe? Bei dem Verkauf der Sklaven kamen überhaupt manche Zeichen vor, so z. B. der Kranz auf dem Kopf der Kriegsgefangenen ( sub corona venire ). Woher der Kranz? Gellius VII, 4 deutet eine Erklärung an, die viel Wahrschein- liches hat, obschon er selbst sie verwirft, nämlich corona bezog sich ursprüng- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Der Sitte des Haarscheerens liegt wohl der Gedanke zu Grunde, daß der Freigewordene damit Alles, was ihm aus der Zeit der Gefangenschaft anklebt, gründlich abthue. Bänder drücken die friedliche Stimmung aus — offenbar als Zeichen des fest- lichen Schmuckes Roßbach a. a. O. S. 288: „Die Pontifices, die Ambarval- brüder, die Flamines schmücken sich damit, Opferthieren werden sie um den Kopf gehängt, Schutzsuchende tragen sie auf dem Haupt und an ihren Stä- ben, sie hängen an den Altären und Pforten der Tempel, auch die Thüren der Privathäuser werden bei feierlichen Gelegenheiten damit geschmückt.“ — das heilige Kraut ( sagmina ) in den Händen der Gesandten die Unantastbarkeit. Feuer und Wasser sind die Symbole der religiösen Gemeinschaft (B. 1 S. 275), das Brod das der häuslichen, daher die Anwen- dung beider bei Eingehung der confarreirten Ehe. Das Haus des Mannes ist der natürliche Aufenthaltsort der Frau, und darum bedarf es bei Eingehung der Ehe der feierlichen Einfüh- rung der Neuvermählten in das Haus des Mannes ( deductio in domum ); durch Abwesenheit vom Hause während dreier Nächte unterbricht sie die Ersitzung der Manus. Die Uebergabe der Schlüssel an sie bedeutet die Abtretung, die Rückforderung derselben die Entziehung ihres häuslichen Regiments d. h. die Ehescheidung. Das Tragen einer leeren Schüssel ( lanx ) soll bei der Haussuchung nach gestohlenen Sachen das Suchen ausdrücken; um den Suchenden zu verhindern, die Sache heimlich mit einzubringen, darf er mit nichts bekleidet sein, als einem Schurzfell ( linteum ). Das Abbrechen eines Zweiges gilt als Besitzesstörung zum Zweck der Unterbrechung der Usu- capion, Cicero de orat. III, 28: ut ex jure civili surculo defringendo usurpare videatur. das Werfen eines Steines als Zeichen der Ein- lich auf die corona militum, ward aber später als Kranz verstanden — ein Seitenstück zu den vielen etymologischen Mythen des römischen Alterthums, Schwegler Röm. Geschichte Bd. I S. 70. Sklaven, die übers Meer nach Rom gebracht waren, wurden bei ihrer Ausstellung zum Verkauf an den Füßen mit Gyps bezeichnet, Brisson. VI c. 10. Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 38 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. sprache gegen Neubauten. Die Kriegsgefangenen werden zum Zeichen ihrer Dienstbarkeit unter das Joch durchgetrieben. Missio sub jugum. Aehnlich das sororium tigillum, unter das Horatius hindurch mußte. Liv. I, 26. Der Pflug ist das natürliche Symbol des seßhaften Lebens, und darum wird der Raum der neu zu gründenden Stadt mit dem Pfluge abgemarkt, an den Stellen aber, wo die Thore stehen sollen, der Pflug gehoben, um damit anzudeuten, daß hier der Ausgang frei sei. Der Stuhl ( sella ) bildet das Vor- recht des Magistrats; er darf sitzen, die Partheien müssen ste- hen, die Zuschauer sich mit Bänken ( subsellia ) begnügen. Der Todtschläger stellt an seiner Statt zur Abwendung der Blutrache einen Sündenbock (B. 1 S. 172), Mohn - und Knob- lauchköpfe vertreten die ursprünglichen Menschenopfer, Bin- senmänner , welche alljährlich in die Tiber gestürzt werden, sollen dem Flußgott die menschlichen Leiber ersetzen, die er als seinen Tribut fordert. Eine andere Deutung gibt Macrob. Sat. I, 11 a. E. Eine Maske ( persona ) deutet an, daß der Erbe die Person des Erblassers repräsentirt. Macrob. ibid. II, 7: heredis fletus sub persona risus est. Vor allem hat aber der menschliche Körper der Symbolik dienen müssen. Die Symbolik des menschlichen Körpers bildet den Hauptgegen- stand des Werkes von Otto; es findet sich in diesem Abschnitt freilich manches Problematische. Der Kopf gilt als Träger der Rechts- fähigkeit und Persönlichkeit und hat für letztere den Namen hergeben müssen ( caput, capitis deminutio ). Was die ganze Person ergreift, wird daher symbolisch durch Berühren des Kopfes ausgedrückt. So erfolgt diese Berührung z. B. bei der Inauguration des Königs und bei der Freilassung. Liv. I, 18 .. si est fas hunc Numam Pompilium, cujusego caput teneo , regem Romae esse. Man wird an das alttestamentliche Salben der Könige erinnert. Ebenso beim pater patratus. Liv. I, 24. Die Stirn ist der Sitz der Schaam, die Braut verhüllt sie, dem Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Calumnianten wird auf sie das Brandmal eingebrannt. Otto p. 132 sq. Das Ohr ist der Sitz des Gedächtnisses, und darum zupfte man es dem Zeugen, um sein Erinnerungsvermögen anzu- regen. Otto p. 141, 142. Die hervorragendste Stellung nimmt aber die Hand ein, sie folgt unmittelbar auf das Organ, das bei jedem Rechts- geschäft in Thätigkeit treten muß, die Zunge, und steht mit ihr, wie oben bemerkt, in engster Verbindung. Ist es die Zunge, die den Entschluß verkündet, so ist es die Hand, welche ihn aus- führt; sie ist recht eigentlich das Organ des Willens und vom Standpunkt der natürlich-sinnlichen Auffassung ist „ Hand- eln“ und die „Hand rühren“ gleichbedeutend. Es ist hier nicht meine Absicht, auf die unendlich reiche allen Völkern gemein- same Zeichensprache der Hand weiter einzugehen; gibt es doch kaum eine Gemüthsbewegung, die die Hand nicht in ausdrucks- voller Weise zu sekundiren verstände, kaum einen solennen Act aus der Kindheitszeit der Völker, bei dem die Hand nicht eine Rolle spielte. Die dem Feinde dargebotene Hand gilt ihm als Zeichen der Versöhnung, Handschlag als Unterpfand der Treue bei Versprechungen, Auch in Rom, s. Danz der sacrale Schutz S. 140. Daher fidem und dextram dare gleichbedeutend. Die Zurückführung des Mandats auf diese Sitte bei Isidor Orig. V, 24, 20 (man-dare) ist eines von den vielen etymologischen Märchen, an denen dies Kapitel von Isidor so reich ist (s. z. B. oben Note 747). das Schließen der beiden Hände muß die Wehrlosigkeit und Ergebung, die Vereinigung der Hände der beiden Gatten bei der Hochzeit Roßbach a. a. O. S. 308. Ebenso bei Abschluß eines Friedens. ihre Vereinigung aus- drücken, bei der Anrufung der Götter strecken sich die Hände gen Himmel, Brisson. de voc. ac form. I c. 62. Beim Votum I c. 179. Bei dem Opfer vorheriges Waschen der Hände als Zeichen der Reinheit. I c. 5. bei der Devotio gegen die Brust oder das 38* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Kinn, Je nach Umständen. Vergleiche Liv. VIII, 9 mit Macrob. Sat. III, 9. bei einer an die Menge gerichteten Aufforderung dient das Erheben der Hand oder des Fingers als Ausdruck der Bereitwilligkeit. So in Rom namentlich bei öffentlichen Licitationen von Seiten des Steigerers, der daher man -ceps hieß. Brisson. de voc. ac form. IV c. 85. Aber auch bei andern Gelegenheiten. S. z. B. Liv. III, 46 … quum instaret .. ut sponsores daret … manus tollere undique multitudo et se quisque paratum ad spondendum ostendere. Die für das Privatrecht bei weitem wichtigste Function der Hand besteht in dem Greifen und Ergreifen , und rücksichtlich ihrer fließen der symbolische und praktisch-realisti- sche Gesichtspunkt fast unmerklich in einander über. Das Er- greifen der Sache bei der Mancipation oder des Schuldners bei der Personalexecution verstattet ebensowohl die Deutung eines ernstlich gemeinten Actes zum Zweck der physischen Be- mächtigung der Person oder Sache, als die eines symbolischen Actes zum Zweck der Kundgebung der rechtlichen Herrschaft, die hier an der Sache erworben, an der Person geltend gemacht werden soll. Ja es bietet sich noch eine andere Deutung dar, nämlich die rein deiktische: der Gegenstand wird ergriffen, um dadurch aufs unzweideutigste darzuthun, daß er es ist, den man im Sinn hat, und für einzelne Fälle ist diese Annahme völlig unabweisbar, so z. B. für die Testamentserrichtung, wenn der Testator die Worte spricht: haec uti in his tabulis cerisve scripta sunt u. s. w. und dabei das Testament in der Hand hält. Gaj. II, 104. Das Greifen als solenne Handlung begegnet uns auch außerhalb des Rechts, namentlich bei gewissen religiösen Ac- ten. Bei Einweihung des Tempels muß der Magistrat oder der Pontifex maximus, Daß beide die Pfoste gehalten, wie Marquardt in Becker Handb. der röm. Alterth. IV S. 226 annimmt, beruht auf Mißverständniß und wäre der den Act vollzieht, indem er die Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. solennen Dedicationsworte spricht, die Pfosten des Tempels ergreifen. Liv. II, 8. Cic. pro domo 46, 47. Val. Max. V, 10 §. 1. Serv. ad Georg. III, 16. Daher die Wendung dedicare, consecrare manu Cic. de leg. II, 2, pro domo 40, u. a. Bei der Anrufung der Mutter Erde in der De- votionsformel wird die Erde erfaßt, Bei Macrob. Sat. III, 9. Ebenso beim Votum an die Ops I, 10 und bei den religiösen Spielen. Cic. de harusp. resp. 11: si puer ille patrimus et matrimus terram non tenuit. bei dem Eide und dem das Opfer begleitenden Gebet der Altar. Ueber den Eid s. die Belege bei Briss. a. a. O. VIII, c. 10 und Danz der sacrale Schutz S. 45, 113; über das Opfer bei Briss. I c. 63 namentlich Macr. Saturn. III, 2 … quod litare sola non possit oratio , nisi is qui deos precatur etiam aram manibus apprehendat. Warum? Der Altar ist nicht der Gegenstand, den der Eid oder das Gebet be- trifft, die deiktische Deutung des Greifens ist hier also völlig ausgeschlossen. Ich meine, es ist dieselbe Idee, die dem Hand- auflegen bei Ertheilung des Segens zu Grunde liegt. Bei dem letzten Act soll die Hand gewissermaßen den Leiter abgeben, durch den der Segen auf das Haupt des Empfängers hinüber- strömt, der spirituelle Rapport, die rein geistige Einwirkung wird durch das Verhältniß der physischen Berührung nicht bloß symbolisch angedeutet , sondern für die sinnliche Auf- fassung dadurch überall erst ermöglicht , ähnlich wie zur Fortpflanzung des elektrischen Stroms eine Berührung nöthig ist. Deutet Macrobius mit den gesperrten Worten der vorigen Note Läßt sich nun diese Tendenz der substantiellen Substruction spiritueller Einwirkungen und Beziehungen in diesen und an- dern Fällen nachweisen, so werden wir schwerlich fehl greifen, wenn wir ihr auch für das Recht eine gewisse Geltung vindici- ren. Die abstracte Erfassung des Willens als einer spiritualisti- eine Monstrosität gewesen, es hätten denn Beide zugleich dediciren müssen, was wiederum nicht möglich. Der Pontifex ward da, wo er nicht selbst dedi- cirte, dadurch nicht dedicirendes Subject, daß er dem dedicirenden Magistrat die Formel vorsprach . Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. schen Potenz d. h. als einer Macht, die durch das bloße Aus- sprechen, Verkündigen des Entschlusses ihre schöpferische Kraft bethätigt, ist der natürlich sinnlichen Periode zu hoch, der Zug des Materialistischen, der allen ihren Begriffen und An- schauungen eigen ist (§. 43), verläugnet sich auch in ihrem Wil- lensbegriff nicht. Die innere Beziehung, in die der Wille zu einem Gegenstand treten will, muß die äußere , die recht- liche Ergreifung die physische zu ihrem Substrat haben, der Wille muß, so zu sagen, substantiell in die Sache hinüberströ- men, um sie mit seiner Macht und Kraft zu erfüllen. Das Or- gan aber, in dem diese Macht und Kraft zur Verwendung nach außen hin bereit liegt, ist die Hand. Denn die Hand ist der eigentliche Sitz der activen physischen Kraft. So wird also die Hand das Werkzeug , das Symbol und der Ausdruck ( Manus ) der rechtlichen Herrschaft. Die relativ niedere Natur der factischen Herrschaft des Besitzes gegenüber der rechtlichen des Eigenthums drückt die Sprache dadurch aus, daß sie jenes Verhältniß als bloßen Zustand des Seins auf und in der Sache (Sitzen: Besitzen, sedere: possidere ) erfaßt, es liegt darin die geringere Anspannung der Kraft und des Willensvermögens deutlich ausgesprochen. Sie wird das Werkzeug . Wo die rechtliche Herrschaft begründet werden soll, muß die Hand das Object derselben er- greifen. So zunächst bei der Mancipation. Zur Zeit des Gajus war dies bei unbeweglichen Sachen nicht mehr erforderlich, al- lein die Art und Weise, wie er sich ausdrückt, läßt deutlich er- kennen, daß er darin eine Abweichung von dem ursprünglichen Wesen der Mancipation erblickt, die sich auf nichts anders stütze, als daß es einmal so gehalten werde ( solent mancipari ). Gaj. I, 121 … item animalia, quae mancipi sunt, nisi in praesentia sint, mancipari non possunt, adeo quidem ut eum qui man- cipio accipit, adprehendere id ipsum quod ei mancipio datur necesse nicht auf diese Idee hin, daß das bloße Wort zu wenig substantiell sei, um zu genügen? — Beruhte auf dieser Vorstellung auch die Sitte (die Stellen bei Briss. I, c. 49) die Geschenke an die Götter an die Pfosten der Tempel aufzuhängen? Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Auch ohne diese Andeutung von seiner Seite würde uns der Zu- sammenhang des ältern Rechts zu dieser Annahme drängen (s. u.). Ebenso verhält es sich mit der Abtretung vor Gericht. Für sie ergibt sich dies Erforderniß daraus, daß es bei der Vindication, deren Nachbildung sie ist, nöthig war. So ferner: bei der Er- greifung der zum Vestadienst bestimmten Jungfrau von Seiten des Pontifex Maximus (B. 1 S. 110) — worin sich unsere Idee wohl am hellsten abspiegelt — und auch bei dem Raub der Braut von Seiten des Bräutigams bei der Hochzeit. Roßbach a. a. O. S. 328. Rücksichtlich der Tradition bedarf es keiner Bemerkung. Da- gegen ist das Volk , wenn es Eigenthum erwirbt oder gewährt, an dieses Requisit nicht gebunden (Abs. IV ), denn der Wille des Volks besitzt, auch ohne daß er sich reel bethätigt, die nö- thige Macht und Kraft in sich, das beabsichtigte Verhältniß ins Leben zu rufen. Daher geht z. B. durch Addiction, Assignation und auch, weil es sich ursprünglich auf eine lex des Volks stützte, durch das Testament (Erbschaft und Legat) das Eigen- thum ohne äußere Bemächtigung der Sache über. Daß es bei Obligationen der Thätigkeit der Hand nicht bedarf, hat darin seinen Grund, daß es sich bei ihnen weder um eine Herrschaft an einer Person, noch an einer Sache handelt; das substantielle Element des Willens liegt hier in etwas anderem. S. die Theorie des subj. Willens. Kömmt es jedoch zur Personalexekution, durch welche sich der Anspruch gegen oder an die Person in ein Recht an der Person verwan- delt, so ist hier consequenter Weise wiederum die Hand erfor- derlich ( manus injectio ). Ebenso erscheint sie wiederum in dem manum conserere des Vindicationsprocesses. Der Vindicant und nach ihm in derselben Weise der Contravindicant ergreift mit der einen Hand die Sache, mit der andern die Vindicta und berührt mit ihr die Sache, indem er dabei die solennen Worte sit, unde etiam mancipatio dicitur , quia manu res capitur, praedia vero absentia solent mancipari. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. spricht. Gaj. IV, 16. Bei beweglichen Sachen geschieht dies an der Ge- richtsstätte, bei unbeweglichen verfügten sich ursprünglich die Partheien mit dem Gerichtspersonal (Prätor und Lictoren) und Zeugen ( superstites ) an Ort und Stelle, und der Act ward insofern vor Gericht ( in jure im Sinne der XII Tafeln So stellte Gell. XX, 10 wenigstens die Sache dar. ) vorgenommen. Späterhin gingen die Partheien ohne den Prätor hinaus, der Act ward also ein außergerichtlicher , wie dies durch die Aufforderungsformel: ex jure (vom Gericht weg) manum consertum vocare Cic. pro Mur. c. 12. Ich komme auf die Formel später zurück. angedeutet wird, ja schließ- lich ersparten sie sich diesen das Verfahren unterbrechenden Gang dadurch, daß sie von vornherein die das Grundstück repräsenti- rende Scholle (S. 540) mitbrachten, zu der sie dann als zum Grundstück selbst (wenn auch mit zwei Schritten) sich hin- ausverfügten d. h. der Act blieb juristisch ein außer- gerichtlicher . Keller Der röm. Civilproceß §. 14 construirt den Vorgang etwas anders, indem er den Bericht von Cicero und Gajus in einer Weise combi- nirt, die ihm selbst nicht ganz unbedenklich erscheint. Ex jure vocare kann aber nur den Sinn haben: zu einem Act aufzufordern, der nicht in jure vorgenommen werden soll, dieser Act aber wird bezeichnet nicht als Holen der Scholle — die muß bereits da sein — sondern als „manum conserere“. Dasselbe geschieht also extra jus, möge es an dem Grundstück selbst oder an der dasselbe repräsentirenden Scholle vorgenommen werden, und eben diese Abweichung von dem: in jure manum conserere der XII Tafeln ( Gell: contra XII tabulas ) wird durch jenes: ex jure … vocare in solenner Weise kundgegeben. Nach der Kellerschen Auffassung würden die Partheien im Widerspruch mit dieser Formel das manum conserere in jure vornehmen und (vermöge der Scholle) ein Grundstück vor Gericht bringen, extra jus hingegen das nicht thun , zu dem sie sich durch die obige Formel auffor- dern: das manum conserere, und wiederum zu dem, was sie thun: zu dem Holen der Scholle, sich nicht auffordern . Mit der Rückkehr vor Ge- richt ist meiner Ansicht nach der Act des manum conserere beendet, nach Keller (und ebenso Puchta Instit. II §. 162 zu Note o im Texte) beginnt er erst jetzt. Diese effective Aufgabe des Requisits Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. der Präsenz bei der Vindication unbeweglicher Sachen schloß mit Nothwendigkeit auch die Aufgabe desselben für die Eigenthumsübertragung an ihnen in sich. Denn was für die Vindication, war eben damit auch für die Abtretung vor Gericht zugelassen. Das Holen der Scholle konnte für beide Verhältnisse keine Schwierigkeiten machen. Wenn die Partheien einig waren, die Scholle, anstatt von dem vielleicht einige Tagereisen weit entfernten Grundstück, vom ersten besten zu nehmen, wer hatte ein Interesse oder ein Recht es ihnen zu wehren, oder sollte etwa der Prätor den Beweis auferlegen, daß die Scholle wirklich von jenem Grundstück stamme? Kurz in Wirklichkeit war sowohl für die Vindication als die Abtre- tung vor Gericht die Nothwendigkeit sich auf das Grundstück zu begeben erlassen. Damit hatte letztere aber einen bedeutenden Vorsprung vor der Mancipation erlangt, und sollte diese bei unbeweglichen Sachen nicht aus dem praktischen Gebrauch ver- schwinden, so mußte man sich bei ihr zu derselben Concession verstehen. Der Uebergang ward hier vielleicht in derselben Weise wie dort durch Repräsentation des Grundstücks vermittelt, bis man letztere in allen Anwendungen aufgab. Das manum conserere bei der Vindication läßt sich unter einen doppelten Gesichtspunkt bringen. Einmal nämlich unter den, daß die Hand, wie sie Recht schaffe , so auch dem In- haber desselben dazu dienen solle, sich Recht zu verschaf- fen , und für diese Deutung spricht theils die Bezeichnung des Acts als vindicatio ( vim dicere B. 1 S. 153) theils die manus injectio bei der Personalexekution. Sodann aber kann die Hand in jener Anwendung auch eine bloße symbolische Darstellung des in Anspruch genommenen Rechts sein, die Kundgebung, daß es sich hier um eine in der Herrschaft ( ma- nus ) der Parthei befindliche Sache handle. Das manum con- serere würde hiernach nichts anders sein, als ein beiderseitiges manum (dominium, potestatem sibi) asserere, eine plastische Behauptung des Eigenthums, und vermittelst dieser Auffassung Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. würden wir in diesem Act einen Ausfluß des unten mitgetheil- ten Gesetzes der Correspondenz der Form erhalten: eine Repe- tition der Hand bei der Begründung und Geltendmachung des Rechts. Man möchte noch einen Anwendungsfall der Hand ver- missen. Bedarf es nicht eines Entlassens aus der Hand von Seiten dessen, der das Eigenthum überträgt oder aufgibt? Hier greift die bereits früher (B. 1 S. 107) erörterte Auffassung des alten Rechts über den Charakter der Eigenthumsübertragung ein. Der Nachdruck ruht bei letzterer auf dem Nehmen , nicht auf dem Geben , eine active Thätigkeit wird nur von Seiten des Erwerbers verlangt, für den Geber genügt ein passives Verhalten: das Dulden des Nehmens. Nur in einem Fall bedarf es, eben weil kein Nehmer auf der andern Seite gegen- über steht, als Zeichen der Aufgabe des Rechts eines Loslassens aus der Hand ( e manu mittere ) nämlich bei der Manumissio. Indem der Herr des Sklaven die solenne Formel spricht, muß er die Hand an ihm halten zum Zeichen, daß er noch ihm ge- höre, nachdem er sie gesprochen, läßt er die Hand los zum Zei- chen, daß er jetzt seine Macht aufgegeben habe. Fest: Manumitti … caput aut aliud membrum tenens dicebat .... et emittebat. Wie bei der Vindication (und ursprünglich sicher auch der Abtretung vor Gericht) kehrt auch hier die Auflegung der Vin- dicta wieder. Ueber die symbolische Bedeutung des Schlages, den der Sklav erhält (Unterholzner in der Zeitsch. für geschichtl. Rechtsw. B. 2 Abh. V Anm. 20, 25, 29) kann man verschiedener Ansicht sein. Das Herumdrehen des Freizulassenden — ein Act, der auch bei der Emancipation vorkam, s. z. B. L. 6 Cod. de emanc. lib. (8. 49): circumductiones — ist bereits früher (S. 535) von mir zu erklären versucht. Uebrigens will ich nicht ver- schweigen, daß derselbe Act sich auch in einer Anwendung wiederholt, in der eine andere Deutung nothwendig wird, nämlich bei der Anbetung der Gott- heit, s. die Stellen bei Brissonius I c. 58. Dieser letzte Act liefert uns zugleich einen Beleg für die obige Behauptung, daß die Hand nicht bloß ein Mittel zur Be- gründung der rechtlichen Herrschaft, sondern ein Symbol Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. der letzteren selbst sei. Daß sie für letztere auch den Namen hat hergeben müssen, ist bereits früher (B. 1 S. 112) bemerkt, und beschränke ich mich hier auf eine Zusammenstellung sämmt- licher Ausdrücke: res mancipi, mancipatio (Eigenthum), eman- cipatio (väterliche Gewalt), manumissio, mancipium (Sklaverei und Mancipium), Manus (im engern, später technischen Sinn eheherrliche Gewalt), mandare (Voll macht geben), manubiae (Erlös der Beute). 2. Das Wort . Das so eben erörterte Element der formellen Geschäfte steht, wie bereits bemerkt, hinter dem gegenwärtigen weit zurück. Wir können das historische Verhältniß beider im allgemeinen dahin angeben, daß jenes seinen Ursprung und seine Gestaltung mehr dem Leben und der Sitte , dieses den seinigen mehr der Ju- risprudenz verdankte. Darin liegt eine doppelte Differenz beider. Zuerst die ihrer juristisch-künstlerischen Gestaltung und Durchbildung — das Formelwesen ist der Culminations- punkt der juristischen Kunst, jedes Wort fast verräth die Hand des Juristen. Und sodann die Differenz ihrer juristischen Gel- tung . Viele der oben mitgetheilten Handlungen und Gebräuche waren rechtlich keineswegs nothwendig, sondern ein decorativer Zusatz, den der Verkehr aus freiem Antriebe den Rechtsgeschäf- ten hinzufügte. Die Worte und Formeln hingegen, die wir im Folgenden kennen lernen werden, waren absolut obligater Na- tur; der Nichtgebrauch derselben machte das ganze Geschäft nichtig . Es ist oben (S. 468) der hervorragenden Rolle gedacht, die das Wort im alten Recht spielt, und von den zwei Richtungen, nach denen sich dieselbe erstreckt (S. 469), die eine: das Requisit des bestimmten directen wörtlichen Ausdrucks des concreten Ge- schäftsinhalts, an jener Stelle erörtert worden. Wir wenden uns hier der zweiten zu: dem Requisit des Gebrauchs gewisser ein für alle Mal bestimmter d. i. solenner Worte. Daß beide Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Seiten, so streng sie andererseits unterschieden werden müssen, doch im engen Verbande mit einander stehen, ist dort bereits be- merkt, und wir wollen uns davon jetzt überzeugen an einer Er- scheinung, die gewissermaßen die Brücke zwischen beiden bildet. Es ist dies der im ältern römischen Leben so ungemein häu- fige Gebrauch der Formulare . Das Formular ist nicht zu verwechseln mit der Formel . Die Benutzung der letzteren be- ruht auf rechtlicher Nothwendigkeit , die der erstern auf freier Wahl , jene ist die ausschließliche Form, in der ein bestimmtes Geschäft bei Strafe der Nichtigkeit abgeschlossen wer- den muß , diese ein Entwurf zur geschickten und umsichtigen Abschließung desselben, dessen Werth theils in der genauen Be- rücksichtigung aller bei demselben zu beachtenden materiellen Punkte und Umstände, theils in der vorsichtigen und als ange- messen erprobten formellen Redaction desselben gelegen ist. Das Formular gewährt uns daher ein treues Bild des Geschäfts selbst nach seinem ganzen Umfang und Inhalt, während die Formel regelmäßig abstracterer Art ist, eine Einleitungs- oder Schlußwendung oder eine concentrirte Angabe der wesentlichen Punkte, zu der dann die concretere Ausfüllung erst hinzukom- men muß. Der Gebrauch der Formulare für Rechtsgeschäfte empfiehlt sich in dem Maße durch Rücksichten der Bequemlichkeit und Zweckmäßigkeit, daß wir ihn wenn auch in sehr verschiedenem Grade zu allen Zeiten und in allen Rechten antreffen. Ueber- hebt das Formular einerseits die Contrahenten der Mühe der eignen Abfassung und bietet es ihnen dafür eine Fassung, die, in der Regel von kundiger Hand entworfen, im Leben bereits ihre Probe bestanden hat, so sichert es ihnen andererseits den Vortheil, sie auf alle bei dem Geschäft in Obacht zu nehmen- den Punkte aufmerksam zu machen, es leistet ihnen in der That den Dienst, dem manche Sammlungen derselben ihren Namen entlehnt haben, den „eines getreuen und fürsichtigen Rathgebers.“ Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Zu diesen für alle Zeiten Anwendung findenden Gründen gesellen sich nun für gewisse Culturstufen der Völker und Rechte noch andere hinzu, die dieser Einrichtung für sie eine erhöhte Brauchbarkeit und Geltung verschaffen. In einer Zeit, wo die Schreibkunde und die Herrschaft über die Sprache keine allge- meine Verbreitung erlangt hat, wird Jeder, der derselben erman- gelt, bei allen einigermaßen wichtigen und complicirten Ge- schäften fast mit Nothwendigkeit zum Gebrauch des Formulars getrieben. Andererseits sind jene Stufen, die wir hier im Auge haben, zugleich die, auf denen das Recht und namentlich das s. g. dispositive (besser vielleicht: suppletorische) Recht am we- nigsten entwickelt ist. Unser heutiges Recht ergänzt in vielfacher Weise den ausgesprochenen Willen der Partheien, vorzugsweise bei Verträgen; eine Menge von Punkten brauchen nicht aus- bedungen zu werden, das Gesetz supplirt sie als präsumtiven Willen der Parthei (s. g. naturalia negotii ), so z. B. beim Kauf den Anspruch des Verkäufers auf die Zinsen des Kauf- preises nach Lieferung der Sache, so im späteren römischen Recht das Recht des Pfandverkaufs, das früher durch ein ausdrück- liches pactum de vendendo hatte ausbedungen werden müssen, ja in einigen Fällen das Pfandrecht selbst ( pignus tacitum ). Bei einer solchen Gestalt des Rechts können sich die Partheien, ohne in den meisten Fällen sonderlich Gefahr zu laufen, auf die Hauptpunkte des Geschäfts beschränken; das Gesetz, die Juris- prudenz thut ein übriges. Anders aber auf der von uns suppo- nirten Stufe der Entwicklung des Rechts. Hier fehlt jene Er- gänzung, und was gelten soll, muß von den Partheien selbst gesetzt sein, die „lex contractus“ muß um so vollständiger sein, als die lex publica lückenhaft ist (S. 313). Eine Menge von Bestimmungen, die in späterer Zeit die letztere Form angenom- men haben, mußten sich Jahrhunderte lang mit der ersteren be- gnügen. Im dritten System werde ich diesen Uebergang conventioneller Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Für das alte Rom speciell kam schließlich noch ein fernerer Grund hinzu. Er lag in der formalistischen Strenge des ältern Rechts und Processes. Was half es, wenn ein Vertrag oder ein Testament in materieller Beziehung auch noch so vollständig abgefaßt, daneben aber ein Ausdruck gebraucht war, an dem die stricte Wortinterpretation der ältern Zeit Anstoß nahm? Die Ersichtlichkeit und völlige Zweifellosigkeit des wirklichen Willens glich den Mißgriff in den Worten nicht aus. Hier also kam es vor allem darauf an, sich auch rücksichtlich des Ausdrucks sicher zu stellen, und welche größere Sicherheit ließ sich denken, als die Wahl einer Fassung, die bereits in andern Fällen mit Er- folg zur Anwendung gekommen war, die das gefährliche Fahr- wasser des ältern Processes bisher glücklich durchschifft und so zu sagen die exegetische Feuer- und Wasserprobe unversehrt be- standen hatte? Kein Wunder also, daß jene Einrichtung im ältern Rom eine Verbreitung und Geltung fand, für die uns die Gegen- wart jeden Vergleich versagt. Zeugniß dafür legt ab zunächst die hohe Schätzung, ja die literarhistorische Celebrität, deren sich die Concipienten und Sammler der Formulare erfreuten. Ein neues, geschickt abgefaßtes Formular brachte seinem Urheber mehr Ehre, Anerkennung, Ruhm beim Volke, als heutigen Ta- ges die beste juristische Leistung je in Aussicht hat, und im Na- men des Formulars selbst verherrlichte die dankbare Nachwelt noch lange das Gedächtniß des Erfinders. Welcher Jurist kennt nicht die stipulatio Aquiliana von Aquitius Gallus (zur Zeit Cicero’s)? Von seinen Schriften ist uns nichts erhalten, aber jene stipulatio, die postumi Aquiliani und die formulae (actio) doli mali haben seinen Namen auf die Nachwelt gebracht. Ein anderes Beispiel gewährt die cautio Muciana seines Lehrers O. Mucius Scävola. Die Sache erinnert an eine ähnliche Erscheinung auf dem Gebiete der Medicin. Neben Selbst die bloßen Bestimmungen in gesetzliche an verschiedenen Beispielen erläutern; es ist eine der beachtenswerthesten Erscheinungen in der Bildungsgeschichte des spätern Rechts, manchen Rechtssatz kann man nur dann wirklich verstehen, wenn man ihn in seiner vorgesetzlichen Form erfaßt. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Sammler gangbarer Formulare machten sich damit einen Na- men, wie z. B. Mamilius durch die nach ihm benannte, Varro de re rust. II, 5, 7. und zum vollständigen Hausinventar eines gesetzten römischen Hausvaters gehörte sicherlich, wie heutzutage bei Bürger und Bauer eine Sammlung von Hausmitteln aller Art oder ein Briefsteller, so damals eine Sammlung solcher juristischer Re- cepte. Schriftsteller, die Dinge des praktischen Lebens behan- delten, wie z. B. den Landbau, vergaßen nicht, auch die dahin einschlagenden juristischen Recepte mitzutheilen, und in den uns erhaltenen Schriften von Cato und Varro figuriren friedlich ne- ben einander Anweisungen zur Bereitung des Mistes und Mo- stes, zur Heilung der Krätze des Viehs und Zaubersprüche gegen Podagra mit wohl clausulirten Anleitungen und Formu- laren zum vorsichtigen Ankauf des Viehs, zum Verdingen der ländlichen Arbeiten, zum Verkauf der Früchte und andern Ge- schäften. S. z. B. Cato de re rustica 144: oleam legendam hoc modo locare oportet, 145 .. faciendam hac lege und die folgenden Kapitel. Varro de re rustica II, 2: emtor stipulatur prisca formula sic; c. 3, 4, 5: eos cum emimus domitos, stipulamur sic … cum indomitos, sic. Wir sind leicht geneigt, wie den Werth und das Verdienst, so auch die Schwierigkeiten der Anfertigung solcher Formulare zu unterschätzen. Ein neues Formular bedeutete für den Ver- kehr eine neue Bahn, die er einschlagen konnte, und die er viel- leicht bis dahin schon lange vergebens gesucht hatte; es war eine in praktischer Beziehung ungleich wichtigere Leistung, als wir von unserm heutigen Standpunkt aus uns denken, und der Vergleich mit der Erfindung eines probaten medicinischen Haus- mittels, das viele medicinische Bücher aufwiegen kann, trifft auch in dieser Beziehung zu. Die Schwierigkeiten lagen nicht dem Ruhm und der Unsterblichkeit, die sich an die Erfindung von nach ihrem Urheber benannten Tropfen, Pillen, Salben, Pflastern, Pulvern u. s. w. knüpft, erblaßt der Glanz auch des gefeiertesten medicinischen Namens. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. bloß darin, worin wir heutzutage sie allein suchen würden: in der genausten Beachtung aller irgendwie in Betracht kommen- den Punkte, in der Berechnung und Berücksichtigung aller Even- tualitäten, der sorgfältigsten Wahl des Ausdrucks. Es gesell- ten sich noch zwei andere durch die Eigenthümlichkeit des ältern Rechts bedingte hinzu. Einmal nämlich die Anforderung einer kunstgerechten Redaction im Sinne der ältern Jurispru- denz (s. u.) und sodann eine andere, die ich hier nur andeuten kann und erst bei einer andern Gelegenheit genauer besprechen werde. Nicht selten nämlich kam es darauf an, erst durch eine geschickte Manipulation, durch Umwege u. s. w. die juristi- sche Möglichkeit des Geschäfts zu vermitteln, den Gesichts- punkt aufzufinden, unter dem dasselbe sich ins Recht einführen ließ. Kurz es galt eine eigenthümliche Aufgabe der juristi- schen Construction , die einerseits nicht bloß die vollstän- dige Beherrschung des Rechts, sondern andererseits ein gewis- ses Geschick und Erfindungsvermögen voraussetzte. Das Material, das uns für die im Folgenden zu versuchende Bearbeitung des Formelwesens zu Gebote steht, leidet an einer doppelten Unvollkommenheit. Zunächst sind uns nämlich von einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Rechtsgeschäften die be- treffenden Formeln theils gar nicht, theils lückenhaft erhal- ten So fehlen uns z. B. gänzlich : die Formeln der confarreatio, diffarreatio, coemptio, des nexum; bei den von Gajus III, 174 und II, 104 mitgetheilten Formeln der nexi solutio und familiae mancipatio sind gerade die entscheidenden Worte ausgefallen, und welchen Werth die Restitu- tionsversuche haben, davon unten. und von dem großen Vorrath der Formeln des Legis- actionen-Processes (s. u.) besitzen wir kaum mehr als die eine und andere. Sodann und vor allem aber stützt sich das meiste, was wir wirklich haben, wenigstens die Formeln und Notizen, welche das Privatrecht betreffen, auf die Referate der spätern Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. klassischen Juristen, und die theilen uns regelmäßig nur das zu ihrer Zeit Geltende mit. Die Annahme, daß dies stets auch das Ursprüngliche gewesen, ist aber aus dem Grunde höchst mißlich, weil die Bande des Formalismus sich nachweisbarer- maßen zu ihrer Zeit schon vielfach gelockert hatten. Der Geist der alten Jurisprudenz, jene Peinlichkeit und Strenge in den Worten, der Sinn und das Verständniß für das Formeln- wesen war bereits im Scheiden. Ein alter Jurist hätte sich nie auch nur die geringste Abweichung in der Mittheilung einer Formel erlaubt; an Beispielen aus der damaligen Zeit fehlt es keineswegs. Man vergleiche z. B. die Mancipationsformel bei Gaj. I, 169: isque mihi emptus est hoc aere aeneaque libra mit der bei Paulus Vat. fr. §. 50 emtus mihi est pretio und die Verwechslung der Conjunction cum und quod bei Ulp. XXII, 28 und Gaj. II, 166. Neben der alten Formel wurden zur Auswahl andere neuere zugelassen — ebenfalls ein entschiedener Abfall vom Geist der älteren Zeit, denn die duldete, so weit ich habe bemerken können, für jedes Geschäft nur eine Formel. Für einzelne Fälle verstatten unsere Quellen, die Differenz zwischen dem Früheren und Spätern, ja sogar zwischen der nur durch ein halbes Jahrhundert getrennten Zeit des Gajus und Ulpian streng nachzuweisen. So erklärt jener eine Ungenauigkeit in der Fassung der Stipulation für schädlich, die dieser als einfluß- los bezeichnet. Vergleiche Gaj. III, 102 mit L. 1 §. 4 de V. O. (45. 1). So kennt Ulpian drei Formeln der Erbes- einsetzung, die uralte: heres esto, und zwei andere, von denen Gajus nur eine für zulässig erachtet und zwar in einer Weise, aus der man ersieht, daß man sich erst um seine Zeit darüber geeinigt hatte. Ulp. XXI. Gaj. II, 117 .. sed et illa (heredem esse jubeo) jam comprobata videtur. Ein ähnliches Verhältniß waltet zwischen den von ihnen angegebenen Formeln der Vermächtnisse ob. Gaj. II, 201. Ulp. XXIV, 4. Die Formel: dare jubeo kennt Gajus noch nicht, und es ist daher nicht zu rechtfertigen, wenn die Heraus- geber bei II, 267, wo die Handschrift eine absolute Lücke hat, neben der For- Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 39 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Was hier zufälligerweise nachweisbar ist — und es ist dies erst seit Auffindung des Gajus — wird sich auch in andern Fällen wiederholt haben, von denen uns keine Kunde aufbewahrt ist. Solche Beobachtungen mahnen aber zur Vorsicht und Kritik in der Benutzung des Materials. Auf welche Unterlage kann diese Kritik sich stützen? Das Formelnwesen beschränkte sich, wie ich früher bemerkt habe, kei- neswegs auf den Proceß und das Privatrecht, sondern erstreckte sich auch auf das öffentliche und geistliche Recht und die Reli- gion, und zwar entstammte es nach allen diesen Anwendungen hin einer und derselben Hand: der der Pontifices (§. 42). Dies ist ein höchst wichtiger Umstand. Denn er erschließt uns für unser Unternehmen eine reichhaltige Quelle des Materials, er verstattet uns, die Lücken des einen Zweiges aus dem an- dern zu ergänzen, er gibt der ganzen Untersuchung mehr Halt und Festigkeit. Besonders werthvoll wird er aber dadurch, daß gerade jene Anwendungsgebiete des Formalismus, die uns zu- nächst nicht interessiren, Formeln aufzuweisen haben, welche unläugbar in das früheste Alterthum hinaufreichen, wie z. B. die von Livius mitgetheilten des jus fetiale (s. u.). Legen wir diese und andere unserer Untersuchung zu Grunde, so wird es uns gelingen, uns des wesentlichen Kerns des alten Formeln- wesens zu bemächtigen, und was von den Formeln oder auf sie bezüglichen Erscheinungen der spätern Zeit mit ihm im entschie- denen Widerspruch steht, von dem werden wir behaupten dür- mel: liber esto aus Ulpian II, 7, auch die: liberum esse jubeo in den Text gesetzt haben. Letztere war hier sowohl als beim Legate und der Erbes- einsetzung jüngern Ursprunges: L. 52 de man. test. (40. 4). Wären unter den „imperatores“ dieser Stelle auch nicht Sever und Caracalla, sondern Mark Aurel mit seinem Bruder oder Sohn zu verstehen, hätte also die hier erwähnte Constitution dem Gajus bekannt sein können, so würde er hier so wenig wie bei der Erbeseinsetzung den so neuen Ursprung dieser Formel zu erwähnen nicht unterlassen haben. Es zeigt sich hier, wie mißlich es ist, For- meln ohne handschriftliche Autorität in den Text aufzunehmen; in unserm Fall hat man dem Gajus geradezu einen Anachronismus aufgebürdet. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. fen, daß es, weil den Charakter der alten Zeit verläugnend, neuern Ursprungs sein muß. Wir gehen jetzt zu unserer eigentlichen Aufgabe über. Der formelle Charakter unseres zweiten Elements der Rechtsgeschäfte beruhte auf zweierlei: (1) es waren be- stimmte Worte, und dieselben mußten (2) gesprochen wer- den. Unterziehen wir diese beiden Momente einer nähern Be- trachtung. 1. Moment der Bestimmtheit . Verba certa, solennia (d. i. sollo = toto anno = alljährlich wiederkehrende) legitima (streng genommen die einer lex entnommenen, allein der Sprachgebrauch ist ein weiterer). Ulp. IX, 1. XIX, 3. Gaj. I, 112. IV, 29. Gell. XI, 1. Briss. I c. 181. Bei Nichtjuristen andere Ausdrücke z. B. carmen, solenne carmen, certa nuncupatio verborum und auch formula in Anwendung auf Rechtsgeschäfte (bei Juristen vorherrschend von der Formula des Formularprocesses gebraucht, bei Gaj. IV, 24 forma für eine legis actio, s. auch L. 2 §. 7, 12 de orig. jur. 1. 2 ). Der Ausdruck: con- cepta verba (z. B. beim Eid: Briss. VIII, 10, und Formularproceß) weist auf die Abfassung im einzelnen Fall hin, allein wie die conceptae feriae (im Gegensatz der stativae, die ipso jure an bestimmte Tage geknüpft wa- ren) dem Herkommen nach zum Theil immer auf gewisse Tage gelegt wurden, also stehend waren ( Macrob. Sat. I, 16 ), ungeachtet sie ihrem Begriff nach lediglich auf der freien Bestimmung des Magistrats beruhten, so auch viel- fach die concepta verba. Es waren also bestimmte, d. h. ein für alle Mal vorge- schriebene Worte oder Sätze, deren sich die Partheien für die verschiedenen Rechtshandlungen, sowohl die des Processes, als des Verkehrs zu bedienen hätten. Diese Bestimmtheit aber war graduell verschieden, bei der einen Handlung war die Par- thei mehr, bei der andern weniger eingeengt, hier war es eine längere Formel, eine ganze Litanei, die sie nach zu beten hatte, dort nur ein einzelnes Schlagwort, namentlich der das Geschäft bezeichnende Kunstausdruck, mit dem sie den concreten Inhalt desselben in Verbindung zu bringen hatte — gewissermaßen eine 39* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. bloße, dem Geschäft anzuheftende Etikette. Begreiflicherweise mußte überall dem concreten Inhalte des Geschäfts Raum ge- lassen werden sich zu entfalten, jedes einzelne Geschäft bestand nothwendigerweise aus einer Combination eines abstracten und concreten Bestandtheils. Aber in sehr verschiedener Weise. Es liegt z. B. auf der Hand, daß der Proceß sich nicht aus- schließlich in fest bestimmten Formeln bewegen konnte, der freien Verhandlung der Partheien mußte ein angemessener Spielraum gelassen werden, und nur für die entscheidenden Momente des- selben mochte man zur bestimmteren Hervorhebung derselben die Benutzung einer Formel verlangen. In der Vindicationsformel bei Gajus IV, 16 wird auf einen sol- chen vorausgegangenen freien Vertrag der Parthei Bezug genommen: .. secundum suam causam, sicut dixi . Eine Fixirung und Concentrirung des eigentlichen Streitpunktes in Form einer Thesis ist namentlich für den Proceß ebenso heilsam, als für eine Disputation. Ohne die der Verhandlung nöthige Freiheit zu beeinträchtigen, verhindert sie, daß der Streit sich nicht ins Un- bestimmte verliere, und schließlich gar der eigentliche Streitpunkt selbst zweifelhaft werde. Unser heutiger Proceß macht den Man- gel dieser Einrichtung vielfach sehr fühlbar. Im Unterschiede vom Proceß war dagegen das Testament, sowohl rücksichtlich seiner Einrichtung im Ganzen als seiner ein- zelnen Dispositionen von Anfang bis zu Ende ausschließlich an feste Formeln gebunden, es gab in ihm kein Fleckchen, auf dem man sich frei hätte bewegen können. Die Einsetzung des Erben, die Enterbung, die Vermächtnisse, die Ernennung des Vormun- des, die Ansprache an den familiae emtor und dessen Antwort — alles hatte seine bestimmte Form und zum Theil auch seine bestimmte Ordnung (s. u.). Bei der Stipulation hingegen be- schränkte sich der feste oder abstracte Theil des Geschäfts auf das Wörtchen: spondes? — ein Blankett, das man mit be- liebigem Inhalt und in beliebiger Ordnung ausfüllen mochte. Hasten an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Innerhalb der Formeln gibt es eine graduelle Differenz ihrer Bestimmtheit, deren die Römer selbst gedenken: gewisse Formeln (und als Beispiel werden uns namentlich die Legis- actionen genannt) vertragen durchaus keine Aenderung, weder einen Zusatz, noch eine Auslassung, andere lassen dieselbe zu, natürlich nur insofern sie sich mit dem Zweck des Geschäfts ver- tragen. Vat. fr. §. 318. Non tamen sic putat certis verbis cognito- rem dari debere, ut si quid fuisset adjectum vel detractum, non valeat datio ut in legis actionibus. Wir können, wie ich glaube, noch weitere Grade dieser Bestimmtheit unterscheiden. Freilich sind die Gränz- linien zum Theil minder fest und scharf, allein da der einzige Zweck darin besteht, uns das Vorhandensein einer gewissen Ab- stufung innerhalb der Formeln zur Anschauung zu bringen, und ein juristisches Interesse sich an diese Unterscheidung überall nicht knüpft, so kömmt es darauf nicht weiter an. Ich unterscheide also: 1. Schlagworte . Regelmäßig treffen sie mit dem Namen des Geschäfts selbst zusammen, so z. B.: 2. Elastische Formeln: Sätze, welche in ihren wesentlichen Punkten fest sind, aber in gewissen Hinsichten eine Abände- rung vertragen, z. B. die cognitoris datio (Note 796), die Bestellung eines ususfructus durch in jure cessio (Hinzufü- gung eines dies ). Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. 3. Feste, aber schematische Formeln: d. h. solche, welche concret ausgefüllt werden müssen, im übrigen aber un- abänderlich sind. Das älteste Beispiel dieser Art mag die von Livius erhaltene Formel der Kriegsankündigung sein, in der an betreffender Stelle der Name des Feindes genannt wird. Liv. I, 32: Audite fines (cujuscunque gentis sunt nominat) … populum illum (quicunque est, nominat)… In den Formularen des Formularprocesses figuriren die Namen Aulus Agerius Numerius Negidius. Wenn Ciceros Vorwurf pro Murena 12: et quia in alicujus libris exem- pli causa id nomen invenerant, putarunt omnes mulieres, quae coemp- tionem facerent, Gajas vocari begründet wäre, so wären hier die Blan- kettnamen ähnlich wie in dem Beispiel, das Keller Röm. Proc. §. 41 a. E. aus dem englischen Proceß mittheilt, fingirte Namen geworden, s. jedoch darüber Roßbach Unters. über die röm. Ehe S. 352. Aus dem Civilrecht und Proceß nenne ich fol- gende: Angabe der Person : Name des Erblassers bei Antretung der Erbschaft durch cretio: cum me Maevius heredem instituit. Ulpian. XXII, 28; der Summe : bei der manus injectio. Gaj. IV, 21 und der nexi so- lutio. Gaj. III, 174; des Gegenstandes : des Grundstücks bei der Vindication (Lage desselben) Cic. pro Mur. 12; Gaj. IV, 16 hat bloß: hunc hominem, ähnlich wie bei der in jure cessio II, 24 und der mancipatio I, 119, und es ist denkbar, daß bei Vornahme dieser Akte an beweglichen Sachen die namentliche Bezeich- nung der Sache hinweggefallen ist, da sie durch die Gegenwart und das Hal- ten derselben überflüssig gemacht wurde. des Verhältnisses : Nexi solutio Gaj. III, 174 und gewiß auch bei der pig- noris capio. Gaj. IV, 29. 4. Feste und zwar absolut geschlossene Formeln : solche, bei denen selbst die Namhaftmachung dieser indivi- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. duellen Umstände (als überflüssig) hinwegfiel. Dahin ge- hörten z. B. die Formeln des Testators und des familiae emtor. Gaj. II, 104, die des Vindicationsrituals. Gaj. IV, 16. Cic. pro Murena 12. Ich brauche nun wohl kaum zu bemerken, daß diese for- melle Verschiedenheit nur die Folge und der Ausdruck einer materiellen war. Für gewisse Handlungen war man der Ansicht, daß sie ihrem wesentlichen Bestande nach in dem Maße fest und bestimmt gegeben seien, daß jede Abweichung davon vom Uebel sei. Der Ausdruck für diese Ansicht war eine For- mel der dritten und vierten Classe. Bei andern verhehlte man sich nicht, daß man der Autonomie der Privaten einen freieren Spielraum gewähren müsse, begnügte sich also damit, nur die Hauptpunkte namhaft zu machen, oder nahm selbst davon Ab- stand. In jenem Fall gab man eine Formel der zweiten Classe, in diesem beschränkte man sich auf ein bloßes Schlagwort. Soweit nun das Requisit der Bestimmtheit reichte, hatte es bei allen Geschäften dieselbe Kraft und Geltung. Eine Ac- ceptilation, bei der das Wort: acceptum habeo mit einem an- dern gleichbedeutenden vertauscht war, war um nichts weniger nichtig, als jene Legisactio von Gajus, bei der statt arboribus: vitibus gesetzt war. Die scheinbare Differenz in der Strenge, mit der der Formalismus bei der einen und andern Classe von Geschäften gehandhabt wurde, beruhte nur auf der Verschieden- heit in der Elasticität der Formeln: nicht das Maß der Strenge, sondern nur das der Bestimmtheit war ein verschiedenes. Eine nothwendige Consequenz der Bestimmtheit war die, daß die vorgeschriebenen Worte und Formeln sich nicht in eine andere Sprache übertragen ließen. Waren es einmal diese Ausdrücke, deren man sich bedienen mußte, wie hätte man statt derselben z. B. griechische gebrauchen können? Eben so gut hätte man gleichbedeutende lateinische wählen können. Ein Ausländer also, der das römische Bürgerrecht oder Commer- cium erworben hatte, mußte alle Geschäfte des jus civile in Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. lateinischer Sprache abschließen; so wenig wie das Volk sich in seinem völkerrechtlichen Verkehr mit Auswärtigen der frem- den Sprache bediente, Dirksen Civil. Abh. B. 1. Abh. 1. so wenig duldete es dieselbe in den Geschäften des Civilrechts. Als Princip ist dies indirect anerkannt in der in der folgenden Note abgedruckten L. 8 §. 4 de accept. Einzelne Anwendungsfälle gewäh- ren: die sponsio Gaj. III, 93 .. adeo propria civium Romanorum est, ut ne quidem in graecum sermonem per interpretationem proprie transferri possit, quamvis dicatur a graeca voce figurata esse, das Te- stament L. 21 §. 4 Cod. de test. (6. 23) mit seinen sämmtlichen Bestim- mungen, z. B. der Freilassung ( L. 14 Cod. de test. man. 7. 2 ), dem Legat ( Ulp. XXV, 9. Gaj. II, 281 ), der Ernennung eines Tutors ( L. 8 Cod. de tut. test. 5. 28 ), vor allem also auch der Erbeseinsetzung. Die Geschäfte des jus gentium hingegen und die des späteren römischen Rechts, wie z. B. die Fideicommisse, waren weil an keine Formel, auch nicht an den Gebrauch einer bestimmten Sprache gebunden. Freilich war man späterhin doch genöthigt, gewisse Concessionen zu machen, was erst im dritten System nachgewiesen werden kann. Z. B. bei der Acceptilation L. 8 §. 4 de acc. (46. 4): hoc jure utimur, ut juris gentium sit acceptilatio, (d. h. eigentlich wäre sie es nicht) et ideo puto et graece posse acceptum fieri, dummodo sic fiat, ut latinis verbis solet, bei der Bestellung eines Cognitor Vat. fr. §. 319, obgleich dafür certa et quasi solennia verba nöthig waren Gaj. IV, 83, 97, bei der fidejussio L. 8 pr. de fidej. (46. 1) L. 12 Cod. de fidej. (8. 41). Bei der gewöhnlichen Stipulation mit Ausnahme der sponsio L. 1 §. ult. de V. O. (45. 1) Gaj. III, 93 kann man kaum von einer Concession sprechen, da sie keiner verba certa et solennia bedarf. Ob sie aber nicht überhaupt, sowohl in der Anwendung auf Peregrinen als Römer, späteren Ursprunges ist, scheint mir mehr als wahrscheinlich. 2. Mündliche Rede . Das Schreiben ist etwas Abstractes und Erlerntes, und darum nicht das Ursprüngliche. Das Einfachste, das Natür- liche und Ursprüngliche ist das Sprechen , und diese natürliche Form der Gedankenäußerung ist im ältern Rechte zugleich die Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. rechtlichnothwendige . Als Princip ausgesprochen ist es meines Wissens nirgends, eben weil es sich für den Römer von selbst verstand. Für die Mancipation und das Nexum lag es in den Worten der Tafeln: uti lingua nuncu- passit . Das ältere Recht kennt keinen solennen Akt, bei dem die Schrift die Rede hätte ersetzen kön- nen. Daher noch im späteren Recht die Wendung: legem dicere (z. B. suae rei ) für eine Vertragsbestimmung schlechthin. Freilich neben der Rede mag in Rom von Altersher, wie bei den Gesetzen und Bündnissen, so auch bei wichtigen Geschäften des Privatrechts eine schriftliche Aufzeichnung üblich gewesen sein, aber ich muß es betonen: neben , nicht statt der Schrift. Ein Testament, eine umfangreiche Stipulation mochte man immerhin aufzeichnen und von Zeugen oder der Gegenparthei unterzeichnen lassen — die Schrift hatte hier durchaus keine juristische Bedeutung, die Gültigkeit des Ge- schäfts beruhte lediglich auf der mündlichen Vornahme. Bei beiden Geschäften aber durfte letztere nach der uns bekannten Gestalt der Sache eine abstracte sein, d. h. man konnte, ohne das Mindeste vom Inhalt der Urkunde mitzutheilen, sich in der Formel des Geschäfts einfach auf letztere beziehen, also z. B.: ich testire, wie in dieser Urkunde geschrieben — versprichst Du alles zu leisten, was in dieser Urkunde verzeichnet? Haec uti in his tabulis cerisve scripta sunt, ita do ita lego, ita testor. Ulp. XX, 9. Ein Beispiel aus dem geistlichen Rechte gewährt die Einweihung eines Tempels unter Bezugnahme auf die Fundationsurkunde eines anderen Tempels s. bei Briss. I, 194: ceterae leges huic arae eae- dem sunto, quae arae Dianae sunt in Aventino dictae. Der juristischen Auffassung nach war das Geschäft mündlich ge- schlossen, denn der ganze Inhalt der Urkunde war ja vom Re- denden genehmigt, anerkannt, er hatte gesprochen durch Verweisung . War diese Gestalt der Sache die ursprüngliche? Ich meine, Jeder muß ihr den Zug der abstracten Periode anmerken. Sie enthält in Wirklichkeit eine Trennung des concreten Inhalts Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. des Geschäfts von letzterem selbst. Gewollt wird nicht dies , dies Bestimmte, Sichere, sondern ein Etwas : das, was in der Urkunde steht — vielleicht also etwas ganz Anderes, als der Redende weiß und will. In dieser Weise kann er wollen, ohne jetzt bereits im Mindesten zu wissen Was , z. B. versprechen, was dieser jenem versprochen hat oder gar erst versprechen wird. So z. B.: quantam pecuniam … credidero, tantam dari spondes (L. 18 §. 3 de stip. serv. 45. 3), fide tua esse jubes (L. 47 §. 1 de fidej. 46. 1). Beim Testament: quem heredem codicillis fecero, heres esto (L. 73 de hered. inst. 28. 5), quantum legavero .. (L. 38 de cond. et dem. 35. 1). Eine ausführliche Erörterung folgt im dritten Sy- stem bei der Theorie der Rechtsgeschäfte. Noch weniger erfahren die Zeugen etwas Näheres; sie sind dabei, sie sehen was geschieht und hören, was gesprochen wird, und doch wissen sie nicht das Geringste vom Inhalt — sie sehen, so zu sagen, nur den Schatten des Geschäfts! Bei dem Eigenthumserwerb und der Vindication einer Sache ge- nügte es nicht, sie bloß zu nennen , sich nur auf sie mit Wor- ten zu beziehen , sondern man sollte sie fassen . Und bei dem Rechtsgeschäft hätte man den Inhalt desselben nicht eben- falls fassen , d. h. mit der Zunge fassen ( lingua nuncupare ) In der älteren Sprache wird dieser Ausdrück für Sprechen schlecht- hin gebraucht, in der neuern scheint er vorzugsweise für die aus Schrift und Rede verbundenen Geschäfte gebraucht worden zu sein, um mittelst seiner den mündlichen Theil des Geschäfts ( nuncupatio ) im Gegensatz zu dem schrift- lichen ( tabulae ) besonders hervorzuheben; so namentlich beim Testament und Votum, s. z. B. Sueton. Aug. c. 97. Fest. nuncupat. sollen? Ein Wollen durch bloße Beziehung, durch abstracte Erklärung des Beitritts der Einwilligung u. s. w. widerspricht meiner Ansicht nach aufs entschiedenste dem Geiste des ältern Rechts. Ich glaube also z. B. rücksichtlich der Stipulation , daß in alter Zeit nicht bloß der Stipulant den ganzen Inhalt derselben angeben, sondern auch der Promittent ihn wörtlich nachsprechen mußte (S. 583). Ebenso bei der Cor- realobligation und der Bürgschaft. Für den Eid ist es be- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. kannt, daß der Schwörende die ihm vorgesprochene Eidesfor- mel wörtlich nachzubeten hatte, sich also nicht mit einem abstrac- ten „So schwöre ich“ begnügen durfte. Nur wo die Masse , z. B. das Volk bei Gesetzvorschlägen oder das Heer bei Ablei- stung des Fahneneides, eine Willenserklärung abzulegen hatte, mag man nothgedrungen von Altersher eine Ausnahme gemacht und eine abstracte Erklärung zugelassen haben. Damit hängt die Sitte der Präjurationen zusammen, vermöge welcher bloß Einzelne den ganzen Eid hersagten und die Andern lediglich mit „ebenso ich“ ihren Beitritt erklärten. Festus: Praejurationes facere dicuntur hi, qui ante alios con- ceptis verbis jurant, post quos in eadem verba jurantes tantummodo dicunt: idem in me. Polyb. VI, 21. Becker Handbuch der röm. Alterth. (Marquardt) III. Abth. 2 S. 291. Bei Tac. Hist. IV, 31 spricht jeder der Soldaten den Eid vollständig nach. Liv. II, 45. XXVIII, 29 läßt gar nicht erkennen, in welcher Weise der Eid abgeleistet ist. Kehren wir jetzt zu der Verbindung der Schrift und Rede zurück, so glaube ich, daß eine bloße Verweisung auf die Schrift ohne Mittheilung ihres Inhalts im älteren Rechte unstatthaft war, hier vielmehr der ganze Inhalt der Schrift vorgelesen werden mußte. Halten wir uns zunächst an die beiden genann- ten Fälle des öffentlichen Rechts: die Gesetze und Bündnisse, so ist es bekannt, daß der Gesetzantrag dem Volk wörtlich vor- gelegt werden mußte, und die Kraft des geschriebenen Ge- setzes nicht auf der Schrift, sondern auf der mündlichen Vor- lage und Annahme beruhte. Was die Bündnisse betrifft, so ist uns von Livius Liv. I, 24. Legibus (foederis) deinde recitatis: Audi, inquit, Jupiter .... ut illa palam prima postrema (vom Anfang bis zu Ende) ex illis tabulis cerave recitata sunt .. illis legibus popu- lus Romanus prior non deficiet. die Formel ihres Abschlusses aufbewahrt, und diese gedenkt ausdrücklich der geschehenen Verlesung . Auch bei Gelübden, namentlich den öffentlichen, war die schrift- liche Aufzeichnung eine ganz häufige ( tabulae votivae ), und Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. auch hier wird der Verlesung gedacht. Val. Max. IV, 1 §. 10: Sueton. Aug. c. 97. Apulej. Metam. lib. XI (ed. Bip. p. 257) de libro, de literis fausta vota praefatus. Aus späterer Zeit nenne ich noch das richterliche Urtheil, welches zwar schriftlich ertheilt , aber daneben bei Strafe der Nichtigkeit verlesen werden mußte. L. 1. 2. 3 Cod. de sent. ex peric. (7. 44). Ist die Annahme gewagt, zu der ich mich bereits S. 13 Note 6 von einem andern Gesichtspunkte aus gedrungen fühlte, daß dasselbe ursprünglich auch beim Manci- pationstestament der Fall gewesen? Doch verkenne ich nicht, daß wenn irgendwo, gerade bei diesem Rechtsgeschäft am ersten eine Abweichung zugelassen worden sein mag, und man möge dieselbe immerhin in die gegenwärtige Periode setzen, un- sere obige Behauptung, daß alle Rechtsgeschäfte mündlich abgeschlossen werden mußten, erleidet dadurch keine Einschrän- kung — auch das Testament ward juristisch mündlich er- richtet. Dagegen scheint ein anderes Geschäft: der Literalcon- tract , der allerdings bereits der gegenwärtigen Periode, wenn auch erst der zweiten Hälfte angehört, Wenn sonst das: nomina transscribere bei Liv. XXXVII (a. 559) im technischen Sinn gemeint ist ( Gaj. III, 130 ), worüber man noch streiten könnte. mit ihr sich schlechter- dings nicht zu vereinigen. Allein der Literalcontract war von Haus aus nichts anderes, als die von beiden Partheien bewerkstelligte Eintragung einer auf andere Weise begründeten Geldschuld, wie dies aus den dabei gebrauchten Ausdrücken: expensum und acceptum ferre unzweideutig hervorgeht, also seiner ursprünglichen Tendenz und seinem Aeußern nach nichts weiter als ein Beweismit- tel . Aber freilich: so wie man der Eintragung absolute Be- weiskraft einräumte, war damit mittelbar eine selbständige, d. h. von dem Abschluß eines andern Contracts, namentlich eines Darlehns unabhängige Art sich zu verpflichten gewon- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. nen, und in richtiger Erkenntniß davon durfte und mußte man hier von einem eignen Contract sprechen. Es verhielt sich mit demselben ähnlich, wie mit der obligatorischen Kraft des rich- terlichen Urtheils. Beide sind von Haus aus rein declara- torisch , sie erkennen nur eine Verbindlichkeit als bereits vorhanden an, allein da diese Anerkennung eine unumstöß- liche Kraft hat, so erlangen sie damit die Natur constituti- ver Akte. Eine Analogie aus dem spätern Recht s. bei Paulus Sent. Rec. V, 7 (Hänel 8) §. 2: quod si scriptum fuerit instrumento promisisse aliquem, perinde habetur ac si interrogatione praecedente responsum sit. Seiner praktischen Geltung nach würde also der Literalcontract von unserem obigen Satz eine Ausnahme begründen, seiner juristischen Composition nach nicht. Also unsere Regel bleibt aufrecht: alle Geschäfte des älteren Rechts müssen mündlich errichtet werden. Wie aber wenn Jemand nicht sprechen kann? Dann ist er eben dadurch ausge- schlossen. Dasselbe gilt von dem Tauben Ueber beides s. L. 48 de O. et A. (44. 7) .. in quibus negotiis sermone non opus est. L. 6 §. 1 qui testam. (28. 1) Ulp. XX, 7. 13. Die tutoris auctoritas L. 1 §. 2, 3 de tut. (26. 1). Mit den verba certa ist auch diese Consequenz derselben im justinianischen Recht hinweggefallen L. 10 Cod. qui test. (6. 22). rücksichtlich aller Geschäfte, bei denen der Gegner zu sprechen hat, denn man muß die Worte desselben hören, also z. B. von der Stipula- tion, dem Testamente. Unser heutiges Recht macht den Schreibunfähigen die bekannte Concession des Kreuzziehens statt der Namensunterschrift, das römische Recht hat eine solche Rücksicht gegen Taube und Stumme nicht beobachtet, sie sind die Opfer ihres Naturfehlers. Woher nun die Worte und Formeln? Sind sie durch die Gesetze eingeführt? Gewiß nicht! In der spätern Zeit kommt es allerdings vor, daß ein Gesetz für die Klage, die es gewährt, auch zugleich die entsprechende Klag- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. formel aufstellt, wie z. B. die lex Rubria (Proceßordnung für das cisalpinische Gallien) es thut, allein für die ältere Zeit ist dies weder bezeugt, noch irgendwie wahrscheinlich. Mittel- bar wurden freilich die ältern Gesetze eine wichtige Quelle der Formeln, indem sie, wie unten gezeigt werden soll, für eine gewisse Art derselben die Legisactionen das Material her- gaben. Sind sie Producte des Lebens ? Die Frage ist zu unbe- stimmt, man kann sie bejahen und verneinen, je nachdem man sie versteht. Verneinen — insofern mit diesem Ausdruck jene ursprüngliche Bildung gemeint ist, wie wir sie S. 603 bei den formellen Handlungen angenommen haben, bejahen , insofern das Leben vielfach Formulare in Formeln verwandelt (S. 313). Abgesehen von den bloßen Schlagworten, denen man eine solche Entstehungsweise immerhin zuschreiben möge, tragen die eigentlichen Formeln so sehr das Gepräge des Ge- machten, des Absichtlichen, es herrscht in dem ganzen System eine solche Uebereinstimmung, Consequenz, Berechnung, Kunst, daß man blind sein müßte, um den juristischen Ursprung derselben zu verkennen. Und rücksichtlich der einen Hälfte: der auf den Proceß sich beziehenden, wird uns diese Entstehungsart ausdrücklich bezeugt. Nach Erlaß der XII Tafeln und im An- schluß an sie, heißt es, hätten die Pontifices die Klagformeln componirt, und bei ihrem Collegium hätte sich das Depot be- funden. L. 2 §. 6 de O. J. (1. 2) S. 418 ff., Note 540. Appius Claudius habe den ganzen Vorrath in eine Sammlung gebracht, zu der, nachdem sie von dessen Schreiber Flavius veröffentlicht worden sei ( jus Flavianum ), späterhin ein anderer Jurist, Aelius, noch Nachträge veröffentlicht habe ( jus Aelianum ). L. 2 §. 7 de O. J. (1. 2). Wenn Pomponius dieser letztern That- sache den Ausdruck gibt: Aelius habe diese ganze Sammlung Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. verfaßt ( composuit ), so beruht dies sicherlich auf einem Irr- thum. Daß ein Jurist als solcher, d. h. ohne amtlichen Cha- rakter, keine Formeln (S. 604) einführen konnte, bedarf kaum der Bemerkung. Was er vermochte, war nur ein Formular aufsetzen. Allein auch die Annahme, daß jene Sammlung aus lauter von Aelius verfaßten Formularen bestanden habe, stößt auf unmögliche Vorausfetzungen. Oder sollte die römische Jurisprudenz Angesichts des durch Pomponius selbst betonten Bedürfnisses ( augescente civitate quia deerant quaedam ge- nera agendi ) und bei der ihr nicht minder, als dem Aelius gebotenen Möglichkeit der Befriedigung dieses Bedürfnisses, d. h. dem Vorhandensein der leges , aus denen sich die legis actiones componiren ließen, sich dieser einfachen Aufgabe so lange entzogen haben, bis endlich Aelius auf den Gedanken kam, das Versäumte nachzuholen und mit einem Male eine solche Menge Klagformulare in die Praxis warf, daß man sie als „liber“ und „jus Aelianum“ bezeichnen konnte? Viel- leicht hat Pomponius sich durch die letztere Bezeichnung verlei- ten lassen, den bloßen Sammler für den Verfasser zu halten, während dieselbe hier nicht mehr bedeutete, als beim jus Pa- pirianum und Aelianum — jedenfalls habe ich nicht den Fond von Glauben, den er bei dieser Gelegenheit an den Tag gelegt hat. Das Formelwesen ist also ein Werk der Jurisprudenz . Könnten die äußeren Beweise uns darüber zweifeln lassen, die inneren von der Beschaffenheit desselben hergenommenen müß- ten jeden Zweifel heben — jedes Splitterchen, möchte ich sagen, verkündet uns die Urheberin. Ich habe den Gesichtspunkt, un- ter dem ich diesen Bestandtheil der ältern Jurisprudenz auffasse, bereits oben S. 589 angegeben, und es ist hier der Ort, den- selben zu begründen. Ich nannte das Formelwesen dort ein Kunstproduct des juristischen Geistes und bezeichnete es als einen untergegangenen Zweig der juristischen Kunst , und daran knüpfe ich jetzt an. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Der geistige Höhenpunkt dieser Kunst ist ein niedriger, er liegt tief unter dem der heutigen und auch der spätern römischen Jurisprudenz, allein auf und von dieser Basis aus erhebt sich dieselbe zu einer Höhe, die unsere ganze Bewunderung in An- spruch nimmt. Als der eigentliche geistige Mittelpunkt, von dem aus wir das Verständniß derselben zu gewinnen suchen müssen, läßt sich ihr Streben nach strenger Logik be- zeichnen. Aber diese Logik ist eigenthümlicher Art, sie ist eine höchst peinliche, minutiöse, eine Logik des Kleinen und Klein- sten, sie fordert eine Genauigkeit des Ausdrucks und der An- ordnung des Gedankens, wie sie im Sprechen zu beobachten auch dem schärfsten Denker unmöglich fallen würde. Sie eig- nete sich daher nur für den juristischen Lapidarstyl, bei dem das kleinste Wörtchen sich aufs sorgfältigste abwägen läßt. Ueber- tragen auf andere Gebiete der sprachlichen Darstellung würde sie mit ihrer Ungelenkigkeit, Ausschließlichkeit, Peinlichkeit und Monotonie der Ruin aller Freiheit und Schönheit der Dar- stellung sein. Dagegen sind allerdings die Regeln, die sie aufstellt, unbestreitbar der genauesten Beobachtung des Den- kens entnommen — es steckt in diesen nüchternen Formeln eine kleine Theorie der Logik. Was mich aber am meisten mit Bewunderung erfüllt, ist das ungemeine Verständniß für die feinsten Nüancen der sprach- lichen Formen, das höchst entwickelte Tastvermögen für die eigenthümliche logische Bedeutung und sprachliche Bestimmung derselben; wie eine Theorie der Logik, so könnte man dem For- melnwesen bis zu einem gewissen Grade auch eine Theorie der Sprach-, namentlich der Verbalformen entnehmen. Durch Be- nutzung der der Sprache abgelauschten feinen Züge ist es den alten Juristen gelungen, mit wenig Mitteln außerordentlich viel zu erreichen, ich meine nicht sowohl kurz, treffend, bezeichnend zu reden, sondern sprachlich in einer Weise zu charakteri- siren und individualisiren , für die die Geschichte der Sprache wenig Seitenstücke darbieten möchte. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Wie die großen Meister der Tonkunst es verstanden haben, die verschiedenen Personen einer Oper in dem Maße musika- lisch zu individualisiren, daß jede derselben ihre eigne musika- lische Sprache hat, so unsere alten juristischen Meister die Per- sonen, die sie sprechen zu lassen haben. Jede derselben: das Volk, der Senat, der Prätor redet seine eigne seiner politischen Rolle entsprechende Sprache, und ich hoffe den Leser zu über- zeugen, daß es nicht zu viel gesagt ist, wenn ich behaupte, daß z. B. die eigenthümliche staatsrechtliche Stellung des Prätors kaum treffender charakterisirt werden kann, als es der Curial- styl des Edicts durch einige wenige Wendungen gethan hat. Diese ganze Richtung schloß übrigens die Gefahr eines be- denklichen Abweges in sich, und es ist gewiß nicht das kleinste Verdienst der alten Jurisprudenz, daß sie denselben glücklich vermieden hat, es war der ihrer Ausartung in eitel Spielerei. Wie nahe derselbe gelegen, zeigt uns das Beispiel eines Rechts, das wie in so vielen andern Punkten, so auch in dieser Bezie- hung eine höchst lehrreiche Parallele für das alte römische Recht darbietet. Es ist das isländische. Wenn irgendwo außer dem römischen so hat in ihm der Formelcultus und das Sichver- tiefen in das Wort die höchste Höhe erreicht. Es bedurfte, nach der Versicherung eines competenten Berichterstatters, Weinhold altnordisches Leben, Berlin 1856. S. 402. eines mehrjährigen Studiums, um alle die Formeln auswendig zu lernen, und „bei Anwendung derselben kam der Verstand in vollste Thätigkeit.“ Aber hier unterlag er der eben bezeichneten Gefahr. „Das Recht war ganz zu einem Spiel des Witzes ge- worden und zu einer Wette, wer die dunkelsten und seltensten der vielen Formeln und Gebräuche am untadeligsten vortragen und anwenden könne — und sehr häufig mußte Blut heilen, was die Sophisterei verrenkt hatte.“ Daß die Römer dieser Gefahr nicht verfallen sind, die einem durch die Natur während des ganzen Winters zum Grübeln verurtheilten Volk so ver- Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 40 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. derblich ward, davon lag der Grund nicht bloß in ihnen selbst, in ihrem gesunden Sinn und ihrer praktischen Natur, sondern in jenem Schutzmittel gegen alles unfruchtbare Grübeln: der nothgedrungenen unausgesetzten Thätigkeit. Spielereien kom- men nur da auf, wo es an ernsten Aufgaben fehlt. Indem ich mich jetzt anschicke, dies obige Urtheil im Ein- zelnen zu begründen, muß ich, um das ganze Material an die- ser Stelle übersichtlich zusammenzustellen und andererseits nicht zu nutzloser Wiederholung genöthigt zu sein, den Leser ersuchen, die S. 511 und 512 anticipirten Belege als integrirenden Be- standtheil der gegenwärtigen Darstellung zu betrachten und einer abermaligen Lectüre zu unterziehen. Im übrigen werde ich meinen Stoff unter folgende drei Gesichtspunkte bringen: 1. Die Verbalformen. 2. Die juristische Syntax. 3. Das Gesetz der Correspondenz der Form. 1. Die Verbalformen . Wenn uns aus einem heutigen Schriftstück juristischen In- halts, einem Gesetz, einer Verordnung, einem Urtheil, einer theoretischen Darstellung des Rechts, einem Contract, Testa- ment ein Bruchstück vorgelegt würde ohne Angabe seiner Quelle, wie schwer oder richtiger unmöglich würde es uns in den mei- sten Fällen sein, letztere aus der Sprache der Urkunde zu er- rathen. Die Sprache ist in fast allen diesen Darstellungen eine und dieselbe, ein Paragraph aus einem Gesetzbuch lautet nicht selten ganz so doctrinär wie einer aus einem Compendium, der Erlaß einer Verwaltungsbehörde wie ein Gesetz, eine Bestim- mung aus einem Testament wie aus einem Vertrage. Würde uns dieselbe Aufgabe an einem derartigen Bruch- stück des römischen Alterthums gestellt, ein einziges Wort würde häufig zur Lösung derselben genügen. Ich meine natür- lich nicht die entscheidenden Worte, mit denen die Urkunde sich selbst charakterisirt, wie z. B. hac lege , placere Senatiui Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. u. s. w., sondern den Styl derselben. Der Styl des Ge- setzes war ein anderer, als der eines Senatsbeschlusses oder Edictes , der des Testaments ein anderer, als einer Vertrags urkunde, und zwar nicht etwa in Folge einer will- kührlichen Convention, sondern als Ausfluß und Ausdruck ihrer inneren Verschiedenheit, kurz er beruht auf jener stylisti- schen Individualisirung , deren ich oben bereits gedachte. Diese Individualisirung beruhte aber ihrerseits wiederum vorzugsweise auf dem Gebrauch der verschiedenen Verbalfor- men . Der Imperativ war für andere Verhältnisse bestimmt, als der Infinitiv, der Indicativ für andere, als der Conjunctiv, das Futurum, als das Präsens u. s. w., wie dies jetzt im Ein- zelnen nachgewiesen werden soll. 1. Der Imperativ . Er ist die Form des Befehls und der kategorischen Aufforderung. Darum gebührt er vor allem dem Volk für seine Beschlüsse (leges, Plebiscita), Z. B. sacer, parricida, damnas, talio esto; cogito, reddito, ad- judicato u. s. w. Briss. II, 20 u. fl. 32 u. fl. mögen diesel- ben die Aufstellung eigentlicher Rechtsgeschäfte oder sonstige Verfügungen Z. B. auch bei dem Votum eines Ver sacrum. Liv. XXII, 10. zum Inhalt haben. Ebenso den Göttern , d. h. er ist auch die Form der Gebote des geistlichen Rechts. Z. B. piaculum dato, aram ne tangito. Dagegen hat der Senat bei seinen Beschlüssen und der Prätor in seinem Edicte sich desselben zu enthalten, denn der staats- rechtlichen Theorie nach haben beide keine gesetzgebende Ge- walt. In Senatsbeschlüssen und im prätorischen Edict habe ich ihn vergebens gesucht, dagegen kömmt im Edict der Aedilen zwei Mal der Im- perativ pronuncianto und mit Bezug darauf eadem faciunto vor, während dasselbe sonst den Sprachgebrauch des prätorischen (s. u.) beobachtet. Innerhalb der Schranken seiner Competenz hat auch der Magistrat das Recht zu befehlen, und so namentlich der Prä- tor für die Rechtspflege . Darum lauten seine Anweisun- gen sowohl an den Richter (judex esto — condemna, ab- 40* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. solve) als an die Partheien (mittite ambo hominem, inite viam) imperativisch. Folgeweise auch das Urtheil des Richters, wenn ihm eine Condemnation und nicht etwa ein bloßer Ausspruch (praejudicialis formula) aufgetragen ist; z. B. Solve L. 59 §. 1 de re jud. (42. 1). Daß für das Urtheil keine verba solennia erforderlich gewesen sein sollten (Keller röm. Proceß §. 66: läßt sich höchstens für die spätere Zeit behaupten. Für die ältere s. Varro de L. L. VI, 61 judex .. quibusdam verbis dicendo finit. Ueber die Form des bloßen Ausspruches s. unten. der Prätor hat die Macht zu befehlen auf ihn übertragen. Bei einem Antrage ans Volk bedient der Magistrat sich der milde- ren Form der Aufforderung: des Conjunctivs — velitis ju- beatis. z. B. Gell. V, 19. Eine Aufforderung von Seiten der Privatperson lautet nur da imperativisch, wo letztere im Voraus der Erfüllung ver- sichert worden ist, so z. B. an die Zeugen, welche ihr ihre Mit- wirkung versprochen haben, (Litiscontestatio: testes estote; nuncupatio testamenti: testimonium mihi perhibetote) oder umgekehrt von Seiten des Libripens an die Parthei (S. 565 Note 708). Dagegen lautet die Aufforderung an die Gegen- parthei nicht imperativisch, also z. B. nicht: ambula mecum in jus, sondern in jus te voco (s. u.), nicht dic, ex qua causa vindicaveris, sondern postulo anne dicas, ex qua u. s. w. Gaj. IV, 16. Ebenso die dort mitgetheilte Formel: sacramento te provoco, und bei Val. Prob. de notis §. 4: quando in jure te conspi- cio, postulo an fas (fuas, fias) autor. Ebendaselbst die gleich nachher im Text erwähnte Formel der judicis postulatio. Noch weniger kann natürlich die Parthei zum Prätor sagen: da mihi judicem, sondern: postulo, uti des, oder gar den Impe- rativ an sich selbst richten, was der Fall sein würde, wenn die Formel der Mancipation nach Meinung eines heutigen Juri- sten (S. 564 Note 706) imperativisch: emtus esto hätte lau- ten sollen. Bei der feinen Unterscheidung, die die Römer im Gebrauch des Imperativs beobachten, wäre dies ein gar zu Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. grober Schnitzer gewesen. Die Parthei nimmt das emere da- durch vor, daß sie die Sache ergreift, die Wagschale schlägt und den Sinn dieser Handlung durch die Formel constatirt, das Constatiren aber geschieht durch den Indicativ (s. u.), einer Auf- forderung bedarf es weder von der gegnerischen, noch von ihrer Seite. Der Imperativ ist, wie bemerkt, die Form der lex. So lange die Testamente noch in den Comitien errichtet wurden, war er also eben damit auch die Form der testamentarischen Dispositionen, und dies ist später beibehalten worden. Die Verfügungen des Testaments müssen legis modo i. e. impe- rative Ausdrücke von Ulp. XXIV, 1 bei Gelegenheit der Legate. gefaßt werden, also z. B.: heres, exheres, liber, damnas esto, cernito, capito, praecipito, sinito. Worauf es beruht, daß im Widerspruch damit die Formel des Vindica- tionslegats: do, lego lautete, vermag ich nicht anzugeben; Denn nach der Art wie Gaj. II, 193. Ulp. XXIV, 3 sich äußern, kann man sie nicht, wie die oben S. 609 besprochenen, für eine Formel jün- geren Ursprungs halten. Dieselben Ausdrücke kommen auch in der Formel der nuncupatio vor, ita do , ita lego ; vielleicht liegt darin die Lösung verborgen. einen Grund hat diese Abweichung jedenfalls gehabt. Für die tutoris datio Gaj. I, 149—152. Vat. fr. 229, 230. — Nach der Art, wie Gajus sich äußert, muß die Formel: tutor esto neueren Ursprungs sein. läßt sie sich schon leichter begreifen. Der Ausdruck lex wird von den Römern bekanntlich auch in einem weitern Sinn von Bestimmungen gebraucht, die auf Vereinbarung beruhen ( leges contractus, foederis, pacis u. s. w.). Hierin mag es seinen Grund haben, daß die impe- rativische Form auch in Anwendung auf sie gebraucht wird, so z. B. bei den einzelnen Clauseln eines Födus, der Fundations- urkunde eines Tempels, und selbst in Formularen von Con- tracten. Ueber das Födus s. Briss. V. c. 48, 49: amicitia esto, jus Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. In allen Fällen kann der Imperativ entweder auf ein Thun oder ein Sein gestellt werden: dato, facito, capito oder heres, damnas, jus esto . Es liegt auf der Hand, daß manche Dispo- sitionen sowohl in der einen wie andern Form gefaßt werden konnten, z. B. das Damnationslegat konnte lauten: damnas esto dare und dato, ohne daß dies einen Unterschied begrün- dete. Ob die ältere Zeit hier nicht strenger verfuhr, ist eine Frage, die ich nur aufwerfen, nicht beantworten kann. 2. Der Conjunctiv . Er schließt sich dem Imperativ am nächsten an, denn er ist zunächst eine mildere Form des Befehles . In diesem Sinn gebraucht ihn zunächst der Se- nat . Seiner ursprünglichen Stellung nach kann der Senat nicht befehlen , sondern nur begutachten, befürworten, an- empfehlen, auffordern. Die entsprechende Form dafür war der Infinitiv (s. 3) und der Conjunctiv; jener, wie es scheint, mehr für die bloße Erklärung , dieser mehr für die Aufforde- rung . Der Senat behielt diese beiden Formen auch dann noch bei, als er der Sache nach bereits eine gesetzgebende Gewalt erlangt hatte. Beispiele. SC. de Bacchanal. (das älteste erhaltene): ne quis adesse velit. SC. de curator. aquarum (bei Frontin) uti darent, at- tribuerent, uti liceret, ne cui liceret. SC. de aedificiis non diruendis: ne quis domum dirueret; poenam inferri cogeretur, venditio irrita fieret. Ebenso in den Municipaldecreten (Beispiel bei Haubold. monum. leg. S. 232). Ebenso gebraucht der Prätor in seinem Edict den Conjunctiv. Alle Verfügungen des prätorischen Edicts sind, insofern der Prätor nicht in erster Person im In- dicativ spricht, (s. u.) im Conjunctiv gehalten. Denn der Prä- belli gerendi ne esto, tradito, restituito; über die lex dedicationis Briss. I, c. 194: legem dixit .. probe factum esto, jus fasque, eadem lex esto, über die Contractsformulare die Werke von Cato und Varro über den Landbau. Ist es Zufall, daß Livius, der sich bei dem foedus des Impera- tivs bedient (s. z. B. XXXVIII, 11 u. a. St. bei Briss. ), die von dem Feldherrn entworfenen Friedensbedingungen XXXIII, 30. XXXIV, 35 im Conjunctiv faßt? Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. tor hat keine gesetzgebende Gewalt, und wenn er trotzdem Rechtsgrundsätze in dem Edict aufstellt, so darf er sie doch nicht in die Form des Gesetzes, d. h. den Imperativ kleiden. Wie die bonorum possessio sich zur hereditas verhält, so der Conjunctiv des Prätors zum Imperativ des Volks, d. h. der Sache nach leistet er dasselbe, aber in der Form ist er verschieden. Aus der reichen Zahl von Beispielen nenne ich folgende: Eine ganze Blumenlese von Conjunctiven s. in L. 1 §. 10 de ventre inspic. (25. 4). 1. exhibe as , restitu as , satis det , bona vene ant . 2. ne quid facias, immittas, fiat, ne quis in jus vocet, vi eximat. 3. ut eant aut satisdent, solvat. Sodann ist der Conjunctiv die Form des Entwurfs oder Antrages . Der Magistrat, der einen Gesetzentwurf oder irgend einen Antrag ans Volk bringt, leitet ihn ein mit den Worten: rogo, velitis, jubeatis, Quirites, oder vellent, jube- rent, dem dann der Antrag selbst durchweg in Form des Con- junctivs gehalten folgt. Beispiele über verschiedene Anträge bei Briss. II, c. 1. In derselben Weise bedient sich der Senat dem Magistrat gegenüber des Conjunctivs, indem er ihm den Entwurf der von ihm zu treffenden Verfügungen un- terbreitet. Gewissermaßen erscheint also der Conjunctiv, wie oben als Vertreter , so hier als Vorläufer des Imperativs. 3. Der Infinitiv . Er ist die Form des Meinens , der Ansicht, Ueberzeugung, Erklärung, des Gutachtens, Ur- theils. Darum findet er seine Hauptanwendung in den Se- natsbeschlüssen. Die Einleitungsphrasen waren: placere videri, curae fore, existimare, censere, arbitrari, aequum censere, judicare u. a. mit dem Accusativ cum Infinitiv oder bei Befehlen mit ut und ne , s. Briss. II, c. 73 und fl. Daß dieselben ursprünglich ohne allen Unterschied gebraucht sein Auch das richterliche Urtheil kann außer der Form der Con- demnation die des bloßen Ausspruches annehmen (B. 1 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. S. 158); der dabei benutzte solenne Ausdruck ist: videri . Cic. Acad. prior. II, 47: majores voluerunt … quae judices cognovissent, ea non ut esse facta sed ut videri pronuntiarent. Bei- spiele bei Briss. V, c. 218. Namentlich scheint im Sacramentsproceß das Urtheil auf sacramentum (actoris, rei) justum videri gelautet zu haben. Keller Civilproceß §. 66 bezeichnet das videri bloß als „alt anständig“. Ebenso das Zeugniß (Gutachten des Kunstverständigen?), für welches der Ausdruck: arbitrari üblich war, Cic. pro Fontejo c. 9: illud verbum consideratissi- mum nostrae consuetudinis: arbitror , quo nos etiam tunc utimur, quum ea dicimus jurati quae comperti habemus, quae ipsi vidimus. Acad. prior. II, 47. und höchst wahrscheinlich wird man in älterer Zeit diese Form auch bei allen Arten von Gutachten beobachtet haben, so z. B. bei den Responsen der Juristen, Augurn, Fetialen, Pontifices u. s. w. Daß man späterhin sich nicht an diese Form band, ist freilich un- zweifelhaft, allein dies ist für die ältere Zeit durchaus nicht maßgebend. Bei- spiele jener Responsen s. bei Briss. I, 211, 215, 218 II, 98 III, 88 u. a. 4. Der Indicativ . Er ist die Form der Behauptung, Erklärung, Versicherung, Constatirung . Aber mit einem wohl zu beachtenden, ungemein feinen Unterschiede. Wenn die Thatsache, welche der Sprechende behauptet, ledig- lich auf seiner subjectiven Ueberzeugung beruht, z. B. daß er Eigenthümer oder Gläubiger sei, so kann er nicht sagen: res mea est , te mihi dare oportet , sondern nur: ajo rem meam esse, ajo te mihi dare oportere. Die letztere Formel bei Val. Prob. de notis §. 4, die erstere bei Gaj. IV, 16. Anders hingegen, wenn seine bloße Erklärung ausreicht, die beabsichtigte Wir- kung objectiv hervorzurufen, oder wenn sie seine eigne Hand- lung oder eine Thatsache, die vor seinen Augen geschieht, con- statiren, ohren kundig machen soll. Hier spricht er kategorisch, also z. B. auctor fio, praes sum, spondeo, hereditatem adeo, sollten, kann ich nicht glauben, habe jedoch meine Untersuchung nicht so weit ausdehnen können. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. manum injicio, silentium est, dixere (S. 591 Note 751). Besonders instructiv ist in dieser Beziehung die Formel der Mancipation. Die Behauptung des Empfängers, daß er die Sache gekauft habe, lautet kategorisch und objectiv: est emtus; dagegen die damit verbundene, daß er jetzt Eigenthümer sei: ajo, rem meam esse, ähnlich wie die Formel im Vindications- proceß. Beides gleich logisch gedacht. Denn die Thatsache des Kaufes wird durch jene Erklärung objectiv hergestellt und constatirt, nicht aber die des Eigenthumserwerbes, denn sie ist von dem Eigenthum in der Person des Gebers abhängig, der Erwerber kann rücksichtlich ihrer mithin nur seine subjec- tive Ueberzeugung äußern. Das Futurum in erster Person ist die Ausdrucksform der Absicht , und namentlich auch die des Versprechens . Seine wichtigste und interessanteste Anwendung findet es im prätori- schen Edicte; es ist, so zu sagen, das Monogramm des Prä- tors. Als Beispiel nenne ich: actionem, judicium, in inte- grum restitutionem, interdictum, bonorum possessionem dabo, non dabo, jubebo, pacta conventa servabo, ratum habebo, animadvertam, vetabo, cogam, permittam. Das Präsens kommt fast nur in der im Edict aufgestellten For- mel der Interdicte vor: vim fieri veto. Es kann nicht Zufall sein, daß der Prätor durchgehends in erster Person spricht. Warum nicht ein einziges Mal das Futurum in drit- ter Person, z. B. actio dabitur, pacta conventa servabuntur, ratum erit u. s. w.? Warum ferner stets das Futurum, war- um nicht, wie anderwärts, die Wendung: ratum est? Läge hier nicht eine Absicht zu Grunde, es müßte wenigstens hier und da sich auch einmal eine andere Form eingeschlichen haben. Die Absicht ist nicht schwer zu errathen. Der Prätor hatte keine legislative Gewalt, er konnte also z. B. nicht sagen: Die Pacta sollen gültig sein oder sind gültig. Was er ver- mochte, war bloß zu versprechen: er werde sie schützen, auf- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. recht halten und auch nur er während der Dauer seines Amts- jahres. Sein Nachfolger konnte das Edict ändern, und darum durfte er, wenn er nicht mehr versprechen wollte, als er zu hal- ten vermochte, nur sagen: ich werde die Klage ertheilen oder nicht ertheilen, die Verträge aufrecht halten u. s. w. So ist mithin diese stylistische Nüancirung ungemein prägnant; sie zeichnet wie mit einem Pinselstrich das ganze Wesen des präto- rischen Rechts, und ich glaube damit meine Behauptung auf S. 625 gerechtfertigt zu haben. In den solennen Formeln des ältern Civilrechts hingegen hat umgekehrt das Futurum keinen Raum. Sie lauten sämmtlich auf das Präsens. So auch die römische Stipulationsform mit spondeo. Die abstractere an kein bestimmtes Wort gebundene Stipulation des jus gentium hingegen (S. 581) kann im Futurum geschlossen werden: dabis dabo, facies faciam. Für die eigentlichen Legis- actionen ist dies ausdrücklich bezeugt. Nulla legis actio, sagt Paulus, Vat. fragm. §. 49. prodita est de futuro; es könnte ebensogut heißen: in Futuro: im Futurum. Allein auch für die Rechtsgeschäfte ist dies außer allem Zweifel, es hängt mit einem Princip zu- sammen, das ich erst an einem spätern Orte (Theorie des subj. Willens) näher begründen kann, nämlich mit dem Princip der Präsenz der Requisite und Wirkungen des Rechts- geschäfts im Moment seines Abschlusses — jene sollen in diesem Moment bereits vorhanden sein , diese sofort beginnen , das Rechtsgeschäft kann nicht anticipirt , noch suspendirt werden. Es bleibt mir schließlich noch: 5. Die Form der Frage und Antwort . Für ge- wisse Gelegenheiten versteht sie sich von selbst, für andere Ver- hältnisse hingegen ist ihre Wahl eine bedeutungsvollere; es liegt ihr eine bestimmte Absicht zu Grunde, die wir zu ermitteln haben. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Wenn der Beklagte bei Beginn des Processes vor dem Prä- tor (in jure) aus eignem Antriebe ein für den Kläger wichti- ges Geständniß ablegte, so hatte dies nicht die Kraft einer confessio in jure; er mußte gefragt sein (interrogatio in jure). Dies geht hervor aus der Art, wie Ulpian in L. 9 pr. de interr. (11. 1) sich äußert: si sine interrogatione quis responderit se heredem, pro interrogato habetur . Ein Beispiel einer Frage aus dem Legis- actionenproceß bei Gaj. IV, 16: postulo, anne dicas, qua ex causa vin- dicaveris. Warum? Das Geständniß als solches ist etwas Beziehungsloses; soll dasselbe eine Beziehung auf diesen Kläger erhalten, so muß dies durch eine Handlung von seiner Seite vermittelt werden. Dies geschieht durch die Frage . Jetzt ist das Geständniß ihm abgelegt ( in personam, nicht bloß in rem ). Ebenso bei dem Versprechen . Uns zwar mag es so scheinen, als ob die beabsichtigte Richtung des Versprechens auf diesen Gläubiger schon vollständig dadurch an den Tag gelegt werde, daß die Leistung an ihn erfolgen solle, einerlei ob das Versprechen ihm gegenüber abgelegt sei. Allein dann hätte es auch als confessio in jure gelten müssen, wenn der Beklagte ungefragt gestanden hätte, daß er diesen Kläger be- stohlen oder von ihm etwas erhalten habe. Die bloße Bezie- hung des Inhalts auf ihn genügt nicht, die Beziehung mußte hier wie dort durch eine Willenserklärung des Gläubi- gers hergestellt werden. Allein warum in beiden Fällen nicht durch Acceptation ? Ein acceptirtes Geständniß oder Versprechen, sollte man sagen, stände einem auf Grund der Frage abgelegten völlig gleich. Die Antwort ist: weil der, welcher erwerben will, die Initia- tive ergreifen muß. Die Begründung dieses Satzes s. in der Theorie des subj. Wil- lens. Als Beispiel diene die mancipatio; selbst bei der Testamentserrichtung spricht zuerst der familiae emtor und erst nach ihm der Testator. Bei Akten, bei denen die Handlung des Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. einen Theils genügt, wie bei der Mancipation und der gericht- lichen Abtretung, der andere aber sich auf eine passive Assistenz beschränken kann, bedarf es aus diesem Grunde der Frage nicht. Anders aber, wenn der Akt eine Erklärung des zu Verpflichten- den erfordert, und zwar eine solche, die ihm von dem Andern nicht anbefohlen werden kann. Hier hat letzterer die Er- klärung zu formuliren und ihm vorzulegen Damit hängt die Interpretationsregel in L. 39 de pact. (2. 14) und L. 38 §. 18 de V. O. (45. 1) zusammen. und zwar in Form der Frage , weil diese Form, indem sie die Möglichkeit der Bejahung oder Verneinung offen läßt, implicite die Freiheit des andern Theils anerkennt, während der Befehl seiner Idee nach diese Freiheit ausschließt, mithin nur da am Platz ist, wo der Andere ihn befolgen muß . Die Anwendbarkeit der Frage war begreiflicherweise auf diese beiden Fälle nicht beschränkt. Es hat aber kein Interesse, die sämmtlichen oder auch nur die Hauptfälle aufzuführen. Dagegen will ich die Bemerkung nicht unterdrücken, daß mir, so weit ich dieselben habe vergleichen können, überall ein Ge- sichtspunkt durchzugehen scheint, es ist nämlich der: daß, wer von dem Andern etwas erreichen will, mittelst der Frage die Initiative ergreift, sei das zu Erreichende eine bloße Meldung, Aussage, wie bei der Frage des Magistrats an den Augur (Note 75) oder eine Autorisation, wie bei der des Fetialen an den König Liv. I, 24. Jubesne me, Rex, … foedus ferire .... facisne me tu regium nuntium u. s. w.? oder, wie in den eben angegebenen Fällen, eine Verpflichtung des andern Theils. Die Form der Bitte , welche namentlich in den Fideicom- missen eine rechtshistorische Bedeutung gewinnt, gehört mit letzteren selbst dem spätern Recht an; in der ältern Zeit war sie die entsprechende Ausdrucksform für rechtlich nicht verbindliche Auflagen. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. 2. Die juristische Syntax . Die rechte logische Reihenfolge der Worte und Satztheile festzustellen war ein Problem, mit dem das klassische Alterthum sich vielfach beschäftigt hat. Es konnte nicht ausbleiben, daß auch die alten Juristen bei der Abfassung der Formeln auf diese Frage geführt und ihr in irgend einer Weise gerecht werden mußten. Ihre Antwort darauf ist uns aufbewahrt, sie liegt in den uns erhaltenen Formeln, aber freilich bedarf es erst einer Abstraction, um sie zu finden. Nach Anleitung der Syntax haben wir die Stellung der einzelnen Worte und die der einzelnen Satztheile ins Auge zu fassen. Ueber erstere habe ich wenig zu sagen, da es nicht meine Absicht sein kann, mich auf das Gebiet rein grammati- kalischer für uns werthloser Untersuchungen zu verlieren. Ich beschränke mich auf folgende abgerissene Bemerkungen. Daß bei der Anrufung einer Person (z. B. der Götter Cato de re rust. c. 132, 134. Liv. I, 18 VIII, 9) der Name gleich am Anfang genannt wird und dem entsprechend die Formula mit der Nennung des Richters (M. M. judex esto) beginnt, verdient kaum der Hervorhebung. Wenn mehre einzelne Arten eines Gattungsbegriffs aufge- führt werden, die aus verschiedenen Zeiten datiren, im übrigen aber sich gleichstehen, so wird die chronologische Reihen- folge derselben eingehalten, also z. B. die lex vor dem Ple- biscit, beide zusammen vor den Senatsbeschlüssen, letztere vor den Constitutionen der Kaiser genannt. Ich verweise auf die stehende Formel lex sive Plebiscitum und sodann auf L. 7 §. 7 de pact. (2. 14) .. adversus leges, Plebiscita, SCa, edicta principum. Wie sehr dies in der Weise der Römer gelegen haben muß, geht daraus hervor, daß eine bei den römischen Archäologen ganz verbreitete Ansicht den Grund, warum bei Anrufung mehrer Götter Janus die erste Stelle einnehme, darin finden wollte, daß er der älteste gewesen sei. Ob diese Ansicht richtig, und ob nicht vielmehr umgekehrt die letztere Annahme bloß jener Erklärung zu Liebe Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. aufgestellt worden ist, will ich nicht entscheiden, Man hatte auch andere Deutungen allegorischer Art, die ebenfalls bei der bekannten Weise der Römer große innere Wahrscheinlichkeit haben, z. B. daß Janus als Pförtner den Bitten den Eingang öffnen solle. Die sämmtlichen Belegstellen s. bei Briss. I, c. 75. für unsern Zweck genügt die bloße Thatsache einer solchen Ansicht. Ein anderes freilich problematisches Beispiel einer solchen histo- rischen Anordnung habe ich S. 570 gegeben. Auch der Aberglaube hatte an der Ordnung, in der man die verschiedenen Namen aufzählte, seinen Antheil. Auf Na- men glücklicher Vorbedeutung legte man in Rom einen hohen Werth; die Träger derselben waren bei Gelegenheiten, wo man sich durch diese Rücksicht bei der Wahl leiten lassen konnte, ge- suchte Artikel. So z. B. um das Opferthier zu führen. Plin. H. N. XXVIII, 5. Aus diesem Grunde rief man bei Enrolirung der Mannschaft die Namen, die eine gute kriegerische Vorbedeu- tung hatten, zuerst auf, nämlich die Valerii (d. i. die „Kräfti- gen“ von valere ) und Statorii (die „Standhalter“), und waren keine da, so wurden in ächt römischer Weise—welche fingirt. Schol. Bob. ad orat. pro Scauro §. 30 (Orelli II p. 374) necesse enim erat, ut haec nomina prima essent in exercitu propter omen. Cic. de nat. deor. II, 27. Cum in omnibus rebus maximam vim haberent prima et extrema. Nach einem Bericht von Plinius war sogar in einem Fall die Ordnung der Worte durch ein Gesetz ausdrücklich be- stimmt. Plin. H. N. XVIII, 3. Der Magistrat hätte nämlich bei Verhängung einer Brüche zuerst die Schaafe und dann die Rinder nennen müs- sen, und darin will jener Schriftsteller einen Beweis von Milde der ältern Gesetze finden. So lauten seine Worte, allein es ist offenbar, daß dieselben entweder etwas anderes sagen sollen, oder daß sie etwas Verkehrtes enthalten. Das Richtige schim- mert deutlich durch. Jene Ordnung bezog sich auf die Steige- rung der Brüche bei fortgesetzter Halsstarrigkeit. Der Magi- strat sollte mit dem niedrigsten Satz: dem Schaaf beginnen und Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. erst, wenn diese Strafe sich als unausreichend erwiesen, in Rindern brüchen. So ist Gellius XI, 1 über die multa minima und suprema und Plinius zu combiniren. Niebuhr Röm. Gesch. B. 2. Aufl. 3. S. 341. Von ungleich höherem Interesse als die Reichenfolge der einzelnen Worte ist die der einzelnen Satztheile oder die logi- sche Gliederung des Gedankens . Das einfache Prin- cip dieser Anordnung besteht darin: was nach Regeln der Logik und zwar nicht bloß der allgemeinen, sondern der auf die Rechts- begriffe angewandten, vorangeht, muß auch in der Formel zu- erst Damit hängt namentlich auch die Stellung der praescriptiones pro reo (Keller Röm. Civilproc. §. 43) am Anfang der Formel zusammen. — was nachfolgt, muß in der Formel nachher gesagt werden. Darum also geht der eigentlichen Disposition voran : 1. die Beschreibung des Gegenstandes oder Verhält- nisses. Als bekanntesten Anwendungsfall nenne ich die demon- stratio der Formula: Quod A. A. apud N. N. mensam argenteam deposuit, qua de re agitur — quidquid ob eam rem (in den ältern Formeln: ejus rei ergo) N. N. A. A. dare facere oportet u. s. w. Gaj. IV, 47. — Fundus, qui est in agro, qui Sabinus vocatur, eum .. meum esse ajo. Cic. pro Mur. 12. Andere Beispiele kommen bei allen Formeln des geistlichen, öffentlichen und Privatrechts in unzähliger Menge vor. Z. B.: Quam rem Senatus Populusque Rom. de republica deque ineundo novo bello in animo haberet — ea res uti u. s. w. Liv. XXXI, 5. 2. Die Erwähnung des Eintritts der Voraussetzung : Quod me P. Maevius testamento heredem instituit — eam hereditatem adeo cernoque Gaj. II, 166. — Quod tu mihi judicatus sive damnatus es … ob eam rem .. manum injicio Gaj. IV, 21. Für diesen Fall ist sogar das Erforderniß der vorherigen Nam- haftmachung der causa von Gaj. IV, 24 ausdrücklich hervorgehoben. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Quando in jure te conspicio, postulo u. s. w. Quando ne- gas, sacramento provoco Val. Prob. de notis §. 4 und Gaj. IV, 16. Dieser objective Eintritt der Voraussetzung läßt sich subjectiv in vielen, wenn nicht in allen Fällen auch als Grund der Handlung auffassen, dies darf uns jedoch nicht abhalten, des letztern als eines eignen logischen Moments besonders zu ge- denken. 3. Der Grund . Dem Schluß oder Entschluß geht der Grund logisch voran. Mit Bezug auf die eben eingelegte Ver- wahrung nenne ich die Formel der gerichtlichen Prodigalitäts- erklärung: Quando tibi bona paterna avitaque nequitia tua disperdis … ob eam rem tibi ea re commercioque interdico Paul. Sent. Rec. III, 4 a §. 7. und die der Kriegserklärung, bei der ein doppelter Grund, oder richtiger ein Grund des Grundes angegeben wird: Quod populi priscorum Latinorum … adversus P. R. Q. fecerunt, deliquerunt (Fundamentum remotum) quod P. R. Q. bellum cum … jussit esse (Fundamentum proxi- mum) … ob eam rem … bellum indico facioque. Liv. I, 32. 4. Die Bedingung . Denn die ganze Disposition ist nur für den Fall beabsichtigt, daß die Bedingung eintreten sollte; wer über jene zu erkennen hat, muß sich erst des Eintritts dieser vergewissern, jene Anordnung weist ihm also, so zu sagen, den Gang an, den er bei der Untersuchung einzuhalten hat. Diese logisch nothwendige Stellung der Bedingung kehrt daher, soweit ich habe vergleichen können, überall wieder. Als Beispiele verschiedener Geschäfte nenne ich folgende: Das Votum : Si bellum .. confectum erit, tum u. s. w. Liv. XXXVI, 2. Eine ganze Blumenlese bei Briss. I, c. 159 und fl. Die bei den Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Die Verwünschung bei Abschluß des Födus: Si prior defexit .. tu .. Jupiter populum Rom. sic ferito u. s. w. Liv. I, 24. Die Intentio in der Instruction an den Richter: Si paret, N. N. Ao Ao centum dare debere, condemna, si non paret, absolve. Gaj. IV, 41, 43 Ich benutze diese Gelegenheit, um auf einen für die scharfe Fassung der Formeln recht lehrreichen Beleg aufmerksam zu machen. Enthält nämlich nicht das: si non paret absolve einen Pleonasmus? verstand es sich nicht von selbst, daß der Richter zu absolviren hatte, wenn die Bedingung der Condemnation, das si paret nicht eingetreten war? Für uns wohl, und ebenso dachten die spätern römischen Juristen (L. 37 de R. J. 50. 17 L. 3 de re jud. 42. 1) , allein die frühern verlangten, daß dies ausdrücklich hervorgehoben werde, denn das Gegentheil von si paret, condemna ist streng genom- men nicht das positive: absolve, sondern das negative: ne condemna. Dar- auf beruhte auch die Nothwendigkeit der ausdrücklichen exheredatio bei der bedingten heredis institutio eines suus heres, was ich hier nicht weiter aus- führen kann. Nur wo beim Nichteintritt der Bedingung lediglich die bedingt gesetzte Folge ausfallen soll (z. B. spondesne dare, si fecerim ) bedarf es der ausdrücklichen Hervorhebung nicht; die reine Negation versteht sich von selbst. und die angeblich älteste Formel bei Liv. I, 26. Die Erbeseinsetzung und sämmtliche bedingte Dispo- sitionen des Testaments. Gaj. II, 179, 235. L. 40 §. 3, 8 de statulib. (40. 7). Viele andere Belege bei Briss. VII, c. 62 u. a. a. St. Dagegen gehen nach : 1. die Beschränkung , die Auflage . Darum wird bei Bestellung der Servitut durch deductio die Servitut als eine Beschränkung des Eigenthums hinter letzterem erwähnt: ajo hunc fundum meum esse .. deducto usufructu. Vat. fr. §. 50. Aus demselben Grunde konnte auch das Legat nur hinter der Erbeseinsetzung Platz finden, denn es enthält eine Vermin- Dichtern vorkommenden Vota eigner Fabrication können natürlich nicht mit in Betracht kommen, obgleich auch sie regelmäßig die Bedingung voranstellen. Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 41 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. derung der Erbschaft, Delibatio hereditatis L. 116 pr. de leg. I. (30). und eben darum meinten die Juristen, welche diesen Gesichtspunkt für den entscheidenden ansahen (s. u.), daß die tutoris datio vor der Erbeseinsetzung stehen dürfe. Gaj. II, 231 .. quod nihil ex hereditate erogatur tutoris datione. Ein anderes Beispiel, das ich jedoch erst bei einer andern Gele- genheit klar machen kann, gewährt die cretio: Titius heres esto, cernitoque etc. Ulp. XXII, 33. 2. Die Ausnahme . Der bei weitem wichtigste Anwen- dungsfall ist die Stellung der exceptio in der Formula. Wer mit mir die Ueberzeugung theilt, daß über Fragen der juristischen Syntax nicht stylistische Rücksichten, Wie Savigny System V §. 226 Note e sie in die Wagschale wirft, indem er gegen die im Text vertheidigte Ansicht den Einwand des „unbehülf- lichen und undeutlichen Ausdrucks“ geltend macht. sondern nur die Gesetze der logischen Ordnung entschieden, kann darüber nicht zweifel- haft sein, daß die exceptio an das Ende der intentio gehörte. An das Ende der condemnatio gesetzt, Was Savigny schlechthin will und Keller Röm. Civilproc. §. 34 Note 376 wenigstens für möglich hält. Die lex Rubria c. 20, die er anführt, beweist dies nicht, denn die condemnatio steht in der von ihr aufgestellten Formel ganz am Ende ( C. S. N. P. A. d. h. Condemna, Si Non Paret Absolve ). Der Schein des Gegentheils ist durch die Auflösung von E. J. in eum jube veranlaßt — eine Auflösung, die aus mehren, ziemlich auf der Hand liegenden Gründen unmöglich ist. hätte sie gesagt: erst condemnire, o Richter, und dann untersuche, ob nicht eine Aus- nahme vorliegt. 3. Der Zweck . Ich nenne die bekannte Eidesformel: se uxorem liberorum quaerendorum causa habere. Gell. IV, 3. 4. Die accessorische Disposition . Von den ver- schiedenen Dispositionen eines Geschäftes ist diejenige zuerst zu nennen, von deren Gültigkeit und Bestand alle andern ab- hängen. Damit das Legat zu Recht bestehe, muß vorher die Erbschaft angetreten sein, die Frage von den Legaten kann erst Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. aufgeworfen werden, wenn die nach dem Erben erledigt ist; es muß also im Testament die Erbeseinsetzung den Legaten und allen übrigen Dispositionen vorausgehen. Gaj. Il, 229. — Ante heredis institutionem inutiliter legatur, quia testamenta vim ex institutione heredis accipiunt et ob id velut caput et fundamentum intelligitur totius testamenti heredis institutio §. 230 (libertas) §. 231 (tutoris datio). Die Ansicht der Proculejaner, Gaj. II, 231. daß die tutoris datio ihren Platz vor der Erbeseinsetzung finden könne, war daher im Geist des ältern Rechts entschieden zu verwerfen, sie wurzelte in der einseitigen Geltendmachung des oben (S. 641 unter 1) angegebenen Ge- sichtspunktes. Wenn ein Testator seinen Sklaven im Testament zugleich freilassen und zum alleinigen Erben einsetzen wollte, welche von beiden Dispositionen hatte er zuerst zu treffen? Um Erbe zu werden, mußte der Sklav vorher frei sein; um frei zu werden, mußte die Erbschaft angetreten sein. Es war ein Cirkel, aus dem es keinen Ausweg gab, eine logische Sack- gasse, und wäre nicht am Ende die Rücksicht auf das praktische Interesse in den alten Juristen doch noch mächtiger gewesen, als alle Macht der Sophistik, sie würden jene Disposition für un- möglich haben erklären müssen. In unsern Quellen ist dies Be- denken nirgends berührt. 3. Das Gesetz der Correspondenz der Form . Zu den bisher erörterten Gesichtspunkten und Regeln, die das Rechtsgeschäft in seiner Isolirung auf sich selbst, als einzel- nen für sich selbständigen Willensact zum Gegenstand haben, gesellt sich als ein die Form bestimmendes Motiv noch die innere Beziehung hinzu, in der dasselbe zu andern rechtlichen Thatsachen steht : Wenn der Gläubiger dem Schuldner die Schuld erläßt, so ist dieser Erlaß zwar ein einzelner, selbständiger Act, allein er 41* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. steht in einem nothwendigen, innerlichen Bezug zu der Schuld oder, was dasselbe, zu dem Act, durch den letztere begründet ward. Dasselbe gilt von der Klage; auch sie steht und fällt mit dem Act, durch den das verfolgte Recht ins Leben gerufen ist. Ja, gehen wir weiter zurück, so fußen alle diese drei Acte: Begrün- dung, Aufhebung und gerichtliche Geltendmachung eines Rechts als auf ihrem letzten Grund auf dem Gesetz oder dem Recht im objectiven Sinne. So also knüpft sich zwischen den einzelnen Rechtsgeschäften untereinander und mit den Rechtssätzen und Rechtsbegriffen ein Band innerlich nothwendiger Beziehungen, und der Grundsatz des Parallelismus der Begriffe und Formen, den ich S. 511 aufgestellt habe, bewahrheitete sich in dem römischen Recht auch in der Anwendung, daß es dem Vorhandensein dieser Bezie- hungen einen morphologischen Ausdruck gegeben hat. Nicht etwa in der rein äußerlichen, ich möchte sagen rohen Weise, daß diese Beziehung in der Formel erwähnt wird. Dies ist in den meisten Fällen gar nicht anders möglich — wie könnte man z. B. eine Schuld erlassen oder einklagen, ohne sie selbst d. h. ihre Entstehung anzugeben? Der Einfluß, den dies Moment auf die Formel oder ich muß allgemein sagen: auf die Form ausübt, ist ein ungleich spi- rituellerer, er ist wirklich morphologischer Art, d. h. die Form oder die Formel legt durch ihren ganzen Zuschnitt Zeug- niß ab von der Beziehung, die zwischen beiden Geschäften oder Thatsachen obwaltet. Und dies ist es, was ich unter dem Ge- setz der Correspondenz der Form verstehe. Wäre es nöthig, die einzelnen Anwendungsfälle desselben nach streng logischer Ordnung zu gruppiren, so müßte ich mit der Correspondenz zwischen dem Rechtsgeschäft und dem Recht im objectiven Sinn beginnen. Allein es scheint mir angemesse- ner, die Ordnung zu wählen, welche den Leser am leichtesten und bequemsten in die Sache einführt und darum möge die erste Stelle einnehmen: Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. 1. Die Correspondenz zwischen den Begründungs- und Aufhebungsformen der Rechtsverhältnisse . Während wir sonst bei den späteren römischen Juristen kein einziges der von mir bisher entwickelten Gesetze der Form aus- drücklich hervorgehoben finden, bildet das gegenwärtige eine Ausnahme davon. Und in der That konnte sich dasselbe ihrer Beobachtung kaum entziehen, theils weil es mehr als irgend ein anderes in die Augen sprang, theils weil es mehr als irgend ein anderes auch noch zu ihrer Zeit in ungeschmälerter Kraft und Geltung stand. Nichts sei so sehr der Natur der Sache entsprechend, lautet die Fassung, die sie diesem Princip geben, als daß etwas auf dieselbe Weise untergehe, wie es entstanden sei. L. 35 de R. J. (50. 17) L. 153 ibid. s. S. 405. Note 523. Eine unzweifelhafte Anwendbarkeit fand dasselbe aber nur bei der Formfrage, der Versuch, demselben auch eine mate- rielle Wahrheit zu vindiciren, war von vornherein verfehlt. An- wendungsfälle desselben sind folgende: Der Widerruf des Legats (ademtio legati) von Sei- ten des Testators kann nicht mit beliebigen Worten, sondern nur mittelst „verba contraria“ geschehen, d. h. durch Wiederho- lung der Worte der Errichtung mit hinzugefügter Negation also z. B. beim Vindicationslegate (do, lego) mit non do, non lego, beim Damnationslegat (damnas esto dare) mit damnas ne esto, bei der Freilassung des Sklaven (liber esto) mit liber ne esto. Ulp. XXIV, 29. pr. I. de ademt. leg. (2. 21) L. 13 §. ult. de statul. (40. 7). Anders beim Fideicommiß: L. 18 de leg. III, L. 27 Cod. de fideic. (6. 42). Die Aufhebung einer Nexumsschuld konnte nur durch einen der Errichtung derselben correspondirenden Act: nexi so- lutio, liberatio erfolgen. Der Schuldner, der wirklich gezahlt hatte, aber ohne jene Form, blieb verhaftet, während er um- gekehrt ohne Zahlung frei ward, wenn der Gläubiger ihn in Form dieser Scheinzahlung liberirt hatte. Die solenne Form des Erlasses einer Stipulationsschuld Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. und ausschließlich auf letztere beschränkt L. 8 §. 3 de acc. (46. 4): Acceptum fieri non potest, nisi quod verbis colligatum est. Acceptilatio enim verborum obligationem tollit, quia et ipsa verbis fit, neque enim verbis potest tolli, quod non verbis contractum est . war die Accepti- lation , das directe Gegenstück der Stipulation. Hier wie dort ward das Geschäft durch solenne Worte und in Frageform abgeschlossen, aber mit einer Umkehrung beider. Bei der Sti- pulation fragte der Gläubiger und antwortete der Schuldner, hier fragte umgekehrt dieser (acceptum habes) und antwortete jener (acceptum habeo). Inwiefern diese auf „Erhalten haben“ gestellte Formel der Stipulation gegensätzlich entspricht, kann nur in anderm Zusammenhange klar gemacht werden. Dasselbe galt für den Literalcontract . Ein im Haus- buch (codices accepti et expensi) eingetragener Posten (nomen) mußte im Hausbuch wieder gelöscht werden. Die Eintragung war auf die Hingabe (expensum) gestellt, folglich die Löschung auf das Erhalten (acceptum) ; beim Schuldner umgekehrt. Die Dürftigkeit unserer Nachrichten verhindert uns zu ent- scheiden, ob dieser Grundsatz nicht noch weitere Anwendung fand, ob z. B. nicht die Auflösung einer confarreirten Ehe (dif- farreatio) der Eingehung derselben, die exauguratio der in- auguratio u. s. w. entsprochen habe. Otto jurispr. symb. p. 185 findet einen Anwendungsfall darin, daß wie die Gründung, so auch die Zerstörung der Städte durch den Pflug zu geschehen pflegte. 2. Correspondenz zwischen der Begründung und gerichtlichen Geltendmachung des Rechts . Ich brauche nicht daran zu erinnern, daß hier überall nur von formellen Begründungsacten die Rede ist, also z. B. nicht von Delictsobligationen, Erwerb des Eigenthums durch Ersitzung u. s. w. Fassen wir zunächst die Eigenthumsklage ins Auge, so kehrt das Charakteristische der Form der Mancipation bei ihr in einer Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Weise wieder, daß die Annahme einer Absicht sich gar nicht abwehren läßt. Jenes Charakteristische lag, wie früher (§. 46) gezeigt, einmal in dem Ergreifen der Sache und zweitens in der Formel: ajo rem meam esse. Diese Formel nun ist für die Vin- dication wörtlich dieselbe , und daß auch die Hand repe- tirt, ist bereits S. 601 bemerkt. Diese Beobachtung muß zu der Frage führen, ob nicht bei der persönlichen Klage ein ähnliches Verhältniß obgewaltet ha- ben mag. Valerius Probus hat uns als eine den Legisactionen angehörige Formel die oben S. 632 mitgetheilte: ajo te mihi dare oportere aufbewahrt, in der man, und gewiß mit Recht, die der persönlichen Klage hat finden wollen. Daß sie aber, wie Einige wollen, der legis actio per condictio- nem sollte angehört haben, ist schon aus dem Grunde höchst unwahrscheinlich, weil diese legis actio zu Probus Zeit lange aufgehört hatte praktisch zu sein. Keller Röm. Civilproc. §. 14 Note 219 überweist sie dem Sacramentspro- ceß, und dies scheint mir das Wahrscheinlichste. Im Formular- proceß lautet die Formel ebenso (si paret) N. N. Ao Ao dare oportere. Als formelle Geschäfte, denen diese Formel corre- spondiren könnte, kommen nur die Sponsion und der Literalcon- tract in Betracht. Beide aber schließen den Gedanken an eine Worta llusion aus, denn in dem in der Stipulation wie in der Formel wiederkehrenden dare wird man sie nicht erblicken wollen. Die Correspondenz war hier eine, wenn ich sagen darf, idealere, feinere; sie steckt in dem Gegensatz der Formulirung der Klage in rem und in personam. Das Eigenthum als absolutes Recht erscheint sowohl bei der Begründung wie bei der Geltend- machung in einer absoluten Form, die Obligation bei dieser wie jener Gelegenheit in einer relativen (s. oben S. 511). 3. Correspondenz zwischen der Legisactio und den Worten des Gesetzes . Ich wende mich jetzt einem Anwendungsfall unseres Grund- satzes Einen andern haben wir bereits in anderm Zusammenhange S. 602 zu, der sowohl rücksichtlich der äußeren Ausdehnung Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. seines Anwendungsgebiets, als des tiefeingreifenden Einflusses, den hier die Form ausübt, weitaus die erste Stelle einnimmt. Die Legisactionen bilden einen so hervorragenden Bestand- theil des alten Formalismus, daß ich geglaubt habe, denselben eine eingehende Erörterung widmen zu müssen. Indem ich mich dazu anschicke, bemerke ich, daß ich einerseits zwar nur die all- gemeine Theorie derselben, Die einzelnen Arten sind bereits früher berührt, s. B. 1 S. 146 fl. und S. 265 fl. B. 2 S. 431. andererseits dieselbe aber ihrem ganzen Umfange nach zu geben beabsichtige, ohne mich durch den obigen Gesichtspunkt beengen zu lassen. Gezwungen an einer Stelle den Gegenstand im Zusammenhang zu behandeln, habe ich mich für die gegenwärtige entschieden, weil sie uns den- jenigen Gesichtspunkt darbietet, der, wenn irgend einer, der na- türliche Ausgangspunkt der ganzen Darstellung ist — ich meine den morphologischen. Mit ihm beginnend, also zunächst: 1. die Form der Legisactio und 2. die damit engverbundene Frage von dem Grunde dersel- ben ins Auge fassend, werde ich sodann 3. die äußere Ausdehnung und 4. die praktische und historische Bedeutung des Le- gisactionen-Systems zu bestimmen versuchen. Ich beginne mit dem Bericht des Gajus. Gaj. IV, 11, 30. Die Klagen, deren sich die Alten bedient, sagt er, seien legis actiones Der Ausdruck: actio, agere hatte ursprünglich weder eine vorwie- gend processualische Bedeutung — auch die Geschäftsformulare hießen actio- nes S. 313 oben — noch die des Handelns im Gegensatz zum Spre- chen . Varro de ling. lat. (Müller) VI §. 42 .. et cum pronuntiamus, agi- mus. Itaque ab eo orator agere causam et augures augurium agere dicuntur, quum in eo plura dicant, quam faciant. s. auch §. 77, 78 ibid. oben bei Gelegenheit der Hand kennen lernen: Das Recht, welches durch die Hand begründet ist, wird auch durch dieselbe geltend gemacht , in einem Fall (daselbst Note 784) kommt noch das Entlassen aus der Hand hinzu. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. genannt worden, entweder daher, weil damals die Klagen D. h. die materiellen Klagrechte, nicht die Formeln (wie Keller Röm. Civilproc. §. 12 Gajus versteht). Daß die alten Gesetze Klagformeln aufgestellt, ist nicht einmal für einen einzelnen Fall, geschweige als allge- meine Einrichtung bezeugt, im Gegentheil heißt es: ex his legibus actio- nes compositae sunt L. 2 §. 6 de O. J. (1. 2). ausschließlich durch die Gesetze, nicht, wie später, auch durch die prätorischen Edicte gewährt worden seien, oder daher — und daß diese Erklärung die allein richtige, wird der Verfolg der Darstellung lehren — daß die Klagformeln den Worten der Ge- setze nachgebildet waren. Eine dritte Deutung ist im Widerspruch mit Gajus aufgestellt von Schmidt de orig. leg. act. Frib. 1857 p. 6. Sie ist um nichts besser, als die Idee, der zu Liebe sie erfunden (s. u.). Lex soll „Spruch“ bedeuten, Legis actiones seien „actiones formulis dicendis peragendae“ gewesen. Ganz abgesehen davon, daß lex als solches nie diese Bedeutung hat, so gibt diese Deutung gerade das Charakteristische und Treffende des Ausdrucks auf, um dafür einen Sinn einzutauschen, in dem derselbe eben so gut auf alle mög- lichen Formulare und Formeln passen würde. Warum kommt denn der Aus- druck legis actiones niemals in Anwendung auf letztere vor? Durch „Spruch“ wurden auch sie vollzogen, und „actiones“ schlechthin werden auch sie ge- nannt (s. Note 870). Unabänderlich wie die Gesetze selbst hätten sie zur Anwendung gebracht werden müssen, und daher habe ein Kläger, der wegen abgeschnittener Weinreben geklagt und sich dabei des Wortes vitibus statt des in dem XII Tafeln- Gesetz gebrauchten arboribus bedient habe, den Proceß verloren. Eben diese Strenge, bei der das geringste Versehen den Verlust des ganzen Processes nach sich gezogen, habe später diese Form des Verfahrens in Mißcredit gebracht und zur Einführung einer neuen, des Formularverfahrens geführt. So weit Gajus. Das formgebende Moment der legis actio hätte demnach in der Correspondenz der Formel mit den Worten des durch sie zur Anwendung gebrachten Gesetzes bestanden, Sie erstreckte sich auch auf die Namen der Klage, z. B. act. de tigno juncto, membro rupto, glande legenda, arborum furtim caesarum. eine Abweichung davon mußte und Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. konnte daher an einer andern Stelle von ihm mit Recht als eine Singularität bezeichnet werden. Es läge nun sehr nahe, die Rich- tigkeit seiner Angabe an einem Vergleich der uns erhaltenen Worte der Gesetze und Formeln zu erproben, allein leider hat es sich so gefügt, daß in den meisten Fällen, wo uns die Worte des Gesetzes, nicht die Formeln, und umgekehrt wo letztere, uns jene nicht erhalten sind. Nichtsdestoweniger hat mir die Ver- gleichung der XII Tafeln-Fragmente eine Ausbeute gewährt, die wenn auch in quantitativer Beziehung höchst dürftig, sich doch in doppelter Weise für die Theorie der Legisactionen mit Erfolg verwerthen läßt. In der einen Richtung kann es erst unten geschehen, in der andern ist hier der Ort dazu. Es liegt der Gedanke nahe, daß die alten Juristen sich in derselben Weise, wie bei der Construction der Formeln der Le- gisactionen, so auch bei der der Rechtsgeschäfte der Worte, mit denen das Gesetz sie erwähnte, hätten bedienen können. Darauf gibt uns jene Vergleichung die Antwort: Nein! die Nachbildung des Gesetzes beschränkte sich ausschließlich auf die Legisactionen, und diese Antwort ist, wie ich sofort zeigen werde, für die Erkenntniß des wahren Wesens derselben höchst fruchtbar. Zu den Geschäften, für die uns noch die betreffen- den Worte der XII Tafeln erhalten sind, gehören namentlich die Mancipation, der Verkauf des Haussohnes, das Testament. Ein Blick auf ihre Formeln bestätigt die obige Behauptung. Hätten die Juristen es gewollt , wie leicht hätten sie die entscheidenden Worte (mancipium facere — filium venun- dare — legare super pecunia tutelave suae rei) in der For- mel anbringen können. Daß es nicht geschehen, kann nicht Zufall sein, sondern nur darin seinen Grund gehabt haben, daß der Gedanke der Correspondenz der Formel mit dem Gesetz in ihren Augen in einer innern und aus- Der Name der Klage begründet daher einen Schluß auf die im Gesetz ge- brauchten Ausdrücke, so z. B. der der actio aquae pluviae arcendae. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. schließlichen Beziehung zu den processualischen Handlungen stand . 2. Der Grund der Form . Worin bestand diese Beziehung? Wir haben die Antwort schon halb gegeben, wenn wir das eigenthümliche Wesen der Form der Legisactionen selbst richtig definiren. Es ist mit dem einen Wort: Citirmethode ge- schehen. Jede Legis Actio citirte das Gesetz, welches sie zur An- wendung zu bringen beabsichtigte, aber nicht in der abstracten Form einer bloßen Verweisung auf den Paragraphen oder Ar- tikel des Gesetzbuchs oder auch der breiteren Form einer Anfüh- rung der betreffenden Worte, sondern in einer mehr innerlichen, concreteren Weise. Dieselbe wiederholt sich bis zu einem gewissen Grade auch im eng- lischen Proceß, der demnach Legisactionen im römischen Sinn kennt (s. Note 893). Nach de Lolme Verfassung von England (Uebers. Altona 1819 S. 122) würde sogar früherhin in England ein ähnliches Depot für die Klagformeln bestanden haben, wie einst in Rom bei dem Pontificalcolle- gium: „Diese kostbaren Writs endlich, die Briefs [Auszüge, brevia ], wie sie auch vorzugsweise genannt werden, die in Form und Richtung genau bestimm- ten Klagen, das Elixir und die Quintessenz des Rechts sind der besondern Sorge eigends dazu angestellter Beamten übergeben worden, deren Aemter von den besondern Gefäßen den Namen erhalten, die sie zur Aufbewahrung des ihnen anvertrauten Pfandes gebrauchen. Das eine heißt nämlich das Ha- naper ( Janaperium Korb), das andere das Schmal (Petty)-Bag Amt ( parva baga = kleiner Sack, Beutel). Hier werden die Writs aufbewahrt, welche des Königs, dort die, welche der Unterthanen Interessen betreffen.“ Heutzu- tage geändert: Gneist Das heut. engl. Verf. und Verwaltungsrecht B. 1 S. 522, der auch im Uebrigen etwas abweicht. Die Formel selbst war das Citat , sie verwies auf das Gesetz, ohne es zu nennen, sie verwies dar- auf durch sich selbst , durch ihre Fassung und Substanz, sie war, so zu sagen, die processualische Incarnation des Gesetzes, das Gesetz selbst, welches concrete Gestalt und Leben ange- nommen hatte und gegen den Uebertreter ins Feld rückte (ge- wissermaßen eine actio legis im subjectivgenitivischen Sinne). Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Abstrahiren wir von dieser eigenthümlichen Form des Ci- tirens, so lautet die obige Frage einfach so: warum citirte man das Gesetz nur bei der Klage, nicht auch beim Rechtsgeschäft? Und darauf kann die Antwort nicht schwer fallen. Allerdings bildet das Gesetz für beide die gleichmäßige Grundlage, allein die Veranlassung, diese Grundlage in Bezug zu nehmen , ist bei beiden höchst verschieden. Welchen Sinn hätte es z. B. bei einem Contract oder Testament auf den Paragraphen des Ge- setzes zu verweisen? Im Proceß hingegen, wo es sich um die endgültige Feststellung des Rechtsverhältnisses, die schließliche Auseinandersetzung desselben mit dem Gesetz handelt, ist sowohl in den Partheischriften als in den richterlichen Erlassen die Be- zugnahme auf das Gesetz häufig gar nicht zu umgehen und bil- det daher hier ebensosehr die Regel, als dort die seltene Aus- nahme. Manche Rechte haben nun diese Sitte geradezu zum Gesetz erhoben; so das altrömische Recht rücksichtlich der Klage, und manche neuere Strafproceßordnungen rücksichtlich der Anklage- acte und des Urtheils. Das Citat ist damit zu einem formel- len Requisit des betreffenden processualischen Acts erklärt. Scheinbar eine äußerliche Bestimmung von geringem Belang, ist dieselbe, wie ich unten nachzuweisen hoffe, in Wirklichkeit eine Maßregel von äußerster Tragweite. Der Zweck derselben ist offenbar der, den Richter streng an die Richtschnur des Gesetzes zu binden. Dies liegt zwar schon an sich in dem Begriff des Gesetzes, allein es läßt sich nicht läug- nen, daß jene Maßregel die Erreichung dieses Zwecks im hohen Maße befördert, ja daß sie den Richter, wie einerseits zur Klar- heit, so andererseits bis zu einem gewissen Grade mechanisch zur Unpartheilichkeit zwingt. Wie aber, wenn das Gesetz Lücken dar- bietet? Die Consequenz der Einrichtung bringt es mit sich, daß der Richter dann seine Hülfe versagen muß, und wir werden unten sehen, daß das ältere römische Recht den Muth gehabt hat, sich diese Consequenz gefallen zu lassen. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Im altrömischen Proceß stützte sich zwar die Einrichtung schwerlich auf eine gesetzliche Vorschrift, sondern sie war eine bloße Thatsache des Gewohnheitsrechts. Dies schließt jedoch die Annahme nicht aus, daß sie auch hier bestimmt war, den obigen Zweck zu erreichen. War es doch gerade die Tendenz des Legalismus, die nach Darstellung der Römer die Zeit, in die die Entstehung der Legisactionen fällt, erfüllte und die XII Ta- feln ins Leben gerufen hatte. L. 2 §. 4 de O. J. (1. 2) verglichen mit §. 3 ibid: incerto ma- gis jure et consuetudine, quam per legem latam — postea ne diutius hoc fieret … et civitas fundaretur legibus . Die Jurisprudenz, indem sie mittelst der legis actio die Berufung auf das Gesetz zum formel- len Requisit der Klage erhob, gehorchte damit nur dem Drange der Zeit, vervollständigte und befestigte, was die XII Tafeln be- gonnen. L. 2 §. 6 ibid. quas actiones, ne populus prout vellet institue- ret, certas solennesque esse voluerunt. 3. Die äußere Ausdehnung des Gebiets der Legis- actio . Haben wir hierin das Richtige getroffen, so ergibt sich dar- aus von selbst, daß dies Requisit sich auf alle und jede Klagen erstreckte, sich also nicht bloß auf die von Gajus genannten fünf Grundformen des alten Verfahrens ( modi , quibus lege age- batur) beschränkte, m. a. W. daß die rechtliche Verfolgbarkeit eines Anspruches die Anerkennung desselben im Gesetz zur Be- dingung hatte. Wenn also Gajus von der legis actio sacramento bemerkt, Gaj. IV, 13. sie sei eine generelle Klage gewesen, deren man sich überall habe bedienen können, wo nicht das Gegentheil bestimmt sei, so ist diese ihre allgemeine Anwendbarkeit nur auf die Form des Verfahrens zu beziehen. Eine bloße processualische Ein- kleidungsform, setzte sie, wie die übrigen vier Formen, in jedem ein- zelnen Fall einen vom Gesetzaner kannten materiellen Anspruch, Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. also eine specielle Legisactio , wie ich sie nennen will, vor- aus. Als Beispiel diene der oben (S. 649) erwähnte Fall der actio de arboribus succisis. Das ganze System der Legisactio- nen löste sich demgemäß, von jenen fünf Grundformen abgesehen, in eine Anzahl einzelner Klagen auf, die, so zu sagen, dem Rich- ter zum Vertrieb übergeben waren. Darüber hinaus hörte seine Macht auf, — er führte nicht den Artikel: Rechtsschutz im all- gemeinen, sondern ein bestimmtes Sortiment einzelner Species. Wer eine andere Klage hätte anstellen oder begehren wollen, den würde er ebenso haben abweisen müssen, wie ein Kaufmann, bei dem ein Artikel begehrt wird, den er nicht führt. Nulla actio sine lege! Eine nothwendige Folge davon ist, daß die Zahl der Legis Actionen keine unbeträchtliche gewesen sein kann, und dieser Schluß und damit die Richtigkeit des so eben Behaupteten wird durch alle Nachrichten in übereinstimmender Weise bestätigt. Wie wären Sammlungen, wie die oben S. 622 genannten möglich gewesen, wenn die Formeln sich auf die fünf Legis Actionen des Gajus beschränkt hätten? Wie vertrüge sich damit die Nachricht (S. 418), daß das Depot derselben beim Pontificalcollegium, und eben dadurch das Volk von letzterem in Abhängigkeit gewe- sen? oder, was Cicero berichtet: Cic. de orat. I, 43. daß diese Formeln interes- sante Einblicke in Leben und Weise der Vorzeit gewährten? oder die von Gajus dem alten Verfahren zur Last gelegte hohe Gefährlichkeit? Die wenigen Formeln der fünf Legis Actionen des Gajus schlossen in dem Maße weder die Möglichkeit des einen, noch des anderen in sich. Die Zahl der Legis Actionen war eine eben so große, als die der Gesetze oder der einzelnen selbständigen Artikel des Ge- setzes, welche einen Rechtsanspruch gewährten. L. 2 §. 6 de O. J. (1. 2) ex his legibus .. actiones composi- tae sunt. Jedem Satz Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. der XII Tafeln, der sich dazu eignete, erwuchs eine eigene legis actio, und zur vollständigen Bearbeitung des Gesetzes gehörte neben der Interpretation auch die Angabe der Klagformeln, wie denn z. B. die älteste juristische Schrift, von der wir Kunde haben, der Zwölftafeln-Kommentar des Aelius, in dieser Weise angelegt war. Die Tripartita des Aelius (L. 2 §. 38 de O. J.) aus der man selt- samer Weise ein Werk aus drei Büchern gemacht hat, in deren erstem der Verf. die ganzen XII Tafeln abgeschrieben hätte! Tripartitum heißt hier drei- schichtig, drei Bestandtheile umfassend wie in §. 4 I. de jure nat. (1. 1). Die drei Bestandtheile sind in L. 2 §. 6 ibid. (tria haec jura) genannt. — So jetzt auch Rudorff in seiner [inzwischen erschienenen] römischen Rechtsge- schichte B. 1 S. 158. Es war im bisherigen ausschließlich von der Erhebung der Klage die Rede. Daß auch das fernere Verfahren, das sich an die Klagerhebung anschloß, neben dem Raum, den es der freien Verhandlung gewährte (S. 612), verschiedentlich zum Gebrauch von Formeln führte, z. B. bei der Bestellung des Richters, des Vindex, Vas, beim Richterspruch (Note 821) u. s. w. wird schwerlich bezweifelt werden. Dagegen öffnete sich für die legis actio noch ein anderes Gebiet außerhalb des Processes . Ich meine nicht sowohl das der freiwilligen Ge- richtsbarkeit (die in jure cessio S. 579), denn hier handelte es sich nur um eine andere Anwendung processualischer For- meln, sondern die solennen, außergerichtlichen Hand- lungen , welche das gerichtliche Verfahren theils ergänzten, vorbereiteten, begleiteten , theils völlig ersetzten . Ueber das wahre Verhältniß derselben hat das Mißver- ständniß der in der Note mitgetheilten Stelle von Gajus Gaj. IV, 29. Ex omnibus autem istis causis certis verbis pignus capiebatur et ob id plerisque placebat, hanc quoque actionem legis actionem esse, quibusdam autem non placebat, primum quod pignoris captio extra jus peragebatur i. e. non apud Praetorem, plerumque etiam absente adversario, cum alioquin ceteris actionibus non aliter uti pos- sent quam apud Praetorem praesente adversario, praeterea nefasto quo- que die i. e. quo non licebat lege agere, pignus capi poterat. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. manche Rechtshistoriker irre geführt. Aus dieser Stelle geht zu- nächst soviel hervor, daß die Vornahme vor Gericht nicht zum Begriff der legis actio gehörte. Zwar gab es unter den römi- schen Juristen eine Minderzahl, welche (vielleicht verleitet durch die Bedeutung des Ausdrucks actio im spätern Proceß) die- ses Moment für wesentlich und demgemäß die pignoris capio für keine legis actio erklärte, allein die entgegengesetzte Mei- nung war die herrschende. Im Geist dieser letzteren würde die Definition einer legis actio lauten: eine vom Gesetz anerkannte (1) und mit den Worten desselben vollzogene (2) Handlung zum Zweck der Rechtsverfolgung (3). Unter diesen Begriff aber fallen außer der pign. capio, wie unten gezeigt werden soll, noch manche andere Handlungen. Wenn nun Gajus die pign. capio zu den „übrigen Legis Actionen“ (d. h. den vier vorher von ihm behandelten) dadurch in Gegensatz stellt, daß man sich der letzteren nur vor Gericht bedienen könne, der ersteren außer Gericht, so hat man diese Aeußerung in der Weise mißverstanden, als ob bei jenen alle und jede Handlungen vor Gericht gespielt hätten. Davon hätte schon der Hinblick auf zwei Acte abhalten sollen, die durch ihren bloßen Namen dem angeblichen Erforderniß der Vornahme in jure widersprechen, die in jus vocatio und das ex jure manum consertum vocare (S. 600). In der That ist aber der Gegensatz, den Gajus hier auf- stellt, ein ganz anderer. Er bezieht sich auf das Verfahren . Das Verfahren ist bei der pign. cap. ein schlechthin außergericht- liches, das Gericht wird völlig umgangen. Bei den andern da- gegen gelangt die Sache vor Gericht, die Mitwirkung des Rich- ters ist zu ihrer Erledigung unentbehrlich; das Verfahren selbst also ließ sich nur als ein gerichtliches bezeichnen. Darin liegt aber durchaus nicht, daß alle und jede Acte vor Gericht vorge- nommen werden müßten. Auch der französische Proceß erfor- dert außergerichtliche Verhandlungen, aber wer würde darum Anstand nehmen, ihn ein gerichtliches Verfahren zu nennen? Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Nur dann würde die jenseitige Annahme gerechtfertigt sein, wenn Gajus unter den „ceterae actiones“ nicht, wie der Zusammen- hang es ergibt, die vier Arten des Verfahrens („modi“), son- dern sämmtliche einzelne Handlungen, die bei Gelegenheit derselben vorkamen, verstanden hätte. Selbst in diesem Fall aber bliebe immerhin noch der Ausweg, daß zwar außergerichtliche Handlungen bei ihnen möglich gewesen, allein nur nicht legis actiones genannt worden seien. Setzen wir die Frage, ob sie so genannt worden seien, zu- nächst aus. Constatiren wir vorläufig, einmal : daß sie in der That vorkamen und zweitens : daß sie die oben angege- benen wesentlichen Kriterien des Begriffs der legis actio theilten, der Grundsatz der Correspondenz zwischen der Formel und dem Gesetz auch bei ihnen Anwendung fand. Wir können im ganzen drei Classen der außergerichtlichen rechtsverfolgenden Handlungen unterscheiden; sie griffen Platz: anstatt des Processes (die pignoris capio ) beim Beginn und im Lauf des Processes. Zu den außergerichtlichen Acten bei Beginn des Processes zähle ich 1) die in jus vocatio, 2) die im Fall ihrer Erfolglosig- keit eintretende manus injectio, und 3) die condictio bei der legis actio per condictionem. Daß der erstere Act ein außergerichtlicher war, ist bekannt; daß er mit den Worten des Gesetzes erfolgte, ergibt sich aus der Vergleichung seiner Formel mit den Worten der XII Tafeln. Er- stere lautete: in jus te voco , Für die in jus vocatio kommen bei den Dichtern noch verschiedene Formeln vor: z. B. ambula in jus, eamus in jus u. a. s. bei Briss. V. 1. Seltsamer Weise hält dieser Schriftsteller diese Formeln für die ächten, dage- gen die obige, welche bei Plautus an vier verschiedenen Stellen sich wieder- holt und das unverkennbare Gepräge der Aechtheit an sich trägt, für eine Er- findung des Plautus. letztere si in jus vocat . Die Zeugnisse für dieses und die folgenden Beispiele bei Dirksen Uebersicht u. s. w. der Zwölftafel-Fragmente. Tafel I. Thering, Geist d. röm. Rechts. II. 42 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Das Gesetz fährt fort: ni it, antestator , und der letztere Ausdruck wiederholt sich in der an den Zeugen gerichteten Frage: licet antestari ? Wenn der Gegner sich weigert zu folgen, so verhängt das Gesetz die manus injectio : Si calvitur pedemve struit, manum, endo jacito und die letzteren Worte kehren in der Formel dieses Acts wieder: manum endo jacio (injicio). So bei Gaj. IV, 24. Manus statt man um injicio in §. 20 da- selbst ist daher unrichtig. Dieser letztere Act kam außerdem noch in verschiedenen Anwen- dungen vor (B. 1 S. 142 fl.), so namentlich auch zum Zweck der Execution, Tafel III: post deinde manus injectio esto; in jus ducito, ni judicatum facit aut quips endo em jure vindicit, secum ducito. und der Umstand, daß das Gesetz ihn bei der letzteren Gelegenheit noch besonders erwähnt und zwar als „manus injectio,“ der das Erscheinen vor Gericht folgen solle, ist für die Frage, die uns hier beschäftigt, ungemein wich- tig. Ein neuerer Schriftsteller Schmidt von Ilmenau in der Note 872 citirten Schrift. nämlich ist in dem Bestreben, die vermeintliche Autorität des Gajus in der oben angegebenen mißverständlichen Weise aufrecht zu erhalten, so weit gegangen, daß er sich nicht gescheut hat, darauf hin der manus injectio den Charakter einer außergerichtlichen Handlung abzusprechen und namentlich mich wegen der B. 1 S. 147 aufgestellten entgegen- gesetzten Behauptung hart anzulassen. Ihm zufolge Die folgenden Ausführungen von ihm, auf die ich von ihm ( p. 2) einfach verwiesen werde, um mir dort Raths zu erholen, finden sich in der Zeit- schrift für gesch. Rechtswiss. XIV S. 21 u. fl. soll die manus injectio schlechterdings nur vor Gericht vorgenom- men werden können. Allein wie, wenn der Schuldige nicht fol- gen will? Hier bleibt doch nichts anderes übrig, als Gewalt zu gebrauchen und das Gesetz verstattet ja ausdrücklich das „manum injicere.“ Gewiß! Allein dieser Act, lautet der Ein- wand, ist keine „wahre,“ keine „eigentliche“ legis actio, denn diese Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. muß einmal nach Gajus vor Gericht vollzogen werden. Aber in dem (Note 885 citirten) Satz der XII Tafeln wird doch die „manus injectio“ vor dem „in jus ducito“ erwähnt, sie muß also im Sinn des Gesetzes eine „manus injectio“ sein, und ich meine, wenn über eine Frage aus den XII Ta- feln zwischen letzteren und Gajus wirklich ein Widerspruch ob- waltete, so müßten sie doch wohl vorgehen. Für diese durch den Zauberspruch: „uneigentlich“ beseitigte manus injectio der De- cemvirn taucht dagegen die „eigentliche“ unseres Autors an einer Stelle wieder auf, an der sie schwerlich Jemand suchen würde. „Sie liegt, sagt er, in dem folgenden (den Worten von in jus ducito … secum ducito ), ohne daß sie mit diesem Namen ausdrücklich hier bezeichnet wird.“ Also: eine legis actio, d. h. nach Gajus eine „actio ipsarum legum verbis accommodata“ ohne verba legis, ja ohne die leiseste Andeutung im Gesetz, und umgekehrt verba legis, ja die Bezeichnung des Acts als manus injectio, aber keine legis actio! Wir werden wohl thun, dem Verfasser seine „eigentliche“ legis actio zum ausschließlichen Pri- vatgebrauch zu überlassen und uns an die „uneigentliche“ der De- cemvirn und unserer sonstigen Referenten Wie z. B. Liv. III, 44, dessen Zeugniß der Verfasser ebenfalls mit der Formel „uneigentlich“ schlägt. Die Stelle von Servius ad Virg. X, 419: manus injectio dicitur, quotiens nulla judicis auctoritate ex- spectata rem nobis debitam vindicamus würde der Verf., wenn er sie gekannt hätte, also wohl in ähnlicher Weise beseitigt haben. zu halten, die frei- lich die Sache ebensowenig verstanden haben mögen, wie ich. Die bisherige Untersuchung hat uns den Weg gebahnt, um eine höchst glückliche Idee Kellers gegen die Anfechtung desselben Schriftstellers in Schutz zu nehmen. Keller Der römische Civilproc. §. 18. Schmidt p. 2 der citirten Schrift. Bei Gelegenheit der Ausführung über Zeit und Ort (s. u.) werde ich noch ein anderes adminiculirendes Moment hinzufügen. Keller hat nämlich die Ansicht aufgestellt, daß bei der legis actio per condictionem die Ankündigung (condictio) des Klägers an den Beklagten, sich nach dreißig Tagen vor Gericht zur Annahme eines Rich- 42* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. ters (im römischen Sinn, s. S. 80, 81) einzufinden, ein außer- gerichtlicher Act gewesen sei. Im Sacramentsproceß kam es seit der lex Pinaria nicht schon im ersten Termin zur Bestellung des Judicium, derselbe schloß vielmehr mit der Aufforderung sich nach dreißig Tagen zu dem letzten Zweck wieder einzufinden. Die Einführung der genannten Legisactio überhob nun die Par- theien dieses ersten Erscheinens vor Gericht, indem sie eine außer- gerichtliche Denunciation an dessen Stelle setzte, Der Einwand von Schmidt, daß Gaj. IV, 18 bei „ut adesset“ nicht „in jure“ hinzufüge, erledigt sich durch die Bemerkung, erstens daß Gajus hier nicht die Formel der condictio mittheilt, und zweitens, daß ein vernünftiger Mensch sich „ ad judicem capiendum “ schwerlich irgendwo anders einfinden konnte, als vor dem Prätor. und man braucht sich bloß den Fall zu denken, daß die Partheien einige Tagereisen weit von Rom entfernt wohnten, um sich von dem praktischen Werth dieser Neuerung zu überzeugen. Nach Schmidt hätten dieselben eine Reise nach Rom unternehmen müssen bloß zu dem Zweck, damit der Kläger jene Denunciation als „eigent- liche“ legis actio, d. h. vor Gericht beschaffe, um nach Ausspre- chen der wenigen Worte den Rückmarsch anzutreten und sodann nach Ablauf der dreißig Tage sich zur wirklichen Verhandlung der Sache von neuem einzufinden! Nach Keller konnten sie ruhig zu Hause bleiben und sich mit einer außergerichtlichen condictio begnügen. Durfte Gajus das Verfahren, das in dieser Weise eingelei- tet ward, als ein gerichtliches bezeichnen? Ich meine, mit dem- selben Recht, als die legis actio sacramento und per manus injectionem. Auch sie begannen mit einem außergerichtlichen Act, jene mit der in jus vocatio, diese mit der außergerichtlichen manus injectio. Daß selbst der Lauf des Processes außergerichtliche Hand- lungen nicht ausschloß, dafür liefert das manum conserere in seiner spätern Gestalt (S. 600) den Beweis. Auch hier wie- derholt sich die Correspondenz zwischen den Worten des Gesetzes Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. und denen der Formel. Jene lauteten ( XII Tafeln): si qui in jure manum conserunt , diese mit Beibehaltung dersel- ben Reihenfolge der Worte: in jure manum Man u consertum bei Cic. pro Mur. c 12 ist als Verstoß gegen das Princip der legis actio falsch. conser- tum te voco . Als der Act ein außergerichtlicher ward, verän- derte man das in jure in ex jure . Ob nun diese außergerichtlichen Handlungen legis actiones genannt sind, daran, gestehe ich gern, liegt mir nichts. Der Sache nach waren sie es, d. h. auch sie waren rechtsverfol- gende Handlungen und gehorchten dem Gesetz der Correspondenz, und für zwei: die pign. capio und manus injectio ist es außer Zweifel. Da der Name sich, wie oben nachgewiesen, nicht auf die fünf Grundformen beschränkte, sondern auch für die einzelnen speciellen Klagen gebraucht ward, so glaube ich allerdings, daß er eben so gut auf die einzelnen solennen Acte des alten Verfahrens angewandt worden ist, mochten sie vor oder außer Gericht vorgenommen werden. Varro de L. L. IV, 30 dürfte schwerlich ins Gewicht fallen. 4. Historische und praktische Bedeutung des Legis- actionen-Systems . Wir betrachten das Legisactionen-System jetzt von Seiten seines Zusammenhanges mit dem römischen Leben und Recht, also als einzelnes Stück eines höhern Ganzen. Wie fügte es sich in denselben ein, wie wirkte es auf ihn zurück? Ich beginne mit der praktischen Kritik desselben vom Stand- punkt des römischen Lebens. Ein Ansatz zu einer solchen Kritik findet sich schon bei Gajus (S. 649); er möchte jedoch selbst wiederum der Kritik bedürfen. Gajus zufolge soll das Grundgebrechen des alten Verfahrens und die Ursache seines Unterganges in der übermäßigen Strenge und Spitzfindigkeit bestanden haben, mit der das Wort in dem- selben gehandhabt ward. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Dies Urtheil hat viel Scheinbares, und, so viel ich weiß, hat man bisher nicht versucht die Richtigkeit desselben in Zweifel zu ziehen. Allein es will mir scheinen, als ob dasselbe weniger vom Standpunkt der älteren, als der spätern Zeit aus gefällt worden sei. Es ist in dem Begriff der Form mit Nothwendigkeit gelegen, daß die geringste Abweichung von der Form einen Formfehler und damit Nichtigkeit begründet (S. 506). Das gilt heut- zutage nicht minder, als im alten Rom, und was dort z. B. die Vertauschung des Wortes: arboribus mit vitibus, würde heut- zutage bei Ausstellung eines Wechsels die des Wortes: „Wechsel“ oder bei Ableistung eines Eides die der Worte: „ich gelobe und schwöre“, mit andern Ausdrücken bewirken (S. 615). Gehen wir aber davon aus, daß die legis actio ihrer Bestimmung nach in einem eigenthümlichen rechtlich nothwendigen Citiren der Gesetzesworte bestand, so werden wir das Verlangen der diplo- matischen Genauigkeit des Citats (d. h. also die wörtliche Wiedergabe der Formel) durchaus nicht für eine übertriebene Strenge halten können. Wir machen heutzutage an Jemanden, der uns einen Satz aus einem Gesetz citirt, ganz dieselbe An- forderung! Für diejenigen, die geneigt sein möchten, diese Strenge für etwas specifisch römisches zu halten, will ich ein Beispiel aus dem englischen Recht anführen, das dem von Gajus IV, 11 ebenbürtig zur Seite steht, wenn nicht gar dasselbe noch übertrifft. Eine Parlamentsacte verbietet das Schenken gei- stiger Getränke am „Lordsday“ (Sonntag). Ein Contravenient ward vor einigen Jahren bloß aus dem Grunde frei gesprochen, weil das Denuncia- tions- oder Anklagelibell ihn beschuldigt hatte, am „Sunday“ (ebenfalls Sonntag) geschenkt zu haben. — Die Klage stimmte nicht mit der lex ! Und daß das Versehen den Verlust des Processes zur Folge hatte, wird uns ebenfalls nicht frappiren können. Bei einem Rechtsgeschäft öffnet sich im Fall eines Versehens der Ausweg einer abermaligen fehlerfreien Vornahme desselben, und bei den bloß vorbereitenden außergerichtlichen Legisactionen z. B. der in jus vocatio mag derselbe vielleicht auch in Rom offen gestan- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. den haben. Daß er bei dem Act, welcher dem ganzen Verfahren seine Grundlage gab: der materiellen legis actio des Klägers, aus- geschlossen war, wird uns nicht Wunder nehmen dürfen, die Na- tur des Processes bringt dies mit sich. Eine Parthei, die im heu- tigen Proceß ein in verkehrter Weise abgefaßtes Beweisinterlokut hat rechtskräftig werden lassen, kann eben so wohl wegen eines einzigen Wörtchens den Proceß verlieren, wie im alten Rom — die gefährliche Kraft des Worts ist geblieben, sie hat sich nur auf einen andern processualischen Act geworfen (s. u.). Die „nimia subtilitas“ der alten Juristen, die nach Gajus das alte Verfahren verhaßt gemacht und gestürzt haben soll, kann dies in der That nicht bewirkt haben. Um zu geschweigen, daß dieselbe sich im materiellen Recht nach wie vor in un- geschwächter Kraft behauptete und zwar in einzelnen Theilen z. B. im Testament in einer Zuspitzung, die hinter dem alten Proceß um nichts zurückblieb, so tauchte dieselbe ja auch im Proceß sofort in anderer Form wieder auf. Das formalistische Element des Formularprocesses steht hinter dem des ältern Ver- fahrens in keiner Weise zurück, weder in extensiver, noch inten- siver Hinsicht. Hier wie dort Formeln für jede Klage, hier wie dort als unausbleibliche Folge des kleinsten Formfehlers der Verlust des ganzen Processes. Und sodann: wenn einmal ein solcher Umschwung in der Volksansicht eingetreten, wie Gajus ihn supponirt, warum ließ man das bisherige Verfahren beim Centumviralgerichtshof in alter Weise bestehen? Das alte Verfahren war gefährlicher, als das neue, der Uebergang von dem einen zum andern bezweckte und bezeichnete eine Verminderung der Gefährlichkeit — das gebe ich bereitwil- lig zu. Aber die Erleichterung lag nicht darin, worein Gajus sie setzt — in einer intensiven Abschwächung des Formalismus, sondern in einer andern Gestaltung desselben. An die Stelle des Sprechens trat das Schreiben , Und damit, beiläufig gesagt, auch das Bedürfniß eines bestimmten an die der Parthei Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. der Prätor , — dieser beiden Umstände und ihres vortheilhaf- ten Einflusses ist bereits S. 506 gedacht. Einen dritten füge ich jetzt noch hinzu. Der gefährliche Act: die unabänderliche For- mulirung des Anspruches ward von dem Anfang des Processes in einen späteren Zeitpunkt verlegt. Der alte Proceß begann mit der Formel, d. h. der legis actio, der neuere schloß sein erstes Stadium mit ihr, die Formel ward erst concipirt, nachdem durch erschöpfende Verhandlung der Streitpunkt ins rechte Licht getreten, und dadurch die Gefahr eines Mißgriffs in der Formel ferner gerückt war. Die Formula setzte das Maß der Gefährlichkeit des Formulirens ungefähr auf denselben Punkt herab, auf dem es in dem Beweisinterlokut unseres heutigen Processes steht. Beide werden erst erlassen auf Grund vorgängiger Verhandlung und üben auf den ferneren Gang und die Gestaltung des Processes einen bestimmenden, formgebenden Einfluß aus, beide sind Sache der Obrigkeit, und bei beiden ist den Partheien Gelegenheit ge- geben, rechtzeitig auf die Formulirung einzuwirken. Dem Bisherigen nach hatte es also mit der von Gajus gel- tend gemachten Gefährlichkeit des Legisactionen-Processes seine Richtigkeit, nur lag der Grund derselben und mithin auch die dagegen sich erhebende Reaction nicht da, wo Gajus sie sucht: in dem alten Formalismus als solchem, sondern in der beson- dern Gestalt und Richtung, in der das alte Verfahren das Formelement zur Geltung gebracht hatte. Verschuldete dieser Umstand allein den Untergang des alten Processes? Die alte Zeit wußte noch einen andern Uebelstand zu rügen: das Bannrecht, welches er dem Pontificalcollegium gewährte, und die dadurch bewirkte Abhängigkeit des Volks von letzterem Cic. pro Mur. 12 .. quae dum erant occulta, necessario ab eis, qui ea tenebant, petebantur . (S. 418). Die Veröffentlichung der Formeln ließ Actes, mit dem das Niedergeschriebene unabänderlich ward. Dieser Act war die Litiscontestatio. Im Legisactionen-Proceß war ein solches Bedürfniß nicht vorhanden; so wie das Wort gesprochen , war es bindend. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. diese Klage bereits im fünften Jahrhundert, also noch geraume Zeit vor seiner Aufhebung verstummen. Dagegen litt er an einem andern Mangel, der, wenn auch von den Römern selbst mit keiner Silbe erwähnt, doch von der Geschichte in unzweifelhafter Weise documentirt ist. Es steht unter allen Kundigen fest, daß mit dem Formular- proceß eine neue Aera für das römische Recht datirt — ich meine nicht etwa bloß den Proceß, sondern auch das materielle Recht. Erst von diesem Zeitpunkt an beginnt jene Rechtsquelle zu fließen, die für das ganze Recht eine Quelle neuen Lebens werden sollte — das prätorische Edict. Gaj. IV, 11: quippe tunc edicta Praetoris, quibus complures actiones introductae sunt, nondum in usu habebantur. Es ist nicht Zufall, daß dies erst jetzt geschah; das Legisactionen-System und das Edict waren unverträglich mit einander. Im alten Proceß waren dem Prätor die Hände gebunden, er war nichts als ein Stück der Maschine Cic. pro Mur. c. 12: Praetor interea, ne pulchrum se ac bea- tum putaret atque aliquid ipse sua sponte loqueretur , ei quoque carmen compositum est. — er in ihrer Gewalt, sie nicht in der sei- nigen ; erst das Formularverfahren gewährte ihm jene Freiheit der Bewegung, die eine wesentliche Bedingung seiner rechtsbild- nerischen Thätigkeit war. Nicht viel anders verhält es sich mit der Jurisprudenz und dem Gewohnheitsrecht; auch sie waren durch den alten Proceß in enge Gränzen gewiesen. Diesen be- engenden und lähmenden Einfluß des alten Systems nachzuwei- sen, ist Gegenstand der folgenden Darstellung. Worauf beruhte er? Nicht bloß auf dem rein processualischen Element des alten Verfahrens. Wäre das Princip der Legis- actio ein rein processualisches gewesen, hätte die Gebundenheit und Unfreiheit sich lediglich auf den Gang und die Formen des Verfahrens beschränkt, das materielle Recht würde dadurch in seiner Entwickelung nicht in solchem Maße beeinträchtigt wor- den sein. Die durch den Formularproceß gewährte Elasticität Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. des Verfahrens kann mithin nicht die alleinige Ursache des Um- schwunges gewesen sein, obschon es im übrigen eine durch die Geschichte vielfach bestätigte Thatsache ist, daß jede wesentliche Umgestaltung des Processes auch auf das materielle Recht zu- rückwirkt. Jener beengende Einfluß lag in etwas anderm, näm- lich darin, daß das Princip der Legisactio zugleich ein materiel- les war m. a. W. daß, wie oben nachgewiesen, jeder materielle Anspruch, um gerichtlich verfolgbar zu sein, im Gesetz anerkannt sein mußte, eine Klage nur auf Grund eines Gesetzes möglich war. Damit war die Gesetzgebung principiell für die ausschließliche Quelle aller Klagen erklärt. Untersuchen wir, was dies heißen will. Ich habe nicht ge- sagt: für die ausschließliche Quelle des gesammten materiel- len Rechts , sondern der Klagen . Alle Rechtssätze des Pri- vatrechts gravitiren um die Klage , allein die Entfernung, in der sie es thun, ist bald eine nähere, bald eine weitere. Gewisse nämlich beziehen sich unmittelbar auf das Klagrecht, sie ge- währen, normiren, beschränken, versagen dasselbe. Andere in- fluiren nur mittelbar auf dasselbe, sie betreffen zunächst Fra- gen, welche mit der Klage direct nichts gemein haben. Daß der Betrüger dem Betrogenen Schadensersatz leisten soll, ist ein Satz der ersten Art; daß ein wesentlicher Irrthum Nichtigkeit erzeuge, ein Satz der zweiten. Jener findet seinen völlig erschöpfenden Ausdruck in dem Wort und Begriff der actio de dolo, für diesen gebricht es an einer solchen der Klage entnommenen Bezeich- nung, und gerade das Dasein oder Fehlen dieser der actio ent- lehnten Bezeichnungsweise ist das Kriterium, ob der Rechtssatz der einen oder andern Classe angehört. Der Unterschied wird klarer werden durch seine Anwendung, nämlich den Nachweis, daß er für das ältere Recht im wesent- lichen die Gränzscheide bestimmt zwischen der rechtsbildenden Gewalt der Gesetzgebung auf der einen, und der Juris- prudenz und des Lebens auf der andern Seite. Das Gebiet des eigentlichen Actionenrechts — der Rechtssätze der ersten Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Classe — gehört principiell der ersteren, den beiden anderen Ge- walten ist hier nur ein höchst beschränkter Wirkungskreis beschie- den, das andere Gebiet hingegen fällt, wenn auch nicht aus- schließlich, so doch vorzugsweise den letztern anheim. Ob die Römer selbst sich dieser Gränzscheidung bewußt ge- wesen, wäre am Ende gleichgültig, wenn sie sich nur sachlich constatiren ließe. Allein ich finde dieselbe auch in unsern Quel- len angedeutet. Pomponius L. 2 §. 5, 6 de O. J. (1. 2) . zerlegt das alte Recht in drei Bestandtheile ( tria jura ): die Gesetze, die Legisactionen und das jus civile im engern Sinn des Worts, d. h. das von den alten Juristen ( veteres, qui tunc jura condiderunt ) im Anschluß an die Gesetzgebung gebildete Recht (S. 493). Es erscheint hier also das jus civile als etwas außer und neben den Legis- actionen befindliches, ungeachtet doch auch letztere der Jurispru- denz ihren Ursprung verdankten und ebenfalls als „jus“ (Fla- vianum, Aelianum) bezeichnet wurden. In Anwendung auf sie kann also die rechtsbildende Thätigkeit der Juristen nicht den Charakter an sich getragen, nicht den Spielraum gefunden ha- ben, wie innerhalb des jus civile. Und diesen Schluß soll die folgende Ausführung bestätigen. Ich wende mich zuerst dem jus civile zu, und zwar nicht, um die Thatsache der in demselben enthaltenen selbständigen Rechts- bildung zu constatiren — dies ist bereits früher (S. 481 fl.) ge- schehen — sondern um an einigen Beispielen zu zeigen, daß letz- tere innerhalb der oben angegebenen Gränzen möglich war, ohne gegen das Princip der legis actio zu verstoßen. Zu den selbständigen Schöpfungen der alten Jurisprudenz ge- hörte die Usucapion der Erbschaft als solcher. Indem sie dieselbe einführte, gewährte sie damit mittelbar allerdings eine Klage (die hereditatis petitio ), allein unmittelbar ward letztere durch diese Neuerung durchaus nicht berührt, sie blieb, was sie war: ein Schutzmittel der Erben . Nicht sie selbst ward aus- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. gedehnt (vom Erben auf den Nichterben) sondern der Begriff des Erben (auf den Usucapienten). Ebenso verhält es sich, nur nach entgegengesetzter Seite hin, mit der bereits gelegentlich (S. 490) berührten von der alten Jurisprudenz vorgenommenen Beschränkung des Intestaterbrechts der Weiber. Dieselbe fand ihren praktischen Ausdruck in der Ver- sagung der Erbschaftsklage, allein ohne daß letztere auch hier durch die Veränderung unmittelbar betroffen worden wäre. Sie ward nicht gewissen Erben entzogen , sondern gewisse Personen hörten auf Erben zu sein . In derselben Weise, wie die Jurisprudenz in diesen und an- dern Fällen (z. B. der Einführung des Mancipationstesta- ments) mit dem Erbrecht die eingreifendsten Veränderungen vor- nahm, ich möchte sagen: in der Tiefe, im Innern des Instituts — ohne daß dieselben an der Oberfläche der Klage hervortraten, in derselben Weise konnte sie es bei allen andern Instituten. Die reivindicatio blieb, was sie war, auch wenn die Jurisprudenz die Lehre von den Eigenthumserwerbungsarten, z. B. die Theo- rie der Usucapion noch so sehr umgestaltete. Die actio confes- soria verspürte nichts davon, ob man bei den Servituten die Usucapion ausschloß oder zuließ u. s. w. Nur wenn man sie hätte ausdehnen wollen auf Servituten, die das Gesetz nicht kannte (z. B. die Urbanalservituten der spätern Zeit), würde sich ihre Legisactionen-Natur dagegen gesträubt haben; sie konnte nur lauten auf iter, via, actus, aquae ductus. Ueberblickt man die ganze Summe der Institute und Rechts- sätze, die dem jus civile angehören, man wird eine Reihe der eingreifendsten Maßregeln unter ihnen wahrnehmen, Außer den oben genannten hebe ich namentlich hervor die Umge- staltung des Familienrechts (Emancipation, Adoption, coemptic fiduciae causa, in jure cessio tutelae ), die Einführung der manumissio vindicta, die in jure cessio der hereditas legitima u. s. w. aber alle zusammen fügen sich der obigen Formel: unter ihnen be- findet sich nicht eine einzige Klage . Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Die Klage gehört dem Gesetz . Für fast alle Klagen, die dem ältern Recht entstammen, läßt sich diese Quelle nachwei- sen. So sparsam die Gesetze auf der so eben betrachteten Seite des Rechts sind, so zahlreich sind diejenigen, welche das Klag- recht und die Form des Verfahrens zum Gegenstand haben. In den wenigen Paragraphen des Gajus über die Legisactionen sind ihrer mehr genannt, als in seinen sämmtlichen vier Büchern zusammengenommen, S. das Verzeichniß der leges in der Lachmann’schen Ausgabe p. 428. Natürlich sind nur die Gesetze aus der Zeit der Legisactionen gemeint. und es möchte in der ganzen römischen juristischen Literatur kein zweites Stück gefunden werden, das auf so kleinem Raum so oft des Gesetzes gedenkt. Des Gesetzes ohne Nennung des Namens: Gaj. IV, 11, 13, 21, 22, 23, 24, 26, 28; mit Nennung: die XII Tafeln IV, 11, 14, 21, 28, lex Pinaria 15, Silia, Calpurnia 19, Publilia, Furia de sponsu 22, Furia testamentaria, Marcia 23, 24, Aebutia und zwei leges Juliae 30, zwei leges, deren Name in der Handschrift nicht erkennbar (praediatoria?) 25, 28 . Daß Gajus noch manche übergangen, ist nicht zu bezweifeln, z. B. die lex Ho- stilia, pr. I. de iis, per quos (4. 10) u. a. Nur ein einziges Mal wird das Gewohnheitsrecht erwähnt, nämlich bei Gelegenheit der gewisser Ansprüche wegen den Soldaten ge- wohnheitsrechtlich zustehenden pignoris capio . Gaj. IV, 26, 27 . Die darin gelegene Abweichung von unserm obigen Grundsatz möchte sich verringern, wenn man bedenkt, daß es sich hier nicht um eine eigentliche Klage handelt, sondern um die Ausdehnung einer außergerichtlichen legis actio und zwar nicht um die Ein- führung einer neuen, sondern die bloße Ausdehnung einer bereits vorhandenen. Die pign. capio war bereits in den XII Tafeln anerkannt, jene Ausdehnung fällt aber mindestens 50 Jahr später, da sie die Einführung des Soldes (S. 262 Note 395) zu ihrer Voraussetzung hatte. Von einer durch das Gewohnheits- recht oder die Jurisprudenz erfolgten Ausdehnung einer Klage ( actio utilis ) oder der Einführung einer neuen außergericht- lichen legis actio ist kein Beispiel bekannt. Ging nun zwar alle selbständige Bewegung und Bildung Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. auf dieser Seite des Rechts ausschließlich von der Gesetzgebung aus, so war damit doch der Jurisprudenz nicht aller und jeder Raum zur Einwirkung verschlossen. Aber der Spielraum war ein enger; er fiel zusammen mit dem der alten Interpretation (S. 481 fl.). Das Wort also mußte man stehen lassen, Damit waren die Fictionen ausgeschlossen, die Gajus darum auch erst bei Gelegenheit des Formularprocesses ( IV, 32 und fl.) erwähnt. — darauf war ja die ganze Idee der Legisactionen basirt — allein in und mit dem Wort konnte man in der früher charak- terisirten Weise operiren. Auf diesem Wege gelang es denn, ohne Veränderung der Worte manchen Klagen einen weitern, vielleicht auch engern Umfang zu geben, als sie dem Gesetz nach in Anspruch nehmen konnten, so z. B. der actio de tigno juncto, bei der man das Wort tignum, der actio arborum furtim cae- sarum, bei der man das Wort arbores, der actio de glande legenda, bei der man das Wort glans im weitesten Sinn nahm. S. über diese Beispiele L. 1 de tign. junct. (47. 3) L. 3 arb. furt. (47. 7) und oben S. 485. Ein anderes Beispiel (das Wort nocet in der act. aquae pluviae arcendae ) S. 486. Sehr weit aber reichte dieses Mittel allerdings nicht. Mochte man den Sinn des Worts drehen und wenden wie man wollte, dies hatte doch seine Gränze. Aus dem Worte: in jure bei- spielsweise konnte man nicht die pure Negation desselben machen, wie dies doch hätte geschehen müssen, wenn man die früher be- sprochene Veränderung in der Vornahme des manum conserere (S. 600) rein auf dem Wege der Interpretation hätte bewerk- stelligen wollen. Hier entschloß man sich denn mit dem Princip der legis actio geradezu zu brechen und ein Wort in die Formel zu bringen, das mit dem des Gesetzes in offenem Widerspruch stand. Gajus hat noch einen Fall überliefert; Gaj. IV, 24 nec me praeterit in forma legis Furiae testamen- tariae pro judicato verbum inseri, cum in ipsa lege non sit, quod videtur nulla ratione factum. die Art und Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Weise, wie er sich über ihn äußert, verräth, daß er darin eine große Singularität erblickte. So viel zur Rechtfertigung des oben (S. 665) behaupteten beengenden Einflusses des Legisactionen-Systems. So weit letz- teres reichte, war die Jurisprudenz und die Obrigkeit machtlos. Sie vermochten weder eine gesetzlich zuständige Klage in ihrem Lauf zu hindern, auch wenn das Resultat im einzelnen Fall mit der wirklichen Intention des Gesetzes und dem natürlichen Rechts- gefühl in noch so grellen Widerspruch gerieth, noch auch stand es in ihrer Macht, umgekehrt in einem Fall, in dem das drin- gendste Bedürfniß und der gerechteste Anspruch auf Hülfe vor- handen, eine Klage zu gewähren, die das lückenhafte Gesetz nicht vorgesehen hatte. Ich glaube daher nicht zu viel gethan zu ha- ben, wenn ich den Eindruck, den der alte Proceß auf mich macht, an anderer Stelle (S. 80) mit dem Bilde einer Maschine wie- dergegeben habe. Ob das Drückende dieses Zustandes vom römischen Leben empfunden, und ob nicht die Opposition, die der alte Proceß nach Gajus im Lauf der Zeit hervorrief, und der er schließlich erlag, sich eben so sehr auf diesen Uebelstand erstreckte, als auf den von Gajus gerügten — das, meine ich, darf ich dem Urtheil eines Jeden überlassen. Auch England kannte einst ähnliche Zustände — denselben Rigorismus des Gesetzes, denselben eiser- nen Legalismus — aber auch hier machte das Leben seine Rechte geltend. Dieselbe Erleichterung, die Rom im Formularpro- ceß, suchte England in den Billigkeitsgerichtshöfen ( courts of equity ), S. die Note 874 citirten Werke von de Lolme, Kap. 11 und Gneist §. 125, außerdem Rüttimann der engl. Civilproceß. Leipzig 1851 §. 8—10, 83. nur haben letztere sich allerdings nie zu der Höhe des rechtsbildnerischen Einflusses erhoben, der dem römischen Prätor beschieden war. Eine Nachwirkung ist meiner Ansicht nach der spätern Zeit noch vom Legisactionen-System geblieben. Es ist dies jene für den specifischen Charakter der römischen im Gegensatz zu unserer Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. heutigen Jurisprudenz so bestimmende Behandlung und Auffas- sung der Klage . Es ist schwer diesen Gegensatz, wie es hier doch geschehen muß, im Vorübergehen mit wenig Worten zu entwickeln; mögen folgende Andeutungen genügen. Wenn man die wissenschaftliche Form, die der Rechtsstoff in der römischen und der heutigen Jurisprudenz an sich trägt, mit einander vergleicht, so findet man als dominirenden Gesichts- punkt und zwar sowohl für die Behandlung der einzelnen In- stitute als die Anordnung des ganzen Systems dort die Klage , hier das Recht . Der römische Jurist beginnt regelmäßig mit der Klage und steigt von ihr rückwärts zu dem Recht, welches ihre Voraussetzung bildet, hinauf, der heutige schlägt den gerade ent- gegengesetzten Weg ein. Dem entsprechend ordnet letzterer das ge- sammte System nach Gesichtspunkten, die vom Recht hergenom- men sind; während die Römer sowohl in ihren legislativen (prätorisches Edict) als doctrinellen Darstellungen vielfach den ganzen Stoff an der Hand der Klagen behandeln. Der römische Ausgangspunkt ist der des unmittelbar praktischen , der heutige des theoretischen, wissenschaftlichen Interesses. Wäre es nun bloß eine Differenz der Ausgangspunkte , bei der man in entgegengesetzter Richtung ganz denselben Weg zurücklegte, sie würde nur eine systematische Bedeutung haben. Allein in der That bedeutet sie viel mehr, nämlich eine höchst fol- genreiche praktische Differenz — eine Verschiedenheit für die Entwickelung des gesammten Rechts sowohl rücksichtlich der Art und Form , in der, als der Seite, auf der, und der Leich- tigkeit , mit der sie Statt findet. Die Klagen sind in Rom die Fußstapfen der staatlichen rechtsbildenden Gewalten; na- mentlich des Prätors; der Antheil, den letztere an der Entwicke- lung des Privatrechts genommen, ist zum größten Theil in ihnen zu lesen. Auch noch in späterer Zeit gehört die Klage, wenn auch nicht mehr wie einst der lex (im römischen Sinn) so doch dem Staat . Das Recht über seine Kinder und sein Haus lei- tet der Römer nicht vom Staat ab, das hat er von sich selbst Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. (S. 60), aber die Klage , den Anspruch auf Schutz von Sei- ten des Staats betrachtet er als eine Gabe des letzteren. Die Jurisprudenz kann ihm dieselbe nicht gewähren. Wenn nicht das Volk selbst die Sache in die Hand nimmt, kann und mag die Jurisprudenz, als Vertreterin desselben, den Prätor zur Ein- führung der Klage drängen , aber ihn nicht ersetzen . Der römischen Jurisprudenz war der Prätor unentbehrlich, unsere heutige ersetzt ihn bis zu einem gewissen Grade durch sich selbst. Denn das, wozu jene ihn nöthig hatte, erreicht sie schon durch sich selbst, und der Grund, daß sie es kann, liegt eben in ihrer Auf- fassung der Klage. Hat sie nur erst das Recht gewonnen, ist sie also im Stande, auf dem Wege der Deduction die innere Nothwen- digkeit des letzteren zu erweisen, so versteht sich für sie die Klage von selbst — die Klage ist ihr eine bloße Consequenz des Rechts, kein eignes Geschöpf. Der Rechtsschutz des Staats ist in ihren Augen die allgemeine Atmosphäre, in der die Rechte leben, eine res communis wie die Luft, die allem, was auf dem Boden des Rechts zur Existenz gelangt, z. B. auf gewohnheitsrechtlichem Wege, von selbst zu Gute kommt. Die Klage ist ihr kein In- dividuum , sondern eine Abstraction . Den Römern ist umgekehrt die Klage ein Individuum. Sie hat ihr bestimmtes Gebiet, ihren bestimmten Begriff, ihren eigenen Namen und ihre eigne Formel, ihre Entstehung beruht auf einer bestimmten histo- rischen Thatsache, einem eignen Zeugungsact, und es ist bezeich- nend, daß sie die Erinnerung an den Prätor, der sie eingeführt hat, häufig in ihrem Namen festhält. Die Klagen, deren Ursprung sich in die Vorzeit verliert, tragen ihren Namen nach der Sache z. B. rei vindicatio, actio confessoria, he- reditatis petitio, die der spätern Zeit vorzugsweise nach ihrem Ursprung z. B. actio legis Aquiliae, Publiciana, Pauliana, Serviana, interdictum Salvianum . Es ist gewiß nicht zufällig, daß manche Klagen des prätorischen Edicts nach der Person des Prätors genannt sind, andere nicht — eine Be- merkung, die ich hier jedoch nicht weiter verfolgen darf. Aus dem bloßen Stoff und Material allein, durch bloße Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 43 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Deduction und Abstraction gelangt sie noch nicht zur Existenz, es bedarf des belebenden Odems einer mit schöpferischer Kraft ausgerüsteten Macht, um sie ins Dasein zu rufen — kein römi- scher Jurist hat eine Klage geschaffen. Erst mit dieser ihrer Geburt ist der Zeitpunkt gekommen, wo die bildenden Mächte des Lebens und der Jurisprudenz: das praktische Bedürfniß, die Consequenz, die Analogie u. s. w. sich an der Klage ver- suchen können, und der Begriff des der Klage zu Grunde liegen- den Rechts eine productive Potenz wird. Aber wie weit auch die Ausdehnung und Umgestaltung, die dadurch der Klage zu Theil wird, sich erstrecke, immer schließt sich jeder neue Zuwachs, und wäre es auch in gezwungenster Weise, wie nicht selten bei den Fictionen, eng an sie an, und immer bleibt sie ein bestimmt abgegränztes Ding, ein Individuum — sie verliert sich nie, wie bei uns in den leeren Raum des abstracten Staatsschutzes, ja, wie ein Baum in der Rinde, fixirt sie und gränzt sie unter ein- ander ab die einzelnen Schüsse, die sie im Lauf der Zeit ge- trieben. Als Beispiel nenne ich namentlich die actio legis Aquiliae di- recta , utilis und in factum actio. Ist die einzelne Klage ein Individuum, so folgt daraus, daß auch die Gesammtsumme derselben nichts ist, als eine bestimmte Zahl einzelner Klagen. Der römische Jurist konnte die vorhandenen Klagen zählen , wer möchte dies für das heu- tige Recht über sich nehmen? Nicht als ob uns die Unüber- sehbarkeit der Zahl Schwierigkeiten machen könnte, sondern gerade der Mangel der Zahl . Die bisher geschilderte, für die Physiognomie des ganzen römischen Rechts so außerordentlich ausdrucksvolle Auffassung der Klage hat nun ihre letzten Wurzeln in dem System der Legis- actionen. Denn in ihm hat gerade der Gedanke, auf dem sie beruht: der der juristischen Individualität der Klage seine erste und zur höchsten Schärfe gesteigerte Verkörperung Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. gefunden. Die Legisactionen waren Individuen, wie Krystalle: scharfkantig, spitz, bis ins Kleinste hinein fest, bestimmt, unab- änderlich. Einer Jurisprudenz, die Jahrhunderte lang sie vor Augen und mit ihnen zu operiren hatte — einer solchen Juris- prudenz, meine ich, mußte die Idee der Individualität der Klage bis zur Unvergeßlichkeit eingeprägt werden. Zu der im bisherigen vorgetragenen Auffassung der Legis- actionen steht im Widerspruch die Ansicht eines neuern Schrift- stellers, A. Schmidt in der oben Note 872 citirten Gelegenheitsschrift. deren Betrachtung ich aus Gründen der Darstellung bis jetzt aufgeschoben habe. Die Ansicht soll zwar zunächst nur den Ursprung der Le- gisactionen bestimmen, allein sie trifft mittelbar das ganze We- sen derselben. Ihr Kern besteht darin: die Formeln hätten einen heiligen, religiösen Charakter an sich getragen, ein Versehen in dem Gebrauch derselben sei folgeweise unter den Gesichtspunkt einer Sünde gegen die Götter gefallen. Was den Verfasser zuerst darauf gebracht hat, den letzten Grund der Legisactionen im Himmel zu suchen, ist seiner eignen Erklärung zufolge die excessive Aengstlichkeit, mit der die Römer bei ihnen das Wort handhabten. Es würde ihm, wenn er sei- nen Blick etwas weiter hätte schweifen lassen wollen, an Paral- lelen auf Erden nicht gefehlt haben. Um von den Formeln des materiellen römischen Rechts zu schweigen, für die er jenen Cha- rakter ebensowenig in Anspruch nehmen wird, als für die des spätern Processes, so hätte ihn das Beispiel des isländischen und englischen Rechts (S. 625 und Note 874) lehren können, daß das Formelwesen auch auf profanem Boden zu einer Blüthe ge- deihen kann, die hinter der im alten Rom um nichts zurücksteht. Auch daß die Diener der Götter, die Pontifices, die Verfas- ser und Hüter der Legisactionen waren, findet zu jeder Zeit, in der die Geistlichen die Träger der gelehrten Bildung oder, 43* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. um bescheidener zu sprechen, die Schreibmeister der Nation wa- ren, sein Seitenstück, und dieser Umstand allein würde den von ihnen verfaßten Formeln ebensowenig eine religiöse Weihe zu verleihen im Stande gewesen sein, als z. B. der Mönch Mar- culf im siebenten Jahrhundert für seine Formulariensammlung eine solche wird vindicirt haben. Daß die Legisactionen denselben Geist athmen, wie die For- meln des geistlichen Rechts, was bewiese es anders, als das, was wir wissen: daß sie denselben Händen ihren Ursprung ver- danken? Der pontificische Styl (S. 423) geht durch das ganze Recht, das fas wie das jus, aber eben diese letztere, uralte Schei- dung des Rechts in eine religiöse und profane Seite (B. 1 S. 258) lehrt, daß nicht jedes Institut dadurch, daß ein Pon- tifex seine Hand daran legte, die religiöse Weihe erhielt. Ein Versehen in der Formel, heißt es weiter, fachte den Zorn der Götter an, denn die Formel war genommen aus dem Gesetz, das Gesetz selbst aber vermöge der Auspicien unter göttlicher Mitwirkung erlassen. Einen Beweis der Richtigkeit dieser Auf- fassung soll die legis actio sacramento liefern: das sacramen- tum (B. 1 S. 265) sollte die Götter versöhnen. Allein warum erhielten sie die Sühne bloß bei jener legis actio, warum nicht auch bei den vier übrigen, namentlich der pignoris capio, die ja in gewissen Fällen eine ausgesprochene religiöse Beziehung hatte? Waren die Gesetze, in denen sie ihren Ursprung hatten, weniger unter göttlichen Schutz gestellt? Schrie das Unrecht Jemandes, der illegaler Weise eigenmächtig mit manus injectio oder pignoris capio verfahren, weniger zum Himmel, als dessen, der den Weg Rechtens (mittelst leg. act. sacramento ) eingeschlagen und dabei wegen Formfehlers unter- legen war? Ich sollte sagen: weit mehr! Ein Gebot gab es im alten Proceß, dessen religiöse Natur außer allem Zweifel steht: das Gebot der Beachtung der dies nefasti (s. unten S. 695). Welche Folge hatte nun die Ver- letzung desselben? Die unbewußte konnte und mußte mit- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. telst eines Piaculum gesühnt werden, die absichtliche konnte es nicht. Den religiösen Charakter der Proceßformeln ange- nommen, so hätte also ein Mißgriff in der Benutzung derselben ebenfalls durch ein Piaculum gesühnt werden müssen. Daß bei den wirklich religiösen Formeln das Versehen diese Folge nach sich zog, wird uns ausdrücklich bezeugt. Arnob. adv. gentes IV, 31 Piaculi dicitur contracta esse com- missio, si per imprudentiae lapsum aut in verbo quisquam … deer- raverit. Doch unser Gegner gibt uns selbst die Waffen zu seiner Widerlegung in die Hand. Seiner Ansicht zufolge sollen näm- lich die Proceßformeln bereits vor den XII Tafeln vorhanden gewesen, ja zum Theil in sie übergegangen sein. Damit hat er selbst den der religiösen Weihe des Gesetzes entlehnten Grund beseitigt. Worauf stützten diese uranfänglichen For- meln denn damals ihren „heiligen“ Charakter? In der That, wenn nicht die Götter Roms dem Volk statt Religionsbücher eine Sammlung von Proceßformeln in die Wiege gelegt haben, ich wüßte ihnen denselben nicht zu retten! Aber auch als sich ihnen in den Gesetzen eine denkbare Quelle desselben erschloß — wie viel hätte es bedurft, um aus dieser Quelle zu schöpfen! Fühlt die empfindliche Gottheit als Schutz- patronin des Gesetzes sich schon durch die bloß mittelbare Uebertretung des Gesetzes verletzt, durch ein fehlendes Wort in der Legisactio, um wie viel mehr durch eine unmittelbare und absichtliche Verletzung desselben. Der Gott, dem der Bestoh- lene, der bei der actio furti sich verspricht, ein Aergerniß ist, wie wird er erst den Dieb die Wucht des Zorns fühlen lassen. Allein letzterer geht leer aus — die Götter, die für das Wort ein so scharfes Ohr haben, besitzen für die Handlung kein Auge! — Der Diebstahl bringt ihnen nichts ein. So lange nun der Beweis nicht erbracht wird — und er wird ewig auf sich warten lassen — daß die Uebertretung eines jeden Gesetzes in Rom als ein Vergehen gegen die Götter angesehen Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. worden sei, so lange werden wir auch den Versuch, den gött- lichen Zorn zur Erklärung des Wesens der Legisactionen zu ver- wenden, für einen mißlungenen erklären dürfen. Mit den Legisactionen als dem dritten Anwendungsfall des Gesetzes der Correspondenz der Form habe ich die Erörterung des letzteren und damit meine Theorie der Composition der For- meln überhaupt beschlossen. Ein Gegenstand, der dem ersten Anlauf eine solche Ausbeute gewährte, schließt jedenfalls noch eine Menge ungehobener Schätze in sich. Einige Beobachtungen habe ich aus Mangel an geeigneten Ge- sichtspunkten, denen ich sie hätte unterordnen können, nicht mitgetheilt, man verstatte mir, eine hervorzuheben. Warum lautete die Formel des Vindica- tionslegats: capito, sumito, habeto, die des Damnationslegats: dato, fa- cito? Hätten sie nicht umgekehrt lauten können? Nein! Die Obligation geht auf eine Leistung, ein dare, facere des Schuldners , der Eigenthums- erwerb besteht nach römischer Ansicht in einem Nehmen des Erwerbers (B. 1 §. 11), einem capere, sumere, darum lautet die eine Formel auf eine Handlung des Erben , die andere auf eine des Legatars , ohne des Erben zu erwähnen (ähnlich wie die Formel der mancipatio und in jure cessio ). Möge mein Versuch dazu beigetragen haben, die rechtshistorische Forschung mehr als bisher auf diesen Punkt zu lenken. Namentlich möchte ich ihn auch der Aufmerksamkeit der Philologen anempfehlen. Wo fänden sie z. B. eine so absichtliche Unterscheidung der Conjunctionen quod und quando, als in den vier Formeln der Cognitoris datio bei Gaj. IV, 83, von denen die beiden des Klägers sich der einen , die des Beklagten sich der andern bedienen? Ich bin fest überzeugt, daß die be- griffliche Nüancirung der Conjunctionen quod, quum, quoniam, quando, si u. s. w. nirgends so beobachtet und folglich auch zu beobachten ist, als in den alten Formeln. Darin würde zugleich das wirksamste Gegenge- wicht liegen gegen eine zu einer Art Modekrankheit gewor- dene — ich kann keinen andern Ausdruck wählen — Spielerei, die man mit der Sache getrieben hat. Ich brauche mich nicht dagegen zu verwahren, als ob ich das Verdienstliche einer auf Grund positiver Basis unternom- menen Restitution der Formeln unterschätze. Wogegen ich mich Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. aber aufs entschiedenste erklären muß, ist jene Ausartung der Restitution in ein reines, aller Anhaltspunkte baares Con- struiren , das, nachdem die tonangebenden Meister das Bei- spiel gegeben, in den Händen der Gesellen Um Anderer zu geschweigen, greife ich Herrn Muther in Königsberg (Zur Actio u. s. w. Erlangen 1857) heraus, der durch sein auch in anderer Weise an einen Gesellen erinnerndes bisheriges Auftreten den Anspruch auf Schonung von meiner Seite verscherzt hat. Er selbst gerirt sich freilich bereits wie ein Meister — eine Selbsttäuschung, die bei Jemanden, der kaum noch Schüler schon den Schulmeister zu spielen wagt, allerdings sehr erklärlich und auch durch meine Bemerkung, daß Schulm eister und Meister zweierlei sind, — schwerlich zu heben sein wird. als Probestück correcter rechtshistorischer Richtung zu einer wahren Caricatur geworden ist. Wer eine Ahnung von den Feinheiten des römischen Formel- wesens hat und bescheiden genug ist einzugestehen, wie wenig unser Auge für sie entwickelt ist, Um ein schlagendes Beispiel davon zu geben (s. außerdem auch Note 706 nebst S. 633 oben und Note 793), so nehme ich die Formel, mit der nach Puchta, Cursus der Inst. II §. 162 not. o ) der Prätor die Partheien zum manus conserere bei Grundstücken aufforderte: suis’utrisque superstitibus praesentibus vindicias sumite , inite viam. Statt der gesperrten Worte hat Cic. pro Mur. 12, dem die Formel entnommen ist: ist am viam dico, die aber Ciaconius („satis ingeniose e Festo.“ Orelli ad h. 1.) mit jenen vertauscht und darin an Puchta einen Nachfolger gefunden hat. Wer die Formel bei letzterm liest, muß sie für eine ächte halten, sie wird mitgetheilt mit Angabe der Quellenbelege und ohne weitere Warnung. Der Umstand, daß ein Mann wie Puchta jene Worte nicht sofort für unmöglich erkannte, liefert einen frappanten Beweis dafür, wie wenig wir uns noch in das römische For- melwesen hineingedacht haben; sie enthalten einen Verstoß gegen die ein- fachste Bauernlogik — jeder Römer würde den Prätor verlacht haben, der ihm befohlen hätte, zuerst die Scholle zu holen und dann sich auf den Weg zu machen! Daß die Formel in dieser Fassung daneben noch den ganzen Hergang bei jenem Akt verschiebt (S. 600), will ich gar nicht einmal rügen. wird nirgends so sehr vor dem Construiren zurückschrecken, als hier. Ich wende mich jetzt einer neuen Seite des Formelwesens zu: der praktischen Anwendung desselben . Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Wir kennen bereits das Urtheil, das die spätere Zeit über den Geist, in dem sie gehandhabt wurde, fällte, jene Vorwürfe der übertriebenen Spitzfindigkeit, Silbenstecherei, minutiösen Strenge u. s. w. (Note 647 und S. 649), und ebenso habe ich bereits S. 615 die Ansicht, als ob diese Eigenschaften nicht über- all in derselben Schärfe, sondern vorzugsweise nur in den Legis- actionen zu Tage getreten, auf ihr rechtes Maß zurückgeführt. Die Jurisprudenz blieb sich überall gleich, ihre Strenge kannte keine Grade, und konnte sie nicht kennen, denn dieselbe war ja nichts Willkührliches, Subjectives, sondern die mit dem Be- griff der Form selbst objectiv gegebene Folge einer Verletzung derselben. Der Schein des Gegentheils beruht nur darauf, daß das Maß der Bestimmtheit der Form bei verschiedenen Geschäf- ten ein verschiedenes war (S. 612 fl.). Grade in der Strenge könnte es nur unter der Voraussetzung geben, daß die Abwei- chung von der Form Grade zuließe, daß man zwischen leichte- ren und schwereren Formfehlern unterscheiden dürfte. Allein wie wäre dies möglich, und wo wäre die Gränze? Möge ein Gran oder ein Loth am Pfunde fehlen — das Pfund ist kein volles! Ist einmal ein bestimmtes Wort für die Form wesentlich, wie könnte es vertauscht werden mit einem gleichbedeutenden? Sind es mehre Worte, ist es eine bestimmte Reihenfolge derselben, wie könnte daran etwas fehlen oder geändert werden? Kurz, es gibt hier keine Wahl — die exacteste Genauigkeit, möge dieselbe immerhin Kleinigkeitskrämerei und Pedanterie gescholten wer- den und den Eindruck größter Kümmerlichkeit machen, ist die einzige Rettung gegen Willkühr. Wer sie nicht will, muß die ganze Einrichtung nicht wollen, wer letztere will, muß jene in den Kauf nehmen. Ich werde jetzt an einigen Beispielen nachweisen, wie die ältere Jurisprudenz diese Consequenz des Formalismus zur Gel- tung gebracht hat. Daß im Legisactionen-Proceß ein einziges Wort den ganzen Proceß kosten konnte, ist uns bereits bekannt (S. 649), für den Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Formularproceß galt ganz dasselbe. Quint. Inst. orat. VII, 3 quum si uno verbo sit erratum, tota causa cecidisse videamur. Nicht anders bei Rechts- geschäften, nur daß hier Nichtigkeit eintrat, so z. B. bei der Stipulation (S. 582). Wie der Ausfall eines Worts oder die Vertauschung desselben mit einem gleichbedeutenden, so begründete auch die Veränderung der Reihenfolge der Worte Plin. H. N. XXVIII, 3 .. ne quid praeposterum dicatur. ja sogar der Gebrauch einer neuern Wortform , wo sich für die Formel noch die ursprüngliche erhalten hatte, Das Wort ovis, im spätern Sprachgebrauch Femininum, war ur- sprünglich Masculinum, und daran hatte die Formel der multae dictio fest- gehalten; als Femininum gebraucht begründete es hier Nichtigkeit. Gell. XI, 1 .. nisi eo genere diceretur, negaverunt justam videri multam. einen Nichtigkeitsgrund. Ebenso Zusätze , wenn die Formel eine feste, unabänderliche (S. 614) war, und zwar traf die Nichtigkeit nicht etwa den Zusatz, so daß das Geschäft im übri- gen gültig geblieben, sondern das ganze Geschäft. Auf die Be- schaffenheit des Zusatzes kam nichts an; mochte er sich mit dem Zweck des Geschäfts vertragen oder nicht, mochte er inhalts- los, mochte er gänzlich sinnlos sein — es war ein Zusatz und die Formel duldete keinen Zusatz. Damit hängt eine bekannte Regel des römischen Rechts zu- sammen, der neuere Juristen den Ausdruck gegeben haben: ex- pressa nocent, non expressa non nocent. S. darüber Savigny Syst. B. 3 S. 124, 125. Daß, um mit sei- nen Worten zu reden, „das Wesen hierbei der Form geopfert wird,“ ist vollkommen richtig, allein darauf beruht eben das Wesen der Form . Die solennen Rechtsgeschäfte, sagt Papinian, L. 77 de R. J. (50. 17). Der hier gebrauchte Ausdruck: actus legitimi scheint kaum ein technischer gewesen zu sein, da er sich bei keinem andern Juristen wiederholt, eben so wenig civile negotium bei Ulp. XI, 27. welche keine Bedingung oder Zeitbestimmung zulassen, werden durch das Hinzufügen einer sol- chen schlechthin nichtig, selbst wenn sich der Inhalt derselben von selbst versteht, wie z. B. die zu dem bedingten Geschäft des Pu- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. pillen (also stillschweigend unter derselben Bedingung) ertheilte tutoris auctoritas, die acceptilatio einer bedingten Schuld. Die beiden Beispiele s. in L. 77 cit. und L. 8 de tut. auct. (26. 8). Zu den in der ersten Stelle genannten Geschäften kommen noch hinzu die tutoris auctoritas und rücksichtlich der Unzulässigkeit der Bedingung die Bestellung eines Cognitor (Vat. fr. §. 929) und die in jure cessio. Ein Beispiel einer sich von selbst verstehenden Zeitbestimmung ist in den Quel- len nicht genannt; die tutoris datio von Seiten der Obrigkeit dürfte ein sol- ches enthalten: der dies ad quem (die Mündigkeit des Mündels) verstand sich von selbst. Dieses eiserne Festhalten am Wort und an der Formel hat, wie ich bereitwillig zugebe, etwas höchst Unerquickliches, und man kann die relative Nothwendigkeit desselben einräumen, ohne mit diesem Eindruck zurückhalten zu müssen. Aber, um gerecht zu sein, dürfen wir einen Gesichtspunkt nicht außer Acht lassen, der die Sache in einem wesentlich günstigeren Licht erscheinen läßt, ich meine die oben geschilderte, auf die Abfassung der Formeln verwandte Sorgfalt und Kunst. Wo jedes Wort aufs sorgsamste erwogen, wo die bestimmte Ordnung und Reihenfolge der Worte und Satztheile nur der Ausdruck der innern Logik des Gedan- kens, die Unabänderlichkeit der Formel nur die Folge und das Zeichen der gelungenen erschöpfenden Abgränzung des In- halts ist (S. 515), kurz wo das Kleinste Sinn und Bedeutung hat, da ist die genaue Beachtung desselben keine bloße Klei- nigkeitskrämerei. Die Strenge der Jurisprudenz in der Hand- habung der Formeln hatte die in der Abfassung derselben zu ihrem rechtfertigenden Grunde, und wenn meine obige Com- positionstheorie der Formeln auch weiter keinen Werth hätte, so würde sie ihn schon zur Genüge darin finden, daß sie unserm End- urtheil über das römische Formelwesen eine ganz andere Ge- stalt geben muß, als es abgesehen davon lauten dürfte. Wo das Wort nicht den Werth der Scheidemünze, sondern eines Goldstückes hat, ist auch die Goldwage am Platz. Hiermit habe ich meine Darstellung des zweiten Elements der Rechtsgeschäfte: des Worts (S. 603) beschlossen. Es ver- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. bleibt mir noch ein Moment, welches wenn auch keinen Be- standtheil , so doch einen Rahmen des Rechtsgeschäftes bil- det. Es ist jener Rahme, in den alles, was geschieht, hin- einfällt: 3. Raum und Zeit . Das Verhalten des Rechts zu diesen beiden Kategorien sei- nem ganzen Umfang nach historisch zu verfolgen, würde eine der interessantesten und dankbarsten Aufgaben der vergleichen- den Rechtsgeschichte sein. Als Resultat würden wir wahrschein- lich überall dasselbe finden, was uns die römische Rechtsge- schichte aufweist: den fortgesetzten Kampf des Rechts gegen den beschränkenden und beengenden Einfluß jener beiden Mo- mente, den Fortschritt von der Unfreiheit zur Freiheit, von der Abhängigkeit zur vollständigsten Herrschaft über Zeit und Raum. An der gegenwärtigen Stelle müssen wir uns auf ein Stück dieser Geschichte beschränken: die Bedeutung beider Momente für die Form der Rechtsgeschäfte im ältern Recht; an der rechten Stelle wird das Fehlende nachfolgen. Ich beginne mit dem Raum . Welche Bedeutung das Problem der Ueberwindung des Raums für die Geschichte der Erfindungen, des Handels und die Culturgeschichte hat, und was der menschliche Erfindungs- geist auf diesem Gebiet geleistet, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt dürfte es sein, daß und wie auch das Recht sich mit demselben Problem hat beschäftigen müssen. Die Schwierigkei- ten, mit denen das Recht zu ringen hatte, lagen nicht in der Außen- welt, der Natur, sondern im Menschen selbst , aber sie waren darum nicht minder gering, und es hat nicht weniger Zeit und Anstrengung gekostet, sie zu bewältigen, als die, welche den Vorwurf der Mechanik und Naturwissenschaft bilden. Der Ab- stand zwischen dem Einst und Jetzt, dessen letztere sich rühmen können, gilt auch für das Recht — wer das heutige mit dem Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. altrömischen vergleicht, wird ihn kaum weniger erheblich nennen, als den zwischen dem Eisenbahn- und Telegraphenwesen der heutigen Zeit und dem Schneckengang der Transportmittel der Vergangenheit. Was ist für unser heutiges Recht die Entfernung und was war sie einst! Einst ein absolutes Hinderniß für die Vornahme eines jeden Rechtsgeschäfts, ist sie heutzutage für den Verkehr rechtlich Nur das Familienrecht kennt noch das Requisit der Anwesenheit — die Reise zur Hochzeit ist auch heutzutage eine rechtlich nothwendige Reise; das Privatfürstenrecht hat selbst sie erlassen (Stellvertretung). ohne den geringsten Einfluß. Contracte schließen, Besitz und Eigenthum erwerben und übertragen, Processe füh- ren u. s. w., alles das kann man von jeder beliebigen Entfer- nung aus — Stellvertreter und Briefe ersparen dem Handeln- den die Mühe des eignen Erscheinens. Ein alter Römer würde sich vielleicht nicht weniger darüber wundern, was man heutzu- tage mit Papier und Dinte, als was man mit Dampf und Electricität ausrichtet. Papier und Dinte vertreten bei uns nicht bloß die Person , sondern auch die Sache , wenigstens die wichtigste derselben: das Geld . Wechsel, Anweisungen, Banknoten, Papiergeld machen es unserm heutigen Verkehr möglich, das Gewicht einer Million auf wenige Lothe zu redu- ciren, und gegenüber den Summen, die täglich in dieser lufti- gen Gestalt den Raum durcheilen, verschwindet die Masse des versandten Metallgeldes fast in nichts. Das Gemeinsame unse- res gesammten heutigen Systems der Raumüberwindung im Gegensatz zu dem früherer historischen Epochen besteht in der Substituirung todter Mittel an die der lebendi- gen . Die Locomotive hat das Lastthier, der Telegraph den Boten, die Feder den Menschen ersetzt — Dampf, Electricität und Dinte sind die Hebel des heutigen Verkehrswesens. Die Bedeutung des Raums im heutigen Recht beschränkt sich im wesentlichen bloß darauf, daß der Raum die Rechts- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. territorien und bis zu einem gewissen Grade das Domicil der Rechtsverhältnisse bestimmt (Frage von der Collision frem- der und einheimischer Gesetze). Diese Gestalt nun, die unser heutiges Recht der Raumfrage gegeben hat, macht uns, eben weil sie den Ausdruck unserer mo- dernen Anschauungsweise enthält, den Eindruck der höchsten Na- türlichkeit und Nothwendigkeit. Dem alten Römer würde sie, wie bereits bemerkt, als das gerade Gegentheil erschienen sein — ein abermaliger Beleg dafür, welche Bewandniß es mit dem Begriff des „Natürlichen“ hat! Das Natürliche ist das, was der Anschauungsweise einer bestimmten Zeit entspricht — was die- ser Zeit natürlich, erscheint jener als völlig unnatürlich. Der Ge- gensatz der Anschauungsweise, welcher der Behandlungsweise des heutigen und altrömischen Rechts zu Grunde liegt, läßt sich mit einem Wort bezeichnen — es ist der uns wohlbekannte der abstracten und sinnlichen . Die Gestalt, die das Verhält- niß im altrömischen Recht an sich trägt, ist nichts als ein abermaliger und höchst schlagender Beleg für die Macht des sinnlichen Elements. Sie war eine im hohen Grade unbequeme — eine Fessel für den Verkehr, die man sich selbst geschmiedet hatte, ein Joch, das man trug, weil und so lange man daran glaubte. Aber um sich von dem Glauben daran und damit von ihm selbst loszureißen, dazu gehörte erst ein Umschwung in der ganzen Anschauung, wie er sich nur im Lauf der Jahrhunderte und unter dem drängenden und zwingenden Einfluß bedeutender äußerer Veränderungen vollziehen konnte. Der Begriff des Rechtsgeschäfts unter Abwesenden besteht darin, daß die handelnden Personen sich an zwei verschiede- nen Orten befinden. Diese Doppeltheit des Orts bei einem und demselben Rechtsgeschäft widerstrebt dem einfachen Sinn. Denn wenn es ein Geschäft sein soll, so ist auch Einheit der Handlung erforderlich; wie wäre aber letztere möglich, wenn die Personen nicht an demselben Ort gegenwärtig sind? Offerte und Accept, Frage und Antwort, Absenden und Eintreffen der Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Erklärung fallen hier in ganz verschiedene Zeitmomente. Ein- heit der Zeit erfordert nothwendigerweise Einheit des Orts, Aufgeben der letzteren ist Aufgeben der ersteren. Wollen Zwei juristisch überein- oder zusammenkommen (con venire , con- ventio) so mögen sie es auch im natürlichen Sinn thun; da sieht man, daß sie etwas Gemeinsames vorhaben — ihre Vereini- gung im Raum ist die sinnlich-natürliche Voraussetzung ihrer Vereinigung im Willen . Ebenso wenn es eine unmittelbare Disposition über eine Sache gilt. Wie könnte man dieselbe tref- fen aus der Entfernung? Das ist dem naiven Sinn zu hoch. Er verlangt nicht bloß, daß man den Gegenstand, um den es sich handelt, sehe , sondern daß das rechtliche Verhältniß, in das man sich zu ihm setzen oder das man an ihm geltend machen will, kurz die Beziehung und Richtung des Willens zu ihm sich in einer äußern Einwirkung auf ihn kund thue, verkörpere, — das Erforderniß der Einheit des Orts besteht auch für die Sachen : wo die Sache unmittelbarer Gegenstand des Rechts- geschäfts ist (Besitz- und Eigenthumsübertragung, Vindication, operis novi nunciatio L. 5 §. 2 und 3 de O. N. N. (39. 1). Nunciationem autem in re praesenti faciendam i. e. eo loci, ubi opus fiat .. sufficit in re praesenti nunciari ei, qui in re praesenti fuerit. , muß sie den handelnden Personen zur Hand sein. So hat also das Rechtsgeschäft seinen räumlichen Kreis, innerhalb dessen Personen und Sachen gegenwärtig sein müssen. Für die Personen ist er bestimmt durch das Requisit der mündlichen Rede (S. 616), durch Sprechen und Hören, er reicht so weit, als die Stimme und das Ohr trägt. Darum müssen bei allen formellen Rechtsgeschäften und bei allen Hand- lungen des Processes, bei denen die Rede sich gegen den Gegner richtet, beide Theile gegenwärtig sein. Für die Stipulation, Mancipation, Abtretung vor Gericht und die Legisactionen (mit Ausnahme der pignoris capio, Gaj. IV, 29) ist dies be- reits früher bemerkt; ich hebe außerdem noch die in L. 6 §. 2 de conf. Für die Sachen ist Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. jener Kreis bestimmt durch das Requisit des Greifens (Man- cipation, Abtretung vor Gericht, Vindication S. 596); er reicht so weit als die Hand . Für die Tradition ist er im neuern Recht (S. 453) ungleich weiter gezogen; hier reicht er so weit, als das Auge (traditio longa manu). Die Tragweite des Willens im Raum stuft sich demnach ab nach dem der Or- gane : der Hand, der Sprachwerkzeuge, des Ohrs, des Auges — darüber hinaus kann der Wille keine Wirkungen ausüben. Um ihm diese zu ermöglichen, hätte man an die Stelle der mündlichen Rede das Schreiben oder an die der eignen Rede die des Stellvertreters setzen und rücksichtlich der Sachen das Requisit der actuellen oder (beim Besitz) potentiel- len Einwirkung auf dieselbe erlassen müssen. Hat das ältere Recht sich dazu verstanden? Die Frage ist entschieden zu verneinen. Nur rücksichtlich des Princips der Präsenz der Sache ließ man im Vindicationsproceß nicht so- wohl eine Ausnahme, als eine Erleichterung zu: Repräsenta- tion des Streitobjects (S. 534), Nicht bloß bei unbeweglichen Sachen, sondern auch bei beweglichen, die sich ohne Unbequemlichkeit nicht vor Gericht bringen ließen, Gaj. IV, 17. die, wie S. 601 zu zeigen versucht ist, auf die Mancipation unbeweglicher Sachen nicht ohne Rückwirkung bleiben konnte und für sie die völlige Aufgabe jenes Princips nach sich zog. Das bisher betrachtete Requisit bestand für sämmtliche Rechtsgeschäfte. Für gewisse Arten derselben gesellte sich noch ein anderes hinzu, welches den Ort nicht bloß relativ, wie jenes, sondern absolut bestimmte. Alle an die Mitwirkung des Volks , der weltlichen und der geistlichen Behörden geknüpften Rechtsgeschäfte (S. 552: 1, 2, 3) waren nur am Sitz dieser Gewalten, in Rom An welchen Orten innerhalb Roms, ist damit schon gesagt. Es wäre vielleicht nicht uninteressant, die Topographie Roms einmal mit Rück- möglich. Gruppiren (42. 2) genannte confessio in jure und jurata operarum promissio hervor. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. wir dieselben nach den Rechtsgebieten, denen sie angehörten (s. namentlich S. 580), so mußten in Rom vorgenommen werden aus dem Familienrecht : die Arrogation, Adoption, Emancipation, Eingehung und Trennung einer confarreirten Ehe, Abtretung der Tutel; aus dem Sachenrecht : die Manumission, Bestellung von urbanal und persönlichen Servituten; aus dem Erbrecht : die Errichtung des Testaments — das hieß aber, da letzt- willige Verfügungen nur in Form des Testaments möglich waren: jede letztwillige Disposition — und die Abtretung der Erbschaft; Ob nicht auch die Antretung? Es fehlt uns leider an allen Nach- richten über die ursprüngliche Form der Erbschaftsantretung. Die dem spä- tern Recht angehörige bonorum possessio mußte vor dem Prätor (wenn auch nicht immer vor dem Tribunal desselben), also regelmäßig in Rom nachgesucht oder angemeldet werden. aus dem Proceß : sämmtliche gerichtliche Legisactionen (S. 655). Diese Regel erlitt jedoch zwei Modificationen. Die erste: die freiwillige Gerichtsbarkeit der römischen Magistrate ( legis actio in diesem Sinn) war nicht auf Rom beschränkt, sie begleitete dieselben auch auf ihren Reisen z. B. in die Provin- zen. Keller Röm. Civilproc. §. 3. Ob von jeher? Sie stammte ja zum Die zweite: zu Gunsten des Heeres war an die Stelle sicht auf das Recht und den Verkehr in seinem weitesten Umfange zu verfol- gen. Als Beiträge dazu folgende Notizen. Eidliche Versprechungen wurden in alter Zeit an dem Altardes Herkules (ara maxima) abgelegt, Ver- gleichsverhandlungen im Tempel der Concordia gepflogen ( Plin. Epist. V, 1), die Kriegsbeute ward zum Zweck der Recognition von Seiten der frü- heren Eigenthümer auf dem Marsfeld aufgestellt ( Liv. III, 10. XXXV, 1) — man beachte die Allegorie des Orts in den beiden Fällen — die Verkün- digung der Concurse durch öffentlichen Anschlag erfolgte an der columna Maenia auf dem Puteal ( Schol. Bob. Orelli II, 295), nahe beim Carcer ( Plin. H.N. VII, 60), das sacramentum ward am pons publicius deponirt. Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. des testamentum in comitiis calatis das testamentum in pro- cinctu gesetzt, und über die Soldaten übte der Feldherr wie die Straf- so auch die Civilgerichtsbarkeit. Gell. VII, 1 Val. Max. III, 7, 1. Liv. epit. lib 86. In welcher Proceßform? Die legis actio sacramento war, so wie sie uns geschildert wird, an Rom (B. 1 Note 187) und die Mitwirkung der Pontifices gebun- den. Bewegte sich der Proceß im Lager, wo es an Juristen von Fach fehlte, etwa in freieren Formen? Das möchte das Wahrscheinlichere sein. Der Proceß vor dem Feldherrn gehörte zur Klasse der judicia imperio continentia, d. h. derer welche mit dem imperium zusammenhängen (in diesem Sinn kommt continens sehr häufig vor, z. B. aedificia continentia, woran man mit Unrecht Anstoß genommen hat). Die judicia imperio continentia wer- den aber dem „ lege aut judicio legitimo agere“ entgegengesetzt. Ulp. XI, 27. Darin lag zugleich die freiwillige Gerichtsbarkeit, und sämmtliche durch in jure ces- sio zu vollziehenden Acte z. B. die Freilassung konnten mithin auch im Felde vorgenommen werden, so daß also nur die Arro- gation und die Eingehung oder Trennung der confarreirten Ehe für die Rückkunft nach Rom aufgespart werden mußten — zwei Beschränkungen, die kaum ein Interesse hatten. Abgesehen von diesen beiden Modificationen mußte Jeder, der eins der obigen Geschäfte vollziehen wollte, sich nach Rom verfügen. So lange das römische Gebiet sich auf einen kleinen Umkreis beschränkte, lag in dieser Einrichtung keine nennens- werthe Unbequemlichkeit. Wer kam nicht von Zeit zu Zeit in die Stadt? Der Marktverkehr, der Gottesdienst, die Spiele, Feste, die Volksversammlungen u. s. w. gaben Anlässe genug dazu. Es war kaum ein anderes Verhältniß, als es auch heut- zutage bei größeren Amtsbezirken Statt findet. Ganz anders aber stellte sich die Sache, als die Gränze des Gebiets sich weiter und weiter von Rom entfernte. Die Verfas- sung sowohl wie das Privatrecht waren im wesentlichen berech- net auf eine Stadt ; konnte man sie beibehalten für ein Reich ? Theil erst aus späterer Zeit, s. Note 737. Wie man im römischen Leben die dargebotene Gelegenheit benutzte, darüber s. z. B. Plin. Epist. VII, 16, 32. Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 44 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Die Frage, die damit an die Gesetzgebung herantrat: Beibehal- tung des Bisherigen d. h. äußerste Centralisation oder ange- messene Decentralisation war eine der gewichtigsten, die ihr je zur Entscheidung vorgelegen, und an der unvollkommnen Lösung derselben, an dem Mißverhältniß zwischen Stadt und Reich ist die Republik mit zu Grunde gegangen. Für das Privatrecht hatte zwar die Frage bei weitem nicht die Bedeutung, als für das öffentliche Recht, und die Interessen, die sich ihrer befriedi- genden Lösung in den Weg stellten, waren nach dieser Seite hin ungleich geringer. Allein um so bezeichnender ist die Lässigkeit, das Widerstreben, das selbst nach dieser Richtung hin an den Tag tritt. Vor allem trifft diese Bemerkung alle diejenigen Acte und Verhältnisse des Privatrechts, welche eine unmittelbare oder mittelbare religiöse Beziehung hatten und als zur Competenz des Pontificalcollegiums gehörige eben damit an Rom gewiesen waren. Welches Mißverhältniß war es z. B., daß man noch zu Gajus Zeit eine Arrogation nur in Rom vornehmen konnte, Gaj. I, 100. also aus den entferntesten Provinzen zu dem Zweck nach Rom reisen mußte! Oder daß ein Provinzialstatthalter von Bithynien, wie Plinius, sich die Autorisation zur Verstattung der Verlegung eines Grabmahls erst vom Pontifex Maximus in Rom (Trajan) erwirken mußte! Plin. Epist. X, 73 (69), das Antwortschreiben von Trajan 74. Seine minder scrupu- lösen Vorgänger hatten sich freilich nach seinem eignen Bericht öfter darüber hinweggesetzt. Thaten sie so Unrecht daran? Wenn die Gesetzgebung es unterläßt, unmöglich gewordene Einrichtungen zu beseitigen, so kann und muß die Praxis sich selber helfen; so geschieht es über- all, so geschah es auch in Rom. Der Prätor sollte sich zum Manum conserere mit den Partheien aufs Grundstück verfügen — wie war das durchführbar, als es zu dem Zweck statt eines bloßen Ganges , den das Gesetz im Auge hatte, einer förm- Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. lichen Reise bedurfte? Die Prätoren hätten, um dieser Bestim- mung zu genügen, ihre sonstigen Pflichten vernachlässigen müs- sen. Wie wir wissen, waren sie verständig genug, sich über jene Vorschrift hinwegzusetzen. Was Gell. XX, 10 von diesem Fall bemerkt, paßt für alle fol- gende: Sed postquam praetores propagatis Italiae finibus datis juris- dictionibus negotiis occupati proficisci vindiciarum dicendarum causa in longinquas res gravabantur , institutum est contra XII tabulas tacito consensu etc. Ebenso machten es die übrigen Beamten. Der Feldherr reiste nicht mehr eigens nach Rom zu- rück, um dort die Auspicien zu erneuern, der Consul nicht, um dort den Dictator zu ernennen, In früherer Zeit ward er von dem Senat zu diesem Zweck nach Rom berufen Liv. VII, 19. XXIII, 22, späterhin ward ihm bloß aufgegeben ut dictatorem in agro Romano diceret (s. folg. Note) Liv. XXVII, 29. Warum mußte der Dictator in der Stadt ernannt werden? Weil er für die Stadt ernannt ward (Princip der Präsenz). Im Felde hatte er vor dem Consul nichts voraus, hier war das imperium beider gleich, dagegen war das der Consuln innerhalb der Stadt durch das Interventionsrecht der Tribunen und die Provocation an die Volksversammlung beschränkt, und diese Be- schränkungen hinwegzuräumen war der Zweck und Vorzug der Dictatur. Seit Ausdehnung des Provocationsrechts über die Bannmeile hinaus erhielt eben damit die (dasselbe ausschließende) Dictatur dieselbe Ausdehnung. die Fetialen nicht mehr in Feindes Land, um den Speer hinüber zu werfen. Sie halfen sich in ächtrömischer Weise durch repräsentative Nachbildung des erforderlichen Grund und Bodens, wenigstens ist dies in drei Fällen ausdrücklich bezeugt. B. 1 S. 326 Note 250, 251. Für den in der vorigen Note be- sprochenen Fall fehlt es an einem Zeugniß. Liegt vielleicht in dem „in agro Romano“ der Formel eine Aufforderung zu einer künstlichen Herstellung des ager Romanus, oder ist der Begriff ähnlich wie der des Grundeigenthums von vornherein ein elastischer gewesen, d. h. bezeichnete er das der römi- schen Herrschaft zur Zeit unterworfene Land, so daß er mithin mit letzterer gleichen Schritt hielt? Für beide Begriffe bildete Italien die Gränze, nur daß der Begriff des Grundeigenthums (praedium in italico solo) sich durch Ver- leihung des jus italicum auch auf die Provinzen übertragen ließ, während dies für den ager Romanus ausgeschlossen war. Liv. XXVII, 5: agrum Romanum .. Italia terminari. 44* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. Dem Verkehr ward es weniger leicht, sich von dem lästigen Requisit der Anwesenheit in Rom zu befreien. Vollständig ge- lang es ihm nur rücksichtlich der Testamentsform; das von ihm erfundene Mancipationstestament, welches neben andern Vor- zügen auch den der Ortsentbindung von Rom enthielt, trat ganz an die Stelle der ältern Form. Rücksichtlich der übrigen Ge- schäfte vermochte er sich, so lange der Prätor sich nicht ins Mit- tel legte, nur in unvollkommner Weise zu helfen, nämlich durch factische Vornahme der Geschäfte außerhalb Roms und den Schutz, den die Sitte ihnen gewährte (S. 514). Das Haupt- beispiel bieten die Freilassungen. Man erklärte den Sklaven vor Zeugen für frei (manumissio inter amicos) und behandelte ihn fortan als solchen, bis sich Zeit und Gelegenheit fand, in Rom vor dem Censor oder Prätor den Act in aller Form Rechtens zu wiederholen. Das geschah auch noch in späterer Zeit, nachdem die lex Junia Norbana die unvollkommen Freilassungen gesetzlich anerkannt hatte s. z. B. Plin. Ep. VII, 16. Si voles vindicta liberare, quos proxime inter amicos manumisisti. Ein anderes Beispiel liefert die obrigkeitliche Bestellung eines Vormundes nach der lex Atilia (tutor Atilia- nus) . Sie mußte in Rom geschehen. Gegen die Meinung, daß sie sich auf stadt sässige Pupillen be- schränkt habe (Rudorff Recht der Vormundschaft B. 1 §. 47) s. Th. Mommsen die Stadtrechte der latin. Gemeinden Salpensa und Malaca S. 438. Bis man zur Reise nach Rom Zeit fand, verwaltete, wie es bis zum Erscheinen des Gesetzes immer der Fall gewesen, irgend eine dem Pupillen nahe stehende Person factisch das Amt des Tutors. Auch hier gab später der Prätor dem Factischen rechtliche Gestalt, näm- lich mittelst der Bestimmungen des Edicts über factische Tuto- ren (Protutoren). Dig. XXVII, 5 und 6. Für den Civilproceß gab es, um sich der Reise nach Rom zu entziehen, keinen andern Ausweg, als Vereinigung beider Partheien über schiedsrichterliche Entscheidung. Es gehörte zum Begriff des „lege agere“ und des judicium legitimum, daß der Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Proceß in Rom spielte; Processe unter römischen Bürgern außerhalb Roms, ein Anwendungsfall der judicia imperio continentia Gaj. IV, 105 .. extra primum urbis Romae miliarium. kamen, von dem Note 929 erwähnten Fall ab- gesehen, erst in späterer Zeit auf. Aber der alte Proceß ver- mochte sich dem Einfluß der Gebietserweiterung doch nicht ganz zu entziehen, und es sind bereits früher (S. 600 und S. 660) zwei Spuren nahmhaft gemacht, in denen dieser Einfluß unver- kennbar hervortritt, ich meine die Selbstdispensation des Prä- tors vom Erscheinen beim Vindicationsact an unbeweglichen Sachen und die den Partheien durch die lex Silia und Calpurnia gewährte Dispensation vom Erscheinen im ersten Termin. Einen ähnlichen Zweck, das nutzlose Reisen möglichst zu ersparen, hatte auch die lex Hortensia aus dem Jahr 465, welche bestimmte, daß die Nundinen, welche früher dies nefasti gewesen, Fest. Nundinai. dies fasti sein sollten, was m. a. W. so viel hieß: das Landvolk könne, wenn es doch einmal des Marktes wegen zur Stadt komme, zugleich seine Rechtshändel abmachen. Macrob. Sat. I, 16: Lege Hortensia effectum est, ut (nundi- nae) fastae essent, uti rustici qui nundinandi causa in urbem venie- bant, lites componerent. Dem bisherigen nach dürfte sich die Behauptung rechtferti- gen, daß die Form der privatrechtlichen Geschäfte und die Orga- nisation des Processes noch Jahrhunderte lang den Charakter athmeten, den das römische Recht ursprünglich an sich trug — den eines Stadtrechtes . Denselben Gesichtspunkt für das öffentliche und geistliche Recht und die Religion Die klassische Stelle dafür ist Liv. V, 52. zu verfolgen, liegt außerhalb der Gränzen unserer Aufgabe; möge sich dazu ein Anderer finden! Die Beschränkungen, denen die Form Die höchst wichtige Beziehung der Zeit zu dem Inhalt des Rechts- geschäfts wird in der Theorie des subjectiven Willens erörtert werden. der Rechtsge- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts. schäfte rücksichtlich der Zeit unterlag, lassen sich ebenfalls auf zwei Klassen zurückführen: relative und absolute . Die relative Beschränkung hat in der Idee der Einheit des Rechtsgeschäfts ihren Grund und äußert sich daran, daß die einzelnen Handlungen, welche zur Begründung des Rechtsgeschäfts erforderlich sind, in denselben Zeitmoment fallen müssen. Die Stipulation besteht aus Frage und Antwort und beide müssen sich unmittelbar aneinander anreihen (S. 582). Ebenso die lex mancipii (S. 574) an die Mancipation. Der Act des Testirens darf nicht durch fremdartige Geschäfte unter- brochen werden. L. 21 §. 3 qui test. (28. 1) uno contextu actus. Die tutoris auctoritas, welche mit dem Geschäft des Pupillen ein Ganzes bildet, muß sich ihr auch der Zeit nach anschließen. L. 9 §. 5 de auct (26. 8). Mehre Miteigenthümer, welche ge- meinschaftlich eine Servitut erwerben oder bestellen wollen, ha- ben dies gleichzeitig zu thun, Daß die L. 18 Com. praed. (8. 4) späteres Recht enthält, wird schwerlich Jemand bezweifeln. und dasselbe wird man für das frühere Recht auch von der activen und passiven Begrün- dung einer Correalobligation annehmen dürfen. Ribbentrop zur Lehre von den Correalobligationen S. 113. Vermächt- nisse und sonstige letztwillige Verfügungen können nur bei Ge- legenheit der Erbeseinsetzung getroffen werden, mit der sie stehen und fallen; die Idee der Codicille (als außertestamentarischer Dispositionen) widerstritt, ganz abgesehen von der ihrem Begriff nicht wesentlichen Formlosigkeit, dem Geist des ältern Rechts. Die absoluten Beschränkungen waren doppelter Art: po- sitiver und negativer. Jenes : für gewisse Geschäfte gab es wie nur einen bestimmten Ort, so auch nur einen ganz be- stimmten Zeitpunkt zu ihrer Vornahme, nämlich für die Testa- mente (zwei Mal im Jahr Gaj. II, 101. Calatis comitiis faciebant, quae comitia bis in anno testamentis faciendis destinata erant. und die Freilassungen (alle fünf Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. Jahr einmal, bei Gelegenheit des Census). Das ergibt sich schon aus der Controverse im Fragm. de manum. (Dosith). §. 19. Beides höchst lästig und auf die Dauer unhaltbar und darum durch den Ver- kehr schon früh beseitigt. Für das Testament s. S. 577, für die Freilassungen Note 737. Dieses : die gerichtlichen Legis- actionen sollen nicht an dies nefasti vorgenommen werden. Die Vorschrift hatte einen religiösen Charakter, wie überhaupt die ganze Zeiteintheilung und bestand nicht für die Partheien (denen ursprünglich die Reihenfolge der dies fasti und nefasti sogar ein Geheimniß gewesen sein soll), sondern für den Magistrat, Varro de L. L. VI, 29 praetoribus licet dicere. 30 nefas praetorem dicere. Ebenso Macrob. Sat. I, 16. und auch für ihn enthält sie nur ein bloßes Sollen , d. h. wenn er sie übertreten, so hatte er dies zwar durch ein Piaculum zu büßen, allein die Handlung war und blieb in ähnlicher Weise gültig , wie im Privatrecht eine im Widerspruch zu einer be- stehenden Verbindlichkeit vorgenommene Handlung (z. B. Ver- äußerung), m. a. W. die Vorschrift hatte nur die Natur einer lex minus quam perfecta. Varro §. 30 cit. Ulp. Proem. §. 2. Aehnlich wie bei uns Ueber- tretung der Sonntagsordnung durch Ladengeschäfte während der Kirchzeit. Aus diesem Grunde waren also die außergerichtlichen Legisactionen (S. 657) durch jene Vor- schrift ebensowenig gehindert, Was Gaj. IV, 29 von der pign. capio bemerkt, ist also keine Irre- gularität oder utilitarische Bestimmung (Bethmann-Hollweg Handbuch des Civilproc. I S. 223 „die pign. cap. litt keinen Verzug,“ wobei ihm mehr die deutsche Pfändung, als die römische pignor. capio vorgeschwebt haben mag), sondern ein nothwendiger Ausfluß des Princips und galt von allen außerge- richtlichen Legisactionen. wie die Rechtsgeschäfte. Ursprünglich vielleicht mit Ausnahme der durch in jure cessio zu vollziehenden; späterhin machte sich die freiwillige Gerichtsbarkeit von die- ser Consequenz der streitigen, wie von so mancher andern (S. 563) frei. Gaj. I, 20 .. servi semper manumitti solent.