Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Von Leopold Ranke . Erster Band . Berlin , 1839 . Bei Duncker und Humblot. Vorrede . V on den ersten Decennien des funfzehnten Jahr- hunderts bis zum dreißigjährigen Kriege beruhte die Verfassung und der öffentliche Zustand von Deutsch- land auf den periodischen Reichstagen und ihren Be- schlüssen. Lange war die Zeit vorüber, wo ein allwalten- der Wille unsre allgemeinen Angelegenheiten leitete: noch hatte sich jedoch das politische Leben auch nicht, wie es später geschehen ist, zum größern Theil in die einzelnen Landschaften zurückgezogen; die Reichs- versammlungen übten wenn gleich nicht vollkommen fest bestimmte, aber noch überaus tief greifende Rechte einer höchsten Regierung aus. Krieg und Frieden, Gesetzgebung, aufsehende und selbst executive Ge- walt, Besteuerung waren in ihren Händen. Neben den Abgeordneten der Städte, den Vertretern der Grafen und Herrn erschienen noch Kaiser und Für- Vorrede . sten in Person; sie zogen noch in der That die wich- tigsten vaterländischen Angelegenheiten, in ihren ver- schiednen Collegien, oder in den gemeinschaftlichen Ausschüssen, in Berathung und faßten durch Stim- menmehrheit Beschluß darüber. Die Einheit der Nation fand in diesen Versammlungen ihren leben- digen Ausdruck. In den Grenzen des Reiches konnte nichts Bedeutendes vorkommen was man nicht hier in Erwägung genommen, nichts Neues sich erheben was sich nicht hier hätte durchsetzen müssen. Bei alle dem hat doch die Geschichte der Reichs- tage noch nicht die Beachtung gefunden, deren sie werth ist. Bekannt genug sind die Reichsabschiede: aber wer wollte je eine berathende Versammlung nach den letzten Ergebnissen ihrer Besprechungen beurtheilen? an eine Zusammenstellung und Bear- beitung der Verhandlungen ist zuweilen gedacht, ein und das andre Mal Hand angelegt worden: jedoch ist alles höchst fragmentarisch und unzureichend ge- blieben. Wie nun der Mensch natürlicher Weise darnach trachtet, in seinem Leben etwas Nützliches zu leisten, so trug ich mich schon lange mit dem Gedanken, ei- nem so wichtigen Gegenstand einmal Fleiß und Kräfte zu widmen. Nicht, als hätte ich mir zugetraut, dem Bedürfniß durchaus genügen, den Stoff nament- lich in seinen mannichfaltigen juridischen Beziehun- gen erschöpfen zu können: meine Idee war nur, aus einer wo möglich ununterbrochenen Reihe von Reichs- tagsacten den Gang und die Entwickelung der Ver- fassung näher zu erforschen. Vorrede . Das Glück wollte mir hiebei so wohl, daß ich im Herbst 1836 eine Sammlung, eben wie ich sie brauchte, in dem Stadtarchiv zu Frankfurt a. M. fand und mit erwünschter Bequemlichkeit benutzen durfte. Die Sammlung besteht aus 96 Foliobänden, welche die Acten der Reichstage von 1414 bis 1613 umfassen. Anfangs ist sie nur sehr unvoll- ständig; allein Schritt für Schritt, so wie die Reichsverfassung sich selbst weiter entwickelte, ge- winnt sie an Bedeutung; mit dem Anfang des 16ten Jahrhunderts, von welcher Zeit an sich über- haupt das schriftliche Verfahren eingeführt hat, wird sie an neuen und wichtigen Actenstücken so reich, daß sie die Aufmerksamkeit in hohem Grade fesselt. Ne- ben den Actenstücken finden sich die Berichte der Abgeordneten, der Rathsfreunde, die in der Regel durch Treuherzigkeit anziehen und oft durch Einsicht überraschen. Ich nahm Gelegenheit, mir den In- halt der ersten 64 dieser Bände, die bis zum Jahr 1551 reichen, zu eigen zu machen. Eine Samm- lung kaiserlicher Schreiben bot mir noch hie und da willkommene Ergänzungen dar. Doch durfte ich dabei nicht stehen bleiben. Ei- ner Stadt wurde doch nicht alles bekannt. Es leuch- tet von selbst ein, daß man die Arbeiten des chur- fürstlichen und des fürstlichen Collegiums nicht in einer städtischen Sammlung suchen darf. Im Anfang des Jahres 1837 erhielt ich die Erlaubniß, das Königl. Preußische Geheime Staats- archiv zu Berlin, im April desselben Jahres, das Königl. Sächsische Hauptstaatsarchiv zu Dresden für Vorrede . die Reichsangelegenheiten in den Zeiten Maximi- lians I und Carls V zu benutzen. Das erste war mir als eine churfürstliche, das zweite als eine bis gegen Ende der Epoche fürstliche Sammlung von hohem Werth. Ich stieß nun wohl auf viele mir schon in Frankfurt vorgekommenen Actenstücke: aber zugleich auf eine große Anzahl neuer, die den Ge- sichtskreis nach andern noch dunkeln Seiten hin er- weiterten. Vollständig ist von diesen Sammlun- gen freilich keine: und manche Frage die man sich aufwirft, bleibt unerledigt; allein höchst ergiebig sind sie doch: auf die Thätigkeit so einflußreicher Fürsten, wie Joachim II von Brandenburg beson- ders Moritz von Sachsen waren, fällt ein neues Licht. Man bedaure den nicht, der sich mit diesen anscheinend trocknen Studien beschäftigt, und dar- über den Genuß manches heitern Tages versäumt. Es ist wahr, es sind todte Papiere, aber sie sind ein Residuum des Lebens, dessen Anschauung dem Geiste nach und nach aus ihnen emporsteigt. Für mich — in einem Vorwort hat man nun einmal die Pflicht die man sonst vielleicht lieber vermiede von sich zu sprechen — boten sie noch ein besondres Interesse dar. Als ich den ersten Theil meiner Geschichte der Päpste schrieb, faßte ich mich über den Ursprung und Fortgang der Reformation absichtlich so kurz wie es die Sache nur immer zuließ: ich hegte die Hofnung diesem unsern wichtigsten vaterländischen Ereigniß noch einmal tiefer gehende Forschungen wid- men zu können. Vorrede . Das war mir nun hier reichlich gewährt. Von dem Neuen, was ich fand, bezog sich das Meiste entweder unmittelbar oder doch mittelbar auf die Reformations-Epoche. Über die Zustände durch welche die religiös-politische Bewegung jener Zeit vorbereitet, die Momente unsres nationalen Lebens durch welche sie befördert ward, den Ursprung und die Wirkung des Widerstandes auf welchen sie stieß, ergab sich mir bei jedem Schritte neue Belehrung. Man kann sich einer Begebenheit von einem so in- tensiven geistigen Inhalt und einer zugleich äußer- lich so weltbeherrschenden Bedeutung nicht nähern, ohne von ihr durch und durch ergriffen, festgehalten zu werden. Ich fühlte wohl, daß wenn ich meine Ar- beit ausführen ein Buch daraus machen wollte, die Reformation den Mittelpunct derselben bilden würde. Dazu aber war mir noch eine genauere Kunde der in dem evangelischen Theile vorgegangenen Ent- wickelung besonders in politischer Beziehung nothwen- dig, als sie sich aus gedruckten Nachrichten entnehmen läßt. Das gemeinschaftliche Archiv des sächsisch-erne- stinischen Hauses zu Weimar welches ich im August 1837 besuchte, bot mir dar was ich wünschte. Es kann für die bezeichnete Epoche, in der dieses Haus eine so große Rolle spielte, auch kein inhaltreiche- res Local geben, als das Gewölbe, in welchem das Archiv desselben aufbewahrt wird. Wände und innere Räume sind von den Actenconvoluten eingenommen, welche sich auf die damaligen Thätigkeiten und Ver- hältnisse beziehen. Man hat hier jeden eingegan- genen Zettel, jeden Entwurf einer Antwort aufbe- Vorrede . wahrt. Die Correspondenz zwischen Churfürst Jo- hann Friedrich und Landgraf Philipp von Hessen allein würde eine Reihe von Bänden anfüllen, wenn man sie publiciren wollte. Ich suchte mich vor al- lem der beiden Registranden zu bemächtigen, welche die Angelegenheiten des Reiches und des schmalkal- dischen Bündnisses umfassen. Auch für jene fand ich, wie sich das bei der Natur des Gegenstandes nicht anders erwarten läßt, viele höchst willkommene Erläuterungen; für diese aber schöpfte ich hier die erste der Wißbegier wie ich wenigstens hoffe eini- germaaßen genugthuende Kenntniß. Für die freisinnige und oft nicht mühelose För- derung, die ich bei allen diese Archive beaufsichti- genden Behörden gefunden, fühle ich mich verpflich- tet, öffentlich meinen Dank auszusprechen. Wie um vieles leichter ist auch in diesen Beziehungen Leben und Studium geworden als ehedem! Und nun kam mir wohl die Idee, noch eine weitere Wanderung durch die deutschen Archive zu unternehmen. Ich begab mich noch nach dem Communal-archive des Hauses Anhalt zu Des- sau, welches Haus in jener Epoche dem sächsi- schen mit verwandter Gesinnung und Thätigkeit zur Seite stand; allein gleich hier sah ich, daß ich mich leicht mit zu viel localem Stoff beladen könne. Ich erinnerte mich, wie manches andre Archiv von dem Fleiße deutscher Gelehrten eben für diese Zeit bereits durchsucht und benutzt worden ist. Aus dem östreichischen findet sich in dem Werke von Bucholtz über Ferdinand I ein überaus ergiebiger Schatz wich- Vorrede . tiger, dort nur zu wenig verarbeiteter Mittheilungen. Aus dem bairischen sind die unterrichtenden Schrif- ten von Stumpf und von Winter geflossen. Das wirtenbergische Archiv ist schon früher von Sattler, das hessische neuerdings von Rommel und Neudecker durchforscht worden. Für die mehr kirchliche Seite ist in den Sammlungen von Walch und den neuern Ausgaben der Briefe Luthers von de Wette und besonders Melanchthons von Bretschneider ein rei- cher urkundlicher Stoff vorhanden. Für einzelne Reichstage hat man die Briefe der straßburgischen oder der nürnbergischen Abgeordneten bekannt ge- macht; wer weiß nicht, wie viel über den Augs- burger Reichstag von 1530 von jeher gearbeitet, noch zuletzt von Förstemann zusammengebracht worden ist. Auch für die auswärtigen Verhältnisse eröffnen einige ältere und neuere Publicationen, besonders von Italien und England her, die Möglichkeit einer gründ- lichen und genügenden Erörterung. Ich sehe die Zeit kommen, wo wir die neuere Geschichte nicht mehr auf die Berichte selbst nicht der gleichzeitigen Histo- riker, außer in so weit ihnen eine originale Kennt- niß beiwohnte, geschweige denn auf die weiter ab- geleiteten Bearbeitungen, zu gründen haben, sondern aus den Relationen der Augenzeugen und den äch- testen unmittelbarsten Urkunden aufbauen werden. Für die hier behandelte Epoche ist diese Aussicht schon nicht mehr ferne. Mir selbst kamen noch eine An- zahl Actenstücke zu Gute, die ich bei einem frühern Unternehmen in den Archiven zu Wien, Venedig, Rom und besonders Florenz gefunden. Hätte ich * Vorrede . das Detail weiter vermehren wollen, so hätte ich fürchten müssen, es nicht mehr übersehen, oder auch in der Länge der Zeit die Einheit des Gedankens nicht festhalten zu können, der sich mir aus den bis- herigen Studien erhoben hatte. Und so schritt ich muthig an die Ausarbeitung dieses Werkes: überzeugt, daß wenn man nur mit ernstem und wahrheitbeflissenem Sinne in den äch- ten Denkmalen einigermaaßen umfassende Forschun- gen angestellt hat, spätere Entdeckungen zwar wohl das Einzelne näher bestimmen werden, aber die Grundwahrnehmungen doch zuletzt bestätigen müs- sen. Denn die Wahrheit kann nur Eine seyn. Inhalt . Seite Einleitung. Ansicht der fruͤheren deutschen Ge- schichte 1 Carolingische Zeiten 7 Saͤchsische und fraͤnkische Kaiser 17 Emancipation des Papstthums 28 Verhaͤltniß des Papstthums zu dem Fuͤrstenthum 35 Beginnende Opposition 44 Idee des spaͤtern Kaiserthums 50 Lage der Dinge um die Mitte des funfzehnten Jahr- hunderts 62 Erstes Buch. Versuche dem Reiche eine bessere Verfassung zu geben . 1486—1517 79 Grundlegung einer neuen Verfassung 84 Friedrich III 94. Reichstag zu Worms 1495 103 Schwierigkeiten. Reichstag von Lindau 1496 117 Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 1498 127 Kriegsereignisse 136 Reichstag zu Augsburg 1500 und dessen Folgen 140 Erhebung Maximilians. Bairische Irrungen. Reichs- tage zu Coͤlln und zu Costnitz 1505 und 1507 153 Venezianischer Krieg. Reichstag zu Worms 1509 178 Reichstage zu Augsburg 1510, zu Trier und Coͤlln 1512 190 Innere Gaͤhrung 200 Reichstage zu Worms und zu Mainz 1513. 1517. 218. Inhalt . Seite Zweites Buch. Anfaͤnge Luthers und Carls des Fuͤnften . 1517—1521 223 Erstes Capitel. Ursprung der religioͤsen Oppo- sition 225 Religioͤse Stellung des Papstthums 233 Opposition von weltlicher Seite 247 Tendenzen der populaͤren Literatur 256 Bewegungen in der gelehrten Literatur 261 Erasmus 264. Reuchlin 273. Bewegungen in der Theologie. Anfaͤnge Luthers 284 Zweites Capitel. Uͤbergang des Kaiserthums von Maximilian auf Carl V 323 Reichstag zu Augsburg 1518 323 Gegenseitige Verhaͤltnisse der deutschen Fuͤrsten 333 Maximilian 351. Kaiserwahl von 1519 359 Drittes Capitel. Erster Abfall vom Pa p stthum . 1519, 20 383 Cajetan und Miltitz 383 Ankunft Melanchthons 391 Disputation zu Leipzig 396 Fortgang der theologischen Opposition 409 Theilnahme Huttens 415 Bulle Leos X 423 Momente des Abfalls 434 Viertes Capitel. Reichstag zu Worms im Jahr 1521 448 Weltliche und innere Verhaͤltnisse 451 Auswaͤrtige Verhaͤltnisse und die Sache Luthers 465 Einleitung. Ansicht der früheren deutschen Geschichte. Ranke d. Gesch. I. 1 I n Schule und Literatur mag man kirchliche und politi- sche Geschichte von einander sondern: in dem lebendigen Daseyn sind sie jeden Augenblick verbunden und durchdrin- gen einander. Wie es überhaupt keine menschliche Thätigkeit von wahrhafter, geistiger Bedeutung geben wird, die nicht in einer tieferen mehr oder minder bewußten Beziehung zu Gott und göttlichen Dingen ihren Ursprung hätte, so läßt sich eine große, des Namens würdige Nation gar nicht denken, deren politisches Leben nicht unaufhörlich von re- ligiösen Ideen erhoben und geleitet würde, welche sie dann weiter auszubilden, zu einem allgemein gültigen Ausdruck und einer öffentlichen Darstellung zu bringen hat. Nicht zu läugnen ist es, daß die Nationen hiedurch in einen gewissen Widerstreit in sich selbst gerathen. Die Natio- nalität bewegt sich innerhalb ihrer natürlichen, schon durch die Selbständigkeit der Nachbarn festgesetzten Schranken: die Religion, seit einmal diejenige in der Welt erschienen ist, die den Anspruch und das Recht dazu hat, strebt ewig 1* Einleitung . die allgemeine zu seyn. In wie fern der Staat zu grün- den ist, macht sich ein eigenthümliches Prinzip geltend, eben- falls geistiger Natur, das auch seine innere Nothwendigkeit hat, in bestimmten Formen sich ausspricht, besondere Bil- dungen hervortreibt; sobald eine Kirche mit ihren weiter reichenden, verschiedne Völker umfassenden Formen entstan- den ist, giebt sie sich nur allzu leicht dem Bestreben hin, den Staat in sich aufgehen zu lassen, dessen Prinzip sich zu unterwerfen: selten erkennt sie die ursprüngliche Berech- tigung desselben an. Endlich erscheint die allgemeine Reli- gion, nachdem sie zuerst in das Bewußtseyn des menschli- chen Geschlechtes getreten ist, als eine große von Volk zu Volk fortschreitende Überlieferung, mitgetheilt in festen Lehr- sätzen: aber die Nationen können es sich nicht nehmen las- sen, die Fähigkeit und den Inhalt des ihnen ursprünglich eingepflanzten Geistes prüfend daran zu versuchen; in allen Jahrhunderten sehen wir deshalb Verschiedenheiten der Auf- fassung entstehen, die das Staatsleben wieder in vielfachen Rückwirkungen berühren. Aus der Natur dieses Widerstreites geht nun aber auch hervor, welch ein großes Moment für alles mensch- liche Daseyn darin liegt. Die religiöse Wahrheit muß eine lebendige Repräsentation haben, um den Staat in fortwäh- render Erinnerung an den Ursprung und das Ziel des ir- dischen Lebens, an das Recht seiner Nachbarn und die Verwandtschaft aller Nationen zu erhalten; er würde sonst in Gefahr seyn, in Gewaltherrschaft auszuarten, in einseiti- gen Bildungen des Fremdenhasses zu erstarren. Die Freiheit der nationalen Entwickelung dagegen ist selbst für die religiöse Einleitung . Doctrin nothwendig; sie würde sonst nicht wahrhaft be- griffen, innerlich angenommen werden: ohne ein immer wie- derholtes Bezweifeln und Ueberzeugtwerden, Bej a hen, Ver- neinen, Suchen und Finden würde kein Irrthum zu heben, kein tieferes Verständniß zu erreichen seyn. Und so kann auch die Kirche eine unabhängige politische Bewegung nicht ent- behren; sie bedarf es, an die wechselnden Bedürfnisse der Gei- ster, die Wandelbarkeit ihrer eigenen Formen erinnert zu werden, um sich vor der dumpfen Wiederholung unbegrif- fener Lehren und Dienste zu bewahren, welche die Seele tödten. Man hat gesagt: der Staat sey schon die Kirche oder die Kirche hat sich berechtigt geglaubt, an die Stelle des Staates zu treten: die Wahrheit ist, daß das geistige Leben — in seiner Tiefe und Energie allerdings sich selber gleich, ein und dasselbe — doch in diesen beiden Prinzipien sich äußert, die sich in den mannichfaltigsten Abwandlungen be- rühren, einander zu durchdringen, auszuschließen suchen, und doch niemals zusammenfallen, niemals eines das andre zu überwältigen vermögen. Wenigstens ist es in unsern abendländischen Nationen nie dahin gekommen. Das Cha- lifat mag kirchliche und politische Gewalt in Einer Hand vereinigen; das Leben der abendländischen Christenheit be- ruht dagegen auf der unaufhörlichen Wechselwirkung zwi- schen Kirche und Staat; daraus entspringt die immer freiere, umfassendere, tiefere Bewegung des Geistes, die ihr, im Ganzen und Großen angeschaut, zugeschrieben werden muß; in dem wechselseitigen Verhältniß derselben ist die jedesma- lige Gestalt des Gemeinwesens gegründet. Einleitung . Daher kommt es eben, daß die kirchliche Geschichte nicht ohne die politische, diese nicht ohne jene zu verstehn ist. Erst die Combination von beiden läßt die eine und die andre in ihrem wahren Lichte erscheinen und vermag vielleicht zur Ahndung des tieferen Lebens zu führen, aus dem sie beide hervorgehn. Ist das nun bei allen Nationen der Fall, so liegt es doch besonders bei der deutschen am Tage, welche sich wohl von allen am anhaltendsten und selbständigsten mit kirchlichen und religiösen Dingen beschäftigt hat. Die Er- eignisse eines Jahrtausends gehen in den Gegensätzen zwi- schen Kaiserthum und Papstthum, zwischen Katholicismus und Protestantismus auf; wir in unsern Tagen stehen mitten in beiden. Ich habe die Absicht, die Geschichte einer Epoche zu erzählen, in welcher die religiös-politische Lebensthätig- keit der deutschen Nation in ihren kraftvollsten und pro- ductivsten Trieben stand. Ich verberge mir nicht die ganze Schwierigkeit dieses Unternehmens, doch will ich mich daran wagen, es so weit bringen, als Gott mir verleihen wird. Ich versuche es zunächst, mir den Weg durch ei- nen Rückblick auf die früheren Zeiten zu bahnen. Carolingische Zeiten . Carolingische Zeiten. Es war einer der größten Momente der Weltgeschich te als im Anfang des 8ten Jahrhunderts von der Einen Seite her der Mahumetanismus nach Italien und Gallien, von der anderen das altsächsische und friesische Heidenthum noch einmal über den Rhein vordrang, in dieser Gefahr der christlichen Institutionen aber sich ein germanischer junger Fürst, Carl Martell zum Vorkämpfer derselben erhob, sie mit alle der Anstrengung, zu welcher die Nothwendigkeit der eignen Vertheidigung aufruft, behauptete, und darnach aufs neue ausbreitete. Denn da der Inhaber der einzigen Gewalt die sich in den romanischen Nationen noch be- hauptete, der Papst zu Rom, sich an diesen Fürsten und seine Nachfolger anschloß, von ihnen Hülfe empfieng, und ihnen dagegen Begünstigungen der geistlichen Autorität zu Theil werden ließ, so bildete sich von diesem Augenblick an der kriegerisch-priesterliche Staat aus, welcher die Grund- lage aller europäischen Entwickelung ist. Eroberung und Christianisirung giengen seitdem Hand in Hand. „Als die Herrschaft des ruhmreichen Carl,“ sagt die Lebensbeschrei- bung des Bonifacius, „über die Friesen befestigt war, so erscholl auch die Drommete des göttlichen Wortes.“ Man könnte nicht sagen, ob die fränkische Herrschaft mehr dazu beitrug, die Hessen und Thüringer zu bekehren, oder das Christenthum mehr, diese Völker dem fränkischen Reiche einzuverleiben. Der Krieg Carls des Großen wider die Sachsen war zugleich ein Religionskrieg. Carl eröffnete Einleitung . ihn mit einem Angriff auf das altsächsische Heiligthum der Irminsul; die Sachsen antworteten mit der Zerstörung der Kirche in Fritzlar. Mit Heiligenreliquien zog Carl in die Feldschlacht: Missionarien begleiteten die Abtheilungen seines Heeres: seine Siege wurden mit Errichtung von Bisthü- mern gefeiert: die Taufe besiegelte die Unterwerfung: Rück- fall in das Heidenthum war zugleich ein Staatsverbrechen. In der Kaiserkrönung des alten Siegers liegt eine Vollen- dung aller dieser Ereignisse. Ein Germane trat im natür- lichen Laufe der Dinge mit geordneter gesetzmäßiger Ge- walt an die Stelle der Cäsaren, an die Spitze eines gro- ßen Theiles der romanischen Welt: er nahm dem römi- schen Oberpriester zur Seite auch für die geistlichen Ange- legenheiten eine erhabene Stellung ein; eine fränkische Sy- node hat ihn als den „Regenten der wahren Religion“ be- grüßt. Sein ganzer Staat empfieng nun eine durchaus geistlich-weltliche Farbe und Form. Wie Kaiser und Papst, so sollten Bischof und Graf vereinigt seyn. Die Archidia- conate, in welche die Bisthümer eingetheilt waren, fielen mit den Gauen wenn nicht allenthalben, doch in der Re- gel zusammen. Wie die Grafschaften in Centen, so waren die Archidiaconate in Decanate eingetheilt; ihre Sitze sind verschieden; in Hinsicht der Sprengel dagegen zeigt sich eine auffallende Uebereinstimmung. Vgl. Wenck hessische Landesgeschichte II , 469. Nach der Absicht des Meisters und Herrschers sollte nicht allein die weltliche Gewalt der geistlichen ihren Arm leihen, sondern auch die geistliche mit ihrer Excommunication der weltlichen zu Hülfe kommen. Das große Reich gemahnt uns wie eine mäch- Carolingische Zeiten . tige Schonung in der Mitte der kriegerfüllten zerstörungs- begierigen Welt, wo ein eiserner Wille den Kräften die sich sonst anfeinden und unter einander aufreiben würden, Ruhe gebietet und die Keime einer gebildeten Zukunft pflegt und beschützt; so ist es auch auf allen Seiten umwallt mit unüberwindlichen Marken. Nicht immer aber konnte es eine so gewaltige, gebie- tende Persönlichkeit geben, und für die Entwickelung der Welt, die Carl der Große gegründet, kam nun alles dar- auf an, wie die Elemente aus denen sie zusammengesetzt war, sich gegen einander verhalten, sich verschmelzen oder abstoßen, sich vertragen oder bekämpfen würden. Denn nur aus der freien Bewegung der inneren Triebe wird das Leben geboren. Da konnte es aber wohl nicht anders seyn, als daß der Clerus zuerst seine Kräfte fühlte. Er bildete eine auch von dem Kaiser unabhängig geschlossene Genossenschaft, ent- sprungen und ausgebildet in den romanischen Nationen, ihr eigenthümlichstes Product in dem letzten Jahrhundert, nunmehr auch über die germanischen ausgebreitet, wo er durch das Mittel einer gemeinschaftlichen Sprache, immer neue Proselyten machte, immer festeren Boden gewann. Schon unter Carl dem Großen finden wir das geist- liche Element sich mächtig regen. Es ist eins der merk- würdigsten unter seinen Capitularien, Capitulare interrogationis de iis quae Karolus M. pro communi omnium utilitate interroganda constituit Aquisgrani 811. Monum. Germaniae histor. ed. Pertz III, p. 106. worin er seine Ver- wunderung ausdrückt, daß seine geistlichen und seine welt- Einleitung . lichen Beamten einander so oft zuwider handeln, statt sich zu unterstützen wie ihre Pflicht wäre. Er verhehlt darin nicht, daß es hauptsächlich die Geistlichen sind, die ihre Befugnisse überschreiten; er legt ihnen schon jene mit Ta- del und Unwillen durchdrungenen Fragen vor, die später so oft wiederholt worden sind, z. B. in wie fern es ihnen zukomme, sich in rein-weltliche Angelegenheiten zu mischen: sie sollen erklären, was es bedeute: die Welt verlassen; ob man dabei doch noch sich mit zahlreichem Gefolge um- geben, die Unwissenden zur Abtretung ihrer Güter, zur Enterbung ihrer Kinder bereden dürfe, ob es nicht besser sey, gute Sitten zu pflegen, als schöne Kirchen zu bauen, und was dem mehr ist. Sehr bald aber entwickelte der Clerus noch um vie- les weiter reichende Tendenzen. Wir brauchen hier nicht zu untersuchen, ob die pseudo- isidorischen Decretalen noch unter Carl dem Großen Eine Stelle aus den erdichteten Synodalacten von Pp. Sil- vester findet sich in einem Capitular von 806. Vgl. Eichhorn uͤber die spanische Sammlung der Quellen des Kirchenrechts in den Ab- handll. der Preuß. Akademie d. W. 1834. Philos. histor. Klasse p. 132. oder etwas später, in der fränkischen Kirche oder in Italien er- funden worden sind: auf jeden Fall gehören sie dieser Epoche, einem sehr weit verbreiteten Bestreben an, und bilden einen großen Moment in ihrer Geschichte. Man beabsichtigte damit, die bisherige Kirchenverfassung, die noch wesentlich auf der Metropolitangewalt beruhte, zu spren- gen, die gesammte Kirche dem römischen Papst unmittel- bar zu unterwerfen, eine Einheit der geistlichen Gewalt zu gründen, durch die sie sich nothwendig von der weltlichen Carolingische Zeiten . Macht emancipiren mußte. Damit wagte man gleich da- mals hervorzutreten. Eine Reihe von Namen alter Päpste mußte dienen, um erdichtete Documente daran zu knüpfen, denen man gesetzliches Ansehen beimaß. Und was ließ sich nicht alles in dieser Zeit tiefer histo- rischer Unwissenheit, in welche die vergangenen Jahrhun- derte nur in wahnumgebenem Halbdunkel reflectirten, und unter Fürsten erreichen wie die Nachfolger Carls des Großen waren, deren Geist durch die religiösen Einflüsse nicht geho- ben und gereinigt, sondern unterdrückt wurde, so daß sie die spirituelle und die weltliche Seite der clericalischen Thätig- keit nicht mehr unterscheiden konnten. Man darf es wohl nicht in Abrede stellen, daß die Thronfolgeordnung welche Ludwig der Fromme, ohne auf die Warnungen seiner Getreuen zu hören, im Widerspruch mit allen germanischen Ideen, im J. 817 festsetzte, hauptsächlich unter dem Einfluß der Geistlichen getroffen ward. Fauriel Histoire de la Gaule mérid. IV, 87 fuͤhrt dieß naͤher aus. Es sollten, wie Agobardus sagt, nicht drei Reiche entstehen: ein einziges sollte es bleiben. Die Theilung des Reiches schien die Einheit der Kirche zu gefährden. Wie es hauptsächlich geistliche Motive sind, welche der Kaiser anführt, so wurden die getroffenen Anordnungen mit allem Pomp religiöser Ceremonie bekräftigt: mit Messen, Fasten, Vertheilung von Almosen: Jedermann beschwur sie: man hielt dafür Gott habe sie eingegeben. Und nun hätte Niemand sich beikommen lassen dürfen davon abzuweichen: selbst der Kaiser nicht. Wenigstens schlug es ihm zu großem Unheil aus, als Einleitung . er aus Liebe zu einem später geborenen Sohn das doch ver- suchte. Die aufgebrachte Geistlichkeit verband sich mit sei- nen älteren, über die Art und Weise der Reichsverwaltung ohnehin mißvergnügten Söhnen: der Oberpriester kam in Person von Rom herbei und erklärte sich zu ihren Gun- sten: ein allgemeiner Abfall erfolgte. Ja diese erste Macht- entwickelung genügte der Geistlichkeit noch nicht einmal. Um ihrer Sache für immer gewiß zu seyn, vereinigte sie sich zu dem verwegenen Unternehmen, den geborenen und gesalbten Kaiser, dem sie jetzt nicht mehr traute, seiner ge- heiligten Würde, die er ihr wenigstens nicht verdankte, zu entsetzen, und dieselbe auf den im J. 817 bestimmten Thron- folger, den natürlichen Repräsentanten der Einheit des Rei- ches unmittelbar zu übertragen. Wenn es unläugbar ist, daß die geistliche Macht im achten Jahrhundert zur Grün- dung des Gehorsams im Reiche vieles beigetragen hatte, so schritt sie in dem neunten auf das rascheste dazu, die Herrschaft selbst in die Hände zu nehmen. Schon in der Capitulariensammlung des Benedictus Levita wird es als einer der obersten Grundsätze betrachtet, daß keine Consti- tution der Welt gegen die Beschlüsse der römischen Päpste Gültigkeit habe; bei einem und dem anderen Kanon wer- den die Könige, die dagegen handeln sollten, mit göttli- chen Strafen bedroht. Benedicti Capitularia lib. II, 322. „velut praevaricator catholicae fidei semper a domino reus existat quicunque regum canonis hujus censuram permiserit violandam.“ lib. III, 346. „Con- stitutiones contra decreta praesulum romanorum nullius sunt mo- menti.“ Die Monarchie Carls des Gro- Carolingische Zeiten . ßen schien sich in einen geistlichen Staat umwandeln zu wollen. Ich fürchte nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß es besonders die Deutschen waren, welche dieser Entwicke- lung entgegentraten; ja daß ihr nationales Bewußtseyn eben an diesem Widerstande erwachte. Denn von einer deutschen Nation im vollen Sinne des Wortes kann man in den früheren Epochen eigentlich nicht reden. In den ältesten Zeiten hatten die verschiede- nen Stämme gar nicht einmal einen gemeinschaftlichen Na- men, an dem sie sich erkannt hätten; in den Zeiten der Völkerwanderung schlagen sie sich mit so voller Feindselig- keit unter einander wie mit Fremden, verbinden sich mit denselben so gut wie mit ihren Stammesgenossen; unter den merowingischen Königen kam dann die religiöse Feind- seligkeit hinzu; dem fränkischen Christenthum gegenüber hiel- ten die Sachsen um so starrer an ihrer Verfassung und an ihren alten Göttern fest. Erst als Carl der Große alle germanischen Stämme, außerhalb Englands und Scandina- viens, in einen und denselben geistlichen und weltlichen Ge- horsam vereinigt hatte, fieng die Nation an, sich zu bilden; da erst, im Anfang des neunten Jahrhunderts, erschien im Gegensatz gegen die romanischen Bestandtheile des Reiches der deutsche Name. Ruͤhs: Erlaͤuterung der zehn ersten Capitel von Tacitus Germania p. 103; Mone Geschichte des Heidenthums im noͤrdlichen Europa Th. II, p. 6. Da ist es nun ewig merkwürdig, daß die erste Hand- lung in der die Deutschen vereinigt erscheinen, der Wider- Einleitung . stand gegen jenen Versuch der Geistlichkeit ist, den Kaiser und Herrn abzusetzen. Aus ihrer Vergangenheit, dem Stammesleben, worin sie sich früher bewegt, waren ihnen andere Begriffe von der Rechtmäßigkeit eines Fürsten übrig geblieben, als daß sie dieselbe von einer angeblichen Eingebung Gottes, d. i. von dem Ausspruch der geistlichen Gewalt abgeleitet hätten. Ludwig dem Frommen, der sich namentlich um die sächsischen Großen besondere Verdienste erworben, wa- ren sie ohnehin zugethan; leicht war ihr Widerwille gegen jene Absetzung anzufachen; auf den Ruf Ludwigs des Deut- schen, der bei ihnen in Baiern Hof hielt, versammelten sich auch die übrigen Stämme, Sachsen, Schwaben und die Franken diesseit der Carbonaria unter seine Fahnen: zum ersten Mal waren sie in Einer großen Absicht verei- nigt. Da ihnen von dem südlichen Frankreich her eine ana- loge, wiewohl bei weitem schwächere Bewegung zu Hülfe kam, so sahen sich die Bischöfe gar bald gezwungen, den Kaiser von seiner Buße loszusprechen, ihn wieder als ihren Herrn anzuerkennen. Die erste historische Handlung der vereinigten Nation ist diese Erhebung zu Gunsten des an- gebornen Fürsten gegen die geistliche Macht. Auch war sie jetzt nicht mehr geneigt, sich jene Abweichung von ihrem Erbrecht, die Thronfolge eines Einzigen über die ganze Mo- narchie gefallen zu lassen. Als nach dem Tode Ludwigs des Frommen Lothar, allem was vorangegangen zum Trotz, den Versuch machte das gesammte Reich anzutreten, fand er in den Deutschen anfangs zweifelhaften, aber jeden Au- genblick wachsenden und endlich siegreichen Widerstand. Carolingische Zeiten . Sie brachten seinen Truppen die erste bedeutende Niederlage bei, auf dem Rieß, durch welche die Absonderung Deutsch- lands von der großen Monarchie begründet ward. In Retiense. (Annales Ruodolfi Fuldensis. Monumenta Germaniae hist. I, p. 362.) Nach Lang Baier. Gauen p. 78 zu Schwaben gehoͤrig. Lo- thar trotzte auf seine von der Geistlichkeit anerkannten An- sprüche; die Deutschen, mit den Südfranzosen vereinigt, forderten ihn auf sich dem Gottesurtheil einer Feldschlacht zu unterwerfen. Da trennte sich der große Heerbann des Frankenreiches in zwei feindselige Massen, die eine mit überwiegend romanischen, die andere mit überwiegend ger- manischen Bestandtheilen. Jene verfocht die Einheit des Reiches, diese forderte nach ihren deutschen Begriffen die Trennung. Wir haben ein Lied über die Schlacht von Fontenay übrig, in welchem ein Mitkämpfer seinen Schmerz über diesen blutigen Bürger- und Bruderkrieg ausdrückt, „über diese bittere Nacht, in der die Tapfern gefallen, die Kundigen der Schlachten;“ für die Zukunft des Abendlan- des war sie entscheidend. Angilbertus: de bella quae fuit Fontaneto. Das Gottesurtheil trug den Sieg davon über den Ausspruch der Geistlichkeit: es ka- men nun wirklich drei Reiche zu Stande statt des einen. Die weltlich germanischen Grundsätze, die seit der Völ- kerwanderung ihre Analogien tief in die romanische Welt erstreckten, behielten den Platz: auch in den nachfolgenden Irrungen wurden sie festgehalten. Als von den drei Linien zuerst eben die abgieng, auf welche die Einheit hatte gegründet werden sollen, kam es Einleitung . zwischen den beiden andern zu Streitigkeiten, in denen aufs neue die Differenz zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Prinzip eine große Rolle spielte. Der König der Franzosen, Carl der Kahle, hatte sich ganz an die Geistlichkeit angeschlossen; seine Heere wurden von den Bischöfen angeführt; dem Erzbischof Hinkmar von Rheims überließ er großentheils die Reichsverwaltung. Da- her fand er, als im J. 869 Lothringen erledigt wurde, bei den Bischöfen auch dieses Landes eifrige Unterstützung. „Nachdem sie,“ wie sie sagen, „den Gott der die Reiche wem er will verleiht, angerufen, ihnen einen König nach seinem Herzen zu bezeichnen, nachdem sie dann mit Got- tes Hülfe eingesehen, daß die Krone Dem gebühre, dem sie dieselbe anvertrauen würden,“ wählten sie Carl den Kahlen zu ihrem Herrn. Caroli secundi coronatio in regno Hlotharii 869. Monum. III, 512. Allein so wenig damals wie früher konnte dieß Staatsrecht die Deutschen überzeugen. Der ältere Bruder hielt sich für nicht minder berechtigt als der jüngere; mit Gewalt der Waffen nöthigte er den- selben, in die Theilung von Marsna zu willigen, durch die er zuerst das überrheinische Deutschland mit dem diesseiti- gen vereinigte. Dieser Gang der Dinge wiederholte sich, als hierauf im J. 875 auch Italien und das Kaiserthum erledigt wurden. Anfangs setzte sich Carl d. K., wie dort von den Bischöfen, so hier von dem Papste begünstigt, ohne Schwierigkeit in Besitz der Krone. Papa invitante Romam perrexit. — Beato Petro multa et Aber der Sohn Lud- Saͤchsische und fraͤnkische Kaiser . Ludwigs des Deutschen, Carlmann, auf das Vorrecht der älteren Linie gestützt und überdieß von dem letzten Kaiser zum Erben eingesetzt, eilte mit Baiern und Oberdeutschen nach Italien und brachte sie im Widerspruch mit dem Papst als sein unzweifelhaftes Erbtheil an sich. Wie viel weniger konnte es Carl dem Kahlen mit Versuchen gelin- gen, die er darauf an den deutschen Grenzen selber machte. Er ward hier wie dort geschlagen: das Übergewicht der Deutschen in den Waffen war so entschieden, daß sie jetzt alle lothringische Landschaften sich zueigneten. Noch unter den Carolingern zogen sie die Grenzen des gewaltigen Rei- ches; die Krone Carls des Großen und zwei Drittheil sei- ner Gebiete fielen ihnen anheim; die Autonomie der weltli- chen Macht hielten sie auf das gewaltigste und glänzendste aufrecht. Sächsische und fränkische Kaiser. Wie nun aber dann, wenn das herrschende Haus ent- weder abgieng, oder sich unfähig erwies, die Regierung ei- nes so großen, von allen Seiten angegriffenen, in sich sel- ber gährenden Reiches zu führen? In den Jahren 879, 887 entschlossen sich nach und nach die verschiedenen Nationen von Carl dem Dicken ab- zuweichen: es ist sehr merkwürdig, wie sie sich hiebei von einander unterschieden. In dem romanischen Europa hatte abermal die Geist- pretiosa munera offerens, in imperatorem unctus est. Annales Hincmari Remensis 875 et 876. Monum. Germ. I, 498. Ranke d. Gesch. I. 2 Einleitung . lichkeit allenthalben den Vortritt. Im transjuranischen Burgund waren es „die heiligen Väter, bei Mantala ver- sammelt, die heilige Synode zugleich mit den Vornehm- sten,“ die „unter Inspiration der Gottheit“ den Grafen Boso zum König wählten. „nutu dei, per suffragia sanctorum, ob instantem neces- sitatem.“ Electio Bosonis. Monum. III, 547. Aus dem Wahldecret für Guido von Spoleto sieht man, daß „die demüthigen Bi- schöfe, von verschiednen Seiten nach Pavia zusammenge- kommen,“ es waren, welche ihn zu ihrem Herrn und König wählten, Nos humiles episcopos ex diversis partibus Papiae con- venientibus pro ecclesiarum nostrarum ereptione et omnis chri- stianitatis salvatione etc. Electio Widonis regis. Ibid. 554. vor allem „weil er versprochen hat, die hei- lige römische Kirche zu erhöhen und die kirchlichen Gerecht- same aufrecht zu erhalten.“ Auch die Zusagen, zu wel- chen sich Odo von Paris bei seiner Krönung verstand, sind lediglich zu Gunsten der Geistlichkeit: er verspricht die Rechte der Kirchen nicht allein zu beschützen, sondern nach seinem besten Wissen und Können zu vermehren. Capitulum Odonis regis. Ibid. Ganz an- ders gieng die Sache in Deutschland. Hier waren es vor allem die weltlichen Großen, Sachsen, Franken und Baiern, welche sich unter Leitung eines mißvergnügten kaiserlichen Ministers um Arnulf sammelten und ihm die Krone über- trugen. Die Bischöfe, selbst der Bischof von Mainz, wa- ren eher dagegen, und erst nach einigen Jahren verstän- digten sie sich durch förmliche Unterhandlung De collegio sacerdotum gnaros direxerunt mediatores ad praefatum regem etc. Arnulfi concilium Triburiense. Ib. 560. mit dem Saͤchsische und fraͤnkische Kaiser . neuen Herrscher: sie hatten ihn nicht gewählt, sie unter- warfen sich ihm. Von jenem der Geistlichkeit jedes Mal geoffenbarten Rechte wollten die Deutschen noch immer nichts wissen: auch jetzt noch hielten sie sich der legitimen Succession so nahe wie möglich: auch nach dem völligen Abgang der Carolinger war der Grad der Verwandtschaft mit ihnen eine der bedeutendsten Rücksichten, durch welche die Wahl erst auf Conrad, dann auf den Sachsen Heinrich I fiel. Conrad hatte wohl einmal die Idee, sich an die al- lerdings auch in Deutschland sehr mächtige Geistlichkeit an- zuschließen: Heinrich war ihr dagegen von Anfang an op- ponirt: an seiner Wahl hatte sie keinen Theil: die Sanction durch das heilige Öl, welche dem alten Pippin und Carl dem Großen so viel werth gewesen, wies er von sich: wie die Sachen in Deutschland standen, konnte sie ihm nichts bedeuten. Vielmehr finden wir, daß er, wie er selber in seinem Sachsen die Geistlichkeit in seinem Gehorsam hielt, sie auch anderwärts den Herzogen überließ, „Totius Bajoariae pontifices tuae subjiciant potestati“ laͤßt Liutprand den Koͤnig dem Herzog Arnulf zusagen. Buchner Ge- schichte der Baiern III , 38 zeigt, wie dieser das benutzte. Vgl. Waiz: Heinrich I p. 49. so daß ihre Abhängigkeit größer wurde als jemals. Für ihn kam es nur darauf an, daß er mit diesen großen Gewalthabern, die ihm an Macht nicht ungleich waren, in gutem Ver- nehmen stand: und daß er dann andere von dem Moment geforderte wesentliche Pflichten erfüllte. Da ihm dieß ge- Er sagt: „Nos, quibus regni cura et solicitudo ecclesiarum com- missa est.“ 2* Einleitung . lang, da er entscheidende Siege über die gefährlichsten Feinde erfocht, die allenthalben durchbrochenen Marken wiederherstellte, sich auch über dem Rhein nichts entrei- ßen ließ was den deutschen Namen bekannte, so hielt sich auch der Clerus nothgedrungen an ihn: ohne Widerrede hinterließ er die Herrschaft seinem Hause. Es war ein Einverständniß des Hofes und der weltlichen Großen, wo- durch von den Söhnen Heinrichs Otto auf den Thron erhoben wurde. Zur Ceremonie der Wahl versammelten sich nur die Herzöge, Fürsten, großen Beamten und Kriegs- leute; den Gewählten empfieng dann die Versammlung der Geistlichkeit. Widukindi Annales lib. II. Duces ac praefectorum prin- cipes cum caetera principum militumque manu — fecerunt eum regem; dum ea geruntur a ducibus ac caetero magistratu, ponti- fex maximus cum universo sacerdotali ordine praestolabatur. Ohne Bedenken konnte Otto die Salbung annehmen: der Clerus durfte jetzt nicht mehr glauben, ihm damit ein Recht zu übertragen: Otto wäre König gewe- sen auch ohne die Salbung, wie sein Vater. Und so fest war diese Macht begründet, daß Otto nunmehr die von seinen carolingischen Vorfahren erworbenen Ansprüche zu erneuern und auszuführen vermochte. Die Idee des deut- schen Kaiserthums, die von diesen nur gefaßt, nur vorbereitet worden, brachte er zu voller Erscheinung. Er beherrschte Lothringen und verwaltete Burgund: ein kurzer Feldzug genügte ihm, um die oberherrlichen Rechte seiner carolin- gischen Vorfahren über die Lombardei herzustellen: wie Carl den Großen rief auch ihn ein von den Factionen der Stadt bedrängter Papst zu Hülfe: wie dieser empfieng er Saͤchsische und fraͤnkische Kaiser . dafür, 2 Jan. 962, die Krone des abendländischen Rei- ches. Jenes Prinzip der weltlichen Selbstherrschaft, das sich den Usurpationen des geistlichen Ehrgeizes von Anfang an entgegengeworfen, gelangte hiedurch zu der großartigsten Repräsentation, zu einer vorwaltenden Stellung in Europa. Auf den ersten Anblick möchte es scheinen, als sey nun Otto auch in ein ähnliches Verhältniß zu dem Papst getreten, wie Carl der Große; näher betrachtet aber zeigt sich ein nicht geringer Unterschied. Carl der Große ward mit dem römischen Stuhle durch eine von gegenseitigem Bedürfniß hervorgerufene, die Re- sultate langer Epochen, die Entwickelungen verschiedener Völ- ker umfassende Weltcombination in Verbindung gebracht: ihr Verständniß beruhte auf einer innern Nothwendigkeit, durch welche auch alle Gegensätze vermittelt wurden. Die Herrschaft Ottos des Großen dagegen beruhte auf einem dem Umsichgreifen der geistlichen Tendenzen ursprünglich widerstrebenden Prinzip. Die Verbindung war momen- tan: die Entzweiung lag in dem Wesen der Dinge. Wie denn auch sogleich derselbe Papst der ihn gerufen, Johann XII , sich an der Spitze einer rebellischen Faction gegen ihn empörte; Otto mußte die förmliche Absetzung desselben bewirken, die Faction, die ihn unterstützte, mit wiederholter Gewalt unterdrücken, ehe er wahrhaften Ge- horsam fand; den Papst, mit dem er sich verstehen konnte, mußte er erst setzen. Die Päpste haben oft behauptet, das Kaiserthum auf die Deutschen übertragen zu haben, und wenn sie dabei von den Carolingern reden, so haben sie so unrecht nicht: die Krönung Carls des Großen beruhte Einleitung . auf ihrem freien Entschluß; bezeichnen sie aber damit die eigentlich so zu nennenden deutschen Kaiser, so ist das Ge- gentheil eben so wahr: wie Carlmann, wie Otto der Große, so haben auch deren Nachfolger sich das Kaiserthum im- mer erobern, es mit den Waffen in der Hand behaupten müssen. Man hat wohl gesagt, die Deutschen würden besser gethan haben, sich mit dem Kaiserthum gar nicht zu be- fassen, wenigstens erst ihre einheimische politische Ausbildung zu vollziehen, um alsdann mit gereiftem Geist in die allge- meinen Verhältnisse einzugreifen. Allein nicht so metho- disch pflegen sich die Dinge der Welt zu entwickeln. Das Innerlich-wachsende wird schon in demselben Augenblick berufen, sich nach Außen auszubreiten. Und war es nicht selbst für das innerliche Wachsthum von hoher Bedeutung, daß man in ununterbrochner Verbindung mit Italien blieb, welches in Besitz aller Reste der alten Cultur war, von wo man die Formen des Christenthums empfangen hatte? An dem antiken und romanischen Element hat sich der deutsche Geist von jeher entwickelt. Eben durch die Ge- gensätze, welche bei der fortdauernden Verbindung so un- aufhörlich hervortraten, lernte man in Deutschland Prie- sterherrschaft und Christenthum unterscheiden. Denn wie sehr nun auch das weltliche Prinzip hervor- gekehrt ward, so wich man doch um kein Haarbreit von den christlich-kirchlichen Ideen ab selbst in den Formen, in de- nen man sie empfangen. Hatte sich doch die Nation über- haupt in denselben wieder gefunden, vereinigt: ihr gesammtes geistiges Leben knüpfte sich daran: auch das deutsche Kaiser- Saͤchsische und fraͤnkische Kaiser . thum erneuerte die cultivirenden christianisirenden Tenden- zen Carl Martells und Carls des Großen: Otto der Große gab denselben dadurch eine neue nationale Bedeutung, daß er mit der Ausbreitung des Christenthums in slawischen Ländern zugleich deutsche Colonien in denselben pflanzte, die bezwungenen Völkerschaften zugleich bekehrte und germani- sirte. Die Eroberungen seines Vaters an Saale und Elbe befestigte er durch die Errichtung der meißnisch-osterländi- schen Bisthümer; nachdem er dann selber in langen und gefährlichen Kriegszügen die Stämme jenseit der Elbe be- siegt hatte, richtete er auch hier drei Bisthümer ein, durch welche die Bekehrung für den Augenblick außerordentlich rasche Fortschritte machte; Adamus Brem. Histor. ecclestiastica lib. II, c. 17. in der Mitte seiner italieni- schen Verwickelungen verlor er doch diesen großen Gesichts- punct nie aus den Augen: eben von dort aus hat er das Erzbisthum Magdeburg gegründet, das alle diese Stiftun- gen umfaßte. Und wo dann an ein eigentliches Germa- nisiren nicht gedacht werden konnte, ward durch diese Wirk- samkeit wenigstens das Übergewicht des deutschen Namens befestigt. In Böhmen und Polen entstanden Bisthümer unter deutschen Metropolitanen: von Hamburg aus machte sich das Christenthum Bahn in dem Norden: die Passauer Missionarien durchzogen Ungern: es ist nicht unwahrschein- lich, daß dieß großartige Bemühen bis nach Rußland wirkte. Das deutsche Kaiserthum war der Mittelpunct der fort- schreitenden Religion: es breitete den kriegerisch-priesterli- chen Staat, der zugleich die Kirche war, vor sich her aus: in ihm hauptsächlich erschien die Einheit der abendländischen Einleitung . Christenheit, und schon dazu mußte es des Papstthums mächtig seyn. Denn bei diesem Übergewicht des siegreichen weltli- chen und germanischen Prinzipes blieb es nun auch eine lange Zeit. Otto II hat dem Abt von Clugny die Stelle eines Papstes gradezu angeboten, Otto III hat erst einen seiner Verwandten und dann seinen Lehrer Gerbert zum päpstlichen Stuhle befördert; alle Factionen, welche dieses Recht bedrohten, wurden niedergeschlagen: unter den Au- spicien Heinrichs III trat ein deutscher Papst an die Stelle der drei römischen Competenten. Als der römische Stuhl im J. 1048 erledigt worden, begaben sich, wie ein gleich- zeitiger Chronist sagt, Gesandte der Römer nach Sachsen, fanden daselbst den Kaiser und baten ihn, ihnen einen Papst zu geben. Er wählte den Bischof von Toul, Leo IX , aus dem Hause Egisheim, von dem er mütterlicher Seits selber abstammte. Was aber an dem Oberhaupt, geschah nun nothwendig noch unzweifelhafter an der übrigen Geist- lichkeit. Seitdem es Otto dem Großen gelungen war, in den Irrungen seiner ersten Jahre, den Widerstand, wel- chen ihm die Herzogthümer vermöge ihrer stammesartigen Zusammensetzung leisteten, im Allgemeinen zu brechen, stand die Besetzung der geistlichen Stellen ohne Widerrede in der Hand des Kaisers. Welch eine großartige Stellung nahm da die deutsche Nation ein: repräsentirt in dem mächtigsten europäischen Fürsten, und von ihm zusammengehalten: an der Spitze der fortschreitenden Civilisation, der abendländischen Chri- stenheit: in der Fülle jugendlich aufstrebender Kräfte. Saͤchsische und fraͤnkische Kaiser . Bemerken wir jedoch und gestehen wir ein, daß sie ihre Stellung nicht ganz verstand, ihre Aufgabe nicht voll- kommen erfüllte. Vor allem: es gelang ihr nicht, der Idee eines abend- ländischen Reiches die volle Realität zu geben: wie es un- ter Otto I den Anschein hatte. An allen Grenzen der Deutschen erhoben sich wiewohl christliche, jedoch unabhän- gige und häufig feindselige Gewalten: so in Ungern wie in Polen, in den nördlichen wie in den südlichen Besitzungen der Normannen; England und Frankreich waren dem deut- schen Einfluß wieder entrissen; in Spanien lachte man der deutschen Ansprüche auf eine allgemeine Oberherrlichkeit: die dortigen Könige glaubten selber Kaiser zu seyn; ja selbst die nächsten, die überelbischen Unternehmungen wurden eine Zeitlang rückgängig. Fragen wir dann, woher diese schlechten Erfolge rühr- ten, so brauchen wir nur unsre Augen auf das Innere zu richten, wo wir ein unaufhörlich wogendes Kämpfen al- ler Gewalten wahrnehmen. Unglücklicherweise konnte es in Deutschland zu keiner festen Succession kommen. Der Sohn und der Enkel Ottos des Großen starben in der Blüthe der Jahre; die Nation ward in die Nothwendig- keit gesetzt, sich ein Oberhaupt zu wählen. Gleich die erste Wahl brachte Deutschland und Italien in eine allgemeine Aufregung; und darauf folgte alsbald eine zweite, noch stürmischere, da man sogar zu einem neuen Hause, dem fränkischen, überzugehen genöthigt war. Wie wäre von den mächtigen und widerspenstigen Großen, aus deren Mitte durch ihren Willen eben der Kaiser hervorgegangen, nun Einleitung . ein voller Gehorsam gegen ihn zu erwarten gewesen? Wie hätte sich ferner der Stamm der Sachsen, der bisher die Herrschaft geführt, einem auswärtigen Geschlechte so geradehin unterwerfen sollen? Es erfolgte, daß sich zwei Factionen, die eine im Gehorsam, die andre in Oppo- sition gegen die fränkischen Kaiser, einander gegenübersetzten und das Reich mit ihren Streitigkeiten erfüllten. Die strenge Sinnesweise Heinrichs III erweckte ein allgemeines Murren. Hermannus Contractus ad a. 1053. Regni tam primores quam inferiores magis magisque mussitantes, regem se ipso de- teriorem (schlimmer) fore causabantur. Ein Traumgesicht, das uns von dem Kanz- ler desselben erzählt wird, bezeichnet die Lage der Dinge nicht übel. Er sah den Kaiser auf seinem Throne sitzen, und sein Schwerd mit dem Ausruf zucken, er gedenke sich noch an allen seinen Feinden zu rächen. Wie hätten da die Kaiser, ihr Leben lang mit inneren Irrungen beschäftigt, an der Spitze der europäischen Menschheit zu irgend einer großartigen Unternehmung sich erheben, den Titel der Ober- herrlichkeit sich wirklich verdienen können? Merkwürdiger Weise war das Element, auf das sie sich stützten, doch hauptsächlich wieder die Geistlichkeit. Schon Otto der Große verdankte der Unterstützung der Bischöfe, z. B. seines Bruders Bruno, den er zum Erz- bischof von Cölln gemacht, und der ihm dafür Lothringen in Pflicht hielt, wenigstens zum Theil seine glücklichen Er- folge in den innern Streitigkeiten: nur mit der Hülfe sei- ner Geistlichen besiegte er den Papst. Rescriptum patrum in concilio bei Liutprand lib. VI ent- Die Kaiser fan- Saͤchsische und fraͤnkische Kaiser . den es gerathen, mit den Bischöfen zu regieren, sie zu Werkzeugen ihres Willens zu machen. Bei der nicht mehr zurückzuhaltenden allgemeinen Tendenz aller Beamtung zur Erblichkeit mußte es ihnen als ein Vortheil erscheinen, welt- liche Rechte mit den Bisthümern zu vereinigen über welche ihnen eine freie Disposition zustand. Die Bischöfe waren zugleich ihre Kanzler und Räthe, die Klöster kaiserliche Meierhöfe. Daher kam es, daß eben in den Zeiten wo die Unterwürfigkeit der Geistlichen unter das Kaiserthum am entschiedensten war, ihre Macht sich am meisten aus- dehnte und befestigte. Schon Otto I begann die Graf- schaften mit den Bisthümern zu verbinden; aus den Re- gesten Heinrichs II sehen wir, daß er mancher Kirche zwei, mancher drei Grafschaften, der gandersheimischen sogar die Grafschaft in sieben Gauen übertrug. Noch im elften Jahr- hundert gelang es den Bischöfen von Würzburg, in ihrer Diöcese die weltliche Grafschaft ganz zu verdrängen, die geistliche und die weltliche Gewalt daselbst zu vereinigen: ein Zustand, zu welchem es nun auch die übrigen Bischöfe zu bringen wetteiferten. Es leuchtet ein: die Stellung eines deutschen Kaisers war eben so gefährlich wie großartig. Die ihn umgeben- den Magnaten, Inhaber der weltlichen Macht, von der er selbst ausgegangen, konnte er nur in stetem Kampfe, nicht ohne Gewaltsamkeit im Zaum halten. Er mußte sich auf die andere, die geistliche Seite, stützen, die doch im Prinzip von ihm verschieden war. Die europäische Be- haͤlt die merkwuͤrdige Erklaͤrung: Excommunicationem vestram par- vipendemus, eam potius in vos retorquebimus. Einleitung . deutung seiner Würde konnte er doch nie völlig erfüllen. Wie contrastirt mit der Ruhe und Selbstgenügsamkeit des Reiches das Carl der Große beherrschte, dieß ewige Hin und Wiederfluthen entgegengesetzter Parteien, dieß stete Sich- aufrichten widerspenstiger Gewalten! es gehörte eine Kraft und Mannhaftigkeit ohne Gleichen dazu, sich zu behaupten! Es war ein Weltereigniß, daß in dieser Lage der Dinge der Fürst der diese Kraft wohl besaß, Heinrich III , in frühen Jahren verstarb (1056) und ein sechsjähriger Knabe, in dessen Namen aber zunächst eine schwankende vormundschaftliche Regierung seinen Platz einnahm. Emancipation des Papstthums. Da begannen die Ideen, welche im 9ten Jahrhundert zurückgedrängt worden, sich aufs neue zu erheben und zwar, da die Geistlichkeit jetzt nach unten hin um so viel mäch- tiger geworden, mit verdoppelter Kraft. Überhaupt sind dieß die Zeiten, in welchen sich die geistlichen Gewalten in aller Welt auszubilden begannen, in welchen das menschliche Geschlecht in diesen Formen des Daseyns Befriedigung fand. In dem elften Jahrhun- dert ward der Buddhaismus in Tibet wiederhergestellt, und durch den Lama Dschu-Adhischa die Hierarchie er- richtet, die noch bis auf den heutigen Tag einen so gro- ßen Theil von Hinterasien umfaßt. Das Chalifat von Bag- dad, früher ein weltumfassendes Kaiserthum, bildete sich damals zu einer geistlichen Autorität um, welcher eben deshalb eine um so unumwundnere freiwillige Anerkennung Emancipation des Papstthums . zu Theil ward. Ueber Africa und Syrien erhob sich in demselben Zeitraum das fatimidische Chalifat, auf den Grund einer Lehre, von welcher ihre Bekenner sagten, sie verhalte sich zu dem Koran, wie der Kern zur Schale. In dem Abendland nun war die Idee der Einheit der Christenheit durch alle die seitdem erfolgten Bekehrun- gen, welche eine und die andre empfänglichere Nation noch einmal mit jugendlichem Enthusiasmus erfüllt hatten, auf das lebendigste in die Gemüther gedrungen: sie drückte sich in den so eben allenthalben beginnenden Angriffen auf den Mahumetanismus aus; von dem Kaiserthum, das nur eine beschränkte Obedienz genoß, ward sie ungenügend re- präsentirt; gewaltig kam sie jetzt den hierarchischen Bestre- bungen zu Hülfe. Denn an wen konnte sie sich knüpfen, als an den Bischof der römischen Kirche, auf welchen sich die Stiftungen aller andren Kirchen zurück bezogen, dem die Abendländer eine allgemeine Verehrung widmeten. Bis- her war er durch die Entwickelung des Kaiserthums in Schatten gestellt worden. Zugleich aus der Gunst der Um- stände und dem großen Gange der Ereignisse entsprang für das Papstthum der Antrieb, die Zügel der Herrschaft zu ergreifen. Die Zeiten jener Vormundschaft wurden entscheidend. An dem römischen Hofe erlangte der Mann, der vor al- len Andern die Nothwendigkeit der Reform und unabhängigen Existenz des kirchlichen Institutes verfocht, der vom Schick- sal bestimmte Mann, der seinen Sinn den Jahrhunderten zum Gesetz machen sollte, — Hildebrand, Sohn eines Zim- mermanns im Toscanischen — beherrschenden Einfluß auf Einleitung . alle Angelegenheiten. Er rief Beschlüsse hervor, nach wel- chen die Papstwahlen in Zukunft nicht mehr von den Kai- sern, sondern von dem Clerus der Kirche und den Cardi- nälen abhängen sollten; und zögerte keinen Augenblick, sie nun auch ins Werk zu setzen: sogleich die nächste Wahl leitete er danach. In Deutschland dagegen war man zu dieser Zeit nur mit dem Kampfe der Factionen des Hofes beschäftigt: die über Italien und Deutschland ausgebreitete Opposition, zu der auch Hildebrand gehörte, gewann endlich an dem Hofe selbst festen Boden; die Anhänger der alten sächsischen und salischen Grundsätze, z. B. Kanzler Guibert wurden gestürzt: es kam so weit daß der Hof die gegen sein eignes näch- stes Interesse geschehene Wahl billigte: einen Gegenpapst, der sich mit vielem Glücke behauptete, in dem sich die al- ten Maximen repräsentirten, ließen die deutschen Machtha- ber, verloren in die Streitigkeiten des Augenblickes, selber fallen. Das ward nun wohl anders als der junge Salier, voll Leb ens muth und Geist wie er war, persönlich die Regie- rung übernahm. Er kannte seine Rechte und war entschlos- sen sie um jeden Preis zu behaupten. Aber schon waren die Sachen so weit gediehen, daß er von allem Anfang in die gefährlichste Lage gerieth. Der Eintritt des jungen zu Selbstherrschaft und Ge- waltsamkeit geneigten, von Leidenschaften fortgerissenen Für- sten brachte gar bald die lange gährenden inneren Feind- seligkeiten in Deutschland zum Ausbruch; auch die deut- schen Großen strebten nach einem Zustand von Autonomie, Emancipation des Papstthums . wie sich ihn die französischen eben damals verschafft hatten; im Jahr 1073 empörten sich die sächsischen Fürsten: ganz Sachsen, sagt ein Zeitgenosse, wich von dem König, wie Ein Mann. Indessen hatte zu Rom das Oberhaupt der Feinde die päpstliche Tiare selbst genommen, und schritt nun unverweilt zu dem großen Unternehmen, nicht allein das Papstthum, sondern die Geistlichkeit überhaupt von dem Kaiserthum zu emancipiren: im Jahr 1074 ließ er durch seine Synode ein Gesetz verkündigen, welches den Laien d. i. zunächst dem Kaiser die Ernennung zu den geistlichen Ämtern überhaupt entreißen sollte. Kaum zur Krone gelangt sah Heinrich IV die besten Prärogativen derselben, die Summe seiner Macht ange- griffen und mit Vernichtung bedroht. Er schien ohne Frage unterliegen zu müssen. Der Zwist zwischen Sach- sen und Oberdeutschen, der ihm eine Zeitlang zu Statten gekommen, ward beigelegt, und man sah die Schwerter, noch naß von gegenseitigem Blut, sich vereinigt gegen den Kaiser richten; man legte ihm die Nothwendigkeit auf den Papst der ihn excommunicirt hatte, zu versöhnen mußte jene Winterreise, jene Buße von Canossa vollziehen, durch die er die Majestät des kaiserlichen Namens so tief erniedrigte. Allein eben von diesem Momente fieng auch sein ernst- licher Widerstand an. Man würde sich ihn falsch vorstellen, wenn man glau- ben wollte, als sey er in reuiger Zerknirschung über die Alpen gegangen, als sey er von dem Rechte des Papstes durchdrungen gewesen. Er wollte seinen Gegnern nur den Anhalt der geistlichen Autorität entwinden, den Vorwand Einleitung . unter dem sie seine höchste Würde bedrohten. Da ihm dieß nicht gelang, da die Absolution Gregors nicht so voll- ständig war um die deutschen Fürsten von weiteren Schrit- ten zurückzuhalten, Lambertus Schaffnaburgensis: (Pistor. I, p. 420) His conditionibus absolutus est ut — — accusationibus responderet et ad Papae sententiam vel retineret regnum — — vel aequo animo amitteret. diese sich vielmehr derselben zum Trotz einen andern König wählten, so warf er sich in den re- solutesten Kampf gegen die geistlichen so wie gegen die welt- lichen Anmaßungen: jetzt erst ward er ein Mann. Über die Alpen, über die er so eben so demüthig gekommen, eilte er mit kriegerischem Feuer zurück; in Kärnthen sammelte sich eine unüberwindliche Schaar ergebener Anhänger um ihn her; es ist ein denkwürdiges Schauspiel, ihn nun zu be- gleiten, wie er die geistliche Gewalt in Baiern, die aristo- kratische feindseliger Geschlechter in Schwaben übermannt, wie er sich dann nach Franken wendet und seinen Gegen- könig vor sich her treibt, nach Thüringen, nach den meiß- nischen Colonien, bis er ihm an der Elster eine Schlacht liefert, in der derselbe umkommt. Es sind nicht große Siege die Heinrich erficht: auch an der Elster behauptet er das Schlachtfeld nicht einmal; aber immer ist er im Vorrücken, immer mächtiger wächst seine Partei an; die Fahne des Kai- serthums hält er gewaltig aufrecht. Nach ein paar Jahren (1081) konnte er sich wieder nach Italien wenden. So lang und so enge war das Kaiserthum mit der bischöfli- chen Macht verbündet, daß es ihm auch jetzt an Anhän- gern unter der hohen Geistlichkeit nicht fehlen konnte: auch für Emancipation des Papstthums . für den Kaiser wurden Synoden gehalten, in denen man beschloß, die alte Ordnung der Dinge zu behaupten; dem excommunicirenden Papste antwortete man dadurch, daß man auch ihn seinerseits excommunicirte; jener salisch ge- sinnte Kanzler Guibert ward unter den Auspicien des Kai- sers zum Papst ernannt, und nach mancherlei Wechselfäl- len des Krieges zuletzt doch nach Rom geführt. Wie so viele seiner Vorfahren ward auch Heinrich von einem Papste seiner Wahl gekrönt. Der zweite Gegenkönig den ihm die Sachsen entgegengesetzt, konnte es zu keiner wesentlichen Macht bringen, und hielt es für gerathen, von selbst Ver- zicht zu leisten. Wir sehen: der Kaiser hatte erreicht was sich durch Krieg und Politik erreichen läßt: fragen wir aber, ob er nun auch den Sieg davon trug, so müssen wir das vernei- nen. Denn nicht immer auf den Schlachtfeldern werden die Siege entschieden. Die Ideen welche Gregor verfocht, waren mit den mächtigsten Trieben der universalen Ent- wickelung verbündet; während er aus Rom flüchtete, nahmen sie die Welt ein. Schon sein zweiter Nachfolger, zehn Jahr nach seinem Tode, vermochte, worauf zuletzt alles ankam, die Initiative in den allgemeinen Angelegenheiten des Abend- landes zu ergreifen: eine der größten Weltbewegungen, die Unternehmung der Kreuzzüge wußte er hervorzurufen; ganz von selbst erschien er dann als das Oberhaupt des germa- nisch-romanischen, priesterlich-kriegerischen Gemeinwesens im Abendlande: der Kaiser hatte nichts dagegen einzusetzen. Das Leben Heinrichs wie es sich nun weiter ent- wickelte, hat etwas, was an die antike Tragödie erinnert; Ranke d. Gesch. I. 3 Einleitung . wo der Held in allem Glanze männlicher Tüchtigkeit und Lebensfülle den Gewalten des Schicksals erliegt. Denn was kann einem überwältigenden Schicksal ähnlicher seyn, als die Macht der Meinung, die unbemerkt um sich greift, die Gemüther in Besitz nimmt, und plötzlich mit einer nicht mehr zu bezwingenden Macht auf dem Kampfplatze erscheint. Heinrich sah die Welt vor seinen Augen sich von dem Kai- serthum abwenden zum Papstthum. Ein in den dunkeln Antrieben eines Kreuzzuges zusammengebrachtes Heer ver- jagte den von ihm eingesetzten Papst aus Rom. Ja in sein eigenes Haus drangen die ihm feindseligen Ideen ein. Zuerst ward sein älterer Sohn von katholischem Eifer er- griffen und zum Abfall von dem Vater gereizt; bei dem jüngern kam dann der Einfluß der deutschen Aristokratie hinzu; Der nöthigte, List und Gewalt vereinigend, den ei- genen Vater zur Abdankung; mit Herzeleid fuhr der alte Kriegsmann in die Grube. Ich halte es nun nicht für nothwendig, alle die ver- schiedenen Abwandlungen zu begleiten welche der kirchen- rechtliche Streit erfuhr. Selbst in Rom schien es zuweilen unmöglich, den Kai- ser zur Abtretung seiner Ansprüche zu nöthigen. Papst Pa- schalis faßte einmal den kühnen Gedanken, alles zurückzu- geben was die Kaiser der Kirche jemals verliehen, sie im Grunde ganz von dem Staate zu trennen. Heinrici encyclica de controversia sua cum papa. Monum. IV, 70. Sehr mit Recht fragte der Kaiser, was aus der kaiserlichen Macht werden solle, wenn sie die Investitur verliere, nachdem die Kaiser einen so großen Theil ihrer Befugnisse auf die Bischoͤfe uͤber- tragen. Verhältniß d. Papstthums zu dem Fürstenthum . Da sich das unausführbar erwies, so kam die kirch- liche Verwaltung doch wieder eine Zeitlang an den kaiser- lichen Hof, unter Heinrich V wie unter Heinrich IV. Epistola Friderici Coloniensis archiepiscopi: Codex Vdal- rici Babenbergensis nr. 277. Synodales episcoporum conventus, annua consilia, omnes denique ecclesiastici ordinis administratio- nes in regalem curiam translata sunt. Aber auch dieß schien gar bald unerträglich: neuer Zwist erwachte, und nach langem Hader verstand man sich zu dem Wormser Concordat, durch welches dem Kaiser in Deutschland, dem Papst in Italien ein vorwaltender Ein- fluß überlassen ward. Eine Abkunft, die jedoch nicht ein- mal deutlich ausgesprochen wurde und den Keim zu vielen neuen Zwistigkeiten in sich trug. Wie wenig abschließend demnach auch diese Resultate für das öffentliche Recht waren, so ist doch der Vortheil, der dem Papstthum aus dem Gange der Ereignisse allmäh- lig erwachsen war, unermeßlich. Aus totaler Abhängigkeit war es zu einer eben so vollständigen Emancipation, ja zu einem zwar noch nicht ganz ausgebildeten, aber doch bereits unzweifelhaften Übergewicht gelangt, das sich nun unter begünstigenden Umständen von Moment zu Moment fester gestaltete. Verhältniß des Papstthums zu dem Fürstenthum. Was dem Papstthum hiebei am meisten zu Hülfe kam, war das natürliche sich gleichsam von selbst verstehende Bündniß, in welchem es mit den deutschen Fürsten stand. 3* Einleitung . Die weltlichen Großen von Deutschland hatten sich einst dem geistlichen Prinzip, um ihr Oberhaupt her, am meisten entgegengesetzt: sie hatten das Kaiserthum aufge- richtet und es mit seiner Macht bekleidet; aber ihnen selbst war diese Macht zuletzt wieder zu schwer geworden: eben das Gewicht der kaiserlichen Oberherrschaft über die Geist- lichkeit, welche dazu benutzt ward sie zu erdrücken, bekamen sie am meisten zu empfinden; es erfolgte, daß sie in der Emancipation des Papstthums am Ende ihren eigenen Vor- theil sahen. Bemerken wir, daß sich das deutsche Fürstenthum und das Papstthum in parallelem Stufengange erhoben. Unter Heinrich III , und während jener Vormundschaft, hatten sie beide den Grund ihrer Unabhängigkeit gelegt: mit einander begannen sie ihre Unternehmung. Kaum hatte Gre- gor VII die ersten Grundsätze seines neuen Systems aufge- stellt, so sprachen sie auch den ihren aus, den Grundsatz daß das Reich in Zukunft nicht mehr erblich seyn solle. Wenn Heinrich IV sich behauptete, so geschah es hauptsächlich dadurch, weil er ihre Ansprüche, die er im Ganzen bestritt, im Einzelnen anerkannte: seine Siege konnten so wenig die Fortschritte ihrer Selbständigkeit aufhalten wie die der Hie- rarchie: schon unter Heinrich V kam es so weit, daß man die Einheit des Reiches mehr in ihrer Gesammtheit erblickte als in der kaiserlichen Person selbst. Denn was will es anders bedeuten, wenn dieser Fürst selbst einmal erklärt, es liege weniger daran, daß das Oberhaupt verunglimpft werde, als daß man den Fürsten zu nahe trete? Unius capitis licet summi dejectio reparabile dampnum So Verhältniß d. Papstthums zu dem Fürstenthum . sahen auch sie selbst sich schon zuweilen an. In Würz- burg vereinigten sie sich, wenn auch der König von ihren Beschlüssen abweiche, dennoch dabei festzuhalten: die Strei- tigkeiten mit dem Papst, welche Heinrich nicht mehr been- digen konnte, nahmen sie in ihre Hand: von ihnen rührte das wormsische Concordat her. Bei den weiteren Competenzen des Kaiserthums und des Papstthums kam nun alles darauf an, welche Unter- stützung der Kaiser jedesmal bei ihnen finden würde. Ich will hier nicht in eine nähere Erörterung der Verhältnisse der welfisch-hohenstaufischen Zeiten eingehn: es würde nicht möglich seyn, ohne die Einzelnheiten aus- führlicher zu entwickeln als es für diese kurze Übersicht dienlich ist: fassen wir nur die großartigste Erscheinung die- ser Epoche, Friedrich I ins Auge. So lange Friedrich I mit seinen Fürsten gut stand, konnte er sogar daran denken, die Rechte des Kaiserthums im Sinne der alten Imperatoren und ihrer Rechtsbücher erneuern zu wollen; er hielt sich für berechtigt Kirchenver- sammlungen zu berufen, wie Justinian und Theodosius; er erinnerte die Päpste, daß ihr Besitz von der Gnade der Kaiser herrühre, und mahnte sie an ihre kirchlichen Pflich- ten; die Gelegenheit einer streitigen Wahl konnte er be- nutzen, um auf die Besetzung des Papstthums erneuerten Einfluß zu gewinnen. Wie ganz anders aber, als er sich mit seinem mäch- tigen Vasallen Heinrich dem Löwen wieder entzweit hatte. est, principum autem conculcatio ruina regni est. Fragmentum de hoste facienda. Monum. IV. 63. Einleitung . Der Anspruch dieses Fürsten auf eine kleine norddeutsche Stadt, auf Goßlar am Harz, den der Kaiser nicht aner- kennen wollte, entschied in den italienischen, den allgemei- nen Verhältnissen der abendländischen Christenheit. Dann blieb dem Kaiser die gewohnte Unterstützung aus: dann ward er im Felde geschlagen: dann mußte er einem gelei- steten Eide zum Trotz den Papst anerkennen, den er ver- worfen hatte. Und nun wandte er sich zwar wider den empörerischen Vasallen: es gelang ihm, die gesammte Gewalt aufzulösen die derselbe besaß; allein das war doch hinwiederum vor allem der Vortheil der Fürsten zweiten Ranges, mit deren Unterstützung er das bewirkte, die er dafür aus den Spo- lien seines Nebenbuhlers groß machte; und der Vortheil den das Papstthum nun einmal erfochten, war nicht wie- der auszugleichen. Die venezianische Zusammenkunft Frie- drichs I und Alexanders III hat meines Erachtens beï wei- tem mehr zu bedeuten als die Scene von Canossa. In Ca- nossa suchte ein junger leidenschaftlicher Fürst die ihm auf- gelegte Buße nur rasch abzumachen; in Venedig war es ein gereifter Mann, der Ideen aufgab die er ein Vierteljahr- hundert mit allen Kräften verfolgt hatte: jetzt aber mußte er bekennen, in seiner Behandlung der Kirche habe er mehr der Gewalt nachgetrachtet als der Gerechtigkeit. Dum in facto ecclesiae potius virtutem potentiae quam rationem justitiae volumus exercere, constat nos in errorem merito devenisse. Oratio Imperatoris in conventu Veneto. Mo- num. IV, 154. Von Canossa gieng der eigentliche Kampf erst aus; in Venedig Verhältniß d. Papstthums zu dem Fürstenthum . ward das Übergewicht der kirchlichen Gewalt vollständig anerkannt. Denn wie wirksam auch der indirecte Antheil seyn mochte, den die Deutschen an diesem Erfolge hatten, so fiel doch der Glanz und der große Gewinn des Sieges ganz dem Papstthum anheim. Nun erst fieng es an zu herrschen. Man sah es bei der nächsten Gelegenheit, als noch am Ende des zwölften Jahrhunderts in Deutschland ein Zwie- spalt über die Krone ausbrach. Das Papstthum, in einem der geistvollsten herrschbe- gierigsten und kühnsten Priester, die je gelebt, der sich als das natürliche Oberhaupt der Welt ansah, Innocenz III repräsentirt, trug kein Bedenken, die Entscheidung dieses Streites in Anspruch zu nehmen. Die deutschen Fürsten waren nicht so verblendet, um die Bedeutung dieses Anspruches zu verkennen. Sie erin- nerten Innoeenz, daß das Reich die Befugniß, auf die Papstwahl einzuwirken, zu der es vollkommen berechtigt gewesen, aus Verehrung für den römischen Stuhl habe fal- len lassen: wie unerhört sey es, daß dagegen nun der Papst, ohne alles Recht, sich Einfluß auf die Kaiserwahl anmaße. Unglücklicherweise aber waren sie in einer Stellung, in wel- cher sie dagegen nichts Ernstliches thun konnten. Sie hät- ten wieder einen mächtigen Kaiser aufstellen, sich ihm an- schließen, unter seinen Fahnen das Papstthum bekämpfen müssen: dazu waren sie weder geneigt noch machte es die Lage der Dinge ausführbar. An und für sich liebten sie das Papstthum nicht: das geistliche Regiment war ihnen Einleitung . zuwider; aber ihm die Spitze zu bieten hatten sie auch den Muth nicht. Die Entschlossenheit Innocenz III trug einen neuen Sieg davon. In dem Streite der beiden Nebenbuh- ler, eines Hohenstaufen und eines Welfen unterstützte er an- fangs den Welfen, weil er aus einer kirchlich gesinnten Fa- milie sey: als dieser aber dennoch, so wie er zur Macht gelangt war, und in Italien erschien, sich den gewohnten Antipathien des Kaiserthums gegen das Papstthum hingab, trug er kein Bedenken, ihm doch wieder einen Hohenstau- fen entgegenzusetzen. Mit welfischen Kräften hatte er den Hohenstaufen bekämpft; jetzt bot er die hohenstaufischen wider den Welfen auf; es war ein Kampf, in den die Be- wegungen auch des übrigen Europa eingriffen; die Ereignisse entwickelten sich hier und dort so vortheilhaft daß sein Can- didat auch dieß Mal den Platz behielt. Seitdem hatte nun die päpstliche Gewalt einen leiten- den Einfluß auf alle deutsche Wahlen. Als eben der von dem Papst beförderte Hohenstaufe, Friedrich II , nach einigen Jahrzehnten den Versuch machte die Selbständigkeit des Reiches wenigstens in einigen Ver- hältnissen wiederherzustellen, trug das Papstthum kein Be- denken, ihn auch wieder zu entsetzen. Es trat jetzt mit seinem Anspruch, daß ihm die Zügel so gut der weltlichen wie der geistlichen Gewalt anvertraut seyen, unverholen hervor. „Wir befehlen Euch“, schrieb Innocenz IV 1246 an die deutschen Fürsten, „da unser geliebter Sohn, der Land- graf von Thüringen bereit ist das Reich zu übernehmen, daß ihr denselben ohne allen Verzug einmüthig wählt.“ Ex Actis Innocentii. Monum. IV, 361. Verhältniß d. Papstthums zu dem Fürstenthum . Für die Wahl Wilhelms von Holland belobt er Die, welche daran Theil genommen, in aller Form: er ermahnt die Städte dem Erwählten getreu zu seyn, um sich die apostolische und die königliche Gnade zu verdienen. Gar bald weiß man das in Deutschland nicht mehr anders. Gleich bei dem Empfange der Huldigung muß Richard von Cornwallis auf den Gehorsam der Städte Verzicht leisten, für den Fall, daß es dem Papst gefalle, ihm einen andern Bewerber vorzuziehen. Nach dem Tode Richards fordert Gregor X die deut- schen Fürsten auf, eine neue Wahl vorzunehmen; wo nicht, so werde er mit seinen Cardinälen den Kaiser setzen. Nach vollzogener Wahl ist es wieder der Papst, der den Prä- tendenten, Alfons von Castilien dahin bringt, auf seine Ansprüche und die Insignien des Reiches Verzicht zu lei- sten, und dem Gewählten, Rudolf von Habsburg, die all- gemeine Anerkennung verschafft. Gerbert: Introductio ad cod. epist. Rudolfi c. IV, nr. 30. Was kann von der Selbständigkeit einer Nation übrig bleiben, sobald sie es sich gefallen läßt, daß eine auswärtige Gewalt ihr ein Oberhaupt gebe? Es versteht sich, daß der Einfluß, der die Wahlen beherrscht, auch in alle andern Ver- hältnisse vorwaltend eindringt. Wohl hatte indeß auch das deutsche Fürstenthum Fortschritte gemacht. Im dreizehnten Jahrhundert, in jenen Streitigkeiten zwischen den verschiednen Thronbewerbern, zwischen Kaiserthum und Papstthum hatte es sich in Besitz fast aller Prärogative der Landeshoheit gesetzt. Auch sorgte man mit bedächtiger Voraussicht daß die kaiserliche Macht nicht wieder zu überwiegender Größe erwachsen konnte. Am Einleitung , Ende des dreizehnten, im Anfang des 14ten Jahrhunderts wählte man diese Oberhäupter fast methodisch aus ver- schiednen Häusern. Unbewußt oder bewußt hatte man die Maxime, jeder eben begonnenen Consolidation wieder eine neue Berechtigung auf einer andern Seite entgegenzusetzen; wie der schon ganz bedeutenden Macht von Böhmen das habsburgische Haus, und diesem dann wieder bald Nassau, bald Luxenburg, oder Baiern: zu mehr als vorübergehen- der Bedeutung konnte keins gelangen. Allein dabei kam auch kein andres Geschlecht zu selbständiger Haltung: das geistliche Fürstenthum, welches vorzugsweise die allgemei- nen Geschäfte führte, bedeutete fast mehr als das weltliche. Um so mächtiger ward dann das Papstthum, von dem die geistlichen Fürsten abhiengen: zu dem auch die weltlichen eine sehr untergeordnete Stellung annahmen. Was soll man sagen, wenn sie im dreizehnten Jahrhun- dert einmal erklären, die römische Kirche habe sie in Deutsch- land gepflanzt, und mit ihrer Gnade gepflegt und empor- gebracht. Tractatus cum Nicolao III Papa 1279. Romana ecclesia Germaniam decoravit plantans in ea principes tanquam arbores electas. Monum. IV, 421. Der päpstliche Stuhl hatte den deutschen Für- sten wenigstens eben so viel zu verdanken wie diese ihm: aber er hütete sich wohl davon zu sprechen: Niemand mochte ihn daran erinnern. Seinen Siegen über das Kaiserthum waren andre über andre weltliche Gewalten zur Seite ge- gangen. Es besaß nun fast unbestritten die oberste Hoheit in Europa. Jene Plane, die schon im 9ten Jahrhundert hervorzutreten begonnen, die das elfte wieder aufgenom- men, waren im dreizehnten zu ihrem Ziele gediehen. Verhältniß d. Papstthums zu dem Fürstenthum . In langen Perioden hatte sich eine Entwickelung voll- zogen, deren Umrisse sich, wie mir scheint, in wenigen Sätzen bezeichnen lassen. Den unmittelbar aus den Gründungen Carls des Gro- ßen hervorgehenden Ansprüchen der Geistlichkeit, Europa nach ihren hierarchischen Gesichtspuncten zu beherrschen, waren die vereinigten Deutschen, noch durchdrungen von den nationalen Ideen des alten Germaniens, entgegengetre- ten und hatten das Kaiserthum gegründet. Unglücklicher- weise aber vermochte das Kaiserthum nicht zu vollkommen ruhigem und festem Bestand zu gelangen; in der Entzweiung, in welche die zur Gewalt geneigten Herrscher und die wi- derspenstigen Vasallen gar bald geriethen, geschah es doch, daß sowohl die Einen als die Andern das geistliche Ele- ment wieder beförderten. Zuerst sahen die Kaiser in einer starken Geistlichkeit das Mittel ihre Großen im Zaum zu halten, und theilten ihr freigebig Besitzthümer, Regierungs- rechte zu. Hierauf aber, als sich in dem Papstthum und der geistlichen Corporation überhaupt Ideen der Befreiung regten, fanden es auch die weltlichen Großen so übel nicht, wenn der Kaiser dieses Rückhaltes, dieses Mittels der Ge- walt beraubt würde: die Schwächung der kaiserlichen Macht kam auch ihnen gar sehr zu Statten. So geschah daß dieses geistliche Element durch ihre entzweiten Gegner be- fördert zuletzt doch zu einem entschiedenen Übergewicht ge- langte. Allerdings kam nun in dem 12ten, 13ten Jahrhun- dert etwas ganz anderes zu Stande, als im 9ten gesche- hen seyn würde. Die weltliche Macht konnte herabgewür- digt, nicht vernichtet werden: ein vollkommenes Priester- Einleitung . reich, wie es wohl einst hätte erwartet werden müssen, konnte nicht mehr entstehen. Auch hatte die gesammte na- tionale Entwickelung viel zu tiefe Wurzeln geschlagen, um von dem kirchlichen Element erdrückt zu werden; vielmehr ward ihr die Einwirkung der kirchlichen Ideen und Stif- tungen ohne Zweifel selbst sehr förderlich. Es war eine Fülle von Leben und Geist, von Thätigkeit in den verschie- densten Zweigen, von schöpferischer Kraft vorhanden, von denen man nicht sieht, wie sie bei einem anderen Gange der Dinge hätte entstehen können. Aber bei alle dem war das doch kein Zustand, mit welchem sich eine große Nation befriedigen kann. An eine freie politische Bewe- gung war nicht zu denken, so lange der vornehmste An- trieb zu aller öffentlichen Thätigkeit von einem fremden Oberhaupt kam. Auch in dem Reiche des Geistes waren strenge Grenzen gezogen. Das unmittelbare Verhältniß, in dem sich jedes geistige Daseyn zu dem göttlichen fühlt, war und blieb der Nation verdunkelt. Nur langsam und in nicht immer erreichbaren Linien vollziehen sich die großen, Generationen umfassenden Ent- wickelungen. Es traten endlich Verhältnisse ein, welche auch in der deutschen Nation ein Bewußtseyn ihrer natürlichen Stel- lung hervorriefen. Beginnende Opposition. Der erste Moment lag darin, daß das Papstthum, seiner hohen Bestimmung fast vergessend, in den Genüssen Beginnende Opposition . von Avignon, alle Eigenschaften eines verschwenderischen und geldgierigen, die Gewalt um des Vortheils willen cen- tralisirenden Hofes entwickelte. Papst Johann XXII machte seine lucrativen Rechte auf das gröbste geltend, erlaubte sich unerhörte Eingriffe in die Besetzung deutscher Pfründen: über die Rechte der Churfürsten drückte er sich sehr zweifelhaft aus: er dage- gen nahm die Befugniß, den gewählten Kaiser zu prüfen und nach Befinden zurückzuweisen, ja in dem Falle einer streitigen Wahl, wie sie damals vorlag, selbst als Reichs- verweser zu fungiren, sehr ernstlich in Anspruch; Attendentes quod imperii romani regimen cura et ad- ministratio (ein ander Mal sagt er imperii romani jurisdictio re- gimen et administratio) tempore quo illud vacare contingit, ad nos pertineat, sicut dignoscitur pertinere. Literae Joannis bei Rainaldus 1319 und Olenschlager Geschichte des roͤm. Kaiserthums ꝛc. in der ersten Haͤlfte des 14ten Jahrhunderts p. 102. Im J. 1323 erklaͤrt er, er habe Ludwig dem Baiern den Proceß gemacht, super eo quod electione sua per quosdam qui vocem in electione hujusmodi habere dicuntur , per sedem aposto- licam, ad quam electionis hujusmodi et personae electae exa- minatio approbatio admissio ac etiam reprobatio et repulsio no- scitur pertinere, non admissa etc. Bei Olenschlager Urk. nr. 36. endlich leitete er gradezu Unterhandlungen ein, um einen franzö- sischen Prinzen auf den kaiserlichen Thron zu befördern. Da sahen doch endlich auch die deutschen Fürsten, was sie von einem solchen Verfahren zu erwarten hatten. Dießmal kamen sie ihrem Kaiser ernstlich zu Hülfe. Im Jahre 1338 vereinten sie sich zu der berühmten Satzung, daß Der, welchen die Mehrheit der Churfürsten dazu wähle, auch wirklich als Kaiser betrachtet werden müsse. Als Ludwig der Baier, müde von dem langen Kampfe, einen Einleitung . Augenblick schwankte, hielten sie ihn fest; auf dem Reichs- tag des Jahres 1344 machten sie ihm einen Vorwurf daraus, daß er sich zu erniedrigenden Bedingungen habe bequemen wollen. Natürlich! jetzt hatte der Papst nicht allein den Kaiser, er hatte auch ihre herkömmlichen Rechte, die Rechte der ganzen Nation hatte er angegriffen. Und nicht allein die Fürsten waren dieser Gesinnung. In dem vierzehnten Jahrhundert trat wie in Europa über- haupt so auch in Deutschland den bisher alleinherrschen- den aristokratischen Geschlechtern ein plebejisches Element zur Seite, indem nicht allein die Städte zu den Reichs- versammlungen gezogen wurden, sondern in einem großen Theile derselben die Zünfte in das Regiment gedrungen wa- ren. Noch feuriger als die meisten Fürsten nahmen diese Plebejer an der Sache ihres Kaisers Antheil. Wie oft sind die Priester, welche die Excommunication des Kaisers für gültig erklärten, aus den Städten vertrieben worden! Auch über sie ward dann der Bann ausgesprochen: sie wollten niemals anerkennen, daß derselbe gültig sey: sie weigerten sich wohl die Absolution anzunehmen selbst wenn man sie ihnen anbot. z. B. Basel. Albertus Argentinensis bei Urstisius 142. So geschah es, daß der Papst mit seinem Gegenkönig Carl von Luxenburg dieß Mal nicht durchdringen konnte; Hohe und Gemeine hielten mit beinahe allgemeiner Ueber- einstimmung an Ludwig von Baiern fest; erst nach dessen Tode, und auch dann nur nach wiederholter Wahl und Krönung fand Carl IV allmählige Anerkennung. Was er denn auch dem Papst versprochen haben Beginnende Opposition . konnte, so durfte er doch auch seinen Fürsten nichts ver- geben. Vielmehr setzte er die Rechte der Churfürsten, auch auf jenes angefochtene Vicariat wenigstens in deutschen Landen erst recht feierlich fest. Es war ein Kern des Wi- derstandes gebildet. Ihn zu pflegen und zu entwickeln, kamen nun die Verwirrungen des Schismas, die Tendenzen der Concilien hinzu. Da riß sich die Idee der Kirche zum ersten Mal ent- schieden los von ihrer Erscheinung: die Nationen traten als selbständige Glieder derselben auf: die Päpste wurden gerichtet und abgesetzt: das aristokratisch-republikanische Wesen, das in den Staaten eine so große Rolle spielte, suchte auch das Papstthum, das seiner Natur nach höchst monarchisch ist, zu durchdringen und umzugestalten. Die Kirchenversammlung von Basel faßte die Absicht, zugleich die Freiheit der Nationen und die Autorität der Concilien auf immer festzustellen. Sie fand damit vorzüglich bei den Deutschen großen Beifall. Ihre Reformationsdecrete wur- den von der Reichsversammlung feierlich angenommen: Johannes de Segovia bei Koch sanctio pragmatica p. 256. in ihren Streitigkeiten mit Eugen IV entschlossen sich die Deut- schen neutral zu bleiben, was sie dann gleich dahin führte, daß sie auf eine Zeitlang von dem römischen Hofe eman- cipirt wurden: Erklaͤrung bei Muͤller Reichstagstheater unter Friedrich III p. 31. „In sola ordinaria jurisdictione citra praefatorum tam papae quam concilii supremam autoritatem eccles cae politiae gu- bernacula per dioceses et territoria nostra gubernabimus. sie nöthigten den Papst, der es gewagt Einleitung . zwei geistliche Churfürsten abzusetzen, durch die Drohung, sie würden zu seinem Gegner übergehn, diese Absetzung zu- rückzunehmen. Hätte man diesen Gang einmüthig und standhaft ver- folgt, so würde die deutsche katholische Kirche, in so vie- len großen Fürstenthümern und der reichsten Ausstattung der Welt auf das großartigste begründet, eine wahrhaft selbständige Stellung gewonnen haben: in der sie die spä- tern doctrinellen Stürme so gut hätte überdauern können wie die englische. Es trafen verschiedne Umstände zusammen, um dieß zu verhindern. Einmal wirkten so viel ich sehe die Irrungen zwischen Frankreich und Burgund auf diese Sache zurück. Frank- reich war für die Ideen des Concils und bildete sie zu der pragmatischen Sanction aus; Burgund war für den Papst. Von den deutschen Fürsten standen einige mit dem König, andre mit dem Herzog in engster Verbindung. Sodann ward für den Papst viel geschickter unter- handelt. Wenn man den Mann der deutschen Opposition, Gregor von Heimburg, der sich seines Sieges schon ver- sichert hielt, und als er nach Rom gesandt war, sich selbst an dem Fuß des Vaticans in tausend Verwünschungen ge- gen die Curie ergoß, — man sah ihn dort mit ganz ver- nachläßigtem Äußern, offenem Hals, seinen kahlen Kopf entblößt, umhergehn, und der Curie Trotz bieten — wenn man diesen mit dem feinen, verschlagenen, still-ehrgeizigen, glücklich emporstrebenden Äneas Sylvius verglich, der gar manchem Herrn gedient, und immer in eines jeden Ver- trauen Beginnende Opposition . trauen gelangt war, so konnte man nicht zweifeln, auf wel- cher Seite das Übergewicht seyn würde. Heimburg ist im Exil, von fremder Gnade lebend gestorben: Äneas Syl- vius hat die dreifache Krone selber getragen. Damals wußte Äneas einzelne Räthe und durch sie ihre Fürsten zu gewinnen, und von dem großen Entwurfe abtrünnig zu machen; mit Vergnügen und Genugthuung hat er es selbst erzählt; auch das Mittel der Bestechung hat er da- bei nicht verschmäht. Historia Friderici III bei Kollar Analecta II p. 127. Die Hauptsache aber war daß das Oberhaupt des Reiches, König Friedrich III sich auf die Seite des Papstes hielt. Die Union der Fürsten, welche wie sie die geistli- chen Eingriffe ausschloß, so auch ihm hätte gefährlich wer- den können, war ihm so gut verhaßt wie dem Papst. Äneas Sylvius führte jene Unterhandlungen nicht min- der in dem Sinne des Kaisers als des Papstes; zu seinen Bestechungen standen ihm sogar kaiserliche Vorschüsse zu Gebote. Daher geschah es daß die Nation auch dieß Mal nicht zu ihrem Ziele gelangte. Im ersten Momente nahm man zwar zu Rom die Baseler Decrete an; jedoch unter der Bedingung, daß dem römischen Stuhle eine Entschädigung für seine Verluste ausgemittelt werden solle; In der zweiten Haͤlfte des vorigen Jahrhunderts machte die Behauptung vieles Aufsehn, daß allen Baseler Decreten welche durch das Concordat nicht ausdruͤcklich abgeaͤndert worden, kraft des- selben legale Guͤltigkeit zukomme. Spittler hat hiegegen die Ein- wendung gemacht, daß es in dem Breve heiße: „donec per lega- diese Entschädigung aber wollte Ranke d. Gesch. I. 4 Einleitung . sich hierauf nicht finden und Friedrich III, der für das Reich unterhandelte, gewährte am Ende dem römischen Stuhle alle die alten Gerechtsame aufs neue, die man dem- selben zu entwinden gesucht. Auf dem Reichstag wäre man wohl damit nicht durchgekommen: man ergriff den Ausweg, diese Vereinbarung von den einzelnen Fürsten sanctioniren zu lassen. So blieb es denn doch beim Alten. Anordnungen welche der päpstliche Stuhl im J. 1335 getroffen, die dann im Jahre 1418 wiederholt worden, wurden im J. 1448 abermals die Grundlage der deutschen Concordate. Natürlich ward die Opposition nicht gedämpft. Sie er- schien nicht mehr auf der Oberfläche der Ereignisse, aber in der Tiefe setzte sie sich um so wirksamer fest. Man fühlte in jedem Moment, daß man im Nachtheil stehe, daß man Ungerechtigkeit erleide. Idee des spätern Kaiserthums. Da war nur das Merkwürdige, daß man an dem Kaiserthum selbst keine Stütze mehr fand. Das Kaiser- tum concordatum fuerit vel per legatum aliter fuerit ordinatum, und daraus, daß ein erstes aliter fehle, geschlossen, den Decreten sey uͤberhaupt nur bis zum Abschluß des Concordates Geltung zuge- standen worden. (Werke VIII, p. 473.) Aber in der Relation des Aͤneas Sylvius bei Koch: sanetio pragmatica p. 323 steht das von Spittler vermißte aliter ausdruͤcklich auch bei concordatum: „usque quo cum legato aliter fuerit concordatum.“ (Vgl. Koch II, § 24.) Der Sinn jener Worte kann daher nicht bezweifelt wer- den. Denn das darf man doch auf keinen Fall annehmen, daß aliter in boͤser Absicht weggelassen worden sey. Idee des spaͤtern Kaiserthums . thum hatte jetzt eine dem Papstthum analoge, nur in Macht und Autorität ihm sehr untergeordnete Stellung angenommen. Man darf die Thatsache nicht verkennen, daß seitdem Carl IV seinen Sitz in Böhmen aufgeschlagen, mehr als ein Jahrhundert lang kein Kaiser mit eigenthümlicher Kraft im Reiche auftrat. Von Carls Nachfolger Wenzlaw hat man es in Deutschland eine geraume Zeit hindurch gar nicht erfahren daß ihn die Böhmen gefangen hielten; ein einfaches Decret der Churfürsten reichte hin, ihn abzusetzen. Ruprecht von der Pfalz entgieng wohl nur durch den Tod einem ähnlichen Schicksal. Als derjenige Fürst, welcher nach mancherlei Wahlentzweiungen den Platz behielt, Sieg- mund von Luxenburg, vier Jahre nach seiner Wahl end- lich im Reiche erschien, um sich krönen zu lassen, fand er so wenig Theilnahme, daß er einen Augenblick im Be- griff war, unverrichteter Dinge nach Ungern zurückzugehn. Seine Thätigkeit in den allgemeinen europäischen und den böhmischen Angelegenheiten hat ihm einen Namen gemacht, in dem Reiche aber, für das Reich hat er nichts Wesentliches gethan. Zwischen 1422 und 1430 erschien er höchstens in Wien; vom Herbst 1431 bis dahin 1433 beschäftigte ihn seine Krönungsreise nach Rom; die drei Jahre von 1434 bis zu seinem Tod ist er nicht weiter als bis nach Böhmen und Mähren gekommen. Seine Urkunden sind von Ofen, Stuhlweißenburg, von Cron- stadt „im siebenbuͤrgischen Wurzland,“ im Heer vor Schloß Tauben- burg in der Sirfey (Serbien). Haͤberlin Reichsgesch. V, 429. 439. Auch Albrecht II , dem man so freigebig Lobeserhebungen spendet, ist nie persönlich in 4* Einleitung . den Reichslanden gewesen. So weit aber wie Friedrich III hat es doch kein Andrer kommen lassen. Sieben und zwanzig Jahre lang von 1444 bis 1471 ist er nie in dem Reiche gesehen worden. Daher kam es, daß die centrale Action, die Darstel- lung der höchsten Gewalt, in wie fern eine solche überhaupt in dem Reiche Statt fand, den Fürsten, hauptsächlich den Churfürsten anheimfiel. Unter Siegmund schreiben sie die Reichstage aus, bringen die Heere gegen die Hussiten ins Feld: ihnen gradezu werden die Unternehmungen gegen die Böhmen beigemessen. Matthias Doͤring bei Mencken III, p. 4. Eodem anno prin- cipes electores exercitum grandem habentes contra Bohemos se transtulerunt ad Bohemiam. Auch das Kaiserthum wurde auf diese Weise, wie das Papstthum, eine von ferneher wirkende, hauptsächlich in der Idee beruhende Macht. Die auf Siege und Kriegsge- walt gegründete Krone hatte nur noch eine friedliche, er- haltende Bedeutung. Am leichtesten verfliegen in der Welt die Vorstellungen, die man in jedem Moment mit einem Namen der sich forterbt, mit einem Titel verknüpft. Und doch beruht, besonders in Zeiten wo das ungeschriebene Gesetz so viel bedeutet, die ganze Wirksamkeit einer Würde auf dieser Vorstellung. Wenden wir den Ideen die das funfzehnte Jahrhundert von Kaiserthum und Papstthum hegte, einen Augenblick eine nähere Aufmerksamkeit zu. Vor allem betrachtete man den Kaiser als den ober- sten Lehnsherrn, der dem Besitzthum die Weihe der höchsten Bestätigung verleihe: als den obersten Gerichtsherrn, von Idee des spaͤtern Kaiserthums . dem, wie man sich ausdrückte, alle Gerichtszwänge entsprie- ßen. Es ist sehr eigen, zu beobachten, wie Friedrich dem III, keineswegs dem mächtigsten Fürsten des Reiches, die Wahl kund gethan wird, die auf ihn gefallen ist, und wie darauf sogleich das Verhältniß sich umkehrt, und „Seine König- liche Großmächtigkeit“ Denen die ihn erhoben, die Be- stätigung in ihre Rechte und Würden zusagt. Schreiben der Frankfurter Gesandten 5 Juli 1440. (Fr. A.) Alles eilt, seine Privilegien und Besitzthümer von ihm anerken- nen zu lassen; die Städte huldigen ihm nicht, ehe das ge- schehen ist. Auf seiner höchsten Gewährleistung beruht das Gefühl des gesetzlichen sichern Bestehens, dessen der Mensch, vor allem der Deutsche, nun einmal bedarf. „Nimm uns die Rechte des Kaisers,“ heißt es in einem Gesetzbuch je- ner Zeit, „und wer kann noch sagen: dieses Haus ist mein, dieses Dorf gehört mir an?“ Wahr und tiefsinnig! Eben darum aber darf der Kaiser Rechte, als deren Quelle er betrachtet wird, nun nicht etwa mit freier Willkühr verwalten. Er mag sie vergeben: selbst ausüben darf er sie nur innerhalb der von dem Herkommen und der Übermacht seiner Unterthanen gezogenen engen Schran- ken. Obwohl alle weltliche Jurisdiction auf ihn zurück- geführt wurde, so fand doch kein Gericht zweifelhafteren Gehorsam als eben das seine. Man hatte es beinahe in Vergessenheit gerathen las- sen, daß es eine königliche Gewalt in Deutschland gebe; auch dieser Titel war abgekommen; schon Heinrich VII hielt es für eine Beleidigung, wenn man ihn König von Deutschland nannte, und nicht, wie er vor aller Krönung Einleitung . genannt zu werden das Recht hatte, König der Römer. Henrici VII Bannitio Florentiae bei Pertz IV, 520. sup- primentes, heißt es da, ipsius veri nominis (Regis Romanorum) dignitatem in ipsius opprobrium et despectum. Man betrachtete auch in dem funfzehnten Jahrhundert den Kaiser vor allen Dingen als den Nachfolger der altrömi- schen Cäsaren, deren Würde und Recht erst an die Grie- chen, dann in Carl und Otto den Großen auf die Deut- schen übergegangen, als das eigentliche weltliche Oberhaupt der Christenheit. Kaiser Siegmund befahl, seine Leiche ei- nige Tage zu zeigen, damit Jedermann sehen möge, daß „all der Welt Herr todt und gestorben sey.“ Eberhard Windeck bei Mencken Scriptt. I, 1278. „Wir ha- ben, schreiben die Churfürsten 1440 an Friedrich III, Ew. Kön. Gnade zu einem Haupt, Schützer und Vogt der ganzen Christenheit erwählt:“ sie sprechen die Hofnung aus, daß das der römischen Kirche, der ganzen Christenheit, dem hei- ligen Reiche und gemeinen Christenleuten nützlich seyn solle. Schreiben der Churfuͤrsten 2ten Febr. 1440 bei Chmel Ma- terialien zur oͤstreichischen Gesch. Heft II, p. 70. Selbst ein fremder König Wladislaw von Polen, preist den Erwählten glücklich, daß er einst das Diadem der Monarchie der Welt empfangen werde. Literae Vladislai ap. Kollar Anal. II, p. 830. Man war in Deutschland unbedenklich der Meinung, daß auch die übri- gen christlichen Könige, namentlich von England, Spanien und von Frankreich dem Kaiserthume von Rechtswegen un- terworfen seyen, und war nur darüber in Streit, ob ihr Ungehorsam entschuldigt werden könne, oder als sündlich Idee des spaͤtern Kaiserthums . betrachtet werden müsse. Petrus de Andlo de romano imperio; ein Buch das zwar nicht fuͤr den wirklichen Zustand von Deutschland, aber fuͤr die Ideen jener Zeit von Bedeutung ist. Es ist abgefaßt zwischen 1456, wel- ches Jahr ausdruͤcklich erwaͤhnt wird, und 1459, in welchem Died- rich von Mainz starb, dessen hier gedacht wird. Da heißt es II, c. VIII. Hodie plurimi reges plus de facto quam de jure imperatorem in superiorem non recognoscunt et suprema jura im- perii usurpant. Die Engländer suchten nach- zuweisen, daß sie seit Einführung des Christenthums nicht unter dem Reich gestanden. Cuthbert Tunstall to King Henry VIII 1517 12 Febr. bei Ellis Letters Series I, tom. I, p. 136. Your Grace is not nor never sithen the Christen faith the Kings of England wer sub- giet to th’Empire, but the crown of England is an Empire of hitfelf, mych bettyr than now the Empire of Rome: for which cause your Grace werith a close crown. Die Deutschen dagegen tha- ten nicht allein, was auch die Andern zu thun schuldig gewesen wären: und erkannten das heilige Reich an; sondern sie hatten die Befugniß an sich gebracht demselben sein Ober- haupt zu geben, und man hegte die sonderbare Meinung, die Churfürsten seyen in die Rechte des römischen Senates und Volkes getreten. So drückten sie sich in dem dreizehn- ten Jahrhundert selbst einmal aus. „Wir, sagen sie, die wir des römischen Senates Stelle einnehmen, die wir als die Väter und die Leuchten des Reiches gelten.“ Conradi IV electio 1237, bei Pertz IV, 322. In dem funfzehnten Jahrhundert wiederholte man diese Meinung. P. de Andlo II, III. Isti principes electores successe- runt in locnm senatus populique romani. Wenn die Churfürsten zur Wahl schritten, so schwuren sie „nach bester Vernunft küren zu wollen das weltlich Haupt christlichem Volk; d. i. einen römischen König und künfti- Einleitung . gen Kaiser.“ Dazu salbte und krönte den Erwählten der Churfürst zu Cölln, dem dieses Recht diesseit der Alpen zu- stand. Selbst auf dem Stuhl zu Rense leistete der König dem römischen Reiche den Eid. Aͤneas Sylvius ( Historia Friderici III bei Kollar Anal. II, 288) sucht die drei Kronen zu unterscheiden und sie den verschie- denen Reichen zuzuweisen: aber wir fragen hier nicht, was wahr ist, sondern welche Meinungen man hegte.. Eben die sind uns wichtig die er widerlegt; es waren die allgemeinen. Es leuchtet ein, wie in einem so durchaus anderen Verhältniß die Deutschen zu dem Kaiser standen, der aus ihrer Mitte durch ihre Wahl zu dieser hohen Würde em- porstieg, als auch die mächtigsten Großen in andern Rei- chen zu ihrem natürlichen, erblichen Herrn und Gebieter. Die kaiserliche Würde, aller unmittelbar eingreifenden Macht entkleidet, hat eigentlich nur für die Ideen Bedeutung. Sie giebt dem Rechte seine lebendige Bestätigung, dem Gericht seine höchste Autorisation, dem deutschen Fürstenthum seine Stellung in der Welt. Sie hat etwas für diese Zeit Un- entbehrliches, Heiliges. Offenbar ist sie dem Papstthum gleich- artig, und hat mit demselben den innigsten Zusammenhang. Denn im Grunde waren beide Gewalten hauptsächlich dadurch unterschieden, daß die päpstliche die allgemeine Aner- kennung der romanisch-germanischen Welt genoß und die kai- serliche es nicht dazu hatte bringen können. Übrigens waren die heilige römische Kirche und das h. römische Reich in der Idee unauflöslich verbunden; die Deutschen dachten sich zu der Kirche wie zu dem Reiche in ganz besonders enger Be- ziehung. Wir finden ein Bündniß rheinischer Fürsten, als dessen Zweck sie angeben, ihre Stifter und Fürstenthümer Idee des spaͤteen Kaiserthums . bei dem h. römischen Reiche und der heiligen römischen Kirche in Ehre und Würdigkeit zu behaupten. Die Churfürsten nehmen selbst für die kirchlichen Verhältnisse eine besondere Berechtigung in Anspruch: im Jahre 1424, noch einmal im J. 1446 erklären sie, der Allmächtige habe sie dazu ge- ordnet und gewürdigt, daß sie die Gebrechen, die in der heil. Kirche und Christenheit und in dem heil. Reiche ent- stehen, mit dem römischen Könige, mit Fürsten, Herrn, Rit- tern und Städten des Reichs und mit allen Christgläubi- gen abzustellen suchen sollen. Muͤller, Rtth. Fr. I , 305. Und so glaubte man denn der päpstlichen Gewalt so gut wie der kaiserlichen verpflichtet zu seyn; aber da jene in alle den Jahrhunderte langen Kämpfen immer Siege- rin geblieben, während diese so oft unterlegen war, so übten die Päpste eine bei weitem stärkere durchgreifendere Wirksamkeit auch in weltlicher Beziehung aus als die Kai- ser. Woran kein Kaiser hätte denken dürfen, einen Chur- fürsten des Reiches abzusetzen, das haben die Päpste ver- schiedene Mal versucht, und es zuweilen auch wirklich ausge- führt. Auch so entfernte Bisthümer wie Camin verleihen sie italienischen Prälaten. Durch ihre Annaten, Pallien und alle die mannichfaltigen Gefälle der Curie bringen sie ein bei weitem größeres,-Maximilian I hat gesagt, ein hun- dert Mal größeres-Einkommen aus dem Reiche auf, als der Kaiser: unaufhörlich durchziehen ihre Ablaßverkäufer die verschiedenen Provinzen des Reiches. Die enge Verflech- tung geistlicher und weltlicher Fürstenthümer und Gerecht- same giebt ihnen jeden Augenblick Gelegenheit in die innern Einleitung . deutschen Geschäfte einzugreifen. Die Soester Streitigkeit zwischen Cleve und Cölln, Schuͤren Chronik von Cleve p. 288. die Gröninger zwischen Utrecht und Ostfriesland, und wie viele andre zieht der Papst an seinen Hof: er bestätigt 1472 einen Zoll im Trierischen: Hontheim Prodromus historiae Trevirensis p. 320. er giebt Privilegia de non evocando wie der Kaiser. Jene alte Vergleichung, deren sich schon Gregor VII bedient, des Papstthums mit der Sonne, des Kaiserthums mit dem Mond, war jetzt wahr geworden: die Deutschen hiel- ten die päpstliche Macht in jeder Beziehung für die höhere. Bei der Stiftung ihrer hohen Schule z. B. zog die Stadt Ba- sel in Überlegung ob dafür nach dem gutheißenden Breve des Papstes auch noch die Bestätigung des Kaisers erfor- derlich sey, und entschied endlich, daß man einer solchen nicht bedürfe; denn die untere Gewalt vermöge die Bestim- mungen einer oberen nicht zu bekräftigen; der päpstliche Stuhl sey der oberste Brunnen der Christenheit. Ochs Geschichte von Basel IV, p. 60. Der Arrogator der Pfalz, Friedrich der siegreiche, dessen Chur- würde der Kaiser nicht anerkennen wollte, hielt es für hin- reichend sich von dem Papst bestätigen zu lassen und ward darauf in der Ausübung seiner Berechtigungen in dem Reiche nicht weiter gestört. Hätte es nicht scheinen sollen, als werde das Kaiser- thum das Unwürdige dieser Stellung fühlen und sich den Päpsten so oft und lebendig als möglich widersetzen? So viel Devotion die Fürsten auch im ganzen gegen den römischen Stuhl hatten, so waren ihnen doch dessen Idee des spaͤtern Kaiserthums . pecuniäre Rechte drückend und noch mehr als einmal dräng- ten sich die Tendenzen der Baseler Beschlüsse zu Tage. Nach dem Tode Nicolaus V forderten die deutschen Fürsten den Kaiser auf, den Augenblick zu ergreifen, die Freiheit der Nation zu behaupten, und wenigstens für die vollständige Ausführung der mit Eugen getroffenen Übereinkunft zu sor- gen. Allein Friedrich III war nicht dazu zu bewegen. Äneas Sylvius überredete ihn, daß er sich in der Noth- wendigkeit befinde, mit dem Papst zusammenzuhalten: er suchte ein paar Gemeinplätze hervor, von der Unbeständig- keit der Menge und ihrem natürlichen Hasse gegen die Ober- herrn: gleich als seyen die deutschen Reichsfürsten eine Art von Demokratie; der Kaiser, sagte er, bedürfe des Papstes, der Papst des Kaisers, es würde lächerlich seyn, denjenigen zu beleidigen, von dem man Hülfe erwarte. Gobellini Commentarii de vita Pii II p. 44. Er selbst wurde 1456 gesendet, um dem neuen Papst, Calixtus ohne alle Be- dingung die Obedienz zu leisten. Und zwar regten sich gleich hierauf die alten Gedanken aufs neue. Es ward eine prag- matische Sanction entworfen, in der nicht nur die Abstellung aller Beschwerden gegen den päpstlichen Stuhl näher aus- geführt, sondern auch zugleich bestimmt wurde, was man in dem Fall einer abschläglichen Antwort zu thun, welche Appellationen man einzuwenden, wie man doch zum Ziel zu kommen habe. Aeneae Sylvii Apologia ad Martinum Mayer p. 710. Aber wie wäre etwas auszurichten ge- wesen, da der Kaiser selber allen diesen Plänen so viel als möglich entgegenarbeitete. Er betrachtete sich wirklich als den natürlichen Verbündeten des Papstthums. Einleitung . Es geschah wohl nicht ohne Rückwirkung dieses Ver- fahrens, daß der Widerwille der Churfürsten, durch die Unthätigkeit und Entfernung des Kaisers ohnehin begrün- det, zuweilen lebhaft gegen ihn aufbrauste. Schon im J. 1456 forderten sie ihn auf, sich an einem bestimmten Tage zu Nürnberg einzufinden, denn dazu sey er da, um die Bürde des Reiches löblich zu tragen: würde er aus- bleiben, so würden sie doch zusammenkommen, und thun was sich gebühre. Frankfurt 10 Sept. 1456, ein noch unbekanntes und sehr merkwuͤrdiges Schreiben. (Frankf. Arch.) Da er weder damals noch auch spä- ter erschien, so ließen sie ihn im Jahr 1460 wissen, es stehe ihnen nicht länger an, ohne Haupt zu seyn. Sie wiederholten jene Aufforderung auf Dienstag nach Pfing- sten mit noch schärfern Bedrohungen. Ganz ernstlich gien- gen sie damit um, ihm einen römischen König an die Seite zu setzen. Wenn man hört, daß Georg Podiebrad, König von Böhmen, es war, auf den sie ihr Auge geworfen, so sieht man wohl, daß darin eine Verbindung der Opposition ge- gen Kaiser und Papst lag. Was hätte es schon damals geben müssen, wenn ein Utraquist an die Spitze des Reichs getreten wäre. Um so eifriger bemühte sich nun der Papst, es war jetzt jener Äneas Sylvius selbst, Pius II, dem Kaiser die bisher geleisteten Dienste zu vergelten. Auch ihm war die Selbständigkeit der Churfürsten höchlich verhaßt. Wie es schon immer zu den Ansprüchen des Kaisers gehörte, daß kein Churfürstentag gehalten werden dürfe ohne seine Ein- Idee des spaͤtern Kaiserthums . willigung, so hatte jetzt Pius II den Churfürsten Diether von Mainz sogar verpflichten wollen, keine solche Versamm- lung zu berufen ohne die Einwilligung des päpstlichen Stuhles. Es war der Hauptanlaß seiner Entzweiung mit Diether, daß dieser darauf nicht eingehen wollte. Pius verhehlte dem Kaiser nicht, daß auch er sich durch die Be- wegungen im Reiche gefährdet sehe. Seinem Einfluß und der Tapferkeit des Markgrafen Albrecht Achilles von Bran- denburg vor allem war es zuzuschreiben, daß sie in nichts zerstoben. Seitdem finden wir nun die kaiserliche und die päpst- liche Macht, denen ihr gegenseitig sich ergänzendes Ver- hältniß zum Bewußtseyn gekommen, inniger als jemals mit einander vereint. Die Reichstage werden unter ihrer vereinten Autori- tät gehalten; sie heißen königliche und päpstliche, päpstliche und kaiserliche Tage; wir sehen die päpstlichen Legaten bei den Reichsversammlungen eintreffen, wie schon zu Sieg- munds, so auch zu Friedrichs Zeiten; und sie sofort er- öffnen. Die geistlichen Fürsten nehmen ihren Platz zur Rechten, die weltlichen zur Linken des Legaten; erst später treffen die kaiserlichen Commissarien ein, um ihre Vorschläge mit den päpstlichen zu vereinigen. Da fragt sich nun, in wie fern diese höchst eigen- thümliche Form der Verfassung den Bedürfnissen des Reiches zu genügen vermochte. Einleitung . Lage der Dinge um die Mitte des funfzehnten Jahrhunderts. Wir sehen, welch einen überaus großartigen Einfluß die deutschen Fürsten von jeher ausgeübt haben. Zuerst war das Kaiserthum aus ihrer Mitte mit ihrer Hülfe zu seiner Gewalt aufgestiegen; dann hatten sie die Emancipation des Papstthums, die zugleich ihre eigene war, unterstützt; jetzt standen sie beiden gegenüber. So sehr sie auch noch an der Idee von Kaiserthum und Papst- thum festhielten, davon durchdrungen waren, so war doch dabei ihr Sinn, die Eingriffe so gut des einen wie des andern abzuwehren; ihre Macht war bereits so selbständig, daß sich Kaiser und Papst gegen sie zu verbünden für nö- thig hielten. Fragen wir nun aber, wer sie waren, diese Großen, worauf ihre Macht beruhte, so zeigt sich, daß, nach lan- gem Keimen und Wachsen, in dem funfzehnten Jahrhun- dert das weltliche Erb-Fürstenthum mächtig emporkam und wenn wir so sagen dürfen, nachdem es seine Wurzeln lange in die Tiefe gesenkt, jetzt seine Wipfel über alle nie- drigeren Gewächse frei in die Lüfte zu erheben begann. Alle die mächtigen Häuser, die seitdem die Gewalt gehabt, nahmen damals ihre Stellung ein. In dem östlichen Norddeutschland traten die Hohen- zollern auf: in einem ganz zerrütteten Lande; aber mit ei- ner so besonnenen Kraft und entschlossenen Umsicht, daß es ihnen in Kurzem gelang, die Nachbarn in ihre alten Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh . Grenzen zurückzuweisen, die Marken zu beruhigen und wie- derzuvereinigen, die dort sehr eigenthümlichen Grundlagen der fürstlichen Macht wieder zu gewinnen und zu beleben. Neben ihnen erhob sich das Haus Wettin durch die Erwerbung der sächsischen Kurlande in den höchsten Rang der Reichsfürsten und in den Zenith seiner Macht. Es besaß wohl das zugleich ausgebreitetste und blühendste deut- sche Fürstenthum, so lange die Brüder Ernst und Albrecht zu Dresden einträchtig Hof hielten und gemeinschaftlich re- gierten: auch als sie theilten, blieben beide Linien noch an- sehnlich genug um in den Angelegenheiten von Deutschland, ja von Europa eine Rolle zu spielen. In der Pfalz erschien Friedrich der Siegreiche. Man muß das lange Verzeichniß der Schlösser, Gebiete und Güter lesen, die er bald durch Eroberung bald durch Kauf und Vertrag, denen aber seine Überlegenheit in den Waf- fen erst rechten Nachdruck gab, allen seinen Nachbarn ab- gewann, um zu sehen, was ein deutscher Fürst damals ausrichten, wie er sich Raum machen konnte. Friedlichere Erwerbungen machte Hessen. Durch den Anfall von Ziegenhain und Nidda, vor allem von Katzen- elnbogen, einer sorgfältig gepflegten blühenden Landschaft, von welcher die alten Grafen nie ein Dorf nie ein Gut weder durch Fehde noch durch Kauf hatten abkommen las- sen, erlangte es einen Zuwachs, der seinem alten Bestande beinahe gleich kam. Und ein ähnlicher Geist der Ausbreitung und Zusam- menschmelzung war auch an vielen andern Orten lebendig. Jülich und Berg vereinigten sich: Baiernlandshut ward Einleitung . durch seine Verbindung mit Ingolstadt mächtig: in Baiern- münchen behauptete Albrecht der Weise nicht ohne Gewalt- samkeit, die aber dießmal wenigstens in ihren Folgen wohl- thätig ward, die Einheit des Landes unter den schwierig- sten Umständen. Auch in Würtenberg verschmolz die Menge der getrennten Besitzthümer allmählig in Eine Landschaft, in die Gestalt eines deutschen Fürstenthumes. Noch bildeten sich neue Territorialgewalten aus. In Ostfriesland erschien endlich ein Häuptling, vor welchem alle übrigen sich beugten, Junker Ulrich Cirksena, mächtig durch seines Bruders, seines Vaters und seine eigenen Er- werbungen. Auch die Anhänger des alten Fokko Uken, die ihm noch entgegen waren, gewann er, indem er sich mit dessen Enkelin Theta vermählte. Hierauf ward er im Jahr 1463 zu Emden feierlich zum Grafen ausgerufen. Haupt- sächlich war es Theta, die dann in 28jähriger Alleinregie- rung die neue Herrschaft zu befestigen wußte: eine schöne Frau, blaß von Gesicht, mit rabenschwarzem Haar und feurigen Augen, wie ihr Bildniß sie zeigt; vor allem aber von einem zur Herrschaft geeigneten großen Verstande, wie ihr Thun und Lassen bewiesen hat. Schon erhoben sich deutsche Fürsten auf auswärtige Throne. Im Jahr 1448 unterzeichnete Christian I Graf von Oldenburg die Handveste, die ihn zum König von Dänemark machte; 1450 ward er zu Drontheim mit S. Olafs Krone gekrönt; 1457 unterwarfen sich ihm die Schwe- den; 1460 huldigte ihm Holstein, das dann für ihn zu ei- nem deutschen Herzogthum erhoben wurde. Wohl waren diese Erwerbungen nicht von so fester und zuverläßiger Na- tur Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh . tur, wie es anfangs scheinen mochte, auf jeden Fall aber gaben sie einem deutschen Fürstenhause eine ganz neue Stel- lung zu Deutschland und zu Europa. Es war, wie man sieht, nicht allein der stille Gang der Dinge, die geräuschlose Fortentwickelung staatsrechtli- cher Verhältnisse, wodurch das Fürstenthum emporkam: es war hauptsächlich geschickte Politik, glücklicher Krieg, die Macht gewaltiger Persönlichkeiten. Noch besaß jedoch das weltliche Fürstenthum keines- weges die volle Herrschaft; noch war es in unaufhörlichem Wettstreit mit den andern Reichsgewalten begriffen. Da waren zuerst die geistlichen Fürstenthümer — von ähnlicher Berechtigung und innerer Ausbildung, in der Hierarchie des Reiches sogar im Besitze des höhern Ran- ges — in welchen die Herrn von hohem oder auch von nie- derem Adel die Capitel einnahmen, und die obern Stellen besetzten. In dem funfzehnten Jahrhundert fieng man zwar allenthalben an, die bischöflichen Würden auf die jüngern Söhne aus den fürstlichen Häusern zu übertragen: der rö- mische Hof selbst begünstigte dieß, indem er der Meinung war, daß nur die Autorität der Macht im Stande sey die Capitel in Ordnung zu halten; Aeneas Silvius: Si episcopum potentem sortiantur, vir- gam correctionis timent. allein weder war dieß allgemein geworden, noch gab das geistliche Fürsten- thum darum sein eigenes Prinzip auf. Es blühte ferner ein zahlreicher Herrenstand, der seine Lehen mit der Fahne empfieng wie die Fürsten, mit ihnen zu Gericht sitzen konnte; ja es gab noch Geschlechter, die Ranke d. Gesch. I. 5 Einleitung . sich alle die Zeiten daher außerhalb des allgemeinen Lehen- verbandes gehalten, welcher die Grundlage des Staates war, die ihre Güter von Gott und dem heiligen Element der Sonne zu Lehen nahmen. Sie waren von dem Für- stenthum verdunkelt, aber genossen noch ihre volle Selb- ständigkeit. An diese schloß sich eine mächtige Reichsritterschaft an, die überall am Rhein, in Schwaben und Franken ihre Burgen hatte, in stolzer Einsamkeit, mitten in den Wild- nissen der Natur, in einer unbezwinglichen Umgürtung von tiefen Gräben und bei vier und zwanzig Schuh dicken Mauern, wo sie jeder Gewalt trotzen konnte: eben that sie sich in festere Genossenschaften zusammen. Ein anderer Theil des Adels, namentlich in den östlichen, den colonisirten Fürstenthümern, in Pommern und Meklenburg, Meißen und den Marken, war dagegen zu unzweifelhafter Unterthänig- keit gebracht; obgleich auch dieß, wie man aus dem Bei- spiel der Priegnitz sieht, nicht ohne Mühe und Kampf ge- schehen war. Und noch eine dritte Classe gab es, die sich der Landsäßigkeit fortwährend erwehrte. Craichgauer und Mortenauer wollten die pfälzische, die Bökler und Löwen- ritter die bairische Oberherrlichkeit nicht anerkennen: es fin- det sich wohl, daß die Churfürsten von Mainz und von Trier bei einer Austrägal-Bestimmung gleich im Voraus fürchten, ihr Adel werde sich weigern derselben zu folgen, und für diesen Fall nichts anders zu beschließen wissen, als daß auch sie der Widerspenstigen sich entschlagen und ihnen ihren Schirm entziehen wollen. 1458 12 Jan. Urk. bei Hontheim II, p. 432. „so fall der Es scheint hie und da, als sey die Unterthänigkeit nur noch ein Bundesverhältniß. Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh . Und noch unabhängiger erhielten sich diesem gesamm- ten Herrenstande, der für sie nur ein einziger war, gegen- über, die auf einem ganz andern Prinzip beruhenden und unter unaufhörlicher Anfeindung emporgekommenen Städte. Es ist ein sonderbarer Anblick, diese alte Feindseligkeit noch immer alle deutschen Provinzen umfassen, aber sich in jeder auf eine andere Weise gestalten zu sehen. In Preußen bil- dete sich aus der Opposition der Städte der große Bund des Landes gegen die Herrschaft, welche hier der Orden in Händen hatte. An den wendischen Küsten war dann der Mittelpunct der Hanse, vor der die Macht der scandinavi- schen Könige, wie viel mehr der umwohnenden deutschen Fürsten in Schatten trat und niedergehalten wurde. Aber der Herzog von Pommern selbst erschrak als er einst Hein- rich dem Ältern von Braunschweig zu Hülfe kam, und hier inne wurde, von wie mächtigen enge vereinten Städten sein Freund allenthalben umgeben, gefesselt war. An dem Rhein finden wir ein unaufhörliches Ringen um die municipale Unabhängigkeit, welche die Hauptstädte in den Stiftern in Anspruch nehmen und die Churfürsten ihnen nicht gestat- ten wollen. In Franken setzte sich Nürnberg der empor- steigenden Macht von Brandenburg nicht minder gewaltig um sich greifend entgegen. Dann folgte in Schwaben und an der obern Donau der eigentliche Schauplatz reichsstäd- tischer Kämpfe und Bündnisse, wider Ritter, Herrn, Prälaten und Fürsten, die einander hier noch am nächsten standen. In den obern Landen hatte sich die wider Östreich ge- von uns, des undersaiss he ist, siner missig gain und ime queine schirm, zulegunge oder handhabunge widder den anderen von uns doin.“ 5* Einleitung . stiftete Eidgenossenschaft bereits zu einer festen Landesver- fassung und dem Genusse einer beinahe vollständigen Un- abhängigkeit erweitert. Überall finden wir andre Verhält- nisse, andre Ansprüche und Streitigkeiten, andre Mittel des Kampfes; aber überall hält man sich mit einer jeden Augen- blick in Flammen zu setzenden Feindseligkeit gleichsam um- faßt, umspannt, zum Kampfe fertig. Noch immer konnte die Meinung auftauchen, als werde in diesen Gegensätzen das städtische Prinzip am Ende vielleicht doch noch die Oberhand erlangen, und dem Herrenstand eben so verderb- lich werden wie dieser dem Kaiserthum. Bei diesem Gegeneinanderlaufen aller lebendigen Be- strebungen und Kräfte, bei der Entfernung und Macht- losigkeit des Oberhauptes, und da sich auch unter den Zusammengehörenden, Natürlich-verbündeten Entzweiun- gen nicht vermeiden ließen, mußte ein Zustand eintreten, dessen Anblick etwas Chaotisches hat; es waren die Zei- ten der allgemeinen Fehde. Die Fehde ist ein Mittelding zwischen Duell und Krieg. Jede Beleidigung und Ver- letzung führt nach einigen Formalitäten zu der Erklärung an den Gegner, daß man sein, seiner Helfer und Helfers- helfer Feind seyn wolle. Die Reichsgewalten fühlen sich so wenig vermögend dem zu steuern, daß sie nur Beschränkun- gen festzusetzen suchen, und in ihren bedingten Verboten doch zugleich wieder die Erlaubniß aussprechen. Z. B. verordnet die Reformation Friedrichs III von 1442 „daß nymand dem andern Schaden tun oder zufuͤgen soll, er habe ihn denn zuvor — zu landlaͤufigen Rechten erfordert.“ Es werden nun die Bestimmungen der goldnen Bulle de diffidationibus wiederholt. Das Recht, das Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh . sich sonst nur die oberherrlichen, unabhängigen Mächte vor- behalten, zu den Waffen zu greifen, wenn es kein Mittel des Vergleiches mehr giebt, war in Deutschland auch in die untern Kreise vorgedrungen, und ward hier von Herrn und Städten gegen einander, von Unterthanen gegen ihre Herrschaften, ja von einzelnen Privatleuten, so weit ihre Verbindungen und Kräfte reichten, in Anspruch genommen. In dieß allgemeine Wogen griffen in der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts doch einmal auch großartigere Verhältnisse ein, die Gegensätze der Fürsten gegen Kaiser und Papst; und es kam zu einer Entscheidung, von welcher sich eine Herstellung der Ordnung hoffen ließ. Zwei Fürsten traten einander gegenüber, die beiden Helden der Nation, jeder an der Spitze einer zahlrei- chen Partei, deren Persönlichkeit auch schon an sich für ihre Epoche sehr bezeichnend ist, Friedrich von der Pfalz und Albrecht von Brandenburg, und ergriffen die entgegen- gesetzten Richtungen. Friedrich der Siegreiche: von Per- son mehr geschickt und gewandt als groß und kräftig, ver- dankte seinen Ruhm und sein Glück der Umsicht, mit der er seine Schlachten und Belagerungen vorbereitete; in den Tagen des Friedens beschäftigte er sich mit den Studien des Alterthums oder den Geheimnissen der Alchemie; bei ihm fanden, wie in den Zeiten der blühenden Poesie, Dich- ter und Sänger noch immer Zutritt; er hielt Haus mit seiner Sängerin und Freundin, Clara Dettin von Augs- burg, deren Sanftmuth und Verstand wie sie den Fürsten selbst hingerissen, so auch seine ganze Umgebung erheiterte; ausdrücklich hatte er auf den Trost verzichtet, ein eheliches Einleitung . Weib, vollbürtige, erbberechtigte Nachkommenschaft zu ha- ben: alles was er ausführte und erwarb kam seinem Nef- fen Philipp zu Gute. Dagegen kündigte der erste Anblick des Markgrafen Albrecht von Brandenburg, den man Achil- les nannte, sein hoher und gewaltiger Körperbau eine gi- gantische Kraft an: in unzähligen Turnieren hatte er den Sieg davon getragen: von seinem Muth und seiner Kampf- fertigkeit waren die wunderbarsten Erzählungen in Umlauf: wie er bei einer Belagerung zuerst die Mauer erstiegen, und unter die erschrockenen Vertheidiger hinabgesprungen; wie er, fortgerissen von dem Vortheil über einen kleinen Vor- trab seiner Feinde, sich unter ihren Gewalthaufen, 800 Reiter stark, fast allein gestürzt, bis zur Fahne vorgedrungen, diese er- griffen und, einen Augenblick doch selber verzweifelnd, so lange vertheidigt habe bis seine Leute herbeigekommen, durch welche der Sieg dann vollendet worden sey. Äneas Sylvius ver- sichert, der Markgraf habe ihm diese Thatsache einst selbst bestätigt. Historia Friderici III, in dem erst von Kollar publicirten Theile ( Anal. II, p. 166). Und eine gleiche Streitbegier athmen seine Briefe. Selbst nach einer erlittenen Niederlage meldet er seinen Freun- den mit Vergnügen, wie lange er selbfünft noch auf der Wahlstatt ausgehalten, wie er dann nur mit großer Ar- beit und strengem Fechten durchgekommen und nun ent- schlossen sey, so bald wie möglich wieder im Felde zu er- scheinen. War dann einmal Friede, so beschäftigten ihn die Reichsangelegenheiten, an denen er lebendigern und er- folgreichern Antheil nahm als der Kaiser selbst; bei allen Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh . Tagleistungen finden wir ihn; oder er hielt in seinen frän- kischen Fürstenthümern gastfreien prächtigen Hof, oder er wendete seine Aufmerksamkeit den märkischen Besitzthümern zu, die durch seinen Sohn mit aller Sorgfalt, welche die Rück- sicht auf einen strengen und ernsten Vater einflößen kann, re- giert wurden. Albrecht ist der würdige Stammvater des krie- gerischen brandenburgischen Hauses. Er hat ihm nicht allein, wie man weiß, sehr verständige Anweisungen sondern haupt- sächlich ein großes Beispiel hinterlassen. Diese beiden Fürsten nun ergriffen, wie gesagt, um das Jahr 1461 verschiedene Parteien. Friedrich, der noch keine ganz anerkannte Macht besaß, und in allen Dingen persönlichen Antrieben folgte, stellte sich an die Spitze der Opposition: Albrecht, der immer auf dem gebahnten Wege der bestehenden Verhält- nisse einherschritt, übernahm die Vertheidigung des Kai- sers und des Papstes; In der Sammlung kaiserlicher Schreiben im Frankf. Archiv Bd V findet sich ein sehr merkwuͤrdiger Bericht von Johannes Brun uͤber eine Audienz die er im October 1461 bei Albrecht Achilles hatte. Er sollte ihn um Nachlaß der ausgeschriebenen Huͤlfe bitten. Mkg. Albrecht weigerte sich darauf einzugehn. „Auch erzalte er, was Furnemen gen unßen gn. Herrn den Keyser gewest waͤre und wy ein Gedenken noch dem Ryche sy, auch der Kunig von Behemen ganz Meynung habe zu Mittensommer fuͤr Francfort zu sin und das Rych zu erobern, und darnach wie u. g. H. der Keiser ine, sine Schwe- her von Baden und Wirtenberg angerufen und yne des Ryches Ba- nyer bevolhen habe, uͤber Herzog Ludwig, um der Geschicht willen mit dem Bischof von Eystett, den von Werde und Dinkelsboͤl und umb die Pene, darin er deshalben verfallen sy; — in den Dingen er uf niemant gebeitet oder gesehen, sondern zu Stund mit den sinen und des von Wirtenberg mit des Rychs Banyer zu Feld gele- gen und unsern Herrn den Keyser gelediget und die Last uf sich genommen, darin angesehen sine Pflicht, und was er habe das er das Glück schwankte eine Zeitlang. Einleitung . Aber zuletzt hat doch wirklich der Jörsika, wie man Georg Podiebrad nannte, auf seine kühnen Pläne Verzicht gelei- stet; an die Stelle Diethers von Isenburg ist sein Geg- ner Adolf von Nassau getreten; auch Friedrich v. d. Pfalz hat sich bequemt, seine Gefangenen auszuliefern; der Bran- denburger behielt im Ganzen den Sieg. Die alten Auto- ritäten des Reiches und der Kirche wurden noch einmal aufrecht erhalten. Auch machten hierauf diese Autoritäten wirklich einen Versuch, eine bessere Ordnung einzuführen. Der Kai- ser sah sich durch die siegreiche Partei zum ersten Mal in Stand gesetzt, in dem Reiche einen gewissen Einfluß auszuüben: Papst Paul II wünschte ein Unternehmen ge- gen die Türken zu Stande zu bringen; mit vereinigter Kraft schritten sie auf dem Reichstag von Nürnberg im J. 1466 ans Werk. Handlung auf dem bebestlichen und kaiserlichen Tage des Tuͤrkenzugs halben zu Nuͤrnberg, in dem 4ten Band der Frankfur- ter Rtgs Acten, eben wie sie von Schilter und Muͤller publicirt ist, nur mit kleinen Abweichungen. Es war eine Versammlung, die noch sehr die Par- teiung erkennen ließ, durch die sie möglich geworden; Fried- rich v. d. Pfalz erschien weder in Person noch durch Ab- das vom Ryche habe, und meyne Lip und Gut von u. H. dem Kei- ser nit zu scheiden.“ — — Uͤber das Gesuch der Staͤdte sagt er: „wywol yme das Geld nutzer waͤre und er mer schicken wolle mit den die er in den Sold gewoͤnne denn mit den die im von den Staͤd- ten zugeschicket werden, ye doch so stehe es ime nit zu und habe nit Macht eynich Geld zu nehmen und des Keisers Gebote ab- zustellen.“ — Gesinnungen wie sie einem Reichsfuͤrsten geziemen. Wer doch einmal das Leben und Thun dieses merkwuͤrdigen Fuͤrsten naͤher zu vergegenwaͤrtigen verstuͤnde. Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh . geordnete; die Botschafter Podiebrads, der in neue Strei- tigkeiten mit dem päpstlichen Stuhle gerathen war, wurden nicht angenommen. Indessen sind doch die Beschlüsse die man hier faßte von hoher Bedeutung. Man kam über- ein, die nächsten fünf Jahre hindurch jeden Bruch des Landfriedens als ein Verbrechen der beleidigten Majestät anzusehen und mit der Acht zu bestrafen. Man fand, das geistliche Gericht müsse dem weltlichen Schwert zu Hülfe kommen und auch der Papst belegte den Landfriedensbre- cher mit den schwersten geistlichen Pönen. Diese Beschlüsse nahm der Kaiser auf einer Versammlung zu Neustadt im J. 1467 feierlich an, und widerrief zum ersten Mal die Ar- tikel der goldnen Bulle und der Reformation von 1442, in welchen die Fehde unter gewissen Bedingungen noch zu- gelassen war. Die Constitution vom 18ten Aug. 1467 bei Muͤller Rth. II, 293. Die Friedensbestimmungen jener Gesetze sollen nicht aufgeho- ben seyn, „dann allain in den Artickel der guͤlden Bull, der do in- hellt von Widersagen, und in den ersten Artickel der Reformation, der da inhellt von Angreifen und Beschedigen; dieselben Artickel sol- len die obgemeldten funf Jar ruhen, — auf daß zu Vehde Krieg und Aufrur Anlaß vermitten und der Fride stracks gehalten werde.“ Ungluͤcklicherweise ist es dem guten Muͤller an dieser wichtigen Stelle begegnet, statt Neuenstadt Milbenstadt zu lesen: was hernach in eine Menge Reichshistorien uͤbergegangen. Es ward ein Friede verkündigt, wie die Churfürsten sich ausdrücken, von unserm gnädigsten Herrn dem römischen König zu halten geboten und von unserm h. Vater dem Papst bestätigt. Einige Zeit darauf zu Regensburg im J. 1471 wag- ten die verbündeten Gewalten einen zweiten noch wichti- geren Schritt. Zu Behuf des Türkenkrieges, der nun end- Einleitung . lich unternommen werden sollte, versuchten sie dem Reich eine Vermögenssteuer, den gemeinen Pfennig aufzulegen, und brachten wirklich einen günstigen Beschluß zu Wege. Gemeinschaftlich ernannten sie zur Erhebung derselben Exe- cutoren für die bischöflichen und erzbischöflichen Sprengel, und der päpstliche Legat bedrohte die Widerspenstigen mit der Summe aller geistlichen Strafen, der Ausschließung von der kirchlichen Gemeinschaft. Der Herzog von Cleve ward fuͤr Bremen, Muͤnster und Utrecht, der Herzog Ludwig von Baiern fuͤr Regensburg und Passau zum Executor ernannt. Entwürfe, die in der That das zusammenfassen was zunächst für die innern und die auswärtigen Verhältnisse nothwendig war. Allein wie wäre daran zu denken gewesen, daß sie nun auch ausgeführt worden wären. So stark waren auch die vereinten Gewalten nicht, um so durchgreifende Neue- rungen ins Werk zu setzen. Die Reichstage waren bei weitem nicht zahlreich genug besucht gewesen: man glaubte sich durch einseitige Beschlüsse nicht gebunden. Die Op- position gegen Kaiser und Papst war zwar nicht zu ihrem Ziel gekommen: aber sie bestand nach wie vor: Friedrich der Siegreiche lebte noch, und selbst auf die Städte, die ihm sonst entgegen waren, hatte er jetzt Einfluß. Von der Einbringung des gemeinen Pfennigs war in Kurzem nicht mehr die Rede: man hielt dafür, es sey ein Entwurf Papst Pauls II , dem man nicht gestatten dürfe so weit um sich zu greifen. Auch der Landfriede zeigte sich höchst unzureichend. Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh . Nach einiger Zeit erklärten die Städte, er habe ihnen mehr Ungemach und Schaden zugezogen als sie zuvor erlitten. „daß die erbb. Staͤdte und die Iren in Zeitten sollichs ge- mainen Friden und wider des Inhalt und Mainung mer Ungemachs Beschaͤdigung verderblicher Kost Schaden und Unfrid an iren Leu- ten Leiben und Guten gelitten, dann sy vorher in vil Jaren und Zeytten je empfangen.“ Handlung zu Regensburg 1474. Frankfur- ter AA. Bd. VIII. Es war ihnen selbst unerwünscht, als er im J. 1474 mit alle den Bestimmungen die er nun einmal hatte erneuert wurde. Die Fehde gieng nichts desto minder fort. Bald darauf fiel eine der mächtigsten Reichsstädte, eben dieß Regensburg wo jetzt der Landfriede verkündigt ward, in die Hände der Baiern. Nach und nach verloren die vereinigten Gewalten alle ihr Ansehn. Im J. 1479 wurden die Anträge des Kai- sers und des Papstes von den Reichsständen sämmtlich zu- rückgewiesen und mit lauten Beschwerden erwiedert. Und doch wäre es so unendlich wichtig gewesen daß etwas Nachdrückliches geschehen wäre. Ich will die nachtheiligen Folgen des Fehderechtes nicht erörtern. So schlimm waren sie vielleicht nicht wie man gewöhnlich sagt. Auch in diesem Jahrhundert finden sich Italiener, welchen die deutschen Zustände im Vergleich mit ihrem Vaterlande, wo überall eine Faction die andre verjagte, glücklich und sicher vorkamen. Aeneas Sylvius: Dialogi de autoritate concilii: fuͤhrt im zweiten dieser Dialoge einen Novaresen ein, der den Deutschen zu- ruft: Bona vestra vere vestra sunt: pace omnes fruimini et li- bertate in communi, magisque ad naturam quam ad opinionem vivitis. Fugi ego illos Italiae turbines. (Kollar Anal. II, 704.) Raub und Verwü- Einleitung . stung trafen eigentlich nur das platte Land und die Land- straßen. Aber auch so war der Zustand für eine große Nation schimpflich und unerträglich. Mit der Idee des Rechtes und der Religion, auf welche das Reich so vor- zugsweise gegründet war, stand er in schneidendstem Wi- derspruch. Und überdieß geschah hiedurch, indem ein Jeder sich nur mit sich selbst beschäftigen, sein Augenmerk nur auf die nächsten Kreise heften konnte, daß Niemand des All- gemeinen wahrnahm, daß man es nicht allein zu kei- ner großen Unternehmung mehr brachte, sondern auch die Grenzen nicht einmal zu vertheidigen wußte. In dem Osten entschied sich jetzt der alte Kampf der Deut- schen mit den Letten und Slawen zu Gunsten der letztern. Da der König von Polen in Preußen selbst Verbündete fand, ward es ihm leicht, den Orden zu besiegen, und ihn zu dem Frieden von Thorn im J. 1466 zu nöthigen, in welchem ihm der größte Theil des Ordenslandes abgetre- ten und das übrige von ihm zu Lehen genommen wurde: Kaiser und Reich regten sich nicht gegen diesen unermeß- lichen Verlust. In dem Westen erwachte in den Franzo- sen die Idee der Rheingrenze und nur an localem Wider- stand brach sich der Angriff des Dauphin und der Ar- magnaken. Was aber der einen Linie der Valois mißlang, führte die andre, die burgundische desto glänzender aus. Als die französisch-englischen Kriege allmählig beigelegt wurden und in jenen Verhältnissen nichts mehr zu gewin- nen war, warf sich dieß Haus mit alle seinem Ehrgeiz und alle seinem Glück auf die niederdeutschen Gebiete. In un- Lage der Dinge um die Mitte des 15 Jahrh . mittelbarem Widerspruch mit der kaiserlichen Gewalt nahm es Brabant und Holland an sich; dann erwarb Philipp der Gute Luxenburg; er setzte seinen natürlichen Sohn in Utrecht, seinen Neffen in Lüttich auf den bischöflichen Stuhl; hierauf gab eine unglückliche Fehde zwischen Vater und Sohn Carl dem Kühnen Gelegenheit, sich Gelderns zu be- mächtigen. Es bildete sich eine Macht aus wie sie seit der Zeit der großen Herzogthümer nicht bestanden, in ei- ner dem Reiche natürlich entgegengesetzten Richtung; die nun der ungestüme Carl auf der einen Seite nach Fries- land, auf der andern den Rhein aufwärts zu erweitern trachtete. Als er endlich in das Erzstift Cölln einfiel und Neuß belagerte, setzte man sich ihm einmal entgegen, aber nicht in Folge eines gleichmäßigen Anschlags, einer geord- neten Rüstung, sondern nur in Folge eines Aufgebotes im Angesicht der dringenden Gefahr, und ohne daß man den günstigen Augenblick benutzt hätte, ihn entschieden in seine Grenzen zurückzuweisen. Als er gleich darauf Lothringen Elsaß und die Schweiz angriff, überließ man diesen Län- dern, sich selbst zu vertheidigen. — Indessen hatte sich Ita- lien factisch vollkommen losgemacht; wollte der Kaiser ge- krönt seyn, so mußte er ohne Waffen wie ein Reisender anlangen; nur in Begnadigungen durfte seine ideale Macht sich äußern. Der König von Böhmen, der auch die Lau- sitzen und Schlesien und eine ausgebreitete Lehnsherrlich- keit im Reiche besaß, wollte doch nur noch von Rechten die er auszuüben, nicht von Pflichten hören, die er zu er- füllen habe. Das Leben der Nation müßte bereits erstorben ge- Einleitung . wesen seyn, wenn sie unter alle dieser Bedrängniß und im Anblick weiter drohender Gefahr keine Anstalt getroffen hätte, im Innern Ordnung zu stiften und ihre Macht nach außen wiederherzustellen: was sich aber allerdings ohne Umgestaltung sowohl der geistlichen als der weltlichen Zu- stände nicht erreichen ließ. Bald mehr auf die eine, bald mehr auf die andre Seite wenden sich in unserm Europa die Triebe der Ent- wickelung und des Fortschrittes. Zunächst trat damals die weltliche Seite hervor und diese haben wir fürs Erste ins Auge zu fassen. Erstes Buch. Versuche dem Reiche eine bessere Verfassung zu geben. 1486 — 1517. A us verwandten Anfängen und Entwickelungen waren in allen übrigen Reichen von Europa ähnliche Unordnungen hervorgegangen. Wir können sagen: die Geburten und Hervorbringungen des Mittelalters waren allenthalben mit einander in einen Kampf gerathen in welchem sie sich wech- selseitig vernichteten. Denn die Ideen, durch welche menschliche Zustände begründet werden, enthalten das Göttliche und Ewige, aus dem sie quellen, doch niemals vollständig in sich. Eine Zeitlang sind sie wohlthätig, Leben gebend; neue Schöpfun- gen gehn unter ihrem Odem hervor. Allein auf Erden kommt nichts zu einem reinen und vollkommenen Daseyn: darum ist auch nichts unsterblich. Wenn die Zeit erfüllt ist, erheben sich aus dem Verfallenden Bestrebungen von weiter reichendem geistigen Inhalt, die es vollends zerspren- gen. Das sind die Geschicke Gottes in der Welt. Waren die Unordnungen allgemein, so war es auch das Bestreben, denselben ein Ziel zu setzen. Eben aus der allgemeinen Verwirrung erhoben sich, durch die Nothwen- Ranke d. Gesch. I. 6 Erstes Buch . digkeit einer Veränderung begünstigt, aber aus eigenem Le- bensgrund aufwachsend, selbständige das Chaos mit star- ker Hand ordnende Gewalten. Es ist dieß das Ereigniß des funfzehnten Jahrhun- derts. Jedermann kennt die Namen der thatkräftigen Für- sten jener Zeit, denen es beschieden war, in den europäi- schen Nationen zum ersten Mal das volle Gefühl ihres Selbst zu erwecken. In Frankreich finden wir Carl VII und Ludwig XI: das Land ward den alten Feinden, die es zur Hälfte besaßen, den Engländern endlich entrissen und unter der Standarte der Lilien vereinigt; das König- thum ward auf Armeen und Finanzen gegründet; dem prak- tischen treffenden Sinn, der seine Absichten erreichte, weil er nur das wollte was an sich nothwendig war, kam die verschlagene berechnende Klugheit zu Hülfe; alle die trotzigen Mächte, die sich dem höchsten Ansehn entgegen- gesetzt, wurden gebeugt oder gestürzt; schon konnte die neue Ordnung der Dinge eine lange und stürmische Minderjäh- rigkeit überdauern. Über den Trümmern der beiden Factio- nen der englischen Aristokratie gründete Heinrich VII die Macht der Tudors mit unerschütterlichem Entschluß, durch- greifender Hand, ohne daß er darum die alten Freiheiten der Nation zu vernichten gesucht hätte: die normannischen Zeiten waren vorüber: das neuere England fieng an. Zu derselben Zeit bezwang Isabella von Castilien durch ihre Verbindung mit einem mächtigen Nachbar, durch den An- theil an der geistlichen Gewalt, den sie sich zu verschaffen wußte, und durch das Übergewicht einer großartigen weib- lichen Persönlichkeit, in der sich strenger Haushalt und rit- Erstes Buch . terlicher Sinn auf das eigenthümlichste vereinigten, die wi- derspenstigen Vasallen: es gelang ihr die Mauren vollends auszustoßen, die Halbinsel zu beruhigen. Allmählig bilde- ten sich selbst in Italien einige festere Gewalten aus, fünf größere Staaten, die sich in freiem Bündniß vereinigten und jeden fremden Einfluß eine Weile fern hielten. Eben- damals stieg dann auch Polen doppelt stark durch seine Verbindung mit Litthauen zu der größten Summe von Macht auf, die es je gehabt hat; in Ungern behauptete ein eingeborner König den Ruhm und die Einheit seiner Nation mit dem gewaltigen Kriegsheer, das er sich ge- schaffen. Wie verschieden auch Hülfsmittel und Umstände seyn mochten, so war doch überall das Königthum, die centrale Macht stark genug, die widerstrebenden Unabhängigkeiten zu beugen, den fremden Einfluß auszuschließen, durch die na- tionale Richtung, die es nahm, die Völker um sich zu ver- sammeln, ihnen ein Bewußtseyn ihrer Einheit zu verschaffen. In Deutschland war das jedoch nicht möglich. Es gehört in den Kreis dieser Bestrebungen, daß die beiden Gewalten welche das Meiste vermochten, sich bemühten, eine gewisse Ordnung einzuführen; wir sahen wie wenig sie ausrichteten. In den Zeiten, in welchen alle Monar- chien in Europa sich consolidirten, ward der Kaiser aus seinem Erbland verjagt, und zog als ein Flüchtling im Reiche umher; Vgl. Unrest Chronicon Austriacum bei Hahn 660 — 688. Kurz Oͤstreich unter Friedrich III. Zweiter Band. er nahm sein Mahl in den Klöstern und den Städten des Reiches, wo man ihn umsonst bewirthete; 6* Erstes Buch . mit den kleinen Gefällen seiner Kanzley bestritt er seine übrigen Bedürfnisse; zuweilen fuhr er mit einem Gespann Ochsen seine Straße: niemals, er fühlte es selbst, war die Hoheit des Reiches in niedrigerer Gestalt einhergezogen; der Inhaber einer Gewalt, welche ihrer Idee nach die Welt beherrschen sollte, forderte gleichsam das Mitleiden heraus. Wollte man es in Deutschland zu etwas bringen, so mußte man es anders angreifen, von andern Grundlagen ausgehen, ein andres Ziel ins Auge fassen. Grundlegung einer neuen Verfassung. So viel leuchtet auf den ersten Blick ein, daß hier die Stände selbst die Initiative zu einer Verbesserung er- greifen mußten. Hatten sie sich den beiden coordinirten höhern Gewalten gegenüber eine so starke Stellung gegeben, so mußte sich nun auch zeigen, in wie fern dieselbe für die allgemeinen Angelegenheiten heilbringend werden könne. Es kam ihnen hiebei sogar zu Statten, daß der Kai- ser in eine so mißliche Lage gerathen war. Nicht als ob sie sich derselben hätten bedienen wol- len, ihn ganz herabzudrücken oder zu verderben; sie wa- ren vielmehr entschlossen ihn nicht fallen zu lassen. Was seit Jahrhunderten nur Einem Kaiser, und zwar auch dem nur in der Fülle der Macht, nur in Folge sehr bedeuten- der Begünstigungen gelungen war, seinem Sohn die Nach- folge zu verschaffen, das erreichte Friedrich III in dem Mo- mente der tiefsten Erniedrigung und Machtlosigkeit. Die Grundlegung einer neuen Berfassung . Churfürsten vereinigten sich im J. 1486 seinen Sohn Ma- ximilian zum römischen König zu erwählen. Vor allen ist Albrecht Achilles von Brandenburg hiebei thätig gewesen. Trotz seiner hohen Jahre kam er noch einmal in Person nach Frankfurt; auf einem Tragsessel ließ er sich in die Wahlcapelle bringen; auf demselben trug er nach vollbrach- ter Handlung den Scepter vor; noch war er in Ausübung seiner Reichspflichten begriffen als er starb. Es konnte den Churfürsten nicht entgehen, daß die Ansprüche des Hauses Östreich auf die Hülfe des Reiches hiedurch gar sehr verstärkt wurden. Maximilian, Eidam Carls des Kühnen, der die burgundischen Rechte in den Niederlan- den durchzufechten übernommen hatte, erfuhr dort nicht viel geringere Widerwärtigkeiten als sein Vater in Öst- reich, und konnte schlechterdings nicht verlassen werden. Seine Wahl bekam erst ihre volle Bedeutung wenn man nun auch jene Länder, die bisher eine feindselige Stellung gehabt, dadurch, daß man sie ihm unterwarf, dem Reiche wieder zuwendete. Man mußte sich fertig machen, nach beiden Seiten Hülfe zu leisten. Eben dadurch erlangten nun aber auch die Stände ein verdoppeltes Recht, die in- nern Angelegenheiten nach ihrem Sinne zur Sprache zu bringen. Sie hatten sich neue Verdienste um das re- gierende Haus erworben, ohne ihre Unterstützung konnte es seine Erblande nicht behaupten: man mußte auf ihre Stimme hören. Dazu kam, daß der Kaiser sich in diesem Augenblick auch von dem Papst entfernte. Es gab eine große Par- tei in Europa, welcher schon damals das Emporkommen Erstes Buch . der östreichischen Macht zuwider war, die an der Erhebung Maximilians zum römischen König Anstoß nahm. Zu die- ser Partei gehörte in Folge der italienischen Verwickelun- gen auch Papst Innocenz VIII. Er versagte dem Kaiser Hülfe gegen die Ungern, ja selbst gegen die Türken: dessen Botschafter hatten ihn, wie Friedrich am Reichstage klagt, „gar ungeschickt“ befunden und nichts mit ihm ausrichten können: Muͤller Reichstagstheater unter Friedrich III V , 122. auch über die Besetzung des Stiftes Passau, so wie über einen neu aufgelegten Zehnten war man in Dif- ferenz mit dem Papst. Genug die Einwirkungen des rö- mischen Stuhles hörten einen Augenblick auf. Seit lan- ger Zeit zum ersten Male finden wir zahlreiche Versamm- lungen deutscher Fürsten ohne Anwesenheit eines päpstli- chen Gesandten. Unter diesen Umständen begann man die Berathungen mit besserer Aussicht auf nützliche Beschlüsse. Man brauchte wie sich versteht, nicht von vorn an- zufangen: man besaß schon alle Elemente eines großen Ge- meinwesens. Die Reichstage wurden vorlängst als die Mittelpuncte der Gesetzgebung und allgemeinen Verwaltung betrachtet; es war ein Landfriede proclamirt; ein kaiserli- ches Gericht war vorhanden; schon im Kriege gegen die Hussiten hatte man eine Matrikel zur allgemeinen Reichs- vertheidigung entworfen. Es kam nur darauf an, diesen Instituten eine durchgreifende Wirksamkeit zu verschaffen, an der es ihnen durchaus mangelte. Darüber hat man nun in den Jahren 1486 bis 89 unaufhörlich Rath gepflogen. Die das deutsche Vaterland Grundlegung einer neuen Verfassung . umfassenden, auf die Erneuerung seiner Einheit und Kraft zielenden Ideen waren in der lebendigsten Bewegung. Be- trachten wir die verschiedenen Momente nicht in ihrem hi- storischen Zusammenhange unter einander und mit den gleich- zeitigen Ereignissen, sondern, um sie besser zu übersehen, ein jedes für sich. Das Erste war der Landfrieden, der wieder auf allen Seiten gebrochen worden, und jetzt 1486 erneuert, 1487 mit einigen nähern Bestimmungen erläutert ward. Er un- terschied sich doch noch wenig von den frühern. Die Hand- habung ward nach wie vor einem tumultuarischen Aufge- bot der Nachbarn in einem Umkreis von sechs bis zehn Meilen überlassen, ja die Declaration von 1487 billigt es noch ausdrücklich, daß man um ein günstig ausgefallenes Urtheil zur Ausführung zu bringen, selbst zu gewaltiger That schreite. Bei Muͤller Rtth. Fr. VI, 115. Wo aber der, der gewal- tige Tate fuͤrneme und uͤbe, das thete uf behapte Urtheil, so solt daruͤber nyemant dem Bekriegten das mahl Hilf zuzuschicken schul- dig seyn. Nur darin unterschied er sich, daß man nicht mehr die Beihülfe des Papstes in Anspruch nahm. Von der Sendung päpstlicher Conservatoren mit beson- derm Gerichtszwang zur Handhabung des Friedens war nicht mehr die Rede. Dadurch ward es allerdings auch zweifelhaft ob die Geistlichen, welchen Papst und Kirche bei weitem näher und furchtbarer vor Augen standen als Kaiser und Reich, sich dem Frieden würden unterwerfen wollen. Man wußte kein Mittel dagegen, als daß der Kaiser erklärte, eben wie dort die Bischöfe in Bezug auf Erstes Buch . ihre Edelleute, er werde die Ungehorsamen aus seiner und des Reiches Gnade und Schirm setzen und auch sie in ihren Widerwärtigkeiten nicht vertheidigen. Man sieht, welche Verhältnisse der Gewaltsamkeit und gegenseitigen Unabhängigkeit noch obwalteten, sogar in den Gesetzen erschienen, und wie höchst nothwendig es war in- nere Ordnungen zu gründen, durch deren Festigkeit und Energie die Eigenmacht in Zaum gehalten, die Eingriffe einer bei der ersten Vereinigung der Stände als auswär- tig erscheinenden Autorität zurückgewiesen werden könnten. Vor allem kam es dann darauf an, den Reichstagen regelmäßigere Formen zu geben, größeres Ansehn zu ver- schaffen, namentlich den Widerspruch der Städte gegen ihre Beschlüsse zu beseitigen. Die Städte, die von den übrigen Ständen so oft feindlich behandelt worden, und ein so eigenthümliches In- teresse zu verfechten hatten, hielten sich von jeher in ge- flissentlicher Absonderung. Während des hussitischen Krie- ges ward ihnen sogar noch einmal gestattet, ein besonderes städtisches Heer unter ihrem eigenen obersten Hauptmann ins Feld zu stellen. Im Jahr 1431. Datt de pace publica 167. Im Jahr 1460 lehnten sie es ab, mit den Fürsten zu Rathe zu gehn, und sich zu einer ge- meinschaftlichen Antwort auf die Anträge des Kaisers zu vereinigen. Protocoll bei Muͤller I, p. 782! jedoch mit dem Zusatz: „sie wolten solch fruͤndlich Fuͤrbringen ihren Fruͤnden beruͤmen.“ Im Jahr 1474 weigerten sich die Abgeord- neten den von Kaiser und Fürsten beschlossenen Landfrie- den gut zu heißen, und blieben standhaft dabei, Die Antwort welche sie bei Muͤller II, p. 626 geben ist un- nichts dazu Grundlegung einer neuen Verfassung . sagen, ihn erst ihren Freunden mittheilen zu wollen. Als die Fürsten im J. 1486 dem Kaiser einige Bewilligungen gemacht hatten, zu deren Leistung man auch die Städte anhalten wollte, widersetzten sich diese um so lebhafter, da sie zu dieser Versammlung gar nicht einmal berufen wor- den waren. Friedrich entgegnete ihnen, man habe das des- halb nicht gethan, weil sie sich doch nur auf Hintersich- bringen gelegt haben würden. Offenbar war dieses Verhältniß nicht zu behaupten. Die Reichsstädte fanden es mit Recht unerträglich, daß man sie eigenmächtig anschlagen und den Anschlag wie eine Schuld von ihnen abfordern wolle: aber eben so we- nig war es auch zu dulden, daß sie jeden definitiven Be- schluß verhindern und über jede Bewilligung immer erst zu Hause anfragen wollten. Die Richtung welche diese Zeit auf die allgemeinen Angelegenheiten nahm, war so mächtig, daß die Städte sich im Jahr 1487 entschlossen ihre bisherige Stellung fah- ren zu lassen. Auch für den Reichstag dieses Jahres hatte der Kai- ser nur eine geringe Anzahl von ihnen berufen; sie be- schlossen aber, dießmal sämmtlich ihre Botschafter zu schicken bestimmt und dunkel. In den Frankfurter AA. (Bd VIII ) lautet sie: „Als die des Friedens nothurftig und begerlich sind, setzen sy (die Staͤdte) in kein Zweifel, E. K. M. (werde) gnediglich darob und daran seyn, daß der vestiglich gehandhabt und gehalten werde: dazu sy aber irenthalb zu reden nit bedacht sind, auch kein Befel haben, unterteniglich bittend, das S. K. M. das also in Gnaden und Guten von in versten, und sy als ir allergnedigster Herr beden- ken wolle.“ — Man sieht: ihre Annahme ist nur ganz allgemein, die naͤhern Bestimmungen wollen sie sich nicht aufdraͤngen lassen; der Kaiser giebt ihnen ihr Hintersichbringen zuletzt nach. Erstes Buch . und zwar ohne Hintersichbringen. Kaiser Friedrich em- pfieng sie auf dem Schloß zu Nürnberg, an seinem Bette sitzend, schwacher Gestalt, wie sie sich ausdrücken, Dr. Ludwig zum Paradeis an Frankfurt. Montag nach Ju- dica 2 April 1487. Mit diesem Reichstage beginnen die ausfuͤhrli- chen Berichte der Frankfurter Abgeordneten. Die fruͤhern waren mehr fragmentarisch. (RsA. Bd XII. ) und ließ ihnen eröffnen, er sehe sie gern und werde in Gnaden erkennen, daß sie gekommen. Auch die Fürsten waren sehr wohl damit zufrieden und ließen die Städte Antheil an den Berathungen nehmen. Es wurden Ausschüsse gebildet, — eine Form, die späterhin die vorherrschende blieb — zu denen auch die Städte gezogen wurden. In dem ersten über den Landfrieden saßen neben sechs churfürstlichen und zehn fürstlichen auch drei städtische Mitglieder. Von dem zweiten, über den Anschlag gegen die Ungern, waren die Städte anfangs ausgeschlossen: aber später wurden sie auf ausdrückliches Verlangen des Kaisers zugezogen; unser Be- richterstatter, Dr. Paradeis von Frankfurt war selbst in die- sem Ausschuß. Auch erwies sich die Theilnahme der städti- schen Abgeordneten nicht unnütz: von der allgemeinen Be- willigung von 100000 G. hatte man ihnen anfangs bei- nahe die ganze Hälfte, 49390 G. zugeschlagen: sie verrin- gerten diesen Beitrag doch ziemlich um ein Fünftheil, auf 40000 G. und gaben selbst an, wie viel nun auf jede Stadt fallen sollte. Bei dem nächsten Reichstag, 1489, setzten sich dann auch die Formen der allgemeinen Berathung fest. Zum ersten Mal trennten sich gleich nach der Proposition die Grundlegung einer neuen Verfassung . drei Collegien, das churfürstliche, das fürstliche und das städtische; jeder Theil begab sich in sein besonderes Zim- mer: die Antwort ward zuerst von dem churfürstlichen Collegium entworfen und dann den beiden andern zur An- nahme vorgelegt. Das ist denn später die Regel geblieben. Es wäre auch in Deutschland möglich gewesen, wie es in andern Ländern geschah, daß die Communen, die sich auch bei uns als Leute des Kaisers, vorzugsweise als dessen Unterthanen betrachteten, um ihn her sich zusammengeschlos- sen, und im Gegensatz mit den höhern Ständen einen dritten Stand, ein Unterhaus gebildet hätten. Noch Sigismund vereinigte gern seine Klagen über die Fürstenmacht mit den ihrigen, erinnerte sie daß das Reich nichts weiter habe als sie, indem alles andre an die Fürsten gekommen, liebte es mit ihnen besonders zu unterhandeln, lud sie wohl ein, zu ihm zu kommen, ihm ihre Beschwerden vorzutragen. Vgl. Rede Sigmunds an die Rathsfreunde zu Frankfurt. Abgedruckt bei Aschbach Geschichte Kaiser Sigmunds I, 453. Er sagt da, er werde mit den Staͤdten reden, „was ir Brest (Gebre- chen) sy.“ Aber diese Sympathien zu entwickeln, eine feste Vereini- gung in bestimmten Formen zu Stande zu bringen, dazu war die kaiserliche Gewalt bei weitem zu schwach: sie konnte den Städten den Schutz nicht gewähren, der in ihnen ein freies Anschließen an das Reichsoberhaupt her- vorgerufen und gerechtfertigt haben würde. Überhaupt nah- men die deutschen Stände eine von andern sehr verschiedene Gestalt an. Anderwärts pflegten geistliche und weltliche Große in verschiedne Versammlungen auseinanderzutreten: Erstes Buch . bei uns dagegen hatten die Churfürsten, welche geistliche und weltliche Elemente verbanden, eine so ausgebildete Stellung, so bestimmte gemeinsame Vorrechte, daß sie sich nicht tren- nen ließen. Daher geschah es, daß auch die Fürsten ein einziges Collegium aus geistlichen und weltlichen Mitglie- dern bildeten: in den Ausschüssen saß in der Regel eine gleiche Anzahl von beiden Theilen. Die Städte traten den Magnaten in Deutschland nicht entgegen, sondern zur Seite. Zusammen bildeten diese Stände eine compacte Corporation, gegen welche kein Kaiser etwas ausrichten konnte, in welcher die Summe der Reichsgewalt repräsen- tirt war. Im Gefühle dieser ihrer Stärke und der Nothwen- digkeit der Sache machten sie nun dem Kaiser einen Vor- schlag, der so gemäßigt er lautete, dennoch die weiteste Aussicht auf eine durchgreifende Abänderung der Verfas- sung eröffnete. Es ist offenbar, daß der Kaiser, wenn Ordnung und Friede wirklich eingeführt, und alles seine höchste Gerichts- barkeit anzuerkennen genöthigt ward, dadurch zu einer un- gemeinen Macht gelangen mußte. Die Stände waren um so weniger geneigt, ihm eine solche zuzugestehen, da sein Gericht so willkührlich verwaltet ward, im Reiche so schlecht angesehen war. Schon im Jahr 1467, in dem Augen- blicke, in welchem der Landfriede zum ersten Mal ernstlich angeordnet wurde, hatte man dem Kaiser den Antrag ge- macht, zur Vollziehung desselben ein höchstes Gericht von andrer Art einzurichten, zu welchem die verschiednen Stände 24 Urtheiler Die Stelle, wie sie Harpprecht, Archiv I, § 109, mittheilt, aus allen deutschen Landen und der Kaiser Grundlegung einer neuen Verfassung . nur einen Richter ernennen sollte. Darauf nahm nun aber Friedrich keine Rücksicht. Er besetzte sein Gericht nach wie vor allein, ließ es dem Hofe folgen; nahm wohl Sachen persönlich an sich; machte gesprochene Urtel rück- gängig und bestimmte die Sporteln nach seinem Gutdün- ken. Natürlich erweckte er damit ein allgemeines Miß- vergnügen; man sah ein, daß wenn aus dem Reiche et- was werden solle, vor allen Dingen das Gericht besser bestellt werden müsse. Die Bewilligungen, die man dem Kaiser im J. 1486 machte, knüpfte man an diese Bedin- gung. Es kam den Ständen noch nicht so viel darauf an, das Gericht selbst zu besetzen, als ihm nur fürs erste eine gewisse Unabhängigkeit zu verschaffen: dem Richter und seinen Beisitzern wollten sie für die entstehenden Va- canzen sogar ein Cooptationsrecht zugestehen. Die Haupt- sache aber war: der Richter sollte die Befugniß haben, über die Landfriedensbrecher jene Strafe auszusprechen, auf welcher die zwingende Kraft des Landfriedens überhaupt beruhte, die Strafe der Acht, so gut wie der Kaiser selbst; es sollte ihm sogar obliegen, die nöthigen Maaßregeln zur Vollziehung dieser Strafe zu ergreifen. So unerträglich schienen die persönlichen Eingriffe des Kaisers, daß man alles gewonnen zu haben glaubte, wenn man nur dieser sich zu erwehren vermöge. Das Gericht selbst suchte man dann dadurch einigermaaßen zu beschränken, daß man es auf die Statuten der Landschaften, aus denen jede Sache ist ganz unverstaͤndlich, weil statt Urtailsprecher gedruckt ist Urthel sprechen, gleich als sollten die Staͤnde selbst zu Gericht sitzen. Rich- tiger und im Zusammenhang ist sie bei König von Koͤnigsthal II, p. 13. Erstes Buch . stamme, anweisen und eine Taxe seiner Sporteln festsetzen wollte. Aufsatz einer Kammergerichtsordnung bei Muͤller VI, 29. Der alte Kaiser aber war nicht gemeint, von seiner hergebrachten Gewalt auch nur das Geringste nachzugeben. Er entgegnete: die Verkündung der Acht wollte er sich vorbehalten, „immaaßen das vor Alters gewesen;“ Ein- setzung von Beisitzern dürfe auch in Zukunft nur mit seinem Wissen und Willen geschehen; Statuten und Gewohnhei- ten könne das Gericht nur in sofern anerkennen, als sie dem kaiserlichen geschriebenen, d. i. dem römischen Rechte gemäß seyen: (man sieht, wie viel die Idee des Kaiser- thums zur Einführung des römischen Rechts beitrug) in Hinsicht der Taxen wolle er unbeschränkt seyn, wie andere Fürsten mit ihren Gerichten und Canzleien auch. Monita Caesareanorum bei Muͤller VI, 69. Er sah das höchste Reichsgericht in dem Lichte eines Patri- monialgerichtes an. Vergeblich machten ihn die Churfür- sten aufmerksam, daß eine Verbesserung des Gerichtes die Bedingung ihrer Bewilligungen sey: vergeblich stellten sie wirklich ihre Zahlungen ein und schlugen ermäßigte Be- dingungen vor; der alte Fürst war um keinen Schritt wei- ter zu bringen. Friedrich III hatte sich in einem langen Leben ge- wöhnt, die Dinge der Welt mit großer Seelenruhe anzu- sehen. Seine Zeitgenossen haben ihn abgebildet, bald wie er Edelsteine auf der Goldwage abwägt, bald wie er den Himmelsglobus in der Hand sich mit ein paar Gelehrten über den Stand der Gestirne bespricht. Er mischte die Grundlegung einer neuen Verfassung . Metalle, er arbeitete gern an heilenden Arzneien; er hat wohl selbst aus der Constellation in wichtigen Momenten die Zukunft vorhergesagt; in dem Angesicht eines Men- schen, in den Zügen seiner Hand las er dessen Schicksale. Er glaubte an die verborgenen Kräfte, welche Natur und Geschick regieren. Mochte dann auch schon in seinen jün- gern Jahren seine portugiesische Gemahlin mit dem Feuer und der Weltansicht einer Südländerin ihn auffordern sich zu rächen, denn ein Mann der sich nicht räche, sey nicht werth seine Blöße zu decken, so antwortete er nur, mit der Zeit belohne und strafe und räche sich alles. Grünbeck: historia Friderici et Maximiliani bei Chmel Oͤstreichischer Geschichtsforscher I, p. 69. Es brachte wenig Eindruck auf ihn hervor, wenn man ihm die Miß- bräuche bei seinen Gerichten vorstellte; er meinte, es gehe eben nirgends ganz recht und gleich her. Man machte ihm einst von Seiten der Fürsten Vorstellungen wegen des Einflusses den er seinem Rath Prüschenk gestatte; er er- wiederte: ein Jeder von ihnen werde auch seinen Prüschenk zu Hause haben. In allen Verwickelungen der Geschäfte begleitete ihn dieser Gleichmuth. Als die 1449 zum Kriege gerüsteten Städte und Fürsten seine Vermittelung zurück- wiesen, ließ er es gut seyn; er sagte, er wolle warten, bis sie einander ihre Häuser verbrannt, ihre Saaten vernich- tet; alsdann würden sie schon von selbst kommen und ihn er- suchen sie auszusöhnen; was denn auch in Kurzem geschah. Die Gewaltsamkeiten welche König Matthias über sein Erbland Östreich verhieng, regten nicht etwa sein Mitlei- den auf: er knüpfte nur die Betrachtung daran, man habe Erstes Buch . das dort um ihn verdient: ihm habe man nicht gehorchen wollen: darum müsse man jetzt den Storch als König dul- den, wie jene Frösche in der Fabel. Zu seinen eigenen Angelegenheiten verhielt er sich fast wie ein Beobachter; er sah in den Dingen die Regel von der sie abhangen, das Allgemeine, Beherrschende, das sich nach kurzer Abwei- chung wieder herstellt. Von Jugend auf war er in Wi- derwärtigkeiten verwickelt gewesen; hatte er auch weichen müssen, so hatte er nie etwas aufgegeben; zuletzt hatte er noch allemal die Oberhand behalten. Die Behauptung seiner Gerechtsame war für ihn um so mehr der oberste Grundsatz seines Thuns und Lassens, da sie großentheils durch den Besitz der Kaiserwürde eine ideale Beziehung empfiengen. Entschloß er sich doch nur mit Mühe, seinen Sohn zum römischen König wählen zu lassen; ungetheilt wollte er die höchste Würde mit ins Grab nehmen; auf jeden Fall gestattete er ihm keinen selbständigen Antheil an der Verwaltung der Reichsgeschäfte; er hielt ihn, auch als er König war, noch immer als den Sohn vom Hause; Schreiben Maximilians an Albrecht von Sachsen 1492 im Dresdner A. er räumte ihm nie etwas anders ein, als die Grafschaft Cilli, „denn das Übrige werde er ja doch Zeit genug be- kommen.“ Es ist in ihm eine Sparsamkeit die an Geiz, eine Langsamkeit die an Unthätigkeit, eine Zähigkeit die an die entschiedenste Selbstsucht streift; allein alle dieses Wesen ist doch zugleich durch höhere Beziehungen dem Gemeinen entrissen; es liegt ihm ein nüchterner Tiefsinn zu Grundlegung einer neuen Verfassung . zu Grunde, eine ernste Ehrenfestigkeit; der alte Fürst hatte auch als Verjagter, als Hülfesuchender eine persönliche Haltung, welche die Majestät nicht sinken läßt. In dem- selben Styl waren seine Vergnügungen: wie wenn er einst in Nürnberg alle Kinder aus der Stadt, auch die kleinsten, die eben erst gehen gelernt, in den Stadtgraben kommen ließ: da weidete er seine Augen an dem aufwach- senden Geschlecht, dem die Zukunft beschieden war; dann ließ er Lebkuchen bringen und vertheilen: da dachten die Kinder Zeit ihres Lebens des alten Herrn, den sie noch gesehen. Den vertrautern Fürsten gab er zuweilen ein Ge- lag auf dem Schloß. So abgemessen sonst seine Mäßig- keit war, so prächtig mußte es dann dabei hergehen; bis in die tiefe Nacht, wo er überhaupt erst recht zu leben begann, behielt er seine Gäste bei sich; auch seine gewohnte Schweigsamkeit hörte auf; er fieng an, von seinen vergange- nen Jahren zu erzählen: seltsame Ereignisse, züchtige Scherze und weise Reden führte er ein; unter den Fürsten, die alle um vieles jünger waren, erschien er wie ein Patriarch. Den Ständen leuchtete wohl ein, daß bei dieser Ge- sinnung, diesem abgeschlossenen, unerschütterlichen Wesen kein Unterhandeln noch Bedingen etwas erreichen konnte. Wollten sie zu ihrem Ziele kommen, so mußten sie sich an den jungen König wenden, der zwar für jetzt keine Macht besaß, aber doch in Kurzem dazu gelangen mußte. Indem er von den Niederlanden kam und nach Östreich eilte, um dieß den Ungern abzugewinnen, wozu er denn die Hülfe des Reiches schlechterdings bedurfte, legten sie ihm ihr Be- gehren vor und machten es zur Bedingung ihrer Bewilli- Ranke d. Gesch. I. 7 Erstes Buch . gungen. In Maximilian hatten sich, wie es häufig ge- schieht, eben im Angesicht der mißlichen Umstände, in die sein Vater gerathen war, entgegengesetzte Maximen ent- wickelt; alles lag ihm an den Erfolgen des Augenblicks; er war ein junger Mann, der noch auf das Glück zählte; und das Heil des Kaiserthums nicht grade in dem Fest- halten einzelner Gerechtsame sah. Er begann seine Thätig- keit in den Reichsgeschäften an dem ersten Reichstag, wo er erschien, zu Nürnberg 1489 damit, daß er die Unter- stützung die ihm das Reich zusagte, mit bereitwilliger Nach- giebigkeit in Hinsicht des Gerichtes erwiederte. Zwar konnte er nur versprechen, bei seinem Vater alles zu thun, daß das Kammergericht so bald als möglich nach dem eingegebe- nen Plane eingerichtet werde: was er, wie sich voraussehen ließ, doch nicht durchsetzte; aber dadurch war er auf jeden Fall für seine eigne Person moralisch gebunden: es war immer ein erster Schritt, wiewohl der Erfolg davon noch in der Ferne lag: die Zusage ward in den Reichsabschied aufgenommen. Muͤller VI, p. 171. Eine Registratur von diesem Reichs- tag in den Frankf. AA. Bd XIII. In diesem Puncte erscheint jetzt das wichtigste In- teresse der Reichsverwaltung. Alle innere Ordnung hieng von der Autorität des obersten Gerichtes ab. Es war von der höchsten Wichtigkeit, daß es der Willkühr der kaiserli- chen Macht entzogen, den Ständen wesentliche Theilnahme an der Einrichtung desselben zugestanden würde. Dazu war doch nun wenigstens eine gegründete Aussicht vorhan- den, ein Anfang gemacht. Grundlegung einer neuen Verfassung . Auch empfieng Maximilian nunmehr die Hülfe, deren er zur Herstellung der östreichischen Macht bedurfte. Wäh- rend einer der tapfersten Fürsten, genannt der rechte Arm des Reiches, Albrecht von Sachsen die widerspenstigen Niederlande allmählig wie er sich ausdrückt „zu Frieden brachte,“ Aus einem Schreiben Albrechts an seinen Sohn bei Lan- genn: Herzog Albrecht p. 205. eilte er selbst nach seinen angestammten Län- dern. Da hatte vor kurzem der alte Erzherzog Sigmund von Tirol sich bewegen lassen, die ihm anvertraute Toch- ter des Kaisers an Herzog Albrecht von Baiernmünchen zu vermählen und diesem sogar Hofnung gemacht, Tirol und die Vorlande an ihn zu vererben. Jetzt bei der An- kunft Maximilians erwachte in dem kinderlosen gutmüthi- gen Greise die natürliche Zärtlichkeit gegen den blühenden männlichen Stammesvetter; er erinnerte sich jetzt mit Freu- den daß diesem das Land von Rechtswegen zukomme, und entschloß sich, es ihm auf der Stelle zu überlassen. In demselben Moment starb auch König Matthias von Un- garn, der noch immer in Besitz von Östreich war. Das Land athmete auf, als nun der rechtmäßige junge Fürst mit der Hülfe des Reiches und seinen eignen Söldnern im Felde erschien, die Ungern vor sich hertrieb, Wien von ihnen befreite, und sie sogleich in ihre Heimath verfolgte. Privatleute verzeichneten diese Ereignisse unter den glücklich- sten ihres Lebens in ihren Tagebüchern; Diarium Joannis Tichtelii bei Rauch: Scriptt. Rer. Au- striacarum II, 559. Viermal schreibt er den Namen Maximilian hinter einander: er kann sich nicht satt daran schreiben. eine verpfändete 7* Erstes Buch . Landschaft brachte selbst die Pfandsumme auf, um wieder dem alten Herrn anzugehören. Von so entschiedenem Einfluß auf die Herstellung der östreichischen Macht war das Einverständniß Maximilians mit den Reichsgewalten. Es hatte aber zugleich eine an- dre große Wirkung in Bezug auf die Herbeibringung eines der bedeutendern Fürsten und auf die Consolidation aller innern Angelegenheiten. Die Herzoge von Baiern hielten sich jener dem Kaiser aufgedrungenen Verwandtschaft zum Trotz zu der Opposi- tion von Östreich, zu dem römischen Stuhl und König Mat- thias. In der Fasten 1482 beschlossen Albrecht und Georg „mit ihr beder Landschaft daß man ohne Gunst des h. Vaters dem Kaiser wider Koͤnig Matthias nit helfen sollte.“ Anonyme gleichzeitige Chro- nik in Freiberg Sammlung historischer Schriften und Urkk. I, 159. Alle diese Verhaͤltnisse verdienten eine genauere Eroͤrterung. Denn nicht so spaͤt wie man glaubt, begann ein System der neuern Staaten. Aus Hagek Boͤhmischer Chronik p. 828 ergiebt sich, daß die Boͤhmen es nicht dulden wollten, daß man sie von der Wahl Maximilians aus- geschlossen hatte. Sie verbuͤndeten sich mit Matthias und zogen Po- len in diesen Bund (Pelzel Gesch. v. Boͤhmen I, 494.) Die Ge- sandten des Matthias suchten bie italienischen Fuͤrsten in Bewegung zu setzen ( Philippus Bergomas Supplementum Chronicorum p. 320). Frankreich gehoͤrte ebenfalls zu dieser Partei. Man sieht was es zu be- deuten hatte, daß sich Baiern daran anschloß. Die Augen der Herzoge waren unaufhoͤrlich bald nach der Lombardei bald nach den Niederlan- den gerichtet. Freiberg Geschichte der baierischen Landstaͤnde I, 655. Von einer dem Kaiser gegen den König zu leisten- den Hülfe wollten sie nichts wissen, besuchten die Reichs- tage nicht, nahmen die Beschlüsse derselben nicht an; viel- mehr griffen sie auf ihre eigne Hand gegen ihre Nach- barn um sich, erweiterten die Befugnisse ihrer Landgerichte, und bedrohten benachbarte Reichsstädte z. B. Memmingen Grundlegung einer neuen Verfassung . und Bibrach, wie denn Herzog Albrecht von München Regensburg bereits an sich gezogen hatte. Pfister Geschichte von Schwaben V, p. 272. Gleich bei der Erneuerung des Landfriedens i. J. 1487 sah man ein, daß an die Behauptung desselben nicht zu den- ken sey, wofern man nicht diesem einseitigen und gewalt- samen Verfahren ein Ende mache. Dieß war der nächste und unmittelbar dringende An- laß, auf welchen unter Vermittelung des Kaisers Gleich in seinem ersten Ausschreiben giebt der Kaiser als Zweck des Bundes an, daß die Staͤnde „bei dem heiligen Reiche und ihren Freiheiten bleiben.“ Datt de pace pub. 272. Wer sollte glau- ben, daß wir fuͤr die Geschichte dieses wichtigsten aller fruͤheren Buͤnde noch immer hauptsaͤchlich auf Datt angewiesen sind? und einiger vorwaltenden Fürsten der schwäbische Bund im Fe- bruar 1488 geschlossen ward. Zunächst vereinigten sich die Ritterschaft, welche das Jahr zuvor ihre alte Verbin- dung St. Georgenschilds erneuert hatte, und die Städte. Sie versprachen einander sich gegen Fremde, die ihnen aus- ländische (nicht schwäbische) Rechte aufdrängen oder sie sonst beleidigen würden, gemeinschaftlich zur Wehre zu setzen. Um aber dabei vor eigenen Irrungen sicher zu seyn, und zugleich den verkündigten Landfrieden zu halten — denn diese allgemeinere Absicht trat von allem Anfang hinzu, und gab der ganzen Vereinigung einen rechtlichen Anhalt — beschlos- sen sie, ihre innern Zwistigkeiten immer durch schiedsrichter- lichen Ausspruch zu schlichten und stellten einen aus beiden Theilen gleichmäßig gewählten Bundesrath auf. Sehr bald traten benachbarte Fürsten, zunächst Wirtenberg und Bran- denburg, zu diesem Bunde und bildeten, Rittern und Städ- Erstes Buch . ten gegenüber, eine dritte Genossenschaft, welche an dem Bundesrath gleichmäßig Antheil nahm, sich dem Ausspruch der Schiedsrichter unterwarf und für den Fall eines Krie- ges ihren Theil an der beschlossenen Hülfe ins Feld zu stellen versprach. Eben hier, wo so vorzugsweise der Heerd der alten Entzweiungen gewesen, bildete sich eine festge- schlossene Vereinigung von Ständen, welche den Ideen des Landfriedens und des Reiches eine großartige Repräsenta- tion gab, zunächst hauptsächlich darum, um dem Um-sich- greifen der Baiern Widerstand zu leisten. Herzog Albrecht hielt sich nichts desto minder in trotziger Absonderung, und auch der Kaiser, auf den neuen Bund vertrauend, wollte von keiner Aussöhnung hören, ehe nicht der Stolz des Her- zogs gedemüthigt worden. Es kam endlich so weit daß man zu den Waffen griff. Im Frühjahr 1492 sammelten sich die Schaaren des Bundes und des Reiches auf dem Lechfeld. Friedrich von Brandenburg, dem lange „das Wamms heiß war wider Baiern“ führte das Reichsban- ner: Maximilian selbst war zugegen. Albrecht in diesem Augenblicke von seinen Verwandten verlassen, mit seiner Ritterschaft in Fehde, fühlte daß er eine so überlegene Macht nicht bestehen konnte; er gab die Opposition auf, die er bisher behauptet, bequemte sich Regensburg herauszugeben, und auf alle Ansprüche aus den Verschreibungen Siegmunds Verzicht zu leisten. Nach und nach ward dann auch der alte Kaiser begütigt, und hieß seinen Eidam, seine Enke- linnen bei sich willkommen. Albrecht fand es nach einiger Zeit rathsam selbst in den schwäbischen Bund zu treten. Wir sehen: die Regierung Friedrichs III war mit Grundlegung einer neuen Verfassung . nichten so unbedeutend wie man wohl anzunehmen pflegt. Namentlich seine letzten, so bedrängten Jahre waren reich an großen Erfolgen. Da war einmal die habsburgische Macht durch den Besitz von Östreich und Niederland zu einer neuen europäischen Bedeutung gekommen; auch die An- sprüche auf Ungern waren in einem kurzen Feldzug Maxi- milians zur Anerkennung gebracht worden. Der Tractat von Oͤdenburg 1463 29 Juli hatte dem Hause Oͤstreich schon die Erbfolge nach Ausgang der Hunyads zugesichert. Der neue Tractat 1491 Montag nach S. Leonh. 7 Nov. erneuerte dieß Recht fuͤr den Abgang der maͤnnlichen Descendenz Wladislaws. Dann wa- ren die innern deutschen Feindseligkeiten im Ganzen besei- tigt. Der schwäbische Bund gewährte dem Hause Östreich einen gesetzlichen Einfluß auf Deutschland, wie es ihn seit Albrechts I Zeiten nicht besessen. Die Reichstage waren zu geordnetern Formen gelangt; der Landfriede begründet und ziemlich befestigt; zur Ausbildung der gesammten Ver- fassung waren lebensvolle Anfänge vorhanden. Wie diese sich nun entwickeln würden, hieng besonders von der Hal- tung Maximilians ab; der jetzt mit dem Tode seines Va- ters (19 Aug. 1493) die Verwaltung des Reiches erst wahrhaft in seine Hände nahm. Reichstag zu Worms 1495. Schon längst waren Ideen in allgemeinen Umlauf ge- setzt und Vorschläge gemacht worden, von noch weiter rei- chenden großartigern Tendenzen. Einer der merkwürdigsten rührt von Nicolaus von Kus her, dessen weltumfassender, in den mannichfaltigsten Zwei- Erstes Buch . gen neue und wahre Aussichten ahnender Geist sich einst zur Zeit des Baseler Conciliums, auch der innern Politik des Reiches mit Hingebung und Scharfsinn widmete. Er gieng von der Wahrnehmung aus, daß man die Kirche nicht verbessern könne, wenn man nicht das Reich reformire: wie man denn diese Gewalten niemals, eine ohne die andre, denken konnte. Nicolai Cusani de concordantia catholica libri III. In Schardius Sylloge de jurisdictione imperiali f. 465. Da dringt er nun aber, obwohl ein Geistlicher, doch sehr lebendig auf die Emancipation der weltlichen Gewalt. Er will nichts wis- sen von einer Übertragung des Kaiserthums durch das Papst- thum; auch jenem schreibt er mystische Beziehungen zu Gott und Christus, unbedingte Unabhängigkeit, ja das Recht und die Pflicht zu, auch seinerseits an der Regierung der Kirche Theil zu nehmen. Zunächst will er dann die durch die Competenzen der geistlichen und weltlichen Gerichtsbar- keit entstehenden Verwirrungen abgestellt wissen. Er bringt Obergerichte in Vorschlag, jedes mit einem adlichen, einem geistlichen und einem bürgerlichen Beisitzer, zugleich um die Appellationen von den untern Gerichten zu empfangen Lib. III, c. XXXIII: pronunciet et citet quisque judicum secundum conditionem disceptantium personarum, nobilis inter no- biles, ecclesiasticus inter ecclesiasticos, popularis inter populares: nulla tamen definitiva feratur nisi ex communi deliberatione omnium trium. Si vero unus duobus dissenserit, vincat opinio majo- ris numeri. Man duͤrfte nicht glauben, daß nicht auch die deutschen Rechtsgewohnheiten viele Klagen veranlaßt haͤtten. Hier heißt es: und die Streitigkeiten der Fürsten unter einander in erster Instanz zu entscheiden: nur seyen dabei die Rechts-Gewohnheiten mit der natürlichen Gerechtigkeit in bessern Einklang zu setzen. Reichstag zu Worms 1495. Vor allem aber erwartet er Wiederbelebung der Autori- tät, Einheit und Macht des Reiches von der Einrichtung jährlicher Reichsversammlungen. Denn das sieht er wohl, daß von der kaiserlichen Gewalt allein Resultate dieser Art nicht mehr erreicht werden konnten. Entweder im Mai oder im September müsse eine allgemeine Ständeversamm- lung etwa zu Frankfurt Statt finden, um obwaltende Ent- zweiungen auszugleichen und die allgemeinen Gesetze zu ver- fassen: jeder Fürst müsse dieselben unterschreiben, besiegeln und sich bei seiner Ehre verpflichten sie zu halten. Er ist davon erfüllt, daß sich dem auch kein Geistlicher entziehen dürfe, wolle er anders an den weltlichen Herrschaften Theil haben, deren Verwaltung vor allen Dingen zum Besten des Gemeinwesens einzurichten sey. Da hat er nun aber ferner die Idee: um Friede und Recht ernstlich handhaben, die Widerstrebenden züchtigen zu können, müsse man eine stehende Truppe halten; denn wozu helfe ein Gesetz ohne Strafgewalt? Er meint, von dem Ertrage der so vielen Einzelnen verliehenen Zölle möge ein Theil dem Reiche vorbehalten, ein Schatz daraus gesammelt, in jener Versammlung alle Jahr über dessen Verwendung be- schlossen werden. Dann werde es keine Gewaltsamkeiten mehr geben; jeder Bischof werde sich den geistlichen Pflich- ten widmen können: Ruhe, und Blüthe und Macht werde wiederkehren. Saepe simplices pauperes per cavillationes causidicorum extra cau- sam ducuntur, et a tota causa cadunt, quoniam qui cadit a syl- laba, cadit a causa: ut saepe vidi per Treverensem dioecesim accidere. Tollantur consuetudines quae admittunt juramentum contra quoscunque et cujuscunque numeri testes. (III, c. 36.) Erstes Buch . Es läßt sich nicht läugnen, daß er damit Gedanken anregte, auf deren Ausführung es eben ankam. Die Ideen welche die Welt in Bewegung setzen sollen, kündigen sich immer erst in einzelnen hervorleuchtenden Geistern an. Im Laufe der Zeiten trat man nun ihrer Ausführung auch von Seiten der Reichsgewalten näher. Schon 1486 ist ein dahin zielender Entwurf vorgekom- men, den ich jedoch nicht gesehen habe. Dagegen findet sich im Dresdner Archiv ein Rathschlag vom Jahr 1491, in welchem man, nicht mehr zufrieden mit den Entwürfen zum Kammergericht, eine gemeinschaftliche Reichsregierung und Kriegsverfassung, ziemlich übereinstimmend mit den Ideen des Nicolaus von Kus in Antrag bringt. Eine jedes Jahr wiederkehrende Reichsversammlung sollte die wichtigsten Ge- schäfte der allgemeinen Regierung besorgen; eine jeden Au- genblick zum Schlagen fertige Kriegsmacht sollte aufgestellt werden, nach sechs Kreisen, in die das Reich einzutheilen wäre, unter zwölf Hauptleuten. Mit der Thronbesteigung eines jungen geistreichen Für- sten nun, durch welche an die Stelle jener unüberwindli- chen Apathie des alten Kaisers Beweglichkeit und Neigung zu Neuerungen in der obersten Gewalt zur Herrschaft ka- men, traten auch Umstände ein, welche alle Ideen dieser Art in dem Oberhaupt und den Ständen beleben, erwei- tern mußten. Maximilian selbst hatte sich so eben über einige sehr per- sönliche Beleidigungen des König Carl von Frankreich zu be- klagen. Dieser Fürst hätte sich in Kraft eines Friedensschlus- ses mit der Tochter Maximilians vermählen sollen: und sie Reichstag zu Worms 1495. war, bis sie zu den Jahren der Reife käme, schon französischer Obhut anvertraut worden: er schickte sie jetzt zurück. Da- gegen hatte sich Maximilian mit der Prinzessin und Er- bin von Bretagne verlobt: schon mancherlei weitaussehende Plane gründete man in Deutschland auf diese Verbindung: man dachte auch dieses Land in die Einrichtungen zu zie- hen, die man für das Reich beabsichtigte; Carl VIII brachte die junge Fürstin in seine Gewalt und nöthigte ihr seine eigne Hand auf. Der alte Kaiser sagt in seinem Ausschreiben 4ten Juny 1492. Wir — lieber von dieser Welt seligklich scheiden, dann einen solchen unkristlichen snoden Handel ungestrafft beleiben und das heil. Reich und deutsche Nation in diesen lesterlichen und unwiederpringlichen Vall bei unserer Regierung wachsen lassen wolten. Und gleich darauf wurden die Rechte des Reichs unmittelbar von diesen Feindseligkeiten berührt. Indem Maximilian sich vorbereitete, zu seiner Krönung nach Rom zu gehen, und sich mit der Hofnung trug, das kai- serliche Ansehn überhaupt in Italien wiederherzustellen, dran- gen die Franzosen, ihm zuvorkommend, von der andern Seite her über die Alpen, durchzogen Italien unaufgehal- ten von dem Norden nach dem Süden, und eroberten Nea- pel. Es läßt sich nicht sagen, daß Carl VIII nun auch wirklich nach der kaiserlichen Krone gestrebt habe; aber un- leugbar ist es doch, daß eine Macht, wie er sie durch den Gang und das Gelingen dieser Unternehmung über ganz Italien hin erwarb, sich der Herstellung einer Autorität des deutschen Kaiserthums dort unmittelbar in den Weg stellen mußte. Gereizt durch so mannichfaltige Unbill, durchdrungen von der Nothwendigkeit den Franzosen Widerstand zu lei- Erstes Buch . sten — mit dem unläugbaren Rechte, Hülfe zu seinem Rom- zug von den Ständen zu verlangen — von seinen italie- nischen Verbündeten überdieß angetrieben, erschien nun Ma- ximilian zu Worms und eröffnete am 26 März seinen er- sten Reichstag mit einer Darstellung der europäischen Ver- hältnisse. „Sehe man dem Beginnen der Franzosen län- ger zu, so werde das heil. römische Reich der deutschen Na- tion entzogen, Niemand bei seiner Ehre Würde und sei- nen Freiheiten gelassen werden.“ Er wünschte die ganze Macht des Reiches aufzurufen und in diesen Kampf fort- zureißen. Außer einer eilenden Hülfe, um den Widerstand in Italien aufrecht zu erhalten, forderte er auch eine be- harrliche, eine feste Kriegseinrichtung auf die nächsten zehn bis zwölf Jahre, um allenthalben sich vertheidigen zu kön- nen „wo etwas zum Abbruch des heil. Reiches vorgenom- men werde.“ Mit ungestümem Eifer drang er darauf: er befand sich in einer Lage, in der die allgemeinen Interessen zugleich seine persönlichen wurden. Auch die Stände, die sich so zahlreich wie jemals ver- sammelt, waren von der Nothwendigkeit den Franzosen zu widerstehen, durchdrungen. Einmal aber sahen sie die Sache kälter an, und sodann fanden sie den Anfang einer neuen Regierung, die ihnen schon verpflichtet, und jetzt einer nach- drücklichen Hülfleistung bedürftig war, sehr geeignet, um ihre Verbesserungsideen durchzusetzen, die innern Verhält- nisse endlich einmal wirklich in Ordnung zu bringen. Die kriegerischen Forderungen des Königs erwiederten sie mit einem der umfassendsten Entwürfe, die je für die Verfas- sung des Reiches gemacht worden sind. Reichstag zu Worms 1495. Auch sie giengen dabei von der Nothwendigkeit aus, eine nachhaltige Kriegsverfassung zu gründen, aber sie fan- den das verfallende Lehussystem nicht mehr dazu tauglich, sie hielten für besser eine allgemeine Auflage, den gemeinen Pfennig einzuführen. Nicht nach den verschiedenen Terri- torien, sondern nach der Kopfzahl aller Reichsangehörigen sollte diese Auflage erhoben werden. Ihre Verwendung aber sollte dann nicht dem König anheimfallen, sondern ei- nem Reichsrathe überlassen bleiben, den man aus ständischen Mitgliedern, die Städte eingeschlossen, zu errichten dachte. Überhaupt bestimmte man diesem Rathe die größten Be- fugnisse. Er sollte das Recht vollstrecken, Ungehorsam und Aufruhr dämpfen, für die Herbeibringung der abge- kommenen Reichslande sorgen, den Widerstand gegen die Türken und andre Widersacher des h. Reiches und deut- scher Nation leiten: man sieht: er sollte die Summe der Regierung in seiner Hand haben. S. den ersten Entwurf, welchen der Churfuͤrst v. Mainz erst dem Koͤnig dann den Staͤdten mittheilte. Protocoll bei Datt de pace publica p. 830. Es ist dasselbe Protocoll das sich in den Frankfurter Acten Bd XV findet. Und zwar war ihm dafür ein hoher Grad von Unabhängigkeit zugedacht. Zwar sollte er für die wichtigsten Sachen das Gutachten des Kö- nigs und der Churfürsten einholen, und der Revision der letztern unterworfen seyn; übrigens aber sollten die Mit- glieder des Eides, mit dem sie dem König und den Stän- den verwandt seyen, erledigt werden und nur nach der Pflicht ihres Amtes zu handeln haben. Das letzte ist eine Bestimmung des erweiterten Entwurfs: p. 838 nr. 17: „Sollen dieselben President und Personen des vor- Erstes Buch . Ideen, die einen sehr lebendigen Gemeingeist verrathen. Denn keineswegs der König allein wäre hiedurch beschränkt worden. Die allgemein vaterländischen Interessen hätten eine Repräsentation empfangen bei welcher keine Absonde- rung hätte bestehn können. Wie sehr läuft schon der Ge- danke einer allgemeinen Reichsauflage, durch die Pfarrer zu sammeln und von diesen den Bischöfen zu überantwor- ten, der Entwickelung der Territorialhoheit entgegen. Wer von allen wäre so mächtig gewesen, sich einer Reichsge- walt zu widersetzen, wie diese hätte werden müssen! Zunächst aber wäre doch die Gewalt des Königs, zwar nicht die welche er in den gewöhnlichen Verwirrun- gen ausübte, aber die welche er für bessere Zeiten in An- spruch nahm, beschränkt worden. Es kam nun darauf an, was er zu diesem Entwurfe sagen würde. Lange ließ er auf seine Antwort warten. Die Belehnungen die er ertheilte, die ritterlichen Festlich- keiten die von ihm oder für ihn veranstaltet wurden, die mancherlei Sessionsirrungen deutscher Fürsten die er beizu- legen hatte, beschäftigten ihn vollauf. Erst am 22sten Juny trat er mit seiner Antwort hervor, die er für eine Verbes- serung des Entwurfes ausgab. Betrachtete man sie aber näher, so hob sie denselben vollständig auf. Er hatte an- fangs gesagt, er wolle den Entwurf annehmen vorbehalten seine oberherrlichen Rechte, jetzt zeigte sich, daß er diese in jedem Artikel verletzt glaubte. Ich will ein Beispiel gemeldten Rathes aller Geluͤbd und Aide — damit sie uns oder inen (denen von welchen sie gesetzt worden) verbunden oder verstrickt waͤren, genntzlich ledig seyn. — Reichstag zu Worms 1495. seiner Veränderungen anführen. Der Entwurf hatte unter andern, weil Friedrich und Maximilian unaufhörlich neue Zölle bewilligten, den Reichsrath angewiesen, darauf zu sehen, daß kein neuer Zoll ohne Vorwissen der Churfürsten aufgerichtet werde. Die Abänderung des Artikels enthielt, der Reichsrath selbst solle sich hüten, einen neuen Zoll auf- zurichten ohne Vorwissen des Königs. Sonderbar wie man eine so entschieden abschlägliche Antwort als Verbesserung eines Entwurfes ankündigen konnte; aber das ist die Sitte, die Höflichkeit jener Zeit; der Gegensatz ist in den Gemüthern deshalb nicht weniger lebhaft. Auf dem Reichstag nahm eine sehr merkliche Ver- stimmung überhand. Der König berief eines Tages die ihm am genauesten befreundeten Fürsten Albrecht von Sach- sen, Friedrich von Brandenburg, Eberhard von Würtem- berg, um mit ihnen über die Behauptung seiner höchsten Würde zu Rathe zu gehen. Notiz aus dem Berliner Archiv, das jedoch uͤber diesen Reichstag nur fragmentarische Bemerkungen enthaͤlt. Dergestalt stellten sich gleich im Anfang dieser Regie- rung die Absichten des Königs und die Absichten der Stände einander sehr entschieden gegenüber. So viel sah wohl am Ende jeder Theil, daß er auf seinem Weg nicht zum Ziel kommen würde. Maximilian wurde inne, daß er keine Be- willigung erhalten werde, ohne Zugeständnisse. Die Stände sahen, daß sie wenigstens für dieß Mal mit ihrem Regi- ment nicht durchdringen würden. Spaͤtere Erklaͤrung des Churf. Berthold von Mainz bei Datt p. 871. Daruf waͤre erst fuͤrgenommen ain Ordnung im Reich aufzurichten und Sr ko. Mt furgehalten, darab S. M. etwas Be- Indem man nun auf Erstes Buch . eine Vermittelung dachte, kam man auf die schon unter Friedrich III begonnenen Versuche zurück. Zuerst setzte man den Landfrieden fest, der diesen Reichs- tag so berühmt gemacht hat. Betrachten wir ihn genauer, so ist er zwar in seinen nähern Bestimmungen eher noch minder friedlich als die ältern, indem er z. B. ein zuletzt beschränktes Recht, daß der Beschädigte sich eigenmächtig in den Besitz eines Pfandes setzen dürfe, wiederherstellt; al- lein er hat den Vorzug daß er nicht auf eine Anzahl Jahre sondern auf immer gelten soll. Den gesetzlichen Vorbe- halt der Möglichkeit einer Rückkehr zu dem alten Faustrecht gab man damit wirklich auf. Dann nahm man die Sachen des Kammergerichts vor. Maximilian behandelte das höchste Gericht bis da- hin ganz wie sein Vater; ließ es seinem Hofe folgen: 1493 nach Regensburg, 1494 nach Mecheln, Antwerpen, 1495 war es mit ihm in Worms. Allein wir wissen, daß er durch seine Zugeständnisse von 1489 bereits gebun- den war. Als ihm jetzt die Vorschläge vorgelegt wurden die einst seinem Vater gemacht worden, fand er sich bewo- gen sie anzunehmen. Mit welchem Grunde hätte er auch eine Einrichtung von sich weisen können, zu deren Begründung er einst nach Kräften beizutragen so feierlich übernommen hatte. swaͤrung und Mißfallens gehabt, hetten die Stende davon gestanden. Ob Muͤller Rth. unter M. I, 329 mit Recht behauptet, daß noch ein zweiter Entwurf aͤhnlicher Art eingereicht worden, worauf sich Maxi- milian erboten, statt des Reichsraths einen Hofrath zu machen, muß ich dahin gestellt seyn lassen. Es wuͤrde am Ende doch nur ein an- derer evasiver Vorschlag gewesen seyn. Reichstag zu Worms 1495. hatte. Es war das aber eins der größten Ereignisse der Reichsgeschichte. Maximilian willigte ein, daß das Gericht auf die statutarischen Rechte Rücksicht zu nehmen, sich mit bestimmten Sporteln zu begnügen habe; vor allem, er über- ließ dem Richter das Aussprechen der Reichsacht in sei- nem Namen, ja er verpflichtete sich, von der einmal er- gangenen Acht ohne Einwilligung des Beschädigten nicht loszuzählen. Wenn man bedenkt, daß die richterliche Ge- walt wohl das vornehmste Attribut des Kaiserthums war, so sieht man wie viel dieser Schritt zu bedeuten hat. Und nicht genug, daß das höchste Reichsgericht von der Willkühr befreit ward, von der es bisher so viel leiden müssen: son- dern es ward auch von den Ständen besetzt. Der König ernannte nur den Vorsitzenden, den Kammerrichter; die Beisitzer wurden von den Ständen präsentirt; auch die Städte empfiengen zu ihrer großen Freude die Aufforde- rung einige Personen in Vorschlag zu bringen; es ward ein Ausschuß ernannt, um die Präsentationen anzunehmen. Notiz aus einem spaͤtern Schreiben bei Harpprecht Staats- Archiv des Reichskammergerichts II, p. 249. Die spätern Rechtskundigen haben gestritten, ob das Ge- richt seinen Gerichtszwang allein von dem Kaiser empfan- gen habe, oder zugleich von den Fürsten: so viel ist offen- bar, daß es seinen ganzen Charakter veränderte und aus einem kaiserlichen ein vorzugsweise ständisches Institut wurde. Daraus folgte denn auch, daß es nicht mehr mit dem Hofe wandern, sondern an Einem Ort im Reich unabänderlich die festgesetzten Gerichstage halten sollte. Dieses große Zugeständniß erwiederten die Stände nun Ranke d. Gesch. I. 8 Erstes Buch . mit einer Bewilligung des gemeinen Pfennigs, auf dessen Ertrag sie dem König, dem für seine italienischen Verhält- nisse darauf unendlich viel anzukommen schien, sogleich eine Anleihe aufzunehmen gestatteten. Die Auflage selbst ist eine Mischung von Kopfsteuer und Vermögenssteuer, noch nicht viel anders, als wie sie einst von den Königen von Jerusa- lem eingefordert und auch in jenen Zeiten schon dann und wann in Deutschland, z. B. 1207 von König Philipp in Antrag gebracht worden war. In dem 15ten Jahrhun- dert war ihrer schon öfter Erwähnung geschehen, bald um sie gegen die Hussiten, bald um sie gegen die Türken zu ver- wenden. Jetzt ward sie folgendermaaßen bestimmt. Von fünfhundert Gulden sollte ein halber, von 1000 immer ein ganzer Gulden gezahlt werden; von den minder Besitzen- den sollten immer 24 Personen, Niemand ausgenommen, Männer und Frauen, Priester und Laien, Alle die über funfzehn Jahr alt, einen Gulden aufbringen; die Reichern sollten nach ihrem Ermessen zahlen. Noch konnte sich die Auflage wie früher nicht ganz von dem Begriff des Al- mosens los machen: die Pfarrer sollten das Volk auf den Kanzeln ermahnen, etwas mehr zu geben, als was man fordere; noch war die ganze Einrichtung höchst unvollkom- men. Ihre Bedeutung lag nur darin, daß es eine, wie der Gang der Verhandlungen bewies, ernstlich gemeinte allgemeine Reichsauflage war: zugleich zu friedlichen und zu kriegerischen Zwecken bestimmt, mit der man das Kam- mergericht zu erhalten, die italienische Hülfe zu bestreiten und ein Kriegsheer gegen die Türken aufzustellen dachte. Es entsprach dem Sinn einer Reichsauflage, daß Reichstag zu Worms 1495. man Reichsschatzmeister ebenfalls von den Ständen wäh- len ließ, welche das Geld von den überall aufzustellenden Commissarien einziehen sollten. Maximilian machte sich an- heischig, in den östreichischen und den burgundischen Land- schaften den gemeinen Pfennig nach denselben Normen ein- zufordern: und zwar allen Andern hierin mit seinem Bei- spiel voranzugehn. Noch viel weniger aber, als die Einsammlung konnte nun die Verwendung des Geldes dem König überlassen werden. Nachdem man den Vorschlag eines Reichsrathes hatte fallen lassen, kam man zu diesem Zweck auf die Idee einer jährlich zu wiederholenden Reichsversammlung zurück, wie sie schon von Nicolaus von Kus und dann in jenem Entwurf von 1491 vorgeschlagen worden. Alle Jahr, am ersten Februar, sollte diese Versammlung zusammentre- ten: die wichtigsten Berathungen über innere und äußere Geschäfte sollten ihr vorbehalten bleiben. Ihr sollten die Reichsschatzmeister das eingegangene Geld überliefern; nur sie sollte entscheiden wie dasselbe zu verwenden sey; weder der König noch auch dessen Sohn sollte einen Krieg be- ginnen dürfen, ohne ihr Gutachten; jede Eroberung sollte dem Reiche verbleiben. Handhabung Friedens und Rechtens zu Worms aufgericht, bei Muͤller Rth. Mar. J. p. 454. Auch für die Handhabung des Landfriedens ward ihr eine entscheidende Befugniß zugetheilt. Die Frage war, wenn nun das unabhängig gewordene ständische Gericht die Acht ausgesprochen habe, wem dann die Execution desselben zustehen sollte. Der römische Kö- nig hatte gewünscht, daß man sie ihm überlassen möge. 8* Erstes Buch . Die Stände, ihrem Prinzip gemäß, übertrugen sie dieser ihrer Reichsversammlung. Man sieht wohl, wie die Stände, obwohl sie von ihrem ersten Plan abstanden, doch die Idee auf welcher derselbe beruhte, immer im Auge behielten. In dem Wider- streit königlicher und ständischer Interessen neigte sich das Übergewicht doch offenbar auf die ständische Seite. Maxi- milian hatte sich zu beklagen, daß man ihm dieß persön- lich zu fühlen gegeben, daß man ihn hatte abtreten, vor der Thüre warten lassen, bis der Beschluß gefaßt war. Auch war er oft geneigt den Reichstag aufzulösen, und nur das Bedürfniß einer neuen Bewilligung, die man ihm denn auch machte, hielt ihn davon zurück. Diese zweite Bewilligung betrug 150000 G. „Damit S. Koͤnigl. Gnad unserm h. Vater Papst, und Italien, bis der gemein Pfennig einbracht werde, dester stattlicher Huͤlfe thun moͤchte.“ Um das Anlehen einzubringen, sandte der Koͤnig Gesandte an einzelne Staͤnde; z. B. den Fuͤrst Magnus von Anhalt und Dr Heinr. Friese an den Abt von Fulda, der 300 G., die beiden Grafen von Hanau, die 500 G., den Grafen von Eisenberg, der 300 G., die Stadt Frei- berg, die 400 G., und die Stadt Frankfurt, die 2100 G. zahlen sollte. Instruction im Comm. Archiv zu Dessau. Am 7ten Au- gust nahm er die Entwürfe wie sie zuletzt gefaßt worden an. Es ist in ihnen ein großartiger Zusammenhang. Alle Deutsche wurden noch einmal sehr ernstlich als Reichs- unterthanen betrachtet; Lasten und Anstrengungen sollten ihnen sämmtlich gemeinsam seyn. Verloren die Stände hiedurch an ihrer Unabhängigkeit, so empfiengen sie dafür, nach ihrer alten Gliederung und ihrem Range, gesetzliche Theilnahme wie an dem höchsten Gericht, so auch an der Regierung. Der König selbst unterwarf sich diesen Anord- Reichstag von Lindau 1496. nungen, dieser Gemeinschaft. Die höchste Würde, die Prä- rogativen eines obersten Lehensherrn verblieben ihm unver- kürzt; in allen Geschäften aber sollte er doch eigentlich nur als der Vorsitzer des reichsständischen Collegiums be- trachtet werden. Es war eine Mischung von Monarchie und Bundesgenossenschaft, in der jedoch dieses zweite Ele- ment offenbar vorwaltete, eine Einung in der Form der alten Hierarchie des Reichs. Für die gesammte Zukunft von Deutschland war es nun von hoher Wichtigkeit ob diese Entwürfe auch aus- geführt werden würden. Beschlüsse, zumal von so durchgreifender Art, lassen sich doch nur für Absichten halten; Ideen, denen eine Ver- sammlung ihren Beifall gegeben, zu deren Vollziehung aber noch ein weiter Weg ist. Es ist der Grundriß eines Ge- bäudes, das man aufzurichten Willens ist, doch fragt sich noch erst, ob man die Kraft und die Mittel dazu ha- ben wird. Schwierigkeiten. Reichstag von Lindau 1496. Für die Ausführung der Beschlüsse des Reichstags lag ein großes Hinderniß schon in der Mangelhaftigkeit seiner Zusammensetzung. Eine ganze Anzahl mächtiger Stände war nicht zugegen gewesen, und da die Verbind- lichkeit von Beschlüssen einer Versammlung an der man nicht selbst Theil genommen, noch keinesweges entschieden war, so mußten mit den Abwesenden besondre Verhand- lungen eröffnet werden. Unter andern ward der Churfürst Erstes Buch . von Cölln beauftragt, mit den ihm nächstgesessenen Bischö- fen, von Utrecht Münster Osnabrück Paderborn und Bre- men, der Churfürst von Sachsen mit Lüneburg Gruben- hagen Dänemark zu unterhandeln, und es war nicht so unbedingt gewiß, was sie ausrichten würden. Es findet sich auch dieß Mal ein Artikel worin man die Möglich- keit voraussetzt daß Jemand nicht in dem Landfrieden seyn wolle. Abschied und Bevehle bei Muͤller 459. Ein noch wichtigerer organischer Mangel war, daß die Ritterschaft an dem Reichstag keinen Theil nahm. Es ist offenbar, daß die großartige Entwickelung zu welcher die ständische Verfassung in England gediehen ist, großentheils auf der Vereinigung des niedern Adels und der Städte in dem Unterhause beruht. In Deutschland war es das Herkommen nicht, den Adel zu den Reichstagen zu be- rufen. Aber daher kam es nun auch, daß er sich den Be- schlüssen der Reichstage, vor allem wenn es, wie jetzt, eine Auflage betraf, nicht fügen mochte. Noch im Dezember versammelten sich die fränkischen Ritter in Schweinfurt, und erklärten, sie seyen freie Franken, des Reiches von Adel, verpflichtet ihr Blut zu vergießen, auf den Kriegszügen mit ihrer mannlichen Jugend des Kaisers Krone und Scepter zu bewachen, nicht aber Auflagen zu zahlen, was ihrer Freiheit zuwiderlaufe und eine unerhörte Neuerung sey. Sie hatten hierin die Beistimmung aller ihrer Standes- genossen. In den verschiedenen Bezirken schloß man Ver- bindungen in diesem Sinne. Muͤller Rth. 688, 9. Reichstag von Lindau 1496. Wir bemerkten, wie vielen Werth man früher auf die geistliche Autorisation legte. Der Mangel derselben hatte jetzt zur Folge, daß die Äbte des Reiches sich weigerten die Autorität eines so rein weltlichen Gerichts wie das Kammergericht anzuerkennen. Andere Stände gab es, an deren Gehorsam sich über- haupt zweifeln ließ. Der Herzog von Lothringen erklärte, daß er außerhalb seiner eignen Gerichte vor Niemand sonst zu Rechte stehe, außer vor dem König allein. Die Eidgenossen machten zwar dem Reiche seine Oberhoheit und Gerichtsbarkeit damals noch nicht streitig, aber bei der ersten Anwendung derselben fühlten sie sich beleidigt und zum Widerstande gereizt. Der König von Polen er- klärte, Danzig und Elbing seyen polnische Städte, und wies alle Anmuthungen zurück, die ihnen von Seiten des Reiches gemacht wurden. Wie ein energisches Heilmittel den Organismus zunächst in allgemeine Aufregung setzt, so kamen indem man das Reich zu organisiren dachte, vorerst die bisher ruhenden Gegensätze in demselben zur Sprache. War nun aber von Seiten der Stände, zu deren Gunsten die Beschlüsse lauteten, ein so starkes widerstre- bendes Element vorhanden, was ließ sich von dem König erwarten, den sie beschränkten, dem sie aufgedrungen wor- den? Bei der Ausführung derselben war alles auf seine Theilnahme berechnet: er ließ unaufhörlich fühlen, daß er mit Widerstreben daran gieng. Allerdings richtete er das Kammergericht nach seinen neuen Formen ein. Am 3ten November hielt es seine erste Erstes Buch . Sitzung auf dem Großbraunfels in Frankfurt am Main. Excerpta ex collectaneis Jobi de Rorbach: bei Harpprecht II , 216. In den Fr. RA. findet sich noch ein Schreiben Arnold Schwartzenbergs an den Rath zu Frankf. Freitag nach Assumt. (21 Aug.) „Item uf Samstag U L F. Abend hat Graf Hug von Wern- berg nach mir geschickt, und vorgehalten, das Kammergericht werde gelegt gen Frankfurt, wo man ein Huß dazu bekommen mocht und ein Stuben daneben zum Gespreche.“ Der Preis fuͤr Fleisch und Fisch soll bestimmt, die Buͤrger sollen ermahnt werden sich gegen die Mitglieder zimlich und glimpflich zu verhalten. Am 21sten Februar übte es sein Recht in die Acht zu erklären zum ersten Mal aus: der Richter und seine Bei- sitzer, Doctoren und Edelleute, erschienen unter freiem Him- mel; der Achtzettel, durch welchen man den Verurtheilten „aus dem Frieden in den Unfrieden setzte,“ „sein Leib und Gut männiglich erlaubte,“ ward öffentlich verlesen und zer- rissen. Daran fehlte jedoch viel daß der König dem Gerichtshofe nun auch seinen freien Lauf gelassen hätte. Mehr als einmal gebot er mit den Processen inne zu hal- ten: er wollte nicht dulden daß sein Fiscal, wenn er Un- recht bekam, die gewöhnliche Strafe der Unterliegenden be- zahlte; er schickte einen Beisitzer aus den Niederlanden, den die übrigen nicht annehmen wollten, weil er nicht re- gelmäßig präsentirt war; für die Besoldung der Beisitzer sorgte er nicht, wie er für den Anfang verpflichtet war; den Präsidenten, Graf Eitelfriedrich von Zollern, den er wider den Wunsch der Stände, die einem andern den Vor- zug gaben, Dem Fuͤrsten Magnus von Anhalt: er sagt in einer seiner Noten selbst: Conventus me elegerunt, sed revocavit rex. gesetzt hatte, rief er doch gar bald wieder ab, weil er ihn in andern Geschäften brauche. Reichstag von Lindau 1496. Eben so wenig dachte er daran, den gemeinen Pfen- nig, wie er zugesagt, zuerst in seinem eignen Lande einsam- meln zu lassen. Zu der für den ersten Februar anberaum- ten Zusammenkunft erschien er nicht; sie kam gar nicht zu Stande. In den Fr. A. finden sich mehrere Schreiben um Herbergen z. B. von Juͤlich Coͤlln Mainz; aber auch zugleich ein Schreiben von Frankf. selbst Samstag nach Juvocavit, daß noch Niemand er- schienen sey. Man muß sich wundern daß man den Ruhm, die Reichsverfassung begründet zu haben, so lange und so all- gemein dem Könige beigemessen hat, dem die Entwürfe zu derselben aufgedrungen werden mußten, und der dann deren Ausführung bei weitem mehr verhinderte als begünstigte. Ohne Zweifel wäre alles zu Grunde gegangen, wäre dem Könige nicht ein Fürst entgegengetreten, der die vor- nehmsten Gedanken gefaßt, die Sache hauptsächlich so weit geführt hatte, und nun nicht gemeint war, sie so leicht fallen zu lassen; Churfürst Berthold zu Mainz, geborner Graf zu Henneberg. Roͤmhilder Linie, geb. 1442. Diplomatische Geschichte des Hauses Henneberg p. 377. Schon unter Friedrich III , in des- sen Dienste er ziemlich früh kam, hatte er an allen Ver- suchen, das Reich in bessere Ordnung zu bringen, thäti- gen Antheil: im J. 1486 war er Churfürst von Mainz geworden und seitdem an die Spitze der Stände getreten. Es giebt Männer, deren Daseyn in dem was sie thun, aufgeht; in ihren Studien und ihren Geschäften: da müs- sen wir sie aufsuchen wenn wir sie kennen lernen wollen: ihre Persönlichkeit an sich zieht die Beobachtung nicht auf Erstes Buch . sich. Zu diesen Männern gehörte Berthold von Mainz; Niemand, daß ich wüßte, hat es der Mühe werth gefun- den seine Persönlichkeit den Nachkommen zu schildern. Aber schon durch die Verwaltung seines Stiftes leuchtet er her- vor. Man fürchtete dort anfangs seine Strenge; wie denn seine Rechtspflege rücksichtslos, seine Haushaltung genau war; allein bald sah doch ein Jeder, daß seine ernste Hal- tung nicht aus Willkühr oder Gemüthsneigung, sondern aus der innern Nothwendigkeit der Dinge hervorgieng; sie ward durch ächtes Wohlwollen gemildert: auch dem Ärm- sten und Geringsten lieh er sein Ohr. Serarius Res Moguntinae p. 799. Vor allem war er in den Reichsgeschäften thätig. Er gehört zu den ehr- würdigen Geistern jener Zeit, die mit innerer Anstrengung das Alte, dem sein geistiger Ursprung, sein höherer Zusam- menhang verloren gegangen, zu dem Neuen und Nunmehr- nothwendigen umzubilden suchten. Schon die Verhand- lungen von 1486 hat er geleitet: dann verschaffte er den Städten Sitz in den Ausschüssen; ihm vor allen war das Versprechen Maximilians vom Jahr 1489 zu danken; die Wormser Entwürfe waren großentheils sein Werk. Im- mer zeigt er denselben ruhig-männlichen Geist, der seinen Zweck fest im Auge behält, ohne doch in der Art und Weise ihn zu erreichen, in den Nebendingen hartnäckig zu seyn; durch kein Hinderniß ist er zu ermüden: persönliche Absichten kennt er nicht; wenn irgend ein Andrer so trägt er das Vaterland in seinem Herzen. Im Sommer 1496, auf dem Reichstag von Lindau gelangte dieser Fürst zu einer noch unabhängigern Thätig- keit, als bisher. Reichstag von Lindau 1496. Maximilian hatte in den Verwirrungen jenes Som- mers den günstigen Augenblick zu erkennen geglaubt, wo er sich nur in Italien zu zeigen brauche, um mit Hülfe seiner Bundesgenossen die kaiserliche Hoheit herzustellen. Indem er die Stände des Reiches nach Lindau beschied, wohin sie ihren gemeinen Pfennig und zugleich so viel Truppen, als man davon besolden könne, mitbringen, und von wo sie ihm dann sobald wie möglich nachfolgen soll- ten, erklärte er doch zugleich, er könne ihrer nicht warten, sondern werde unverzüglich mit der Macht die ihm Gott gegeben, über die Berge ziehen. Indem er dieß ausführte, und sich, jedoch mehr wie zu einem abenteuerlichen Ritterzug als zu einem ernstlichen Unternehmen ausgerüstet, nach Italien stürzte, versammel- ten sich die Stände des Reiches allmählig in Lindau. Sie kamen ohne Truppen Geld noch Geschütz; ihre Absicht war ganz allein auf die innern Angelegenheiten gerichtet. Wie sehr sie hiebei auf Churfürst Berthold rechneten, zeigt unter anderm die Instruction der brandenburgischen Ge- sandten, durch welche dieselben angewiesen werden, sich in allen Dingen an diesen Fürsten zu halten. In dem Berliner Archiv findet sich ein Convolut uͤber die- sen Reichstag, welches neben der Instruction, 1. die bis zur Ankunft der Gesandten eingelaufenen Schreiben und die von den fremden Gesandten gehaltenen Vortraͤge, 2. das Protocoll der Verhandlun- gen von Freitag nach Dionysii 14 Oct. enthaͤlt. Dieses Protocoll ist nun deswegen besonders merkwuͤrdig weil der vornehmste Bevoll- maͤchtigte Erasmus Brandenburg Pfarrer zu Cotbus Mitglied des Ausschusses war und dessen Verhandlungen berichtet. Es ist großen- theils von seiner Hand. Am 31sten August 1496 stiegen die Fürsten so viel ihrer angelangt, zu Schiff und holten den Sohn des Kö- Erstes Buch . nigs Erzherzog Philipp von Bregenz herüber: am 7ten September ward die erste Sitzung gehalten. Der Chur- fürst von Mainz nahm seinen Platz in der Mitte, zu sei- ner Rechten saßen die Fürsten, der Erzherzog zum ersten Mal unter ihnen, zu seiner Linken die Botschafter der nicht persönlich erschienenen, die Abgeordneten der Städte stan- den ihm gegenüber. In der Mitte war eine Bank für die königlichen Räthe, Conrad Stürzel und Walter von Andlo. Der Churfürst leitet die Verhandlungen mit unbestrit- tener Autorität. Sie halten inne, wenn er sich einmal entfernt, was jedoch immer nur auf kurze Zeit geschieht; kommt er dann wieder, so führt er das Wort, wie in der Versammlung so in dem Ausschuß; er macht die Vor- schläge, ruft die Bewilligungen hervor, und weiß die Be- vollmächtigten bei denselben fest zu halten. Er verbirgt den Schmerz nicht, den es ihm erregt das Reich so in Ver- fall zu erblicken. „Noch zu Carls IV und Sigmunds Zeiten habe man es in Italien anerkannt: was jetzt nicht mehr geschehe. Der König von Böhmen sey ein Chur- fürst des Reiches: was thue er dem Reiche dafür? viel- mehr habe er Mähren und Schlesien auch noch losgeris- sen. In unaufhörlicher Bedrängniß seyen Preußen und Liefland: Niemand kümmere sich darum. Ja das Wenige was vom Reich übrig sey, werde ihm täglich entzogen und Dem oder Jenem verschrieben. Die Ordnungen von Worms seyen gemacht, um des Reiches Fall zu verhüten: allein es fehle an Einigkeit und wechselseitigem Vertrauen, um sie aufrecht zu erhalten. Woher komme es, daß die Eidgenossenschaft so in allgemeinem Ansehn stehe: daß sie Reichstag von Lindau 1496. von Italienern und Franzosen, von dem Papst, ja von Jedermann gefürchtet werde? Das rühre allein daher, weil sie zusammenhalte und einmüthig sey. Einem solchen Beispiel sollte man in Deutschland nachfolgen. Die Worm- ser Ordnungen sollte man wieder vornehmen, aber nicht um davon zu schwatzen, sondern um sie wirklich auszu- führen.“ Diese Worte sagte der Churf. am 28 Nov. Eine aͤhnliche Ergießung fuͤhrt der Auszug Scherers an: bei Fels: Erster Beitrag zur Reichsgesch. Vorrede § 7. In diesen Beitraͤgen findet sich das Protocoll von Lindau, welches die Frankfurter AA. Bd XVI enthalten. Glücklich die Beredsamkeit, welche Überzeugun- gen zum Bewußtseyn bringt, die aus dem Miterleben der Dinge nothwendig hervorgehn! Der Ausschuß beschloß, also in die Sache zu sehen, daß das Wesen des Reichs in eine andre Ordnung komme. Auf den Vorschlag des brandenburgischen Gesandten untersuchten die Mitglieder erst ihre Vollmachten und befanden sie dazu hinreichend. Bei diesen Gesinnnungen nahmen die Sachen gar bald einen entschiednen Gang. Das Kammergericht, das im Juny seine Sitzungen geschlossen hatte, ward im November bewogen, sie wieder- zueröffnen. Für die Besoldung der Beisitzer ward dadurch gesorgt, daß man den gemeinen Pfennig in Regensburg Nürnberg Worms und Frankfurt von den Juden einzu- ziehen und dazu zu verwenden beschloß. Der Churfürst hielt darauf, daß die Urtel vollzogen wurden, daß Nie- mand seinen Beisitzer abberufen durfte, daß den Städten gegen die Fürsten ihr Recht wurde. Man beschloß das Gericht nach Worms zu verlegen, auch deshalb, weil man Erstes Buch . von da die vier Universitäten Heidelberg und Basel, Mainz und Cölln, den Rhein hinauf und hinab, leichter erreichen und sich daselbst „der Rechte befragen“ könne. Am 23 Dez. ward dann auch der Beschluß, den ge- meinen Pfennig einzubringen, auf das ernstlichste erneuert. Die Ritterschaft, welche sich über die Forderung die der König an sie mache beschwert hatte, ward bedeutet nicht der König fordere diese Abgabe sondern das Reich: es sey die gleichmäßigste und erträglichste die sich finden lasse, sie werde der Ritterschaft selbst zu Gute kommen, wenn diese nur zu Pferde steigen, und den Sold den man daraus erlegen werde selber verdienen wolle. Zu der Verwendung des gemeinen Pfennigs ward eine neue Reichsversammlung angesetzt. Noch andre Puncte wurden besprochen: die Nothwen- digkeit augenblicklicher und festbestimmter Hülfleistung für die Angegriffenen, neue Ordnung des Gerichtes, der Münze; vor allem aber bestärkte man sich in dem Entschluß, die Wormser Einrichtungen aufrecht zu erhalten. Sollte Je- mand etwas dawider vornehmen, oder wider die Stände, die in Lindau gewesen, so solle die Sache an den Chur- fürsten von Mainz berichtet werden, der dann die übrigen zusammenberufen möge, damit man gemeinschaftliche Ant- wort gebe, und die Ordnung gemeinschaftlich vertheidige. Damit das nicht wie Conspiration herauskomme, hatte man zuvor beschlossen „die Handhabung, zu Worms versigelt, vorzuneh- men und aus derselben ain Grund der Einung und Verstendniß zu nehmen und was des zu wenig seyn will zu erwe it ern.“ Branden- burg. Protocoll. Alles dieß setzte der Erzbischof ohne viel Mühe durch. Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 98. Regte sich auch zuweilen Widerspruch in fürstlichen Abge- sandten, so hielten sich dagegen die churfürstlichen und städti- schen immer zu ihm und rissen jene mit sich fort. So brachte man es denn auch in den Abschied. Das Ver- fahren war, daß ein Jeder die gefaßten Beschlüsse zuerst für sich selber aufzeichnete; in der Versammlung stellte man dann eine Vergleichung an, setzte eine bestimmte Fassung fest, und unterzeichnete sie. Am 10 Februar 1497 ward der Reichstag in Lindau geschlossen. Die Stände dankten dem Churfürsten für seine Bemühungen und baten ihn wegen ihrer Nachläßigkeiten um Verzeihung. Der Churfürst entschuldigte sich dagegen, wenn er ihnen vielleicht ein wenig ernstlich zugeredet habe, und ersuchte sie, die gefaßten Beschlüsse nun auch zu Hause treulich zu fördern, damit dem Reiche geholfen werde. Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 1498. Es war jedoch hiemit nur erst die Eine Seite der Sache erledigt; man hatte die Schwierigkeiten beseitigt, die sich unter den Ständen erhoben; dagegen auf den König, dessen Theilnahme und Zwangsgewalt doch nicht zu ent- behren war, hatte man sich noch keinerlei Einfluß verschafft. Maximilians abenteuerliches Unternehmen hatte den Ausgang gehabt, der sich voraussehen ließ; die Phantasie, die ihm mit übertriebenen Hoffnungen schmeichelte, hatte ihn verhindert die wahre Lage der Dinge zu erkennen; nach kurzem Erfolge hatten sich die Verbündeten, auf de- ren Hülfe er allein angewiesen war, entzweit; voll Scham, Erstes Buch . Unmuth und Verdruß war er nach Deutschland zurück- geeilt. Hier fand er die Finanzen seiner Erblande durch seinen Kriegszug erschöpft und zerrüttet, das Reich ihm gegenüber in einer trotzigen Haltung und Abgeschlossenheit, und immer schlechtere Nachrichten suchten ihn heim. Als Ludwig XII 1498 den französischen Thron bestieg, hatte Maximilian gehofft, daß in Frankreich Verwirrungen ent- stehen und seine Bundesgenossen ihn zu einem neuen An- griff unterstützen würden. Es erfolgte aber das Gegen- theil. Ludwig erwarb sich in Frankreich durch friedlich- verständige Einrichtungen ein Ansehn, wie es noch nie ein König besessen; der italienische Bund suchte ein Abkommen mit demselben zu treffen; was aber das Unerwartetste war, der eigene Sohn des römischen Königs, Erzherzog Philipp, von seinen niederländischen Räthen dazu vermocht, gieng ohne Rücksicht auf seinen Vater, einen Vertrag mit Frank- reich ein, in welchem er gegen die Zurückgabe einiger Plätze alle seine burgundischen Ansprüche, so lange Lud- wig XII lebe, ruhen zu lassen, sie nur im Wege der Güte und des Rechtes niemals dem der Gewalt durchzusetzen ver- sprach. Maximilian vernahm dieß, als er sich schon auf- gemacht, den Krieg zu beginnen; in der heftigsten Stim- mung, suchte er im Juny 1498 die Reichsversammlung auf, die er nun nicht mehr entbehren konnte. Die Versammlung hatte ihre Sitzungen, wie beschlos- sen, in Worms eröffnet, Verhandlung der Stennde des heil. Rychs uf dem koͤn. Tage zu Worms. Tom. XVII der Fr. A. Man sieht daraus unter an- aber sie darnach auf Bitten des Kö- Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 98. Königs nach Freiburg verlegt. Obwohl die Sachen in Folge der Lindauer Vereinigung bei weitem besser giengen als früher, der gemeine Pfennig wirklich anfieng einge- bracht zu werden, das Kammergericht zu Worms regel- mäßige Gerichtstage hielt, auch der Reichstag selbst zwi- schen den verschiednen Ständen in den schwierigern Sa- chen eine unbestrittene jurisdictionelle Gewalt ausübte, so fühlte man doch täglich, daß man bei der zweideutigen und halb feindseligen Stellung, in der sich der König hielt, nicht zum Ziel kommen würde. Vor den Augen der ver- sammelten Stände überzog Churfürst Johann II von Trier, mit Hülfe seiner weltlichen Nachbarn, Baden Pfalz Hes- sen und Jülich, die Stadt Boppard, und nöthigte sie mit Gewalt sich ihm zu unterwerfen, ihm zu huldigen. Die Schweizer widersetzten sich einem von dem Kammergericht ergangenen Urtel gegen St. Gallen, führten die trotzigsten Reden, und waren nahe daran, förmliche Fehde zu erhe- ben. In unaufhörlich wiederholten Schreiben zeigten die Stände dem König an, daß ohne seine Anwesenheit sich weder der Friede behaupten, noch das Recht ausführen, noch die Auflage vollständig einbringen lasse. Endlich, am 18ten Juny 1498, traf er in Freiburg dern mit voller Sicherheit daß Maximilian nicht in Worms erschie- nen ist. Wenn Haͤberlin Reichsgesch. IX , 84 dieß dennoch annimmt, so taͤuschten ihn einige Urkunden, die aber nur im Namen des Koͤ- nigs am Reichstag ausgestellt worden seyn koͤnnen. Zu Freiburg (Dienstag nach Visitationis Mariaͤ 3 Juli) entschuldigte sich Maxi- milian selbst, daß er nicht in Worms erschienen sey: er habe in sei- nen Erblanden ein loͤblich Regiment aufrichten muͤssen ꝛc. man habe es ihm wohl als Thorheit ausgelegt ꝛc. aber jetzt sey er da. (Brand. Protocoll.) Ranke d. Gesch. I. 9 Erstes Buch . ein, aber weder mit den Absichten noch in der Stimmung wie man ihn zu sehen gewünscht hätte. Seine Seele war von alle dem Mißlingen seiner Plane verletzt, tief verwundet von dem Abfall der Niederlande, und von den Gedanken eines französischen Krieges erhitzt und aufgeregt, ich denke, eben darum um so mehr, da er doch auch die Schwierig- keit und Unausführbarkeit davon fühlte. Gleich in der ersten Audienz, am 28sten Juny, ergoß er diese Aufwallung gegen die Fürsten. Er erklärte ihnen, er komme nicht, ihren Rath zu verlangen, denn er sey entschlossen den Krieg gegen Frankreich anzufangen, und wisse wohl, daß man ihm denselben widerrathen würde. Er wünsche nur zu hören, ob man ihn dazu unterstützen wolle, wie man schuldig sey und ihm zu Worms versprochen habe. Möglich, daß er nichts Entscheidendes ausrichte, aber auf jeden Fall werde er dem König von Frankreich einen Backenstreich versetzen, dessen man hundert Jahr gedenken solle. „Von den Lombarden,“ sagte er, „bin ich verrathen, von den Deutschen bin ich verlassen. Aber ich will mich nicht wieder wie zu Worms an Händen und Füßen binden und an einen Nagel hen- ken lassen. Den Krieg muß ich führen und will ich führen, man sage mir was man wolle. Eher werde ich mich von dem Eide dispensiren, den ich dort hinter dem Altar zu Frankfurt geschworen habe. Denn nicht allein dem Reiche bin ich verpflichtet, sondern auch dem Hause Östreich. Ich sage das und muß es sagen, und sollte ich darüber auch die Krone zu meinen Füßen setzen und sie zertreten.“ Die Fürsten hörten ihm voll Erstaunen zu. „Ew Maj,“ versetzte der Churfürst von Mainz, „belieben Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 98. in Parabeln mit uns zu sprechen, wie Christus mit den Jüngern.“ Sie baten ihn, seine Anträge vor die Reichs- versammlung zu bringen, die darüber berathen werde. Das Brandenburger Protocoll, das auch fuͤr den Reichstag von Freiburg unsre vornehmste Quelle ist, fuͤgt hinzu: der Koͤnig habe geredet „mit viel wunderlichen Worten und Gebehrden, ganz dunkel und unverstaͤndlich.“ Sonderbare Vereinigung dieses Königs mit dieser Ver- sammlung! Maximilian lebt vor allem im Interesse seines Hauses, in Anschauung der großen europäischen Verhält- nisse, im Gefühl, daß er die höchste Würde der Christen- heit trägt, die jedoch eben gefährdet ist; er ist ehrgeizig, kriegslustig, geldbedürftig. Die Versammlung hat dagegen die innern Verhältnisse im Auge; sie möchte vor allen Dingen Ordnung und Recht im Reiche machen; sie ist bedächtig, friedfertig, sparsam. Sie will den König be- schränken und festhalten: er will sie entflammen und fort- reißen. Es gehörte die ganze Klugheit, Mäßigung und Über- legenheit dazu, welche der Erzbischof von Mainz besaß, um es nicht zu einem Bruch kommen zu lassen. Den König gewann er damit, daß er ihm die Aus- sicht auf den Ertrag des gemeinen Pfennigs zeigte. Er setzte durch daß die Versammlung dem König unverzüg- liche Zahlung der einst zu Worms zugesagten Summe ver- sprach, vorausgesetzt daß er durch Vorgang und Beihülfe zur vollständigern Einbringung der Auflage behülflich sey. Es kam hierüber zu ausführlichen Erörterungen. Ein Je- der mußte angeben, wie weit er mit dem gemeinen Pfennig 9* Erstes Buch . gekommen sey; und es eröffnet uns einen Blick in die Lage der deutschen Fürsten, wenn wir uns ihre Erklärungen vergegenwärtigen. Churf. Berthold von Mainz hat den gemeinen Pfen- nig eingebracht und erlegt; doch haben sich in seinem Ge- biete einige Widerspenstige gezeigt; diesen hat er die Ahn- dung des Reichs angekündigt, gegen welche er sie nicht in Schutz nehmen werde. — Cölln und Trier haben nur ei- nen Theil ihres Pfennigs eingenommen; sie sind auf nicht wenig Widerspenstige gestoßen, die sich mit den Zöge- rungen der Niederländer entschuldigt haben. — Die Chur- fürsten von Brandenburg und von Sachsen haben den größten Theil der Auflage eingezogen und sind bereit sie zu erlegen; doch giebt es in Sachsen einige Herren, von denen der Churfürst sagt, er sey ihrer nicht mächtig, er verpflichte sich für sie nicht. In der Instruction des Churfuͤrsten von Brandenburg ward noch gesagt: „der gemeine Pfennig sey kaum zur Haͤlfte gefallen, der Sterbung halber; S. Ch. Gn. wolle entweder was bis jetzt ein- gekommen besonders oder spaͤter alles mit einander uͤberantworten.“ — Dagegen hat der Gesandte der Pfalz gar nicht einmal den Auftrag sich ent- scheidend zu erklären; auch Georg von Landshut gab nur eine ausweichende Antwort. Geneigter ließ sich Albrecht von Baiern vernehmen, doch beklagte er sich über die große Anzahl der Widerspenstigen auf die er stoße. Und man dürfte dieß nicht für eine Ausflucht halten: die baierischen Landstände hatten in der That mancherlei Schwierigkeiten gemacht. Sie hatten so viel mit ihren Landesbedürfnissen zu thun; es fiel ihnen sonderbar auf, daß auch das Reich Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 98. Ansprüche an sie machen wollte. Freiberg Geschichte der baierischen Landstaͤnde I , 568. 663. In Franken war der Widerstand nicht minder lebhaft: die Markgrafen von Brandenburg mußten hie und da zu Auspfändungen schrei- ten. — Da hatten es denn freilich die Städte, die auf Lei- stungen dieser Art schon vorbereitet waren, um vieles leich- ter: von allen waren nur drei noch im Rückstand, Cölln Mühlhausen und Nordhausen: die andern hatten ihre Ge- bühr sämmtlich erlegt. Obwohl die Sache, wie wir sehen, noch lange nicht zum Ziel gediehen, so war sie doch in guten Zug gebracht, und Waximilian war von diesem Erfolg höchlich befrie- digt. Jetzt bequemte er sich, auch von seinen eignen Erb- landen Bericht zu erstatten. In Östreich, Steiermark und Tirol hat er 27000 G. eingenommen; in den Nieder- landen dagegen war viel Widerspruch erhoben worden. Die Einen, berichtet der König, „so von wälscher Art,“ hatten gesagt sie seyen gar nicht unter dem Reiche: die Andern, „so sich zur deutschen Nation halten,“ erklärten dagegen, sie würden erst abwarten was ihre Nachbarn am Rheine thäten. Leider ist es aus den Nachrichten, die wir hier fin- den, nicht möglich, zu statistischen Resultaten zu gelangen. Die Zahlungen waren noch zu ungleichmäßig und die mei- sten Berechnungen fehlen. Für den Augenblick aber war es schon ein großer Erfolg, daß man dem König das Geld, das er zu for- dern hatte, entweder sogleich zahlen, oder doch mit Sicher- heit versprechen konnte. Dadurch ward er auch seinerseits Erstes Buch . den Sachen des Reiches seine Aufmerksamkeit und Theil- nahme zu widmen bewogen. Der Landfrieden ward mit neuen strengen Clauseln namentlich gegen die Verbündeten der Landfriedensbrecher vermehrt. Dem Kammerrichter ward das Recht ertheilt in besonders gefährlichen Fällen nach eignem Gutdünken Fürsten des Reiches zusammenzurufen, um sich ihrer Hülfe zu bedienen. Ein alter Vorschlag des Kammergerichts, das Repräsentationsrecht bei dem Erbe einzuführen, ward trotz des Widerspruchs, daß ein Drittel der Nation sich nach den dawider streitenden Satzungen des Sachsenspie- gels halte, endlich durchgesetzt. Ein die uͤbrigen ergaͤnzendes sehr wichtiges Protocoll bei Harpprecht II p. 341. In den Berliner Acten findet sich das Docu- ment, das Muͤller II , 442 mittheilt, unter dem Titel: Ein Leute- rung des Kammergerichts; jedoch mit einigen Zusaͤtzen, z. B. „auf den Artikel der Succession der Toͤchter und Enkel halb, ist dieser Ar- tikel aufgeschoben worden bis auf koͤn. Majestaͤt Zukunft.“ Die An- wesenheit des Koͤnigs selbst war noͤthig um die Sache zu Ende zu bringen. Es ward auf eine Cri- minalordnung Bedacht genommen; besonders deshalb, weil man so häufig ohne vollkommen begründetes Recht To- desstrafen verhänge. Um den Verwirrungen des Münz- wesens Einhalt zu thun, ward der Beschluß gefaßt, alle Gulden in Schnitt und Gehalt den Gulden der rheini- schen Churfürsten gleichmäßig auszuprägen. Genug die- ser Reichstag zu Freiburg, der sich so stürmisch angelas- sen, ward allmählig der vielseitig thätigste, der noch vor- gekommen war. Da war nur noch die Frage, wie die Stände die allgemein europäischen Angelegenheiten ansehen würden. Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 98. Die Franzosen hatten den Vorschlag gemacht: man möge ihnen Genua und Neapel überlassen, so würden sie Mai- land nicht beunruhigen und über alles andre einen ewi- gen Frieden schließen. Ein Vorschlag, der wenn sie ihn nur ernstlich meinten, viel Empfehlendes darbot, und na- mentlich den deutschen Fürsten höchlich gefiel. „Genua sey ohnehin sehr unzuverläßig, und suche sich alle Tage einen andern Herrn; was gehe Neapel und Sicilien dem Reiche an? Es sey am Ende sogar vortheilhafter, wenn dort ein mächtiger Fürst regiere, der den Türken Wider- stand leisten könne.“ Die Oberherrlichkeit in Italien war ihnen gleichgültig; sie erklärten sich im Allgemeinen gegen jede Verbindung mit den Wälschen. Das war jedoch nicht die Meinung der Churfürsten, am wenigsten der geistli- chen. Sie zogen in Betracht, daß Genua noch von Fried- rich I eine Kammer des Reiches genannt worden, daß Nea- pel ein Lehen des päpstlichen Stuhles sey und von dem römischen König, dem Vogte der Kirche, dabei erhalten werden müsse. Aber überhaupt dürfe man den König von Frankreich nicht allzumächtig werden lassen, damit er nicht das Kaiserthum an sich reiße. Die Idee des Reiches, auf welcher allerdings ihre eigne Bedeutung beruhte, woll- ten sie in keinem Punct aufgeben. Diese Meinung, mit welcher sie ganz auf die Seite des Königs traten, behielt zuletzt die Oberhand; die Unterhandlungen welche Friedrich von Sachsen mit Ludwig XII begonnen zerschlugen sich; in dem Momente, daß man kaum die Einrichtungen des Reiches einigermaaßen befestigt hatte, mußte man auch schon den Krieg beginnen. Erstes Buch . Es waren immer zwei Tendenzen gewesen, die eine des Königs, das Reich zu großen Kriegsunternehmungen fortzureißen, die andre der Stände, den innern Frieden zu befestigen. Jetzt schienen sie beide eine Abkunft, eine Ver- einigung getroffen zu haben. Der König hatte die Worm- ser Einrichtungen, die er an sich nicht liebte, befestigt und bestätigt; die Stände billigten nun auch sein Vorhaben, die Hoheit des Reiches mit den Waffen zu vertheidigen. Kriegsereignisse. Hatte man sich aber auch mit vollkommner Deutlich- keit überlegt, was man unternahm? Es mag Verfassungen geben, welche durch Kriegs- bewegungen gefördert werden; niemals aber werden das solche seyn, die ein starkes föderatives Element in sich schlie- ßen, ohne daß doch die Gefahr des Mißlingens Allen ge- meinsam wäre. Für Deutschland war nichts n o thwendi- ger als Friede, um das eben erst in seinen Anfängen Ge- gründete zu ruhiger Entwickelung gedeihen, ein Herkom- men sich bilden, den Gehorsam Wurzel schlagen zu lassen. Die Einforderung und Verwendung des gemeinen Pfen- nigs hätte vor allem erst zur Gewohnheit werden müssen. Aber unmittelbar von dem Reichstag wo die Beschlüsse ge- faßt waren, stürzte man fort in den Krieg. Und zwar gegen eine Macht, die sich zuerst und am vollkommensten consolidirt hatte, wo jetzt ein neuer Fürst, der schon lange die allgemeine Anerkennung genoß, die Zü- gel in seine Hand genommen und einen vollen frischen Kriegsereignisse 1498. Gehorsam um sich gesammelt hatte. Den griff Maximi- lian, trotzig auf die Beiträge des Reiches, jetzt selber an. Nachdem er in Hochburgund das Übergewicht seiner Trup- pen wiederhergestellt hatte, Der handschriftliche Fugger fuͤhrt aus, daß die Deutschen in einem Scharmuͤtzel 22 Sept. 1498 im Vortheil geblieben und verloren gegangene Schloͤsser wiedererobert haben. Unglaublich ist es, daß Max, wie Zurita will, 25000 M. z. F. und 5000 z. Pf. im Felde gehabt haben soll. fiel er mit einem nicht unbe- deutenden Heer in der Champagne ein. Einen Stillstand, den man ihm anbot, schlug er ab. Ich zweifle nicht, daß die vorwaltenden Fürsten das Gefährliche dieses Beginnens sehr wohl einsahen; aber sie konnten es nicht hindern. Zu der Übereinkunft in Frei- burg war es nur dadurch gekommen, daß man dem Kö- nig seinen Kriegszug gestattete und erleichterte; man mußte ihn sein Glück versuchen lassen. Da zeigte sich nun zuerst die große Überlegenheit der politischen Stellung, die sich Ludwig XII gegeben. Die alten Bundesgenossen Maximilians, in Spanien, Italien, ja den Niederlanden selbst hatte er gewonnen; Mailand und Neapel, die er anzugreifen entschlossen war, behielten keinen andern Verbündeten, als eben den römischen König. Diesem aber wußte Ludwig in Deutschland selbst Feinde zu erwecken, die ihn beschäftigen mußten. Die Pfalz stand unaufhörlich in gutem Vernehmen mit Frankreich; mit der Schweiz und Graubünden wurden eifrige Unterhandlun- gen gepflogen. Der Herzog Carl von Geldern, von jenem durch Carl den Kühnen entsetzten Haus Egmont, das aber seine Rechte niemals aufgegeben, erhob zuerst die Waffen. Erstes Buch . Von der Champagne ward Maximilian durch unauf- hörliches Regenwetter und anschwellende Flüsse zurückge- trieben. Er wandte sich gegen Geldern und mit Hülfe be- sonders von Jülich und Cleve erfocht er einige Vortheile; allein sie waren nicht entscheidend: dem Herzog Carl hieng seine Landschaft an, die er durch neue Privilegien an sich gefesselt hatte. Dadurch geschah denn, daß Maximilian die für dieß Mal auf Catharinä zu Abend, 21 Nov., nach Worms ausgeschriebene Reichsversammlung nicht besuchen konnte, die doch zur Vollendung der beschlossenen Ordnun- gen durchaus nothwendig war; diese Versammlung, wo sonst vielleicht eingreifende Beschlüsse gefaßt worden wä- ren, löste sich auf. Schreiben Maximilians an Bischof Heinrich von Bamberg bei Harpprecht II , 399. Der Koͤnig lud die Versammlung nach Coͤlln ein, wo aber Viele nicht erschienen, weil ihre Instructionen nur auf Worms lauteten. Aber überdieß brachen in demselben Momente die schweizerischen Irrungen zu förmlichem Kriege aus. Das Reich war noch weit entfernt die Eidgenossen aufzugeben; es hatte sie vor das Kammergericht geladen, und wenigstens gegen die Rechtmäßigkeit eines solchen Ver- fahrens war keine Einwendung geschehen; auch den gemei- nen Pfennig hatte man von ihnen gefordert, und noch in Freiburg war der Beschluß gefaßt worden „die mächtigen Städte in der Eidgenossenschaft die des Reichs Adler in ihrem Wappen führen, bei dem Gehorsam des Reiches zu behaupten“ und sie wieder zu den Reichsversammlungen zu ziehen. Der Natur der Sache nach konnten aber diese Anmuthungen sich dort nicht Raum verschaffen, wo man Kriegsereignisse 1499. des Landfriedens nicht bedurfte, den man sich selbst gege- ben, und schon ein ziemlich gut geordnetes Staatswesen besaß. Eine dem römischen König von jeher feindselige Partei, die es rathsamer fand, den Sold der Franzosen zu verdienen, als sich an das Reich zu halten, bekam das Übergewicht. Die Graubündner, die von Tyrol gefährdet wurden, eben auch des Landfriedens halber, weil sie eini- gen Geächteten des Königs bei sich Aufnahme gewährten, fanden bei den Eidgenossen in diesem Zustand der Dinge augenblickliche Hülfe. In Einem Momente stand die ganze Grenze, Tyrol und Graubünden Schwaben und Schweiz gegen einander in den Waffen. Sonderbar, daß die Ordnungen des Reiches einen ihrer Absicht so ganz entgegenlaufenden Erfolg hatten. Die Anfor- derungen des Reichstags und des Kammergerichts brachten die Eidgenossenschaft in Gährung: daß Graubünden einen Geächteten ausliefern sollte veranlaßte dessen Abfall. Wenn auf der andern Seite die Stadt Constanz nach langem Schwanken endlich in den Bund von Schwaben trat, so schien das den Schweizern unerträglich, weil die Stadt das Landgericht über den Thurgau besaß, eine Landschaft, welche sie vor einigen Jahrzehenden an sich gebracht hatten. Ohne- hin herrschte zwischen Schwaben und Schweizern seit der Errichtung des Bundes ein Widerwille, der sich schon lange in wechselseitigen Beleidigungen Luft gemacht, und jetzt in einen wilden Verwüstungskrieg ausbrach. Die Verfassung des Reiches war bei weitem nicht stark genug, die Einheit desselben lange nicht in dem Grade in das Bewußtseyn gedrungen, daß es seine volle Kraft Erstes Buch . in diesen Kampf geworfen hätte; die auf das eiligste mehr zusammengerafften als zusammengetretenen Stände faßten unter andern zu Mainz doch auch nur einseitige und nicht entschiedne Beschlüsse; im Grunde waren es nur die Mit- glieder des schwäbischen Bundes die den König unterstütz- ten, und auch diese waren nicht geneigt, ihr Leben in ei- ner Feldschlacht mit den harten Bauern zu wagen. Und wie wäre man vollends im Stande gewesen, dem König Ludwig in jenen italienischen Unternehmungen, die man hatte verhüten wollen, die Spitze zu bieten! Wäh- rend man am Oberrhein in Fehde lag, giengen die Fran- zosen über die Alpen und nahmen Mailand ohne Mühe ein. Maximilian mußte sich bequemen, einen sehr unvor- theilhaften Frieden mit den Schweizern zu schließen, durch welchen nicht allein jenes Landgericht verloren gieng, son- dern auch ihre Selbständigkeit überhaupt unerschütterlich Fuß faßte. Ein glücklicher Krieg würde die Verfassung befestigt haben: diese Niederlagen mußten sie entweder zerstören oder doch umgestalten. Reichstag zu Augsburg und dessen Folgen. Zunächst war ihre Wirkung, daß die Autorität des Königs noch mehr beschränkt wurde als zuvor; das stän- dische Prinzip trug abermal einen Sieg davon, durch den es aufs neue und für immer das Übergewicht zu erhal- ten schien. Auf dem Reichstage, der am 10 April 1500 zu Augsburg eröffnet ward, gestand man sich ein, daß die Reichstag zu Augsburg 1500. Mittel die man bisher angewandt hatte eine Kriegsver- fassung und eine regelmäßigere Regierung zu gründen, nicht ausreichen würden. Den gemeinen Pfennig einzubringen, war allzuweit aussehend; die Ereignisse entwickelten sich zu rasch, als daß sich zu ihrer Erledigung immer erst die Stände hätten versammeln können. An der Idee festhal- tend, von der man einmal durchdrungen war, beschloß man nun die Sache anders anzugreifen. Man faßte den Plan, die Kriegsmacht, deren man bedurfte, durch eine Art von Aushebung zusammenzubringen. Immer vierhundert Ein- wohner, nach ihren Pfarren zusammentretend, sollten einen Mann zu Fuß ausrüsten und ins Feld stellen: eine Anord- nung, wie sie einige Zeit früher schon in Frankreich ver- sucht worden war; die zu diesem Fußvolk gehörige Reite- rei sollte dann von den Fürsten Grafen und Herrn nach bestimmten Anschlägen aufgebracht werden. Nur von de- nen, die an dem Kriege nicht unmittelbar Theil nehmen konnten, den Geistlichen, den Juden und den Dienstboten, wollte man eine Auflage einziehen, die zu einer Kriegscasse dienen sollte. Entwürfe welche sich wie man sieht an die früheren unmittelbar anschließen und eben so eine alle Un- terthanen gleichmäßig umfassende Einheit des Reichs vor- aussetzen. Freudig nahm sie Maximilian an: er berech- nete sich und ließ dem spanischen Botschafter wissen, er werde in Kurzem 30000 M. im Felde haben. Dagegen gieng auch er auf einen Plan ein, den er vor fünf Jah- ren zurückgewiesen, und der ihm seiner Natur nach wider- wärtig seyn mußte: er fand es jetzt selbst nothwendig, ei- nen permanenten Reichsrath zu haben, der ihn und die Stände des unaufhörlichen Ziehens auf die Reichstage Erstes Buch . überheben, und die beschlossenen Ordnungen mit Rath und That aufrecht erhalten könne. Protocoll des Reichstags zu Augsb. in den Acten zu Frank- furt Tom. XIX, leider nicht so ausfuͤhrlich wie man wuͤnscht. Z. B. werden die Einwendungen welche die Staͤdte gemacht laut dreier Zettel, hier nicht verzeichnet, weil jeder Staͤdtebote sie kenne. Zur erneuten Berathung dieses Institutes ward ein Ausschuß niedergesetzt, dessen Vorschläge wurden dann in der allgemeinen Versammlung der Stände vorgetragen; jedes Mitglied der Stände hatte das Recht, die Verbesserungen schriftlich einzureichen die es wünschte. Die Sache ward mit alle dem Ernst behandelt, den sie verdiente. Es kam nun dabei auf zweierlei an, die Zusammensetzung, und die Rechte des einzurichtenden Ra- thes. Vor allem gab man darin den Churfürsten eine ihrem hohen Range und ihrer bisherigen Thätigkeit ent- sprechende Stellung. Ein jeder sollte einen Abgeordneten in dem Rathe haben: einer von ihnen, nach einer bestimm- ten Reihenfolge, jederzeit persönlich anwesend seyn. Min- der günstig war das so viel zahlreichere fürstliche Colle- gium bedacht. Man hatte anfangs die Absicht gehabt, die geistliche Seite nach den Erzbisthümern, die weltliche nach den sogenannten Landen, Schwaben Franken Baiern und Niederland, repräsentiren zu lassen: Jene sind Salzburg Magdeburg Bremen und Besan ç on; die Churfuͤrstenthuͤmer waren natuͤrlich ausgeschlossen: die Nieder- lande an der Maaß statt Sachsens. Datt de pace publica p. 603. jedoch entsprachen diese Eintheilungen weder der Idee eines zu engerer Ein- heit geschlossenen Reiches, noch auch der wirklichen Lage der Verhältnisse, und man zog es jetzt vor, geistliche und Reichstag zu Augsburg 1500. weltliche Fürsten immer in gewissen Kreisen zusammenzufassen. Man richtete deren sechs ein, die man anfangs wohl auch Provinzen deutscher Nation nannte, Franken Baiern Schwa- ben Oberrhein Westphalen und Niedersachsen, die indeß noch nicht mit diesem Namen benannt, sondern nur durch die einzelnen darin angesessenen Stände bezeichnet wurden. Ordnung des Regiments zu Augsburg aufgericht, in den Sammlungen der Reichsabschiede. Die Interessen, deren Sonderung ohnehin keinen Sinn ge- habt hätte, wurden hiedurch näher vereinigt: auch Grafen und Prälaten, auch die Städte wurden zu diesen Kreisen gerechnet. Außerdem sollte nun aber auch immer ein geist- licher und ein weltlicher Fürst, ein Graf und ein Prälat persönlich zugegen seyn. Von Östreich und den Nieder- landen sollten zwei Abgeordnete erscheinen. Der Städte hatte man anfangs nicht besonders gedacht; wie man sie denn auch der ursprünglichen Absicht zum Trotz später doch nicht zu dem Kammergericht gezogen hatte. Allein sie fan- den daß das ihnen höchst nachtheilig und um so unbilli- ger sey, da das Aufbringen der Besoldungen ihnen am meisten zur Last fallen werde; sie setzten durch, daß ihnen zugestanden wurde, immer zwei Mitglieder in den Reichs- rath zu senden: diejenigen wurden sogleich benannt, denen abwechselnd dieß Vorrecht zustehen sollte; es waren Cölln und Strasburg von den rheinischen, Augsburg und Ulm von den schwäbischen, Nürnberg und Frankfurt von den fränkischen, Lübeck und Goßlar von den sächsischen; — denn das ist das alte Reichsprinzip, daß jedes Recht sich so- gleich in einer bestimmten Gestalt an eine bestimmte Stelle Erstes Buch . fixirt; die allgemeine Berechtigung erscheint als besondere Prärogative; — die Abgeordneten sollten immer von zweien dieser Abtheilungen seyn. Vornehmlich aus dem Schreiben von Johann Reysse an die Stadt Frankfurt 17 Aug. 1500. „So die Fuͤrsten kainen von Staͤtten zu Reichsraidt verordnet hatten, so haben die Stette be- dacht,“ ꝛc. Er bemerkt noch, daß die Fuͤrsten sich von jeder Stadt sogleich drei Candidaten vorschlagen ließen, aus denen sie einen er- nannten. Und so traten die drei Collegien, die den Reichstag bildeten, auch in dem Reichsrath auf, der als ein perma- nenter Ausschuß der Stände zu betrachten ist. Der Kö- nig hatte dabei kein andres Recht, als demselben zu prä- sidiren oder ihm einen Statthalter zu ernennen. Das Über- gewicht war ohne Zweifel auf ständischer Seite, nament- lich in den Händen der Churfürsten, die sehr enge zusammen- hielten, und eine so starke Repräsentation empfangen hatten. Diesem so entschieden ständischen Rathe wurden nun die wichtigsten Befugnisse eingeräumt. Alles was Recht, Friede und deren Handhabung, so wie was den Wider- stand angeht, den man den Ungläubigen und andern Wi- dersachern leisten will, die auswärtigen so wie die innern Angelegenheiten demnach soll er „vor sich fordern, darüber rathschlagen und endlich beschließen;“ man sieht: die we- sentlichen Geschäfte der Regierung sollen auf ihn übergehen: wie er auch den Titel eines Reichsregimentes annahm. Wie man darin eine Art von Abdankung sah, zeigt der Aus- druck des venez. Gesandten. Relatione di S. Zaccaria Contarini, venuto orator del re di Romani 1502: in der Chronik Sanuto’s Arch. z. Wien Bd IV. Fo terminato et fo opinion del re rinon- tiar il suo poter in 16, nominati il senato imperial, quali fos- Wie Reichstag zu Augsburg 1500. Wie das Gericht, schienen nunmehr auch Regierung und Verwaltung einen durchaus ständischen Charakter an- nehmen zu müssen. Wenn Maximilian sich in Augsburg zu so großen Con- cessionen bewegen ließ, so geschah das ohne Zweifel nur deshalb, weil man jene Kriegseinrichtungen daran knüpfte, weil er nun auch seinerseits von den Ständen des Rei- ches eine dauernde, freiwillig und herzlich geleistete, entschei- dende Unterstützung für seine auswärtigen Unternehmun- gen auszuwirken hoffte. Am 14ten Aug. nachdem alles beschlossen war, forderte er die Stände auf, sich an sei- nem Beispiel zu spiegeln und eben so wohl etwas für das Reich zu thun wie er. Er erhob sich gleichsam mit Ab- sicht zu der Erwartung, daß das geschehen werde; er wollte es glauben; insgeheim aber regte sich doch auch die Furcht daß es am Ende nicht geschehen und er sich seiner Rechte vergeblich entäußert haben dürfte. Es zeigt die größte Auf- regung an, ein Gefühl von Bedrohtseyn und Unrechtlei- den, wie er sich ausdrückte. Indem er die Versammlung an die Eide und Gelübde erinnerte, womit ein jeder dem heiligen Reiche verwandt sey, fügte er hinzu, wenn man nicht anders dazu thue als bisher, so wolle er nicht warten, bis man ihm die Krone vom Haupt reiße; er wolle sie eher selbst vor seine Füße werfen. Schreiben von Reysse. 17 Aug. Fr. A. Auch gerieth er unverzüglich in mancherlei Widerspruch mit den Ständen. sero quelli avesse (i quali avessero) a chiamar le diete e tuor le imprese. Ranke d. Gesch. I. 10 Erstes Buch . Gleich damals konnte er ein Edict wider die Unge- horsamen nicht mit so scharfen Bedrohungen, wie er es für nöthig hielt, durchsetzen. Es ward ein oberster Reichshauptmann ernannt, Her- zog Albrecht von Baiern: Maximilian fühlte sehr bald, daß er sich mit demselben nie vertragen werde. Die Rüstung der beschlossenen Hülfe wollte dem neuen Reichsrath zum Trotz, der noch im J. 1500 zusammen- trat, nicht vor sich gehn. Im April 1501 waren die Verzeichnisse der Volkszahl in den Pfarren, auf die jetzt die ganze Anstalt begründet werden mußte, noch nicht ein- gesandt. Der Reichsrath endlich nahm eine dem König vollends widerwärtige Haltung an. Mit Ludwig XII von Frank- reich, den Maximilian mit der Kraft des Reiches zu überziehen gedachte, wurde eine Unterhandlung angeknüpft, ein Stillstand geschlossen; der Reichsrath war nicht ab- geneigt, dem französischen König, wie er nachsuchte, Mai- land als ein Reichslehen zu ertheilen. Muͤller Reichstagsstaat p. 63. Da erwachte nun in Maximilian der ganze mit Mühe zurückgehaltene Widerwille. Er sah sich für die innern Angelegenheiten in Bande geschlagen und in den auswär- tigen nicht unterstützt. Seine Landstände in Tyrol mach- ten ihn aufmerksam, wie wenig er noch im Reiche zu be- deuten habe. Einen Augenblick erschien er beim Regimente in Nürn- berg, aber nur, um sich zu beklagen über den Schimpf, Folgen des Reichstags zu Augsburg . 1501. der ihm geschehe, So unrecht hatte Maximilian darin nicht. Es ist unglaub- lich, was sich der franzoͤsische Gesandte herausnahm. Er sagte gra- dezu, daß sich Maximilian Neapels so lebhaft annehme, komme da- her, daß man ihm 30000 Duc. bezahlt habe, obwohl davon die Unterhaͤndler die eine Haͤlfte genossen, und nur die andre Haͤlfte dem Kaiser zu Gut gekommen sey. Er meinte, der Koͤnig von Frankreich denke nicht daran, das Reich zu verletzen. Wolle man aber demselben den Krieg machen, so werde er dem Feinde so bald in sein Haus dringen, als dieser ihm. Und diesem Gesandten gab hierauf der Reichsrath noch ein Zeugniß mit, wenn er die Absichten des Koͤ- nigs nicht erreicht habe, so liege das nicht an ihm, sondern an den Umstaͤnden. Recreditif 25 Mai 1501 bei Muͤller p. 110. über die Unordnung, die um so mehr einreiße; nur wenige Tage blieb er daselbst. Es war die Anordnung getroffen, daß das Regiment in dringenden Fällen eine Reichsversammlung berufen könne. Die Lage der Dinge schien ihm jetzt höchlich dringend, und es säumte nicht sich seines Rechts zu bedienen. Der König that alles, um das zu Stande kommen derselben zu verhindern. Eine andre Anordnung verpflichtete den König, die großen Lehen ohne Rücksprache mit den Churfürsten nicht zu vergaben. Gleich als wolle er die Stände für ihre Unterhandlung mit Ludwig XII bestrafen, verlieh er diesem seinem alten Feinde jetzt selber die Lehen von Mailand für sich allein. Contarini fuͤhrt folgendes sehr besondre Motiv an. Lo episcopo di Magonza voleva per il sigillo 80 m duc. onde parse al re di Romani d’acordarsi et aver lui questi danari. Hatte der König nicht die Kraft, Ordnungen im Reiche zu erschaffen, so war er doch mächtig genug, die angefan- genen, noch nicht recht begründeten zu zerstören. Im An- 10* Erstes Buch . fange des Jahres 1502 war alles zu Augsburg Begon- nene in voller Auflösung. Die Räthe des Regiments, und die Beisitzer des Kammergerichts, die weder ihren Sold empfiengen, noch zu einer wahren Wirksamkeit gelangen konnten, begaben sich nach Hause. Dem König war es eher lieb als leid. Er errichtete ein Gericht ganz in der Weise seines Vaters, mit willkührlich gewählten Beisitzern und präsidirte ihm selbst. Aus einem seiner Ausschreiben sieht man, daß er eben so ein Regiment auf eigne Hand einzurichten und durch dasselbe die in Augsburg beschlos- sene Kriegsverfassung einseitig ins Werk zu setzen gedachte. Ein Verfahren, das nun nothwendig eine allgemeine Gährung hervorrief. Ein Venezianischer Gesandter, Zacca- ria Contarini, der im Jahr 1502 in Deutschland war, erstaunte über den allgemeinen Widerwillen, der sich gegen den König erhoben, wie schlecht man von ihm sprach, wie wenig man ihn achtete. Relatione l. c. von 1502. Il re è assa odiato, a poca obe- dientia in li tre stadi; questi senatori electi è venuti nimici del re: adeo il re dice mal di loro e loro del re. Il re a ditto piu volte vorria esser duca d’Austria, perche saria stimato duca, che imperator è vituperato. Maximilian dagegen sagte, er wollte er wäre nur Herzog von Östreich, dann würde man sich etwas aus ihm machen: als römischer König erfahre er nur Beschimpfungen. Noch einmal nahmen die Churfürsten es auf sich, ihm die Widerpart zu halten. Am 30sten Juny 1502, auf einer feierlichen Zusammenkunft zu Gelnhausen verpflichte- ten sie sich gegen einander: in allen wichtigen Angelegen- heiten zusammenzuhalten, auf den königlichen Tagen für Folgen des Reichstags zu Augsburg . 1502. Einen Mann zu stehn und immer das zu verfechten was dem mehreren Theile belieben werde, sich keine beschwerlichen Mandate, keine Neuerung, keine Schmälerung des Reiches gefallen zu lassen, endlich alle Jahr viermal zusammenzukom- men um über die Obliegenheiten des Reiches zu rathschla- gen. Es findet sich nicht genau, ob sie sich hier wirklich, wie man ihnen nachsagte, zu dem Entschluß vereinigt haben, den König zu entsetzen: aber was sie thaten, war im Grunde eben so gut. Ohne denselben zu fragen kündigten sie auf nächsten ersten November eine Reichsversammlung an: ein jeder theilte seinen Nächstgesessenen die Artikel mit über die man daselbst berathschlagen wolle. Es waren eben die Gegenstände aller bisherigen Reichsberathungen: Türkenkrieg, Verhältniß zum Papst, Aufwandsgesetze, vor allem aber Friede und Recht, über deren Aufrechterhaltung man sogleich einige neue Anordnungen einschaltete, nach- dem Kammergericht und Regiment nicht mehr im Wesen seyen. Ich fand sie in den Archiven zu Berlin und zu Dresden; an den Herzog von Sachsen hatten sie die Churfuͤrsten von Bran- denburg und Sachsen vereinigt geschickt. Muͤller hat davon nur sehr ungenuͤgende Notiz. Besonders der Churfürst von der Pfalz, der sich den frühern Einrichtungen eher widersetzt hatte, zeigte jetzt, als es zum Bruch mit dem König gekommen, Theilnahme, Thätigkeit und Eifer. Maximilian gerieth in die größte Verlegenheit. In- dem er klagte, daß man ihm in die Obrigkeit greife, die ihm als einem gekrönten römischen König zustehe, und es Erstes Buch . sogar geltend machen wollte, daß er ja Regiment und Kam- mergericht bereits selber aufgerichtet habe, Schreiben von Schwaͤbischwerd 2 Nov. Frankfurter RA. Tom. XX. fühlte er sich doch nicht stark genug, jene Reichsversammlung zu verbie- ten: er ergriff vielmehr den Ausweg, sie nun auch seiner- seits zu verkündigen; da werde auch er erscheinen, und mit Fürsten und Churfürsten über eine Unternehmung gegen die Türken zu Rathe gehn, welche täglich nothwendiger werde. Eigentlich nicht viel anders, als wie es schon König Ru- precht gemacht, wie wir später die französischen Könige sich an die Spitze der Factionen stellen sehen, welche sie nicht zu überwältigen vermögen. Aber nicht einmal so weit wollten die deutschen Chur- fürsten nachgeben. Schon waren Einige zum Tag von Gelnhausen eingetroffen, unter andern ein päpstlicher Le- gat: und viele Andere hatten Herberge bestellt: als ein Schreiben des Churfürsten von der Pfalz vom 18ten Octo- ber einlief, in welchem er den Tag abkündigte. Hinsburg an Frankfurt, Donnerstag nach Galli 20 Oct. Gelnhausen sandte an Frankfurt das Schreiben des Churf. Berthold, das am 19ten eintraf, worin auch dieser erklaͤrte, „der Tag zu Geln- hausen angesetzt sey aus merklichen Ursachen erstreckt und an eine andre Malstadt verruckt.“ Dagegen hielten sie im Dezember eine besondere Zu- sammenkunft in Würzburg: in welcher sie ihre Opposition erneuerten und eine größere Reichsversammlung auf nächste Pfingsten ankündigten. Auch Maximilian, der auf einer Reise nach den Nie- derlanden begriffen war, erließ ein Ausschreiben, worin er Folgen des Reichstags zu Augsburg . 1503. die Stände an seinen Hof zu kommen und sich mit ihm über Türkenhülfe und Reichsregiment zu besprechen einlud. Antorf 7 April. Fr. A. „des Reichsregiments wegen der Personen so daran geordnet seyen wir dann nit so pald erlangen haben muͤgen und dadurch wiederum in Anstand kommen ist.“ Von der königlichen Versammlung findet sich keine Spur; die churfürstliche aber kam allerdings, im Juny 1503, zu Mainz zu Stande, nur sieht man nicht wie zahlreich sie war. Von Reichswegen wurde hier Widerspruch ge- gen das Verfahren Maximilians erhoben. Da von sei- nem Regiment nichts zu fürchten war, denn er selber mußte gestehn, es sey ihm nicht gelungen geeignete Mitglieder zu gewinnen, so begnügte sich die Versammlung sein Gericht anzugreifen. Sie erklärte ihm, daß sich kein Fürst des Reiches dazu verstehen werde, vor demselben Rechtfertigung zu thun oder zu leiden. Sie erinnerte ihn an die Ord- nungen, zu Worms und Augsburg aufgerichtet, und fo- derte ihn auf, es dabei bleiben zu lassen. Dahin war man mit den Versuchen das Reich zu constituiren im Jahr 1503 gelangt. Die Autorität des Reiches war weder in Italien, noch in der Eidgenossenschaft, noch an den östlichen Grenzen, wo Polen und Russen die deutschen Ritterschaften unauf- hörlich bedrängten, wiederhergestellt. In dem Innern war die alte Unordnung wieder ausgebrochen. Nicht allein war der Versuch eine haltbare Verfassung für Krieg und Frie- den zu gründen gescheitert; es gab auch kein allgemein an- erkanntes Gericht mehr. Die obersten Häupter der Nation, der König und Erstes Buch . seine Churfürsten waren in unversöhnlichen Zwiespalt ge- rathen. Namentlich in Churf. Berthold sah Maximilian einen gefährlichen entschlossenen Feind. Schon zu Augs- burg hatte man ihm hinterbracht der von Mainz verun- glimpfe ihn bei den übrigen Fürsten; dienstfertige Leute hat- ten ihm ein Verzeichniß von nicht weniger als 22 Puncten überreicht, die der Churfürst gegen ihn vorbringe. Maxi- milian hatte sich bezwungen und geschwiegen. Aber um so tiefern Eindruck machte ihm nun jeder Widerstand auf den er stieß, jede Folge der Augsburger Verfassung die er nicht geahndet; er schrieb alles der vorbedachten Hinterlist jenes klugen Alten zu. Zwischen dem König und dem Erzkanzler entspann sich ein widerwärtiger, bitterer Briefwechsel. Bei Gudenus IV, 547. 551. Maximilian setzte auch seinerseits eine Ge- genanklage auf: von 23 Artikeln, noch einem mehr als jene Mainzischen, die er noch verborgen hielt, mit deren Inhalt er aber um so mehr seinen Widerwillen nährte. Koͤnigl Maj Anzeigen, item die Ursach darumb des Reichs Regiment und Wolfart zu Augspurg aufgericht stocken beliben ist. Frankf. AA. Eine für ihn selbst zunächst höchst gefährliche Lage der Dinge. Die übrigen Churfürsten hielten an Berthold fest: mit der Pfalz war derselbe mitten in diesen Verwirrungen in ein neues enges Bündniß getreten: die Städte hiengen ihm nach wie vor treulich an. Es gieng ein Gefühl durch die Nation, als drohe dem König das Schicksal Wenzlaws, abgesetzt zu werden. Man erzählt, Pfalz habe in dem Churfürsten- rath förmlich darauf angetragen, hierauf sey der König Folgen des Reichstags zu Augsburg 1503. eines Tages unerwartet bei der Gemahlin des Churfürsten auf einem ihrer Schlösser angelangt, und habe mit ihr das Morgenmahl genommen: er habe sich merken lassen, daß er jene Absichten kenne, aber sich dabei so liebenswür- dig, persönlich so überlegen gezeigt, daß man davon zu- rückgekommen. Erzaͤhlung bei Fugger, die ich aber damit nicht verbuͤrgen will. Wie dem nun auch sey, so standen die Sachen so schlecht wie möglich. Die europäische Oppo- sition gegen Östreich erlangte abermals, wie einst durch Baiern, so jetzt durch die Pfalz, die mit Frankreich und Böhmen genaue Verbindung unterhielt, Einfluß auf das innere Deutschland. Jedoch auch Maximilian hatte Kräfte und eben die Pfalz gab ihm sehr bald Gelegenheit, sie um sich zu sam- meln und anzuwenden. Erhebung Maximilians. Reichstage zu Cölln und zu Costnitz 1505 und 1507. Einmal stand auch ihm eine mächtige europäische Ver- bindung zur Seite. Die Vermählung seines Sohnes Phi- lipp mit der Infantin Johanna von Spanien eröffnete nicht allein seinem Hause die glänzendsten Aussichten für eine nahe Zukunft, sondern sie gab ihm auch unmittelbar an den Ansprüchen, der Politik und den Waffen der Spa- nier eine Stütze wider Frankreich. Zwischen diesen Mäch- ten war so eben nach kurzem Einverständniß in Neapel ein Krieg ausgebrochen, dessen Erfolge sich zu Gunsten Spaniens neigten, so daß auch in Deutschland das An- Erstes Buch . sehn von Frankreich zu sinken anfieng, und Jedermann zu dem Glücke von Östreich wieder Vertrauen faßte. Ferner aber, auch Maximilian hatte, worauf nun bei weitem mehr ankam, in dem Innern, unter den Ständen eine Partei. Waren ihm die Churfürsten und die mit Mainz verbündeten Städte entgegen, so hatte er allmählig unter den Fürsten, sowohl geistlichen als weltlichen, desto mehr ergebne Freunde und Anhänger erworben. Denn nicht umsonst war er römischer König. In den großen und allgemeinen Angelegenheiten mochte seine Macht beschränkt seyn: auf einzelne Häuser, Landschaften oder Städte gaben ihm die Befugnisse, das geheiligte An- sehn eines Reichsoberhauptes noch immer einen nicht un- bedeutenden Einfluß. Er war ganz der Mann denselben geltend zu machen. Durch fortgesetzte Aufmerksamkeit und treffendes Ein- schreiten gelang es ihm nach und nach, eine nicht geringe Anzahl von Bisthümern nach seinem Wunsche besetzt zu sehen. Man nennt uns Salzburg Freisingen Trient Eich- städt Augsburg Strasburg Costnitz Bamberg; alle diese Bi- schöfe hielten sich nun, so weit es ihre Capitel irgend zuließen, an Maximilian und begünstigten seine Entwürfe. Pasqualigo Relatione di Germania, (MS der Hofbibl. z. Wien,) dem ich diese Bemerkung verdanke, sagt von den Bischoͤ- fen: „li quali tutti dependono dal re come sue fatture, e se- guono le voglie sue.“ In die- sen geistlichen Geschäften kam ihm besonders seine Verbindung mit dem Papst zu Statten. Als z. B. im J. 1500 die Dom- propstei zu Augsburg erledigt ward, war es der päpstliche Anhaͤnger Maximilians . Legat, denn die Erledigung fiel in einen päpstlichen Mo- nat, der sie an den Kanzler des Königs Matthäus Lang übertrug. Das Capitel hatte tausend Einwendungen zu machen; es wollte keinen Bürgerlichen, am wenigsten ei- nen Bürgerssohn von Augsburg; aber Maximilian sagte, wer zu seinem Rath und Kanzler tauge, werde wohl auch zu einem Augsburger Domherrn gut genug seyn; bei ei- nem feierlichen Hochamt ward Matth. Lang unerwartet unter die Fürsten gestellt, und darnach auf den Altar ge- setzt. Die Domherrn gaben sich zufrieden, als ihnen Lang endlich versprach, wenn er die Dompropstei durch einen Andern verwalten lasse, einen solchen nur mit Einwilligung des Capitels zu ernennen. Und noch unmittelbarer war der Einfluß, den sich Maximilian auf die weltlichen Fürsten verschaffte. Bei den meisten war es eine Vereinigung von Kriegsdienst und reichsoberhauptlicher Begünstigung wodurch er sie fesselte. So waren die Söhne jenes Herzog Albrecht von Sach- sen, dem für seine Dienste Friesland verliehen worden, durch diesen Besitz unauflöslich an die niederländische Po- litik von Östreich gebunden. Auch der Schwiegersohn Al- brechts, dadurch zugleich mit Östreich verwandt, Erich von Calenberg, erfocht sich Ruhm in östreichischen Kriegen; noch war das ganze welfische Haus östreichisch gesinnt: Hein- rich der Mittlere von Lüneburg erwarb nicht minder als seine Vettern in Diensten des Königs neue Rechte und An- wartschaften. In demselben Verhältniß stand Heinrich IV von Meklenburg; Luͤtzow Geschichte von Meklenburg II, p. 458. Bogislaw X von Pommern nahm zwar Erstes Buch . die ihm bei seiner Rückkehr aus dem Morgenland ange- botenen Dienste nicht an; auch ohne dieß aber hielt es Maximilian für gut, ihn durch Bewilligungen z. B. des Zolles von Wolgast zu gewinnen. Kanzow Pomerania II p. 260. Barthold im Berl. Kal. 1838 p. 41. Überhaupt gehörte die Verleihung von Zöllen so bei Maximilian wie bei sei- nem Vater zu den Mitteln der Reichsregierung; Jülich, Trier, Hessen, Wirtenberg, Lüneburg, Meklenburg, einmal auch die Pfalz und wohl noch manche andre haben zu verschiednen Zeiten neue Zollgerechtigkeiten empfangen. An- dre Häuser übertrugen ihr altes Verhältniß zu Burgund nunmehr auf Östreich. Graf Johann XIV von Olden- burg brachte ein geheimes Bündniß eines seiner Vorfah- ren mit Carl dem Kühnen in Erinnerung; der König ver- sprach ihn dafür in seinen Ansprüchen auf Delmenhorst zu unterstützen. Hamelmann Oldenb. Chronik p. 309. Johann II von Cleve, der sich den kühnen Carl überhaupt zum Muster genommen, verfocht nun auch die Rechte der Nachfolger desselben auf Geldern. Graf Engilbert von Nassau stritt bei Nancy an Carls, bei Gui- negat an Maximilians Seite; dafür ward er 1501 Statt- haltergeneral der Niederlande; von dieser Zeit an setzte sich die Macht dieses Hauses, das bald darauf Oranien er- warb, in den Niederlanden erst eigentlich fest. Arnoldi Geschichte von Oranien II, 202. Hessen und Wirtenberg waren durch Maximilian selbst gewonnen. Er hatte sich endlich entschlossen, den Landgrafen von Hes- sen die von seinem Vater noch immer zurückgehaltene Be- Anhaͤnger Maximilians . lehnung zu geben; auf dem Reichstag von 1495 erschie- nen sie mit dem großen rothen Banner, auf welchem man um das hessische Wappen her neben Waldeck nun auch die Abzeichen von Katzenelnbogen Diez Ziegenhain und Nidda erblickte, vor dem Königsstuhl; das Banner war so prächtig, daß man es nicht zerriß, wie die meisten an- dern, sondern es in feierlicher Procession der Jungfrau Maria widmete; Die Reimerei hieruͤber, welche Muͤller Rth. u. Max. I, 538 aufgenommen hat, ist spaͤter: die Sache selbst ist richtig. so wurden sie belehnt; auch finden wir nun Wilhelm den Mittlern an den Feldzügen Maximilians eifrig Theil nehmen. Und noch enger war Wirtenberg mit Östreich verbunden. Maximilian gab den Jahrhunderte langen Erwerbungen der Grafen dadurch gewissermaaßen ihre Vollendung, daß er sie zu einem Herzogthum verei- nigte; hierauf nahm er an den innern Angelegenheiten die- ses Landes mehr als irgend eines andern Theil: im J. 1503 erklärte er den jungen Herzog Ulrich noch vor der gesetzlichen Zeit in seinem 16ten Jahre für volljährig und erwarb dadurch dessen ganze Ergebenheit. In den Mark- grafen von Brandenburg lebte die alte Dienstbeflissenheit ihres Stammvaters fort; wie sehr beschweren sich spätere Ge- schichtschreiber über die kostspieligen Reisen, die häufigen Kriegszüge Markgraf Friedrichs, wo er immer bei weitem mehr geleistet, als sein Anschlag betragen. Auch dessen Söhne finden wir schon seit 1500 mit kleinen Mannschaf- ten in östreichischem Dienst. Diese Fürsten waren großentheils junge Herrn, die ihr Leben in Krieg und Waffenspiel zu genießen wünsch- Erstes Buch . ten, und dabei im Dienste des Königs etwas zu erwer- ben, emporzukommen dachten. Der heitere Maximilian, ewig in Bewegung und mit immer neuen Unternehmun- gen beschäftigt, gutmüthig, freigebig, höchst populär, Mei- ster in den Waffen und allen ritterlichen Übungen, ein gu- ter Soldat, an Geist und erfinderischem Genius unver- gleichlich, wußte sie zu fesseln, mit sich fortzureißen. Welch ein Vortheil das für ihn war, zeigte sich im J. 1504, als sich in Baiern die Landshuter Irrungen erhoben. Da hatte nemlich Herzog Georg der Reiche von Lands- hut, der am 1sten Dez. 1503 starb, im Widerspruch mit den Lehenrechten des Reiches und den Hausverträgen von Baiern, ein Testament gemacht, kraft dessen so gut seine ausgebreiteten blühenden Landschaften, wie die seit langen Jahren aufgehäuften Schätze seines Hauses nicht an seine nächsten Agnaten, Albrecht und Wolfgang von Baiern- münchen, sondern an seinen entfernteren Vetter, Schwester- sohn und Eidam, Ruprecht von der Pfalz, zweiten Sohn des Churfürsten, fallen sollten; schon bei seinen Lebzeiten hatte er diesem die wichtigsten Schlösser eingeräumt. Hätte das Reichsregiment bestanden, so würde es die- sem zugekommen seyn, den Streit zwischen Pfalz und Baiern, der hiedurch wieder einmal aufflammte, zu verhüten; wäre das Kammergericht noch nach den Beschlüssen von Worms und Augsburg gehalten worden, so würden auch reichs- ständische Mitglieder an der Entscheidung der Rechtsfrage Antheil gehabt haben; allein das Regiment war ganz zer- fallen; das Gericht von dem König allein nach seinen Bairische Irrungen 1504. Gesichtspuncten besetzt worden; er selber ward noch einmal „als der lebendige Brunnen des Rechts“ betrachtet; Ausdruck Lamparters in seinem Vortrag an die Landshuter Staͤnde bei Freiberg Geschichte der baier. Landstaͤnde II, p. 38. al- les berief sich auf seine Entscheidung. Da ist es nun sehr bezeichnend für ihn, wie er ver- fuhr. Er hielt darüber, daß der Friede beobachtet wurde; er erschien dann selbst und wohnte langen Tagleistungen bei, um der Güte zu pflegen; er ließ sich die Mühe nicht verdrießen, die beiden Parteien, jede bis zu ihrem fünften Vortrag zu verhören; endlich berief er auch seinen Kam- merrichter und dessen Beisitzer zu rechtlicher Entscheidung in seine Nähe. Harpprecht Archiv des Kammergerichts II, p. 178. Aber bei alle dem hatte er doch vorzüg- lich sein Interesse, er bezeichnete es selbst mit diesem Na- men, ins Auge gefaßt. Er erinnerte daran was er alles schon wegen Baierns versäumt, z. B. bei jenem Zuge auf das Lechfeld die Ver- fechtung seiner Rechte in Bretagne und in Ungern; er fand auf der einen Seite, daß Herzog Georg durch sein unbe- fugtes Testament starke Pönen verwirkt habe, auf der an- dern, daß doch auch die aus den Hausverträgen hergelei- teten Rechte Albrechts nicht so unbedingt gültig seyen, da dieselben nie von Kaiser und Reich bestätigt worden: hierauf erhob er selbst Anspruch auf einen Theil des erledigten Landes, der gar nicht unbedeutend war. Herzog Albrecht, der Schwager des Königs, ließ sich gleich von Anfang bewegen darauf einzugehen; er stellte endlich einen förmlichen Verzichtbrief für die angesproche- Erstes Buch . nen Ortschaften aus. Natürlich: er besaß sie noch nicht; er hoffte, durch diese Nachgiebigkeit sich um so größere Erwerbungen zu verdienen. Dagegen zeigte sich Pfalz- graf Ruprecht höchst unbeugsam. Sey es daß er mit auf die auswärtigen Verbindungen seines Vaters rechnete, oder daß ihm die feindselige Haltung des churfürstlichen Collegiums gegen den König Muth machte, er wies diese Theilungsvorschläge von sich; Maximilian hatte noch eine nächtliche Zusammenkunft mit ihm, bei der er ihm sagte, sein Vater werde sich und sein Haus unglücklich machen: aber es war alles vergeblich: gleich darauf wagte Ruprecht dem König zum Trotz Besitz zu ergreifen. Hierauf kannte nun auch Maximilian keine Schonung weiter. Jetzt wurden die verlassenen Lande und Gewähre Herzog Georgs durch kammergerichtliches Urtel den Her- zogen von München zugesprochen; der Fiscal klagte auf Erkennung der Acht; noch an demselben Tage (23 April 1504) sprach sie der römische König in Person unter freiem Himmel aus. Die Nachbarn der Pfalz, Freunde des Königs, hat- ten nur auf diesen Ausspruch gewartet, um von allen Sei- ten auf sie loszubrechen. Es erwachte in ihnen die Er- innerung an alle die Unbill, die sie einst von dem bösen Fritzen (denn so nannten sie Friedrich den Siegreichen) erdulden müssen, und die Begierde, sich zu rächen, sich ihres Schadens zu erholen. In die Rheinpfalz fielen Her- zog Alexander der Schwarze von Veldenz, Herzog Ulrich von Freiberg a. a. O. II, p. 52. Bairische Irrungen 1504. von Wirtenberg, Landgraf Wilhelm von Hessen, der zu- gleich meklenburgische und braunschweigische Hülfe herbei- führte, mit verwüstenden Schaaren ein. Diese Verwuͤstungen schildern Trithemius, Zayner u. A. aus- fuͤhrlich. Vgl. m. Gesch. romanisch-german. Voͤlker p. 231. In den Ge- bieten an der Donau stießen brandenburgische, sächsische, calenbergische Truppen zu dem stattlichen Heere, das Al- brecht von München gesammelt; der schwäbische Bund, der ihm einst so gefährlich gewesen, war jetzt am entschie- densten für ihn: Nürnberg, das dann freilich auch für sich erobern wollte, stellte eine vier Mal größere Hülfe ins Feld, als ihm ursprünglich aufgelegt worden. Wahre Geschichtserzaͤhlung der von Nuͤrnberg usurpirten Staͤdte ꝛc. 1791 § 15 macht der Stadt dieß noch einmal zum Vor- wurf. Der rö- mische König erschien zuerst an der Donau. Es machte ihm nicht geringe Ehre, daß er es war, der ein Heer von Böhmen, den einzigen Verbündeten welche dem Pfalzgra- fen Wort gehalten, bei Regensburg hinter seiner Wagen- burg aufsuchte und aus dem Felde schlug. Dann wandte auch er sich an den Rhein; die Landvogtei Hagenau fiel ihm ohne Weiteres in die Hand; hier wie dort nahm er vor allem die Ortschaften in Besitz, auf die er selber An- sprüche hatte. Einem so überlegenen, allgemeinen Angriffe konnten die Pfälzischen um so weniger Widerstand leisten, da der junge kriegerische Fürst, Pfalzgraf Ruprecht, durch dessen Absichten die ganze Bewegung veranlaßt worden war, mitten in dem Kriegsgetümmel starb. Der alte Chur- fürst mußte von seinen Söhnen denjenigen, den er am bur- Ranke d. Gesch. I. 11 Erstes Buch . gundischen Hof seine Schule machen lassen, dazu brauchen, um ihn mit Maximilian zu versöhnen. Eine Reichsversamm- lung, von der im Sommer 1504 die Rede gewesen, hatte der römische König damals vermieden. Erst nachdem das Übergewicht seiner Waffen völlig entschieden war, im Fe- bruar 1505, ließ er allgemeinen Stillstand eintreten, und berief einen Reichstag nach Cölln, der sich im Juny die- ses Jahres versammelte, um hier die aufs neue in seine Hand gegebene Schlichtung alle der wichtigen Streitfragen die aus dieser Sache entsprangen zu unternehmen. Eine der wunderlichsten Auffassungen dieser Verhaͤltnisse fin- det sich in dem Viaggio in Alemagna di Francesco Vettori, Paris 1837, p. 95, aus dem Munde eines Goldschmidts zu Uͤberlin- gen. Da ist der Pfalzgraf mit Schweizern und Franzosen ver- buͤndet; schon der Schweizerkrieg wird von ihm veranlaßt: hier- auf schließt aber Maximilian einen Vertrag mit Frankreich zu Ha- genau 1502 (er fand bekanntlich 1505 statt); und nun greift er den Pfalzgrafen an, der die Boͤhmen zu Huͤlfe ruft, aber sie dann sel- ber im Stiche laͤßt, so daß sie geschlagen werden. Es ist das wie- der ein Beispiel wie die Geschichte auf der Stelle zur Mythe wird; im Einzelnen ist alles unrichtig, das Ganze nicht voͤllig ohne Wahr- heit. Vettori findet doch selbst die Erzaͤhlungen des Goldschmidts ohne Ordnung und Zuverlaͤßigkeit. Aber gern nimmt er sie in sein Heft auf, das eher dem Decameron aͤhnlich sieht, als einem Reise- tagebuche. Wie ganz anders erschien er nun in der Mitte der Stände als früher; nach einem glücklich geendigten Kriege, mit erneuertem Ruhm persönlicher Tapferkeit: von einer Schaar ergebner Anhänger unterstützt, welche die Erobe- rungen, die sie gemacht, durch seine Gunst zu behalten hofften, auch von den Besiegten verehrt, welche ihr Geschick in seine Hand gegeben. Auch die europäischen Angelegen- Reichstag zu Coͤlln 1505. heiten standen günstig; Maximilians Sohn Philipp war nach dem Tode seiner Schwiegermutter König von Casti- lien geworden. In manchen guten Deutschen erwachte die Hofnung, daß dieß ihr mächtiges Oberhaupt bestimmt sey, die Türken zu verjagen und sich einmal Kaiser von Constantinopel zu schreiben. Sie meinten, des Reiches Bund sey so groß, daß ihm weder Böhmen noch Schwei- zer noch auch die Türken würden widerstehn können. Der Sinn des geistreichen Liedes: die behemsch schlacht, 1504, aus einem fliegenden Blatt von Hormayr herausgegeben und von Soltau wiederholt, p. 198. Vor allem schritt man in Cölln zu einer Entschei- dung der landshuter Streitsache. Der König konnte einmal über das Schicksal eines großen deutschen Landes verfü- gen. Er kam hiebei auf die Vorschläge zurück, die er schon vor dem Anfang des Krieges gemacht hatte: für die Nachkommen Pfalzgraf Ruprechts stiftete er die junge Pfalz jenseit der Donau: sie sollte eine Rente von 24000 G. abwerfen; aus diesem Gesichtspunct wurden ihre Be- standtheile zusammengesetzt. Wohl gelangte nun Landshut an die Münchner Linie, jedoch nicht ohne mancherlei Schmä- lerung. Die Herzoge selbst hatten die Hülfe, die sie em- pfiengen, durch Abtretungen vergüten müssen; der König behielt sich vor, was er Andern vor dem Spruch verlie- hen; sein Interesse zog er nicht nur ein, sondern er er- weiterte es noch. Und noch größere Verluste erlitt die Pfalz: in diesem Gebiete waren die Verleihungen, die in Anspruch genommenen Abtretungen, das königliche Interesse am bedeutendsten. Es trug wenig aus, daß der alte Chur- 11* Erstes Buch . fürst es nicht über sich gewinnen konnte die Vorschläge anzunehmen; er blieb dafür noch ferner von der königli- chen Gnade ausgeschlossen: sein Sohn hat sich später doch fügen müssen. Betrachtete man die Besitzthümer der bei- den wittelsbachischen Häuser als eine Einheit, so hatten sie hiedurch Verluste erlitten wie seit langer Zeit kein deut- sches Haus. Auch blieb in ihnen eine tiefe Verstimmung zurück, die für das Reich hätte gefährlich werden können, wäre ihre alte Zwietracht nicht durch den Krieg aufs neue entflammt gewesen, so daß sie zu keiner Verständigung un- ter einander gelangen konnten. Nothwendig gewann aber Maximilian durch diesen Gang der Dinge auch in den allgemeinen Reichsangele- genheiten eine andre Stellung. Die Union der Churfürsten war zersprengt. Zu der Demüthigung der Pfalz kam der Tod des Churfürsten von Trier schon im Jahr 1503, an dessen Stelle Maximilian, durch seine Verbindung mit dem römischen Hof unterstützt, einen seiner nächsten Verwandten, den jungen Markgrafen Jacob von Baden zu befördern wußte, Browerus p. 320. Er sah das Breve, durch welches der Papst den Candidaten des roͤmischen Koͤnigs empfahl. und am 21sten Dez. 1504 auch der Tod des Oberhauptes der churfürst- lichen Opposition Berthold von Mainz. Wie selten be- friedigt doch das Leben auch den edlen Ehrgeiz eines Men- schen. Diesem braven Manne war es beschieden gewesen, den Untergang der Institute die er mit so großer Mühe hervorgerufen, und die volle Übermacht desjenigen zu er- leben, dem er reichsgesetzliche Schranken zu setzen gesucht. Nunmehr erst hatte Maximilian freien Raum, selbst Reichstag zu Coͤlln 1505. etwas Neues zu unternehmen. Es schien ihm möglich, das Übergewicht, in dem er sich fühlte, in organischen Einrichtungen geltend zu machen. Indem er die Gründe ausführte, weshalb die Augsburger Einrichtungen rück- gängig geworden, wobei er vor allem dem verstorbenen Berthold die Schuld beimaß, legte er einen Entwurf vor, wie sie doch noch, aber unter gewissen Modificationen ins Werk zu setzen seyen. Protocoll des Reichstages, wodurch die in Muͤllers Reichs- tagsstaat befindlichen Nachrichten sehr erweitert werden; in den Frank- furter Acten. Seine Idee war, allerdings ein Regiment mit Statt- halter, Kanzler und zwölf Räthen aus dem Reiche zu er- richten. Zur Seite und unter der Aufsicht desselben soll- ten vier Marschälle, jeder mit 25 Rittern am Oberrhein, am Niederrhein, an der Donau und in den Elbgegenden aufgestellt, die executive Gewalt auszuüben haben. Der gemeine Pfennig ward ausdrücklich wieder in Anregung gebracht. Allein es zeigte sich doch auf den ersten Blick der große Unterschied dieses Entwurfes von den früheren. Der König wollte das Recht haben, dieses Regiment zu seiner Person, an seinen Hof zu berufen; nur die ge- ringeren Fälle sollte es aus eigner Macht entscheiden kön- nen, in allen wichtigern an ihn recurriren. Einen Feld- hauptmann des Reiches wollte er selbst ernennen, wenn er sich mit Albrecht von Baiern nicht verstehe. Es ist deutlich: bei den Pflichten und Leistungen der Stände wäre es geblieben, die Macht aber wäre dem Kö- nige zu Theil geworden. Erstes Buch . So viel bedeutete sein Übergewicht doch nicht, daß man diese Vorschläge von ihm hätte annehmen müssen. Und war es wohl überhaupt möglich, auf Einrich- tungen zurückzukommen, die sich so unausführbar erwiesen hatten? War nicht die Territorialhoheit viel zu weit ent- wickelt, als daß sie so umfassenden und eingreifenden Maaß- regeln hätte die Hand bieten, oder vor ihnen zurückwei- chen sollen? Es hätte sich höchstens alsdann denken lassen, wenn zugleich ein Ausschuß aus der Mitte der Fürsten die Summe der Gewalt in seine Hände bekam; daß sie aber ihre Stel- lung aufgeben sollten zu Gunsten des Königs war nimmer- mehr zu erwarten. Der Reichstag von Cölln ist nun dadurch bemerkens- werth, daß man aufhörte sich über die Lage der Dinge zu täuschen. Die Gedanken, welche die letzten Jahre Frie- drichs III und das erste Jahrzehend Maximilians beherr- schen, die Versuche, die man macht, es zu einer wahren und allumfassenden Einheit der Nation, zu einer Vereini- gung ihrer Kräfte, zu einer Allen genügenden, alle Bedürf- nisse erfüllenden Regierungsform zu bringen, sind ewig denkwürdig; aber es waren Ideale, die sich nicht mehr erreichen ließen. Die Stände waren zu einer eigentlichen Unterwerfung nicht mehr zu bringen; der König war nicht zufrieden, bloß ein Präsident der Stände zu seyn. Jetzt kam man davon zurück. In Cölln weigerten sich die Stände nicht dem König Hülfe zu leisten, jedoch weder durch einen gemeinen Pfen- nig, noch durch einen Anschlag auf die Pfarren im Reich, Reichstag zu Coͤlln 1505. sondern durch eine Matrikel. Der Unterschied ist unermeß- lich. Jene Entwürfe gründeten sich auf die Idee der Ein- heit, der Reichsangehörigkeit sämmtlicher Unterthanen, die Matrikel, in welcher die Stände jeder nach seiner Macht angeschlagen waren, beruhte gleich von vorn herein auf dem Gedanken der Absonderung der Territorialmacht der einzelnen Gewalten. An einem Reichsregiment Theil zu nehmen, lehnten sie ab. Sie sagten, S. Maj. habe bisher wohl und weise regiert, sie seyen nicht geneigt, ihm darin Maaß zu geben. Die Ideen nahmen eine bei weitem weniger ideale, allgemein-vaterländische Wünsche befriedigende aber eine ausführbarere praktischere Richtung. Maximilian verlangte Hülfe zu einem Zuge nach Un- gern, nicht wider den König, mit dem er vielmehr im be- sten Vernehmen stand, sondern wider einen Theil der un- grischen Großen. Den letzten Vertrag, durch den sein Erbrecht erneuert worden, hatten doch nur Einzelne an- genommen, auf dem Reichstag war er nicht bestätigt wor- den. Jetzt aber erhob sich in den Ungern der Gedanke, niemals wieder einen Ausländer auf ihren Thron zu heben: denn noch sey keiner von allen dem Reiche nützlich gewe- sen; einen Beschluß dieses Inhalts, der für ihren König eben so ehrenrührig als für die östreichischen Rechte ver- letzend war, nahmen sie feierlich an und sandten ihn in alle Comitate. Istuanffy Historia regni Hungarici p. 32. Dagegen nun wollte sich Maximilian er- heben. Er bemerkte, seine Rechte seyen auch für das hei- Erstes Buch . lige Reich wichtig, für welches Böhmen wieder gewonnen, dem auch Ungern dadurch verwandt gemacht werde. In einer Erklärung, in welcher die Beschlüsse über Regiment und gemeinen Pfennig ausdrücklich aufgehoben wurden, trug Maximilian auf eine Hülfe von vier bis fünftausend Mann auf ein Jahr lang an. Er sprach die Hofnung aus, daß er damit auch vielleicht seinen Rom- zug werde bestreiten können. Ohne Schwierigkeit giengen die Stände hierauf ein. Sie bewilligten ihm viertausend Mann, auf ein Jahr: nach einer Matrikel. Der Anschlag lautet auf 1058 M. z. Pf. und 3038 M. z. F. Dabei haben die weltlichen Fürsten die meisten Pferde, nemlich 422, die Städte das meiste Fußvolk zu stellen, nemlich 1106; überhaupt ha- ben die Churfürsten ungefähr Ein Siebentheil, die Erzbi- schöfe und Bischöfe ein zweites, Prälaten und Grafen noch nicht ganz ein drittes zu tragen; von den vier übrigen Siebentheilen trifft ungefähr die Hälfte die weltlichen Für- sten, die andre Hälfte die Städte. Und das Gute wenigstens hatten die gemäßigteren An- schläge, daß sie zur Ausführung gelangten. Das bewil- ligte Kriegsvolk wurde dem König, wenn auch nicht voll- ständig, was bei der Mangelhaftigkeit der Matrikel nicht möglich war, doch größtentheils gestellt; und kam ihm sehr wohl zu Statten. Es machte doch nicht geringen Eindruck in Ungern, als er bewaffnet mit Hülfe des Reiches an den Grenzen erschien: einige Magnaten einige Städte wur- den bezwungen. Da nun zugleich dem König Wladislaw ein Sohn geboren ward, wodurch die Aussichten auf eine Kriegszuͤge 1506. Veränderung der Dynastie wieder in die Ferne traten, so entschlossen sich die ungrischen Großen zwar nicht ihren Beschluß gradezu zurückzunehmen, aber auch nicht, dar- auf zu bestehen. Ein Ausschuß der Stände stellte eine unbeschränkte Vollmacht zum Abschluß des Friedens aus, der dann im Juli 1506 zu Wien zu Stande kam und in welchem sich Maximilian sein Erbrecht aufs neue vorbe- hielt. Obwohl die Anerkennung welche die ungrischen Stände durch die Annahme dieses Vertrages aussprachen, nur indirect ist, so fand doch Maximilian seine und der deutschen Nation Rechte dadurch hinreichend gewährleistet. Maximilian bezeichnet in seiner Erklaͤrung an die Staͤnde den Wiener Vertrag als einen Tractat, „dadurch J. K. Mt und deutsche Nation, ob Gott will, an ihrer erblichen und andern Gerech- tigkeit des Koͤnigreichs Ungern, wenn es zu Faͤllen kommt, nicht Man- gel haben werde. Und nun wandte er seine Aufmerksamkeit und seine Kräfte auf Italien. Ohne den Besitz der Krone und des kaiserlichen Titels glaubte er noch nicht zu seiner vollen Würde gelangt zu seyn. Da zeigte sich aber doch daß er mit der kleinen Mann- schaft, die ihm von Ungern folgte, nicht auskommen würde. Ludwig XII, mit dem er noch vor kurzem die engste Verbindung ihrer beiderseitigen Häuser verabredet, war durch seine Stände auf andre Ideen gebracht worden. Es schien ihm jetzt nicht mehr gut, den ehrgeizigen, beweglichen, von einer kriegerischen Nation in diesem Augenblicke unterstütz- ten Maximilian in Italien Fuß fassen zu lassen. Die Ve- nezianer schlossen sich ihm darin an. In dem Augenblick, daß Maximilian sich ihren Grenzen näherte, eilten sie — ein Erstes Buch . Aufruhr der Landsknechte verschaffte ihnen Zeit dazu — die- selben auf das stärkste zu besetzen. Maximilian sah wohl ein: wollte er die Krone erlangen, so mußte er sie sich mit Gewalt der Waffen und ernstlichem Krieg erobern. Er säumte nicht einen neuen Reichstag zu berufen. Noch einmal, im Frühjahr 1507, versammelten sich die Stände in voller Ergebenheit gegen den König: noch waren sie von den Eindrücken der letzten Ereignisse be- herrscht; die Fremden erstaunten, wie einmüthig sie waren, wie viel Ansehn der römische König bei ihnen genoß. Es ist wohl nicht ohne Grund, was die Italiener bemerken, daß ein Unfall, der den König betroffen, ihm doch für die innern deutschen Angelegenheiten zu Statten gekommen sey. Somaria di la relatione di Vic. Querini, Doctor, ritor- nato dal re di Romani 1507 Nov. Chronik v. Sanuto Wien. A. Tom. VII. Cr meint der Churfuͤrst von Sachsen mache sich Hof- nung. Il re a gran poder in Alemagna, sagt auch er, è molto amato, perche quelli non l’ubediva è morti. Jener sein niederländischer Sohn Philipp hatte das Königreich Castilien kaum angetreten, als er im Septem- ber 1506 unvermuthet starb. Die deutschen Fürsten hat- ten die aufkommende Größe dieses jungen Monarchen im- mer mit Mißtrauen betrachtet. Sie hatten gefürchtet, sein Vater werde ihn zum Churfürsten, wovon schon einmal die Rede gewesen, oder zum Reichsvicarius, oder wenn er selbst gekrönt sey zum römischen König zu machen suchen; und diese erste Idee einer Verbindung der Reichsgewalt mit der burgundischen und castilischen Macht hatte sie nicht wenig erschreckt. Der Tod Philipps befreite sie von die- ser Furcht: die Söhne die er hinterlassen, waren noch zu Reichstag zu Costnitz 1507. jung, um auf sie Rücksicht zu nehmen. Um so freudiger konn- ten sie sich an ihren König anschließen. Die jungen Fürsten hofften in seinem Dienst neue große Lehen zu erwerben. Am 27sten April 1507 Dienstag nach Marci. Schreiben von Eitelwolf von Stein an den Churfuͤrsten von Brandenburg 6 April 1507 im Berl. A. Die bisherigen Angaben sind unrichtig. eröffnete Maximilian den Reichstag zu Costnitz, gleich in der Nähe von Italien. Niemals war auch er selbst von der Würde seiner Stel- lung überzeugter gewesen, als in diesem Augenblick. Mit einer Art von Scham erklärte er, er wolle kein kleiner Reiter mehr seyn, aller geringen Händel wolle er sich ent- schlagen und sich nur die großen angelegen seyn lassen. Er gab zu erkennen, daß er nicht bloß den Durchzug zu erzwingen, sondern einen entscheidenden Kampf um die Herrschaft von Italien zu beginnen gedenke. Deutschland sey so mächtig daß es sich nichts bieten lassen dürfe: es habe unzählbare Fußvölker und wenigstens 60000 reisige Pferde: man müsse sich des Kaiserthums endlich einmal auf immer versichern. Auf das große Geschütz werde es ankommen, dort auf der Tiberbrücke werde die rechte Rit- terschaft sich ausweisen. Er führte das alles mit leben- diger vertrauensvoller Beredsamkeit aus. „Ich wollte,“ schrieb Eitelwolf von Stein dem Churfürsten von Bran- denburg, „Ew. Gnaden hätten ihm zugehört.“ Die Stände erwiederten, sie seyen entschlossen, nach ihrem Vermögen zur Erlangung der kaiserlichen Krone bei- zutragen. Antwort der Staͤnde Frankf. AA. Tom. 23. sie syen uf Erstes Buch . Es blieben zwar hiebei noch einige Differenzen. Wenn der König zu verstehen gab, er denke die Franzosen aus Mai- land zu verjagen, so waren die Stände nicht dieser Meinung. Sie waren nur dafür den Durchzug denselben zum Trotz zu erzwingen: denn einem eigentlichen Krieg gegen Frank- reich müßten wohl erst Unterhandlungen vorhergehn. Auch bewilligten sie nicht die ganze Hülfe auf die der König zuerst angetragen. Allein die Bewilligung, zu der sie sich auf einen zweiten Antrag desselben verstanden, war doch ungewöhnlich stark. Sie betrug 3000 M. z. Pf., 9000 M. z. F. Maximilian, der nicht zweifelte damit etwas Entschei- dendes auszurichten, versprach nun dagegen, die Eroberun- gen die er machen werde nach dem Rathe der Reichs- stände zu verwalten. Er deutete an, daß mit dem Ertrag sich in Zukunft vielleicht die Lasten des Reichs bestreiten lassen würden. In der Erklaͤrung in der er die 12000 M. fordert, fuͤgt er hinzu: „Und wo sich die Stend des Reichs jetzo dermaaßen da- pferlich mit der Hilf erzaigen, so ist k. Mt willig jetzo nach irem Rat zu handeln, was von Geld Gut Land und Luͤten zuston wird, wie dasselb gehandelt und angelegt werden soll, wie auch die eroberte Herrschaften und Lut by dem Rich zu hanndhaben und zu erhalten syn, dadurch die Buͤrden in ewig Zeiten ab den Deutschen und der Billichait nach uf andre Nation gelegt, auch ein jeder romisch Ko- nig eehrlich und statlich on sunder Beswerung deutscher Nation er- halten werden moͤg.“ Die Stände nahmen das bestens an. Alles was an diesen Richstag uf irer Mt Erfordern als die Gehorsame erschie- nen, ganz Gemuͤts, zu raten und ires Vermoͤgens die Kaiserliche Krone helfen zu erlangen und des Koͤnigs von Frankreich Fuͤrne- men, des er wider das h. Reich in Uͤbung steht, Widerstand zu tun. Reichstag zu Costnitz 1507. Land und Leuten, an Städten und Schlössern erobert werde, solle auf ewig bei dem Reiche verbleiben. Bei diesem guten Einverständniß in Hinsicht der aus- wärtigen Angelegenheiten kam man nun auch in den innern einen Schritt weiter. Indem man in Cölln alle jene Einrichtungen einer strengen Gemeinschaftlichkeit aufgab, hatte man doch eine Erneuerung des Kammer- gerichts für nothwendig gehalten. Noch immer aber war es dazu nicht gekommen; auch jenes königliche Kammer- gericht, welches Maximilian auf eigne Hand errichtet, hatte nun schon drei Jahr lang Ferien; den Procuratoren ward selbst ihr Wartegeld entzogen. Harpprecht II, § 240. § 253. Jetzt aber, zu Costnitz vereinigte man sich das Kammergericht nach den Worm- ser Beschlüssen wiederherzustellen. Mit der Präsentation der Mitglieder blieb es bei den Vorrechten der Churfür- sten: für die übrigen bediente man sich der in Augsburg festgesetzten Kreiseintheilung, so daß sie doch nicht ganz in Vergessenheit kam; der Städte ward nicht gedacht. Die Frage war nun, wie dieß Gericht unterhalten werden solle. Maximilian meinte, man werde am besten thun jeden Bei- sitzer an seine Herrschaft zu verweisen; er selbst wollte Kam- merrichter und Canzlei über sich nehmen. Ohne Zweifel aber hatten die Stände Recht, wenn sie das Vorherrschen der Particularinteressen, das hiedurch befördert worden wäre, vermieden zu sehen wünschten; „es sy not, das Cammergerichte als ain versampt Wesen von ainem Wesen unterhalten und derselbtige vnderhaltung nit zerteilt werden.“ Protocoll des Reichstages bei Harpprecht II, p. 443. sie erboten sich, einen Erstes Buch . kleinen Anschlag über sich zu nehmen, um die Besoldun- gen aufzubringen. Sie wollten dem Gericht den Cha- rakter eines vorzugsweise ständischen gemeinschaftlichen, der ihm ursprünglich gegeben worden, nicht entreißen lassen. In diesem Sinne bestimmten sie, daß alle Jahr 2 Für- sten, ein geistlicher und ein weltlicher, die Amtsführung des- selben untersuchen und den Ständen Bericht darüber er- statten sollten. Bleiben wir hier einen Augenblick stehen und überlegen, was vorhergegangen was darnach gefolgt ist, so hat doch dieser Costnitzer Reichstag eine hohe Bedeutung. Der Ma- tricularanschlag und das Kammergericht sind drei Jahr- hunderte lang die beiden vornehmsten Einrichtungen gewe- sen, in denen sich die Einheit des Reichs ausgesprochen hat; ihre definitive Festsetzung und Verbindung geschah an diesem Reichstag. Die Ideen, aus denen diese beiden In- stitutionen hervorgegangen, gründeten sich ursprünglich auf verschiedne Prinzipien; allein grade dieß empfahl sie wie- der: die Selbständigkeit der Territorien ward nicht ange- tastet, die Ideen der Gemeinsamkeit erhielten eine gewisse Darstellung. Und noch eine andre überaus schwierige Angelegenheit, die schweizerische ward hier zur Entscheidung gebracht. Churf. Berthold hatte die Schweizer an die Reichs- tage ziehen, alle Institutionen die er beabsichtigte auch auf sie übertragen wollen. Allein wie war davon so ganz das Gegentheil erfolgt! In einem großen Kriege mit dem römischen König hatten die Eidgenossen die Oberhand be- halten: in den europäischen Verwickelungen schlossen sie Reichstag zu Costnitz 1507. sich in der Regel an Frankreich an, noch zogen sie eine Stadt nach der andern in ihren Bund. Und dabei behaupteten sie fortwährend Glieder, Angehörige des Reiches zu seyn. Ein Zustand, der sich nun besonders dann unerträg- lich zeigte wenn man mit Frankreich in Irrungen kam. Man hatte in jedem französisch-italienischen Krieg, wie es im J. 1500 geschehen war, eine Diversion von der Seite der Schweiz zu fürchten; was um so gefährlicher war, je unerwarteter sie eintreten konnte. In Costnitz beschloß man, vor allem diese Sache ins Klare zu bringen. Eine reichsständische Gesandtschaft ward zu dem Ende in die Schweiz abgeordnet. Sie war doch ihres Erfolgs noch keineswegs sicher. „Gott verleihe uns den heiligen Geist,“ ruft ein Mit- glied aus: „wenn wir nichts ausrichten, werden wir die Schweizer mit Krieg überziehen, sie für unsre Türken hal- ten müssen.“ Allein schon waren die Eidgenossen im Laufe ihrer Dienste auch mit den Franzosen zerfallen: sie zeigten sich gefügiger, als man erwartet hatte. Ihre Truppen, so viel deren noch in Italien waren, riefen sie auf die erste Anmahnung von da zurück. Ohne alle Schwierig- keit versprachen sie, sich zum Reich zu halten. Auch von ihrer Seite erschien dann eine Gesandtschaft in Costnitz, von dem König aufs beste aufgenommen freigehalten und beschenkt; mit der man übereinkam, zu dem nächsten Kriege 6000 Schweizer unter ihren Standesfahnen in Sold zu nehmen. Dagegen gewährte ihnen nun auch Maximilian ein Erstes Buch . überaus wichtiges Zugeständniß. Er sprach sie von den Reichsgerichten förmlich los. Weder in peinlichen noch in bürgerlichen noch in vermischten Sachen, erklärte er, solle die Eidgenossenschaft oder ein Mitglied derselben vor das Kammergericht oder vor ein andres königliches Ge- richt geladen werden können. Fryheitsbull bei Anshelm III, 321. Es ist das aber für alle folgende Zeiten entscheidend gewesen. Eben indem das Reich sich zu dem Matricular- anschlag und dem Kammergericht vereinigte, verzichtete es darauf, auch die Schweizer anzuschlagen — es nahm viel- mehr ihre Truppen in seinen Sold — und gab seine Ge- richtsbarkeit über sie auf. Sie wurden, wie Maximilian sich ausdrückt, „gehorsame Verwandte des Reichs,“ denen man in ihrer Widerwärtigkeit Rückhalt zu verleihen habe. Liegt nun hierin ohne Zweifel der eigentliche staats- rechtliche Grund der sich immer mehr entwickelnden Tren- nung der Schweiz vom Reiche, so war es doch für den Augenblick die glücklichste Auskunft. Auch diese Zwietracht war fürs Erste beseitigt. Maximilian erschien mächtiger glänzender als je. Die Fremden zweifelten nicht, was man ihnen zu verstehen gegeben, daß er 30000 Mann im Felde haben werde; die Kriegsbewegungen, die ihnen in einigen schwäbischen Städten begegneten, erfüllten sie mit der Idee daß das Reich mit aller seiner Kraft sich rüste. Maximilian wiegte sich in den weitaussehendsten Hof- nungen. Er erklärte, mit der trefflichen Hülfe die man ihm gewähre hoffe er in Italien alles zu reformiren, was das Annahme des Kaisertitels 1508. das heilige Reich nicht bekenne. Doch werde er sich da- bei nicht aufhalten. Habe er es in Ordnung gebracht, so werde er es einem Hauptmann anvertrauen um selber ohne Verzug gegen die Ungläubigen zu ziehen. Denn das habe er dem allmächtigen Gott gelobt. Der langsame Zuzug der Truppen des Reiches, die Zögerungen der Schweizer, die wohlbesetzten venezianischen Pässe, in der winterlichen Zeit die nun herangekommen doppelt schwer zu überwinden, waren wohl geeignet ihn von so schwärmerischen Idealen auf das Wirklich-Erreich- bare aufmerksam zu machen. Aber er behielt guten Muth. Am 2ten Februar ließ er bei seinem Eintritt in Trient durch eine religiöse Ceremonie den Römerzug feiern den er vorhabe. Ja als sey die Sache schon vollbracht, die er begann: in denselben Tagen nahm er den Titel eines er- wählten römischen Kaisers an. Eine naͤhere Eroͤrterung hieruͤber in dem Excurs uͤber Fugger. Die Fremden nannten ihn schon immer so, und er wußte sehr gut, daß der Papst, in diesem Augenblick sein Verbündeter, nichts dagegen haben werde. Ganz verschiedne Motive bewogen ihn dazu: auf der einen Seite der Anblick der mächtigen Opposition auf die er stieß, so daß er schon fürchtete, es werde ihm nicht gelingen nach Rom zu kommen; auf der andern das Ge- fühl der Macht und Unabhängigkeit des Reiches, dem er die Prärogative, der Christenheit das oberste Haupt zu geben, auf alle Fälle retten wollte: den Act der Krönung hielt er nicht für so wesentlich. Für Deutschland war auch dieser Entschluß von der größten Bedeutung. Die Nachfolger Ma- ximilians haben den kaiserlichen Titel unmittelbar nach ih- Ranke d. Gesch. I. 12 Erstes Buch . rer Krönung in Aachen angenommen: von allen ist nur noch ein einziger von dem Papst gekrönt worden. Obwohl Papst Julius es gern zu sehen schien, so liegt doch darin eine Emancipation der deutschen Krone von dem Papst- thum. Es hängt damit sehr gut zusammen, daß Maximi- lian um die nemliche Zeit auch den Titel eines Königs von Germanien wieder hervorsuchte, der seit Jahrhunderten nicht gehört worden war. Alle dem liegt die Idee von der Ein- heit und Selbständigkeit der deutschen Nation zu Grunde, deren Oberhaupt zugleich auch den höchsten Rang in der Christenheit einnehme. Der Moment des Übergewichtes in der Nation, den Maximilian noch festhielt, sprach sich darin aus; — eines Übergewichtes jedoch, das sehr rasch vorübergieng. Venezianischer Krieg. Reichstag zu Worms 1509. Man hatte in Costnitz geschwankt, ob man sich zuerst gegen die französischen oder gegen die venezianischen Be- sitzungen in Italien wenden solle. Welche Eroberung man auch machen mochte, so dachte man sie nicht wieder durch Belehnungen zu veräußern, — auch Mailand hätte man den Sforzen nicht zurückgegeben, — sondern zu Handen des Rei- ches zu behalten, um die Bedürfnisse desselben davon zu be- streiten. Unter den Fürsten waren Einige mehr für die mailändische, Andre, welche Ansprüche gegen Venedig hat- ten, z. B. die Herzoge von Baiern, mehr für die venezia- nische Unternehmung. Unter den kaiserlichen Räthen selbst walteten verschiedne Meinungen ob. Paul von Lichten- stein, der in gutem Verhältniß mit Venedig stand, war für Venezianischer Krieg 1508. einen Angriff auf Mailand: Matthäus Lang und Eitelfritz von Zollern dagegen hielten es für leichter, den Venezia- nern etwas abzugewinnen, als den Franzosen. Relatione di Vicenzo Quirini. Er machte einige Raͤthe nahmhaft als nostri „capitali inimici;“ eine Zeitlang habe Max. ge- sagt: I Venetiani non mi a fato dispiacer e Franza sì. E su que- ste pratiche passa il tempo. Endlich bekam die letztere Meinung das Übergewicht. Die Venezianer waren nicht einmal zu der Erklärung zu bringen, daß sie nicht gegen den römischen König seyn würden: dagegen machte Frankreich Hofnung, falls man nur Mailand nicht beunruhige, es geschehen zu lassen, daß das Reich seine andern Gerechtsame in Italien geltend mache. Pasqualigo Relatione. Non saria molto difficil cosa che la (S. M.) dirizzasse la sua impresa contra questo stato, mas- sime per il dubbio che li è firmato nell’ animo che le Ecc ze Vo- stre siano per torre l’arme in mano contra a lei quando la fusse sul bello di cacciar li Francesi d’Italia, et a questo ancora l’in- clineria assai li onorati partiti che dal re di Francia li sono con- tinuamente offerti ogni volta che la voglia lassar la impresa di Milano e ricuperar le altre jurisditioni imperiali che ha in Italia. So gut das Gebirg besetzt war, so war doch Maximilian nicht abzuhalten sein Glück daran zu versuchen. Anfangs gieng die Sache ganz gut. „Die Venezianer,“ schreibt Maximilian am 10ten März an den Churfürsten von Sach- sen, „mahlen ihren Löwen mit zwei Füßen in dem Meer, den dritten auf dem platten Land, den vierten in dem Ge- birge. Wir haben den Fuß im Gebirg beinahe ganz ge- wonnen, es fehlt nur noch an einer Klaue, die wir mit Gottes Hülfe in acht Tagen haben wollen; dann denken wir den Fuß auf dem platten Land auch zu erobern.“ Schreiben von Sterzing 1sten Maͤrz. Von Hans Renner 12* Erstes Buch . Allein er hatte sich da in eine Unternehmung gewagt, welche ihn für seine allgemeinen und seine deutschen Verhält- nisse in die bedrängendsten Verwickelungen bringen sollte. Unter den Schweizern regte sich, trotz aller Verträge, besonders durch Luzern aufrecht erhalten die französische Faction doch wieder, ihre Truppen zögerten zu erscheinen. Da nun auch die deutschen Mannschaften, und zwar haupt- sächlich darum, weil man zwei Drittel des Fußvolks aus den Schweizern nehmen wollen, nur sehr schwach waren, so geschah, daß die Venezianer den Kräften des Reiches gegen- über doch gar bald in Vortheil kamen. Sie begnügten sich nicht, die Deutschen von ihrem Gebiet zu entfernen: sie über- fielen den römischen Kaiser in seiner eignen Landschaft, da wo er am wenigsten auf einen Angriff gefaßt war: Görz, Wippach, Triest, 47 mehr oder minder feste Orte nahmen sie in Einem Augenblicke weg. In Deutschland war man erstaunt und bestürzt. Nach Bewilligungen die so bedeutend geschienen, nachdem ein Jeder noch einmal Anstrengungen für das Reich gemacht, nach so großen Erwartungen erlebte man nichts als Schimpf und Schande. Mochte der Kaiser auch sagen, daß man ihm die Anschläge nicht vollständig geleistet, so maß man ihm auch darin einige Schuld bei. Dem Herzog von Lü- neburg z. B. war die Berechnung seines Anschlages niemals zugekommen. Aber überdieß! Anzufangen, ohne seiner Sache einigermaaßen sicher zu seyn: sein Glück auf den Aus- schlag einer schweizerischen Tagsatzung zu wagen! Von dem liegt ein Schreiben von dem nemlichen Datum bei. Auch er hat die beste Hoffnung. Zusammenkunft in Worms 1508. gewöhnlichen Schicksal, durch ein verfehltes Unternehmen um seinen Credit zu kommen, ward Maximilian, an dessen Eigenschaften doch immer viele gezweifelt, doppelt und drei- fach betroffen. Genöthigt, sich auf der Stelle nach Deutschland zu- rückzuwenden, rief Maximilian zuerst die Churfürsten zu- sammen. Den pfälzischen lud er nicht mit ein: der bran- denburgische war ihm zu fern und er begnügte sich mit ei- nem Botschafter desselben. Aber die übrigen erschienen, An- fang Mai 1508, in Worms. Maximilian ließ ihnen vor- tragen: zunächst sie, auf die das Reich gegrundfestet sey, rufe er in dieser großen Gefahr zu Hülfe: er ersuche sie um ihren Rath, wie er eine tapfere währende und aus- trägliche Hülfe erlangen könne, jedoch, fügte er hinzu, ohne den schwäbischen Bund dazu anzustrengen, dessen Hülfe er anderweit brauche, und ohne einen Reichstag. Die Instruction fuͤr Matthias Lang Bischof von Gurk, Adolf Graf von Nassau, Erasmus Dopler Propst zu St. Sebald zu Nuͤrnberg und Dr. Ulrich von Schellenberg, datirt St. Wendel letz- ten April 1508. (Weimar. Arch.) Unter den Versammelten vermochte jetzt Friedrich von Sachsen das Meiste. Auf seinen Rath lehnten sie den An- trag des Kaisers, mit ihm in Frankfurt zusammenzutreffen, ab; vornehmlich weil es ihnen doch unmöglich sey, sich zu ent- schließen ohne sich mit den andern Ständen des Reichs un- terredet zu haben. Im Arch. zu Weimar findet sich der Rathschlag Friedrichs und die Antwort. (Montag nach Misericordia 8 Mai.) Maximilian erwiederte, er sey in der gefährlichsten Lage der Welt: würde die Reichshülfe, der es an Besoldung fehle, jetzt abziehen, so sey seine Grafschaft Erstes Buch . Tirol geneigt sich zu Franzosen und Venezianern zu schla- gen, aus Unwillen über das Reich, von dem es nicht ge- schützt werde: einen Reichstag könne er auf keinen Fall er- warten, da werde er zu viel versäumen; höchstens möge man die nächstgesessenen Fürsten eilig zusammenrufen. Schreiben Maximilians von Linz 7 Mai und von Sieg- burg 10 Mai. (Weim. A.) Die Churfürsten blieben dabei, einen Reichstag zu fordern. Sie wollten nicht glauben, daß sich der schwäbische Bund von andern Ständen sondern zu lassen denke; von sich selbst, sag- ten sie, hinter dem Rücken der übrigen etwas zu bewilligen, werde ihnen Unfreundschaft bringen und dem König uner- sprießlich seyn. Antwort Samstag nach Misericordia 13 Mai. (Weim. A.) Gegen ihre Buͤrgschaft verlangten sie Versicherung vom Kaiser. Die- ser erwiederte, „er koͤnne sich zu nichts weiter verpflichten, als sie in Jahresfrist ihrer Buͤrgschaft zu entheben, auf seinen guten Glauben.“ Nur so weit brachte sie das augen- scheinliche dringende Bedürfniß, daß sie eine Anleihe des Kaisers durch Verwendung und Bürgschaft beförderten. Einen unermeßlichen Einfluß haben doch immer nicht minder bei uns als bei andern die Erfolge des Krieges auf den Gang der innern Angelegenheiten. Wir sahen wie alle jene Versuche das Reich im Sinne der Stände zu constituiren mit dem Bunde zusammenhiengen, durch welchen Maximilian zum römischen König gewählt, Östreich und Niederland behauptet, Baiern zur Unterwerfung ge- nöthigt wurde. Bei dem ersten größern Unfall dagegen, jenem unglücklichen Zusammentreffen mit der Schweiz, be- kam diese Verfassung einen Stoß, von dem sie sich nie wieder erholen konnte. Auch die Stellung, welche der Kö- Venezianischer Krieg 1509. nig selbst nunmehr angenommen, beruhte auf dem Glücke seiner Waffen in dem bairischen Kriege. Kein Wunder, daß nach den großen Verlusten die er jetzt erfuhr, alles schwankte, und die fast überwunden scheinenden Oppositionen sich aufs neue erhoben. Das Glück, das Gelingen verbindet: das Unglück zersetzt und zerstreut. Es veränderte diese Stimmung nicht, daß Maximi- lian durch den Widerwillen, den das Um-sich-greifen der Venezianer auch anderwärts hervorgebracht hatte, unterstützt, jetzt den Bund von Cambrai abschloß, in welchem sich nicht allein der Papst und Ferdinand der Katholische, sondern vor allem auch der König von Frankreich, den er so eben bekämpft, mit ihm wider Venedig verbanden. Matthias von Gurk giebt dem Churf. Friedrich 24 Sept. Nachricht daß er sich mit einigen Räthen und der Tochter des Kai- sers an einen Ort an der franzoͤsischen Grenze begeben werde, um mit dem Cardinal von Roan, der auch dahin kommen solle, uͤber den Frieden zu unterhandeln. „Frau Margareta handelt und muet sich mit allem Vleiß und Ernst umb ain Frid.“ Dieses rasche Aufgeben der so laut erklärten Antipathie gegen die Fran- zosen, dieser plötzliche Umschlag der Politik konnte das Ver- trauen der Stände nicht wieder herstellen. Vielleicht wäre gegenwärtig wirklich der Moment ge- wesen wo sich im Verein mit so mächtigen Verbündeten Eroberungen in Italien hätten machen lassen: jedoch in Deutschland verstand man sich nicht mehr dazu. Als der Kaiser in der Versammlung der Stände, die nach langer Verzögerung zusammengetreten, Durch Ausschreiben Coͤlln vom 31sten Mai 1508 nach je- ner Zusammenkunft der Churfuͤrsten ward „ein eilender Reichstag“ auf den 16 Juli angekuͤndigt; verschoben Boppard den 26 Juni zu Worms erschien Erstes Buch . (21sten April 1509) — schon ganz kriegerisch zog er ein, in vollem Harnisch, auf gepanzertem Hengst, mit einem Gefolge von tausend Reitern, unter denen auch Stradio- ten und Albanesen waren — fand er einen Widerstand, wie kaum jemals früher. Er stellte den Ständen die Vortheile vor, welche dem Reich aus dem eben geschlossenen Tractat entspringen wür- den, und forderte sie auf, ihm mit einer stattlichen Hülfe zu Roß und zu Fuß sobald als möglich und wenigstens auf ein Jahr lang zu Hülfe zu kommen: Verhandelung der Stennde des h. Reichs uff dem kaiserli- chen Tage zu Worms ao̅ dn̅i̅ 1509. Frankf. AA. Bd 24. Fuͤr- halten Sr Maj. Sonntag 22 April um Ein Uhr. „Wo S. Hei- ligkeit nit gewest, haͤtte Kais. Mt den Verstand und Practica nit angenommen.“ Doch bemerkt er, die Sache werde sich „liederlich und mit kleinen Kosten ausfuͤhren lassen.“ die Stände ant- worteten ihm mit Beschwerden über seine innere Verwal- tung. Ein geheimes Mißvergnügen, von dem Maximilian in seinem dahinstürmenden Wesen nichts zu ahnden schien, hatte die Gemüther ergriffen. Vor allem beschwerten sich die Städte und zwar mit gutem Grunde. Unter Churfürst Berthold hatten sie eine so glänzende Stellung eingenommen, so großen Antheil an der allgemei- nen Verwaltung gehabt: damit war es nach der Aufhe- bung des Regimentes vorüber. Auch in das Kammer- „bis wir des Reichs Nothdurft weiter bedenken:“ 16 Juli in Coͤlln auf Allerheiligen bestimmt; 12 Sept. zu Bruͤssel wird dieser Termin nochmals festgesetzt; 22 Dez. zu Mecheln erklaͤrt, woran der neue Verzug gelegen: — nemlich an den Unterhandlungen mit Frankreich; endlich 15 Maͤrz 1509 erneut der Kaiser sein Ausschrei- ben und setzt den Termin Judica fest. Fr. AA. Bd 24 u. 25. Reichstag zu Worms 1509. gericht fanden keine städtischen Assessoren Eintritt. Dage- gen mußten sie nicht allein wie zu jeder andern Anlage, so für das Gericht beisteuern, sondern man hatte sie auch zu Costnitz unverhältnißmäßig hoch angeschlagen. Schon zu Cölln waren sie nicht geschont worden, wie wir sahen; ziemlich zwei Siebentheil der Hülfe fielen ihnen zu. Zu Costnitz aber wurde ihnen von Fußvolk und Geld ein volles Drittheil der ganzen Summe aufgelegt. Nachrichten des aͤchten Fugger. So viel ich sehe betrug die Summe 20000 G. Vgl. Jaͤger Schwaͤbisches Staͤdtewesen 677. Ja als sey es daran nicht genug, unmittelbar nach dem Reichs- tag hatte der Kaiser die Bevollmächtigten der Städte vor den Reichsfiscal fordern lassen, um sie wegen des Fort- bestehens der großen Kaufmannsgesellschaften, welche durch frühere Reichsschlüsse verboten waren, zur Rede zu stel- len, und weil sie ungesetzliche Handthierung getrieben, eine Pön von 90000 G. von ihnen gefordert. Die Kaufleute hatten sich mit lautem Geschrei dagegen gesetzt: man wolle sie wie Leibeigene behandeln, besser werde ihnen seyn, aus- zuwandern, nach Venedig oder nach der Schweiz oder auch nach Frankreich, wo man ehrlichen Handel und Wandel nicht beschränke; zuletzt hatten sie sich doch zu einer nahm- haften Summe verstehen müssen. Noch waren die Städte nicht so schwach, um sich das alles so gradezu gefallen zu lassen: sie hatten Städtetag gehalten und beschlossen, sich auf dem nächsten Reichstage zur Wehre zu setzen, Die Beschluͤsse dieser Staͤdtetage waͤren wohl noch naͤher zu ermitteln. Ein Schreiben des schwaͤbischen Bundes vom 21 Oct. 1508 erinnert, „welchermaaß auf vergangen gemeinem Frei und Reichsstett-Tag zu Speier der Beschwerden halben, so den Stett- die Erstes Buch . Mitglieder des schwäbischen Bundes so gut wie die andern. Am wenigsten konnten sie Lust haben sich gegen eine Re- publik anzustrengen mit der sie in vortheilhaften Handels- verbindungen standen, die sie als ein Muster und natür- liches Oberhaupt aller städtischen Geweinwesen zu betrach- ten gewohnt waren. Auch unter den Fürsten gab es viel böses Blut. Die Anforderungen des Kammergerichts, die Unregelmäßigkeiten der Matrikel, deren wir noch gedenken werden, hatten eben die mächtigsten verstimmt. Noch immer war die Pfalz nicht versöhnt. Der alte Pfalzgraf war gestorben: seine Söhne erschienen zu Worms, doch konnten sie nicht zu ihren Lehen gelangen. Der kriegerische Eifer, der früher- hin Manche für den Kaiser begeistert, hatte sich nach dem schlechten Ausgang des ersten Unternehmens sehr gelegt. Was aber noch mehr Eindruck machte als alles dieß, war das Verfahren Maximilians bei seinen letzten Tracta- ten. In den weimarischen Acten findet sich ein Gutachten uͤber die Nothwendigkeit die Huͤlfe zu versagen, in welchem man beson- ders uͤber Leute klagt „so bei S. Kais. Mt sein und sich allwege geflissen Ks. Mt dahin zu bewegen Hilf bei den Stenden des Rei- ches zu suchen zu solchem Fuͤrnemen, das doch ohne Rad und Be- wußt der Stennde des h. Reichs beschehen ist.“ In Costnitz hatten die Stände auf eine Gesandt- schaft nach Frankreich, auf erneuerte Unterhandlungen mit dieser Macht angetragen. Denn die Geschäfte des Rei- ches wollten sie nicht so geradehin dem Oberhaupt über- boten uf dem Reichstag zu Costnitz begegnet sind, gerathschlagt und sunderlich verlassen ist, so die Roͤm. Koͤnigl. Mt wiederum ein Reichs- tag fuͤrnehmen wird, daß alsdann gemeine Frei und Reichsstaͤtte gen Speier beschrieben werden sollten.“ Reichstag zu Worms 1509. lassen. Maximilian hatte damals alles von sich gewiesen und eine unversöhnliche Feindseligkeit gegen die Franzosen kund gegeben. Jetzt dagegen hatte er selbst mit Frankreich abgeschlossen, wieder ohne die Stände zu fragen; ja er fand sich nicht einmal bewogen den abgeschlossenen Tractat denselben mitzutheilen. Kein Wunder wenn diese mächti- gen Fürsten, welche so eben alle Macht des Reiches in einer von ihnen constituirten Regierung hatten vereinigen wollen, hierüber mißvergnügt waren, sich verletzt fühlten. Sie erinnerten den Kaiser daran, daß sie ihm in Costnitz ge- sagt, er empfange jetzt die letzte Bewilligung, und daß auch er auf fernere Hülfe Verzicht geleistet hatte. Von seinen Rä- then, sagten sie, werde ihm eingebildet, das Reich müsse ihm helfen so oft er es verlange: man dürfe aber diese Mei- nung nicht bei ihm einwurzeln lassen, sonst werde man immer davon zu leiden haben. So bildete sich aus verschiednen Gründen eine sehr starke Opposition gegen die Anträge des Königs. Es machte keinen Eindruck, daß indeß die Franzosen einen glänzenden Sieg über die Venezianer davon trugen und diese einen Augenblick die Herrschaft über ihr festes Land behaupten zu können verzweifelten. Vielmehr bildete sich der erste Widerstand gegen den Siegeslauf des Bundes von Cam- brai hier in Deutschland. In demselben Augenblick, in der zweiten Hälfte des Mai, in welchem nach der Schlacht von Agnadello die venezianischen Städte in Apulien, der Romagna und der Lombardei in die Hände der Verbün- deten fielen, berieth ein Ausschuß und beschlossen hierauf die Stände eine Antwort an den Kaiser, in welcher sie Erstes Buch . ihm alle Hülfe versagten. Sie erklärten, ihn für den jetzi- gen Krieg zu unterstützen seyen sie weder fähig noch auch schuldig. Das eine nicht: denn ihren Unterthanen sey schon die vorige Hülfe als die letzte angekündigt worden, und ohne große Widerwärtigkeit lasse sich keine neue for- dern: aber auch das andre nicht. Habe man ihnen doch nicht einmal die Verträge mitgetheilt, wie das doch wohl in Fällen dieser Art herkömmlich sey. Verhandelungen ꝛc. „Dweile die Stende des Reichs davon kein gruͤndliches Wissen tragen, so hab J. Ks. Mt wohl zu ermessen, daß wo ichts darin begriffen oder verleipt das dem h. Reich jetzo oder in Zukunft zu Nachtheil thaͤte reichen, es were mit Herzogthum Mailand oder anderm, dem Reich zustendig, daß sie darin nit wil- ligen koͤnnen.“ Die Commissarien des Kaisers, denn er selbst hatte sich, um die Rüstungen an den italienischen Grenzen zu be- treiben, wenige Tage nach seiner Ankunft wieder entfernt, Nicht eben aus Unmuth, wie man angenommen. Er er- klaͤrte gleich am 22sten April, er koͤnne den Beschluß nicht erwarten, und gieng dann 2 Tage darauf weg, ehe die Versammlung noch recht beisammen war; die eigentliche Reichstagsproposition geschah erst Mittwoch vor Himmelfahrt 16 Mai, durch Casimir von Bran- denburg als Statthalter, Adolf von Nassau und Frauenberg als des- sen Raͤthe. Frankf. AA. Bd 24. Die Schreiben des Frankf. Raths- freundes Joh. Frosch wiederholen hauptsaͤchlich den Inhalt der Acten, mit einigen Zusaͤtzen. Aus beiden ergiebt sich, daß es zu einem Ab- schied gar nicht gekommen ist, obwohl das bei Muͤller und Fels so scheinen sollte. waren über eine so entschieden abschlägliche Antwort höch- lich betreten. Was werde die Kirche, was werde Frank- reich sagen, wenn das h. Reich allein seine Rechte nicht wahrnehme. Die Stände lehnten jede weitere Erörterung über diese Angelegenheit ab: wolle man ihnen dagegen über Reichstag zu Worms 1509. Friede und Recht, über das Kammergericht oder die Münze einen Vorschlag machen, darauf würden sie eingehn. Die Commissarien fragten, ob dieß die einhellige Meinung al- ler Stände sey: die Stände erwiederten: so sey von ihnen allen, ganz einhellig beschlossen worden. Die Commissa- rien versetzten: so bleibe ihnen nichts übrig, als an den Kaiser zu berichten und dessen Antwort abzuwarten. Man kann denken, wie Der nun darüber in Feuer und Flamme gerieth. Von den italienischen Grenzen, von Trient ließ er eine heftige Antwort ausgehn gedruckt obwohl versiegelt. Zuerst rechtfertigte er darin sein eignes Betra- gen, besonders den Abschluß des letzten Vertrags, wozu er wohl Fug und Macht gehabt, „als regierender römi- scher Kaiser, nach Schickung des Allmächtigen, nach ho- hem Rath und Erwägen;“ dann warf er die Schuld der bisherigen Unfälle auf die Stände zurück, auf die unvoll- kommene Leistung ihrer Hülfe. Ihr Unvermögen könne er nicht gelten lassen. Sie müssen nicht Schätze sammeln wollen, sondern den Eid bedenken mit dem sie ihm ge- schworen und verpflichtet seyen. Auch sey das gar nicht die Ursache ihrer abschläglichen Antwort, sondern allein der Unwille, den Einige gefaßt, weil er ihres Raths nicht ge- pflogen. Ehe diese Antwort ankam, waren die Stände schon aus einander gegangen. Ein Abschied war nicht verfaßt worden. Erstes Buch . Reichstage zu Augsburg 1510, zu Trier und Cölln 1512. Ich will, indem ich weiter gehe, das Geständniß nicht zurückhalten, daß meine Theilnahme an der Entwickelung der Reichsverfassung mitten in dem Studium an dieser Stelle abzunehmen anfängt. Daß es in einem so wichtigen Augenblick, wo die er- wünschteste Eroberung angeboten ward, deren Besitz aller der Lasten, die man höchst ungern trug, überhoben, und ein gemeinschaftliches Interesse gesammter Stände consti- tuirt hätte, doch zu keiner Vereinbarung kam, zeigt eine in der Sache liegende Unmöglichkeit an, mit allen diesen Bestrebungen zum Ziel zu gelangen. Obwohl der Kaiser an der Gründung nationaler Ein- richtungen keinesweges den selbstthätigen, schöpferischen An- theil nahm, den man ihm wohl zugeschrieben hat, so be- wies er doch viel Sinn für dieselben: er hatte einen ho- hen Begriff von der Einheit und Würde des Reiches: zu Zeiten unterwarf er sich Verfassungsformen, die ihn be- schränken mußten. Eben so gab es wohl niemals Stände, welche von der Nothwendigkeit zusammenhaltende Institu- tionen zu gründen so durchdrungen, dazu so bereit gewe- sen wären, wie die damaligen. Allein diese beiden Kräfte konnten den Punct nicht finden, in welchem sie überein- gestimmt, ihre Tendenzen verschmolzen hätten. Die Stände sahen in sich selber, in ihrer Vereinigung auch die Einheit des Reiches. Sie hatten ein ständisches Re- giment im Sinn, wie es wohl schon in einzelnen Landschaften Verhaͤltniß des Kaisers und der Staͤnde . vorkam; bei dem sie die Würde des Kaisers zu behaupten, aber auch seiner Willkühr auf immer ein Ziel zu setzen, selbst auf Kosten der Territorialmacht für Krieg, Finan- zen und Recht haltbare Ordnung einzuführen gedachten. Aber die Widerwärtigkeiten eines unzeitigen Feldzuges, die Unzufriedenheit des Kaisers mit der Stellung die sie in den auswärtigen Angelegenheiten annahmen, hatten ihr Werk zerstört. Dann hatte es Maximilian unternommen, das Reich durch ähnliche Einrichtungen, jedoch mit besserer Behaup- tung des monarchischen Prinzipes, zu verjüngen: es war zu Beschlüssen gekommen, von minder tiefgreifender Be- deutung, jedoch ausführbarerem Inhalt; aber bei der wei- teren Ausbildung zeigten sich Mißverständnisse, Abgeneigt- heiten ohne Zahl; und plötzlich gerieth alles in Stocken. Die Stände hatten mehr die innern, Maximilian mehr die auswärtigen Angelegenheiten ins Auge gefaßt; aber weder wollte sich dort der König seiner Macht so weit be- rauben, noch wollten hier die Stände sich ihren Einfluß so vollständig entziehen lassen, wie die Absicht des andern Theiles war. Die Stände vermochten den Kaiser nicht in dem Kreise festzuhalten, den sie ihm gezogen. Der Kai- ser vermochte sie auf der Bahn die er einschlug nicht mit sich fortzureißen. Denn so sind nun einmal die menschlichen Dinge be- schaffen, daß sich durch Berathung und Gleichgewicht nicht viel erreichen läßt; nur eine überwiegende Kraft und ein fester Wille vermag haltbare Gründungen zu vollziehen. Maximilian hat immer behauptet und es ist nicht Erstes Buch . ohne Wahrscheinlichkeit, daß die Weigerung des Reiches ihm beizustehen, den Venezianern wieder Muth gemacht habe. Rovereyt 8 Nov. 1509. Als uns der Stend Hilf und Bei- stand vorzigen und abgeschlagen, und den Venedigern das kund, wur- den sy mehr gestaͤrkt, suchten erst all ir Vermoͤgen und bewegten daneben den gemein Popl in Stetten. (Frkf. A.) Das mächtige Padua, das schon besetzt war, gieng wieder verloren, und Maximilian belagerte es nur vergebens; um den Krieg fortsetzen zu können mußte er aufs neue die Stände berufen. Am 6ten März 1510 ward eine neue Reichsversamm- lung zu Augsburg eröffnet. Haͤberlin ist ungewiß, ob der Reichstag auf den h. 3 Koͤ- nigtag oder auf den 12 Jan. ausgeschrieben worden. Das Ausschrei- ben lautet auf den achtenden der heil. drei Koͤnigtag d. i. 13 Jan. Maximilian stellte die Noth- wendigkeit vor, noch einmal mit Heereskraft gegen Vene- dig vorzudringen. Schon habe er das Reich über Bur- gund und die Niederlande erweitert: ihm ein erbliches Recht auf Ungern verschafft: auch diese reichen Commu- nen wolle er nun herbeibringen, auf welche anstatt der Deutschen die Bürde des Reiches fallen solle. Einen gewissen Eindruck machte diese Aussicht nun wohl noch einmal auf die Stände, doch blieben sie sehr friedfertig. Sie wünschten die Sache durch eine Abkunft mit den Venezianern zu Ende zu bringen. Schon hatte die Republik eine Zahlung von 100000 G. auf der Stelle und eine jährliche Abgabe von 10000 G. versprochen, und der Reichstag war sehr der Meinung, auf diese Grund- lage zu unterhandeln. Man wird das begreiflich fin- den, Reichstag zu Augsburg 1510. den, wenn man sich erinnert, wie viel Schwierigkeit eine Bewilligung von ein paar hunderttausend Gulden machte; zunächst wäre man wenigstens des kleinen Anschlags für das Kammergericht, der auch nur sehr schlecht eingieng, überhoben gewesen. Handlung auf gehaltenem Reichstag zu Augsburg 1510. (Fr. A.) Antwort der Staͤnde Aftermittwoch nach Judica. Sie riethen dazu, um nicht die Sache kuͤnftig entweder gradezu fallen zu lassen „oder viel nachtheiliger und beschwerlicher Rachtigung annehmen zu muͤssen, als jetzt dem heil. Reich zu Ehr und Lob erlangt werden moͤge.“ Jedoch dem Kaiser kamen diese Anerbietungen beinahe schimpflich vor. Er berechnete, daß ihm der Krieg eine Million gekostet, daß Venedig von jenen Landen jährlich 500000 G. Nutzung habe; er erklärte, er wolle sich so nicht abspeisen lassen. Da war nur wieder das Unglück, daß er doch auch den Ständen seinen kriegerischen Eifer nicht einflößen konnte. Alle Ideen, die an den gemeinen Pfennig oder den vier- hundertsten Mann erinnerten, wurden bei der ersten Er- wähnung abgelehnt. Es kam wohl zu einer Bewilligung: man verstand sich eine Hülfe nach der Cöllner Matrikel, denn die Costnitzer wies man von sich, aufzustellen und ein Halbjahr im Felde zu erhalten: Der Kaiser verlangte die eine freie Zusage „der Huͤlfe von Costnitz, als lang S. Mt der nothduͤrftig seyn wird.“ Insgeheim wolle er dann einen Revers ausstellen, daß er sie nur auf Ein Jahr begehre. Die Staͤnde trugen den Coͤllner Anschlag an. Der Kai- ser: er sey daruͤber erschrocken; mancher Stand vermoͤge allein mehr als das. Es blieb aber dabei und man entschloß sich nur, die Huͤlfe nach dem Coͤllner Anschlag auf ein halb Jahr zu stellen, wie fruͤher auf ein ganzes. allein wie hätte man hoffen können, die Venezianer mit einer so geringen An- Ranke d. Gesch. I. 13 Erstes Buch . strengung von der Terra ferma auszuschließen? Der päpst- liche Nuntius sprach darüber mit einzelnen einflußreichen Fürsten. Sie entgegneten ihm grade heraus, der Kaiser werde darum so schlecht unterstützt, weil er den Krieg ohne ihren Rath unternommen habe. Daraus folgte dann hinwieder, daß Maximilian sich zu keiner Rücksicht auf das Reich gebunden erachtete. Als man ihn zu Augsburg aufforderte, seine Eroberungen nicht willkührlich zu vergaben, erwiederte er, das Reich unter- stütze ihn nicht so gut daß dieß ausführbar sey: er müsse nach seiner Gelegenheit Verträge schließen, Vergabungen vornehmen dürfen. So wenig kam es auch dieß Mal zwischen Kaiser und Ständen zu gutem Vernehmen und Zusammenwirken. Selbst das Allerbilligste, In-sich-Nothwendige schlug der Kaiser ab. Die Stände forderten, er solle sich aller Eingriffe in den Gang des Kammergerichts enthalten. Da- von war so oft die Rede gewesen und auf dieser Idee be- ruhte die ganze Institution. Maximilian trug jedoch kein Bedenken zu antworten, zuweilen greife das Gericht weiter als ihm gebühre, er könne sich die Hand nicht binden lassen. Kein Wunder wenn dann auch die Stände auf einen übrigens sehr merkwürdigen Plan zur Ausführung der kam- mergerichtlichen Urtel, den er ihnen vorlegte, nicht eingien- gen. Maximilian schlug vor, einen immerwährenden Reichs- anschlag nach dem Muster des cöllnischen zu entwerfen, von 1000 bis 50000 M., so daß man in jedem Falle nur die Summe der Hülfe zu bestimmen habe. Denn eine Macht sey nöthig, um die Widerspenstigen zu züchtigen, welche den Landfrieden brechen, oder den Bann des Kam Reichstag zu Augsburg 1510. mergerichts nicht achten, oder sich sonst den Pflichten des Reiches entziehen. Auch die auswärtigen Feinde werde schon der Ruf einer solchen Vereinbarung schrecken. An dem Kammergerichte möge dann ein Ausschuß sitzen, der über die Verwendung dieser Hülfe im Innern zu beschlie- ßen habe. Commissarien zur Handhabung des Rechtes „also daß Kais. Mt Jemand dazu verordnet, desgleichen auch das Reich von jedem Stand etliche mit voller Gewalt, zu erkennen, ob man Jemand der sich beklagt daß ihm Unrecht geschehen, Huͤlfe schuldig sey und wie groß.“ In jedem Viertheil des Reiches wuͤrde ein Hauptmann seyn, der die Huͤlfe nach jener Erkenntniß aufbieten duͤrfe. Auch einen allgemeinen Reichshauptmann muͤsse es geben. Wie man sieht, eine folgerechte Ausbildung des Matricularwesens: Maximilian hatte mit dem tref- fenden Geist der ihm eigen ist, wieder einmal das Noth- wendige berührt und hervorgehoben. Die Stände erklär- ten, dieser Entwurf sey aus hoher Vernunft und Betrach- tung geschehen, allein darauf einzugehn waren sie doch nicht zu bewegen; sie verpflichteten sich nur ihn auf dem nächsten Reichstag in Betracht zu ziehn. Natürlich! Zu- nächst würde der Anschlag doch für Maximilians aus- wärtige Kriege in Ausführung gesetzt worden seyn. Eben die Räthe des Kaisers, mit denen man unzufrieden war, würden daran einen neuen Anhalt für ihre Forderungen bekommen haben. Die Sachen giengen, wie es sich nicht anders erwar- ten ließ. Man gerieth in Augsburg nicht in neue Entzweiung; äußerlich waltete eine ziemliche Eintracht ob; allein we- sentlich kam man einander doch nicht näher. 13* Erstes Buch . Maximilian führte hierauf seinen venezianischen Krieg noch ein paar Jahr fort; unter mannichfaltigem Glückes- wechsel, in immer neue Verwickelungen der europäischen Politik verflochten; in dem Gewebe des Weltgeschickes je- ner Zeit schlug auch er einen Faden ein; alle seine Ver- suche aber das Reich zur bessern Theilnahme herbeizu- ziehen waren vergebens; weder die Städte, noch auch nur die Juden in den Städten gaben seinen Geldforderungen Gehör; von seinen Aufgeboten mußte er selber wieder ent- lassen, weil doch die Meisten nicht Folge leisteten; schon genug wenn nur die ihm zuletzt in Augsburg bewilligte Hülfe einkam. Daß man eine Stadt nach der andern auf- gab, und die Hofnung einiger Erleichterung der Reichs- lasten verlor, war von alle dem zum Theil der Erfolg, zum Theil wieder die Ursache. Im April 1512 versammelte sich endlich aufs neue ein Reichstag: anfangs zu Trier, von wo er seine Sitzun- gen später nach Cölln verlegte. Die Acten dieses Reichstags finden sich in ziemlicher Voll- staͤndigkeit im 31sten Bande der Frankfurter Sammlung. Die Schrei- ben des Frankfurter Abgeordneten, Jacob Heller, vom 4ten Mai bis 29 Juni sind aus Trier, eines vom 12 Juli aus Coͤlln datirt; im 29sten Band. Der Kaiser begann damit seinen Vorschlag auf eine progressive Matrikel zu erneuern und um gute Antwort zu bitten. Die Fürsten entgegneten, bei ihren Landschaften und Unterthanen sey dieser Vorschlag nicht durchzubringen: er möge ihnen andre Mittel und Wege angeben. Maxi- milian entgegnete, dann möge man wenigstens auf die Be- schlüsse des Jahres 1500 zurückkommen, und ihm den vier- Reichstag zu Trier und Coͤlln 1512. hundertsten Mann bewilligen, um den Sieg wider die Feinde zu erlangen, und einen gemeinen Pfennig „um damit den erlangten Sieg zu behaupten.“ Ganz zurückzuweisen wag- ten das die Stände nicht, da sie sich durch ihr Verspre- chen von Augsburg gebunden fühlten; der Entwurf eines gemeinen Pfennigs ward jetzt wirklich aufs neue vorge- nommen, aber sie gaben demselben eine Wendung die ihm seine Bedeutung nahm. Sie setzten ihn einmal viel ge- ringer an: früher hatte man von 1000 Gulden Capital 1 G. gefordert; jetzt sollte 1 G. von 4000 genügen: Das ist das Prinzip. Wer unter 50 G. besitzt, soll 1/60 rh. G. zahlen; wer zwischen 50—100 1/40; wer 100—400 1/20; 400—1000 1/10; 1000—1500 ⅕; 2000—4000 ½; 4000—10000 1 G. — dann eximirten sie sich aber auch selber: früher sollten Für- sten und Herrn nach ihrem Vermögen beitragen; jetzt hieß es, sie hätten andre Kosten für das Reich aus ihrem Kammergut zu bestreiten. Auch den Einwendungen der Ritterschaft gab man jetzt von vorn herein nach; sie sollte nur verpflichtet seyn, ihre Hintersassen und Unterthanen in diesen Anschlag zu ziehen. Maximilian machte we- niger hiegegen, als gegen die Geringfügigkeit des Anschla- ges überhaupt Einwendungen; aber man entgegnete ihm, das gemeine Volk sey ohnehin mit Bürden überladen, es würde unmöglich seyn mehr von ihm auszubringen. Er forderte nun, man möge ihm diese Auflage wenigstens auf so lange bewilligen bis sie ihm eine Million Gulden ge- tragen haben werde. Die Stände bemerkten, die Nahm- haftmachung einer solchen Summe werde das Volk in Schrecken setzen. Erstes Buch . Mit größerem Eifer gieng man auf die andre Seite der kaiserlichen Vorschläge ein, welche die Execution der kammergerichtlichen Urtel betraf. Man abstrahirte von den vier Vierteln, in welche Maximilian wie einst Albrecht II das Reich einzutheilen gedacht hatte, und faßte die Idee, die Eintheilung der Kreise, die bisher nur für die Wah- len zum Regiment und zum Kammergericht in Anwen- dung gekommen, zu diesem Zwecke zu benutzen und sie noch tauglicher zu machen. Auch die churfürstlichen und die kaiserlichen Erblande sollten jetzt den Kreisen beigezählt wer- den: Sachsen und Brandenburg mit ihren Häusern soll- ten den siebenten, die vier rheinischen Churfürsten den ach- ten, Östreich den neunten, Burgund den zehnten Kreis bil- den. In einem jeden sollten Hauptleute zur Execution des Rechtes aufgestellt werden. Aber auch hierüber erhob sich sogleich die wichtigste Differenz. Der Kaiser nahm eigenen Antheil an der Er- nennung dieser Hauptleute in Anspruch, ja er forderte über- dieß einen Oberhauptmann dessen er sich in auswärtigen Kriegen bedienen könne, und einen Rath von 8 Mitglie- dern, der an seinem Hof residiren solle, — eine Art von Re- giment, — von dessen Theilnahme an den Geschäften er sich besondern Einfluß auf das Reich versprach. Die Stände dagegen wollten weder von diesen Räthen, noch von dem Oberhauptmann etwas wissen; die Hauptleute in ihren Kreisen wollten sie selber ernennen. Hierüber kam es in Cölln, im August 1512, noch einmal zu lebhaften Mißhelligkeiten. Der Kaiser gab eines Tages den Ständen ihre Antwort gradezu zurück, weil er Reichstag zu Trier und Coͤlln 1512. sie nicht als eine Antwort annehmen könne, sie nicht in seinen Händen behalten wolle. Nur durch die eifrige Bemühung des Churfürsten von Mainz geschah, daß die acht Räthe endlich genehmigt wur- den. Sie sollten hauptsächlich dazu dienen, die entstehen- den Händel gütlich beizulegen. Von dem Oberhauptmann dagegen geschieht keine Meldung weiter. Ich finde nicht, daß die Kreise in der Ernennung der Unterhauptleute hät- ten beschränkt werden sollen. Der Anschlag ward auf die von den Ständen beliebte Art angenommen, und der Kai- ser verzichtete auf das Versprechen der Million. So kam es wohl noch am Ende zu einem Beschluß; der in den Reichsabschied aufgenommen ward. Fragen wir aber, ob er nun auch ausgeführt wurde, so ist davon nichts zu spüren. Es gab eine zahlreiche Partei die in diese Beschlüsse gleich von Anfang nicht willigte, ob sie dieselben wohl nicht grade hatte hinter- treiben können, an deren Spitze einer der erfahrensten, an- gesehensten Reichsfürsten, Friedrich Churfürst von Sach- sen stand. Der Anschlag den man entworfen, ist niemals auch nur eingefordert, geschweige denn erlegt worden. Die acht Räthe hat man nicht aufgestellt, die Unterhauptleute hat man so wenig ernannt wie den Oberhauptmann. Die Eintheilung des Reiches in die zehn Kreise ist erst ein Jahrzehend später zu einer gewissen Bedeutung gelangt. Erstes Buch . Innere Gährung. Wären die Versuche, der Nation eine Verfassung zu geben, gelungen, so würde eine lebhafte innere Bewegung unvermeidlich gewesen seyn, ehe sich alles der neu entstan- denen centralen Gewalt gefügt und untergeordnet hätte; daß aber die Versuche unternommen worden und nicht ge- lungen waren, daß man an dem Bestehenden gerüttelt, und eine lebendige Einheit nicht zu Stande gebracht, mußte eine allgemeine Gährung veranlassen. Die gegenseitigen Rechte und Pflichten des Oberhaup- tes und der Stände waren nun erst recht zweifelhaft ge- worden. Die Stände hatten Theilnahme an Jurisdiction und Regierung gefordert: der Kaiser hatte einiges nach- gegeben, andres suchte er um so mehr festzuhalten: eine Grenze war nicht gefunden worden. Es war ein unauf- hörliches Fordern und Verweigern; abgenöthigtes Bewilli- gen, unvollständiges Leisten; ohne wahre Anstrengung, ohne wesentlichen Erfolg und deshalb auch ohne Genugthuung auf irgend einer Seite. Früher hatte wenigstens die Union der Churfürsten eine gewisse Selbständigkeit gehabt, die Einheit des Reiches repräsentirt: seit 1504 war auch diese gesprengt; zuletzt war Mainz und Sachsen noch in einen bittern Streit gerathen, der das Collegium vollends aus einander warf. Die einzigen Institute welche zu Stande gekommen, waren das Kammergericht und die Matrikel. Aber wie sorglos war diese Matrikel verfaßt. Da waren aus den alten Registern Fürsten aufgeführt die sich gar nicht mehr fanden; auf die nach und nach zu Stande ge- Innere Gaͤhrung . kommene Mittelbarkeit war keine Rücksicht genommen. Es erfolgten eine Unzahl von Reclamationen. Der Kaiser selbst nannte 13 weltliche und 5 geistliche Herren, deren Hülfe in seinen Landesanschlag, nicht in die Reichsmatri- kel gehöre: Sachsen nannte 15 weltliche Herrn und seine drei Bischöfe: Im Archiv zu Dresden findet sich eine Instruction Herzog Georgs fuͤr Dr. G. v. Breyttenpach, nach welcher dieser in Worms 1509 erklaͤren soll, „das wir uns nicht anders zu erinnern wissen, denn das alles, so wir uf dem Reychstage zu Costnitz zu Underhal- tung des Kammergerichtes zu geben bewilligt, mit Protestation be- schehen, also das dye Bischoffe und Stifte desgleichen Graven und Herrn die uns mit Lehen verwandt und auch in unsern Fuͤrstenthu- men seßhaftig seyn, welche auch an dem Kammergericht nie gestan- den, ichtes dabei zu thun nicht schuldig, bei solcher Freiheit bleiben.“ Brandenburg zwei Bischöfe und zwei Gra- fen: Cölln vier Grafen und Herrn; jeder größere Stand machte Mittelbarkeiten geltend an die man nicht gedacht hatte. Auch eine Menge Städte wurden angefochten: Geln- hausen von der Pfalz, Göttingen von dem braunschweigi- schen Hause, Duisburg Niederwesel und Soest von Jü- lich, Hamburg von Holstein. Ein Handlung das Kammergericht betreffend und wer von desselben Anlage ausgenommen werden will, bei Harpprecht Staats- archiv III, p. 405. Bei den Reichstagsacten findet sich die Eingabe eines dänisch-holsteinischen Ge- sandten an die Reichsstände, worin er ihnen vorträgt, er habe 200 Meilen Weges zu dem Kaiser gemacht, aber we- der von ihm noch seinen Hofräthen könne er Bescheid er- langen, und wende sich nun an die Stände, um ihnen zu sagen, daß eine Stadt, Hamburg genannt, im Lande Hol- stein liege, die als eine Reichsstadt angeschlagen worden, aber von der seine gnädigen Herren natürliche Erbherren Erstes Buch . und Landesfürsten seyen. Man weiß daß er damit nicht durchdrang. Die Entschei- dang des Reichstags von 1510 ist die Hauptgrundlage der Hambur- gischen Reichsfreiheit. Luͤnig Reichs A. Pars spec. Cont. IV p. 965. Über den Grundsatz war man nicht streitig. In den Reichsabschieden ward immer be- stimmt, daß den Ständen alle die Hülfe vorbehalten bleibe, die ihnen von Alters her gehöre: in jedem Fall aber er- neuerte sich doch immer die Frage und der gegenseitige Anspruch. Auch die mächtigsten Fürsten hatten sich zu be- klagen, daß der kaiserliche Fiscal am Kammergericht ihre Vasallen mit Pönalmandaten verfolge. Überhaupt erweckte das Kammergericht Widerspruch von allen Seiten. Die Fürsten fanden sich dadurch be- schränkt, die unteren Stände nicht geschützt. Sachsen und Brandenburg brachten in Erinnerung, daß sie ihre fürst- lichen Freiheiten nur unter gewissen Bedingungen dem Kam- mergericht unterworfen: Joachim I von Brandenburg be- schwerte sich, daß das Kammergericht Appellationen von seinen Landgerichten annehme: was bei seines Vaters Zei- ten nie geschehen. Schreiben Friedrichs von Sachsen an Renner Mittwoch nach dem h. Dreikoͤnigtag 1509 (Weim. A.); Joachims I die crps Christi 1510. Die Reichsritterschaft war dagegen über den Einfluß unzufrieden, der von den Mächtigen auf das Gericht ausgeübt werde: wenn ein Fürst sehe daß er unterliegen werde, so wisse er den Proceß zu verhin- dern: und wenigstens Kaiser Maximilian giebt ihr nicht unrecht; entweder, sagt er, könne der Arme von Adel gar kein Recht bekommen, oder es sey „so scharf und spitzig“ daß es ihm nichts fruchte. Da blieben auch die Städte Innere Gaͤhrung . mit ihren Beschwerden nicht zurück. Sie fanden es un- erträglich, daß der Richter die fiscalischen Gefälle genieße; sie trugen auf Bestrafung der verdorbenen Leute an, von denen manche Stadt ohne alles Verschulden am Gericht umgetrieben werde; im Jahr 1512 forderten sie aufs neue die Aufnahme zwei städtischer Beisitzer: Jacob Heller an die Stadt Frankfurt 11 Juni. „Wir Stett sein der Meinung, auch anzubringen zween Assessores daran zu setzen auch Gebrechen und Mangel der Versammlung fuͤrzutragen.“ natürlich alles vergebens. Da nun die höchste Gewalt sich so wenig geltend machen, so wenig Billigung und Anerkennung erwerben konnte, so erwachte ein allgemeines Streben nach Selb- ständigkeit auf eigne Hand, eine allgemeine Gewaltsamkeit, welche diese Zeiten höchst eigenthümlich charakterisirt. Es ist der Mühe werth, daß wir uns einmal die verschiedenen Stände aus diesem Gesichtspunct vergegenwärtigen. I. In den Fürstenthümern machte sich die Landes- hoheit weitere Bahn. In einzelnen Verordnungen tritt die Idee einer Landesgesetzgebung hervor, vor welcher die lo- calen Einungen, Weisthümer und Bräuche verschwinden; einer Landesaufsicht, welche alle Zweige der Verwaltung umfaßt; unter andern hat Churfürst Berthold auch hierin sehr merkwürdige Anordnungen in seinem Erzstift getrof- fen. Bodmann Rheingauische Alterthuͤmer II, 535. An einigen Orten kam es zu engern Vereinbarun- gen der Stände mit den Fürsten, z. B. in den märkischen sowohl wie in den fränkischen Besitzungen von Branden- denburg; die Stände übernehmen Schulden, bewilligen Erstes Buch . Steuern, um die Schulden der Fürsten zu tilgen. Buchholz Gesch. der Mark III, 363. Lang I, p. 111. An andern macht sich die Verwaltung bemerklich: einzelne Na- men treten hervor, wie Georg Gossenbrod in Tirol, der von Maximilian zum Regimentsherrn gemacht über alle landes- herrlichen Rechte strenge Buch hielt, — Wallner in Steier- mark, — jenes Meßners zu Altöttingen Sohn in Baiern, der den Landshuter Schatz gesammelt, — der Landschreiber Prucker in Onolzbach, der über 30 Jahre die geheime Canzley und die Cameralverwaltung daselbst leitete. Noch nahmen diese mächtigen Beamten jedoch selten ein gutes Ende: wir finden sie häufig vor Gericht gezogen, gestraft; jenen Wall- ner sah man einst an der Thüre seines Hauses aufgehängt, in das er früher Fürsten Grafen oder Doctoren zu Gaste geladen: von Gossenbrod wird behauptet, man habe ihn mit Gift ums Leben gebracht: Nachricht des handschriftlichen Fugger. Wolfgang von Kolberg, zum Grafen erhoben, starb doch im Gefängniß: Prucker mußte sich auf eine Propstei in Plassenburg zurückziehen. Lang I, p. 147. Um den Willkührlichkeiten der verhaßten Räthe ihres Herzogs ein Ende zu machen, erzwangen sich die Wirtenberger den Tübinger Vertrag im J. 1514. Hie und da schreiten die Fürsten zu offenem Krieg, um ihre Landeshoheit auszubrei- ten. Im Jahr 1511 fallen Braunschweig Lüneburg Bre- men Minden und Cleve mit vereinigten Kräften in die Grafschaft Hoya ein, die ihnen keinen Widerstand leisten kann. Im Jahr 1514 wenden sich Braunschweig Lüne- burg Calenberg Oldenburg und Herzog Georg von Sach- Innere Gaͤhrung . sen wider die Reste der freien Friesen in den Marschen. Die Butjadinger schwören, sie wollen eher einmal sterben, als sich von den Braunschweiger Amtleuten immerdar pla- gen lassen, und rüsten sich hinter ihrer unübersteiglichen Landwehre zum Widerstand: aber ein Verräther weist dem angreifenden Heere einen Weg in ihrem Rücken: sie wer- den geschlagen und ihr Land wird unter die Sieger ge- theilt; auch die Worsaten und Hadeler mußten Gehorsam lernen. Rehtmeier Braunschweigsche Chronik II p. 861. Zuweilen suchten die Fürsten die Abhängigkeit ei- nes Bischofs in völlige Unterthanschaft zu verwandeln; wie z. B. Herzog Magnus von Lauenburg die ihm von seinen Landständen bewilligte Bede auch von dem Bi- schofe von Ratzeburg forderte, vielleicht auch deshalb mit doppeltem Ungestüm, weil dieser Bischof einst in seiner Canzley gedient hatte; aber er fand beherzten Widerstand, und es kam zu offenen Thätlichkeiten. Chytraeus Saxonia p. 222. Bei Masch: Geschichte von Ratzeburg p. 421 sieht man daß es noch viele andre Streitpuncte gab. 28 Maͤrz 1507 mußten Bischof und Capitel geloben, „daß wenn der Fuͤrst von seiner Ritterschaft eine Landbede erhielte, sie von den Stiftsbauern eben so wie von den Bauern aller uͤbrigen Herrn gegeben wuͤrde.“ Oder es suchte wohl auch ein geistlicher Fürst seiner Ritterschaft unge- wohnten Gehorsam aufzulegen und diese schritt dagegen mit Hülfe eines weltlichen Nachbars zur Empörung: wie die Herzoge von Braunschweig die hildesheimische Ritter- schaft, die Grafen von Henneberg Capitel und Stiftsadel von Fulda in Schutz nahmen. II. Denn vor allem fühlten sich die Ritterschaften Erstes Buch . von der zunehmenden Fürstenmacht eingeengt. In Schwa- ben consolidirten sich die Verbindungen der Reichsritter- schaft unter dem Schirme des Bundes; auch in Franken hatte man ähnliche Bestrebungen: zuweilen versammelten sich die sechs Orte der fränkischen Ritterschaft, z. B. 1511, 1515, hauptsächlich um ihre Streitsachen den fürstlichen Hofgerichten zu entreißen; aber ihre Erfolge waren nicht nachhaltig; hier und am Rhein blieb doch alles sehr tu- multuarisch. Noch immer sehen wir die kriegerischen Rei- tersmänner, mit Pickelhaube und Krebs geharnischt, die gespannte Armbrust vor sich her — denn noch führten die Reiter kein Feuergewehr — die wohlbekannten Raine durch das Feld entlang reiten, die Haltstätten wahrnehmen, in den Wäldern Tag und Nacht lauern, bis der Feind den sie suchen erscheint, oder der Waarenzug der Stadt, mit der sie in Streit liegen, die Straße daher kommt; nach einem in der Regel leichten Sieg, da ihr Angriff uner- wartet geschieht, kehren sie dann von Gefangenen umgeben, mit Beute beladen zurück in die engen Behausungen ihrer Burgen, wo sie nicht eine Stunde weit reiten können ohne hinwiederum des Feindes gewärtig zu seyn, wo sie sich nicht ohne Harnisch auf die Jagd zu gehn getrauen; unaufhörlich kommen und gehn die Knappen, die heimli- lichen Freunde und Spießgesellen, bringen Hülfgesuche, oder Warnungen, und erhalten eine ewige Unruhe: die Nacht über hört man die Wölfe im nahen Forste heulen. Wäh- rend das Reich in Trier über eine Executionsordnung rath- schlagte, griffen Berlichingen und Selbitz jenen Nürnber- ger Zug, der von der Leipziger Messe kam im Bambergi- Innere Gaͤhrung . schen Geleit an, und begannen darauf den offenen Krieg wider den Bischof und die Stadt. Die Beschlüsse des Reichstages waren ungenügend: Kaiser und Staͤnde stritten sich uͤber den Ausschuß der nie- derzusetzen sey. Der Kaiser glaubte man wolle die Sache verzoͤgern, und erinnerte, was heute Bamberg koͤnne morgen einem andern ge- schehen. Scheine ihnen die angesonnene Huͤlfe zu schwer, so wolle er Bamberg ersuchen, sich mit hundert geruͤsteten reisigen Pferden zu begnuͤgen. Diese bewilligten die Staͤnde, jedoch nur unter der Bedingung, daß die Aͤchter oder Verdachter zuvor in die Acht er- klaͤrt werden muͤssen, ehe man sie gebrauche. (F. A.) — Die allgemeine Entzweiung warf sich auch auf diese Sache. Götz von Berlichingen glaubt sich über die Unterhandlungen die man eröffnete noch beklagen zu müssen, sonst wollte er den Nürnbergern auch ihren Bürgermeister niedergeworfen haben, mit seiner „goldnen Kette am Hals, und seinem Streitkolben in der Hand.“ Goͤtzens von Berlichingen ritterliche Thaten. Ausg. von Pi- storius p. 127. Den Verlauf der Sache stellt die Chronik von Muͤllner ( MS ) nach den Documenten des Archives von Nuͤrnberg folgendermaaßen dar. Der Uͤberfall geschah zwischen Forchheim und Neuseß 18 Mai 1512; von einer Schaar, die 130 Pferde stark war; 31 Personen wurden weggefuͤhrt: ihr Schade belief sich auf 8800 G.; in einem Wald bei Schweinfurt wurde gefuͤttert und die Beute getheilt. Die Gefangnen wurden bei den Thuͤngen, Eberstein, Buchenau versteckt. Der Rath zu Nuͤrnberg nimmt hierauf 500 Knechte in Sold, und kuͤndigt den Genannten des großen Rathes seinen Entschluß an, alles zu thun um die Thaͤter zur Strafe zu bringen: indeß „solten sie ihre Kaufmannschaft so enge es seyn koͤnnte, einziehn, biß die Leufte etwas besser wuͤrden.“ Auch bringt lich am 15ten Juli eine Achtserklaͤrung aus: nur zugleich mit einer Commissíon vor der sich die Beschuldigten reinigen koͤnnen. Einige vollziehen diese Reinigung: andre nicht. Unter den letzten werden genannt: Caspar von Rabenstein, Balthasar und Reichart Steinruͤck, Wilh. von Schaumburg, Dietrich und Georg Fuchs, Con- rad Schott. Es sind viele Wuͤrzburgische Amtleute darunter und diese werden nun vom Kammergericht saͤmmtlich in die Acht erklaͤrt. Zu derselben Zeit hatte sich eine andre berüch- Erstes Buch . tigte Rotte bei den Friedingern in Hohenkrähn (im He- gau) gesammelt: ursprünglich gegen Kaufbeuern, wo ein Edelmann vergeblich um die schöne Tochter eines Bürgers gebuhlt, dann schlechtweg eine Schaar von Räubern, die das Land unsicher machte: so daß der schwäbische Bund sich endlich hiegegen in Bewegung setzte, auch der Kaiser seine besten Stücke den Weckauf von Östreich und den Burlebaus heranbringen ließ, — von deren Schüssen, wie das historische Lied schildert, der Berg sich wägte, der Felsen zerriß, die Mauern sich spalteten, bis die Ritter entflohen, ihre Leute sich ergaben und das Schloß von Grundaus geschleift wurde. Anonymi carmen de obsidione et expugnatione arcis Hohenkrayen 1512. Fugger; auch der gedruckte. Gassari annales ad ann. 1512. Aber noch gab es viele Schlösser in Baiern Schwaben und Franken denen man ein ähnliches Schicksal gegönnt hätte. Die Unsicherheit der Straßen, der Da zugleich eine Anzahl neuer Angriffe geschehen sind, auf Vilseck, bei Ochsenfurt, Mergentheim, bei denen sich auch der Ordenscomthur zu Mergentheim verdaͤchtig gemacht, so erhebt sich endlich der schwaͤ- bische Bund mit einem Heer, zu welchem die Nuͤrnberger 600 M. z. F. und einen reisigen Zeug mit einigen Geschuͤtzen stoßen lassen. Gangolf von Geroldseck fuͤhrt die Bundestruppen an; man ruͤckt zuerst wider Frauenstein, Hans von Selbitz gehoͤrig; Schloͤsser wer- den erobert, Guͤter eingezogen, und endlich bequemt sich alles zum Vertrag. Der Kaiser thut den Ausspruch, daß die Ritter 14000 G. Entschaͤdigung zahlen sollen. Muͤllner will wissen, daß davon der Bi- schof von Wuͤrzburg 7000, der Pfalzgraf Ludwig 2000, eben so viel der Herzog von Wirtenberg, der Comthur von Mergentheim 1000, und Goͤtz selber auch 2000 gezahlt habe. Er schließt daraus, daß jene Fuͤrsten „dieser Fehd heimlich verwandt gewesen.“ Dagegen ruͤhmt er den Bischof von Bamberg und Mkg. Friedrich von Bran- denburg. — — Innere Gaͤhrung . der offenen Orte ward ärger als jemals: selbst arme fah- rende Schüler, die sich mit Betteln durchbringen, finden wir angesprengt und um ihre elende Baarschaft gequält. Platers Lebensbeschreibung: — er spricht von der Zeit um 1515, da er gleich nachher der Schlacht von Marignano erwaͤhnt. „Glück zu, liebe Gesellen,“ ruft Götz einmal einer Anzahl von Wölfen zu, die er in eine Schaafheerde fallen sieht: „Glück zu überall:“ er hielt das für ein gutes Wahrzeichen. Und zuweilen nahm dann wieder dieß gewaltthätige Rei- terwesen eine großartigere Gestalt an, und constituirte eine Art von tumultuarischer Macht im Reiche. Franz von Sickingen wagte die Gegner des so eben von dem Kaiser wiedereingesetzten Rathes in Worms in seinen Schutz zu nehmen: er begann den Krieg gegen diese Stadt damit, daß er sich eines ihrer Schiffe auf dem Rheine bemäch- tigte. Hierauf ward er in die Acht erklärt. Seine Ant- wort war, daß er unmittelbar vor den Mauern dieser Stadt erschien, sie mit Karthaunen und Schlangen be- schoß, und zugleich das Gefilde verwüstete, die Weingär- ten zerstörte, keine Zufuhr gestattete. Die Pfingstmesse konnte weder 1515 noch 1516 gehalten werden. Die Stände des rheinischen Kreises kamen zusammen, aber sie wagten es nicht einen Beschluß dagegen zu fassen: sie meinten, das könne nur auf einem Reichstag geschehen. Zorn’s Wormser Chronik in Muͤnchs Sickingen III. Es ist wohl unläugbar, daß einige Fürsten aus Oppo- sition bald gegen den Kaiser bald gegen den schwäbischen Bund diese Gewaltthätigkeiten entweder begünstigten oder doch zugaben. Eben mit der nicht kaiserlich noch bündisch Ranke d. Gesch. I. 14 Erstes Buch . gesinnten Partei unter den Fürsten waren die Ritter ver- bündet. III. Von allen Seiten waren da die Städte bedrängt, von der Reichsgewalt, die ihnen immer stärkere Lasten auf- legte, von diesen Rittern, von den Fürsten, welche 1512 sogar die alte Frage über die Pfahlbürger rege machten. Aber sie wehrten sich auf das tapferste. Wie manchen räuberischen Edelmann hat Lübek von seinem Hofe weg- geholt. Gegen Ende des funfzehnten Jahrhunderts hat es ein Bündniß mit benachbarten mittelbaren Städten ge- schlossen ausdrücklich zu dem Zweck, die Landesherrschaf- ten ihre bisherigen Befugnisse nicht überschreiten zu lassen. Dem König Johann von Dänemark half es nichts, daß Kaiser Maximilian seine Bestrebungen eine Zeitlang begün- stigte. Im Jahre 1509 griffen ihn die hansischen Städte, nicht einmal alle, auf seinen Inseln an, eroberten seine Schiffe in Helsingör, führten seine Glocken fort, um sie in ihren Capellen aufzuhängen, und blieben auf der offnen See vollkommen Meister. Ein lübekisches Schiff, in der Schlacht bei Bornholm von drei dänischen geentert, er- wehrt sich zweier von ihnen und bemächtigt sich des drit- ten; im Jahr 1511 kehrt die Lübeker Flotte mit einer Beute von 18 holländischen Schiffen nach der Trave zurück. Becker Geschichte von Luͤbek I, p. 488. Und einen nicht minder freudigen Widerstand leisteten die oberländischen Städte, in so fern sie nicht durch den schwäbischen Bund geschützt waren, ihren Feinden. Wie trefflich war Nürnberg gerüstet! Jeden erlittenen Schaden suchte es in dem Gebiete der Gegner zu rächen; nicht sel- Innere Gaͤhrung . ten machten auch die nürnbergischen Reisigen einen glück- lichen Fang. Weh dem Edelmann, der in ihre Hände ge- rieth! Keine Fürbitte weder der Verwandten noch benach- barter Fürsten konnte ihn retten: der Rath hatte immer die Entschuldigung, daß die Bürgerschaft die Bestrafung der Übelthäter schlechterdings fordere. Vergebens sah der Gefangene nach dem Wald, ob nicht seine Verbündeten kommen würden, ihn zu retten: wir finden bei Berlichin- gen, wie sehr die fehdelustigsten Nachbarn doch die Thürme von Nürnberg fürchteten. Das edle Blut schützte nicht vor peinlicher Frage noch vor dem Beile des Henkers. Die Chronik Muͤllners ist voll von Erzaͤhlungen dieser Art. Zuweilen traten wohl Handelsbedrängnisse ein, z. B. im venezianischen Kriege, deren man sich im Binnenlande nicht so kräftig erwehren konnte, wie die Hanseaten zur See: aber man kam auf andre Weise darüber hinweg. Im Grunde hätte nun gar kein Verkehr mit Venedig Statt finden sollen, und die Scala, welche die Achtserklärung ausgebracht, hielten die Güter die diese Straße nahmen oftmals auf; allein nur um sich die Freigebung derselben abkaufen zu lassen. Ich finde daß man auch dem Kaiser einst für 200 Saumlast Waaren 3000 Duc. Transito zah- len mußte: die Tiroler Regierung hatte förmlich einen Com- missarius in Augsburg aufgestellt, um für diese Sendun- gen, für welche sie dann auch Bürgschaft leistete, regelmä- ßige Gebühren einzuziehen. Die Städte schickten sich in die Zeit: schon genug, daß sie ihren Handel nicht unter- gehen ließen. Nach einer andern Seite hin hatte ihnen indessen die durch das Haus Östreich vermittelte Verbin- 14* Erstes Buch . dung mit den Niederlanden den großartigsten Weltverkehr eröffnet. An dem ostindischen Handel, bald auch an den westindischen Unternehmungen hatten deutsche Häuser von Nürnberg und Augsburg Gassarus Annales bei Mencken I, 1743 nennt Welser Gos- senbrot Fugger Hochstetter Fo ë lin; die letzten sind wohl die Vehlin. Er berechnet die Dividende von der ersten Fahrt nach Calicut auf 175 PC. gewinnbringenden Antheil. Ihr wachsender Reichthum, ihre Unentbehrlichkeit bei jedem Geld- geschäft gaben ihnen dann wieder Einfluß auf die Höfe namentlich auf den Kaiser. Allen Beschlüssen der Reichs- tage zum Trotz behaupteten sie doch „ihre freundlichen Gesellschaften,“ ihre Associationen, auf denen damals die kleinsten so wie die größten Geschäfte beruhten; es ist wohl nicht ungegründet, daß auch sie dann durch das Monopol, das hiedurch in wenige Hände kam, indem eben Die, welche die Waare brachten, auch den Preis nach ihrem Gutdünken bestimmen konnten, zu vielen ge- rechten Klagen Anlaß gaben. Jaͤger schwaͤbisches Staͤdtewesen I, 669. Schon 1495 hatte man den Plan die großen Gesellschaften zu besteuern. Datt p. 844 nr. 16. Das zieht sich alle die Reichstage so fort. Noch immer behaupteten sie auf den Reichsversammlungen eine starke Stellung. Der schlechte Erfolg, welchen die letzten von 1509 bis 1513 gehabt, rührte großentheils von ihrer Opposition her. Jene Anregung wegen der Pfahlbürger, kraft deren die Güter nicht mehr zu den Städten, in denen ihre Besitzer wohn- ten, sondern zu den Herrschaften, unter denen sie gelegen waren, steuern sollten, wußten sie 1512 zur Vertagung zu bringen. Vorstellung von Wetzlar und Frankfurt dagegen. „Es wuͤrde Innere Gaͤhrung . Wir sehen: an friedliche Sicherheit, ruhiges Gedeihen, wie man sie oft in jenen Zeiten voraussetzt, war nicht zu denken. Aber durch Zusammenhalten, unermüdliche Thä- tigkeit, sey es in den Waffen, oder in der Unterhandlung, behauptete man sich. Auch in dem Innern der Städte gährte es gewaltig: der alte Widerstreit zwischen Räthen und Gemeinen ent- wickelte sich besonders wegen der steigenden Geldforderungen, zu denen sich jene nicht selten entschließen mußten, hie und da zu blutiger Gewaltthat. In Erfurt ward der Vier- herr Heinrich Kellner 1510 hingerichtet, weil er das Amt Capellendorf in den finanziellen Bedrängnissen der Stadt an das Haus Sachsen widerkäuflich überlassen habe: alle die folgenden Jahre waren von wilden Stürmen erfüllt. In Regensburg ward der alte Biedermann, der Lykircher, der oftmals Kämmerer, Hansgraf, Friedrichter gewesen, ohne daß die Veruntreuungen die man ihm Schuld gab, wirklich hätten nachgewiesen werden können, eben in der Charwoche 1513 auf eine qualvolle Weise gemartert und kurz darauf hingerichtet. Der Regensburger Chronik Vierter Band, 3tes Heft. In Worms ward erst der alte Rath verjagt, dann mußten die Gegner desselben weichen. In Cölln empörte sich die Gemeine gegen die neuen Schatzungen, mit welchen man sie plage, besonders wider eine Genossenschaft, die man das Kränzchen nannte, welcher die verbrecherischesten Absichten Schuld gegeben wurden. Rhytmi de seditione Coloniensi bei Senkenberg: Selecta juris et hist. IV, nr. 6. dem Reich und ihnen ein merklicher Abbruch seyn und wider ihre Privilegien laufen.“ (Fr. A.) Erstes Buch . Ähnliche Bewegungen gab es in Aachen, Andernach, Speier, Hall in Schwaben, Lübek, Schweinfurt, Nürnberg: Baselii Auctarium Naucleri p. 1016. Ea pestis pessi- mae rebellionis adversus senatum in plerisque — civitatibus ir- repsit. Trithemius Chronic. Hirsaug. II, p. 689 zählt sie auf mit dem Zusatz: et in aliis quarum vocabula memoriae non occurrunt. al- lenthalben finden wir Gefangensetzungen, Verweisungen, Hin- richtungen. Häufig trug auch der Verdacht, daß die Ge- walthaber mit irgend einer benachbarten Macht in Verständ- niß seyen, dazu bei. In Cölln nannte man Geldern, in Worms und Regensburg Östreich, in Erfurt Sachsen. Das Gefühl der Unsicherheit des öffentlichen Zustandes brauste in den wildesten Gewaltsamkeiten auf. IV. Und nicht allein in den Städten war das ge- meine Volk in Aufregung: über den ganzen Boden des Reiches hin gährte es in den Bauerschaften. Die Schwytzer Bauern im Gebirg hatten so eben ihre Reichsunterthänig- keit vollends in ein ganz freies Verhältniß verwandelt; die Friesen in den Marschen waren dagegen den Landesherr- schaften unterlegen: nur die Ditmarschen erhielten sich dort nach einem glücklichen glorreichen Schlachttag, wie eine Ruine unter lauter neuen Gebäuden — der Eichelstein etwa unter den Festungswerken von Mainz, — eine Zeit- lang. Die Prinzipien, die aus weiter Ferne von den äu- ßersten Marken her diesen Gegensatz bildeten, berührten einander überall in dem innern Lande in tausendfältig ver- änderter Gestalt. Die Anschläge des Reiches, die wach- senden Bedürfnisse bewirkten, daß alles seine Anforderun- gen an die Bauern steigerte, der Landesherr, die geistliche Innere Gaͤhrung . Gutsherrschaft, der Edelmann. Rosenbluͤt klagt, daß der Edelmann sich von dem Bauer naͤhren lasse und ihm doch keinen Frieden schaffe: er treibe seine For- derungen immer hoͤher; dann schelte der Bauer, und der Edelmann werfe ihm sein Vieh nieder. Dagegen war hie und da auch der gemeine Mann bewaffnet worden; aus seiner Mitte giengen die Schaaren der Landsknechte hervor, welche einen Namen unter den europäischen Milizen behaupteten; er ward wieder einmal inne welche Macht ihm beiwohne. Für Oberdeutschland war das Beispiel der Schweizer sehr verführerisch. Im Elsaß, in der Gegend von Schletstadt bildete sich schon im J. 1493 ein in tiefes Geheimniß ge- hüllter Bund mißvergnügter Bürger und Bauern, welche auf unwegsamen Pfaden bei Nachtzeit auf abgelegenen Höhen zusammen kamen, und sich verschworen, in Zukunft nicht anders als nach eigener freier Bewilligung zu steuern, Zoll und Umgeld abzuschaffen, die Geistlichen zu beschrän- ken, die Juden gradezu zu tödten und ihre Güter zu thei- len. Unter wunderlichen Cerimonien, durch die besonders der Verräther entsetzlich bedroht wurde, nahmen sie neue Mitglieder auf. Ihre Absicht war, sich zunächst Schlet- stadts zu bemächtigen, hierauf die Fahne mit dem Zeichen des Bauernschuhes aufzuwerfen, den Elsaß in Besitz zu neh- men und die Schweizer zu Hülfe zu rufen. Herzog: Edelsasser Chronik c. 71, p. 162. Aber jenen furchtbaren Drohungen zum Trotz wurden sie doch ver- rathen, aus einander gesprengt, auf das schärfste gezüch- tigt. Hätten die Schweizer im Jahr 1499 ihren Vortheil verstanden und den Widerwillen ihrer Nachbarn nicht durch die Grausamkeit ihrer Verwüstungen gereizt, so würden sie, Erstes Buch . wie die Zeitgenossen versichern, überall an ihren Grenzen den gemeinen Mann an sich gezogen haben. Welche Ge- danken in den Leuten umgiengen, davon zeugte ein Bauer, der während der Friedensverhandlungen zu Basel in den Kleidern des erschlagenen Grafen von Fürstenberg erschien: „wir sind die Bauern,“ sagte er, „welche die Edelleute strafen.“ Mit jener Unterdrückung war der Bundschuh keineswegs vernichtet. Im Jahr 1502 kam man ihm zu Bruchsal auf die Spur, von wo aus die Verbündeten die nähern Ortschaften schon an sich gezogen hatten und sich nun in die entferntern ausbreiteten. Sie behaupteten, auf eine Anfrage bei den Schweizern die Versicherung bekom- men zu haben, die Eidgenossenschaft werde der Gerech- tigkeit helfen und Leib und Leben bei ihnen zusetzen. Ihre Ideen hatten zugleich etwas Religiöses, Schwärmerisches. Alle Tage sollte ein Jeder fünf Vaterunser und Avemarien beten: ihr Feldgeschrei sollte seyn: unsre Frau: sie wollten erst Bruchsal einnehmen, und dann fortziehn, fort und im- mer fort, und an keinem Ort mehr als 24 Stunden ver- weilen: der gesammte Bauersmann im Reich werde ihnen zufallen, daran sey kein Zweifel, alle Menschen müsse man in das Bündniß bringen und damit die Gerechtigkeit Got- tes auf Erden einführen. Frankfurter Acten Bd XX. Baselii Auctarium p. 997. Die schon zusammengetretenen Bauern wurden aus einander gesprengt, ihre Anführer mit dem Tode bestraft. Schon oft hatten die Reichsgewalten an die Gefahr dieser Regungen gedacht. Unter den Artikeln, welche die Churfürsten auf ihrem Reichstag zu Gelnhausen vorzuneh- men gedachten, betraf einer die Nothwendigkeit einer Er- Innere Gaͤhrung . leichterung des gemeinen Mannes. „der mit Fron Diensten Atzung Steure geistlichen Gerich- ten und andern also merklich beschwert ist, daß es in die Harre nicht zu leiden seyn wird.“ Auf den Reichsta- gen war es immer das entscheidende Argument gegen Auf- lagen, wie der gemeine Pfennig, daß man fürchten müsse eine Empörung der Unterthanen zu veranlassen. Im Jahr 1513 trug man Bedenken, einige ausgetretene Landsknechte zu bestrafen, weil man besorgte sie möchten sich mit den Bauern vereinigen, deren fortdauernde Verbindung gegen Adel und Geistlichkeit man so eben aus den Geständnissen einiger Eingezogenen im Breisgau wahrgenommen hatte. Im Jahr 1514 erhob sich in Wirtenberg die volle Em- pörung unter dem Namen des armen Kunzen: der Tübin- ger Vertrag genügte den Bauern nicht, sie mußten mit den Waffen unterdrückt werden. Wahrhaftig Unterrichtung der Ufrur bei Sattler Herzoge I, Beil. nr 70. Unaufhörlich vernimmt man dieses dumpfe Brausen eines unbändigen Elementes in dem Innern des Bodens auf welchem man steht. Während alle dem war der Kaiser mit seinem vene- zianischen Krieg beschäftigt. Bald kämpft er mit den Fran- zosen gegen den Papst und die Venezianer, bald mit dem Papst und den Engländern gegen die Franzosen; die Schwei- zer jetzt mit ihm verbündet erobern Mailand und verlie- ren es wieder; er selbst macht einmal mit Schweizern und Landsknechten einen Versuch es in seine Hände zu brin- gen, doch vergeblich. Wiederholt sehen wir ihn von Ti- rol nach den Niederlanden, von den Seeküsten zurück nach den italienischen Alpen reisen: einem Befehlshaber in einer belagerten Festung nicht ungleich, der immer von Bastion Erstes Buch . zu Bastion eilt und zuweilen den Augenblick ersieht einen Ausfall zu machen. Doch ward damit seine ganze Thä- tigkeit erschöpft; das innere Deutschland blieb seinem eignen Treiben überlassen. Noch im Jahr 1513 sollte ein Reichstag zu Worms gehalten werden und am 1sten Juni finden wir in der That eine Anzahl Stände beisammen. Es fehlt nur an dem Kaiser. Endlich erscheint er, aber seine Geschäfte ge- statten ihm nicht zu verweilen: unter dem Vorwand, mit den säumigen Churfürsten von Trier und Cölln selbst verhan- deln zu wollen, eilt er den Rhein hinunter: dann macht er den Ständen den Vorschlag ihm nach Coblenz zu folgen. Diese zogen es vor, sich völlig aufzulösen. In den Frankfurter Acten Bd 30 findet sich ein Schreiben von Worms an Frankfurt, nach welchem die anwesenden Staͤnde „ prima Junii nechst verruckt einhelliglich entschlossen und den kaif. Commissarien fuͤr endlich Antwort geben, daß sie noch zehn Tag all- hie bei einander verziehen und bleiben, und wo inen in mitler Zeit nit weiter Geschefte oder Befel von Kais. Mt zukommen, wollen sie alsdann sich alle wieder von dannen anheim thun.“ In einem Aus- schreiben vom 20 Aug. kuͤndigt dann Maximilian einen neuen Reichs- tag an, „die geringe Anzahl der erschienenen Staͤnde habe ihren Ab- schied genommen, da sie sich keiner Handlung verfangen moͤgen.“ „Fürwahr,“ schreibt der Altbürgermeister von Cölln an die Frankfurter, „ihr habt weislich gethan, daß ihr daheim geblieben; ihr habt große Kosten gespart und doch gleichen Dank verdient.“ Erst nach fünfjähriger Unterbrechung, im J. 1517, als nicht allein die Fehdschaften Sickingens Oberdeutschland be- unruhigten, sondern die Unordnungen überhaupt ins Unerträg- liche stiegen, kam es wieder zu einem Reichstag: dießmal zu Mainz; am 1sten Juli ward er dort im Capitelhause eröffnet. Reichstag zu Mainz 1517. Die kaiserlichen Commissarien trugen, um die Empö- rungen dämpfen zu können, auf eine stattliche Hülfe an, nicht mehr den vierhundertsten, sondern den funfzigsten Mann; aber den Ständen schien es schon nicht mehr rathsam zu den Waffen zu greifen. Der gemeine Bauersmann, ohne- hin durch Theurung und Hunger geplagt, möchte dadurch „in seinem wüthenden Gemüthe“ noch mehr gereizt wer- den: es möchte hervorkommen, was ihm schon lange im Herzen stecke: eine allgemeine Meuterei sey zu besorgen. Vielmehr wünschten sie die obwaltenden Unruhen in Güte zu beseitigen: nach allen Seiten auch mit Sickingen knüpf- ten sie Verhandlungen an: hauptsächlich setzten sie einen Ausschuß nieder, um den allgemeinen Zustand, die Ursachen der allenthalben hervorbrechenden Unruhe in Berathung zu ziehen. Die kaiserlichen Commissarien hätten die Versamm- lung lieber aufgelöst, weil sie doch nichts ausrichten könne, ohne die Meinung kaiserlicher Majestät zu wissen, aber man ließ sich dadurch nicht abhalten; die Sitzungen des Ausschus- ses, in dem auch die Städte zwei Mitglieder hatten, wur- den sehr feierlich mit einer heiligen Geistmesse eröffnet: am 7ten Aug. 1517 legte derselbe sein Gutachten vor. Da ist es nun sehr merkwürdig, daß die Stände ge- rade in der vornehmsten Institution die man gegründet, in dem Kammergericht, den Mängeln seiner Zusammensetzung und Amtsführung den Hauptgrund des ganzen Übels er- blicken. Die trefflichsten Glieder, sagen sie, seyen abgegan- gen, und Untaugliche an deren Stelle getreten; die Procedur ziehe sich Jahre lang hin, auch deshalb weil man so viel Appellationen in geringfügigen Sachen annehme, daß man Erstes Buch . die wichtigen nicht erledigen könne; aber überdieß werde dem Gerichte sein freier Lauf nicht gelassen, oftmals werde ihm geboten still zu stehn: komme man ja endlich nach langem Verzug und schwerer Mühe zu seinem Urtheil, so finde man keine Execution, der Gegner bringe wohl gar Mandate zur Verhinderung derselben aus. So geschehe es daß die höchste Strafe, die Acht und Aberacht, Nie- manden mehr erschrecke: der Geächtete finde doch Schirm und Schutz. Und da es nun mit den übrigen Gerichten nicht besser bestellt sey: allenthalben Mangel in ihrer Be- setzung, Schonung der Missethäter, und Mißbrauch ohne Ende: so sey nun der allgemeine Unfriede eingerissen. We- der zu Lande noch zu Wasser seyen die Straßen sicher: man kümmere sich um kein Geleite so wenig des Hauptes als der Glieder: weder der Unterthan noch der Schutzver- wandte werde geschirmt: der Ackersmann, der alle Stände nähre, gehe zu Grunde: Witwen und Waisen seyen verlas- sen: kein Pilgrim, keine Botschaft, kein Handelsmann könne die Straße ziehn, um sein gutes Werk, oder seinen Auf- trag, oder sein Geschäft auszurichten. Dazu komme der überschwengliche Aufwand in Kleidung und Zehrung: der Reichthum gehe in fremde Lande, vor allem nach Rom, wo man täglich neue Lasten erfinde; wie schädlich sey es, daß man die Kriegsknechte, die zuweilen gegen Kaiser und Reich gestritten, wieder nach Haus gehen lasse; eben das bringe die Meuterei in dem gemeinen Bauersmann hervor. Und indem man diese allgemeinen Beschwerden auf- setzte, ließ sich eine Unzahl besonderer Klagen vernehmen. Die Wormser klagten über die „unmenschliche Fehde die Franciscus von Sickingen, unverwahrt seiner Ehren, wider Reichstag zu Mainz 1517. sie erhoben;“ die Abgeordneten von Speier fügten hinzu, die Sickingenschen seyen des Vorhabens, den Spitalhof von Speier zu verbrennen; Mühlhausen beschwerte sich zu- gleich im Namen von Nordhausen und Goßlar, daß es Schirmgeld zahle und doch nicht beschirmt werde; Lübek zählte alle die Unbill auf, die es von dem König von Dä- nemark, Edeln und Unedeln erfahre, von dem Reich könne es keine Hülfe erlangen und sey doch seinerseits von dem- selben so hoch belastet, es müsse sein Geld zum Kammer- gericht geben, das immer zu Nachtheil, niemals zu Nutzen der Stadt urtheile. Andre Städte verschwiegen ihre Be- schwerden, weil sie sahen, daß das doch nichts helfe. In- dessen hielten die Ritter Versammlungen zu Friedberg, Geln- hausen, Bingen und Wimpfen, und der Kaiser schickte Ab- geordnete zu ihnen um sie zu beruhigen. Auf dem Reichs- tag selbst erschien Anna von Braunschweig, verwitwete Landgräfin von Hessen mit den bittersten Klagen: in Hes- sen könne sie kein Recht bekommen, vergeblich ziehe sie dem Kaiser und dem Kammergericht nach; ihr Witthum Melsungen sey zergangen; mit einer Magd müsse sie durch das Land ziehn, wie eine Zigeunerin, ihre Kleinodien ja ihre Kleider versetzen; sie könne ihre Schulden nicht mehr bezahlen, sie werde noch betteln gehn müssen. „Summa Summarum,“ schreibt der Frankfurter Ge- sandte, „hier ist nichts als Klage und Gebrechen: höchlich ist zu besorgen, daß dafür kein Rath gefunden wird.“ Philipp Fuͤrstenberg 26 Juli. Im 32sten Band der Frankf. Auf das dringendeste wendeten sich die Stände an den Kaiser; sie beschwuren ihn, um Gottes und der Gerech- tigkeit, seiner selber, des heiligen Reiches, der deutschen Erstes Buch . Nation, ja der ganzen Christenheit willen, diese Sachen zu Herzen zu fassen, zu bedenken wie viel großmächtige Herr- schaften durch Mangel an Friede gefallen, und was sich jetzt in den Gemüthern der Bauern rege; ein Einsehen zu haben und so großen Übelständen abzuhelfen. So sagte man wohl, doch blieb es bei den Worten. Ein Mittel, eine Maaßregel, die etwas hätte helfen können, ward nicht einmal vorgeschlagen: der Reichstag löste sich auf ohne auch nur zu einem Beschluß geschritten zu seyn. Und schon faßte der aufgeregte Geist der Nation noch andre Mängel als die der bürgerlichen Zustände ins Auge. Bei der engen Verbindung zwischen Rom und Deutsch- land, kraft der der Papst noch immer die mächtigste Reichs- gewalt bildete, mußten endlich auch die geistlichen Verhält- nisse wieder ernstlich zur Sprache kommen. Eine Zeit- lang waren sie zurückgetreten, nur zufällig und gelegent- lich berührt worden; jetzt aber zogen sie wieder die all- gemeine Aufmerksamkeit auf sich; der gährende gewalt- same, der bisherigen Zustände überdrüßige, nach dem Neuen trachtende Geist der Nation stürzte sich auf dieses Feld; da man die Sache zugleich auf das gründlichste vornahm, und von den äußern Einwirkungen zu einer Untersuchung der Berechtigung überhaupt fortschritt, so bekam die begon- nene Bewegung eine Bedeutung, die weit über die Schran- ken der innern deutschen Politik hinausreichte. A., wo sich uͤberhaupt die Verhandlungen dieses Reichstags finden. „Wo Kais. Mt,“ sagt er am 16 Aug. von den Vorstellungen, die man machte, „dieselbig als billig und wol waͤre verwilligen wuͤrde, hofft ich alle Dinge sollten noch gut werden, wo nicht, so helf uns Gott.“ Zweites Buch. Anfänge Luthers und Carls des Fünften. 1517 — 1521. Erstes Capitel. Ursprung der religiösen Opposition. J esaias hat im Geiste alle Völker der Welt kommen se- hen, um Jehova anzubeten: Paulus hat dem Menschen- geschlecht den allgemeinen Gott verkündigt. Aber nach dem Verlauf so vieler Jahrhunderte war jene Prophezeiung noch lange nicht erfüllt, die Predigt des Evangeliums bei weitem nicht durchgedrungen; die Erde war von den mannichfaltigsten abweichenden Vereh- rungen eingenommen. Selbst in Europa hatte das Heidenthum noch nicht ausgerottet werden können; — in Litthauen z. B. erhielt sich der alte Schlangendienst noch das funfzehnte und das sechs- zehnte Jahrhundert durch, und bekam einmal sogar wieder politische Bedeutung; Aeneas Silvius de statu Europae c. 20. Alexander Gua- gninus in Resp. Poloniae. Elz. p. 276. — wie viel weniger in andern Erd- theilen. Allenthalben fuhr man fort, die Naturkräfte zu symbolisiren, sie durch Zauberei überwinden oder durch Opfer versöhnen zu wollen; in weiten Gebieten ward die Ranke d. Gesch. I. 15 Zweites Buch. Erstes Capitel . Erinnerung an die Abgeschiednen zum Schrecken der Le- bendigen, und der religiöse Ritus war vor allem bestimmt, ihre verderbliche Einwirkung abzuwehren; es gehörte schon eine gewisse Erhebung der Seele, ein Grad von Cultur auch des Gemeinwesens dazu, um nur die Gestirne und Sonne und Mond anzubeten. Geistig entwickelt, literarisch ausgebildet, in großen Hierarchien dargestellt, standen dem Christenthum vor al- lem die indischen Religionen und der Islam entgegen, und es ist merkwürdig, in welch einer lebendigen inneren Bewe- gung wir sie in unsrer Epoche begriffen sehen. War die Lehre der Braminen ursprünglich von mono- theistischen Ideen ausgegangen, so hatte sie dieselben doch wieder mit dem vielgestaltigsten Götzendienst verhüllt; Ende des funfzehnten, Anfang des sechszehnten Jahrhunderts bemerken wir in Hindostan, von Lahore her die Thätig- keit eines Reformators: Nanek, der die ursprünglichen Ideen wiederherzustellen unternahm, dem Cerimoniendienst die Be- deutung des Moralisch-guten entgegensetzte, auf Vernich- tung des Unterschiedes der Casten, ja eine Vereinigung der Hindus und der Moslimen dachte, — eine der außeror- dentlichsten Erscheinungen friedlicher nichtfanatischer Reli- giosität. B’hai Guru das B’hale in der Uͤbersetzung Malcolms Sketch of the Sikhs Asiatic Researches XVI, 271. That holy man made God the supreme known to all — he restored to virtue her strength, blended the four castes into one: established one mode of salutation. Leider drang er nicht durch. Die Vorstellun- gen die er bekämpfte waren allzutief gewurzelt. Dem Manne, der den Götzendienst zu zerstören suchte, erweisen Ursprung der religioͤsen Opposition . Die, welche sich seine Schüler nennen, die Seiks, selber abgöttische Verehrung. Auch in dem anderen Zweige der indischen Religionen, dem Buddhismus, trat während des funfzehnten Jahrhun- derts eine neue großartige Entwickelung ein. Der erste re- generirte Lama erschien in dem Kloster Brepung und fand allmählig in Tibet Anerkennung; der zweiten Incarnation desselben (von 1462 bis 1542) gelang das auch in den entferntesten buddhistischen Ländern; Fr. Georgi Alphabetum Tibetanum p. 326 sagt von ihr: Pergit inter Tartaros ad amplificandam religionem Xacaicam in regno Kokonor cis murum magnum Sinorum: inde in Kang: multa erigit asceteria: redit in Brepung. Er heißt So-nam-kiel va- chiam-tzho, doch ist es der alte Keval-Kedun, der 1399 starb. Hunderte von Mil- lionen verehren seitdem in dem Dalailama zu L’Hassa den lebendigen Buddha der jedesmaligen Gegenwart, die Ein- heit der göttlichen Dreiheit, und strömen herbei, seinen Se- gen zu empfangen. Man kann nicht leugnen, daß diese Religion einen günstigen Einfluß auf die Sitten roher Na- tionen ausgeübt hat; allein welch eine Fessel ist hinwie- derum eine so abenteuerliche Vergötterung des Menschen- geistes! Man besitzt dort die Mittel einer populären Lite- ratur: weit verbreitete Kenntniß der Elemente, die Buch- druckerkunst; nur die Literatur selbst, das selbständige Le- ben des Geistes, das sich in ihr ausspricht, kann nie er- scheinen. Hodgson Notice sur la langue, la literature et la religion des Boudhistes. L’ecriture des Tubetains n’est jamais employée à rien de plus utile que des notes d’affaires ou de plus instructif que les reves d’une mythologie absurde etc. Die Einwendungen Klaproth’s Nouv. journ. asiatique p. 99 bedeuten meines Erachtens Auch die Gegensätze, welche allerdings eintre- 15* Zweites Buch. Erstes Capitel . ten, hauptsächlich zwischen den verheiratheten und den un- verheiratheten Priestern, der gelben und der rothen Pro- fession, die sich an verschiedne Oberhäupter halten, können sie nicht hervorbringen. Die entgegengesetzten Lamas wall- fahrten einer zum andern: erkennen sich gegenseitig an. Wie Brama und Buddha, so standen einander inner- halb des Islam seit seinem Ursprung die drei alten Cha- lifen und Ali entgegen; im Anfang des sechszehnten Jahr- hunderts erwachte der Streit der beiden Secten, der eine Zeitlang geruht hatte, mit verdoppelter Stärke. Der Sul- tan der Osmanen betrachtete sich als den Nachfolger Ebu- bekrs und jener ersten Chalifen, als das religiöse Oberhaupt aller Sunni in seinen eignen, so wie in fremden Gebieten, von Marokko bis Bochara. Dagegen erhob sich aus ei- nem Geschlechte mystischer Scheiche zu Erdebil, das sich von Ali herleitete, ein glücklicher Feldherr, Ismail Sophi, der das neupersische Reich stiftete und den Shii aufs neue eine mächtige Repräsentation, eine weltbedeutende Stellung verschaffte. Unglücklicherweise ließ sich weder die eine noch die andre Partei angelegen seyn, die Keime der Cultur zu pflegen, welche seit den besseren Zeiten des alten Chalifats auch dieser Boden nährte: sie entwickelten nur die Ten- denzen despotischer Alleinherrschaft, die der Islam so eigen begünstigt, und steigerten ihre natürliche politische Feind- seligkeit durch die Motive des Fanatismus zu einer un- glaublichen Wuth. Die türkischen Geschichtschreiber erzäh- nicht viel, da hier nicht von einer alten vielleicht noch verborgen lie- genden, sondern von einer lebendigen Literatur des heutigen Tages die Rede ist. Ursprung der religioͤsen Opposition . len, die Feinde, welche in Ismails Hand gefallen, seyen gebraten und verzehrt worden. Hammer: Osmanische Geschichte II, 345. Der Osmane, Sultan Selim dagegen eröffnete seinen Krieg gegen den Neben- buhler damit, daß er alle Shii von sieben bis zu siebenzig Jahren in seinen gesammten Landen aufspüren und auf einen Tag umbringen ließ, wie Seadeddin sagt „40000 Köpfe mit niederträchtigen Seelen.“ Man sieht: diese Geg- ner waren einander werth. Und auch in dem Christenthum herrschte eine Spal- tung zwischen der griechisch-orientalischen und der lateini- schen Kirche, die zwar nicht zu so wilden Ausbrüchen ge- waltthätiger Roheit führte, aber doch auch nicht beigelegt werden konnte. Selbst die unwiderstehlich heranfluthende, das unmittelbare Verderben drohende türkische Macht konnte die Griechen nicht bewegen, die Bedingung, unter der ihnen der Beistand des Abendlandes angeboten ward — Beitritt zu den unterscheidenden Formeln des Bekenntnisses — anders als für den Augenblick und ostensibel einzugehen. Die Ver- einigung, welche 1439 so mühsam zu Florenz zu Stande gebracht wurde, fand wenig Theilnahme bei den Einen, bei den Andern den lebhaftesten Widerspruch; die Patriar- chen von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem eiferten laut gegen die Abweichung von der canonischen und syno- dalen Tradition die darin liege; sie bedrohten den griechi- schen Kaiser wegen seiner Nachgiebigkeit gegen die lateinische Heterodoxie ihrerseits mit einem Schisma. Stellen aus ihrem Abmahnungsschreiben bei Gieseler Kir- chengeschichte II, 4, p. 545. Zweites Buch. Erstes Capitel . Fragen wir welche von diesen Religionen politisch die stärkste war, so besaß ohne Zweifel der Islam diesen Vor- theil. Durch die Eroberungen der Osmanen breitete er sich im funfzehnten Jahrhundert in Gegenden aus, die er noch nie berührt, tief nach Europa, und zwar in solchen Formen des Staates, welche eine unaufhörlich fortschrei- tende Bekehrung einleiten mußten. Er eroberte die Herr- schaft auf dem Mittelmeer wieder, die er seit dem elften Jahrhundert verloren hatte. Und wie hier im Westen, so breitete er sich bald darauf auch im Osten in Indien aufs neue aus. Sultan Baber begnügte sich nicht die islami- tischen Fürsten zu stürzen, welche dieses Land bisher be- herrscht. Da er fand, wie er sich ausdrückt, „daß die Baniere der Heiden in zweihundert Städten der Gläubigen wehten, Moscheen zerstört, Weiber und Kinder der Mos- limen zu Sklaven gemacht wurden,“ so zog er in den hei- ligen Krieg wider die Hindus aus, wie die Osmanen wi- der die Christen; wir finden wohl, daß er vor einer Schlacht sich entschließt dem Wein zu entsagen, Auflagen abschafft die dem Koran nicht gemäß sind, seine Truppen durch einen Schwur auf dieß ihr heiliges Buch ihren Muth entflammen läßt; in diesem Styl des religiösen En- thusiasmus sind dann auch seine Siegesberichte: er ver- diente sich den Titel Gazi. Babers eigne Denkwuͤrdigkeiten; englisch von Leyden und Erskine, deutsch von Kaiser 1828 p. 537 und die dort folgenden bei- den Firmane. Die Entstehung einer so ge- waltigen, von diesem Ideenkreise erfüllten Macht konnte nicht anders, als die Verbreitung des Islam über den ganzen Osten hin gewaltig befördern. Ursprung der religioͤsen Opposition . Fragen wir dagegen welchem von diesen verschiednen Systemen die meiste innre Kraft beiwohnte, die meiste Be- deutung für die Zukunft des Menschengeschlechts, so läßt sich eben so wenig leugnen, auch noch abgesehen von aller religiösen Überzeugung, daß das die lateinische Christenheit war, die romanisch-germanische Welt des Abendlandes. Die wichtigste Eigenthümlichkeit derselben lag darin, daß hier eine Reihe von Jahrhunderten hindurch ein nicht unterbrochner, langsamer aber sicherer Fortschritt der Cul- tur Statt gefunden hatte. Während der Orient von gro- ßen Völkerstürmen wie der mongolische von Grundaus um- gewälzt worden, hatte es hier zwar wohl immer Kriege gegeben, in denen die Kräfte sich regten und übten, aber weder waren fremde Volksstämme erobernd eingedrungen noch waren innere Erschütterungen vorgekommen, welche den Grund des in seiner Bildung begriffenen Daseyns ge- fährdet hätten. Daher hatten sich hier alle lebensfähigen Elemente der menschlichen Cultur vereinigt, durchdrungen; die Dinge hatten sich naturgemäß, Schritt für Schritt ent- wickeln können; aus den unaufhörlich genährten innern Trieben hatten Wissenschaften und Künste immer wieder neuen Schwung und Antrieb empfangen und waren im fröh- lichsten Gedeihen; die Freiheit des bürgerlichen Lebens war auf fester Grundlage begründet; wetteifernd erhoben sich consolidirte Staatenbildungen einander gegenüber, deren Bedürfniß sie dahin führte, auch die materiellen Kräfte zusammenzunehmen und zu fördern; die Ordnungen, welche die ewige Vorsicht den menschlichen Dingen eingepflanzt, hatten Raum sich zu vollziehen; das Verkommene ver- fiel, die Keime des frischen Lebens wuchsen in jedem Mo- Zweites Buch. Erstes Capitel . ment empor; hier waren die geistreichsten, tapfersten, gebildet- sten Völker, noch immer jugendlich, mit einander vereinigt. Und so eben fieng auch diese Welt wieder an, sich ihrerseits auszubreiten. Schon vor vier Jahrhunderten hatte sie aus religiösen Beweggründen Eroberungsversuche auf den Orient gemacht, die aber nach anfänglichem Ge- lingen gescheitert waren; nur wenige Trümmer aus jenen Erwerbungen waren ihr übrig. Am Ende des funfzehnten Jahrhunderts dagegen eröffnete sich ihr ein neuer Schau- platz für eine unermeßliche Thätigkeit. Es war die Zeit der Entdeckungen beider Indien. Alle Elemente der euro- päischen Cultur, Studium der halbverwischten Erinnerun- gen aus dem Alterthum, technische Fortschritte, commerciel- ler und politischer Unternehmungsgeist, religiöser Schwung, wirkten zusammen, um dahin zu führen und sie zu benutzen. Nothwendig aber veränderten sich damit alle Verhält- nisse der Völker; die westlichen Nationen bekamen eine neue überlegene Stellung oder wurden wenigstens fähig sie zu ergreifen. Vor allem wandelte sich auch das Verhältniß der Religionen um. Das Christenthum, und zwar in den For- men welche es in der lateinischen Kirche angenommen, be- kam einen unerwarteten, neuen Einfluß in die entferntesten Gegenden. Es war für die Geschicke des Menschenge- schlechtes von einer verdoppelten Wichtigkeit, in welcher Ent- wickelung die lateinische Kirche begriffen war, welche sie weiter nehmen würde. Machte doch der römische Papst auf der Stelle den Anspruch, dem auch Niemand wider- sprach, die Länder die gefunden worden und noch gefun- Ursprung der religioͤsen Opposition . den werden könnten unter die beiden entdeckenden Staaten zu vertheilen. Religiöse Stellung des Papstthums. Es verdiente eine ausführlichere Auseinandersetzung, zu welchen Zeiten, unter welchen Umständen die unterscheiden- den Lehren und Gebräuche der römischen Kirche festgesetzt, herrschend geworden sind. Hier sey es genug, in Erinnerung zu bringen, daß dieß doch verhältnißmäßig sehr spät, und zwar eben in den Jahrhunderten der großen hierarchischen Kämpfe ge- schehen ist. Jedermann weiß, daß die Festsetzung der sieben Sa- cramente, deren Umkreis alle bedeutenderen Momente des menschlichen Lebens in Beziehung zu der Kirche bringt, sich aus dem zwölften Jahrhundert, von Petrus Lombardus herschreibt. Es wuͤrde wenig austragen, wenn es auch wahr waͤre, was Schroͤckh Kirchengesch. XXVIII, p. 45 annimmt, daß schon Otto von Bamberg 1124 diese Lehre den Pommern vorgetragen habe: allein man hat mit Recht bemerkt, daß die Ausarbeitung der Lebensbe- schreibung Ottos worin das vorkommt in spaͤtere Zeiten faͤllt. Fragen wir nach dem wichtigsten derselben, dem Sa- crament des Altars, so waren die Vorstellungen darüber zu Petrus Lombardus Zeiten kirchlich noch keineswegs sehr genau bestimmt. Eine jener Synoden zwar, die unter Gregor VII so viel zur Gründung der Hierarchie beige- tragen haben, hatte durch die Verdammung Berengars der Brodverwandlungslehre ein merkliches Übergewicht ver- Zweites Buch. Erstes Capitel . schafft: aber noch Petrus Lombardus wagte sich nicht da- für zu entscheiden; erst zu seinen Zeiten kam das bezeich- nende Wort Transsubstantiation in Umlauf; es dauerte noch bis in den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, ehe Begriff und Wort die kirchliche Bestätigung empfiengen; bekanntlich ist dieß erst durch das lateranensische Glaubens- bekenntniß im J. 1215 geschehen; erst seitdem verschwanden die bis dahin noch immer und zwar auch von Seiten einer tiefern religiösen Anschauung erhobenen Einwendungen. Es liegt aber am Tage von welch unendlicher Wich- tigkeit diese Doctrin für den Kirchendienst geworden ist, der sich um das Mysterium in dieser Auffassung gleichsam crystallisirt hat. Die Ideen der mystisch-sinnlichen Gegen- wart Christi in der Kirche bekamen dadurch eine lebendige Repräsentation: die Anbetung des Hochwürdigen führte sich ein; die Feste kamen auf, in denen dieß größte aller Wunder, das sich unaufhörlich wiederholt, gefeiert ward; es steht damit in nahem Zusammenhang, daß der Dienst der Maria, der leiblichen Mutter Christi in dem spätern Mittelalter ein so großes Übergewicht erlangte. Auch die Prärogative des Priesterstandes hat darauf die wesentlichste Beziehung. Die Lehre von dem Charakter ward ausgebildet, d. i. von der dem Priester durch die Weihe mitgetheilten Kraft, „den Leib Christi,“ wie man zu sagen sich nicht scheute, „zu machen, in der Person Christi wirksam zu seyn.“ Sie ist ein Product des drei- zehnten Jahrhunderts: hauptsächlich von Alex. von Hales und Thomas von Aquino stammt sie her. Vgl. die Untersuchungen des Thomas von Aquino uͤber die Der Sonde- Religioͤse Stellung des Papstthums . rung der Priester von den Laien, die freilich noch andre tiefere Wurzeln hatte, gab sie erst ihre volle Bedeutung. In dem Priester fieng man an, den Vermittler zwischen Gott und Mensch zu erblicken. Sacerdos, sagt Thomas, constituitur medius inter deum et populum. Sacerdos novae legis in persona Christi operatur. Summae pars III, quaestio 22, art. 4 concl. Die Institute dieser Sonderung selbst sind denn auch, wie man weiß, Erzeugnisse der nemlichen Epoche. In dem dreizehnten Jahrhundert ward allem Widerspruch zum Trotz der Cölibat der Priester zum unverbrüchlichen Gesetz. Da fieng man auch an den Laien den Kelch zu entziehen. Man leugnete nicht, daß der Genuß beider Gestalten das Vollkommnere sey; aber das Würdigere wollte man den Würdigern vorbehalten: Denen, auf deren Thätigkeit es ja auch allein ankam. „Nicht im Genuß der Gläubi- gen,“ sagt St. Thomas, „liegt die Vollendung der Sa- cramente, sondern allein in der Consecration.“ Perfectio hujus sacramenti non est in usu fidelium sed in consecratione materiae pars III, qu. 80, a. 12, c. 2 m . In der That: bei weitem weniger zur Unterweisung, zur Predigt des Evangeliums schien die Kirche bestimmt zu seyn, als dazu, das Mysterium hervorzubringen; das Priesterthum ist durch die Sacramente im Besitze dieser Fä- higkeit: durch die Priester wird das Heilige der Menge zu Theil. Wenn das Priesterthum sich auf der Einen Seite Geburt Christi, utrum de purissimis sanguinibus virginis formatus fuerit u. s. w. Summae pars III, qu. 31. Man sieht welchen Werth man darauf legte. Zweites Buch. Erstes Capitel . von den Laien scheidet, so bekommt es doch hiedurch auf der andern wieder unermeßlichen Einfluß auf dieselben. Es gehört mit zu jener Theorie vom Charakter, daß der Priester ausschließend die Gewalt hat die Hindernisse hinwegzuräumen, welche sich der Theilnahme an der ge- heimnißvollen Gnade entgegensetzen; hiebei könnte kein Hei- liger an seine Stelle treten. Summae Suppl. Qu. 17, a. 2, c. 1 m . Character et pote- stas conficiendi et potestas clavium est unum et idem. Ich be- ziehe mich uͤbrigens auf die ganze Quaͤstion. Allein die Absolution die er ertheilen darf, ist an gewisse Bedingungen geknüpft. Vor allem ist es im Anfang des dreizehnten Jahrhun- derts jedem Gläubigen zur Pflicht gemacht worden, jähr- lich wenigstens einmal einem bestimmten Priester alle seine Sünden zu beichten. Es bedarf keiner Ausführung, welche tiefgreifende Ein- wirkung die Ohrenbeichte, die specielle Aufsicht über die Gewissen, der Geistlichkeit verleihen mußte: ein sehr aus- gebildetes Pönitentiarsystem knüpfte sich daran. Vor allem aber eine beinahe gottgleiche Stellung ward dadurch dem Oberpriester, dem Papst zu Rom zu Theil, von dem man voraussetzte, er nehme in dem my- stischen Körper der Kirche, der den Himmel wie die Erde, Todte und Lebendige umfasse, Christi Stelle ein. Erst in dem dreizehnten Jahrhundert bildete sich diese Vorstel- lung vollständig aus. Erst da ward die Lehre von dem Schatze der Kirche vorgetragen, auf welcher der Ablaß be- ruht. Innocenz III trug kein Bedenken zu erklären: was er thue, das thue Gott durch ihn. Glossatoren fügten Religioͤse Stellung des Papstthums . hinzu: der Papst habe die Willkühr Gottes, sein Ausspruch sey statt aller Gründe; mit verwegener, sich selbst überbie- tender Dialectik werfen sie die Frage auf, ob man vom Papst an Gott appelliren dürfe, und beantworten sie ver- neinend, denn Gott habe mit dem Papst denselben Ge- richtshof und man könne von Niemand an ihn selber ap- pelliren. Augustini Triumphi Summa bei Gieseler Kirchengeschichte II, III, 95. Es ist unleugbar, daß das Papstthum den Sieg über das Kaiserthum bereits erfochten, von keinem Oberherrn ja keinem Nebenbuhler etwas zu befürchten haben mußte, ehe man Meinungen Lehren dieser Art ausbilden konnte. In dem Zeitalter der Kämpfe und Siege, mit der Thatsache der Macht entwickelten sich auch die Doctrinen der Hierar- chie. Nie waren Theorie und Praxis enger verbunden. Und man dürfte nicht glauben, daß in diesem Fort- gang der Dinge in dem funfzehnten Jahrhundert eine Un- terbrechung ein Stillstand eingetreten wäre. Erst durch die Synode von Costnitz ward es für Ketzerei erklärt die Rechtmäßigkeit der Kelchentziehung zu leugnen; erst von Eugenius IV findet sich eine förmliche Anerkennung der Lehre von den sieben Sacramenten; die sonderbare Schul- meinung von der unbefleckten Empfängniß Mariä ward erst in dieser Zeit von den Concilien gebilligt, von den Päpsten begünstigt, von den Universitäten anerkannt. Baselii auctarium Naucleri p. 993. Es könnte scheinen, als würde die weltliche Tendenz der damaligen Päpste, die vor allem das Leben zu genie- Zweites Buch. Erstes Capitel . ßen, ihre Angehörigen zu befördern, ihr Fürstenthum zu erweitern suchten, den geistlichen Prätensionen Eintrag ge- than haben. Aber im Gegentheil: sie treten so schroff her- vor wie jemals. Das Ansehn welches sich die Concilien erworben, bewirkte nur, daß die Päpste es für verdam- mungswürdig erklärten, wenn Jemand an ein Concilium appellire. Bulle Pius II vom 18ten Januar 1460 ( XV Kal. Febr. nicht X , wie Rain. hat) Bullar. Cocq. Tom. III, pars III, p. 97. Wie beeifern sich die curialistischen Schriftstel- ler die Infallibilität des Papstes nachzuweisen! Johann von Torquemada wird nicht müde, Analogien der Schrift, Sätze der Kirchenväter, Stellen aus den falschen Decre- talen zu diesem Zwecke zusammenzuhäufen; er geht so weit zu behaupten: gäbe es nicht ein Oberhaupt das alle Streit- fragen entscheiden, alle Zweifel heben könne, so könnte man an der h. Schrift selber zweifeln, die ihre Autorität nur von der Kirche habe, die sich wieder ohne den Papst nicht denken lasse. Johannes de Turrecremata de potestate papali (Rocca- berti Tom. XIII) c. 112. Credendum est, quod Romanus ponti- fex in judicio eorum quae fidei sunt, spiritu sancto regatur et per consequens in illis non erret: alias posset quis eadem faci- litate dicere, quod erratum sit in electione quatuor evaugelio- rum et epistolarum canonis. Er klagt jedoch uͤber die „multa turba adversariorum et inimicorum Romanae sedis,“ die das nicht glauben wollen. Im Anfang des sechszehnten Jahrhunderts trug der wohlbekannte Dominicaner Thomas von Gaeta kein Bedenken, die Kirche für eine geborne Sklavin zu er- klären, die gegen einen schlechten Papst nichts weiter thun könne als beharrlich gegen ihn beten. De autoritate Papae et concilii. Auszuͤge bei Rainaldus 1512 nr. 18. Religioͤse Stellung des Papstthums . Auch ward kein Mittel der Gewalt aufgegeben. Die Dominicaner, welche die strengsten Lehren an den Univer- sitäten vortrugen und von den Predigtstühlen allem Volke verkündigten, hatten zugleich das Recht sie mit Feuer und Schwert zu vertheidigen. Auch nach Johann Huß und Hieronymus von Prag war der Rechtgläubigkeit noch man- ches Opfer gefallen. Es bildet einen schneidenden Con- trast, daß so weltlich gesinnte Päpste wie Alexander VI und Leo X die Befugnisse der Inquisition scharf und drin- gend erneuerten. Decrete bei Rainaldus 1498 nr. 25, 1516 nr. 34. Unter der Autorisation gleichgesinnter Vorgänger war dieß Institut vor Kurzem in Spanien zu der furchtbarsten Gestalt ausgebildet worden, die es je ge- habt hat. Das Beispiel von Deutschland zeigt uns, daß sich auch anderwärts ähnliche Tendenzen regten. Jene seltsame Verrückung der Phantasie, die einen persönlichen Umgang mit dem Satan vorspiegelte, mußte dazu dienen, um blutige Executionen vorzunehmen: der Hexenhammer war das Werk zwei deutscher Dominicaner. Die spanische Inquisition war von einer Verfolgung der Juden ausge- gangen; auch in Deutschland wurden die Juden im An- fang des 16ten Jahrh. allenthalben verfolgt, und die Cöll- ner Dominicaner schlugen dem Kaiser vor, ein Inquisi- tionsgericht gegen sie zu errichten. Sie wußten ihm da- für sogar eine rechtliche Befugniß ausfindig zu machen. Sie meinten man müsse untersuchen, in wie weit sie von dem alten Testament abgewichen seyen: dazu habe der Kai- ser alles Recht, denn die Gewalt römisch-kaiserlicher Ma- jestät habe jene Nation einst vor Pilatus stehend förmlich Zweites Buch. Erstes Capitel . anerkannt. Gutachten, im Augenspiegel Reuchlins: abgedruckt bei v. d. Hardt Historia liter. reformationis III, 61. Gewiß, wäre es ihnen gelungen, sie würden nicht bei den Juden stehn geblieben seyn! Und indessen bewegten sich die geistigen Bestrebungen überhaupt noch in den von der Kirche angewiesenen Bah- nen; Deutschland ist ein rechtes Beispiel, wie die höhere Thätigkeit eines occidentalischen Volksgeistes ihre Richtung so überwiegend von den kirchlichen Prinzipien empfieng. Die großen Werkstätten der Literatur, die deutschen Universitäten waren mehr oder minder alle Colonien, lands- mannschaftliche Abzweigungen der Pariser; entweder unmit- telbar wie die ältern, oder mittelbar wie die spätern von ihr ausgegangen. Ihre Statuten beginnen zuweilen mit einem Lobspruch der Alma Mater von Paris. Principium statutorum facultatis theologicae studii Vien- nensis ap. Kollar Analecta I, 137. p. 240 n. 2. Coͤllner Sta- tut bei Bianco Coͤllner Studienstiftungen p. 451 divinae sapientiae fluvius descendens a patre luminum — ab alveo Parisiens. stu- dii tanquam cisterna conductu capto per canalia prorumpit Rheni partes ubertando. Uͤbrigens ist die Genealogie folgende. Von Paris giengen aus Prag Wien Heidelberg und Coͤlln; von Prag: Leipzig Rostock Greifswald, großentheils auch Erfurt; von Coͤlln: Loͤwen und Trie r; von Wien Freiburg und den Statuten zufolge Ingolstadt. In Basel und Tuͤbingen hatte man anfangs zugleich Rücksicht auf Bo- logna genommen: aber auch in Basel hieß die erste Bursa die Pariser in Tuͤbingen war der erste Lehrer der Theologie Magister von Paris. Von da war nun auch das ganze System der Scholastik, die Strei- tigkeiten zwischen Nominalismus und Realismus, das Übergewicht der theologischen Facultät, „des glänzenden Gestirnes, von dem dort alles Licht und Leben empfange,“ auf sie übertragen worden. In der Theologie hatte dann wieder der Professor der Sentenzen den Vorzug, der Bac- ca- Religioͤse Stellung des Papstthums . calaureus der die Bibel las mußte sich von ihm die Stunde seiner Vorlesung bestimmen lassen. Hie und da durfte nur ein Cleriker, der wenigstens die untern Weihen empfangen, zum Rector gewählt werden. Von den ersten Elementen ward man in einem und demselben Geiste bis zur höch- sten Würde geführt. In die Anfangsgründe der Gram- matik drangen dialectische Unterscheidungen ein; Geiler Navicula: in prima parte de subjecto attributio- nis et de habitibus intellectualibus, quod scire jam est magistro- rum provectorum. man legte fortwährend Lehrbücher des elften und zwölften Jahrhun- derts zu Grund; Johannes de Garlandia, Doctrinale Alexanders. Dufresne Praefatio ad Glossarium 42, 43. man hielt auch hier ganz die Straße ein, die zur Zeit der Gründung der hierarchischen Macht betreten worden. Und nicht anders war es im Ganzen mit der Kunst: sie setzte vor allem ihre bisherigen Bestrebungen weiter fort. Überall baute man an den Münstern und Domen, in welchen sich die kirchlichen Vorstellungen so eigenthüm- lich symbolisirten. Im Jahr 1482 wurden die Thürme zu St. Sebald in Nürnberg zu ihrer jetzigen Höhe ge- bracht; 1494 erhielt der Strasburger Münster noch eine neue kunstreiche Pforte; im Juli 1500 legte der römische König den Grundstein zu dem Chor des Reichsgotteshau- ses St. Ulrich in Augspurg, mit silberner Kelle, Richt- scheid und Mörtelkübel: aus dem Gebirge ließ er einen herrlichen Stein herunterschaffen, um daraus ein Denkmal „für den lieben Herrn St. Ulrich, seinen Verwandten aus dem Kyburgschen Hause“ zu errichten; darauf sollte ein Ranke d. Gesch. I. 16 Zweites Buch. Erstes Capitel . römischer König zu stehen kommen, das Schwert in der Hand. Nachricht des handschriftlichen Fugger. — Wir erinnern uns, daß St. Ulrich der erste von einem Papst (Johannes XV 973) fuͤr die ganze Kirche canonisirte Heilige war. Erst 1513 ward in Freiburg, 1517 in Bern der Chor des Münsters vollendet; die Halle an der nörd- lichen Kreuzvorlage zu St. Lorenz in Nürnberg ist von 1520. Die Brüderschaften der Steinmetze, die Geheim- nisse der deutschen Bauhütte breiteten sich in immer wei- tern Kreisen aus. An den Werken entwickelte sich erst in den spätern Zeiten der Überfluß an Laubverzierungen, der vegetabilische Charakter, der sie so merkwürdig auszeichnet. Das Innere der Kirchen füllte sich meist damals mit den zahllosen Bildwerken an, welche künstlich in Holz geschnitzt, oder in kostbarem Metall, oder gemahlt in goldnen Rah- men die Altäre bedeckten, die Hallen schmückten, an den Portalen prangten. Die Künste sind nicht dazu bestimmt, Ideen hervorzubringen; sie haben ihnen eine Gestalt zu verleihen; alle bildnerischen Kräfte der Nation widmeten sich noch den hergebrachten kirchlichen Vorstellungen. Die wunderbaren, heiter-nativen, zierlichen Mutter-Gottes-Bil- der, durch die sich in jener Zeit Baldung, Schaffner und besonders Martin Schön einen Namen gemacht, sind nicht blos Gebilde künstlerischer Phantasie, sie hängen mit dem Dienst der Maria zusammen, der damals mehr als je über- hand nahm. Ich möchte sagen, man kann sie nicht ver- stehen, ohne den Rosenkranz, der die verschiednen Freuden der Maria in Erinnerung zu bringen bestimmt ist, bei dem englischen Gruß, bei ihrer Reise über das Gebirg, bei Religioͤse Stellung des Papstthums . ihrer Niederkunft ohne alles Wehe, bei dem Wiederfinden Jesu im Tempel, bei ihrer Himmelfahrt, wie die Gebet- bücher jener Zeit das weiter ausführen. Sonderbare Denkmale einer naiven und wundergläu- bigen Hingebung sind überhaupt diese Gebetbücher. Da giebt es Gebete an welche ein Ablaß von 146 Tagen, von 7, ja von 80000 Jahren geknüpft ist; einen besonders kräftigen Morgensegen hat ein Papst einem König von Cypern zugeschickt; wer das Gebet des ehrwürdigen Beda wiederholt, zu dessen Hülfe wird die Jungfrau Maria 30 Tag vor seinem Tode bereit seyn, und ihn nicht unbuß- fertig von hinnen scheiden lassen. In den ausschweifend- sten Ausdrücken wird die Jungfrau gepriesen: „als die ewige Tochter des ewigen Vaters, das Herz der untheil- baren Dreifaltigkeit,“ es heißt wohl: „Glorie sey der Jung- frau dem Vater und dem Sohne.“ Auszuͤge aus den Gebetbüchern: Hortulus anime, salus ani- mae, Gilgengart u. a. bei Riederer: Nachrichten zur Buͤchergeschichte II , 157. 411. So werden auch die Heiligen angerufen als verdienstliche göttliche Diener die mit ihrem Verdienen das Heil erworben: die dann ihren Gläubigen besondern Schutz angedeihen lassen, wie St. Sebaldus „der hochwürdige und heilige Hauptherr Nothhelfer und Beschirmer der kaiserlichen Stadt Nürnberg.“ Eifrig sammelte man Reliquien: Churfürst Friedrich von Sachsen brachte deren in seiner Stiftskirche zu Wit- tenberg 5005 Partikeln zusammen, alle verwahrt in gan- zen stehenden Figuren oder in zierlichen Behältnissen, die alle Jahr am Montag nach Misericordia in acht Gängen 16* Zweites Buch. Erstes Capitel . dem gläubigen Volke gezeigt wurden. Zaygung des hochlobwuͤrdigsten Heiligthums 1509. Auszug in Hellers Luc. Kranach I, p. 350. In Gegenwart der zum Reichstag versammelten Fürsten ward im J. 1512 der Frohnaltar des Domes zu Trier eröffnet und nach den alten Sagen „unsers lieben Herrn Jesu Christi ohnzer- trennter Leibrock“ darin gefunden; mitten in den Reichs- tagsacten finden sich die Flugschriften, in denen das Wun- der durch Holzschnitte veranschaulicht und aller Welt ver- kündigt wird. Limpurger Chronik bei Hontheim p. 1122. Browerus ist dann wieder sehr feierlich. Wunderthätige Marienbilder erschienen, z. B. in Eichsel in der Costnitzer Diöces; in der Iphofer Markung am Wege eine sitzende Maria, mit deren Mira- keln die Birklinger Mönche, die auch ein ähnliches Bild besaßen, schlecht zufrieden waren; in Regensburg die schöne Maria, für die sich bald auf den Trümmern einer zerstör- ten Synagoge ausgetriebener Juden eine prächtige Kirche durch die Gaben der Gläubigen erhob. An dem Grabe des Bischof Benno von Meißen geschahen ohne Unterlaß Wunder: Rasende kamen zu Verstand, Bucklige wurden gerade, Pestbefallene gesund, ja eine Feuersbrunst zu Mer- seburg erlosch, als der Bischof Bose den Namen Bennos ausrief: wer dagegen an seiner Gewalt und Heiligkeit zweifelte ward von Unfällen heimgesucht. Miracula S. Bennonis ex impresso Romae 1521 bei Mencken Scriptores rer. Germ. II, p. 1887. Als Trithe- mius diesen Wunderthäter dem Papst zur Canonisation empfahl, versäumte er nicht zu bemerken, daß derselbe einst im Leben die Partei der Kirche strenge gehalten und dem Religioͤse Stellung des Papstthums . Tyrannen Heinrich IV Widerstand geleistet habe. Sein Schreiben bei Rainaldus 1506 nr. 42. So genau hängen alle diese Ideen zusammen. Eine Brüder- schaft, in der man sich zu häufigem Beten des Rosen- kranzes das ist doch im Grunde zu jener harmlosen Erin- nerung an die Freuden Mariä vereinigte, ward von Jacob Sprenger gestiftet, dem gewaltsamen Erneuerer der Inqui- sition in Deutschland, dem Verfasser des Hexenhammers. Denn es war alles ein einziges Gebilde, aus den Keimen, welche die frühern Jahrhunderte gepflanzt, eigen- thümlich emporgewachsen, wo sich geistliche und weltliche Macht, Phantasie und dürre Scholastik, zarte Hingebung und rohe Gewalt, Religion und Aberglaube verschlangen, umfaßten, und durch ein geheimes Etwas, das Allen ge- meinsam war, zusammengehalten wurden; — mit dem An- spruch der Allgemeingültigkeit für alle Geschlechter und Zei- ten, für diese und jene Welt und doch zu dem markirtesten Particularismus ausgebildet, unter alle den Angriffen die man erfahren und Siegen die man erfochten, unter die- sen unaufhörlichen Streitigkeiten, deren Entscheidungen dann immer wieder Gesetze geworden waren. Ich weiß nicht, ob ein vernünftiger, durch keine Phan- tasmagorie verführter Mann ernsthaft wünschen kann, daß dieß Wesen sich so unerschüttert und unverändert in un- serm Europa verewigt hätte: ob Jemand sich überredet, daß der ächte, die volle und unverhüllte Wahrheit ins Auge fassende Geist dabei emporkommen, die männliche, der Gründe ihres Glaubens sich bewußte Religion dabei hätte gedeihen können. Und könnte Jemand das Heil der Zweites Buch. Erstes Capitel . Welt vollends darin sehen, daß diese so höchst eigenthümliche, aus den besondersten Zuständen des Westens hervorgegangene Entwickelung sich in den entfernten Weltgegenden hätte Bahn brechen mögen? Man wußte sehr wohl, daß ein Hauptgrund der Abneigung der Griechen gegen eine Religionsvereini- gung in der Menge von Satzungen lag, welche bei den Lateinern eingeführt worden, in der drückenden Alleinherr- schaft die der römische Stuhl sich angemaßt hatte. Humbertus de Romania (bei Petrus de Alliaco de re- form. eccles. c. 2) „dicit quod causa dispositiva schismatis Grae- corum inter alias una fuit propter gravamina Romanae ecclesiae in exactionibus excommunicationibus et statutis.“ Ja, war nicht in der lateinischen Kirche selbst das Evangelium tief verborgen? In jenen Zeiten, in denen das scholastische Dogma sich festgesetzt, war auch die Bibel den Laien, in der Muttersprache selbst den Priestern verboten worden. Ohne ernstliche Rücksicht auf den Ursprung, von dem man ausgegangen — kein Mensch kann es leugnen — bilde- ten sich Lehrmeinungen und Dienste nach dem einmal in ihnen zur Herrschaft gelangten Prinzip weiter. Man darf die Tendenzen jener Zeit nicht so völlig den Lehren und Gebräuchen gleich stellen, welche darnach in dem tri- dentinischen Concil festgesetzt worden sind; da hatte auch die katholisch gebliebene Seite die Einwirkungen der Re- formationsepoche erfahren: und man fieng an sich selber zu reformiren; da war schon ein Einhalt geschehen. Ich halte es fuͤr den Grundfehler von Moͤhlers Symbolik, daß er das tridentinische Dogma als die Lehre betrachtet von der die Protestanten abgewichen seyen, da sich dasselbe vielmehr erst durch eine Ruͤckwirkung des Protestantismus gebildet hat. Ein Religioͤse Stellung des Papstthums . solcher aber war durchaus nothwendig. Es war nothwen- dig, den unter der tausendfältigen Verhüllung zufälliger For- men verborgenen Kern der Religion wieder einmal rein zu Tage zu schaffen. Sollte das Evangelium aller Welt ver- kündigt werden, so mußte es erst wieder in seiner unge- trübten Lauterkeit erscheinen. Es ist eine der größten Combinationen der Weltge- schichte, daß in dem Augenblick, in welchem sich dem Sy- stem der romanisch-germanischen Völker, welche sich zur lateinischen Kirche bekannten, die Aussicht eröffnete, sich eine vorwaltende Einwirkung auf die andern Erdtheile zu verschaffen, sich zugleich eine religiöse Entwickelung erhob, die dahin zielte die Reinheit der Offenbarung wiederherzustellen. Die deutsche Nation, die an der Eroberung fremder Welttheile wenig oder keinen Antheil hatte, nahm diese große Aufgabe sich vor. Es kamen verschiedne Momente zusammen, um ihr die Richtung dahin zu geben, eine entscheidende Op- position gegen den römischen Stuhl in ihr hervorzurufen. Opposition von weltlicher Seite. Vor allem mußte das Bestreben, der Nation eine geordnete, in sich geschlossene Verfassung zu geben, welches die letzten Jahrzehnde beschäftigt hatte, dem Papstthum in den Weg treten, dem bisher ein so großer Einfluß auf die Reichsregierung zugestanden worden war. Der Papst würde es gar bald gefühlt haben, wenn es wirklich zu der nationalen Staatsgewalt gekommen wäre, nach der man so eifrig strebte. Zweites Buch. Erstes Capitel . Gleich mit den ersten Entwürfen zu einer solchen, im J. 1487, war eine Mahnung an den Papst verbunden, einen Zehnten abzustellen, den er eigenmächtig in Deutsch- land aufgelegt hatte und schon hie und da einziehen ließ. Schreiben, von Mainz, Sachsen und Brandenburg versie- gelt, 26 Juni 1487, bei Muͤller Rth. Fr. VI , 130. Als man hierauf 1495 einen Reichsrath zu errichten dachte, sprach man auch sogleich die Absicht aus, den Präsiden- ten zu beauftragen, die Beschwerden der Nation wider den römischen Stuhl in Betracht zu ziehn. Bei Datt de pace publ. p. 840. Kaum hatten sich die Stände 1498 einen Augenblick mit dem König vereinigt, so beschlossen sie, den Papst aufzufordern die An- naten, die er so reichlich erhebe, ihnen zu einem Türkenkriege zu überlassen. So wie dann 1500 das Reichsregiment zu Stande gekommen, so ließ man auch wirklich eine Ge- sandtschaft an den Papst abgehen, um ihm diese Bitte ernstlich vorzutragen und über mancherlei ungesetzliche Ein- griffe in die Besetzung und Benutzung deutscher Pfründen Vorstellungen zu machen. Instruction der Reichsgesandtschaft. Muͤller Reichstags- staat 117. Ein päpstlicher Legat, der kurz nachher anlangte, in der Absicht das Jubeljahr predigen zu lassen, ward vor allem bedeutet, nichts zu thun ohne Rath und Wissen der Reichsregierung: Articuli tractati et conclusi inter Rev mam Dominationem D num Legatum ac senatum et conventum imperii bei Muͤller Reichs- tagsstaat p. 213. man sorgte dafür, daß seine Indulgenz nicht etwa Übertretern des Landfriedens zu Gute komme: er hatte denselben vielmehr ausdrücklich Opposition von weltlicher Seite . zu bestätigen: man gab ihm Reichscommissarien bei, ohne die er das eingegangene Geld gar nicht zu Handen bekam. Und auf ähnlichen Bahnen finden wir dann und wann auch Kaiser Maximilian. Im Jahr 1510 ließ er die Be- schwerden der deutschen Nation ausführlicher als bisher zusammenstellen; ja er erhob sich zu dem Gedanken die pragmatische Sanction welche sich in Frankreich so nütz- lich erwies, auch in Deutschland einzuführen. Avisamenta Germanicae nationis bei Freher II , 678. Noch merkwuͤrdiger ist die Epitome pragmaticae sanctionis in Goldasts Constitutt. Imp. II, 123. Im Jahre 1511 nahm er an der Berufung eines Conciliums nach Pisa lebendigen Antheil; wir haben ein Edict von ihm vom Januar dieses Jahres, worin er erklärt, da der rö- mische Hof zögere, wolle er nicht zögern; als Kaiser Vogt und Beschützer der Kirche berufe er das Concilium, dessen dieselbe dringend bedürfe; in einem Schreiben vom Juni sagt er dann den Versammelten seinen Schutz und seine Gunst zu, bis zum Schluß ihrer Sitzungen, „durch die sie sich, wie er hoffe, Verdienst bei Gott und Lob bei den Menschen verschaffen würden.“ Triburgi XVI mensis Januarii und Muldorf V Junii bei Goldast I , 421. 429. Und in der That regte sich die alte Hofnung daß von dem Concilium eine Ver- besserung der Kirche ausgehn könne, auch dießmal sehr lebhaft. Man verzeichnete wohl die Artikel, in denen man zunächst eine Reform erwartete. Z. B. sollte die Anhäu- fung von Pfründen namentlich in den Händen der Cardi- näle verhindert werden: man forderte eine Satzung, kraft deren ein mit öffentlichen Lastern befleckter Papst ohne Wei- Zweites Buch. Erstes Capitel . ters abgesetzt werden könne. In dem handschriftlichen Fugger sind die Satzungen die man erwartete verzeichnet. Allein weder hatte das Con- cilium Autorität genug um Ideen dieser Art ins Werk zu setzen, noch war Maximilian der Mann dazu sie zu ver- folgen. Er war an und für sich viel zu schwach: der- selbe Wimpheling, der ihm die Beschwerden zusammenstellte, glaubte ihn auch aufmerksam machen zu müssen, wie man- cher frühere Kaiser durch einen erzürnten Papst, im Bunde mit deutschen Fürsten abgesetzt worden: wahrhaftig kein Motiv zu entschlossenem Vorwärtsschreiten. Und überdieß gab jede neue Wendung der Politik auch seinen geistlichen Absichten eine andere Richtung. Baselius 1110. Admonitus prudentium virorum consilio — quem incaute pedem cum Gallis contra pontificem firmaverat, citius retraxit. Nachdem er sich 1513 mit Papst Julius II versöhnt, forderte er Hülfe vom Reich, um das Schisma abzuwenden das man fürchten müsse. Wäre es wirklich zu fürchten gewesen, so hätte doch er selbst durch die Begünstigung des Pisanischen Conciliums große Schuld daran gehabt. Man sieht: diese Opposition gelangte nicht zu eigent- licher, wahrer Thätigkeit. Der Mangel einer selbständigen Reichsgewalt lähmte jeden Versuch, jede Bewegung gleich im ersten Beginn. Nichts desto minder war sie in den Gemüthern lebendig; unaufhörlich erhoben sich laute Klagen. Hemmerlin, dessen Bücher in jenen Jahrzehnden ver- breitet und eifrig gelesen waren, erschöpft, möchte man sa- gen, das Lexicon, um den Betrug und die Räuberei zu schildern, deren der römische Hof sich schuldig mache. Felix Malleolus recapitulatio de anno jubileo. Pro nunc Opposition von weltlicher Seite . Im Anfang des sechszehnten Jahrhunderts klagte man vor allem über die Verderblichkeit der Annaten. Es war schon an sich wahrscheinlich die drückendste Steuer die in dem Reiche vorkam; zuweilen hat ein Prälat, um sie seinen Unterthanen zu ersparen, eine Herrschaft seines Stiftes zu versetzen gesucht; Diether von Isenburg ist hauptsächlich deshalb abgesetzt worden, weil er die Ver- pflichtungen nicht erfüllen konnte, die er wegen seines Pal- liums eingegangen. Unerträglich aber ward der Zustand, sobald einmal häufigere Vacanzen eintraten. In Passau z. B. geschah das 1482, 1486, 1490, 1500; der zuletzt erwählte Bischof begab sich nach Rom um eine Erleich- terung für sein Stift auszuwirken, aber er richtete dort nichts aus und der lange Aufenthalt am Hofe vermehrte nur seine Geldnoth. Schreitwein: Episcopi Patavienses bei Rauch Scriptt. II, 527. Die Kosten eines Palliums für Mainz betrugen 20000 G.: die Summe war auf die einzelnen Theile des Stiftes umgelegt; der Rheingau z. B. hatte allemal 1000 G. beizusteuern; Man sieht das aus den Artikeln der Rheingauer in Schuncks Beitraͤgen I, p . 183. Auch Jacob von Trier berechnet 1500 „das Geld, so sich an dem paͤpstlichen Hofe fuͤr die paͤpstlichen Bullen und Briefe, daruͤber Annaten Minuten Servitien und anders demselben anhangend zu geben gebuͤret,“ auf 20000 G. Urkunde bei Hont- heim II, ser. XV . im Anfang des sechszehn- de praesentis pontificis summi et aliorum statibus comparationis praeparationem fecimus, et nunc facie ad faciem experientia vi- demus quod nunquam visus est execrabilioris exorbitationis di- reptionis deceptionis circumventionis derogationis decerptatio- nis depraedationis expoliationis exactionis corrosionis et omnis si audemus dicere simoniacae pravitatis adinventionis novae et renovationis usus et exercitatio continua quam nunc est tempore pontificis moderni (Nicolaus V) et in dies dilatatur . Zweites Buch. Erstes Capitel . ten Jahrhunderts wiederholten sich nun die Vacanzen drei Mal rasch hinter einander; 1505, 1508, 1513; Jacob von Liebenstein sagte, er bedaure seinen Tod hauptsächlich deshalb, weil sein Land nun schon wieder jene Gefälle zah- len müsse; aber beim päpstlichen Hofe war alle Verwen- dung vergeblich; ehe noch die alte Anlage eingegangen war, wurde schon wieder eine neue ausgeschrieben. Welchen Eindruck mußte es hervorbringen, wenn man daran dachte, wie die Reichstäge nach den mühsamsten Unterhandlungen doch in der Regel nur geringfügige Be- willigungen machten, wie viel Schwierigkeit es hatte diese aufzubringen, und wenn man nun die Summen dagegen hielt, die so leicht so ohne alle Bemühung nach Rom flossen. Man berechnete sie jährlich auf 300000 G., und zwar noch ohne die Proceßkosten oder den Ertrag der Pfründen, der dem römischen Hofe zufalle. Das ist z. B. die Rechnung des Buͤchleins: Ein klaͤgliche Klag 1521, die ich indeß damit nicht will angenommen haben. Uͤber- haupt moͤchte es wohl unmoͤglich seyn, dem roͤmischen Hof nach zu rechnen. Die Taxe der Annaten in Trier betrug z. B. gesetzlich nur 10000 G. und doch stiegen die wirklichen Kosten auf 20000. Und wozu, fragte man dann, nütze das alles? Die Christenheit habe doch in kurzer Zeit zwei Kaiserthümer, vierzehn Königreiche, dreihundert Städte verloren; gegen die Türken sey sie in unaufhörlichem Ver- luste; behalte die deutsche Nation jene Summen zu ihren Handen und verwende sie selber, sie würde mit ihren ge- waltigen Kriegsheeren dem Erbfeind anders begegnen! Überhaupt erregte dieß finanzielle Moment die größte Aufmerksamkeit. Den Barfüssern wollte man nachrechnen, daß ihnen, denen kein Geld anzurühren erlaubt sey, doch Opposition von weltlicher Seite . alle Jahr die Summe von 200000 G. einlaufe, den ge- sammten Bettelmönchen eine Million. Dazu kamen die Competenzen der geistlichen und der weltlichen Gerichtsbarkeit: die allmählig um so mehr her- vortraten, je mehr die Territorien nach einer gewissen Abgeschlossenheit trachteten, sich zu Staaten zu gestalten strebten. Da ist besonders Sachsen merkwürdig. In den verschiednen Besitzungen beider Linien hatten nicht allein die drei einheimischen Bischöfe, sondern auch die Erzbi- schöfe von Mainz und von Prag, die Bischöfe von Würz- burg und Bamberg, Halberstadt, Havelberg, Brandenburg und Lebus geistliche Jurisdiction. Die Verwirrung, die hiedurch an und für sich entstand, wuchs nun noch da- durch ungemein, daß alle Streitsachen zwischen Geistlichen und Weltlichen nur vor geistlichen Gerichten verhandelt wurden, so daß Vornehme und Geringe unaufhörlich mit dem geistlichen Bann geängstigt wurden. Herzog Wilhelm klagt im Jahr 1454, das Übel komme nicht von sei- nen Herrn und Freunden, den Bischöfen, sondern von den Richtern, Offizialen und Procuratoren, von denen dabei nur ihr eigner Vortheil gesucht werde. Er traf mit Gra- fen Herrn und Ritterschaft des Landes einige Anordnun- gen dagegen; Verordnung Wilhelms Gotha Montag nach Exaudi 1454 bei Muͤller Rth. Fr. I , 130. man brachte Privilegien der Päpste aus; aber noch 1490 wiederholt sich die alte Klage: die welt- lichen Gerichte seyen durch die geistlichen höchlich beschwert: das Volk verarme darüber durch Versäumniß und Kosten. Worte einer Verordnung Herz. Georgs bei Langenn: Her- zog Albrecht p . 319. Zweites Buch. Erstes Capitel . Im Jahr 1518 drangen die Fürsten von beiden Linien, Georg und Friedrich vereinigt darauf, daß man die geist- lichen Gerichte auf die geistlichen Sachen beschränken, den weltlichen die weltlichen vorbehalten, der Reichstag entschei- den müsse was weltliche und was geistliche Sachen seyen. Herzog Georg war hierin fast noch eifriger als sein Vet- ter. Artikel der Reichshandlung wie die mein gnaͤdiger Herr hat uͤberantworten lassen. 1518. Im Dresdner Archiv. Es waren das aber ganz allgemeine Bedürfnisse und Klagen, welche die Verhandlungen der späteren Reichs- tage erfüllen. Die Städte fühlten sich besonders durch die Exemtio- nen der Geistlichkeit belästigt. Was konnte einem wohl- geordneten Gemeinwesen unangenehmer seyn, als eine zahl- reiche Genossenschaft in ihren Mauern zu haben, welche weder die Gerichte der Stadt anerkannte noch ihre Auf- lagen trug noch ihren Anordnungen überhaupt unterwor- fen zu seyn glaubte. Da waren die Kirchen Asyle für die Verbrecher, die Klöster Sammelplätze einer lüderlichen Ju- gend; es kommen Geistliche vor, welche ihre Steuerfreiheit dazu benutzen, Waaren zum Verkauf kommen zu lassen, und wäre es nur um einen Bierschank anzulegen. Greift man sie dann in ihren Vorrechten an, so wehren sie sich mit Bann und Interdict. Wir finden die Stadträthe un- aufhörlich beschäftigt diesen Übeln zu steuern. In drin- genden Fällen suchen sie ihre Schuldigen auch in dem Asyl auf: und treffen dann Anstalten um von dem unvermeid- lichen Interdict durch die höhern Instanzen wieder befreit zu werden: nicht ungern gehn sie den Bischof vorbei und Opposition von weltlicher Seite . wenden sich an den Papst; sie suchen Reformationen der Klöster durchzusetzen. Es kam ihnen sehr bedenklich vor, als die Pfarrer an der Einsammlung des gemeinen Pfennigs An- theil nehmen sollten: höchstens gestatteten sie ihnen Assistenz ohne Theilnahme. Jaͤger schwaͤbisches Staͤdtewesen, Muͤllners Nuͤrnberger An- nalen an vielen Stellen. Wider die Absicht des Kaisers, einen Bischof zum Kammerrichter zu machen, setzen sich immer die Städte am eifrigsten. Und da man nun einmal in so wichtigen Puncten das geistliche Institut mißbilligte, so kam man auch auf die übrigen Mißbräuche desselben zu reden. Wie lebhaft eifert Hemmerlin wider das unaufhörliche Anwachsen der geist- lichen Güter, durch welches man Dörfer verschwinden, halbe Gauen veröden sehe; die übermäßige Anzahl der Feiertage, welche schon das Basler Concilium abstellen wol- len; den Cölibat, dem die Sitte der morgenländischen Kirche bei weitem vorzuziehen sey; gegen die unbesonnene Erthei- lung der Weihe: wie man z. B. in Constanz jedes Jahr 200 Priester weihe; wohin wolle das führen. Besonders sind die Buͤcher de institutione novorum officio- rum und de libertate ecclesiastica hiefuͤr merkwuͤrdig. Es war so weit gekommen, daß die Verfassung des geistlichen Standes die öffentliche Moral beleidigte. Eine Menge Cerimonien und Rechte leitete man nur von der Begierde Geld zu machen her; der Zustand der in wilder Ehe lebenden Priester, die dann mit unächten Kindern be- laden waren, und aller erkauften Absolution zum Trotz sich nicht selten in ihrem Gewissen beschwert fühlten, indem sie das Meßopfer vollzogen eine Todsünde zu begehen fürch- Zweites Buch. Erstes Capitel . teten, erregte Mitleiden und Verachtung; die Meisten welche sich zum Mönchsstand bequemten hatten keine andre Idee, als sich gute Tage ohne Arbeit zu machen. Man fand, die Geistlichkeit nehme von jedem Stand und Ge- schlecht nur das Angenehme und fliehe das Peinliche. Von den Rittern nehme der Prälat glänzende Umgebung, gro- ßes Gefolge, prächtiges Reitzeug, den Falken auf der Faust; mit den Frauen theile er den Schmuck der Gemächer und die Gartenlust: aber die Last der Harnische, die Mühe der Haushaltung wisse er zu vermeiden. Wer sich einmal gütlich thun will, sagte ein Sprichwort, der schlachte ein Huhn; wer ein Jahr lang, der nehme eine Frau; wer es aber alle seine Lebtage gut haben will, der werde ein Priester. Unzählige Aussprüche in diesem Sinne waren in Um- lauf; die Flugschriften jener Zeit sind voll davon. Tendenzen der populären Literatur. Es hatte das aber um so mehr zu bedeuten, da der Geist der Nation, der sich in einer beginnenden populären Literatur aussprach, überhaupt eine Richtung nahm, welche mit dieser mißbilligenden Verwerfung in ihrem Ursprung, ihrem innerlichen Grunde zusammenhieng. Jedermann wird uns zugestehn, daß wenn wir Ro- senblüt und Sebastian Brant, den Eulenspiegel und die Bearbeitung des Reineke Fuchs vom Jahr 1498 nennen, wir damit die hervorleuchtendsten Erscheinungen bezeichnen, welche die Literatur dieser Zeit darbietet. Und fragen wir dann, welchen gemeinschaftlichen Charakter sie haben, so ist es Tendenzen der populaͤren Literatur . es der der Opposition. Die Fastnachtsspiele des Hans Ro- senblüt haben recht eigentlich diese Bestimmung; er läßt ein- mal den türkischen Kaiser auftreten, um allen Ständen der Nation die Wahrheit zu sagen. Auch in der Beschreibung der Schlacht von Hembach in Reinharts Beitraͤgen zur Historie Frankenlandes wird der Adel „als eine scharfe Gerte, die uns um unsrer Suͤnden willen zuͤchtigt,“ be- zeichnet: seine Herzen sind haͤrter als der Demant. Was das Glück des Eu- lenspiegel machte, war wohl nicht so sehr seine tölpische Grobheit und Spaßhaftigkeit, als die Ironie welche über alle Stände ausgegossen wird: an diesem Bauern, „der sich mit Schalksnägeln kraut,“ wird jeder Witz eines Andern zu Schande. Nur von dieser Seite faßte der deutsche Bear- beiter die Fabel vom Fuchs auf; er sieht darin eine Sym- bolisirung der Mängel der menschlichen Gesellschaft, wie er denn gar bald die verschiednen Stände entdeckt hat, und sich bemüht die Lehren zu entwickeln, die der Poet einem jeden ertheile. Auf den ersten Blick tritt dieser In- halt in Brant’s Narrenschiff hervor. Es ist nicht Spott über einzelne Thorheiten: auf der einen Seite wird das La- ster, ja das Verbrechen; auf der andern auch ein höheres über das Gemeine hinausgehendes Bestreben, wenn man z. B. all sein Sinnen darauf richte Städte und Länder zu erkunden, wenn man den Zirkel zur Hand nehme um zu erforschen wie breit die Erde, wie fern das Meer sich ziehe, unter dem Gesichtspunct der Thorheit betrachtet. Doctor Brants Narrenschiff. 1506. f . 83. Glorie und Schönheit werden verachtet, weil sie vergänglich sind: „nichts ist bleiblich als die Lehre.“ Bei dieser allgemeinen Opposition gegen die obwal- Ranke d. Gesch. I. 17 Zweites Buch. Erstes Capitel . tenden Zustände geschieht nun auch überall der Mängel in dem geistlichen Stande Erwähnung. Sehr lebendig eifert schon der Schnepperer gegen die Pfaffen, „welche hohe Rosse reiten, aber nicht mit den Heiden kämpfen wollen;“ im Eulenspiegel werden die gemeinen Pfaffen mit ihren hüb- schen Kellnerinnen, säuberlichen Pferdchen und vollen Kü- chen fast am häufigsten verspottet: sie erscheinen dumm und gierig; auch im Reineke spielen die Papemeierschen, die Haus- haltungen der Pfaffen, wo sich kleine Kinder finden, eine Rolle, und der Erklärer nimmt es damit sehr ernstlich, er handelt dabei von den Sünden der Pfaffen, die durch das böse Beispiel das sie geben, immer noch größer sind als die der Laien; und so ergießt denn auch Doctor Brant seinen Unwillen gegen den allzufrühen Eintritt in die Klö- ster, ehe jemand recht zu einem Menschen geworden, so daß er dann Alles ohne Andacht thue, und führt uns in die Haushaltungen der unberufenen Priester ein, denen es doch zuletzt an ihrer Nahrung fehlt, während ihre Seele mit Sünden beschwert ist: „denn Gott achtet des Opfers nicht, das in Sünden mit Sünden geschicht.“ Der 72ste Nar fol . 94. Indessen ist das doch nicht ausschließend, ja man könnte nicht einmal sagen vorzugsweise der Inhalt dieser Schriften: ihre Bedeutung ist um vieles allgemeiner. Während man in Italien den romantischen Stoff des Mittelalters in glänzenden und großartigen Werken der Poesie umschuf, wendete ihm der deutsche Geist keine wahre Aufmerksamkeit mehr zu: Titurel und Parcival z. B. wur- den gedruckt, aber als Antiquität, in einer schon damals unverständlichen Sprache. Tendenzen der populaͤren Literatur . Während die Opposition welche die Institute des Mittelalters auch dort in der fortschreitenden Entwickelung des Geistes fanden, sich scherzhaft gestaltete, ein Element der Behandlung wurde, sich den Idealen der Poesie als deren Verspottung an die Seite stellte, setzte sie sich hier selbständig fest, und wandte sich unmittelbar gegen die Er- scheinungen des Lebens, nicht gegen deren Reproduction in der Fabel. Allem Thun und Treiben der verschiedenen Stände, Alter, Geschlechter tritt in der deutschen Literatur jener Tage der nüchterne Menschenverstand gegenüber, die gemeine Mo- ral, die nackte Regel des gewöhnlichen Lebens, die aber eben das zu seyn behauptet, „wodurch die Könige ihre Kronen haben, Fürsten ihre Länder, alle Gewalten ihre rechtliche Geltung.“ Der allgemeinen Verwirrung und Gährung, die in den öffentlichen Verhältnissen sichtbar ist, entspricht es, es ist ihr natürlicher Gegensatz, daß in der Tiefe der Nation der gesunde Menschenverstand zur Besinnung kommt, und prosaisch, bürgerlich, niedrig wie er ist, aber durch und durch wahr, sich zum Richter der Erscheinungen der Welt aufwirft. Es ist ein bewundernswürdiges Bestreben, wenn man in Italien durch die Denkmale des Alterthums an die Be- deutung der schönen Form erinnert, mit ihnen wetteifert, und Werke zu Stande bringt, an denen der gebildete Geist ein unvergängliches Wohlgefallen hat; aber man kann wohl sagen: nicht minder groß und für den Fortgang der Dinge noch bedeutender ist es, daß hier der nationale Geist nach 17* Zweites Buch. Erstes Capitel . Jahrhunderte langer innerer Bildung sich gleichsam selber inne wird, sich von den Überlieferungen losreißt, und die Dinge, die Institute der Welt an seiner eignen Wahr- heit prüft. Auch in Deutschland verabsäumte man die Forderun- gen der Form nicht so ganz. In dem Reineke läßt sich wahrnehmen, wie der Bearbeiter alles entfernt was zur Manier der romantischen Dichtung gehört, leichtere Über- gänge sucht, Scenen des gemeinen Lebens zu vollerer An- schaulichkeit ausbildet, überall verständlicher, vaterländischer zu werden strebt, z. B. die deutschen Namen vollends ein- führt; sein Bemühen ist vor allem, seinen Stoff zu popu- larisiren, ihn der Nation so nahe wie möglich zu bringen, und sein Werk hat hiebei die Form bekommen, in der es nun wieder mehr als 3 Jahrhunderte seine Leser sich ge- sammelt hat. Sebastian Brant besitzt für die Sentenz, das Sprüchwörtliche ein unvergleichliches Talent, für seine einfachen Gedanken weiß er den angemessensten Ausdruck zu finden: seine Reime kommen ihm ungesucht und treffen in glücklichem Wohllaut zusammen: „hier“ sagt Geiler von Keisersperg „ist das Angenehme und das Nützliche verbun- den, es sind Becher reinen Weines, hier bietet man in kunstvollen Geschirren fürstliche Speisen dar.“ Geiler: Navicula fatuorum, fuͤr die Sitten-Geschichte noch belehrender als das Original; J, u. Est hic, faͤhrt er fort, in hoc speculo veritas moralis sub figuris sub vulgari et vernacula lin- gua nostra teutonica sub verbis similitudinibusque aptis et pul- chris sub rhitmis quoque concinnis et instar cimbalorum conci- nentibus . Aber so in dieser wie in einer Menge anderer sie umgebenden Schrif- ten bleibt der Inhalt die Hauptsache, der Ausdruck der Bewegungen in der gelehrten Literatur . Opposition der gemeinen Moral und des alltäglichen Ver- standes wider die Mißbräuche in dem öffentlichen Leben und das Verderben der Zeit. So eben nahm auch ein anderer Zweig der Literatur, die gelehrte, und vielleicht nur noch entschiedener eine ver- wandte Richtung. Bewegungen in der gelehrten Literatur. Darauf hatte nun Italien den größten Einfluß. In Italien war die Scholastik so wenig, wie die ro- mantische Poesie, oder die gothische Baukunst zu vollstän- diger Herrschaft gelangt; es blieb hier immer Erinnerung an das Alterthum übrig, die sich endlich in dem funfzehnten Jahrhundert auf das großartigste erhob, alle Geister er- griff, und der Literatur ein neues Leben gab. Auch auf Deutschland wirkte diese Entwickelung mit der Zeit zurück, wenn auch zunächst nur in Hinsicht des Äußerlichsten, des lateinischen Ausdrucks. Bei dem unausgesetzten Verkehr mit Italien, den die kirchlichen Verhältnisse herbeiführten, empfanden die Deut- schen gar bald die Überlegenheit der Italiener: sie sahen sich von den Zöglingen der dortigen Grammatiker und Rhe- toren verachtet, und fiengen selbst an, sich zu schämen, daß sie so schlecht sprachen so elend schrieben. Kein Wunder, wenn sich jüngere strebende Geister endlich auch entschlos- sen, ihr Latein in Italien zu lernen. Es waren zuerst ein paar begüterte Edelleute, ein Dalberg, ein Langen, Hamelmann gab 1580 eine oratio de Rodolpho Langio heraus, die einiges Gute enthaͤlt, aber doch auch viele Irrthuͤmer veranlaßt hat. ein Zweites Buch. Erstes Capitel . Spiegelberg, die nicht allein sich selbst bildeten, sondern sich auch das Verdienst erwarben, Bücher mitzubringen, gram- matische Schriften, bessere Ausgaben von Classikern, und diese ihren Freunden mittheilten. Dann erschien auch wohl einmal ein Talent, das sich die classische Bildung jener Zeit vollständig aneignete. Rudolf Huesmann von Gröningen, genannt Agricola, ist ein solches: die Virtuosität, die er sich erwarb, erregte ein allgemeines Aufsehen, wie ein Rö- mer wie ein Virgil ward er in den Schulen bewundert. Erasmi Adagia. Ad de cane et balneo . Er selbst zwar hatte nur im Sinne, sich weiter auszubil- den; die Mühseligkeiten der Schule waren ihm widerwär- tig; in die engen Verhältnisse, die einem deutschen Gelehr- ten zugemessen sind, konnte er sich nicht finden, und an- dre, in die er eintrat, befriedigten ihn doch nicht, so daß er sich rasch verzehrte und vor der Zeit starb; aber er hatte Freunde, denen es nicht so schwer wurde sich in die Noth- wendigkeiten des deutschen Lebens zu schicken, und denen er mit lebendiger Anweisung zu Hülfe kam. In einer schö- nen vertraulichen Freundschaft stand Agricola mit Hegius in Deventer, der sich ihm mit bescheidner Lernbegierde an- schloß, ihn um einzelne Belehrungen ersuchte und mit freu- diger Theilnahme von ihm gefördert ward; einen andern seiner Freunde Dringenberg zog er nach Schletstadt. Adami Vitae philosophorum p . 12 gedenkt dieses Brief- wechsels, „unde tum ardor proficiendi, tum candor in communi- cando elucet.“ Von Deventer aus wurden dann die niederdeutschen Schu- len, Münster, Hervord, Dortmund, Hamm, mit Lehrern versehen und reformirt; die Städte des obern Deutsch- Bewegungen in der gelehrten Literatur . lands wetteiferten die Schüler Dringenbergs anzustel- len. In Nürnberg, Ulm, Augsburg, Frankfurt, Hagenau, Memmingen, Pforzheim, finden wir mehr oder minder nahmhafte Poetenschulen; So heißen sie z. B. in der Regensburger Chronik. Ein Verzeichniß der Schulen, jedoch sehr unvollstaͤndig, giebt Erhard Geschichte der Wiederherstellung der Wissenschaften I, 427. Eberlin von Guͤnzburg nennt 1521 als fromme Schulmeister „deren trewe Unterweisung fast genuͤtzt“ Crato und Sapidus zu Schletstadt: Mich. Hilspach zu Hagenau: Spinler und Gerbellius zu Pforzheim: Brassicanus und Henrichmann zu Tuͤbingen: Egid. Krautwasser zu Stuttgart und Horb: Joh. Schmidlin zu Memmingen, auch Cocleus zu Nuͤrnberg, Nisenus zu Frankfurt. Schletstadt selbst stieg einmal auf 900 Schüler. Man wird nicht glauben, daß diese Literaten, welche hier eine rohe Jugend, die großentheils von Almosen leben mußte, keine Bücher besaß, sich in selt- sam disciplinirten Gesellschaften, Bachanten und Schützen, von Stadt zu Stadt trieb, Die Autobiographie von Plater stellt dieß Treiben sehr an- schaulich dar. in Ordnung zu halten und in den Anfangsgründen zu unterweisen hatten, gerade große Ge- lehrte gewesen wären, oder deren gebildet hätten: auch kam es darauf nicht an; es war schon Verdienst genug, daß sie eine bedeutende Richtung festhielten, nach Kräften aus- breiteten, die Bildung eines lebendigen literarischen Pu- blicums begründeten. Allmählig wichen die bisherigen Lehr- bücher: aus den deutschen Pressen giengen classische Auto en hervor; schon am Ende des funfzehnten Jahrhunders macht ein Geiler von Keisersberg, der sonst dieser literarischen Richtung nicht angehört, den gelehrten Theologen ihr La- tein zum Vorwurf, das roh und matt und barbarisch sey, Zweites Buch. Erstes Capitel . weder deutsch noch lateinisch, sondern beides und keins von beiden. Geiler Introductorium II, c. Quale est illud eorum la- tinum, quo utuntur etiam dum sederint in sede majestatis suae in doctoralis cathedra lecturae ! — Denn da die Scholastik der Universitäten, welche bis- her den Elementarunterricht beherrscht hatte, bei ihrer ge- wohnten Ausdrucksweise verblieb, so mußte zwischen der neu aufkommenden humanistischen und der alten Methode eine Reibung entstehn, die dann nicht verfehlen konnte, von dem allgemeinen Element der Sprache her auch andere Gebiete zu ergreifen. Eben von diesem Moment gieng ein Autor aus, der es zum Geschäft seines Lebens machte, die Scholastik der Universitäten und Klöster anzugreifen, der erste große Au- tor der Opposition in modernem Sinne, ein Niederdeut- scher, Erasmus von Rotterdam. Überblicken wir die ersten dreißig Lebensjahre des Erasmus, so war er in unaufhörlichem innern Widerspruch mit dem Kloster und Studien-Wesen jener Zeit aufgewach- sen und geworden was er war. Man könnte sagen: er war gezeugt und geboren in diesem Gegensatz: sein Vater hatte sich mit seiner Mutter nicht vermählen dürfen, weil er für das Kloster bestimmt war. Ihn selbst hatte man auf keine Universität ziehen lassen, wie er wünschte, sondern in einer unvollkommenen Klosteranstalt festgehalten, die ihm sehr bald nicht mehr genügte; ja man hatte ihn durch allerlei Künste mit der Zeit vermocht, selbst in ein Kloster zu treten und die Gelübde abzulegen. Erst dann aber fühlte er ihren Erasmus . ganzen Druck, als er sie auf sich genommen; er hielt es schon für eine Befreiung, daß es ihm gelang eine Stelle in einem Collegium zu Paris zu erhalten: jedoch auch hier ward ihm nicht wohl: er sah sich genöthigt, scotistischen Vorlesungen und Disputationen beizuwohnen, und dabei klagt er daß die verdorbene Nahrung, der kanigte Wein, von denen er dort leben mußte, seine Gesundheit vollends zu Grunde gerichtet habe. Da war er aber auch schon zu dem Gefühle seiner selbst gelangt. So wie er noch als Knabe die erste Spur einer neuen Methode bekommen, Eigentlich als Schuͤler von Hegius kann er doch nicht be- trachtet werden. „Hegium,“ sagt er in dem Compendium vitae, „te- stis diebus audivi.“ Es war die Ausnahme. war er ihr, mit geringen Hülfsmitteln aber mit dem sichern In- stinct des ächten Talentes nachgegangen; er hatte sich eine dem Muster der Alten nicht in jedem einzelnen Ausdruck, aber in innerer Richtigkeit und Eleganz entsprechende leicht dahinfließende Diction zu eigen gemacht, durch die er alles was es in Paris gab weit übertraf; jetzt riß er sich von den Banden die ihn an Kloster und Scholastik fesselten los; er wagte es, von der Kunst zu leben die er verstand. Er unterrichtete und kam dadurch in fördernde und seine Zukunft sichernde Verbindungen; er machte einige Schrif- ten bekannt, die ihm, wie sie denn mit eben so viel Vor- sicht als Virtuosität abgefaßt waren, Bewunderung und Gönner verschafften; allmählig fühlte er was das Publi- cum bedurfte und liebte, er warf sich ganz in die Literatur. Er verfaßte Lehrbücher über Methode und Form; übersetzte aus dem Griechischen, das er dabei erst lernte; edirte die Zweites Buch. Erstes Capitel . alten Autoren, ahmte sie nach, bald Lucian bald Terenz — er zeigte allenthalben den Geist feiner Beobachtung, welcher zugleich belehrt und ergötzt: was ihm aber haupt- sächlich sein Publicum verschaffte, war die Tendenz die er verfolgte. Jene ganze Bitterkeit gegen die Formen der Frömmigkeit und Theologie jener Zeit, die ihm durch den Gang und die Begegnisse seines Lebens zu einer habituel- len Stimmung geworden, ergoß er in seine Schriften: nicht daß er sie zu diesem Zwecke von vorn herein ange- legt hätte, sondern indirect, da wo man es nicht erwartete, zuweilen in der Mitte einer gelehrten Discussion, mit tref- fender, unerschöpflicher Laune. Unter andern bemächtigte er sich der durch Brant und Geiler populär gewordenen Vorstellung von dem Element der Narrheit, das in alles menschliche Thun und Treiben eingedrungen sey; er führte sie selbst redend ein, Moria, Tochter des Plutus, geboren auf den glückseligen Inseln, genährt von Trunkenheit und Ungezogenheit: Herrscherin über ein gewaltiges Reich, das sie nun schildert; zu dem alle Stände der Welt gehören. Sie geht sie sämmtlich durch, bei keinem aber verweilt sie länger und geflissentlicher, als bei den Geistlichen, die ihre Wohlthaten nicht anerkennen wollen, aber ihr nur desto mehr verpflichtet sind. Sie verspottet das Labyrinth der Dialectik, in dem die Theologen sich gefangen haben, die Syllogismen, mit denen sie die Kirche zu stützen vermei- nen, wie Atlas den Himmel, den Verdammungseifer mit dem sie jede abweichende Meinung verfolgen; — dann kommt sie auf die Unwissenheit, den Schmutz, die seltsamen und lächerlichen Bestrebungen der Mönche, ihre rohen und Erasmus . zänkischen Predigten; auch die Bischöfe greift sie hierauf an, die sich jetzt mehr nach Gold umsehen als nach den Seelen, die schon genug zu thun glauben, wenn sie in theatralischem Aufzug als die verehrungswürdigsten heilig- sten seligsten Väter segnen oder fluchen; kühnlich tastet sie endlich auch den römischen Hof und den Papst selber an, Μωϱίας ἐγκώμιον. Opp. Erasmi T. III. Quasi sint ulli hostes ecclesiae perniciosiores quam impii pontifices, qui et si- lentio Christum sinunt abolescere et quaestuariis legibus alli- gant et coactis interpretationihus adulterant et pestilente vita ju- gulant . er nehme für sich nur das Vergnügen und für sein Amt lasse er die Apostel Peter und Paul sorgen. Mitten unter den seltsamen Holzschnitten, mit denen Hans Holbein das Büchelchen ausgestattet, erscheint auch der Papst mit seiner dreifachen Krone. Ein Werkchen, das einen schon einige Zeit daher gäng und gebe gewordnen Stoff geistreich und gedrängt zusam- menfaßte, ihm eine Form gab, die allen Ansprüchen der Bildung genügte, und in seiner entschiednen Tendenz der Stimmung der Epoche zusagte: eine unbeschreibliche Wir- kung brachte es hervor; noch bei Lebzeiten des Erasmus sind 27 Auflagen davon erschienen: in alle Sprachen ist es übersetzt worden: es hat wesentlich dazu beigetragen, den Geist des Jahrhunderts in seiner anticlericalischen Rich- tung zu befestigen. Dem populären Angriffe setzte Erasmus aber auch einen gelehrten tieferen zur Seite. Das Studium des Grie- chischen war im funfzehnten Jahrhundert in Italien er- wacht, dem Latein zur Seite in Deutschland und Frank- Zweites Buch. Erstes Capitel . reich vorgedrungen, und eröffnete nun allen lebendigen Gei- stern jenseit der beschränkten Gesichtskreise der abendländi- schen kirchlichen Wissenschaft neue, glänzende Aussichten. Erasmus gieng auf die Idee der Italiener ein, daß man die Wissenschaften aus den Alten lernen müsse, Erdbeschrei- bung aus dem Strabo, Naturgeschichte aus Plinius, My- thologie aus Ovid, Medicin aus Hippokrates, Philosophie aus Plato, nicht aus den barocken und unzureichenden Lehr- büchern, deren man sich jetzt bediene; aber er gieng noch einen Schritt weiter, er forderte daß die Gottesgelahrtheit nicht mehr aus Scotus und Thomas, sondern aus den griechischen Kirchenvätern und vor allem aus dem neuen Testament gelernt würde. Nach dem Vorgang des Lau- rentius Valla, dessen Vorbild überhaupt auf Erasmus gro- ßen Einfluß gehabt hat, zeigte er daß man sich hiebei nicht an die Vulgata halten müsse, der er eine ganze Anzahl Fehler nachwies; In der complutensischen Ausgabe dagegen hat man den grie- chischen Text, z. B. I Joh. V, 7 nach der Vulgata veraͤndert. Schroͤckh KGsch. XXXIV, 83. Uͤberhaupt ward diese Festhaltung der Vulgata spaͤterhin und namentlich als von seiner Canonisation die Rede war, fuͤr das Hauptverdienst des Ximenes angesehn, „ut hoc modo melius intelligeretur nostra vulgata in suo rigore et puri- tate.“ — Acta Toletana bei Rain. 1517. nr . 107. er selbst schritt zu dem großen Werke, den griechischen Text, der dem Abendlande noch niemals gründlich bekannt geworden, herauszugeben. So dachte er, wie er sich ausdrückt, diese kalte Wortstreiterin, Theo- logie auf ihre Quellen zurückzuführen; dem wunderbar auf- gethürmten System zeigte er die Einfachheit des Ursprungs, von der es ausgegangen war, zu der es zurückkehren müsse. Erasmus . In alle dem hatte er nur die Zustimmung des großen Pu- blicums, für das er schrieb. Es mochte dazu beitragen, daß er hinter dem Mißbrauch, den er tadelte, nicht einen Abgrund erblicken ließ, vor dem man erschrocken wäre, son- dern eine Verbesserung, die er sogar für leicht erklärte; daß er sich wohl hütete, gewisse Grundsätze, welche die gläu- bige Überzeugung festhielt, ernstlich zu verletzen. Sein Verhaͤltniß faßt er einige Jahre spaͤter selbst so: ad- nixus sum ut bonae literae, quas scis hactenus apud Italos fere paganas fuisse, consuescerent de Christo loqui. Epistola ad Cre- tium 9 Sept. 1526. Opp. III, l. p. 953. Die Hauptsache aber machte sein unvergleichliches literarisches Talent. Er arbeitete unaufhörlich, in mancherlei Zweigen, und wußte mit seinen Arbeiten bald zu Stande zu kommen; er hatte nicht die Geduld sie aufs neue vorzunehmen, um- zuschreiben, auszufeilen; die meisten wurden gedruckt wie er sie hinwarf; aber eben dieß verschaffte ihnen allgemeinen Eingang; sie zogen eben dadurch an, weil sie die ohne al- len Rückblick sich fortentwickelnden Gedanken eines reichen, feinen, witzigen, kühnen und gebildeten Geistes mittheilten. Wer bemerkte gleich die Fehler, deren ihm genug entschlüpf- ten? Die Art und Weise seines Vortrags, die den Leser noch heute fesselt, riß damals noch weit mehr Jeder- mann mit sich fort. So ward er allmählig der berühmteste Mann in Europa; die öffentliche Meinung, der er Weg bahnte vor ihr her, schmückte ihn mit ihren schönsten Krän- zen; in sein Haus zu Basel strömten die Geschenke; von allen Seiten besuchte man ihn; nach allen Weltgegenden empfieng er Einladungen. Spaͤter beklagt er selbst den Mangel an Widerspruch. Longe Ein kleiner blonder Mann, Zweites Buch. Erstes Capitel . mit blauen halbgeschlossenen Augen voll Feinheit der Be- obachtung, Laune um den Mund, von etwas furchtsamer Haltung; jeder Hauch schien ihn umzuwerfen; er erzitterte bei dem Worte Tod. Zeigte sich nun an diesem Einen Beispiel wie viel die exclusive Theologie der Facultäten von der neuen literari- schen Tendenz zu fürchten hatte, so lag eine unermeßliche Gefahr darin, wenn diese nun den Versuch machte, in diese Burgen der anerkannten zunftmäßigen Gelehrsamkeit selbst einzudringen. Die Universitäten wehrten sich dagegen so gut sie vermochten. So wie sich Cölln von allem Anfang der Einführung neuer Elementarbücher widersetzt hatte, Nach Chytraͤus Saxonia p. 90 ward der Bischof von Muͤn- ster Conrad Ritberg von der Unwersitaͤt Coͤlln vor der Errichtung einer Schule nach der neuen Methode gewarnt, aber auf ihn, der selbst in Italien gewesen, wirkten die Empfehlungen, welche sich Langen von da mitgebracht hatte, z. B. auch vom Papst Sixtus, bei weitem staͤrker. so ließ es auch die Anhänger der neuen Richtung nicht bei sich einheimisch werden: Rhagius ward durch öf- fentlichen Anschlag auf 10 Jahre verbannt; Murmellius ein Schüler des Hegius mußte sich entschließen zu weichen und an einer Schule zu lehren. So wurde Conrad Cel- tes von Leipzig fast mit Gewalt vertrieben: Hermann von dem Busch konnte sich weder auf die Länge in Leipzig noch auch in Rostock behaupten, seine neue Bearbeitung des Donat ward fast wie eine Ketzerei betrachtet. Hamelmann Oratio de Buschio nr. 49. Das gieng jedoch nicht allenthalben. Nach der Verfassung der plus attulissent utilitatis duo tresve fidi monitores, quam multa laudantium millia. (Epp. III, 1, 924.) Bewegungen in der gelehrten Literatur . Universitäten hatte Jeder, wenigstens wenn er einmal Ma- gister geworden, das Recht zu lehren, und nicht Alle boten Anlaß oder Vorwand dar um sich ihrer zu entledigen. Erasmi Epistolae I, p. 689. In den Epp. Obsc. Vir. ed. Münch p. 102 wird uͤber einen Socius aus Maͤhren geklagt, der in Wien lesen wolle, ohne graduirt zu seyn. Auch hatten sich hie und da die Fürsten das Recht vorbehalten, die Lehrer zu ernennen. Bald auf die eine, bald auf die an- dre Weise sehen wir Lehrer der Grammatik und eines un- mittelbaren Studiums der Alten sich festsetzen: in Tübingen Heinrich Bebel, der eine sehr zahlreiche Schule bildete; in Ingolstadt Locher, der sich nach mancherlei Irrungen doch behauptete; Conrad Celtes in Wien, wo im J. 1501 so- gar eine poetische Facultät entstand; in Prag Hieronymus Balbi, ein Italiener, der den Prinzen unterrichtete und auch an Staatsgeschäften einen gewissen Antheil nahm. In Freiburg knüpfte sich das neue Studium an das römische Recht, Ulrich Zasius verband die beiden Professuren auf das glänzendste; in diesem Sinne war es, daß Peter Tom- mai von Ravenna und sein Sohn Vincenz nach Greifs- wald und später nach Wittenberg berufen wurden; Auch Tiraboschi gedenkt ihrer: VI p. 410. Ihre Catastrophe in Coͤlln wird jedoch immer noch nicht vollkommen klar. man hoffte sie sollten durch das vereinigte Studium des Rechts und des Alterthums diese Universitäten emporbringen. Auf Erfurt wirkte Conrad Muth, der ein Canonicat, das er besaß, zu Gotha genoß, „in glückseliger Ruhe,“ wie die Auf- schrift seines Hauses sagte, ein Gleim jener Zeiten, gast- freier Förderer einer strebenden poetisch-gesinnten Jugend. So bildete sich, nachdem erst die niedrigern Schulen ein- Zweites Buch. Erstes Capitel . genommen waren, allmählig an den meisten Universitäten Vereine von Grammatikern und Poeten, welche mit dem Geiste dieser Anstalten, wie er sich von Paris her vererbt, in natürlichem durchgreifendem Widerspruche standen. Man las die Alten und ließ wohl auch etwas von der Petulanz eines Martial oder Ovid in das Leben übergehen; man machte lateinische Verse, die man so ungelenk sie auch in der Regel ausfielen wechselseitig bewunderte; man schrieb einander lateinisch und versäumte nicht, einiges Griechische einzuflechten; man latinisirte und gräcisirte seine Namen. Crachenberger bittet unter andern Reuchlin um die Auffin- dung eines griechischen Namens „quo honestius in latinis literis quam hoc barbaro uti possim.“ Lynz 19 Febr. 1493. Wahres Talent, vollendete Ausbildung kamen hiebei nicht eben häufig zum Vorschein; aber das Leben und die Kraft einer Zeitgenossenschaft äußert sich auch nicht allein in Virtuositäten; an der einen oder der andern ist es schon genug; für die übrigen ist die Tendenz die Hauptsache. Gar bald änderte sich der Geist der Universitäten. Man sah die Scholaren nicht mehr, ihre Bücher unterm Arm, hin- ter ihrem Magister sittig dahertreten; die Bursen lösten sich auf, die Grade wurden nicht mehr gesucht; namentlich ver- schmähte man das Baccalaureat, das auch in Italien nicht gewöhnlich war: zuweilen erschienen die Verfechter der clas- sischen Studien als Beförderer studentischer Unordnungen; Acta facultatis artium Friburgensis bei Riegger: Vita Za- sii I, 42. Conclusum, ut dicatur doctori Zasio, quod scholari- bus adhaereat faciendo eos rebelles in universitatis praejudicium. in den Kreisen der Jugend fand die Verspottung der dia- lec- Reuchlin . lectischen Theologen, der Nominalisten wie der Realisten, freudige Zustimmung. Die Welt und besonders die gelehrte müßte nicht seyn was sie ist, wenn dieß ohne einen heftigen Kampf hätte abgehen sollen. Merkwürdig jedoch wie dieser ausbrach. Den Anlaß gab nicht ein gefährlicher Angriff oder nur ein entschiede- ner Feind, den man abzuwehren gehabt hätte: von allen Bekennern der neuen Richtung vielleicht der ruhigste, der das Werk seines Lebens bereits vollbracht hatte, und eben damals beinahe abstruse Richtungen verfolgte, Johann Reuchlin mußte dazu dienen. Es waren doch sehr persönliche Gaben, durch welche Johann Reuchlin, wahrscheinlich der Sohn eines Bo- ten zu Pforzheim, auf seinem Wege gefördert worden war. Eine gute Stimme verschaffte ihm Eingang an dem ba- denschen Hof; von seiner zierlichen Handschrift lebte er eine Zeitlang in Frankreich; daß er sich im Umgang mit Fremden eine reinere Aussprache des Lateins zu eigen ge- macht, verhalf ihm zur Theilnahme an einer Gesandt- schaft nach Rom, woran sich dann eine bedeutende Stel- lung und Wirksamkeit am Hofe von Wirtenberg, bei dem schwäbischen Bunde überhaupt knüpfte. Schnurrer Nachrichten von den Lehrern der hebraͤischen Li- teratur p. 11. Eine kleine Schrift von Michael Coccinius de im- perii a Graecis ad Germanos translatione 1506 ist dem Reuch- lin zugleich mit seinen beiden Collegen im schwaͤbischen Bundesgericht Streber und Winkelhofer ( confoederatorum Suevorum judicibus consistorialibus et triumviris ) gewidmet. Von Erasmus war er äußerlich und innerlich sehr verschieden. Er war Ranke d. Gesch. I. 18 Zweites Buch. Erstes Capitel . groß und wohlgestaltet, würdig in alle seinem Thun und Lassen, von einer äußeren Ruhe und Milde, die seinem Talente gleich auf den ersten Blick Vertrauen verschaffte. Joannis Hiltebrandi Praefatio in Illustrium Virorum Epi- stolas ad Reuchlinum . Auch war er kein Autor der den Beifall des großen Pu- blicums der lateinischen Welt hätte gewinnen können; seine Diction ist nur mittelmäßig; Sinn für Eleganz und Form beweist er eigentlich nicht. Dagegen war er voll von ei- nem Durst zu lernen, von einem Eifer mitzutheilen, die ihres Gleichen nicht hatten. Er beschreibt selbst, wie er seine Wissenschaft stückweise zusammengebracht, Brosamen, die von des Herrn Tische fielen, — zu Paris und im Va- tican, zu Florenz, Mailand, Basel, am kaiserlichen Hofe; wie er dann jenem Vogel des Apollonius gleich den Wei- zen anderem Geflügel zum Genuß überlassen habe. Praefatio ad rudimenta linguae hebraicae lib. III. Cf. Burkhard de fatis linguae latinae p. 152. Mit einem Wörterbuch, das besonders dazu beitrug die älteren scholastischen zu verdrängen, kam er den lateinischen, mit einer kleinen Grammatik den griechischen Studien zu Hülfe; er sparte weder Mühe noch Geld, um die classischen Au- toren entweder handschriftlich oder wie sie die italienischen Pressen verließen, über die Alpen herüberzubringen: woran kein Fürst und keine von jenen reichen Communen dachte, das bewirkte der Sohn eines armen Boten; in seiner Behausung berührte die wundervollste Hervorbringung der entfernten Jahrhunderte, die homerischen Gedichte, zuerst in ihrer äch- ten Gestalt den deutschen Geist, der sie einst der Welt wie- Reuchlin . der vollkommener verständlich machen sollte. Noch höher aber als alles dieß schlugen die Zeitgenossen sein Stu- dium des Hebräischen an, dem eben jene sporadischen Be- mühungen hauptsächlich galten, darin sah er selbst sein ei- genthümlichstes Verdienst. „Es ist vor mir Keiner ge- wesen,“ ruft er mit wohlbegründetem Selbstgefühl einem seiner Gegner zu, „der sich unterstanden hätte die Regeln der hebräischen Sprache in ein Buch zu bringen, und sollte dem Neide sein Herz zerbrechen, dennoch bin ich der Erste. Exegi monumentum aere perennius.“ Reuchlini Consilium pro libris Judaeorum non abolen- dis bei Hardt Historia Ref. p. 49. Uͤbrigens ein schoͤnes Denkmal deutscher Prosa. Hiebei hatte er nun das Meiste jüdischen Rabbinen zu danken, die er al- lenthalben aufsuchte, von denen er keinen vorüberziehen ließ, ohne etwas von ihm gelernt zu haben, die ihn aber nicht allein auf das alte Testament, sondern auch auf ihre übrigen Sachen, vor allem die Cabbala führten. Reuch- lin war ein Geist, dem die grammatisch lexicalischen Stu- dien an und für sich nicht völlig genugthaten. Nach dem Vorgang seiner jüdischen Lehrer wandte er sich auf die Mystik des Wortes. In den Namen Gottes in der Schrift, in ihrer elementaren Zusammensetzung findet er zugleich das tiefste Geheimniß seines Wesens. Denn „Gott, der sich des Umgangs mit der heiligen Seele freut, will sie in sich verwandeln, in ihr wohnen: Gott ist Geist, das Wort ist ein Hauch, der Mensch athmet, Gott ist das Wort. Die Namen die er sich selbst gegeben, sind ein Wiederhall der Ewigkeit: da ist der Abgrund seines geheim- 18* Zweites Buch. Erstes Capitel . nißvollen Webens ausgedrückt; der Gottmensch hat sich selbst das Wort genannt.“ Reuchlin de verbo mirifico II, 6. 15. III, 3. 19. Da fassen gleich in ihrem ersten Ursprung die Studien der Sprache in Deutschland das letzte Ziel ins Auge, die Erkenntniß des geheimniß- vollen Zusammenhanges der Sprache mit dem Göttlichen, ihrer Identität mit dem Geiste. Reuchlin ist wie jene Entdecker der neuen Welt, seine Zeitgenossen, welche bald nach Norden bald nach Süden bald gradeaus nach We- sten das Meer durchschneiden, die Küsten finden und be- zeichnen, und dabei nicht selten indem sie einen Anfang machen schon am Ziele zu seyn glauben. Reuchlin war überzeugt daß er auf seinem Wege der platonischen und aristotelischen Philosophie, die bereits wieder gefunden wor- den, auch die pythagoreische hinzufüge, die aus dem He- braismus entsprungen. Auf den Fußtapfen der Cabbala glaubte er von Symbol zu Symbol, von Form zu Form sich bis zu der letzten reinsten Form zu erheben, die das Reich des Geistes beherrsche, in der sich die menschliche Beweglichkeit dem Unbeweglich-Göttlichen nähere. Reuchlin de arte cabbalistica p. 614. 620. 696. Indem er aber in diesen so idealen, abstracten Be- strebungen lebte, mußte ihm begegnen, daß sich die Feind- seligkeiten der scholastischen Partei grade gegen ihn wende- ten; unerwartet sah er sich in die Mitte eines widerwär- tigen Kampfes gezogen. Wir berührten oben die inquisitorischen Bestrebungen der Dominicaner von Cölln, ihre Feindseligkeiten gegen das Judenthum. Im J. 1508 war von einem alten Rabbi- Bewegungen in der gelehrten Literatur . nen, der noch im funfzigsten Jahr Religion Weib und Kind verlassen und christlicher Priester geworden war, eine Schrift herausgegeben worden, in der er seinen frühern Glaubensgenossen die gröbsten Irrthümer z. B. Anbetung von Sonne und Mond, vor allem aber die unerträglich- sten Lästerungen gegen das Christenthum Schuld gab und aus dem Talmud nachzuweisen suchte. Anzeige dieses Judenbuͤchleins in Riederers Nachrichten I, I, p. 34. Lateinisch erschien es 1509, als ein opus aureum ac novum . Hauptsächlich auf den Grund dieser Anklagen forderten die Cöllner Theolo- gen den Kaiser auf, die Auslieferung des Talmud anzu- befehlen, und gaben ihm auf seine weiteren Anfragen je- nes Gutachten, worin sie ihm das Recht zusprachen, ge- gen die Juden als Ketzer zu verfahren. Die kaiserlichen Räthe hielten doch für gut, neben den theologischen Fa- cultäten auch einen andern Kenner der jüdischen Literatur, eben den Erneuerer der cabbalistischen Philosophie, unsern Reuchlin zu Rathe zu ziehn. Reuchlin gab seine Meinung, wie sich nicht anders er- warten ließ, zu Gunsten der Bücher ab; sein Gutachten ist ein schönes Denkmal reiner Gesinnung und überlegener Einsicht. Aber eben damit zog er nun auch den ganzen Sturm auf sich selber. Die Cöllner, um so heftiger gereizt, weil sie mit ihren Vorschlägen nicht durchgedrungen, was sie wohl nicht mit Unrecht dem Widerspruch Reuchlins zuschrieben, ließen ihn durch einen ihrer Satelliten angreifen; er antwortete: sie verdammten seine Antwort: er replicirte: sie setzten ein In- quisitionsgericht gegen ihn nieder. Zweites Buch. Erstes Capitel . Da trafen die beiden Parteien zuerst ernstlich auf ein- ander. Die Dominicaner hofften ihr wankendes Ansehn durch einen großen Schlag der Autorität zu erneuern, die Feinde, die ihnen gefährlich zu werden drohten, durch die Schrecken die ihnen zu Gebote standen zurückzuscheuchen. Die Neuerer, jene Lehrer und Zöglinge der Poetenschulen, fühlten sehr wohl, daß sie in Reuchlin alle gefährdet seyen; die natürliche Kraft, mit der sie emporstrebten, ward jedoch noch durch das Bewußtseyn der Opposition gegen die be- stehende Autorität, der zweifelhaften Stellung die sie über- haupt einnahmen, gefesselt. Im October 1513 constituirte sich das Inquisitions- gericht zu Mainz, aus Doctoren der Universität und Beam- ten des Erzbischofs, unter dem Vorsitz des Inquisitors ketzerischer Bosheit, Jacob Hogstraten; und es kam nun darauf an, ob ein Urtel gesprochen werden würde, wie ei- nige Jahrzehnde früher gegen Johann von Wesalia. Allein wie sehr hatten sich die Zeiten seitdem verändert! In Deutschland herrschte die energisch katholische Stimmung, welche es in Spanien der Inquisition so leicht machte durchzudringen, mit nichten. Die kaiserlichen Räthe muß- ten dem Begehren der Cöllner wohl von vorn herein ab- geneigt seyn, sonst würden sie einen Mann wie Reuchlin nicht zu Rathe gezogen haben. Schon hatte die literari- sche Tendenz allzuweit um sich gegriffen, eine Art von öf- fentlicher Meinung gebildet. Eine ganze Anzahl von Mit- gliedern der hohen Geistlichkeit werden uns als Freunde der literarischen Neuerung bezeichnet: die Domherrn Groß und Wrisberg in Augsburg, Nuenar in Cölln, Adelmann Bewegungen in der gelehrten Literatur . in Eichstädt, die Dechanten Andreas Fuchs zu Bamberg, Lorenz Truchseß zu Mainz, Wolfgang Tanberg zu Passau, Jacob de Bannissis zu Trient; der einflußreichste geheime Rath des Kaisers, Cardinal Lang gehörte dieser Meinung selber an. Auch die höhere Geistlichkeit wollte die drohende Inquisition nicht wieder zu Kräften kommen lassen. Jene Inquisition gegen Wesalia hatte Churf. Diether wider seinen Willen und nur darum zugegeben, weil er fürchtete, die mächtigen Dominicaner möchten etwa ihm eine zweite Absetzung auswirken: Auch damals hatte Diether das Gericht nur zugegeben „co- gentibus Thomistis quibusdam, veritus ne denuo ab episcopatu ejiceretur jussu romano pontificis. (Examen Wesaliae Fasc. I, 327.) jetzt aber waren sie so furchtbar nicht mehr; der Dechant Lorenz Truchseß ver- anlaßte, daß als das Gericht schon seine Sitze eingenom- men hatte um das Urtheil zu sprechen, der Churfürst demselben Stillstand gebieten und seine Beamten davon abrufen ließ. Aus Huttens Vorrede zum Livius Opp. III, p. 334 ed. Muͤnch ergiebt sich der Antheil von Lorenz Truchseß „quodam suo divino consilio.“ Ja im Interesse Reuchlins ward darauf ein andres Gericht vor dem Bischof zu Speier niedergesetzt, kraft ei- ner von Rom ausgebrachten Commission; dieses sprach am 24 April 1514 das Urtheil, daß den Anklägern Reuchlins, die ihn lügnerisch verläumdet, ein ewiges Stillschweigen und die Erstattung der Kosten aufzuerlegen sey. Acta judiciorum bei v. d. Hardt Historia lit. Reforma- tionis 114. Die Hauptquelle fuͤr diese Ereignisse. So weit verbreitet und mächtig war die Antipathie, Zweites Buch. Erstes Capitel . welche die Dominicaner sich zugezogen hatten. Eine so lebhafte Theilnahme widmete die gebildete und vornehme Welt den Bestrebungen der aufkommenden Literatur. So kräftig war schon die Meinung der Gelehrten: es war ihr erster Sieg. Weder bei dem Kaiser noch bei der höhern Geistlich- keit in Deutschland konnte die verfolgende Rechtgläubigkeit durchdringen. Allein sie gab darum ihre Sache nicht ver- loren. In Cölln verdammte man die Bücher Reuchlins zum Feuer: man verschaffte sich übereinstimmende Urtheil- sprüche der Facultäten zu Erfurt Mainz Löwen und Pa- ris; so verstärkt wandte man sich an das höchste Tribu- nal zu Rom: die rechtgläubige Theologie erschien vor dem Papst und forderte ihn auf, den alten Verfechtern des rö- mischen Stuhles mit seiner infalliblen Entscheidung gegen die Neuerer zu Hülfe zu kommen. Aber selbst in Rom gerieth man jetzt in Verlegenheit. Sollte man die öffentliche Meinung beleidigen, die sich in so einflußreichen Männern repräsentirte? mit dem was man selbst dachte sich in Widerspruch setzen? — Auf der andern Seite, durfte man es wagen, das Urtheil der mächtigen Uni- versitäten zu verwerfen, mit dem Orden zu brechen, der die Prärogativen des römischen Stuhles so eifrig verfocht, den Ablaß in aller Welt predigte und vertrieb? Erasmus ad Vergaram Opp. III, 1, 1015. Quis enim magis timet monachos quam Romani pontifices? In der Commission welche der Papst zu Rom nieder- setzte, war die Mehrheit für Reuchlin: aber eine nicht unbe- deutende Minderheit war gegen ihn, und der römische Stuhl Bewegungen in der gelehrten Literatur . hielt es für gut seinen Ausspruch zu verschieben. Er er- ließ ein Mandatum de supersedendo . Reuchlin de arte cabbalistica p. 730. Acta judiciorum p. 130. Und hiemit war nun wohl Reuchlin nicht ganz zu- frieden, der im Bewußtseyn einer gerechten Sache und nach allem was vorausgegangen, eine förmliche Lossprechung erwartet hatte, allein im Ganzen angesehen, war doch auch dieß nicht viel weniger als ein Sieg. Daß die Partei welche die Religion zu repräsentiren, ja in ihren Lehrsätzen ausschließend zu besitzen glaubte, mit ihrem inquisitorischen Verfahren nicht durchgedrungen, vielmehr wie die gehei- men Nachrichten lauteten, nur durch Hülfe von Geld und Gunst einer Verdammung entgangen war, Im Hogstratus ovans 336 heißt es: durch die Verwendung des Nicolaus von Schomberg. darin lag eine Aufforderung für alle ihre Gegner. Bisher hatten sich diese nur zu behaupten gesucht: jetzt warfen sie sich in den offenen, directen Angriff. In der Briefsammlung Reuch- lins, die ausdrücklich dazu angelegt ward, um die Ver- ehrung und Bewunderung nachzuweisen deren der Ange- feindete genieße, finden wir, wie zahlreich und eifrig sie sich um ihn sammeln; jene geistlichen Herrn und kaiserli- chen Räthe deren wir gedacht; Patrizier in den bedeutend- sten Städten, wie Pirkheimer in Nürnberg der sich gern als den Anführer der ganzen Schaar der Reuchlinisten be- trachtete, Peutinger in Augsburg, Stuß in Cölln; Predi- ger, wie Capito und Öcolampadius; die östreichischen Ge- schichtsforscher Lazius und Cuspinian; Doctoren der Me- Zweites Buch. Erstes Capitel . dicin, alles was je von der Literatur berührt worden: haupt- sächlich aber jene Poeten und Redner auf den Universitä- ten und Schulen, die in der Sache Reuchlins die ihre sa- hen, und jetzt in Schaaren auf den eröffneten Kampfplatz stürzten: an ihrer Spitze die Busch, Jäger, Heß, Hutten, und wie sie alle heißen. Schon vor den Briefen an Reuchlin findet man den exer- citus Reuchlinistarum verzeichnet. Ein anderes Verzeichniß hat Pirk- heimer Epistola apologetica bei Hardt p. 136. Spaͤtre Verzeich- nisse z. B. bei Meierhof, wuͤrden wohl noch manche Restriction er- leiden muͤssen. Das merkwürdige Product, in dem sich ihr ganzes Streben zusammenfaßt, sind die Epi- stolae obscurorum virorum . Jene populäre Satyre, die sich schon so viel in der Nation geregt, aber bisher noch im allgemeinen gehalten, fand hier einen Gegenstand, der ihr so recht eigentlich gemäß war. Wir dürfen darin nicht jene Feinheit der Auffassung suchen, die sich nur bei einem sehr ausgebildeten gesellschaftlichen Zustand entwickelt, auch nicht den Ingrimm einer sich verletzt fühlenden Sittlichkeit wie bei einigen Alten; es ist alles Carikatur, nicht einmal vol- ler Persönlichkeiten, sondern ein einziger Typus: so ein töl- pischer genußsüchtiger von dummer Bewunderung und fa- natischem Haß beschränkter deutscher Pfaffe, der die man- cherlei anstößigen Situationen in die er geräth, in alberner Vertraulichkeit enthüllt. Diese Briefe sind nicht das Werk eines hohen poetischen Genius; aber sie haben Wahrheit, grobe, starke, treffende Züge, und tüchtige Farben. Wie sie aus einer weitverbreiteten großen Tendenz hervorgiengen, so brachten sie auch eine ungeheure Wirkung hervor; der römische Stuhl hielt für nothwendig, sie zu verbieten. Bewegungen in der gelehrten Literatur . Überhaupt können wir sagen, daß die Tendenzen der literarischen Opposition den Sieg davon trugen. Freudig sieht Erasmus im J. 1518 um sich her; allenthalben sind seine Schüler und Anhänger auf den Universitäten einge- drungen, zuletzt auch in Leipzig, das sich so lange gehalten hatte: alles Lehrer der alten Literatur. In der Schrift de ratione conscribendi epistolas, deren Zuschrift vom Jahr 1522 ist, ruft er aus: Ausg. v. 1534 p. 71. Videmus quantum profectum sit paucis annis. Vbi nunc est Mi- chael Modista, ubi glossema Jacobi, ubi citatur catholicon bra- chylogus aut Mammaetrectus, quos olim ceu rarum thesaurum aureis literis descriptos habebant monachorum bibliothecae . Man sieht wie sehr sich die Methode veraͤnderte. Sollten die großen Alten vergeblich gelebt haben? Sollten ihre Werke, in der Jugend der Menschheit ver- faßt, mit deren Schönheit und innerer Vortrefflichkeit sich nichts vergleichen läßt was seitdem entsprungen, den spä- tern Jahrhunderten nicht zurückgegeben, in ihrer Ursprüng- lichkeit zur Anschauung gebracht werden? Es ist ein uni- versalhistorisches Ereigniß, daß nach so viel völkerzerstören- den völkergründenden Bewegungen, in denen die alte Welt vorlängst zu Grunde gegangen, alle ihre Elemente mit an- deren Stoffen versetzt worden, die Reliquien ihres Gei- stes, die jetzt keine andre Wirkung mehr haben konn- ten als eine formelle, mit einem früher nie gekannten Wetteifer aufgesucht, in weiten Kreisen verbreitet, studirt und nachgeahmt wurden. In der deutschen Nation war dieß Studium gleich bei der ersten Einführung des Christenthums gepflanzt, in dem 10ten und 11ten Jahrhundert zu einer nicht geringen Zweites Buch. Erstes Capitel . Blüthe emporgebracht, aber seitdem durch die Alleinherr- schaft der hierarchischen und scholastischen Mächte unter- brochen worden. Die Schulen kehrten jetzt zu ihrem ur- sprünglichen Berufe zurück. Da war nun nicht sogleich an die Hervorbringung großer Werke literarischer Kunst zu denken. Dazu waren die Zustände nicht angethan; dazu war keine Muße vorhanden. Die nächste Wirkung lag in dem Unterricht, in der naturgemäßern, reinern Bildung des jugendlichen Geistes, welche dann die spätern Jahrhunderte daher die Grundlage der germanischen Gelehrsamkeit geblie- ben ist. Die hierarchische Weltansicht, an der man, so glänzend sie auch einst ausgebildet, unmöglich ewig fort- spinnen konnte, ward hiedurch unmittelbar unterbrochen. In allen Zweigen regte sich ein neues Leben. „O Jahr- hundert!“ ruft Hutten aus, „die Studien blühn, die Gei- ster erwachen: es ist eine Lust zu leben.“ Vorzüglich aber zeigte es sich in den theologischen Gebieten. Der erste Geistliche der Nation, Erzbischof Albrecht von Mainz, be- grüßte Erasmus als den Hersteller der Theologie. Da sollten sich nun aber sogleich noch ganz andre Bewegungen erheben. Anfänge Luthers. Nicht von außen her pflegen den Mächten der Welt, den vorherrschenden Meinungen ihre gefährlichsten Gegensätze zu kommen: in ihrem Innern brechen in der Regel die Feindseligkeiten aus, durch welche sie zersprengt werden. Innerhalb der theologisch-philosophischen Welt selbst Bewegung in der Theologie . entstanden Irrungen, von denen neue Zeiträume des Le- bens und Denkens sich datiren sollten. Wir dürfen die Thatsache nicht verkennen, daß die wiklefitischen Lehren, die sich einst von Oxford über die lateinische Christenheit verbreitet, und in Böhmen eine so drohende Entwickelung genommen hatten, allen Hussiten- kriegen zum Trotz doch auch in Deutschland nicht hatten beseitigt werden können. Noch lange nachher finden wir weithin ihre Spuren: in Baiern, wo sich der Böklerbund hussitischer Meinungen verdächtig macht: in Schwaben und Franken: hält es doch der Rath von Bamberg ein- mal für nothwendig allen Männern einen Eid gegen die Hussiten abzunehmen: bis nach Preußen, wo sich die An- hänger wiklefitischer und hussitischer Meinungen endlich un- terwerfen, aber nur scheinbar. Zschokke Baier. Gesch. II , 429. Pfister Gesch. von Schwa- ben V , 378. Baczko Gesch. von Preußen I , 256. Um so bedeutender war es, daß sich aus alle dem wilden Wogen hussitischer Meinun- gen und Parteien die Genossenschaft der böhmischen Brü- der emporgearbeitet hatte, welche wieder einmal eine christ- liche Gemeine in der Unschuld und Einfachheit ihres er- sten Ursprungs darstellte, und dem Grundsatz der Oppo- sition, daß Christus selbst der Fels sey, auf dem die Kirche gegründet, und nicht Petrus noch dessen Nachfolger, Was an ihren Lehren gefaͤhrlich schien, zeigen besonders die Widerlegungen des Dominicaners Heinrich Institoris, von denen Rai- naldus 1498 nr. 25 ausfuͤhrliche Auszuͤge mittheilt. ein unerwartetes religiöses Leben gab. Von ihren Sitzen, wo sich germanische und slawische Elemente durchdrangen, zo- gen ihre Boten unbemerkt durch die weiten Gebiete ihrer Zweites Buch. Erstes Capitel . Sprachen, um sich Genossen ihrer Gesinnung aufzusuchen oder zu werben. Nicolaus Kuß in Rostock, den sie ein paar Mal besucht, fieng darauf an (im J. 1511) öffent- lich gegen den Papst zu predigen. Wolfii Lectiones memorabiles II, 27. Ferner gab es auch auf den Universitäten selbst noch immer eine Opposition wider die Alleinherrschaft des do- minicanischen Systems. Der Nominalismus, gleich in dem Moment seiner Erneuerung durch Occam verbündet mit den Widersachern des Papstthums, hatte in Deutsch- land viel Anklang gefunden und war noch keineswegs ver- drängt. Der nahmhafteste Scholastiker jener Zeit, Gabriel Biel, der Sammler ist hauptsächlich ein Epitomator Oc- cams. Diese Partei war in der Minorität; und mußte oft die Verfolgung ihrer Gegner erfahren, welche in Besitz der Inquisitionsgewalt waren: In dem Examen magistrale D ris Joh. de Wesalia schil- dert der Concipient zum Schluß diese Entzweiungen: „adeo, ut si universalia quisquam realia negaverit, existimetur in spiritum sanctum peccavisse: immo — contra deum contra christianam religionem — deliquisse.“ in der Tiefe aber erhielt sie sich vielleicht nur um so kräftiger. Luther und Me- lanchthon sind vom Nominalismus ausgegangen. Und vielleicht noch wichtiger war, daß in dem funf- zehnten Jahrhundert die strengern augustinianischen Lehren in einzelnen Theologen wieder erwachten. Johann de Wesalia lehrte die Gnadenwahl: er spricht von jenem Buch, in welchem die Namen der Erwählten von Anfang an verzeichnet seyen. Seine Richtung wird unter andern dadurch bezeichnet, daß er der Definition des Bewegung in der Theologie . Petrus Lombardus vom Sacrament, die eine erweiterte augustinianische ist, diese letzte in ihrer ursprünglichen Rein- heit entgegensetzt: sein Sinn geht überhaupt auf die Ent- fernung der Zusätze der spätern Zeit zu der alten Kirchen- lehre. Joh. de Wesalia Disputatio adversus indulgentias bei Walch Monimenta medii aevi Tom. I, fasc. 1, p. 131. Er bestreitet die Verbindlichkeit priesterlicher Satzun- gen, die Kraft des Ablasses; er ist erfüllt von der Idee der unsichtbaren Kirche. Überhaupt ein Mann voll von Geist; der es wohl vermochte, auf einer Universität wie Erfurt, einmal die große Rolle zu spielen; der erst all- mählig zu seinen Überzeugungen gelangte, und sie dann auch auf dem Predigtstuhl nicht zurückhielt, den wir so- gar mit böhmischen Emissären in Verbindung treten sehen. Dafür mußte er auch zuletzt, schon hoch betagt, an sei- nem Stabe daher schleichend, vor der Inquisition erschei- nen; in dem Gefängniß derselben ist er gestorben. Johann Pupper von Goch, der um die Jahre 1460, 70 einen Nonnenconvent nach der Regel Augustins bei Mecheln gestiftet hat, machte sich dadurch bemerklich, daß er die herrschende Kirchenlehre gradezu der Hinneigung zum Pelagianismus beschuldigte. Dialogus de quatuor erroribus circa legem evangelicam bei Walch Monim. I, iv , p. 181. Haec fuit insania Pelagii hae- retici, a qua error Thomistarum non solum in hoc loco sed etiam in multis aliis non multum degenerare videtur. Welchen Eindruck dieß machte, sieht man aus der Schilderung Pantaleons. Er nennt Thomas von Aquino einmal den Fürsten des Irrthums. Von augu- stinianischen Grundsätzen aus bekämpft er den Cerimonien- dienst, den Pharisaismus der Gelübde. Zweites Buch. Erstes Capitel . Wie oft ist diese Opposition der römischen Kirche ent- gegengetreten, von Claudius von Turin im Anfang des neunten bis zu Bischof Janse im 17ten Jahrhundert und zu dessen Anhängern im 18ten und 19ten. Tiefere Gei- ster haben sie immer auf die Grundlehren zurückweisen zu müssen geglaubt, auf die sie doch selber ursprünglich ge- gründet war. Schon entwickelten sich die Grundsätze der Opposition zu einem wissenschaftlichen Gebäude. In den Werken Jo- hann Wessels von Gröningen sieht man einen männlichen und wahrheitliebenden Geist sich losarbeiten von den Ban- den der alleinherrschenden aber das religiöse Bewußtseyn nicht mehr befriedigenden Überlieferung. Wessel stellt schon den Satz auf, daß man Prälaten und Doctoren nur in so fern glauben dürfe, als ihre Lehre mit der Schrift über- einstimme, der einzigen Glaubensregel, welche erhaben sey über Papst und Kirche; Ullmann: Johann Wessel p. 303. er ist beinahe ein Theolog im Sinne der spätern Epochen. Sehr erklärlich, daß man ihn an der Universität Heidelberg nicht Fuß fassen ließ! Und nicht mehr so ganz vereinzelt waren bereits diese Bestrebungen. Zur Zeit des Basler Conciliums hatte sich die deutsche Provinz der Augustiner-Eremiten als eine besondre Con- gregation constituirt; und sich seitdem vor allem bemüht die strengern Lehren ihres Ordensheiligen festzuhalten. Na- mentlich war dieß das Bestreben des Andreas Proles, der fast ein halbes Jahrhundert lang, 43 Jahre, das Vicariat dieser Provinz verwaltet hat: keine Anfechtung ließ er sich darin Bewegung in der Theologie . darin irre machen. Joh. Pelz Supplementum aurifodinae 1504 bei Kapp: Nachlese IV, p. 460. Zu dieser Richtung kam aber im An- fang des sechszehnten Jahrhunderts noch eine andre, ver- wandte. Der Alleinherrschaft der Scholastik hatten sich von jeher mystische Anschauungen entgegengesetzt: auch jetzt fan- den die Predigten Taulers, die ein paar Mal aus den Pressen hervorgiengen, mit ihrem milden Ernst, ihrem verständlichen Tiefsinn, ihrer das deutsche Gemüth befriedigenden Wahr- haftigkeit ein weit verbreitetes Publicum. Als einen Aus- fluß taulerischer Lehren dürfen wir das Buch von der deut- schen Theologie betrachten, welches damals erschien, worin vor allem die Unfähigkeit der Creatur dargethan wird, durch ihr Ich und Selbst das Vollkommene zu begreifen, zu in- nerer Ruhe zu gelangen, sich dem ewigen Gute hinzuge- ben, welches sich ihm dann selber mittheile. Da war es nun von vielem Einfluß, daß der Nachfolger des Proles Johann Staupitz diese Ideen in sich aufnahm, an ihrer Ausbildung und Verbreitung mitarbeitete. Grimm de Joanne Staupitzio ejusque in sacrorum Chri- stianorum restaurationem meritis in Illgen Zeitschrift für die hist. Theologie N. F. I, II, 78. Wenn wir seine Auffassungsweise betrachten, wie er sich z. B. über die Liebe ausdrückt, „die man weder durch sich noch durch andre, nicht einmal durch die heilige Schrift lerne, sondern die allein durch die Einwohnung des h. Geistes in den Menschen komme,“ so läßt sich nicht verkennen, welch einen genauen innern Zusammenhang das mit den stren- gern Begriffen von Gnade, Glauben und freiem Willen hat; durch eine solche Verbindung wurden diese dem Zeit- Ranke d. Gesch. I. 19 Zweites Buch. Erstes Capitel . alter wohl erst recht verständlich. Man dürfte nicht anneh- men, daß alle Augustinerconvente, oder gar sämmtliche Mit- glieder derselben, von gleichen Vorstellungen ergriffen, durch- drungen worden seyen: aber unleugbar ist, daß dieselben in diesen Kreisen Wurzel schlugen, sich ausbreiteten, den Wi- derspruch gegen die herrschenden Schulmeinungen nährten. Es leuchtet ein, wie sehr alle diese Regungen, obwohl von einer andern Seite her, Verbündete der literarischen Opposition gegen die Alleinherrschaft des dominicanischen Systems waren. Von allem Anfang mußte es als ein für die ganze Nation wichtiges Ereigniß betrachtet werden, daß die abweichenden Tendenzen endlich einmal auf einer Universität Repräsentation empfiengen. Im Jahr 1502 stiftete Churfürst Friedrich von Sach- sen eine neue Universität zu Wittenberg. Er brachte sie hauptsächlich dadurch zu Stande, daß er der schon an sich reich ausgestatteten dortigen Schloßkirche mit päpstlicher Bewilligung eine Anzahl Pfarren incorporirte, und sie da- durch zunächst in ein Stift verwandelte, dessen Pfründen er dann für die neuen Professoren bestimmte. So hatte man es auch in Trier in Tübingen gemacht; die Würden des Stiftes wurden mit den Stellen an der Universität verbunden; Propst Dechant Scholaster und Syndicus bil- deten die juridische, Archidiaconus Cantor und Custos die theologische Facultät; an fünf Canonicate wurden die phi- losophischen Vorlesungen und die Übungen der Artisten ge- knüpft; der ansehnliche Augustinerconvent, der sich in der Stadt befand, sollte an der Arbeit Theil nehmen. Das paͤpstliche Privilegium bei Grohmann Geschichte der Universitaͤt Wittenberg; vgl. p. 110. Universitaͤt Wittenberg . Wir müssen uns erinnern, daß man die Universitäten nicht allein als Unterrichtsanstalten, sondern als höchste Tribunale wissenschaftlicher Entscheidung anzusehen pflegte. In der Bestätigung von Wittenberg erklärt Friedrich, Confirmatio ducis Friderici ib. p. 19. sammt allen umwohnenden Völkern werde er sich dahin wenden, als an ein Orakel, „so daß wir,“ sagt er, „wenn wir voll Zweifels gekommen, nach empfangenem Bescheid unsrer Sache gewiß uns wieder entfernen.“ Auf die Stiftung und erste Einrichtung dieser Univer- sität nun hatten zwei Männer den größten Einfluß, welche beide ohne Frage der Opposition gegen das herrschende theologisch-philosophische System angehörten. Der eine war Dr Martin Pollich von Melrichstadt, der erste in die Matrikel eingetragene Name, der erste Rector; Leibarzt des Fürsten. Wir wissen, daß er schon in Leipzig, wo er bisher gestanden, die seltsamen Übertrei- bungen bekämpfte, in die sich die dortige Scholastik ver- lor, sehr wunderliche Sätze, z. B. daß das am ersten Tage erschaffene Licht die Theologie sey, daß den Engeln discur- sive Theologie beiwohne; daß er schon auf den Gedanken gekommen war diese Wissenschaft durch das Studium der allgemeinen Literatur zu begründen. Auszuͤge aus seinen Schriften hat Loͤscher in den unschuldi- gen Nachrichten von 1716 und in den Reformationsacten I, 88 mit- getheilt. In seiner Grabschrift in der Pfarrkirche zu Wittenberg heißt er mit Recht: hujus gymnasii primus rector et parens . Der andre war derselbe Johann Staupitz, dessen au- gustinianisch-mystischer Richtung wir eben gedachten; er war der erste Decan der theologischen Facultät; die denn 19* Zweites Buch. Erstes Capitel . ihre Thätigkeit damit begann, daß sie den Martin Pollich zum Doctor der Theologie promovirte; Liber decanorum facultatis theologorum Witenbergensis ed. Foerstemann p. 2. die Leitung des Augustinerconvents gab ihm noch besondern Einfluß. Nicht ohne Bedeutung war es, daß die Universität eben den h. Augustin zu ihrem Patron erklärte. In dem praktischen Verhältniß in welchem wir Staupitz hier antreffen, lernen wir ihn bei alle seiner entschiedenen Hinneigung zum Tief- sinn doch zugleich als einen sehr brauchbaren Mann ken- nen, der sich an dem Hofe zu betragen weiß und mit sei- nem schlichten Witze selbst dem Fürsten nichts schuldig bleibt; der auch wohl eine Gesandtschaft übernimmt und eine Unterhandlung glücklich zu Ende führt; als die tie- fere Quelle alle seines Thuns und Lassens aber zeigt sich immer ein ächter Sinn für wahre und tiefe Religion, ein umfassendes Wohlwollen. Es läßt sich denken in welchem Sinn diese Männer an der Universität wirkten: allein gar bald gieng ihr noch ein andres Gestirn auf. Im Jahr 1508 führte ihr Stau- pitz den jungen Luther zu. Es ist nothwendig daß wir einen Augenblick bei den Jugendjahren Luthers stehen bleiben. „Ich bin eines Bauern Sohn,“ sagt er selbst: „mein Vater, Großvater, Ahn sind rechte Bauern gewesen; darauf ist mein Vater gen Mansfeld gezogen und ein Berghauer worden: daher bin ich.“ Tischreden p. 581. Das Geschlecht dem Luther angehört, ist in Möhra zu Hause, einem Dorfe unmittelbar Anfaͤnge Luthers . an der Höhe des Thüringer Waldgebirges, unfern den Ge- genden, an die sich das Andenken der ersten Verkündigun- gen des Christenthums durch Bonifacius knüpft; da mö- gen die Vorfahren Luthers Jahrhunderte lang auf ihrer Hufe gesessen haben, — wie diese Thüringer Bauern pfle- gen, von denen immer Ein Bruder das Gut behält, wäh- rend die andern ihr Fortkommen auf andre Weise su- chen. Von diesem Loos, sich irgendwo auf seine eigne Hand Heimath und Heerd erwerben zu müssen, betroffen wandte sich Hans Luther nach dem Bergwerk zu Mans- feld, wo er im Schweiß seines Angesichts sein Brod ver- diente: mit seiner Frau Margret, die gar oft das Holz auf ihrem Rücken hereinholte. Von diesen Eltern stammte Martin Luther. Er kam in Eisleben auf die Welt, wo- hin seine rüstige Mutter eben auf den Jahrmarkt gewan- dert war: er wuchs auf in der Mansfelder Gebirgsluft. Wie nun Leben und Sitte jener Zeit überhaupt streng und rauh, so war es auch die Erziehung. Luther erzählt, daß ihn die Mutter einst um einer armseligen Nuß willen blutig gestäupt: der Vater ihn so scharf gezüchtigt habe, daß er sein Kind nur mit Mühe wieder an sich gewöh- nen können; in einer Schule ist er eines Vormittags funf- zehn Mal hinter einander mit Schlägen gestraft worden. Sein Brod mußte er dann mit Singen vor den Thüren, mit Neujahrsingen auf den Dörfern verdienen. Sonder- bar, daß man die Jugend glücklich preist und beneidet, in der doch aus der Dunkelheit der kommenden Jahre nur die strengen Nothwendigkeiten hereinwirken, das Daseyn von fremder Hülfe abhängig ist, und der Wille eines An- Zweites Buch. Erstes Capitel . dern mit eisernem Gebot Tag und Stunde beherrscht. Für Luthern war diese Zeit schreckenvoll. Von seinem funfzehnten Jahre an gieng es ihm etwas besser. In Eisenach, wo er eine höhere Schule besuchte, fand er Aufnahme bei den Verwandten seiner Mutter: in Erfurt, wohin er zur Universität gieng, ließ ihm sein Va- ter, der indessen durch Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Ge- deihen in bessere Umstände gekommen, freigebige Unterstützung zufließen; Luthers Erklaͤrung der Genesis c. 49 v. 15. Altenb. Tom. IX, p. 1525. er dachte, sein Sohn solle ein Rechtsgelehrter werden sich anständig verheirathen und ihm Ehre machen. Auf die Beschränkungen der Kindheit aber folgen in dem mühseligen Leben der Menschen bald andre Bedräng- nisse. Der Geist fühlt sich frei von den Banden der Schule; er ist noch nicht zerstreut durch die Bedürfnisse und Sorgen des täglichen Lebens; muthvoll wendet er sich den höchsten Problemen zu, den Fragen über das Ver- hältniß des Menschen zu Gott, Gottes zur Welt; indem er ihre Lösung gewaltsam zu erstürmen sucht, ergreifen ihn leicht die unseligsten Zweifel. Es scheint fast, als sey der ewige Ursprung alles Lebens dem jungen Luther nur als der strenge Richter und Rächer erschienen, der die Sünd- haftigkeit, von der ihm von Natur ein großartig lebendiges Gefühl beiwohnte, mit der Qual der Höllenstrafen heim- suche, und den man nur durch Buße, Abtödtung und schwe- ren Dienst versöhnen könne. Als er einst, im Juli 1505, von dem väterlichen Hause zu Mansfeld wieder nach Er- furt zurückgieng, ereilte ihn auf dem Felde in der Nähe Anfaͤnge Luthers . von Stotternheim eines jener furchtbaren Gewitter, wie sie sich nicht selten hier am Gebirge lange ansammeln und endlich plötzlich über den ganzen Horizont hin entladen. Luther war schon ohnedieß durch den unerwarteten Tod eines vertrauten Freundes erschüttert. Wer kennt die Mo- mente nicht, in denen das stürmische verzagte Herz durch irgend ein überwältigendes Ereigniß, wäre es auch nur eben der Natur, vollends zu Boden gedrückt wird. In dem Ungewitter erblickte Luther, in seiner Einsamkeit auf dem Feldweg, den Gott des Zorns und der Rache; ein Blitz schlug neben ihm ein; in diesem Schrecken gelobte er der h. Anna, wenn er gerettet werde, in ein Kloster zu gehen. Noch einmal ergötzte er sich mit seinen Freunden ei- nes Abends bei Wein, Saitenspiel und Gesang; es war das letzte Vergnügen das er sich zugedacht: hierauf eilte er sein Gelübde zu vollziehen und that Profeß in dem Au- gustinerkloster zu Erfurt. Wie hätte er aber hier Ruhe finden sollen, in alle der aufstrebenden Kraft jugendlicher Jahre hinter die enge Klosterpforte verwiesen, in eine niedrige Zelle, mit der Aus- sicht auf ein paar Fuß Gartenland, zwischen Kreuzgängen, und zunächst nur zu den niedrigsten Diensten verwandt. Anfangs widmete er sich den Pflichten eines angehenden Klosterbruders mit der Hingebung eines entschlossenen Wil- lens. „Ist je ein Mönch in Himmel gekommen,“ sagt er selbst, „durch Möncherei, so wollte auch ich hineinge- kommen seyn.“ Kleine Antwort an Herzog Georg Altenb. T. VI, p. 22. Aus- legung uͤber das achte Capitel Johannis V, 770. Aber dem schweren Dienst des Gehor- Zweites Buch. Erstes Capitel . sams zum Trotz ward er bald von peinvoller Unruhe er- griffen. Zuweilen studirte er Tag und Nacht und ver- säumte darüber seine canonischen Horen; dann holte er diese wieder mit reuigem Eifer nach; ebenfalls ganze Nächte lang. Zuweilen gieng er, nicht ohne sein Mittagsbrod mitzunehmen, auf ein Dorf hinaus, predigte den Hirten und Bauern und erquickte sich dafür an ihrer ländlichen Musik; dann kam er wieder und schloß sich Tage lang in seine Zelle ein, ohne Jemand sehen zu wollen. Alle frü- heren Zweifel und inneren Bedrängnisse kehrten von Zeit zu Zeit mit doppelter Stärke zurück. Wenn er die Schrift studirte, so stieß er auf Sprüche, die ihm ein Grauen erregten: z. B. Errette mich in deiner Gerechtigkeit, deiner Wahrheit: „ich gedachte, sagt er, Ge- rechtigkeit wäre der grimmige Zorn Gottes, womit er die Sünder straft:“ in den Briefen Pauli traten ihm Stellen entgegen, die ihn Tage lang verfolgten. Wohl blieben ihm die Lehren von der Gnade nicht unbekannt: allein die Be- hauptung, daß durch dieselbe die Sünde auf einmal hin- weggenommen werde, brachte auf ihn, der sich seiner Sünde nur allzuwohl bewußt blieb, eher einen abstoßenden, persön- lich niederbeugenden Eindruck hervor. Sie machte ihn, wie er sagt, das Herz bluten, ihn an Gott verzweifeln. Er erzaͤhlt das im Sermo die S. Joh. 1516 bei Loͤscher Reformationsacta I, p. 258. „O meine Sünde, Sünde, Sünde!“ schrieb er an Staupitz, der sich dann nicht wenig wunderte, wenn er kam, dem Mönche Beichte saß und dieser keine Thatsachen zu bekennen wußte. Es war die Sehnsucht der Creatur nach der Reinheit ihres Anfaͤnge Luthers . Schöpfers, der sie sich in der Tiefe verwandt, von der sie sich doch wieder durch eine unermeßliche Kluft entfernt fühlt; ein Gefühl, das Luther durch unabläßiges einsames Grübeln nährte, und das ihn um so tiefer und schmerzhaf- ter durchdrang, da es durch keine Bußübung beschwich- tigt, von keiner Lehre innerlich und wirksam berührt wurde, kein Beichtvater darum wissen wollte. Es kamen Mo- mente, wo die angstvolle Schwermuth sich aus den gehei- men Tiefen der Seele gewaltig über ihn erhob, ihre dunkeln Fittige um sein Haupt schwang, ihn ganz darniederwarf. Als er sich einst wieder ein paar Tage unsichtbar gemacht hatte, erbrachen einige Freunde seine Zelle, und fanden ihn ohnmächtig, ohne Besinnung ausgestreckt. Sie kannten ihren Freund: mit schonungsvoller Einsicht schlugen sie das Saitenspiel an, das sie mitgebracht: unter der wohl- bekannten Weise stellte die mit sich selber hadernde Seele die Harmonie ihrer innern Triebe wieder her, und erwachte zu gesundem Bewußtseyn. Liegt es aber nicht in den Gesetzen der ewigen Welt- ordnung, daß ein so wahres Bedürfniß der Gott suchen- den Seele dann auch wieder durch die Fülle der Überzeu- gung befriedigt wird? Der Erste, der Luthern in seinem verzweiflungsvollen Zustande man kann nicht sagen Trost gab, aber einen Licht- strahl in seine Nacht fallen ließ, war ein alter Augustiner- bruder, der ihm in väterlichem Zuspruch auf die einfachste erste Wahrheit des Christenthums hinwies, auf die Ver- gebung der Sünden durch den Glauben an den Erlöser: auf die Lehre Pauli Römer am dritten daß der Mensch Zweites Buch. Erstes Capitel . gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Kurzer Bericht Melanchthons vom Leben Lutheri. Werke Alt. VIII, 876. Vgl. Mathesius: Historien Dr Luthers. Erste Pre- digt p. 12. Bavarus bei Seckendorf Hist. Lutheranismi p. 21. Lehren, die er wohl auch früher gehört haben mochte, die er aber in ihrer Verdunkelung durch Schul- meinungen und Cerimoniendienst nie recht verstanden, die erst jetzt einen vollen durchgreifenden Eindruck auf ihn mach- ten. Er sann hauptsächlich dem Spruche nach: der Ge- rechte lebet seines Glaubens: er las die Erklärung Augu- stins darüber: „da ward ich froh,“ sagt er, „denn ich lernte und sah, daß Gottes Gerechtigkeit ist seine Barm- herzigkeit, durch welche er uns gerecht achtet und hält: da reimte ich Gerechtigkeit und Gerechtseyn zusammen und ward meiner Sache gewiß.“ Eben das war die Überzeu- gung deren seine Seele bedurfte: er ward inne, daß die ewige Gnade selbst, von welcher der Ursprung des Men- schen stammt, die irrende Seele erbarmungsvoll wieder an sich zieht und sie mit der Fülle ihres Lichtes verklärt: daß uns davon in dem historischen Christus Vorbild und un- widersprechliche Gewißheit gegeben worden: er ward all- mählig von dem Begriff der finstern nur durch Werke rau- her Buße zu versöhnenden Gerechtigkeit frei. Er war wie ein Mensch der nach langem Irren endlich den rechten Pfad gefunden hat, und bei jedem Schritte sich mehr davon über- zeugt; getrost schreitet er weiter. So stand es mit Luther, als er von seinem Provinzial im Jahr 1508 nach Wittenberg gezogen ward. Die phi- losophischen Vorlesungen, die er übernehmen mußte, schärf- Anfaͤnge Luthers . ten in ihm die Begierde, in die Geheimnisse der Theologie einzudringen, „in den Kern der Nuß,“ wie er sagt, „in das Mark des Weizens.“ Die Schriften die er studirte, waren die Episteln Pauli, die Bücher Augustins wider die Pelagianer, endlich die Predigten Taulers: mit viel fremd- artiger Literatur belud er sich nicht; es kam ihm nur auf Befestigung, Ausarbeitung der einmal gewonnenen Über- zeugung an. In der „Histori, so zwen Augustinerordens gemartert seyn zu Bruxel in Probandt“ findet sich Bogen B. folgende gute und authentische Stelle uͤber Luthers Studien. „In welchen Verstand (daß er die Schrift so klar und gnadenreich erklaͤre) er kummen ist erst durch maniche Staupen dye er erlitten hat von Got und mit vleißigen Bitten tzu Got steten Lesen und nemlich Augustinus wider die Pelagianer hat ym grosse hilff gethan tzur erkenndnuß Pauli yn seyn Episteln. Sunderlich ein Predigbuͤchlin der Tawler genanndt yhm deutschen das hat er uns oft zu erkauffen ermant unter seym lesen yn der Schul welches yn gefurt hat yn geist, als er offt uns bekannt: auch ist eyn Buͤchlyn genandt die deutsch Theologey hat Er allzeyt hochgebrifft (priesen?) als er den schreibtt yn der Vorrede ge- dachten Buͤchlyns: — Hat auch oft gesagt, das seyn Kunst mer yhm geben sey aus erfaren denn lesen und das vyll Buͤcher nitt gelert machen. Darumb findt man (spaͤter, 1523) yhn seyner Wonung nit vyll Buͤcher, den eyn Bibel u. Concordanz der Bybel.“ In der merkwürdigsten Stimmung finden wir ihn auf einer Reise, die er ein paar Jahre darauf in Sachen sei- nes Ordens nach Rom machte. Als er die Thürme von Rom aus der Ferne ansichtig wurde, fiel er auf die Erde, hob seine Hände auf und sprach: sey mir gegrüßt, du hei- liges Rom. Hierauf war keine Übung der Pilgerfrömmig- keit, die er nicht mit Hingebung, langsam und andächtig vollzogen hätte; er ließ sich die Leichtfertigkeiten andrer Priester darin nicht stören; er sagt, er hätte beinahe wün- Zweites Buch. Erstes Capitel . schen mögen, daß seine Eltern schon gestorben wären, um sie hier durch diese bevorrechteten Gottesdienste sicher aus dem Fegefeuer erlösen zu können; Auslegung des 117ten Psalmes an Hans von Sternberg. Werke Altenb. V, p. 251. — aber dabei empfand er doch auch in jedem Augenblick, wie wenig alle das mit der tröstlichen Lehre übereinstimme, die er in dem Briefe an die Römer und bei Augustin gefunden: indem er die Scala santa auf den Knien zurücklegte, um den hohen Ablaß zu erlangen, der an diese mühevolle Andacht geknüpft war, hörte er eine widersprechende Stimme unaufhörlich in seinem Innern rufen: „der Gerechte lebet seines Glaubens.“ Erzaͤhlung Luthers in den Tischreden p. 609. Nach seiner Rückkunft ward er 1512 Doctor der h. Schrift, und von Jahr zu Jahr erweiterte sich seine Thä- tigkeit. Er las an der Universität bald über das neue, bald über das alte Testament: er predigte bei den Augu- stinern und versah an der Stelle des erkrankten Pfarrers das Pfarramt in der Stadt: im Jahre 1516 ernannte ihn auch Staupitz während einer Reise zu seinem Verweser im Orden, und wir finden ihn die Klöster in der ganzen Pro- vinz besuchen, wo er Prioren einsetzt oder absetzt, Mönche aufnimmt und verpflanzt, gleichzeitig die ökonomischen Klei- nigkeiten beaufsichtigt und zu tieferer Gottesfurcht anzu- leiten sucht; überdieß hat er sein eigenes mit Brüdern über- fülltes und dabei sehr armes Kloster zu besorgen. Von den Jahren 1515 und 1516 haben wir einige Schriften von ihm übrig, aus denen wir die geistige Entwickelung kennen lernen, in der er begriffen war. Noch hatten My- Anfaͤnge Luthers . stik und Scholastik großen Einfluß auf ihn. In den er- sten deutschen geistlichen Worten die wir von ihm haben, einem Predigtentwurf vom November 1515 wendet er die Symbolik des hohen Liedes in harten Ausdrücken auf die Wirkung des heiligen Geistes, welcher durch das Fleisch in den Geist führe, und auf das innere Verständniß der h. Schrift an. In einem andern vom Dezember desselben Jahres sucht er aus der aristotelischen Theorie über We- sen, Bewegung und Ruhe das Geheimniß der Dreieinigkeit zu erläutern. Sermo Lutheri in nativitate Christi 1515. Dabei aber nahmen seine Ideen schon eine Richtung auf die Verbesserung der Kirche im Allgemeinen und Großen. In einer Rede, welche wie es scheint dazu bestimmt war, von dem Propst zu Lietzkau auf dem late- ranensischen Concilium vorgetragen zu werden, führt er aus, daß das Verderben der Welt von den Priestern her- rühre, von denen zu viel Menschensatzung und Fabel, nicht das reine Wort Gottes vorgetragen werde. Denn nur das Wort des Lebens habe die Fähigkeit die innere Wieder- geburt des Menschen zu vollziehen. Es ist sehr bemerkens- werth, daß Luther schon da das Heil der Welt bei weitem weniger von einer Verbesserung des Lebens erwartet, die nur erst einen zweiten Gesichtspunct ausmacht, als von einer Wiederherstellung der Lehre. Von keiner andern Lehre aber zeigt er sich so vollkommen durchdrungen und erfüllt, wie von der Rechtfertigung durch den Glauben. Er dringt unaufhörlich darauf, daß man sich selber verleugnen und unter die Fittige Christi fliehen müsse; er wiederholt bei jeder Gelegenheit den Spruch Augustins, was das Gesetz Zweites Buch. Erstes Capitel . verlange, das erlange der Glaube. Fides impetrat, quae lex imperat. Man sieht: noch war Luther nicht ganz mit sich einig, noch hegte er Meinungen, die einander im Grunde widersprachen; allein in alle sei- nen Schriften athmet doch zugleich ein gewaltiger Geist, ein noch durch Bescheidenheit und Ehrfurcht zurückgehal- tener, aber die Schranken schon überall durchbrechender Jugendmuth, ein auf das Wesentliche dringender, die Fes- seln des Systems zerreißender, auf neuen Pfaden, die er sich bahnt, vordringender Genius. Im Jahr 1516 finden wir Luther lebhaft beschäftigt seine Überzeugung von der Rechtfertigung nach allen Seiten zu bewähren, und durch- zuarbeiten. Aus dem Sermo de propria sapientia sieht man, daß er daruͤber schon Anfechtungen erfuhr. „Efficitur mihi et errans et falsum dictum.“ Es bestärkt ihn nicht wenig, daß er die Un- ächtheit eines dem Augustin zugeschriebenen Buches ent- deckt, auf welches die Scholastiker viele der ihm widerwärtig- sten Lehren gegründet hatten, welches in die Sentenzen des Lombardus fast ganz aufgenommen worden war, de vera et falsa poenitentia; dann faßt er sich das Herz, die Lehre der Scotisten von der Liebe, des Magister sententiarum von der Hofnung zu bestreiten; — schon ist er überzeugt, daß es keine an und für sich Gott wohlgefällige Werke gebe, wie Beten, Fasten, Nachtwachen; denn da es dabei doch darauf ankomme, ob sie in der Furcht Gottes gesche- hen, so sey jede andere Beschäftigung im Grunde eben so gut. Im Gegensatz mit einigen Äußerungen deutscher Theo- logen, welche ihm pelagianisch erscheinen, ergreift er mit Anfaͤnge Luthers . entschlossener Festigkeit auch die härteren Bestimmungen des augustinianischen Begriffs; einer seiner Schüler vertheidigt die Lehre von der Unfreiheit des Willens, von der Unfä- higkeit des Menschen, sich durch seine eignen Kräfte zur Gnade vorzubereiten, geschweige sie zu erwerben, in feier- licher Disputation. Quaestio de viribus et voluntate hominis sine gratia bei Loͤscher I, 328. Und fragen wir nun, worin er die Vermittelung zwischen göttlicher Vollkommenheit und mensch- licher Sündlichkeit sieht, so ist es allein das Geheimniß der Erlösung, das geoffenbarte Wort, Erbarmen auf der einen, Glauben auf der andern Seite. Schon werden ihm von diesem Puncte aus mehrere Hauptlehren der Kirche zwei- felhaft. Den Ablaß leugnet er noch nicht, aber schon 1516 ist es ihm bedenklich, daß der Mensch dadurch die Gnade empfangen solle; die Begierde der Seele werde dadurch nicht weggenommen, die Liebe nicht eingeflößt, wozu viel- mehr die Erleuchtung des Geistes, die Befeuerung des Wil- lens, unmittelbare Einwirkung des Ewigen gehöre: denn nur in der tiefsten Innerlichkeit weiß er die Religion zu begreifen. Sermo X ma post Trinitatis. Er sagt noch zuweilen selbst: Ego non satis intelligo hanc rem: manet dubium etc. Loͤscher p. 761. Es wird ihm schon zweifelhaft, ob man den Heiligen die mancherlei äußerlichen Hülfsleistungen zuschrei- ben dürfe, um deren willen man sie anruft. Mit diesen Lehren, dieser großen Richtung nun, die sich unmittelbar an die Überzeugungen anschloß, welche von Pollich und Staupitz gepflanzt worden waren, erfüllte Lu- ther wie die Augustiner-Brüder in seinem Kloster, seiner Zweites Buch. Erstes Capitel . Provinz, so vor allem die Mitglieder der Universität. Eine Zeitlang hielt Jodocus Trutvetter von Eisenach die üb- lichen Vorstellungen aufrecht; aber nach dessen Abgang im Jahr 1513 war Luther der Geist der die Schule beherrschte. Seine nächsten Collegen, Peter Lupinus und Andreas Carl- stadt, die ihm noch eine Weile Widerstand geleistet, bekann- ten sich endlich durch die Aussprüche Augustins und die Lehren der Schrift, die auf ihn selbst einen so großen Ein- druck gemacht, bezwungen und überzeugt; sie wurden bei- nahe eifriger als Luther selbst. Welch eine ganz andre Richtung empfieng hiedurch diese Universität, als in der sich die übrigen zu bewegen fortfuhren. Die Theologie selbst, und zwar lediglich in Folge einer innern Entwicke- lung schloß sich an die Forderungen an, welche von der allgemeinen Literatur aus gemacht worden. Hier setzte man sich den Theologen von dem alten und von dem neuen Wege, den Nominalisten und den Realisten, hauptsächlich aber der herrschenden thomistisch-dominicanischen Lehre entgegen, und wandte sich an die Schrift und die Kirchenväter, eben wie Erasmus forderte, obwohl von einem bei weitem po- sitivern Prinzip aus: für Vorlesungen im alten Sinne fan- den sich in Kurzem keine Zuhörer mehr. So stand es in Wittenberg, als Verkündiger päpstli- cher Indulgenzen in den Elbgegenden erschienen: mit Be- fugnissen, wie sie nie erhört worden, die aber Papst Leo X in der Lage der Dinge in der er sich befand, zu ertheilen kein Bedenken getragen. Denn von keiner Seite her hätte man jetzt zu Rom eine bedeutende kirchliche Opposition befürchtet. An Der paͤpstliche Hof . An die Stelle jenes Pisanischen Conciliums war ein andres an den Lateran berufen worden; in welchem nichts als Devotion gegen den römischen Stuhl wahrgenommen ward, die Lehre von der Omnipotenz desselben völlig die Oberhand behielt. Früher hatte das Cardinalcollegium öfter den Versuch gemacht, das Papstthum einzuschränken, es zu behandeln wie deutsche Capitel ihr Bisthum behandelten: man hatte Leo gewählt, weil man hoffte er werde sich das gefal- len lassen. Aber wie ganz anders kam das! Eben die Beförderer seiner Wahl ließ Leo seine Gewalt am streng- sten fühlen. Sie geriethen hierüber in eine unglaubliche Wuth. Cardinal Alfonso Petrucci ist ein Paar mal mit dem Dolch unter dem Purpur in dem Collegium erschie- nen: er würde den Papst getödtet haben, wenn ihn nicht die Betrachtung zurückgehalten hätte, was die Welt sagen würde wenn ein Papst von einem Cardinal ermordet werde. Indem er es aus dieser Standesrücksicht für rathsamer hielt, einen andern, nicht so tumultuarischen Weg einzu- schlagen, sich des Papstes mit Gift zu entledigen, hiezu aber Freunde brauchte, Einverstandene unter den Cardinä- len, Gehülfen im Pallast, so geschah ihm daß er verrathen wurde. Alle etwanigen Zweifel an der Realitaͤt dieser Verschwoͤrung werden gehoben, wenn man die Rede liest, welche Bandinelli bei sei- ner Begnadigung hielt, worin er bekennt, qualiter ipse conspira- rat cum Francisco Maria, — — et cum Alfonso Petrutio machina- tus erat in mortem sanctitatis vestrae praeparando venena etc. etc. Was waren das für stürmische Consistorien die auf diese Entdeckung folgten! Von außen, sagt der Ceri- monienmeister, hörte man lautes Geschrei, des Papstes ge- Ranke d. Gesch. I. 20 Zweites Buch. Erstes Capitel . gen einige Cardinäle, der Cardinäle unter einander und auch gegen den Papst. Was da aber auch gesagt worden seyn mag, so ließ sich Leo die Gelegenheit nicht entgehn seine Gewalt auf immer zu begründen. Er entledigte sich nicht allein der gefährlichen Gegner, sondern er schritt zu einer großen Creation von Cardinälen, ein und dreißig auf ein- mal, durch die er nun für alle Fälle die Majorität hatte und ohne Widerrede herrschte. Paris de Grassis bei Rainaldus 1517. 95. Vgl. Jovius Vita Leonis IV, 67. Auch in dem Staat war noch einmal ein gewaltiger Sturm ausgebrochen; der aus Urbino verjagte Herzog Franz Maria war dahin zurückgekehrt, und hatte einen Krieg an- gefangen, dessen Erfolge den Papst lange Zeit in halb er- bitterter halb beschämter Aufregung hielten; allmählig aber ward man doch auch hier wieder Meister; Ströme von Gold verschlang dieser Krieg, Leoni Vita di Francesco Maria d’ Vrbino p. 205. aber man fand die Mittel sie sich zu verschaffen. Bei der Stellung die der Papst, Gebieter von Florenz, Meister von Siena, überhaupt genommen, bei den guten Ver- bindungen in denen er mit den Mächten von Europa stand, den Aussichten die sein Haus auf das übrige Italien ge- faßt, kam ihm alles darauf an, einer verschwenderischen Verwaltung die sich nichts versagte zum Trotz, doch bei Casse zu seyn. So oft wie möglich suchte er außerordent- liche Einkünfte von der Kirche zu ziehen. Das Lateranconcilium ward noch unmittelbar vor sei- nem Schlusse (15 März 1517) bewogen, dem Papst einen Paͤpstliche Geldforderungen . Zehnten von den Kirchengütern in der gesammten Christen- heit zu bewilligen. In demselben Momente durchzogen be- reits drei verschiedene Ablaßcommissionen Deutschland und die nördlichen Reiche. Wohl geschah das nun unter anderm Vorwand: der Zehnte, hieß es, solle zu einem baldigen Türkenkrieg, der Ertrag des Ablasses zum Bau von St. Peter, wo die Gebeine der Märtyrer dem Ungestüm der Witterung Preis gegeben seyen, verwendet werden. Allein man glaubte die- sem Vorgeben nicht mehr. So ergeben auch das Lateranconcilium dem Papste war, so machte doch eine überaus starke Minorität — nur mit zwei oder drei Stimmen gieng der Antrag durch — ge- gen jenen Zehnten die Einwendung, daß ja fürs Erste noch an keinen Türkenkrieg zu denken sey. Paris de Grassis bei Rainaldus 1517. nr. 16. Wer konnte eifriger katholisch seyn als Cardinal Ximenes, der damals Spa- nien verwaltete? Aber schon 1513 hatte er sich dem Ab- laß widersetzt, den man auch in Spanien ausbieten wollte: Gomez Vita Ximenis in Schott Hispania illustrata I, p. 1065. jetzt betheuerte er dem Papst seine Ergebenheit aufs neue in den stärksten Ausdrücken: was aber den Zehnten anbe- traf, so fügte er hinzu, man müsse erst sehen, wozu er wirk- lich verwandt werde. Argensola Anales de Aragon p. 354. Denn daran zweifelte kein vernünftiger Mann, daß alle diese Forderungen Finanzspeculationen seyen. Es läßt sich wohl nicht eigentlich nachweisen, was man damals 20* Zweites Buch. Erstes Capitel . behauptet hat, der Ertrag des deutschen Ablasses sey zum Theil der Schwester des Papstes Magdalena bestimmt ge- wesen. Die Sache ist aber ohnehin klar: Niemand kann leugnen, daß die kirchlichen Beisteuern auch der Familie des Papstes zu Gute kamen. Es liegt uns eine Quittung vor, von dem Neffen des Papstes Lorenzo an den König von Frankreich, für 100000 Livres, die ihm derselbe für seine Dienste geschenkt habe. Darin heißt es ausdrücklich daß diese Summe dem König von dem Zehnten zu Gute kommen soll, den das Concilium dem Papst zu dem Tür- kenzug bewilligt hatte. Molini Documenti storici T. I. p. 71. Das war doch ganz eben so gut, als ob der Papst das Geld seinem Neffen gegeben hätte: ja vielleicht noch schlimmer: er schenkte es ihm, ehe es noch eingekommen war. Da lag nun das einzige Mittel, sich diesen Auflagen entgegenzusetzen, in den Staatsgewalten, die sich so eben consolidirten: wie wir es an Ximenes in Spanien sehen; wie man auch in England nicht so bald von dem Be- schlusse des Conciliums gehört haben konnte, als man die päpstlichen Einnehmer schwören ließ, weder Geld noch Wech- sel nach Rom zu schicken. Eid des Silvester Darius, paͤpstlichen Collectors (in curia cancellaria in aula palatii Westmonasteriensis) 22 April 1517 bei Rymer Foedera VI, 1, p. 133. Wer aber wäre im Stande gewesen, die deutschen In- teressen in Schutz zu nehmen? Ein Regiment gab es nicht mehr, der Kaiser war durch seine schwankenden politischen Verhältnisse namentlich zu Frankreich genöthigt, ein gutes Ablaß in Deutschland . Vernehmen mit dem Papst aufrecht zu erhalten. Einer der angesehensten deutschen Reichsfürsten, der Erzcanzler von Germanien, Churfürst Albrecht von Mainz, geborner Markgraf von Brandenburg, war so stark in das Interesse gezogen als möglich: ein Theil des Ertrages war für sei- nen eignen Vortheil bestimmt. Von den drei Commissionen nemlich, in welche die deutschen Gebiete getheilt waren, umfaßte die eine, welche ein Mitglied der römischen Prälatur Arcimbold verwaltete, den größten Theil der ober- und niederdeutschen Diöcesen; die andre, welche nur Östreich und die Schweiz begriff, fiel den Unterbeamten des Franciscanergenerals Christoph Nu- mai von Forli anheim; Dessen Unterbevollmaͤchtigter war Samson, von dem es in einer Flugschrift von 1521 heißt: er habe den Bauern „Baßporten geben in den Hymel durch ein Tollmetschen, von welchem Kaufmann- schatz hatt er gut silberin Platten gefiret gen Mailand.“ die dritte hatte der Churfürst von Mainz selbst übernommen, in seinen eignen großen erzbi- schöflichen Provinzen, Mainz und Magdeburg, und zwar auf folgende Veranlassung. Wir erinnern uns, welche Kosten die so oft wieder- kehrenden Vacanzen dem Erzstift Mainz verursacht hatten. Im Jahr 1513 wählte das Capitel den Markgrafen Albrecht auch deshalb, weil er dem Stifte mit den Kosten des Pal- liums nicht beschwerlich zu werden versprach. Allein auch er wäre nicht fähig gewesen sie aus eignen Mitteln zu be- streiten. Man traf die Auskunft, daß er zu Befriedigung des römischen Hofes 30000 G. bei dem Hause der Fugger in Augsburg aufnahm, und um diese zurückzahlen zu kön- Zweites Buch. Erstes Capitel . nen, sich die Hälfte der aufkommenden Ablaßgelder in seinen Provinzen vorbehielt. Notizen aus einem handschriftlichen Aufsatz, excerpirt bei Rathmann Geschichte von Magdeburg III, p. 302. Dieses finanzielle Moment wurde ganz offen zur Schau getragen. Agenten des Handelshau- ses zogen mit den Ablaßpredigern umher; Albrecht hatte sie ermächtigt, jene Hälfte des Geldes sofort in Empfang zu nehmen, „in Bezahlung der Summe die er ihnen schul- dig sey.“ Gudenus Diplom. Moguntiac. IV, 587. Die Taxe für die große Indulgenz erinnert an die Bestimmungen über die Auflage des gemeinen Pfen- nigs. Wir haben Tagebücher in denen man die Ausga- ben für die geistlichen Güter neben anderm weltlichen An- kauf in Rechnung bringt. Z. B. Johannis Tichtelii Diarium bei Rauch II, 558. Uxor imposuit pro se duas libras denariorum, pro parentibus dimidiam l. d., pro domiuo Bartholomaeo dimidiam l. d. Und betrachten wir nun welches die Güter waren die man dergestalt erwarb. Die große Indulgenz für Alle, die zu dem angegebnen Zwecke der Vollendung der vaticanischen Basilica beisteuern würden, war Vergebung der Sünden, so daß man die Gnade Gottes wieder erlange und der im Fegefeuer zu lei- denden Strafen überhoben werde. Außerdem aber waren auch noch drei andre Gnaden durch fernere Beiträge zu erwerben: das Recht sich einen Beichtvater zu wählen, der in reservirten Fällen absolviren, Gelübde die man gethan in andre gute Werke verwandeln könne; Theilnahme an allen Gebeten Fasten Wallfahrten und den übrigen guten Werken, die in der streitenden Kirche erworben werden; Ablaßtheorie . endlich die Erlösung der Seelen der Verstorbenen aus dem Fegefeuer Für die große Indulgenz war es nothwendig zugleich zu beichten und Reue zu fühlen; die drei übri- gen konnten dagegen ohne Reue und Beichte bloß durch Geld erlangt werden. Instructio summaria ad subcommissarios bei Gerdes Hi- storia Evangelii I App. n. IX. p. 83. — Meistens woͤrtlich uͤber- einstimmend mit den Advisamenten Arcimbolds in Kapps Nachlese. In diesem Sinn ist es, daß schon Columbus einmal den Werth des Goldes preist: „wer es besitzt,“ sagt er gleichsam in Ernst, „vermag sogar die Seelen ins Paradies zu führen.“ Überhaupt hätte sich die Vereinigung weltlicher Be- strebungen und geistlicher Omnipotenz wie sie diese Epoche vorzugsweise bezeichnet, nicht schlagender darstellen können. Nicht ohne phantastische Großartigkeit ist jene Vorstellung, daß die Kirche eine Himmel und Erde, Lebendige und Todte umfassende Gemeinschaft bilde, in der alle Verschuldung der Einzelnen aufgehoben werde durch das Verdienst und die Gnade der Gesammtheit. Welche Idee von der Ge- walt und Würde eines Menschen liegt darin, daß man sich den Papst als Denjenigen dachte, der diesen Schatz der Verdienste nach Belieben Einem oder dem Andern zu- wenden könne. Summa divi Thomae Suppl. Qu. 25, art. 1 concl. Prae- dicta merita sunt communia totius ecclesiae, ea autem quae sunt alicujus multitudinis communia, distribuuntur singulis de multi- tudine secundum arbitrium ejus qui multitudini praeest. Ferner: art. 2. nec divinae justitiae derogatur, quia nihil de poena di- mittitur, sed unius poena alteri computatur. Erst in den jüngsten Zeiten war die Lehre durchgedrungen, daß sich die Gewalt des Papstes auch auf den Mittelzustand, den man sich zwischen Himmel und Erde Zweites Buch. Erstes Capitel . dachte, das Fegfeuer erstrecke. Der Papst erscheint als der große Vermittler aller Bestrafung und Gnade. Und diese poetisch-erhabenste Idee von seiner Würde nun zog er in den Staub um einer elenden Geldzahlung willen, die er zu ei- nem augenblicklichen Bedürfniß seines Staates oder seines Hauses verwandte. Marktschreierische Commissarien, welche gern berechneten, wie viel Geld sie schon dem päpstlichen Stuhle verschafft, sich dabei eine bedeutende Quote vorbe- hielten und gute Tage zu machen wußten, übertrieben ihre Befugnisse mit blasphemischer Beredsamkeit. Durch die Be- drohung aller Gegner mit furchtbaren Kirchenstrafen glaub- ten sie sich gegen jeden Angriff gewappnet. Dießmal aber fand sich doch ein Mann, der es wagte ihnen die Stirn zu bieten. Indem sich Luther mit der innerlichsten Heilslehre durch- drungen, und diese wie in dem Kloster und an der Uni- versität, so auch an der Pfarrgemeine zu Wittenberg — ein eifriger Seelsorger — verbreitete, erschien in seiner Nähe eine so ganz entgegengesetzte Verkündigung, die mit der äußerlichsten Abfindung zufrieden war, und sich dabei auf jene kirchlichen Theorien stützte, denen er sich mit Collegen Schülern und Freunden so ernstlich opponirte. In dem nahen Jüterbock sammelte sich die Menge um den Dominicaner Johann Tetzel, der von allen jenen Commis- sarien wohl die schamloseste Zunge hatte. Mit Recht hat man dort an der alterthümlichen Kirche Erinnerungen an diesen Handel aufbewahrt. Unter den Ablaßkäufern waren auch Leute aus Wittenberg; unmittelbar in seine Seelsorge sah sich Luther eingegriffen. Unmöglich konnten sich so entschiedene Gegensätze so 95 Saͤtze . nahe berühren, ohne daß es zwischen ihnen zum Kampfe gekommen wäre. An dem Vorabend des Allerheiligen Tages, an welchem die Stiftskirche den Schatz des Ablasses der an ihre Re- liquien gebunden war, auszutheilen pflegte, 31 Oct. 1517, schlug Luther an den Thüren derselben 95 Streitsätze an, „eine Disputation zur Erklärung der Kraft des Ablasses.“ Wir müssen uns erinnern, daß die Lehre von dem Schatze der Kirche, auf welche der Ablaß sich gründete, gleich von Anfang an als in Widerspruch stehend mit dem Sacrament der Schlüsselgewalt betrachtet worden war. Die Vergebung des Ablasses beruhte auf den überströmenden Verdiensten der Kirche; es war dazu nur von der einen Seite hinreichende Autorität, von der andern ein Zeichen der Verbindung mit der Kirche, irgend eine Thätigkeit zu ihrer Ehre oder ihrem Nutzen erforderlich. Das Sacra- ment der Schlüssel dagegen gieng ausschließlich aus dem Verdienst Christi hervor: dazu war von der einen Seite priesterliche Weihe, von der andern Reue und Buße noth- wendig. Dort ward das Maaß der Gnade in das Belieben des Vertheilers derselben gestellt: hier mußte es sich nach dem Verhältniß der Sünde und der Pönitenz richten. In diesem Widerstreit hatte sich nun Thomas von Aquino für den Schatz der Kirche und die Gültigkeit der daher fließenden Indulgen- zen erklärt: er lehrt ausdrücklich, daß kein Priester dazu nö- thig sey, ein bloßer Legat sie austheilen könne, und zwar auch für eine weltliche Leistung, wofern dieselbe nur zu etwas Geistlichem diene. Seine Schule folgte ihm hierin nach. Sti Thomae Summa, Supplementum tertiae partis Quae- stio XXV, art. II setzt diese Lehre sehr deutlich aus einander. Der Zweites Buch. Erstes Capitel . Von demselben innern Widerstreit nun gieng nach dem Verlauf so langer Zeit auch Luther aus: aber er entschied sich für die andre Seite. Nicht daß er den Schatz der Kirche überhaupt geleugnet hätte, er erklärte jedoch, diese Lehre habe noch nicht hinreichende Klarheit, und, worauf alles ankam, er bestritt das Recht des Papstes ihn zu vertheilen. Denn nur eine innerliche Wirkung schrieb er dieser mysteriösen kirchlichen Gemeinschaft zu. An den gu- ten Werken der Kirche habe ein Jeder Antheil auch ohne Briefe des Papstes. Auf das Fegfeuer erstrecke sich dessen Ge- walt nur in so ferne die Fürbitte der Kirche in seiner Hand sey: es frage sich aber erst, ob Gott dieselbe erhören wolle. Indulgenzen irgend einer Art zu geben, ohne Reue, sey gradezu unchristlich. Stück für Stück widerlegt er die in der Instruction vorkommenden Berechtigungen der Ablaß- verkäufer. Dagegen sieht er den Grund der Indulgenz in dem Amte der Schlüssel. Eben so wie die Gegner, welche Thomas von A. widerlegt, behaupteten: „indulgentiae non habent effectum nisi ex vi clavium.“ In diesem Amte, welches Christus dem h. Peter anvertraut habe, liege die entbindende Ge- walt des römischen Papstes. Auch sey es für alle Peinen und Gewissensfälle hinreichend. Aber natürlich erstrecke es sich auf keine andern als die Strafen der Genugthuung, die vermöge desselben aufgelegt worden; und dabei komme noch alles darauf an, ob der Mensch auch Reue em- pfinde, was er selbst nicht einmal entscheiden könne, ge- Hauptgrund dafuͤr bleibt aber immer, daß die Kirche das sage: denn „si in praedicatione ecclesiae aliqua falsitas deprehendere- tur, non essent documenta ecclesiae alicujus autoritatis ad robo- randam fidem.“ Ablaßstreitigkeit . schweige ein Andrer Habe er sie, so falle ihm ohnehin die volle Vergebung zu: habe er sie nicht, so könne kein Ablaßbrief ihm etwas helfen. Denn nicht an und für sich habe der Ablaß des Papstes Werth, sondern nur in so fern als er die göttliche Gnade bezeichne. Ein Angriff, nicht von außen, wie man sieht, sondern aus der Mitte der scholastischen Begriffe, bei welchem die Grundidee des Papstthums, von der Stellvertretung Christi durch das Priesterthum und vor allem durch die Nachfolge Petri, noch festgehalten, aber die Lehre von der Verei- nigung aller Gewalt der Kirche in der Person des Pap- stes eben so entschlossen bekämpft wird. Wenn man diese Sätze liest, sieht man, welch ein kühner, großartiger und fester Geist in Luther arbeitet. Die Gedanken sprühen ihm hervor, wie unter dem Hammerschlag die Funken. Vergessen wir aber nicht zu bemerken, daß wie der Mißbrauch selbst zwei Seiten hatte, eine religiöse und eine politisch-finanzielle, so auch dem Widerstand von der reli- giösen Idee aus sich ein politisches Moment zugesellte. Friedrich von Sachsen war mit dabei gewesen, als das Reichsregiment dem Cardinal Raimund 1501 für den Ablaß der damals verkündigt ward, sehr beschränkende Be- dingungen vorschrieb; er hatte in seinem Lande das auf- gekommene Geld selbst in seiner Hand behalten, mit dem Entschluß, es nur dann herauszugeben, wenn es zu einer Un- ternehmung gegen die Ungläubigen komme, die schon damals beabsichtigt ward; vergeblich hatte es später der Papst, und auf des Papstes Concession der Kaiser von ihm gefordert; Schreiben der saͤchsischen Gesandten vom Reichstag von Zweites Buch. Erstes Capitel . er hielt es für das was es war, für eine seinen Unter- thanen abgenommene Auflage; nachdem alle Aussichten sich zerschlagen, hatte er die Summe endlich für seine Univer- sität angewendet. Auch jetzt war er nicht gemeint eine Schatzung dieser Art zuzugeben. Sein Nachbar Churfürst Joachim von Brandenburg ließ es sich wohl gefallen: er befahl seinen Ständen, weder Tetzeln noch dessen Unter- commissarien Hindernisse in den Weg zu legen; Mandat Joachims bei Walch Werke Luthers XV, 415. aber of- fenbar nur darum, weil seinem Bruder ein so großer Theil des Ertrags zu Gute kam. Eben deshalb aber wi- dersetzte sich Churfürst Friedrich nur um so mehr; er war ohnehin wegen der Erfurter Streitigkeiten mit dem Chur- fürsten von Mainz gespannt: nicht aus dem Beutel der Sachsen sollte Albrecht sein Pallium bezahlen. Der Ab- laßhandel zu Jüterbock, das Hinzulaufen seiner Untertha- nen war ihm aus finanziellen Rücksichten nicht minder widerwärtig als Luthern aus geistlichen. Nicht als ob die letzten von den ersten hervorgerufen worden wären: das könnte Niemand behaupten, der die Sachen näher angesehen; die geistlichen Tendenzen sind viel- mehr ursprünglicher, großartiger, selbständiger als die weltli- chen; wiewohl auch diese hinwiederum in den deutschen Ver- hältnissen ihre eigenthümliche Wurzel haben. Der Moment, Augsburg 1510 erklaͤren dem paͤpstlichen Nuntius, es habe Pp. Hei- ligkeit leiden moͤgen, das E Gn das Geld so in iren Landen gefal- len zu sich genommen, mit einer Verpflichtung wann es zum Streit wider die Unglaͤubigen komme es wyderum darzulegen: aus der Ur- sach hab E Gn wyewol mehrmal darum angesucht von Keys Mt wegen, die auch gerne E Gn gemelte Summe um ihre Schuld ge- ben hatt, dy Summa noch wy sy gefallen ist. (Weim. A.) Ablaßstreitigkeit . von welchem das große Weltereigniß ausgeht, ist die Coin- cidenz von beiden. Wie gesagt, es war Niemand der die Interessen von Deutschland hierin vertreten hätte. Den geistlichen Mißbrauch durchschauten Unzählige, aber es wagte Niemand ihn beim Namen zu nennen, ihm offen entgegenzutreten. Da ward der Bund dieses Mönches mit diesem Fürsten geschlossen. Es war kein Vertrag abgeredet; sie hatten einander nie gesehen; allein ein natürliches Einverständniß verband sie. Der kühne Mönch griff den Feind an: der Fürst versprach ihm seine Hülfe nicht, er munterte ihn nicht auf, er ließ es nur geschehen. Doch muß er sehr gut gefühlt haben was die Sache zu bedeuten hatte, wenn es wahr ist, was man von einem Traume erzählt, den er auf seinem Schloß zu Schweiniz, wo er sich damals aufhielt, in der Nacht auf Allerheiligen, eben nachdem die Sätze angeschlagen waren, gehabt haben soll; er sah den Mönch, wie er ihm an der Schloßkapelle zu Wittenberg einige Sätze anschrieb, mit so starker Schrift, daß man sie dort in Schweinitz lesen konnte; die Feder wuchs und wuchs; sie reichte bis nach Rom, sie berührte die drei- fache Krone des Papstes und machte sie wanken; indem er den Arm ausstreckte um sie zu halten erwachte er. Goͤttlicher und schriftmaͤßiger Traum aus Caspar Rothen Gloria Lutheri in Tentzel’s Histor. Bericht p. 239. Es war aber dieß Unternehmen wie ein gewaltiger Schlag der Deutschland aufweckte. Daß doch noch ein Mann sich erhob, der den Muth hatte den gefährlichen Kampf zu unternehmen, war eine allgemeine Genugthuung, Zweites Buch. Erstes Capitel . befriedigte gleichsam das öffentliche Gewissen. Erasmus an Herzog Georg von Sochsen 1524 12 Dez. Cum Lutherus aggrederetur hanc fabulam, totus mundus illi ma- gno consensu applausit, — — susceperat enim optimam causam adversus corruptissimos scholarum et ecclesiae mores, qui eo pro- gressi fuerant ut res jam nulli bono viro tolerabilis videretur. Die leben- digsten Interessen knüpften sich daran: das der tiefern Fröm- migkeit gegen diese äußerlichste aller Sündenvergebungen; das der Literatur gegen die Ketzermeister, zu denen auch Tetzel gehörte; der sich verjüngenden Theologie wider das scholastische Dogma, welches allen diesen Mißbräuchen das Wort redete; der weltlichen Gewalt gegen die geistliche, de- ren Übergriffe sie zu beschränken suchte; endlich der Nation gegen die römischen Geldforderungen. Aber alle diese Interessen hatten auch andre sich ge- genüber. Nicht viel minder lebendig als der Beifall mußte auch der Widerstand seyn. Eine ganze Anzahl natürlicher Gegner erhob sich. Wie Wittenberg, so war einige Jahre später auch die Universität Frankfurt a. d. O. hauptsächlich von Leipzig ausgegangen, aber von der entgegengesetzten Partei. Ent- schlossene Widersacher aller Neuerung hatten dort Stellen gefunden. Ein alter Gegner Pollichs, der mit ihm oft einen literarischen Strauß bestanden, Conrad Koch, genannt Wimpina, hatte sich dort einen ähnlichen Einfluß verschafft wie Pollich in Wittenberg. An Wimpina wandte sich jetzt Johann Tetzel: und brachte mit seiner Hülfe, denn auch er wollte Doctor seyn wie sein augustinianischer Gegner, zweierlei Theses zu Stande, die einen um sich zum Li- centiaten, die andern um sich zum Doctor zu disputiren: Ablaßstreitigkeit . beide gegen Luther. In den ersten suchte er den Ablaß durch eine neue Distinction zwischen genugthuender und heilender Strafe zu retten: zwar nicht die letzte, aber die erste könne der Papst erlassen. Disputatio prima J. Tetzelii Thesis 14. Darauf bezieht sich die Stelle in Luthers zweitem Sermon vom Ablaß, wo er eine solche Distinction eine Plauderei nennt. In den zweiten er- hebt er vor allem die Gewalt des Papstes, welcher die Auslegung der Schrift festzusetzen und über den Glauben allein zu entscheiden habe; zugleich erklärt er Luther, den er zwar nicht nennt aber deutlich genug bezeichnet, für ei- nen Ketzer ja für einen hartnäckigen Ketzer. Das hallte nun von Kanzeln und Kathedern wieder. Donnernd ließ sich Hogstraten vernehmen, daß ein Ketzer wie dieser den Tod verdiene; in einer als Handschrift verbreiteten Wider- legung sprach auch ein vermeinter Freund in Ingolstadt, Johann Eck von böhmischem Gift. Obelisci Eckii nr. 18 et 22. Luther blieb Kei- nem die Antwort schuldig, bei jeder Streitschrift machte er sich neue Bahn. Schon spielten auch andre Fragen in den Streit, z. B. über die Legende der h. Anna, deren Richtigkeit von einem Freunde Luthers zu Zwickau bestrit- ten, aber von den Leipziger Theologen hartnäckig festgehal- ten ward: Joh. Sylvii Apologia contra calumniatores suos, in qua Annam nupsisse Cleophae et Salomae evangelicis testimoniis re- fellitur. Wieder abgedruckt in Rittershusii Commentarius de gra- dibus cognationum 1674. die Wittenberger Ansichten über die aristote- lische Philosophie und das Verdienst der Werke breiteten sich weiter aus, Luther selbst verfocht sie bei einer Zusam- menkunft seines Ordens in Heidelberg, und wenn ihm die Zweites Buch. Erstes Capitel . älteren Doctoren Widerstand leisteten, so fielen ihm dagegen eine Anzahl junger Leute bei. Die gesammte theologische Welt in Deutschland gerieth in die lebhafteste Aufregung. Schon ließ sich aber mitten durch den Lärm der deut- schen Bewegung auch eine Stimme von Rom aus verneh- men. Der Meister des heiligen Pallastes, ein Dominicaner, Silvester Mazolini von Prierio, ein Mann, der über die Nothwendigkeit der Reue und die Sündhaftigkeit der Lüge sehr zweideutige, allzunachsichtige Meinungen vorgetragen hat, aber dabei mit dem hartnäckigsten Eifer das Lehrsy- stem seines Ordens vertheidigte, der in den Streitigkeiten Reuchlins der Einzige gewesen war, welcher eine Entschei- dung zu dessen Gunsten in der Commission verhindert hatte, hielt sich für verpflichtet, gegen den neuen noch viel ge- fährlichern Gegner die Waffen selbst zu ergreifen. Er stand auf, wie er sagt, von dem Commentar in Primam secun- dae des h. Thomas, in dessen Abfassung er versenkt war, und wandte einige Tage darauf, um sich dem Augustiner, der seinen Nacken wider den römischen Stuhl erhoben, als ein Schild entgegenzuwerfen; Dialogus rev di patris fratris Sylvestri Prieriatis — — in praesumptuosas Martini Lutheri conclusiones bei Loͤscher II, 12. er hielt denselben für hin- reichend widerlegt, als er ihm die Aussprüche seines Mei- sters, des heil. Thomas entgegengestellt hatte. Es machte doch einen gewissen Eindruck auf Luther, als er sich von Rom aus angegriffen sah; so armselig und leicht zu wi- derlegen ihm die Schrift Silvesters vorkam, so hielt er doch dießmal an sich: die Curie unmittelbar wünschte er nicht Ablaßstreitigkeit . nicht gegen sich zu haben. Indem er am 30sten Mai eine Erklärung seiner Sätze an den Papst selbst einschickte, suchte er ihn über seine Stellung überhaupt zu verständigen. Er gieng noch nicht so weit, sich rein und ausschließlich auf die Schrift zu berufen, er erklärte vielmehr, daß er sich den von der Kirche angenommenen Vätern, ja den päpstlichen Decreten unterwerfe. Nur an Thomas von Aquino könne er sich nicht gebunden achten; wie dessen Werke ja auch noch nicht von der Kirche gutgeheißen worden. „Ich kann irren,“ ruft er aus, „aber ein Ketzer werde ich nicht seyn, wie sehr auch meine Feinde wüthen und schnauben!“ Aber schon ließ sich die Sache dort höchst gefährlich an. Der päpstliche Fiscal, Mario Perusco, Guicciardini ( XIII, p. 384) und Jovius erwaͤhnen ihn. derselbe der sich so eben durch die Untersuchung gegen die verschwor- nen Cardinäle einen Namen verschafft, machte eine Klage gegen Luther anhängig; in dem Gericht welches niederge- setzt wurde, war der nemliche Silvester der dem Beklagten auf dem literarischen Gebiete den Fehdehandschuh hinge- worfen, der einzige Theologe; da ließ sich in der That nicht viel Gnade erwarten. Es ist wohl keine Frage, daß hiebei auch Einwirkun- gen von Deutschland her Statt fanden. Churfürst Albrecht, der es sogleich fühlte daß der Wittenbergische Angriff auch gegen ihn gerichtet war, hatte Tetzel an Wimpina gewie- sen; in den Tetzelschen Sätzen war dann Friedrich zwar indirect aber um so bitterer angegriffen worden, als ein Fürst, welcher der ketzerischen Bosheit widerstehen könne und es nicht thue, welcher die Ketzer ihrem rechten Richter Ranke d. Gesch. I. 21 Zweites Buch. Erstes Capitel . vorenthalte. Disputatio secunda J. Tetzelii Thesis 47—48. Wenigstens Tetzel hat versichert, daß der Churfürst auch auf den Proceß Einfluß gehabt habe. Tetzel an Miltitz bei Loͤscher II, 568 „so doch hochbenann- ter Erzbischof inen (Luthern) bestellt hat zu citiren und nicht ich.“ Per- sönliche und nachbarliche Irrungen wirkten gleich im ersten Beginn auf den Gang den diese Sache nehmen sollte. So stand es nun mit der geistlichen Gewalt in Deutsch- land. Noch ward an keinen Abfall von dem Papst gedacht; noch war er allgemein anerkannt; aber es erhob sich aus allen Tiefen der nationalen Kräfte Widerstand und Unwille gegen ihn; schon hatten seine geschwornen Vertheidiger eine Niederlage erlitten: schon erbebte das dogmatische Gebäude, auf welchem seine Macht beruhte, in einigen seiner Grund- festen: das Bedürfniß der Nation, sich in sich selber zu ei- ner gewissen Einheit abzuschließen, nahm eine Richtung ge- gen das Ansehn des römischen Hofes. Eine Opposition war entstanden, die noch unscheinbar aussah, aber an der Stimmung der Nation und in einem mächtigen Reichs- fürsten einen starken Rückhalt fand. Zweites Capitel . Uebergang des Kaiserthums von Maximilian auf Carl V. Reichstag zu Augsburg 1518. Hätte es in diesem Augenblick einen mächtigen Kaiser gegeben, so würde er sich dieser Regungen gewaltig haben bedienen können. Von der Nation unterstützt würde er die alte Opposition gegen das Papstthum wiederaufzunehmen, und auf den Grundlagen der religiösen Ideen ihr ein ganz neues Leben zu verleihen vermocht haben. An und für sich wäre auch Maximilian für einen Plan dieser Art nicht unempfänglich gewesen: er deutet es an, wenn er dem Churfürsten Friedrich einmal sagen läßt, er möge den Mönch „fleißig bewahren,“ man könne sich desselben vielleicht einmal bedienen; allein für den Augenblick war er doch nicht in einer Lage um darauf einzugehn. Einmal er war nun alt und wünschte seinem Enkel Carl die Nachfolge im Reich zu versichern. Er sah darin gleichsam den Abschluß seiner Lebensthätigkeit. Sein Leb- 21* Zweites Buch. Zweites Capitel . tage, sagt er selbst, habe er gearbeitet sein Haus groß zu machen; alle seine Mühe würde jedoch verloren seyn, wenn er nicht auch dieses letzte Ziel erreiche. Schreiben vom 24sten Mai 1518. Dazu bedurfte er aber vor allen Dingen der Unterstützung der geist- lichen Gewalt. Denn so weit hatten sich die Gemüther noch nicht von den Ideen des Mittelalters losgerissen, daß man nicht außer dem kaiserlichen Titel den Maximilian führte, doch auch den Act der Krönung noch immer für nothwendig gehalten hätte, um in ihm die volle Würde eines Kaisers anzuerkennen. Bei dem Vorhaben, seinen Enkel zum römischen König zu erheben, stieß Maximilian vor allem auf die Einwendung, daß er ja selbst noch nicht gekrönt sey. Er faßte die Idee, sich wenn nicht in Rom, doch wenigstens mit der ächten Krone eines rö- mischen Kaisers krönen, dieselbe sich zu dem Ende über die Alpen zusenden zu lassen, und eröffnete hierüber Unterhand- lungen mit dem römischen Hof. Man sieht, wie sehr er hiedurch in die Nothwendigkeit gerieth ihn nicht allein zu schonen, sondern sich um seine Gunst zu bemühen. Auch noch von einer andern Seite her näherten sich einander Kaiser und Papst. Wir gedachten jener Bewilli- gung eines Zehnten zu einem Türkenkrieg, welche sich das Lateranconcilium noch vor seinem Schlusse abgewinnen las- sen. Es ist sehr bezeichnend, daß während ganz Europa darüber in Erstaunen gerieth, sich dagegensetzte, Maximi- lian darauf eingieng. Auch er nemlich wünschte nichts mehr, als endlich einmal wieder eine größere Reichssteuer auszubringen; wir wissen jedoch, welche mächtige Oppo- Reichstag zu Augsburg 1518. sition er dabei fand; — schon erlangte Bewilligungen der Stände waren doch nur vergeblich gewesen; — jetzt hoffte er, in Verbindung mit dem Papst eher zum Ziele zu kommen. Ohne Widerrede hieß er den Plan des rö- mischen Hofes gut. Es scheint fast als sey nicht allein sein Interesse angeregt, sondern auch seine Phantasie er- griffen gewesen. In feurigen Briefen ermahnt er den Papst, in eigner Person, von seinen Cardinälen umgeben, unter der Fahne des Kreuzes, den Feldzug zu unternehmen; da werde Jedermann ihm zu Hülfe eilen; er wenigstens habe von Jugend an keinen höhern Wunsch gehabt, als die Türken zu bekämpfen. Schreiben Maximilians 28 Februar bei Rainaldus 1517. 2 — 5. Die Siege Selims I über die Mamluken erneuerten in ihm das Gefühl der allgemeinen Gefahr. Er rief die Reichsstände zusammen, um endlich eine austrägliche Hülfe wider die Türken zu beschließen, „denen bereits alles Asia gehöre, bis auf die Länder des Priester Johann; von denen nun auch Africa eingenom- men werde; denen man zuletzt gar nicht mehr werde wi- derstehen können.“ Ausschreiben vom 9ten Februar in den Frankfurter Acten Bd 33. Aus einem Schreiben von Fuͤrstenberg (3 Juli 1518) sieht man, daß sich die Staͤnde Anfang Juli einfanden. Was er immer beabsichtigt, eine nach- haltige Kriegsverfassung einzuführen, das hoffte er, sollte ihm in diesem Augenblicke gelingen. Und so erscheint noch einmal nach langer Unterbre- chung die alte Vereinigung geistlicher und weltlicher Ge- walt auf dem Reichstag. Statt sich dem Papst zu op- poniren vereinigte sich der Kaiser mit demselben; dagegen Zweites Buch. Zweites Capitel . schickte der Papst zur Unterhandlung mit den Reichsstän- den dem Kaiser einen Legaten zu Hülfe. Es war das der Dominicaner Thomas de Vio, der- selbe, der die Prärogativen des Papstthums so eifrig ver- theidigt; eben dadurch hatte er sich den Weg zu den hö- heren Würden eröffnet, er war bei der letzten großen Crea- tion Cardinal geworden. Überaus glücklich fühlte er sich in dem Glanze der Legatenwürde, die ihm nunmehr über- tragen ward. Auf das prächtigste wollte er erscheinen: den Anspruch der Curie, daß ein Legat mehr sey als ein König, nahm er beinahe ernstlich. Legati debent esse supra reges quoscunque. Paris de Grassis in Hofmanni Scriptores novi p. 408. Bei seiner Ernennung machte er besonders Bedingungen des Prunkes, z. B. daß ihm ein weißer Zelter mit Zäumen von Carmosin-sammt, eine Zimmerbekleidung von Carmosin-atlas zugestanden werde; selbst der alte Cerimonienmeister mußte über die Menge von Forderungen lächeln die er nach und nach vor- brachte. In Augsburg gefiel er sich dann vor allem in glänzenden Cerimonien; z. B. bei jenem Hochamt das er am 1sten August im Dom hielt, vor den weltlichen und geistlichen Fürsten des Reiches, wo er dann dem Erzbi- schof von Mainz, der vor dem Altar die Knie gesenkt, den Cardinalshut aufsetzte, und dem Kaiser selbst den geweihe- ten Hut und Degen — Zeichen der päpstlichen Huld und Gnade — überlieferte. In den ausschweifendsten Ideen ergieng er sich hiebei. Indem er den Kaiser ermahnte, gegen den Erbfeind, der nach dem Blute der Christenheit dürste, auszuziehen, erinnerte er ihn, das sey der Tag an Reichstag zu Augsburg 1518. welchem Augustus einst durch den Sieg bei Actium die Herrschaft der Welt an sich gebracht habe, auch dem h. Peter sey er heilig; dem Kaiser möge er bedeuten, daß er Constantinopel und Jerusalem erobere und das Reich wie die Kirche bis ans Ende der Welt ausbreite. Jacobi Manlii Historiola duorum actuum bei Freher II, p. 709. In die- sem Sinne hielt er auch in der Versammlung der Stände eine Rede nach allen Regeln der Rhetorik ausgearbeitet. Den Kaiser zu überreden konnte ihm nun keine Mühe kosten; nach kurzen Berathungen machten sie jetzt den ge- meinschaftlichen Vorschlag, daß, um ein Heer gegen die Türken ins Feld zu bringen, immer 50 Hausbesitzer Einen Mann stellen, und zu deren Erhaltung die Geistlichen den zehnten, die Weltlichen den zwanzigsten Theil ihres Ein- kommens beisteuern sollten. Desto schwieriger aber war es, damit bei den Stän- den durchzudringen. Was auch die Meinung des Kaisers seyn mochte, so wollte man doch übrigens in Deutschland eben so wenig wie anderwärts an den Ernst eines solchen Vorhabens glauben. Es erschienen Schriften, in denen man dem römischen Stuhl die Absicht die Ungläubigen zu be- kriegen gradezu ableugnete: — es seyen alles florentinische Künste, um den Deutschen ihr Geld abzuschwatzen: — ver- wende man doch nicht einmal den Ertrag des Ablasses zu dem als so dringend geschilderten Bau; nicht St. Peter baue, sondern Lorenzo Medici, bei Nacht wandre das Material: — die Türken die man bekämpfen sollte seyen in Italien. Oratio dissuasoria bei Freher II, 701. Der Annahme, daß Zweites Buch. Zweites Capitel . Von dem Kaiser erinnerte man, er wolle auf diesem Wege nur zu einer Reichssteuer gelangen. Daher fiel die Antwort der Stände — 27 Aug. — entschieden ablehnend aus. Sie bemerkten daß sich eine so bedeutende Auflage bei dem Zustand in den man die letzten Jahre daher durch Krieg, Theurung und Aufruhr gerathen, gar nicht werde eintreiben lassen; aber überdieß beklage sich auch schon der gemeine Mann über alle das Geld, das aus Deutschland ohne Nutzen weggehe; schon oft habe man durch Cruciat und Indulgenz zu einem Tür- kenkriege beigesteuert, aber noch niemals erfahren, daß et- was gegen die Türken geschehen sey. In eine Anklage, wie man sieht, verwandelt sich die Ablehnung: die Stände ergriffen die Gelegenheit einer Anforderung des römischen Stuhles, ihm dagegen eine Menge Beschwerden vorzuhalten; — über die Annaten, die man jetzt auch von Abteien, Prop- steien und Pfarren fordere: die immer steigenden Kosten der Bestätigungen in geistlichen Ämtern durch neue Offi- cia: die gleichsam ewige Beschwerung, welche durch die römischen Canzleiregeln aufgelegt werde: alle die mancherlei Eingriffe in das Patronatsrecht: Übertragung geistlicher Lehen im hohen und niedern Deutschland auf Fremde: überhaupt eine unaufhörliche Verletzung der Concordate deutscher Nation. Antwort der Staͤnde Freitag nach Bartholomaͤi. Frankfur- ter AA. Diesen Beschwerden noch einen neuen diese Rede von Hutten herruͤhre, steht ihr Schluß entgegen. Wie ist es aber zu erklaͤren, daß der unzweifelhafte Dialog Huttens Pas- quillus exul in vielen Stellen eine so außerordentliche Aͤhnlichkeit mit dieser Rede hat, die unmoͤglich zufaͤllig seyn kann? Uͤbrigens koͤnnte sie wohl auf die Berathungen Einfluß gehabt haben, da sie schon am 2ten Sept. in Wittenberg war. Luthers Briefe I, nr. 79. Reichstag zu Augsburg 1518. Nachdruck zu geben, diente besonders eine Eingabe des Bi- schofs von Lüttich an Kaiser und Fürsten. Sie enthält ein ganzes Register von Ungerechtigkeiten, welche die deut- sche Kirche von den römischen Curtisanen erfahre; diese star- ken Jäger, Kinder Nimrod gehen täglich auf die Jagd von Pfründen: Tag und Nacht sinnen sie auf nichts, als die canonischen Wahlen zu zerstören: das deutsche Geld, sonst zu schwer für einen Atlas, fliege über die Alpen: Erardus de Marca sacra mae Caes ae Majestati. Kapp Nach- lese II, nr. 1. eine solche Schrift, meint der Frankfurter Gesandte, sey niemals erhört worden, „so voll von Durstigkeit.“ Wie sehr hatte sich der Kaiser getäuscht, wenn er glaubte, mit Hülfe der geistlichen Gewalt eher zu seinem Zweck zu kommen! Auch bei den Berathungen über die vor dem Jahr in Mainz eingegebnen Beschwerden drangen jetzt Klagen über den Papst ein, z. B. seine Eingriffe in das Colla- tionsrecht, über die Geistlichkeit überhaupt, namentlich den geistlichen Bann, dem man nicht dieselbe Gültigkeit zuzuge- stehen Lust hatte wie dem weltlichen Richterspruch. Aber darum ließ man jene Beschwerden gegen den Kaiser nicht fallen. Man forderte aufs neue eine bessere Besetzung der Gerichte, vollständigere Execution der kammergerichtlichen Urtel; eine Commission ward niedergesetzt, um über die schon früher in Vorschlag gekommene Criminalordnung zu berathen. Ja in der vornehmsten Verhandlung über die Türken- hülfe entwickelte die Opposition gegen die Reichsgewalt eine ganz neue Richtung. Wohl schien man sich zuletzt nach vielem Hin und Zweites Buch. Zweites Capitel . Herreden über die Art und Weise einer neuen Auflage zu einigen; in dem Abschied ward wirklich festgesetzt, daß drei Jahr hindurch ein Jeder der zum h. Abendmal gehe, we- nigstens einen Zehntel-Gulden erlegen, und die auf diese Weise eingehende Summe von den Regierungen bis zum Anfang eines Türkenkrieges aufbehalten werden solle; — aber selbst eine Bewilligung so sonderbarer und zweideuti- ger Art war durch eine ihr hinzugefügte Bedingung beinahe illusorisch gemacht. Die Fürsten erklärten, erst mit ihren Unterthanen darüber Rücksprache nehmen zu müssen. Die Antwort des Kaisers zeigt, wie sehr er über diese Neue- rung erstaunte. Er sagte: das sey nicht das Herkommen im heiligen Reiche: die Fürsten seyen nicht an die Bewil- ligung ihrer Unterthanen gebunden, sondern diesen liege die Pflicht ob, die Beschlüsse ihrer Herrn und Obern zu voll- ziehen: Erklaͤrung des Kaisers 9 September. „Item, daß in dem allen Churfuͤrsten Fuͤrsten und Staͤnde kein Ausred noch Entschuldi- gung fuͤrnemen noch solch Zusage thun mit eynicher Weigerung oder Condicion auf ihre Unterthanen, denn sollichs in bisher bewilligten Huͤlfen nie bedacht worden und daruf gestellt ist, sondern Churff. FF. und Stend haben allezeit frei gehandelt und bewilligt, nachdem sy Kais r Mt und des Reichs Churf. belehnt seyen, auch die Untertha- nen schuldig seyn den Willen der Fuͤrsten und Obern und nit die Fuͤrsten und Obern der Unterthanen Willen zu verfolgen und Ge- horsam zu beweisen.“ (Fr. A.) die Fürsten versetzten: man habe schon oftmals Zusagen gemacht, ohne die Unterthanen zu fragen; die Folge sey gewesen, daß man sie meistentheils nicht habe ausfüh- ren können: es würde zu Schimpf und Schande gereichen wenn das so fortgehn solle. Ju den Reichsabschied kam in der That nichts weiter, als daß die Fürsten über die Reichstag zu Augsburg 1518. Auflage mit ihren Unterthanen zu unterhandeln und am näch- sten Reichstag über ihre Erfolge zu berichten versprachen. Es leuchtet ein, daß es bei der Stimmung die sich hierin offenbart, auch in den andern Reichsangelegenheiten zu keiner Vereinbarung kommen konnte. An dem Kammergericht arbeitete man viel, doch ohne etwas auszurichten. Der Grund der schlechten Besetzung liegt in der schlechten Besoldung. Fuͤrstenberg (Schreiben vom 8ten Sept.) bemerkt daß man keine bessere Besoldung ausmitteln koͤnne. „Daraus folgt, daß es auch nit mit dem Inkommen, so jetzunder geben wird, mit ge- lehrt fromm und verstaͤndig Leuten besetzt mag werden.“ Die Churfürsten protestirten sämmt- lich, daß sie in Kraft ihrer Freiheiten dem Kammergericht nicht unterworfen seyen; über die Vorschläge zu einer Ver- besserung konnte man sich nicht vereinigen; gegen die Ma- trikel zu den Beiträgen erhoben sich die alten Einwendun- gen; schon bemerkte man seine Wirksamkeit nicht mehr; in Kurzem stand es abermals still. Fuͤrstenberg 14 Sept. Somma Sommarum aller Hande- lung die uf diesem Reichstag gehandelt ist, daß von Friede und Recht nichts beschlossen wird, daß die Schatzung des Tuͤrkenzugs wie K. Mt dawider bei den Unterthanen anbracht (wird). . Aufs neue nahmen die Unordnungen allenthalben über- hand. Wie schon vor dem Jahr in Mainz, so lief jetzt in Augspurg Beschwerde auf Beschwerde ein. Der Graf von Helfenstein rief um Hülfe gegen Wir- tenberg, Ludwig von Boyneburg gegen Hessen, der Erzbi- schof von Bremen gegen die Worsaten; alles vergeblich. Die Streitigkeiten zwischen der Stadt Worms und ihrem Bischof, zwischen dem Churfürsten von der Pfalz und einer Gesellschaft von Kaufleuten, die unter seinem Geleit wa- Zweites Buch. Zweites Capitel . ren beraubt worden, wurden nicht zum Austrag gebracht. Das Betragen des Churfürsten von der Pfalz in dieser Sache, der Rückhalt den er zu finden schien, erfüllte besonders die Städte mit Mißvergnügen. Fuͤrstenberg zeigt sich, indem er die gewechselten Schriften einsendet, sehr mißvergnuͤgt. „Hie ist nit anders: ein jeder sehe sich fuͤr. Die Churf. Fuͤrsten und Andre haben nit alle ob der Hand- lung Gefallens: es will aber dieß Mal aus Ursachen nit anders seyn. Gott erbarms.“ Es gab beinahe keine Land- schaft, wo nicht die Fehde wieder in Schwange gieng, oder die innere Entzweiung sich regte, oder sich ein Angriff der Nachbarn besorgen ließ. Wollte man Friede haben, so mußte man selber für sich sorgen: auf das Reich war nicht mehr zu zählen. Davon mußte sich überhaupt ein Jeder überzeugt ha- ben, daß es so nicht mehr gieng. Es war schon lange her, daß der Kaiser sich über keine Maaßregel mehr mit den Ständen vereinigen konnte; weder für den inneren Frie- den, noch gegen die auswärtigen Feinde; was er allein nicht vermocht, hatte er jetzt in Verbindung mit dem Papste versucht; es war ihm entschiedner mißlungen, als jemals. Die höchsten Gewalten konnten die vornehmsten Pflichten einer Regierung nicht mehr erfüllen. In so fern war es von großer Bedeutung, daß die Reichsstände jene Neuerung machten, in Hinsicht ihrer Bewilligungen es auf ihre Landschaften ankommen zu las- sen. Das Leben der Nation zeigte die Tendenz, sich von seinem bisherigen Mittelpunct zurückzuziehen, und in den einzelnen Landschaften eine sich selber genügende, autonome Gewalt zu erschaffen. Reichstag zu Augsburg 1518. Eine Tendenz, die nun in dem Wahlinteresse, das in Augsburg schon lebendig hervortrat, und gleich darauf alle Gemüther zu beschäftigen begann, neue Nahrung empfieng. In der That können wir keinen Schritt weiter gehn, wenn wir nicht zuvor diese Verhältnisse der deutschen Für- stenthümer näher in Betracht gezogen haben. Gegenseitige Verhältnisse der deutschen Fürsten. Man könnte noch nicht eigentlich von deutschen Staa- ten reden. Dazu war die Einheit selbst der größeren Für- stenthümer noch nicht fest genug; — man versuchte hie und da gemeinschaftliche Regierungen, was aber selten gut gieng, so daß man doch immer wieder auf das Prinzip der Thei- lungen zurückkam; — dazu waren auch die ständischen Ver- hältnisse noch nicht hinreichend in Ordnung. Wie viele Selbständigkeiten gab es noch, die sich in keine Staats- form fügten. Aber in den größeren Territorien strebte man so nach Einheit wie nach Ordnung, in den kleinern tra- ten landschaftliche Bündnisse an die Stelle des Fürsten- thums: überall wetteiferte die Macht der innern localen Antriebe mit der Autorität der Reichsgewalten und kam um so kräftiger empor, je weniger diese zu Concentration und eingreifender Wirksamkeit gelangen konnten. Von vielem Einfluß hierauf war es ohne Zweifel, daß auch das Reichsoberhaupt weniger durch die ruhige Ausübung seiner gesetzlichen Macht, als durch persönliche und unregelmäßige Einwirkungen auszurichten beflissen war. Nur in Augenblicken des Schwunges und der Erhebung sah Kaiser Maximilian seine Würde aus nationalem Ge- Zweites Buch. Zweites Capitel . sichtspunct an; sonst pflegte er sie mehr als ein Stück seiner Macht zu betrachten. Grade die Art seiner Ver- waltung rief die mannichfaltigste Bewegung in dieser noch etwas formlosen Welt hervor. In dem oberen Deutschland hatte der Kaiser nach al- lem was vorgegangen, viel natürliche Opposition. Der Churfürst von der Pfalz konnte die Verluste die er im letz- ten Kriege erlitten, noch immer nicht verschmerzen; er war noch unversöhnt, unbelehnt. Obwohl der Kaiser damals die Partei von Baiern genommen, so fühlte man doch auch dort, was das Gesammthaus verloren. In den jungen Fürsten Wilhelm und Ludwig war davon ein so lebhaftes Bewußtseyn, daß sie die Streitigkeiten welche über den An- theil eines Jeden an der Regierung zwischen ihnen ausge- brochen, auf das rascheste beilegten, als sie zu bemerken glaubten, der Kaiser wolle sie benutzen, um ein neues In- teresse, wie 1504, geltend zu machen. Aus einem Schreiben Herzog Ludwigs, bei Freiberg Land- staͤnde II, 149. Sie erinnerten sich was auch sonst von Baiern abgekommen. Die gemein- schaftliche Regierung zu der sie sich vereinigten, begannen sie damit, daß sie einander gelobten, das alles wiederzu- erobern, sobald der Kaiser ihr Oheim gestorben seyn werde. Das erste Actenstuͤck in dem Urkundenbuch zu Stumpf: Baierns politische Geschichte I. Desto sicherer schien Maximilian auf Herzog Ulrich von Wirkenberg rechnen zu können, den er vor den Jah- ren für volljährig erklärt, der seinen Kriegen beigewohnt und darin Eroberungen gemacht, dem er eine Gemahlin Verhaͤltnisse deutscher Fuͤrsten . gegeben hatte: mit allen Banden der Dankbarkeit schien dieser Fürst an den Kaiser geknüpft zu seyn. Grade in Dem aber entwickelte sich sehr bald ein entschlossener, von trotzigem Selbstgefühl genährter Widerstand gegen die Ab- sichten des Kaisers. Es mißfiel ihm, daß er in dem schwä- bischen Bunde so wenig bedeutete. Er fand es unerträg- lich, daß da von den ein und zwanzig Stimmen im Bun- desrath vierzehn den niedern Ständen, Prälaten Grafen Rittern und vor allem den Städten angehörten, von de- nen Krieg und Friede beschlossen werde, so daß „sein Wille und Vermögen in fremden Händen stehe.“ Beswerung so wir Herzog Ulrich zu Wirtemperg haben, des Pundts Swaben Erstreckung anzunemen, bei Sattler Herzoge I Bei- lage nr. 56 p. 129. Schon im Jahr 1512, als der Bund erneuert ward, weigerte er sich hartnäckig, in denselben einzutreten. Indem er aber hie- durch den Bund beleidigte, ihn zu fürchten anfieng und sich an die Gegner desselben anschloß, namentlich die Pfalz und den Bischof von Würzburg, gerieth er mit dem Kai- ser, alle seinen andern Nachbarn, ja seinen Ständen und Räthen, welche lieber an Kaiser und Bund festgehalten hätten, in unzählige Irrungen: in welchen er sich immer stürmischer roher und gewaltthätiger zeigte. Die Bauern empörten sich wider seine Auflagen; seine Landstände nö- thigten ihm einen beschränkenden Vertrag auf, den er nicht zu halten Lust hatte; seine Räthe dachten daran, ihm eine Regentschaft zu setzen, was ihn mit Wuth erfüllte; endlich brach ihm in seinem Hause das volle Unheil aus. Er hatte das Unglück, sich von der Neigung zu der Frau eines Zweites Buch. Zweites Capitel . seiner Hofleute und guten Gefährten in Feld und Jagd, Hans von Hutten, hinreißen zu lassen. Einstmals nahm dieser die Gelegenheit wahr, mit seinem Herrn davon zu sprechen; der Herzog warf sich ihm zu Füßen, breitete die Arme aus und flehte ihn an, zu dulden, daß er sie sehe und liebhabe, er könne sich nicht bezwingen, er könne es nicht lassen. Deren von Hutten gedrucktes Ausschreiben bei Sattler a. a. O. p. 213. Sehr bald aber sollten die Rollen sich än- dern. Sey es daß Hutten wirklich ein Verhältniß zu der Herzogin, Sabina angeknüpft hatte, oder daß man das dem Herzog ohne Grund hinterbrachte, eines Tages glaubte Ulrich den Trauring, den er seiner Gemahlin gegeben, an dem Finger Huttens zu bemerken, und war nun seiner Ei- fersucht eben so wenig Meister wie früher seiner Liebe; als Hutten, obwohl schon bittere Worte gefallen, es dennoch noch einmal wagte, den Herzog auf die Jagd zu begleiten, nahm ihn dieser, wie sie in das Holz bei Böblingen kamen, allein bei Seite, hielt ihm seine Verbrechen vor, rief ihm zu, er möge sich seiner Haut wehren, übermannte, entleibte ihn, und nahm sich noch so viel Zeit, den Gürtel von dem ent- seelten Leib zu lösen, und ihn daran an einer nahen Eiche aufzuknüpfen. Ausschreiben Herzog Ulrichs a. a. O. p. 205. Die Ver- wandten behaupten, Hutten sey zu dem Ritt sogar eingeladen, der Herzog: er sey gewarnt worden und doch trotzig mitgeritten. Die ganze Erzaͤhlung des Herzogs finde ich psychologisch wahrscheinlicher. Er sagte, als Freischöffe, als Wissender der Fehme habe er dazu Fug und Macht; — seiner Ge- mahlin wies er bei ihrem Bette das blutige Schwerd. Sie fieng Verhaͤltnisse deutscher Fuͤrsten . fieng an für ihr Leben zu fürchten und entwich: erst zu dem Kaiser ihrem Oheim, der sich in der Nähe mit der Jagd ergötzte, dann zu ihren Brüdern in Baiern. Da war schon ohnehin viel böses Blut. Jetzt klagte Sabina ihren Gemahl bei dem Kaiser an und forderte die Auslieferung ihrer Feinde; Ulrich dagegen verfolgte um so ungestümer ihre Freunde, alle die, welche er für Anhänger des Bun- des und des Kaisers hielt; die Sühneversuche brachten erst die innere Feindseligkeit recht zum Ausbruch; ein Vertrag ward geschlossen, aber sogleich wieder gebrochen; ehrenrüh- rige Schriften wurden gewechselt; nie riß sich ein Fürst von einer Partei, zu der er gehörte, mit der er emporge- kommen, gewaltsamer los, als Herzog Ulrich. Auf dem Reichstag von 1518 hörte man, daß er wieder Anhän- ger des Kaisers eingezogen habe, mit qualvollen Mar- tern heimsuche, mit dem Tode bedrohe. Maximilian ließ sich dagegen vernehmen, auch er wolle dem Herzog ein Halsgericht setzen und das Urtel vollstrecken, das es spre- chen werde; Fuͤrstenberg 9ten Sept. nennt es „eine scharfe und uͤber- meßliche Antwort:“ wo er sich nicht fuͤge, wolle ihm S. M. ein Halsgericht setzen, daß er daselbst in Schranken komme, und weß von anderen und Sr Maj. Interessen wegen an ihn erlangt wird, daß dem auch Vollzug geschehe. zunächst gab er in einem besondern Aus- schreiben den Ständen Gewalt, die Gefangenen ihres Herrn ledig zu machen, und forderte sie auf dazu. 17 Juli 1518 bei Sattler I, Anh. 263. Auch aus dieser Rücksicht suchte er sich mit dem Churfürsten von der Pfalz zu versöhnen. Wenigstens so weit brachte er es, daß derselbe auf dem Reichstag erschien und seine Lehen Ranke d. Gesch. I. 22 Zweites Buch. Zweites Capitel . empfieng. Offenbar erlangte die Politik des Kaisers hie- durch, so wie durch seinen Einfluß auf den Bund und auf Baiern das Übergewicht in Oberdeutschland; aber sehr ge- fährlich standen die Sachen alle Mal, und so viel konnte man voraussehn, daß die Feindseligkeiten nicht im Wege der Güte ausgeglichen werden würden. Ihre Radien er- streckten sich durch das ganze Reich. Eine andre noch bei weitem wichtigere Opposition er- wuchs dem Kaiser aus den niederdeutschen, an das Haus Burgund anknüpfenden Verhältnissen. Es war eine seiner ersten Regierungshandlungen, noch im Jahre seiner Wahl 1486 gewesen, daß er dem Hause Sachsen die Anwartschaft auf Jülich und Berg verlieh, auf den Fall daß diese Landschaften „Mangels halben rech- ter männlicher Leibs Lehenserben“ erledigt würden; Urkunde bei Muͤller Rchstth. Fr. VI, 48. im Jahr 1495 bestätigte er das für sich und alle seine Nach- folger im Reich, „jetzt wie alsdann, alsdann wie jetzt.“ Der Fall schien nicht ferne, da Herzog Wilhelm VII von Jülich nur eine Tochter hatte; dem Hause Sachsen ward dadurch eine um so umfassendere Aussicht, wir können sa- gen, auf eine europäische Stellung eröffnet, da eben da- mals auch Friesland an die jüngere Linie desselben über- tragen worden war. Allein gar bald zeigten sich Schwierigkeiten. In dem Lande selbst fand man keinen Gefallen an der Überweisung an so entfernte Herren: man hielt sich für besser versorgt, wenn man mit dem benachbarten Cleve ver- einigt werde. Fürsten und Stände waren hierin eines Sin- nes. Schon im Jahr 1496 beschloß man dort, die Toch- Verhaͤltnisse deutscher Fuͤrsten . ter des Herzogs von Jülich mit dem Erben von Cleve zu vermählen und beide Länder zu vereinigen. Ein feier- licher Vertrag ward darüber aufgenommen, welchen Adel und Städte mit unterzeichneten, der als eine Einigung aller dieser Landschaften betrachtet werden kann; Heirathsabred und Vergleichung bei Teschenmacher: Anna- les Cliviae, Cod. dipl. nr. 98. 99, worin die beiden Fuͤrsten einander versprachen, der Herzog von Juͤlich, mit seiner Tochter an den Sohn seines Bruders von Cleve seine Fuͤrstenthuͤmer von Juͤlich Berg seine Grafschaft Ravensberg mit allen seinen uͤbrigen Herrschaften, — der Herzog von Cleve, mit seinem Sohne an seines Bruders von Juͤlich Tochter sein Fuͤrstenthum Cleve Grafschaft Mark und alle seine uͤbrigen Herrschaften, was er jetzt besitze oder noch erwerben werde, bringen zu wollen. sie baten den Kaiser, denselben zu bestätigen, die Prinzessin von Jülich als rechte Erbin der Besitzungen ihres Vaters anzuerkennen. Darauf würde nun wohl der Kaiser wenig Rücksicht genommen, er würde jene Anwartschaft festgehalten haben, wären nicht einige politische Momente hinzugetreten. Seitdem der Sohn des einst von Carl dem Kühnen entsetzten Herzogs von Geldern, Herzog Carl, in sein Erb- land zurückgekommen, und sich daselbst den ungünstigen Aus- sprüchen des Reiches zum Trotz mit Hülfe seiner Stände zu behaupten gewußt, war in jenen Gegenden keinen Augenblick Ruhe. Er stand in enger Verbindung mit Frankreich; alle Widersacher von Östreich fanden an ihm einen allzeit fer- tigen Beschützer. Da war es nun allerdings bedenklich, sich dort einen neuen starken Feind zuzuziehen. Der Her- zog von Cleve drohte im Fall einer Verweigerung seiner Bitte mit dem Herzog von Geldern in Schwägerschaft und unauflöslichen Bund zu treten; in den Niederlanden er- 22* Zweites Buch. Zweites Capitel . schrak man vor der Gefahr die darin lag. Der Kaiser sagt zu Cesar Pflug: die klevisch Tochter hindre J. M. Frau Tochter Margr. Renner zeigt an: Clef laͤßt sich ver- nehmen, wolt man die Lehen nit thun, so mußte sich Clef mit den Herrn verbinden, von denen es Trost und Huͤlf haben mecht das Sine zu erhalten. (W. A.) Die Statt- halterin Margret, Tochter des Kaisers, meinte, man werde Jülich und Berg dem Herzog von Cleve doch nicht ent- reißen; man werde nur bewirken, daß er sich mit Geldern, Arenberg, Lüttich, alles Feinden des burgundischen Hau- ses, vereinige; das werde eine Macht geben, stark genug um selbst die Nachkommen des Kaisers aus den Nieder- landen zu verjagen. In Sachsen glaubte man, daß der Kaiser Betrach- tungen auch noch andrer Art hieran knüpfe. Churfürst Friedrich genoß ein ungemeines Ansehn im Reiche; er hielt die Gesinnung der alten Churfürsten noch aufrecht, und stieg zu immer größerer Macht auf. Seine geistige Über- legenheit beseitigte noch die dann und wann hervorbre- chende Neigung seines Vetters Georg sich ihm zu op- poniren; das Haus konnte noch als eine vereinte Macht angesehen werden. Sein Bruder Ernst war bis 1513 Erz- bischof von Magdeburg, und zwar einer der besten welche dieß Stift je gehabt hat; sein Vetter Friedrich war Hoch- meister in Preußen; seine Schwester Margreta Herzogin von Lüneburg, Stammmutter des Lüneburgischen Hauses: man sieht wie weit sich dieser Familien-Einfluß erstreckte. Im Jahr 1510 kam hinzu, daß die Stände von Hessen nach dem Tode des Landgrafen Wilhelm, am Spieß versammelt dessen Witwe Anna von der Vormundschaft, die sie in An- Verhaͤltnisse deutscher Fuͤrsten . spruch nahm, ausschlossen, und dieß Amt dem Churfürsten und dem ganzen Hause Sachsen übertrugen, in dessen Pflich- ten die Regentschaft trat, die man einsetzte: der Landhof- meister Boyneburg, der die Geschäfte leitete, hielt sich ganz an Friedrich. Vgl. Rommel: Philipp der Großmuͤthige I, p. 26. Sollte man nun diesem mächtigen Für- sten auch noch Jülich und Berg übertragen, dessen Erle- digung nicht mehr fern seyn konnte? Der Kaiser schien zu fürchten, er möchte ihm zu groß werden. So kam es daß Maximilian das Versprechen, das er im Momente seiner Wahl, ohne Zweifel nicht ohne Bezug darauf gegeben hatte, hintansetzte und in verschiedenen Ur- kunden in den Jahren 1508 und 9 die Exspectanzen wi- derrief welche auf Jülich und Berg gegeben seyn könnten: er erklärte die Tochter des Herzogs Maria sey der Nach- folge würdig und fähig; Die Urkunde bei Teschenmacher nr. 100 ist unvollstaͤndig; nr. 101 laͤßt keinen Zweifel uͤbrig. im Jahre 1511 starb Wilhelm VII: sein Eidam Johann von Cleve nahm die Lande ohne Schwierigkeit in Besitz; alle Erinnerungen, Einreden, Un- terhandlungen des Hauses Sachsen waren vergeblich. Und dadurch geschah nun allerdings, daß Cleve die Verbindung mit Geldern ausschlug, dem Hause Östreich treu zur Seite stand. Sachsen dagegen verlor überhaupt an Bedeutung. Jene geistlichen Fürstenthümer entgien- gen ihm durch den Tod ihrer Inhaber. In Hessen er- hob sich 1514 gegen die etwas herrische Regierungsweise Boyneburgs der Widerwille der Stände, besonders der Städte; durch eine Art von Revolution ward Anna in Zweites Buch. Zweites Capitel . die ihr erst entrissene Vormundschaft eingesetzt: Churfürst Friedrich behielt nur noch den Namen. Es war eine Wei- terentwickelung dieser anti-sächsischen Richtung, daß auf Antrag der Ritterschaft der junge Landgraf Philipp, erst 14 Jahr alt, im März 1518 vom Kaiser für volljährig erklärt wurde; da werde er sich besser befinden, als unter irgend einer Vormundschaft und Pflege. Eben in diesen hessischen Händeln trennte sich Herzog Georg von dem Churfürsten; er war der Unternehmung Annas so abhold nicht; er verlobte seinen Sohn mit ihrer Tochter. Fries- land hatte er indessen schon an Östreich zurückgegeben. Auch hier behielt die östreichische Politik die Ober- hand. Die gefürchtete Coalition der niederländischen Geg- ner ward vermieden, Sachsen entfernt, herabgedrückt; Die saͤchsischen Raͤthe fuͤrchteten gleich 1512 weitere Ungunst: „darum er (der Kaiser, nach jener Erklaͤrung fuͤr Cleve) fort und fort auf Wege trachten mocht, Euer aller Fuͤrstl. Gnaden zuzuschie- ben so viel ihm moͤglich, damit Ew. Aller Fuͤrstl. Gn. in Dempfung und Abfall kaͤmen.“ Schreiben von Cölln Donnerstag nach Jacobi 1512. (W. A.) allein dafür hatte man nun auch die Opposition des um- sichtigsten und klügsten aller Reichsfürsten zu bekämpfen. Was das zu bedeuten hatte, zeigte sich schon auf dem Reichstag zu Cölln 1512: der Widerstand Friedrichs machte daß alle Pläne scheiterten; seiner Opposition auf dem Reichs- tag von Augsburg schreibt es wenigstens sein Biograph zu, daß auch da jener Entwurf zu einer neuen Auflage zu- rückgewiesen ward. Ja diese Feindseligkeit berührte doch auch wieder die Niederlande. Die Nichte des Churfür- sten, Lüneburgische Prinzessin, vermählte sich mit jenem Verhaͤltnisse deutscher Fuͤrsten . Carl von Geldern, der dadurch in zwei großen deutschen Fürstenhäusern eine Stütze erhielt, wie er noch nie hatte erlangen können. Kam nun das Haus Sachsen im Gegensatz mit Öst- reich herab, so erhob sich dagegen Brandenburg durch die Gunst desselben. Der Kaiser beförderte es, daß branden- burgische Prinzen den sächsischen sowohl in dem Hochmei- sterthum als in Magdeburg nachfolgten; er begünstigte dann weiter die Erhebung dieses jungen Erzbischofs zu Magdeburg, Bischofs zu Halberstadt, zu der Churwürde Mainz, die einstmals auch ein Bruder des Churfürsten Friedrich besessen; wir sahen schon, welche Verhältnisse zwischen beiden sich daher ergaben. Auch mit der fränki- schen Linie dieses Hauses vereinigte er sich aufs neue. Er bestätigte die Entfernung des alten Markgrafen, den man für blödsinnig erklärt hatte, von der Regierung, und in- dem er, noch zu Augsburg, dessen ältesten Sohn Casi- mir mit seiner Nichte Susanna von Baiern vermählte, gab er ihm den ganzen Rückhalt seiner Autorität und ein nicht geringes Übergewicht über seine Brüder. Eben darum aber gewann er sie doch nicht vollständig. Mit einem von ihnen, dem Hochmeister in Preußen, gerieth er sogar in eine wesentliche Differenz. Er hatte ihn anfangs selbst veranlaßt eine feindselige Haltung gegen König Siegmund von Polen anzunehmen. Der handschriftliche Fugger: Deswegen die Kais. Maj. nach solchem Wege getrachtet, dieweil S. M. erachtet, daß Koͤnig Sig- mund seinem Schwager Graf Hansen von Trentschin Großgrafen in Ungern Rath und Huͤlfe erzeiget und denselben nach Absterben des Durch seine nahe Verwandtschaft Zweites Buch. Zweites Capitel . mit dem Haus Zapolya ward nemlich dieser König den An- sprüchen Östreichs auf Ungern höchst gefährlich. Maximi- lian wünschte ihn damals auf der einen Seite durch den Großfürsten von Moskau, auf der andern durch den Preu- ßischen Orden in Zaum zu halten. Jetzt aber hatte sich die Lage der Dinge sehr verändert. Im Jahr 1515 war Siegmund von Polen mit dem Kaiser in das beste Ver- nehmen getreten; er erkannte jetzt das Erbrecht von Öst- reich auf Ungern an; er nahm selbst eine Gemahlin aus der italienischen Verwandtschaft dieses Hauses. Dafür ließ Maximilian die Ansprüche des Reiches fallen; er eximirte, wie 1507 die Schweiz, so 1515 Danzig und Thorn von dem Kammergericht; was hier um so mehr sagen wollte, da nun eine polnische Gerichtsbarkeit an die Stelle der deutschen trat; es ist doch in der That eine Art von Ab- tretung. Und wie viel weniger konnte er nunmehr geneigt seyn, ernstlich für den Orden einzuschreiten! Vielmehr war schon in den Präliminarien der Übereinkunft festgesetzt, daß der Kaiser den Frieden von Thorn anerkennen wolle, der es eben war, wogegen der Hochmeister sich auflehnte, wodurch er zu einem Vasallen von Polen gemacht wor- den war. Hiedurch ward Preußen dem Kaiser wieder entfremdet; und das wirkte doch auch auf die andern Koͤnigs Laßlew zu dem Reich Ungarn — — befoͤrdern moͤcht, daß er dem- selben etliche Koͤnige und Fuͤrsten zu Feinden machen wollt, und ward durch S. Mt so vil gehandlet, daß Markg. Albrecht von Bran- denburg Hochmeister in Preußen den hochernannten Koͤnig Sigmundt von Polen anfeindet. — Die Verbindung mit Rußland ist ausdruͤck- lich zur Wiedereroberung der von Polen abgerissenen Ordenslande ge- schlossen. Es ist die beruͤhmte Urkunde in welcher Zar durch Kaiser uͤbersetzt ward. Karamsin Russ. Gesch. VII, 45, 450. Verhaͤltnisse deutscher Fuͤrsten . Mitglieder des Hauses zurück. Churfürst Joachim wenig- stens wäre nicht abgeneigt gewesen, den Hochmeister zu unterstützen; wie er sich denn desselben auch in dem Ver- hältniß zu seinen Brüdern in Franken annahm. Es läßt sich erachten, daß durch alle diese Neigun- gen und Abneigungen die Stellung auch der übrigen Für- stenhäuser mannichfaltig bestimmt ward. Pommern, von den Ansprüchen Brandenburgs auf die Oberlehnsherrschaft bedrängt, wurde durch das gute Verhältniß desselben zu Östreich dahin gebracht, sich auch von diesem abzuwenden. Die vommerschen Geschicht- schreiber schreiben es dem Einflusse Joachims I zu, daß die Vermählung einer pommerschen Prinzessin mit dem König Christian II von Dänemark nicht zu Stande kam, dieser König sich vielmehr mit einer Enkelin Maximilians verheirathete. Kanzow Pomerania II, 313. Aber dadurch wurde dann wieder bewirkt, daß der Vetter und Nebenbuhler Christians, Friedrich von Holstein, der in der Erbtheilung der Herzogthümer verkürzt zu seyn und als Königssohn sogar an Norwegen Ansprüche zu haben glaubte, Hauptpuncte der Beschwerden, wie sie sich aus den verschied- nen Streitschriften ergeben: Christiani Neuere Geschichte von Schles- wig-Holstein I, p. 318. Diese Beschwerden widerlegen hinreichend die Voraussetzung eines guten Vernehmens, an welcher Christiani fruͤ- her festhaͤlt. Verwandtschaft mit dem Hause Pom- mern suchte, während das dritte Mitglied dieses Hauses, der Graf von Oldenburg an seiner östreichisch-burgundi- schen Freundschaft festhielt, und aufs neue ein niederlän- disches Jahrgeld empfieng. Alle Verhältnisse der nordi- Zweites Buch. Zweites Capitel . schen Staaten berührten durch diese Combination unmittel- bar auch die deutschen Häuser. Man dürfte nicht glauben, daß nun zwischen die- sen selbst eine offenbare Feindschaft entstanden wäre. Es war ein größerer oder geringerer Einfluß des Hauses Öst- reich, eine mehr oder minder sichtbare Begünstigung durch dasselbe, Hinneigung zu ihm; allein dabei hielt man doch gute Nachbarschaft, kam auf Tagen zusammen, begieng häusliche Feste mit einander: litt was nicht zu ändern war, und behielt seinen Gesichtspunct still im Auge. Am auffallendsten war die Feindseligkeit wohl in dem Hause der gewaltsamen ungestümen Welfen. Calenberg und Wolfenbüttel hielten sich zu der östreichischen Freundschaft; wie denn die Herzöge von Calenberg in kaiserlichen Dien- sten den alten Kriegsruf ihres Hauses erneuerten; Lüne- burg hielt sich zur Opposition. Es gab eine Menge alte Zwistigkeiten zwischen ihnen: was sie damals in Bewegung setzte, war besonders der Versuch des Bischofs von Min- den, eines gebornen Wolfenbüttlers, sich die Grafschaft Diepholz anzueignen, auf welche Lüneburg alte Anwart- schaft besaß. Delius: Hildesheimische Stiftsfehde p. 96. In diese Zwistigkeiten ward jetzt auch Lauenburg gezogen. Während der Abwesenheit des Erzbi- schofs von Bremen, eines andern Wolfenbüttlers, erschlu- gen die eben erst besiegten Worsaten die Beamten dessel- ben; Magnus von Lauenburg, den sie als den ächten Her- zog von Niedersachsen anriefen, kam ihnen zu Hülfe und zerstörte die von dem Erzbischof aufgerichtete Feste. Chytraͤus Saxoniae Chronicon lib. VII, p. 227. Als Verhaͤltnisse deutscher Fuͤrsten . dieser zurückkam, ließ sich alles zu offener Fehde an, deren Ausbruch nur noch von dem in der Mitte dieser Irrun- gen ziemlich unparteiisch dastehenden, oder vielmehr mit beiden Seiten verbündeten Meklenburg verhindert wurde. Schon an diesem Beispiel zeigt sich, daß es wenig Unter- schied machte, ob man geistlicher oder weltlicher Fürst war. Denn schon lange wurden die höhern geistlichen Stel- len nicht mehr nach geistlichem Verdienst, sondern nach den Wünschen der vorwaltenden Fürsten, vor allem des Kaisers, oder nach der Convenienz des benachbarten Adels der in den Capiteln saß vertheilt; ja es war wie wir sahen schon seit dem vorigen Jahrhundert eine Maxime des römischen Hofes, seinen Einfluß zur Beförderung der jüngern Söhne aus fürstlichen Häusern zu verwenden. Vgl. S. 61. Aͤneas Sylvius Epistola ad Martinum Maier p. 679. Im Anfang des sechszehnten Jahrhunderts war man damit in nicht weni- gen Stiftern zu Stande gekommen. In Niederdeutschland wetteiferten Braunschweig und Lauenburg vorzüglich auch in dieser Beziehung. Das Haus Braunschweig zu Wol- fenbüttel und Grubenhagen hatte das Erzbisthum Bremen, die Bisthümer Minden, Verden, Osnabrück und Pader- born; das Haus Lauenburg hatte Münster und Hildesheim an sich gebracht. Wir sahen, wie reichlich Brandenburg be- dacht war. Lothringische Prinzen finden wir als Bischöfe in Metz Toul und Verdun: die Pfalz besaß Freisingen, Re- gensburg, Speier, Naumburg, wozu später noch Utrecht kam; Baiern erlangte Passau. Im Jahre 1516 postulirte das Capitel von Schwerin den Prinzen Magnus von Meklen- Zweites Buch. Zweites Capitel . burg, obwohl er noch nicht volle sieben Jahr alt war, zu seinem Bischof. Geb. 4 Juli 1509, gewaͤhlt 21 Juni 1516. Rudloff Mek- lenburg. Gesch. III , 1, 37. Wer wollte alle die Präbenden aufzäh- len, zu denen entweder Glieder der minder mächtigen Häu- ser, oder Begünstigte des Kaisers gelangt waren? Mel- chior Pfinzing, seinen Caplan und Secretär, finden wir als Propst zu St. Sebald in Nürnberg, zu St. Alban und St. Victor in Mainz, als Domherrn zugleich in Trient und in Bamberg. Daher kam es, daß die Interessen des Hau- ses, aus dem ein geistlicher Herr entsprungen war oder dem er seine Erhebung verdankte, auch auf die Ausübung seiner Befugnisse Einfluß hatten; die geistlichen Fürstenthü- mer finden wir in alle Verwickelungen der weltlichen Ge- walthaber verflochten. Auch auf die übrigen Stände wirkten diese Beziehun- gen zurück, wiewohl man sich ihrer vielleicht nicht so ent- schieden bewußt wurde. Wenn die oberländischen Städte, auf deren Kraft der schwäbische Bund so vorzugsweise be- ruhte, der einen, so gehörten dagegen die fränkischen Rit- ter, die in Fehde mit dem Bund lagen, mehr der andern Partei an. Denn wie wenig auch diese Verhältnisse befestigt wa- ren, so lassen sich doch zwei entgegengesetzte politische Rich- tungen in den deutschen Ländern unterscheiden. Für Öst- reich waren Baiern, der Bund, Brandenburg größtentheils, Hessen, Cleve, der Graf von Ostfriesland, der erst vor Kur- zem sich angeschlossen, Oldenburg, Dänemark, Calenberg, Wolfenbüttel, das albertinische Sachsen. In der Oppo- Verhaͤltnisse deutscher Fuͤrsten . sition standen das ernestinische Sachsen, Pommern, Lauen- burg, Lüneburg, die fränkische Ritterschaft, Wirtenberg und Geldern. Der Herzog von Geldern war sogar in offenem Krieg begriffen: im Jahr 1517 durchstreiften seine Schaa- ren brandschatzend und verwüstend ganz Holland: Alkmar plünderte er acht Tage lang; im J. 1518 erschien der frie- sische Corsar Groote Pier in der Südersee, die er eine Zeit- lang vollkommen beherrschte: der Herzog wandte alle seinen Einfluß an, die Friesen in fortwährender Empörung zu halten. Eine minder entschiedne, vermittelnde Stellung zwi- schen den beiden Hinneigungen nahmen die Pfalz und Mek- lenburg ein. Sonderbarer Weise näherte sich der Churfürst von der Pfalz dem Hause Östreich auch deshalb weil sein Bruder Friedrich, der lange Jahre an dem burgundischen Hofe gedient, dort mit der Prinzessin Leonore in ein Lie- besverhältniß gerathen war; einen seiner Briefe hatte man bei ihr gefunden und dieß so ungnädig vermerkt, daß der arme Fürst sich entfernen mußte, und alle die Ansprüche auf Erkenntlichkeit welche er sich wohl erworben, verscherzt zu haben glaubte, wenn er sie nicht durch fernere größere Dienste erneuere. Allein darum vergaß der Churfürst doch nicht, was ihm in dem Erbfolgekriege begegnet war. Der tapfere Ritter der in seinem Dienst emporgekommen, Franz von Sickingen nahm eben jetzt Rache deshalb an Hessen. Daß dieß das Motiv war, sagt die Flersheimer Chronik bei Muͤnch III, 210. Während des Reichstags zu Augsburg überzog er mit ei- nem Heer von 500 M. zu Pf. und 8000 z. F. das feste Darmstadt, und erzwang sich einen Vertrag, worin ihm Zweites Buch. Zweites Capitel . eine Zahlung von 45000 G. und zwar unter den drückend- sten Bedingungen zugesagt ward. Dem Kaiser machte eine Reichsdeputation Vorstellungen wegen dieses Landfriedens- bruches; er wagte nichts dagegen zu thun: schon hatte er Sickingen zu seinem Rath und Diener angenommen: er hätte gefürchtet die Pfalz sich wieder zu entfremden. In dieser Lage finden wir Kaiser Maximilian gegen das Ende seiner Laufbahn. Die Meinung welche in ihm den schöpferischen Be- gründer der späteren Verfassung des Reiches erblickt, muß nun wohl aufgegeben werden. Haben wir früher gesehn, wie die organisirenden Ideen, welche in seinen ersten Jah- ren hervortraten, von ihm vielmehr Widerstand erfuhren als Förderung, wie er dann mit seinen eignen Entwürfen so wenig durchdrang, so nehmen wir nunmehr wahr, daß er auch die Fürsten des Reichs nicht zusammenzuhalten vermochte: daß grade um ihn her sich alles in Parteien gruppirte. Nothwendigerweise hatte man dann nach außen hin eher Verluste erlitten als Fortschritte gemacht. In Italien war nichts gewonnen: die Schweiz war zu grö- ßerer Selbständigkeit gelangt: Preußen war eher noch mehr gefährdet als gesichert: die Politik von Frankreich hatte wieder Einfluß auf das innere Deutschland gewonnen: Geldern und jetzt doch auch Wirtenberg hielten sich offen- bar zu dieser Macht. Wenn Maximilian dennoch, auch bei seinen Zeitgenos- sen ein so rühmliches Andenken hinterlassen hat, so rührt das nicht von dem Erfolge seiner Unternehmungeu , sondern von seinen persönlichen Eigenschaften her. Maximilian . Alle gute Gaben der Natur waren ihm in hohem Grade zu Theil geworden: Gesundheit bis in die spätern Jahre: — wenn sie etwa erschüttert war, reichte eine starke Leibesübung, anhaltendes Wassertrinken hin, sie wieder her- zustellen; Pasqualigo Relatione di 1507: non molto bello di volto, ma bene proportionato, robustissimo, di complessione sanguinea e collerica e per l’età sua molto sano, nè altro il molesto che un poco di catarro che continuamente li discende, per rispetto del quale ha usato e usa sempre far nelle caccie gran esercitio. — zwar nicht Schönheit aber gute Gestalt Kraft und Geschicklichkeit des Leibes, so daß er seine Umgebung in jeder ritterlichen Übung in der Regel übertraf, bei jeder Anstrengung ermüdete; ein Gedächtniß, dem alles gegen- wärtig blieb, was er jemals erlebt oder gehört oder in der Schule gelernt hatte; natürlich richtige scharfe Auffassung: er täuschte sich nicht in seinen Leuten, er bediente sich ihrer zu den Dienstleistungen die für sie selbst eben die angemes- sensten waren; eine Erfindungsgabe ohne Gleichen: alles was er berührte ward neu unter seinen Händen; auch in den Geschäften, wir bemerkten es schon, ein das Noth- wendige mit sicherm Gefühle treffender Geist: wäre die Ausführung nur nicht so oft an andre Bedingungen sei- ner Lage geknüpft gewesen! eine Persönlichkeit überhaupt, welche Bewunderung und Hingebung erweckte, welche dem Volke zu reden gab. Was erzählte man sich alles von seinen Jagden, — wie er im Land ob der Ens einen ge- waltigen Bären in freiem Hag allein bestanden; wie er in Brabant in holem Weg einen Hirsch, der schon einen An- lauf wider ihn genommen, noch in dem Momente erlegt; wie er im Brüßler Wald von einem wilden Schwein über- eilt, ehe er von dem Pferd gestiegen, es zu seinen Füßen Zweites Buch. Zweites Capitel . erstochen habe; besonders von den Gefährlichkeiten seiner Gemsenjagd in höchstem Gebirg, wo er zuweilen wohl den Jäger der ihm beigegeben war, selber vor dem Sturze erret- tet hat: er zeigt in allem behenden Muth, gleichsam eine ela- stische Gegenwart des Geistes. So erscheint er dann auch vor dem Feinde. Im Bereiche feindlicher Geschütze setzt er ans Land, bildet seine Schlachtordnung und gewinnt den Sieg: im Scharmützel nimmt er es wohl mit vier oder fünfen al- lein auf: in den Schlachten muß er sich oft eines grade ge- gen ihn ausgeschickten Feindes in zweikampfartigem Zusam- mentreffen erwehren; denn immer voran findet man ihn, immer mitten im Getümmel der Gefahr. Vgl. Seb. Frank Geschichtbibel; und besonders die Clavis zum Theuerdank; wieder abgedruckt in der Ausgabe des Theuerdank von Haltaus p. 111. Proben von Tapferkeit, die nicht allein dienten um in müßigen Stun- den erzählt, im Theuerdank aufgezeichnet zu werden; der venezianische Gesandte weiß nicht auszudrücken, welch ein Zutrauen er bei den deutschen Soldaten aller Art eben deshalb genoß, weil er sie in Gefahren niemals verließ. Als einen großen Feldherrn können wir ihn nicht betrach- ten: allein für die Organisation einer Truppe, die Ausbildung der verschiednen Waffengattungen, die Bildung eines Heeres überhaupt, wohnte ihm eine treffliche Gabe bei. Die Mi- liz der Landsknechte, von welcher der Ruf der deutschen Fußvölker wieder erneuert worden, verdankt ihm ihre Be- gründung, ihre erste Einrichtung. Das Geschützwesen hat er auf einen ganz andern Fuß gebracht: eben hier bewährte sich Maximilian . sich sein erfinderischer Geist am glänzendsten; da übertraf er die Meister selbst; seine Biographen schreiben ihm eine ganze Anzahl von glücklichen Verbesserungen zu; Gruͤnbeck bei Chmel p. 96: bellicas machinas in minutas partes resolvere, parvis viribus bigis aptari et quocunque fert voluntas faciliter deduci primus invenit . Der handschriftliche Fug- ger: durch S. Mt Erfindung sind dic Poller und Moͤrser zu dem werfen, auch die langen Ror zu dem weitraichen, desgleichen die weiten kurzen Ror zu dem Haglschießen in die Streichwehre darin auch etwa eisern Ketten und Schrot geladen werden, alsdann auch die großen Karthaunen von neuen erfunden und zu gebrauchen auf- bracht worden. auch die Spa- nier die unter ihm dienten, sagen sie, habe er zum Gebrauch des Handgeschützes angeleitet. Die Widersetzlichkeit, die sich in diesen Söldnerhaufen bei der Unregelmäßigkeit sei- ner Finanzerträge oftmals erhob, wußte er, wo er persön- lich zugegen war, noch in der Regel zu beseitigen: man erinnert sich, daß er in hohen Nöthen den Unmuth der Leute durch die Possen eines Narren den er rufen ließ be- schwichtigte. Überhaupt hatte er ein unvergleichliches Ta- lent die Menschen zu behandeln. Die Fürsten welche seine Politik verletzte, wußte er doch in persönlichem Umgang zu befriedigen: „nie,“ sagte Churfürst Friedrich von Sachsen, „sey ihm ein höflicherer Mann vorgekommen.“ Die wil- den Ritter, gegen die er Reich und Bund aufbietet, er- fahren doch wieder solche Äußerungen von ihm, daß es ihnen, wie Götz von Berlichingen sagt, eine Freude im Herzen ist, und sie nie etwas gegen Kaiserliche Majestät oder das Haus Östreich gethan hätten. An den Festlich- keiten der Bürger in den Städten, ihren Tänzen, ihren Schießübungen nimmt er Antheil; nicht selten thut er sel- Ranke d. Gesch. I. 23 Zweites Buch. Zweites Capitel . ber den besten Schuß mit der Armbrust; er setzt ihnen Preise aus, Damast für die Büchsenschützen, einige Ellen rothen Sammt für die Armbrustschützen: gern ist er unter ihnen; damit unterbricht er die schwierigen und ermüden- den Geschäfte des Reichstages. In dem Lager vor Pa- dua ritt er gradezu auf eine Marketenderin los und ließ sich zu essen geben: Johann von Landau, der ihn begleitete, wollte die Speise erst kredenzen; der Kaiser fragte nur von wo die Frau sey; man sagte ihm: von Augsburg; „ah,“ rief er aus, „dann ist die Speise schon kredenzt, denn die von Augsburg sind fromme Leute.“ In seinen Erblanden saß er noch oft in Person zu Gericht: nahm er einen Ver- schämten wahr, der dahinten stand, so rief er ihn selber herbei. Von dem Glanz der höchsten Würde war er sel- ber am wenigsten bestochen. „Lieber Gesell,“ sagte er zu einem bewundernden Poeten, „du kennst wohl mich und andre Fürsten nicht recht.“ Der handschr. Fugger. Cuspinian. — Querini schildert ihn im Nov. 1507 als homo virtuoso religioso forte liberal quasi prodego. Adeo tutti l’ama: ma mancha di prudentia. (Sanuto Bd VII. ) Alles was wir von ihm le- sen, zeigt eine frische Unmittelbarkeit der geistigen Auffas- sung, Offenheit und Ingenuität des Gemüthes. Er war ein tapferer Soldat, ein gutmüthiger Mensch; man liebte und fürchtete ihn. Und auch in seinem öffentlichen Leben würden wir ihm Unrecht thun, wenn wir nur bei den mißlungnen Ver- suchen das Reich zu constituiren stehen bleiben wollten. Den Staatsformen welche zwischen Oberhaupt und Stän- den Competenzen um die höchste Gewalt hervorrufen, hängt es als ein fast unvermeidlicher Mangel an, daß dann auch Maximilian . das Oberhaupt sein persönliches Interesse von dem der Gesammtheit trennt. Maximilian wenigstens hatte bei sei- nem Thun und Lassen bei weitem weniger den Vortheil des Reiches, als die Zukunft seines Hauses im Auge. Als achtzehnjähriger Jüngling war er nach den Niederlanden gegangen, und hatte durch die Verbindung von Bur- gund und Östreich eine neue europäische Macht begründet. Es giebt überall, in dem Staate wie in den Wissen- schaften vermittelnde Thätigkeiten, die das Neue zwar noch nicht zu Stande bringen, aber aus allen Kräften vorberei- ten. Die Macht die sich bildete, kam unter Maximilian noch nicht zu voller Erscheinung. Aber dadurch, daß er die fürstlichen Gerechtsame so in den Niederlanden wie in Östreich aufrecht erhielt, von dort die Franzosen, von hier die Ungern abwehrte, daß er die große spanische Erbschaft herbeiführte, zu der ungrisch-böhmischen definitiv den Grund legte, ist seine Thätigkeit doch von dem größten Einfluß auf die folgenden Jahrhunderte gewesen. Wie ganz anders, als damals, da sein Vater von Östreich ver- jagt, er selber in Brügge gefangen war, standen nun seine Enkel! nie hatte ein Geschlecht großartigere umfassen- dere Aussichten. Aus diesem Gesichtspunct sah er auch die deutschen Verhältnisse an. Bis in die zweite Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts war Östreich von Deutsch- land fast ausgeschlossen: wie griff es dagegen jetzt in die Verhältnisse aller Landschaften so gewaltig ein; der welt- lichen, wie der geistlichen; der städtischen und der ritter- schaftlichen Territorien: es konnte sich nichts regen, mochte man sich ihm nun anschließen oder widersetzen, wovon es 23* Zweites Buch. Zweites Capitel . nicht unmittelbar berührt worden wäre. Wenn es unleugbar ist, daß das Reich, in seiner Totalität betrachtet, Verluste erlitten hatte, so ist doch nicht minder wahr, daß grade die Vereinigung des Hauses Östreich mit der burgundischen Macht dazu gehörte, um die niederländischen Provinzen wieder in eine bewußte Verbindung mit Deutschland zu bringen, daß die ferneren Aussichten welche sich an die ungrische und besonders an die spanische Verwandtschaft knüpften, auch der Nation neue Kreise der Thätigkeit eröff- neten. In Maximilian lebte ein höchst lebendiges Vorge- fühl der kommenden Dinge, von dem sein Thun und Las- sen beherrscht ward, und alle das Scheinbar-Unstäte, Ge- heimnißvolle, Persönlich-einseitige seiner Politik herrührt. Er hat nichts zu vollbringen, zu stiften: er hat nur das Zu- künftige vorzubereiten: unter den widerstrebenden Kräften der Welt hat er nur die Aussichten und Ansprüche seines Hauses aufrecht zu erhalten, zu erweitern. Da war nun jetzt noch der letzte entscheidende Mo- ment übrig, und wiewohl er früher nichts davon hören mögen, so ist doch offenbar, wie viel ihm an der Siche- rung der Nachfolge seines Enkels liegen mußte. Aus der Lage der Dinge in Deutschland, die wir be- trachtet, ergiebt sich auf welche Unterstützung er zählen durfte, welche Hindernisse er antreffen mußte. Auf dem Reichstag von Augsburg kam er doch mit seinen Unter- handlungen schon sehr weit. Sein gutes Verhältniß zu den Hohenzollern brachte ihm zwei Churstimmen zu Wege, die brandenburgische selbst und die mainzische; Hermann von Cölln, ein geborner Wied, der mit Cleve in genauer Maximilian . Verbindung stand, und schon deshalb geneigt war, wurde durch Geschenke die man ihm, Pensionen die man seinen Verwandten und Brüdern versprach, vollends gewonnen; Argent comptant et pensions pour l’archevesque de Cou- longne in Mone’s Anzeiger fuͤr Kunde der teutschen Vorzeit 1836 p. 409. Die dort aus dem Archiv zu Lille mitgetheilten Actenstuͤcke sind mir uͤberhaupt von großem Nutzen gewesen. Ich benutzte noch außer dem Gedruckten die Correspondenz des venezianischen Gesandten in Rom, welcher die dort eingelaufenen Nachrichten nach Hause mit- theilt und die abwechselnde Stimmung des Hofes ganz gut schildert. endlich waren auch die alten Mißverständnisse mit der Pfalz beseitigt: der Churfürst empfieng seine Lehen, trat in Erb- einung mit Östreich und billigte die Succession. Nach- dem einige vorläufige Verabredungen getroffen worden, ka- men, bereits am 27sten Aug. 1518, diese vier Churfürsten mit dem Kaiser, der von seinen und seines Enkels Räthen umgeben war, zusammen und setzten ihre Zusage durch förmlichen Vertrag fest. Die Gesandten von Böhmen, das man jetzt wieder herbeizog, da man seit dem Bunde von 1515 seiner Stimme sicher war, stimmten bei. Dagegen war Churfürst Friedrich von Sachsen, der so vielfach gekränkte, wie sich denken läßt, nicht zu ge- winnen. Zu ihm hielt sich Churf. Richard von Trier, ein geborner Greifenklau, der schon früher dem Prinzen von Baden opponirt worden, und bei der neuen Vacanz endlich durchgedrungen war. Ihre Einwendungen waren hauptsächlich, daß es unerhört sey, einem nicht gekrönten Kaiser einen römischen König zur Seite zu setzen, und daß eine päpstliche Constitution die Verbindung des Königreichs Neapel, welches Carl besaß, mit der deutschen Krone verbiete. Zweites Buch. Zweites Capitel . Maximilian war unaufhörlich bemüht, diese Einwen- dungen und ihre tiefern Gründe zu beseitigen. Mit dem römischen Hof ward wie über die Heraussendung der Krone, Maximilian forderte sogar, der Papst selbst solle nach Trient kommen und ihn kroͤnen. Er fuͤhrte an, daß er ja auch zu Franz I nach Bologna gekommen sey. Aber der Cerimonienmeister hielt eine Kroͤnung außerhalb Roms uͤberhaupt fuͤr unstatthaft. Waͤren selbst Papst und Kaiser in Einer Provinz, so duͤrfe der Papst den Kaiser daselbst nicht kroͤnen, er muͤsse ihn lieber allein nach Rom ziehen und dort von einem Cardinal kroͤnen lassen. Paris de Grassis bei Hofs- mann p. 425. so über die Zurücknahme jener Constitution leb- haft unterhandelt. Die sonderbarsten Pläne kamen zum Vorschein. Maximilian dachte einmal zu abdiciren, um das eine, und den Rest seiner Tage in Neapel zuzubrin- gen, wohl nicht ohne durch die Krone dieses Landes für seine Verzichtleistungen entschädigt zu werden, um das an- dre jener Hindernisse wegzuräumen. Die Ärzte hatten ihm ohnehin gesagt, daß er in Neapel wieder gesund werden könne. Die deutschen Unterhandlungen dachte er auf einer Zusammenkunft die im nächsten März in Frankfurt Statt finden solle, zu beendigen. Auf das dringendste ließ er Churf. Friedrich bitten, ja nicht auszubleiben: er selbst ge- denke sich bald nach Neujahr zu erheben. Das war ihm jedoch nicht bestimmt. Er erkrankte noch auf der Reise in seine Erblande, zu Wels. Alle Tage der Krankheit füllte er noch aus mit Fortsetzung der Un- terhandlungen über die Succession: die schlaflosen Nächte ließ er sich dann die Stammgeschichte seiner Altvordern vorlesen; Vergangenheit und Zukunft seines Hauses beschäf- tigten ihn, als er starb: 12 Jan. 1519. Maximilian . Durch seinen Tod ward nun plötzlich der Ausgang der begonnenen Unterhandlungen höchst zweifelhaft. Die schon eingegangenen Verpflichtungen lauteten doch nur auf die Wahl eines Königs neben dem Kaiser; die Sache ver- änderte sich, da nun von der Wahl eines unmittelbar re- gierenden Königs und Kaisers die Rede war. Aber um so wichtiger ward nun auch die Entscheidung, wie für die fernere Zukunft, so für den vorhandenen, dringenden, gäh- rungserfüllten Moment. Noch zeigten sich doch die mannichfaltigsten Möglich- keiten. Kaiserwahl von 1519. Hätte eine geordnete Verfassung, wie man sie einst beabsichtigte, dem Oberhaupte eine wenn auch beschränkte doch zugleich sichere Wirksamkeit verliehen, so würden die vorwaltenden Fürsten des Reiches einen aus ihrer Mitte haben wählen können. Da es aber nicht dazu gekommen, wer von allen wäre mächtig genug gewesen, um die allent- halben gährenden Feindseligkeiten zu beschwichtigen und das Ansehn des Reiches unter den Mächten von Europa auf- recht zu erhalten? Es war sehr die Frage, ob es sich Einer zutrauen würde. Maximilian hatte, ehe er wissen lassen wollte daß er auf seinen Enkel denke, mancherlei sonderbare Entwürfe geäußert: er hatte die Nachfolge im Reich einmal dem Kö- nig von England angetragen; — in einer der seltsamsten Urkunden die es geben mag, hatte er ein ander Mal den jungen König Ludwig von Ungern und Böhmen zum Ver- Zweites Buch. Zweites Capitel . weser des Reiches bei seinen Lebzeiten, nach seinem Tode zu seinem Nachfolger ernannt; und in diesen beiden Für- sten regte sich jetzt wohl wirklich der Gedanke an die Krone; — aber der Eine war zu entfernt, der Andre nicht stark, in seinen eignen Ländern nicht mächtig genug: man konnte bei Keinem ernstlich verweilen. Indem nun aber Maximilian sich zuletzt offen für seinen Enkel, Erzherzog Carl, König von Spanien und Neapel, verwendete, hatte er einen Vorschlag in Gang gebracht, der auch an und für sich viel Empfehlendes darbot. Carl war von deutschem Geblüt, Erbherr in Östreich und so vielen niederländisch-deutschen Provinzen, aus dem bereits vorzugsweise kaiserlichen Hause. Allein an Einwendungen fehlte es doch auch gegen diesen jungen Fürsten nicht. Man bemerkte, er verstehe nicht einmal deutsch und habe noch keine Probe persönlicher Tüchtigkeit gegeben; die Menge seiner Länder werde ihm keine Zeit lassen, sich dem Reiche zu widmen; jene päpstliche Constitution schließe ihn aus- drücklich aus. Ja seine Aussichten fiengen sogleich an sich zu verdunkeln. Die Churfürsten glaubten durch ihre Ver- sprechungen, wie berührt, nicht gebunden zu seyn; die Toch- ter Maximilians Margaretha, die jetzt die Unterhandlungen leitete, hielt es nicht für gut, ihnen die versiegelten Ver- träge vorzulegen, wie man ihr gerathen hatte; sie begnügte sich, sie nur im Allgemeinen an ihren guten Willen zu er- innern. Es kam hinzu, daß nach Maximilians Tode in Östreich Unruhen von sehr weitaussehender Natur ausbra- chen, in denen die Stände ihre eigene Regierung einrichteten, Narratio de dissensionibus provincialium Austriae: Pez Scriptt. II, 990. Kaiserwahl von 1519. ohne sich um die jungen entfernten Fürsten zu kümmern: „arme Knaben, von denen man nicht wisse ob man sie je- mals in Deutschland sehen werde.“ In Tirol regten sich ähnliche Bewegungen. Zevenberghen an Margaretha 28 Maͤrz bei Mone p. 292. König Ludwig von Ungern hielt für gut, seine Schwester Anna, die sich schon in Öst- reich befand, um mit einem der Brüder vermählt zu wer- den, von da zurückzurufen. Unter diesen Umständen faßte ein fremder König, ohne- hin der natürliche Nebenbuhler der östreichisch-burgundischen Macht, Franz I von Frankreich die ernstliche Absicht, nach der erledigten höchsten Würde der Christenheit zu streben. Il C l di Bibbiena al C l de’ Medici: 13 Ott. 1518. Er berichtet uͤber eine Audienz bei dem Koͤnig in Bezug auf die elet- tion del catholico (die Bewilligungen welche in Augsburg fuͤr Carln geschehen waren): sopra che in sustanza mi disse, in grandissimo secreto, sua opinione et volontà essere, che per Nostro Signore (den Papst) e per Sua M tà si faccia ogni opera possibile, ac- cioche ella non vada innanzi et che si corrompano con danari et con promesse et con ogni possibil mezzo gli elettori. Lettere di principi I, p. 47. Der ganze Briefwechsel der in dieser Samm- lung gedruckt ist, muß gelesen werden: er enthuͤllt die Beziehungen zwischen Leo X und Franz I in dieser Sache vortrefflich. König Franz war noch im Aufgang seines Glückes und Ruhmes. Die Schlacht von Marignano, durch welche er Mailand wiedererobert, die persönliche Tapferkeit die er dort bewiesen, hatte ihm eine Stellung in Europa und einen großen Namen gemacht. Mit Papst Leo X stand er in sehr genauem Verhältniß: wir finden wohl, daß dieser Papst Bre- ven die er an deutsche Fürsten erlassen wollte zuvor dem französischen Hofe mittheilte. König Heinrich von England versprach ihm nach kurzem Bedenken seine Mitwirkung „durch Wort, Schrift und That.“ Noch wichtiger aber war es, Zweites Buch. Zweites Capitel . daß er Einfluß wenigstens auf einen Theil der deutschen Opposition gewonnen hatte. Wir sprachen von den Her- zögen von Geldern und von Wirtenberg: die Existenz des einen, alle Hofnungen des andern hiengen von Frankreich ab; mit der Pfalz gab es alte niemals ganz abgebrochene Verhältnisse; jetzt nahm auch Herzog Heinrich der Mittlere von Lüneburg für den König Partei: „sein Glück ist mir lieb,“ sagt er in einem Briefe, „sein Unglück ist mir leid, er liege oben oder unten, so bin ich der seine.“ Der König be- hauptet, von Deutschland aus aufgefordert worden zu seyn, sich um die Krone zu bemühen. Seine Anhänger empfah- len ihn besonders deshalb, weil er so tapfer sey, weil kein andrer Fürst sich so gut eigne den Krieg gegen die Tür- ken zu führen, den man doch einen oder den andern Tag unternehmen müsse. Es haben früher und später französische Könige ähn- liche Absichten gehegt: Philipp von Valois, Ludwig XIV; Keiner aber hat je so viel Aufforderung in der Lage der Dinge, so viel Aussicht gehabt, wie Franz I. Das Unternehmen wie es vor ihm lag, hatte zwei Seiten. Die Churfürsten mußten gewonnen, jene anti- östreichische Partei mußte aufrecht erhalten, verstärkt wer- den. König Franz war entschlossen, für beiderlei Zwecke alles was in seinen Kräften stehe, zu thun, besonders kein Geld zu sparen: er ließ sich vernehmen, er werde drei Mil- lionen Kronthaler daran wenden, um Kaiser zu werden. Reich mit Gold versehen machte sein Vertrauter, Admiral Bonnivet sich nach dem Rhein auf; in tiefem Geheimniß wagte er sich weiter in das innere Land. Kaiserwahl von 1519. Es ist nicht genau bekannt geworden, wie weit die Unterhandlungen mit den Churfürsten gediehen sind; Die Angaben Flassans Histoire de la diplom. Fr. I, 322 sind nicht von Bedeutung. Er gedenkt aber dort einer „liasse con- tenant des mémoires lettres et instructions données par François I à ses envoyés auprès des electeurs“ im Tresor des chartes, die gewiß noch manches Neue enthalten wird. Die Berichte des jeune aventureux (Mémoires de Fleuranges Coll. univ. XVI, 227) so le- senswerth sie sind, gehen doch nicht tief genug. so viel aber sehen wir, daß sie keineswegs ohne Erfolg blie- ben. Mit der Pfalz kam man bis zu dem ausführlichen Entwurfe eines Vertrages; Im Auszug bei Stumpf Baierns polit. Gesch. I, p. 24. Cölln mußte von östreichischer Seite gewarnt werden, es möge sich nicht auf unrechte Wege führen lassen; Trier galt für entschieden französisch. Der päpstliche Legat und seine Begleiter unterstützten die Franzosen hiebei nach besten Kräften, sie sprachen schlecht von dem jungen Karl; das Hinderniß jener Constitution stellten sie als unüberwindlich dar. Vgl. ihr Schreiben an die Schweizer bei Anshelm V, 381. Die Versprechungen des Königs übertrafen alles was bisher erhört worden. Man versicherte in Paris, er biete jedem weltlichen Chur- fürsten 200000 Kronen als Geschenk, 100000 Franken jährliche Pension, und jedem geistlichen die Hälfte hievon an. Den beiden östlichen Churfürsten, Brandenburg und Sachsen, wurden überdieß glänzende Vermählungen für ihre Erben mit reichen Aussteuern in Aussicht gestellt. Für die Ehrbegierde des ersten war es besonders verführerisch, daß der König für den Fall, daß er selbst nicht durchdringen sollte, alle seine Verbindungen ihm zu Gute kommen zu las- sen, ihn den Churfürsten zur Krone zu befördern versprach. Zweites Buch. Zweites Capitel . Und indem erhob sich schon jene französisch gesinnte Opposition, die von dem verstorbenen Kaiser niedergehal- ten war, zu offener Gewaltthat. Unmittelbar von den Ex- sequien Maximilians hinwegeilend machte Ulrich von Wir- tenberg einen Angriff auf Reutlingen, wo ihm einer sei- ner Vögte erschlagen worden, nahm die Stadt ein, und brachte mit französischem Geld Franz hat sich spaͤter beklagt, daß Ulrich die Summe ange- geben die er empfangen. Vgl. Sattler II, 92. Ein Schreiben bei Sanuto 27 April 1519. S. M. X ma era quello che dava danari al duca di Virtenberg, accio tenesse la guerra in Germania. ein stattliches Heer zu- sammen, mit dem er sich an alle seinen Feinden nament- lich den Herzogen von Baiern zu rächen gedachte; er un- terhandelte mit den Schweizern und hoffte sie wider den schwäbischen Bund in die Waffen zu bringen. Etwas spä- ter, eben in der Charwoche erhob sich auch der Bischof von Hildesheim, unter Anrufung der Jungfrau Maria, und verhängte über das Land seiner braunschweigischen Feinde furchtbare Verwüstung. Der Herzog von Lüne- burg, der auch von Frankreich Geld empfangen, stand ihm zur Seite, warb allenthalben Freunde, und rüstete sich auf das stattlichste; der Herzog von Geldern hatte ihm Hülfe zuzusenden versprochen. Auch mit andern Kriegshäuptern unterhandelten die Franzosen: in Oberdeutschland unter andern mit Sickin- gen, in Niederdeutschland mit Heinrich von Meklenburg. Der letztere sollte sich verpflichten, mit seinen Mannschaf- ten nach geschehener Wahl auf Trierschem Gebiete in Co- blenz sich einzufinden, um die Pension zu verdienen, die ihm der König gewährte. Rudloff Neuere Geschichte von Meklenburg I, p. 50. Auch Kaiserwahl von 1519. Bei so mannichfaltigen Unternehmungen und Unter- handlungen gieng nun, wie man denken kann, nicht alles nach Wunsch; aber die Erfolge waren doch im Ganzen eine Zeitlang sehr günstig; schon hielt man die Sache am franzö- sischen Hof beinahe für sicher: man behauptete, die Mutter des Königs habe schon den Schmuck bestellt, in dem sie bei der Krönung erscheinen wollte. Le Ferron V, 118. Großartiger war der Ehrgeiz des Königs. Als ihn der englische Gesandte fragte, ob es sein Ernst sey, wenn er Kaiser werde, etwas wi- der die Türken zu unternehmen, legte er die Hand auf die Brust und betheuerte ihm, er werde dann über drei Jahr entweder nicht mehr leben oder in Constantinopel ange- kommen seyn. Sir Thomas Boleyn to King Henry Ellis Letters I, 147. Allein so wenig Wurzel hatte doch die östreichische Gesinnung in Deutschland nicht, daß sie mit dem Tode des Kaisers aller ihrer Kraft beraubt gewesen wäre. Ei- nige Räthe Maximilians, Matthäus Lang, Villinger, Ren- ner, und einige Abgeordnete des niederländischen Hofes, unter denen sich besonders Maximilian von Zevenberghen thätig und geschickt erwies, bildeten in Augsburg eine Com- mission, welche unter der Leitung Margarethas das östrei- chische Interesse nach allen Seiten hin wahrnahm. Auch die Östreicher schonten das Geld nicht. Sie hatten den eigenthümlichen Vortheil, daß das Wechslerhaus der Fugger, den Grafen am Harz, dem Adel in Westphalen ward durch Vermit- telung von Geldern franzoͤsisches Dienstgeld angeboten; der Graf von Schwarzburg meldete nach einem Schreiben Nassau’s vom 20 Maͤrz bei Mone ( p. 136) daß ihm ein Jahrgeld von 600 Livres auf Le- benszeit angeboten worden, was er nicht angenommen. Zweites Buch. Zweites Capitel . das die großen Geldgeschäfte in Deutschland beinahe aus- schließend machte, für sie Partei nahm und den Franzosen seine Dienste versagte. Schreiben von Zevenberghen bei Mone p. 36. In den Nie- derlanden verbot Margarete, franzoͤsische Wechselgeschaͤfte zu besor- gen. ( Ibid. p. 293.) Aber überdieß: war nicht König Franz ein Frem- der? — durfte das churfürstliche Collegium es wagen, die Krone, von deren Behauptung auf allen Reichstagen die Rede gewesen war, so leichtsinnig von der Nation abkom- men zu lassen? Es blieb nicht unbemerkt, daß er ein un- umschränkter Herr war, des Gehorsams gewohnt, sehr mäch- tig, unter dessen Scepter die Aufrechthaltung deutscher Frei- heiten sich schwerlich erwarten ließ. Die Gewaltthätigkeiten seiner Anhänger waren nicht geeignet, ihm ruhige Patrio- ten zu Freunden zu machen. Der östreichischen Partei kam in der That nichts er- wünschter als jene Schilderhebung des unruhigen Wirten- bergers. Von den kaiserlichen Räthen dachte wohl der eine oder der andere die Sache auf gute deutsche Weise friedlich beizulegen; allein die Klügern verhinderten dieß, sie wünschten den Krieg. Schreiben von Zevenberghen 28 Maͤrz. Ibid. Man konnte nicht zweifeln, wer der Überlegne seyn, wem der Sieg zufallen würde. Der schwäbische Bund, durch die alten und neuen Belei- digungen gereizt, und jetzt durch eine bedeutende Subsidie unterstützt, war bereit ins Feld zu rücken. Franz von Sickingen nahm endlich ein Jahrgeld vom Hause Bur- gund an, brach alle Unterhandlungen mit Frankreich ab, und versprach mit seinen Reitern dem Bunde zu Hülfe zu Kaiserwahl von 1519. kommen. Nur mußte es zugleich gelingen, den Kampf in diesen Grenzen einzuschließen, einen allgemeinen Brand zu verhüten, besonders die Schweizer von der Theilnahme an der Wirtenbergischen Sache abzuhalten. Schon hatte Herzog Ulrich 16000 Schweizer gewor- ben; und es war zu fürchten, die alte Feindseligkeit zwischen dem eidgenössischen und dem schwäbischen Bund möchte wieder aufwachen, wie vor 20 Jahren. König Franz hätte es so gern gesehn, wie damals sein Vorweser Ludwig XII. Merkwürdig, daß die erste Entscheidung über die deut- sche Krone von einer schweizerischen Tagsatzung ausgehn sollte. Hier zuerst versuchten die östreichischen Räthe ihre Kräfte gegen den französischen Einfluß. Der Cardinal von Sitten, alter Anhänger Östreichs, wohlbekannt mit allen geheimen Wegen der Unterhandlung, war schon in Zürich zugegen, doch fürchtete er eine Zeitlang zu un- terliegen. Vereor ne tandem succumbamus schrieb er noch im April. Endlich kam ihm Zevenberghen zu Hülfe. Auch hier ließ man es an Geld nicht fehlen. Man er- weckte die Erinnerung an das in den letzten Kriegen ver- gossene Schweizerblut, an so viele noch unbefriedigt ge- bliebene Ansprüche. Vor allem machte die Betrachtung Eindruck, daß Frankreich durch die Erwerbung der kaiser- lichen Krone allzu viel Macht erlangen, und sich dann um Niemand, auch um die Schweizer nicht mehr kümmern werde. Anshelm Berner Chronik V, 377. Mit einem Worte: die Östreicher drangen in Zürich durch. Die Tagsatzung nahm sich die Freiheit, Kö- nig Franz zu erinnern, er möge sich mit seinem Reiche Zweites Buch. Zweites Capitel . begnügen: sie erneuerte die alten Einungen mit Östreich. Maroton an Margaretha 10 April, bei Mone 397. Zugleich aber berief sie Die von den Ihren, die dem Her- zog zugezogen waren, aus dem Felde zurück und zwar mit so einhelligem Ernst, daß diese es nicht wagten zu bleiben. Hiedurch ward der Ruin Herzog Ulrichs entschieden. Mit Recht setzte Zevenberghen seinen Ruhm darein, daß er diesen Beschluß ausgewirkt hatte. In dem Augenblicke, daß von allen Seiten Fehdebriefe bei dem Herzog einliefen — sogar einige seiner Lehensleute ihm absagten, — und die gewaltigen Heerschaaren des Bun- des sich rüsteten ihm ins Land zu fallen, ward er von Denen verlassen, welche ihn allein vertheidigen konnten. Seine Wirtenbergischen Milizen verstanden den Krieg nicht; seine Reiterei war der bündischen bei weitem nicht gewach- sen. Der Bund fand nirgends Widerstand; am 21sten April nahm er auch Tübingen ein, wo sich die Kinder des Herzogs aufhielten: dieser selber war genöthigt sein Land zu verlassen. Ein so vollkommener Sieg, die Eroberung eines be- deutenden Fürstenthums entschied das Übergewicht des öst- reichischen Interesse in ganz Oberdeutschland. Und bald darauf erfolgte eine ähnliche Umwandlung auch in Niederdeutschland. Gegen Ende Mais hatten die Herzöge von Calenberg und Wolfenbüttel ihre Rüstungen vollendet, und erschienen mit ihren Hülfstruppen von Hes- sen und Meißen in unbezweifelter Überlegenheit im Felde. Sie zerstörten den Waldenstein, bestürmten Peine, und fie- len Kaiserwahl von 1519. len plündernd in das Lüneburgische Gebiet. Auf ihrem Weg sah man auf einmal funfzig Dörfer brennen, sie schon- ten keine Kirche: an ihres Vetters Schloß zerstörten sie das eigne welfische Wappen: reiche Beute führten sie mit sich fort. „Sie waren von stolzem Muthe,“ sagt ein gleich- zeitiges Lied, „sie hatten Silber und rothes Gold: giengen in Sammt mit goldnen Ketten: sie führten zweitausend Wagen mit sich.“ Höhnisch forderten sie den Herzog von Lüneburg zur Schlacht heraus; der wartete noch immer auf ihm von Geldern zugesagte Hülfe. Hatten die Franzosen durch die Begünstigung des in- nern Krieges ihre Zwecke zu befördern gedacht, so sahen sie sich vollkommen getäuscht. Diese Fehden nahmen, und zwar in den entscheidenden Momenten, eine Wendung zu Gunsten Östreichs. Denn eben unter diesen Eindrücken erneuerten nun die Bevollmächtigten ihre Unterhandlungen mit den Churfür- sten auf das eifrigste. Gegen Ende April war ein spanischer Geschäftsträger eingetroffen, der dem Erzbischof von Mainz die Gewährung aller Forderungen überbrachte, die er aufgestellt hatte. Sehr merkwürdige Zugeständnisse wurden ihm gemacht: volle Gewalt über die Reichscanzlei; der kaiserliche Schutz in den Streitsachen des Stiftes mit Sachsen über Erfurt, mit Hessen über einen neuen Zoll; Fürsprache bei dem Papst, daß er auch noch ein viertes Bisthum in Deutsch- land annehmen dürfen, ja sogar Legat des apostolischen Stuhles im Reiche werden solle. Überdieß wurden die ihm zugesagten Jahrgelder durch besondre Verschreibun- Ranke d. Gesch. I. 24 Zweites Buch. Zweites Capitel . gen von Mecheln und Antwerpen sicher gestellt. Carolus ad Albertum 12 Martii bei Gudenus IV, 607. Jean de le Sauch à Marguer. 29 April bei Mone p. 403. Seit- dem finden wir den Erzbischof, der schon immer am we- nigsten geschwankt hatte, doppelt eifrig für Östreich: das ganze Gewicht das ihm die Würde eines Erzcanzlers in Germanien gab, warf er in die Waagschale für König Carl. Auf ähnliche Weise war auch der Churfürst von der Pfalz festgehalten worden. Er hatte wohl nur darum ge- schwankt, weil sich die Publication seiner neuen Erbeinung mit Östreich verzögerte, der schwäbische Bund dagegen Miene machte, sich jener Geldansprüche rheinischer Kaufleute ge- gen ihn anzunehmen. Die östreichischen Bevollmächtigten eilten jede Irrung beizulegen: jene Kaufleute befriedigten sie auf ihre Kosten. Ohnehin verwandte Pfalzgraf Frie- drich alle seinen Einfluß bei seinem Bruder zu Gunsten Östreichs; dem einen wie dem andern wurden bedeutende Geldbewilligungen gemacht. Correspondenz bei Mone p. 34. Vgl. Hubert Thomas Leo- dius Vita Friderici Palatini IV, p. 100 sq. Allmählig ließ auch die Pfalz jede Hinneigung zu Frankreich fahren. Mindere Schwierigkeiten hatte es mit Cölln. Der Graf von Nassau, der in diesen Gegenden die Unterhandlung führte, wußte, wie die rheinischen Grafen überhaupt, so auch den Erzbischof, der aus ihnen hervorgegangen, zu ge- winnen. Die Zugeständnisse die ihm zu Augsburg gemacht worden, erweiterte man ihm noch. Wir haben einen Brief von ihm vom 6ten Juni, worin er die Sache für abgemacht hält, wofern es nur gelinge auch Böhmen zu gewinnen. Bei Bucholtz III, 671. Kaiserwahl von 1519. Wohl hatte der König von Böhmen anfangs daran gedacht, jene Verschreibungen Maximilians geltend zu ma- chen, und deshalb seine Gesandten nach Italien geschickt. Allein er sah nur zu bald, wie wenig er zu erwarten habe. Hierauf entschloß er sich, das Haus Östreich zu begünsti- gen, mit welchem er in so enge verwandtschaftliche Bande treten sollte. Vielleicht trug dazu bei, daß ein Bruder des Markgrafen Georg von Brandenburg, der an diesem Hofe viel vermochte, Johann, mit der Witwe Ferdinands des Katholischen vermählt und zum Vicekönig von Valencia ernannt ward. Schreiben Carls an Casimir hieruͤber 6 Maͤrz 1519 bei Spieß: Brandenburgische Muͤnzbelustigungen I, p. 389. So blieben nur noch Trier Brandenburg und Sachsen übrig, und die östreichischen Bevollmächtigten ließen es an Eifer nicht fehlen, auch diese herbeizuziehn. Bei Trier war alles vergeblich; auch Joachim I ließ sich nicht viel abgewinnen: er hieng der großen Hofnung nach, die in ihm erweckt worden war. Um so mehr kam auf Dessen Stimme an, den Öst- reich zuletzt so mannichfaltig verletzt, den auch die Räthe bis jetzt für ihren größten Gegner gehalten hatten, auf Friedrich von Sachsen. Marnix, an Marg. 16 Maͤrz, leitet die unguͤnstige Stimmung von Boͤhmen unter andern auch von Sachsen her: Mone p. 131. Da man die böhmische Stimme im Reiche nicht hoch anschlug, wie denn z. B. noch die letzte Wahl ohne Böhmen vollzogen worden, so war die Stimme von Sachsen schon zur Bildung einer allgemein anerkannten Majorität nothwendig. Die Weigerung des Churfürsten, an den Verträgen zu Augsburg Theil zu neh- men, die als sie bekannt wurden viel Mißbilligung in der 24* Zweites Buch. Zweites Capitel . Nation fanden, hatte sein Ansehn noch vermehrt. Die moralische Autorität, die Beistimmung der öffentlichen Mei- nung hieng von dieser Stimme ab: man mußte alles ver- suchen, sie zu gewinnen. Der Churfürst selbst war und blieb unzugänglich. Er wollte von keinen Versprechungen hören: er verbot seinen Dienern Geschenke zu nehmen: er verwies nur immer auf den Wahltag, wo er mit seiner Stimme, die er bis dahin frei haben wolle, hervortreten werde. Indessen es ist wohl auf Erden keine Stellung die nicht auf irgend einer Seite zugänglich wäre. Die Ab- geordneten entschlossen sich einen Schritt zu thun, der wenn er ausgeführt ward allerdings allen Widerwillen heben mußte, der sich zwischen Sachsen und Ostreich angesam- melt hatte. Sie boten dem Bruder des Churfürsten, Her- zog Johann, die Erzherzogin Catharina, Schwester des Kö- nigs Carl, für seinen Sohn, den Erben der Churwürde, Johann Friedrich an. Herzog Johann antwortete auf den Antrag: der Kö- nig werde seine Schwester höhern Ortes anbringen können. Die Gesandten erwiederten: der König wünsche nur die alte Verwandtschaft beider Häuser zu erneuen. Auf das geschickteste und schmeichelhafteste widerlegten sie seine Be- scheidenheit, indem sie daran erinnerten daß die Schwe- ster Kaiser Friedrichs die Großmutter der Herzoge von Sachsen gewesen sey. Muͤller Geschichte der Protestation p. 689. Churfürst Friedrich nahm an diesen Verhandlungen keinen Antheil, aber er ließ sie geschehen; die Gesandten Kaiserwahl von 1519. glaubten zu finden, daß von der Vollendung derselben das ganze Wahlgeschäft abhänge; sie schrieben erst von Lochau, hierauf gleich noch einmal, 16 Mai, von Rudolstadt an den König nach Spanien: wolle er die Sache nicht ver- geblich unternommen haben, so möge er ihnen so geschwind wie möglich die Vollmacht schicken, diesen Ehevertrag ab- zuschließen: darin liege das einzige Mittel zum Ziel zu kom- men. Nassou et Pleine 16 Mai bei Mone p. 406. Auch dem König war dieß so einleuchtend daß er keinen Augenblick zögerte: schon am 30sten Mai unterzeich- nete er die Vollmacht für seine Abgeordneten, über diese Vermählung und alles was mit derselben zusammenhänge, in seinem Namen zu unterhandeln und Abkunft zu treffen, mit derselben Gültigkeit als thue er es selbst. Urkunde in Arnoldi’s Denkwuͤrdigkeiten p. 8. Auch Her- zog Johann stellte hierauf eine Vollmacht zur Unterhand- lung an seine Räthe aus, worin er sagt: „indem er die Würdigkeit der Krone Hispanien, Namen und Stammen des löblichen Hauses Östreich zu Gemüth führe, wünsche er seinen Sohn, der auch selbst dazu hochgeneigt, am lieb- sten mit der hochberühmten Fürstin, Fräulein Catharina sich zu freundlicher Heirath bereden zu sehen.“ Diese Dinge waren nun wohl damals nicht bekannt, allein sie fühlten sich durch, und schon zweifelte man nicht mehr an dem Ausgang. Auch König Heinrich VIII von England hatte einen Augenblick den Gedanken gehegt, während des Streites der beiden andern Könige die Krone auf sein eignes Haupt zu setzen; jedoch hatte sein Gesandter sich nur mit größter Zweites Buch. Zweites Capitel . Vorsicht ja Zurückhaltung betragen. Er sah die Sache von der kaufmännischen Seite an. Er fand, diese Krone sey eine zu theure Waare für ihren Werth und Nutzen. Richard Pace bei Ellis I, 156. Vgl. Herbert Life of Henry VIII, p. 74. Aus einem seiner Schreiben, vom 12ten Juni, entnehmen wir, daß er damals alle Hofnungen aufgegeben hatte. Da gaben auch die päpstlichen Gesandten nach. Auf ihre erneute Erinnerung wegen der neapolitanischen Ver- pflichtungen König Carls hatten ihnen schon früher die versammelten rheinischen Churfürsten eine sehr entschlossene Antwort gegeben, und die Anmaaßung des päpstlichen Stuh- les, ihnen in Bezug auf die Wahl etwas vorschreiben be- fehlen oder verbieten zu wollen, in aller Form zurückge- wiesen. Schriftwechsel bei Bucholtz III 670. Acta Legationis bei Goldast Politica imper. p. 102. Seitdem aber hatten sie fortwährend solche Dinge zu berichten gehabt, daß Leo ausrief, man müsse mit dem Kopf nicht wider die Mauer rennen, und am 24sten Juni den Churfürsten seine Einwilligung zur Wahl des Königs von Spanien und Neapel erklären ließ. Bei alle dem wollten die Franzosen, von einigen ein- seitigen Successen bestochen, die Lage der Dinge nicht ge- wahr werden: noch in diesen Tagen ließen sie einen Sturm auf den Erzbischof von Cölln wagen und demselben fast unglaubliche Summen anbieten, jedoch vergeblich. Als nun die Churfürsten in Frankfurt zusammenka- men, hatte König Franz bereits keine Aussicht mehr. Nur der andre Wunsch tauchte noch einmal auf, einen wahr- haft einheimischen Kaiser zu haben. Man dachte wirklich Kaiserwahl von 1519. einmal an Churfürst Joachim; aber seine eigenen Ver- wandten, vor allem sein Bruder von Mainz waren gegen ihn: sie fanden, die Behauptung der kaiserlichen Würde mache Anstrengungen und besonders Kosten nöthig, welche die Kraft der Mark und ihrer ganzen Familie aufreiben würden; Joachim würde niemals die hinreichende Stimmen- anzahl gehabt haben. Bei weitem wichtiger war es, daß sich die Blicke der Versammelten auf Churfürst Friedrich von Sachsen wendeten. Richard von Trier suchte ihn einst bei Nacht auf, und sagte wohl, er selbst wolle einen Theil der Arbeit auf sich nehmen. Bei der Haltung die Friedrich in der lutherischen Sache angenommen, und der nationalen Richtung in der sich diese Händel noch beweg- ten, eine der großartigsten Aussichten für die Geschichte der Nation. Die Churfürsten waren im Ganzen geneigt; es ist ihnen später sogar zum Vorwurf gemacht worden, hätte sich einer unter ihnen gefunden, „fähig, das Reich zu un- terhalten,“ so würde der gewählt worden seyn. Hätte nur Friedrich einen kühnern Ehrgeiz gehabt! Wäre er nicht be- reits zu alt und von Natur so vorsichtig gewesen! Aber er kannte die Geschäfte des Reiches zu lange und zu gut, um nicht zu wissen, daß das Übergewicht der Macht dazu gehöre, um diese stolzen, kräftigen, zur Unabhängigkeit em- porstrebenden Fürsten und Stände in Einheit und Unter- ordnung zusammenzuhalten. Wiewohl er entschlossen war, so befragte er doch ei- nes Tages seinen Begleiter Philipp von Solms um seine Meinung. Der antwortete ihm er fürchte, sein Herr werde die strafende Gewalt nicht gehörig auszuüben vermögen. Zweites Buch. Zweites Capitel . Friedrich erwiederte, daß er dasselbe denke, und lehnte je- den Antrag ab. Auszug aus Lucas Geierberg Leben Philipsen Grafen von Solms hinter der Vorrede zu Goͤbels Beitraͤgen zur Staatsgeschichte von Europa p. XIX. Die Zeit war gekommen, wo auch sonst keine Zurückhaltung mehr zu beobachten war: er erklärte sich öffentlich für König Carl. Seine Stimme brachte auch Die zum Entschluß, die bisher noch schwankend ge- wesen waren. Am 28sten Juni ward nach altem Gebrauch die Sturm- glocke gezogen, und die Churfürsten versammelten sich, in ihren scharlachnen Amtskleidern, in jener engen, kleinen, halbdunkeln Capelle am Chor der Bartholomäuskirche, die ihnen zum Conclave diente. Schon waren sie alle einmü- thig. Mainz fragte wie das Herkommen gebot, zuerst Trier: Trier erwählte den Erzherzog Carl von Östreich, Prinzen von Burgund, König von Spanien. So wählten sie alle: der König von Frankreich hatte keine Stimme. Revers bei Bucholtz III, 668. Jedoch dachten die Churfürsten darauf, einem so mäch- tigen Fürsten wie sie wählten gegenüber, zugleich auch die Rechte des Reiches wahrzunehmen. Sie legten dem er- wählten römischen König eine ziemlich strenge Capitulation vor: nach den Grundsätzen die schon während der letzten Unterhandlungen Maximilians festgesetzt worden. Protocollum electionis in Goldasts Polit. Reichshaͤndeln p. 41. Die Reden die bei dieser Gelegenheit gehalten worden seyn sollen, sind erdichtet. Vgl. meine Schrift Zur Kritik neuerer Ge- schichtschreiber p. 62. Man bestimmte darin, daß die Ämter nur mit Deutschen be- setzt, die Verhandlungen nur in deutscher Sprache geführt, Kaiserwahl von 1519. die Versammlungen des Reiches nur innerhalb der Gren- zen der deutschen Nation gehalten werden sollten. Und hiebei vergaßen denn die Churfürsten auch ihre eigenen Rechte nicht. Sie sollten zum Reichsregiment gezogen, ohne ihre Einwilligung kein Krieg angefangen, kein Bünd- niß geschlossen, kein Reichstag angekündigt, geschweige denn eine Steuer ausgeschrieben werden; was mit Rath und Hülfe der Stände im Kriege gewonnen werde, sollte auch immer dem Reiche verbleiben. Capitulation unter andern bei Dumont IV, 1. Leider sind mir die Verhandlungen nicht naͤher bekannt geworden. Es eröffnet sich uns hier noch eine andre Ansicht. Es ist wahr: die Fürsten wählten sich ein mächtiges Oberhaupt. Aber war nicht auch die Stellung desselben, die so häufig seine Abwesenheit veranlassen mußte, der Entwickelung ihrer eigenen Macht günstig? Unter einem Fürsten wie dieser, der in so vielen Ländern zu gebieten hatte, dem so viele Kriege bevorstanden, konnten sie am ersten zu jener ständischen Verfassung, zu der Theilnahme an den Reichsgeschäften gelangen, nach der sie unter Ma- ximilian schon immer getrachtet hatten. Sonderbare Mischung der verschiedenartigsten Beweg- gründe, die zu der Wahl Carls V zusammenwirkten! Es ist nicht zu leugnen: Geldzahlungen in reichem Maaße, wie an die Fürsten, so an ihre Angehörigen und Räthe, an denen selbst Trier und Herzog Hans von Sachsen An- theil hatten: Erwerbung neuer Gerechtsame: verwandtschaft- liche Verbindungen, nähere oder entferntere, die entweder schon bestanden, oder jetzt geschlossen, oder für die Zukunft Zweites Buch. Zweites Capitel . verheißen wurden: auch wohl eine gewisse Besorgniß vor dem schwäbischen Bundesheer, das im Solde von Östreich noch immer im Felde stand; Richard Pace to Cardinal Wolsey I, 157. Suerly they wold nott have electidde him yff fere of there persons hadde not dryven them thereunto. aber dabei auch Abneigung gegen die Fremden, obwohl sie am Ende noch mehr Geld boten: Anhänglichkeit an das Haus das dem Reiche schon mehrere Kaiser gegeben, und eine gewohnte Verehrung ge- noß: die Gefahr die mit jeder andern Auskunft zusam- menhieng: Erwartung guter Folgen von der welche man traf; — genug zugleich die persönlichsten Beziehungen und die Rücksicht auf das allgemeine Wohl. Fügen wir aber hinzu, auch das Glück war dabei. An dem Tage der Wahl, ja in der Stunde derselben erfolgte in Niedersachsen eine Entscheidung, die wenn sie früher einge- treten wäre, die Sache leicht noch einmal zweifelhaft ma- chen, die französische Partei hätte beleben können. Endlich nemlich waren jene geldrischen Reiter bei Her- zog Heinrich von Lüneburg eingetroffen, und ohne Verzug hatte er sich aufgemacht, das mit Raub beladene Heer sei- ner Vettern im Felde zu suchen. Unfern von Soltau an der Haide holte er es ein und begann auf der Stelle den Angriff ohne sein Fußvolk zu erwarten. Eben in der Rei- terei bestand seine Stärke. Diese warf sich zuerst auf das feindliche Geschütz und nahm es, dann sprengte sie die be- sten Haufen der Fußvölker aus einander, so daß auch die Übrigen, geworbene Knechte, in die Flucht geriethen und ihre Wehre in den Sand warfen; durch dieß glückliche Anfang der neuen Regierung . Gelingen zu verdoppeltem Feuer ermuthigt machte sie ei- nen heftigen Anfall auf die calenbergischen Reitergeschwa- der. Hier fand sie tapfern Widerstand: Herzog Erich von Calenberg, kenntlich an seinem weißen Federbusch, drang einmal sogar in ihre Reihen; aber die Lüneburger waren durch ihre Anzahl überlegen: sie erfochten einen vollstän- digen Sieg: Erich selbst, sein Bruder Wilhelm und 120 Rit- ter geriethen in die Gefangenschaft der Anhänger des Kö- nigs von Frankreich. Chytraͤus Saxonia lib. VIII, p. 207. Carmen prolixius bei Leibnitz Scriptores rer. brunsv. III, 257. Allein, wie gesagt, da an demselben Tage die Wahl vollzogen worden, so konnte dieser Sieg nichts mehr hel- fen. Die Sieger mußten jetzt jede Verbindung mit Frank- reich vermeiden, dagegen fanden die Geschlagenen bei den Commissarien Carls V zu Augsburg Gunst und Hülfe. Im October griff Heinrich der Jüngere von Wolfenbüt- tel, wie man damals glaubte von Augsburg her mit Geld unterstützt, aufs neue zu den Waffen und richtete im Hil- desheimischen einen Schaden an, den man auf anderthalb- hunderttausend Gulden berechnete; nur mit Mühe konnte er von den benachbarten Fürsten zu Stillstand und Tag- leistung gebracht werden. Aber schon wollte er sich in keinen Beschluß der Vermittler fügen. Von einer Ver- sammlung zu Zerbst, im Mai 1520, entfernte er sich bei Nacht, ohne dieselbe zu begrüßen, nur mit der Bemerkung, er müsse die Sache der Entscheidung königlicher Majestät vorbehalten. Hatten die Lüneburger Frankreich vertheidigt, so kam Östreich und sein Glück jetzt ihren Gegnern um so gewaltiger zu Hülfe. Zweites Buch. Zweites Capitel . Eine noch entschiednere Gestalt in demselben Sinne nahmen in diesem Augenblick die Verhältnisse von Ober- deutschland an. Wirtenberg gieng ganz in östreichische Hände über. Die Veranlassung dazu war, daß Herzog Ulrich in plötzlichem Überfall im August die bündische Regierung zer- sprengt, sein Land wieder in Besitz genommen, und nur durch erneute Anstrengungen des Bundes hatte vertrieben werden können. Stumphart Chronica gwaltiger Verjagung Herzog Ulrichs bei Sattler Herzoge II, Beilagen p. 43. Dem Bund fiel jetzt seine eigne Er- oberung beschwerlich: die alten Kriegskosten, deren Erstat- tung man dringend wünschte, wurden sogar durch neue vermehrt. Mit Freuden giengen die Mitglieder auf den Vorschlag des Kaisers ein, das Land sammt den Kindern des Herzogs „ihm in Bewahr zuzustellen,“ wogegen er die Forderungen der Stände zu erledigen versprach. Gwalt K. Carls V auf seine Commissarien ibid. p. 79. Im Fe- bruar 1520 übernahmen die kaiserlichen Commissarien die Verwaltung des Landes: indem sie den Tübinger Vertrag be- stätigten, den Ulrich bei seiner Rückkehr unbesonnen genug gewesen war zu widerrufen, gewannen sie auch eine nicht unbedeutende Partei im Lande. Ein Regierungsanfang, der doch sehr gewaltsam aus- sah. Denn unerhört war und blieb es, wie die Schwei- zer es ausdrückten, „daß ein Fürst des heil. Reiches aus durchlauchtigem Hause über alles Rechtserbieten, seines Für- stenthums väterlichen Erbes und Eigens so gewaltiglich beraubt seyn sollte.“ Aber diese Commissarien betrachteten Anfang der neuen Regierung . die Wahl als einen Sieg der östreichischen Partei und such- ten ihn zum Vortheil derselben zu benutzen. Das war nun nicht die Meinung der Churfürsten ge- wesen, am wenigsten Friedrichs von Sachsen; sie hatten vielmehr sogleich daran gedacht, eine gleichmäßige vorzugs- weise ständische Verwaltung einzuführen: einen Reichstag auszuschreiben, ein Regiment zu ernennen. Am Hofe in Spanien schien man dieß von ganzem Herzen zu billi- gen: es lief ein Schreiben ein, worin Churfürst Friedrich zum Statthalter des Regiments ernannt ward; er ward auch außerdem um seinen guten Rath in den Geschäften ersucht. Allein die Commissarien hielten es nicht für gut, einen Reichstag zu berufen, geschweige denn ein Regiment zu ernennen. Sie hüteten sich wohl, den Churfürsten um Rath zu fragen: das Diplom jener Ernennung behielten sie an sich. Sie wollten keine ständischen Einwirkungen, so wenig jetzt wie unter Maximilian, sie wollten die Summe der Geschäfte in ihrer Hand behalten. Man dürfte sich darüber nicht verwundern. Sie hiel- ten die Gesichtspuncte fest, die unter Maximilian gäng und gebe geworden: sie sahen die neue Regierung als eine Fort- setzung der alten an. Da mußte man nun doppelt gespannt seyn, wie der junge Fürst, wenn er in Deutschland erschiene, und dessen nähere Umgebung die Sachen auffassen und angreifen wür- den. Nach seiner Weltlage ließ sich wohl eine großarti- gere Ansicht erwarten: alle seine Briefe gaben das zu er- kennen. Namentlich dem Churfürsten Friedrich schrieb er, er solle spüren daß er seine Stimme dem allerdankbarsten Zweites Buch. Zweites Capitel . Fürsten gegeben: in Kurzem werde er in Person erschei- nen, einen Reichstag halten, und die Sachen des Reiches mit S r Liebden Rath und Gutbedünken bestellen. Denn „wunderviel,“ sagt er, „halten wir von den Anschlägen, dem Rathe und der Weisheit Deiner Herrschaft.“ Instruction an Hieronymus Brunner Barselona 25 Sept. 1519: in einem Copialbuch im Weimar. Archiv, aus welchem sich dieß ganze Verhaͤltniß ergiebt. Ehe nun aber Carl eintreffen konnte, hatten die reli- giösen Angelegenheiten eine Entwickelung genommen, durch welche die Frage welche Stellung er annehmen würde eben so bedeutend für die Kirche wurde wie für das Reich. Drittes Capitel . Erster Abfall vom Papstthum. 1519, 20. Cajetan und Miltitz. Es hatte während dieser Zeit mehr als einmal geschie- nen als werde die lutherische Sache sich friedlich beilegen lassen: von beiden Seiten war eine Neigung dazu vorhanden. Während des Reichstages zu Augsburg gewann es Churfürst Friedrich über sich, dem päpstlichen Legaten einen Besuch zu machen und ihn um seine Vermittelung in der Sache zu ersuchen. Ich finde nicht, daß derselbe speciellen Auftrag von Rom aus dazu gehabt hätte; aber seine allge- meinen Vollmachten gaben seiner Thätigkeit auch für Fälle dieser Art einen freien Spielraum. Er versprach dem Chur- fürsten, den Mönch wenn er vor ihm erscheine, mit väterli- chem Wohlwollen zu hören und wieder von sich zu lassen. Friedrichs Schreiben an Cajetan (Loͤscher II, 543). Per- suaseramus nobis, vestram pietatem audito Martino secundum vestram multiplicem promissionem eum paterne et benevole di- missuram esse. Vgl. Luther Wider Hans Worst Altenb. VII, 462. Schreiben an Lang bei de Wette I, 141. Zweites Buch. Drittes Capitel . Die Geschäfte der Versammlung waren schon been- digt, als Luther, sehr zufrieden nicht nach Rom gehn zu müssen, sich aufmachte, um sich dem gemäß vor dem Car- dinal zu stellen. Wahrhaft in niedriger Gestalt wanderte er dahin: in einer geborgten Kutte, von Kloster zu Klo- ster herbergend: durch Anfälle von Unwohlseyn zuweilen bis zur Ohnmacht erschöpft. L. an Spalatin 10 Oct. 1518 ib. 142. Er hat später oft gesagt, hätte ihn der Cardinal freundlich behandelt, so wäre er leicht zum Schweigen zu bringen gewesen. Als er vor ihn kam, fiel er vor ihm nieder. Unglücklicherweise war aber dieser Legat, Thomas de Vio von Gaeta, (Cajetan) nicht allein ein Repräsentant der Curie, sondern zugleich der eifrigste Thomist. Seiner Mutter, sagt man, träumte als sie mit ihm schwanger war, St. Thomas in Person unterweise ihn und führe ihn darnach mit sich gen Himmel. So erzaͤhlt die Lebensbeschreibung bei Roccaberti Bibl. Max. T. XIX p. 443. So ungern man es dann in seiner Familie auch sah, so ließ er sich doch nicht mehr abhalten, ziemlich früh, in seinem 16ten Jahr, in ein Dominicaner- kloster zu treten, wo er den Namen seines Heiligen an- nahm (ursprünglich hieß er Jacob) und alle seine Kräfte anstrengte, sich mit den Lehren desselben zu durchdringen. Er hielt ihn für den vollkommensten Theologen der je- mals gelebt habe. Er unternahm es, die Summa, sein Hauptwerk, Schritt für Schritt gegen die Einwendungen der Scotisten zu vertheidigen. Divi Thomae Summa cum commentariis Thomae de Vio Da Cajetan . Da war ihm nun Luther schon als Nominalist, als Widersacher der theologischen Alleinherrschaft des St. Tho- mas, Anführer einer thätigen Gegenpartei auf einer eben aufkommenden Universität höchlich verhaßt. Die Demuth Luthers erwiederte er anfangs mit dem officiellen väterli- chen Bezeigen eines geistlichen Obern. Aber sehr bald trat der natürliche Widerstreit zwischen ihnen hervor. Der Car- dinal war nicht gemeint, sich mit Stillschweigen zu begnü- gen, er wollte es auch zu keiner Disputation kommen las- sen, wie Luther vorgeschlagen: er glaubte ihm in wenig Worten seinen Irrthum nachgewiesen zu haben, und for- derte einen Widerruf. Da erwachte auch in Luther der Gegensatz, der keine Unterordnung kennt, weder geistliche noch weltliche, der Wissenschaft, des Systemes wieder zu vollem Bewußtseyn. Es wollte ihm scheinen, als verstehe der Cardinal seine Meinung, namentlich seine Idee vom Glauben, gar nicht einmal, geschweige daß er sie wider- legen könnte; es kam zu einem Wortwechsel, in welchem Luther doch mehr Belesenheit Sicherheit und Tiefe ent- wickelte, als ihm der Legat zugetraut; Speculationen so außerordentlicher Art waren ihm noch nicht vorgekommen: diese tiefen, glitzernden Augen machten ihm Grauen; er rief endlich aus, Luther möge entweder widerrufen, oder er dürfe sich nicht wieder vor ihm blicken lassen. Die Relation Luthers, in den Actis Augustanis, seine Briefe, die Schreiben des Legaten, endlich auch ein Schreiben von Staupitz bei Grimm (a. a. O. p. 123) geben uͤber den Gang dieser Ver- Es war das dominicanische System, das hier mit dem Lugduni 1587. Praefatio: inter theologos quem divo Thomae Aquinati praeferre ausis, invenies neminem. Ranke d. Gesch. I. 25 Zweites Buch. Drittes Capitel . Purpur bekleidet, den Gegner von sich stieß. Luther glaubte, obwohl er sich ein kaiserliches Geleite verschafft, doch selbst vor Gewaltthätigkeiten nicht mehr sicher zu seyn; er ver- faßte noch eine Appellation an den besser zu informiren- den Papst; dann entfloh er. Sein Gehen entsprach sei- nem Kommen. Durch eine geheime Pforte die ihm seine Augsburger Gönner bei Nacht öffnen ließen, auf einem Pferde das ihm sein Provincial Staupitz verschafft hatte, in seiner Kutte, ohne Stiefel noch Beinkleider, ritt er da- von, von einem wegekundigen Ausreiter begleitet, acht große Meilen den ersten Tag: als er abstieg, fiel er todtmüde neben seinem Pferde in die Streu. Doch war er glück- lich außer dem unmittelbaren Bereiche des Legaten. Und nun suchten ihn zwar gar bald die Anklagen des- selben auch in Sachsen auf. Der Legat beschwur den Churfürsten, nicht um eines ketzerischen Klosterbruders wil- len den Ruhm seines Hauses zu beflecken: wolle er densel- ben ja nicht nach Rom schicken, so möge er ihn wenigstens aus seinem Lande schaffen: in Rom werde man diese Sache niemals fallen lassen. Allein er machte damit keinen Ein- druck mehr: durch sein unklug-heftiges Verfahren hatte er sein Ansehn bei Friedrich eingebüßt. Die Universität schrieb ihrem Fürsten, sie wisse nicht anders, als daß Luther der Kirche und selbst dem Papst alle Ehre erweise: wäre Bosheit in dem Manne, so würde sie das zuerst bemerken. Es ver- droß die Corporation, daß der Legat eines ihrer Mitglieder als einen Ketzer behandle, ehe noch ein Urtheil erfolgt war. Von dem Breve, worin von einem schon gefaͤllten Urtel die handlung hinreichende Auskunft. Schade daß die Relation des Le- gaten nach Rom nie zum Vorschein gekommen ist. Cajetan . Hierauf gestützt erwiederte Friedrich dem Legaten, von so viel Gelehrten in seinen und den angrenzenden Ländern habe noch nicht gezeigt werden können, daß Luther ein Ketzer sey, und weigerte sich ihn zu entfernen. Briefwechsel bei Loͤscher 537—542. Luther verbarg sich jedoch nicht, daß das Urtheil in Rom leicht gegen ihn ausfallen könne: er eilte sich durch eine neue Appellation und zwar an ein demnächst zu be- rufendes allgemeines Concil so viel möglich dagegen sicher zu stellen. Allein auch in Rom scheint man doch das Verfah- ren des Cardinals nicht gebilligt zu haben. Man war nicht gemeint, einen so angesehenen Fürsten wie Friedrich, der so eben für das Wahlgeschäft doppelt wichtig geworden war, bei dem es wahrscheinlich gestanden hätte, den Kö- nig von Frankreich, wie der Papst wünschte, zum Kaiser zu machen, sich zu entfremden. Auch der Papst machte jetzt einen Versuch, die Sache des Mönchs in Güte bei- zulegen. Er beschloß dem Churfürsten ein Zeichen der apo- stolischen Gnade, das er immer gewünscht hatte, die goldene Rose zuzusenden. Um die sich lockernden Bande wieder festzuknüpfen, fertigte er überdieß einen gebornen sächsischen Unterthan, Agenten des Churfürsten in Rom, Carl von Miltitz, als seinen Nuntius an ihn ab. Und dieser griff nun die Sache, wie gar nicht zu leugnen ist, mit großer Geschicklichkeit an. Er hütete sich wohl, sich bei seiner Ankunft in Deutsch- Rede ist (bei Loͤscher II, 438), glaube ich in einem Excurs nachge- wiesen zu haben, daß es unaͤcht ist. 25* Zweites Buch. Drittes Capitel . land an den Legaten zu wenden, der ohnehin allen Credit verloren hatte und jetzt dem Churfürsten grollte, er schloß sich gleich auf der Reise an einen geheimen Rath Friedrichs, Degenhard Pfeffinger an. Er trug kein Bedenken, bei einem Glase Wein unter Freunden, selbst in den Gasthöfen in die Klagen einzustimmen, die man in Deutschland gegen die Cu- rie, die kirchlichen Mißbräuche erhob, und sie durch Ge- schichten zu bestätigen die er selbst erlebt habe. Aber er versicherte, er kenne den Papst, und habe Einfluß bei ihm: der billige das nicht. Auf das unumwundenste verwarf er das Unwesen der Ablaßprediger: er verbreitete einen sol- chen Ruf vor sich her, daß Tetzel es gar nicht wagte, vor ihm zu erscheinen. Sein Entschuldigungsschreiben unterzeichnet: Bruder Tetzel am letzten Tag Dez. 1519 d. i. 1518 bei Walch XV, p. 860. Dort findet sich auch die uͤbrige, zuerst von Cyprian herausgegebne miltitzi- sche Correspondenz. Dagegen faßten der Fürst, gegen den er das Betra- gen eines Unterthanen und Dieners beobachtete, und Lu- ther selbst, den er sehr glimpflich behandelte, Vertrauen zu ihm. Es gelang ihm ohne viel Mühe eine Annäherung zu bewirken, auf die doch fürs Erste alles ankam. Am 3ten Jan. 1519 hatte er eine Zusammenkunft mit Luther zu Altenburg. Der Nuntius stellte dem Mönch das Unheil vor, das aus seiner Heftigkeit entspringe, den großen Abbruch den er auf diese Weise der Kirche zufüge; er weinte indem er ihm das ans Herz legte. Luther ver- sprach, den Schaden den er gestiftet haben könne durch eine öffentliche Erklärung wieder gut zu machen. Dagegen gab auch der Nuntius den Gedanken auf, Luthern zu einem Miltitz . Widerruf zu bringen. Sie kamen überein, daß die Sache einem deutschen Bischof übertragen und indeß beiden Thei- len Stillschweigen auferlegt werden solle. So, meinte Lu- ther, werde sie sich verbluten. „In ir selbs vorgehn.“ L. an den Churfuͤrsten bei de Wette I, p. 218. Nicht ohne Abschiedskuß schieden sie von einander. Da ist nun die Erklärung sehr merkwürdig, welche Luther in Folge dieses Gesprächs kurz hierauf ausgehn ließ. Er berührt darin alle Streitfragen des Augenblicks. Ohne die freie Haltung aufzugeben, die er angenommen hat, zeigt er doch, daß er sich noch innerhalb der Grenzen der rö- mischen Kirche befindet. Z. B. will er, daß man die Hei- ligen mehr um geistlicher als leiblicher Güter willen an- rufe, aber er leugnet nicht, daß Gott bei ihren Gräbern Wunder thue; Fegfeuer und Ablaß erkennt er in einem gewissen Sinne noch an; er wünscht eine Milderung der Kirchen-Gebote, doch meint er, daß nur ein Concilium sie anordnen könne; wiewohl er das Heil in der Furcht Gottes und in der Gesinnung findet, so verwirft er doch die guten Werke noch nicht völlig. Man sieht er geht in allem von dem Äußerlichen auf das Innere zurück: aber sehr gemäßigt; auch die Äußerlichkeiten sucht er noch zu erhalten. In demselben Sinne spricht er sich auch über die Kirche aus. Er sieht ihr Wesen in „der inwendigen Einigkeit und Liebe;“ aber darum verwirft er doch ihre Verfassung nicht: er erkennt die Hoheit der römischen Kirche an, „wo S. Peter und Paul, sechs und vierzig Päpste, Hun- derttausende von Märtyrern ihr Blut vergossen, Hölle und Zweites Buch. Drittes Capitel . Welt überwunden:“ um keiner Sünde willen, die dort ge- schehe, dürfe man sich von ihr trennen, päpstlichen Gebo- ten bei Leibe nicht widerstreben. D. M. L. Unterricht auf etliche Artikel so ihm von seinen Abgoͤnnern aufgelegt worden bei Walch XV, 812. Eine Erklärung, bei der die kirchliche Autorität sich fürs Erste beruhigen konnte und sogar beruhigen mußte. Selbst wenn Churfürst Friedrich es zugelassen hätte, wäre schon keine Gewalt mehr gegen Luther anzuwenden gewe- sen. So großen Antheil nahm man bereits in der Na- tion an seiner Sache: so lebhaft war der Widerwille der sich überhaupt der Wirksamkeit des römischen Hofes ent- gegenstellte. In den ersten Monaten des Jahres 1519 wurden die Forderungen des letzten Reichstags in Bezug auf den türkischen Krieg in allen Ländern an die verschiedenen Stände gebracht; jene Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Absicht die man vorgab, welche den Reichstag beschäftigt hatten, wurden in weiten und weiteren Kreisen wiederholt; alle die so wohl begründeten Beschwerden, die man dort lauter als je erhoben hatte, kamen über die ganze Na- tion hin zur Sprache. Auch die Theilnahme welche der päpstliche Legat den Absichten Franz I auf die Kaiserkrone widmete, erregte viel Mißvergnügen. Es ist sehr bemerkenswerth, daß die ganze östreichische Partei hiedurch in eine natürliche Abneigung ge- gen den römischen Stuhl gerieth. An dem Hofe des Ober- hauptes derselben, des Churfürsten von Mainz erschienen Satyren, in welchen man den Pomp und die Armseligkeit Melanchthon . des Legaten, seine Persönlichkeit wie die Gewalt seines Am- tes auf das bitterste verspottete. Huttens Febris prima III, 109 ist aus dieser Zeit. Nur mit Mühe konnte er im Frühjahr 1519 in Mainz einen Schiffer finden, der ihn nach Niederwesel, wo die rheinischen Churfürsten eine Zusam- menkunft hielten, hinabführte; man hat ihm einmal gesagt, er müsse von jenem französischen Vorhaben abstehen, wenn er mit gesunden Gliedmaaßen nach Hause kommen wolle. Schreiben an Zuͤrich bei Anshelm Berner Chronik V, 373. Diese allgemeine Ungunst nöthigte wohl an und für sich zu einem bedächtigen Verhalten: das Wahlinteresse kam hinzu: so geschah, daß sich Rom dem Churfürsten Friedrich noch einmal so viel wie möglich zu nähern suchte. Außer Miltitz erschien noch ein andrer Bevollmächtigter der Curie in Sachsen. Der Legat, obwohl grollend, ließ sich doch end- lich bewegen, die goldne Rose, die ihm anvertraut wor- den war, und die er bisher noch zurückgehalten hatte, an den Fürsten abzuliefern. Die Aussicht, die Streitsache in Deutschland ausmachen zu lassen, war auch ihm am Ende bequem und erwünscht. Der Erzbischof von Trier ward zum Schiedsrichter ausersehn. Miltitz an den Churfuͤrsten bei Walch XV, 879; er hatte den Legaten in Coblenz gesehen. Die Instruction an Miltitz l. l. muß ebenfalls in den Mai fallen, da sie sich auf dessen Reise nach Sachsen bezieht, von welcher er in seinem Schreiben Mittw. n. Mi- sericordias 11 Mai Meldung thut. Ankunft Melanchthons. Der Zustand der hiedurch entstand, des schwebenden Streites, der vorläufigen Ruhe, kam nun besonders der Zweites Buch. Drittes Capitel . Universität Wittenberg zu Gute. Man war da im Ge- fühl eines glücklich begonnenen, in der Opposition fort- schreitenden, aber doch von den kirchlichen Gewalten nicht zu verdammenden Unternehmens. Man behielt Zeit, die eigentlichen Studien auf dem betretenen Wege zu fördern. Noch waren die bedeutendern Lehrer in der Hauptsache der- selben Meinung. Überdieß aber hatten sie im Sommer 1518 einen jungen Gehülfen bekommen, dessen Thätigkeit vom ersten Augenblick an ihrem ganzen Wesen ein neues Leben gab, Philipp Melanchthon. Philipp Schwarzerd, genannt Melanchthon, gehörte mehr und wahrhafter als irgend ein Anderer zur Schule Reuchlins. Reuchlin war einer seiner nächsten Verwandten, hatte seine Erziehung geleitet; mit sinnvoller Hingebung und unvergleichlicher Fähigkeit war der junge Mensch den Anweisungen des Meisters, seinem Beispiel gefolgt; schon im 17ten, 18ten Jahre hatte er es dahin gebracht, in Tübingen lehren, einige kleine Bücher grammatischen In- halts erscheinen lassen zu können. Schnurrer de Phil. Melanchthonis rebus Tubingensibus: Orationes academ. ed. Paulus p. 52. Wie aber der Meister, so ward auch der Jünger von dem grammatisch-philologischen Bestreben nicht befriedigt. Er hörte Vorlesungen in allen Facultäten; noch waren die Wissenschaften nicht so im Detail, in abgeschlossener Me- thode ausgebildet, daß dieß unthunlich gewesen wäre: sie konnten noch eine allseitige und liberale Wißbegier näh- ren: besonders ward sich Melanchthon einer philosophischen Tendenz bewußt, gegen die ihm sein übriges Treiben wie Melanchthon . Nichtsthun erschien. In Tübingen aber herrschte noch der starre Sinn der alten Universitäten: indem seine ganze gei- stige Kraft nach unbekannten Zielen drängte, suchte man ihn vor den Schulbänken festzuhalten. Da war es für sein inneres und äußeres Leben gleich entscheidend, daß Churfürst Friedrich sich im Frühjahr 1518 wegen eines Lehrers der griechischen Sprache bei seiner Uni- versität an Reuchlin wandte. Reuchlin trug keinen Augen- blick Bedenken, dem Churfürsten diesen „seinen gesippten Freund“ zu empfehlen, den er selber unterwiesen. Briefwechsel in Bretschneiders Corpus reformatorum I, p. 28. Es konnte das zugleich für einen Entschluß Melanchthons gel- ten. Zwischen dem Meister und dem Jünger bestand das edle Verhältniß einer die Welt erst in halber Klarheit vor sich sehenden Jugend und der natürlichen Überlegenheit gereifter Jahre. „Wohin du mich schicken willst,“ schreibt Melanchthon an Reuchlin, „dahin will ich gehn: was du aus mir machen willst, das will ich werden.“ „Gehe aus,“ antwortet ihm Reuchlin, „von deinem Vaterlande von deiner Freundschaft.“ Mit der Verheißung welche dem Abraham geschah, segnet und entläßt er ihn. So kam Melanchthon im August 1518 nach Witten- berg, vor allem entschlossen, wie er sagt, sich ganz der Universität zu widmen, ihr in den Kreisen der classischen Studien, die hier bisher noch nicht gediehen waren, Ruf zu verschaffen. Mit jugendlicher Freudigkeit zählt er die Arbeiten auf, die er vorhat, und schreitet unverweilt an ihre Ausführung. An Spalatin. Spt. 1518. C. Ref. I, p. 43. Schon im September widmete er dem Zweites Buch. Drittes Capitel . Churfürsten die Übersetzung einer Schrift von Lucian; im October ließ er die Epistel an Titus und ein kleines Wör- terbuch drucken; im November schrieb er die Vorrede einer hebräischen Grammatik; eine ausführlichere Arbeit, mit der er sich zugleich beschäftigte, war die Rhetorik, welche im Januar 1519 in drei Büchern erschien; im Februar folgte abermals eine Rede; im März und April Ausgaben plu- tarchischer Schriften, neue Vorreden; alles während einer eben so vielseitigen Lehrthätigkeit; neben dem Griechischen übernahm der junge Ankömmling auch den Unterricht in dem Hebräischen. Luther an Spalatin 25 Jan. bei de W. I, p. 214. Auf diese beiden Briefwechsel gruͤndet sich, wie sich von selbst versteht, meine ganze Erzaͤhlung. Doch lag in dieser unmittelbaren Wirksamkeit weder das Ziel noch auch der Erfolg seiner Bemühungen. Von Wichtigkeit war es schon an sich, daß ein Mann, der vollkommen griechisch verstand, in diesem Au- genblick an einer Universität auftrat, wo eben die Ent- wickelung der lateinischen Theologie dahin führte, auf die ersten ächten Urkunden des Christenthums in ihrer Ursprüng- lichkeit zurückzugehn. Erst nunmehr fieng Luther an, die- ses Studium ernstlich zu treiben. Wie fühlte er sich zu- gleich erleichtert und bestärkt, wenn ihm theologische Be- griffe durch den Sinn eines griechischen Ausdruckes erst recht klar wurden: wenn er z. B. lernte, daß der Begriff Reue, Pönitenz, der nach dem Sprachgebrauch der latei- nischen Kirche zugleich ein Abbüßen, Genugthun andeu- tete, im Griechischen in der ursprünglichen Auffassung des Melanchthon . Stifters und der Apostel nichts bezeichne, als die Umän- derung der Gesinnung: μετάνοια. mit einem Mal hob es sich wie ein Nebel vor seinen Augen. Für Melanchthon aber auch selbst war es unschätz- bar, daß er hier sich mit Gegenständen beschäftigen konnte, die seine Seele ganz erfüllten: und den Inhalt fand für die mehr formelle Bildung, der er bis dahin obgelegen. Mit Begeisterung begrüßte er die theologische Haltung Lu- thers; vor allem durchdrang auch ihn der Tiefsinn seiner Auffassung der Rechtfertigungslehre. Doch war er nicht geschaffen, um diese Ansichten leidend aufzunehmen. Er war einer von den außerordentlichen, doch zuweilen her- vortretenden Geistern, die in frühen Jahren — er zählte erst ein und zwanzig — in den vollen Besitz und Ge- brauch ihrer Kräfte gelangen. Mit der Sicherheit welche gründliche Sprachstudien zu verleihen pflegen, mit den rein- lichen Trieben einer angebornen inneren Ökonomie des Gei- stes faßte er das ihm dargebotene theologische Element. Wie war da der nicht ganz günstige Eindruck, den die erste Erscheinung des Ankommenden, seine Jugendlich- keit und Unscheinbarkeit gemacht, so bald verlöscht. Der Eifer der Lehrer ergriff die Schüler. „An der Universität ist man fleißig,“ sagt Luther, „wie es die Ameisen sind.“ Man dachte darauf, zunächst die Methode zu reformiren: mit Beistimmung des Hofes stellte man Vorlesungen ab, die nur für das scholastische System Bedeutung hatten, und suchte andre, auf die classischen Studien gerichtete da- für in Gang zu bringen; man ermäßigte die Forderungen Zweites Buch. Drittes Capitel . die bisher für die Ertheilung der akademischen Grade ge- macht wurden. Allerdings trat man hiedurch in im- mer stärkeren Gegensatz gegen die übrigen Universitäten: man gelangte zu neuen Wahrnehmungen und Ideen: in Luthers Briefen zeigt sich wie es in ihm gährte; aber zu- gleich ergiebt sich doch auch, daß man noch keineswegs das Bewußtseyn eines Kampfes gegen die römische Kirche über- haupt hatte. Wir sahen wie sorgfältig sich Luther inner- halb der kirchlichen Schranken hielt: in einer seiner Vorreden rühmt Melanchthon noch einmal die Verdienste seines Für- sten um die Klöster. Dedication des Lucian in calumniam C. E. I, 47. Es entspricht das der Stellung die Miltitz und auch der Legat zuletzt angenommen: alles ließ sich friedlich an. Eben in diesem Moment aber, wo wenigstens die äu- ßere Ruhe hergestellt war, und man zwar bei den inneren Gegensätzen der Meinung und Bildung lebhafte Kämpfe vor- aussehn mußte, aber vielleicht noch innerhalb der Kreise der Schulgelehrsamkeit, brach eine Streitigkeit aus, welche die wichtigsten Lehren berührte, auf die Kirche und Staat ge- gründet waren, und den Krieg hervorrief, der seitdem nicht mehr hat beigelegt werden können. Man muß gestehn, daß Luther es nicht war, der seinen Ausbruch veranlaßte. Disputation zu Leipzig. Während des Reichstags von 1518 war auch Eck in Augsburg erschienen: mißvergnügt daß seine bisherigen Streitschriften ihm weder Belohnungen eingetragen noch Disputation zu Leipzig . auch Ehre; Bartholini Commentarius de comitiis Augustanis p. 645. er hatte Luther aufgesucht und war mit demselben in aller Freundschaft übereingekommen, eine alte Streitigkeit, die er mit Dr Carlstadt in Wittenberg über die Lehre von der Gnade und dem freien Willen hatte, in einer öffentlichen Disputation auszufechten. Luther hatte gern seine Vermittelung angeboten: wie er sagt um die Meinung zu Schanden zu machen, als könnten Theo- logen sich nicht mit einander vergleichen. Carlstadt willigte ein in Erfurt oder in Leipzig mit Eck zu disputiren. Eck säumte nicht, die Disputation durch ein Programm in alle Welt zu verkündigen. Wie sehr aber erstaunte Luther, als er in dieser An- kündigung einige Meinungen als den Gegenstand des Strei- tes bezeichnet fand, die bei weitem mehr von ihm als von Carlstadt verfochten worden. Er hielt das für eine Treulosigkeit, eine Hinterlist, der er sich um so offener wi- dersetzen müsse: sein so eben mit Miltitz aufgerichtetes Ab- kommen schien ihm gebrochen: er war entschlossen, den Handschuh aufzunehmen. Luthers Briefe an Sylvius 3 Febr. Spalatin 7 Febr. Lang 13 April. Da war es nun von entscheidender Wichtigkeit, daß Eck den dogmatischen Streitfragen auch einen Satz über den Ursprung der Prärogativen des Papstthums hinzuge- fügt hatte. In einem Moment, wo in der ganzen Na- tion eine so mächtige anti-päpstliche Regung überhand ge- nommen, hatte er, man möchte sagen die tölpische Dienst- beflissenheit eine Frage in Gang zu bringen, deren Beant- Zweites Buch. Drittes Capitel . wortung immer sehr zweifelhaft gewesen, und von der doch das ganze System der Kirche und des Staates abhieng, welche einmal angeregt, nothwendig die allgemeine Auf- merksamkeit beschäftigen mußte: einen Gegner wagte er auf- zureizen, der keine Zurückhaltung kannte, seine Überzeugung aufs äußerste zu vertheidigen pflegte, und schon die Stimme der Nation für sich hatte. In Beziehung auf eine wenig bemerkte frühere Behauptung Luthers stellte Eck den Satz auf, daß der Primat des römischen Papstes sich von Christo selbst, und von den Zeiten Petri herschreibe, nicht wie der Gegner angedeutet, von den Zeiten Constantins und Silvesters. Es zeigte sich sogleich welche Folgen sich davon erwarten ließen. Luther, der erst jetzt die Urkunden des päpstlichen Rechtes, das Decret zu studiren angefan- gen, und sich dabei oft in seinen christlichen Überzeugungen verletzt gefühlt hatte, antwortete mit einem noch viel küh- neren Streitsatz, daß nemlich der römische Primat erst durch die Decrete der spätern Päpste in den vier letzten Jahr- hunderten (er mochte meinen: seit Gregor VII ) festge- stellt worden sey, der frühere Gebrauch der Kirche aber nichts davon wisse. Contra novos et veteres errores defendet D. Martinus Lutherus has sequentes positiones in studio Lipsensi. Es ist der dreizehnte Satz Opp. lat. Jen. I, 221. Man darf sich nicht wundern, wenn die kirchlichen Gewalten in Sachsen, z. B. der Bischof von Merseburg, und selbst die Theologen der Universität nicht eben ein gro- ßes Gefallen daran hatten, daß eine Disputation dieses Inhaltes, wie die Parteien endlich übereingekommen wa- Disputation zu Leipzig . ren, in Leipzig gehalten werden sollte. Auch der Herzog trug einen Augenblick Bedenken, Luthern zuzulassen. Da er aber des Glaubens lebte, daß auf diese Art die ver- borgene Wahrheit am besten ans Licht komme, so entschloß er sich endlich dazu, und beseitigte jeden entgegenstehenden Widerspruch. Es ward festgesetzt, daß neben so viel an- dern wichtigen Lehrmeinungen über die Geheimnisse des Glaubens auch die Frage, ob das Papstthum von Gott eingesetzt, oder ob es eine menschliche Einrichtung sey, die man also auch wieder abschaffen könne, — denn das ist im Grunde der Gegensatz der beiden Lehren, — in öffentlicher Disputation verhandelt werden sollte, dort an einer gro- ßen Universität, im Angesichte von ganz Deutschland; in dieser gährenden, neuerungsbegierigen Zeit eben die Frage, in der alle politischen und religiösen Interessen zusammentrafen. Eben als die Churfürsten zur Wahl eines Kaisers sich in Frankfurt vereinigten, (Juni 1519) kamen in Leipzig die Theologen zusammen, zu einem Acte der nicht min- der wichtig werden sollte. Zuerst traf Eck von Ingolstadt ein. Ohne Zweifel war Johann Mayr von Eck einer der nahmhaftesten Ge- lehrten jener Zeit: er hatte keine Mühe gespart um zu die- sem Ruf zu gelangen. An einer ganzen Anzahl von Uni- versitäten hatte er die berühmtesten Professoren besucht, den Thomisten Süstern in Cölln, die Scotisten Sumenhard und Scriptoris zu Tübingen; Jura hatte er bei Zasius in Frei- burg, Griechisch bei Reuchlin, Lateinisch bei Bebel, Cosmo- graphie bei Reusch gehört. Schon in seinem zwanzigsten Jahr begann er zu schreiben und in Ingolstadt zu lesen: Zweites Buch. Drittes Capitel . über Occam und den Canon von Biel; aristotelische Dia- lectik und Physik; die schwierigsten Lehren der Dogmatik und die Subtilitäten der nominalistischen Moral; dann schritt er fort zu den Mystikern, nachdem er ihre seltensten Schriften in die Hände bekommen: er machte sich daran, wie er sagt, die orphisch-platonisch-ägyptisch-arabische Philosophie damit in Verbindung zu bringen und alles in fünf Theilen abzuhandeln. Eckii Epistola de ratione studiorum suorum in Strobels Miscellaneen III, p. 97. Er war ein Gelehrter der die Sachen im Grunde für abgethan hielt, nur mit dem distin- guirenden Verstand und hauptsächlich dem Gedächtniß arbei- tete, sich immer noch ein neues Feld anzueignen trachtete, um damit Aufsehn zu erregen, weiter zu kommen, sich ein ge- nußvolles und vergnügtes Leben zu verschaffen. Seine Nei- gung galt vor allem der Disputation. Auf allen jenen Universitäten, auch in Heidelberg Mainz Basel hatte er da- durch geglänzt: in Freiburg schon früh der Bursa zum Pfauen vorgestanden, wo man sich vorzugsweise mit Dis- putirübungen beschäftigte; dann hatte er größere Reisen unternommen: nach Wien, nach Bologna, ausdrücklich um daselbst zu disputiren. Man muß lesen, mit welcher Ge- nugthuung er besonders von dieser italienischen Reise er- zählt: — wie er von einem päpstlichen Nuntius dazu aufge- muntert, noch vor seiner Abreise von den jungen Mark- grafen von Brandenburg besucht, hierauf unterweges so in Italien wie in Deutschland, von geistlichen und weltlichen Herrn höchst ehrenvoll aufgenommen, zur Tafel gezogen wor- Disputation zu Leipzig . worden sey: wie er dann schon unterwegs junge Leute, die ihm etwa bei Tisch zu widersprechen wagten, leicht wi- derlegt und voll staunender Bewunderung zurückgelassen, endlich in Bologna trotz mannichfachen Widerspruchs die Gelehrtesten der Gelehrten dahin gebracht habe, seine Sätze zu unterschreiben. Bei Riederer Nachrichten ꝛc. III, 47. Er betrachtete die Disputationen mit den Augen eines geübten Fechters: als den Schauplatz eines unfehlbaren Sieges: er wünschte seine Waffen nur immer auf neuen Turnieren zu erproben. Mit Freuden ergriff er die Gelegenheit, seinen Ruhm nun auch in Nord- deutschland auszubreiten. Jetzt sah man ihn in der Mitte der Professoren in Leipzig, die ihn als einen Verbündeten wider die benachbarten Rivalen freudig bewillkommt, an der Frohnleichnamsprocession Theil nehmen, sehr devot, in seinem Meßgewand. In seinen Briefen lesen wir, daß er dabei doch auch das sächsische Bier mit dem baierischen verglich, und die schönen Sünderinnen in Leipzig nicht unbemerkt ließ. Eck an Haven und Burkard 1sten Juli bei Walch XV, p. 1456. Er hatte in dieser Hinsicht den schlechtesten Ruf. Am 24sten Juni zogen auch die Wittenberger ein: auf einigen offenen Rollwagen die Lehrer, Carlstadt voran, dann Luther und Melanchthon zusammen, einige junge Li- centiaten und Baccalaureen: mit ihnen Herzog Barnim von Pommern, der damals in Wittenberg studirte, und die Würde eines Rectors bekleidete: um sie her zu Fuß ein paar hundert eifrige Studenten mit Halbarden, Handbei- len und Spießen. Man bemerkte daß sie von den Leip- Ranke d. Gesch. I. 26 Zweites Buch. Drittes Capitel . zigern nicht eingeholt worden waren, wie es wohl die Sitte mit sich gebracht hätte. Peifers Beschreibung ibid. p. 1435. Unter der Vermittelung des Herzog Georg wurden nun zunächst die Bedingungen des Kampfes festgesetzt; nur un- gern fügte sich Eck in die Forderung Rede und Wider- rede durch Notarien aufzeichnen zu lassen: dagegen mußte auch Luther zugeben, daß das Urtheil einigen Universitäten anheimgestellt würde: er brachte dazu selbst Paris und Erfurt in Vorschlag. Auf diese Dinge drang der Herzog besonders eifrig: er behandelte die Sache wie einen Pro- ceß, er wollte die Acten gleichsam an ein paar Spruch- collegien versenden. Indessen ließ er auf dem Schloß ei- nen geräumigen Saal zu dem literarischen Gefecht herrich- ten: zwei Catheder stellte man einander gegenüber auf, mit Teppichen behangen, auf denen die streitbaren Heiligen, St. Georg und St. Martin abgebildet waren: es fehlte nicht an Tischen für die Notarien, an Bänken für die Zuhörer: endlich am 27 Juni ward die Action mit einer Heiligen-Geist-Messe eröffnet. Carlstadt hatte es sich nicht nehmen lassen, zuerst zu disputiren; jedoch trug er wenig Ruhm davon. Er brachte Bücher mit, las daraus vor, schlug weiter nach und las wieder vor; auf die Einwendungen, die sein Gegner heute äußerte, antwortete er erst den andern Morgen. Rubeus bei Walch XV, 1491. Welch ein ganz anderer Disputator war da Johann Eck: — er besaß seine Wissenschaft zu augenblicklichem Gebrauch. Er studirte nicht lange: unmittelbar von einem Spazierritt Disputation zu Leipzig . bestieg er das Catheder; ein großer Mann von starkem Gliederbau, lauter, durchdringender Stimme; indem er sprach, gieng er hin und her; auf jedes Argument hatte er eine Einrede in Vorrath; sein Gedächtniß, seine Ge- wandtheit blendeten die Zuhörer. In der Sache selbst, den Erörterungen über Gnade und freien Willen kam man natürlich nicht weiter. Zuweilen näherten sich die Strei- tenden einander so weit, daß ein Jeder sich rühmte, den Andern auf seine Seite gebracht zu haben; dann giengen sie wieder aus einander. Eine Distinction Ecks etwa aus- genommen ward nichts Neues vorgebracht; Rogatus largireturne totum opus bonum esse a deo re- spondit: totum quidem, non autem totaliter. Melanchthon. die wichtig- sten Puncte wurden kaum berührt; die Sache war zuwei- len so langweilig, daß der Saal sich leerte. Um so lebendiger ward die Theilnahme, als nun end- lich Luther auftrat: Montag, den 4ten Juli, früh um sie- ben Uhr: der Gegner, nach dem Eck vor allem verlangt, über dessen aufkommenden Ruhm er auf das glänzendste zu triumphiren hoffte. Luther war von mittlerer Gestalt: damals noch sehr hager, Haut und Knochen: er besaß nicht jenes donnernde Organ seines Widersachers, noch sein in mancherlei Wissen fertiges Gedächtniß, noch seine Übung und Gewandtheit in den Kämpfen der Schule. Aber auch er stand in der Blüthe des männlichen Alters, seinem 36sten Lebensjahre, der Fülle der Kraft: seine Stimme war wohllautend und deutlich: er war in der Bibel voll- kommen zu Hause und die treffendsten Sprüche stellten sich ihm von selber dar; — vor allem, er flößte das Gefühl ein, 26* Zweites Buch. Drittes Capitel . daß er die Wahrheit suche. Zu Hause war er immer hei- ter, ein vergnügter scherzhafter Tischgenosse: auch auf das Catheder nahm er wohl einen Blumenstraus mit; hier aber entwickelte er den kühnsten, selbstvergessenen Ernst: aus der Tiefe einer bisher noch nicht vollkommen zum Bewußtseyn gediehenen Überzeugung erhob er neue Gedan- ken und stellte sie im Feuer des Kampfes mit einer Ent- schlossenheit fest, die keine Rücksicht mehr kannte; in sei- nen Zügen las man die Macht der Stürme welche seine Seele bestanden, den Muth mit denen sie andern noch entgegengieng: sein ganzes Wesen athmete Tiefsinn, Freu- digkeit und Zukunft. Der Streit warf sich nun sogleich auf die Frage über die Berechtigungen des Papstthums, die zugleich durch ihre Verständlichkeit und Bedeutung die allgemeine Aufmerksamkeit fesselte. Zwei deutsche Bauern- söhne — denn auch Eck war der Sohn eines Bauern, Mi- chael Mayr, der dann lange Zeit Ammann in Eck gewe- sen ist, wie Luthers Vater Rathsherr in Mansfeld — re- präsentirten zwei Tendenzen der Meinung, die wie damals so noch heute die Welt entzweien; von dem Ausgang ihres Kampfes, den Erfolgen des Einen im Angriff, des Andern im Widerstand, hieng großentheils der künftige Zustand der Kirche und des Staates ab. Da zeigte sich nun sogleich, daß Luther seine Behaup- tung, der Primat des Papstes schreibe sich erst von den letzten vierhundert Jahren her, nicht behaupten konnte: sehr bald sah er sich durch die ältern Documente in die Enge getrieben: zumal, da noch keine Critik die falschen Decre- talen erschüttert hatte. Um so nachdrücklicher und kraft- Disputation zu Leipzig . voller aber bestritt er die Lehre, daß das Primat des Pap- stes, in dem er übrigens noch immer den ökumenischen Bischof sah, in der Schrift gegründet und göttlichen Rech- tes sey. Man nahm die Aussprüche Christi vor, die im- mer dafür angeführt worden sind: du bist Petrus: — weide meine Schafe; die von der curialistischen abweichende Er- klärung derselben, die schon oftmals vorgekommen, suchte Luther besonders durch andere Stellen zu bewähren, in de- nen von einer gleichen Berechtigung der Apostel die Rede ist. Eck führte Stellen aus den Kirchenvätern für sich an: Luther setzte ihm die Lehren anderer entgegen. So wie man in diese entfernteren Regionen kam, war die Über- legenheit Luthers unleugbar. Eins seiner Hauptargumente war, daß die Griechen den Papst niemals anerkannt, und doch nicht für Ketzer erklärt worden: die griechische Kirche habe bestanden, bestehe, und werde bestehn, ohne den Papst: sie gehöre Christo an, so gut wie die römische. Eck trug kein Bedenken, christliche und römische Kirche geradehin für einerlei zu erklären: Griechen und Orientalen seyen wie von dem Papst, so auch vom christlichen Glauben abge- fallen, sie seyen ohne Frage Ketzer: im ganzen Umkreis des türkischen Reiches z. B. könne wohl Niemand selig werden, die Wenigen ausgenommen, welche sich an den römischen Papst halten. Wie? sagte Luther, die ganze griechische Kirche wolle er verdammen, welche die besten Väter hervorgebracht und so viel tausend Heilige, von de- nen kein Einziger etwas von dem römischen Primat ge- wußt? Sollen Gregor von Nazianz Basilius der Große nicht selig geworden seyn? Oder wolle der Papst mit sei- Zweites Buch. Drittes Capitel . nen Schmeichlern sie aus dem Himmel stoßen? Man sieht, wie sehr die Alleingültigkeit der Formen der lateinischen Kirche, die Identität mit der Idee des Christenthums, die sie in Anspruch nahm, durch die Thatsache erschüttert ward, daß außer ihren Kreisen die alte, von ihr selber an- erkannte griechische Kirche mit so vielen großen Lehrern be- standen. Eck gerieth nun seinerseits ins Gedränge: er wie- derholte nur immer, es habe doch in der griechischen Kirche viele Ketzer gegeben: die meine er, nicht die Väter; eine ärmliche Ausflucht, welche die Stärke des feindlichen Be- weises gar nicht berührte. Auch eilte Eck sofort wieder in das Bereich der lateinischen Kirche zurück. Er stützte sich darauf, daß Luthers Meinung, der römische Primat sey eine menschliche Einrichtung, nicht von göttlichem Rechte, ein Irrthum der Armen von Lyon, Wiklefs und Hussens sey, aber von den Päpsten, und besonders von den allge- meinen Concilien, denen der Geist Gottes beiwohne, zu- letzt noch von dem Costnitzer verdammt. Diese neuere Thatsache war so unleugbar, wie jene ältere; Eck ließ sich nicht damit befriedigen, daß Luther betheuerte, er habe nichts mit den Böhmen zu schaffen, ja er verdamme ihr Schisma: auch wolle er nicht aus den Collectaneen der Ketzermeister widerlegt seyn, sondern aus der Schrift. Die Frage kam in ihren prägnantesten Augenblick. Erkannte Luther das unmittelbare Walten des göttlichen Geistes in der lateinischen Kirche, die bindende Kraft der Beschlüsse ihrer Concilien noch an oder nicht? Hielt er sich noch innerlich zu ihr oder nicht? Wir müssen uns erinnern, daß wir hier nicht weit von den böhmischen Grenzen Disputation zu Leipzig . sind, in einem Lande das in Folge der Verdammung, die in Costnitz ausgesprochen worden, alle Schrecken eines lan- gen verwüstenden Krieges erfahren, und seinen Ruhm in dem Widerstand gesehen, den es den Hussiten geleistet: an einer Universität die im Widerspruch gegen die Richtung und Lehre des Johann Huß gegründet worden: vor Für- sten Herrn und Gemeinen, deren Väter in diesem Kampfe erlegen waren: man sagt, es seyen Abgeordnete der Böh- men, welche die Wendung geahndet die dieser Streit nehmen mußte zugegen gewesen. Luther sah sich in einer gefähr- lichen Stellung. Sollte er sich wirklich von dem herr- schenden Begriff der alleinseligmachenden römischen Kirche lossagen, einem Concilium widersprechen, durch welches Johann Huß zum Feuer verdammt worden, und vielleicht ein ähnliches Geschick über sich herbeiziehn? Oder sollte er die höhere umfassendere Idee einer christlichen Kirche, die ihm zu Theil geworden, in der seine Seele lebte, ver- leugnen? Der unerschütterliche Luther schwankte keinen Augenblick. Er wagte zu sagen, unter den Artikeln des Jo- hann Huß, welche das Verdammungsurtheil des Conciliums zu Costnitz verzeichne, seyen einige grundchristliche und evan- gelische. Ein allgemeines Erstaunen erfolgte. Herzog Georg der zugegen war, stemmte die Hände in die Seite; kopf- schüttelnd rief er seinen Fluch aus: „das walt die Sucht.“ „Das habe ich selber gehoͤrt und gesehen.“ Froͤschels Be- richt bei Walch XV, 1400. Jetzt schöpfte Eck neuen Muth. Es sey kaum glaublich, sagte er, daß Luther ein Concilium tadle, da doch Seine Fürstliche Gnaden ausdrücklich verboten, Concilien anzu- Zweites Buch. Drittes Capitel . fechten. Luther erinnerte, daß das Costnitzer Concilium nicht alle Artikel Hussens als ketzerisch bezeichne, und machte einige nahmhaft, die man auch im h. Augustin lese. Eck versetzte, sie seyen doch alle verworfen; der Sinn, in dem sie ver- standen worden, sey für ketzerisch zu halten; denn ein Con- cilium könne nicht irren. Luther antwortete: einen neuen Glaubensartikel könne kein Concilium machen; womit wolle man denn beweisen, daß ein Concilium überhaupt dem Irrthum nicht unterworfen sey? „Ehrwürdiger Vater,“ sagte hierauf Eck, „wenn Ihr glaubt, daß ein rechtmäßig versammeltes Concilium irren könne, so seyd Ihr mir wie ein Heide und Zöllner.“ Dahin führte diese Disputation. Disputatio excellentissimorum theologorum Johannis Ec- cii et D. Martini Lutheri Augustiniani quae Lipsiae coepta fuit IV die Julii aō 1519. Opera Lutheri Jen. I, 231. Man hat sie noch eine Weile fortgesetzt, über Fegfeuer Ablaß Buße mehr oder minder entgegengesetzte Meinungen ausgesprochen: Eck hat den abgebrochenen Streit mit Carlstadt noch einmal auf- genommen: die Acten sind nach feierlichem Schluß an die beiden Universitäten versandt worden; aber alles dieß konnte nun zu weiter nichts führen. Das Ergebniß der Zusam- menkunft lag darin, daß Luther die Autoritäten der römi- schen Kirche in Sachen des Glaubens nicht mehr aner- kannte. Anfangs hatte er nur die Instruction für die Ab- laßprediger, die Satzungen der spätern Scholastik bekämpft, aber die Decrete der Päpste ausdrücklich festgehalten; dann hatte er diese zwar verworfen, aber den Ausspruch ei- nes Conciliums angerufen; jetzt sagte er sich auch von Fortgang der theologischen Opposition . dieser letzten Autorität los: es blieb ihm nichts übrig als die Schrift. Fortgang der theologischen Opposition. Und hier gieng ihm ein anderer Begriff von der Kirche auf, als der bisherige: zugleich umfassender und tiefer. Auch in den orientalischen und griechischen Christen er- kannte er ächte Mitglieder der allgemeinen Kirche: die Nothwendigkeit eines sichtbaren Oberhauptes verschwand ihm: nur das unsichtbare erkannte er noch an, den ewig lebendigen Stifter, den er in mystischem Bezug zu seinen Gläubigen in allem Volk dachte. Es ist das nicht allein eine dogmatische Abweichung, sondern zugleich die Aner- kennung eines ohnehin unleugbaren Factums, der Gültig- keit des Christenthums auch außerhalb der Schranken welche die lateinische Kirche um sich gezogen. Hiedurch erst fand Luther eine Stellung, in der er die Weltelemente der Opposition gegen das Papstthum in sich aufnehmen konnte. Er machte sich näher mit den Lehren der grie- chischen Kirche bekannt, und da er z. B. sah, daß sie vom Fegefeuer nichts wisse, wovon er auch nichts in der Schrift fand, hörte er auf es festzuhalten, was er noch in Leipzig gethan. Brief an Spalatin 7 Nov. Einen noch viel größern Eindruck machten die Schriften von Johann Huß auf ihn, die ihm jetzt von Böhmen aus zugestellt wurden: er war ganz erstannt, daß er darin die paulinisch-augustinischen Lehren fand, die er sich unter so gewaltigen Kämpfen angeeignet: Hussens Zweites Buch. Drittes Capitel . Lehre, sagt er im Februar 1520, habe ich schon vorge- tragen ohne sie zu kennen, eben so Staupitz: wir sind alle Hussiten, ohne es zu wissen, Paulus und Augustin sind Hussiten: ich weiß vor Erstaunen nicht, was ich denken soll. Er ruft Wehe über die Erde, über die furchtbaren Gerichte Gottes, daß die evangelische Wahrheit schon seit 100 Jahren bekannt, aber verdammt und verbrannt sey. An Spalatin bei de Wette nr. 208. Man nimmt wahr, wie er sich nicht allein von der rö- mischen Kirche entfernte, sondern zugleich einen religiösen Widerwillen ja Ingrimm gegen sie faßte. In demselben Monat kam ihm zuerst die Schrift des Laurentius Valla über die Schenkung Constantins zu Handen. Es war eine Entdeckung für ihn, daß diese Schenkung eine Fiction sey: seine deutsche Ehrlichkeit erfüllte es mit Entsetzen daß man, wie er sich ausdrückt, „so schamlose Lügen in die Decretalen aufgenommen, fast zu Glaubensartikeln gemacht habe!“ „Welche Finsterniß, ruft er aus, welche Bosheit.“ Alle Geister und Kräfte versammeln sich um ihn, die je- mals dem Papstthum den Krieg gemacht: die welche sich von Anfang an nicht unterworfen, die welche sich losge- rissen und nicht wieder herbeigebracht worden, die Tenden- zen der innern lateinischen Opposition, theologische und li- terarische. Schon bei dem ersten Studium der päpstlichen Gesetze hatte er zu bemerken geglaubt, daß sie der Schrift widersprechen: jetzt war er schon überzeugt, die Schrift und das Papstthum seyen in unversöhnlichem Widerspruch. Um nur zu begreifen wie es von der göttlichen Vorse- hung zugelassen sey, um die gestörte Einheit seiner religiö- Fortgang der theologischen Opposition . sen Überzeugung wieder zu finden, gerieth er, und man kann es ihm glauben, unter quälenden inneren Bedräng- nissen, auf die Meinung, daß der Papst jener Antichrist sey, den die Welt erwarte. An Spalatin 23sten Februar (nicht 24) 1520 nr. 204. „Ego sic angor ut prope non dubitem Papam esse proprie An- tichristum.“ Die Vorstellung ist aus den alten chiliastischen Ideen hervorgegangen die man im Occidente festhielt, (vgl die Stelle des Commodian: venturi sunt sub Antichristo qui vincunt, bei Gie- seler Kirchengesch. I, 281) und war besonders in Deutschland sehr beliebt. Einer der ältesten deutschen Drucke, der erste dessen Panzer in den Annalen d. aͤ. d. Lit. gedenkt, ist das Buch vom Entkrist, oder auch: „Buͤchlin von des Endte Christs Leben vnd Regierung durch ver- hengniß Gottes, wie er die Welt tuth verkeren mit seyner falschen Lere vnd Rat des Teufels, auch wie darnach die zween Propheten Enoch vnd Helyas die Christenheit wieder bekeren mit predigen den Christen Glauben.“ 1516 ward dieß Buch zu Erfurt wiedergedruckt. Man sieht, wie es kommt, daß Luther von seinen Anhaͤngern zu- weilen Elias genannt wird. Eine allerdings beinahe my- thische Vorstellung, welche den historischen Gesichtspunct, den man vielleicht hätte fassen können, wieder verhüllt, die aber doch zuletzt keinen weitern Inhalt hat, als daß die Lehre verderbt sey, und in ihrer Reinheit wiederhergestellt werden müsse. In einem parallelen, aber sehr eigenthümlichen Fort- schritt der Meinung war indeß Melanchthon begriffen, der an der Leipziger Disputation den Antheil eines Rathge- bers und Gehülfen genommen: und sich nun den theolo- gischen Studien mit dem stillen Feuer widmete das ihm eigen war, mit dem Enthusiasmus den ein glückliches und sicheres Daherschreiten auf einer neuen Bahn hervorruft. Die Grundsätze auf denen die protestantische Theologie be- ruht, rühren wenigstens nicht minder von ihm her als Zweites Buch. Drittes Capitel . von Luther. Einer der ersten den er aussprach bezog sich noch unmittelbar auf die Streitigkeiten in Leipzig. Lehr- sätze der Kirchenväter waren von beiden Seiten und wohl mit gleichem Rechte angerufen worden; um aus diesen Widersprüchen zu entkommen, setzte Melanchthon noch in einer kleinen Schrift vom August 1519 fest, man müsse nicht die Schrift nach den Kirchenvätern auslegen, son- dern diese nach dem Sinne der h. Schrift verstehen. Defensio contra J. Eckium: C. E. I, p. 113. „Patres judice scriptura recipiantur.“ Er behauptete, die Auslegungen jener vornehmsten Säulen der lateinischen Kirche, des Ambrosius, Hieronymus, ja des Augustin seyen oftmals irrig. Diesen Grundsatz nun, daß ein Christ, wie er sich ausdrückt, ein Catholik nicht ver- pflichtet sey, etwas anzunehmen, als was in der Schrift stehe, bildete er im September 1519 noch weiter aus. Was er von den Kirchenvätern gesagt wiederholte er von den Concilien: daß ihre Autorität dem Ansehn der Schrift gegenüber nichts bedeute. So wie er einmal an diesem Puncte angekommen, mußten ihm gegen das ganze Sy- stem der geltenden Dogmen Zweifel auf Zweifel aufsteigen. Hatte Luther practische, so hatte Melanchthon wissenschaft- liche Entschlossenheit. Noch im September 1519 stellte er Streitsätze auf, in welchen er eben die beiden wichtig- sten Grundlehren des ganzen Systems, von der Trans- substantiation und dem Charakter, auf denen das My- sterium der erscheinenden Kirche, so wie der das Leben beherrschende sacramentale Ritus beruhte, zu bekämpfen wagte. Ungluͤcklicherweise sind diese Saͤtze, die ein Hauptmoment Die Kühnheit dieses Angriffes, die Geschicklich- Fortgang der theologischen Opposition . keit mit der er ihn führte, setzte Jedermann in Erstaunen. „Er ist nun Allen,“ sagt Luther, „als das Wunder er- schienen, was er ist. Er ist der gewaltigste Feind des Satans und der Scholastiker; er kennt ihre Thorheiten und kennt den Felsen Christi; er hat die Kraft und wird es vermögen. Amen.“ Um so eifriger aber vertiefte sich nun Melanchthon in die Schriften des Neuen Testamen- tes. Er war von ihrer einfachen Form entzückt: er fand in ihnen die reine ächte Philosophie; die Studirenden ver- weist er darauf, als das einzige Labsal der Seele, die Traurenden, weil sie Friede und Freude in das Herz gie- ßen. Auch auf seinem Wege aber glaubte er gewahr zu werden, daß in den Lehren der bisherigen Theologie Vieles enthalten sey, was nicht allein aus der Schrift nicht hergeleitet werden könne, sondern ihr widerspreche, sich niemals mit ihrem Sinn vereinigen lasse. In einer Rede am 18ten Januar 1520 über die paulinische Doctrin sprach er das zuerst ohne Rückhalt aus. Im Februar bemerkt er, daß seine Einwendungen gegen Brodverwandlung und Charakter sich auch noch auf viele andre Lehren beziehen; schon sieht er in den sieben Sacramenten ein Nachbild jü- discher Cerimonien, in der Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes eine Anmaaßung, die gegen Schrift und gesunden Menschenverstand laufe: — höchst verderbliche Meinungen, fuͤr die Bildung des protestantischen Lehrbegriffs bilden, nicht mehr aufzufinden. Aus einem Briefe Melanchthons an Johann Heß Fe- bruar 1520 ( C. E. I, 138) lernen wir drei von ihnen kennen, die doch wohl die wichtigsten sind. Nach dem Briefe Luthers an Stau- pitz bei de Wette I, nr. 162 muͤssen sie in den September fallen. Die Saͤtze, welche im C. E. p. 126 vorkommen, sind, wie Foͤrstemann dort bemerkt, spaͤteren Ursprungs: wahrscheinlich vom Juli 1520. Zweites Buch. Drittes Capitel . sagt er, die man aus allen Kräften bekämpfen müsse, mehr als Ein Hercules sey dazu nöthig. Dedication an Bronner: C. E. p. 138. Brief an Heß. Man sieht, Melanchthon langt an demselben Puncte an, den Luther erreicht hat: obwohl ruhiger, mehr auf wissenschaftlichem Wege. Merkwürdig, wie sie sich in die- sem Moment über die Schrift äußern, in der sie beide le- ben. Sie erfüllt die Seele, sagt Melanchthon, mit wun- derbarer Wonne: sie ist ein himmlisches Ambrosia. An Schwebel Dez. 1519. 128. Das Wort Gottes, ruft Luther aus, ist Schwerd und Krieg und Verderben: wie die Löwin im Wald begegnet sie den Kindern Ephraim. Der Eine faßt sie in ihrer Beziehung zu dem Innern des Menschen, dem sie verwandt ist, der Andre in ihrem Verhältniß zu dem Verderben der Welt, dem sie sich entgegensetzt; doch sind sie Beide einverstan- den. Sie hätten nun nicht mehr von einander gelassen. „Dieses Griechlein,“ sagt Luther, „übertrifft mich auch in der Theologie.“ „Er wird Euch,“ ruft er ein ander Mal aus, „viele Martine ersetzen.“ Er hat nur Sorge, daß irgend ein Unfall ihn heimsuche, wie er große Geister wohl verfolge. Dagegen ist nun Melanchthon von dem tiefen Verständniß des Paulus, welches Luthern eigen, ergriffen und durchdrungen worden; er zieht ihn den Kirchenvätern vor; er findet ihn bewundernswürdiger so oft er ihn wieder- sieht; auch im gewöhnlichen Umgang will er den Tadel nicht auf ihn fallen lassen, den man etwa von seiner Hei- terkeit, seinen Scherzen im Gespräch hernimmt. Ein wahr- haft göttliches Geschick das diese Männer in diesem gro- Theilnahme Huttens . ßen Moment vereinigte. Sie betrachten sich wie zwei Ge- schöpfe Gottes, von verschiedenen Gaben, jeder des andern werth: — vereinigt zu demselben Zwecke, in den gleichen Überzeugungen: ein rechtes Bild der wahren Freundschaft. Melanchthon hütet sich wohl den Geist Luthers zu stören: An Johann Lange Aug. 1520. „Spiritum Martini nolim temere in hac causa, ad quam destinatus ὑπὸ πϱονοίας videtur, interpellare.“ (C. E. I, 221.) Luther bekennt, daß er von einer Meinung ablasse, wenn sie Melanchthon nicht billige. Einen so unermeßlichen Einfluß hatte die literarische Richtung nun auch auf eine werdende Theologie gewonnen: noch auf eine andre Weise trat sie jetzt in den Kampf ein. Theilnahme Huttens. Man kann wohl sagen: die Geister die in Deutsch- land an der Bewegung in der gelehrten poetisch-philologi- schen Literatur Theil genommen, zerfielen in zwei große Schaaren. Die eine suchte in ruhigem und mühevol- lem Studium, lernbegierig und lebhaft, neue Elemente der Bildung zu gewinnen und auszubreiten. Ihr gan- zes Streben, das ja von Anfang an eine Richtung auf die heilige Schrift genommen, war in Melanchthon reprä- sentirt, und hatte in ihm die engste Verbindung mit den tieferen theologischen Tendenzen geschlossen, die in Luther erschienen und auf der Universität Wittenberg zur Herr- schaft gekommen waren. Wir sahen so eben, was dieser Bund bedeuten wollte. Die stillen Studien empfiengen Zweites Buch. Drittes Capitel . dadurch Inhalt, Tiefe und Schwung: die Theologie wis- senschaftliche Form und gelehrte Begründung. In der Li- teratur gab es nun aber auch noch eine andre Seite. Ne- ben den ruhigen Gelehrten tummelten sich jene fehdelusti- gen Poeten: schon mit dem Gewonnenen zufrieden, trotzig in ihrem Selbstgefühl, empört über den Widerstand den man ihnen entgegengesetzt, erfüllten sie die Welt mit dem Lärm ihres Kriegs. Diese hatten sich im Anfange der lu- therischen Streitigkeit, die sie als einen inneren Handel der Mönchsorden betrachteten, neutral verhalten. Jetzt aber, da dieselbe eine so großartige, weitaussehende Natur entwickelte, und allen ihren Sympathien entsprach, nahmen auch sie Partei. Luther erschien ihnen als ein Nachfolger Reuch- lins, Johann Eck wie Ortwin Gratius, ein gedungener An- hänger der Dominicaner, und eben so griffen sie ihn an. Im März 1520 kam eine Satyre heraus unter dem Titel: der abgehobelte Eck, welche an phantastischer Conception, schla- gender und vernichtender Wahrheit, aristophanischem Witz die Briefe der dunkeln Männer, an die sie jedoch erinnert, bei weitem übertrifft. Ja in diesem Augenblick trat ein Vor- dermann dieser Schaar nicht anonym wie Andre sondern mit niedergelassenem Visier auf den Kampfplatz. Es war Ulrich von Hutten: längst kannte man seine Waffen und wie er sie führte. Auch für Hutten, wie für Erasmus, war es der sein ganzes Leben bestimmende Moment, daß man ihn sehr früh dem Kloster übergab; aber noch viel unerträglicher war ihm dieser Zwang: er war der Erstgeborne aus einem der nahmhaftesten Rittergeschlechter auf der Buchen, das noch auf Hutten . auf Reichsfreiheit Anspruch machte; als man ernstlicher davon sprach ihn einzukleiden, gieng er davon; und suchte sein Glück wie jener in den Bahnen der aufkommenden Literatur. Mohnike: Ulrich Huttens Jugendleben p. XLIII. Hutten war 1488 geboren; 1499 kam er auf das Kloster, 1504 entwich er. Was hat er da nicht alles bestehen müssen: Pest und Schiffbruch: Verjagung eines Lehrers, dem er dann folgt: Beraubung durch die welche ihn eben unter- stützt: eine abscheuliche Krankheit die er sich im zwanzig- sten Jahre zugezogen: die Mißachtung in welche Mangel und ein schlechter Aufzug besonders in der Fremde zu brin- gen pflegen: seine Familie that nicht, als ob er ihr ange- höre: sein Vater betrachtete ihn mit einer gewissen Ironie. Aber immer behielt er den Muth oben, den Geist unbe- nommen und frei: alle seinen Feinden bot er Trotz: sich zu wehren, literarisch zu schlagen, ward ihm Natur. Zu- weilen waren es mehr persönliche Angelegenheiten, die er auf dem Felde der Literatur ausfocht; z. B. die Mißhand- lung die er von seinen Greifswalder Gastfreunden erfuhr: er rief alle seine Genossen von den Poetenschulen zur Theil- nahme an dieser Unbill auf, die gleichsam allen begegnet sey; Querelarum lib. II, eleg. X. „nostros, communia vul- nera, casus.“ — oder er hatte die Forderung zu widerlegen, die schon ihm, schon damals entgegentrat, daß man etwas seyn, ein Amt bekleiden, einen Titel haben müsse; — oder jene unverantwortliche Gewaltthat des Herzogs von Wirtenberg an einem seiner Vettern regte ihn zu stürmischer Anklage auf. Allein noch lebendiger inspirirte ihn seine kriegerische Muse in den allgemeinen, vaterländischen Dingen. Das Ranke d. Gesch. I. 27 Zweites Buch. Drittes Capitel . Studium der römischen Literatur, in der die Deutschen eine so glorreiche Rolle spielen, hat nicht selten die Wir- kung gehabt, unsern Patriotismus zu erwecken. Die schlech- ten Erfolge des Kaisers in dem venezianischen Kriege hiel- ten Hutten nicht ab, ihn doch zu preisen; die Venezianer behandelt er ihm gegenüber nur als emporgekommene Fi- scher; den Treulosigkeiten des Papstes, dem Übermuth der Franzosen setzt er die Thaten der Landsknechte, den Ruhm des Jacob von Ems entgegen; in langen Gedichten führt er aus, daß die Deutschen noch nicht ausgeartet, daß sie noch immer die alten seyen. Als er aus Italien zurück- kam, war eben der Kampf der Reuchlinisten gegen die Do- minicaner ausgebrochen; er stellt sich seinen natürlichen Freunden mit allen Waffen des Zornes und des Scherzes zur Seite; den Triumph des Meisters feiert er mit seinen besten Hexametern, die einen sinnreichen Holzschnitt beglei- ten. Hutten ist kein großer Gelehrter; seine Gedanken grei- sen nicht sehr in die Tiefe; sein Talent liegt mehr in der Unerschöpflichkeit seiner Ader, die sich immer mit gleichem Feuer, gleicher Frische, in den mannichfaltigsten Formen ergießt, lateinisch und deutsch, in Prosa und in Versen, in rednerischer Invective und in glücklich dialogisirter Sa- tyre. Dabei ist er nicht ohne den Geist eigener feiner Beob- achtung; hie und da, z. B. im Nemo, erhebt er sich in die heiteren Regionen ächter Poesie; seine Feindseligkeiten sind nicht von verstimmend-gehässiger Art, sie sind immer mit eben so warmer Hingebung nach einer andern Seite verbunden; er macht den Eindruck der Wahrhaftigkeit, der rücksichts- losen Offenheit und Ehrlichkeit; vor allem, er hat immer Hutten . große, einfache, die allgemeine Theilnahme fortreißende Be- strebungen, eine ernste Gesinnung, er liebt, wie er sich ein- mal ausdrückt, „die göttliche Wahrheit, die gemeine Frei- heit.“ Der Sieg der Reuchlinisten war auch ihm zu Gute gekommen: er fand Aufnahme an dem Hofe des Chur- fürsten Albrecht von Mainz: mit dem mächtigen Sickin- gen trat er in vertrauliches Verhältniß; auch von seiner Krankheit ward er geheilt und er konnte wohl daran den- ken, sich zu verheirathen, sein väterliches Erbe anzutreten: ein häuslich ruhiges Leben muthete auch ihn an: durch den Glanz einer schon erworbenen Reputation wäre es doch auf immer gehoben gewesen. Da berührte ihn der Hauch des Geistes, welchen Luther in der Nation erweckt hatte: eine Aussicht that sich auf gegen die alle bishe- rige Erfolge nur wie ein Kinderspiel erschienen: seine ganze Überzeugung, alle Triebe seines Geistes und seiner That- kraft waren davon ergriffen. Einen Augenblick gieng Hut- ten mit sich zu Rathe. Der Feind den man angriff, war der mächtigste den es gab, der noch nie unterlegen, der seine Gewalt mit tausend Armen handhabte: wer es mit ihm aufnahm, mußte wissen, daß er sein Lebtag niemals wieder Ruhe finden würde; Hutten verbarg es sich nicht: man sprach darüber in der Familie, die auch ihre Güter durch dieß Unternehmen bedroht glaubte, „meine fromme Mutter weinte,“ sagt er; — aber er riß sich los, ver- zichtete auf sein väterliches Erbe und griff noch einmal zu den Waffen. Entschuldigung Ulrichs von Hutten bei Meiners Lebensbe- schreibungen beruͤhmter Maͤnner ꝛc. III, 479. 27* Zweites Buch. Drittes Capitel . Im Anfang des Jahres 1520 verfaßte er einige Dialoge, die ihm niemals wieder verziehen werden konnten. In dem einen, die Anschauenden, wird der päpstliche Legat nicht mehr wie früher nur an einigen Äußerlichkeiten geneckt, sondern mit alle seinen geistlichen Facultäten, Anathem und Excommunication, die er gegen die Sonne anwenden will, auf das bitterste verhöhnt. In einem andern, Vadiscus oder die römische Dreifaltigkeit, werden alle Mißbräuche und Anmaaßungen der Curie in schlagende Ternionen zu- sammengefaßt: der Meinung der Wittenberger, daß das Papstthum nicht mit der Schrift bestehen könne, kam Hut- ten hier mit einer Schilderung des römischen Hofes wie er in der Wirklichkeit sey, zu Hülfe, welche denselben als den Abgrund des sittlichen und religiösen Verderbens dar- stellte, von dem man sich um Gottes und des Vaterlan- des willen losreißen müsse. Vadiscus dialogus qui et Trias romana inscribitur. In- spicientes Dialogus Hutteni. Opera ed. Münch III, 427. 511. Denn seine Ideen waren vor allem national. Durch eine ihm in die Hände gera- thene alte Apologie Heinrichs IV , die er im März 1520 herausgab, suchte er die Erinnerung an die großen Käm- pfe gegen Gregor VII , die verloschene Sympathie der Na- tion mit dem Kaiserthum, des Kaiserthums mit der Nation wieder zu erwecken. Waltramus de unitate ecclesiae conservanda etc. in Schar- dius Sylloge das erste Stuͤck. Er sandte sie an den jungen Erz- herzog Ferdinand, der eben aus Spanien in den Nieder- landen angekommen, mit einer Zueignung, in welcher er ihn auffordert, seine Hand zu bieten zur Herstellung der alten Unabhängigkeit von Deutschland, welches den kriegs- Hutten . gewaltigen alten Römern widerstanden habe und jetzt den weibischen neuen Römern Tribut bezahle. Praefatio ad Ferdinandum. Opp. III, 551. Sollte man nicht auf die beiden Brüder von Östreich hoffen dürfen, deren Erhebung sich der päpstliche Hof eben so ernstlich widersetzt hatte? Ihre meisten Freunde waren wirklich in diesem Augenblick Gegner des Papstthums. Wir berührten schon die Stimmung des mainzischen Hofes. Alles was sich in der Schweiz zu den ersten Schriften Luthers bekannte, hielt sich zugleich an den Cardinal von Sitten, der die Sache von Östreich nicht ohne die Hülfe dieser Leute auf der Tagsatzung so glücklich geführt hatte. Sickingen, der zur Entscheidung in Wirtenberg so viel beigetragen, nahm zu- gleich für Reuchlin Partei, und wußte die Cöllnischen Do- minicaner zu zwingen, obwohl der Proceß in Rom noch schwebte, vorläufig der Sentenz des Bischofs von Speier nachzukommen, und die Kosten zu bezahlen, zu denen sie da verurtheilt worden. Wer hatte mehr für Carl V ge- than als Friedrich von Sachsen? Der war es, welcher durch den Schutz den er Luther und seiner Universität an- gedeihen ließ, die ganze Bewegung möglich machte. Vor allen Dingen wollte er nicht, daß Luther in Rom gerichtet würde. Auf dem Wahltag hatte der Erzbischof von Trier wirklich das Schiedsrichteramt übernommen; Churfürst Frie- drich erklärte nun, es dürfe nichts gegen Luther geschehen, bis dieser gesprochen: bei dem Urtheil das derselbe fälle, solle es dann sein Verbleiben haben. Verhandlungen bei Walch XV, 916. 919. Daß die Sache Es ist ein innerer Zu- sammenhang in diesen Tendenzen. Man wollte die Ein- Zweites Buch. Drittes Capitel . wirkungen von Rom nicht mehr. Allenthalben predigte Hutten, Deutschland müsse Rom verlassen und zu seinen Bischöfen und Primaten zurückkehren. „Zu deinen Gezel- ten Israel,“ rief er aus, und wir vernehmen, daß er bei Fürsten und Städten vielen Anklang fand. Agrippa a Nettesheim Joh i Rogerio Brennonio ex Co- lonia 16 Junii 1520. (Epp. Agrippae lib. II, p. 99.) Relinquat Ro- manos Germania et revertatur ad primates et episcopos suos. Er hielt sich gleichsam für bestimmt diese Sache durchzusetzen, und eilte an den Hof des Erzherzogs, um ihn wo möglich persön- lich zu gewinnen, mit sich fortzureißen. Schon erfüllte ihn eine kühne Siegeszuversicht. In einer Schrift, die er unterwegs verfaßte, weissagt er, die Tyrannei von Rom werde nicht mehr lange dauern, schon sey die Axt an die Wurzel des Baumes gelegt. Er fordert die Deutschen auf, nur Vertrauen zu ihren tapfern Anführern zu haben, nicht etwa in der Mitte des Streites zu ermatten: denn hin- durch müsse man, hindurch, bei dieser günstigen Lage der Umstände, dieser guten Sache, diesen herrlichen Kräften. „Es lebe die Freiheit. Jacta est alea.“ Das war sein Wahlspruch: der Würfel ist gefallen, ich habs gewagt. Ad liberos in Germania omnes. Opp. III, 563. — Diese Wendung nahm jetzt, und zwar nicht ohne große Schuld der Vertheidiger des römischen Stuhles, die Sache Luthers. Der Angriff, der nur einer Seite des großen Sy- stemes gegolten, und von da aus allerdings auch dem Oberhaupt sehr unbequem geworden wäre, richtete sich nun nicht zu Stande kam, lag hauptsaͤchlich daran, daß Friedrich Luthern auf jenen Reichstag mitbringen wollte, der noch im Nov. 1519 gehal- ten werden sollte, den aber die kaiserlichen Commissarien verhinderten. Bulle gegen Luther . unmittelbar und gradezu wider die ganze Stellung dessel- ben, wider die Idee die er von seiner Berechtigung gel- tend gemacht. Er gehörte nicht mehr dem Gebiete der Theologie allein an: zum ersten Mal hatten die Elemente der Opposition, die in der Nation vorhanden waren, das allgemein literarische und das politische, sich mit dem theologischen berührt, verständigt, wenn noch nicht ganz vereinigt; sie nahmen sämmtlich eine große Richtung wi- der die Prärogativen des Papstes zu Rom. Dieß führte nun auch dahin, daß auf der andern Seite eine ähnliche Vereinigung geschah und der römische Stuhl, der in der Sache noch immer an sich gehalten, end- lich eine definitive Sentenz zu geben bewogen ward. Bulle Leos X. Gehn wir davon aus, daß die Männer alter Schule sich nicht begnügten, Luthern mit alle der Autorität, in deren Besitz sie noch waren, entgegenzutreten — wie denn die dominicanischen Universitäten Löwen und Cölln ein feierliches Verdammungsurtheil über seine Schriften aus- sprachen — sondern sich aufs neue als die getreuesten eng- sten Verbündeten des römischen Stuhles zu bewähren such- ten. Die Angriffe der Deutschen waren ihnen ein Anlaß, die Omnipotenz der päpstlichen Gewalt rücksichtsloser zu erheben als jemals. Jener Meister des heiligen Pallastes Silvestro Mazzolini erschien mit einer Schrift, De juridica et irrefragabili veritate Romanae ecclesiae Romanique Pontificis bei Roccaberti: Bibl. Max. Tom. XIX, p. 264. in welcher Zweites Buch. Drittes Capitel . er, empört daß Luther von ihm als einem Mitrichter an den Papst und sogar an ein Concilium zu appelliren gewagt habe, demselben vor allem zu beweisen sucht, daß es keinen Richter über den Papst geben könne, daß dieser der infallible Ent- scheider aller Streitfragen, aller Zweifel sey, und worin er dann weiter auseinandersetzt, die päpstliche Herrschaft sey die einzige wahre Monarchie, die fünfte Monarchie die im Da- niel vorkomme, der Papst sey der Fürst aller geistlichen der Vater aller weltlichen Fürsten, das Haupt der ganzen Welt, ja er sey, dem Wesen nach, die ganze Welt. c. IV. Etsi ex jam dictis constat Romanum praesulem esse caput orbis universi, quippe qui primus hierarcha et prin- ceps sit omnium spiritualium ac pater omnium temporalium prin- cipum, tamen quia adversarius negat eum esse ecclesiam catho- licam virtualiter aut etiam esse ecclesiae caput, eapropter osten- dendum est quod sit caput orbis et consequenter orbis totus in virtute. Früher hatte er nur gesagt, die gesammte Kirche sey in dem Papst: jetzt beweist er, er selber sey die ganze Welt. Denn auch anderwärts trägt er kein Bedenken, alle fürstliche Gewalt für eine Subdelegation der päpstlichen zu erklären: De Papa et ejus potestate: ibid. p. 369. Tertia pote- stas (die erste ist die des Papstes, die zweite die der Praͤlaten) est in ministerium data, ut ea quae est imperatoris et etiam prin- cipum terrenorum, quae respectu Papae est subdelegata sub- ordinata. der Papst, sagt er, sey erhaben über den Kaiser, mehr als das Gold über das Blei; ein Papst könne den Kaiser einsetzen und absetzen: Churfürsten einsetzen und absetzen: positive Rechte geben und vernichten: der Kaiser, ruft er aus, mit allen Gesetzen, mit allen christlichen Völkern würde gegen den Willen des Papstes nicht das Mindeste zu bestimmen Bulle gegen Luther . vermögen. Papa est imperatore major dignitate plus quam aurum plumbo. (371) — — Potest eligere imperatorem per se ipsum im- mediate — — — — ex quo sequitur quod etiam possit eligere electores imperatoris et mutare ex causa: ejus etiam est electum confirmare, — et dignum depositione deponere. (372) — — Nec imperator cum omnibus legibus et omnibus christianis possent contra ejus voluntatem quicquam statuere. Die Beweise die er für seine Meinung vor- bringt, sind nun freilich höchst seltsam; auch lag an ihrer Durchführung nicht so viel: schon genug, daß sie von ei- nem so hoch gestellten Mann von dem päpstlichen Pallast aus geäußert wurde; unverzüglich kam deutsche Dienst- beflissenheit den römischen Anmaaßungen mit etwas besse- rer Begründung entgegen. Im Februar 1520 brachte auch Eck eine Schrift über den Primat zu Stande, in der er Luthers Behauptung, „daß derselbe nicht von göttlichem Rechte sey,“ stattlich und klar zu widerlegen und dabei viele andre seltene und lesenswürdige Dinge vorzutragen verspricht, welche er mit großer Mühe zusammengebracht, zum Theil aus Handschriften, die er mit äußerster Wach- samkeit verglichen habe: „Merk auf Leser,“ sagt er, „und du sollst sehen, daß ich mein Wort halte.“ De primatu Petri. In Eckii Opp. contra Lutherum. Tom. I, f. III. Auch ist sein Werk gar nicht ohne Gelehrsamkeit und Talent, eine Rüstkammer der mannichfaltigsten Argumente. Aber man sieht dabei recht, welche wissenschaftliche Bedeutung diesem Streite auch noch außer den theologischen Beziehungen bei- wohnte, in wie tiefem Dunkel alle wahrhafte und critische Geschichte noch begraben lag. Eck hat kein Arg dabei, daß sich Petrus ganzer 25 Jahre in Rom aufgehalten Zweites Buch. Drittes Capitel . habe, recht ein Vorbild aller Päpste, während es der hi- storischen Critik zweifelhaft bleibt, ob er jemals dahin ge- langt ist; er findet Cardinäle selbst mit diesem Namen schon im Jahr 770, ja Hieronymus schon nimmt die Stel- lung eines Cardinals ein. Im zweiten Buche will er die Zeugnisse der Kirchenväter für jenes göttliche Recht zu- sammenstellen, und beginnt dabei mit Dionysius Areopa- gita, dessen Werke nur leider untergeschoben sind. Eins seiner vornehmsten Beweismittel sind die Decretalen der ältesten Päpste, aus denen sich freilich gar Vieles er- giebt, was man sonst nicht glauben würde: ein Unglück nur, daß sie sämmtlich untergeschoben sind. Besonders hält er Luthern vor, daß er von den alten Concilien nicht das Mindeste verstehe: den sechsten Canon des nicänischen Concils, aus welchem Luther die Gleichheit der alten Pa- triarchate gefolgert, weiß er ihm auf eine ganz andre Weise auszulegen; allein auch dabei begegnet es ihm, daß er sich auf jenen unächten Canon stützt, welcher der sardicensischen Synode, nicht der nicänischen angehört. Und so geht das nun fort. Man verberge sich die Lage der Dinge nicht. Zu jenen Ansprüchen einer unbedingten, alle andre umfas- senden, irdischen Gewalt gehört, wie das Dogma in sei- ner scholastisch-hierarchischen Ausbildung, so diese giganti- sche Fiction, diese falsche Geschichte, auf so zahllose erdich- tete Documente gestützt; welche, wenn sie nicht durchbro- chen ward, wie das später — und zwar großentheils durch ächtere Gelehrte der katholischen Kirche selbst — geschehn ist, das Aufkommen aller wahrhaftigen und gegründeten Historie unmöglich gemacht haben würde: der menschliche Bulle gegen Luther . Geist würde nie zu unverhüllter Kunde der alten Jahr- hunderte zu dem Bewußtseyn seiner Vergangenheit gelangt seyn. Der in der deutschen Nation erwachte Geist griff dieß ganze System auf einmal an; für alle Richtungen menschlicher Thätigkeit, den Staat, den Glauben und die Wissenschaft war er beschäftigt eine neue Bahn zu öffnen. Auf der andern Seite war man eben so eifrig bemüht, das ganze alte System festzuhalten. So wie Eck mit sei- nem Buche fertig war, eilte er nach Rom, um es dem Papst selbst zu überreichen und die strengsten Maaßregeln der kirch- lichen Autorität gegen die Widersacher hervorzurufen. Man hat damals behauptet, eigentlich sey Eck von dem Wechslerhaus der Fugger nach Rom geschickt wor- den, welches gefürchtet habe, des aus dem Geldverkehr zwischen Rom und Deutschland entspringenden Vortheiles verlustig zu gehen. In enger Beziehung wenigstens stand der Doctor zu diesen Kaufleuten. Zu ihren Gunsten war es, daß er in jener Disputation zu Bologna den Wu- cher vertheidigte. Literae cujusdam e Roma. Aus den Pirkheimerschen Pa- pieren bei Riederer Nachrichten zur Kirchen Gelehrten und Buͤcher- geschichte I, p. 178. Als Brief erregt mir dieß Actenstuͤck allerdings einigen Verdacht; auf jeden Fall ist es gleichzeitig und druͤckt die Meinung eines gut unterrichteten Zeitgenossen aus. Auch Welser sagt (Augspurgische Chroniken ander Theil p. 275 ) daß jene Dis- putationen „auf Jacob Fuggers und seiner Mitgesellschaft Unkosten“ gehalten worden. Hauptsächlich aber kamen ihm die Erklärungen von Cölln und Löwen zu Hülfe. Die mit Deutschland bekann- ten Cardinäle Campeggi und Vio thaten ihr Bestes, um ihn zu befördern. Sein Buch war ganz geeignet, das Zweites Buch. Drittes Capitel . Dringende der Gefahr vor Augen zu stellen. Eine Com- mission von sieben oder acht eifrigen Theologen ward nie- dergesetzt, an der Johann Peter Caraffa, Aleander, wahr- scheinlich auch Silvester Mazzolini und Eck selbst Theil nahmen; ihr Urtheil war keinen Augenblick zweifelhaft; schon am Anfang des Mai war die Bulle entworfen durch welche Luther verdammt werden sollte. In dem Reuchlinschen Handel war es zweifelhaft ge- blieben, in wie fern der römische Stuhl noch mit den Domi- nicanern gemeinschaftliche Sache mache: jetzt aber drangen sie wieder vollkommen durch, und die alte Vereinigung ward aufs neue geschlossen. Jener Proceß selbst ward noch einmal vorgenommen, und wir hören in Kurzem, daß die Mönche zu Cölln über ein Urtel triumphirten, das zu ihren Gunsten ausgefallen sey, und es dort an den Kirchthüren anschlagen ließen. Schreiben Hedios an Zwingli bei Meiners a. a. O. p. 236. Diese Sache verdiente noch naͤhere Aufklaͤrung. Daß sie in Rom wirklich eben damals wieder vorgenommen ward, erhellt aus den Schreiben des Churfuͤrsten von der Pfalz und der zu Frankfurt ver- sammelten Dominicaner (bei Friedlaͤnder Beitraͤge zur Reformations- gesch. p. 113. 116 ) 10 und 20 Mai 1520. Sollte nicht aber das Schreiben der Dominicaner nur eine Folge der erzwungenen Ab- kunft mit Sickingen gewesen seyn? Natuͤrlich konnte diese fuͤr den roͤmischen Stuhl kein Gewicht haben. — Schon von Leipzig aus hatte Eck auf die Nothwendigkeit jener Wiedervereinigung aufmerksam ge- macht; er tadelte den Papst uͤber seine Neigung zu den Grammati- kern ( Grammaticelli ), er sey nicht auf der via regia einhergegangen: 24 Juli 1519 (nicht 1520): in Luthers Opp. lat. II, p. 469. Der Churfürst von Mainz ward über den Schutz, dessen er Ulrich von Hutten würdige, zur Rede gestellt, und aufgefordert, ein Zeichen seiner Strenge gegen den Urheber so vieler Schmähschriften zu geben. Die Hauptsache aber war die Verdammung Luthers. Die Juristen der Curie Bulle gegen Luther . hätten eine Vorladung und neue Vernehmung des Ange- klagten für nothwendig gehalten: „habe doch Gott selbst Cain noch einmal vor sich gerufen;“ aber die Theologen wollten in keine weitere Verzögerung willigen. Man traf endlich die Auskunft, die aus Luthers Schriften excerpir- ten Sätze ohne Säumen zu verurtheilen, ihm selbst aber noch 60 Tage Zeit zu lassen, um sie zu widerrufen. Der Entwurf der Bulle, den Cardinal Accolti gemacht erfuhr noch viele Veränderungen. Viermal ward Consistorium gehal- ten, um jeden einzelnen Satz zu überlegen; Cardinal Vio litt an einem heftigen Krankheitsanfall, aber um keinen Preis wäre er ausgebleben; er ließ sich jedes Mal in die Versammlung tragen. Vor dem Papst selbst, auf sei- nem Landsitz zu Malliano trat noch eine engere Confe- renz zusammen, an der auch Eck Theil nahm. Endlich am 16ten Juni kam die Bulle zu Stande. Ein und vier- zig Sätze aus den lutherischen Schriften wurden darin als falsch verführerisch anstößig oder geradezu ketzerisch bezeichnet, die verdammenden Decrete der Universitäten Löwen und Cölln dagegen als gelehrt und wahr ja hei- lig belobt; Christus ward aufgerufen, den Weinberg zu beschützen, dessen Verwaltung er bei seiner Auffahrt dem heiligen Petrus anvertraut; Petrus selbst, die Sache der römischen Kirche, Meisterin des Glaubens, in seine Obhut zu nehmen; Luther soll, wenn er binnen 60 Tagen nicht widerruft, als ein hartnäckiger Ketzer, ein verdorrter Ast, von der Christenheit abgehauen werden; alle christlichen Ge- walten sind aufgefordert, sich der Person desselben zu be- mächtigen und ihn in die Hände des Papstes zu liefern. In Luthers und Huttens Werken haͤufig abgedruckt. Au- Zweites Buch. Drittes Capitel . Es scheint man hatte in Rom keinen Zweifel an dem vollen Succeß dieser Maaßregeln. Zwei rüstigen Vor- kämpfern, deren eigenes Interesse es war, Aleander und Johann Eck selbst übertrug man die Ausführung dersel- ben. In Deutschland bedurfte es keines königlichen Pla- cets: die Commissarien hatten völlig freie Hand. Wie glorreich fühlte sich Eck, als er nun mit dem neuen Titel eines päpstlichen Protonotarius und Nuntius in Deutschland erschien! Er eilte sogleich auf die Schau- plätze des Kampfes: noch im September ließ er die Bulle in Meißen, Merseburg, Brandenburg anschlagen. Indes- sen gieng Aleander den Rhein hinunter, um sie auch hier in Vollziehung zu setzen. Man sagt wohl, und es ist ganz wahr, daß sie da- mit nicht eben überall die beste Aufnahme gefunden, allein die Waffe die sie führten war doch noch immer sehr furcht- bar. Eck hatte die unerhörte Erlaubniß erhalten, bei der Publication der Bulle einige Anhänger Luthers nach seinem Belieben namentlich anzugeben: er hatte sie, wie man den- ken kann, nicht unbenutzt gelassen. Unter andern hatte er Adelmann von Adelmannsfelden genannt, seinen Mitcano- nicus in Eichstädt, mit dem er einst bei Tische über die Frage des Tages fast handgemein geworden war: in Folge der Bulle begann jetzt der Bischof von Augsburg den Pro- ceß gegen Adelmann zu instruiren, und dieser mußte sich durch Eid und Gelübde von der lutherischen Ketzerei rei- thentisch Bull. Cocq. III, 111, p. 487. Mich wundert, daß Rainal- dus, der sie mittheilt, sie aus dem Cochlaͤus nahm. Er ist hier uͤberhaupt ungebuͤhrlich duͤrftig. Etwas besser ist Pallavicini. Einige Notizen finden sich noch im Parnassus Boicus III, p. 205. Bulle gegen Luther . nigen. Auch ein paar angesehene Rathsglieder von Nürn- berg, Spengler und Pirkheimer hatte er sich nicht gescheut zu nennen; die Verwendung ihrer Stadt, des Bischofs von Bamberg, selbst der Herzöge von Baiern half ihnen nichts: sie mußten vor Eck sich beugen, der sie das ganze Gewicht eines Beauftragten des römischen Stuhles fühlen ließ. Riederers Werkchen Beitrag zu den Reformationsurkunden ist diesen Vorfaͤllen ganz eigentlich gewidmet. Die Befugniß Ecks ergiebt sich aus einem von ihm woͤrtlich angefuͤhrten Paragraphen seiner Instruction p. 79. In Ingolstadt wurden die Bücher Luthers im October 1520 aus den Buchläden weggenommen und ver- siegelt. Schreiben Baumgaͤrtners an den Rath zu Nuͤrnberg 17 Oct. So gemäßigt der Churfürst von Mainz auch war, so mußte er doch Ulrich von Hutten, der auch in den Niederlanden nur eine schlechte Aufnahme gefunden, von seinem Hofe ausschließen, und den Drucker seiner Schrif- ten ins Gefängniß werfen. Zuerst in Mainz wurden die Schriften Luthers verbrannt. Aleander ward ganz über- müthig durch diese Erfolge. Er ließ sich vernehmen wie Mazzolini, der römische Papst könne Kaiser und Könige absetzen: er könne zu dem Kaiser sagen: du bist ein Ger- ber; er werde wohl auch mit ein paar elenden Gramma- tikern fertig werden: und auch diesen Herzog Friedrich werde man zu finden wissen. Erasmi Responsio ad Albertum Pium bei Hardt Hist. lit. ref. I, 169. Denn kein Andrer als Aleander ist der διπλωματοφόϱος. Allein so weit dieser Sturm auch tobte, über den ei- nen Ort auf den es ankam, über Wittenberg gieng er ohne Schaden hinweg. Eck hatte wirklich den Auftrag, wenn Luther sich nicht unterwerfe, die Drohungen der Bulle mit Zweites Buch. Drittes Capitel . Hülfe der umwohnenden Fürsten und Bischöfe an ihm zu vollstrecken. Auszug aus dem Breve apostol. 15 Kal. Aug. bei Win- ter: Geschichte der evangel. Lehre in Baiern I, p. 53. Man hatte ihm das Recht gegeben, den li- terarischen Gegner, den er nicht zu besiegen vermocht, als Ketzer zu bestrafen. Eine Vollmacht, gegen die sich das natürliche moralische Gefühl so lebhaft empörte, daß Eck selber darüber mehr als einmal in persönliche Gefahr ge- rieth; und die sich auch sonst ganz unausführbar erwies. Der Bischof von Brandenburg hatte die Macht nicht, wenn er auch den Willen gehabt hätte, die Rechte eines Ordinarius in Wittenberg geltend zu machen; die Univer- sität war durch ihre Exemtionen geschützt: als ihr die Bulle von Eck zugefertigt ward, beschloß sie dieselbe nicht zu publiciren. Sie gab als Grund an, seine Heiligkeit werde entweder gar nichts davon wissen, oder durch un- gestümes Ansuchen Ecks dazu gereizt seyn. Daß Eck aus eigener Macht noch ein paar Mitglieder der Universität, Carlstadt und Johann Feldkirchen als Anhänger Luthers nahmhaft gemacht hatte, brachte Jedermann auf. Man ließ Luther und Carlstadt an den Sitzungen Theil nehmen, in denen über die Bulle Beschluß gefaßt ward. Peter Burcard (Rector) an Spengler. Bei Riederer p. 69. Schon hatte die Universität in diesen Ländern eine größere Auto- rität als der Papst. Ihr Beschluß diente der churfürst- lichen Regierung, ja dem Officialat des Bisthums Naum- burg-Zeiz zur Norm. Da war nur die Frage, was Churfürst Friedrich dazu sa- Bulle gegen Luther . sagen würde, der eben dem ankommenden Kaiser nach dem Rhein entgegengegangen war. Aleander traf ihn in Cölln an und säumte nicht ihm die Bulle zu überreichen. Allein er bekam eine sehr ungnädige Antwort. Der Churfürst war ungehalten, daß der Papst trotz seiner Bitten die Sache in Deutschland verhören zu lassen, trotz der Com- mission die dem Erzbischof von Trier zu Theil geworden, doch in Rom das Urtel gefällt hatte, auf Anhalten eines erklärten, persönlich gereizten Widersachers, der dann selbst gekommen war, um in seiner des Fürsten Abwesenheit eine Bulle bekannt zu machen, die wenn sie ausge- führt ward, die Universität zerstören und in dem auf- geregten Lande die größte Unordnung veranlassen mußte. Aber überdieß war er auch überzeugt, daß man Luthern Unrecht thue. Noch in Cölln hatte ihm Erasmus gesagt, Luthers ganzes Verbrechen sey, daß er die Krone des Pap- stes und die Bäuche der Mönche angegriffen. Spalatin Leben Friedrichs p. 132. Fuͤr die Ideen des Eras- mus hoͤchst merkwuͤrdig sind die Axiomata Erasmi Roterodami pro causa Lutheri Spalatino tradita 5 Nov. 1520 in Lutheri Opp. Lat. II, p. 314. Das war eben auch die Meinung des Fürsten: man las in seinen Mienen das Vergnügen das ihm diese Worte machten. Er sah sich persönlich verletzt und zugleich empörte sich sein Rechtsgefühl: er beschloß, dem Papste nicht zu weichen. Er wiederholte seine alte Forderung daß Luther vor glei- chen gelehrten frommen Richtern an einem ungefährlichen Ort verhört werden müsse; von der Bulle wollte er nichts wissen. Erzaͤhlung der Handlung von Coͤlln (W. XV, 1919); daß Das war die Meinung seines Hofes, seines Ranke d. Gesch. I. 28 Zweites Buch. Drittes Capitel . Bruders und seines Neffen, die ihm einmal nachfolgen soll- ten, ja des ganzen Landes. Veit Warbeck bei Walch XV, 1876. Denn in der Natur der Sache liegt es, daß das ein- seitige und schlecht überlegte Verfahren des römischen Stuh- les alle Antipathien aufregte. Wir dürfen behaupten: die Bulle erst brachte die volle Empörung zum Ausbruch. Momente des Abfalls. In den ersten Monaten des Jahres 1520 hatte sich Luther ziemlich still gehalten, und sich nur etwa gegen die Ohrenbeichte oder gegen die Austheilung des Abendmals un- ter Einer Gestalt erklärt, seine Leipziger Sätze weiter verthei- digt: — so wie man aber von den Erfolgen Ecks zu Rom, von der bevorstehenden Verdammung hörte, zuerst nur durch schwankendes Gerücht, das sich aber von Tag zu Tage mehr bestätigte, erwachte sein geistlicher Kriegseifer: die indeß in ihm gereiften neuen Überzeugungen brachen sich Bahn: „endlich,“ rief er aus, „muß man die My- sterien des Antichrists enthüllen:“ im Laufe des Juni, eben als man dort die Verdammungsbulle zu Stande brachte, schrieb er sein Buch an den christlichen Adel deutscher Na- tion, wie seine Freunde mit Recht bemerkten das Signal zum entschiednen Angriff. Den beiden Nuntien mit ihren Bullen und Instructionen kam dieses Buch, das im August sie von Heinrich von Zuͤtphen sey, ist wohl ein aus der Unterschrift in der aͤltern Ausgabe, die sich aber nur auf einen angehaͤngten Cor- respondenzartikel bezog, geflossener Irrthum. Abfall Luthers . ausgegeben ward, Wahrscheinlich doch im Anfang des August. Am dritten Aug. schreibt Luther an seinen Augustiner-Mitbruder Voigt: jam edo librum vulgarem contra Papam de statu ecclesiae emendando. (de W. I, 475). von Wittenberg her entgegen. Es sind ein paar Bogen von welthistorischem, zukünftige Entwicke- lungen zugleich vorbereitendem und voraussagendem In- halt. Wie viel hatte man in allen Nationen um diese Zeit über die Mißbräuche der Curie, der Geistlichkeit ge- klagt! Hätte Luther nichts weiter gethan, das würde noch wenig bedeutet haben: aber er brachte dabei zugleich einen großen Grundsatz in Anwendung, der seit jener Disputa- tion Melanchthons sich in ihm befestigt hatte: er leugnete den Charakter indelebilis der Weihe, und erschütterte da- mit das ganze Fundament der Absonderungen und Vor- rechte des Clerus. Er urtheilte, daß in Hinsicht der geist- lichen Befähigung alle Christen einander gleich seyen. Das will sein etwas schroffer Ausdruck sagen: sie seyen alle Priester. Daraus folgte nun aber zweierlei: einmal, daß die Priesterschaft nichts als eine Amtsführung seyn könne, „von den andern Christen,“ sagt er, „nicht weiter noch wür- diger geschieden, denn daß die Geistlichen das Wort Got- tes und das Sacrament sollen handeln, das ist ihr Werk und Amt:“ sodann aber, daß sie auch der Obrigkeit un- terworfen seyn müsse, welcher ein andres Amt obliege, welche, sagt er, „das Schwerd und die Ruthen in der Hand hat, die Bösen damit zu strafen, die Frommen zu schützen.“ An den christlichen Adel deutscher Nation: von des christli- chen Standes Besserung. Altenb. Ausg. Werke I, 483. Wenige Worte, aber die sich der ganzen Idee 28* Zweites Buch. Drittes Capitel . des Papstthums im Mittelalter entgegensetzen, der weltlichen Gewalt dagegen, der sie den schriftmäßigen Begriff der Obrig- keit vindiciren, eine neue Grundlage geben, die Summe einer neuen Weltbewegung, die sich Jahrhunderte hindurch fort- setzen muß, in sich schließen. Dabei ist jedoch Luther nicht der Meinung den Papst zu stürzen. Er soll bestehen, natürlich weder als Oberherr des Kaiserthums, noch als Inhaber aller geistlichen Gewalt, sondern mit bestimmten beschränk- ten Befugnissen, vor allem, um die Streitigkeiten zwischen Primaten und Erzbischöfen zu schlichten, und sie zur Er- füllung ihres Amtes anzutreiben. Auch Cardinäle mögen bleiben, aber nur so viel wie nöthig, etwa zwölf, und es sollen ihnen nicht die besten Pfründen aus aller Welt zufal- len. Die Landeskirchen sollen möglichst unabhängig seyn; und zunächst in Deutschland soll man einen Primas haben mit seinem eignen Gericht und seinen Canzleien der Gnade und Gerechtigkeit, vor welchen die Appellationen von den deut- schen Bischöfen zu bringen sind. Denn auch die Bisthü- mer sollen eine größere Unabhängigkeit behalten: Luther schilt auf die Eingriffe welche der römische Stuhl sich da- mals in dem Sprengel von Straßburg erlaubt hatte. Die Bischöfe sollen von den schweren Eiden befreit werden, womit sie der Papst verpflichtet. Klöster möge es noch geben, aber in geringer Anzahl, unter bestimmten strengen Beschränkungen. Den niedern Geistlichen soll es frei stehn, sich zu verheirathen. Ich brauche nicht auszuführen, welche weitere Veränderungen sich ihm hieran knüpfen: sein Sinn ist offenbar. Man könnte nicht sagen, er habe die Ein- heit der lateinischen Christenheit sprengen, die geistliche Ver- Abfall Luthers . fassung geradehin auflösen wollen. Innerhalb der Grenzen ihres Berufes erkennt er die Unabhängigkeit, ja hinwiederum die Superiorität der Geistlichen an: „Es gebuͤrt nicht dem Papst sich zu erheben uͤber weltliche Gewalt denn allein in geistlichen Aͤmtern, als da sind Predigen und Absolviren.“ ( p. 494.) aber eben auf diesen Beruf will er sie zurückführen, und dabei zugleich, wie das denn überhaupt ein allgemeiner Wunsch war, nationalisiren, von den täglichen Eingriffen Roms unabhängiger machen. Es war das aber nur die Eine Seite seines Angriffes, erst das Zeichen zur Schlacht: unmittelbar folgte dieser selbst in aller seiner Kraft. Im October 1520 erschien die Schrift von der bahylonischen Gefangenschaft der Kirche. De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium M. L., ubi praecipue de natura numero et usu sacramentorum agitur. Opp. ed. Jen. II, 259. Denn unter dem Gesichtspunct einer der Kirche zugefüg- ten Gewalt betrachtete Luther die durch das Zusammen- wirken der Scholastik und der Hierarchie allmählig gesche- hene Festsetzung der lateinischen Dogmen und Gebräuche. Eben in dem Mittelpunct ihres Daseyns, in der Lehre von den Sacramenten, zunächst dem wichtigsten derselben, von der Eucharistie, griff er sie an. Man würde ihm Unrecht thun, wenn man hier eine nach allen Seiten ausgearbei- tete Theorie davon suchen wollte: er hebt zuerst nur die Ge- gensätze hervor, in welche die obwaltende Lehre mit der ur- sprünglichen Stiftung gerathen sey. Er verwirft die Kelch- entziehung, nicht weil nicht auch in dem Brode das ganze Sacrament wäre, sondern weil an den ursprünglichen Insti- tutionen Christi Niemand etwas zu ändern habe. Er will Zweites Buch. Drittes Capitel . darum noch nicht, daß man sich den Kelch mit Gewalt wiedernehmen solle: er bestreitet nur die Argumente, mit denen man die Entziehung aus der Schrift hatte herlei- ten, rechtfertigen wollen: Contra tam patentes potentes scripturas; — contra evi- dentes dei scripturas p. 262. den Spuren des ältern un- geänderten Gebrauchs geht er eifrig nach. Dann kommt er auf die Lehre von der Transsubstantiation. Wir erin- nern uns, daß Petrus Lombardus noch nicht gewagt hatte, die Verwandlung der Substanz des Brodes zu behaupten. Spätere trugen kein Bedenken dieß zu thun: sie lehrten, nur das Accidens bleibe übrig, und stützten sich dabei un- ter andern auch auf eine angeblich aristotelische Bestim- mung über Subject und Accidens. Eine Hauptstelle ist in der Summa divi Thomae: Pars III, qu. 75, art. IV, c. 1 m . V, 4. Auf dieser Stelle nun finden wir Luther. Die Einwendungen des Peter von Ailly gegen diese Ansicht hatten schon früher Eindruck auf ihn gemacht; jetzt aber fand er überdieß, daß es un- recht sey, in die Schrift etwas hineinzutragen, was nicht darin liege, daß man ihre Worte nur in der einfachsten eigentlichsten Bedeutung zu nehmen habe; für ihn war es kein Argument mehr, daß die römische Kirche jene Vor- stellungsweise bestätigt habe: es war das ja eben jene tho- mistisch-aristotelische Kirche, mit der er sich in einem Kampf auf Leben und Tod befand. War doch Aristoteles über- dieß, wie er beweisen zu können glaubte, hier von S. Tho- mas nicht einmal verstanden worden! Opiniones in rebus fidei non modo ex Aristotele tra- dere, sed et super eum, quem non intellexit, conatus est stabi- lire: infelicissimi fundamenti infelicissima structura. (p. 263.) Fast noch wich- Abfall Luthers . tiger aber war für Luthers practischen Standpunct die Lehre, daß die Celebration des Sacramentes ein verdienst- liches Werk, daß sie ein Opfer sey. Sie knüpfte sich an jene mysteriöse Vorstellung von der Identität Christi selbst und der römischen Kirche, die für Luther völlig verschwun- den war: er fand davon nichts in der Schrift: hier las er nur von der Verheißung der Erlösung, die an das sinn- liche Zeichen und den Glauben geknüpft sey: er konnte es den Scholastikern nicht vergeben, daß sie nur von dem Zeichen, nicht aber von der Verheißung und dem Glau- ben handelten. Wenn spaͤterhin Bellarmin, wie Moͤhler p. 255 anfuͤhrt, allerdings ex parte suscipientis voluntatem fidem et poeniten- tiam fordert, so waren es eben Bestimmungen dieser Art, welche Luther in den damals geltenden thomistischen Schriften vermißte, und um ihn tadeln zu koͤnnen, muͤßte man erst nachweisen, daß diese Leh- ren zu seiner Zeit wirklich gelehrt und eingeschaͤrft worden seyen. Die Wiederaufnahme derselben in der roͤmischen Kirche ist, wie ge- sagt, erst die Nachwirkung der reformatorischen Tendenzen. Wie könne man behaupten, daß es ein gutes Werk ein Opfer sey, sich an eine empfangene Ver- heißung erinnern? Daß die Vollziehung dieses Gedächt- nisses einem Andern, einem Abwesenden etwas nütze, sey eine der falschesten und gefährlichsten Meinungen. Indem er diese Lehren bestreitet, verbirgt er sich nicht, was daraus entstehen, wie die Autorität unzähliger Schriften fallen, das ganze System der Cerimonien und Äußerlichkeiten der Kirche verändert werden müsse; allein kühn sieht er dieser Nothwendigkeit in die Augen; er betrachtet sich als den Anwald der Schrift, welche mehr bedeute, und sorg- fältigere Rücksicht verdiene, als alles was Menschen und Engel denken. Er sagt, er verkündige nur das Wort, um seine Seele zu retten, möge dann die Welt zusehn, Zweites Buch. Drittes Capitel . ob sie es befolgen wolle. Überhaupt konnte er an der Lehre von den sieben Sacramenten nun nicht mehr fest- halten. Thomas von Aquino führt mit Vorliebe aus, wie die Ordnung derselben dem natürlichen und socialen Leben des Menschen entspreche: die Taufe der Geburt, die Firmelung dem Wachsthum, die Eucharistie der Nahrung, die Buße der Arznei bei etwa eintretender Krankheit, die letzte Ölung der völligen Heilung, ferner die Weihe den öffentlichen Geschäften, die Ehe heilige die natürliche Fort- pflanzung: Tertia pars qu. LXV, conclusio. allein das waren keine Vorstellungen die auf Luther Eindruck gemacht hätten: er fragte nur, was deut- lich in der Schrift zu lesen sey, welche unmittelbare Be- ziehung ein Ritus auf Glauben und Erlösung habe: er verwarf, und zwar fast mit denselben Argumenten die sich schon in der Confession der mährischen Brüder finden, die vier übrigen Sacramente und blieb nur bei Taufe, Abend- mahl und Buße stehen. Nicht einmal von dem römischen Stuhl könne man die andern herleiten: sie seyen nur ein Product der hohen Schulen, denen freilich der römische Stuhl alles verdanke was er besitze. Neque enim staret tyrannis papistica tanta, nisi tantum accepisset ab universitatibus, cum vix fuerit inter celebres epi- scopatus alius quispiam qui minus habuerit eruditionem ponti- ficum. Ein großer Un- terschied sey auch deshalb zwischen dem alten Papstthum vor tausend Jahren und dem neuen. Wie erhoben sich da die feindlichen Weltansichten so gewaltig gegen einander! Indem der päpstliche Stuhl alle Gerechtsame die er sich bei dem Aufbau seines geistlich- weltlichen Staates während der mittleren Jahrhunderte er- Abfall Luthers . worben, und die damit zusammenhängenden Grundsätze der Lehre in jener Bulle aufs neue proclamirte, stellte sich ihm von einem kleinen deutschen Orte her, von einem oder zwei Universitätslehrern aufgefaßt, die Idee einer neuen auf das geistliche Amt zurückgeführten Kirchenverfassung und einer von allen Doctrinen der Scholastik absehenden, auf die ursprünglichen Prinzipien der ältesten Verkündiger zurück- gehenden Lehre entgegen. Der Papst hoffte dieselbe in ihrem Beginn zu ersticken. Aber wie so lange Epochen sollten er und sie mit ihrem Widerstreit erfüllen! Wir sahen, Wittenberg berührte die Bulle des Pap- stes nicht. Luther konnte es wagen, den Papst selbst für einen Unterdrücker des göttlichen Wortes, an dessen Stelle er seine eignen Meinungen setze, ja für einen verstockten Ketzer zu erklären. Auch Carlstadt erhob sich gegen den grimmigen florentinischen Löwen, der den Deutschen nie etwas Gutes gegönnt, der jetzt die wahrsten Lehrsätze ver- damme, wider göttliches und natürliches Gesetz, ohne die Vertheidiger derselben nur vorgeladen zu haben. Die ganze Universität schloß sich eng und enger um ihren Helden an, der ihr eigentlich ein Daseyn und eine Bedeutung gege- ben. Da die Nachricht eintraf, daß man hie und da die Bulle auszuführen, Luthers Bücher zu verbrennen beginne, fühlte sich dieser stark genug diese Unbill an den päpstli- chen Schriften zu rächen. Durch einen förmlichen Anschlag am schwarzen Bret dazu eingeladen versammelte sich am 10ten Dez. 1520 die damals überaus zahlreiche akademi- sche Jugend Nach Sennert Athenae et Inscriptiones Vitebergenses vor dem Elsterthore von Wittenberg; es Zweites Buch. Drittes Capitel . ward ein Holzstoß zusammengetragen: ein Magister der Universität steckte ihn an; in dem vollen Gefühl der Recht- gläubigkeit seines Abfalls trat hierauf der gewaltige Augu- stiner in seiner Kutte ans Feuer: er hatte die Bulle und die Decretalen der Päpste in Händen: „weil du den Hei- ligen des Herrn betrübt hast,“ rief er aus, „so verzehre dich das ewige Feuer,“ und warf sie in die Flamme. Nie ist eine Empörung entschlossener angekündigt worden. „Hoch vonnöthen wäre es,“ sagte Luther des andern Tages, „daß der Papst d. i. der römische Stuhl sammt allen seinen Leh- ren und Greueln verbrannt würde.“ Nothwendig wendete sich nun die Aufmerksamkeit der gesammten Nation auf diesen Widerstand. Was Lu- thern zuerst die allgemeinere Theilnahme der denkenden und ernstgesinnten Zeitgenossen verschafft hatte, waren seine theologischen Schriften gewesen. Durch die Vereini- gung von Tiefsinn und gesundem Menschenverstand der in ihnen hervorleuchtete, den hohen Ernst den sie athme- ten, ihren tröstlichen und erhebenden Inhalt hatten sie eine allgemeine hinreißende Wirkung hervorgebracht. „Das weiß ich,“ sagte Lazarus Spengler in jener Trostschrift die man ihm zum Verbrechen machte, „daß mir mein Le- benlang keine Lehre oder Predigt so stark in meine Ver- nunft gegangen ist. — Viel treffliche und hochgelehrte Per- sonen geistlichen und weltlichen Standes sind Gott dank- p. 58 u. 59 betrugen die Inscriptionen im Jahr 1512 208; 1513 151; 1514 213; 1515 218; 1516 162; 1517 232; im J. 1518 stieg die Zahl der Inscribirten schon auf 273, im J. 1519 auf 458, im Jahr 1520 auf 578. Momente des Abfalls . bar, daß sie die Stunde erlebt, Dr Luther und seine Lehre zu hören.“ Schutzrede bei Riederer p. 202. Wie so unumwunden und lebhaft bekennt sich der berühmte Jurist Ulrich Zasius zu den Lehren Lu- thers über Ablaß, Beichte und Buße, zu seinen Schriften über die zehn Gebote, über den Brief der Galater. Zasii Epp. p. 394. Ich kann diesen Brief unmoͤglich fuͤr unaͤcht halten; da dieselbe Meinung in so vielen andern wiederkehrt. Aus den Briefsammlungen jener Zeit kann man sehen, mit wel- cher Theilnahme eben die religiösen Schriften, z. B. die Auslegung des Vater Unsers, oder auch die neue Ausgabe der deutschen Theologie, ergriffen wurden: wie sich Kreise von Freunden bildeten, die sie einander mittheilten, sie wie- der drucken, und dann durch Herumträger ausbreiten ließen: um die Käufer nicht zu zerstreuen gab man denselben nur diese und keine andere Schriften mit; man empfahl sie von den Kanzeln. Beatus Rhenanus an Zwingli. Huldrici Zwinglii Opera Tom: VII, p. 77. 81. Dazu kam nun aber jetzt die Kühnheit dieses sich so großartig in so unmittelbarer Beziehung zu der tieferen Re- ligion entwickelnden Angriffes. Wohl billigten nicht Alle die Wendung die er genommen, unter Andern eben Zasius nicht; die Mehrzahl wurde aber grade hiedurch zu Theil- nahme und Bewunderung fortgerissen; alle Kräfte der Opposition mußten sich um eine Lehre sammeln, die ihr eben das gab, was ihr hauptsächlich gebrach, die religiöse Rechtfertigung. Schon Aleander bemerkte, daß ein gro- ßer Theil der Juristen sich wider die geistlichen Rechte er- kläre: wie sehr irrte er aber, wenn er wirklich meinte wie Zweites Buch. Drittes Capitel . er sagt, sie wünschten nur der canonistischen Studien über- hoben zu werden: da kannte er die deutschen Gelehrten schlecht: ein ganz andres Motiv war die lästige Compe- tenz zwischen geistlichen und weltlichen Gerichten, über welche auf so viel Landtagen, so viel Reichsversammlungen Klage geführt worden war. Gleich gegen das letzte Verfahren des römischen Hofes erhob sich eine scharfe Critik aus dem Gesichtspunct des deutschen Staatsrechts: ein kaiserlicher Rath, Hieronymus von Endorf sah es als einen Eingriff der geistlichen in die weltliche Gewalt an, daß der Papst die Anordnungen seiner Bulle einschärfte „bei dem Makel des Verbrechens der beleidigten Majestät, bei Verlust der Erbrechte und Lehen:“ er rief den Kaiser auf, das nicht zu dulden. An den Landeshauptmann in Steiermark, Siegm. v. Diet- richstein. Walch XV, 1902. Aleander fand aber nicht allein die Rechts- gelehrten, sondern auch den Clerus wanken: namentlich die niedere Geistlichkeit, welche den Druck der hierarchischen Gewalten auch ihrerseits nicht wenig empfand: er ur- theilte, in allen deutschen Ländern gebe sie den Lehren Luthers Beifall. Auszuͤge aus der Relation Aleanders bei Pallavicini. Es entgieng ihm nicht, daß auch die Orden von denselben ergriffen waren. Bei den Augu- stinern war es die Nachwirkung der letzten Vicarien, die Vorliebe für ihren Ordensbruder die das bewirkte; bei andern Opposition gegen die Herrschaft der Dominicaner; wie hätte es anders seyn können, als daß sich in gar manchem unfreiwilligen Klosterbruder unter diesen Umstän- den die Hofnung und der Wunsch regte, sich seiner Fes- seln zu entledigen. Ganz von selbst gehörten die Schulen Momente des Abfalls . der Humanisten zu dieser Partei: noch waren keine Spal- tungen in ihnen ausgebrochen: das literarische Publicum sah in Luthers Sache seine eigene. Und schon hatte man begonnen, auch die Ungelehrten zur Theilnahme an der Be- wegung heran zu ziehen. Hutten wußte sehr wohl, was es zu bedeuten hatte, daß er deutsch schrieb. „Latein habe ich früher geschrieben,“ sagt er, „was nicht ein Jeder ver- standen, jetzt rufe ich das Vaterland an.“ Das ganze Sündenregister der römischen Curie, das er schon öfter zur Sprache gebracht, führte er jetzt in dem neuen Lichte der Gesichtspuncte Luthers der Nation in deutschen Reimen vor. Klage und Vermanung gegen die ungeistlichen Geistlichen. Er gab sich der Hofnung hin, daß die Erlösung nahe sey: er verhehlte nicht, daß es im schlimmsten Fall die Schwerder und Hallbarden so vieler tapfern Helden seyen, worauf er trotze: mit denen werde man Gottes Rache vollziehen. Schon tauchen hie und da die merkwürdigsten Entwürfe auf. Die einen fassen vor allem das Verhält- niß der deutschen Kirche zu Rom ins Auge. Niemand soll künftig eine Würde besitzen, der nicht dem Volke in deut- scher Sprache predigen könne; die Prärogativen der päpst- lichen Monate, Accesse, Regresse, Reservationen, und es versteht sich von selbst die Annaten sollen aufgehoben seyn; kein römischer Bann soll in Deutschland etwas gelten; ein Concilium in Deutschland soll immer erst bestimmen, ob ei- nem Breve zu gehorchen sey oder nicht; die einheimischen Bischöfe sollen allenthalben der päpstlichen Gewalt entge- gentreten. Etlich Artickel Gottes Lob und des heyligen Roͤmischen Reichs und der ganzen deutschen Nation ere und gemeinen nutz belangend. Am Andere verknüpfen hiemit durchgreifende Vor- Zweites Buch. Drittes Capitel . schläge zu einer sehr ins Einzelne gehenden Reformation. Die Feiertage sollen beschränkt, die Pfarrer regelmäßig be- soldet, ordentliche Prediger eingesetzt, die Fasten nur wenige Tage im Jahr beobachtet, die absonderlichen Trachten in den Klöstern aufgehoben werden; — eine jährliche Zusam- menkunft der Bischöfe soll die allgemeinen Angelegenheiten der deutschen Kirche besorgen. Ja die Idee erhebt sich, durch Gottes besondre Veranstaltung werde sich jetzt ein christliches Wesen von der deutschen Nation nach aller Welt hin aus- breiten, wie einst aus Judäa. Dazu sey in ihr ein Same alles Guten, ohne bemerkt zu werden, aufgegangen: „sub- tile Sinne, scharfe Gedanken, meisterliche Arbeit in allen Handwerken, Erkenntniß aller Schrift und Sprache, die nützliche Kunst der Buchdruckerei, Begierde evangelischer Lehre, Gefallen an Wahrheit und Ehrbarkeit.“ Dazu sey auch Deutschland dem römischen Kaiser gehorsam geblie- ben. Ein klaͤgliche klag an den christlichen Roͤm. Kayser Caro- lum von wegen Doctor Luthers und Ulrich von Hutten ꝛc. die un- ter dem Titel der funfzehn Bundesgenossen bekannte Schrift. Pan- zer Annalen der aͤltern d. Literatur II, p. 39 hat nachgewiesen, daß sie von Eberlin von Guͤnzburg ist. — In der Epistola Vdelonis Cym- bri Cusani de exustione librorum Lutheri 1520 wird der Gegen- satz zwischen Roͤmern und Deutschen folgendermaaßen gefaßt: Nos Christum, vos chrysum, nos publicum commodum, vos privatum luxum colitis, vos vestram avaritiam — et extremam libidinem, nostram nos innocentiam et libertatem tuentes pro suis quisque bonis animose pugnabimus. Alle Hofnungen wandten sich auf Carl V: der eben den Rhein heraufzog. Auch die, welche sich der Be- wegung widersetzen, wünschen ihm doch die Weisheit Sa- Ende: Gedruckt zu Hagenaw durch Thomam Anshelm in dem Hor- nung 1521. Momente des Abfalls . lomonis und Danielis, „die in gleicher Jugend von Gott erleuchtet worden;“ denn auch sie finden den Zustand der Dinge so arg, daß der jüngste Tag kommen müsse, wenn sie nicht eine ernstliche Reformation ändre. Woͤrtlich Hieronym. Emser wid’ das unchristenliche buch Martini Luters Augustiner Bog. IV. Er fuͤgt hinzu, alle Stende seyen gebrechlich „zuvoran die Geistlichen von obersten bis auf den nie- dersten.“ Auch er wendet den Spruch, von der Ferse bis zum Schei- tel sey nichts gesundes, auf sie an. Mit den kühnsten Vorschlägen aber kamen ihm die Anhänger der Neuerung ent- gegen. Er soll den Graumönch seinen Beichtvater entlas- sen, der sich rühme, daß er ihn und das Reich beherrsche; mit dem Rathe der weltlichen Churfürsten und Fürsten soll er regieren: nicht jene Schreiber und Finanzer, sondern den Adel, der jetzt seine Kinder studiren lasse, zu den Ge- schäften brauchen; Hutten und Erasmus in seinen Rath ziehn; und den Mißbräuchen des römischen Hofes, so wie der Bettelmönche in Deutschland ein Ende machen. Dann werde er die Stimme der Nation für sich haben, Papst und Cardinäle nicht mehr brauchen, ihnen vielmehr die Confirmation geben; „dann werden die starken Deutschen auf seyn mit Leib und Gut, und mit dir ziehen gen Rom, und ganz Italien dir unterthänig machen; dann wirst du ein gewaltiger König seyn. Wirst du erst Gottes Handel ausrichten, so wird Gott deinen Handel ausrichten.“ Ein klaͤgliche klag Bog. † † III. „Tag und Nacht,“ ruft ihm Hutten zu, „will ich dir dienen ohne Lohn; manchen stolzen Helden will ich dir aufwecken, du sollst der Hauptmann seyn, Anfänger und Vollender, es fehlt allein an deinem Gebot.“ Viertes Capitel . Reichstag zu Worms im Jahr 1521. Das war nun wirklich für die Entwickelung der Na- tion die Hauptfrage, wie Carl V Aufforderungen dieser Art ansehn, in welches Verhältniß er überhaupt zu den großen nationalen Bewegungen treten würde. Wir sahen: noch schwankte Alles. Es war keine Form für die Regierung gefunden: kein Finanzsystem, keine Kriegseinrichtung zu Stande gebracht worden: es gab kein höchstes Gericht: der Landfriede ward nicht beobachtet. Alle Stände im Reiche waren wider einander, Fürsten und Adel, Ritter und Städte, Weltliche und Laien, die höhern Classen überhaupt und die Bauern. Und dazu nun diese alle Regionen des Geistes umfassende religiöse Bewegung, in der Tiefe des nationalen Bewußtseyns entsprungen, jetzt zu offener Empörung wider das Oberhaupt der Hierarchie gediehen! Es lebte eine gewaltsame, geistreiche, erfinderi- sche, ernste, tiefsinnige Generation. Sie hatte ein Gefühl davon, daß in ihr eine große Weltveränderung beginne. Worin liegt das natürliche Bedürfniß der Menschen, ei- Reichstag zu Worms 1521. einen Fürsten zu haben, als darin, daß die Mannichfal- tigkeit ihrer Bestrebungen sich in einem individuellen Be- wußtseyn vereinige und ausgleiche, Ein Wille zugleich der allgemeine sey, das vielstimmige Begehren in Einer Brust zu dem Entschluß reife, der den Widerspruch ausschließt. Darin besteht auch das Geheimniß der Macht: sie wird erst dann zum Gebrauch ihrer gesammten Hülfsquellen gelangen, wenn alle Kräfte dem Gebote freiwillig Folge leisten. Darauf kam es nun an, ob Carl den Sinn und das Bedürfniß seiner Nation verstehen, ihren vollen Gehorsam zu erwecken vermögen würde. Im October 1520 zog er von den Niederlanden zu seiner Krönung nach Aachen. Ein junger Mensch von 20 Jahren, noch in seiner Entwickelung begriffen, der es jetzt so weit gebracht, daß er gut zu Pferde saß und seine Lanze so gut brach wie ein Anderer, aber noch von schwan- kender Gesundheit, melancholisch und blaß: ernsthaft, wie- wohl mit dem Ausdruck des Wohlwollens: noch gab er wenig Proben von Geist: die Geschäfte überließ er An- dern. Die Summe derselben lag in den Händen des Ober- kammerherrn, Wilhelm von Croi, Herrn von Chievres: der besaß, wie man sich ausdrückte, eine unbedingte Autorität über Finanzen, Hof und Staat. Der Minister war so gemäßigt wie sein Herr, der sich nach ihm gebildet haben mag: seine Art zu hören und zu antworten befriedigte Je- dermann: er ließ nichts als Gedanken des Friedens und des Rechtes von sich vernehmen. Relatione di Francesco Corner venuto orator di la Ces a e catolica M tà 6 Zugno 1521. Chevres: zentilhuomo per esser il se- Ranke d. Gesch. I. 29 Zweites Buch. Viertes Capitel . Am 23 Oct. empfieng Carl die Krone: Eine Beschreibung des Locals, wobei noch immer der Zug Carls des Gr. nach Jerusalem als ein historisches Factum angesehn wird, und der Cerimonien von einem Augenzeugen in Passero: Gior- nale Napol. p. 284. er nahm den Titel eines erwählten römischen Kaisers an, den sein Vorfahr die letzten Jahre geführt; schon im Dezember fin- den wir ihn in Worms, wohin er seinen ersten Reichstag berufen, und nun die deutschen Fürsten und Stände zu- sammenströmten. Seine Seele war erfüllt von der Bedeu- tung der kaiserlichen Würde. Er eröffnete den Reichstag am 28 Januar 1521, dem Tage Carls des Großen. Die Proposition in der er das that, war von der Idee be- herrscht, daß keine Monarchie dem römischen Reiche zu vergleichen sey, dem einst beinahe die ganze Welt gehorcht, welches „Gott selbst geehrt gewürdigt und hinter sich verlassen habe.“ Leider sey es jetzt gegen früher kaum der Schatten mehr: er hoffe es aber mit Hülfe der König- reiche, großmächtigen Lande und Verbindungen, die ihm Gott verliehen, wieder zu der alten Glorie zu erheben. Auf die Proposition, die das erste Stuͤck in den Frankf. und Berliner A. von diesem Reichstage ist, folgte Montag nach Oculi 4ten Maͤrz noch ein besondrer Vortrag, durch den dieselbe erlaͤutert wurde; den auch Olenschlager Erlaͤuterung der goldnen Bulle Urk. nr. VII p. 15 mitgetheilt hat. Einer der besten Drucke aus jener Zeit, doch nicht ganz genau. Der Vortrag Carls erinnert uͤbrigens sehr an einige Stellen bei Peter von Andlo. condogenito non di molta facolta, ma adesso piu non potria es- sere, per haver al governo suo non solum la persona del re, ma la caxa li stati li danari e tutto quello è sotto la S. M tà . E homo di bon ingegno, parla pocho, perho molto humanamente ascolta e benignamente risponde: non dimostra esser colerico, ma piu presto pacifico e quieto, cha desideroso di guerra, et è molto sobrio nel suo viver, il che si ritrova in pochi Fiaminghi. Reichstag zu Worms 1521. Das lautete fast eben so wie die Deutschen es wünschten: man mußte nun erwarten, wie er es verstehen, ins Werk zu setzen versuchen würde. Weltliche und innere Verhältnisse. An dem Reichstag suchte er zunächst das im Gan- zen sehr vortheilhafte Verhältniß zu befestigen, in das er durch die Ereignisse, welche die Wahl begleitet, zu den verschiedenen deutschen Fürsten getreten war. Dem Chur- fürsten von Mainz wurden seine erzcanzlerischen Befug- nisse dahin ausgedehnt, daß, so oft er selbst am Hofe zu- gegen sey, alle Ausfertigungen in Reichssachen ihm zuste- hen, in seiner Abwesenheit aber durch einen von ihm er- nannten Secretär zugleich mit dem Großcanzler besorgt werden sollten. Haͤberlin Reichsgeschichte X, p. 375. Dem Churfürsten von Sachsen ward die Vermählung seines Neffen mit der Infantin Catharina be- stätigt. Da man es in Sachsen schon um der Kosten willen vermied, die Vermählung durch Procuration voll- ziehen zu lassen, so machte sich der Kaiser anheischig, da- für zu sorgen, daß die Infantin, sechs Monat nachdem er nach Spanien zurückgekommen, in Deutschland anlange. Markgraf Casimir von Brandenburg bekam die Anwart- schaft auf das nächste bedeutendere Reichslehen das sich in Italien eröffnen würde. Pfalzgraf Friedrich, welchem man die Würde eines Vicekönigs in Neapel zugesagt hatte, ward dafür durch die Stelle eines kaiserlichen Statthal- ters bei dem Reichsregiment entschädigt. In der hildes- 29* Zweites Buch. Viertes Capitel . heimischen Sache wurden die alten ergebnen Freunde von Calenberg und Wolfenbüttel ohne Rückhalt begünstigt; miß- muthig entfernten sich die Lüneburger von dem Reichstag: sie sahen wohl, sie würden jetzt jene ihre Hinneigung zu Frankreich zu büßen haben; nach einiger Zeit erfolgte ein höchst ungnädiges Decret. Bei Delius Stiftsfehde p. 175. Nicht minder wurden die Handlungen des schwäbischen Bundes genehm gehalten. Dem verjagten Herzog von Wirtenberg, der es verabsäumt hatte sich in den Niederlanden einzufinden, was er an- fangs versprochen, dagegen aber sich bereit erklärte, auf dem Reichstage zu erscheinen, ward die Antwort gegeben, Kaiserlicher Majestät sey es nunmehr auch nicht gelegen, den Herzog zu hören, und keine Fürsprache vermochte die- sen Bescheid zu ändern. Es ward ein Proceß gegen ihn eröffnet, der eine eben so ungünstige Wendung nahm wie der lüneburgische. In beiden kam es nach einiger Zeit zur Achtserklärung. Sattler Herzoͤge II, p. 75. Die wirtenbergische Sache hatte um so größere Bedeutung, da das Land zu der Masse geschla- gen ward, auf die das neue Östreich sich gründete. Der Bruder des Kaisers Erzherzog Ferdinand, in Spanien er- zogen, von hier aber, wo er hätte gefährlich werden kön- nen, glücklich entfernt, Corner. Credo non si hanno fidato di lassarlo in Spagna nè al governo di Spagnoli dubitando di qualche novità. empfieng die fünf östreichischen Herzogthümer, die schon Maximilian einst zu seinen Gun- sten zum Königreich hatte erheben wollen, als die ihm ge- bührende Erbportion aus den deutschen Landen. Einer der denkwürdigsten Tage für die deutsche Geschichte ist der, Reichstag von 1521. Innere Verhaͤltnisse . an welchem die Urkunde über diese Abkunft ausgefertigt wurde, der 28 April 1521. Bucholtz Ferdinand I, p. 155. Dadurch wurde die deut- sche Linie des Hauses Burgund-Östreich gegründet, der eine so große Stellung in Deutschland und dem ganzen östlichen Europa aufbehalten war. Die alten Pläne Kai- ser Maximilians wurden aufgenommen, und die wechsel- seitigen Verbindungen mit dem königlichen Hause von Böh- men und Ungern zu Stande gebracht, die so bald darauf die umfassendsten Folgen nach sich ziehen sollten. Wirten- berg und die vordern Erblande dachte der Kaiser anfangs selbst zu behalten, und durch eine gemeinschaftliche Re- gierung verwalten zu lassen, doch kam er damit nicht zu Stande: nach einiger Zeit überließ er mit großartiger Ge- sinnung erst die Verwaltung dann auch den Besitz dieser Lande seinem Bruder als seinem andern Ich. Auszuͤge aus den Urkk. ib. 158. Ferdinand schien Vielen talentvoller als Carl, auf jeden Fall zeigte er sich aufgeweckter, kühner, kriegslustiger: nach allen Sei- ten richtete er ein wachsames Augenmerk. Man könnte nicht sagen daß Carl bei diesen Ge- schäften eben allemal die nationalen Gesichtspuncte fest- gehalten habe. Er ließ sich bewegen, die Afterlehnsherr- schaft über Holstein dem Bischof von Lübek, dem sie zu- stand, zu entreißen, und sie an den König von Dänemark und dessen Erben zu übertragen: „bei seiner und des Rei- ches schwerer Ungnade“ gebot er dem Herzog, sich nicht dage- gen zu sperren. Gewiß kein andrer Beweggrund vermochte ihn dazu, als daß der König sein Schwager war: darüber ver- Zweites Buch. Viertes Capitel . gaß er, daß derselbe doch ohne Zweifel als ein ausländi- scher Fürst angesehen werden mußte. Copien der Urkunden abgedruckt bei Christiani I, p. 541. Auch das Verfah- ren gegen Preußen war wohl nicht von ähnlichen Rück- sichten frei. Der Kaiser vermittelte einen Stillstand zwi- schen dem Hochmeister und dem König von Polen, auf vier Jahre, binnen deren er mit seinem Bruder und dem König von Ungern den Streit zu schlichten versuchen werde. Der Hochmeister wollte von keiner weitern Pflicht wissen, als die er gegen Kaiser und Reich habe, und wies jede andre Anmuthung von sich; der Kaiser ließ sich zu der Untersuchung herbei, ob sein Vasall einem fremden König nicht wirklich die Lehnspflicht leisten solle. Zu einem der Schiedsrichter bestimmte er den König von Ungern, durch den Östreich in die jagellonische Verwandtschaft getreten war. Wir wissen daß eben diese Verwandtschaft es war, was den verstorbenen Kaiser bewogen hatte, seine Politik in Hinsicht Preußens zu ändern. Es leuchtet ein, wie ernstlich Carl V bedacht war, die Stellung zu behaupten, welche Maximilian vorbereitet, und seine Commissarien schon vor seiner Ankunft einge- nommen hatten. Die alten Anhänger, die Verwandten wurden begünstigt, so viel als möglich befördert; die spä- ter gewonnenen Freunde festgehalten; die Entscheidung schwieriger Streitfragen, z. B. zwischen Cleve und Sach- sen, Brandenburg und Pommern, Hessen und Nassau lie- ber noch aufgeschoben, und von fernerer Huld abhängig gemacht; die alte Opposition war für den Augenblick zer- sprengt und hielt sich ruhig. Reichstag von 1521. Regiment . Unter diesen Auspicien nahm man nun auch die Be- rathungen über die allgemeinen Einrichtungen im Reiche wieder auf. Wir wollen nicht erörtern was geschehen seyn, welchen Gang die Räthe Carls V eingeschlagen haben würden, wenn sie völlig freie Hand gehabt hätten. Genug daß dieß nicht der Fall war. In dem dritten Artikel der Wahlcapitulation hatte der Kaiser versprochen, ein Regiment zu errichten, „wie es vor- mals bedacht worden und auf der Bahn gewesen: aus frommen, annehmlichen, tapfern, verständigen, redlichen Per- sonen deutscher Nation neben etlichen Churfürsten und Für- sten.“ Die Absicht dieser Bestimmung war unzweifelhaft. Die ständische Regierungsform, die schon 1487 in Über- legung genommen, 1495 entworfen und vorgeschlagen, 1500 ins Werk gesetzt, aber durch Maximilian wieder beseitigt worden, wollte man jetzt auf immer einrichten: die Ge- danken des Erzbischof Berthold lebten noch einmal auf. In Worms erneuerten die Churfürsten ihre alte Ver- ein und gaben sich das Wort, auf die Erfüllung der in der Capitulation enthaltenen Zusagen zu dringen. Noch im März ward dem Kaiser ein Entwurf zu dem Regiment vorgelegt. Dieser Entwurf war nichts anders als eine Wiederholung der Regimentsordnung des Jahres 1500. Eben so sollte es zusammengesetzt werden: unter einem Statthalter des Kaisers aus den Abgeordneten der Chur- fürsten und der sechs Kreise, denn die Einrichtung der zehn Kreise war noch nicht zu wirklicher Ausführung gedie- hen, und den wechselnden Repräsentanten der verschiednen Zweites Buch. Viertes Capitel . Stände. Es sollte auch dann bestehen, wenn der Kaiser im Reiche anwesend sey. Es sollte Gewalt haben, Unter- handlungen zu pflegen, in dringenden Fällen Bündnisse ein- zugehn, auch die Lehenssachen zu erledigen. Genug der größte Theil der kaiserlichen Befugnisse sollte jetzt wie da- mals dieser ständischen Behörde übertragen werden. Der Kaiser konnte nun hiemit der Natur der Sache nach nicht einverstanden seyn. Dieselbe Schule deutscher Räthe umgab ihn, welche um seinen Vorfahren gewesen; den Ideen Churf. Bertholds traten noch einmal die Ge- sichtspuncte Maximilians entgegen. Der Kaiser erklärte, sein Vorfahr am Reich habe gefunden, daß das Regiment ihm zur Verkleinerung und dem Reiche zum Nachtheil ge- reiche, und habe es deshalb nicht vollzogen: eine Wieder- holung dieser Einrichtung könne man ihm nicht zumuthen: es würde sein Ansehen bei fremden Nationen schmälern. Er ließ den Ständen einen Gegenentwurf übergeben, von durch- aus abweichendem Inhalt. Da sollte das Regiment vor allem aus sechs immer bleibenden kaiserlichen Räthen be- stehen: die vierzehn ständischen Räthe die man ihnen zur Seite setzen wollte, sollten unaufhörlich alterniren. Obwohl hiedurch das kaiserliche Interesse eine bei weitem stärkere Repräsentation als früher erlangt hätte, so sollte auch das so zusammengesetzte Regiment weder Bündnisse schlie- ßen, noch in wichtigern Lehenssachen entscheiden, noch auch überhaupt länger bestehn, als so lange sich der Kaiser au- ßerhalb des Reiches aufhalte. Der Eid sollte nicht dem Kaiser und dem Reich, sondern nur dem Kaiser geleistet werden. Die kaiserlichen Erblande, welche zu den Pflich- Reichstag von 1521. Regiment . ten und Lasten des Reiches herbeizuziehen eine der vornehm- sten Absichten der Stände war, wollte sich Carl zu voll- kommen freier Verwaltung vorbehalten: in der Begrenzung der Kreise wie er sie vorschlug vermißte man sogar das Herzogthum Wirtenberg. Hierüber kam es nun zu einer sehr lebhaften Entgeg- nung. Jene Äußerung über Maximilian fanden die Stände „mehr denn hoch beschwerlich;“ hätte sich nur dieser Kai- ser nicht durch falsche Freunde bewegen lassen, davon zu- rückzutreten: es würde ihm und dem h. Reich löblich nütz- lich und prächtig und allen Widersachern erschrecklich ge- wesen seyn. Und unerschütterlich hielten sie dieß Mal an ihrem Entwurfe fest. Der Kaiser konnte nichts, als einige Milderung in den Nebendingen erlangen. Am verdrießlichsten war ihm, daß man von einem Reichsregiment sprach, das auch sogar während seiner An- wesenheit fungiren sollte. Er hielt das für eine Art von Vormundschaft, für einen Makel seiner Ehre. Hierin nun gab man ihm nach: man bewilligte ihm den Titel den er forderte: Kaiserlicher Majestät Regiment im Reich: man sagte ihm zu, daß es fürs Erste nur für die Zeit seiner Abwesenheit bestimmt werden sollte. Man konnte dieß um so leichter, da sich diese Zeit nicht bestimmen ließ und der Kaiser bei seiner Zurückkunft über die Fortdauer der Ein- richtung nach der Lage der Dinge zu entscheiden versprach. Auch in einigen andern Puncten wurde dem Kaiser das Eine und das Andre eingeräumt. Die Zusammen- setzung des Regimentes, auf die das Meiste ankam, sollte zwar durchaus nach dem Vorbild des alten geschehen; jedoch Zweites Buch. Viertes Capitel . ward die Zahl der Beisitzer von 20 auf 22 erhöht, und dem Kaiser verstattet, die beiden neuen Mitglieder zu er- nennen. In den wichtigern Lehensachen und Bündnissen mit Auswärtigen ward die Genehmigung des Kaisers wie billig vorbehalten, aber die Einleitung der Geschäfte, die Unterhandlung selbst sollte dem Regiment überlassen blei- ben. Wirtenberg ward in dem schwäbischen Kreis herge- stellt, von Östreich und den Niederlanden sollten jetzt so gut wie früher Abgeordnete erscheinen. Der Eid ward al- lerdings zunächst dem Kaiser geleistet: in der Formel ver- pflichtete man sich aber zugleich die Ehre und den Nutzen des h. Reiches wahrzunehmen. Die Actenstuͤcke die in diesem Streit gewechselt worden, ste- hen ziemlich vollstaͤndig bei Harpprecht. In den Frankfurter AA. findet sich noch außerdem ein Aufsatz: „ungeverlich Anzeyg, was in Keys. Mt uͤbergebenem Regiment zugesetzt und umbgangen ist.“ Mit Einem Wort dem Kaiser gelang es, seine Ehre und Autorität — ein Punct in dem er sich sehr empfind- lich zeigte — aufrecht zu erhalten: aber zugleich setzten doch die Stände ihren alten Gedanken durch und brachten es zu einem Antheil an der Reichsregierung, den ihnen Ma- ximilian nach dem ersten Versuch niemals wieder hatte ge- statten wollen. Die Churfürsten von Sachsen und von Trier ließen sich die Sache besonders angelegen seyn. In einem ähnlichen Sinne ward nun auch das Kam- mergericht wieder eingerichtet, das völlig in Verfall gera- then war. Man hatte anfangs sehr weitreichende Absich- ten. Da man bei 3000 alte unerledigte Processe zählte, so dachte man daran, so viel Assessoren zu ernennen, daß man sie in zwei Senate abtheilen könne, von denen der Reichstag von 1521. Kammergericht . eine sich nur mit den alten Sachen zu beschäftigen habe. Man machte den Entwurf, den Proceßgang nach dem Mu- ster der Rota Romana und des französischen Parlaments zu verbessern. Allein es zeigte sich bald wie wenig sich thun lassen werde. „Ich habe noch keinen Doctor ge- sehn,“ schreibt der Frankfurter Gesandte nach Hause, „der eine gute Art der Verbesserung angegeben hätte. Man sagt nur: Personen und Audienzen sollen vermehrt, die Fe- rien verringert, Cavillationen abgeschnitten werden: das hätte auch ein Bauer rathen können.“ „Man sitzt täg- lich,“ sagt er ein ander Mal, „über der Reformation des Kammergerichts; aber das ist wie ein wildes Thier: Je- dermann kennt seine Stärke: Niemand weiß wie man es angreifen soll: der Eine räth dahin, der Andere dorthin.“ — Am Ende kamen die Stände, von denen auch hier die Vorschläge ausgiengen, zu der Überzeugung, daß sich nichts Tauglicheres erfinden lasse, als die alte Ordnung des Jah- res 1495, mit den Verbesserungen die sie später erfahren, und einigen neuen Zusätzen. Die Kammergerichtsordnung von 1521 ist fast woͤrtlich die- ser staͤndische Entwurf. Nur der Anfang ist verschieden. „Dienstag nach Laͤtare,“ lautet er, „ist auf Roͤmisch. Ks. Mt unsres Allergnaͤ- digsten Herrn Beger von Churfuͤrsten Fuͤrsten Stennden des heil. Roͤm. Reychs beratschlagt, das hievor auf erstgehalltenem Reychstag allhie zu Wormbs im XCV J. ain Ordnung desselben Kaiserl. Cam- mergerichts aufgericht, welches nachmals zu vorgehalten Reychsta- gen zum Thail weiter declarirt und gebessert werde, das dieselbe alle notturfdeglich und hochlich ermessen und bedacht, auch nachmals im h. R. zu hallten und zu vollziehen nit wol stattlicher zu machen oder zu ordnen seyn mocht dann wie hernach folgt; darum Ir der Stennde getreuen Rate, das die kais. Mt jetzo solich alle yetzo wider allhie gegen und mit den Stennden des heyl. Reychs und herwiderumb Die Hauptveränderung war, Zweites Buch. Viertes Capitel . daß man dem Kaiser wie bei dem Regiment so auch bei dem Gericht zwei neue Beisitzer anzustellen vergönnte. Übri- gens fand die Besetzung auf die zuletzt in Costnitz beliebte Weise Statt: man hielt auch hier die sechs Kreise fest. Die drei geistlichen Churfürsten und die drei ersten Kreise, Franken Schwaben und Baiern, sollten gelehrte, die drei weltlichen Churfürsten und die drei letzten Kreise, Ober- rhein Westphalen und Sachsen, rittermäßige Beisitzer sen- den. Carl V versprach als Kaiser zwei gelehrte, von Sei- ten seiner Erblande zwei rittermäßige Assessoren. Mit den Ständen zugleich hatte er dann die Ernennung des Kam- merrichters und der zwei Beisitzer aus den Grafen und Herrn zu vollziehen. Seinem Wesen nach blieb das Ge- richt wie man sieht ein ständisches. Dieser Charakter sprach sich um so unzweifelhafter aus, da es mit dem ebenfalls so entschieden ständischen Regiment an demsel- ben Orte gehalten werden, und der Aufsicht desselben un- terworfen seyn sollte. Daher kam es nun auch — und die Stände hatten sich von Anfang an dazu erboten, — daß sie die Erhal- tung dieser Behörden über sich nahmen. Mancherlei weit- aussehende Pläne wurden dazu gemacht, z. B. die Zurück- behaltung der Annaten und des Ertrags geistlicher Lehen, der nach Rom gehe, oder eine Steuer auf die Juden, oder die Errichtung eines Reichszolls, wovon am meisten und sambt hernachgemeldten Enderungen Ratschlag und Zusatz genaͤdigk- lich annem, approbirt und wie bei S. K. Mt Anherrn geschehen verpflicht und dieselben also zu halten und zu vollziehen als Roͤmi- scher Keiser handhabt.“ — Dann geht es wie in dem gedruckten Exemplar weiter: „dieweil aber ꝛc.“ Reichstag von 1521. Matrikel . lebhaftesten die Rede war; zuletzt aber kam man doch wie- der auf eine Matrikel zurück, nach dem Muster der Cost- nitzer. Nur mußte jetzt die Anlage um vieles bedeuten- der werden. Die Kosten des Gerichts wurden auf 13410, die des Regimentes, dessen Beisitzer um vieles reichlicher besoldet werden mußten, auf 28508 G. angeschlagen. Harpprecht IV, iii , p. 35 hat zwar nur 27508 G.; es ist aber ein Irrthum. In dem Frankfurter Exemplar sind die Sum- men ausgeschrieben und uͤberhaupt richtiger als bei Harpprecht. Da man aber voraussah, daß es eine Menge Ausfälle geben würde, so beschloß man die Anlage auf 50000 G. zu ma- chen. In diesem Sinne ward nun der Costnitzer Anschlag verändert: der Grundsatz war, die damals geforderten Bei- träge zu verfünffachen, und hiebei blieb man in der Re- gel stehn; jedoch nicht ohne mancherlei Ausnahmen. Von den Grafen und Herrn, die ohnehin sehr schwierig waren, wurden manche gradezu bei ihrem alten Anschlag gelassen, die andern wohl gesteigert, doch höchstens auf das drei- fache. Dagegen mußten einige Städte, von denen man an- nahm, daß Gewerbe und Reichthum in ihnen in großer Aufnahme sey, sich einen mehr als fünffachen Beitrag auf- legen lassen. Nürnberg und Ulm wurden von 100 auf 600 G., Danzig von 70 auf 400 G. erhöht. — Auf diese Art wurde die einzige immerwährende Anlage auf die Reichsstände, die mit dem Verfall des Gerichtes in Vergessenheit zu gerathen anfieng, wieder erneuert. Nothwendigerweise waren jedoch indeß auch größere Forderungen, in Bezug auf eine Kriegsverfassung, zunächst auf den Romzug des neuen Kaisers zur Sprache gekommen. Zweites Buch. Viertes Capitel . Es hätte scheinen sollen, als würden mit dem Regi- ment auch die Ideen eines gemeinen Pfennigs, oder einer Rüstung nach den Pfarren, wieder auftauchen müssen: die ständische Regierung und populare Bewaffnung waren sonst immer verwandte Gedanken gewesen. Daran ist jedoch dieß Mal nicht gedacht worden: sey es weil sich jene Entwürfe früher immer unausführbar gezeigt, oder auch weil das Fürstenthum seitdem einen so großen Zuwachs von Kräf- ten erhalten hatte. Am 21sten März erschien Carl V selbst auf dem Rathhaus in der Versammlung der Stände, und ließ durch Dr Lamparter unter mancherlei Umschweif Hülfe zu seinem Romzug fordern, welche er selbst auf 4000 z. Pf. und 20000 z. F. auf ein Jahr lang anschlug. Er ver- sprach dann, aus eignen Mitteln 16000 M. z. F., 2000 schwere und eine gute Anzahl leichte Reiter dazu stoßen zu lassen. Schreiben Fuͤrstenbergs an Frankfurt 24 Maͤrz. „S. Maj. sey auch willens gen Rom zu ziehen und dasjenige so dem Reich entwandt, wieder zu erlangen.“ Churfürst Joachim von Brandenburg antwor- tete im Namen der Stände, „seiner Brüder, Herrn und gu- ten Freunde,“ wie er sich ausdrückte, und bat um Bedenk- zeit. Gegen die Forderung selbst, die in altem Reichsher- kommen begründet, auch gegen die bestimmte Anzahl der Truppen, die nicht übermäßig war, ließ sich nichts ein- wenden. Einmal aber wollte man auch dieß Mal nicht eher zusagen als bis man der Errichtung des Gerichtes und des Regimentes gewiß geworden. Sodann fand man sich durch die Pflicht, diese zu erhalten, schon ungewöhnlich angestrengt. Man bewilligte endlich die geforderte Anzahl, Reichstag von 1521. Matrikel . jedoch nur auf ein Halbjahr; auch machte man aus, daß die Mannschaft selbst gestellt, nicht Geld dafür erlegt würde, man wollte nicht die mancherlei Unordnungen die unter Ma- ximilian in dieser Hinsicht obgewaltet, wieder hervorrufen; Fuͤrstenberg 13 Mai: „damit kein Finantz in den gesucht werde.“ endlich trug man Sorge, die deutschen Truppen keiner ausländischen Anführung zu überlassen: sie sollten sämmt- lich unter ihren eignen Hauptleuten anrücken, der Kaiser sollte nur die Oberanführer zu setzen haben und auch diese aus deutscher Nation. Denn ein Jeder wollte seine eignen Waffen im Felde sehen. Eine Matrikel ward entworfen — wie die kleinere, auf der Grundlage der Costnitzer von 1507. In Hinsicht der Reiterei ist es fast ganz dieselbe: zu den schon damals verzeichneten 3791 M. kamen jetzt 240 von Östreich und Burgund, welche zu Costnitz nicht angeschlagen worden; so daß sämmtliche Churfürsten und viele andre Stände bei ihrem Ansatz verblieben. Für das Fußvolk, das damals zu 4722 Mann berechnet worden, wozu jetzt Östreich und Burgund jedes mit 600 M. ka- men, ward in der Regel die Forderung vervierfacht, jedoch mit mancherlei Abweichungen, eben wie bei dem Cameral- anschlag. Neueste Sammlung der Reichsabschiede II, p. 211. So entstand die Matrikel von 1521, welche dann die allzeit neueste geblieben ist, nach deren Norm das deutsche Reich sich Jahrhunderte lang bewaffnet hat. Und dieß sind nun die wichtigsten Einrichtungen des neuen Kaisers auf seinem ersten Reichstag. Man dürfte zwar nicht sagen, daß damit den Bedürfnissen der Nation Zweites Buch. Viertes Capitel . vollkommen genügt worden wäre. Die Bestimmungen die man traf, gereichten hauptsächlich zum Vortheil des Für- stenthums: die vorläufigen Anordnungen über die Execu- tion der kammergerichtlichen Urtel z. B., die ihm größten- theils anheimgestellt wurde, waren offenbar zu seinen Gun- sten: gleich in der Capitulation hatte der Kaiser vor, Bündnisse des Adels und der Unterthanen zu verbieten; und dieß mochte dienen, compactere locale Gewalten zu begründen. Dagegen für den gemeinen Mann, der in so großer Gährung war, geschah eigentlich gar nichts, so oft man auch früher davon geredet; der Adel war und blieb von aller Theilnahme an den Reichsgeschäften ausgeschlos- sen; Grafen, Herrn und Edelleute waren über die rechtli- chen Austräge gegen Fürsten und Churfürsten, die sie schleu- niger und gleichmäßiger verlangten, in steter Aufregung, und es wurden hierüber auch an dem Reichstag ziemlich scharfe Schriften gewechselt. Die Städte hatten vergebens die Zulassung ihrer Abgeordneten bei dem Kammergericht gefordert: die große Reichshülfe war berathen und beschlos- sen worden, ohne sie zuzuziehen; bei den Anschlägen fühl- ten sich Viele von ihnen aufs neue beschwert, und über- dieß drohte man ihnen mit einem Reichszoll, von dem sie eine allgemeine Störung in ihren Geschäften fürchteten. Sie klagten unaufhörlich und nahmen die Entwürfe zuletzt nur deshalb an, weil sie wie sie sagten nicht die einzigen seyn wollten, welche widersprächen: sie wollten nicht, daß es ihnen zugeschrieben würde, wenn Friede und Recht nicht zu Stande kämen. Hans Bock und Dr Peutinger, die in dem Ausschuß geses- Bei Reichstag von 1521. Bei alle dem aber war es doch von großem Werth, daß den Unordnungen der letzten Jahre Maximilians ein Ziel gesetzt wurde, daß man die Ideen einer ständischen Regierung, die unter ihm nie auszuführen gewesen, mit so vielem Erfolg wieder aufnahm. Die Verfassung von 1521 beruht, wie die Costnitzer von 1507 auf einer Ver- einigung von Matricularwesen mit ständischen Einrichtun- gen; aber diese waren jetzt bei weitem umfassender, da man nicht wie damals bei dem Gericht stehn blieb; son- dern nach den Vorschlägen von 1495 und 1500 ein im Ver- hältniß zu dem Kaiser sehr selbständiges Regiment begründete. Jener Verwaltung nach momentanen Interessen der Poli- tik des Hauses, wie sie Maximilian ausgeübt, und wie sie jetzt wieder um sich griff, trat ein nationales Institut entgegen, das wenn es sich zu befestigen und auszubilden vermochte, die größte Aussicht für die Zukunft darbot. Auswärtige Verhältnisse und die Sache Luthers. Während man nun diese Dinge festsetzte, waren auch die geistlichen Interessen mannichfaltig zur Sprache gekom- men: sie boten der Politik des Kaisers noch eine neue Seite dar. sen, trugen wenig Lob davon. „Etlich geben,“ schreibt Fuͤrstenberg am 20sten Mai, „Hr Hansen Bock etwa spitz Wort, als ob er sich und die rheinischen Staͤdte erhalten und sie im Pfeffer habe stecken lassen. Dazu verdrießt sie und uns alle, daß sie die Grafen fast gelachert (erleichtert) und die Beschwerung auf uns getrieben haben. Dr Peutinger der ist der aller onlustigst, er wolt gern daß man es beim alten Anschlag ließ, will nit ansehn, daß Eine Stadt aufgeht die andre in Abfall kommt.“ Ranke d. Gesch. I. 30 Zweites Buch. Viertes Capitel . Bei den übrigen Bestimmungen hatte er Deutschland, sein Verhältniß zu dem Innern des Reiches, das Interesse seiner Verwandtschaft im Auge behalten können: die luthe- rische Bewegung war dagegen so weitaussehend, daß sie so- gleich die wichtigsten auswärtigen Verhältnisse berührte. Carl V war ein Kind und Zögling jenes burgundi- schen Hofes, der sich hauptsächlich aus französischen Ele- menten unter Philipp dem Guten und Carl dem Kühnen zusammengesetzt und der Weltstellung dieser Fürsten gemäß seine eigene Politik entwickelt hatte. Auch Ferdinand dem Katholischen und dem Kaiser Maximilian gegenüber hatte dieser Hof sein e Gesichtspuncte selbständig, mit dem ersten nicht selten in offener Feindseligkeit, festgehalten und ver- folgt. Die Aussichten die unter Carl dem Kühnen ins Auge gefaßt, unter Philipp I eröffnet worden, schienen sich durch die Stellung und die Rechte Carls V vollenden zu müssen. Der Hof von Brüssel, der nicht einmal eigentlich souverän war und über keine bedeutenden Kräfte gebot, sah sich kraft der Erbrechte seines Fürsten berufen, die größte Rolle in Europa zu spielen. Es kam ihm wie sich ver- steht zunächst alles darauf an sich in Besitz zu setzen. In dieser Absicht war die niederländische Politik durch die Erzherzogin Margaretha und Herrn von Chievres auf das umsichtigste und glücklichste geleitet worden. Man hatte die Niederlande durch Friesland erweitert, durch die Be- setzung des Bisthums Utrecht mit einem Verwandten des Hauses und die engsten Verhältnisse zu Lüttich und Cleve gesichert. Man hatte die Kronen von Castilien und Ara- gon mit allen dazu gehörigen Nebenländern in Besitz ge- Reichstag v. 1521. Auswaͤrtige Verhaͤltnisse . nommen. Es hatte zwar überall, auch in Neapel und in Sicilien rebellische Bewegungen gegeben, aber sie waren überall beseitigt worden; das durch die Herrschaft eines Hofes von Fremdlingen beleidigte Selbstgefühl der Casti- lianer flammte so eben in dem Aufruhr der Commune empor, allein man besaß dort in der Geistlichkeit und in den Granden matürliche Verbündete, und brauchte ihn nicht zu fürchten. Jetzt war nun auch die Erbschaft Maximi- lians angetreten worden. Die östreichischen Erbländer mit allen Rechten und Aussichten nach dem östlichen Europa hin, welche der alte Kaiser erworben, überließ man dem jüngern Sprößling des Hauses, der docl, schon durch das Bedürfniß der Hülfe worin er war, in steter Abhängigkeit erhalten wurde: das Kaiserthum nahm man selbst in die Hand: man gründete den Einfluß des Hauses in Deutsch- land wir sahen eben mit welcher Sorgfalt. Alles dieß geschah unter unaufhörlichen Reibungen und Competenzen mit Frankreich, deren Ursprung in den Streitigkeiten der alten Herzoge und der alten Könige lag: allein man leitete zu Brüssel die Geschäfte so geschickt, daß man den Frieden auch unter den schwierigsten Umständen immer erhielt. Die Nachfolger Ludwigs XI mußten, wie ungern auch immer, geschehen lassen, daß die Nachkommen Carls des Kühnen eine Macht consolidirten, die alles ohne Vergleich übertraf, was damals hatte erwartet werden können. Für den burgundischen Hof war nun nichts mehr übrig, als sich auch in Besitz der kaiserlichen Rechte in Italien zu setzen, was um so ausführbarer schien, da er auch Neapel und Sicilien beherrschte, da er einem Rom- 30* Zweites Buch. Viertes Capitel . zug über die Alpen mit den Kräften der spanischen König- reiche zu Hülfe kommen konnte, wodurch es eben eine Be- deutung empfieng wie noch niemals. Schon die Proposition am Reichstag zeigte daß der junge Kaiser dazu entschlos- sen war: während der Verhandlungen war wiederholt von der Recuperation der abgekommenen Reichslande die Rede: dazu wurden die Bewilligungen des Reichstags gemacht: von Worms aus ward mit den Schweizern unterhandelt. Da konnte nun von der Erhaltung des Friedens mit Frankreich nicht weiter die Rede seyn: das Land, auf das es vor allem ankam, das Herzogthum Mailand hatte Franz I in Besitz, ohne die Lehen jemals empfangen oder auch nur nachgesucht zu haben: eben diesem mußten die Unternehmungen des Kaisers zunächst gelten. Im Hin- tergrunde der sich allmählig entwickelnden Gedanken la- gen noch andre Pläne, z. B. auf das von Ludwig XI eingezogene Herzogthum Burgund, dessen Verlust man in den Niederlanden noch immer nicht verschmerzen konnte. Was sich lange im Stillen vorbereitet, die Bildung zwei großer europäischer Mächte im Gegensatz mit einan- der, das trat in diesem Moment in volle Erscheinung. Das gewaltige Frankreich, durch seine innere Einheit und seine mannichfaltigen Verbindungen wie im Anfang des vierzehnten, so nach der Vertreibung der Engländer auch später im funfzehnten und anfangenden sechszehnten Jahr- hundert ohne Zweifel die größte Macht von Europa, sah sich von dem allmählig emporgekommenen Vasallen, den es schon erdrückt zu haben glaubte, aber der durch einige leichte und glückliche Familienverbindungen zu der reichsten Reichstag v. 1521. Auswaͤrtige Verhaͤltnisse . Vereinigung von Kronen und Besitzthümern die jemals vorgekommen gelangt war, an allen seinen Grenzen umfaßt und überflügelt. Von diesem Standpunct aus übersieht man erst den innern Grund den es hatte, daß König Franz so lebhaft nach der Kaiserkrone trachtete: er wollte nicht, daß sein alter Vasall eine höhere Würde erwerben sollte als er selber besaß. Daß es dennoch geschehen, daß der Neben- buhler nun rechtliche Ansprüche auf eben die Landschaft er- heben konnte, in deren Besitz sich der König besonders ge- fiel, da er sie mit dem Schwert erobert hatte, erweckte in ihm Mißbehagen, Bitterkeit und Unruhe. In allen Negotiationen ließ sich die wachsende Zwietracht bemer- ken. Was man sich gegenseitig vorwarf, zeigt sich in der fran- zoͤsischen Apologia Madritae conventionis dissuasoria und der kai- serlichen Refutatio apologiae bei Goldast: Politica imperialia p. 864. 863. Zwischen diesen beiden Mächten mußte es zum Kampfe kommen. Es ist das nun das Verhältniß, an welchem sich ein universales politisches Leben in Europa entwickeln sollte: die verschiednen Staaten mußten sich nach ihrem besondern Interesse auf die eine oder die andre Seite neigen. Zu- nächst aber war es für die Stellung des Reiches und die Anwendung seiner Streitkräfte entscheidend. Denn so hoch auch Carl V die Würde des Kaiser- thums schätzte, so liegt es doch in der menschlichen Na- tur, daß der Mittelpunct seiner Politik nicht in den deut- schen Interessen ruhen konnte. Nur aus dem Complex seiner Reiche konnte die Einheit seines Denkens hervor- gehn. Er fühlte sich immer als der burgundische Prinz, Zweites Buch. Viertes Capitel . der mit so viel andern zahlreichen Kronen auch die höchste Würde der Christenheit verband. In so fern mußte er dabei stehn bleiben, die Rechte des Kaiserthums als einen Theil seiner Macht zu betrachten, wie schon sein Groß- vater gethan: noch viel weniger als dieser konnte er sich den innern Bedürfnissen von Deutschland mit voller Hin- gebung widmen. Von dem Treiben des deutschen Geistes hatte er ohne- hin keinen Begriff: er verstand weder unsre Sprache noch unsre Gedanken. Ein merkwürdiges Schicksal, daß die Nation sich in dem Augenblick ihrer größten, eigensten innern Bewegung ein Oberhaupt berufen hatte, das ihrem Wesen fremd war, in dessen Politik, die einen bei weitem größern Kreis um- faßte, die Bedürfnisse und Bestrebungen der Deutschen nur als ein untergeordnetes Moment erscheinen konnten. Nicht als ob die religiösen Bewegungen dem Kaiser gleichgültig gewesen wären; sie hatten für ihn ein hohes Interesse, aber zunächst nur deshalb weil sie den Papst be- rührten und bedrohten, und für das Verhältniß zu dem römischen Hof neue Gesichtspuncte, ja man darf wohl sa- gen neue Waffen darboten. Von allen politischen Verhältnissen des Kaisers war aber dieses ohne Zweifel das wichtigste. Denn da es nun einmal zum Kampfe mit Frankreich kommen mußte, einem Kampfe der hauptsächlich in Ita- lien zu führen war, so bildete es für den Kaiser die oberste Frage, ob er den Papst für sich haben würde oder nicht. Schon wetteiferten die beiden Fürsten, sich die Gunst des- selben zu verschaffen. Beide machten ihm die größten Reichstag v. 1521. Auswaͤrtige Verhaͤltnisse . Versprechungen: der König auf den Fall, daß man Nea- pel erobere, was er anzugreifen entschlossen war, der Kai- ser in Bezug auf eine Unternehmung gegen Mailand, die er zu Gunsten des Prätendenten aus dem Hause Sforza, und zur Herstellung der Rechte des Reiches unternehmen wollte. Doch war dieß nicht die einzige dringende Bezie- hung des Kaisers zu dem römischen Stuhle: andre, von mehr kirchlicher Natur, aber ebenfalls sehr durchgreifend, hatte er in seinen übrigen Reichen, namentlich in Spanien. Es ist eine anerkannte Sache, daß sich die dortige Re- gierung wie sie sich unter Ferdinand dem Katholischen aus- gebildet, vor allem andern auf die Inquisition stützte. Jetzt aber war dieses Institut zu gleicher Zeit in Castilien, Aragon und Catalonien angegriffen worden. Die Cortes von Ara- gon, ohnehin so mächtig, hatten sich an den Papst gewendet, und bei demselben wirklich einige Breven ausgewirkt, nach welchen die ganze Verfassung der Inquisition abgeändert und den Formen des gemeinen Rechts genähert werden sollte. Llorente Hist. de l’inquisition I, p. 395, nr. X. Im Frühjahr 1520 sendete Carl einen Gesandten nach Rom, um die Zurücknahme dieser Breven zu bewir- ken, die auch in den übrigen Reichen Folgen haben, und seine gesammte Regierung gefährden mußten. Diese Unterhandlungen waren nun eben damals im Gange, als Carl in den Niederlanden eintraf, und eine laute, ja beinah allgemeine Stimme, in welcher sich po- litische und religiöse Opposition vereinigten, ihn aufforderte, eine kühne Stellung gegen den Papst zu ergreifen. Der geschickte und geistreiche Gesandte Carls V , der Zweites Buch. Viertes Capitel . in den Tagen eintraf, als Eck gerade in Rom war, und die Sache Luthers so viele Berathungen der Theologen und Sitzungen des Consistoriums veranlaßte, erkannte sogleich, welcher Vortheil aus derselben für seinen Herrn hervorgehn könne. „Ew. Maj.,“ schrieb er dem Kaiser am 12 Mai 1520, „muß nach Deutschland gehn, und daselbst einem gewissen Martin Luther einige Gunst angedeihen lassen, der sich am Hofe von Sachsen befindet, und durch die Sachen die er predigt, dem römischen Hofe Besorgniß einflößt.“ Auszug aus den Depeschen Manuels bei Llorente I, p. 398. Wirklich ergriff man am kaiserlichen Hofe diesen Gesichts- punct. Als der päpstliche Nuntius mit der Bulle gegen Lu- ther daselbst anlangte, ließ sich der erste Minister das Wort entfallen: der Kaiser werde sich dem Papst gefällig zei- gen, wenn der Papst ihm gefällig sey und seine Feinde nicht unterstütze. Aus dem Briefe Aleanders bei Pallavicini I, c. 24, p. 136. — — Worauf bezieht es sich, daß der Kaiser spaͤterhin dem roͤ- mischen Stuhl den Vorwurf macht, er habe die Kroͤnung in Aachen aufhalten wollen? Caroli Rescr. Goldast Const. p. 992. Das also war es vom ersten Moment, worauf es ankam: nicht die objective Wahrheit der Meinung, auch nicht das große Interesse der Nation das sich daran knüpfte, von welchem der eben anlangende Fürst kein Bewußtseyn noch Mitgefühl haben konnte; sondern die allgemeine politische Lage, die Unterstützung welche der Papst dem Kaiser über- haupt angedeihen lassen, das Verhältniß in das er sich zu ihm setzen würde. In Rom wußte man das sehr gut. Man trug Sorge, den Beichtvater des Kaisers, Glapion, einen Franciscaner, Reichstag v. 1521. Auswaͤrtige Verhaͤltnisse . der dem römischen Stuhle sonst eher abgeneigt war, zu ge- winnen: man entschloß sich, was man lange verweigert, den Bischof von Lüttich, Eberhard von der Mark, der von der französischen auf die östreichische Seite übergetreten, zum Cardinal zu ernennen, so unangenehm dieß auch dem König von Frankreich seyn mußte: Molini Documenti di storia Italiana I, p. 84. eben hierauf war die Sendung Aleanders berechnet, der ehe er nach Rom kam, in Diensten des Bischofs gestanden, und jetzt dort, bei dem Einfluß den der Bischof von Lüttich auf die niederländi- sche Regierung ausübte, als ein natürlicher Vermittler zwischen Rom und dem Kaiser erschien. Gar bald er- folgten auch wesentlichere Begünstigungen. Am 21sten October erklärte der Papst dem Großinquisitor in Spa- nien, daß er die Forderungen der Cortes in Aragon nicht ferner begünstigen, jenen Breven keine weitere Folge geben, in Sachen der Inquisition ohne Beistimmung des Kaisers keine Neuerung vornehmen wolle. Der Kaiser war da- mit noch nicht zufrieden: er forderte eine völlige Zurück- nahme jener Breven. Am 12ten December erbot sich der Papst alles was gegen die Inquisition geschehen sey für null und nichtig zu erklären; am 16ten Januar erlaubte er endlich wirklich dem Kaiser die Breven zu unterdrücken, und sprach den Wunsch aus daß man sie ihm nach Rom zurücksenden möge, worauf er sie cassiren werde. Auszuͤge bei Llorente I, p. 396 und 405. Man sieht, wie wenig die Lage der Dinge den Wün- schen der Deutschen entgegenkam. Carl V ward durch seine Verhältnisse nicht zur Opposition wider den Papst, Zweites Buch. Viertes Capitel . sondern zu einer Verbindung mit ihm aufgefordert. Wie sehr sahen die Hutten und Sickingen die Hofnungen ge- täuscht, welche sie auf den jungen Kaiser gesetzt hatten! In seinen niederdeutschen Erbstaaten wurde die päpstliche Bulle ohne Bedenken vollzogen; nur die hohen Geistlichen und der Beichtvater schienen an dem Hofe etwas zu gel- ten; im Januar 1521 hielt man den Kaiser für entschlos- sen, Luther zu verderben und seine Anhänger wo möglich zu vertilgen. Spengler an Pirkheimer 29 Dez. 10 Jan. bei Riederer p. 113. 131. Mit jener letzten Concession wahrscheinlich zugleich oder doch bald nachher langte ein päpstliches Breve an, worin der Papst den Kaiser aufforderte, seiner Bulle durch ein kaiserliches Edict gesetzliche Kraft zu verschaffen. „Jetzt könne er zeigen, daß ihm die Einheit der Kirche am Herzen liege, wie den alten Kaisern. Vergeblich würde er mit dem Schwerte gegürtet seyn, wenn er es nicht wie gegen die Ungläubigen, so gegen die Ketzer, die noch viel schlimmer als die Ungläubigen, brauchen wolle.“ Deus accinxit te terrenae potestatis supremo gladio, quem frustra profecto gereres juxta Pauli apostoli sententiam, nisi eo uterere cum contra infideles tum contra infidelibus multo deteriores haereticos. (Fr. A.) Im Februar, eines Tages, als ein Turnier angesetzt war, und schon das Tuch des Kaisers dazu aushieng, wurden die Fürsten, statt dessen, in die kaiserliche Herberge zur Versammlung beschieden, wo man ihnen dieß Breve vorlas, und zugleich ein Edict zur Ausführung der Bulle, das denn sehr strenge lautete, vorlegte. Welch eine sonderbare, unerwartete Verflechtung! Die Reichstag von 1521. Berathung uͤber Luther . lutherische Bewegung mußte dazu dienen, daß der Papst eine Milderung der Inquisition in Spanien, die er im Interesse der dortigen Stände schon beschlossen, zurücknahm. Dafür schickte sich der Kaiser an, in Deutschland den Mönch zu unterdrücken, der so verwegen zur Empörung gegen den römischen Stuhl aufforderte. Die Bewegung gegen die Gewalt dominicanischer Ketzerrichter war hier wie dort national. Es ist sehr begreiflich, wenn von den Spaniern welche den Hof begleiteten, wenigstens diejeni- gen die den mittleren Ständen angehörten, an Luther und seinen Schriften lebendigen Antheil nahmen. In Deutschland aber konnte der Kaiser nichts verfü- gen ohne das Gutachten des Reiches, und jenen Entwurf des Mandates hatte er den Ständen mit der Erklärung vorgelegt, „wenn sie etwas besseres wüßten, das verneh- men zu wollen.“ Hierauf kam es in dem Reichsrath zu sehr lebhaften Verhandlungen. „Der Mönch,“ schreibt der Frankfurter Gesandte, „macht viel Arbeit: ein Theil möchte ihn aus Kreuz schlagen, und ich fürchte er wird ihnen schwerlich entrinnen: nur ist zu besorgen, daß er am drit- ten Tag wieder aufersteht.“ Diese Besorgniß, daß mit einer einseitigen Verdammung nichts gethan seyn werde, beherrschte auch die Stände. Der Kaiser hatte gemeint, das Edict ohne weiteres Verhör zu erlassen: In dem Entwurf heißt es: „Und (weil) dann der gedacht Martin Luther alles das, so muglichen gewesen ist, offentlichen ge- bredigt, geschrieben und ausgebraitet, und yetzt am jungsten etlich Articul, so inn viel Orten in Behem gehalten werden und die von den hailigen Concilien fuͤr kaͤtzerisch erkannt und erklaͤrt sein, ange- nommen, und ine darum die papstlich Heyligkeit fuͤr einen offenbaren Ketzer wie obstet erclaͤrt und verdammt hat und deßhalben inen wei- ter zu hoͤren nit rat noch geburlich ist.“ so rieth ihm Zweites Buch. Viertes Capitel . Aleander, da ja die Verdammung schon hinreichend sey: auch Doctor Eck sandte eine kleine Schrift in diesem Sinne voll Schmeicheleien und Ermahnungen ein: Ad Carolum V de Ludderi causa: Ingoldstadt 18 Febr. Saxones sub Carolo magno colla fidei et imperio dedere, absit ut sub Carolo maximo Ludder Saxo alios fidem veram et uni- cam deponere faciat. es war die- selbe Frage die schon in Rom erörtert worden; die deut- schen Stände waren jedoch nicht so leicht zur Nachgiebig- keit zu bringen wie die römischen Juristen. Sie machten den Kaiser aufmerksam was es bei dem gemeinen Manne, in welchem mancherlei Gedanken, Phantasien und Wünsche durch Luthers Predigt erweckt worden, für einen Eindruck hervorbringen dürfte, wenn man Luther durch so scharfe Mandate verurtheile, ohne ihn auch nur vorgefordert zu haben. Sie drangen darauf, daß man ihn auf sichres Ge- leit kommen lassen und verhören müsse. Eine neue Frage aber war, auf welche Grundlage dieß Verhör anzustellen sey. Die Stände unterschieden zweierlei Meinungen Lu- thers: die einen in Bezug auf die kirchliche Verfassung: da sollte man glimpflich mit ihm verfahren, auch wenn er nicht widerrufe, — wie sie denn in derselben Eingabe dem Kaiser die Beschwerden der Nation wider den Stuhl von Rom aufs neue ans Herz legten: die andern aber wider die Lehre und den Glauben, „den sie, ihre Väter und Vor- ältern bisher gehalten.“ Sollte er auch auf diesen bestehn und sich weigern sie zu widerrufen, so erkärten sie sich be- reit in das kaiserliche Mandat zu willigen, den bisherigen Glauben ohne weitere Disputation zu handhaben. Der Stennd Antwurt auf keyserlicher Mt Beger des Man- Reichstag von 1521. Gravamina . In diesem Sinne war es, daß Luther nach Worms berufen wurde. „Wir haben beschlossen,“ heißt es in dem kaiserlichen Schreiben, „wir und des heil. Röm. Reichs Stände, der Lehre und Bücher halben, so von dir ausge- gangen, von dir Erkundigung zu empfahen.“ Ein kaiser- licher Herold ward gesendet, ihn herbeizuführen. Was die Opposition gegen die weltlichen Eingriffe des römischen Stuhles betraf, darin waren die Stände mit Luther im Grunde einverstanden. Wie der Kaiser schon in seiner Capitulation verpflichtet worden, die Con- cordate und kirchlichen Freiheiten der Nation, wider welche auf eine unerträgliche Weise ohne Unterlaß gehandelt werde, herzustellen und zu behaupten, so war jetzt der kleinere Ausschuß beschäftigt, die Beschwerden der Nation ge- gen den römischen Stuhl in aller Form zusammen zu stellen. Das Verfahren war, daß die einzelnen Fürsten die Beschwerden eingaben, worüber sie besonders zu kla- gen hatten, und alles aufgenommen wurde was mehr als Einer erinnerte. Schon fürchtete man, die geistlichen Für- sten würden sich zurückziehen: aber die Räthe der weltli- chen waren entschlossen, die Sache auch allein zu Ende zu führen. Es kam eine Schrift zu Stande, welche an die Schriften Huttens und das Buch an den deutschen dats. Ohne Datum. Ungluͤcklicherweise hat auch Fuͤrstenberg seine Briefe nicht genau datirt. Den namentlich, der sich auf diesen Be- schluß bezieht, hat er mit Samstag nach Martaͤ bezeichnet. Es ist wohl Samstag nach Matthiaͤ gemeint, 2ten Maͤrz. Von diesem Tage waͤre dann jener Beschluß der Staͤnde. Denn daß die Ant- wort der Staͤnde sich auf einen Befehl des Kaisers vom 7ten Maͤrz bezogen habe, ist unmoͤglich, da das Citationsschreiben an Luther schon vom 6ten Maͤrz datirt ist. Zweites Buch. Viertes Capitel . Adel erinnert, so lebhaft wird darin das Verfahren des päpstlichen Stuhles überhaupt, vor allem aber die Ver- waltung Papst Leos X getadelt. Die Schrift ist aus dem alten Druck bei Walch XV, p. 2058 wiederholt. Die Copie in den Fr. AA. die mit dem Druck uͤbereinstimmt, zeigt deutlicher, daß die Schrift aus 3 Theilen be- steht, dem ersten bis E IIII, worauf eine Zwischenrede folgt; dem zweiten mit einer neuen Uͤberschrift besonders uͤber die Anmaaßun- gen der geistlichen Gerichtshoͤfe bis G III; dem dritten, der beson- ders die Beschwerden der Geistlichen selbst, der Ordinarien gegen den roͤmischen Stuhl enthaͤlt, welcher am Montag nach Jubilate, am 22sten April, eben als Luther zugegen war, eingereicht wurde. Es ist darin von nichts als von den überschwenglichen boshaften Erfindun- gen, schalkhaften Betrügereien die am römischen Hofe in Schwang gekommen, die Rede: die Praxis desselben wird gradezu der Simonie angeklagt. Wenn Luther nichts an- ders gethan als die Mißbräuche des Hofes angegriffen hatte, so konnte er von den Ständen des Reiches nim- mermehr verlassen werden: die Gesinnung die er in dieser Hinsicht ausgesprochen, war vielmehr die allgemeine, den Ständen selber eigen. Wahrscheinlich hätte ihr auch der Kaiser nicht widerstehn können. Sein Beichtvater hatte ihm die Züchtigung des Himmels angekündigt, wenn er die Kirche nicht reformire. Man könnte sich fast zu dem Wunsche versucht fühlen, daß Luther fürs Erste hiebei stehn geblieben seyn möchte. Es würde die Nation in ihrer Einheit befestigt, zu einem Be- wußtseyn derselben erst vollkommen geführt haben, wenn sie einen gemeinschaftlichen Kampf wider die weltliche Herr- schaft von Rom unter seiner Anführung bestanden hätte. Jedoch die Antwort ist: die Kraft dieses Geistes würde Reichstag von 1521. Glapio . gebrochen gewesen seyn, wenn eine Rücksicht ihn gefesselt hätte von einem nicht durchaus religiösen Inhalt. Nicht von den Bedürfnissen der Nation sondern von religiösen Überzeugungen war er ausgegangen, ohne die er nie etwas gemacht hätte, und die ihn nun freilich weiter geführt hat- ten, als es zu jenem politischen Kampfe nöthig oder auch nützlich war. Der ewig freie Geist bewegt sich in seinen eigenen Bahnen. Noch hofften Einige, er werde einen Schritt zurück- treten: er werde sich wenigstens nicht zu seinen letzten här- testen Äußerungen bekennen, wie sie in dem Buch von der babylonischen Gefangenschaft vorkamen. Besonders war das die Meinung des kaiserlichen Beichtvaters. Er hielt die päpstliche Verdammungsbulle nicht für ein unübersteig- liches Hinderniß gütlicher Beilegung: da Luther noch nicht gehört worden, so bleibe dem Papst ein Ausweg übrig um ihn wiederherzustellen: wenn er nur dieses letzte Buch, voll von den unhaltbarsten Behauptungen, und mit seinen übri- gen Schriften auch sonst nicht zu vergleichen, nicht anerken- nen wolle. Mit dem aber wälze er sich selbst einen Stein in Weg: er werde machen, daß die übrige kostbare Waare, die er sonst in Port bringen werde, versinke. Seckendorf Comm. de Lutheranismo I, p. 142. Zuerst schlug er dem Churfürsten von Sachsen vor, ihm ein paar Räthe zu nennen, mit denen er über die Mittel einer Aus- gleichung unterhandeln könne. Der Churfürst entgegnete, er habe nicht gelehrte Räthe genug bei sich. Glapio fragte hierauf, ob man sich erwählten Schiedsmännern unterwer- fen wolle, deren Ausspruch selbst der Papst werde aner- Zweites Buch. Viertes Capitel . kennen müssen. Der Churfürst hielt es nicht für möglich den Papst dazu zu bewegen, besonders da der Kaiser Deutschland so bald zu verlassen denke. Glapio seufzte als er dieß vernahm. Diesem stillen Fürsten, der jede äu- ßerliche Theilnahme von sich ablehnte, und der doch wohl in der That der einzige Mensch war der noch über Lu- ther etwas vermocht hätte, war schlechterdings nicht bei- zukommen: nicht einmal persönliche Audienz ließ er sich ab- gewinnen. Der Beichtvater wendete sich hierauf an andre Freunde Luthers. Er begab sich auf die Ebernburg zu Sickingen, der so eben aufs neue in den Dienst des Kai- sers trat und als einer der vornehmsten Beschützer Lu- thers galt, um dessen Vermittelung in Anspruch zu neh- men. Glapio äußerte sich auch hier auf eine Weise, daß man ihn, in gewissen Puncten, als einen Anhänger Luthers betrachten konnte. Ich möchte nicht glauben, daß dieß Heimtücke war, wie so Viele annahmen. Es liegt am Tage daß die Opposition Luthers gegen den Papst ein doppelt gewaltiges Werkzeug der kaiserlichen Politik zu werden ver- sprach, wenn man sich nicht genöthigt sah ihn seines offenen Abfalls halber geradezu zu verurtheilen, wenn man viel- leicht die Sache durch ein Schiedsgericht schwebend erhal- ten konnte. Sickingen ließ Luther im Vorüberreisen ein- laden bei ihm einzusprechen. Vgl. Luthers Erzaͤhlung. Werke Alt. Ausg. T. I, p. 733. Denn schon kam Luther den Weg von Wittenberg nach Worms daher gezogen. Er predigte einmal unter- wegs: des Abends schlug er in der Herberge wohl die Laute Luther in Worms . Laute an: alle Politik lag außer seinem Gesichtskreis: über jede persönliche Rücksicht, sogar auf sich selbst, war er er- haben. Auf dem Wege vor ihm her waren die Decrete angeschlagen worden, durch welche seine Bücher verdammt wurden, so daß der Herold ihn schon zu Weimar fragte, ob er fortziehen wolle. Er antwortete: er wolle sich des kaiserlichen Geleites halten. Dann kam jene Einladung Sickingens. Er erwiederte, habe der kaiserliche Beichtva- ter mit ihm zu reden, so könne er das wohl in Worms thun. Noch auf der letzten Station ließ ihm ein Rath seines Churfürsten sagen: er möge doch lieber nicht kom- men: leicht könne ihn das Schicksal Hussens treffen. „Huß,“ antwortete Luther, „ist verbrannt worden, aber nicht die Wahrheit mit ihm: ich will hinein, und wenn so viel Teufel auf mich zielten als Ziegel auf den Dächern sind.“ Muͤller Staatscabinet VIII, p. 296. Ich waͤhle die Wen- dung des Gedankens, die er selbst in einem spaͤtern Briefe ausspricht: Wenn ich haͤtte gewußt, daß so viel Teufel auf mich gehalten haͤt- ten, als Ziegel auf den Daͤchern sind, waͤre ich dennoch mitten unter sie gesprungen mit Freuden. Briefe II, 139. So langte er in Worms an: 16ten April 1521, eines Dien- stags gegen Mittag, als man eben bei Tische war. Wie der Thürmer vom Dom in die Trompete stieß, lief alles auf die Straße den Mönch zu sehen. Er saß auf dem offenen Rollwagen, den ihm der Rath zu Wittenberg zur Reise gegeben, in seiner Augustinerkutte: vor ihm her ritt der Herold, den Wappenrock mit dem Reichsadler über den Arm. So zogen sie durch die verwunderte, mannich- faltig bewegte, gaffende, theilnehmende Menge. Indem Luther sie übersah, verwandelte sich in ihm der kühne Ranke d. Gesch. I. 31 Zweites Buch. Viertes Capitel . Muth in die feste Zuversicht; er sagte: Gott wird mit mir seyn; so stieg er ab. Und sogleich des andern Tages gegen Abend ward er in die Versammlung des Reiches geführt. Der junge Kaiser, unter den sechs Churfürsten sein eigner Herr, so viele andre geistliche und weltliche Fürsten, vor denen die Unterthanen ihre Kniee beugten, zahlreiche durch Thaten in Krieg und Frieden berühmte Oberhäupter, würdige Ab- geordnete der Städte, Freunde und Feinde, erwarteten den Mönch. Der Anblick einer so erhabenen, prächtigen Ver- sammlung schien ihn doch einen Augenblick zu blenden. Er sprach mit ziemlich schwacher unvernehmlicher Stimme: Viele glaubten, er sey erschrocken. Auf die Frage, ob er seine Bücher, deren Titel verlesen wurden, sämmtlich wie sie seyen vertheidigen oder sich zu einem Widerruf verstehen wolle, bat er sich Bedenkzeit aus: auch er nahm wie wir sehen die Förmlichkeiten des Reiches für sich in Anspruch. Den andern Tag erschien er aufs neue in der Ver- sammlung. Es wurde spät, eh er vorgelassen ward: schon zündete man Fackeln an; die Versammlung war vielleicht noch zahlreicher als gestern, das Gedränge des Volkes so stark, daß kaum die Fürsten zu sitzen kamen, die Aufmerk- samkeit auf den entscheidenden Augenblick noch gespann- ter. Jetzt aber war in Luther keine Spur von Befan- genheit. Auf die ihm wiederholte frühere Frage antwor- tete er mit männlich-fester, starker Stimme, mit dem Aus- druck freudiger Ruhe. Er theilte seine Werke ein in Bü- cher der christlichen Lehre, Schriften wider die Mißbräuche des Stuhles zu Rom, und in Streitschriften. Die ersten Luther in Worms . widerrufen zu müssen, sagte er, würde unerhört seyn, da selbst die päpstliche Bulle viel Gutes darin anerkenne: die zweiten, das würde den Romanisten ein Anlaß werden, Deutsch- land vollends zu unterdrücken: das dritte würde seinen Gegnern nur neuen Muth machen, sich der Wahrheit ent- gegenzusetzen. Eine Antwort, die nun mehr der falsch ge- stellten Form der Frage entsprach, als der Absicht, welche die Reichsstände mit dem Verhör verbanden. Der Offi- cial von Trier kam der Sache näher, indem er ihn erin- nerte, den Widerruf nicht durchaus und gänzlich abzuleh- nen: — hätte Arius Einiges zurückgenommen, so würden nicht auch zugleich seine guten Bücher vernichtet worden seyn: auch bei ihm werde man Mittel finden, seine Bücher nicht alle zu verbrennen, wenn er nur das widerrufe, was von dem Concilium zu Costnitz verdammt worden sey, und was er diesem Urtheil zum Trotz wieder aufgenommen habe. Mehr auf die Infallibilität der Concilien als auf die des Papstes bezog er sich. Aber Luther glaubte jetzt an die eine so wenig wie an die andre; er entgegnete, auch ein Concilium könne irren: der Official stellte das in Abrede: Luther wieder- holte, er wolle beweisen daß es geschehen könne und ge- schehen sey. Natürlich konnte der Official darauf nicht in dieser Umgebung eingehn: er fragte jetzt nochmals de- finitiv, ob Luther alle seine Sachen als rechtgläubig ver- theidigen, oder ob er etwas davon widerrufen wolle: er kündigte ihm an, wenn er jeden Widerruf abschlage, so werde das Reich wissen, wie es mit einem Ketzer zu ver- fahren habe. Aber auch in Luther, der in Worms Dis- 31* Zweites Buch. Viertes Capitel . putation oder Widerlegung, irgend eine Art von Beleh- rung erwartet hatte, statt dessen aber sich ohne Weiteres als Irrlehrer behandelt sah, hatte sich in dem Gespräch das volle Bewußtseyn einer von keiner Willkühr abhängen- den, in Gottes Wort gegründeten, um Concilien und Papst unbekümmerten Überzeugung erhoben; Drohungen schreck- ten ihn nicht; die allgemeine Theilnahme, deren Odem er um sich wehen fühlte, hatte ihn erst recht befestigt; sein Gefühl war, wie er im Hinausgehen sagte, hätte er tau- send Köpfe, so wolle er sie sich eher abschlagen lassen, ehe er einen Widerruf leiste. Er erwiederte nach wie vor, werde er nicht mit Sprüchen der heiligen Schrift über- wiesen, daß er irre, so könne und wolle er nicht wider- rufen, weil sein Gewissen in Gottes Wort gefangen sey. „Hier stehe ich:“ rief er aus: „ich kann nicht anders: Gott helfe mir: Amen.“ Acta rev di patris Martini Lutheri coram Caes a Majestate etc. Opp. Lutheri lat. II, p. 411. Der Bericht, den Pallavicini aus den Briefen Aleanders schoͤpfte, enthaͤlt noch einiges Weitere; meh- reres von dem Detail das er mittheilt, so wie ein und das andre Neue, fand ich in den Briefen der Frankfurter Gesandten Fuͤrsten- berg und Holzhausen. Es ist auffallend, wie verschiedenartig die Erscheinung Luthers die Anwesenden berührte. Die vornehmeren Spa- nier, die schon immer auf ihn gescholten, die man wohl eine Schrift von Hutten oder Luther vor einer Bücher- bude zerreißen und in den Koth treten gesehen, Buschius ad Huttenum. Opp. Hutt. IV, p. 237. fanden den Mönch aberwitzig. Ein übrigens ganz unparteiischer Venezianer bemerkt doch: Luther habe sich weder sehr ge- lehrt gezeigt, noch besonders klug noch auch tadellos in Luther in Worms . seinem Leben: er habe der Erwartung nicht entsprochen die man von ihm gehegt. Contarenus ad Matthaeum Dandulum Vormatiae 26 mo d. Apr. 1521 in der Chronik des Sanuto Tom. XXX. Man kann denken, wie Alean- der ihn beurtheilte. Aber auch der Kaiser hatte einen ähn- lichen Eindruck bekommen. „Der,“ rief er aus, „soll mich nicht zum Ketzer machen.“ Gleich des nächsten Ta- ges, am 19ten April, that er den Reichsständen in einer eigenhändigen, französisch abgefaßten Erklärung seinen Ent- schluß kund, den Glauben zu behaupten, den seine Vor- fahren, rechtgläubige Kaiser und katholische Könige gehal- ten. Dazu rechne er alles was in den Concilien, nament- lich auch in dem Costnitzer festgesetzt worden sey. Seine ganze Macht, Leib und Leben, ja die Seele selbst wolle er dafür verwenden. Nach den Äußerungen der Hart- näckigkeit, die man gestern von Luther gehört, fühle er Reue, daß er ihn bisher geschont habe, und werde gegen ihn verfahren wie gegen einen offenbaren Ketzer. Er for- dert die Fürsten auf, in demselben Sinne zu handeln, wie ihre Pflicht sey und sie ihm versprochen. Seinen deutschen Landsleuten dagegen hatte Luther vollkommen Genüge gethan. Contarenus ad Tiepolum 25 mo d. Apr. Habet intentis- simos inimicos et maximos fautores: res agitur tanta contentione quantam nemo crederet. Letter of Tonstall from the diet of Worms bei Fiddes life of Wolsey p. 242. The Germans every where are so addicted to Luther, that rather than he shall be oppressed by the Pope’s authority, a hundred thousand of the people will sacrifice their lifes. Die versuchten Kriegshaupt- leute hatten ihre Freude an seiner Unerschrockenheit: der alte Georg von Frundsberg klopfte ihm im Hineingehn ermuthigend auf die Schulter: der tapfere Erich von Braun- Zweites Buch. Viertes Capitel . schweig schickte ihm in dem Gedränge der Versammlung einen Trunk Eimbecker Biers in silberner Kanne. Beim Herausgehn will man eine Stimme gehört haben welche die Mutter eines solchen Mannes selig pries. Auch der vorsichtige und bedachtsame Friedrich war mit seinem Pro- fessor zufrieden, „o,“ sagte er zu Spalatin Abends in sei- ner Schlafkammer, „o wie gut hat Doctor Martinus vor Kaiser und Reich gesprochen.“ Es hatte ihn besonders gefreut, daß Luther seine deutsche Erklärung so geschickt lateinisch zu wiederholen verstanden. Seitdem suchten ihn die Fürsten wetteifernd in seiner Wohnung auf. „Habt ihr Recht, Herr Doctor,“ sagte Landgraf Philipp von Hes- sen, nach einigen Scherzworten, über die ihn dieser lä- chelnd zurechtgewiesen, „so helf Euch Gott.“ Man hatte Luther wohl früher gesagt: ehe ihn die Gegner verbren- nen sollten, müßten sie alle mitverbrennen. Die entschiedne Erklärung des Kaisers so außerhalb aller Form des Rei- ches, brachte diese theilnehmende Gesinnung in Bewegung. In den kaiserlichen Gemächern fand man einen Zettel mit den Worten: weh dem Lande, dessen König ein Kind ist. Ein Anschlag an dem Rathhaus kündigte den Herrn Romanisten und vor allem dem Erzbischof von Mainz die Feindschaft angeblich von 400 verbundenen Rittern an, weil man Ehre und göttlich Recht unterdrücke. Sie seyen dagegen verschworen den gerechten Luther nicht zu verlassen. „Schlecht schreib ich,“ schließt dieser An- schlag, „doch einen großen Schaden mein’ ich: mit 8000 Mann Kriegsvolk: Bundschuh Bundschuh Bundschuh!“ — Eine Vereinigung der Ritterschaft und der Bauern schien man den Gegnern Luthers zu dessen Schutze anzu- Luther in Worms . kündigen. In der That ward zuweilen den Mitgliedern des Hofes nicht ganz wohl zu Muth, wenn sie sich so ohne Rüstung noch Waffen in der Mitte einer gährenden, kriegslustigen, von feindseligen Tendenzen ergriffenen Na- tion erblickten. Zunächst war jedoch nichts zu fürchten, da Sickingen und so viele andre Ritter und Kriegsanführer in Carls Dienste getreten, unter seinen Fahnen in Kurzem Ehre und Gewinn davon zu tragen hofften. Ehe die Stände auf die Eröffnung des Kaisers ein- giengen, trugen sie erst noch auf einen Versuch an, Lu- thern von einigen seiner schroffsten Meinungen zurückzu- bringen: es werde eine Empörung zu besorgen seyn, wenn man mit so rücksichtsloser Raschheit gegen ihn verfahre. Der Kaiser gestattete zu dem Ende eine Frist von eini- gen Tagen. Es ließ sich aber von vorn herein nicht erwarten, daß man damit etwas ausrichten werde. Man machte Lu- thern Vorstellungen wegen seiner Meinung über die Con- cilien: er blieb dabei, Huß sey zu Costnitz mit Unrecht ver- dammt worden. Man schlug ihm aufs neue vor, den Kaiser und die Stände als Richter über seine Lehre an- zuerkennen. Er erklärte, er wolle Menschen über Gottes Wort nicht richten lassen. Aleander behauptet, es sey Luthern wirklich einmal gerathen worden, von einigen seiner zuletzt geäußerten Mei- nungen abzustehn und nur die unmittelbar gegen Rom gerichteten zu verfechten. In deutschen Schriften findet sich hievon keine Andeutung. Es zeigt sich selbst nicht, daß ihm die Frage, wie sie in jener Eingabe der Stände Zweites Buch. Viertes Capitel . lag, sehr präcis gestellt worden wäre; allein alle seine Er- klärungen waren so unumwunden, so durchdrungen von dem religiösen Element, daß sich keine Rücksicht von ihm erwarten ließ: er hatte sich von den Formen der römi- schen Kirche auf ewig losgesagt: mit Einem Concilium ver- warf er die ganze Idee, auf der sie beruhte; an eine Ver- mittelung war da nicht zu denken. Aber indem er abreiste, ohne sich zu der mindesten Beschränkung seiner Meinungen verstanden zu haben, kam nun der ältere Beschluß der Stände, der zu seiner Berufung Anlaß gegeben, auch für seine Verdammung in Kraft. Eine Revision desselben, eine neue Berathung zu ver- anlassen, konnte wenigstens der Kaiser nicht gemeint seyn: er war so eben mit dem römischen Stuhle in das genaueste Verhältniß getreten. Von der wenig verhehlten feindseligen Stimmung, in welcher Don Juan Manuel den römischen Hof im Früh- jahr 1520 fand, hatte er ihn binnen eines Jahres zu der engsten Verbindung gebracht. Am 8ten Mai 1521 ward ein Bund zwischen Carl und Leo geschlossen, in welchem sie einander versprachen „dieselben Freunde und ohne Aus- nahme dieselben Feinde zu haben: dasselbe Wollen und Nichtwollen zum Angriff und zur Vertheidigung.“ Zu- nächst gegen Frankreich machten sie in diesem Bündniß gemeinschaftliche Sache; der Papst hatte sich endlich ent- schlossen, hierin völlig auf die Seite des Kaisers zu treten und alle seine Kräfte zur Verjagung der Franzosen aus Mai- land und Genua anzustrengen: jedoch bezog es sich auch un- mittelbar auf die geistlichen Angelegenheiten in Deutschland. In Wormser Edict . In dem 16ten Artikel versprach der Kaiser „weil sich Einige erhoben, die von dem katholischen Glauben abwei- chen und den apostolischen Stuhl böslich verlästern, gegen diese seine ganze Macht zu gebrauchen, sie zu verfolgen und alles Unrecht das dem apostolischen Stuhle zugefügt werde, zu rächen, gleich als geschehe es ihm selber.“ Tabulae foederis etc. bei Dumont IV, III Supplém. p. 98. Quoniam sanctissimo domino nostro cura est aliquanto etiam major rerum spiritualium et pastoralis officii quam tempora- lium — — Es läßt sich zwar nicht behaupten, daß das Verfah- ren Carls V in Luthers Sache ausschließend auf politi- tischen Motiven beruht habe: es ist sehr wahrscheinlich daß ihm eine Ableugnung der Unfehlbarkeit der Concilien, ein Angriff auf die Sacramente eben so widerwärtig war wie unverständlich; allein eben so klar ist doch, daß die Politik daran den größten Antheil hatte. Was hätte man alles mit Luther anfangen können, wenn er sich gemäßigt hätte, wenn man ihn nicht hätte verdammen müssen. Da das nicht zu vermeiden war, so machte man es noch zu einer Bedingung für den großen Krieg, den man zu be- ginnen im Begriffe stand. Nur hatte es bei der allgemeinen Theilnahme, die Luther während seiner Anwesenheit erweckt hatte, noch immer eine gewisse Schwierigkeit, eine entscheidende Maaßregel zu er- greifen. Der Beschluß, den die Stände gefaßt, war einer nicht geringen Anzahl derselben jetzt zuwider. Die Frage war, ob sie sich zu einem auf denselben gegründeten Edict ohne Widerrede verstehen würden. Um dieß zu bewirken, verfuhr man folgendergestalt. Ranke d. Gesch. II. 32 Zweites Buch. Viertes Capitel . Eine Zeitlang ward geschwiegen: schon waren Manche abgereist: alle übrigen Geschäfte waren beendigt. Indem nun der Kaiser am 25sten Mai auf dem Rath- hause erschien, um die Formalität der Annahme der Be- schlüsse über Regiment Gericht und Matrikel persönlich zu vollziehen, bat er die Stände zugleich, noch drei Tage zu bleiben, um noch einige „ungeschiedene“ Sachen zu Ende zn bringen. Schreiben Fuͤrstenbergs 28 Mai Frankf. A. Wie es Sitte war, gaben ihm, als er nach seiner Wohnung in den bischöflichen Pallast zurückgieng, die Anwesenden das Geleite; die Churfürsten von Sach- sen und Pfalz waren schon abgereist: die vier übrigen aber waren zugegen. Als sie daselbst ankamen, wurden sie schon vou den päpstlichen Nuntien erwartet. Es waren Breven von dem Papst an die Churfürsten eingelaufen; (Aleander hatte diese Ehrenbezeigung ausdrücklich für nothwendig er- klärt) die Nuntien überreichten dieselben. Auch ein Breve an den Kaiser war angelangt, mit dessen Publication man absichtlich bis auf diesen Moment gezögert. Unter den Eindrücken nun, die diese Mittheilungen machten, eröffnete der Kaiser, daß er in der lutherischen Sache ein Edict habe abfassen lassen, auf den Grund des alten Beschlusses der Stände. Der eine von den päpstlichen Nuntien selbst — so vertraulich war jetzt das Vernehmen zwischen Kaiser und Papst — hatte es aufgesetzt: sie hielten den Moment für gün- stig, um es den Anwesenden mitzutheilen. Diese hätten nicht füglich etwas dagegen thun können, wenn sie auch ge- wollt hätten. Der Churfürst von Brandenburg Joachim I bestätigte, daß die Meinung der Stände allerdings dahin Wormser Edict . gegangen sey. Aleander eilte, hierüber einen urkundlichen Act aufzunehmen. Pallavicini lib. I, c. 28. Aus den Briefen Aleanders. Man merkt es dem Erzaͤhler an, welches Vergnuͤgen ihm das Ge- lingen eines so klugen Verfahrens macht: Era ignoto il misterio all’ istesso Grancancelliere — crucciava forte i ministri di papa, veggendo nel discioglimento della dieta rimanerse con le mani vacue: ma i principi se vogliono adoperare prudentemente, con- viene etc. etc. Man sieht: das Edict ward den Ständen nicht in ihrer Versammlung vorgelegt; keiner neuen Deliberation ward es unterworfen; unerwartet, in der kaiserlichen Be- hausung bekamen sie Kunde davon, nachdem man nichts versäumt, um sie günstig zu stimmen: die Billigung des- selben, die nicht einmal formell genannt werden kann, ward ihnen durch eine Art von Überraschung abgewonnen. Es war aber so scharf, so entschieden wie möglich. Luther wird darin als ein von der Kirche Gottes abge- hauenes Glied mit allen seinen Anhängern, Gönnern und Freunden in die Acht und Aberacht erklärt. Seine und seiner Anhänger Schriften werden verboten und zum Feuer verurtheilt. Damit in Zukunft keine ähnlichen erscheinen, wird eine Censur für alle neuen Drucke angeordnet. Wormser Edict bei Walch XV, 2264. Es ist merkwuͤrdig, daß die Censur in allen uͤbrigen Faͤchern dem Bischof allein, in dem theologischen aber nur unter Zuziehung „der Facultaͤt in der h. Schrift der naͤhest gelegenen Universitaͤt“ uͤbertragen wird. § 36. Hiemit hatte nun Aleander das lange ins Auge ge- faßte Ziel seiner Unterhandlungen erreicht. Noch im Laufe des Tages besorgte er zwei Reinschriften, die eine deutsch, die andre lateinisch; den andern Morgen, eines Sonntags, eilte er damit zum Kaiser: er fand ihn mit Ständen und 32* Zweites Buch. Viertes Capitel . Hof in der Kirche; das hinderte ihn nicht, es ihm auf der Stelle vorzulegen: noch in der Kirche ward es von dem Kaiser unterzeichnet. Es war am 26sten Mai: Alean- der hatte es nützlich gefunden, sein Edict auf den 8ten, wo die Versammlung noch ziemlich vollzählig gewesen war, zurück zu datiren. Dergestalt setzte sich so die weltliche wie die geistliche Gewalt der religiösen Bewegung die in der Nation er- wacht war entgegen. Es war der Opposition nicht ge- lungen, den Kaiser, wie sie gehofft hatte, in ihre Richtung gegen das Papstthum hineinzuziehen; dieser hatte vielmehr seinen Bund mit dem Papst geschlossen: sie hatten sich vereinigt, die bisherige Verfassung der Kirche aufrecht zu erhalten. Ob es ihnen damit gelingen würde, war freilich eine andre Frage. Gedruckt bei A. W. Schade .