Flegeljahre. Eine Biographie von Jean Paul Richter. Zweites Baͤndgen. Tuͤbingen, in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1804. N ro . 18. Echinit. Der Schmolgeist. E s braucht keinen grossen diplomatischen Ver¬ stand, um zu errathen, daß der Notar in der SonntagsNacht nicht zu Hause blieb, sondern noch spaͤt zu dem TheaterSchneider Purzel gehen wollte, wo sein Bruder wohnte, um bey ihm mehr uͤber den blauen Juͤngling zu hoͤren. Aber dieser empfieng herunter eilend ihn auf der Gasse, die er als Saal und Corso des Volks in Feier- Naͤchten erhob und zum Spaziergange vorschlug. Ziemlich entzuͤckt nahms Walt an. So Sonn¬ tags in der Nacht unter den Sternen mit Hun¬ derten auf- und abzugehen, sagt' er, das zeig' ihm, was Italien sei; zumal da man den Hut aufbehalten und ungestoͤrt zu Fusse traͤumen koͤnne. Er wollte sofort viel reden und fragen, aber Vult bat ihn, bis in andere, einsamere Gassen zu schweigen und nicht Du zu sagen. „Wie so gern!“ sagte Walt. Unbemerkt war ihm in der Daͤmmerung die Brust voll Liebe gelaufen wie Flegeljahre II . Bd. 1 eine Blume voll Thau — so oft er durfte, streift' er mit der Hand ein wenig an eine jede blutfrem¬ de vorbeigehende an, weil er nicht wissen koͤnne, dacht' er, ob er sie je wieder beruͤhre — ja er wagt' es in schattigern Stellen der Nacht sogar, zu Erkern und Balkons, wo deutlich die vor¬ nehmsten Maͤdchen standen, aufzusehen und sich von der Gasse hinauf zu denken mitten darunter mit einer an der Hand als Braͤutigam, den sein Himmel halb erstickt. Endlich spannt' er vor dem Floͤtenspieler in einer schicklichen Sackgasse das glaͤnzende histori¬ sche Blatt von seinem innern Banquet und Freu¬ den Gewuͤhle eines Nachmittages auf, der darin bestand — als Vult neugierig naͤher nachsah, — daß er draussen hin und her gegangen, und den Blaurock getroffen. „Man sollte geschworen ha¬ ben, versezte Vult, Sie kaͤmen eben aus Glad¬ heim Das FreudenThal in Walhalla. statt aus dem Rosenthale her, und haͤt¬ ten sich entweder die Freya oder die Sidfna, oder die Gunnur, oder die Gierskogul, oder die Mißa, oder sonst eine Goͤttin zur Ehe abgeholt, und ein paar Taschen voll Weltkugeln als Brautgabe dazu. — Doch ists zu ruͤhmen, wenn ein Mann das Gallakleid der Lust noch so wenig abgetragen — die Faͤden zaͤhl' ich auf meinem, — ausgenom¬ men wenn der Mann nicht bedenkt, daß Zau¬ berschloͤsser leicht die Vorzimmer von Raubschloͤs¬ sern sind.“ Aber jezt wies ihm Walt den Berg der heu¬ tigen Weinlese, den blauen Juͤngling, und frag¬ te nach dessen Namen und Wohnung. Der Bruder erwiederte gelassen, es sei der Graf Klo¬ thar, ein sehr reicher stolzer, sonderbarer Philo¬ soph, der fast den Britten spiele, sonst gut genug. Dem Notar wollte der Ton nicht gefallen, er legte Vulten Klothars reiche Worte und Kennt¬ nisse vor. Vult erwiederte, darin seh' er fast ei¬ nige merkliche Eitelkeit des Stolzes . „Ich koͤnnt' es nicht ertragen, versezte Walt, wenn Menschen gewisser Groͤße demuͤthig waͤren.“ — „Und ich kann, versezte Vult, es nicht erdulden, wenn der englische Stolz, oder der irlaͤndische oder der schottische, der sich sehr gut in Buͤcher¬ Darstellungen ausnimmt, in der Wirklichkeit auf¬ tritt und pusthet. In Romanen gefaͤllt uns fremde Liebe und Stolziererei und Empfindelei; — aber druͤber hinaus schlecht.“ Nein, Nein, (sagte Walt) wie mir denn dein eigener Stolz gefaͤllt. Wenn wir uns recht fragen, so erzuͤrnt uns nie der Stolz selber, sondern nur sein Mangel an Grund — daher kann uns oft Demuth eben so gut quaͤlen; — daher ist unser Haß des Stolzes kein Neid ge¬ gen Vorzuͤge; denn indeß wir allzeit groͤßere uͤber uns anerkennen und nur erstohlne, vorgespiegel¬ te hassen: so ist unser Haß nicht Liebe gegen uns, sondern eine gegen die Gerechtigkeit. — „Sie philosophieren ja wie ein Graf, sagte Vult. Hier wohnt der Graf.“ Mit unsaͤglicher Freude sah Walt an die leuchtenden Fenster-Reihen einer Garten-Villa hinauf, die der Gasse den glaͤnzen¬ den Ruͤcken zeigte und in welche ein langer Gar¬ ten durch eine breite Vorhalle von Baͤumen-Ord¬ nungen fuͤhrte. Izt lies Walt vor dem Bruder eine durstige Seele in alle ihre Gedichte und Hof¬ nungen der Liebe ausbrechen. Der Floͤtenspieler sagte (eine gewoͤhnliche Ergiessung seines Zorns): „freilich in gewissen Stuͤcken — indessen — zu¬ mal so — in sofern ja freilich, o Himmel!“ und fuͤgte bei, seines schwachen Beduͤnkens sei Klothar vielleicht nicht weit von dem entfernt, was man im gemeinen Sprachgebrauch einen Egoisten nennt. Walt hielt es jezt schon fuͤr Freundes Pflicht, den unbekannten Grafen hieruͤber heftig zu beschuͤ¬ zen und berief sich auf dessen edle Physiognomie, die gewis darum, vermuthete er, so truͤbe be¬ schattet sei, weil er fruchtlos nach einer Sonne sehe, die ihm auf irgend einem Altare voll Op¬ fer-Asche den alten Phoͤnix der Freundschaft er¬ wecke; und ganz reiner Liebe schliesse gewis kein Herz sich zu. „Wenigstens sezen Sie vorher, sagte Vult, eh' Sie vor seinen Kammerdiener treten, einen Fuͤrstenhut auf, ziehen einen Stern an, binden ein blaues Hosenband um: — dann moͤgen Sie bei ihm zur Cour vorfahren; so nicht wohl. Ich ja selber, der ich von einem so eisgrauen Adel bin, daß er vor Alters-Marasmus fast erloschen ist, mußte vorher bei ihm eigne Ver¬ dienste vorschuͤzen —. Und wie wollen Sie ihm Ihre Freundschaft promulgieren? Denn blosses Hegen derselben thuts nicht.“ — „Von morgen an, sagte Walt unschuldig, such' ich ihm so nahe zu kommen, daß er alles deutlich lesen kann in meinem Herzen und Gesicht, was die Liebe an ihn hineingeschrieben, Vult!“ — „Van der Harnisch zum Henker! Was ist zu Vulten? Sie bauen demnach auf Ihren Diskurs und dessen Gewalt?“ — versezte Vult. „Ja wohl, sagte Walt, was hat denn der Mensch ausser so seltnen Thaten noch anderes?“ — Aber den Floͤtenspieler uͤberraschte an einem so beschei¬ denen Wesen, das hoͤhere Staͤnde vergoͤtterte, dieses stille feste Vertrauen auf Sieg ausnehmend. Die Sache war indeß, daß der Notar schon seit geraumen Jahren, wo er Petrarkas Leben gelesen, sich fuͤr den zweiten Petrarka still ansah, nicht blos in der aͤhnlichen Zeugungskraft kleiner Ge¬ dichte — oder darin, daß der Welsche von sei¬ nem Vater nach Montpellier geschickt wurde, um das Jus zu studieren, das er gegen Verse spaͤter fahren lies — sondern auch — und hauptsaͤchlich — darin mit, daß der erste Petrarka ein gewand¬ ter zierlicher Staatsmann war. Der Notarius glaubte, er duͤrfe, nach den Reden zu schliessen, die er mehrmals siegend an Goldinen und die Mutter gehalten, ohne Unbescheidenheit auf eini¬ ge Aehnlichkeit mit dem Italiener rechnen, falls man ihn nur in die rechten Lagen braͤchte. So geht eigentlich in dieser Minute kein Juͤngling in ganz Jena, Weimar, Berlin u. s. w. uͤber den Markt, der nicht glauben muͤßte als Schrein — Sakramenthaͤusgen — Heiligen-Haus — Rin¬ denhaus — oder Mumienkasten irgend eines jezt oder sonst lebenden GeisterRiesen heimlich herum zu laufen, so daß wenn man besagten Schrein und Mumienkasten aufschluͤge, der gedachte Riese deutlich ausgestreckt darin laͤge und munter blick¬ te. Ja Schreiber dieses war fruͤher fuͤnf bis sechs große Maͤnner schnell nach einander, so wie er sie eben gerade nachahmte. Kommt man frei¬ lich zu Jahren, naͤmlich zu Einsichten, beson¬ ders zu den groͤsten, so ist man nichts. „Wir wollen doch in Einem fort hier auf- und abgehen“ sagte Walt, der in Vults Repli¬ ken, zumal von seiner Himmelsluft berauscht, nichts spuͤrte als dessen Manier. „Ins Bette lieber; — wir stoͤhren vielleicht Klotharn, der schon darin liegt, denn ich hoͤre, morgen ver¬ reiset er auf einige Tage sehr fruͤhe“ — berichtete Vult, als woll' er ordentlich sich selber zur Pein, aus Walts vollem Herzen recht viel Liebe vor¬ pressen. „So ruhe sanft, Geliebter!“ sagte Walt und schied gern von der lieben Stelle und dann vom verdruͤßlichen Bruder. Voll Freude und Friede zog der Notar nach Hause — in die stil¬ len Gassen schaueten nur die hohen Sterne — er sah im Marktwasser einer nach Norden ofnen Strasse die Mitternachts-Noͤthe abgespiegelt — im Himmel zogen helle Woͤlkgen wie verspaͤtet aus dem Tage heim und trugen vielleicht oben die Genien, die den Menschentag reich beschenket hatten — und Walt konnte, als er so gluͤcklich in sein einsames daͤmmerndes Stuͤbgen zuruͤck kam, sich so wohl des Weinens als des Dankens nicht enthalten. Sehr fruͤh bekam er am Morgen von Vulten ein Briefgen, mit einer versiegelten Inlage, uͤber¬ schrieben tempori ! Jenes lautete: „Freund, ich fodere nichts von Euch als eine kurze Unsichtbarkeit, bis mein Blinden- und Floͤtenkonzert gegeben ist, zumal da ich dazu Gruͤn¬ de habe, die Ihr selber habt. Schreiben koͤnnen wir uns sehr. Waͤchst mein Erblinden so hastig fort wie bisher: so blas' ich den vierzehnten, ob¬ gleich als stokblinder Duͤlon, blos um nur das arme Ohren-Publikum nicht laͤnger aus einem Wochentagsblatt ins andere zu schleppen —. Ich bitt' Euch, macht kein Instrument, ohne mirs zu schreiben —. Ich hoffe, daß Ihr Familien- Ehre schonet, wenn Ihr in den Webstuhl tretet, um das bewußte Freundschafts-Band zu weben, und daß Ihr darauf rechnet, daß ich noͤthigsten Falls auch ein Paar Fußstoͤsse im Stuhle mit zu thun bereit waͤre. Auf Beilage sezt Euer Siegel neben meines und schickt sie zuruͤck; zu gehoͤriger Stunde wird sie vor Euch einst erbrochen. Adio ! v . D . H . Flegeljahre II . Bd. 2 N. S. Man muß jezt meiner Augen wegen mit ellenlangen Buchstaben an mich schreiben wie diese da. Lezteres that Walt in seiner Antwort gern, aber der Blindheit gedacht' er nicht, aus Wahr¬ heitsliebe. Er versprach alles Verlangte und be¬ klagte leidend die Trennung einer so kurzen Ver¬ einigung; betheuerte aber, daß Vult jeden Schritt, und jedes Gluͤck bei dem Grafen mit ihm schrift¬ lich theilen solle —. Uebrigens erkannte Walt in dieser Unsichtbarkeit den Bruder nur als einen rechten Weltluchs, der sich auch gegen das klein¬ ste Wetter-Leuchten des Zufalls einbauet, das den Menschen oft mitten in seiner besten Dun¬ kelheit vom Scheitel bis zur Sohle aufrecht erhellet. Das geheime Paquet haͤtte man dem Notar eben so gut unversiegelt geben koͤnnen, so sehr er¬ freute er sich, eine Gelegenheit der Treue gegen andere und sich zu erleben. Das versiegelte Blatt lautete so: „Da es ungewis ist, ob du je diesen Brief an dich lesen darfst: so kan ich offen genug schrei¬ ben. Es hat mich ungemein und diese ganze Nacht durch gekraͤnkt, lieber Bruder — wer weis, ob wir uns noch so anreden bei dem Erbruche die¬ ses Blattes, der entweder im schlimmsten oder im besten Falle geschieht, — daß du von der Freund¬ schaft deines Bruders nicht so, wie er von deiner, befriediget wirst, sondern schon eine neue suchst. Daß ich deinetwegen im dummen Haslau blei¬ be, oder daß ich fuͤr Dich mit Wuͤrg-Engeln und Scharf- und Hoͤllenrichtern mich herum¬ schlagen wuͤrde — daraus kann nicht viel gemacht werden; aber daß ein Mensch, dem auf seinem Reisewagen das Herz halb ausgefahren, geraͤdert, ja abgeschnitten worden, doch fuͤr dich allein ei¬ nes mitbringt, das darf er anrechnen, zumal in einem Tausche gegen deines, das zwar unbe¬ schreiblich rein und heis, aber auch sehr offen — der Windrose aller Weltgegenden — dasteht. Und nun wirds gar einem Grafen aufgemacht, der als Freund den Thron besteigt, indeß ich auf dem Geschwister-Baͤnkgen oder Kinder-Stuͤhl¬ gen size — o Bruder, das durchbrennt mich. So Rotten-Weise, so in der Landsmannschaft aller Menschen auch mit geliebt zu werden, und um ein Herz sich mit seinem sammt hundert an¬ dern Herzen wie ein Archipelagus von Zirkel-In¬ seln herum zu lagern — — Freund, das ist mein Geschmack nicht. Ich muß wissen und halten, was ich habe. Wollt' ich dir freilich meinen schwuͤlen Gift¬ baum, worunter ich diese Nacht geschlafen, auf¬ blaͤttern: so kenn' ich dein schoͤnes sanftes opfern¬ des Gemuͤth, — aber lieber wollt' ich ihn ganz abernten, eh' ich so demuͤthig waͤre. Es verdries¬ set mich schon, daß ich vor dir nur so viel schon am Grafen getadelt. Sieh selber — waͤhle selber — nur deine Empfindung treibe dich, hinzu oder hinweg — Umgekehrt vielmehr werd' ich dir alle moͤgliche Flugwerke, Strickleitern und Schneckentreppen zum hohen Grafen machen und leihen, dem ich so gram bin; aber dann, wann du entweder ganz bezaubert, oder ganz entzaubert bist, loͤs' ich das Siegel von folgender Schilde¬ rung dieses Herrn: Er ist nicht zum Ausstehen. Eitelkeit des Stolzes, und Egoismus sind die beiden Brenn- oder Frostpunkte seiner Ellipse. Mir misfaͤllt ein junger elender Fant gar nicht — denn ich seh' ihn nicht, — der ein Narr ist, ein Bilderdiener seines Spiegelbilds, ein Spiegel seiner Pfauen¬ spiegel; und so gern ich in effigie jedem maͤnn¬ lichen Frazen, der sich hinsezen und als Elegant einem Mode-Journalisten sizen kan, einen tapfern Fustritt gaͤbe: so bekuͤmmern mich doch die Nar¬ ren zu wenig, ja ich koͤnnte einem, der frei seine Eitelkeit erklaͤrte, solche nachsehen . . . Hingegen einem, der sie laͤugnet — der den Pfauenschweif hinter den Adlersfluͤgeln einheften will — der nur an Sonntagen schwarz gehet, weil da der Schornsteinfeger weis gehet — der sehr ernst sich blos die Glaze auskaͤmmt — der wie eine Spinne naͤchtlich das Gewebe, womit er die Sums- Muͤke, Lob einfaͤngt, wieder verschlukt und dann wieder ausspannt — und der die Anspruͤche des Philosophen und Narren gern verbaͤnde — und der natuͤrlich noch dabei vollends so egoistisch ist . . . Ich sage egoistisch. Macht sich ein Mensch, Bruder, aus den Menschen nicht viel, so bin ich stiller als einer dazu; nur mach' er sich auch nicht mehr aus sich, und im Streit-Fall seines und fremden Gluͤks, waͤhl' er großmuͤthig. Hingegen ein aͤchter, recht frecher Selbstsuͤchtling, der ganz un¬ verschaͤmt gerade die Liebe begehrt, die er ver¬ weigert, der die Welt in einer Kochenille-Muͤhle mahlen koͤnnte, um sich Weste und Wangen roth zu faͤrben, der sich fuͤr das Herz der Allheit an¬ sieht, deren Geaͤder ihm Blut zu- und abfuͤhrt, und der den Schoͤpfer und Teufel und Engel und die gewesenen Jahrtausende blos fuͤr die Schaffner und stummen Knechte, die Weltkugeln fuͤr die Dienerhaͤuser eines einzigen erbaͤrmlichen Ichs nimmt: — Walt, es ist bekannt, einen solchen koͤnnt' ich gelassen und ohne Vorreden todt schla¬ gen und verscharren. Die Leidenschaften sind doch wenigstens keke, grosmuͤthige, obwohl zerreissende Loͤwen; der Egoismus aber ist eine stille sich ein¬ beissende fortsaugende Wanze. Der Mensch hat 2 Herzkammern, in der einen sein Ich; in der andern das fremde, die er aber lieber leer stehen lasse, als falsch beseze. Der Egoist hat, wie Wuͤr¬ mer und Insekten, nur eine. Du, glaub' ich, vermiethest deine rechte an Weiber, die linke an Maͤnner und behilfst dich, so gut kannst, im Herz¬ ohr oder Herzbeutel. Vom Grafen will ich dir nichts sagen, als daß er als protestantischer Phi¬ losoph eine liebliche aber katholische Braut, — dir frappant aͤhnlich in der Liebe gegen jeden Athem des Lebens — schlechterdings aus ihrer Religion in seine schleppen will, blos aus egoisti¬ scher stolzer Unduldsamkeit gegen einen stillen Glauben in der Ehe, der seinen als einen fal¬ schen schoͤlte. Und dieses Menschen Kebs-Braut wolltest du werden? — Es schmerzet mich jezt, wo ich mich ins Kuͤhle geschrieben, recht ins Herz hin¬ ein, daß du Sanfter bis dahin, bis zur Eroͤfnung dieses Testaments dieses Briefs so manche Plage von zwei Spizbuben erdulden wirst, wo¬ von der zweite ich selber bin. Denn wie ich bis dahin schmollen, dich auf harte Proben stellen, — z. B. auf die, ob meine Unsichtbarkeit, Er¬ grimmung und Ungerechtigkeit dir genug ans Herz gehe — und wie ich uͤberhaupt des Teufels ge¬ gen dich sein werde, ist Gott und mir am besten bekannt; denn ich kenne meine Schmol-Natur, welche — so sehr ich mir auf dieser Zeile das Gegen¬ theil vornehme — so wenig, als ein schwimmen¬ der Kork in einem Gefaͤß Wasser, in der Mitte bleiben kann. Ach, auf jedem frischen Drukbogen des Lebens kommt immer unten der Haupttitel des Werks wieder vor. Mein Uebel aber eben ist der Schmolgeist , esprit de dépit d'amour , den mir eine der vermaledeitesten Feen muß in die Nasenloͤcher ein¬ geblasen haben. Eine schlimmere Bestie von Pol¬ ter- und Plagegeist ist mir in allen Daͤmonologien und Geister-inseln noch nicht aufgestossen —. Ordentlich als sei das Lieben nur zum Hassen da, erbosset man sich den ganzen Tag auf das suͤsseste Herz, sucht es sehr zu peinigen, breit zu druͤcken, einzuquetschen, zu viertheilen, zu baizen — — aber wozu? — Um es halbtod an die Brust zu nehmen und zu schreien: o ich Hoͤllenhund! So gottlos hielt' ich mit Freunden Haus, noch gott¬ loser freilich mit Freundinnen —. Drei tausend zwei hundert und fuͤnf mal soͤhnt' ich mich mit einer thuͤringischen Geliebten in dem kurzen Won¬ nemonde unserer Liebe aus; — mit andern aber oͤfter — und kuͤndigte doch gleich darauf, wie ein kopulierter Fuͤrst, die Seelen-Trauung wie¬ der durch Kanonen-Schuͤsse und Mord-Knaͤlle an, weil ich wieder den kleinsten schoͤnsten aller¬ liebsten Reif der Liebe fuͤr Schnee ansah —. Bei solchen Umstaͤnden, das schwur ich feierlich, heirathe der Teufel oder ein Gott; denn ist die Person nicht abwesend, die man zu lieben hat (ab¬ wesend gehts sehr; auch brieflich) oder was eben so gut ist, abgegangen mit Tod (Liebe und Testa¬ ment werden durch Sterben erst ewig): so hat man nach den bekannten wenigen Flitter-Sekun¬ den seine Blei-Jahre, bringt sein Leben wie an einem Kamin hin, halb den Steis im Feuer, halb den Bauch im Frost oder wie ein Stuͤk Eis im Wasser, oben von der schoͤnen Sonne, unten durch die Wellen zerfliessend —. Und da schaue Gott den Jammer! Jeder huͤte sich, lehr' ich oft genug, vor dem sauern Schmol- und Salz¬ geist, weil's keinen schlimmern giebt —. Daß ich immer abreisete von alten Menschen zu neuen, muß ich eben thun, um nicht zu zanken, son¬ dern noch zu lieben. Der Himmel weiß, wie ich dich peinigen werde. Aber vorausgesagt hab' ichs hier in bester Laune; und dann sei dieses Blatt, wenn es aufgemacht wird, mein Schirm¬ mein Feigen- mein Oelblatt. Q. H. N ro . 19. Mergelstein. Sommers-Zeit — Klothars Jagd. Izt fieng das Notariat des Notarius ordent¬ lich erst recht an. Er wurde der allgemeine In¬ strumenten-Macher der neugierigen Stadt. Ge¬ richtlich bei den Testamentsexekutoren sind die Schuldverschreibungen, die Protokolle uͤber ver¬ dorbne Waarenfaͤsser, Pachtbriefe uͤber Handels¬ gewoͤlbe, Kontrakte uͤber zu reparierende Stadt- Uhren u. dergleichen niederlegt, die er in so kur¬ zer Zeit ausfertigte, daß ein alter hinkender No¬ tarius nicht wuste, was er dazu sagen sollte aus Grimm, sondern zu Gott hofte, der Amtsbru¬ der werde, was er da einbrocke, schon einmal auszuessen haben, wenn ihn einst die 7 Erben und die geheimen Testamentsartikel fuͤr jedes Notariats-Verbrechen bei den Haaren nehmen, wie ja das sein taͤgliches Gebet zum Himmel sei. Walt fand nichts dabei unbegreiflich, als daß er — freilich mehr sein Petschaft — im Stande sein sollte, die wichtigsten Dinge zu bestaͤtigen, da er kaum begriff, wie er einst einen Ehemann oder Staatsbuͤrger abgeben koͤnnte statt einem leeren Juͤngling. Seinem Bruder schrieb er, wie er mitten unter den Instrumenten den Roman weiter webe, indem er so lange, bis eine Kopie abtrokne, un¬ gehindert dichten koͤnne — so wie D' Aguesseau behauptete, er habe viele seiner Werke im Zwi¬ schenraume gemacht‚ wo er sagte, qu'on serve , und wo man meldete‚ qu'il etoit servi . Aber Vult schrieb ihm Bitten und Gebote zuruͤck, ums Himmelswillen bei sich zu sein, sich nie zu ir¬ ren, kein Stunden-Datum und andere Beiwer¬ ke der Kontrakte zu vergessen, nie zu abbrevieren mit Zeichen oder notis , obgleich notarius da¬ von herstamme; — da er zumal sicher wisse, daß man jedem Federzug auflaure und daß ihm nur deshalb, der Hoffiskal das Kunden-Heer zuweise. Einst schrieb ihm etwas Aehnliches sein Va¬ ter Lukas — nachdem er bisher jeden dritten Tag muͤndlich deswegen gekommen war, — in einem kalligraphischen, kopierten Briefe, worin er ihn bei der Erbschaft beschwor, in seinen In¬ strumenten nichts zu radieren, noch zweierlei Dinte zu nehmen, und darauf befragte, ob es ausser Treibers Spazenrecht, Klubers Hunds¬ recht und Muͤllers Bienenrecht nicht noch Wespen¬ rechte, Huͤhnerrechte und Rabenrechte gebe, und was das Bienenrecht statuire, wenn einer nur eine Biene todt mache oder ein Paar. Der Sohn schickte eine hoͤfliche und ernste Antwort mit ei¬ ner Spielkarte, worein er einen Maxd'or als einen Ehrensold fuͤr den Rath gesteckt. Er hatte das Goldstuͤck gegen uͤbermaͤßiges Agio von Neupetern erwechselt, um seine Eltern durch das Gold (den Phoͤnix und Messias des Landvolks,) in den dritten Himmel zu werfen. Die Botenfrau must' ihm aber die Viertelstunde ihrer Ankunft bestimmen und betheuern, damit er erstlich bis dahin in den seeligsten Traͤumen des nahen elter¬ lichen Gluͤckes schwimmen und zweitens doch noch die Viertelstunde kosten koͤnne, wo er ent¬ schieden wuste, das ganze Haus in Elterlein sei nun ausser sich vor Jubel uͤber den Maxd'or und lasse Schomakern aus dem Schul- und die Gold¬ wage aus dem Pfarrhause darzu holen. So viel suͤsser wirds, lieber durch Boten als mit der Hand, lieber fernen Leuten als einem dasizenden Mann zu schenken, der alles ausmacht, wenn er einsteckt und sich bedanckt. Seine alte Seelen-Schwester Goldine er¬ hielt jezt einen Brief. Vorn herein schrieb er: „er uͤbertreib' es nicht, wenn er sowohl in Ruͤck¬ sicht seiner jezigen Bekanntschaften als seiner kuͤnftigen Hoffnungen sich fuͤr ein Gluͤckskind des guͤtigsten Schicksals erklaͤre; und nur mit grie¬ chischer Furcht vor der Nemesis bekenn' er, daß sein erster Ausflug fast zu gluͤcklich, seine erste Ziel-Palme schon voll Fruͤchte sei und seine Abende einen Abendstern besaͤßen, und die Mor¬ gen den Morgenstern.“ Darauf gieng er weiter zur Mahlerei des Som¬ merlebens, an welche er sich ohne Furcht mit fol¬ genden Farben machte: „Schon der Sommer allein erhoͤbe! Gott, welche Jahres-Zeit! Warlich ich weis oft nicht, bleib' ich in der Stadt oder geh' ich aufs Feld, so sehr ists einerlei und huͤbsch. Geht man zum Thor hinaus: so erfreuen einen die Bettler, die jezt nicht frieren und die Postreiter, die mit vie¬ ler Lust die ganze Nacht zu Pferde sizen koͤnnen, und die Schaͤfer schlafen im Freien. Man braucht kein dumpfes Haus; jede Staude macht man zur Stube und hat dabei gar meine guten aͤmsi¬ gen Bienen vor sich und die praͤchtigsten Zweifal¬ ter. In Gaͤrten auf Bergen sizen Gymnasia¬ sten und ziehen im Freien Vokabeln aus Lexizis. Wegen des Jagdverbotes wird nichts geschossen, und alles Leben in Buͤschen und Furchen und auf Aesten kann sich so recht sicher ergoͤtzen. Ueberall kommen Reisende auf allen Wegen da¬ her, haben die Wagen meist zuruͤck geschlagen, den Pferden stecken Zweige im Sattel und den Fuhrleuten Rosen im Mund. Die Schatten der Wolken laufen, die Voͤgel fliegen darzwischen auf und ab, Handwerkspursche wandern leicht mit ihren Buͤndeln und brauchen keine Arbeit. Sogar im Regenwetter steht man sehr gern draus¬ sen und riecht die Erquickung, und es schadet den Viehhirten weiter nichts, die Naͤsse. Und ists Nacht, so sizt man nur in einem kuͤhlern Schatten, von wo aus man den Tag deutlich sieht am noͤrdlichen Horizont, und an den suͤs¬ sen warmen Himmels-Sternen. Wohin ich nur blicke, so find' ich mein liebes Blau, am Flachs in der Bluͤthe, an den Kornblumen und am goͤtt¬ lichen unendlichen Himmel, in den ich gleich hineinspringen moͤchte wie in eine Fluth. — Kommt man nun wieder nach Hause, so findet sich in der That frische Wonne. Die Gasse ist eine wahre Kinder-Stube, sogar Abends nach dem Essen werden die Kleinen, ob sie gleich sehr we¬ nig anhaben, wieder ins Freie gelassen, und nicht wie im Winter unter die Bett-Decke ge¬ jagt. Man isset am Tage und weis kaum, wo der Leuchter steht. Im Schlafzimmer sind die Fenster Tag und Nacht offen, auch die meisten Thuͤren, ohne Schaden. Die aͤltesten Weiber stehen ohne Frost am offnen Fenster und naͤhen. Ueberall liegen Blumen, neben dem Dintenfaß, auf den Akten, auf den Sessions- und Ladenti¬ schen. Die Kinder laͤrmen sehr und man hoͤrt das Rollen der Kegelbahnen. Die halbe Nacht geht man in den Gassen auf und ab und spricht laut, und sieht die Sterne am hohen Himmel schießen. Selber die Fuͤrstin geht noch Abends vor dem Essen im Park spazieren. Die fremden Virtuosen, die gegen Mitternacht nach Hause gehen, geigen noch auf der Gasse fort bis in ihr Quartier und die Nachbarschaft faͤhrt an die Fenster. Die Extraposten kommen spaͤter und die Pferde wiehern. Man liegt im Laͤrm am Fenster und schlaͤft ein, man erwacht von Post¬ hoͤrnern, und der ganze gestirnte Himmel hat sich aufgethan. O Gott, welches Freuden-Leben auf dieser kleinen Erde! Und doch ist das erst Deutschland! Denck' ich vollends an Welsch¬ land! — Goldine, dabei hab' ich noch die troͤs¬ tende Aussicht, daß ich diesen Erntetanz der Zeit, den ich Ihnen hier in matter Prosa ge¬ schildert, weil ich Ihre Liebe, Ihr Vergeben kenne, mit ganz anderem poetischen Farben- Schmelze mahlen kann. — — Freundin, ich schreibe einen Roman. — Genug, genug! was ich sonst noch gefunden, was ich vielleicht nach anderthalb Stunden finde — Goldine, duͤrfte ich diese Freuden in Ihr Herz ausgießen! O muͤst' ich nicht vor die glaͤnzenden Sonnen-Wolken verhuͤllende Erdenwolken ziehen! — Adio, Ca¬ rissima !“ Aber hier sprang er auf, ließ unabgeschrie¬ ben den Kaufbrief liegen, unter dessen Abfassung er heute eben vernommen, daß Klothar zuruͤck und der Himmel in der Naͤhe sei, und lief in des Grafen Garten. Im Schreiben war Walt Befehlshaber seiner Phantasie betraͤchtlich, aber im Leben nur Diener derselben; wenn jene spie¬ lend ihm ihre Blumen und Fruͤchte wechselnd in den Schoos hinein und uͤber den Kopf hinuͤber warf: so drang unaufhaltsam sein ernsters Herz seinen Gaͤrten, seinem Gipfel zu und suchte den Zweig. In Klothars Park hoft' er auf ein schoͤnes Flegeljahre II . Bd. 3 Begegnen. Alle Fenster der Villa standen offen, aber kein Kopf darinn. Der Gaͤrtner, der ihn fuͤr einen Gartenfreund nahm, gieng ihm nach der Sitte mit einem Blumenstraus in der Hoff¬ nung entgegen, er werde diese Gaͤrtners-Blumen- Schwabacher und Fernschreiberei lesen koͤnnen, und ihm dafuͤr ein paar Groschen schencken. Der Notar weigerte sich hoͤflich vor dem bluͤhenden Geschenke, nahm es endlich mit den dankbar¬ sten Minen an, und druͤckte den aufrichtigsten Dank noch muͤndlich vor dem Gaͤrtner aus, der sich mit den finstersten uͤberwebte, weil er keinen Heller bekam. Seelig strich der Notar durch die Gaͤnge, in die dunkeln Busch-Nischen, an be¬ titelte Felsen und Mauern, vor gruͤne Baͤnke der Aussichten — und uͤberall flog ihm ein Blu¬ menkranz auf den Kopf oder ein Sommervogel ans Herz, naͤhmlich wahre Freuden, weil er uͤberall ein Beet erblickte, woraus, wie er dachte, sein kuͤnftiger Freund sich einige Blumen oder Fruͤchte des schnellen Lebens-Fruͤhlings ausge¬ zogen. „Der edle Juͤngling kann — sagte Gott¬ walt an den verschiedenen Plaͤzen — wohl auf dieser Bank lang der Abendroͤthe nachgesehen ha¬ ben — in diesem Bluͤthendickig daͤmmernde Her¬ zens-Traͤume ausgesponnen — auf dem Huͤgel wird er an Gott gedacht haben voll Ruͤhrung — Hier neben der Statue, o wenn er hier koͤnnte die sanfte Hand seiner Geliebten genommen haben, falls er eine hat — wenn er betet, that ers ge¬ wiß in diesem maͤchtigen Hain.“ Es gab wenige Baͤnke im Park, worauf er sich nicht niedersezte, voraussezend, Klothar habe fruͤher da gesessen. — „Der englische Garten ist goͤttlich — sagt' er abgehend zum stillen Gaͤrtner an der Pforte — Abends erschein' ich gewiß wie¬ der, liebster Mann.“ Er machte auch zur versprochnen Zeit die Gartenthuͤre auf. In der Villa war Musik. Er verbarg sich und seine Wuͤnsche in die schoͤnste Grotte des Parks. Aus der Felsenwand hinter ihm drangen Quellen und uͤberhaͤngende Baͤume. Vor ihm goß der glatte Fluß seinen langen Spie¬ gel durch ein Auen-Land. Windmuͤhlen kreise¬ ten ungehoͤrt auf den fernen Hoͤhen um. Ein sanfter Abendwind wehte das rothe Sonnengold aus den Blumen hoͤher um die Huͤgel. Eine weibliche Statue, die Haͤnde in ein Vestalinnen- Gewand gehuͤllt, stand mit gesenktem Haupte neben ihm. Die Toͤne der Villa hiengen sich wie helle Sterne ins Quellen-Rauschen und blizten durch. Da Gottwalt nicht wuste, welches In¬ strument Klothar spiele: so gab er ihm lieber alle in die Hand; denn jedes sprach einen hohen, tiefen Gedancken aus, den er dem Herzen des Juͤnglings leihen muste. Er entwarf sich unter den suͤssen Klaͤngen mehrmals den Umriß von der unerhoͤrten Seelig¬ keit, wenn der Juͤngling auf einmal in die Grot¬ te traͤte und sagte: „Gottwalt, warum stehest du so allein? Komme zu mir, denn ich bin dein Freund.“ Er half sich durch einige Strekverse an Jo¬ nathan (so wollt' er im Haslauer Wochenblatte den Grafen verziffern) die ihm aber schlecht ge¬ langen, weil sein innerer Mensch viel zu rege und zitternd war, um den poetischen Pinsel zu hal¬ ten. Zwei andere Strekgedichte, unter welche er jene absichtlich im Wochenblatte zum Scheine mischen wollte als sei alles Dichtung, waren viel besser und hießen so: Bei einem Wasserfalle mit dem Regenbogen. O wie schwebt auf dem grimmigen Wasser¬ sturm der Bogen des Friedens so fest. So steht Gott am Himmel und die Stroͤme der Zeiten stuͤrzen und reissen, und auf allen Wellen schwe¬ bet der Bogen seines Friedens. Die Liebe als Sphinx. Freundlich blickt die fremde Gestalt dich an, und ihr schoͤnes Angesicht laͤchelt. Aber verstehst du sie nicht: so erhebt sie die Tazen. Eben kam der Gaͤrtner und befahl ihm an, sich weg zu machen, weil man den Garten schließe. Er dankte und gieng willig. Aber zu seinem Erstaunen fuhr er in der Theaterschneiders Gasse nahe vor einem sechsspaͤnnigen Fackel- Wagen vorbei, worinn Klothar saß nebst andern, so daß er im Garten manches, sah er, vergeblich empfunden. Er gieng noch eine halbe Stunde vor Vults Fenstern auf und nieder zwar ohne diesen zu sehen, der ihn sah, aber doch um ihn sich nahe zu denken. Tags darauf hatt' er das Gluͤck, den Gra¬ fen, der mit einer alten krummen Dame englisch sprach, auf einem Garten-Gange zu treffen und vor dessen ernstem schoͤnen Gesicht den Hut mit Liebes-Augen zu ziehen. Er suchte ihm noch sechs oder siebenmale aufzustoßen, und zog eben so oft — aus Unbekanntschaft mit der Garten- Kleiderordnung — den Salutier-Hut, was zu¬ lezt dem Grafen so verdruͤßlich fiel, daß er un¬ ter Dach und Fach auswich. Auch der Gaͤrt¬ ner, der laͤngst uͤber ihn und seine scharfen Beo¬ bachtungen des Land-Hauses seine eignen ange¬ stellt, wurde konfus und glaubte, etwas zu ver¬ muthen. Noch spaͤt Abends kam ein Laͤufer vom pol¬ nischen General Zablocki — der in Elterlein das bekannte Ritterschloß hatte — mit dem Be¬ fehle, sich morgen ganz fruͤh punkt 11 Uhr ein¬ zustellen, um etwas zu machen. „O lieber, wenn doch mein Klothar ein Instrument bei mir bestellte! Gaͤb' es denn eine holdere Gelegen¬ heit?“ dacht' er. Punkt 11 Uhr kam derselbe Laͤufer und bestellt' ihn ab. Aber an der Wirths¬ tafel vernahm er, welche Himmelskugel nahe vor ihm seitwaͤrts weggezogen war. Die Tisch-Genossenschaft vereinigte sich naͤmlich, das goͤttliche Gemuͤth einer gewissen „Generals Wina .” zu erheben. .. Es giebt vielerlei Ewigkeiten in der armen zeitlichen Men¬ schenbrust, ewige Wuͤnsche, ewige Schrecken, ewige Bilder — so auch ewige Toͤne. Der Laut Wina, ja nur der verwandte Win'gen, Wien, Mine, Muͤnchen, er faste den Notar eben so sehr, als wenn er an — Aurikeln roch, auf deren Duft-Wolken er sich so lange in neue auslaͤn¬ dische Welten verschwamm, bis er entdeckte, daß er nur die fruͤhesten seines Lebens thauig aus¬ gebreitet sehe. Und die Ursache war eben Eine. In seiner Kindheit war naͤmlich, da er an den Blattern blind da lag, ein Fraͤulein Wina, die die Tochter des General Zablocki, dem das halbe Dorf oder die sogenannten Linken gehoͤrte, mit der Mutter zum Schultheiß gekommen. In der Familie hatte sich erhalten, daß das kleine Maͤdgen gesagt, der arme Kleine sei ja sehr todt, und sie woll' ihm alle ihre Aurikeln geben, weil sie ihm keine Hand geben duͤrfte. Der Notar be¬ theuerte, daß er sich es noch klar und suͤß erin¬ nere, wie ihn Blinden der Aurikeln-Geruch durch¬ drungen und ordentlich berauscht und aufgeloͤset habe, und wie er ein peinliches Schmachten ge¬ fuͤhlt, nur eine Fingerspize des Kindes, dessen suͤsses Stimm'gen ihm fern, fern herzukommen schien, anzuruͤhren. Und wie er die kuͤhlen Blu¬ menblaͤtter an seinen heissen Lippen todtgedruͤckt. Diese Blumen-Geschichte must' ihm, erzaͤhlt' er, in der Krankheit und nachher in der Gesund¬ heit unzaͤhlige male erzaͤhlt werden, er habe aber Wina nie aus seiner Kindheits-Daͤmmerung ge¬ lassen und sie spaͤter nie angesehen, weil er es fuͤr Suͤnde gegen dieses fuͤr das Tageslicht or¬ dentlich zu heilige zarte Wesen gehalten. Wenn ansehnliche Dichter ihre Arme und Fluͤgel zu¬ sammenstellen, um wie auf einem Minervens Schilde eine Schoͤnheit empor zu heben durch Wolken hindurch, uͤber schwache Monde, mit¬ ten unter die Nacht-Sonnen hinein: so hob doch Walt die ungesehene suͤß sprechende Wina viel hoͤher naͤmlich in das dunkle tiefste Sternen¬ blau, wo das Hoͤchste und das Schoͤnste gluͤht und strahlt, ohne Strahlen fuͤr uns Tiefe; gleich den großen Zentral-Sonnen Herschels, welche durch ihre unendliche Groͤße ihren unendlichen Glanz wieder an sich ziehen und ungesehen in ihrem Feuer schweben. Gottwalt fragte, ob diese Wina die Toch¬ ter Zablocki's sei. Er hoͤrte, es sei diese eben die Braut — Klothars. Welche Ueberraschung, sich einen maͤnnlichen, markigen scharfen Geist und Freund mit der sanften Liebe zu denken, mit dem Daͤmpfer, der das Schmettern zu Nach- und Wiederklaͤngen erweicht, einen Heros neben einer heiligen Jungfrau — und auf der andern Seite sich die Braut eines Freundes zu denken, diese hoͤhere geistige Schwester, diese Gott geweih¬ te Nonne im Tempel der Freundschaft, (denn fuͤr eine schoͤne Seele giebt es keine schoͤnere als des Freundes Geliebte) — — mehr Liebe und Freuden-Traͤume konnte eine einzige Nachricht schwerlich einem Menschen zuwerfen, als die neue dem Notar die neueste ausgenommen, daß heute beim General die Ehepakten aufgesezet wor¬ den oder doch wuͤrden. Der Notar, der aus seiner Abbestellung das Widerspiel wuste, fuhr ordentlich vor der aufgeschobenen Herzens-Szene zusammen, die ihm entgangen war, „ich glaube, ich sterbe — dacht' er, — vor Liebe gegen zwei solche Menschen, die ich auf einmal in ihrer faͤn¬ de, den Kontrakt wuͤrd' ich ohnehin mit zehn¬ tausend Fehlern aufsetzen, und staͤnde mein Kopf darauf.“ Er hoͤrte aber noch mehr. „Der Graf, sag¬ te die Wirthstafel, heirathe sie bei seinem Reich¬ thum nur der Schoͤnheit und Ausbildung we¬ gen, denn er habe zehnmal mehr Geld als der General Schulden. „Was thuts, sagt ein un¬ beweibter Komoͤdiant, der Vaͤter machte , die Hehre soll die Liebe und Charis selber sein.“ — „Zwar die Mutter in Leipzig glaub' ich — versezte ein Konsistorial-Sekretair — konsentiert bequem, da sie lutherischer Konfession ist, so gut, wie der Braͤutigam; aber der Vater“ — — Wie so? fragte der Komoͤdiant. „Tochter und Vater sind naͤmlich Katholiken“ antwortete der Sekretair. — „Wird sie die Religion changieren?“ fragte ein Offizier. „Das weis man eben nicht.” (sagte der Sekretair;) bleibt sie inzwischen bei ihrer, so sind sehr viele Dinge vorher auszuma¬ chen; und beide muͤssen durchaus zweimal kopuliert werden, einmal von einem lutherischen Geistli¬ chen, hernach von einem katholischen.” — „Ihr Konsistorien, sagte der Offizier, bleibt doch bei Gott ein ganzer wahrer diffiziler, nichts nuͤzi¬ ger, langweiliger Schnikschnak, der mich ordent¬ lich revoltiert; wie stecht ihr ab gegen einen Feldprediger!” — So beklommen als (nach der medizinischen Geschichte) Leute erwachen, die in ihrem Schlaf¬ zimmer einen Pomeranzenbaum hatten, der in der Nacht die Bluͤthen aufthat, und sie mit sei¬ nem Duft-Fruͤhling uͤberfiel: so stand Walt, mit der suͤß-nagenden Geschichte am liebewunden Herzen, vom Tische auf. Er wollte, er muste die Brautleute sehen. Wina, die er fruͤher als der Graf, wenigstens gehoͤrt, konnt' er ordent¬ lich bitten, ihn dem Braͤutigam, und diesen, den er laͤngst gesehen und gesucht, ihn der Braut vorzustellen. Sehr hatt' ihm an der Wirthstafel die Bemerkung gefallen, daß Wina eine Katholi¬ kin sei, weil er sich darunter immer eine Nonne und eine welsche Huldin zugleich vorstellte. Auch daß sie eine Polin war, sah er fuͤr eine neue Schoͤn¬ heit an; nicht als haͤtt' er etwa irgend einem Volke den Blumenkranz der Schoͤnheit zugespro¬ chen, sondern weil er so oft in seinen Phantasien gedacht: Gott, wie koͤstlich muß es sein, eine Polin zu lieben — oder eine Brittin — oder Pariserin — oder eine Roͤmerin — eine Berlinerin — eine Griechin — Schwedin — Schwabin — Koburgerin — oder eine aus dem 13 Saͤkul — oder aus den Jahrhunderten der Chevalerie — oder aus dem Buche der Richter — oder aus dem Kasten Noaͤ — oder Eva's juͤngste Tochter — oder das gute arme Maͤdgen, das am lezten auf der Erde lebt gleich vor dem juͤngsten Tage. So waren seine Gedanken. Den ganzen Tag gieng er in neuer Stim¬ mung herum, so kuͤhn und leicht — als lieb' er selber, war ihm — und doch war ihm wieder, als wenn er zwar alle habe, aber keine — er wollte Winen eine Brautfuͤhrerin zufuͤhren, in die er selber sterblich verliebt waͤre — er lechzete nach dem Bruder, nicht um ihn daruͤber zu be¬ lehren oder zu vernehmen, sondern um eine liebe Menschenbrust zum Druk an seine zu haben — ein grosser Regenbogen Abends in Osten spannt' ihn noch hoͤher. Der leichte schwebende Bogen schien ihm ein ofnes Farben-Thor fuͤr ein unbe¬ kanntes Paradies — es war der alte glaͤnzende Siegesbogen der Sonne, durch welchen schon oft so viele schoͤne, tapfere Tage gegangen, so viele sehnsuͤchtige Augen gesehen. Auf einmal fiel ihm ein gutes Mittel ein, drei Wuͤnsche zu befriedigen, zwei laute und einen stillen. N ro . 20. Zeder von Libanon. Das Klavierstimmen . Es ist bekannt, daß nach der sechsten Klau¬ sel des Testamentes der Notar auch einen Tag lang stimmen muß, um zu erben. Laͤngst hatt' ihn ausser Vult noch sein Vater, der nicht erwar¬ ten konnte, wie der sogenannte Regulier-Tarif oder die geheimen Artikel Fehler sezen und strafen wuͤrden, um Verwaltung dieses Erb-Amts als des kuͤrzesten angelegen, um hinter die Ehrlich¬ keit des seel. Testators zu kommen; aber Walt hatte beiden stets das Unrecht entgegengesezt, den alten gebenden Mann fuͤr einen Schelm zu hal¬ ten. Aus schoͤnern Gruͤnden hingegen konnt' er jezt stimmen, wenn er wollte; diese waren die dreifache Hofnung, er werde, da sein Stimm-Amt vorher im Wochenblatt dem Publikum muste an¬ geboten werden, in die vornehmsten Haͤuser und Zimmer kommen — die schoͤnsten Toͤchter vor¬ finden (denn Toͤchter und Instrumente sind nicht weit auseinander) — und wohl auch die koͤstli¬ chen Mahagony-Piano von Schiedmaier auf¬ decken, auf deren Tasten Klothar und Wina die beringten Finger gehabt. Walt betrieb feurig die Sache ohne alles Rathfragen. Er zeigte seinen Willen den Testa¬ ment Exekutoren oder dem regierenden Buͤrgermei¬ ster Kuhnold an. Dieser eroͤfnete ihm, daß er nach dem geheimen Regulier-Tarief 4 Louis aus der Erbschaftskasse erhalte, weil der Testator ihn keiner Verbindlichkeit fremder Bezahlung ausse¬ zen wollen. Wie ein Vater ermahnte er ihn, sein Ohr unter dem Stimmen nicht zu zerstreuen und er wuͤrde ihm deutlicher rathen, sagt' er, wenn es seine Pflicht erlaubte. „Auch ich geb' Ihnen ein Instrument“ sezt' er mit einem wohlwollen¬ den Laͤcheln dazu. Walt — in die Liebe ver¬ liebt — erinnerte sich mit Vergnuͤgen an Kuh¬ nolds bekannte fruchttragende Ehe voll Toͤchter. Die Sache wurde ins Wochenblatt gesezt. Der einsylbige Vult schrieb nach der Er¬ scheinung desselben einen ganzen fast ernsthaften Kautelar-Bogen voll Predigten uͤber Saiten- Nummern, Seiten-Sprengen und falsche Tem¬ peraturen, samt dem Flehen, doch nur einen Tag lang kein Dichter zu seyn. „Sondern In¬ strumente statt zu machen wie ein Notar, zu stimmen wie ein ordentlicher Regenspurger Ko¬ mizial-Mensch.“ Am Abend vor dem Stimm-Tag erhielt Walt die Liste der Stimmhaͤuser; aber darunter war weder sein Wohnhaus — Neupeter war zu stolz dazu — noch Klothars und Zablockis ihre, doch sonst hohe genug. Als er am Morgen zuerst bei Kuhnold — nach der ancienneté des Meldens hatt' er zu hausieren — als Stimmer ankam: fand er im netten, glatten Klavier-Zimmer statt der dlles Kuhnold den oben gedachten hinkenden graͤmlichen Notar, den der Fiskal Knol als der Kardinal¬ protektor der 7 Erben, hergeschickt zum Zeugen aller Fehler, weil ein Notar, wie Deutschland weis, zwei Zeugen schwer wiegt, folglich fuͤr das Jus gerade jener nervus probandi , und erster Grundsaz der Widerspruchs, jene geistige toni¬ ca dominante oder Primzahl ist, wornach so lange schon die Weltweisen wettrennen, um sol¬ che nur zu sehen; daher der Jurist in Minuten mehr beweiset, als der Philosoph in Saͤkuln. — Auch war Knol weitlaͤuftig schriftlich darauf bestanden, den Stimm-Tag durchaus nicht zu Walts Notariats-Zeit zu schlagen — was sich, replizierte Kuhnold, ja von selber ver¬ standen haͤtte. Das heiter-geordnete Zimmer ohne Toͤchter trug indes uͤberall die Farben-Asche weiblicher Schmetterlings-Fluͤgel, bunte Arbeiten und Ar¬ beitszeug schoͤner Finger. Das Pianoforte war fast wie gestimmt, nur zu hoch um einen Ton — eine Stimmgabel lag dabei — auf den Tasten waren die Nummern der Seiten, auf dem Sang¬ boden neben den Stiften das Tasten-Abc mit schwaͤrzerer Dinte retouchiert — fuͤr Stille war in der Nachbarschaft gesorgt — und Kuhnold kam zuweilen nachschauend, aber ohne ein Wort zu sagen. Er bot den Notarien ein Fruͤhstuͤck an. „Wollte Gott, dachte Walt, eine oder die andere Tochter truͤg' es herein!“ Eine runz¬ liche ehrliche maͤnnliche Haut von mehr Jahren als Haaren bracht' es so freundlich als sei sie in der That der Wirth. — — Redlicher Buͤrgermeister van Haslau, lasse mich in dieser Minute wo ich eben die folgende Nummer und Naturalie Grosmaul oder Wydmonder sammt Dokumenten von dir und der Post erhalte, die Geschichte mit der Ver¬ sicherung stoͤren, daß ich wissen wuͤrde, wie hoch ich dich zu stellen habe — waͤrest du auch weni¬ ger der Schirmherr des ewig in Schlingen gehen¬ den Notars —, schon daraus mein' ich, daß du Flegeljahre II . Bd. 4 erstlich einen ganz alten (wahrscheinlich beweib¬ ten) Bedienten hast, und daß er zweitens noch vergnuͤgt aussieht. Beide Notarien fruͤhstuͤkten und der Exekutor sprach, waͤhrend die Wachparade gleichsam mit ihrem Rauschgold und Knallsilber auf den Uni¬ formen, mit einem Geschrei auf der Trommel, das nicht blos an die Haut des sie uͤberziehen¬ den Thiers erinnerte, vorbei marschirte und nie¬ manden sonderlich die Stimme und das Stim¬ men zulies. Da hinter der Parade noch Musik englischer Bereiter zog: so versicherte Kuhnold, jezt hoͤre niemand sein Wort, geschweige den zaͤrtesten Miston. So gieng der ganze Vormittag unter fehler- und toͤchter-losem Stimmen voruͤber und beide Notarien zum Essen, jeder ganz verdruͤßlich, der hinkende daruͤber, daß er wie ein Narr dagesessen ohne das geringste moͤgliche Niederschreiben, der stimmende, daß er niemand gesehen. In gewis¬ sen Jahren versteht das maͤnnliche — und das weibliche Geschlecht unter Niemand das eigne, und unter Jemand das andere. Zu Buchhaͤndler Pasvogel zogen darauf bei¬ de Notars. Dem Fluͤgel des Stimm-Hauses fehlte nicht so sehr die Stimmung als Saiten dazu. Statt des Stimmhammers muste Walt mit einem Gewoͤlb-Schluͤssel drehen und arbeiten fuͤr Musikschluͤssel. Ein geschmuͤktes schoͤnes Maͤd¬ gen von 15 Jahren, Pasvogels Nichte, fuͤhrte ei¬ nen Knaben von 5, dessen Sohn, in seinem Hem¬ de herum und suchte leise-singend, eine leise Tanz- Musik aus den zufaͤlligen Stimm-Toͤnen zusam¬ men zu weben fuͤr den jungen Satan. Der Kon¬ trast des kleinen Hemdes und der langen Chemi¬ se war artig genug. Ploͤzlich sprangen die drei Saiten a , c , h , nach Haslauer offiziellen Be¬ richten, welche gleichwohl nicht festsezen, in wel¬ chen gestrichnen Oktaven. „Ja lauter Lettern aus ihrem Namen, G . Harnisch Pasvos gel.“ Sie wissen doch die musikalische Aneckdo¬ te von Bach. Es fehlt ihnen nur mein p ! — „Ich stimme am b , sagte Walt, aber fuͤr das Springen kann ich nicht.“ — Da der hinkende Notar so viel Verstand besaß, um einzusehen, daß ein Stimm-Schluͤssel nicht drei Saiten auf einmal sprenge: so stand er auf und sah nach und fands. „Aus dem Ach , wird ja ein Bach , (scherzte der Buchhaͤndler ablenkend). Was macht der Zufall fuͤr Wortspiele, die gewis keine Biblio¬ thek der schoͤnen Wissenschaften unterschriebe oder schriebe“! Allein der hinkende Notar versicherte, die Sache sei sonderbar und protokoll-maͤssig; und als er noch einmal den Sangboden besah, gukte gar hinter der Papier-Spirale aus dem Resonanz-Loche eine — Maus heraus. „Die hats gemacht“ sagt' er, schrieb es nieder und schuͤttelte so, als ob er vermuthe, der Buchhaͤndler habe sie aus Absichten in den Sangboden schies¬ sen lassen. Walt fragte auf einmal sich besin¬ nend: „stimm' ich denn fort? Ich sehe uͤberall die Mausspuren und alles springt.“ Er legte den Gewoͤlb-Schuͤssel sanft hin. Pasvogel woll¬ te als hiziger Mann ausfallen. Aber Walt ent¬ kraͤftete ihn durch die Erklaͤrung, er wolle in der Stadt herumstimmen und zu ihm zulezt, aber bei andern Saiten kommen. Sie giengen zu H. van der Harnisch, der sich auch auf die Liste gesezt. Er sagte, er erwartete jede Stunde sein Mieth-Pantalon, und lies bei¬ de fast eine ganze lauern. Es verschnupfte or¬ dentlich den hinkenden Notar, der noch dazu nicht faste, wie der stimmende den Edelmann so lieb¬ reich anschauen konnte. Walt schrieb alles dem bruͤderlichen Sehnen nach Wiedersehen zu, indeß Vult dabei die Absicht hatte, dem Tage und Band-Wurm, der an der Erbschaft fras, ein Stuͤck abzureissen. Endlich lies er beide unver¬ richteter Sache abziehen, nachdem er sie ein Paar¬ mal gefragt, ob sie noch da waͤren, weil er sie nicht hoͤre in seiner Blindheit. Sie kamen zu einer verwittibten schoͤnen Stik¬ junkerin, die sich mit ihrem Stikrahmen (eine Paukendecke stikte sie) sehr nahe an das gleissend¬ gebohnte Klavier sezte, das sie ihn vielleicht stim¬ men lies, um ihn fuͤr sich zu stimmen. Er horchte so vergnuͤgt auf ihre Anreden, daß er ein¬ mal den Stimmhammer auf den Sangboden fallen lies und ein Paar Seiten abdrehte. Am Ende des Geschaͤfts zeigte sie ihm das musikali¬ sche Wuͤrfelspiel und bat ihn, damit zur Probe zu komponiren. Er thats und spielte seine erste Komposizion vom Blatte; er wollte noch laͤn¬ ger Vorspielen — denn nie spielt der Mensch lieber als nach dem Stimmen —; aber der hinkende Notar sezt' ihm die Testaments-Klausel entgegen. Die Stuͤkjunkerin machte selber einige pruͤfende Grif¬ fe — der Schoos-Hund sprang empor und gieng mit vier dergleichen uͤber die Tastatur und ver¬ stimmte ein wenig. Walt wollte nachhelfen; aber der hinkende Notar trieb ihn mit der Klausel von dannen. Er gieng ungern. Sie war eine blon¬ de Wittwe von 30 Jahren, also um 5 oder 7 Jahre juͤnger als eine Jungfrau von 30. Es freuete ihn, daß die Saite doch einmal der her¬ rufende Klingeldrath der Schoͤnheit geworden; „aber Himmel, dacht' er, ein Stimmen kann ich ja im Doppelroman zur Einkleidung aller Zufaͤlle gebrauchen!“ — Er muste zum Polizeiinspektor Harprecht, der, wie sein Protokollist sagte, mit einer Heerde Toͤchter geschoren sei. Harprecht empfieng ihn sehr verbindlich, staͤubte ein altes Hakbret eilig weiter ab und schob ihm dasselbe freundlich zum Stimmen vor. Toͤchter waren nicht zu sehen. Walt stuzte und sagte mit langer sanfter Hoͤflichkeit Nein; er sezte auseinander, daß er, da in der 6 Klausel nur von Kla¬ vieren die Rede sei, durch heutiges Stimmen — morgendes versprach' er ihm gern — gegen die vielen noch restirenden Stimm-Haͤuser auf der Liste (er wies sie vor) verstossen wuͤrde, die alle ein gleiches Recht auf sein Stimmen ohne Geld besaͤssen. Auch der hinkende Notar sagte, unter Klavier koͤnne nicht wohl ein Hakbrett begriffen werden. „Oft doch, — versezte mit alter Liebreichig¬ keit Harprecht, laͤchelnd blos mit einem Mund¬ winkel, so wie er nur eine gerade Stirnfalte run¬ zelte —; allein er sei vielleicht so billig als einer; und da er mit dem Hoffiskal Knol Ein Instru¬ ment gemeinschaftlich gemiethet fuͤr ihre Kinder, so begleit' er ihn zum Stimmen desselben hin, um sich das Vergnuͤgen seiner Gesellschaft etwas zu verlaͤngern, duͤrf' aber gewis bei der Testa¬ ments-Exekuzion darauf antragen, daß das Compagnie-Instrument und also jeder Stimm- Fehler fuͤr zwei gelte, wobei ja H. Harnisch ge¬ nug an Zeit und Muͤhe erspare und gewinne“ — „Wahrlich, versezte Walt, ich wollt' es waͤre Recht, ich fragte nichts darnach.“ Harprecht druͤkte ihm die Hand, und sagte, einen solchen jungen Mann haͤtt' er laͤngst zu finden gewuͤnscht; und alle giengen. „Eben jezt, sagte Harprecht unter¬ wegs, Tanz- und Klavierschule bei Knol und alle meine Toͤchter.“ Es wird nicht unter der Wuͤrde der Geschich¬ te sein, hier anzumerken, daß Harprecht und Knol sich ein einziges Spinet als eine Finger- Tenne und Palaͤstra fuͤr ihre Jugend und deren parzielle Gymnastik, ein passives Hammerwerk fuͤr ihr aktives, gemeinschaftlich bestanden von einem alten Kanzellisten, und daß das Spinet alternirend von einem Semester zum andern in den Haͤusern beider Dioskuren stand. Harprecht hatte sogar den Curas und Meidinger aus der Gymnasiumsbibliothek fuͤr die gallischen Stunden seiner Toͤchter geborgt, und sagte, er schaͤme sich dessen gar nicht. Der kuͤrzere Weg zum Fiskal gieng durch gruͤne, rothe, blaue, bunte Gaͤrten, denen der Vor-Herbst schon die Fruͤchte faͤrbte vor den Blaͤttern; und Walt, dem die Vesper-Son¬ ne so warmfreundlich ins Angesicht fiel, sehnte sich in den Abend-Glanz hinaus. „Waͤren Sie im Stande, sagte Harprecht, so auf der Stelle ein Gedicht in Ihrer neuen Gattung, die man so lobt, auf was man will, zu machen —? Et¬ wa ein Gedicht uͤber die Dichter selber, z. B., wie sie gluͤcklicher Weise so hoch stehen auf ihrer fernen idealischen Welt, daß sie von der kleinen wirklichen wenig oder gar nichts sehen und also verstehen?“ — Er sann lange nach; und sah gen Himmel; endlich schlug aus diesem der schoͤne Bliz eines Gedichtes in sein Herz. Er sagte, er hab' etwas; und bitt' ihn blos sich zu dessen Ver¬ staͤndnis an die astronomische Meinung zu erinnern, daß das, womit die Sonne leuchtet, nicht ihr Koͤrper sei, sondern ihr Gewoͤlke. Er fieng an und deklamirte in die Sonne schauend: Die Taͤuschungen des Dichters. Schoͤn sind und reizend die Irrthuͤmer des Dichters alle, sie erleuchten die Welt, die die ge¬ meinen verfinstern. So steht Phoͤbus am Him¬ mel; dunkel wird die Erde unter ihrem kalten Gewoͤlke, aber verherrlicht wird der Sonnengott durch seine Wolken, sie reichen allein das Licht herab und waͤrmen die kalten Welten; und ohne Wolken ist er auch Erde. „Huͤbsch und spizig genug“ sagte der In¬ spektor mit aufrichtigem Lob einer Ironie, die er im Strekvers fand, die aber nicht der Dichter, son¬ dern das Schiksal hineingelegt. — In solcher Eile — versezte Walt — kann man zwar wohl den Gedanken schaffen — denn jeder Gedanke des Menschen ist doch ein Impromptuͤ — aber gar zu schwer den rechten Versbau; ich gaͤbe ein solches Gedicht nie oͤffentlich. Sie traten ins laute Knollische Zimmer ein, wo ausser dem Kompagnie-Spinet und dem Com¬ pagnie-Musik- und Tanzmeisterlein noch der Zu¬ sammenwurf beider Nester war, die mit Fuͤssen und mit Haͤnden sausen und brausen wollten — lauter hagere, schmalleibige, haͤnghaͤutige, mokante, scharfe Maͤdgen-Figuren von jedem Alter, worunter zwei Knaben mit turnirten. Saͤmmtliche Tanzschule harrete auf ihre Klavier¬ schule, die wieder auf das Stimmen des Spiners wartete. Der Musikmeisterlein schwur, heute sei da¬ ran nichts zu brauchen, so toll klinge das Spi¬ net. Gleichwohl hatte sich den Abend vorher der Polizei-Inspektor uͤber das Spinet gemacht, um, wie er sagte zum Fiskal, der ihn vertrauend machen lies, dem jungen Universal-Erben etwas vorzuarbeiten — hatte aber die meisten Saiten zu tief herabgelassen — ferner im Eifer der Vorarbeit zu dicke Nummern auf dreimal ge¬ strichne Noten oder Tasten gespannt — und in der That genug gefehlt. Walt fieng an. Er sprengte eine Saite nach der andern entzwei. Harprecht kegelte mit Saiten-Rollen aus der einen Hand in die andere, und trachtete sehr, wie er sagte, seinem jungen Freunde ein ziemlich langweiliges Ge¬ schaͤft zu versuͤssen durch Diskurse; auch reicht' er ihm die Saiten-Knaͤule, die er brauchte. Anfangs hielt der Notar den Tanz bei dem Klavier¬ stimmen so gut aus, daß er sogar, da ihm keines Menschen Freudenstunde gleichguͤltig war, theils in das stimmende Oktaven- und Quinten- Probiren eine Art leichtern Tanz-Takt zu le¬ gen versuchte, theils ins Einhaͤmmern der Stif¬ te, so unangenehm ihm auch die saͤmmtlichen Maͤdgen erschienen, die sogleich in den juͤngsten Jahren die venia aetatis Alters-Erlas. , die einem Frei¬ herrn uͤber 300 fl. in Wien kostet, auf dem Ge¬ sicht als Brautschaz mit gebracht. Da aber jede Saite zersprang — und bei¬ nahe sein eignes Trommelfell, das er und an¬ dere spannten und aufschraubten —: so ersuchte er um erforderliche Stille. Man schwieg all¬ gemein — er stimmte fort und laͤrmte allein — die Tanzschule samt dem Tanz- und Musikmei¬ sterlein sah jede Minute dem Anfange der Kla¬ vierstunde entgegen — Walt durchschwizte die Wind- und Meerstille — die Saiten sprangen jezt statt der Taͤnzer — das Stimmen verstimm¬ te sein Herz und Spinet — er hatte die annahende Nacht und die restirenden Stimmhaͤuser voll schoͤnster Toͤchter und Zimmer im Kopfe — ver¬ dumpft hatt' er sich schon laͤngst, weil keine An¬ spannung so hart ins Gehirn druͤckt als die des Ohrs — an sieben und zwanzig Saiten-Spruͤnge hatte der hinkende Referent schon zu Papier ge¬ bracht — und nun laͤutete die Abendglocke. — Mit Wuth warf der Notar den Stimmhammer ins Zimmer und rief: „der Donner unds . . . . . . Was ist das? — Doch der buͤrgerliche und der kanonische Tag ist jezt zu Ende, Herr Inspektor, und alles; die Saiten zahl' ich.“ Am Morgen darauf wurde ihm von Hrn. Kuhnold der geheime Artikel des Regulier-Ta¬ rifs eroͤfnet, welcher bestimmt verordnete, daß ihn jede Saite, die er im Erb-Amte des Stim¬ mens zerrissen haͤtte, ein Beet der Erb-Aecker kosten sollte, so daß er jezt, nach dem Protokoll des Hinck-Notars, um zwei und dreißig Saiten oder Beete aͤrmer war. Walt erschrack ungemein seines Vaters wegen. Aber als er dem regieren¬ den redlichen Burgermeister in das traurige Ge¬ sicht recht sah, errieth er etwas, naͤmlich dessen ganze gestrige Guͤte, die ihm durch ein hoch ge¬ spanntes Instrument und durch jede andere Er¬ leichterung und durch die Entfernung der schoͤ¬ nen Toͤchter so wohl die Gelegenheit zu Saiten- Rissen im eignen Hause abschnitt, als auch ein großes Stuͤck Zeit zu mehreren in einem frem¬ den. Dieser erquickende Gewinn einer schoͤnen warmen Erfahrung erstattete ihm den metalli¬ schen Verlust so reichlich, daß er den Abschied vom Buͤrgermeister mit einer frohen dankenden Ruͤhrung nahm, die jener nur halb zu verstehen scheinen muste. N ro . 21. Das Großmaul oder Wyd¬ monder . Aussichten. Gottwalt schwur beim Eintritt in sein Haus, er finde darinn nach einem solchen Stein-Plaz- und Maͤuse-Regen des Schicksals ein sehr huͤbsches Stuͤck Sonnenschein. Und Flora brach¬ te das Stuͤck, naͤmlich eine muͤndliche Einla¬ dungskarte — weil man ihn einer schriftlichen nicht werth halten konnte, so lieb ihm auch ein Expektanzdekret eines Himmels, ein Wechselbrief auf Lust gewesen waͤre, — naͤmlich morgen Sonntags Mittags zu Neupeters Geburtstags- Diner auf einen Loͤffel Suppe zu erscheinen. Auf den Diner-Loͤffel und das Souper-Butter¬ brod, auf diese Es-Pole laden die Deutschen ein, nie auf die Mitte, auf Hechte, Hasen, Saͤue und dergleichen. Flora sagte, des Grafen Klo¬ thars wegen feiere man die Geburt schon um 2 Uhr. Walt betheuerte, er komme gewiß. Ihn wiegte darauf ein zweiter warmer Gluͤks¬ wind, das Wochenblatt mit Vults Nachricht ans Publikum, er floͤte lieber Sonntags Abends um 7 Uhr oͤffentlich, so stockblind er jezt sei, als daß er laͤnger ein verehrtes Publikum fort taͤu¬ sche und herum zerre in großen Erwartungen. Dem Zeitungs-Blatte lag ein Billet an Walten bei, worinn ihn Vult um einen Vorschuß von 2 Louis fuͤr die Konzert-Dienerschaft ersuchte und um das Protokoll des Stimm-Tags, und um ein paar Ohren fuͤr Morgen und um das Oh¬ ren-Gehenk, das Herz. Es hat nicht den Anschein, daß einen so schoͤnen und schweren Terzentriller der Lust jene Goͤttin, die immer ploͤzlich ins arme von rauhen Wirklichkeiten zerrissene Menschen-Ohr mit linden Melodien herabfaͤhrt, je vor dem No¬ tar geschlagen als eben den mitgetheilten. Er war seelig und alles und redseelig und schrieb erstlich: hier das begehrte Darlehn doppelt, was gestern von Kabel fuͤr das Stimmen eingelaufen — dann schrieb er die koͤstlichen Hoffnungen auf Klothar — zugleich die Strekverse auf den Gra¬ fen — die bisherigen Presgaͤnge und Kesseljag¬ den nach diesem — die Traͤume vom morgen¬ den Floͤtengetakt und von der Zukunft eines frei¬ ern Bruder-Lebens ohne Blindheit — und den Verlust von 32 Beeten. Es fuͤrchte doch immer der Mensch die in¬ nerste Entzuͤckung, er glaube nur nie ganz toll, es werde jemals ein so leiser sanfter Himmels- Thau wie sie ist, auf der stuͤrmischen Erde und in ihren Windkluͤften die seltenen Windstillen fin¬ den, worinn allein er sich in feste ofne Blumen¬ kelche einsenkt, gleichsam die helle gediegne Perle aus dem grauen Wolken-Meer. Sondern der Mensch erwarte, daß er den zweiten Brief so¬ gleich erhalten werde, den Vult an Walt in fol¬ gender Stimmung schrieb: Vult hatte sich naͤmlich seit dem gestrigen Anblicke des Bruders mit ganz frischer Liebe fuͤr denselben versorgt, und sich besonders heimlich mit ihm befreunden wollen durch die Bitte, ihm vorzuschießen — er hatte sich gute Plane voll jauchzender Hoffnungen auf die Zeit nach dem Sonn- und Konzert-Tag entworfen und sich gesagt: „sobald ich nur sehe, was ich gleich nach dem Konzerte thue, so fallen lauter Bundes- Feste des Zusammenlebens und -schreibens vor und mein versiegelter Brief an ihn wird taͤglich duͤmmer“ — er war, wie oft, aus seinem eig¬ nen Himmels- sein Hoͤllenstuͤrmer gewor¬ den — er hatt' es recht tapfer gefuͤhlt, daß ei¬ nige fliegende Winter des Herzens, den fliegenden Sommern so aͤhnlich, dessen freudige Waͤrme nicht mehr wegnehmen als Eisstuͤcke an den Ufern den Lenz. So bekam er Walts obiges Freudengeschrei und Schreiben an einen Bruder, der so lange als blinder Mann zu Hause gesessen — gegen dessen Unsichtbarkeit der andere sich noch so wenig ge¬ straͤubt — auf welchen dieser noch kein einziges Strek-Gedicht gemacht, obwohl auf den frem¬ den Narren zwei oder drei — kurz an einen Flegeljahre II . Bd. 5 Mann, der den allliebenden Notar dreitausend mal mehr liebe und allein. . . . Folgendes sezte der Mann an Walten auf: „Anbei folgen 2 Plus Louis retour; mehr war ich nicht benoͤthigt, obgleich kein Mensch so viel Geld bedarf als einer, ders verachtet. — Das hole der Teufel, daß 32 Beete jezt vom Feinde mit Unkraut angesaͤet werden. Solche Tonlei¬ tern sind mehr Hoͤllen- als Himmelsleitern fuͤr mich. Bei Gott, ein anderer als der eine von uns haͤtte vorher zu sich gesagt: paß' auf! Kato schrieb ein Kochbuch; ein Strekdichter koͤnnte warlich stimmen, wenn er wollte; nur umge¬ kehrt gehts nicht, daß ein Koch einen Kato schreibt, sondern hoͤchstens ein Zizero, dieser Zi¬ zerone alter Roͤmer. Boͤse Traͤume, die aͤchten Seelen-Wanzen des armen Schlafs, gegen wel¬ che mein Kopf nicht so viel verfangen will als ein Pferde-Kopf gegen Leibes-Wanzen, hatten mir manches vorgepredigt, was ich jezt nach¬ predige vor Denenselben, mein Herr! Noch zeigen Sie mir fast verwundert an, daß Ihnen nach der Marsch-Ordre vom und zum General Zablocki dahier um 11 Uhr, gerade um dieselbe Stunde Kontre-Ordre zum Kontre- Marsch zugekommen, ohne daß Sie zu erwaͤgen scheinen, daß er sich einen ganzen Tag Zeit ge¬ nommen, um sich zu aͤndern. Herr, sind denn die Großen nicht eben das einzige aͤchte Quecksil¬ ber der Geisterwelt? — Die erste Aehnlichkeit damit bleibt stets ihre Verschiebbarkeit — ihr Rinnen — Rollen — Durchseigern — Einsickern — Verdammt! Die rechten Gleichheiten dringen nach, und sind nicht zu zaͤhlen. Wie besagtes Quecksilber so kalt und doch nicht zu festem stoi¬ schem Eis zu bringen — glaͤnzend ohne Licht — weiß ohne Reinheit — in leichter Kugelform und doch schwer druͤckend — rein und sogleich zu aͤzen¬ dem Gift sublimirt — zusammenfließend, ohne den geringsten Zusammenhang — recht zu Fo¬ lien und Spiegeln unterzulegen — sich mit nichts so eng verquickend als mit edlen Metal¬ len — und noch, aus wahrer Wahl-Anzie¬ hung etwan mit Quecksilber selber — Maͤnner, die sich mit ihnen befassen, sehr zum Aus¬ spucken reizend — — Herr, das wollt' ich die große Welt nennen, deren goldnes Alter im¬ mer das quecksilberne ist. Aber auf solchen glat¬ ten, blanken Welthuͤgelgen siedle sich nur nie¬ mand an! — Uebrigens folgen auch Einla߬ billets fuͤr das Floͤtenkonzert; à révoir, Mon¬ sieur ! v. d. H. Walten thaten indeß nur die Retour-Louis so weh als waͤren sie von Louis XVIII gepraͤgt; sonst nahm er Vults Stampfen aus Zorn fuͤr Tanzen aus Lust und fuͤr Takt-Treten. Haͤtt' er ahnen koͤnnen, mit welchen Peinigungen der Liebe er den Schmolgeist Vults wechselnd weg- und herbannte: er haͤtte in seiner ganzen Gegen¬ wart wenige Hoffnungen gefunden. Izt schlief er mit der schoͤnsten auf morgen ein. N ro . 22. Sassafras. Peter Neupeters Wiegenfest. Der Notarius konnte den ganzen Morgen nichts Gescheutes machen als Plane, an einem solchen Ehrentage ein neuerer Petrarka zu sein, oder ein in einem Dorfe gebrochner Juwel, der sich auf der Edelsteinmuͤhle der Stadt schon sehr ausgeschliffen. Er hielt sich vor, das sei das erstemal, daß er in den schimmernden Thier- Kreis des feinsten Cercle oder Kraͤnzgens ruͤcke. „Gott, wie fein werden sie alles drehen, sagte er sich, und vor Tournuͤre kaum reden! Ma¬ dam — kann der Graf sagen — ich bin zu gluͤck¬ lich, um es zu sein. H. Graf, kann sie ver¬ setzen, Ihr Verdienst und Ihre Schuld — Darf man das Errathen errathen, fragt er — Sollte Fragen mehr erlaubt sein als Antworten — frag¬ te Sie — Das eine erspart das andere, versezt er. Oh Graf sagt sie — Aber Madam, sagt er; denn nun koͤnnen sie vor Feinheit nichts mehr vorbringen, und wenn sie toll wuͤrden. Ich fuͤr meine Person seze vieles in den Hoppelpoppel oder das Herz.“ Walt goß sich bei Zeiten seinen Sonntags- Beschlag, den Nanking, als sein eigner Gelb¬ gießer uͤber und sezte statt des braunflammigen Hutes — den wollt' er in der Hand tragen — mehr Puder als gewoͤhnlich auf. Er gieng ge¬ puzt ein paar Stunden leicht auf und ab. Er hoͤrte vergnuͤgt einen Wagen nach dem andern vordonnern; „nur abgeladen, sprach er, lauter Fracht und Meßgut fuͤr den Roman, in dem ich Leute von Stande so noͤthig habe als Dinte. Und wie wird sich uns allen mein Klothar von so mannichfachen Seiten zeigen muͤssen; der alte treue Freund! Gott wird mir schon dazu ver¬ helfen, daß ich auch etwas sagen kann zu ihm.” Da er endlich bei einem neuen Rollen es fuͤr Zeit hielt, sich hinab zu machen, und den Cercle zu schließen und zu runden mit seinem eignen Bogen und Buͤckling: so stellt' er sich oben, mit seinem Hute in der Hand, ans Treppengelaͤnder und schauete so lange hiedurch hinab, bis er dem neuen Nachschuß sich zuschies¬ sen konnte, um so unbemerkt und ohne sonderli¬ che Kurvaturen im Saale einzutreffen. Er glaͤnz¬ te sehr, der Saal, die vergoldeten Schloͤsser wa¬ ren aus den Papier-Wikeln herausgelassen, dem Luͤstre der Staub- und Bussack ausgezogen, die Seiden-Stuͤhle hatten hoͤflich vor jedem Steis die Kappen abgenommen, und auf den getaͤfel¬ ten Fußboden war die Leinwand ganz von den Papiertapeten weggezogen, welche die ostindische Decke so zudeckten, daß diese sowohl sich als den getaͤfelten Fußboden an einigen Winkeln leicht zeigten. Den Sallon selber hatte der Kaufmann, weil lebendige Sachen zulezt jeden kroͤnen, mit Gaͤsten-Gefuͤlsel ordentlich wie ein hohes Pas¬ teten-Gewoͤlb saturiert, namentlich mit Aigret¬ ten, — Chemisen — Schmink-Backen — Roth¬ nasen — feinsten Tuchroͤcken — spanischen Roͤh¬ ren — Patentwaaren und franzoͤsischen Uhren, so daß vom Kirchenrath Glanz an bis zu netten Reisedienern und ernsten Buchhaltern sich alles mischen muste. Der große Kaufmann sucht wei¬ ter in keine hoͤchste Klasse zu kommen als in die der Glaͤubiger, wenn seine hohen Schuldner fal¬ liren. Er als kalter stiller Justirer des Ver¬ dienstes, schaͤzt gleich sehr den niedrigsten Buͤr¬ ger, wenn er Geld hat, und den hoͤchsten Adel, wenn dessen altes Blut in silbernen und goldnen Adern laͤuft und dessen Stammbaum Nahrungs¬ und Handelszweige treibt. Freilich — so wie dem Pater Hardouin die Muͤnzen der Alten mehr historische Glaubwuͤrdigkeit hatten, als alles Schriftliche derselben, — so kann der abwaͤgende Kaufmann Adels-Pergament und sonstige Ehren- Punktierkunst nie so hoch stellen, als dessen Muͤnzen, insofern er von fremder Zuverlaͤssigkeit sprechen soll. Schon die Anfurth des Ehrentages fand der Notar viel lustiger und leichter als er nur hoffen wollen; denn er bemerkte bald, daß er nicht bemerkt wurde, sondern sich auf jeden Sei¬ denstuhl sezen konnte, und ihn zum Weberstuhl seiner Traͤume machen. Noch hatte er nichts vom Grafen, noch vom Wiegenfest, und den beiden Toͤchtern gesehen — als endlich Klothar, der Eskoͤnig, zu seiner Freude bluͤhend hereintrat, obwohl in Stiefeln und Ueberrock, als hab' er sich mehr auf parlamentarische Wollen-Saͤcke zu sezen als auf seidne Agenten-Stuͤhle. „Hr. Hofagent, sagt' er ohne die Versammlung zu pruͤfen, wenn Sie wollen, mich hungert ver¬ dammt.” Der Hofagent befahl Suppe und Toͤchter; denn er schaͤzte den Grafen laͤngst und innigst, weil er als der Agioteur von dessen Renten am besten wuste, wie viel er war, beson¬ ders ihm selber; und er behauptete oft, einem Manne von so vielen jaͤhrlichen Einkuͤnften solle doch jede vernuͤnftige Seele es zu gute halten, wenn er seine eignen Meinungen habe oder lese was er wolle. Ploͤzlich kam Musik — mit ihr die Sup¬ penterrine mit gedruckten Geburtsfestliedern — dann die beiden Toͤchter mit einer langen Blu¬ men-Guirlande, die sie Neupeter so geschickt uͤber den Koͤrper wanden, daß er in einem bluͤ¬ henden Ordensband da stand — die Komtoristen liefen und theilten die Gedichte aus — und zu¬ erst ihrem Prinzipal ein vergoldetes — Nun fieng andere Instrumentalmusik an, um das Karmen, oder vielmehr den Gesang desselben zu begleiten — die Gesellschaft mit ihren Papieren in den Haͤnden stimmte ihn an als ein laͤngeres Tischgebet — und selber Neupeter sah singend in sein Blatt. Vult haͤtte nicht unter die gehoͤrt, die dabei am ernsthaftesten geblieben waren, zu¬ mal als der blumige Ordens-Mann sich selber ansang; aber wohl Gottwalt war dazu gemacht. Ein Mensch, so bald er an seine Geburt denkt, ist so wenig laͤcherlich als es ein Todter sein kann; da wir, wie sinesische Bilder, zwischen zwei langen Schatten oder langen Schlummern lau¬ fen, so ist der Unterschied nicht groß, an wel¬ chen Schatten man denke. Walt quaͤlte sich mit leisem Singen bei schlechter Stimme; und als es vorbei und der Alte sehr geruͤhrt war, uͤber das fremde Gedaͤchtnis fuͤr sein Wiegenfest bei eigner Vergeßlichkeit und die Seinigen ihm fruͤ¬ her gratulirten als die Fremden: so war kein Gluͤckwunsch so aufrichtig in irgend einem Her¬ zen als Gottwalts ferner und stiller; aber es be¬ klemmte ihn, daß der Mensch — „besonders, seh' ich, an Hoͤfen” dacht' er — gerade den hei¬ ligen Tag, wo er sein erneuertes Leben uͤberrech¬ nen und ebnen sollte, im Ranschen fremder Wel¬ len verhoͤrt — daß er das neue Dasein mit der laͤrmenden Wiederholung des alten feiert, anstatt mit neuen Entschluͤssen — daß er statt der ein¬ samen Ruͤhrung mit den Seinigen, deren Wie¬ gen oder Graͤber seinen ja am naͤchsten stehen, den undankbaren Prunk und trockne Augen sucht. Der Notar sezte sich vor, seinen ersten Geburts¬ tag, an den ihn ein guter Mensch erinnerte — denn noch hatt' er in seiner harten Armuth keinen einzigen erlebt — ganz anders zu begehen, naͤm¬ lich sehr weich, still und fromm. — — Man sezte sich zu Tisch. Walt wurde ne¬ ben den zweiten armen Teufel — Flitten — als der erste postirt und rechts neben den juͤngsten Buchhalter. Ihm verschlugs wenig; ihm gegen¬ uͤber saß der Graf. Rund wie Geld, das wie der Tod alles gleich macht, war die Tafel, gleichsam ein groͤßerer Kompagnie-Teller. Der Notar, ganz geblendet von der Neuheit des Ge¬ schirres und dessen Inhalts streckte statt seiner sonstigen zwei linken Haͤnde zwei rechte aus und suchte mit wahrem Anstand zu essen und den Ehren-Saͤbel des Messers zu fuͤhren; bele¬ sen genug, um mit der Breite des Loͤffels zu es¬ sen, nicht mit der Spize, erhielt er sich blos bei bedencklichen Vorfaͤllen durch die alte Vorsicht im Sattel, nicht eher anzuspießen, bis ihm andere das Speisen vorgemacht; wiewohl er sie bei den Artischocken so wenig fuͤr noͤthig erachtete, daß er, Beweisen nach, deren bittern Stuhl und die Spizblaͤtter aufkaͤuete, die er haͤtte in die hollaͤn¬ dische Sauce getunckt ablecken koͤnnen und sollen. Was ihm indeß weit besser schmeckte als alles, was darinn lag, waren die Senfdosen, Dessert¬ loͤffel, Eierbrecher, Eistassen, goldne Obstmes¬ ser, weil er das neue Geschirr in seinen Doppel¬ roman als in einen Kuͤchenschrank abliefern konn¬ te: „esset ihr in Gottesnamen, dacht' er, die Kybizen Eier, die Mainzer Schinken, und Rauch- Laͤchse; sobald ich nur die Namen richtig uͤber¬ komme durch meinen guten Nachbar Flitte, so hab' ich alles, was ich fuͤr meinen Roman brauche, und kann auftischen.“ In die hoͤchste Schule der Lebensart gien¬ gen seine Augen bei dem Grafen, der keine Um¬ staͤnde machte — geradezu weissen Portwein for¬ derte — und einen Kapaunenfluͤgel mit nichts abschaͤlte als mit dem Gebiß, — des Geback'nen nicht zu gedencken, das er mit den Fingern an¬ nahm. Diese schoͤne Freiheit — eingekleidet noch in Stiefeln und Ueberrock — spornte Walten an, daß er, als mehrere Herrn Konfekt einsteckten fuͤr ihre Kinder, sich es zur Pflicht und Welt rechnete, auch einige suͤsse Papierchen oder Suͤ߬ briefgen, die ihm ganz gleichguͤltig waren, in die Tasche zu schaffen. Auch sein Nachbar Flit¬ te, der ungemein fraß und foderte, zeigte deut¬ lich, wie man zu leben habe — besonders wovon . Indes war sein ewiger Wunsch der, etwas zu sagen und von Klothar vernommen, wenn nicht gar angeredet zu werden. Aber es gieng gar nicht. Dem Grafen war aus Achtung ein philosophischer Nachbar, der Kirchenrath Glanz, an die linke Seite gebeten — an die rechte die Agentin gesezt; — aber er aß blos. Walt sann scharf nach, in wie weit die vorsizende Vorschrift feinster Sitten zu kopiren sei, kein Wort zu sagen zur Hausfrau. Er behalf sich, wie, ein Verliebter, mit optischer Gegenwart auf Kosten der Zukunft. Es war ihm doch einige Erqui¬ ckung, wenn der schoͤne graͤfliche Juͤngling etwas vom Teller nahm — oder die Flasche — oder froh umher sah — oder traͤumend in den Him¬ mel hinter dem Fenster — oder in den auf ei¬ nem lieblichen Gesicht. Aber bitterboͤse wurd' er auf den Kirchenrath, der einer so fruchttragen¬ den Nachbarschaft ansizen konnte, ohne den ge¬ ringsten schoͤnsten Gebrauch von derselben, da er doch so leicht, dachte Walt, uͤber Klothars Hand zufaͤllig mit seiner hinstreichen koͤnnte, und vollends ihn ins Reden locken. Allein Glanz glaͤnzte lieber — er war vergoͤtterter Kanzelred¬ ner und Kanzelschreiber — auf seinem Gesicht stand wie auf den Bologneser-Muͤnzen gepraͤgt: Bononia docet Bologna lehrt. — wie andere Redner die Augen, so schloß er die Ohren unter dem Flusse der Zunge — — Mit einer solchen Autors-Ei¬ telkeit schloß er Klothars stolzen Mund. Dar¬ uͤber aber machte auch Walt seinen nicht auf. Er hielt es fuͤr Tisch-Pflicht, jedem Gesicht ei¬ ne Freuden-Blume uͤber die Tafel hinuͤber zu werfen — die Artigkeit in Person zu sein — und immer ein wenig zu sprechen. Wie gern haͤtt' er sich oͤffentlich ausgedruͤckt und ausgesprochen! Leider wie Moses saß er mit leuchtendem Antliz und mit schwerer Zunge da, weil er schon zu lange mit dem Vorsatze gepasset, in das aufge¬ tischte Zungen- und Lippen-Gehaͤcke, das er fast roh und unbedeutend fand, etwas bedeutendes seiner Seits zu werfen, da es ihm unmoͤglich war, etwas Rohes wie der Kaufmann zu sagen: ein Westphale, der einen feinen Faden spinnt, ist gar nicht vermoͤgend einen groben zu ziehen. Je laͤnger ein Mensch seinen sonnigen Aufgang ver¬ schob, desto glaͤnzender, glaubt er, muͤst' er aufgehen und sinnet auf eine Sonne dazu; koͤnnt' er endlich mit einer Sonne einfallen, so fehlt ihm wieder der schickliche Osten zum Aufgang und in Westen will er nicht gern zuerst em¬ por. Auf diese Weise sagen nun die Menschen hienieden nichts. Walt legte sich indes auf Thaten. Die bei¬ den Toͤchter Neupeters hatten unter allen schoͤnen Gesichtern, die er je gesehen, die haͤslichsten. Nicht einmal der Notarius, der wie alle Dich¬ ter zu den weiblichen Schoͤnheits-Mitteln gehoͤr¬ te, und nur wenige Wochen und Empfindun¬ gen brauchte, um ein Wuͤsten-Gesicht mit Rei¬ zen anzusaͤen, haͤtte sich darauf einlassen koͤnnen, eine und die andere Phantasie-Blumen in Jah¬ ren auf beide Stengel fertig zu sticken. Es war zu schwer. Da er nun gegen nichts so viel Mit¬ leiden trug als gegen eine weibliche Haͤslichkeit, die er fuͤr einen lebenslangen Schmerz hielt: so sah er die Blonde, (Raphaele hies sie), die ihm zum Gluͤcke Blickschuß-recht saß, in einem fort mit unbeschreiblicher Liebe an, um ihr da¬ durch zu verrathen, hoft' er, wie wenig er sich von ihren Gesichts-Ecken abstoßen lasse. Auch auf die Bruͤnette, Namens Engelberta, lies er von Zeit zu Zeit einen sanften ruhenden Seiten¬ blick anfallen, wiewohl er sie wegen ihrer Lustig¬ keit nur eines mattern Mitleids wuͤrdigte. Es staͤrkte und erquickte ihn ordentlich bei seinem Mit¬ leiden, daß beide Maͤdgen mit Puz und Pracht jeden weiblichen Neid auf sich zogen; — als vergoldete Wirthschaftsbirnen, geschminkte Blat¬ ternarben, in herrlichen Franz gebundene Leber¬ reime muste man sie anerkennen. Hoch must' er bei dieser Denkungsart den sympathetischen Nach¬ bar Flitte stellen, der mit ihm in Aufmerksamkeit und Achtung fuͤr dieselbe haͤsliche Raphaela wett¬ eiferte! Er druͤckte Flitten — der als armer Teu¬ fel nichts weiter von der verhasten Schoͤnheit wollte, als die Hand mit dem Heirathsgut — unter der Serviette die seinige; und sagte nach dem dritten Glas Wein: auch ich wuͤrde mit ei¬ ner Haͤslichen zuerst sprechen und tanzen unter vielen Schoͤnen — „Sehr galant! (sagte der El¬ sasser) Sahen Sie aber je eine superbere Tail¬ le?“ — Diese nahm jezt erst der Notar an bei¬ den Toͤchtern auf Erinnern wahr; wer sie koͤpf¬ te, machte jede zur Venus, ja mit dem Kopfe sogar konnte jede sich fuͤr eine Grazie halten, aber in doppelten Spiegeln. Gelehrte kennen keine Schoͤnheiten, als physiognomische; Walt war majorenn geworden, ohne zu wissen, daß er zwei Backenbaͤrte habe, oder andere Leute Taillen, schoͤne Finger, haͤsliche Finger u. s. w. — „Wahrhaftig, antwortete der Notar dem El¬ sasser, ich wollte wohl einer Haͤslichen ohne al¬ len Gewissensbiß die schoͤne Taille ins Gesicht sa¬ gen, und loben, um die Arme damit bekannt Flegeljahre II . Bd. 6 und darauf stolz zu machen.“ Wenn Flitte etwas gar nicht begriff, so fragte er nichts darnach, sondern sagte schnell Ja. Walt heftete jezt in Einem fort recht sichtbar die Augen auf Raphaelens Taille, um sie damit bekannt zu machen. Die Blonde schielte von seinen Bli¬ cken zuruͤck und suchte sich tugendhaft zu be¬ unruhigen uͤber die Frechheit des jungen Har¬ nisch. „Wer mir lieber, Herr? Die Blonde oder Braune?“ (sagte der Hofagent vom Weine lu¬ stig) — Auf jeden Fall die Blonde, sag' ich; denn sie kostet vierteljaͤhrlich der Kassa zwoͤlf Groschen weniger. Fuͤr 3. thlr. 12 gr. gutes Geld verkauft der Mundkoch Goullon in Weimar sei¬ ne Flasche rothen Schminckessig ( vinaigre de rouge ) nota bene fuͤr Blonde; fuͤr Braune hingegen jede um nette 4 thlr.; hat sie vollends schwarzes Haar, so muß ich gar die Flasche zu 4 thlr. 12 gr. verschreiben. Raphel! Du sollst leben!“ — Cher père versezte sie, nenuen Sie mich doch nur Raphaela. — „Er verdients, (dachte Walt betroffen uͤber Neupeters Unschick¬ lichkeit,) daß sie sagte: Scheer-Baͤr?“ Denn so hatt' er verstanden. „Heute giebt der arme blinde Baron sein Floͤten-Konzert, sagte schnell Raphaela; ach! ich weiß noch, wie ich uͤber Duͤlon geweint.“ — „Ich weiß des Menschen Namen nicht — sagte die brillantirte Mutter, Namens Pulcheria, aus Leipzig, wohin sie beide Toͤchter mehrmals abgefuͤhrt, als in eine hohe Schule bester Sit¬ ten — der Habenichts ist aber ein grober Knoll und dabei ein Flausenmacher.“ — Walt arbeite¬ te in sich, weingluͤhend, an der schnellsten Ver¬ theidigung. — „So bald ein poweres Edelmaͤnn¬ gen, sagte Engelberta spoͤttisch, nur etwas lernt und versteht, so nehm' ichs nicht so genau.“ — „Wer weiß es denn, sagte die Mutter, was er auf der Floͤte kann fuͤr Leute, die schon was ge¬ hoͤrt haben?“ — „Er ist, fuhr Walt in groͤster Kuͤrze los, nicht grob, nicht duͤrftig, nicht un¬ geschickt, nicht manches andere, sondern wahr¬ lich ein koͤniglicher Mensch.“ Hinterher merkt' er selber die unabsichtliche Hize in seiner Stimme und Kuͤrze; aber seinen sanften Geist hatte die absprechende Kauffrau uͤberrumpelt, die zwar in den Zeiten huͤbsch gewesen, wo sie Gellerten reiten sehen, die aber jezt — aus ihren eignen Relikten bestehend — als ihr eignes Gebeinhaus — als ihre eigne bunte Toilettenschachtel, — ihren kostbaren Anzug zum bemalten metalli¬ schen mit Samt ausgeschlagenen, mit vergolde¬ ten Handheben beschlagenen Prunksarg ihrer gepu¬ derten Leiche machte. Walt hatte gar nicht wild sein wollen, nur gerecht. Man hoͤrte seine vor¬ laute Phrasis mit kurzem Erstaunen und Ver¬ achten an. Neupeter aber nahm sofort den Faden auf: „Bulgen, sagte er zur Frau in an¬ getrunkener Barmherzigkeit, ich will, weils doch eine arme Haut sein soll und noch dazu blind, drei Billette fuͤr euch Weibsen holen lassen vom povern Wicht.” „Die ganze Stadt geht hin, sagte Raphae¬ la, auch meine theuerste Wina . O! Dank, cher père ! Wenn ich den Ungluͤcklichen hoͤre, zu¬ mahl im Adagio , ich freue mich darauf, ich weis, da „sammlen sich alle gefangnen Thraͤnen um mein Herz“ Die Redensart hat sie aus dem Hesper. ich denke an den blinden Julius im Hesperus und Thraͤnen begießen die Freuden-Blumen.“ Darauf sah sie nicht nur der Vater entzuͤckt uͤber ihren Sprechstil an — ob er gleich als ein alter Mann den seinigen fortackerte — desglei¬ chen Flitte begeistert, sondern auch der Notar begab sich mit innigstem Beifall wieder in ihr Gesicht herauf, voll kurzer Wuͤnsche, lezteres waͤre auszustehen oder doch zu heben durch Liebe, da er unter einem Dache mit ihr lebte. Aber ihm wurde durch Winas Ankuͤndigung ein Sturm in die Seele geschickt — sein beseeltes Auge hieng sich an ihren Braͤutigam — als ploͤzlich wieder Raphaela die groͤßten Revoluzio¬ nen an dem Tische anstiftete durch die Frage an Glanz: „wie kommts, Hr. Kirchenrath, um auf Sehende zu kommen, daß alle Bilder im Auge verkehrt sind, und wir doch nichts verkehrt er¬ blicken?“ Dann als der Kirchenrath langsam und langweilig die Sache aus seiner Lektuͤre so gut auseinandersezte, daß die Tafel bewundern mu¬ ste: so fieng der Graf Feuer. Es sei, daß er satt war des Essens — oder satt des Hoͤrens — oder uͤbersatt der Glanzischen theologischen Halb¬ wisserei und lingua franca , jener schaalen Kan¬ zel-Philosophie, wovon ¼ moralisch, ¼ unmora¬ lich, ¼ verstaͤndig, ¼ schief ist und das Ganze gestohlen — genug, der Graf begann und un¬ terhielt ein so langes heftiges Feuern gegen den Kirchenrath — wozu die nahe Nummer Con¬ geries von Maͤusefahlen Kazen¬ schwaͤnzen aus- und eingeraͤumt wird — daß er ordentlich nicht mehr Haß gegen das Mat¬ geld der theologischen Moralisten und Autoren haͤtte zeigen koͤnnen, wenn er auch der Floͤten¬ spieler Quod deus vult selber gewesen waͤre, der sich allerdings so aussprach: „von alten Schimmelwaͤldgen der Philosophen klauben sich die Theologen die abgefallnen Lese-Fruͤchte auf und saͤen damit an. — Diese groͤsten engsten Egoi¬ sten machen Gott zum frère servant der Poͤni¬ tenzpfarren, wohin sie vozirt worden, und auf dem Wege nach dem Filial glauben sie, die Son¬ nenfinsterniß sei gekommen, damit sie weniger schwitzen und schattiger reiten — und so fegen sie die Herzen und Koͤpfe, wie in Irland die Bedienten die Treppen, mit ihren Peruͤcken.“ N ro . 23. Congeries von maͤusefahlen Kazenschwaͤnzen. Tischreden Klothars und Glanzens. Nachdem also Glanz geaͤussert hatte: „daß eben, da sich im Auge alle Gegenstaͤnde umwen¬ den, also wir uns auch mit, wir mithin nichts von einem Umkehren spuͤren koͤnnten. — So entgegnete der Graf: „warum wird denn das einzige Bild im Auge nicht mit umgekehrt? — Warum greifen operirte Blinde nichts ver¬ kehrt? — Was hat denn das Hautbildgen mit dem innern Bilde zu thun? Warum fragt man nicht auch, warum uns nicht alles eben so klein als jenes Bildgen erscheine?“ — „Glanz aͤusserte nach Garve: unsere Vor¬ zuͤge seien am Ende keine und daher De¬ muth unsere Pflicht.“ Der Graf entgegnete: „so seh' ich wenig¬ stens nicht, warum ich Bettler demuͤthig gegen den zweiten Bettler sein soll; — und ist er gar stolz, so hab' ich ja einen zweiten Vorzug vor ihm, die Demuth.“ Es wurde ein schoͤner Saz aus Glanzens gedruckten Reden angefuͤhrt: daß die Kinder fuͤr Geringschaͤzung des Alters die vergeltende Stra¬ fe gewiß von ihren eigenen Kindern empfangen wuͤrden. Klothar entgegnete: „folglich hat das ge¬ ring geschaͤzte Alter auch einmal gering geschaͤzt; und es geht ins Unendliche, oder man kann die Strafe erhalten ohne die Suͤnde.“ Glanz aͤusserte, wie leicht das Gedaͤchtnis zu uͤberladen sei. Klothar entgegnete: „das ist blos unmoͤg¬ lich. Ist denn etwas zu behalten, eine Beschwer¬ de fuͤr Gehirn oder Geist! Verspuͤrt ein Mann den Schaz, den zwanzig Jahre Leben in ihm niederlegten, wohl an seinem Gedaͤchtnis als waͤre dieses belasteter als in der Jugend? — Aber ferner: der Bauer traͤgt eben so viele Ideen in seinem Gedaͤchtnis als der Gelehrte, nur ande¬ re, Sachen, Baͤume, Aecker, Menschen. Ueber¬ ladung des Gedaͤchtnisses kann also nichts heißen als versaͤumte Kultur anderer Kraͤfte.“ Glanz aͤusserte, man koͤnne bei den End¬ absichten leicht sich Voltairens Spotte ausse¬ zen, daß die Nase fuͤr die Brille geschaffen sei. Klothar versezte: „Und das ist die Nase auch: sobald alle Kraͤfte einer Welt berechnet wurden, muste auch die Kraft in Anschlag kom¬ men, Glaͤser zu schleifen.“ Glanz aͤusserte: er sei ja dafuͤr und finde in allen seinen gedruckten Reden in der kuͤnstlichen Weltordnung einen unendlichen Verstand. Klothar fragte: Was soll gedachter Ver¬ stand dabei sein? Glanz aͤusserte: „die Ursache.“ Jener entgegnete: „jede kuͤnstliche Ordnung, z. B. im Koͤrperbau, erklaͤren Sie doch jezt aus blinden Kraͤften, nicht aus einer fremden Schoͤpfung, diese Kraͤfte wieder aus blinden, und wo wollen Sie denn in der durchaus mecha¬ nischen Endlichkeit mit dem Blize der Geistigkeit einschlagen?“ — Glanz ausserte spaͤt darauf: eine huͤbsche eingeschraͤnkte Monarchie wie in England sei wohl am besten fuͤr jeden. Klothar versezte: „nur nicht fuͤr die Frei¬ heit. Warum hatten nur meine Voreltern die Freiheit, sich Geseze zu waͤhlen, und ich nicht? Wohin ich fliehe, find' ich schon Gesetze. Das Ideal eines Staats waͤre, daß die kleinsten Foͤ¬ derativstaaten, die sich immer freie Gesetze gaͤben, sich in Foͤderativ-Doͤrfer — dann in Foͤderativ- Haͤuser — und zulezt in Foͤderativ-Individuen zerfaͤlleten, die in jeder Minute sich ein neues Gesetzbuch geben koͤnnten.“ Glanz aͤusserte, durch kleinere Staaten wuͤr¬ den freilich eher die Kriege aufhoͤren. Klothar versezte: „gerade umgekehrt. An mehreren Orten zugleich und haͤufiger in der Zeit entstaͤnden sie. Soll auf der ganzen Erde der Krieg aufhoͤren: so muß sie in zwei ungeheure Staaten sich getheilt haben; davon muß der eine den andern verschlingen, und dann bleibt im einzigen Staate auf der Kugel Friede, und die Vaterlandsliebe ist Menschenliebe ge¬ worden. Glanz glaubte beim Dessert wenigstens so viel aͤussern zu duͤrfen, daß es gut sei, daß die Aufklaͤrung den Hexenglauben vertrieben. Klothar entgegnete: „noch nicht einmal un¬ tersucht hat sie ihn.” Glanz schuͤttelte leicht. „Ich weiß nicht, fuhr jener fort, welche von zwei Meinungen Sie haben, aber da Sie nur eine von beiden hegen koͤnnen, — entweder die, daß alles Trug des Zeitalters, oder die, daß etwas Wunderbares bei der Sache ist: so muͤssen Sie in beiden Faͤllen irren.” Glanz schuͤttelte sehr, aͤusserte aber, er sei wie jeder Vernuͤnftige der ersten Meinung. Klothar versezte: „die Wundergeschichte der Hexen ist eben so historisch bewiesen, als die der griechischen Orakel im Herodot; und diese ists gerade so sehr als uͤberhaupt alle Geschichte. Auch Herodot unterscheidet sehr die wahren von den bestochenen Orakeln. In jedem Falle war es eine große Zeit, wo noch Goͤtter die Weltge¬ schichte lenkten, und darinn mitspielten, daher ist Herodot so poetisch wie Homer. — Gemeine Seelen machen in der Hexen-Geschichte alles zum Werk der Einbildung. Wer aber viele Hexen¬ prozesse gelesen, findet es unmoͤglich. Eine durch Voͤlker und Zeiten reichende Einbildung festge¬ haltener, nuanzirter Thatsachen ist so unmoͤglich als die Einbildung einer Nazion, daß sie einen Krieg oder Koͤnig habe, der nicht ist. Will man die Einbildung als Kopie einer solchen all¬ gemeinen Einbildung erklaͤren, so hat man das Urbild vorher zu deduziren. Meist waren alte, duͤrftige, einfaͤltige Frauen die Aktrizen des Trauerspiels, mithin gerade am wenigsten faͤhig der Phantasie; auch mahlt die Phantasie mehr ins Große und Verschiedene zugleich. Hier fin¬ det man nur erbaͤrmliche wiederhohlte Geschich¬ ten der Nachbarschaft — der Buhle, der Teufel, begleitet in gemeiner Kleidung die Frau zu Fuße auf irgend einen benachbarten Berg, wo sie Tanz, bekannte Spielleute, elendes Essen und Trinken, lauter Bekannte aus dem Dorfe an¬ trift, und nach dem Tanze mit dem Buhlen wieder heimgeht. Die Versammlungen auf dem Blocksberge koͤnnen blos fuͤr dessen naͤchste An¬ wohnerinnen gelten; aber in andern Laͤndern wurde nur der nachbarliche Berg zum Tanzplaz gewaͤhlt. Will man alle Bekenntnisse fuͤr Luͤgen¬ geburten der Folter erklaͤren: so bedenkt man nicht, daß man in den Prozessen findet, daß sie oft nach der Tortur zwei, drei unbedeutende Bekenntnisse, die ihnen den Tod nicht ersparten, feierlich und aͤngstlich widerriefen; und daß also der halbe Widerruf das halbe Gestaͤndnis — besiegelt, um so mehr da man in damaligen Zeiten zu religioͤs dachte, um mit Luͤgen auf der Zunge zu sterben.” „Die berauschenden Getraͤnke und Salben, womit sie sich sollen in den Traum vom Blocks¬ berg und dergleichen gezaubert haben, sind nir¬ gends aus den Akten erweislich oder nach der Physiologie moͤglich — da es kein Getraͤnk giebt, das faktisch bestimmte Visionen erschuͤfe, — und dann, um nur beide zu brauchen, musten sie sich ja schon fuͤr Hexen halten. Glanz aͤusserte: „warum giebt es aber jezt keine mehr? Und warum ist alles so natuͤrlich und alltaͤglich dabei zugegangen, wie Sie vorhin selber einraͤumten. Doch mach' ich diese Ein¬ wuͤrfe gar nicht, Hr. Graf, als wenn ich glaubte, daß Sie im Ernste jener Meinung waͤren.“ Hudo versezte: „dann verkennen Sie meine Denkweise. Wie? Kann man aus dem Aus¬ setzen oder Wegbleiben einer Erfahrung, z. B. einer elektrischen, einer somnabulistischen auf ihre Unmoͤglichkeit schließen? Nur aus positiven Er¬ scheinungen ist zu beweisen; negative sind ein logischer Widerspruch: Kennen wir die Bedin¬ gungen einer Erscheinung? So viele Menschen und Jahre gehen voruͤber, kein Genie ist darun¬ ter; — und doch giebts Genies; — koͤnnt' es nicht eben so mit den Sonntags-Kindern sein, die Augen und Verhaͤltnisse fuͤr Geister haben? — Was Ihre Alltaͤglichkeit, die Sie einwenden, anlangt, so gilt diese auch fuͤr jede positive Re¬ ligion, die sich in die Alltaͤglichkeit ihrer ersten Apostel versteckt; alles Geistige schmiegt sich so scheinbar an das Natuͤrliche an, wie unsere Freiheit an die Naturnothwendig¬ keit . Glanz aͤusserte: er wuͤnsche nun doch sehr zu erfahren, was die zweite Meinung fuͤr sich habe. Klothar versezte: „zuerst die damaligen Zeugen fuͤr die Erste. Um eine Frau zu ver¬ urtheilen, brauchte man statt der Thatsachen nur Zeugenschluͤsse ; meistens aus drei ganz fremden Thatsachen, aus dem Alpdruck, dem Drachen-Einflug und einem schnellen Ungluͤck, z. B. Tod des Viehes, der Kinder ꝛc. schlos¬ sen die Zeugen und ihre Schluͤsse waren ihre Zeugnisse.“ Zweitens lief der ganze Zauber-Erfolg auf ein Raupen- oder Schnecken- oder anderes Scha¬ denpulver hinaus, das der Buhle, der Teufel, dem getaͤuschten Weibe nebst einem Antritts¬ oder Werbe-Thaler gab, den sie zu Hause oft als eine Scherbe befand. Die Macht des Teu¬ fels gab ihr weder Reichthum, noch einen Schuzbrief gegen den Scheiterhaufen. Ich schlies¬ se aus allem, daß damals die Maͤnner sich des Zauberglaubens bedienten, um unter der leicht¬ ten Verkleidung eines teufelischen Buhlen die Weiber schnoͤde zu misbrauchen; ja daß vielleicht irgend eine geheime Gesellschaft ihren Landtag unter die Huͤlle eines Hexen-Tanzes verbarg. Immer machten Maͤnner in den Hexenprozessen den Teufel gegen die Weiber, selten umgekehrt — Nur unbegreiflich bleibts, daß die Weiber bei dem damaligen Schauder vor dem Teufel, so wie vor der Hoͤlle, sich nicht vor seiner Erscheinung und vor der hoͤllischen Umtaufe Bekanntlich hob der Buhle die erste Taufe durch eine unreine wieder auf. und Apostasie entsezet haben.“ Glanz laͤchelte, aͤusserte aber, jezt traͤfen sie beide ja vielleicht zusammen — Hudo versezte sehr ernst: „kaum! denn eine Nachspielerei hebt ein Urbild nicht auf, sie sezt eben eines voraus. Noch mangelt eine rechte Geschichte des Wunder-Glaubens oder vielmehr des Glaubens-Wunders — von den Orakeln, Gespenstern an bis zu den Hexen und sympa¬ thetischen Kuren; — aber kein engsichtiger und engsuͤchtiger Aufklaͤrer koͤnnte sie geben, sondern eine heilige dichterische Seele, welche die hoͤchsten Erscheinungen der Menschheit rein in sich und in ihr anschauet, nicht ausser ihr in materiellen Zu¬ faͤlligkeiten sucht und findet — welche das erste Wunder aller Wunder versteht, naͤmlich Gott selber, diese erste Geistererscheinung in uns vor allen Geistererscheinungen auf dem engen Boden eines endlichen Menschen.“ . . . Hier konnte sich der Notar nicht laͤnger hal¬ ten, eine solche schoͤne Seelenwanderung seiner Gedanken hatt' er in dem hohen Juͤngling nicht gesucht: „auch im Weltall, hob er an, war Poe¬ sie fruͤher als Prosa, und der Unendliche muͤste vielen engen prosaischen Menschen, wenn sie es sagen wollten, nicht prosaisch genug denken.“ „Was wir uns als hoͤhere Wesen denken, sind wir selber, eben weil wir sie denken; wo unser Denken aufhoͤrt, faͤngt das Wesen an“ sagte Klothar feurig, ohne auf den Notarius sonderlich hinzusehen. „Wir ziehen immer nur einen Theater-Vor¬ Flegeljahre II . Bd. 7 hang von einem zweiten weg und sehen nur die gemahlte Buͤhne der Natur“ sagte Walt, der so gut wie Klothar etwas getrunken. Keiner ant¬ wortete mehr recht dem andern. „Gaͤb' es nichts Unerklaͤrliches mehr, so moͤcht' ich nicht mehr leben, weder hier noch dort. Ahnung ist spaͤter als ihr Gegenstand; ein ewiger Durst ist ein Widerspruch, aber auch ein ewiges Trinken ist einer. Es muß ein drittes geben, so wie die Musik die Mittlerin ist zwischen Gegenwart und Zukunft,“ sagte der Graf. „Der heilige, der geistliche Ton wird von Gestalten geschaffen, aber er schaft wieder Ge¬ stalten“ Die Figuren auf klingenden Glasscheiben. sagte Walt, den die Fuͤlle der Wahr¬ heit allein fortzog, nicht einmal mehr der Wunsch der Freundschaft. „Eine geistige Kraft bildet den Koͤrper, dann bildet der Koͤrper sie, dann aber bewegt sie am maͤchtigsten auf der Erde die Koͤrper“ sagte Klothar. „O die unterirdischen Wasser der tiefen zwei¬ ten Welt, die den gemeinen weltweisen Berg- Knappen in seinem Bergbau stoͤren und ersaͤufen, ihn, der Hoͤhen nur zum Durchbohren und Vertiefen haben will — diese sind eben fuͤr den rechten Geist der große Todesfluß, der ihn in den Mittelpunkt zieht” ... sagte Walt; er stand laͤngst aufrecht am Tisch, und hoͤrt' und sah nicht mehr. „Aechte Spekulazion” — — fieng der Graf an. „ Mr. Vogtlaͤnder — unterbrach Neupeter, sich zum Buchhalter wendend und Klotharn am Arm haltend, da er gelehrten Diskursen eben so gern zuhoͤrte, als entsprang — die 23 Ellen Spekulazion haben Sie doch heute gebu¬ chet d. h. zu Buch gebracht. — Spekulazion ist in Neupeters Sinn ein ungekreuzter halbleinener, halb¬ seidener pariser Zeug, der sich von der enzyklopaͤ¬ distischen Spekulazion, ebenfalls da gewebt, zu seinem Vortheil unterscheidet. ? Nun aber weiter, Hr. Philo¬ soph!” — Der Graf hoͤrte den Miston des Misgrifs, und schwieg und stand gern auf, die vergessene laͤngst wartende Gesellschaft noch lieber. Des Notars Kekheit und Rede-Narrheit hatte am meisten sie unterhalten. Der Kirchenrath Glanz hatt' es seinen Nachbarn leise zu verstehen gege¬ ben, was sie von den graͤflichen Saͤtzen zu hal¬ ten haͤtten, und daß dergleichen ihn nicht weni¬ ger langweilte und anekelte als jeden. Walt war in den dritten Himmel gefahren, und behielt zwei uͤbrig in der Hand, um sie weg¬ zuschenken. Er und der Graf trugen nun — nach seinem Gefuͤhl — die Ritterkette des Freund¬ schafts-Ordens mit einander; nicht etwan, weil er mit ihm gesprochen — der Notar dachte gar nicht mehr an sich und seinen Wunsch der Au¬ dienz — sondern weil Klothar ihm als eine große, freie, auf einem weiten Meere spielende Seele erschien, die alle ihre Ruderringe abgebrochen, und in die Wellen geworfen; weil ihm sein kecker Geistes-Gang groß vorkam, der weniger einen weiten Weg als weite Schritte machte, und weil der Notar unter die wenigen Menschen ge¬ hoͤrte, die mit unaͤhnlichem Werthe sympathi¬ siren, wie das Klavier von fremden Blas- und Bogen-Toͤnen anklingt. So lieben Juͤnglinge; und aller ihrer Feh¬ ler ungeachtet ist ihnen, wie den Titanen, noch der Himmel ihr Vater, die Erde nur ihre Mutter; aber spaͤter stirbt ihnen der Vater und die Mutter kann die Waisen schwer ernaͤhren. Wie ganz anders — naͤmlich viel weniger schleichend, weniger stillgiftig, vipernkalt und vipernglatt — stehen die Menschen von Tafeln, selber an Hoͤfen, auf, als sie sich davor niederge¬ sezt! Wie gefluͤgelt, singend, das Herz federleicht und federwarm! — Neupeter bot leicht seinen Park dem Grafen an — der schlug ein — Walt drang nach. Unterwegs riß der Agent sein blu¬ miges Ordens-Band entzwei und steckt' es ein, weil er, sagt' er, nicht wie ein Narr aussehen wolle. N ro . 24. Glanzkohle. Der Park — der Brief . Der Graf gieng zwischen seinen Brautfuͤh¬ rern, wovon der linke im Gehen das Spinnrad drehte zu einem Faden der Rede, und Seile der Liebe; doch hielts oft schwer, in den engsten Gaͤngen drei Mann hoch aufzumarschiren. Ein Markthelfer hielt sich hinter ihnen, um aus dem Sande alle 6 Fußstapfen auszubuͤgeln. Der Agent fuͤhrte Klotharn vor die Glanz-Partieen des Parks in der Absicht, Ehrenflinten und Saͤ¬ bel da von Grafenhand zu empfangen — vor Kinderstatuen unter Thurm-Baͤumen — vor Herkules-Wuͤrggruppen unter Blumen; aber den Grafen grif nichts an. Neupeter zaͤhlte das „schoͤne Geld“ aufs Rechenbret hin, das ihm die Bildsaͤulen schon gefressen, besonders ei¬ nige der feinsten, die er gegen Regenwetter in ordentliche wasserdichte Ueber- oder Reitersroͤcke eingewindelt und bracht' ihn vor eine eingeklei¬ dete Venus im Wachtrock. Klothar schwieg. Neupeter gieng weiter im Versuche und Garten, er sezte eigenhaͤndig seinen Park herunter gegen einen in England und erhob z. B. Hagley's sei¬ nen daruͤber, „aber, sagt' er, die Englaͤnder haben auch die Bazen dazu.“ Der Graf wider¬ legte nichts. Blos Walt bemerkte: „am Ende werde doch jeder Garten, sei er noch so groß, kurz jede kuͤnstliche Eingraͤnzung klein und ein Kindergaͤrtgen in der unermeßlichen Natur; nur das Herz baue den Garten, der noch zehnmal kleiner sein koͤnne als dieser.“ Darauf fragte der Kaufmann den Grafen, warum er nicht aufgucke, z. B. an die Baͤume, wo manches haͤnge. Dieser sah auf; weisse Zolltafeln der Empfindung waren von Raphae¬ len daran geschlagen zum Ueberlesen: „bei Gott, meine Tochter hat sie ohne fremde Huͤlfe erson¬ nen, sagte der Vater, und sie sind sehr neu und hochtragend geschrieben, so glaub' ich.“ Der Graf stand vor den naͤchsten Gefuͤhls-Brettern, und Herz -Blaͤttern poetischer Blumen fest; auch der Notar las den an die Welt wie an Arznei- Glaͤsgen gebundnen Gebrauchzettel herab, wel¬ cher verordnete, wie man schoͤne Natur einzu¬ nehmen habe, in welchen Loͤffeln und Stunden. Walten gefiel die Gefuͤhls-Anstalt, es waren doch Antritts- oder Oster-Programmen der Fruͤh¬ lings-Natur, Frachtbriefe der Jahrs-Zeiten, zweite heimlich abgedruckte Titelblaͤtter der Na¬ tur-Bilderbibel. Dennoch strich Klothar stumm darunter hin¬ weg. Aber Walt sagte begeistert von den Baum- Noth- und Huͤlfs-Taͤfelgen:“ alles ist hier schoͤn, die Partieen, die Baͤume und die Tafeln. Wahr¬ haftig man sollte die Poesie verehren, auch bis ins Streben darnach. Freilich wird nur die hoͤchste, die griechische, gleich den Schachten der Erdkugel immer waͤrmer, je tiefer man dringt, ob sie gleich auf der Flaͤche kalt erscheint; indeß andere Gedichte nur oben waͤrmen.“ — „Mein Mieths¬ mann, H. Notar Harnisch“ — sagte schnell der uͤber dessen Naͤhe und Kecke verdruͤsliche Neupe¬ ter, als der Graf ihn bedeutend ansah — „Der Lac da um Ermenonville herum — so laͤsset meine Frau den Teich nennen, weil sie sich auf Gaͤrten versteht, da sie aus Leipzig ist — der Teich, sag' ich, ist blos um die Insel herum ge¬ fuͤhrt, die ich um meinen seeligen Vater, einen Kaufmann wie wenige, aufschuͤtten lassen. Die Statue drinnen das ist er selber nun.“ — Auf der Teich-Insel sah unter Trauer- und Pappel¬ Baͤumen allein gleichsam wie ein Robinson der alte seel. Christhelf Neupeter in Stein gebracht heruͤber, uͤbrigens in seinem Boͤrsen-Habit aus¬ gehauen, wiewohl die in Marmor uͤbersezte Beu¬ telperuͤcke, und die petrifizirten Wickelstruͤmpfe und Rockschoͤsse dem magern Manne nicht das leichte Ansehen gaben, das er nackt haͤtte haben koͤnnen. „Sagen Sie nur heraus wie Ihnen der ganze Park und Quark vorkommt?“ fragte Neu¬ peter der Sohn. „Was bedeutet noch die hoͤl¬ zerne wunderbare Pyramide, (fragte der, die Insel und den See umkreisende Graf,) die mit der Basis halb uͤber dem Wasser schwebt?“ Dem Hofagenten gefiel die Frage; er versezte schel¬ misch: „in die Pyramide kann man ordentlich hinein gehen durch eine Thuͤre.“ — „Cestius Py¬ ramide?“ sagte Walt halblaut — Der Graf verstand den merkantilischen Schelm nicht. „Nun, es dient nun so, erlaͤuterte er weiter, froh uͤber die Einkleidung jener Verkleidung, bei der oder jener Gelegenheit — wenn mans eben braucht — ein Mensch trinkt Mittags viel, besieht sich den Garten, und nun natuͤrlich.“ . . . „God d —, sagte der verstaͤndigte Graf, im Feuer, ich muß in die Pyramide“ und gab, des Agenten satt, das Zeichen des Zuruͤckblei¬ bens. Ein Regenbogen — darein war die Holz- Bruͤcke durch Farben verkleidet — fuͤhrte an die Pyramide. Der unschuldige Notar dachte zu zart, um alles zu verstehen. Der stolze Kauf¬ mann, der hier das Stehen-lassen aͤusserst un¬ hoͤflich fand, murmelte halb fuͤr sich, halb fuͤr Walten: ein hoͤflicher, eigner Herr! Er blieb nun nicht so lange, daß der Notar, der ein Riesen-Kniestuͤck vom Klothar anlegen wollte, solches haͤtte aufspannen koͤnnen; sondern ließ wieder diesen stehen, mit dem Pinsel voll Flam¬ men in der Hand. Ein zarter Genius war es, der den einsa¬ men Gottwalt vom Betreten des Regen- und Bruͤcken-Bogens zuruͤcklenkte durch die Eroͤf¬ nung der — Wahrheit. Anderthalb Garten- Gaͤnge prallte davor der Juͤngling zuruͤck, den schon der vornehme Tafel-Zynismus mit den nakt gezognen Zahnstochern geaͤrgert; — ohne doch auf den Agenten zu zuͤrnen, daß er auf die vaͤterliche Pappel-Insel eine solche Spiz¬ saͤule pflanzen koͤnnen; Er hatte oft zu viel Lie¬ be, um Geschmack zu haben, wie andere um¬ gekehrt. Als der Graf von Ermenonville zuruͤckge¬ kommen: schlug Walt mehrere schmale Radien- Gaͤnge ein, um ihm zufaͤllig aufzustoßen und so, verschmolzen mit ihm, zu gehen. Aber der Graf, der allein bleiben wollte, merkte das stete Nachstreichen, und bog ihm verdruͤßlich aus. Auch dem Notar selber wurde am Ende das freundschaftliche Ballet versalzen, weil der Markthelfer mit seinem Verwaschpinsel, als Schrittzaͤhler hinter ihm blieb und ihm jeden Schritt dadurch vorrechnete, daß er ihn aus¬ strich. „Welch ein ganz anderes Gluͤck waͤre es, traͤumt' er, fiel' ich ins Lac — Wasser, und mein Juͤngling schleppte mich heraus und ich laͤg' ihm mit tropfenden Augen zu Fuͤssen. Das denk' ich mir gar nicht, — weil es zu groß waͤre, das Gluͤck, — wenn etwan gar er selber hineinstuͤrz¬ te und ich der Seelige wuͤrde, der sein stolzes Leben rettete und ihn an der Brust ins Dasein truͤge.“ Indeß fand er jezt etwas besseres auf sei¬ nem Wege, einen verlohrnen Brief an Klothar. Indem er sich umsah, ihn zu uͤbergeben, war der Graf unter die ins Haus gehende Gesellschaft zuruͤckgetreten. Er lief nach. Jener war schon davon geritten auf ein Dorf. Es war ihm nicht sonderlich bitter, daß er durch den Brief ein Recht in die Haͤnde bekam, den Grafen morgen auf seinem eignen Zimmer aufzusuchen. Er erstieg eilig das seinige — nicht ohne Freude, daß er als der einzige Gast im Hause verbleibe, indeß alle andere daraus fort musten; — und besah und las ruhig droben den schon er¬ brochnen Brief — aussen. Denn innen ihn zu lesen, auch irgend einen andern fremden lag aus¬ ser seiner Macht. Sein Lehrer Schomaker — der, wie Vult sagte, fuͤr Schimmelwaͤldgen Wald¬ ordnungen entwuͤrfe — behauptete, nicht einmal gedruckte duͤrfe man lesen, wenn sie wider des Verfassers Wunsch erschienen, da die Leichtigkeit und die Theilhaber einer Suͤnde an dieser nichts aͤnderten. Eine Taube mit einem Oelzweig im Schnabel und in den Fuͤssen flog auf dem Sie¬ gel. Der Umschlag roch anmuthig. Er zog den Brief daraus hervor, faltete ihn auf von wei¬ tem und las frei den Namen — Wina , und legt' ihn eiligst weg. . . „Ich will ihm alle meine Aurikeln geben“ hatte sie einst in der tie¬ fen Kindheit gesagt, aus deren dunkeln uͤber¬ bluͤhten Tempe unaufhoͤrlich jene Toͤne wie be¬ deckte Nachtigallen herauf sangen. Jezt aber beruͤhrte die zitternde Saite — deren Klaͤnge bis¬ her suͤß-druͤckend sein Herz umrungen hatten — seine Finger; er hatte ordentlich die Vergangen¬ heit, die Kindheit in der Hand — Und heute trat vollends die Unsichtbare im Konzertsaale endlich aus der blinden Wolke — Sein Bewegung bedarf keines Gemaͤldes, da jede auf jedem erstarrt. Er hielt sich jezt den ofnen Brief nahe un¬ ter die Augen, obwohl umgekehrt — Das Papier war so blau-weiß-zart, wie eine feinste Haut voll Geaͤder. — Die umgestuͤrzte Hand¬ schrift so zierlich und gleich — Blumengewinde waren den vier Papier-Raͤndern eingepresset — er besah jeden — und gieng auf Aurikeln aus — als er aber auf dem untern suchte, fuhr ihm die lezte Zeile ins Auge, mit 7 lezten Worten. Da stekt' er das Blatt erschrocken in die Huͤlle zuruͤck. Es lautete aber das Schreiben an Klo¬ thar so: „Wozu meine laͤngern Kaͤmpfe, die vielleicht schon selber Suͤnden sind? Ich kann nun nach Ihrem gestrigen entscheidenden Worte nicht die Ihrige werden; denn ich koͤnnte Ihnen wohl so leicht und so gern Gluͤck und Leben und Ruhe opfern, aber meine Religion nicht. Ich schau¬ dere vor dem Bilde eines erklaͤrten Abfalls. Ih¬ re religioͤse Philosophie kann mich quaͤlen, aber nicht aͤndern. Die Kirche ist meine Mutter; und nie koͤnnen mich alle Beweise, daß es bessere Muͤt¬ ter gebe, von dem Busen der meinigen reissen. Wenn meine Religion, wie Sie sagen, nur aus Zeremonien besteht: so lassen Sie mir die weni¬ gen, die meine mehr hat als Ihre. Denn am Ende ist doch alles, was nicht Gedanke ist, Ze¬ remonie. Geb' ich Eine auf, so weiß ich nicht, warum ich noch irgend eine bewahre. Halten Sie ja, wie ich, vor meinem Vater Ihre scharfe Foderung des Abfalls geheim, ich weiß, wie es ihn kraͤnken muͤste. — Ach lieber Jonathan, was koͤnnt' ich noch sagen; jene Stille, die Sie oft ruͤgen, ist nicht Laune noch Kaͤlte, sondern die Trauer uͤber meine Ungleichheit gegen Ihren großen Werth. O Freund, ist dieser Anfang unsers Bundes wohl der rechte? Mein Herz ist nur fest, aber wund. Wina. Er beschloß im ersten Feuer, das Schrei¬ ben ihr selber im Konzerte zuzustellen. Jezt uͤbrigens, da er ein wenig seine heutige schwelge¬ rische Lage uͤberschlug — Diner Mittags — Konzert Abends — Sonntag den ganzen Tag —: so konnt' er sich weiter nicht bergen, wie sehr er sich gleich einem Großen, schwindelnd auf dem Gluͤcksrad umschwinge, oder eine wahre Nacht der Ergoͤzlichkeiten durchtraͤume, in der ein Sternbild voll freudiger Strahlen aufgeht, wenn ein anderes niedergeht, indeß arme Teufel nichts haben, als einen blau-dunkeln Tag mit beige¬ fuͤgter Sonne. So macht' er sich denn — Kopf und Brust voll floͤtender Vulte, heiliger Aurikelnbraͤute, feinster ihnen zu uͤbergebender Briefe — auf den Weg zum ersten Konzert in seinem Leben. Denn fuͤr die Leipziger Konzerte im Gewandhause hatt' er nie den dazu gehoͤrigen Eintritts- und Thor¬ groschen erschwingen koͤnnen, bekanntlich 16 Groschen schwer Geld. N ro . 25. Smaragdfluß. Musik der Musik . Die Einlaßkarte fest druͤckend, langte er in der langen Prozession mit an, die seine Fluͤgel¬ maͤnnin und Wegweiserin war. Das Einrau¬ schen des glaͤnzenden Stroms, der hohe Saal, das Stimmen der Instrumente, das Schicksal seines Bruders machten ihn zu einem Betrunke¬ nen, der Herzklopfen hat. Dem Lauf des gold¬ fuͤhrenden Stroms sah er mit Freude uͤber die Goldwaͤsche seines Bruders zu, er haͤtte die Wellen zaͤhlen moͤgen. Vergeblich sah er nach ihm sich um. Auch Wina sucht' er, aber wie sollt' er einen Juwel in einer Ebene voll Thau- Glanz ausfinden? Nach seiner Schaͤzung und Vermessung mochten unter den ihm zugekehrten Maͤdgen an 47 wahre Anadyomenen, Uranien, Cytheren und Charitinnen sizen in Pracht; un¬ ter den abgewandten Ruͤcken konnten sie sich noch hoͤher belaufen. Er legte sich die Frage vor, wenn diese gan¬ ze Kette von 47 Paradiesvoͤgeln aufstiege, und er sich einen darunter herabschiessen sollte mit dem Amors-Pfeil, welchen er wohl naͤhme? — — Er brachte keine andere Antwort aus sich her¬ aus als die: jede, die mir die Hand recht druͤck¬ te und etwas bei der Natur und fuͤr mich em¬ pfaͤnde. Da nun unter diesem schoͤnen, Honde¬ koeters ein großer Voͤgelmahler. fliegenden Corps unzaͤhlige Raubvoͤ¬ gel, Harpyen und dergleichen gewiß steckten: so ermesse doch aus diesem Selbstgespraͤch ein ganz Flegeljahre II . Bd. 8 junger Mensch, der seine erste Liebe zur ersten Ehe machen will, in was er rennen koͤnne. Eben stellte sich der Buchhaͤndler Pasvogel gruͤßend neben den Notar, als Haydn die Streit¬ rosse seiner unbaͤndigen Toͤne losfahren lies in die enharmonische Schlacht seiner Kraͤfte. Ein Sturm wehte in den andern, dann fuhren war¬ me nasse Sonnenblicke dazwischen, dann schlepp¬ te er wieder hinter sich einen schweren Wolken- Himmel nach, und riß ihn ploͤzlich hinweg wie einen Schleier und ein einziger Ton weinte in ei¬ nem Fruͤhling, wie eine schoͤne Gestalt. Walt — den schon ein elender Gesang der Kinderwaͤrterinnen wiegte und der zwar wenige Kenntnisse und Augen, aber Kopf und Ohren und Herzohren fuͤr die Tonkunst hatte — wurde durch das ihm neue Wechselspiel von Fortissimo und Pianissimo, gleichsam wie von Menschen¬ lust und Weh, von Gebeten und Fluͤchen in un¬ serer Brust, in einen Strom gestuͤrzt, und da¬ von gezogen, gehoben, untergetaucht, uͤberhuͤllt, uͤbertaͤubt, umschlungen und doch — frei mit allen Gliedern. Als ein Epos stroͤmte das Leben unten vor ihm hin, alle Inseln und Klippen und Abgruͤnde desselben waren Eine Flaͤche — es vergiengen an den Toͤnen die Alter, — das Wie¬ genlied und der Jubelhochzeit-Gesang klangen in einander, Eine Glocke laͤutete das Leben und das Sterben ein — er regte die Arme, nicht die Fuͤße, zum Fliegen, nicht zum Tanzen — er vergoß Thraͤnen, aber nur feurige, wie wenn er maͤchtige Thaten hoͤrte — und gegen seine Na¬ tur war er jezt ganz wild. Ihn aͤrgerte, daß man Pst rief, wenn jemand kam, und daß vie¬ le Musiker, gleich ihrem Notenpapier, dick wa¬ ren, und daß sie in Pausen Schnupftuͤcher vor¬ holten, und daß Pasvogel den Takt mit den Zaͤhnen schlug, und daß dieser zu ihm sagte: „ein wahrer ganzer Ohrenschmaus“: fuͤr ihn ein so widriges Bild, wie im Fuͤrstenthum Krain der Name der Nachtigall: Schlauz. „Und doch muß nun erst das Adagio und mein Bruder kommen“ sagte sich Walt. „Den einer dort herfuͤhrt — sagte Pasvo¬ gel zu ihm — das ist der blinde Flautotraversist und der Fuͤhrer ist unser blinder Hof-Pauker, der aber das Terrain besser kennt. Das Paar gruppirt sich indes ganz artig.“ — Da der schwarzhaarige Vult jezt langsam kam, das ei¬ ne Auge unter einem schwarzen Band, mit dem andern starrblickend, den Kopf wie ein Blinder ein wenig hoch und die Floͤte am Munde hal¬ tend, — mehr um sein Lachen zu bedecken; — da er sich vom Pauker verbeugungs-recht stellen ließ — und da alle Schwaͤzereien stumm wurden und weich, so konnte Walt sich der Thraͤnen gar nicht mehr enthalten, sowohl wegen der vorher¬ gehenden als schon uͤber das blasse Gemaͤhlde eines blinden Bruders und uͤber den Gedancken, das Verhaͤngniß koͤnne den Spastreiber beim Worte fassen; und zulezt braucht' er wenig, um mit dem ganzen Saale zu glauben, Vult sei erblindet. Dieser gab wie eine Monatsschrift stets das beste Stuͤck zuerst, und fuͤhrte an, er gehe mit Einsicht von den allmaͤhlig steigenden Virtuosen ab, weil die Menschen einander nach der Erstge¬ burt, und nicht nach der Nachgeburt schaͤzten und den schlimmen, mithin auch den guten Erst¬ lings-Eindruck festhielten — und weil man den Weibern, die von nichts so leicht taub wuͤrden, als von langer Musik, das Beste geben muͤste, wenn sie noch hoͤrten. Wie eine Luna gieng das Adagio nach dem vorigen Titan auf — die Mondnacht der Floͤ¬ te zeigte eine blasse schimmernde Welt, die beglei¬ tende Musik zog den Mondregenbogen darein. Walt ließ auf seinen Augen die Tropfen stehen, die ihm etwas von der Nacht des Blinden mit¬ theilten. Er hoͤrte das Toͤnen — dieses ewige Sterben — gar nicht mehr aus der Naͤhe, son¬ dern aus der Ferne kommen, und der Herrnhuti¬ sche Gottesacker mit seinen Abend-Klaͤngen lag vor ihm in ferner Abendroͤthe. Als er das Auge trocken und hell machte: fiel es auf die gluͤhen¬ den Streifen, welche die sinkende Sonne in die Bogen der Saalfenster zog; — und es war ihm, als seh' er die Sonne auf fernen Gebuͤrgen ste¬ hen — und das alte Heimweh in der Menschen¬ brust vernahm von vaterlaͤndischen Alpen ein altes Toͤnen und Rufen und weinend flog der Mensch durch heiteres Blau den duften¬ den Gebuͤrgen zu und flog immer und erreichte die Gebuͤrge nie — — O ihr unbefleckten Toͤne, wie so heilig ist euere Freude und euer Schmerz! Denn ihr frohlockt und wehklagt nicht uͤber ir¬ gend eine Begebenheit, sondern uͤber das Leben und Sein und eurer Thraͤnen ist nur die Ewig¬ keit wuͤrdig, deren Tantalus der Mensch ist. Wie koͤnntet ihr denn, ihr Reinen, im Men¬ schenbusen, den so lange die erdige Welt besezte, euch eine heilige Staͤtte bereiten, oder sie reini¬ gen vom irdischen Leben, waͤret ihr nicht fruͤ¬ her in uns als der treulose Schall des Lebens und wuͤrde uns euer Himmel nicht angebohren vor der Erde? Wie ein geistiges Blendwerk verschwand jezt das Adagio, das rohe Klatschen wurde der Leitton zum Presto. Aber fuͤr den Notar wurde dieses nur zu einer wildern Fortsetzung des Ada¬ gio's, das sich selber loͤset, nicht zu einer engli¬ schen Farce hinter dem englischen Trauerspiel. Noch sah er Wina nicht; sie konnte es vielleicht im langen himmelblauen Kleide sein, das neben dem ihm zugewandten Ruͤcken saß, der nach den Kopffedern und nach der nahen Stimme zu schliessen — die in Einem fort, unter der Musik, die Musik laut pries — Raphaelen zukam; aber wer wust' es? Gottwalt sah bei solcher Mehrheit schoͤner Welten unter dem Prestissimo an dem weiblichen Sternenkegel hinauf und hin¬ ab, und druͤckte mit seinen Augen die meisten ans Herz, vorzuͤglich die schwarzen Habite, dann die weissen, dann die sonstigen. Unglaublich steigerte die Musik seine Zuneigung zu unverhei¬ ratheten, er hoͤrte die Huldigungsmuͤnzen klin¬ gen, die er unter die Lieben warf. „Koͤnnt' ich doch dich, gute Blasse — dacht' er ohne Scheu — mit Freudenthraͤnen und Himmel schmuͤcken. Mit dir aber, du Rosengluth, moͤgt' ich tanzen nach diesem Presto — Und du blaues Auge, solltest, wenn ich koͤnnte, auf der Stelle vor Wonne uͤberfließen und du muͤstest aus den weissen Rosen der Schwermuth Honig schoͤpfen — Dich, Milde, moͤcht' ich vor den Hesperus stellen, und vor den Mond und dann wollt' ich dich ruͤhren durch mich oder durch sonst wen — Und ihr kleinen hellaͤugigen Spiel¬ dinger von 14. 15. Jahren, ein paar Tanzsaͤle voll Kleiderschraͤnke moͤcht' ich euch schenken — O ihr sanften, sanften Maͤdgen, waͤr' ich ein wenig das Geschick, wie wollt' ich euch lieben und laben! Und wie kann die grobe Zeit solche suͤße Wangen und Aeuglein einst peinigen, naß und alt machen, und halb ausloͤschen?“ — — Diesen Text legte Walt dem Prestissimo unter. Da er schon seit Jahren herzlich gewuͤnscht, in einem schoͤnen weiblichen Auge von Stand und Kleidung einer Thraͤne ansichtig zu werden — — weil er sich ein schoͤneres Wasser in diesen har¬ ten Demanten, einen goldnern Regen oder schoͤ¬ nere Vergroͤsserungslinsen des Herzens nie zu denken vermocht: — so sah er nach die¬ sen fallenden Licht- und Himmelskuͤgelgen, die¬ sen Augen der Augen, unter den Maͤdgen-Baͤn¬ ken umher; er fand aber — weil Maͤdgen schwer im Putze weinen — nichts als die ausgehan¬ genen Weinzeichen , die Tuͤcher. Indes fuͤr den Notar war ein Schnupftuch schon eine Zaͤhre und er ganz zufrieden. Endlich fiengen die in allen Konzerten ein¬ gefuͤhrten Hoͤr-Ferien an, die Sprech-Minu¬ ten, in denen man erst weiß, daß man in einem Konzert ist, weil man doch seinen Schritt thun und sein Wort sagen und Herzen und Gefrornes auf der Zunge schmelzen kann. Wer Henker, sagt Vult sehr gut, in einem Extrablatt seines Hoppelpoppels oder das Herz uͤberschrieben Vox humana — Konzert . „Wer Henker wollte Ton- wie Dicht-Kunst lang' aushalten ohne das Haltbare, das nach¬ haͤlt? Beider Schoͤnheiten sind die herrlichsten Blumen, aber doch auf einem Schinken, den man anbeissen will. Kunst und Manna — sonst Speisen — sind jezt Abfuͤhrungsmittel, wenn man sich durch Lust und Last verdorben. Ein Konzertsaal ist seiner Bestimmung nach ein Sprachzimmer; fuͤr den leisen Ton der Feindin und Freundin, nicht fuͤr den lauten der Instru¬ mente, hat das Weib das Ohr; wie aͤhnlicher Weise nicht fuͤr Wohlgeruch, sondern nur fuͤr Geruch feindlicher und bekannter Menschen nach Bechstein die Nase der Hund hat. Bei Gott man will doch etwas sagen im Saal, wenn nicht etwas tanzen. (Denn in kleinen Staͤdtgen ist ein Konzert ein Ball, und keine Musik ohne Sphaͤ¬ rentanz himmlischer Koͤrper.) Dahero sollte das Pfeifen und Geigen mehr Nebensache sein, und wie das Klingeln der Muͤhle, nur eintreten, wenn zwei Steine oder Koͤpfe nichts mehr klein zu machen haben. Aber gerade umgekehrt deh¬ nen — muß ich klagen, so gern ich auch aller¬ dings einige Musik in jedem Konzerte verstatte, wie Glocken und Kirchenmusik, vorher, eh Kan¬ zeln bestiegen werden — sich die Spielzeiten weit uͤber die Sprechzeiten hinaus und mancher sizt da und wird taub und darauf stumm, indeß es doch durch nichts leichter waͤre als durch Musi¬ ziren, Menschen, so wie Kanarienvoͤgel, zum Sprechen zu reizen, wie sie daher nie laͤnger und lauter reden, als unter Tafelmusiken. — Nimmt man vollends die Sache auf der wichtigern Sei¬ te, wo es darauf ankommt, daß Menschen im Konzert etwas genießen, es sei Bier oder Thee oder Kuchen: so muß man, wenn man erfaͤhrt, daß das Musiziren laͤnger dauert als das Trin¬ ken, gleichsam das Blasen zur Hoftafel laͤnger als die Tafel selber, oder das Muͤhlen-Geklin¬ gel laͤnger als das Zaͤhne-Mahlen“ — — — und so weiter; denn der Hoppelpoppel gehoͤrt in sein eignes Buch und nicht in dieses. Jezt da sich die ganze neue Welt und He¬ misphaͤre der Schoͤnheiten vordrehte und aufstell¬ te, muste Wina zu finden sein. Raphaela stand schon herwaͤrts gekehrt, aber die himmelsblaue Nachbarin saß noch vor ihr. Der Notar erkun¬ digte sich zulezt geradezu bei Pasvogeln nach ihr. „Die, versezte der Hofbuchhaͤndler, neben der aͤl¬ tern dlle Neupeter — in Himmelblau mit Sil¬ ber — mit den Perlenschnuͤren im Haar — sie war bei Hof — Jezt steht sie auf — sie wendet sich warlich um. — Aber giebts denn schwaͤrzere Augen und ein ovaleres Gesicht — ob ich gleich sehr wohl weiß, daß sie nicht regelmaͤsig schoͤn ist, z. B. scharfe Nase und die ausgeschweifte Schlangenlinie des entschiedenen Mundes, aber sonst, Himmel!“ — Als Walt die Jungfrau erblickte, sagte die Gewalt uͤber der Erde: „sie sei seine erste, und seine lezte Liebe, leid' er wie er will.“ Der Arme fuͤhlte den Stich der fliegenden Schlange, des Amors, und schauerte, brannte, zitterte, und das vergiftete Herz schwoll. Es fiel ihm nicht ein, daß sie schoͤn sei, oder von Stand, oder die Aurikeln-Braut der Kindheit, oder die des Grafen; es war ihm nur als sei die geliebte ewi¬ ge Goͤttin, die sich bisher fest in sein Herz zu ihm eingeschlossen und die seinem Geiste Seelig¬ keit, und Heiligkeit und Schoͤnheit gegeben, als sei diese jezt aus seiner Brust durch Wunden her¬ ausgetreten und stehe jezt, wie der Himmel aus¬ ser ihm, weit von ihm (o! alles ist Ferne, je¬ de Naͤhe) und bluͤhe glaͤnzend, uͤberirdisch vor dem einsamen wunden Geiste, den sie verlassen hat, und der sie nicht entbehren kann. Jezt kam Wina an der angeklammerten Ra¬ phaela, die aus eitler Vertraulichkeit sich neben ihr unter die Menge draͤngen wollte, den Weg zu Walten daher. Als sie ganz dicht vor ihm vorbei gieng, und er das gesenkte schwarze Zau¬ ber-Auge nahe sah, das nur Juͤdinnen so schoͤn haben, aber nicht so still, ein sanft stroͤmende Mond, kein zuͤckender Stern und woruͤber noch verschaͤmte Liebe das Augenlied als eine Amors- Binde halb hereingezogen: so trat Walt unwill¬ kuͤhrlich zuruͤck und ein koͤrperlicher Schmerz druͤck¬ te in seinem Herzen als werd' es uͤberfuͤllt. Da auf der Erde alles so erbaͤrmlich lang¬ sam geht, sie selber ausgenommen, und da sogar der Himmel seine Rheinfaͤlle in hundert kleine Regenschauer zersezt: so ist ein Mensch wie Walt ein Seeliger, dem statt der von hundert Altaͤren auffliegenden Phoͤnix-Asche der Liebe und Schoͤnheit ganz ploͤzlich der ausgespannte goldne Vogel farbegluͤhend am Gesicht voruͤber¬ streicht. Den Zeitungsschreiber, den ploͤzlich Bonaparte, den kritischen Magister, den ploͤz¬ lich Kant anspraͤche, wuͤrde der Schlag des Gluͤcks nicht staͤrker ruͤhren. Die Menge verhuͤllte Wina bald, so wie den Weg auf der fernen Seite, den sie an ihre alte Stelle zuruͤck genommen. Walt sah sie da wieder mit dem himmelblauen Kleide; und er schalt sich, daß er vom verschwundenen Gesicht nichts behalten als die Augen voll Traum und voll Guͤte. Aber beides allein war ihm ein gei¬ stiges All. Das maͤnnliche Geschlecht will den Stern der Liebe gerade wie die Venus am Him¬ mel, anfangs als traͤumrischen Hesperus oder Abendstern finden, der die Welt der Traͤume und Daͤmmerungen voll Bluͤthen und Nachtigallen ansagt, — spaͤter hingegen als den Morgenstern, der die Helle und Kraft des Tags verkuͤndiget; und es ist zu vereinigen, da beide Sterne Einer sind, nur durch die Zeit der Erscheinung ver¬ schieden. Obgleich Walt die andere Maͤdgen jezt in sein Auge einlassen muste, so warf er doch ein mildes auf sie; alle wurden Winas Schwestern oder Stiefschwestern und diese untergegangene Sonne bekleidete jede Luna — jede Zeres — Pal¬ las — Venus mit lieblichem Licht, desgleichen andere Menschen, naͤmlich die maͤnnlichen, den Mars, den Jupiter, den Merkur, — und sehr den Saturn mit zwei Ringen, den Grafen. Dieser war Walten ploͤzlich naͤher gezogen — als sei der Freundschafts-Bund schon muͤnd¬ lich beschworen; — aber Wina ihm ferner ent¬ ruͤckt — als stehe die Braut zur Freundin zu hoch. Ihren Brief ihr zu uͤbergeben, dazu wa¬ ren ihm jezt Kraft und Recht entgangen, weil er besser uͤberdacht, daß eine bloße Unterschrift des weiblichen Taufnamens nicht berechtigte, ei¬ ne Jungfrau fuͤr die Korrespondentin eines Juͤng¬ lings durch Zuruͤckgabe bestimmt zu erklaͤren. Die Musik fieng wieder an. Wenn Toͤne schon ein ruhendes Herz erschuͤttern, wie weit mehr ein tief bewegtes! Als der volle Baum der Harmonie mit allen Zweigen uͤber ihm rauschte: so stieg daraus ein neuer seltsamer Geist zu ihm herab, der weiter nichts zu ihm sagte als: wei¬ ne! — Und er gehorchte, ohne zu wissen wem — es war als wenn sein Himmel sich von einem druͤckenden Gewoͤlke ploͤzlich abregnete, daß dann das Leben luftig-leicht, himmelblau und sonnenglaͤnzend und heiß da staͤnde wie ein Tag — die Toͤne bekamen Stimmen und Gesichte — diese Goͤtterkinder musten Wina die suͤssesten Na¬ men geben, — sie musten die geschmuͤckte Braut im Kriegsschiff des Lebens ans Ufer einer Schaͤ¬ ferwelt fuͤhren und wehen — hier muste sie ihr Geliebter, Walts Freund, empfangen unter frem¬ den Hirtenliedern und ihr rund umher bis an den Horizont die griechischen Haine, die Sen¬ nenhuͤtten, die Villen zeigen und die Steige da¬ hin voll wacher und schlafender Blumen — Er noͤthigte jezt Cherube von Toͤnen, die auf Flam¬ men flogen, Morgenroͤthe und Bluͤthenstaub- Wolken zu bringen, und damit Wina's ersten Kuß daͤmmernd einzuschleiern und dann weit da¬ von zu fliegen, um den stummen Himmel des ersten Kusses nur leise auszusprechen. Auf einmal als unter diesen harmonischen Traͤumen der Bruder lang auf zwei hohen Toͤnen schwebte und zitterte, die den Seufzer suchen und saugen: so wuͤnschte Gottwalt mitzitternd, am Traum des fremden Gluͤcks zu sterben. Da empfieng der Bruder ein mißtoͤniges rauhes Lob; aber Walten war bei seiner heftigen Bewegung die aͤussere gar nicht zuwider. Es war alles vorbei. Er strebte — und nicht ohne Gluͤck — am naͤchsten hinter Wina zu gehen; nicht um etwa ihr Gewand zu bestrei¬ fen, sondern um sich in gewisser Ferne von ihr zu halten, mithin jeden andern auch und so als eine nachruͤckende Mauer von ihr das Gedraͤnge abzuwehren. Doch druͤckte er unter dem Nach¬ gange sehr innig ihre Hand im — Brief an Klothar. Zu Hause sezt' er im Feuer, das fortbrann¬ te, diesen Strekvers auf: Die Unwissende. Wie die Erde die weichen Blumen vor die Sonne traͤgt und ihre harten Wurzeln in ihre Brust verschließ't — wie die Sonne den Mond bestrahlt, aber niemals seinen zarten Schein auf der Erde erblickt — wie die Sterne die Fruͤh¬ lingsnacht mit Thau begießen, aber fruͤh hinun¬ terziehen, eh' er morgensonnig entbrennt: so du, du Unwissende, so traͤgst und giebst du die Blu¬ men und den Schimmer und den Thau, aber du sieh'st es nicht. Nur dich glaubst du zu er¬ freuen, wenn du die Welt erquickst. O fliege zu ihr, du Gluͤcklichster, den sie liebt, und sag' es ihr, daß du der Gluͤcklichste bist, aber nur durch sie; und glaubt sie nicht, so zeig' ihr an¬ dere Menschen, der Unwissenden. Flegeljahre II . Bd. 9 Beim lezten Worte stuͤrmte Vult ohne Bin¬ de ungewoͤhnlich lustig herein. N ro . 26. Ein feiner Pektunkulus und Turkinite. Das zertirende Konzert . „Ich sehe!“ — rief der Floͤtenspieler mit einer Lustigkeit, worein sich Walt nicht schnell genug hinuͤberschaffen konnte. Er bat ihn, nur erst seine Augen-Kur anzuhoͤren; und dann zu sprechen, wovon er wolle. Walt war es am meisten zufrieden. „Es wird dir nicht bekannt sein — fieng Vult an — daß heute des Kapell¬ meisters Wiegenfest war; ob dir gleich aus dem guten Spiel aller Konzertisten bekannt werden konnte, daß sie sich noch fruͤher als den Zuhoͤrer berauschet. Die Konzertisten sind von Hunden, die vom Herrn nur kleine Stuͤcke, aber aus Furcht nie große annehmen, das Widerspiel — Der Wein des Kapellmeisters war ihr Antihy¬ pochondriakus geworden und sie hatten so viele Brunnenbelustigungen an diesem Wahrheitsbrun¬ nen getrieben, daß der Violoncellist seine Ba߬ geige fuͤr einen Himmel ansah; und die andern umgekehrt. Nun glomm ein schwacher Funke zum nachherigen Kriegsfeuer schon unter dem Essen durch das einzige Wort an, daß ein Deut¬ scher von einem deutschen großen Dreiklang sprach, worinn Haydn, sagt er, den Aeschylus, Gluk den Sophokles, Mozart den Euripides vorstel¬ le. Ein anderer sagte, von Gluk geb' ers zu, aber Mozart sei der Shakespear. Jezt mengten sich die Italier darein, zu Ehren des Kapellmei¬ sters, und sagten, in Neapel geige man dem Mo¬ zart was. In der kurzen Zeit, wo ich mir die Kasse in die Hand legen lasse — 60 Thaler hab' ich uͤbrig und hier hast du deine 10 — brach der Krieg wider die Unglaͤubigen in voͤllige Flam¬ men aus, und als ich hinsah, fochten beide Na¬ zionen schon auf Hieb und Stoß. Der Baßgeiger, ein Welscher, mochte zu¬ erst mit seinem Fidelbogen den Ellenbogen des Floͤtabec-Pfeifers im Feuer angestrichen, oder vielleicht auch auf solchen, wie auf eine Baß- Saite, piccicato geschlagen haben — um wohl Harmonie der Meinungen vorzulocken: — kurz, als ichs sah, hatt' der Pfeifer den Bogen von ihm entlehnt und an ihm solchen — das eigne Instrument sollte ganz bleiben — bald wie einen Stechheber, bald wie eine Streichnadel ver¬ sucht. Behend kehrte aber der Geiger den Baß um und rannte damit — er hielt ihn am Gei¬ genhals — wie mit einem Mauerbock auf den Pfeifer loß, wahrscheinlich um ihn um zu¬ rennen, der Fluͤte — a — bec cist lag denn auch nieder, nahm sich aber auf dem Boden erst der Nazion hitzig an, und fuhr dem Feinde mit der Flûte à bec ins Gesicht und Maul, um ihn vielleicht so mit dem Schnabel der Floͤte mehr an sich zu ziehen am eignen. Der erste Violinist und der zweite fochten eine kurze Zeit mit Pariser Bogen, nahmen aber bald die Geigen bei den Wirbeln als Streitkol¬ ben, als Faͤustel in die rechte Hand, um ent¬ weder Deutsch- oder Welschland hinauf zu brin¬ gen; das Resoniren der Geigenbaͤuche sollte ein Raisonniren der Koͤpfe vorstellen, aber es war wohl mehr Wort- und Ton-Spiel. Du weist, H. Huͤschen zu Frankfurt am Main hebt einen kostbaren Buͤschel Haare von Albrecht Duͤrer auf Meusels neue Miszell. art. Inhalts. 10 . Stuͤck. ; ein Amateur hielt ein Paar aͤhnliche herrliche Reliquien mit beiden Haͤnden in die Hoͤhe, in der einen die Peruͤcke, die er einem Saͤnger ausgerauft, in der andern das natuͤrliche Haar, was er darunter ange¬ troffen. Um den liegenden Schnabelpfeifer haͤufte sich das Hand-Gemenge dichter; der Violon¬ cellist suchte den Baß von weitem tief in ihn zu druͤcken, naͤherte sich aber dadurch dem heftigen Floͤtabek, womit sich der Deutsche wie mit einem Kopulirreiß, mit einer Fall- und Eselsbruͤcke an den Welschen anzuschliessen strebte. Den stehenden Sieger grif von hinten mit einem faulen Trommelbaß ein deutscher Zug¬ trompeter an — zur Schande der Deutschen; — den aber wieder ein welscher Bassethornist von hinten angrif — zur Schande der Welschen; — worauf sich der Deutsche gegen den Welschen umkehrte, so daß nun beide in kurzem so gluͤcklich waren, einander den Bruch, den sie sich sonst bliesen, jezt — um einen Bruch der Nazionen zu heilen — mit den Instrumenten zu stoßen, wenn ich recht sah. Ein feiger Stadtpfeifer grif in die Tasche und zog Mittelstuͤcke heraus, die er als Feld¬ stuͤcke von ferne auf die besten Koͤpfe warf, wor¬ auf ihm der Hofballetmeister mit dem Serpent, den er sonst blaͤset, zu Ohren kam. O Zwillingsbruder! wie wuͤnscht' ich saͤmmt¬ lichen Spizbuben zu ihrem Mord und Todtschlag Gluͤck! — Nur ein Virtuose, der den Gyges- Ring scheinbarer Blindheit anhat, kann sehen, wie ihn Orchester auslachen und auskeltern vom Kapelldiener an bis zum Kapellmeister, und wie sie, wenn er sie muͤhsam zum Spielen gewon¬ nen und gepresset, wieder ihrer Seits von ihm gewinnen und pressen. Meine einzige Angst un¬ ter dem Waffentanz war, man moͤge mein La¬ chen und Sehen sehen; ich krazte mir daher in einem fort als Deckmantel das Kinn. „Ich glaube warlich gar“ fieng der blinde Hofpauker neben mir an. „Freilich, freilich, mein Pauker! versezt' ich. Und zwar sehr wird mei¬ nes Wissens und Hoͤrens zugepruͤgelt — es soll eine schoͤne differtatiuncula pro loco zweier friedlichen guten Nazionen vorstellen, wenn nicht eine Sonate à quarante mains — Aber Him¬ mel warum schenkte das Gluͤck zu solchem rei¬ chen Ein- und Vielklang, zu solcher musikali¬ schen Exekuzion und Stangenharmonie nicht noch mehr Gewehr — Stangenharmonikas — Post¬ hoͤrner — Schulterviolen — d'Amour-Vio¬ len — gerade Zinken — krumme Zinken — Fla¬ geolettes — Tubas — Zittern — Lauten — Orphikas von Rollig — Coͤlestinen vom Kon¬ rektor Zink — und Klavizylinder von Chladni — sammt deren beigefuͤgten gehoͤrigen Spielern? — Wie koͤnnten diese nicht damit sich schlagen und jeden? Wie koͤnnte nicht gehaͤmmert, gestaucht, gesaͤgt, gepaukt werden, mein bester stiller Pauker?“ — Izt hatte die Pruͤgel-Partie ihre Bluͤthe er¬ reicht. Mehrere Stadtmusikanten und der Bratschift fasten, weil sie friedlich dachten, Notenpulte an und hielten sie umgekehrt vor, um sich blos zu zu decken, eh' sie damit rannten — ein Trom¬ peter sprang mit dem Instrument auf eine Fen¬ sterbruͤstung und stieß und blies ausser sich dar¬ ein, und in die Kriegsflamme, und schmetterte, herunter springend, fort, als ein Kerl ihn an der Quaste niederzog — Paukenschlaͤgel flogen auf Kopf- und andere Haͤute — ein Welscher band, weil der Bogen entzwei war, einem deut¬ schen Spielmann die Roßhaare von hinten wie eine Vogelschneuß um den Kahlkopf — der Fa¬ gotist und der Hoboist hatten einander an den linken Haͤnden, so daß sie tanzend in dieser be¬ quemen wie verabredeten Richtung, jeder des an¬ dern Ruͤckgrath und Mark darinn vor sich sahen und sich gegenseitig, wie Lauten, mit ihren In¬ strumenten, wie mit Faͤchern, schlagen konnten, die sonst bliesen — In die haͤrtesten Koͤpfe wur¬ de mehr Feuer hinein geschlagen, als heraus — Wer einen Kamm und einen Delta-Muskel be¬ saß, ließ beide schwellen, ohne naͤhere Ruͤcksicht auf Religion — Es kam eine betraͤchtliche Ver¬ einigung des Organischen und Mechanischen zu Stande, Ruͤckenwirbel und Geigenwirbel ver¬ knuͤpften sich, so Geigen- und sonstige Haͤlse, die Kunstwoͤrter Vor - und Nachschlag , Dreimalgestrichen , Haͤmmerwerk , Kalkant bekamen lebendige organische Bezie¬ hung, die ohne dieses sonst als flaches Wortspiel gaͤnzlich zu verwerfen waͤre — jede Hand wollte der Geigen-Frosch sein, der fremde Haare zu Toͤnen anziehet und spannt — — Ich wuͤnschte nicht, daß du lachtest; denn ganz furioͤs fuhr der ernstere Kapellmeister aus Neapel umher und herum — rief fanto Gen¬ naro — schrie fragend, ob das sein Wiegenfest sei oder ordentliche Ordnung — bewafnete sich, weil man ihm nichts darauf versezte, obwohl jedem etwas, mit einer Armgeige links, mit einem Waldhorn rechts — sezte und stauchte das Horn mit der weiten Oefnung siegenden Koͤpfen wie einen Stechhelm mit Feder-Bogen auf, doch so, daß er halb stieß — schlug aber fort mit der Armgeige nach Knie- und allen Scheiben, die er traf. Das muste zulezt den Klavizembalisten, de n Stadtterzius, ein Maͤnnlein, daß sich selber nicht einmal an die Knie geht, geschweige laͤn¬ gern Personen, dermaßen ausser Fassung setzen, Bruder, da der Mann auf Sitten drang, aber auf mildere, daß er halb des Teufels hinter sei¬ nem Fluͤgel mit einem Streit- und Stimmham¬ mer auf- und niederlief, und jeden verfluchte und Welsch- und Deutschland abkanzelte ganz frei. „„Was, Ihr dummer Teufel, Ihr Dampfhans, Ihr Schwengelgalgen! rief der Kapellmeister, habt Ihr Euch dazu besoffen bei mir?““ und wollte dem Terzius das Waldhorn aufsetzen, weil er geringen Unterschied darinn fand, ob er ihn damit anblies wie einen jagdgerechten Hirsch oder damit halb erstieß; aber mit Stimm- und Gesetzes-Hammer in den Haͤnden behaupte¬ te der Terzius den rechten Fluͤgel des Fluͤgels und der welsche Napler muste diesen erobern als einen Bruͤckenkopf. — — „Was bedeutet denn auf einmal das Lachen im Saal“ sagte der Pauker zu mir. „Herr, versezt' ich im Taumel, der Kapellmeister hat den kleinen Terzius unter dem Fluͤgel beim Fluͤ¬ gel erwischt und vorgezogen und haͤngt ihn jezt, wie ein paar Lederhosen, die ein Berliner trock¬ net, an den Beinen in die Luft.“ — „Was Donner, Herr,“ sagte zu meinem Schrecken der Pauker, „Sie sehen ja alles.“ — „Eben diesen Augenblik“, versezt' ich, raͤumte aber eiligst das Schlag- und Schlachtfeld, um nicht selber darauf angestellt zu werden. — — Und so hab' ich denn ganz unerwartet mein vo¬ riges Gesicht, obwohl noch ein aͤusserst kurzes, fuͤr Stadt und Land wieder erhalten durch galva¬ nische Schlaͤge von weitem. Aber, mein Waͤltlein, eine so koͤstliche Nun¬ ziaturstreitigkeit enharmonischer Konkordaten be¬ denk'! Ist es nicht, als habe einer meiner besten Genien uns die Schlaͤgerei als eine fertige Mauer mit Freskobildern fuͤr unsern Hoppelpoppel oder das Herz absichtlich so vor die Nase hingescho¬ ben, daß wir unser romantisches Odeon nur dar¬ auf hinzumauern brauchen, bis sich die Mauer gerade da einfuͤgt, wo es krumm laͤuft, Bru¬ der?“ „Wenn alle Personalitaͤten dabei auszutil¬ gen sind, — versezte Walt, — gut! Froher ists auch zu lesen als zu sehen. Gottlob, daß du nur siehst! — Ach was haben wir heute nicht zu reden, was gewiß in keiner Roman gehoͤrt und kommt?“ „Nicht? sagte Vult. Daruͤber ließe sich noch reden, Walt.“ N ro . 27. Spathdruͤse von Schneeberg. Gespraͤch . Walt kam am ersten aus dem Lachen zu sich, und zur ernsten Frage, wie Vult vor der Stadt seine Augen-Rolle jezt hinausspiele. „Ich ha¬ be, sagte Vult, — schon einigen Schimmer, dann bessert sichs zusehends, zulezt komm' ich mit ei¬ ner großen Kurzsichtigkeit davon.“ Der Notar bezeugte, wie er sich auf eine leichtere Zukunft freue, worinn sich das Leben wie eine bunte Blume weit aufthun wuͤrde. Er uͤbergoß den Virtuosen, in der Hoffnung ihn zu uͤberraschen, mit einem Fruͤhlings-Regen von wohlriechenden Wassern des Lobs auf die Floͤte. Allein fahren¬ de Ton-Meister, die man stets laut beklatscht, und nur hinter ihrem Ruͤcken auspfeift, sind fast noch eitler als Schauspieler, welche doch zuwei¬ len eine gute Monathsschrift kneipt und aͤrgert. „Ich darf mich — versezte Vult — wohl, ohne die Bescheidenheit zu verletzen, einiger Beschei¬ denheit ruͤhmen. Aber wie hoͤrtest du? Voraus und zuruͤck, oder nur so vor dich hin? Das Volck hoͤrt wie das Vieh nur Gegenwart, nicht die beiden Polar-Zeiten, nur musikalische Syl¬ ben, keine Syntax. Ein guter Hoͤrer des Worts praͤgt sich den Vordersaz eines musikalischen Pe¬ rioden ein, um den Nachsaz schoͤn zu fassen.“ Der Notar erklaͤrte sich daruͤber ganz ver¬ gnuͤgt; er theilte dem Flautisten die gewaltige Verstaͤrckung des Eindrucks mit, die er selber der Floͤte durch die Szenen-Traͤume, durch die Maͤdgen und durch Wina zugeschickt, ohne zu errathen, daß Vultens ganzes Gesicht an die¬ sem Lorbeer verzogen kaͤue, weil er den Unmuth seinem mangelhaften Strekvers zuschrieb, worinn der Virtuose las. Dieser hatte das Gedicht in der Hoffnung aufgenommen, es lobe keine an¬ dern Schoͤnheiten als musikalische. „Es ist, sagte der Notar stockend, an die Braut des Grafen; ich bin auch nicht zufrieden mit man¬ chem harten Fuß darinn, ich meine der Ditro¬ cheus (υ—υ—); (υυ—υ) dritten Paͤon und den Jonikus mit dem langen Anfang (——υυ); aber im Feuer wird man leicht hart .“ „Wie Pruͤgel, z. B., und Eier sagte Vult. Aber, o Gott, wie hoͤren deine Menschen! Sollte man nicht lieber seine Floͤte zum Blasrohr, oder zur Kinder-Klystierspruͤtze ansetzen oder zu Ho¬ belspaͤhnen fuͤr einen Sarg verschneiden, wenn man so die graͤßliche Besprizung des einzigen Himmlischen erfaͤhrt, das noch uͤber die Lebens- Spiesbuͤrgerei oben voruͤberfliegt: — Ich ziele nicht auf dich, Notar; aber du bringst mich darauf. Denn wie besonders Mu¬ sik entheiligt wird — obgleich jede Kunst uͤber¬ haupt, — das hoͤre. Tafelmusik lass' ich noch gelten, weil sie so schlecht ist wie Tafelpredigten, die man in Kloͤstern ins Kaͤuen hinein haͤlt; von verfluchten, verruchten Hofkonzerten, wo der heilige Ton wie ein Billardsack am Spieltische zum Spielen spielen und klingeln muß, red' ich gar nicht vor Grimm, da ein Ball in einem Bilderkabinet nicht toller waͤre; aber das ist Jammer, daß ich in Konzertsaͤlen, wo doch je¬ der bezahlt, mit solchem Rechte erwarte, er werde fuͤr sein Geld etwas empfinden wollen, allein ganz umsonst. Sondern damit das Klin¬ gen aufhoͤre ein paarmal und endlich ganz, — deswegen geht der Narr hinein. Hebt noch et¬ was den Spiesbuͤrger empor am Ohr, so ists zwei-hoͤchstens dreierlei, 1 ) wenn aus einem halbtodten Pianissimo ploͤzlich ein Fortissimo wie ein Rebhuhn aufknattert, 2 ) wenn einer, beson¬ ders mit dem Geigenbogen, auf dem hoͤchsten Seile der hoͤchsten Toͤne lange tanzt und ruscht und nun kopf-unter in die tiefsten herunter¬ klatscht, 3 ) wenn gar beides vorfaͤllt. In sol¬ chen Punkten ist der Buͤrger seiner nicht mehr maͤchtig, sondern schwizt vor Lob. Freilich bleiben Herzen uͤbrig, Walt, die delikater fuͤhlen und eigennuͤtziger. Ich habe aber Stunden, wo ich aufbrausen kann gegen ein Paar verliebte Baͤlge, die, wenn sie etwas Hohes in der Poesie oder Musik oder Natur vor¬ bekommen, so fort glauben, das sei ihnen so recht auf den Leib gemacht, an ihren fluͤchtigen Erbaͤrmlichkeiten, die ihnen selber nach einem Jahr bei noch groͤsserer als solche erscheinen, ha¬ be der Kuͤnstler sein Maas genommen und kom¬ me mit dem gestickten Kroͤnungsmantel und Isis¬ schleier auf dem Aermel zuruͤck, fuͤr die Kunden. Ein Affocié von Neupeter sieht bei solcher Ge¬ legenheit Nachts gen Himmel an die Milch¬ straße und sagt zur Kauffrau: Edle, so em¬ pfange jenen Kreis als einen schlechten Ring von mir zum Zeichen und Braut-Guͤrtel unseres himmlischen Bunds. „Ei, Bruder, sagte Walt, du bist so hart: was kann denn ein Mensch fuͤr eine Empfindung oder gegen sie, es sei in der Kunst oder großen Natur? — Und wo wohnen denn beide, so groß sie auch sind, als nur in einzelnen Men¬ schen? — Wohl mag er sie sich daher zueignen, als waͤren sie fuͤr ihn allein. Die Sonne geht vor Schlachtfeldern voll Helden — vor dem Gar¬ ten der Brautleute — vor dem Bette eines Ster¬ benden zugleich auf, ja in derselben Minute vor andern unter; und doch darf jeder nach ihr sehen und sie an sich heranziehen, als beleuchte sie seine Buͤhne nur allein und stimme ein in sein Leid oder in seine Lust; und ich moͤgte sagen, ge¬ rade so, wie man Gott so anruft als den seini¬ gen, indeß doch ein Weltall vor ihm betet. Ach sonst waͤr' es ja schlimm, wir sind ja alle ein¬ zelne.“ „Gut, so nehmt die Sonne hin, sagte Vult, aber nur der Paradiesesfluß der Kunst treib' eure Muͤhlen nicht. Darfst du Thraͤnen und Stimmungen in die Musik einmengen: so ist sie nur die Dienerin derselben, nicht ihre Schoͤpferin. Eine elende Pfeiferei, die dich am Todestage eines geliebten Menschen aus den An¬ geln hoͤbe, waͤre dann eine gute. Und was waͤ¬ re das fuͤr ein Kunst-Eindruck, der wie die Nes¬ selsucht sogleich verschwindet, sobald man in die kalte Luft wieder kommt? Die Musik ist un¬ ter allen Kuͤnsten die rein-menschlichste, die all¬ gemeinste.“ — — Flegeljahre II . Bd. 10 „Desto mehr besonderes geht hinein, versez¬ te Walt; irgend eine Stimmung muß man doch mitbringen, warum nicht die guͤnstigste, die weichste, da das Herz ja ihr wahrer Sangbo¬ den ist? — Aber deine Lehre will ich nicht ver¬ gessen, naͤmlich voraus- und zuruͤckzuhoͤren. „Wie giengs dir sonst? fragte Vult muͤr¬ risch? Denn ich bleibe dabei, Wirklichkeit in die Kunst zu knaͤten zum Effekt ist so eine Mischung wie an manchen Deckengemaͤlden, in welche der Perspektive wegen noch wirkliche Gyps-Figuren geklebet sind. Erzaͤhle!“ Walt — der Vults Murrsinn blos seiner unkuͤnstlerischen Hoͤrkunst zu¬ schrieb und uͤber welchen ohnehin die Liebe ihren Traghimmel hielt — erzaͤhlte sanft und gern, wie eifrig er bisher den Grafen gesucht, wie er ihm bei Neupeter, dessen Diner er beschrieb, ge¬ genuͤber gesessen — mit ihm gesprochen und an ihm gefunden, daß er durch die stolze Gewandt¬ heit seines Geistes und durch den philosophischen Schwung uͤber enge Blicke und Winke dem Floͤ¬ tenspieler so ungemein aͤhnlich sei. „Du liebst Doubletten, doch warlich hier sind keine, Freund, aber nur weiter!“ versezte Vult, dem, wie Frauen, kein Lob der Aehnlichkeit gefiel. Darauf zeigt' er Winas Brief-Umschlag her als Einlaßkarte in Klothars Zimmer und Ohr. „Ja, ja, ganz natuͤrlich — uͤberhaupt (fieng Vult an); aber nenne nur ins Henkers Namen nicht Spies- und Pfahlbuͤrgerinnen wie die Dlles Neupeter Damen; in grossen Staͤdten, an Hoͤfen giebts Damen, aber in Haslau nicht. Dein hoͤllisches Preisen! Ich will gehangen sein, sprichst du mehreren Mamsellen auf der Welt den Verstand ab als fuͤnfen, den 5 thoͤrigten im neuen Testamente. — Und was haͤltst du von der weiblichen Tugend dieser charmanten Wesen, der 5 klugen, der Rosenmaͤdgen, der Wickel- und Freifrauen und der ersten Saͤnge¬ rinnen? Aber ich weiß es schon.“ „Nun, ich scheue mich nicht — versezte der Notar — wenigstens dir meinem leiblichen Bru¬ der zu bekennen, daß ich bis diese Stunde keinen Begrif habe, daß ein vornehm gekleidetes schoͤnes Frauenzimmer sich suͤndlich vergessen koͤnne; et¬ was anders ist eine Baͤuerin. Gott weiß, wie heilig und zart alle insgeheim sind; wer wills wissen? Aber mein Blut, daß weis ich, koͤnnt' ich fuͤr jede hingeben.“ Da sprang der Flautist wie von Verwun¬ derung besessen im Zimmer auf und nieder, schnappte mit beiden Haͤnden wie mit Schnap¬ waifen, nickte mit dem Kopfe und wiederholte: „vornehm gekleidetes!“ — Es waͤre zu wuͤn¬ schen, daß die Leserinnen sein anstoͤßiges Erstau¬ nen wenn nicht rechtfertigen, doch entschuldigen wollten mit den Verhaͤltnissen, worein er auf seinen großen Reisen gerathen muste, da es, wie schon gemeldet worden, wenig groͤssere Staͤdte und hoͤhere Staͤnde gab, denen er nicht blies als anerkannter Floͤtenmeister. Das bessert seinen Handel um vieles. Walt wurde von der mimischen Widerle¬ gung sehr beleidigt: „rede wenigstens, sagt' er, denn dies widerlegt mich nicht.“ — Aber Vult versezte mit dem gleichguͤltigsten Tone von der Welt: de gustibus non und so weiter. Von etwas Schoͤnerem! Aeussertest du nicht vorhin etwas, als ob beide Dlles Neupeter sich in der That fuͤr haͤßlich ansaͤhen, und zeigtest ein Mit¬ leid?“ — „Desto besser, sagte Walt, wenn sie sich schoͤner finden. Bei allen Maͤdgen ent¬ schuldige ich das, weil sie sich nur im Spiegel sehen, mithin, wie du aus der Katoptrik wohl weist, gerade in einer noch einmal so großen Ferne als der Fremde sie; jede Ferne aber, auch die optische, macht schoͤner.“ „So scheints, sagte Vult erstaunt. Spas¬ ses halber will ich dir doch nur die 3 Weiber, so weit ich sie im Klatschrosen-Thal kennen ler¬ nen, aufstellen. Die alte Engelberta — nein, das ist die Tochter — die Mutter also, mag noch hingehen; ihr Herz ist ein ausgesessener Gros¬ vaterstuhl, und uͤbrigens hat sie von der Mu¬ schel-Auster nicht nur die Seele geerbt, sondern auch die Perlen. Freilich waͤre der Agent weni¬ ger bemittelt, so wuͤrde sie wohl, als Widerspiel der Oesterreicher Infanterie, die im Kriege aus den Zwilchkitteln Brodsaͤcke machen muß Gesezbuch fuͤr die kais. k. Armee. 1785. S. 248. , seinen Brodsack zu einem bunten Kittel verschnei¬ den. — — Engelberta, nun sie scherzt zuwei¬ len — viele nennens Verlaͤumden — wie Festun¬ gen bei schlimmem Wetter, so thut sie immer Ausfaͤlle, wiewohl man sie nicht eben belagert — wehrt sich, wie ein Hamster gegen einen Mann zu Pferde, und ich koͤnnte sie wie den Hamster am Stocke wegtragen, worein sie sich eingebis¬ sen. — Raphaela — sie empfinde, sagst du, aber doch nicht mehr als mein Fingernagel oder meine Ferse, frag' ich? Freilich will sie, ich be¬ kenne es, an der Angelschnur ihres sentimentali¬ schen Haar- und Leibesseiles und an der biegsa¬ men Angelruthe ihrer poetischen Blumenstengel sich einen huͤbschen Wallfisch von Gewicht aus dem Meere heben, was andere einen Ehemann nennen. An ihrem Ufer, zu ihren Fuͤßen schnalzt der kleine glatte Elsasser Flitte, der gern lebte und sich gern als ein Goldfischgen in einem Gehaͤu¬ se auf einer Tafel stehen saͤhe, Semmelkrumen aus schoͤnsten Haͤnden fressend. Die andern — Aber was solls? An der ganzen Tafel dauert mich nichts als der suͤdliche — Wein. Es ist Suͤnde, wenn ihn jemand anders trinkt als ein Kopf von Wiz. Es ist Suͤnde gegen den heili¬ gen Geist des Weins, wenn er Fracht-Maͤgen gemeiner Menschen durchziehen muß.“ „O Gott, sagte Walt, wie oft brauchst du nicht den Ausdruck gemeine Menschen, aber so erzuͤrnt dabei, als habe sich das Gemeine freiwillig von einer Hoͤhe herab begeben oder das Ungemeine von einer hinauf, indeß du doch mil¬ der von Thieren und Feuerlaͤndern sprichst?“ „Warum? — Mich erbittert die Zeit, das Leben, der Satan. Ueberhaupt; — aber was hilfts? — Gruͤße den Grafen von mir herzlich morgen. Von den ehrlichen 7 Erben haben dir doch ein Paar an nahe 32 Beete gestohlen, ganz gegen meine Meinung weniger als gegen deine. Inzwischen Adio!“ sagte Vult, schied hastig, uͤber den geringen Erfolg verdruͤßlich, womit er mit seiner Welt und Kraft den unerfahrnen Mei¬ nungen des sanften Bruders gebot. Walt sagte mit zaͤrtlichster Stimme gute Nacht, aber ohne Umarmung, und er sah ihn nur mit Lieb' und Trauer an. Er warf sich vor, daß er durch seine Urtheile den kuͤnstlerischen Bru¬ der so wenig belohnet, und daß er diesem die — Beete verloren habe. „Wenigstens aber hab' ich ihm doch, sagt' er, die Tafelschmaͤhungen gegen ihn An Neupeters Tische, wo er ihn kurz und stark vertheidiget hatte. verschwiegen. Er hielt es nur fuͤr erlaubt, ein Lob hinter dem Ruͤcken, nicht einen Tadel hinter dem Ruͤcken dem Gegenstan¬ de mitzutheilen. N ro . 28. Seehaase. Neue Verhaͤltnisse . Am Morgen eilte der Notar mit Winas Brief zum Grafen, uͤbergab aber nichts, weil vergoldete Wagen und Bediente an der Thuͤre und deren Herren im Besuchszimmer standen; was haͤtte ich davon? fragt' er sich. „Ich kom¬ me wieder, wenn niemand darinn ist“ sagt' er zum Bedienten, dem das wie eine Diebs-Erklaͤ¬ rung klang. Im Speisehause fand er auf dem Tischtu¬ che das Wochenblatt und Klothars gedruckte Bitte darinn, ein redlicher Finder soll' ihm sei¬ nen Brief wieder zustellen. Am Tische hoͤrt' er, daß der General Zab¬ locki seinen Koch ein Dienstjubileum feiern lasse. Der Komoͤdiant leitete die Feier aus dem Herzen des Generals, ein Offizier aus dessen Gaumen und Magen her; der Jubelkoch, fuͤgt' er bei, ist ihm so nahe wie eine Kompagnie oder sein Schwiegersohn. Walt lief wieder in die Villa des Grafen hinaus — Dieser aß eben bei dem General. Zu erklaͤren ist allerdings einer der keckesten Gedanken — die je Walten Sporen und Fluͤgel angesezt, — welcher ihm unter Klothars Gar¬ tenthuͤre anflog; so bald man erwaͤgt, daß er das Sonntags-Konzert noch im Kopfe haben muste und im Herzen ohnehin. Daher ist es wohl nur ein Nebenumstand dabei, — aber er trug mit bei, — daß der General der halbe Besizer von Elterlein war und Gott¬ walt ein Linker. Gleichwohl wollt' er an¬ fangs sich erst mit seinem Bruder berathen, ob er angehe, der Gang; ließ es aber unter Wegs, um ihn, hoft' er, Abends mehr mit der Nach¬ richt zu fassen und aufzuruͤtteln, daß er ganz kuͤhn beim polnischen General gewesen, um Winas Brief an dessen Schwiegersohn auszu¬ liefern. Sehr spaͤt brach er dahin damit auf, um nicht ins Essen zu fallen. Auch sollte jeder Mensch gegen Abend — naͤmlich nie gegen Mor¬ gen, wo der Geist noch den Koͤrper und das Gestern verdauet — mit Gesuchen und sich zu Großen kommen, welche er vielleicht alsdann halb betrunken und halb-menschlich, es sei vom Mittags-Essen oder Mittags-Trinken, zu fin¬ den hoffen darf. Auf dem Wege dahin wallete Gottwalts Herz wie ein angewehtes Blumenbeet bei dem Gedancken auf, daß er dem Hause zu¬ gehe, worinn Wina so lange als Kind und Jung¬ frau gelebt. Auf der lezten Gasse must' er mit dem Plane der Uebergabe ins Reine kommen. „Anders, sagt' er sich, kanns doch nicht gehoͤrig delikat ausfallen, als wenn ichs so mache, daß ich mich beim General — denn der Graf ist doch nur der Gast — ordentlich melden lasse, mich dann entschuldige und sage, daß ich dem H. Grafen etwas in einem Seiten-Zimmer zu uͤbergeben habe, dieser und seine Braut moͤgen nun dabei stehen oder nicht; und dabei seh' ich doch auch einmal einen General, ja einen pol¬ nischen.“ Sehr sucht' er sich unterwegs keine andere Freude vorzuhalten als die, einen Gene¬ ral zu hoͤren. Drei Viertel-Stunden hatt' er einmal in Leipzig am Hotel de Baviére ge¬ lauert, um einen Ambassadeur einsteigen zu se¬ hen. Denselben Durst hatte sein Herz nach dem Anblick eines preussischen Ministers. Dieses Triumvirat war ihm der Dreizak der Gewalt, der Feinheit und des Verstandes; feinere Tour¬ nuͤren als die sind, womit dieser Staats-Tri¬ dent guten Morgen, guten Abend und alles sa¬ gen werde, (indeß ohne Blumen) konnt' er nicht wohl fuͤr moͤglich halten, weil er glaubte sie de¬ nen gleich setzen zu koͤnnen, womit Louis XIV und Versailles auf die Nachwelt kamen. Nur drei Personen, gleichsam Kuriazier, stellt' er die¬ sen drei Horaziern entgegen und sogar voraus — deren Gemahlinnen; oft lies er besonders eine Ambassadrice durch seinen Kopf gehen, welche es war, eine russische, daͤnische, franzoͤsische, englische ꝛc. — „Bei Gott, sagt' er, sie ist ganz „Goͤttin sowohl in Betref der zartesten Ausbil¬ „dung und Tugend, als des feinsten Teints, „Gesichts und Anzugs: — aber warum hab' „ich armer Teufel noch keine Ambassadrice zu „Gesicht bekommen?“ Endlich stand er vor dem Zablockischen Pal¬ last. — Die Auffahrt und das Ketten-Gehenke an Pfeilern waren neue Siebenmeilenstiefel fuͤr seine Phantasie; er freute sich auf die Nacht, wo er diese gespannte bange Stunde auf dem Kopfkissen frei und ruhig beschauen und behan¬ deln werde. Er trat in den Pallast, er sah rechts und links breite Treppen mit Eisenge¬ laͤndern, — große Fluͤgelthuͤren — sogar einen rennenden Mohr mit weissem Turban — gepuz¬ te Menschen giengen herab, heraus, hinein — Thuͤren wurden oben auf und zugemacht — Treppen berennt. Schwer wars fuͤr einen No¬ tar, sich einen Menschen auf der Hausflur aus¬ zusuchen, dem die Bitte vorzutragen war, daß er zum General wolle. Eine Viertelstunde stand er, hoffend, ei¬ ner der Leute wende sich an ihn und frag' ihn, und entwickle dann alles ; — aber man lief vor¬ uͤber. Zulezt spazierte er frei in der Hausflur auf und nieder — einmal eine halbe Treppe hin¬ an — hielt sich die groͤsten Maͤnner aus der Weltgeschichte vor, um einen lebendigen besser zu handhaben — und bracht' es endlich zu ei¬ ner Frage nach dem General an ein Maͤdgen. Sie wies ihn an den Portier. Der Him¬ mel hat oͤfter eine Vorhoͤlle als einen Vorhim¬ mel — troͤstet' er sich — vielleicht die ganze ge¬ lehrte Vorwelt hat schon auf aͤhnlichen Pallast- Fluren geschwizt. Eine Himmelsthuͤre that sich ihm auf; heraus trat ein aͤltlicher gepuderter ver¬ druͤßlicher Mann, der ein breites Gehaͤnge uͤber dem Leib und einen Stock mit einem schweren Silber-Giebel trug. Walt, ganz unvermoͤ¬ gend, das lederne Bandelier fuͤr etwas anders zu halten, als fuͤr ein Ordensband und den Por¬ tier-Stab fuͤr einen Kommando- und Gene¬ ralstab und den Portier fuͤr den General, mach¬ te ohne viele Umstaͤnde einige Verbeugungen und naͤherte sich dem Thuͤrsteher hoͤflich mur¬ melnd. „Das hilft alles nichts — sagte der Por¬ tier — gegenwaͤrtig schlafen Exzellenz, man muß sich gedulden. .“ — — Aber niemand braucht aus Walts Ver¬ wechslung viel zu machen, wenn man so viel von der Welt gesehen, daß — keine moͤglich ist, — sondern daß jeder vornehme Inhaber eines Thuͤrhuͤters selber wieder einer ist, nur an einer hoͤhern Thuͤre, entweder an einer kaiserlichen, koͤniglichen, fuͤrstlichen Gnaden- oder an einer Fallthuͤre, entweder als Klopfer, der das Her¬ einwollen, oder als Klingel, die das Hereinkom¬ men ansagt, und jeder wie Janus als Schwel¬ len-Gott ein anderes Gesicht gegen die Gasse kehrend, ein anderes gegen das Haus. — Sind manche gute Gemuͤther nur Portiers an blinden Thoren: so stecken sie doch ihren Sperrgroschen von Proselyten des Thors so gut ein, wie die schlimmsten, die wenigstens den Janustempel wie eine oͤffentliche Bibliothek gern oͤffnen. Sehr roth trat der Notar in das lustige Do¬ mestickenzimmer, das Geiselgewoͤlbe eines duͤrf¬ tigen Gelehrten. Bediente sind parasitische Men¬ schen an Menschen, Doͤrfer, wo auf den Brie¬ fen die naͤchste Poststazion angezeigt werden muß. Doch die Zablokischen waren gut gelaunt, und schoͤn-betrunken vom Kuͤchen-Jubel; — Walt saß unbeunruhigt da. Wo ist der Bonsoir , Freund? fragte ein eintretender Lakai. Walt glaubte sich gemeint und den Abendgruß ver¬ misset, nicht aber den Licht-Toͤdter; er versezte frisch: bon soir , mon cher ! In der That kam es endlich dahin, daß ein Bedienter vor ihm vorausgieng und er hinterdrein, durch Vorsaͤle voll langer Kniestuͤcke — uͤber glatte Zimmer weg — und endlich vor ein Kabinet, das der Bediente zwar auf- aber erst zumachte, da er hinein war, bevor ers ihm aufthat. Der General, ein stattlicher, maͤnnlich¬ schoͤner, starck genaͤhrter, laͤchelnder Mann fragt' ihn mit freundlicher Mine und Stimme, was Monsieur Harnisch wuͤnsche. „Exzellenz, ich wuͤnsche — fieng er an und hielt die Wiederhoh¬ lung des Zeitworts fuͤr Welt, — dem Hrn. Grafen von Klothar einen verlornen Brief zu uͤbergeben, da ich ihn hier zu finden hoffe. „ Wen “ fragte Zablocki. „ Den H. Grafen von Klothar“ versezte Walt. „Wollen Sie mir „den Brief vertrauen, so kann ich ihn sogleich „uͤbergeben?“ sagte Zablocki. Der Notar hatte sich viel schoͤnere Entwicklungen versprochen; jezt lief alles fast auf nichts hinaus; dem Vater must' er den Brief der Tochter abstehen und lassen. Er thats, da der Umschlag entsiegelt war, mit den feinen Worten, „er bring ihn so offen als er ihn gefunden.“ Er wollte damit vielerlei leise andeuten, — seine eigene Recht¬ schaffenheit, ihn nicht gelesen zu haben, sein Erwarten der Nachahmung und noch allerhand Gefuͤhle. Der General stekte ihn nach einem leichten Entzifferungsblik auf die Ueberschrift, gleichguͤltig ein und sagte, er habe soviel Schoͤ¬ nes uͤber seine Floͤte gehoͤrt, er wuͤnsche sie selber einmal zu hoͤren. — Große sind eben so verge߬ lich als neugierig; doch konnt' es Zablocki auch thun, um reden zu hoͤren. Walten wars angenehm, zu berichtigen: „ich wuͤnschte — sagt' er fein — ich wuͤrde nicht verwechselt, oder vielmehr (fuͤgt' er bei, da ihm das gerade einen zweiten ganz entgegen¬ gesezten Sinn geben wollte) ich koͤnnt' es wer¬ den.“ — Ich verstehe Sie nicht, sagte der Ge¬ neral. Walt entdeckte ihm kurz, er sei aus des¬ sen elterleinischen Territorium gebuͤrtig und sein Vater sei der Schulz. Jezt glaubte er an Zab¬ locki den wahren menschenliebenden Menschen- Dulder ganz zu erkennen, als dieser sich des Schulzen, der so oft als ein Mauerbok sich an dessen Gerichtsstube die Hoͤrner abgestoßen, viel¬ mehr mit den freundlichsten Minen und sogar der van der Kabelschen Erbschaft entsann, ja theilnehmend eine genauere Geschichte derselben zu hoͤren begehrte. Die lieferte Walt, gern, nett und heiß; indeß halb schwindelte er vor Freude, wenn er von der Hoͤhe und Spitze in die Doͤrfer hinunter sah, auf der er neben einem Großen stand und ihn so lange anreden, und sich gut ausdruͤcken durfte. Mit Freuden haͤtt' er fuͤr ein so menschenliebendes Herz, das er nie im Verband eines Ordensbandes gesucht hatte, Flegeljahre II . Bd. II einen Zacken oder Stein aus der polnischen Kro¬ ne ausgebrochen, oder diese fuͤr den schoͤnen Kopf zugeschmolzen, um durch ein Praͤsent damit er¬ kenntlich zu sein. In etwas druͤckt' er seine Lie¬ be — weil er nichts naͤheres hatte, die Blicke ausgenommen — streichelnd auf dem Kopfe ei¬ nes Wind-Hunds aus, der sich hochbeinig an seine Schenckel anpreste. „Haben Sie eine franzoͤsische Hand?“ frag¬ te der General auf einmal und schob ihm ein Pa¬ pier vor zu einem Probeschuß. Walt sagte: „er verstehe es leichter zu schreiben, in mehr als ei¬ nem Sinn, als zu sprechen, und verdanck' es seinem Lehrer.“ Allein welchem Worte er unter so vielen Tausenden, die Gallien hat, das Schnupftuch zuwerfen sollte, daß wust' er schwer, da das Wort doch etwas vorstellen sollte. — „Was Sie wollen“ sagte endlich Zablocki. Er sann aber fort. „Das Vater Unser“ sagte je¬ ner. In der Geschwindigkeit konnt' ers unmoͤg¬ lich uͤbersetzen. „Vorzuͤglich, fuhr der General fort, als jener noch nachdachte, wuͤrd' ich auf rein fran¬ zoͤsische Endbuchstaben sehen, dergleichen wie Sie wissen, s, x, r, t, p, sind.“ Walt ver¬ stand die franzoͤsische Benennung dieser Lettern nicht recht, aber sehr wohl das franzoͤsische Cam¬ nephez Dieses Wort fasset die hebraͤischen Buchstaben in sich, die am Ende groͤßer und anders geschrieben werden. ; Schomaker, der Jahre lang keinen gallischen Dialog und Brief zu machen hatte — erstlich weil dazu stets eine zweite Person gehoͤrt, zweitens weil auch eine erste erforderlich ist, er aber gar nichts davon verstand — dieser Kan¬ didat hatte aͤcht- franzoͤsische Handschrift und Aussprache vermittelst dergleichen Kaufmanns¬ briefe und Reisediener zu einer so ausserordent¬ lichen Hoͤhe hinauf getrieben wie vielleicht ausser Hermes und einem zweiten Romancier, kein Au¬ tor von Gewicht ohne Stand. Und Walt hat¬ te beides bei ihm erlernt. „O vortreflich! — sagte der General, als endlich jener Winas franzoͤsische Adresse an Klo¬ thar probierend hinschrieb — Recht gut ja! — Nun hab' ich ein ziemliches Paquet franzoͤsischer Briefe uͤber Einen Gegenstand auf meinen Rei¬ sen gesammlet — von verschiedenen alten und neuen Personen, — welche ich sehr gern in Ein Buch abgeschrieben saͤhe, da sie sonst leicht sich verspringen. Wenn Sie denn taͤglich an dem Buche — mémoires érotiques mag es heissen — Eine Stunde — hier in meinem Hause — schrie¬ ben“ . . . . „Exzellenz — stotterte Walt mit blizenden rednerischen Augen — wenn uͤber den zaͤrtesten Gegenstand kein Ja zart genug sein kann“ — — „Gehts nicht?“ fragte der General. — „O am besten, versezte jener, und jede Minute.“ — „Ich werde, sagte Zablocki, die Briefe zusam¬ mensuchen und Ihnen die Kopier-Stunde naͤch¬ stens bestimmen lassen.“ Darauf machte Zab¬ locki den vornehmen Entlassungs-Buͤkling, Walt macht ihn leicht zuruͤck, und harrte lange auf weitern Verfolg, bis er endlich — da der Gene¬ ral sich umstellte und durchs Fenster gukte — den Abschied, dessen Schnelle er schwer mit dem warmen Gespraͤche paaren konnte, heraus brach¬ te durch Ueberlegung. Jezt must' er etwas su¬ chen, was eben so schwer zu finden war als vorhin der Eingang, nehmlich der Ausgang am glatten Kabinet. Keiner wollte vorstechen. Leise uͤberstrich er mit den Haͤnden die fugenlosen Wandtapeten, weil er sich schaͤmte, zu fragen, wie er herein gekommen. Ueber drei Waͤnde glitt er mit dem Buͤgel der Hand, bis er end¬ lich in eine Ecke auf ein goldenes Kreuz einer Thuͤre grif. Er dreht es mit Vergnuͤgen um und es that sich ein Wandschrank auf, worinn Winas himmelblaues Konzert-Kleid lang und nahe nieder hieng. Staunend gukte er hinein und wollte noch lange davor erstaunen, als sich der General, der das Handstreicheln und Glaͤt¬ ten vernommen, endlich umdrehte und ihn vor dem Schranke mit dem Schauen halten sah: „ich wollte hinaus“ sagt' er. „Das geht hier “ sag¬ te Zablocki und oͤfnete eine Thuͤre, wo das wirk¬ lich zu machen war. Das Schicksal mag ihm absichtlich die klei¬ ne Schamroͤthe auf seinen Sieges-Weg mitge¬ geben haben, um damit einigermaßen das Be¬ wustseyn zu daͤmpfen, womit er so mit Ehren¬ medaillen und Bassas Roßschweifen behangen so muthig durch Zimmer und Haus marschirte, daß er sich auf der Straße mit einigen maß, die, wie er, zu Fuße kamen von Hof. Indeß hatte er alle Welt lieb und verbarg sich am we¬ nigsten, wie mancher dahin gehe, der ohne Schuld solche Erhebungen nie erlebe. Daraus messe die Welt ab, wie vollends ein duͤrftiger Lieutenant, der Sonntags seine seidenen Beine unter der Hoftafel gehabt, um 4¼ Uhr, mit dem Kurial-Kraͤzer und der Champagner-Folie im Kopfe, nach Hause gehen mag, mit welchem Selbst-Bewustseyn, meint man; Julius Zaͤsar selber kann dem Ortshalter aufstossen und dieser wird blos fragen: Jul, aber woher koͤmmst denn du, wuͤste Fliege? Mit groͤster Sehnsucht, vor allen Dingen auf Vults Tisch einige schwache Zeichnungen der heutigen Kroͤnungsstadt und Ehrenpforte zu le¬ gen, klopfte Walt an dessen Thuͤre; sie war zu und mit Kreide stand daran: hodie non le¬ gitur . N ro . 29. Grobspeisiger Bleiglanz. Schenkung . Nach einigen Tagen kam der Gaͤrtner von Alcinous Gaͤrten — denn das war Walten Klo¬ thars Kutscher — und lud ihn in die Villa ein. Der Notar hatte kaum in groͤster Eile ein gan¬ zes Philadelphia der Freundschaft auf einer Freundschaftsinsel gebauet und ein Sortiment Lorenzosdosen gedreht — weil er die Einladung fuͤr einen Lohn der Brief-Gabe nahm — als der Eden-Gaͤrtner die Treppe wieder herauf kam und durch die Thuͤr-Spalte nachholte: „er solle was zum Verpetschieren einstecken, es waͤren Notarius-Haͤndel.“ Indeß wars in jedem Falle etwas. Er traf als Notarius im reichen Landhaus Klothars zu¬ gleich mit dem Fiskal Knol ein. Aber als er die vergoldeten Quartanten, die vergoldeten Wandleisten und das ganze Wohnzimmer des Luxus uͤbersah: so ruͤkte die eigne Wohnung den Grafen weiter von ihm weg als die fremden bis¬ her. Klothar fuhr, ohne aus beiden Ankoͤmm¬ lingen viel zu machen, im Streite mit dem Kir¬ chenrath Glanz und dessen flachem Tolerieren so fort: „der Wille arbeitet den Meinungen mehr vor als die Meinungen dem Willen; man gebe mir eines Menschen Leben, so weiß ich sein Sy¬ stem dazu. Glaubens-Duldung schloͤsse auch Handelns-Duldung in sich ein. Ganz tolerant ist daher niemand, Sie sind es z. B. nicht gegen Intoleranz.“ Glanz gab Recht, blos weil sein Ich beschrieben wurde. Aber der Notar stellte — weil er ohnehin muͤßig stehen muste — den Ein¬ wand auf: „ganz intolerant ist auch kein Mensch, kleine Irrthuͤmer vergiebt jeder ohne es zu wis¬ sen. Aber freilich sieht der Eingeschraͤnkte, gleich¬ sam im Thal wohnende, nur Einen Weg; wer auf dem Berge steht, sieht alle Wege.” „Ins Zentrum giebts nur Einen Weg, aus dem Zentrum unzaͤhlige, sagte der Graf zu Glanz. Wollen Sie indessen sich an meinen Sekretair setzen H. Notar, und den gewoͤhnli¬ chen Eingang zu einem Schenckungs-Instru¬ ment fuͤr Fraͤulein Wina von Zablocki in meinem Namen machen? Ich heiße Graf Jonathan von Klothar.“ Die Namen Jonathan und Wina zitterten dem Notar wie Apfelbluͤthen auf die Brust herab. Er sezte sich und schrieb voll Lust: „kund und zu wissen sei jedermann durch diesen offenen Brief, daß ich Graf Jonathan von Klo¬ thar heute den“ — — Walt fragte den Juri¬ sten, um den wie vielsten: „Der 16“ sagte die¬ ser. Hoͤflich nahm er keinen neuen Bogen, sondern schabte am Schreibfehler des alten lange. Un¬ ter dem Schaben konnt' er auf des magern haa¬ rigen Knols Vorlesung uͤber Ehekontrakte hinhoͤ¬ ren, neben welchem der schoͤne Graf ihm wie der edle Hugo Blair in der Jugend, dessen Geist¬ erhebende Predigten seine Fluͤgel und seine Him¬ mel zugleich gewesen, vorkam. Ein Kontrakt zwischen Wina und Jonathan — ein eigensuͤchti¬ ges do ut des — war ihm eine widrige wi¬ dersprechende Idee, da man wohl mit dem Teu¬ fel einen Pakt macht, aber nicht mit Gott. Er benuzte das Wegschaben des Datums als eine freie Sekunde und sagte (eben so keck, wenn ihm etwas rechtes einfiel, als bloͤd' im andern Falle:) „ob ich gleich ein Jurist bin, H. Fiskal, und ein Notar, so bedauer' ich bei jedem Ehe-Kon¬ trakt, den ich machen muß, daß die Liebe, das Heiligste, Reinste, Uneigennuͤzigste, einen gro¬ ben juristischen eigennuͤzigen Koͤrper annehmen muß, um ins Leben zu wirken, wie der Son¬ nenstrahl, der feinste, beweglichste Stoff, mit der heftigsten Bewegung nichts regen kann ohne Ver¬ mischung mit dem irdischen Dunstkreis.“ Knol hatte mit saurem Gesicht nur auf die Haͤlfte des Perioden gehoͤrt; der Graf aber mit einem gefaͤlligen: „ich lasse, sagt' er, aber mit sanftester Stimme, wie schon gesagt, keine Ehestiftung machen, sondern nur ein Schenkungs- Instrument.“ Da trat ein Bedienter des Ge¬ nerals mit einem Briefe ein. Klothar schnitt ihn aus dem Siegel — ein zweiter, aber entsiegelter lag darinn. Als er einige Zeilen im ersten gele¬ sen, gab er dem Notar ein schwaches Zeichen ein¬ zuhalten. Den eingeschlossenen macht' er gar nicht auf; Walten kam er sehr wie der von ihm gefundne vor. Mit leichtem Kopfnicken verab¬ schiedete Klothar den Boten; aber auch mit einer Bitte um Vergebung das Zeugenpaar und den Notarius: „er sei zweifelhaft, sagt' er, ob er jezt fortfahren lasse; aber da ers sei, so lass' er lieber nicht.“ — Einige Schatten von innern Wolken flogen uͤber sein Gesicht. Walt sah zum erstenmale einen geliebten Menschen, noch dazu ei¬ nen Mann, in verhehlter Bekuͤmmerniß — und die fremde besiegte wurd' in ihm eine siegende. Eigennuͤtzig waͤr' es jezt, dacht' er, nur daran zu erinnern, (wie er anfangs gewollt,) daß er den Brief gefunden und gegeben; desgleichen wahrhaft grob, nur darnach zu fragen, ob der Schwiegervater solchen ausgehaͤndigt. Beym Abschied wollte der Graf ihm etwas haͤrteres in die Hand druͤcken als seine eigne. „Nein, nein,“ stotterte Walt. „Meine Verbindlichkeit, sagte der Graf, ist dieselbe, Freund ,“ — Ich neh¬ me nichts an, als die Anrede!“ sagte Walt, wurd' aber wegen seines Ideen-Sprungs wenig verstanden. Klothar drang verwundert und halb beleidigt in ihn. „Aber meinen Bogen naͤhm' ich gern“ sagte Walt, weil es ihm so wohl ge¬ than, darauf zu schreiben: ich Jonathan von Klothar. — „H. Graf, sagte Knol, der Bogen gehoͤrt wohl uns 7 Erben, schon wegen der Ra¬ sur;“ und wollt' ihn nehmen. „Sie sei ja ein¬ gestanden, o Gott!“ sagte Walt erzuͤrnt und behauptete den Bogen — ein zorniger Tropfe und Blick entbrannt' in seinen blauen Augen — diesen zu entschuldigen, druͤckt' er eilig Klothars Hand und floh davon, um sich zu troͤsten und andern zu vergeben. „Ach, dacht' er unterwegs, wie weit ists von einem aͤhnlichen Herzen zum andern! Ueber welche Menschen, Kleider, Ordenssterne, Tage geht nicht der Weg! Jonathan! ich will dich lieben, ohne geliebt zu werden, wie ich deine Wina liebte; es ist mir vielleicht moͤglich; aber ich wuͤnschte doch dein Portrait.“ N ro . 30. Mispickel aus Sachsen. Gespraͤch uͤber den Adel. Der Notar verlor jeden Tag seinen Bruder einmal. Er konnte dessen Verschwinden nicht fassen; die Sonnenfinsterniß des Schmolgeistes war ihm eine unsichtbare. Bald hielt er ihn fuͤr ersoffen — bald fuͤr verreiset — bald fuͤr entlau¬ fen — bald fuͤr begluͤckt durch ein seltenes Aben¬ theuer. Er suchte den zweimal besiegelten Brief mit der Unsichtbarkeit zu kombiniren und rech¬ nete einige Hoffnung heraus. Immer macht' er die Betrachtung, wie wenig auch die besten Ge¬ winn- und Verlust-Rechnungen von der Zu¬ kunft in der dunckeln Rechenkammer, die uns verhangen ist, bestaͤtigt werden! Welche freudige glaͤnzende Bilder hatt' er sich nicht schon weit in seine Zukunft hineingestellt, welche Bilder da¬ von, wie er mit seinem Bruder in taͤglicher Aus¬ wechselung wachsender Empfindungen und Ideen und Bekanntschaften leben und mit wenigen Frei- Maͤuerer-Zeichen der Verwandschaft den Gra¬ fen in den feurigen Bund hinein ziehen werde, indeß aus allen, nichts wurde als die gedachte Betrachtung! — Aber schon bei dem pelopon¬ nesischen Kriege — und uͤberhaupt in der Ge¬ schichte der Voͤlker sowohl als seines Lebens — hatt' er zuerst bemerkt, daß in der Geschichte — was sie einem, alles motivierenden Dichter der Einheit ordentlich zum Eckel macht — so unend¬ lich wenig Systematisches in Leid oder Freude vorfalle, und daß man eben darum bei der fal¬ schen Voraussetzung einer truͤben oder lichten Konsequenz seine oder fremde Zukunft so schlecht errathe; denn uͤberall werden im histori¬ schen Bildersaal der Welt, aus den groͤsten Wol¬ ken kleine, aus den kleinsten große — um die groͤsten Sterne des Lebens ziehen sich dunkle Hoͤfe — und nur der verhuͤllte Gott kann aus dem Spiel des Lebens und der Geschichte einen Ernst erschaffen. Die Botenfrau aus Elterlein brachte Wal¬ ten folgendes Briefgen vom Bruder: „Morgen Abends komm' ich, geh mir ent¬ gegen. Eben schneidet deine Mutter einer Bet¬ lerin Brod vor; denn ich bin in Elterlein im Wirthshaus. Ich habe seitdem in einigen bedeutenden Marktflecken geblasen fuͤr Geld; es wachsen frei¬ lich mehr Graͤser als Blumen, doch heben jene diese, ich rede von Menschen. Es wird dir an¬ vertraut, daß ich vor meiner Abreise aus Haslau so verstimmt war, wie eine Wind-Harfe oder wie die Glocke einer Brockenkuh. Ich weiß nicht, wovon; ich wollt' aber, ein bedeutender Freund, oder gar du haͤttest meine Saiten so durch einan¬ der geschraubt, kurz einer von euch beiden haͤtte mich ein wenig beleidigt und meinen Schmolgeist zitirt. Ich wuͤrde mich — das haͤtte mich wie¬ der ausgestimmt ohne Verlust von 32 Saiten oder Zaͤhnen — mit ihm tuͤchtig uͤberworfen haben; ich haͤtte haͤslich gedonnert, gehagelt, gewettert; das macht, wie gesagt, gutes Blut. Denn nichts ist schaͤdlicher, Notarius, so wohl in Ehen als Freundschaften feiner Seelen, als ein langer unaufgeloͤseter Verhalt auf einem Miston bei einem wechselseitigen fortwaͤhrenden Zusammenstimmen in allen zaͤrtesten Pflichten, so daß die Narren sich abstoßen, ohne sonst zu verstoßen; da doch solche Seelen in jeder bedeu¬ tenden Spaltung auf nichts so eifrig denken soll¬ ten, als sie bis zum rechten Zanke zu treiben, worauf sich Versoͤhnen von selber einstellte. Der Braunstein liefert bei maͤßiger Erhizung Stik¬ gas; aber zwing' ihn zum Gluͤhen, so haucht er ja Lebensluft. Aus der Knallbuͤchse fliegt der Pfropf nicht anders heraus, als durch einen zweiten. Zum Gluͤck koͤnnen wir beide jeden Hader entrathen, sogar den staͤrksten. Doch zuruͤck zu kommen — ich bekam bald Luft, sobald ich nur im Freien war und ritt und blies, und schrieb. Ertraͤgliche Sachen und Schwanzsterne sezt' ich fuͤr unsern Hoppelpoppel oder das Herz theils auf dem Sattel auf, theils sonst. Warlich ich wurde dir ganz gut; deswegen glaub' ich, konnt' ichs ordentlich nicht lassen, sondern muste nach Elterlein. Ich dachte: „Dein Freund ist doch da so gewiß ans Licht gekommen, und sei¬ ner desgleichen,“ und was man so sagt, wenn man denkt. Ein lang verschobenes Werk konnt' ich da verrichten. Da ich, wie ich dir oͤfters gesagt, dem entlaufenen jungen Harnisch Vult mit sei¬ ner Floͤte mehrmals aufgestoßen: so konnt' ich dem alten Schulzen schoͤne Nachrichten und Brie¬ fe vom Wildfang geben. Ich ließ den Vater ins Wirthshaus kommen. „Der und der Edel¬ mann sei ich (sagt' ich dem staunenden Manne,) und sein Sohn sei mein Intimer — er befinde sich wohl auf den Postwagen, wo man ihn ausser den Konzertsaͤlen zu suchen habe — es geh' ihm so gut wie mir selber — er wuͤrd' ihn nicht kennen, staͤnd' er vor ihm da, so schoͤn veraͤn¬ dert sei er, schon mit der volljaͤhrigen Stimme, deren Diskantschluͤssel der Bart dadurch abgedreht worden, daß er selber einen Bart bekommen — und er lass' ihn gruͤssen.“ — Er versezte, es freue ihn uͤber die Maaßen, daß ein solcher braver Herr wie ich, gut auf seinen Hallunken von Sohn zu sprechen sei und es widerfahre ihm und dem Flegel eine wahre Ehre. Ich warf noch einiges ein, zur Entschuldigung des guten abwe¬ senden Menschen und reicht' ihm zum Behal¬ ten den bewusten Brief desselben aus Bayreuth an mich, worinn er, einige musikalische Klagen uͤber die dasigen Ohren ausgenommen, fast blos von seiner geliebten Mutter spricht. „Auch des¬ sen Herrn Bruder, jetzigen Notar, kenn' ich sehr wohl“ fuͤgt' ich bei und schlug vor seiner Nase einen schwachen Riß von deinen Hoͤhen und Tie¬ fen auf: „mehr nicht als 32 Beete, hat der ad¬ Flegeljahre II . Bd. 12 mirable Mann sich mit dem Stimm-Hammer weg - (nicht zu ) geschlagen, und die Stadt haͤlt es bei so vielen Saiten, die er unter sich hatte, mehr fuͤr ein Wunder als fuͤr einen Bok“ sagt' ich, um ihn fuͤr deine kuͤnftige Nachricht davon auszuruͤsten mit dem lindesten Herzen von der Welt. Es wollte ihm aber schwer ein, das Herz; und er schimpfte auf deinen Kopf. „Er erlebe wenig Freude an seinen Soͤhnen — be¬ schloß er — und der Teufel koͤnne die Spizbuben holen, wenn er wolle.“ Ich schickte den Bauer ganz kurz und hochtoͤnig fort, da er zu vergessen anfieng, daß seine Zwillinge meine Achtung in einigem Grade besaͤßen. Abends — als ich auf der schoͤnsten Hoͤhe des Zablockischen Garten lag, und fuͤr uns eine Satire uͤber den Adel entwarf und dabei der un¬ tergehenden Sonne ins große Engels-Auge sah, die ein lumpiges Doͤrfgen eben so gut als ihren Hof von Welten anschauet, und als uͤber mir auf den leichten rothen Woͤlkgen manche Bilder des Lebens dahin schiften, da erklang ploͤzlich eine koͤstliche kunstgerechte Singstimme, die mich aus allen Satiren, Traͤumen, untergehenden Sonnen wegjagte ins Ohr hinein, in dessen La¬ byrinth, wie im aͤgyptischen, Goͤtter begraben liegen. Die Generals Tochter sang; sie hatte, wie vornehme Maͤdgen auf ihren Ritterguͤtern pflegen, der Sonne und der Einsamkeit — denn horchende Bauern sind nur stille Blumen und Voͤgel in einem Hain — ein ganzes, leidendes Herz mit Toͤnen auseinander gethan. Sie wein¬ te sogar, aber sanft; und da sie sich allein glaub¬ te, troknete sie die Tropfen nicht ab. Sollte der edle Klothar, dacht' ich, seine Braut in dunkle Farben kleiden, weil sie eine taille fine geben? — Das schwerlich! Endlich sah sie mich, aber ohne zu erschre¬ cken, weil der blinde Konzertist, wofuͤr sie mich noch halten muste, ja ihr nasses Auge und An¬ gesicht nicht kennen konnte. Sie, die Unwis¬ sende , sah sich nach meinem Fuͤhrer um, indeß sie leise ihr Busenlied ertoͤnen ließ. Bekuͤmmert um den huͤlflosen Blinden, gieng sie langsam auf mich zu, begann ein fremdes frohes Lied, um sich mir unter Singen so zu naͤhern, daß ich nicht zusammen fuͤhre, wenn man mich ploͤz¬ lich anredete. Ganz nahe an mir unter den heitersten Toͤnen floß ihr Auge heftig uͤber aus Mitleid, und sie konnt' es nicht eilig genug lich¬ ten, weil sie mich anschauen wollte. Warlich ein gutes Geschoͤpf, und ich wollt', es waͤre kei¬ ne Braut oder eine Frau! — Wie ein Rosen¬ beet bluͤhten, zumal vor der Abendsonne, alle ihre wohlwollenden Gefuͤhle auf dem kindlichen Gesicht; und bedenk' ich die zarten schwarzen Bogen der schoͤnsten schwarzen Augen, so hatt' ich Augenlust und Augenbraunenlust zugleich und genug. Aber wie kann ein Mann zu einer Schoͤn¬ heit sagen: heirathe mich meines Orts, da ja durch die Ehe, wie durch Eva, das ganze Pa¬ radies mit allen 4 Fluͤssen verloren geht, ausge¬ nommen den Paradiesvogel daraus, der schla¬ fend fliegt. Eine schoͤne Stimme aber zu eheli¬ chen durch Ehepakten — das ist Vernunft; aus¬ serdem, daß sie, wie die Singvoͤgel, immer wie¬ der zuruͤckkehrt, — das Gesicht aber nicht, — so hat sie den Vorzug vor diesem, daß sie nicht den ganzen Tag da steht, sondern manchmal. — Kenn' ich denn nicht mehr als einen abgeschab¬ ten Ehemann — gelb geworden gerade dadurch, wodurch gelbes Elfenbein weiß wird, durch langes Tragen an warmer Brust — der sogleich die Far¬ ben aͤnderte, wenn die Frau sang, ich meine, wenn das welsche Luͤftgen aus warmer alter Ver¬ gangenheit naͤrrisch und thauend des Polar-Eis seiner Ehe anwehte? — Fast als schaͤme sich Wina, neben einem Blinden allein zu sehen, gab sie wenig auf die Himmelfahrt der Sonne acht. Sie hoͤrte auf zu singen, sagte ohne Umstaͤnde, wer vor mir stehe und fragte, wer mich gefuͤhret habe. Ich konn¬ te sie unmoͤglich mit dem Gestaͤndniß guter Au¬ gen beschaͤmen, doch versezt' ich, es habe sich um vieles gebessert, ich saͤhe die Sonne gut und nur Nachts steh' es mit dem Sehen schlecht. Um einen Handlanger meiner Augen zu erwarten, fing sie ein langes Lob meiner Floͤte an, der man in groͤster Naͤhe, sagte sie, nicht den Athem anhoͤre, und erhob die Toͤne uͤberhaupt als die zweiten Himmels-Sterne des Lebens. „Wie haͤlt aber das Gefuͤhl die immerwaͤhrenden Ruͤh¬ rungen der Floͤte aus, da sie doch sehr der Har¬ monika gleicht?“ fragte sie. Wer so gut saͤnge, sagte ich, als sie, wuͤrde am besten wissen, daß die Kunst sich vom persoͤnlichen Antheil rein hal¬ ten lerne. Soviel haͤtt' ich sagen sollen, nur nicht mehr; aber ich kann das nie: „ein Virtuo¬ se, fuͤgt' ich bei, muß im Stande sein, waͤh¬ rend er aussen pfeift, innen Brezeln feil zu halten, ungleich den Brezel-Jungen, die beides von aussen thun. Ruͤhrung kann wohl aus Bewe¬ gungen entstehen, aber nicht Kunst, wie be¬ wegte Milch Butter giebt, aber nur stehende Kaͤse.“ Sie schwieg sehr betroffen als waͤre sie Du — nahm einige Dornenreiser weg, die mich Dor¬ nenstrauch stechen konnten — und sie dauerte mich halb, zumal als ich sehr ihrem zu haͤufi¬ gen Augenlieder-Nicken zusah, das ihr lieblich laͤsset, ohne daß ich recht weiß warum. Sie sagte, sie gehe, um mir aus dem Schlosse einen Fuͤhrer zu hohlen, und gieng fort. Ich stand auf und sagte, es brauch' es nicht. Da sie mich forttappen sah, kehrte sie lieber um und befahl mir, zu warten; sie wolle mir bis ins Wirthshaus vorausgehen und jeden Anstoß und Eckstein melden. Die Freundliche thats wahrhaftig und gieng mit dem ewig nach mir umgebognen Halse, bis sie einem jungen Lehn¬ bauer hinter seinem Pfluge begegnete, dem sie ein Stuͤck Geld und die Bitte gab, mit dem blinden Herrn vor das Wirthshaus zu fahren. Sie sagte liebreich gute Nacht, und die lang¬ haarigen Augenlieder nikten zu schnellenmalen uͤber den grosen Augen. „Der Satan hole — vergieb aber, Nota¬ rius, den Fluch — den Grafen von Klothar, wenn er einer so gutmuͤthigen Weiberseele nur die duͤnneste, leichteste Zaͤhre aus den schoͤnen braͤutlichen Augen preste, dem armen Kinde, das das einzige ist, dem ich noch die freie Reichs- Ritterschaft gegoͤnnt. Denn mit wie viel Gall' und Grimm ich in jedes Adels-Dorf eintrete, wor¬ inn — wenn bei den Roͤmern ein ganzes Volk fuͤr das Geiseln Eines Menschen votieren muste — umgekehrt nur Ein stimmender Mensch zum Pruͤgeln eines Volks erfordert wird, das kennst Du; aber in Winas Elterlein dacht' ich ganz sanft. Wie uͤberall, besonders im Brautstand ge¬ gen den Ehestand: so halten die Menschen, wie in der Musik, den Vorschlag laͤnger und staͤrker als die Hauptnote; und Klothar koͤnnte doch schon im Vorschlag fehlen? — Einen schwachen Strekvers in deiner Ma¬ nier fertigte ich im Wirthshaus auf Sie: Bist du Philomele? Nein; denn du hast zwar ihre Stimme; aber du bist unvergleichlich schoͤn! So wirst du schon fruͤher nachgeahmet als gedruckt. — Nachher, nach dem Speisen zog ich im Dorf herum. Ich dachte an einen dir bekannten ersten und zweiten Abend so sehr, daß mir vorkam — schreib' es auf Rechnung ei¬ ner und der andern Liebe — als sei manches von der Vergangenheit nachher vergangen. Eiligst, wenn du diesen Brief erhaͤlst, was genau Nach¬ mittags gegen 3 Uhr sein muß, weil ichs bei der Botenfrau auf diese Weise und Stunde be¬ stellt habe, — laͤufst Du mir entgegen. — Bei Gott, ich denke oft an vieles. — Und was ist denn das Leben als der ewige Ci-devant ? — Werden denn nicht die reinsten Trommeten der Lust krumm gebogen, und mit Wasser ge¬ fuͤllt durch bloßes Blasen? — Muß man denn nicht die laͤngsten Himmelsleitern, die freilich kuͤr¬ zer sind als die Hoͤllenleitern — blos damit sie stehen, unten auf Dreck aufsetzen, ob man sie gleich oben an Sternbilder und Polarsterne an¬ legt? Ganz verdruͤßlich macht mich dergleichen, sonst nichts. Inzwischen seh' ich sehr auf Ant¬ wort, auf muͤndliche naͤmlich, womit du sogleich entgegen gehst dem Wirthshaus zum Wirths¬ haus und dem dir sehr bekannten oder was Gott will Quoddeus etc. N. S. Walt, wir koͤnnten Bruͤder sein, ja Zwillinge! Schon der Stamm-Namen ver¬ kittet uns, aber noch weit mehr! — Walt nahm Fluͤgel, aber sein Herz war schwer oder voll. Alles was je ein Ritter zu Pferde fuͤr leidende Weiber zu thun gelobte, war er zu Fuße zu leisten bereit, fuͤr jede und dann fuͤr Wina noch unzaͤhligemal so viel. Auf dem Wege nach dem Wirtshaus begegneten ihm Neu¬ peters Toͤchter an Flittes Armen. „Vielleicht wissen Sie es — redete ihn Raphaela an, und stimmte den Ton so schleunig um, daß man das Hinaufstimmen vernahm — da Sie beim Generale schreiben und aus Elterlein her sind, was meine ungluͤckliche Wina macht, ob die Theure noch dort ist?“ — Vor Schrecken konnt' er kaum auf den Beinen, geschweige auf Vults schlaffem Luͤgen-Seile stehen: „sie ist noch da, sagt' er, schreibt man mir eben. Ich schreibe noch nicht bei ihr. Ach warum ist sie denn un¬ gluͤcklich?“ — „Es ist jezt bekannt, daß ihrem Vater, dem General, ein unschuldiger Brief von ihr in die Haͤnde gerieth, und daß darauf ihr Bund mit dem Grafen aufgehoben wurde, o die Gute!“ versezte Raphaela und weinte etwas auf der Landstraße. Aber ihre Schwester verdammte verdruͤßlich blickend die Straßen- Ausstellung hoher Bekanntschaften und Thraͤnen; und der lustige Elsasser drohte ihr aus dem warmen Gewoͤlke oben Regen und schwemmte sie damit davon. Raphaela hatte Walts verliebte Blicke uͤber der Tafel nicht uͤbersehen, mit ihren geruͤhrten; zur Liebe gehoͤren ohnehin wie zur Gaͤhrung — sie ist ja selber eine — zwei Bedingungen, Waͤr¬ me und Naͤsse ; und mit lezterer begann Ra¬ phaela gern. Es giebt weibliche Wesen — sie darf sich darunter rechnen — die nichts so gern haben als Mitleiden mit fremden Leiden, beson¬ ders mit weiblichen. Sie wuͤnschen sich ordent¬ lich recht viel mitzuleiden, und suchen Freundin¬ nen gerade in der Noth am liebsten, ja sie we¬ cken durch Mittheilen fremde Seelen zu gleicher Theilnahme und finden wahren Genuß in frem¬ den Thraͤnen, — denn so viel vermag die Tu¬ gend durch Uebung — so wie etwa der Zaun- Koͤnig nie lustiger springt und singt als vor Regenwetter. Mendelssohn, der das Mit¬ leid unter die vermischten Empfindungen bringt, haͤlt eben darum reine fuͤr weniger schmack¬ haft. Nur den Notar traf die bittere Ausnahme, daß ihn das Doppel-Ungluͤck des Paares gluͤ¬ hend durchstach und durchgrub — ob ihn gleich ein guter Engel nicht auf den Argwohn fallen ließ, ob nicht sein an den Vater uͤbergebener Brief das Scheidungsdekret geworden; — indeß sezt' er sich mehr an Klothars als an Winas Stelle und stieg in die Brust des Juͤnglings hinein, um von dort aus recht um die bluͤhende Braut zu trauern, und in Klothars Namen an nichts zu denken als an das geliebte Maͤdgen. Er kam traurig im Wirthshaus zum Wirthshans an. Vult war noch nicht da. Die kurze Zeit hatte schon manches wieder mit ihrer Sichel abgemaͤht — erstlich vom bluͤhenden Herrnhutischen Gottesacker das Grummet — zweitens am Wirthshaus ein Vergißmeinnicht und Jelaͤngerjelieber der Erinnerung, naͤmlich die ausgebrochene Abendwand, wovor er mit dem Bruder gegessen, war zugemauert. Vult kam. Mit Flamme und Ruͤhrung flogen beide einander zu. Walt bekannte, wie er geschmach¬ tet nach Vulten, wie er die Geschichte der Ab¬ wesenheit verlange, und wie sehr er eines Bru¬ ders beduͤrfe, um das Herz voll vermengter Ge¬ fuͤhle in das verwandte zu gießen. Der Floͤten¬ spieler wollte seine Geschicht zulezt berichten, und begehrte die fremde zuerst. Walt thats, erzaͤhl¬ te ruͤckwaͤrts, erstlich Raphaelens Erzaͤhlung — aber so wie er zweitens den Schenkungsakt des Grafen sammt der durch den Brief der Tochter jezt gut motivierten Unterbrechung, drittens die Gluͤcksfaͤlle bei dem General berichtete und endlich mit den zusammengefasten Flammen sei¬ nes Sehnens nach Klothar schloß: so aͤnderte Vult das mitgebrachte Gesicht — brach noch vor dem Wirthshaus auf — schickte den leeren Gaul durch einen ausserordentlichen Schlag in Stadt und Stall voraus — und bat Walten mitzugehen, und fortzufahren und nach keinem Regen zu fragen. Er thats. Vult steckte seine Floͤten-An¬ saͤtze aneinander und blies zuweilen einen lusti¬ gen Griff. Bald hielt er sein Gesicht dem warm tropfenden Abend-Himmel unter und wischte die Tropfen daraus, bald schlug er ein wenig mit der Floͤte in die Luft. „Izt weist du alles, mein guter Mensch, urtheile!“ sagte endlich Walt. Vult versezte: Bester, poetischer Fleu- und Florist! — Was soll ich urtheilen? Verdammtes Regnen! — Der Himmel koͤnnte auch trokner sein. Ich meine, was ist zu urtheilen, wenn du mir uͤber keinen Menschen beitritst. Hinterher werd' ich dann ganz schamroth, daß ich als ein Mensch, der vielleicht kaum vor ein Paar Stadtthore hinaus, und durch ein Paar Fluͤgelthuͤren hinein gekom¬ men — denn ich saß stets — gegen einen Welt- und Hofmann wie du, Recht behalten will, der, die Wahrheit zu sagen, uͤberall gewesen, an al¬ len Hoͤfen — in allen Haͤfen — Gluͤcks- und Ungluͤckshaͤfen — in allen Kaffee- und Theehaͤu¬ sern Europens — in belle-vue , in laide- vue — in Mon-plaisir , in Ton-plaisir und Son-plaisir — und so etwas weiter herum, das war ich aber nicht, Walt!“ „Verspottest du ernsthaft meine arme Lage, Bruder!“ fragte Walt. „Ernsthaft? sagte Vult. Nein, warlich mehr spashaft. Was den Gene¬ ral anlangt, so sag' ich, daß, was du Men¬ schenliebe an ihm nennst, nur Anekdotenliebe ist. Schon im gelehrten Deutschland gelten keine Wasser fuͤr tiefe als die flach breiten , vol¬ lends aber im geadelten; nur breite lange Ge¬ schichte wollte der General von dir aus Lang¬ weile, wenn er sie auch schon wuste. Freund, wir Buͤcher-Menschen — so taͤglich, so stuͤnd¬ lich in Konversazion mit den groͤßten belebtesten Maͤnnern aus der gedruckten Vorwelt, und zwar wieder uͤber die groͤsten Weltbegebenheiten — wir stellen uns freilich den Hunds- Ennui der Gros¬ sen nicht vor, die weiter nichts haben, als was sie hoͤren und essen bei Tafel. Gott danken sie auf Knien, wenn sie irgend eine Anekdote erzaͤhlen hoͤren, die sie schon erzaͤhlen hoͤrten; — aber ich weiß nicht, was du dazu sagst?“ „Ueber Sachen, versezte Walt, kann man leicht die fremde Meinung borgen und glauben, aber nicht uͤber Personen. Wenn die ganze Welt gegen dich spraͤche: muͤst' ich wohl eher ihr als mir glauben?“ „Natuͤrlich, sagte Vult. Was Wina an¬ langt, so ists mir ganz lieb, daß sie ihre wei¬ chen Finger wieder aus den graͤflichen Ringen gezogen. So weiß ich auch, daß zwischen dir und dem Grafen die Misheirath eurer Seelen ruͤckgaͤngig wird.“ Daruͤber erschrack der Notar ordentlich. Er fragte aͤngstlich, warum? Vult blies einen Laͤu¬ fer. Er sezte dazu, daß er dem Juͤngling seit dem Verluste einer solchen Jungfrau noch hefti¬ ger anhaͤnge; und fragte wieder: „warum, lieber Bruder?“ Weil du, versezte dieser, nichts bist, gar nichts als ein offener geschworner Notar, der Graf aber ein Graf; du wuͤrdest ihm auch nicht groͤßer, wenn du dich nach alter Weise noch ei¬ nen tabellio nenntest — einen protocollista — einen judex chartularius - seriniarius - ex¬ ceptor .“ — „Unmoͤglich, versezte Walt, ist in unsern Tagen ein philosophischer Klothar adel¬ stolz; ich hoͤrt' ihn selber die Gleichheit und die Revoluzion loben.“ „Wir Buͤrgerliche preisen saͤmmtlich auch die Fall- und Wasenmeister sehr und ihren sittli¬ chen Werth, erlesen aber doch keinen zum Schwiegervater, und fuͤhren keine maîtresse des hautes oeuvres et des basses oeuvres zum Tanze. — Gott, wenn soll einmal mein Jam¬ mer enden, daß ich immer von abgelegtem Adelstolze schwatzen hoͤre? Sei so hoͤflich, Walt, mir einige Grobheiten gegen dich zu erlauben. Bei Gott, was verstehst denn du von der Sache, vom Adel? oder die Schreiber daruͤber? Ich wollte, du bliebest ein wenig stehen oder kroͤchest in jenen Schaͤferkarren und horchtest mir daraus zu; ich zoͤge aus der Satire, die ich bei Sonnenuntergang im Zablockischen Garten gemacht, das aus, was herpasset. Den adelichen Stolz in einen auf Ahnen oder gar in deren Verdienste zu setzen, ist ganz kindisch und dumm. Denn wer haͤtte denn keine Ahnen? Nur unser Herrgott, der sonach der groͤste Buͤrgerliche waͤre; ein neuer Edelmann hat wenigstens Buͤrgerliche, es muͤst' ihm denn der Kaiser vier adeliche ruͤckwaͤrts datirend mit geschenkt haben, wovon wieder der erste ge¬ schenkte Ahn seine neuen vier Geschenkten beduͤrf¬ te und so fort. Aber ein Edelmann denkt so we¬ nig an fremde Verdienste, daß er sich lieber von FIegeljahre II . Bd. 13 16 adelichen Raͤubern, Ehebrechern und Saufau¬ sen als ihr Enkel an einen Hof, oder in ein Stift oder auf einen Landtag geleiten laͤsset, als von einem Schock und Vortrab ehrlicher buͤrger¬ lichen davon hinwegfuͤhren. Worauf stolziert denn der Edelmann? Zum Henker auf Gaben ; wie du und ich als Genies, wie der Millio¬ nair durch Erbschaft, wie die geborne Venus, wie der geborne Herkules. Auf Rechte ist niemand stolz, sondern auf Vorrechte . Lez¬ tere, sollt' ich hoffen, hat der Adel. So lang' er ausschließend an jedem Hofe aufwarten, tan¬ zen, der Fuͤrstin den Arm und die Suppe geben darf, und die Karte nehmen: — so lange die deutsche Reichs-Geschichte von Haͤberlin noch nie ein Paar buͤrgerliche Weibs -Fuͤße am Sonntag unter einer Hof-Tafel angetroffen und vorgezogen (der Reichs-Anzeiger rede, wenn er kann); — so lange Armeen und Stifte und Staaten ihre hoͤchsten reichsten Frucht-Zweige nie von gemeinen harten Haͤnden pfluͤcken las¬ sen, die blos auf die Wurzeln Erde schaffen, und von den Wurzeln leben muͤssen: so lange waͤre der Adel toll, wenn er nicht stolz waͤre, auf solche Vorrechte, mein' ich. Buͤrgerliche werden wie die Gewaͤchse im alten System von Tournefort, nach Blumen und Fruͤchten klassifizirt; Adeliche aber viel einfacher, wie von Linn é e, nach dem Ge¬ schlechts - (Sexual) System; und es giebt dabei keine Irrthuͤmer. Den Adelstand ferner verknuͤpft die Gleichheit der Vorrechte durch ganz Europa. Er besteht aus einer schoͤnen Familie von Familien; wie Juden, Katholiken, Frei¬ maͤurer und Professionisten halten sie zusammen; die Wurzeln ihrer Stammbaͤume verfilzen sich durch einander und das Geflechte laͤuft bald hier unter dem Feudal-Acker fort, bald dort heraus am Thron hinan. Wir buͤrgerlichen Spizbu¬ ben hingegen wollen einander nie kennen; der Buͤrgerstand ist ungefaͤhr so ein Stand wie Deutschland ein Land, naͤmlich in lauter feind¬ selige Unterabtheilungen zersprengt. Kein Har¬ nisch in Wien fragt nach Harnischen aus Elter¬ lein, kein Legazionsrath in Koburg nach einem in Haslau oder Weimar. Darum faͤhrt der Adel in ein Fahrzeug mit Segeln eingeschift, der Buͤrger in eines mit Ru¬ dern. Jener ersteigt die hoͤchsten Posten, so wie das Faulthier nur die Gipfel sucht. — Aber was haben wir Teufel? Besitzen wir unbeschreib¬ liche Verdienste: so koͤnnen diese nicht adeln, son¬ dern sie muͤssen geadelt werden; und dann sind wir zu brauchen, sowohl zu einem Ministers- als sonstigen Posten.“ Doch der Adel erkennt auch selber seine Kost¬ barkeit und unsere Nothwendigkeit gern an; denn er schenkt selber deswegen — wie etwan die Hol¬ laͤnder einen Theil Gewuͤrz verbrennen oder die Engellaͤnder nur siebenjaͤhrig ihre Wasserblei- Gruben aufthun, damit der Preiß nicht fal¬ le — in seiner Jugend der Welt fast nur Buͤr¬ gerliche, und sparsam erst spaͤter in der Ehe ei¬ nes und das andere Edelkind, er macht lieber zehn Arbeiter als eine Arbeit, weil er den Staat liebt und sich. O schweige noch! freilich war dies nur Aus¬ schweifung in der Ausschweifung. — Abnahme des Adelstolzes wollen neuerer Zeit viele noch daraus sehr vermuthen, daß ein und der andere Fuͤrst mit einer Buͤrgers-Tochter tanzte, wie ich troz meines gelehrten Standes mit einer Bauerstochter, oder daß ein Fuͤrst zuweilen ei¬ nen Gelehrten oder Kuͤnstler zu sich kommen ließ, wie den Klavier- und den Schneidermeister auch, nicht in seinen Zirkel, sondern zum Privatge¬ spraͤch. „Meine Leute, mes gens “ sagen sie von den Bedienten, um sie von uns andern Leu¬ ten zu unterscheiden. Warum reitest und kletterst du aber so eif¬ rig an einen der hoͤchsten Stammbaͤume hinan? — Daß ich meines Orts droben sitze, als Herr van der Harnisch , hat seinen guten Grund, ich fenstere auf dem Gipfel meinen Zirkel aus, und erhebe, was drunten ist, euch Buͤrger- Pak; kein Mensch kann sich ruͤhmen, den Adel noch so geaͤrgert zu haben als ich; nur in Staͤd¬ ten, wo ich nicht von Geburt war, must' ich mich von ihm aͤrgern lassen, wenn er unter dem Vorwand, meine Person zu schaͤtzen, mich zur Tafel bat, um meine Floͤte zu kosten; dann blies ich aber nichts, sondern ich dachte: ich pfeif' Euch etwas. Dem weich' ich jetzt ganz aus.“ Walt versezte: „ich will deinem halben Ernste ganz offen antworten. Ein Dichter, fuͤr den es eigentlich gar keine gesperrten Staͤnde giebt, und welchem sich alle oͤfnen sollten, darf wohl, denk' ich, die Hoͤhen suchen, wiewohl nicht, um da zu nisten, sondern den Bienen gleich, welche eben so wohl auf die hoͤchsten Bluͤ¬ then fliegen, als auf die niedrigsten Blumen. Die hoͤhern Staͤnde, welche nahe um das sonni¬ ge Zenith des Staates leuchten, als hohe Stern¬ bilder, sind selber schon fuͤr die Poesie durch ei¬ ne Poesie aus der schweren tiefen Wirklichkeit entruͤckt. Welch' eine schoͤne freie Stellung des Lebens! Waͤr' es auch nur Einbildung, daß sie sich fuͤr erhoben hielten, und das zwar geistig — denn jeder Mensch, der Reiche, der Gluͤckliche ruht nicht eher als bis er aus seinem Gluͤck sich ein geistiges Verdienst gemacht —: so wuͤrde dieser Wahn Wahrheit werden; wer sich achtet, den muß man achten. W ch' eine hohe Stel¬ lung, alle mit einerlei Freiheit, alles zu wer¬ den — alle im Triumphwagen derselben Ehre, die sie beschuͤtzen muͤssen — — „Es ist pechfinster, sagte Vult, aber ich bin warlich ernsthaft.“ „Die einzeln Namen verewigt und in Wap¬ pen-Werken wie Sterne gezaͤhlt und fortglaͤn¬ zend, indeß im Volke die Namen wie Thautrop¬ fen ungeordnet verloͤschen — in der heiligen Naͤhe des Fuͤrsten, der sie zart behandelt im Wechsel seiner Repraͤsentazion, es sei als Ge¬ sandte oder Generale oder Kanzler — naͤher dem Staate verwandt, dessen große Seegel sie auf¬ ziehen, wenn das Volk nur rudert — wie auf einer Alpe nur von hohen Gegenstaͤnden umrun¬ gen — hinter sich die glaͤnzende koͤnigliche Linie der alten Ritter, deren hohe Thaten ihnen als Fahnen vorwehen, und in deren heilige Schloͤs¬ ser sie als ihre Kinder einziehen. — — „Glaube mir auf mein Wort, sagte Vult, ich lache nicht“ — — vor sich den Glanz des Reichthums, der Guͤter, der Hoͤfe und einer bluͤhenden Zu¬ kunft — Und nun vollends die schoͤne freie Bil¬ dung, nicht zu einem abgehauenen eckigen Staats- Gliede, sondern zu einem ganzen geformten Men¬ schen, welche ihnen Reisen, Hoͤfe, gesellige Freu¬ den unter Gemaͤlden, unter Toͤnen, und am meisten ihre noch mehr gebildeten, schoͤnen Frau¬ en, deren Reize kein Gewicht der Noth und Ar¬ beit erdruͤckte, leicht und froh zuspielen, so daß im Staate der Adel die italienische Schule aus¬ macht, und das arme Volk die niederlaͤndi¬ sche.“ — — Der Floͤtenspieler hatte bisher oͤfters, wie¬ wohl mit verdaͤchtiger Stimme geschworen, er ziehe nicht eine Miene zum Lachen — betheu¬ ert, er wolle nicht Vult heissen, wenn er die Finsterniß benutze, und darinn still laͤchle — wiederhohlt, er sei kein solcher Mann, der lache, sondern so ernst wie ein Todtenvogel. Izt aber lachte er hell, und sagte indeß so viel: Walt, um wieder einmal auf deinen Grafen zu kom¬ men — scheere dich nichts um mein dummes Gelaͤchter uͤber etwas anders, ich bin doch ernst¬ haft — den du sonach in Bildungs-Bezug fuͤr einen Raphael haͤltst und dich fuͤr einen Te¬ niers, wie wollet ihr zwei Figuren euch denn auf Einer Leinwand paaren?“ — Walt schwieg verwundet, weil er sich gar nicht fuͤr einen Teniers, sondern eher fuͤr ei¬ nen Petrarka ansah. Aber Vult drang heftig auf das Bindemittel, das der Bruder sich zu¬ traue. „Ich glaubte dadurch, sagt' er leise demuͤ¬ thig, wenn ich ihn recht liebte.“ Vult wurde etwas bewegt, blieb aber unerbittlich und sagte: „um dir aber zuzutrauen, daß du deine Liebe einem solchen Herrn zeigen koͤnntest, must du dich, so bescheiden du auch thust, innerlich fuͤr einen zweiten Karpser halten, ganz ge¬ wiß?“ „Wer war dieser?“ fragte Walt. „Balbieramtsmeister in Hamburg, wovon noch die Karpserstraße in der Stadt da ist, weil er darin wohnte; ein Mann, darf ich dir sa¬ gen, von so feinen Sitten, so voll belebter Re¬ den, so zauberisch, daß Fuͤrsten und Grafen, die nach Hamburg kamen, ihr erstes und groͤstes Vergnuͤgen nicht im Pestilenzhaus oder auf dem Drekwal oder im Scheelengang und in den Alster- Alleen suchten und fanden, sondern lediglich darin, daß unser Balbier zu Hause war und sie vorlassen wollte.“ Der Notar, sich fuͤr einen verstekten Petrar¬ ka haltend, vermochte gar nicht, den Balbier- Amtsmeister so hoch uͤber sich zu sehen; er sagte aber, erweicht durch einen ganzen Nachmittag, nichts als die Worte: „wie gluͤcklich ist ein Edelmann! Er kann doch lieben, wen er will. Und waͤr' ich einer und ein redlicher gemeiner Notar gaͤbe mir nur einige warme Zeichen seiner Liebe und Treue: warlich ich wuͤrde sie bald ver¬ stehen, und ihn dann nicht eine Minute lang quaͤlen, ja ich glaube, eher gegen meines Glei¬ chen koͤnnt' ich stolzer sein.“ „Himmel, weist du was — fieng ploͤzlich Vult mit anderer Stimmen an — ich habe ein sehr trefliches Projekt — in der That fuͤr diesen Fall das beste — denn es loͤset alles auf und bindet dich und den Grafen (falls er deinem Bilde entspricht) schoͤn auf ewig.“ Walt zeigte ihm seine Entzuͤckung daruͤber ganz, und die Neugier, womit er es zu hoͤren kaum erwarten koͤnne. Aber Vult versezte: „ich „glaube, morgen oder uͤbermorgen' lass' ich mich „mehr heraus.“ — Walt flehte um das Pro¬ jekt, sie waren nahe am Stadtthore und Ab¬ schied. Vult antwortete: „so viel kann ich sa¬ gen, daß ich nie Proschekt sage, sondern ent¬ weder franzoͤsisch projet oder lateinisch projec¬ tum .“ — Walt fragte, ob er denn nicht seine Freude uͤber den bloßen Vorschlag merke, und ob er nicht denke, daß sie noch staͤrker steige durch Eroͤfnung. „Gewiß? (sagte Vult) Allein das projet gehoͤrt ja in eine ganz andere Nummer, sag' ich dir, denn die heutige ist aus und gute Nacht!“ — N ro . 31. Pillenstein. Das Projekt . „Purzel thuts“ fuhr heftig Vult in die Stube des Notars, der freudig versezte: „das gebe Gott, und was denn?“ — „Ich erklaͤre alles und Purzel ist der Theaterschneider, mein Hausherr — erwiederte Vult mit den Blizen der Laune im Auge, weil er eben die Digression uͤber den Adel fuͤr den Doppel-Roman zu Pa¬ pier gebracht. — So viel giebst du zu, daß du einige Heft- oder Demantnadeln zur Bundes- Naht mit Klothar — was eben mein Projekt sein will — vonnoͤthen hast. Handlungen freilich galten von jeher fuͤr die besten Faͤhren zum Herzen, fuͤr die rechten Kernschuͤsse zur Brust, da Worte nur Bogenschuͤsse sind, oder was man will. Einem einen Uhrschluͤssel abkau¬ fen, oder sonst ein Kauf, das sperret mehr am bedekten Gehaͤuse eines Menschen auf als dreißig dejeûners in einem Monat von 31 Tagen. Wolltest du also dem Grafen z. B. nur einen Stein ins Fenster werfen oder an das Schulter¬ blatt: so kaͤmest du sogleich mit ihm in Hand¬ lung und darauf leicht in naͤhere Verbindung; oder eben so auch, wenn du im Finstern auf ihn los fahren, ihn bei den Rockklappen packen und nicht los lassen wolltest, weil du ihn fuͤr deinen Bruder gehalten haͤttest, den du so unbeschreiblich liebtest, gaͤbest du vor. Da aber das nicht geht, so hoͤre: mein Hausherr Purzel hat jezt viele Turnier- und Tafelfaͤhige Kleider in Arbeit, die er fuͤr das Theater kehrt und wendet; ich staffiere dich mit einem vollstaͤndigen aus — habe vorher dem Grafen, da ich ihn kenne, in einem Billet geschrieben, ich wuͤnschte sehr, eines Abends vor ihm zu blasen — bringe dich dann mit (sprich noch nicht) und lasse dich von ihm ohne besonderes artikulirtes Luͤgen, fuͤr einen Edelmann ansehen, blos weil du (das macht man ihm weiß) mein Freund bist, und wir mit einander umgehen. Dann kann sich das Adels- Pergament unmoͤglich mehr als Scheide- und Brand-Mauer und Ofenschirm zwischen eure Flammen ziehen; und falls der Graf wirklich nicht wie ein Eisstuͤck, eben so viel Eis unter dem Wasser verbirgt, als er daraus vorhebt: so seh' ich euch, weil du unter und hinter der Floͤ¬ te ihm alles sagen und zeigen kannst, vielleicht am Altar der Freundschaft verbunden stehen und ich bin freudig das Kopuliermesser Womit man bekanntlich Zweige pfropft. . —— Jezt sprich!“ „Goͤttlich, goͤttlich! rief Walt und umhal¬ sete Vulten. Ich stehe dann auf dem Wagen¬ stern der Liebe und rolle durch Himmel. Aber, wenn ich ihn habe, den Lieben, ja dann muß ich durchaus — noch denselben Abend — mei¬ nen duͤrftigen Namen sagen; nicht nur ein heis¬ ses Herz, auch ein ofnes muß ich ihm bringen; es thut dann nichts mehr.“ — Allein der bunte Zauberrauch verzog und senk¬ te sich bald, womit seinen romantischen Geist an¬ fangs das Wagstuͤck berauschte. Das Gewissen stellte sich kalt mit der Wage hin und wog nach Skrupeln. Er konnt' es nicht recht finden, die Freundschaft mit einem Blendwerk anzufangen, wenn er dieses auch nachher vertilge. Der Bru¬ der versicherte darauf, er woll' ihn blos fuͤr sei¬ nen Verwandten desselben Namens ausgeben, was ja wahr sei, ferner das von im Feuer der Rede vergessen: „aber wenn ich nun zulezt sage, ich bin dein Zwillingsbruder, was sagst denn du?“ sagte Walt. — „Herr Graf, sag' ich — versezte Vult — er ist allerdings der Bru¬ der, ja Zwillingsbruder meines Herzens, und geistige oder kanonische Verwandtschaft, daͤcht' ich, gaͤlte wohl hienieden, da ja unser Herrgott selber eine dergleichen mit uns Bestien im Allge¬ meinen verstattet und sich unsern Vater nennen laͤßt. — Ist diese Verwandtschaft nicht wahr?“ Walt schuͤttelte. „Was, fuhr der Floͤten¬ spieler fort, es waͤre nicht so, naͤmlich daß wir uns geistig verbruͤderten? O Zwilling, wer ist verwandter, bedencke? Wenn Koͤrper Seelen ruͤnden und Herzen gatten, so daͤcht' ich, ein Paar Zwillinge — um neun Monate fruͤher ein¬ ander verschwistert als alle andere Kinder — in ihrer zweischlaͤferigen Bett'stelle des ersten Schla¬ fes ohne Traum — theilend alle und die fruͤhe¬ sten und wichtigsten Schicksale ihres Lebens — unter Einem Herzen schlagend mit zweien — in einer Gemeinschaft, die vielleicht nie im Leben mehr vorkommt — gleiche Nahrung, gleiche Noͤthen, gleiche Freuden, gleiches Wachsen und Welken — beim Teufel, wenn ein solcher Fall, wo im eigentlichsten Sinn zwei Leiber Eine See¬ le ausmachen, wie ja der alte und erste Aristo¬ teliker, naͤhmlich Aristoteles selber, begehrt zur Freundschaft; zum Sakerment, wenn von sol¬ chen Personen nicht der eine Zwilling sagen duͤrf¬ te, er sei mit dem andern geistig genug verwandt, Walt, wo waͤre denn noch Verwandtschaft zu ha¬ ben auf Erden? Kann es denn, du ordentlicher Bruder-Moͤrder, fruͤhere, naͤhere, aͤltere, pein¬ lichere Freundschaften geben, als bei solchen Zwillingen? O Gott, du lachst ja uͤber Geruͤhr¬ te!“ schloß er wild und fuhr heftig mit der gan¬ zen breiten Hand uͤber die Augenknochen. „Da waͤr' ich ja der Hoͤlle werth, rief Walt und fieng dessen Hand, um sie auf sein nasses Auge zu decken — O Bruder, Bruder, weißt du es denn nie, wie ich dich fasse und deinen weichen Geist im staͤrksten Scherz? Ach wie ist dein Inneres so schoͤn und mild, und warum weiß es denn nicht die ganze Welt? — Darum aber, was waͤr' ich, wenn ich es lit¬ te, was du bei Klothar wagen wolltest fuͤr mich? Nein, fremde Opfer mag man wohl an¬ nehmen, um von Martern loszukommen, aber nie, um mit ihnen Freuden einzukaufen. Die Sache geht nicht, guter Vult!“ Aber hier war dieser schon die Treppe hinab. Indeß, je mehr der Notar nachsann, desto unbilliger fand er's, auf Vultens Kosten den Himmel der Freundschaft zu erstehen. Zulezt schrieb er ihm bestimmt, sein Gewissen leid' es unmoͤglich. Wenige Stunden darauf antwortete Vult folgendes: p. p. „Fraterkul! Eben erhalt' ich des Grafen Jawort mit deinem Neinwort; du must also mit, oder meine Ehre leidet gewaltig. Fleuch und flieh' in einer guten Stunde zu mir. Dein Umkleid oder Masken-Karakter liegt schon auf dem Stuhl. Der Friseur ist bestellt mit Vor¬ stek-Locken. Sporen und die Steifstiefel darzu stehen auch fertig. Glaube mir aber auf Ehre, daß ein Buͤhnen-Habit fuͤr dich ausgelesen ist, der nicht simulirt, sondern nur dissimulirt. Ein anders — als was ich thue und miethe — waͤre, wenn ich dich in einen Berghabit oder in eine Moͤnchskutte, oder in einen Waffenmantel oder in ein Bischofs-Pallium oder in englische Flegeljahre II . Bd. 14 Kapitains-Uniform oder in den Satan und sei¬ ne Grosmutter stekte; so hingegen faͤllest du pro¬ per aus und unkenntlich, und dabei doch sittlich und wahr. Versuch' ihn nur bei mir an, deinen polnischen Rock und Mantel der Liebe fuͤr Klo¬ thar. Purzel denkt gut, ja wohlfeil. — Ich schmachte freudig nach dem Spas. Der Abend macht dich noch unkenntlicher, des Puders gar nicht zu gedenken, den du weglassen must. Dir zu schreiben vergess' ich ganz, daß ich naͤmlich, — als ich den guten Grafen anfangs ins Rosen¬ thal eingeladen zu einem matten Souper, natuͤr¬ lich ohne Deiner Erwaͤhnung — von ihm um¬ gekehrt in seinen Garten invitiret worden. Kom¬ me bestimmt, ich brenne. Denn dieser Abend faͤllet Definitiv-Sentenzen und Mandate ohne Klauseln uͤber 40 bis 50 Tausend Abende nach¬ her. Gegenwaͤrtiges schreib' ich fast geruͤhrt; — Garrik wuste das bloße Alphabet so herzusagen, daß die Leute dazu thraͤnten; aber woraus be¬ steht denn alles, was angreift, als aus Alpha¬ beten? — Herzen gleichen Gaͤnse-Eiern; die, so in lauem Wasser nicht sich bewegen, sind fau¬ le und todte — Gott, ich werde heute so bla¬ sen, so trillern! Ich freue mich freilich zu sehr. P. S. Ich muß dir doch berichten — an¬ fangs wollt' ich nicht — daß dein kuͤnftiger Freund Klothar morgen fruͤh um 3 Uhr auf und davon reiset, wie er sagt, nach Dresden — ei¬ gentlich aber wohl, wie ich sage, nach Leipzig, um durch die protestantische Mutter die katholi¬ sche Braut sich anzuoͤhren. Bist du nicht der vollstaͤndige Schomaker II : so kommst du heute und schlaͤgst als Buͤrger mit dem Edelmann den Pedal-Triller der verwobenen Freundschaft. Denn wo waͤre Luͤge, sobald ich nicht sage — und du ohne dies nicht, — daß du ein Edel¬ mann bist, sondern ich nur anfangs, daß du mein Freund — und du zulezt, daß du ein No¬ tarius bist — wo, frag' ich?“ Ach, ich komme freilich! schrieb Gottwalt zuruͤck. N ro . 32. Heller im Straußenmagen. Menschenhaß und Reue . Personen, die Vults alten noch versiegelten Brief an Walt gedruckt gelesen, durchschauen am ersten alle geheime Zwecke bei seiner Einkleidung des reinen Notars, und finden deren nicht weni¬ ger als zwei. Der erste geheime Zweck Vults ist wahrscheinlich der, sich mehr zu aͤrgern als bisher, und dadurch — indem er der bruͤderlichen Freundschaft gegen den Grafen zusieht oder gar der Erwiederung derselben — sich zu jenem zor¬ nigen Ausbruch aufzutreiben, ohne welchen, sei¬ ner bekannten Meinung nach, an Versoͤhnungen gar nicht zu denken ist, ausser an schlechte. Freund¬ schaftliche Eifersucht ist viel staͤrker als liebende, schon weil sie nicht, wie diese, ihren Gegenstand zu verachten vermag. — Die zweite Absicht Vults bei dem Verkleiden kann sich nur auf den Wechsel- oder Hornschluß gruͤnden, daß der Graf den Notar — wenn dieser den adelichen Pfauenschwanz fallen lassen — als nakte Nota¬ riats-Kraͤhe entweder wild aus Herz und Gar¬ ten jagt (dann gewaͤnne eben Vult), oder ihm, wie eine Kraͤhe der andern, nichts aushackt (dann koͤnnte Vult sehr zanken und sich spaͤt versoͤhnen ); — und einen dritten Fall giebt es eben nicht. Der Notar kam ziemlich beklommen bei dem Bruder an. „hier, sagte Vult, liegt der men¬ schenhassende Meinau aus Kotzebues Menschen¬ haß und Reue auf dem Stuhl“ und zeigte auf den feinsten Ueberrock, den Purzel fuͤr edle Buͤh¬ nen-Karaktere gekehrt hatte, ferner einen lang¬ haarigen Rundhut, gespornte Steifstiefel, drei Ellen lange Halsbinden fuͤr den Hals, um die Farben im Gesicht zu unterbinden, und seidene Unterkleider. Aber was vorher leicht durch den Aether der Einbildung flog, steckte jezt fest vor Walt in der unbehuͤlflichen Gegenwart, und die Suͤnde zerfiel in Suͤnden. „Beim Henker, sagte Vult und streifte dem No¬ tarius das Zoͤpflein herunter, skrupelst du doch als koͤnnt' es nicht eben so gut eine An- als Verklei¬ dung vorstellen. Besteht denn ein Edelmann in einem Paar Stiefeln und Sporen? Versaͤuere mir nichts!“ — Ein Friseur erschien. Das ganze Haar muste in unzaͤhlige Locken zuruͤckrollen. Darauf wurd' er hermetisch mit Seide und Tuch versie¬ gelt; und sein Kern wuchs ganz in die Kotzebui¬ sche Schote hinein. Unterwegs schwur ihm Vult, er sei — schon wegen der Daͤmmerung — unkenntlich genug; und ein Großer sehe und behalte kein Buͤrgergesicht. Am Ende wurd' ihm selber der Notar, der bluͤhend, liebe-zitternd neben ihm gieng, ordentlich zum menschenfeindlichen Mei¬ nau. „Es fehlt nicht viel, sagt' er, so fall' ich dich an, weil ich denke, ich habe Meinau vor mir, der sich einige Akte lang schmeichelte und angewoͤhnte, die Menschen zu hassen aus Maͤd¬ gen-Liebe, wie etwan Hasen durch Schlangen dahin zu bringen sind, daß sie trommeln wie Krie¬ ger. Weichen Schlamm und Sumpf soll der Kollegienrath K. abmalen, aber nicht Dieterichs Felsen. Mit seinen Patent - Herzen , wie Pott mit Patent-Fuͤssen zum Knien, steh' er feil, sogar mit veraͤchtlichen, aber nur nicht mit verachtenden! Da sei der Teufel so sanft, wie ein Exjesuit, wenn man uͤberall vor und auf der Buͤhne Juͤnglingen begegnet, die Fait von Menschen-Verachtung machen, weil ein Maͤd¬ gen sie ein wenig verachtet hatte — Troͤpfe, bei denen der misanthropische Tollwurm nur, wie bei Hunden, im Zungenbande besteht und denen er, wie Kindern der Wurm, abgienge, wenn man sie staͤrkte — Walt, unterstehst du dich auch und hassest die Menschen?“ — „Nicht Einen, auch nicht einen ungluͤcklichen Menschenfeind (sagt' er unendlich sanft), aber du fragst doch sehr hart?“ — „Vergieb, versezte Vult, ich fahr' schon seit zehn Jahren auf und los, wenn ich nur etwas vom Theater rieche und waͤr's nur ein Soufleur, oder der Soufleur des Souf¬ leurs, der Poet, ja ein bloßer Hofrath, — da doch die meisten Theater-Helden wie in Dorpat die Professoren, H fraths-Rang —; denn, das Schauspielervolk ausgenommen, zeigt nichts eine so ekle Gemeinheit als das Buͤhnen¬ schreibervolk; Spieler und Schreiber verkoͤrpern und beseelen sich wechselseitig; und bekielen sich mit Lanierschwaͤnzen“ — „Lanierschweife?“ frag¬ te Walt. „Sind der Schwanz, versezte Vult, den ein Falkenier einem abkraͤftigen Falken in die of¬ nen Kiele des ausgefallenen kuͤnstlich einklebt mit ein wenig Hausenblasenleim. Die armen Schauspieler (transszendente Statisten) sind die Statuen, welche Die Perser glauben, daß die Statuen am juͤng¬ sten Tage Seelen von den Bildhauern begehren werden. jeden Abend eine Seele von ihren Bildhauern oder Dichtern fodern, um da¬ von zu leben.“ Sie kamen im Park an, wo ihnen der Graf mit seiner einfachen, ernsten, vornehmen Hal¬ tung entgegen gieng. „Es ist mein Freund und Verwandter gleiches Namens, stellte Vult den gekehrten Meinau dem Grafen vor, — seine Lie¬ be zur Floͤte treibt ihn mir nach.“ Walt mach¬ te statt vieler Entschuldigungen — die ihm der Bruder abgerathen — ganz keck nur einen Buͤk¬ ling, weil der Graf, hatte Vult gesagt, wenig Welt besaͤße, wenn er ihn in seinem Garten ausfragen wollte, wie ein Katechet unter dem Thore. Walt dachte gleichfalls zu redlich, um vor dem Grafen etwas anders, nur den schwaͤchsten Gedanken, zu verkleiden, als seinen Leib. Vult hatte Recht gehabt, daß Große, die auf Reisen und an Hoͤfen an zwanzig Heere von Menschen gesehen, nicht leicht den Nachtrab aus einem Notarius sonderlich im Kopfe behalten und auf¬ heben; Klothar sah ihn ein wenig sinnend an, kannte aber den viellockigen, zopflosen, dick¬ bindigen Kavalier in der Daͤmmerung nicht. Lezterem wurd' es etwas eng in seiner Mei¬ naus-Haut. Die Verkleidungen in Romanen bilden die in der Wirklichkeit den Menschen zu lustig vor. Wie im Zimmer das Wetter, so ist im Freien die schoͤne Natur der Nothpfennig und Heckthaler des Gespraͤchs — Walt hatte dem Grafen kein Hehl, daß diese Stelle, (wo er ein¬ mal Abends dem Musiziren zugehoͤret hatte,) mit der Katarakte hinter dem Ruͤcken, der Vestalen- Statue dabei, den fernen Hoͤhen, ihre wahren Reize habe. Klothar aber wollte wenig daraus machen, sondern versicherte, jeder Park gefalle nur einmal. Der Floͤtenspieler war so wortkarg und hoͤf¬ lich gegen den Grafen als dieser selber, und sparte Laune und Zunge nur der Floͤte auf. Die Gebruͤder Harnisch wurden mit einem mehr aus Blaͤttern als aus Beeren gequetschten Wein be¬ wirthet. Der Graf trank keinen; Walt aber ei¬ nigen, um wie ein Schmid Verstaͤrkungs-Was¬ ser ins Feuer zu sprengen. Vult, uͤber den Kraͤ¬ zer und alles aufgebracht, gieng schnell mit der Floͤte auf und ab, ohne zu blasen. Klothar uͤberlies ihn seiner Laune. Endlich fieng er (lustwandelnd dabei) sein Floͤtenkonzert ein wenig an, und blies aus Kuͤnstler-Kaͤlte gegen jenen nur obenhin — zerstuͤckte Phanta¬ sier-Gallopaden — musikalische Halbfarben zu Halbschatten — starke Eingriffe in die Floͤten- Saiten, wie sie die Faust eines Sturmwinds auf die Aeolsharfe thut. Beiden Kavalieren wurde durch dieses melo¬ dramatische Absetzen das Gespraͤch angenehm durchschossen, in welches sie mit einander gera¬ then durften unter solcher Musik. Der eng¬ lische Park wurde ein Postschiff, worauf bei¬ de nach England uͤbersezten, um es einmuͤ¬ thig zu besehen und zu erheben. Klothar lobte die Brittische Ungeselligkeit: „zu gewissen Feh¬ lern gehoͤren Vorzuͤge“ sagte er. „Nur Blu¬ men schlafen, nicht Gras,“ sagte Walt, der durch Poesie und Uebersicht leicht die fremde Meinung in seine uͤbersezte und umgekehrt. Wer immer nur die Morgen- und Sonnenseite sucht, findet leicht uͤberall Waͤrme und Licht. Klothar behauptete, daß die Freundschaft keinen Stand kenne, wie die Seele kein Geschlecht. Walt tour¬ nirte seine Antwort dergestalt, daß sie so klang: „auch im Bestreben, die Ungleichheit zu verges¬ sen, muͤssen beide Freunde gleich sein“ aber seine Aussprache war ein wenig baͤuerisch, und sein Auge blickte nicht fein, sondern es stroͤmte klar uͤber von Liebesfeuer. Der Graf stand ruhig auf und sagte, er entferne sich nur einen Augen¬ blick, um die Abreise eine halbe Stunde spaͤter anzuordnen, und er gestehe, er sei selten so leicht verstanden worden als diesen Abend. Mit unsaͤglicher Entzuͤckung sagte Walt leise zu Vult: „habe Dank, habe Dank, mein Vult! — O so sollte man doch nie das Beneh¬ men eines Menschen gegen uns, und waͤr' es noch so frostig, zum Maaße seines Werthes ma¬ chen! Wie viel reiche Seelen gehen uns durch Stolz verloren! — Ich sag' Ihm nachher al¬ les, Vult.“ — — „Der Kraͤzer aber — ver¬ sezte Vult — koͤnnte etwas besser sein. — Das thu'! — Ich halt' Ihn selber fuͤr keinen selbst¬ suͤchtigen Eisvogel und Frost-Zuleiter weiter. — Er wuste zwar von deinem Gesichte und von der schnellen Kur meiner stadtkuͤndigen Erblin¬ dung nichts mehr; es mag aber mehr in seiner Memorie liegen, und ohnehin darinn, daß ein fremder Mensch ihm weniger sein muß als sein eigner.“ Und hier vergoß er sich, ohne Ant¬ wort abzuwarten, in seine Floͤte, seine zweite Luftroͤhre, sein Feuerrohr und blies schon tref¬ lich, als der Graf kam. Dieser hoͤrte das Spiel aus, und sagte nichts. Walt konnte nichts sagen; er hatte den Mond, den Grafen, den Wein, die Floͤte und sich selber im Kopfe. Der Mond hatte die mit Windmuͤhlen besezten Hoͤhen erstiegen, und glaͤnzte vom Himmel herunter in die weite Ebne und den Fluß voll Licht. Der Notar sah auf dem Gesicht des Juͤnglings ein ernstes, tiefes und schmachtendes Leben wehmuͤthig im Mond¬ schein bluͤhen. Die Toͤne wurden ihm ein Toͤnen, die Floͤte sezt' er schon als ein Posthorn auf den Bock, das ihm den neuen Freund und die suͤsse¬ ste Zukunft davon blase in weite Fernen hinein; „und wo kann der Gute wieder finden, dachte Walt, was er verlassen und beweinen muß, ei¬ ne Geliebte wie Wina?“ — Laͤnger konnt' er sich nicht halten, er muste die zarte Hand des Grafen haben. Da er unbeschreiblich delikat sein wollte und zwar in einem Grade, der, hoft' er, uͤber die aͤltesten franzoͤsischen Romane der franzoͤsischen Weiber hinauslief: so erlaubt' er sich nicht von weitem zu bemerken, daß die Achse an Klothars Braut-Wagen zerbrochen sei. „Wir haͤtten uns fruͤher, sezte der Graf und druͤckte die Hand, sehen sollen, eh' die Sphinx, wie ein sehr wacke¬ rer Dichter die Liebe beschreibt, mir die Tazen zeigte.“ — Walt war der wackere Dichter selber gewesen. Mit diesem silbernen Leitton wurd' er ordentlich von dem zur Saite gespannten Liebes¬ seil, das ihn gab und worauf er tanzte, aufge¬ schnellt, er konnte die Himmel nicht zaͤhlen (der Flug war zu schnell), wodurch er fuhr. Er druͤckte mit seiner zweiten Hand seine erste recht an die fremde ergriffene und sagte — nichts von seiner dichterischen Vaterschaft, sondern: — „Ed¬ ler Graf, glauben Sie mir, ich kannte Sie schon fruͤher, ich suchte und sah Sie lange — — Blase, Guter — wandt' er sich ploͤtzlich zu Vult, der zwischen Himmel und Hoͤlle auf- und niederfuhr mit jener maͤnnlichen Lustigkeit, die dem weiblichen hysterischen Lachen gleicht — milder, blase Hir¬ tenlieder, Lautenzuͤge, Gottesfrieden.“ Vult spielte noch fuͤnf oder sechs Kehrause und Valetstuͤrme, und hoͤrte gar auf, weil er sich zu gut duͤnckte, und es zu laͤcherlich fand, den Abfall von seinem Herzen, den Text abtruͤn¬ niger Empfindungen, in Musik zu setzen. „Auch ich entsinne mich Ihrer Erscheinung, aber dun¬ kel, doch wuͤnsch' ich Ihr Inkognito nicht zu brechen“ versezte der Graf. „Nein, es werde gebrochen (rief der Notar), ich bin der Notarius Harnisch aus Elterlein, derselbe, der den Brief des Fraͤuleins Wina im Park fand und uͤber¬ gab.“ „Was?“ sagte der Graf gedehnt und stand als Koͤnig auf; er besann sich aber wieder und sagte ruhig: „ich bitte Sie sehr ernsthaft um Ihren Namen und besonders um die Eroͤfnung, in wie fern Sie in die Brief-Sache verwickelt waren.“ Walt sah sich nach dem Floͤtenisten um; aber dieser war nach seinen Sturm-Stoͤs¬ sen in die Floͤte seitwaͤrts in einen Gang getre¬ ten, um zwei Herzens-Ergießungen aus dem Weg zu gehen, wobei nach seiner Ueberzeugung, nichts geringeres als er selber ersoff. Walt erschrack uͤber des Grafen Erschrecken und sagte: er wuͤnsche herzlich, nichts Unange¬ nehmes gesagt zu haben. „Gott, was ist mit meinem Bruder?“ rief er; eine Schlaͤgerei und Vults Stimme laͤrmten im Gebuͤsch. „Im Park ist keine Gefahr — sagte der Graf — nur wei¬ ter, weiter!“ — Walt erzaͤhlte schnell das Fin¬ den des ofnen Briefes im Park. „Was, Mon ¬ fieur ? rief jener laut neben dem lauten Wasser¬ fall. Er kann sich unterstehen, meine Briefe, die Er in meinem Parke aufgelesen, dem Ge¬ nerale zu uͤbergeben, um sich bei ihm einzu¬ schmeicheln, weil dieser der Rittergutsherr von Elterlein ist, Herr?“ Walt wurde wie von zwei Blizen getroffen, gelaͤhmt und gereizt; mit sterbender milder Stim¬ me sagt' er: „Ach Himmel! das ist aber zu ungerecht — Ungluͤck uͤber Ungluͤck — ich bin wohl unschuldig — Nein, nein, nur nicht so entsezlich ungerecht sei man — Und es war in Neupeters Park.“ — Vult hoͤrte Klothars Stimme und lief aus der Mooshuͤtte her, worinn er aus Verdruß seine alte Kunst, mit seinem Ich eine pruͤgelnde Stu¬ be vorzustellen, getrieben ha Walt stand an der Statue der Vestalin, die den Kopf senkte, als waͤr' er ihr Ehemann. Der Floͤtenist, auf eine noch geistigere Schlaͤgerei treffend, als seine gewesen, sah aus allem, daß Walt seine adeli¬ che Huͤlse und Raupen-Haut abgesprengt habe, und als feste unbewegliche Puppe da haͤnge. Er bat sich sogleich vom Grafen einige Erklaͤ¬ rung des Unwillens aus. „Sie liegt in der Sache — versezte, ohne ihn anzusehen, dieser — nur begreif' ich nicht, wie man keck genug dieselbe Person aufsuchen kann, deren Briefe man lieset, man usurpirt und man in falsche Haͤnde spielt, die ausdruͤck¬ lich darin verbeten wurden.“ — „O ich habe nichts gelesen — sagte Walt — ich habe nichts gethan; aber ich erdulde gern das haͤrteste Wort, da ich ein solches Ungluͤck uͤber Sie gebracht“ sagte Walt und zog im Krampf der Hand einen kurzen Theaterdolch aus dem menschenfeindlichen Ueberrock und schwang ihn unbewust. Der Graf bog sich ein wenig zuruͤck vor dem Sack- Stilet: was soll das? sagt er zornig — „Herr Graf, fieng Vult sehr stark an, auf mein Eh¬ renwort, er hat nichts gelesen, sag' ich, ob ich gleich nicht weiß, von was die Rede ist. — Gottwalt besieh', was du in der Hand hast!“ Gluͤhend stieß dieser die Waffe in die Scheide der Tasche. Flegeljahre II . Bd. 15 „Herr van der Harnisch, wandte Klothar sich zum Floͤtenspieler, von Ihnen hab' ich mir eine besondere Erklaͤrung auszubitten, in wiefern Sie mir diesen Notar unter fremdem Namen praͤsentiren konnten.“ — „Ich stehe zu jeder da — versezte Vult — als meinen Freund und Verwandten gab ich ihn — das bleibt er — ich konnt' ihn auch als muthmaslichen Gesammt- Erben der von der Kabelschen Erbschaft praͤsen¬ tiren. Ist sonst noch eine Erklaͤrung noͤthig? — „Ich wuͤrde sie fordern, versezte der Graf, wenn ich nicht eben in den Reise-Wagen stiege.“ — „Ich bin erboͤtig nachzusteigen und darin aus einander zu setzen oder uͤberall“ sagte Vult und gieng beleidigt dem Grafen nach, der auf seinen Wagen mit stolzer Kaͤlte zuschritt. „O hoͤr' auf mich, schone mich, bat Walt, du weist nicht, was ich ihm genommen.“ — „Der Narr soll nicht hitzig reden, und du bist auch einer“ fuhr er den Notarius an. „Hr. Graf, Sie sind mir noch Antwort schuldig“ sagte Vult. „Gar keine; aber ich frage: sind Sie beide Bruͤder?“ sagte Klothar. „Vater und Mutter muͤssen Sie fragen, nicht mich“ sagte Vult. Der ungluͤckliche No¬ tar konnte matt den Sargdeckel nicht aufstoßen, zu welchem hinunter er die polternden Zuruͤstun¬ gen zu einem Duelle uͤber seinem Kopfe hoͤrte. „Wenn Sie niemand unter falschem Titel praͤ¬ sentirt haben als sich selber, so brauch' ich keine Erklaͤrung; von Buͤrgerlichen forder' ich keine“ sagte der Graf und saß im Wagen. Vult ließ die Thuͤre nicht schließen, und rief noch hinein: „koͤnnen denn nicht die zwei Narren von Adel sein — oder gar drei?“ Aber der Wagen roll¬ te fort und er blieb mit vergeblicher Tapferkeit zuruͤck. Walt konnte erdruͤckt dem Menschen kein Gluͤck nachwuͤnschen, dem er das groͤßte ge¬ nommen; nicht einmal im Herzen wagt' er es, Wuͤnsche auszudenken. Ohne Worte schlich er mit dem stillen Bruder aus dem verlornen Eden- Garten. Vult sah den Bruder unter der innern tiefhaͤngenden Wetterwolke gebogen gehen; aber er sprach kein Wort zum Trost. Walt nahm dessen Hand, um sich an ein Herz anzuhalten; und fragte: wer kann mich noch lieben? Vult schwieg und hielt seine Hand nur schlaff. Walt entzog sie; das steife scharfe Schweigen hielt er fuͤr eine Strafpredigt gegen seine Versuͤndigung. Er gieng weinend durch die lustigen Abend-Gas¬ sen, neben einem Bruder, um dessen eifersuͤch¬ tige Brust die Thraͤnen wie versteinernde Wasser nur Stein-Rinden ansezten. „Warum hast du mich beschuͤtzen wollen, sagte Walt? Ich war ja nicht unschuldig. Weist du alles mit dem Briefe?“ Vult schuͤttel¬ te kalt den Kopf; denn Walts fruͤhere Erzaͤh¬ lungen davon waren, wie alle seine von sich, aus bloͤder Demuth zu karg und unbestimmt ge¬ wesen, als daß Vult sein altes, von der Welt gewektes historisches Talent, jede Begebenheit ruͤck- und vorwaͤrts zu konstruiren und zu der kleinsten eine lange Vergangenheit und Zukunft zu erfinden, sehr dabei haͤtte zeigen koͤnnen. Walt hatte von diesem Hoftalent nichts an sich; er sah und strich in Einem fort ein Faktum ma¬ lend an; und weiter bracht' ers nie. Walt erzaͤhlt' ihm nun das ungluͤckliche Uebergeben von Winas Brief an ihren Vater. „Ei Teufel! — rief Vult veraͤndert, denn er errieth nun alles und erschrack uͤber die Verwick¬ lung, in welche er den Bruder gezogen — „Schuppe dich droben bei mir ab.“ — „Ja — sagte Walt — Und ob ich gleich kein Ungluͤck wollte, so haͤtt' ich doch die Absicht nicht haben sollen, den Vater und die Braut zu sehen. Ach wer kann denn sagen im vielfach verworrenen Leben: ich bin rein. Das Schicksal haͤlt uns (fuhr er auf der Treppe fort) im Zu¬ falle den Vergroͤßerungsspiegel unserer kleinsten Verzerrung vor — Ach uͤber dem leisen leeren Wort, uͤber sanften Klaͤngen steht eine stille be¬ deckte Hoͤhe, aus der sie einen ungeheuern Jam¬ mer auf das Leben herunter ziehen Ein Wort, ein Glockenton reißet oft die Lauwine ins Fallen. .“ „Schaͤle dich nur zuvoͤrderst aus dem Hunds-Meinau heraus“ sagte Vult sanfter, als sie ins stille von Mondlicht gefuͤllte Zim¬ mer traten. Schweigend hob der Notar den Kotzebuischen Zuckergus wie ein Strom sein Eis, that sanft den Ueberrock und Koadjutor-Hut ab, und strich die Locken wieder aus. Als Vult im Mondlicht dem betruͤbten Schelm das duͤnne Nankingroͤkgen wie einen Gehenkten, am Aufhaͤng-Baͤndgen hinlangt', und er es uͤber¬ haupt uͤberlegte, wie laͤcherlich der Bruder mit dem Korkwams der Verkleidung auf dem Trok¬ nen sitzen geblieben: so dauerte ihn der getaͤusch¬ te stille Mensch in seinen weiten Steifstiefeln un¬ saͤglich und ihm brach mitten im Laͤcheln das Herz in zwei Stuͤcke von — Thraͤnen entzwei. „Ich will Dir — sagt' er, sich hinter ihn wie hinter ein Schiespferd stellend — das Zoͤpflein machen. — Nimm aber das Zopfband zwischen die Zaͤhne; das eine Ende.“ Er that's fast verschaͤmt. Als Vult gar das weiche Kraͤuselhaar unter die Finger bekam und den bruͤderlichen Ruͤcken vor sich hatte — der sehr leicht den Menschen auf einmal todt, fern und abwesend darstellt und durch diese Li¬ nienperspektive des Herzens das fremde mitleidig bewegt: — so hielt er dem Kopfe den Zuͤgel des Haares ganz kurz am Genick, damit Gottwalt sich nicht umkehren koͤnnte, weil er ihm mit fast schwerer Stimme (weinen konnt' er in solcher Stellung frei und lustig wie er wollte) die Fra¬ ge that: Gottwalt, liebst du einen gewissen Quoddeus Vult noch? In der Stimme lag etwas geruͤhrtes. Walt wollte sich eiligst herum werfen, aber er wurde an den Haaren gehalten: „O Vult, liebst du mich denn noch?“ rief er weinend, und ließ das Zopfband fahren. „Mehr als jeden und alle Spizbuben hie¬ nieden — versezte Vult und konnte schwer re¬ den — und darum kraͤchz' ich wie ein Hund und wie ein Weib. Beiße wieder aufs Zopf¬ band!“ — Aber der Notar fuhr schnell herum und wurde schneeweiß, als er Thraͤnen uͤber das Wellen schlagende Gesicht des Bruders rin¬ nen sah: o Gott! was fehlt Dir, rief er? — „Vielleicht nichts oder so etwas, sagte Vult, oder gar Liebe. So fahr's nur heraus, das verfluchte Wort, ich war eifersuͤchtig auf den Grafen. Es ist nicht sauber vom Bruder, sagt' ich mir, daß Er so reviert und jagt, da man ihm mehr zugethan ist als allen Menschen, die der Satan saͤmmtlich hole, und von welchen ich in der That so schlimm denke, als irgend ein Kir¬ chen-Vater, ein griechischer oder roͤmischer. Er muß nur nicht denken, mich mit lumpiger Ge¬ schwister-Liebe abzufinden. Mein junges Le¬ ben steht schon sehr troken da, die Freihaͤfen der Liebe hat ihr Meer verlassen — und keine Katze kann hinein und ankern — Bruder, ich hatte oft einige Tage voll Ohrenbrausen, Naͤch¬ te voll Herzgespann — Der Donner, ich wein¬ te einmal Abends gegen halb 12 Uhr“ — — Er muste aber innen halten, die Unterlip¬ pe des bestuͤrzten Notars zog ein heisser schwe¬ rer Liebesschmerz tief herunter. „Was betruͤbt dich so?“ fragte Vult. Walt schuͤttelte — schritt weit auf und ab — nahm bald ein Glas, bald ein Buch in die Hand — sah nichts an — schauete in den hellen Mond und weinte heisser. „So sei es gut, sagte Vult; wir wollen die alten sein“ und umarmte ihn, aber Walt riß sich bald los. Endlich fast' er sich und sagte schmerzlich: „muß ich denn alles ungluͤcklich machen? Du bist heute der dritte Mensch. Die drei Wachskinder in meinem Traum.“ Vult fragte, um ihn von den Schmerzen abzufuͤhren, dringend nach dem Traum. Un¬ gern, eilig erzaͤhlte Walt: „Verhuͤllte Gestal¬ ten giengen vor mir vorbei und fragten mich, warum ich nicht jammerte und nicht blaß wuͤr¬ de. Eine nach der andern kam und fragte. Ich zitterte vor einer ungeheuern Entschleierung. Da flogen drei bildschoͤne Kinder aus Wachs vom Himmel, sie blikten freundlich, gruͤsten mich. Gebt mir die weisen Haͤndlein und zieht mich hinauf, sagt' ich. Sie thaten es, aber ich riß ihnen die Arme mit der Brust aus, und sie fielen todt herunter. Und schon als ich erwachte, sah ich noch einen fernen dunkeln Leichenzug, der auf den Knien weiter zog. Der Traum ist ein¬ getroffen.“ Vult, dem der zornige Schmerz wie weg¬ gezaubert war, machte jezt alle Anstalten zur Kur des fremden; er stellte ihm alles auf der leichtern Seite vor, klagte den giftigen Schmol¬ winkel in seiner linken Herzenskammer an, in welchem ein Schmol-Kobold und Waͤhrwolf¬ hause und feurig blicke, zog das Silber von den Giftpillen ab, die er bisher in seine Bille¬ te eingewickelt hatte, und machte sein Naturel bekannt, das ohne tuͤchtigen Zank nicht trakta¬ bel werde, wie die Haubenlerche allezeit singe, wenn sie keife, und schwur‚ Walt sei nicht der Erste, dem er mit diesem Seelen-Pips beschwer¬ lich falle, sondern der lezte; denn dessen graͤn¬ zenlose Leutseligkeit stelle ihn gewiß davon her.“ Aber Walt wollte wenig Vernunft anneh¬ men, hielt alles fuͤr opfernde Zartheit, und warf ein, daß ihn Vult ja eben gegen den Gra¬ fen so feurig beschirmt, und bisher zu diesem sogar den Weg gebahnet habe. „Aus Gift, Schaz, sagte Vult, und einigem Stolz dazu, nur darum. Hier — fuhr er fort und holte den mit zwei Siegeln verschlossenen Brief her¬ vor — lies den Beweis, ich habe dich voraus gerechtfertiget, und mich besonders.“ Der Notarius machte aber das Blatt nicht auf, er sagte, er glaubte aufs Wort und ver¬ stehe ihn endlich und jezt sei ihm wieder um vieles besser. Vult ließ es dabei und druͤckte sich dem Bruder, mit der lang verschobenen heis¬ sen Umarmung an das Herz, die seinen wilden Geist erklaͤrte. Und der Bruder wurde gluͤcklich und sagte: wir bleiben Bruͤder. „Nur einen Freund kann der Mensch haben, sagt Montaigne“ sagte Vult. „O! nur Einen, sagte Walt — Und nur Einen Vater, und nur Eine Mutter, Eine Ge¬ liebte — und nur Einen, Einen Zwillings- Bruder!“ Vult versezte ganz ernsthaft: „ja wohl, nur Einen! Und in jedem Herzen bleibe nur die Liebe und das Recht.“ „Spaße wieder wie sonst, ich lache gewiß, so gut ich kann — sagte Walt — zum Beweise deiner Versoͤhnung; Dein Ernst durchschneidet sehr das Herz.“ „Wenn du willst, so kann wohl gescherzt werden — sagt' er — Und nein! Bei Gott nein! — Wenn die Kamtschadalen glauben, — nach Steller, — von zwei Zwillingen habe je¬ derzeit der eine einen Wolf zum Vater: so bin ich warlich dieser Wolfs-Bastard-Mestize- Mondkalb, du schwerlich.“ Jezt, da wir alle klar uͤber die Verwicklung sprechen koͤnnen, darf ich dir sagen, daß du durchaus rein und recht gegen den Grafen gehandelt; nur daß du zu wenig Egoismus hast, um irgend einen zu errathen. Klothar hat fast großen — warlich, ich greife heute niemand an, sondern schlage Dir nach — Aber die Philosophen, junge gar, wie er, sind doch bei Gott den Augenblik egoistisch. Menschenliebende Maximen und Moralien sind, weist du, nur Scherwenzel; ein Licht ist kein Feuer, ein Leuchter kein Ofen; dennoch meint saͤmmtliches philosophisches Pak das Deutsch¬ land hinauf und hinab, sobald es nur sein Talg¬ licht in das Herz trage und auf den Tisch setze, so heize das Licht beide Kammern zu¬ laͤnglich.“ „Lieber Vult — sagte Walt mit der aller¬ zaͤrtlichsten Stimme — erlasse mir die Ant¬ wort; ich darf heute am wenigsten uͤber den ungluͤcklichen Klothar aburtheilen, dem ich das Schoͤnste genommen, und der nun einsam in der Nacht hinreiset mit naͤchtlichem Herzen in naͤcht¬ liche Zukunft. Du bist rein, nicht ich; du kannst sprechen.“ „So sprech' ich, sagt' er, der Philosoph hat sich diesen Abend gehaͤutet; und das bedeu¬ tet, wenn's Spinnen thun, klares Wetter. Apro¬ pos! haͤute dich, aber besser und physisch! — Das that Walt; jener hielt ihn, als er sich zum Entkleiden auf den Stiefelknecht stellte: „wie laͤchelt der Mond, sagte Vult, im Zimmer her¬ um!“ — Darauf sezte er hinzu: „stelle dich in den suͤßen Schein, und nimm wieder das Band- Ende zwischen die Zaͤhne; jezt flecht' ich dir dein Zoͤpflein mit ganz andern Empfindungen und Fingern als vorhin, pompoͤser Krauskopf!“ — Darauf schieden sie ruhig und liebreich. Ende des zweiten Baͤndgens.