Novalis Schriften . Herausgegeben von Ludwig Tieck und Fr. Schlegel . Vierte vermehrte Auflage . Erster Theil . Berlin, 1826. Gedruckt und verlegt bei G . Reimer . Die Christenheit oder Europa. Ein Fragment . (Geschrieben im Jahre 1799. ) E s waren schoͤne glaͤnzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte; Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs. — Ohne große weltliche Besitzthuͤmer lenkte und ver¬ einigte Ein Oberhaupt, die großen politischen Kraͤfte. — Eine zahlreiche Zunft zu der jedermann den Zutritt hatte, stand un¬ mittelbar unter demselben und vollfuͤhrte seine Winke und strebte mit Eifer seine wohlthaͤtige Macht zu befestigen. Je¬ des Glied dieser Gesellschaft wurde allenthalben geehrt, und wenn die gemeinen Leute Trost oder Huͤlfe, Schutz oder Rath bei ihm suchten, und gerne dafuͤr seine mannigfaltigen Beduͤrf¬ nisse reichlich versorgten, so fand es auch bei den Maͤchtigeren Schutz, Ansehn und Gehoͤr, und alle pflegten diese auserwaͤhl¬ ten, mit wunderbaren Kraͤften ausgeruͤsteten Maͤnner, wie Kinder des Himmels, deren Gegenwart und Zuneigung man¬ nigfachen Segen verbreitete. Kindliches Zutrauen knuͤpfte die Menschen an ihre Verkuͤndigungen. — Wie heiter konnte jeder¬ mann sein irdisches Tagewerk vollbringen, da ihm durch diese heilige Menschen eine sichere Zukunft bereitet, und jeder Fehl¬ tritt durch sie vergeben, jede mißfarbige Stelle des Lebens durch sie ausgeloͤscht, und geklaͤrt wurde. Sie waren die er¬ fahrnen Steuerleute auf dem großen unbekannten Meere, in deren Obhut man alle Stuͤrme geringschaͤtzen, und zuversicht¬ lich auf eine sichre Gelangung und Landung an der Kuͤste der eigentlichen vaterlaͤndischen Welt rechnen durfte. Die wildesten, gefraͤßigsten Neigungen mußten der Ehr¬ furcht und dem Gehorsam gegen ihre Worte weichen. Friede ging von ihnen aus. — Sie predigten nichts als Liebe zu der heiligen, wunderschoͤnen Frau der Christenheit, die mit goͤttli¬ chen Kraͤften versehen, jeden Glaͤubigen aus den schrecklichsten Gefahren zu retten bereit war. Sie erzaͤhlten von laͤngst ver¬ storbenen himmlischen Menschen, die durch Anhaͤnglichkeit und Treue an jene selige Mutter und ihr himmlisches, freundliches Kind, die Versuchung der irdischen Welt bestanden, zu goͤttli¬ chen Ehren gelangt und nun schuͤtzende, wohlthaͤtige Maͤchte ihrer lebenden Bruͤder, willige Helfer in der Noth, Vertreter menschlicher Gebrechen und wirksame Freunde der Menschheit am himmlischen Throne geworden waren. Mit welcher Hei¬ terkeit verließ man die schoͤnen Versammlungen in den geheim¬ nißvollen Kirchen, die mit ermunternden Bildern geschmuͤckt, mit suͤßen Duͤften erfuͤllt, und von heiliger erhebender Musik belebt waren. In ihnen wurden die geweihten Reste ehemali¬ ger gottesfuͤrchtiger Menschen dankbar, in koͤstlichen Behaͤlt¬ nissen aufbewahrt. — Und an ihnen offenbahrte sich die goͤttli¬ che Guͤte und Allmacht, die maͤchtige Wohlthaͤtigkeit dieser gluͤcklichen Frommen, durch herrliche Wunder und Zeichen. So bewahren liebende Seelen, Locken oder Schriftzuͤge ihrer ver¬ storbenen Geliebten, und naͤhren die suͤße Glut damit, bis an den wiedervereinigenden Tod. Man sammelte mit inniger Sorgfalt uͤberall was diesen geliebten Seelen angehoͤrt hatte, und jeder pries sich gluͤcklich der eine so troͤstliche Reliquie er¬ halten oder nur beruͤhren konnte. Hin und wieder schien sich die himmlische Gnade vorzuͤglich auf ein seltsames Bild, oder einen Grabhuͤgel niedergelassen zu haben. — Dorthin stroͤmten aus allen Gegenden Menschen mit schoͤnen Gaben und brach¬ ten himmlische Gegengeschenke: Frieden der Seele und Ge¬ sundheit des Leibes, zuruͤck. Aemsig suchte, diese maͤchtige frie¬ denstiftende Gesellschaft, alle Menschen dieses schoͤnen Glau¬ bens theilhaftig zu machen und sandte ihre Genossen, in alle Welttheile, um uͤberall das Evangelium des Lebens zu ver¬ kuͤndigen, und das Himmelreich zum einzigen Reiche auf dieser Welt zu machen. Mit Recht widersetzte sich das weise Ober¬ haupt der Kirche, frechen Ausbildungen menschlicher Anlagen auf Kosten des heiligen Sinns, und unzeitigen gefaͤhrlichen Entdeckungen, im Gebiete des Wissens. So wehrte er den kuͤhnen Denkern oͤffentlich zu behaupten, daß die Erde ein un¬ bedeutender Wandelstern sey, denn er wußte wohl, daß die Menschen mit der Achtung fuͤr ihren Wohnsitz und ihr irdisches Vaterland, auch die Achtung vor der himmlischen Heimath und ihrem Geschlecht verlieren, und das eingeschraͤnkte Wissen dem unendlichen Glauben vorziehn und sich gewoͤhnen wuͤrden alles Große und Wunderwuͤrdige zu verachten, und als todte Ge¬ setzwirkung zu betrachten. An seinem Hofe versammelten sich alle klugen und ehrwuͤrdigen Menschen aus Europa. Alle Schaͤtze flossen dahin, das zerstoͤrte Jerusalem hatte sich ge¬ raͤcht, und Rom selbst war Jerusalem, die heilige Residenz der goͤttlichen Regierung auf Erden geworden. Fuͤrsten legten ihre Streitigkeiten dem Vater der Christenheit vor, willig ihm ihre Kronen und ihre Herrlichkeit zu Fuͤßen, ja sie achteten es sich zum Ruhm, als Mitglieder dieser hohen Zunft, den Abend ih¬ res Lebens in goͤttlichen Betrachtungen zwischen einsamen Klo¬ stermauern zu beschließen. Wie wohlthaͤtig, wie angemessen, der innern Natur der Menschen, diese Regierung, diese Ein¬ richtung war, zeigte das gewaltige Emporstreben, aller andern menschlichen Kraͤfte, die harmonische Entwickelung aller Anla¬ gen; die ungeheure Hoͤhe, die einzelne Menschen in allen Faͤchern der Wissenschaften des Lebens und der Kuͤnste erreich¬ ten und der uͤberall bluͤhende Handelsverkehr mit geistigen und irdischen Waaren, in dem Umkreis von Europa und bis in das fernste Indien hinaus. — Das waren die schoͤnen wesentlichen Zuͤge der aͤchtkatholi¬ schen oder aͤcht christlichen Zeiten. Noch war die Menschheit fuͤr dieses herrliche Reich nicht reif, nicht gebildet genug. Es war eine erste Liebe, die im Drucke des Geschaͤftlebens ent¬ schlummerte, deren Andenken durch eigennuͤtzige Sorgen ver¬ draͤngt, und deren Band nachher als Trug und Wahn ausge¬ schrien und nach spaͤtern Erfahrungen beurtheilt, — auf im¬ mer von einem großen Theil der Europaͤer zerrissen wurde. Diese innere große Spaltung, die zerstoͤrende Kriege begleite¬ ten, war ein merkwuͤrdiges Zeichen der Schaͤdlichkeit der Kul¬ tur, fuͤr den Sinn des Unsichtbaren, wenigstens einer tempo¬ rellen Schaͤdlichkeit der Kultur einer gewissen Stufe. Vernich¬ tet kann jener unsterbliche Sinn nicht werden, aber getruͤbt, gelaͤhmt, von andern Sinnen verdraͤngt. — Eine laͤngere Ge¬ meinschaft der Menschen vermindert die Neigungen, den Glau¬ ben an ihr Geschlecht, und gewoͤhnt sie ihr ganzes Dichten und Trachten, den Mitteln des Wohlbefindens allein zuzuwenden, die Beduͤrfnisse und die Kuͤnste ihrer Befriedigung werden ver¬ wickelter, der habsuͤchtige Mensch hat, so viel Zeit noͤthig sich mit ihnen bekannt zu machen und Fertigkeiten in ihnen sich zu erwerben, daß keine Zeit zum stillen Sammeln des Gemuͤths, zur aufmerksamen Betrachtung der innern Welt uͤbrig bleibt. — In Collisions-Faͤllen scheint ihm das gegenwaͤrtige Interesse naͤher zu liegen, und so faͤllt die schoͤne Bluͤte seiner Jugend, Glauben und Liebe ab, und macht den derbern Fruͤchten, Wis¬ sen und Haben Platz. Man gedenkt des Fruͤhlings im Spaͤt¬ herbst, wie eines kindischen Traums und hofft mit kindischer Einfalt, die vollen Speicher sollen auf immer aushalten. Eine gewisse Einsamkeit, scheint dem Gedeihen der hoͤhern Sinne nothwendig zu seyn, und daher muß ein zu ausgebreiteter Um¬ gang der Menschen mit einander, manchen heiligen Keim er¬ sticken und die Goͤtter, die den unruhigen Tumult zerstreuender Gesellschaften, und die Verhandlungen kleinlicher Angelegenhei¬ ten fliehen, verscheuchen. Ueberdem haben wir ja mit Zeiten und und Perioden zu thun, und ist diesen eine Oszillation, ein Wechsel entgegengesetzter Bewegungen nicht wesentlich? und ist diesen eine beschraͤnkte Dauer nicht eigenthuͤmlich, ein Wachs¬ thum und ein Abnehmen nicht ihre Natur? aber auch eine Auferstehung, eine Verjuͤngung, in neuer, tuͤchtiger Gestalt, nicht auch von ihnen mit Gewißheit zu erwarten? fortschrei¬ tende, immer mehr sich vergroͤßernde Evolutionen sind der Stoff der Geschichte. — Was jetzt nicht die Vollendung erreicht, wird sie bei einem kuͤnftigen Versuch erreichen, oder bei einem abermaligen; vergaͤnglich ist nichts was die Geschichte ergriff, aus unzaͤhligen Verwandlungen geht es in immer reicheren Gestalten erneuet wieder hervor. Einmal war doch das Chri¬ stenthum mit voller Macht und Herrlichkeit erschienen, bis zu einer neuen Welt-Inspiration herrschte seine Ruine, sein Buch¬ stabe mit immer zunehmender Ohnmacht und Verspottung. Unendliche Traͤgheit lag schwer auf der sicher gewordenen Zunft der Geistlichkeit. Sie war stehn geblieben im Gefuͤhl ihres Ansehns und ihrer Bequemlichkeit, waͤhrend die Layen ihr un¬ ter den Haͤnden Erfahrung und Gelehrsamkeit entwandt und maͤchtige Schritte auf dem Wege der Bildung vorausgethan hatten. In der Vergessenheit ihres eigentlichen Amts, die Er¬ sten unter den Menschen an Geist, Einsicht und Bildung zu seyn, waren ihnen die niedrigen Begierden zu Kopf gewach¬ sen, und die Gemeinheit und Niedrigkeit ihrer Denkungsart wurde durch ihre Kleidung und ihren Beruf noch widerlicher. So fielen Achtung und Zutrauen, die Stuͤtzen dieses und jedes Reichs, allmaͤhlig weg, und damit war jene Zunft vernichtet, und die eigentliche Herrschaft Roms hatte lange vor der ge¬ waltsamen Insurrection stillschweigend aufgehoͤrt. Nur kluge, also auch nur zeitliche, Maaßregeln hielten den Leichnam der Verfassung noch zusammen, und bewahrten ihn vor zu schleuni¬ ger Aufloͤsung, wohin denn z. B. die Abschaffung der Priester- Ehe vorzuͤglich gehoͤrte. — Eine Maaßregel die analog ange¬ wandt auch dem aͤhnlichen Soldatenstand eine fuͤrchterliche Con¬ I . R sistenz verleihen und sein Leben noch lange fristen koͤnnte. Was war natuͤrlicher, als daß endlich ein feuerfangender Kopf oͤffentlichen Aufstand gegen den despotischen Buchstaben der ehemahligen Verfassung predigte, und mit um so groͤßerm Gluͤck, da er selbst Zunft-Genosse war. — Mit Recht nannten sich die Insurgenten Protestanten, denn sie protestirten feyerlich gegen jede Anmaßung einer unbeque¬ men und unrechtmaͤßig scheinenden Gewalt uͤber das Gewissen. Sie nahmen ihr stillschweigend abgegebenes Recht auf Reli¬ gions-Untersuchung, Bestimmung und Wahl, als vakant wie¬ der einstweilen an sich zuruͤck. Sie stellten auch eine Menge richtiger Grundsaͤtze auf, fuͤhrten eine Menge loͤblicher Dinge ein, und schafften eine Menge verderblicher Satzungen ab; aber sie vergaßen das nothwendige Resultat ihres Prozesses; trennten das Untrennbare, theilten die untheilbare Kirche und rissen sich frevelnd aus dem allgemeinen christlichen Verein, durch welchen und in welchem allein die aͤchte, dauernde Wiederge¬ burt moͤglich war. Der Zustand religioͤser Anarchie darf nur voruͤbergehend seyn, denn der nothwendige Grund, eine Zahl Menschen lediglich diesem hohen Berufe zu widmen, und diese Zahl Menschen unabhaͤngig von der irdischen Gewalt in Ruͤck¬ sicht dieser Angelegenheiten zu machen, bleibt in fortdauernder Wirksamkeit und Guͤltigkeit. — Die Errichtung der Consisto¬ rien und die Beibehaltung einer Art Geistlichkeit half diesem Beduͤrfnisse nicht ab, und war kein zureichender Ersatz. Ungluͤck¬ licher Weise hatten sich die Fuͤrsten in diese Spaltung gemischt, und viele benutzten diese Streitigkeiten zur Befestigung und Erweiterung ihrer landesherrlichen Gewalt und Einkuͤnfte. Sie waren froh jenes hohen Einflusses uͤberhoben zu seyn und nahmen die neuen Consistorien nun unter ihre landesvaͤ¬ terliche Beschuͤtzung und Leitung. Sie waren eifrigst besorgt die gaͤnzliche Vereinigung der protestantischen Kirchen zu hin¬ dern, und so wurde die Religion irreligioͤser Weise in Staats- Graͤnzen eingeschlossen, und damit der Grund zur allmaͤhligen Untergrabung des religioͤsen cosmopolitische Interesse gelegt. So verlor die Religion ihren großen politischen friedestiften¬ den Einfluß, ihre eigenthuͤmliche Rolle des vereinigenden, in¬ dividualisirenden Prinzips, der Christenheit. Der Religions¬ friede ward nach ganz fehlerhaften und religionswidrigen Grundsaͤtzen abgeschlossen, und durch die Fortsetzung des soge¬ nannten Protestantismus etwas durchaus Widersprechendes — eine Revolutions-Regierung permanent erklaͤrt. Indeß liegt dem Protestantismus bei weitem nicht bloß je¬ ner reine Begriff zum Grunde, sondern Luther behandelte das Christenthum uͤberhaupt willkuͤhrlich, verkannte seinen Geist, und fuͤhrte einen andern Buchstaben und eine andere Religion ein, nemlich die heilige Allgemeinguͤltigkeit der Bibel, und da¬ mit wurde leider eine andere hoͤchst fremde irdische Wissenschaft in die Religionsangelegenheit gemischt — die Philologie — de¬ ren auszehrender Einfluß von da an unverkennbar wird. Er wurde selbst aus dunkelm Gefuͤhl dieses Fehlgriffs bei einem großen Theil der Protestanten zum Rang eines Evangelisten erhoben und seine Uebersetzung canonisirt. Dem religioͤsen Sinn war diese Wahl hoͤchst verderblich, da nichts seine Irritabilitaͤt so vernichtet, wie der Buchstabe. Im ehemahligen Zustande hatte dieser bei dem großen Umfange der Geschmeidigkeit und dem reichhaltigen Stoff des katholi¬ schen Glaubens, so wie der Esoterisirung der Bibel und der heiligen Gewalt der Concilien und des geistlichen Oberhaupts, nie so schaͤdlich werden koͤnnen; jetzt aber wurden diese Ge¬ genmittel vernichtet, die absolute Popularitaͤt der Bibel be¬ hauptet, und nun druͤckte der duͤrftige Inhalt, der rohe ab¬ stracte Entwurf der Religion in diesen Buͤchern desto merkli¬ cher, und erschwerte dem heiligen Geiste die freie Belebung, Eindringung und Offenbarung unendlich. Daher zeigt uns auch die Geschichte des Protestantismus keine herrlichen großen Erscheinungen des Ueberirdischen mehr, nur sein Anfang glaͤnzt durch ein voruͤbergehendes Feuer des N2 Himmels, bald nachher ist schon die Vertrocknung des heili¬ gen Sinns bemerklich; das Weltliche hat die Oberhand ge¬ wonnen, der Kunstsinn leidet sympathetisch mit, nur selten, daß hie und da ein gediegener, ewiger Lebensfunke hervor¬ springt, und eine kleine Gemeinde sich assimilirt. Er verlischt und die Gemeinde fließt wieder auseinander und schwimmt mit dem Strome fort. So Zinzendorf, Jacob Boͤhme und meh¬ rere. Die Moderatisten behalten die Oberhand, und die Zeit naͤhert sich einer gaͤnzlichen Atonie der hoͤhern Organe, der Periode des praktischen Unglaubens. Mit der Reformation wars um die Christenheit gethan. Von nun an war keine mehr vorhanden. Katholiken und Protestanten oder Refor¬ mirte standen in sektirischer Abgeschnittenheit weiter von einan¬ der, als von Mahomedanern und Heiden. Die uͤbriggebliebe¬ nen katholischen Staaten vegetirten fort, nicht ohne den schaͤd¬ lichen Einfluß der benachbarten protestantischen Staaten un¬ merklich zu fuͤhlen. Die neuere Politik entstand erst in diesem Zeitpunkt, und einzelne maͤchtige Staaten suchten den vakan¬ ten Universalstuhl, in einen Thron verwandelt, in Besitz zu nehmen. Den meisten Fuͤrsten schien es eine Erniedrigung sich nach einem ohnmaͤchtigen Geistlichen zu geniren. — Sie fuͤhlten zum erstenmal das Gewicht ihrer koͤrperlichen Kraft auf Er¬ den, sahen die himmlischen Maͤchte unthaͤtig bei Verletzung ih¬ rer Repraͤsentanten, und suchten nun allgemach ohne Aufsehn vor den noch eifrig paͤbstlich gesinnten Unterthanen das laͤstige roͤmische Joch abzuwerfen und sich unabhaͤngig auf Erden zu machen. — Ihr unruhiges Gewissen beruhigten kluge Seelsor¬ ger, die nichts dabei verloren, daß ihre geistlichen Kinder die Disposition uͤber das Kirchenvermoͤgen sich anmaßten. Zum Gluͤck fuͤr die alte Verfassung that sich jetzt ein neu entstandener Orden hervor, auf welchen der sterbende Geist der Hierarchie seine letzten Gaben ausgegossen zu haben schien, der mit neuer Kraft das Alte zuruͤstete und mit wunderbarer Einsicht und Beharrlichkeit, kluͤger, als je vorher geschehen, sich des paͤbstlichen Reichs und seiner maͤchtigern Regeneration an¬ nahm. Noch war keine solche Gesellschaft in der Weltgeschichte anzutreffen gewesen Mit groͤßerer Sicherheit des Erfolgs hatte selbst der alte roͤmische Senat nicht Plaͤne zur Welteroberung entworfen. Mit groͤßerem Verstand war an die Ausfuͤhrung einer groͤßeren Idee noch nicht gedacht worden. Ewig wird diese Gesellschaft ein Muster aller Gesellschaften seyn, die eine organische Sehnsucht nach unendlicher Verbreitung und ewiger Dauer fuͤhlen, — aber auch ewig ein Beweis, daß die unbe¬ wachte Zeit allein die kluͤgsten Unternehmungen vereitelt, und der natuͤrliche Wachsthum des ganzen Geschlechts unaufhaltsam den kuͤnstlichen Wachsthum eines Theils unterdruͤckt. Alles Einzelne fuͤr sich hat ein eigenes Maaß von Faͤhigkeit, nur die Capacitaͤt des Geschlechts ist unermeßlich. Alle Plaͤne muͤssen fehlschlagen, die nicht auf alle Anlagen des Geschlechts voll¬ staͤndig angelegte Plaͤne sind. Noch merkwuͤrdiger wird diese Gesellschaft, als Mutter der sogenannten geheimen Gesellschaf¬ ten, eines jetzt noch unreifen, aber gewiß wichtigen geschichtli¬ chen Keims. Einen gefaͤhrlichern Nebenbuhler konnte der neue Lutheranismus, nicht Protestantismus, gewiß nicht erhalten. Alle Zauber des katholischen Glaubens wurden unter seiner Hand noch kraͤftiger, die Schaͤtze der Wissenschaften flossen in seine Zelle zuruͤck. Was in Europa verloren war, suchten sie in den andern Welttheilen, in dem fernsten Abend und Morgen, vielfach wieder zu gewinnen, und die apostolische Wuͤrde und Beruf sich zuzueignen und geltend zu machen. Auch sie blieben in den Bemuͤhungen nach Popularitaͤt nicht zuruͤck, und wu߬ ten wohl wieviel Luther seinen demagogischen Kuͤnsten, seinem Studium des gemeinen Volks zu verdanken gehabt hatte. Ue¬ berall legten sie Schulen an, drangen in die Beichtstuͤhle, be¬ stiegen die Katheder und beschaͤftigten die Pressen, wurden Dichter und Weltweise, Minister und Maͤrtyrer, und blieben in der ungeheuren Ausdehnung von Amerika uͤber Europa nach China in dem wunderbarsten Einverstaͤndniß der That und der Lehre. Aus ihren Schulen rekrutirten sie mit weiser Aus¬ wahl ihren Orden. Gegen die Lutheraner predigten sie mit zerstoͤrendem Eifer und suchten die grausamste Vertilgung die¬ ser Ketzer, als eigentlicher Genossen des Teufels, zur dringend¬ sten Pflicht der katholischen Christenheit zu machen. Ihnen allein hatten die katholischen Staaten und insonderheit der paͤbstliche Stuhl ihr langes Ueberleben der Reformation zu danken gehabt, und wer weiß, wie alt die Welt noch aussehn wuͤrde, wenn nicht schwache Obere, Eifersucht der Fuͤrsten und andern geistlichen Orden, Hofintriguen und andere sonderbare Umstaͤnde ihren kuͤhnen Lauf unterbrochen und mit ihnen diese letzte Schutzwehr der katholischen Verfassung beinah vernichtet haͤtten. Jetzt schlaͤft er, dieser furchtbare Orden, in armseliger Gestalt an den Grenzen von Europa, vielleicht daß er von da¬ her sich, wie das Volk das ihn beschuͤtzt, mit neuer Gewalt einst uͤber seine alte Heimath, vielleicht unter anderm Namen, verbreitet. Die Reformation war ein Zeichen der Zeit gewesen. Sie war fuͤr ganz Europa bedeutend, wenn sie gleich nur im wahr¬ haft freien Deutschland oͤffentlich ausgebrochen war. Die gu¬ ten Koͤpfe aller Nationen waren heimlich muͤndig geworden, und lehnten sich im taͤuschenden Gefuͤhl ihres Berufs um desto dreister gegen verjaͤhrten Zwang auf. Aus Instinkt ist der ge¬ lehrte Feind der Geistlichkeit nach alter Verfassung; der ge¬ lehrte und der geistliche Stand muͤssen Vertilgungskriege fuͤhren, wenn sie getrennt sind; denn sie streiten um Eine Stelle. Diese Trennung that sich immer mehr hervor, und die Gelehrten ge¬ wannen desto mehr Feld, je mehr sich die Geistlichkeit der eu¬ ropaͤischen Menschheit dem Zeitraum der triumphirenden Ge¬ lehrsamkeit naͤherte, und Wissen und Glauben in eine entschie¬ denere Opposition traten. Im Glauben suchte man den Grund der allgemeinen Stockung, und durch das durchdringende Wis¬ sen hoffte man sie zu heben. Ueberall litt der heilige Sinn unter den mannichfachen Verfolgungen seiner bisherigen Art, seiner zeitigen Personalitaͤt. Das Resultat der modernen Denkungsart nannte man Philosophie und rechnete alles dazu was dem Alten entgegen war, vorzuͤglich also jeden Einfall gegen die Religion. Der anfaͤngliche Personalhaß gegen den katholischen Glauben ging allmaͤhlig in Haß gegen die Bibel, gegen den christlichen Glauben und endlich gar gegen die Reli¬ gion uͤber. Noch mehr — der Religions-Haß, dehnte sich sehr natuͤrlich und folgerecht auf alle Gegenstaͤnde des Enthu¬ siasmus aus, verketzerte Fantasie und Gefuͤhl, Sittlichkeit und Kunstliebe, Zukunft und Vorzeit, setzte den Menschen in der Reihe der Naturwesen mit Noth oben an, und machte die un¬ endliche schoͤpferische Musik des Weltalls zum einfoͤrmigen Klap¬ pern einer ungeheuren Muͤhle, die vom Strom des Zufalls ge¬ trieben und auf ihm schwimmend, eine Muͤhle an sich, ohne Baumeister und Muͤller und eigentlich ein aͤchtes Perpetuum mobile, eine sich selbst mahlende Muͤhle sey. Ein Enthusiasmus ward großmuͤthig dem armen Men¬ schengeschlechte uͤbrig gelassen und als Pruͤfstein der hoͤchsten Bildung jedem Actionair derselben unentbehrlich gemacht. — Der Enthusiasmus fuͤr diese herrliche, großartige Philosophie und insbesondere fuͤr ihre Priester und ihre Mystagogen. Frankreich war so gluͤcklich der Schooß und der Sitz dieses neuen Glaubens zu werden, der aus lauter Wissen zusammen geklebt war. So verschrien die Poesie in dieser neuen Kirche war, so gab es doch einige Poeten darunter, die des Effekts wegen, noch des alten Schmucks und der alten Lichter sich be¬ dienten, aber dabei in Gefahr kamen, das neue Weltsystem mit altem Feuer zu entzuͤnden. Kluͤgere Mitglieder wußten je¬ doch die schon warmgewordenen Zuhoͤrer sogleich wieder mit kaltem Wasser zu begießen. Die Mitglieder waren rastlos be¬ schaͤftigt, die Natur, den Erdboden, die menschlichen Seelen und die Wissenschaften von der Poesie zu saͤubern, — jede Spur des Heiligen zu vertilgen, das Andenken an alle erhe¬ bende Vorfaͤlle und Menschen durch Sarkasmen zu verleiden, und die Welt alles bunten Schmucks zu entkleiden. Das Licht war wegen seines mathematischen Gehorsams und seiner Frech¬ heit ihr Liebling geworden. Sie freuten sich, daß es sich eher zerbrechen ließ, als daß es mit Farben gespielt haͤtte, und so benannten sie nach ihm ihr großes Geschaͤft, Aufklaͤrung. In Deutschland betrieb man dieses Geschaͤft gruͤndlicher, man re¬ formirte das Erziehungswesen, man suchte der alten Religion einen neuern vernuͤnftigen, gemeinern Sinn zu geben, indem man alles Wunderbare und Geheimnißvolle sorgfaͤltig von ihr abwusch; alle Gelehrsamkeit ward aufgeboten um die Zuflucht zur Geschichte abzuschneiden, indem man die Geschichte zu einem haͤuslichen und buͤrgerlichen Sitten- und Familien-Gemaͤhlde zu veredeln sich bemuͤhte. — Gott wurde zum muͤßigen Zuschauer des großen ruͤhrenden Schauspiels, das die Gelehrten auffuͤhr¬ ten, gemacht, welcher am Ende die Dichter und Spieler feier¬ lich bewirthen und bewundern sollte. Das gemeine Volk wurde recht mit Vorliebe aufgeklaͤrt, und zu jenem gebildeten Enthusiasmus erzogen, und so entstand eine neue europaͤische Zunft: die Philantropen und Aufklaͤrer. Schade daß die Na¬ tur so wunderbar und unbegreiflich, so poetisch und unendlich blieb, allen Bemuͤhungen sie zu modernisiren zum Trotz. Duckte sich ja irgendwo ein alter Aberglaube an eine hoͤhere Welt und sonst auf, so wurde gleich von allen Seiten Laͤrm gebla¬ sen, und wo moͤglich der gefaͤhrliche Funke durch Philosophie und Witz in der Asche erstickt; dennoch war Toleranz das Lo¬ sungswort der Gebildeten, und besonders in Frankreich gleich¬ bedeutend mit Philosophie. Hoͤchst merkwuͤrdig ist diese Ge¬ schichte des modernen Unglaubens, und der Schluͤssel zu allen ungeheuren Phaͤnomenen der neuern Zeit. Erst in diesem Jahr¬ hundert und besonders in seiner letzten Haͤlfte beginnt sie und waͤchst in kurzer Zeit zu einer unuͤbersehlichen Groͤße und Man¬ nigfaltigkeit; eine zweite Reformation, eine umfassendere uud eigenthuͤmlichere war unvermeidlich, und mußte das Land zuerst treffen, das am meisten modernisirt war, und am laͤng¬ sten aus Mangel an Freiheit in asthenischem Zustande gelegen hatte. Laͤngst haͤtte sich das uͤberirdische Feuer Luft gemacht, und die klugen Aufklaͤrungs-Plaͤne vereitelt, wenn nicht welt¬ licher Druck und Einfluß denselben zu Statten gekommen waͤ¬ ren. In dem Augenblick aber, wo ein Zwiespalt unter den Gelehrten und Regierungen, unter den Feinden der Religion und ihrer ganzen Genossenschaft entstand, mußte sie wieder als drittes tonangebendes vermittelndes Glied hervortreten, und diesen Hervortritt muß nun jeder Freund derselben anerkennen und verkuͤndigen, wenn er noch nicht merklich genug seyn sollte. Daß die Zeit der Auferstehung gekommen ist, und grade die Begebenheiten, die gegen ihre Belebung gerichtet zu seyn schie¬ nen und ihren Untergang zu vollenden drohten, die guͤnstigsten Zeichen ihrer Regeneration geworden sind, dieses kann einem historischen Gemuͤthe gar nicht zweifelhaft bleiben. Wahrhafte Anarchie ist das Zeugungselement der Religion. Aus der Ver¬ nichtung alles Positiven hebt sie ihr glorreiches Haupt als neue Weltstifterin empor. Wie von selbst steigt der Mensch gen Himmel auf, wenn ihn nichts mehr bindet, die hoͤhern Or¬ gane treten von selbst aus der allgemeinen gleichfoͤrmigen Mi¬ schung und vollstaͤndigen Aufloͤsung aller menschlichen Anlagen und Kraͤfte, als der Urkern der irdischen Gestaltung zuerst her¬ aus. Der Geist Gottes schwebt uͤber den Wassern und ein himmlisches Eiland wird als Wohnstaͤtte der neuen Menschen, als Stromgebiet des ewigen Lebens zuerst sichtbar uͤber den zuruͤckstroͤmenden Wogen. Ruhig und unbefangen betrachte der aͤchte Beobachter die neuen staatsumwaͤlzenden Zeiten. Kommt ihm der Staats¬ umwaͤlzer nicht wie Sisyphus vor? Jetzt hat er die Spitze des Gleichgewichts erreicht und schon rollt die maͤchtige Last auf der andern Seite wieder herunter. Sie wird nie oben bleiben, wenn nicht eine Anziehung gegen den Himmel sie auf der Hoͤhe schwebend erhaͤlt. Alle eure Stuͤtzen sind zu schwach, wenn euer Staat die Tendenz nach der Erde behaͤlt, aber knuͤpft ihn durch eine hoͤhere Sehnsucht an die Hoͤhen des Him¬ mels, gebt ihm eine Beziehung auf das Weltall, dann habt ihr eine nie ermuͤdende Feder in ihm, und werdet eure Bemuͤ¬ hungen reichlich gelohnt sehn. An die Geschichte verweise ich euch, forscht in ihrem belehrenden Zusammenhang, nach aͤhnli¬ chen Zeitpunkten, und lernt den Zauberstab der Analogie ge¬ brauchen. Soll die Revolution die franzoͤsische bleiben, wie die Re¬ formation die Lutherische war? Soll der Protestantismus aber¬ mals widernatuͤrlicherweise, als revolutionaire Regierung fixirt werden? Sollen Buchstaben Buchstaben Platz machen? Sucht ihr den Keim des Verderbens auch in der alten Einrichtung, dem alten Geiste? und glaubt euch auf eine bessere Einrich¬ tung, einen bessern Geist zu verstehn? O! daß der Geist der Geister euch erfuͤllte, und ihr abließet von diesem thoͤrichten Be¬ streben die Geschichte und die Menschheit zu modeln, und eure Richtung ihr zu geben. Ist sie nicht selbstaͤndig, nicht eigenmaͤchtig, so gut wie unendlich liebenswerth und weissa¬ gend? Sie zu studiren, ihr nachzugehn, von ihr zu lernen, mit ihr gleichen Schritt zu halten, glaͤubig ihren Verheißungen und Winken zu folgen — daran denkt keiner. In Frankreich hat man viel fuͤr die Religion gethan, in¬ dem man ihr das Buͤrgerrecht genommen, und ihr bloß das Recht der Hausgenossenschaft gelassen hat, und zwar nicht in einer Person, sondern in allen ihren unzaͤhligen individuellen Gestalten. Als eine fremde unscheinbare Waise muß sie erst die Herzen wiedergewinnen, und schon uͤberall geliebt seyn, ehe sie wieder oͤffentlich angebetet und in weltliche Dinge zur freundschaftlichen Berathung und Stimmung der Gemuͤther gemischt wird. Historisch merkwuͤrdig bleibt der Versuch jener großen eisernen Maske, die unter dem Namen Robespierre in der Religion den Mittelpunkt und die Kraft der Republik suchte; auch der Kaltsinn, womit die Theophilantropie dieser Mystizismus der neuern Aufklaͤrung, aufgenommen worden ist; auch die neuen Eroberungen der Jesuiten; auch die Naͤherung ans Morgenland durch die neuern politischen Verhaͤltnisse. Von den uͤbrigen europaͤischen Laͤndern, außer Deutsch¬ land, laͤßt sich nur prophezeihen, daß mit dem Frieden ein neues hoͤheres religioͤses Leben in ihnen zu pulsiren und bald Alles andere weltliche Interesse verschlingen wird. In Deutsch¬ land hingegen kann man schon mit voller Gewißheit die Spu¬ ren einer neuen Welt aufzeigen. Deutschland geht einen lang¬ samen aber sichern Gang vor den uͤbrigen europaͤischen Laͤn¬ dern voraus. Waͤhrend diese durch Krieg, Spekulation und Parthey-Geist beschaͤftigt sind, bildet sich der Deutsche mit al¬ lem Fleiß zum Genossen einer hoͤhern Epoche der Cultur, und dieser Vorschritt muß ihm ein großes Uebergewicht uͤber die Andere im Lauf der Zeit geben. In Wissenschaften und Kuͤn¬ sten wird man eine gewaltige Gaͤhrung gewahr. Unendlich viel Geist wird entwickelt. Aus neuen, frischen Fundgruben wird gefoͤrdert. — Nie waren die Wissenschaften in besseren Haͤnden, und erregten wenigstens groͤßere Erwartungen; die verschieden¬ sten Seiten der Gegenstaͤnde werden ausgespuͤrt, nichts wird ungeruͤttelt, unbeurtheilt, undurchsucht gelassen. Alles wird bearbeitet; die Schriftsteller werden eigenthuͤmlicher und ge¬ waltiger, jedes alte Denkmal der Geschichte, jede Kunst, jede Wissenschaft findet Freunde, und wird mit neuer Liebe umarmt und fruchtbar gemacht. Eine Vielseitigkeit ohne Gleichen, eine wunderbare Tiefe, eine glaͤnzende Politur, vielumfassende Kenntnisse und eine reiche kraͤftige Fantasie findet man hie und da, und oft kuͤhn gepaart. Eine gewaltige Ahndung der schoͤpfe¬ rischen Willkuͤhr, der Grenzenlosigkeit, der unendlichen Man¬ nigfaltigkeit, der heiligen Eigenthuͤmlichkeit und der Allfaͤhig¬ keit der innern Menschheit scheint uͤberall rege zu werden. Aus dem Morgentraum der unbehuͤlflichen Kindheit erwacht, uͤbt ein Theil des Geschlechts seine ersten Kraͤfte an Schlangen, die seine Wiege umschlingen und den Gebrauch seiner Glied¬ maßen ihm benehmen wollen. Noch sind alles nur Andeutun¬ gen, unzusammenhaͤngend und roh, aber sie verrathen dem historischen Auge eine universelle Individualitaͤt, eine neue Ge¬ schichte, eine neue Menschheit, die suͤßeste Umarmung einer jun¬ gen uͤberraschten Kirche und eines liebenden Gottes, und das innige Empfaͤngniß eines neuen Messias in ihren tausend Glie¬ dern zugleich. Wer fuͤhlt sich nicht mit suͤßer Schaam guter Hoffnung? Das Neugeborne wird das Abbild seines Vaters, eine neue goldne Zeit mit dunkeln unendlichen Augen, eine profetische wunderthaͤtige und wundenheilende, troͤstende und ewiges Leben entzuͤndende Zeit sein — eine große Versoͤhnungs¬ zeit, ein Heiland, der wie ein aͤchter Genius unter den Men¬ schen einheimisch, nur geglaubt nicht gesehen werden, und unter zahllosen Gestalten den Glaͤubigen sichtbar, als Brod und Wein, verzehrt, als Geliebte umarmt, als Luft geathmet, als Wort und Gesang vernommen, und mit himmlischer Wollust, als Tod, unter den hoͤchsten Schmerzen der Liebe, in das Innre des ver¬ brausenden Leibes aufgenommen wird. Jetzt stehn wir hoch genug um auch jenen oberwaͤhnten, vorhergegangenen Zeiten freundlich zuzulaͤcheln und auch in je¬ nen wunderlichen Thorheiten merkwuͤrdige Kristallisationen des historischen Stoffs zu erkennen. Dankbar wollen wir jenen Gelehrten und Philosophen die Haͤnde druͤcken; denn dieser Wahn mußte zum Besten der Nachkommen erschoͤpft, und die wissenschaftliche Ansicht der Dinge geltend gemacht werden. Reizender und farbiger steht die Poesie, wie ein geschmuͤcktes Indien dem kalten, todten Spitzbergen jenes Stubenverstandes gegenuͤber. Damit Indien in der Mitte des Erdballs so warm und herrlich sey, muß ein kaltes starres Meer, todte Klippen, Nebel statt des gestirnvollen Himmels und eine lange Nacht, die beiden Enden unwirthbar machen. Die tiefe Bedeutung der Mechanik lag schwer auf diesen Anachoreten in den Wuͤsten des Verstandes; das Reizende der ersten Einsicht uͤberwaͤltigte sie, das Alte raͤchte sich an ihnen, sie opferten dem ersten Selbstbewußtseyn das Heiligste und Schoͤnste der Welt mit wunderbarer Verlaͤugnung, und waren die Ersten die wieder die Heiligkeit der Natur, die Unendlichkeit der Kunst, die Noth¬ wendigkeit des Wissens, die Achtung des Weltlichen, und die Allgegenwart des wahrhaft Geschichtlichen durch die That aner¬ kannten, und verkuͤndigten, und einer hoͤhern, allgemeinern und furchtbarern Gespensterherrschaft, als sie selbst glaubten, ein Ende machten. Erst durch genauere Kenntniß der Religion wird man jene fuͤrchterlichen Erzeugnisse eines Religionsschlafs, jene Traͤume und Deliria des heiligen Organs besser beurtheilen und dann erst die Wichtigkeit jenes Geschenks recht einsehn lernen. Wo keine Goͤtter sind, walten Gespenster, und die eigentliche Ent¬ stehungszeit der europaͤischen Gespenster, die auch ihre Gestalt ziemlich vollstaͤndig erklaͤrt, ist die Periode des Uebergangs der griechischen Goͤtterlehre in das Christenthum. Also kommt auch, ihr Philanthropen und Encyklopaͤdisten, in die friedenstif¬ tende Loge und empfangt den Bruderkuß, streift das graue Netz ab, und schaut mit junger Liebe die Wunderherrlichkeit der Natur, der Geschichte und der Menschheit an. Zu einem Bruder will ich euch fuͤhren, der soll mit euch reden, daß euch die Herzen aufgehn, und ihr eure abgestorbene geliebte Ahn¬ dung mit neuem Leibe bekleidet, wieder umfaßt und erkennt, was euch vorschwebte, und was der schwerfaͤllige irdische Ver¬ stand freilich euch nicht haschen konnte. Dieser Bruder ist der Herzschlag der neuen Zeit, wer ihn gefuͤhlt hat zweifelt nicht mehr an ihrem Kommen, und tritt mit suͤßem Stolz auf seine Zeitgenossenschaft auch aus dem Haufen hervor zu der neuen Schaar der Juͤnger. Er hat ei¬ nen neuen Schleier fuͤr die Heilige gemacht, der ihren himmli¬ schen Gliederbau anschmiegend verraͤth, und doch sie zuͤchtiger, als ein Andrer verhuͤllt. — Der Schleier ist fuͤr die Jungfrau, was der Geist fuͤr den Leib ist, ihr unentbehrliches Organ des¬ sen Falten die Buchstaben ihrer suͤßen Verkuͤndigung sind; das nnendliche Faltenspiel ist eine Chiffern-Musik, denn die Spra¬ che ist der Jungfrau zu hoͤlzern und zu frech, nur zum Gesang oͤffnen sich ihre Lippen. Mir ist er nichts als der feierliche Ruf zu einer neuen Urversammlung, der gewaltige Fluͤgelschlag eines voruͤberziehenden englischen Herolds. Es sind die ersten Wehen, setze sich jeder in Bereitschaft zur Geburt! Das Hoͤchste in der Physik ist jetzt vorhanden und wir koͤnnen nun leichter die wissenschaftliche Zunft uͤbersehn. Die Huͤlfsbeduͤrftigkeit der aͤußern Wissenschaften, ward in der letz¬ ten Zeit immer sichtbarer, je bekannter wir mit ihnen wurden. Die Natur fing an immer duͤrftiger auszusehn, und wir sahen deutlicher gewoͤhnt an den Glanz unserer Entdeckungen, daß es nur ein geborgtes Licht war, und daß wir mit den bekann¬ ten Werkzeugen und den bekannten Methoden nicht das We¬ sentliche, das Gesuchte finden und construiren wuͤrden. Jeder Forscher mußte sich gestehn, daß Eine Wissenschaft nichts ohne die Andere sey, und so entstanden Mystifikationsversuche der Wissenschaften, und das wunderliche Wesen der Philosophie flog jetzt als rein dargestelltes wissenschaftliches Element zu einer symmetrischen Grundfigur der Wissenschaften an. Andere brachten die concreten Wissenschaften in neue Verhaͤltnisse, be¬ foͤrderten einen lebhaften Verkehr derselben untereinander, und suchten ihre naturhistorische Classification aufs Reine zu brin¬ gen. So waͤhrt es fort und es ist leicht zu ermessen, wie guͤnstig dieser Umgang mit der aͤußern und innern Welt, der hoͤhern Bildung des Verstandes, der Kenntniß der erstern und der Erregung und Cultur der letztern seyn muß, und wie un¬ ter diesen Umstaͤnden die Witterung sich klaͤren und der alte Himmel und mit ihm die Sehnsucht nach ihm, die lebendige Astronomie, wieder zum Vorschein kommen muß. Nun wollen wir uns zu dem politischen Schauspiel unsrer Zeit wenden. Alte und neue Welt sind in Kampf begriffen, die Mangelhaftigkeit und Beduͤrftigkeit der bisherigen Staats¬ einrichtungen sind in furchtbaren Phaͤnomenen offenbar gewor¬ den. Wie wenn auch hier wie in den Wissenschaften eine naͤ¬ here und mannigfaltigere Connexion und Beruͤhrung der eu¬ ropaͤischen Staaten zunaͤchst der historische Zweck des Krieges waͤre, wenn eine neue Regung des bisher schlummernden Eu¬ ropa ins Spiel kaͤme, wenn Europa wieder erwachen wollte, wenn ein Staat der Staaten, eine politische Wissenschaftslehre, uns bevorstaͤnde! Sollte etwa die Hierarchie diese symmetri¬ sche Grundfigur der Staaten, das Prinzip des Staatenvereins als intellektuale Anschauung des politischen Ichs seyn? Es ist unmoͤglich daß weltliche Kraͤfte sich selbst ins Gleichgewicht se¬ tzen, ein drittes Element, das weltlich und uͤberirdisch zugleich ist, kann allein diese Aufgabe loͤsen. Unter den streitenden Maͤchten kann kein Friede geschlossen werden, aller Friede ist nur Illusion, nur Waffenstillstand; auf dem Standpunkt der Kabinetter, des gemeinen Bewußtseyns ist keine Vereinigung denkbar. Beide Theile haben große, nothwendige Anspruͤche und muͤssen sie machen, getrieben vom Geiste der Welt und der Menschheit. Beide sind unvertilgbare Maͤchte der Menschen¬ brust; hier die Andacht zum Alterthum, die Anhaͤnglichkeit an die geschichtliche Verfassung, die Liebe zu den Denkmalen der Altvaͤter und der alten glorreichen Staatsfamilie, und Freude des Gehorsams; dort das entzuͤckende Gefuͤhl der Freiheit, die unbedingte Erwartung maͤchtiger Wirkungskreise, die Lust am Neuen und Jungen, die zwanglose Beruͤhrung mit allen Staatsgenossen, der Stolz auf menschliche Allgemeinguͤltigkeit, die Freude am persoͤnlichen Recht und am Eigenthum des Ganzen, und das kraftvolle Buͤrgergefuͤhl. Keine hoffe die Andere zu vernichten, alle Eroberungen wollen hier nichts sagen, denn die innerste Hauptstadt jedes Reichs liegt nicht hinter Erd¬ waͤllen und laͤßt sich nicht erstuͤrmen. Wer weiß ob des Kriegs genug ist, aber er wird nie auf¬ hoͤren, wenn man nicht den Palmenzweig ergreift, den allein eine geistliche Macht darreichen kann. Es wird so lange Blut uͤber Europa stroͤmen bis die Nationen ihren fuͤrchterlichen Wahnsinn gewahr werden, der sie im Kreise herumtreibt und von heiliger Musik getroffen und besaͤnftigt zu ehemaligen Al¬ taͤren in bunter Vermischung treten, Werke des Friedens vor¬ nehmen, und ein großes Liebesmahl, als Friedensfest, auf den rauchenden Wahlstaͤtten mit heißen Thraͤnen gefeiert wird. Nur die Religion kann Europa wieder aufwecken und die Voͤlker sichern, und die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sicht¬ bar auf Erden in ihr altes friedenstiftendes Amt installiren. Haben die Nationen Alles vom Menschen — nur nicht sein Herz? — sein heiliges Organ? Werden sie nicht Freunde, wie diese, an den Saͤrgen ihrer Lieben, vergessen sie nicht alles Feindliche, wenn das goͤttliche Mitleid zu ihnen spricht — und Ein Ungluͤck, Ein Jammer, Ein Gefuͤhl ihre Augen mit Thraͤ¬ nen fuͤllte? Ergreift sie nicht Aufopferung und Hingebung mit Allgewalt, und sehnen sie sich nicht Freunde und Bundesgenos¬ sen zu sein? Wo ist jener alte, liebe, alleinseligmachende Glaube an die Regierung Gottes auf Erden, wo ist jenes himmlische Zu¬ trauen der Menschen zu einander, jene suͤße Andacht bei den Ergießungen eines gottbegeisterten Gemuͤths, jener allesumar¬ mende Geist der Christenheit? Das Christenthum ist dreifacher Gestalt. Eine ist das Zeugungselement der Religion, als Freude an aller Religion. Eine das Mittlerthum uͤberhaupt, als Glaube an die Allfaͤhig¬ keit alles Irdischen, Wein und Brod des ewigen Lebens zu seyn. Eine der Glaube an Christus, seine Mutter und die Heiligen. Waͤhlt welche ihr wollt, waͤhlt alle drei, es ist gleichviel, ihr werdet damit Christen und Mitglieder einer ein¬ zigen, ewigen, unaussprechlich gluͤcklichen Gemeinde. Angewandtes, lebendig gewordenes Christenthum war der alte katholische Glaube, die letzte dieser Gestalten. Seine Allgegenwart im Leben seine Liebe zur Kunst, seine tiefe Hu¬ manitaͤt, die Unverbruͤchlichkeit seiner Ehen, seine menschen¬ freundliche Mittheilsamkeit, seine Freude an der Armuth, Ge¬ horsam und Treue machen ihn als aͤchte Religion unverkenn¬ bar und enthalten die Grundzuͤge seiner Verfassung. Die andern Welttheile warten auf Europas Versoͤhnung und Auferstehung, um sich anzuschließen und Mitbuͤrger des Himmelreichs zu werden. Sollte es nicht in Europa bald eine Menge wahrhaft heiliger Gemuͤther wieder geben, sollten nicht alle wahrhafte Religionsverwandte voll Sehnsucht werden, den Himmel auf Erden zu erblicken? und gern zusammentreten und heilige Choͤre anstimmen? Die Christenheit muß wieder lebendig und wirksam wer¬ den, und sich wieder ein sichtbare Kirche ohne Ruͤcksicht auf Landesgraͤnzen bilden, die alle nach dem Ueberirdischen durstige Seelen in ihren Schooß aufnimmt und gern Vermittlerin, der alten und neuen Welt wird. Sie muß das alte Fuͤllhorn des Seegens wieder uͤber die Voͤlker ausgießen. Aus dem heiligen Schooße eines ehrwuͤrdi¬ gen europaͤischen Consiliums wird die Christenheit aufstehn, und das Geschaͤft der Religionserweckung, nach einem allum¬ fassenden, goͤttlichem Plane betrieben werden. Keiner wird dann mehr protestiren gegen christlichen und weltlichen Zwang, denn das Wesen der Kirche wird aͤchte Freiheit seyn, und alle noͤ¬ thigen Reformen werden unter der Leitung derselben, als fried¬ liche und foͤrmliche Staatsprozesse betrieben werden. Wann und wann eher? darnach ist nicht zu fragen. Nur Geduld, sie wird, sie muß kommen die heilige Zeit des ewigen Friedens, wo das neue Jerusalem die Hauptstadt der Welt seyn wird; und bis dahin seyd heiter und muthig in den Ge¬ fahren der Zeit, Genossen meines Glaubens, verkuͤndigt mit Wort und That das goͤttliche Evangelium, und bleibt dem wahrhaften, unendlichen Glauben treu bis in den Tod.