Die Verwaltungslehre. Von Dr. Lorenz Stein. Fünfter Theil. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1868. Die Innere Verwaltung. Zweites Hauptgebiet. Das Bildungswesen. Erster Theil . Das Elementar- und das Berufsbildungswesen in Deutschland, England, Frankreich und andern Ländern. Von Dr. Lorenz Stein. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1868. Buchdruckerei der J. G. Cotta’schen Buchhandlung in Stuttgart. Vorrede. Ich muß mit dem Bekenntniß beginnen, daß ich bei keinem Theile des ganzen Verwaltungsrechts so klar wie bei dem vorliegen- den das Bewußtsein gehabt habe, daß es mir unmöglich sein werde, das Material auch nur bis zu dem Grade zu bewältigen, den ich in den bisherigen Theilen meiner Arbeit erreicht habe. Je weiter man in dieß Gebiet dringt, je mehr muß man die Ueber- zeugung gewinnen, daß die vollständige Bearbeitung desselben das ganze Leben, die ganze Kraft eines Menschen fordert und daß der- jenige sehr viel und Hochwichtiges geleistet haben wird, dem es gelingt, hier auch nur den wesentlichen Ansprüchen nach allen Seiten hin zu genügen. Ich verstatte mir jedoch dieses aufrichtige Bekenntniß nicht, um für die Mängel des Folgenden in gewöhnlicher Weise Entschul- digung zu finden. Denn ich habe beim Beginn meiner Arbeit ge- wußt, wie viel ich nicht werde leisten können. In diesem Bewußt- sein aber mußte ich mich fragen, worin denn eigentlich neben jenen Mängeln, die der Fachmann in jedem Theile finden wird, das Ziel und damit der Werth einer solchen Arbeit bestehen könne und solle. Ich will auch dieß mit ganzer Offenheit sagen, auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden. In der großen, fast täglich wachsenden Literatur über das Bildungswesen sowohl im Ganzen als über einzelne Theile fehlen drei Dinge, ohne welche sie stets unvollkommen bleiben wird. Zuerst fehlt eine Arbeit, welche alle Gebiete des gesammten Bildungswesens als ein Ganzes umfaßt und damit die Grundlage des organischen Bewußtseins und Verständnisses desselben liefert. So viel wir wissen, ist die Aufstellung eines solchen Systems über- haupt noch nie versucht, geschweige denn durchgeführt. Daß aber dasselbe für die Wissenschaft unabweisbar geworden ist, nachdem das öffentliche Recht es im wirklichen Leben bereits hergestellt, ist nicht fraglich. Zweitens fehlt — vielleicht wohl gerade aus dem obigen Grunde — eine klare Bestimmung der meisten Einzelbegriffe und ihrer Grenzen gegen einander. Es ist ziemlich vergeblich, nach einer wissenschaftlichen und damit allgemein gültigen Bestimmung des Wesens von Volks- und Bürgerschule, von wissenschaftlichen und wirthschaftlichen Bildungsanstalten, von Real- und Gewerbeschule und hundert andern Erscheinungen zu suchen, denn selbst Wiese’s Definitionen beziehen sich nur auf preußische, nicht einmal gleich- artige Verhältnisse. Die Wissenschaft hat alle diese Dinge so sehr der Praxis und dem Experimente überlassen, daß die letzteren sich schon dessen entwöhnt haben, bei der ersteren überhaupt darüber Rath zu suchen. Und doch ist ein rechtes Verständniß des in jedem Lande wirklich vorhandenen, gültigen Systems des öffentlichen Bil- dungswesens und seines Rechts ohne solche feste Begriffsbestim- mungen, ja wenn man will ohne Schema, geradezu nicht möglich. Drittens fehlt diesem Theile der Wissenschaft des öffentlichen Rechts, was so ziemlich auch allen andern fehlt, das Bewußtsein und die Erkenntniß der nationalen oder individuellen Gestalt des Bildungswesens in den Kulturländern. Wir haben namentlich in neuester Zeit sehr schöne Arbeiten über Englands und Frankreichs Bildungswesen; aber wir haben keine Vergleichung derselben, weil eben das feste System, das tertium comparationis, mangelt. Einer der Hauptgründe für diese Mängel beruht nun wohl auf der historischen Thatsache, daß bisher eine innere oder gar äußere Einheit, eine Gemeinschaft des Bewußtseins der Aufgaben und ihres organischen Ineinandergreifens für alle Theile des Bil- dungswesens gefehlt hat und fehlt. Es existiren noch sehr wenig Berührungen zwischen den Lehrern in den Schulen, den Lehrern auf den Vorbildungsanstalten und dem Professorenthum an den Hochschulen. Hier herrscht noch das große historische Princip der ständischen Körperschaften und ihrer Abgeschlossenheit. Es sind noch ganz verschiedene Welten, die Volksschule, das Gymnasium und die Universität. Und geht man gar hinüber in die Arbeit der allgemeinen Bildung, namentlich in die der Presse, wie weit ist da die Erkenntniß entfernt, daß auch sie den gleichen Beruf mit allen andern habe und daß sie deßhalb mit jenen in innerer und äußerer Gemeinschaft, in gegenseitigem Heben und Tragen, wirken müßten. Daß nun auch in dieser Richtung ein unendlicher Fortschritt geschehen, ist nicht zweifelhaft. Allein die Hauptsache bleibt zu thun. Es muß zu einem fundamentalen Princip des öffentlichen Lebens werden, daß alle Lehrer und alle Schriftsteller als Glieder Eines großen Organismus sich in Einer und derselben großen Ge- meinschaft fühlen und wissen. Die erste Bedingung für die Er- reichung dieses Zieles ist das wissenschaftliche System, das sie alle als Einheit auffaßt und in ihrem organischen Zusammenwirken darstellt. Und es ist fast wichtiger, daß überhaupt ein solches System aufgestellt werde, als daß es gerade ein unbedingt richtiges sei. Die Wahrheit dieses Satzes liegt in dem Obigen. So habe ich versucht, das System aufzustellen, mit so viel Mitteln und Arbeits- kraft, als mir zu Gebote standen. Und dabei gebe ich Eine Hoff- nung nicht auf. Ein großer, nicht hoch genug anzuschlagender Theil der gei- stigen Arbeit Deutschlands liegt auf seinen Lehrstühlen. Sie lehren nicht bloß, sondern sie zwingen den Lehrer zu lernen; viel mehr sogar zu lernen, als er zu lehren vermag. Daher hat erst der- jenige Theil des menschlichen Wissens, der sich seinen Platz auf einem Lehrstuhle errungen, seine wahre Bedeutung gewonnen; denn der tägliche Vortrag ist die Quelle der ewigen Jugend des Geistes. Nun haben wir allerdings Lehrstühle der Pädagogik und Metho- dologie; allein wir haben gar keinen Lehrstuhl für das Bildungs- wesen. Die ganze Arbeit unserer Wissenschaft beruht auf dem, was geschehen soll für das geistige Leben; wie es geschehen soll, das hat die Wissenschaft bisher ganz der Praxis überlassen. Und doch ist jenes ohne dieses eine Seele ohne Körper; obwohl der Staat Aemter und öffentliche Organe für die Verwaltung der Bildung seiner Angehörigen genug hat — eine Verwaltungslehre für diese Organe besitzt er nirgends . Das ist ein großer Mangel. Und mit unseren besten Gefühlen sprechen wir die herzliche Hoff- nung aus, daß auch das öffentliche Bildungswesen recht bald seinen Lehrstuhl an jeder Universität finden möge , wo ja doch die Gesundheitspflege und die Polizei, die Vor- mundschaft und das Grundbuch, die Land- und die Forstwirthschaft und hundert andere Dinge ihren Platz, ihre Vertretung und ihre Koryphäen gefunden haben, wahrlich nicht zum Schaden des deut- schen Volkes! Deßhalb nun, um auch dafür ein Substrat zu liefern, haben wir diese Arbeit unternommen. Wie allgemein und ernst aber die Theilnahme an diesen Fragen ist, zeigt das lebendige Leben in Gesetzgebung und Literatur, die diesen Gebieten angehören und die zum Theil erschienen sind, während unsere Arbeit gedruckt wurde. In der Gesetzgebung namentlich weisen wir auf die entstehende österreichischen und bayerischen neuen Schulgesetze hin, die vom Geiste des entschiedensten Fortschrittes durchdrungen sind. Die Lehrertage ihrerseits arbeiten mit aller Kraft und wirken nach allen Richtungen. Namentlich aber schreitet unsere Zeit fast mit Riesenschritten auf dem Felde der wirthschaftlichen Vor- und Fachbildung fort, und jede Statistik wird hier von den Thatsachen überholt. Unsere Sache war es nicht, uns auf Statistik einzulassen. Es ist sehr noth- wendig, hier das große Princip der Arbeitstheilung aufrecht zu halten. Wir fordern das nicht für solche Arbeiten wie L. Wiese’s „höheres Schulwesen in Preußen,“ das einen ganz speciellen amt- lichen Zweck hat, und das in seinem Anhang S. 622 ff. gewisse einschlagende Instruktionen, Reglements und Statuten „und der- gleichen mehr (!)“ zusammenstellt, ohne irgend einen Plan und ohne Ordnung, weil jene Verwaltung rein für ihre eigenen Zwecke arbeitet. Wohl aber fürchten wir geradezu, daß die meist sehr bequeme Tendenz zur Sammlung von allerlei statistischen Daten die eigentliche Arbeit der Wissenschaft, das wahre organische Ver- ständniß des Ganzen, ein wenig verdränge. Was für die Verbindung der Statistik dieses Gebietes mit der Staatenkunde überhaupt ge- schehen kann, dafür gibt Brachelli uns ein hochachtungswerthes Beispiel. Nur wenn wir uns die Arbeit theilen, werden wir des fast übermächtigen Stoffes Herr werden. Und wir nun glauben unsrerseits, daß dieß dadurch geschehen wird, daß die Statistik sich an das System der Wissenschaft anschließt — denn diese soll das organische Wesen, jene die äußeren Grenzen der lebendigen That- sachen geben. Können daher beide ein verschiedenes System haben? Wir können nicht schließen, ohne einer Arbeit zu erwähnen, die wir nicht mehr haben benützen können. Wir meinen A. Beer und F. Hochegger : „Die Fortschritte des Unterrichtswesens in den Kulturstaaten Europa’s“ 1867. Erster Band. Die Arbeit scheint zunächst aus einer Reihe von Journalartikeln entstanden zu sein und behält diesen Charakter auch in ihrer gegenwärtigen Form. Wenn man einen systematischen Gedanken über das Bildungswesen mitbringt, ist vieles in diesem Werke recht gut zu benutzen. Auf Vollständigkeit macht es wohl selbst weder für Frankreich noch für Oesterreich einen Anspruch. Die Literatur ist, wie es scheint, grund- sätzlich nicht berücksichtigt; ebensowenig ist die pragmatische Geschichte der Gesetzgebung gegeben. Was namentlich Frankreich betrifft, so ist die eigentliche Bedeutung der Gesetze von 1833 und 1850 und 1852 kaum recht verstanden, das System Duruy weit überschätzt; die Zusammenstellung des Collège de France mit der „Universität“ (namentlich S. 63) läßt einigen Zweifel darüber entstehen, ob das Wesen der letzteren überhaupt richtig erfaßt ist; die Behauptung, daß die École polytechnique an der Spitze des technischen Stu- dienwesens stehe, ist uns unbegreiflich geblieben. Was Oesterreich betrifft, so ist Fickers Abhandlung bei Schmid an exactem Mate- rial weit reicher, wird aber gar nicht angeführt; auch auf Hel- fert wird keine weitere Rücksicht genommen. Wie es möglich war, in einer wissenschaftlichen, für das ganze deutsche Publikum be- stimmten Arbeit die lokale und höchst unfertige Kategorie der sog. „Mittelschule,“ bei der man sich stets zu viel oder zu wenig denken muß, beizubehalten, ist uns unverständlich geblieben. Das Werk liefert einen neuen Beweis dafür, daß ohne strenge, wissenschaft- liche Ordnung und speciell ohne Unterscheidung von gelehrter und wirthschaftlicher, von Vor- und Fachbildung, die Behandlung auch ganz bekannter Stoffe kein recht faßbares Resultat ergeben kann. Uebrigens wird selbst der Fachkundigste aus der geschmackvollen Bearbeitung viel lernen. Fehlt das Inhaltsverzeichniß, weil das System fehlt? Wir sind namentlich auf den Band gespannt, der England behandeln wird. Das Verständniß des englischen Bil- dungswesens wird von jetzt an der Prüfstein für das Verständniß des Bildungswesens überhaupt bleiben; erst bei England erkennt man, daß ein Nebeneinanderstellen noch sehr weit von einer Vergleichung entfernt ist. — — Wir haben uns entschlossen, die Darstellung des Allgemeinen Bildungswesens äußerlich von der der Elementar- und Berufsbil- dung zu scheiden. Es wird das wohl der Einheit des Gedankens keinen Eintrag thun. Aber die Presse forderte ihre eigene Behand- lung und wir möchten viel lieber im Interesse der Sache wünschen, daß unsere Leser in dieser äußeren Scheidung das Gefühl des in- neren Zusammenhanges, als bei äußerer Verbindung das der in- neren Entfremdung beider Theile mit sich nähmen. Wien , Ende 1867. Dr. L. Stein. Inhalt. Die Verwaltung und das geistige Leben. Seite Einleitung XVII Allgemeiner Theil. I. Begriff und Wesen der Bildung an und für sich . I. Begriff der Bildung 1 II. Die drei Grundformen der Bildung: Wesen der Elementar-, der Be- rufs- und der allgemeinen Bildung, und ihr organisches Verhältniß zu einander 3 III. Das Bildungswesen und sein System 8 II. Das öffentliche Bildungswesen . I. Begriff des Bildungsrechts 12 II. Princip und System des öffentlichen Bildungsrechts 13 III. Geschichte der verwaltungsrechtlichen Auffassung im Ganzen 16 IV. Geschichtliche Entwicklung 20 1) Das gesellschaftliche und das staatliche Princip des Bildungsrechts 20 2) Die Stadien des öffentlichen Bildungswesens in der Geschichte 22 V. Der Charakter des Bildungswesens in den Hauptstaaten Europas 39 England 43 Frankreich 45 Deutschland 52 Belgien 53 Holland 55 Italien 56 Die Schweiz 59 Schweden 62 Rußland 63 Serbien 64 Rumänien 65 Besonderer Theil. Seite System 67 Erster Theil. Das Volksschulwesen. Allgemeiner Theil . I. Der Elementarunterricht an sich 71 II. Das Volksschulwesen. — Die Principien seines Rechts und seiner Verwaltung 73 III. Das Volksschulwesen der großen Kulturvölker 78 1) Was man als Charakter des Volksschulwesens zu bezeichnen hat 78 2) Deutschlands Volksschulwesen und die Elemente seiner Geschichte 81 3) Die Nachbildungen des deutschen Volksschulwesens in Holland und Dänemark 92 4) Englands Volksschulwesen und das System der Staatsunterstützung 93 5) Frankreichs Volksschulwesen und die Instrnction primaire 100 6) Die französischen Nachbildungen im Volksschulwesen von Belgien, Italien und der Schweiz 109 Besonderer Theil . Das System des Volksschulrechts 113 Erste Gruppe . Oeffentliche Volksschule 114 A. Organismus der Verwaltung 114 B. Das Schulrecht (Schulpflicht und Schullast) 121 C. Das Lehrerrecht 128 D. Die Lehrordnung (das Schulensystem, das Klassensystem und die Bürgerschule) 136 Zweite Gruppe . Privatschulen 145 Wesen und Recht derselben 145 Zweiter Theil. Berufsbildungswesen. Allgemeiner Theil . I. Der Beruf und die Berufsbildung an sich 149 II. Das öffentliche Berufsbildungswesen, sein Recht und sein System 159 1) Begriff und Princip 159 2) Das Rechtssystem des öffentlichen Berufsbildungswesens an sich 161 III. Charakter des öffentlichen Rechts der Berufsbildung bei den großen Kulturvölkern 165 1) Charakter dieses Bildungswesens nach dem Standpunkte Englands, Frankreichs und Deutschlands 165 Seite 2) Charakter und Recht des Prüfungswesens in diesen Ländern 170 a) Princip, System und Recht an sich 170 b) Elemente der Geschichte des Prüfungswesens 171 c) Prüfungswesen der Gegenwart 176 d) Charakter und Recht des Prüfungswesens in den Hauptstaaten Europas 181 Besonderer Theil . Die öffentlich rechtliche Organisation der Berufsbildungssysteme bei den Hauptvölkern Europas 190 Deutschlands Berufsbildungssystem. Charakter 191 Erstes Gebiet . Das gelehrte Berufsbildungssystem 193 A. Das gelehrte Vorbildungssystem (die gelehrten und hohen Schulen, Gymnasien, Lyceen, Athenäen, Collegien) 193 I. Begriff und Formen der gelehrten Schulen 193 II. Elemente der Entwicklung des hohen Schulwesens zum Gym- nasialwesen der Gegenwart (die Gymnasialfragen) 196 III. Die Elemente des Gymnasialwesens der Gegenwart 209 B. Das gelehrte Fachbildungssystem (das Universitätswesen) 218 Zweites Gebiet . Das wirthschaftliche Berufsbildungssystem 233 Wesen desselben 233 Die Elemente der historischen Entwicklung des gegenwärtigen Systems 238 A. Wirthschaftliches Vorbildungssystem 248 I. Wesen desselben 248 II. Das System der gewerblichen und wirthschaftlichen Bildungs- anstalten (die Fortbildungs- und die Vorbildungsschulen) 250 III. Das öffentliche Recht des wirthschaftlichen Vorbildungssystems 253 B. Das wirthschaftliche Fachbildungssystem 261 I. Allgemeiner Charakter 261 II. Begriff und Elemente der geschichtlichen Gestaltung der wirth- schaftlichen Fachbildung 262 III. Das öffentliche Recht und die Organisation des wirthschaft- lichen Fachbildungssystems (Herstellung der Anstalten, Lehrsystem, Prüfungswesen) 268 Drittes Gebiet . Das künstlerische Berufsbildungswesen 282 Frankreichs Berufsbildungssystem. I. Charakter und historische Entwicklung bis zur Gegenwart 286 II. Das System 296 Charakter desselben 296 A. Gelehrte Berufsbildung in Verbindung mit der wirthschaftlichen (Bifurcationssystem in lettres und sciences) 299 Seite I. Vorbildungswesen: gelehrt und wirthschaftlich ( Instruction se- condaire ) 299 II. Gelehrte und wirthschaftliche Fachbildung (die Instruction supérieure oder das System der Facultés. Das Collège de France und die Specialinstitute) 307 A. Das System der Facultés 308 B. Das Collège de France 311 C. Specialinstitute 312 B. Die selbständige wirthschaftliche Berufsbildung in Frankreich. (Außerhalb der Université ) 313 A. Conservatoire des arts et métiers 315 B. Specialschulen 316 C. Künstlerische Fachbildung 318 Englands Berufsbildungswesen. I. Allgemeiner Charakter 319 II. Grundzüge desselben 324 III. Die Colleges und die Universities. (Das ständische Vor- und Fach- bildungswesen der wissenschaftlichen Bildung) 326 V. Das staatsbürgerliche Bildungswesen 331 Die Verwaltung und das geistige Leben. (Das Bildungswesen.) Die Verwaltung und das geistige Leben. (Das Bildungswesen.) Einleitung. I. Die Verwaltungslehre hat nun in ihrem ersten Haupttheile das physische Leben der Person in denjenigen Verhältnissen dar- gelegt, in denen es theils die Bedingungen seiner Entwicklung von der Gemeinschaft empfängt, theils selbst eine dieser Bedingungen der letzteren wird. Die Verwaltung dieses physischen Lebens ent- hält die Gesammtheit der Aufgaben und Thätigkeiten, vermöge deren der Staat als persönliche Gestalt der Gemeinschaft für jenes phy- sische Leben der Person diese Bedingungen herstellt. So entstand das, was wir den Ersten Theil der Innern Verwaltung genannt haben. Das zweite große Gebiet des menschlichen Daseins nun ist das geistige Leben. Die Welt des Geistes ist zwar untrennbar mit der des Leibes verbunden; allein dennoch ist sie in Wesen, Ent- wicklung und Ziel eine selbständige. Es ist nicht nothwendig, ihre hohe Bedeutung hier hervorzuheben. Daß in ihr die Grundlage und der letzte Ausgangspunkt alles menschlichen Daseins gegeben ist, ist gewiß. Ebenso gewiß ist aber auch, daß diese geistige Welt der physischen in denjenigen Grundverhältnissen, mit denen sie sich der Gesammtheit und der Gegenseitigkeit des Lebens, Werdens und Stein , die Verwaltungslehre. V. 11 Vergehens zuwendet, gleichartig organisirt ist. Auch sie hat Be- dingungen, welche sie durch sich selber nicht herzustellen vermag; auch sie ist eine der großen, vielleicht die größte Bedingung der gesammten Entwicklung der Menschheit. Auch sie bildet daher eine Aufgabe der Thätigkeit der Innern Verwaltung. Und die Gesammt- heit der Grundsätze, Gesetze, Thätigkeiten und Anstalten, vermöge deren die Innere Verwaltung die, den Einzelnen unerreichbaren Bedingungen seiner individuellen geistigen Entwicklung und damit des geistigen Lebens der Völker herstellt, nennen wir das Bil- dungswesen . Von allen Theilen der Verwaltungslehre ist nun das Bildungs- wesen nicht bloß seinem Umfang, sondern auch seinem Inhalt nach das schwierigste. Das geistige Leben überhaupt ist nicht allein un- endlich groß und vielgestaltig, sondern die Beziehungen desselben sind so mannigfach, daß sie schwer eine feste Gestalt gewinnen und daher schwer eine feste Darstellung annehmen. Es ist seinem in- nersten Wesen nach frei und beständig geneigt, sich einer äußern, bestimmten Ordnung zu entziehen. Es wechselt in seinen Formen am meisten, weil eben in diesen seinen Formen der Wechsel des ganzen Lebens zum höchsten geistigen Ausdruck gelangt. Es hat daher, wie das Folgende es zeigen wird, auch noch bei vielfach tiefgehender Erörterung des Einzelnen, im Ganzen und in seiner vollen organischen Einheit keine Bearbeitung gefunden. Und es ist daher nothwendig — vielleicht am nothwendigsten in der ganzen Verwaltungslehre — sich über die leitenden Grundbegriffe und ebenso über ihre Namen einig zu sein, ehe man in das Ein- zelne eingeht. II. Die erste Voraussetzung an sich und besonders im Hinblick auf die bisherigen Bearbeitungen ist nun dafür wohl die, das Ver- hältniß der Verwaltungslehre zur Lehre vom geistigen Leben und seinen Grundformen festzustellen. Wir nennen das geistige Leben, insofern es aus einzelnen Kenntnissen und Fähigkeiten besteht, die ihrerseits durch Arbeit erworben und wieder durch Arbeit verwerthet werden, die geistige Güterwelt . Die einzelne Kenntniß und Fähigkeit, als Produkt geistiger Arbeit und wirthschaftlicher Verwendung, und als Moment an der Produktion neuer Güter, ist das geistige Gut , das neben seinem sittlichen auch einen sehr bestimmten wirthschaftlichen Werth hat und daher sogar täglicher Gegenstand des Verkehrs sein kann. Die Grundsätze und Gesetze, nach welchen diese geistigen Güter dem Einzelnen durch die Mitarbeit Anderer erworben werden, bilden die Pädagogik . Die formalen Regeln der Lehre sind in der Methodologie enthalten. Der Proceß dieser Produktion des geistigen Güterlebens ist die Bildung . Das sind lauter Begriffe, welche noch im reinen Wesen der geistigen Persönlichkeit liegen. So bald nun alle diese Verhältnisse und Aufgaben nicht mehr durch Willkür und Neigung des Einzelnen, sondern durch den be- wußten Willen der Gemeinschaft der Menschen bestimmt werden, entsteht auch hier der Begriff und die Thätigkeit der Verwaltung oder das Bildungswesen. Das Bildungswesen hat daher die Päda- gogik, die Methodologie und den Begriff der Bildung voraus- zusetzen . Das Bildungswesen als Inhalt der Verwaltungslehre hat seinerseits zur Aufgabe, die Gestalt der bildenden Arbeit als bestimmten Inhalt des Willens des Staats und damit als Bil- dung srecht — das öffentliche Recht der Ordnung für diese Bil- dung — aufzustellen. Das öffentliche Bildungswesen als Inhalt der Verwaltungslehre muß daher in jenen an sich ganz freien und oft rein willkürlichen Proceß der bildenden Arbeit und der Pro- duktion der geistigen Güter eines Volkes feste Kategorien hinein- bringen und bestimmte Gränzen und Grundbegriffe in dem Fluß des geistigen Lebens anfstellen . Wenn daher die Pädagogik und Methodologie lehren, wie die Bildung im Ganzen oder in ihren einzelnen Gebieten erworben werden soll — den, durch das Wesen der Wissenschaft geforderten Proceß der Produktion der geistigen Güter — so lehrt das Verwaltungsrecht des Bildungswesens, wie die Bildung durch die orgauisirte Thätigkeit der Gemeinschaft er- worben wird . Während für Pädagogik und Methodologie die Bildung als ein Werden und eine Arbeit erscheint, erscheint dieselbe für die Verwaltungslehre als die bestimmte äußere Gestalt und Ordnung der Bildungszweige, Organe und Anstalten, vermöge deren eben die Verwaltung und nicht mehr der Einzelne, jene bil- dende Thätigkeit als eine Aufgabe der Gemeinschaft gegen sich selbst vollzieht. Erst in der Verwaltungslehre gewinnt mithin die Bildung ihre feste Gestalt; und in dieser objektiven Kristallisirung des Bil- dungswesens durch das Verwaltungsrecht liegt eigentlich der Werth und die formell höchst wichtige Aufgabe der Verwaltungslehre gegen- über der abstracten Wissenschaft der Bildung. Es hat nun einen großen Werth, sich über dieß Verhältniß klar zu sein. Denn es ergibt sich daraus, daß das Bildungswesen auf diese Weise erst durch die Verwaltungslehre und ihr Recht eine praktische Wissenschaft wird. Die Thätigkeiten und Anstalten des Staats sind am Ende der große Organismus, der die allgemeinen Principien der Bildungslehre verwirklichen soll; und dieser Orga- nismus bringt nun seine Grenzen, seine Forderungen, seine Natur in die abstrakten Wünsche und Bestrebungen der Pädagogik und Methodologie hinein; alles Gute und Schlimme, Fortschritt und Rückschritt werden erst wirklich durch das, was der Staat zum geltenden Bildungsrecht erhebt; was für die Bildung wirklich ge- schieht, geschieht erst durch die Verwaltung. Ohne eine selbständige Verwaltungslehre des Bildungswesens wird daher jede Bearbeitung des letzteren entweder unpraktisch oder werthlos. Nun ist es bis auf die neueste Zeit so gewesen, daß die päda- gogischen Arbeiten eben diese praktische Seite des Bildungswesens, sein öffentliches Recht, entweder gar nicht, oder in ganz unter- geordneter Weise behandelt haben. Sie sind daher auch zu keinem festen System gekommen und eine wahre systematische Vergleichung ist dadurch unthunlich geworden. Die Aufgabe des Folgenden ist es nun, womöglich die festen Elemente des öffentlichen Rechts und damit der Vergleichung des wirklich vorhandenen Bildungswesens in der Weise aufzustellen, daß die beiden Zwecke, welche die Ver- waltungslehre hat, dadurch angebahnt werden; einerseits, daß die Natur der großen öffentlich rechtlichen Institutionen für das Bil- dungswesen und sein Recht in ihrem innern Zusammenhange mit dem positiv Geltenden erscheinen, andererseits, daß die Verschieden- heit dieses Rechts auf ihre wahre Quelle, die gesellschaftliche und staatliche Individualität der einzelnen Völker zurückgeführt werde. Wird nun das erreicht, so ist damit auch die Grundlage für ein Weiteres gegeben. Es ist zwar unmöglich, den ganzen Stoff zu bewältigen und ebenso unmöglich, die weitere Entwicklung des Rechts der Bildung beständig zu verfolgen. Aber Eins ist mög- lich und darum auch nothwendig. Es müssen die großen Grund- formen des Bildungswesens, die in allem Wechsel des Rechts die- selben bleiben, festgestellt und es muß damit der Weg dafür ge- funden werden, daß jeder, dem die organische Grundgestalt des Ganzen klar ist, nunmehr ohne Schwierigkeit die Stelle und die innere Bedeutung neuer Rechte, Anstalten und Gesetze bestimmen und messen könne. Das ist das Streben der systematischen, or- ganischen Seite des Folgenden. Und gelänge das, so wäre es möglich, das Bildungswesen und sein Recht als selbständige Doctrin neben der Lehre von demjenigen hinzustellen, was jene Anstalten lehren sollen. III. Um dieser Aufgabe auf allen Punkten zu entsprechen, haben wir unsere Arbeit nach folgenden Gesichtspunkten eingetheilt. Der Allgemeine Theil geht davon aus, daß das Bil- dungswesen ein Ganzes ist, dessen drei Gebiete ihrem Wesen und ihren Bedingungen nach nicht von einander getrennt sind. Das Bildungswesen als Verwaltungsaufgabe hat daher in allen seinen Theilen zunächst ein gemeinsames Princip und für alle seine Thätig- keiten einen gemeinsamen Geist und Charakter, der sich am Ende jedes specielle Gebiet unterordnet. Und diesen behandelt der All- gemeine Theil. Der besondere Theil faßt dagegen die einzelnen großen Gebiete des Bildungswesens in ihrem Charakter und Recht für sich auf und läßt die Thätigkeit und die Anstalten der Verwaltung für jeden dieser Theile wieder als selbstständiges Ganze für sich er- scheinen. Die drei Theile, in welche derselbe zerfällt, enthalten daher zunächst drei Aufgaben für sich, eine jede nach den ihrem Wesen entsprechenden systematischen Elementen und wiederum nach derjenigen Gestalt dargestellt, die sie in jedem der großen Kultur- völker durch Geschichte und Nationalität empfangen haben. Das Kriterium des Werthes und der Richtigkeit dieses ver- waltungsrechtlichen Systems wird dann in der Erfüllung der oben angegebenen Forderung durch dasselbe bestehen, daß jede auf die gesammte Verwaltung der geistigen Welt bezügliche Frage und jedes dazu gehörende Material sowohl an neuen Gesetzen als auch an Statistik in demselben seinen natürlichen Platz, und vielleicht auch einige für die Beurtheilung maßgebende Gesichtspunkte findet. Das Kriterium des Werthes und der Richtigkeit nnsrer Ge- sammtauffassung aber wird darauf beruhen, ob es uns gelingt, die Ueberzeugung zu schaffen, daß alles wahre öffentliche Bildungs- wesen mit seinem machtvollen und nie ruhenden Organismus, mit seinen Grundsätzen und Anstalten, mit seinen objektiv geltenden Bestimmungen und mit seiner freien Thätigkeit das zum öffent- lichen Recht erhobene Bewußtsein des Staats von der auf pädagogischer Grundlage beruhenden Aufgabe seiner gei- stigen Verwaltung , und damit die organisch gewordene und als solche erkannte Arbeit des Geistes für den Geist ist. Allgemeiner Theil. I. Begriff und Wesen der Bildung an und für sich. I. Begriff der Bildung. Um das weite Gebiet, welches vor uns liegt, klar zu übersehen, wird es nothwendig, zuerst die einfachsten Grundbegriffe aufzustellen, und daran erst die weitere Entwicklung derselben anzuschließen. Die Grundlage aller Bildung ist das, was wir das geistige Gut nennen. Es scheint nicht nothwendig, hier diesen Begriff weiter zu erklären. Das organische Wesen des menschlichen Geistes macht es nun zwar möglich, ein einzelnes geistiges Gut, eine einzelne Kenntniß oder Fähigkeit zu erwerben; aber es ist unmöglich, bei diesem Einzelnen stehen zu bleiben. Wie dasselbe einerseits aus der Anstrengung des ganzen geistigen Lebens hervorgeht, so wirkt das erworbene andrerseits auch auf das ganze geistige Leben wieder ein. Es gibt keine einzelne Kennt- niß oder Fähigkeit, kein einzelnes geistiges Gut für sich. Sie stehen alle unter einander in lebendigem, sich gegenseitig erzeugenden Zusam- menhang. Bei welchem einzelnen Gute der Mensch auch beginnen mag, immer ergibt sich für ihn ein geistiges inneres Leben, in welchem er die äußere Welt in seinem Geiste in sich trägt, und das geistige Dasein der Dinge, eine unsichtbare Welt der Begriffe und Kräfte entwickelt, vermöge deren er die wirkliche sich zum Verständniß bringt und sie seinen Zwecken unterwerfen kann. Diesen Zustand des Einzelnen nennen wir seine Bildung . Allein so wenig es ein für sich allein bestehendes einzelnes geistiges Gut gibt, so wenig ist auch das geistige Leben des Einzelnen etwas für sich allein bestehendes. Wie das geistige Element seinem Wesen nach allgemein ist, so ist auch das Ergebniß dasselbe. Es geht stets über die Gränze des Einzellebens hinaus. Es theilt sich von dem Einen Stein , die Verwaltungslehre. V. 1 dem Andern mit. Es erzeugt sich bei dem Einen durch den Andern. Der Einzelne wird mit dem, was er geistig besitzt, zum Maß und Vorbild, mit dem was er dadurch gilt, zum Sporn, mit dem was er dadurch thut, zum Lehrer und Erzieher des Andern. Die Bildung ist daher an und für sich keine ruhende Thatsache, sondern sie ist ihrem höheren Wesen nach ein beständig wirkender, lebendiger Proceß , vermöge dessen und in welchem die menschliche Gemeinschaft die geistigen Güter für jeden Einzelnen durch organische, mehr oder weniger bewußte Thätigkeit, hervorbringt, und jede Bildung wird dadurch zu einem geistigen Zustand der Vertheilung und des Umfangs dieser geistigen Güter durch jenen Proceß, den ich in einem gegebenen Momente als Thatsache auffassen kann. Wir nennen einen solchen Zustand, insofern er zugleich einen hohen sittlichen Inhalt hat, die Gesittung oder Civilisation. Die Elemente der Geschichte der Gesittung sind daher vor allen Dingen in dem Bildungswesen einer Zeit und eines Volkes gegeben. Das System des letzteren wird zur Basis der ersteren; ohne jenes bleibt das Urtheil über dieses stets in der Sphäre des subjek- tiven Eindrucks, und wenn die tiefer eingehende Geschichtschreibung überhaupt das Studium der Verwaltungslehre und des Verwaltungs- rechts künftig voraussetzen wird, so wird die Geschichte des menschlichen Geistes ohne das Studium des Bildungswesens ewig eine unfertige bleiben. Indeß ist es unsre Aufgabe nicht, dieß speziell zu verfolgen. Wir haben vielmehr das Verhältniß der Bildung zum Staate und zur Verwaltung auf seine letzten Grundlagen zurückzuführen. Ist nämlich die Bildung und Gesittung ein so gewaltiger Faktor des Lebens, so wird sie so wenig sich dem Einflusse des Staats ent- ziehen, wie der Staat es vermag, sich gegen sie gleichgültig zu verhalten. Allein der Ausdruck „Bildung“ bedeutet etwas so Allgemeines und Unbestimmtes, daß ein Verständniß dieses Verhältnisses erst da beginnen kann, wo die Bildung durch Auflösung in ihre elementaren Grund- formen selbst eine feste Gestalt gewinnt. Es ist kein Zweifel, daß es Sache der Pädagogik ist, diese Auflösung zu vollziehen. Allein wir können dieselbe dennoch nicht als bekannt oder anerkannt voraussetzen. Der Mangel des verwaltungsrechtlichen Elements in der Pädagogik hat hier eine umfassende, ausreichende Auffassung nicht entstehen lassen. Nicht daher um neue Begriffe aufzustellen, sondern um die bekannten so zu ordnen, daß sie der Verwaltungslehre genügen, müssen wir den oben bezeichneten abstrakten Begriff der Bildung genauer betrachten, ehe wir zu dem Inhalt des öffentlichen Bildungsrechts gelangen können. Jener Begriff der Bildung nämlich, wie wir ihn aufgestellt, enthält schon den Punkt, von welchem die Wissenschaft allein zu dem Begriff und Verständniß dieses öffentlichen Bildungsrechts gelangen kann. In der That nämlich gibt es darnach überhaupt keine Bildung eines Einzelnen . Jeder Einzelne ist vielmehr im Leben des Geistes zugleich ein Resultat und ein mitwirkender Faktor der Bildung; jede Bildung des Einzelnen, jeder geistige Besitz steht in der Mitte der großen Kette, welche die geistige Welt aller unter einander verbindet. In jeder individuellen Bildung spiegelt sich die geistige Arbeit der ganzen geistigen Welt wieder, wie das Licht der Sonne in dem Thau- tropfen; jede individuelle Bildung gibt wieder das Ihrige für die Ge- sammtbildung her, wie der Thautropfen die Wolke und den Strom bildet. Nichts ist großartiger, nichts ist lebendiger, ja nichts ist ergrei- fender als diese tiefe, niemals ruhende, ewig sich selbst erzeugende Gegenseitigkeit des geistigen Lebens aller Einzelnen und des Ganzen; nichts bringt so ernste Bescheidenheit in den Verstand und so lebens- frischen Muth in das Bewußtsein auch der höchsten Arbeit des Geistes, als dieß Bild, das sich uns entrollt, wenn wir das was wir die Bil- dung nennen, als einen der wichtigsten, ja den allergewaltigsten Proceß der Weltgeschichte anschauen. Und wenn es die Aufgabe der Pädagogik ist, nun ihrerseits zu verstehen, wie dieser große Proceß im einzelnen Menschen lebt und wirkt, so ist es andrerseits die Aufgabe der Verwaltungslehre , den zweiten Faktor derselben, die menschliche Gemeinschaft in ihrer großen, den Volksgeist umfassenden Thätigkeit des Gebens und Empfangens der geistigen Güter zur Anschauung zu bringen. Das ist es, wornach wir zu streben haben, und das ist es, weßhalb die Pädagogik niemals ausreichen kann, wo es sich um jene geistige Welt der Menschheit handelt. Erst wo sich Pädagogik — im höchsten Sinne des Wortes — und Verwaltungslehre die Hände reichen, kann die Menschheit ihr eigenes geistiges Leben und Werden erkennen, und durch das was sie darin lernt, für Lernen und Lehre selbst weiter gelangen. Dieß zu versuchen ist die schwierige Aufgabe unsrer folgenden Arbeit. Um sie zu erfüllen, müssen wir aber zuerst, wie gesagt, die Bildung selbst in ihre drei Grundformen auflösen. Erst an sie kann sich in ver- ständlicher und zugleich praktischer Weise das anschließen, was wir die Verwaltung des geistigen Lebens des Volkes zu nennen haben. II. Die drei Grundformen der Bildung: Wesen der Elementar-, der Berufs- und der allgemeinen Bildung, und ihr organisches Verhältniß zu einander. Offenbar nämlich umfaßt das, was wir Bildung im weitesten Sinne nennen, den ganzen einzelnen Menschen und das ganze Volk. Der Proceß dieser Bildung, sei es nun, daß wir dabei von dem Ein- zelnen zum Ganzen oder vom Ganzen zum Einzelnen übergehen, wird daher in Form und Inhalt ein verschiedener, nach den großen geistigen Momenten, welche das innere Wesen der Persönlichkeit überhaupt bestimmen. Diese entscheidenden Momente nun sind die psychologischen Gesetze der geistigen Bildung selbst, dann der bestimmte einzelne Lebenszweck, welcher der in der Bildung enthaltenen Güter des Geistes bedarf, und endlich das an sich freie und unendliche Wesen der Persönlichkeit, welches das geistige Gut an und für sich, ohne Beziehung und Be- schränkung auf den bestimmten Zweck fordert. Aus dem ersten Momente geht die Elementarbildung hervor, aus dem zweiten die Berufs- bildung , aus dem dritten die allgemeine Bildung . Die Elementarbildung nämlich ist ihrem Begriffe nach der Erwerb derjenigen geistigen Güter und Fähigkeiten, welche selbst wieder nur die Voraussetzung für die Berufs- und allgemeine Bildung ausmachen. Man hat daher mit gutem Recht gesagt, daß jede spezielle Bildung wieder ihre eigene Elementarbildung voraussetzt und enthält; jede Berufs- und Fachbildung hat ihre „Elemente,“ ohne welche sie selbst nicht gewonnen werden kann, aber mit denen sie selbst allerdings noch keineswegs gegeben ist. Nun reden wir aber hier nicht in diesem Sinne von dem System der Elementarbildung. Wir haben als solche vielmehr nur diejenige Bildung zu betrachten, welche die Elemente des Gebildet- werdens überhaupt enthält. Diese aber bestimmen sich wissenschaftlich einfach durch den Begriff der Bildung selbst. Indem nämlich jede Bil- dung das Ergebniß gegenseitiger und gemeinschaftlicher geistiger Arbeit ist, ist die Elementarbildung selbst der Erwerb derjenigen Kenntnisse und Fähigkeiten, welche die Voraussetzung für die gegenseitige geistige Mittheilung und damit für die Bildung eines jeden durch sich selbst und durch die geistige Arbeit anderer bilden. Das Wesen der Elementarbildung besteht daher darin, an und für sich keinen Werth in sich selbst, und keine abgeschlossene Bestimmung zu haben, sondern ihren Werth und ihre Bestimmung erst dadurch zu empfangen, daß durch sie der Erwerb der Berufs- und allgemeinen Bildung möglich wird. Die Entwicklung der Elementarbildung für sich ist daher nicht denkbar ohne gleichmäßige Entwicklung der andern Bildungsgebiete; aber wenn ihr unmittelbarer Werth dadurch geringer wird, wird natürlich ihr mittelbarer, der dann auf jenem Verhältniß zu den übrigen Bildungs- gebieten beruht, ein um so größerer, und der Maßstab dieses Werthes ist dann eben die Größe des Bedürfnisses nach dem Inhalt und der Allgemeinheit derselben. Die Berufsbildung ist zweitens ihrem formalen Begriffe nach der Erwerb und Besitz derjenigen geistigen Güter und Fähigkeiten, welche die geistigen Bedingungen der Verwirklichung eines bestimmten einzelnen Lebenszweckes enthalten. Wir haben den Begriff des Berufes, aus dem sich langsam aber sicher das große und eigenthümliche System des Bildungswesens entwickelt, später darzulegen. Klar ist aber schon hier, daß jede Berufsbildung stets eine besondere und wesentlich begränzte ist, daß sie daher nicht wie die Elementarbildung eine für alle Lebens- verhältnisse gleichartige, und nicht eine von allen gleichmäßig geforderte sein kann. Klar scheint es ferner, daß die Entwicklung der Berufs- bildung nicht von einer abstrakten Wissenschaft, sondern von der der Berufe selbst und damit vor allem von der gesellschaftlichen Entwicklung der Gemeinschaft abhängt. Klar ist es endlich, daß diese Berufsbildung an Tiefe mit der allgemeinen Weltanschauung einer Zeit und eines Volkes, an praktischem Werthe und technischer Breite dagegen mit der wirthschaftlichen Entwicklung zusammenhängt. Die Berufsbildung, ihrem Begriff nach ein allgemeines Bildungssystem, ist daher dasjenige Gebiet der Bildung oder des geistigen Lebens überhaupt, welches am meisten zu einseitiger und höchst verschiedener Entwicklung seiner einzelnen Theile Raum gibt. Nirgends sind die Unterschiede der Bildung sogar in den einzelnen Epochen der Geschichte größer und schlagender als hier; nirgends ist es schwieriger ein allgemeines Bild zu gewinnen; aber nirgends ist auch die eigentliche Arbeit größer, denn sie geschieht hier für einen bestimmten Zweck und mit meßbarem Erfolge. Und deßhalb ist die Darstellung der Berufsbildung stets der schwierigste Theil der Darstellung gewesen und wird es bleiben. Während somit der Beruf stets für einen speziellen Zweck bestimmt ist, und die Berufsbildung daher auch nur die für diesen speziellen Zweck nothwendigen geistigen Güter umfaßt und gibt, bleibt die höhere Bestimmung des Menschen dennoch eine allgemeine, die ganze Fülle des geistigen Daseins umfassende. Erst darin, daß ihm dieses nicht verschlossen bleibe, erfüllt sich das Wesen der Persönlichkeit. Ewig strebt daher der Mensch darnach, mit seinen Gedanken und Anschauungen über den engen Kreis seiner Einzelaufgabe hinauszutreten. Wie das Dasein der gesammten Welt, der geistigen wie der räumlichen, sich in ihm wieder spiegelt, so sucht und arbeitet er ewig darnach, diese Unend- lichkeit des Daseins in bestimmte Form zu fassen, und sich damit über seine begränzte Bestimmung zu erheben. Er thut das in dem Gebiete wo das erkennende Wissen und die Wahrheit durch die Begründung aufhört, im Gebiete der reinen Weltanschauung durch den Glauben in der Form der Religion; er thut es aber auch in dem Gebiete dessen, was durch Sein oder Begriff, durch Bild oder Kenntniß sich als be- stimmtes geistiges Gut formuliren läßt als Streben nach der allge- meinen Bildung . Die allgemeine Bildung hat keinen bestimmten Inhalt; sie umfaßt ihrer formalen Definition nach alles, was mensch- liche That in Wissenschaft und Kunst hervorgebracht; sie erscheint aber praktisch in der Kenntniß dessen, was jeden einzelnen Lebensberuf mit allen andern innerlich und organisch verbindet , und enthält daher das Gesammtbild des geistigen Lebens der Menschheit, im Einzel- bewußtsein ausgedrückt und gestaltet. Nach einer solchen allgemeinen Bildung strebt jede Zeit und jedes Volk; aber die Höhe aller Gesittung bleibt immer dadurch ausgedrückt und gemessen, daß die Erzeugung dieser allgemeinen Bildung selbst wieder als eine organische Aufgabe der Gemeinschaft gegenüber dem Einzelnen, als eine Pflicht und ge- ordnete Thätigkeit derselben erscheint. Und diese geordnete Thätigkeit für diesen Zweck nennen wir das allgemeine Bildungswesen . So erscheinen diese drei Grundbegriffe aller Bildung: Elementar-, Berufs- und allgemeine Bildung, als die drei großen Functionen, in denen der Proceß der Bildung überhaupt besteht. Allein sowohl ihrer innern Natur nach, als auch für das richtige Verständniß des Zustandes und der Aufgabe der Verwaltung ist es nothwendig, sie nicht bloß als neben einander stehende und gesonderte Thätigkeiten, sondern zugleich in ihrem innern Verhalten zu einander aufzufassen. Ihr innerer Unterschied und ihre äußern Gränzen liegen nämlich nicht in ihrem Wesen, sondern in dem Bedürfniß und der Natur der Persönlichkeit. Sie sind innerlich Eins. Sie lassen sich daher auch äußerlich nie ganz trennen. Jeder Theil vermag von dem andern etwas in sich aufzunehmen, und in dem Sinne des andern zu wirken, sowohl der Form als dem Inhalt nach. Sie stehen daher, mögen sie sonst äußerlich geschieden und benannt sein wie sie wollen, stets im lebendigen Wechselverkehr unter einander, und dieser Wechselverkehr ist theils durch ihre Natur selbst gegeben, theils tritt er in der bildenden Arbeit der Gemeinschaft mehr oder weniger klar hervor, und wird zuletzt in derselben für ihren höchsten und letzten Erfolg auch im Ein- zelnen entscheidend. Das Wesen der Elementarbildung fordert nämlich, daß sie zunächst der Form nach die gleiche für alle sei; aber selbst in dieser Form hat sie die Fähigkeit, gewisse Elemente des Berufs und der allgemeinen Bildung in sich aufzunehmen und mitzutheilen. Das ist es, was ihr ihre höhere Bedeutung gibt, und die Art und das Maß in welcher dieß in der Elementarbildung wirklich geschieht, ist das erste charakteri- stische Kennzeichen für die Höhe des Bildungswesens überhaupt. Die Berufsbildung muß nun allerdings zunächst eine besondere sein; allein ihr gegenüber, oder in ihr, ist es die allgemeine Bildung, welche wieder die Einzelnen über die in der Berufsbildung gesetzten Verschie- denheiten erhebt. Ihre große Function ist es, die geistige Begränzung des innern Lebens, die in der letztern unabweisbar sich zu erzeugen strebt, wieder aufzuheben, und durch sich die Idee der Persönlichkeit, oder mit gleicher geistiger Bestimmung begabter Wesen, zu erfüllen. Sie verleiht daher, indem sie über jeden Beruf hinausgeht, und jedem jedes geistig zugänglich macht, dem geistigen Leben seinen Umfang im Ganzen, während die Berufsbildung, indem sie den individuellen Lebenszweck auf die geistigen Elemente, Begriffe und Gesetze zurückführt, welche denselben beherrschen, der Bildung ihre Tiefe im Einzelnen gibt. Die allgemeine Bildung ist daher der Proceß, der den Einzelnen ihre freie Entwicklung sichert, die Berufsbildung diejenige, die ihnen die Bedingungen einer tüchtigen, individuell befriedigten Erfüllung ihrer Lebensaufgabe gibt. Die letztere ohne die erstere ist beschränkt und erzeugt beschränkte Menschen; aber die erstere ohne die letztere macht sie flach, und nimmt ihnen den wahren Kern der Individualität, das geistige Bewußtsein, im Einzelnen ein Vollendetes zu erreichen. Die Elementarbildung aber, als Voraussetzung für beide, gilt für alle in gleicher Weise. In dieser Weise zusammenwirkend, stellt der Begriff der Bildung die höhere, im Geiste selbst liegende Einheit der geistigen Faktoren und Thatsachen wieder her, welche durch die drei Stadien oder Theile des ersteren äußerlich, räumlich und zeitlich geschieden auftreten. Und daraus ergibt sich, daß der wahre und höhere Charakter der Bildung sein zweites Kriterium durch das Streben empfängt, schon innerhalb der einzelnen und beschränkten Berufsbildung den Geist über die Gränze derselben zu erheben, und die allgemeine Bildung nicht etwa objectiv neben sie zu stellen, sondern sie zu einem inwohnenden Theile derselben zu erheben. Denn in dieser Verschmelzung drückt sich zuletzt doch das Bewußtsein nicht bloß von der höchsten gemeinsamen Bestimmung aller Persönlichkeit, sondern auch die Erkenntniß des großen Lebens- gesetzes alles Geistes aus, daß der ewig lebendige Keim der Freiheit und der Vollendung für jedes Einzelne in dem liegt, was selbst über das Einzelne hinausgehend, das Ganze bedeutet und ist. Dieß nun sind die drei Stadien oder Gebiete, in denen die Bildung sich vollzieht, und ihr inneres Verhältniß zu einander. Niemals ganz in der Wirklichkeit getrennt oder innerlich geschieden, und dennoch selbständig, sollte auch jede Darstellung des Bildungswesens sie stets alle gleichmäßig umfassen. III. Das Bildungswesen und sein System. Neben diesem Begriff der Bildung und seinem Inhalt ist jedoch der des Bildungs wesens ein specifischer, von jenem nothwendig zu trennen- der, wenn man überhaupt zu einem Begriffe und Bilde der Verwaltung der geistigen Welt gelangen will. Das Bildungswesen beruht nämlich zunächst darauf, daß jede Bildung eines Einzelnen stets das Ergebniß der bildenden Arbeit aller andern ist. Daß niemand ganz die Quelle und der Urheber seiner Bildung ist und sein kann, steht fest. Allein der Proceß, durch welchen die Gemeinschaft diese Bildung des Einzelnen erzeugt, ist nun eben da- durch kein einfacher und gleichartiger, daß die Bildung selbst in den oben bezeichneten drei Grundformen auftritt. Jede dieser Grundformen hat ihre Bedingungen, ihre Gesetze, ihren Inhalt und ihren Zweck. Jede derselben fordert daher auch ihre specifische Arbeit. Wie der Be- griff der Bildung, so theilt sich mithin auch der Proceß, durch den sie erworben wird, in seine selbständigen Gebiete; jedes dieser Gebiete sucht und findet die Kräfte, welche die in ihm liegenden Aufgaben zu lösen im Stande und bereit ist; und die damit gegebene Gestalt der bildenden Thätigkeit , in der auf diese Weise das große Gesetz der Theilung der Arbeit auch hier zur Geltung gelangt, nennen wir das Bildungswesen . Im Anfange aller Geschichte werden nun allerdings stets jene Ge- biete so eng zusammenfallen, daß man sie äußerlich gar nicht zu trennen vermag. Mit der fortschreitenden Gesittung jedoch scheiden sie sich. In- dem sie sich scheiden, wird jede einzelne ihrer Aufgaben so bedeutsam, daß sie allmählig eigene Organe erzeugt und fordert, welche den Bildungs- proceß ihres eigenthümlichen Gebietes zu ihrer besondern Aufgabe machen. So entsteht das, was wir das System des Bildungswesens nennen. Dieß System des Bildungswesens ist seinerseits der Ausdruck und das Ziel der Gesittung. Dasselbe wird nicht etwa erst vom Staate gesetzt und gebildet, sondern es erzeugt sich vielmehr durch die inwohnende Kraft des geistigen Lebens und seiner Bedürfnisse wie die obigen elementaren Grundbegriffe, durch das Wesen der Bildung selbst. Es ist nicht so sehr das Erzeugniß, sondern vielmehr das sich selbst erzeugende Object der Ver- waltung der geistigen Welt. Erst an ihm wird das, was der Staat seiner- seits für die Bildung leistet, gleichsam sein Maß erhalten. Denn alle Höhe des wirklichen Bildungswesens wird sich stets bestimmen nach dem Grade, in welchem die wirkliche Bildungsthätigkeit einer Zeit und eines Volkes alle diese verschiedenen Formen zur Entwicklung gebracht hat. Man kann nun diesen Proceß der Entwicklung eines selbständigen Systemes des Bildungswesens in obigem Sinne in drei Momente theilen. Die erste Grundlage derselben ist das Auftreten eines außerhalb der Familie bestehenden selbständigen Bildungswesens. In allen Formen und Stadien des letzteren bedeutet diese Scheidung des Bildungs- wesens von der Familie die Erkenntniß des Volkes, daß die Bildung auch für die Gemeinschaft des letzteren einen zu hohen Werth hat, um dem Zufall und der freien Willkür, die nothwendig in der Familie herrscht, überlassen zu bleiben. Alle wahre Geschichte des Bildungs- wesens beginnt mit dieser äußern Selbständigkeit des Bildungswesens; sie ist die formelle Bedingung einer wirklichen Entwicklung desselben, aber ebenso die einer staatlichen Thätigkeit. Diese Selbständigkeit er- scheint wie natürlich in einzelnen Anstalten für die Bildung, die keines- wegs vom Staate begründet sein müssen, sondern ihm im Gegentheil zum Theil stets fremd bleiben. Aber sie sind es, an welche das äußere Bild der großen Arbeit des Bildungswesens eines jeden Volkes sich anschließt. Die zweite Grundlage ist nun die, durch diese äußere Scheidung schon begründete Theilung der bildenden Arbeit in diesen Bildungs- anstalten, die wieder die Einheit des Ganzen als inneres System zu- sammenfaßt. Mit der höheren geistigen Entwicklung empfängt jeder Theil der Bildung sein eigenes Gebiet an den durch dasselbe geforder- ten Kenntnissen und Fähigkeiten und zugleich, wenn auch langsam und unter vielfachen Kämpfen und Versuchen, für jedes einzelne Gebiet seine eigene Methodologie. So entsteht die innere Selbständigkeit der Gebiete des Bildungswesens. Je höher die Gesittung steht, um so bestimmter treten diese einzelnen Gebiete hervor, empfangen eigene Namen, eigenen Umfang, eigene Bildungsordnung. Und da nun alle Bildung wesentlich auf der Verwerthung der gewonnenen Kenntnisse im wirklichen Leben beruht, so ergiebt sich allmählig das wichtige Resultat, daß die Ordnung der großen Lebensverhältnisse eines Volkes und einer Zeit sich in dem System der Bildung und mithin ihrer selb- ständigen Anstalten abspiegelt . Das System des Bildungs- wesens jeder Epoche — ganz gleichgültig zunächst ob es vom Volke oder vom Staate ausgeht — bedeutet daher die Antwort auf die große Frage, ob und wie weit eine Zeit die geistigen Elemente als Grundlage und Erhaltung seiner eigensten Lebensverhältnisse ansieht. Es ist dasselbe in der That der formale Ausdruck seiner Gesit- tung . Zugleich aber erscheint in ihm das Verständniß jenes Ge- setzes, das wir bereits erwähnt, und nach welchem alle Theile der Bildung dennoch nur Ein Ganzes sind. Das Bewußtsein und Be- dürfniß dieser höheren Einheit alles geistigen Lebens erscheint formell stets darin, daß die Uebergänge von einem Bildungsgebiete zum andern selbst wieder als selbständige Bildungsgebiete und Anstalten auf- treten, während das Bewußtsein von dem praktischen Werthe der Wissen- schaft die Specialb ildungsanstalten erzeugt. Auf diese Weise entwickelt sich das vollständige System des Bildungswesens, dessen Grundformen sich bei aller Verschiedenheit dennoch auf die obigen drei zurückführen lassen. Und es gewinnt jetzt einen großen Werth, sich dieses Ganze in einem, auf der Natur der Sache beruhenden Schema darzustellen. Doch muß dazu das letzte Moment hinzugefügt werden. Während die Selbständigkeit der Bildungsanstalten den Werth be- zeichnet, den eine Epoche auf die Bildung überhaupt legt, das System derselben die Tiefe und den Umfang des Bedürfnisses nach Bildung für die einzelnen Lebensverhältnisse, wird nun die Dauer und Gleich- mäßigkeit des Bildungsgenusses dadurch bedingt, daß sich für den letzteren in der Gemeinschaft ein eigener Stand bildet, der die Bildung zu seinem Lebensberufe macht. Dieser Stand schließt sich dann natur- gemäß an das System der Anstalten, verbindet seine gesammte Thätig- keit mit denselben, erhebt die Bildung an sich zu einer systematischen Wissenschaft, und erfüllt das Bildungswesen einer Nation mit dem persönlichen Elemente, dem Geiste und der Thätigkeit der Berufsge- nossen. Erst durch ihn wird dasselbe zu einem fertigen, nunmehr mit eignem Bewußtsein handelnden und vorwärtsarbeitenden Ganzen; und der Ausgangspunkt für die höchste Stufe des Bildungswesens besteht dann darin, daß dieser Stand des Bildungsberufes selbst wieder eine eigene berufsmäßige Bildung für seine bildende Thätigkeit erzeugt. Erst wo das geschieht, sind die großen organischen Elemente des Bildungswesens ein in sich ruhendes und geschlossenes Ganzes, und in der That kann erst hier das öffentliche Bildungsrecht, indem es an diesem System sein rechtes Objekt findet, zum reellen Verständniß gelangen. Demgemäß ergibt sich aus dem Wesen des Bildungsprocesses ein Bild dessen, was wir den selbständigen Bildungsorganismus nennen, der als Ausdruck und Maß des Bildungszustandes einer jeden Epoche gelten kann. Dieser Bildungsorganismus ist jedoch hier zunächst nur im Wesen der Persönlichkeit und im Begriffe der Bildung selbst gegeben. Der wirkliche Bildungsorganismus aber, die concrete Ge- stalt der bildenden Arbeit Aller für jeden Einzelnen und jedes Einzelnen für Alle entsteht erst da, wo der Bildungsproceß selbst im Ganzen wie im Einzelnen Gegenstand des öffentlichen Wollens, und damit ein Theil des Verwaltungsrechts wird. Damit ergibt sich nun eine Reihe von Begriffen und Erscheinungen, die nunmehr selbständig darzulegen sind. Es ist hier zwar nicht der Ort, auf die pädagogische Literatur ein- zugehen, allein es muß uns doch schon im Hinblick auf das Folgende eine Anmerkung gestattet werden. Ganz abgesehen nämlich von der Literatur des öffentlichen Bildung srechtes , die wir unten im Allgemeinen und im Besondern charakterisiren, besteht nämlich ein großer Unterschied zwischen dieser rein pädagogischen Literatur in unserem und dem vergangenen Jahrhundert. Die frühere Zeit hat, allerdings namentlich auf Grund- lage der classischen Literatur, das Bildungswesen stets als ein Ganzes aufgefaßt und dargestellt; Pädagogik bedeutet die Gesammtheit der lehrenden und erziehenden Thätigkeit. In dieser Allgemeinheit war diese Literatur fähig, auch die allgemeine Bildung als integrirenden Theil mit aufzunehmen. Die Richtung der Zeit bewirkte dabei, daß als Hauptaufgabe und zugleich als Hauptinhalt der letzteren die politische , die Erziehung für das und zum Staatsbürgerthum , angesehen wurde, wodurch dann die eigentliche pädagogische Frage von der politi- schen sich trennte, der Aufnahme in die staatsrechtliche Behandlung wesentlich auch aus den unten anzuführenden speziellen Gründen sich entfremdete, rein pädagogisch ward, sich namentlich dem Volksu nter- richt zuwendete, und sich dadurch mehr und mehr specialisirte, indem für jeden einzelnen Zweig eine eigene Literatur entstand. Wesentlich an dieß Moment knüpfte sich die Aufnahme des Erziehungswesens in die staatsrechtlichen Bearbeitungen. Sie ist allerdings dadurch das ge- worden, was wir, im Gegensatz zur rein classischen Behandlung, eine Fachwissenschaft nennen, und hat die einzelnen Gebiete des Bildungs- wesens, namentlich den Elementarunterricht, bei weitem gründlicher be- handelt als früher, dafür insofern aber die Gesammtauffassung verloren , als die über das Fachbildungswesen hinausgehende allge- meine Bildung in der Pädagogik keine rechte Stelle mehr findet, was sich namentlich in dem Mangel einer pädagogischen Berücksichtigung der Presse und ihrer steigenden Wichtigkeit zeigt; eben so derjenige Theil derselben, der auf einem öffentlichen Recht und Leben beruht. In gleicher Weise hat die Kunst in der heutigen Pädagogik nur geringe Berücksichtigung gefunden. Es ist das nun zwar historisch sehr gut zu erklären; allein gerade die Verwaltungslehre kann diesen be- stimmten, wenn auch durch den Gang der Dinge recht wohl verständ- lichen Standpunkt nicht anerkennen, obwohl gerade sie es sein mag, die ihn durch den eigenen Mangel begründet hat, wie wir es unten andeuten werden. Sie muß ihrerseits alle Gebiete der Bildung gleich- mäßig umfassen, und bedarf daher einer systematischen, sich über alle Theile des Bildungswesens ausdehnenden Auffassung; diese zu geben, war die Aufgabe des Vorhergehenden. Die höhere Pädagogik selbst aber wird, wie wir hoffen, sich dadurch in der Lage finden, auch ihrerseits wieder eine solche Gesammtauffassung für ihre Bestrebungen wieder zur Geltung zu bringen, um nicht bloß an Tiefe im Einzelnen, sondern auch an Beherrschung des Ganzen die frühere Literatur zu übertreffen. Vielleicht nun, daß diese Ansicht durch die strenge Unterscheidung des öffentlichen Rechts der Bildung von seinem Gegenstande, der Bildung selbst, die wir im Folgenden durchzuführen haben, seine nähere Be- gründung und Begränzung auf ihr richtiges Maß auch in den Augen pädagogischer Fachmänner finden dürfte. II. Das öffentliche Bildungswesen. I. Begriff des Bildungsrechts. Indem wir nun das öffentliche Bildungswesen und sein Recht dem Bildungswesen an sich gegenüberstellen, oder das Verwaltungsrecht der Pädagogik und ihrem System, wird es nothwendig, dem ersteren sein eigenthümliches Gebiet, seinen Inhalt und sein Ziel in möglichst klarer Weise zu überweisen; denn nur durch diese Trennung ist eine selbständige Verwaltungslehre des Bildungswesens denkbar. Zu dem Ende muß davon ausgegangen werden, daß wie gesagt das Bildungswesen nicht erst durch den Staat entsteht, sondern daß es sich auch ohne alles Zuthun desselben im Leben des Volkes von selber erzeugt. Denn das ist seine Natur, als ein organisches Element des Gesammtlebens, sich durch seine eigene Kraft Dasein und Geltung zu ver- schaffen. Das was wir das öffentliche Bildungswesen nennen, ent- steht deßhalb erst dadurch, daß der Staat zu dem Bildungswesen über- haupt hinzutritt, und die in seiner Natur liegenden Principien, Forderungen und Kräfte auf das Bildungswesen anwendet . Während daher das Bildungswesen an sich durch die Natur der Bildung sich er- klärt, wird das öffentliche Recht desselben nur durch das Wesen des Staats verständlich. Ohne den Begriff des letzteren kann man daher sehr wohl die Pädagogik und das Bildungswesen eines Volkes, wenn es sich von selbst erzeugt, nicht aber dasjenige kennen lernen, was wir die Verwaltung des geistigen Lebens nennen. Diese Ver- waltung des geistigen Lebens eines Volkes oder das öffentliche Bildungs- wesen ist demnach die in aller Verwaltung thätige Staatsidee, in sofern sie in das selbstthätige Bildungswesen des Volkes eingreift . Und die öffentlich geltenden Bestimmungen über die Form, den Inhalt und die Gränze dieses Eingreifens der Staatsgewalt in das geistige Leben des Einzelnen und des Ganzen, wie dieselben durch den Gesammtwillen in Gesetz und Verordnung bestimmt werden, bilden das öffentliche Recht des Bildungswesens , oder das Verwaltungs- recht des geistigen Lebens eines Volkes. Auf der Grundlage dieses Begriffes ergibt sich nun die Darstellung seines Inhalts von selbst. Das Princip und System des öffentlichen Bildungswesens folgt nämlich aus dem Wesen des Staats, das positive Recht dagegen beruht auf dem gesammten inneren Rechtsleben der ein- zelnen Staaten, und erscheint zuerst als historische Entwicklung im Allgemeinen, dann aber in seiner gegenwärtigen concreten Gestalt als das Bildungswesen der einzelnen großen Staaten Europas. Erst wenn diese Grundlagen feststehen, kann der besondere Theil zu dem Bildungswesen und der Kunst der einzelnen Bildungsformen übergehen. II. Princip und System des öffentlichen Bildungsrechts. Der Begriff und Inhalt des öffentlichen Bildungswesens entsteht, wie gesagt, indem die Gesammtheit dessen, was für die Bildung des Volkes geschieht, als ein nothwendiger organischer Theil, als Aufgabe der Gemeinschaft gegen die Einzelnen, oder als ein organisches Gebiet der Verwaltung anerkannt wird. Seinem formellen Begriffe nach um- faßt es die Gesammtheit der öffentlich rechtlichen Bestim- mungen und Thätigkeiten , welche sich auf den Bildungsproceß in seinem ganzen Umfange beziehen. Seinem Umfange nach besteht es theils aus Gesetzen und Verordnungen, theils aus selbständigen An- stalten, theils aus speziellen Funktionen der Verwaltung. Seinem In- halte nach schließt es sich naturgemäß an das, im Wesen des Bildungs- processes liegende System desselben, theils dasselbe im Ganzen organisch verbindend, theils es im Einzelnen ausfüllend, fördernd und erhebend. Seinem Wesen nach aber ist und bezeichnet es das, als Gesetz und Verwaltung des Staats ausgedrückte Bewußtsein des Volkes als Ganzen von dem Werthe des geistigen Lebens und seiner Funktion im menschlichen Gesammtleben, während derjenige Theil des Bildungs- processes, der durch die Einzelnen sich vollzieht, nur das individuelle Bewußtsein von diesem Werthe ausdrückt. Diese Aufgabe des Staats, welche auf diese Weise die Gesammt- heit des geistigen Lebens und seines Werdens umfaßt, fordert für ihre unendlich vielseitige und an sich fast unbegränzte Erfüllung eine Ein- heit in Auffassung und Durchführung, welche die erste und allgemeinste Bedingung ihres Erfolges ist. Diese innere Einheit aller auf das öffent- liche Bildungswesen bezüglichen Maßregeln und Thätigkeiten nennen wir das Princip des öffentlichen Bildungsrechts. Dieses Princip, für den Staat geltend, wird daher auch durch das Wesen des Staats gegeben. Er selber ist, der Verwaltung ange- hörend, im Grunde nur die Anwendung des höchsten und allgemeinsten Verwaltungsprincips auf das geistige Leben des Staats. Das höhere Wesen aller menschlichen Gemeinschaft beruht darauf, daß das Maß der Entwicklung des Einzelnen die Grundlage und Be- dingung des Maßes der Entwicklung Aller wird. Der Staat nun, als diese zur individuellen Persönlichkeit erhobene Gemeinschaft, bringt dieses gegenseitige Bedingtsein Aller durch jeden und jedes durch Alle zum Be- wußtsein, und muß daher mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln allerdings für die Bildung sorgen. Allein das Wesen der geistigen Güter fordert, daß sie durch denjenigen selbst erworben sein müssen, für den sie gelten sollen. Der Staat kann daher so wenig die Bildung als die wirth- schaftlichen Güter geben , sondern das leitende Princip der Verwaltung ist, daß der Staat auch für die Bildung nur diejenigen Bedingungen herzugeben hat, welche der Einzelne sich nicht selbst zu schaffen vermag ; während die Benützung dieser Bedingungen oder die wirkliche Bildung Sache des Einzelnen und seiner individuellen Thätigkeit ist. So einfach und fast negativ nun dieß Princip an sich erscheint, so bleibt doch hier, wo sich das System der Verwaltung zu entwickeln beginnt, der Inhalt desselben kein einfacher mehr. Das worauf es ankommt ist nämlich die Frage, was denn als Bedingung der gegen- seitigen geistigen Entwicklung der Gesammtheit anzusehen sei. Und hier nun erscheinen die drei großen Gebiete des Bildungswesens in einem sehr verschiedenen Verhältniß. Was zuerst die Elementarbildung betrifft, so ist sie auf den ersten Blick nur die Bedingung für die Bildung des Einzelnen. Allein sie ist zugleich die absolute Voraussetzung des ganzen geistigen Verkehrs, der ganzen gegenseitigen Bewegung des geistigen Fortschrittes; denn die in ihr gegebene Möglichkeit der Weiterbildung des Einzelnen ist die Be- dingung für die lebendige geistige Thätigkeit Aller. Die Elementar- bildung verliert dadurch ihren Charakter als freie Bildung; sie wird allmälig zu einer Pflicht des Einzelnen gegen die Gesammtheit, und der Staat ist es, der diese im Wesen der Sache liegende Pflicht zum objectiv geltenden Recht macht. So entsteht das Princip des Ele- mentarbildungsrechts , das wir als die Schulpflicht bezeichnen, und das aus den obigen Gründen erst in den vorgeschrittenen Staaten zur öffentlich rechtlichen Geltung kommt. Die Berufsbildung dagegen ist an sich freier. Allein der Beruf ist in seiner Ausübung ein wesentlicher und organischer Theil des Ge- sammtlebens, und seine tüchtige Erfüllung ist daher selbst wieder eine Bedingung für die Verwirklichung des geistigen und materiellen Fort- schrittes. Fehlt dem Berufe seine Voraussetzung und das Maß von geistigen Elementen, die er selbst zur öffentlichen Verwerthung bringt, so macht eben die in der persönlichen Freiheit liegende Scheidung der Berufe eine tüchtige Berufserfüllung unmöglich. Der Staat, indem er daher Wahl und Bildung des Berufes für Alle frei macht, muß demnach im höchsten Gesammtinteresse dafür sorgen, daß ein gewisses Minimum der Berufsbildung vorhanden sei, bevor derselbe ausgeübt wird. Daraus folgen zwei leitende Grundsätze für das öffentliche Berufsbildungs- wesen. Zuerst muß der Staat der Berufsbildung die ihren Forderungen ge- nügenden Anstalten bieten, die daher ihrem System nach der ethischen und praktischen Entwicklung des Berufssystemes entsprechen müssen; zweitens muß er die Gewähr geben, daß bei solchen Berufen, gegenüber welchem es dem Einzelnen nicht mehr möglich ist ein freies Urtheil zu haben oder es zur Geltung zu bringen (Beamte, Aerzte, Lehrer ꝛc.) wenigstens das Minimum der Berufsbildung wirklich vorhanden sei. Diese Berufe nun nennen wir die öffentlichen Berufe ; ihre Funk- tion bildet stets im weiteren Sinne einen Theil der Verwaltungsthätig- keit selbst, und unterscheidet sich dadurch von dem freien Beruf, dessen Erfüllung nur das Einzelleben umfaßt (wirthschaftlicher Erwerb, Kunst ꝛc.). Jene Garantie wird gegeben durch die öffentlich rechtliche Prüfung ; und somit ergibt sich als Inhalt des Princips dieses Theiles des Verwaltungs- rechts, daß das öffentliche Recht des Berufsbildungswesens auf der syste- matischen Herstellung von Berufsbildungsanstalten , und auf dem Systeme der Prüfungen für die öffentlichen Berufe beruhen muß. In der allgemeinen Bildung endlich muß der Grundsatz der vollen Freiheit und Selbstthätigkeit der Einzelnen gelten. Allein trotzdem kann der Staat nicht gleichgültig neben derselben stehen. Er hat hier wie immer die Gefährdungen derselben in der Culturpolizei zu be- kämpfen; er hat zweitens die großen Bedingungen der allgemeinen geistigen Entwicklung in öffentlichen Bildungsanstalten herzustellen oder zu unterstützen; und er hat endlich durch sein öffentliches Recht dafür zu sorgen, daß das große Element des bei weitem wichtigsten allgemeinen Bildungsmittels, der Presse, das in der Verbindung ihrer rechtlichen Verantwortlichkeit mit ihrer Freiheit der Bewegung besteht, zur rechtlichen Geltung und Durchführung gelange. In der Gesammtheit dieser Momente ist nun die Entwicklung des Princips des öffentlichen Bildungsrechts zu einem Systeme gegeben; und mit diesem System erst ist auch eine Wissenschaft dieses Gebietes der Verwaltung möglich. Die Wissenschaft des öffentlichen Bildungs- wesens ist demnach nicht etwa die Theorie der Bildung an sich, sondern die wissenschaftliche Auffassung und Verarbeitung des öffentlichen Rechts derselben. Sie schließt sich daher an die Elemente dieses Systemes an, die Harmonie der großen Idee der persönlichen geistigen Freiheit mit der nicht minder mächtigen des persönlichen Staates und seiner organi- schen und rechtlichen Thätigkeit aussprechend und vertretend, eine nicht immer leichte oder dankbare Aufgabe. Wie aber die Wissenschaft das rein geistige Band der höheren Einheit in dieser Entwicklung des ein- fachen Princips zum organischen System sucht und findet, so muß der Staat selbst das materielle Element der Einheit in dem Organismus der für diese geistige Verwaltung bestimmten Organe aufstellen, das, wie die Idee des Staats alle Theile und Funktionen des Bildungs- wesens durchdringt und zum Theil gestaltet, seinerseits alle Gebiete der wirklichen Thätigkeit desselben äußerlich umfaßt, um in ihnen eben jenes System von Principien und Forderungen gleichmäßig und allgemein zur Geltung und Verwirklichung zu bringen. So entsteht als formaler Ausdruck und Träger jenes Systems der Verwaltungsorganismus der öffentlichen Bildung, den wir in seiner selbständigsten Form das Unterrichtsministerium nennen, und das in Recht und Organisation wieder in jedem einzelnen Staate verschieden ist. Faßt man nun das Ganze, was über Begriff, Princip und System des öffentlichen Bildungswesens gesagt ist, zusammen, so wird man sagen, das es sich dabei nicht um die Bildung und den sie erzeugenden Proceß an sich, sondern um das Verhalten des Staats zu dem- selben handelt, und daß das öffentliche Recht des geistigen Lebens hier wie immer aus dem Zusammenwirken der Natur der Sache und des Wesens und der Idee des Staats besteht. Und es ist das Fest- halten dieses Momentes, welches uns die Geschichte dieses öffentlichen Bildungswesens in seinem tieferen Inhalt klar macht. III. Geschichte der verwaltungsrechtlichen Auffassung im Ganzen. Auch der Begriff des öffentlichen Bildungsrechts hat seine Ge- schichte, die durch ihren Zusammenhang mit der ganzen Staatsauffassung von hohem Interesse ist, und jedenfalls einen Theil der sog. Geschichte der Rechtsphilosophie bilden sollte . Man wird in derselben drei ziemlich bestimmte Entwicklungsstadien unterscheiden. Sie beginnt mit der Auf- nahme einzelner Sätze aus dem öffentlichen Bildungswesen in die Polizeiwissenschaft, die sich wesentlich auf die bekannten Grundsätze der Sittenpolizei, und daneben auf fragmentarische Aeußerungen über die Volksbildung beschränken, während das Berufsbildungsrecht noch gar nicht in die Staatswissenschaft aufgenommen wird, eben so wenig die Presse; die Hauptvertreter dieses Stadiums sind auch hier Justi und Sonnenfels. Das zweite Stadium hat bereits einen viel bestimmtern Charakter; dasselbe entwickelt nämlich zwei Richtungen zu gleicher Zeit. Die erste gehört der mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts entstehen- den neuen Gestalt des Staat srechts an, welches allmählig, nachdem auch hier J. H. Berg in seinem Deutschen Polizeirecht Bahn gebrochen (s. Bd. II. Recht der Unterrichtspolizei, als Theil des Rechts der „Wohl- fahrtspolizei“ Hauptstück VI, S. 299—365) sich über die, noch von Pütter im Jus publicum ausschließlich vertretene Ansicht erhebt, die nur da von dem öffentlichen Recht des Bildungswesens spricht, wo es sich darum handelt, wer das Recht habe Academias, Universitates, ac gymnasia, scholas et societates literarias zu gründen , von denen schon das alte Jus publicum anerkennt, daß „status eos in suo cujus- que territorio instituere possunt. Pütter , Inst. Juris Publ. L. VIII, §. 359 (Auffassung des gesammten Bildungswesens als Regalität ). Hat doch Pütter nicht einmal in seiner Literatur des deutschen Staats- rechts eine andere als die der Universitäten aufgenommen. Erst später wird dasselbe in die Darstellung des positiven Ver- waltungsrechts aufgenommen, freilich noch immer mit enger Beschränkung auf die corporativen Ordnungen der Universitäten und ihres Rechts. Den Uebergang von dem Pütterschen Standpunkt zur Berücksichtigung des gesammten Unterrichtswesens im positiven deutschen Staatsrecht bildet Gönner in seinem überhaupt sehr beachtenswerthen Teutschen Staatsrecht 1805, §. 370, der schon ein vollständiges System an- deutet. Ihm folgen, ohne über ihn hinaus zu gelangen, Mauren- brecher , Deutsches Staatsrecht, §. 197 (nur ganz beiläufig von der Bildungspolizei, sonst mehrfach von Universitäten), Zachariä , Deut- sches Staats- und Bundesrecht II. §. 178 (Schulen und Universitäten unter „Polizeihoheit“). — Diese Richtung war allerdings wesentlich dadurch bedingt, daß es noch kein öffentliches Bildungsrecht für Deutsch- land gab, außer den Universitäten und der Presse, und daß der In- halt dieses Rechts gar nichts anderes blieb, als eine Bildungspolizei. Die deutschen Staatsrechtslehrer hatten daher materiell gar keinen andern Gegenstand, als eben jenes höchst beschränkte Bundesrecht des deutschen Bildungswesens. Erst mit der Reichsverfassung von 1849 gewann dasselbe auch in den Territorialverfassungen einigen Raum, und was hier gesammelt werden konnte, hat Zöpfl in seiner fleißigen, aber systemlosen Weise gesammelt. (Deutsches Strafrecht, Bd. II. mehrfach.) Stein , die Verwaltungslehre. V. 2 Das Bewußtsein von der hohen Bedeutung der Sache, gegenstands- los im deutschen Staatsrecht, bricht sich dann Bahn in den Bearbei- tungen der Territorialverwaltungslehren, und wird zu sehr vollstän- digen Darstellungen, wie bei Rönne, Stubenrauch, Pözl, natürlich aber auch ohne einen, dieselben verbindenden Standpunkt. Der tiefe Mangel, der in dieser Richtung lag, verbunden mit der wachsenden Erkenntniß von der entscheidenden Wichtigkeit des Bildungswesens, er- zeugte daneben die zweite Richtung, welche das letztere nunmehr grund- sätzlich in die systematische Verwaltungslehre aufnahm, wobei freilich der traditionelle Name der Polizeiwissenschaft den Autoren eben so sehr in der freien Behandlung, als ihrem Wirken im Publikum schadete. Diese zweite Richtung wird eingeleitet durch eine Reihe ausgezeichneter Monographien über die Erziehung des Volkes, vorwiegend noch im ethischen und pädagogischen Sinne abgefaßt, von Zachariä, Wessenberg, Niemeyer und Andern, die zwar keine Systeme sind oder sein wollen, wohl aber das Bewußtsein festhalten, daß die Staatswissenschaft unter allen Formen das Bildungswesen nicht mehr übergehen könne. Dasselbe wird daher in die neue, organische und freie Gestalt derselben auf- genommen. Bei einigen wird daraus ein förmliches Polizeisystem wie bei Lotz (Ueber den Begriff der Polizei, S. 379 ff.), der den Gedanken vertritt, daß der Staat das Recht und die Pflicht habe, die „Auf- klärung“ durch Zwangsmaßregeln durchzusetzen, wobei er nur die Ele- mentarbildung von der allgemeinen Bildung nicht gehörig schied. Bei andern dagegen bleibt die Theorie meistens auf einem etwas allgemeinen und unklaren Standpunkt stehen, und berücksichtigt viel zu wenig das positive Recht neben den allgemeinen Grundsätzen, die ohnehin niemanden mehr zweifelhaft waren. So Jacob (Polizeiwissenschaft I, §. 146); Pölitz (Staatswissenschaft. Erziehungspolizei II, 19), der in seiner Staatswissenschaft II, 339 den Satz durchführt, daß der Zwang falsch und der Staat nur verpflichtet sein solle, die Hindernisse der Bildung aus dem Wege zu schaffen. Soden (Staats-Nationalbildung, Bd. 8 der Nationalökonomie) war der erste, der eine systematische Dar- stellung versucht; Aretin (Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, II. Bd. 1. Abth., S. 35 ff.), der zugleich an freien Grundsätzen und gelehrter Kenntniß so reich ist, daß man seiner mit großem Unrecht vergißt; zuletzt Mohl (Polizeiwissenschaft, Bd. I, Buch II, Kap. 2). Daneben lag es in der dialektischen Natur der rein philosophisch ge- wordenen Rechtsphilosophie, mit der Verwaltung auch das Bildungs- wesen so gut als ganz zu übergehen. Während Kant, Fichte, Her- bart, Kraus sich mit demselben gar nicht beschäftigen, so wenig wie in neuerer Zeit Rößler (Allgemeine Staatslehre) hat Hegel es nur als eine allgemeine unklare Kategorie des Staatsbegriffs angedeutet (Rechtspilosophie §. 173), Fichte d. J. (System der Ethik II, 2. §. 166) es als eine ethische Forderung behandelt, Stahl in seiner Philosophie des Rechts unter der nämlichen Abtheilung „Verwaltung des Staats“ Bd. II, Abth. II. IV. Abschn. geradezu vergessen. Was Bluntschli und Helm sagen, enthält an Gedanken nicht mehr, an Stoff und System aber weit weniger, als was bereits Pölitz und namentlich Zachariä und Aretin kürzer und energischer gesagt haben. — Unter diesen Um- ständen war es natürlich, daß die große und mit dem höchsten sittlichen, der besten öffentlichen Anerkennung werthen Eifer arbeitende päda- gogische Literatur diese ganze staatsrechtlich-philosophische durchaus nicht benützen konnte. Es ist höchst bezeichnend, daß die erstere unseres Wissens sich auf die letztere auch an keinem einzigen Orte bezieht. Dadurch nun ward diese pädagogische Literatur bei aller Tiefe und Gründlichkeit im Einzelnen einseitig . Das Bild des Ganzen, der innere organische Zusammenhang der Theile und Gebiete, ist ihr eigentlich niemals recht geworden. Sie beruht auf der Kategorie der „Schulmänner“, und es charakterisirt sie, daß sie fast nie die Universitäten, nur in Andeutungen die Kunst und ihre Bildungsanstalten, und gar nie die Presse in sich aufnimmt und verarbeitet, so wichtig auch die letztere ist. Eine Wissen- schaft des Bildungswesens gibt es daher noch nicht; aber mit Aus- nahme vielleicht der Medicinalpolizei gibt es keinen Theil der Staats- wissenschaft, der so ausgezeichnete Arbeiten im Einzelnen darböte. — Aus diesen Elementen hat sich nun das gegenwärtige Stadium ge- bildet. Die Wissenschaft hat die organische Gesammtauffassung, die ihr in der deutschen Literatur fehlte, in dem fremden Bildungswesen gesucht, und namentlich ist es das Englische, das bestimmt scheint einen neuen Anstoß zu geben, während andererseits in höchst beachtenswerther Weise die Schulmänner auch das positive Recht der Bildungsanstalten ernst- haft zu berücksichtigen beginnen. Als die bedeutendste Erscheinung auf diesem Gebiete muß man Schmids Encyclopädie begrüßen. Wenn es zwar nicht möglich ist, bei dem, was in ihr geleistet ist, stehen zu bleiben, so ist es eben so wenig möglich, ohne sie zu arbeiten. Sie ent- hält unschätzbare Beiträge zur Lehre vom öffentlichen Bildungsrecht bei dem vielfach vollständigen Mangel anderer territorialen Bearbeitungen. In hohem Grade charakteristisch für diese gesammte Entwicklung ist nun das absolute Hinweglassen der Presse aus allen Auffassungen des öffentlichen Bildungswesens. Die Ursachen dafür liegen zwar nahe; aber es ist wohl an der Zeit, ein Leben und eine Gewalt, die in sich selber schon ein großartiges System geworden sind, nicht mehr von der systematischen Wissenschaft aus- zuschließen, und sie nur als Gegenstände der Polizei zu berücksichtigen. IV. Geschichtliche Entwicklung. 1) Das gesellschaftliche und das staatliche Princip des Bildungsrechts . Niemand wohl wird es für nöthig erachten, hier den Satz weiter auszuführen, daß das positive Recht auf allen Gebieten des Lebens, also auch der Verwaltung im Allgemeinen und das der Bildung im Besonderen nicht etwa zufällig und willkürlich entsteht, sondern sich in seiner Bildung nach den großen Elementen richtet, welche das gesammte Leben beherrschen. Und so steht es fest, daß die Wissenschaft alles und so auch dieses Rechts nicht bloß in der Sammlung der betreffenden Bestimmungen, sondern in dem Verständniß der großen Faktoren und ihrer Gesetze besteht, aus welchem das positive Recht hervorgeht. Diese beiden Faktoren nun sind hier wie immer die menschliche Ge- sellschaft und die Staatsidee. Beide sind in der Wirklichkeit untrennbar verschmolzen; nur die Wissenschaft vermag sie zu scheiden. Wo sie es aber thut, entsteht ein eigenthümliches Bild, das die bewegenden Kräfte der Weltgeschichte selbständig darlegt, uns in die große Werkstatt aller Rechtsbildung, und so auch die des Bildungsrechts aller Völker und Zeiten hineinführt, und uns das Werden desjenigen zeigt, was wir das positive Recht nennen. Es mag uns daher wohl gestattet werden, hier den Charakter der Gesellschaft einerseits und des Staats andererseits zu bezeichnen, um anschauen zu können, wie sie in lebendiger Wechselwirkung das Bildungs- wesen der Staaten erzeugt haben. Es ist an einem andern Orte gezeigt, daß die Gesammtordnung der geistigen und wirthschaftlichen Güter in der Menschheit, als Ord- nung des Lebens derselben erscheinend, die Gesellschaft ist, und daß diese Gesellschaft drei große Grundformen bis jetzt entwickelt hat, die Ge- schlechter-, die ständische und die staatsbürgerliche Ordnung. Es ist ferner gezeigt, daß jede dieser Ordnungen nicht bloß ihre Verfassung, sondern auch ihre Verwaltung erzeugt. Der Verwaltung im weitesten Sinne gehört auch das Bildungswesen. Jede Gesellschaftsordnung hat daher ihre Gestalt und ihr Recht des Bildungswesens . Dieses Bildungs- wesen der Gesellschaftsordnung im Gegensatze zu dem des Staats hat nun einen zweifachen Inhalt, auf dem sein Einfluß und seine Geschichte beruhen. Einerseits nämlich ruft das Wesen der Gesellschaftsordnung noth- wendig dasjenige hervor, wodurch sie sich von der Idee des Staates scheidet, das ist der Unterschied der Klassen, und damit ihren Gegensatz. Jede Gesellschaft hat ihre herrschende und ihre beherrschte Klasse, und ihre eigenthümlichen Gegensätze und Bewegungen, welche den Inhalt des innern Lebens der Völker bilden. Der Charakter dieses innern Lebens ist stets das Streben der herrschenden Klasse, ihre eigenen In- teressen zu erhalten und zu fördern. Dieser Charakter gilt nun auch für die in ihr gegebene Gestalt des Bildungswesens. Jedes aus der Gesellschaft hervorgehende Bildungswesen geht dahin, diese Bildung in der Weise zu ordnen, zu erzeugen und vertheilen, daß die besondere Stellung, die Herrschaft und das Interesse der einzelnen Klassen mit all ihren Unterschieden in der durch die Bildung gegebenen geistigen Welt einerseits wiedergegeben werde, andererseits sich erhalte. Jedes rein gesellschaftliche Bildungswesen ist daher ein Bild, aber auch ein Grund und eine mächtige Stütze der gesellschaftlichen Unterschiede zwischen den Menschen . Jedes rein gesellschaftliche Bildungswesen enthält daher einerseits eine möglichst hohe, stark entwickelte, meist auf die tiefsten Grundlagen des geistigen Lebens zurückgeführte Bildung der herrschenden Berufsarten ; aber neben dieser Bildung zugleich die Ausschließung der niederen Klasse von der Berufsbildung der höheren. In diesen beiden, für alle Stadien der Geschichte gültigen Sätzen gipfelt der Charakter des eigentlich gesellschaftlichen Bildungswesens. In diese durch die Gesellschaftsordnungen gesetzte Gestalt desselben tritt nun der Staat mit seinem specifischen Wesen hinein. Seiner unabänderlichen Natur nach vertritt er stets das allgemeine Interesse gegenüber dem besondern, und keine gesellschaftliche Verfassung kann ihm dieses sein Lebensprincip ganz rauben. Das Gebiet aber, in welchem er dieß sein eigenstens Lebensprincip zur Verwirklichung bringt, ist eben die Verwaltung überhaupt; denn die Verwaltung ist ja der thätige Staat. In allen einzelnen Gebieten der Verwaltung aber erscheint das specifische Lebensprincip der Staatsidee gegenüber dem der gesell- schaftlichen Ordnungen wieder als die beständige Arbeit des Staats, die niedere und beherrschte Klasse zu heben , und ihr die Lebens- bedingungen der Entwicklung zur möglichsten Gleichheit mit der herrschenden zu geben. Dieß ist der Kern aller Verwaltung des Staats gegenüber der Gesellschaft, also auch seiner Verwaltung des geistigen Lebens. Das große Princip der Staatsgewalt im Bildungswesen erscheint nun abgesehen von jeder Bethätigung in den einzelnen Formen, Ein- richtungen und Gesetzen in doppelter Weise. Einerseits tritt es negativ auf in dem Streben, die in den gesellschaftlichen Kräften und Zuständen liegenden Unterscheidungen im Volksbildungswesen zu bekämpfen und zu beseitigen, positiv aber in dem organisirten Versuch, allen Klassen der Gesellschaft, und zwar ohne Rücksicht sowohl auf Stand als auf Besitz , jede Art und jeden Grad der Bildung zugänglich zu machen. Die Art und Weise wie er dabei zu verfahren hat, zeigt ihm die Er- ziehungslehre; die Gebiete und Formen zeigt ihm das Bildungswesen; aber das öffentliche, aus dem obigen Wesen des Staats hervorgehende, und es zum Ausdruck bringende Recht des Bildungswesens geht natür- lich hervor eben aus demjenigen Zustande der Gesellschaftsordnung, mit welchem die Staatsgewalt es zu thun hat. Und so entsteht der eigent- liche Inhalt des Begriffs des positiven Bildungsrechts. Dasselbe enthält demgemäß nicht eben bloß die wirklich geltenden Bestimmungen für das Verwaltungsrecht der Bildung, sondern es ist vielmehr der Ausdruck für den Grad und die Art, in welcher das Princip des Staats mit seiner freien und allgemeinen Bildung gegenüber der Gesellschaft und ihrem Klassenbildungswesen zur Geltung gelangt ist . Denn diese Geltung wird keineswegs mit einemmale gewonnen. Wie jede große, die Menschheit beherrschende Idee erst langsam und schrittweise zum Siege gelangt, so gewinnt auch der Staat mit seinen Forderungen nur langsam und nicht immer gleichmäßig den Sieg über die widerstrebenden Elemente der Gesellschaft. Und diese Bewegung, dieser Kampf und Sieg der Staatsidee als Trägerin des Princips der freien und gleichen Bestimmung aller Persönlichkeit in der geistigen Welt, die Entwicklung der Gesetze, Maßregeln und Anstalten, welche diesen Gedanken verwirklichen, diese allmählige Erhebung des Bildungs- wesens aus dem gesellschaftlichen zu einem rein menschlichen, consolidirt, gefestigt und zu einer öffentlich rechtlichen Thatsache gemacht, ist die Ge- schichte des öffentlichen Bildungswesens. Sie ist daher ein Stück Welt- geschichte, und auch der gegenwärtige Zustand muß, wie alle bisherigen, in diesem Sinne als ein Zustand des Werdens und des Ueberganges betrachtet werden. Die großen Grundformen dieser Geschichte aber sind die folgenden. 2) Die Stadien des öffentlichen Bildungswesens in der Geschichte . Es ist natürlich unmöglich, diese historische Entwicklung nunmehr anders als im Großen und Ganzen zu charakterisiren, indem wir dabei das Bild der Weltgeschichte überhaupt in seinen Grundzügen als bekannt voraussetzen. Wir können daher hier nicht mehr geben als den Rahmen, in welchem alle einzelnen Thatsachen und historischen Entwicklungen ihren Platz finden; das gegenwärtige Recht aber ist seinerseits in diesem Sinne die Ausfüllung desselben mit dem, was die Gegenwart bietet. Aber dabei ist es gewiß, daß jedes tiefere Eindringen in diesen histo- rischen Proceß erst dann zu einem abgeschlossenen Resultat führt und dadurch aus einer Zusammenstellung eine wahre Vergleichung möglich macht, wenn man alle einzelnen Angaben und Thatsachen des Bildungs- wesens auf die drei großen Kategorien der Elementar-, der Berufs- und der allgemeinen Bildung zurückführt. Denn die ethische Natur des Staats bringt es mit sich, daß er der natürliche Vertreter nicht etwa Einer, sondern aller dieser drei Kategorien zugleich ist, während jedes rein gesellschaftliche Bildungswesen stets nur Eines dieser Ge- biete zur Entwicklung bringt. Das öffentliche Bildungswesen erfüllt daher nicht die Aufgabe, die Wissenschaft als solche zu heben und zu veredeln; das ist und bleibt Sache des lebendigen und arbeitenden Geistes der Menschen, sondern vielmehr die, das von der Wissenschaft je nach ihrem Standpunkt Errungene zum Gemeingut zu machen. Und es ist gar kein Zweifel, daß gerade in diesem Sinne unsere Zeit weit höher über der ganzen Vergangenheit steht, als in den Ergebnissen irgend einer einzelnen Wissenschaft und Kunst. Von diesem Standpunkt erscheinen nun folgende Hauptstadien der Geschichte des öffentlichen Bildungswesens. I. Im Orient ist die staatliche Gewalt ganz in den Händen der gesellschaftlichen Gewalten. Das Princip der ersteren geht daher voll- ständig in dem des letzteren unter. Es gibt nicht bloß keine allgemeine Bildung, und daher auch nicht ihre Bedingung, die Elementar- bildung, sondern es darf auch keine geben. Die Gesammtbildung ist eine, aber grundsätzlich unfreie Berufsbildung und das Sonderinteresse der herrschenden Kasten macht diese Sonderbildung jeder einzelnen heilig, so daß der Erwerb derselben für andere Kasten selbst zu einem gesell- schaftlichen Verbrechen wird. Damit jeder in seiner Kaste bleibe, darf er gar nicht lernen, was die Bildung der andern ausmacht. Die Staatsgewalt im Dienste der gesellschaftlichen Herrschaft verliert dabei ihr höheres ethisches Wesen und wird zu einer dienstbaren Vollzieherin der gesellschaftlichen Forderungen. Die Bildung selbst wird dabei eine zwar große, aber einseitige; die Bildung durch das freie Element der thätigen Individualität fehlt, und mit der geistigen Stagnation geht das Leben des Staats selbst zu Grunde. II. Die alte Welt und zwar Griechenland sowohl als Rom, be- ruht fast ausschließlich auf der Geschlechterordnung. Sie will daher die Erhaltung der herrschenden Geschlechter, mithin in ihrer Bildung die Entwicklung desjenigen Theiles der geistigen Güter, welche diese Herrschaft enthalten. Diese sind nun die möglichste Entwicklung der freien und kräftigen Persönlichkeit, so weit sie den herrschenden Klassen angehört. So entsteht das Bildungswesen der Geschlechter , ge- richtet auf Tapferkeit, Sitte und Dienst der Geschlechtergötter. Die Unterscheidung der Elementar- und Berufsbildung fehlt dabei, weil die Geschlechterordnung nur Einen Beruf kennt, den des Dienstes in Waffen. Die Geschlechter selbst aber sind gleichberechtigte Glieder der Gemeinschaft, und fordern und erhalten alle gleiche Bildung, und diese Bildung ist die Basis des auf ihrer Herrschaft ruhenden, oder vielmehr aus ihr selbst bestehenden Staats. Wo daher ein Geschlechterstaat theoretisch zum Bewußtsein gelangt, wird er diese Bildung als all- gemeine Nothwendigkeit, als gleiche Pflicht jedes Einzelnen gegen das Ganze fordern, weil sie seine Herrschaft begründet. Dadurch erscheint dann die Erziehung und Bildung als eine öffentliche Angelegenheit, aber nur innerhalb der individuellen Tüchtigkeit in Waffen und Staats- dienst. Auf diese Weise besteht der Charakter des öffentlichen Bildungs- wesens der Geschlechterordnung darin, daß der Staat (als die Organi- sation der Geschlechterherrschaft) die Bildung von den Einzelnen fordert, aber sie ihnen weder gibt noch erleichtert. Die Geschlechter selbst sind die Träger der Bildung; in ihnen die Familie . In diesem Stadium der Geschichte ist es daher, wo die Familie als Grundlage der Bildung erkannt wird; allein damit ist auch die beständige, bis auf unsere Zeit reichende Verschmelzung von Erziehung und Bildung begründet, die das Verständniß des öffentlichen Rechts der letzteren so schwer macht. Die wirkliche Bildung der Geschlechter erscheint daher eben so sehr als eine sociale, denn als eine staatliche Pflicht; in den einheitlichen Formen des Geschlechterstaats verschmilzt beides. Die öffentliche Formen werden dann die Spiele , Waffen- und Turnspiele; aber nur die Geschlechter sind zu ihnen berechtigt. So war es in der alten Welt, so ist es in der germanischen gewesen, und so ist es in den Resten der alten Ge- schlechter noch jetzt, denn das Uebergehen der Söhne des Adels in den Waffenstand ist nur eine andere Form derselben Thatsache. III. Daneben aber geht in der alten Welt ein zweiter Bildungs- proceß her, der eine nicht minder hohe weltgeschichtliche Bedeutung ge- habt hat. Jene Geschlechterbildung enthält zuletzt in ihrem Ergebniß eine Berufsbildung ; denn die Waffe ist der Beruf des „freien“ Mannes. Die Idee der Freiheit aber, einmal lebendig in dem Menschen und ihn er- hebend und veredelnd, erzeugt dagegen eine Form der allgemeinen Bildung, in welcher zuerst in der Weltgeschichte die einzelne Persönlichkeit, von Besitz und Geschlecht unabhängig, sich durch geistige Güter eine Stellung gewinnt. Diese allgemeine Bildung ist in der griechischen Welt die „Poesie“ im weitesten Sinne, die Philosophie und Redekunst inbegriffen: in der römischen dagegen die „ Rechtswissenschaft “ und die Stellung und Aufgabe der Anwälte. Beide vertreten die Presse unserer Zeit. Beide erwecken die Ueberzeugung von dem hohen Werth der geistigen Bildung; damit das Streben nach ihr; damit das Institut von Schulen, Privatlehrern, selbst öffentlichen Vorträgen; damit ein Schriftstellerthum, in Griechenland ein wesentlich dichterisch-philosophisches, in Rom ein juristisches; und damit endlich die Ueberzeugung, daß das Bildungs- wesen Gegenstand einer eigenen Wissenschaft sein könne und müsse. So entsteht die Παιδεια, die Pädagogik. Allein sie bleibt eigentlich bei der ethischen Erziehung stehen, denn die geistige Erziehung bleibt in aller Geschlechterordnung doch nur Sache des Einzelnen ; sie wird nie Sache des Staats; der Begriff des bestimmten Berufes und seiner Bildung, die Unterscheidung der Elementarlehre fehlt, und das ist der Grund, weßhalb sie in der germanischen Zeit anstatt eine Pädagogik zu werden, vielmehr nur die ethischen Motive der letzteren abgibt. Darauf beruht die Stellung der griechischen Philosophie zur germani- schen Pädagogik als Wissenschaft; jene hat gewiß unendlich segensreich gewirkt, aber nicht da, wo man es nur zu oft annimmt. Sie hat uns keine Bildungslehre, sondern sie hat uns die Erziehungslehre gegeben. Wir verdanken ihr viel; aber nicht alles. Für das, was wir brauchen, gibt sie nicht einmal eine Anleitung. Das dringendste Bedürfniß unserer Zeit war und ist eben die Bildungslehre, und diese hat sich aus eigener Kraft bilden müssen. Ihre historische Grundlage aber ist die folgende. IV. Alles Wesen der germanischen Staatsbildung beruht auf der Selbständigkeit des Staats gegenüber der Gesellschaft; dieselbe aber er- scheint darin, daß in ihr die specifische Funktion des ersteren der ge- sellschaftlichen Ordnung in ihren Interessen entgegentritt, in allen Dingen und so auch im Bildungswesen. Die Geschichte des öffentlichen Bildungs- wesens besteht daher hier in dem Zusammenwirken beider Faktoren, die man in Natur und Einfluß sehr genau verfolgen kann. Der Charakter dieser beiden Elemente aber läßt sich durch die ganze Geschichte hin- durch wohl am besten in folgende Sätze zusammenfassen. Die gesell- schaftlichen Elemente der germanischen Welt erzeugen, vertreten und ordnen wesentlich alles dasjenige, was der Berufsbildung angehört; auf die Elementarbildung hat dagegen der Staat den größten Einfluß, und die allgemeine Bildung entwickelt sich von selbst aus dem, der germanischen Welt eigenthümlichen regen Leben der Geister. Allein diese Momente stehen im Bildungswesen so wenig bloß neben einander als im übrigen öffentlichen Leben; sie greifen vielmehr auf allen Punkten nicht nur ethisch, sondern auch rechtsbildend in einander, und das ist es wesentlich, was der inneren Lebensgeschichte aller dieser Völker so viel Kraft und Mannigfaltigkeit verleiht. Für die Elementarbildung nämlich wird zwar das öffentlich-rechtliche Princip der Bildung spflicht zum allgemeinen Gesetze erhoben, allein indirekt wird dieselbe auch für alle öffentlichen Berufe gültig; andererseits wird aus der Elementar- lehre wieder allmählig ein Beruf, und damit ein Stand, wie auch die Presse ihren Stand erzeugt. Die Verwaltung der Berufsbildung ist zwar ursprünglich eine gesellschaftliche, das ist eine Form der Selbst- verwaltung von geistigen Körperschaften, allein derselbe Grundsatz freier Selbstbestimmung greift auch in die Elementarschulen über; das Ver- einswesen bricht sich Bahn in allen drei Gebieten und schafft sich selber Elementar-, Berufs- und allgemeine Bildungsanstalten, und zu gleicher Zeit macht der steigende Werth der Bildung tausende der verschiedensten Privatunternehmungen dafür möglich, so daß hier die freieste Bewegung in der Produktion geistiger Güter vorwaltet; und dennoch vermag es die lebendige Staatsidee wieder, das Ganze als Einheit zu erfassen, das Bewußtsein dieser Einheit, durch die Wissenschaft unterstützt, zur positiven Geltung zu bringen, trotz der fast vollkommenen Freiheit einheit- liche Gesetzgebungen und sogar eine einheitliche Verwaltung aufzustellen, und so das geistige Element des gemeinsamen Strebens auch praktisch in der größten Verschiedenheit aufrecht zu halten. Auf diese Weise ent- steht hier eine lebensvolle Geschichte in diesem, nur der germanischen Welt eigenthümlichen Zusammenwirken, und mit derselben ein großartiges System von Anstalten, Thätigkeiten, Körperschaften, Rechten und Or- ganen, welches die großen Träger des geistigen Lebens uns in ihren mächtigen Funktionen zeigt, deren jede wieder ihre eigene, und in jedem Lande wieder besonders gestaltete Geschichte hat. Wohl wird es bei dieser größeren faktischen Einheit immer schwerer, dieselbe in wissenschaft- licher Form einfach darzustellen, dafür aber hat das machtvolle Ganze die Kraft, jeden zu begeistern, der für die Arbeit desselben seine edelsten Kräfte hingibt. V. Was nun die historischen Epochen dieser Entwicklung betrifft, so sehen wir hier den Staat sich erst allmälig aus der Herrschaft der gesellschaftlichen Elemente sich erheben, und auch für das Bildungs- wesen seine Funktion übernehmen. Allein einerseits hat er es nie ver- sucht oder vermocht, dasselbe ausschließlich in seine Hand zu bekommen, anderseits zeigt uns das Leben aller germanischen Reiche, daß dem Volke mitten in den beschränktesten Ordnungen der Geschlechter und der Stände das Element der freien Bestimmung und des Rechts auf gleiche Entwicklung Aller nie ganz verloren geht. Es ist keine Frage, daß ursprünglich der ethische Träger dieser Idee die Kirche gewesen, die überhaupt dazu bestimmt war, die Freiheit da zu vertreten, wo die ganze übrige Gesellschaft sie aufgegeben, während sie sie stets da be- kämpfte, wo die letztere sie forderte. Diese große historische Thatsache tritt uns nun nirgends deutlicher entgegen, als in der Geschichte des Bildungswesens. Diese Geschichte läßt sich nun auf ihre einfachsten Grundlagen zurückführen. VI. In der Epoche der Geschlechterordnung, welche bis zum Mittel- alter herrscht, finden wir das Wesen der alten Geschlechterbildung ein- fach wieder, sogar mit den Anklängen der allgemeinen Bildung in Dicht- kunst und Wissenschaft aus der griechischen Welt (Troubadours, Volks- dichter, Sängerkämpfe) und der römischen (Rechtspflege durch die Herren und Freien.) Selbst die Waffen, die Waffenspiele und die Waffen- pflicht ordnen sich nach den Geschlechterklassen. Allein das, was wir das öffentliche Bildungswesen genannt haben, gibt es hier so wenig als in der Geschlechterordnung Griechenlands und Roms. Der Staat ist noch nicht selbständig gegenüber der Gesellschaft; er hat zwar eine Verfassung, aber er hat noch keine Verwaltung. Er besteht nur noch als Organisation der Heeresmacht und als Würde des Königthums. Die Pflege und Bildung bleibt daher Sache der Geschlechter und der Einzelnen; eine Verwaltung, ein öffentliches Recht derselben gibt es nicht, und ihre öffentliche Geltung besteht nur in der bevorrechteten Ausübung der Waffen nach den Geschlechterbegriffen der Freien und Unfreien. Eine ganz andere Gestalt tritt ein in der ständischen Welt. Diese aber ist bei den germanischen Völkern wesentlich von den orientalischen verschieden; während bei den letzteren nur die gesellschaftlichen Stände herrschen, bildet sich bei jenen die selbständige Staatsgewalt gleich an- fangs mit einem festen, aber noch undefinirten Bewußtsein ihrer wahren Aufgabe heraus, und der tiefe Gegensatz, der darin liegt, erscheint nun im Bildungswesen so gut als in allen andern Gebieten des Staats- lebens. Darum muß man zwei große Gestaltungen des letzteren neben- einander, und zum Theil einander gegenüberstellen. Die erste ist die des ständischen Bildungswesens. Ihr erstes Princip ist, daß der spezielle Beruf Grundlage, Organ und Ziel der Bildung sein soll. Dieses Prinzip gewinnt seine Gestalt durch die Kirche, welche zuerst das geistige Leben von dem äußern scheidet, und seine Förderung zu einem sittlichen Berufe macht. Einmal selbständig dastehend und als Stand anerkannt und mächtig, entwickelt diese geistige Welt die Wissenschaft. Zu dem Berufe des Glaubens tritt der des Wissens. Die Wissenschaft ist nun wohl an sich frei und allgemein: aber in der herrschenden ständischen Ordnung erscheint sie doch that- sächlich nur als ständische Aufgabe und erzeugt einen Stand . Für diesen Stand fordert sie ihr eigenes Bildungswesen. Das große Organ dieser ständischen Wissenschaft ist die Universität. Die Universität er- scheint somit ursprünglich als etwas ganz verschiedenes von dem was sie später geworden. Sie ist erst in zweiter Linie eine Bildungsanstalt; sie ist in erster das Haupt eines neuen, socialen Standes . Sie nimmt daher das Recht eines jeden Standes in Anspruch, sich selbst zu ver- walten. So entsteht der erste große Selbstverwaltungskörper des Bil- dungswesens, zwar eine rein ständische, aber auch eine geistige Gestalt. Mit dem ersten dieser Elemente wirkt sie allerdings exclusiv, indem ihr nur das als Wissenschaft gilt, was sie lehrt und anerkennt; mit dem zweiten aber zieht sie das geistige Leben der Völker überhaupt an sich, erzeugt ein eigenes System der Vorbildung in den gelehrten Schulen, eine eigene Ordnung für den Erwerb der Bildung in den Studien- ordnungen, ein eigenes Recht der Erklärung über die gewonnene in den Universitätswürden; sie ist eine Welt für sich, aber ihre Bildung wird allmählig ein Faktor des praktischen öffentlichen Lebens, ja der Verwaltung, und die in dieser Beziehung zum wirklichen Leben liegenden Keime einer allgemeineren Stellung überwuchern allmählig das ständisch exclusive Element; der Staat kommt zum Bewußtsein, daß er ihrer und ihrer Funktion bedarf, und kaum scheidet er sich klar von der Stände- ordnung, als er auch schon die ganze Universitätsordnung mit ihrer Vorbildung in dem Gymnasium, mit ihrer Lehrordnung und ihren Prüfungen dem staatlichen Recht unterwirft und so aus diesem ursprüng- lich socialen Bildungswesen ein staatliches macht. Einen ganz ähnlichen Weg geht das zweite Element der ständischen Gesellschaft der germani- schen Welt. VII. Dieß zweite Element ist das, was neben den Universitäten die germanische Welt des Geistes charakterisirt, die Schule . Sie ist zuerst und zunächst eine rein ständische Anstalt. Sie geht hervor aus der Kirche, aber sie ist ursprünglich auch nur für die Kirche bestimmt. Da sie selbst ihre Glieder aus dem Volke nahm, mußte sie demselben Volke wenigstens die Elemente aller Bildung allmählig zugänglich machen. Allein das allgemeine Wesen der Schule, die elastische Fähigkeit derselben, die Bildung ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Unterschiede zu erzeugen, verläugnet sich selbst in ihrer anfänglichen Gestalt nicht. Sie ist ihrem Wesen nach gleich bei ihrem Ursprung eine allgemeine Bildungsanstalt, deren Herstellung und Verwaltung aber anfänglich noch eine rein stän- dische Aufgabe der Kirche ist. Weder der Orient noch das Alterthum kennt die germanische Schule. Das Wesen der „Schule“ besteht nicht etwa darin, daß in ihr die Elemente der Bildung gelehrt werden; schon die germanischen Sprachen unterscheiden ganz bestimmt, ohne eine durch- greifende Verschmelzung zuzulassen, den „Unterricht“ und auch die „Er- ziehung“ von der „Schule.“ Die „Schule“ ist vielmehr ein öffentliches Institut für die Gesammtbildung; sie kennt ihrem Wesen nach keinen Unterschied der Gesellschaft; sie bietet, was sie zu geben hat, für alle ; sie bedeutet die große Aufgabe der Menschheit, allen die gleichen Be- dingungen der persönlichen geistigen Entwicklung zu geben; sie ist nicht ein Privatinstitut, nicht eine zufällige Unternehmung, die man haben kann und auch nicht haben kann, nicht eine Unterrichtsordnung, die je nach subjektivem Ermessen bald da ist, bald nicht, bald dieß, bald jenes bietet; sie ist vielmehr, so wie sie auftritt, ein organischer Theil des Gesammtlebens, eine durch sich selbst geltende öffentliche Anstalt; sie enthält eine allenthalben gleichartige, gleichsam sich durch sich selbst voll- ziehende Funktion; sie ist die allenthalben geforderte, allenthalben thätige Vorbildung aller für die höchst mögliche Bildung aller. Sie geht daher zwar aus der ständischen Gesellschaft hervor, aber ihrem höheren Wesen nach gehört sie ihr nicht. Sie ist das erste, zugleich bewußte Auftreten des großen Princips der staatsbürgerlichen Gesellschaft; sie ist das ewig wirkende Element der allgemeinen und geistigen Frei- heit. Allein, wie gesagt, bei ihrem Ursprung sind diese Keime noch nicht entwickelt. Sie ist ihrem innersten Princip nach eine staatsbürgerliche, ihrer Entstehung nach eine ständische Anstalt der Kirche. Daher ist sie noch keine Volkss chule, sondern sie tritt vielmehr zuerst in inniger Ver- bindung mit der ständischen Bildung, als Vorbildungsanstalt der ge- lehrten Schule auf. Jede schola ist ursprünglich ein Gymnasium. Erst das Entstehen des Bürgerthums greift entscheidend in diese Orga- nisation hinein, scheidet die reine Elementarbildung von der Vorbildung vor dem Berufe, und begründet die Bildungsordnung der folgenden Epoche. Die ursprünglichen scholae sind deßhalb als Keime anzusehen, in denen eigentlich das gesammte System der Bildung noch ungeschieden enthalten ist, die Elementarschule, die Vorbildungsschule, und zugleich die einzige Form des allgemeinen Bildungswesens. In diesem Sinne ist die Geschichte der scholae noch zu schreiben. Erst mit dem Auf- treten der folgenden Epoche ändert sich dieß, jene Elemente treten selb- ständig hervor, und eine neue Ordnung beginnt. VIII. Diese neue Epoche ist nun die, in welcher das zweite Ele- ment der germanisch-ständischen Epoche, die staatliche Bildung, all- mählig sich aus dem ständischen heraus scheidet und selbständig wird. Denn in ihr, etwa mit dem sechzehnten Jahrhundert, scheidet sich die Staatsgewalt von der Gesellschaft, und tritt derselben zum Theil feind- lich entgegen. Auch hier liegt diesem staatlichen Proceß allerdings ein socialer zum Grunde. Es ist ein Gesetz der Entwicklung, daß die Macht der selbständigen Staatsgewalt, bis zur Höhe der Diktatur, stets in dem Grade wächst, in welchem die gesellschaftlichen Elemente mit einander im Kampfe sind. Wo immer die Staatsgewalt mächtig ist, bedeutet sie eine große sociale Bewegung. Die polizeiliche Epoche nun ihrerseits bedeutet demgemäß die Zeit, wo die staatsbürgerliche Gesellschaft sich allgewaltig aus der ständischen und den Resten der Geschlechterordnung herausarbeitet, welche bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in Europa ausschließlich herrschen. Die polizeiliche Epoche, ethisch getragen durch den Begriff der Obrigkeit, rechtlich vertreten in den großen Prin- cipien des Römischen Rechts, faßt jedoch zunächst den Staat als etwas selbständiges auf, das eigene Interessen, eigene Aufgaben, eigene Or- gane habe, und daher, um zu sein und zu wirken, Macht haben müsse. Ein wesentlicher Theil dieser Macht ist der Reichthum, eine der großen Bedingungen des Reichthums ist die Bildung; der Staat fängt an die Bildung zu brauchen , wie er Geld braucht, Militär braucht, Straßen braucht, Handel und Gewerbe braucht, und anderes. Was er braucht, will, muß, darf und kann er sich schaffen Er erfaßt daher jetzt das Bildungswesen, das bis dahin in den Händen der Selbstver- waltung gelegen, als ein selbständiges Objekt seiner Thätigkeit, als einen Gegenstand seiner Verwaltung . Und damit beginnt eine neue Epoche. Man muß nun, um den Inhalt dieser neuen Zeit klar zu machen, das formelle Element des neuen staatlichen Bildungswesens von dem geistigen scheiden, obwohl sie in der Wirklichkeit enge zusammengehen. IX. Der formelle, öffentlich rechtliche Charakter dieser Epoche liegt darin, daß nunmehr, etwa seit dem Anfange des sechzehnten Jahr- hunderts, der Staat, allmählig fortschreitend, alle drei Grundformen des Bildungswesens, die Elementar-, Berufs- und allgemeine Bildung zuerst einer eigenen Gesetzgebung unterwirft, dann sie in ihren Funktionen der eigenen Oberaufsicht unterstellt, dann eigene eigentliche Staats- anstalten für einzelne Zweige der Bildung errichtet, zuerst meist die- jenigen, welche einen geistigen Ausdruck des Glanzes und der Macht des Staates geben, wie Sammlungen, Museen, Gallerien, Akademien, dann aber auch diejenigen, welche er wirthschaftlich für seine Cameralver- hältnisse beruht, Bergwerks- und andere Fachschulen: endlich indem er das ganze Bildungswesen zuerst als ein Ganzes auffaßt, und dafür die noch freilich sehr unvollkommenen Grundlagen eines höchsten staat- lichen Verwaltungsorganismus entwirft. So entsteht allmählig eine staatliche Thätigkeit für das Bildungswesen; jedoch ist dieselbe sehr verschieden und vielfach unfertig; denn theils will sie die geistigen Selbstverwaltungskörper in ihrer Funktion und ihren Rechten um so weniger beschränken, als sie am Ende erkennt, daß dieselben im Wesent- lichen genügen und eine Aenderung ihrer Rechte keine Besserung ihrer Thätigkeit enthält; theils aber erhält sich aus der ständischen Zeit noch das Princip der Grundherrlichkeit, nach welchem der Grundherr die örtlich vollziehende Gewalt ist, und sich daher mit seinem Recht noch immer zwischen das Gesetz des Staats und seine Ausführung stellt; namentlich im Gebiete des Volkschulwesens. Die neue Staatsgewalt hat daher, wie überhaupt, auch noch nicht recht die Form der Verwaltung für das Bildungswesen gefunden, und ihre Gesetze sind in den meisten Fällen besser als ihre Vollziehung. Wohl aber hat diese Gesetzgebung Einen großen Erfolg. Sie scheidet nämlich zuerst objektiv die drei Grundformen , indem sie für die Elementarbildung spezielle Gesetze der Volksschulen gibt, in den Universitäten mit Studienordnungen und Prüfungsreglements aufzu- treten beginnt, und für die allgemeine Bildung einerseits eine Sitten- polizei aufstellt, andererseits die Presse, deren Funktion sich zu ent- falten beginnt, unter die spezielle Thätigkeit der Polizei stellt, und endlich die Benützung der öffentlichen Sammlungen reglementirt. Das Bedeutsamste aber unter dem, was sie zu leisten beginnt, ist ohne Zweifel — aber freilich nur noch in Deutschland — die gesetzliche Ord- nung des Volksschulwesens , die ins achtzehnte Jahrhundert fällt. Hier ist der Staat mit seiner Verwaltungsthätigkeit das zum großen Theil unbewußte Organ des ersten großen Faktors des sich unwider- stehlich entwickelnden Bildungswesens, der entstehenden staatsbürgerlichen Gesellschaft. Diese geht in jener Entwicklung ihren ruhigen Gang fort, und sie ist es, ohne welche man das, was scheinbar nur durch den Staat geschieht, weder überblicken, noch die Gestalt der geistigen Arbeit unseres Jahrhunderts richtig beurtheilen kann. Dieß aber gibt uns den Inhalt des neuen, mit der Staatsgewalt entstehenden Bildungswesens. Die staatsbürgerliche Gesellschaft nämlich beginnt mit dem sech- zehnten Jahrhundert auf allen Punkten des öffentlichen Lebens und Rechts lebendig einzugreifen. Sie hat die große Epoche der polizeilichen Verwaltung erzeugt, und hat sie auch gebraucht , um ihre eigenen Bedingungen durch Mitwirkung der jungen Staatsgewalt für ihre Herr- schaft im neunzehnten Jahrhundert zu erschaffen. Man wird sich dabei natürlich keine bewußte Absicht denken, sondern vielmehr einen elementaren Proceß der Geschichte. Die Wissenschaft hat dabei nur die Aufgabe, diesem Proceß in seinen Elementen zu formuliren. Und das ist für das Bildungswesen nicht schwer; namentlich indem man jene Bewegung auf die drei Grundformen des Bildungswesens zurückführt. X. Was zunächst den Elementarunterricht betrifft, so wird derselbe in der alten Heimath der staatsbürgerlichen Gesellschaft, den Städten, allmählig seit dem siebzehnten Jahrhundert eine allgemeine Aufgabe, indem theils von den Gemeinden selbst Volksschulen begründet werden, theils Stiftungen aller Art dafür entstehen, theils einzelne Lehrunter- nehmungen auftreten. Das alte ständische Element erhält sich hier allerdings in der Unterordnung der Schule unter die Kirche, aber im Allgemeinen noch nicht zum Nachtheil der ersteren; denn einen Schul- lehre rstand und ein Lehrbildungswesen gibt es nicht. Die Diener der Kirche müssen ihn ersetzen, wo er fehlt, und ihn leiten, wo er ohne Vorbildung auftritt. Nur auf dem Lande geht die Sache sehr lang- sam; hier ist es die Regierung, welche am meisten wirkt, während in den Städten die Bürgerschaften die Schulen in die Hand nehmen, und schon sehen wir die ersten Spuren der allgemeinen Bildung im Ele- mentarunterricht auftreten, und den Besitz der Elementarkenntnisse zu einer gesellschaftlichen Forderung, zu einer ersten Bedingung der gesell- schaftlichen Achtung werden. Bestimmter jedoch erscheint der Einfluß der staatsbürgerlichen Ge- sellschaft in der Berufsbildung. Bisher erscheint als Beruf nur das, was durch die gelehrte Bildung gegeben wird; nur auf den hohen Schulen und Universitäten gibt es eine solche; was nicht dort gelehrt wird, ist noch keine „Wissenschaft.“ Die staatsbürgerliche Gesellschaft jedoch setzt als ihre wesentliche materielle Grundlage den Erwerb, und mit ihr den Besitz des freien gewerblichen Kapitals. Der Erwerb selbst wird dadurch ein ethisches Element . Er entfaltet die ihm inwoh- nende, bisher unbekannte Fähigkeit, jedem Einzelnen die persönliche Selbständigkeit, und damit die Freiheit zu geben, was bei der fast aus- schließlichen Herrschaft des Grundbesitzes als Form des Kapitals der ständischen Gesellschaft nicht möglich ist. Das Streben nach Erwerb wird ein sittlicher Faktor; aber es wird bald klar, daß die große Be- dingung des gewerblichen Erwerbs auch für die Nichtbesitzenden die fachmäßige Bildung des Gewerbsstandes ist . Mit dem acht- zehnten Jahrhundert reißt sich dieselbe daher von der bisherigen, alleinigen Form der gelehrten Bildung los, und wird selbständig, wenn auch nur noch unklar, versuchsweise, örtlich, natürlich wieder nur in den Städten ihre erste Heimath suchend. Ihr Gesammtausdruck ist die Realschule . Sie ist in ihrem Auftreten und in ihrer Wirkung eine überwiegend sociale Erscheinung; sie ist der Ausdruck des Satzes, daß das ge- werbliche Leben nicht mehr ein mechanisches, sondern zugleich ein geistiges ist, daher vollberechtigt neben der übrigen geistigen Welt auftreten soll, und dadurch auf gleiche gesellschaftliche Ehre und Geltung Anspruch hat. An sie schließt sich dann die allgemeine Bewegung in dieser Rich- tung, welche unser Jahrhundert charakterisirt. Was endlich drittens die allgemeine Bildung betrifft, so entsteht, eigentlich freilich erst mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts, das was wir die Presse nennen, anfangs noch in Buchform; jedoch auch als Buch sich von der strengen Berufspresse der gelehrten Schriften, namentlich in den mit der Mitte des vorigen Jahrhunderts entstehenden Encyclopädien ablösend. Die Encyclopädie ist das für die allge- meine Bildung bestimmte Buch. Ihr folgen die „Briefe,“ Flug- und Zeitschriften, Leihbibliotheken, und mit dem Schluß dieser Uebergangs- periode treten die Tagesblätter auf, anfangs unfertig, aber schon tüchtige Kräfte an sich heranziehend. Diese Form der geistigen Arbeit ist es, welche vor allem auf dem Bedürfniß der allgemein und gleichen Bestimmung aller zur Theilnahme an den großen geistigen Aufgaben der Menschheit basirt ist. Was die Volksschule möglich macht, und was die Realschule im Einzelnen vollbringt, das fängt jetzt die Presse an, für das Ganze zu leisten. Der Charakter derselben ist aber, dem Geiste der Zeit entsprechend, noch wesentlich negativ. Das Wort, welches ihre dermalige Funktion am besten bezeichnet, und das somit einen jetzt schon halb vergessenen historischen Sinn hat, ist die „Auf- klärung.“ Die „Aufklärung“ bedeutet nicht so sehr die Verbreitung von Kenntnissen, sondern vielmehr die lebendige Erweckung der geistigen Selbstthätigkeit, aus welcher die individuelle Selbständigkeit der Staats- bürger, dieser Kern der staatsbürgerlichen Gesellschaft, hervorgehen soll. Sie ist der Proceß des Losreißens vom blinden Autoritätsglauben, die Vernichtung der Abhängigkeit von dem Denken und von den histori- schen Traditionen, auf denen die staatlichen Einrichtungen beruhen, von dem Aberglauben, der sie begleitet. Hier ist es, wo die Philo- sophie des vorigen Jahrhunderts in gewaltigster Weise eingegriffen hat; ihre größte Funktion bestand nicht in ihren Systemen, sondern in der Grundlage derselben, der freien Thätigkeit des Selbstdenkens . Und dieß Selbstdenken ist das geistige Element des Staatsbürgerthums, wie der gewerbliche Erwerb das materielle ist. Daher erscheint die Auf- klärung als das allgemeine Princip der allgemeinen Bildung, vom Volke angestrebt, von der Philosophie getragen, von der jungen Staats- wissenschaft anerkannt und selbst vom Staate gefördert. Ihre Bedeutung ist mit den Versuchen zu ihrer Definition gegeben, die selbst als histo- rische Thatsachen für die Geschichte des Bildungswesens erscheinen. So nennt Mendelssohn sie „die Entwicklung der vernünftigen Erkenntnisse Stein , die Verwaltungslehre. V. 3 — das Fortschreiten im Nachdenken über die wichtigsten Angelegenheiten der Menschheit.“ Kant bezeichnet sie als „das Losreißen von der Unmündigkeit oder der bloßen Autorität fremder Urtheile;“ Jacob , diese Definitionen zusammenfassend, sagt, „die Aufklärung ist derjenige Zu- stand der Seele, in welchem sie sich von der Autorität anderer losreißt, um über die moralischen und religiösen (!) Verhältnisse selbst zu denken , und ein eigenes, von aller Autorität fremdes Urtheil darüber zu fällen.“ (Polizeiwissensch. I. 280.) Kaum hat aber wohl jemand das Wesen dieses Bildungsprocesses besser und gründlicher bezeichnet, als Aretin (Staats- recht der constitutionellen Monarchie II. Bd. 2. Abth. S. 36—43), der hier nicht bloß der Vertreter einer Definition oder eines Princips, sondern des öffentlichen Rechts wird. Der Gesammterfolg aber ist, daß das, was man unter „Aufklärung“ verstand, die Grundlage nicht etwa einer bestimmten Wissenschaft, sondern der allgemeinen Bildung überhaupt ward; und es war klar, daß mit dem ersten Stoße, den die haltlos gewordenen öffentlichen Verhältnisse bekamen, auch das Bildungswesen eine andere Gestalt gewinnen mußte. XI. Dieß nun geschieht mit dem definitiven Siege der staatsbür- gerlichen Gesellschaft in unserm Jahrhundert. Die Welt des geistigen Lebens hält in demselben gleichen Schritt mit der des gewerblichen, und beide ziehen das staatliche im Allgemeinen, die Verwaltung im Besondern nach sich. Das Princip dessen was hier zu thun ist, wird immer klarer; dieß Princip erzeugt sein System, und dieß System ist es das bei aller Verschiedenheit bei den einzelnen Nationen dennoch allenthalben den gleichen Charakter theils schon gewonnen hat, theils mehr und mehr gewinnt. Man kann nun jenes Princip leicht und bestimmt formuliren; es ist aber dieß nothwendig, weil an ihm der eigentliche Maßstab der Vergleichung des Verschiedenen gegeben ist. Die staatsbürgerliche Gesellschaft entfaltet nämlich den Grundsatz, daß das Bildungswesen ein freies , ein systematisch entwickeltes , und ein organisch einheitliches sein soll. Und den Ausdruck dieser Momente bildet nun in den verschiedenen Grundformen der Bildung die folgenden Grundsätze, deren Ausführung im Einzelnen eben die nachfolgende Darstellung des vergleichenden Verwaltungsrechts des Bildungswesens sein soll. Die Freiheit der Elementarbildung besteht formell in dem Rechte, den Elementarunterricht in jeder Weise zu ertheilen; innerlich aber in dem Streben, schon mit ihr die ersten Elemente der allgemeinen Bildung zu verbinden. Diese erscheinen einerseits als die Elemente der allge- meinen Kenntnisse, etwas Geographie, Geschichte, Naturlehre; andrer- seits als die elementaren Formen der Selbstthätigkeit in der Aufgabe, selbständige Aufsätze in der Volksschule zu verfassen. Das große leitende Princip des Volksschulwesens dieser Epoche ist es, die Volksschule nicht mehr wie früher als ein auch gesellschaftlich geschiedenes Element der Bildung, sondern als die organische Gestalt der Vorbildung für das ganze geistige Leben , als die Einführung in alle Bildung hinzu- stellen. Die Volksschule wird daher jetzt auch innerlich ein System , und dieß System ist ausgedrückt in den Klassen derselben, eine Er- scheinung, die unserm Jahrhundert eigenthümlich, in ihrer Verbindung mit den wichtigsten Elementen des Fortschrittes gedacht werden muß. Die Freiheit in der Berufsbildung liegt einerseits in der Entwicklung der Realbildungsanstalten zu einem allgemeinen System, in dem wieder neben dem rein gewerblichen Zwecke die allgemeine Bildung in Geographie, Geschichte und den Elementen der Staatswissenschaft ihren gesicherten Platz bekommt; andrerseits in der freien Bildung von Unternehmungen für dieselben, während auf den Universitäten die philosophischen Facul- täten und die Verpflichtung der Studirenden wenigstens die Elemente der selbstthätigen philosophischen Bildung in sich aufzunehmen, die Träger dieser Richtung sind; endlich aber in dem großen Princip der Lern - und Lehrfreiheit , deren Form eine bestrittene, deren Grundgedanke aber in allen Formen der ist, daß der Einzelne nicht durch mechanische Aneignung des Gelehrten, sondern nur durch Selbstthätigkeit in Wahl des Stoffes und der eignen Arbeit die wahre Berufsbildung erreichen kann — ein Gesichtspunkt, den die formalste Behandlung der Frage nie hat vergessen können. Die Freiheit der allgemeinen Bildung endlich ist ausgedrückt in dem, allerdings nicht ganz vollzogenen Uebergange vom alten Preßwesen zum Rechte der gerichtlichen Verantwortlichkeit der Presse. Die systematische Entwicklung des Bildungswesens erscheint bei der Volksschule formell in dem Klassensystem derselben, sowie in der Ausbreitung ihrer specifischen Function über das Kindesalter hinaus in dem Sonntagsschulwesen, in der Aufstellung von eigenthüm- lichen Specialelementarschulen, Taubstummen- und Blindenschulen, dann aber in der Aufnahme der Elementarbildung in die eigentliche Kinderzeit bei den Warteschulen; alles als Ein Ganzes für die Vorbereitung zur höhern Bildung arbeitend. Bei der Berufsbildung tritt dieselbe zunächst auf in der strengen Scheidung der Vorb ildungsanstalten von der eigentlichen Fachb ildung, der hohen Schulen von den Universitäten; dann in der Uebertragung dieses organischen Unterschiedes auf die ganze Realbildung; dann in dem strengen System der Klassen mit ihren Aufnahms- und Uebergangs- prüfungen und den fachmäßigen Studienordnungen an den Universitäten; endlich in der Entwicklung von Fachbildungsanstalten für alle Berufe, die bei aller Selbständigkeit doch wieder durch die höhere Wissenschaft im Bewußtsein ihrer geistigen Einheit erhalten werden. Bei der allgemeinen Bildung endlich liegt das systematische Element einerseits in der allmählig wachsenden Ausdehnung aller Anstalten für dieselben, dann in dem Entstehen einer systematisch sich entwickelnden Fachpresse , die wiederum in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Bildung steht. Was endlich die Einheit des Bildungswesens betrifft, so ist sie natürlich einerseits eine geistige, andererseits aber eine staatliche. Die geistige bildet sich von selber; ihr unerschütterliches Fundament ist die Erkenntniß, daß jedes Gebiet des Lebens der Wissenschaft angehört, deren Aufgabe es ist, den inneren Zusammenhang des Verschiedenen durch die Aufstellung fester allgemeiner Begriffe und Gesetze zu setzen. Der Verwaltungslehre aber gehört die äußere Gestalt dieser Einheit an; und diese ist wieder theils eine innerlich begründete, theils eine formale. XII. Diese äußere Einheit des Bildungswesens ist in ihrem Ver- hältniß zum Staat zunächst begründet auf dem allgemein zur Geltung gelangenden Bewußtsein, daß es seinem Wesen nach ein Ganzes ist, und daher auch als ein Ganzes in der Thätigkeit des Staates, sowohl für seinen Willen in der Gesetzgebung, als für seine äußere Thätigkeit in der Verwaltung zu erscheinen habe. Die Gestaltung dieser formalen Einheit erscheint daher in der staatsbürgerlichen Gesellschaft als eine zweifache, an die zwei Elemente der jetzt klar hervortretenden Organisation des Staatslebens anschließend. Das erste beruht darauf, daß das geltende Recht des Bildungs- wesens jetzt ein gesetzliches , und damit Gegenstand der organischen gesetzgebenden Gewalt wird. Allerdings wird kein das ganze Bildungs- wesen umfassendes Gesetz erscheinen, wohl aber werden die großen ein- zelnen Gesetze von Einem Gedanken beseelt, auch als ein Ganzes ver- ständlich, und von Einem Princip aus in ihren Einzelheiten geregelt. Dann aber entsteht zweitens die systematische Einheit der Verwaltung, und zwar indem einerseits der Staat das Bildungswesen als einen Theil seines vollziehenden Organismus aufnimmt, andrerseits die Thätigkeit der Selbstverwaltungskörper, der Vereine und der Einzelnen seiner oberauf- sehenden Gewalt gleichmäßig unterordnet. Diese Organisation schließt sich an den allgemeinen Organismus der Verwaltung in seinen drei Formen. XIII. Zuerst hat die Verwaltung das ganze Bildungswesen des Staats im weitesten Sinne zu umfassen. Allein die Functionen, welche dasselbe erfordert, sind so verschieden, daß sie einem und demselben Organ gar nicht überwiesen werden können. Dasselbe fällt daher unter drei Ministerien. Das erste Ministerium ist das des Unterrichts , das allerdings die Verwaltung der geistigen Welt zu seiner eigentlichen Aufgabe hat. In ihm ist die staatliche Organisation der geistigen Verwaltung ge- geben. Es hat daher sein Ministerialsystem, wie es die vollziehende Gewalt zeigt, in Minister, Ministerium und Behörden, und umfaßt damit das ganze Volk. Nur erscheint seine Function als eine doppelte. So weit nämlich der Staat die Bildungsanstalt selbst hervorruft, ohne die Selbstverwaltungskörper dabei heranzuziehen, sind die Organe der Bildung im eigentlichen Sinne des Wortes Staatsdiener , und ihre Thätigkeit ist eine amtliche, mit amtlicher Verantwortlichkeit. So weit jedoch die Bildung durch die Leistungen der Selbstverwaltungs- körper, Vereine oder Einzelner verbreitet wird, sind die Lehrenden keine Staatsdiener. Die Aufgabe des Staats, auch hier die Einheit des geistigen Lebens zu erhalten und seinem Wesen nach für das Vorhanden- sein der Bedingungen der Bildung zu sorgen, wird hier in der Ober- aufsicht gegeben. Es hat daher ein System der oberaufsehenden Behörden mit bestimmter Competenz aufzustellen, deren Aufgabe es nicht ist, für die Bildung selbst, sondern dafür zu sorgen, daß die gesetzlichen Vorschriften über das Bildungswesen von jenen Körpern oder den Einzellehrern wirklich beobachtet werden . Diese Auf- sichtsbehörden werden der Regel nach in den höhern Stellen die allge- meinen Verwaltungsbehörden sein, welche demnach in dieser Beziehung unter dem Ministerium des Unterrichts stehen; in den niedern Stellen dagegen werden, wenigstens für die Elementarbildung, meist eigene Aufsichtsorgane berufen, während die örtliche Function wieder der örtlichen Selbstverwaltung überlassen ist. Im Großen und Ganzen sind daher die Berufslehrer der gelehrten Bildung meist Staatsdiener, die der wirthschaftlichen sowie der Elementarbildung im Dienste der Gemeinden, während in ihrer Thätigkeit alle , aber in Anstellung und Dienstrecht nur die ersten unter dem Ministerium stehen. Doch ist hier keine feste Gränze zu ziehen; auch das geltende Recht ist sehr verschieden. Jedoch kann man allerdings als Regel aufstellen, was auch durch die Natur der Sache bedingt und erklärt wird, daß nämlich der Antheil, den die Ministerien und Unterrichtsbehörden an der Anstellung und Ent- lassung der Lehrer haben, sich nach dem Maße bestimmt, in welchem die Staatskassen zu den Unterrichtsausgaben beitragen, und zwar meistens in der Weise, daß sich die Staatsverwaltung die Ernennung immer vor- behält, während die Selbstverwaltungskörper entweder die Wahl , oder den Vorschlag (Präsentationsrecht) und zuweilen gar kein Recht haben. In diesem einfachen Schematismus hat nun das Wesen der gei- stigen freien Arbeit das historische Princip der Selbstverwaltung für die Lehre als solche erhalten, und weiter ausgebildet. Diese Selbst- verwaltung, deren Mutter die Universitäten sind, erscheint nämlich in der Form der Lehrkörper , die zunächst für die Vorbildungs- und Berufsbildungsanstalten (gelehrte Realschulen und Universitäten) das Recht der Selbstverwaltung für Lehre und Erziehung, soweit beide in der Anstalt selbst sich erfüllen, behalten haben. Von diesen ist der- derselbe Gedanke auch in das Volksbildungswesen übergegangen, in- dem hier die Function des Lehrkörpers einem, aus der Vertretung der Gemeinde, der Geistlichkeit und den Volkslehrern selbst gebildeten Verwaltungskörper der örtlichen Volksbildung über- tragen wird. Die vollständige Organisation ist daher erst mit diesen drei Elementen gegeben; aber nur Deutschland hat dieß vollständig auszubilden vermocht. So ist schon der Organismus des geistigen Lebens auch von Seiten seiner Verwaltung kein einfacher; es gilt hier vielmehr dieselbe Er- scheinung, welcher wir in den meisten Gebieten der staatsbürgerlichen Organisation begegnen, daß nämlich die amtliche Function sich mit der der Selbstverwaltung und des Vereinswesens verschmilzt , und so ein zum Theil sehr ausgearbeitetes und mannichfach verschiedenes System der anerkannten Organe und ihrer Competenzen erzeugt. Jedoch kann man alle bestehenden Formen leicht auf die obigen Elemente zurück- führen und in sie auflösen. XIV. Während auf diese Weise das Unterrichtsministerium die eigentlich produktive Thätigkeit für die geistigen Güter zum Inhalt hat, greifen noch zwei andere Ministerien mit in dasselbe hinein. Das erste ist das Ministerium des Innern , das in der Kulturpolizei die Sicher- heit des öffentlichen geistigen Lebens vertritt, und das Justiz - ministerium, das über die Presse, als Element der allgemeinen Bildung, richterliche Urtheile fällt. Die Scheidung beider vom Unterrichtsmini- sterium aber entwickelt sich erst langsam, und für jeden Theil in be- sonderer Weise. Im Ganzen ist das Unterrichtsministerium in organi- schem Zusammenwirken mit der Selbstverwaltung der Organismus der geistigen Verwaltung in der staatsbürgerlichen Gesellschaft. — Dieß nun sind die wesentlichen Grundzüge der Geschichte des Bildungswesens in den germanischen Staaten. Innerhalb derselben treten aber auch hier die drei großen Kulturvölker mit ihrem eigenthümlichen Charakter und dem ihnen entsprechenden öffentlichen Bildungsrecht auf, als die Grundtypen, auf welche man Geschichte und Gestalt des letzteren stets zurückführen muß. V. Der Charakter des Bildungswesens in den Hauptstaaten Europas. Bei dem ungeheuren, das gesammte Volksleben umfassenden Um- fang, und bei der großen tiefgehenden Verschiedenheit des Bildungs- wesens im Einzelnen in den Hauptstaaten Europas wird es nun als eine der wesentlichen Bedingungen des Verständnisses des letzteren an- gesehen werden müssen, daß man den Charakter des Bildungswesens in jedem dieser Staaten vorerst so bestimmt als möglich feststelle. In der That nämlich erscheint das Bildungswesen eines jeden Staates bei aller Verschiedenheit und scheinbaren Zufälligkeit im Ein- zelnen dennoch als ein Ganzes, dessen innere Gleichartigkeit uns in überraschender Weise entgegentritt, sowie man dasselbe einerseits auf die elementaren Grundformen des Bildungswesens, andrerseits auf die Grundkräfte zurückführt, welche wir oben bezeichnet haben. Erst in dieser Einheit ist eine Vergleichung des Ganzen möglich. Hält man fest, daß die wirkliche Gestalt des Bildungswesens von diesen Momenten beherrscht wird, so leuchtet es ein, daß alle wahre Vergleichung erst da beginnt, wo man wirkliches Leben aus der Wirkung jener Kräfte hervorgehen sieht. Und darum mag es uns wohl verstattet sein, das, was wir unter dem „Charakter“ zu denken haben, hier genauer zu bestimmen. Der Charakter des inneren Staatslebens überhaupt besteht nämlich in dem Verhältniß, in welchem der Begriff und die thätige Idee des Staats zu den gesellschaftlichen Ordnungen in demselben stehen. Es ist gezeigt worden, wie beide ein wesentlich verschiedenes Princip haben; in dem Kampf dieser beiden Principien besteht das innere Staatsleben überhaupt, und aus ihr geht beständig die ganze Gestalt der Verwal- tung hervor. Das Bildungswesen ist aber ein Theil der Verwaltung. Und es ergibt sich daraus, daß das Bildungswesen eines Staates stets denselben Charakter hat, wie seine ganze Verwaltung, und daß es mithin einen wesentlichen Theil der inneren Geschichte desselben aus- macht und bedeutet. Das nun macht die Darstellung des Bildungswesens zwar nicht leichter, wohl aber ist es der einzige Weg, um die Auffassung desselben vor derjenigen Einseitigkeit zu bewahren, welche da glaubt, die Sache selbst erfaßt zu haben, wenn sie die äußern Formen und die einzelnen gesetzlichen Bestimmungen kennt. Hier ist daher der Punkt, auf wel- chem der höhere Standpunkt der Verwaltungslehre allein der Darstellung des Bildungswesens ihre innere Einheit und ihre wahre Bedeutung gibt, und die Stelle, auf welcher die Gesellschaftswissenschaft in diesen Theil der Staatslehre eingreift. Wenn es uns gegeben wäre, die Noth- wendigkeit und den Werth dieser Forderungen für diejenigen nachzu- weisen, welche sich mit den gegebenen Verhältnissen des Bildungswesens in Europa beschäftigen, so würden wir glauben, viel gewonnen zu haben. Breitet man nun von diesem Standpunkt aus die Karte von Europa vor sich aus mit ihren verschiedenen Völkern und Staaten, fest im Auge haltend das Verhältniß von Gesellschaft und Staat als Grundlage der gesammten öffentlichen Rechtsbildung, so erscheinen wie für die Verwal- tung überhaupt, so namentlich auch für das Bildungswesen die drei großen staatlichen Bildungen, die wir überhaupt für die Verwaltungslehre als die drei Grundformen der öffentlichen Rechtsbildung anerkennen müssen, England, Frankreich und Deutschland. An sie schließen sich alle andern mit mehr oder weniger Klarheit, mit mehr oder weniger Bewußt- sein ihres wahren Verhältnisses an. Man kann unbedenklich sagen, daß wer diese Staaten versteht, das Leben von Europa mit Einem Blick zu umfassen vermag; so in allen andern Dingen, so auch im Bildungswesen. Allen diesen Staaten ist nun die eine große historische, alle übrigen überragende Thatsache gemeinsam, daß sie im Uebergange von der ständischen zur staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung begriffen sind. Der Charakter ihres öffentlichen Rechts überhaupt und ihres Bildungs- wesens im besondern beruht demnach auf den Elementen, durch welche dieser Uebergang vollzogen wird, und auf dem Punkte, auf welchem sich derselbe befindet. Um dieß als Grundlage der Vergleichung auch des positiven öffentlichen Rechts festhalten zu können, dürfen wir hier einen sehr wichtigen allgemeinen Satz wiederholen. Eine jede große Gesetz- gebung in einem jeden Staate entsteht immer erst da, wo eine neue Gestalt der Gesellschaftsordnung sich Bahn bricht. Das gilt für die ganze Verwaltung; das gilt auch für das Bildungswesen. Das Auf- treten großer Gesetzgebungen für diese Verwaltung des geistigen Lebens begleitet daher stets die gesellschaftliche Entwicklung, und bedeutet immer einen nachhaltigen Sieg der Staatsidee über die gesellschaftlichen Sonder- interessen. In der That darf man daher nicht eigentlich bei der Ver- gleichung von dem Inhalt der positiven Gesetze ausgehen, sondern muß vielmehr von der Anschauung der gesellschaftlichen Bewegung aus zu ihnen als nothwendiger und praktischer Consequenz hingelangen. Und dafür den Versuch zu liefern, ist die nächste Aufgabe des folgenden. Zunächst aber erklärt es sich eben daraus, weßhalb gerade unser Jahr- hundert die Epoche der großen organischen Bildungsgesetzgebungen ist; denn daß dem so ist, ist ebenfalls eins der greifbarsten Ergebnisse der historischen Bewegung, in der wir uns befinden. Innerhalb derselben nun hat jeder der großen Staaten seine eigen- thümliche Stellung. Der Charakter des englischen Lebens zunächst besteht darin, daß die ständische Gesellschaftsordnung hier vielleicht am strengsten in ganz Europa erhalten ist und in der geselligen Welt gilt, daß aber die höhere gesellschaftliche Klasse keine staatlichen Verwaltungsrechte besitzt. Die freie staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung ist hier nur bis zur Aufhebung der öffentlichen Vorrechte der Grundherren gelangt; sie steht noch auf dem rein negativen Standpunkt des freien einzelnen Individuums. Zu einem positiven Walten, und damit zu einem selbständigen Eingreifen in die Lebenssphäre des Einzelnen im Namen der Gesammtentwicklung ist England noch nicht gelangt. Daher fehlt ihm einerseits die orga- nische Entwicklung der Staatsidee zu einem selbstthätigen Verwaltungs- körper, andrerseits die organische Gesetzgebung. In England ist alles und jedes auf sich selbst angewiesen, und Englands Freiheit besteht wesentlich in der rechtlichen Befreiung jeder individuellen Rechtssphäre von dem Einflusse jedes andern. Das ist Englands Charakter auf allen Punkten, und so auch der seines öffentlichen Bildungswesens. In Frankreich hat dagegen die staatsbürgerliche Gesellschaft zwar gesiegt, aber ihr Sieg in der französischen Revolution war der der Gewalt. Und Gewalt erzeugt Gewalt; denn daß jedes Ding das ihm Gleichartige mit all seinen Folgen wieder erzeuge, das ist die wahre und furchtbare Gerechtigkeit aller Geschichte. Der gewaltsame Sieg jener Gesellschaft bedingte, daß die Regierung als organische Ver- treterin derselben selbst der Gewalt bedurfte, und die Alleinherrschaft unter den Formen der Freiheit an sich riß. Frankreich ist daher das Land der Macht der Verwaltung, und damit auch das Land, in welchem die Staatsgewalt für sich alle Aufgaben der Verwaltung in Anspruch nimmt. Während England das Land ist, wo die Staats- verwaltung dem Einzelnen zu viel überläßt, ist Frankreich dasjenige, wo ihm zu wenig überlassen wird; während England zeigt, wie viel der kräftige Einzelne für und durch sich selbst vermag ohne öffentliche Hülfe, hat Frankreich zu lehren, was die Regierung durch ihre Gewalt zu Stande bringt, indem sie die Einzelnen in der Selbstverwaltung und dem Vereinswesen fast ganz ausschließt. Während in England daher eine staatliche Organisation der Verwaltung fast gänzlich fehlt, ist in Frankreich jede öffentliche Gewalt ein staatliches Organ. Während England daher der eigentlichen Gesetzgebung ermangelt, und das öffent- liche Recht der Verwaltung wesentlich nur die Gränzen vorschreibt, innerhalb deren sich die Selbstbestimmung der Einzelnen zu bewegen hat, ist in Frankreich vielmehr alles durch die Gesetzgebung und Verordnung des Staats geregelt, und der eigene Wille des Volkes in den Angelegenheiten der Verwaltung auf das äußerste Maß und unter beständiger Oberaufsicht des Staats beschränkt. Einen größern Gegensatz als diese beiden Länder hat die Geschichte niemals so nahe zusammen- gerückt, und das Betrachten dieser Völker wird so zur Grundlage des Verständnisses für das übrige Europa. Das gilt für die Verwaltung im Ganzen, und das gilt auch für das Bildungsrecht, sowohl für den Geist als selbst für die einzelnen Rechtssätze desselben. Denn viel schwieriger ist das dritte große Kulturvolk Europas, das gleichsam zum Verständniß und zum Bewußtsein der andern bestimmt ist, das deutsche Volk. Deutschland unterscheidet sich von England und Frankreich dadurch, daß die ständische Gesellschaft nicht bloß besteht wie in England, sondern auch noch besondere öffentliche Rechte hat, während die staatsbürgerliche Gesellschaft wie in Frankreich allerdings besteht und herrscht, aber auf allen Punkten von dem Rechte der stän- dischen Gesellschaft beschränkt ist. Es hat sich daraus die eigenthümliche Folge ergeben, daß die Selbstverwaltung in Deutschland den Charakter der ständischen Welt annimmt, das ist, in lauter selbstständigen Körper- schaften auftritt, während die Staatsverwaltung sich dieselben in der Form der Oberaufsicht unterordnet, ohne sie doch wie in Frankreich ganz in sich aufzunehmen. Aber gerade dieser ständische Charakter der deutschen Selbstverwaltung ist von hohem Werthe, weil er es ist, der der letzteren gegenüber der mächtigen Staatsgewalt ihre Selb- ständigkeit erhielt, eine Selbständigkeit, welche sie in Frankreich ver- loren hat, die in England dagegen zur beinahe völligen Zersplitterung der Verwaltung führt. Denselben doppelten Charakter hat auch die Gesetzgebung; sie zeigt auf allen Punkten eine innige Verschmelzung des staatlichen Willens und der örtlichen Selbstbestimmung; und in dem Kampfe dieser beiden Faktoren entwickelt sich dasjenige Element, das Deutschland so hoch stellt, und ihm ganz eigenthümlich ist. Das ist die deutsche Wissenschaft , welche in der ihr entsprechenden Weise, durch beständiges ehrliches und gründliches Streben nach dem Wahren, zuletzt die Entscheidung in dem Streite jener beiden Elemente abgibt, und so in stiller aber mächtiger Wirksamkeit zu einer rechts- bildenden Potenz wird, wie sie in keinem andern Staate der Welt vorkommt. Daher hat Deutschland mehr einheitliche Wissenschaft als Gesetzgebung; jene ist es, welche diese ersetzt wo sie fehlt, und sie leitet, wo sie sich formuliren will; sie ist die höhere Instanz, an welche diese am letzten Orte appellirt, und nirgends ist daher Achtung und Macht der Wissenschaft höher als hier. Dieß gilt von der Verwaltung und ihrem Recht im Allgemeinen, vor allen Dingen aber von der Verwaltung des Bildungswesens und seinem Recht. Während England zeigt, was der auf sich selbst angewiesene Einzelne, und Frankreich, was die fast selbstherrliche Regierungsgewalt vermag, zeigt uns Deutschlands Bildungs- wesen die bildende und erhebende Macht der Wissenschaft, und nirgends mehr, als gerade im Bildungswesen. Unsere wahre Gesetzgebung ist unsere pädagogische Literatur . Und daran wollen wir festhalten. Was nun die übrigen Länder betrifft, so wird man folgendes sagen müssen. Die Gränzländer zwischen Frankreich und Deutschland, Belgien, Holland und Italien, haben die französischen Formen ange- nommen, zum Theil auch die französischen Namen, aber den deutschen Geist und vielfach auch das deutsche Princip der geistigen Selbstver- waltungskörper in Schule und Universität sich erhalten. Der Charakter derselben ist daher im Einzelnen oft schwierig zu bestimmen, im Ganzen aber leicht verständlich. In Holland und Belgien lebt und herrscht wesentlich die deutsche, in Italien jedoch so weit schon jetzt von einem Bildungswesen desselben die Rede sein kann, der französische Gedanke. Die Schweiz ist nach ihren einzelnen Kantonen sehr verschieden. Die Länder Skandinaviens dagegen stehen durchaus auf dem deutschen Standpunkt, während im Osten das junge Serbien sich nach deutschem Muster zu organisiren beginnt, Rußland aber noch im Anfang einer eigentlich festen Gestaltung steht, in der jedoch die deutsche Auffassung von Tage zu Tage, wenn auch unter anderem Namen, mehr Raum gewinnt. So liegen im Großen und Ganzen diese Verhältnisse, und ehe wir nun zum besondern Theile übergehen, dürfen wir die hier bezeich- neten Allgemeinheiten wohl etwas näher für die einzelnen Staaten mit spezieller Rücksicht auf ihre positive Gesetzgebung charakterisiren. England . Daß England, und warum es keine organische Ver- waltung und keine Gesetzgebung des Unterrichtswesens hat, welche alle Gebiete des letzteren gemeinsam umfaßte, ist bereits erwähnt. Die Betrachtung Englands hat deßhalb von jeher dahin geführt, statt einer Vergleichung des positiven Rechts vielmehr den gesammten Geist des englischen Lebens in den Vordergrund zu stellen; und das wird noch lange so bleiben müssen. Denn England hat bisher nur für die Elementarbildung eine selbst noch einseitige Gesetzgebung; das Fach- bildungswesen besteht nur in den ständischen Körpern der Universitäten und Collegien, neben welchen die freien Unterrichtsanstalten ganz unbeschränkt bestehen, und ein Unterrichtsministerium existirt überhaupt nicht. England kann daher nur durch den Geist seiner gesammten Ent- wicklung auch in seinem Bildungswesen verstanden werden. Das ganze englische Bildungswesen geht einseitig aus dem Ele- ment der individuellen Selbständigkeit in der staatsbürgerlichen Gesellschaft hervor, die geistigen Güter erscheinen hier als das eigenste Gebiet des Individuums, aber die völlig freie Bewegung des Verkehrs erzeugt die Erkenntniß des Werthes derselben für jedermann; darum soll jeder für sich und in seiner Weise sich seinen eigenen Bildungsgang schaffen, und darum thut er auch, so weit sein eigenes Interesse, sein eigenes Verständniß es für ihn fordert. Das ist somit keine Sache des Staats, und soll es auch nicht sein; noch würde ein Eingreifen des- selben als eine Gefährdung der individuellen Freiheit gelten. Die Verwaltung leistet daher grundsätzlich nichts für das Bildungswesen; das was geleistet wird, ist nur die Sache der Selbstverwaltung der Vereine, oder des Einzelnen. Es gibt daher keine organische Gesetz- gebung, keine Prüfungssysteme, keine Schulpflicht, keine Oberaufsicht, keine Unterstützung, keinen Lehrkörper, keine Statistik — für das Ganze; für die einzelnen Theile nichts als die Achtung vor der Bildung und die allgemeine Erkenntniß des hohen Werthes derselben. Das letztere indeß verleiht wiederum der individuellen Bildung ihre Energie und zweckmäßige Klarheit, während das erstere sie zufällig und ungleichmäßig erscheinen läßt. Die tüchtige Individualität gelangt weiter als irgendwo; aber die untüchtige geht dafür auch geistig zu Grunde. Die Bildung selbst, wesentlich in ihrem wirthschaftlichen Werthe verstanden, wird ihrerseits eine vorzugsweise materielle; die Kenntnisse sind unendlich viel wichtiger als die Erkenntniß; sie sind jedoch nur Mittel zum Erwerb, und als solche für das Volk im Ganzen nie ein Zweck für sich. Die Entwicklung der Wissenschaft beruht deßhalb ausschließlich auf dem per- sönlichen Interesse des Einzelnen; sie ist keine Forderung einer Anstalt, sondern die Befriedigung einer Individualität. Der Unterschied der Klassen, den die staatsbürgerliche Gesellschaft an die Stelle des Standes- unterschiedes setzt, erscheint daher auch in der Bildungswelt; die Bil- dung wird dem Besitz parallel, und die Verwaltung füllt die Kluft nicht aus, weil sie dafür keine Verpflichtung kennt. So ist das eng- lische Bildungswesen vor allem ein verwaltungsloses , und dadurch systemloses, ungleichartiges und zufälliges, neben größter Energie des Individuums. Es ist dem Continent kaum verständlich in seiner Ein- seitigkeit, und doch nur die höchste Form der Herrschaft des einen Ele- mentes der staatsbürgerlichen Gesellschaft, der individuellen Selbständig- keit. Indeß beginnt auch hier eine andere Zeit. England fängt jetzt da an, wo Deutschland vor hundert Jahren stand. Die Organisirung seines Bildungswesens beginnt mit der selbständigen Entwicklung des Volks- schulwesens als Aufgabe der Verwaltung; wenn diese feststeht, wird die verwaltungslose und mittelalterliche Körperschaft seiner Universitäten allmählig sich im Sinne des übrigen Europa’s ändern, und der ent- scheidende Grundsatz einer fertigen Vorbildung für die höhere Berufs- bildung eintreten; die allgemeine Bildung wird sich dann von den beschränkten religiösen Vorurtheilen frei machen, und England kann das Land werden, welches das Princip der freien individuellen Persön- lichkeit in großartigster Form im öffentlichen Bildungswesen durchführt. Bis dahin läßt sich das Bildungswesen Englands formell kurz damit charakterisiren, daß sein Volksschulwesen, noch vor wenig Jahren nur in den Armenschulen bestehend, eben beginnt, unsicher und versuchsweise Gegenstand der Verwaltung zu werden; daß seine Berufsbildung ohne organisirte Vorbildung nur noch als eine gelehrte, und selbst vollkommen in ständischer, unorganisirter Selbstverwaltung dasteht, und daß die allgemeine Bildung, der Verwaltung gänzlich fremd, nur noch Sache des Einzelnen ist, und daher höchstens vom Vereinswesen gefördert, mehr als irgendwo auf der Presse und ihrer Thätigkeit beruht. Es kann daher sehr viel von einem englischen Princip, aber sehr wenig von einem englischen System die Rede sein. Die großen Theile des Bildungswesens liegen zusammenhangslos neben einander, und statt der Verwaltung oder der positiven Gesetzgebung muß der wissenschaftliche Gedanke sie als Einheit zusammenfassen. Frankreich . Den direkten Gegensatz dazu bildet Frankreich in seinem gesammten Bildungswesen. Als in der französischen Revolution die Principien der Freiheit und Gleichheit den plötzlichen Sieg über die ständischen Ordnungen gewannen, war die Anerkennung der gleichen Bildung für alle eine nur naturgemäße Consequenz dieser Grundsätze. Natürlich konnte eine solche Consequenz nur durch die, von der Ge- sellschaft vollständig beherrschte Verwaltung verwirklicht werden. Die Bedingung dafür war eine möglichst einheitliche Gesetzgebung. So kam es naturgemäß, daß die Regierung versuchte das gesammte Bil- dungswesen durch ihre Gesetzgebung zu regeln und durch eine eben so einheitliche Verwaltung praktisch zu beherrschen. Das auf diese Weise, man kann sagen, einseitig von der Staatsgewalt begründete öffentliche Bildungswesen Frankreichs unterscheidet sich daher von dem Englands dadurch, daß der freien geistigen Thätigkeit so wenig als möglich Spiel- raum gelassen und dieselbe ganz von der Verwaltung übernommen ist, von dem Deutschlands dadurch, daß die einzelnen Theile des Systems keine selbständige und ungleichmäßige Form und Entwicklung besitzen, und nicht von historisch entstandenen Körperschaften oder von dem immer verschiedenen und sehr oft zufälligen Verhältniß der Selbstverwaltungs- körper und Selbstverwaltungsrechte örtlich verschieden bestimmt werden. Es ist der Sache wie der Form nach Eine große, für das ganze Reich gleichmäßig durchgeführte, fast ohne alle Theilnahme der Selbstver- waltung wirkende Verwaltungsanstalt, in der kein Theil von dem andern getrennt ist, kein Theil eine eigene, gesonderte Entwicklung hat, und die daher auch unter einem Namen von einer Gesetzgebung be- herrscht wird. Diese Anstalt, das gesammte Bildungswesen des Reiches umfassend, heißt die Université, welche daher im wesentlichen Unter- schiede von dem historischen Begriffe der Universität, neben allen Formen und Anstalten der Berufsbildung, auch das gesammte Volks- bildungswesen zugleich umfaßt, und unter einem das Ganze gleich- mäßig verwaltenden Organismus steht. Die französische Université hat daher mit der deutschen Universität gar nichts gemein . Sie ist vielmehr der Organismus des gesammten Bildungswesens der Regierung, von der Elementarschule bis zu den Fakultäten; und in diesem Sinne ist die Geschichte des französischen Bildungswesens die Geschichte der Université. Allerdings ist dieß der gegenwärtige Charakter des französischen Bildungswesens, und es wird unsere Aufgabe sein, dasselbe unten in seinen einzelnen Theilen und Gebieten genauer zu verfolgen. Allein dasselbe ist so wenig plötzlich entstanden wie irgend ein anderer Theil der öffentlichen Macht in diesem merkwürdigen Staate; und kaum bietet irgend ein anderes Land so viel Interesse durch seine historische Entwicklung auch auf diesem Punkte dar, als Frankreich. Wir glauben daher die letztere hier in ihren Hauptzügen charakterisiren zu sollen. Und zwar um so mehr, als gerade diese immer höchst beachtenswerthe Entwicklung des französischen Bildungswesens verkannt wird, weil aller- dings die Grundform desselben, eben jene Université, in ihrer alles überragenden Bedeutung die Auffassung der Deutschen, die sich mit ihr beschäftigt haben, zu sehr absorbirt hat, wenn auch nur wenige in so grobe Irrthümer und in so gänzliches Mißverständniß der Sache verfallen, wie neulich C. Richter in seinem sogenannten „Staats- und Gesellschaftsrecht der französischen Revolution“ ( II. S. 610—615), der gar nicht ahnt, was die Université ist, die Napoleon „ nun wieder als kaiserliche Universität errichtet“ haben soll. Die wirklichen Haupt- stadien der Entwicklung des französischen Bildungswesens aber, zurück- geführt auf die von uns aufgestellten Elemente des gesammten Bildungs- wesens sind folgende. Die erste Epoche ist diejenige, welche mit der französischen Revolution beginnt, und bis zur Alleinherrschaft Napoleons führt. Die zweite findet ihre Basis in der Aufstellung der Université und ihrer, das ganze Bildungswesen Frankreichs bureaukratisch beherrschenden Organi- sation, die wieder ihre eigene Geschichte hat. Die dritte beginnt unter Napoleon III., nicht durch ihn, und besteht in der Entwicklung eines freien Bildungswesens neben der Université, das freilich wesentlich noch auf gewerbliche Bildung beschränkt ist, aber in diesem gewerblichen Bildungswesen den großen Principien des deutschen Bildungswesens die Bahn bricht, und die Geltung der freieren, auf Selbstverwaltung des geistigen Lebens gerichteten Elemente allmählig auch auf die übrigen Gebiete der geistigen Verwaltung Frankreichs übertragen wird. Jede dieser Epochen ist zugleich ein Ausdruck des Ganges der gesellschaftlichen Zustände, die nirgends härter in ihren Gegensätzen, aber auch nirgends schärfer in ihren Principien hervortreten als hier. Die erste Epoche, die der Revolution, beginnt mit dem richtigen Gefühl, daß die Bildung die erste positive Bedingung des Fort- schrittes ist, wie die persönliche Freiheit die erste negative Bedingung desselben. Der Ausdruck dieses Gefühls ist das principielle Losreißen des gesammten Bildungswesens von jedem ständischen Element, und die formelle und absolute Anerkennung der Staatspflicht , den Staatsbürgern ohne allen Unterschied des Standes und des Vermögens die Bedingung der Bildung darzubieten. Frankreich ist, indem es auf diese Weise das ganze Bildungswesen auf die Thätigkeit der eigent- lichen Staatsverwaltung stellte, der erste Staat, der die Pflicht des Staats zur Bildung seiner Angehörigen zu einem Inhalt der Ver- fassung machte. So wie die junge staatsbürgerliche Gesellschaft die ständische darnieder wirft, hält sie es für eine ihrer ersten Aufgaben, die neue Staatsordnung durch das formelle Aussprechen zur Staatspflicht gleichsam für die neue geistige Welt, die sie bereiten will, einzuweihen. Die déclaration des droits de l’homme et de citoyen vom 26. August 1789 steht allerdings nur noch auf dem negativen Standpunkt der Gleichheit und Freiheit, wie wir ihn in der Geschichte des Polizeirechts ausgeführt haben. Allein schon die erste Verfassung vom 3. September 1791 nahm in ihrem Titre premier neben den „Menschenrechten“ den bedeutsamen Satz auf: „Il sera crée et organisé une Instruction pub- lique , commune à tous les citoyens, gratuite à l’égard des parties d’enseignement indispensables pour tous les hommes, et dont les établissements seront distribués graduellement dans un rapport com- biné avec la division du royaume.“ Dieser Satz enthielt einerseits nichts anderes, als was bereits vor manchem Jahrzehent deutsche Staaten, in erster Reihe Preußen, durch sein General-Schulreglement, schon zur Geltung gebracht und eingeführt hatten — die Staatspflicht, den Volks- unterricht herzustellen; allein ein eigenthümlicher Gedanke, der die ganze folgende Zeit beherrscht, und der eben den Charakter des französischen Bildungswesens von dem englischen und deutschen so tief unterscheidet, war schon hier begründet; das war der, das gesammte System des Bildungswesens rein unter die Staatsverwaltung zu stellen, und sie zum Herrn desselben zu machen. Es war nicht schwer, sich für diese Idee zu begeistern, so lange Frankreich selbst frei war, und Mirabeau mit seinem wunderbaren Takt und mit seiner gewaltigen Stimme, der diesen Artikel der Constitution motivirte (Discours sur l’Organisation de l’in- struction publique, 1791), riß, nicht bloß Frankreich mit sich fort, sondern ließ wieder einmal auch die Deutschen glauben, daß hier etwas geleistet werde, das ihnen als Muster zu gelten habe. Die Assembl é e beauftragte Talleyrand mit dem Bericht, und dessen Rapport fait au nom du Comité de Constitution sur l’Instruction publique muß als die theoretische Grundlage des ganzen französischen Unterrichtswesens bis zur heutigen Zeit angesehen werden. Die Legislative von 1791 blieb auf demselben Standpunkt, nur forderte sie vom Staat vielmehr die neue Declaration des droits de l’homme et du citoyen, die als Einleitung zur Verfassung vom 24. Juni 1793 erschien, und formulirte den Gedanken der Constitution von 1791 schon wesentlich anders. Der Artikel 22 sagt: „L’instruction est le besoin de tous. La société doit favoriser de tout son pouvoir le progrès de la raison publique , et mettre l’instruction à la portée de tous les citoyens .“ Der Bericht- erstatter war diesmal Condorcet ( Rapport sur l’Organisation géné- rale de l’Instruction publique fait à l’Assemblée legislative ). Das was in diesem Berichte Neues und der damaligen Zeit Eigenthüm- liches war, war die Aufnahme der Verpflichtung zur staatlichen Bildung in das Bildungswesen; und von diesem Bericht stammen die Anordnungen in einigen Staaten, nach welchen die elementaren Grund- sätze der Verfassung gesetzlich in das Volksschulwesen aufgenommen worden sind. ( Richter a. a. O. ahnt von alledem nicht das Entfernteste.) Gemeinsam war beiden Gesetzgebungen, daß sie in jener Epoche auf dem Papier blieben. Die Verfassung von 1793 läßt den ganzen Passus in seinen allgemeinen Principien weg, wohl aber tritt hier die erste wirkliche Organisation der Instruction publique in Titre X auf, in welchem die écoles primaires ( a. 296) von den écoles supérieures ( a. 297) und von beiden wieder ein Institut national geschieden werden, die aber nach a. 299 unter einander wieder im Verhältniß der subor- dination nach der correspondance administrative stehen. Dagegen wird, was früher unzulässig war, hier zuerst den Bürgern das Recht auf freie Unterrichtsanstalten gewährleistet. Mit diesen Bestimmungen tritt das Bildungswesen aus den Verfassungen heraus, denn der Art. 88 der Constitution von 1799 ist nur ein unvollständiger Nachklang des Ganzen, und geht in die eigentliche Verwaltung über. Denn trotz aller Reden und Verfassungen war in Wirklichkeit nichts für das Unterrichtswesen geschehen. Der Gedanke aber, daß das Ganze eine organische Staatsangelegenheit und damit eine große Einheit mit der obigen Dreitheilung sein müsse, stand fest, und es war schon damals klar, daß es nur des Eintretens einer tüchtigen Verwaltung bedürfe, um jene abstrakten Principien der Revolution praktisch ins Leben zu rufen. Der Mann, dem auch dieß gelang, war Napoleon. Mit ihm be- ginnt die zweite Epoche der Geschichte des Bildungswesens in Frank- reich. Wir haben schon oft und immer mit Nachdruck darauf hin- gewiesen, daß man in Napoleon neben dem Feldherrn vor allen auch den Gründer der neuen Verwaltung in Frankreich erkennen muß. Das gilt in hohem Grade auch vom französischen Bildungswesen. Napoleon hat allerdings keinen einzigen neuen, ihm eigenthümlichen Gedanken für dasselbe gefunden, wohl aber einen neuen Namen, und der Orga- nisation, die er ins Leben rief, so sehr den Stempel seines autokratischen Geistes aufgedrückt, daß auch jetzt noch Frankreich darunter leidet. Ausgesprochen war nämlich, wie gesagt, das große Princip der Volks- bildung als Pflicht der Verwaltung schon seit 1791; ausgesprochen war die noch heute geltende Dreitheilung in instruction primaire, secon- daire und supérieure seit 1791; es kam jetzt nur darauf an, die Sache administrativ zu organisiren. Und hier mußte Napoleon wählen. Er konnte der Selbstverwaltung, wie sie in Deutschland bestand, ihr Recht namentlich in den Gemeinden für den Elementarunterricht, und der geistigen Selbstverwaltung, wie die höheren Lehranstalten sie be- sitzen, ihre Stellung geben. Er that es nicht. Ihm war das Bildungs- wesen nichts als eine große administrative Aufgabe, und die bildende Kraft eine große gouvernementale Maschine. Vortrefflich bezeichnet diese Auffassung Morin (Block, Dict. de Polit. v. Instr.). „Napoléon adorant la discipline, fut frappé de celle du clergé, et sa première idée fut de constituer sous le nom de l’Université une sorte de clergé semi-laïque et semi-religieux;“ und diese Gesammtheit von halbweltlichen und halbgeistlichen Organen sollte nun als eine große Einheit das ganze Unterrichtswesen Frankreichs übernehmen. Jener große Lehrkörper ward auf diese Weise der corps enseignant, und das Lehrwesen Frankreichs selbst nannte Napoleon die „Université.“ Die Université besteht daher aus der in eine staatliche Verwaltung Stein , die Verwaltungslehre. V. 4 gebrachten Gesammtheit aller öffentlichen Lehranstalten, von den Ele- mentarschulen bis zu den Facultés (s. unten) und der Gesammtheit des ganzen Lehrerpersonals von dem Professor bis zum Triviallehrer. Diesen Gedanken führte das Gesetz vom 17. März 1808 aus, das bisher nie- mals geändert ward und noch gegenwärtig die Basis der ganzen Or- ganisation des Bildungswesens abgibt. Die Université bietet demgemäß ein höchst eigenthümliches Bild, in welchem die streng militärisch-kleri- kale Subordination sich mit der bureaukratischen Form in merkwürdiger Verbindung zu einem Ganzen verschmolzen hat, wie es in Europa nicht wieder vorkommt. Die Grundzüge dieser Organisation des staatlichen Bildungswesens Frankreichs, d. i. seiner Université, sind folgende. Ganz Frankreich wird in große Unterrichtsprovinzen getheilt, welche „Académies“ heißen; 1808 in 27, jetzt seit Gesetz vom 14. Juni 1854 nur noch 16; so daß jede Akademie wieder eine gewisse Anzahl von Departements umfaßt. Daraus nun gehen zwei große Verwaltungs- systeme hervor. Das eine ist das der öffentlichen Bildung als solcher, der Instruction publique, beruhend auf der Akademie; das andere ist das der eigentlichen Administration, beruhend auf dem Präfekten und dem einzelnen Departement. Der leitende Gedanke in dieser Scheidung ist der, daß die Angelegenheiten des Unterrichts oder der eigentlichen Lehre der Akademie, die Angelegenheiten der Personen und der wirth- schaftlichen Verwaltung dem Präfekten untergeordnet sind. Der Organis- mus der Akademien ist ziemlich einfach. An der Spitze jeder Akademie steht ein Recteur, der die Oberaufsicht über das gesammte Lehrwesen seiner Akademie hat. Die Ausübung dieser Oberaufsicht ruht in den Händen eines Systemes von Inspecteurs. Der Oberinspektor ( Inspec- teur général ) hat die ganze Akademie zu beaufsichtigen; die Unter- inspektoren, die Inspecteurs, die örtliche Oberaufsicht. Die Inspecteurs aber stehen zugleich unter dem zweiten Organismus, dem der Präfektur. Jeder Präfekt hat nämlich die Anstellung aller öffentlichen Lehrer in seinem Departement, und die Inspecteurs sind daher die Referenten sowohl für den Rektor und seine Competenz als für den Präfekten. Mit Recht sind daher die französischen Juristen darüber einig, daß der Inspecteur die eigentlich regierende Gewalt über die Thätigkeit der gesammten Université in der Hand hat — „l’inspecteur exerce le véritable gouvernement“ (Jourdain bei Block). Dieß System von bu- reaukratischen Organen sollte nun allerdings in seiner Machtvollkommen- heit durch eine Theilnahme der Selbstverwaltung gemildert werden. Nun haben wir schon in der Vollziehenden Gewalt (S. 341 ff.) den Charakter der specifisch französischen Selbstverwaltung bezeichnet; es ist das System der recht- und machtlosen Conseils, das die Stelle derselben vertritt. Dasselbe ward nun auch auf den obigen Organismus angewendet, und ein System von Conseils allen jenen Organen an die Seite gestellt. Der Rektor hat ein Conceil académique, der Präfekt ein Conceil départemental, die örtliche Organisation hat die délégués cantonnaux zur Seite (mit Reglement von 1850 und 29. Juli 1854, jedoch ohne rapport hierarchique zum Inspecteur ); die Verordnung vom 29. Februar 1816 hat eine Art von Gemeinderath eingesetzt, an dessen Spitze der Maire stand; doch ist an dessen Stelle seit 1835 der eigentliche Inspecteur getreten, der nur den oberen Behörden berichtet. An der Spitze des Ganzen steht dann das Ministère de l’Instruction publique, das wieder einen Conseil général de l’instruction publique zur Seite hat (Dekret vom 9. März 1852). Das sind die allgemeinen Grundlagen des französischen staatlichen Bildungswesens. Der Charakter desselben ist demnach klar. Er besteht in der strengsten Durchführung der formellen Einheit ; die Université ist „une hierarchie d’écoles primaires et secondaires rattachées à un corps central d’établisse- ments d’instruction supérieure qui exerce une véritable jurisdiction scolaire “ (Jourdain a. a. O.). Der Unterschied von dem deutschen Unter- richtswesen beruht auf dem grundsätzlichen Mangel aller Selbständig- keit jedes einzelnen Theiles dieses Lehrorganismus, und zwar in der Weise, daß im Volksunterricht die Ausschließung der freien Gemeinde- verwaltung vom Volksschulwesen, im Berufsbildungswesen die Beseiti- gung jeder selbständigen Funktion der Lehrkörper durchgeführt ist. Und in der That ist diese völlige Aufhebung aller Selbständigkeit der Lehrer, ihre grundsätzliche Abhängigkeit von den Behörden der Grund des Zu- rückbleibens Frankreichs in allem was Volksbildung heißt. Denn die Lehrer sind weder selbständig in ihrer Stellung noch in ihrer geistigen Thätigkeit. Die Lehrkörper aller Art besitzen nicht das Recht noch die Macht , die Lehre zu ordnen und dieselbe mit der freien Entwicklung der Wissenschaft aus eigener That vorwärts zu bringen. Die individuelle Freiheit der geistigen Bewegung ist der formellen Einheit des Bildungs- wesens zum Opfer gebracht, wie umgekehrt in England die letztere gegen- über der ersteren nicht zur gebührenden Geltung gelangt ist. Dennoch ist gerade diese individuelle Freiheit das wahrhaft Belebende in allem geistigen Leben, nicht etwa bloß, wie Frankreich es annimmt, gegen- über den großen Problemen der Wissenschaft. Wo sie verloren geht, geht die Höhe und Tüchtigkeit der individuellen Bildung verloren, wie da, wo die Einheit fehlt, die Gleichmäßigkeit derselben unerreichbar bleibt. Im ersten Falle gibt es hochgebildete Einzelne, im zweiten sehr gebildete Klassen der Besitzenden, in beiden keine wahre Volks- bildung. Selbst für die gelehrte Bildung ist neben demselben fast gleichzeitig ein ganz freies Bildungswesen entstanden, für die wirthschaftliche Bil- dung aber, welche in das obige System überhaupt nicht aufgenommen war, hat ein solches entstehen müssen , um überhaupt auf diesem Ge- biete etwas zu leisten. So zeigt sich denn in Frankreich die eigenthüm- liche Erscheinung, daß neben und ohne die Regierung sich ein großes, mit dem System der Université parallel laufendes Bildungswesen ent- standen ist, das alle drei Gebiete umfaßt, in manchen Beziehungen mehr leistet als jene, und den Ersatz für die Mängel bietet, unter denen dieselbe leidet. Und das Verhältniß dieser beiden Systeme zu ein- ander ist es nun eigentlich, welches dem Bildungswesen Frankreichs seinen Gesammtcharakter gibt. Dieß Verhältniß aber ist das eines fast gänz- lich unvermittelten Nebeneinanderstehens. Während die Regierung die Université despotisch beherrscht, hat sie über die freien Bildungsan- stalten selbst die Oberaufsicht fast vollständig aufgegeben; in jenen thut sie entschieden zu viel, in diesen entschieden zu wenig. Und diesem Verhält- niß werden wir in der folgenden Darstellung auf jedem Schritte begegnen. Dieß nun ist das Napoleonische Bildungssystem auch des gegen- wärtigen Frankreichs, das in der Form vielfach dem deutschen sehr ähnlich, aber in der Sache von ihm tief verschieden ist. Eben deßhalb hat dasselbe schon von Anfang an dem französischen Volke, das denn doch immer von germanischen Elementen gesättigt ist, nicht genügen können, und da an jenem Systeme nichts zu ändern war, so hat sich das Bedürfniß nach einer freien geistigen Bildung selbständig neben demselben als jene Éducation libre Bahn gebrochen. Schon die Con- stitution von 1793 erkennt das Princip derselben an ( a. 299). Selbst Napoleon hat es nicht beseitigen können. Deutschland . Das deutsche Bildungswesen, in seinen einzelnen Bestimmungen unendlich genau ausgearbeitet und mit reichster Gesetz- gebung versehen, ist eben deßhalb im Einzelnen sehr schwer darzustellen. Es ist die Aufgabe der folgenden Abschnitte, dieß zu versuchen. Wohl aber läßt sich im Vergleiche zu England und Frankreich jetzt der spe- cifische Charakter desselben leicht bestimmen. Deutschland hat von Frankreich den Plan der administrativen Einheit des gesammten Bil- dungswesens angenommen; aber es hat innerhalb derselben die Selbständigkeit der geistigen Arbeit zu wahren verstanden. Es ist von Werth, beide Elemente auf dasjenige zurückzuführen, worin sie in allen deutschen Staaten, trotz mancher Verschiedenheit im Einzelnen, ihren bestimmten Ausdruck finden. Die Einheit ist vertreten durch die Ministerien des Unterrichts und die in ihnen gegebene centrale Verwaltung. Die Selbständigkeit dagegen beim Elementarunterricht durch die Rechte der Gemeinden , bei dem Berufsbildungswesen durch die Rechte der Lehrkörper . Diese drei Elemente finden sich in allen Organisationen des Unterrichtswesens wieder, und in ihrer Wechsel- wirkung beruht die organische Entwicklung unseres geistigen Lebens, welches nur eines staatlichen Hintergrundes bedarf, um seine ganze Bedeutung für die Gesittung der Welt zu entfalten. Eben deßhalb kann keine Darstellung des Bildungswesens ausreichen, die nicht Deutsch- lands Ordnungen und Principien zum Grunde legt. Wir glauben aber eben deßhalb hier zu genügen, wenn wir den Charakter desselben auf die angeführten drei Elemente zurückführen. — Wir glauben nun, daß es nicht ohne Interesse sein wird, an diese drei großen Grundformen noch eine kurze Charakteristick des Bil- dungswesens der Staaten anzuschließen, welche mehr oder weniger die oben aufgestellten Elemente in eigenthümlicher Weise bei sich verarbeitet haben. Sie sind es eigentlich, an denen man, wir möchten sagen das Verständniß der elementaren Verhältnisse und Rechte des Bildungs- wesens am besten erprobt, weil bei ihnen die Formen oft die Sache verdecken, oft die Namen etwas Verschiedenes bedeuten, und doch am Ende bei genauerer Betrachtung die großen Grundformen wieder als das beherrschende Element hervortreten. Ein genaues Eingehen auf dieselben würde freilich alles Maß unserer Arbeit überschreiten; eine Uebersicht aber würde werthlos sein, wenn sie nicht eben stets alle einzelnen Verschiedenheiten mit den allgemeinen Grundlagen in Har- monie setzte. Wir rechnen dahin namentlich Belgien, Holland, Italien und Rußland. So weit es thunlich ist, werden wir im besondern Theil auf die besondern Bestimmungen derselben zurückkommen. Belgiens Bildungswesen . Das Bildungswesen Belgiens ist seiner Form nach dem französischen nachgebildet; es bedarf aber einer besondern Berücksichtigung, weil sein Inhalt durch den, weder in Deutschland noch in England in analoger Weise bestehenden Begriff des „Enseignement libre“ bedingt wird. Das Enseignement libre bedeutet nicht eben die Frage nach der Freiheit von der Schulpflicht und eben so wenig unmittelbar die Freiheit der Lehrordnung, sondern wesentlich die Frage nach dem Recht der Geistlichkeit in Beziehung auf die Errichtung und die Leitung der Schulen. Wie in ganz Belgien, so treten auch in Beziehung auf das Bildungswesen die weltliche und die geistliche Partei beständig und aufs schärfste einander entgegen und der Zustand des Reiches ist in dieser Beziehung als ein beständiges Com- promiß zwischen beiden Faktoren anzusehen. Die Geschichte der betr. Gesetz- gebung ist der Ausdruck des Kampfes dieser Elemente. Man sieht in Belgien daher zwei Systeme des Bildungswesens neben einander laufen wie in Frankreich; aber während hier das eine System das der staatlichen, das zweite das der privaten Bildung ist, steht in Belgien das System des geistlichen Bildungswesens ausgeprägt und bestimmt neben dem staatlichen, und der Hauptpunkt des öffentlichen Rechts des letztern ist hier die Frage nach dem Verhältniß der Staatsgewalt und ihrer Oberaufsicht zu dem kirchlichen Bildungswesen. Bis 1830 war natürlich das belgische Recht dem holländischen untergeordnet; seit dieser Zeit aber entwickelt sich jener specifische Charakter des erstern und findet seinen Ausdruck in der Geschichte der Gesetzgebung. Schon am 12. October 1830 hob die belgische provisorische Regie- rung alle Beschränkungen des Unterrichts auf; die Regierung behält nur das Recht, bei Bewilligungen von Subsidien aus der Staatscasse Bedingungen vorzuschreiben. Das war das Enseignement libre, deren Folge nach den einstimmigen Urtheilen aller Fachmänner eine vollstän- dige Desorganisation des Unterrichtswesens war. Die ersten Versuche, in einer festen Gesetzgebung die Staatsgewalt ihre natürliche Stellung wiederzugeben, mißlangen. Der Entwurf vom 31. Juli 1834, der das gesammte Bildungswesen, also auch die Berufsbildung nach französischen Kategorien umfaßt hatte, kam nicht zur Geltung; statt dessen ward der Elementarunterricht erst durch das Gesetz vom 23. September 1842, und das Vorbildungswesen für die Fachbildung durch das Gesetz von 1830 geordnet, dem in neuester Zeit die Verordnung vom 1. September 1866 gefolgt ist, welche als die Grundlage des wirthschaftlichen Vor- bildungswesens angesehen werden muß. Die Grundzüge des auf diese Weise entstandenen Bildungssystems beruhen auf einem eigenthümlichen, seit 1842 mehrfach im Einzelnen genauer bestimmten Zusammen- wirken der weltlichen und geistlichen Behörden in der Inspektion der Volksschule , während diese Gemeinschaft für die gelehrten Bil- dungsanstalten zwar nicht gilt, dafür aber die volle Freiheit der geist- lichen Körperschaften besteht, neben den staatlichen Vorbildungs- und Fachbildungsanstalten selbständig zu errichten. Darin besteht der Cha- rakter des belgischen Bildungswesens; im Uebrigen ist es der Form nach französisch, dem Inhalte nach wendet es sich mehr und mehr dem deutschen Systeme zu. Vergl. le Roy bei Schmid Encykl. I. S. 491 ff. mit der Literatur und einer kurzen Geschichte. Was Batbie ( Droit de public l’adm. VI. p. 158) sagt, ist sehr unbedeutend. Dagegen ist de Fooz ( Droit admini- stratif Belge T. IV. T. II. ) sehr genau im Einzelnen, jedoch unter sorgfältiger Vermeidung jeder eingehenden Betrachtung der obigen Punkte, die wir unten speciell hervorheben werden. Holland . Vielleicht in keinem Theile des öffentlichen Rechts ist der tiefe Unterschied zwischen Belgien und Holland so greifbar und zugleich historisch einschneidend, als im Bildungswesen. Holland ist auch in dieser Beziehung viel zu wenig bekannt. Nur die Franzosen haben die Bedeutung desselben zu würdigen verstanden und Cousins Werk: De l’Instruction publique en Hollaude (1836—37, 2 Bde.) muß noch immer als die beste publicistische Arbeit über das frühere Recht außerhalb Hollands angesehen werden. Die Holländer selbst haben eine sehr tüchtige und reiche Literatur über ihr Bildungswesen (s. le Roy bei Schmid Encykl. voc. Holland Bd. III. S. 558). Die Deutschen besitzen merkwürdiger Weise gar keine Arbeit darüber, mit Ausnahme des erwähnten kleinen Aufsatzes von le Roy, der übrigens die ganze Frage sehr einseitig auffaßt. Brachelli hat jedoch in seinen Staaten Europas S. 557 und 565 eine sehr werthvolle Statistik der Zustände auch des holländischen Bildungswesens gegeben. De Bosch-Kemper ( Nederl. Staatsregt 1866) ist leider sehr karg (§. 32). Die Grundverhältnisse des holländischen Bildungswesens, das namentlich im Gebiete der wirthschaft- lichen Berufsbildung von sehr großem Interesse ist, sind folgende. Das holländische Bildungswesen war bis zum Anfang unseres Jahrhunderts dem deutschen in allen formellen und unwesentlichen Punkten gleichartig; es zeichnete sich aber namentlich durch eine bei- nahe vollständige Unabhängigkeit der örtlichen Schulverwaltung von der Staatsverwaltung aus. Die französische Eroberung brachte in diese Zerfahrenheit dieselbe gewaltsame Einheit hinein, welche Frankreich aus- zeichnet; jedoch beschränkte sich die Epoche der französisch-holländischen Gesetzgebung wesentlich auf das Volksschulwesen. Ihr Hauptwerk war das Gesetz vom 3. April 1816, das jedoch von der französischen Gesetz- gebung über die Instruction primaire sich durch die in Holland unverwüstliche Selbständigkeit der Gemeinden und ihres Antheils am Volksschulwesen wesentlich unterscheidet, und doch durch seine formelle Verwandtschaft mit der französischen Gesetzgebung einen sehr großen, wenn auch wenig beachteten Einfluß auf das französische Gesetz von 1833 hatte (s. unten). Die „lateinischen Schulen“ und Universitäten blieben unberührt. Aus dieser Epoche nun blieb der holländischen Re- gierung das Streben, ihre Gewalt über das Unterrichtswesen möglichst beizubehalten. Dagegen kämpften die Gemeinden und Lehrkörper. In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts siegte die erstere. Den Aus- druck dieses Sieges gab der Artikel 224 der Verfassung von 1817. „Der öffentliche Unterricht ist eine beständige Angelegenheit ( voorwerp ) der Regierungsthätigkeit ( van de zorg der Regering ). Der König gibt jährlich über die Verwaltung und den Zustand ( van den staat ) des niedern, mittlern und höhern Unterrichts den General-Staaten einen ausführlichen Vorschlag.“ Die Macht, welche die Regierung da- durch gewann, ward nur nach langem Streit gebrochen durch die neue Verfassung. Die obigen Sätze blieben in der neuen Gestalt, aber es ward der Grundsatz dazwischen eingeschoben, daß der öffentliche Unter- richt durch ein Gesetz geregelt werden und daß derselbe frei sein soll für jedermann, jedoch unter den gesetzlichen Bedingungen der Fähig- keit und Sittlichkeit der öffentlichen Lehrer. In Folge dieses Grund- satzes werden nun neben dem bestehenden Recht der gelehrten Berufs- bildung (hooges onderwiis), Gesetz vom 2. August 1815, ein ausführ- liches Gesetz über den Volksunterricht ( lager onderwiis ) vom 13. August 1857 und ein zweites über den sog. mittlern Unterricht ( meddelbore onderwiis ) vom 2. Februar 1864 gegeben. Das erstere Gesetz ist die Ausführung des Artikels 194 in der neuen Verfassung: „Es wird überall im Reiche durch öffentliche Anstalten (im Text van overheidswege ) genügender öffentlicher Schulunterricht ( lager onderwiis ) gegeben.“ Das letztere ist in der That das einzige uns in Europa bekannte systematische Gesetz über die wirthschaftliche Berufsbildung in ihrer Scheidung von der gelehrten Bildung, und in hohem Grade beachtenswerth. Das leitende Princip für alle Zweige des Unterrichts ist jetzt wieder das deutsche — Organisirung der Oberaufsicht der Regierung durch ein System von Inspektoren nach französischem Muster, aber beinahe völlige Selbständigkeit der Gemeinden und Lehrkörper in allen drei Fächern. Holland darf somit von sich rühmen, daß es vielleicht am besten von allen europäischen Staaten den Werth der französischen Formen mit dem höheren des deutschen Geistes zu verbinden gewußt hat. Italiens Bildungswesen . Was Italiens Bildungswesen betrifft, so hat dasselbe einen doppelten, wesentlich verschiedenen Inhalt, den thatsächlichen und den gesetzlichen. Was den erstern betrifft, so fehlen zwar im Einzelnen zuverlässige Angaben; im Allgemeinen jedoch ist wohl kein Zweifel an der in allen Gebieten erscheinenden Ungleich- mäßigkeit und Ungleichartigkeit desselben. Es ist vollständig unthun- lich, vor der Hand von einem faktisch geordneten „italienischen“ Bil- dungswesen zu reden als von einem für das neue Königreich irgendwie zur Geltung gebrachten Ganzen. Dasselbe ist vielmehr so sehr im Werden begriffen, daß jede statistische Darstellung fast unmöglich, und da wo sie noch möglich ist, Gefahr läuft, binnen Kurzem nicht mehr zuzutreffen. Dagegen muß man gestehen, daß die Regierung in der kurzen Zeit ihres Bestehens, wenigstens auf dem Gebiete der Gesetz- gebung, wirklich Außerordentliches geleistet und ein systematisch durch- geführtes öffentliches Bildungsrecht geschaffen hat, wie es an Klarheit und Vollständigkeit kaum ein zweites gibt. Da nun dieses ganze Ge- biet noch viel zu sehr im Werden ist, so weit es sich um die wirkliche Durchführung dieser Gesetze handelt, so möge es genügen, dieselben hier im allgemeinen Theile zu charakterisiren, ohne daß wir bei den Darstellungen des Systems im Einzelnen darauf zurückzukommen brau- chen. Diese Charakteristik ist um so nothwendiger, als selbst Schmid in seiner Encyklopädie nicht in der Lage war, eine Darstellung des italienischen gesetzlichen Bildungswesens zu finden; wir haben die gelten- den Gesetze bereits in der Austria (Jahrgang 1865 und 1866) voll- ständig mitgetheilt, und auf dieser Grundlage wird es nicht schwer sein, die Grundzüge des Gesammtbildes zu geben. Die Gesetzgebung Italiens über sein neues Bildungswesen ist auf allen Punkten von zwei Elementen zugleich beherrscht. Das französische Element hat dieser Gesetzgebung den Sinn für die vollständige Codification und für formelle Klarheit und Vollständigkeit gegeben, und leider auch gewisse spezifische Ausdrücke in die Gesetze hineingebracht, welche nur geeignet sind, den Inhalt und seine wahre Bedeutung zu verwirren. Dieser Inhalt nämlich und der ganze Geist, der durch diese gesammte Gesetzgebung hindurch geht, ist dagegen ein vollständig deutscher , obwohl sich Italien wenigstens bisher wohl gehütet hat, das anzuer- kennen. Es ist gar kein Zweifel, daß dieser specifisch deutsche Geist und selbst die einzelnen deutschen Grundgedanken von der österreichischen Organisation und Gesetzgebung hergenommen sind, die Italien mit dem Erwerb der Lombardei und Venedigs eigentlich erst kennen gelernt hat. Die italienische Gesetzgebung hat mit vollkommen richtigem Tact die drei systematischen Gebiete, die Elementar-, die Berufs-, und die künstlerische Bildung geschieden, und in der zweiten eine strenge Schei- dung der gelehrten von der wissenschaftlichen Bildung consequent durch- geführt. Es ist das wissenschaftliche System, in einem großen gesetz- geberischen System verkörpert und mit Vermeidung aller der Unfrei- heiten und Beschränktheiten, welche das Bildungswesen Frankreichs auf einer so niedern Stufe halten. Dieß System ist folgendes. Was zunächst die Elementarbildung betrifft, so ist dasselbe durch das allgemeine Unterrichtsgesetz vom 13. November 1859 mit dem technischen zugleich geordnet (s. unten), jedoch haben eine Menge leicht verständliche Gründe dahin gewirkt, hier die Ausführung am schwierigsten zu machen. Von ihr wissen wir daher am wenigsten, da dieselbe nach deutschem Muster den Gemeinden zum großen Theil überlassen ist. Es ist keine Frage, daß die definitive Organisation und speziell das Lehrerbildungswesen erst dann kommen kann, wenn die große Frage der Kirchengüter und die Stellung der Geistlichkeit erledigt ist. Denn Italien hat keinen Lehrerstand . Es wird auch kein tüch- tiges Elementarbildungswesen bekommen, bis es sich einen solchen ge- bildet hat, der von der Geistlichkeit unabhängig ist. Hier vermag die Regierung allein eben so wenig als in Frankreich; man fühlt das und hat daher die Grundlage einer bessern Gestaltung durch das Princip der Selbstverwaltung gelegt, das seiner Zeit seine Früchte tragen wird. Dagegen ist innerhalb des Systems der Berufsbildung einerseits das gelehrte Berufsbildungswesen, anderseits das wirthschaftliche sowohl in Vor- als Fachbildung durchgreifend geordnet. Die hohen Schulen zunächst haben ihre neue Organisation durch Reglement vom 1. September 1865 bekommen, mit Aufnahms- und Ab- gangsprüfung, Schulgeld und Disciplin durch den Lehrkörper. Die Gynnasien mit 5 Klassen sind von den Lyceen mit 3 Klassen unter- schieden; das letztere hat vorwiegend reale Vorbildung zum Inhalt. Die Oberaufsicht hat der Provinzialschulrath. — Die Universitäten haben allerdings ihren alten Charakter erhalten; allein einerseits hat das Universitäts-Reglement vom 14. September 1862 die Disciplin dem Senate theils bestätigt, theils übertragen; andrerseits ist nach dem Muster der österreichischen Universitäten durch Verordnung vom 8. Oktober 1865 die staatswissenschaftliche Bildung mit der juristischen verbunden , was ein höchst wesentlicher Fortschritt gegen früher ist. Daneben gibt es nach französischem Muster durch Verordnung vom 3. September 1865 ein Baccalaureat für Naturwissenschaften, was unverständlich ist. Das wirthschaftliche Bildungswesen ist nun nach deutschem Vor- gange von dem gelehrten geschieden, unter gänzlicher Beseitigung des französischen Bifurcationssystems. Zunächst ist das System der Schulen für Erwachsene (neben den Sonntags- und Fortbildungsschulen) allgemein anerkannt und unter staatliche Anerkennung und Unter- stützung gestellt; die Regierung gibt jährlich 300,000 L. an Ge- meinden, Gesellschaften und Körperschaften, welche solche Schulen er- richten. Das Gewerbeschulwesen ist dann speziell organisirt durch das „Reglement für den industriellen und gewerblichen Unterricht“ vom 28. Oktober 1865 (Austria 1866 S. 114 f.) An der Spitze steht (fran- zösischer Name, deutsche Sache) die Normalschule , welche die Lehrer bildet. Die Schüler haben Aufnahmsprüfung; Programm ist der Unterricht in gewerblichen Fächern aller Art, einer oder mehreren Abtheilungen; die Lehrer bilden einen Lehrkörper und stehen unter dem Aufsichtsrathe, der wieder unter dem Unterrichtsrathe steht. Freie Schulen können daneben das Recht als öffentliche haben ( pareggiati ). — Die wirth- schaftliche Fachbildung ist vertreten theils durch die technische Schule (Ingenieurschule, Gesetz vom 13. November 1859), theils durch die verschiedenen Landwirthschulen (Austria 1864 Nr. 47, nebst Programm). Das vollständigste Bild aller dieser Spezialschulen aber, das in hohem Grade lehrreich im Einzelnen ist, gibt der Bericht des Ministers Pepoli über die „technischen Institute, die Kunst- und Gewerbeschulen, die Schifffahrtsschulen, die Bergbauschulen und die Landwirthschaftsschulen“ an die Deputirten-Kammer vom 4. Juli 1862 (992 Seiten in Quart), der den großen Vorzug hat, alle auf diese Institute bezüglichen Ge- setze und Verordnungen vollständig mitzutheilen, so daß hier bis zum Jahre 1862 nichts zu wünschen bleibt. Wir dürfen diese amtliche Publikation den Fachmännern dringend empfehlen. — Die amtliche Organisation des ganzen Bildungswesens besteht in dem Unterrichts- rath für das Reich (auf Grundlage des Gesetzes vom 13. November 1859, Verordnung vom 17. Oktober 1860 und 16. Februar 1861 er- richtet, nebst Geschäftsreglement vom 21. November 1865), mit drei Sektionen (Elementar-, Mittel- und höhere Unterrichtsanstalten), den Provinzialschulräthen (Verordnung vom 1. September 1865) und den Schulräthen und Aufsichts -Commission (Verordnung vom 9. November 1862, 14. August 1864 und 18. October 1865, Austria 1866 S. 114). So weit die Statistik möglich, hat sie Brachelli in seinen Staaten Europas S. 533 ff. für alle Theile aufgenommen. Das Bildungswesen der Schweiz . Der Charakter des Bil- dungswesens der Schweiz ist im Vergleich zu den übrigen europäischen Staaten ein eben so eigenthümlicher als der ihres übrigen Verwal- tungsrechts, und wir müssen denselben hier genauer bezeichnen, da es nicht gut thunlich ist, darauf später zurückzukommen. Bekanntlich beruht das öffentliche Recht der Schweiz wie das Nordamerikas auf dem lei- tenden Grundsatz, den wir im Hinblick auf unsere ganze Darstellung der Verwaltungslehre hier ganz bestimmt bezeichnen können. Die Ver- fassung ist Sache des Bundesstaates, die Verwaltung ist Sache der einzelnen Kantone, und die Verfassung der Kantone erscheint daher ihrerseits wesentlich nur als die verfassungsmäßige Formulirung der Selbstverwaltung. Von dieser örtlichen Gestalt der Verwaltung sind nur einzelne Theile ausgenommen, wie Post- und Telegraphenwesen, allein nicht ausgenommen ist das Bildungswesen. Die Grundlage des öffentlichen Rechts desselben ist daher die Ordnung nach den Kantonen. Jeder Kanton hat sein Bildungswesen, und für jeden dieser Kantone besteht seine Gesetzgebung. Es ist uns nicht möglich gewesen, alle diese Gesetze zur Einsicht zu bekommen. Der Bundesrath selbst hat keine maß- gebende Gewalt; er hat wesentlich nur die Aufgabe, das statistische Mate- rial für das ganze Unterrichtswesen zu sammeln, was er durch sein sehr gut geleitetes eidgenössisches statistisches Bureau thut. Eine Zusammen- stellung des geltenden Rechts der Schweiz über alle die Verwaltung betreffenden Punkte gibt es unseres Wissens nicht; hier hat die Verwal- tungslehre noch alles zu thun, und die Statistik ist ihr weit voraus. Die Hauptergebnisse der letztern nun sind für das Bildungswesen folgende. Man muß die Schweiz in Beziehung auf das letztere in zwei große Gruppen theilen, die deutsche und die französisch-italienische. Die erste hat im Großen und Ganzen die deutschen Grundsätze, die letztere die französischen angenommen, jedoch mit dem allerdings wesentlichen Unter- schiede, daß zwar das französische Inspektionswesen besteht, daß aber wohl allenthalben die Theilnahme der Gemeinde an der Schulüber- wachung bei dem Volksunterricht grundsätzlich anerkannt ist. Im Ganzen ist das Bildungswesen ein sehr vorgeschrittenes und so viel wir sehen, ist das System der Bildungsanstalten von der untersten Elemen- tarschule bis zum Universitätswesen vortrefflich ausgebildet. Die ge- lehrte Bildung ist von der wirthschaftlichen fast in allen Kantonen ge- schieden, und jede derselben mit eigenen Instituten versehen. Beinahe in allen, selbst in den französisch-italienischen, ist die höhere Bürger- schule von der Elementarschule getrennt, in eigenen Anstalten vertreten und nimmt einen sehr ehrenwerthen Platz ein. Das Vorbildungswesen wird in mehreren Kantonen unter der Bezeichnung „Kantonsschule“ im Gegensatz zu den „Gemeinschulen“ (Volks- und Bürgerschule) zusammen- gefaßt und enthält alsdann die gelehrte Bildung in Gymnasien (nach den Grundsätzen des deutschen Gymnasialwesens) und Realschulen. Knaben- und Mädchenschulen sind allenthalben getrennt. Für die Lehrer- bildung sind Seminarien in vielen Kantonen errichtet; ebenso schließt sich an das Volksbildungswesen in mehreren Kantonen sogar ein sehr genau ausgearbeitetes System von Wiederholungs- und Sonntagsschulen. Im wirthschaftlichen Bildungswesen sind die Gewerbeschulen von den Realschulen geschieden, in einigen Kantonen sogar, wie in Basel und Zürich, noch besondere Realgymnasien nach deutschem Vorbilde errichtet. Dagegen scheint — die einzelnen Gesetze fehlen uns — das Princip der Schulpflicht auf dem Standpunkt von Frankreich, Holland, Belgien und Italien zu stehen, als bloße Verpflichtung der Eltern, die Kinder zur Schule zu senden. Fast in allen Kantonen bestehen Privatanstalten. Die Universitäten sind ganz auf deutscher Grundlage; ebenso das neue Polytechnikum. Das Eigenthümliche des Bildungswesens der Schweiz wird demnach eben nicht in dem Organismus der Anstalten, sondern vielmehr in der Selbständigkeit der Verwaltung und Gesetzgebung je nach den Kantonen liegen, und hier gestehen wir, daß unsere Quellen nicht ausreichen, und daß wir auf künftige Arbeiten hinweisen müssen. Jedenfalls wird auch das nicht wesentlich von den Grundsätzen der deutschen Bildungsordnungen abweichen. Es muß jedoch hinzu gefügt werden, daß gerade in neuester Zeit erst die Kantonsgesetzgebung für das Schulwesen, und speziell für die Elementarb ildung sehr thätig gewesen ist. Charakteristisch ist übrigens ein durchstechender Mangel an jeder Art künstlerischer Bildungsanstalten, die kaum durch einige Mu- seen und gewerbliche Zeichnungsanstalten, wie in Basel, Bern und Zürich, dürftig ersetzt werden; das ist der eigentliche Mangel des schweizerischen Bildungswesens. Die leitenden Gesetze dürften folgende sein. Basel : Hauptgesetz für Volks- und Vorbildungsanstalten von 1852. Neue Ordnung der Universität von 1856. Genaue Statistik aller einzelnen Institute und Anstalten in der Zeitschrift für schweizerische Statistik (Bern 1865, Nr. 1) die in drei Sprachen Aufsätze enthält. — Tessin (italienisch): Die Schulgesetzgebung datirt eigentlich erst von 1830 (Hauptgesetz vom 10. Juni 1831, und allge- meines Schulreglement vom 28. Mai 1832); jedoch die öffentliche Unter- stützung der Gemeindeschulen erst durch Reglement vom 1. Juni 1835 bewilligt, wenn die Gemeinden selbst das Ihrige thun. Neben den Volksschulen fünf Gymnasien und ein Lyceum (Reglement vom 5. No- vember 1855, als Stellvertreter der Universität). Zeitschrift Nr. 3. — Genf : Grundgesetz das Gesetz sur l’instruction publique von 1848. Hier herrscht das französische Muster, jedoch mit dem wesentlichen, dem deutschen Bildungswesen entnommenen Unterschiede, daß das Bifurcations- system nicht in den Gymnasien gilt (s. unter Frankreich, volkswirthschaft- liche Vorbildung), sondern die Instruction classique im Collège (Unter- gymnasium) und Gymnase von der Ecole industrielle getrennt ist; da- gegen ist es in der „Académie“ (Stellvertreterin der Universität) mit dem ganzen verwirrten Apparat der bacheliers ès sciences physiques, bacheliers ès sc. mathématiques und bacheliers ès lettres wieder auf- genommen (Zeitschrift Nr. 3). In Zürich ist das Hauptgesetz das neue Unterrichtsgesetz vom 23. December 1859, mit Schulpflicht der Kinder vom sechsten Jahre für die Volksschule, Errichtung von Ergänzungsschulen, Unterordnung der Schulen unter die Gemeindeverwaltung, jedoch unter Oberaufsicht des Regierungsrathes. — Thurgau : Gesetz über das Unter- richtswesen vom 5. April 1853, mit ausgesprochener Schulpflicht bis zum 15. Jahre. Die Statistik der übrigen Kantone jedoch leider ohne Angabe der Gesetzgebung (in Zeitschrift Nr. 10—12). Der reiche Stoff, der hier zusammengestellt ist, wird übrigens dann leicht zu bewältigen sein, wenn man die Einzelheiten auf die unten aufgestellten Kategorien reducirt. Im Allgemeinen übrigens dürfte kein Zweifel sein, daß der Charakter des ganzen schweizerischen Bildungswesens wesentlich deutsch ist, und daß derselbe mit wenigen Ausnahmen selbst unter den französischen Formen immer mehr durchgreift. Statistische Nachrichten übrigens auch in Stein , Handbuch der Geographie und „die Schweiz“ von Brachelli. Schwedens Bildungswesen . Auch das Bildungswesen in Schweden liefert wie das der Schweiz einen Beweis dafür, daß während das gelehrte Bildungswesen auf den historischen Grundlagen des Rechts der Universitäten und Gymnasien nach dem europäischen Rechte der ersteren und nach den deutschen Vorbildern für die letzteren ziemlich fest geordnet ist, das Volksschulwesen und die wissenschaftliche Bildung den eigentlichen Gegenstand der Gesetzgebung in unserer Zeit bilden, jenes, indem es eine Organisation empfängt, dieses, indem es neu eingeführt wird. Die zwei Universitäten in Upsala und Lund haben jedoch auch eine neue Organisation vom 2. April 1852 erhalten. Die Volksbildung zunächst beruht auf dem Unterschied der niederen und der höheren Elementarschulen. Das Hauptgesetz ist das Unterrichtsgesetz vom 29. Januar 1859, das sich über den niederen und den höheren Unterricht zugleich verbreitet. Die Oberaufsicht hat, nach den strengen Ansichten, die in Schweden gelten, der Bischof (als Ephorus), der seine Aufgabe durch einen von ihm eingesetzten Inspektor vollziehen lassen kann. Seit der Verordnung vom 15. Juni 1861 sind jedoch königliche Inspektoren angestellt (Instruktion vom 30. December 1863) mit der Verpflichtung, persönlich die Schulen, ihre Interessen und Bildungs- thätigkeit zu überwachen, und Berichte an das Ekklesiastik-Departement abzustatten. Die Verwaltung der Lehrangelegenheiten hat der Rektor, in Verbindung mit dem Lehrercollegium; die Professoren heißen Lektoren. Der niedere Elementarunterricht war bereits im Wesentlichen geordnet durch einen Schulrath , bestehend aus dem Ortspfarrer und mehreren Gemeindemitgliedern. Die Schu lpflicht der Kinder ist ausdrücklich anerkannt. Die Gemeinde gibt das Schulhaus und die Lehrmittel, die Regierung gibt den Gehalt; doch können die niedersten Elementarschulen ( Sma Skolar ) frei von Theilnehmern errichtet werden. (Verordnung vom 23. April 1858.) Für die Errichtung von höheren Elementar- schulen werden Staatsunterstützungen bewilligt. Die Schullehrersemi- narien, bereits 1842 geordnet, haben weitere Entwicklung gefunden durch Verordnung vom 29. September 1853, welche das Princip der Seminaristenprüfungen einführt und die letzteren fordert. Eben so ist für Lehrerinnen ein eigenes Seminar in Stockholm errichtet, so wie ein gymnastisches Centralinstitut. Die höheren Elementarschulen sind im Grunde Realschulen, neben denen die Gymnasien (zuerst unter Gustav Adolf errichtet) als Vorbildung für die Universitäten bestehen. Die- selben haben 7 Klassen; nebenbei wird in Musik, Technik und Gymnastik Unterricht ertheilt. An Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften ist Schweden reich genug; auch ist die Kunstbildung bei ihm gut ver- treten. Die Fachliteratur ist, so weit wir sehen, nicht sehr ausgiebig. Die Darstellung von E. Fahräus , Administratif och Statistisk Hand- bock (1864), gibt eine gute Uebersicht über die statistischen Verhältnisse. Rußlands Bildungswesen . Ueber das, bisher so gut als unbekannte Bildungswesen Rußlands liegen jetzt zwei Arbeiten vor, welche in hohem Grade bedeutend genannt werden müssen. Die eine: „Zur Geschichte und Statistik der Gelehrten- und Schulanstalten des k. russ. Ministeriums der Volksaufklärung,“ die zweite: „Beiträge zur Geschichte und Statistik der Gelehrten- und Schulanstalten des k. russ. Ministeriums der Volksaufklärung.“ Nach officiellen Quellen bearbeitet von C. Woldemar, beide von 1865. Es ist das Verhältniß dieser beiden gleichzeitigen Publikationen zu einander nicht ganz klar; im Allgemeinen mag bemerkt werden, daß die erstere mehr einen statistischen, die zweite mehr einen historischen Charakter hat. Es ist wohl sehr schwer, sich ein durchgreifendes Gesammtbild von den hier trefflich geordneten und sehr reichlich mit Material ausgestatteten Mittheilungen zu entwerfen. Im Großen und Ganzen ist der Elementarunterricht noch weit zurück, wie Woldemar selbst gesteht (1 Schule auf 1500, 1 Schüler auf 70 Ein- wohner). Das Elementarschulwesen selbst besteht theils aus Parochial- schulen mit 1 und 2 Klassen, im Ganzen 1846 Schulen des Ministeriums oder Kronschulen, theils aus geistlichen Schulen. Für das ganze Volks- schulwesen ist jedoch unter dem 14. Juli 1864 ein neues Statut erlassen, nach welchem die Verwaltung und Leitung dieser Schulen den Kreis- und Gouvernementsschulen untergeordnet werden soll (Woldemar S. 51). Die Gymnasialbildung ist bedeutend vorgeschritten; Privatlehranstalten auf gleicher Stufe scheinen nur in Petersburg und Moskau zu bestehen. Unklar ist das Verhältniß der Kreisschulen; übrigens sollen dieselben demnächst entweder zu Gymnasien oder zu höheren Volksschulen werden (Woldemar S. 50). Für die Fachbildung ist überhaupt das charakteristische Merkmal der Mangel jeder eigenen wirthschaftlichen Bildungsanstalt; das System der Realschulen einerseits, und das System der wirthschaft- lichen Fachbildungsanstalten scheint nach diesen Angaben gänzlich zu fehlen. Eben so sind die Specialbildungsanstalten bei den Universitäten nicht vorhanden oder mehr nur angedeutet. Der Geist übrigens, der in neuerer Zeit diese Bewegung im Unterrichtswesen belebt, scheint wenigstens nach der Intention der Regierung ein sehr verständiger und freisinniger zu sein. Mit welchem Ernst die Sache, speciell in Beziehung auf das Volks- bildungswesen, betrachtet wird, davon gibt die Darstellung Wolde- mars wohl ein schlagendes Zeugniß. Speciell bedeutsam ist, was er über das neue Princip des Volksschulgesetzes von 1863 sagt: „Die neue Schulordnung beseitigt die Centralisation der Volksschulen. In ökono- mischer Beziehung werden dieselben von den Stadt- und Landgemeinden, von Privatpersonen und denjenigen Ressorts verwaltet, auf deren Kosten sie gegründet sind; in pädagogischer Beziehung sind sie den Schulräthen untergeordnet, die durchaus nicht den Charakter bureau- kratischer Institutionen haben.“ In hohem Grade interessant ist, was über die Universitäten gesagt wird. Charakteristisch ist der Mangel der theologischen Fakultät (mit Ausnahme von Dorpat) und die Scheidung der philosophischen Fakultät in die historisch-philologische und physisch-mathe- matische. Die Staatswissenschaften erscheinen in der juristischen. Für die Technologie besteht ein (ständisches) Institut in Riga seit 1864, nebst einigen Feldmesserinstituten ( Brachelli , Staaten Europas, S. 570). Warum hat Woldemar diese Institute weggelassen? Eine kurze Mit- theilung über Woldemars Publikation mit guten Bemerkungen von Beer und Hochegger in der Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien, Jahrgang 1866, 2. Heft. (Fortschritte des Schulwesens in Europa). Serbiens Bildungswesen . Es möge uns hier gestattet sein, zum Schluß dieser kurzen Charakteristiken einen Blick auf das Bildungs- wesen eines jungen Staats zu werfen, der mit großer Energie und anerkennungswerthem Verständniß in einer, wir sagen geradezu bewun- derungswerth kurzen Zeit, bei sich ein Bildungswesen entwickelt hat, das, allerdings unter dem Drucke der Verhältnisse schwer arbeitend, dennoch in bedeutsamer Weise den Nachbarländern vorangeht. Das System des serbischen Bildungswesens zeichnet sich nämlich dadurch aus, daß es alle Elemente speciell des deutschen Bildungswesens in sich auf- genommen hat, so weit seine Verhältnisse es erlauben. Es besitzt näm- lich ein ziemlich über das ganze Land ausgebreitetes System der Volks- (oder Normal)-schulen für die männlichen und weiblichen Schüler, das System der Gymnasien mit der Unterscheidung zwischen Ober- und Untergymnasien, die Realschulen, und selbst Realgymnasien, dann eine Fachschule für Theologie, und endlich eine Akademie, welche den Athe- näen entspricht. Wir glauben dabei nicht auf Einzelnes eingehen zu sollen, bemerken aber, daß die Regierung in allem Wesentlichen das sehr gute österreichische System für das Recht der Schulen und für den Lehrplan zum Grunde gelegt, und die einzelnen Bestimmungen desselben fast in allen Hauptsachen durchgeführt hat. Dabei bleiben jedoch einige Punkte theils unklar, theils unfertig, theils noch verschieden. Die Realgymnasien (bis jetzt 4) sind in der That nur dem Namen nach von den Realschulen verschieden, und haben die lateinische Sprache nicht aufgenommen. Eigentliche Gewerbeschulen fehlen natürlich in dem noch gewerblosen Lande. Die Gymnasien ihrerseits haben vielmehr den Charakter der eigentlichen Realgymnasien, indem auf ihnen zwar Latei- nisch, aber kein Griechisch gelehrt wird. Die Hochschule oder Akademie in Belgrad ist eine eigenthümliche, durch die Verhältnisse bedingte Verschmelzung der höchsten wissenschaftlichen mit der wirthschaftlichen Bildung, die jedoch noch nicht Umfang und Recht einer Universität hat. Sie enthält bis jetzt drei Fakultäten, die philosophische ( ohne Vor- lesungen über Philosophie, dagegen mit allen Fächern der Staats- wissenschaft, und wieder ohne Griechisch); die technische, die Gegenstände der allgemeinen Technologie — ohne Zeichnen — enthaltend, jedoch mit der ganz verständigen Verpflichtung der Techniker, die Staatswissen- schaften zu hören, und die juridische. Für die Medicin sind die Serben noch auf fremde Universitäten angewiesen. Höchst merkwürdig ist unmittel- bar an der türkischen Gränze die Errichtung einer höheren Mädchenschule, namentlich für Erzieherinnen, die ganz rationell organisirt ist. Für alle diese Fächer gilt der Grundsatz, daß die Regierung dieselben noch erweitern kann. Die studirende Jugend arbeitet mit großem und patrio- tischem Eifer. Im Jahre 1866 hatte die philosophische Fakultät 21, die technische 15, die juridische 162 Studirende; die Theologie hatte 188 Studirende. In allen Gymnasien waren 1828 Schüler, in den männlichen Normalschulen 17,407, in den weiblichen 2400, in der weib- lichen höheren Schule 134 Schüler und Schülerinnen. Die Lehrkörper haben die innere Selbstverwaltung, doch sind die Lehrer selbst noch reine Staatsbeamte. Diese Andeutungen werden genügen, um den ersten positiven Schritt, den Deutschland in der Organisation des serbischen Bildungswesens nach dem Orient gethan hat , zu charakterisiren. (Vergl. die zwar kurze, aber gute Zusammen- stellung der Bestimmungen über das Unterrichtswesen in Serbien bei Tkalac , Staatsrecht des Fürstenthums Serbien, 1838, S. 183 ff.) Rumänien . Der junge Staat hat mit richtigem Verständniß die Herstellung des öffentlichen Bildungswesens für eine seiner ersten und wichtigsten Aufgaben gehalten, und das betreffende Gesetz vom 25. Nov. 1864 (in 418 Artikeln) erlassen. Dasselbe ist in der That sehr weit- läuftig, und beweist vor allem, daß hier für das Bildungswesen noch alles zu ordnen ist. Es darf uns nicht wundern, daß allerlei Dinge darin vorkommen, die unverständlich bleiben, wie z. B. die Bestimmung, daß in den untersten Volksschulen bereits das „Verwaltungsrecht“ auf- genommen ist (Art. 32), und daß eine Universität entstehen soll, wenn mehrere Fakultäten in einem Gebäude zusammen lehren. Im Uebrigen ist es eine an sich nicht uninteressante Zusammenstellung der Grundsätze über das Bildungswesen theils auf deutscher, theils auf französischer Grundlage. Ein einheitlicher und beherrschender Gedanke fehlt, wie es Stein , die Verwaltungslehre. V. 5 wahrlich bis jetzt auch noch an einer selbständig wirkenden und mehr als formell daseienden Behörde fehlt. Die Grundzüge des ganzen Systems ist die Unterscheidung in den Volks-, den mittelbaren und den höheren Unterricht, die entweder öffentlich oder privatim abgehalten werden können. Der Volksunterricht beruht auf den Elementar- schulen in Stadt und Land, mit (beabsichtigten) besonderen Mädchen- schulen; Schulpflicht unter Verantwortlichkeit der Eltern und Vormünder von 8—12 Jahren; Lehrmittel gibt der Staat, Schulhaus und Heizung die Gemeinde; jede Gemeinde hat die Pflicht, wenigstens eine Schule zu haben; Prüfungen öffentlich und halbjährlich. Der mittlere Unterricht ist in das System der Gymnasien und Lyceen einerseits und das der Realschulwesen andererseits geschieden. Die Gymnasien haben 4, die Lyceen 7 Klassen, mit Inspection nach französischem Muster, und Abgangszeugnissen („Diplomen“), Semestralprüfungen, und sehr vielen Lehrgegenständen; neben den alten Sprachen auch deutsch, italienisch, französisch und sogar Nationalökonomie, so daß sie den Charakter von Vorbildungsanstalten nur noch in geringem Maße haben und vielfach als Berufsbildungsanstalten gelten dürfen. Das Realschulsystem ist daneben nicht recht klar geworden; die Realschulen erscheinen vorzugsweise als Privatunternehmungen mit staat- licher Unterstützung. Sie gehen mindestens direkt in wirthschaftliche Be- rufsbildungsanstalten über als Agrikultur-, Industrie- und Handels- schulen, ohne bestimmte Gränze. Für die Lehrerbildung sind eigene Seminarien errichtet, werden vom Staate unterhalten und haben für die Volksschullehrer 4, für die Mittelschulen 7 Klassen, mit Abgangs- prüfungen. Die wissenschaftliche Berufsbildung beruht auf den vier Fakultäten , die aber selbständig stehen und Diplome verleihen; neben ihnen ist die wirthschaftliche Berufsbildung in den Ingenieur- und Forstschulen vertreten. Das Gesetz ordnet dann im II. Abschnitt die Ver- waltung , an deren Spitze der Unterrichtsminister steht, dem ein Unter- richtsrath in doppelter Form beigegeben ist, ein dauernder, und der jährlich nur einmal zusammentretende General-Unterrichtsrath. Jeder Theil des Unterrichtswesens hat dann wieder seine Specialverwaltung; Grundsatz für die Volksschule ist die Verwaltung durch die Gemeinde, unter Aufsicht des Staats, für die Mittelschule und die Fakultäten die Verwaltung durch den Lehrkörper. Bei allen Mängeln ist dieß Gesetz im Ganzen als ein höchst bedeutsamer Fortschritt zu betrachten, und wenn es nur unter den gegebenen Bestimmungen auch wirklich ins Leben treten kann, so wird es gewiß höchst heilsam wirken. Aber frei- lich wird eben die Ausführung die wahre Schwierigkeit enthalten. Besonderer Theil. System. Die Aufgabe des nunmehr folgenden besonderen Theiles ist es nun, den großen Bildungsproceß selbst, der durch das Leben jedes ein- zelnen Volkes hindurch geht, und seine im öffentlichen Rechte des Bildungswesens der einzelnen Staaten gegebene concrete, zur objektiv geltenden Ordnung durch das Gesetz erhobene Gestalt in seine einzelnen Gebiete und Theile aufzulösen, und das für jeden dieser Theile Geltende selbständig darzustellen. Dabei haben wir und jeder, der das Gleiche unternimmt, eine zweifache Aufgabe; und bei dem geradezu unerschöpflichen Reichthum an Einzelheiten in diesen Gebieten ist es unerläßlich, sich darüber Rechenschaft abzulegen. Einerseits kommt es natürlich zuerst darauf an, das Bestehende zu sammeln. Das ist bei dem gegenwärtigen Zustande der Wissenschaft nur noch bis zu einem gewissen, keineswegs hohen Grade möglich. Es ist außerdem unmöglich, alles Gesammelte mitzutheilen, da eine solche Arbeit jeden der Verwaltungslehre entsprechenden Umfang weit über- schreiten würde. Für diesen Theil der Aufgabe muß daher die Ver- waltungslehre theils auf reine Gesetzsammlungen, theils auf Mono- graphien verweisen. Und es ist daher in der Natur der Sache begründet, daß die allgemeine Verwaltungslehre hier formell unvollständig ist und bleiben wird. Andererseits aber ist es von nicht geringerer Wichtigkeit, das ganze öffentliche Bildungsrecht als ein organisches und einheitliches System zu erkennen und den Inhalt dieses Systems als den äußeren Maß- stab an die Ausbildung der geistigen Verwaltung in jedem Lande anzulegen. Die Aufstellung eines solchen Systems enthält eine große Zumuthung an jeden, der sich mit dieser Frage beschäftigt. Es enthält die Forderung, dasselbe entweder als die feste, organische Grund- lage, den Knochenbau des Bildungswesens anzuerkennen, oder ein anderes aufzustellen. Denn es ist ganz unmöglich , ohne ein an- erkanntes System zu einer Vergleichung zu gelangen; das System selbst ist eben dasjenige, worin das Verschiedene seinen gemeinsamen und gleichartigen Ausdruck findet, und das Aufstellen des letzteren ist ja eben die Vergleichung. Dagegen besteht auch der Werth eines Systems nicht eben bloß in der in ihm liegenden formellen Möglichkeit, den sonst unübersehbaren Stoff zu bewältigen, sondern es enthält zugleich die Grundlage des objektiven Urtheils über die Dinge, die man mit ihm messen muß. Und so stehen wir nicht an, hier das System an sich der systematischen Darstellung vorauszusenden. Die allgemeine Grundlage dieses Systems ist nun zunächst aller- dings der Unterschied zwischen der Elementar-, der Berufs- und der allgemeinen Bildung, wie wir denselben bereits bezeichnet haben. Allein diese Grundlage entwickelt sich nun zu einem viel verzweigten Organis- mus, und zwar vermöge des in dem Wesen aller Bildung liegenden Satzes, daß am Ende jeder Theil der Bildung wieder Voraussetzung und zugleich Consequenz aller andern Theile ist. Es ist nun für die formale Auffassung von entschiedener Wichtigkeit, sich hier über die- jenigen Ausdrücke zu einigen, welche eben dieß Verhältniß theils im gewöhnlichen Leben, theils in der Wissenschaft bezeichnen. Diese Aus- drücke sind nun je nach dem Hauptgebiete des Bildungswesens ver- schieden. Wir nennen nämlich denjenigen Theil der Bildung, der äußerlich für sich ein abgeschlossenes Ganze bildet, aber sich selbst als ein innerlich abgeschlossenes nicht anerkennt, die niedere , und den Theil, der diesen Abschluß bringt, die höhere Bildung. Wo dagegen eine Bildung ihren Werth selbst nur in der Vorbereitung für eine andere Stufe sucht, sprechen wir von einer Vorbildung , während die Stufe der fertigen Bildung die Fachbildung ist. Daher sprechen wir von einer niederen und höheren Elementarbildung, oder von einer Vorbildung und Fachbildung im Berufsbildungswesen, während bei der allgemeinen Bildung, die an sich naturgemäß und ungemessen dem Ein- zelnen überlassen bleibt, von dieser Unterscheidung keine Rede ist. Dem- gemäß zerfällt zunächst die Hauptabtheilung der Elementar- und Be- rufsbildung je in zwei Abtheilungen. Dazu kommt nun als zweites systematisches Element die große, unserem Jahrhundert eigene Thatsache, daß sich die Berufsbildung selbst wieder in drei Haupttheile getheilt hat, die wir unten näher zu bezeichnen haben, die gelehrte , die wirthschaftliche und die künst- lerische Berufsbildung. Jedes dieser Gebiete hat seine eigene Ge- schichte, seine eigenen Anstalten, sein eigenes Recht, seine eigene Ent- wicklung in jedem Lande, und hier ist zugleich die Verschiedenheit bei weitem am größten. Für jeden dieser drei Theile gilt aber ferner der Satz, daß derselbe sich in ein System der Vorbildung und der Fach- bildung scheidet; nur sind beide allerdings in jedem Theile nicht bloß dem Namen, sondern auch dem Inhalte nach wesentlich anders. Das Auftreten dieser Elemente erzeugt daher eine weitere, zweite Entwick- lung des formalen Systems, und in diesem Theile ist es unabweisbar, für bestimmte Richtungen und Anstalten bestimmte Namen zu acceptiren, weil es sonst durchaus unmöglich bleibt, zu einem klaren, das Ganze umfassenden Ueberblick zu gelangen, da hier die Gränzen schon an sich oft nur sehr unsicher in der Wirklichkeit gezeichnet sind. Das dritte und schwierigste Element der systematischen Auffassung liegt nun aber wieder in dem höchsten Wesen aller Bildung, nach welchem alle Formen und Stadien derselben wieder eins sind. Diese innere geistige Einheit empfängt ihren Ausdruck in dem, was wir die Uebergänge von einem bestimmten Zweige der Bildung zu einem andern nennen. Diese Uebergänge nämlich erscheinen in doppelter Weise. Entweder liegen sie schon in der bildenden Thätigkeit einer bestimmten Anstalt selbst, oder sie sind in selbständigen , eigends die Funktion des Ueberganges enthaltenden Anstalten gegeben. Sie sind von der höchsten Wichtigkeit, weil sie die Träger der lebendigen und freien Be- wegung bedeuten und sind; aber wie alle Uebergänge bedrohen sie die formale Auffassung mit Verwirrung; jedoch nur so lange, als man ihre Natur nicht kennt. Wir dürfen sie daher jetzt unbedenklich zulassen. Auf dieser Grundlage nun wird es leicht sein, das formale Schema des besonderen Theiles den einzelnen positiven Ausführungen vorauf- zusenden. Die Ausfüllung der betreffenden Kategorien mit den ge- gebenen Systemen der öffentlichen Bildungsanstalten eines einzelnen Landes würden dann die statistische Gestalt, die Ausfüllung mit den bezüglichen Gesetzen das öffentliche Recht des Bildungswesens geben. Eine solche tabellarische Schematisirung hat das Recht, entweder als Beginn oder als letzte Formulirung des Studiums zu gelten. Es kann dieselbe nie genügen, aber es sollte auch niemals fehlen. Wir stellen es daher dem positiven Recht und seiner Darstellung unbedenklich vor- auf — nicht als Wissenschaft, sondern als reine Form derselben, die nicht mehr sein will als sie sein darf. Bildungswesen . Erster Theil. Das Volksschulwesen. Allgemeiner Theil. I. Der Elementarunterricht an sich. Obwohl allerdings die Verwaltungslehre Begriff und Wesen des Elementarunterrichts als bekannt vorauszusetzen hat, so muß derselbe hier dennoch in so weit festgestellt werden, als er seinerseits dem öffent- lichen Rechte zum Grunde liegt. Der Elementarunterricht enthält nämlich seinem formellen Begriffe nach diejenigen Kenntnisse, welche zwar an und für sich ohne In- halt und Werth, dennoch die Bedingungen für die Erwer- bung aller Bildung , ihres Werthes und ihres Inhalts sind. Allerdings kann man nun auf Grundlage dieses Begriffes den- selben für sich betrachten. Allein seinem Wesen nach ist er doch kein abgeschiedenes, äußerlich im gesammten Bildungswesen getrenntes Ganze. Er ist vielmehr in Wahrheit ein Theil des großen organischen Pro- cesses, den wir das Bildungswesen des Volkes nennen. Seine wahre höhere Bedeutung liegt nicht in dem was er ist, sondern in dem was er mög- lich macht. Sein volles und richtiges Verständniß wird daher eben nur in diesem seinem Verhältniß zum Ganzen der geistigen Entwicklung gefunden. Und das muß hervorgehoben werden, weil es in ganz ent- schiedener Weise auf das öffentliche Recht derselben einwirkt. Jenes organische Verhältniß des Elementarunterrichts zum ge- sammten Bildungswesen erzeugt nämlich die beiden Momente, welche ihrerseits einer höhern Auffassung desselben ihren Inhalt geben: die Frage nach seiner formellen Begränzung und die nach seinem socialen Inhalt. Zuerst nämlich folgt aus demselben, daß es nicht möglich ist, für den Elementarunterricht an sich eine feste äußerliche Gränze zu setzen. Es ist daher nicht möglich, theoretisch dasjenige auszuscheiden, was man als specifischen „Elementarunterricht“ zu betrachten hat. Es er- gibt sich vielmehr, daß diese Gränze mit dem Stande des gesammten Bildungswesens nothwendig wechseln muß, und zwar so, daß, je strenger die Unterschiede in den socialen Bildungsverhältnissen sind, desto schärfer auch die Gränze des Elementarunterrichts gezogen wird, während umgekehrt, je freier das geistige Leben eines Volkes ist, um so mehr Gegenstände und Aufgaben auch in den Elementarunterricht hineingezogen werden. Man muß daher sagen, daß zwar die Unter- richt slehre (Pädagogik) stets von der geistigen Natur der Kinder ab- hängt, daß aber die Unterricht sgegenstände vielmehr von den Fak- toren bedingt werden, welche überhaupt den Gang des Bildungswesens beherrschen. Erst in diesem Sinne sprechen wir von einer Geschichte des Elementarunterrichts. Dieselbe besteht in der Entwicklung seines Umfanges und Inhaltes als Grundlage der allgemeinen Bildung, welche ihrerseits gefordert und gesetzt werden durch die Entwicklung der gesell- schaftlichen Ordnungen, und von welcher die Geschichte der Lehrmethode ganz unabhängig ist. Es folgt daraus von selbst, daß der Elementaruntericht nicht bloß ein geistiger, sondern zugleich ein gewaltiger socialer Faktor ist. Da nämlich die elementaren Kenntnisse an und für sich keinen Werth haben, sondern diesen erst in ihrer Verwendung für den Erwerb der geistigen und wirthschaftlichen Güter überhaupt empfangen, diese aber ihrerseits die Erfüllung und höchste Verwirklichung der Idee der Persönlichkeit bilden, so empfängt damit der Erwerb dieser elementaren Bildung den Sinn und die praktische Bedeutung, daß der, der sie er- wirbt, vermöge derselben alle geistigen und wirthschaftlichen Güter nach seiner Individualität zu gewinnen berufen und berechtigt wird. In der That findet bei der reinen elementaren Bildung aller Zeiten und Völker dieselbe auch nie einfach um ihrer selbst willen, sondern naturgemäß stets als Mittel und unabweisbare Bedingung für den Erwerb der höhern Güter statt. Es ist unmöglich, bei ihnen ein- fach stehen zu bleiben. Indem nun aber diese geistigen Güter ihrem Wesen nach für alle gemeinsam und gleich sind, so ist der Elementarunterricht zugleich das, in Gestalt des Erwerbes dieser Güter ausgedrückte Princip der gleichen Bestimmung aller Persönlichkeit, und damit des Rechts derselben. Inhalt, Umfang, Allgemeinheit und Freiheit des Elementarunterrichts bedeuten daher in ihrem Kreise die Kraft und die Richtung der ganzen socialen Bewegung einer Epoche, und zwar in der Weise, daß die Ent- stehung und Ausdehnung desselben so wie seine organische Verbindung mit dem allgemeinen Bildungswesen den großen Proceß der Hebung der niedern Klassen überhaupt, speziell aber den der Erhebung derselben zu dem geistigen Leben der höhern bedeuten. Es ist daher ohne eine wohl organisirte Elementarbildung gar kein wahrer socialer Fortschritt möglich; wo derselbe dagegen fehlt, fehlt das große ver- mittelnde geistige Glied für den Uebergang von einer Klasse zur andern, mit ihm das Element der Ausgleichung der Klassengegensätze, und der sociale Kampf wird daher ein roher und gewaltsamer, der die Vernich- tung der Wohlfahrt zum Inhalt und die Despotie zur Folge hat. Nur der tüchtige und allgemeine Elementarunterricht kann das ändern, fast mehr noch durch sein Princip als durch seinen Inhalt. Wo eine gute und fortschreitende Elementarbildung vorhanden ist, da ist einerseits zwar der sociale Fortschritt der niedern Klasse ein unaufhaltsamer , aber da wird mit der steigenden Bildung auch die gewaltsame Revo- lution mehr und mehr unmöglich. Der innere und lebendige Zusammen- hang des geistigen und wirthschaftlichen Lebens mit dem gesellschaftlichen ist ein so unzweifelhafter, daß diese Sätze keines Beweises bedürfen, ja daß die gegenseitige Einwirkung und der sociale Proceß nicht einmal eines Bewußtseins von Seiten des Unterrichts bedarf; er vollzieht sich von selbst. Aber die Verwaltungslehre muß ihn kennen, weil auf ihm das öffentliche Recht des Elementarunterrichts überhaupt beruht. II. Das Volksschulwesen. — Die Principien seines Rechts und seiner Ver- waltung. Aus dem Elementarunterricht, welcher der Pädagogik gehört, ent- steht nun das Volksschulwesen , indem der Elementarunterricht Gegenstand der Verwaltung und des öffentlichen Rechts wird. Das Volksschulwesen ist daher der durch die Verwaltung principiell als nothwendig anerkannte und durch die Anstalten der Verwaltung (im weitesten Sinn) öffentlich dargebotene Elementarunterricht. Die Lehre vom Volksschulwesen ist daher eine ganz andere als die Lehre vom Elementarunterricht, sowohl in ihrem Inhalt als in ihrer Geschichte, obwohl die erstere natürlich die letztere zu Voraussetzung hat. Während die letztere mit dem Wesen der Bildung an sich zu thun hat, hat die erstere es mit dem Staate zu thun; während die letztere ihre Grundlagen aus der Psychologie und Pädagogik nimmt, muß die erstere sie aus der Verwaltung nehmen. Alles richtige Verständniß wird daher gefährdet, so wie man beide Standpunkte, Begriffe und Aufgaben vermengt. Die Elemente des Volksschulwesens in dieser Scheidung vom Elemen- tarunterricht sind nun folgende: I. Allerdings findet aller Elementarunterricht ursprünglich und immer zunächst in der Familie statt. Allein hier erscheint er stets als als das untergeordnete und zufällige Moment neben demjenigen, was die Familie als solche vorzugsweise zu leisten fähig und berufen ist. Dieß ist die Bildung des Charakters und die Einfügung desselben in die allgemeine Sitte, die geistige und gesellschaftliche Ordnung. Diese Bildung nennen wir die Erziehung . Sie hat ihre Grundsätze und Regeln für sich und bildet kein Gebiet der unmittelbaren Thätigkeit der Verwaltung. Allein in der Erziehung bleibt der Unterricht zufällig in Vorhandensein und Umfang, willkürlich in seiner Gestalt, abhängig von allen Verhältnissen der Familie, namentlich aber von den Besitzesverhält- nissen derselben. Der Elementarunterricht wird daher, so lange er auf die Familie angewiesen ist, durchschnittlich ein sehr ungleichartiger, und bei der ganzen Klasse der Nichtbesitzenden meist ganz hinfälliger. Mit ihm wird die allgemeine Bildung und der in ihr enthaltene Fortschritt selbst zufällig, unorganisch und für die ganze Klasse der Nichtbesitzenden fast geradezu unmöglich. Von dieser Thatsache hat das Volksschulwesen zunächst im Allgemeinen auszugehen. Wenn es nämlich trotzdem feststeht, daß die Elementarbildung die erste Bedingung, und ihre formelle Allgemeinheit und Gleichheit die formelle Voraussetzung aller gleichen und gemeinsamen Entwicklung des Gesammtlebens bleibt, so tritt die entscheidende Frage auf, wie sich die Verwaltung des Staats als Vertreter der höchsten Gesammtinteressen zu dieser absoluten Voraussetzung alles höheren geistigen Lebens ihrer- seits erhalten soll. Die Antwort darauf liegt principiell im höchsten Begriffe der Ver- waltung selbst. Ist es nämlich wahr, daß die Verwaltung ihrem Princip nach über- haupt diese absoluten Bedingungen des allgemeinen Fortschrittes her- stellen muß, so muß sie auch diese Elementarbildung als eine ihrer Aufgaben ansehen. Sie kann dieselben daher weder von der zufälligen Auffassung in der einzelnen Familie, noch von den Besitzverhältnissen derselben ganz abhängig lassen; der Elementarunterricht ist vielmehr, da er die Bildung des Kindes enthält, eine dem Einzelnen nicht mehr ganz zu überlassende Bedingung seiner Entwicklung, und die Ver- waltung muß demnach hier wie immer diese Bedingung herstellen, so weit sie vom Einzelnen nicht ertheilt werden kann. Daraus ergibt sich das allgemeine leitende Princip alles Volksschulwesens, das ist also die Elementarbildung als Gegenstand der Verwaltung. Die Verwaltung muß dieselbe von den Zufälligkeiten des Familienlebens unabhängig machen und sie selbständig neben die Erziehung hinstellen; zweitens muß sie für dieselbe mit Anstalten sorgen, welche für jeden die Möglich- keit bieten, sie auch unabhängig von den Familienverhältnissen zu ge- nießen. Diese Anstalten der Verwaltung für den von der Erziehung getrennten Elementarunterricht sind die Volksschulen , und die Ge- sammtheit der auf dieselben bezüglichen Vorschriften und Thätigkeiten bilden das Volksschulwesen . Das Volksschulwesen ist demnach, als das öffentliche Recht des Elementarunterrichts , ein organischer selbständiger Theil der Verwaltung. Sie ist keine Pädagogik, sondern enthält nur die An- wendung der Grundsätze der letztern, so weit die Verwaltung den Elementarunterricht selbst herstellt. Die Gränzen und Formen nun, innerhalb deren dieß letztere geschieht, bilden ihrerseits dem Inhalt dieses öffentlichen Rechts oder der Verwaltung des Volksschulwesens. II. Der Elemente dieses öffentlichen Rechts aber liegen allerdings in dem Wesen des Elementarunterrichts. Der Elementarunterricht erscheint zunächst als die Grundlage des gesammten geistigen Lebensprocesses des Volkes. Die Nothwendigkeit des letztern erzeugt somit den Grundsatz für die Verwaltung, den Elemen- tarunterricht selbst zu einer Pflicht für den Einzelnen zu machen. So entsteht der Begriff und das Recht der Schulpflicht im allgemeinen Sinne des Wortes, welche neben der Pflicht der Einzelnen die Schule für den Elementarunterricht zu besuchen, zugleich die Pflicht für die Verwaltung enthält, diese Schule mit ihren Bedingungen auch herzustellen. Dieselbe Wichtigkeit des Elementarunterrichts aber erzeugt nun mit der allgemeinen Gesittung zugleich das Bedürfniß nach demselben bei dem Ein- zelnen, und damit ein von Einzelnen sowie von den Selbstverwaltungs- körpern ausgehendes privates Elementarunterrichtswesen. So weit ein solches auf eigenen Mitteln beruht, tritt für dasselbe der allgemeine Grund- satz aller Funktionen der Einzelnen ein, welche eine öffentlich rechtliche Aufgabe erfüllen. Das Recht der Verwaltung erscheint hier als Ober- aufsicht über jede private Elementarunterrichtsanstalt und fällt damit unter die Thätigkeit des öffentlichen Volksschulwesens. Wo aber die Ver- waltung aus was immer für Gründen solche Anstalten zum Theil aus öffentlichen Mitteln unterstützen muß, da erweitert sich dieß Recht der Ober- aufsicht zur Theilnahme an der Verwaltung einer solchen Anstalt, natur- gemäß in dem Maße, in welchem die Unterstützung selbst eine größere ist. Auf diese Weise erscheint das öffentliche Recht der Elementarbildung in den drei Grundformen der Schulpflicht mit der ganzen dazu gehörigen Verwaltung für die eigentlich öffentliche Volksschule, der Oberaufsicht für die Privat-Elementarschule und der Theilnahme an dem Schulwesen der Selbstverwaltungskörper und Vereine. III. Der Inhalt dieses öffentlichen Rechts bezeichnet nun das- jenige, was die Verwaltung in Beziehung auf den Elementarunterricht in jenen drei Formen zu thun hat. Dieß nun bestimmt sich aus dem Verhältniß der Elementarbildung zu der eigentlichen allgemeinsten Auf- gabe der Verwaltung, der Entwicklung des Gesammtlebens der geistigen Welt. In der That wird der Elementarunterricht erst dann seiner Idee entsprechen, wenn er seinen pädagogischen Grundgedanken nach nicht als etwas für sich bestehendes, sondern als ein organischer Theil des großen Bildungsprocesses erscheint, der durch den Erwerb der geistigen Güter die Gesammtheit erheben und veredeln, namentlich aber die niedere Klasse zur höhern Bildung fähig machen soll. Wir haben dieß Ver- hältniß als das sociale Element des Elementarunterrichts bezeichnet. Die Aufgabe des öffentlichen Rechts liegt für den Staat demnach darin, jenes ethisch-sociale Princip der Elementarbildung recht- lich zum Ausdruck zu bringen , das ist, dem Elementarunterricht einen solchen Inhalt zu geben, daß er formell und materiell den orga- ganischen Zusammenhang mit der höhern Bildung, als Vorberei- tung für dieselbe, enthalte. In diesem Sinn wird es das leitende Rechtsprincip für die Verwaltung des Volksschulwesens sein, durch ihre Bestimmungen und Thätigkeiten im Unterrichte selbst die Gewähr dafür hinzustellen, daß der Elementarunterricht im Geiste der socialen Ent- wicklung kein abgeschlossenes Ganze, sondern ein System sei, dessen Schlußpunkt als Uebergang zu den höheren Bildungsstufen erscheine. Das formelle Mittel dafür ist, daß derselbe in verschiedenen Klassen vor sich gehe. Die Klasse ist nicht bloß eine formelle Abtheilung des Unterrichts, sondern sie ist vielmehr der objektive Ausdruck des orga- nischen Zusammenhangs der Elementarbildung mit der höheren Bil- dung überhaupt, die Erklärung, daß der Elementarunterricht an und für sich die Aufgabe habe, nur als Stufe, Vorbereitung und Einlei- tung zu jeder Bildung zu erscheinen. Das Klassensystem der Elementarbildung erscheint daher als die allgemeine Bedingung der richtigen höheren Funktion der letzteren, und seine Aufstellung in höher gebildeten Völkern als ein Princip des Volksschulwesens; es ist in der That das eigentlich sociale Princip des Elementarunterrichts und die Anerkennung desselben erscheint damit als der Punkt des öffent- lichen Rechts des letztern oder als dasjenige Princip des Volksschul- wesens, in welchem die höhere Idee der gesellschaftlichen Entwicklung in der geistigen Verwaltung ihren ersten und vielleicht wichtigsten Aus- druck findet. Der zweite große Grundsatz des Elementarschulwesens ist nun der, nicht bloß mehr im Allgemeinen das weibliche Geschlecht neben männlichen an demselben Theil nehmen zu lassen, sondern so viel als möglich dieselben nach der Eigenthümlichkeit und der künftigen Bestim- mung derselben in selbständigen Anstalten neben der männlichen Schule hinzustellen. Es ist das ein großer Fortschritt; aber wir müssen ge- stehen, daß dieß alles nur noch im Anfange ist, und daß das eigent- liche weibliche Element der Erziehung und Bildung noch stark unter dem Gedanken leidet, daß die möglichste Gleichartigkeit das wahre Ziel dieser Bestrebungen sein müsse. Wir glauben, daß die hier einschlagenden Fragen den Fachmännern überwiesen werden sollen; so viel scheint un- zweifelhaft, daß wir die folgenden Sätze ohne weitere Bezeichnung zu- gleich als für die weibliche Erziehung und Bildung annehmen dürfen, bis es der nächsten Zukunft klar werden wird, daß es eine Lehre und damit auch eine Bildung der Hausfrauen gibt, die dereinst ihre eigen- thümlichen Forderungen auch an die Verwaltung zu stellen wissen wird. Das Mittel nun, vermöge deren die Verwaltung diese Aufgaben vollzieht, sind einerseits die Organisirung der Lehrerbildung , anderer- seits die Bestimmung der Lehrordnung . Das sind die beiden großen Gebiete, in denen der wahre Kern des Verhältnisses der Verwaltung zum Unterrichtswesen liegt. Ob mit oder ohne Bewußtsein über ihre sociale Bedeutung öffentlich rechtlich geordnet, immer sind es, an denen man den eigentlichen Geist des öffentlichen Unterrichtswesens verstehen lernt. Hier ist die Form untergeordnet, denn der Gedanke schafft sich dieselbe von selbst; aber es ist gänzlich einseitig, in beiden nur päda- gogische oder gar nur didaktische Elemente zu sehen. Erst in ihrer organischen Beziehung zum gesammten Bildungsleben empfangen sie ihre wahre Bedeutung. IV. An diesem Standpunkt nun schließt sich in einfacher Weise das letzte große Element des Volksschulwesens, die formelle Aufnahme desselben in das System der Verwaltung und ihrer Organisation . So wie aus der Elementarbildung das Volksschulwesen wird, so muß dasselbe das ganze Volk umfassen; es muß auf allen Punkten für alle Klassen und Orte wesentlich gleich sein; es muß allenthalben, sei es als Staats- oder Privatschule, dieselben Grundsätze für Lehrer und Lehre zum Inhalt haben; die Verwaltung muß daher ihre große Funktion als Ganzes in Ausübung bringen; sie muß das Volksschulwesen als dauernden und gleichmäßigen Theil ihre Aufgabe aufnehmen und zu- gleich mit dem gesammten übrigen Bildungswesen in innigste organische Verbindung bringen. Diese Einheit desselben mit der gesammten geistigen Welt erscheint nun in der Verwaltung durch die Aufnahme in das Unterrichtsministerium , und es ist klar, daß das letztere daher nicht bloß ein formaler Verwaltungsorganismus ist, sondern als ein großes administratives und sociales Princip erscheint, entstanden aus der Gewalt der oben dargelegten Grundsätze, und sie wiederum mit der ganzen Macht des Staats verwirklichend. Die innere Organi- sation dieses Ministeriums ist dabei im Großen und Ganzen stets durch gleichartige Natur seines Objects gleich , wenn auch im Einzelnen sehr verschieden; das Wesentliche aber ist, daß derselbe das Volksschulwesen als einen selbständigen Theil seiner großen, das ganze geistige Leben des Volkes umfassenden Aufgabe erfasse und durchführe. Das nun sind die leitenden Gedanken für das Volksschulwesen. Die Lehre von der Verwaltung desselben ist daher eine, neben der Pädagogik gänzlich selbständige. Sie gehört der Verwaltungslehre, wie ihre Organisation der Organisation der Verwaltung, und ihr In- halt ist öffentliches Recht der Elementarbildung. Die Darstellung dieses öffentlichen Rechts hat nun aber allerdings die große Schwierigkeit, daß es bei den einzelnen Völkern ein sehr ver- schiedenes ist. Es wird daher nothwendig, diejenigen Punkte festzu- stellen, auf welche diese Verschiedenheiten gleichmäßig zurückgeführt wer- den können, indem sie eben für alle gleiche Gültigkeit haben. Ohne eine solche Feststellung des Maßstabes, der in keinem Volke erschöpft, erst demselben ihren wahren Charakter zuweist, gibt es keine Ver- gleichung. Diese Punkte aber bestehen einerseits in dem was wir den Cha- rakter des Volksschulwesens, anderseits in dem, was wir sein System nennen. Wir werden beides bei der großen Wichtigkeit der Sache be- sonders behandeln und auf dasselbe die Rechtszustände der großen Kul- turvölker zurückführen. III. Das Volksschulwesen der großen Kulturvölker. 1) Was man als Charakter des Volksschulwesens zu bezeichnen hat . Dem Obigen gemäß wird nun der Charakter dessen, was wir im specifischen Sinn das Volksschulwesen nennen, nicht in den päda- gogischen Elementen des Elementarunterrichts liegen. Die Begriffs- bestimmung dieses Charakters, der für die ganze Wissenschaft von ent- scheidender Bedeutung ist, bildet sich vielmehr in einer andern Weise, und kann nur in dieser zum vergleichenden Verständniß des elementaren Bildungswesens führen. Das Volksschulwesen als Aufgabe der Verwaltung greift nämlich zuerst theils in die Rechtssphäre derjenigen hinein, welche den Ele- mentarunterricht empfangen, theils derjenigen, welche ihn geben. Zu dem Ende muß sie sich des hohen ethischen und socialen Princips be- wußt sein, welche sie dazu berechtigt, und einen dazu beweglichen Organismus haben; sie muß endlich den letzteren mit denjenigen Rechten ausstatten, welche sie im Namen des ersteren fordern kann. Sie ist daher im Volksschulwesen stets eine Beschränkung der persönlichen Freiheit im Namen der geistigen Gesammtinteressen . Diese im Volksschulwesen liegende Beschränkung der persönlichen Freiheit geht nur von der Verwaltung aus. Allein die Verwaltung selbst ist kein einfacher Begriff. Die vollziehende Gewalt hat vielmehr gezeigt, daß dieselbe drei sehr verschiedene Grundformen hat, die staatliche Verwal- tung, die Selbstverwaltung und das Vereinswesen. Jeder dieser drei Organismen hat seinen eigenen Charakter. In der Hand eines jeden derselben gestaltet sich daher auch das Volksschulwesen anders. Der Einfluß der Gewalten, welche das öffentliche Recht desselben bestimmen und leiten, ist von entscheidender Bedeutung für die Ordnung und selbst für die Leistungen des Volksschulwesens. Und nun nennen wir die Auffassung der Aufgabe des Staats für den Volksunterricht, und das organische und rechtliche Verhältniß jener drei Grundformen der Verwaltung zu der Erfüllung dieser Aufgaben oder zur Herstellung und Leitung des wirklichen Volksschulwesens den Charakter desselben. Dieser allgemeine Begriff des Charakters des Volksschulwesens be- deutet daher wieder etwas anderes, als das System des Elementar- unterrichts; er wird auch wesentlich durch etwas anderes gebildet; ihm liegt nicht mehr die Pädagogik mit ihren Regeln und Principien, son- dern vielmehr die Staatsidee selbst zum Grunde, in dem Grade und der Art, wie sie in der Verwaltung jedes Volkes erscheint. Daher denn ist dieser Charakter zugleich in der Wirklichkeit etwas individuelles . Jeder Staat hat seinen Charakter des Volksschulwesens, und es kann ganz wohl möglich sein, daß die Pädagogik in verschiedenen Ländern dieselbe, das Volksschulwesen dagegen ein sehr verschiedenes ist. Hier ist eben der Punkt, wo das vergleichende Verwaltungsrecht beginnt, für welches das Folgende den Umriß geben soll. Die drei Hauptgebiete, auf welche das den Charakter eines gelten- den Volksschulwesens bildende positive Volksschulrecht seine Anwendung findet, sind nun folgende. Jede Regierung muß zuerst für das Volksschulwesen ein allgemeines Princip aufstellen, aus welchem das Recht desselben hervorgeht. Dieß Rechtsprincip bestimmt die Schulpflicht, die Gränze der Oberaufsicht und die wirkliche Theilnahme der Verwaltung an der Elementarbildung des Volkes. Aus ihr geht das eigentliche Verwaltung srecht des Volks- schulwesens hervor. Jede Regierung muß zweitens für die Vollziehung dieser Bestim- mungen ihres Schulrechts einen Organismus schaffen, der ein dop- pelter ist. Einerseits muß derselbe das Recht vollziehen, also nur ein eigentlicher Verwaltungsorganismus sein. Andererseits muß er in der Organisation der Lehranstalten bestehen, namentlich das Lehrer- wesen als einen Theil der Verwaltung enthalten. In beiden liegt der Ausdruck des pädagogischen Princips des Volksschulwesens. Endlich muß jede Regierung das letztere in seiner socialen Bedeutung auffassen, und in diesem Sinn einerseits principiell die Lehrordnung, ander- seits, als formellen Ausdruck derselben, das Klassensystem ordnen. Beides zusammen bildet das sociale Element im Charakter des Volksschulwesens. In diesen Momenten ist nun der Maßstab gegeben, nach welchem die Höhe und der Werth jedes Volksschulwesens gemessen werden kann. Jedes Volksschulwesen eines Landes bestimmt sich nach Schulrecht, Schulorganismus und Umfang und Ordnung des Unterrichts. Auf diese Grundverhältnisse führt am Ende jede über die bloße Darstellung der gegebenen Zustände hinausgehende Betrachtung zurück. Und in ihnen liegt auch das, was wir die Vergleichung , ja endlich das, was wir die Geschichte des Volksschulwesens nennen. Denn in der That ist nicht bloß das Volksschulwesen jedes Landes von dem aller andern oft wesentlich verschieden, sondern man kann jetzt im wissenschaftlichen Sinn sagen, daß jedes Volk seinen Charakter des Volksschulwesens hat. Es ist eine der wichtigsten, aber auch der schwierigsten Aufgaben, diesen Charakter zu bestimmen. Dennoch kann sie nicht erlassen werden. Ueberblickt man nun die Staaten von Europa und seine großen Verwaltungszustände, so zeigt es sich auch hier, daß das Verwaltungs- recht des Volksschulwesens so gut wie das ganze übrige Verwaltungs- recht die drei europäischen Grundformen hat, denen wir allenthalben begegnen, die deutsche, die französische und die englische. Das Wesen des deutschen besteht darin, daß es von der Wissenschaft erzeugt ist, welche in den Gesetzgebungen der einzelnen deutschen Staaten ihren Ausdruck gefunden hat. Das Wesen des französischen beruht auf der rein administrativen Organisation, neben der sich vermöge ihrer großen Unvollkommenheit ein freies Elementarunterrichtswesen selbständig und fast unbeaufsichtigt gebildet hat. Das Wesen der englischen geht aus der völligen Abwesenheit jeder allgemeinen Verwaltungsthätigkeit und dem Ueberlassensein der Elementarbildung an die Einzelnen hervor. Deutschland zeigt uns daher, was die Wissenschaft , Frankreich was die Staatsverwaltung , England was die individuelle Kraft vermag. Der Sieg, den Deutschland auf diesem Gebiete täglich erringt, beweist uns aber, daß es doch zuletzt keine andere wahre Leiterin auch in den geistigen Fragen der Verwaltung gibt, als die freie , von ihrem Volke und von ihren Regierungen verstandene Wissenschaft. — Alle übrigen Staaten Europa’s haben nun neben diesen drei Hauptkultur- völkern keinen besonderen Charakter. Ihr Volksschulwesen im Ganzen ist allenthalben nur eine Modifikation oder Verschmelzung dessen, was wir in jenen drei Ländern finden. Die Charakterisirung derselben muß uns daher genügen, und kann es vollständig. Die Besonderheiten im Einzelnen sollen dann im besondern Theile von jeder Stelle auf- geführt werden. Es wird uns wohl gestattet sein, hier von jeder Kritik der bis- herigen Literatur, welche statt der Vergleichung nur allerdings höchst reichhaltige Zusammenstellungen geliefert hat, abzusehen. Wenn wir eine Hoffnung aussprechen dürfen, so wäre es die, daß die künftige vergleichende Literatur die beste Kritik der bisherigen zusammen- stellenden durch sich selbst bilden möge. Wir bemerken nur zum Schluß, daß das belgische Volksschulwesen mit seinen Hauptgesetzen vom 23. September 1842 und vom 15. August 1846 wesentlich französische Formen, das holländische dagegen mit (dem Hauptgesetz vom 13. Aug. 1857) und eben so das dänische deutsche Grundsätze hat, während das englische Volksschulwesen ohne formelle Nachfolge geblieben ist. (S. unten das Spezielle.) 2) Deutschlands Volksschulwesen und die Elemente seiner Geschichte . Es ist kein Zweifel, daß das Volksschulwesen Deutschlands das beste unter den bestehenden, der Stolz des deutschen Volkes ist. Es kommt aber für die Wissenschaft darauf an, den Werth desselben auf jene organischen Begriffe zurückzuführen, welche den Charakter des Volksschulwesens auch in Deutschland bilden. Das Rechtsp rincip des deutschen Volksschulwesens ist die Schul- pflicht mit allen ihren Consequenzen. Die Organisation desselben aber als Mittel der Verwirklichung dieser Pflicht beruht auf der Selbst- thätigkeit des Volkes für seine eigene Elementarbildung, theils durch das Schulwesen der Selbstverwaltungskörper, theils durch den Privat- unterricht, und besteht daher wesentlich in der oberaufsehenden Thätigkeit und ihren Organen. Das sociale Element, die organische Verbindung des Elementarunterrichts mit der höheren Bildung, ist durch ein systematisch durchgeführtes Klassensystem, an das sich sogar Stein , die Verwaltungslehre. V. 6 ein Prüfungssystem anschließt, in einer Weise anerkannt, wie es nie- mals in der Geschichte da war. Daher gibt es keine Volksbildung, die mit der deutschen in ihren Grundzügen und ihrem Bestande ver- glichen werden könnte. Alle Mängel, die sie hat, liegen nicht in ihr, sondern in den andern Elementen des deutschen Volksgeistes. Wir stellen sie daher mit den Elementen ihrer Geschichte an die Spitze aller Darstellung des positiven Volksschulwesens. Die Geschichte des Volksschulrechts in Deutschland ist neben der der Berufsbildungsanstalten nur sehr wenig bearbeitet; vielleicht eben weil sie noch so jung ist. Die großen Grundzüge derselben aber sind trotzdem leicht zu bestimmen. Sie zeigen uns, wie die Volksschule als Bürgerschule neben den ständischen Berufsschulen zuerst selbständig ent- steht, wie sie dann im achtzehnten Jahrhundert zu einer Aufgabe der Verwaltung als kulturpolizeiliches Institut wird, wie sich aber die Selbstverwaltung der Gemeinde in ihr erhält, wie sie aus den stän- dischen Körperschaften der Berufsschulen die Selbstthätigkeit und das Recht der Lehrkörper aufnimmt, wie sie die Gemeinschaft mit dem Privatunterricht durch die gemeinschaftliche Lehrerbildung aufrecht hält und endlich den höchsten Standpunkt erreicht, indem sie in den Ver- fassungen als organische Aufgabe der höchsten Staatsverwaltungen grund- gesetzlich anerkannt wird; in allen diesen Zeiten immer ihre große har- monische sociale Mission mit gleicher ethischer Hingebung erfüllend, zur Ehre und zum Segen des deutschen Volkes. I. Das Volksschulwesen beginnt, wie es seine Natur fordert, in der Wiege der staatsbürgerlichen Gesellschaft, der Stadtgemeinde. Die Landgemeinde, die Heimath der ständischen Herrschaft, kennt dasselbe noch nicht. Aber auch in der Stadtgemeinde ist sie noch im siebzehnten und zum Theil achtzehnten Jahrhundert Glied des gesammten Bildungs- wesens der niederen Klasse. Ein Uebergang zu dem Gebiet der stän- dischen Berufsbildung in den gelehrten Schulen findet noch nicht statt. Dagegen steht die gesammte Volksbildung unter der kirchlichen Ver- waltung, und diese wird noch im Westphälischen Frieden als dafür naturgemäß berechtigt und berufen anerkannt. (Justizpolizeiordnung, Art. V. 31. XIII. 4. 25. VII. 1. auf Grundlage des C. 1. 3. 5. de magistris. ) Erst mit dem achtzehnten Jahrhundert wird anerkannt, daß die elementare Bildung eine Bedingung der gesammten Wohlfahrt des Staats sei, und daher einen Gegenstand der neu entstehenden „Polizei“ und „Polizeiwissenschaft“ bilde. Die staatliche Verwaltung, ihren Gegen- satz zu der ständischen immer bestimmter entwickelnd, wendet sich daher auch dem Volksschulwesen zu, und die junge Verwaltungslehre sowohl im Jus naturae als in der Politia vindicirt dasselbe dem Staate. Den Ausdruck dieser Bewegung bilden die Schulordnungen des achtzehnten Jahrhunderts, die freilich anfänglich auch die Berufsschulen (gelehrten Schulen) mit umfassen, gegen Mitte des Jahrhunderts jedoch schon die eigentliche Volks- oder Elementarschule selbständig behandeln, und den großen Grundsatz der öffentlichen Schulpflicht gesetzlich aussprechen. Das ist der Beginn eines selbständigen Volksschulwesens; denn in ihm lag die Anerkennung der Pflicht des Einzelnen, sich die elementaren Kennt- nisse zu erwerben, die Pflicht der Gemeinschaft, die Elementarschulen herzustellen, mit der Pflicht des Staats, über Beides zu wachen. Allein während die Schulordnungen dieß vorschrieben, überließen sie die Voll- ziehung ihrer Vorschriften den örtlichen Organen und beschränkten die Thätigkeit der staatlichen Verwaltung auf die Oberaufsicht. Die Ge- meinden aber trugen noch ganz den ständischen Charakter, vor allen die Landgemeinde, so daß noch am Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Frage entstehen konnte, ob überhaupt „Landstädte“ das Recht hätten, niedere Schulen zu errichten. Schule, Lehrer und Lehre der Volksschule blieben daher unter der Herrschaft der ständischen Principien, wenig geachtet, meist elend ausgerüstet, aber getragen durch das lebendige Be- wußtsein ihrer großen, wenn auch unscheinbaren Aufgabe, während neben ihnen die Berufsbildungsanstalten, reichlich ausgestattet und geehrt, bereits von der freieren Bewegung getragen werden. Jene gehören noch der Grundherrlichkeit . Die Schule ist wie die Wege, das Armen- wesen, die Sicherheitspolizei, eine Anstalt des Grundherrn; der Schul- lehrer ist ein herrschaftlicher Diener; die Lehre muß bei den Elementen stehen bleiben, die für den halb Leibeigenen als ausreichend gelten. Das einzige Band, welches sie mit dem höhern geistigen Leben ver- bindet, ist und bleibt die Geistlichkeit, die ihr Recht an der Schule wahrt, ohne dem Grundherrn unterthan zu sein. Dieß Recht war noch im vorigen Jahrhundert eine sehr wesentliche Bedingung für die An- erkennung der geistigen und socialen Bedeutung, ja sogar für die Exi- stenz der Volksschule in vielen Theilen Europa’s. Man soll das in dem unsirgen nicht vergessen. Von dieser Grundlage vermag sich daher das entstehende öffent- liche Volksbildungsrecht der Elementarschulen nicht loszulösen, da eben die Grundherrlichkeit bestehen bleibt. Die Verwaltung der Volksschule besteht daher in dieser Zeit aus den drei Elementen der staatlichen Oberaufsicht, des Gutsherrn als örtliche (Gerichts-) Obrigkeit, und des Ortspfarrers. Der Unterschied zwischen der evangelischen und der katho- lischen Schulverwaltung besteht nicht in einer Verschiedenheit jener Grundlagen, sondern nur in dem höheren Maß der Berechtigung des kirchlichen Organismus; am deutlichsten zeigen dieß die österreichischen Schulordnungen und die preußischen aus der Mitte des vorigen Jahr- hunderts. Der geistige Aufschwung des Volksschulwesens mußte daher in dieser Epoche von einer andern als der rechtlichen Seite kommen. II. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gelangt die staatsbürgerliche Gesellschaft zum Bewußtsein ihres Princips, und damit zur Erkenntniß der geistigen Bedingungen aller Entwicklung. Die Idee der gleichen geistigen Berechtigung und Bestimmung tritt auch in das Bildungswesen über. Hier erscheint sie negativ allerdings zuerst in dem Haß und Kampf gegen die auf ständischen Grundlagen ruhende gelehrte Bildung; viel wichtiger aber ist ihre positive Richtung. Die letztere fordert zuerst und zumeist, daß mit und durch den Erwerb der Kenntnisse zugleich der Charakter , die persönliche geistige Selbständig- keit und Selbstthätigkeit ausgebildet werde. Diese Charakterbildung erhebt sich zur eigenen Wissenschaft, und diese Wissenschaft ist die Pä- dagogik. Für sie ist die Kenntniß nur ein Mittel zum Zweck, die Bildung nur ein Moment der Erziehung. Die Aufgabe des Lehrers, aber auch jedes Lehrers, also wesentlich auch des Volksschullehrers, ist das Heranbilden des Individuums zu einem tüchtigen Manne. Er selbst muß daher zuerst ein tüchtiger Mann sein, und in ihm schätze und ehre ich dann die lebendige Grundkraft der wahren Volkserzie- hung , die alle Staatsbürger durch gleiche Bildung zu gleicher Stellung erhebt. Das ist das Element, welches die Pädagogik des vorigen Jahr- hunderts in das Volksschulwesen hinein bringt, und mit dem es dasselbe erhebt, veredelt, in seiner kläglichen Stellung zu muthiger Arbeit be- geistert. In ihm lag der Keim der Befreiung von ständischer Beschränkt- heit; es konnte zwar das öffentliche Recht der Volksschule noch nicht ändern, aber es bereitete den Aufschwung der nächsten Zeit vor, und die Namen von Männern wie Pestalozzi, Basedow, Dinter und andern werden in der Geschichte des menschlichen Geistes ewig ihren Platz behalten. Das, was diese Richtung vorbereitet, fand nun einen festen Boden in der mit dem neunzehnten Jahrhundert sich umgestaltenden öffent- lichen Rechtsordnung. Diese forderte eine Vertretung des Volkes. Was aber nützt die Vertretung, wenn der Vertretene und der Vertretende kein gemeinsames staatliches Bewußtsein haben? Wird ein Volk frei durch die Formen der Freiheit? Will der Staat wirklich frei sein, so mache er zunächst freie Männer aus seinen Staatsangehörigen. Und welches ist das Mittel dafür? Es ist kein Zweifel — Bildung und Er- ziehung müssen den Bürger für den Staat erziehen; nicht bloß die Berufsbildung, schon die Volksschule ist ihrer höheren Funktion nach eine Staatserziehungsanstalt . Dieser Gedanke, schon im vorigen Jahrhundert ausgesprochen, kommt nun in den ersten Decennien unsers Jahrhunderts zum Ausdruck. Jetzt erst beginnt die praktische Bedeutung der Volksschule klar zu werden. Der alte Standpunkt der Polizei- wissenschaft und der bloßen staatlichen Oberaufsicht wird überwunden; das ganze Gebiet der Volksbildung geht jetzt in die Lehre vom Staate über; es wird, wie einst bei den griechischen Philosophen, ein Theil der Politik; das Volksschulwesen ist, wenn auch zunächst nur im Princip, zu einem Theile der Staatswissenschaft geworden. III. An diese abstrakte Bewegung schlie t sich nun eine concrete in demselben Geiste an. Ist die Volksschule das, was jene fordert, so muß sie auch eine neue, freie Organisation haben. Die Grundlage dieser Organisation muß zunächst die öffentliche Achtung des Lehrer- standes werden. Eine solche Achtung beruht allerdings zunächst auf der Selbstachtung, die aus dem Bewußtsein von dem hohen sittlichen und staatlichen Berufe hervorgeht, und die aus den einzelnen Lehrern einen Lehrer stand erzeugt. Allein dieser Lehrerstand will, einmal durch die Pädagogik zum Bewußtsein gebracht, nun auch die äußere An- erkennung. Mit dieser Forderung beginnt nun ein eigenthümlicher Kampf, der nur indirekt der Volksschule, direkt aber dem Lehrer- stande angehört. Die Berufsgenossenschaft, einmal entstanden, fordert für die Volksschule das, wodurch die Berufsbildungsanstalten so glän- zend dastehen, wodurch sie am meisten wirken. Sie will zuerst die Unabhängigkeit des einzelnen Lehrers von der bisherigen Gewalt der Grundherrlichkeit, also Aufnahme in die Gemeindeverwaltung und Be- soldung durch die Gemeinde, kurz den Charakter eines öffentlichen Amtes ; sie will zweitens eine berufsmäßige Vorbildung, also die Ein- richtung von Lehrerseminarien ; sie will drittens eine den höheren Bildungsanstalten nachgebildete Selbstverwaltung des Schulwesens, namentlich durch Lehrkörper für die einzelnen Schulen, und Lehrer- versammlungen für das gesammte Schulwesen. Diesen Forderungen entgegen tritt nun aber die noch historisch berechtigte Grundherrlichkeit und die Geistlichkeit; die Unselbständigkeit und Gleichgültigkeit der Ge- meinden kommt dem Lehrerberufe nur wenig zu Hülfe, namentlich in dem in Deutschland noch immer in den Händen des Gutsherren befind- lichen Schulwesen des Landes, während die Städte allerdings vielfach die Volksschule freier auffassen; selbst die Volksvertretungen haben eine Zeitlang noch nicht die geistige Kraft, jenes hohe ethische Element im Volksschullehrerwesen zu verstehen. Und so bewegen sich diese Elemente hin und her, allein schon in den dreißiger Jahren ist der Sieg der freieren Auffassung unzweifelhaft. Denn aus der Schule der großen Pädagogen des vorigen Jahrhunderts ist, namentlich auch durch die staatsrechtliche Entwicklung getragen und gefördert, eine Richtung hervorgegangen, welche Deutschland allein in der Welt zu verstehen und zu vertreten fähig war, die Consolidirung der Regeln der Pädagogik zu einer wissenschaftlichen Behandlung des Volksunterrichts, und die Feststellung der Ueberzeugung aller Gebildeten, daß vor allem die Volks- schule gefördert werden müsse, wenn man das Wohl des Volkes will. Damit ein freies, kräftiges Entgegenkommen von allen Seiten; die Achtung vor dem Stande der Lehrer steigt; mit ihm das Streben, ihm seine Unabhängigkeit und das Recht zur Theilnahme an der Leitung der Lehre zu geben; die grundherrlichen Rechte werden entweder direkt aufgehoben oder sinken zu bloßen Ehrenrechten herab; die Gemeinden sind eifrig, die Schullasten und mit ihnen die Rechte der Selbstverwal- tung zu übernehmen; das System der Schulklassen wird immer allge- meiner, und die Scheidewand zwischen Volks- und Berufsschule damit grundsätzlich vernichtet; bis endlich seit 1848 die Aufnahme des Volks- schulwesens in die Grundrechte der Verfassungen das höchste rechtliche und sociale Princip desselben zur öffentlichen verfassungsmäßigen An- erkennung bringt. So gestaltet sich der Inhalt des gegenwärtigen Volksschulwesens in Deutschland. Es ist nicht mehr eine bloße Bürgerschule oder poli- zeiliche Unterrichtsanstalt wie in der ersten Epoche, nicht bloß eine pädagogische Idee wie in der zweiten, sondern in Verbindung mit dem freien Privatschulwesen ist sie aus einer selbständigen Bildungsanstalt der niederen Klasse zu der Ehre, dem Recht und der Aufgabe einer organisch gegliederten Vorbereitungsanstalt für die Bil- dung aller Klassen der bürgerlichen Gesellschaft geworden. Das ist im Großen und Ganzen der Gang der Entwicklung des Volksschulwesens seit dreihundert Jahren. Jede dieser großen Stadien hat wieder ihre Literatur, ihre Gesetze, ihre Gegensätze und Kämpfe, die nur durch die besondere zeitliche Gestaltung der Bewegung verständ- lich werden. Durch diese organische Entwicklung des Ganzen hat sich nun aber auch jeder Theil desselben selbständig entwickelt, und wir können jetzt von einem System des Volksschulwesens reden, für welches das deutsche Volksschulwesen eben deßhalb die natürliche Grundlage abgibt. I. Die Literatur über das ursprüngliche Volksschulrecht ist keines- weges unbedeutend, aber von der deutschen Rechtsgeschichte gänzlich vernachlässigt, wie so manches andere. Ueber den Westphälischen Frieden und sein Schulrecht s. Fischer , Cameral- und Polizeirecht I. 147, §. 184. Unvollendet: Rauhkopf , Geschichte des Schul- und Er- ziehungswesens in Deutschland (Bremen 1744. 1. Theil). Rochow , Geschichte meiner Schulen (Schleswig 1745): Mellmann , Reliquiarum Juris Canonici in regimine scholastica discussio (Kiel 1784); Berg , Polizeirecht II. S. 308. 309. — Entstehen der Gemeindes chulen und das Recht der Landstände, dieselben zu errichten: Zahn , Politia muni- cipalis. L. 2. 36. Fischer a. a. O. §. 147. Berg a. a. O. S. 307. — Entstehen der obrigkeitlichen Schulordnungen des achtzehnten Jahrhunderts: Kur-Braunschweig , Verordnung vom 9. Okt. 1681 und 31. Aug. 1736 (ausgesprochene Schulpflicht ). Braunschweig- Wolfenbüttel (Schulordnung von 1753); Kur-Sächsische (Ver- ordnung vom 24. Juli 1769); Fuldaische Schulordnung von 1775. Badische Schulordnung von 1769. Bremen und Werden (Land- schulordnung von 1752); Lauenburg (Landschulordnung von 1757); Braunschweig-Lüneburg 1738; Kurbayerisches Mandat 1771. Verzeichnisse von andern in Heumann ( Jus Politiae §. 89). Es ist sehr bedauerlich, daß diese wichtigen Thatsachen noch immer keine Ge- schichte gefunden haben! Die Aufnahme der Schulfrage in die Polizeiwissenschaft (als damalige Form der Staatswissenschaft): Justi 10. Buch, 38. Haupst. §. 123. 124; dessen moralische und philosophische Schriften I. 106. („die Schullehrer sollen hochgeehrte und reichbesoldete Männer sein“); Sonnenfels I. 80 ff. Filangieri (Scienza della legis- lazione, L. IV.); Herzberg , Gedanken über zweckmäßige Bildung der Landschullehrer in Seminarien, 1789; J. H. Berg , Teutschlands Ver- fassung (S. 209. 352); Bensen , Staatslehre ( II. 181); Aretin , Staatsrecht der constitutionellen Monarchie ( II. Bd. 2. Abth. S. 60. 61). — Ueber das Schulrecht, jedoch im allgemeinen Sinn des öffent- lichen Rechts der Schulen: Moser , Verordnung der Landeshoheit in Polizeisachen, §. 50. 54. Pütter , Inst. jur. publ. §. 236. 259. Stryk , De jure praeceptorum, C. 2. Hohenthal , De Politia (s. bes. S. 56 ff.). Mehrere Schriftsteller bei Fischer , Cameral- und Polizeirecht a. a. O. Jacobi , Polizeiwissenschaft II. bildet den Ueber- gang zur folgenden Epoche. Preußens älteres Recht: Geschichte desselben, sowohl im Allgemeinen als in den einzelnen Territorien. Rönne , Unterrichtswesen des preußischen Staates, Bd. I. S. 51 ff. Erste Hauptverordnung vom 24. Oktober 1763; Grundgesetz: General- Landschul-Reglement vom 12. August 1763. (Vergl. auch Rönne’s Staatsrecht I. §. 198.) Oesterreich : höchst gründliche und ausführliche Geschichte: Helfert , Die österreichische Volksschule. Geschichte, System, Statistik. Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen von 1774. Neues, noch jetzt unter manchen aller- dings wesentlichen Modificationen geltendes Volksschulrecht: Verfassung der deutschen Volksschulen (mit Ausnahme von Ungarn, Italien und Dalmatien) vom 11. August 1805. Viele betr. Artikel auch in Schlözers Briefwechsel und andern Zeitschriften des vorigen Jahr- hunderts. Stubenrauch , Verwaltungsgesetzkunde Bd. II. S. 366 ff. Neuere Ordnungen s. unten. Die beste und nach allen Seiten hin er- schöpfende Arbeit über das österreichische Volksschulwesen ist ohne Zweifel die von Ficker bei Schmid Bd. IV. Art. Oesterreich S. 242—355, der kaum etwas hinzuzusetzen sein dürfte. II. Ueber die Geschichte der Pädagogik der Literatur und der Hauptträger derselben dürfen wir hier auf die Werke von Raumer, Schmid und Körner verweisen. Für die specifische Literatur der staatsbürgerlichen Pädagogik besonders Niemeyer , Grundsätze der Er- ziehung, Bd. II. S. 453. Die staatswissenschaftliche Richtung, Verbindung der neuen Idee des Staats mit seiner Aufgabe in Päda- gogik und Unterricht, beginnt mit dem Anfang dieses Jahrhunderts, zunächst allerdings bei der allgemeinen Principienfrage stehen bleibend, und erhält sich in der Form des sog. Allgemeinen Staatsrechts bis auf unsere Zeit. Die leitenden Schriften der ersten Richtung sind: für die pädagogische Literatur wohl am bedeutendsten Niemeyer , Grundsätze der Erziehung, 1825 (8. Aufl.), Erziehung zum staatsbürgerlichen Be- wußtsein); Voß , Erziehung für den Staat, Bd. I.; K. J. Zachariä , Ueber die Erziehung des Menschengeschlechts durch den Staat, 1802; Stephani , Grundriß der Staatserziehungswissenschaft, 1802, und dessen System der öffentlichen Erziehung, 21. Aufl., 1813; Krug , Der Staat und die Schule, 1810; Pölitz , Die Erziehungswissenschaft aus dem Zwecke der Menschheit und des Staats, II. Bd. Ganz allgemein gehalten dann in Pölitz , Staatsrechtswissenschaft, Bd. II. (Erziehungs- polizei!); Aretin , Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, II. 39; Staatslexikon (Volksschule); Bluntschli , Allgemeines Staatsrecht, II. Bd. 9 Cap. S. 9—12; Mohl , Polizeiwissenschaft, Bd. I. Bd. II. Cap. 2. Eine kurze, aber sehr gute statistische Uebersicht des neuesten Standes des Volksschulwesens in Brachelli , Staaten Europas, S. 533 ff. III. Die Gegenwart beginnt mit der Literatur und Gesetzgebung, welche sich mit der Organisation des Volksbildungswesens spezieller beschäftigt. Man kann sagen, daß hier Dinter der Hauptträger der praktischen Richtung, der eigentliche Vater der „Schulmänner“ ist. Niemeyer (Organisation öffentlicher Schulen, 1801) hat wesentlich für das Klassensystem gewirkt. Wessenberg , Die Elementarbildung, 21. Aufl. 1835; Ohlert , Die Schule. Elementarschule, Bürger- schule und Gymnasium in ihrer früheren Einheit und nothwendigen Trennung, 1826; Schwarz , Die Schule, 1822; Mohl , Polizeiwissen- schaft I. §. 76. Die ständische Auffassung der Elementarschule als Schule der niedern Klasse nimmt Abschied von der Geschichte in Göthe (dem Haller des Volksschulwesens), „Ideen über Erziehung und Unter- richt im Geiste der Monarchie“, 1837. Eine sehr große Zahl von einzelnen Arbeiten und Schriften stammen aus diesen Jahrzehnten von 1820 bis 1840, welche die folgende Epoche vorbereiten. Sie sind die Begründer des neuen öffentlichen Schulrechts und der Schulordnungen unseres Jahrhunderts, die noch nirgends gehörig verarbeitet sind. Aus dem General-Landschulreglement in Preußen bilden sich zunächst die Grundsätze des Allgemeinen Landrechts II. 12 heraus, nach wel- chem alle Schulen für Staatsanstalten erklärt und unter öffentliche Oberaufsicht der Behörden gestellt werden ( Rönne I. §. 203), wobei jedoch die Stellung der Volksschullehrer noch in einem sehr unklaren Verhältniß zum Staatsdienst bleibt ( Rönne , Staatsrecht II. §. 198), während die Wöllnersche Epoche 1794 den letzten Rückschlag der priesterlichen Reaction zeigt, nachdem die Instruction von 1787 ( Rönne , Unterrichtswesen I. 76) die Scheidung der Schule von der Kirche schon durchgesetzt hatte. Daneben entsteht das Princip der Landesv er- waltungen der Volksschulen und der Landesschulordnungen in Preußen ( Rönne , Staatsrecht II. Nr. 1), was sehr trefflich wäre, wenn es nur ein zeitgemäßes Staatss chulrecht gäbe, das zwar ver- sprochen, aber nicht gegeben ist. Kurze Uebersicht über die Volksschul- gesetzgebung bei Rönne , Staatsrecht II. 441. Das österreichische Volksschulwesen bleibt dagegen bei der „Verfassung“ von 1805 im Wesent- lichen stehen, nach welcher die Schule dem Geistlichen untergeordnet ist. Im Allgemeinen zeigen die Gesetzgebungen der einzelnen deutschen Staa- ten in dieser Epoche eine nicht unbedeutende Thätigkeit, jedoch bei den noch immer bestehenden ständischen Unterschieden eine größere für die Berufsschulen als für die Volksschulen. Das Privatschulwesen wird eigentlich nirgends systematisch geordnet, nur der Grundsatz der Ober- aufsicht wird festgehalten (s. unten). IV. Das positive deutsche Statsrecht unseres Jahrhunderts hat mit der Volksschule offenbar sich nicht zurecht zu finden gewußt, während es die Berufsbildung (Universitäten) unbedenklich mit aufnahm. Gönner, Klüber, Maurenbrecher erwähnen desselben gar nicht; so gut wie gar nicht selbst die Constitutionellen, wie Häberlin, Aretin (als Garantie der Verfassung) II. §. 265, Zachariä , Deutsches Staats- und Bundesrecht II. §. 178. Die Stellung der neuen Verfassungen zum Volksschulwesen ist daher auch eine sehr abstrakte, ein unmittelbarer Einfluß derselben auf das letztere kommt nicht zur Erscheinung. Man sieht ihnen an, daß sie die Vollziehung ihrer Principien doch zuletzt allein von den Gemeinden und ihrer Verwaltung erwarten; ein Verständniß der entscheidenden Bedeutung der Lehrkörper findet sich auch nicht in den Verhand- lungen über die deutschen Grundrechte. Das Bezeichnendste der prak- tischen Unklarheit neben vollkommen richtigem Gefühl für die Haupt- sache ist es wohl, daß man die „Freiheit“ des Lernens und Lehrens als die grundgesetzliche Hauptsache ansah und proclamirte, die gerade bei der Volksschule leicht mehr Uebel begründen als verhindern kann, wenn man sich darüber jede Aufhebung der Oberaufsicht denkt. Uebrigens dachte man wohl überhaupt bei der Lehr- und Lernfreiheit nur an die Wissenschaft und wenig an den Elementarunterricht. Die Auffassung des preußischen Rechts gut bei Rönne , Staatsrecht I. 199 und 200. In Preußen nahm die Sache die bestimmteste Gestalt an, kam jedoch weder im Entwurf vom 20. Mai 1848 (§. 13), noch in der Verfassung vom 5. December 1848, noch in der Verfassung vom 31. Ja- nuar 1850 (Art. 20—26) über die allgemeine Anerkennung der „Lehr- und Lernfreiheit“ hinaus, während das dort versprochene Unterrichts- Gesetz nicht erschienen ist. Doch hat Rönne (Staatsrecht §. 198) vollkommen Recht, wenn er sagt: „daß es als oberster Grundsatz für das Recht des Staates angesehen wird, von jedem seiner Mitglieder diejenige Geistes- und sittliche (?) Bildung zu fordern , durch welche dessen Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte bedingt wird, was schon das Allgemeine Landrecht II. 12 für den Elementarunterricht aussprach. Nur ist das nichts Neues für das Bildungsrecht. In der obigen Hauptfrage wird nichts berührt und geändert. Zöpfl hat in seiner zerfahrenen Weise dennoch das Meiste für die Geschichte des Volksschul- rechts innerhalb des Verfassungsrechts gethan. Schon vor 1848 war das Volksschulwesen in das Verfassungsrecht aufgenommen, und wenn auch nicht allgemein und nicht ganz gleichartig ( württemberg . Ver- fassung von 1819 §. 84) als Verpflichtung des Staats ausgesprochen, während andere nur die Oberaufsicht desselben forderten ( braun- schweig . Landesordnung 1832 §. 230; Kurhessen 1831 §. 137, Sachsen-Altenburg 1831 §. 25. 29). Nach 1848 wird die Auf- nahme in die Verfassungen allgemein, jedoch unklar, indem einige die Schulen für Gemeindeanstalten erklären, wie Oldenburg 1832 §. 83—89; Coburg 1852 §. 29; Reuß (Gesetz vom 10. Juni 1856); Luxemburg 1856 §. 23; andere für Staats anstalten ( Sachsen-Altenburg §. 25. 29); Zöpfl §. 480. Dabei wird die Volksschule ausdrücklich unter die Oberaufsicht des Staats gestellt, und (wenigstens von der Reichs- verfassung §. 153) der Grundsatz ausgesprochen, daß sie der Beaufsichti- gung der Geistlichkeit entzogen werden soll (die Verfassungsurkunde); doch hat weit verständiger Oldenburg (Verfassung von 1852 Art. 82) für das Verhältniß zwischen Schule und Kirche ein eigenes (nicht er- schienenes) Gesetz in Aussicht gestellt und Preußen die Frage in unent- schiedener Weise beantwortet §. 24. Die Reichsverfassung gibt dann zugleich die allgemeinsten Grundzüge der Elementarbildung und ihrer Verwaltung. Von ihr ist das System der geltenden Grundzüge in viele deutsche Verfassungen übergegangen. ( Reichsverfassung §. 153 ff.) Die Grundsätze sind, wenn sie gleich nicht formell in allen Verfassungen der fünfziger Jahre aufgenommen sind, so bezeichnend, daß wir sie hier angeben müssen; sie bilden den klarsten Ausdruck des Charakters des deutschen Volksschulwesens. Darnach soll a) die Gründung von Unter- richtsanstalten und Erziehungsanstalten jedem Deutschen freistehen, jedoch gegen Nachweis der Befähigung an die Staatsgewalt (Oberaufsicht), Reichsverfassung §. 154; b) der häusliche Unterricht ist frei , ebends.; c) für die Bildung der deutschen Jugend soll durch öffentliche Schulen überall gesorgt werden (ebendas. §. 155) und dürfen Eltern und deren Stellvertreter die Kinder nicht ohne Elementarunterricht lassen, ebendas.; d) die öffentlichen Lehrer haben die Rechte der Staatsdiener, ebendas. 156; der Staat stellt sie an unter Betheiligung der Gemeinden, §. 156; e) für die Volksschulen kein Schulgeld §. 157. Diese Sätze gehen mit Modificationen in die meisten nord deutschen Verfassungen über, wohl deßhalb, weil sie ohnehin praktisch galten. Preußische Verfas- sung , Art. 20—26. Anhalt-Bernburg , 1850, 24. Schwarzburg- Sondershausen , 1849, 25. Oldenburg §. 82. Reuß §. 20. Waldeck §. 44. Sachsen-Coburg §. 38. Man muß nur bei diesen kleinen Staaten nie vergessen, daß sie im Grunde souveraine Gemeinden sind, und daher die großen organischen Begriffe der Verwaltung, nament- lich der Unterschied zwischen Staats- und Gemeinde anstalten und Recht auf sie keine rechte Anwendung finden. Je größer der Staat, um so noth- wendiger werden natürlich eigene Schulgesetze (s. unten). Die Literatur hat in Deutschland sich wenig mit dieser ganzen Frage nach dem öffentlich rechtlichen Charakter des Ganzen beschäftigt. Sie ist sehr reich in Betreff der pädagogischen Grundsätze; einige Staaten haben auch ihre selbständige Literatur über das öffentliche Recht ihrer Volksschulen, jedoch meistens nur in den Verwaltungsgesetzkunden. In Schmids Encyclopädie des Erziehungs- und Unterrichtswesens (seit 1859) sind jedoch vortreffliche einzelne Nachweisungen speciell über die kleinen deutschen Staaten, deren Verhältnisse ohne die betreffenden Aufsätze gar nicht zu erfahren wäre. 3) Die Nachbildungen des deutschen Volksschulwesens in Holland und Dänemark . Das entscheidende Princip dieses oben charakterisirten Systems des deutschen Volksschulwesens, das alle einzelnen Theile und Rechtsbestim- mungen desselben beherrscht und das dieselben von dem folgenden fran- zösischen auf das bestimmteste scheidet, ist nun offenbar nicht der Grund- satz, daß der Volksunterricht als eine allgemeine Aufgabe der Staats- verwaltung angesehen und als solche von den Gemeinden durchgeführt wird, sondern der, daß diese Gemeinden, welche die Last des Volks- unterrichts tragen, dafür auch das Recht der Selbstverwaltung ihrer Volksschulen besitzen, natürlich unter der Oberaufsicht und zum Theil unter Mitwirkung des Staats, welche sich in zwei Dingen äußert: zuerst in einem oberaufsehenden, aber nicht direkt verwaltenden Orga- nismus von Schulräthen oder Inspectoren, und zweitens in der Her- stellung von neuen Lehrseminarien und mithin einer öffentlichen Verufs- bildung für das Lehrfach mit förmlicher Prüfung. Alle diejenigen Staaten, welche diese localen Grundsätze systematisch durchgeführt haben, rechnen wir zur deutschen Gruppe des europäischen Volksschulwesens, und dahin gehören Holland, Dänemark, Schweden und die deutschen Kantone der Schweiz. Da wir nun im besondern Theile die einzelnen Punkte des öffent- lichen Volksschulrechts genauer auszuführen haben, so darf hier die kurze Nachweisung der Hauptgesetze genügen, auf welchen das Volksschul- wesen der ersten beiden Länder beruht. Was zuerst Holland betrifft, so ist das Grundgesetz des Volks- schulwesens das neue Gesetz vom 13. Aug. 1857. Die Grundlage ist der Unterschied zwischen den öffentlichen Volksschulen, in welchen alle Kinder ohne allen Unterschied der Confession aufgenommen werden müssen und die nach dem Gesetz eingerichtet werden müssen (Art. 16) und den besonderen Schulen, die entweder von Confessionen oder von Privatunternehmern unterrichtet werden (Art. 37), denen aber von der Gemeinde oder auch von den Provinzen eine Unterstützung gegeben werden kann (Art. 3). Jede Gemeinde hat ihre Schule herzu- stellen und die Last zu tragen; Schulgeld kann erhoben werden; Schul- pflicht existirt nicht, sondern die Gemeindeverwaltung befördert „so viel als möglich“ den Schulbesuch (Art. 33). Die Anstellung und Entlassung der Lehrer ist Sache des Gemeinderathes (Gemeindeordnung vom 24. Juni 1851. Art. 232 ff. Gesetz von 1857 Art. 34). Das Lehrer- wesen ist speciell geordnet in Tit. IV. Art. 40 ff. mit Prüfungen und Strafen für neugeprüfte Lehrer; die Oberaufsicht wird ausgeübt durch die örtliche Schulcommission, die Distriktsschulaufseher und die Pro- vinzial-Inspectoren. Die erstere besteht aus Bürgermeister und Rath (Art. 54); die andern sind angestellte Beamte. Auch der freie (Haus-) Unterricht ist strengen Vorschriften in Beziehung auf die Fähigkeit der Lehrer unterworfen. Das Nähere über einzelne Punkte unten. In wesentlich gleicher Weise sind die dänischen Volksschulen geordnet. Schon die Verordnung vom 17. April 1759 führte die Grundlagen der allgemeinen Schulpflicht ein, und die Verordnung vom 11. Mai 1775 verpflichtete die Gemeinden, die Schulen hinzustellen. Das Hauptgesetz ist die Verordnung vom 7. Mai 1809, dem sich das Rescript vom 6. Mai 1850 anschließt. Die Schule ist Gemeindeanstalt, jedoch bestehen noch in ein- zelnen Fällen Präsentationsrechte, und in einzelnen Schulen hat die Regierung das Recht der Ernennung, während in andern wieder die Gemeinde ganz frei die Lehrer wählt. Die Schullehrerseminare sind durch das Gesetz vom 15. Juli 1857 nach deutschem Vorgange geordnet und sehr rationell eingerichtet. Das Schulwesen ist gut geleitet; die Geistlichkeit hat keinen Antheil am Unterricht, wohl aber hat sie einen Antheil an der Inspektion der Schulen. Eine so systematische Gesetz- gebung wie in Holland besteht nicht. 4) Englands Volksschulwesen und das System der Staats- unterstützung . Dem deutschen Volksschulwesen steht nun wesentlich verschieden das englische System gegenüber, das wie kaum ein anderer Theil des öffentlichen Rechts, aus den Principien der englischen Gesellschaft hervorgeht. In England ist die staatsbürgerliche Gesellschaft die anerkannte Grundlage aller Rechtspflege , allein ihre Principien sind in die Verwaltung nicht eingedrungen. Die rechtlich unantastbare Selb- ständigkeit und Gleichheit aller Einzelnen hat vielmehr den Grundsatz erzeugt, daß alle Entwicklung jeder einzelnen Person bestimmt ihre individuelle Aufgabe sei. Die Folge davon ist, daß statt der großen leitenden Ideen der Verwaltung, wie wir sie in Deutschland thätig sehen, das ganze Volksschulwesen dem Volke selbst überlassen und da- mit die großen Unterschiede des Besitzes , in dem die materiellen Bedingungen der Bildung liegen, für die Vertheilung der Bildung maßgebend geworden sind. Dadurch ist nicht bloß die besitzende Klasse der englischen Bevölkerung die allein gebildete, sondern sie hat auch die Herstellung der Bildung der Nichtbesitzenden nie als ihre orga- nische Aufgabe erkennen wollen, was von dem zweiten großen Theile der englischen Bevölkerung, dem noch ganz ständisch abgeschlossenen Element der alten Geschlechter, natürlich lebhaft unterstützt ward. Der Erwerb der Bildung ist daher auch für den Volksunterricht grund- sätzlich Sache der Einzelnen , welche die Verwaltung nicht kümmert, so wenig als der Erwerb seines Vermögens; und da nun bei dem gänzlichen Mangel einer organischen Volksschule die nichtbesitzende Klasse zu keiner Bildung gelangen kann, so ist der Unterschied zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden für identisch mit dem Unterschied zwischen Gebildeten und Nichtgebildeten geworden. Das ist die Basis des Verständnisses alles englischen Unterrichtswesens. Dennoch giebt es bereits ein sehr bedeutendes öffentliches Unter- richtswesen, und zwar theils im Volksschulwesen der Vereine, theils der (Armen-) Gemeinden, mit anerkannter Unterstützung der Regierung. Die Erklärung dieser großen Thatsache gegenüber dem obigen Princip liegt darin, daß das öffentliche Volksschulwesen Englands noch immer nicht, wie auf dem Continent, der Idee des Bildungswesens gehört, sondern nur noch einen Theil des Hülfswesens bildet . Für die Besitzenden gibt es kein Volksschulwesen, sondern nur für die Nichtbesitzenden . Und das ist es, was uns Deutschen das englische Volksschulwesen so unverständlich macht. Ueber dieß Princip hat sich das letztere bisher nicht zu erheben vermocht; selbst die letzte große Gesetzgebung, der Revised Code ist nicht eben ein Volksschulgesetz, sondern nur in seinem neuesten Wesen ein Armenschulgesetz . Die Idee eines Volksschulgesetzes auf Grundlage der allgemeinen und gleichen Schulpflicht des ganzen Volkes wird nur noch von Einzelnen, nicht aber vom Volke selbst verstanden. Jedoch sind es gerade diese einzelnen Bewegungen, welche die Bahn für eine höhere Auffassung des Volksbildungswesens brechen, und den Kampf mit dem ständischen Widerwillen der Kirche und der Ge- schlechter eröffnen. Ihnen zu Hülfe kommt namentlich in neuerer Zeit die höhere, sociale Richtung der Nationalökonomie, wie sie von J. St. Mill und von Senior vertreten wird, die den unendlichen volkswirth- schaftlichen Werth der Volksbildung schätzen und den Mangel desselben statistisch nachweisen oder, wie Kay , den Zustand mit dem des übrigen Europas vergleichen lehrt. Englands Volksschulwesen wird damit zwar nicht zu einer Ursache und Aufgabe, wohl aber zu einer Folge der großen Reformbewegung werden, die die socialen Verhältnisse umzu- gestalten im Begriff ist. Demnach muß das Elementarunterrichtswesen Englands in zwei großen Grundformen aufgefaßt werden. Die erste ist die des freien Privatunterrichts , die zweite ist die des öffentlichen Armenun- terrichts . Beide stehen in gar keiner Verbindung unter einander, noch auch in irgend einer Verbindung mit der Berufsbildung. Senior : „The labourer, whose children frequent the public schools, and the ratepayer, whose children do not frequent them“ p. 9 (Ra- tepayer ist der Besitzende, rate ist die Gemeindesteuer.) Mit Recht bemerkt Wagner , daß umgekehrt die Privatschulen zwar oft sehr gut, aber immer zu theuer, und daher von den Arbeitern nicht besucht wer- den. Es gibt also gar keine wie immer gearteten behördlichen Ein- flüsse auf die ersteren, während die zweiten sich wesentlich zu einem förmlich rechtlichen System ausgebildet haben. Man kann daher auch von einem Recht der ersteren weder in Beziehung auf Schule, noch auf Lehre, noch auf Lehrer reden; sie sind freie gewerbliche Unternehmungen. Das Princip der deutschen Schulpflicht existirt weder für die Gemein- den als Verpflichtung zur Herstellung der Schulen, noch als Verpflich- tung für die Einzelnen, den Kindern Elementarbildung zu geben. Da- gegen ist das zweite ein System, hat seine Geschichte und seine Grund- sätze, und fordert eine eigene Darstellung; nur muß man eben festhalten, daß man in diesem System nicht etwa ein Volks- , sondern nur ein Armenbildungswesen vor Augen hat, dem noch jeder andere ethische rechtliche Inhalt fehlt. Die historische Entwicklung des letztern ist im Wesentlichen in drei Epochen zu scheiden. Die erste Epoche umfaßt die Bestrebungen des vorigen Jahrhun- derts; sie besteht in den Anfängen von Sonntagsschulen und von Freischulen für arme Kinder, welche vorzüglich streng kirchliche Bil- dung und nur daneben in zweiter Reihe etwas Lesen und Schreiben lehren. Diese Schulen bestehen auch jetzt noch selbständig, ohne alle Aufsicht und Unterstützung fort. Sie sind begründet etwa seit 1781 durch die Society for promoting christian knowledge. Die Lehrer sind freiwillig, entweder aus dem Verein oder aus der Gemeinde, natürlich unentgeltlich und ohne Gehalt. Wagner meint, daß die Sonntags- schulen von Rakes 1785 eingeführt seien; Buckle dagegen ( I. 1. 371) sagt, Rakes habe dieselben 1785 verbessert, nachdem sie schon 1761 eingeführt und am Ende des 18. Jahrhunderts allgemein geworden. Aber natürlich waren sie ein kümmerliches, zum Theil zelotisch benütztes Aushülfsmittel. Erst mit dem Beginn unseres Jahrhunderts fängt die zweite Epoche an, welche den eigentlichen Volksunterricht zur Aufgabe der Volksschulen macht. Das konnte nur durch Beseitigung des streng orthodoxen Charakters geschehen, und das war wiederum für England nur möglich durch das Vereinswesen. So entstand die British and Foreign school Society (1805), welche in die von ihr errichteten und unterhaltenen Schulen auch die Dissenters aufnahm und großen Erfolg hatte. Sofort trat ihr die streng kirchliche Partei der National Society (1811) entgegen, welche die kirchliche Bildung als Hauptsache aufstellte, und den eigentlichen Unterricht, die secular education, beinahe direkt verdammte. Will man sehen, bis zu welchem pädagogischen und metho- dischen Unverstand die letztere geht, so vergl. man Seniors Angaben S. 21 ff. (z. B. eine Frage an einen Schüler: „Welche Ereignisse knüpfen sich an Hobah, Berlabai, Roi, Mizbeh, Peniel, Skolem, Ske- chem, Luz“? u. s. w.). Diese mit Recht so genannte Misdirected In- struction machte aus jenen Vereinsschulen reine Parteischulen, und be- schränkte und störte alle ihre Wirkung, trotzdem daß (nach Wagner) Lancaster die Methode der erstern, Bell die der zweiten wesentlich refor- mirte. An eine Volksschulbildung war bei den ersten durch den Mangel an Kräften, bei den zweiten durch den Mangel an Freiheit nicht zu denken. Aber Armenschulen blieben beide. Ihr gemeinsamer Haupt- erfolg war, daß man allmählig eine gewisse Bildung auch der niedersten Klasse für nothwendig erkannte. Daraus geht die folgende Epoche hervor. Diese dritte Epoche beginnt mit dem Grundsatz, daß die Kin- derarbeit in den Fabriken mit einem Elementarunterricht verbunden sein soll; sie geht über zu dem Satz, daß die Armenkinder überhaupt nicht ohne Unterricht bleiben sollen, und langt endlich bei dem Grundsatz an, daß die Polizei das Recht haben solle, herumtreibende Kinder in die Schule zu schicken. So entsteht das specifisch englische System des Armen- oder Hülfsschulwesens, das mithin in den Orten, der Factory schools, der Pauper schools und der Vagrant (ragged) schools be- steht, sich gerade dadurch nur noch strenger von dem deutschen Schul- wesen der besitzenden Klasse scheidet, aber andrerseits der Verwaltung Anlaß, Recht und Pflicht gibt, sich wenigstens für das Volksschulwesen anzunehmen, eine Behörde dafür aufzustellen (1833) und eine möglichst systematische Armenschulgesetzgebung (den Revised Code ) zu erlassen. Der Ganz der Entwicklung ist folgender. Den Beginn bildet die, von dem edlen Robert Peel (dem Stammherrn des Hauses) durchgeführte Kinderarbeitsbill (42 Georg. III. 73), nach welcher die Kinder nicht nur nicht länger als 12 Stunden täglich arbeiten, sondern die Fabrikherrn verpflichtet sein sollen, täg- lich ihren arbeitenden Kindern wenigstens vier Jahre hindurch in einer in der Fabrik angelegten Schule, von einem von ihnen selbst gezahlten Lehrer, Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen geben zu lassen. Dieß blieb ungeändert mehr als zwanzig Jahre hindurch Rechtens, aber ohne Aufsicht, und mithin ohne Erfolg. Erst in Folge der Entwicklung des übrigen Armenschulwesens wurden auch diese Fabrikschulen ausge- bildet und zwar durch 3. 4 Will. IV. 103 (1833), 7 Vict. 13 (1844) und 10 Vict. 29 (1847), welche überhaupt das Kinderarbeitsrecht der arbeitenden Klasse (working men) organisiren. Die Punkte, welche den Elementarunterricht darin betreffen, sind: jedes täglich arbeitende Kind muß täglich drei Stunden zur Schule gehen; der Lehrer wird von den Eltern der Kinder, sonst von dem Inspektor der Fabrik gewählt: vernachlässigen dieß die Eltern, so büßen sie von 5—20 Schill. Jeder Fabrikinhaber büßt, wenn er Kinder ohne ausreichendes Schulzeugniß aufnimmt. Die Eltern zahlen höchstens 2 d. wöchentlich. Die Schul- inspektoren haben die Lehrer zu überwachen, sie eventuell abzusetzen, und auf die Errichtung neuer Schulen anzutragen. Diese Grundsätze wurden ursprünglich nur für die Hauptfabriken angenommen, einzelne Fabriken und die eigentlichen Handwerke waren davon ganz ausge- schlossen (unregulated bussinesses) . Seit 1840 versuchte man, auch für sie eine Arbeiterschulpflicht einzuführen, was dann auf Seniors Bericht und Antrag S. 119—138 geschehen ist, nachdem die bis- herigen Anträge „fast in Verzweiflung“ das Ungenügende des bisherigen Rechts und den elenden Zustand der Arbeiterschulen dargelegt haben. Das ist nun jedoch nur der erste Theil des öffentlichen Armen- schulwesens. Der zweite betrifft die Kinder der Armenarbeits- häuser , der Workhouses. Allerdings haben die Workhouses, in Analogie der Fabriken, schon bei ihrer Errichtung den Grundsatz auf- genommen, daß die Kinder derselben jeden Tag wenigstens drei Stun- den Elementarunterricht genießen sollen. Natürlich war das innerhalb der Arbeitshäuser eine klägliche Einrichtung. Die Ausschüsse des Par- laments von 1838 und 1841 erkannten das in ihrem Bericht und demgemäß ward das Gesetz 7. 8. Vict. 101 (1845) erlassen, nach wel- chem die Armenbehörde (Poor Law Commissioners) das Recht haben sollen, Distrikts-Armenschulen (District Pauper Schools) durch Zusammenlegung von Armengemeinden (Parishes) oder gar Armenver- bänden (Unions) zu errichten, was durch 11. 12. Vict. 82 modificirt, aber doch praktisch, wie natürlich, sich als ergebnißlos erwies. 1859 gab es nur sechs solcher Schulen in England, trotzdem daß 1846 und 1850 den Lehrern eigene Gehalte bestimmt wurden. Die Gründe des Nichtgelingens liegen natürlich nicht in formellen Gründen, wie Senior meint, sondern eben in der Trennung der Armenschule vom Volks- unterricht. In diesem Sinne ist es fast ein Fortschritt, daß man jene Armenschulpflicht nunmehr auch auf die dritte große Gruppe von Kin- dern ausdehnte, die weder in den Fabriken, noch im Arbeitshaus sind. Diese Bewegung begann im vorigen Jahrzehnt als dritter Theil des Armenschulwesens durch die sog. Adderley’s Act. Die Adderley’s Act (20. 21. Vict. 48) erscheint nämlich als ein Stein , die Verwaltungslehre. V. 7 Sicherheitspolizeigesetz, zunächst gegen das Vagabundenthum (vagrancy) überhaupt (s. oben); das Wichtigste in ihm ist jedoch die Bestimmung, daß die Kinder solcher Vagabunden (vagrant children) unter be- stimmten Vorschriften in öffentliche Erziehungsanstalten gegeben werden sollen. Diese Anstalten sind die „Industrial schools,“ die auf öffent- liche Kosten errichtet und unterhalten werden, und in welche jede Be- hörde die Kinder von Vagabunden hineinzusenden das Recht hat. Diese Schulen, unter öffentlicher Oberaufsicht stehend und genehmigt (daher certified schools ), sollen diese Kinder „nähren und unterrichten“ („in which children are fed as well as tought“), doch dürfen die Kinder auch in Familien zum Unterhalt untergebracht werden. Die Schule dauert bis zum 15. Jahre; die Eltern dürfen nur die Schule für ihr Kind wählen. Die öffentliche Unterstützung ist genau bezeichnet (Senior S. 91, 92). Das neueste Gesetz darüber ist die Industrial Schools Act 24. 25. Vict. 113 (6. Aug. 1861). Die wesentlichste Bestimmung dieses Gesetzes ist, daß die Justices das Recht daben, die unbeschäftigten Kinder in diese Schulen zu schicken, und daß jeder, der ein aufge- nommenes Kind der Schule entzieht, bis 5 Pfd. gebüßt werden kann. Dasselbe Gesetz ist unter gleichem Datum für Schottland erlassen. Beide Gesetze sollen nur bis 1867 Gültigkeit haben. Das St. 25. 26. Vict. 43 dehnt das Recht, die Armenkinder der Kirchspielsarmen in diese Schulen zu schicken, auf die Overseers of the Poors aus. An diese Schulen haben sich die „Ragged schools“ (Lumpen-Schulen) ange- schlossen, die von Einzelnen unterhalten und mit Recht als „provisional institutions“ betrachtet werden, die beständig zu Industrial schools über- zugehen streben, da sie doch im Grunde eben so nothwendig sind und eben so tüchtig sein müssen, als die letztern (Senior 161). Dieß sind die Grundverhältnisse des Armenschulwesens Englands. Die Nothwendigkeit desselben, einmal anerkannt, erzeugte die zweite einer regelmäßigen Unterstützung, und diese wieder die dritte eines eigenen Organes theils für die Austheilung der Unterstützung selbst, theils für die Oberaufsicht über die unterstützten Schulen. Denn wie schon früher bemerkt, bildet und wächst die behördliche Thätigkeit mit der Pflicht des Staats, an der materiellen Hülfe Theil zu nehmen. So entstand das Committee of the Privy Council, wie es gewöhnlich genannt wird, oder genauer das Committee for Education des Privy Council, als oberste Armenschulbehörde. Schon 1833 waren für jene drei Klassen der Armenschulen 20,000 Pfd. St. bewilligt. Natürlich entstand ein vielfacher Streit, theils von Seiten der obenerwähnten Gesellschaften, theils von Seiten der Gemeinden und einzelnen Vereine, um an jenem Gelde Theil zu nehmen. Die Gesetzgebung ihrerseits mußte daher ein Organ für die Vertheilung einsetzen und bestimmte Bedingungen für die einzelnen Schulen vorschreiben. Das erstere war das obenerwähnte Committee mit seinen Schulinspektoren; das zweite ist dann durch die Bestimmungen durchgeführt, welche im System ge- nauer anzugeben sind. Es ist nur festzuhalten, daß das Committee for Education nicht etwa als eine Art Unterrichtsministerium angesehen werden darf; es hat weder mit dem Privatunterricht, noch mit dem Berufsbildungswesen irgend etwas zu thun. England bildet daher schon mit seinem Volksunterricht einen wesentlichen Gegensatz zu Deutschland. Eine Vergleichung im eigentlichen Sinne des Wortes ist hier fast nur denkbar von dem höchsten socialen Standpunkt. Es ist indeß nicht zu verkennen, daß die internationalen Begriffe und For- derungen hier wie überhaupt in der Verwaltung allmählig zur Geltung kommen. Den Ausdruck hiefür bietet für das Volksschulwesen das Auftreten des Princips der allgemeinen Schulpflicht unter dem Namen des „compulsory system,“ das freilich nur noch eine kleine, aber energische Partei für sich hat, jedoch täglich mehr Boden gewinnt; namentlich auf Grundlage des sich immer mehr entwickelnden öffent- lichen Lehrerbildungswesens (pupil-teachers) , die freilich vor der Hand nur noch für die Armen- und Hülfsschulen bestimmt sind. Englands Volksschulwesen muß daher nicht wie das deutsche und französische, als ein im Wesentlichen festgeschlossenes System, sondern als ein mitten in der Bildung auch seiner Grundprincipien begriffener Proceß be- trachtet werden, in welchem nicht so sehr die Zustände, als eben diese sich bildenden Principien das wahre Objekt einerseits der Beobachtung, anderseits der Vergleichung abgeben. Die Literatur über das englische Volksschulwesen und seine frühere Geschichte bei Buckle , Geschichte der Civilisation I. S. 202. (Warum hat Ruge in seiner Uebersetzung die deutsche nicht nachgetragen?) Ueber die Commission für Education s. Gneist I. S. 326. Ueber die District schools (Armenhäuser) das. II. S. 107. Spezielle Literatur: Wiese , Briefe über englische Erziehung 1852, speziell gut für die Bezeichnung des Charakters derselben; J. A. Vogt , Mittheilungen über das Unterrichtswesen Englands und Schottlands 1857, namentlich für das schottische Volksschulwesen wichtig; A. Tylor , Industrie und Schule 1865, von B. v. Gugler . Der Anhang des letztern ist viel mehr werth als das Buch selbst und gibt namentlich über die Volks- schule eine sehr gute Darstellung S. 228—240; E. Wagner , das Volksschulwesen Englands und seine neueste Entwicklung 1865; besonders werthvoll durch die Beziehung auf den Revised Code von 1859 und 1863; dabei gute historische Darstellung. Kurz und brauchbar ein Artikel in Schmids Encyclopädie (Art. Großbritannien): 5) Frankreichs Volksschulwesen und die Instruction primaire. Neben Deutschland und England ist nun der Charakter des Volks- schulwesens in Frankreich ein nicht minder bestimmter als in jenen Ländern. In Frankreich ist die Volksschule principiell und praktisch eine amtliche Anstalt , mit strengster amtlicher Leitung, während der freie Elementarunterricht sich daneben fast ohne Aufsicht wie in England bewegt. Das Volksschulwesen gibt daher hier ein ganz anderes Bild als in jenen Ländern. Der Grund dieser Erscheinung ist nun unzweifelhaft mit dem so- cialen Inhalt der französischen Revolution verbunden. Die Revolution hat, wie wir an einer andern Stelle gezeigt, alle ständischen Unterschiede rechtlich vernichtet, und das Volk als Ein social homogenes Ganze anerkannt. Die naturgemäße Folge davon war, daß dem entsprechend auch das Bildungswesen des Volkes gleich- falls als ein Ganzes betrachtet wurde. Frankreichs Gesetzgebung hat daher zuerst in Europa den Volksunterricht systematisch als einen Theil des Bildungswesens eingereiht, durch die Université dasselbe in die- selben Ordnungen der Verwaltung hineingebracht wie die höchsten Bil- dungsanstalten, und die Pflicht des Staats grundgesetzlich anerkannt, für die Volksbildung alter Klassen zu sorgen. Den Ausdruck dieser Verhältnisse bilden schon die formalen Abstufungen der instruction pri- maire, secondaire und supérieure, die Akademien als Bildungs- oder Unterrichtsprovinzen, die ganz gleichmäßig die Volksschule, die gelehrten Anstalten wie die Facultäten verwalten und die Aufstellung des ersten eigentlichen Ministeriums des Unterrichts. So entsprach die Ordnung des Volksschulwesens formell der Ordnung der staatsbürgerlichen Gesellschaft. Allein indem auch die Revolution Frankreichs es natürlich nicht vermochte, innerhalb jener Gesellschaftsordnung den Klassenunterschied der Besitzenden und Nichtbesitzenden zu beseitigen, vermochte sie es auch nicht, die Consequenzen dieses Unterschiedes für Art und Umfang des Elementarunterrichts zu überwinden. Diese Consequenzen bestanden hier wie immer darin, daß die Besitzenden sich selbst den Elementarunter- richt für ihre Kinder verschafften, während derselbe für die Kinder der Nichtbesitzenden durch den Staat geschaffen werden mußte. So erzeugten sich gleich anfangs mit der organischen Einheit des gesammten Bil- dungswesens in der Université zwei Grundformen des Elementar- unterrichts, den beiden Klassen der staatsbürgerlichen Gesellschaft, den Besitzenden und Nichtbesitzenden entsprechend. Diese beiden Grundformen sind die Écoles publiques und die Écoles libres mit ihren Pensionnats. Jene bilden das Elementarschulsystem der Verwaltung des Staats, diese dasjenige der freien Unterrichtsthätigkeit. Und dieß ist zunächst das Grundverhältniß in dem Elementarunterrichtswesen Frank- reichs; dem Inhalte nach ähnlich wie in England, wo auch die be- sitzende ihren von der nichtbesitzenden geschiedenen Elementarunterricht hat. Nur in Einem Punkte unterscheidet sich das französische System wesentlich von dem englischen. Während in dem letztern die Public schools den Charakter und das Recht von Armenschulen haben, sowohl im Lehr- wesen als in der Schulpflicht, haben die Écoles publiques in Frank- reich diesen Charakter eben so wenig als in Deutschland. Sie sind hier wie dort Verwaltungsanstalten, im Princip für alle Kinder einge- richtet, während der Elementarunterricht außerhalb der Volksschule grundsätzlich als Ausnahme gilt, faktisch aber die Hauptsache bildet. In England ist gerade das Umgekehrte der Fall; die Benutzung der Public schools ist rechtlich Ausnahme, und die Privats teaching ist Regel. Und daraus ergeben sich dann die weiteren Unterschiede im öffentlichen Schulrecht, ganz abgesehen von der Lehrordnung selbst, auf die wir hier keine Rücksicht zu nehmen haben. Jene Stellung der Écoles publiques als der eigentlichen Staats- schulen für den Elementarunterricht des ganzen Volkes fordert näm- lich zunächst, daß die Unterrichtsgesetzgebung nicht, wie England, bloß für die Armenschulinstitute, sondern für das ganze Reich gleichmäßig gelte und daß daher das System der Volksschule gleichförmig für alle Theile des Ganzen durchgeführt werde. Es folgt aber zweitens daraus, daß auch das System der freien Elementarbildungsanstalten der ein- heitlichen Gesetzgebung und der einheitlichen Oberaufsicht unterworfen werde. Und so enthält nun das Volksschulwesen, oder vielmehr das, was man in Frankreich als die „Instruction primaire“ innerhalb der Université zusammenfaßt, drei Momente, welche seinen Charakter und Inhalt bilden; das öffentliche Recht der Écoles publiques, das öffent- liche Recht der Écoles libres, und endlich das Verhältniß zwischen jenen beiden Grundformen des französischen Elementarunterrichts. Ohne Schei- dung und selbständige Behandlung dieser drei Elemente läßt sich kein klares Bild vom französischen Volksschulwesen geben. A) Das System des Verwaltungsrechts der öffentlichen Elemen- tarschulen der Instruction primaire beruht, nach dem deutschen Muster, das der französischen Gesetzgebung vorgeschwebt hat, auf dem obersten Princip, daß die Elementarschulen öffentliche und Staatsanstalten sein sollen, und auf dem Zusammenwirken der Staatsbehörden, der Gemeinden und der Geistlichkeit. Nur in seiner Verwaltung ist es von dem deutschen Volksschulwesen grundsätzlich darin verschieden, daß die Schulpflicht nicht gesetzlich eingeführt ist, und daß das Verhältniß der Gemeinde wesentlich anders aufgefaßt wird, sowie daß das Lehrer- wesen ohne alle Selbständigkeit ist. Die Aehnlichkeit ist daher vielmehr eine formale, als eine wesentliche. Die Grundverhältnisse dieses öffent- lichen Rechts sind folgende. 1) Das oberste Princip der Volksschulverwaltung ist hier wie in allen Theilen der Administration publique die unbedingte Unterordnung der Volksschule unter die Behörde, welche durch eine strenge Organisation der Oberleitung bis ins Einzelne verwirklicht wird. Daß das Ganze unter dem Ministre de l’Instruction publique steht, ist selbstverständ- lich. Das Behördensystem (Begriff der Behörde s. in der vollziehenden Gewalt) dagegen enthält eine scharfe und streng durchgeführte Tren- nung der Vollziehung in zwei Organen, den Recteurs de l’Académie (s. oben) und den Préfets. Die Recteurs haben nämlich die aus- schließliche Leitung der Lehre und der Erziehung (tout ce qui con- cerne le gouvernement intellectuel et moral de l’enseignement) . Die Préfets dagegen haben die ebenso ausschließliche Verwaltung aller persönlichen, wirthschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten der Schule, namentlich die Errichtung von Schulen und die Anstellung der Lehrer; die Personalverhältnisse der Lehrer sind ihnen namentlich unter völliger Ausschließung des Recteur durch die Verordnung vom 22. August 1854 speciell übertragen. Der Lehrer ist daher geistig vom Recteur und materiell vom Préfet vollständig abhängig, und die Bildung eines Lehrerstandes, dieses wahren Kernes aller Volksbildung, grundsätzlich unmöglich gemacht. Recteur und Préfet üben ihre Rechte vorzugsweise aus durch das Institut der Inspektoren . Dieses Institut, eingeführt und or- ganisirt durch das Gesetz von 1850 auch für die Volksschule, hat alle Keime der Selbständigkeit der letztern durch Anschluß an die Selbstverwaltung gründlich vernichtet. So lange dasselbe in seiner jetzigen Form besteht, ist keine Hebung des Volksschulwesens in Frankreich mög- lich, weil keine Selbständigkeit des Lehrerstandes möglich ist (s. unten). Die Inspektoren nämlich sind theils Inspecteurs d’académie, Oberin- spektoren für die ganze Unterrichtsprovinz, die also auch die höheren Bildungsanstalten überwachen, theils die Inspecteurs d’arrondissement (pour l’instruction primaire), die eigentlichen Schulräthe für die Volks- schule. Die letzteren haben Bericht und Referat an den ersteren, der erstere an den Recteur und den Préfet, je nach ihrer Competenz. Die praktische Folge ist die souveraine Herrschaft des Inspecteur d’arron- dissement über das ganze Volksschulwesen. „Le véritable gouverne- ment de l’instruction primaire, c’est l’inspection“ ( Eug. Rendu ). Die einzelne Ortsschule wird vom Maire als Vertreter der Präfektal- gewalt mit dem Recht der Suspension des Lehrers, und vom Geistlichen als Vertreter der Rektoralgewalt ausgeübt. Es ist der vollständigste Organismus der Beherrschung der Volksschule. 2) Daneben hat nun allerdings das französische System der Selbst- verwaltung Platz gegriffen. Es ist in der vollziehenden Gewalt gezeigt, daß das Wesen derselben in Frankreich in den Conseils, unter Ausschließung wirklicher Selbstthätigkeit der Selbstverwaltungskörper, besteht. So ist es auch im gesammten Bildungswesen, und speziell im Volksschulwesen. Es ist jedoch von nicht geringem Interesse, den Gang der Selbst- verwaltung in Beziehung auf das Schulwesen, wenn auch nur in den Hauptzügen zu verfolgen. Die ersten Gesetzgebungen von 1789 und 1793 hatten das Volks- schulwesen ganz in die Hand der Gemeinden gegeben. Der damit ent- stehende völlige Mangel an Einheit und Gleichmäßigkeit machte die strenge Gesetzgebung Napoleons I. erklärlich. Sein System war ein einfaches und auch hier allenthalben gleiches. Die Gemeindeschulen wurden wie alle andern Gemeindeangelegenheiten dem Conseil municipal als berathende, dem Maire als vollziehende Gewalt unterworfen. Doch wurde dieses System in der Wirklichkeit nur sehr theilweise ausgeführt, da die Regierung nur wenige wirkliche Schulen herstellte. Die Restau- ration nahm dann das Napoleonische Princip auf, nur mit leichter Mo- dification in Beziehung auf die Conseils. Das Gesetz vom 22. Febr. 1816 setzte in jeden Kanton ein „Comité de surveillance pour encourager et surveiller l’instruction primaire“ (Art. 1); doch stand die Gemeinde- schule noch ausschließlich unter dem Maire und dem Geistlichen (Art. 8). Das Gesetz vom 28. Juni 1833 ging einen wesentlichen Schritt weiter, indem es in jeder Gemeinde ein Comité local de surveillance aus dem Maire, dem Geistlichen und einigen angesehenen Bürgern, vom Comité d’arrondissement ernannt, bildete. Dieß, in Verbindung mit dem Princip der Wahl des Schulausschusses im Gemeinderathe, und der freien Wahl des Lehrers durch die Gemeinde bei öffentlicher Be- werbung (s. unten) war ein großer Fortschritt. Das Volksschulwesen begann selbständig zu werden. Da fing die centrale Bureaukratie an zu reagiren. Seit 1835 wurden zunächst Inspektoren der Akade- mieen eingesetzt, die freilich anfänglich mit den Volksschulen wenig zu thun hatten. Die letzteren blieben dabei unter der Herrschaft des Préfet; da aber derselbe sich um das Detail nicht kümmern konnte, so erhielt sich, trotz des Inspektorats während der ganzen Juliregierung, das Princip des Guizot’schen Gesetzes von 1833. Erst die Februar- Revolution vernichtete vollständig, zum tiefen Bedauern der intelligenten Klasse, die freisinnige Ordnung des Guizot’schen Gesetzes. Um nämlich dem entgegen die einzelne Ortsschule der centralen Herrschaft zu unter- werfen, ward durch die Verordnung von 1850 das ganze System der Comité locaux aufgehoben, und das System der Inspecteurs d’arron- dissements für die Volksschule mit fast unbegränztem Recht als chef de service eingeführt (Art. 20) mit genauem Reglement von 1850 über die Ernennung jedes Inspecteurs. Nur das Comité d’arrondisse- ment blieb in der neuen, gleichfalls durch die Verordnung von 1850 eingeführten Form der délégués cantonaux bestehen, von dem Robert ( Dict. de la Politique ) mit Recht sagt: „ils sont restés dans un état d’inertie complète.“ So ist die ganze Volksschule nunmehr der Ge- meindethätigkeit entzogen, die Selbstverwaltung in derselben zu einem bloßen Schein gemacht und durch die völlige Herrschaft des behördlichen Elements der Rest der Selbständigkeit des Volksschulwesens zu Grunde gegangen. „Dans les écoles communales tout émane et relève des pouvoirs publics: composition du personel, méthode, enseignement.“ ( Rendu , bei Block l. c. ) 3) Dem entsprechend ist mit dem letzten Gesetze die Bildung eines selbständigen Lehrerstandes in Frankreich unmöglich geworden. Der Gang der französischen Gesetzgebung zeigt, daß die Verwaltung mit richtigem Gefühl die Grundlage des letztern in der Anstellung des Lehrers erkannt hat. Daher ist auch gerade auf diesem Punkt ein lang- samer Uebergang von der durch die Revolution hergestellten Freiheit zu der gegenwärtigen vollständigen Abhängigkeit des einzelnen Lehrers leicht erkennbar. Die Gesetze der Revolution ( D. 27 Brum. a. III ) lassen den Lehrer noch durch eine Jury aus der Gemeinde wählen; das Gesetz vom 1. Mai 1802 schon durch den Maire in Gemeinschaft mit dem Conseil municipal, die Verordnung vom 29. Februar 1816 durch den Recteur, jedoch mit Vorschlag von Seiten des Kantons; die Verord- nung vom 21. April 1828 durch den Bischof , das Gesetz von 1833 Wahl durch das Comité d’arrondissement auf Vorschlag des Conseil municipal; Ernennung durch den Minister. Von da an beginnt, unter Vorbereitung durch das System der Inspektion, der Rückschritt. Das Gesetz vom 15. März 1830 läßt noch die Präsentation durch den Gemeinderath zu, mit Ernennung durch den Minister; die Verordnung vom 9. März 1852 dagegen läßt nur eine Präsentationsliste ( liste d’ad- missibilité ) des Conseil départemental, als leere Form, der Ernennung durch den Recteur voraufgehen, bis endlich, nach völliger Organisirung der Inspection de l’instruction primaire, das Gesetz vom 14. Juni 1854 (Art. 8) die Ernennung einseitig dem Préfet überträgt. Damit ist die völlige Abhängigkeit des Lehrers und die Aufhebung der Gemeinderechte endlich vollzogen; wenig hat daneben das Recht der Gemeinde zu be- deuten, einen Wunsch darüber zu äußern, ob der vom Préfet ernannte Lehrer weltlich oder geistlich sein soll (Decret vom 31. Oktober 1854). Ein Lehrerstand ist auf dieser Grundlage in Frankreich unmöglich ; mit ihm eine tüchtige Volksbildung. 4) Indessen ist für die Lehrerbildung Einiges geschehen, wäh- rend die Bedingungen eines selbständigen Charakters dem Lehrer durch die obigen Rechtsordnungen gänzlich entzogen sind. Freilich sind die Schulbücher ( livres classiques ) unter die strengste Controle ge- stellt und natürlich die Lehre auch; allein man hat denn doch in den Écoles normales primaires den Anfang von Schullehrerseminarien ge- macht (Reglement vom 21. März 1851), ohne daß jedoch die Seminar- bildung nothwendig erklärt wäre für die Befähigung zur Lehre; dazu genügt einfach ein brévet de capacité, welches von einer Com- mission des Conseil départemental, dem Reste der alten Jury, nach einer höchst unbedeutenden Prüfung ausgestellt werden (Rechnen, Schreiben, Lesen, die Elemente der französischen Sprachlehre und — das Maß- und Gewichtssystem! Gesetz von 1850, Art. 13). Doch können die Candidaten sich auch über andere Gegenstände prüfen lassen (Art. 46). Uebrigens ist selbst diese Prüfung und das Zeugniß nicht einmal noth- wendig; es genügt schon dreijähriger Dienst als Hülfslehrer ( „stage“ Art. 43. 25). Das geistige Element der Lehrerbildung ist damit na- türlich so gut als überflüssig erklärt. Von einem Lehrkörper oder gar von Lehrerversammlungen ist natürlich dabei gar keine Rede. Dieß sind die Grundlagen des Rechts der öffentlichen Volksschulen der Instruction primaire in Frankreich. Die natürliche Folge davon ist die, daß die besitzende Klasse sich so weit als möglich denselben entzieht und ein eigenes System des Elementarunterrichts bildet. Dasselbe be- steht aus den Écoles libres und den Pensionnats. B ) Die Écoles libres sind ihrem Princip nach eben so wie die Pen- sionnats, was sie in England sind, gewerbliche Unternehmungen für den Unterricht, während sie ihrem Rechte nach dennoch im Geiste aller fran- zösischen Verwaltung der Oberaufsicht der Behörden unterworfen bleiben. Im ersten Sinne sind sie frei , und mußten es um so mehr sein, als die geistlichen Körperschaften, um sich der staatlichen Gewalt der Écoles publiques zu entziehen, eigene Elementarschulen und Erziehungsanstalten gründeten. Das Verhältniß der Behörden zu denselben hat aber dem ganzen Gange des Volksschulwesens analog drei Hauptepochen durch- gemacht. Die erste Epoche geht bis 1833 und erlaubt gegen Autorisation die Errichtung von Schulen und Pensionaten aller Art, die einmal errichtet, dann wie jedes Gewerbe, ohne alle weitere Oberaufsicht bleiben. Die zweite ward durch das Gesetz von 1833 begründet, nach welchem jeder 18jährige Franzose, der sein brevet de capacité be- sitzt und ein certificat de moralité von seinem Maire hat, eine solche errichten kann (Art. 4—8). Allein das Wesentliche war damals die Ueberwachung dieser Anstalten durch das Comité d’arrondissement (Art. 19) mit regelmäßigen Inspektionen aller Écoles primaires, also auch der geistlichen und dem Rechte der Suspension, nebst jährlichem Bericht an den Préfet; also eine wirkliche und ernsthaft gemeinte Betheiligung der Selbstverwaltung auch an dem Gange der École libre. Das Gesetz von 1850 hat dagegen die letztere wieder gänzlich aufgehoben, und an deren Stelle zwei Grundsätze gestellt, welche in hohem Grade ernste Folgen haben. Zuerst hat der Inspecteur die Genehmigung zu geben; dagegen hat der Inspecteur gar keine Berechtigung in Be- ziehung auf den Unterricht, sondern nur in Beziehung auf die Gesund- heit und Sittlichkeit (Art. 21). Es ist klar, daß, da hiemit auch jeder Bericht ausgeschlossen ist, der Elementarunterricht der besitzenden Klassen in Frankreich ein rein zufälliger, unorganischer, gegen keine Art von Einseitigkeit und Verkehrtheit geschützter, und im Ganzen der Literatur und dem Volke selbst gänzlich unbekannter werden mußte. Nirgends ist die Aufhebung des Gesetzes von 1833 verderblicher gewesen, als gerade für diese freien Schulen. Sie sind außerhalb der Selbstverwaltung und selbst der staatlichen Verwaltung. C ) Es ergiebt sich aus der obigen Darstellung, daß der ganze Charakter des französischen Elementarunterrichtswesens auf dem tiefen Unterschiede der Écoles publics mit ihrer vollständigen Abhängigkeit von der Regierung und den Écoles libres mit ihrer völligen Freiheit von derselben beruht. Beide sind gleichmäßig von der Selbstverwaltung der Gemeinde ausgeschlossen; beide haben keinen Lehrerstand; beide haben durch den Mangel an jeder gemeinsamen Vorbereitung auch keine pädagogische Literatur; jedes Gebiet steht für sich selbst da, und in dieser Scheidung drücken sie die tiefe Scheidung zwischen den beiden Klassen der staatsbürgerlichen Gesellschaft , der besitzenden und der nichtbesitzenden aus. Das Gefühl dieser großen Thatsache scheint nun auch der Regierung schon seit Jahrzehnten klar geworden zu sein. Guizots Gesetz von 1833 war, durch die Betheiligung der Gemeinde an der Volksschule, nicht bloß eine abstrakte Einführung der Selbstverwaltung in das Volksschul- wesen nach dem Muster der deutschen Volksschule, sondern vielmehr der erste große Versuch, den Klassengegensatz der Gesellschaft eben durch diese Theilnahme der Selbstverwaltung an dem Schulwesen ohne Un- terschied der öffentlichen und freien Schulen zu bekämpfen und zu be- seitigen. Es ist daher die Aufhebung der Principien dieses Gesetzes und die Einführung des rein bureaukratischen, gegen die niederen Klassen unbeschränkten, gegen die besitzenden und religiösen Körperschaften da- gegen gesetzlich machtlosen Systems der Inspektorate zugleich eine Maß- regel großer rein socialer Bedenken und Gefahren, die Niemand übersehen sollte, der über diese Dinge redet. Es wäre hohe Zeit, den eingeschlagenen Weg zu verlassen und durch die Herstellung eines dem deutschen Schulwesen entsprechenden Systems jenen Gefahren vorzubeugen. Wir bemerken dieß ausdrücklich, da durch die Erweiterung des Systems der Volksschule, namentlich durch die Versuche der Einführung des Klassensystems nicht allein geholfen werden kann. Schon das Ge- setz von 1833 hatte nämlich die Unterscheidung der Instruction primaire élementaire und supérieure gemacht; die letztere sollte die Elemente der Naturgeschichte, der Geschichte, der Geographie und der Geometrie ent- halten, und je nach Bedürfniß (als höhere Volksschule) eingeführt wer- den (Art. 1). Es ist eine sehr ernste Thatsache, daß diese höheren Klassen der Volksschule durch das Gesetz von 1850 direkt unterdrückt sind; nur daß dagegen den Gemeinden die Erlaubniß gegeben wird, an ihrer Stelle Specialschulen ( Écoles speciales, intermédiaires, professionelles ) und etwa noch Sonntagsschulen als Écoles d’apprentis zu errichten. Der wesentliche Unterschied dieser Bestimmung von dem Guizot’schen Gesetz besteht darin, daß das letztere die höhere Volksschule zu einem organischen Theile der Volksbildung machte, und damit die Vermittlung zwischen den gesellschaftlichen Klassen, den Uebergang von der niedern zur höhern, in das System des Volksunterrichts auf- nahm, während die Gegenstände der höheren Schulklassen den Charakter allgemeiner geistiger Bildung behalten; der Hauch des freieren geistigen Lebens, der die höheren Gesellschaftsklassen hebt und trägt, ward durch Geschichte und Geographie, durch Naturgeschichte und Geometrie in die Volksschule übertragen und für die Gesammtbildung des Volkes so ein edlerer Boden gewonnen. Das Napoleonische Gesetz von 1850 dagegen beschränkt diese höheren Klassen zuerst auf diejenigen Kinder, „que leur vocation (!) commerciale, industrielle, entraine au déla de l’enseigne- ment primaire“ — die formelle gesetzliche Anerkennung des Klassen- unterschiedes in der Gesellschaft. Dann aber erscheinen diese höheren Volksschulklassen in der That auch als einfache Gewerbeschulen, also nicht als ein Theil der Volks-, sondern vielmehr schon der gewerblichen Berufsbildung, als Uebergang zu den Écoles industrielles (s. unten), die von den höheren geistigen Elementen der Bildung ferne gehalten werden. Man muß daher auch auf diesem Punkte den geschehenen Rückschritt nicht bloß in diesem Sinne, sondern eben so sehr in dem der socialen Gegensätze beklagen. Dieß sind die allgemeinen Grundzüge des französischen Volksschul- wesens. Einzelnes zur Vergleichung im Folgenden. Gesetzgebung . Im Allgemeinen wird man hier drei Abschnitte unterscheiden. Der erste umfaßt alle Gesetze bis 1833. In dieser Zeit kümmert sich die Gesetzgebung noch wenig um die Volksschule, und über- läßt die Sache fast ganz den Ortsschulbehörden. Der zweite geht von 1830 bis 1850; er enthält die Aufstellung und Durchführung des großen Princips der (deutschen) Selbstverwaltung des (Gemeinde-) Schulwesens, und bildet die Epoche des Aufschwunges der ganzen Volksbildung. Der dritte beginnt mit dem organischen Gesetze vom 15. März 1850 und der Inspektoralorganisation, nebst dem Reglement vom 29. Juli und 7. Oktober; das Décret organique vom 9. März 1852 organisirte die Aufgabe und Competenz der Präfektur und mit ihm der Behörden; auch im Schulwesen das Gesetz vom 14. Juni 1854 bestimmte namentlich das Verhältniß des Recteur zu den Préfets und organisirte die Scheidung des öffentlichen Rechts der Lehre von dem der Lehrer, was durch das hochwichtige Dekret vom 31. Oktober 1854 dann genauer durchgeführt ward. Eine sehr gute Sammlung dieser Gesetze der neuesten Epoche in: Lois, décrets et réglements rélatifs à l’in- struction publique (vom 2. December 1851 bis 1855). Andere Samm- lungen bei Block ( Dictionnaire de l’Administration v. Instruction publique ). Spezielle Bearbeitungen bei Laferrière , Cours de droit administratif III. Tom. IV. Ch. 2 und 3; Batbie , Traité du droit public et administratif III. Ch. §. 165—179; beide mit großer Be- rücksichtigung des Lehrer- und Schulrechts. — Die französische Volks- schulliteratur ist in hohem Grade unbedeutend und besteht meistens nur in Interpretation der Gesetze; es mangelt mit dem ethischen Ele- ment des Berufes und Standes das höhere Element der Pädagogik. Zwei gute Schriften von Eugène Rendu : De la loi de l’enseigne- ment, und de l’Education populaire dans l’Allemagne du Nord. — Durch diesen Mangel jedes Standesbewußtseins und selbst jeder tüchtigen Statistik hat auch die deutsche Literatur sich kein rechtes Urtheil bilden können, um so weniger, da den Pädagogen, den einzigen, die sich bei dem völligen Mangel der Verwaltungslehre mit dem Gegenstand ernstlich beschäftigten, die Hauptsache, das öffentliche Recht und die organische Bedeutung der Selbstverwaltung denn doch nicht so geläufig sein konnte. Erst in der neuesten Zeit ist nun die Hauptfrage des französischen Unterrichtswesens, die Frage nach der Schulpflicht wieder aufge- nommen, und die Diskussion hat wesentlich die Formen und den Cha- rakter der Gegensätze zwischen dem voluntary und obligatory system angenommen. Der Ausgangspunkt war schon seit der Constitution vom 3. September 1791 (Art. 17) die Frage, ob der Elementarschulbesuch unentgeltlich sein solle. „Cette égalité, profitable aux riches, aurait pour objet d’effacer toute distinction entre les enfants et de leur apprendre l’égalité dès l’age le plus tendre.“ Batbie , Traité de droit publique et administratif, Tom. III. p. 227. Daher hatte die Constitution vom 19. Juni 1793 die Eltern unter strenger Buße verpflichtet, ihre Kinder ohne Unterschied drei Jahre lang in die öffentliche Schule zu senden (Art. 6. 8. 9). Von einer Durchführung dieses Gesetzes konnte um so weniger die Rede sein, als diese Schulen eben nicht allenthalben bestanden. Man ließ daher das Princip auf sich beruhen. Guizot sah den richtigen Weg, indem er damit begann, die Selbstverwaltung an die Spitze der Schule zu stellen durch das treffliche Gesetz von 1833. Das Gesetz vom 15. März 1850 sagt aus- weichend (Art. 24): „L’enseignement primaire est donné gratuite- ment à tous les enfants, dont les familles sont hors d’état de le payer.“ Zur Entscheidung kann die Sache nicht gelangen, so lange die Elementarschulen selbst so unfrei bleiben, wie sie das gegenwärtige Regime gemacht hat (s. unten Schulrecht). 6) Die französischen Nachbildungen im Volksschulwesen von Belgien, Italien und der Schweiz . Wir schließen unmittelbar an die Darstellung Frankreichs die Darstellung der französischen Nachbildungen an, die im Grunde nichts weiter sind, als die einfache Uebertragung der französischen Grundformen auf das Schulwesen dieser Länder, jedoch mit kleinen Modifikationen, welche aus den Eigenthümlichkeiten der betreffenden Länder hervorgehen. Dahin rechnen wir Belgien, Italien und die französischen Kantone der Schweiz . Was zunächst Belgien betrifft, so haben wir schon oben auf das Grundgesetz seines Volksschulwesens von 1842 hingewiesen; die Grund- züge sind formell und materiell die französischen. Die Écoles primaires sind von der Instruction secondaire geschieden. Jede Gemeinde soll eine Volksschule haben; jedoch zeigt sich hier der eigentliche Charakter des Unterschiedes darin, daß die Gemeindeschule nicht als ein staat- liches Institut, sondern als eine subsidiäre Anstalt aufgefaßt wird. „L’enseignement officiel n’a d’autre but, ici que de venir en aide à l’enseignement libre; aussi lorsque dans une localité il est suffisam- ment pourvu aux lections de l’enseignement primaire par les écoles privées, la commune peut être dispensée dé l’obligation d’établir elle même une école.“ Gesetz von 1842 (Art. 1. 2. 3); de Fooz , Administration Belge IV. Tom. II. §. IV. Darüber entscheidet die Deputation; jedoch stellt die Gemeinde die Lehrer in den öffentlichen Volksschulen an, was schon das Gemeindegesetz (Art. 84) ihr zugesprochen hatte. Auch hat die Gemeinde sowohl die Oberaufsicht über die Lehrord- nung als über die Verwaltung; jedoch haben die Geistlichen zu aller Zeit das Recht, die Schulen zu besuchen. Auf diese Weise unterscheidet sich das belgische Volksschulwesen wie das gesammte belgische Bildungs- wesen von dem französischen dadurch, daß wir hier beide Systeme auch formell als gleichberechtigt neben einander auftreten sehen; das System der freien Schulen mit dem Recht die öffentlichen Schulen zu vertreten, und das der Gemeindeschulen ; und die belgischen Verhältnisse bringen es mit sich, daß die ersteren meist von den geist- lichen Körperschaften ausgehen. Beide Systeme bekämpfen sich seit 1830 aufs hartnäckigste, und einer der großen Unterschiede des ganzen belgischen Lebens und Rechts von dem holländischen besteht eben in dieser Anerkennung der Macht der Geistlichkeit, von der sich Holland in der neuesten Zeit ganz freigemacht hat. — Gleichfalls dem französischen Vorbilde entsprechend sind die Écoles primaires supérieures, Bürger- schulen mit der Unklarheit ihrer Stellung; ebenso die Écoles normales, welche die Lehrerseminarien vertreten (s. unten). Die Gesetze und Ver- ordnungen, welche dem Gesetze von 1832 folgen, haben an diesem Charakter nichts Wesentliches geändert. Belgien ist, und wohl auf lange Zeit, dasjenige Land, in welchem die Frage nach der Stellung der Geistlichkeit zur Volksschule einfach durch die Scheidung der geistlichen von der weltlichen Volksschule erledigt ist, ohne daß jedoch die letztere damit ganz von der geistlichen Oberaufsicht und Ein- wirkung befreit wäre. II. Eine formell noch klarere und ausgebildetere Nachahmung des französischen Systems tritt uns in dem allerdings noch sehr jungen, und für den größten Theil des neuen Reiches noch ganz auf dem Papier stehenden Volksschulwesen Italiens entgegen. Wir haben den Cha- rakter des italienischen Bildungswesens schon oben bezeichnet. Vergleicht man damit speziell das Volksschulwesen, so muß man sagen, daß während die gelehrte Bildung wesentlich auf dem System der alten Universitäten, die wirthschaftliche auf dem der deutschen Vorbilder be- ruht, der Gang des Volksschulwesens sich allerdings der Form nach dem französischen anschließt. Allein während sie die Herstellung der Schulen und die Schullast wie in Frankreich zum Gegenstand einer centralen Reichsgesetzgebung gemacht, und das ganze Schulwesen einer centralen Inspektion untergeordnet hat, ist die einzelne Schule dennoch Gegen- stand einer beinahe ganz freien Selbstverwaltung. Bei aller formellen Ueberstimmung mit dem den Italienern verständlichen französischen Recht ist der Geist des neuen Schulwesens ein deutscher , und man erkennt deutlich, daß nur die noch sehr große Unfertigkeit des communalen Lebens, namentlich auf dem Lande, die Regierung zwingt, ihrerseits mehr einzu- greifen, als sie selbst möchte. In der That hat die neue Gesetzgebung sich offenbar von dem vielleicht ganz richtigen Gefühle leiten lassen, daß es sich hier, um überhaupt zu einem Resultate zu gelangen, noch nicht so sehr um freie Selbstverwaltung der Gemeinden, als vielmehr über- haupt nur um ein durch die centrale Gewalt herzustellendes Volksschul- wesen handelt. Das ist das Princip der neuen Gesetzgebung, welche mit dem Grundgesetz für die Volksschule vom 13. November 1859 beginnt. Die leitenden Gedanken dieses Gesetzes sind: Scheidung der istruzione inferiore (Elementarschule) von der istruzione superiore (Bürgerschule), jede mit zweijährigem Cursus. Aller Volksunterricht soll unentgeltlich sein, und die Gemeinden sind verpflichtet, den Unterricht darzubieten. Derselbe ist geschieden in Knaben- und Mädchenschulen. Die Schul- pflicht ist nach französischem Muster nicht eingeführt, jedoch sollen die Eltern der schulfähigen Kinder vom Sindaco aufgefordert werden, die Kinder zur Schule zu schicken, eventuell können sie mit Bußen dazu angehalten werden; eine Bestimmung des Gesetzes von 1859, welche speziell in Neapel durch Verordnung vom 7. Januar 1861 eingeschärft worden ist. Daneben haben die Gemeinden ihrerseits ihre Schulen her- zustellen und zu erhalten; doch können zwei Gemeinden zusammengelegt werden. Können sie dennoch die Last nicht tragen, so werden ihnen nach dem Gesetze von 1859 (Art. 345) vom Staate Unterstützungen bewilligt. Das Lehrerwesen beruht wie in Frankreich auf den scuole normale, die theils vom Staate unmittelbar hergestellt, theils von den Gemeinden errichtet und den Staatsnormalschulen gleichgestellt sind. Jeder Schul- lehrer muß eine Prüfung bestehen und bekommt alsdann die patente di capacita (brevet de capacité). Die Zeugnisse sind wieder definitive und provisorische. Die Schulbildung ist durch das Reglement vom 23. Juni 1860 genauer geregelt. Jede Provinz hat das Recht, solche Lehrerseminarien ( scuole magistrale ) zu gründen; die Professoren der Lehrerseminarien haben selbständige Conferenzen über die Lehrordnung; der Curs dauert drei Jahre; die Prüfungen werden öffentlich, theils schriftlich, theils mündlich abgehalten; das patente wird jedoch erst bewilligt, wenn die Seminaristen ein Jahr an einer öffentlichen Schule als Gehülfen gedient haben (Gesetz von 1859, Art. 170. 171). An dieß System der Volksschule hat sich ein System von Fortbildungs- schulen ( scuole per gli adulti), sowohl Abendschulen als Feiertags- schulen angeschlossen, sowie ein Verein für Worteschulen. ( asili rurali per la infanzia Decr. reale vom 1. Oktober 1866). Dieß System ward nun seit 1859 beständig weiter ausgebildet. Die Bestimmungen über die Bewilligung der Staatsunterstützung sind in einem Decr. reale vom 7. Juli 1863 genauer ausgeführt; dieselbe soll in Nothfällen, in Fällen der Verarmung, und endlich da bewilligt werden, wo die Gemeinden sich durch Wiederholungsschulen auszeichnen. Das Gesetz vom 22. April 1866 hat die Summe von 300,000 Lire für die Herstellung von Wieder- holungsschulen bewilligt, welche übrigens nicht bloß für Gemeinden, sondern auch für Gesellschaften und selbst für Privatunternehmungen bestimmt werden. Für die Lehrer sind Prämien und Medaillen aus- gesetzt ( Decr. reale vom 3. Januar 1865 und 10. Juli 1866). Die Inspektion der Volksschulen wurde durch Decr. reale vom 12. Dec. 1865 geordnet; das Gesetz vom 6. December 1866 hat endlich endgültig die ganze Organisation der Verwaltung bestimmt, welche wir hier in ihren Grundzügen aufführen, als Anhang zu den früheren Bemerkungen; die Grundzüge selbst sind ganz nach französischem Muster. Das Consiglio superiore ist in die drei französischen Sektionen getheilt, die Comitati per l’istruzione universitara, die Istruzione secondaria und die Istru- zione primaria. Jedes dieser Comitati besteht aus ordentlichen und außerordentlichen Unterrichtsräthen. Hauptaufgabe ist die Oberaufsicht und die Abfassung von Berichten über den Zustand des Bildungs- wesens, jedes in seinem Gebiete. Unter diesen Comitati besteht ein System von Ispettori (20), jedoch hier beginnt der wesentliche Unter- schied von dem französischen Systeme. Schon diese Ispettori haben nicht das Recht, sich in die eigentliche Verwaltung zu mischen, sondern sollen nur die Zustände des Unterrichtswesens constatiren, mit gutem Rath zur Hand gehen und berichten. Unter ihnen wieder stehen die Kreis- inspektoren ( ispettori di circondario), die zunächst dem Provinzial- Collegium untergeordnet sind, welche aus drei gewählten Mitgliedern der Deputatione provinciale, und den Lehrern der ersten Schulen bestehen. Von der Gewalt der französischen Préfets ist hier keine Rede und die Inspektoren sind in der That unter französischem Namen deutsche Schul- räthe. Die unterste Stufe der Oberaufsicht führt der delegato sco- lastico, den der Minister für jedes Mandamento (Bezirk) ernennt, der aber kein Beamteter ist, sondern eine untergeordnete Stellung hat, und dessen wichtigste Funktion der Bericht an das Ministerium über die örtlichen Bedürfnisse der Schule ist. Auf diesen Grundlagen baut Italien an seinem Volksschulwesen, das offenbar, wenn die angegebenen Ge- danken durchgeführt werden, ein sehr wohlgeordnetes und segensreiches werden kann, da es die französische Bureaukratie nur so weit mit ihren Formen in sich aufgenommen hat, als sie der Lehrfreiheit nicht hinder- lich ist. Von der Herrschaft der Geistlichkeit ist gar keine Rede mehr. Die neuesten eben so reichhaltigen, als wie es scheint ehrlichen Nach- richten in der Statistica del Regno d’Italia Istruzione publica e pri- vata 1866. 4. Frühere Angaben bei Brachelli , Staaten Europas, S. 537. Die erwähnte Statistica gesteht selbst, daß hier noch viel zu wünschen übrig bleiben wird. III. Die Schweiz endlich hat in ihren französischen Kantonen das französische System aufgenommen. Doch müssen wir uns bei mangeln- den genaueren Angaben über das Recht des Schulwesens auf die von Brachelli angegebenen statistischen Daten beschränken. Besonderer Theil. Das System des Volksschulrechts. Das System des Volksschulwesens zeigt nun die Anwendung der im Charakter des letztern liegenden Grundsätze in den einzelnen orga- nischen Verhältnissen der Volksschule. Da diese ihrem Wesen nach gleich und daher, wenn auch mit dem verschiedensten Rechte, bei allen Volks- schulen vorhanden sind, so sind sie die Grundlagen der Vergleichung für alle einzelnen Bestimmungen des Volksschulrechts, während der Cha- rakter dasselbe als ein Ganzes auffaßt. Die Grundlagen dieses Systems sind die Organisation (der Verwaltung), das eigentliche Schulrecht (als die Gesammtheit der Bestimmungen, durch welche das Princip der Schulpflicht für Verwal- tung und Individuum zum Ausdruck gelangt), das Lehrerwesen (als Grundlage der besondern Funktion) und die Lehrordnung (als Aus- druck der socialen Auffassung des Elementarunterrichts). Jede einzelne Bestimmung dieses Systems muß nun ihrerseits als Ausdruck des Charakters des Schulwesens aufgefaßt und von dem Standpunkt desselben zur Vergleichung gebracht werden. Man wird dabei die öffentliche Schule von der Privatschule stets deßhalb scheiden müssen, weil nur in der ersteren Princip und Thätigkeit der Verwal- tung vollständig zu Tage tritt, während der Regel nach die letztere, Stein , die Verwaltungslehre. V. 8 auf die höheren Klassen der Gesellschaft berechnet, in ihrer Lehrordnung den Uebergang zu den Berufsschulen in sich trägt. Es ist dabei festzuhalten, daß, je höher die Gesittung eines Volkes steht, um so mehr der Unterschied zwischen Volks- und Be- rufsschulen sich auch im Rechtssystem derselben verwischt, und der letzteren daher so weit möglich die Aufgabe gestellt wird, dasselbe zu leisten, was die Privatschulen leisten. Je mehr dieß erreicht wird — und das Kriterium dafür sind Klassensystem und Lehrordnung — um so höher steht das Volksschulwesen. Erste Gruppe. Oeffentliche Volksschule. A. Organismus der Verwaltung . Der Organismus der Schulverwaltung enthält die Organe der vollziehenden Gewalt und ihre Competenz, welche für die Ausführung der den Elementarunterricht durch die öffentliche Volksschule betreffenden öffentlich rechtlichen Bestimmungen zu sorgen haben. Die Einheit dieses Organismus wird stets von dem Vorhandensein des Ministerialsystems, die Klarheit der Gliederung von der allgemeinen hierarchischen Eintheilung, das Princip ihres Rechts von der Aner- kennung und dem Rechte der Selbstverwaltung, speziell der Gemeinde, Umfang und Inhalt der einzelnen Competenzen dagegen vorzugsweise von dem Maße abhangen, nach welchem der Staat oder die Gemeinde zu den Schullasten beitragen. Das System des Organismus wird stets auf die drei großen Ka- tegorien: Ministerium, Behörden und Selbstverwaltung zurückgeführt werden. Die historische Entwicklung dieses Systems beruht in allen Ländern zunächst formell darauf, daß der Antheil, den jedes jener drei Elemente an die Verwaltung hat, immer genauer bestimmt oder die Competenz derselben immer mehr mit der naturgemäßen Funktion jener Elemente in Harmonie gebracht wird. Dem Inhalte nach geht dann diese Entwicklung dahin, die Schulverwaltung mit der Schullast mehr und mehr in die Hände der Gemeinden zu legen, den Behörden aller Art die Oberaufsicht über die Harmonie dieser Gemeindeverwaltung mit den bestehenden rechtlichen Vorschriften zu geben, durch die Ministerien aber die Gesetze zu entwerfen und für die Gleichartigkeit ihrer Befolgung für alle einzelnen Grundverhält- nisse des Volksschulwesens zu sorgen. Diesen drei Competenzen ent- sprechen die Bezeichnungen: Ortsschulwesen, Landesschulwesen und Volksschulwesen. Während in diesem System die Stellung und Competenz des Ministeriums kaum irgendwo zweifelhaft ist, ist dagegen das Be- hördensystem wesentlich verschieden, und zwar, indem es einerseits stets aus zwei Elementen besteht, dem weltlichen und dem kirchlichen, andererseits aber die Competenz beider gegenüber der Gemeinde den eigentlichen Kern der historischen Entwicklung enthält. Die ursprünglich einzige Behörde für die Volksschule ist unzweifel- haft die Geistlichkeit. Erst im vorigen Jahrhundert, wo der Staat die Volksschule für eine Anstalt der Verwaltung erklärt, beginnt er für die Verwaltungsbehörde bei dem Elementarunterricht Rechte zu fordern. Diese Rechte entwickeln sich langsam, und in jedem Staat wohl in verschiedener Weise dahin, daß sie sich ursprünglich nur auf die Her- stellung und wirthschaftliche Verwaltung der Schule beziehen, dann aber, namentlich durch die Errichtung der Lehrerseminarien aus Staats- mitteln, einen Antheil, und an manchen Orten das ausschließliche Anstellungsrecht der Lehrer erzeugen, und endlich auch die Lehre selbst, den Unterricht, umfassen. Hier nun gelten meist zwei Systeme: entweder die Verbindung der geistlichen Behörde mit der weltlichen in der Oberaufsicht, oder die Scheidung derselben, in welcher wieder die weltliche Behörde die äußeren Angelegenheiten der Schulverwaltung, die kirchliche Behörde dagegen bald den ganzen Unterricht oder nur den religiösen Unterricht leitet, Verhältnisse deren rechtlichen Ausdruck dann die Unterordnung des Schullehrers unter den Geistlichen oder weltliche Behörde bildet, die oft nicht einmal genau definirt ist. Nachdem auf diese Weise beide Elemente der Organisation sich verbunden, entsteht nun mit der höheren Entwicklung der hierarchischen Gliederung auch das System der Behörden in den Schulcollegien , die wieder zum Theil zugleich für die Berufsschulen competent sind, und ihre Funktion theils als entscheidendes Organ , theils als Aufsichts- organ mit verschiedenen Formen und Namen vollziehen. Die Noth- wendigkeit und Einheit aller Verwaltung und die immer wachsende Gleichheit der Bildungs- und Lebensverhältnisse erzeugt dann das Institut der allgemeinen, wir möchten sagen, der ministeriellen Auf- sicht, unter der die Landesbehörde mit der ihrigen und endlich die Ortsbehörde in Verbindung mit der Geistlichkeit und Selbstverwal- tung steht. Auf diese Weise ergeben sich folgende elementare Kategorien der Organisation der Volksschulverwaltung in ihrer Vergleichung, bei denen natürlich nur festzuhalten ist, daß die höheren Organe stets auch mit der Berufsbildung zu thun haben. Einer wirklichen Vergleichung, die nur durch Reduktion auf die obigen Kategorien möglich ist, entbehren wir. Es ist klar, von welcher entscheiden- den Wichtigkeit sie wäre. Die Anhaltspunkte dafür dürften folgende sein. England, Frankreich und Deutschland zeigen den verschiedenen Charakter ihrer Gesammtauffassung am deutlichsten gerade in dem Ver- hältniß jener Organisationen. England hat keine Ministerial-Organisation und kann keine haben (s. oben). Die Unklarheit in der geltenden Organisation ist jedoch — natur- gemäß — eben so groß als in dem Princip des Schulwesens überhaupt. Man muß hier drei Systeme des Organismus unterscheiden. Zuerst das des „Committee“, das unter sich 50 Schulinspektoren hat, welche jährlich genauen Bericht erstatten. „Die Autorität dieser Behörde ist aber nur eine moralische, keine legale,“ d. i. vollziehende. ( Schöll in Schmids Encyklo- pädie, Art. Großbritannien S. 87); jedoch kann sie Regulations aufstellen, wenn die Schule Unterstützung annimmt. Zweitens ist durch Ordre in Council vom 25. Februar 1856 ein Education Departement mit zwei Sektionen, dem Elementar- und dem Vorbildungsunterricht der Armen ( Dep. of Science and Art ) errichtet, das unter dem Lord President steht (s. unten und Gugler S. 198); offenbar eine provisorische Einrichtung. Drittens bestehen neben beiden ganz selbständig die Systeme der großen Schulvereine , namentlich das der National school und der High Church mit ihrer an das bischöfliche System angeschlossenen Organisation: Primas von England, Bischöfe mit zehn Pairs; die Diöcesanbehörde unter den Bischöfen und örtlich die Dekanate ( Schöll a. a. O. 89. 90). Es ist klar, daß das Inspektionssystem aus Frankreich stammt, während das National school System ächt englisch-kirchlich ist. Hier ist aber noch alles im Werden. Frankreichs Schulverwaltung ist ein Theil seines Beamten- organismus und seines Systems der Conseils, nur daß hier der Unterschied des weltlichen und geistlichen Elements schon in dem von uns sog. Landes- (Departemental-) Schulwesen auftritt. Das Schema ist folgendes (s. die Quellen oben): I. Ministre Conseil impérial II. Préfet et Recteur Conseil départemental et Conseil académique Inspecteur général III. Maire et Curé Délégués cantonaux Conseil municipal Inspecteur de l’in- struction primaire. Princip : Die Lehre gehört dem geistlichen, die Anstellung und Verwaltung dem weltlichen Element, die Gemeinde hat nur über die Schullasten zu berathen (seit 1850), der wahre herrschende Beamte ist der Inspecteur de l’instruction primaire. Deutschland . Bei aller Verschiedenheit hat dennoch die Ver- waltungsorganisation Deutschlands im Wesentlichen denselben Charakter. Der Schwerpunkt liegt hier, statt wie in Frankreich im Landesschul- wesen, vielmehr im Ortsschulwesen , und das Princip des Ortsschul- wesens ist das Recht der Selbstverwaltung, das eigentlich die Ortsbe- hörde nur ersetzt , wo es fehlt, und durch die Inspektion auf die gesetzlichen Vorschriften zurückgeführt wird, wo diese von der Gemeinde nicht befolgt werden. Das geistliche Element steht verschieden; — theils hat es den ganzen Unterricht zu leiten, theils nur den Religions- unterricht, theils ist es die oberaufsehende, überhaupt nicht mehr unter- richtende Ortsbehörde selbst. Hier fehlt uns leider viel Kenntniß im Einzelnen. Oesterreich . Gesetzgebung auf Grundlage der Theresianischen Gesetze, die noch bei dem Orts schulwesen stehen bleiben. Die Ver- fassung der deutschen Volksschule vom 11. August 1805, revidirt 1838, welche das Landesschulwesen durch die Consistorien begründen. Errich- tung des Unterrichts-Ministeriums am 23. März 1848, Errichtung der Landesschulbehörden 1850, mit Instruktion vom 15. April 1850. Daneben Lehrerversammlungen unter dem Schuldistrikts- Aufseher (Verordnung vom 26. Mai 1851); Errichtung des Unter- richts-Ministeriums (Entschließung vom 12. April 1852); Gemeinde-Ordnungen von 1849 und 1862); Einrichtung der Schulräthe (28. August 1854); der Ortsschulaufseher (Erlaß vom 15. Januar 1853); des Unterrichtsraths mit der Sektion für Volksschulen (s. Helfert an mehreren Orten. Stubenrauch II. 367—392. Vorzüglich Ficker bei Schmid V. 274 ff. Spezielle An- gaben der Organisation S. 299 ff). Darnach ist das Schema: I. Minister . Unterrichtsrath. II. Statthalter mit Referenten (Verordnung vom 19. Sept. 1853). Landesschulbehörde (Consistorium). Schulrath und Dechant . III. Ortsbehörde. Gemeinde. (Präsentationsrecht). Geistlicher und Orts- schulaufseher. In dieser an sich sehr guten Organisation fehlt nur eins, um ihren ganzen Erfolg zu sichern, und das ist eine allgemeine und freie Lehrer- bildung (s. unten). Preußen . Princip des Allgemeinen Landrechts II. 12. 9.: alle Volksschulen unter Aufsicht des Staats zu stellen, ohne das Verhältniß der Grundformen zu regeln. Organisirung daher von unten hinauf, im Anschluß an die Regierungen (Landesschulwesen). Instruktion für die Regierung vom 23. Oktober 1817 und Beschränkung der Geistlichen auf den Religionsunterricht unter den Consistorien (Instruktion ebend. und Verfassung von 1850, Art. 24). Errichtung des Ministeriums (Verordnung vom 3. November 1817); der religiöse Unterricht dem evang. Oberkirchenrathe zugewiesen (Reglement vom 29. Juni 1850). Un- klarheit des Allgemeinen Landrechts über die Orts schule; Einführung der Schulvorstände auf dem Lande. Circ. vom 28. Oktober 1812 (Prediger, Gemeinde und Patron) und der städtischen Schuldepu- tationen . Städteordnung vom 19. November 1818, was in allen folgenden Städteordnungen beibehalten ist. Ueber die nichterfüllte Ab- sicht, eine neue Organisation auf Grundlage der Verfassung von 1850 (Art. 24—26) zu erlassen, sowie über die noch bestehenden Landesschul- verwaltungen und die einzelnen Gesetze: Rönne , Unterrichtswesen I. und dessen Staatsrecht I. 203 und II. 441. 442. Die Grundverhältnisse sind demnach: I. Minister. Evangelischer Ober- Kirchenrath (für Real- Unterricht). II. (Oberpräsidium) Regierungen. Provinzial-Schulcol- legien. Landräthe und Seminar- Direktoren (evangelisch). Dechant (katholisch). III. (vacat) Gemeindevertretung. Patron. Geistliche. ( vacat). Es ist klar, was hier fehlt: die Bestimmung der Competenzen in Beziehung auf die Aufgaben der Ortsschule, da hier im Grunde dieselben Organe vorwalten, beaufsichtigen und an die entscheidende Stelle (Regierung) verichten, da die Landesaufsicht (Landrath ꝛc.) gleich- falls ohne feste Competenz ist. Die Tüchtigkeit des Lehrerstandes gleicht aber alles aus . Bayern . Die Grundlage der Organisation bildet die Beil. VI. zur Verfassungsurkunde; dann als Ausführung die Formations- Verordnung vom 17. December 1825. Einzelne Bestimmungen s. unten. Die Rechtsverhältnisse beruhen auf dem Gegensatz der zwei unfertigen Gedanken, daß erstlich alle Schullehrer unter der Oberauf- sicht des Staats stehen und daher auch von der Behörde angestellt werden, zweitens daß sie trotzdem keine „pragmatische Stellung“ (amt- liche) haben. ( Pözl , Verwaltungsrecht §. 186.) Das System ist folgendes: I. Ministerium . II. Kreisregierung . ( vacat). Distriktsschulinspektor, eventuell Visitationen durch Regierungs- Commissäre. III. Ortsschulorgane als „Lokalschulinspektion“ mit Visitation. Zusam- mengesetzt aus Ortsvorsteher, Geistlichen und Gemeinderäthen ohne Scheidung ihrer Funktionen. — Verwaltung der Stiftungen bloß unter der Gemeinde. Hier mangelt vor allem Klarheit in den Funktionen , nament- lich bei der Ortsschule ; wodurch die Organe der letztern in der Un- möglichkeit sind, Mängel der Ortsverwaltung selbständig zur Sprache zu bringen, ohne sich selbst anzuklagen. Die Scheidung der Aufsicht und der Ortsschulverwaltung erscheint als durchaus nothwendig. Die Organisirung der Lokalinspektion noch jetzt nach der Instruktion vom 3. September 1808. Qualifikationslisten des Distriktsinspektors über die ganze Localschulinspektion (Ministerial-Erlaß vom 9. März und 31. August 1833); Organisirung der Visitationen (Verordnung vom 1. April 1832). Pözl , Verwaltungsrecht §. 188. Approbation der Schulbücher von den Bischöfen (Rescript vom 8. April 1852. Vgl. Klemm bei Schmid , Encyklopädie I. S. 430—32). Baden . Vor 1830 sehr große Ungleichartigkeit. Entscheidend dann die Verordnung über das Volksschulwesen vom 15. Mai 1834, welche auch jetzt noch die Grundlage des bestehenden, mit vielen einzelnen Verordnungen erweiterten Rechts ist. Sammlungen von Offenburg und Schmid nebst der Literatur bei Holtzmann in Schmid , Ency- clopädie I. S. 387. — Weitläuftiges und verwickeltes System der Schul- behörden. Oberschulbehörde (Oberrath für Juden) mit Religions- und Schulconferenzen; dann die Bezirksbehörden mit Bezirksvisitationen; örtlich der Pfarrer als Schulinspektor mit dem Schulvorstand aus der Gemeinde gebildet. Ueber oder neben der Oberschulbehörde wieder eine Oberschul conferenz ; für die mit den Volksschulen verbundenen Industrieschulen wieder die vier Regierungen als Oberschulbehörde; und dieß alles in unklar geordneten Competenzverhältnissen unter dem Ministerium des Innern. Hannover . Die Grundlagen der geschichtlichen Rechtsentwicklung kurz und klar von Pabst bei Schmid , Encyklopädie IV. S. 319. Hier auch die für Hannover keineswegs unbedeutende Volksschul-Literatur desselben S. 326. Die Grundlage der gegenwärtigen Ordnung ist das Gesetz vom 26. Mai 1845, nebst der Instruktion vom 31. December, welche zuerst ein gemeinsames und gleichartiges Volksschulwesen her- stellte. Die Organisation ist durch eine Reihe von Verordnungen seit 1850 geregelt und zwar in Ausführung des Gesetzes über Kirchen- und Schulvorstände vom 14. Oktober 1848 und Zusatzgesetz vom 5. No- vember 1850. Cultus-Ministerium mit einem Schulreferenten, mit Ge- neralinspektion; in jedem evangelischen Consistorium ein Oberschulinspektor; örtlich Schulvorstände in jedem Schulbezirk (Geistliche, Schullehrer und Gemeindevorstände), die Verordnung vom 19. Mai 1859 hat dann das „Oberaufsichtsrecht“ geregelt, indem auch alle Privatschulen unter die (kirchlichen) Oberschulinspektoren gestellt sind, wie denn überhaupt Han- nover sich durch strenge Unterordnung der Schule unter die Kirche aus- zeichnet. Pabst a. a. O. S. 326. Kurhessen . Ein ziemlich eingehender Artikel von Bezzenberger bei Schmid III. S. 475 ff. Geschichte desselben ( Heppe , Geschichte des deutschen Volksschulwesens. Bd. I. und II. 1858, und dessen Bei- träge zur Geschichte des hessischen Schulwesens 1850). Organisation: Schul vorstand ; auf dem Lande Landrath und Pfarrer ohne , in den Städten mit Gemeindemitgliedern; Inspektion durch die Pfarrer. Oberschulinspektor ohne bestimmte Competenz; dritte Instanz die Provinzialregierung, jedoch mit Beschwerderecht an das Ministerium des Innern. Hessen-Darmstadt. (Strack in Schmid Encyklopädie III. S. 511 ff.) Kurze Geschichte des früheren Zustandes bis zum Gesetze vom 6. Juni 1832, welches die einheitliche Grundlage des ganzen Schulwesens ist, insbesondere der Organisation derselben, nebst In- struktion vom 10. Juni 1832. Princip ist hier im Gegensatz zu Hannover die strenge Trennung der Schule von der Kirche und Aufstellung von eigenen Schulbehörden, des Oberschulraths , der seit 1849 mit dem Oberstudienrathe verbunden ist, unter dem Namen der Oberstudien-Direktion . Von da an rasche und gedeihliche Entwicklung des ganzen Volksschulwesens. Die Bezirks- Schulcom- missionen haben die Aufsicht in den Kreisen; örtlich verwaltet der Orts schulvorstand : Geistliche, Bürgermeister und zwei Gemeinde- vertreter ( Strack a. a. O. S. 513). Schwarzburg-Rudolstadt . Volksschulgesetz vom 23. März 1861. Dazu einige Abänderungen, Verbesserung der Lage des Lehrers. Gesetz vom 18. März 1864. Belgien . Grundgesetz für das Volksschulwesen ( instruction pri- maire ) vom 23. September 1842. System der Organisation: 1) bür- gerliche Civilinspektion, für je einen der 108 Kantone einen Inspecteur cantonal; diese Inspecteurs stehen nach französischem Muster unter dem Inspecteur général der Provinz; 2) geistliche Inspektion: Recht auf Beaufsichtigung durch die Geistlichkeit und Bericht an die Minister; 3) die Inspecteurs généraux versammeln sich jährlich zu einem ober- sten Schulrath ( Commission centrale, Verordnung vom 5. Dec. 1843), wobei die Geistlichkeit berathende Stimme hat. ( Le Roy bei Schmid I. 497. 498. De Fooz , Droit administrativ Belge IV. T. II. ) Holland . Grundgesetz vom 13. August 1857. Oberaufsicht durch die Gemeinden , die in Belgien abgeschafft ist; im Uebrigen derselben gleich, mit Bezirks- und Provinzialinspektoren und jährlicher Conferenz derselben, unter Ausschließung der Geistlichkeit, und ohne einen Generalinspektor. ( Le Roy bei Schmid III. 566. Gesetz von 1857. Tit. V. 52 ff.) B. Das Schulrecht . Schulpflicht und Schullast. Es würde von nicht geringem Werthe sein, sich über den Begriff des Schulrechts zu einigen, da wohl nur von ihm aus die Grund- lage einer Gesammtauffassung der betreffenden Verhältnisse und Rechte, namentlich aber eine Vergleichung der verschiedenen Länder möglich wird. Ein Schulrecht kann nur da entstehen, wo die Schule als eine Anstalt der Verwaltung erscheint. Sowie nämlich dieselbe den Ele- mentarunterricht als in ihrer Aufgabe liegend erkennt, so muß sie sich zwei Fragen vorlegen. Die erste ist die, ob die Einzelnen die Ver- pflichtung haben, den in der Volksschule gebotenen Elementarunter- richt zu benutzen; die zweite ist die, wie die materiellen Bedingungen dieses obligat gewordenen Elementarunterrichts zu beschaffen sind. Die Antwort auf die erste Frage erzeugt den Begriff der Schulpflicht ; das ist die gesetzlich ausgesprochene Pflicht zur Benutzung der Elementar- schulen; die zweite Frage den Begriff der Schullast , das ist die Ver- theilung und Herstellung der öffentlichen Leistungen für die beiden Hauptbedingungen der Schule, die Schulhäuser und das Einkom- men der Lehrer. Die Gesammtheit aller über diese drei Punkte bestehenden öffentlich rechtlichen Vorschriften bilden dann das Schul- recht (im engeren Sinn ). Es leuchtet nun ein, daß das rechtliche Princip der Schulpflicht die beiden letztern Punkte nicht bloß erzeugt, sondern auch ihrer Ord- nung zu Grunde liegt, während das Umgekehrte nicht der Fall ist. Und hier nun unterscheidet sich zunächst die deutsche Bildung von der fran- zösischen und englischen. Während das deutsche Schulrecht aus dem gesetzlichen Princip der Schulpflicht hervorgegangen ist und der Ge- meinde die Schullast überläßt, enthält das französische den Widerspruch, die Schul last zur gesetzlichen Pflicht der Gemeinde zu machen, während die individuelle Schul pflicht nicht existirt, endlich der Schulbesuch zu- letzt selbst zu Grunde geht; England endlich hat auch keine selbständige Schullast, sondern nur das System von freien Unterstützungen durch die Regierung. Ursprünglich erscheint jede Schule als Stiftung und die Verwaltung ihres Vermögens ist eine rein corporative, so weit der Elementarun- terricht nicht unmittelbare Aufgabe einer kirchlichen Corporation ist. Mit der gesetzlichen Schulpflicht dagegen wird die Herstellung der Schule eine Gemeindelast. Da nun aber die Gemeinden theils grundherrliche, theils bürgerliche sind, so entsteht der Grundsatz, daß diese Last ent- weder dem Grundherrn oder der Stadt zufalle; der Staat erkennt im vorigen Jahrhundert noch keine Unterstützungspflicht an, wohl aber fängt man an, die Gemeinden zu nöthigen, die mit der Schulpflicht entstehende Schullast zu übernehmen. Die unbedingte und allgemeine Ausführung dieser Pflicht erzeugt nun aber einerseits die Nothwendig- keit, der wirthschaftlich unfähigen Gemeinde eine öffentliche Hülfe zu gewähren, andererseits die Forderung nach einem festen System für die Vertheilung der Schullast. Dieß System der Schullast empfängt nun in jedem Staate seine Gestalt je nach dem Verhältniß, in welchem die Schule zur Gemeinde steht. Da wo die Gemeinde als solche mit der Volksschule gar nichts zu thun hat, wie in England, ist die Schullast keine Gemeinde-, sondern eine Armenlast , wenn sie nicht durch Vereine hergestellt wird. Da wo die Gemeinde als reine Ver- waltungsaufgabe dasteht, wie in Frankreich, ist die Schullast grundsätz- lich zum Theil Staats-, zum Theil Gemeindelast. Da wo die Ge- meinde die Schule verwaltet, wird sie wesentlich Gemeindelast . Und hier wird dann wieder die Vertheilung dieser Last durch das Princip des Gemeinderechts bestimmt. Die Reste der ständischen Grundherrlich- keit erhalten lange — zu lange — den Grundsatz, daß der Grundherr vorzugsweise das Schulhaus zu bauen habe, der Gehalt der Lehrer aber nach den Formen der grundherrlichen Abgaben (Naturalleistun- gen und Zehenten) von den Ansäßigen zusammen zu bringen sei. Erst mit dem Siege der staatsbürgerlichen Gemeinde auch auf dem Lande tritt an die Stelle dieser Naturalleistungen eine dem staatlichen Steuer- system sich anschließende Steuer für das Schulwesen; das Einkommen des Lehrers wird ein fester Gehalt, und jetzt scheiden sich die beiden Systeme, nachdem die Verwaltung der Schule in materieller Beziehung entweder durchgreifend amtliche oder Selbstverwaltung ist. Da wo im Sinne der ersteren Princip und Ausführung des Schulwesens Sache der amtlichen Verwaltung wird (Frankreich), wird die erforder- liche Summe amtlich festgestellt, durch den Staat erforderlichen Falles ergänzt und durch die Gemeinde höchstens repartirt, während der Gehalt der Lehrer ein fester und von einem Schulgeld keine Rede ist. Da wo im Sinne der zweiten die Volksschule zwar im Princip Staatssache, in der Ausführung aber Gemeindesache ist, verwaltet die Gemeinde selbst das Schuleinkommen, und erscheint in den höchsten Formen (Preußen) als selbständige Corporation mit dem Rechte der Selbstbesteuerung, der Erhöhung der Gehalte und einem Schulgelde, das jedoch meistens von den Behörden festgestellt wird. Die historischen Verhältnisse bei der Entstehung des Schulwesens haben dabei vielfache Einzelheiten in den örtlichen Rechtsverhältnissen hervorgerufen, namentlich in Beziehung auf die Verpflichtung der früheren Gutsherren, welche jedoch mehr und mehr in den Hintergrund traten vor der Frage, ob und wie weit die Gemeinde ein Selbstbesteuerungsrecht für die Schule ausüben, die Einnahmen selbständig verwalten und endlich das Schulgeld aufrecht halten solle. Das erstere erscheint nothwendig, das zweite, jedoch unter Genehmigung der Landesverwaltung, richtig, und das letztere trotz aller Gegengründe, als die materielle Basis für das individuelle Vorwärtsstreben der einzelnen Lehrer, vorbehaltlich der Modifika- tionen, die in Bestimmung der Höhe und der Erhebung desselben im Interesse des Lehrerstandes erforderlich scheinen. Es bleibt die Aufgabe spezieller Arbeiten, in diesem Gebiete die Richtigkeit des Satzes nachzuweisen, daß die Competenzen der Ver- waltungsorgane sich stets nach dem Verhältniß der Theil- nahme von Staat, Gemeinde und Einzelnen (Schulgeld) an der Schul- last richten. Die hervorragenden Systeme des geltenden Rechts sind folgende. Das englische System ist sehr interessant, weil es dieses Verhältniß vielleicht von allen am deutlichsten zeigt. Was zuerst das Princip der Schu lpflicht betrifft, so ist es erst in der neuesten Zeit überhaupt zur Sprache gekommen, und die zwei Parteien oder Ansichten des Voluntary system und des Compulsory system (speziell vielfach als das „preußische“ bezeichnet) stehen einander scharf gegenüber. (Gut bei Schöll a. a. O. S. 85. Gugler bei Tyler S. 228 ff. und 278.) Rechtlich ist die Schulpflicht nur noch als ein Stück Sicherheitspolizei betrachtet, indem nur die „herumschweifenden Kinder,“ vagrant children, polizeilich in die Industrial schools geschickt werden können, und dieß ist erst durch die Adderley’s Act. 20. 21. Vict. 48 bestimmt worden (s. oben). Hier ist noch alles im Bilden definitiver Ansichten begriffen. Die Unter- stützung durch das Committee for Education hat ein förmliches System von Verpflichtungen der unterstützten Schulen hervorgerufen, und dieses System ist es, welches den Inhalt des Revised Code (1863) bildet. (s. Schöll S. 87. Gugler S. 230; besonders Wagners Volksschul- wesen Englands und seine neueste Entwicklung 1865, ausführlich und gut, mit historischer Darstellung.) Die dafür geltenden Grundsätze sind nach dem Revised Code: 1) jede Schule (also auch alle Vereins - schulen; Statistik derselben sehr gut bei Schöll S. 91 ff.) hat das Recht auf Annahme und Ablehnung der Unterstützung; 2) die gewährte Unterstützung wird speziell zur Erbauung der Schulen, zur Herstellung der Lehrmittel und zur Verbesserung der Gehalte der — öffentlich ge- prüften — Lehrer berechnet; 3) die Rechte der Verwaltung dafür bestehen in der Ausübung der Instruktion (s. oben), namentlich in den von ihnen vorgenommenen öffentlichen Prüfungen, der Anstellung der Lehrer und der Aufsicht über die sanitäre Einrichtung der Schul- häuser. Eine vielbestrittene Frage ist die nach dem Schulgeld (Ca- pitation). Diese kann nach englischem Princip nur bei Armenschulen als Pflicht aufgestellt werden, und ist in diesem Sinne auch gesetzlich geregelt. Die Verpflichtung zur Tragung der Schullasten liegt grund- sätzlich auf der Armeng emeinde, so weit die Schule nicht Vereinsschule ist. Speziell sind namentlich die Bestimmungen von 7. 8. Vict. 161. 1845 (Art. 40), wornach die Poor Law Commissioners, Armen- gemeinden (parishes) zu Schulgemeinden zusammen zu legen, und Schulhäuser zu bauen oder zu miethen, bis zu ein Fünftel der ganzen Armensteuer. Die Unterstützungen (Privy Council grants) haben wie gesagt das System der Inspektion erzeugt, und damit die Frage, ob es nicht besser wäre, auch diese Summe durch Armensteuer (rates) einzu- bringen. Wohlbegründete Opposition dagegen: Senior a. a. O. S. 2—11. und 33—47. Rücksichtslose Belastung der Geistlichkeit ebend. S. 12—14. Schulgeld anerkannt für die Arbeiterklasse, so weit sie nicht Unter- stützung findet. Dabei beständige freiwillige Beiträge im Wachs- thum. Bezeichnende Antwort in der Schul-Enqu ê te. Auf die Frage: ob die Theilnahme der Besitzenden an der Bildung der Nichtbesitzenden wachse? antwortet ein Hr. Watkinds: „Taking the voluntary contri- bution as representing the interest , which the richer classes takes in the education of the poor — there can be no doubt about it, because those voluntary contribution have increased.“ ( Senior S. 18.) Die Schrift von Tyler ist für die ganze englische Auffassung sehr instruktiv, besonders S. 85 ff. Die Ueberzeugung davon, daß die Schulverwaltung eine Staatsangelegenheit werden müsse, drückt sich in dem Satze aus, daß das Privy Council System für das ganze Reich eingeführt werden solle. (S. 39.) Senior gibt übrigens für die be- rufsmäßig (s. unten) gebildeten Lehrer den Gehalt von 20 bis 60 L. nebst Wohnung an, partly supplied by the Government, partly from the school p. 21. Frankreich . Die Gemeinde gibt nothwendig Schulhaus und Wohnung (Gesetz von 1850 Art. 37). Gehalt der Lehrer : fester Gehalt: 200 Fr., als Minimum, durch die Gemeinde repartirt; die rétribution scolaire ist das Schulgeld; wenn beides nicht zusammen 600 Fr. ausmacht, gibt der Staat den Zuschuß; dieser Gehalt steigt mit 5 Jahren auf 700, mit 10 Jahren auf 800 Fr., aber wird jähr- lich vom Préfet bewilligt ! Das Schulgeld wird jährlich von dem Conseil municipal bestimmt; Arme sind vom Schulgeld frei . Sehr genaue Vorschriften über die Rechnungslegung beim Gemeinderath durch den Maire, namentlich durch das Gesetz von 1850 regulirt (s. oben). Deutschland . Bei großer örtlicher Verschiedenheit gelten folgende ziemlich allgemein angenommene Grundsätze: das Schulhaus baut die Gemeinde; die Ausgaben werden als Steuerzuschläge umgelegt; für die Wohnung des Lehrers existiren nur wenige Verpflichtungen, doch ist sie wohl in den meisten neuen Schulhäusern inbegriffen. Der Ge- halt der Lehrer hat nur noch in einzelnen Staaten ein gesetzliches Mi- nimum gefunden; zum Theil bestehen leider ! noch Naturalleistungen, Grundbesitzungen, die der Lehrer selbst verwalten muß. Das Schulgeld ist ziemlich allgemein; jedoch muß oft leider! der Lehrer selbst es ein- treiben. Meistens wird dasselbe unter Genehmigung der Behörde festgestellt; die Armen sind wohl allenthalben frei . Die tiefe Kluft zwischen Besitz und Nichtbesitz ist durch die Vermeidung eigener Aufstellung von Armen- schulen wohl ziemlich allgemein beseitigt. Das schulpflichtige Alter ist kein ganz gleiches. Meistens zwischen dem 6. und 12. oder 14. Jahr. Vgl. Brachelli , Staaten Europas S. 534. Die Verwaltung der Schullast ist meist Gemeindesache , unter Oberaufsicht der Behörde, nicht wie in Frankreich, Sache der Behörde unter Vorlage an die Ge- meinde. Uebrigens sind diese Verhältnisse nirgends gehörig zusam- mengestellt. In den einzelnen Staaten gilt folgendes. Preußens Schulrecht (im obigen Sinn) leidet in seiner Klarheit darunter, daß die Verpflichtung des Staats, für genügende Schulan- anstalten zu sorgen, allerdings durch die Verfassung von 1850 aner- kannt, aber in ihrer Ausführung noch immer nicht durch ein allgemeines Schulgesetz geordnet ist. Princip ist jedoch nach Art. 25, daß zu- nächst die Gemeinde, der Staat erst in zweiter Linie zu Herstellung der Schulen verpflichtet ist. In Gemäßheit dieser leitenden Grundsätze ist die Schulgemeinde eine selbständige Corporation, welche für jede einzelne Schule eine selbständige „Societät“ bildet (also eigentlich eine Verwaltungsgemeinde für die Elementarschule). Die Schullast ist schon seit dem Allgemeinen Landrecht II. S. 12, 29—38 eine Last dieser So- cietät, ertheilt „nach Verhältniß der Besitzungen und Nahrungen“ §. 31. Das Verhältniß der alten Grundherren erst 1855 nach dem Einkommen bestimmt. Minimalsätze sind noch nicht allgemein bestimmt; ebenso ist die Pflicht des Staats zur Unterstützung nicht organisirt, jedoch werden dieselben erforderlichen Falles regelmäßig bewilligt. Rönne hat diese Verhältnisse sehr gut zusammengefaßt in seinem Staatsrecht I. §. 201. Das Schulgeld ist Gegenstand heftiger Controversen. Früher fast allgemein, ist es zwar durch die Verfassung von 1850 (Art. 25) auf- gehoben, besteht aber nicht nur fort, sondern ward ausdrücklich als das „naturgemäßeste Emolument der Lehrerbesoldung“ anerkannt. (Circ. vom 6. März 1852.) Regulirung desselben durch die Regierungen, Erhebung durch die Gemeinden. Schulhaus und Lehrerwohnung durch die Societät herzustellen, schon nach dem Allgemeinen Landrecht a. a. O. §. 31. Die Verwaltung geschieht durch die Schuldeputationen , die wieder theils unter den „Patronen“ der ständischen, theils unter den „Landräthen“ der polizeilichen Epoche stehen. Auch hier sehr genaue Vorschriften. Im Ganzen hat jedoch bei aller principiellen Gleichheit noch immer jede Provinz ihr Schulrecht (s. Ebmeyer , Rechtsver- hältnisse der preußischen Elementarschule 1861; Rönne , Unterrichts- wesen Bd. I. Desselben Staatsrecht I. §. 201 und II. §. 445). Oesterreich. Schulhäuser früher gemeinschaftlich durch die „Patrone“ und Gemeinden, jetzt durch Grundsteuerzuschläge (Erlaß vom 3. September 1849.) Genaue Vorschriften über die Errichtung und Erhaltung der Schulen schon seit der Verfügung von 1805. Die sog. „Schul-Concurrenz“ s. bei Ficker a. a. O. S. 244 ff.; die Gesetze seit 1848; Darstellung S. 294 ff. In jeder Gemeinde soll mindestens eine Gemeindeschule bei 100 schulpflichtigen Kindern sein. Gehalt der Lehrer schon 1785 mit dem Minimum von 130 fl., eines Gehülfen mit 70 fl. bestimmt. Leider beruht ein großer Theil davon auf den mit den Lehrerstellen nur zu gewöhnlich verbundenen Meßnerdiensten. Doch sind die Lehrer, selbst die Gehilfen pensionsfähig. Schulgeld allgemein eingeführt, nach den Ortsverhältnissen bestimmt; Arme sind frei. Die Gemeinde hebt leider noch nicht allenthalben selbst ein, und noch bestehen Naturaleinkünfte. Unterstützungen werden vom Un- terrichts-Ministerium bewilligt. Landesschulfonds und sein Ein- treten bei bedürftigen Gemeinden. ( Ficker a. a. O. S. 290 f. — Die historische Entwicklung bei Helfert a. a. O. mehrfach; das geltende Recht kurz bei Stubenrauch II. 76. 379.) Bayern. Schulhäuser und Lehrerwohnung theils noch grundherrlich unter Mitwirkung der Gemeinde, theils durch die letztere allein. Schulgeld anerkannt; bestimmt durch die Kreisregierung. Arme frei ; die Gemeinde zahlt für sie. Leider gilt auch hier noch der niedere Kirchendienst als zweite Haupteinnahmsquelle; die Gemeinde zahlt erst dann Schulsteuer, wenn das Minimum von 250 fl. nicht dadurch erreicht wird. Eventuell Zuschuß aus Kreismitteln. Leider denkt man sich das Amt des Lehrers nach dem Gemeinde-Edikt noch mit allerlei Gemeindeschreibereien wohl vereinbarlich (Gemeinde-Edikt §. 94). Die bestehenden Rechte schon in der Beilage zur Verfassungsurkunde VI. §. 21 und der Formativverordnung von 1825 aufgestellt. Das Verhältniß, in welchem die Gemeinden, der Kreisfonds und die Centralkasse beitragen, hängt wohl vom Ermessen des Unterrichts- Ministers ab (s. Pözl , Verfassungsrecht Abschnitt II ). Verwaltungs- recht §. 184. Pensionsfähig sind die Lehrer nicht ; doch sucht man da- für durch Vereine zu sorgen ( Pözl §. 185, 186). Baden . Systemisirung der Schullasten, Herstellung der Schul- häuser, Besteuerung der Gemeinden durch Umlagen, Schulgeld durch das (ausführliche) Gesetz vom 28. August 1835, als Folge der Volks- schulordnung von 1834. Vergleiche Holtzmann bei Schmid I. 388 (s. unten über Lehrerrecht). Hannover . Pflicht der Schulgemeinden zur Tragung der Schullast; Staatshülfe nur subsidiär; wenn das Fehlende nicht durch Umlagen aufgebracht werden kann. Leider bestehen auch theilweise Naturallieferungen und Küsterstellen. Schulgeld allgemein; mit Be- freiungen ( Papst a. a. O. 328). Kurhessen . Die Rechte und Pflichten scheinen hier örtlich be- stimmt und historisch festgestellt zu sein, da ein Schulgesetz mangelt. Leider auch hier noch Kirchendienst als Einkommensquelle der Lehrer, nebst Naturalien. Verbindung der Staatssubvention mit der Gemeinde- beisteuer, und vielfach Schulgeld. Landschulkasse: Bezzenberger a. a. O. S. 488, 89. Hessen-Darmstadt . Der Staat hat namentlich seit 1832 sehr viel gethan, und die Schullasten unter öffentlicher Unterstützung ge- regelt, neue Schulen, vorzüglich Winterschulen, eingeführt; die Grund- lage jedoch ist der Gemeindebeitrag; zu dem Ende Eintheilung in 26 Schulbezirke ( Strack a. a. O. 514). Belgien . Das Gesetz von 1842 hat drei Klassen von Elemen- tarschulen eingeführt: 1) Gemeindes chulen, ganz auf Kosten und unter Verwaltung der Gemeinde; 2) Privats chulen mit Unterstützung. Jede Gemeinde kann auch eine öffentliche Unterstützung (par la province ou par l’Etat) erhalten, wird jedoch alsdann (englisches Vorbild) unter die leitende Oberaufsicht der Staatsbehörden gestellt; 3) ganz freie Elementarschulen ohne Schulgeld. Jede Gemeinde soll wenigstens Eine Gemeindeschule haben. ( Le Roy a. a. O. I. S. 496. De Fooz a. a. O. S. 339.) Holland . Eine Schu lpflicht existirt nicht; nur gesetzliche Auf- forderung an die Eltern (Gesetz von 1837 Art. 31): jede Gemeinde hat ihre Elementarschule herzustellen, doch haben die Provinzialstände das Recht, die Zahl der Schulen zu vermehren. Schulgeld gilt. Arme unentgeldlich. ( Le Roy a. a. O. III. 567 ff.) Beinahe komisch klingt, was de Bosch-Kemper a. a. O. §. 32 sagt: „Die Vertreter der Schul- pflicht , meist Franzosen (?) und Deutsche, sind in dieser Frage nicht frei von socialistischen und (zugleich!) „einseitig monarchischen Grund- sätzen, die in dem Wesen der Sache eben so sehr mit einander verbunden sind, als die protektionistischen (der Großindustriellen!) und socialistischen Theorien in der Volkswirthschaftspflege.“ Warum hat er nicht hinzu- gefügt, daß am Ende im „Wesen der Sache Republik, Königthum, Despotie, Verfassung und Verwaltungsrecht überhaupt „mit einander verbunden sind!“ C. Das Lehrerrecht . Das Lehrerrecht umfaßt alle geltenden Rechtsbestimmungen, welche sich auf die berufsmäßige persönliche Stellung des Lehrers beziehen. Dieß Lehrerrecht ist es nun, in dessen innerer und äußerer Ent- wicklung sich die Auffassung von dem Wesen und der Bedeutung des Volksunterrichtes, und mittelbar von dem geistigen Verhältniß der besitzenden zur nichtbesitzenden Klasse spiegelt. Es ist in diesem Sinne ein hochwichtiger Theil der innern Geschichte eines jeden Landes. Der Lehrerstand entsteht nicht mit der Volksschule; das Entstehen eines selbständigen Standes und Berufes der Volksschullehrer ist viel- mehr erst mit unserer Zeit und ihrer höheren Auffassung gewonnen. Ursprünglich ist der Elementarunterricht eine Sache der Ortsgeist- lichkeit, oder der bürgerlichen Gemeinde. Es gibt daher anfangs zwar einzelne Elementarlehrer, aber keinen Stand und Beruf derselben. Die Einführung der Schulpflicht, die weder England noch Frankreich kennen, verpflichtet dann allerdings auch die Landgemeinde zur Aufstellung von Elementarlehrern, die aber die Verachtung der hörigen Klasse mittragen, für die sie bestimmt sind. Die Elementarlehrer sind daher Diener des Herrn, ohne Ehre, ohne Geltung, ohne socialen und ethischen Werth. Erst das Auftreten der großen Principien der staatsbürgerlichen Gesell- schaft, ausgedrückt in der Pädagogik, erhebt zunächst ihre Funktion zur Anerkennung. Diese Anerkennung spricht sich zuerst in der Forderung einer materiell selbständigen Stellung (Gehalt, Schulgeld, Wohnung), dann in dem Grundsatz aus, daß ihre Funktion eine öffentliche, mit dem Volkswohl organisch verbundene, also eine amtliche sei, womit sie sich von der absoluten Abhängigkeit von den ständischen Herren ab- zulösen beginnen. Damit sind in der zweiten Hälfte des vorigen Jahr- hunderts die wirthschaftlichen und rechtlichen Elemente des Lehrerstandes gegeben; dann tritt mit unserm Jahrhundert das geistige hinzu, die fachmäßige Lehrerbildung . Die Epoche des eigentlichen Volks- lehrerstandes beginnt allenthalben mit dem Grundsatz, daß eine fachgemäße Bildung die Bedingung zur Anstellung, also die Voraus- setzung der Erfüllung des Berufes sei. Das ist die wichtigste Er- rungenschaft der großen pädagogischen Literatur des vorigen Jahr- hunderts. Aus diesem Grundsatz entsteht zuerst das System der Schullehrerseminarien , welche das Bewußtsein der sittlichen Ge- meinschaft des schweren Berufes erzeugen und veredeln, und mit ihren Prüfungen die Gewähr für den Volksunterricht selbst geben. An diese Seminarien schließt sich naturgemäß die genauere Ordnung des öffent- lichen Rechts der Anstellung und Entlassung der Schullehrer, so wie der Organismus ihrer Inspektion, theils durch das staatliche Element der Regierung, theils durch das ständische der Geistlichkeit und Patrone, theils durch das freie der Gemeindeorgane. Alles dieß, zusammen- wirkend, beseitigt nun nach vielen Kämpfen die tiefe und verderbliche Scheidewand zwischen dem Lehrerstande der Volks- und dem der Berufsschulen , in der sich im Grunde die Scheidung der höhern und niederen Classe ausdrückt, und bewirkt die allmählige Anerkennung der großen Idee, daß alle Glieder des Lehrberufs ein großes, das ganze geistige Leben der Völker umfassendes Ganze, mit dem gleichen Stein , die Verwaltungslehre. V. 9 Recht und der gleichen Aufgabe sein sollen. Erst mit dieser Aufnahme des Volkslehrerstandes in den Lehrerstand, mit der Beseitigung seiner niedrigen Stellung in Gemeinde und Gesellschaft beginnt die bessere Zukunft desselben, und man kann erst jetzt sagen, daß das Maß der Stellung, des öffentlichen Rechts und der Achtung der Volkslehrer den Maßstab für die Volksbildung selber abgeben. Einen solchen, über jeden örtlichen Dienst und jede Mißachtung in gesellschaftlicher Beziehung erhobenen Lehrerstand, der sich mit den Be- rufslehrern als Eins fühlt, hat nur Deutschland . Daher hat auch nur das deutsche Volksschulwesen ein System des Lehrerrechts . Dieß beruht auf folgenden Punkten. I. Die Lehrerbildung enthält die Grundsätze, nach welchen die fachgemäße Bildung für den Volksunterricht hergestellt wird. Diese Herstellung wieder hat drei Elemente, jedes mit eigenem Recht und eigener Ordnung. Das erste ist das Lehrerbildungsinstitut selbst, das Lehrersemi- nar , und dessen Stellvertretungen. Das zweite besteht in dem Umfang und Inhalt der auf dem Seminar gebotenen Lehrerbildung . Das dritte ist die Seminaristenprüfung und ihr Recht bei Anstellungen. Die Vergleichung der verschiedenen Rechte beruht für diesen Theil darauf, ob und in wieweit die regelmäßige, öffentliche Seminaristen- bildung und Prüfung als Vorzug oder als rechtliche Bedingung der Anstellung angesehen wird. II. Die Anstellung . Dieselbe hat ein berufsmäßiges und ein formell rechtliches Element. Das erste liegt in dem oben bezeichneten Verhältniß zur berufsmäßigen Bildung. Der Charakter des öffentlichen Rechts der Anstellung beruht auf dem Antheil, den das Amt , die Geistlichkeit und die Gemeinde an Anstellung und Entlassung besitzen. Dieses öffentliche Recht aber wird seinerseits naturgemäß in seiner Gestaltung eben von dem Grade der Bildung abhängen, den man für den Lehrerberuf fordert; und das ist es anderseits wieder, was die Verschiedenheit jenes Rechts und zuletzt auch die Bewegungen in demselben erklärt. III. Das Recht des Lehrwesens endlich bestimmt den Antheil, den entweder die einzelnen Elementarlehrer oder der ganze Lehrkörper auf Berathung und Beschluß über die didaktischen und disciplinaren Verhältnisse der Lehrer selbst haben. — Es ist klar, daß dieß Recht des Lehrwesens stets wesentlich der Ausdruck und die Consequenz der orga- nischen, zu einer öffentlich rechtlichen Aufgabe gewordenen Lehrerbildung sein, mit ihr entstehen, durch sie gelten und in ihr ihr richtiges Maß finden wird. Auf der Grundlage dieser Elemente des Lehrerrechts, die aller- dings, wie gesagt, nur in Deutschland vollständig ausgebildet sind, wird sich nun eine Darstellung und Vergleichung des Lehrerwesens in den verschiedenen Ländern Europas, vor allen Dingen aber, vermöge des innern geistigen Zusammenhanges derselben, eine wahre Geschichte dieses Lehrerwesens im Ganzen wie im Einzelnen geben lassen. Das Folgende kann daher nur die wichtigsten leitenden Thatsachen enthalten. England . Die Geschichte der Lehrerbildung, speziell der Semi- narien , ist höchst bezeichnend. So lange nur die Vereine die Volks- schulen unterhalten, ist natürlich von denselben keine Rede. Der Ver- ein stellt die Lehrer (teachers) an, wobei die National Society vorzugsweise auf religiöse (biblische), die British Society dagegen auf allgemeine Bildung sah. Wiese (S. 158 ff.) hat die folgenden Ver- hältnisse nicht gut verstanden. (Siehe dagegen über den Unterschied der Secular Education von der kirchlichen sehr gut Schöll a. a. O. Senior , Heads of Report. Wagner a. a. O. mehrfach.) Das Ent- stehen der öffentlichen Unterstützung erzeugte nun die Erkenntniß, daß die Lehrerbildung die Voraussetzung der Volksbildung sei. Daher erster Versuch des Privy Committee, Seminarien zu errichten ( normal school, nach französischem Muster). Dagegen sofort heftige Opposition des Klerus. Eine eigene Deputation der Bischöfe bewirkte das Auf- geben des Planes. Jetzt nahmen aber Private sich der Sache an, namentlich Sir Shuttleworth in Tufnell. Sie errichteten die „Training Colleges“, und diese empfingen nun vom Committee Unterstützung, wie die Schulen selbst, und unter den gleichen Bedingungen. Daraus ergab sich das gegenwärtige System, nach welchem allerdings nur „ge- prüfte“ Lehrer und Lehrerinnen bei den Schulen zugelassen werden, so weit eine Volksschule Unterstützung fordert. In jenen Training Colleges als Privatseminarien gibt es zwei Klassen von Seminaristen, private (auf eigene Kosten) und öffentliche (eine jährliche Unterstützung von 10—20 Pfd.) Diese Seminaristen werden mit dem achtzehnten Jahre zur Bewerbung um eine Stelle in den Seminarien zugelassen, und wenn sie arm sind, als Queens scholars auf Staatskosten aufge- nommen und unterhalten. Jährliche Prüfungen finden statt. Diese Prüfungen sind so unvernünftig, daß an eine wahre Lehrerbildung nicht gedacht werden kann. Siehe Seniors Klagen S. 21 ff. (mis- directed instruction). Nach dreijährigem Kurs Entlassungs-Prüfungen mit elf (!) verschiedenen Zeugnißgraden. Die Anstellung ist dann Sache der Schulverwaltung. Die Lehrer haben ihrerseits auf die Lehre selbst keinen selbständigen Einfluß; das ist nur bei den Privatschülern der Fall. Von einer amtlichen Stellung ist keine Rede, und die angestellten pupil-teachers können wie aus jedem bürgerlichen Dienst jeden Augenblick entlassen werden. So lange diese Verhältnisse nicht geändert werden, ist an einen Aufschwung der englischen Volksbildung nicht zu denken. Schöll hat auf die Prüfungen der Seminaristen zu wenig Rück- sicht genommen. Sehr gute Bemerkungen bei Gugler S. 242. Uebrigens sind die Angaben Schölls (S. 105—113) das beste was über das Seminaristenwesen Englands existirt. — Anstellung der Lehrer ist Sache des Local Government; Pension nach 15 Jahren. Gehalte der Lehrer und Lehrerinnen Schöll S. 112. Frankreich . Hier ward allerdings das Lehrerbildungswesen gleich anfangs in das System der Université aufgenommen, aber nur für die Berufsbildung (siehe unten die École normale ). Die Folge war, daß die Bildung eines Lehrerstandes für das Volk unmöglich war, und man zu dem kläglichen Auskunftsmittel des „brevet de capacité“ greifen mußte. Dieß wird jährlich auf Grund einer Prüfung ertheilt, welche eine vom Conseil départemental aufgestellte Commission abhält. Die Prüfung ist selbst durchaus elementar und kurz, mündlich und schriftlich. Die Lehrerinnen müssen eine Probehandarbeit machen. Dieses höchst untergeordnete System ward etwas erweitert durch die Einführung der zweiten, höhern Klassen in den Elementarschulen seit 1833 (siehe unten), so daß die Lehrer auch für diese partie facultative de l’enseigne- ment primaire ein zweites Examen machen können. Allein da die höchst unfreie Stellung der Lehrer nur wenig Concurrenz erzeugte, so mußte man jenes brevet de capacité ersetzen durch ein einfaches Zeug- niß über einen dreijährigen Dienst als Schulgehülfe (certificat de stage); ja durch eine autorisation provisoire selbst ohne das Certificat — ein Zustand, von dem das Brevet vom 24. December 1850 selbst sagt, daß nur „l’intérêt public seul pourra légitimer une telle mesure.“ Bei so unfertiger Bildung ist die völlige Unfreiheit des Lehrerstandes und die Abhängigkeit des Lehrers in der Anstellung ganz natürlich (siehe oben); eben so die völlige Unterordnung unter die Geistlichen in der Lehre selbst. Frankreichs Volksbildungswesen bewegt sich in dem falschen Cirkel, daß die Abhängigkeit der Lehrer keine selbständige Bil- dung derselben, die letztere wieder keine Unabhängigkeit der Lehrer zu- läßt. Der Versuch, eigentlich Volkslehrerseminarien Ecoles normales primaires zu errichten (Gesetz von 1850 und Reglement vom 24. März 1851, nebst Arrêté vom 31. October 1854) hat eben deßhalb noch kaum wesentliche Erfolge gehabt. Das Gesetz von 1850 bestimmt indeß, daß jedes Departement ein Seminar ( école normale primaire ) haben soll; die Ordnung derselben ist jedoch eine äußerst strenge und ganz bureau- kratisch (mit Conduitenlisten ꝛc.) eingerichtete. Daneben bestehen eine große Anzahl von Privatseminarien , worunter mehrere für Mäd- chenlehrerinnen; ein großer Theil wieder gehört kirchlichen Körperschaften. Das Decret vom 28. März 1866 hat Écoles normales für die Aus- bildung der Reallehrer angeordnet, womit der Uebergang zur wirth- schaftlichen Berufsbildung auch hier gegeben ist. Obgleich auf diese Weise die instituteurs den Charakter von Beamteten haben, sind sie doch keine wahren Lehrer, und in Folge dessen liegt der höhere Elemen- tarunterricht außerhalb der Volksschule. Deutschland . In Deutschland entsteht der Gedanke einer selb- ständigen berufsmäßigen Volkslehrerbildung zugleich mit dem öffentlichen Volksschulwesen. Seminarien finden sich daher schon im vorigen Jahr- hundert. (Vergl. Berg a. a. O.) Zu einem selbständigen System entwickelt sich das Lehrerbildungswesen jedoch erst in unserm Jahr- hundert, und ist bei allgemeiner gleichartiger Grundlage wieder im Ein- zelnen verschieden. Diese allgemeine Grundlage besteht darin, daß die Schullehrer die Rechte der Beamteten haben, also namentlich pensionsfähig sind. Die Anstellungsverhältnisse beruhen durch- gehends darauf, daß das Princip der unmittelbaren Anstellung von Seiten der Regierung neben dem der Bestätigung derselben von Ge- meindewahlen aufrecht geblieben ist, obwohl das Letztere bei tüchtiger Bildung das einzig richtige sein sollte. Die Lehrerbildung oder das Seminarwesen beruht seinerseits durchgehend auf den leitenden Grundsätzen der nothwendigen praktischen Vorbildung als Schul- gehülfe, Aufnahmsprüfung im Seminar, Seminaristenbildung, Abgangsprüfung, und auf dem Abgangszeugniß basirter Anstellung. Bei dem so gebildeten Lehrer ist ein entscheidender Einfluß auf die Lehre selbstverständlich. Bei größern Schulen bilden die Lehrer einen Lehrkörper ; außerdem sind in einigen Ländern noch besondere Lehrer- versammlungen gesetzlich angeordnet. (Oesterreich). Preußen . Lehrerbildung. Vorbildung zum Seminar (Regulativ vom 2. October 1854 über die Berechtigung, Präparanden-Kurse zu halten). Die Seminarien selbst haben noch keine ganz gleichartige Ein- richtung; Specialinstruktionen für die einzelnen Provinzen ( Rönne , Unterrichtswesen Bd. I. S. 391). Prüfung vor der Anstellung schon im Allgemeinen Landrecht II. 12 aus dem General-Schulreglement von 1763; seit 1826 eine Abgangsprüfung (theoretisch) und die praktische Prüfung für definitive Anstellung; durch Rescript vom 22. März, 19. Oktober 1832 genauer geregelt. — Prüfung und Zulassung ohne regelmäßige Seminarbildung zulässig (Rescript vom 1. Juni 1826). Anstellung theils direkt von der Regierung, theils auf Präsentation der Patrone und Gemeinden ( Rönne , Staatsrecht Bd. VI. S. 443). Oesterreich . Lehrerbildung: Erscheint hier theils als Aufgabe des geistlichen Standes in den bischöflichen Seminarien, daher Ver- pflichtung jedes Weltpriesters, dem Unterricht in der Hauptschule bei- zuwohnen, theils als selbständige Institute. Grundlage schon die Ver- fassung der deutschen Volksschule von 1808. Siehe Elementarlehrer- und Präparanden-Kurs ; wesentlich verbessert durch Erlaß vom 17. September 1848 und 13. Juli 1849 (zwei Jahre), theoretisch und praktisch. Darauf Prüfung und Zeugniß . Eigene Prüfung für die Katechetenstellen; daneben eine Reihe spezieller Vorschriften ( Stuben- rauch I. §. 54. II. §. 374; vorzüglich Ficker a. a. O. S. 305 ff.) Lehre rbildungsw esen ebend. S. 333 ff. Anstellung . Wesentliche Bedeutung des Patronats eventuell das der Gemeinde als präsentationsberechtigt. Prüfung vom Dechanten; Genehmigung der Präsentation durch das Consistorium; dann Probe- zeit, und dann auf Antrag des Schuldistriktsaufsehers das Bestätigungs- decret der Landesschulbehörde. Schulverfassung §. 143—152. ( Stu- benrauch II. 375. Ficker S. 308.) Bayern . Grundlage des gegenwärtigen Rechts das Regulativ über die Bildung der Schullehrer vom 31. Januar 1836 und Verord- nung vom 15. Mai 1857. Vorbildung : dreijähriger Präparanden- kurs mit Prüfung. Seminarien : öffentliche Einrichtung, unter der Kreisregierung, nebst Mitwirkung des Lehrkörpers im „Lehrerrath“. Anstellung : Anstellungsprüfung durch die Commission nach vier Jahren durch die Kreisregierung theils unmittelbar, theils durch Bestätigung der Präsentation (Immediat- und Mediatschulen). Pözl , Verwaltungsrecht §. 185. 186. Anstellungstage und Gehalte bei Schiller in Schmids Encykl. von Bayern S. 439 f. Ueber die Seminarien S. 438. Uebrigens steht noch ein Viertel aller Stellen unter Patronat, theils der Gemeinden, theils der Gutsherren. Errichtung von 35 Präparanden- schulen als Vorbereitungsanstalten für die Schullehrerseminarien (Ver- ordnung vom 29. September 1866 (vgl. Brachelli , Staaten Europas S. 538). Baden . Grundlage ist das Gesetz vom 28. August 1835 über die Rechtsverhältnisse der Schullehrer und den Aufwand für das Volks- schulwesen. Vorb ildung der Lehrer, zwei Jahre Dienst bei einem Lehrer, mit gelegentlicher Prüfung. Dann Eintritt in die (3) Seminarien (mit Stipendien), die mit Seminarschulen verbunden sind. Abgangs - prüfung als erste Dienstprüfung; dann Dienst als Unterlehrer drei Jahre, dann zweite Dienstprüfung mit Recht zur Anstellung als Haupt- schullehrer, jedoch mit Unterschied von Stadt und Land. — Die Fort - bildung der Lehrer ist hier organisirt ; Pflicht zur Lieferung von Auf- sätzen (vierteljährig); Leseverein obligat in jedem Visitationsbezirk; dann „Lehrerconferenzen“ unter dem Visitator. — Anstellung durch die Oberschulbehörde; Vorschlag eventuell durch Patrone; Erlaubniß zu Nebenämtern; Pensionsfähigkeit ( Holtzmann a. a. O. S. 396 ff). — Das neueste Recht bildet die Verordnung vom 15. Januar 1867 die „Besserstellung der Volksschullehrer betreffend,“ freilich nur für 1867 eine Gehaltsaufbesserung enthaltend. Hannover . Das Seminar- und Lehrerbildungswesen seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bei Pabst a. a. O. S. 321 f. Die neue Organisation des Schullehrerseminarwesens seit der dafür beschlos- senen Bewilligung der allgemeinen Stände von 1850, ebend. S. 324; Ge- setz vom 2. August 1856, die Verbesserung der Volksschulstellen be- treffend nebst Verordnung vom 25. Febr. 1859 ( Pabst ebend. S. 326). Anstellung im Wesentlichen erst nach Prüfungszeit (Präparandenlehre). Abgangsprüfung unter einer Prüfungscommission. Lehre rconferenzen zur Weiterbildung schon seit 1736. Anstellung selbst durch die Con- sistorialbehörde. Pension und sonstige Emolumente ( Pabst S. 334). Kurhessen . Seminarien als reine Staatsanstalten; dreijähriger Kursus; Abgangsprüfung; darauf zweijährige Dienstzeit; dann prak- tische Prüfung nebst Zeugniß. Conferenzen zur Weiterbildung auch hier eingerichtet. Anstellung durch die Provinzialregierung; Patro- natsrechte und Wahlrecht der Gemeinden kommen einzeln vor ( Bezzen- berger a. a. S. 386—488). Hessen-Darmstadt . Seminarien auch hier Staatsanstalt (Lite- ratur über dieselbe bei Strack a. a. O. S. 516.) Doch ist die auto- didaktische Bildung noch zugelassen, und das Seminar dauert nur zwei Jahre. Abgangsprüfung; später die praktische Prüfung. Conferenzen zur Weiterbildung. Anstellung durch das Ministerium des Innern; daneben Patronatsrechte zur Präsentation; oder Ausschluß der Kirche. Gesetzliche Bestimmungen über Gehalt, Pension u. s. w. fehlen . An- deutungen bei Strack a. a. S. 517. Belgien. Écoles normales nach französischem Muster, bereits durch das Gesetz von 1842 geordnet; das Reglement vom 1. Februar 1861 hat die Lehrordnung der Écoles normales definitiv festgestellt; Gesetz vom 30. August 1854 für die Lehrerinnen; jedoch auch hier Unterschied zwischen Staats - und bischöflichen Normalschulen (Seminarien), letztere unter geistlicher Verwaltung. Die Gemeinde stellt die Lehrer an, aber die Regierung kann sie suspendiren und absetzen. Die Gemeinde trägt die Kosten auch des Lehrers; statt der Pension sind caisses de prévoyance für die Lehrer errichtet (Gesetz von 1847; de Fooz a. a. O. S. 332). Bei den Écoles supérieures und normales hat jedoch die Regierung das Anstellungsrecht ( de Fooz a. a. O. S. 345). Holland . Lehrerbildung durch das K. Seminar seit 1816. Das Volksschulgesetz von 1857 hat ein System von Seminaristenprüfungen (jährlich zweimal) angeordnet, in welchen jedoch, wie es scheint (Art. 44) nicht eben zu viel gefordert wird. Darauf wird ein Fähigkeitszeugniß aus- gestellt (acte van bequaamheid) ohne welches niemand Elementarunterricht geben darf. Das Minimum des Gehalts Art. 19 ff. Die Gemeinde ernennt die Hülfslehrer; der Hauptlehrer auf Vorschlag von drei , vom Bürger- meister vorgeschlagenen Kandidaten. Neuerdings Herstellung von mehreren Seminarien und Uebungsschulen. Daneben Lehrerconferenzen und zahl- reiche Lehrervereine im Anschluß an die Inspektorate; letzteres eine treff- liche Einrichtung (S. darüber Le Roy bei Schmid Bd. III. S. 366 ff.) D. Die Lehrordnung . Das Schulensystem, das Klassensystem und die Bürgerschule. I. Die Lehrordnung begreift nun ihrer formellen Definition nach die Gesammtheit der Vorschriften über dasjenige, was als Ele- mentarkenntniß angesehen worden, und in welcher Ordnung dasselbe gelehrt worden ist. So einfach und so rein pädagogisch diese Sache nun auch auf den ersten Blick erscheint, so ergibt sich ihr hochbedeutsamer und auch syste- matisch selbständiger Inhalt, so wie man auf das höhere Wesen der Elementarbildung zurückgeht, und dieselbe mit der staatsbürgerlichen und socialen Aufgabe der Verwaltung in Verbindung bringt. Alle Elementarbildung ist nämlich die absolute Bedingung der Bildung für alle Angehörigen des Staats und zugleich die Voraus- setzung, und daher die Einleitung für alle Weiterbildung in allen Zweigen des Lebens. Man kann daher mit voller Bestimmtheit sagen, daß alle Klassen der Gesellschaft, welche ihre Kinder für irgend einen Beruf bestimmen, die Elementarübung für die letzteren selbst besorgen werden, ohne daß die Verpflichtung zur Benützung der Volksschule für sie administrativ erzwungen werden müßte. Für alle besitzenden Klassen der Gesell- schaft im weitesten Sinne des Wortes wird daher mit Recht ange- nommen, daß hier die Elementarbildung mit der häuslichen Erziehung zusammenfällt, so daß man das Princip der Schulpflicht für diese in einer anderen Weise als durch den Schulbesuch verwirk- lichen muß. Diese letztere besteht nun darin, daß der Besitz der Ele- mentarkenntnisse zur Bedingung für die Aufnahme in die unterste Klasse der Berufsbildung macht, und daß auf diese Weise die unterste Klasse der Berufsbildungsanstalten als Schulen den Charakter der Elementarbildungsanstalten annehmen, ohne doch Volksschulen zu sein. Dieß Verhältniß ist so naturgemäß, daß es in allen Ländern Europas zur Geltung kommt; und man muß mithin davon ausgehen, daß einer der Hauptunterschiede der besitzenden und nicht besitzenden Klasse in dem Kriterium besteht, ob die Familien in der Lage sind, für ihre Kinder den Elementarunterricht mit der häuslichen Erziehung zu verbinden oder nicht; indem für die erste Klasse somit die Elementar- berufsbildung in der That als reine Elementarbildung erscheint, was für die zweite nicht der Fall ist. Dieß Verhältniß macht das reine Volksschulwesen und selbst den Begriff und Umfang der Elementar- bildung leicht unklar und ist der Grund, weßhalb sich die Literatur über den Begriff der Volksschule so wenig einig ist. Jedoch stellt sich der letztere sofort her, wenn man einen Schritt weiter geht. Soll nämlich, mit Zurückgehen auf den reinen Begriff der Ele- mentarbildung, dieselbe einerseits für alle Staatsangehörigen gelten und die Einleitung für alle Bildung bieten, so muß die Verwaltung dieselbe so einrichten, daß sie so weit möglich die erste Erziehung mit der Elementarbildung verbindet , und daß sie zweitens die Elementar- bildung selbst zur Vorbildung für den Lebensberuf erhebt . Erst da- durch kann und wird das höchste Ziel erreicht werden, das das Volks- bildungswesen unsrer Epoche charakterisirt — die Unabhängigkeit des Erwerbes geistiger Güter vom Besitze , und die Möglichkeit, diesen Erwerb für alle Klassen gleich zu machen. Und auf diesem Punkte nun wird die eigentliche Bedeutung der beiden Kategorien des Schulen- systems und des Klassensystems klar; denn hier erst gewinnt das öffent- liche Volksbildungswesen seine wahre sociale Bedeutung. II. Wenn nämlich die Verwaltung jene Aufgaben in ihrem ganzen Umfange erfüllen soll, so darf sie nicht mehr bei der einfachen Volks- schule, wie sie eben im vorigen Jahrhundert bestand, stehen bleiben. Sie muß alsdann vielmehr mit den für die Elementarbildung bestimm- ten Anstalten zugleich die Erziehungsverhältnisse der niederen Klassen umfassen und selbst ganz specielle Verhältnisse Einzelner mit in ihre Thätigkeit aufnehmen. Sie muß daher statt der einfachen Ele- mentarvolksschule ein System von Schulen, selbst im weitesten Sinne des Wortes genommen, aufstellen. Diese müssen selbst bei der ersten Kindheit beginnen, hier die häusliche Erziehung ersetzen und wo mög- lich die Elemente aller Bildung mit der letzteren verbinden. Sie muß ferner die Erhaltung der in der Volksschule gewonnenen, durch die praktische Beschäftigung der Erwachsenden vielfach gefährdeten Kennt- nisse durch eigene Anstalten sichern; und sie muß endlich den Elementar- unterricht selbst auf diejenigen ausdehnen , welche durch natürliche Gebrechen von jeder Bildung ausgeschlossen sind. Es kann das durch die einseitige Thätigkeit der Regierung geschehen; allein offenbar be- ginnt hier das Gebiet des Vereinswesens einzugreifen, da die Ver- hältnisse, welche solche Anstalten nothwendig machen, zu sehr an ört- liche Dinge sich anschließen, und nur durch freie Thätigkeit Einzelner bewältigt werden können. Aber daß es geschehe, ist eine der großen Bedingungen alles wahren Fortschrittes, und das Bild der Leistungen eines Volkes auf diesem Gebiete ist für die Höhe seines gesammten geistigen Lebens ein entscheidendes Merkmal. In diesem Sinne reden wir zunächst von dem Schulensystem , und dasselbe stellt sich in drei Hauptgruppen dar, von denen die erste der Volksschule vorausgeht, die zweite aus der eigentlichen Volksschule besteht, und die dritte ihr folgt. Die allgemeinste Grundlage dieses Systems, in welcher das Princip der Erziehung der formellen Eintheilung der Schulen zur Geltung gelangt, ist die Unterscheidung zwischen Knaben - und Mädchens chule, die in der Volksschule durchgeführt wird. Die Schu larten aber sind demnach die Krippen , die Warte - oder Kleinkinderschule , welche eben die Erziehung mit der Elementarbildung vereinigt und der nicht- besetzenden Klasse die Familie ersetzt — die eigentliche Elementar- oder Volksschule — und die Wiederholungss chulen, die meistens aus naheliegenden Gründen als Sonn - oder Feiertagsschulen erscheinen. An diese schließen sich dann die Special-Elementarschulen der Blinden und Taubstummen. Das Schema des Schulensystems, auf welches die Vergleichung zu reduciren ist, ist demnach folgendes: Es muß dabei festgehalten werden, daß das öffentliche Recht dieser Anstalten noch im Werden begriffen ist. Doch ist das Recht der Volks- schule als die Grundlage anzusehen , und es ist kein Zweifel, daß dieß Recht, wie es sich allmählig über die Wiederholungs- und Blindenschulen ausgebreitet hat, mit der Zeit auch die Krippen und Warteschulen aus zufälligen und örtlichen Anstalten zu öffentlichen Anstalten, zu Organen des Schulrechts erheben wird, für welche die Gemeinschaft die Pflicht der Herstellung übernimmt, wo die Vereine nicht ausreichen. Die Erziehung und Bildung in denselben ist dann Sache der Pädagogik. III. Während nun das Schulensystem die Anstalten als solche um- faßt, bezieht sich das Klassensystem auf die zweite der obigen For- derungen. Wir haben schon früher gesagt, daß die „ Klasse “ nicht so sehr eine pädagogische, als vielmehr ein socialer Begriff ist, sobald sie in der Volksschule auftritt. Das Wesen der Klasse besteht nämlich nicht in dem Abschnitt einer größeren oder geringeren Fertigkeit in den Ele- mentarleistungen, sondern dasselbe muß darin gesucht werden, daß jede Klasse an und für sich als Vorbereitung für eine höhere Stufe der Bildung aufgefaßt wird. Die „Klassen“ sind daher in der Berufs- bildung natürlich und nothwendig; so wie sie aber in der Volksschule auftreten, bedeuten sie den principiellen Zusammenhang der Elementarbildung mit der höheren Bildung . Durch das Klassensystem in der Volksschule ist sie selbst ein Glied des ganzen Bildungssystems außer derselben; sie bedeutet die Möglichkeit und mit ihr das Recht auf Weiterbildung; sie ist an sich undenkbar, ohne daß in den höheren Klassen schon die Elemente der allgemeinen Bildung selbst als Elementarbildung anerkannt werden. Der Fortschritt von der einfachen Volksschule zur Klassenschule ist daher ein tiefgehender, fast ganz gleichgültig gegen das, was den Gegenstand der höheren Klassen bildet, und die Vergleichung des Elementarbildungswesens muß sich daher an diesen zweiten Punkt eben so nothwendig anschließen, als an den ersten. Allerdings wird nun durch das Klassensystem die formelle Bestim- mung der Gränze zwischen der Volksschule und dem Berufsunterricht schwierig. In der That stellt die Klasse eben den organischen Zusam- menhang aller geistigen Entwicklung von den ersten Elementen bis zur höchsten Ausbildung auch für den untersten Unterricht her und es bleibt vergeblich, jene für das öffentliche Recht dennoch nothwendige Gränze in der Sache selbst zu finden. Man muß ihn daher in der Form suchen und setzen. Dieß nun ist um so nothwendiger, als sich an den Begriff der Klasse in der Volksschule mehr und mehr ein zweiter anschließt, über dessen Stellung und Bedeutung sich das Bildungswesen klar sein muß. Das ist der Begriff der Bürgerschule . Dieselbe ist weder eine Volksschule, noch eine Berufsschule. Sie ist ein Bildungs- institut, das in sich abgeschlossen da steht und, die Klassenordnung in sich aufnehmend, selbst wieder den Charakter einer Vorbildungsanstalt haben kann , während sie zugleich mit ihrem Bildungsgrade abschließt. Die „Bürgerschule“ erscheint in dieser Scheidung mehr oder weniger klar getrennt von der Elementarschule bei allen Völkern; ihre Grund- lage ist der Gedanke einer Elementarbildungsanstalt für die niederste Klasse der Besitzenden, denen die Volksschule nicht genügt und die zur Berufsschule nicht nothwendig übergehen wollen. Sie wird sich daher stets an das kleinere Gewerbe anschließen und zugleich die Vermitt- lung zwischen Elementar- und Berufsschule bilden. Darnach wird sich natürlich ihr Unterricht und ihr Klassensystem richten; es ist nicht Sache der Verwaltungslehre, darauf speciell einzugehen. Allein eine Gränze muß gesetzt werden und diese liegt offenbar in dem Grund- satz, daß die Bürgerschule diejenige Anstalt ist, bei welcher die drei Elemente bereits als erworbene Fähigkeiten vorausgesetzt werden und welche daher in allen ihren Klassen nicht mehr den Erwerb , wie die Volksschule, sondern die Verwendung derselben zu zeigen und zugleich die Elemente der allgemeinen Bildung, Geographie, Natur- lehre und Geschichte nebst Mathematik und Wirthschaftsrechnung zu lehren hat. Eine Begränzung durch das Alter sollte nicht stattfinden; sie wird sich von selbst machen. Es ist nun sehr schwer, die sehr verschiedenen Zustände, Anstalten, Namen und Eintheilungen auf die obigen einfachen Kategorien zurück- zuführen. Natürlich wird jedes Volksschulwesen viel verständlicher, wenn man es ohne Rücksicht auf dieselben einfach statistisch darstellt. Allein eine wahre Vergleichung, ein gemeinschaftliches Bild dieses Theiles des geistigen Lebens von Europa dürfte ohne dieselben kaum zu er- reichen sein. Wir dürfen wohl darauf aufmerksam machen, daß in der Literatur bei großer und eingehender Beschäftigung mit dem Einzelnen der Zu- sammenhang aller Elementarbildungsanstalten nicht immer gehörig beachtet wird. Wir legen um so mehr Nachdruck hierauf, als nament- lich das Verhältniß der Krippen und Warteschulen zum Elementarunter- richt dadurch nicht gehörig gewürdigt wird, während in der That gut eingerichtete Warteschulen fast die Aufgabe der untersten Klasse der Volksschulen erfüllen konnten und sollten . — Ferner steht bei der Un- fertigkeit der Terminologie die Bedeutung der „Bürgerschule“ nicht fest; das kann freilich erst dann ganz erreicht werden, wenn man über das einig wird, was wir als System der volkswirthschaftlichen Bildungs- und Vorbildungsanstalten bezeichnen. Jedenfalls sind die concreten Ver- hältnisse des Unterrichtswesens noch nicht dazu angethan, durch die Thatsachen eine Klarheit hineinzubringen, welche die Theorie noch nicht besitzt. Was zuerst England betrifft, so sind hier allerdings alle Ele- mente des obigen Systems vorhanden, aber allerdings noch ohne innere Verbindung und ohne äußeres System. Da nämlich weder Begriff noch Recht der eigentlichen Volksschule feststehen, so sehen wir eine ziemlich ungeordnete Reihe von Erscheinungen und Versuchen auftreten, welche zusammengenommen ungefähr das erfüllen, was das obige System fordert. Die Krippen und Wartes chulen sind zum Theil sehr gut, und „berufsfreudige Lehrerinnen bringen die Kinder so weit, daß viele mit 7 Jahren lesen, erträglich schreiben, selbst etwas rechnen können.“ ( Gugler S. 215.) Daneben bestehen die sog. Industrial schools (die Schulen der Union houses, Zwangsschulen für die vagrant children ), die ragged schools, Vereinsschulen für verwahrloste Kinder, die Eve- ning schools ( Gugler S. 255). Sonn- und Feiertagsschulen sind aus dem vorigen Jahrhundert (s. oben) und gewiß noch eine Menge anderer örtlicher Unternehmungen. Die „Upper schools“ sind offenbar bessere Volksschulen, ohne bestimmtes System, für zahlende Kinder ( Gugler S. 249). Vergl. über die verschiedenen Verhältnisse zum Vereinswesen Schöll a. a. O., der die Vorschulen speciell S. 112 ff. behandelt. Die half-time schools sind eine Modification der Fabrikschulen ( Tyler bei Gugler S. 111, Gugler S. 201.) — Man muß festhalten, daß bei dem Mangel eines administrativen Volksschulwesens an eine Systemisirung wie in Deutschland nicht zu denken ist. — Ebenso ist es nicht thunlich, etwas allgemein Gültiges für das Klassensystem anzugeben. Das Beste steht bei Schöll S. 103. Wie weit dasselbe praktisch durchgeführt ist, läßt sich kaum sagen. Selbst Senior ( Heads of Report 91. 95) kommt zu keiner festen Angabe. Doch ist das Bedürfniß nach einer systemati- schen Ordnung und namentlich die Aufnahme wirklicher Bildungsgegen- stände an der Stelle des geisttödtenden Auswendiglernens von Bibel- stellen sehr groß (s. Senior an mehreren Orten). Frankreich hat keine Schulpflicht . Die Vorschulen be- schränken sich noch bloß auf die Krippen (Kinder in der Wiege) und diese wieder fast nur in Paris. Sie sind von Vereinen gestiftet und die Eltern zahlen eine tägliche kleine Rate (20 und 30 Cent.). Warte- schulen gibt es nicht . Die Volksschule bestand bis 1833 aus Einer Klasse, der einfachen instruction primaire . Das Gesetz vom 28. Juni 1833 führte dann mit dem Unterschied der instr. prim. élémentaire und supérieure die Grundlage des Klassensystems ein, wobei die Lehrordnung der erstern außer den Elementen auch noch die Lehre von Maaß und Gewicht empfing, die zweite dagegen die Elemente der Geometrie, Natur- geschichte, Geographie und Geschichte, mit der Erlaubniß einer Er- weiterung dieser Fächer. Wie alle andern freieren Elemente der Volksbildung hat das Gesetz von 1850 diese instr. pr. supérieure ge- radezu aufgehoben und nur die Erlaubniß übrig gelassen, die höheren Klassen als écoles intermédiaires professionelles etc. herzustellen. Der Rückschritt, der darin liegt, bedarf keiner Erörterung. Die organische Verbindung der gesellschaftlichen Klassen ist aus der Gesetzgebung der Volksbildung damit ausgestrichen. Deutschland . Es muß für die deutschen Staaten festgehalten werden, daß die ausgezeichnete Bildung und die rechtliche Selbständig- keit des Lehrerstandes, die wieder eine höchst einflußreiche Literatur er- zeugt hat, die zum Theil sehr mangelhafte Gesetzgebung ersetzt. Eigen- thümlich ist es, daß in Preußen die Gesetzgebung des Lehrsystems viel weiter zurück ist als in Oesterreich, während das Verhältniß der Land - schullehrer das umgekehrte sein dürfte. — Allgemein ist die Schul- pflicht und zwar bereits seit dem vorigen Jahrhundert, fast durch- gehend gesetzlich anerkannt, nicht allein im preußischen Allgemeinen Landrecht II. 12. 43, sondern auch in Sachsen (1769), Fulda 1775, Lauenburg, Baden u. a. m. ( Berg , Polizeirecht Bd. II. S. 314). Ebenso gab es bereits 1786 Töchterschulen in Dessau, Hanau, Hannover ( Berg a. a. O. S. 302). Doch mangelten bis zu unserem Jahr- hundert nicht bloß die Vorschulen gänzlich, sondern fast auch alle Special- schulen, und das Klassensystem war eine große Ausnahme. Erst in unserem Jahrhundert ist dieß Lehrsystem organisch ausgebildet und dann von der Wissenschaft, wenn auch nur noch in den territorialen Ver- waltungsgesetzkunden ausgebildet. Preußen. Warteschulen bereits organisirt durch Rescript vom 24. Juni 1827. Sie fallen noch unter die Kategorie des Privat- schulwesens, können jedoch als Corporationen behandelt werden (königl. Ordre vom 28. Februar und 3. Juli 1842. Rönne , Unterrichts- wesen I. 865, dessen Staatsrecht II. §. 446 und 361. Ebendas. über die Vereine zur Besserung verwahrloster Kinder; namentlich Rescript vom 11. Juni 1828). — Die Elementarlehre steht gesetzlich ganz auf dem niedersten, französischen Standpunkt; für den höheren Ele- mentarunterricht ist keine Stunde angewiesen, sondern derselbe nur „gestattet“ ganz wie vor hundert Jahren im General-Schulregelement von 1763 (Regulativ vom 3. Oktober 1834 und Kampf dagegen; s. Rönne , Staatsrecht II. 444). Doch sind besondere Anordnungen über Hand- arbeiten, Obstbaulehre, Turnunterricht (verboten 1819, dann seit 1834 wieder eingeführt bei dem Gymnasium, von da aus seit 1842 allgemein). Rönne , Unterrichtswesen I. 706—712; durch Rescript vom 28. Febr. 1862 als integrirender Theil des Volksunterrichts anerkannt ( Rönne , Staatsrecht II. 444). Die Entlassungsprüfung ist jedoch, was entscheidend wird, strenge durchgeführt und zur Bedingung der Confirmation und damit zum Eintritt in das ganze bürgerliche Leben gemacht ( Rönne , Unterrichtswesen I. 335). Oesterreich hat das Vorschulwesen, Krippen und Warteschulen, gleichfalls noch ganz im freien Vereinswesen und zwar als Theil des Hülfswesens aufgenommen. Krippenkalender erscheinen jährlich in Wien mit sehr guten und ausführlichen statistischen Nachweisungen. Sein Lehrsystem ist gesetzlich viel besser und freier als das preußische. Unterschied von Knaben- und Mädchenschulen schon in der Verfassung der deutschen Volksschule. Das Schulsystem beruht auf dem Unterschied der Trivial schule von den Haupt schulen mit vier Klassen und den Normal schulen in den Hauptstädten, mit Uebergang von der Trivial- schule in die vierte Klasse der Hauptschule. In dieser wird auch Natur- und Landeskunde aufgenommen. Die großen Verschiedenheiten der Kron- länder bringen natürlich auch große Unterschiede in der Praxis zu Wege. Schulpflicht ist gesetzlich streng organisirt (vom sechsten Jahre an sechs Jahre). „Schulbeschreibung“ als Mittel für ihre Erfüllung durch die Ortsinspektion ( Stubenrauch II. §. 380). Das gesammte Klassensystem mit den Prüfungen bei Ficker S. 315 ff. Die gesetzlichen Vorschriften bei dems. S. 275. Die Wiederholungs - und Sonntags schulen schon eingeführt durch Decret vom 27. September 1828 und zwar mit Schulpflicht und möglichst durchgeführter Klasseneintheilung ( Stuben- rauch II. 381. Ficker a. a. O. 327 ff.). Prüfungen halbjährlich und öffentlich, nach der Verfassung von 1808 ( Stubenrauch II. 373). Die Bürger schule in Oesterreich ist die Erweiterung der Hauptschule um zwei bis drei Klassen und führt auch den Namen der (unselbständigen) Unterrealschule (Darstellung bei Ficker 329 ff.). Bayern . Eine ausführliche und mit der betreffenden Literatur versehene Darstellung von Klemm bei Schmid Encyklopädie I. 429 ff. Sammlung der das deutsche Schulwesen betreffenden Gesetze, Ver- ordnungen ꝛc. 3 Bände. Einführung der Schulp flicht bereits durch Verordnung vom 23. December 1802. — System der Klassen: drei Klassen, nebst Vorbereitungsklasse; Normallehrpläne von 1804 und 1811; ausführliche Darstellung bei Schiller , Schmid Encyklopädie I. 435 ff. Sonn- und Feiertagsschulen, errichtet im Jahr 1811; doch noch unbe- deutend (vergl. Pözl , Verwaltungsrecht §. 184). Baden . Schulpflicht allgemein. Das System der Schulen scheint nicht objektiv festgestellt, sondern von der Größe der Schülerzahl abhängig. Die Grundlage ist die Eintheilung in drei Klassen. Die Entwicklung zu einem Systeme ist fakultativ: „für größere Städte ist es erlaubt, Schulen mit erweitertem Lehrplan einzurichten“ ( Holtzmann a. a. O. 392). Die höhere Bürgerschule jedoch erscheint schon als Real- schule. Ueber Waisenhäuser, Rettungsanstalten u. s. w. ( Holtzmann S. 416). Das Ganze ist noch rein dem Vereinswesen überlassen und wenig ausgebildet. Taubstummenlehranstalt seit 1783. Ein Kinder- hospital in Heidelberg ist eine Art Kinderschule. Hannover . Schul pflicht schon seit der Mitte des vorigen Jahr- hunderts. Landschulen einklassig, Stadtschulen mehrklassig. Rettungs- anstalten, Taubstummen- und Bildungsanstalten bei Pabst a. a. O. 335. Der Mangel des hannover’schen Volksschulwesens liegt in dem des mangelnden Systems, das die individuelle Tüchtigkeit der Lehrer er- setzen muß. Kurhessen . Ein eigentliches System mangelt offenbar; es ist den örtlichen Verhältnissen überlassen. Grund ist der Mangel an einem Schulgesetz. Meist bestehen drei Abtheilungen. Normallehrplan fehlt. Neben den Volksschulen bestehen einzelne Fabrikschulen (Hanau). Die Handwerks schulen sind unorganische Reste der Zunftepoche und vertreten die Sonn- und Feiertagsschulen, ohne öffentlichen Lehrplan ( Bezzenberger a. a. O. 483. 484). Ueber die Waisenhäuser und Ret- tungsanstalten, zum Theil schon seit dem 17ten Jahrhundert als ein- zelne Stiftungen bestehend ( Bezzenberger das. 507 ff.); Taubstummen- anstalt seit 1838. Kleinkinderschulen sind auch hier nur städtische Ver- einsanstalten. Hessen-Darmstadt . Schul pflicht seit dem 17ten Jahrhundert ausgesprochen. 1634 Ordnung von fleißiger Uebung Katechismi. Das Klassensystem scheint auch hier in seiner Ausführung von localen Ver- hältnissen abhängig. In allen Provinzen Rettungsanstalten; daneben Waisenhäuser, Taubstummen- und Blindenanstalt. Kleinkinderschulen werden 24 angegeben; Fortbildungsanstalten finden sich nicht ( Strack a. a. O. 530 ff.). Waldeck . Frühere Schulordnung Gesetz vom 30. Januar 1846; neuere Organisation im Wesentlichen nach preußischem Muster und sehr rationell durchgeführt (Gesetz vom 9. Juli 1855). Belgien . Schulpflicht existirt nicht ; vergeblicher Versuch im Jahre 1859, dieselbe einzuführen ( Batbie , Dr. publ. et adm. III. S. 259). Das Klassensystem ist dem französischen der inst. primaire élémentaire und supérieure nachgebildet. Nach de Fooz ( Droit administrativ. Belge IV. 343) hat man die écoles primaires supérieures parmi les établissements d’instruction moyenne gereiht und damit unter das Gesetz von 1850 gestellt. Das Verhältniß wird nicht recht klar (vergl. Le Noy a. a. O. S. 502). Dafür aber ist in neuester Zeit durch die Verordnung vom 1. September 1866 das System der Écoles d’adultes eingeführt, unsern Fortbildungsschulen entsprechend, zugleich für Mädchen. Dieselben sollen wieder in eine division élémentaire und eine supérieure eingetheilt werden. Das Lehrsystem ist nach dem Gesetz von 1842 ge- regelt und umfaßt die Grundbegriffe des verfassungsmäßigen Rechts neben der Elementarlehre (Art. 6). Der Staat kann dafür Unterstützung gewähren (Art. 29). In jeder dieser Schulen sollen wo möglich öffentliche Vorträge, wöchentlich einmal, abgehalten werden. Holland . Sehr entwickeltes System von Warteschulen, daneben Wiederholungsschulen, Sonntagsschulen in großer Zahl. Die Schulen selbst zerfallen in zwei Hauptklassen, von denen die erste den Elementar-, die zweite den höheren Bürgerschulen entspricht. Die eigentliche Schei- dung trat wohl erst in neuester Zeit ein durch das Gesetz von 1857 über das Volksschulwesen ( laager Onderwiis ) und das Gesetz vom 2. Februar 1861, welches den mittleren Unterricht ( middelbaar Onder- wiis ) davon trennte. Das System des letzteren umfaßt die wirthschaftliche Vorbildung in den „Bürgerschulen, höheren Bürgerschulen und den Land- bauschulen.“ Offenbar sind die „Bürgerschulen“ (mit nur zweijährigem Curs) ungefähr wie die Écoles primaires supérieures in Belgien doch nur die höheren Klassen der Volksschule, wie auch ihr Programm (Gesetz von 1861, Art. 13) und die Bestimmung zeigt, daß sie aus Tag- und Abendschulen bestehen und daß in jeder Gemeinde von 10,000 Seelen (sehr hoch gegriffen!) eine solche Tag- und Abend-Bürgerschule errichtet werden soll (Gesetz von 1861, Art. 14). Bemerkenswerth ist die Ein- führung des Turnunterrichts. Jedoch fehlt eben wegen des Princips der fast gänzlich freien Gemeindeverwaltung die Einheit und Gleichheit in diesen Anstalten. Le Roy bei Schmid III. 566 hat nur Andeutungen. Zweite Gruppe. Privatschulen. Wesen und Recht derselben . Bei der auch im besten Falle beschränkten Thätigkeit der öffent- lichen Volksschule bilden die Privatschulen ein wesentliches Element der Elementarbildung. Allein ihr Einfluß sowie ihr Umfang hängt vorzugsweise in allen Ländern davon ab, ob und in wie weit die Be- rufsschulen in den Vorbildungsanstalten auf die unterste Stufe der Bildung zurückgreifen. Wo dieß wie in Deutschland der Fall ist, da werden die elementaren Privatschulen niemals eine große Bedeutung empfangen, während sie da, wo die Berufsbildung schlecht organisirt ist Stein , die Verwaltungslehre. V. 10 wie in England, stets zugleich einen nicht unbedeutenden Grad von Vorbildung des Berufes in sich aufnehmen. Es muß daher als leiten- der Grundsatz gelten, daß sie in Umfang und Wirkung von dem System der öffentlichen Berufsbildung abhängen. Ursprünglich vollkommen frei in jeder Beziehung entsteht mit dem Auftreten des Princips der Schulpflicht der Gedanke, daß auch sie eine öffentliche Funktion vollziehe und daher wie jede ähnliche Thätig- keit unter der öffentlichen Oberaufsicht stehe. Und die Aufgabe und Gränze dieser Oberaufsicht ist es, welche ihrerseits das öffentliche Recht der Privatschulen bildet. Dasselbe zerfällt in zwei Theile. Das Recht der Genehmigung zu Errichtung einer solchen und das Recht der Aufsicht auf das Lehrwesen . Das Recht der Genehmigung hat sich fast allenthalben an den Ge- danken angeschlossen, daß eine Privatschule ein Gewerbe sei; jedoch ist ebenso allgemeines Princip, daß der Unternehmer die Fähigkeit zum Elementarunterricht in einer dem öffentlichen Lehrer entsprechenden Weise nachweisen müsse. Die Aufsicht auf das Lehrwesen geht davon aus, daß sie nur eine polizeiliche zu sein, also die Kinder nur vor Mißbräuchen zu schützen, um den Lehrgang selbst sich aber nicht zu kümmern habe. Diese an sich einfachen Sätze empfangen nur da praktisch eine größere Bedeutung, wo solche Privatschulen von Körperschaften er- richtet werden und dadurch einen bestimmten und mächtigen Einfluß auf den Geist der niederen Klassen ausüben. Gegen die damit verbun- denen Gefahren gibt es nur zwei Mittel; zuerst die Unterstellung der- selben unter die Oberaufsicht der Gemeinde und dann die vollste Oeffentlichkeit der Lehre selbst. Die amtliche Oberaufsicht wird hier schwerlich je genügen. Aus den angeführten Gründen steht das Privatschulwesen stets in engster Verbindung mit den kirchlichen Verhältnissen des Landes und erscheint daher in jedem Lande sehr verschieden. Die Literatur hat sich mit demselben viel zu wenig beschäftigt und nirgends fühlt man mehr den Mangel der Statistik. Was England betrifft, so sind eben die früher erwähnten Vereinsschulen, die National Schools und die British and Foreign Schools, Privatschulen von Vereinen, welche die beiden großen kirchlichen Richtungen in England vertreten, und durch den Mangel eines öffentlichen Volksschulwesens von größtem Einfluß; Ge- nehmigung ist unbekannt und Aufsicht tritt nur ein, wenn die Unter- stützung erbeten wird. Die sog. „Dame Schools“ sind eben ein höchst unfertiges Mittelding zwischen Elementarschulen und Warteschulen; ge- wiß berechtigte harte Urtheile darüber bei Schöll und Gugler a. a. O. — In Frankreich sind die Privatschulen oder Écoles libres in das System der Université mit aufgenommen. Die großen Mängel der öffentlichen Schulen hatten sie schon von 1833 zu einem wichtigen Ele- mente der Volksbildung gemacht; sie bedurften aber der autorisation préalable, die von den kirchlichen Behörden wesentlich abhängig war. Das Gesetz vom 28. Juni 1833 machte sie als écoles primaires pri- vées (T. II) davon frei und schrieb nur vor ein brévet de capacité und ein certificat de moralité vom Maire und drei Mitgliedern des Gemeinderathes; die Aufsicht sollte gleichmäßig über die Privat- und öffentlichen Schulen vom Schulcomit é des Gemeinderathes ausgehen ( art. 21). Das Gesetz von 1850 hat dieß alles dahin geändert, daß außer dem brevet de capacité auch ein certificat de stage genügt, daß der Maire kein Recht des Widerspruches hat, daß jedoch jetzt der In- specteur entscheidet und mit völliger Ausschließung des Gemeinderathes eine Aufsicht übt, die strenge die Aufsicht über das Lehrwesen aus- schließt und nur Moralität und Gesundheit betreffen soll. Bei geist- lichen Körperschaften genügt sogar die einfache lettre d’obédience statt aller Genehmigung. Der Rückschritt, der hierin liegt, ist klar genug. — In Deutschland hat die Tüchtigkeit der Volksschule die Privat- schulen zu sehr untergeordneten Elementen gemacht. Das Princip der Genehmigung ist wohl allgemein, nach den Grundsätzen des Gewerbe- rechts; die Aufsicht besteht meistens wohl nur in dem Grundsatz, daß die Zulassung zu den Vorbildungsanstalten von einer Prüfung , ent- weder in den Hauptschulen wie in Oesterreich (Verfassung der deutschen Volksschule §. 96) oder bei der Aufnahme, resp. bei der Confir- mation (Preußen) abhängig ist. Ueber Oesterreichs Verhältnisse siehe Ficker a. a. O. S. 325 ff. Das preußische Recht ist in seinen Grundzügen bereits durch das Allgemeine Landrecht II. 12 festgestellt: Anzeige, Genehmigung, Oberaufsicht, Verbot der Winkelschulen. Edikt vom 12. Juli 1810 entbindet die Privatlehrer der Prüfung; die Ge- werbeordnung vom 7. September 1811 gibt den Privatunterricht ganz frei; dann Gesetz vom 10. Juli 1834, welches wieder die Erlaubniß fordert, nebst Zeugniß. Diese Bestimmung macht dann eine genauere Competenzordnung nöthig und diese erschien in der Instruktion vom 31. December 1839, welche auch hier neben dem System der Oberauf- sicht und Zeugnisse ein strenges Prüfungssystem durchführt ( Rönne , Staatsrecht I. §. 200). Die verschiedenen Artikel bei Schmid liefern für die Frage leider kein Material; Gesetze scheinen vielfach ganz zu fehlen. Zweiter Theil. Das Berufsbildungswesen. Es ist nicht thunlich, das Berufsbildungswesen Europas in seinem ungeheuren Umfang, seiner Vielgestaltigkeit und seiner Unklarheit dar- zustellen und durch ein festes System den einzig möglichen Ausgangs- punkt für eine vergleichende Auffassung zu gewinnen, wenn man sich nicht über die Grundbegriffe und über die Bedeutung der Worte einigt, welche man für jede Darstellung und Vergleichung auf diesem zwar statistisch wohlbekannten, systematisch aber ganz unbearbeiteten Felde gebraucht. Wir müssen daher auch hier, um zu einem festen Resultat zu gelangen, einen allgemeinen Theil dem besondern voraussenden; denn bei aller Verschiedenheit im Einzelnen ist das Volksschulwesen den- noch seiner Natur nach in allen Ländern gleichartig und leichtverständ- lich; das Berufsbildungswesen dagegen ist in Umfang, Gestalt, Namen und Entwicklung so sehr verschieden, daß eine gemeinschaftliche Auffassung aller jener Verhältnisse ohne völlige Klarheit über seine Grundbegriffe und ohne jene Einigung über Sinn und Umfang der Wörter nicht erzielt werden kann. Wir werden daher in dem folgenden allgemeinen Theil zunächst den Begriff des Berufs und das System des Berufsbildungs wesens an sich darlegen und dann das Berufsbildungs recht als die selbständig zu betrachtende Thätigkeit der Verwaltung für das erstere auf seine allge- meinen Principien zurückführen. Erst dann wird es möglich sein, auch hier von den Elementen der Geschichte des letzteren zu reden, die uns bis zur Gegenwart führen. Die letztere bildet dann in ihrer Darstellung den besondern Theil. Und hier kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das positive Recht des deutschen Berufsbildungswesens so hoch über allem ähnlichen steht, daß wir das deutsche System zugleich als das allgemeine Rechtssystem der Berufsbildung aufstellen und die französischen und englischen Verhältnisse als unvollständige Nachbildungen desselben daran anschließen können. Möge es uns dabei erlaubt sein, ausdrücklich zu bemerken, daß wir die von uns gebrauchten neuen Begriffe und Ausdrücke nur an- genommen haben, weil ohne sie eine organische Auffassung unthunlich erscheint. Wir dürfen endlich hinzufügen, daß eine vollständige Mit- theilung des Materials geradezu unmöglich ist, wenn man sich auf irgend eine Weise zu beschränken hat. Das was wir dagegen ange- strebt haben, ist zweierlei — Vollständigkeit der Grundbegriffe und ihres Systems und Klarheit des großen Bildes, das sich vor uns aufrollt. Allgemeiner Theil. I. Der Beruf und die Berufsbildung an sich. Es ist vielleicht schwierig, einen formell bestimmten Begriff des Berufes anzuerkennen. Dennoch ist schon im Allgemeinen das was wir den „Beruf“ nennen, ein so entscheidendes Element für jedes Einzel- leben und ein so gewaltiger Faktor für das Leben der Weltgeschichte, daß wir desselben nicht entbehren können. Aber speciell das Bildungs- wesen der verschiedenen Völker und Zeiten bleibt ohne bestimmte Auf- fassung des Berufes immer unklar. Wir können uns daher der Auf- gabe nicht entziehen, den Begriff desselben hier zu entwickeln, um auf Grundlage desselben zu einem System des Berufsbildungswesens zu ge- langen. I. Begriff und Inhalt des Berufes. Der Beruf an sich und der öffentliche Beruf . — Der Beruf ist seinem abstrakten Begriffe nach die bestimmte Lebensaufgabe des Einzelnen, und zwar insofern die letztere demselben als solche zum Bewußtsein kommt und dieß Bewußtsein allen Bestrebungen und Thätigkeiten eine dieser Lebens- aufgabe dienende Richtung gibt. In diesem Sinne hat jeder Mensch mit seiner Lebensaufgabe auch seinen Beruf. Derselbe aber ist für ihn nicht bloß der Ausdruck eines Zweckes, sondern er ist zugleich ein hohes ethisches Element seines Lebens. Denn in ihm ist mit dem Bewußtsein von der besondern Aufgabe jedes Einzelnen zugleich das der höheren geistigen Gemeinschaft mit allen andern, das Gefühl der inneren Ein- heit des ganzen Menschenlebens gegeben, welche das Bedingtwerden aller Lebensberufe durcheinander, die lebengebende Gegenseitigkeit aller be- sondern Thätigkeiten, die Erhebung des Einzelnen zum Ganzen zum Bewußtsein bringt und dadurch auch das Besondere adelt und veredelt. Die Idee des Berufs, in jedem Einzelnen lebendig werdend, ist deßhalb von jeher der Anfang aller Gesittung in der Menschheit gewesen. Allein diese Idee des Berufes bleibt, so lange sie nur noch dem ethischen Bewußtsein des Einzelnen gehört, unbestimmt, zufällig und willkürlich. Sie fordert daher, wie alle großen Elemente des Gesammt- lebens, eine feste, äußerliche Gestaltung. Diese nun liegt an sich schon im Wesen des Berufes und zwar in der Gleichartigkeit der Lebens- aufgaben selbst, die der Einzelne zwar verschieden für sich auffassen und vollziehen, aber selbst nicht ändern kann. Diese Gleichartigkeit erzeugt dann äußerlich die Gleichförmigkeit der Berufsthätigkeit; die Gemein- schaft in den Bedingungen und Erfolgen der letzteren ruft die Gemein- schaft unter den Berufsgenossen hervor; in dieser Gemeinschaft tritt die Lebensaufgabe aller Einzelnen als eine große öffentliche Thatsache und alsbald als ein selbständiger, selbstthätiger Faktor hervor, die Gesammt- heit der Menschen erkennt sie als solche an; die öffentliche Anerkennung tritt zu der individuellen hinzu, und so wird aus dem Begriffe des Berufs an sich der wirkliche, öffentliche , im eigentlichen Sinne sogenannte Beruf . Man wird daher recht wohl sagen können, daß jeder Mensch im ethischen Sinne des Wortes seinen Beruf habe. Allein ein öffentlicher Beruf entsteht erst da, wo die Gemeinschaft des Menschen einen solchen anerkennt . An diesen Begriff des Berufes schließt sich nun der der Berufs- bildung und zwar zunächst im Allgemeinen, bis er sich zu dem ihm eignenden System entwickelt. II. Die Berufsbildung. Die Begriffe von Vorbildung und Fachbildung . — Die Lebensaufgabe des Berufes ist ein geistiges Ganze; aber sie hat in dieser ihrer Einheit zwei Elemente. Das erste dieser Elemente, das nächste und verständlichste, besteht aus der Ge- sammtheit derjenigen Kenntnisse und Fähigkeiten, welche speciell der bestimmte Beruf fordert. Das zweite dagegen ist anderer, höherer Natur. Wie der einzelne Beruf selbst ein Theil des Gesammtlebens der Menschen ist, so muß derselbe auch durchdrungen und belebt sein von diesem Be- wußtsein, daß er organisch, ethisch und praktisch zu dieser großen Ge- meinschaft der menschlichen Arbeit gehöre. Und wie daher einerseits der einzelne Beruf von der Tiefe und Höhe der gesammten menschlichen Arbeit abhängt, so wird auch der Einzelne in seinem Berufe von dem Bewußtsein der Größe und Gewalt dieser Thätigkeit getragen und ge- hoben. Jeder Beruf fordert daher für seine höchste Entwicklung neben seinen speciellen Kenntnissen und Fähigkeiten eine Weltanschauung, deren Werth oft unmeßbar, aber immer unverkennbar bleibt. Sie muß sich mit seiner speciellen Aufgabe auf das Innigste verschmelzen und damit die unendliche Entwicklung derselben möglich machen; sie muß dem Einzelnen immer lebendig sein, um ihn über die oft so harte und nieder- drückende Begränzung seines besseren Selbst auf den engen Kreis seiner Lebensaufgabe zu trösten und zu erheben; sie ist daher unbrauchbar, wie Left und Sonnenlicht, aber wie sie unschätzbar für alles, was in ihnen gedeihen soll. Und darum soll jede Berufsbildung neben ihrer speciellen Aufgabe zugleich die allgemeine der höchsten, freiesten Bildung, wenn nicht geradezu enthalten, so doch als Keim in den Geist des Menschen legen, damit er denselben in sich mit eigener Arbeit auf seinem Lebens- wege weiter ausbilde. Den formellen Ausdruck dieser beiden großen Elemente aller Be- rufsbildung bieten nun zwei Worte, welche aber vermöge jenes innern Zusammenhanges mit der Idee des Berufes selbst mehr ein Princip als ein System ausdrücken. Das sind die Vorbildung und die Fach- bildung . Die Vorbildung für den Beruf bedeutet zwei Dinge zugleich und steht demgemäß um so höher, je mehr beide neben einander zum Bewußt- sein gebracht und zur Geltung gelangt sind. Einerseits enthält die Vor- bildung die formelle Vorübung in den Kenntnissen und Fähigkeiten, welche die praktische Thätigkeit in der bestimmten Lebensaufgabe voraus- setzt. Allein andererseits hat die Vorbildung jene andere, zwar nicht unmittelbar praktische, aber dennoch höhere Funktion, auf die wir oben hingewiesen haben. Sie ist es nämlich, welche der Bildung des Ein- zelnen jene allgemeine Grundlage geben soll, die der geistigen, organischen Einheit aller Berufe zum Grunde liegt. Sie soll den Blick über die Sphäre des Einzelnen hinausheben und die ganze Welt des geistigen Lebens zeigen, ehe der Mensch sich der einzelnen begränzten Aufgabe hingibt. Sie soll das Band sein, welches innerlich jeden Beruf mit allen andern verbindet, die große Linie, welche von jedem Punkte der menschlichen Arbeit auf den Mittelpunkt aller lebendigen Anschauung und That zurückführt. Sie kann das zwar nicht durch Vollendung dessen, was eine solche Bildung fordert; allein sie kann und soll es, indem sie dem Einzelnen das Bewußtsein davon wach erhält und es ihm als Be- gleiter in seinem Leben mitgibt. Ist durch sie die Fähigkeit gewonnen, den Blick auf das Ganze zu richten und zu erhalten, hat sie jenes Be- wußtsein zur Reife gebracht an bestimmten einzelnen Gebieten des mensch- lichen Wissens, so kann nun die Fachbildung eintreten, das System, welches das große Princip der Theilung der Arbeit in der geistigen Welt verwirklicht und welche in diesem Sinne die für die nunmehr scharf begränzte individuelle Lebensaufgabe geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten darbietet. Auf diese Weise ergibt sich der Grundsatz, der das ganze Bildungs- wesen für alle Berufe zu beherrschen hat. Es ist der der möglichst gleichartigen Vorbildung und der möglichst besonderen Fachbildung . Da aber die Idee des Berufes auch in dem be- stimmtesten Einzelberuf fortlebt, so soll auch die nach dem obigen Grundsatze specialisirte Fachbildung trotz ihrer Besonderheit sich niemals auf ihre formale Gränze beschränken. Sie soll vielmehr von einer Ar- beit der allgemeinen Bildung begleitet sein, welche jene höhere Auf- fassung in dem Einzelnen lebendig erhält; sie ist neben der Special- bildung ihrem höheren Wesen nach stets eine Fortsetzung der Vor- bildung ; sie bildet in jener für das Fach, in dieser für das Leben der Menschheit und verläßt ihn erst da, wo mit der vollen Selbständig- keit des Einzelnen die Funktion des dritten Gebiets des Bildungswesens, der allgemeinen Bildung, beginnt. III. Das formale System der Berufe und der Berufs- bildung . — Auf diesen einfachen, für den Beruf überhaupt geltenden Grundlagen entsteht nun das, was wir das System der Berufsbildung nennen, indem die Berufe selbst sich in große, innerlich und äußerlich gleichartige Gruppen sondern. Es gibt nur Einen Weg, in der ungemessenen Mannichfaltigkeit der Lebensberufe zu einer Eintheilung derselben zu gelangen, welche zu- gleich der Sache und der Form entspräche. Denn es ist allen Lebens- aufgaben ohne Unterschied gemein, daß sie eine geistige und zugleich äußerliche Arbeit enthalten; jede Lebensaufgabe wird in ihrer Erfüllung wesentlich durch das Individuum bedingt; jede Lebensaufgabe hat ihr nächstes Ziel in dem Einzelnen, ihr ferneres in der Gemeinschaft, die zuletzt alle Unterschiede verschwinden läßt. Daher kann nur Eins diese Unterschiede für alle gleichmäßig festhalten. Das ist die Natur des Objekts oder des Stoffes, dem die Lebensthätigkeit des Einzelnen sich unterwirft. Dieses Objekt ist nun entweder die Welt der geistigen, der äußeren Begränzung sich entziehenden Thatsachen, oder die Welt der natürlichen Dinge, oder endlich die Welt der unmittelbar schöpferischen Kräfte des menschlichen Geistes. Die Lebensaufgaben nun, welche die Thatsachen des geistigen Lebens durch Einzelarbeit dem menschlichen Leben unterwerfen, bilden den geistigen Beruf; diejenigen, welche das natürliche Dasein den menschlichen Zwecken dienstbar machen, bilden den wirthschaftlichen Beruf; diejenigen, welche die reine Anschauung zur wirklichen Darstellung bringen, bilden den künstlerischen Beruf. Eine äußere Gränze ist dabei nicht zu ziehen, wenn man darunter eine materielle Trennung der verschiedenen Funktionen versteht. Es ist nicht einmal eine scharfe innere Gränze denkbar, denn jeder Beruf nimmt in seiner Weise die Thätigkeit des anderen in sich auf. Wohl aber sind jene Berufe ihrem Wesen nach verschieden, denn die Natur des Objekts erzeugt für jeden Beruf eine charakteristische Gestaltung der geistigen und äußern Thätigkeiten, deren Grund in dem Streben liegt, alles was der Mensch geistig und äußerlich vermag, für die Erfüllung jenes Berufes zu eignen. Die Macht des Berufes wird dadurch über den Einzelnen so groß, daß er sich mit seiner geistigen ja zum Theil mit seiner physischen Individualität identificirt; der Mensch wird erst zum Träger, dann zum Bilde seines Berufes, bis ihm die Gesellschaft oder der Staat gar die Symbole des letzteren geben. Doch ist es nicht unsere Sache, hierauf einzugehen. Wohl aber haben wir es zu bezeichnen, wie sich dazu nun der Begriff des öffentlichen Berufes verhält; denn daran knüpft sich die spätere Gestalt des Bildungswesens. Allerdings nun müssen wir hier auf ein anderes Gebiet der Wissen- schaft verweisen, die Wissenschaft der Gesellschaft. Es ist eine ihrer Hauptaufgaben, eben die Entstehung des öffentlichen Berufes, seine Anerkennung und seine Macht aus dem Berufe an sich zu zeigen. Ein- fach nun ist dieser Proceß in dem geistigen Berufe und es darf uns vielleicht verstattet werden, das hier näher zu bezeichnen, weil wir es unten zu gebrauchen haben. So wie sich nämlich bei steigender Ge- sittung die Nothwendigkeit und damit die Selbständigkeit derjenigen Funktionen zeigt, welche den Inhalt des geistigen Berufes bilden, so scheidet er sich von dem Gesammtleben aus und fordert und erzeugt im Namen seiner geistigen Berechtigung einen ihm eigenen speciell für ihn bestimmten Besitz , der die wirthschaftliche Grundlage der selbstän- digen Berufsfunktion bildet und der daher ein Eigenthum der Berufs- genossen ist. Sowie das geschieht, ist der Beruf eine zugleich öffentlich rechtliche Thatsache mit bestimmtem Recht, bestimmter Macht, bestimmter innerer Ordnung; und diesen mit eigenem Besitz, Macht und Ordnung versehenen Beruf nennen wir den Stand . Jeder geistige Beruf wird daher stets zu einem Stande ; der Stand ist die Form der Anerkennung und des Daseins des öffentlichen Berufes. Indem nun dieser geistige Beruf sich selbst wieder in bestimmte große Funktionen theilt, entstehen die Berufsarten, welche im obigen Sinne die Stände sind. Die Natur des Berufs enthält dafür drei Grundformen — die Funktion, die Kraft der Gemeinschaft als solche darzustellen, den Wehrstand, den Krieger- stand; die Funktion der Entwicklung des rein geistigen Lebens, Geist- lichkeit und Lehre — den Lehrstand; und die Funktion der Thätigkeit des Staats im weitesten Sinne — den Stand des Amts. Wie nun diese Funktionen in vielfachster Weise geordnet, oft in denselben Personen vereinigt, oft getrennt, feindlich und freundlich neben einander stehen, hat die Geschichte zu entwickeln; wie jeder Stand wieder in sich die Klassen mit ihren Gegensätzen in sich entwickelt, zeigt die Gesellschafts- lehre; wir haben zunächst uns nur an die obigen Thatsachen zu halten. Während nun auf diese Weise der geistige Beruf in allen Völkern die Tendenz hat, in der Gestalt der Stände zu einem öffentlichen Be- rufe zu werden, ist der künstlerische Beruf seinem Wesen nach unfähig, zu einem Stande zu werden. Seine Leistung ist an sich individuell, der Werth derselben ist von der individuellen Bildung abhängig. Es ist daher ein zwar wesentliches, aber kein ständisches Element der Ge- sellschaft; er ist der standeslose und daher der freie Beruf. Das be- darf wohl keiner Darstellung. Die wahre Schwierigkeit für die organische Auffassung des Berufes ist dagegen der wirthschaftliche Beruf. Der wirthschaftliche Beruf hat zu seinem Zwecke zunächst eine für das Individuum berechnete Funktion, den Erwerb; zu seiner Grundlage den individuellen Besitz, das Kapital; zu seiner bewegenden Kraft die individuelle Fähigkeit und Thätigkeit, die Arbeit. Der wirthschaftliche Beruf erscheint daher stets als ein individueller. Er entsteht daher ohne Zuthun des Ganzen; der Einzelne ist seine Quelle, sein Maß, sein Ziel; das specifische Ele- ment des öffentlichen Berufes scheint ihm seinem Wesen nach zu fehlen; und das ist von entscheidender Bedeutung, weil ohne dieß Moment von einer Berufsbildung nicht die Rede sein kann. Daher denn kommt es auch, daß Jahrtausende hindurch der Be- griff des Berufes auf das wirthschaftliche Leben keine Anwendung findet. Der Charakter des wirthschaftlichen Lebens ist der des Standes und damit der öffentlichen Rechtlosigkeit. Erst die germanische Welt gelangt zum Begriffe des wirthschaftlichen Berufes; aber weder schnell noch in einfacher Weise. Es ist gut, sich den Proceß zu vergegenwärtigen, durch den dieß geschieht, denn wie es in der Natur der Sache liegt, ist dieser Proceß die Grundlage der Geschichte der wirthschaftlichen Berufsbildung. Während nämlich bei dem geistigen Berufe aus dem Berufe selbst der Stand geworden ist, ist umgekehrt in Beziehung auf das öffentliche Recht hin aus dem Stande der Beruf geworden. Wir haben daher zwei Epochen zu unterscheiden. Die erste umfaßt die ganze Geschichte der Städtebildung und ihres Rechts; denn dieselbe ist nichts als die erste Form, in welcher das wirthschaftliche Leben seine Individualisirung verläßt, sich zur Gemeinschaft aller seiner Mitglieder erhebt, und sich auf Grundlage des eigenen Grundbesitzes selbst als öffentlich-rechtlich anerkannter Stand, der Bürgerstand hinstellt. Es ist nicht unsere Sache, die Geschichte desselben zu schreiben. Aber das Element, das er vertritt, gewinnt mit dem vorigen Jahrhundert eine andere Gestalt und Stellung und die ist es, welche den Inhalt der zweiten Epoche bildet. Sowie nämlich die staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung mit ihrem großen Princip des gleichen Rechts aller auftritt, treten zugleich zwei mächtige geistige Thatsachen in den Vordergrund aller neueren Geschichte Europas. Die erste ist die, daß der Besitz die materielle Grundlage der bürgerlichen Freiheit des Einzelnen für sich und seiner gesellschaft- lichen Geltung für andere ist. Die zweite ist die, daß vermöge der Dampfkraft die Produktion und damit Handel und Verkehr das Ge- sammtleben Europas zu umfassen beginnt. Damit gewinnt das wirth- schaftliche Leben als solches einen neuen Charakter. Er ist nicht mehr auf das Individuum und seinen engen Lebenskreis beschränkt. Das Vermögen und die Grundlage des Staatsbürgerthums, der Erwerb und die Grundlage der einheitlichen Arbeit der europäischen Völker, der Begriff und das Werden des Gutes sind dadurch zu etwas anderem geworden. Sie sind statt der einfachen materiellen Basis der Einzel- existenz eine der großen Grundlagen der europäischen Gesittung . Der Fleiß, die wirthschaftliche Tüchtigkeit, die Sparsamkeit erzeugen nicht bloß mehr Reichthum, sondern vielmehr ein Staatsbürgerthum; das Unternehmen wird aus dem einfachen Mittel, sich anständig durch die Welt zu bringen, zu einer ganze Völker und ihre Lebensverhältnisse umfassenden Aufgabe des kühnen und umsichtigen Mannes. Sie ver- lassen gleichsam die enge Heimath, in der sie bisher gelebt, die Kund- schaft der einzelnen Straße, der nächsten Nachbarschaft, der Beschränkung auf das Gebiet des heimischen Marktes, sie ziehen hinaus in die weite Welt; sie rufen die ganze Kraft, die ganze Kühnheit, die ganze Energie des Mannes ins Feld; sie zwingen ihn, den freien Blick weit über die Gränze des eigenen Landes zu erheben; sie fordern von ihm Kenntnisse, die früher kaum der Gelehrte gehabt, Fähigkeiten, die er für unerreich- bar gehalten, Leistungen, die die ganze Fülle persönlicher Entwicklung voraussetzen; sie sind nicht möglich, ohne das Bewußtsein geistiger Kraft, und indem sie gelingen, erfüllen sie ihn mit dem Stolze des ganzen Mannes. Da bleibt denn allerdings die gesammte frühere Auffassung des „Gewerbes“ und des „Bürgerstandes“ unmöglich; das wirthschaft- liche Leben wird zu einem sittlichen Element; es fordert in der Wissenschaft unabweisbar seine volle Berechtigung neben der Gelehrsamkeit und der abstrakten Philosophie, in der staatlichen aber die öffentliche Aner- kennung als eine mit jeder andern gleichberechtigten Bedingung der Gesammtentwicklung; der Einzelne, der sich ihnen widmet, widmet sich nicht bloß mehr wie einstens sich selber und höchstens der Zunft oder Innung, die unter dem Schutze des heimischen Reichthums gedeihen, sondern dem Leben des Ganzen; und mit vollem Recht wird so aus dem wirthschaftlichen Erwerbe ein selbständiger öffentlicher Beruf . Auf diese Weise ist das, was das neunzehnte Jahrhundert aus- zeichnet, das Auftreten des wirthschaftlichen Berufes an der Seite des rein geistigen, des gelehrten und des künstlerischen. Aber während derselbe auf allen Punkten des Gesammtlebens sich zur vollen Geltung bringt, kann er seiner Natur nach niemals ein Stand werden. Denn als Ganzes hat er keinen Besitz; der Besitz muß für jeden Einzelnen durch eigene Thätigkeit immer wieder aufs neue erzeugt, kann von jedem immer wieder aufs neue verloren werden. Sein Charakter besteht darin, daß er zwar für den Einzelnen ein freier, aber in seiner gesammten Auf- gabe ein begränzter ist. So ist derselbe die dritte Grundform des Berufes; und jetzt erscheinen mithin die drei Formen des letzteren, der geistige, der wirthschaftliche und der künstlerische Beruf als die drei Faktoren, durch welche und in welchen sich die Gesittung der Gesammtheit verwirklicht. Stehen nun diese Begriffe fest, so ist auch das System der Berufs- bildung einfach und leicht verständlich. Jeder Beruf hat seine Bildung, denn seine Erfüllung hat bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten zur Voraussetzung, die keiner unmittelbaren Anwendung auf den andern fähig sind. Jeder Beruf ist zugleich durch den mächtigen Umfang der Aufgaben, welche ihm vorliegen, so groß, daß eine Verschmelzung der- selben mit jedem Tage schwieriger erscheint. Jeder Beruf fordert den ganzen Menschen; jeder Beruf kann nur durch die Hingabe des Besten, was die Persönlichkeit vermag, erfüllt werden; jeder Beruf aber ver- mag jetzt auch durch seinen ethischen Inhalt dem Menschen zu ge- nügen; und während die Scheidewand der ständischen Epoche zwischen den Berufen gefallen ist, trennen sich dafür die Gebiete der Berufs- bildung um so schärfer. Die Entwicklung der Berufe selbst aber erzeugt für jeden Beruf wieder den allgemeinen Unterschied zwischen der Vor- bildung und der Fachbildung, denn die letztere erscheint jetzt unerreich- bar ohne bestimmte Beziehung der ersteren auf das, was die letztere fordert. Und so erscheint jetzt das der staatsbürgerlichen Gesellschaft eignende formale System der Berufsbildung als gelehrte, wirthschaft- liche und künstlerische Berufsbildung, jede derselben mit ihrer , auf sie berechneten Vor- und Fachbildung, jede derselben in ihrer Weise das ganze Leben umfassend, den ganzen Menschen erfüllend; an die höch- sten Elemente der geistigen Welt anknüpfend, und damit jede für sich ein selbständiger Organismus und eine selbständige Macht im Gesammt- leben. Es ist kein Zweifel, daß es unsere Zeit, und in unserer Zeit Deutschland ist, das diesem System, wie es an sich im Wesen des Berufes lebt, seinen Ausdruck gegeben hat. Und was ist es jetzt, was über diese Berufsbildung noch weiter gesagt werden kann? IV. Das gemeinsame Element der höhern Berufsbil- dung; Geschichte, Philosophie und die klassische Bildung . — Offenbar, so groß auch das Bild ist, das sich uns in diesem for- malen System der Berufsbildung entfaltet, so hat es doch Eine Gefahr. Indem jede Berufsbildung jetzt mächtig genug ist, den ganzen Menschen zu erfassen und in sich aufzunehmen, und ihn geistig zu erfüllen, hat sie auch die Gewalt, ihn zu beschränken . Sie beschränkt ihn aber nicht bloß äußerlich; sie zieht nicht bloß äußerlich um die Thätigkeit und die Entwicklung seines Geistes die Gränzen dessen, was etwa der be- stimmte einzelne Beruf fordert, und macht es ihm durch die Masse des Geforderten schwer darüber hinauszugehen, sondern je höher sie selber steht, um so mehr greift sie auch in sein inneres Leben hinein, und läßt in ihm neben der Tiefe der speciellen Auffassung die Beschränkung der allgemeinen Entwicklung entstehen. Die Macht der speciellen Be- rufsbildung ist eine gewaltige für alles , was der Einzelne lernt oder zu verstehen hat. Sie biegt gleichsam alles Wissen und Denken wie mit starker Hand zusammen, und wendet es auf einen und denselben Punkt; sie läßt durch die Mühe die sie kostet, durch die Höhe die sie im Einzelnen erreicht, durch den praktischen Werth den sie besitzt, jede andere Bildungsart als minder bedeutend erscheinen; sie macht den Men- schen einseitig, und gefährdet das Höchste der geistigen Welt, indem sie das beschränkte Genügen im besondern an die Stelle des Strebens nach der Gesammtanschauung des menschlichen Lebens setzt, und damit sogar die Keime der Mißachtung der einen Bildungsform gegenüber der andern begründet. Das ist die Gefahr der systematischen Entwicklung des eigentlichen Berufsbildungswesens. Aus dieser Gefahr rettet nun die Wissenschaft. Es ist natürlich hier nicht der Ort, von dem Wesen der reinen Wissenschaft zu reden. Das, warum es sich für uns allein handeln darf, ist die Funktion derselben eben in Beziehung auf jene Auflösung der höhern Berufs- bildung in geschiedene, gegen einander gleichgültige, ja feindliche Fach- bildungen, die durch die objektive und zuletzt auch subjektive Beschrän- kung am Ende zur Erstarrung des gesammten geistigen Lebens führen muß. Das Wesen derselben besteht darin, nicht bloß den innern Zu- sammenhang aller geistigen Güter und Arbeiten zu erkennen, sondern auch die gewaltige Thatsache festzuhalten und nachzuweisen, daß zuletzt doch nur eben in diesem Zusammenhange die wahre Erfüllung des Ein- zelnen, die Möglichkeit der höchsten Entwicklung jedes Theiles liege. Sie erreicht dieß Ziel auf zweifachem Wege. Sie hält zuerst die histo- rische Entwicklung des Menschengeschlechts im Ganzen und die der einzelnen Theile seiner Erkenntnisse im Einzelnen fest, und zweitens stellt sie den innern Organismus des Ganzen als System dar. Wir nennen, in möglichster Kürze, das erste die Wissenschaft der Geschichte , das zweite die Philosophie . Die Geschichte zeigt uns den Werth dessen, was andere gedacht und gethan haben, und lehrt uns, daß das, was wir vermögen, nur durch dasjenige möglich ward, was Andere, wenn auch oft in unvoll- kommener Weise, geleistet. Sie zeigt uns den bildenden Zusammenhang der geistigen und materiellen Thatsachen, die Unmöglichkeit des Beson- dern, für sich zu sein und sich zu entwickeln. Das geschichtliche Be- wußtsein ist daher die thatsächliche, wirkende Einheit aller Berufe und ihrer Leistungen; vor ihr gibt es keine Vollendung des Besonderen und keinen selbsteigenen Werth des Einzelnen. Die Philosophie dagegen zeigt uns den Werth dessen, was wir noch nicht gedacht haben; sie lehrt uns, daß die wahre Erfüllung des Verständnisses aller Dinge, und so auch des einzelnen Berufes, erst in der Anschauung des Ganzen ge- funden werde, und daß das Streben nach dieser Anschauung die gleiche Aufgabe aller, die höchste Gemeinsamkeit der geistigen Arbeit ist. In Geschichte und Philosophie verschwinden daher die Beschränkungen der einzelnen Berufsbildung. Geschichte und Philosophie werden daher da, wo die Fachbildung die höhere Berufsbildung aufzulösen droht, die eigentlichen Träger der Idee des Berufes und der höhern Berufsbil- dung; sie sind ihrem innersten Wesen nach nicht für einen Zweck da; sie sind nicht benutzbar, und wollen nicht brauchbar sein. Ihre große Funktion ist es vielmehr nur, das hohe ethische Moment des Berufes an sich aus der Fachbildung nicht verschwinden zu lassen, es lebendig zu erhalten, und in ihm die Einheit der geistigen Thatsachen und Ar- beiten wieder zu finden, die ohne sie verloren wäre. Ein geistig leben- diges Volk wird daher allerdings aus dem einzelnen Berufe stets die höchste einzelne Fachbildung entwickeln, es wird aber zugleich die ethische Idee des Berufes durch Geschichte und Philosophie lebendig er- halten. Die große Aufgabe aller höhern Berufsbildung besteht deßhalb darin, die Geschichte und die Philosophie, das geschichtliche und philo- sophische Bewußtsein als das lebendige Element in der neuen Berufs- bildung und ihrer Theilung der Arbeit zu erhalten. Das große Mittel dafür nun ist die klassische Bildung . Wir dürfen alles, was über die klassische Bildung gesagt ist, theils hier vor- aussetzen, theils kommen wir auf dasselbe zurück. Die Ansichten dar- über sind nun verschieden genug. Allein es wird wohl kaum bezweifelt werden, daß schon die klassische Grammatik undenkbar ist ohne tausend Anknüpfungen an die große historische und philosophische Welt, die in den klassischen Sprachen bei uns fortlebt; und daß die Beschäftigung mit den Klassikern selbst die ewig junge Quelle solcher Auffassungen und Anschauungen ist, das wird von Niemanden bestritten. Die klassische Bildung ist daher unschätzbar, vielleicht nicht so sehr durch das was sie enthält und bietet, sondern vielmehr durch das was sie anregt. Die Kenntnisse, die man durch sie gewinnt, sind zum Theil unbedeutend; aber die Fähigkeit sie zu behandeln, wird zur Fähigkeit des Einzelnen, auch die am fernsten liegenden Dinge in seinen Gesichtskreis zu ziehen und sich anzueignen; und die Entwicklung jedes Berufs zu einem Theile des Weltlebens gibt eben dieser Fähigkeit einen unschätzbaren Werth. Durch die Klassiker haben wir die geistige Berufsbildung von der stän- dischen Beschränktheit frei gemacht; die klassische Bildung ist es, welche uns vor der staatsbürgerlichen Beschränktheit zu bewahren berufen ist. Dieß nun ist das Berufsbildungswesen an sich, seinem Begriff und seinem organischen Inhalt nach. In der Wirklichkeit aber empfängt dasselbe erst seine Gestalt und Geltung durch sein Verhältniß zum Staat und seiner Verwaltung, durch welche es zu einem Theile des öffent- lichen Rechts wird. Für dieß ist das Obige nur noch die Voraussetzung: aber freilich ist das letztere ohne das erstere in seiner festen Ordnung wie in seiner Entwicklung nicht zu verstehen. II. Das öffentliche Berufsbildungswesen, sein Recht und sein System. 1) Begriff und Princip . Dem organischen Begriffe des Berufsbildungswesens gegenüber ent- steht nun der formelle Begriff und Inhalt des öffentlichen Rechts desselben, indem die Gesammtheit der für diese Berufsbildungsanstalten im weitesten Sinne bestimmten oder nothwendigen Thätigkeiten als Aufgaben der Verwaltung erscheinen. Das öffentliche Berufsbildungs- wesen ist demnach die Gesammtheit dessen, was die Organe der Ver- waltung mit den ihnen zu Gebot stehenden Mitteln für wissenschaftliche, volkswirthschaftliche und künstlerische Berufsbildung in Vorbildung und Fachbildung wirklich leisten . Das ist der formale Begriff desselben. Das Verständniß einerseits, und das formale System andererseits für das öffentliche Berufsbildungswesen beruhen nun hier wie bei der Volksbildung auf dem Gegensatz, der zwischen der individuellen Thätig- keit und der des persönlichen Staats erscheint, und dessen Ausgang hier wie immer in allem dem, was als Bedingung der Gesammtent- wicklung dasteht, in der Unterordnung des Individuellen unter das Gemeinsame erscheint. An sich und ursprünglich hat nämlich alle Berufsbildung den Charakter der Berufswahl. Jede Berufswahl und jede Berufsbildung ist nothwendig frei . Und zwar sowohl in dem Beginn und dem Fest- halten der individuellen Bildung für den Beruf, als in der Art und dem Maße dessen, was als die für den Beruf nothwendige Bildung angesehen wird. Diese volle Freiheit ist mithin das allgemeinste Princip alles öffent- lichen Rechts der Berufsbildung. Es kann keine Berufsbildungspflicht für den Einzelnen geben, wie es eine Volksbildungs- oder Schulpflicht gibt; und das ist das erste unterscheidende Merkmal dieser beiden großen Gebiete des öffentlichen Bildungswesens. Allein dieses Princip der Freiheit genügt nicht, um das Berufs- bildungsrecht zu erschöpfen. Es ist das Wesen des öffentlichen Berufes in seinem Unterschiede von dem Berufe an sich, der das letztere bei jenem rein negativen Grundsatze nicht stehen läßt. So wie nämlich mit dem öffentlichen Berufe die geistige Arbeits- theilung eintritt, und sich in der Besonderung der Vorbildung und Fachbildung äußert, so wird offenbar die Erfüllung des Berufes von Seite des Einzelnen mehr oder weniger von der Bildung abhängig, die er für seinen Beruf mit sich bringt. Diese Erfüllung selbst ist aber jetzt ein öffentliches Bedürfniß des Gesammtlebens, und es ist einleuchtend, daß die Entwicklung, die Sicherheit und die geistige Höhe des letzteren wesentlich davon abhängig wird, ob und wie weit die Berufsgenossen im Stande sind, auch wirklich ihren Beruf ganz auszufüllen. Andererseits sind die Einzelnen in der Gemein- schaft gerade durch jene Theilung der Arbeit, welche im Wesen des öffentlichen Berufes liegt, angewiesen auf diejenigen, welche sich dem- selben gewidmet haben. Die Tüchtigkeit in der Erfüllung des Be- rufes gewinnt damit einen anderen Charakter. Aus einer Angelegen- heit der freien Wahl und Selbstbestimmung wird sie zu einer der großen Bedingungen des öffentlichen Lebens und seiner Entwicklung, zu einer Voraussetzung für die Erhaltung der Interessen der Ein- zelnen, die sich die letzteren nicht mehr durch eigene Kraft zu ver- schaffen im Stande sind; die Berufserfüllung erscheint sogar in einigen ihrer Gebiete unmittelbar als ein Theil der Verwaltungsthätigkeit selber; der Staat kann ohne sie nicht mehr seinen eigenen Aufgaben entsprechen. So wird dieselbe zu einer öffentlichen Angelegenheit, und die öffentlichen Pflichten und Rechte, welche auf diese Weise aus dem öffentlichen Berufe und seiner Stellung im Gesammtleben hervorgehen, bilden nun das öffentliche Berufsbildungs- wesen . Allerdings nun entwickelt sich dieß öffentliche Berufsbildungswesen nicht mit einemmale. Wir werden unten die Stadien bezeichnen, welche es zu durchlaufen hatte, um seinen gegenwärtigen Standpunkt zu ge- winnen. Allein so wie es demselben sich nähert, kann die Verwaltung nicht mehr bei dem allgemeinen Verhalten zu demselben stehen bleiben. Sie muß thätig eingreifen, alle Punkte desselben erfassen, für alle Fragen eine bestimmte Auffassung besitzen, und mithin aus den beiden obigen Principien der Freiheit des Berufes an sich und dem öffent- lichen Recht desselben ein Rechtssystem des öffentlichen Bildungswesens entwickeln. 2) Das Rechtssystem des öffentlichen Berufsbildungs- wesens an sich . Das Rechtssystem des Berufsbildungswesens ist nun seinem Wesen nach die Verschmelzung jener beiden Principien zu einem organischen Ganzen von Bestimmungen, in welchem die Freiheit des Berufs neben und in dem Principe der Verwaltung der Berufsbildung gewahrt wird. Dieses Rechtssystem ist nun ein sehr einfaches, historisch wie systematisch, so lange es sich nur noch um den geistigen Beruf handelt; denn die Funktionen desselben haben, wie wir sehen werden, den Charakter von öffentlichen Funktionen. So wie aber der künstlerische Beruf öffentliche Geltung bekommt, und der wirthschaftliche Erwerb überhaupt als eine bestimmte Form des Berufes anerkannt wird, treten neue Gesichtspunkte hinzu, welche für das ganze Rechtssystem maßgebend werden, indem sie das Recht der Berufsbildung für jede einzelne Gruppe des Berufes als ein besonderes erscheinen lassen. Diese tiefe Verschiedenheit ist es, welche der Gesammtauffassung des Berufsbildungswesens am meisten entgegen steht. Um so mehr ist es nothwendig, jenes System zunächst als ein Ganzes darzustellen. Wir müssen nun die Grundlagen desselben auf drei Punkte zurück- führen: auf die Grundsätze für die Berufsbildungs anstalten , für die Be- rufsbildungs freiheit und für das Recht der wirklichen erworbenen Berufsbildung. I. Das öffentliche Recht der Berufsbildungsanstalten ent- hält die Grundsätze für die Errichtung und für die Verwaltung derselben. So lange die Berufsbildung in ihrer organischen Bedeutung von der Gemeinschaft nicht anerkannt ist, wird natürlich die Errichtung der für sie bestimmten Anstalten dem Zufall, dem Einzelbedürfniß oder den rein gesellschaftlichen Verhältnissen überlassen. Sobald dagegen jene Bildung ihrerseits als eine Bedingung der allgemeinen Wohlfahrt Stein , die Verwaltungslehre. V. 11 erscheint, tritt auch die Anerkennung als Pflicht des Staats auf, die Bedingungen der Berufsbildung in den dafür geeigneten Anstalten herzustellen. Diese Herstellung wird damit eine Aufgabe der Verwaltung des geistigen Lebens eines Volkes. Es ist natürlich, daß sich dieselbe nach der Auffassung richtet, welche das Volk selbst von dem Wesen und den Arten des Berufes hat. Es wird daher stets mit der Herstellung solcher Bildungsanstalten für den geistigen Beruf begonnen und erst allmählig zu den wirthschaftlichen und künstlerischen übergehen. Je höher nun ein Volk steht, um so mehr wird dasselbe in dem System seiner wirklich vorhandenen Berufsbildungsanstalten den oben ausge- sprochenen Grundsatz zur Gültigkeit bringen, nach welchem die Vor- bildung gleichartig und die Fachbildung specialisirt sein muß, um dem Wesen des Berufes selbst zu entsprechen. Die Statistik der bestehen- den Berufsbildungsanstalten ist daher, auf das obige Princip zurückge- führt, eines der wichtigsten Mittel, um das geistige Leben eines Volkes zu beurtheilen, und es muß daher ein entscheidender Fortschritt aner- kannt werden, wenn die reinere Statistik, wie namentlich in der schönen Arbeit von Brachelli (Staaten Europas) grundsätzlich dieß System und die allgemeinen Zustände dieser Bildungsanstalten nicht bloß an- führt, sondern auf die großen Kategorien der Vorbildung und Fach- bildung in ihren Grundformen zurückführt. Hält man die obigen Dar- stellungen im Auge, so wird die Betrachtung solcher statistischen Nach- weisungen zu einer Quelle der reichsten Beobachtungen. Die Verwaltung der errichteten Anstalten enthält nun drei Punkte. Sie betrifft zuerst die wirthschaftlichen Mittel derselben, die ökonomische Verwaltung; dann das Recht des besondern Personals; end- lich das Recht der Lehrordnung. Der leitende Grundsatz für dieß Recht ist, daß die Bestimmungen über die ersten beiden Punkte von dem An- theil abhängen, den die Staatsverwaltung für den Unterhalt der Anstalt hingibt. Dagegen hat der Staat das Recht, für diejenigen Zweige der Berufsbildung, welche zu öffentlichen Funktionen vorbereiten, nicht bloß über die Fähigkeit der Lehrer, sondern auch über die Lehr- ordnung in entscheidender Weise zu bestimmen. Auch hier nun ergeben sich leitende Gesichtspunkte, welche für den gesammten Zustand des Berufsbildungswesens maßgebend sind und ihrerseits aus dem Wesen des Berufes folgen. Es ist für die höhere Vergleichung von großer Be- deutung, dieselben festzustellen. Zuerst nämlich wird jede Verwaltung die Lehre selbst da, wo die Anstalten nicht ihr gehören, nicht sich selbst überlassen. Sie wird ihr Oberaufsichtsrecht in der Weise zur Geltung bringen, daß sie das Lehren hier wie beim Volksschulwesen selbst wieder als Beruf erkennt, daher für die Lehrerbildung eigene Anstalten errichten und das Recht zur Lehre von dem öffentlichen Nachweis der erworbenen Berufsbildung ab- hängig machen. In dem Lehrerbildungswesen für die Berufsbildungsanstalten aller Art liegt daher der erste, den Charakter des Berufsbildungswesens eines Staates bestimmende Grundsatz. Das zweite Moment ist das Verhältniß, welches die Verwaltung zu den beiden Elementen der Bildung, der allgemeinen und der speciellen Fachbildung für die Lehrordnung einnimmt. Der Grundsatz dafür ist einfach. Je höher ein Volk steht, um so mehr wird die Verwaltung desselben die Erhaltung und Förderung der allgemeinen Bildung, also speciell die Classicität, die Geschichte und Philosophie, zu einem organi- schen Theil der gesammten Vor- und Fachbildung machen, während sie zugleich in der Herstellung der speciellen Fachbildungsanstalten die Voraus- setzung für die höchste Entwicklung der speciellen Bildung finden wird. Das System der Lehrgegenstände ergibt daher den zweiten Gesichts- punkt für die höhere Vergleichung. Das dritte Moment ist nun das Verhältniß des Lehrkörpers . Die Selbständigkeit des Lehrkörpers ist die erste und wichtigste Conse- quenz der fachgemäßen Bildung des Lehrerstandes. Sie ist die Gewähr der geistigen Freiheit innerhalb der öffentlich rechtlich bestimmten Lehr- ordnung. Diese geistige Freiheit aber ist die große Grundlage aller wahren Entwicklung, und man kann unbedenklich sagen, daß das Maß der Selbstverwaltung, das dem Lehrkörper der einzelnen Anstalten ge- geben ist, den Maßstab für die Freiheit der geistigen Bewegung über- haupt abgibt, die ein Volk gewonnen hat. Dieß sind nun die drei Gesichtspunkte, welche für das Recht der Lehranstalten maßgebend sind. Das zweite Gebiet ist nun das der Freiheit der Berufsbildung selbst . II. Das Wesen der Freiheit in der Berufsbildung besteht, der höhern Natur des Berufes nach, nicht in der Willkür des Einzelnen, seinen Bildungsgang ganz nach eignem Ermessen einzurichten. Ein solches Recht würde im Grunde bedeuten, daß die Bildung selbst keine festen organischen Grundlagen und Stadien habe, sondern je nach der Individualität eine andere sein könne. Die Freiheit der Berufsbildung steht daher nicht mit der öffentlich rechtlichen Lehrordnung und ihrer gesetzlichen Feststellung im Widerspruch, sondern sie besteht in der Frei- heit des Einzelnen, nach ganz freiem Entschluß sich dem einzelnen Be- rufe zu widmen, von ihm zurückzutreten oder zu einem andern über- zugehen — also in der vollkommenen freien Bewegung des Individuums innerhalb der gesetzlich bestimmten Bildungsordnung. Der formelle Ausdruck dieser Freiheit erscheint in zwei Dingen. Erstlich in dem Recht des freien Eintritts und Austritts für jeden Einzelnen in jeder Anstalt, und damit in jedem Zweig der Berufsbildung. Das ist das negative Moment der freien Bewegung in der letzteren. Zweitens aber muß die Verwaltung diese Freiheit auch positiv fördern, und das geschieht dadurch, daß die Uebergänge von einem Beruf zum andern in selbständigen Bildungsanstalten aufgestellt werden, welche die Vor- und Fachbildung des einen Berufes mit der des andern in sich verbinden. Es ist dann Sache des Rechts der Lehrordnung, nament- lich die Vorbildung hier so zu ordnen, daß sie in dieser Beziehung ihrer Aufgaben entspreche. Denn wo der Uebergang von einer Be- rufsbildung zur andern formell unmöglich ist, wird dieselbe unfrei; wo sie bloß auf individueller Willkür beruht, wird sie ungenügend. Im Ganzen aber steht fest, daß die Organisation des freien Ueberganges von einer Berufsbildung zur andern das zweite große Moment in dem Charakter eines jeden Berufsbildungssystems abzugeben hat. III. Das dritte Moment ist nun das öffentliche Recht der er- worbenen Berufsbildung . Dasselbe besteht in dem öffentlichen Recht der Prüfungen und in dem der Geprüften , oder besser der Zeugnisse . Es ist von hoher Wichtigkeit, dieß Moment ins Auge zu fassen; um so mehr, als unseres Wissens bisher die Theorie trotz einer sehr reichen Gesetzgebung sich mit der Sache überhaupt noch nicht be- schäftigt hat. Das Wesen alles Prüfungsrechts enthält nämlich zwei streng zu unterscheidende Fragen, die ihrerseits nicht etwa didaktischer, sondern in der That rein verwaltungsrechtlicher Natur sind. Die erste Frage ist die, ob die Prüfung die Bedingung für die Theilnahme an der Be- rufsbildung sein solle; die zweite ist die, ob dieselbe die rechtliche Voraus- setzung für die wirkliche Ausübung des Berufes zu enthalten habe. Die Entscheidung über diese Fragen bildet das Recht des Prüfungswesens. An sich nun sind die Grundlagen des letztern wohl einfacher Natur. Insofern nämlich das Berufsbildungswesen Gegenstand der Staatsver- waltung ist, hat dieselbe unzweifelhaft das Recht, ein gewisses Maß von Bildung als Bedingung für die Theilnahme an den Berufsbildungs- anstalten aufzustellen; und wo die Didaktik zeigt, daß dieses Maß die Voraussetzung für die besondere Wirksamkeit einer solchen Anstalt über- haupt ist, hat die Verwaltung sogar die Pflicht , eine solche Prüfung vorzuschreiben, deren Inhalt ihr dann von der höheren Methodologie gesetzt wird. Insofern ferner ein Minimum der Berufsbildung die Voraussetzung für die gesicherte Vollziehung einer, als öffentlich an- erkannten Berufsfunktion ist, muß dieß Minimum im öffentlichen Interesse gefordert und sein Vorhandensein durch eine Prüfung con- statirt werden. So erscheinen zwei Grundformen aller Prüfungen und zwei leitende Principien ihres Rechts, diejenige, welche wir die Studien- prüfung , und diejenige, welche wir die Berufsprüfung nennen, und zwar mit dem Grundsatz, daß die Studienprüfung als Aufnahms- und Abgangsprüfung bei allen staatlichen Bildungsanstalten Rechtens sind, und daß die Berufsprüfungen bei allen öffentlichen Berufen ge- fordert werden müssen, in denen eine Verwaltungsfunktion von den Berufsgenossen vollzogen wird, während dieselben für jeden anderen Zweig des Berufes frei bleiben. Allein es leuchtet schon hier ein, daß das ganze Prüfungswesen so eng mit dem Charakter des gesammten Berufsbildungswesens zusammenhängt, daß wir es erst bei der Dar- stellung des letzteren in seiner historischen und organischen Stellung genauer darlegen können. Auf diesen drei Punkten beruht nun das Rechtssystem des öffent- lichen Berufsbildungswesens an sich. Und jetzt dürfen wir versuchen, dasjenige zu entwickeln, was wir den positiven Charakter desselben in den einzelnen Staaten nennen können. III. Charakter des öffentlichen Rechts der Berufsbildung bei den großen Kulturvölkern. 1) Charakter dieses Bildungswesens nach dem Standpunkte Eng- lands, Frankreichs und Deutschlands . Das was wir nun den positiv rechtlichen Charakter des Bildungs- wesens nennen, entsteht nun, indem die Staatsverwaltung nach den obigen Gesichtspunkten für jenes durch die Natur des Berufs gegebene Bildungswesen ein positiv geltendes Recht aufstellt. Jedes solches Recht enthält naturgemäß eine bestimmte Beschränkung der an sich freien Bil- dung für den individuellen Lebensberuf. Der Charakter desselben be- zeichnet uns daher hier die Form und das Maß , in welchem die Staatsverwaltung der abstrakten Freiheit der Berufsbildung ihre öffent- lich rechtliche Gestalt gibt. Es ist kein Zweifel, daß das, was wir als den positiv rechtlichen Charakter des letztern bezeichnen, wesentlich von der Stellung und von dem ganzen Geiste der Staatsverwaltung überhaupt abhängt. Das Berufsbildungsrecht begleitet daher die Geschichte der letztern; es be- deutet formell den Antheil und das Anrecht, den die Staatsgewalt für die geistige Bildung der Staatsbürger in Anspruch nimmt und zeigt seinem geistigen Inhalt nach den Ausdruck für die Höhe der Auffassung des Berufswesens überhaupt, wie sie in einem gegebenen Staate lebt, Das öffentliche Recht des Berufsbildungswesens hat daher dieselben Stadien zu durchlaufen, welche für die Entwicklung der Verwaltung überhaupt gelten. Es wird dasselbe naturgemäß in der Epoche der Ge- schlechterordnung als staatliches Recht ganz verschwinden und das was wir die Berufsbildung nennen, der Familie oder den Geschlechtern selbst überlassen. Es wird in der ständischen Epoche, die eben auf dem System der Berufe ruht, die Berufsbildung den ständischen Körperschaften über- lassen und es wird erst in der staatsbürgerlichen Gesellschaft ein für alle Staatsbürger gültiges, aber auch für alle Staatsbürger gleiches Berufs- bildungsrecht aufstellen. Da nun die einzelnen Staaten jene drei großen gesellschaftlichen Epochen weder gleichmäßig durchgemacht, noch auch die Elemente der- selben in gleicher Weise beibehalten oder beseitigt haben, so ergibt sich wie für das gesammte Verwaltungsrecht, so auch für das Berufsbil- dungswesen, daß der Charakter des letzteren in jedem einzelnen Staate in dem Verhältniß besteht, in welchem der Staat gegenüber seinen ge- sellschaftlichen Elementen das Princip des staatsbürgerlichen Verwaltungs- rechts zur Geltung gebracht hat. So allgemein nun auch, so hingestellt dieser Satz lauten mag, so bildet er dennoch die Grundlage aller Vergleichung des so tief verschie- denen Bildungsrechts in den einzelnen Staaten Europas. Und zwar wird man hier das eigentliche System des Bildungswesens und seinen Charakter von dem des Prüfungswesens scheiden müssen. Der öffentliche Charakter des Bildungswesens im Allgemeinen be- ruht nämlich darauf, daß so wie die Verwaltung die öffentliche Bedeu- tung des Berufes anerkennt, sie auch die Berufsbildungsanstalten nicht mehr dem Zufall und der Einzelwillkür überlassen kann, sondern ihnen die Natur und das Recht öffentlicher Anstalten verleihen muß. Der Inhalt dieses Rechts erscheint dann durch die Entwicklung der Momente, welche in dem Begriff einer öffentlichen Bildungsanstalt liegen. Das erste Moment ist offenbar die Bestimmung dessen, was der Staat als öffentlichen Beruf betrachtet. Das System der öffent- lichen Berufe wird dann naturgemäß zum System der öffentlichen Bil- dungsanstalten selber werden. Denn die Verwaltung muß die Pflicht anerkennen, diejenigen öffentlichen Bildungsanstalten herzustellen und zweitens in ihrer Bildungsthätigkeit zu ordnen , die für den aner- kannten Beruf die geistigen Bedingungen liefern. Hier nun gibt es drei Standpunkte, welche der Vergleichung zum Grunde liegen und welche wohl um so leichter verständlich sein werden, als die drei großen Culturvölker, England, Frankreich und Deutschland, die- selben ihrem ganzen öffentlichen Bildungswesen zum Grunde gelegt haben. Der erste und einfachste Standpunkt ist der, nach welchem der Beruf ganz als Sache der individuellen Thätigkeit erscheint, für die der Einzelne durch sich selbst zu sorgen habe. Dieser Standpunkt ist seinerseits die natürliche Folge des Mangels einer Staatsverwaltung im engeren Sinne des Wortes, welche die Entwicklung des Einzelnen ganz sich selber überläßt, und keine Verpflichtung des Ganzen für die- selbe anerkennt als die, ihn in dieser freien Selbstthätigkeit zu schützen. Da nun aber auch in einem solchen Zustand das Wesen der höheren Bildung sich selbst seine Organe und seinen Bildungsproceß erzeugt, so besteht das öffentliche Recht des Bildungswesens hier in dem Verhalten der Staatsgewalt zu diesen, auf selbständigen Körperschaften, Vereinen oder Einzelunternehmungen beruhenden Bildungsanstalten. Und dieß Verhältniß wird dann durch den Grundsatz beherrscht, daß die Thätig- keit aller dieser Bildungsanstalten eine außerstaatliche , der Verwal- tung und ihrem Recht nicht unterworfene, von derselben in keiner Weise zu fördernde oder zu hemmende, das ist eine vollkommen freie , damit aber auch unberechtigte sein solle. In diesem Zustande ist von einem Verwaltungsrecht der Berufsbildung keine Rede; aus der staat- lichen Thätigkeit geht weder ein System der Berufsbildung, noch eine öffentliche Ordnung derselben, noch eine Oberaufsicht hervor. Hier scheidet kein Unterrichtsgesetz die gelehrte, wirthschaftliche und künstlerische Bildung, kein Ministerium übernimmt es, die Interessen derselben zu vertreten, kein Theil des Budgets ist ihnen gewidmet, aber auch kein Recht der Verwaltung vorhanden, in den freien Entwicklungsgang ein- zugreifen. Allerdings wird der letztere, wie es die höhere Natur der Sache fordert, sich selbst in jenen drei großen Gruppen ein System er- ringen und eine gewisse Gleichartigkeit im Großen und Ganzen hervor- rufen. Allein dieses System ist dann kein öffentliches Recht, sondern eine statistische Thatsache; es ist durch kein Gesetz beherrscht und ge- ordnet, sondern durch die mehr oder weniger zur Erkenntniß gelangende Natur der Sache; es ist nicht in seiner Gleichartigkeit objektiv gegeben, sondern der individuellen Anschauung überlassen. Hier entscheiden daher nicht mehr Principien, sondern meist der historische Gang der Dinge, oder individuelle Interessen; es ist beinahe unmöglich, zu übersehen, was geleistet wird, und ein Lehrerstand existirt entweder gar nicht oder nur für einzelne historische Institute. Dafür genügt die Verwaltungs- losigkeit dieses Gebietes dem Einzelnen, sich nun auch ganz auf sich selbst zu verlassen und je weniger das Ganze für ihn thut, um so mehr muß er durch sich selber leisten. Dieser Standpunkt ist der des englischen Berufsbildungswesens. Hier ist nicht bloß die Constatirung der That- sachen, Anstalten und innern Ordnungen desselben schwer, sondern auch die Vergleichung; denn dieselbe liegt hier nicht mehr in positiven Rechts- bestimmungen, sondern in dem abstrakten Wesen des Berufes und der Idee der individuellen Freiheit. Und vielleicht ist daher in keinem Gebiete der Staatswissenschaft das Verständniß und das Zusammen- stellen des englischen Wesens mit dem continentalen so schwierig als hier und eben daraus erklärt es sich, daß wir dieses eigenthümliche englische System erst in der allerneuesten Zeit in der continentalen Literatur bearbeitet finden. Der zweite Standpunkt ist dem direkt entgegengesetzt und wieder tritt uns hier der tiefe Unterschied des Charakters von Frankreich und England entgegen. Wo die Staatsgewalt dem Einzelnen ganz sich selber überläßt, überläßt sie ihm auch den Beruf; wo sie dagegen alle öffent- liche Thätigkeit ausschließlich als ihre Angelegenheit betrachtet, da gilt ihr nur das als Beruf, was eben der Verwaltung angehört und das, was auf diese Weise der Verwaltung angehört, unterordnet sie dann auch unbedingt ihren Gesetzen. Hier wird daher der Staat allerdings die Pflicht, die Berufsbildung zu fördern und zu gründen, auch aner- kennen, aber er wird dieß nur da thun, wo es sich um eine der Ver- waltung angehörende Funktion handelt. Alles was dem nicht an- gehört, wird er als Sache des Einzelnen, als eine die Thätigkeit des Staats nicht berührende Angelegenheit ansehen. Hier werden daher auch nicht bloß öffentliche, durch Staatsmittel hergestellte Berufsbildungsanstalten entstehen, sondern sie werden sich auch zu einem Systeme entwickeln; aber dieß System wird auf diejenigen Fächer beschränken , in welchen die Verwaltung eine Berufsbildung fordern muß. Hier wird daher auch eine staatliche Oberleitung, ja eine ebenso strenge Verwaltung der Berufsbildung stattfinden, wie die des Staatsdienstes selber, da jene grundsätzlich nur für diesen da ist; aber diese Oberaufsicht und Verwaltung wird nicht weiter gehen, als bis zu der Gränze des öffent- lichen Berufes; das übrige wird der Staat sich selber überlassen. Das System nun wird sich naturgemäß dahin gestalten, daß die ge- lehrte Berufsbildung und diejenigen Zweige des wirthschaftlichen, welche der Staat braucht, das eigentliche Gebiet des öffentlichen Berufsbildungs- wesens ausmachen, während der rein wirthschaftliche Beruf ohne Orga- nisirung bleibt und das künstlerische nur in Ausnahmsfällen selbständige Anstalten empfängt. Die innere Ordnung der ersten Gruppe wird daher eine streng gesetzliche, die der zweiten eine ganz willkürliche bleiben; es sind gleichsam zwei Welten, zwei große Bildungsprocesse neben einander, denen dann, wie wir sehen werden, auch das System des Prüfungswesens entspricht. Und dieß ist der Charakter des Berufs- bildungswesens Frankreichs . Der dritte Standpunkt ist nun unzweifelhaft der höhere. Derselbe geht davon aus, daß jede Lebensaufgabe an sich einen öffentlichen Beruf enthalte; daß die Bildung für jeden öffentlichen Beruf eine der großen Bedingungen der Gesammtentwicklung sei und daß daher der Staat als Träger des Gesammtinteresses die Verpflichtung habe, diese Berufsbildung für jeden herzustellen. Es folgt daraus, daß das Berufsbildungswesen mit seinem Systeme das gesammte mensch- liche Leben umfasse und in sich selbst nach den Gesetzen der höheren Pädagogik geordnet werde. Es ergibt sich namentlich, daß sich die wirthschaftliche und künstlerische Berufsbildung neben der gelehrten in gleichem Maße vollständig zu einem organischen Systeme von öffentlichen Anstalten entwickle, welche in ihren entscheidenden Punkten eine gesetzliche innere Ordnung und eine Oberaufsicht der Verwal- tung dahin fordert, daß die Freiheit der bildenden Thätigkeit diese Ordnung nicht übertrete. Es folgt weiter, daß der Staat nur für denjenigen Beruf eine wirklich erworbene Bildung fordere, welcher eine administrative Funktion enthält, während er für jeden andern Beruf die volle Freiheit der individuellen Thätigkeit anerkennt. Es folgt endlich, daß er im Namen des Berufes die Lehre der freien Selbstverwaltung überlasse und daß er sich in seiner verwaltenden Thätigkeit darauf beschränke, nur die Einheit und Gleichheit in der Function der Bildungskörper herzustellen und zu erhalten. Hier wird daher ein viel großartigeres, freies und doch organisches Bild entstehen; es wird der Inhalt desselben in Princip und Form den natürlichen Maßstab für die übrigen Ordnungen anderer Völker ab- geben und das Höchste in ihm geleistet werden, was überhaupt von einem Volke für sein geistiges Leben geleistet werden kann. Und das Land, das diesen Charakter des Berufsbildungswesens bei sich entwickelt hat, ist Deutschland . Von diesen Gesichtspunkten aus muß nun das Berufsbildungswesen Europas als ein Ganzes aufgefaßt werden. In diesem Ganzen hat jeder Staat und jedes Land seine ihm eigenthümliche Stellung; in ihm ist die Einheit in der vielgestaltigen Verschiedenheit zu suchen, die uns hier entgegentritt; und es wird wieder als wohlberechtigt anerkannt werden müssen, wenn wir Deutschlands Berufsbildungswesen an die Spitze stellen und auf seine drei Kategorien der gelehrten, wirthschaft- lichen und künstlerischen Bildung die Vergleichung zurückführen. Die Erfüllung dieses Bildes kann jedoch erst die Darstellung des Prüfungswesens geben, dessen Recht in vieler Beziehung für den Cha- rakter der öffentlichen Berufsbildung noch bezeichnender ist, als das der Bildungsanstalten. 2) Charakter und Recht des Prüfungswesens in diesen Ländern . a) Princip, System und Recht an sich. Während auf diese Weise der Charakter des Bildungswesens uns zeigt, nach welchem leitenden Princip die Verwaltung für die Bildung zum Berufe thätig ist, zeigt uns das Prüfungswesen, was der Staat von diesem Bildungsproceß fordert . Es ist das erstere ohne das letztere nicht füglich ausführbar, das letztere ohne das erstere im Grunde nicht denkbar. Jedes öffentliche Bildungswesen hat ein Prü- fungswesen zur Folge; jedes Prüfungswesen hat ein öffentliches Bil- dungswesen zur Voraussetzung. Allein es folgt ferner, daß auch Gegen- stand und Umfang beider stets sich gegenseitig bedingen und bestimmen, und daß in dem Prüfungssystem somit der erste selbständige Ausdruck des Berufsbildungssystems gegeben ist. Schon deßhalb ist jede Dar- stellung des Bildungssystems ohne das Prüfungssystem einseitig; allein das letztere enthält zu gleicher Zeit außer seinem ethischen Princip ein rechtliches. Das rechtliche Moment enthält das Verhältniß der bestan- denen Prüfung zur Ausübung des Berufes, und die Forderung einer Prüfung für die letztere hat daher wiederum die Pflicht des Staats zur Voraussetzung, einerseits die Mittel der Bildung im Verhältniß zu der Prüfung darzubieten, andrerseits den Inhalt der Prüfung mit den Leistungen der Bildungsanstalten in Harmonie zu bringen. Man kann daher sagen, daß das Prüfungswesen den — organisirten — Aus- druck des Bewußtseins des Staats vom Wesen und Be- deutung des Berufes für die Verwaltung im Allgemeinen, und für jeden einzelnen Stand im Besondern enthält. Und darum bedarf dasselbe neben dem eigentlichen Bildungswesen einer besonderen Beachtung und Darstellung, um so mehr als die Wissenschaft bisher stillschweigend über das so wichtige Gebiet hinweggegangen ist. Das Prüfungswesen hat aber gerade in Deutschland keineswegs eine bloß formelle Bedeutung. Es durchdringt nicht etwa bloß das gesammte Berufsbildungswesen auf allen seinen Punkten, begleitet den Knaben und Jüngling bis zum Mannesalter in allen Stadien seiner Entwicklung, und ist zugleich für seine gesammte öffentliche Laufbahn von entscheidender Bedeutung, son- dern es ist zugleich ein nicht gering anzuschlagender gesellschaftlicher Faktor; denn es umfaßt jetzt in Deutschland alle Schichten der Gesell- schaft, drängt sich in jeden Lebenskreis hinein, bringt jedem derselben seine guten und üblen Folgen mit, und sollte daher eben mit dieser über die specielle Berufsausübung weit hinausgehenden Einwirkung Gegen- stand der vollen Aufmerksamkeit sowohl von Seite der Wissenschaft sein, welche nach Grund und Folgen sucht, als von Seiten der Verwaltung, welche dieselben organisirt und festhält. Denn das Prüfungswesen scheidet die ganze Bevölkerung bis zum vollen Mannesalter in zwei große Klassen, von denen die eine beständig damit beschäftigt ist die andere zu prüfen. Es ist somit kein vollständiges Verständniß des ganzen Berufsbildungs- wesens möglich, ohne ein klares Bild des Prüfungswesens vor Augen zu haben. Das Prüfungswesen speciell Deutschlands, allein eben so sehr das der übrigen Länder, hat sich nun allerdings nicht mit einemmale ent- wickelt. Schon sein doppelter Zusammenhang, einerseits mit dem Bil- dungswesen, andrerseits mit dem Recht und der Stellung der Staats- verwaltung, hat das gehindert. Es gibt daher nicht bloß eine Ge- schichte desselben, sondern sie hat sogar eine große Bedeutung; der gegenwärtige Zustand dieses wichtigen Theiles des Verwaltungsrechts ist auf allen Punkten in der That eine durchsichtige Consequenz derselben. Um aber den alle verschiedenen Gestaltungen zusammenfassenden Ge- sichtspunkt festzuhalten, möge es uns schon hier gestattet sein, die wissen- schaftlichen Hauptkategorien, auf welche es ankommt, zu bestimmen. Diese sind das System , die Organisation und das Recht der Prüfungen. Das System zeigt uns drei Grundformen: die Studienp rüfung als Aufnahms-, Uebergangs-(Klassen) und Abgangs- prüfung; die Fachp rüfung als Prüfung der erworbenen theoretischen Berufsfähigkeit, und die Dienstp rüfung, die die staatliche Fähigkeit constatirt. Die Prüfungs- Ordnungen zeigen einerseits die öffentliche Organisation des Verfahrens, andrerseits die gesetzlichen Organe, die für die Studienprüfungen aus dem Lehrkörper der Vorbildungsanstal- ten, für die Fachprüfung theils aus dem der Fachbildungsanstalten (Doctorat ꝛc.), theils aus einer Vorbildung derselben mit staatlichen Prüfungscommissarien, für die Dienstprüfung nur aus den letzteren bestehen. Das Prüfung srecht endlich zeigt, wo und wie weit die be- standene Prüfung nach öffentlichem Recht die Bedingung der wirklichen Ausübung des Berufes ist. Nach diesen Gesichtspunkten bestimmen sich dann die Fragen, deren Beantwortung die historische Entwicklung und das gegenwärtige geltende Rechtssystem der Prüfung darbieten. b) Elemente der Geschichte des Prüfungswesens. Es gibt vielleicht wenig Theile in der neueren Geschichte Europas, in welchen Charakter und Stellung der großen gesellschaftlichen Ordnungen so klar hervortreten, als gerade im Prüfungswesen; ja man kann fast sagen, daß das letztere geradezu ohne Beziehung auf jene unverständlich bleibt. Die Geschlechterordnung hat zwar einen Beruf und ein Recht des öffentlichen Berufes, aber es hat kein Prüfungswesen. Die Stelle desselben wird durch den natürlichen Proceß des Alters vertreten; die Waffenmündigkeit und die öffentliche Aufnahme in die Gemeinschaft des Wahrhaften ist das, was die Berufsprüfung unserer Zeit ersetzt. Der Ritterschlag der späteren Zeit gehört bereits der Epoche an, wo die herrschenden Geschlechter durch die Entwicklung des Systems der Grund- herrlichkeit und des adlichen Besitzes zu einem öffentlichen Stande ge- worden sind. Die weitere Ausbildung dieser Grundlage erscheint dann durch die stehenden Heere in dem selbständigen Wehrstand, dem Waffen- berufe, der sein eigenes Bildungssystem und dann auch sein eigenes Prüfungssystem hat, das wir hier nur berühren, um die Vollständig- keit des Bildes nicht zu beschränken. Ein eigenes und eigenthümliches Prüfungssystem erscheint erst mit der ständischen Gesellschaft und ihrer strengen Ordnung des gesammten Berufswesens. Der innige Zusammenhang dieser Epoche mit der gegen- wärtigen macht es unabweisbar, sich bei der mannichfachen formalen Gleichheit dieser Zeit mit der folgenden über die tiefe Verschiedenheit des Princips der ständischen Prüfung von der folgenden der staats- bürgerlichen, klar zu werden. In der ständischen Epoche nämlich erscheint der Beruf nicht bloß als eine geistige und ethische Funktion, sondern er erhebt sich sofort durch Entwicklung des ihm eigenthümlichen Besitzes und wirthschaftlichen Lebens zu einem Stande. Dieser Stand, auf Besitz beruhend, erscheint vermöge des letztern stets als eine selbständige Körperschaft. Die Körper- schaft nun hat die in dem Wesen des Berufes liegende Funktion zu vollziehen. Sie hat mithin als solche die öffentliche Verantwortlichkeit dafür, daß der Beruf als Theil des Gesammtlebens richtig vollzogen werde. Es ist daher natürlich, daß sie es zugleich ist, welche die Be- rufsbildung vorschreibt und daß sie den Einzelnen zur Erfüllung des Berufes erst dann zuläßt, wenn er ihr bewiesen hat, daß er die noth- wendige Berufsbildung auch wirklich besitze. Das Urtheil darüber steht alsdann nie einer andern als eben dieser Körperschaft selber zu. Sie gewinnt dasselbe durch die Prüfung, die sie selbst vorschreibt und voll- zieht. Das Ergebniß der Prüfung ist daher aber auch nicht bloß die Anerkennung der Bildung für den Beruf und der öffentlichen Fähigkeit seiner Ausübung, sondern zugleich die definitive Aufnahme in die Körperschaft , das ist der Erwerb des Rechts, an der Ausübung des Berufes vermöge dieses Angehörens an die bestimmte einzelne Körper- schaft Theil zu nehmen, sich als Mitglied einer solchen Körperschaft zu bezeichnen und sogar Miteigenthümer und Mitdisponent über das Vermögen der Körperschaft zu sein. Und da nun diese Aufnahme in die letztere der eigentliche Erfolg der Prüfung ist, so war es wohl sehr natürlich, daß auch die Körperschaft selbst einseitig und vollkommen selbstherrlich die Formen und Bedingungen der Prüfung vorschrieb und einseitig über das Ergebniß entschied. Und dieses körperschaftliche Recht der Prüfung ist der eigentliche Charakter des ständischen Prüfungs- wesens. Dieß ständische Prüfungswesen hat nun, und zwar innerhalb seines Charakters, seine eigene historische Entwicklung gehabt, die zum Theil bis auf unsere Tage herabreicht. Die wesentlichsten Punkte desselben sind folgende. Das ständische Prüfungswesen beginnt nicht gleich mit dem Auf- treten der Ständebildung in der Kirche, sondern erst da, wo die Wissen- schaft in den Universitäten zu einem ständischen Körper wird. Die ur- sprüngliche Prüfung ist stets die Berufsprüfung des Doktorats; sein Beruf ist Lesen, und jeder Doktor ist anfänglich ein Doctor legens. Bei den Medicinern dagegen entsteht zuerst der Gedanke des über den Lehrberuf hinausgehenden ärztlichen Berufes, selbst für die Apotheker. Daran schließt sich bei den Juristen der Gedanke der Berufsbildung für die Rechtsanwälte; es tritt auch hier die Unterscheidung des Doctor legens und non legens ein, und es wäre von Interesse, zu wissen, wann die habilitatio als Lehrberufsprüfung zuerst rechtens geworden. Noch aber gibt es kein weiteres Prüfungswesen; von einer Scheidung der Studien- und Dienstprüfung ist noch keine Rede. An die Stelle der ersteren steht noch immer die freie Aufnahme in die Körperschaft der Universität. Eben so hat sich anfänglich noch keine Prüfung der Zünfte und Innungen gebildet; auch hier vertritt die einfache Auf- nahme nach der Weise der Gilde die Berufsprüfung. Man kann dieß als die erste Epoche bezeichen. Die zweite Epoche beginnt nun da, wo sich einerseits das Vor- bildungs- von dem Fachbildungswesen, und andererseits das strenge Zunftwesen von dem Reste des Gildewesens scheidet. Die ständische Gesellschaftsordnung entwickelt sich. Den Grundzug desselben bildet jetzt der durchgreifende Unterschied des geistigen Standes von dem wirth- schaftlichen, dessen allgemeiner Name der des Bürgerstandes ist, in wel- chem aber der Beruf in der Form der körperschaftlichen Zunft und Innung erscheint. So wie dieß sich entwickelt, muß auch das Prüfungs- wesen mit ihm gleichen Schritt halten, und sich mit ihm entwickeln. Auf diese Weise entsteht nun ein ganzes, zum Theil höchst eigenthüm- liches System der Berufsprüfungen, das mit wenig Abweichungen in ganz Europa ziemlich gleichartig ist; nur England bildet auch hier eine durchgreifende Ausnahme. Dieß System beruht zunächst auf dem Unter- schied der Vorprüfungen und der Fachprüfungen . Die Vor- prüfungen schließen sich an die Vorbildungsanstalten. Sie erscheinen für die gelehrte Bildung als das System der Prüfungen in allen Formen der gelehrten Schulen (Gymnasien, Lyceen, Athenäen s. unten); für die wirthschaftlichen Bildungen in dem Princip der Gesellenprüfung. der Freisprechung der Lehrburschen. Die Fachprüfungen entfalten sich dabei natürlich zu großer Mannigfaltigkeit. Jede Fakultät hat ihre Fachprüfung; sie behält den alten Namen und das alte Recht für die vollendete Fachprüfung in dem Doktorat bei, während der Laureatus und Magister mehr den Charakter einer Vorprüfung haben. Wir wissen noch zu wenig von den Einzelheiten dieses Systems der Prüfungen; im Großen und Ganzen aber ist es ein System geworden, und dieß System ist auf gleichmäßiger ständischer Grundlage selbst gleichartig. Auf allen Punkten aber behält es seinen ursprünglichen Charakter; es ist ein ständisches Prüfungswesen. Jede Körperschaft bestimmt, wor- über zu prüfen ist; jede Körperschaft ist selbst das ausschließlich zur Prüfung berechtigte Organ, und das öffentliche Recht der Prüfungen ist nach wie vor die Aufnahme in die betreffende Körperschaft selbst, und die Berufsausübung vermöge dieser Aufnahme. Dieß ständische Prüfungswesen hat nun in der historischen Ent- wicklung in gewaltiger Weise gewirkt. Es hat namentlich im Anfange dem geistigen wie dem wirthschaftlichen Leben unendlich genützt. Es hat nicht bloß eine gewisse Tüchtigkeit und Kraft in die Berufsbildung aller Klassen hineingebracht, sondern es hat auch demselben einen mäch- tigen ethischen Halt gegeben in dem Bewußtsein, daß jeder bereits für die Sache an sich etwas geleistet haben müsse, ehe er für das Ganze etwas leistet. Es hat dadurch der persönlichen Bildung einen Werth und deren Tüchtigkeit eine Achtung verschafft, welche als eine der großen Bedingungen der geistigen Arbeit jener Epoche angesehen werden müssen. Aber es hatte nicht minder seine großen Gefahren. Gerade jene Körperschaftlichkeit der Berufsprüfung nämlich und das Sonderinteresse, das sich an und aus der Souveränetät der ständi- schen Körper entwickelt, gibt allmählig den Organen der letzteren ver- möge der Berufsprüfung eine Gewalt, welche dem ewigen Element der wahren geistigen Jugend eines Volkes, der freien und muthigen Selbst- thätigkeit des Einzelnen, feindlich entgegentritt. Der Kern dieser Ge- walt besteht darin, daß die Prüfenden unverantwortlich sind für ihr Urtheil; der Kern der Gefahr darin, daß dieselben, welche ein Interesse an der Zulassung oder Abweisung der Geprüften zur Berufsausübung haben, auch die souveräne Entscheidung über die letztere besitzen. Das erstere bedroht die geistige und wirthschaftliche freie Bewegung des Ein- zelnen, das letztere die objektive Wahrheit des Urtheils der Prüfenden. Beides zusammenwirkend macht die Erhaltung des rein ständischen Prüfungswesens mit dem lebendigen Fortschritte der Entwicklung des geistigen und wirthschaftlichen Lebens unvereinbar. Aus einem ursprüng- lich trefflichen Elemente der Gesammtentwicklung wird das Prüfungs- wesen dieser Epoche daher zu einem verderblichen Feind des geistigen und materiellen Aufschwunges. Es wird klar, daß es die große und allein lebendige Quelle des letzteren, die freie geistige und wirthschaft- liche Arbeit des Einzelnen vernichtet. Es ist der formelle Ausdruck der Gefahr, welche das Alter der ständischen Epoche bezeichnet, des Er- starrens alles geistigen Lebens in der Ueberlieferung für den Beruf und seine organische Funktion im Gesammtleben. Und mit dem Eintreten der neueren Zeit muß daher nebst den alten Körperschaften auch das Prüfungswesen derselben verschwinden. Wir haben nun diese neue Zeit bereits früher als die Epoche der staatsbürgerlichen Gesellschaft bezeichnet und das Recht ihres Bildungs- wesens charakterisirt. Das wesentliche Complement des letzteren ist nun auch hier das Prüfungswesen, und das Princip des letzteren, wie es aus dem Geiste der staatsbürgerlichen Gesellschaft überhaupt hervorgeht, ist nun nicht schwer zu bestimmen. Dasselbe besteht in der Aufhebung des ständischen Rechts der Körperschaftsprüfungen , und in der Aufstellung von öffentlichen , nach allgemein gültigen Vorschriften angeordneten Prüfungsorganen an der Stelle derselben. Wie der Beruf nicht mehr bloß Sache der souveränen Körperschaft, sondern der Gesammtheit ist, so soll es auch der gesammte Bildungsproceß für diesen Beruf, also auch die Prüfung werden. So entsteht das, was wir das staatsbürgerliche Prüfungswesen nennen und das jetzt wohl in ganz Europa auf allen Punkten an die Stelle des ständischen ge- treten ist. Nur muß man sich den Proceß, der diese Umgestaltung enthält, weder als einen sehr raschen, noch als einen für alle Gebiete der Be- rufsbildung oder für alle Länder Europas gleichmäßigen denken. Bei der im Gegentheil noch viel zu großen Mannichfaltigkeit desselben kommt es gerade hier wesentlich darauf an, denselben auf seine gleichartigen Faktoren zurückzuführen und durch ihre Berücksichtigung das Verständniß der Verschiedenheit und damit die höhere Vergleichung zu begründen. Diese Faktoren sind nämlich dieselben, welche über den Gang und die Organisation des Bildungswesens entschieden haben. Der erste der- selben ist der Grundsatz, daß der Beruf eine ethische Funktion und als solche eine der großen Bedingungen der Entwicklung der Gemeinschaft enthalte; der zweite, daß die Berufsbildungsanstalten Staats - anstalten sind und daher mit ihrem Recht und ihrer Ordnung auch in den Angelegenheiten der Berufsprüfung keine selbständigen ständischen Körperschaften mehr bilden; der dritte, daß der Beruf frei ist. Aus dem Zusammenwirken dieser Faktoren hat sich das öffentliche Prüfungs- recht unserer Gegenwart gebildet, indem es sich formell in vielen Punkten an das ständische Prüfungsrecht anschloß. Aus dem ersten Punkte ergab sich nämlich, daß die Prüfung jetzt für alle Zweige des Berufs, die wirthschaftlichen sowohl als die ge- lehrten, dem Einzelnen möglich gemacht werden müsse. Aus dem zweiten ergab sich, daß sie eine für alle Punkte gleichmäßige und unter der Verwaltung des Staats stehende sein solle. Aus dem dritten endlich, daß sie nur da als öffentlich rechtliche Bedingung der Berufsausübung erscheinen könne, wo der Einzelne sich der letzteren nicht zu entziehen vermag, sondern von derselben in seinen Interessen abhängig gemacht wird. Das erste erzeugte daher das Prüfungssystem, das zweite die Prüfungsordnungen, das dritte das Prüfungsrecht des neuen Prüfungs- wesens. Diese Grundsätze empfangen nun in ihrer Anwendung auf das System der Bildungsanstalten folgende Gestalt, die freilich wieder nur in Deutschland ausgebildet erscheint. c) Prüfungswesen der Gegenwart. 1) Studienprüfungssystem . Das Prüfungswesen wird näm- lich zuerst die Grundlage des gesammten Studienwesens und zwar ver- möge des Princips, daß erstlich die Aufnahme in die bestimmte Gruppe von Bildungsanstalten und zweitens jeder Uebergang von einer Stufe zur andern (Klasse) auf einer dafür bestimmten Prüfung beruhen soll, so daß das System der Studienprüfungen das ganze System des Stu- dienganges schrittweise begleitet, und jede Bildungsstufe durch eine Prüfung erworben und bezeichnet wird. Die Prüfung sorgane sind dabei zwar die Mitglieder der Lehrkörper, aber nicht als ständische, sondern als Staatsbeamtete. Das Prüfungsverfahren ist hier für einzelne An- stalten und selbst wieder innerhalb der einzelnen Länder ein verschie- denes, indem theils förmliche Prüfungen abgehalten, theils indirekte Prüfungen durch Erzielung von Durchschnittszeugnissen (wie namentlich bei den Klassenprüfungen vieler Gymnasien) angestellt werden. Die Vorschriften für diese Uebergangsprüfungen sind in vielen Fällen sehr unbestimmt und man kann als Regel annehmen, daß sie durch die Uebung des Lehrkörpers ersetzt werden. Das Prüfung srecht besteht endlich für diese Studienprüfungen in der Anwendung des Grundsatzes, daß das Bestehen der Prüfung die rechtliche Bedingung des Ueberganges von einer Klasse zur andern ist, meistens mit dem Zusatz, daß nach ein- oder zweimaligem Nichtbestehen der Betreffende von der ganzen Bildungsanstalt ausgeschlossen wird. Dieses Prüfungssystem ist im Wesentlichen das der Vorbildungs anstalten und zwar wesentlich der gelehrten; zum Theil aber auch der wirthschaftlichen wie der Realschule und der Realgymnasien; doch bemerken wir, daß wir außer Stande waren, darüber etwas Genaueres zu erfahren, indem hier in den ein- zelnen Ländern nicht unbedeutende Unterschiede obwalten. Bei den Fach- bildungsanstalten ist das Verhältniß in Deutschland wesentlich verschie- den von dem in den romanischen Ländern. Deutschland hat im All- gemeinen gar keine Studienprüfungen für dieselben, da die Abgangs- prüfung der Vorbildungsanstalt als Aufnahmsprüfung für die Fach- bildungsanstalt gilt. Nur in Oesterreich existirt an den Universitäten bei Juristen die rechtshistorische Staatsprüfung als Uebergangsprüfung vom zweiten Studienjahre zum dritten; daneben das eigenthümliche, sehr beachtenswerthe Institut der „Colloquien,“ eine Einzelprüfung, die für gewisse Fälle vorgeschrieben ist, wo der Studienfleiß des Einzel- nen als Bedingung für gewisse Benefizien (Stipendien ꝛc.) erscheint. In Frankreich dagegen sehen wir noch das alte Baccalaureat als eigent- liche Studienprüfung bestehen, jedoch mit dem eigenthümlichen Charakter zugleich eine Art von Berufsprüfung zu gelten. Das Element der Bil- dungsfreiheit wird dadurch gewahrt, daß nicht bloß jeder in jedem Augen- blick aus dem Bildungsgange austreten kann, sondern daß so weit es irgend thunlich ist, die Prüfung der einen Studienanstalt als Aufnahms- prüfung für die andere gilt, was namentlich das entscheidende Moment für die ganze Stellung der Realgymnasien geworden ist. Zweitens aber erscheint das Moment der Bildungsfreiheit in dem Studienprüfungs- system darin, daß die nicht staatlichen Bildungsanstalten ihrerseits an gar kein Prüfungssystem gebunden sind, sondern sich dasselbe selbst ordnen und über den Werth und die Formen desselben selbst entscheiden können. Die allerdings durchgreifende Gleichartigkeit des Prüfungs- systems der letzteren mit denen der staatlichen Anstalten hat nun eine, wesentlich auf dem Prüfungsrecht beruhende Kategorie im Recht der Bildungsanstalten hervorgerufen. Das sind nämlich die Privatbil- dungsanstalten mit öffentlichem Recht . Diese letzteren sind bekanntlich solche, deren Prüfungen das Recht der öffentlichen Studien- prüfungen haben, und daher namentlich als Uebergangsprüfungen zu den Fachbildungsanstalten gelten. Die Voraussetzung für den Erwerb dieses Prüfungsrechts bildet die Gleichheit des Bildungsganges dieser Anstalten mit denen des Staats und die formelle Approbation des Stein , die Verwaltungslehre. V. 12 letzteren, sowie der Prüfungsordnung. In Deutschland gibt es nur als solche Vorbildungsanstalten; die Universités libres sind ja doch schon Fachbildungsanstalten in diesem Sinne. So ist das Studienprüfungs- system ein Ganzes geworden, dessen Darstellung wohl einer speciellen Arbeit würdig wäre. 2) Berufsprüfungssystem . Während nun das Studien- prüfungssystem naturgemäß noch in den meisten Punkten genau mit den Formen der ständischen Vorbildung zusammenhängt und sich wesent- lich von der letzteren nur dadurch unterscheidet, daß die Lehrkörper in den Staatsbildungsanstalten als Staatsbeamtete fungiren, ist das Be- rufsbildungswesen ein von der ständischen Epoche wesentlich und auch formell ganz verschiedenes geworden. Die mannichfach verschiedenen Ver- hältnisse desselben müssen nun dieser Epoche auf folgende einfache Kate- gorie reducirt und darauf die Vergleichung des geltenden Prüfungs- systems begründet werden. Zuerst gilt auch hier der Grundsatz, daß jede Fachbildungsanstalt mit einer speciell auf ihr Fach berechneten öffentlichen Prüfung ver- sehen sein soll und ist und zwar ganz abgesehen von dem öffent- lichen Recht dieser Prüfung, das für die einzelnen Fächer sehr verschie- den ist, weil das Bestehen der Prüfung den großen Werth hat, die öffentliche Constatirung des Erwerbs eines gewissen Maßes der Fach- bildung für den Geprüften und damit eines gewissen Werthes seiner Fähigkeiten zu erhalten. Selbst da, wo daher keine gesetzliche Prüfung vorgeschrieben ist, wie bei den freien Lehranstalten, bildet sich eine solche durch das Interesse der Betheiligten von selbst heraus (Handelsaka- demien ꝛc.) oder wird durch anderes so weit thunlich ersetzt (Kunst- akademien mit Prämien); die Nothwendigkeit der Fachprüfung bei Staats- anstalten ist dabei selbstverständlich. Dieß ist der erste leitende Grund- satz. Dennoch unterscheiden sich die Staatsanstalten von den öffentlichen auf diesem Punkte dadurch, daß die Fachprüfung für die ersteren als ein öffentliches Recht , für die letzteren als eine Maßregel der Zweck- mäßigkeit , für alle aber als ein allgemein gültiges Princip des Bil- dungswesens anerkannt wird. Die weitere Entwicklung des Prüfungs- wesens liegt erst in den folgenden Punkten. Das zweite ist nun die Bestellung der Prüfung sorgane und der Prüfungsordnungen . Und hier scheiden sich nun zwei Systeme. Nachdem nämlich bereits mit dem vorigen Jahrhundert die Fach- bildungsanstalten dem Charakter, wenn auch nicht der Form nach aus ständischen Körperschaften staatliche Anstalten mit staatlichen Funktionen und Unterstützungen geworden sind, bei denen nunmehr das Princip der Selbstverwaltung an die Stelle der ständischen mit Selbstherrlichkeit getreten, mußte die Frage entstehen, ob diese Körperschaften in ihrer neuen Gestalt geeignet seien, auch die neue staatsbürgerliche Berufs- prüfung zu übernehmen, wie sie die ständische in Händen gehabt. Aus der Beantwortung dieser Frage ging nun das doppelte System von Prüfungsorganen hervor, das auch zum Theil dem folgenden System des Prüfungsrechts zum Grunde liegt. Das erste dieser Systeme beruht darauf, daß die Verwaltung zum Theil neben, zum Theil an der Stelle der alten Fachprüfungsorgane, welche aus dem Lehrkörper bestanden, eigene Staatsorgane für die Prüfungen einsetzte, die in verschiedenster Weise componirt sind. Zum Theil sind es Gerichtskörper, zum Theil sind es vom Staat ernannte Prüfungscommissäre, zum Theil sogar (wie in Frankreich) Geschworne. In den meisten Fällen nahm man dabei Glieder des Lehrkörpers (Pro- fessoren) als Mitglieder dieser Prüfungscommissionen auf, theils facul- tativ, theils principiell. Es versteht sich dabei von selbst, daß jenes für die freien Fachbildungsanstalten nicht der Fall war. Das zweite System dagegen enthält die Anerkennung der Lehr körper als Prüfungsorgane, so daß der Form nach das Recht derselben jetzt dasselbe ist wie früher. Dieß war namentlich der Fall bei den Uni- versitäten und ihrem ständischen Berufsprüfungssystem dem Doctorat , während es bei den neuen wirthschaftlichen Fachbildungsanstalten (poly- technischen Schulen ꝛc.) deßhalb nicht anders sein konnte, weil die be- treffenden Fachkenntnisse oder die nöthige Zeit eben nur bei diesen vor- handen waren. Auf diese Weise entstand der Unterschied der Doctorats - prüfungen von den eigentlichen Staatsp rüfungen, der unserer Zeit eigenthümlich ist. Regel ist, daß natürlich da, wo es keine Staatsprüfung gibt (wie z. B. bei den Medicinern), die Doctoratsprüfung dieselbe er- setzt (in den kleineren deutschen Staaten ist das auch bei den Juristen der Fall); daß dagegen sonst beide einander gleichstehen, wenn nicht (wie in Oesterreich) das Doctorat die Voraussetzung der Praxis als Advokat ist. — In jedem Falle ist daraus die Verpflichtung der Verwaltung ent- standen, das Prüfungswesen zum Gegenstand einer eigenen Gesetzgebung zu machen, so daß jetzt wohl in den meisten Staaten ein förmliches System von Prüfungsordnungen besteht, das die alten Doctoratsprüfungen in sich aufgenommen und bei mancher Modification im Einzelnen doch im Großen und Ganzen erhalten hat. Im Allgemeinen kann man sagen, daß für die gelehrte Bildung theils Doctorats-, theils Staatsprüfungen (wohl zu unterscheiden von den Dienstprüfungen, s. unten) gelten, während für die wirthschaftliche Bildung das System der Prüfungen durch den Lehrkörper gehandhabt wird, das wiederum bei den freien Bildungsan- stalten oft durch bloße Zeugnisse ohne eigentliche Prüfung ersetzt ist. 3) An diese Prüfungen schließt sich nun die dritte Kategorie, die Dienstprüfung . Eine Dienstprüfung gibt es in der ständischen Zeit überhaupt nicht, da jede Prüfung den Einzelnen unmittelbar in die Körperschaft aufnimmt. Erst da, wo sich der Staat mit seiner Ver- waltung von der ständischen Ordnung trennt, kommt der Gedanke zur Geltung, daß die Berufserfüllung statt einer ständischen eine staats- bürgerliche Pflicht enthalte, und daß daher der Staat nunmehr nicht bloß die theoretische, sondern auch die praktische Fähigkeit des Betreffen- den zu constatiren habe. Ganz nahe lag das in den Gebieten, wo der Beruf als Amt erschien, oder wo der Staat für seine wirthschaftlichen Aufgaben einer tüchtigen technischen Bildung bedurfte. Hier nun ge- nügte die auf rein wissenschaftliche Gegenstände bezogene Berufsprüfung nicht, sondern die Verwaltung forderte außerdem eine praktische und zwar meistens nach einer gewissen Zeit des praktischen Dienstes, deren Gegenstand dann naturgemäß wesentlich die Kenntniß praktischer Ver- hältnisse sein mußte. Diese, den Berufsprüfungen folgenden Prüfungen nennen wir kurz die Dienstprüfungen . Sie bilden das dritte Glied im Systeme der Prüfungen; zwischen ihnen und der Berufsprüfung liegen meist mehrere Jahre und die Prüfungsorgane sind dabei die höhern Behörden selbst. Auch hier wird die Prüfungsordnung gesetzlich fest- gestellt und natürlich speciell auf den einzelnen Beruf berechnet. Diese Dienstprüfungen sind nun zum Theil sehr einfach, zum Theil (wie na- mentlich bei dem Gymnasiallehrerstand in Oesterreich) höchst verwickelt; sie stehen zum Theil ganz selbständig, ohne eine Vorbildung da (wie bei einzelnen technischen Gebieten: Post, Eisenbahnen ꝛc.), zum Theil und zwar allenthalben bei der gelehrten Fachbildung haben sie die Studien- und Berufsprüfungen zur Voraussetzung, in den meisten Fällen auch bei der höheren Technik. Bei der niederen Technik, wie bei einzelnen Gewerben, sind sie der Rest der alten ständischen Zunftprüfung. Es liegt in der Natur aller dieser Prüfungen, daß sie mit dem Verwal- tungssysteme aufs Engste zusammenhängen und daher die verschiedensten Formen annehmen. Wir sind nicht im Stande, nach dem uns vor- liegenden Material schon jetzt ein vollständiges Bild derselben zu geben. An dieses weitverzweigte System der Prüfungen schließt sich nun das, was wir das Recht der Prüfungen nennen. Das Recht der Prüfungen besteht nun in denjenigen Bestim- mungen, nach denen die bestandene Prüfung die rechtliche Bedingung für die Berufsthätigkeit des Einzelnen ist. Dieß Recht ist natür- lich weder ein einfaches, noch auch ein gleiches in den verschiedenen Ländern Europas. Dennoch sind seine Grundlagen im Wesentlichen dieselben. Man kann sie im Allgemeinen auf drei Bestimmungen zurück- führen, von denen es allerdings Ausnahmen genug gibt. Nach dem Ver- schwinden des ständischen Prüfungsrechts ist das Bestehen der Staats-, beziehungsweise Dienstprüfung für die Ausübung des gelehrten Berufs obligatorisch , für den wirthschaftlichen facultativ und für den künstlerischen überhaupt nicht vorhanden. So lange es sich dabei nicht um öffentliche Ausübung des Berufes handelt, ist auch für den gelehrten Beruf die Prüfung facultativ; wo dagegen die Ausübung des wirth- schaftlichen Berufes eine Funktion für die wirthschaftliche Staatsver- waltung enthält, wie z. B. bei Post, Steuern ꝛc., da hat der Staat seinerseits technische Fachprüfungen für sich als obligatorisch eingeführt; wo es sich endlich um technische Leistungen handelt, deren Kenntniß als Bedingung der öffentlichen Sicherheit oder als Theil der Volkswirth- schaftspflege erscheint (Maschinenpersonal, Baumeister, Forstmänner, Berg- männer), da sind die Prüfungen überhaupt obligatorisch. Aber auch die ganz facultativen Prüfungen werden fast von allen Betheiligten durchgemacht und zwar wegen des Werthes, den das Prüfungszeugniß für den Einzelnen und seine Bewerbungen hat. Die gesetzlichen Be- stimmungen über dieß Recht der Prüfungen sind gewöhnlich in den öffentlichen Prüfungsordnungen enthalten; jedoch ist es beachtenswerth, daß sie vielfach als selbstverständlich fehlen. — Dieß sind nun die leitenden Grundsätze und Begriffe für das Prüfungswesen als zweiter großer Theil des öffentlichen Rechts des Berufsbildungswesens. Bei dem Mangel an gehöriger Beachtung dessel- ben ist es uns nicht möglich gewesen, das geltende Recht derselben mit Vollständigkeit zu sammeln. Wohl aber glauben wir, daß es nunmehr thunlich ist, den Charakter der drei großen Kulturvölker in Beziehung auf dieß Gebiet zu bestimmen. Es hat das eine nicht unwichtige Be- deutung zu dem ganzen Verwaltungsrecht ihres geistigen Lebens. d) Charakter und Recht des Prüfungswesens in den Hauptstaaten Europas. Nachdem wir so die Elemente des Prüfungswesens festgestellt haben, müssen wir uns nun für diesen Charakter desselben, wie er sich in den Hauptstaaten ausgebildet hat, und auch für das positive Recht mit einer kurzen Nachweisung begnügen. Der erste Grundsatz ist, daß die Prüfung für drei Arten des Berufes auf dem ganzen Continent gemeinsam ist; für die Aerzte, die Rechtsverwaltung und den Lehrerstand; für England ist auch dieß nicht eingeführt. Dagegen gibt es für die Verwaltung nur in einigen Ländern ein Princip der Prüfung, und dieß ist auch hier wieder sehr verschieden. Diese Verschiedenheit reducirt sich auf folgende Punkte. Für die ärztliche Berufsbildung gilt als durchgehende Regel, daß die Berufsprüfung zugleich Dienstprüfung ist, und zwar so, daß fast allenthalben diese Prüfung als Doktoratsprüfung erscheint. Dieß gilt nicht bloß für Deutschland, sondern auch für die übrigen romanisch- germanischen Länder. Die Lehrerprüfungen sind dagegen höchst verschieden, und zwar für den Elementar- und Berufslehrerstand. In Deutschland und Holland ist die Prüfung genau vorgeschrieben, zum Theil mit übergroßer Ge- nauigkeit. In Frankreich wird sie durch Nachweisung eines praktischen Dienstes vielfach ersetzt; in England gilt sie überhaupt nur bei den vom Staate unterstützten Schulen. Die Prüfungen des Juristenstandes sind wieder principiell allgemein, selbst in England; aber während sie dort und in Frankreich nur für die Anwälte gelten, sind in Deutschland neben den Anwaltsprüfungen auch noch Richteramtsprüfungen. In Beziehung auf dieselben haben die meisten deutschen Staaten die Berufsprüfung an den Universitäten als erste , und dann noch eine specielle Advokaturs- und Richteramtsprüfung als zweite Dienstprüfung aufgestellt, was in den übrigen Ländern fehlt. Die größte Verschiedenheit herrscht in Beziehung auf die Prüfungen für den Verwaltungsdienst . Hier hat England noch gar kein System; Frankreich hat ein solches, so viel wir sehen nur für gewisse technische Staatsdienste, sonst keine; ebenso stehen Belgien und Holland. Deutschland dagegen hat sich hier ein vollständiges, aber wohl in den meisten Staaten in Form und Inhalt verschiedenes System gebildet, das meist in lauter einzelnen, höchst zerstreuten und von Fall zu Fall erlassenen Bestimmungen besteht. Ebenso verschieden sind die Bestimmungen über die Prüfung sorgane . Regel ist, daß die Berufsprüfungen von den Professoren ganz oder zum Theil, die Dienstprüfungen dagegen von Beamten allein gepflogen werden. In England prüft die Corporation, in Frankreich die Jury, in Deutsch- land eine gesetzliche Commission. Man darf dabei noch von keinem einheit- lichen Systeme reden. Soll es kommen, so muß erst die Wissenschaft es suchen und verarbeiten. Die sehr große Wichtigkeit der Sache würde eine solche Arbeit in höherem Grade wünschenswerth machen. Das einzige Werk, das sich bisher mit dieser Frage und ihrem positiven Recht im Allgemeinen beschäftigt, ist Ortloff , Methodologie der Rechts- und Staatswissenschaft nebst deutschen Studien und Examens- ordnungen 1863, der in seiner ersten Abtheilung die Methodologie des Studiums gibt, ohne sich mit derjenigen der Prüfungen zu beschäftigen in der zweiten die wichtigen Prüfungsordnungen der kleineren Staaten (Oesterreich und Preußen sind bis zur Unbrauchbarkeit unvollständig) ohne die Studienordnungen mitzutheilen. Wir glauben aber in Folgen- dem, indem wir das Studienprüfungswesen hier übergehen, das geltende Recht der Dienstprüfungen soweit mittheilen zu sollen, als uns dasselbe zugänglich war, indem wir zugleich die Bestimmungen über die Berufsprüfung der wirthschaftlichen Fächer mit aufnehmen. Oesterreichs Staatsprüfungssystem. Literatur und genauere An- gaben bei Stubenrauch (Verwaltungs-Gesetzkunde Bd. I. §. 24 ff.). Studienordnung von 1855 bei Ortloff S. 135—145. Organisation der Universitäten und Recht derselben. Stubenrauch Bd. II. §. 405 ff.; der Rechtsakademien ebendas. Bd. II. §. 414. Theoretische Prüfungen: doppelte Gestalt a. Doktoratsp rüfungen: 1) für die Theologie : Zu- lassung nach Decret vom 7. und 28. Januar 1809 und Rescript vom 16. Sept. 1851; Prüfungscommission zur Hälfte vom Bischof ernannt (Entschließung vom 23. April 1850). 2) Jurisprudenz : die drei Rigorosen des Erlasses vom 2. Oktober 1855 sind noch immer nicht ein- geführt: es bestehen noch vier Rigorosen nach altem Recht (Decret vom 19. März 1850. Stubenrauch Bd. II. §. 406). 3) Medicin (Studien- ordnung vom 1. Oktober 1830 mit fünf Jahren (zwei Jahre Klinik, welche den Probedienst vertreten); Doctorsprüfung: unbedingt vorgeschrieben (Decret vom 19. Juni 1819); Prüfungen der Wundärzte (Decret vom 10. August 1849); die Prüfungen der Patrone der Chirurgie und der Lehr- linge ( Stubenrauch Bd. II. §. 280. 281). 4) Philosophie : Doctors- prüfung nach Decret vom 7. und 28. Januar 1809); b. theoretische Staatsprüfung : gültig nur für die Rechts- und Staatswissenschaft als eigentliche Staatsdienstprüfung ; drei Prüfungen: rechtshistorische (als Zwischenprüfung nach dem vierten Semester), judicielle und staats- wissenschaftliche, vor einer staatlichen Prüfungscommission (Erlaß vom 2. Oktober; Hauptgesetz vom 16. April 1856. Stubenrauch Bd. II. §. 31). II. Staatsdienstprüfung . Dieselbe ist bei den Theologen nach dem Kirchenrecht, bei den Medicinern in der Doctoratsprüfung ent- halten. Bei der Bestimmung zum Lehrerberuf an den Universitäten tritt die Habilitationsordnung für die Privatdocenten ein. Erste Ordnung derselben zugleich als Einführung des Privatdocententhums (Ministerial-Erlaß vom 19. December 1848); nähere Bestimmungen: Erlaß vom 27. April 1850 (Beschränkung auf bestimmte Fächer); Recht auf Zeugnißausstellung (Erlaß vom 5. Januar 1849. Stubenrauch Bd. II. §. 407); Lehrerberuf an den Gymnasien : 1) theoretische Prüfung nach Erlaß vom 24. Juli 1856; ausführlich bei Stuben- rauch Bd. I. §. 55. Dann ein Probejahr, jedoch nach demselben keine Dienstprüfung, sondern Zeugniß des betreffenden Gymnasialdirektors. Für den Verwaltungsdienst dagegen besteht ein vollständiges System von Staatsprüfungen, dessen Charakter keinesweges allenthalben gleich ist, und namentlich für die Finanzverwaltung bis zur bloßen technischen Manipulationsprüfung hinabsinkt, während die Finanzwissenschaft im Grunde mit der staatswirthschaftlichen Prüfung abschließt — ein nicht geringer Mangel. Nach den Fächern getheilt erscheint folgendes System. 1. Finanzverwaltung. a. staatswissenschaftliche oder juristische Docto- ratsprüfung; dann 6—12 Wochen Probezeit; dann Conceptsd ienst- prüfung (meist reine Verwaltungsgesetzkunde) nach Decret vom 24. Juni 1829 und Decret vom 21. August 1839; wissenschaftlicher ist die Prokura- tursprüfung (Dienstesinstruktion vom 16. Februar 1855); warum gilt keine ähnliche für den Conceptsdienst überhaupt? b. untergeordnete Dienstprüfungen, bei denen keine wissenschaftliche Fachbildung voraus- gesetzt wird, meist erst nach 1850 auf Grundlage praktischer Forderungen eingeführt oder geordnet; für Anstellung bei 1) Steuerämtern (Ver- ordnung vom 28. Juli 1858). 2) Zollämtern (Verordnung vom 25. August 1858); 3) Verzehrungssteuer (Verordnung vom 18. Februar 1857); 4) Kassend ienst (Erlaß vom 28. Sept. 1853); 5) Staatsg üter (Verordnung vom 11. Januar 1822); 6) Staats- forstdienst (Verordnung vom 16. Januar 1850); 7) Finanzwesen (Dienstvorschriften von 1843); 8) Postd ienst (Verordnung vom 23. April 1850); 9) Telegraphend ienst (Verordnung vom 1. December 1854); 10) Buchhaltungsd ienst (Erlaß vom 11. November 1852). 2. Rechtspflege. 1) Richtera mtsprüfung a. als Auscultant: Probezeit, ohne Prüfung; b. Richter : Ein Jahr Praxis, dann Prüfung (Verordnung vom 3. Mai 1853, vom 10. Oktober 1854); 2) Advo- katursp rüfung (Verordnung vom 11. Oktober 1854); 3) Polizei- gerichte (Verordnung vom 10. Oktober 1854). 3. Innere Verwaltung . 1) Allgemeiner Dienst in der Ver- waltung: Probepraxis von 6—12 Wochen; dann Beeidigung; ein Jahr Probezeit für die Prüfung; diese ist schriftlich und mündlich (Verordnung vom 10. Oktober 1854); 2) Manipulationsd ienst: specieller Grund- buchsb eamten- und Rechnungsd ienst: eine Art von Elementarprüfung (Patent vom 3. Mai 1853); 3) Baud ienst (Erlaß vom 13. März 1850). Gesundheitsw esen. 1) Medicinisches Doctorat; 2) Apotheker- prüfung, Lehrzeit drei Jahre (Verordnung vom 28. Februar 1854); Prüfung (Instruktion vom 3. November 1808); Magisterium der Phar- macie (Erlaß vom 14. Juni 1859); 3) Hebammenp rüfung (Decret vom 19. Mai 1827); 4) Hafen - und Seesanitätsd ienst (Verord- nung vom 15. Mai 1851). Lehrfach . 1) Volkss chullehrer: Präparanden-Curs (Erlaß vom 17. Sept. 1848) nebst Prüfung (s. oben); 2) Gymnasiall ehrer: Prüfungsordnung (Erlaß vom 24. Juli 1854); 3) Reals chullehrer: Errichtung von Bildungscursen (Verordnung vom 2. Nov. 1854) nebst Prüfung bei sechsklassigen Realschulen (Erlaß vom 24. April 1853); 4) Polytechnische Anstalt (Erlaß vom 11. und 19. Dec. 1848); 5) Habilitations - und Privatdocenten (Erlaß vom 19. Dec. 1848). Auswärtiges . 1) Consular -Prüfung (Erlaß vom 20. Okt. 1849); 2) Diplomaten -Prüfung (Erlaß vom 6. Juni 1856). Preußen . Grundlage ist für allen Staatsdienst die wissenschaft- liche Fachbildung und daher die Studienprüfung und Fachprüfung als Abgangsprüfung. Die praktische Berufsbildung ihrerseits wird daneben durch ein vollständiges System von Dienstp rüfungen abgeschlossen, die zum Theil viel specieller sind als in Oesterreich, aber ihrem Inhalte nach allerdings systematischer erscheinen. Das öffentliche Recht der Dienstprüfung ist im Grundsatz schon vom Allgem. Landrecht als ganz allgemein anerkannt, und auf die einzelnen Prüfungsordnungen dabei verwiesen (Thl. II. 10. §. 70. 71). Das Princip des Unterschiedes zwi- schen den höheren und niederen Prüfungen ist dabei viel klarer durch- geführt, was ohne Zweifel als das Rationellere erkannt werden muß. Nur läßt sich ein Uebermaß dabei durchaus nicht wegläugnen; es ist als ob man alle Garantie nur von den Prüfungen zu hoffen habe. Das System der höheren Prüfungen ist bei Rönne II. §. 293 auf- gestellt, die Literatur S. 311. A. Höherer Justizd ienst mit drei Dienstprüfungen: Auskultatur, Referendariat und Assessorat. Haupt- organisation dieser Prüfungswesen die Verordnung vom 10. Dec. 1849. B. Höherer Verwaltungsd ienst: hat die zwei ersten Justizprüfungen zur Voraussetzung und fordert dann eine Referendariatsprüfung (Re- gulativ vom 14. Febr. 1846); dazu noch eine Landrathsp rüfung (Regulativ vom 10. Juli 1838; Rönne II. §. 264). Forstv erwal- tungsdienst: Prüfung nach Regulativ vom 7. Febr. 1864; Bauv er- waltungsprüfung (Verordnung vom 22. Dec. 1849); Feldmesser (Regulativ vom 8. Sept. 1831 und 8. Juli 1833); Bergb eamten (Regulativ vom 21. Dec. 1863); Postv erwaltung: neueste Inspektion vom 3. Juni 1863; Intendantur -Beamten (Regulativ vom 23. Mai 1839); Eisenbahnd ienst, königl. (Rescript vom 26. Juli 1863). Für den Subaltern - (Manipulations-) Dienst finden keine eigentlichen Prüfungen statt, sondern es ist ausdrücklich ausgesprochen, daß die Abgangsprüfungen der Oberrealschulen (erster Ordnung) und Gymnasium die Stelle derselben bei Anstellungen zu vertreten haben (Unterrichts- und Prüfungsordnung vom 6. Oct. 1859. Rönne II. 293 und 451). Gesundheitswesen . Auch der Unterschied des höheren und nie- deren Dienstes im Prüfungssystem; Classifikations- und Prüfungsord- nung vom 24. August 1825. Die Unterschiede dieser Ordnung werden für die verschiedenen Klassen der Aerzte aufgehoben, und die einheit- liche Staatsprüfung für alle Aerzte, Wundärzte und Geburtshelfer hergestellt durch Regulativ vom 8. Oct. 1852. Daneben noch Prüfungen für Zahn - und Thierä rzte und Hühneraugenoperateuren ( Rönne II. 353 und 367); Hebammenp rüfung (Regulativ vom 1. Dec. 1825); Apothekerp rüfung mit Aufhebung des Unterschiedes der zwei Klassen durch die Verordnung vom 1. Dec. 1825 nach k. Ordre vom 26. Nov. 1853. Das niedere Heilpersonal ohne Prüfung. Lehrfach . a) Volkss chullehrer-Prüfung schon nach dem General- Landschulreglement vom 12. August 1763 und Allgem. Landrecht II. 12. §. 24. 25; theoretische und nach Probezeit praktische ( Rönne , Staatsrecht II. §. 293. 443); b) Gymnasiall ehrfach. Grundlage: Edikt vom 12. Juli 1810 und Reglement vom 20. April 1831 ( Rönne , Unterrichtswesen II. S. 338); c) Reall ehrfach (Rescript vom 20. Ja- nuar 1863); d) Habilitations -Ordnungen ( Rönne II. 460). Aeußeres . Diplomatenprüfung: K. Ordre vom 4. Febr. 1827. Bayern . Grundlage für den Verwaltungsd ienst ist die Ver- ordnung vom 6. Mai 1830 nebst Zusätzen vom 5. December 1850 und 24. Mai 1852; bei Ortloff S. 147—159 (die übrigen fehlen bei dem- selben). Für das Gesundheitsw esen medicinische Admissionsprüfung: drei Jahre theoretische, zwei Jahre praktische Bildung (Verordnung vom 30. Mai 1843); Apothekerp rüfung (Apothekerordnung vom 27. Jan. 1842); Hebammenw esen (Verordnung vom 7. Januar 1816); Pözl , Verwaltungsrecht §. 117. Lehrfach. Gymnasiall ehrer: Schulordnung vom 24. Februar 1854; Volkss chullehrer (Regulativ vom 31. Januar 1836); Pözl §. 185. Das wirthschaftliche Prüfungswesen ist mit der neuesten Organisation des wirthschaftlichen Bildungswesens durch die neue Ver- ordnung vom 14. Mai 1864 geordnet. Darnach finden bei der niederen Stufe der Gewerbeschulen keine Absolutorialprüfungen statt, wohl aber am Schlusse jedes Schuljahrs öffentliche Prüfungen, welche mit Preis- vertheilungen verbunden sind (§. 21). In der zweiten Stufe, den Real- gymnasien dagegen ist eine vollständige Absolutorialprüfung aufgestellt nebst Preisvertheilung (§. 43 ff.). In der polytechnischen Schule treten sogar halbjährliche Studienprüfungen ein, außerdem jährliche Absolu- orialprüfungen an den Fachabtheilungen (§. 73. 75 ff.); Prüfungs- gegenstände sind gesetzlich bestimmt; Prüfungscommission vom Staate eingesetzt. Für den Staatsbaudienst sind außerdem durch Bekannt- machung vom 24. August 1864 eigene Prüfungen eingeführt. Ebenso Prüfungen in der landwirthschaftlichen Akademie von Weihen-Stephan. Ein gleichartiges, sehr ausgebildetes Staatsdienstp rüfungssystem neben dem Fachprüfungssystem der Universitäten hat Württemberg. Mohl hat in seinem württembergischen Verwaltungsrecht S. 95 dieß System ausführlich dargestellt; der erste, so viel wir sehen, der den Gegenstand in das Verwaltungsrecht aufgenommen hat; vergl. besonders S. 99 Note 6. (die Hauptverordnung ist vom 25. April 1839 und für den Justizdienst vom 29. April 1839). Die Prüfungen sind in höhere und niedere Dienstprüfungen geschieden, jedoch nicht nach den einzelnen Ver- waltungsfächern; daneben ist ein Dienstprobejahr eingeführt (Verordnung vom 27. August 1836 und Zusatz vom 3. Januar 1850. Abgedruckt bei Ortloff a. a. O. S. 170—204). Die Lehrerprüfung für Ober- und Unterrealschulen organisirt durch Verordnung vom 20. Juli 1864. Was die übrigen deutschen Länder betrifft, so ist im Allgemeinen das Fachprüfungswesen an den Universitäten maßgebend gewesen, jedoch meistens in der Weise, daß das Doktorat nur für die Medicin als Dienstprüfung zugleich gilt, oft auch für den Lehrberuf, während die Richteramtsprüfung selbständig daneben besteht, und oft auch eine eigene Advokatenprüfung. Es ist nicht zu verkennen, daß erst seit 1848 die Prüfungsordnungen theils ganz neu eingeführt, theils neu organisirt und theils in der Umgestaltung begriffen sind. Wir sind nicht im Stande gewesen, ein vollständiges Bild zusammenzustellen; Ortloff ist sehr unvollständig. Meistens sind die Lehramtsprüfungen sehr genau bestimmt; die Baumeisterprüfungen in den kleinen norddeutschen Staaten vielfach an Preußen verwiesen. Die Hauptdaten über das Fach- und Dienstprüfungswesen dürften folgende sein: Königreich Sachsen : Dienst- prüfungsordnung für die juristische und Richteramtsprüfung (Verord- nung vom 16. November 1859); Ortloff S. 173; Hannover (All- gemeines Reglement vom 30. Mai 1848); Prüfungsordnung für den Justizdienst (Verordnung vom 8. Januar 1858); Ortloff S. 160 bis 168). Kurfürstenthum Hessen : zwei Staatsprüfungen seit Verordnung vom 18. April und 21. Mai 1861 ( Ortloff S. 205). Baden : gleich- falls zwei Prüfungen (Verordnung von 1853); nebst Probezeit (Ver- ordnung vom 7. April 1854 und 23. Juli 1857); Ortloff S. 206 bis 216. Die neueste Prüfungsordnung für die Lehrer an den Ge- lehrten- oder höheren Bürgerschulen vom 5. Januar 1867. Ebenso Großherzogthum Hessen (Verordnung vom 10. September 1851). Das Dienstprüfungswesen in Nassau war bereits durch Verordnung vom 20. Januar 1845 in sehr rationeller Weise geordnet; ähnlich in Sachsen- Altenburg (Verordnung von 1831), nebst ausführlichem Reglement vom 9. Juni 1846, wozu eine Novelle vom 28. Februar 1861 gekom- men ist (Austria 1864, S. 149). Das Dienstprüfungswesen von Sachsen- Coburg beruht auf der Verordnung vom 24. April 1860; die Prüfung der Baugewerbtreibenden ist nach Aufhebung der Zunft- verfassung und Einführung des neuen Gewerbegesetzes vom 26. Juni 1863 durch Bekanntmachung vom 3. Februar 1864 geordnet (Austria 1864, Nro. 18). In Oldenburg ist die frühere Organisation der Dienstprüfungen vom 20. März 1830 durch die neue Organisation vom 21. August 1856 aufgehoben, und specielle Prüfungen für Steuer- ämter durch Gesetz vom 13. April 1864 als Complement des neuen Schifffahrtsgesetzes von 1856, so wie Prüfungen für Forstmänner durch Gesetz vom 14. April 1864 eingeführt (Austria ebend. S. 157 und 190). Sachsen- Weimar (Prüfungsordnung vom 11. Februar 1853); Anhalt-Dessau (Verordnung vom 22. Juli 1852). Aehnlich Braun- schweig (Verordnung vom 5. März und Instruktion vom 27. November 1850). In Mecklenburg bildet die Verordnung von 1837 die Grund- lage; reorganisirt wurde das ganze Prüfungswesen durch Verordnung von 1859, welche speciell Richteramtsprüfungen eingeführt hat. Die thierärztliche Prüfung ist durch Reglement vom 14. Juni 1858 und genauere Ausführung im Nachtrag vom 24. Oktober 1864 geordnet. In einigen kleineren Ländern wie Waldeck ist das örtliche Prüfungs- wesen dem preußischen Prüfungsrecht analog. Es ist klar, daß das hier Angeführte nur als Andeutung für eine selbständige Bearbeitung Werth hat; wir müssen die letztere für höchst wünschenswerth halten; manche weitere Beiträge siehe unten unter wirthschaftlicher Fachbildung. Was nun das Prüfungswesen Frankreichs betrifft, so besteht das, was wir darüber haben finden können, in Folgendem. Eine all- gemeine Gesetzgebung gibt es nicht. Grundsatz ist, daß für die Medi- ciner das medicinische Doktorat Berufs- und Staatsprüfung zugleich ist; für die Lehrer gilt die Berufsprüfung der Facultés als Dienst- prüfung, eben so für die Juristen. Es wird für die letzteren angenom- men, daß jeder Jurist wenigstens Licencié en droit sein muß; die Be- dingungen dieser akademischen Grade unten bei der Darstellung der Facultés. Eine Richteramtsprüfung existirt unseres Wissens nicht; ein Gesetz über die Anstellung der Richter auch nicht. Nur über die An- stellung der Notaires ist bereits durch die Notariatsordnung vom Jahr XI vorgeschrieben, daß jeder Licencié en droit erst sechsjährige stage und dann ein „Zeugniß“ der Befähigung von der Corporation der Notaires haben muß; eben so soll jeder Advokat nach der Advokaten- ordnung von 1822 dreijährige Stage (Conceptsdienst) und ein Zeug- niß der Befähigung von der Advokatenkammer beibringen. Für die Anstellung der Verwaltungsbeamteten kennen wir gar kein Gesetz, nicht einmal die gesetzliche Nothwendigkeit, die Faculté de droit durchgemacht zu haben — in der That gibt es dort ja auch keine rechte Theorie des droit administratif, viel weniger Polizeiwissenschaft oder Nationalökonomie. Das belgische Prüfungssystem ist dem französischen entsprechend, wie das holländische dem deutschen. Die Vorschriften des letzteren sind specialisirt in den drei Gesetzen über den niederen, mittleren und höheren Unterricht (s. oben). Das belgische Recht der Berufsprüfungen bei Le Roy in Schmid , Encyclopädie, v. Belgien. Dazu bemerkt de Fooz ( Droit adm. belge): „Il y a deux grades pour chacune des branches de l’enseignement supérieur, celui de candidat, celui de docteur. Il y a de plus un grade de docteur en sciences politiques et administratives, un grade de candidat en pharmacie, de phar- macien et de candidat notaire. (Gesetz vom 1. Mai 1857.) Un diplome scientifique spécial est institué en faveur des personnes, qui après avoir obtenu le grade légal de docteur, se sont appliquées à certaines spécialités de la science, p. e. à celle de droit admini- stratif. Ce sont les Universités de l’État qui le confèrent. Aber Rechte geben diese Prüfungen nicht. C’est une simple attestation de capacité , qui ne confère aucun droit ni prérogative dans l’État.“ Fooz , T. IV. p. 314. 315. — In England ist das Prüfungswesen nicht einmal für die Mediciner vorgeschrieben (s. Gesundheitswesen S. 106 ff.), eben so wenig für die Lehrer, die in freien Schulen wirken, oder die Professoren, die gewählt werden, sondern nur für die Schul- lehrer der vom Staat unterstützten Armenschulen (s. das.). Für die Verwaltungsbeamteten gibt es trotz der in der vollziehenden Gewalt (S. 353. 354.) erwähnten Verhältnisse keine Prüfungen; das System derselben hat jedoch seit 1853 für die indischen Beamteten Platz ge- griffen, und ist von da auf einige andere Klassen übergegangen (vgl. die leider dürftige Notiz von Gugler im Anfang zu dessen Uebersetzung von Taylor , Industrie und Schule S. 175. 176). Gesetze gibt es keine. Nur die Rechtspflege hat das Prüfungswesen in allerneuester Zeit in sich aufgenommen, indem nach 23. 24. Vict. 127. dem Lord Chief of Justice das Recht eingeräumt ist: „from time to time to make regulations for the examinations“ wenn die betreffende Person nicht die Universitätsprüfungen bestanden habe; derselbe setzt dann auch die Prüfungscommission zusammen; diese gelten nur für attorneys und sollicitors, aber da aus diesen die judges genommen werden, so er- scheint diese erste englische Advokatenprüfung zugleich als Richteramts- prüfung. ( Chitly Archibald , Practice of the Court of Queens Bench, 11. Ed., by J. Prentice. p. 31. 32.) Besonderer Theil. Die öffentlich rechtliche Organisation der Berufsbildungssysteme bei den Hauptvölkern Europas. Bei dem äußeren Reichthum an Bestrebungen, Leistungen und An- stalten für das Berufsbildungswesen in den organischen Kulturländern ist es nicht möglich, hier auf das Einzelne einzugehen. In der That muß die Verwaltungslehre im Allgemeinen sich darauf beschränken, nach- dem der Charakter desselben dargestellt ist, nur noch das Bild des ganzen Systems zu geben. Unter dem Berufsbildungssystem verstehen wir nun die öffentliche Ordnung, nach welcher die einzelnen Staaten die drei großen Hauptgebiete des gesammten Bildungswesens, die ge- lehrte, die wirthschaftliche und die künstlerische zum Gegenstande ihrer Gesetzgebung und ihrer Thätigkeit gemacht haben, als die positiv rechtliche Gestalt der geltenden öffentlichen Berufsbildung . Hier nun scheiden sich die Hauptvölker Europas wesentlich von ein- ander, während sie in der Idee des Berufsbildungswesens sich natür- lich aufs Engste verwandt sind. Bei aller Tiefe und Gründlichkeit der bisherigen Untersuchungen ist es nicht zu läugnen, daß eine organische Gesammtübersicht , eine nebeneinanderstellung der Systeme noch fehlt. Es ist für uns im Einzelnen so gut als gar nichts zu leisten übrig. Der Werth und die Aufgabe des Folgenden kann nur darin bestehen, in jedem Lande das wissenschaftliche, wirthschaftliche und künstlerische Berufsbildungssystem als Ein Ganzes zusammenzufassen, demselben für die Staatswissenschaft seine organische Stelle, für die Vergleichung mit andern Völkern seine hohe Berechtigung als Grundlage und für die Behandlung der Einzel- fragen seinen wichtigen, oft maßgebenden Einfluß zu sichern. Dabei wird es auch nur auf diesem Wege möglich sein, auf gewissen Punkten durch bestimmte und durchgreifende Begriffsbestimmungen einer zuweilen peinlichen Verwirrung in Bezeichnungen, Ansichten und Fragen zu be- gegnen. Wir halten auch hier die Hoffnung fest, daß auf der gegebenen Grundlage jeder Fachmann das specielle Recht seines eignen Landes sich hinzusetzen, und dadurch dem vorliegenden, vorwaltend theoretischen Versuche seinen praktischen Werth geben möge. Ohne allen Zweifel wird nun das Ziel auch hier am besten erreicht, wenn wir das deutsche Bildungssystem als maßgebend an die Spitze stellen, indem wir dabei stets festhalten, daß zwar die pädagogischen Begriffe und Forderungen maßgebend sind und bleiben werden, daß sie aber nicht dem Verwaltungsrecht angehören, sondern von demselben als bekannt vorausgesetzt werden müssen. Es muß uns daher genügen, hier ein Bild darzubieten, welches die gewaltigen Verschiedenheiten des Berufsbildungswesens auf die oben aufgestellten einfacheren Kategorien reducirt und dadurch das europäische Leben und sein öffentliches Recht hier als Ganzes erscheinen läßt und verständlich macht. Die Ursache des Mangels einer Gesammtdarstellung des Berufs- bildungswesens in Deutschland beruht auf der bisher überwiegenden Bedeutung der wissenschaftlichen Bildung, welche die größte Kraft ab- sorbirt, und zweitens in der noch vielfach geltenden Vorstellung von der Scheidung des wirthschaftlichen vom wissenschaftlichen Berufe. Daher gibt es über das Ganze gar keine Literatur . Im vorigen Jahr- hundert kommt natürlich die wirthschaftliche und künstlerische den Syste- matikern, wie Justi, gar nicht zum Bewußtsein; die Rechtslehrer kennen nur die Universitäten als öffentlich rechtliche Körperschaften, und die Beschränkung auf dieselben unter völliger Weglassung der wirthschaft- lichen und künstlerischen Anstalten hat sich erhalten (s. Mauren- brecher, Zachariä und selbst den unermüdlichen Zöpfl .) Die neuere Polizeiwissenschaft, wie Jacob, Pölitz und Mohl bleiben bei allge- meinen Redensarten, ohne Beziehung auf Deutschland; die neueste encyclopädische Literatur, wie das Staatswörterbuch und nament- lich Schmids Encyclopädie des gesammten Erziehungs- und Unter- richtswesens (seit 1859) geben bei den zum Theil für das Detail- studium unschätzbaren Mittheilungen der tüchtigsten Fachmänner, ohne die eine Gesammtdarstellung für viele Theile Deutschlands geradezu unmöglich bliebe, manche Mittheilungen, die von Werth sind; doch, wie es ihre Natur mit sich bringt, beschränken sich diese Arbeiten in ihrer Anordnung auf eine mehr äußerliche Eintheilung, welche auch hier wie beim Volksschulwesen die Vergleichung dem Leser selbst überläßt. Für das Einzelne ist daher wenig, für das Ganze noch alles zu thun. Deutschlands Berufsbildungssystem. Charakter . Während es eine außerordentliche schwierige Aufgabe ist, das Be- rufsbildungssystem Deutschlands in seinen einzelnen Theilen und Be- stimmungen vollständig darzustellen, glauben wir dagegen, daß es nun- mehr leicht ist, den Charakter desselben im Verhältniß zu den bisher dargelegten Grundbegriffen zu bestimmen. Deutschlands Berufsbildungs- system beruht zunächst darauf, jede allgemeine, der Gesammtheit dienende, öffentliche Thätigkeit als einen Beruf anzuerkennen, und daher für jeden Lebensberuf eine berufsmäßige Bildung zu fordern. An diese Forderung hat sich das zweite Moment angeschlossen, wornach Deutschland das wirthschaftliche Berufsbildungswesen neben dem gelehrten zu einer selbständigen , organisch geordneten und vom Staate als öffentliche Aufgabe anerkannten, erhoben hat, so daß wir in Deutschland die zwei großen Berufsbildungssysteme der gelehrten oder geistigen und der wirthschaftlichen Berufe neben einander bestehen und funktioniren sehen, während sie dennoch sich nicht nach ständischen Principien scheiden, sondern innerlich und zum Theil äußerlich ver- bunden sind. Dabei hat das gelehrte Berufsbildungswesen dem wirth- schaftlichen das Princip der geistigen Selbstverwaltung, das wirth- schaftliche dem gelehrten seine praktische Richtung der Studienord- nung mitgetheilt, beide aber, in ihrer Nothwendigkeit vom Staate anerkannt, sind eben deßhalb durchstehend Staatsanstalten, die beide mit gleichem Nachdrucke gefordert, mit gleicher Liebe gepflegt, mit gleicher Ehre betheilt werden. An sie hat sich in neuester Zeit die künstlerische Bildung angeschlossen, die nunmehr gleichfalls, wenn auch nur noch theilweise in das System mit gleichen Bedingungen aufgenommen ist. Und so kann man unbedenklich das deutsche Berufs- bildungssystem als Muster und Maßstab für alle andern aufstellen; es ist der Standpunkt, von welchem aus das übrige Europa beur- theilt worden, und das in seiner klaren und ernsten Totalität und seiner machtvollen Wirksamkeit eine der großartigsten Thatsachen der Weltgeschichte darbietet. Dennoch sind jene beiden Arten des Berufsbildungswesens wesent- lich von einander verschieden, sowohl im Princip als im System ihres öffentlichen Rechts. Sie haben eine selbständige Geschichte und selbständige Stellung und es wird darauf ankommen, sie in diesem Sinne selbständig neben einander zu stellen. Es ist dabei nicht unsere Sache, sie zu erschöpfen, sondern nur in ihrem Charakter zu be- zeichnen. Gelingt das, so ist es wohl nicht sehr schwierig mehr, die positiven Rechtszustände der einzelnen Theile daran anzuschließen und die Umrisse des Bildes mit dem lebendigen Inhalt auch der positiven Thatsachen auszufüllen. Unsere Arbeit wird gerade hier auf Vollständigkeit nur sehr geringe Ansprüche machen können; es muß uns genügen, das reiche Bild als ein organisches Ganze auf- gefaßt zu haben. Erstes Gebiet. Das gelehrte Berufsbildungssystem. A. Das gelehrte Vorbildungssystem. (Die gelehrten und hohen Schulen, Gymnasien, Lyceen, Athenäen, Collegien.) I. Begriff und Formen der gelehrten Schulen. Das gelehrte Vorbildungssystem umfaßt nun seinem formalen Be- griff nach die Gesammtheit der Anstalten, welche für die von der Fachbildung getrennte gelehrte Vorbildung getrennt sind und unter den oben angeführten Namen funktioniren. Wir dürfen nun gewiß zunächst darauf hinweisen, daß es nicht unsere Aufgabe sein soll, das ganze Gymnasialwesen mit seiner Viel- gestaltigkeit und seinen wichtigen Fragen hier zu erschöpfen. Für die Verwaltungslehre ist die gelehrte Schule oder das Gymnasium zunächst ein einzelnes ganz bestimmtes Organ in dem großen Ganzen des Bildungsorganismus und hat eine ganz bestimmte Funktion innerhalb desselben zu vollziehen. Diese Funktion liegt, wie alle organische Funktion, nicht in der Willkür des Einzelnen oder selbst der Gesetzgeber, sondern sie ist durch die höhere Natur der Sache selbst gegeben. Nirgends aber ist diese Idee in so bestimmter Weise entwickelt und auch historisch zu einem klaren Abschluß gekommen als in Deutschland; und wir dürfen daher die Darstellung von Deutschlands Gymnasialwesen als die Grund- lage für das gesammte gelehrte Vorbildungswesen von Europa ansehen. Nur muß man dabei gleich anfangs die beiden großen Seiten alles gelehrten Schulwesens wohl unterscheiden und auf sie die verschiedenen Formen desselben zurückführen. Die Stellung, welche das gelehrte Schulwesen im großen Bildungs- organismus einnimmt, ist nämlich eine doppelte, und eben dieser doppelte Inhalt derselben hat es schwierig gemacht, dasselbe zu verstehen. Dennoch bleibt es die einzige Grundlage seiner Geschichte und der Vergleichung seiner verschiedenen Gestaltungen. Zuerst und formell ist nämlich die gelehrte Schule die reine Vor- bildungsanstalt für das gelehrte Fachbildungswesen. Sie hat daher zur Aufgabe, alles dasjenige zu lehren, was als Voraussetzung und Bedingung des letzteren angesehen werden muß. In ihrer systematischen Stellung wird daher die ganze innere und äußere Ordnung der ge- lehrten Schule durch dasjenige gegeben, was die gelehrte Fachbildung fordert, und zwar in der Weife , daß jene für alle einzelnen Fächer die Vorbildung zu leiten hat. Oder, da das Fachbildungswesen in Stein , die Verwaltungslehre. V. 13 den Universitäten enthalten ist, die gelehrten Schulen sind die Vor- bildungsanstalten für die Universität. Ordnung, Form, Inhalt und Werth ihrer Funktion findet demnach zunächst und zuerst ihren Maß- stab eben an diesem Verhalten zur Universitätsbildung. Allein die höhere wissenschaftliche Bildung, welche die gelehrte Schule gibt, kann sich auf die strenge Funktion der Vorbildung für die Fächer nicht beschränken. Sie hat auch an und für sich einen Werth; und die gelehrte Schule ist daher ihrem Wesen nach zugleich eine Bildungs- anstalt für die allgemeine Bildung. Sie muß daher in ihrer Funktion an sich nicht bloß strenge an die Vorbildung gebunden sein; sie muß auch die Fähigkeit besitzen, an und für sich eine Bildungsstufe darzubieten, welche auch ohne Anschluß an die Universität ein selbständiges Maß der Bildung gibt. Sie muß daher den Abschluß ihres Bildungsganges nicht bloß in den Fachbildungen der Universität, sondern sie muß ihn auch in sich selber zu finden im Stande sein. Das ist die zweite Forderung, welche das Bildungswesen an das gelehrte Schulwesen zu stellen hat. So einfach nun an sich diese beiden Gesichtspunkte sind, so schwierig ist es, sie in der praktischen Ordnung und Thätigkeit der gelehrten Schulen zu verbinden. Denn diese Verbindung beruht nicht bloß auf den Gegenständen der Lehre, sondern wesentlich auch auf dem Geiste, in dem sie gelehrt werden, und jeder Schulmann wird zugestehen, daß das, was wir den pädagogischen Charakter der einzelnen gelehrten Schule nennen, gerade auf dieser Verbindung jener Elemente in derselben beruht. Allein es ist klar, daß diese Doppelfunktion zugleich die Stellung begründet, welche das öffentliche Recht der gelehrten Schulen gegenüber einnimmt. Die Verwaltung wird etwas anderes fordern, wo die letztere nur Vorbil- dungsanstalten, und etwas anderes, wo sie allgemeine Bildungsanstalten sind, wenn auch die Grundzüge des öffentlichen Rechts dieselben bleiben. Der Regel nach wird im ersten Falle der Bildungsgang und die Studien- ordnung eine enger begränzte, im letzteren eine weiter angelegte sein. So ergibt sich schon hier, daß das, was wir die gelehrte Schule nennen, eine Reihe sehr verschiedener Gestalten bezeichnet; und in der That hat dieser Unterschied, historisch begründet, auch in den Namen Platz ergriffen. Es ist deßhalb wohl nothwendig, sich über die Bedeutung der Ausdrücke selbst auch hier einig zu werden. Wir fassen dieselbe nun in folgender Weise. Der Ausdruck „hohe“ oder „gelehrte Schule“ bedeutet alle Vor- bildungsanstalten für jede wissenschaftliche Entwicklung; er ist der Gattungsname. Das Wort „Gymnasium“ dagegen bezeichnet uns die gelehrte Schule in dem strengen Sinne der Vorbildungsanstalt für die Fachbildung, nament- lich also für die Universität. Mit dem Ausdruck Gymnasium erscheint gegenwärtig vielfach gleich bedeutend der Ausdruck „Lyceum,“ namentlich in den Ländern, welche ganz oder theilweise das französische Berufsbil- dungswesen aufgenommen haben; der wesentliche Unterschied zwischen dem Gymnasial - und Lycealsystem ist jedoch der, daß im ersteren nur, oder doch bei weitem vorwiegend, die gelehrte Bildung geboten wird, an die sich die Elemente der wirthschaftlichen anschließen, während das Lycealsystem die gelehrte und wirthschaftliche Vorbildung als ein Ganzes in zwei Theilen behandelt (das sogenannte Bifurcationssystem; s. Frank- reich). Es ist kein Zweifel, daß Deutschland der Träger des strengen Gym- nasialsystems ist. Wir haben daher seine Bedeutung unten darzustellen. Das „Athenäum“ und die „Coll è ges“ dagegen bedeuten die hohen Schulen, insofern sie als selbständige allgemeine Bildungsanstalten da- stehen, und mithin auf den Eintritt in das praktische Leben ohne be- stimmte Berufsbildung, also auf das Angehören an die geistig gebildete Welt berechnet sind. Sie gehören wesentlich als historische Formationen noch einigen Ländern an, wie England, Belgien und einem Theile der Schweiz, und sind nicht bloß an sich von dem Gymnasium verschieden, sondern bedeuten auch wo sie vorkommen, eine wesentlich andere Auf- fassung des gesammten Vorbildungswesens, wie es sich unten zeigen wird. Deutschlands gelehrtes Schulwesen zeichnet sich nun dadurch aus, daß es beide großen Grundformen der gelehrten Vorbildung bei sich mit voller Bestimmtheit ausgebildet und jeder derselben ihr eigenthüm- liches öffentliches Recht gegeben hat. Deutschland besitzt nämlich in seinem Gymnasialsystem ein speciell für das Vorbildungswesen der Fachbildung (Universität) bestimmtes System von gelehrten Schulan- stalten, während das durch die Athenäen oder Coll è ges ausgedrückte Element in — bis jetzt nur einzeln dastehenden — Privatunter- nehmungen vertreten ist. Das Verhältniß beider zu einander be- ruht dann wieder darauf, daß die letzteren zugleich meist die Fähigkeit haben, auch als Gymnasien für die Universität vorzubereiten. Daß jedoch ihre Stellung von der der Gymnasien im Grunde wesentlich ver- schieden und sie die alten englischen Colleges auf dem Continent sind, wird denselben erst dann recht klar werden, wenn das Wesen der eigent- lichen Gymnasien bestimmt festgestellt ist. Dieß nun kann nur auf historischem Wege geschehen. Allerdings gehört diese geschichtliche Ent- wicklung im Grunde ganz Europa an; allein nirgends wird es so klar wie in Deutschland, in welcher Weise sich das eigentliche Gymnasial- wesen aus der historischen Gestalt der alten hohen Schule zu seiner specifischen Stellung und Aufgabe entwickelt. Wir müssen daher die Elemente dieser Geschichte hier voraussenden. Auf den Unterschied der obigen Formen der gelehrten Schulen hat namentlich Pfaff in einem leider sehr kurzen Aufsatz im deutschen Staatswörterbuch Bd. IV Rücksicht genommen. Er bezeichnet die Ver- hältnisse annähernd richtig, aber es läßt sich das Ganze eben gar nicht anders als auf historischem Wege verstehen. Palmer und Pfaff waren offenbar berufen, in diesem Sinne die ganze Frage zu einer end- gültigen Entscheidung zu bringen. Rümelin, Thaulow und andere stehen dagegen ganz auf dem Standpunkte, den wir als die „Gymnasial- frage“ bezeichnen werden. Wir würden eine viel leichtere Aufgabe haben, wenn wir überhaupt eine Geschichte der hohen Schulen von einem höheren Standpunkte besäßen; denn Meiners hat bei allem Fleiße im Einzelnen dafür nicht einmal rechtes Material gegeben und Raumer sie in dem Be- griff der allgemeinen Culturentwicklung verloren. Vielleicht daß die Ver- waltungslehre dafür den Anstoß zu geben berufen ist; gewiß ist es, daß sie ohne dieselbe das Gymnasialrecht nicht zu beherrschen im Stande sein wird. II. Elemente der Entwicklung des hohen Schulwesens zum Gymnasialwesen der Gegenwart. (Die Gymnasialfragen.) Die Geschichte des hohen Schulwesens muß davon ausgehen, daß die concrete Gestalt und das positive Recht desselben nicht eben bloß auf Zufälligkeiten und örtlichen Verhältnissen und ebenso wenig auf den Ansichten der Einzelnen oder der Willkür der Gesetzgeber beruht. Die hohe Schule als allgemeine germanische Institution hat vielmehr ihre eigene, in ihrer organischen Bestimmung liegende Natur und diese ist es, welche das Recht derselben, wenn auch langsam und in sehr ver- schiedenen Formen, ausgebildet hat. Das Ziel dieser Geschichte ist, wie schon bemerkt, die Ausbildung des specifisch deutschen Gymnasialwesens; den Inhalt derselben bilden die verschiedenen Gestalten, welche diese Geschichte hervorgebracht hat; aber die eigentlich bewegende, den Wechsel dieser Gestaltungen erzeugende Kraft ist jener Unterschied in der großen civilisatorischen Funktion der gelehrten Schule, die wir oben bezeichnet haben und die sich allmählig an dem Verhältniß zur Universität als specifische öffentliche Fachbildungsanstalt herausbildet. In diesem Sinne erscheint die Geschichte des hohen Schulwesens in drei großen Abschnitten; unsere Gegenwart steht im Beginn des letzten; der Charakter jeder dieser Abschnitte ist im Allgemeinen leicht zu bezeichnen, aber im Einzelnen bieten dieselben ein reiches, leider noch viel zu wenig beachtetes Bild, dessen Hauptmerkmale wiederum nicht so sehr in dem didaktischen und pädagogischen Elemente zu suchen sind. Es muß vielmehr festgehalten werden, daß eben diese didaktische Aufgabe der hohen Schulen, ganz gleichgültig dagegen, ob es mit oder ohne Bewußtsein geschieht, bestimmt wird durch die Stellung, welche die hohe Schule im gesammten Bildungssystem einnimmt. Die Ge- schichte der Lehrpläne und ihres Rechts ist der Ausdruck der geschicht- lichen Entwicklung dieser organischen Stellung jenes Bildungssystems, während die Geschichte ihrer Verwaltung durch ihr Verhältniß zur staat- lichen (administrativen) Auffassung des gelehrten Berufsbildungswesens überhaupt bedingt wird. Die erste Epoche dieser Entwicklung des hohen Schulwesens zeigt uns die hohe Schule in der Gestalt, in welcher sie noch eigentlich gar keine Vorbildungsanstalt, sondern die allgemeine höhere Bildungsanstalt überhaupt ist. Man wird diese Epoche wieder in zwei Theile scheiden müssen. Der erste Zeitraum geht bis zur Erfindung der Buchdrucker- kunst. In diesem Zeitraum bestehen die Lehrmittel nur noch in den Manuscripten, welche ihrerseits wieder fast nur in den Klöstern vor- handen sind. An diese schließt sich daher das erste höhere Bildungs- wesen an; der Mönch ist der einzige Gelehrte; seine Vorlesungen sind noch an keine äußere Ordnung gebunden; er hält sie meistens auf Grund- lage eines Manuscripts und bringt dann in die Vorträge hinein, was ihm als nothwendig erscheint. Das sind die alten Scholae, die Kloster- schulen. Die erste Vorbildung, die classische Sprache, ist dabei meist dem Einzelunterricht überlassen. Niemand denkt noch daran, eine solche Bildung als Bedingung einer öffentlichen Berufsthätigkeit anzusehen; es ist ein ganz freier Anfang der noch durch keine Tradition und noch weniger durch ein Gesetz geregelten höhern Bildung überhaupt. Bis zum dreizehnten Jahrhundert stehen diese Scholae noch ganz allein da. Mit dem Auftreten der Universitäten aber nehmen sie allmählig einen andern Charakter an. Da es nur wenig Universitäten gibt, so bleiben sie noch ein paar Jahrhunderte hindurch die eigentliche höhere Bildungs- anstalt; allein für diejenigen, welche die Universitas besuchen wollen, werden sie schon jetzt Vorbildungsa nstalten. An ihnen lernt der künftige Studiosus sein Latein, die Elemente der Rhetorik, Philosophie und Classicität; aber er kann sich auch noch eben so gut zu Hause für die Universitas vorbereiten und ebensowohl kann er von ihnen aus un- mittelbar ins öffentliche Leben übertreten. Es ist ein noch sporadisches, nur örtlich gestaltetes Bildungswesen. Erst dann, als die Classiker durch die Buchdruckerei allgemein werden und als sich an dieselbe eine selb- ständige Literatur und in der letztern eine allgemein gültige, öffentlich rechtliche Scheidung ihrer Gebiete in Theologie, Medicin, Jurisprudenz und Philosophie entwickelt und die Universitäten selbst sich vermehren, wird das Bedürfniß nach hohen Schulen allgemeiner. Der höhere Bürgerstand namentlich fordert sie; die öffentliche Meinung begrüßt sie mit hoher Achtung und allmählig verbreiten sie sich, bald durch die Bürgerschaften, bald durch Stiftungen gegründet, über alle bedeutenderen Städte. Aber noch immer haben sie keinen öffentlich rechtlichen Cha- rakter als Theil und Glied eines allgemeinen Bildungssystems; sie sind in der That Universitäten im Kleinen. Das aber ist es, was ihnen zugleich die Grundlagen ihrer inneren Rechtsordnung gegeben hat, die sie wenigstens nach einer Seite hin bis auf den heutigen Tag behalten. Sie erscheinen nämlich wie diese ihre Vorbilder, als wissenschaftliche Selbstverwaltungskörper, oft mit denselben Namen ihrer Mitglieder ( Rectores, Professores ), oft mit andern ( Gymnasiarcha etc. ); doch stehen sie nicht mit der ständischen Souveränetät der Universitas da, sondern sind meistens den Bischöfen oder den Stadtorganen unter- geordnet. Eben deßhalb ist auch ihr Name verschieden; sie heißen hohe und gelehrte Schulen, Lyceen, Athenäen; alle diese Bezeichnungen be- deuten, daß sie die höhere Vorbildung nur noch und ausschließlich in der classischen Bildung finden. Eine Gleichartigkeit des Lehrplanes gibt es dabei nur so weit, als sie in der Natur der Classicität selber liegt; innere Abtheilungen sind durch die Natur des Bildungsganges ange- deutet; ihre vorbereitende Stellung gegenüber den Universitäten liegt gleichfalls in der Natur der Sache; so sind alle Elemente der öffentlichen Gestaltung vorhanden, aber um die letztere selbst hervorzurufen, muß ein äußeres Moment hinzukommen. Und dieß bringt die neue, mit dem siebzehnten Jahrhundert allmählig sich entwickelnde Stellung der Univer- sitäten, welche die zweite große Epoche des hohen Schulwesens begründet. Sowie nämlich mit dem selbständigen Auftreten der jungen, eigent- lichen, an das Königthum sich anschließenden Staatsverwaltung die Forderung entsteht, daß jeder öffentliche Beruf zugleich eine bestimmte Fachbildung zur Voraussetzung haben müsse, scheiden sich die hohen Schulen mehr und mehr als selbständige Vorbildungsanstalten für die Universität. Die strenge Scheidung der Fachbildung an den letzteren (s. unten) macht es ihnen unmöglich, sich mit der Vorbereitung weiter zu beschäftigen; die Universität fordert jetzt, daß die Vorbildung eine fertige sei, um den Lernenden bei sich zuzulassen und da jetzt die Verwaltung ihrerseits die Fachbildung der Universität für die öffent- liche Berufsthätigkeit voraussetzt, so ergibt sich, daß nunmehr auch das Vorbildungswesen für die Universität, die hohe Schule, den Charakter einer öffentlichen, staatlichen Bildungsanstalt annehmen müsse. Das nun wird für das hohe Schulwesen entscheidend, und jetzt treten diejenigen Erscheinungen auf, welche wir in unserer Zeit als die „Gym- nasialfragen“ zu bezeichnen pflegen. Die erste und nächstliegende Frage ist natürlich die nach dem Ver- waltungsrecht dieser Anstalten. Und hier tritt nun zuerst die staat- liche Verwaltung neben der Selbstverwaltung auf. Der Staat gibt entweder ganz oder zum Theil die Mittel; der Staat nimmt daher auch das Recht in Anspruch, die wirthschaftliche Verwaltung zu leiten. Er besoldet die Lehrer; er gewinnt daher auch das Recht, sie anzustellen und damit die Berechtigung und Verpflichtung, die Lehrbildung der Gymnasiallehrer selbst zu bestimmen; die letzteren werden Staats- beamte . Dagegen bleibt die Lehre und neben ihr die innere Disciplin Sache der hohen Schule selbst; das ist ihr Erbtheil aus der frühern Zeit. Um beide zu ordnen, bilden die Lehrer einen selbständigen Lehr- körper mit dem Recht der Selbstverwaltung in diesen Gebieten. Auf diesen formalen Grundsätzen entwickelt sich die ernstere und innere Ord- nung des neuen Lehrwesens. Die zweite Frage ist die nach dem Gegenstand der Lehre. Hier entscheidet zuerst der historische Gang der allgemeinen Bildung. Europa dankt die letztere den Classikern. Es hat noch selbst nicht die Fähigkeit, etwas Besseres zu liefern, als was die Alten darbieten. Seine Hoch- achtung vor der Classicität ist eine unbedingte. Noch immer ist die lateinische und griechische Bildung mit der allgemeinen Bildung identisch. Es entsteht daher anfänglich die Frage gar nicht, worin eigentlich die Vorbildung für die Universität, der Gegenstand der Lehre an der ge- lehrten Schule zu bestehen habe. Sie muß wesentlich und auf allen Punkten im Griechischen und Lateinischen bestehen; daneben gibt es keine weitere Berechtigung irgend einer Wissenschaft; kaum daß hie und da die ersten Spuren einer Berücksichtigung der Mathematik sich an den Euklid anschließen; denn nicht daß er Mathematiker, sondern daß er ein lateinischer Autor war, hat die Mathematik in den hohen Schulen eingebürgert. Mit dieser Bildungsaufgabe ist denn auch das Element der Klassen gegeben. Sie entstehen von selbst und zwar ist das charakteristische Merkmal ihre Unterscheidung ganz auf Grundlage der historischen Entwicklung nicht der Gegenstand, sondern der Autor , der behandelt wird. Endlich tritt allmählig der Grundsatz ein, daß nur die Absolvirung der gelehrten Schule das Recht zum Besuch der Uni- versität gebe. Damit ist denn die Stellung und die systematische Ord- nung der hohen Schulen fest begründet. Der Begriff und das Recht der Gymnasien scheidet sich von dem der übrigen hohen Schulen; die Gymnasien werden die systematische Vorbildungsanstalt für die Uni- versität und weil diese die gesetzliche Fachbildungsanstalt für den Beruf ist, die gesetzliche Vorbildungsanstalt für den Beruf selbst . Die systematische Stellung der hohen Schulen steht fest; es folgen die gesetzlichen Statuten und allmählig die gesetzlichen Lehrpläne und mit dem achtzehnten Jahrhundert gibt es auf diese Weise ein öffentlich rechtliches Gymnasialwesen . Dieß ist nun der Begriff, auf dessen Grundlage es nicht mehr schwierig ist, sich über die Entstehung und Bedeutung der „Gymnasial- frage“ einig zu werden. Trotz jener Stellung nämlich als Vorbildungsanstalt für die Uni- versität bleibt die hohe Schule und speciell auch das Gymnasium eine allgemeine Bildungsanstalt. Für jede Bildung, die über die Volks- bildung hinausgeht, gibt es noch keine andere Institution. Die hohe Schule muß daher allein mit ihrer höchst strengen, scharf auf die gram- matische Classicität begränzten Lehrordnung allen Anforderungen der wachsenden Bildung genügen. Hier entsteht nun der erste Zweifel, ob sie das vermag. Und dieser Zweifel ist ein wohlbegründeter. Während nämlich einerseits die gelehrte Fachbildung sich immer bestimmter entwickelt, schreitet nicht bloß im Allgemeinen die Wissen- schaft vorwärts, sondern die mächtigen Elemente der staatsbürgerlichen Gesellschaft beginnen fast gleichzeitig sich zu regen. Die freie Selbst- thätigkeit des entstehenden Bürgerthums fordert allmählig auch für das- jenige eine Bildung, was nicht gerade den wissenschaftlichen Fächern angehört. Damit entsteht das Bedürfniß nach einer, nicht mehr an die ausschließliche Classicität gebundenen Bildung und mit ihm das Ver- ständniß derselben. Man will eine praktische Bildung; man beginnt die rein classische zu bekämpfen; man kann nicht mehr bei der classischen Vorbildung stehen bleiben; das gesammte alte, auf der strengen Classi- cität ruhende und selbst gesetzlich anerkannte Bildungswesen wird er- schüttert und die Frage entsteht, wie sich das in seiner Stellung abge- schlossene, festgeordnete Gymnasialwesen zu diesen Anforderungen der allgemeinen bürgerlichen Bildung zu verhalten habe. Diese Frage ist die „Gymnasialfrage.“ Diese Frage hat in der ganzen folgenden Zeit zwar denselben In- halt, aber nicht dieselbe Form gehabt. Es ist von großer Bedeutung, die verschiedenen Epochen derselben zu unterscheiden. Die erste Gestalt der ganzen Frage besteht in der Aufstellung neuer Methoden für die Vorbildung, aber noch innerhalb der bestehenden gelehrten Schulen. Schon das sechzehnte Jahrhundert bringt die noch sehr unklaren Anfänge derselben mit Ratich (1531—1635), Comenius (1592—1623) und andern, die, wie das stets in solchen Fällen ge- schieht, die richtige Gränze überschreiten und die Funktionen des bloßen Verstandes ganz an die Stelle der theoretischen Erarbeitung des wissen- schaftlichen Stoffes setzen. Allerdings wurden diese Bestrebungen von mancher Seite mit großem Beifall begrüßt; allein hier trat nun die von diesen Männern nicht verstandene Forderung der Verwaltung viel bestimmter entgegen, als die theoretische Ansicht über den Werth der Classicität gegenüber dem praktisch-bürgerlichen Bedürfniß. Die Verwaltung mußte nach wie vor wissenschaftlich auf den Universitäten gebildete Fachmänner für die geistigen Berufe fordern; die Universitäts- bildung als Fachbildung aber konnte der strengen Classicität nicht ent- behren; es war daher naturgemäß, daß jene Bestrebungen die classischen Bildungsordnungen der gelehrten Schulen auch nicht zu ändern ver- mochten. Sie kamen daher in den letzteren nicht nur nicht zur Geltung, sondern sie konnten vernünftiger Weise nicht zur Geltung kommen. Es war nach der ganzen Lage des Fach- und Berufsbildungswesens nutzlos, den gelehrten Schulen daraus einen Vorwurf zu machen; in ihnen war kein Raum für jene Richtung; die gelehrten Schulen blieben, was sie waren, die Studienordnungen bestanden fort und es ergab sich daher, daß die praktische Bildung aus den gelehrten Schulen aus- scheiden mußte, wenn sie überhaupt zur Geltung kommen wollte. Damit beginnt nun eine neue Gestalt des gelehrten Vorbildungs- wesens, deren Inhalt der bewußte Gegensatz derselben gegen die in ihren ersten Andeutungen auftretende wirthschaftliche Bildung ist. Der Inhalt derselben ist einerseits allerdings die auch öffentlich recht- liche Erhaltung der classischen Bildung als Gegenstand der Gymnasien, mit einer fast vollständigen Ausschließung der praktischen Vorbildung; er ist andrerseits die noch immer geltende Ansicht, daß die wahre höhere Bildung denn doch nur in den Gymnasien und Universitäten gefunden werden kann; er behält drittens den öffentlich rechtlichen Grundsatz bei, daß die Staatsverwaltung demgemäß auch nur die Gymnasien und keine andern Vorbildungsanstalten aus öffentlichen Mitteln zu errichten verbunden sei; allein endlich entsteht neben dem System der gelehrten Schulen denn doch langsam, aber sicher das System des wirthschaftlichen Vorbildungswesens in den Realschulen . Diese sind noch keine öffent- lichen Anstalten; sie sind noch nicht allgemein; aber sie sind es, welche in ihrer formellen und rechtlichen Selbständigkeit neben den gelehrten Schulen bereits das wirthschaftliche Berufsbildungswesen als zweites Gebiet des letztern hinstellen. Eine neue Gestalt des letztern beginnt mit ihnen; der Einfluß der praktischen Forderungen der großen Grund- lage der staatsbürgerlichen Gesellschaft, die Bildung für den Erwerb und die Anerkennung des Erwerbes als eines ethischen Elementes des Volkslebens, treten in ihnen zuerst mit entschiedener Berechtigung auf; die wissenschaftliche Vorbildung ist nicht mehr die einzige geistige Bil- dung; und dieser allerdings in Umfang und Inhalt noch sehr unsichere, im Princip dagegen schon sehr bestimmte Gegensatz bildet den Charakter des achtzehnten Jahrhunderts. Es ist die erste Form der „Gymnasial- frage“ entschieden als Ausweisung der praktischen Vorbildung aus den Gymnasien und Erhaltung ihrer classischen Aufgabe, durch welche dann die wirthschaftliche Berufsbildung des neunzehnten Jahrhunderts selbständig sich entwickelt. Die fast ausschließliche Beziehung dieses ganzen Gegensatzes auf die lateinische Sprache war nicht, wie der Inhalt des obigen glauben machen möchte, die Hauptsache, sondern nur das Symptom der eigentlichen Gegensätze; denn in der Erlernung dieser Sprache culminirte nur die classische Bildung im Gegensatz zur gewerb- lichen; das Princip der ersteren ging vielmehr weiter und das zeigte nun das neunzehnte Jahrhundert mit seiner gegenwärtigen Gestalt der „Gymnasialfrage.“ Während nämlich in der obigen Weise sich die wirthschaftliche Be- rufsbildung neben die classische stellt, bleibt doch die letztere noch immer die höhere. Unterdeß aber gewinnt das wirthschaftliche Leben immer größere Bedeutung und zugleich fallen mit dem neunzehnten Jahr- hundert die alten ständischen Schranken zwischen den verschiedenen Lebens- berufen. Der Maßstab, den in Folge dessen das öffentliche Bewußt- sein an die Bildung überhaupt legt, wird ein für alle Zweige der- selben gemeinsamer; die wirthschaftlichen Aufgaben treten in die Sphäre des „Berufes“ mit ein und der Ausdruck dieser hochwichtigen Thatsache ist die Forderung, daß die Bildung auf allen Punkten die Fähigkeit enthalten und erzeugen müsse, die jungen Männer für jeden Beruf fähig zu machen, oder, wie man zu sagen pflegte, daß die Bildung überhaupt, also speciell auch Vorbildung, eine „Bildung für das Leben“ und seine Bedürfnisse sein müsse. Nun erschien in der That das bis- herige System der classischen Vorbildung dafür nicht geeignet. Obwohl es als die höchste Vorbildung galt, bot es mit seiner fast ausschließlichen Beschränkung auf das classische Alterthum, doch wie es schien jene Vorbildung „für das Leben“ nicht, welche die Zeit forderte, während andererseits die zu immer größerer Bedeutung herangewachsene Real- bildung wieder unfähig erschien, das abstracte höhere Element der ethischen Bildung zu verleihen. So entstand einerseits aufs neue der Kampf gegen das bisherige Gymnasialwesen als classisches Vorbildungs- wesen; dießmal aber nicht mehr wie im achtzehnten Jahrhundert, um die classische Vorbildung durch die reale wo möglich zu verdrängen und zu ersetzen, da man recht gut einsah, daß dieß unmöglich sei, so lange es noch wissenschaftliche Fachbildung gebe, die am Ende niemand läug- nete; sondern vielmehr in dem Sinne, daß die reale Bildung so weit als möglich in die classische aufgenommen und die zu strenge Scheide- wand zwischen den beiden großen Vorbildungsanstalten damit aufgehoben werden solle. Und diese Verbindung der realen Bildung, der Bil- dung für das Leben mit der classischen Vorbildung innerhalb der Gymnasien ist nun die Gymnasialfrage des gegenwärtigen Jahr- hunderts. Natürlich konnte dieser Streit, da die Gymnasien Staatsanstalten waren und bleiben sollten, nicht bloß ein theoretischer sein, sondern er griff auf das Tiefste auch in das öffentliche Recht der Gymnasien selbst hinein, und die Verwaltung — mit ihr die Verwaltungslehre — muß ihm gegenüber eine bestimmte Stellung einnehmen. Es ist aber um so nothwendiger, die letzte zu bezeichnen, als der Streit selbst der Staats- wissenschaft ganz aus den Händen entglitten und ein rein pädagogischer geworden ist, wodurch er zwar an Tiefe und Gründlichkeit in allem Einzelnen gewonnen, an richtigem Ueberblick des Verhältnisses zum Ganzen aber verloren hat. Der Standpunkt der Verwaltungslehre als Lehre vom Bildungs- wesen ist nun wie es scheint, ein einfacher und klarer. Wenn die lateinische und griechische Sprache als Hauptgegenstand der Gymnasien wirklich nichts anderes wären als Vorbildung für die einzelnen Fächer auf der Universität, so würden sie nicht berechtigt sein, die bildungsfähigste Lebenszeit des Menschen unter dem Namen der classischen Bildung auszufüllen. Die Verwaltung müßte daher von diesem Standpunkt die Classicität auf das äußerste Maß der wirklich nothwendigen Spracherlernung zurückführen. Allein jenes erstere ist eben nicht der Fall. Seit namentlich F. A. Wolf in dem Studium der Classiker die Quelle der höheren geistigen Bildung und Entwicklung überhaupt wieder gefunden hat, seit damit der Begriff und das Ver- ständniß der „humanistischen Bildung“ an die Stelle der „gelehrten“ getreten ist, sind die alten Sprachen das geworden, was sie sein sollen, das Medium, durch welches das classische Leben in dem Leben unsrer Zeit lebendig erhalten, und das Edelste der großen Vergangenheit zu einem integrirenden Theil unsres gegenwärtigen Lebens erhoben wird. Der Unterschied des Gymnasiums des 19. von dem des 18. Jahr- hunderts besteht demnach darin, daß die classischen Sprachen nicht mehr als ein selbständiger Zweck, nicht mehr als das Ziel und der Inhalt der höheren Bildung, sondern nur als das allerdings einzige Mittel derselben erkannt werden . Es ist unmöglich, in diesem Sinne sie durch etwas vollständig zu ersetzen , das nichts als die Vor- übung für einen positiven, wirthschaftlich nützlichen Zweck enthält . Wir müssen das als im tieferen Wesen des geistigen Lebens liegend anerkennen. Wir müssen das um so mehr, als die Erfahrung zeigt, daß mit der höheren Aufgabe die Fähigkeit der Lösung selbst für rein praktische Zwecke wächst und die Befruchtung des jungen Geistes mit höheren Gesichtspunkten auch für das praktische Leben thatsächlich bessere Erfolge mit sich bringt, als die Erlernung von Positivem, die stets ohne große Mühe nachgeholt werden kann. Die Unterordnung der classischen unter die wirthschaftliche Vorbildung würde daneben wieder einen Stand ausschließlich classisch Gebildeter erzeugen, was ein definitiver Rückschritt wäre. Es ist daher keine Frage, daß grundsätzlich die classische Vorbildung auf den Gymnasien die Grundlage bilden muß , und daß die praktischen Vorbildungen auf demselben nur so weit Platz greifen darf, als sie die gründliche classische Vorbildung nicht beeinträchtigt . Die Gränze muß von den Pädagogen gesetzt und von den verwaltungsrechtlichen Studienordnungen zur öffentlichen Geltung erhoben werden. Auf dieser Grundlage ist die Studien- ordnung des wissenschaftlichen Vorbildungswesens festzu- stellen; in demselben aber formell der Uebergang zu den Realschulen stets dem Einzelnen offen zu halten. Man kann nun wohl sagen, daß im Großen und Ganzen mit diesem Ergebniß die zweite Gestalt der Gymnasialfrage abgeschlossen hat. Allein sie selbst ist damit nicht erledigt, und namentlich die Verwaltungs- lehre darf bei ihr nicht stehen bleiben, da sie vor allem berufen ist, die Gymnasien nicht etwa bloß als eine Bildungsanstalt für sich, sondern eben als Glied des Ganzen, als ein bestimmtes Organ des sich selber bildenden Geistes der Gemeinschaft aufzufassen. Indem nämlich durch die möglichste Verbindung der allgemeinen Bildung mit der humanistischen das Gymnasium seine innere Verwandt- schaft mit der Gesittung im ganzen Volksgeiste bethätigt, tritt es zu- gleich aus seiner beschränkten Stellung als rein classische Vorbildungs- anstalt hinaus, und es wird nothwendig, in seinem Lehrplan das Princip des Ueberganges nach unten und oben zum Ausdruck zu bringen. Damit entsteht die Aufgabe, demselben diejenige Erweiterung zu geben, mit der es sich einerseits der höheren Bürgerschule nähert, andererseits den beschränkten Charakter als Vorbereitung speciell für die Universität verliert und wieder eine Stellung als Bildungsanstalt für die allgemeine höhere Bildung derjenigen einnimmt, welche nicht gerade in der Lage sind, die Universität benutzen zu können. Die Gymnasial- frage der neuesten Zeit besteht demnach nicht mehr in der Frage nach dem Verhältniß der Humaniora zu den praktischen Fächern, sondern speciell in der Frage nach dem Verhältniß der Gymnasialbildung zum allgemeinen Bildungssystem. Und diese Frage ist bis jetzt erst nach einer Seite hin entschieden. Diese Seite besteht nämlich in der systematischen Verbindung des Gymnasialwesens mit dem Elementarschulwesen . Das Princip dieser Verbindung ist die Idee der inneren Einheit des gesammten Bildungsganges; der Ausdruck desselben ist die Errichtung der untersten Gymnasialclassen, die sich unmittelbar an die Volksschule anschließen. Darüber ist im Allgemeinen keine Ungewißheit mehr vorhanden. Wohl aber ist die zweite Seite der Sache unentwickelt geblieben. Das ist die Fähigkeit der Gymnasien, eine Bildung zu geben, welche, obwohl auf dem classischen Unterricht und seinen großen Erfolgen beruhend, dennoch in sich selbst und nicht bloß als Vorbereitung für die Universität ihren Abschluß finde. Das deutsche Gymnasialwesen hat in seiner strengen Stellung als gelehrte Vorbildungsanstalt diese Fähigkeit verloren . Wir müssen auf dieselbe zurückkommen. Wir müssen unsere Gymnasien hinstellen als Bildungsanstalt für die allgemeine Bildung, die der Fachbildung an der Universität entbehren kann , wo der Schüler kein Fachmann werden will, die aber von jedem der gebildeten Klasse Ange- hörigen besucht werden muß, und daher neben der Classicität die großen Gebiete der Geschichte, der Philosophie, der Staatswissenschaft und der Naturkunde in ihren allgemeinen Grundzügen selbständig darbietet. Zu dem Ende muß an das Gymnasium eine letzte Classe, eine philosophische, eine Selecta, oder wie man sie sonst nennen will, hinzugefügt werden, welche dieß für die allgemeine Bildung leistet, mit dem bestimmten Zu- satz, daß ihr Besuch für das Eintreten in die Universität nicht er- forderlich, wohl aber mit dem Recht der Abgangsprüfung versehen ist. Wir haben die Elemente für diese Forderung theils in der Geschichte, theils in gewissen Privatanstalten, welche gerade das leisten. Wir haben dafür noch die letzten Reste der alten, allgemeinen Geschichte in den Athenäen und Lyceen, die nur in zeitgemäßer Form neu belebt werden brauchen. Wir haben endlich den Anlaß dazu in der Forderung der Zeit, welche die höchste allgemeine Bildung will, und in der strengen, immer fachgemäßeren Gestalt der Universitäten, welche die Hauptkraft auf die Specialität wirft. Hier liegt daher, wie wir überzeugt sind, die Aufgabe der Zukunft; Deutschlands Gymnasialwesen, das beste der Welt als Vorbildungsanstalt für das Fach muß es wieder werden als Vorbildungsanstalt der allgemeinen Bildung. Wenn nicht alle Zeichen täuschen, so gehen wir jetzt dieser letzten Gestalt der „Gymnasialfrage“ entgegen. Wir können nicht schließen, ohne das Verhältniß der Gymnasial- literatur zu der oben dargelegten Entwicklung zu charakterisiren. Diese Literatur ist in Deutschland eine fast unerschöpfliche; aber sie bezieht sich wesentlich auf die didaktische Seite der Sache und speciell auf die zweite Aufgabe der Gymnasialfrage, das Verhältniß der humanistischen Bildung zur Stellung der Gymnasien. Diese Literatur ist in ziemlicher Vollständigkeit aufgeführt bei Palmer „Gelehrtenschulwesen,“ in Schmid , Encyclopädie, und bei Bauer „Gymnasien“ ebendas. Es läßt sich dabei kaum verkennen, daß alle diese Arbeiten, und so auch die neuesten von Rümelin und Thaulow darum unzureichend sind, weil sie eben nur vom Gymnasium sprechen, ohne die Beurtheilung desselben ein organisches System des gesammten Bildungswesens zum Grunde zu legen. Es fehlt daher durchgehend die Betonung und Untersuchung des Verhältnisses zur allgemeinen Bildung, und die — gerade für diese ausgezeichneten Fachmänner recht schwierige — Erkenntniß, daß Deutsch- lands Gymnasialwesen Gefahr läuft, sich zu pedantisch auf das reine Vorbildungswesen zu beschränken. Der Gedanke, daß der junge selb- ständige Mann sich nicht für ein Fachstudium an der Universität bilde, sondern nur überhaupt die Elemente einer größeren Weltanschauung im Gymnasium ohne eigentliche berufsmäßige Lebensaufgabe gewinne und grundsätzlich mit dem Gymnasium abschließe, ist der deutschen Gymnasialliteratur verloren gegangen. Ihr fehlt daher auch die Ver- gleichung sowohl mit England und seinen Colleges, als mit Holland und der Schweiz und ihren Athenäen, ja sogar vielfach mit den Lyceen Frankreichs; der größere Blick ist nicht ausgebildet; die Gränze ist das deutsche Leben und das ist bei all seinem Reichthum denn doch nicht das Leben der Welt. Speciell aber die Verwaltungslehre darf bei dieser Auffassung um so weniger stehen bleiben, als der historische Gang der großen Gymnasialfrage die Nichtbeachtung einerseits des positiven Rechts der Gymnasien, und andrerseits ihrer Geschichte in dem oben ange- deuteten Sinne erzeugt hat. Wir müssen es als einen direkten Mangel in der Gymnasialliteratur bezeichnen, daß sie mitten in ihrer großen Gründlichkeit die eigentliche Thatsache übersieht, daß die bisherige Ver- waltungslehre, und daß speciell die Rechtsgeschichte von dem Gymnasial- wesen nichts wissen. In den sogenannten Polizeiwissenschaften findet sich allerdings, wie wir auch unsererseits constatiren müssen, gar kein Verständniß für die Sache; in den meisten wird sie nicht einmal mit ihrem Namen erwähnt, und es ist daher ganz natürlich, daß sich selbst die schönen neuen Arbeiten von Schmid einfach darauf be- schränken, das bestehende Recht ohne weitere Entwicklung allgemeiner Gesichtspunkte statistisch anzuführen. Dennoch gibt es wenig Gebiete, in denen die wissenschaftliche Auffassung mit der positiven des Verwal- tungsrechts so eng Hand in Hand gehen sollten. Denn es darf nie verkannt werden, daß die pädagogischen und methodologischen Arbeiten der Schulmänner bei weitem einflußreicher für das Gymnasial- wesen auch in rechtlicher Beziehung sind, als die juristischen. Und zwar zum Ruhme Deutschlands deßhalb, weil die deutschen Regierungen fast ausnahmslos das öffentliche Recht der Gymnasialordnungen nach den Ergebnissen der theoretischen Diskussionen gebildet haben . Es müßte daher nur gewünscht werden, daß die Gymnasialliteratur eben das, was aus ihrer Arbeit direkt oder indirekt hervorgegangen ist, das Recht der Anstalten mehr beachteten. Freilich hat das wieder eine andere große Voraussetzung. Wir sagen, fast merkwürdiger Weise fehlt eine Geschichte der hohen Schulen und zwar in dem Sinne, daß das Verhältniß nicht eben bloß der Lehr- pläne, sondern namentlich der hohen Schulen zu dem öffentlichen Recht und der Verwaltung ohne Berücksichtigung bleibt. Eine solche Geschichte würde allerdings die Geschichte des öffentlichen Bewußtseins über Werth und Inhalt der höheren Bildung in ihrer juristischen, legislativen Form enthalten müssen; sie würde mit den tiefsten Beziehungen des geistigen Lebens zusammenhängen, und könnte gar nicht, weder bloß für Deutsch- land, noch auch bloß für die Gymnasien geschrieben werden. Sie müßte grundsätzlich einen Theil des öffentlichen Rechts der Volksbildung und gewiß die rechtliche Stellung der Universitäten zur Berufsbildung, namentlich auch die Geschichte des Prüfungswesens umfassen. Die Ele- mente dieser neuen Geschichte sind sehr gut bei Palmer a. a. O. ge- geben, jedoch ohne Rücksicht auf das öffentliche Recht; Pfaff im Staats- wörterbuch ist sehr kurz, aber mit richtigem Verständniß. Das ältere Recht entbehrt gänzlich der Bearbeitung. Dennoch hat schon Secken- dorf in seinem deutschen Fürstenstaat Th. II. §. 4 „die dritte Art der Schulen, nämlich ein Gymnasium oder Landesschule“ in ihrer ganzen damaligen Stellung sehr gut bezeichnet (1660). Wir dürfen hier den betreffenden Passus aufführen, da er den Zustand des 17. Jahr- hunderts gut kennzeichnet. Seckendorf unterscheidet die „gemeinen Stadtschulen,“ in denen „die lateinische Sprache nur so weit mit Nutz getrieben wird, daß die Schüler nach Erforderniß der Sprachkunst oder Grammatik etwas füglich zusammen setzen und leichte Lateinische Schrifften verstehen und erklären lernen“ von dem Gymnasium. In diesem werden „die ersten und leichtesten praecepta Rhetorica et Logica, auch wohl Physica und Mathematica, nichtsweniger auch ein kurzer Auszug der Welt- und Kirchengeschichte getrieben. Eine General-Superintendenz aber, oder andere deß Landesherrn Geist- und Weltliche Räthe führen nächst denselben in solchen Gymnasiis die oberste Inspektion, fordern zu dem Ende gewisse Instructiones, und liegt Ihnen ob, die Praecep- tores Gymnasii öfters zu visitiren und Erforschung zu haben, wie sie dem fürgeschriebenen Methodo (!) nachgehen.“ Auch gibt es schon Examina für die „Fortsetzung der Schuljugend von einer Claß zur andern“ und „was dergleichen Punkten mehr sind, welche bei wohlverfaßten Schulen pflegen in Acht genommen zu werden.“ Hier sind also schon alle Ele- mente des eigentlichen öffentlichen Gymnasialwesens angedeutet; es käme nur darauf an, diesen Angaben nachzugehen. Was die Ent- stehung der Gymnasien betrifft, so hatte das 17. Jahrhundert eine sehr reiche Literatur darüber, die sich speciell an die Frage anschloß, ob der Status Imperii das Recht hatten, solche Gymnasia zu errichten. Diese — gänzlich unbenützte Literatur ist wohl vollständig bei Vitriarius III . L. III. T. V. 55. aufgeführt. Hier sind auch die ersten Gymnasien angegeben; 1523 Gymn. Goldbergense in Schlesien, 1538 Gymn. Argentoratense (a senatu Oppidano), 1542 Elbigensis Schola, 1543 Meißen und Merseburg, Pfordta, 1544 Gotha und Lauingen. Die übrigen Scholae des 16. Jahrhunderts mit der be- treffenden Literatur und den Quellen bei Vitriarius Ill. L. III. T. II. 55. (s. auch unten bei den Universitäten). Außerdem Heineccius Dis- sertatio de jure principis circa studia 1738. Dazu Moser (Ver- ordnung der Landeshoheit in Polizeisachen Bd. III. §. 10). Die aus- führlichste, aber systemlose Behandlung bei Meiners , Geschichte der Entstehung der hohen Schulen (Göttingen 1802, 4 Bd.), noch immer das bedeutendste Werk. Die innere Staatsrechtslehre hat, man kann sagen, mehr und mehr die Gymnasialfrage fallen lassen, da sie als reine Verwaltungsmaßregel erschien und der Begriff der Verwaltung und ihres Rechts nicht vorhanden war. Auch das was Berg in seinem Polizeirecht Th. VI. Bd. II. S. 383—627 darüber an einzelnen Gesetzen des vorigen Jahrhunderts sammelt, ist weder irgendwie voll- ständig, noch auch nach einem bestimmten Princip zusammengetragen, während seine eigene Darstellung (der Benützung werth) Bd. II. S. 299 vielfache richtige Momente enthält, ohne doch zu einem systematischen Abschluß zu gelangen. Ihm ist wie seinen Vorgängern das Recht auf Errichtung meist wichtiger als der Lehrplan. Nachher verschwindet das Gebiet ganz. Wie kurz und unbedeutend ist was Klüber (Oeffent- liches Recht §. 499), Zachariä (Deutsches Staats- und Bundesrecht Bd. II. §. 178), selbst der treffliche Aretin (Constitutionelles Staats- recht Bd. II. 1. Abth. §. 5) darüber sagen? Andere wie Gönner, Leist, Maurenbrecher , selbst der sonst so unermüdliche Zöpfl be- rühren die ganze Frage gar nicht, so daß wir bis jetzt nicht bloß das Urtheil, sondern selbst das Material aus den Händen der Pädagogen empfangen. Hier ist also für die neuere Geschichtsforschung noch fast alles zu leisten. III. Die Elemente des Gymnasialwesens der Gegenwart. Das öffentliche Recht der Gymnasien besteht demnach in der Ge- sammtheit derjenigen Bestimmungen, durch welche die Verwaltung die in den Gymnasien zu gebende wissenschaftliche Vorbildung für die Fächer der Universität ordnet. Die Gebiete des Systems dieses Rechts sind naturgemäß die- selben wie beim Volksschulrecht. Die Bestimmungen desselben sind aber im Wesentlichen in allen deutschen Ländern so gleichartig, daß fast nur auf dem Gebiete der Methodologie noch bedeutsame Unterschiede ob- walten. Diese speciellen Bestimmungen müssen daher für jedes Land auf die festen Kategorien des Systems zurückgeführt werden. Diese sind folgende. I. Die Gymnasien oder gelehrte Schulen sind der Regel nach Staatsanstalten . Sie stehen daher unter der Staatsverwaltung. Allein ihr Organismus ist ein von dem der Volksschulen wesentlich verschiedener. Die Verhältnisse desselben theilen sich in zwei Gebiete: dem zur allgemeinen Verwaltung des staatlichen Bildungswesens oder dem Unterrichtsministerium, und dem ihrer inneren Verwaltung. Das Verhältniß zum Ministerium ist in dem allgemeinen Orga- nismus desselben gegeben. Die gelehrten Schulen stehen jedoch fast nirgends direkt unter der höchsten Reichsstelle, sondern zunächst unter der höchsten Landess telle. Das Referat ist einem eigenen Departe- ment übergeben. Die innere Verwaltung dagegen ist nach der Grundlage ihrer Vorbilder, der Universitäten geordnet und beruht auf dem Princip der im Lehrkörper gegebenen Selbstverwaltung für das Lehrwesen . Das Gymnasium tritt dabei nach außen vermöge des Lehrkörpers als ein Ganzes auf und entscheidet seine Lehrangelegenheiten gleichfalls durch denselben. Die Spitze bildet meist der Rektor ; doch wird der- selbe nicht gewählt, sondern von der Regierung ernannt. Die Rechte desselben sind zwar nicht allenthalben gleich, aber doch fast durchgehend formeller Natur. Da endlich die Gymnasien Staatsanstalten sind, so trägt der Staat die Kosten derselben und hat daher auch über die Ausgaben die allein entscheidende Stimme. Der Lehrkörper hat nur Wünsche auszu- sprechen. Die Frage, wie weit neben dem Staate die Landschaften mit beizutragen haben, ist verschieden geordnet. Auf Grundlage dieser seiner Leistungen hat nun der Staat das Gymnasialwesen einer eigenen Gesetzgebung unterworfen, welche die Stein , die Verwaltungslehre. V. 14 obigen, so wie die folgenden Punkte als öffentliches Recht derselben bestimmen. Es versteht sich, daß dieselben wieder ihre Geschichte haben; die neuesten Grundsätze sind dagegen noch nicht allenthalben in diese Gesetzgebungen aufgenommen. II. Die Lehrer sind aus dem obigen Grunde Staatsbeamtete mit festem Gehalte und Pension. Das Schulgeld ist nach dem Muster der Universitäten wohl allenthalben eingeführt, wird aber meistens nach der Zahl der Lehrer vertheilt. Von großer Wichtigkeit ist die Lehrerbildung . Die Grundlage derselben ist meist die Fachbildung der Philologie an den Universitäten; mit richtigem Verständniß haben jedoch die meisten Regierungen den Schwerpunkt in die Lehrer- prüfungen gelegt und diese durch oft sehr genaue Bestimmungen ge- ordnet. Ihre Grundlage ist meistens die Aufstellung eigener Lehrer- seminarien (philologische Seminarien) an den philosophischen Facul- täten mit bestimmter Organisation. Mit großem Recht halten die Re- gierungen allgemein daran fest, daß die wahre Grundlage der Bildung nicht in formalen Anordnungen, sondern in der persönlichen Thätigkeit, in dem intellectuellen und sittlichen Einfluß der Lehrer liege. III. Die Lehrordnung beruht zunächst auf dem streng durch- geführten, systematisch geordneten Classensystem ; mit Aufnahms-, Uebergangs- und Abgang sprüfungen . Hier ist natürlich das eigentliche Gebiet der Gymnasialfragen, auf welchem die Pädagogik sich fast ausschließlich bewegt. Der Streit der Ansichten, der wie oben dargelegt, wesentlich auf dem Werthe der classischen Bildung für das praktische Leben beruht, hat nun aus dem früher einfachen Gymnasium mit seinen naturgemäßen Classenabstufungen ein Schul- system erzeugt, dessen Wesen und Bedeutung darin besteht, einer- seits mit der classischen Vorbildung sogleich an die Elementarbildung anzuschließen , anderseits in einer formell noch unklaren Weise die Elemente der classischen Bildung in das wirthschaftliche Vorbildungs- system so weit aufzunehmen, als der Einzelne es wünscht. Aus diesen beiden Richtungen sind nun die zwei Formen des Gymnasiums hervorgegangen, welche wir die Untergymnasien und die Real- gymnasien nennen und welche für das Verhältniß der classischen Bildung und ihre Auffassung in unserer Gegenwart von hoher Bedeu- tung sind. Die Untergymnasien setzen die vollendete Elementarbildung voraus. Sie unterscheiden sich jedoch von den Bürgerschulen dadurch, daß sie mit ihrer Lehre nicht auf eine abgeschlossene Bildungsstufe be- rechnet, sondern in ihrem Lehr- und Classensystem so eingerichtet sind, daß sie eine Weiterbildung grundsätzlich voraussetzen. Sie sind daher für die ersten Jahre des wirklichen Lernens bestimmt und ihr Lehr- princip ist es, den Elementaru nterricht, namentlich der alten Sprachen zu geben, in dem Sinne und Umfang, daß das, was sie hier bieten, werthlos bleibt, wenn nicht irgend eine andere Weiter- bildung stattfindet. Während daher der Eintritt in die Bürgerschule die Absicht voraussetzt, mit derselben abzuschließen, hat der Eintritt in das Untergymnasium nur dann einen Sinn, wenn der Uebergang in eine der beiden folgenden Stufen beabsichtigt wird. Dadurch sind sie ein selbständiges Bildungsorgan. Freilich ist es dabei der Sache nach gleichgültig, ob diese Unter- gymnasien auch formell und räumlich von den Obergymnasien getrennt sind oder nur als die unteren Classen des Gymnasiums überhaupt erscheinen, das in diesem Falle für seine unterste Classe mit dem neunten Jahre anfängt und mit seiner obersten bei dem Abgang für die Universität aufhört; denn jene untersten Classen haben hier in allen wohl eingerichteten Gymnasien genau die Funktion der Untergymnasien. Die Gränze liegt dabei im Objekt. Das Obergymnasium — oder die höhere Classengruppe — beginnt da, wo der Schüler von der Gram- matik zum Lesen eines Classikers übergeht, womit dann wieder der griechische Elementarunterricht verbunden wird. So greifen diese Studien in einander und erst jetzt ist das Wesen der Realgymnasien klar zu bestimmen. Von den Untergymnasien kann nämlich die weitere Vorbildung entweder zur eigentlich classischen, oder zur wirthschaftlichen über- gehen. Aus dem Bedürfniß nun, die letztere des höheren classischen Elementes nicht entbehren zu lassen, ist nun der Versuch hervorge- gangen, Anstalten zu errichten, in welchen die wirthschaftliche Vorbildung allerdings die Hauptsache ist, jedoch die classische auf Grundlage der in dem Untergymnasium erworbenen lateinischen Elementarbildung speciell für das Lateinische so weit zu führen, daß die römische Classi- cität gewonnen wird, während die griechische Elementarbildung des Obergymnasiums wegfällt und an ihre Stelle die wissenschaftlich-reale Vorbildung tritt. Eine solche Anstalt, welche so in eigenthümlicher Weise die Realbildung mit der classischen verbindet und in der römischen Classicität den inneren Uebergang zur classischen Bildung überhaupt festhält, ist das sogenannte Realgymnasium . Obwohl nur noch in einzelnen Beispielen vorkommend, hat es dennoch eine große Zukunft. Bei der Unfertigkeit des Bildungsprocesses dieser Organisation hat es nun einen entschiedenen Werth, sich diese Verhältnisse in ein festes Schema zu bringen. Dasselbe ist folgendes, mit systematischer Beziehung auf die Elementarbildung. IV. Neben den Staatsanstalten bestehen nun Privatl ehran- stalten. Das Princip für dieselben ist, daß sie das Recht der Gym- nasien, speciell also das Recht durch ihre Prüfungen die Reife zum Uebergange an die Universität zu constatiren, nur unter den gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen in Beziehung namentlich auf das Lehrer- wesen und das Lehr- und Classensystem erfüllen. Keinenfalls kann die Entwicklung solcher Privatgymnasien als etwas wünschenswerthes be- zeichnet werden, da sie entweder einen Mangel im öffentlichen System der wissenschaftlichen Vorbildung anzeigen, oder zu einem ebenso be- denklichen Mangel an Strenge der Bildung hinneigen. Im Allgemeinen ist ein großer Unterschied in der Entwicklung des öffentlichen Rechts und der Organisation des Gymnasialwesens zwischen Nord- und Süddeutschland unverkennbar. Jenes hat den Charakter der Staatsanstalten und der staatlichen Leitung schon fast mit Anfang dieses Jahrhunderts ausgeprägt; dieses hat das Gymnasialwesen erst zum Theil seit 1830 und entschiedener seit 1848 aus seiner ständischen, unfreien und vielfach ganz äußerlichen Begränzung auf classische Grammatik zum humanistischen Geiste erhoben. Es ist höchst merk- würdig, wie Oesterreich , bis 1848 mit der unfreiesten seit 1848 sich zur freiesten Gymnasialordnung erhoben und in jener Gesetzgebung sich neben die andern Staaten gestellt hat. Leider fehlen uns ge- nügende Zusammenstellungen; die betreffenden Artikel in Schmid sind in Beziehung auf das öffentliche Recht sehr ungleichmäßig gearbeitet und dennoch für manches die bisher einzige Quelle. Oesterreich . Der Unterschied von öffentlichen und Privatgym- nasien gesetzlich anerkannt, jedoch Grundsatz des Bestehens einer Prüfung an einem öffentlichen Gymnasium, um staatsgültige Zeugnisse zu er- werben ( Organisation vom 15. September 1849, §. 8). — Organi- sation: Landesschulbehörde, Ministerium. Das Patronat ist gänzlich beseitigt. Inneres : Direktor und Lehrerconferenz, sämmtliche ordent- liche und Hülfslehrer. Hauptgesetz: Organisation der Gymnasien (und Realschulen) in Oesterreich, publicirt 15. September 1849, nebst einigen neueren Anordnungen ( Stubenrauch II. §. 394). Lehrer sind ordent- liche und Hülfslehrer. Das Lehre rbildungswesen durch Ministerial- Erlaß vom 24. Juli 1856 streng geordnet: Maturitätsprüfung, drei- jähriger Cursus an der Universität; Lehramtsprüfung; darauf noch ein Probejahr als Hülfslehrer (specielle Darstellung bei Stubenrauch I. §. 55). — Gymnasien sind vollständig in acht Klassen, je vier das Unter- und Obergymnasium; ersteres kann mit einer Realschule ver- bunden sein (Verhältniß des Realgymnasiums nicht klar). Lehrplan vorgeschrieben. Aufnahms-, Versetzungs- und Abgangsprüfungssystem ( Stubenrauch II. 395—398). Die vollständigste und gründlichste Darstellung des österreichischen Gymnasialwesens ist die von Ficker bei Schmid V. S. 355—476. Die Geschichte hauptsächlich nach Hochegger , österreichische Gymnasien, (Oesterreichische Revue 1863. Bd. I. ) Charakteristisch ist dabei die Stellung der philosophischen Studien vor und nach 1848. (Alte Ordnung vom 12. Juli 1805; neuer Lehrplan vom 10. Juli 1819. Aeltere Versuche und Bestrebungen bis 1849.) Preußen . Hier ist noch keine Einheit und kein einheitliches Gesetz, weil viele Gymnasien noch auf alten Stiftungen beruhen und die Rechtsverhältnisse von Körperschaften haben. Rönne , Unterrichts- wesen II. 73. 74. Dessen Staatsrecht II. §. 449. Note 9). Das Gymnasialrecht erscheint daher bei aller Uebereinstimmung in der Hauptsache doch als ein provinzielles; nur in einzelnen Punkten ist auch die formelle Einheit hergestellt. Daher zwar Aufsicht der Provinzialschulcollegien, allein daneben noch vielfach die Patrone der ständischen Epoche. Die Schulordnungen daher noch örtlich , nach dem noch geltenden Princip des Allgemeinen Landrechts II. 12. 55 ( Rönne , Staatsrecht I. §. 203. II. 241). Rechte der Patrone jedoch wesentlich nur bei Besetzung der Lehrerstellen ( Rönne II. 448 u. 449). Lehrerbildung an den Universitäten; der Schwerpunkt auch hier im Prüfungsw esen dasselbe. Genau bei Rönne , Unterrichtswesen II. 22—64. Grundlage das Edikt vom 12. Juli 1810; genauer ausge- führt im Rescript vom 20. April 1831 und Rescript vom 29. September 1838. Probejahr : Rescript vom 27. November 1858. Charakterisirt bei Lübker , „Gelehrtenschulwesen“ (Schmid, Encykl. II. 679). Rönne , Staatsrecht II. §. 293. Anerkennung als Commentator ( Rönne ebend. I. §. 203). Die Lehrerverhältnisse in Preußen sind sehr gut charakterisirt von Palmer „Gelehrtenschulen“ bei Schmid a. a. O. S. 678 f. nebst Literatur. Ueber das Klassensystem Thilo ebend. I. 787. Bayern . Kurze Geschichte von Klemm bei Schmid I. 445. — Erster eigentlich staatlicher, allgemeiner Schulplan im Allg. Normativ von 1808; vier Klassen. Darauf seit 1820 heftige Schwankungen; es ist der Proceß des Losreißens des Gymnasialwesens von den noch immer nicht überwundenen Elementen der alten Klosterschulen, unter denen es so lange gelitten; Schul- und Studienordnungen von 1824; Aufgabe der Gymnasien: „das gesteigerte grammatische und humanistische Stu- dium“ (Formationsverordnung vom 17. December 1825). Erst 1829 der Standpunkt klar ausgesprochen: „die dem Studium sich widmende Jugend für die Universität geistig zu stärken und gründlich vorzubereiten,“ dabei viel Unfertigkeit und experimentirendes Schwanken; s. die Re- daktionsbemerkung bei Klemms Aufsatz S. 457. 458 und Ingrelio , über den Zustand der gelehrten Schulen 1841. Die Schulordnung vom 13. März 1830 durch die revidirte Schulordnung vom 24. Febr. 1854 aufgehoben; die nothwendige Einheit jedoch nicht gewonnen. Das Schulsystem enthält den Unterschied der „lateinischen“ Schule, die den Untergymnasien entsprechen, jedoch noch großentheils als sog. „isolirte“ Schulen weder das, noch Realgymnasien sind, sondern den Charakter von Bürgerschulen haben; mit Abgangsprüfungen ( Pözl , Verwaltungsrecht §. 191). Die „Gymnasien,“ vier Klassen, sind die Obergymnasien, Staatsanstalten, mit humanistischer Aufgabe, ministerielle Anstellung der Lehrer, Lehrerconferenz der „Gymnasialprofessoren“ und dem Rector; doch sollen die Gymnasien wesentlich auch „durch fortge- setzte Unterweisung im Christenthum durch Uebung und Zucht die christ- liche Bildung fördern“ ( Pözl §. 192). Lehramtscandidaten werden geprüft; hier scheint die Vorbildung mangelhaft. Die Kreisregierungen haben nur die Oberaufsicht. — Neben diesen Gymnasien bestehen noch „Alumnate“ aus der ständischen Zeit, priesterliche Gymnasien mit eigener Verwaltung, die mit der Schulordnung nur nicht „in Widerspruch stehen dürfen“ (Schulordnung §. 99. Concordat und Vollzugsverord- nungen vom 8. April 1852) und außerdem noch „Lyceen“ mit zwei- jährigem Cursus für „philosophische“ Disciplinen als Vorbereitung für die Universität, die entweder nothwendig sind und dann den Gymnasien allgemein eingeordnet werden, oder überflüssig und dann aufgehoben werden müßten; ganz unorganisch ist die Bestimmung, daß ihre „Vor- lesungen“ dann der Universitäten gleich geachtet werden müßten (vgl. Pözl , Verwaltungsrecht §. 194. 195). Thiersch wichtige Thätigkeit dabei. Seine Schrift: Ueber gelehrte Schulen, mit besonderer Rücksicht auf Bayern. Privatschulen: unter Genehmigung und Oberaufsicht; gleichfalls unbestimmt ( Roth , das Gymnasialschulwesen in Bayern zwischen 1824 und 1843). So gehört das bayrische wissenschaftliche Vorbildungswesen zu dem unfertigsten in Deutschland. Baden . Auch hier ist die Klarheit über das Verhältniß zwischen der staatlichen und ständischen Leitung der wissenschaftlichen Vorbildung noch nicht ganz entschieden. Das Jahr 1834 brachte einen wesentlichen Fort- schritt in der Verordnung über das Gelehrtenschulwesen vom 31. Dec. 1836 und 18. Februar 1837. Grundlage ist noch die confessionelle Be- stimmtheit, ein im übrigen Deutschland lang überwundener Standpunkt. Organisation: Oberstudienrath, zum Theil Oberkirchenrath; Bestimmung der Lehrbücher noch nach der Bestätigung der letzteren. Die Lehrer sind nur zum Theil Staatsdiener; philologische Seminare an den Univer- sitäten, jedoch bisher noch ohne Prüfungssystem; Anstellung trotzdem vom Staate. Eine bestimmte Organisation in Unter- und Obergymnasien findet nicht statt; statt dessen allerlei Combinationen. Die Gymnasien (Lyceen) haben acht Klassen ( Dr. Holtzmann bei Schmid I. 400—412). Indessen ist man auch hier im Fortschritt begriffen, zunächst in dem wichtigsten Punkte, der Lehrerbildung. Die Verordnung vom 5. Jan. 1867 hat ein vollständiges Bildungs- und Prüfungssystem für alle Lehrer an den gelehrten und höheren Bürgerschulen eingeführt, nebst den philologischen und päda- gogischen Seminarien; die Prüfungen sind in obligatorische und facultative getheilt; das System derselben erscheint als ein sehr beachtenswerthes. Hannover . Ein trefflicher Artikel von Geffert bei Schmid III. 263—319 mit schöner historischer Einleitung; die einzige uns bekannte geschichtliche Behandlung des Gymnasialwesens (vgl. dazu über die neueste Entwicklung Kohlrausch , das höhere Schulwesen des Königreichs Han- nover seit ihrer Organisation im Jahr 1830. Hannover 1850). Grund- lage der neuen Gestaltung (Verordnung vom 11. September 1829), wo- durch die Gymnasien definitiv als Vorbildungsanstalten für die Uni- versitäten aufgestellt werden; Schwerpunkt die Maturitätsprüfungen. Errichtung des Oberschulcollegiums (Patent vom 2. Juli 1830); Gründung des Seminars 1842, mit Statuten vom 27. Febr. 1846, nebst zwei wichtigen Circulären über die Lehrerbildung vom 10. und 11. December 1840. Bemerkenswerth die Organisation der Schul- collegien , in welchen die Organe der Gemeinde, der Kirche und des Staats Lehrerconferenzen bilden. Die gelehrten Schulen sind selbst theils königliche (10), theils städtische (16), theils Stiftungsschulen (2). Vor- stand der Rector (Director). System in Gymnasien und Progymnasien; doch ist das Verhältniß zur wirthschaftlichen Vorbildung noch nicht recht klar, da die letztere ihrem Wesen nach Realgymnasien, ihrer Form nach Untergymnasien sind (vgl. Geffert S. 293). Braunschweig . Unbedeutende Angaben von J. H. C. Schmid in Schmids Encyklopädie I. S. 746. Kurhessen . Einzelne Monographien über die einzelnen gelehrten Schulen bei Bezzenberger in Schmid , Encyklopädie v. Kurhessen S. 499. Die neue Organisation ist von 1833—1835; Dienstanweisung für die Lehrer der kurhessischen Gymnasien 1849 und Regulative für Abhaltung von Lehrerconferenzen 1849. Ein allgemeines Gesetz besteht nicht . Doch sind die Gymnasien Staatsanstalten, mit je sechs Klassen; stehen unmittelbar unter dem Minister des Innern. Ein festes Prü- fungssystem scheint zu fehlen. Ueber die Lehrordnung auch noch in neuester Zeit viel Streit, mit spezieller Beziehung auf den Versuch, statt selbständige Realgymnasien zu errichten, vielmehr Realfächer in die Gymnasien hineinzubringen, was zur Ueberlastung der letzteren führte. Literatur dieses Streits bei Bezzenberger a. a. O. S. 506 bis 507. Hessen-Darmstadt . Die Gymnasien sind Staatsanstalten. Ein- theilung in acht Klassen. Griechisch erst von VI. an. Akademische Bil- dung der Lehrer; spezielle Prüfung derselben und ein Probejahr. Lehrer sind Staatsdiener. Anstellung vom Großherzog. Abgangszeugnisse für die Universität ( Strack bei Schmid Encykl. v. Hessen-Darmstadt. Nebst Literatur des dortigen Gymnasialwesens III. 518—526). Sachsen . Verordnung vom 21. März 1835, die Verhältnisse der Behörden für die städtischen Gymnasien betreffend. Grundsatz: „daß alle wichtigeren Angelegenheiten der Gymnasien der gemeinsamen Be- rathung und Beschlußnahme der Lehrercollegii unterliegen.“ Monatliche Versammlung. Zweite Instanz: Schulcommission: aus dem Geistlichen, einem Stadtrath und einem Gemeindeglied, mit Oberauf- sichtsrecht über Lehrer und Schüler und wesentlich auch der ökonomischen Verhältnisse der Schule. Halbjährliche Prüfungen und Maturitäts- prüfung (classische Schriftsteller). Ueber die Gymnasialprüfungen ist das Mandat vom 4. Juli 1829 erlassen, nebst Regulativ von 1831. Oberste Behörde: Ministerium des Cultus. — Wir glauben hieran einen Blick auf Holland anschließen zu sollen, da die Gymnasialverhältnisse dieses Landes dadurch so interessant sind, daß sie uns den Kampf zwischen dem deutschen und französischen System und den definitiven Sieg des ersteren über das letztere zeigen, zugleich aber in hohem Grade wichtig sind für die Beurtheilung der gegenwärtigen Gymnasialfrage. In Holland stand das ganze gelehrte Berufsbildungswesen bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts für die Vorbildung auf dem englischen, für die Fachbildung (Universitäten) auf dem deutschen Standpunkt. Das hohe Schulwesen theilte sich in Latei- nische und Athenäen; die ersteren waren Vorbildungsanstalten für die letzteren, die letzteren aber hatten neben ihrer Vorbildung für die Uni- versität zugleich die allgemeine Bildung zur Aufgabe, jedoch wie noch jetzt in England mit wesentlicher Beschränkung auf die classische Bil- dung. Mit der Eroberung Hollands durch die Franzosen wurde nun das französische System, wenn auch nicht für die Fachbildung, so doch für die Vorbildung eingeführt, trotz der Abneigung der Bevölkerung. Kaum war nun die französische Herrschaft gestürzt, so griff das hollän- dische Volk sofort wieder auf die germanische Grundform seines Bil- dungswesens zurück. „Die gesetzlichen Bestimmungen, unter denen die höhere Bildung in unserem Vaterland litt, so lange der Kaiser der Franzosen das Land beherrschte, konnten unter der Regierung unseres Königs nicht lange geduldet werden. Ein neues Gesetz für den höheren Unterricht mit dem Geiste unserer niederländischen Volksthümlichkeit ( land aard ), dessen Ueberlieferungen ( gehedstheid ) und alten Gewohn- heiten übereinstimmend, schien nothwendig und wird in den nördlichen Provinzen am 2. August 1815 ins Werk gesetzt“ (Vorrede zur Samm- lung der Gesetze und Verordnungen über den höheren Unterricht, mehr- fach aufgelegt seit 1834). Die Auffassung ist in diesem Gesetz vom 2. August 1815, das gegenwärtig in voller Kraft besteht, höchst be- zeichnend. Art. 1 lautet: „Unter dem Namen des höheren Unterrichts ( hooger onderwijs ) wird derjenige Unterricht verstanden, der zum Zweck hat, den Schüler nach Ablauf des niederen und mittleren Unterrichts zu einem gelehrten Stand in der Gesellschaft vorzubereiten.“ Die gelehrte Vorbildung selbst zerfällt in zwei große Abtheilungen, die lateinischen Schulen und die Athenäen. Wir müssen dieß hier besonders hervorheben, weil unsres Wissens nirgends der Charakter der Athe- näen gegenüber den Gymnasien so deutlich ausgesprochen ist als in Holland; denn die lateinischen Schulen sind nicht Untergymnasien, sondern wahre Gymnasien, indem der Abgang von ihnen zum unmittel- baren Eintritt in die Universität befähigt (Art. 148 u. 149). Der Lehr- plan der lateinischen Schulen ist durch ein eigenes, übrigens viel zu engherziges Reglement vom 20. April 1816 festgestellt, welches sogar die Lehr- und Lesebücher gesetzlich vorschreibt. Die Athenäen dagegen (11 Hauptst.) werden in so klarer Weise in ihrer ganzen Stellung bezeichnet, daß wir uns zur näheren Erklärung unserer oben ausge- sprochenen Ansicht nicht versagen können, die gesetzliche Bestimmung hier wörtlich wiederzugeben. Die Aufgabe der Athenäen ist nach Art. 36: 1) „so viel als möglich die allgemeine Verbreitung von Geschmack und geistiger Bildung ( beschauing geleerdheid ); 2) die wenigstens theilweise Vertretung der hohen Schulen und des akademischen Unter- richts für diejenigen jungen Leute, welche durch die Umstände verhindert werden, die Zeit, die für eine akademische Laufbahn noth- wendig ist, an einer der Universitäten zuzubringen.“ Das Charakteristische dabei ist, daß in diesen Athenäen Vorlesungen über alle Fächer der Universität gehalten werden. Das ausführliche Lehrreglement ist vom 18. Juli 1816 (Deventer). Die Städte selbst tragen die Kosten der Athenäen und haben daher die Verwaltung derselben; nur wo der Staat die Gehalte zahlt ( Harderwijk and Franeker ), setzt er die Pro- fessoren ein. Der Uebergang von den Athenäen an die Universitäten ist zugelassen (Art. 47). Der Mangel dieser Einrichtung besteht nun nicht in den Athenäen, sondern offenbar darin, daß dieselben hier noch wie in früherer Zeit in Deutschland, bis zu einem gewissen Grade das Recht auf Ausübung der Berufsthätigkeit geben. Das ist allerdings zu vermeiden und Deutschland hat volles Recht, dafür nur seine Universitäten anzuerkennen. — In Belgien ist das Vorbildungswesen durch das Gesetz vom 1. Juni 1850 geordnet, in welchem das obige holländische System nach französischem Muster umgestaltet ist; hier existiren die Athenées royaux als höheres Gymnasium und die Écoles moyennes inférieures. Jene sind halb Staats- und halb Gemeindeanstalten und haben das französische Bifurcationssystem aufgenommen ( de Fooz , Droit adm. belge. T. IV. T. 2. p. 331 sq.; s. aber besonders Belgien von Le Roy in Schmids Encyklopädie). Die belgische Gränze ist daher auch hier die Gränze zwischen dem germanischen und romanischen Princip. B. Das gelehrte Fachbildungssystem . (Das Universitätswesen.) Das deutsche wissenschaftliche Fachbildungswesen für die speziellen geistigen Lebensberufe besteht in seinen Universitäten. Dasselbe hat einen so klaren, ausgeprägten Charakter, daß selbst die Einzelheiten nur in unbedeutendem Grade verschieden sind. Es ist gar kein Zweifel, daß es in allen Punkten die höchste Organisation der Fachbildung dar- bietet. Es ist die freieste edelste Verbindung des ständischen mit dem staatsbürgerlichen Element, welche die Geschichte kennt, und dadurch nicht bloß die Grundlage der wissenschaftlichen Entwicklung, sondern auch der tüchtigen Verwaltung. Es ist, wenn man ins Einzelne ein- geht, ein unendlich reiches, wenn man bei dem Ganzen stehen bleibt, ein unendlich einfaches Gebiet. Wir dürfen das erstere als bekannt voraussetzen; es wird für die Verwaltungslehre hier kaum noch vieles fraglich sein. Eine Darstellung des Universitätswesens in Deutschland in seinen einzelnen Theilen, Beziehungen und Aufgaben könnte nur bei einer Bearbeitung Werth haben, welche einen Umfang hätte, der in keiner allgemeinen Verwaltungslehre überhaupt Raum finden würde. Dagegen glauben wir allerdings, daß das Universitätswesen als Gan- zes nicht als eine abgeschlossene Frage zu betrachten, und daß es die Verwaltungslehre ist, welche berufen erscheint, diese Seite der Sache theils anzuregen, theils zum Abschluß zu bringen. In der That nämlich stehen die Universitäten in ihrer gegenwär- tigen Stellung namentlich in Deutschland, eben so wie die hohen Schulen, in einem doppelten Verhältniß, dessen beide Seiten auch hier wohl ge- schieden werden müssen, um das Universitätswesen und die sich daran knüpfenden Fragen zu beantworten. Die Universitäten sind nämlich einerseits die Vertreter der höchsten Wissenschaft und mithin der höchsten geistigen Bildung an sich, ganz abgesehen von der praktischen Brauch- barkeit derselben; anderseits sind sie derjenige Organismus, vermöge dessen die Verwaltung die höchste Ausbildung für die speciellen geistigen Berufe darbietet. Die Forderungen, welche aus dem ersten dieser Mo- mente hervorgehen, beziehen sich daher auf die reine Wissenschaft, und erzeugen die freien geistigen Funktionen derselben. Die Forderungen dagegen, welche durch das zweite gesetzt werden, sind durch die Ver- waltung bedingt, und schließen sich an die Natur derjenigen Funk- tionen, welche die letztere im weitesten Sinne zu vollziehen hat. Immer aber und so auch hier, gehen nun die geltenden rechtlichen Bestimmun- gen aus solchen Forderungen hervor, die das Leben mit seinem geisti- gen oder staatlichen Inhalt an seine Organe stellt. Die Natur der Universitäten bringt es daher mit sich, daß sich vermöge jener Doppel- aufgabe beständig zwei große Rechtssysteme in demselben kreuzen, be- gegnen und bestimmen; die Gestalt des öffentlichen Rechts derselben drückt stets das Verhältniß dieser beiden Elemente zu einander in irgend einem gegebenen Zeitpunkt aus; der positive Charakter des Universitäts- wesens hängt seinerseits davon ab, und die Geschichte des letzteren ist daher im Großen und Ganzen als das Ergebniß der Stellung anzu- sehen, welche die Verwaltung zu der berufbildenden Funktion der Universität in den verschiedenen Zeiten eingenommen hat. In diesem Sinne nun hat jede Epoche ihre „Universitätsfrage“; die Ver- waltungslehre aber muß ihrerseits gerade das, was wir als Univer- sitätsfrage bezeichnen, als ihre specifische Aufgabe betrachten. Indem wir nun wie gesagt die allgemeine Bekanntschaft mit der Organisation und der Thätigkeit der Universitäten voraussetzen, können wir jene Aufgabe der Verwaltungslehre, und damit den Standpunkt der Beurtheilung des positiven Universitätswesens am klarsten formu- liren, indem wir dasjenige bezeichnen, was jenen beiden Elementen ihren faßbarsten Ausdruck gibt, und daher in seiner Wechselwirkung auch die Grundlage des positiven Universitätsrechts gibt. Die an sich freie wissenschaftliche Funktion der Universitäten ist nämlich gegeben in dem großen historischen Princip der Selbstverwaltung des Lehrwesens. Das Verhältniß zum Staat und seinem Berufsbildungswesen dagegen erscheint in den gesetzlichen Studienordnungen. Die Oberaufsicht des Staats über die Universitäten ist wiederum nicht speciell durch das Wesen der letztern, sondern durch den Begriff des Selbstverwaltungs- körpers überhaupt gesetzt, eben so wie die Pflicht des Staats die Uni- versitäten zu erhalten, nicht aus ihm allein, sondern aus dem Begriff des Bildungswesens überhaupt folgt. Der Kern der Universitätsfrage liegt daher für dieselben speciell in jenem, den Universitäten als orga- nischem Gliede des ganzen Bildungswesens eigenthümlichen Gegensatz. Ihn zu finden ist aber nicht Sache der Methodologie, welche durch das reine Wesen der Wissenschaft, sondern Sache der Verwaltungslehre, welche durch die Bedürfnisse und den Entwicklungsgang des öffentlichen Lebens bestimmt wird. Von diesem Standpunkt aus scheidet sich nun die Geschichte des Universitätswesens in gewisse große Perioden, bei deren Darstellung und Charakterisirung wir natürlich die ganze bisherige Auffassung voraus- setzen dürfen. Vielleicht daß das beste Kriterium des Werthes der letzteren gerade darin liegt, die sonst fast endlose Entwicklungsgeschichte der deutschen Universitäten auf ihren einfachsten Grund leichtverständlich zurückzuführen. Die erste große Epoche des öffentlich rechtlichen Universitätswesens beruht darauf, daß die Universität noch gar nichts anders ist, als ein durchaus selbständiger, ständischer Körper für die ständische Berufs- bildung. Sie macht in dieser ersten Periode noch gar nicht den An- spruch darauf, daß ihre Bildung die rechtliche Bedingung für die öffent- liche Ausübung des Berufes sein solle. Sie läßt den Geistlichen, den Richter, den Arzt, den Lehrer und Gelehrten sich bilden wie er will; sie nimmt jeden auf; sie fragt nicht, ob das was sie ihm in ihrer Lehre bietet, für ihn praktisch zu gebrauchen ist oder nicht; sie schließt nieman- den aus von irgend einem Theile ihrer Lehre; sie prüft niemanden als wer sich selbst prüfen lassen will; sie schreibt sich selber vor worüber sie zu prüfen hat; ihre Grade sind nicht das Recht einen Beruf auszu- üben, sondern nur das Recht zu sagen, daß man eine Fachbildung durchgemacht hat. Sie ist daher auch in ihrer Verwaltung souverain. Sie hat ihr eigenes Haupt, ihr eigenes Vermögen, ihre eigene Gerichts- barkeit; kurz sie ist im vollsten Sinne des Wortes ein ständischer Kör- per. Die Verwaltung des Staats hat mit ihr noch gar nichts zu thun; wollte sie aber auch in sie hineingreifen, sie vermöchte es nicht, denn in dieser ersten Epoche ist sie selbst noch gar nicht genug entwickelt, um mehr als die abstrakte Vorstellung von dem Werthe und der Funktion der Universität zu haben. Beide große Faktoren der künftigen Staats- bildung stehen noch ganz getrennt. Das gesammte öffentliche Recht der Universität ist das der ständischen Selbstverwaltung . Den Uebergang von dieser ersten Periode zur zweiten bildet das Auftreten der selbständigen Entwicklung der eigentlichen Verwaltung, die sich allenthalben an das Königthum anschließt. Wir können diese Zeit ungefähr ins sechzehnte Jahrhundert setzen. Die Buchdruckerkunst hat bereits die Werke der alten Classiker und der jungen Gelehrten all- gemein gemacht; die Zahl der Universitäten ist vermehrt; auch dem Minderbemittelten ist es möglich sie zu besuchen; die Zahl der wissen- schaftlich Gebildeten steigt mit jedem Jahre; die neue Verwaltung, ihrer- seits vielfach in heftigem Gegensatz zu der Unwirthschaft der grundherr- lichen Verwaltung, sieht sich mehr und mehr um nach Männern, die eine selbständige Bildung haben; sie fängt allmählig an, dieselbe als Bedingung für gewisse Berufsthätigkeiten zu fordern; die Funktion der Universitäten wird als eine der großen Voraussetzungen des Sieges der neuen Staatsgewalt über das ständische Wesen erkannt; in allen Theilen der Verwaltung sitzen bereits Beamtete, die ihre Universitätslaufbahn durchgemacht; der Richter muß das römische Recht, der Arzt die wissen- schaftliche Medicin, der Lehrer die Philosophie, selbst der Geistliche muß die Theologie methodisch kennen. So kann denn nun auch die Univer- sität nicht länger in ihrer starren Abgeschiedenheit von dem Fortschritte der übrigen Welt bleiben. Was sie wissenschaftlich leistet, ist hier nicht die Frage; aber es ist ihr Verhältniß zur Verwaltung, es ist ihr öffent- liches Recht, das durch jene Bewegung erfaßt wird. Indem der Staat die wissenschaftliche Bildung fordert, muß er die Mittel derselben her- stellen; indem er die Mittel hergibt, gewinnt er ein Recht auf Theil- nahme an der Thätigkeit jener Organe; so zieht er allmählig aber un- widerstehlich die altständische Universität in das junge System seines Bildungswesens hinein; sie wird fast unwillkürlich ein Glied desselben; sie muß, wollend oder nicht, allmählig ihre wissenschaftlichen Funktionen nach den Forderungen richten, welche der Staat an den künftigen Be- amteten stellt; sie muß daran denken, den Prüfungen zu genügen, um derentwillen der Student die Vorlesung besucht; es bildet sich ein tra- ditioneller Lehrplan aus; derselbe erweitert sich allmählig mit dem wach- senden Bedürfniß, und wird in sich immer abgeschlossener und fester mit der wachsenden Gleichartigkeit des Amtswesens; und so entsteht einer- seits der Grundsatz, daß die Universitätsglieder Staatsbeamtete sind, und anderseits wird die unabweisbare Nothwendigkeit der Harmonie zwischen der Lehre und den Prüfungen in gesetzlichen Studien- ordnungen ausgesprochen. So hat sich jetzt die neue Stellung der Universitäten gebildet. In dieser ist das Princip der Selbstverwaltung nicht aufgehoben, aber es ist durch den gesetzlichen Studienplan be- schränkt, und zwar deßhalb, weil diese Studienordnung als die Be- stimmung desjenigen erscheint, was das öffentliche Leben als Minimum der Bildung für einen öffentlichen Beruf fordert . Die Ver- waltungslehre muß ausdrücklich betonen, daß dieß der Sinn der ge- setzlichen Studienpläne ist, und daß darauf ihr Recht beruht, die freie Bewegung der Wissenschaft in feste Gestalt zu bringen. Sie sind es, welche das Verhalten der speciellen Universitätsbildung zum Bildungs- wesen überhaupt formuliren; ihr Inhalt geht nicht von der Wissenschaft als solche, sondern von den Forderungen der Verwaltung aus; sie sind die wichtigsten Verwaltungsmaßregeln für das höhere geistige Leben des Volkes geworden. Das nun, was wir hier bezeichnet haben, bildet im Großen und Ganzen den Gang des öffentlichen Rechts der Universitäten während des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Am Ende desselben und im neunzehnten ist die große historische Universitätsfrage entschieden. Die Universitäten sind jetzt Staatsanstalten des Berufsbildungs- wesens , empfangen ihre spezielle Lehraufgabe vom Staate, werden von ihm erhalten, stehen unter dem allgemein bürgerlichen Recht, und es bleibt ihnen aus der ständischen Epoche nichts als die Selbstverwal- tung der Lehre innerhalb der gesetzlichen Gränze. Das ist der Zu- stand in dem wir uns befinden. Indem wir nun dabei ganz von dem fachwissenschaftlichen Inhalt dieser Stellung absehen, müssen wir es versuchen, dieselbe auf diejeni- gen Punkte zurückzuführen, in denen sich dieses Princip des öffentlichen Rechts der Universität als Charakter des deutschen Universitätswesens der Gegenwart zu einem System formulirt. Dieses System des Uni- versitätsrechts ist einfach, so wie man es an die oben angelegten Punkte anschließt. In der That hat nämlich der Staat, indem er die Universitäten zu Staatsanstalten machte, das Wesen derselben bei seinem Eingreifen in ihre Selbstverwaltung mit vollem Bewußtsein festgehalten und einer- seits das Verhältniß derselben zur allgemeinen, anderseits zur Fachbil- dung zum Ausdruck gebracht. Die beiden leitenden Grundsätze für das dadurch entstandene Universitätsrecht, an welches sich dann die Univer- sitätsformen der Gegenwart anschließen, sind folgende. Zuerst hat die Staatsverwaltung das im Wesen der Universität liegende Princip gesetzlich durchgeführt, daß die allgemeine Bildung einen gesetzlich anerkannten Theil der Fachbildung ausmachen soll. Die Anerkennung dieses Princips erscheint in der Bestimmung, daß für jedes Fach die Theilnahme an Vorlesungen über Geschichte und Philo- sophie vorgeschrieben sind. Die weitere Ausführung desselben ist in der Zusammenstellung der obligaten Vorlesungen, beziehungsweise der Prü- fungsgegenstände jedes einzelnen Faches enthalten. Das Streben, die allgemeine Bildung in der Universitätsbildung festzuhalten und dadurch außer dem Zweck der Fachwissenschaft auch die Idee der Wissenschaft an sich zu verwirklichen, das Aufrechthalten des ursprünglichen Wesens der Universitas literarum gehört Deutschland an, und bildet eine der großen Grundlagen der Stellung der Universitäten überhaupt. In diesem Punkte muß der eigentliche, specifische Charakter der deutschen Uni- versität gesucht werden; der Grundsatz, daß jede Universität aus der Verbindung aller Fakultäten bestehen müsse, ist in der That nur eine äußerliche Form und Bedingung desselben Princips, welches die Ge- schichte und Philosophie zu integrirenden Theilen der Fachwissenschaft gemacht hat. Es wäre eine der wichtigsten culturhistorischen Aufgaben der Geschichte der Universitäten, nachzuweisen, wie sich das Princip der Theilnahme der Fachbildung an der philosophischen Fakultät und ihren Vorlesungen bei den einzelnen Universitäten gestaltet hat, wie es im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert damit gehalten wurde, und wie weit dieser Grundsatz in die obligaten Studienplane aufgenommen ist. Es ist eine andere Frage, ob und in welcher Weise namentlich die Philosophie Schuld trägt an ihrer Entfremdung von den praktischen Wissenschaften; wir haben diese Frage hier nicht zu untersuchen. Wohl aber dürfen wir die Thatsache constatiren, daß der Geist der deutschen Universitäten sich eben durch Philosophie und Geschichte als Gemeingut aller Fakultätsbildung die volle Empfänglichkeit für die höchste allge- meine Bildung erhalten hat, und wir haben alles Recht, das an und für sich nicht bloß als einen wahren Schatz unseres höheren Lebens an- zusehen, sondern auch mit allen Mitteln dahin zu trachten, daß dieß Streben gefördert und damit der Verflachung der wissenschaftlichen Auf- fassung vorgebeugt werde! Der zweite Moment des Universitätslebens, die specielle Fachbil- dung, ist nun daneben von den Verwaltungen gleichfalls, und im Grunde mit noch mehr Nachdruck gefördert worden. Den Ausdruck dafür bildet das das ganze Universitätswesen durchziehende Princip der Speciali- sirung der Fächer, und der Aufstellung von Specialanstalten für einzelne Berufszweige. Es wäre eine zweite Aufgabe der Geschichte der Universitäten, das Entstehen und die Entwicklung dieser Specialfächer und Anstalten genauer zu verfolgen und nachzuweisen, wie sie meistens im Anfange als freie Collegien auftraten, bis sie allmählig zu festen Bestandtheilen der Lehre wurden; wie anderseits sich durch Sammlungen und Nebenanstalten (Bibliotheken, botanische Gärten, Kliniken u. s. w.) selbständige Zweige herausbilden, und wie endlich die Verwaltung durch eigene Prüfungen diese speciellen Richtungen sanktionirt. Freilich be- steht hierin wohl der größte Unterschied unter den deutschen Universi- täten, und hier liegt auch die Entscheidung über die Frage der Anlage von Universitäten in großen Städten. Die Grundlage und das Streben ist jedoch allen gleich, und die Verschmelzung gerade dieser Specialbil- dungen mit den allgemeinen macht aus den deutschen Universitäten das was sie sind und sein sollen. Allein gerade dies letztere Element hat nun wieder eine, unserer Epoche specifisch angehörige Frage hervorgerufen. Die formelle Auf- nahme der Universitäten in das gesammte Bildungswesen des Staats hat die specielle Berufsbildung für jedes einzelne Fach nicht länger als eine freie Aufgabe eines Einzelnen, sondern als eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts erscheinen lassen. Daraus hat die Verwaltung die Berechtigung abgeleitet, den Bildungsgang des Einzelnen gesetzlich vor- zuschreiben. So ist dasjenige entstanden, was wir den gesetzlichen Studienplan, und die in ihm entsprechenden obligaten Collegien oder Pflichtvorlesungen nennen. Gegen dieß Princip der Pflichtvor- lesungen hat sich nun ein heftiger Kampf erhoben. Ihnen gegenüber wird der Grundsatz aufgestellt, daß die Bildung, und vor allem die höhere Bildung frei sein, das heißt in Umfang und Inhalt von der freien Selbstbestimmung des Studirenden und nicht von formalen Vor- schriften abhängig sein solle. Diesen Grundsatz bezeichnete man als den der Lernfreiheit . Pflichtvorlesungen und Lernfreiheit gehören dem- nach nicht dem Begriff der Wissenschaft, sondern dem der Verwaltung an; die Ordnung derselben ist eine Sache des öffentlichen Rechts, und es ist daher die Verwaltungslehre, welche über diese Frage zu ent- scheiden hat. Für diese Entscheidung nun muß man den historischen von dem administrativen Standpunkt unterscheiden. Der gesetzliche Studienplan nämlich ist zunächst ein Ausfluß der polizeilichen Epoche überhaupt, welche die Wohlfahrt durch Regierungsmaßregeln, und nur durch sie, erzwingen wollte. In ihrem Sinne war auch die Universität nichts als eine staatliche Bildungsanstalt, und der gesetzliche Studienplan setzte an die Stelle der freien individuellen Entwicklung des Geistes die obrigkeitliche Bevormundung selbst auf dem Punkte, wo sie dem Wesen der Sache nach am unmöglichsten erschien, in dem höchsten geistigen Bildungsproceß der Universitätslehre. Es war natürlich, daß mit unserem Jahrhundert das Princip der Freiheit des Staatsbürgerthums sich auch dagegen empörte; die Lernfreiheit war der Ausdruck der allge- meinen Bewegung der Geister innerhalb des Gebietes des Universitäts- studiums und schien daher mit ihr stehen und fallen zu müssen. Das ist ihre historische Stellung; sie ist ein Theil des großen Kampfes gegen die polizeiliche Bevormundung des Geistes, und in diesem Sinne eine natürliche, vollberechtigte Erscheinung unseres Jahrhunderts. Allein wie alle diese Bewegungen war sie naturgemäß nur negativ. Sie übersah das zweite Element in jener gesetzlichen Ordnung. Sie vergaß, daß der gesetzliche Studienplan zugleich die Aufgabe hatte, durch seine Vorschriften ein Minimum der organischen Fachbildung im öffentlichen Interesse zu sichern. Sie sah zwar sehr deutlich, auf welchen Punkten diese gesetzliche Ordnung nichts nützten und geradezu schadeten; sie sah aber nicht, wo und wie sie daneben zugleich heilsam wirkte. Sie begnügte sich mit der an sich richtigen Ueberzeugung, daß die Verwaltung die Bildung durch keine gesetzlichen Vorschriften er- zwingen könne, und mit der abstrakten Hoffnung, daß die Macht des Geistes an sich stark genug sein werde, um die jungen Männer zur Wissenschaft auch ohne alle Vorschrift zu sich heran zu ziehen. Sie ließ aber die Frage unerörtert was zu geschehen habe, wenn dieß nicht der Fall wäre. Sie entsprach daher dem Geiste der Zeit und seinem leben- digen Aufschwung; aber sie entsprach nicht dem richtigen, durch keine glanzvolle Anschauung geblendeten praktischen Bedürfniß der Fachmänner. Sie vermochte daher auch nicht, durch ihre viel zu allgemeine Tendenz das Gegebene zu ändern. Bis zu unserer Zeit blieben trotz derselben die gesetzlichen Studienpläne bestehen, und neben ihnen stand unver- mittelt ihr Gegensatz in der abstrakten Forderung der Lernfreiheit. Dieß scheint die gegenwärtige Sachlage. In unserer Zeit nun ist es wohl kein Zweifel, daß wir diese Lern- freiheit nicht mehr im Namen der allgemeinen staatsbürgerlichen Frei- heit, wie zur Zeit Schleiermachers zu fordern haben. Die Verwaltungs- lehre erkennt das Princip der Lernfreiheit unbedingt an. Aber sie muß im Namen des öffentlichen Interesses die Frage aufstellen, ob diese unbedingte Lernfreiheit im Stande ist, die Gewähr für dasjenige Maß der Berufsbildung zu bieten, ohne welches die Berufsfunktionen den Anforderungen unserer Zeit nicht genügen. Ist das nicht der Fall, so muß auch hier die Verwaltung fordern, daß die individuelle Freiheit sich dem Gesammtinteresse unterordne, und somit die Begränzung des- selben zu einem Theile des öffentlichen Bildungsrechts mache. Offenbar nun wäre jene Gewähr bei unbedingter Lernfreiheit nur da denkbar, wo das System der Prüfungen ausreichte, jenes Minimum Stein , die Verwaltungslehre. V. 15 der Berufsbildung in jedem Falle zu garantiren. Da nun dieß nicht der Fall ist, so folgt, daß eine gewisse gesetzliche Studienordnung als ein nicht füglich zu entbehrendes Element des Fachbildungsrechts angesehen werden muß. Allein diese Bestimmung des individuellen Lehrganges muß auf dem Grundsatze beruhen, daß sie nur dasjenige gesetzlich vorschreibt, was die Natur des Bildungsganges als selbstver- ständlich fordert, so daß die Nichtbeachtung desselben an und für sich schon als eine Gefährdung einer tüchtigen Bildung angesehen werden muß. Innerhalb dieser Gränzen darf sie nicht die freie Wahl ersetzen. Sie soll daher das geringste Maaß der Pflichtcollegien fordern, die Ord- nung und Reihenfolge derselben aber dem individuellen Ermessen über- lassen. Ihr Werth kann vernünftiger Weise nicht dadurch bestritten werden, daß man sagt, die Uebung oder der gesunde Verstand werde jenes Maß von Collegienbesuch auch ohne Gesetz herstellen, oder da- durch, daß die Ausführung der gesetzlichen Vorschrift im einzelnen Falle doch nicht erzwungen werden kann. Denn der erste Grund würde jede verwaltungsrechtliche Bestimmung überflüssig machen, da am Ende jede nur das fordern soll, was der Verständige auch ohne sie thut oder unterläßt, und das zweite hat sie mit gar vielen andern öffentlichen Vorschriften gemein. Gewiß ist nur das, daß zu ausgedehnte gesetz- liche Studienpläne, wie sie namentlich bei den technischen Anstalten in neuerer Zeit eingeführt sind, den geistigen Bildungsgang zu einem mechanischen zu machen drohen, während das völlige Aufheben jeder Verpflichtung zum Besuche von Vorlesungen gleichbedeutend mit der Aufhebung der Verpflichtung zum Besuche der Universität überhaupt ist, und zu einem Vorwande entweder für Trägheit oder für eine ganz unsystematische und willkürliche Berufsbildung wird. Die große Un- klarheit in der Vorstellung von der Lernfreiheit besteht nämlich darin, die Freiheit allgemeiner Bildung auf die Bildung für den Beruf anwenden zu wollen, und den zu Bildenden als einen fertigen Mann anzusehen, während der zu strenge Studienplan den angehenden Mann noch als einen reinen Schüler behandelt. So ist hier die Hauptsache das richtige Maß in den Bestimmungen über den Studienplan, und das muß für jeden Beruf besonders bestimmt werden. Eine gänzliche Beseitigung ist undenkbar; welches Vertrauen würde man zu einer ärzt- lichen Bildung haben, in der die Verwaltung gesetzlich den Besuch der Klinik, oder zu einer Lehrerbildung, in der dieselbe die Theilnahme an den Seminarien ganz in das Ermessen des Einzelnen stellt? Kommt doch selbst England in neuester Zeit zur Ueberzeugung, daß seine ab- solute Lernfreiheit ein nicht haltbarer Standpunkt ist. Wohl aber muß es vollkommen freistehen, die Universität auch ohne formell absolvirte Vorbildung zu besuchen und ohne alle Beschränkung Collegien zu hören oder nicht zu hören, wo der Betreffende nicht den Anspruch macht später in einen öffentlichen Beruf einzutreten. Die Verwaltung hat nur da die Pflicht und damit auch das Recht zur Aufstellung eines gesetzlichen Studienplanes und eines öffentlichen Prüfungssystems, wo große öffent- liche Interessen der Thätigkeit des Einzelnen vom Publikum übergeben werden müssen; das Recht zur gesetzlichen Anordnung eines Studien- planes aber beruht genau auf denselben Gründen, wie das der Prü- fungen, und der Kampf gegen den erstern, soweit er nicht gegen eine unverkennbare geistige Bevormundung in demselben geht, ist wesentlich als eine historische Thatsache zu erkennen. Dagegen hat der eben bezeichnete Gang der Dinge, die strenge Organisirung der speziellen Fachbildung an den Universitäten, in neue- ster Zeit eine zweite Universitätsfrage nahe gelegt, die hier aber wegen ihrer innigen Beziehung zur Verwaltungslehre nicht übergangen werden kann. Dieselbe beruht auf der scharfen Trennung der Universitätsbil- dung vom praktischen Berufe, aus der zum Theil eine Mißachtung der ersteren hervorgegangen ist. Die innere Geschichte der Universitäten zeigt uns schon im vorigen Jahrhundert das Entstehen des Bewußt- seins, daß die tüchtige Ausübung des Berufes neben der theoretischen auch eine praktische Fachbildung fordere; die Entwicklung der Special- bildung an den Universitäten geht daher Hand in Hand mit dem Be- streben, solche praktische Fachbildungseinrichtungen an die theoretischen anzuschließen. Dieß nun ist bisher nur in einzelnen Fakultäten gelun- gen. In der medicinischen ist die Klinik sogar ein integrirender Theil der theoretischen Bildung geworden; in der philologischen sehen wir die philologischen, in der theologischen die theologischen Seminarien entstehen; nur in der juristischen ist die deutsche Universität bisher nicht fähig gewesen, etwas Aehnliches bei sich auszubilden. Die praktische Vorbildung ist hier von der Universität getrennt, und zwar sowohl für die Rechtsverwaltung als für die übrigen Staatsbeamten. Das zeigt sich namentlich in dem nicht bloß der Universität, sondern meist auch der Wissenschaft entfremdeten Dienstprüfungssystem, das dem Berufs- prüfungssystem selbständig folgt und sich meist auf reine Spezialia, ohne tiefere wissenschaftliche Beziehungen, beschränkt. Das ist ein großer Mangel. Aber er liegt nicht in der Praxis, sondern er liegt in der Theorie. Es fehlt geradezu an den Universitäten die praktische Rich- tung der Rechts- und noch mehr der Staatswissenschaften; namentlich ist eine solche bei den letzteren ohne eine systematische Special- bildung der Verwaltungslehre nicht zu denken. Die Universi- täten werden erst dann für das öffentliche Leben ihre wahre Stellung wieder gewinnen, wenn die einzelnen Gebiete der Verwaltung als selbständige Doctrinen sich an die allgemeine Bildung des öffentlichen Rechts an den Universitäten anschließen und das Bewußtsein der Ein- heit in ihrer Form, der Besonderheit und der praktischen Aufgabe in ihrem Inhalt enthalten. Das nun ist ein Gebiet, welches eine beson- dere Darstellung bedarf; hier möge es genügen auf diesen Punkt hin- gewiesen zu haben. Das öffentliche Fachbildungsrecht der deutschen Universität läßt sich daher nunmehr wohl in folgenden Punkten zusammenfassen. Das Princip der höchsten allgemeinen Bildung in ihrer Verbindung mit der höchsten Fachbildung ist durch zwei Rechtssätze ausgedrückt. Zuerst dadurch, daß die Universität die systematische Einheit aller Facul- täten unter Selbstverwaltung und Freiheit ihrer geistigen Arbeit sein soll. Zweitens dadurch, daß zu jeder vollendeten Fachbildung die Theilnahme an der geschichtlichen und philosophischen Specialbildung, durch Studienplan und Prüfung constatirt, gehören soll. Das Princip der höchsten Fachbildung ist ausgedrückt durch Spe- cialisirung der Fächer, verwirklicht durch specielle Fachprofessoren und anderseits durch die Erhaltung des Bewußtseins der inneren Einheit der Einzelfächer in der äußeren Einheit der Facultäten und ihrer speciellen Selbstverwaltung. Das Princip der praktischen Fachbildung empfängt seinen Ausdruck durch das System von Kliniken, Seminarien und Specialcollegien der einzelnen Facultäten. Auf diese Elemente ist die Vergleichung der einzelnen Universitäten und ihrer inneren und äußeren Organisation zurückzuführen — eine Arbeit, deren die Literatur bisher entbehrt. Trotz der hohen Wichtigkeit, welche das deutsche Universitätswesen für das ganze Volk hat, und trotz des sehr lebendigen Bewußtseins von derselben ist die Literatur über das Universitätswesen geradezu die dürftigste im gesammten Gebiete des Bildungswesens. Das liegt zum Theil daran, daß die Gemeinschaft des geistigen Lebens und die Gleichartigkeit ihrer inneren und äußeren Organisation nur auf dem Wesen der Sache selbst beruht und niemals, selbst nicht in dem streng centralisirten Preußen eine gemeinsame Gesetzgebung empfangen hat. Das deutsche Universitätswesen ist zwar innerlich Eins, aber äußerlich er- scheint es als eine Gesammtheit von lauter beinahe gänzlich selbstän- digen Berufsbildungskörpern. Daß das Recht desselben ein hochwichtiger Theil des Verwaltungsrechts des Bildungswesens sei und als solches nur in seinem organischen Zusammenhange mit dem aller übrigen Bildungsanstalten und Stufen betrachtet werden müsse, ist zwar nie be- stritten, aber auch nie ausgesprochen. Es gibt daher bis jetzt weder eine gründliche systematische Behandlung des Universitätswesens in Beziehung auf sein Recht, noch in Beziehung auf seine Geschichte. Es wird daher gestattet sein, ohne auf Einzelnes einzugehen, im Allgemeinen den Gang der Literatur über das Universitätswesen hier zu charakterisiren. Man wird in dieser Beziehung zwei große Epochen zu unterscheiden haben, von denen die erste bis zum Anfang unsres Jahrhunderts reicht, während wir uns jetzt in der zweiten, noch nicht vollständig entwickelten befinden. Wenn die Frage gründlicher behandelt wäre, so würden wir dabei namentlich im Stande sein, den Charakter und Inhalt des 18. Jahrhunderts als der Uebergangsepoche von der ersten zur zweiten mit Hinweisung auf bestimmte Verwaltungsmaßregeln viel bestimmter zu formuliren, als uns das jetzt noch möglich ist. — In der ersten Epoche nun beschäftigt sich die Literatur des Universitätswesens mit zwei Fragen. Zuerst mit der nach dem Recht , Universitäten zu gründen. Darüber besteht bereits im 16. Jahrhundert und mehr noch im 17. eine vollständige Literatur. Diese Frage nach dem „Jus Academias erigendi“ umfaßte zugleich die Gymnasia und Scholas, und bildete einen der Punkte, auf welchen sich die Ansprüche einerseits der Kirche und andrerseits des Kaiserthums gegenüber der sich rasch entwickelnden Territorialhoheit begegnen. Es ist dabei höchst bezeichnend, daß man sich über den eigentlichen Unterschied zwischen Universitas, Schola und Colle- gien keineswegs ganz einig war. Rechtlich faßte man sie alle zusammen unter dem Ausdruck Academia. Der Gang dieses Streites war folgen- der. Ursprünglich war man ziemlich darüber einig, daß ohne Unter- schied nur der Kaiser das Recht habe, Academias erigendi, indem die anfängliche juristische Literatur das Recht als ein kaiserliches Regal be- trachtete; vergl. Boierus de Regalibus, Cap. 2 §. 121; Limnaeus Jus Publ. L. VIII; vergl. die vollständige Literatur bei Pfeffinger , Vitr. III. III. II. 55, obwohl Vitriarius selbst noch der strengeren Meinung ist. Mit der Mitte des 16. Jahrhunderts scheint jedoch schon praktisch der Unterschied sich festzustellen, daß die Territorialherrn das Recht auf Er- richtung von Scholis und Academiis besitzen, so weit dieselben keine aca- demischen Würden ertheilen, während die eigentlichen Universitäten mit der „potestas omne genus honorum Academicorum per totum Imperium conferendi“ nur unter Bestätigung des Kaisers er- richtet werden dürfen. S. die Distinction von Pfeffinger a. a. O.; ebenso bei Seckendorf Teutscher Fürstenstaat (1660) Th. II. S. 227. (Stiftung und kaiserliche Begnadigung); dieser Grundsatz bleibt bestehen bis zum Untergang des deutschen Reiches; allein im 18. Jahrhundert nimmt er eine etwas andere Gestalt an. Die Landesherren nahmen jetzt das Recht in Anspruch, auch „Universitates seu Academias“ zu gründen; jedoch „honoris autem academici uti citra auctorita- tem caesariam impertiri omnino nequeunt.“ Pütter , Jus publ. L. VIII. §. 359 und L. VI. 236. (Vergl. die Literatur in Pütter , Literatur des deutschen Staatsrechts I. 55. III. 589, zu dem aber Pfeffingers Angaben hinzugefügt werden müssen. Auf diesem deutschen Standpunkt steht noch Gönner , deutsches Staatsrecht 1805 Th. I. §. 372. Erst damit war im Grunde die formale Unterscheidung der Universität und der höheren Formen der Akademie festgestellt und das Princip ausge- sprochen, daß die akademischen Grade für das ganze Reich Gültigkeit haben, was noch heute gilt, und eine der Grundlagen des formellen deutschen Universitätsrechts ist. Daß mit der Bundesakte das Be- stätigungsrecht wegfällt, versteht sich zwar von selbst; allein der Ge- danke, daß das Universitätswesen dennoch keine territoriale, sondern eine gemeinsame deutsche Angelegenheit sei, lebt fort. Die Universi- täten, obwohl ganz unter der selbständigen Leitung der einzelnen Staaten, bleiben ebenso Gegenstand des deutschen Staats- und Bundes- rechts; daß sie zugleich im Territorial-Staatsrecht erscheinen, ist natür- lich ( Maurenbrecher B. V. II. §. 184). Der Bund seinerseits hat sich übrigens um das öffentliche Universitätsleben nur polizeilich ge- kümmert; die beiden Bundesbeschlüsse vom 20. Sept. 1819 und vom 13. Nov. 1834 erscheinen als Fortsetzung der Reichspolizei der Univer- sitäten (Reichsgutachten vom 14. Juni 1793 vergl. Zöpfl , deutsches Staatsrecht Bd. II. §. 464). Neben dieser Entwicklung des öffentlichen Rechts der Universitäten als ständischer Corporation geht nun eine zweite einher, welche ihre innere Verwaltung und speciell ihre Lehr- ordnung betrifft. Hier ist der gegenwärtige Charakter bereits im 17. Jahrhundert sehr klar ausgebildet; der Uebergang von der Epoche der vollkommen selbstherrlichen ständischen Körper zu der der Staatsan- stalt ist nicht bloß angedeutet, sondern zum Theil vollständig ausge- prägt. Seckendorf : „In einer jede Facultät sind etliche Doctores und Professores geordnet, dieselben haben gewisse Ordnung unter sich auff- gerichtet, und von der landesfürstlichen Herrschaft bestettigen lassen , was ein jeder der studirenden Jugend lesen und fürtragen — soll.“ Der Rector wird schon damals „von dem Landes-Fürsten bestetigt.“ Das Princip der gesetzlichen Vorbildung durch die „nidern Schulen und Gymnasii“ ist ausgesprochen „wie denn an etzlichen Orten (?) mit Nutz verordnet, daß keiner mit Gunst und Willen, oder Vertröstung künfftiger Förderung auß den Schulen dahin gelassen wird, biß er, wie jetzt gemeldt, in Examinibus bestanden.“ Teutscher Fürsten- Staat Bd. II. Cap. 14. 7.) Damit nun war der Weg betreten, auf welchem die Universitäten Staatsanstalten wurden und die volle amt- liche Härte der polizeilichen Grundsätze auf sie angewendet ward. Natürlich begann aber eben dadurch zugleich der Kampf gegen die Bevor- mundung; bei den Studirenden durch eine immer wachsende Ver- wilderung des Studentenwesens, in der Wissenschaft aber als das erste Auftreten der Universitätsfrage. Schon Justi konnte geradezu die Frage aufwerfen: „Ob Universitäten nothwendig sind“; seine Antwort lautet halb zweifelhaft bejahend, aber mit dem eigenthümlichen Zusatz: „Eine der hauptsächlichsten Ursachen ist, um einen großen Geld-Aus- fluß aus dem Lande zu verhintern“ Bd. IX. 37. Hauptst. §. 88 ff. Seine Kritik der deutschen Universitäten (§. 90) ist jedoch wesentlich gegen die Ungebundenheit, ja Roheit der damaligen Studenten ge- richtet; er hält das englische Universitätsleben, als dessen Nachahmung er das Coll. Theresianum in Wien und das Coll. Carolinum in Braun- schwerg bezeichnet, für viel vorzüglicher. In seinem Schmerze über die Verwilderung der Studenten geht ihm die Idee der Universitäten ganz verloren. Auf einem ganz andern, aber eben so niedern Standpunkt steht ein Mann, von dem man eine solche Auffassung am wenigsten hätte erwarten sollen. Das ist Adam Smith . Trotz seiner geist- reichen Auffassung des gesammten Bildungswesens ist ihm doch das Verständniß dessen, was eine deutsche Universität ist und sein kann, nicht geworden. Ihm sind die Universitäten nur Unterrichtsanstalten, deren Werth nach den allgemeinen Principien des gewerblichen Lebens gemessen werden muß. Auch vermag er nicht über die schlechte Univer- sitätswirthschaft Englands wegzusehen. Das erste Kapitel des fünften Buches gehört dem Bildungswesen. Er sagt: „In England sind die öffentlichen Schulen viel weniger verderbt, als die Universitäten.“ Allein in der Beurtheilung des Lehrwesens der Universitäten fällt er ganz in den Standpunkt der gewerblichen Freiheit. Er ist der erste, der sich ausdrücklich gegen jedes Zwangscollegium ausspricht. „Eine gewisse Anzahl von Studirenden zwingen , irgend eine bestimmte Universität oder Vorlesung zu hören, heißt die Professoren von der Verpflichtung freisprechen, Verdienst oder Ruhm zu erwerben.“ Die akademischen Grade sind ihm „Privilegien.“ „Es ist unmöglich, daß die festen Einkünfte der hohen Schulen nicht wenigstens dem Eifer der Lehrer schmeicheln sollten, sich Mühe zu geben;“ und „der größte Theil von demjenigen, was man in den Schulen und Universitäten lehrt, erscheint nicht sehr geeignet, diejenigen Leute für den Stand vorzubereiten, den sie ergreifen werden.“ Ja Adam Smith erklärt sich sogar gegen die Reisen der jungen Leute, „auf denen sie ihre guten Sitten verlieren.“ Eine unverkennbare Abneigung gegen die classische Bildung spricht aus seiner ganzen Darstellung; Deutschland kennt er übrigens nicht. Als sein Werk nach Deutschland kam, machte es einen großen Eindruck: „Die meisten dieser Vorwürfe sind gegründet,“ sagt darüber Jacob (Polizeiwissenschaft Th. II. §. 153). Allein den Ge- danken einer Aufhebung der Universitäten faßte denn doch niemand. Im Gegentheil trat mit den napoleonischen Kriegen eine Bewegung ein, in welcher der ächt deutsche Geist auch auf den Universitäten zum Siege gelangte. Die Studentschaften wurden durch den Ernst der Zeit auf das Tiefste ergriffen; sie begannen die große Arbeit, sich durch eigene Kraft zu reformiren; sie fingen an, jede geistige und physische Ver- wilderung offen zu brandmarken, und aus dem tief sittlichen Bewußt- sein, daß das Vaterland und die Freiheit in ihnen die wahre Stütze ihrer Zukunft zu suchen habe, entstanden die Burschenschaften, diese historisch eben so wichtige, als ehrenwerthe und segensreiche Erscheinung. Zugleich erschienen die ersten Geister Deutschlands auf dem fast schon mißachteten Katheder, und es geschah, daß die Gründung der Univer- sität Berlin als dem großen Wehrsystem von Scharnhorst in Bedeutung und Kraft gleichstehend anerkannt werden konnte. Da war es denn natürlich, daß diese Zeit der Verjüngung deutscher Universitäten den alten polizeilichen Standpunkt nicht mehr ertragen konnte. Die Univer- sitätsfrage war eine der Lebensfragen Deutschlands, die Universitäts- freiheit eine Grundveste der deutschen Freiheit geworden. Hatte man noch am Ende des vorigen Jahrhunderts es für zeitgemäß gehalten, eine Beschränkung des Universitätsbesuches zu wünschen ( Böttiger , über die besten Mittel, die Studiersucht zu hemmen 1787; Weiler , über die Nothwendigkeit den Eintritt in gelehrte Schulen zu erschweren 1803), so ward jetzt das höhere geistige Wesen, die zugleich ethische und politische Seite der Universität von den ersten Männern laut ausge- sprochen; formell bekämpft Villers (Blick auf die Universitäten Deutsch- lands 1808) die Auflösung derselben in Fachschulen nach französischem Muster; Schleiermacher dagegen (gelegentliche Gedanken über Univer- sitäten); Schelling , (Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums) und Savigny (Wesen und Werth der deutschen Univer- sitäten) haben das Verdienst, dauernd im deutschen Volke die Ueber- zeugung begründet zu haben, daß die wahre wissenschaftliche Bildung nur in der Einheit aller Gebiete derselben gefunden werden kann und daß eben darin die deutsche Universität die Heimath der Wissenschaft sei; als der ehrenwerthe Scheidler sein Buch „die Idee der Univer- sität“ 1838 schrieb, war die Frage zum Heile Deutschlands entschieden und von jetzt an stehen die Universitäten als organisches Glied des deutschen Bildungswesens da, wie sie namentlich Thiersch im zweiten Bande seines schönen Werkes über Gelehrte Schulen so trefflich auf- faßt und darstellt. Daß die Polizeiwissenschaft und Staatsrechtslehre sich nicht weiter um sie kümmern, beruht dann einfach darauf, daß Beiden das Berständniß der Verwaltung fehlt; nur Mohl hat sie in seiner Polizeiwissenschaft Bd. I. §. 30 in würdiger und eingehender Weise behandelt. Es ist aber nicht zu verkennen, daß sie seit dem ersten Decennium unseres Jahrhunderts gar keine Literatur gehabt haben, während das übrige Bildungswesen an Bearbeitungen überreich ist. Die Geschichte der Universitäten ist seit Meiners Geschichte der Univer- sitäten 1802 ganz vernachlässigt, denn Werke über einzelne Universitäten, wie das von Kink über die Universität Wien, haben bei aller Treff- lichkeit doch nur den Werth hochschätzbarer Beiträge, und Meiners hat im Grunde von dem wahren Wesen der Universität ein gar ge- ringes Verständniß. Nachdem aber das letztere für das deutsche Be- wußtsein dauernd gewonnen, wird der Fortschritt nunmehr auf der Er- kenntniß ihres organischen Verhältnisses zu dem ganzen, gewaltigen Lebens- proceß beruhen, der als das Bildungswesen die Völker in Wissenschaft, Wirthschaft und Kunst, in Anstalten, Unternehmungen und Selbst- bildung durch die Presse gleichmäßig und zur Ehre unsres Jahrhunderts unwiderstehlich erfaßt. Zweites Gebiet. Das wirthschaftliche Berufsbildungssystem. Wesen desselben. Deutschland ist unter allen Völkern dasjenige, welches das wirth- schaftliche Berufsbildungswesen nicht bloß selbständig aufgefaßt, sondern auch in seinem gesammten Bildungswesen zu einem selbständigen System neben dem gelehrten ausgebildet hat. Es hat damit das Recht ge- wonnen, für andere Länder als Vorbild zu dienen; aber es hat zugleich die Pflicht, diese seine Stellung als Muster in diesem Gebiete durch die ernsteste Behandlung der Sache auch würdig auszufüllen. Dieß nun wird in doppelter Weise zu geschehen haben. Einerseits dadurch, daß Deutschland im Einzelnen, in einzelnen Anstalten und ihren Ein- richtungen, das Höchste leistet, was hier geleistet werden kann; anderer- seits aber dadurch, daß es sich über das Ganze dieses Systems und seinen historischen und organischen Inhalt vollständig klar wird. Offen- bar nun ist das erstere die Aufgabe der eigentlichen Fachmänner; aber das zweite ist die Aufgabe der Verwaltungslehre. Denn in der That kann das, was der Staat hier zu thun und bereits gethan hat, nur von diesem höheren Standpunkt richtig überschaut werden, wie andrer- seits ohne denselben eine Vergleichung mit den übrigen Völkern nicht möglich, oder wenigstens nicht fruchtbar werden kann. Das wirthschaftliche Berufsbildungssystem Deutschlands ist nun jung und sein Verhältniß sowohl zur Elementar- als zur gelehrten Bil- dung nicht auf allen Punkten klar. Es hat auch eine viel tiefer ein- greifende Geschichte durchgemacht und eigentlich erst in unserem Jahr- hundert sich seine rechte Stellung erworben. Auch diese ist zwar praktisch, aber wie wir gestehen müssen, noch nicht ethisch formulirt. Bei aller Anerkennung, die es im wirklichen Leben gefunden, fehlt ihm doch noch immer jenes höhere Element in der öffentlichen Auffassung, welches ihm seine rechte Würde gibt. Und das ist ein Mangel, weil es die innige Ver- bindung der gesammten wirthschaftlichen Welt mit der geistigen hindert und das Gefühl des Gegensatzes fortsetzt, aus dem die Scheidung der wirthschaftlichen von der gelehrten Bildung und ein nicht heilsames, gegen- seitiges Messen und Schätzen des gegenseitigen Werthes hervorgegangen ist. Daher muß es die Aufgabe der Verwaltungslehre sein, nicht bloß das formelle Verhältniß der letzteren zu der ersteren darzulegen, sondern auch das ethische. Und wir verweisen diese Darlegung am besten gerade in den Theil, der von Deutschland redet, weil hier jene Scheidung die bei weitem vollständigste und weil hier zugleich die Empfänglichkeit für die tiefere Auffassung der Einheit des so Geschiedenen bei weitem die größte ist. Die Grundlage des ethischen Verständnisses der wirthschaftlichen Berufsbildung ist ohne Zweifel die Erkenntniß, daß das Kapital und der Erwerb nicht bloß volkswirthschaftliche, sondern zugleich geistige Faktoren unseres Lebens sind. Der Besitz ist die materielle Grund- lage der Freiheit . Keine Auffassung, keine Form der letzteren, weder die staatliche, noch die gesellschaftliche, kann sich ohne den Besitz ver- wirklichen. Das Streben nach dem Besitz ist daher ein Streben nach Unabhängigkeit; das Werden des Reichthums ist für die edleren Völker das Werden der Freiheit des Einzelnen. Der Erwerb des Besitzes ist daher eine im höchsten ethischen Sinne staatsbürgerliche Pflicht; die Trägheit und die Unwirthschaftlichkeit sind im höchsten ethischen Sinne Vergehen gegen die sittliche Ordnung, da sie die Freiheit des Indivi- duums und mit ihr die des Ganzen untergraben. Die Ehre des Be- sitzes ist nicht Achtung vor dem Reichthum, sondern Achtung vor den materiellen Bedingungen der geistigen Entwicklung; die Macht desselben ist eine unabweisbare, nicht weil sie ein materielles Element enthält, sondern weil sie der elementare Faktor der geistigen Entwicklung dar- bietet. Der naive Zustand, in welchem die Armuth als der Boden der edleren Auffassung und die Verachtung der wirthschaftlichen Güter als ein Beweis der Seelenstärke gedacht ward, ist überwunden; unser Jahrhundert hat keine großartigere Thatsache aufzuweisen als die, daß der Besitz zu seiner ethischen Berechtigung und der Anerkennung seiner Bedeutung für die Verfassung und die gesellschaftliche Entwicklung der Völker Europas gelangt ist. Diese Thatsache wirkt in tausend Formen, mit und ohne unser Bewußtsein von ihrer Gewalt; sie ist das mächtigste culturhistorische Element unsrer Zeit und wir verdanken das Verständ- niß seiner Macht, seiner Gefahren und seines Segens in der That der neuen Weltanschauung, welche in der Wissenschaft der Gesellschaft und der Theorie des Fanatismus und Communismus gegeben ist. Wir werden ein Jahrhundert brauchen, um dasselbe ganz zu verarbeiten; aber seinen ersten Ausdruck findet es in dem wirthschaftlichen Berufe und seinem Bildungssystem in Deutschland . Dieß Bildungssystem, obwohl formell eine rein pädagogische An- stalt und im Anfang auch nur als pädagogische Aufgabe aufgefaßt und begründet, ist daher vielmehr der Ausdruck des großen Princips der staatsbürgerlichen Gesellschaft, die in ihrem Siege über die ständische Weltordnung vor allen Dingen nach der festen Basis der individuellen Freiheit, nach Kapital und Erwerb, gestützt auf individuelle Bildung, trachtet. Die wirthschaftliche Bildung des Volkes tritt daher, wie alle solche socialen Bewegungen, zuerst als Bestreben Einzelner auf und hält sich durch einen, oft ungerechten, immer aber scharfen Gegensatz gegen die ständische Berufsbildung aufrecht. Als aber mit dem neunzehnten Jahrhundert die staatsbürgerliche Gesellschaft siegt, wird sie zu einer organischen Aufgabe der Verwaltung. Und jetzt muß die letztere sich für diese Aufgabe ein allgemeines und festes Princip schaffen, um von diesem Princip aus das Einzelne zu bestimmen und zu ordnen. Dieses Princip ist aber jetzt nicht mehr ein einfacher administrativer Grundsatz. Es enthält vielmehr den Ausdruck des Verhältnisses der Staats- gewalt zu der gesellschaftlichen Entwicklung , speziell zu der Entwicklung der staatsbürgerlichen und der ständischen Gesellschaft. Und von diesem Standpunkt aus muß das geltende wirthschaftliche Berufs- bildungssystem überhaupt, speziell aber das deutsche, betrachtet und mit andern verglichen werden. Während nun in Frankreich dieß Princip mit der französischen Revolution plötzlich und unvermittelt entstanden und in England über- haupt kein Objekt der Staatsverwaltung geworden ist, hat es sich in Deutschland allmählig und historisch zu jener gegenwärtigen Gestalt ausgebildet. Seine Aufgabe war, die gesellschaftliche und volkswirth- schaftliche Nothwendigkeit der wirthschaftlichen Berufsbildung mit der individuellen Freiheit und Selbstthätigkeit zu vereinigen. Aus dem ersten Element folgt die Verpflichtung der Verwaltung ein öffentliches System von wirthschaftlichen Bildungsanstalten herzustellen; aus dem zweiten der Grundsatz, die Benutzung derselben ganz dem individuellen Ermessen zu überlassen. Durch das erstere ist es dem gelehrten Berufsbildungs- wesen gleichartig geworden; auf dem zweiten beruht die tiefe Verschie- denheit seines öffentlichen Rechts von demselben. Wir verstatten uns, die Elemente dieser historischen Entwicklung hier anzuschließen. Die Elemente der historischen Entwicklung des gegenwärtigen Systems. Wer den geschichtlichen Gang des wirthschaftlichen Bildungswesens im Einzelnen mit der entsprechenden Gründlichkeit verfolgen will, der wird wegen des Mangels fast aller Vorarbeit nicht bloß eine höchst schwierige, sondern auch höchst umfassende, daher aber auch hochwichtige Aufgabe lösen, ohne welche eine Geschichte des deutschen Geistes nicht gegeben werden kann. Die Verwaltungslehre hat indeß ihren Stand- punkt und ihr Gebiet innerhalb derselben zu suchen. Ihre Aufgabe ist es, vor allem das Verhalten des Staats zu diesem Theile der öffent- lichen Bildung und damit die Geschichte des öffentlichen Rechts dersel- ben zu charakterisiren, welche allerdings den gesammten Bildungsproceß selbst in sich wiederspiegelt. Erste Epoche . — Der Gedanke, daß in dem wirthschaftlichen Kapital ein ethisches Element und mithin in der wirthschaftlichen Arbeit ein Beruf liege, ist der alten Welt und dem feudalen System der Ge- schlechterordnung gänzlich unbekannt. Er beginnt erst mit der rein ständischen Epoche und wie es in der Natur der Sache lag, erscheint er hier zunächst als strenger, auch rechtlich scharf geschiedener Gegensatz zu dem übrigen ständischen Wesen. Diese Scheidung des wirthschaft- lichen Berufes von dem der beiden andern Stände ist es, welche den Bürgerstand erzeugt. Nur im Bürgerstande gilt die Arbeit und der Erwerb als Pflicht; nur in ihm lebt das Bewußtsein, daß die Ehre und Achtung der Arbeit die Basis der Freiheit sei; nur in ihm öffnet sich das öffentliche Recht nach Arbeit und Kapital, wird in „Zünften und Innungen“ zu einer festen Organisation, erhebt sich durch sie zu einem Faktor der städtischen Verfassung, und erzeugt in ihm das Recht und die Ordnung der öffentlichen Unterstützung, die Polizei der Arbeits- losigkeit, die Unehrenhaftigkeit des Bettels und den Stolz des freien Bürgerthums. Der Bürgerstand ist daher in der germanischen Welt nicht bloß der Stand des Erwerbes, sondern der Träger und der Aus- druck des großen ethischen Elements, das in Arbeit und Kapital liegt; ohne dieß Bewußtsein hätte er seine große historische Aufgabe nie voll- zogen; was er war, war er nicht durch den Reichthum an sich, der bei dem Mittelstande Roms in gewissen Zeiten viel größer war, son- dern durch das, wodurch der Reichthum entsteht und was er in einem edlen Volke zu erzeugen vermag. Daher hat diese gewerbliche Arbeit der germanischen Zeit auch einen wesentlich andern Charakter, als die der früheren historischen Völker. Der Bürger achtet sich selbst wegen seiner Arbeit; sie ist ihm keine bloß wirthschaftliche, sie ist ihm eine Lebensaufgabe; sie enthält ihm daher nicht bloß das Mittel zur gewerb- lichen Gütererzeugung, sondern eine moralische Verpflichtung, sich und damit seinem Stande mit seinen Produkten Ehre zu machen — ein Gedanke, den die alte Welt nicht kennt; er ist durchdrungen von dem Bewußtsein, daß nicht in der Größe seines Kapitals, sondern in der Tüchtigkeit seiner Arbeit, in der Hingabe seiner selbst an dieselbe die wahre Grundlage seiner Stellung in der ständischen Welt liege. Mit ihr, mit der Achtung vor ihren Leistungen steht und fällt er selbst; das weiß er und darnach handelt er. Und so entsteht von selbst das Bedürfniß, diese Arbeit, welche ihm seinen eigentlichen Halt gegenüber der Macht und dem Glanze der beiden andern Stände gibt, vor dem Hinabsinken in Untüchtigkeit zu bewahren. Sie gewinnt damit einen neuen, der ganzen alten Welt unbekannten Charakter; sie tritt auf nicht als Sache des Individuums, sondern als eine Angelegenheit des ganzen Standes; sie wird, obwohl sie zunächst nur von dem Einzelnen aus- geht und nur für den Einzelnen geschieht, dennoch ein Gegenstand des Gesammtinteresses. Und mit diesem Element, das die Arbeit in dieser Epoche in sich aufnimmt, entwickelt sich nun auch zum erstenmal in der Geschichte Europas ein öffentliches Recht der Arbeit. Dieß öffentliche Recht ist es nun, welches jetzt unserem Gebiete mit einem wesentlichen Theil seines Inhalts angehört. Zuerst wird es zum Vorrecht der Produktion für diejenigen, welche die einzelne gewerbliche Körperschaft, die Zunft und Innung, in sich aufgenommen hat; das ist das Meister- recht, das der Geschichte der Organisation der Gewerbe angehört. Dann aber wird es zu einem großen, die ganze germanische Welt umfassen- den, in allen Ländern sich wiederholenden und die gesammte gesell- schaftliche Entwicklung durchdringenden Bildungsrecht der gewerb- lichen Arbeit, an das sich das Prüfungsrecht derselben anschließt. Das große Princip dieses Bildungs- und Prüfungsrechts der gewerb- lichen Arbeit ist das Recht der einzelnen gewerblichen Körperschaft, der einzelnen Zunft und Innung, selbst die Bedingungen für den gewerb- lichen Bildungsgang und das Bestehen der Prüfung vorzuschreiben und auszuführen. In der Feststellung dieser Punkte, in der Aufstellung und Durchführung der Lehrordnungen, Gesellenordnungen, Freisprechung, Meisterprüfungen u. s. w. erscheint somit die erste ständische Gestalt des öffentlich rechtlichen Bildungswesens der gewerblichen Arbeit. Und das ist für unsere Frage die erste Epoche. Auf diese Weise tritt nun zum erstenmal in der Geschichte ein voll- ständiges System der gewerblichen Bildung neben das der gelehrten. In der That läßt es sich nicht läugnen — das was die scholae aller Art für die ständisch gestaltete Wissenschaft sind, das sind die zunft- mäßigen Vorschriften über die gewerbliche Lehre für den Bürgerstand. Die gegenwärtige Ordnung liegt daher schon hier in ihren Grundlagen vor. Die nachfolgende Zeit hatte nichts zu thun, als das weiter zu entwickeln, was hier bereits begründet war. Aber der innere Unter- schied ist so groß, daß man diesen Zusammenhang sich noch nie ver- gegenwärtigt hat. In der That beruht das gewerbliche Bildungswesen auf derselben Idee, auf der das Prüfungswesen beruht. Es soll nicht etwa in erster Reihe die Tüchtigkeit des Einzelnen sichern, sondern es soll ihn in die arbeitende Körperschaft der Zunft aufnehmen. Das Bildungswesen der letzteren ist daher kein allgemeines, sondern es ist rein für die Arbeit der speziellen Zunft bestimmt. Wie dieselbe allein über seinen Erfolg entscheidet, so hat sie auch allein zu setzen, was es enthalten soll. Je strenger sich das körperschaftliche Wesen der Gewerbe gestaltet, um so strenger beschränkt sich auch die Bildung auf den be- stimmten gewerblichen Betrieb. Es ist kein bürgerliches, es ist ein rein zunftmäßiges wirthschaftliches Bildungswesen. Zweite Epoche . — Es war das achtzehnte Jahrhundert, das Jahrhundert der Auflösung in allen Dingen, das auch hier eine neue Ordnung brachte. Schon hatte die gewerbliche Produktion auf allen Punkten den Kampf mit der Beschränkung der Zunft begonnen; der entstehende innere Handel, die Ausdehnung desselben über die Meere hinaus hatte den Blick erweitert; die gewerbliche Produktion begann sich von der engen Kundschaft von Stadt und Ort zu befreien; der Arbeiter fängt an zu fühlen, daß er etwas für die Welt zu bedeuten, zu ar- beiten habe. Die Produktion löst sich von ihrer örtlichen Beschränkung los; die erste Gestalt eines Güterlebens der Welt begann, sich über die beschränkte Ordnung der ständischen Körperschaft zu erheben. Da tritt denn auch in die geistige Anschauung dieser Dinge ein neues Element hinein. Das bloße zunftmäßige Lernen genügt nicht mehr; es ist zwar nothwendig wie früher, aber die Arbeit von Gesell und Meister wird durch eine andere überragt, welche die Produktionen der Länder und Welttheile unter einander in Verbindung bringt, sie in ihrer gegen- seitigen Abhängigkeit von Produktion und Consumtion erfaßt und die gewerbliche Erzeugung den großen Bedürfnissen und Bewegungen des Gesammtlebens dienstbar macht. Das ist die Arbeit des Welthandels. Seine geistigen Voraussetzungen sind andere, so gut wie seine wirthschaft- lichen; er ist unfähig, in der alten Beschränkung des Gewerbes zu existiren; er ordnet sich dasselbe unter; und so entsteht das, was das vorige Jahrhundert auf diesem Punkte charakterisirt, den tief bedeut- samen Unterschied zwischen dem Handwerk und dem Gewerbe. Das Handwerk ist damit nicht mehr, was es einst gewesen, der Kern und die Grundlage des stolzen und starken Bürgerstandes; es verliert seine Herrschaft über die Städte und ist nicht länger das Wesen des Bürger- thums. Neue Thatsachen, neue Forderungen entstehen mit jedem Tage; der Anfang des Jahrhunderts hat einen, von der früheren Zeit tief verschiedenen Charakter; als aber die Maschine auftritt, als die alten zunftmäßigen Handelscompagnien verschwinden, als der Kredit und der Gebrauch des Wechsels Raum gewinnt und die Börsen anfangen, über Handel und Produktion zu entscheiden, da sinkt das Handwerk tief herab; es ist nicht mehr der Träger eines sittlichen Elements, es ist ein bloßes Ernährungsmittel für die Familie geworden; es hat noch einen goldenen Boden, aber es klebt an demselben; über dasselbe hin- aus geht der junge Bürgerstand, fähig und willig aus dem alten Orts- bürgerthum zu einem Weltbürgerstande zu werden; es ist klar, daß die alte in sich ruhende sich selbst genügende Ordnung der Dinge aufhört und daß eine neue beginnt. In dieser gewaltigen, wenn auch noch mannigfach unsicheren Be- wegung kann nun auch die alte Gestalt des Bildungswesens sich nicht erhalten. Das Mitglied der Zunft und Innung hat gelernt zu arbeiten in seinem beschränkten Sinne des Worts, aber er hat nicht gelernt, die höhere Arbeit des Verkehrs zu bewältigen. Diese will, wie der Verkehr selbst eine allgemeine Bildung. Die allgemeine Bildung wie- derum beginnt alsbald mit der allem Geistigen ewig eigenen Kraft, die Kraft der höher stehenden Elemente an sich zu ziehen. Die Kinder der höheren Klassen, in dem höheren Verkehr ihre Lebensaufgabe suchend, suchen auch nach einer demselben entsprechenden Bildung. Sie wenden sich an die alten Scholae und Gymnasia der ständischen Epoche. Allein diese sind unfähig ihnen zu bieten, was sie fordern. Für die Zeit, in welcher jene leben und wirken sollen, handelt es sich nicht mehr um Cicero und Herodot; es handelt sich darum einen guten Brief zu schreiben, die großen Elemente der Weltgeographie vor Augen zu haben, von der Natur etwas zu wissen, mit ihren Stoffen bekannt zu sein, Länder- und Völkerkunde zu besitzen, und Vorstellungen, Pläne, Ergebnisse und Wahrscheinlichkeiten in bestimmten Ziffern nach den Regeln der höheren Mathematik zum Ausdruck zu bringen. Alles das hat die alte Schola nicht, und ist in der That unfähig es zu haben. Denn gerade in der- selben Zeit wird sie mehr und mehr was sie eigentlich sein soll; aus einem für ganze gesellschaftliche Gruppen die allgemeine Bildung der Universität ersetzenden Organismus wird sie zu einer strengen Vor- bildungsanstalt für die letztere und ihrer immer schärfer hervortretenden Fachbildung, während die frühere Zunftbildung immer tiefer in den Mechanismus des Lernens hinabsinkt, aus dem das alte schöne Princip des „Wanderns“ des Handwerksgesellen, der einzige Halt einer freieren Bewegung im Handwerkerstande, wie eine kaum noch verstandene Ruine hervorragt. Jene neue Welt von Anschauungen und Bedürfnissen muß sich daher eine neue Organisation der Bildung erschaffen, die zwischen beiden steht. Und diese Organisation hat nun ihren ganz be- stimmten Charakter. Sie will nicht classisch sein, aber auch nicht mechanisch; sie hat eigentlich noch gar kein bestimmtes Objekt, das zu lernen nothwendig ist, denn es wird ihr eigentlich kein bestimmtes Objekt genügen; sie will vielmehr nur diejenigen allgemeinen Be- dingungen der künftigen Thätigkeit geben, welche nicht selbst ein Lernen enthalten, sondern vielmehr nur das Lernen, das Verstehen und die Bewältigung der künftigen Lebensaufgabe möglich machen sollen. Es handelt sich in dieser neuen Ordnung der Dinge darum, die Kraft zu stärken, mit der der Einzelne ins Leben tritt; hat er die, hat er die Fähigkeit, den materiellen Thatsachen ins Auge zu sehen, so wird er sich in der lebendigen Welt wohl zurecht finden. Dem Thatsächlichen wendet sich daher diese neue Gestalt der Dinge zu; und so entsteht Namen und Inhalt eines neuen Bildungswesens, die Realbildung . Sie ist, und zwar eben in dieser noch unbestimmten Gestalt, das was die zweite Epoche charakterisirt. Diese Realbildung und ihre Realschule ist nun allerdings noch wesentlich verschieden von dem heutigen gewerblichen Bildungswesen, und eben so verschieden von dem der ständischen Zunft und Innung. Sie ist ihrer Natur und ihrer Bestimmung nach frei von jeder Be- schränkung der letzteren. Sie hat kein einzelnes Gewerbe zu ihrem Gegenstand. Sie befähigt, für sich genommen, zu keinem Betriebe. Das Eintreten in dieselbe gibt daher kein Recht, künftig ein Handwerk zu betreiben, und kein Recht, einen gelehrten Beruf und eine öffentliche Funktion zu übernehmen. Es bedeutet vielmehr, daß man beides eben nicht will. Aber eben dadurch ist gerade diese Bildung der Ausdruck eines ganz neuen Princips in der gesellschaftlichen Ordnung. Sie kann von jedem gewonnen werden; sie ist für jede größere wirthschaftliche Thätigkeit geeignet; sie greift nicht in den individuellen Lebensberuf ein; sie ist die Bildung der höheren, aber nicht mehr die einer bestimm- ten ständischen Klasse. Sie trägt daher von Anfang an den Charakter der staatsbürgerlichen, freien Gesellschaft an sich. Sie ist mit dem be- schränkten Standpunkt der ständischen Ordnung unvereinbar; aber sie ist mehr, sie ist zugleich ein Feind derselben. Denn sie ist es, welche zum erstenmale erklärt, daß es eine höhere geistige Entwicklung auch neben der ständischen Gelehrsamkeit gibt, und daß die persönliche Tüchtig- keit nicht bloß durch das handwerksmäßige Erlernen gegeben wird. Sie muß sich daher von den beiden bisherigen Bildungsformen schei- den; ja sie wird gezwungen, mit ihnen geradezu zu kämpfen. Es wundert uns nicht, wenn sie in diesem Kampfe gegen den Werth beider negativ, hart, einseitig wird, wenn sie das Handwerk unter sich sieht, und die gelehrte Bildung als unfähig für die geistige Entwicklung er- klärt. Wir verstehen es, wenn aus ihr zuerst jener, nur historisch zu erklärende Begriff des „Praktischen“ im scharfen Gegensatze zu dem Theoretischen entsteht, der nunmehr mit aller seiner praktischen Tendenz sofort sich natürlich eine neue Theorie des Praktischen erschafft, ohne es selbst recht zu wissen. Aber es ist uns auch klar, daß alle diese Bestrebungen in dieser zweiten Epoche noch vereinzelt dastehen. Noch herrscht formell und auf der Oberfläche die ständische Ordnung; noch ist alles scharf eingetheilt, mit Zeichen und Symbolen, mit Rechten und Pflichten wohl versehen; noch stehen streng geschieden die Körper- schaften aller Art neben einander, das gesammte öffentliche Leben um- fassend; in diese Ordnung paßt jene Richtung nicht. Welcher „Cor- poration“ hätte denn diese Realschule und ihre Realschüler angehören sollen? Und so ergab sich das, allen Versuchen dieser Epoche gemein- same Resultat. Die Realschule, die Realbildung ist und bleibt ein Privatunternehmen . Die Verwaltung, welche bereits das ganze gelehrte Bildungswesen sich unterworfen und zu Staatsanstalten ge- macht, kümmert sich um diese Privatanstalten nicht; sie führen ein Leben für sich; sie bedeuten mehr als sie sind; aber schon am Ende des vorigen Jahrhunderts stehen sie vor der Frage, wie sich denn die Staatsverwaltung zu diesem neuen, mit jedem Jahre wichtiger werdenden Gebiet des Bildungsorganismus verhalten werde? Und in dieser Frage liegt der Uebergang zur dritten gegenwärtigen Epoche. Das Bild, das uns auf diese Weise diese zweite Epoche darbietet, ist nun in seinen Grundzügen auch für das rechte Verständniß der Gegenwart so wichtig, daß wir es noch einmal kurz zusammen fassen. Das vorige und allerdings auch ein Theil des gegenwärtigen Jahr- hunderts zeigt uns nämlich drei Grundformen der Bildung. Die ge- lehrte mit ihrem ganzen Apparat von Instituten, Vorschriften, Lehren Stein , die Verwaltungslehre. V. 16 und Rechten; die Handwerkerbildung mit ihren Lehr- und Prüfungs- ordnungen; und endlich die Realbildung mit ihren neuen, noch unbe- stimmten örtlich entstehenden Realschulen, im heftigen Kampfe mit beiden andern, aber doch, wenn auch in unsicherer Weise, von der gleichfalls neuen „Polizeiwissenschaft“ nicht mehr verkannt, und in einzelnen Fällen sogar schon vom Staate unterstützt. Es ist klar, daß dieser Zustand den Charakter einer Uebergangsepoche hat. Die dritte Zeit nun zeigt uns zu einem öffentlich rechtlichen Systeme entwickelt, was hier durch die Natur der Sache und durch muthige Einzelbestrebungen begonnen ist. Dritte Epoche . Die dritte Epoche, in der wir uns noch gegen- wärtig befinden, hat nun einen ganz bestimmten und deßhalb auch leicht zu bezeichnenden Charakter. In ihr wird nämlich jene, bis dahin sporadische, für sich bestehende Realbildung im Allgemeinen zu einem öffentlichen Bildungswesen, nimmt die Handwerkerbildung ihrem größten Theil nach in sich auf, und stellt sich gleichberechtigt und mit einer im Wesentlichen gleichartigen Organisation neben das gelehrte Bildungs- wesen, ohne dabei jedoch im Großen und Ganzen seinen eigenthümlichen Charakter der Bildungsfreiheit zu verlieren. Auch dieß nun ist erst allmählig entwickelt, und bildet in dieser seiner Entwicklung einen hoch- bedeutenden Theil der inneren Geschichte Deutschlands. Je mehr nämlich die ständische Welt der staatsbürgerlichen Platz macht, um so allgemeiner wird das Gefühl, daß Erwerb und Besitz nicht bloß zwei wirthschaftliche, sondern zugleich zwei sociale Faktoren der neuen Ordnung der Dinge sind, und daß deßhalb die Realbildung als eine der allgemeinen Bedingungen der inneren Entwicklung des Volkes angesehen werden müsse. Dieß Gefühl äußert sich nun in Deutschland in der Weise, in welcher jede Ueberzeugung hier zur öffentlichen Geltung gelangt. Es wird Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung, und die Wissenschaft ist es, welche ihm seine Aufgaben und die Organe seiner Erfüllung anweist. Und jetzt beginnt eine zweifache Bewegung, welche dem heutigen wirthschaftlichen Berufsbildungswesen seine allerdings noch keinesweges fertige Gestalt und Ordnung gegeben hat. Die erste geht dahin, diese wirthschaftliche Bildung zu dem Range und der Aufgabe einer wissenschaftlichen zu erheben. Die Grund- lage dafür ist hier wie immer die Aufstellung eigener theoretischer Begriffe und eigener Studien für dieselben. Die Form, in der dieß geschieht, ist die damals gewöhnliche, die Ausübung gewisser Berufe an diese Studien und die ihnen entsprechenden Prüfungen anzuschließen. Wir bezeichnen dieses Gebiet hier kurz als das der Cameralwissenschaften . Durch sie entsteht das, was wir die wirthschaftliche Fachbildung nennen, und die wir unten genauer darzulegen haben. Ihre wichtige historische Stellung beruht darauf, daß in ihnen zuerst die Verwaltung überhaupt die wirthschaftliche Berufsbildung als eine ihrer Aufgaben anerkennt; durch sie ist die letztere formell in das System des öffentlichen Bildungs- wesens hinein gezogen; damit ist der Keim gelegt, der sich nunmehr namentlich in den folgenden Jahrzehnten unseres Jahrhunderts weiter entwickelt, und eine selbständige Ordnung für sich und für das Ganze hervorruft. Die zweite jener Bewegungen schließt sich dagegen wie die erste an die gelehrte Bildung, so ihrerseits an die Volksbildung. Mit der Neugestaltung des inneren Lebens der Völker Europas wird nämlich das alte ständische Recht der Zünfte und Innungen immer unhaltbarer; mit ihm die Meinung, als könne die bisherige rein zunft- mäßige Bildung der Handwerker in dem großen Produktionskampfe, den jetzt die Völker Europas unter einander beginnen, ferner noch aus- reichen. Der Erwerb ist eines der großen, gewiß eines der allgemeinsten Elemente der Volksentwicklung; schon die unterste Bildung kann daher nicht mehr bei der Volksschule stehen bleiben. Sie nimmt vielmehr den Ge- danken einer wirthschaftlichen Elementarbildung in sich auf; sie stellt dieselbe auf allen Punkten neben die Volksbildung, sie setzt die letzteren durch die erstere fort; sie wird eine allgemeine Verpflichtung des Volkes gegen sich selbst, und so entsteht das, was wir im weiteren Sinne das Realschulwesen nennen. So wie dieser Gedanke auftritt, bemächtigt sich nun auch die Wissenschaft desselben. Die Realbildung, und zwar eben die des Volkes, wird in die Pädagogik aufgenommen; sie fängt an, einen integrirenden Theil derselben zu bilden; sie wird den Päda- gogen allmählig gleichberechtigt mit der wissenschaftlichen und gestaltet sich unter ihren Händen allmählig zu einem System von Anstalten, das wir das Realschulsystem nennen können. Damit hat nun die wirth- schaftliche Bildung aber auch die beiden großen Formen der gelehrten gewonnen. Es gibt jetzt auf Grundlage der Cameralwissenschaften ein wirthschaftliches Fachbildungs-, auf Grundlage der Realschulen ein wirth- schaftliches Vorbildungswesen. Beide sind von der Idee durchdrungen, daß Kapital und Erwerb mächtige sociale Faktoren sind, daß beide nicht bloß wirthschaftliche Zwecke, sondern die Erfüllung eines Lebensberufes enthalten, der sich jetzt dem gelehrten als gleichberechtigt an die Seite stellt. Der weitere Ausbau dieser beiden Elemente geht nun langsam, aber sicher vor sich; er ist in der Form und in dem Maße seiner Ent- wicklung in den einzelnen Staaten verschieden, aber er ist allenthalben gleich in seinem Princip; und indem dieses weite, einer größern Ent- faltung seiner einzelnen Momente entgegen gehende Bildungsgebiet somit eine allgemeine Aufgabe des Staatslebens wird, entsteht jetzt auch die Forderung, ein öffentliches Recht desselben aufzustellen und es vermöge dieses Rechts auch formell in das Gebiet der öffentlichen Verwaltung des Bildungswesens aufzunehmen. In dieser neuen Rechtsordnung des wirthschaftlichen Berufsbildungs- wesens zeigt sich nun sein tiefer Unterschied von dem gelehrten. Der wirthschaftliche Beruf behält den Charakter des individuellen. Es gibt daher keine Pflicht zur wirthschaftlichen Vor- oder Fachbildung; die wirthschaftliche Bildung bleibt principiell frei . Von dieser Freiheit gibt es schon im Anfange Ausnahmen, die sich freilich nur noch auf die An- stellung der fachmäßig Gebildeten als Staatsbeamtete und auf große einzelne Erwerbsformen beziehen, bei denen die Sicherheitspolizei zur Sprache kommt. Allmählig aber entsteht die Frage, ob die Freiheit der Vorbildung, die mehr und mehr gleichen Rang mit der Handwerks- bildung in den einzelnen Handwerken einnimmt, namentlich nach Ein- führung der Gewerbefreiheit, auch jetzt noch eine allgemein geltende sein solle; und das ist der Inhalt der Gewerbeschulfrage , die wir unten zu beleuchten haben. Im Großen und Ganzen aber erhält sich der Gedanke dieser Freiheit der wirthschaftlichen Berufsbildung, und aus ihr geht nun auch die Gestalt der öffentlichen Verwaltung derselben hervor. Da sie und so weit sie eine freie ist, kann der Staat sie nicht als Staatsaufgabe anerkennen; da sie aber zugleich eine organisch noth- wendige ist, muß sie demnach eine allgemeine sein. Die Vereinigung beider Grundsätze besteht nun darin, daß die Anerkennung des letzteren als Forderung an die Selbstverwaltungskörper erscheint, durch Herstellung von wirthschaftlichen Bildungsanstalten denen, welche sie be- nützen wollen , das Mittel der Bildung zu geben. Wiederum kann das offenbar nur für die Vorbildungsanstalten gefordert werden, da die Fachbildungsanstalten wenigstens zum Theil für einen bestimmten öffentlichen Beruf vorbereiten. Die letzteren werden daher zum Theil vom Staate übernommen oder hergestellt. So bilden sich hier Staats- anstalten neben Privat- und Körperschaftsanstalten zwar mit gleicher Bestimmung, aber mit sehr verschiedenen Rechten und verschiedener öffentlicher Stellung; und es wird mit langsamer, aber sicher fort- schreitender Entwicklung aus dem Zusammenwirken dieser Elemente ein vollständiges wirthschaftliches Berufsbildungssystem , dessen Vollendung jetzt noch ein letztes Glied fordert, um seine ganze organische Stellung zu erfüllen. Dieß Glied nun besteht in dem Verhältniß desselben zur gelehrten Bildung . Es ist um so entscheidender, darüber zu einer bestimmten Anschauung zu gelangen, als man gerade diese so hochwich- tige Seite meistens gar nicht beachtet. Mit dem Auftreten der staatsbürgerlichen Gesellschaft nämlich verschwindet, wie schon in der Darstellung des gelehrten Schulwesens erwähnt, der frühere scharfe Gegensatz der gelehrten und wirthschaftlichen Bildung. Beide, von der Wissenschaft erfaßt, erscheinen allmählig als zwei Seiten desselben Gesammtlebens, als zwei gleichberechtigte, gleich nothwendige Bildungsprocesse im Leben der Völker. Je weiter die geistige Entwicklung fortschreitet, um so klarer wird der Werth des einen Gebietes für das andere, um so unmöglicher also auch der Ge- danke einer principiellen äußeren Scheidung derselben. Aber so wie das feststeht, kommt es nunmehr darauf an, dieser inneren Verbindung auch in einer äußeren Form ihre objektive Anerkennung zu verschaffen. Und daraus geht eine Reihe von Erscheinungen hervor, die in hohem Grade eben durch diese ihre Beziehung zu der inneren Einheit des Bil- dungswesens beachtenswerth sind. Zuerst findet die Verbindung der Vorbildungsanstalten ihren selbständigen Ausdruck im Realgymna- sium , das zugleich eine gelehrte und wirthschaftliche Vorbildungsanstalt ist, und daher in beiden Gebieten seine Stellung findet. Dann aber kommt es darauf an, dieselbe Verbindung auch für die Fachbildung herzustellen. Hier ist die äußerliche Verschmelzung unmöglich; sie muß durch eine innere ersetzt werden, und diese erscheint in der gegenseitigen Aufnahme der Gegenstände der Lehre in die speciellen Fächer und ihren Lehrgang. Das Gebiet nun, in welchem die höchste wirthschaft- liche Bildung als Theil der gelehrten Fachbildung, und damit als eine der jetzt organisch werdenden Aufgaben der Universitäten auftritt, ist das der Staatswissenschaften . Ihr charakteristisches Element ist nicht mehr die Philosophie des Staats, welche der allgemeinen, und nicht mehr das Staatsrecht, welches der juristischen Bildung angehört, sondern speciell die Nationalökonomie, Finanzwissenschaft und endlich die Verwaltungslehre. Das sind die eigentlichen Staatswissenschaften, und in ihnen ist der Grundsatz ausgesprochen, daß die höchste gelehrte Bildung nicht mehr ohne die höchste wirthschaftliche sein soll; die Stel- lung der Staatswissenschaften an den Universitäten bildet in diesem Sinne das Kriterium des Verhältnisses derselben zur Entwicklung unserer Gegenwart und nächsten Zukunft. Andererseits kann auch die wirth- schaftliche Fachbildung nicht mehr ohne diese höchste wissenschaftliche Auffassung des wirthschaftlichen Lebens bleiben; und so sehen wir wenig- stens die Nationalökonomie bei den besten wirthschaftlichen Fachbildungs- anstalten, aber auch schon die Verwaltungslehre neben der Statistik in die Lehre derselben aufgenommen. Das alles ist nun noch vielfach un- fertig, zum Theil noch im Stadium des richtigen Gefühles, statt in dem des klaren Verständnisses, und vielfach, wie in solchen Bewegungen Regel ist, in Einzelfragen verloren, anstatt von Einem das Ganze umfassenden Gedanken beherrscht zu sein. Aber der Entwicklungsgang ist im Großen und Ganzen nicht zweifelhaft; es ist der Proceß der Her- stellung der organischen Harmonie zwischen den beiden großen Bildungs- gruppen, ein Proceß, der um so rascher und besser seine definitive Ge- stalt annehmen wird, je klarer man die inneren und äußeren wesent- lichen Unterschiede seiner beiden großen Elemente erkennt, um von da aus zum Verständniß des wesentlich Gemeinschaftlichen zu gelangen. Das nun ist Inhalt und Bedeutung der dritten Epoche des wirth- schaftlichen Berufsbildungssystems, der Epoche, der wir angehören. Es ist kein Zweifel, daß die wirkliche Gestalt des Einzelnen in derselben, und der Organismus und das Recht der Anstalten in den einzelnen Staaten sehr verschieden ist. Man ist sich eigentlich über wenig Ein- zelnes, nicht einmal über die Bedeutung der Namen einig; das Ganze jedoch wird kaum zweifelhaft sein. Die Verwaltungslehre hat nun da- bei die nicht leichte Aufgabe, auch hier so viel als irgend möglich feste Kategorien, feste Begriffe und feste Namen aufzustellen, denn sie soll die Grundlage dessen sein, was am Ende den definitiven Ausdruck des Ganzen zu geben hat, des geltenden öffentlichen Rechts dieses Bil- dungswesens. Es muß ihr daher verstattet werden, dieß Gebiet zu formuliren, so weit sie damit zu thun hat. Dieß geschieht für das Einzelne im Folgenden. Das Bild des Ganzen aber, auf seine ein- fachsten Elemente zurückgeführt, stellt sich wohl faßlich in dem folgenden Schema dar: Literatur . Was den Gang und Geist der auf das wirthschaft- liche Bildungswesen im Allgemeinen bezüglichen Literatur betrifft, so ist der Charakter derselben ein ganz specifischer, und hängt innig mit dem gesammten Bildungsgange des deutschen Geistes zusammen. Man muß dabei vor allem die staatsrechtliche oder publicistische Literatur und die pädagogische unterscheiden. Die erste hat sich mit dem Bildungswesen überhaupt wenig, mit dem wirthschaftlichen aber im Besonderen bis auf die neueste Zeit gar nicht befaßt. Man kann dabei füglich zwei Epochen unterscheiden, die des früheren Staatsrechts und der Staatswissenschaft, und die neue und noch sehr unfertige des Verwaltungsrechts. Die staat swissenschaftliche Literatur gehört während ihrer vollen Blüthe einer Zeit, wo die wirthschaftliche Bildung noch keine Selb- ständigkeit hatte. Es ist daher sehr bezeichnend, daß nicht nur Justi, Sonnenfels, Jacob u. A., sondern sogar die bedeutendsten politischen Schriftsteller unseres Jahrhunderts bei allem Eifer, mit dem sie sich der wissenschaftlichen Bildung annahmen, der realen Bildung mit keinem Worte erwähnen, wie Aretin Constit. Staatsrecht II, S. 35 ff. 1827. Selbst Soden nicht in seiner Staatsnationalbildung, 1831, die doch den 8. Band seiner Nationalökonomie bildet. Ebenso Pölitz, Zachariä u. a. Die staat srechtliche Literatur hat in gleicher Weise bisher das ganze wirthschaftliche Bildungswesen weggelassen; kümmerte sie sich doch kaum noch um das Universitätswesen! Dagegen hat die bisherige Verwaltungslehre die Bedeutung der Sache zum Theil verstanden, aber nicht recht zur Ausbildung gebracht. Schon Berg im Polizeirecht II. Band gibt einige sporadische Notizen über die Realschulen; natür- lich konnte er über die Fachbildung noch nichts sagen, da sie nicht be- stand. Entscheidend war dagegen das Auftreten von Mohl in seinem Württembergischen Verwaltungsrecht , der dem „Gewerbeschul- wesen“ mit der gesammten Förderung der Gewerbe definitiv seine Stel- lung in dem Verwaltungsrecht anwies ( II. Bd. §. 238 ff). Leider ließ er dabei die Cameralwissenschaften und ihre Pflege weg, und das hat den üblen Einfluß gehabt, daß die hinter ihm entstehenden Bearbeitungen des territorialen Verwaltungsrechts, wie Rönne, Stubenrauch, Pötzl, Roller, Funke gleichfalls den inneren Zusammenhang der wirthschaft- lichen Vor- und Fachbildungsanstalten nicht recht zum Ausdruck brach- ten und daher bei der einfachen, unzusammenhängenden Darstellung des Rechts der einzelnen Institute stehen blieben. Das konnte Mohl durch die systematische Aufnahme in seine Polizeiwissenschaft ( I. Bd., S. 78) nicht wieder gut machen. Es wird eine der unabweisbaren Aufgaben des künftigen Verwaltungsrechts bleiben, jene innere Einheit des gan- zen Systems auch äußerlich im öffentlichen Recht festzustellen. Die Statistik hat wiederum ihrerseits sehr viel, jedoch meist Oertliches und nicht immer Zusammenhängendes geleistet; sie hatte freilich das Recht, von der Verwaltungslehre ihre festen Kategorien zu fordern, die diese ihr nicht bot. Ein sehr gutes, wenn auch kurzgefaßtes Bild gibt Brachelli in seiner schönen Arbeit: die Staaten Europas, 1866, S. 530. Eine Geschichte des wirthschaftlichen Bildungswesens als Ganzes gibt es nicht. Nicht einmal die speciellen Facharbeiten, wie Mascher , das deutsche Gewerbewesen von der frühesten Zeit bis auf die Gegenwart 1866, hat an den Stellen, wo es doch so nahe lag, etwas über die Lehr- und Bildungsordnung der Zünfte gesagt (Abschnitt III, Cap. VIII, und Abschnitt IV, Cap. VII. ). Die Geschichten des Handels schweigen. — Einen ganz andern Charakter hat die pädagogische Literatur. Da sich die gelehrte Pädagogik wiederum ihrerseits nie diese große Frage weder im Gebiet der Vorbildungs-, noch der Fachbildungsfragen kümmerte, so mußte sie auf eigener Grundlage stehen. Diese wurde nun zwar beschränkt, aber innerhalb ihrer Gränzen um so tüchtiger gefördert. Ihre Frage war die nach dem Verhältniß zwischen der gelehrten und wirthschaftlichen Bildung und der Organisation des letzteren; aber da- bei hat sie die höhere Fachbildung der wirthschaftlichen Welt wieder übergangen und sich fast ausnahmslos in der Vorbildung bewegt. Hier existirt eine sehr reiche und höchst gehaltvolle Literatur; die Ency- klopädie Schmids hat vortreffliche Aufsätze, bei dem leider das gesetz- liche Material nicht immer gleichmäßig behandelt ist. Wir heben außer den beiden Artikeln von Lange und Gugler namentlich den schönen Aufsatz von Geffers „Humanismus und Realismus“ hervor, der den Proceß der Ablösung der wirthschaftlichen von der gelehrten Bildung — freilich wieder nur für das Vorbildungswesen der eigentlichen Real- schulen, ohne weitere Aufnahme der Fachbildungen — sehr gut dar- stellt. Fiel es denn dem so umsichtigen Baumstark in seiner Ency- klopädie der Cameralwissenschaften gar nicht ein, daß dieselben denn doch auch ihrerseits nur ein Theil eines größeren Ganzen seien? — A. Wirthschaftliches Vorbildungssystem . I. Wesen desselben. Ueberblickt man nun auf Grundlage der obigen allgemeinen histo- rischen Entwicklung, was für das erste Gebiet des wirthschaftlichen Vor- bildungssystems geschehen ist und für dasselbe besteht, so ergeben sich ge- wisse Resultate, ohne welche es fast unmöglich ist, einen Ueberblick über das Ganze zu erlangen. Zuerst muß man offenbar davon ausgehen, daß das System dieser Vorbildungsanstalten nicht eben in systematischer Weise, sondern histo- risch zu seiner gegenwärtigen Gestalt gelangt ist. Die Elemente der Bildung dieser letzteren aber sind zweifacher Natur, und es ist ihr Zu- sammenwirken, das man sich auf jedem Punkte vergegenwärtigen muß. Einerseits nämlich liegt denselben der mit der ganzen gesellschaftlichen Bewegung unserer staatsbürgerlichen Epoche gegebene Drang zum Grunde, die wirthschaftliche Bildung zu einem Gemeingut des ganzen Volkes zu machen und sie daher auf jedem Punkte zu beginnen, ohne viel zu fragen, ob man gerade diese oder jene theoretische Kategorie von Vorbildungsanstalten errichten wolle. Andrerseits überließ die Ver- waltung diese Errichtung den Selbstverwaltungskörpern und that Recht daran, kein absolut gültiges, formales System derselben gesetzlich vor- zuschreiben, sondern nur von Fall zu Fall mit bestimmten Vorschriften einzuschreiten. Die natürliche Folge davon war, daß nunmehr diese Vorbildungsanstalten, obwohl von demselben Gedanken ausgehend, in Form, Inhalt und Funktion im Einzelnen verschieden sind. Ihre Ge- stalt, ja ihr ganzer Bildungsproceß ist vorwiegend ein örtlicher . Der Umfang ihrer Aufgaben richtet sich mehr nach dem Bedürfniß, als nach einem systematischen Princip; oft haben sie verschiedene Funktionen zugleich; oft bestehen sie wieder neben einander; oft sind sie bei äußer- licher Verschiedenheit innerlich wesentlich gleich. Es ist das bei aller Unklarheit im Einzelnen dennoch im Großen und Ganzen ein ganz naturgemäßer Zustand, wie er in jedem noch nicht fertigen Entwicklungs- stadium vorkommt. Er beweist nur, daß dieß ganze Gebiet noch im Werden ist und seine Zeit gebrauchen wird, ehe man zu einer festen Gestalt gelangt. Die wichtigste Folge aber von dieser Unbestimmtheit im Einzelnen ist es nun unzweifelhaft, daß vermöge derselben das öffentliche Recht dieser verschiedenen Anstalten noch kein fest abge- schlossenes ist; denn auch hier ist das Recht die natürliche Folge, oder genauer der natürliche, feste Ausdruck und die formale Anerkennung des organischen Wesens und der Stellung dieser Anstalten. Es wird uns daher nicht wundern, daß auch für die ganze äußere Gestalt und Ordnung derselben keine Einheit und Gleichartigkeit erzielt ist, und zwar ebenso wenig in der Theorie, als in der Praxis. Dieß nun zeigt sich hier wie immer am deutlichsten in den Benennungen der ver- schiedenen dahin gehörigen Anstalten. Diese Namen sind: Sonn- tags-, Feiertags-, Handwerks-, Gewerbe-, Fortbildungs-, Real- und andere Schulen. Daß sie alle etwas Gemeinsames haben, darüber existirt kein Zweifel. Daß sie aber zugleich nicht bloß verschiedene Namen derselben Sache, sondern in der That als selbständige Organe im großen System des Bildungswesens, versehen mit selbständigen Auf- gaben und daher eine eigene innere Organisation bedürfend, anerkannt werden müssen, das ist noch nicht recht zur Entscheidung gelangt. Hier ist daher bei voller Klarheit im Ganzen so viel Verwirrung im Ein- zelnen, daß zu einem System des Rechts nicht zu gelangen ist, ohne daß wir versuchen, feste und dem Ganzen entsprechende Kategorien auf- zustellen. In der That wird es speciell der Verwaltungslehre unmöglich bleiben, ohne eine solche formale Ordnung ihrer Aufgabe zu genügen. Wir müssen daher versuchen, diese Grundlage aufzustellen und dadurch zu einem Princip und System des öffentlichen Rechts der- selben zu gelangen. In der That ist dieselbe an sich sehr einfach, wenn man sie nur in ihrer gehörigen, organischen Verbindung mit dem ge- sammten Bildungswesen auffaßt. II. Das System der gewerblichen und wirthschaftlichen Bildungsanstalten. (Die Fortbildungs- und die Vorbildungsschulen.) Das, was wir das System dieser Anstalten nennen, beruht natür- lich nicht auf einer äußerlichen Schematisirung. Es geht vielmehr aus dem Verhältniß jeder einzelnen Art derselben zu demjenigen hervor, von welchem sie selber erzeugt sind und für welches sie arbeiten. Nur das, was sie zu leisten haben, darf uns endgültig erklären, was sie sind und sein sollen. Und das ist das praktische Leben und sein Be- dürfniß nach einer, für die wirthschaftlichen Zwecke desselben geordneten und begränzten gewerblichen Bildung. Das praktische Leben aber zeigt uns bei der zu bildenden Masse den angehenden Gliedern der wirth- schaftlichen Volksthätigkeit zwei große Gruppen, welche der Bildung be- dürfen. Die erste dieser Gruppen hat schon ihre künftige Bestimmung gewählt und will für diese schon feststehende Lebensaufgabe eine Weiter- bildung , welche daher die Aufgabe hat, für dieselbe den Berufs- bildungsproceß abzuschließen . Diese Gruppe wird gebildet durch die bereits in ein bestimmtes Handwerk eingetretenen Handwerker, die nun wieder Lehrlinge oder Gesellen sein können. Die zweite Gruppe da- gegen besteht aus denen, welche ihre specielle wirthschaftliche Laufbahn überhaupt erst wählen wollen. Für diese hat die wirthschaftliche Bildung einen ganz anderen Charakter. Hier ist sie nicht mehr eine Weiter- bildung, sondern vielmehr eine eigentliche Vorbildung . Diese Vor- bildung selbst ist eben deßhalb keine einfache mehr. Sie kann ihrer- seits die allgemeine Vorbildung für das eigentliche wirthschaftliche Leben sein (Realschule); sie kann aber auch noch die Möglichkeit des Ueber- ganges in die gelehrte Bildung voraussetzen und muß daher gewisse Ele- mente derselben aufnehmen (Realgymnasium). Das sind die natürlichen Grundlagen dieses Systems, und mit ihr ist es nun wohl nicht mehr schwierig, dasselbe in feste Kategorien zu ordnen und damit — wo möglich! — zu einer Uebereinstimmung in Wort und Sinn der gebrauchten Ausdrücke zu gelangen, ohne welche, wie wir wiederholen dürfen, zu einer festen Ordnung des öffentlichen Rechts nicht zu gelangen ist. I. Die erste Gruppe bezeichnen wir demnach als die der Fort- bildungsschulen für das wirthschaftliche Leben. Diese nun scheiden sich wieder in die Sonn- und Feiertagsschulen und die eigentlichen Ge- werbeschulen. a) Die Sonn- und Feiertagsschulen bilden in der That nichts anders als die Fortsetzung der Elementarbildung für die Lehrlinge. Sie sind meistens aus der Unmöglichkeit entstanden, einen genügenden Elementarunterricht für die Kinder der arbeitenden Klasse zu bieten und vertreten daher die Volksschule . Darauf beruht nicht bloß ihre Lehrordnung, sondern auch ihr öffentliches Recht. Die Frage der Sonntagsschulen entsteht nun aber da, wo der Elementarunterricht ge- nügend vorhanden ist und besteht darin, ob auch nach dem fertigen Elementarunterricht solche Schulen vorhanden sein und was sie in solchem Falle enthalten sollen? Offenbar ruht die Antwort auf diese Frage in der Bestimmung dessen, was man als Elementarunterricht bezeichnet. Wo die drei Elemente fehlen, sind sie unbedingt nothwendig; wo sie sind, sind sie unbedingt nützlich , müssen aber einen höheren Inhalt haben und den Charakter der allgemeinen Gewerbeschulen annehmen; sie werden dann speciell für die höhere Rechnung und das Zeichnen be- stimmt sein müssen. Das Mittel, beide Zwecke zu erreichen, besteht in der Einrichtung des Klassensystems; dem doppelten Zwecke müssen zwei Klassen entsprechen, die Elementar- und die höhere Klasse, welche den Uebergang zur Gewerbeschule bietet. b) Das, was wir nun als die zweite Abtheilung der Fortbildungs- schule bezeichnen, nennen wir die Gewerbeschulen . Die Gewerbe- schulen haben zwei Voraussetzungen. Die erste ist ein vollendeter Elementarunterricht; die zweite ist die bereits geschehene Berufswahl des Lernenden; derselbe muß — ebenso wie der Sonntagsschüler — bereits sein Gewerbe gewählt haben. Innerhalb dieser Gränzen aber scheiden sich nun wieder zwei Formen. Die erste ist die allgemeine Fortbildungsschule . Die Auf- gabe derselben ist die Bildung für diejenigen Kenntnisse und Fähig- keiten, welche allen Handwerken gemeinsam sind . Ohne Zweifel bestehen die Hauptgebiete derselben in den Elementen der höheren Rech- nung, und dann im Zeichnen, „der Sprache der Technik.“ An jenes hat sich das anzuschließen, was leider noch wenig ausgebildet ist, näm- lich die einfache Buchführung über die Wirthschaft der Handwerker. Nicht blos die Nationalökonomie, sondern auch die Verwaltungslehre kann nicht genug betonen, daß diese Aufgabe eine unabweisbare, daß der Segen, den das Verständniß der Haushalts- und Handwerksrech- nung bringt, ein unmeßbarer ist ! Sie ist das Maß des wirthschaft- lichen Wohlergehens jedes Einzelnen, und ihr Resultat das Bewußt- sein desselben! Wie gerne verweilten wir hier einen Augenblick! Aber der Mann, der das zu einem systematischen Inhalt der Lehre macht, wird sich ein unsterbliches Verdienst um sein Volk erwerben! — An das zweite schließt sich die Lehre von den Elementen der Mechanik und der Chemie. Es ist nicht unsere Sache, über die Gränze dieses Theiles ein Urtheil abzugeben; aber die Nothwendigkeit leuchtet von selber ein. — An diese allgemeine Fortbildungsanstalten kann sich nun schon das Vereinswesen der Handwerker anschließen und durch allgemeine Bildungs- vereine die allgemeine Bildung in das gewerbliche Leben aufnehmen. Daß dabei namentlich öffentliche Lesezimmer und Bibliotheken von größter Bedeutung sind, versteht sich von selbst; mit ihnen tritt dann das Fortbildungswesen in das Gebiet der allgemeinen Bildung über. Die zweite Hauptform möchten wir nun die eigentlichen Ge- werbeschulen nennen. Wir verstehen darunter diejenigen, deren Zweck die Bildung für ein einzelnes , bestimmtes Gewerbe oder Handwerk ist. Die Natur solcher Schulen fordert, daß sie mit ihrem ganz speciellen Zweck auch ganz specielle Aufgaben haben, die sich nach den Bedürfnissen und Voraussetzungen jedes einzelnen Gewerbes richten. Dahin gehören z. B. Spinnschulen, Webeschulen, Schlosserschulen, Tischlerschulen ꝛc. Sie können nur in größeren Städten vorkommen und nur für einzelne Gewerbe gelten. Bisher hat nur die Noth (Spinn- schulen, Strohflechten) oder die gewaltige Mitwerbung (Weberschulen) sie erzeugt; wenn wir durch die Natur der Sache die Kraft haben, zu ersetzen, was hier mangelt? II. Die zweite große Gruppe umfassen wir nun mit der allge- meinen Bezeichnung des Realunterrichts und der Realbildung. Sie zerfällt wieder, wie schon erwähnt, in zwei Formen, die Realschule und das Realgymnasium . Die Realschule , welche als der eigentliche Träger der wirthschaft- lichen Berufsbildung in Deutschland anerkannt ist, hat nun einen, wohl auch ganz unbezweifelt wesentlich von dem der Gewerbeschule verschiedenen Charakter. Wir halten daran fest, daß die Verwaltungs- lehre den pädagogischen Inhalt auch hier vorauszusetzen hat. Im orga- nischen System des öffentlichen Bildungswesens aber kommt nur ihnen der Charakter der eigentlichen Vorbildungsanstalten zu, indem die in ihnen gegebene Bildung ihren Werth wenigstens principiell erst durch die ihnen folgende Fachbildung empfängt. Während daher die Gewerbeschulen lehren, was der Gewerbsmann anwenden kann, lehren die Realschulen nur die Voraussetzungen der höheren gewerblichen Bildung. In ihnen wird die Wahl eines Berufes noch als ganz unbestimmt vorausgesetzt, mit der einzigen Beschränkung, daß der wissenschaftliche Beruf ausge- schlossen bleibt. Die Realschulen schließen sich daher unmittelbar an die höhere Elementarbildung an und erscheinen in ihren untersten Stufen geradezu als die höheren Bürgerschulen, von denen aus jeder zu jedem Gewerbe übergehen kann, während die Gewerbeschulen für das reifere Jugendalter bestimmt sind. Jene ersteren entsprechen daher dem System der gelehrten Schulen, während die letzteren vielmehr selbständig da- stehen. Realschulen sind demnach für alle Zweige des Erwerbes die geeignete Vorbildung, Gewerbeschulen dagegen nur für das eigentliche Handwerk. Das System der Gewerbeschulen ist aus demselben Grunde stets örtlich und seinen Fächern nach beschränkt . Das System der Realschulen dagegen ist offenbar ein integrirender, ja ein organischer Theil des gesammten Bildungswesens; und das ist es auch, was das öffentliche Recht derselben bestimmt hat. Ihre historische Wichtigkeit beruht auf dieser ihrer Stellung; sie sind es, in denen sich die wirth- schaftliche Berufsbildung von der gelehrten losgelöst und in denen die letzteren eigentlich erst ihre systematische, öffentlich anerkannte Stellung empfangen hat. Es darf uns daher wohl nicht wundern, wenn man vielfach das ganze wirthschaftliche Bildungswesen oft als das Realschul- wesen bezeichnet, oft aber auch das erstere mit dem letzteren erschöpft zu haben glaubt, wodurch wieder der Zusammenhang mit dem Ganzen, der sich das wirkliche Leben in trefflicher Weise zu bewahren verstanden hat, theoretisch nur zu leicht verwischt wird. Das Realgymnasium endlich bildet den Uebergang von der gelehrten Bildung zur wirthschaftlichen und umgekehrt. Der Ausdruck dieser innigen Verbindung beider ist die Aufnahme der lateinischen Classicität, mit dem Anschluß der griechischen. Wir glauben im Hin- blick auf das früher Gesagte damit den Charakter der Realgymnasien hinreichend zu bezeichnen. Die große Frage der Zukunft, die auch die Verwaltungslehre nicht nebensächlich betrachten sollte, ist die, ob und wie weit die absolvirte Bildung in einem Realgymnasium zu dem Eintritt in die Universität berechtigt. Und es ist vorauszusehen, daß sie diese Berechtigung für gewisse Berufe dereinst ganz bestimmt ge- winnen wird. An dieses System der wirthschaftlichen Vorbildungsanstalten schließt sich nun dasjenige, was wir als das öffentliche Recht derselben be- zeichnen müssen. III. Das öffentliche Recht des wirthschaftlichen Vorbildungssystems. Während nun Objekt und System dieser Anstalten in der ange- gebenen Weise aus der Natur der Sache folgen, entsteht das öffentliche Recht derselben, indem diese Vorbildung zum Gegenstand des öffent- lichen Willens und damit zum Objekt von Gesetzen und Verordnungen wird. Die hohe Bedeutung dieses öffentlichen Rechts besteht darin, daß in ihm das durch die Natur der Sache sich Bildende und Werdende erst seine feste äußere Gestalt gewinnt; formell aber bildet das öffent- liche Recht den Punkt, auf welchem das ganze Gebiet aus der reinen Pädagogik in die Verwaltungslehre übergeht und einen Theil derselben bildet. Der Inhalt dieses Rechts ist nun ein ganz bestimmter. Er be- ruht auf dem Verhältniß, in welchem die Staatsverwaltung in Be- ziehung auf das Vorbildungswesen zu der Selbstverwaltung steht; er zeigt daher die Punkte, das Maß und die Form, in denen der Staat in die Thätigkeit der letzteren entscheidend eingreift. Die Bestimmung dieser Momente ist aber darum von so hoher Bedeutung, weil das Ein- greifen des Staats, sei es durch gesetzliche Vorschriften, sei es durch Unterstützung oder sonstige Theilnahme den formellen Ausdruck der Anerkennung eines großen, für das Gesammtleben des Volkes wich- tigen Gesammtinteresses enthält und daher den Uebergang aus dem örtlichen und zufälligen in das allgemeine Verwaltungssystem bedeutet. Offenbar nun kann dieß Recht ebenso wenig ein einfaches sein, wie sein Objekt. Es ist ein System und zwar ein reiches System, weil die Grundverhältnisse dieses Rechts wiederum nicht die gleichen sein können für die höchst verschiedenen Verhältnisse der einzelnen Arten der Vorbildungsanstalten, von denen wir hier zu reden haben. Die Punkte, auf welche das System zurückgeführt werden muß, und die mithin das Gebiet der Vergleichung zu bilden haben, sind die Herstellung der Anstalt , das Lehrerwesen , die Lehrordnung und das Prüfungswesen . 1) Das Rechtsprincip für die Herstellung dieser Anstalten beruht darauf, daß eine Gleichheit derselben nicht erreichbar ist, sondern daß sowohl die Bedingungen als die Wirkungen bei weitem vorwiegend örtlicher Natur sind, und daher wesentlich der Gemeinde angehören, während sie zugleich eine allgemeine Funktion im Bildungsprocesse des Volkes ausüben. Aus dem ersten Elemente geht der Grundsatz hervor, daß die Anlage und Erhaltung derselben Sache der Gemeinde ist; aus dem zweiten der, daß der Staat die letztere, wo sie nicht im Stande ist die Last zu tragen, mit seinen Mitteln unterstützt. Nur nimmt dieser Grundsatz in seiner Anwendung auf die einzelnen Arten eine verschiedene Gestalt an. Die Sonntagss chulen bilden einen Theil des Elementarunter- richts, gehören daher dem Volksschulrecht und stehen in Beziehung auf Anlage und Erhaltung unter den für die Volksschule geltenden Regeln. Die allgemeine Fortbildungsschule ist offenbar Sache der Gemeinde; die specielle Gewerbeschule dagegen ist Sache der Gewerbsgenossen- schaft und mit Recht derselben — wenigstens zum Theil — als eine ihrer wichtigsten Pflichten überwiesen, wobei sie ihre Unterstützung von der Gemeinde zu erwarten hat und daher unter der Oberaufsicht der Gemeinde stehen muß. Es liegt nahe, dabei dem freien Vereinswesen einen ebenso großen Antheil an diesen Anstalten zu lassen, als der Gemeinde und den Genossenschaften. Die Realschulen dagegen sind zwar zunächst auch Gemeindeanstalten, haben aber doch ihre allgemeinere Bedeutung und größeren Anspruch auf den Charakter von Staatsan- stalten; es folgt, daß der Staat berechtigt, ja verpflichtet ist, ihre An- lage zu fordern , auch wieder eben deßhalb gleichfalls verpflichtet ist, die Gemeinde bei derselben zu unterstützen. Die Realgymnasien dagegen müssen wieder als Gemeindeanstalten oder als freie Unter- nehmungen angesehen werden. II. Das Lehrerwesen dieser Anstalten empfängt auf gleiche Weise durch den doppelten Charakter derselben seinen doppelten Inhalt. Princip muß sein, daß der Staat die Lehrerbildung als Staats- aufgabe und Anstalt anerkennt, daß dagegen die Anstellung der Lehrer den Selbstverwaltungskörpern überlassen bleibt. Aber auch in dieser Beziehung ist eine Verschiedenheit klar. Die Lehrer der Sonntags- schulen sind Volkslehrer; die der allgemeinen Fortbildungsschule, die der Realschulen und Gymnasien sind schon Fachlehrer und fordern daher eine öffentliche Lehrerbildungsanstalt, während die Lehrer der speciellen Gewerbeschulen keine fachmäßig gebildete Lehrer zu sein brauchen, sondern vielfach geradezu durch freiwillige Thätigkeit tüchtiger Meister ersetzt werden können. Die Gesetzgebung hierüber ist ziemlich einig und vollständig. III. Die Lehrordnung ist natürlich verschieden nach den ver- schiedenen Anstalten. Es ist Sache der speciellen Fachkunde, hier auf das Einzelne einzugehen. Doch beruht auch dieß Rechtsgebiet auf be- stimmten allgemeinen Principien. Grundsatz ist, daß die Lehrordnung der Sonntagsschulen unter denselben Regeln stehen, wie die der Volksschulen. Für die übrigen Anstalten gilt dagegen der Satz, daß der Staat in allen den Fällen, wo er Unterstützung gibt, auch das Recht haben soll, die Lehrordnung zu bestätigen , welche die Ge- meinde unter Zuziehung der Fachlehrer vorzuschlagen hat. Bei den speciellen Fachschulen bedarf es auch einer solchen Bestätigung nicht. Die Oberaufsicht, durch den Organismus der Unterrichtsverwaltung ausgeübt, versteht sich von selbst. Das Klassensystem ist allenthalben wichtig, mit Ausnahme der speciellen Handwerkerschulen; nur soll es in den Sonntagsschulen von den Verhältnissen abhängen, in den allge- meinen Fortbildungsschulen sich höchstens auf zwei Klassen reduciren und nur in Realschulen und Gymnasien ein, den gelehrten Schulen ent- sprechendes Klassensystem sein. IV. Das Prüfungswesen endlich hat die eine Seite der bloßen Zweckmäßigkeit, die zweite des öffentlichen Rechts. Es ist zweckmäßig allenthalben, mit Ausnahme der speciellen Gewerbeschulen, wo es durch Ausstellungen, eventuell durch Prämien ersetzt werden muß. Als eine Pflicht zur Prüfung kann es jedoch hier nirgends gefordert werden. Dagegen erscheint das Recht der — freiwillig — bestandenen Prüfung in zweifacher Form. Zuerst ist es wichtig, in denjenigen Anstalten, in denen es Klassen gibt, die bestandene Prüfung als Bedingung des Ueberganges von einer Klasse zur andern anzuerkennen. Zweitens ist es zweckmäßig, die Abgangsprüfung mit einem öffentlichen Zeugniß einzuführen, welches kein weiteres Recht hat als das, dem Einzelnen als öffentliches Beweismittel seiner vorhergegangenen Bildung zu dienen. Bei den beiden eigentlichen Vorbildungsanstalten muß dagegen dieses Zeugniß das Recht zum Eintritt in die betreffende Fachbildungs- anstalt mit enthalten. Dieß sind die objektiven Verhältnisse des öffentlichen Rechts dieses so wichtigen Gebietes. Vielleicht daß es uns nunmehr gestattet sein wird, auch hier zur leichteren Vergleichung, beziehungsweise zur Bear- beitung des positiven Rechts nach den angegebenen Gesichtspunkten das formale Schema dieses Theils des Bildungswesens anzufügen. Wir unterfangen uns hier nicht, eine Darstellung der bestehenden Anstalten, ihrer Organisation und ihres öffentlichen Rechts in den ein- zelnen Staaten und Ländern Deutschlands und der mit ihm auf diesem Gebiete verwandten Länder auch nur annähernd geben zu wollen. Wohl aber dürfen wir bemerken, daß die deutsche Literatur hier noch gar nichts, das Ganze umfassende besitzt, weder im Gebiete der Pädagogik, noch im Gebiete des rechtlichen Unterrichtswesens. Der Grund liegt offenbar in der völligen Unsicherheit der einzelnen Kategorien und Aus- drücke, die man anwendet, und die eine jede Zusammenstellung zu einem bloßen Materiale macht, in welchem zwar das Princip, nicht aber der das Einzelne beherrschende Gedanke klar ist. Dagegen muß in hohem Grade der Ernst und die tiefgehende Tüchtigkeit anerkannt werden, mit der die pädagogische Literatur die Sache in ihren einzelnen, vorwiegend pädagogischen Seiten erfaßt und durchgearbeitet hat. Der tiefe, gründ- liche und sinnige, für jeden höheren Anklang in edelster Weise empfäng- liche Geist des deutschen Lehrstandes, dieses Stolzes unseres Volkes, hat sich hier in glänzender Weise bewährt, und gerade die Verwaltungs- lehre ist berufen und verpflichtet, dieß auszusprechen. Daß die päda- gogische Literatur hier nicht zu einem Gesammtresultat gekommen ist, ist nicht ihre, sondern ist Schuld der Verwaltungslehre. Auch hier müssen wir der trefflichen Arbeiten in Schmids Encyclopädie rühmend erwähnen, die bei jedem Artikel über Schul- und Gymnasialwesen das Bestehende — leider zuweilen unvollständig, noch öfter ungleichmäßig — mit aufgenommen haben. Die territorialen Verwaltungsrechte haben sich nur mit dem formellen Recht beschäftigt. In der Statistik da- gegen hat Brachelli in seinen Staaten Europas das Verdienst, die Statistik auch dieser Anstalten zu einem integrirenden Theile der Staatenkunde gemacht zu haben. Er gibt (Staaten Europas S. 535 ff.) eine sehr gute Grundlage, auf der weiter gebaut werden wird. Was nun die einzelnen Staaten betrifft, so mögen hier folgende Daten genügen, die erst dann rechte Gestalt gewinnen werden, wenn man über die Grundbegriffe einig sein wird. Preußen hat das wirthschaftliche Vorbildungswesen zuerst als ein öffentliches organisirt, wenn gleich auch hier der Unterschied zwischen der Gewerbe- und der Realschule noch nicht ganz klar geworden ist. Das System desselben ist folgendes. Das Gewerbeschulwesen da- tirt bereits seit 1817, wo die ersten Provinzialgewerbeschulen errichtet wurden, noch unbestimmt und ohne scharfe Gränze, da das Realschul- wesen noch nicht existirt. Das letztere wird dann durch das Gesetz vom 8. März 1832 als ein selbständiger Organismus neben den ge- lehrten und Gewerbeschulen hingestellt mit sechs Klassen, zwei Ordnungen, (höhere und niedere) Prüfungen und eigenem Lehrerwesen. Von da an wird es nun nothwendig, das Gewerbeschulwesen dem Realschulwesen gegenüber klarer zu definiren und zu ordnen. Nachdem die vierziger Jahre dieß erstere allgemein, und damit das Bedürfniß nach einer solchen gesetzlichen Ordnung dringend gemacht hat, tritt nun mit den fünfziger Jahren die betreffende Gesetzgebung ins Leben. Das (Provinzial-) Stein , die Verwaltungslehre. V. 17 Gewerbeschulwesen empfängt seine Organisation durch das Rescript vom 5. Juni 1850; einjähriger Kursus; Verbindung mit den der Hand- werker-Fortbildungsschulen (zwei Klassen), Entlassungsprüfungen von sehr zweifelhaftem Werth, Vorbereitung für das technische Gewerbe- institut; mit der naturgemäßen geringen Berücksichtigung der allge- meinen Bildung. Die Organisation der Realschulen auf der neuen Grundlage durch Erlaß vom 6. Oktober 1859, mit der speciellen Be- zeichnung, „daß sie die Vorbildung zu denjenigen Berufsarten geben solle, für welche Universitätsstudien nicht erforderlich sind.“ Das System der Prüfungen ist auch hier streng durchgeführt und denselben für den unteren Staatsdienst bestimmte Rechte gegeben. Alles Material in Rönne , Unterrichtswesen Bd. II. Literatur in Rönne , Staatsrecht Bd. II. §. 451. 452. Oesterreichs gewerbliches Vorbildungswesen hat einen etwas an- deren Charakter. Erste Entstehung mit einzelnen Versuchen seit 1751 (mecha- nische Lehrschule), 1776 (Realhandlungsakademie), Rottenhauers Be- richt 1795: „die Realschulen sind die Lyceen des Bürgerstandes.“ Dabei fehlen ursprünglich wie jetzt die Gewerbeschulen; die beste Arbeit über die historische Entwicklung dieses Gebietes, nur etwas zu beschränkt auf das technische Element, aber sonst sehr reich an Mittheilungen und Studien, ist die Arbeit von H. Biedermann (Die technische Bildung im Kaiserthum Oesterreich 1854). Das Gewerbes chulwesen ist noch immer den durch die Gewerbeordnung errichteten Genossenschaften — wohl zu sehr — überlassen und daher noch viel zu wenig ausgebildet, ein Be- weis für die viel zu enge Auffassung dieses Genossenschaftswesens ( Stubenrauch Bd. II. §. 411). Das Reals chulwesen ist dagegen ge- setzlich geordnet durch Entwurf vom 6. September 1848 und Verord- nung vom 2. März 1851 ( Stubenrauch Bd. II. S. 393). Grund- lage: Eintheilung in Unter- und Oberrealschulwesen; die zwei ersten Jahrgänge der ersteren sind in unmittelbarer Verbindung mit der Ele- mentarschule und vertreten die Bürgerschule, Prüfungssystem §. 55. Die specielle, nach den Ländern verschiedene Gestalt des Realschulwesens erschöpfend von Ficker a. a. O. S. 416 ff. nebst der (einzigen) Ge- schichte des Realschulwesens für Oesterreich. Leider lag die genauere Darstellung des Gewerbeschulwesens außerhalb seines Planes (S. 511. 512). Sie mangelt uns, so wie eine ausreichende Statistik. Für die übrigen Organisationen müssen wir uns auf die betreffenden Artikel in Schmid berufen, die übrigens leider Biedermanns Arbeit nicht kennen. Bayern . Sonn- und Feiertagsschulen nach dem Lehrplan vom 24. April 1811; Errichtung der eigentlichen Gewerbes chulen (Ver- ordnung vom 16. Februar 1833); weitere Entwicklung (Instruction vom 4. April 1836); neueste Organisation seit 1858 ( Pözl §. 153). Sie sind zugleich die eigentlichen Realschulen; eine systematische Ordnung und Scheidung waren nicht erzielt; doch gibt es besondere Zeichenschulen ( Hopf bei Schmid Bd. I. S. 434 ff. Gugler ebend. II. S. 873). Die neue Organisation des technischen Unterrichts ist durch die Verordnung vom 14. Mai 1864 aufgestellt und in jeder Beziehung als Fortschritt zu betrachten. Aufstellung der künftigen drei Grund- kategorien: Gewerbes chule, Realgymnasium und polytechnische Schule . Die ersten treten an die Stelle der bisherigen Landwirth- schafts- und Gewerbeschulen und sind „Kreisanstalten.“ Alter der Schüler 12—14 Jahre, nebst Aufnahmsprüfung. Daran schließen sich künftig noch auszubildende „gewerbliche Fortbildungsschulen.“ Die Realg ymnasien setzen die vollständige lateinische Bildung voraus und befähigen zugleich zum Uebertritt an die polytechnische Schule und die Universität; Aufnahms- und Abgangsprüfung; vier Jahrescurse. Sie sind neue Staatsanstalten: es existiren vorderhand sechs. Baden . Hier ist der Unterschied zwischen den Gewerbeschulen und den Realschulen zwar gegeben, und die letzteren als „höhere Bürger- schulen“ durch Verordnung vom 15. Mai 1834 eingeführt, aber nicht entsprechend organisirt. ( Holtzmann bei Schmid Bd. I. S. 412.) Warum ist Dietz in seinem schönen Werke „Die Gewerbe im Groß- herzogthum Baden 1863“ nicht etwas genauer auf den Gegenstand ein- gegangen? (S. 748. 749.) Uebrigens hat das Gesetz vom 4. Juni 1864 dem fünften Theile der Lehrer an den Gewerbeschulen das Staatsdiener- recht eingeräumt (nach dem Gesetz vom 30. Juli 1840.) Es ist sehr zu bedauern, daß Dietz a. a. O. nur das einfache Budget für das gewerbliche Unterrichtswesen ohne weitere Angaben mitgetheilt hat (S. 55—75). Württembergs Geschichte des wirthschaftlichen Vorbildungs- wesens ist durch den beinahe wunderlichen Gegensatz zwischen dem Treff- lichen, was darüber seit 1836 gesagt, und dem wenig systematischen, was dafür geschehen ist, sehr interressant (vergl. Mohl , württemb. Verwaltungsrecht §. 214. Gugler , gewerbliche Fortbildungsschulen bei Schmid Bd. II. 875). Man hat nur noch sehr unvollkommene Gewerbe- fortbildungsschulen ( Lange bei Schmid Bd. I. 804). Brachelli citirt dagegen 62 Real- und 9 Oberrealschulen (a. a. O. S. 542), jene mit zweijährigem Cursus, diese in Verbindung mit einem Gymnasium und Lyceum. Wie sich jene Fortbildungsschulen verhalten, ist nicht recht abzusehen. Königreich Sachsen . Hier ist die eigentliche Gewerbeschule schon in die gewerbliche Fachschule übergegangen; das Realschulwesen ist als selbständiges Bildungssystem erst im Jahre 1860 und 1861 geordnet worden ( Gugler a. a. O. S. 877. Brachelli a. a. O. S. 541). Hannover . Hier sind die Gewerbeschulen selbständig, vertreten zum Theil die Sonntagsschulen; daneben eine selbständige „Handwerker- schule“ in Hannover ( Gugler , S. 877). Das Realschulwesen in Hannover ist dagegen nicht zur Selbständigkeit neben dem Gymnasial- wesen gediehen; es erscheint in der Form der Realklassen an den Gymnasien und Progymnasien ( Geffers bei Schmid Bd. III. 310 ff). Kurhessen . Handwerkerschulen seit der Zunftordnung von 1816 in den größeren Städten vorgeschrieben, vertreten die Gewerbeschulen; Realschulen seit Verordnung vom 15. Oktober 1838 gesetzlich geordnet, waren schon örtlich vorhanden seit den dreißiger Jahren. ( Bezzen- berger bei Schmid III. 491 ff.) Hessen-Darmstadt . Realschulen seit 1834 unter staatlicher Hülfe; doch wie es scheint, ohne gesetzliche Ordnung; die Regierung gibt eine Instruction ( Strack bei Schmid III. 526); die Handwerkerschulen seit 1837 durch den Landgewerbeverein gegründet ( Gugler ebend. S. 878). Man erkennt aus den hier angedeuteten Thatsachen, daß im Großen und Ganzen die Elemente des Systems vorhanden, das System selbst aber noch nicht ausgebildet ist. Hier ist daher noch sehr viel zu thun; es fehlt Gleichförmigkeit der Ausführung bei entschiedener Anerkennung des gemeinsamen Princips; doch mag uns auch wegen Mangels an Material sehr viel entgangen sein, was wir künftigen Arbeiten über- weisen. Zum Theil liegt dieß auch an der Unklarheit der technischen Fachbildungsanstalten, die ein noch verschiedeneres Bild geben. Holland . Von besonderem Interesse ist die neue holländische Organisation des wirthschaftlichen Vorbildungswesens, das hier der mittlere Unterricht ( middelbar Onderwiis ) genannt wird. Das betreffende ausführliche Gesetz ist vom 2. Mai 1863. Eine ausführ- liche, mit genauen Angaben aller betreffenden Bestimmungen versehene commentirende Ausgabe desselben von Dr. D. J. Stein 1863. Das ganze sehr ausführliche Prüfungswesen ist für jedes specielle Gebiet geordnet durch nicht weniger als sechzehn verschiedene Reglements vom 2. Februar 1864. Das Gesetz unterscheidet öffentliche und besondere Mittelschulen; letztere sind Privatlehranstalten. Die ersteren werden entweder von den Gemeinden oder von den Provinzen hergestellt und erhalten; das Reich unterstützt sie eventuell. Die Lehrerbildung wird nach Gesetz vom 13. August 1857 geregelt. Das System dieses wirthschaft- lichen Bildungswesens hat vier Abtheilungen, von denen allerdings nur die beiden ersten dem Vorbildungswesen angehören: Bürgerschulen, höhere Bürgerschulen, Landwirthschaftsschulen, die polytechnische Anstalt. Eine Bürgerschule soll in jeder Gemeinde mit wenigstens 10,000 Einwohnern errichtet werden. Die höheren Bürgerschulen haben entweder einen drei- jährigen oder einen fünfjährigen Curs und entsprechen ganz unsern Realschulen; die Gymnastik ist obligat! Das Lehrerwesen dafür ist genau geordnet in §. 23 ff. Die Lehrer werden vorgeschlagen durch die Ge- meinde; der König ernennt die Lehrer der höheren Schulen. Das Pensionsrecht der Lehrer ist bereits durch Gesetz vom 9. Mai 1846 all- gemein festgestellt und speciell durch Gesetz vom 3. Mai 1851 und 24. December 1863 geregelt; dazu die §§. 32 ff. des Gesetzes vom 2. Mai 1863. Schulgeld ist anerkannt; Lehrordnung gesetzlich für jede Art der Schulen geregelt §. 16. 17. — Ueber Gewerbeschulen fehlen uns weitere Angaben; warum hat le Roy (Art. Holland) bei Schmid auf jenes Gesetz und auf die letzteren keine Rücksicht genommen? — Realgymnasien fehlen dagegen gänzlich. B. Das wirthschaftliche Fachbildungssystem . I. Allgemeiner Charakter. Wenn wir gegenüber der klaren und in sich einfachen Gestalt und Stellung, welche das Universitätswesen als gelehrte Fachbildungsanstalt einnimmt, ein höchst verschiedenartiges, zum Theil sogar unklares Bild der wirthschaftlichen Fachbildung finden, so wird es wohl nothwendig, sich über die in dem Wesen der Sache selbst liegenden Grunde zu ver- ständigen, die diesen Unterschied hervorgerufen haben; denn in der That werden wir nur von ihnen aus einen klaren Ueberblick über ein Gebiet gewinnen, das bis jetzt noch auf allen seinen Punkten nach einer festen Gestaltung ringt, und erst mit dieser in Praxis und Theorie seine definitive Stellung gewinnen wird. Die wirthschaftliche Fachbildung unterscheidet sich nämlich wesentlich von der gelehrten dadurch, daß bei jener der praktische Werth des einen Gebietes derselben für das andere als ein sehr geringer erscheint und daher die Verbindung der bildenden Thätigkeiten auf den ersten Blick mehr ein Beweis als eine Forderung wird. Während daher bei dem gelehrten Fachbildungswesen sich die Specialität der Fächer nur lang- sam aus der wissenschaftlichen Einheit des Ganzen, der Universitas literarum, entwickelt hat, hat die wirthschaftliche Fachbildung vielmehr auf dem umgekehrten Wege bei der strengen Specialität begonnen und jene Einheit überhaupt noch nicht erreicht. Während für jene eben deß- halb gleich von Anfang an die Gleichmäßigkeit und Gleichartigkeit des gesammten Bildungsganges in Fakultäten, Vorlesungen, Prüfungen und wissenschaftlichen Würden feststeht, erscheint für diese dagegen eine nicht bloß äußerliche, sondern auch innerliche Scheidung mit vollstän- diger Selbständigkeit jeder Fachbildungsanstalt von der andern. Wäh- rend für jene das Verhältniß der Vorbildungsanstalten in dem gelehrten Schulwesen sich leicht und sicher geordnet hat, ist das Verhältniß von Anfang an für diese sehr unsicher gewesen, und auch jetzt noch keines- wegs ein festgeordnetes oder gleichartiges. Während für jene daher das öffentliche Recht und die Aufgabe des Staats als ein geschlossenes Ganze auftritt und die Ordnung eine einheitliche ist, ist das erstere für jede Anstalt des letztern verschieden, und die letztere beruht auf den speciellen Verhältnissen der einzelnen Institute. Während endlich jene als Staatsanstalten anerkannt sind und als solche behandelt wer- den, treten hier theils Vereine, theils sogar Privatunternehmungen in gleicher Weise auf; und so ist es nicht möglich, den viel zerfahrenen Stoff der wirthschaftlichen Fachbildung in gleicher Weise wie den der wissenschaftlichen zu behandeln. Das ist unzweifelhaft der Grund, weß- halb wir überhaupt noch keine umfassende Darstellung, ja nicht einmal eine einheitliche Auffassung der ersteren besitzen. Die Verwaltungslehre wird daher gezwungen , hier die Elemente eines festen Systems aufzustellen und kann erst auf dieser Grundlage zur Uebersicht über das Recht und die Funktion des Ganzen und der einzelnen Theile dieses Gebietes gelangen. Dieß nun wird kaum besser geschehen können, als indem wir den historischen Entwicklungsgang der Sache auf Grundlage ihres allgemeinen Begriffes kurz andeuten. II. Begriff und Elemente der geschichtlichen Gestaltung der wirthschaftlichen Fachbildung. Das, was wir dem Begriffe nach als wirthschaftliche Fachbildung bezeichnen müssen, besteht in dem Erwerb derjenigen Kenntnisse und Fähigkeiten für wirthschaftliche Produktionen, welche durch den wirk- lichen Betrieb von Unternehmungen aller Art nicht erst erworben wer- den können, sondern vielmehr die geistige Bedingung der Leitung und Entwicklung desselben bilden. Es ist daher an sich kein Zweifel, daß jede Art der Unternehmungen eine eigene Fachbildung voraussetzt und wünschenswerth macht. Es ist aber auch klar, daß diese Fachbildung zunächst Sache des Einzelnen ist, und durch den Einzelnen erworben werden muß, wie sie für den Nutzen des Einzelnen dient. Allerdings liegt sie daher in der Natur der volks- wirthschaftlichen Entwicklung; allein eben darum erscheint sie nicht als Angelegenheit und Aufgabe des Staats, wenn nicht ein besonderes Moment hinzutritt. Und in der That hat sich die Verwaltung um diese Fachbildung bis auf die neueste Zeit so gut als gar nicht geküm- mert. Erst unser Jahrhundert hat sie als öffentliche Angelegenheit er- kannt, und es ist daher nicht thunlich, sie ohne Anschluß an den allge- meinen Gang der Geschichte zu übersehen. In der That nämlich bleibt die Entwicklung des wirthschaftlichen Bildungsprocesses, die wir als Grundlage des Vorbildungssystemes oben bezeichnet haben, bei diesen Vorbildungsanstalten fast ein Jahrhundert lang stehen, ohne zu Fachbildungsanstalten überzugehen. Die Real- schulen und höheren Bürgerschulen sind die höchsten Bildungsschulen des Bürgerstandes; alles Weitere muß derselbe dann im wirklichen praktischen Leben selber lernen. Daß ein innerer Zusammenhang zwischen den einzelnen Fächern sei, wird zwar geahnt, aber bei der vorwiegend gelehrten Richtung der Wissenschaft nicht verstanden; an eine Bethei- ligung der Verwaltung über dasjenige hinaus, was die Universitäten höchstens in der Cameralwissenschaft darboten, ward noch nicht gedacht. Ein System von wirthschaftlichen Fächern und von öffentlichen ihnen entsprechenden Anstalten konnte sich erst auf Grundlage äußerer Veran- lassung entwickeln. Dasselbe ist daher kein Kind der pädagogischen Re- flexion, sondern ein Produkt der langsam fortschreitenden Geschichte. Den ersten Anstoß dazu gab die Anwendung der mit dem vorigen Jahrhundert entstehenden Finanzwissenschaft auf die Regalien . Wir haben hier nicht über den historischen Begriff derselben zu streiten. Als feststehend wird man uns zugeben, daß ein Regal ein Hoheitsrecht war, das als Einnahmsquelle benutzt ward. Zu den Regalien als Ein- nahmsquellen kamen dann die Domänen aller Art hinzu, die bald als Grundbesitz, bald als Nutzrechte, bald als Unternehmungen auf- traten. Regalien und Domänen forderten eine Verwaltung; diese Ver- waltung sollte eine wesentlich nutzbringende sein; um sie dazu zu machen, wurden seit dem Entstehen der Polizei- und Finanzwissenschaft gewisse Kenntnisse erfordert; den Erwerb dieser wirthschaftlichen Kenntnisse mußte daher der Staat jetzt für die Beamteten seiner Regalien und Domänen fordern; um sie fordern zu können, mußten sie als selbständige Wissen- schaft da sein und als solche gelehrt werden. So entstand das Gebiet der Cameralwissenschaften . Sie hängen allerdings auf das Engste mit den Staatswissenschaften zusammen; aber diese Verbindung war und blieb eine äußerliche. Ihrem Wesen nach sind sie die erste Form einer selbständigen wirthschaftlichen Fachbildung neben der gelehrten. Mit ihnen tritt das Fachbildungswesen zuerst öffentlich neben dem ge- lehrten auf. Zwar sind sie noch sehr einseitig und beschränkt; sie sind eigentlich nur die Fachbildung für die wirthschaftlichen Erwerbsthätig- keiten der Verwaltung; aber sie sind dennoch der erste selbständige Beginn einer weiteren Entwicklung, deren Schicksal auch für das übrige Bildungswesen von nicht geringem Interesse ist. Als nämlich mit der Auflösung der ständischen Ordnung der Staat aus seinem fast privatrechtlich formulirten Gegensatze zu der Gesellschaft hinaustritt und zum Organismus der Gemeinschaft wird, verschwindet gleichsam von selbst der Gedanke, daß er als Privatsubjekt einen wirth- schaftlichen Beruf, Erwerb und Besitz haben und mithin Unterneh- mungen betreiben solle, wie ein Einzelner. Gerade das aber war die Grundlage der Cameralwissenschaft und Bildung gewesen. Sie ver- schwanden daher in ihrer alten Form; und an ihre Stelle trat nun ein wesentlich anderer Standpunkt mit einer anderen Aufgabe. Während nämlich einerseits die Cameralien in die eigentliche Finanz- verwaltung übergehen, entwickelt sich der Gedanke der Verwaltung der Volkswirthschaft, die Idee der Volkswirthschaftspflege. Diese Idee fordert von dem Staate in seinem Verhältniß zur Volkswirthschaft ein Doppeltes. Einerseits soll derselbe die Einzelnen nun auch in der Volks- wirthschaft gegen wirthschaftliche und weiter gehende Gefahren schützen, die in gewissen Unternehmungen liegen, andererseits soll er das Seinige thun, um die Produktion zu fördern, und zwar beides in Beziehung auf bestimmte einzelne Arten von Unternehmungen. Die Verwaltung, noch im Anfange dieses Jahrhunderts nur zu sehr bereit, jeden Theil des öffentlichen Lebens unter ihre Vormundschaft im Sinne der eu- dämonistischen Theorien aufzunehmen, gab ihrerseits selbst Anlaß zu jener Forderung. Bis dahin hatten die alten ständischen Körperschaften eine gewisse Polizei, sowie eine gewisse Unterstützung der gewerblichen Pro- duktion übernommen. Jetzt hören sie auf; zum Theil wie in Frankreich vollständig, zum Theil dem Wesen nach wie in Deutschland. Dieselbe Gesetzgebung, welche auf diese Weise den Zünften und Innungen ihre Funktion der Volkswirthschaftspflege nahm, war damit auch berufen, sich an ihre Stelle zu setzen. Das Mittel dafür lag nahe. Sie mußte nunmehr eine öffentliche Fachbildung an die Stelle der zünftigen setzen, theils als Schutz, theils als Bedingung der Förderung der höheren volkswirthschaftlichen Interessen. So entstand die zweite Gestalt der Forderung nach einer öffentlichen wirthschaftlichen Fachbildung und der der Anstalten selbst. Es bilden sich allmählig, meist ganz unabhängig von einander, staatliche Lehranstalten, die eigens zum Zweck der wirthschaftlichen Fachbildung aufgestellt werden. Dieselben theilen sich nach Zweck und Entstehungsgrund in zwei Hauptarten. In der ersten Art zeugt das sicherheitspolizeiliche und zum Theil wirthschaftlich polizei- liche Element vor; in der zweiten dagegen die eigentliche Pflege der Volkswirthschaft. Es ist klar, daß erst hiemit die wirthschaftliche Fach- bildung beginnt, selbständig und allgemein zu werden. Hier ist ein anderer Faktor lebendig als der der Cameralwissenschaften und ihrer Lehrfächer. Es ist nicht mehr das Interesse des dem Volke gegen- überstehenden Staats, das sie erzeugt und leitet, sondern das Gesammt- interesse. Es ist nicht mehr der Gesichtspunkt einer guten Verwaltung der Staatsaufgaben, von dem aus das Ganze entsteht, sondern der der Beförderung des höchsten volkswirthschaftlichen Fortschrittes. Wäh- rend daher die Cameralien der polizeilichen Epoche angehören, gehören diese Anstalten der staatsbürgerlichen, und es wird uns daher auch nicht wundern, daß sie, vorher kaum in Andeutungen vorhanden, erst in unserem Jahrhundert zur rechten Blüthe kommen, und in ihrer Ent- wicklung noch keineswegs fertig, ebenso wenig in allen Staaten gleich- artig sind. Es sind weder alle einzelnen Arten dieser Anstalten aus- gebildet, noch haben sie allenthalben die gleiche Aufgabe, noch auch das gleiche öffentliche Recht. Hier sind wir auch in Deutschland noch so sehr im Werden, daß kaum noch einmal eine Geschichte dieser Bewegung mit rechtem Erfolg geschrieben werden kann und daß sich die Behandlung noch einige Zeit ziemlich strenge auf der Basis der allgemeinen Unter- scheidung von Realismus und Humanismus halten muß. Wohl aber ist es ganz nothwendig, schon jetzt aus der Natur jener Entwicklung hin- aus ein festes System aufzustellen, das man als Grundlage für das öffentliche Recht für die Bestimmung der nächsten Aufgabe des Staats, und endlich für die statistische Vergleichung dessen gebrauchen kann, was hier bisher geschehen ist. Legt man nämlich die obige Unterscheidung zum Grunde zwischen dem höheren polizeilichen und dem volkswirthschaftlichen Gesichtspunkte, das die Verwaltung bei der Herstellung dieser Anstalten bietet, so erscheint folgendes Bild. Diejenigen wirthschaftlichen Fachbildungsanstalten, welche das Maß der Fachbildung sichern sollen, ohne welches die allgemeinen Interessen bei Betrieb gewisser Unternehmungen gefährdet erscheint, und bei denen die volkswirthschaftliche Fortentwicklung erst in zweiter Reihe steht, sind: die Schifffahrtsschulen , die Bauschulen , die Forstschulen , die Bergbauschulen . Diejenigen dagegen, bei denen die allgemeine Entwicklung des wirth- schaftlichen Lebens Aufgabe und Ziel der Anstalt ist, sind die poly- technischen Anstalten, die Landwirthschaftsschulen und die ge- werblichen Kunstschulen . Natürlich sind diese Schulen oder Bildungsanstalten nicht auf allen Punkten scharf zu scheiden; es ist ferner klar, daß die eigentlichen Ge- werbeschulen bis zu einem gewissen Grade auch dahin gehören; allein jene bilden dennoch ein System für sich, weil sie selbst als Theil eines größeren Systems erscheinen; und das findet nun, wie wir gleich sehen werden, seinen Ausdruck in dem Verhältniß derselben einerseits zum Staate selbst, andererseits zu dem System der Vorbildungsanstalten, das eben durch sie erst seinen Abschluß empfangen könnte. Neben diesem System von Anstalten trat nun allmählig das Be- dürfniß auf, auch für diejenigen volkswirthschaftlichen Gebiete, die durch jene nicht umfaßt waren, eine systematische Fachbildung herzustellen. Hier aber konnte die Verwaltung nicht weiter eingreifen, weil hier die Gränze begann, an der das Einzelinteresse für die Bildung das Entscheidende wird. Sie mußte daher das übrige Gebiet der freien Selbstthätigkeit des Volkes überlassen. Dieß Gebiet nun, dessen Charakter darin be- steht, daß in ihm die individuelle Tüchtigkeit und Kraft zuerst und zu- letzt das Maßgebende wird und das deßhalb die Fähigkeit besitzt, die beste Fachbildung durch sich selbst zu bieten , ist der Verkehr. Das letztere ist sein eigenthümliches Wesen, seine hohe Bedeutung für die Entwicklung der Völker, aber auch seine Gefahr. Den Verkehr, die durch freien Vertrag vom Einzelnen zum Einzelnen übergehende Be- wegung der Güter, kann und soll kein Gegenstand der unmittelbaren Thätigkeit des Staats sein; die Errichtung von Produktions-Bil- dungsanstalten fällt ihm zum Theil, die von Verkehrsschulen gar nicht anheim. Wir nennen diese Verkehrsschulen mit ihrem gewöhn- lichen Namen Handelsschulen . Handelsschulen sind daher ihrem Wesen nach Sache des Vereinswesens, oder der Privatunternehmung. Für sie kann es, wegen ihres an sich unbegränzten Gebietes, kein öffent- liches Recht geben, die Verwaltung muß sie den Einzelnen überlassen. Dennoch sind sie unzweifelhaft ein selbständiges, drittes Organ des wirthschaftlichen Fachbildungswesens und das Bild des letzteren ist ohne sie kein vollständiges zu nennen. — Dieß nun sind die Elemente des Systems der wirthschaftlichen Fachbildungsanstalten. Es ist auf den ersten Blick klar, daß es den Charakter der Vereinzelung hat, und daß andererseits eine für das Ganze entscheidende Frage darin besteht, in welchem Verhältniß die- selben zum allgemeinen Bildungswesen und seiner öffentlichen Rechte stehen sollte. Dieß zu untersuchen und zu bestimmen, ist nicht Sache der wirthschaftlichen Methodologie, sondern der Verwaltungslehre über- haupt; der deutschen aber im Besondern, weil hier wieder Deutschland das Muster und der Lehrer aller andern Völker zu sein berufen ist. Es ist, wie schon oben erwähnt, noch sehr schwer, eine Geschichte des wirthschaftlichen Fachbildungswesens zu schreiben, da es fast auf allen Punkten noch in der Entwicklung begriffen ist. Bisher hat sich eigentlich gar kein Zweig der Literatur um dasselbe als Ganzes geküm- mert und zwar weder die Staats- oder Polizeiwissenschaft, die doch auf das Staatsschulwesen Rücksicht nahm, noch selbst die pädagogische, sonst so reiche Literatur, die bisher in den Vorbildungsschulen stecken geblieben ist, wie selbst die sonst so gründlichen Aufsätze in Schmids Encyklopädie. Fest steht jedoch wohl das eine, daß man die obigen Epochen auch in der Literatur unterscheiden kann. Man darf sagen, daß die erste Epoche die cameralistische , die zweite die polytech- nische ist. Wir meinen nun unter der erstern nicht diejenige, welche überhaupt die Staatswissenschaften in der Form der Cameralwissen- schaften verstand und lehrte und die namentlich Baumstark , Came- ralistische Encyklopädie 1835. S. 31—38 für die letzte Hälfte des vorigen Jahrhunderts ziemlich vollständig anführt, sondern diejenige, welche die cameralistische Bildung und die Herstellung darauf gerichteter Anstalten als Aufgabe der Verwaltung fordert. Den Anstoß dazu gab allerdings die Aufnahme der cameralistischen Studien an den Universitäten; schon 1730 die erste cameralistische Professur in Rinteln , 1742 in Leipzig, 1741 in Upsala. Dann erscheinen diese Professuren an den hohen Schulen, welche die Universität vertreten, 1745 am Carolinum in Braun- schweig, 1752 am Theresianum in Wien, 1774 eine „Cameralschule“ in Kaiserslautern, 1782 eine ökonomische Sektion an der Stuttgarter Akademie, 1789 ein cameralistisches Institut in Marburg. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts aber treten dieselben Bestrebungen nun auch an den Universitäten auf, 1755 in Göttingen, 1742 in Leipzig, 1770 in Jena, 1784 in Mainz; von da an fast auf allen Universitäten. Allein hier erfaßte die höhere Bewegung der Staatslehre diese Pro- fessuren und machte aus ihnen Lehrstühle der Staatswissenschaften; nur Tübingen behielt seine cameralistische Richtung selbständig ( Baumstark §. 28). Das Element der wirthschaftlichen Fachbildung verschwindet damit und löst sich in ganz allgemeine, rein theoretische Vorlesungen auf, die gleichmäßig für Juristen und Fachmänner gelten sollen. Das war ein Fortschritt für die Universitäten, aber konnte freilich dem Fache nicht genügen. Daher begann jetzt die zweite Bewegung, welche diese Fachbildung zwar selbständig herstellte, aber eben in lauter einzelnen , ohne inneren Zusammenhang dastehenden Schulen. Eine Uebersicht dieser Entwicklung fehlt uns noch gänzlich; auch hat sie bisher wohl darum niemand gesucht, weil die Verbindung ihrer Funktion mit dem Ganzen nicht herausgefühlt ward. Erst die polytechnische Bildung und Literatur begründet hier eine neue, für den deutschen Geist höchst be- zeichnende Epoche. Die polytechnische Schule in Paris ward zwar von Vielen damals wie jetzt für etwas ganz anderes gehalten, als was sie wirklich ist, ein sehr untergeordnetes Glied im französischen Bildungs- system; aber die technische Bildung selbst ward seit dem zweiten Jahrzehent in Deutschland mit jedem Jahre nothwendiger, weil Deutsch- land begann, den großen industriellen Kampf mit England durch An- lage von Maschinen und durch Schöpfung einer eigenen Industrie auf- zunehmen. Von jetzt an erschien diese technische Bildung als eine Volks- angelegenheit, der die junge Industrie die Hand reichte. Sie schloß sich dabei an das Entstehen der Realschule an und so entstand das, was die gegenwärtige Auffassung noch mehr charakterisirt als die damalige, die Vorstellung, daß die technische Fachbildung die eigentliche Höhe der Fachbildung enthalte, neben der alle andern von sehr geringer Bedeu- tung seien. Den literarischen Anstoß dafür gab Dingler in seiner Schrift: „Nothwendigkeit der Gründung einer polytechnischen Akademie. Augsburg 1821.“ Dann Hermann mit seiner Arbeit: „Ueber poly- technische Institute 1826“ und später Nebenius : „Ueber technische Lehr- anstalten 1833,“ nebst einer Reihe anderer folgten. Alle übrigen Fach- schulen wurden daneben vernachlässigt; die Literatur ließ sie ganz bei Seite, so daß selbst Baumstark trotz seines Fleißes keinen Anlaß findet, auf sie einzugehen und selbst die Territorialgesetzkunde sie kaum berühren, wovon wieder nur Mohl , Württembergisches Verwaltungs- recht II. §. 214 eine rühmliche Ausnahme macht. Die Beschäftigung mit den polytechnischen Anstalten hatte dagegen den wichtigen, wenn auch nur langsam eintretenden Erfolg, die wirthschaftliche Fachbildung überhaupt in ihrer hohen und allgemeinen Bedeutung dem Volke zum Bewußtsein zu bringen. Sie ist als der Keim anzusehen, von dem das eigentlich systematische und einheitliche Element derselben ausgeht. Es darf dabei nicht verkannt werden, daß die Statistik hier viel geleistet hat und auch ihrerseits an der einheitlichen Auffassung redlich mit- gearbeitet hat. Die Staatswissenschaft dagegen hat sich weder im Ge- biete des Staatsrechts noch in dem der Polizeiwissenschaft der Frage angenommen. Eine systematische Behandlung existirt nicht. III. Das öffentliche Recht und die Organisation des wirthschaftlichen Fach- bildungssystems. (Herstellung der Anstalten, Lehrsystem, Prüfungswesen.) Das öffentliche Recht dieser Anstalten entsteht nun, indem man sich jene Anstalten als naturgemäße Glieder des gesammten Bildungs- organismus, gefordert von der Natur der Sache und erzeugt durch das Bedürfniß der staatsbürgerlichen Volkswirthschaftsordnung denkt, und sich nun die Frage stellt, ob und was die Verwaltung theils im Wege der materiellen Hülfe, theils im Wege der Gesetzgebung für die Herstellung und Benützung zu thun habe . Die Gesammtheit der darauf bezüglichen Bestimmungen ist es, welche jenes öffentliche Recht derselben bildet. Indem wir nun voraussenden, daß eine genauere Entwicklung des- selben Sache eigener und eingehender Arbeiten sein muß, muß den- noch die Verwaltungslehre zu einem bestimmten Resultat über die we- sentlichen Grundlagen dieses Rechts gelangen. Wir betonen dieselben aber um so mehr, als sie bisher unseres Wissens noch gar nicht Gegen- stand von allgemeinen Untersuchungen geworden sind, sondern die Ver- waltungen vielmehr von Fall zu Fall nach Maßgabe der Verhältnisse entschieden haben, was für die ganze Ordnung dieses Rechtsgebietes entscheidend geworden ist. Die Punkte auf denen das letztere beruht, sind die Pflicht zur materiellen Herstellung solcher Anstalten und ihrer Bedingungen, das Bildungs- oder Lehrsystem derselben, und endlich das Recht der be- standenen Prüfung . 1) Das Rechtsverhältniß der Herstellung oder Unterstützung ist einfach. Alle Verkehrs- oder Handelsschulen sind principiell Vereins- oder Privatunternehmungen, und beruhen auf örtlichen Bedürfnissen und Verhältnissen. Sie sind Sache des Einzelnen, und darum frei , wie der Gegenstand, mit dem sie zu thun haben. Sie können keine Staatsanstalten sein; in Folge dessen hat auch die Verwaltung weder das Recht, ihre Organisation vorzuschreiben, noch an die von ihnen aufgestellten Lehrkurse oder Lehrer andere bestimmte Forderungen zu stellen, als die, welche in allgemeinen polizeilichen Vorschriften liegen. Dagegen ist natürlich eine Unterstützung nicht ausgeschlossen, und es bleibt in solchem Falle der Verwaltung frei, diejenigen Bedingungen zu stellen, welche sie für angemessen hält; dasselbe gilt, wo ein Selbst- verwaltungskörper eine Unterstützung gewährt. Dagegen müssen die oben genannten Produktions-Fachbildungs- anstalten als nothwendige Glieder des öffentlichen Bildungswesens anerkannt, und daher auch vom Staate hergestellt werden. Sie sind daher grundsätzlich Staatsanstalten , ihre Organisation ist ein öffent- liches Recht, ihre Lehrer sind Beamtete des Staats, und die Fragen, die sich an ihre formale Organisirung anknüpfen, erscheinen als Fragen des Rechts des öffentlichen Bildungswesens. Zunächst treten damit diese Fachanstalten in dieselbe Reihe mit den öffentlichen Vorbildungsanstalten. Allein vermöge ihres Objekts haben sie dennoch einen andern Charakter. Sie können nicht für jeden Ort hergestellt werden; die Verwaltung kann nicht fordern, daß wie bei den Staatsschulen, jede größere Gemeinde solche Anstalten errichte. Sie müssen daher im engeren Sinne des Wortes Staats- oder Reichs - anstalten sein; der Staat muß ihre Kosten tragen, und muß daher auch ihre Verwaltung leiten. Allein anderseits sind sie doch zugleich wissenschaftliche Lehranstalten. Sie sollen daher an der großen Er- rungenschaft Theil nehmen, welche die Universitäten aus der ständischen Epoche uns erhalten haben, der Selbstverwaltung ihrer geistigen, wissenschaftlichen Funktion durch die eigenen Lehrkörper . In der That treten sie erst damit in den Rang der höchsten Fachbildungs- anstalten ein, und der Hauptbeweis des richtigen Verständnisses ihrer Aufgabe von Seiten der Regierungen Deutschlands besteht eben in der Uebertragung dieses großen Princips des Universitätslebens auf jene wirthschaftlichen Fachbildungsanstalten. 2) Die Fragen des Lehrsystems derselben sind nicht minder be- deutsam. Wir haben drei Hauptpunkte für dieselben zu beweisen. Der erste Punkt betrifft das Verhältniß vom Systeme der Vor- bildungsanstalten und zwar einmal welche Art , und dann welche Klasse derselben als genügende Vorbereitung angesehen werden soll. Die Antwort ist nach der Natur der Sache einfach. Das ganze Sy- stem der Fortbildungsschulen ist nicht fähig, als Vorbildung für die Fachbildung zu gelten; nur die Realschulen und die Realgymnasien können das Recht zum Eintritt in die letztere geben. Dabei darf man als unzweifelhaft annehmen, daß die Absolvirung der höchsten Klassen der letzteren für die drei letzteren Arten der Fachbildungsschulen ge- fordert werden muß , während die ersten Arten sich mit der Absol- virung der untern Klassen (Unterrealschule als höhere Bürgerschule) begnügen können . Das Eintreten muß im einzelnen Falle bestimmt werden. Auf diese Weise schließt sich hier das System der Fachbildung äußerlich formell ab, und gerade in diesem Sinne sind die Realschulen Vor bildungsanstalten, während sie für alle diejenigen, die nicht in solche Fachbildungsanstalten eintraten, den Abschluß der Bildung dar- bieten. Das bedarf keiner weitern Darlegung. Der zweite Punkt betrifft den Lehrplan . Der Lehrplan ist auch hier, wie bei der gelehrten Bildung, nicht mehr Angelegenheit des subjektiven Ermessens, denn das zu Lernende enthält die theore- tischen Bedingungen einer öffentlichen Funktion, und die Verwaltung hat daher mit der Pflicht zugleich das Recht, maßgebenden Einfluß auf die Gegenstände und den Gang der Lehre zu nehmen — ein Recht, das dieselbe auch in vollem Maße auszuüben pflegt, denn die Lehr- kurse sind allenthalben streng gesetzlich vorgeschrieben. Für diesen Plan nun müssen zwei Gesichtspunkte maßgebend werden, und es ist von entscheidender Bedeutung, daß Pädagogik und Verwaltungsrecht gleich sehr auf sie Rücksicht nehmen. Der erste ist einfach der Grundsatz, daß jede dieser Fachschulen vermöge ihrer speciellen Aufgabe natürlich auch ihren speciellen , unter Mitwirkung der Lehrer geordneten Studienplan aufstelle. Der zweite dagegen enthält die Forderung, daß diese Fachbildungen zugleich die allgemeine Bildung enthalten und darbieten, und somit die Er- weiterung des geistigen Gesichtskreises mit den speciellen Kenntnissen zugleich gewinnen sollen. Daß beide Aufgaben nothwendig sind, ist kein Zweifel. Die erste bedeutet das Verhältniß dieser Fachbildung zur Praxis, die zweite das zur Wissenschaft. Das, worauf es an- kommt, ist daher die Bestimmung des Verhältnisses, in welchem beide zu einander stehen sollen. Diese Bestimmung aber ist Sache der Verwaltungslehre. Dafür insbesondre gibt es nun zwei Systeme. Das erste und allgemeinste besteht darin, in jeder einzelnen Fachbildungsanstalt die allgemein wissenschaftliche Bildung mit der Specialbildung, so weit die Verhältnisse es zulassen, zu verbinden . Das zweite enthält die un- klare und gänzlich unausführbare Vorstellung von einer höchsten wirth- schaftlichen Bildungsanstalt, welche den andern einzelnen Anstalten gegenüber gleichsam die Stellung der Universität zu vertreten habe, und neben der die übrigen Anstalten daher als untergeordnete Glieder stehen sollen. Das dieser letztern Vorstellung zum Grunde liegende, unverarbeitete Gefühl ist das, daß das ganze wirthschaftliche Bil- dungswesen nur seinem Inhalt nach zwar von dem gelehrten wesent- lich verschiedenes, aber dennoch seiner wissenschaftlichen Bedeutung nach gleichberechtigtes System enthalte, und daher in denselben Formen, aber äußerlich bestimmt getrennt, als ein großer Bildungsorganismus sich hinzustellen bestimmt sei. Seinen positiven Ausdruck hat dieses Gefühl in dem Satze gefunden, daß die polytechnischen Anstalten diese volkswirthschaftlichen oder technischen Universitäten seien, oder dazu ausgebildet werden müssen, ohne daß man bisher zugleich im Stande gewesen wäre, sich dabei über das Verhältniß der übrigen Fachbildungs- anstalten zu einem solchen polytechnischen Institut Rechenschaft ab- zulegen. Es ist auf den ersten Blick klar, daß dieß theoretisch eine voll- kommen falsche und praktisch unausführbare Vorstellung ist. Ihre formale Consequenz wäre offenbar, daß nicht eben bloß Technik und Naturwissenschaft, sondern auch Landbau, Forstwesen, Schifffahrt, und gewerbliche Kunst gleichsam als Fakultäten in die polytechnischen Schulen aufgenommen werden müßten, was schon an und für sich, selbst äußerlich, unthunlich ist. Die polytechnische Universität ist schon deßhalb nicht darzustellen. Allein der Widerspruch ist ein viel tieferer, wirklicherer. Die Voraussetzung jeder Universität, das, was sie eigent- lich zur Universität macht, besteht darin, daß das alle Fakultäten Umschließende und Vereinende wieder eine selbständige Fakultät (die philosophische) ist, welche die geistige Einheit des Verschiedenen zu einer selbständigen Aufgabe der Bildung macht. Nun aber ist es klar, daß die Technik, die Lehre von den mechanisch oder chemisch wirkenden Kräften der Natur, diese Einheit nicht bietet, so wenig als die bloße Nationalökonomie oder die Statistik. Das was die technischen oder polytechnischen Schulen lehren, ist selbst nichts als Theil des Ganzen; sie sind in der That nur die Fachbildungsanstalten für Bau- und Maschinenwesen, und stehen somit einfach neben den übrigen Fach- schulen. Der Versuch, durch einfache äußerliche Hinzufügung aller höheren, auf die wirthschaftliche Bildung bezüglichen Fächer zu der technischen Fachbildung dem Polytechnikum die Funktion der Univer- sität beizulegen, muß daher stets mißlingen, schon physisch deßhalb, weil die specielle technische Bildung doch die Ansprüche, die sie an die Zeit der Schüler macht, entweder die allgemeinen Fächer erdrückt, oder von diesen erdrückt wird. Der entschiedenste Versuch, jenen Gedanken zu verwirklichen, hat die Wiener polytechnische Anstalt in ihrer neuen Organisation gemacht, und dieser Versuch muß nach dieser Rich- tung als ein vollkommen mißlungener angesehen werden, da die Theil- nahme an den rein technischen Gebieten die Betheiligung selbst an der allgemeinen volkswirthschaftlichen Bildung, namentlich Nationalöko- nomie und Statistik, zu einer bloßen Form machen muß. Man muß daher principiell davon ausgehen, daß jede jener Fachschulen ihr spe- cielles Gebiet hat; und daß es nicht ihre Bestimmung ist, das All- gemeine dieses Gebietes zu erschöpfen, sondern vielmehr nur die An- wendung derselben auf das wirthschaftliche Leben und seine großen Unternehmungen zu lehren. Die übrigen Fachbildungsanstalten be- zeichnen schon durch ihren Namen, was in diesem Sinne ihr Gegen- stand ist. Die polytechnische Schule, auf ihr organisches Maß zurück- geführt, ist die Lehre von der Anwendung der natürlichen Kräfte in zwei ganz bestimmten Gebieten, der Baukunde und der Maschinenkunde. Alles andere liegt außerhalb ihres Kreises, und muß in der unnatür- lichen Verbindung mit diesen beschränkten Specialfächern eben so zu Grunde gehen, als wenn man eine medicinische Fakultät mit einer philosophischen verbinden, und Vorträge und Studien beider für alle Hörer obligatorisch machen wollte. Der großartig, aber einseitig an- gelegte Versuch des Wiener Polytechnikums ist daher von großem In- teresse, kann aber nur als ein Beweis für die Unmöglichkeit angesehen werden, auf diesem Wege das Ziel zu erreichen. Es ist vielmehr auch theoretisch der ohnehin praktisch nicht abzuweisende Satz als maßgebend anzusehen, daß die allgemeine wirthschaftliche Bildung in die ein- zelne Fachbildungsschule aufgenommen, und hier so weit thunlich dar- geboten werden muß, und daß der Lehrplan dieser Anstalten speciell für jede einzelne aufzustellen ist , was auch in der That allent- halben mit gutem Rechte geschieht. Allerdings aber bleibt dabei die keineswegs unbedeutsame Frage übrig, ob denn nun das verhältnißmäßig wenige, was die letzteren für die allgemein wirthschaftliche Bildung bieten können, für das gesammte wirthschaftliche Bildungswesen zu genügen habe? Es ist das große Verdienst der polytechnischen Institute, diese Frage ernstlich angeregt zu haben. Offenbar wird sie es sein, welche, indem sie alle jene Specialanstalten wieder als ein Ganzes zusammen fassen lehrt, die Idee der höheren wissenschaftlichen Einheit in derselben lebendig erhält. In ihr besteht die gegenwärtige wirthschaftliche Berufsbildungsfrage; nur von ihr kann von dem künftigen wirthschaftlichen höheren Berufs- bildungssystem im Unterrichtswesen die Rede sein. Um sie nun zu beantworten, muß dasjenige Gebiet bestimmt werden, das einerseits jene Einheit aller dieser Specialfächer unzweifel- haft umfaßt, und andrerseits für alle gleich praktisch verwendbar und wichtig ist. Das nun ist weder Philosophie noch Geschichte, weder Nationalökonomie noch Statistik, sondern das ist die Lehre vom öffent- lichen Recht in ihrer Anwendung auf den wirthschaftlichen, öffentlichen Beruf, oder die Verwaltungslehre und das Verwaltungsrecht . Die erstere zeigt jede wirthschaftliche Berufsbildung in ihrer öffentlichen Bedeutung, in ihrem Eingreifen in das Gesammtleben, in ihrer orga- nischen Stellung zur Gesammtheit; die zweite zeigt, wie sie in dieser Stellung durch den Willen dieser Gesammtheit, durch Gesetz und Ver- ordnung, theils in Polizei-, theils in Volkswirthschaftspflege vom Staate bestimmt wird. Die Verwaltungslehre ist daher in der That das wissenschaftliche Bewußtsein des Staats von seiner Volkswirth- schaftspflege, das Verwaltungsrecht die Formulirung seiner Thätigkeit für die letztere. Beide sind es, in denen alles das, was jene An- stalten lehren, als Theil und Moment eines größern Ganzen erscheint, beide bieten diejenigen Beziehungen dar, in welchen jene Fachbildungen und Fächer mit dem öffentlichen Leben in Berührung stehen; beide Stein , die Verwaltungslehre. V. 18 geben daher dasjenige, was jene gemeinsam umfaßt, und doch selbst nur wieder als Theil eines größern Ganzen erscheint. In ihnen liegt daher die Lösung des Problems, welches mit der wirthschaftlichen Fachbildung gekommen ist. Die Verwaltungslehre und das Verwal- tungsrecht bilden das für die letztere, was Philosophie und Geschichte für die Fakultäten sind; der Uebergang zu der Gemeinschaft mit den Studien der juristischen Fakultät wird dann in Nationalökonomie und Statistik gegeben, und erst auf dieser Basis darf man von einem or- ganischen System der wirthschaftlichen Fachbildung reden. Zunächst als formelle Frage erscheint die, ob die Fachbildung für Verwaltungslehre und Recht ein Theil der Universität, oder ein Theil der wirthschaftlichen, speciell der technischen Anstalten bilden soll. In der That aber kann die Sache kaum zweifelhaft erscheinen. Die natür- liche Stellung ist die Anlehnung an die Universität, und zwar als ein innerhalb der juristisch-staatswissenschaftlichen Fakultät bestehendes Glied der letzteren. Abgesehen von allen wissenschaftlichen und dog- matischen Gründen sprechen dafür auch praktische Gründe in entschei- dender Weise. Wir betreten damit das letzte Gebiet der öffentlichen Lehrordnungsfrage der wirthschaftlichen Fachbildung. Durch das Auftreten der letzteren nämlich ist das weite und un- bestimmte Gebiet der Cameralien eigentlich verschwunden und ihre Fächer sind gewissermaßen heimathslos geworden. Dennoch ist es kein Zweifel, daß die Verwaltung, während sie für gewisse Gebiete mit der allgemein staatswissenschaftlichen Bildung des Juristen sich genügen kann, für andere eine specielle Fachbildung wünschen muß, der die Breite einer wissenschaftlichen Basis fehlt, die aber dennoch innerhalb ihres Kreises ihre theoretische Grundlage fordert (z. B. Zoll-, Post-, Eisenbahn-, Steuerverwaltung ꝛc.). Für diese Berufe ist mit der neuen Ordnung die organische Fachbildung verschwunden, und es ist der Widerspruch entstanden, daß der Staat zwar ein Prüfungs-, nicht aber ein Bildungssystem für dieselben besitzt. So lange nun die Verwaltung selbst noch eine mechanische war, konnte das genügen. Allein das Auf- treten der Volksvertretungen und der Publicistik macht es schon jetzt unmöglich, eine wissenschaftliche Bildung durch diese mechanische Routine zu ersetzen. Die Verwaltung muß daher über kurz oder lang dazu schrei- ten auch für diese, neben der streng volkswirthschaftlichen Fachbildung stehende staatswirthschaftliche Bildung Lehrorgane und einen Lehrplans aufzustellen, der wiederum auch hier in dem Zusammenhange mit dem Ganzen sein rechtes lebendiges Element empfangen soll. Da nun kann wiederum nur geschehen, indem diese Lehrgegenstände als das aufgefaßt und aufgestellt werden, was sie sind, als Theile der Verwaltungslehre und ihres Rechts. Die Cameralia haben den Ruhm, das wissenschaftliche Element auch für diese Gebiete festgehalten zu haben; die Verwaltungslehre hat die Aufgabe, dasselbe zu einem organi- schen Ganzen systematisch zu entwickeln. Auf diese Weise beruht nun das System des Lehrplanes für die (volks- und staats-) wirthschaftliche Fachbildung auf dem Princip, daß jede Fachbildungsanstalt ihren eigenen Lehrplan habe, daß aber die höchste wissenschaftliche Einheit nicht etwa in einem Polytechnikum, sondern in der Verwaltungslehre an den Universitäten liegen muß, die dann freilich wieder vermöge ihres vielartigen Stoffes einen eigenen Lehrplan fordert, dessen Basis übrigens einfach ist. Derselbe muß aus Einem Jahrgang, und kann aus zweien bestehen. Er enthält Vorlesungen über den allgemeinen Theil, bestehend aus Nationalökonomie, Statistik und den Institutionen der Verwaltungslehre; es ist gar nichts dagegen einzuwenden, daß die letzteren im zweiten Semester gehört werden. Der besondere Theil enthält das positive Verwaltungsrecht der einzelnen Fächer (z. B. Bergrecht, Baurecht, Maschinenpolizei, Wasserrecht, Gewerberecht, Forstrecht, geistiges Eigenthumsrecht, Land- wirthschaftsrecht etwa mit Gesinderecht, daneben die Elemente des Wechselrechts, des Grundbuchsrechts, des Wegerechts, des Postwesens, Zollwesens, Münzwesens u. s. w.) in der Weise, daß jeder wirthschaft- liche Fachmann sein Verwaltungsrecht höre. Die Specialität gerade dieser Fächer ist von hoher Wichtigkeit; ihren praktischen Werth wird niemand bestreiten; da jeder nur Ein, höchstens zwei von diesen (kleinen) Collegien hören wird, so bleibt die Zeit durch Betheiligung an den all- gemeinen Universitätscollegien den Blick zu erweitern; der Werth dieser inneren Verbindung mit den letztern ist nicht zweifelhaft; und so wird gerade auf diese Weise dasjenige auch äußerlich hergestellt, was in der höheren Natur der Sache liegt, das Aufstellen einer formalen Einheit des Bildungswesens, welche die innere geistige Einheit zum geltenden Ausdruck bringt. Die Ausführung des Einzelnen gehört nicht hierher. Gewiß ist aber, daß nur dadurch auch in das dritte Gebiet endgültige Klarheit gebracht werden kann, die Studienpflicht und das Prüfungswesen. Was nun diese beiden Punkte betrifft, so ist es allerdings klar, daß von einer durchgreifenden Aufstellung derselben wie bei der gelehrten Fach- bildung keine Rede sein kann; dem widerspricht die Freiheit des wirthschaft- lichen Berufes. Wo aber dieser Beruf eine öffentliche, selbständige, wirth- schaftliche Funktion enthält (Schiffer, Forstleute, Bergmänner, Bauleute, Maschinenbauer), da hat die Verwaltung das Recht und die Aufgabe, ein Minimum der Berufsbildung zu fordern, als Sicherung des Gesammtinter- esses, das sich der Benützung dieser bestimmten Personen nicht entziehen kann. Das Mittel dafür ist zunächst ein Prüfungswesen. Aus demselben erzeugt sich von selbst ein gesetzlicher Studienplan, mit der Pflicht der Schüler, sich nach demselben zu verhalten. Der Regel nach ist derselbe sehr minutiös und strenge gehalten und darauf berechnet, die Selbst- thätigkeit der Lernenden durch Arbeiten in und für die Anstalt fast ganz zu ersetzen. Das ist ein Mangel. Der Begriff der Lernfreiheit existirt noch gar nicht für diese wirthschaftliche Fachbildung; aber er wird auch kommen. Und für sie wie für die gelehrte Bildung sprechen wir den Satz aus, daß auch hier der Bildungsproceß in zwei Elementen besteht, von denen keins das andere ganz absorbiren darf, in dem Elemente des ob- jektiven Lernens und dem der subjektiven Selbstthätigkeit. Völlige Lern- freiheit unter Aufhebung jeder Vorschrift ist eben so falsch als völlige Absorbirung der gesammten Lernkraft durch zu große Zahl von obligaten Fächern. Die Neigung wendet sich jetzt nach der letztern Richtung zu. Der Gegensatz wird kommen. In dem richtigen Maße für beide liegt das Wahre, weil es der Natur der beiden Faktoren entspricht. Die Fachmänner sollen für jede Art der Fachbildung dieß Maß finden. Die Verwaltungslehre hat an dem obigen Princip festzuhalten. Dem entsprechend kann die Verwaltung ein Prüfungssystem als rechtliche Bedingung der Berufsausübung nur für diejenigen Fächer aufstellen, in denen aus volkswirtschaftlichen Rücksichten jenes Mini- mum gefordert werden muß; nicht bloß für die Staatsbeamteten (Zoll-, Steuer-, Grundbuch-, Post-, Forst-, Bau- u. s. w.), sondern auch für rein wirthschaftliche Erwerbszweige (Civilbau, Maschinenbau ꝛc.). Wo da- gegen dieß nicht der Fall ist, muß sie statt eines Rechts der bestan- denen Prüfung ein Recht auf Bestehen der Prüfung und mithin auf Ertheilung eines Zeugnisses anerkennen, und die Lehrer ver- pflichten, ein solches zu ertheilen, es dem Einzelnen und dem Publikum überlassend, diesen Zeugnissen den ihnen geeignet scheinenden Werth beizu- legen. Daß sie einen solchen haben und behalten werden, wird wohl nicht in Frage stehen; nicht das letzte Element desselben besteht in dem indirekten Einfluß, den ein solcher Werth auf die Anstrengungen des Lehrkörpers ausübt; denn dieser Werth ist die öffentliche Ehre des letztern. Demgemäß nun dürfen wir zur Verdeutlichung dieser Sätze viel- leicht auch hier ein Schema aufstellen. Wirthschaftliche Fachbildung . A. Produktionsschulen (etwa vierjähriger Cursus). Erster Theil : Cursus der Special anstalten. Vorbildung auf einer der beiden Vorbildungsanstalten. Abgangszeugniß derselben als Aufnahmszeugniß. Etwa dreijähriger Cursus. Jede hat eigenen Lehrplan. Abgangsprüfung. Zweiter Theil: Verwaltungsrechtlicher Cursus an der Universität. Aufnahme ohne Abgangsprüfung der Specialfachschule, auch gegen bloße Abgangsprüfung der Vorbildungsanstalten. Ein- bis zweijähriger Cursus. Ohne Pflicht , aber mit dem Recht auf Abgangsprüfung. B. Handelsschulen . Frei, mit freier Prüfung. Recht auf Theil- nahme an dem verwaltungsrechtlichen Cursus. Die nächste Aufgabe der auf alle diese Fragen bezüglichen Literatur wird wohl darin bestehen, sich von dem gegenwärtigen Zustande zu befreien, der, wie schon erwähnt, den ganz bestimmten Charakter hat, alle Fragen durch die Untersuchung der polytechnischen zu beantworten und mit der Organisation der letzteren dieß ganze Gebiet für definitiv erledigt zu halten. Es ist ein großer Mangel, daß die gesammte Fachbil- dung der Landwirthschaft, gewerblichen Kunst, Forst- und Bergwirthschaft, und Schifffahrt so gut als gar nicht existent betrachtet wird, wo es sich um die höchste „reale“ Fachbildung handelt. Doch darf man den Technikern diese große Einseitigkeit nicht verargen, die alle ihre Thätig- keit in der reinen Technik oder Polytechnik erschöpfen. In der That soll man endlich die noch vielfach vorhandene Ansicht beseitigen, als ob die höchst untergeordnete französische École polytechnique das Muster der deutschen polytechnischen Anstalten sei. Die letzteren sind vielmehr ein ächt deutsches Institut, dessen Wesen das Bestreben ist, die höchste und allgemeinste wirthschaftliche Bildung speciell mit der technischen zu verbinden, was ein entschiedener Irrthum für die Ausführung, aber richtig für die Auffassung ist. Selbst die neueste, an Mittheilungen reiche Schrift von Koristka über die polytechnischen Institute der verschiedenen Länder Europas hat in dieser Beziehung von dem alten Standpunkt sich nicht losmachen können. Was nun das gegebene Recht und die Gesetzgebung betrifft, so ergibt sich aus dem Obigen der Grund, weßhalb es keine Gleichheit und Gemeinschaft der letzteren gibt; nicht einmal in den einzelnen Staaten ist dieselbe in ein Ganzes zusammengefaßt. Da, wo sie noch am meisten systematisch auftritt, wie in Bayern, beschäftigt sie sich doch wieder nur mit dem technischen Element der Bildung. Sie hat vielleicht volles Recht, in dieser Beziehung auf die Aus- bildung eines selbständigen Lehramtes zu warten; denn hier wie immer wird sich Deutschland für sein Bildungswesen dadurch auszeichnen, daß es seine Gesetze nach dem Vorgange der wissenschaftlichen Behand- lung bestimmt. Bei dieser Verschiedenheit ist nun auch eine mittelbare Vergleichung der wirthschaftlichen Fachbildungssysteme und Anstalten noch nicht thunlich. Es muß genügen, diejenigen Punkte hervorzuheben, welche den Charakter derselben bilden. Dieser Charakter beruht zuerst auf dem Verhältniß zur wirth- schaftlichen Vorbildung, namentlich dem Realschulsystem; maßgebend ist die Entscheidung über die Frage, ob ein Abgangszeugniß des letzteren für den Eintritt in die ersteren gefordert wird oder nicht. Das Verhältniß des wirthschaftlichen Fachbildungssystemes zum ge- sammten Bildungswesen ist in der systematischen Aufstellung von Special - schulen einerseits und für die höhere Bildung wesentlich in der Berück- sichtigung der Staatswissenschaften als Lehr- und Prüfungsgegen- stand gegeben. Die Auffassung des Bildungsprocesses und seines Umfanges ist ausgedrückt in dem Klassensystem , welches das Lehrsystem in sich aufnimmt und damit den Umfang der speciellen Fachbildung charakterisirt. Das Verhältniß derselben zum öffentlichen Dienst und damit die formelle und öffentliche Anerkennung des Berufes ist gegeben durch das Prüfungs system und zwar wesentlich durch die Bestimmung, ob und wie weit die bestandene Prüfung das öffentliche Recht zur Ausübung des Berufes gibt. Neben dem, in jenen Momenten gegebenen System der Staats- anstalten der wirthschaftlichen Fachbildung sind nun die Privatanstalten, die Verkehrs- oder Handelsschulen, von nicht geringer Bedeutung. Sie sind noch sehr örtlich, aber im Wesentlichen gleichartig. Das Erste wäre hier, eine tüchtige und nach speciellen Gesichtspunkten zu Werke gehende Statistik derselben aufzustellen, wie Brachelli sie in seinen Staaten Europas begonnen hat. Erst dann dürfte eine systematische Behand- lung des positiven Rechts mit Erfolg thunlich sein. Die Hauptdaten sind vor der Hand folgende. Oesterreich . System: 1) Polytechnisches Institut (Organ. Statut vom 17. Okt. 1865. Allgemeine Abtheilung; vier Fachschulen (Bau, Maschinen, Chemie). Voraussetzung: Realschulprüfung oder Obergymnasien. Jahreszeugnisse; Abgangsprüfung mit Diplom; Lehrer- wesen dem Universitätswesen nachgebildet. Staatswissenschaften dabei nicht obligat und kein Gegenstand der Prüfung (höhere Gewerbeschulen fehlen dafür). (Technisches) Johanneum in Graz. 2) Landwirth- schaftliche Lehranstalt. Eine in Ungarisch-Altenburg (Organ. vom 31. Okt. 1850) mit zweijährigem Curs. 3) Forst lehranstalt: eine in Mariabrunn (Organ. vom 27. April 1852). 4) Bergwesen : Berg- Akademie zu Chemnitz (Organ. vom 25. März 1851). Berg schulen in Vordernberg (Organ. vom 21. Sept. 1848), Leoben und Przibram (Organ. vom 6. Febr. 1849). 5) Schifffahrt: Nautische Schule in Triest (Organ. vom 23. Febr. 1851). 6) Handelsakademie in Wien 1863. Handels schule in Reichenberg. Preußen . System: 1) Gewerbe -Institut zu Berlin (Neue Organ. vom 23. August 1860). Allgemeine technische Abtheilung; drei Fächer (Mechanik, Chemie, Seeschiffsbau), Realschule oder Obergym- nasien. Ohne Lehrzwang; Abgangszeugniß ohne Prüfung. 2) Bau- akademie (Neue Organ. von 1849 und 18. März 1855); bloß für Bauwesen; zweijähriger Cursus; ohne Prüfung; nur mit Dienstprüfung für den Staatsdienst. Damit verbunden die Bau- und Gewerbe - schule in Berlin (Winterkurse, 1854); 3) Landwirthschaft : landw. Staats lehranstalten: Greifswald (Organ seit 1850), Bonn, Oppeln (1847), Waldau ( Rönne II. §. 229 u. 455). Daneben zahlreiche landwirthschaftliche Lehranstalten theils der Gemeinden, theils Privat- unternehmungen mit staatlicher Unterstützung, theils ohne dieselben ( Franz , preuß. Staat I. 123; Rönne II. 445). Gärtner lehranstalt zu Sanssouci und in Erfurt ( Rönne , Unterrichtswesen II. 361). 4) Forstwesen : höhere Forstlehranstalt zu Neu-Eberswalde (Regulativ vom 7. Febr. 1864), Forst schulen in Königsberg und Düben; Jagd- Lehrinstitut zu Berlin ( Rönne , Unterrichtswesen II. 362). 5) Berg- wesen : Berg- Akademie , Berlin 1866; daneben Berg schulen in sämmtlichen Bergrevieren für untere Beamtete. 6) Schifffahrt: Navigationsschulen , sechs (Organisation vom 24. April 1863; Rönne , Staatsrecht II. §. 228). 7) Handelsakademie : Danzig (1835), Berlin (1843) mit Staatsunterstützungen; ferner bei Franz , preuß. Staat I. 230). 8) Webeschule in Elberfeld mit künstlerischer Vorbildung seit 1853. Außer den, mit allen diesen Instituten ver- bundenen Prüfungen erstreckt sich das Prüfungssystem auch über diese ganze Fachbildung hinaus und hat die Regierung fast die Stellung und Aufgabe der alten Zunft übernommen. System der Handwerker- Prüfungen (Allgem. Gewerbeordnung von 1845; Verordnung vom 9. Febr. 1849 und Gesetz vom 15. Mai 1854); Bauhandwerker- Prüfung ; ebend. Buchhändler- und Buchdrucker-Prüfung (Preßgesetz vom 12. Mai 1851), ja sogar neben dem ärztlichen Heil- personal die Abdecker und Castrirer nach Reglement vom 29. Sep- tember 1846. Bayern . 1) Fabriks-Ingenieurschule (Schulordnung von 1861 mit den Aufgaben und Abtheilungen der obigen polytechnischen Schulen); 2) polytechnische Schule als höhere Landmesserschule, un- klar; 3) die polytechnischen Schulen von München (1827), Nürn- berg (1833) und Augsburg waren eigentlich höhere Gewerbeschulen. Die neue Organisation der technischen Lehranstalten vom 14. Mai 1864 hat jetzt eine eigentliche polytechnische Schule mit Einer allge- meinen und vier Fachabtheilungen und Abgangsprüfungen als Staats- anstalt hergestellt (s. Austria 1864. S. 253). Ein Jahrescurs gilt auch als Grundlage zur Zulassung zum Zollwesen (Bekanntmachung vom 25. August 1864). Die Stellung der Universitäten ist durch Mi- nisterialerlaß vom 19. August 1839 und 23. November 1840 als die leitende für die höchste gewerbliche Bildung erkannt ( Pözl , Verwaltungs- recht §. 154); 4) Landwirthschaft . Landw. Centralschule Weihen- Stephan (organisirt am 18. Sept. 1852); Prüfungsordnung vom April 1864 (Austria 1864. Nr. 26); Ackerbau schule von Schleißheim (1847), Triesdorf (1856), Neudeck (1857); daneben Versuch von Muster - wirthschaften, Kreis- Wiesenbau schule u. a. ( Pözl §. 146). 4) Forst - wesen. Forstschule Aschaffenburg (1844) für Staatsdienst, mit einem Jahr Universitätsstudium ! 5) Bergwesen . Ein zweijähriger Curs an der staatswirthschaftlichen Fakultät in München. 6) Kunstberuf, Civilbau (königl. Akademie der Künste in München). Hannover . 1) Polytechnische Schule in Hannover seit 1831 ( Karmarsch , die polytechnische Schule in Hannover 1856). Maschinen- bau und Chemie. Baugewerkeschule zu Nienburg . Prüfungsordnung für die Baufächer seit 1847 verschieden; Maschinenbau vom 7. Oktober 1852; landwirthschaftliche Akademie zu Weende ( Geffken bei Schmid hat nichts weiter; auch Karmarsch nicht). Sachsen . 1) Polytechnische Schule in Dresden 1828 (neue Or- ganisation vom 14. März 1855); Staatsprüfungsordnung für Techniker vom 24. April 1852; 2) k. Gewerbeschule (Baugewerke und mecha- nische Gewerke); Chemnitz ; 3) Landwirths- und Forstschule Tharand ; 4) Handelsschulen in Leipzig, Dresden, Chemnitz u. a. m.; 5) Prüfungs- ordnung der Techniker vom 24. December 1851 (dreijährige praktische Uebungen und vier Arten der Diplome). Baden . 1) Polytechnische Schule seit Verordnung vom 7. Okt. 1825; schon damals: Allgemeine Klasse, mathematische Klasse, Handels- und Gewerbeklasse; Fachschule für die Baum- (seit 1852) mit Forst schule verbunden; Staatsprüfungsordnung der Ingenieur-Candidaten (unter Aufhebung der früheren vom 6. April 1837), vom 20. Sept. 1844. Daran schließt sich die Organisation des Bauwesens durch Ver- ordnung vom 15. Juni 1859 und die Prüfungs ordnung für das Civilbaufach von demselben Datum. 2) Forst wesen: Vorbereitungs- curs der Forsteleven an der polytechnischen Schule; dann Besuch einer auswärtigen Forstanstalt oder einer Universität (Prüfungsordnung vom 15. Januar 1835). Württemberg . 1) Polytechnische Schule seit 1829, neue Organisation von 1847 und 1862 (s. Mohl , Württemb. Verwaltungs- recht §. 214). 2) Bau wesen: Prüfungsordnung vom 22. August 1843 (mit einer theoretischen und einer praktischen Prüfung). 3) Land wirth- schaft und Forst wirthschaft: Institut zu Hohenheim seit 1818. 4) Prü- fungsordnung für das Berg-, Hütten - und Salinen fach (theoretische und praktische) vom 30. December 1852. 5) Prüfungsordnung für die Feld messer vom 25. November 1849 (ohne nothwendige polytechnische Vorbildung). 6) Kaufmännische Fortbildungsschule in Stuttgart (mit unterem und oberem Curs). In Braunschweig ist seit 1835 zu dem Carolinum eine technische und eine mercantile Abtheilung hinzugetreten. In Kurhessen besteht die höhere Gewerbeschule seit 1832, reorganisirt 1853; in Hessen-Darm- stadt eine ähnliche seit 1835; welche so weit thunlich alle Aufgaben der obigen Fachbildungsanstalten haben. Die speciellen statistischen (kurzen) Angaben über alle einzelnen in den deutschen kleineren Staaten bestehenden wirthschaftlichen Fachbil- dungsanstalten enthält wohl allein Brachelli in seiner Staatenkunde Europas S. 566 ff. Was Holland betrifft, so ist seine wirthschaftliche Fachbildung in das Gesetz vom 2. Mai 1863 über den mittleren Unterricht als integri- render Theil desselben aufgenommen und zwar im (einseitigen) Gegen- satz zum gelehrten („höheren“) Unterricht. Das Gesetz erkennt dabei die landwirthschaftliche Schule und die polytechnische Schule als Theile des ersteren an und gibt das genauere Programm Art. 19. Die polytechnische Schule (Hauptstück II. ) ist selbständig behandelt und bestimmt, namentlich für Ingenieure; die Bau- und Schiffsbaukunde sind darin aufgenommen; ebenso Volkswirthschaftslehre und Verwaltungs- recht. Auch dieß Programm ist offenbar zu weitumfassend und beruht auf denselben Vorstellungen, wie das des Wiener polytechnischen Insti- tuts, mit all seinen Vorzügen und üblen Folgen. Vergleicht man die vorliegenden Angaben mit dem, was im Wesen der volkswirthschaftlichen Fachbildung liegt und von derselben gefordert werden muß, so ist es kein Zweifel, daß die letztere in Deutschland noch weit hinter der wissenschaftlichen sowohl in organischer innerer Klarheit und Einheit als in allgemeiner Ausdehnung zurücksteht. Die große Lebendigkeit, die in diesem Gebiete herrscht, läßt jedoch mit Bestimmt- heit vorhersagen, daß dasselbe an Gleichmäßigkeit und Durchbildung nicht lange auf einen entscheidenden Fortschritt zu warten haben wird, wenn nur erst die Grundbegriffe über das Nothwendige und Erreichbare sich auch hier geklärt haben werden. Die neueste fachmännisch aufgefaßte und sehr beachtenswerthe Ar- beit in diesem Gebiet, die das Verhältniß zur Elementarbildung zugleich theoretisch und praktisch zur vollen Geltung bringt, ist Dr. H. W. Pabst (über landwirthschaftliche Fortbildungsschulen und Wanderlehrer, sowie über die Mittel zur Bildung und Belehrung des Bauernstandes über- haupt. Wien 1867). Die Schrift ist zunächst an die landwirthschaft- lichen Gesellschaften und Vereine adressirt, die Rathschläge des Verfassers aber umfassen folgende sechs Abtheilungen: 1) Vervollkommnung des Volksschulwesens; 2) allgemeiner Fortbildungsunterricht mit Begründung der landwirthschaftlichen Berufsbildung, anlehnend an die Volksschule; 3) landwirthschaftliche Wanderlehrer; 4) Ortsvereine (winterliche Abend- versammlungen) zur Besprechung der Maßregeln zum landwirthschaft- lichen Fortschritte; 5) Verbreitung belehrender Schriften unter dem Bauernstande; 6) Ackerbauschulen für Bauernsöhne. Drittes Gebiet. Das künstlerische Berufsbildungswesen. Die Kunst ist die freie äußere That, welche einen inneren Seelen- zustand in einer äußeren Erscheinung darstellt. Sie ist daher in ihrer Bildung, wie in dem, was sie leistet, Sache des Einzelnen. Sie ist eine Lebensaufgabe; aber sie ist unfähig, eine öffentliche Pflicht zu werden; und nur langsam und unter besonderen Verhältnissen bildet sich aus ihr das, was wir einen öffentlichen Beruf und einen Stand nennen. Erst aber auf diesem Punkte tritt die Kunst aus ihrer ethischen Sphäre in das rechtliche Leben des Staats hinein und läßt die Ein- wirkung der Verwaltung auf sich und ihre Leistungen zu. Und die Ge- sammtheit dieser Thätigkeiten der Verwaltung, mit welcher sie die Bildung für den künstlerischen Beruf fördert und ordnet, nennen wir das künst- lerische Berufsbildungswesen . Man kann nun in diesem künstlerischen Berufsbildungswesen im Allgemeinen drei Stadien unterscheiden, die wieder zu einander in dem- selben Verhältniß stehen, wie alle solche Entwicklungsepochen, daß näm- lich jedes derselben die frühere nicht vernichtet, sondern sie vielmehr in sich aufnimmt und in ihrer Weise verarbeitet. Das erste Stadium ist dasjenige, wo die künstlerische Bildung den Charakter und die Gestalt einer rein individuellen hat: sie wird hier gegeben und empfangen durch das Anschließen des Jüngers an den Meister. Es ist rein der Name und die persönliche Bedeutung des letzteren, welche einen größeren Kreis von jungen Kräften einem hervorragenden Namen zuführen; der persönliche und künstlerische An- schluß an den Lehrer, das Arbeiten unter seiner Leitung und oft in seiner eigenen Werkstatt erzeugen dann den (kunstgeschichtlichen) Begriff der Schule , der aber mit dem öffentlichen Recht und der Verwaltung noch nichts zu thun hat und sich auch als kunsthistorischer Begriff dauernd in den folgenden Epochen erhält. Das zweite Stadium dagegen beginnt mit der Zeit, wo mit dem Siege des Königthums die Fürsten den Glanz der Krone auch in der positiven Forderung der Kunst nach allen Richtungen zu befördern suchen. Das Streben nach diesem Ziel erzeugt zwei Erscheinungen, die für die Geschichte der Kunstbildung wichtiger werden, als für die der Kunst selbst. Einerseits gehen aus demselben die großen Kunstsammlungen und Kunstanstalten (Gallerien, Museum, Theater, Musikconser- vatorien ꝛc.) hervor, welche gleich von Anfang an den seit jener Zeit immer mehr ausgebildeten Charakter von öffentlichen Anstalten für die allgemeine Bildung haben; anderseits aber schließen sich an diese An- stalten die ersten noch unorganischen Versuche einer formellen Kunst- bildung an, welche dann in den großen Reichsakademien ihre feste Organisation und öffentliche Gestalt empfangen. Das 18. Jahrhundert ist die Zeit dieser Entwicklung, die sich in Deutschland an das fran- zösische Muster anschließt, jedoch fast allgemein ohne die Vorzüge des letzteren. Das dritte Stadium gehört unserm Jahrhundert an. Sein Charakter beruht auf einer, wenigstens für Deutschland ganz neuen Auffassung. Die industrielle Epoche, die mit der französischen Revolution den Rhein überschreitet, erzeugt zuerst die Vorstellung von dem wirthschaftlichen Werthe der Kunst überhaupt, dann die Erkenntniß, daß die reine Kunst am Ende die einzig dauernde Grundlage der gewerblichen Kunst sei. Die Kunstbildung tritt damit in die Reihe der großen Aufgaben der Verwaltung hinein und wird zu einem öffentlich rechtlichen Theile des Bildungswesens, obgleich die Theorie sich noch immer nicht daran ge- wöhnen kann, es als solches systematisch zu behandeln. Naturgemäß war es dabei, daß sich diese neu organisirte Kunstbildung einerseits an die großen Sammlungen anschloß und anderseits eine Organisation empfing, deren Hauptpunkte denn doch am Ende sich nach der wissen- schaftlichen Bildung richteten, während sie zu gleicher Zeit, namentlich in den Zeichenschulen, sich dem rein gewerblichen Bildungswesen anschloß. Dabei blieb natürlich der Privatthätigkeit stets das meiste überlassen; wo aber die Verwaltung auftrat, führte sie auch hier so weit möglich den Unterschied zwischen Vorb ildung und Fachb ildung durch, und so hat jeder Zweig der Kunst seine eigene Berufsbildung empfangen, die zwar, wie es ihre Natur mit sich bringt, nur eine örtliche ist, die aber, und darin liegt die hohe Bedeutung für das gesammte Bildungswesen, allmählig und sicher das künstlerische Element sowohl in die Volks- schule als in die für dasselbe empfänglichen Gebiete der Berufsbildung belebend und veredelnd hinüberträgt . Dieser Proceß beruht seinerseits auf zwei großen Elementen, welche wiederum ebenso sehr der gewerblichen Fortbildung, als dem künstleri- schen Berufe angehören. Das ist einerseits das Zeichnen , das neben seiner technischen Bedeutung eine nicht geringere künstlerische hat, und dann die Sammlung und Aufstellung von Mustern aller Art, an die sich Vorträge, Lehre und Uebungen in mannigfachster Weise anschließen. Die Gewerbelehre ist sich über den hohen Werth dieser Verbindung der Kunst mit der Industrie klar, und ernstliche Bestrebungen sind, wenn auch noch vereinzelt, hiefür eingeleitet. Stellt man auf diese Weise die Grundzüge der Organisation der Kunstbildung auf, so ergibt sich folgendes mehr oder weniger ausge- bildete System, auf welches im Grunde nicht bloß die Vergleichung dessen, was bereits für die Kunstbildung geschehen ist, als auch das, was dafür in ihrer Verschmelzung mit dem praktischen Leben von Seiten der Verwaltung geschehen kann und soll, zurückzuführen ist. Alle Kunstbildung steht unter dem Unterrichtsministerium. Die großen selbständigen Kunstbildungsanstalten haben eine den wissen- schaftlichen Fachbildungsanstalten entsprechende Organisation und sind zugleich das berathende Organ für das öffentliche Recht der Kunst. Die Unterscheidung von Vorbildung und Fachbildung ist festzuhalten und durchzuführen. Endlich ist die Elementarbildung der Kunst als Singunterricht für die Musik, als Zeichenunterricht für das Real- gewerbe und als künstlerische Architecturzeichnung in die Baulehre syste- matisch aufzunehmen. Bei der künstlerischen Bildung begegnen wir einem vollständigen Mangel der öffentlich rechtlichen Literatur, der um so beachtenswerther ist, als bedeutende Anregungen dafür doch schon in der staatswissen- schaftlichen Literatur aus dem Anfange unsers Jahrhunderts vorhanden sind. Allerdings gehen dieselben zunächst von der classischen Bildung aus; aber durch dieselbe gewinnt der Satz seine Geltung, daß die ästhetische Bildung einen organischen Theil des gesammten Bildungs- wesens sein müsse. Schon Soden (Staats-Nationalbildung 1821) führt die Zeichenschulen und die Zeichenakademien, die Musik und Singschulen, und selbst die Theaterschulen, letztere sogar als einen „dringenden Be- darf“ in seinem System auf §. 287. 288. 289. Dahlberg ( Perikles über den Einfluß der schönen Künste auf das öffentliche Glück 1806). Auch Jahn in seinem „Volksthum“ vertritt den Werth der künstlerischen Bildung im Volke, und Aretin macht dieselbe zu einem Theile der constitutionellen Verwaltung (Staatsrecht der constitutionellen Monarchie Bd. II. 1. Abtheilung §. 12). Freilich bleibt das alles, ebenso wie später Pölitz, bloß bei dem ethisch-pädagogischen Elemente stehen. Die eigentliche Verwaltungslehre in der damaligen Form der Polizeiwissen- schaft läßt die Sache ganz eng; so noch Mohl Bd. I. §. 76—82. Aber freilich hat ja auch Schmid die künstlerische Erziehung und Bildung nicht mit aufgenommen. Der einzige Punkt, wo sie dann wieder eine Stelle fand, war die Verwaltungsgesetzkunde und zwar ein- fach, weil sie eine Reihe von Organisationen und geltenden Bestimmungen enthält, welche mitgetheilt werden wollten. Eine Statistik für Deutsch- land fehlt darüber gänzlich; was von Seiten freier Vereine geschieht, ist so gut als unbekannt; selbst Männer wie Kugler und Schnaase haben sich nur ganz gelegentlich mit dem Gegenstande beschäftigt. Hoffen wir, daß dieses ja auch gewerblich so wichtige Gebiet nicht lange mehr brach liegen bleibe. — Die bekannten geltenden Institutionen und Be- stimmungen sind folgende. Oesterreich . Die Akademie der bildenden Künste in Wien. Die Unterscheidung zwischen Vorbildung und Fachbildung, und damit die Aufstellung der Vorbereitungs-, der Architektur- und Musterschule durch die Organisation vom 8. Oktober 1850 aufgestellt. Neues Statut von 1865, welches den Gedanken durchführt, die Selbstverwaltung der Lehre den Professoren nach dem Muster der Universität zu übergeben. — Conservatorium der Musik in Wien. — Zeichnen als Theil des Realunterrichts. ( Stubenrauch Bd. II. S. 417). Preußen . Akademie der Künste in Berlin seit 1699 für alle Zweige der bildenden Kunst; im Grunde ein Selbstverwaltungs- körper für die Kunstbildung , indem derselben wesentlich die Leitung der folgenden Bildungsanstalten übergeben ist. Sie ist, wie die Wiener, der französischen nachgebildet. Die unter ihrer Leitung stehenden Kunst- bildungsanstalten sind: 1) die akademische Zeichnenschule als Vor- bildungsanstalt, die zugleich für andere als berufsmäßige Künstler be- stimmt ist. 2) Die Kunst und Gewerkschule für die der freien Kunstgewerbe; — 3) Die künstlerische Fachs chule in der Akademie für Künstler selbst in Berlin mit Aufnahmsprüfung. Außerhalb Berlins sind ihrer Leitung untergeordnet die Kunst-, Bau- und Gewerkschulen in Breslau, Danzig, Köln, Magdeburg und Königsberg ( Rönne Bd. II. §. 231 und 463). — Die Musik ist gleichfalls speciell vertreten. Königl. Musikinstitut in Berlin , Fachbildungsanstalt für Heranbildung von Organisten, Cantoren ꝛc. (Organisation vom 20. Juli 1833); ähnlich in Koblenz und Düsseldorf, Trier und Breslau , zum Theil mit Staatszuschuß. Daneben die schon 1791 gestiftete Singakademie in Berlin, und Gesang- und Musikvereine. Bayern . Die Akademie der bildenden Künste ist zugleich eine Künstlergesellschaft und ein Lehrinstitut . Erste Organisation vom 13. Mai 1808; zweite Verordnung vom 1. August 1846 umfaßt alle Gebiete; zugleich theoretischer Unterricht. — Erzgießerei in München. Höhere Zeichnenschule in Nürnberg ( Pözl , Verwaltungsrecht §. 198). Württemberg . Die Kunstschule in Stuttgart ist im Grunde eine Vorbildungsanstalt und steht zugleich mit der Stuttgarter Gewerbe- schule in Verbindung ( Mohl , Verwaltungsrecht §. 214). Bemerkenswerth ist die Angabe von L. Roy bei Schmid , Ency- clopädie Bd. III. S. 568, wornach in Holland allein 127 Schulen für den „Volksgesang“ existiren sollen. Frankreichs Berufsbildungssystem. I. Charakter und historische Entwicklung bis zur Gegenwart. Wir müssen wohl daran festhalten, daß erst, wenn man Deutsch- lands großartiges Berufsbildungssystem, wie wir es zu entrollen ver- sucht haben, vor Augen hat, auch dasjenige Frankreichs recht verständ- lich wird. Und mit Beziehung auf die eben dargelegten Grundlagen ist es deßhalb nunmehr auch möglich, für Frankreich nicht bloß kürzer zu sein, sondern auch den Charakter des Berufsbildungswesens in Frankreich mit dem des deutschen Volkes zu vergleichen. Wie es die höhere Natur der Sache fordert, waren und sind aller- dings die großen Gebiete und Grundlagen auch dieses Theiles des Bildungswesens in beiden Völkern gleich. Der tiefgehende Unterschied, der dennoch die Verschiedenheit so groß werden läßt, daß oft selbst die formale Vergleichung schwer wird, liegt daher nicht in der Natur der Bildung selbst, sondern in den großen historischen Ereignissen, welche über den Bildungsproceß in jedem Volke entscheiden. Wir haben nun zu zeigen versucht, daß diese Ereignisse nicht eben unmittelbar in das öffentliche Recht der Bildung eingreifen, sondern daß vielmehr dieß öffentliche Recht auch hier stets die natürliche und einfache Consequenz der Umgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung war und sein wird. Die Geschichte des französischen Bildungswesens überhaupt, speciell überhaupt die seines Berufsbildungswesens ist daher nur ein Theil seiner socialen, im Verwaltungsrecht zum formalen Abschluß ge- deihenden Umgestaltungen. Im vorigen Jahrhundert waren die inneren Zustände Frankreichs denen des deutschen Reiches fast ganz gleichartig. Das Berufsbildungs- system hat daher auch seinerseits genau und in allem Wesentlichen dieselben Formen und Rechte wie das deutsche, indem man dieß vor sich vorüber- gehen läßt, schaut man jenes. Auch Frankreich hatte seine Universitäten, seine hohen Schulen aller Art, seine Zünfte und Innungen mit dem Zunft- recht, sein Princip der ständischen Körperschaftlichkeit, seine örtliche Gestalt des öffentlichen Rechts überhaupt, seines Bildungswesens im Besondern. Da kam die Revolution, die man jetzt endlich wohl nur als einen socialen Proceß anerkennen wird. Jeder socialen Umwälzung aber folgt, wo sie eine gewaltsame und plötzliche ist, um so gewaltsamer und plötz- licher die Diktatur. Das Wesen der Diktatur im Innern ist die rück- sichtslose Unterordnung alles Einzelnen und Besondern unter die cen- trale Gewalt. Sie hat nicht bloß die Macht, sie übernimmt auch die Aufgabe, die gesammte Verwaltung nach ihrem einheitlichen Willen zu ordnen; ihr Gefühl oder ihr Bewußtsein sagt ihr, daß die neue Gestalt der Gesellschaft, welche sie vertritt, erst dann eine gesicherte ist, wenn die ganze innere Verwaltung im Sinne und Interesse derselben geordnet und mithin die ganze innere Verwaltung der frühern Zeit gründlich vernichtet ist. Dieser großen Erscheinung begegnen wir immer in der Geschichte der socialen Bewegungen und werden ihr immer begegnen: in allen andern Dingen, und so auch im Bildungswesen im Allgemeinen und vorzüglich im Berufsbildungswesen. So wie daher die Revolution gesiegt hatte, war natürlich eine vollständige Umwälzung des Berufsbildungswesens unvermeidlich. Diese Umwälzung hatte aber, wie immer, zwei große Stadien. Das erste war das rein negative, dessen Inhalt die einfache, aber gründliche Vernichtung des bisherigen gesammten Bildungssystemes sein mußte. Erst das zweite Stadium ist das des positiven Aufbaues der neuen Ordnung. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß die erste Epoche vom Beginn der Revolution ungefähr bis zum Jahre 1808 dauert, wo die Université errichtet wird, von da an beginnt die neue Organisation, die keineswegs eine fertige ist. Dieser allgemeine historische Proceß nun gilt allerdings für das gesammte französische Bildungswesen, aber nirgends ist er so deutlich und äußerlich so scharf von der bisherigen Zeit geschieden, als in der Berufsbildung. Die Umgestaltung der letztern, obwohl den Gesammt- charakter der Umgestaltung der neuern Rechtsordnung an sich tragend, ist demnach ein ganz specifischer Beitrag zur neuern Entwicklung Frank- reichs, und es ist ziemlich fruchtlos, jene erstern ohne ihren organischen, ja dominirenden Zusammenhang mit der letztern auffassen zu wollen. Dieß erste der beiden obigen Stadien des öffentlichen Berufsbildungs- wesens ist nun das der Bildungslosigkeit . Die Zünfte und In- nungen sind aufgehoben, die Universitäten sind verschwunden. Es gibt weder Meister noch Gesellen, weder Doktoren noch Baccalauren. Jeder hilft sich so gut er kann. Der Staat selbst macht durchaus keine An- sprüche mehr auf eine Fachbildung für seine Beamteten. Die Republik wählt nach der Gesinnungstüchtigkeit und nicht nach der Fähigkeit. Nicht einmal für das Richteramt wird in dieser Zeit nach einer Be- fähigung gefragt; wozu auch, wenn man in dem Geschwornengericht den Bürger zum Richter über Leben und Tod setzt, für das Civilrecht gelehrte Richter? Und hätte man sie gewollt, was denn hätten diese Männer eigentlich lernen sollen? Das alte Recht ward gründlich ver- nichtet, das neue war noch nicht da. Das Princip der Verwaltung war unbedingter amtlicher Gehorsam gegen die oberen Organe; dem zur Seite ging, wie es die Lehre von der vollziehenden Gewalt zeigt, der Grundsatz, daß die Handlungen dieser Beamteten vor keinen Richter- stuhl gezogen, sondern nur von der höheren Behörde im droit admini- stratif untersucht und abgeurtheilt werden. Das Objekt der Fachbildung fehlte; wie konnte es eine Organisation derselben geben? Und dasselbe galt für die wirthschaftliche Welt vermöge der völligen Gewerbefreiheit. Eine Beschränkung der letztern war undenkbar — woher hätte eine Fachbildung für sie kommen sollen? So war die Bildungslosigkeit dieser Zeit nicht bloß eine Thatsache, sondern sie war die natürliche, unabweisbare Consequenz der socialen Zustände, welche auf allen Punkten das Alte vernichtet hatten und das Neue erst gestalten sollten. Der große Proceß nun, welcher auf der neuen Basis die neue öffentlich rechtliche Ordnung in allen Gebieten herstellt, geht von Napoleon aus. Die Macht dieses Mannes beruhte nicht zum geringsten Theile darauf, daß er zuerst unter allen Männern der Revolution einen Sinn für die Verwaltung hatte. Er ist der Schöpfer des gegenwärtigen Systems der Administration in Frankreich; er ist auch der Schöpfer des Bildungswesens. Aber auch in dieser seiner mächtigen Schöpfung stand er unter den Gesetzen, welche für die Rechtsbildung die ewig geltenden bleiben. So wie man nämlich in einem Volke die gesellschaftlichen Unter- schiede wegnimmt, so verschwindet auch die einzige Begründung für Unterschiede des geltenden Rechts. Die absolute Gleichheit erscheint im Staat als absolute Einheit seiner Verwaltung. Das nun gelangte sofort unter Napoleon zur Geltung und von diesem Standpunkt muß die Geschichte des französischen Bildungswesens seit 1808 beobachtet werden. Als Napoleon die Codifikation fertig und die Verwaltung des Staats streng geordnet hatte, mußten ihm in Beziehung auf das Berufsbildungswesen zwei Fragen entstehen. Die erste war die, für welche Gebiete die Verwaltung eine Berufsbildung zu fordern habe. Die zweite war die, wie sie organisirt werden solle. Die socialen Zustände beantworteten die erste, der Gesammtcharakter der Administra- tion die zweite Frage. Das Princip der vollen staatsbürgerlichen Freiheit schloß nämlich die wirthschaftliche Vorbildung von der Aufgabe des Staates grundsätzlich aus, jedoch allerdings nicht ohne Ausnahmen zuzulassen, und überwies dem Staate als Object seiner Thätigkeit nur den eigentlichen, öffentlichen Beruf; das Princip der strengen Centralisation dagegen ergänzte den Grundsatz, auch die Berufs- bildung unter die centrale Gewalt des Staats zu stellen, und ihr auf jedem Punkte Charakter und Form eines administrativen Organismus zu geben. So entstand die Napoleonische Université. Sie ist dem- gemäß einerseits Ein das ganze französische Bildungswesen umfassen- des Ganze; sie hat daher neben der Elementarbildung der instruction primaire auch die gelehrte Vorbildung in der instruction secondaire und die gelehrte Fachbildung in der instruction supérieure in sich auf- genommen. Jene umfaßte unser hohes Schulwesen, dieses vertritt das Universitätswesen, wenn auch ohne eine deutsche Universität in den von einander geschiedenen selbständigen und ganz örtlich vertheilten Facultés. Damit hat Frankreich zwei große Elemente der höhern und freieren geistigen Bildung verloren, einerseits die Idee der Einheit der Wissenschaften, andererseits die Selbständigkeit des Lehrkörpers. Es war ein wirklicher Fortschritt in dieser Napoleonischen Université mit seinem, das ganze Reich gleichmäßig umfassenden Corps enseignant gegen die erste Epoche; aber es war zugleich in derselben eine sehr ernste Gefahr gegen die freiere geistige Bewegung. Das nächste aber, was hier als eigentlicher auch formell erkennbarer Mangel des ganzen Systems erschien, war offenbar die Thatsache, daß jene große Idee der Einheit der Wissenschaft, deren Träger die deutschen Universitäten sind, keinen Ausdruck gefunden hatte. Napoleon stand zu hoch, um das nicht zu sehen; nicht hoch genug, um die Lösung dieser Frage in einem System eigentlicher Universitäten zu sichern. Er schuf daher ein zweites Organ, das eben diese specifische Funktion zu vertreten hatte; das war das Institut de France, das die Gesammtheit der höchsten ge- lehrten Bildung in Frankreich als eine mächtige, alle Gebiete mensch- licher Erkenntniß in seinem Körper umfassende geistige Potenz vertreten sollte, die eigentliche Universität in Frankreich im deutschen Sinne mit wissenschaftlicher und selbst administrativer Selbständigkeit und eigenem Stein , die Verwaltungslehre. V. 19 Wahlrecht, aber ohne Lehrerberuf, eine Universität der Gelehrten Frankreichs, aber nicht der Studirenden. Und damit denn im fran- zösischen Leben noch einem mächtigen germanischen Elemente auch in der Lehre sein Ausdruck werde, ließ er das für seine französische Uni- versité ganz anomale Collège de France bestehen, die einzige Anstalt, in der noch eine freie geistige, dem deutschen Leben ähnliche Be- wegung stattfinden möge. Alles übrige war in Lycées und Facultés nach den geographischen Académies mit dem Recteur und dem Préfet an der Spitze streng bureaukratisch geordnet, wie wir es früher bereits dargestellt haben. Das war und ist die Napoleonische Université. Hier zuerst entstand die weitere große Frage, wie sich dann die wirthschaftliche Berufsbildung daneben gestalten werde. Dabei nun darf man nicht vergessen, daß es damals auch noch keine selbständige deutsche wirthschaftliche Berufsbildung gab. Napoleon hatte daher in den socialen Zuständen keinen Anlaß, sich ihrer anzunehmen, und in Deutschland kein Vorbild, dem er sich hätte anschließen können. Er ließ sie daher einfach ganz aus seinem Systeme weg . Es schien vollkommen zu genügen, wenn die stärkere Betonung der sogenannten exakten Wissenschaften in den Lycées die allgemeinste wirthschaftliche Vorbildung darbot. Von Sonntagsschulen konnte bei dem Zustande des Elementarunterrichts ohnehin keine Rede sein, und Gewerbeschulen hätten nur durch Autonomie der Gemeindebehörden errichtet werden können; es blieb daher nur übrig für gewisse unabweisbare technische Bedürfnisse des Staatsd ienstes eine Specialbildung herzustellen. Das geschah namentlich in der École des ponts et chaussées, und dann in einem dem französischen Leben eigenthümlichen Anschluß an die mili- tärische Fachbildung in der École polytechnique und den Écoles militaires. Alles übrige ward dem Individuum überlassen, und da es dem In- dividuum überlassen war, so geschah eben gar nichts. Das gesammte französische Berufsbildungssystem Napoleons ward eine bureaukratisch geordnete gelehrte Berufsbildung. Dieses System hat nun bis zum zweiten Napoleon ausschließlich geherrscht. Nur einmal ist es in der Zwischenzeit unter dem Ministe- rium Guizot erschüttert worden, aber nur für die Elementarbildung. Die gelehrte Bildung blieb sich gleich, und die wirthschaftliche hatte keine andere Vertretung als die oben erwähnte der sehr vereinzelten Fach- schulen. Von einer allgemein wirthschaftlichen Berufsbildung war gar keine Rede. Unterdessen arbeitete Deutschland in seiner neuen Entwicklung ruhig und rastlos vorwärts. Seine gelehrte Berufsbildung stand ohne- hin auf fester Basis; das was es zu thun hatte, war vor allen Dingen eben die Herstellung eines, das ganze Volk umfassenden wirthschaft- lichen Bildungssystems. Wir haben es bezeichnet; sein Kern ist einer- seits die Gewerbeschule, andererseits die Realschule. Es gelang. Der Fortschritt Deutschlands war selbst für die Selbstüberschätzung der Fran- zosen auf die Dauer nicht zu verkennen. Schon die vierziger Jahre brachten eine dunkle Vorstellung von der Bedeutung der Sache mit nach Frankreich; man fühlte, daß Frankreich dem deutschen Beispiel nachfolgen müsse, wenn es nicht überflügelt werden wolle. Allein da- mit entstand nun die eigentliche Schwierigkeit. Das deutsche System der wirthschaftlichen Bildung beruht auf der Selbstverwaltung, und Selbstverwaltung wollte und konnte das französische Recht nicht geben; eine Einrichtung der wirthschaftlichen Bildung von Staatswegen wußte man aber nicht zu formuliren. Die Literatur über die Frage blieb daher auf halbem Wege stehen; sie vermochte namentlich nicht zwischen den Gewerbe- und Realschulen zu unterscheiden, und es blieb daher nichts übrig, als das allgemeine Gefühl, daß hier etwas geschehen müsse, um die „Bildung des Arbeiterstandes“ zu heben. Das war nun der Punkt, an dem die socialistische Bewegung die Sache im Jahre 1848 ergriff, ohne jedoch sie noch klar zu verstehen. Die Verfassung von 1848 nahm die „éducation professionelle“ im Art. 13 in die Aufgaben des Staats auf; aber damit war noch wenig mehr als ein Wort gewonnen. Ebenso blieb das Gesetz vom 15. März 1850 bei demselben stehen; jedoch schwebt schon hier die Tendenz deutlich vor, eben Gewerbeschulen zu errichten, ohne daß man zu der Idee einer höhern wirthschaftlichen Volksbildung gelangt wäre. Man wußte, daß die Instruction primaire ungenügend sei; man erkannte abstract die Nothwendigkeit, die Entwicklung der Arbeiter zu fördern; aber man blieb anfangs bei der Anwendung auf den Bürgerstand stehen. In der That war ihm bisher nichts geboten als das Gymnase; dasselbe war bei weitem vorwiegend auf formale klassische Bildung angewiesen; für das wirthschaftliche Bedürfniß war gar nicht gesorgt. Dieß letztere aber war am verständlichsten; das Beispiel der deutschen Realschulen lag vor; man hätte sie gerne eingeführt, aber sie hätten das ganze System der Université gebrochen. Wollte man daher die Idee der Realschulen mit dem alten napoleonischen Princip vereinigen, so mußte man diese wirthschaftliche Bildung zu einem Theile des allgemeinen Systems machen. Das nun geschah durch das Gesetz von 1852, welches die letztere in der eigenthümlichen Form des sogenannten Bifurcations- systems aufnahm, nach welchem die höchste Abtheilung der Lycées sich in eine gelehrte und eine wirthschaftliche Abtheilung spaltete, eine Spal- tung, welche nur in den Facultés fortgesetzt ward. Den Ausdruck dieses Unterschiedes bilden die Ausdrücke „lettres“ als gelehrte und „scien- ces“ als wirthschaftliche Bildung, so daß im Grunde dieser Sinn des letztern Wortes erst seit 1852 in dieser Weise bestimmt worden ist. Damit war dann der deutsche Gedanke des Realschulwesens bis zu einem gewissen Grade verwirklicht, wenn auch in einer wesentlich andern Form, ohne die breite Basis, welche die letztere hat, und namentlich ohne die derselben eigenthümliche Selbstverwaltung. Scheinbar war jetzt Frankreich hier voraus, da es in der section des sciences der Lycées die Oberrealschule, und in den facultés des sciences die all- gemeine wirthschaftliche Fachbildungsanstalt besaß, nach der Deutsch- land noch jetzt vergeblich strebt. In Wirklichkeit freilich war die Sache anders, da die faculté des sciences denn doch nicht mehr gibt als eine gute deutsche Oberrealschule, während daneben die Specialfach- schulen hier wie dort bestehen bleiben. Der entscheidende Unterschied freilich bestand darin, daß diese sections des sciences, eben weil sie nur Staatsanstalten waren, auch nur in derselben geringen Anzahl vorkamen, wie die Lycées selbst, von denen sie hier einen Theil aus- machten, und daß somit die wirthschaftliche Bildung hier immer eine ausnahmsweise der besitzenden Klassen blieb. Mit der immer energi- scher hervortretenden Bedeutung des Arbeiterstandes mußte daher nun die wirthschaftliche Bildungsfrage sich auch diesem zuwenden. Der alte Gedanke der éducation professionelle ward wieder aufgenommen und die Frage entstand, wie man neben dem Unterricht der sciences nun auch einen Arbeiterunterricht herstellen könne. Man kann im Allge- meinen sagen, daß diese Frage seit dem Jahr 1860 bestimmt formulirt ist. Es wird uns nicht verwundern, daß man dabei einerseits sich über den Unterschied von Sonntags- und Gewerbeschulen nicht recht klar ist, und eben so wenig, daß man mehr darüber redet, als dafür handelt, da die erste Bedingung, das energische Auftreten der Selbstverwaltung, noch fehlt. Man hat es daher auch noch hier zu keiner Gesetzgebung gebracht, wie die von 1852 über das französische System des Real- schulwesens; auch wird man es noch lange bei Einzelunternehmungen und allgemeinen Phrasen bewenden lassen, so lange die Gemeinden nicht freier sind; aber die Bahn ist gebrochen, und aus den gegebenen Elementen kann bei ernsterem Erfassen der Sache sich doch mit der Zeit ein Resultat ergeben, das dem deutschen Leben sich nähert. Dieß ist im Allgemeinen der Entwicklungsgang. Und jetzt dürfte es von Werth sein, die Vergleichung mit Deutschland auf ein mög- lichst einfaches Schema zurückzuführen, das vielleicht beide am verständ- lichsten macht. Nur muß man dabei festhalten, daß während Deutschland grundsätzlich die wirthschaftliche Bildung gleich von Anfang an selbständig mit eigenen Instituten, eigenem Lehrerwesen und eigenem Recht neben die gelehrte stellt, mit dem beständigen Streben, dennoch in dem höch- sten Punkte wieder sich mit derselben einheitlich zu verbinden, die französische vielmehr aus demselben Organ, dem Lycée, sich heraus- bildet, und sich dann von der gelehrten förmlich systematisch scheidet. Es ergibt sich daraus das eigenthümliche Resultat, daß Frankreich gerade vermöge seines übertriebenen Strebens nach Einförmigkeit that- sächlich ein viel verwickelteres System der Berufsbildungsanstalten be- sitzt, als Deutschland, das im Gegentheil durch die selbstwirkende Natur der Sache sich den großartigsten Organismus gewonnen hat, den die Geschichte kennt. Das Bild des französischen Systems ist in seinen Hauptzügen fol- gendes. Das Einzelne werden wir unten ausfüllen: Die französische Literatur über das Berufsbildungswesen kann mit der deutschen allerdings auch nicht entfernt einen Vergleich aushalten; es ist aber von Interesse, ihre Hauptbewegung zu beobachten, weil die- selbe sich unmittelbar an die Geschichte anschließt. Ihr wesentlicher In- halt besteht dabei nicht etwa in einem Kampf gegen die Université als solche, sondern vielmehr in dem Streben der wirthschaftlichen Fach- bildung ihre geeignete Stellung neben der gelehrten zu erobern und zu sichern. Die erste bedeutende Arbeit über das ganze System war Guizots Essai sur l’histoire et sur l’état actuel de l’instruction publique en France 1816. Schon in den zwanziger Jahren beginnt aber die Literatur sich ernsthaft der wirthschaftlichen Bildung zuzuwenden und sie zu fordern. M. C. Renouard ( Considérations sur les la- cunes de l’éducation secondaire en France 1824); M. Gasc ( Con- sidérations sur la nécessité et les moyens de réformer le système uni- versitaire 1829). Guizots Gesetzgebung von 1833, welche der Ge- meinde ihre Selbständigkeit in Unterrichtssachen geben sollte und nur zum Theil gab, richtete dann den Blick nach Deutschland, Holland und England; namentlich V. Cousin hat in seinem Werk über Hollands Unterrichtswesen (s. oben) und dann in dem Buche das diesem folgt ( De l’instruction publique dans quelques parties de l’Allemagne et particulièrement en Prusse 1840) neben der Freiheit der Gemeinde auch das wirthschaftliche Bildungswesen nachdrücklich hervorgehoben, ein Gedanke, den St. Marc Girardin ( De l’instruction intermédiaire et de son état dans le midi de l’Allemagne 1835) schon früher betont hatte. Die Bestrebungen Salvandys hatten zwar eine specielle Richtung auf die gelehrte Bildung; aber kurz vor der letzten Revolution tritt die Forderung nach größerer Berücksichtigung der wirthschaftlichen Bildung aufs neue hervor, als Vorläufer der Ereignisse der Jahre 1848 und 1850; namentlich heben wir hervor M. C. Desprets ( Des col- lèges, de l’instruction professionelle et des facultés 1847) und die zweite bedeutende Arbeit von St. Marc Girardin ( De l’instruction intermédiaire et de ses rapports avec l’instruction secondaire 1847). Vielleicht wäre schon damals etwas geschehen, wenn die Februar-Revo- lution nicht alles öffentliche Leben auf das politische Gebiet hinüberge- drängt hätte. Doch erhielt sich der Gedanke, und während diese ge- waltige Revolution die Université gar nicht unmittelbar berührte, ver- sprach sie im Art. 13 der Verfassung von 1848 die éducation professio- nelle. Nur wußte niemand recht, was damit zu machen sei und welches Verhältniß dieses Gebiet des Bildungswesens zur Université haben solle. Der Minister des Unterrichts, Parieu setzte daher durch Erlaß vom 4. Juni 1850 eine Commission nieder mit dem Auftrage: „de préparer un plan d’organisation de l’enseignement professionel approprié aux lycées et collèges communaux.“ Der Bericht dieser Commission blieb demgemäß im Wesentlichen bei der Aufnahme des, derselben dunkel vorschwebenden deutschen Realschulwesens stehen, ohne zum Gewerbe- schulwesen überhaupt hinzugelangen; der Unterschied beider ward nicht klar; und so entstand das Gesetz von 1852 mit seinem Bifurcations- system, das um so weniger den eigentlichen Ideen der Sache entsprach, als sich die Berücksichtigung der wirthschaftlichen Bildung in der Beseitigung des Lateinischen für die Section des sciences und in einer etwas größeren Ausdehnung der Mathematik erschöpfte. Von einem Gewerbe- oder Fortbildungsschulwesen war keine Rede. Auch Pomp é e , früherer Fourierist, fühlte das in seinem hübsch geschriebenen Buche Études sur l’education professionelle en France richtig heraus; doch entstand außer einigen gelegentlichen Revue-Artikeln keine weitere Literatur der Frage. Erst mit dem Jahre 1860 entsteht eine neue Bewegung, welche dießmal sich mit richtigem Instinkt des eigentlichen Gewerbeschul- wesens, also der wirklichen éducation professionelle zuwendet. Es ist hier nicht mehr der Sohn des wohlhabenden Bürgers, sondern der eigentliche Arbeiter , dessen Bildung man fordert. Die Hauptschriften über diese Frage sind: Louis Reybaud , de l’enseignement profes- sionel en France (Revue de deux Mondes 1. Mai 1864); M. le Ber- trand , Étude sur l’enseignement professionel; Menu de St. Mes- nier , l’enseignement professionel, étude historique et critique; einen Versuch, das englische wirthschaftliche Bildungswesen darzustellen von Margu é rin und Mother é e ( de l’enseignement des classes moyennes et des classes ouvrières en Angleterre, rapport à Mr. le Préfet de la Seine ). Viel Gerede und wenig Inhalt bei Audiganne ( Les ouvriers d’à présent 1865 p. 90 sq. ). Von einer Untersuchung des gelehrten Bildungswesens mit Ausnahme des juristischen (mehrere Auf- sätze in der Revue de législation et de jurisprudence von Labou- laye, Wolowsky, Warnkönig u. a. wesentlich in Vertretung der historischen Rechtswissenschaft nach deutschen Vorbildern) ist keine Rede; in der That hatte nur die kleine, aber ausgezeichnete rechtshistorische Schule Frankreichs eine klare Vorstellung von dem Wesen der deutschen Universitäten, Laboulaye am meisten für die Jurisprudenz, Wolowski für die Staatswirthschaften. Merkwürdig, daß die Medicin ganz zurück blieb. — Die neueren Bearbeitungen wie die von Batbie, Laferri è re ( Droit admin. III. P. IV. ) beschränken sich auf die Darstellung des geltenden Rechts. In der deutschen Literatur ist wohl L. Hahn der erste, der das „Unterrichtswesen in Frankreich 1848“ richtig und um- fassend darstellte, natürlich ohne Beziehung auf die ihm folgende Ge- setzgebung. Holtzapfel , Mittheilungen über Erziehung und Unterricht in Frankreich 1853; wesentlich pädagogisch. Trefflich in seiner Art ist der Artikel „Frankreich“ von Bücheler bei Schmid Bd. II. mit (nicht vollständiger) Literatur; doch bezieht sich derselbe nur auf das Vor- bildungswesen. Block hat in seinen verschiedenen Dictionnaires mehrere sehr gute Artikel; das positive Recht nebst den Ausgaben der Gesetze von Jourdain Dict. de l’Administration, v. Instruction publique. — Es möge hier gestattet sein, an dieses System des französischen Berufsbildungswesens, wie wir es im Einzelnen darlegen werden, einen Blick auf das belgische anzuschließen. Die Grundlage des belgischen Systems ist aber auch hier der Unterschied zwischen den Staatsanstalten, den soge- nannten Athen é es und den Gemeindeanstalten als Colleges. In beiden ist das Bifurcationssystem gleichfalls durchgeführt, aber wo möglich noch unvollkommener als in Frankreich, namentlich seitdem die Prüfungen aus dem Griechischen seit 1849 speciell, und die ganze Abiturienten- prüfung seit 1855 weggefallen sind . Die Darstellung von Le Roy bei Schmid Bd. I. S. 505 ff. gibt ein im Grunde nicht erfreu- liches Bild; doch ist glücklicher Weise noch die Fachprüfung durch die Prüfungsjury erhalten, die freilich in ihrer Organisation und ihrem Rechte so vielfach geändert scheinen, daß sie kaum ihrem Zwecke ent- sprechen dürften. Von einer Vergleichung mit Deutschland ist wohl keine Rede . Die Statistik bei Le Roy a. a. O. und bei Brachelli (Staaten Europas S. 557). Die technischen Schulen sind in Belgien mit den Universitäten von Gent und Lüttich verbunden; eine Civil-In- genieurschule in Gent und eine Kunst-, Manufaktur- und Bergwerk- schule in Lüttich; alles nach französischem Muster, meist mit möglichster, und dadurch durchaus unvortheilhafter Verbindung der verschiedenen Zweige ( Brachelli a. a. O. 571). II. Das System. Charakter desselben . Wir glauben nun einen Ueberblick des Systems in seinen einzelnen Theilen der bisherigen Darstellung anschließen zu müssen; wenn die- selbe auch nicht vollständig genug sein kann, um alle einzelnen Fragen zu lösen, so wird sie doch das bisher im Allgemeinen Gesagte im Ein- zelnen bestätigen. Zugleich aber dürfen wir einige wesentliche Be- merkungen über den Geist dieses Systems voraussenden. Das Eigenthümliche des gesammten französischen geistigen Lebens besteht in einem tiefen Widerspruch, unter dem es leidet. Das Ein- zelne ist frei, aber das System ist unfrei . Jede freie Bewegung tritt daher sofort in Opposition, während sie in Deutschland für das Ganze förderlich wirkt. Das liegt in der doppelten Nationalität Frank- reichs, die aus romanischen und germanischen Elementen wunderbar ge- mischt ist, und die sich gerade im geistigen Leben am deutlichsten zeigt. Daher denn auch ein beständiges Streben nach einer freieren Gestaltung des Systems, ein Greifen nach dem englischen oder dem deutschen Princip, ohne daß es zu einer durchgreifenden Neubildung gelangen konnte. Denn die Hauptsache, der Mangel an Selbständigkeit des Lehrerwesens und der Gemeinde ist noch nie ernstlich in Frage ge- kommen. Dieß nun aber gilt wesentlich von der Université. In der wirthschaftlichen Fachbildung dagegen regt sich ein anderer Geist. Freilich ist die dem Realschulwesen entsprechende Vorbildung in den sciences der Lycées dem régime universitaire mit unterworfen und die Collèges communaux sind nicht viel besser daran; allein das in den Écoles professionelles enthaltene Fortbildungswesen ist ohne freie Verfügung der Gemeinden einerseits und der Stifter andererseits nicht denkbar. Daneben besteht der Unterricht durch Privatunternehmungen, natürlich in um so stärkerer Blüthe, je weniger die streng amtlichen Staatsan- stalten an Geist und Zahl, namentlich der nördlichen, mit germanischem Blut stark gemischten Provinzen genügen. Es ist durch das Zusammen- wirken aller dieser Elemente sehr schwer, sich ein klares Bild über das System im Einzelnen zu verschaffen, namentlich da die Statistik des Privatunterrichts, der eine so mächtige Rolle spielt und der seit 1850 fast vollkommen frei, gänzlich fehlt und der Mangel an Staatsdienst- prüfungen niemanden zwingt, für die amtliche Laufbahn die Staats- bildung zu absolviren. Indessen müssen doch zwei Momente hier hervor- gehoben werden, von denen das erste über den pädagogischen und zum Theil socialen Charakter der Vorbildung, das zweite über den wissen- schaftlichen der Fachbildung entscheidet. Das erste ist das Pensionat- und Boursensystem , das den Charakter der Erziehung in den Coll è ges bestimmt, das zweite die Berufung der Professoren, das über den Charakter der wissenschaftlichen Thätigkeit der Fachmänner entscheidet. Der Grundzug der ganzen französischen Verwaltung, alle Funktionen des Gesammtlebens der Staatsgewalt zu übergeben, fand in der Re- volution das meist kirchliche System der Pensionate vor. Das Pen- sionat ist nicht bloß ein Verhältniß, in welchem der Schüler an einem fremden Orte in Pflege genommen wird, sondern ist die, durch die syste- matische Aufnahme der Kinder und Zöglinge in die Bildungsanstalten durchgeführte Verbindung der Erziehung mit der Bildung . Das Pensionat ist nicht ein Auskunftsmittel für fremde Kinder, und nicht ein Unternehmen auf Kost und Pflege, sondern ist ein öffentlich recht- liches System zunächst für das gesammte Vorbildungswesen. Jedes Lyceum ist principiell zugleich ein Pensionat ; die Externen sind dem Grundsatze nach die Ausnahmen. Die Regierung hat dieß System theils vorgefunden, theils sanctionirt und befestigt durch das daran anschließende System der staatlichen Freiplätze , bourses, deren es in jedem Lyceum gibt. Dieß System tödtet die Selbständigkeit des Individuums vollständig. Es hat nicht bloß die wissenschaftliche Vor- bildung gänzlich verdorben, indem, wie Bücheler sehr richtig bemerkt, die Klassenstunden dadurch zu bloßen Abhörungsstunden für das außer- halb der Klasse Gelernte werden, es hat nicht bloß das Formelwesen und die geistige Abhängigkeit von der fremden Führung erzeugt, sondern es ist die Consolidirung des socialen Unterschiedes zwischen besitzender und nicht besitzender Klasse, da namentlich die niederen Klassen nicht die Mittel besitzen, ihre Kinder in das Pensionnat zu schicken. Die übrigen pädagogischen Folgen haben wir hier nicht zu erwägen. So viel aber ist klar, daß es dieß System ist, welches auch bei gleichen formellen Ergebnissen nicht dieselben ethischen ergeben kann , wie das deutsche, wo der Knabe schon auf dem Gymnasium oft vom elterlichen Hause getrennt, eine selbständige Stellung sich zu schaffen gelehrt wird. Dennoch kann dieß System erst beseitigt werden, wenn die Gemeinden und Genossenschaften ernstlich die Berufsbildung in die Hand nehmen. Die Berufung und Stellung der Professoren, von der das ganze Universitätsleben zuletzt abhängt, ist zweitens in Frankreich niemals richtig verstanden, seitdem es seine centrale Université besitzt. Das hat der ganzen gelehrten Fachbildung ihren specifischen Charakter gegeben. Es wird am einfachsten dadurch ausgedrückt, daß Frankreich keine Universitätsbildung besitzt , sondern nur einzelne Fakultäten für die einzelnen Berufe. Aber auch in diesen Fakultäten ist das höchste Element der geistigen Bildung, der wissenschaftliche Zusammen- hang der einzelnen Gebiete unter einander, und die Erzeugung einer Weltanschauung durch Philosophie, Geschichte und Staatswissenschaft nicht vorhanden. Sie sind Anstalten für den Erwerb der Berufs- kenntnisse und nicht mehr. Ihre ganze Organisation ist rein amt- lich; ihre Lehrkörper haben keine Selbstthätigkeit; von Lehr- und Beruf- freiheit ist keine Rede, weil es sich eben nicht um die höhere wissen- schaftliche und geistige Entwicklung, sondern um die Brauchbarkeit für den öffentlichen Dienst handelt. Das Collegium ist daher eine Pflicht , nicht eine Aufgabe. Die Vorlesungen sind in ihrem Objekt streng vor- geschrieben, wie namentlich die juristischen; eine systematische Behand- lung gibt es nicht; Geschichte und Philosophie fehlen; so fehlt der Fakultät die Universität, und dieselbe ist daher auch, trotz des gleichen Namens, keine deutsche Fakultät, sondern eine reine Abrichtungsan- stalt für den öffentlichen Dienst, die tief unter den deutschen wissen- schaftlichen Körpern stehen. Auch dafür indeß ist das Gefühl in Frank- reich nicht ganz verschwunden. Das lebendige Bewußtsein, daß die Wissenschaft ein Ganzes ist, daß sie ohne classische Grundlage auch in ihren einzelnen Fächern nie zu ihrer vollen Höhe gedeihen kann, hat sich erhalten und wird immer wieder durch den Contact mit der deutschen Wissenschaft lebendig gehalten. Dieß nun zeigt sich am deutlichsten in der Besetzung der Lehrkanzeln. Da die Lehrer ihre ganz eng begränzte Aufgabe haben, so ist auch für diese Besetzung nicht etwa die allgemeine wissenschaftliche Bildung, sondern nur die beschränkte Befähigung für das einzelne Fach nöthig. Die Besetzung ist daher eine Bewerbung, die auf ein offentliches Ausschreiben, eben wie bei einer Berufung folgt, und bei der die Candidaten einen Concurs zu bestehen haben — eine Einrichtung, gegen welche bisher umsonst die tüchtigsten Männer, wie Laboulaye und andere, mit specieller Hinweisung auf Deutschland, ge- kämpft haben. Aus demselben Grunde gibt es das unschätzbare Institut des Privatdocenten überhaupt nicht, schon darum nicht, weil man das Wesen des Collegiengeldes, dieses Trägers der freien Wahl des Studirenden systematisch nicht verstanden hat. Natürlich fehlen auch die Berufungen von Seiten der einen Faculté an die andere; kurz alle die Momente, welche für Deutschland innerhalb der gesetzlichen Gränzen die individuelle Fortbildung des Gelehrten anspornen, sind beseitigt. Und dennoch ist Frankreich so eigenthümlich geartet, daß neben diesem verderblichen System der Université sich das freie Element im Collège de France wieder erhalten hat! — Wir versuchen deßhalb jetzt das Einzelne dieses Systems als Corollar des deutschen geistigen Bildungsprocesses hinzustellen. A. Gelehrte Berufsbildung in Verbindung mit der wirthschaft- lichen (Bifurcationssystem in lettres und sciences ) . I. Vorbildungswesen: gelehrt und wirthschaftlich ( Instruction secondaire ). Das Vorbildungswesen so weit es als Aufgabe der Regierung erscheint, und daher der Université angehört, heißt mit seinem offi- ciellen Namen die Instruction secondaire. Dieselbe wird nach dem- selben System verwaltet, wie die Instruction primaire (Académies, Recteur, Inspecteur) jedoch mit wesentlich verschiedenem Recht der- selben bei den einzelnen Anstalten. Die letztern erscheinen wieder in drei Gruppen. Die erste dieser Gruppen wird gebildet durch die Gesammtheit der Staatsanstalten, welche theils direkt als Lyceen unsern Gymnasien entsprechen, theils indirekt als Collèges commu- naux etwas Aehnliches wie unsere Realgymnasien bedeuten; die zweite Gruppe bilden die Privaterziehungsanstalten, welche zum Theil das öffentliche Recht der Prüfungen haben, und somit den Lyceen zur Seite stehen; die Aufnahme des Bifurcationssystems in dieselben hängt von dem Unternehmen ab; die dritte Gruppe besteht aus den rein geist- lichen petits séminaires, die nur in sehr entfernter Verbindung mit der Université stehen. I. Lycées . Daß in diesem System die Lycées die Hauptsache bilden, ist klar. Allein gerade sie zeigen, wie höchst unvollkommen das ganze Vorbildungswesen Frankreichs ist, und zwar ganz abgesehen von dem Princip der Bifurcation. Denn in der That reichen sie nicht ein- mal der Zahl nach aus. Ins Leben gerufen durch das Gesetz vom 11. Flor. an X. sollte wenigstens Ein Lyceum für jedes Depar- tement aufgestellt werden); — aber das ist noch nicht einmal gegen- wärtig erreicht! (1809 35 Lyceen, 1859 erst 68, jetzt 75). Eben so wenig haben die Collèges communaux diesen Mangel ersetzen können. Das Gesetz von 1852 wiederholte den Beschluß, wenigstens Eins in jedem Departement herzustellen; wie gesagt, blieb auch dieß ohne Er- folg. Der Gang der Bildung in den Lyceen ist übrigens für das ganze geistige Leben Frankreichs von Interesse. Die Lehrordnung be- ginnt nach dem Gesetz von 1802 noch mit der strengen alten semina- ristischen Bildung ( Cours des langues anciennes und rhétorique ). Allmälig ward dann das Bedürfniß nach praktischer Bildung um so lebhafter, als die Facultés mit ihrer ganz beschränkten Fachbildung der klassischen Vorbildung nur geringen Werth gaben. Dabei zugleich rief die Vergleichung mit dem deutschen Realschulwesen das Streben nach etwas Aehnlichem hervor. So entstand das neue Gesetz von 1852 (Fortoul), welches das Bifurcationssystem in der dritten Abtheilung durchführt, indem es die wirthschaftliche Bildung unter dem Namen der sciences von der wissenschaftlichen oder lettres im Unterricht schei- det, während es sie in der Anstalt selbst formell und materiell bei- sammen läßt. Da nun das Lyceum auf Pensionnats gegründet ist, so ist das Lyceum dadurch die Vorbildungsanstalt der gesamm- ten besitzenden Klasse für alle Berufszweige geworden . In diesem Sinne nimmt es in der untersten Klasse fast schon den Elementarunterricht auf, die Instruction primaire das Peuple ersetzend; in der zweiten Klasse ( division de grammaire ) die allgemeine, zugleich klassische Vorbildung, und in der dritten ( division supérieure ) dann die beiden Richtungen. Der Mangel an Lyceen hat nun nicht bloß die Écoles des particuliers hervorgerufen, sondern ist auch die Ursache der Entstehung der theilweise vorkommenden sogenannten Écoles pri- maires supérieures , welche im Grunde nur die erste Lyceumsklasse mit einem Theil der zweiten selbständig als die eigentliche höhere Bürger- schule bildet. Durch die natürliche Concurrenz mit den Lyceen haben sie nicht gedeihen können; das Gesetz vom 15. März 1850 nimmt ihnen den Charakter der öffentlichen Schulen, und gestattet sie nur (Bücheler bei Schmid S. 487). Sie sind nach Jourdain (bei Block: In- struction primaire art. 139) als Écoles spéciales, professionelles, intermédiaires etc. zu rein wirthschaftlichen Vorbildungsanstalten und damit in der Université zu einem Theile der Instruction pri- maire geworden, da sie keine Vorbildungs- sondern jetzt Volks- oder Gewerbebildungsanstalten ohne öffentliche Organisation sind. Das Recht der Lycées wird in den französischen Darstellungen stets sehr genau in Beziehung auf den Lehrdienst und die Comp- tabilité behandelt; die Methodeologie und Pädagogik hat Bücheler a. a. O. einer scharfen, aber gerechten Kritik unterzogen. Die Haupt- punkte des öffentlichen Rechts sind: 1) Verwaltung . Unter dem Proviseur, der wieder unter dem Recteur steht; reiner Beamteter, und seit dem Statut vom 4. September 1821 fast souveräner Herr des ganzen Lyceums. Er sollte ursprüng- lich sowohl eine klassische als höhere gewerbliche Bildung besitzen (Dekr. vom 17. März 1808); 31 docteurs ès lettres und bachelier ès scien- ces sein; nach der Verordnung vom 26. März 1829 genügt eines von beiden. Der Lehrkörper der Professeurs agrégés und maîtres répétiteurs hat gar keinen Einfluß auf die Verwaltung; er steht vielmehr unter der beständigen Oberaufsicht des Censeur, der zugleich das ganze Pensionnat bewacht, dem Proviseur rapportirt, und ihn vertritt (Statut von 1821 Art. 13 ff.). Dieser steht wieder unter dem Inspecteur (siehe oben), der unter dem Recteur de l’Académie steht, und dieser unter dem Minister. Von irgend einer selbständigen geistigen Thätigkeit ist dabei natürlich keine Rede . 2) Schüler . Der ursprüngliche Gedanke war, daß jedes Lycée zugleich ein Pensionat, und als solches eine öffentliche Erziehungs- anstalt sein sollte. Dieser Gedanke ist erhalten, nicht zum Vortheil des Vorbildungswesens. Die Aufnahme geschieht daher auch jetzt theils gegen Zahlung der Einzelnen, theils aber durch das streng geordnete System der Freiplätze des Staats ( bourses ), welche den einzelnen Lyceen und analog auch andern Vorbildungsanstalten verliehen wer- den, theils als individuelle Unterstützung für die Zöglinge, theils um die Lyceen, resp. die andern analogen Anstalten auszuzeichnen. Der Gedanke, durch die bourses die Kluft zwischen der besitzenden Klasse, welche die Pension zahlen können (von 950—1500 Fr. je nach der Klasse in Paris, in den Provinzialstädten geht der Preis bis auf 600 Fr. herab) und der nicht besitzenden auszufüllen, ist als ein gänz- lich mißlungener zu betrachten. Im Gegentheil sind die bourses da- durch zu einem weiteren Mittel geworden, die Bildungsanstalten ab- hängig zu machen. Daher ein tiefgreifender, zugleich socialer Unter- schied zwischen den Elèves payants und Elèves boursiers. Die Strenge der klösterlichen Auffassung dann modificirt durch Halbpensionate und Externes. Aufnahme seit Statut von 1821 mit dem achten Jahr; Bedingung nur Lesen und Schreiben (s. Jourdain a. a. O. 30 ff. Bücheler 475). 3) Lehrordnung . Die Geschichte dieser Lehrordnung beginnt mit dem System der klassischen Vorbildung für alle Zweige der Be- rufsbildung, und endet mit der vollkommenen Sonderung der klassischen und volkswirthschaftlichen bereits in den Lyceen. Letzte, bis 1863 gültige Ordnung (Decret vom 10. April 1852). Darnach die erwähn- ten drei Abtheilungen: 1) division élémentaire: entspricht den höhern Klassen der deutschen Volksschule; 2) division de grammaire: Elemente der französischen, lateinischen und griechischen Sprache. Geschichte, Geographie, Mathematik; dreijähriger Curs; 3) division supérieure: a. erste Section: Fortsetzung der classischen Vorbildung für die Fa- cultés des lettres; b. zweite: Vorbereitung für die Faculté des scien- ces; die classische Bildung ist nicht mehr obligatorisch. Die Absicht ist dabei wohl klar genug; die Ausführung aber ist im höchsten Grade unklar, da man über das Verhältniß der klassischen zur gewerblichen Bildung kein Princip hatte und hat, und doch die Freiheit der Wahl durch den Mangel einer andern gewerblichen Vorbildungsanstalt so gut als aufgehoben erscheint. Die großen Lücken in diesem System werden ausgefüllt theils durch eine höchste Classe de mathématiques, theils durch besondere Enseignements accessoires, namentlich im Zeichnen und im Turnen. Durchstehende Prüfung als Bedingung des Ueber- ganges von einer Klasse zur andern. Die genaue Vorschrift in der Instruction générale vom 15. November 1854; vgl. Bücheler a. a. O. S. 470. Die neue Ordnung von Duruy unten. 4) Lehrer. 1. Lehrerbildung . Eben so unsicher wie das System der Lehre ist das der Lehrerbildung. Es hat eine doppelte Grundlage. Einerseits das der systematischen Lehrerbildung in der École normale supérieure, die bereits durch Decret vom 9. Brum. an III ins Leben gerufen, durch Decret vom 17. Mai 1808 neu organisirt, durch Verordnung vom 6. September 1822 aufgehoben, durch Verordnung vom 6. August 1830 wieder hergestellt, durch Ver- ordnung vom 4. August 1848 ganz auf Kosten des Staats über- nommen, und durch die Decrete vom 10. April 1852 und 22. August 1854 wieder neu organisirt wurden. Sie ist bestimmt , die Lehrer der Lyceen zu bilden; ihrem Inhalte nach ist sie eine Art von Com- bination der Faculté de lettres und des sciences, mit einer seit 1854 eingerichteten höchsten Abtheilung, welche das Doctorat für beide geben kann. Gewöhnlicher Curs: drei Jahre, mit Abgangsprüfung; diese gibt das Recht zum Professorat in den Lyceen. Sie steht unter der strengsten Staatsaufsicht, ist wie das Lyceum selbst ein Pensionat mit bourses, aber genügt auch der Zahl nach nicht. Es besteht in der That nur Eine Anstalt, und zwar in Paris. Ueber die höchst mangelhafte Lehrerbildung, namentlich Bücheler S. 477 ff. Am entscheidendsten ist doch wohl, daß zwischen der Lehrerbildung für die classische ( lettres ) und realistische ( sciences ) Abtheilung gar kein Unter- schied besteht. Erst 1847 ward eine Professur für die Pädagogik gegründet. Daher besteht das zweite System in der Agrégation (Supplirung der ordentlichen Lehrer). Das ursprüngliche Princip der- selben war, daß die Suppleanten-Stellen ( agrégés ) durch öffentlichen Concurs erworben werden konnten, so daß die Vorbildung in der École normale nicht nothwendig war (Decret vom 17. März 1808). Durch Verordnung vom 10. April 1852 dagegen einfache Besetzung durch die Behörde nach vorläufiger Prüfung, die sich jetzt streng an die Fächer hält, in welchen der Agrégé bestellt wird. Die Agréga- tion hat dadurch ihren Charakter der wissenschaftlichen Freiheit ver- loren, welche sie bisher zu einem der wichtigsten Faktoren der Vorbil- dung machte, um so mehr, als die Verordnung vom 17. August 1853 das Institut der maîtres corrépétiteurs eingeführt hat, den englischen tutors nachgebildet, nur mit dem Unterschiede, daß die erstern die persönlichen Wächter der einzelnen Zöglinge sind, in und außerhalb der Lehre, mit amtlicher Stellung, Gehalt und Ernennung durch den Unterrichtsminister. Da sie zuletzt die Zurichtung der Zöglinge für die Prüfungen haben, und nebenbei vom Proviseur jeden Augenblick suspendirt werden können, so ist damit das System der völligen Abhängigkeit der geistigen Bildung in den Lyceen recht vollständig. Die Stellung der Lehrer selbst ist mithin die eines ganz gewöhnlichen Beamteten, mit festem Gehalt und einer Tanti è me an den Pensionats- geldern; seit 1852 Verbot, Pensionäre bei sich zu haben. 5) Prüfungssystem . Vielfache Abänderungen eben durch die allmählige Einführung des Bifurcationssystems. Grundlage ist die Ueber- gangsprüfung für die Divisions- und die doppelte Maturitätsprüfung, je mit einer Prüfungscommission für die lettres und für die sciences. Doch ist die Innehaltung des Curses nicht obligatorisch. Das Zeug- niß ist ein baccalauréat ès lettres und ein baccalauréat ès sciences. Bücheler a. a. O. S. 470. Etwas anders bei Jourdain a. a. O. S. 37—47. Uebrigens ist das maßgebende Gesetz die Instruction générale vom 15. November 1854. II. Collèges communaux. Die Collèges communaux sind im französischen Bildungssystem eine nicht uninteressante Erscheinung. Sie beruhen zunächst darauf, daß der Staat sich nicht für fähig erkannte, für das ganze Vorbildungswesen durch seine Lycées zu genügen. Es wurde daher den Gemeinden das Recht gegeben, eigene höhere Schulen auf eigene Kosten zu errichten, wenn sie die Existenz derselben aus eigenen Mitteln auf zehn Jahre sichern wollten (Gesetz vom 11. Flor. an X. ). Allein die Staatsverwaltung behielt sich trotzdem die ge- sammte Verwaltung dieser Collèges communaux vor, und stellte sie in jeder Beziehung unter die Université, so daß der Recteur und Préfet in der Académie ganz dieselben Rechte in Beziehung auf An- stellung und Entlassung der Lehrer, Lehrordnung und Prüfung hat, wie bei den Lyceen (die deßhalb auch oft Collèges royaux oder im- périaux genannt werden). Das Gesetz vom 15. März 1850 hat diese Verhältnisse geregelt, und dem Recteur das Recht gegeben, auch das Bureau d’administration einseitig zu ernennen, so daß die letzte Spur der freien Selbstthätigkeit der Gemeinde daraus verschwunden ist. Die Commune hat somit nur noch die Last zu tragen, ohne ein Recht zu besitzen. Die Folge davon ist, daß ihre Zahl sich beständig vermindert; 1850 waren noch 306, jetzt sind nur noch 255 vorhanden. Alle Ver- suche, die verständigen Grundsätze des Gesetzes für das Elementar- schulwesen von 1833 darauf zu übertragen, sind gescheitert. Dennoch enthielten sie die Möglichkeit, durch die Theilnahme der Selbstverwal- tung ein selbständiges System der wirthschaftlichen Vorbildung im Realschulwesen ins Leben zu rufen. Das ist nun abgeschlossen. Sie sind einfache und noch dazu unvollkommene Lyceen geworden; die cen- trale Bureaukratie hat auch hier über das Bürgerthum den Sieg da- von getragen. Die nächste formelle Folge davon ist nun eine große Ungleichmäßigkeit ihrer Organisation. Einige sind fast vollständige Lyceen; einige haben, indem sie auch etwas klassische Vorbildung ent- halten, den Charakter von Realgymnasien angestrebt; noch andere sind fast ganz auf dem Standpunkt der Realschulen. Prüfungen bei ihnen wie bei den Lyceen; allein da die Université die ganze Ver- waltung in ihre Hände genommen, so geht das an sich sehr gute In- stitut zu Grunde (s. oben). Specialschulen sind das Collège Chaptal (Paris); École Turgot (ebendas.). Die Darstellung der Lehrordnung bei Bücheler a. a. O. S. 482—87. III. Écoles secondaires libres. Die Privatschulen für die Vorbil- dung waren unter Napoleon I. entweder Lehranstalten oder Pensionate; das Recht der öffentlichen Schulen bestand in der Berechtigung zur Maturitätsprüfung ( baccalauréat ) vorzubereiten ( institution en plein exercice ). Das Gesetz vom 15. März 1850 hat dagegen alle diese Schulen gleichgestellt, indem es für alle dieselben Voraussetzungen fordert. Diese sind im Wesentlichen die Forderung einer den Lyceen gleichartigen Einrichtung mit professeurs und répétiteurs, aber es wird zur Errichtung solcher Schulen gar kein Fähigkeitszeugniß mehr gefordert. Der Staat wie die Gemeinden können diese Anstalten unterstützen; genauere Vorschriften darüber bei Jourdain S. 82 ff. Statistik und andere genauere Nachrichten fehlen. IV. Die geistliche Vorbildung wird nur in den pétits séminaires gegeben. Das Recht derselben hat vielfach gewechselt. Durch Decret vom 8. April 1809 und vom 15. November 1811 werden sie der Université untergeordnet; 1814 davon zum größten Theil befreit; nach der Verordnung vom 16. Juni 1828 durften sie nur 20,000 Schüler(!) haben. Das Gesetz von 1850 hat sie nun so vollständig „frei“ gemacht, daß weder ihre Zahl beschränkt ist, noch irgend eine Vorschrift über die Bildung ihrer Lehrer besteht; der Staat hat sich zwar die Ober- aufsicht vorbehalten, aber dieselbe bezieht sich gar nicht mehr auf die Lehrordnung und die innere Verwaltung, sondern „comme celle de toutes les écoles libres en général, elle porte essentiellement sur la moralité, l’hygiène et la salubrité,“ und für diese Oberaufsicht ist durch die Verordnung vom 10. Mai 1851 vorgeschrieben, daß die Inspecteurs de l’Université sich vorher mit dem Bischof als Haupt der Schule über die vorzunehmende Inspektion zu verständigen haben. Das ist die allerdings vollkommene liberté de l’enseignement des Ge- setzes von 1850. Im Allgemeinen ist auch das Urtheil der Franzosen selbst über ihre Instruction sécondaire kein günstiges. So sagt Charles Read bei Block Dict. de la Politique, v. Instruction publ.: „On peut donc affirmer qu’en ce qui concerne l’enseignement secondaire l’élan rapide qui avait suivi la révolution de 1830 ne s’est point main- tenu à partir de 1850 et de 1851; c’est surtout dans les hautes classes de nos lycées et de nos collèges que cette observation s’est fait sentir et même revêt un charactère absolu.“ Bücheler hat die didaktischen Gründe dafür gut dargelegt; die wahre Ursache liegt tiefer und kann ohne das unglückliche System der Facultés nicht ver- standen werden. Statistisch wird von Read angegeben, daß die Schüler- zahl der 75 Lycées impereaux 1864 24,000 Schüler, der Collèges communaux 25,000, und der Etablissements libres 64,000 Schüler gewesen sind; bedeutsame Zahlen für den Charakter dieser drei Grund- formen des wissenschaftlichen Vorbildungswesens. — Das hier bezeichnete Bifurcationssystem Fortouls hat nun auch dem Namen nach das ganze französische Vorbildungswesen beherrscht, und im Grunde weder die wissenschaftliche, noch die wirthschaftliche Vorbildung zu einem gedeihlichen Resultat kommen lassen. Das Stein , die Verwaltungslehre. V. 20 Ministerium Duruy, das dem Gründer des strengen Bifurcationssystems, Fortoul, folgte, fühlte das sehr wohl, und hat sich daher durch einen großen und energischen Versuch ausgezeichnet, jenes System zu besei- tigen. Schon das Decret vom 29. September 1863 änderte die Stel- lung der modernen Sprachen, indem das Englische und Deutsche (event. das Italienische und Spanische) in die wissenschaftliche Abtheilung ver- legt, und für diese als obligatorisch erklärt wurde. Das Circulär vom 2. October 1863 erklärte dann, daß man an die Stelle des „künst- lichen Bifurcationssystemes eine natürliche Zweitheilung der construc- tion secondaire setzen“ wolle, und das Decret vom 4. Februar 1864 sprach endlich formell aus, daß die Theilung in die section des lettres und die section des sciences, die das Decret 10. April 1852 eingeführt hatte, definitiv aufgehoben sei. Allein gleichzeitig ward daneben ein Curs der sogenannten „Elementarmathematik“ für die Lyceen eingeführt, in dem die Zöglinge nach Vollendung der troisième übergehen können und welcher zu den mathématiques spéciales hinüberführen soll. Da- mit war dem Wesen der Sache nach das alte Bifurcationssystem vollständig erhalten, denn an die beiden wahren Wurzeln desselben hat Duruy durchaus nicht gerührt. Die erste dieser auch jetzt unerschütterten Grundlagen des alten Systems besteht nach wie vor darin, daß das Lyceum ein Ganzes bleibt, in welchem das ganze Gebiet der wirth- schaftlichen wie der wissenschaftlichen Vorbildung geboten wird, so daß durch die neuen Verordnungen nur die äußere Anordnung der Stoffe und der Uebergänge etwas anders geworden ist. Von einer Selbstän- digkeit eines Realschulsystems neben dem Gymnasialsystem in eignen Anstalten mit eignen Lehrern, womit das Princip der Bifur- cation erst beseitigt werden würde, ist nach wie vor keine Rede; die realistischen Fächer bleiben nach wie vor Fächer des Lyceums, wenn sie auch nicht mehr wie früher gerade section des sciences heißen; und daher bleibt für deutsche Logik die Bestimmung des Circulärs vom 21. März 1863 unverständlich, nach welchem zwar das Bifurcations- system beseitigt sein, aber dennoch in demselben Lyceum ein Examen für die lettres im früher angegebnen Sinne des baccalauréat ès lettres, ein andres für die sciences des baccalauréat ès sciences geben soll, neben denen noch das Examen für die mathématiques spéciales die Bedingung des Eintrittes in die École polytechnique und von dieser in die École des ponts et chaussées möglich macht. An der zweiten Basis des alten Systems, dem gemeinsamen Pensionat für die Zög- linge des ganzen Lyceums, das eine äußerliche Scheidung und Auf- stellung der Realschulen gar nicht aufkommen läßt, hat diese neueste Gesetzgebung nicht entfernt gerüttelt. Trotz aller Emphase, mit der hier daher von einem „neuen Studienplan“ geredet worden ist, sehen wir im Wesentlichen das alte System in gar nichts geändert. Die französische Vorbildung hat ihren Charakter, die formelle Einheit der wissenschaftlichen und wirthschaftlichen Vorbildung trotz Duruy und seinen Circularen zum Schaden des Bildungswesens behalten, und wird sie behalten, so lange nicht durch Aufhebung der verderblichen Pen- sionate ein selbständiges Realschulsystem neben dem Gymnasialsystem aufgestellt wird. II. Gelehrte und wirthschaftliche Fachbildung (die Instruction supérieure oder das System der Facultés. Das Collège de France und die Special- institute). Unter dem Fachbildungswesen begreifen wir nun hier die Gesammt- heit von Staatsanstalten, welche, an das Vorbildungswesen anschließend, für den wirklichen öffentlichen Beruf vorbereiten. Auch hier ist eine Trennung des gelehrten von dem wirthschaftlichen System nicht thunlich, was die einheitliche Auffassung des Ganzen allerdings schwierig macht. Man muß nämlich zuerst für diese Fachbildung das System des Facultés von dem Collège de France und daneben die Specialinstitute, die gleichfalls der Université nicht einverleibt sind und selbständige Bil- dungsanstalten für ganz einzelne Fächer sind, scheiden. Formell näm- lich bilden die Facultés Fachbildungsschulen, den deutschen Fakultäten ähnlich, und die Gesammtheit dieser Facultés wird zusammengefaßt unter der öffentlich rechtlichen Bezeichnung der Instruction supérieure, die das dritte und höchste Gebiet der Université als allgemeinen Bil- dungsorganismus bildet, während das Collège de France und die Specialinstitute neben den Facultés selbständige, der Université an- gehörige Lehrkörper sind, und ebenso auch eine wesentlich verschiedene Organisation besitzen. Es ist dabei auf den ersten Blick in die gesetzliche Thätigkeit und Stellung derselben klar, daß die Facultés das eigentlich französische System der Fachbildung enthalten, während das Collège de France den Rest der höheren freieren germanischen Universitäts- bildung freilich auf dem sehr beschränkten Gebiete der allgemeinen Bil- dung vertritt, und die Specialinstitutionen wieder von den Facultés und dem Collège de France geschieden, etwa den einzelnen Instituten entsprechen, die mit den deutschen Universitäten verbunden sind. Allein auch wenn man das System der Facultés und andererseits des Collège de France und der Specialinstitute für sich betrachtet, ist der Unter- schied mit der deutschen Universitätsbildung ein durchgreifender. Wir stellen sie daher hier neben einander, den Blick fest auf das Bild ge- richtet, das uns die deutschen Universitäten gegeben haben. A. Das System der Facultés. Das Frankreich eigenthümliche System der Facultés ist formell die Aufstellung selbständiger Fachbildungsanstalten für die einzelnen wissen- schaftlichen Berufe, in der aber die im Bifurcationssystem der Lyceen auftretende Scheidung der Sciences und der Lettres sich fortsetzt. Es gibt daher fünf Arten der Facultés in Frankreich. In dieser Bezie- hung ist die äußere Aehnlichkeit mit dem deutschen Universitätswesen allerdings vorhanden. Allein der Unterschied tritt sogleich hervor, so wie man einen Schritt weiter geht. Jene fünf Facultés sind nämlich nicht Fakultäten an einer Universität, also zusammen einen selbstän- digen, auch örtlich als Einheit auftretenden wissenschaftlichen Selbst- verwaltungskörper bildend, sondern jede dieser Facultés besteht ganz für sich; sie sind in verschiedenen Orten hergestellt, und sowohl ohne wissen- schaftliche als administrative Verbindung unter einander. Gemeinsam ist ihnen nur die oberste staatliche Verwaltung, vermöge deren sie unter der Université als Instruction supérieure stehen. Eben so wenig ist ihnen der Lehrgang oder auch nur die Dauer desselben gleich; jede Faculté ist von vorn herein als eine ganz selbständige, nur für ihren Zweck bestimmte Fachbildungsanstalt aufgefaßt. Es ist der tiefe innere Unterschied des Fakultätswesens Frankreichs von dem deutschen fast auf den ersten Blick klar, so wie man die Organisation derselben betrachtet. Sie sind allerdings Berufsbildungsanstalten; allein der Beruf selbst ist dem französischen Geiste überhaupt nicht die ethische Einheit des ganzen geistigen Lebens, ausgedrückt in der Lebensaufgabe des Einzelnen, son- dern nur eine specielle Ausübung einer bestimmten öffentlichen Pflicht. Der Beruf fordert daher auch in Frankreich keine Gesammtbildung des Geistes, sondern nur die specielle Fachbildung. Der geistige Einfluß, den eine Wissenschaft auf die andere hat, ist hier nicht bekannt oder doch nicht anerkannt. Es gibt kein geistiges Band und daher auch kein äußeres Zusammenwirken und Zusammensein der Fakultäten in der Universität. Daher fehlt der ganzen Fakultätsbildung Frankreichs dasjenige, was dieselbe in Deutschland so wesentlich charakterisirt. Die Faculté hat keine allgemeinen Fächer, keine Philosophie, keine Ge- schichte, keine Staatswissenschaft, nicht einmal Lehrstühle für dieselben, viel weniger eine Prüfung dafür. Selbst der Zusammenhang mit der Vorbildung ist ein anderer. Die Instruction secondaire der Lycées gilt nicht für jede Faculté, sondern das Baccalauréat ès sciences gilt nur für die Faculté des sciences und nicht für die übrigen, während die Faculté des sciences selbst wieder, mit Ausschluß der klassischen Bildung, nur die theoretisch wirthschaftliche in Mathematik und Physik enthält. Von den das deutsche Universitätswesen gleichsam erfüllenden Nebeninstituten, namentlich den Seminarien, ist keine Rede. Das Prüfungss ystem ist daher ein eben so verfahrenes; es hat den Charakter der Fachbildung selbst angenommen und besteht aus lauter Einzelprüfungen, die in der letztern Zeit noch mehr zersplittert worden sind. Ueber das Verhältniß und den Werth der klassischen Bildung herrscht daher eine durchgreifende Unklarheit; man hat weder vermocht, sie ganz zu beseitigen, selbst nicht in den sciences, noch auch ihnen eine philosophische Gründlichkeit zu geben, selbst nicht in den lettres. Das Prüfungssystem an allen diesen Facultés hat zwei Stufen, das Licentiat und das Doktorat; das letztere hat von der germanischen Univer- sität etwas längere Vorbereitung und die Verpflichtung zur Vertheidi- gung von Streitsätzen beibehalten. Die Prüfungen selbst stehen unter den Prüfungskommissionen der Akademie; sie sind sehr leicht, und strenge auf das einzelne Fach der Abtheilungen beschränkt, dem beschränkten Bildungsgange derselben entsprechend. Das System der Facultés, welche die Stelle der letzteren vertreten, beruht in seiner neuesten Organisation auf dem Decret vom 10. April 1852 (Studienordnung), dem Gesetz vom 14. Juni 1854 und dem Decret vom 27. August 1854 über die neue Organisation der Académies. 1) Die Facultés des lettres und die des sciences vertreten un- gefähr die Idee der deutschen philosophischen Fakultät. Aber beide bilden weder eine Einheit, noch stehen sie in Beziehung zu den übrigen Facultés. Die Faculté des lettres ist vielmehr das, was die Philo- logie vertritt, während die Faculté des sciences, ohne staatswissen- schaftliche Lehre, die mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung noth- dürftig enthält. Die Facultés des lettres (16) sind die philologisch-philosophische Bildungsanstalt. Ordnung der Vorlesungen (Decret vom 7. März 1853). Die Aufnahmsprüfung wird durch das in dem Lyceum, troisième division, section des lettres, erworbene baccalauréat ès lettres ersetzt, zu welchem für den Candidaten nach dem Gesetz von 1853 (Art. 63) überhaupt nicht einmal ein Lyceum besucht zu haben nöthig ist. Die Abgangsprüfung ist die Prüfung zum licencié ès lettres; sie ist schrift- lich und mündlich und sehr einfach. Der Candidat zum licencié braucht nur Ein Jahr Baccalaureus gewesen und nur zwei Curse nach seiner Wahl gehört zu haben. Die Promotion zum Docteur ès lettres er- folgt nach stattgehabter Vertheidigung von zwei Thesen; über diese Ver- theidigung wird dann erst an den Minister berichtet, nach dem Arr ê t é vom 17. Juli 1850. Die Facultés des sciences (auch 16) schließen die klassische Vorbildung aus , sie sind wesentlich naturwissenschaftlich und mathematisch. Das eigentlich wirthschaftliche Element fehlt. Dennoch ist für das baccalauréat ès sciences durch Decret vom 10. April 1852 auch eine lateinische Uebersetzung gefordert, und eine mathematische „composition.“ Die Abgangsprüfung ergibt auch ein Licentiat; aber dasselbe ist jetzt gar in drei Theile getheilt und jeder dieser Theile besteht ganz für sich. Diese drei Arten von „licences“ sind die licence ès sc. mathema- tiques, ès sc. physiques und ès sciences naturelles, jede mit ihrem (kurzen) Examen. Das Doktorat fordert die Vertheidigung Einer These. So ist dieß ganze Gebiet hoffnungslos zersplittert. Dazu kommt, daß die einzelnen Gemeinden noch Écoles préparatoires errichten können, deren Curse den Fakultätskursen gleich stehen. Facultés de droit (seit Gesetz vom 22. Vent. an XII; gegenwärtig neun) Gegenstand nur Jurisprudenz; gar keine weitere Berufsbildung, drei Jahre Curs; für das Doktorat vier Jahre. Das Baccalaureat (nach zwei Jahren) ist eine Uebergangsprüfung; die licence en droit , die eigentliche Abgangsprüfung, wird nach dem dritten Jahre ertheilt und ist mit der Vertheidigung einer These verbunden; das Doktorat wird erst nach zwei Prüfungen, wovon Eine römisch-rechtlich, ertheilt. Jähr- lich werden Preise und mentions honorables ausgetheilt. Durch Decret vom 17. September 1864 ist an der Faculté de Paris ein Lehrstuhl für „économie politique“ errichtet, der einzige bisher an einer Rechts- fakultät! (Vgl. Say, Traité II, 233, J. d’Écon . 1865.) Facultés de médecine. Es gibt ihrer für ganz Frankreich seit Gesetz vom 11. Frim. an III nur drei (Paris, Montpellier, Straß- burg); vierjähriger Curs mit jährlichen Prüfungen, ohne baccalauréat und licence; das Doktorat ist die eigentliche Abgangsprüfung und wird nach fünf Prüfungen verliehen. Daneben bestehen drei Écoles supérieures de pharmacie seit Gesetz vom 21. Germ. an XI neben jenen Facultés (s. oben Apothekerwesen). Das völlige Ungenügen dieser Einrichtungen rief dann die Errichtung von Écoles préparatoires de médecine hervor, seit Gesetz vom 11. Flor. an X durch Verordnung vom 18. Mai 1820 der Université eingereiht. Es sind das reine Kliniken nebst Vorträgen, ohne daß die Vorbildung der sciences gefordert würde; sie bestehen neben den örtlichen Hospitälern; der Lehr- körper hat seit Decret vom 22. August 1854 das Recht, den Grad des Officier de santé zu verleihen und die Hebammenprüfung vorzunehmen. Facultés de théologie (sechs) sehr unvollständig, bachelier nur, wenn das baccalauréat ès lettres schon erworben; licence nach Ver- theidigung einer These, Doktorat nach Vertheidigung einer zweiten. Die katholische Kirche erkennt die Grade gar nicht an. Ueber das ganze System sagt Frederic Morin bei Block Dict. de Politique, v. Instruction: „Notre enseignement supérieur est très loin de valoir celui de l’Allemagne, et à quelques égards on peut dire qu’il n’existe que d’une façon nominale.“ Das formale Recht sehr gut bei Laferri è re (Droit admin. III. T. W. Ch. II.). B. Das Collège de France. Das Gefühl dieses tiefen Mangels in der Instruction supérieur hat nun ein Institut ins Leben gerufen und erhalten, das formell kein ähnliches in Europa neben sich hat, das Collège de France. Das Collège de France ward schon am 24. März 1529 gegründet, schon damals im Gegensatz zu der Université de Paris, die in Beschränktheit und Scholastik den auch wissenschaftlichen Aufschwung der Renaissance unter Franz I. hemmte. Es sollte die Universität der freien klassischen Lehre sein. Es war daher für keinen Beruf eingerichtet, hatte keine Prüfungen, ertheilte keine Grade, nahm kein Collegiengeld, stand nicht unter der Behörde, welche die Universität verwaltete; aber es hat sich von jeher auf die allgemeine klassische Bildung, Philosophie und Naturwissenschaften beschränkt. Es ist das für ganz Frankreich, was die philologischen Fakultäten für jede Universität Deutschlands sind; nur daß ihm in seiner Trennung von den Fakultäten die letzteren von jeher feindlich waren. Der Kampf mit der Pariser Universität vor der Revolution, die es stets unterwerfen wollte, zieht sich durch das ganze siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert; aber bei dem freien Geiste, den diese Institution von jeher durchwehte, war eine Vereini- gung geradezu unmöglich. Das Jahr VII erhielt daher auch von allen alten gelehrten Institutionen das Collège de France (Decret vom 25. Messidor ) und selbst Napoleon ließ es 1808 außerhalb seiner Université bestehen; er hätte es vernichten müssen, um es einzuordnen. Auch Napoleon III. hat es nicht berührt; er hat nur die Ernennung der Professoren, jedoch nach Präsentation des Lehrkörpers und des Institut de France vorbehalten (Decret vom 9. März 1853), während der Pro- fessorenkörper des Collège de France der einzige öffentliche Lehr- körper in Frankreich ist, der die Supplenten und Gehülfen selber ernennt (Reglement vom 25. Oktober 1828) und unter einem selbst- gewählten Vorstand selbst die Disciplin seines Lehrkörpers ver- waltet. Es ist die einzige Lehranstalt, die gegenüber der höchst be- schränkten Fachbildung in den Facultés der Instruction supérieure das historische Princip der germanischen Universitätsbildung und die Freiheit der Lehre und der Selbstverwaltung im System der französischen wissenschaftlichen Bildung vertritt; aber eben darum ist es selbst schon keine Berufbildungsa nstalt, sondern in der That eine von der Verwal- tung organisirte Anstalt für freie wissenschaftliche Vorträge außerhalb der Instruction supérieure, entsprungen aus dem Bedürfniß einer höheren Einheit der wissenschaftlichen Bildung, ohne jedoch dieß Bedürfniß organisch befriedigen zu können, da es theils keine Verpflichtung der Studirenden gibt, es zu besuchen, theils auch nur das Eine Collège in Paris be- steht. Die Unfähigkeit, dieß Collège seit Jahrhunderten weder auf- heben noch es der Université unterwerfen zu können, zeigt am deut- lichsten den tiefen Gegensatz, der im ganzen wissenschaftlichen Berufs- bildungswesen Frankreichs herrscht und ihm eigentlich seinen Charakter gibt. Vergl. über das Collège de France Franchart bei Block Dict. de l’Admin. Das Gefühl der Sache sehr klar bei Charles Read (Block , Dict. de la Politique): „le Collège de France est censé repré- senter d’une manière speciale l’esprit de hardie initiative et de liberté entière. “ C. Specialinstitute . Aus demselben Mangel aller allgemeinen Bildung in der Instruction supérieure hat sich nun die Nothwendigkeit gebildet, bei gewissen Special- instituten zugleich systematische Lehrvorträge zu halten und sie so als selbständige Glieder des Fachbildungswesens neben die übrigen zu stellen, wobei jedoch nie übersehen werden muß, daß sie nicht etwa wie in Deutschland regelmäßig mit den Universitäten verbunden sind, sondern daß je Eine Anstalt für ganz Frankreich genügen muß. Diese In- stitute der rein wissenschaftlichen Specialbildung sind: a) Museum d’histoire naturelle seit Decret vom 10. Juni 1793, mit 15 Lehrstühlen und Einem Besuch. b) École des langues orientales, schon seit 1669 errichtet als Lehr- und Erziehungsanstalt zugleich auf öffentliche Kosten; Fachbildung für die orientalischen Consulate unter der Verwaltung des Ministers des Aeußern; die Zöglinge heißen „Jeunes de langue“ (Verordnung vom 20. April 1833). c) Bureau des longitudes, Errichtung vom 7. Messidor an III (1795). Neueste Ordnung durch Decret vom 30. Januar 1854 mit völliger Trennung vom Observatoire, speciell für Beobachtungen in der Astronomie, Entwicklung der astronomischen Instrumente, Publika- tionen über die Connaissance des temps u. s. w. d) L’Observatoire: rein astronomisches Beobachtungsinstitut. Neue Ordnung durch Decret vom 30. Januar und 1. Februar 1854. e) École des chartes. Fachschule für Paläographie; die Schüler werden vom Minister ernannt; Prüfung nach dreijährigem Curs; darauf diplome „d’archiviste paléographe,“ mit dem Recht auf An- stellung als öffentlicher Archivar. Organisation durch Verordnung vom 31. December 1846, neuere Bestimmungen Verordnung vom 16. Mai und 18. Oktober 1849 und 4. Februar 1850. B. Die selbständige wirthschaftliche Berufsbildung in Frankreich . (Außerhalb der Université ). Wenn wir nunmehr neben dem obigen System der Université und ihrer verfehlten Bifurcation noch von einer selbständigen wirth- schaftlichen Berufsbildung reden, so liegt es auf der Hand, daß es sich hier nicht um ein System derselben handelt. Und zwar kann man wohl jetzt mit einfacher Hinweisung auf das Bisherige sagen, daß so weit es neben der Université und ihrer sciences noch wirthschaftliche Bildungs- anstalten gibt, dieselben weder auf einem Vorbildungssysteme ruhen, noch durch irgend einen höheren Gedanken zusammengehalten werden, sondern einfach die Erzeugnisse unabweisbarer praktischer Bedürfnisse sind. Man darf daher hier auch nicht die für Deutschland geltende äußerliche Scheidung der Vorbildungsanstalten, noch weniger ein rationelles Klassen- system erwarten. Vorbildung und Fachbildung gehen, mit Ausnahme der Specialschulen, so in einander über, daß man nicht zu einem Systeme gelangt. Scheidet man jedoch das gewerbliche Vorbildungswesen von dem in der Université gebotenen theoretischen, so ist dasselbe theils in einer Reihe von Etablissements particuliers vertreten, theils aber durch eine Anzahl von Zeichnenschulen , den sog. Cours de dessin appliqué à l’industrie, die in den meisten größeren Städten eingerichtet sind, aber ohne weitere gewerbliche Bildung sich bloß auf das Zeichnen be- schränken. Das Muster derselben war die seit 1764 in Paris ein- gerichtete Zeichenschule für die six métiers. Sie ist jetzt ausgebildet zu der Pariser „École imp. de dessin et de mathématique appliqué à l’industrie.“ Hier ist, so viel wir wissen, ausnahmsweise die Grundlage breiter angelegt und aus ihr eine allgemeine Gewerbeschule für alle bildenden Handwerke mit Abendcursen geworden. Daneben bestehen noch niedere Schulen für bloßes Zeichnen. In diesen Anstalten er- scheinen allerdings die Fortbildungsschulen für Handwerker vertreten. Charakteristik derselben von Franz Kugler , Kleine Schriften 3. Thl. S. 431—433 (von 1846). Die Écoles imp. d’arts et métiers, deren erste bereits durch Decret vom 6 Vent. an XI. in Compi è gne errichtet ward und zu der 1815 die von Beaupreau, 1843 die von Aix hinzugekommen ist, sind im Grunde nur höhere Gewerbeschulen, aber wieder mit ganz bestimmter Beschränkung auf einzelne Gewerbe, namentlich auf Feuer- arbeiter, Schlosser, Schmiede ꝛc.; sie sind als Pensionate eingerichtet, mit bourses, dreijährigem Curs, Prämien und Ehren, stehen unter der Staatsverwaltung und haben ihr eigenes Budget. Nur die letzteren hat Smith bei Block ausführlich besprochen, die anderen nur ange- deutet; Bücheler hat das Ganze übergangen. Das System der einzelnen Fachbildungsschulen, aus denselben Bedürfnissen wie das deutsche hervorgegangen, hat allerdings formell dieselbe Gestalt wie das deutsche. Allein in seinem Lebensprincip und seinem eigentlichen Charakter ist es ein wesentlich anderes. Der Gedanke nämlich, daß es auch innerlich ein Ganzes und daß seine Grund- lage eine organisch wissenschaftliche sei und als solche so weit möglich auch als organische Einheit zum Ausdruck gelangen müsse, hat niemals in Frankreich Platz gegriffen. Man kann das wohl am durchgreifendsten bezeichnen, wenn man im Hinblick auf die Geschichte der deutschen wirth- schaftlichen Fachbildung sagt, daß Frankreichs Bildungswesen niemals die Epoche der kameralistischen Bildung durchgemacht und daher aus der- selben niemals das Bedürfniß nach einem wissenschaftlichen Inhalt der wirthschaftlichen Bildung empfangen hat. Obwohl daher Frankreich durch seine École polytechnique den Namen der polytechnischen Anstalten ins Leben gerufen hat, so besitzt es nirgends eine Anstalt, ja nicht einmal eine Auffassung , welche der der deutschen polytechnischen Institute irgendwie vergleichbar wäre. Die Idee einer höheren, allge- mein wissenschaftlichen Entwicklung des gewerblichen Lebens hat in Frank- reich niemals Platz gegriffen, sondern alle seine wirthschaftlichen Fach- bildungsanstalten sind nicht bloß in der Wirklichkeit, sondern sogar dem Princip nach reine Specialschulen . Von einem Anschluß an die Universität und ihre höhere Bildung ist gar keine Rede, wie sie in Deutschland so vielfach direkt ausgesprochen und eingeführt ist. Eine höhere wissenschaftliche Bildung, ein Aufnehmen der Geschichte oder gar der Elemente der Staatswissenschaften mit Nationalökonomie, Verwal- tungsrecht und Statistik, ist vollkommen ausgeschlossen; nicht einmal fremde Sprachen sind irgendwie gefordert oder geboten ! Es ist daher nichts verkehrter, als das französische wirthschaftliche Fachbildungs- wesen sich zum Muster zu nehmen; die große, eigentliche Lebensfrage der deutschen Anstalten, das Verhältniß derselben zur allgemeinen Bil- dung, hat die französischen gar nicht berührt. Nur darin sind sie for- mell verwandt, daß jede dieser Anstalten ihre eigene Organisation hat, und daher einer selbständigen Darstellung bedürfte, die wir hier nicht geben können. Nur auf Einem Punkte bricht sich auch hier, in ana- loger Weise wie bei der Instruction supérieure, im Collège de France die germanische Idee der höheren Einheit dieses ganzen Gebietes Bahn und das ist das Conservatoire des arts et métiers, das man in Deutsch- land neben der École polytechnique viel zu wenig beachtet hat und dessen Idee eine sehr fruchtbringende ist. Wir stellen es daher an die Spitze und lassen die übrigen Fachschulen nachfolgen. A. Conservatoire des arts et métiers. Der Gedanke desselben ist von Descartes ausgegangen; das Gesetz vom 19. Vend. an III hat ihn zu verwirklichen begonnen; die folgen- den Regierungen haben ihn ausgeführt. Ursprünglich sollte das Con- servatoire wesentlich nur eine Sammlung von Maschinen und Mustern aller Art für alle Gewerbe sein. Daran schloßen sich Fortbildungs- unterricht für die niederen Handwerke, die Errichtung einer Bibliothek und die Bestellung von „trois démonstrateurs,“ welche die Benützung der Werkzeuge und Maschinen lehren sollten. Erst die Verordnung vom 25. November 1819 organisirte das ganze Institut nach den Bedürf- nissen der gewerblichen Fortschritte unseres Jahrhunderts. Schon früher hatte man eine niedere, elementare Gewerbeschule am Conservatoire eingerichtet (1806). Jetzt wurde der Unterschied der Instruction primaire und supérieure eingeführt und neben allen Gebieten der wirthschaft- lichen Bildung sogar die Elemente der Staatswissenschaft mit aufge- nommen, namentlich aber auch die Verbindung der künstlerischen Bildung mit der gewerblichen angestrebt. Gegenwärtig werden vierzehn Gegenstände vorgetragen; das Conservatoire hat seinen eigenen großen Lehrkörper und derselbe ist zugleich das begutachtende Organ für das Ministerium in gewerblich technischen Fragen. Es steht unter dem Han- delsministerium, das die Lehrer anstellt. Es hat verschiedene Organisa- tionen durchlebt; die gegenwärtig geltende ist das Dekret vom 10. Dec. 1853 und das Reglement vom 19. Januar 1854. In der That ist das Conservatoire des arts et métiers dasjenige, was man die ge- werbliche Universität der wirthschaftlichen Bildung nennen könnte, na- mentlich wenn man den daneben bestehenden Cours de Dessin et de Géometrie (mit einer höheren und niederen Abtheilung) hinzurechnet ( Gugler , Gewerbl. Fortbildungsschule bei Schmid II. 888). Das sollte man in Deutschland viel mehr zum Muster nehmen als die höchst untergeordnete École polytechnique. Wie konnte doch Koritska in seinem sonst so gründlichen Werke das übersehen? Leider gibt es für Frankreich nur Eins und das ist wieder in Paris. Alle andern An- stalten sind neben ihm reine Specialschulen. B. Specialschulen . I. Oeffentliches Bauwesen . Das öffentliche Bauwesen beruht wesentlich auf der École des ponts et chaussées, die bereits 1750 ge- gründet, unter der Revolution aufrecht erhalten, und durch das Decret vom 13. Oktober 1851 neu organisirt ward. Bis zu dieser Organisation war diese Schule eine streng französische und ausschließlich für die Zöglinge der École polytechnique bestimmt. Erst jetzt ist sie eine all- gemeine Fachbildungsanstalt für Bauwesen; zugleich für Fremde zugäng- lich. Aufnahme nach stattgefundener Prüfung. Gegenstand der Bil- dung das Hoch- und Straßenbauwesen, Wasserbau und etwas Bau- recht in zehn Cursen; dreijähriger Cursus. Die Schüler der École po- lytechnique bedürfen keiner Aufnahmsprüfung; das ist jetzt die einzige Verbindung zwischen beiden; Aufnahmsordnung (vom 14. Febr. 1852); Lehrordnung (Decret vom 13. Nov. 1851). — Die École polytechnique ist eine Militär-Ingenieurschule und steht unter dem Kriegsminister; sie ist ein Pensionat (mit 1000 Fr. Pension). Zulassung gegen Auf- nahmsprüfung, ohne formelle Vorbedingung. Cursus nur zwei Jahr. Lehrgegenstände: Vorbildung für die Ponts et chaussées, die Mines, Telegraphenwesen, Tabakverwaltung (!) Wasserbau, „enfin pour les autres services publiques qui exigent des connaissances étendues dans les sciences mathématiques, physiques et chimiques“ (Decret vom 25. Nov. 1852). Das Ganze ist so sehr eine untergeordnete Militärschule, daß die mit Abgangszeugniß versehenen Schüler, wenn sie keine Anstellung finden oder in die höheren Specialschulen übergehen, Unterlieutenants werden. Wie dieselbe als Muster für die deutschen polytechnischen Institute hat gelten und in der deutschen Literatur die École des Ponts et Chaussées, oder gar das so viel wichtigere Con- servatoire hat verdunkeln können, bleibt geradezu unbegreiflich! II. Höhere Gewerbelehre . École centrale d’Arts et Manu- facture hauptsächlich neben Zeichnen und Chemie auch Metallurgie, Hüttenbau, Leitung von Werkstätten und Fabriken. Zulassung mit dem sechzehnten Jahr (!). Dreijähriger Curs. Die Anstalt gehört haupt- sächlich der Stadt Paris, jedoch mit bourses, demibourses und Staats- subvention. Das Programm scheint sehr unbestimmt ( Smith bei Block a. a. O. v. Enseignement industriel, Read , Instr. publique ). III. École supérieure de Commerce. Grundlage der Organisation ist die Scheidung in trois comptoirs; erstes : allgemeine Bildungs- gegenstände; zweites : Correspondenz und Arithmetik, nebst fremden Sprachen (nicht obligat); drittes : angewendete Chemie, Waarenkunde, allgemeine volkswirthschaftliche Vorkenntnisse. Nach dem dritten Jahr ein diplome de capacité; sonst Medaillen ꝛc. Zwölf Stipendien vom Staate zu 1200 Fr., durch Prüfung zu erwerben. IV. Bergwerksschule . Écoles des Mineurs in St. Etienne seit 1816 und Alais seit 1843. Aufnahmsprüfung: Lesen, Schreiben und die vier Species! Doch ist die erstere die höhere. Hier werden auch Fortbildungsvorträge für Zöglinge in Abendstunden gehalten. Die École impériale des Mines de Paris ward schon 1783 errichtet und 1816 reorganisirt mit drei Abtheilungen und Abgangsprüfungen ( Ro- bert bei Block , v. Mines ). V. Navigationsschulen . Dieselben bilden in Frankreich ein ganzes System und sind sehr gut und systematisch eingerichtet. Es gibt drei Écoles de maistrance für die verschiedenen unteren Grade (seit 1819, neue Organisation Decret vom 7. April 1851); École de pyro- technie (Toulon, seit 1840); École d’ hydrographie (für Hafencapitäne und Schiffscapitäne, mit freien und öffentlichen Vorträgen, in vielen Häfen, organisirt durch die Verordnung vom 7. August 1825 und 29. Februar 1836). École navale de Brest für die Kriegsmarine (Organisationsdecret vom 5. Juni 1850 und 19. Januar 1856). École d’application au génie maritime, seit 1765 bestehend, dann neu herge- stellt durch Decret vom 11. April 1854. — Endlich ist zu bemerken, daß die École polytechnique als Vorbildungsanstalt für die École d’hydrographie und du génie maritime gilt. VI. Forstlehranstalt — Eine! — in Nancy, errichtet durch Dekret vom 1. Dec. 1824. Vorbildung die sciences des lycées und baccalauréat; lateinisch und deutsch ; Zulassung gegen Prüfung durch eine Jury d’admission (Ordonnanz vom 12. Oct. 1840). Pensionat 1500 Fr.; zweijähriger Curs; jährlich können für ganz Frankreich nur 25—30 Zöglinge zugelassen werden. VII. Landwirthschaft . Seit 1818 sind die ersten Schulen da- für errichtet. Letzte und allgemeine Organisation durch Gesetz vom 3. October 1848 in drei Klassen: die fermes Écoles, mit elementarer praktischer Vorbildung, die Écoles régionales, welche die Theorie mit der Praxis verbinden und ursprünglich ein institut national, welches aufgehoben ist. Gegenwärtige Organisation Decret vom 17. Sept. 1852 (s. Eugen Marie bei Block , v. Enseignement agricole. Laferrière , Droit Adm. III. L. 1. T. 1. p. 199). Zum Schluß muß bemerkt werden, daß sich an diese Institute mehr und mehr freie Vorträge in den größern Städten schließen, welche von den Gemeinden theils eingerichtet, theils subventionirt werden und die theils förmlich durch Decret vom 22. August 1854 organisirt sind; sowohl dort wo Facultés de sciences sind, als dort wo sie fehlen. Eine neueste Verordnung vom Jahr 1865 entscheidet sich bejahend über die Frage, ob die angestellten Professoren solche Vorträge halten dürfen. Von großem Interesse ist das Mémoire der Handelskammer in Lyon vom 27. September 1868, über das durch dieselbe 1856 er- richtete Museum für Kunst und Industrie, das zugleich als eine treff- liche Bildungsanstalt functionirt und das nebst einem sehr guten Bericht von Harpke (2. Nov. 1859) von der nieder-österreichischen Handelskammer publicirt worden ist. Diese Publication muß als der erste kräftige Anstoß zur Gründung des österreichischen Museums für Kunst und Gewerbe in Wien angesehen werden, dessen Wirksamkeit eine in jeder Beziehung höchst anerkennenswerthe und heilsame, wenn auch eine wenig vorwiegend historische geworden ist. — Die französische Literatur über dieß Gebiet ist sehr mangelhaft, selbst Block bietet nichts Beson- deres. M. F. le Play hat in seiner Réforme sociale en France (2 me éd.) Bd. II. §. 47 einige allgemeine Sätze über das Enseigne- ment et les corporations, ohne genaue Kenntniß der Gesetze; ein dunkel geahntes Bild der von den Genossenschaften namentlich in Oester- reich hergestellten Gewerbeschulen! Audiganne ( L’ouvrier d’à pré- sent ) S. 113 ff. spricht von Écoles de manufactures, die in mehreren Departements errichtet sein sollen (etwa 60 mit 1200—1500 Lehrtagen), ohne etwas über den Lehrgang anzugeben. Es scheinen das einfache Sonntagsschulen zu sein. Er sagt übrigens S. 148: „Ce qu’il faut toujours regretter c’est l’insuffisance des écoles.“ — Freilich, wenn nach ihm im Januar 1865 in Paris (!) nur 8 Schulen mit 1200 Lehr- lingen und 19 für Frauen (?) mit 500 thätig waren, trotz einer Com- mission unter dem Vorsitze von Dumas. Die allgemeinen Nedensarten , wie sie Richter (Kunst und Wissenschaft, Gewerbe und Industrie 1866) darüber macht, wie S. 61 ff., muß man darnach wohl auf ihren posi- tiven Werth zurückführen. Die betreffenden Schriftsteller sind ihm un- bekannt geblieben. C. Künstlerische Fachbildung . Die künstlerische Fachbildung in Frankreich concentrirt sich wieder in Paris. Was zunächst die Malerei und Bildhauerei betrifft, so steht Frankreich auch hier hinter Deutschland in seiner Verwaltung zurück, obwohl es auch einige Écoles des beaux arts in mehreren Provinzialstädten geben soll, von denen jedoch wenig bekannt ist. Ist Paris doch der Hauptsitz der Malerei und ihrer Fachbildung mit seinen zwei Elementen, der École des beaux arts und der Académie des beaux arts. Nur jene ist eine Kunstschule, diese eine Kunstanstalt, jene repräsentirt die Lehre, diese die Intelligenz und das Prüfungs- wesen, so weit es ein solches durch Preisverleihungen geben kann. Die alte Académie de peinture et sculpture von 1848 und die Académie d’architecture haben die Bahn für dieß öffentliche Kunstbildungswesen gebrochen; die gegenwärtige École des beaux arts empfing ihre Organi- sation durch das Reglement vom 22. Juli und 4. August 1822 mit öffentlichem und freiem Unterricht; durch Decret vom 14. Februar 1853 dem Minister des Innern entzogen und dem Minister des K. Hauses untergeordnet; zwei Sektionen (für Maler und Bildhauer in der Archi- tektur). Das Conservatoire de musique et de déclamation ist vielleicht das einzige Institut für musikalische Bildung in Frankreich und besteht bereits seit 1784; der Unterricht in der Declamation seit 1786. Das Ganze hat acht Sektionen mit bedeutendem Lehrpersonal (neue Organisation vom Jahre 1836). Das Kunstbildungswesen Frankreichs ist wenig bekannt. Ueber die École des beaux arts sagt Kugler (Kleine Schriften Bd. III. S. 436): „Es scheint mir, daß das ganze Unterrichtswesen an der École des beaux arts, dem Namen zum Trotz, nicht gar viel mehr als eine For- malität — sei.“ Ueber die Errichtung des Conservatoire de musique sind von Tranchant bei Block genauere Angaben; die Académie de France in Rom (s. Kugler a. a. O. S. 442; daselbst auch einschlagende Bemerkungen über das ganze Bildungswesen der Künste in Frankreich, namentlich über die Ausstellungen ebend. S. 443—449). — Ueber Belgien gibt derselbe einige Nachrichten ebend. S. 454 f. Englands Berufsbildungswesen. I. Allgemeiner Charakter. Während noch vor zwei Jahrzehnten das Bildungswesen Englands im Allgemeinen und speciell sein Berufsbildungswesen so gut als gänz- lich unbekannt war, haben die neueren höchst gründlichen Arbeiten von Huber, Wiese, Gugler und Schöll , indem sie den Gegenstand erschöpfend darstellten, zugleich die Thatsache festgestellt, daß es für das Berufsbildungswesen Englands fast unmöglich ist, eine systematische Ueber- schau zu gewinnen. „Für das gelehrte“ (und wir fügen hinzu, auch für das wirthschaftliche) „Schulwesen gibt es keine Regierungsinspection. Jede Schule ist unabhängig, ein Ganzes für sich“ (Schöll). Je weiter wir in der Kenntniß dieser Zustände kommen, um so mehr bestätigt sich diese Ansicht. Eine unmittelbare Vergleichung mit dem Continent ist daher nicht möglich, so wenig als eine specielle Darstellung aller ein- zelnen Schulen und ihrer Zustände von wirklichem Interesse sein könnte. Ein Ergebniß für jede vergleichende Darstellung ist daher nur in dem allgemeinen Gesichtspunkt zu finden, von welchem aus gerade dieß Schul- system verstanden und in sein richtiges Verhältniß zu dem continentalen gebracht werden muß. Denn in der That ist das englische Berufs- bildungswesen, trotz seiner völligen System- und Verwaltungslosigkeit und der Unthunlichkeit, die von uns aufgestellten Kategorien unmittel- bar auf dasselbe in seinen einzelnen Erscheinungen anzuwenden, dennoch nur eine andere, eigenthümliche Gestaltung derselben Elemente, welche das Bildungswesen im Allgemeinen und das Berufsbildungswesen im Besondern beherrschen. Nur muß man freilich hier mit jenen Be- griffen und Verhältnissen rechnen, welche man auf die Organisirung des Unterrichts anzuwenden nicht gewohnt ist, dem Unterschied zwischen Gesellschaft und Staat und ihren Forderungen und Einflüssen auf das Bildungswesen. England ist nämlich bekanntlich dasjenige Land in Europa, wo das, was wir als die (persönliche) Staatsverwaltung bezeichnet haben, am wenigsten zur Entwicklung gediehen ist. Den Ausdruck dieses allge- meinen Satzes bildet der zweite, daß der Amtsorganismus in England am wenigsten entwickelt ist, und daß die Begriffe von Obrigkeit und öffent- lichem Beruf so gut als gänzlich fehlen. An der Stelle derselben steht die Selbstverwaltung, das selfgovernment, welche die Grundform der gesammten inneren Verwaltung bildet (vergl. die vollziehende Gewalt unter Selbstverwaltung). Alle Selbstverwaltung aber beruht ihrerseits auf dem Unterschiede und der Gestalt der gesellschaftlichen Ordnung der Menschen. Sie ist im Grunde der Ausdruck der sich innerhalb ihrer Ordnungen selbst verwaltenden Gesellschaft. Wir dürfen diesen Satz hier als geltenden annehmen. Wenn nun daher die, ihrem Wesen nach die Gleichheit und Einheit der Staatsangehörigen vertretende amtliche Staatsorgani- sation nicht zur Entwicklung gedeiht, dann wird die ganze Organi- sation und Gestaltung der öffentlichen Thätigkeiten auf der socialen Ordnung beruhen und ihre Besonderheiten, so wie ihr Recht vom Stand- punkt der gesellschaftlichen Ordnungen aus verstanden werden müssen. Das gilt von allen Zweigen der Verwaltung, und so natürlich auch vom Bildungswesen. England nun ist dasjenige Land, wo dieß der Fall ist. Seine gesellschaftlichen Ordnungen und Entwicklungen sind kaum andere, als die des Continents; aber seine Staatsgewalt ist eine wesentlich ver- schiedene. Sie ist im Allgemeinen und speciell im Bildungswesen den gesellschaftlichen Gewalten und Interessen allenthalben untergeordnet. Im Volkssschulwesen nun haben wir gezeigt, wie die erstere neben der letzteren allmählig Raum gewinnt und ein Schulwesen der Verwaltung neben dem des Volkes aufstellt. Aber in dem ganzen Gebiete des Berufsbildungswesens ist das nicht der Fall. Der Charakter des englischen Berufsbildungswesens besteht darin, daß es noch gar keine staatliche Berufsbildung, weder in Vor-, noch in Fachbildung enthält, sondern daß das ganze englische Berufsbildungswesen ein rein gesellschaftliches ist . England ist daher dasjenige Land, für welches wir dieß Wesen eben der gesellschaftlichen Bildung gegenüber der staatlichen erkennen und pädagogisch den Werth beider beurtheilen lernen müssen. Dieß gesellschaftliche Berufsbildungswesen, der Form nach auf rein gesell- schaftlichen Anstalten beruhend, geht nun in eine von der staatlichen — auf dem Continent herrschenden — verschiedenen Grundrichtung nicht mehr auf den Erwerb gewisser, öffentlich als nothwendig für den Beruf erkannter Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern vielmehr auf die Ent- wicklung des Elementes der gesellschaftlichen Geltung der Individuen, deren Charakter . Die gesellschaftliche Berufsbildung erzeugt ihre Bildungs- anstalten nicht vermöge einer staatlich festgesetzten, auf dem rationellen, pädagogischen Entwicklungsgange der Lehre berechneten Organisation, sondern vielmehr auf der Grundlage und nach dem Bedürfniß ihrer großen gesellschaftlichen Elemente und Bewegungen und richtet ihre Lehre nicht nach den Anforderungen einer bestimmten Prüfung, sondern nach denen des gesellschaftlichen Lebens. Sie hat daher kein System der Vor- und Fachbildung nach den Gegenständen, keine gesetzliche Lehr- und Studienordnung, keine obligaten Bildungsfächer, wie es die staat- liche Verwaltung vorschreibt; denn da die letztere die Bildungsanstalten nicht selbst herstellt, so hat sie auch kein Recht zu befehlen, wie sie ein- gerichtet sein sollen. Sie hat keine formell vorgeschriebene Gleichartig- keit der Lehranstalten, denn jede Lehranstalt ist entweder eine historisch gebildete Corporation mit eigenem Recht oder ein ganz freies Unter- nehmen. Sie hat keine Abgangs- und Uebergangsprüfungen mit öffent- lichen Commissionen und Zeugnissen, sondern jede Bildungsanstalt richtet es ein wie sie will. Und das ganze Berufsbildungswesen würde daher in lauter einzelne, zerfahrene, ganz willkürlich und zufällig gestaltete Anstalten zerfallen, wenn die gesellschaftliche Ordnung nicht fähig wäre, bis zu einem gewissen Grade das formelle System und die innere Ord- nung für dieses Bildungsgebiet sich selbst zu erzeugen. Englands Stein , die Verwaltungslehre. V. 21 Berufsbildungswesen hat daher gleichsam die Aufgabe und den Werth für Europa, zu zeigen, ob und in wie weit die gesellschaftliche Ord- nung ohne Zuthun des Staats eine Berufsbildung hervor- rufen kann ; oder anders ausgedrückt, wie weit die Fähigkeit der vollkommenen Freiheit in Lehre und Lernen es vermag, die gesetzliche Ordnung der letzteren zu ersetzen. Das ist wohl der Gesichtspunkt, von dem aus Englands Berufsbildungswesen betrachtet werden muß; und es darf nicht vergessen werden, daß derselbe gerade im obigen Sinn ein hochwichtiger und sehr berechtigter ist. Denn bei aller Vortrefflichkeit namentlich des deutschen Bildungswesens, seiner Form wie seinem Inhalt nach, läßt es sich doch nicht läugnen, daß es vorzugsweise auf amtlichen An- ordnungen beruht, und daß die freie Selbstbestimmung des Einzelnen nur noch höchstens in der Wahl der Richtung seiner Bildung, nicht aber in der Wahl des Inhalts derselben entscheidend einwirkt. Es läßt sich ferner nicht läugnen, daß Stoff und Ordnung des zu Lernenden in Deutschland so vortrefflich und so reichhaltig geordnet und geboten werden, daß die Kenntnisse, welche der junge Mann zu erwerben ge- zwungen wird, ihm die freie Selbstthätigkeit des eigenen Denkens, das lebendige und starke Gefühl der geistigen, eigenen Verantwortlichkeit fast ersetzen können. Unser Berufsbildungswesen macht den Charakter durch die Kenntnisse überflüssig . Und die weitere Folge davon, das Gefühl, daß dem wirklich so ist, äußert sich naturgemäß darin, daß man beständig dahin trachtet, das Maß und die gute Ordnung dieser Kenntnisse noch zu vermehren , so daß in der That der Fortschritt in der Bildung die starke Entwicklung des Charakters immer mehr überflüssig erscheinen, die Kraft des selbstthätigen Denkens neben der des wohlorganisirten Gedächtnisses und der prompten Fassungsgabe für Fremdes immer mehr in den Hintergrund treten läßt. Zwar hat Deutschland in neuester Zeit das Gegengewicht gegen diese Richtung in der Idee der Lehr- und Lernfreiheit gefunden; aber sie ist weder zum vollen Durchbruche gekommen, noch ist man sich recht einig über das Wesen derselben. Sie ist in der That nur das Erscheinen des englischen Princips in der deutschen Berufsbildung, und die Frage der Zukunft wird die sein, wie weit seine Geltung für Deutschland gehen soll. Zur Beantwortung dieser so hochwichtigen Frage für die ganze Zukunft des geistigen Lebens in Deutschland genügt es nun nicht, von der größeren wissenschaftlichen Bildung in Deutschland überhaupt zu reden; denn es ist die Frage, ob sie, wenn auch in gewissen Gebieten vorhanden, durchschnittlich wirklich eine größere ist. Man muß vielmehr dafür einen ganz anderen Standpunkt einnehmen. In der That nämlich kann die völlige Freiheit in der Berufs- bildung, wie sie England charakterisirt, nur unter einer Bedingung als ein, seine eigene Correction in sich selbst tragendes Princip anerkannt werden. Das ist die volle Oeffentlichkeit des gesammten geistigen Lebens, welches in seiner Presse und seinen Vereinen das Mittel hat, jeden ernstlichen Mangel der Bildung aufzudecken und zu rügen, und welche durch den Einfluß der öffentlichen Meinung den Einzelnen zwingt, das zu leisten, wozu ihn in Deutschland das formale Bildungssystem nöthigt. Es ist ferner die volle Freiheit und Thätigkeit der Volksver- tretung und der Selbstverwaltung , in welcher alle Gebildeten sich und das, was sie gelernt haben und wissen, zur öffentlichen Geltung bringen. Hier wird die Unfähigkeit und die Unkenntniß von selbst be- straft und die gewonnene Bildung findet ihren Lohn und ihre Aner- kennung ohne alles Zuthun einer Prüfung und eines Zeugnisses. In dem gewaltigen Ringen der besten geistigen Kräfte, welche uns diese großartigen Institutionen darbieten, tritt jeder Gebildete dem anderen persönlich gegenüber und findet das Maß seiner Bildung nicht mehr an einem gesetzlich vorgeschriebenen Minimum, sondern an dem Maße der selbstverarbeiteten Bildung der Anderen, und für die Wahrheit und Zulänglichkeit dessen, was er gelernt, muß er selbst eintreten und nicht mehr das Urtheil einer Prüfungscommission. Daher ist trotz alles Mangels des öffentlichen Bildungswesens Englands der Erfolg desselben ein so großer, daß die englische Literatur in allen Gebieten des Wissens der deutschen vollkommen ebenbürtig ist, während die Gelehrten Männer und nicht bloß Professoren sein müssen. Daher kommt die geistige Kraft dieses hochbegabten Volkes; und da liegt der Punkt, auf welchem die Beziehung auf Deutschlands Bildungswesen fast von selbst gegeben ist. Die große formale Strenge unserer Bildung für alle Berufe ist wesentlich ein Ergebniß unseres bisherigen Mangels an Oeffent- lichkeit, an Volksvertretung und Selbstverwaltung . Unser System hat uns die lebendige Einwirkung dieser gewaltigen Faktoren ersetzen sollen, aber natürlich nur halb ersetzt; und es ist kein Zweifel, daß, wenn bei uns jene drei Potenzen zu vollständiger Entwicklung gediehen sein werden, wir alsdann, die größere und gleichmäßigere Masse unseres Stoffes durch sie geistig und freiheitlich belebend, auch in dieser Beziehung den ersten Rang in Europa behalten werden. Denn andererseits ist es kein Zweifel, daß bei dem grundsätzlichen und allgemeinen Zurückwerfen des Berufsbildungswesens auf das, was die gesellschaftlichen Kräfte leisten und bei der völligen Gleichgültig- keit des Staats gegen Inhalt, Form und Ergebniß desselben große Mängel und praktische Uebelstände entstehen. Die Freiheit kann viel, aber nicht alles. Sie leistet das Gewaltige; aber gerade im Berufs- wesen kommt sie den Völkern sehr theuer zu stehen. Nicht darin liegt der Mangel der deutschen Bildung, daß sie ist wie sie ist, sondern darin, daß Offentlichkeit, Selbstverwaltung und Volksver- tretung neben derselben noch nicht so weit fortgeschritten sind, als in England . Wenn dieß der Fall sein wird, werden wir neben dem Guten das Beste haben, neben dem unerschöpflichen Stoffe und der Gleichheit in der Berufung aller zu seiner Benützung die gesunde Kraft, ihn zu verarbeiten und zu beleben. Nicht daß der Staat sich so ernstlich des Bildungswesens annimmt, ist das Bedenkliche, sondern daß er sich noch zu sehr zum Vormund macht, und noch zu wenig Anlaß bietet, das öffentliche Leben über das entscheiden zu lassen, was zuletzt denn doch nicht für die Gelehrsamkeit, sondern für das Volks- leben selbst gelernt wird. Wir glauben daher, daß die Vergleichung mit England das deutsche Berufsbildungswesen nicht reformiren, sondern daß sie nur auf das einzige Element hinweisen soll, das demselben noch fehlt und ohne welches das erstere nun einmal schlechterdings nicht ver- standen werden kann. II. Grundzüge desselben. In der That nämlich ergeben sich nun, wenn man Gestalt und Inhalt des englischen Berufsbildungswesens auf die gesellschaftlichen Elemente des englischen Volkes zurückführt, folgende Grundzüge desselben. England ist dasjenige Land, in welchem die beiden großen Grund- formen der gesellschaftlichen Ordnung, die ständische und die staats- bürgerliche, neben einander stehen, zwar nicht ohne Vermittlung, aber ihrem Kerne nach noch vollkommen selbständig. Die letztere ist mit ihrem großen Princip der bürgerlichen Freiheit und Gleichheit niemals untergegangen; aber es läßt sich nicht verkennen, daß die Elemente der erstern bis zu unserm Jahrhundert die herrschenden gewesen sind, und daß erst in unserm Jahrhundert die letztere die Kraft gewonnen hat, über die Gränzen der Städte und des gewerblichen Lebens hinaus zu gehen, und das ganze Volk zu durchdringen. Und da nun jede gesellschaftliche Ordnung ihr eigenthümliches Berufsbildungswesen er- zeugt, so sehen wir in England, wo die Staatsgewalt nicht wie auf dem Continent diese Unterschiede mit einem großen, allgemein staat- lichen Berufsbildungswesen überdeckt, bis zum Ende des vorigen Jahr- hunderts nur Ein Berufsbildungswesen, das der herrschenden Klasse, in den Colleges und der University gelten, dem jede specielle Fach- bildung, jedes öffentlich rechtliche Prüfungswesen, jede Forderung eines bestandenen Examens als Bedingung der Anstellung oder der Aus- übung eines öffentlichen Berufes fremd ist, während erst mit unserm Jahrhundert neben dieß ständische Berufsbildungswesen sich allmählig ein zweites hinstellt, das staatsbürgerliche, das seinerseits sich auf die Natur der Sache angewiesen fühlt, und nicht auf ständische Traditionen. Dieß Berufsbildungswesen entwickelt daher die zwei großen Momente, welche dasselbe von der alten ständischen Form scheiden. Zuerst trennt es das Vorbildungswesen von der Fachbildung, wenn gleich in höchst unvollkommener Form; dann entwickelt es neben und in der Vorbil- dung den Unterschied der wirthschaftlichen Bildung von der wissen- schaftlichen, wenn auch ohne rechtes System. Das Auftreten der staats- bürgerlichen Gesellschaft hat daher zur Folge, daß die großen Grundzüge der deutschen Berufsbildung durch die Bedürfnisse und Kräfte der Ge- sellschaft sich von selbst erzeugen . Allein der Mangel des staat- lichen Einflusses zeigt sich hier in zwei Dingen. Zuerst fehlt dieser Bildung das System, die Einheit und die Gleichmäßigkeit in allen seinen Theilen, und die Bildungsanstalten selbst, jedem Einfluß und jeder Unterstützung des Staats entzogen, erscheinen mit allen Zu- fälligkeiten privater Unternehmungen. Dann sind die Fachbildungs- anstalten so gut als gar nicht vorhanden, und hier zeigt sich die wichtige Thatsache, daß dieselben entweder gar nicht, oder nur sehr schwer auf der freien Thätigkeit der Gesellschaft basirt werden können. Endlich aber ergibt sich, daß so lange die rein ständischen Fachbildungs- anstalten neben den staatsbürgerlichen bestehen, beide nicht zum rechten Gedeihen gelangen können, da natürlich die ersteren ihre un- organische Methode und ihre Prüfungslosigkeit auf die letzteren über- tragen. Hier liegt der eigentliche organische Mangel des englischen Berufsbildungswesens, der jede unmittelbare Vergleichung mit dem deutschen so schwer thunlich macht. England hat zwar Universitäten, aber keine Universitätsbildung, wie Frankreich zwar Facultäten aber keine Universität hat. Und die große und eigentliche Frage, welche man an das englische Berufsbildungswesen zu stellen hat ist die, ob dasselbe überhaupt obne die eigentliche Universitätsbildung auf die Dauer wird bestehen können. Wir müssen diese Frage verneinen. Wir sind vielmehr der vollkommenen Ueberzeugung, daß England, einmal auf der Bahn der staatsbürgerlichen Entwicklung seines Bildungswesens begriffen, die Aufgabe hat, das systematische deutsche Element bei sich zu verarbeiten, wie andererseits Deutschland das England eigenthüm- liche der Charakterentwicklung mit seinem zu strengen System zu ver- schmelzen haben wird. Nach diesen Voraussetzungen wird es nun wohl klar sein, weß- halb es nicht möglich ist, auf das englische Berufsbildungswesen die oben aufgestellten allgemeinen Kategorien einfach anzuwenden. Denn nach der ganzen Grundlage des englischen Bildungswesens und bei der völligen Abwesenheit jedes Regierungseinflusses muß davon ausgegangen werden, daß jede Bildungsanstalt ihr eigenes System und Recht hat; daß selbst die Statistik derselben sehr mangelhaft ist, und daß endlich von einer gesetzlichen Ordnung gar keine Rede ist. Es bleibt daher nichts übrig, als dieses Berufsbildungswesen auf seine beiden Grund- lagen, die ständische und die staatsbürgerliche zurückzuführen. Es muß dann dem speciellen Studium dieses Gebietes der englischen Zustände überlassen bleiben, die Einzelheiten in diesen mehr historischen als systematischen Rahmen hinein zu stellen; die Geschichte Englands und seines Geistes aber muß endlich zeigen, wie allmählig das staatsbürger- liche Princip auch hier sich entwickelt und zum Siege gelangt. Die Elemente einer solchen Darstellung aber sind die folgenden. Wir entbehren bisher einer, das gesammte engliche Berufsbildungs- wesen umfassenden Darstellung. Huber hat nur die Geschichte der Universitäten noch dazu ohne die sogenannte Londoner University auf- zunehmen. Gneist hat nur die Organisation der Lehrordnung an den Universitäten; Wiese hat den Geist derselben, aber dabei das ganze Gebiet der Grammar Schools weggelassen; Schöll hat wieder das ganze wissenschaftliche Vorbildungswesen, aber die gewerbliche Vorbil- dung weggelassen, während Gugler wieder das letztere am besten dar- stellt, und Wagner ganz bei der Volksschule stehen bleibt. Das Fol- gende hat daher die vorliegenden Resultate wesentlich zusammen zu fassen, bis eine erschöpfende Arbeit auf dem jetzt viel besprochenen Ge- biete uns das Ganze in seiner höhern Einheit vollständig beherrschen lehrt. Doch hat Schöll den großen Vorzug, vor allen andern die Unmöglichkeit einer einfachen, systematischen Darstellung am deut- lichsten erkannt und ausgesprochen zu haben, eben weil er das Ganze am besten überblickt hat (bei Schmid II, S. 129). III. Die Colleges und die Universities. (Das ständische Vor- und Fachbildungswesen der wissenschaftlichen Bildung.) Bei der Beurtheilung der wissenschaftlichen Vor- und Fachbildung muß man vor allen Dingen davon ausgehen, daß die Universities selbst niemals Fachschulen im deutschen Sinne des Wortes sind. Sie haben weder Fakultäten, wie in Deutschland, noch sind sie Fakultäten, wie in Frankreich. Da nämlich die Regierung kein Amt brauchte, wie auf dem Continent, noch auch Finanzregalien besaß, so kam sie nie in Gelegenheit, eine Fachprüfung ihrerseits von den Staatsdienern fordern zu müssen; und da andererseits alle höhern Staatsämter durch hervorragende Leistungen im Parlamente gewonnen wurden, so for- derte auch der gebildete Stand eine solche Fachbildung und ihr System nicht. Das entscheidende Gewicht, das die oratorischen Talente und die denselben zum Grunde liegende allgemeine Bildung im öffentlichen Leben besaßen, ließ vielmehr die allgemeine Forderung sich auf das- jenige beschränken, was den Parlamentsredner im Allgemeinen, den öffentlichen Redner im Besondern ausmachte. Und nach dem ganzen Gang der mittelalterlichen Bildung war es kein Zweifel, daß dafür die classischen Studien die wahre Grundlage bilden. In der That kam es bei der Theologie wesentlich auf die Vertretung bestimmter Con- fessionen, bei der Jurisprudenz auf Gewandtheit in öffentlichen Ver- handlungen, bei der Medicin auf das Vertrauen des Publikums, bei der Philologie auf das Bedürfniß desselben an. Das große Princip der Patronage bei der Besetzung von Staatsämtern und das nicht minder wichtige der freien Wahl bei den Aemtern der Selbstverwaltung, verbunden mit der Stellung der herrschenden grundbesitzenden Klasse, der Gentry, ließen den Gedanken gar nicht aufkommen, daß eine Fachbildung eine ausgezeichnete Berechtigung auf irgend eine Anstellung gebe; der Mangel einer thätigen Verwaltung des Innern erzeugte kein Bedürfniß der Regierung nach andern als parlamentarischen Ca- pacitäten; und so kam es, daß England niemals eine wissenschaft- liche Fachbildung , oder das derselben entsprechende System der Facultäten und der öffentlichen oder Staatsdienstprüfungen bei sich ausgebildet hat. Seine ganze wissenschaftliche Bildung beschränkte sich auf die classische als Grundlage der öffentlichen Laufbahn, und zwar auf eine solche, die selbst nicht wieder als philologische Fachbildung, sondern rein als allgemein humanistische den Mann des öffent- lichen Lebens, den public character, ausmachte. Und da nun end- lich nur Geburt und Vermögen bis zu unserem Jahrhundert dem Ein- zelnen eine solche parlamentarische Laufbahn möglich machten, so ent- stand der Englands wissenschaftliche Bildung charakterisirende Satz, daß diese humanistische Bildung specifisch der höhern, herrschenden Klasse, der Gentry, angehöre, und daß daher die wesentliche Aufgabe derselben sei, den Studirenden zugleich zu einem Mitgliede derselben zu erziehen . Das waren, und das sind noch gegenwärtig die beiden herrschenden Elemente der wissenschaftlichen Bildung in England, welche in dem System der Colleges und der beiden Universities ihren Ausdruck finden. Beide nun, hervorgegangen aus der ständischen Epoche, haben nun gemeinschaftlich wirkend die einzelnen Elemente dieses Systems erzeugt und bis auf die neueste Zeit erhalten. Sie sind es auch, welche dasselbe auf das bestimmteste von der zweiten großen Bildungsform in England scheiden. Zuerst haben diese beiden Elemente die Colleges wie die Universities als Alumnate erhalten, woran der geistliche Ursprung und Inhalt derselben den größten Antheil hatte. Diese Alumnate unter- scheiden sich aber von den französischen Pensionats wesentlich dadurch, daß sie nicht etwa wie die letzteren Staatsinstitute mit amtlicher Leitung sind, sondern als Selbstverwaltungskörper dastehen, welche sich ihre eigenen Häupter und Organe wählen . Diese innere Freiheit wiegt schon hier die äußere Beschränkung derselben auf. Zugleich aber tragen alle diese Körper, die Colleges wie die Universities, den Charakter von socialen Stiftungen durchgehends an sich, indem eine Menge von Freistellen bei denselben auch den Nichtbemittelten die wissenschaft- liche Laufbahn möglich machen, und wiederum werden diese Freistellen nicht wie die französischen bourses von der Regierung, sondern nach den Vorschriften der Stiftungsurkunden vergeben. Nicht einmal die stiftungsmäßigen Oberbehörden mischen sich in die innere Verwaltung der Schulen. So standen diese Körperschaften, den geistlichen ähnlich, in der ständischen Welt abgeschlossen da. Erst allmählig ward der Grund- satz geltend, daß auch Externe ( Oppidani ) zum Unterricht zugelassen werden dürfen; und jetzt bilden diese wenigstens in den Colleges den größten Theil der Schüler, ohne dennoch den ständischen und stiftungs- mäßigen Charakter der Körperschaften selber zu ändern. Eine speciellere Darstellung dieser Verhältnisse jedoch kann nur durch die Statuten jeder Körperschaft gegeben werden. Es ist hier wenig anders gleich als das Princip. Und auch dieß wird erst ganz verständlich in seiner Verbin- dung mit dem Folgenden. Zweitens hat sich auf derselben Grundlage auch der Bildungs- gang und das Lehrwesen bestimmt. Vor allem sind diese Körperschaften grundsätzlich von jeder wirthschaftlichen Vorbildung entfernt und be- schränken sich strenge auf die classische Bildung. Den Lehrgang selbst, speciell in den Colleges, hat Schöll erschöpfend mitgetheilt. Ferner ergibt sich, da keine staatliche Prüfung und keine Verwendung des Ge- lernten in einem Amte stattfindet, daß der Unterschied zwischen Colleges und Universities zwar der Idee nach der einer Vorbildungs- und Fach- bildungsanstalt ist, daß aber dieser Unterschied gar nicht zur wirklichen Geltung kommt, sondern die University, auf welche die Studenten be- reits mit dem vierzehnten Jahre aufgenommen werden können, selbst Vor- und Fachbildung oder lieber Ausbildung in sich vereinen. Nur die Colleges haben allerdings den Charakter von — zum Theil sehr tüchtigen — Gymnasien, bei denen jedoch mit Ausnahme der Mathe- matik gar nichts als classische Philologie getrieben wird. Dabei sind die Prüfungen für diese Fächer sehr strenge; das Abgangszeugniß ist das Baccalaureat. Natürlich geht, ganz im Charakter dieses Bildungswesens, nur ein sehr kleiner Theil der Schüler der Colleges zur University über. Die letztere besteht nun selber, wenn auch nicht formell, so doch der Sache nach aus zwei Theilen, den Vorbildungsstadien und den eigentlichen Studenten. Jene aber fordern, da für sie kein eigent- licher selbständiger Unterricht vorhanden ist, daß die jungen Studenten statt der Gymnasiallehrer einen Hofmeister, tutor, haben, der ihnen die College -Bildung beibringt und sie zum baccalaureus vorbereitet; „er treibt vor allen Dingen seine Privatstudien theils als Vorbereitung, theils als Repetition unter der wenigstens präsumirten Leitung des Tutors “ ( Huber II. 436). Das dauert, trotz der formell sogleich vor- genommenen Immatriculation, drei oder vier Jahre. „Mit dem Bacca- laureat waren nun für die große Mehrzahl die akademischen Studien geschlossen“ ( Huber II. 440). Erst später wird dann eine förmliche Uebergangsprüfung von dem College in die eigentliche University ein- geführt, die sog. previous examination; daneben kommen jährliche Prü- fungen und Vertheilung von Preisen u. s. w. vor ( Huber II. 484 ff.). Auf der University werden dann allerdings eigentliche Fachvorlesungen gehalten, Theologie, Jurisprudenz, Medicin, Naturwissenschaft; allein diese Vorlesungen haben nicht den Charakter und die Aufgabe von Fach- bildungen, sondern sind bloß allgemeine Einleitungen in dieselbe. (Der Cursus für die drei Hauptfächer umfaßt höchstens 50 Stunden jährlich .) Nach Erledigung dieser Collegien wird eine Art Fachprüfung gehalten und der Student wird Baccalaureus Artium (etwa dem Licencié ent- sprechend). Damit ist die Fachbildung abgeschlossen; die höheren Grade sind reine Universitätsgrade. Eine weitere Fachbildung findet überall nicht statt . „Die Inns of court könnte auch im Scherz niemand mehr als Recht sschulen in unserem Sinne in Anspruch nehmen.“ — In einigen großen Hospitälern werden zwar Curse für Praktikanten und Auskultanten gehalten. „Was die Vorlesungen, welche als Privatspeku- lationen von Aerzten, Apothekern, Chemikern und Wundärzten gehalten werden, in wissenschaftlicher Hinsicht zu bedeuten haben, läßt sich denken“ ( Huber II. 471—472). Eine Verpflichtung zur Bildung für ein Fach, eine öffentliche Prüfung, existirt nicht. Die Regierung fordert nichts, aber sie thut auch nichts . „Aus alledem geht zur Genüge hervor, daß Alles, was in Oxford und Cambridge in eigentlichen Fachwissenschaften Stein , die Verwaltungslehre. V. 22 geleistet wird, so gut wie nichts ist gegen das, was bei uns auch nur bei einem leidlichen Fakultätsexamen gefordert wird“ ( Huber II. 511). Und daher ist es denn auch sehr erklärlich, weßhalb so viele junge Leute der Gentry gar nicht auf die University gehen, sondern es einfach bei einem Besuch eines College (Eton, Rugby u. s. w.) bewenden lassen, da sie im Grunde mehr in diesen Colleges als auf der University selber lernen. Das sind die Elemente der wissenschaftlichen Bildungsanstalten und ihrer Leistungen in England. Es ist auf den ersten Blick klar, daß diese Anstalten ganz unfähig sind, durch die in ihnen gewonnenen Kennt- nisse den Mangel eigener Thätigkeit und den eines tüchtigen Cha- rakters zu ersetzen , wie das bei den deutschen Anstalten nur zu sehr der Fall ist. Daher wird eben diese Unvollkommenheit gegenüber den Anforderungen eines großen, auf öffentlicher Thätigkeit beruhenden Lebens zur Nothwendigkeit eigenen Strebens und individueller Ausbildung. Ohne die englische Verfassung wären die englischen ständischen Colleges und die beiden Universities das geistige Verderben, die Treib- häuser geistiger Beschränktheit oder geistiger Verwilderung. Aber diese Verfassung ist es, die alles wieder gut macht. Sie zwingt den Mann, der geachtet sein will, sich einen starken Charakter zu gewinnen und in Lebensformen und öffentlichem Auftreten ein „Gentleman“ zu sein. Und aus dieser Quelle entspringt bei allem Mangel der wissenschaft- lichen Anstalten die hohe wissenschaftliche Bildung Englands, die es unbedingt neben jedes Volk der Erde stellt. Aber freilich hat auch eben dieser Charakter das ständische Element an sich. Jene Anstalten sind denn doch zuletzt ohne Beziehung auf das große praktische Bedürfniß der staatsbürgerlichen Gesellschaft eingerichtet. Da es keine Regierungsgewalt gab, welche sie ändern konnte, so mußte neben ihnen eine zweite Gruppe von Anstalten entstehen, eine Gruppe, in welcher das England der heutigen Tage sich dem Continent und seinen Forderungen und Formen in bedeutendem Grade nähert. Es ist von großem Interesse, den tiefen Eindruck zu betrachten, den das Wesen der Universitäten und Collegien auf die bedeutenden deutschen Männer gemacht hat, welche es genauer studirten. Hubers Werk ist, namentlich im II. Band ganz von diesem Geiste durchdrungen. „Die englischen Universitäten bescheiden sich dem nationalen Leben seine höchste und eigenthümlichste Blüthe in dem gebildeten Gentleman zu geben“ ( II. S. 457); und Wiese hat dasselbe, nur in freierer und lebendigerer Form wiederholt in seinen „Briefen über englische Er- ziehung 1852.“ Selbst der objektive Schöll (bei Schmid) wird davon ergriffen. Das ist ein Beweis, daß die deutsche höhere Pädagogik ganz dazu angethan ist, den Geist dieser englischen Institute sich an- zueignen. Die Verfassung der Universitäten bei Gneist I. §. 142. Warum hat er die Colleges nicht aufgenommen? Das Stat. 25. 26 Vict. 26 hat der Universität Oxford das Recht gegeben, für neue Lehrkanzeln (Professorships) Regulations zu geben, die dann dem Staatsrath ( King in Council ) zur Genehmigung vorgelegt werden. Wich- tig, weil hier speciell die Nationalökonomie, Geologie und Chemie auf- genommen sind ( Austria 1864, S. 373). Die Darstellung der Colleges nebst Studienplan bei Schöll a. a. O., S. 132 ff. Es gibt ihrer zehn : die beiden ältesten sind Winchester (1387) und Eton (1441), die gegenwärtig fortgeschrittenste ist wohl Rugby (seit 1567). „Was Eton für den Adel und die höhere Mittelklasse, das ist Christs Ho- spital (seit 1552) für die Mittelklasse überhaupt und zum Theil für die untere Klasse“ (ebendas. S. 145). Leider hat Schöll die Universitäten nicht berücksichtigt; die Beziehung auf die Verfassung fehlt auch ihm, wie den meisten Pädagogen. Da hatten doch die „Constitutionellen“ wie Aretin, Zachariä u. A. im Anfange unseres Jahrhunderts, wenn auch nicht richtiger, so doch weiter gesehen; nur entging ihnen wieder der Einfluß der Selbstverwaltung, deren Einwirkung auf das Bildungs- wesen wieder bei Gneist fehlt. Eine englische Literatur über das Univer- sitätswesen scheint nicht zu existiren ( Schöll S. 159). IV. Das staatsbürgerliche Bildungswesen. In der eben dargelegten Weise bestanden nur die alten ständischen Grundformen der höheren Bildung fort, und bestehen sie noch gegen- wärtig; und da der Staat keine Prüfungen braucht und keine Unter- stützung gibt, so ist auch kein Anlaß, jene Ordnung zu ändern. Allein daß dieselbe in unserer Zeit nicht genügt, ist wohl klar. Während allerdings kein neues System von Seiten einer Schulbehörde kommen kann, gelangt das Bedürfniß der feineren Gesellschaft namentlich auf zwei Punkten zum Ausdruck. Einerseits nämlich zwang die Entwick- lung des höheren gewerblichen Lebens die mittlere und niedere Bürger- schaft, auch in England an eine Realbildung sowohl der besitzenden als der nichtbesitzenden Gewerbsklassen zu denken, und andererseits konnten jene wenigen historischen Schulen denn doch auch entfernt nicht dem Bedürfniß der wissenschaftlichen Schulen entsprechen. Da nun das Volk von seiner Regierung nichts fordern wollte und nichts zu erwarten hatte, so schuf es sich selbst neben jenen ständischen Bildungsanstalten ein eigenes, den Bedürfnissen der Zeit entsprechendes Bildungssystem, das wir somit das bürgerliche nennen. Die Grundlagen dieses Systems sind wie fast allenthalben in England, die Vereine und die Privat- unternehmung . Die Unterstützung des Staats, damit aber auch seine Oberaufsicht, sind grundsätzlich ausgeschlossen. Forderungen mit Leistun- gen an jenes Bildungssystem gehen daher rein aus den Anforderungen des gesellschaftlichen Lebens hervor; und das, was auf diese Weise hier entstanden ist, ist daher um so interessanter, als es uns zeigt, was auch ohne Zuthun einer rationellen amtlichen Schulverwaltung die freie Gesellschaft zu schaffen vermag. Die beiden charakteristischen Elemente dieses Schulsystems sind nun einerseits die Verbindung der wirthschaftlichen Vorbildung mit der wissenschaftlichen und das Auftreten des Gewerbeschulwesens, worin das freie englische Bildungswesen sich dem kontinentalen fast gleichstellt, und der gänzliche Mangel der wirthschaftlichen Fachschulen, so wie der eines öffentlichen Prüfungssystems, wodurch es sich von dem letzteren unterscheidet. Eine genaue Kenntniß dessen, was hier geschieht, fehlt , weil die Regierung nichts mit dem Ganzen zu thun hat, und die Statistik eine sehr unvollständige ist. Daher ist es auch ganz unthunlich, zu bestimmen, wie weit die allgemeinen Sätze im Einzelnen zutreffen. Jede Schule ist ein Unternehmen für sich und bestimmt ihren eigenen Lehrgang. Von einer öffentlichen Lehrerbildung ist keine Rede, keine Rede von einer gesetzlichen Gymnasialordnung, oder von irgend einer Verpflichtung der Gemeinden, oder von einer gemeinschaftlichen Leitung. Wir stehen auf einem Gebiete, wo rein die Natur der Sache wirkt; und um so interessanter wäre es zu sehen, was sie für und durch sich selber zu regieren vermag. Wir können nun dieß Bildungswesen in drei große Gruppen eintheilen. Die erste ist die freie Form der ständischen Colleges, die durch Vereine gegründet und nach dem Muster der letzteren eingerichtet sind. Sie sind daher eigentliche Gymnasien und die großen Rivalen der alten Colleges; daß sie mit ihnen den gleichen Namen führen, beruht auf dem gleichen Bildungssystem. In der That werden Eintheilung und Thätigkeit beider Arten immer gleichförmiger, und es ist kein Zweifel, daß sich hier ein vollständiges Gymnasialsystem ganz in der Weise herausbildet, wie es in Deutschland besteht. Diese neueren Colleges theilen sich in zwei Gruppen, die Kings Colleges, die von der high church gegründet sind, und die University Colleges , die von den Dissenters ausgehen, indem sie das kirchliche Element bei Seite lassen. Der Angabe nach sollen mehrere dieser Colleges auch in ähnlicher Weise wie unsere Realgymnasien organisirt sein. Doch selbst Schöll hat nichts Näheres darüber. Die zweite Gruppe besteht aus den Privatschulen unter den ver- schiedensten Namen ( Public day schools, Collegiate schools, Grammar schools, Academies ), die sie je nach Ermessen annehmen. Diese Schulen sind „äußerst verschieden, sowohl von den Vereinsschulen als unter sich“ (Schöll), was natürlich ist. In diese Schulen nun, welche durch das Bedürfniß des Publikums getragen und gänzlich frei in ihrer Lehrordnung sind, wird zum großen Theil der Versuch durchgeführt, neben der klassischen Bildung auch eine Realbildung zu geben. Natür- lich ist das alles sehr zufällig und verschieden, wie es in der Natur der Sache liegt. Nähere Nachrichten liegen nicht vor. Nur das steht fest, daß diese Privatschulen keine Vorbereitung für die ständischen Col- leges und für die Universities geben. Die dritte Gruppe endlich wird gebildet aus dem System der ge- werblichen Bildungsschulen, die für die weitere Bildung der Hand- werker bestimmt sind, und denen theils die sog. Upper schools, theils die Commercial schools vorhergehen, Privatunternehmungen, welche ungefähr unsern Bürgerschulen entsprechen, und natürlich von sehr verschiedenem Werthe sind. Im Allgemeinen sind diese gewerblichen Fortbildungsschulen auf sehr niederer Stufe, und nicht viel mehr als unsere Sunday schools, indem die Hauptgegenstände noch immer im Gebiete des Elementarunterrichts liegen. Einen wesentlichen Fortschritt bildeten die Mechanic Institutions, die seit 1821 (in Glasgow) ent- standen sind, sich von dort verbreitet und zum Theil weiter entwickelt haben, so daß in großen Städten auch von bedeutenden Männern ge- legentlich Vorträge darin gehalten werden. Es sind wesentlich Ge- werbes chulen, allein natürlich mit sehr verschiedenen Programmen; doch scheint das charakteristische Element des Schulgeldes allgemein zu sein. Daneben sind Zeichnungsschulen ( schools of design ) als eine Art Fortbildungsschulen, seit 1837 angeregt, erst seit 1850 weiter verbreitet (1854 gegen 2000), sie können Staatsunterstützung genießen. Die Londoner polytechnic institution, seit 1828 auf Aktien gegründet, ist eine systemlose Anstalt, die ein schlechtes Nachbild des Conservatoire des Arts et métiers in Paris ist. Es ist nun hier auf den ersten Blick klar, daß bei aller Form- losigkeit und Zufälligkeit dieser Bestrebungen dennoch in denselben eine gewisse Gleichartigkeit der Entwicklung besteht, welche die Realbildung systematisch neben der klassischen zur Geltung bringen und sie als an- erkanntes Glied in das öffentliche Bildungswesen einführen will. Das aber bedeutet wieder den großen Kampf der staatsbürgerlichen Gesell- schaft mit den Resten der ständischen und die allmählige Vernichtung des Unterschieds der Klassen, der in der bisherigen ausschließlichen Stein , die Verwaltungslehre. V. 23 Geltung der klassischen Bildung für die höheren Stände, gewissermaßen als Standesbildung, schon für die Jugend seinen Ausdruck fand. Sollte die Reformbildung durchgreifen, so ist es kein Zweifel, daß ihr Sieg eine gründliche und allgemeine Reorganisation des ganzen Berufsbildungswesens nach sich ziehen wird ; denn auch in England liegt in ihm ein charakteri- stisches Element der gesellschaftlichen Zustände. Ueber dieß ganze wenig bearbeitete und höchst schwierige Gebiet siehe vorzüglich Schöll a. a. O. S. 224, mit besonderer Berücksichti- gung des gelehrten Unterrichts und Gugler bei Tyler mit besonderer Hervorhebung des gewerblichen. Dazu kurz des letztern Bemerkungen im Artikel „gewerbliche Fortbildungsschulen“ bei Schmid Bd. II. S. 886. Auch Audigonne a. a. O. hat einige, aber höchst unbedeutende Mit- theilungen (S. 99 ff.), die auf die eigentliche Sache gar nicht eingehen. Richter a. a. O. gibt S. 64 zwei Notizen. V. Die künstlerische Vor- und Fachbildung ist im Bildungs- system Englands so gut als gar nicht vertreten. Uns ist daher nur die Akademie zu London bekannt, die unter dem Namen der Royal Academie of Arts lediglich eine Privatgesellschaft ist. Ihre Aufgabe ist eine doppelte; theils hat sie mit Ausstellungen zu thun, was ihre wichtigste Thätigkeit ist, theils hat sie auf Grund der durch diese Ausstellungen erzielten Reinerträgnisse eine Art von Kunstschule errichtet, welche sich wesentlich mit Zeichnen und Malen beschäftigt, daneben jedoch gewisse Vorträge (jährlich nur sechs) über die Kunst- zweige veranstaltet, und die Schüler bei öffentlichen Ausstellungen mit Medaillen betheiligt. Sonstige Anstalten existiren nicht; der Staat thut für die Kunstbildung gar nichts. Eine kurze Nachricht darüber bei Fr. Kugler (Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte. Bd. III. S. 464).