Briefe eines Verstorbenen . Zweiter Theil . Folgende empfehlungswerthe Werke haben so eben bei F. G. Franckh in München die Presse verlassen: Die deutsche Literatur . Von Dr. Wolfgang Menzel . Zwei Bände elegant broschirt. Der Patriot . Komischer Roman von Friedrich Seybold . gr. 12. elegant broschirt. Oestreichs Einfluß auf Deutschland. Von der Reformation bis zu den Revolutionen unserer Zeit. Von Dr. J. F. B. Schneller, ordl. öffentl. Prof. der Philosophie u. Geschichte zu Freiburg. Zwei Bände; gr. 8. geheftet. Briefe eines Verstorbenen . Ein fragmentarisches Tagebuch aus England, Wales, Irland und Frankreich, geschrieben in den Jahren 1828 und 1829. Zweiter Theil . Muͤnchen . F. G. Franckh . 1830 . Inhaltsverzeichniß des zweiten Theils . Brief XXXIV. Wer Samiel eigentlich war. Rückwanderung nach Ken- mare. Ein irländischer Bote. Einladun O’Connels. Ritt nach seinem verwünschten Schlosse. Reise-Abentheuer. Die Brücke der schwarzen Wasser. Letzte Bäume daselbst. Von nun an das Chaos. Schauervolle Küste. Der Weg endet im Meer. Guter Rath theuer. Ein Schmuggler hilft mir aus der Noth. Passirung des Gebirgspasses in schwarzer Nacht. Udolphos Geheimnisse. Derrinane Abbey. Licht. Ein Mann im Schlafrock. O’Connel der große Agitator. Verschiednes über ihn. Vater Lestrange, sein Beichtvater. O’Connel als Chieftain, seinen Unter- thanen Recht sprechend. Seine religiöse Toleranz. Ab- reise von Derrinane. O’Connel begleitet mich. Neuer Ju- piter in Stiergestalt. Dänische Forts. Abschied. Irlän- dische Transportmittel. Liebenswürdigkeit des Volks- Charakters. Nachgeholte Begebenheit. Die Wirthstochter zu Kenmare. Hungryhill und sein maiestätischer Wasser- fall. Der Adler O’Rourcke’s. Der moderne Ganymedes. Seehunde unter meinem Fenster. Ihre Liebe zur Musik. Häuslicher Gottesdienst. Frommes Gespräch über die Sündfluth, den jüngsten Tag und die Apokalypse. Anprei- sung der herrlich en Gegend, um hier Hütten zu bauen. Seite 1. Brief XXXV. Bienen-Kämme in freier Luft. Egyptischer Lotus. Be- such bei einem Adlerpaar. Ihre romantische Wohnung und ihr seltsamer Instinkt. Der hiesige wilde Jäger. Die Höhlen des Sugarloaf. Spur des Wagens der Geister- Königinn. Gefahrvolle Jagden in diesen Bergen. Die Nebel, die Sümpfe und wilden Stiere. Die Bezähmung eines Solchen. Ein Volksmährchen. Seite 40. Brief XXXVI. Abgötterei mit dem Sonntag in England. Wunderbare Bekehrung eines Protestanten zum Katholicismus. Kar- renfahrt. Die Whiteboys. Macroom. Die naive Mama und das verzogne Kind im Gingle. Der starke Dänen- König. Cork. Fahrt auf dem Meer nach Cove. Herr- liche Entr é e von der Seeseite. Folko’s Seeburg. Monks- town. Seltsame Beleuchtung mit zwei vollständigen Re- genbogen auf einmal. Das Amphitheater der Stadt Cove. Getäuschte Erwartung auf Fische. Illuminirte Nachtaus- sicht. Die Sterne. Abreise in der Mail. Michaelstown und sein Schloß. Novellen-Stoff. Außerordentliches Wet- ter für Irland. Der Soldat von O’Connels Miliz. Die Galtees. Cahir. Andres Schloß König Johann’s. Schö- ner Park des Lord Glengall. Des Prinzen Equipage in Cashel. Macht der Gewohnheit — Geheimniß aller Er- ziehung. Clubdiner. Seite 54. Brief XXXVII. Rock of Cashel, eine der merkwürdigsten Ruinen in Ir- land. Der Teufelsbiß. Altsächsische Baukunst. Inqui- sitions-Klingel. S. Patricks Statue und der Thron von Scone. Hore-Abbey und die von Atthassil. Zustand der Katholiken in Fipperari. Lächerlicher Zeitungs-Artikel, mich betreffend. Meine Nothrede. Seite 82. Brief XXXVIII. Ueber die Naturgeschichte des Schwans. Holycroß, und seine Denkmäler. Din é mit 18 Geistlichen. Conversation dabei. Wenden und Irländer. Liste der katholischen und protestantischen Gemeinden in der Diocös Cashel. Curiense Details, und Vemerkungen darüber. Gutgemeinter Exor- cismus. Halsbrechende Jagd. Der wandelnde Sumpf. Pferde-Thaten. Landjunkerleben. Seltsame Parlaments- Rede. Die Burg im Himmel. Potheen-Euthusiasmus. Die Vornehmen in Irland. Gute Regel. Seite 93. Brief XXXIX. Das Brüderpaar. Materielles Leben. Devils. Die hübsche Wirthin. Der Piper. Die Räuber. Der ange- führte Advocat. Auster-Geheimnisse. Johny’s Abentheuer in Holicroß. Die Ermordung Baker’s. Der Cousin R … Sergeant Scully. Der bewegungslose Hahn. Fitzpatrick und seine Bag pipe. Seite 161. Brief XL. Der Feengarten. Romantisches Schilderhaus. Rückkehr nach der Stadt. Frau von Sevign é . Lord Byron’s Ge- witter. Din é beim Lord Lieutenant. Der Marquis von Anglesea. Gottesdienst in der katholischen Kapelle. Un- sichtbare Musik. Der heilige Christoph. Vergleich des katholischen und englisch-protestantischen Cultus. Allego- rie. Londner Tagebuch. Unterschied zwischen englischen und deutschen Ansichten. Zwei Normal Misses. Ihre Geschichte. Allgemeine Bemerkung über die Engländerin- nen. Malahide. 700 Jahr alte Möbel. Herzogin von Portsmouth. Carl der I. am spanischen Hofe. Howth Castle. Ducrow’s lebendige Statuen. Der russische Cou- rier, und Pony als alte Frau. Seite 144. Brief XLI. Abend bei Ladi M … Ihre Niecen. Seltsame Conver- sation. Der Gemal. Noch mehr Theologisches. Die Nachtigallen. Alles Korn Europa’s. Die Nationalscene. Die häuslichen Tableaus. Das Autor-Boudoir. Die Perlmutter. Der Diminutive Napoleon. The Catholie Association. Shiel, Lawleß und Andere. Naives. Ritt ins Gebürge. Sentimentalität eines Dandy. Seite 162. Brief XLII. B. H. über die Religiosität unsrer Zeit. O’Connel in der Allongen-Perücke. Der Don Quixotte und der Dandy der Association. Sprüchwörter-Spiel bei Lady M … Miß Oneil. Ihr Spiel. Seite 192. Brief XLIII. Büreau der todten Briefe. 3000 Pf. St. Incognito. Der Arzt. Der Lungenmesser. Die Allerwelts-Sprütze. Weibliche Wetterpropheten. Die Bank. Banknotenmetall. Gymnastik. Stuben-Philosophie. Paradoxen. Seite 205. Brief XLIV. Gunft Neptuns. Der Traum. Ueberfahrt. Der junge Erbe. Nacht in der Mail. Shrewsbury. Die Tret- mühle. Gelbe Sträflinge. Die Kirche. Seltsame alte Häuser. Straßenneugierde. Der kleine Schüler. Roß. Der River Wye. Schloß Goderich. Erzwungene Höflich- keit. Die Jakobsleiter. Abwechselnde Ansichten. Drei Grafschaften auf einmal. Wiege Heinrich des V. Groteske Felsen. Ein verunglückter Tourist. Kopf des Druiden. Monmouth. Heinrichs Schloß, jetzt ein Gänsestall. Buch- händler-Familie. Diebstahl. Güte einfacher Naturen. Bunte Feuerblumen. Die Zinnwerke. Tintern Abbey. Epheu-Allee. Die Sturm-Klippe. Erhabne Aussicht. Schloß von Chepstow. Cromwell und Heinrich der VIII. als Landschafts-Verschönerer. Entdeckung. Seite 235. Brief XLV. Der Königsmörder Martin. Des Mädchens Erklärung. Besteuerung der Reisenden. Der Besitzer von Piercefield. Passage des Channel. Menschen und Pferde pêle mêle . Recapitulation. Maler und Pinsel. Natur-Gemälde. Das schönste Gebäude. Bristol. Die Feudal-Kirchen. Uninteressirte Frömmigkeit. Des Maire’s Equipage. Cooks folly. Lord Clifford’s Park. Russische Flottille. Das Dorf-Ideal. Dante’s umgekehrte Höllen-Inschrift. Cliston. Das weiß und schwarze Haus. Chirurgen-Empfindsamkeit. Bath. Der König von Bath. Die Abteykirche. Eigen- thümliche Ausschmückung. König Jakob’s Heldenthat. Der Sonderling. Beckford. Der bei Licht gebaute Thurm. Besondre Art spazieren zu reiten. Der Besuch über die Mauer. Gothische Baukunst. Der Weihnachts-Markt. Sapziergänge bei Tag und Nacht. Die Feuersbrunst. Seite 260. Brief XLVI. Die Wittwe. Lebendige Todtenköpfe. Angenehmere Rei- segesellschaft. Examina. Stonehenge. Unheimliche Begeg- nung und Unglück. Die Cathedrale. Monumente darin. Der Thurm. Halsbrechendes Hinaufsteigen. Der Habicht auf dem Kreuz, und des Herrn Bischoffs Tauben. His Lordship und seine Beschäftigungen. Frommer Wunsch fürs Vaterland. Spiegel der Vergangenheit und Zukunft. Schloß Wilton. Die ritterliche Castellanin. Antiken, Gemälde. Tempel, von Holbein erbaut. Talent englischer Damen. Eingangs-List. Langford Park. Vorzügliche Bil- der. Egmont, Alba, Oranien. Thron Kaiser Rudolph’s. Boxingmatch. Der wettende Kutscher. Neuenglische Mo- ral der Großen. March of Intellect. Militair-Schule. Beroutirte Fuchsjagd. National-Pflicht. Zum neuen Jahr. London. Die nicht gefundne Hündin. Regenten- leben. Dom zu Canterbury. Der schwarze Prinz. Far- benpracht. Der Erzbischof. Schadhafter Boiler. Das Fort zu Dover. Kurze Ueberfahrt. Nationelle Ungenirt- heit. Frankreichs Lüfte. Die Jett é e. Englische Kinder. Der alte, große Bandi. Anekdoten. Seite 286. Brief XLVII. Fränkische Diligence. Der Napoleonische Gardist. Deut- sche Plinzen. La Mechanique. Werth der Freiheit. Pa- ris. Revision des Altbekannten. Schlechtes Neue. Thea- tre de Madame . Der tugendhafte Martin. La charte pour les Caffés . Rossini hat die wilden Thiere gezähmt. Wohlfeilheit in Paris. Burlesker Tod des Fürsten Ponia- tofsky. Lobenswerthes Ensemble bei den hiesigen Bühnen. Aehrenlese im Museum. Der deplacirte Sphynx. Mephi- stopheles-Walzer. Himmel und Hölle. Seite 521. Brief XLVIII. Aesthetischer Spaziergang. Einiges über die Familie Napoleons. Spanische Galanterie. Der Henker von Am- sterdam. Der Mercure Galant. Wie er sich verflüchtigt. Omnibus . Thierpolizei. Gedanken im Innern einer Dame Blanche. Diavolo. Sing-Nüancen. Pariser Annehmlich- keiten. La Morne. Ablaß. Der Eisbär. Desaixs Monu- ment. Getäuschte Hoffnung. Die Ama’s. Abschied. Seite 352. Vier und dreißigster Brief. Kenmare, den 28 sten September 1828. Geliebte Freundin! War es also der Teufel oder nicht? fragst Du. Ma foi, je n’en sais rien . Jedenfalls hatte er in dem erwähnten Augenblick eine sehr recommendable, wenn gleich gefährliche, Gestalt erwȧhlt , nämlich die eines hübschen Mädchens, die in ihrem dunkelblauen, vom Regen noch schwärzer gemachten, langen Man- tel eingehüllt, und der rothen Mütze von Kerry auf dem Kopfe, barfuß, und vor Kälte schauernd, bei mir vorbeigehen wollte, als ich sie anhielt, und frug, warum sie hinke, und wie sie in diesem Wetter hier so allein umher irre? Ach, rief sie, in halb verständ- lichem patois, auf ihren verbundenen Fuß zeigend ich gehe blos nach dem nächsten Dorfe, habe mich verspätet, bin bei dem abscheulichen Wetter gefallen, und habe mir recht wehe gethan! Hierbei sah sie ganz schalkhaft und lose aus (am Ende war doch etwas nicht ganz Geheures dabei) und zeigte so viel Briefe eines Verstorbenen. II. 1 von dem schön gerundeten, verwundeten Bein, daß meine Laune abermals wechselte, et je crois que le diable n’y perdit rien . — Wir theilten von nun an die Beschwerden des Wegs, halfen uns gegensei- tig, und fanden endlich im Thal, zuerst besseres Wetter, dann ein erholendes Obdach, und endlich einen labenden Trunk frischer Milch. Neu gestärkt wanderte ich in der Nacht weiter, und als ich in Kenmare anlangte, hatte ich die vier deutschen Meilen in etwas über 6 Stunden zurückge- legt. Aber ich war auch herzlich müde, und sobald ich in mein Schlafzimmer trat, sprach ich mit Pathos, und Wallenstein: Ich denke einen langen Schlaf zu thun! Derrinane Abbey, den 29 sten. Dies geschah denn auch, und ich hatte Zeit dazu, denn das Wetter war so abscheulich, daß ich bis 3 Uhr Nachmittags auf besseres wartete, aber leider vergebens. Ich hatte, den Abend vorher den zu Herrn O’Connel abgeschickten, und unbesonnener Weise, vorausbezahlten Boten, ohne Antwort und mit zerbrochenem Schlüsselbein im Gasthof wieder vorgefunden, denn da er Geld in seiner Tasche ge- fühlt, so hatte er auch dem Whiskey nicht länger widerstehen können, in Folge dessen er mit seinem Pferde in der Nacht einen Felsen herabgestürzt war! Er hatte indeß doch den verständigen Einfall gehabt, einen guten Freund unterwegs weiter zu expediren, und bei meinem Erwachen, fand ich daher eine sehr artige Einladung des großen Agitator’s glücklich vor. Ich habe bereits gesagt, daß ich mich erst um drei Uhr auf den Weg machte, und obgleich ich sieben Stunden lang im heftigsten Regen, mit dem Winde im Gesicht, reiten mußte, und in dieser Wüste, wo nicht einmal das Obdach eines Baumes anzutreffen ist, nach der ersten halben Stunden schon kein Faden meiner Kleidung mehr trocken war — so möchte ich doch um vieles nicht den heutigen, so beschwerlichen Tag, in meinem Lebensbuche missen. Der Anfang war allerdings schwer. Zuerst konnte ich lange keine Pferde bekommen, denn das nach Glengariff gebrauchte, hatte sich den Fuß verstaucht. Endlich erschien ein alter schwarzer Karrengaul, der für mich bestimmt war, und ein Katzenartiges Thier- chen, das der Führer bestieg. Auch mit meiner Toi- lette war ich brouillirt. Die entwichene Gallosche war nicht wieder gefunden worden, und der Regen- schirm schon auf dem Hexenberge aus seinen Fugen gewichen. Ich ersetzte den ersten durch einen großen Pantoffel des Wirths, den zweiten band ich, so gut es gehn wollte, zusammen, und ihn dann, gleich einem Schilde vorhaltend, die Tuchmütze, mit einem Stücke Wachsleinwand bedeckt, auf dem Kopfe, gal- lopirte ich, Don Quixotte nicht unähnlich, und oben- 1* drein mit einem ächten Sancho Pansa versehen, neuen Abentheuern zu. Schon eine Viertelmeile von der Stadt machte ein zerstörender Windstoß dem Regenschirm, einst die Zierde New Bondstreets, und der seitdem so man- ches Ungemach mit mir getragen, ein klägliches Ende! Alle seine Bande lösten sich, und ließen nur ein zer- rissenes Stück Tafft, und ein Bündel Fischbein in meiner Hand zurück. Ich gab dem Führer die Reste, und mich fortan dem Wetter sorglos Preis, mit der besten Laune tragend, was nicht zu ändern war. So lange wir die Bay von Kenmare cotoyirten, ritten wir so schnell als möglich, da der Weg ganz leidlich war. Bald aber wurde er schwieriger. Den Eintritt in das rauhere Gebürge bezeichnete eine hundert Fuß hohe und pittoreske Brücke „the black water’s bridge“ (Brücke der schwarzen Wasser) ge- nannt. Hier war eine mit Eichen besetzte Schlucht, die letzten Bäume, die ich seitdem gesehen. Ich be- merkte, daß mein Mantelsack, den der Führer auf seinem Pferde vor sich aufgebunden hatte, ebenfalls gänzlich durchnäßt zu werden anfing, und befahl da- her dem Manne, sich in einer nahgelegnen Hütte wo möglich eine Decke oder Matte zu verschaffen, um sie darüber zu breiten. Diese Unvorsichtigkeit hatte ich nachher Ursache, recht sehr zu bereuen, denn wahr- scheinlich mochte auch ihn der Whiskey dort gefesselt haben, wenigstens bekam ich ihn, obgleich öfters an- haltend, um ihn zu erwarten, erst kurz vor Ende der Reise wieder zu sehen, welches mich später einer großen Verlegenheit aussetzte. Der nun allmählig immer mehr sich verschlimmernde Weg führte größ- tentheils dem Meer, das der Sturm prachtvoll durch- wühlte, entlang; bald über öde Moorflächen, bald an Schluchten und tiefen Abgründen hin, oder durch weite chaotische Gefilde, wo die Felsen so phantastisch übereinander geworfen sind, daß man glauben sollte: hier sey es, wo die Giganten den Himmel gestürmt. Zuweilen erscheinen Gebilde, die gleich einem ver- steinten Spiel der Wolken, Menschen und Thieren ähnliche Figuren aufstellten. Als ganz besonders zier- lich fiel mir, mitten in der allgemeinen Wildheit, eine Felsenwand auf, die durch ihre Fugen in vollkommen re- gelmäßige Quadrate, wie ein Schachbrett, abgetheilt war. Dreierlei Arten Erica, gelbe, hochrothe und violette waren in den Spalten gewachsen, und mar- kirten die scharfen Linien auf das überraschendste. Nur selten begegnete ich von Zeit zu Zeit einem einsamen zerlumpten Wanderer, und konnte manch- mal nicht umhin, daran zu denken, wie leicht es sey, mich in dieser Gegend anzufallen und zu berauben, ohne daß ein Mensch davon Notiz nehmen würde — denn mein ganzes Reisevermögen ruht in der Brust- tasche meines Rockes — wie der griechische Weise führe ich omnia mea mit mir. Doch weit entfernt von räuberischen Gedanken, grüßte das gutmüthige, arme Volk, mich immer ehrerbietig, obgleich mein Aufzug nichts weniger als imponirend war, und in England keinen Gentleman verrathen haben würde. Mehrmal war ich in großer Ungewißheit, welchen der halb unsichtbaren Stege ich einschlagen sollte, wählte aber glücklicherweise, mich dem Meere stets so nahe als möglich haltend, keinen ganz unrechten, wenn gleich wahrscheinlich nicht immer den nächsten. In- dessen die Zeit verging — und wenn ich in langen Intervallen einem menschlichen Wesen wieder begeg- nete und frug: Wie weit noch zu Mr. O’Connel? so segneten sie zwar immer den Vorsatz dieses Be- suchs mit: God bless Your honour, die Meilenzahl schien sich aber eher zu vermehren als zu vermindern. Dies ward mir erst nachher begreiflich, da ich erfuhr, daß ich dennoch einen, mehrere Meilen abkürzenden, Weg verfehlt, und dadurch einen unnützen Zeitver- lust erlitten hatte. So fing es endlich an zu dunkeln, als ich einen Theil der Küste betrat, der gewiß wenig seines Glei- chen hat. Fremde Reisende sind wahrscheinlich noch nie in diesen verlassenen Winkel der Erde verschlagen worden, welcher Eulen und Seemöven mehr als den Menschen angehört, von dessen furchtbarer Wildniß es aber schwer ist, einen genügenden Begriff zu geben. Gewundene, zerrissene, kohlschwarze Felsen, mit tie- fen Höhlen, in welche das Meer unaufhörlich don- nernd einbricht, und seinen weißen Schaum Thurm- hoch wieder daraus hervorsprüht, der nachher an vie- len Stellen trocknet, und dann vom Winde, wie wollene compakte Flocken aussehend, bis auf die höch- sten Punkte des Gebürges geschleudert wird; das klägliche, gellend den Sturm durchtönende Geschrei der ängstlich umherflatternden Seevögel; das unauf- hörliche Geheul und Brausen der unterminirenden Wogen, die zuweilen bis an meines Pferdes Huf jähling heranklommen, und dann zischend wieder hin- absanken; die trostlose Abgeschiedenheit endlich von aller menschlichen Hülfe; dazu der rastlos fallende Regen, und die einbrechende Nacht auf ungewissem, gänzlich unbekanntem Wege — es fing mir wirklich an unheimlich zu Muthe zu werden — ganz ernst- lich — nicht im halben Scherz wie am Tage vorher. Die Sucht nach dem Romantischen wird Dir dies- mal wahrscheinlich eben so schlecht bekommen, als dem berühmten Ritter, dachte ich ganz bedenklich, und trieb mein müdes Pferd zu möglichster Eile. Es stol- perte jeden Augenblick über die losen Steine, und mit großer Mühe brachte ich es endlich in einen schwerfälligen Trabb. Meine Besorgniß vermehrte sich durch die Erinnerung an O’Connels Brief, der mir geschrieben: daß der eigentliche Zugang zu sei- nem Besitzthum von der Seite von Killarney her statt finde, Wagen jedoch nur zu Wasser ganz heran kommen könnten, der Weg von Kenmare aber der schwierigste sey, und ich daher ja einen sichern Führer mitnehmen mȯchte , um keinen Unfall zu erleben . Auch fiel mir, wie es denn geht, wenn man einmal eine Gedankenrichtung angestrengt verfolgt, ein kürz- lich gelesenes Volksmährchen von Crokes ein, wo es heißt: „Kein Land besser als die Küste von Iveragh, „um im Meere zu ersaufen, oder, wenn man das „vorziehen sollte, den Hals zu Lande zu brechen!“ Noch dacht ich’s . . . . da stutzte plötzlich mein Pferd, und drehte, scheuend, mit einem Satze um, den ich der alten Mähre kaum zugetraut hätte. — Ich be- fand mich in einer engen Schlucht, es war noch hell genug, mehrere Schritte ganz deutlich vor mir zu se- hen, und ich konnte nicht begreifen, was die Ursach dieses panischen Schreckens meines Gaules war. Wi- derstrebend, und nur durch den gekauften Shileila bezwungen, ging es endlich wieder vorwärts; nach wenigen Schritten sah ich aber schon mit Staunen, daß der hier ziemlich gebahnte Weg mitten im Meer aufhörte, und beinahe glitt mir der Zügel aus der Hand, als eine schäumende Welle, vom Sturm ge- jagt, jetzt auf mich wie ein Ungeheuer zufuhr, und weit hinein die enge Schlucht mit ihrem weißen Gei- fer besprützte. Hier war guter Rath theuer! Schroffe ungangbare Klippen starrten mich auf allen Seiten an, vor mir brauste die See … es blieb nur der Rückweg offen. Aber war ich verirrt, wie ich vermu- then mußte, so konnte ich, selbst beim Zurückreiten, nicht darauf rechnen, meinen Führer wieder anzutref- fen, und wo dann die Nacht zubringen? Außer O’Con- nels unfindbarem alten Felsenschloß war auf zwan- zig Meilen keine Spur eines Obdaches zu erwarten, ich fieberte jetzt schon vor Nässe und Kälte, gewiß hielt meine Natur den Bivouac einer solchen Nacht nicht aus — ich hatte in der That Ursache, be- stürzt zu seyn. Was half jedoch alles Sinnen, ich mußte zurück, das war klar, und zwar so schnell als möglich. Mein Pferd schien dieselben Reflexionen ge- macht zu haben, denn, wie mit neuen Kräften be- gabt, trug es mich, fast gallopirend, davon. Aber, glaubst Du es wohl? eine schwarze Gestalt war abermals bestimmt, mir aus der Verlegenheit zu hel- fen. Vous direz que c’en est trop — mais ce n’est pas ma faute. Le vrai souvent n’est pas vraisem- blable . Kurzum, ich sah eine schwarze Gestalt wie einen undeutlichen Schatten über den Weg gleiten, und sich hinter den Felsen verlieren. Mein Rufen, meine Bitten, meine Versprechungen blieben vergeb- lich, — war es ein Schmuggler, die an dieser Küste besonders ihr Wesen treiben sollen, oder ein aber- gläubischer Bauer, der mich ärmsten Revenant für ei- nen Geist ansah? — jedenfalls schien er sich nicht herauswagen zu wollen, und ich verzweifelte fast schon an der gehofften Hülfe — als sein Kopf plötz- lich dicht neben mir aus einer Steinspalte hervor- lugte. Nun gelang es mir bald ihn zu beruhigen; auch erklärte er mir das Rȧthsel des im Meere auf- hörenden Weges. Dieser war nämlich nur für die Dauer der Ebbe eingerichtet — um diese Zeit, sagte er, ist die halbe Fluth schon heran, eine Viertelstunde später ist der Durchgang unmöglich, jetzt aber will ich Sie für ein gutes Trinkgeld noch hinüberzubringen versuchen, doch dürfen wir keinen Augenblick verlie- ren. Mit diesen Worten war er mit einem Satze hinter mir auf dem Pferde, und was es vermochte, eilten wir der, mit jedem Moment höher schwellenden Fluth wieder zu. Es war mir doch ganz sonderbar zu Muthe, als wir uns jetzt in die stürmische See förmlich zu versenken schienen, und durch die wei- ßen Wogen und Felsen, die bei dem matten Zwielicht gleich Gespenstern aufzutauchen schienen, uns mühsam Bahn brechen mußten. — Auch hatten wir die größte Noth mit dem Pferde; der schwarze Mann kannte aber das Terrain so genau, daß wir, obgleich bis fast unter die Arme in Salzwasser gebadet, unversehrt die gegenüberstehende Küste erreichten. Unglücklicher- weise scheute sich hier noch einmal das geängstete Thier, vor einer hervorstehenden Klippe, und brach beide morsche Sattelgurte mitten entzwei, so daß der Schade hier nicht mehr zu repariren war. Ich hatte, nach allen ausgestandnen Nöthen, nun noch die an- genehme Perspective vor mir, die letzten sechs Meilen, auf losem Sattel balancirend, weiter reiten zu müs- sen. Der Schwarze hatte mich zwar für die Fort- setzung der Reise bestens instruirt, aber es ward bald so dunkel, daß man kein Merkzeichen mehr erblicken konnte. Der Weg ging, wie es mir schien, durch ei- nen weiten Moor, und war anfänglich recht eben. Nach einer halben Stunde holprigen Trabens, nach Möglichkeit die Kniee zusammen schließend, um den Sattel nicht zwischen den Beinen zu verlieren, be- merkte ich, daß sich die Straße wieder rechts in das höhere Gebürge wandte, denn das Steigen ward im- mer steiler und anhaltender. Hier fand ich eine Frau, die bei ihren Schweinen oder Ziegen die Nacht zu- brachte. Der Weg theilte sich in zwei Arme und ich frug, welchen ich einschlagen müsse, um nach Derri- nane zu kommen? O! beide führen dahin, sagte sie, der linke ist aber zwei Meilen näher. Natürlich schlug ich diesen ein, überzeugte mich aber bald zu meinem Schaden, daß er nur für Ziegen gangbar sey. Ich verwünschte die alte Hexe und ihre trügerische Aus- kunft, vergebens mattete sich das Pferd ab, durch die Steinblöcke zu klimmen, und halb stolpernd, halb fallend warf es endlich Sattel und mich zugleich ab. Auch war es nicht möglich den Sattel allein darauf zu erhalten, er rutschte immer von neuem herunter, und ich mußte mich zuletzt bequemen, ihn selbst auf die Schultern zu laden, und das Pferd dazu zu füh- ren. Bis hierher hatte ich mich noch ziemlich guter Dinge erhalten, der Geist war auch jetzt noch willig, aber das Fleisch fing an schwach zu werden — der Mann am Meer hatte gesagt: sechs Meilen noch, und Sie sind da, und nachdem ich eine halbe Stunde scharf geritten, war die vorher befragte Frau dennoch wie- der dabei geblieben, es sey noch sechs Meilen auf dem kürzesten Wege bis Derrinane. Ich fing an zu fürch- ten, daß dieses gespenstische Bergschloß gar nicht zu erreichen seyn möchte, und ein Kobold mich nur dem andern zuwerfe. Ganz muthlos setzte ich mich auf einen Stein, von Hitze und Frost gleich peinlich durch- schauert, als, wie die tröstende Stimme des Engels in der Wüste, ein Ruf meines Führers erschallte, und ich bald darauf den Hufschlag seines Pferdes vernahm. Er hatte einen ganz andern Weg durch das innere Gebürge eingeschlagen, bei dem die See- passage vermieden ward, und glücklicherweise von der Frau erfahren, welche Direktion ich genommen. Im kostbaren Gefühl der nunmehrigen Sicherheit, vergaß ich alles Schmälen, belud den Rettungsengel mit meinem Sattel und nassen Mantel, übergab ihm das nackte Pferd, und setzte mich auf das seinige, zu mög- lichster Eile antreibend. Wir hatten wirklich noch fünf Meilen zu reiten, und zwar, wie mir der Füh- rer sagte, durch einen mit Abgründen eingefaßten Bergpaß — ich kann jedoch nichts weiter über den zurückgelegten Weg berichten. Die Dunkelheit war so groß, daß ich nur mit der äußersten Anstrengung, der Figur des Mannes vor mir, wie einen undeut- lichen Schatten, folgen konnte. Ich merkte wohl an dem häufigen Stolpern der Pferde, daß wir uns auf unebnem Boden befanden, ich fühlte, daß es unauf- hörlich steil bergauf oder hinunter ging, daß wir zwei Bergströme durch tiefe Furthe passirten — aber das war auch Alles — nur zuweilen abnete ich mehr, als ich sah, daß eine schroffe Felswand mir zur Seite stand, oder das tiefere Schwarz unter mir verrieth, daß ein jäher Abhang nahe war — das Ganze aber vergegenwärtigte mir so lebhaft Mistriß Anna Radcliff’s Romane, daß ich mich beinah für einen ihrer Helden gehalten hätte, der eben im Be- griff sey, Udolpho’s Geheimnisse zu entdecken. End- lich! endlich — brach heller Lichtschimmer durch das Dunkel — der Weg ward ebner, ein Paar Spuren von Hecken wurden sichtbar, und in wenigen Minu- ten hielten wir vor einem alten Gebäude, das auf dem felsigen Seeufer stand, und freundliche goldne Lichter durch die Nacht strahlte. Es schlug auf dem Thurm grade 11 Uhr, und ich gestehe es, mir ward schon bange für mein diné, als ich nichts Lebendes, außer am obern Fenster einen Mann im Schlafrocke, erblickte. Bald indeß wurde es geräuschvoller im Haus, ein eleganter Bedienter erschien mit silbernen Leuchtern, und öffnete mir seitwärts eine Thüre, wo ich mit Verwunderung eine Gesellschaft von fünfzehn bis zwanzig Personen an einer langen Tafel, beim Wein und Dessert sitzen sah. Ein schöner, großer Mann, von freundlichem Ansehn, kam mir entgegen, entschuldigte sich, daß er so spät mich nicht mehr er- wartet hätte, bedauerte meine Reise in so furchtba- rem Wetter, präsentirte mich vorläufig seiner Fami- lie, die mehr als die Hȧlfte der Gesellschaft aus- machte, und führte mich dann in mein Schlafzimmer. Dies war der große O’Connel. — Eine kurze Toilette restaurirte mich schnell, während man unten für meine, allerdings nach solcher Tour nicht zu verschmä- hende, Beköstigung sorgte. Als ich wieder in den Saal trat, fand ich noch den größten Theil der Gesellschaft versammelt. Man be- wirthete mich sehr gut, und es wäre undankbar, nicht Herrn O’Connels alten Wein zu loben, der in Wahr- heit vortrefflich war. Nachdem die Damen uns ver- lassen hatten, setzte er sich zu mir, und es konnte nicht fehlen, daß Irland der Gegenstand des Ge- sprächs werden mußte. Sahen Sie schon viele seiner Merkwürdigkeiten? frug er; waren Sie schon im Norden, um den giants causoway (der Riesensteg) zu bewundern? „O nein“, erwiederte ich lächelnd, „ehe ich Irlands Riesensteg besuche, wünschte ich zuerst Irlands Riesen zu sehen“, und damit trank ich ihm und seinem hohen Beginnen von Herzen ein Glas seines guten Clarets zu. Daniel O’Connel ist wahrlich kein gemeiner Mann, wenn gleich der Mann des Volks. Seine Gewalt in Irland ist so groß, daß es in diesem Augenblick unbedingt nur von ihm abhängen würde, von einem Ende der Insel zum andern, die Fahne der Empö- rung aufzupflanzen, wenn er nicht viel zu scharfsich- tig, viel zu sehr seiner Sache auf gefahrlosere Art sicher wäre, um einen solchen Ausgang herbeiführen zu wollen. Gewiß hat er auf eine merkwürdige Weise, im Angesicht der Regierung, und auf gesetzli- chem offenkundigem Wege, geschickt den Moment und die Stimmung der Nation benutzend, sich diese Macht über dieselbe verschafft, welche, ohne Armee und Waf- fen, dennoch der eines Königs gleicht, ja sie gewiß in vielen Dingen noch übertrifft — denn wie wȧre es z. B. je Sr. M. Georg dem IV. möglich gewesen, vierzig Tausend seiner treuen Irlȧnder drei Tage vom Whiskey-Trinken abzuhalten, wie es doch O’Con- nel, bei der denkwürdigen Wahl für Clare, zu be- werkstelligen gewußt hat. Der Enthusiasmus erreichte dort einen solchen Grad, daß das Volk selbst, unter sich, eine Strafe auf das Betrunkenseyn setzte. Diese bestand darin, daß der Delinquent in eine seichte Stelle des Flusses geworfen, und dort zwei Stunden, mit mehrmaligem Untertauchen, festgehalten wurde. Am andern Tage hatte ich noch mehr Gelegenheit, O’Connel zu beobachten. Im Ganzen übertraf er meine Erwartung. Sein Aeußeres ist einnehmend, und der Ausdruck von geistvoller Güte in seinem Gesicht, mit Entschlossenheit und Klugheit gepaart, äußerst gewinnend. Er hat vielleicht noch mehr Suada, als wahre großartige Veredsamkeit, und man bemerkt oft zuviel Absicht und Manier in seinen Worten, demohngeachtet muß man der Kraft seiner Argumente mit Interesse folgen, an seinem martia- lischen Anstand Gefallen finden, und oft über seinen Witz lachen. Gewiß ist es, daß er weit eher einem General aus Napoléons régime, als einem Dubliner Advokaten ähnlich sieht. Diese Aehnlichkeit wird da- durch noch auffallender, daß er vortrefflich französisch spricht, denn er ist in den Jesuiter-Collegien zu Do- nai und St. Omer erzogen. Seine Familie ist alt, und wahrscheinlich früher sehr bedeutend im Lande gewesen. Seine Freunde behaupten sogar, er stamme von den ehemaligen Königen von Kerry ab, und beim Volke vermehrt dies ohne Zweifel sein Ansehn. Er selbst erzählte mir, nicht ganz ohne Prätension, daß einer seiner Vettern, Comte O’Connel und Cor- don rouge in Frankreich sey, der andere, Baron in Oesterreich , General und kaiserlicher Kammerherr, er aber sey der Chef der Familie. Soviel ich sehen konnte, wurde er von den anwesenden Mitgliedern dieser, fast mit religieusem Enthusiasmus vermehrt. Er ist jetzt ohngefȧhr 50 Jahre alt und sehr wohl konservirt, obgleich er eine blonde Perücke trägt. Uebrigens hat er eine ziemlich geräuschvolle Jugend durchlebt. Unter anderm machte ihn ein Duell, schon vor 10 Jahren, gewissermaßen berühmt. Die Pro- testanten hatten gegen ihn, dessen Talente ihnen be- reits gefährlich wurden, einen gewissen Desterre, einen Schläger und Bretteur von Profession aufge- stellt, der durch alle Gassen Dublins mit einer Jagd- peitsche ritt, um, wie er sagte, diese einmal an des Königs von Kerry Schultern zu legen. Die natu̇r- liche Folge war eine Zusammenkunft am nächsten Morgen, wo O’Connel seine Kugel in Desterre’s Herz niederlegte, während dessen Schuß ihm nur den Hut durchlöcherte. Dies war sein erster Sieg über die Orangemen, denen so viele wichtigere ge- folgt sind, und noch hoffentlich folgen werden. Sein Ehrgeiz schien mir unbegränzt, und sollte er die Emancipation durchsetzen, woran ich nicht zweifele, so wird er damit seine Carriere keineswegs schließen, sondern sie wahrscheinlich dann erst recht beginnen . Uebrigens liegt auch das Uebel in Irland, und über- haupt in der ganzen Verfassung Großbrittaniens, zu tief, um durch die bloße Emancipation der Katholi- ken gründlich gehoben werden zu können. Doch dies würde mich zu weit führen. Auf O’Connel zurückzu- kommen, muß ich noch erwähnen, daß er auch von der Natur das für ein Partheihaupt werthvolle Ge- schenk eines herrlichen Organ’s verliehen erhalten hat, verbunden mit einer guten Lunge und einer starken Constitution. Sein Verstand ist scharf und schnell und seine Kenntnisse, auch außer seinem Fach, nicht unbedeutend. Dabei sind, wie schon gesagt, seine Formen gewinnend und populair, obgleich etwas vom Schauspieler darin bemerkbar ist, und bei einer sichtbaren großen Meinung von sich selbst, zuweilen auch ein wenig, was die Engländer „Vulgarity“ nennen, mitunter läuft. Wo wäre ein Gemälde ganz ohne Schatten! Noch ein andrer interessanter Mann, und eben- falls ein (wiewohl mehr im Stillen wirkendes) Haupt der Katholiken, war hier gegenwärtig, derselbe Mann, den ich bei meiner Ankunft im Schlafrocke gesehen — Vater Lestrange, ein katholischer Friar, der zugleich O’Connels Beichtvater ist. Er kann als der eigentliche Stifter jener Katholik-Association angesehen werden, über die man in England soviel gespottet hat, und die dennoch, so zu sagen, blos mit negativen Kräften, durch gewandte Thätigkeit im Verborgenen, durch allmählige Organisirung und Bildung des Volkes zu einem bestimmten Zweck, Alle katholischen Kinder in Irland werden sorgfältig unterrichter, und können wenigstens lesen, während die protestantischen oft höchst unwissend sind. Ueber- haupt ist der moralische Ruf der katholischen Geist- lichkeit in Irland überall exemplarisch, wie einst der verfolgten Reformisten in Frankreich. Die unter- Briefe eines Verstorbenen. II. 2 eine unumschränkte Autorität über dasselbe erlangt hat, die fast der Hierarchie im Mittelalter gleicht, nur mit dem Unterschiede, daß diese dort für Scla- verei und Dunkel, jene hier für Freiheit und Licht benutzt wird. Es ist auch dies einer der Aus- brüche jener zweiten großen Revolution, welche blos und allein durch intellektuelle Mittel, ohne irgend eine Beimischung von physischer Gewalt, be- werkstelligt zu werden anfängt, und deren fast ein- zigen, aber unwiderstehlichen Waffe, die Redner- bühne und die Druckerpresse sind. Lestrange ist ein Mann von philosophischem Geist, und unerschütter- licher Ruhe. Seine Formen sind die eines vollende- ten Weltmanns, der in mannichfachen Geschäften Europa durchreist hat, die Menschen gründlich kennt, und bei aller Sanftmuth doch einen scharfen Zug von großer Schlauheit nicht immer ganz verbergen kann. Ich möchte ihn das Ideal eines wohlmeinen- den Jesuiten nennen. Da O’Connel beschäftigt war, machte ich früh mit dem Friar eine Promenade nach einer wüsten Insel, trocknen Fußes über den, von der Ebbe entblösten, glatten Meersand schreitend. Hier stehen die eigent- lichen Ruinen der alten Abtey Derrinane, wovon O’Connels Haus nur ein appendix ist. Sie soll drückte Kirche scheint überall die Tugendhafteste zu werden, und die Gründe sind leicht aufzufinden. A. d. H. einst von der Familie wieder hergestellt werden, wahrscheinlich wenn gewisse Hoffnungen erst erfüllt sind. Als wir zurückkamen, fanden wir O’Connel, wie einen Chiestain, auf der Schloß-Terrasse, von seinen Vasallen und andern Volksgruppen umringt, die sich Verhaltungsbefehle holten, oder denen er Recht sprach. Da er Jurist und Advokat ist, wird ihm dies um so leichter — Niemand würde es aber auch wagen, von seinen Entscheidungen zu appelliren. O’Connel und der Pabst sind hier gleich infaillible. Prozesse existiren daher nicht in seinem Bereich, und dies dehnt sich nicht blos auf seine eigne tenants, sondern, wie ich glaube, auch auf die ganze Umge- gend aus. Ich verwunderte mich nachher, sowohl O’Connel als Lestrange in religieuser Hinsicht ohne alle Bigotterie, ja mit sehr philosophischen und tole- ranten Ansichten zu finden, ohne deshalb aufhören zu wollen , gläubige Katholiken zu seyn! Ich wünschte, ich hätte einige jener wüthenden Imbecil- les unter den englischen Protestanten, wie z. B. Herrn L …, hier herzaubern können, welche die Katholiken für so unvernünftig und bigott aus- schreien, während sie selbst allein, im wahren Sinne des Worts, dem fanatischen Glauben ihrer poli- tisch-religieusen Parthei anhängen, und im Voraus fest entschlossen sind: vor Vernunft und Menschlich- keit stets ihre langen Ohren zu verschließen. 2* Im Lauf des Tages sollte eine Parforce-Jagd auf Hasen statt finden, (denn Hr. O’Connel hält eine kleine Meute) die in den Bergen, und an den wei- ten kahlen Abhängen hin, gewiß ein sehr malerisches Schauspiel abgegeben haben würde; die schlechte Wit- terung ließ es aber nicht dazu kommen. Mir be- hagte auch Ruhe, und die höchst interessante Gesell- schaft, der ich gar manche lehrreiche Berichtigung verdankte, weit besser. Kenmare, den 30 sten. Obgleich man mich, mit ächt irländischer Gastfrei- heit, dringend einlud, noch eine Woche bis zu einem großen Feste, das bereitet wurde, und zu dem man noch viele Gäste erwartete, hier zu bleiben, glaubte ich doch dies nicht ganz à la lettre nehmen zu dür- fen, und sehnte mich auch zu sehr nach Glengariff, um länger, als es für meinen Zweck nöthig war, hier zu verweilen. Ich empfahl mich daher an die- sem Morgen der Familie, mit dem aufrichtigsten Danke für ihre freundliche Aufnahme. Herr O’Con- nel gab mir das Geleite, bis an die Grȧnze seiner Domainen, und ritt einen schönen großen Schimmel, auf dem er sich noch militairischer als in seinem Hause ausnahm. Der rauhe Weg, obgleich ganz von Vegetation entblöst, bot doch viele erhabne Aussichten dar, theils auf die Felsen landeinwärts, theils auf das Meer voller Klippen und Inseln, von denen einige ganz isolirt, als hohe, spitze Berge aus dem Wasser steil empor steigen. Herr O’Connel machte mich auf eine derselben aufmerksam, und er- zählte, daß er vor einigen Jahren einen Ochsen dort hinschiffen und aussetzen ließ, damit er sich auf der guten und ungestörten Weide recht fett mästen möge. Dies Thier nahm aber schon nach einigen Tagen so decidirten Besitz von der Insel, daß es wüthend ward, sobald irgend Jemand den Versuch machte, dort zu landen, und selbst die Fischer, die ihre Netze am Ufer ausstellen wollten, attakirte und verjagte. Oft sah man es, gleich Jupiter in Stiergestalt, mit erhobenem Schweif und feuersprühenden Augen, im wilden Lauf, die Runde seiner Domaine machen, rekognoscirend, ob irgend Einer sich noch zu nahen wage. Der emancipirte Ochse wurde zuletzt so unbe- quem und gefährlich, daß man ihn todtschießen mußte. Dies schien mir eine ganz gute Satyre auf die Freiheitsliebe überhaupt, die mit erlangter Macht gewöhnlich sofort wieder in Herrschsucht ausartet, und die Ideen-Association mußte daher grade jetzt wider Willen komische Bilder in mir erwecken. Später kamen wir an eine merkwürdige Ruine, eins der sogenannten „dänischen Forts“ an der Küste, die wohl nicht den Dänen, sondern der Vertheidi- gung gegen die Dänen ihren Ursprung verdanken. Sie sind über tausend Jahr alt, und die untern Mauern, obgleich ohne Mörtel zusammengefügt, dennoch sehr wohl erhalten und fest. Bei einer, von einem angeschwollenen Bergstrom zertrümmerten Brücke, hielt O’Connel an, um mir das letzte Lebe- wohl zu sagen, und ich konnte nicht umhin, dem Kämpfer für die Rechte seiner Mitbürger zu wün- schen, daß, wenn wir einst uns wiedersähen, das Zwangs-Gebäude englischer Intoleranz eben so durch ihn und seine Gehülfen zertrümmert seyn möge, als jene morschen Mauern, durch den sich Bahn bre- chenden Strom. So schieden wir. Zum Theil ist der Wunsch meines seligen Freundes ja nun schon erfüllt worden, und mit wie Vielem geht noch die Zukunft schwanger! Anm. d. H. Da ich größtentheils denselben Weg wieder zurück- kehrte, den ich gekommen, kann ich nicht viel Neues darüber sagen, ausgenommen daß er mich, ohnge- achtet der Tag schön war, doppelt so sehr ermüdete als das erstemal — wahrscheinlich weil der Geist sich in geringerer Spannung befand. Nicht weit von Kenmare begegnete ich mehrern Transporten von Steinen, Brettern, Bolen, Bier und Butter. Alles wurde zu Pferde fortgeschafft. Die Irlȧnder sind sehr ingenieus in Transportmitteln. Ihre vortreff- lichen Carrs, mit denen ein Pferd so bequem fünf bis sechs Personen fortbringt, habe ich Dir schon be- schrieben — eben so zweckmäßig sind ihre Trans- portkarren für Heu, Holz ꝛc., wo auch ein Pferd dieselbe Arbeit thut, zu der bei uns drei gebraucht werden. Das Gleichgewicht, in welchem die Last, so zu sagen, balancirt wird, macht dies allein möglich. Ein Karren wird, z. B. mit langem Bauholz, so aufgeladen, daß man das Pferd kaum sehen kann, welches ganz vom Holze eingehüllt ist, dessen Stämme viele Ellen hinter dem Wagen und vor dem Pferde hinausragen. Die Vertheilung des Gewichts auf beiden Seiten ist dadurch so voll- kommen hervorgebracht, daß die Stämme nur auf einem Punkte aufliegen, und daher das Pferd nur wenig im Verhȧltniß zu ziehen hat. Bergauf und herab hilft der Führer leicht nach, durch Heben oder Niederdrücken der Enden, welche die geringste Kraft schon in Bewegung setzt. Eben so werden fünf bis sechs schwere eichne Bohlen auf plattem Sattel über ein Pferd gelegt, das sie, wie eine Balancierstange, ohne große Beschwerde fort- trägt, obgleich es unter derselben Last, in einem andern Volumen, z. B. in einer Kiste enthalten, erliegen müßte. Auch um Steine, über dem Sattel hängend, zu transportiren, haben sie eine sinnreiche Vorrichtung, gleich hölzernen Körben, die auf einer dicken Strohunterlage über des Pferdes Rücken befe- stigt werden. Die frohe Laune und gutmüthige Höflichkeit der Leute, denen ich begegnete, fand ich sehr einneh- mend. Kein Volk, das ich kenne, erscheint in seinen untern Classen weniger egoistisch, und dabei dankba- rer für das geringste freundliche Wort, dessen ein Gentleman es würdigt, ohne damit die mindeste Idee von Interesse zu verbinden. Ich wüßte daher auch wirklich kein Land, wo ich lieber ein großer Grundbesitzer seyn möchte, als hier. So würde ich z. B. mit dem, was ich am andern Orte gethan, und dafür nur Undank geerndtet, und Hinderung aller Art gefunden — mir hier gewiß nicht nur 10—12,000 Untergebne auf Leib und Leben zu eigen gemacht, sondern ich würde auch, mit weit gerin- geren Kosten und Zeit, ein unendlich höheres Resul- tat gewonnen haben, da hier mit Natur und Men- schen alles, überhaupt Ausführbares zu erreichen ist. Das Volk vereinigt im Allgemeinen, bei aller seiner Rohheit die Biederkeit und poetische Gemüthlichkeit der Deutschen, mit der Lebhaftigkeit und schnellen Conception der Franzosen, und besitzt als Zugabe, alle Natürlichkeit und Unterwürfigkeit der Italiäner. Man kann mit vollem Recht von ihm sagen, daß es seine Fehler nur andern, seine Tugenden aber allein sich selbst zu verdanken hat. Ich muß in dieser Hin- sicht noch eine, an sich unbedeutende, Begebenheit erzählen, die ich früher überging, die aber als ein nationeller Zug doch der Erwähnung verdient. Als ich vor vier Tagen von Killarney nach Ken- mare fuhr, begegneten wir fortwährend Leute, die auf dem Markt im letzten Ort Vieh gekauft hatten, und es jetzt nach Hause trieben. Sie ritten gewöhn- lich auf, ebenfalls erst gekauften, Füllen, ohne Zü- gel, und da Menschen und Vieh sich einander noch fremd waren, so konnten sie ihre Thiere nur schlecht regieren. Wir wurden dadurch mehreremal gezwun- gen, still zu halten. Dies langweilte mich endlich, und bei der dritten oder vierten rencontre dieser Art, rief ich den Leuten barsch zu: ich hätte nicht Zeit, ihrer Ungeschicklichkeit wegen, den halben Tag auf der Straße zuzubringen, und befahl, etwas übereilt, dem Kutscher nur drauflos zu fahren. Sogleich machten zwei Füllen mit ihren Reutern links um, vor dem Wagen hergallopirend, und die ganze Heerde zertheilte sich scheu in die Berge. Meine Raschheit that mir jetzt leid, und ich ließ sogleich wieder an- halten. Es waren im Ganzen vier bis fünf Trei- ber, die ich so deroutirt hatte, alles rüstige junge Kerle, und der Streich, den ich ihnen gespielt, ge- wiß einer der unangenehmsten, da voraus zu sehen war, daß sie wenigstens eine halbe Stunde brauchen würden, um ihr zersprengtes Vieh wieder zu sam- meln. Deutsche, Engländer oder Franzosen würden einem Reisenden, der mit einem zerlumpten Kutscher, in einem elenden Einspänner fuhr, und ihnen unbe- sonnen dieß bot, gewiß mit gehöriger Grobheit zu- gesetzt, und vielleicht gar ihn festzunehmen versucht haben, um den etwaigen Schaden zu ersetzen. Ganz anders war das Betragen dieser guten Leute, witzig und respectvoll zugleich. O murther, murther ! schrie der Eine, während das widerspenstige Füllen noch einen Versuch machte, den Berg hinan zu sprin- gen, und ihn beinahe abwarf: God bless Your ho- nour, but every Gentleman in England and Ireland get’s out of the way of cattle ! Oh for God’s sake stop now, Your honour, stop! (O Mord, Mord! Ein irländischer Lieblingsschwur. A. d. H. Gott segne Euer Ehren, aber jeden Gent- leman in England und Irland geht doch Vieh aus dem Wege! — Oh um Gotteswillen, haltet an, Euer Ehren, haltet an!) Als ich nun angehalten hatte, und die armen Teufel die größte Mühe ge- habt, einen Theil des am weitesten zurück gelaufnen Viehs wieder einzuholen, kamen sie nochmals an meinen Wagen, um mir mit abgezogner Mütze und „Long life to Your honour!“ für meine Güte zu danken, worauf sie lustig das Einfangen, und ich meinen Weg fortsetzte. Ich mußte mir selbst ge- stehen, daß ihr Betragen lobenswerther war als das meine, und verbesserte es, so gut ich konnte, durch ein ansehnliches Trinkgeld. Den 1 sten October früh. Obgleich peinlich müde, konnte ich gestern Abend doch nicht einschlafen, und frug daher beim Wirth an: ob er irgend ein Buch besitze? Man brachte mir eine alte englische Uebersetzung von Werther’s Leiden. Du weißt wie hoch und innig ich unsern Dichter- fürsten verehre, und wirst mir es daher kaum glau- ben wollen, wenn ich Dir sage: daß ich dieses be- rühmte Buch nie gelesen. — Der Grund möchte auch Vielen sehr kindisch vorkommen. Als ich es nämlich zuerst in die Hände bekam, erweckte mir die Stelle, gleich im Anfang, wo Charlotte dem Buben „die Rotznase wischt“ einen solchen Eckel, daß ich nicht weiter lesen konnte, und dieser unangenehme Eindruck blieb mir immer gegenwärtig. Diesmal machte ich mich jedoch ernstlich an die Lectüre, und fand es dabei seltsam, Werther zum erstenmal, in fremder Sprache, mitten in den wüstesten Gebürgen von Irland zu lesen. Ich konnte aber auch hier, aufrichtig gestanden, den veralteten Leiden keinen rechten Geschmack mehr abgewinnen — das viele Butterbrod, die kleinstädtischen, nicht mehr üblichen Sitten und selbst die, (gleich den zu Gassenhauern herabgesunknen schönen Mozartschen Melodieen) jetzt auch Gemeinplätze gewordnen Ideen, die damals neu waren — endlich die unwillkührliche Erinnerung an Potiers köstliche — Parodie — es war mir nicht möglich in die rechte Communionsstimmung, wie Fr. v. Frömmel sagt, hinein zu kommen. Aber so viel habe ich, Scherz bei Seite, wenigstens einge- sehn, daß das Buch einst furore machen mußte — denn es ist eine ächt deutsche Stimmung, an der Werther untergeht, und deutsche Gemüthlichkeit fing damals eben an, sich in dem zu materiell gewordnen Europa Bahn zu brechen. Freilich durchschritt es Meister, und vielmehr nachher noch Faust mit ganz andern Riesenschritten! Der Werther-Periode sind wir, glaube ich, entwachsen, an dem Faust aber kaum herangekommen, und kein Zeitalter wird, so lange es Menschen giebt, ihm entwachsen können. In der Tragödie Faust ist wie im Shakspeare des Menschen ganzes Innere abgespiegelt, und in der Hauptfigur nur der Menschheit ewiges räthselhaftes Sehnen personificirt, das nach einem unbekannten Etwas rastlos ringt, welches dennoch hier nie er- reicht werden kann; daher auch das Drama offenbar nie ein völlig abschließendes Ende haben könnte, wenn es auch noch durch viele Akte ausgedehnt würde. Wie aber eben der edlere Menschengeist hier eine schwindelnde Straße betritt, gleich der Brücke des Koran, so ist er auch auf ihr dem Bo- denlosen Falle jeden Augenblick näher, als der Thier- mensch, der ruhig auf der sichern Ebne — weidet. Ein Vetter des Herrn O’Connel, der Parforce-Jag- den am See von Killarney hält, hatte mir eine solche für morgen versprochen, — ich habe aber eine wahre Antipathie, etwas schon Gesehenes wieder zu be- suchen, so lange ich noch Neues vor mir habe , und eine sehr große Verȧnderung können Hunde und Jäger der mir bereits bekannten Scene doch nicht geben. Dagegen erwarteten mich in Glengariff liebenswerthe Menschen, und gar viel Neues; — ich zog also das Letztere vor, ritt wieder über den Teufelsberg, diesmal bei Tage, und be- finde mich seit einer Stunde hier, in einem niedli- chen Zimmer etablirt, und alle Pracht der Bey vor meinem Fenster ausgebreitet. Ehe ich Kenmare ver- ließ, wurde meine Eitelkeit noch auf eine empfind- liche Probe gesetzt. Die irländische Naivetät der Wirthstochter hatte mich, beim jedesmaligen Zurück- kommen nach ihres Vaters Gasthof, so angenehm angesprochen, daß ich mich fast allein mit ihr unter- hielt, und dadurch ihre Gunst gewann. Sie hatte ihre Berge nie verlassen, und war so unbekannt mit der Welt, als es nur denkbar ist. Scherzend frug ich sie, ob sie mich wohl nach Cork begleiten wolle? Ach nein, rief sie, da würde ich mich doch fürchten, so weit mit Ihnen zu gehen! sagen Sie mir nur, wer Sie eigentlich sind? daß Sie ein Jude sind, weiß ich schon. — Was, bist Du toll, woher soll ich denn ein Jude seyn? Nun das werden Sie doch nicht leugnen, haben Sie nicht einen langen schwar- zen Bart rund ums Kinn, und fünf bis sechs goldne Ringe an den Fingern? und waschen Sie sich nicht immer früh eine Stunde lang, und machen Ceremo- nieen dabei, wie ich sie doch sonst noch nie von ei- nem Christenmenschen gesehn habe! Nicht wahr, gestehen Sie es nur, Sie sind ein Jude? — Mein Depreciren half nichts, sie blieb dabei; endlich meinte sie doch gutmüthig, wenn ich denn durchaus keiner seyn wolle, so wünsche sie mir wenigstens, to be- come as rich as a Jew (so reich zu werden wie ein Jude, eine englische Redensart.) Dies bekräftigte ich gern mit einem christlichen: Amen! Den 2 ten October. Eben komme ich von einer sechzehnmeiligen Pro- menade mit C..l W… zurück, nach Hungryhill, ei- nem erhabenen Bergfelsen am Ende von Bantry Bay, merkwürdig durch seinen Wasserfall, und durch Thomas Orourche’s Reise nach dem Monde, auf des Adlers Rücken, die von hier aus statt fand, und seitdem in Prosa und Versen so vielfach besungen wurde. Auch in Deutschland ist das amüsante Mär- chen wiederholt übersetzt worden, wo es Dir viel- leicht vorgekommen seyn mag. Der Held der Ge- schichte ist ein fast immer betrunkner Garde-chasse des Lord B .... der noch lebt, und den mir Mr. W… beim Zuhausefahren, im Gasthofe präsentirte. Er ist jetzt sehr stolz auf seine Berühmtheit, und schien mir, als ich ihn sah, gerade wieder im Begriff, eine Mond- reise anzutreten. Für die Wasserfälle ist der viele Regen dieser Tage sehr vortheilhaft gewesen. Der Fall am Hungryhill verschwindet fast ganz in trocknem Wetter, übertrifft aber, nach heftigen Regengüssen, auf einige Stun- den, den Staubbach und Terni. Hungryhill (der Hungerberg) ist gegen 2000 Fuß hoch, und eine fast ganz kahle ungeheure Felsenmasse. Von der Land- seite bildet er zwei steile Absätze, zwischen welchen sich, auf dem Plateau, ein See befindet, den man natürlich von unten nicht sieht, wo das Ganze nur die fortlaufende Linie zwei colossaler Terrassen dar- bietet. Die obere besteht aus ganz kahlem Stein, und wird in der Mitte, durch eine vertikale, wie von der Kunst tief gegrabne Rinne getrennt; die untere Terrasse, obgleich auch ohne sehr sichtbare Unebenheit, ist doch an ihrem Abhang mit Haiden und grobem Grase bedeckt, wo gewöhnlich Hunderte von Ziegen weiden. In der erwähnten obern Rinne nun, ergießt sich, von der höchsten Spitze des Bergs, die Wassermasse herab, fällt in den, auf dem Absatz befindlichen, See, und stürzt sich dann, diesen überfüllend, in vier getrennten Fällen von neuem, in so großen Bo- gen, auf die Thalwiese nieder, daß die Ziegen ruhig darunter fortweiden können, wȧhrend die Wasser- ströme das Wiesenthal in der Tiefe bald auch in ei- nen temperairen See verwandeln. Da man unten stehend, die Trennung des obern und der untern Fälle, nebst den zwischen liegenden See, wie schon bemerkt, nicht sehen kann, erscheint dem Auge das Ganze, nur wie ein ungeheurer Sturz, dessen Wirkung alle Beschreibung übersteigt. Obrist W. versicherte mich, bei höchstem Wasser- stande, die Bogen des Falles so weit abgeschleudert gesehen zu haben, daß, nach seinem eignen Ausdruck, ein Regiment darunter hätte aufmarschirt stehen kön- nen, ohne benetzt zu werden, wozu der betäubende Lärm, wie er sagte, nahen Kanonendonner gut dar- gestellt hätte. In einer der Schluchten nebenan fand die, in Ir- lands fabelhafter Geschichte merkwürdige Schlacht, zwischen dem großen O’Sullivan und O’Donnivan statt, und man zeigt noch die Ueberreste eines ural- ten Arbutus-Stammes, an welchem, der Sage nach, O’Donnivan aufgehangen wurde. Geld und Kost- barkeiten sind wirklich in diesem Bezirk noch vor Kurzem, tief in der Erde vergraben, aufgefunden worden. Die Adler dieser Gebürge, welche auf ganz unzu- gȧnglichen Felsen horsten, spielen eine große Rolle in allen Mȧhrchen des Volks. Sie sind außerordentlich groß und stark, und es ist erwiesen, daß sie zuwei- len selbst Kinder rauben. Vor einiger Zeit entführte ein solches Raubthier einen dreijährigen Knaben, und deponirte ihn, weil er ihm doch wahrscheinlich zu schwer ward, fast unversehrt, wenigstens lebend, auf einem Felsenabsatz, wohin man sogleich nach- kletterte, und den Knaben glücklich rettete. Der neue Ganymedes — als Corpus delicti existirt noch im besten Wohlsein. Ein ähnlicher Fall dieser Art trug sich erst vor wenig Monaten zu. Der Adler nahm ein ganz kleines Mädchen, vor des Vaters Augen, vom Boden auf, und verschwand mit ihm in den Felsen, ohne daß man die geringste Spur von dem armen Kinde mehr hat auffinden kȯnnen . Den 3 ten . Col. W ..... ist ein eben so großer Parkomane als ich, aber nicht ganz so gourmet, et sa càve s’en ressent un peu. Dagegen verschafft die Jagd, zu Lande und im Wasser, der Tafel mehrere Delika- tessen. Die Berghühner sind unter andern vortreff- lich, und die Austerbank im Park, liefert tellergroße, und besonders schmackhafte Geschöpfe dieser Art. Uebrigens wimmelt die Bay von Fischen und See- hunden. Ein solcher saß heut früh auf einer hervor- ragenden Klippe, grade meinem Fenster gegenüber, und schien mit großem Vergnügen und fast tanzen- der Bewegung, der Musik eines Piper zuzuhören, dessen bag pipe vom nahen Gasthof herüberschallte. Diese Thiere sollen die Musik so leidenschaftlich lie- ben, daß sie, bei Wasserparthien auf der Bay, den Böten der Musikanten zu 20 — 30 folgen, und sich auch vom Jȧger auf diese Weise überall hinlocken lassen. Es ist wirklich grausam, ihren Kunstsinn so zu mißbrauchen! Leider regnete es heute den ganzen Tag, so daß ich gezwungen war, zu Haus zu bleiben. Früh wohnte ich dem täglichen Privatgottesdienst der Familie bei, deren weibliches Personal zwar etwas bigott in Briefe eines Verstorbenen. II. 3 der Form, aber, wie mir schien, doch auch ächt fromm in der That ist. Wir setzten uns Alle im Kreise hin, dann las die Mutter einen Satz aus dem englischen Prayerbook, die älteste Tochter den nächsten, und so fortdauernd vice versa, Prediger und Küster in der Kirche nachahmend. Hierauf begann die Tochter, welche etwas Verschlossenes und Schwärmerisches hat, ein besonderes, sehr langes Gebet, das wohl eine Viertelstunde dauerte, wȧhrend welchem alle Andere (ich natürlich auch) sich schamhaft gegen die Wand kehren, vor ihrem Stuhl auf die Kniee fallen, und das Gesicht in die Hände legen mußten. Die Mut- ter seufzte und stöhnte, der Hausherr schien ein we- nig ennuyirt, die jüngste Tochter (ein allerliebstes Mädchen, die ein gutes Theil mondainer als die äl- teste gesinnt ist) hatte hie und da Zerstreuungen, der Sohn aber es gar, für besser gehalten, sich ganz zu absentiren. Ich, bei dem jeder nach innen gerichtete Gedanke zu jeder Tageszeit ein Gebet zu Gott ist, glaubte, ohne unfromm zu seyn, hier ein wenig nach außen beobachten zu dürfen. Nachdem die Gesellschaft wieder aufgestanden war, die Knie abgewischt, und die Röcke heruntergezupft hatte, denn der englische Enthusiasmus vergißt sich nicht so leicht, wurde eine Geschichte aus dem Evan- gelio von der Mutter gelesen. Man hatte diesmal die Mahlzeit gewählt, wo 6000 Mann mit zwei Fi- schen und drei Brodten, wenn ich nicht irre, gesättigt wurden, und noch gar viel übrig blieb. Glücklicherweise wurde uns das Mittagsessen nicht mit gleicher Sparsamkeit zugemessen, und die Gottes- gaben dabei durch die heiterste Unterhaltung gewürzt. Einmal beging ich jedoch einen unwillkührlichen Ver- stoß. Ich sprach nämlich scherzend von dem Kometen im Jahr 32, der der Erde oder Erdbahn näher als die bisher bekannten kommen soll, und bemerkte, daß, nach Lalande’s Berechnung, ein Komet, der sich auf 50,000 Meilen der Erde näherte, eine solche Attrak- tionskraft auf sie ausüben müßte, daß er die Meeres- fluthen bis über die Spitze des Chimborasso ziehen würde. Kommt der Zwei und dreißiger uns so nahe, setzte ich hinzu, so ertrinken wir wenigstens alle auf einmal. „Verzeihen Sie, das ist jedenfalls unmög- lich,“ erwiederte Mistriß W .... sehr ernsthaft, „denn das wäre ja eine zweite Sündfluth, und Sie scheinen ganz vergessen zu haben, daß uns in der Bibel ver- sprochen ist, eine zweite Sündfluth solle nicht statt- finden, aber zum letztenmal die Erde durch Feuer zerstört werden. ( Il faut avouer, que la faveur n’est pas grande .) Daß diese Zerstörung aber wohl nahe seyn mag,“ fuhr sie seufzend fort, „glaube ich selbst, denn die Unterrichtetsten unserer heiligen Männer kommen jetzt darin überein, daß wir uns wahrschein- lich im siebenten Reich der Offenbarung Johannis befinden, in welcher der Welt Ende prophezeit ist, und wo unser Heiland kommen wird uns zu richten.“ Wie sonderbar sind nun die Frommen! Ueber diese Aeußerung geriethen Mutter und Tochter in so hef- tigen und zuletzt erbitterten Streit, daß ich, unwür- 3* diger Laye, mich für ihre Versöhnung bemühen mußte. Dieser Streit entspann sich darüber, ob bei der er- wähnten Catastrophe die Menschen sofort gerichtet und dann verbrannt, oder erst verbrannt und dann gerichtet werden würden. Die Tochter fragte entrüstet (et je vous jure que je ne brode pas) , ob unser Hei- land, wenn er käme, mit dem Richten erst warten solle bis die Welt verbrannt sey? es stünde deutlich in der Schrift: daß er kommen würde zu richten über die Lebenden und die Todten, was nicht möglich sey, wenn vorher Alle schon verbrannt worden wȧren ! Die Welt würde also offenbar erst nachher, wenn Alle gerichtet wären, verbrannt. Die Mutter erklärte dies, eben so heftig, als einen wahren nonsense, Menschen müßten nothwendig erst sterben, ehe sie selig oder verdammt werden könnten, und die angeführte Stelle bezöge sich, wo sie von Lebenden und Todten spräche, nur, eines Theils auf die, welche bei der Ankunft des Feuers noch lebten, und andrerseits auf die, schon längst vorher im Grabe Liegenden. Sie blieb also dabei: erst verbrannt und dann gerichtet! Beide wünschten nun meine Meinung zu wissen, um sich, durch meinen Beitritt, im Kampfe zu verstärken. Ich wagte zu antworten: daß ich in diesen Details nicht allzugut bewandert wäre, und daß mir ihr Streit fast so vorkäme, als der, bei Madame du Déffant, über den heiligen Dionysius: ob dieser nämlich eine, oder sechs Meilen ohne Kopf gegangen sey? worauf Frau von Deffant bekanntlich entschied: dans ces sortes de choses, il n’y a que le premier pas qui coute. Uebrigens hätte ich selbst mich in der Christuslehre immer am meisten an die Vorschriften der Pflicht- erfüllung, Zuversicht auf Gott, Sanftmuth und Näch- stenliebe zu halten gesucht, obgleich es mir leider nur zu selten damit nach Wunsche gelungen — glaubte aber doch, in Folge dessen, unbekümmert darüber seyn zu können, ob wir erst gerichtet und dann verbrannt, oder erst verbrannt und dann gerichtet würden. Alles was Gott thue, sey jedenfalls wohlgethan. Ich müßte aber gestehen, daß ich mich während meines hiesigen Lebens eben so gut in Gottes Hand, und eben so nahe seiner Macht, betrachte, als nach meinem irdi- schen Ende, oder selbst nach dem Ende der kleinen Erde, die wir Welt zu nennen pflegen. Das Welt- gericht daure, meiner Meinung nach, ewig, gleich dem Weltengeist. — Diese Erklärung versöhnte die Käm- pfenden glücklich, — indem sie sie beide gegen mich vereinigte. Doch gelang mir noch zuletzt ein geschick- ter Rückzug, ohne ganz ihre Gunst zu verlieren. Gegen Abend hatten wir, zwischen Streifregen, Dämmerung und Sonnenuntergang, noch eine herr- liche Beleuchtung. Unser Wasserfall im Park, war so angeschwollen, daß er sich auch etwas zu donnern erlaubte, und Gras und Busch hatte sich gar artig mit bunten Sonnenstrahlen illuminirt. Wir spazier- ten bis in die Nacht umher, sahen den hohen Su- garloaf nach und nach vom Dunkelblau in’s Rosa übergehen, und ergötzten uns am klaren Spiegel des Meers, am Hüpfen der Fische auf seiner Oberfläche, und den friedlichen Spielen der Fischottern, bis die grausamen Fischerlichter in der Bay das Fest mit einem allgemeinen Kriegstanz beschlossen. Alles ist hier schön, selbst die Lust, welche wegen ihrer Salubrität berühmt ist. Bis jetzt wird noch keine Taxe davon erhoben. A. d. H. Insekten plagen die Menschen auch nicht, da die Bay eine solche Tiefe hat, daß die Ebbe fast nirgends den Boden entblößt, und der stete, sanfte Luftzug des Thals ihnen wahr- scheinlich auch nicht behaglich ist. Das Clima bleibt sich fast immer gleich, weder zu warm noch zu kalt, und die Vegetation ist so üppig, daß nur eine Sache mehr, und eine weniger da zu seyn brauchte, um den größten Theil der kahlen Berge, und auch die Felsen, in ihren Zwischenräumen, mit den schönsten Wäldern zu bekleiden, nämlich — Pflanzer und Ziegen . Den Ersten fehlt es an Geld zur Auslage, oder an der Lust es hier anzulegen, die zweiten lassen nichts, das nicht doppelte Mauern schützen, auf- kommen. Ehemals sollen die meisten dieser Gebürge mit Hochwald bedeckt gewesen seyn, aber die Englän- der, welche immer nur daran dachten, so viel Geld als möglich in Irland zu machen, schlugen alles nie- der, zum Verkohlen und zum Gebrauch der Eisen- hämmer, die seitdem eingehen mußten, deren Rudera man aber noch an mehreren Orten findet. Ein an- derer Vorzug dieser Gegend ist, nach meinem Ge- schmack, ihre Abgeschiedenheit. Ein Wagen kann sie kaum erreichen und, wenige neugierige Reisende von meiner Art ausgenommen, wird keiner versucht, die schwierigen Approschen zu besiegen. Ein gutmüthi- ges Volk wohnt hier, nicht in Dörfern vereinigt, sondern einzeln im Gebürge zerstreut, und führt, unverdorben vom Gewühl der Städte ein patriarcha- lisches Leben. Es ist auch nicht so widerlich arm, als in andern Theilen des Landes. Die Bedürfnisse dieser Leute sind gering; Torf zum Feuern dürfen sie holen, wo es ihnen gutdünkt, Gras für ihre Kühe ebenfalls in den Sümpfen, und Fische zur Nahrung liefert ihnen das Meer, mehr als sie bedürfen. Für den mit Schaffungslust ausgerüsteten Besitzer, eröff- net sich hier ein unerschöpfliches Feld. Wäre ich ein Capitalist, hier ließe ich mich nieder. — Mein freundlicher Wirth sorgt für die schnelle Be- förderung dieses Briefes. Der Himmel gebe, daß er, in froher Stimmung geschrieben, auch Dich in froher Stimmung antreffe. Erinnere Dich immer des Wahl- spruchs meiner Ahnfrau: Coeur content, grand ta- lent! Dein treu ergebener L .... Fuͤnf und dreißigster Brief. Glengariff, den 4 ten Octbr. 1828. Liebe Julie! Morgen reise ich ab, et bien à regrêt. Ich nehme aber ein liebes Andenken mit mir, eins der wenigen durchaus freundlichen Bilder meiner Lebenswan- derung. Auf meinem Morgenspaziergang fand ich heute so luxurieuse Ericken von den Felsen herabhängen, daß eine Staude derselben zehn Fuß in der Länge maß. Der Gärtner, der mich begleitete, machte mich noch auf eine andere Merkwürdigkeit aufmerksam. An einem verborgnen Ort, nicht weit von der hübschen, ganz ländlichen Dairy, hatten Bienen in freier Luft große Honigkämme, blos an Brombeerästen hängend, im Dickicht gebaut. Die Schwere des Honigs bog den Strauch bis auf die Erde, und sie arbeiteten noch rüstig darin, als ich sie betrachtete. Die Dairy ist mit Erde und rother, darauf angewachsener, Haide gedeckt, und das Dach von unten in sechs Spitzen ausgeschnitten, was nicht übel aussieht. Ein klarer Quell fließt mitten hindurch, an dessen Ufern der ägyptische Cotus vortrefflich gedeiht, und den Winter auch aushält. Nachmittags ritt ich mit Col. W… aus, um ein Adlernest zu besehen. Zuerst passirten wir den Be- zirk, in welchem Lord B … ’s schönes Jagdhaus steht, durchwateten dann dreimal den angeschwollenen Fluß, und erreichten nach einigen Stunden Wegs eine wilde Einöde, wo, unter einer senkrechten Felsenwand, zwei einzelne Hütten stehen. Ohngefähr 500 Fuß über diesen, horsten die Adler, in einer mit Epheu über- rankten Spalte. Zu der Zeit wenn sie Junge haben, sieht man sie fleißig mit Hühnern, Hasen, Lämmern u. s. w. angeflogen kommen, um den häuslichen Tisch zu versorgen; ein sonderbarer Instinkt aber ist es, der sie lehrt, nie etwas von den beiden unter ihnen wohnenden Familien zu rauben, und dadurch gleich- sam die Gastfreundschaft zu ehren, welche jene ihnen beweisen. Ich bin sehr unzufrieden, daß noch keiner dieser Felsenkönige mir die Attention bewies, sich sehen zu lassen; auch heute waren beide entfernt. Ueber die Höhlen des Sugarloaf’s kehrten wir zu- rück. Hier giebt es einen wilden Jäger , und kein Tallyho der Menschen darf da erklingen, wo sein Jagdrevier angeht. Sonst stürmt er mit dem gan- zen wilden Heer herbei, und reißt in dessen Wirbel die Unvorsichtigen mit sich fort. Bei alle dem ist er von ganz anderer Natur, als sein deutscher Kame- rad. Es ist ein Elfenkönig, klein wie Däumling, in Smaragdgrün prächtig gekleidet, und von einem Ge- folge begleitet, das auf Pferden, nicht größer wie Ratten, über die Felsen, wie über das Meer, mit Windesschnelle gallopirt. Sugarloaf selbst ist der große Sammelplatz aller irländischen Feen. Die Höh- len sind voller Seemuscheln und phantastischer Stein- gestaltungen, welche die Neugierde des Besuchers rei- zen, in denen aber, für alle Schätze der Welt, kein Eingeborner die Nacht zubringen würde. — Von der Spitze des Berges, oder besser Felsen, bis gegen diese Höhlen herab, unterscheidet man bei klarem Wetter ein eignes Naturspiel: zwei gewundene aber stets in gleicher Weite laufende Rinnen, die in der Ferne vollkommen einem Wagengleise gleichen. Was könnte dies anders seyn, als die Spur von der Fairy Köni- gin Wagen? worin sie auch mancher alte Bergbe- wohner bei Sonnen Auf- oder Untergang in über- irdischem Pomp hinauffahren sah, um das Jahresfest mit ihrer Gegenwart zu schmücken. Gewiß wird der Alte bereit seyn, mit jedem beliebigen Schwur die Wahrheit seiner Aussage zu bekräftigen, denn er glaubt daran, und das eben giebt den Mährchen dieses Volks einen so verführerischen Reiz, daß man selbst davon angesteckt wird. Col. W …, der früher ein leidenschaftlicher Jäger war, kennt Fuß und Gipfel eines jeden Berges im ganzen Distrikt genau, und erzählte mir, chemin fai- sant, so viel Interessantes davon, daß mein Brief nicht enden würde, wenn ich ein getreues Echo aller dieser Geschichten aus ihm machen wollte. Hier ist die Jagd noch mit Gefahren verbunden, und diese wahrlich keine Kleinigkeit! Mancher verliert sein Le- ben dabei. Sie sind dreierlei Art: zuerst, mitten in den Felsen von einem jener Winternebel überfallen zu werden, welche hier öfters stattfinden, und fast plötzlich den Wanderer mit dunkler Nacht und eisiger Kälte umfangen, wo ihm dann, wenn er den Aus- weg nicht findet, nur die Alternative bevorsteht, das Leben durch Erstarrung (denn oft halten die Nebel ganze Tage und Nächte in den Schluchten fest) oder durch den Sturz in unsichtbare Abgründe zu verlie- ren. Wollen ihm die Fairy’s wohl, so kömmt er ir- gend wo glücklich wieder an’s Licht, wehe aber denen, die sich ihre Ungnade zugezogen haben; — zerschmet- tert oder erfroren, finden sie sicher die Freunde am nächsten Morgen. Die zweite Gefahr ist von ganz anderer Art. Auf den weiten, unabsehbaren Berg- ebenen, die, gleich dem Meere, mit dem Horizont zu- sammenfließen, ohne daß auch nur der kleinste Busch ihre erhabene Einförmigkeit unterbricht, sind weite Sümpfe, welche das verfolgte Wild (die Grouse, eine Art Feld- oder Birkhuhn, den englischen Inseln eigen- thümlich) als Lieblingsaufenthalt wählt. Diese Süm- pfe sind voll kleiner Erhöhungen, die durch Heide- kraut gebildet werden, und, wie so viel Maulwurfs- hügel, in geringer Entfernung von einander darin vertheilt sind. Nur, indem man von einer dieser Erhöhungen auf die andere springt, kann man den Sumpf passiren. Verfehlt man sie in der Hitze der Jagd, und findet nicht gleich eine andere in der Nähe, so ist man sicher, in dem grundlosen Moraste zu versinken. Das einzige Rettungsmittel bleibt zu- letzt noch, schnell die Arme auszubreiten, oder sich mit dem horizontalliegenden Gewehr zu halten, bis end- lich Hülfe kommt, oder es Einem gelingt, den näch- sten Hügel zu erfassen. Schlimmer und gefährlicher als alles dies aber ist es, von einem der, fast wild zu nennenden Stiere des Gebürges attaquirt zu werden. In diesem Fall befand sich Herr W .... öfters, entkam jedoch immer glücklich, wiewohl auf verschiedene Weise. Einige- mal erschossen er selbst oder seine Begleiter, den Bullen, ehe er noch nahe kam, ein anderesmal rettete er sich in einen der eben beschriebenen Sümpfe, wo- hin das wüthende Thier zwar nicht folgen konnte, ihn aber doch länger als eine Stunde förmlich darin belagerte. Die Geschichte des letzten Anfalls aber schien mir besonders merkwürdig, und beweist, daß ein Mensch, mit Kraft, Muth und Gewandtheit aus- gerüstet, wohl jedem andern lebenden Geschöpfe, allein widerstehen mag. Obrist W .... war nur von einem Freunde und einem Eingebornen begleitet, welcher den Hund führte, und mit einem langen weißen Sta- be, wie sie hier gebräuchlich sind, versehen war. Des Obristen Freund schoß eine Grouse, und in demsel- ben Moment sahen sie, in der Distanz von ohngefähr achtzig Schritt, einen Stier mit Wuth auf sie zustür- zen. W. rief seinem Freunde zu, schnell zu laden, während er den ersten Schuß thue, und legte an, als der Spürer rief: Versprecht ihr mir ein Glas Whiskey extra zu geben, so will ich allein mit dem Stier fertig werden. Indem drückte W. sein Gewehr ab, fehlte aber, sein Freund war noch nicht mit La- den fertig, und kaum hatte er Zeit dem Manne zu- zurufen: Ein Dutzend Flaschen sollst Du haben — als sie diesen Helden der Berge auch schon, in dem- selben Tempo, mit dem der Stier auf sie zustürzte, ihm selbst entgegenrennen sahen. Im Nu waren beide aneinander. Mit der größten Gewandtheit er- griff der junge Mann eins der Hörner des Bullen, dessen Kopf die Erde streifte, schwenkte sich einen Schritt seitwärts, und denselben Schritt dann wäh- rend des Sprungs seines Gegners mit Blitzesschnelle wieder zurückthuend, faßte er mit beiden Händen des Bullen Schweif, ohne deshalb seinen weißen Stock fahren zu lassen. Alles dies war mit der Geschwin- digkeit des Gedankens verrichtet worden — und nun begann der seltsamste Wettlauf, den man je gesehen. Der Stier wandte alles an, die an seinem Schweif hängende Last abzuschütteln, aber vergebens. Berg auf, bergab, über Felsen und Waldbäche rannte er, wie rasend, umher, doch sein Begleiter, gleich einem Kobold, schwang sich mit ihm über jedes Hinderniß, oft an des Schweifes Spitze mehr in der Luft schwe- bend, als laufend. In kurzer Zeit ward das Thier von Angst und Rennen ermattet, und sank endlich am Fuß eines weiten Rasenabhanges, grade unter dem Ort, wo Mr. W … und sein Freund erstaunt dem Ausgang entgegensahen, völlig erschöpft und kraftlos nieder. Jetzt aber begann erst seine regel- mäßige Strafe, und wahrscheinlich ward dieses In- dividuum an dem Tage, für immer von seiner wil- den Laune kurirt. Denn nun gebrauchte der Hirt seinen, mit Blei ausgegossenen, und mit einer Eisen- spitze versehenen Stab, den er zu diesem Ende wohl- weislich beibehalten hatte, als Correktionsmittel, und damit den widerspenstigen Bullen fast lebendig ger- bend, zwang er ihn den Berg sich wieder hinanzu- schleppen, wo er zuletzt, zu Mr. W … Füßen, die Zunge weit aus dem Halse streckend, zum zweiten- male lechzend niedersank, und in diesem Zustande gänzlicher Machtlosigkeit von ihnen verlassen wurde. Der junge Bauer, den Mr. W … als ein Wunder jugendlicher Kraft und Agilität beschrieb, schien sei- nerseits nicht im Geringsten von der Jagd ermüdet, noch eitel auf seine That, sondern, ruhig den wegge- worfenen Pulversack und die Hundeleine wieder auf- suchend, verlor er kein Wort weiter über das Ver- gangene, als dem Obristen, indem er vergnügt mit den Augen winkte, zuzurufen: Now Master, don’t foryet the bottles! (Nun Herr, vergeßt die Flaschen nicht!) Herrlich muß eine Hetzjagd sich in diesen Felsen ausnehmen! bald auf der Höhe oder an ihren Seiten hinstürmend, bald Fuchs und Hunde über Abgründe setzend, oder Alles plötzlich, wie ein Schattenbild, in der Bergschlucht verschwindend. Col. W … sah einst eine solche Hungry-Hill, wo die ganze Meute unter dem Wasserfall durchjagte, ihr Heulen und Bellen mit dem Brausen der Wasser wild vermischend — bis zu- letzt Reinecke dasselbe Schicksal hatte, welches drei bis vier Hunde schon vorher betroffen, nämlich, von den glatten Felsen abzuglitschen, und unter der Jäger Gejubel, die unten im Wiesenkessel auf einem vor- stehenden Felsen der Jagd bequem zusahen, viele Hundert Fuß zu ihren Füßen herabzustürzen, wo alle seine List und alle seine Noth ein Ende fand. Soll ich nun noch mehr erzählen? Wohlan — noch einmal Hexen! sattelt mir den Pony — und dann Valet dem Lande der Mährchen, der Felsen und der seit Jahrtausenden an ihnen nagenden, noch immer ihre weißen Zähne fletschen- den, Wogen. — Sitze dann auf mit mir Julie! en croupe wie ein irländisches Mädchen, und folge mir schnell durch die Lüfte, zurück nach Iveragh, der Wildniß O’Connel’s. Freilich ist es ein Land der Adler und Geyer, stür- mender Wellen und abgerissener Felsen! aber dennoch giebt es dort einen Platz in Ballinskellig-Bay, ohn- fern O’Connel’s Schloßabtei, wo in alter Zeit mancher Tanz getanzt, und manche Heirath geschlossen wurde. Denn ruhig und lieblich war der einsame Fleck mit seinem sammtnen Boden, hohe Felswände schützten ihn vor dem Sturm, und glatter Sand, wie Atlas, senkte sich bei der Ebbe nach dem Meere hinab, das in der hellen Mondscheinnacht, gleich dem Reste der Schöpfung, zu schlummern schien, seine kleinsten Wel- len nur selten, vom Hauch des Zephyrs berührt, wie im Traume sich regend und kräuselnd. In einer solchen Nacht war es, daß Maurice Adair, der Piper Adair wird Adehr, Piper Peiper ausgesprochen. seinem Dudelsack die einladendsten Töne entlockte, und die Jugend von Iveragh das Fest ihres Heiligen, lustiger als je, mit Tanz und Frohsinn feierte. Maurice war ein schöner und rüstiger jun- ger Bursche — aber blind. Der Aermste hatte nie der Sonne Licht gesehen, und Tag und Nacht war ihm gleich. Seiner Phantasie schwebten aber dennoch undeutliche Bilder von Schȯnheit und herzbewegen- den Reizen vor, wenn sein Ohr die süßen Stimmen der Mȧdchen vernahm, oder seine Hand einen wei- chen Schwanenhals fühlte, oder auch, gleich Blumen- duft, ein rosiger Athem seine Wange berührte. Mau- rice war verliebt, aber noch ohne Gegenstand — und sein Sehnen wußte sich nur in Melodien zu ergießen, die im einsamen Gesang, oder den Lauten seiner bag pipe Ausgesprochen: Begpeip, der Dudelsack der Irländer, dem sie jedoch weit complizirtere Eigenschaften zu geben und sanftere Töne zu entlocken wissen, als die Wen- den, Polen ꝛc. dem ihrigen. A. d. H. gar anmuthig ertönten. Maurice’s Musik aber konnte noch weit mehr bewirken. Er hatte in seinem Instrumente einen Ton — der wunder- volle Ton genannt, und wie man glaubte, von einem Elfen erst hineingebannt — einen Ton, der, gleich Hüons Horn und gewiß von derselben Abstam- mung, Niemand hören konnte, ohne sogleich seine Tanzlust zur unwiderstehlichen Leidenschaft anwachsen zu fühlen. Wie manches junge Mädchen in der Stadt, das eben ihrem ersten Balle beiwohnt, und keinen solchen Stimulus bedarf, würde doch viel darum geben, im Besitz jenes Tones zu seyn, um die trägen Dandee’s zu ermuntern, von denen einer nach dem andern sich wegschleicht, oder auf dem Sopha liegt, dem dolce far niente hingegeben, statt sich mit ihr im Cottillon herumzudrehen. Hier, auf der mondbe- glänzten Wiese, bedurften jedoch die aufgeweckten Bauerbursche keines fremden, unwiderstehlichen Rei- zes. Hinlänglich war die Anregung ihrer eignen Lust, und Maurice, unermüdlich aufspielend, ergötzte sich selbst, in seinen lüsternen Gedanken, an dem, was die Andern in der Wirklichkeit, und deshalb vielleicht weniger innig genossen. Doch fing auch er endlich an, sich nach einiger Realität zu sehnen, und da Mu- sikanten nicht nur verliebter, sondern auch durstiger Natur zu seyn pflegen, irländische Musikanten aber ohne Zweifel beide Bedürfnisse in doppeltem Maße empfinden, so versäumte auch Maurice nicht, die an- genehmen Bilder seiner Phantasie gar fleißig mit heißem Whiskeypunsch zu erfrischen. Bald schien es ihm, als drehe sein Kopf sich noch schneller als die Briefe eines Verstorbenen. II. 4 wirbelnden Paare, ja ganz Iveragh schaukelte unter seinen Füßen. O, noch ein Glas, Kitty! und einen Kuß dazu, rief er stammelnd — aber Kitty, bange für des Tanzes Ende, wenn der Whiskey die bag pipe des Piper’s Händen entrisse, versagte standhaft den Labetrank. Immer heftiger bestand dieser auf seinem Begehren — doch Kitty blieb unerbittlich. „Wer soviel trinkt, braucht nicht zu küssen, und über- „dem mußt Du spielen, sagte sie, damit wir tan- „zen, und kaum kannst Du ja mehr die Finger rüh- „ren.“ Ich nicht mehr die Finger rühren? schrie Maurice entrüstet — nun so sollst Du, und ihr Alle, tanzen, bis ihr genug habt, und Euch mehr nach einem Tropfen Wasser sehnt, als ich jetzt nach einem Glase gesegneten Whiskeypunsches! Im Zorne hier- auf die bag pipe an sich drückend, erschallte laut und schmetternd — der wunderbare Ton — und augenblicklich, in wildem Getümmel, wirbelte alt und jung durcheinander. Aber sieh! das schlafende Meer selbst erwacht, und hervor kommen Krabben und See- krebse, eine zierliche Menuet auf dem glatten Sande executirend. Die Meerspinne tanzt vor, unnachahm- liche Pas mit ihren langen Beinen vollbringend, und Codfisch und Steinbutt, Schellfisch und Sohle balan- ciren auf ihren Schwänzen mit aller Grazie, die ihnen zu Gebote steht. Seehunde selbst versuchen den neuesten Gallopwalzer, und Austern, ihre Scha- len öffnend, gleiten dahin, mit dem Anstand einer Pariserin, die, die Ellenbogen ründend, beide Seiten ihrer Robe zierlich emporhebt. Staunend wurden diese ganz neuen Tänzer tanzend empfangen, unter denen sich Maurice, fortwährend blasend, und nichts von allem gewahrend, schadenfroh mit herumdrehte. Doch, da theilen sich nochmals die Fluthen, und her- vorschwebt, in wollüstig reizendem Tanz, die schönste der Meerjungfrauen. — Frisch wie der junge Morgen war ihr Antlitz, ihr langes Haar strömte herab über den schneeweißen Busen, gleich durchsichtigen Wellen, röther blühten die Lippen als des Oceans feurigste Corallen, blendender glänzten die Zähne als seine kostbarsten Perlen. Ihr silbernes Gewand aber schien gewebt aus dem Schaume der Wogen, mit unbe- kannten Seeblumen geschmückt, reicher schimmernd in brennenden Farben als Indiens funkelndster Edel- stein. Man sah ihr an, daß Damen, unter wie über dem Wasser, viel Sorge auf ihre Toilette verwenden, be- sonders wenn sie eine Eroberung beabsichtigen. Der Aussage der Augenzeugen nach, hatte man nie einen verführerischeren, coquetterern Anzug gesehen, als den ihrigen, der so gut Schönes zu enthüllen, und noch viel besser errathen zu lassen wußte. Nur der arme Maurice sah von alle dem nichts, und doch war er es, auf den allein die Seekönigin es abgesehen hatte, denn wenige Augenblicke nur waren vergangen, als in der Verwirrung des Tanzes, ihre Arme ihn sanft umfingen, und eine melodische Stimme in süßen Tönen ihm zurief: 4* Mein Reich ist das Meer, Und prachtvoll mein Schloß. Komm Maurice Adair, Komm schwing dich auf’s Roß. Das Seepferd, horch! schnaubet, Und harret auf Dich, Der das Herz mir geraubet Nun herrscht über mich! So komm denn, und eile, Geschmückt ist der Saal, — Nicht länger mehr weile — Und sey mein Gemahl! — Es scheint, daß Maurice dieser eindringenden Ein- ladung mit nicht weniger Empressement entgegen kam, denn, obgleich seine alte Mutter, die ebenfalls seit einer halben Stunde, wie rasend, umherspringen mußte, und schon beide Holzschuhe, nebst mehreren der wesentlichsten Kleidungsstücke verloren hatte — ihren letzten Athem anstrengte, ihm kläglich nachzu- rufen, doch um Gottes und St. Patricks Willen kei- nen Fisch zu heirathen, — obgleich sie, als letztes Argument, selbst anführte, daß sie ja künftig nicht einmal mehr Stockfisch mit zerlassener Butter essen könne, ohne fürchten zu müssen, vielleicht ihren eignen Enkel zu verspeisen — so war doch Alles umsonst! — „halb zog sie ihn, halb sank er hin“ und als der wundervolle Ton verhallte, und alle Tänzer er- mattet Luft schöpften, hatte bereits eine hohe Welle, welche während der ganzen Zeit hinter ihnen gestan- den (wahrscheinlich das erwähnte Leibroß der Köni- gin) beide verschlungen, und nur ein leises: „Lebewohl Mutter!“ das der Wind herübertrug, war der letzte Laut — den man je von Maurice dem Piper ver- nahm. Auch mein Brief schließt hiermit, liebe Julie; noch weiß ich nicht, woher ich Dir den nächsten adressiren werde, aber wenn Du meiner gedenkst, so sage Dir nur, daß ich mich nie wohler, und froher befand. Dein ewig treuer L .... Sechs und dreißigster Brief. Macroom den 5 ten October 1828. Geliebte Theure! Das Scheiden ward mir schwer — Du jedoch, die mich ganz wo anders hinwünschest, wirst gewiß sagen, daß ich schon viel zu lange geblieben — und so riß ich mich denn los, von den guten Leuten, und ihrem romantischen Wohnsitz. Es war grade Sonntag, und die alte Dame konnte sich nicht enthalten, ohngeach- tet ihrer sichtlichen Herzlichkeit für mich, strafend aus- zurufen: Aber wie ist es möglich, daß ein guter Mensch wie Sie, an einem Sonntag eine Reise antreten kann! Du weist, daß die englischen Prote- stanten schon von Jacob des I. Zeiten an, wo diese Vergötterung des Sonntags anfing, und bald wüthen- de Partheisache wurde, jetzt fast allgemein diesen Tag zu einem wahren Todtentage gestempelt haben, an dem Tanz, Musik und Gesang verpönt sind, so daß ganz Fromme selbst die Kanarienvögel verhängen, damit ihnen kein Singlaut in der heiligen Zeit ent- fahre. Auch darf kein Brod gebacken und kein nütz- liches Geschäft überhaupt verrichtet werden, — wohl aber mögen Trinken und andere Laster noch üppiger als an Wochentagen blühen, denn niemals liegen die Straßen mehr voller Betrunkenen als am Sonntag, und niemals sind, den Polizei-Aussagen nach, gewisse Häuser voller mit Besuchern angefüllt. Viele Eng- länder halten das Tanzen am Sonntage unbedingt für eine größere Sünde als blos etwas zu stehlen oder dergleichen, und ich las sogar in einer Geschichte von Whitby gedruckt , daß die dortige einst reiche Abtey habe untergehen müssen, weil die Mönche nicht nur jedes Laster, Mord und Nothzucht nicht ausge- nommen, sich erlaubt, sondern ihr verbrecherischer Abt, selbst am heiligen Sonntage habe arbeiten , und den Bau des Klosters fortsetzen lassen. Von diesem Wahne war denn auch die gute Mi- striß W .... angesteckt, und es ward mir ziemlich schwer, die begangene Sünde mit der dringendsten Nothwendigkeit zu entschuldigen. Um sie jedoch völ- lig zu besänftigen, fuhr ich vorher noch mit der gan- zen Familie, auf der Bay, zur Kirche nach B ...., welche nicht sehr außer meinem Wege lag. Ich er- zählte ihnen bei dieser Gelegenheit die seltsame Vision eines der Söhne meines früheren gütigen Wirthes, des Capitains B ....., der dadurch zum Uebergang zu der katholischen Kirche vermocht wurde. Er war, wie er mir selbst sagte, ein eben so eifriger Protestant, als Orangemann, und ging eines Tags, in Dublin, in die katholische Kirche, mehr um sich über die dort statt findenden Ceremonien lustig zu machen, als aus einem andern Grunde. Dennoch rührte ihn wider Willen die schöne Musik, und als er jetzt den Blick auf den Hochaltar zurückwarf, siehe — da stand der Erlöser selbst leibhaftig vor ihm, mit Engelsmilde das Auge fest auf ihn gerichtet, lächelte ihn freund- lich an, winkte mit der Hand, und schwebte dann langsam ihn fortwährend fest anblickend, zur Kuppel empor, bis er dort, von Engeln getragen, verschwand. Von diesem Augenblick an war B ..... überzeugt, ein besonderer Liebling Gottes zu seyn, und wenige Tage darauf trat er zu einer andern alleinseligma- chenden Kirche über (denn die orthodoxe englisch pro- testantische glaubt dieses Privilegium auch zu be- sitzen). Wie philosophisch urtheilten meine gläubigen Freunde über diese Bekehrung! Ist es möglich, rie- fen sie, welcher crasse Aberglaube! gewiß, das war entweder eine Fieberphantasie oder der Mensch ist ein Heuchler und hatte andere Gründe; entweder ist er toll, oder er erfand das Mährchen nur zu seinem Vortheil. O Menschen, Menschen! wie recht hat Christus, wenn er sagt: Ihr seht den Splitter im fremden Auge, und den Balken im eignen nicht! Gewiß, es geht uns Allen so, mehr oder weniger, und ich neh- me sicherlich Deinen armen Freund nicht von der all- gemeinen Regel aus. Wir trennten uns endlich, nicht ohne gegenseitige Rührung; worauf mich (dessen excentrische Art zu reisen übrigens den jungen Damen sehr gefiel) ein Bergkarren aufnahm, mit einem Gaule bespannt, der keineswegs eine glänzende apparence hatte. Die be- stimmte Tagereise betrug 30 Meilen, und begann äu- ßerst langsam. Nach einiger Zeit ward das elende Pferd beim Bergsteigen sogar stetisch, was mich ei- nigemal zwang, den Wagen zu verlassen, um nicht etwa in irgend einem Abgrund begraben zu werden. Das entetirte Thier mußte nun fortwȧhrend am Zau- me geführt werden, oder es weigerte sich einen Schritt weiter zu gehen. Eine ganze Weile trabte der Kut- scher rüstig daneben her, konnte es aber am Ende nicht länger aushalten, und der Himmel weiß, was aus uns geworden wäre, wenn wir nicht zum Glück einen Reiter begegnet hätten, der einwilligte, sein Pferd statt des unsrigen einzuspannen, mit welchem ich denn Macroom erst spät Abends erreichte. Unter- wegs stieß mir nichts Merkwürdiges auf, als der so- genannte Glen, ein langer und tiefer Felsenpaß, in dem, zu der Zeit der Verschwörung der white boy’s, Lord B. und Col. W .... von diesen, welche die Höhen besetzt hatten, überfallen wurden, und ihnen nur mit genauer Noth entgingen. Die white boy’s hatten ihre Maaßregeln sehr gut getroffen, und wäh- rend der Nacht einen großen Felsblock abgelöst, den sie beim Anmarsch der Truppen plötzlich mitten in den Weg herabrollen ließen, wodurch das gegen sie gesen- dete Cavallerie-Detachement nicht nur unvermuthet am weitern Vordringen gehindert wurde, sondern sich zugleich, von hinten abgeschnitten, in einer verzweif- lungsvollen Lage sah. Sehr viele kamen dabei um, die beiden genannten Gentlemens aber, welche vor- treffliche Hunters ritten, entkamen glücklich durch ihre Hülfe, indem sie sich einen fast impractikabeln Weg an den Felsabhängen bahnten, während ein unun- terbrochner Kugelregen auf sie herabsauste. Obrist W .... wurde jedoch nur leicht am Arme verwundet, Lord B. blieb ganz unversehrt. In der überaus wilden Gegend liegt, ohnfern von hier, ein großer See mit einer bebuschten Insel in seiner Mitte. Hier steht eine heilige Capelle, zu der alljährlich große Wallfahrten angestellt werden. Die vorgeru̇ckte Tageszeit erlaubte mir jedoch nicht, sie näher zu besichtigen. Macroom ist ein recht freundlicher Ort, mit einem schönen Schloß, dem Onkel der reizenden Afrikanerin (dem ihres Mannes eigentlich) gehörig. Sie hatte mir einen Brief an ihn mitgegeben, ich machte aber keinen Gebrauch davon, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Cork, den 6 ten. Sehr früh verließ ich Macroom, in einem Gingle, eine Art bedeckter Diligence mit zwei Pferden. Es regnete und stürmte wieder; denn, gute Julie, ich befinde mich überhaupt nicht mehr, wie die Irländer hübsch sagen: „an der Sonnenseite des Lebens.“ Drei Frauenzimmer waren mit mir im Wagen, und ein fünfjähriger großer Bengel, der sich sehr unnütz machte, und von seiner sonst recht hübschen und lebhaften Mama entsetzlich verzogen wurde. Ob- gleich er eine große Semmel und ein gleiches Stück Kuchen vor sich hatte, an denen er fortwährend speiste, und den Wagen mit Krumen und Brocken anfüllte, wurde doch seine üble Laune bei jeder Gelegenheit rege. Das Geschrei, welches er dann erhob, und das Getrampel seiner Füße, das er oft, ganz unbeküm- mert, auf den meinigen spielen ließ; die Begütigun- gen der Mutter und ihr zu Hülferufen des Mannes, der auf der Imperiale saß; dann ihre beständigen Bitten, doch einen Augenblick anzuhalten, weil dem armen Wurme vom Fahren übel geworden sey, oder weil er trinken, oder noch etwas anders thun müsse; zuletzt gar eine sich verbreitende mephytische Luft, welche die Mama selbst zwang die Fenster zu öffnen, die sie bisher, aus Furcht, der Kleine möchte sich, ohngeachtet seines Pelzes, erkälten, stets hermetisch zugehalten hatte; — es war eine wahre Gedulds- probe! Auch für sich schien die junge Frau eben so ängstlich als für ihr Kind, denn so oft der Wagen etwas auf die Seite hing, fing sie an zu schreien, und klammerte sich, mir fast um den Hals fallend, mit beiden Händen an mich an. Dies war noch das erträglichste meiner Leiden, und es belustigte mich deshalb, ihre Angst oft ein wenig zu vermehren. In den Zwischenakten erklärte sie mir mit vielem Patrio- tismus die Merkwürdigkeiten der Gegend, machte mich auf die schönen Ruinen aufmerksam, und er- zählte mir ihre Geschichte. Zuletzt zeigte sie mir einen, mitten im Felde stehenden, spitzen und thurm- artigen Stein, und sagte, daß diesen ein Dänenkönig von dort über den See geworfen habe, um seine Stärke zu zeigen. Auch ihr Mann mußte von der Imperiale herunter, um diesen Stein zu bewundern, wobei sie ihm spottend verwies, daß die jetzigen Männer, wie er z. B., nur elende Schwȧchlinge gegen jene Riesen wȧren . Zugleich übergab sie ihm den Jungen, um ihn bei Seite zu tragen. Der Aermste machte ein langes Gesicht, zog die Nachtmütze über die Ohren und folgte geduldig dem Befehl. Das Land wird jetzt sehr fruchtbar, voll reicher Feldfluren; hie und da sieht man stattliche Landsitze. Cork selbst liegt in einer tiefen Schlucht, höchst male- risch, am Meer. Es hat ein alterthümliches Ansehn, welches noch origineller durch die Bekleidung vieler Häuser über und über mit schuppenartigen Schiefer- panzern wird. Prachtvolle Gebäude sind die beiden neuen Gefȧngnisse , das der Stadt, und das der Graf- schaft, wovon das eine im antiken Geschmack, das andere im gothischen Styl aufgeführt ist, und einer großen Festung ähnlich sieht. Nachdem ich gefrühstückt, und mehrere kleine Häus- lichkeiten besorgt hatte, miethete ich ein sogenanntes Wallfischboot (schmal und spitz an beiden Enden, und daher sicherer und schneller als andere) und segelte bei gutem Winde, in der Bay, welche the river of Cork genannt wird, nach Cove, wo ich mir vornahm, zu Mittag zu speisen. Ein Theil dieser, ohngefähr eine Viertelstunde breiten Bucht, bildet für Cork, von der Meerseite, eine der schönsten Entreen in der Welt! Beide Ufer bestehen aus sehr hohen Hügeln, die mit Pallästen, Villen, Landhäusern, Parks und Gärten bedeckt sind. Auf jeder Seite bilden sie, in ungleicher Höhe sich erhebend, die reichste, stets ab- wechselnde Einfassung. Nach und nach tritt dann, in der Mitte des Gemäldes, die Stadt langsam her- vor, und endet auf dem höchsten Berge, der den Ho- rizont zugleich schließt, mit der imponirenden Masse der Militairbaracken. So ist der Anblick von der See aus. Nach Cove zu, verändert er sich öfters, nachdem die Krümmungen des Canals die Gegen- stände anders vorschieben. Die eine dieser Aussichten schloß sich ungemein schön mit einem gothischen Schloß, das auf den, hier weit hervorspringenden Felsen, mit vielem Geschmack von der Stadtcommune erbaut worden ist. Durch die vortreffliche Lage gewinnt es nicht nur an Bedeutung, sondern es erscheint, wenn ich mich so ausdrücken darf, wie natürlich dort, wäh- rend dergleichen, an andern Orten, so oft nur als ein unangenehmes hors d’oeuvre auffällt. Obwohl ich glaube, daß wir den Engländern in der edlern Baukunst überlegen sind, so fehlen wir doch darin, daß wir bei unsern Gebäuden viel zu wenig die Um- gebung und die Landschaft umher berücksichtigen. Diese aber ist es grade, welche größtentheils für den zu wählenden Styl entscheiden sollte. Die Burg hier schien für irgend einen alten See- helden bestimmt, denn der Eingang war blos vom Meer aus angebracht. Ein colossales Thor, mit Wap- pen verziert, in das die Fluthen bis an den Fuß der Treppe drangen, wölbte sich über der schwarzen Oeff- nung. Ich dachte mir Folko mit den Geyerflügeln, wie er eben von einem gewonnenen Seetreffen hier- her zurückkehrt, und belebte mir das Meer mit Phan- tasiebildern aus Fouque’s Zauberring. Wir segelten hierauf mit gutem Winde bei Passage, einem Fischerdorf, und Morkstown vorbei, das sei- nen Namen (Mönchsstadt) von einer, im Walde dar- über liegenden, Klosterruine herschreibt. Hier fing der, eine Zeit lang unterbrochne Regen, wieder an, gab aber diesmal Gelegenheit zu einer herrlichen Naturscene. Wir wandten uns, bei der Insel Ar- boulen, in die enge Bay von Cove, die einen sehr schönen Anblick gewährte, denn ihren Eingang bildet links eine hohe Küste mit Häusern und Gärten, rechts die genannte Berginsel, auf der ein Fort, weit- läuftige Marinegebäude und Storehäuser stehen, die das Material für die Seemacht enthalten; vor uns aber, in der Bay selbst, lagen mehrere Linienschiffe und Fregatten der königlichen Flotte, nebst einem zweiten Deportirtenschiff vor Anker, und hinter diesen erhob sich die Stadt Cove, stufenweise am Berge auf- gebaut. Indem wir dies alles eben ansichtig wur- den, trat, an einem feuergelben Fleck des Himmels hinter uns, die dem Untergehen nahe Sonne, unter den regnenden Wolken hervor, während vorn sich ein Regenbogen, so vollständig und tiefgefärbt, als ich ihn nie mich erinnere gesehen zu haben, über den Eingang der Bay spannte, aus dem Meere empor wachsend und wieder in dasselbe herabsinkend, gleich einer Blumenpforte, Himmel und Erde zu verbinden bestimmt. Innerhalb seines riesenhaften Halbkreises erschien das Meer und die Schiffe, die ein Berg in unsern Rücken schon vor der Sonne deckte, ganz schwarz, wogegen die abendlichen Strahlen, über das höhere Amphitheater von Cove, eine solche Glorie von Licht ergossen, daß die darin schwebenden See- möven wie klares Silber schimmerten, und jedes Fen- ster in der, den Felsen hinansteigenden, Stadt, wie glitzerndes Gold erglänzte. Dieser unbeschreiblich schöne Anblick hielt nicht nur in derselben Beleuch- tung aus, während wir einfuhren, sondern, kurz vor dem Landen, verdoppelte sich der Regenbogen sogar, beide Bögen in gleicher Schönheit der Farben bren- nend, worauf aber auch beide, als wir noch kaum den Fuß ans Ufer gesetzt, fast im Augenblick ver- schwanden. Ich etablirte mich nun sehr vergnügt am Fenster des kleinen Gasthofs, in der Hoffnung, eine vortreff- liche Fastenmahlzeit mit den delikatesten frischen Fischen zu machen. Es blieb aber blos beim Fa- sten , denn auch nicht ein Fisch, noch Auster, oder Muschel war zu bekommen. In den kleinen Fischer- orten am Meer begegnet dies häufiger, als man glaubt, weil alles Disponible sogleich zum Verkauf in die großen Städte gebracht wird. In dieser Hinsicht war also mein Zweck schlecht erreicht, und ich mußte mich mit den gewöhnlichen, in englischen Gasthȧu- sern unsterblichen, „mutton chops“ begnügen. Doch ließ ich mir meine Laune dadurch nicht verderben, las ein Paar alte Zeitungen, deren ich lange nicht gesehen, zum kärglichen Male, und trat, nach schon eingebrochner Dunkelheit, meinen Rückweg zu Lande an. Ein offner Karren mit Strohsitz war Alles was ich mir verschaffen konnte; der Wind blies kalt und heftig, und ich war genöthigt, mich dicht in meinen Mantel zu hüllen. Wir cotogirten das Meer in ziemlicher Höhe, und die vielen Lichter der Schiffe und Marinegebäude unter uns, glichen einer reichen Illumination. Fünf flackernde Flammen tanzten wie Irrwische auf dem schwarzen Schiffe der Deportirten, und ein Kanonenschuß, der vom Wachtschiff gefeuert wurde, donnerte dumpftönend durch die Stille der Nacht. Als diese Aussicht verschwand, wendete ich meine Aufmerksamkeit erst auf den ungemein klaren Stern- himmel. Wer kann lange in die hehre Pracht dieser flimmernden Weltkörper blicken, ohne von den tiefsten und süßesten Gefühlen durchdrungen zu werden! Es sind die Charaktere, mit denen Gott von jeher am deutlichsten mit den Menschenseelen gesprochen hat. Und doch hatte ich der himmlischen Lichter nicht ge- dacht, so lange noch die irdischen glänzten! aber so geht es immer auf der Erde — erst wo diese uns verläßt, suchen wir den Himmel auf. Sie liegt uns ja auch näher, und ihre Autorität bleibt für uns die mȧchtigste — grade wie der Bauer mehr von der Person des Amtmanns, als der des Königs, in Zaum gehalten wird; der Soldat sich mehr vor seinem Lieutenant fürchtet, als dem General en chef; der Hofmann mehr dem Günstling, als dem Monarchen die Cour macht, und endlich der Fromme .... doch wir wollen darüber nicht weiter philosophiren, liebe Julie, denn Dir brauche ich es ja nicht zu wiederho- len: qu’il ne faut pas prendre le valet pour le Roi. —. Den 7 ten. Wie ich aus den Zeitungen sehe, trübt sich der po- litische Himmel immer mehr. O, wäre ich jetzt dort! in jenen von den unsern so verschiedenen Regionen, mitkämpfend in den Reihen der bisherigen Arriere- Garde der Civilisation, welche sich nun umdreht, um als Avantgarde sie den Barbaren mit dem Schwerdt in der Faust zuzubringen, und im Lehren immer Briefe eines Verstorbenen. II. 5 besser selbst lernend, vielleicht sich bald an die Spitze des ganzen alternden Welttheils stellen wird. Nicht zu berechnende Folgen kann, muß dieser Krieg ha- ben. — Es ist kein gewöhnlicher Türkenkrieg mehr. Alle Zeichen verkünden in ihm den Beginn einer neuen Weltepoche, und sollte auch das europäische Interesse schwerlich jetzt noch keine Hauptcrisis gestat- ten, so wird er doch der erste der magnetischen Striche seyn (das baquet bilden die russischen Kanonen) von denen der, seit so vielen Jahrhunderten, wie im unbe- weglichen Grabe schlummernde Orient, zum Hellse- hen zu erwachen bestimmt ist. Wie unermüdlich wird hier Wirkung und Wechselwirkung seyn, und welche Geheimnisse wird der Magnetisirte dem Magnetiseur verrathen! In Europa aber nimmt Cultur und Politik einen solchen Weg, daß hier der letzte Akt des Dramas uns- rer Zeit sich wahrscheinlich nur mit einem allgemeinen commerziellen Kampf gegen England schließen kann, dem stolzen England, dessen Handels-Universal-Mo- narchie schwereren Tribut von uns erhebt, als aller militairische Druck weiland Napoleons. Gewiß hatte dieser Heros bei seinem Continental-Systeme die rich- tige Ansicht gefaßt, woran es eigentlich Europa Noth thue. Er glich nur einem zu gewaltsamen Arzte, der vorläufig seinem Patienten Hȧnde und Füße bindet, um ihm die, seiner Meinung nach, heilsame Medizin sofort bongré malgré einzuflößen. Es war daher sehr natürlich, daß sich der Patient, sobald er konnte, losgerissen, und den Arzt zur Thüre hinausgeworfen hat. — ob er aber dennoch in der Folge die Cur nicht auf diese oder jene Art von neuem und freiwillig wird wieder anfangen müssen, ist eine andere Frage. Eng- land hat uns in der Civilisation vorgeleuchtet, und ist dadurch größer und mächtiger als Alle geworden, aber grade deshalb trägt es auch, nach den unwan- delbaren Gesetzen der Natur, die hier Vollkommen- heit des Einzelnen nicht gestattet, wieder den Keim früheren Verwelkens in sich. Unverträgliche alte und neue Elemente von gleicher Gewalt, die sich in ihm bekämpfen, müssen es über kurz oder lang von dem Gipfel herabziehen, auf dem es jetzt noch glänzt. Es wird dann, im Laufe der Civilisation, Andern zum Schemel dienen, (ja vielleicht geschah es schon) die nächste Stufe zu erklimmen, nachdem es lange selbst auf der höchsten wohnte, denn alles Irdische hat seine zugemessene Zeit. Ist der Culminationspunkt ein- mal erreicht, so geht ohnfehlbar die Rückkehr an — und fast scheint es, als sey die Epoche von Waterlow und der Sturz Napoleons ein solcher für England gewesen. Sonderbar bleibt es immer, daß von jenen Inseln her die mächtigste Quelle der Freiheit und Aufklä- rung uns zuströmte, und wir dennoch fremde Des- potie grade dort zuletzt werden bekämpfen müssen. Diese scheinbare Undankbarkeit herrscht aber fast überall in der Geschichte. Einiges Nachdenken er- klärt und rechtfertigt sie. 5* Michelstown, den 9 ten früh. Um vier Uhr Nachmittags verließ ich gestern Cork, in der Mail, neben dem Kutscher sitzend, dessen vier Pferde ich gelegentlich dirigirte. Bis eine Stunde von der Stadt ist die Gegend pittoresk, nachher schien sie ziemlich uninteressant, auch ward es bald dunkel. Nach einigen Stationen verließen uns die meisten Passagiere, und ich setzte mich in den Wagen, wo mir ein dreistündiges tête à tête mit einer Dame bescheert wurde — leider war sie indessen siebenzig Jahre alt, und eine Puritanerin, aber wie es schien keine Puristin. Diese unangenehme Gesellschaft, so wie die Lobeserhebungen, welche ein früherer Reise- gefährte mir von dem neu erbauten gothischen Schlosse zu Michelstown gemacht, bewogen mich, mitten in der Nacht, die Mail zu verlassen, und hier den Mor- gen zu erwarten. Um 7 Uhr weckte man mich, um das gepriesene Wunderwerk in Augenschein zu neh- men. Ich fand mich aber sehr getäuscht, so wie ei- nige andere Fremde, die derselbe Zweck hierher ge- führt hatte. Man zeigte uns allerdings einen großen und kostbaren Steinhaufen, der dem Besitzer 50,000 Pf. St. aufzuführen gekostet hatte, ein Hauptingredienz war aber dabei vergessen worden, nämlich guter Ge- schmack. Das Gebäude ist erstens viel zu hoch für seine Ausdehnung, hat nur Confusion im Styl, ohne Varietät, eine schwerfällige Außenlinie, und machte überhaupt einen kleinen Effekt mit großer Masse. Dazu stand es kahl auf dem Rasen, ohne irgend eine malerische Unterbrechung, welche Schlösser im gothi- schen oder verwandten Styl grade am meisten be- dürfen; auch der unansehnliche Park besaß weder eine schöne Baumgruppe, noch eine erwähnungswer- the Aussicht. Ich habe so viel Worte über dieses manquirte Werk verloren, weil es, des Namens des Besitzers, und der großen Kosten seines Baues wegen, eine ge- wisse Reputation in Irland hat. Wie unendlich über- legen ist ihm jedoch die, vielleicht mit dem achten Theil dieser Mittel ausgeführte, Anlage meines gu- ten Col. W . . . ., welche niemand kennt. Die innere Verzierung des Schlosses glich seinem Aeußern; in fünf Minuten hatten wir völlig genug daran, und da man zwar von einer schönen Aussicht auf der Höhe des Thurms sprach, aber den Schlüssel dazu nicht finden konnte, so kehrten wir Alle verdrüß- lich in den Gasthof zurück. Hier erzählte mir beim Frühstück einer der Fremden allerlei Interessantes über die hiesige Gegend und Menschen. Lord K …, sagte er, unter anderm, hat selbst und in seiner Fa- milie ungewöhnliche Avantüren erlebt. Er ist jetzt als einer der eifrigsten Orangemen mehr gefürchtet als geliebt. Sein Vater wurde, erst zwölf Jahr alt, mit der zehnjährigen Erbin alles des jetzt von der Familie besessenen Vermögens vermählt, wobei Hof- meister und Gouvernante die Instruction erhielten, die jungen Eheleute wohl bewachen, und vor jedem tête à tête bewahren zu lassen. Indessen „So- mehow or other“ wie mein Irländer sagte, kamen sie drei Jahr später dennoch einmal zusammen, und der jetzige Lord war das Resultat dieser kleinen equi- pée. In der Folge bekamen sie noch mehrere Kinder, von denen ich, beiläufig gesagt, einen Sohn in Wien kannte. Er war ein ausgezeichnet schöner Mann, und berühmt durch seine bonnes fortunes; damals der erklärte Liebhaber der Herzogin von . . . . die er mit so wenig gêne behandelte, daß, als er mich einst in dem Hotel, wo beide wohnten, zum Früh- stück eingeladen hatte, ich die Herzogin allein dort antraf, während er selbst erst später, aus seiner, oder ihrer, Schlafstube, ich weiß nicht welcher, im Schlaf- rock und Pantoffeln eintrat. Das jüngste Kind des Lord’s war eins der reizend- sten Mädchen in Irland geworden. Sie zählte erst sechzehn Jahr, als sich ein Vetter von mütterlicher Seite, ein verheiratheter Mann, mit Namen F …, ebenfalls in dem Ruf ein unwiderstehlicher Weiber- verführer zu seyn, in sie verliebte, und auch diesen Ruf so glänzend bei ihr bestätigte, daß er sie, die angebetete Tochter des mächtigen Grafen, vermochte — nicht nur ihm ihre Unschuld zu opfern, sondern sogar als förmliche Maitresse nach England zu beglei- ten, wo er beinahe ein Jahr lang, erst verborgen, mit ihr lebte, zuletzt aber die Effronterie hatte, sie nach einem der besuchtesten Badeörter zu bringen. Hier wurde natürlich ihr Aufenthalt entdeckt, und sie zum zweitenmal, aber diesmal auf Befehl ihres Va- ters, entführt, und im Norden Englands in sichern Verwahrsam gebracht. F . . . ., vielleicht nur durch den erfahrenen Widerstand der Familie angeregt, be- schloß, sie, es koste was es wolle, wieder in seine Gewalt zu bekommen, und da er glaubte, man habe sie auf die väterlichen Besitzungen zurückgebracht, eilte er unverzüglich, durch eine Verkleidung gänzlich entstellt, nach Irland. Hier logirte er sich in dem- selben Gasthof ein, in dem wir jetzt eben frühstück- ten, und suchte den Aufenthalt seiner Geliebten zu erspähen. Seine gelegentlichen Erkundigungen, sein ganzes geheimnißvolles Benehmen, und der unglück- liche Umstand, daß ein früherer Bekannter von ihm äußerte, er habe nie eine größere Aehnlichkeit gese- hen, als zwischen dem Fremden und dem berüchtigten F … statt finde — erweckten den Argwohn des Wirths, welcher sogleich sich aufmachte, um Lord K . . . . seinen Verdacht mitzutheilen. Dieser em- pfing die Mittheilung scheinbar ganz gelassen, und empfahl dem Angeber blos die größte Verschwiegen- heit. Dann frug er, zu welcher Zeit der bewußte Fremde gewöhnlich aufzustehen pflege, und als er vernahm, daß dies nie vor acht Uhr der Fall sey — entließ er den Wirth mit einem Geschenk, und setzte hinzu, daß er morgen früh um sechs Uhr selbst die Sache untersuchen werde, wo er ihn bäte, seiner allein zu warten. Der Morgen kam, und mit ihm pünktlich der Graf. Ohne weitere Umstände, stieg er, in Begleitung des Wirths, die Treppe hin- an, und verlangte von des Fremden Diener, ihm augenblicklich das Zimmer seines Herrn zu öffnen; als dieser sich weigerte, brach er selbst die Thüre mit einem kräftigen Fußstoße ein, ging dann zum Bette, wo F …, vom Lärm aufgeschreckt, sich eben aufrichtete, sah ihn fest an, zog, als er an seiner Identität keinen Zweifel mehr hegte, ein Pistol aus der Tasche — und zerschmetterte ganz ruhig dem mo- dernen Don Juan den Kopf, dessen Leichnam ohne einen Laut in das Bett zurücksank. — Die Folge be- weist, wie leicht es in England die Gesetze einem Vornehmen und Mächtigen machen, sich ihnen zu entziehen, wenn kein noch Größerer da ist, der ein Interesse hat, Rechenschaft von ihm zu fordern. Lord K … wurde zwar in Untersuchung gezogen — da er aber Sorge getragen, sich mit den einzigen beiden Zeugen zu arrangiren und sie in Folge dessen zu ent- fernen, so ward er, wegen Mangel eines Klägers und Beweises freigesprochen. Für dieselbe Sache darf nun in England Niemand, der einmal „aquitted“ (freigesprochen) ist, von neuem in Anspruch genom- men werden. Es war daher von diesem Augenblick an, ohngeachtet des ganz offenkundigen Mordes, alle Gefahr einer Bestrafung für den Grafen vorüber. Das junge Mädchen soll bald nachher ganz verschollen oder gestorben seyn, Lord K . . . . überlebte sie aber lange, im späten Alter noch dafür berüchtigt, die schönsten Maitressen zu haben, von de- nen er auf jeder seiner Besitzungen Eine hielt. Die Folge dieser Unregelmäßigkeiten war endlich eine Trennung von seiner Gemahlin, und die erbitterte- sten Streitigkeiten zwischen ihm und ihr, die bis zu seinem Tode dauerten. Unterdessen hatte sein ältester Sohn, der jetzige Earl, sich, gegen des Vaters Wil- len, noch unmündig in Sizilien verheirathet, bereits drei Kinder mit seiner jungen Frau gezeugt, und gänzlich von seinem Vaterlande getrennt, als plötzlich eine höchst liebreiche Einladung des alten Lords, die alles Vergangne zu vergeben und zu vergessen ver- sprach, bei ihm eintraf und ihn mit seiner ganzen Fa- milie zur Rückkehr bewog. Kaum angekommen in- deß, ward durch seines Vaters Einfluß seine Ehe für ungültig erklärt, und cassirt, die Mutter zu Hause geschickt, und über die Kinder, als uneheliche, in England disponirt. Der Sohn scheint sich, wider Erwarten, ohne viele Mühe den Ansichten seines Vaters gefügt zu haben, denn nicht lange darauf heirathete er gleichfalls eine reiche Erbin, und führte, nach des alten Grafen Tode, einen noch erbitterte- ren Prozeß mit seiner Mutter als jener, um sogleich, in den, ihm von ihr verweigerten Besitz, ihrer Güter zu treten. Er konnte jedoch seinen Willen hierin nicht durchsetzen, eben so wenig wie sie später den ihrigen, ihn gänzlich zu enterben. Welches Sittengemälde der Vornehmen des achtzehn- ten Jahrhunderts! Cashel spät Abends. Der kommunikative Fremde setzte die Reise mit mir bis Cashel fort. Das Wetter war leidlich, d. h. es regnete nicht — und das war in diesem nassen Lande hinlänglich, den guten Freund neben mir einmal über das andere ausrufen zu machen: What a delight- ful day! vohat levely weather! Welcher himmlische Tag, welch liebliches Wetter! A. d. H. Ich zog vor, einen Theil des Wegs zu Fuß zu gehen, wobei ein großer, achtzehnjähriger, comme de raison zerlump- ter, Bursche, mir zum Führer diente. Er ging sehr beschwerlich, in einer Art Pantoffeln; und schien an den Füßen verwundet, als ich ihn aber deshalb be- fragte, antwortete er: O nein, ich habe blos Schuhe angezogen, weil ich Militair werden will, und ich mich daher sachte daran gewöhnen muß, Schuhe zu tragen. Es geht sich aber so verzweifelt schlecht in den Dingern, daß ich gar nicht fortkommen kann! Nach meiner Art, die keine Auskunft verschmäht, oft aber, selbst in der Unterhaltung mit dem Ge- meinsten, einige brauchbare Aehren aufliest, erkun- digte ich mich bei meinem Führer nach dem jetzigen Zustande der Provinz. „Ja,“ sagte er, „hier ist es noch ruhig, aber in Tipperary, wo wir jetzt bald hinkommen werden, besonders weiter hin nach Nor- den, da wissen sie den Orangemen wohl die Spitze zu bieten. Dort haben uns O’Connel und die Asso- ciation ordentlich wie Truppen organisirt. Ich ge- höre auch dazu, und habe auch zu Hause meine Uni- form. Wenn ihr mich so sähet, würdet ihr mich kaum wieder kennen; vor drei Wochen waren wir alle dort, über 40,000 Mann zusammen, um Revue über uns halten zu lassen. Wir hatten alle grüne Jacken an, die sich jeder anschaffen muß, so gut er kann, und mit der Inschrift auf dem Arm: „King George and O’Connel.“ Unsre Offiziere haben wir selbst gewählt; die exerziren uns, und wir können schon marschieren und schwenken wie die Rothröcke. Waffen hatten wir freilich nicht, aber . . . . . . die würden sich auch wohl finden — wenn O’Connel nur wollte. Fahnen hatten wir, und wer sie verließ, oder sich betrank, den warfen wir ins Wasser, bis er wieder nüchtern wurde. So was ist aber selten vorgekommen. Man nennt uns nur O’Connels Miliz.“ Das Gouvernement hat seitdem weislich diese Heerschau verboten, und mein angehender Volks- soldat war wüthend auf Lord K . . . . . . der alle seine tenants (kleine Pächter, die in Irland, fast mehr als Leibeigne, von Lords abhängig sind) welche bei der Revue gegenwärtig gewesen waren, hatte ar- retiren lassen. „Aber,“ fügte er hinzu, „jede Stunde, die sie im Gefängniß sitzen, soll dem Tyrannen be- zahlt werden, den wir lieber todt wie lebendig sähen. Wären sie hier in Cork nur nicht solche zahme Schaafe! in Tipperary hätten sie ihm längst das Handwerk gelegt. O’Connel kömmt auch nie hier durch, wenn es auch sein nächster Weg ist, denn er kann Lord K . . . .’s Gesicht nicht vor seinen Augen leiden.“ So arbeitet überall der Partheigeist, und so wohl unterrichtet von seinen Affairen ist das bettelnde Volk ! Die Fahrt bis Cahir war von geringem Interesse. Die Straße führt zwar zwischen zwei Bergketten hin, den Galteés und den Knockmildown ‒ mountains, da aber die weite Ebne, welche sie trennt, nur we- nig Bäume und Abwechselung bietet, so sind die Aussichten ohne Reiz. Mein Reisegefährte zeigte mir einen hohen Pik der Galte é s, wo man den renomirtesten Sporstman Sporstman, sport, ist eben so unübersetzbar, wie Gentleman; es heißt keinesweges blos Jäger, sondern einen Mann der alle Vergnügungen dieser Art, oder auch nur mehrere davon, mit Leidenschaft und Ge- schick treibt. Boxen, Pferderennen, Entenschießen, Fuchshetzen, Hahnenkämpfe ꝛc., alles ist sport. A. d. H. der Gegend mit seinem Hunde und seiner Flinte auf dem höchsten Gipfel begraben hat. Nicht weit davon sind unterirdische Höhlen, voller Stalaktiten, die eine noch unergründete Ausdehnung haben sollen. Sie werden aber nur in der heißesten Jahreszeit besucht, da sie während den übrigen zu sehr mit Wasser angefüllt sind. In Cahir, dem Lord Glengall gehörig, welchem die Londner Carrikaturen voriges Jahr so übel mit- spielten, ist ein sehr schöner Park. Er beginnt mit der imposanten Ruine eines Schlosses König Jo- hanns, auf dessen verfallnem Thurm Lord Glengall jetzt seine Fahne hat aufstecken lassen. Am andern Ende des Parks findet man den Contrast zur Ruine, nämlich eine cottage ornée, in welcher der Besitzer, wenn er hier ist, wohnt. Die Lage dieser Cottage ist so reizend, und gut gewählt, daß sie eine etwas nähere Beschreibung verdient. Der ganze Park wird nämlich, von der Stadt und Johanns-Schloß an- fangend, durch ein sehr langes, und verhältnißmäßig nicht breites Thal gebildet, mit einem Fluße, der sich durch die Wiesen windet. Baumgruppen und Wäldchen wechseln auf diesen letztern lieblich mitein- ander ab, und zwei Wege führen an beiden Seiten dem Fluß entlang. Die das Thal einschließenden Bergrücken sind ganz mit Wald bewachsen, in wel- chem ebenfalls Wege angebracht sind. Gegen das Ende des Parkes, der ohngefähr eine Stunde lang ist, öffnet sich die Schlucht, und erschließt eine schöne Aussicht auf das höhere Galte é -Gebürge. Bevor man aber dahin gelangt, steht, grade in der Mitte des Thals, ein isolirter langer Hügel auf dem Wie- sengrunde. Auf diesen ist die Cottage erbaut, mehr als Zweidrittel derselben vom Walde verborgen, wel- cher den ganzen Berg bedeckt. In diesen Gebüschen ist der pleas ureground, Pleas ureground (Vergnügungs-Grund) ist eine von Barrieren eingeschloßene, sorgfältig gepflegte, und und alle Gärten ange- bracht, nebst blumenreichen Promenaden, die auf beiden Seiten die schönsten Aussichten des Thales entfalten. Auf den entfernten hohen Bergen werden mehrere Schloß- und Abteiruinen sichtbar, in der Nähe aber ist alles Ruhe, ländliche Stille und freundlicher Blüthen-Schmuck, selbst noch im Winter . Als ich zum Essen in den Gasthof zurückkehrte, er- zählte mir der Wirth, als eine große Neuigkeit, daß in Cashel der Wagen eines fremden Prinzen mit seinen Leuten schon seit 14 Tagen auf ihn warte, der Prinz aber eine geheime Reise, man sage zu O’Con- nel, angetreten, und daß die ganze Gegend in Auf- ruhr und voller Neugierde deshalb sey. Viele mein- ten, er sey vom Könige von Frankreich mit geheimen Aufträgen an O’Connel geschickt; einige aber hätten ihn selbst schon in Limmerick gesehen, und behaupte- ten, es sey ein Sohn von Napoleon. Während der Wirth dieses und noch mehreren Un- sinn dieser Art debitirte, ohne zu ahnen, daß er mit der personnage selbst spräche, die eben auf einem Karren angekommen war, meldete er mir zugleich, daß der zweite Karren (die einzige Art hier fortzu- kommen) eben angespannt werde, um mich weiter zu mit Blumen geschmückte Partie des Parks, das Mit- tel zwischen dem Park und den eigentlichen Gärten haltend. A. d. H. befördern. Ich machte mich also auf, und hatte bald nachher Gelegenheit zu neuen philosophischen Betrach- tungen, indem ich an dem Pferde, das mich zog, die wunderbare Macht der Gewohnheit studirte. Es war ein sehr williges und gutes Thier, aber sobald es den Ort erreichte, wo es seit 15 Jahren ge- tränkt wird, hielt es an der bestimmten Stelle plotz- lich von selbst an, und Feuer hätte es nicht eher zu einem Schritt weiter vermocht, bis es seinen Trunk Wasser erhalten hatte. Dann bedurfte es keiner wei- tern Antreibung, dasselbe Manöuvre wiederholte es später, als wir dem Retourkarren begegneten, wo immer angehalten zu werden pflegt, um Nachrichten auszutauschen. Wie plötzlich gelähmt, parirte es auf der Stelle, und ging sogleich von selbst weiter, so- bald die Kutscher sich hinter ihm die Hände geschüt- telt. Wirklich, dies ist das ganze große Geheimniß der Erziehung beim Menschen und Vieh — Gewohn- heit, voilà tout . Die Chinesen sind ein Beispiel da- von, und ich erinnere mich, daß mir einmal in Lon- don der bekannte Ambassadeur einer großen Nation sehr weitläuftig auseinander setzte, daß diese chine- sische Staatsverfassung eigentlich die beste und zweck- mäßigste sey, weil dort stets Alles beim Alten bliebe. C’est plus commode poura ceux qui rêgnent, il n’y a pas de doute . Um sieben Uhr erreichte ich Casbel und passirte vorher den Suir, einen Fluß, der die Blume Ir- lands genannt wird, denn an seinen Ufern liegen die reichsten Fluren, und die schönsten Landgüter. Ich fand im Gasthofe einen entsetzlichen trouble, weil eben einer der liberalen Clubbs „meeting“ und folglich auch dinner hatte. Ohne dinner geschieht nichts, irgend Feierliches, in England, es mag nun religieuser, politischer, belletristi- scher oder irgend andrer Natur seyn, vom königlichen Gastmahl bis zur Henkersmahlzeit herab. Anm. d. H. Man ließ mir kaum Zeit, meine Stube zu betreten, als auch schon der Präsident in propria persona nebst einer Deputa- tion ankam, um mich einzuladen, dem diné beizu- wohnen. Ich bat inständig, mich mit der Ermüdung von der Reise und einem heftigen Kopfweh zu ent- schuldigen, versprach aber beim Dessert zu erscheinen, weil ich selbst neugierig war, ihr Treiben von nahem zu sehen. Der Clubb hatte einer recht vernünftigen Absich t sein Entstehen zu verdanken, denn er war aus Katholiken und Protestanten zugleich zusammen- gesetzt, die sich vorgenommen, an der Versöhnung beider Theile zu arbeiten, und zugleich für Erlan- gung der „Emancipation“ nach Kräften mitzuwirken. Als ich eintrat, fand ich ohngefähr 80—100 Personen an einer langen Tafel sitzend, die alle aufstanden, während der Präsident mich an die Spitze des Ti- sches führte. Ich hielt ihnen eine dankende kleine Anrede, worauf meine Gesundheit getrunken wurde, die ich erwiederte. Unzählige andere folgten, immer von Reden begleitet. Die Beredsamkeit der Spre- chenden war jedoch nicht sehr ausgezeichnet, und die- selben Gemeinplätze wurden fortwährend, nur mit andern Worten, wiederholt. Nach einer halben Stunde nahm ich daher einen günstigen Moment wahr, um mich zu beurlauben. Gestatte mir das- selbe, da ich sehr ermüdet bin. Von Dir habe ich nun schon sehr lange nichts mehr gehört, und finde Deine Briefe erst wieder in Dublin. Bleibe nur ge- sund, das ist die Hauptsache für Dich — und höre nicht auf, mich zu lieben, denn das ist die Haupt- sache für mich. — Dein treuster L . . . . . Briefe eines Verstorbenen. II. 6 Sieben und dreißigster Brief. Cashel, den 10 ten Oktober 1828. Geliebte Gute! Der „rok of Cashel“ mit seiner berühmten, herr- lichen Ruine ist einer der größten „Lions“ „Lion“ ist ein Modeausdruck, und bedeutet das Erste, Berühmteste, oder Das, was grade im Augenblick am meisten en vogue ist. Das entgegenstehende, gemeinere, heißt „tigre.“ So nennt man z. B. die jungen Dandee’s in ihren Cabriolets, in der Haupt- stadt Lions, die kleine Jungen aber, welche hinten aufstehen, tigres . Auch Stutzer der geringeren So- cietät werden mit dem letzten Namen bezeichnet. C’est tout bête comme vous voyez. A. d. H. von Irland, und war mir nebst der Abtei von Holycroß, von Walter Scott selbst, als das Sehenswertheste in Irland empfohlen worden. Es ist ein ganz frei stehender Felsen, mitten in der Ebne. Seltsam ge- nug sieht man von dem Kamme einer der fernen Berge ein Stück, von derselben Größe als der Fel- sen, wie ausgebissen — der Legende nach: ein Biß, den der Teufel that, aus Aerger über eine Seele, die ihm beim Transport nach der Hölle entwischte. Als er hierauf über die Gegend von Cafhel flog, spukte er dort das abgebißene Stück wieder aus. Spȧter erbaute darauf M. C’Omack, König und Erzbischof von Cashel sein Schloß mit einer Ka- pelle, welche beide noch merkwürdig wohl erhalten sind. Mit ihnen vereinigte sich die Kirche und Ab- tei, welche im 12 ten Sec., glaube ich, von Donald O’Bryen hinzugefügt wurde. Das Ganze bildet die prachtvollste Ruine, in der besonders alle Details der altsȧchsischen Baukunst mit großem In- teresse studirt werden können. Dies ist seit einigen Monaten, durch die Bemühungen des Schwieger- sohnes des jetzigen Erzbischoffs, Dr. Cotton, noch sehr erleichtert worden, indem dieser erst Comack’s Kapelle völlig von Schutt, Schmutz und spätern Uebertünchungen hat reinigen, und überhaupt, nicht ohne Kosten, die ganze Ruine besuchbarer machen lassen. Nichts kann fremdartiger, ich möchte sagen, barbarisch-eleganter seyn, als diese barocken, phan- tastischen, oft aber meisterhaft angeführten Zieraten. Viele der im Schutt und unter dem Boden aufge- fundenen Sarkophage und Monumente, bieten inte- ressante Räthsel dar. Man möchte glauben, daß die furchtbaren Fratzen, den indischen Göttern gleich, einem früheren Götzendienst angehört haben müßten, wenn man nicht wüßte, daß nur sehr langsam und schwer das Heidenthum und Christenthum wich, und noch weicht! So besitze ich selbst eine Klingel, die 6* einer meiner Vorfahren aus den Gefängnissen der Inquisition entführte, und auf der die heilige Maria, statt Engeln, von Affen umgeben ist, deren einige die Violine spielen, während andere sich dazu mit Burzelbäumen in den Wolken überschlagen. Ich besah Alles sehr gründlich, und war noch auf der höchsten accessiblen Thurmspitze, als die Sonne über dem Teufelsbisse unterging. Der Erzbischof hatte die Güte gehabt, mir seinen Bibliothekar zu schicken, um mir die Ruine zu zeigen. Von diesem erfuhr ich, daß der berühmte, oft citirte, in irischer Sprache geschriebene Psalter, der in jedem guide des voyageurs als stehende Merkwürdigkeit Cashels auf- geführt wird, eine bloße Fabel sey, wenigstens hier nie existirt habe. Dies interessirte mich jedoch we- nig, aber wahrhaft erschreckt ward ich, als ich hörte, daß die Katholiken mit der Idee umgingen, die Kirche wieder herzustellen und neu auszubauen, wenn sie das Grundstück zu aquiriren im Stande wären. Der Himmel beschütze doch vor diesen From- men die heilige Ruine! Auf dem freien Platz vor der Kirche ruht S. Pa- trick’s mütilirte uralte Statue, auf einem Piedestal von Granit. Neben diesem sah man sonst den Krö- nungssessel, der angeblich aus Portugal hierher ge- bracht, dann zur Krönung des schottischen Königs Fergus nach Scone gesendet wurde, von wo ihn zu- letzt Edward I. nach Westminster entführte. Dort befindet er sich noch jetzt. Am Fuße des Rock’s of Cashel stehen die eben- falls sehr sehenswerthen Ruinen von Hore Abbey, die, wie man sagt, früher durch einen unterirdischen Gang mit dem Schloß zusammen hing. Man be- wundert hier vorzüglich die schönen Proportionen und vollendeten Zieraten eines großen Fensters, das die Kapelle beleuchtet. Den 11 ten. Einer der Gentlemen, die ich gestern kennen ge- lernt, Capt. S . . . ., ein Mann von angesehener Familie und verbindlichem Benehmen, bot mir seine Pferde an, um die Ruinen der Abtei von Athassil und des reichen Karl of Landaff Park und Schloß zu besehen. Die vortrefflichen Hunters brachten uns bald an Ort und Stelle, die Gegenstände blieben aber unter meiner Erwartung. Die Abtei ist zwar an sich eine schöne und weitläuftige Ruine, aber ihre Lage, in einem Sumpfe mitten im bebauten Felde, ohne Baum und Strauch, zu unvortheilhaft, um einen malerischen Effekt machen zu können. Der Park des Lords ist ebenfalls, zwar von außer- ordentlichem Umfang, nämlich 2800 Acres groß, aber ohne irgend etwas Ausgezeichnetes. Der Baum- wuchs ist nicht der beste, Wasser fehlt so gut wie ganz, und das modern gothische, lichtblau ange- strichne Schloß schien mir abscheulich. Der Besitzer selbst ist ein, noch im siebzigsten Jahre schöner, und interessanter Mann, der das in Irland so große Verdienst hat, oft in seinem Eigenthum zu residiren. Wir fanden ihn, der in der Welt durch ein in der Fremde polirtes Betragen zu glänzen weiß, hier als ächter Landmann, in Wasserstiefeln und Waterproof- Mantel, im Regen stehen, und seine Arbeiter an- weisen, was mir wohl gefiel, und Du erräthst leicht warum. — Auf dem Rückweg theilte mir Capt. S . . . . . mehrere interessante Details über die wörtlich him- melschreiende Unterdrückung mit, unter der die Ka- tholiken hier seufzen, ein Zustand, welcher, die ört- lichen Verhältnisse gehörig in Betracht gezogen, här- ter ist als die Sclaverei, welche die Türken über die Griechen verhängen. Die Katholiken dürfen z. B. ihre Gotteshäuser nicht Kirchen, sondern nur Ka- pellen nennen, keine Glocken darin haben — an sich unbedeutende, aber in der Meinung entehrende Dinge. Kein Katholik kann bekanntlich im Parla- ment sitzen, noch General in der Armee, noch Mi- nister des Königs, Richter u. s. w. werden. Dies ist nun bekanntlich erstritten worden. A. d. H. Ihre Priester dürfen keine Ehe einsegnen, wo ein Theil protestantisch ist, und ihre Titel werden vom Gesetz nicht anerkannt. Das Schlimmste aber ist, daß die Katholiken den protestantischen Klerus ungeheuer be- zahlen, den ihrigen aber, von dem der Staat keine Notiz nimmt, noch außerdem unterhalten müssen, ein Hauptgrund der bodenlosen Armuth des Volks Wie unverträglich muß dies schon in einem Lande wie Irland erscheinen, wo mehr als Zweidrittel der Einwohner im Allgemeinen, der katholischen Reli- gion mit dem größten Eifer zugethan sind. Im Süden ist das Verhältniß jedoch noch viel ungleicher. In der Grafschaft Tipperary befinden sich ohngefähr 400,000 Katholiken und nur 10,000 Protestanten. Demohn- geachtet kostet den Einwohnern die protestantische Geistlichkeit jährlich folgende Summen: 1) Der Erz- bischof 25,000 Lst.; 2) der Dean 4000; 3) für ohn- gefähr fünfzig pariches (Pfarren) im Durchschnitt jede 1500 Lst., welche Ausgaben fast alle den Katholiken allein zur Last fallen. Die meisten dieser Pfründer leben gar nicht einmal in Irland, sondern stellen arme Teufel mit 40 — 50 Lst. jährlich hier an (die berühmten Vicar’s) die ihre Geschäfte verrichten; eine Sache die bald abgethan ist, da es hier Ge- meinden giebt, die nicht mehr als zehn Mitglieder zählen, ja in einer parich gar kein Protestant vorhanden ist — auch keine Kirche, sondern nur eine alte Ruine, wo jährlich die farce einer Predigt für leere Wände abgespielt wird, und wobei ein ge- mietheter Katholik den Küsterdienst versieht! Während dem tritt der Geistliche Jahr aus Jahr ein das Londner und Pariser Pflaster, und führt ein so ungeistliches Leben als möglich. So las ich z. B. noch neulich in einer englischen Zeitung selbst, daß ein englischer Geistlicher in Boulogne, eine große Summe im Spiel verloren, darauf Händel bekom- men, und seinen Gegner im Duell erschossen habe, weshalb er genöthigt gewesen sey, den Ort schnell zu verlassen, um sich auf seine Pfründe zurückzuziehen. Selbst die hȯheren Geistlichen, die wenigstens zum Theil auf ihren Bischofs- und Erzbischofs-Sitzen ge- genwärtig seyn müssen, lassen nichts von dem Sün- dengelde (denn man muß es unter solchen Umständen wohl so nennen) wieder unter die armen Leute kom- men, da sie größtentheils nach Krȧften sparen, um ihre Familien zu bereichern. Zu diesem Ende ist so- gar eine Art Betrug in der englischen Kirche gesetz- lich geworden (eben so wie der Verkauf der Stellen durch die, im Besitz des Verleihungs-Rechts, sich be- findenden Adelichen, der öfters ganz öffentlich statt findet, denn umsonst vergeben werden die Pfründen nur im Politischen- oder Familien-Interesse). Es ist nämlich gestattet, daß diejenigen, welche Kirchen- güter benutzen, im Voraus, und ehe der Termin zur neuen Verpachtung derselben eintritt, sich ein für allemal mit einem Pauschquantum von den Inha- bern bis dahin abfinden lassen dürfen, was natür- lich, wenn der Geistliche bald darauf stirbt, seinen Nachfolger um das ihm Gebührende bringt. Kann man sich wundern, daß solche Institutionen schon mehrmals das unglückliche Volk zur Verzweiflung und Empörung brachten! jedesmal indessen sind ihre Ketten nur schärfer angezogen, und blutiger ins Fleisch schneidend geworden. Wo man ein schönes Gut, und fruchtbares Land sieht, und sich nach dem Besitzer erkundigt, heißt es gewöhnlich, this is for- feited land (verwirktes Eigenthum), immer einst den Katholiken, jetzt den Protestanten zugehörig. O’Con- nel sagte mir, daß, noch vor nicht gar langer Zeit, ein Gesetz in Gültigkeit war, des Inhalts: daß kein Katholik in Irland Landeigenthum haben dürfe, und könne ein Protestant bei einem Gerichtshofe be- weisen, daß dies dennoch irgend wo der Fall sey, so habe ihm der Richter dieses Eigenthum zuzuspre- chen. Das einzige Mittel blieben nun Scheinkäufe; demohngeachtet wurden, nach O’Connels Versiche- rung, Millionen an Werth auf diese Weise in die Hände der Protestanten gebracht. Ist es nicht merk- würdig, daß Protestanten, die von den Catholiken, eben wegen ihrer Habsucht und Intoleranz in einer barbarischen Zeit, abfielen, jetzt in der aufgeklärte- sten, in demselben Fehler beharren, und dadurch, verhältnißmäßig, eine größere Schuld auf sich laden, als sie früher tragen mußten! Wird denn, möchte man fragen, dieses Religionsungeheuer Daß hier nur von falscher und Afterreligion die Rede seyn kann, versteht sich wohl von selbst. A. d. H. (Geburt der Despotie und Heuchelei) welches von der Welt so lange mit Blut und Thränen gefüttert werden mußte, nie von erleuchteteren Generationen vernich- tet werden? Wahrscheinlich wird man dann auf die jetzigen Zeiten mit eben dem Mitleid blicken, als wir auf das Dunkel des Mittelalters. Nachmittags besuchte mich der catholische dean , ein höchst liebenswürdiger Mann, der lange auf dem Continent gelebt, und Caplan des vorigen Pabstes gewesen ist. Seine eben so freie als aufgeklärte Sprache setzte mich in Verwunderung, weil wir im- mer zu denken pflegen: ein Katholik müsse auch ein Aberglȧubiger seyn. Er sagte mir unter anderm: Glauben Sie mir, dieses Land ist dem Unglück ge- weiht. Hier giebt es fast keine Christen mehr, Katho- liken und Protestanten haben nur eine und dieselbe Religion — die des Hasses! Einige Zeit später brachte mir Capt S. die letzte Zeitung, worin bereits mein Besuch in der beschrie- benen Versammlung, und die von mir dort gesag- ten Worte nebst den übrigen Reden, mit aller der in England üblichen Charlatanerie, drei oder vier Seiten füllten. Um Dir einen échantillon von die- sem Genre zu geben, und zugleich mit meiner eignen Beredsamkeit gegen Dich ein wenig zu prunken, über- setze ich den Anfang des mich betreffenden Artikels, wo ich in eben dem Ton angepriesen wurde, wie ein Wurm-Doctor seinen Pillen, oder ein Roßkamm sei- nen Pferden, nie besessne Eigenschaften andichtet. Höre: „Sobald man die Ankunft des ........ erfahren hatte, begab sich der Präsident mit einer Deputa- tion auf das ........ Zimmer, um denselben einzu- laden, unser Fest mit seiner Gegenwart zu beeh- ren ꝛc. Bald darauf trat der ........ ins Zimmer. Sein Ansehen ist befehlend und grazieus ( comman- ding and graceful ). Er trug einen Schnurbart, und obgleich von sehr blasser Farbe, ist doch sein Gesicht außerordentlich gefällig und ausdrucksvoll ( excee- dingly pleasinf and expressif ). Er nahm seinen Platz am obern Ende der Tafel, und sich gegen die Ge- sellschaft verneigend, sprach er deutlich, und mit al- lem gehörigen Pathos ( with proper emphasis ) aber etwas fremdem Accent, folgende Worte: Gentlemen! Obgleich krank und sehr ermüdet, fühle ich mich doch zu sehr durch Ihre gütige Einladung geschmeichelt, um sie nicht mit Dank anzunehmen, und Ihnen per- sönlich auszudrücken, welchen lebhaften Antheil ich an Ihrem Bestreben für das Wohl Ihres Vater- landes nehme. Möge Gott diesen schönen und reich- begabten Theil der Erde segnen, der jedem gefühl- vollen Fremden so vielfachen Genuß darbietet, in dem ich aber besonders, mit tiefer Dankbarkeit, die Güte und Gastfreundschaft anerkennen muß, die mir überall zu Theil ward. Möge der Himmel, sage ich, dieses schwergeprüfte Land segnen, wie jeden ächten Irländer, er sey Katholik oder Protestant, der, fern von Partheigeist, nur das Wohlsein seines Va- terlandes wünscht — ein Wohlsein, das nur erreich- bar seyn kann, durch Friede, Duldung und bürger- liche wie religiöse Freiheit ( civil and religious li- berty, das große Stichwort der Association). Gent- lemen! füllen Sie Ihre Glȧser , und erlauben Sie mir Ihnen einen Toast zu geben. Es lebe der Kö- nig, und Erin go Bragh ! (dies ist das altirische Motto, welches auch auf der Medaille des Libera- tor-Ordens steht, und bedeutet: Heil Erin!)“ Der Präsident: Gentlemen! Theilen Sie meine Gefühle, und empfangen Sie den Ausdruck des Fol- genden von mir. Möge unser erlauchter Gast (il- lustrisus guest), auf dessen Wohl wir jetzt unsre Gläser füllen, sollte er je zu uns zuru̇ckkehren , uns im Genuß gleicher Gesetze und gleicher Privilegien finden, und ihm Besitz jenes Landfriedens im In- nern, den zu erlangen wir allein uns vereint haben. Dreimal drei. Der ......: — „Ich wiederhole Ihnen meinen Dank für die Ehre, die Sie mir eben durch das Trinken meiner Gesundheit erzeigt haben. Nichts könnte mich glücklicher machen, als selbst noch ein- mal Augenzeuge von der Erfüllung aller Ihrer und meiner Wünsche, in diesem Lande seyn zu können, das ich wie mein eignes liebe, und nur mit innigem Bedauern verlasse ꝛc. Nun liebe Julie, wie rezensirst Du mich — kann ich nicht Gemeinplätze, so gut wie ein Anderer, an- einanderreihen, wenn es seyn muß? Der Wahrheit bin ich übrigens in nichts zu nahe getreten. Was aber kein Gemeinplatz ist, wenn er sich auch am Ende jedes meiner Briefe wiederholt, ist die Ver- sicherung meiner zärtlichen Liebe für Dich, mit der ich jetzt bin und ewig seyn werde Dein Freund L..... Acht und dreißigster Brief. Cashel, den 12 ten October 1828. Theuerste Freundin! Warum schreibe ich Dir so gern? Gewiß weil ich denke, daß es Dir Freude macht, aus der Ferne von mir zu hören — aber auch, weil Du nur mich immer verstandest, und Niemand sonst! dies allein wäre hinreichend, mich auf immer an Dich zu fesseln, denn ich lebe mitten in der Welt, doch nur mit Dir — so einsam als auf einer wüsten Insel. Tausende von andern Geschöpfen wimmeln zwar um mich her — sprechen kann ich aber nur mit Dir. Versuche ich es mit andern, so bekömmt mir schon die Gewohnheit und Neigung, immer wahr zu seyn, oft theuer zu stehen! oder ich stoße durch etwas anderes an — denn Lebensklugheit wurde meiner Natur eben so bestimmt und unerreichbar versagt, als es dem Schwane, der im Winter auf dem See vor Deinem Fenster schwerfällig hinwatschelt, unmöglich ist, mit den vor- beigleitenden Schlittschuhfahrern Wette zu laufen, aber — seine Zeit kömmt auch, wenn er mit stolz ge- krümmtem Halse die Fluthen zertheilt, oder im blauen Aether allein und majestätisch durch die Lüfte schwebt. Dann erst ist er, er selbst. Doch zurück zu Cashel. Ich benutzte heute meines guten Freundes Pferde, die mir täglich zu Gebote stehen, zu einer zweiten Excursion, nach der sechs Meilen entfernten Ruine von Holycroß (heiligen Kreuz) der würdigen Rivalin des Teufels-Felsens. Zuerst belustigten wir uns, querfeldein zu reiten, und einige Mauern zu überspringen, dann gelangten wir auf eine Anhöhe, von der sich der „rock“ , wie er hier kurzweg genannt wird, am imponirendsten aus- nimmt. Der Kranz entfernter blauer Berge, die sich rund um den, einzeln in der fruchtbaren Ebene ste- henden, Felsen lagern, Burg, Abtei und Cathedrale, die, ein großes Ganze bildend, stumm und großartig, von ihm herab die Geschichte auf einander folgender Jahrhunderte, verkünden, und endlich die Stadt am Fuße, so ärmlich, obgleich sie der Sitz zweier Erzbi- schöfe (eines protestantischen und katholischen) ist, die auch eine stumme Sprache spricht, über die jetzige Zeit! — erwecken gar mancherlei widersprechende Ge- fühle. — Von ganz anderem Charakter ist Holycroß. Cashel steht in einsamer Größe da, Alles Felsen und Steine, Alles kahl und schwarz, — nur hie und da scheint ein verlornes Epheupflänzchen schüchtern an einer Spalte hinanzukriechen. — Holicroß dagegen liegt im Thal, an den Ufern des Suir, in Laubholz begraben, und von solchen wuchernden Epheustämmen umschlun- gen und umrankt, daß man kaum eine Mauer vor ihnen erblicken kann; und selbst das hohe Kreuz, das letzte welches der Abtei noch übrig bleibt, Es wurde hier ein Theil des wahren Kreuzes Christi aufbewahrt, der dem Kloster den Namen gab, und auch jedes einzelne Gebäude war deshalb mit einem hohen Steinkreuze geschmückt, von denen nur eins noch sich erhalten hat. A. d. H. ist so inbrünstig von ihnen umklammert, als wollten sie es vor jeder profanen Berührung schützen. Im Innern sieht man mehrere prachtvolle gewölbte Decken, das zierliche Monument auf dem Grabe Donough O’Bry- ens, Königs von Limmerick, der im Anfang des zwölften Jahrhunderts die Abtei erbaute, und einen wunderschön gearbeiteten Steinbaldachin, unter wel- chem die Leichen der gestorbenen Aebte ausgestellt wurden — sämmtlich so gut erhalten, daß ihnen mit wenig Ausbesserung das Ansehn der Neuheit gege- ben werden könnte. Die Aussicht vom Thurme ist sehr freundlich. Man ist hier dem Teufelsbiß ganz nahe, dessen groteske Form freilich zu auffallend war, als daß die Irländer sie nicht hätten zu einer Legende benutzen sollen, sie, die für jede Naturseltenheit ihr Mährchen stets bereit haben. Wir eilten früher zurück als mir lieb war, da mich der katholische dean zu einem Din é eingeladen hatte, bei dem ich nicht zu spät eintreffen durfte. Ich sollte den Erzbischof und sechzehn andere Geistliche dort an- treffen; kein Laie, außer mir, war zugegen. Das Din é machte übrigens einem Caplane des römischen Pontifex Ehre. „Sie haben wohl niemals einer Mahlzeit beigewohnt,“ sagte der Erzbischof zu mir, „wo die Gäste aus lauter Geistlichen bestanden?“ Doch, Mylord, erwiederte ich: und was noch mehr ist, ich war selbst vor kurzem noch eine Art Bischof. „Wie ist das möglich,“ rief er verwundert. Ich er- klärte ihm, daß ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wir sind also, fuhr ich fort, hier achtzehn Geistliche, ganz unter uns, und dabei kann ich noch versichern, daß ich keinen Unterschied zwischen Katho- liken und Protestanten mache, sondern in beiden nur Christen sehe. Mit großer Freiheit und Partheilosigkeit wurde nachher über religieuse Gegenstände gesprochen, nir- gends bemerkte ich die geringste Spur von Bigotte- rie, noch der widrigen Affektation des Heiligthums. Beim Dessert gaben sogar mehrere, die gut sangen, Nationallieder zum Besten, deren Inhalt zuweilen nichts weniger als devot war. Als der neben mir Sitzende eine leichte Verwunderung darüber bei mir bemerkte, sagte er mir ins Ohr: Hier vergessen wir jetzt den fremden . . . . . . . ., den Erzbischof und die Geistlichen — hier bei Tisch sind wir alle Gentle- men, und freuen uns des Lebens . Dieser Mann war der unbestrittene Abkömmling eines alten irischen Königgeschlechts, und obgleich es ihm jetzt keine Aus- zeichnung mehr verlieh, so war er doch nicht wenig stolz darauf. „Eine seltsame Wohnung habe ich dazu für einen Geistlichen,“ sagte er zu mir. „Wenn Sie Irland je wieder besuchen, gönnen Sie mir vielleicht die Ehre, Ihnen die Honneurs davon zu machen. Sie liegt gerade unter dem Teufelsbiß — und eine schö- nere Aussicht als von diesem Biß bietet ganz Irland nicht.“ Er machte nachher noch die Bemerkung, daß: katholisch zu seyn, in diesem Königreich schon für ein Adelsdiplom gelten könne, denn nur neue Familien seyen protestantisch, die Katholiken müßten nothwen- dig alt seyn, da sie, schon seit der Reformation, keine Proselyten mehr machten. Die Melodieen der Lieder welche man sang, hatten eine auffallende Aehn- lichkeit mit denen der Wenden, wie ich überhaupt zwischen beiden Völkern viel gleiche Beziehungen finde. Beide fabriciren und lieben ausschließlich reinen Korn- branntwein (Whiskey), und leben fast allein von Kar- toffeln; beider Nationalmusik kennt nur den Dudel- sack, sie lieben leidenschaftlich Gesang und Tanz, und doch sind ihre Melodieen stets melancholisch; beide sind unterdrückt durch eine fremde Nation, und spre- Briefe eines Verstorbenen. II. 7 chen eine immer mehr sich verlierende Sprache, die reich und poetisch ist, ohne daß sie doch eine Litera- tur in derselben besitzen; beide verehren unter sich noch immer die Abkömmlinge ihrer alten Fürsten, und haben den Grundsatz, daß: was nicht aufgege- ben ist, auch noch nicht ganz verloren sey; beide sind abergläubisch, schlau, und in ihren Erzählungen zur Uebertreibung geneigt, revolutionair wo sie können, aber etwas kriechend gegen decidirte Macht; beide gehen gern zerlumpt, wenn sie sich auch besser klei- den könnten, und endlich sind beide bei elendem Le- ben, dennoch großer Anstrengung fȧhig , obgleich sie am liebsten faullenzen, und dabei auch beide gleich fruchtbarer Natur, welches ein wendisches Sprüch- wort: den Braten der armen Leute, nennt. Die bessern Eigenschaften besitzen die Irländer allein. Ich benutzte die heute gemachten Bekanntschaften, um mich noch näher von dem hier herrschenden Ver- hältniß zwischen Katholiken und Protestanten zu un- terrichten, wobei ich alles früher Gehörte völlig be- stätigt fand, und noch einige Details mehr erhielt. Unter andern, die offizielle Liste eines Theils der ge- genwärtigen Pfarreien und Gemeinden in der Diö- ces von Cashel, die zu merkwürdig ist, um sie Dir nicht mitzutheilen, wenn gleich der Gegenstand zu den trocknen gehört, und fast zu pedantisch für unsre Correspondenz scheinen dürfte. Jeder dieser Distrikte hat nur einen katholischen Pfarrer, aber oft vier bis fünf protestantische Pfründ- ner, so daß im Durchschnitt auf eine protestantische Gemeinde kaum zwanzig Personen kommen. Kil- kummin ist eben der angeführte Ort, wo die prote- stantische Gemeinde gar nicht existirt, und der Gottes- dienst, welcher nach dem Gesetz wenigstens einmal im Jahre stattfinden muß, mit Hülfe eines katholi- schen Küsters in der Ruine abgehalten wird. In einem andern Bezirk, mit Namen Tollamane, wo ebenfalls kein Protestant ist, findet dieselbe Farce statt; nichts destoweniger müssen den abwesenden Pfründnern bei Heller und Pfennig ihre Zehnten und andere Abgaben verabfolgt werden, und nichts wird unerbittlicher eingetrieben, als Kirchenrevenüen. Hier 7* findet kein Erbarmen, wenigstens hinsichtlich der Ka- tholiken, statt. Wer den protestantischen Geistlichen den Decem oder die Pacht des Kirchenlandes nicht zahlen kann, sieht unabänderlich seine Kuh und Schwein (Meubles, Betten ꝛc. hat er schon längst nicht mehr) verkaufen, und sich selbst nebst Frau, und gelegent- lich ein Dutzend Kindern, ( car rien n’engendre com- me les pommes de terre et la misère ) auf die Straße gestoßen, wo er der Gnade Gottes überlassen bleibt, der die Vögel nȧhrt und die Lilien kleidet. Quelle excellente chose qu’une religion d’etat! So lange dergleichen noch existiren, und nicht, wie in den vereinigten Staaten, Jedem erlaubt ist, Gott auf die ihm beliebige Art zu verehren, ohne des halb sich im bürgerlichen Leben zurückgesetzt zu sehen — so lange hat auch das Zeitalter der Bar- barei noch nicht aufgehört. Einst muß im Staat das Gesetz allein regieren, wie in der Natur. Reli- gion wird Trost im Unglück, und noch höhere Stei- gerung des Glücks, nach wie vor, gewähren, aber herrschen und regieren darf sie nicht. Nur das Ge- setz übe unabänderlichen Zwang, überall sonst aber walte unbeschrȧnkte Freiheit . Dies kann der ge- bildete Theil der Menschheit auf der Stufe fordern, auf welcher er angelangt ist, und die er durch so viel Blut und Jammer erkauft hat. Welcher Wahnsinn, den Menschen vorschreiben zu wollen, was selbst nach ihrem Tode aus ihnen werden, oder was sie darüber glauben sollen? Schlimm genug, daß hier auf Erden die besten Institutionen, selbst die weisesten Gesetze, noch mangelhaft bleiben müssen, man lasse wenigstens die unsichtbare Zukunft Jeden nach seinem eignen Ermessen sich ausbilden. Und doch haben große, kluge und gute Männer sich zu solchem geistigen Despotis- mus berechtigt geglaubt! Dies aber ist die mensch- liche Gebrechlichkeit. Derselbe Mensch kann in eilf Dingen erhaben, und im zwölften als ein Idiot er- funden werden! Während so z. B. ein großer Krie- ger, in Schlachten, die Europa in Staunen versetzten, den Weltenstürmer bezwang — fürchtete er sich heim- lich vor einem jungen Elephanten, mit dem er nieder- kommen zu müssen glaubte, weshalb seine Adjutanten manchen schweren Moment mit ihm zu verleben hatten. Während der Cardinal Richelieu allen Zeiten das Ideal eines großen und klugen Ministers aufstellte, hatte für ihn nur der Glaube Werth, ein großer Dich- ter zu seyn, und er quälte sich, elende Tragödien zu schreiben, die mit seinem Tode zu Makulatur wurden. Der große Ludwig, den man den absoluten Kö- nig par excellence nennen könnte, hatte die unbegreifliche Dummheit, nach der Schlacht von Mal- plaquet, ganz ernsthaft auszurufen: Et Dieu a-t-il donc oublié ce que j’ai fait pour lui? Cromwell, zugleich Schwärmer und der kühnste wie der listigste Betrüger, nachdem er Mord auf Mord, Zerstörung auf Zerstörung gehäuft, fand sein Gewissen beruhigt, als, auf seine Anfrage, ein Priester ihm versicherte, daß, wer einmal sich nur im Zustande der Gnaden- verzückung besunden, selig werden müsse, er möge sonst gethan haben was er wolle. „Dann bin ich gerettet,“ rief froh der Protector, „denn einmal we- nigstens weiß ich es bestimmt, daß ich mich im Zu- stande der Gnade befunden!“ So sind die Menschen, und daher wird mir auch nie eine Menschenauto- rität imponiren, wenn meine eigne Ansicht ihr, nach reiflichem Nachdenken, so weit es meine Fassungskraft vermag, nicht entspricht — ja wären morgen alle Menschen der entgegengesetzten Meinung, so würde ich doch deshalb die meinige nicht ändern. Gottlob! wir sind alle individuelle Geister, und keine Schaaf- heerde, die dem Leithammel folgen muß. Und was ist denn allgemeine Meinung? man sollte glauben, sie sey nur ein fortlaufender Irrthum, weil sie fast alle Jahrhunderte sich ändert. Von Ort und Zeit scheint sie allein abzuhängen. Bist Du in Constan- tinopel geboren, so schwörst Du auf Mohammed, im übrigen Europa, auf Christus oder Moses, in Indien auf Brama. Kamst Du einst, ein Unterthan des Augustus zur Welt, so warst Du ein Heide, im Mittelalter hieltest Du das Faustrecht für das Recht, und heute verlangst Du die Freiheit der Presse, Ein für sein Land sehr gebildeter Maure, der sich lange in England aufgehalten, sagte zu dem Capt. L.. Ich möchte nie einem so ohnmächtigen Monarchen die- nen als der König von England ist. Welches andre Gefühl giebt es mir, eines Herren Diener zu seyn, dessen Allmacht Gottes Bild auf Erden ist, und auf dessen Wink tausend Köpfe fliegen müssen, wie Spreu vor dem Winde. — Il ne faut donc pas disputer des goûts . A. d. H. als eine Sache ohne die Du nicht mehr existiren zu können glaubst. Du selbst in Deinem kurzen Leben, was denkst und bist Du, als Kind — als Jüngling — als Greis! Herder hat wohl Recht zu sagen: Kein Wassertropfen gleicht dem andern, und Ihr wollt allen Menschen einen Glauben geben! und man könnte hinzusetzen: kein Atom bleibt unverändert, und Ihr wollt die Menschheit still stehen heißen! Ehe der Erzbischof sich retirirte, sagte er noch sehr verbindlich zu mir: „Sie sind, wie Sie uns erzählt, ein Bischof, folglich dem Erzbischof Gehorsam schul- dig. Ich benutze also diese Autorität zu dem Befehl, morgen wieder mit mir und Ihrem Collegen, dem Bischof von Limmerick, den wir heute erwarten, hier zu speisen, statuire aber keine Entschuldigung.“ Ich erwiederte, den Scherz aufnehmend, daß ich gern zu- geben müsse, wie es mir nicht gezieme, der Disciplin der Kirche zu widerstehen, und da Euer Gnaden, setzte ich hinzu ( Your grace ist der Titel der prote- stantischen Erzbischöfe in England, den höfliche Leute, aus Courtoisie, auch den katholischen geben, obgleich ihnen, nach dem englischen Gesetz, gar kein Rang zu- steht) und der dean die Pflicht so sehr zu versüßen wissen, so submittire ich mich um so lieber. Den Abend brachte ich noch in der Gesellschaft des . . . . . zu. Ich habe nur selten protestantische Geist- liche so aufrichtig gefunden als diesen katholischen. Wir kamen bald darin überein, daß man entweder von Hause aus blindlings das glauben und anneh- men müsse, was die Kirche vorschreibe, ohne sich im Geringsten in Untersuchungen einzulassen, oder, wenn man dies nicht könne, seine eigne religieuse Ansicht sich ausbilden, als das Resultat individuellen Den- kens und individueller Gefühle — was man mit Recht, die Religion eines Philosophen, nennen möge. Der . . . . . sprach französisch, was ihm am geläufig- sten war, ich citire ihn daher mit seinen eigenen Worten: Heureusement, sagte er, on peut en quel- que sorte combiner l’un et l’autre, car au bout du compte, il faut une religion positive au peuple. Et dites surtout, erwiederte ich, qu’il en faut une aux Rois et aux prêtres — car aux uns, elle fournit le „par la grace de Dieu“ et aux autres de la puis- sance, des honneurs et des richesses — le peuple se contenterait peut être de bonnes lois et d’un gou- vernement libre . Ah! unterbrach er mich, vous pensez comme Vol- taire: Les prêtres ne sont pas ce qu’un vain peuple pense Et sa crédulité fait toute notre s cience. Ma foi, lui dis je, si tous les prêtres vous ressemblaient, Je penserai bien autrement. Den 13 ten Abends. Ich habe leider meinem freundlichen Amphytrion nicht Wort halten können. Eine Migraine zwang mich den ganzen Tag das Bett zu hüten. Der Herr Erzbischof ließ mir zwar sagen, daß er mich kuriren wolle, und, wenn ich nur festen Glauben mitbrächte, gewiß sey, durch wohl applizirten Exorcismus den Kopfwehteufel auszutreiben — ich mußte ihm aber entgegensetzen, daß dieser Teufel einer der unbezwinglichsten sey, und Niemand respectire als die Natur, die ihn sende und abberufe wie sie Lust habe, welches indeß selten vor vier und zwanzig Stunden Leiden statt finde. Ich muß Dich also, beste Julie, diesen Abend auch nur mit wenigen Worten verabschieden. Den 14 ten. Après la pluie le soleil! der heutige Tag ent- schädigte mich für den gestrigen. Schon um sieben Uhr saß ich zu Pferde, um mich zum Frühstück auf auf Capt. S. Landhaus zu begeben, wo das Jagd- rendezvous für die heutige Hasenhetze bestimmt war. Ich fand sechs bis sieben rüstige Landjunker dort versammelt, die nicht viel denken, aber ein desto heit’- reres und sorgloseres Leben führen. Nachdem wir die heterogensten Dinge, Kaffee, Thee, Whiskey, Wein, Eyer, Beafsteaks, Honig, rognons de mouton, Ku- chen und Butterbrod, alles untereinander, hatten einnehmen müssen, setzte sich die Gesellschaft auf zwei große Carrs, und nahm ihre Richtung nach den Galtee-Bergen, wo, etwa in der Entfernung von acht Meilen, Hunde und Pferde auf uns warten sollten. Das Wetter war schön, und die Fahrt sehr angenehm; einem Bergrücken entlang, mit der vollen Aussicht der fruchtbaren Ebene, vom Gebürge ge- schlossen, und reich variirt durch eine Menge Land- sitze und Ruinen, die über die ganze Fläche zerstreut lagen. Von diesen Schönheiten profitirte ich jedoch, wie gewöhnlich, allein; die Jäger hatten nur Jagd und Hasen im Kopfe. Man zeigte mir eine Stelle, wo vor zehn Jahren ein merkwürdiges Naturereig- niß statt fand. Ein hoch liegender Sumpfmoor, wahrscheinlich durch unterirdische Quellen empor ge- trieben, riß sich vom Boden los, und wanderte, in einer Masse von sechzehn Fuß Höhe und drei bis vier Morgen Ausdehnung, davon. Er ging, nach Maßgabe der Gegenstände, denen er begegnete, im fortwährenden Zickzack, und legte so neun Meilen zu- rück, ehe er den nahe liegenden Fluß erreichte, in dem er sich nur langsam auflöste und eine Ueber- schwemmung desselben veranlaßte. Die Schnelligkeit seines Marsches war ohngefähr zwei Meilen in einer Stunde, aber vernichtend für Alles was er antraf. Häuser wurden bei seiner Berührung sogleich der Erde gleich gemacht, Bäume sämmtlich entwurzelt, die Felder aufgewühlt und alle Vertiefungen mit Moor angefüllt. Eine unermeßliche Menge Menschen hatten sich gegen das Ende seines Laufs eingefunden, ohne jedoch dem majestȧtisch verheerenden Natur- Phänomen auch nur den geringsten Widerstand ent- gegensetzen zu können. Als wir an der bestimmten Stelle des Jagd- rendez- vous ankamen, waren wohl die Pferde, aber keine Hunde da. Dagegen hatten sich noch mehrere Gent- lemen eingefunden, und anstatt Hasen zu jagen, durchzogen wir nun Alle die Felder, in lang ausge- dehnter Linie, um wo möglich die verirrten Hunde aufzusuchen. Von dem Reiten, was hierbei statt fand, macht man sich bei uns kaum einen Begriff. Obgleich die meisten Felder von Mauern umschlossen werden, die drei bis sechs Fuß hoch, und abwechselnd, entweder nur von Feldsteinen lose aufgeschichtet, oder ordentlich mit Kalk gemauert sind, andere aber durch sogenannte Ditches begränzt werden — feste Erd- wälle von Lehm und Feldsteinen, die oben spitz zu- laufen, fünf bis sieben Fuß Höhe haben und noch mit einem Graben auf der andern Seite, zuweilen auf beiden Seiten, versehen sind — so darf dies alles den Reitern doch kein Hinderniß seyn, ihre Linie zu behaupten. Wie außerordentlich die hiesigen Pferde springen, habe ich Dir schon einmal beschrieben, wenn ich nicht irre; ihre Sagacität ist aber auch zu be- wundern, mit der sie sogleich eine lose Mauer von einer festen, einen eben aufgeworfenen weichen Wall von einem durch die Zeit gehärteten zu unterscheiden wissen, die losen mit einem Satz überspringen ( „clear them,“ wie der Kunstausdruck heißt) bei den festen, es sich bequemer machend, oben noch ein- mal aufsetzen. Alles dies geschieht eben so wohl im schnellsten Rennen, als auch mit der größten Ruhe im Schritt, oder mit einem nur ganz kurzen Anlauf. Einige Herren stürzten, wurden aber nur ausgelacht, denn wer sich nicht den Hals bei solcher Gelegenheit auf der Stelle bricht, darf, statt Beileid, hier nur auf Verspottung rechnen. Andre stiegen bei üblen Stellen ab, und ihre abgerichteten Pferde sprangen, mit herunter hängendem Zügel, noch vor ihnen leer hinüber, und erwarteten dann ihre Reiter, ruhig gra- send. Ich kann Dir versichern, daß ich gar oft dachte, diesem Beispiel folgen zu müssen, aber Capt. S …, der sein vortreffliches Pferd, welches ich ritt, kannte, und mir immer zur Seite war, encouragirte mich, stets nur ganz sicher dem Thiere zu vertrauen, so daß ich am Ende des Tages eine wahre Reputation unter den foxhunters erhielt. Gewiß ist es, daß man in Irland nur sieht, was Pferde zu leisten im Stande sind, die englischen können es ihnen hierin durchaus nicht gleich thun. Wo ein Mensch hinüber konnte, machte es mein Pferd auch möglich, auf eine oder die andere Manier hinüberspringend, kriechend oder kletternd, selbst durch Sumpfstellen, wo es bis an den Leib hineinsank, arbeitete es sich, ohne die geringste Uebereilung, langsam und bedächtig hindurch, wo ein zu lebhaftes und ängstliches, wenn auch noch so kräftiges Thier, bestimmt nicht wieder herausge- kommen wäre. Ein solches Schlachtroß im Kriege ist unschätzbar, aber nur Abrichtung von Kindheit an, verbunden mit der Güte der Ra ç e, kann es hervor- bringen. Daß aber die, Jahrhunderte fortgesetzte Er- ziehung, auch bei den Thieren, die angezognen Eigen- schaften zuletzt fast zu angeborenen, oder zur andern Natur werden läßt, lehrt die Erfahrung. Ich sah in England Hühnerhunde, die, ohne alle Abrichtung, beim ersten Ausgang, vor den Hühnern so fest stan- den, als wären sie mit dem Corallenhalsband dres- sirt worden. Die Preise dieser vortrefflichen Pferde waren, noch vor einem Jahrzehend, verhȧltnißmäßig äußerst mä- ßig, seit aber die Engländer angefangen haben, sie für ihre eignen Jagden aufzukaufen, hat sich dies ganz verändert, und ein Irländischer Hunter von der Qualität dessen, den ich heute ritt, wird nicht unter einhundert fünfzig bis zweihundert Guineen verkauft; mischt sich Liebhaberei hinein, so gilt er wohl auch vier bis fünfhundert. Auf dem Wettrennen bei Gall- way sah ich einen Vollblut-Schimmelhengst, ein be- rühmtes Jagdpferd, welches Lord Cl . . . . für die- sen Preis gekauft hatte. Dieser Hengst hatte jede Steeplechace gewonnen, die er gelaufen, war eben so leicht als kräftig, schnell wie der Wind, von einem Kinde zu regieren, und bis jetzt ihm noch keine über- springbare Mauer zu hoch, kein Graben zu breit ge- wesen. Endlich fanden wir die Hunde, deren Führer sich total betrunken hatten, und endeten unsere Jagd nicht eher, als bei einbrechender Dunkelheit. Es war em- pfindlich kalt geworden, und das flackernde Kamin- feuer, mit dem gedeckten Tisch davor, leuchtete uns gar angenehm durch die Fenster entgegen, als wir wieder auf Capt. S. Landhause ankamen. Ein äch- tes Jagd- und Junggesellenmahl folgte. Auf Ele- ganz und Prunk war es nicht abgesehen. Gläser, Schüsseln und Bestecke waren von allen Formen und Zeitaltern vereinigt; Einer trank seinen Wein aus Liqueur-, der Andere aus Champagner-, der Durstigste aus Biergläsern; Dieser speiste mit des Urgroßvaters Messer und Gabel, Jener mit dem neuen grünen Besteck, das der Bediente wahrschein- lich erst gestern auf dem Cashel’er Markt eingekauft hatte. Hunde waren dabei eben so viel im Zimmer als Gäste, bedienen that sich ein jeder selbst, und Essen und Getrȧnk schleppte eine alte Magd und ein plumpfäustiger Reitknecht reichlich herzu. Die Haus- mannskost war übrigens gar nicht zu verachten, eben so wenig der Wein, und der ächte, in den Bergen heimlich bereitete „Potheen,“ den ich hier zum ersten- mal ganz unverfälscht kostete. Um einen Pudding zu zuckern, wurden zwei große Stücken Zucker darü- ber gehalten, und an einander gerieben, wie die Wil- den Feuer zu machen pflegen, indem sie Holz so lange reiben, bis es zu brennen anfängt. Daß da- bei ungeheuer getrunken wurde, kann man voraus- setzen. Obgleich indeß Mehrere zuletzt nur noch stam- melten, beging doch keiner etwas Unanstȧndiges , und die wenigen vom Wein Bezwungenen, erhöhten die Lustigkeit durch manches gute Bonmot und drollige Erzählungen. Einer von ihnen, welcher früher lange in England gelebt hatte, behauptete Augenzeuge von der letzten Erscheinung Georg des III. im Parlament ge- wesen zu seyn, die er folgendermaßen erzählte: Be- vor der letzte König (hochselige würden wir Deutsche sagen, die selbst im Himmel noch die Seligen ein Ti- telchen mit einschwȧrzen lassen) völlig und auf immer von der Geisteskrankheit überwältigt wurde, die ihn nachher so lange unfähig machte, an den Regierungs- geschäften Antheil zu nehmen, trat die Epoche der Eröffnung des Parlaments ein, und der König, wel- cher zwar bedenkliche Anfälle, aber doch noch mehr lucida intervalla hatte, bestand darauf, das Parla- ment in Person zu eröffnen, und die übliche Rede selbst abzulesen, welche immer mit den Worten an- fängt: Mylords, and Gentlemen of the house of Commons ! Der König schien ganz vernünftig, und die Minister, obgleich nicht wenig besorgt, mußten sich seinem so bestimmt ausgesprochnen Willen fügen. Man mag sich aber ihren Schreck vorstellen, als der Kȯnig , die Gesellschaft lange und verwirrt fixirend, mit großem Pathos deutlich so anfing: Mylords and woodcocks, with their tails cocked up . . . . (My- lords, und Waldschnepfen, die ihr den Schweif em- porreckt) hierauf aber, ohne weitere Zeichen von Ge- störtheit, die Ablesung seiner Rede mit dem besten Anstand fortsetzte. Dieser Contrast, fügte der Erzäh- ler hinzu, war das Lächerlichste, und die Mienen der Parlamentsglieder, die nicht wußten, ob sie ihren Ohren trauen dursten, oder geträumt hätten, das unterdrückte Lachen Einiger, und das Staunen An- derer, die mit offenem Munde stehen blieben, war für den Zuschauer ein höchst amüsantes Schauspiel. Als man, nach dieser Erfahrung, Seine Majestät glück- lich zu Hause gebracht, ward keine weitere Probe ge- stattet, und er bis nach seinem Tode dem Publiko nicht mehr gezeigt. Die große Zuvorkommenheit, ja ich könnte sagen, den Enthusiasmus, mit dem man mich hier aufnimmt, habe ich allein meinem Besuch bei dem „Manne des Volks“ zu verdanken, mit dem man mich, blos Neu- gierigen, in Gott weiß welchem Rapport glaubt. Wo ich durch ein Dorf reite, wird mir ein Hurrah ge- bracht, und in Cashel ist jeden Tag der Markt, an dem ich wohne, früh schon mit Menschen angefüllt, um mich, sobald ich ausgehe, mit einem gleichen Geschrei zu empfangen. Mehrere drängen sich dabei herzu, und bitten, mir die Hand (verzweifelt derb) schütteln zu dürfen, ganz glücklich, wenn sie dies bewerkstelligt haben. Sehr spät brachen wir erst von Tisch auf, worauf ich, bei eiskaltem Nebel, mit noch einem Herrn in des Wirths carr eingepackt wurde, um nach Cashel zurückzukehren. Alles lief mit hinaus, um mir be- hülflich zu seyn. Der Eine zog mir ein Paar Filz- schuhe über, der Andere gab mir einen Pelz um, der Dritte band mir einen Foulard um den Hals, Jeder wollte wenigstens einen kleinen Dienst lei- sten, und mit vielen: God bless his Higness, ward ich endlich entlassen. Der Gentleman neben mir, Mr. O. R., war von Allen der Originellste und auch der Betrunkenste. Von gleich guter Meinung für mich, wie die Uebrigen, beseelt, wollte er mir stets etwas helfen, indem er das Uebel immer ärger machte; bald knöpfte er mir den Pelz auf, statt zu, riß mir das Tuch ab, statt es fester zuzubinden, und fiel mir auf den Schoß, wenn er mir mehr Platz machen wollte. Seine poetische Gemüthlichkeit zeigte sich eben so charakteristisch, als wir uns dem rock von Cashel nȧherten . Es war entsetzlich kalt, und der wolkenlose Sternenhimmel blinkte und flimmerte, wie soviel Diamanten; zwischen der Straße aber und dem Rock hatte sich ein dichter Nebel auf die Erde gelagert, der auch die ganze Umgegend verhüllte, sich aber nicht höher, als bis zum Fuß der Ruine, erstreckte. Diese erschien nun, da ihre Basis unsichtbar war, wie auf einer Wolke gebaut, im blauen Aether, mitten unter den Sternen, stehend. Ich hatte schon eine geraume Zeit dies Schauspiel still bewundert, als mein Nach- bar, den ich schlafend glaubte, plötzlich laut aufschrie: Ah! there is my glorious rock! look — how grand! and above all! sacred place, where all my ancestors repose, and where I-too shall lie in peace ! — (Ha! da ist mein erhabner Felsen! sieh — wie grandios! und erhaben über Alles! heiliger Ort! wo alle meine Vorfahren ruhen, und wo auch ich einst in Frieden liegen werde!) — Nach einer Pause versuchte er, in erhöhter Extase, aufzustehen, worüber er indeß, ohne mich, wahrscheinlich vom Wagen ge- Briefe eines Verstorbenen. II. 8 fallen wäre. Als er festen Fuß gefaßt, nahm er den Hut tief ab, und mit einer rührenden, wenn gleich burlesken, Frömmigkeit, rief er mit Thränen im Auge: God bless almighty God, and Glory tohim (Gott segne den allmächtigen Gott, und Glorie sey ihm!) Ohngeachtet des Unsinns, den die verdoppelte Kraft des Rausches ohne Zweifel verursachte (Gott segne Gott) so ergriff mich doch auch das innige Gefühl , und diesem wenigstens stimmte ich von ganzer Seele bei. Den 15 ten. Lord H . . . ., den ich in London gekannt, und der eine schöne Besitzung hier in der Nähe hat, lud mich ein, einige Tage bei ihm zuzubringen, was ich nicht annehmen mochte, aber heute bei ihm zu Mit- tag speiste. Der gut gehaltne pleasureground, und das Ausgraben eines Sees, mit dem man eben be- schäftigt war, erinnerten mich zu lebhaft an das Schloß, wo Du meine Theure, jetzt hausest, um ohne Bewegung darauf blicken zu können. Wann werden wir dort uns wiedersehen, wann wieder unter den drei Linden häuslich mit den Schwänen frühstücken, die uns so zutraulich ihr Futter aus der Hand nah- men, während zahme Tauben die Brosamen auflasen, und der kleine Coco, verwundert und eifersüchtig, die zudringlichen Vögel mit den klugen Augen anblin- zelte — ländliches Bild, über das der verknorpelte Weltmann höhnend die Achseln zuckt, das uns aber in aller seiner Einfachheit das Herz bewegt! Lord H. ist einer von den irländischen Vornehmen, die zwar ihre Revenuen nicht ganz ihrem Vaterlande entziehen, und zuweilen daselbst residiren, aber doch ihren eignen Vortheil so übel verstehen, daß sie sich mit dem Volk in Opposition setzen, statt sich an seine Spitze zu stellen. Der Erfolg bleibt nicht aus. Der Earl of Landaff, auch ein Protestant, ist ge- liebt, Lord H … gehaßt, obgleich er persönlich es mir durchaus nicht zu verdienen scheint. Man erzählte mir zwar viel von seinen, gegen Catholiken ausgeübten Grausamkeiten, und ich war selbst Zeuge seiner leidenschaftlichen Stimmung in dieser Hinsicht, glaube aber, daß hier, wie so oft in der Welt, eine bloße Aenderung der eignen Ansicht auch die ganzen Verhältnisse verändern würde . Dies ist eine Hauptregel praktischer Le- bensphilosophie, und der Effekt sicher, denn die Ob- jekte sind nur Stoff; wie sie das Subjekt versteht und formt, darauf kömmt Alles an. Wie manche Lage kann man auf diese Weise aus schwarz in ro- senroth übergehen sehen, sobald man nur durch Wil- lenskraft entweder die schwarze Brille abnimmt, oder die rosenrothe aufsetzt. — Mit welcher Brille wirst Du meinen Brief lesen? — ich höre die Antwort von hier, und küsse Dich dafür. Der Himmel behüte Dich, und erhalte Dir diese Gesinnungen. Dein treu ergebner L . . . . 8* Neun und dreißigster Brief. Ban … den 17 ten October 1828. Liebste Julie ! Seit gestern befinde ich mich zum Besuch in einem hübschen gothischen Schlößlein, am Fuß des Gebür- ges. Aus einem Fenster sehe ich fruchtbare Fluren, aus dem andern Wald, See und Felsen. Der Hausherr ist Mr. O. R . . . . . s Bruder, und, außer seinem Schloß, auch der Besitzer einer sehr hübschen Frau, der ich ein wenig die Cour mache, denn die Herrn jagen und trinken mir doch zu viel. Das Fa- miliengut hätte eigentlich meinem drolligen Freunde gebührt, weil er aber stets ein lockerer Zeisig war, der von Jugend auf Whiskeypunsch und gutem Le- ben zu ergeben schien, so vermachte der Vater, der die Disposition hatte, das Gut dem jüngsten Sohne. Beide Brüder sind dennoch die besten Freunde, und die harmlose, gutmüthige Natur des Aeltern findet durchaus keinen Wermuth in dem Wein, den er bei seinem Bruder trinkt; so wie auch auf der andern Seite der Jüngere das Unglück ehrt, und seinen eben so herzensguten und amüsanten, als alle Abend betrunkenen Senior, es an nichts fehlen läßt. Ein solches Verhȧltniß macht Beiden Ehre, um so mehr da, bei des Vaters Tode, die Advokaten meinten, daß der Fall sich gar sehr zum Prozeße eigne, Beide haben gewiß eben so klug als gut gethan, ihn zu un- terlassen, und die Auster für sich zu behalten, statt sie wie in der Carrikatur, vom Advokaten verzehren, und sich selbst mit den beiden Schalen abspeisen zu lassen. Wir brachten den ganzen Tag mit Spazierengehen in den herrlichen Bergpromenaden, Andere mit Schnepfen- schießen, zu, und saßen Abends bis 2 Uhr Mor- gens beim Mittags -Tisch. Gleich nach aufgestell- tem Dessert verließen uns, nach alter Art, die Da- men und nun ging das Weintrinken an. Dann wurde ganz spät der Caffee bei Tisch gereicht, und ihm folgte, fast auf dem Fuße, ein ercitirendes Soup é , aus Devils Diese werden, wie mein seliger Freund oft rühmte, in Irland besonders gut zubereitet, und bestehen aus Geflügel, das man theils trocken, mit Cayenne- Pfeffer grillirt, theils mit einer brennend starken Sauce, en sauté, servirt. A. d. H. für etwanige Gourmand’s unter den Lesern. aller Art, frischen Austern und Pick- les bestehend. Diese bildeten das Präludium zum Potheenpunsch, von dem Mancher 12—16 große Tumblers zu sich nahm, wȧhrend O. R . . . . die ganze Gesellschaft, mit unerschöpflichem Witz und Narrenspossen, in einem „roar of laughter“ er- hielt. Ueberdieß mußte jeder ein Lied singen, auch ich ein deutsches, von dem zwar niemand etwas verstand, Alle aber höflichst erbaut waren. Um 2 Uhr retirirte ich mich, die Andern blieben aber noch Alle, und lange konnte ich vor ihrem Lärm und La- chen, in meiner unglücklicherweise grade über ihnen liegenden Stube, nicht einschlafen. Den 18 ten. Du wirst Dich über das etwas gemeine Leben ver- wundern, das ich hier führe — und aufrichtig ge- standen, ich selbst wundere mich darüber, aber es ist genuine, d. h. bei den Leuten ächt natürlich und nicht etwas Angenommenes — das hat immer eine Art Reiz, wenigstens für mich. Ueberdem ist die Frau vom Hause wirklich allerliebst, lebhaft und gra- zieus, wie eine Französin, und einem Füßchen, wie Zephyr, das ich schon oft geküßt, wenn ich ihr, wäh- rend die andern tafelten, eine kurze Abendvisite machte, und mich anstellen durfte, als sey mir der ungewohnte Punsch ein wenig zu Kopfe gestiegen. Diesen Morgen hetzten wir Hasen, wobei wieder mancher kühne Sprung gemacht werden mußte, und Abends produzirte man uns den berühmtesten Piper Irlands, Keans Fitzpatrick, der König der Piper ge- nannt, den auch His gracious Majesty, King Ge- orge the fourth , mit seinem Beifall beehrt hat. In der That sind die Melodieen, die er seinem son- derbaren Instrumente abgewinnt, oft eben so über- raschend als angenehm, und seine Fertigkeit, wie der höchst gebildete und noble Anstand des blinden Man- nes, eines Virtuosen würdig. Diese Pipers, welche fast Alle blind sind, und sich aus weitem Alterthum herschreiben, sangen jetzt an immer mehr zusammen- zuschmelzen, denn das Alte — muß vergehen. Den 19 ten. Im Laufe des Tages begegneten wir heute zwei Leuten, von sehr verdächtigem Aeußern, im Walde, die meine Begleiter mir ganz unbefangen, als be- kannte Rȧuber designirten, die sich, theils durch List, theils durch die Furcht die sie einflößen, bis jetzt im- mer frei zu erhalten gewußt hätten; ein Zeichen mehr wie mangelhaft das Gouvernement, und ganz verdorben der Zustand der Gesellschaft hier ist, zwei Dinge, wodurch leider Irland characterisirt wird. Beide Leute, die sich Pächter ( farmers ) nennen, weil sie ein Stück Kartoffelfeld in Pacht genommen, wa- ren von höchst auffallendem und recht nationalem Ansehen. Der Eine, ein schlanker, etwa 40jähriger, schöner Mann, mit einer wilden, aber imponirenden Physiognomie, stellte, selbst in seinen Lumpen, noch ein höchst pittoreskes Bild dar. Verachtung jeder Gefahr war auf seiner edlen Stirn ausgedrückt, Gleichgültigkeit gegen jede Schande spielte höhnisch um den frechen Mund. Seine Geschichte bestätigte diese Sprache seiner Züge. Er trug drei bis vier Militair-Medaillen, die er als Soldat in Spanien und Frankreich erworben. Wegen vielfach bewiesener Tapferkeit hatte man ihn schon einmal zum Unter- offizier avancirt, wegen lüderlicher Streiche aber wie- der degradirt; darauf hatte er zum zweitenmale ge- dient, sich wieder ausgezeichnet, war aber auch von neuem aus demselben Grunde verabschiedet worden, ohne daß man jedoch im Stande gewesen, ihn eines Capital-Verbrechens zu überführen. Jetzt hat man ihn im strengsten Verdacht, der Anführer der Räu- berbanden zu seyn, welche das Galtee-Gebürge so sehr beunruhigen, und bereits verschiedene Mordtha- ten begangen haben. Sein Gefährte war äußerlich ganz das Gegentheil — für einen irländischen Far- mer selten „wohl gekleidet“ d. h. nichts Zerrissenes tragend, 60 Jahre alt, kurz und untersetzt, und im Benehmen fast einem Quȧcker ähnlich. In den schein- heiligen Zügen lauschte aber dennoch ein solcher Grad von List und schonungsloser Entschlossenheit, daß er viel furchtbarer noch als der Andre erschien. Vor zwei Jahren wurde dieser Mann der Verfertigung falscher Banknoten angeklagt, und war bereits so gut als überwiesen, als ein geschickter Rabulist, dem er sich vertraute, ihn, gegen das Versprechen einer reichen Belohnung, noch glücklich vom Galgen be- freite. Thränen der Dankbarkeit vergießend, steckte er seinem Erretter 50 Pfund in die Hand, ihn schluch- zend um die übliche Quittung bittend. Diese wurde ausgestellt, und vergnügt über das gute Geschäft, füllte der Advokat seine Brieftasche. Wie groß war aber sein Aerger, als er, bei näherer Untersuchung, sich überzeugen mußte, daß ihn Paddi mit ähnlichen falschen Noten bezahlt, für deren Versertigung er dem Galgen schon anheim gefallen war. Wenn die Irländer sich auf die schlechte Seite wenden, (und zu verwundern ist es, daß sie es nicht Alle thun) so sind sie gefährlicher als Andere, weil ihre hervor- stehenden Eigenschaften, Muth, Leichtsinn und Schlauheit, ihnen mehr als zu behülflich sind, Alles zu wagen, und Vieles mit Erfolg auszuführen. Während wir beim Soup é unsre Austern verzehr- ten, die an der westlichen und Südküste Irlands vortrefflich sind, gab uns ein Herr aus dieser Ge- gend, der selbst Austerzucht auf seinem Gute übt, einige Details über ihre Behandlung und Naturge- schichte, die mir ganz neu waren. Je vous les com- munique, mème au risque de vous ennûyer . Für’s Erste mußt du also wissen: daß dreijährige Austern zum essen die besten sind, weil sie dann erst, völlig ausgewachsen, die gehörige Größe und Korpulenz erreichen; später aber werden sie Coriace. Der ge- schickte Austernökonom hat Bänke von jedem Alter, und nach Beschaffenheit des Bodens, Austern von verschiedenem Geschmack und Flavour. In den von der Kunst ungestörten Plätzen, wo sich die Austern im Naturzustande vermehren, erreichen sie nie die höchste Vollkommenheit. Auf folgende Art kömmt man ihnen zu Hülfe. Man fischt die Jungen, wenn sie nicht größer sind als ein Viergroschen-Stück, und sȧet sie, wie Korn, in eine nicht zu weit vom Ufer entfernte Stelle des Meeres, deren Boden ein wei- cher Schlamm seyn muß, und die nicht mehr als höchstens 14 Fuß Tiefe haben darf. Nach drei Jah- ren fischt man sie wieder heraus, und sȧet dann von neuem andere aus der Mutterbank. Natürlich hat man mehrere solche Schlammbänke im Gange, um jedes Jahr eine reif gewordene leeren zu können. Es scheint, daß die Austern sehr alt seyn müssen, ehe sie sich vermehren, da in den eben beschriebenen artificiellen Colonieen nie neue Geburten statt fin- den. Die Art dieser Geburt ist übrigens sonderbar, ein neues Beyspiel der unendlichen Mannichfaltigkeit der Natur. Wahrscheinlich ist die Auster ein Her- maphrodit, da keine Verschiedenheit des Geschlechts bemerkt werden kann, und sie sich nur dadurch fort- pflanzt, daß, außerhalb ihrer Schale, sich 15 — 16 kleine Austern, wie Warzen, bilden, und wenn sie gehörige Consistenz erlangt haben, abfallen. Die Hervorbringung dieser 16 Kinder greift die alte Ma- maauster dergestalt an, daß, wenn man sie nachher aufmacht, nichts wie ein wenig schlammiges Wasser in ihr gefunden wird, und gleich nachdem die Klei- nen abgefallen sind, gräbt sie sich 6 — 7 Zoll unter den Schlamm ein. Hier bringt sie ein ganzes Jahr zu, ehe sie sich genug erholt hat, um von neuem ans Zeugen zu denken. Deshalb kann man in dieser Zeit die Jungen bequem fischen, ohne den Alten zu nahe zu kommen, die ruhig in der Tiefe schlafen oder träumen! Das Fischen der Austern geschieht vermöge eines Instruments, denen ähnlich, mit welchen man Schlamm aus den Flüßen heraufbringt, und beim Säen werden sie in ein Segeltuch geworfen, und, wie schon gesagt, wie Getreide ausgesäet. Sehr alte Mütter werden endlich unfruchtbar, indem ihre Schale eine solche Dicke erreicht, daß Liebe nicht mehr durchdringen kann — grade wie die Menschen- Herzen. Cashel den 20 sten. Nachmittag fuhren wir hierher zurück, nach eini- gen, recht lustig, wiewohl nicht eben geistig, verleb- ten Tagen. Um meine intellektuellen Kräfte nicht ganz einschlafen zu lassen, will ich mich bemühen, Dir ein Volksmährchen genießbar zu machen, das mir eine alte Frau in Holy Croß erzählt hat. Johny Curtin war ein armer Schüler, einer dun- keln Sage nach, der Abkömmling eines in alter Zeit hohen und mächtigen Geschlechts, dessen Glanz indeß längst verloschen, dessen Reichthümer verschwunden und dessen Nachkommen, immer tiefer hinabsinkend, seit vielen Jahren, ihres eignen Ursprungs ungewiß, genöthigt gewesen waren, das Handwerk „mit gold- nen Boden“ zu ergreifen, das zuletzt immer sicher, wenn auch nicht reichlich nȧhrt . Johny’s Vater und Mutter aber hatte der Tod hingerafft, ehe er selbst für sich zu sorgen im Stande war, und eine hülflose Waise, lebte er nun allein von der Großmuth sei- nes Verwandten, eines Pächters in der Nähe der Ruinen von Holycroß, wo er jetzt eben auch die Schulferien zubrachte; denn Johny war fleißig und wißbegierig, und der Oheim gutmüthig genug, ihn bei der Arbeit oft zu entbehren, um ihm Zeit zu lassen, auf der Schule zu erlernen was dort zu er- lernen war. Lernen und Wissen erweitert unsre Existenz, ge- biert aber auch manche Sorge, manches nur einge- bildete Uebel, das im einfacheren Wirkungskreise un- bekannt bleibt. Johny kannte die Geschichte seines Vaterlandes, wußte wie die alte Größe fast überall gebeugt worden war, und die eigentlichen Fürsten des Bodens Fremdlingen weichen mußten, die, wie Pilze aufgeschossen, den edleren Pflanzen die Nah- rung entzogen, bis die unerbittliche Zeit endlich Al- les verwandelte, und die, deren Vorfahren Könige waren, zu nichts Besserem als Sclaven gestempelt hatte. Er selbst sah sich in vollem Maße für einen Solchen an, und die geringen Freuden, deren seine Lage fähig war, wurden nur zu oft durch selbstpei- nigende Gedanken dieser Art getrübt. In dieser Stimmung waren die stolzen Ueberreste verhallter Jahrhunderte, die Tipperary’s Fluren, gleich einem großen Kirchhof, bedecken, das gewöhn- liche Ziel seiner einsamen Wanderungen, und der Lieblingsaufenthalt des schwärmenden Jünglings. Manche Sommernacht brachte er in der verwitterten Cathedrale zu, die auf Cashels Felsen, in nackter Erhabenheit, thront, durchirrte in der Mittagssonne die sumpfigen Wiesen, in die seit acht Jahrhunderten Athassil’s Abtei immer tiefer versinkt, oder ruhte im Schatten des Raubschlosses von Golden, dessen zehn Fuß dicke Mauern der Zeit noch trotzten, wie sie so lange manchem Feinde getrotzt. Doch vor Allem theuer waren ihm die prächtigen, von Epheu einge- hüllten, Ruinen des Klosters von Holycroß, wo der Fremde noch jetzt das wunderbar erhalt’ne Grab des großen O’Bryan’s, Königs von Limmerick, bewun- dert, und wo auch, im bescheidnen Winkel, Johny’s Eltern schliefen. Vor seiner Phantasie aber bevöl- kerte es sich noch mit andern wunderbaren Gestalten, unter denen die Geister seiner großen Vorfahren, die, wie er oft gehört, ihre Ruhestätte hier gefun- den, den ersten Rang einnahmen. Möglich, daß seine Vermuthung ihn nicht betrog, denn, der poeti- schen Sitte seines Volks gemäß, wird nicht der Platz um die ärmliche Kapelle, in der die Bedrückten jetzt ihren kaum geduldeten Gottesdienst feiern, gewählt, sondern die erhabnen Ruinen ihrer alten Kirchen und Klöster vertreten die Stelle zum Begräbniß für hoch und niedrig, daher sieht man hier den Boden auch überall von aufrecht stehenden Grabsteinen wim- meln, untermischt mit Knochenhaufen und Schädeln, die, um den neuen Ankömmlingen Platz zu machen, sorglos ausgeschaufelt wurden. Hier, in einer Fen- sternische sitzend, verträumte Johny Stunden auf Stunden, bis die Sonne über dem majestätischen Galtee-Gebürge herabsank, dessen dunkle Riesen al- lein unverändert jedes Jahrhundert und jede Um- wälzung überlebt hatten. Eines Abends, wo er sich mehr bewegt als je ge- fühlt, sehnsüchtig in die Vergangenheit und trostlos in die Zukunft geblickt, und ihm endlich gedäucht, daß immer hörbarer die Geister der Abgeschiednen in seiner Nähe gerauscht — versank er, die Augen noch von wehmüthigen Thränen naß, in einen tiefen Schlummer. Wie lange er geschlafen, wußte er nicht; ob er nachher geträumt, oder wirklich gesehen was ihm erschienen, blieb ein nie mehr zu enthüllendes Räthsel. Genug, er glaubte mitten in der Nacht zu erwachen, und jeden Raum der weiten Kirche, bis in die entferntesten Winkel, von einem überirdi- schen Lichte erleuchtet zu sehen, das mit der Klar- heit des Tages den Silberschein des Mondes und den rosigen Schimmer der Abendröthe verband. Vor ihm aber stand ein weibliches Wesen, in ein schloh- weißes Gewand, wie eine wallende Wolke, gehüllt, und zwei Augen funkelten ihm aus der Wolke ent- gegen, gleich Sternen in einer Decembernacht. Eine Stimme, deren Ton Johny nie genügend beschreiben konnte, deren Zaubermelodie aber jede Nerve zu stärken, jede Furcht zu beschwichtigen, und frohen Le- bensmuth, wie Feuer, in jede Ader zu strömen schien, rief ihm freundlich, in sanft verhallenden Tö- nen zu: Mein Sohn! weißt Du wo Du bist? „Wo ich bin —“ erwiederte Johny, sich die Augen rei- bend. Gewiß — in Holycroß. „Weißt Du auch, daß hier im grauen Alterthume Deine Väter herrschten, und alles Land, was Deine Augen oft von jenem Thurme überblickten, einst ihr Eigenthum war?“ Ha! ich ahnete es — o! warum konnten sie es nicht besser bewahren, auf daß ihr Enkel nicht heute in Armuth und Sorge sein saures Brod von frem- der Gnade betteln müßte. „Johny!“ fuhr die Stimme fort, „laß die Vergangenheit ruhen — von Dir allein wird es abhängen, so groß zu werden als unsre Voreltern waren, wenn Du Muth mit Klugheit ver- bindest. Dein Glücksstern brachte Dich grade diese Nacht in die Mauern der Abtey, wo ich, die einst hier gebot, jetzt alle hundert Jahr nur einmal noch erscheinen darf. Wisse denn — daß ein unermeßli- cher Schatz, unsrer Familie angehörig, hier vergra- ben liegt, der, wenn du ihn erhebst, dich reicher als einen König machen wird. Doch John Curtin! merke wohl auf was ich dir sage, denn ich kam heute zu deinem Heil, wenn du es zu nützen verstehst; aber nie siehst du mich auf dieser Welt wieder. — Du kennst den Hügel über der Abtey, den gesegne- ten Fleck, wo der Splitter des heiligen Kreuzes bei der Abteyglocke süßem Klange herabfiel, und wo die gute Alte ihrem Sohn begegnete, als er von Jeru- salem zurückkam. Du kennst den uralten Tarus- Baum, der dort einsam steht, nahe am Wege, auf der Erhöhung von Erde und Steinen. Dort grabe 6 Fuß weit vom Baum, in der graden Linie des Abteythurms, und grabe 6 Fuß tief. Das Werk muß in der todten Stunde der Nacht vollbracht, und — sey dessen wohl eingedenk! — kein Wort dabei ge- sprochen werden, oder wehe denen, die es unter- nahmen!“ Hier schien ein lichter Blitz durch die Kirche zu zucken, und ein heisres Lachen an sein Ohr zu schla- gen; Johny fuhr auf wie aus einem Traume, aber tiefe Dunkelheit umfing ihn, und unüberwindliche Schlafsucht drückte ihm von neuem die Augen zu. Als er erwachte, war er nicht wenig erstaunt, sich auf seinem Strohlager bei Dick Cassidy, seinem Vet- ter, zu finden, ohne alle Erinnerung wie er zu Hause gekommen. Hatte er wirklich nur getrȧumt ? war alles blos ein Gaukelspiel seiner erhitzten Phan- tasie? — es mußte wohl so seyn, denn der Wahr- heit zu Ehren darf man nicht verbergen, daß Johny, ehe er seiner Lieblings-Ruine zuwandelte, bei einem guten Kameraden den Mittag verbracht, und den Whiskey-Punsch nicht geschont hatte, ja Bridget, die Hausmagd, behauptete sogar, sie habe, als Johny so spät zu Hause kam, gleich gemerkt, daß der Potheen-Geist mächtig in ihm sey, und dieser Geist ist Manchem schon nachher in den seltsamsten Varia- tionen und Formen wieder erschienen, wenn er ein- mal mit ihm in Gemeinschaft getreten. So sprach Johny zu sich selbst, aber die kältere Vernunft mochte anführen, was sie wollte, immer richteten sich seine Schritte nach der Gegend der Abtei, und wenn er den einsamen Taxus-Baum nur von fern erblickte, schlug ihm das Herz stärker, das Blut schoß ihm in die Wangen, und Bilder künftiger Größe gaukelten vor seinem innern Auge, immer bunter und glänzen- der, umher. Der Dämon der Begehrlichkeit hatte Besitz von seiner Seele genommen. — Er beschloß endlich seinen Verwandten, der ein bedächtiger und verständiger Mann war, zum Vertrauten zu machen, und seinem Ermessen die Sache anheim zu stellen. Wider Vermuthen nahm Dyk die Eröffnung weit gläubiger auf, als Johny gehofft, und Habsucht und Aberglauben, von denen auch der Alte nicht frei war, entschieden beide schnell zur That. Man kam über- ein, daß der Versuch so schleunig als möglich ge- macht, und der Schatz, sobald er gehoben, treulich unter Beide vertheilt werden solle. Nach einem guten Abendessen, und mehr als einem Glase blessed Whiskey zur Herzstärkung, machte Briefe eines Verstorbenen. II. 9 sich Dyk und Johny auf den Weg. Sie mußten nahe unter den Mauern von Holycroß vorüber, und der Wind, der sich stürmisch zu erheben begann, schüttelte die Aeste der alten Eschen so schaurig, rauschte so hohl und dumpf durch den dicht verschlun- genen Epheu, und warf mit solcher Gewalt große Steine von den Mauern hinab in ihren Weg, daß beiden immer übler zu Muthe ward. Indeß nah- men sie sich zusammen, und schnell über die Brücke eilend, die hier u̇ber den Suir führt, richteten sie ihre Schritte eiligst nach dem angezeigten Baum. Sobald sie ihn erreicht, verlor Dyk keinen Augen- blick länger, warf seinen Rock ab, maß sorgfältig die sechs Schritte vom Erdhaufen nach dem Abteithurm, und begann aufs emsigste zu graben. Johny folgte schweigend seinem Beispiel, und nachdem so unter manchem innerlichen Stoßgebet und Zeichen des heili- gen Kreuzes, eine Stunde verflossen seyn mochte, fühlte Dyk zuerst seinen Spaten auf etwas Hartes stoßen. Die lose Erde wegschaufelnd, fanden sie, daß ein platter breiter Stein vor ihnen lag. Lange quälten sie sich vergebens, ihn von der Stelle zu bringen, und nur nach unsäglicher Anstrengung ge- lang es ihnen endlich, denselben ein wenig zu lüften, und dann mit Hülfe eiserner Hebel, die sie vorsichtig mitgenommen, völlig umzukippen. Sie wurden da- durch eine schmale Treppe gewahr, und ermuthigt durch die jetzt gewonnene Ueberzeugung, daß die Er- scheinung sie nicht betrogen, zündeten sie ihre Blend- laternen an, und stiegen voller Zuversicht, wenn gleich nicht ohne einigem Schauer, Einer nach dem Andern, langsam hinab. Die Stufen führten in eine lange Gallerie, an deren Ende ein schweres eisernes Thor allem weitern Vordringen ein Ende zu machen schien. Näher kommend, fanden sie je- doch einen goldnen Schlüssel darin stecken, der es auch mit Leichtigkeit aufschloß. Sie schritten nun in dem sich gleich darauf wendenden Gange kühn weiter, und bemerkten bald ein anderes Thor, über dem, in Brusthöhe, ein durchsichtiges Gitter ihre Blicke auf sich zog. Johny erhob die Laterne, um Dyk hin- durch sehen zu lassen, doch kaum hatte dieser einen Blick hineingeworfen, als er voller Freuden aufschrie: Hurrah, bei Noonans Geist! wir sind gemachte Leute! — Das letzte Wort schwebte noch auf seinen Lippen, als ein furchtbarer Donner krachend das Gewölbe zusammen brach — ein sausender Wirbel- wind schlug die Laterne zu Boden, und Johny, flach auf sein Antlitz stürzend, verlor in unnennba- rem Graus Gedächtniß und Besinnung. Als er wie- der zu sich kam, lag er unter dem einsamen Tarus- baum und eine hohe Flamme spielte, gleich einem riesigen Irrlicht, auf dem Thurme der Abtei. Eine schwarze Figur schien lustig darin zu tanzen, und stärker erscholl, dicht neben ihm, dasselbe heisere Lachen, das er in der Ruine zu hören geglaubt. Wie er aber, von Schrecken bleich, sich nach seinem Vetter umsah, lag, von der Flamme grell erleuchtet, Dyk, mit umgedrehtem Halse, neben ihm, die blau 9* geschwollnen Züge schauderhaft verzerrt, und die starren Augen fest auf Johny gerichtet. Herzens Julie, ich fürchte, das materielle Leben dieser Tage hat mich ein wenig dumpfsinnig gemacht, und meine Geschichte trägt die Farbe davon. Sie sieht in der That wie der Traum einer Indigestion aus. Nach einigem Fasten produzire ich Dir indeß vielleicht eine bessere. En et t endant wünsche ich Dir gute Nacht, und angenehmere Träume als dem armen Johny. Den 21 sten. Ich hatte die Hospitalität der guten Landjunker hier so oft in Contribution gesetzt, daß ich en con- science sie einmal erwiedern mußte, und lud daher vor meiner Abreise heute Alle zu einem kleinen Fest bei mir ein. Früh gab ich ihnen ein Hahnengefecht, car il faut hurler avec les loups, dann Conzert des großen Piper’s, einen Spazierritt auf ihren eig- nen Pferden, und zuletzt grand festin, grande chair et bon feu. Während unsres Rittes kamen wir an eine Stelle, wo vor drei Jahren ein Magistrat, mit Namen Baker, erschossen wurde. Dies war ein Charakter, vollkommen dem der Iffländischen Amt- männer gleich, nur leider ohne eine, ihm entgegen- arbeitende, edle Seele. Den Tag vor seinem Tode hatte er noch zu einem Manne, den er, auf vor- gegebnen Verdacht revolutionairer Umtriebe, sechs Wo- chen in Ketten legen lassen, indem er ihn endlich frei ließ, ganz ȯffentlich gesagt: Vorigen Monat schickte ich zu Euch und verlangte Euch zu sprechen. Ihr kamt nicht, — dafür habe ich Euch jetzt die kleine Lektion gegeben, die Euch künftig, wie ich hoffe, etwas geschmeidiger machen wird. Ist es nicht der Fall, so sollt ihr in sechs Wochen baumeln, dar- auf verlaßt Euch! Die Grafschaft war nämlich da- mals, nach einer partiellen Empörung, unter martial law (Kriegsgesetz) gestellt, und den Behörden so lange fast unumschränkte Macht eingeräumt, weshalb sie sich Alles erlauben durften. Die Ursache von Bakers Ermordung war von der Art, daß man ihn kaum bemitleiden kann. Er schuldete einem Milch- händler 500 Lst., theils für gelieferte Waare, theils für baar hergeliehenes Geld, und hatte versprochen, die Summe zu bezahlen, sobald der Mann seine Tochter verheirathen würde, für welche dieselbe als Ausstattung bestimmt war. Der Fall trat nach eini- gen Jahren ein, und der Milchhändler bat beschei- den um sein Geld. Da indeß Baker ihn immer mit Ausflüchten hinhielt, und er nichts als vague Ver- sprechungen von ihm erhalten konnte, drohte er end- lich mit einer gerichtlichen Klage, und reiste auch nach Cork, um sich deshalb mit einem Rechtsgelehr- ten zu besprechen. Diese Abwesenheit benutzend, er- schien Baker schon des andern Tages in seinem Hause, von einem Detachement Soldaten gefolgt, und frug gleisnerisch die, mit ihrem siebenten Kinde eben schwanger gehende Frau, ob sie etwas von im Hause versteckten Waffen wisse, da eine schwere An- klage gegen ihren Mann gemacht worden sey. Diese versicherte gutes Muths, daß so etwas in ihrem Hause gewiß nicht existire, da ihr Mann nie sich dergleichen Umtriebe zu Schulden kommen lassen, wie er ja selbst, als sein alter Bekannter, am besten wis- sen müsse. Gebt wohl acht, was ihr sagt, rief Baker, denn findet man etwas und ihr habt es ver- läugnet, so verurtheilt Euch das Gesetz ohne Gnade zur lebenslänglichen Transportation. Die Frau blieb bei ihrer Aussage. „Nun wohlan, auf Eure Ge- fahr! Soldaten!“ befahl er, „durchsucht Haus und Scheune aufs genauste, und bringt mir Rapport, was ihr gefunden.“ Man fand nichts — als aber unter Bakers eigner Anführung eine zweite Nach- suchung gehalten ward, brachte Jemand eine geladne Pistole hervor, die angeblich unter dem Stroh ver- steckt gewesen seyn sollte, von der man aber immer vermuthet hat, daß Baker sie selbst dahin praktizirte. Die Frau wurde sogleich fortgeschleppt, und durch das Corpus delicti bereits als überführt betrachtet, nach kurzem Prozeß zur Transportation verdammt. Ihr Mann kam wenige Tage darauf zurück und suchte Himmel und Erde für ihre Freiheit zu bewe- gen. Vergebens flehte er, daß man wenigstens ihn an die Stelle der unglücklichen Frau, einer schwan- gern Mutter von sechs Kindern, nach Botanybay schicken möge. Er offerirte auch das Geschenk der 500 Lst. Aber Baker blieb unerbittlich, den Ver- zweifelnden höhnisch erinnernd, „daß er dies Geld ja brauche, die Tochter auszustatten, welche,“ setzte er hinzu, „ihm jetzt die Wirthschaft führen könne, wenn er anders, in Folge der eingeleiteten Unter- suchung, noch eine Wirthschaft behielte. Für das Reisegeld seiner Frau brauche er aber nicht zu sor- gen, denn dies übernähme großmüthig das Gouver- nement.“ Das Gesetz hatte wirklich seinen Lauf, die arme Frau wurde transportirt, und ist vielleicht noch in Port Jackson. Aber die zur Wuth gebrachten Menschen, ihr Mann, Bruder und noch zwei andere, rächten ihr trauriges Schicksal, kurze Zeit darauf, durch Bakers grausame Ermordung, den sie mitten im freien Felde anfielen, gleich einem Wilde hetzten, und endlich mit mehrern Schüssen langsam erlegten. Alle wurden ergriffen und gehangen. Solche Schaudergeschichten waren damals in dem unglücklichen Lande alltȧglich , und noch jetzt kom- men ähnliche vor. Daß aber ein solcher Contrast zwischen England und Irland, unter demselben Gou- vernement statt finden, und so lange fortbestehen kann, ist für jeden Menschenfreund wahrhaft betrü- bend, um so mehr, wenn man bedenkt, daß nux un- bezwingliche Bigotterie und frühere Raubsucht, deren Beute man nicht wieder herausgeben will, die Ur- sache, 6,000,000 Menschen aber die Opfer davon sind. Von meinem Feste sage ich nichts. Es glich den andern, und dauerte mehr als zu lange. Nur zweier Anekdoten will ich erwähnen, aus Venus und Bacchus Reiche entlehnt, weil sie mir bemerkenswerth, und die Sitten gut schildernd erscheinen. Ich bitte im Voraus um Verzeihung, wenn die erste Dir ein wenig zu frei vorkömmt, aber man kann ohnmöglich wie Du, so vielen Gelagen in der Provinz beiwohnen, ohne auch einmal etwas Verfängliches zu hören. Uebrigens ist das Ganze eine öffentlich verhandelte Kriminal- Geschichte, und in so fern wohl auch einem vertrau- ten Briefe einzuverleiben. Man neckte einen der Gäste mit seinen Liebesge- schichten, und Jemand meinte, er wäre wohl auch im Stande, es seinem Cousin R ..... nachzuthun. Ich frug, was dieser Cousin gethan, und erhielt fol- gende Auskunft: Voriges Jahr, sagte mein Bericht- erstatter, brach der Gentleman, von dem die Rede ist, den Hals auf einer Fuchsjagd, was gewiß manche Tugend gerettet hat, und auch vielleicht ihn selbst vor einem schlimmern Tode bewahrt, dem er schon einmal ganz nahe war. Die Sache hat in unsrer Criminal-Geschichte nicht wenig Aufsehen gemacht, und möchte nicht so leicht einen Nachahmer finden. M. R., schon berühmt durch vielfache Avantüren, stellte lange vergebens der hübschen Tochter eines Pȧchters nach, ohne daß es ihm gelingen wollte, sie zu einem rendez-vous zu bringen, oder sonst allein zu treffen. Endlich begegnete er ihr einmal, ohnfern ihres Vaters Haus, wie sie eben zum Brunnen ging, zwei Wasserkannen über die Schultern gehangen, und sie mit beiden Händen haltend, wie es hier die Land- mädchen zu thun pflegen. Eine Weile mit ihr scher- zend und allerlei zärtliche Possen treibend, benutzte er plötzlich ihre vertheidigungslose Stellung und — enfin, es gelang ihm, halb wenigstens gewiß mit Gewalt, alles von ihr zu erlangen, was sie geben konnte. Von den englischen Gesetzen wird so etwas nicht nach der Kaiserin Catharine oder Königin Eli- sabeth Prinzip beurtheilt, sondern als criminelle Gewaltthätigkeit angesehen, und der Delinquent, wenn er durch Zeugen überführt ist, ohne Weiteres gehangen. M. R ..... ’s Schreck war also nicht gering, als er, noch das weinende Mädchen tröstend, sich aufrichtete, und ihre jüngere Schwester hinter derselben stehen sah, die in der gleichen Absicht Was- ser zu holen hergekommen war, und das Ganze mit angesehen zu haben schien. „Oh for shame!“ (O der Schande!) rief sie entrüstet, muß ich das von dir er- leben, Schwester! gleich sollen Vater und Mutter al- les erfahren!“ Die arme Maria war bei dieser Dro- hung mehr todt als lebendig, ihr Liebhaber jedoch wußte, mit seltner Fassung und seltner Thatkraft, der Sache eine ganz unerwartete Wendung zu geben. Scheinbar wüthend zog er sein Messer, und stürzte auf die jüngere Schwester zu, als wolle er ihr augen- blicklich den Mund für immer versiegeln. Halb ohn- mächtig vor Schreck sank diese, um Erbarmen flehend, kraftlos zu seinen Füßen hin. — Hier ward ihr das- selbe Schicksal zu Theil, das einige Minuten früher ihre Schwester betroffen. Beide hielten nun zwar reinen Mund, beide aber zwang einige Zeit nachher die Natur zum Geständniß, denn beide wurden schwanger, und gebaren einen Knaben und ein Mäd- chen. Die Eltern machten die Sache anhängig, sie war klar — das jüngste der Mädchen überdies erst 13 Jahr alt, und man hielt Hrn. R ...... für verloren. Wider alles Vermuthen erklärte ihn indeß die mitleidige Jury (que tant de valeur sans doute avait désarmé) für not guilty (nicht schuldig) weil, auf eingefordertes Gutachten, der Stadtarzt gefällig erklȧrt hätte: daß der Fall unmöglich sey. Voilà une belle occasion de disputer pour les Juriscon- sultes et les mêdecins. Die mauvais plaisans be- haupteten, daß vor diesem Prozeß Mr. R ...... den Weibern gefährlich gewesen, nachher aber unwi- derstehlich geworden sey. Nun zur zweiten Erzählung: Vor ohngefähr zehn Jahren gab Lord L ....., der damals fast für unüberwindlich vis à vis einer Batterie Whiskey-Punsch-Gläser gehalten wurde, ein großes diné, dessen Hauptzweck effrenirtes Trinken war, eine Mode, die jetzt, im Verhältniß wenig- stens, immer mehr abgenommen hat. Es war da- mals etwas ganz Gewöhnliches, sich mit einem Fasse Wein und einer lustigen Gesellschaft einzuschließen, und das Gemach nicht eher zu verlassen, bis der letzte Tropfen geleert war. Burrington spricht in sei- nen Memoiren von einer ähnlichen Partie, die in einem Jagdhause statt fand, wo erst den Tag vorher die Wand mit Mörtel bekleidet worden war, der noch nicht zum Trocknen Zeit gehabt hatte. Hier schloß man sich auf diese Weise mit einer Tonne, eben von Frankreich angekommenen Claret’s, ein, und als am Morgen die gegen die Wand getaumelten Mitglieder aus ihrem Rausche erwachten, fanden sie sich so fest mit derselben identificirt, daß sie später davon abge- schnitten werden mußten, einige mit Verlust ihres Haars, andere ihrer Kleider. Ein Din é in ähnlichem Genre, gab auch Lord L ..... Die sehr zahlreiche Gesellschaft ward bald überaus lustig und geräuschvoll, und nachdem die Augen weniger scharf und die Zungen stammelnder geworden waren, hörte Lord L..... mehreremal vom untern Ende der Tafel rufen: O Serjeant Scully! that won’t do! Fair play Mr. Scully! (O Sergeant Scully, das geht nicht an! Ehrlich Spiel Herr Scully!) Dieser Scully war Sergeant in dem Milizcorps der Gutsbesitzer, das Lord L..... kommandirte, und sonst als ein sehr determinirter Trinker bekannt. Lord L.... also, der glaubte, er weigere sich sein Glas weiter zu füllen, ward höchst entrüstet, und rief ihm laut über den Tisch zu: Schämt Euch Scully! Euch so nöthigen zu lassen! Allons, gleich füllt Euer Glas! Irland für immer. O Mylord, ertönten hier meh- rere klägliche Stimmen, Euer Herrlichkeit sind ganz im Irrthum. Sergeant Scully hat zwei Gläser vor sich stehen, die er beständig füllt, während wir nur eins erhalten; solche Bevortheilung wollen wir aber nicht länger dulden! Seitdem ist es in ganz Irland zum Sprüchwort geworden, wenn einer mehr als alle Andern thut, oder doppelten Vortheil aus einer Sache zieht, zu sagen: Er nimmt sich ein Beispiel an Sergeant Scully. Als man keine Anekdoten mehr zu erzählen wußte, wurden allerlei Kunststücke und tours de force ge- macht, worunter ich Eins noch nie gesehen hatte. Es ist nur ein Experiment mit einem Hahn, das jeder nachmachen kann, aber doch ziemlich sonderbar. Das wildeste und böseste Thier dieser Art wird näm- lich sogleich bewegungslos, und vermocht, so lange man will, in todtenähnlicher Ruhe auf dem Tische liegen zu bleiben, den Schnabel vor sich hingestreckt und die Augen keinen Augenblick von einer weißen Linie verwendend, die vor ihm hingezeichnet ist. Man thut weiter nichts, als diese grade Linie vorher auf dem Tische mit Kreide zu zeichnen, den Hahn dann mit beiden Händen zu fassen und mit dem Schnabel auf der Linie fortzuschieben. Dann drückt man ihn auf den Tisch auf, und er wird so lange liegen blei- ben, ohne sich zu rühren, bis man ihn wieder weg- nimmt. Das Experiment kann jedoch nur bei Licht gemacht werden. Voilà de grandes bagatelles, mais à la gôerre comme à la gôerre. Den 22 sten. Da Fitzpatrick der Piper, den ich für gestern hatte kommen lassen, noch heute in der Stadt blieb, be- nutzte ich dies, um ihn während des Frühstücks pri- vatim in meiner Stube spielen zu lassen, und dabei sein Instrument genauer zu betrachten. Es ist, wie Du schon weißt, Irland eigenthümlich, und eine selt- same Mischung alter und neuer Jahrhunderte darin sichtbar. Der ursprüngliche, einfache Dudelsack hat sich in ihm mit der Flöte, der Hoboe, und einzelnen Orgel- und Bassontönen, vermählt. Alles zusammen bildet ein fremdartiges, aber ziemlich vollständiges Concert. Der kleine elegante Blasebalg, der damit verbunden ist, wird vermöge eines seidenen Bandes am linken Arme befestigt, und der, zwischen ihm und dem Sack communizirende, Windschlauch, über den Leib gelegt, wȧhrend die Hände auf einem, mit Lö- chern, gleich einem Flageolet, versehenen, aufrecht stehenden Rohre spielen, welches das Ende des In- strumentes bildet, und mit fünf bis sechs andern kür- zeren, die einer colossalen Papagenoflöte ähnlich sind, in Verbindung steht. Während des Spiels geht der rechte Arm unaufhörlich vom Körper ab und zu, um den Blasebalg in Athem zu erhalten. Das Oeffnen einer Klappe bringt einen tiefen, summenden Ton hervor, der während dem übrigen Spiel unisono mit fortgeht, und dem Forte-Zug des Piano’s ähn- lich wirkt. Durch das Agitiren des ganzen Körpers, so wie des vorher beschriebenen Rohres brachte Fitz- patrick Laute hervor, die kein andres Instrument be- sitzt. Der Anblick des Ganzen, wozu Du Dir den schönen alten Mann mit einem vollen weißen Locken- kopf hinzudenken mußt, ist wirklich sehr originell, so zu sagen: tragikomisch. Seine bag pipe war übri- gens besonders prächtig verziert, die Röhren aus Ebenholz mit Silber beschlagen, das Band wie ge- stickt, und der Sack mit feuerfarbner Seide und sil- bernen Frangen umgeben. Ich ließ mir die ältesten irländischen Melodieen aufspielen, wilde Compositionen, die gewöhnlich trau- rig und melancholisch, wie die Gesänge der slavischen Völker, anfangen, zuletzt aber dennoch in einen Gigg, dem irländischen Nationaltanz, oder einer kriegeri- schen Musik endigen. Eine dieser Melodieen gab das sehr täuschende fac simile einer Fuchsjagd, und eine andere glaubte ich aus dem Jȧgerchor im Freischützen entlehnt; sie war aber 500 Jahr älter. Les beaux esprits de rencontrent dans tous les âges. Nach einiger Zeit hörte der Piper plötzlich auf, und sagte lächelnd, mit vieler Anmuth: Es muß Ihnen schon bekannt seyn, gnȧdiger Herr, daß die irländische bag pipe nüchtern keinen guten Ton hat — sie ver- langt den Abend, oder die Stille der Nacht, heitere Gesellschaft und den lieblichen Duft dampfenden Whis- key-Punsches. Erlauben Sie also, daß ich mich jetzt beurlaube. Ich belohnte den guten Alten reichlich, der mir im- mer als ein wahrer Reprȧsentant irischer Nationali- tȧt vorschweben wird. Mit Fitzpatrick nehme auch ich Abschied von Dir, liebste Julie, um mich nach der langen Tour wieder nach Dublin zurück zu begeben, von wo ich meinen nächsten Brief an Dich abzusenden gedenke. Dein treuer L..... Vierzigster Brief . Dublin, den 24 sten October 1828. Gute, theure Freundin! Wenn man so lange ein halb wildes Leben ge- führt, kömmt Einem die Zahmheit der Stadt ganz sonderbar vor! Ich kann mir jetzt beinah das Heim- weh der Indianer erklären, von denen selbst die Ge- bildetesten doch am Ende in ihre Wȧlder wieder zu- rücklaufen. Die Freiheit hat einen zu großen Reiz! Gestern Nachmittag verließ ich Cashel, und nahm in meinem Wagen den Bruder des Capt. S. mit. So lange es Tag war, sahen wir gewiß an zwanzig verschiedene Ruinen, fern und nah, liegen. Eine der schönsten steht am Fuß eines isolirten Hügels, Kil- lough Hill, der Garten Irlands, genannt, weil auf ihm, der Sage nach, alle in Irland einheimische Pflanzen wachsen. Der Grund dieser Fruchtbarkeit ist, daß Killoughhill einst der Sommeraufenthalt der Feenkȯnigin war, deren Gärten hier prangten. Der überirdisch magnetisirte Boden behält daher noch im- mer einen Theil seiner wunderbaren Kräfte. Die er- wähnte Ruine hat abermals einen jener räthselhaften, schmalen, runden Thürme ohne Oeffnung, die von fern einem, von allen Neunen allein stehen gebliebe- nen, ungeheuren Königskegel gleichen. Bei einigen wenigen, sieht man zwar die Oeffnung einer Thüre, aber nicht unten, sondern in der Mitte. Kein ro- mantischeres Schilderhaus hȧtte für die Wache des Feenhügels gewählt werden können. Das Wetter war außerordentlich mild und schön, und der Voll- mond so lichtstrahlend, daß ich bequem in meinem Wagen lesen konnte. Demohngeachtet verschliefen wir einen guten Theil der Nacht. In Dublin fand ich einen Brief von Dir vor. Tausend Dank für alles Liebe und Gute, das er für mich enthält. Aengstige Dich aber nicht zu sehr über die Lage Deiner Freundin. Sage ihr, sie solle han- deln wie es die Noth erfordere, abwenden was mög- lich sey, unvermeidliches Uebel aufschieben, so lange sie könne, aber immer ruhig tragen was da sey. Das wenigstens ist meine Philosophie. Deine Ci- tation aus der Sevign é hat mich sehr amüsirt. Ge- wiß, diese Briefe sind merkwürdig! durch viele Bände immer das Nämliche, und an sich ziemlich Leere, mit stets neuen Wendungen unterhaltend, ja oft bezau- bernd zu sagen; Hof, Stadt und Land mit gleicher Grazie zu schildern, und eine etwas affectirte Liebe gegen die insignifikanteste Person zum Hauptthema Briefe eines Verstorbenen. II. 10 des Ganzen zu wählen, ohne dennoch je dadurch zu ermüden — das waren gewiß Aufgaben, die außer ihr, noch niemand hat lösen können. Sie ist nichts weniger als romantisch, war auch im Leben nicht außerordentlich hervorstehend, aber ohne Zweifel das wohlerzogenste Ideal du ton le plus parfait. Gewiß besaß sie auch „temper,“ von der Natur gegeben, und durch Kunst veredelt und erhöht. Kunst ist we- nigstens überall sichtbar, und wahrscheinlich waren auch ihre Briefe, von denen sie wußte: daß Viele sie mit Begeisterung lasen — wohl eben so sehr für die Gesellschaft als für ihre Tochter berechnet, ja gefeilt, denn die bewunderungswürdige Leichtigkeit ihres Styls verräth eben weit mehr Sorgfalt als das épanchement des Augenblickes gestattet. Das, was am leichtesten aussieht, ist von jeher am schwersten zu erringen geworden. Die Schilderung damaliger Sitten thut heut zu Tage das Ihrige für das In- teresse der Briefe, ich bezweifle aber, daß ähnliche, jetzt geschrieben, gleichen Succeß haben würden. Man ist zu ernst und geistig dazu geworden. Les jolis riens ne suffisent plus. Das Gemüth auch will erregt, und heftig erregt seyn. Wo ein Gigant, wie Lord Byron auftritt, verschwinden die niedlichen Kleinen. Eben las ich in seinen Werken (denn noch ging ich nicht aus). Ich stieß auf die Schilderung einer Scene, wie ich selbst in den letzten Tagen deren so häufig ähnliche erlebt. Wie erhaben fand ich meine Gefühle ausgedrückt! Erlaube mir das Bruchstück Dir in einer poetischen Prosa, so gut ich kann, und so wört- lich als möglich, zu übersetzen. „Der Himmel wandelt sich! — Welch ein Wechsel! O Nacht — Und Sturm und Finsterniß, wohl seyd ihr wundermächtig! Doch lieblich Eure Macht — dem Lichte gleich, Das aus dem dunklen Aug des Weibes bricht. — Weithin Von Gipfel zu Gipfel, die schmetternden Felsen entlang Springt der eilende Donner. Nicht die einsame Wolke allein, Jeder Berg hat eine Zunge gefunden, Und Jura sendet durch den Nebelvorhang Antwort Zurück, dem lauten Zuruf der jubelnden Alpen. Das ist eine Nacht! — o herrliche Nacht! Du wurdest nicht gesandt für Schlummer. Laß auch mich Ein Theilnehmer seyn an Deiner wilden, fernhin schallen- den Freude Ein Theil vom Sturme — und ein Theil meiner selbst — Wie der See erleuchtet glänzt — gleich dem phosphori- schen Meer! Und die vollen Regentropfen — wie sie herabtanzen auf seine Wellen! Und nun wird Alles wieder schwarz — und von neuem Hallt der Berge Chorus wieder, in lauter Lust, Als säng’ er Triumph über eines jungen Erdbebens Geburt! Ist das nicht schön, wahrhaft dichterisch gefühlt! Wie schade daß wir sogar keine guten Uebersetzungen seiner Werke haben. Nur Göthe vielleicht wäre fähig, ihn genügend wiederzugeben — wenn er nicht leich- ter und lieber, gleich Herrliches selbst schüfe. 10* Den 25 sten. Ich machte gestern dem Lord Lieutenant meinen Besuch im Phönirpark, der mich auf heute zu Tische einlud, wo ich eine ziemlich glänzende Gesellschaft an- traf. Er ist beliebt in Irland, weil er partheilos verfährt, und die Emancipation zu wünschen scheint. Seine Thaten als Feldherr sind bekannt, Niemand aber repräsentirt auch besser, und ein künstlicher ge- machtes falsches Bein als das seine, sah ich auch noch nie. Der Marquis, obgleich nicht mehr jung, ist noch immer sehr schön gewachsen, und das falsche Bein, wie der Fuß, rivalisiren mit dem ächten à s’y mé- prendre. Nur beim Gehen bemerkt man einige Schwierigkeit. Im Ganzen kenne ich wenig Englän- der, die eine so gute tournôre haben, als der jetzige Lord Lieutenant Irlands. Wenn er in der Stadt residirt, wird eine ganz strenge Etikette, wie an einem kleinen Hofe aufrecht erhalten, auf dem Lande aber betrachtet er sich als Privatmann. Macht und An- sehn eines Lord Lieutenants sind ziemlich groß, da er den König repräsentirt, obgleich sie das Ministe- rium gehöṙig beschneidet. Er darf unter andern Ba- ronets machen, und es ist schon in früheren Zeiten vorgekommen, daß Gastwirthen, und noch weniger Qualificirten, diese Ehre zu Theil geworden ist. Hö- ren seine Funktionen auf, so giebt ihm ihre frühere Aus- übung keinen fernern erhöhten Rang. Wȧhrend der Amtsführung beläuft sich die Besoldung des Lord Lieutenants auf 50,000 Pfd. Sterl. jȧhrlich , und dem frei gehaltenen Hofstaat, so daß er recht gut seine eigenen Revenüen ökonomisiren kann, was jedoch der jetzige nicht thun soll, dessen Haus ich vortrefflich ein- gerichtet fand. Er ist auch von einigen interessanten Leuten umgeben, die einen sehr guten Ton mit Ge- nialität verbinden, und der politischen Parthei der Mäßigung und Vernunft anzuhängen scheinen. Man kann unter solchen Umständen fast voraussetzen, daß Lord Anglesea sich nicht lange hier halten wird, auch hörte ich Anspielungen darauf. Da er an der schmerz- lichen Krankheit des tic douloureux sehr leidet, em- pfahl ich ihm H ..... das sich so efficace dagegen gezeigt hat, und übergab seinem Hausarzt das Buch, welches davon handelt. Der Marquis sagte lächelnd: „Urlaub wird man mir wohl nicht verweigern,“ in- dem er seinen confidentiellen Sekretair bezeichnend dazu anblickte. Dies bestätigt meine eben geäußerte Vermuthung; es wȧre aber gewiß ein großes Un- glück für Irland, das zum erstenmal sich des Segens erfreut, einen Statthalter zu besitzen, der die abge- schmackten Religionshändel mit philosophischem Auge betrachtet. Ehe ich nach dem Phönixpark fuhr, wohnte ich dem Gottesdienste in der katholischen Capelle bei. Es ist dies ein schönes Gebäude. Das Innere, ein großer, ovaler Saal mit einer ringsum laufenden Colonnade ionischer Säulen, einer schönen Kuppel und einem vortrefflichen hautrelief, in der halben Wölbung der Decke, die sich über dem, am Ende des Saales stehen- den Altar befindet. Es stellt des Erlösers Himmel- fahrt dar. Vortrefflich ist besonders die Figur und der Ausdruck des Heilands, den man sich so denken muß, wenn auch der Künstler nur aus der Phantasie schuf. Die Katholiken behaupten freilich wirkliche Portraits von Christus zu besitzen, wie ich auch ein- mal, in Süddeutschland, eine Sammlung wahrhaf- ter Abbildungen des heiligen Gottes, angekündigt fand. Der Hauptaltar steht ganz frei, ist von einfach schöner Form, und aus weißem Marmor in Italien verfertigt. Die obere Platte und der Sockel sind von dunklerm Marmor. Die vordere Facade ist in drei Felder getheilt, worauf, im Mittelfelde, das Bild einer Monstranz von Goldbronce, auf den beiden andern, die Basreliefs zweier anbetenden Engel sich befinden. Oben steht, auf der Mitte des Altars, ein prachtvoller Tempel aus kostbaren Steinen und Gold, in dem die wirkliche Monstranz aufbewahrt wird, und neben ihm zwei eben so prächtige Goldleuchter. An beiden Seiten des Altars stehen außerdem noch zwei Gueridons von Bronce, die von Engeln, welche ihre Flügel zusammenschlagen, getragen werden; auf den obern Platten derselben befinden sich die heili- gen Oblate und der Wein. Alle Details sind im besten Geschmack ausgeführt, und die edelste Simpli- zität überall vorherrschend. Von der Decke hängt an einer schweren silbernen Kette eine antike Lampe von gleichem Metall herab, die fortwährend brennt. Es ist gewiß einer der schönsten katholischen Gebräuche, daß gewisse Kirchen den Gläubigen bei Tag und bei Nacht für das Bedürfniß der Andacht stets offen stehen. In Italien begab ich mich fast nie zur Ru- he, ohne vorher eine solche Kirche besucht, und den wunderbaren Effekt betrachtet zu haben, den es her- vorbrachte, wenn in der Stille der Nacht die einzelne röthliche Lampe die hohen Gewȯlbe sparsam und phantastisch erleuchtete. Immer fand ich eine oder die andere betende einsame Gestalt vor einem der Altäre hingeworfen, nur mit ihrem Gott und sich beschäftigt, ohne die mindeste Rücksicht auf das zu nehmen, was um sie her vorging. In einer dieser Kirchen stand das Riesenbild des heiligen Christoph, an den mittelsten Pfeiler gelehnt, und mit dem Kopf an das Gewölbe stoßend; auf seiner Schulter das schwere Christuskindlein, und in seiner Hand als Wanderstab, einen ausgewachsenen Baumstamm, mit frischen grünen Aesten, der monatlich erneuert wurde. Das Licht der hochhängenden Lampe umgab das Kindlein wie mit einer Glorie und warf, wie seg- nend, einzelne Strahlen herab auf den frommen Riesen. Wenn ich den hiesigen katholischen Gotte sdienst mit dem englisch-protestantischen vergleiche, muß ich dem ersteren unbedingt den Vorzug geben. Mögen gleich einige Ceremonieen zu viel, und selbst an’s Burleske streifend seyn, z. B. das Umherwerfen der Räucherfässer, das fortwährende Anlegen anderer Kleidungsstücke ꝛc., so hat dieser Kultus doch eine Art antiker Größe, welche imponirt und befriedigt. Die Musik war vortrefflich, sehr gute Sänger, und diese, was den Effekt ungemein vermehrte, unsicht- bar. Einige Protestanten nennen das zwar eine Bestechung der Sinne, ich kann aber nicht einsehen, warum das Ohren zerreissende Geschrei einer un- musikalischen lutherischen Gemeinde frömmer seyn soll, als die Anhörung guter Musik, von Leuten aus- geführt, die sie auszuführen gelernt haben. Durch die Einführung der neuen Agende im König- reich Preußen ist z. B. zur Verbesserung, ich möchte fast sagen, Vermenschlichung, der Musik in den Kir- chen, sehr viel gethan worden, und der Einfluß auf die Gemeinden überall auch sehr wohlthätig gewesen. A. d. H. Auch die Betrachtung des Inhalts der Predigt war hier ganz zum Vortheil des katholischen Kultus. Während die englisch-protestantische Gemeinde in Tuam, als ich zugegen war, nur von Wundern, Schweinen und bösen Geistern unterhalten wurde, war hier die Lehre nur rein moralisch und praktisch. Der Redner sprach hauptsächlich vom Neid, und sagte unter anderm sehr treffend: Wollt Ihr wissen, ob Ihr von diesem, der Menschenliebe so nachtheiligen, und das Individuum selbst so erniedrigenden Laster ganz frei seyd, so prüft Euch nur genau, ob Ihr nie, bei der sich immer steigernden Prosperität eines An- dern, ein unbehagliches Gefühl in Euch entdeckt, oder Ihr nie, bei der Nachricht, daß einem Glücklichen etwas mißlang, wie bei diesem oder jenem Unfall Anderer, eine leise Befriedigung gefühlt? Dies ist eine ernste Frage, und Wenige werden sie sich ohne Nutzen vorlegen. — Die Art wie Jeder hier für sich still in seinem Gebetbuch liest, während die herrliche Musik den Geist erhebt, und vom irdisch Alltäglichen abzieht, scheint mir auch dem lauten Herleiern und Ablesen der Gebete in jener Kirche weit vorzuziehen. Wäh- rend dieser Zeit stiller Andacht merkt man nur we- nig auf die Ceremonieen, Kleiderwechselungen und Räucherungen der Priester am Altar, die Einem fast wie eine häusliche Toilette vorkommen, um die man sich nicht weiter bekümmert. Aber selbst diese letztere kleine Schattenseite mitgenommen, sieht man in der catholischen Kirche doch immer etwas Ganzes , durch Alter und Consequenz Ehrwürdiges — in der englisch protestantischen dagegen nur unzusammen- hängendes Stückwerk. Beide mit der deutschen Kirche (aber diese nur im Sinne unsrer Krug und Pau- lus) könnten mit drei Individuen verglichen werden, die sich an einem prächtigen Ort befanden, der man- chen Genuß, manchen werthvollen Unterricht darbot, aber von Gottes Sonne und seiner herrlichen freien Natur durch eine hohe Mauer geschieden war. Der Erste der drei, war mit dem Glanz der Juwelen und des Kerzenlichts zufrieden, und sah nie sehnsüchtig nach den wenigen Spalten der Mauer, die eine Ah- nung des Tageslichts hineinließen. Die andern Bei- den aber wurden unruhig; sie fühlten, es gäbe noch etwas Besseres und Schöneres außerhalb, und ent- schlossen sich endlich die hohe Mauer, es koste was es wolle, zu übersteigen. Wohlversehen auf lange mit Allem, was sie nöthig zu haben glaubten, be- gannen sie die große Unternehmung. Viele Gefahr, vieles Ungemach mußten sie ausstehen, — doch end- lich erreichten sie glücklich die Höhe. Hier gewahrten sie nun zwar der Sonne glänzendes Gestirn, aber Wolken verbargen es oft, und auch das schöne Grün der Wiesen unter ihnen ward oft unterbrochen, durch Unkraut und stachlichtes Gebüsch, wo wilde gefahr- volle Thiere lauschend umherschlichen. Doch nichts konnte den Zweiten der Drei entmuthigen, noch von seinem Vornehmen abschrecken; die innere Geistes- stimme besiegte alle Furcht und jeden Zweifel. Wohl- gemuth ließ er sich hinab, in die neue Welt, und da er, um ganz ungehindert zu seyn, alles Mitgenommene zurück gelassen hatte, verschwand er, leichten Fußes, bald in dem heiligen Hain. Aber der Dritte — der sitzt noch immer auf der Mauer, zwischen Himmel und Erde, von der mitgebrachten Nahrung zehrend, und sich an dem mitgebrachten Flitter weidend, von dem er sich nicht losreißen kann, obgleich die Strah- len der Sonne, die jetzt ungehindert auf den falschen Tand fallen, ihn schon weit unscheinlicher gemacht. Wie das Thier der Fabel schwankt er zwischen den zwei Heubündeln, ohne zu wissen, welchem er sich gänzlich zuwenden soll. Zurück kann er nicht mehr, vorwärts fehlt ihm der Muth, oben aber erhalten ihn die Fleischtöpfe Canaan’s Brauche ich Dir zu erklären, was ich mit den Fleisch- töpfen Canaan ’s meine? — Die so einträglich ge- machte Christuslehre, welche hier gewiß noch besser nährt, als weiland die Fleischtöpfe Aegyptens. A. d. H. — so lange sie dauern werden. Den 27 sten. Wenn ich nicht Allotria treiben will, d. h. von Din- gen reden, die meiner Reise und dem hiesigen Auf- enthalt nichts angehen, so macht das Leben in der Welt meine Briefe recht leer. Ich könnte ein Schema in Steindruck dazu anfertigen lassen, mit einigen Ausfüllungen ad libitum, ohngefähr so: „Spät auf- gestanden, und verdrießlich. Visiten gegangen, ge- ritten, oder gefahren. Dinirt bei Lord, oder Mr …, gut oder schlecht. Conversation: Gemeinplätze. Abends eine langweilige Gesellschaft, rout, Ball oder gar Di- lettanten-Concert. NB. Die Ohren thun mir noch davon weh!“ In London könnte man ein für alle- mal noch hinzusetzen: „Die Foule erdrückte mich bald, und die Hitze war ärger wie auf der obersten Bank im russischen Dampfbad. Körperliche Anstrengung war am heutigen Tage = 5 Grad, (eine Fuchsjagd zu 20 gerechnet) geistige Ausbeute = O. Resultat: Diem perdidi.“ Hier ist es nun nicht ganz so arg; man wird in dieser Jahreszeit nicht stȧrker fatiguirt, als in einer deutschen großen Stadt, aber immer noch zuviel ein- geladen, ohne daß man es füglich ausschlagen kann. Denn wohl mag ich mit dem englischen Dichter aus- rufen: „Wie verschieden sind die Gefühle der Gäste in jener Welt, die man die große und heitere nennt! von allen die melancholischeste und langweiligste, wenn man ihre Heiterkeit nicht theilt.“ Den 28 sten. Eben komme ich von einem etwas kleinstädtischen, aber nicht weniger pretentieusen diné, vom Lande zurück. Einiges war komisch, aber das wenige Lachen muß nur immer mit so viel langer Weile erkauft werden! das Fest fand bei zwei sehr häßlichen und magern, aber wie man sagt, sehr reichen Misses statt. Ist dies der Fall, so müssen sie zugleich sehr geizig seyn, denn die Mahlzeit war eine wahre Mystifica- tion für einen Gourmet, und Haus und Park eben so mesquin. Mein guter Stern brachte mich indeß bei Tische neben Lord P …, einem berühmten po- litischen Charakter, der seine Partey auf der edlen und guten Seite genommen hat, und stets der Sache der Emancipation treu geblieben ist. Es freute mich sehr, ihn mit den, von mir selbst an Ort und Stelle gefaßten Ansichten, so übereinstimmend zu finden. Eine seiner Aeußerungen aber frappirte mich ihrer Naivetät wegen. Ich bemerkte gegen ihn, daß, nach allem was ich sähe, selbst die Emancipation hier nicht viel helfen könne, denn das eigentliche Uebel bestehe darin, daß der meiste Grund und Boden und alle Reichthümer des Landes, einem Adel gehörten, dessen Hauptinteresse ihn immer zwingen würde, in England zu leben, hauptsȧchlich aber in den Summen läge, welche die armen catholischen Irländer jährlich der protestantischen Geistlichkeit opfern müßten. So lange dies nicht geändert würde, könnte auch kein fester und blühender Zustand der Dinge eintreten. „Ja“, erwiederte er, „ das zu ändern ist unmöglich; ohne diese Reichthümer würde die englische Geistlich- keit ihr ganzes Ansehn verlieren.“ Wie könnte das geschehen, sagte ich lachend, ist es denkbar, daß Tu- gend, milde Lehre und frommer Eifer im Amte, auch bei einem nur mäßigen Einkommen, den vornehmsten Priester nicht ehrwürdiger machen sollten, als ein übertriebener weltlicher Luxus, oder sollten wirklich 20,000 Pf. St. Revenüen unumgänglich nöthig seyn: to make a Bishop or Archbishop appear decentey in society? (einen Bischof oder Erzbischof decent in Gesellschaft zu produziren) „My dear Sir, antwortete Lord Plun … Such a thing may exist, and main- tain itseef abroad — but will never do in old Eng- land, where above all, money, and much money is required and necessary, to obtain respectability and consideration. (So etwas könnte vielleicht auf dem Continent existiren und sich erhalten, aber nim- mer in England, wo über alles, Geld , und viel Geld , nöthig ist, Respectabilität und Hochachtung zu erlangen.“ Die Aristokratie kam bei dieser Be- merkung zwar nicht in Consideration, aber wahr ist es, daß auch sie, ohne Geld, bald nichts mehr seyn würde, obgleich sie jetzt, mit nicht geringem Dünkel, in England die adliche Geburt hoch über bloßen Reichthum gestellt hat. Lady M ...., die auch zugegen war, unterhielt wie gewöhnlich die Gesellschaft mit vielem Witz, nach- her erzählte sie mir eine spaßhafte Anekdote von den Wirthinnen selbst. Nur die eine derselben, sagte sie (ich weiß nicht mehr recht ob die größere oder klei- nere) besitzt das große Vermögen, die andre kaum ein Drittheil davon; um aber wo möglich beides an den Mann zu bringen, begaben sich die Schwestern vor vielen Jahren schon nach London. Einem frem- den Ambassadeur wurde die gute Partie, vielleicht im geheimen Auftrag der Damen selbst, vorgeschla- gen, und, wie Fama sagt, soll er seinen Antrag ohne Zaudern gemacht haben. Er wurde mit Verwunde- rung, aber höchst erfreut angenommen, denn er hatte, ganz unerwartet, die Aermere gewählt und sich schon mehreremal mündlich von ihren Reizen völlig be- siegt erklärt. Dies hatte jedoch seinen Grund nur in einem ihm gemachten irrigen Bericht, und ganz kurz vor Thorschluß, ward ihm erst die Wahrheit kund. Entrüstet über das gefährliche qui pro quo, schrieb er sogleich den Damen, daß er sich in seinen Gefühlen geirrt, und nach reiflicher Ueberlegung über- zeugt sey, daß nicht die Große wie er früher geglaubt, sondern nur die Kleine sein Glück machen könne, um deren Hand er daher hiermit ergebenst bitte. Nach langem Kampf siegte der weibliche Stolz über den conventionellen, und Beide deprecirten die hohe Allianz. Seitdem gehen sie nun zwar noch jeden Winter nach London, geben zu essen und zu trinken, überbieten das Pariser Modejournal in ihren Toi- letten, sprechen viel von Landgütern und Bankobli- gationen, wozu die Eine Klavier hämmert, die Andre ohne Stimme singt — sind aber dennoch bis jetzt le- dig geblieben. Ueberhaupt ist es sonderbar, daß man nirgends, auch nur die Hȧlfte so viel alter Jungfern antrifft, als in England, und sehr häufig sind sie reich. Die übertriebene Eitelkeit auf ihr Geld, die damit nie Größe und Rang genug zu er- langen glaubt, oder die überspannt romanhafte Er- ziehung der Mädchen, welche durchaus und allein um ihrer selbst Willen geliebt werden wollen (woran z. B. eine Französin sich gar nicht kehrt, weil sie ganz richtig meint: dies werde schon in der Ehe kommen, wenn überhaupt Stoff dazu da wäre, sey aber dies nicht der Fall, würde es doch nicht blei- ben , selbst wenn es der Zukünftige, jetzt zu fühlen glaube) — sind die Hauptgründe dieser Erscheinung. Die Engländer halten übrigens, als wahre Türken, ihre Mädchen und Weiber so beschränkt in intellek- tueller Hinsicht als möglich, weil sie glauben, sich dadurch mehr ihren eigenthümlichen Besitz zu ver- schaffen, und dies gelingt ihnen auch in der Regel vollkommen. Ein Fremder dient den Engländerinnen wohl zur Unterhaltung und Spielsache, aber flößt ih- nen dabei immer auch einige Furcht und Scheu ein. Höchst selten werden sie ihm dasselbe Vertrauen als einem Landsmann schenken. Für einen halben Athei- sten oder crassen Baals-Anbeter halten sie nun schon einmal jeden Ausländer ganz gewiß — zuweilen amüsirt sie daher auch das Bekehrungsgeschäft. Von den Lond’ner Exclusiven spreche ich hier nicht — diese geben dasselbe Resultat, als wenn man alle Farben zusammenreibt — wo nemlich zuletzt gar keine mehr übrig bleibt. Den 29 sten. Das schöne Wetter lockte mich hinaus ins Freie. Ich ritt den ganzen Tag umher, und sah ein Paar merkwürdige Schlösser, Malahide und Howth Castle. Beide haben eine seltne Eigenschaft. Sie sind näm- lich seit 900 Jahren immer im Besitz derselben Fa- milien geblieben, was sich, so viel ich weiß, kein ein- ziger Wohnsitz des englischen hohen Adels rühmen kann. Malahide ist auch noch historisch merkwürdig; denn es gehört den Talbots, und selbst des berühm- ten Feldherrn Rüstung, mit einem Partisanen-Stoß in der Brust, wird noch hier aufbewahrt. Die eine Hälfte des Schlosses ist uralt, die andere von Crom- well zerstört, und nachher im Styl des alten wieder neu aufgebaut worden. In dem ersten Theile zeigte man mir 500 Jahr alte Stühle, ja sogar ein Zim- mer, in dem die schwarz eichne, reiche boiserie, ge- schnitzte Decke und Boden 700 Jahre zählten. Der neue Schloßtheil enthält mehrere interessante Ge- mälde. Ein Portrait der Herzogin von Portsmouth war so lieblich, daß ich Carl II. , noch im Grabe darum beneidet haben würde, sie einst zur Herzogin erheben zu dürfen, wenn ich mich nicht noch zur rech- ten Zeit der Predigt des catholischen Geistlichen er- innert hätte. Eine alte Abbildung der Maria Stuart, obgleich in reiferem Alter dargestellt, bestätigte mir dennoch die Aehnlichkeit des, in der Grafschaft Wick- low gesehenen, Bildes dieser unglücklichen und schö- nen Königin, und mit Interesse betrachtete ich eine Scene am Hofe zu Madrid, mit den Portrait’s des Königs, gravitätisch im rothen Scharlachrock dasitzend; Carl’s I. als Kronprinzen, der ziemlich legèrement eine Menuet mit der Infantin tanzt, und des ver- führerischen Buckingham, der, prächtig gekleidet, eine hübsche Hofdame sehr angelegentlich zu unterhalten scheint. Howth Castle, der Familie St. Lawrence gehörig, und von Lord Howth bewohnt, (der kein Absentee ist, sondern wohlthätig seine Einkünfte im Lande ver- zehrt) ist mehr im Laufe der Zeiten modernisirt wor- den, und zwar nicht glücklich, da ein griechisches Por- tal sich sonderbar zu den kleinen gothischen Fenstern und hohen Zinnen in Treffle-Form ausnimmt. Auch Briefe eines Verstorbenen. II. 11 hier wird das Schwerdt und die Rüstung eines be- rühmten Vorfahren, mit abentheuerlichem Namen, aufbewahrt. Er hieß Sir Armoricus Tristram und lieferte, Anno 1000, den Dänen eine Schlacht in die- ser Gegend, in der er, glaube ich, auch sein Leben verlor. Die alterthümlichen Stȧlle waren voll herr- licher Jagdpferde, und Lord Howth Hunde ( hounds ) werden eben so sehr gerühmt. Bei meiner Zurückkunft ging ich in’s Theater, wo der englische Franconi-Ducrow — die Equilibristerei veredelt, indem er auf bewunderungswürdige Weise bewegliche Statuen darstellt. Dies ist ein wahrer Kunstgenuß, und den sogenannten Tableaux weit vorzuziehen. Du siehst, wenn der Vorhang aufgeht, in der Mitte der Bühne, ein unbewegliches Stand- bild, auf einem hohen Postamente, stehen. Dies ist Ducrow, und kaum begreiflich, wie Tricot so dicht überall anliegen, und so täuschend Marmor, hie und da von einer bläulichen Ader unterbrochen, darstellen kann. Ich glaube auch, daß er größtentheils auf der bloßen Haut gemalt war, und nur da, wo unsere Sitten keine Nacktheit erlauben, mit Tricot sich ge- holfen hatte. Ueberdem erschien er zuerst als ruhen- der Herkules, wo das Löwenfell ihm alle Verlegen- heit ersparte. Mit großer Kunst und Präcision ging dann der Mime, allmȧhlig seine Stellung verlassend, in eine andere über, von Gradation zu Gradation, zu immer erhöhter Kraftäußerung fortschreitend, in den Hauptmomenten aber, (wo die berühmtesten Statuen darzustellen waren) plötzlich von neuem, wie zu leblosem Marmor sich versteinernd. Helm, Schwerdt und Schild, das ihm jetzt gereicht wurde, verwan- delte ihn im Augenblick in den zornigen Achilleus, Ajax und andere griechische und trojanische Helden. Dann kam der Schleifer, der Discus-Werfer u. s. w. an die Reihe, immer gleich gelungen und wahr. Er schloß mit den verschiedenen Stellungen des Fechters; zuletzt, der meisterhaften Darstellung des Sterbenden. Dieser Mann müßte ein vortreffliches Modell für Maler und Bildhauer abgeben, da er tadellos ge- wachsen ist, und jede Stellung mit solcher Leichtig- keit annehmen kann. Auch fiel mir ein, wie sehr das nichts sagende Tanzen veredelt werden könnte, wenn man, statt des unsinnigen Hüpfens und Springens, etwas, dem eben Beschriebenen Aehnliches, einführte. Es that mir fast weh, später denselben Künstler (denn diesen Namen verdient er durchaus) in der Reitbahn, als chinesischen Zauberer neun Pferde auf einmal reiten, als russischer Courier zwȯlf auf einmal fah- ren, und sich endlich, mit einem Pony, der als alte Frau angezogen war, zu Bett legen zu sehen. Was das Letztere allein betrifft, werde ich übrigens jetzt seinem Beispiel folgen, und sage Dir daher gute Nacht, zugleich Valet für einige Tage, da Morgen früh dieser Brief mit der Post abgeht. Dein treuster L … 11* Ein und vierzigster Brief. Dublin, den 30 sten Oktober 1828. Beste Julie. O welche Vorwürfe! aber drei Briefe auf einmal, das macht Alles wieder gut. Ich habe mich einmal fast satt an heimischen Nachrichten lesen können! und weiß Dir meine Dankbarkeit dafür kaum genug aus- zudrücken ............... .................. .................. .................. .................. Wohl hast Du Recht, daß ein solcher Bundesge- nosse wie Du, eine große Wohlthat für mich gewesen wäre. Gouvernante Prosa hätte die Poesie besser auf dem Boden erhalten, und der nie alternde El- fen-Knabe, dessen Natur es ist, mit bunten Seifen- blasen zu spielen, während er sich auf einer Blume schaukelt, würde, vom weisen Mentor gezügelt, viel- leicht, statt der farbigen Kugeln, eine consistentere irdische Frucht zu pflücken versucht und auch wohl erlangt haben. Mais tout ce qui est — est pour le mieux. Dieses Axiom laß uns nie vergessen. Voltaire hat Unrecht darüber zu spotten, und Pang- los wirklich Recht. Nur diese Ueberzeugung kann über Alles trösten, und was mich betrifft, gestehe ich, daß es die Essenz meiner Religion ist. Dein Brief Nr. 1 ist die Weisheit und Güte selbst — aber gute Julie, in Hinsicht auf die erste, ist, fürchte ich, Hopfen und Malz an mir verloren. Ich bin zu sehr — wie nenn’ ichs doch? .... ein Ge- fühlsm ensch, und solche werden nie weise, d. h. lebensklug. Destomehr wirkt freilich Güte auf mich, nur die Deinige ausgenommen, denn davon ist das Maas schon bei mir so voll, daß auch kein Tropfen mehr in mein Herz kann. Mit diesem vol- len Herzen mußt Du Dich nun ein für allemal be- gnügen — mehr kann Dein armer Freund Dir nicht geben! Ist es aber wo möglich, daß Du dabei immer noch Befürchtungen Raum geben kannst, als hätten die zwei vergangenen Jahre Abwesenheit mich gegen Dich verändern können! als würde ich in Dir nicht mehr das finden, was ich früher gefunden u. s. w. Weißt Du, wie die Engländer dergleichen nennen? — Nonsense. — Daß ich übrigens nichts sehnlicher wünschen würde, als Dich wieder zu sehen, solltest Du unver- sichert schon einem so unermüdeten Korrespondenten zutrauen, doch vergißt Du ganz daß ...... ................... ................... ................... ................... .............. Wie oft habe ich Dir auch nicht schon gesagt, daß ich für die Welt nicht passe. Meine Mängel, wie meine Vorzüge, ja selbst die geistigere Natur, die Du an mir finden willst, sind nur so viel Steine des Anstoßes in mei- nem Wege. Geistig, etwas poetisch, gutmüthig und wahr — macht in der Regel nur unbehülflich und verdrossen in der Alltagsgesellschaft. Gleichmäßig mit allen denen, wie ein englischer Schriftsteller sagt, deren Gefühle und Neigungen ihr Urtheil paraly- siren, finde auch ich nie eher als zu spät, wie ich mich mit Klugheit hȧtte benehmen sollen — „eine kunstlose Disposition, fährt der Engländer fort, die übel dar- auf berechnet ist, mit der Arglist und dem kalten Egoismus der Welt in die Schranken zu treten.“ Ich kenne einen mir hundertfach überlegnen berühm- ten Mann, dem es in dieser Hinsicht doch beinahe eben so geht, und der fortwährend bedauert, aus einem Dichter ein Staatsmann geworden zu seyn. „Ich hätte mein Leben enden sollen, wie ich es an- gefangen, sagte er, unbekannt in der Welt umher- streifend, und mich ungestört an Gottes Herrlichkeit erfreuend — oder von den Menschen fern, in meiner Stube verschlossen, allein mit meinen Büchern, mei- ner Phantasie und meinem treuen Hunde.“ Wir möchten fast um Verzeihung bitten, solche und andere verwandte Stellen nicht ganz unterdrückt zu haben. Wer aber so weit gelesen, muß sich doch eini- germaßen für oder gegen den Autor interessiren — und in beiden Fällen können diese unbefangenen Urtheile über sich selbst, dem Leser, der das Charakteristische liebt, nicht ganz unwillkommen seyn. Wer sich nur an die Sachen hält, der überschlägt sie ja leicht. A. d. H. Den 31 sten. Ich verbrachte heute einen sehr angenehmen Abend bei Lady M ..... n. Die Gesellschaft war nur klein, aber geistreich, und belebt durch die Gegen- wart zweier sehr hübschen Freundinnen unsrer Wirthin, die mit der besten italienischen Methode sangen. Ich sprach viel mit Lady M ..... n über mancherlei Gegenstände, und sie hat Geist und Ge- fühl genug, um durch ihre Unterhaltung immer leb- haft zu interessiren. Im Ganzen habe ich Dir in meinem früheren Briefe nicht Gutes genug über sie gesagt. Jedenfalls kannte ich an ihr damals noch nicht die liebenswürdige Eigenschaft: zwei so hübsche Busen-Freundinnen zu besitzen. Die Conversation kam einmal auf ihre Werke und sie frug mich, wie mir Salv. R .. gefiele? den habe ich nicht gelesen, erwiederte ich, weil ich, setzte ich, mich, tant bien que mal, entschuldigend hinzu, Ihre Fiktionen so liebe, daß ich nichts Geschichtliches von der genialsten Romanen-Dichterin habe lesen mögen. O das ist auch nur ein Roman, rief sie, lesen Sie ihn in dieser Hinsicht ohne Gewissensbisse. „Sehr wohl,“ dachte ich, „wahrscheinlich eben so wie Ihre Reisebeschreibungen,“ hütete mich aber doch es zu sagen. Ach, meinte sie nachher, glauben Sie mir, nur der ennui bringt alles Schreiben bei mir zu Wege, unser Menschen-Loos ist so elend in dieser Welt, daß ich es schreibend zu vergessen suche.“ (Wahrscheinlich hatte sie der Lord Lieutenant nicht eingeladen, oder sonst ein Großer ihr faux boud ge- macht, denn sie war ganz melancholisch.) „Welches schreckliche Räthsel ist die Welt!“ fing sie wieder an; „giebt es einen Gott oder keinen? und wenn er all- mächtig ist — und böse wäre! wie furchtbar!“ Aber ums Himmels willen, sagte ich, wie kann eine geist- reiche Frau wie Sie, nehmen Sie mir es nicht übel, solchen Unsinn sprechen? — „Ach! ich weiß lȧngst Alles,“ fuhr sie fort, „was Sie mir darüber sagen wollen. Gewißheit giebt mir doch kein Mensch!“ Diese Unklarheit bei dem scharfsinnigsten Beobach- tungsgeiste war mir, selbst an einer Dame ( ne vous en fachez point, Julie ), beinahe unbegreiflich. Lady M .... ’s Gemahl, früher Arzt, jetzt Philosoph und unbekannter Schriftsteller, übrigens was man im Französischen un bon homme nennt, dabei Gut- schmecker und Wichtigthuer, schenkte mir ein Buch von seiner Arbeit, ein ganz materielles philosophisches System enthaltend, das aber dennoch manchen guten Gedanken enthält, und mehr werth ist, als ich dem Autor eigentlich zugetraut hätte. Die Lektüre des- selben hat mich heute die halbe Nacht be schäftigt, ich merkte aber wohl an der Haltlosigkeit des Ganzen, daß entweder Lady M. ein gutes Theil davon selbst gemacht, oder wenigstens durch diese unverdauten Ansichten so irre und ungewiß geworden ist, daß sie sich einbildete, „der liebe Gott kȯnnte zufällig wohl böse seyn!“ Die berühmten Leute sind auch Men- schen, das weiß der Himmel! Gelehrte wie Staats- mȧnner — und fast bei jeder neuen Bekanntschaft dieser Art mahnt es mich an Oxenstjerna, dem sein noch sehr junger Sohn, da er als Gesandter zum Congreß nach Münster reisen sollte, Bedenklichkeiten äußerte, welche Rolle er, so weisen und großen Män- nern gegenüber, spielen würde? Ach mein Sohn, sagte der Vater lächelnd, ziehe hin in Frieden und siehe welche Menschen es sind, die die Welt re- gieren! Den 1 ten November. Les catholiques me font la cour ici . Der E . . B … ließ mir heute durch eine Dame sagen, daß ich mich, da ich ihre Kirchenmusik liebe, doch heute in der Kapelle einfinden möge, wo man das Sänger- Personal besonders vollständig gemacht habe; auch werde er selbst fungiren. In der That hörte ich eine herrliche Vokalmusik (hier sind auch weibliche Sänger gestattet), nur von einzelnen Tönen der mächtigen Orgel begleitet. Es war ein hoher Ge- nuß, dieser Sphärengesang, der mit süßer Wonne die Seele füllte, und auf den Fittigen der Melodie den Sorgen des Alltäglichen enthob, während die ganze Gemeinde andächtig und betend anf den Knieen lag. Du wirst am Ende glauben, liebe Julie, daß ich im Begriffe bin, es dem Herzog von C. nachzuma- chen, und katholisch zu werden. — Nun so ganz ohne Grund kann ich die Ansicht, die dazu verleitet, nicht finden. Der Protestantismus, wie ihn gar viele ausüben, ist eben nicht viel vernünftiger, und bei weitem weniger poetisch und schön, sinnlich ge- sprochen. Ich glaube aber immer, ein neuer Luther oder gar ein neuer Christus ist nah , und wird uns dann Allen über die Mauer helfen, — dann bedarf es kein Rückwȧrtsblicken mehr; bis dahin jedoch, fin- den Manche vielleicht — wenigstens mehr Consequenz, im katholischen Kultus ! Es ist kein halber, son- dern ein vollständiger Götzendienst, dessen Stufenlei- ter der göttlich gemachten Geschöpfe mit den Heili- gen aufhört, diesen lieben theilnehmenden Heiligen beiderlei Geschlechtes, die uns so nahe stehen, und unsre menschlichen Wünsche, Regungen und Leiden- schaften so gut kennen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wenn die Priester und Chorjungen, wie ich erwähnt, die Räucherfässer um- herwerfen, dem Bischof jeden Augenblick ein andrer gestickter Rock, Kragen oder Tuch umgegeben wird, er selbst vor dem Hochaltar bald fest steht, bald vor- wärts, bald rückwärts läuft, sich mit dem Antlitz auf die Erde niederwirft, und zuletzt sich mit der Monstranz, wie eine Windfahne, umdreht, und die Augen auf sie, wie auf ein Microscop, geheftet hält, ꝛc. — so bin ich vollkommen darauf vorbereitet, nachher von 7000 Mann sprechen zu hören, die mit vier Brodten und drei Fischen nicht nur satt gemacht worden, sondern noch so viele Körbe Krumen und Gräten übrig behalten haben — oder vom jüngsten Tage, und Christi Sitz neben Gott dem Vater, wo er Platz nehmen wird, um alle Diejenige zu ewigen Martern zu verdammen, welche nicht an ihn ge- glaubt haben. — Wenn aber ein schlichter, sich ver- nünftig anstellender Mann, mir zuerst von Duldung, Tugend, ewiger Wahrheit und Liebe spricht, dann aber vom Gott der Gerechtigkeit und Liebe und einem seiner edelsten Verkünder auf Erden, dergleichen Mährchen und Atrocitäten, die den gesunden Men- schenverstand beleidigen, erzählt, und sie für etwas Heiliges und Göttliches ausgeben will — so wende ich mich mit Widerwillen von solcher Heuchelei oder Thorheit ab. Ein Cagot wird mir hierauf antwor- ten wollen: Euer gesunder Menschenverstand ist kein Maßstab für Gott — worauf ich ihm erwiedere: Euer Gott ist aber ein Mensch — und unser Ver- stand und unsere Vernunft ist, mit der Erkenntniß der äußern Natur, und daraus abstrahirten Erfah- rung, eben die einzige wahre und ächte Offenba- rung Gottes, deren wir theilhaftig geworden sind, und die Niemand bezweifeln kann. Der Mensch ist allerdings seiner Natur nach dazu bestimmt, sich mit diesen Mitteln, durch sich selbst immer weiter fort- zubilden, und so war das Christenthum auch eine Folge dieser fortschreitenden Civilisation, wie früher (um bei diesem Zweig der Ausbildung stehen zu blei- ben) das mosaische Gesetz, später die Reformation, und ihr zweiter Akt die französische Revolution; end- lich die hieraus allgemeiner erwachsende Denk- und Preß-Freiheit, und Alles was sich jetzt, ruhiger, aber desto sicherer, durch diese Letztere bereitet. — Wir finden also überall nur die Resultate derselben allmähligen Civilisation , von der Niemand wissen kann, wo sie stehen bleiben wird, — aber welchen Grad sie auch erreiche, immer kann und soll sie hier nur menschlich seyn, und durch mensch- liche Mittel befördert werden. Den 2 ten . Mein letzter und längster Besuch an diesem Mor- gen galt den lieblichen Mädchen, die ich bei Lady M . . . . . . kennen gelernt. Ich brachte ihnen ita- lienische Musik mit, die sie sangen wie Nachtigallen, und doch dabei eben so anspruchslos als natürlich blieben. Ihr Vater ist ein hochgeschätzter Arzt, und wie hier die meisten Doktoren von Bedeutung, Ba- ronet oder Sir, ein Titel der, beiläufig gesagt, in England gar nicht zum Adel gerechnet wird, ob- gleich sehr alte und angesehene Familien sich darunter befinden, aber auch Creti und Pleti, wie bei unserm niedrigen Adel. Ein solcher Sir wird gewöhnlich nicht bei seinem Familien- sondern Vornamen ge- nannt, als z. B. Sir Charles, Sir Anthony, wie man in Wien: Graf Tinterle, Fürst Muckerle u. s. w. zu sagen pflegt. Der ärztliche Ritter, von dem ich jetzt spreche, hat diesen Titel für die Anlegung einer sehr guten Badeanstalt erhalten, die sich in seinem Hinterhause befindet, und ist dabei ein interessanter Mann. Noch geistreicher scheint mir seine Frau, die ihrer berühmten Verwandtin in richtigem Takt und Urtheil überlegen ist, und ein großes Nachahmungs- Talent besitzt, mit dessen komischer Anwendung sie selbst ihre eigene Familie nicht immer verschont. Die Töchter, obgleich ganz verschieden, sind doch beide sehr originell, die eine im sanften, die andere im wilden genre, weshalb ich sie auch nur: Lady M . . . . s wild 1rish girl, zu nennen pflege, alle drei aber zei- gen eine charakteristische Nationalität, Diese ist in der großen Welt hier sehr selten anzu- haben auch Irland nie verlassen. Abends erzählte mir Lady M . . . ., daß ihr die schlechten, und oft ganz Sinn entstellenden Ueber- setzungen ihrer Werke viel Verdruß machten. So habe man in ihren Briefen über Italien, wo sie von den Genuesern sagt: They bought the scorn of all Europe (wörtlich: sie erkauften sich den Hohn des ganzen Europas) für scorn, corn (Korn) gelesen, und frischweg übersetzt: Genes dans ce tems achetait tout le blé de l’Europa . Dies ist ein guter pendant zu der „Nation der Haid-Schnuken.“ Den 3 ten . Als ich früh aufstand, und ans Fenster trat, bot sich meinen Blicken mitten in den Straßen der Haupt- stadt wieder einmal eine ächt irische Scene dar, wie sie sonst nur das Land zu zeigen pflegt. Mir gegen- über saß eine alte Frau, Aepfel verkaufend, und be- haglich ihre Cigarre schmauchend. Näher dem Hause machte ein Mann in Lumpen, allerlei Kunststücke, unterstützt von seinem Affen. Ein regelmäßiger Kreis, vier bis fünf Mann hoch, war um ihn geschlossen, treffen, da die tyrannischen Erfordernisse englischer Bildung sehr allgemein in den drei Inseln wirken, weshalb Du auch bemerkst, daß ich gar oft Irländer und Engländer nur unter dem letzten Namen vereinige. Ich sollte sie eigentlich Britten, oder nach der neueren Orthographie, Briten nennen. A. d. H. und bei jedem neuen Spaß ertönte lauter Jubel, mit einem solchen Demonstriren, Geschrei und Ge- stikuliren verbunden, daß man schon glaubte, Streit sey entstanden, und auf irgend Jemand würde es bald Prügel regnen. Das neue Angehen des Schau- spiels brachte aber jedesmal wieder Todtenstille her- vor. Jetzt konnte indeß die Lebhafteste der Gesell- schaft sich nicht länger mehr mit bloßen Zuschauen begnügen. Sie muß selbst agiren, und in unbe- zwinglicher Lustigkeit springt sie in den magischen Kreis, ergreift den erschrocknen Affen, und überbietet ihn in Possen, Sprüngen und Grimassen aller Art, die das verdoppelte Lachen und Jauchzen der erfreu- ten Menge belohnt. Die Darstellungs-Wuth wirkt aber ansteckend — mehrere gesellen sich zu der ersten Aktrice, die bisherige Ordnung fängt an, sich immer mehr in Wirrwarr zu verkehren, der Künstler, be- sorgt für die Sicherheit seines Affen, oder um ihn nicht durch übles Beispiel verführen zu lassen, bricht schleunigst auf; seine Retirade gleicht schon einer übereilten Flucht, der ganze Haufen stürzt ihm schreiend nach, jeder will der erste hinter ihm seyn, Einige schimpfen, und verschiedene Syileilas, die die vorige Lust in der Scheide erhielt, werden sichtbar, Andere nehmen die Parthei des fliehenden Künstlers, dieser entwischt indessen, und ehe man sich’s versieht, endet die Verfolgung in einem allgemeinen Gefecht der Verfolger. Ein garcon-diné bei Lord S . . . ., dem ich nach- her beiwohnte, endigte, beinahe eben so geräuschvoll, wenn auch nicht so empfindlich, meinen Tag, und hielt mich bis mitten in der Nacht wach. Voilà tont ce que j’ai à vous conter d’aujourdhui . Den 16 ten . Ich bringe fortwährend mein Leben bei den klei- nen Nachtigall-Engeln zu, sehe öfters Lady M.... und vermeide, soviel ich kann, die übrige Gesell- schaft. Die Mädchen führen ein burleskes Journal, wo sie, mit den extravagantesten Zeichnungen dane- ben, eine Chronik unsrer täglichen Fata verfassen, die höchst belustigend ist. Nachher singen, schwatzen wir, oder stellen Tableaux dar, wobei die Mutter, mit ihrem Schauspielertalent, uns aufs schönste mit den heterogensten Dingen drappirt. Du würdest wenigstens haben lächeln müssen, wenn Du heute gesehen hättest, wie die wild irish giel sich einen Schnurbart und Favoriten mit Kohle malte, einen Ueberrock ihres Vaters anzog, und Schnupftuch und Stöckchen in der Hand, als meine Karikatur herein- trat, um ihrer Schwester, nach meiner Art, wie sie sagte, die Cour zu machen. Diese Mädchen haben eine unerschöpfliche gar nicht englische, aber ächt ir- ländische Grazie und Lustigkeit, und man erlaubt mir glücklicherweise, von der in diesen Ländern übli- chen Etiquette etwas abgehend, alle Abende hier zu- zubringen (sonst darf dies in England nur gebeten geschehen, da Visiten allein Vormittags gestattet sind) welches mir den Aufenthalt in Dublin weit angeneh- mer macht, als ich hoffen durfte. Um Mitter- nacht werde ich zwar immer sehr geschmält, viel zu lange geblieben zu seyn, aber dem Unver- besserlichen wird doch jedesmal nachher wieder ver- ziehen. Nach den Tableaux magnetisirte ich die Aelteste, welche öfters an Kopfweh leidet. Du weißt, daß mir schon oft diese Curen gelungen sind. An der Verwandtschaft des Magnetismus mit der Elektrizi- tät zweifelte ich wahrlich nicht, wenn ich mit den Fingerspitzen den Saum ihres Kleides berührte, oder über die äußersten Enden ihrer seidnen Locken strich, die knisternden Funken von sich zu sprühen schienen. Diese Aelteste, affligee de 18. aug. hat braune Augen und Haare von einem ganz seltsamen Aus- druck, und Beschaffenheit. Die Letztern participi- ren vom Feurigen ohne roth zu seyn, und in den ersten ruht eine feuchte Gluth, über die sich gleichfalls oft ein wahrer röthlicher Feuer- schein hinzieht, doch immer bleibt es nur Gluth, kein aufflackerndes Flammenblitzen, wie es die fun- kelnden Augen der kleinen Wilden oft erleuchtet. Denn bei dieser ist alles Flamme, und unter dem mädchenhaften Erröthen bricht oft die Determinirt- heit und der Muth eines Knaben hervor. Unvor- sichtig und vom Augenblick hingerissen, erlaubt sie sich sogar manchmal zu große Vivacitäten, die aber, Briefe eines Verstorbenen. II. 12 durch ihr allerliebstes Naturel und ihre unnachahm- liche Grazie, den seltnen Reiz des Mädchens nur vermehren. Als man heute meinen Wagen anmel- dete, rief ich seufzend: Ah! que cette voiture vient mal à propos! „Eh! bien“, rief sie, „noch im Män- ner-Costume dastehend, wie ein wahrer kleiner Hu- sar: Envoyez la au diable!“ Ein höchst strenger und mißbilligender Blick der Mama, und das Er- schrecken der Schwester, überzog sogleich alles, was von dem Gesichtchen hinter dem Schnurbart zu sehen war, mit Scharlach über und über. Sie schlug beschämt die Augen nieder, und war dabei so un- widerstehlich hübsch, daß ich ....... ja was? gute Julie, fülle Dir die Phrase selbst aus — und damit gute Nacht. Den 17 ten . Lady M .... empfing mich heute früh in ihrem Autorboudoir, wo sie im eleganten Costume, mit einer Feder aus Perlmutter und Gold in der Hand, nicht ohne Coquetterie an ihren Werken schreibt. Sie war mit einem neuen Buch beschäftigt, zu dem sie einen ganz guten Titel erfunden hat: Memoiren von mir und für mich. Sie frug, ob sie „von mir“ oder „für mich“ zuerst setzen sollte? Ich entschied für das Erste als folgerechter, weil sie erst schreiben müßte, ehe sie für sich geschrieben haben könnte, worüber wir in einen scherzhaften Streit geriethen, indem sie mir meine deutsche Pedanterie vorwarf, und behauptete, daß von jeher bonnet blanc und blanc bonnet einerlei gewesen sey, was ich lachend zugeben mußte. Das von ihr gewählte Motto war: Je n’enseigne pas, je raconte (Montaigne) . Sie las mir Einiges vor, was ich vortrefflich fand. Mit der Feder in der Hand wird diese, sonst ziemlich su- perficiell erscheinende Frau, ein ganz andres Wesen. Man könnte sagen: der Perlmutter-Feder entfallen ächte Perlen, die Mutter bleibt als kalte Schale zurück. Sie sagte mir, daß sie den Winter nach Paris ginge, und von da nach Deutschland reisen möchte, hatte aber eine große Furcht vor der österreichischen Polizei. Ich rieth ihr Berlin zu wählen. „Werde ich da nicht auch verfolgt werden?“ rief sie lebhaft. Gott bewahre, tröstete ich, in Berlin betet man Ta- lente an, nur rathe ich Ihnen wenigstens Eine Ih- rer hübschen Freundinnen mitzunehmen, die gut und gern tanzt, damit Sie Beide auf die Hofbälle gebe- ten werden, und die liebenswürdige militairische Ju- gend kennen lernen, was der Mühe werth ist, und Ihnen sonst vielleicht nicht zu Theil werden würde. Hier kam der Mann hinzu, und bat mich sein philo- sophisches Buch doch in Deutschland übersetzen zu lassen, damit er, nicht blos als Adjudant seiner Frau, sondern mit eignen Flügeln angeflogen kom- 12* men könne. Ich versprach alles was man wollte, machte jedoch bemerklich, daß dermalen ein neues Ge- betbuch mehr Glück machen würde, als ein neues phi- losophisches System, deren wir ohnehin genug hätten. Abends nahm ich für die jungen Damen, die noch sehr wenig ausgehen dürfen, eine Loge im Pferde- Theater, wohin ich sie begleitete. Ihr naives Ver- gnügen an den vielfachen Künsten der Rossebändiger war ergötzlich anzusehen. Die kleine Sechzehnjȧhrige verwandte kein Auge von Ducrow’s halsbrechenden Manöuvres, und hielt, vor Angst und Begierde zit- ternd, die ganze Zeit ihre Händchen fest zusammen- geballt; die Aeltere betrachtete schon, still erröthend die schönen Formen und üppigen Stellungen der ge- wandten Reiter. Es war ein wunderschönes Kind bei der Gesell- schaft, welches, erst sieben Jahre alt, bereits auf dem Pferde tanzte, eine Menge Rollen mit ungemeiner Grazie spielte, und besonders, als Napoleon ange- zogen, wo das winzige Mädchen, die schroffen Ma- nieren des Kaisers höchst possirlich nachahmte, immer den rauschėndsten Beifall einȧrndtete . Meine jun- gen Freundinnen wünschten dies Kind von Nahem zu sehen, und ich begab mich daher auf’s Theater, wo der kleine Engel eben ausgekleidet wurde, und ganz nackt, wie ein leibhaftiger Amor, vor dem Spiegel stand. Ihre Rolle war für heute ausge- spielt, und sobald die neue Toilette beendet war, nahm ich sie auf den Arm, und brachte „l’enfant prodige“ wie sie auf dem Zettel genannt wurde, im Triumph herauf. Nach den ersten Liebkosungen ward die Kleine, von uns Allen, die aufmerksamste Zuschauerin des Schauspiels, obgleich man hätte glauben sollen, sie habe tȧglich genug daran. Nur eine Düte mit Süßigkeiten, die ich ihr präsentirte, konnte sie eine Zeit lang davon abwendig machen, und wir mußten alle über ihr naives und drolliges Benehmen herzlich lachen, als sie, auf Miß S.... Schooße sitzend, die Hälfte der Bonbons in ihren Busen schüttete, und dann wieder mit den Samt- händchen darnach langend, der sie Abwehrenden zu- rief: Let me alone, that is my favourite cake (Laß mich, das ist mein Lieblings-Bonbon) Miß S..... die über die Aeußerung und Beharrlichkeit der Klei- nen roth wurde, schob sie endlich mit etwas Ueber- eilung von sich, so daß das Kind sich an einer her- vorstehenden Nadel blutig stach. Wir fürchteten sie würde weinen, aber der Diminutiv-Napoleon wurde nur böse, schlug die Beleidigerin so derb als mög- lich, und rief entrüstet: Fy, for shame! You stung me like a bee! (Pfui, schäme Dich, hast mich wie eine Biene gestochen) und damit voltigirte sie auf den Schoos der Schwester, legte ihre Aermchen über das Logenbrett, und sah von neuem mit ungestörter Aufmerksamkeit der Belagerung von Saragossa zu. Im Entreacte sagte ihr Lady C..... (auf das lä- cherliche qui pro quo in Limerick anspielend, das ich ihr erzählt hatte) ich sey Napoleon’s Sohn. Sie sah mich schnell an, fixirte mich eine Weile, und rief dann mit der ernsthaftesten Grandezza: „O! Ich habe selbst Ihren Herrn Vater mehrmals gespielt, und immer außerordentlichen Beifall mit ihm erwor- ben.“ So natürlich, drollig, und ohne alle Verlegen- heit machte die liebliche Kleine unser Aller Erobe- rung, und wir sahen mit Bedauern das Ende der Vorstellung heranrücken, wo wir sie wieder abliefern mußten. Sie wollte sich nur von mir wieder herun- tertragen lassen, weil ich sie heraufgebracht, und als ich mit ihr hinter den Coulissen ankam, wo alles voller Pferde stand, und ich schon ganz besorgt war, wie ich mich da durchdrängen sollte, schrie sie gleich mit großer Lebhaftigkeit, und ungeduldig auf mei- nem Arme zappelnd: „Nun fürchtest Du Dich? nur vorwärts, ich werde die Pferde schon in Ordnung halten, und damit theilte sie rechts und links, Klapse auf die Nasen der alten Bekannten aus, die auch folgsam wichen, bis wir hindurch waren. „Jetzt laß mich herunter!“ rief sie, und kaum berührten ihre Füße den Boden, als sie mit der Behendigkeit eines Häschen’s über den Hintergrund der Bühne floh, und schnell im Getümmel verschwand. — Kinder sind gewiß die anmuthigsten Geschöpfe, wenn sie nicht durch Verziehung verkrüppelt sind, selten aber mag soviel Natürlichkeit auf den Brettern, noch seltener vielleicht, auf dem höhern Theater der großen Welt gedeihen. Den 18ten. Daß ich O’Connel hier wieder getroffen, vergaß ich Dir zu melden. Ich hörte ihn schon einigemal in der Catholik-Association, dem jetzigen irländischen Na- tionalparliament, welches ich heute zum zweitenmal besuchte. Man empfing mich, als einen gut gesinn- ten Fremden, mit Applaudiren, und H. O’Connel machte mir sogleich Platz, zwischen sich und einem Lord C.... Der Saal ist nicht zu groß, und eben so unreinlich als der des Unterhauses in England. Auch hier behält jeder den Hut auf dem Kopf, aus- genommen wenn er spricht, auch hier giebt es gute und schlechte Redner, aber allerdings zuweilen we- niger anständige Sitte als dort. Die Hitze war stickend, und ich mußte demohngeachtet 5 Stunden aushalten, die Debatten waren aber so interessant, daß ich die Unbequemlichkeit kaum bemerkte. O’Connel sprach, ohne Zweifel, am besten. Obgleich vom größ- ten Theile vergöttert, ward er doch auch von Man- chen sehr hart bedrängt, und vertheidigte sich mit eben so vieler Mäßigung als Gewandtheit, dagegen er ohne alle Schonung, und meines Erachtens nach, mit zu starken Ausdrücken, die Minister und das englische Gouvernement angriff. Daß viel Intrigue und fest verbundene, im Voraus bestimmte, Par- theien, hier so gut wie bei andern Körpern dieser Art herrschen, und daher die Diskussion oft nur Spiegelfechterei bleibt, war leicht zu ersehen; die Führer aber haben wenigstens ihr Handwerk sehr gut einstudirt. Die drei hervorstechendsten Red- ner sind O’Connel, Shiel und Lawles, auch Mr. Fin und M. Ford sprechen gut und mit vielem per- sönlichen Anstande. Shiel ist ein Mann von Welt mit noch mehr Unbefangenheit und Aisance in der Gesellschaft als O’Connel, aber als Redner erschien er mir viel zu affectirt, zu künstlich, und prä- parirt in dem was er sagte, dabei ganz Schau- spielermäßig, ohne alles wahre Gefühl in der deli- very seiner Rede, wie es die Engländer bezeichnend nennen. Es wundert mich nicht, daß er, ohngeach- tet seines nicht unbedeutenden Talents, so viel we- niger populair ist, als O’Connel. Beide Männer sind sehr eitel — die Eitelkeit O’Connels ist aber offner, vertrauender und bereits zufriedener gestellt, die von Shiel hingegen peinlich, wund und finster. Der Eine ist daher, die eigne Parthei betreffend, so zu sagen, in Honig, der Andere in Galle getaucht, und der Letzte, obgleich für dieselbe Sache streitend, sichtlich eifersüchtig auf den Kollegen, den er mit Unrecht zu übersehen glaubt. Herr C…s dagegen ist nur der Don Quixotte der Association. Sein schȯner Kopf, sein weißes Haar, sein wilder, aber edler, Anstand und ein herrliches Organ, lassen, wenn er auftritt, Außerordentliches erwarten, aber bald löst sich die ernst begonnene Rede in die un- glaublichsten Extravaganzen, und oft ganz verwirr- ten Unsinn auf, welcher Freund und Feind mit glei- cher Wuth angreift. Man achtet ihn daher wenig, lacht ihn oft aus, wenn er, wie König Lear, raset, unachtsam auf das Publikum, oder was um ihn vor- geht. Die dominirende Parthei gebraucht ihn aber, wo nöthig, als Schreier. Heute verflog er sich so sehr, mit unaufhaltsamem Schwunge, daß er plötzlich mitten in der katholischen und archikatholischen Association, die Fahne des Deismus aufpflanzte, vielleicht auch nur um O’Connel Gelegenheit zu geben, ihn mit Indignation zur Ordnung zu rufen, und dabei eine fromme Tirade anbringen zu kȯnnen ; denn auf der Rednerbühne, wie auf dem Böttgerfaß, auf dem Throne, wie auf der Marionettenbude — gehört Klappern zum Handwerk. Am gewöhnlichen Orte ruhte ich Abends aus. Tableaus waren wieder an der Tagesordnung. Nach einander mußte ich als Brutus, orientalischer Jude, François premier, oder Saladdin erscheinen. Miß J … war als Student von Alkala ein verführerischer Wildfang, und ihre ältere Schwester, als Sklavin des Serails, eine will- kommene Gefährtin für Saladin, und als die schöne Rebekka Walter Scott’s, auch nicht übel mit dem orientalischen Juden gepaart. Alle diese Metamor- phosen bewerkstelligte die Mutter nur mit vier Lich- tern, zwei Spiegeln, einigen Shawls, bunten Tü- chern, einem am Licht gefärbten Korkstöpsel, einem Schminktopf und verschiedenen Haartouren. Dennoch hätte Talma den Brutus nicht besser drapiren kön- nen, und täuschender die Physiognomieen verändern, als diese geringen Mittel es, unter der geschickten Leitung von Lady C …, vermochten. Zuletzt wur- den Carrikaturen gezeichnet, und auf meine Bitte versuchte jede Schwester das Portrait der andern zu malen. Beide gelangen sehr gut, und befinden sich bereits in der Gallerie meiner Lebensbilder. Den 19 ten . Ich sah mich heute zu etwas Unangenehmem ge- nöthigt, was ich schon lange aufgeschoben, und mußte endlich mein großes Mittel anwenden, um meine Abneigung zu besiegen. Du wirst lachen, wenn ich Dir es nenne, aber mir hilft es, für Großes und Kleines. In der That giebt es wenig Menschen, die nicht zuweilen leichtsinnig, noch öfter schwan- kend wären. Da es mir nicht besser geht, so habe ich ein eignes Mittel erfunden, mir in Dingen, die mir schwer ankommen, künstlich Entscheidung, und den Halt zu verschaffen, der mir sonst vielleicht feh- len könnte, und den der Mensch einmal durch irgend etwas außerhalb Hingestelltes bedarf. Selbst Religion und Moralität reichen in dem ver- wickelten Zustande der menschlichen Gesellschaft nicht für alle Fälle aus — Beweis die conventionelle Ehre, welche oft gegen beide streitet, und deren Gesetze doch von den Besten befolgt werden. Ich gebe nämlich in solchem speziellen Falle ganz feierlich mir selbst mein Ehren wort darauf, dies oder jenes zu thun, oder zu lassen. Ich bin natürlich sehr vor- sichtig damit, und überlege nach Kräften, ehe ich mich dazu entschließe, ist es aber einmal geschehen, und hätte ich mich dann auch geirrt oder übereilt, so halte ich es bestimmt , wäre selbst gewisser Untergang die Folge. Und ich befinde mich sehr wohl und ruhig dabei, einem so unabȧnderlichen Gesetz unterworfen zu seyn. Könnte ich es brechen, so würde ich, nach dem einmal hineingelegten Sinn, von dem Moment an, alle Achtung für mich selbst verlieren, und wel- cher denkende Mensch müßte, bei einer solchen Alter- native, nicht unbedenklich den Tod vorziehen. Denn sterben ist doch nur eine Naturnothwendigkeit, und folglich nichts Uebles — es scheint uns nur so, in Bezug auf unsre hiesige Existenz, d. h. der Selbst- erhaltungstrieb muß den Tod fürchten, die Vernunft aber, die ewig ist, sieht ihn in seiner wahren Gestalt, als einen bloßen Uebergang von einem Zustand zum andern — sich aber von eigner, unbesieg- barer Schwäche überzeugen , ist ein Gefühl, dessen Stachel wenigstens dieses Leben fortwährend verbittern müßte! Daher ist es jedenfalls besser, im Collisionsfall, mit innerm Triumph für diesmal auf- zuhören, als im Seelen-Lazareth fortzuvegetiren. Ich werde also keineswegs abhängig durch dieses Wort, sondern grade durch dasselbe bleibe ich unabhängig. So lange meine Ueberzeugung nicht ganz fest steht, wird, wie schon gesagt, die mysterieuse Formel ohne- dies nicht ausgesprochen , dann aber darf, für das Heil meiner Seele, keine Veränderung der An- sicht, nichts mehr meinen Willen brechen, als die physische Unmöglichkeit. Indem ich mir aber hier- durch in den äußersten Fällen eine sichere Stütze schaffe, siehst Du ein, daß ich zugleich eine furchtbare Waffe zum Angriff erhalte, wenn ich gezwungen würde, sie anzuwenden, so kleinlich auch das Mittel Manchem dünken mag. Ich dagegen finde es schön: daß der Mensch solche Dinge sich aus nichts, oder dem Trivialsten, selbst schaffen kann, nur durch seinen hierin wahrhaft allmächtig zu nennen- den Willen! Ob Du, gute Julie, dies Raisonnement nicht ver- wegen und tadelnswerth finden wirst, mag ich nicht verbürgen, ja für ein Weib wäre es auch nicht ge- macht, und ein ganz krȧftiger Geist hȧtte es viel- leicht eben so wenig nöthig. Jeder muß sich aber nach seiner Natur einrichten, und so wie noch Nie- mand das Geheimniß erfand, ein Rohr wie eine Eiche, oder einen Kohlkopf wie eine Ananas wachsen zu lassen, so werden auch Menschen sich immer, wie das gemeine, aber gute, Sprüchwort sagt: nach ihrer Decke strecken müssen. Wohl dem, der sich nicht mehr zutraut als er kann! Ohne es übrigens so tragisch zu nehmen, dient das große Mittel auch ganz vor- trefflich bei Kleinigkeiten. Z. B. unerträglich lang- weilige Gesellschaftspflichten als gelassenes Opfer zu erfüllen — die Faulheit zu besiegen, um eine immer aufgeschobene Arbeit endlich gewaltsam zu erledigen — sich eine wohlthätige Enthaltsamkeit aufzulegen, um nachher desto besser zu genießen — und viel , viel dergleichen mehr, wie es das zuweilen erhabne, und noch öfter kindische, Leben darbietet. Nachmittags ritt ich, die Grillen zu vertreiben, weit in das Land hinein, dem Gebürge zu. Nach ohngefähr zwölf Meilen kam ich in eine ganz kahle Gegend wellenliniger Torfmoore ohne Ende, die sich nach allen Richtungen ausdehnten. Man hätte sich hundert Meilen von einer Hauptstadt entfernt ge- glaubt. Der Eindruck war nicht wild, nicht ganz so öde wie Sandflächen, aber schauerlich leer, einsam und monoton. Eine einzige elende Hütte stand dar- auf, aber in Ruinen, ohne Bewohner, und, wie ein großer Wurm schlängelte sich ein weißer Fußweg an ihr hin, sich mühsam durch das braune Heidekraut windend. Das Ganze war mit ein wenig Schnee gepudert, und der Wind auf den kahlen Höhen eisig kalt. Demohngeachtet zog mich das Melancholische der Scene so an, daß ich nur nothgedrungen mein Pferd wieder rückwärts wendete. Näher an Dublin, fand ich auf einer isolirten Bergspitze eine eigne Spie- lerei ausgeführt, nämlich ein Haus, das in Gestalt eines nachgemachten Felsen gebaut war, so täuschend in der That, daß man es für einen wirklichen ansah, bis man vor dem Eingang stand. Erst bei Mond- schein langte ich, mit von der scharfen Luft brennen- dem Gesicht, in meinem Gasthofe zum Mittagsessen an, zu dem ich Vater Lestrange gebeten hatte, car j’aime les prêtres, comme Voltaire la Bible, malgré tout ce que j’en dis . Ich fand auch einen Brief von Dir, klage aber daß Du mir zu wenig Details schreihst! Bedenke doch, daß jede Kleinigkeit von dort mir werth ist. Ob mein Lieblingspferd wohl ist, meine süße Freun- din (die perruche ) noch zuweilen meinen Namen ruft, Dein Haustyrann Fancy mehr oder weniger unartig, die Papageyen in good spirits, die neuen Pflanzungen gut gewachsen, die Badegäste fröhlich gewesen sind, alles das hat, ein paar hundert Meilen weit, bedeutendes Interesse. Um aber davon etwas zu erfahren, sehe ich wohl ein, daß ich Dich einmal, wenn auch nur auf einen Tag lang, überraschen muß. Du weißt, ich hasse Scenen und Feierliches, also auch geräuschvollen Empfang, wie alles Abschiednehmen — un beau matin also, wirst Du mich in Deinem Früh- stücks-Sallon etablirt finden, wo ich Dich scherzend und neckend empfangen will, als sey die lange Reise nur ein Traum gewesen, et toute la vie hélas! est elle autre chose? Ganz im Ernst, man sollte alle solche Dinge weit gleichgültiger und behaglicher neh- men, als man thun zu können glaubt. Ein engli- scher Dandy diene Dir darin zum Muster. Sein bester Freund und Regimentskamerad ging nach In- dien, und als dieser, gerührt von ihm Abschied neh- mend, in hoher Bewegung seine beiden Hände ergrei- fen wollte, um sie zum letztenmal vielleicht zu schüt- teln, hielt der Incroyable ihm, halb abwehrend, nur die Fingerspitzen hin, indem er lächelnd lispelte: „Sonderbare und höchst fatiguante englische Gewohn- heit, sich gegenseitig die Körper zu pumpen, indem man ihre Schwengel auf und ab bewegt!“ Dein Portrait hat mir nicht so viel Freude ge- macht als es sollte. Die Züge sind viel zu hart, und müssen erst gesanftet ( softed ) werden, ehe ich sie als Stellvertreter des Originals gelten lassen kann, dessen Bild übrigens lebhaft genug in meinem Herzen lebt, um daß es keines andern zur Auffrischung bei mir bedarf. Dein ewig treuer L.... Zwei und vierzigster Brief. Dublin, den 20 sten November 1828. Geliebte Freundin! Ich sehe hier oft einen Mann, B … H ...., dessen Gesellschaft von hohem Interesse für mich wurde. Er ist, obgleich geistlichen Standes, einer von den wenigen unabhängigen Denkern, die fähig sind, die Tyrannei früherer Eindrücke und alter Gewohnhei- ten abzuschütteln, und beim Lichte der Vernunft oder mit andern Worten, der göttlichen Offenbarung, allein zu sehen. Auch seiner Meinung nach ist eine Crisis in dem Gebiete der Religion nicht allzufern. Die religieusen Gebäude, wie sie noch größtentheils be- stehen, sagte er heute, sind offenbar die seltsamsten Mißgeburten von Erhabenem und Lächerlichem, von ewiger Wahrheit und dunkler Unwissenheit, von ächter Philosophie und Götzendienst. Je mehr die Menschen lernen, je mehr die Wissenschaft uns die Natur außer uns, und die unsres eigenen Wesens durch er- gründete Thatsachen verstehen lehrt, je milder, je moralischer werden unsre Sitten, wie unsere Regie- rungen. Langsamer folgen die Religionen! Selbst die christliche, obgleich in ihrem Ursprung einer der mȧchtigsten Schritte, den tiefes Denken und gründ- liche Erkenntniß des reinsten Herzens gethan, hat doch seitdem, wie uns die Geschichte ihrer Kirche fast auf jeder Seite zeigt, hundertmal die Welt mit Blut getränkt und den wahnwitzigsten Unsinn fortwährend geboren und auch wieder begraben, während Philo- sophie und Wissenschaft stets, gleich mildernd, fort- wirkten, ohne je ähnliche Opfer zu verlangen, noch ähnliche Verstöße zu begehen. Es ist die Frage, ob Newton, als er das Geheimniß der Himmel auf- deckte, der Erfinder des Compasses und der Buch- druckerkunst, der Menschheit nicht mehr genutzt haben, das heißt, ihre Civilisation mehr befördert, als soviel Stifter von Religionen, die verlangen, daß man zu ihrer Fahne ausschließlich schwöre. Ja es könnte wohl einmal eine Zeit kommen, wo Religion und Poesie als Schwestern betrachtet würden, und man es eben so lächerlich fände — eine Staatsreligion als eine Staatspoesie zu haben? Wäre ich ein Türke, so würde ich mir sagen: Es ist gewiß unendlich schwer, die Vorurtheile der Kindheit und den Aberglauben früherer Lehre so gänzlich los zu werden, um auch die Ueberzeugung von Millionen mit fester Seele als thöricht anzuerkennen. Demohngeachtet will ich, da ich es eingesehen, kein Türke bleiven. Als Christ Briefe eines Verstorbenen. II. 13 aber sage ich: An die reine Lehre will ich mich halten, die meine Vernunft verehren kann, den un- poetischen Mährchenwust aber, sowie alle Entstellun- gen damaliger Zeit, und noch mehr das blutige und gehässige Heidenthum der Nachfolger, will ich den Muth haben wegzuwerfen, wenn es auch 200,000,000 auf fremde Autorität wirklich im Innersten für hei- lig annähmen. Aus demselben Prinzip handelte Lu- ther, als er den ersten Schritt der Reform that, aber das Licht, das er damals gereinigt, bedarf wahrlich des Putzens von neuem gar sehr, und Ehre dem Manne der Kirche, der groß genug seyn wird, zu diesem Amte sich berufen zu fühlen, und es ohne Rücksicht und Menschenfurcht auszuführen, wenn gleich viel Zeter über ihn geschrieen werden wird, denn daß er nichts anders erwarten darf, das lehrt ihm zu deutlich die Geschichte. Waren es nicht im- mer grade die Wenigen nur, die das Bessere und Wahre anerkannten, und die sie verfolgten die Menge? war es etwa die fanatische Heerde, die Sokrates den Giftbecher reichte, oder die, welche Christus kreuzigte, oder die welche Huß verbrannte, auf deren Seite die Wahrheit stand? Nein, erst nach Jahrhunderten nahm diese Menge selbst der Geopferten Meinung an, und versteinerte sich von Neuem eben so ortho- dox für dieselbe als früher dagegen . Das reli- gieuse Bedürfniß ist gewiß eins der stärksten im Men- schen, besonders wo noch Gesetze und Institutionen in der Kindheit sind. Wer es sich daher selbst nicht gestalten kann, muß die Form von andern entneh- men. Wenige sind in dem ersten, die Mehrheit stets im andern Falle. Dies erklärt leicht, wie sich die Macht der Kirche und Priester bilden mußte, und daß auf diese Weise Menschen Jahrhunderte, ja Jahr- tausende lang am Gängelbande gleich Kindern ge- fu̇hrt werden können. Aber wenn dies gelingen soll, muß das Wissen zugleich zu Gunsten des Glau- bens unterdrückt werden. Wo die Forschung frei wird, da verschwindet endlich, wenn gleich langsam, ein Betrug nach dem andern, das Licht erleuchtet zu- letzt auch den entferntesten Winkel. Ist ein solches Ziel aber einmal erreicht, so hört auch der Gewissens- zwang auf, und ein Jeder verlangt unbeschränktes Feld für seinen Glauben, wie für sein Recht. Frei- lich, absolute Sultane, fette Derwische, und stolze Satrapen fallen dann miteinander zu Boden, wie der todte Satz im edlen Wein! Wie jämmerlich neh- men sich aber, bei der Morgendȧmmerung einer so herannahenden Zeit, Diejenigen aus, welche die Sonne am Aufgang verhindern zu können glauben, indem sie ihr den Rücken kehren, und ihrem Glanze den veralteten, morschen und wurmstichigen Schirm vor- halten, der selbst dem Mondlichte nicht mehr wider- stehen könnte. Im Trüben zu fischen wird ihnen noch eine Weile dabei gelingen, aber aufhalten kön- nen sie das Gestirn des Tages nicht — im Gegen- theil, ihre eben so leidenschaftliche als schwache Reak- tion, ist der sicherste Vorbote seiner gewissen An- näherung.“ 13* In Vielem muß ich B … H … beistimmen, ob aber seine sanguinischen Hoffnungen sich sobald, oder überhaupt auf dieser Erde realisiren möchten, ist eine andere Frage. Daß jesuitische Grundsätze nicht mehr die Welt regieren werden, und daß Freiheit der Presse, wenn sie erhalten wird, unberechenbare Wunder thut und thun muß — das bin ich wohl überzeugt, aber Menschen werden dennoch Menschen bleiben, und folglich die Mächte der Gewalt und List immer, fürchte ich, allgemeiner herrschen als die Kraft der Vernunft. Mit Vater Lestrange besuchte ich Vormittags die Gerichtshöfe, um den militairischen O’ Connel in der gepuderten Allongenperücke, schwarzem Talar und Bäffchen plaidiren zu sehen, und ging nachher in die Association, um dort den großen Agitator wieder in einer ganz andern Gestalt zu beobachten. Die Si- tzung war heute sehr stürmisch. Herr L … s sprach wie ein Verwirrter, und griff selbst O’ Connel so stark an, daß dieser fast seine gewohnte Dignität darüber verlor. Er hielt dann zwar eine vortreffliche Gegen- rede, baschte jedoch zu sehr nach Witz, der zuweilen auch nicht vom besten Geschmack war. Später spra- chen zehne zugleich, der Sekretair rief zur Ordnung, hatte aber nicht Autoritȧt genug, sich Gehorsam zu verschaffen. Kurzum, die Scene ward etwas unschick- lich, bis zuletzt ein hübscher junger Mann, mit un- geheurem Bart und in outrirter Kleidung (der Dan- dy der Association, wie L .... s ihr Don Quixotte), auf einen Tisch sprang, eine fulminante Rede hielt, die großen Applaus erlangte, und so die Ruhe wie- der herstellte. Bei Lady M ..... aß ich zu Mittag. Sie hatte mich durch ein Billet eingeladen, wie ich deren wohl ein Dutzend während meines Aufenthalts von ihr bekam, und die ich als charakteristisch anführen muß, da ich nie in meinem Leben von einer Dame calli- graphisch schlechter geschriebene, und im Styl vernach- läßigtere Billets gesehen habe. Offenbar zeigte sich hier die Absichtlichkeit der großen Schriftstellerin, die möglichste insouciance, den vollständigsten abandon im gewöhnlichen Leben zu bekunden, wie die großen Solotänzer in Paris, während dem pantomimischen Theil ihres Auftretens, affektiren, einwärts zu gehen, um den Tänzer von Profession nicht zu verrathen. Bei Tisch machte Lady M … mit ihrem schon er- wähnten Adjutanten K. Cl. die Hauptfrais alles obligaten Witzes, auch Herr Shiel zeigte sich aimable, und als Mann von Welt. Am amüsantesten aber fand ich Lady M … und ihre Schwester Abends im Sprüchwörterspiel, das beide vortrefflich in französi- scher Sprache extemporirten. So stellten sie unter andern, Love me, love my dog, (Liebst Du mich, so liebst Du meinen Hund) folgendermaßen dar. Personen: Lady M ..... eine alte Coquette, Lady C. ein irländischer fortune hunter (Glücksjäger), ihre älteste Tochter die französische Kammerjungfer, und die jüngste Tochter ein Garde-Capitaine, Lieb- haber der alten Dame. Zuerst sieht man Lady M … mit ihrem Kammermädchen bei der Toilette. Ver- traulicher Rath Josephinens, verschiedene lächerliche Toilettengeheimnisse betreffend; Jammer der Coquette über die ankommenden Runzeln; endlich Versicherun- gen der Abigail, daß, bei Abend, dennoch Niemand schöner sey. Als Beweis werden die verschiedenen Anbeter angeführt, und Liebesgeschichten alter Zei- ten erzählt. La Comtesse convient de les conquê- tes, und macht mit vieler Laune ein Gemählde ihrer Triumphe. Shut! ruft die Kammerjungfer, j’eutends le Capitaine. Dieser, ein Exclusive, erscheint mit fracas, einen kleinen Hund im Arme haltend, und erklärt nach einigen zärtlichen Complimenten, daß er, genöthigt sich zu seinem Regiment zu begeben, ihr Fidèle zurücklassen wolle, damit die schöne Gräfin nie vergesse, ihm fidêle zu bleiben. Burleske Be- theurungen, Schluchzen, Umarmung, Abschied. Kaum ist der Capitaine fort, so erscheint der Irländer und bringt sogleich einen Heirathskontrakt mit, in dem die Gräfin ihr ganzes Vermögen ihm verschreiben soll. Als guter Weiberkenner behandelt er sie rüde, und doch leidenschaftlich, so daß, nach schwacher Ver- theidigung, und einer kleinen Scene, beide endlich einig werden. Indem bemerkt der Irländer den fremden Hund, und frägt befremdet, wo dieser her sey? Man stottert verlegen einige Entschuldigungen her. Oconnor Mac Farlane spielt nun den in Wuth gerathenen Eifersüchtigen. Vergebens suchen die Wei- ber ihn zu beruhigen — er tobt, und besteht auf augenblicklicher Entfernung des Eindringlings. Die Gräfin versucht in Ohnmacht zu fallen, aber Alles ist vergebens; selbst Josephine, die schon vorher, bei Gelegenheit des Ehekontrakts, eine volle Börse hinter dem Rücken ihrer Gebieterin erhielt, nimmt die Par- thei des Bramarbas, und dieser, mit der einen Hand seine Dame zurückhaltend, ergreift endlich mit der andern den kleinen Unglücklichen und wirft ihn zur Thüre hinaus. Aber o weh! in demselben Augen- blicke kömmt der Capitaine noch einmal zurück, um das vergessene Halsband zu bringen, und Fidêle fliegt in seine Arme. Die erschrockenen Damen er- greifen die Flucht, die Männer messen sich mit den Augen, Oconnor Mac Farlane stößt schreckliche Dro- hungen aus, aber der Capitaine zieht den Degen, und Bramarbas springt zum Fenster hinaus. Dies Skelett ist mager; aber Lustigkeit, Laune und Witz machten es höchst unterhaltend. Die Unvollkommen- heit der Costüme vermehrten das Pikante, denn die Damen z. B. waren nur bis zur Mitte Männer, der Rest blieb Dame, d. h. sie hatten blos Rock und Weste über ihre Kleider gezogen, und einen Hut auf- gesetzt; ihr Degen war eine Reitgerte, und Fidèle ein Muff. Lady M .... erzählte mir nachher viel interessante Details über die berühmte Miß Oneil, die ich, wie Du weißt, für das größte dramatische Talent halte, das ich je zu bewundern Gelegenheit gehabt. Sie sagte, daß diese, von Anfang an, mit dem erhaben- sten Genie begabte Künstlerin, am hiesigen Theater, wo sie lange spielte, ganz vernachläßigt blieb, ja fast für nichts geachtet wurde! dabei war sie so arm, daß sie, wenn sie, nach angestrengtem Spiel, Abends zu Haus kam, dort nichts zur Erfrischung, als eine Schüssel Kartoffeln fand, und ein elendes Bett, das sie mit drei Geschwistern theilte. Lady M .... be- suchte sie einmal, und fand das arme Mädchen ihre zwei paar alten Strümpfe stopfen, die sie täglich wusch, um darin reinlich auf dem Theater erscheinen zu können. Lady M .... verschaffte ihr hierauf aller- lei Kleidungsstücke, und nahm sich überhaupt ein wenig ihrer Toilette an, die bisher in allen Stücken, wo sie spielte, ganz vernachläßigt worden war. Seit- dem erhielt sie etwas mehr, doch nur geringen Bei- fall. Um diese Zeit kam zufällig einer der Direktoren der Londner Theater nach Dublin, sah sie, und enga- girte sie, als ein besserer Kenner, sogleich für die Hauptstadt. Hier machte sie schon beim ersten Er- scheinen furore, und ward im Augenblick, von einem ungekannten armen Schauspielermädchen, das, ganz England überstrahlende, erste Gestirn an seinem Theaterhimmel. Noch immer erinnere ich mich mit Entzücken ihrer Darstellungen in London. Nie habe ich seitdem die Rolle der Juliet, von einer andern Schauspielerin, selbst unsern besten, ertragen können. Alles schien mir nur Manier, Affektation, Unnatur. Man mußte sehen, wie in den wenigen Stunden sich das ganze Leben der Shakespear’schen Juliet — so naturwahr vor den Zuschauern abspann. Zuerst er- blickle man allein das harmlose, jugendlich fröhliche, unbefangene tändelnde Kind; dann, wie die Liebe er- wachte, schien eine neue Sonne über sie aufzugehen, alle ihre Bewegungen wurden üppiger, ihre Miene strahlender, es war die, mit allem Feuer des Südens, sich ganz dem Geliebten hingebende Jungfrau. So erschloß sie sich in der lieblichsten, reichsten Blüthe — aber Sorge und Unglück reifte bald vor unsern Au- gen die edle Frucht. Imposante Würde, die höchste Zärtlichkeit für den Gemahl, der festeste Entschluß in der Noth, nahm jetzt die Stelle der glühenden Lei- denschaft ein, des leichten, genußbegierigen Sinns — und wie ward die Verzweiflung dargestellt, am Ende — als Alles verloren! — Wie furchtbar, wie herz- zerreißend, wie wahr, und dennoch immer schön , wußte sie hier bis zum letzten Moment zu steigern! Ihrer Sache gewiß, erlaubte sie sich zuweilen bis an die äußerste Grenze des Darstellungsfähigen zu strei- fen, was keine Andere hätte wagen dürfen, ohne in das Lächerliche zu fallen. Bei ihr wirkten jedoch grade diese Effekte, wie ein elektrischer Schlag. Ihr Wahnsinn und Sterben in Belvedeira unter andern In: Venice preserved von Otway. A. d. H. hatte eine so schaudervolle physische Wahrheit, daß der Anblick kaum zu ertragen war, und doch blieb es immer nur der Seelenschmerz, durch den körper- lichen auf’s Höchste veranschaulicht, der so mächtig, ja vernichtend auf den Zuschauer wirkte. Ich wenig- stens erinnere mich wohl, daß ich mich nach jenem Abend lange keinem sinnlichen Eindruck mehr über- lassen konnte, So erkläre ich mir das Wunder der Speisung der 6000 Mann, besser wie Paulus (ich meine den Con- sistorialrath). A. d. H. und noch den andern Morgen, als ich erwachte, heiße Thränen über Belvedeira’s Schick- sal vergoß. Ich war allerdings damals sehr jung, aber Viele theilten mein Gefühl, und es war auf- fallend, daß Deutsche, wie Franzosen und Italiener, gleich enthusiastisch über sie urtheilten, da man sich doch sonst immer erst an das Nationelle etwas ge- wöhnen muß, um von einem Schauspieler sich ganz befriedigt zu fühlen. Sie hatte aber keine Spur von Manier, es war nur das ächte und edelste Men- schenbild, das wieder zum innersten Menschen sprach. Man konnte sie eigentlich nicht schön nennen, obgleich sie eine edle Gestalt, herrliche Schultern und Arme und schönes Haar hatte. Ihr Gesicht besaß aber jenen undefinirbaren tragischen Ausdruck, der beim ersten Anblick die tiefsten Gefühle der Seele auf- wühlt. Man glaubt in solchen Zügen die Spur aller Leidenschaften zu lesen, über welche dennoch überirdi- sche Ruhe, wie eine Eisdecke über einen Vulkan, ge- breitet ist. Gegen so viel Genie und Talent waren die Du- bliner blind geblieben — als aber das Jahr darauf, die berühmte, gefeierte, vergötterte Miß Oneil von London zurückkam, um einige Gastrollen zu geben — war auch sogleich der durch sie verbreitete Zauber so groß, daß nicht nur das ganze Publikum sich wie im Rausch und Taumel befand, sondern mehrere Da- men ohnmächtig hinausgetragen werden mußten, und Eine, über den Anblick der Raserei Belvedeira’s wirklich närrisch wurde, und im Toll- hause starb . Ohne Zweifel als Opfer der Nemesis, für den frühe- ren Stumpfsinn der Uebrigen. A. d. H. Wahrlich, bei solchen Erfahrun- gen wird Einem der Enthusiasmus der Menge fast ekelhaft! Diese große Schauspielerin zeichnete sich auch im- mer durch einen höchst liebenswürdigen Charakter aus, und erhielt fortwährend allein ihre Familie, selbst zur Zeit ihrer größten Dürftigkeit. Auf einem kleinen Privattheater in der Provinz war sie zum erstenmale aufgetreten. Dieses sollte geschlossen und dabei noch eine feierliche Vorstellung, von den vor- züglichsten Dilettanten, gegeben werden, deren Ertrag für die Armen der Provinz bestimmt war. Man schrieb an Miß Oneil nach England, und bat sie, die hier zuerst ihre Kräfte versucht, auch die letzte Dar- stellung durch ihre, jetzt von allen drei Königreichen bewunderte Kunst, zu verherrlichen; jede Bedingung die sie mache, werde man eingehen. Miß Oneil er- wiederte, daß sie sich ungemein von dem Antrage ge- schmeichelt und geehrt fühle, aber weit entfernt, eine Belohnung für sich anzunehmen, werde sie mit Freu- den eine Gelegenheit ergreifen, der Wiege ihres schwa- chen Talents den schuldigen Tribut zu bringen. Nur unter dieser Bedingung, und daß es ihr freistehen möge, auch ihren Beitrag für ihre armen Lands- leute beifügen zu dürfen, würde sie am bestimmten Tage eintreffen. Augenzeugen haben mich versichert, daß sie nie eine vollendetere Darstellung gesehen, als die von Shakespear’s unsterblichem Meisterstück an diesem Tage. Nie wȧre Miß Oneil besser unterstützt worden, und nie habe sie sich selbst mehr übertroffen. Eine eigne Schickung war es, daß sich an demselben Tage ein sehr reicher junger Baronet in sie verliebte, und sie ganz kurze Zeit darauf heirathete. Er be- ging einen großen Raub am Publikum, aber wer kann ihn deshalb verdammen! Miß Oneil hat jetzt mehrere Kinder, ist noch immer reizend, wie man be- hauptet, lebt glücklich auf dem Landgute ihres Man- nes, hat aber nie mehr, weder eine öffentliche, noch eine Privatbühne betreten. (Der Schluß dieses Briefes, welcher, wie aus dem Anfang des Folgenden scheint, die Schilderung eini- ger öffentlichen Feste und Vorfälle dabei enthielt, ist abhanden gekommen.) Drei und vierzigster Brief. Dublin, den 7 ten December 1828. Liebe Julie! Die Schilderungen der public dinners, und der albernen Perfidie des Sir Charles M … haben nun ein Ende, und ich führe Dich dafür zu einem Frühstück auf die Post, wo uns, nebst einer Menge eleganter Damen, der Chef, der es gab, ein sehr ge- bildeter und artiger Mann, Sir Edward Lee, vorher in den verschiednen Bureaux herumführte, pour nous faire gagner de l’appetit . In einem derselben, das der „dead Letters“ (todten Briefe) genannt, ereig- nete sich während unsres Daseyns ein sonderbarer Vorfall. Alle Briefe nämlich, auf denen die Adresse ganz unverständlich ist, oder wo die Personen, an die sie gerichtet sind, nicht ausgemittelt werden können, kommen in dieses Bureau, wo sie schon nach vierzehn Tagen aufgemacht, und wenn sie nichts Wichtiges enthalten, verbrannt werden. Mir scheint dies eine ziemlich barbarische Mode, da wohl ein Herz davon zu Grunde gehen könnte, was einem Postoffizianten doch ohne Wichtigkeit schiene. Es ist aber einmal so, und wir fanden drei Leute fleißig mit der Operation beschäftigt. Mehrere von uns ergriffen neugierig ei- nige dieser zum Opfer bestimmten Briefe und durch- blätterten sie, als der Beamte, neben dem ich stand, ein ziemlich starkes Schreiben in die Hand bekam, auf dem sich gar keine Adresse befand, sondern blos der Poststempel einer irländischen Provinzialstadt. Wie groß war aber seine und Aller Verwunderung, als er beim Aufmachen zwar keine Buchstaben, aber 2700 Pf. St. Banknoten in natura darin fand. Dies wenigstens schien Allen wichtig, und es wurde sogleich Ordre gegeben, nach jener Stadt zu schreiben, um die Sache aufzuklȧren . Als ich Abends meine Nachtigallen besuchen wollte, fand ich sie ausgeflogen und nur den Herrn Vater zu Hause, mit dem ich mich daher, feaute de mieux, wissenschaftlich unterhielt. Er zeigte mir mehrere in- teressante, neu erfundene Instrumente, unter Andern Eins, das sehr genau den Kraftgrad der Lunge an- giebt, und daher zur Erkenntniß schwindsüchtiger Krankheiten unschätzbar seyn soll. Ein vornehmer hiesiger Beamter, erzählte Sir A …, war an un- heilbarer Lungensucht im vorigen Jahre von allen Aerzten Dublins aufgegeben worden. Seiner nahen Auflösung selbst entgegensehend, war er im Begriff, sein Amt aufzugeben, und nach Monpellier abzurei- sen, um wo möglich den unvermeidlichen Tod noch einige Monate aufzuschieben. Sir A. wurde zuletzt auch noch consultirt, und kam auf den Gedanken, hier seine, eben von London angekommene, Maschine zu versuchen. Kaum traute er seinen Augen, als er bei diesem Experiment fand, daß des Kranken Lunge zwei Grad mehr Kraft zeige als seine eigne, die sich doch ungemein wohl befindet. Man erkannte nun eine Leber krankheit, mit allen Symptomen des letzten Grades der Schwindsucht, und der Patient war in vier Monaten gänzlich geheilt, mit Beibehal- tung seines reichlich besoldeten Amtes, das er auf- zuopfern schon im Begriff gewesen war. Eine andere sehr compakte kleine Maschine diente zum Aderlassen und Scarifiziren, als Magenpumpe, Ohrsprütze und Kl … Spr … alles zu gleicher Zeit. Man muß gestehen, daß man das Compendiöse nicht weiter trei- ben kann! Die übrigen Marter-Instrumente will ich Dir nicht beschreiben, tant pis pour l’humanité, qu’il en faut tant! Anmuthiger erschien mir ein Barome- ter, durch die Figur einer Dame dargestellt, die, bei Annäherung des schlechten Wetters, ihren Parapluie ergreift, bei starkem Regen ihn aufspannt, und bei beständiger Schönheit der Witterung ihn als Spazier- stock gebraucht. Eine Dame als stets wechselnder Wetterprophet zu gebrauchen! Quelle isolence! Den 8 ten. Sir A … der eine Stelle bei der Bank bekleidet, zeigte mir diese am heutigen Morgen. Das Lokal ist schön, und diente ehemals zum Versammlungsort der beiden Häuser des so sehr zurückgewünschten ir- ländischen Parlaments. Am sehenswerthesten ist die Druckerei der Banknoten. Eine prächtige Dampfma- schine treibt das Ganze, und eine zweite kleinere da- neben füllt auch die Kessel mit Wasser und die Oefen mit Kohlen, so daß hier für Menschen beinahe nichts zu thun übrig bleibt. Im ersten Zimmer wird die Druckerschwärze bereitet, in den nächsten Sälen er- halten die Banknoten, mit großer Schnelligkeit, ihre verschiedenen Ornamente und Zeichen. Nur ein Mann ist bei jeder Druckmaschine beschäftigt, und wȧhrend er die leeren Papiere, Eins nach dem An- dern, unter den Stempel bringt, markirt sich in ei- ner verschlossnen Büchse daneben die Quantität der bedruckten Noten. Im nächsten Saal werden sie numerirt. Dies geschieht auf einem kleinen Kasten, und die Maschinerie in diesem Behältniß numerirt von selbst, wie durch unsichtbare Hände, von 1 — 100,000. Der dabei beschäftigte Arbeiter hat nichts weiter zu thun, als die hervorkommenden Zahlen mit Druckerschwärze zu betupfen, und die Noten in gehörige Ordnung zu legen. Das Uebrige verrichtet die Maschine allein. Jede Note, die nach der Ausgabe wieder zur Bank zurückkehrt, wird sogleich zerrissen, und dann noch sieben Jahre aufgehoben, ehe man sie verbrennt. Bei dieser letzten Operation bildet sich, aus dem Pa- pier und der eigens componirten Druckerschwärze, ein Residuum von Indigo, Kupfer- und dem Pa- pierstoff, welches wie Metall aussieht, und glänzend alle Farben des Regenbogens spielt. Natürlich ge- hören viele Centner Noten zu einem Loth dieser Substanz, von der ich mir ein schönes Stück ver- schaffte. Nachher stiegen wir noch auf die, eine Welt im Kleinen bildenden Zinkdächer des großen Gebäudes hinauf, wo wir Trepp auf Trepp ab, gleich dem diable boiteux, zwar in verschiedne andre Häuser hineinsehen konnten, uns aber zuletzt selbst so verirr- ten, daß wir kaum ohne Ariadne’s Faden wieder her- ausgekommen wären. Ich langte deshalb zu spät auf einem großen diné bei Sir E. L. an, eine Sache die man in England indeß nicht so übel aufnimmt, als bei uns. Den 9 ten. Lord Howth hatte mich zu einer Hirschjagd einge- laden, von der ich, so befriedigt als ermüdet, eben zurückgekommen bin. Meine Lectionen in Cashel kamen mir heute gut zu statten, denn Lord Howth ist einer der besten und determinirtesten Reiter in England. Man hatte mir ein sehr gutes Pferd Briefe eines Verstorbenen. II. 14 gegeben, und ohngeachtet ich zweimal stürzte, was Lord Howth auch einmal arrivirte, folgte ich ihm so gut auf dem Fuße, daß ich unsrer Cavallerie keine Schande gemacht zu haben glaube. Zuletzt waren von den fünfzig Rothröcken mehr als Zweidrittheil verloren gegangen. Bemerkenswerth erschien mir ein Offizier, der nur noch einen Arm hatte, und dennoch stets unter den ersten war, ohne daß sein vortreffli- ches Pferd auch nur einen Sprung versagt, oder mankirt hätte. Von Zeit zu Zeit ist diese Jagd ein hübsches Ver- gnügen; wie man aber jedes Jahr sechs Monate hindurch, und wöchentlich dreimal, sich dieser, doch sehr geistarmen, Unterhaltung widmen, und sie im- mer mit gleicher Leidenschaft treiben kann, bleibt mir unbegreiflich. Was überdem die Hirschjagd in Eng- land für mich weit weniger angenehm macht, als anderswo, ist, daß die dazu gebrauchten Hirsche nur zahme sind, die man wie Rennpferde völlig dazu trainirt. In einen Kasten gesperrt, werden sie auf den Platz des Jagd- rendezvous gebracht, und dort erst herausgelassen. Wenn sie einen gehörigen Vor- sprung haben, geht die Jagd an, und ehe man sie endigt, werden die Hunde abgerufen, und das Thier wieder im Kasten aufbewahrt. Ist das nicht entsetz- lich prosaisch, und kaum durch das Agr é ment aufge- wogen, daß man sich den Hals über einen breiten Graben brechen, oder den Kopf an einer hohen Mauer einstoßen kann? Den 10 ten. Seit einigen Wochen besuche ich oft die gymnastische Akademie, eine Belustigung, die in Großbritannien und Irland sehr Mode geworden ist. Gewiß, für die Erziehung der Jugend sind diese Uebungen un- schätzbar — es ist ein sehr potenzirtes Turnen, aber ohne Politik. Wenn man bedenkt, welche Mittel jetzt für physische, wie geistige Erziehung zu Gebote stehen, wie selbst die Mißgestaltetsten, in Eisenschie- nen gespannt, zu Apollo’s umgeschaffen, wie Nasen und Ohren creirt, und täglich in den Zeitungen Er- ziehungsanstalten angepriesen werden, wo man die gründlichsten Gelehrten in drei Jahren zu bilden ver- spricht, Bildet doch das preußische Landwehr-System auch vollkommene Soldaten zu Roß und zu Fuß in zwei Jahren. A. d. H. so möchte man gleich selbst wieder ein Kind werden, um auch seinen Theil davon zu be- kommen. Es scheint, das Gesetz der Schwerkraft wirke im Moralischen wie im Physischen, und die Kultur ( the march of intellect ) vermehre sich jetzt in steigender Progression, wie die Schnelligkeit einer fallenden Kugel. Nur noch ein Paar politische Umwäl- zungen in Europa, gänzliche Vervollkommnung des Dampfwesens für Seele und Körper, und Gott weiß wo wir, selbst ohne die Direktion des Luftballons gefunden zu haben, noch hingelangen? Doch um auf 14* das Gymnasium zurückzukommen, so ist dessen Nützlichkeit wenigstens unbezweifelt. Es kräftigt die Natur so sehr, und verschafft dem Körper solche Ge- wandtheit, daß man dadurch seine Existenz wahrhaft verdoppelt, und verdreifacht. Selbst im wörtlichen Sinne genommen, ist das wahr, denn ich sah einen jungen Mann, dessen Brust, nach ununterbrochen fortgesetzter dreimonatlicher Uebung, sieben Zoll in ihrer Wölbung zugenommen hatte. Die Muskeln der Arme und Schenkel treten dabei wie hartes Eisen in dreifachem Volumen hervor. Aber auch ältere, ja sechszigjährige Leute, wenn sie gleich nicht dieselben Vortheile erlangen können, sind immer noch im Stande, sich durch mäßige Uebung im Gymnasio sehr bedeutend zu kräftigen. Ich fand täglich Meh- rere von diesem Alter, die es sehr gut mit den Jün- gern aufnahmen, welche erst kurze Zeit den Unter- richt genossen hatten. Es gehört aber einige Aus- dauer dazu, denn je älter man ist, je schmerzlicher und ermüdender ist der Anfang. Manche fühlen sich Monate lang davon wie gerädert, oder mit einem allgemeinen Rheumatismus behaftet. Ein Franzose dirigirt jetzt das Ganze, nachdem sein Vorgänger sich vor zwei Jahren pro patria geopfert hatte. Die- ser Mann, mit Namen Beaujeu, wollte zweien Damen (denn auch für weibliche Gymnasten dient die Anstalt) zeigen, wie leicht das Exercitium Nr. 7 sey. Die Stange brach, und er beim Herabfallen das Rückgrat. Schon nach wenigen Stunden starb er, und mit einer Begeisterung, die einer größeren Sache würdig gewesen wäre, stieß er blos die klagenden Worte aus: „Voilà le coup de gráce pour la Gym- nastique en Irlande! Seine Befürchtung ist jedoch nicht in Erfüllung gegangen, denn Herren und Da- men sind gymnastischer gesinnt als je. Den 14 sten. Da ich diese Tage über unwohl war, und nicht ausgehen konnte, so bin ich nicht im Stande, Dir irgend etwas Interessantes zu melden. Nimm da- her mit einigen detachirten Gedanken vorlieb, wie sie die Einsamkeit gebiert, oder laß sie auch, wenn sie Dich langweilen, ungelesen. Stuben-Philosophie . Was ist Glück und Unglück? Da mir das erste nicht viel zu Theil ward, so habe ich mir die Frage oft aufgeworfen. Blind und zufällig ist es gewiß nicht, sondern nothwendig und folgerecht, wie alles Andere in der Welt, obgleich die Ursachen desselben nicht immer von uns abhängen. In wie fern wir aber es wirklich selbst herbeiführen, wäre für Jeden eine sehr heilsame Untersuchung. Glückliche und un- glu̇ckliche Gelegenheiten bieten sich im Laufe des Le- bens wohl Jedem dar, und diese geschickt zu benutzen oder abzuwenden, ist, in der Regel, das, was dem Menschen überhaupt den Ruf eines Glücklichen oder Unglücklichen verschafft, aber man kann doch nicht läugnen, daß bei manchen Menschen, durch das, was wir Zufall nennen, fortwährend die kräftigsten und klügsten Combinationen scheitern, ja es giebt sogar eine gewisse Ahnung, die uns im Voraus, entweder beim verwickeltsten Zutrauen, oder auch beim an- scheinbar leichtesten schon das dunkle Gefühl giebt, daß es dennoch nicht gelingen werde. Manchmal bin ich versucht, zu glauben, daß Glück und Unglück blos eine Art subjektiver Eigenschaften sind, die man mit auf die Welt bringt, wie Gesundheit, Körper- stȧrke , besser organisirtes Gehirn u. s. w. und dessen überwiegender Kraft sich, wo es da ist, die Umstände magnetisch fügen müssen. Wie alle Eigenschaften, kann man auch diese ausbilden oder schlafen lassen, vermehren oder vermindern. Der Wille thut dabei viel — drum sagt man: wagen gewinnt, und Kühn- heit gehört zum Glück. Man bemerkt zugleich, daß das Glück in der Regel, wie andere Sinne, mit den Jahren, d. h. mit der Kräftigkeit des Materiellen abnimmt. Es ist dies durchaus nicht immer die Folge von schwächeren oder ungeschickteren geistigen Maßregeln, sondern scheint wirklich das Ergebniß einer geheimnißvollen Fähigkeit an sich zu seyn, die, so lange sie jung und stark ist, das Glück bannt, später aber es nicht mehr zu halten im Stande ist. Beim großen Spiel macht man hierüber sehr gute Studien, und es ist dies zugleich die einzige poeti- sche Seite dieser gefährlichen Leidenschaft, die oft sehr anziehen kann, da nichts ein so treues Bild des Le- bens giebt, als das hohe Hazard-Spiel, nichts so- gar eine bessere Maßgabe für den Beobachter, um seinen eignen und den Charakter Anderer zu ergrün- den. Alle Regeln, die im Kampf des Lebens gelten, gelten auch in diesem, und die Einsicht mit Charak- ter-Stärke verbunden, ist jedenfalls sicher, wenn nicht zu siegen, doch sich mit Erfolg zu vertheidigen. Ist sie aber mit der Glücksfähigkeit gepaart, so wird ein Spiel-Napoleon daraus, ein Eroberer am Pharao- Tische! Von den filous, qui corrigent la fortune, spreche ich nicht. Aber auch hier bleibt das Gleich- niß treu, denn wie oft begegnest Du nicht in der Welt Solchen, die das Glück bannen durch Betrug — beiläufig gesagt, die unglücklichsten aller Speku- lanten. Ihre Beschäftigung ist das wahre Wasser- schöpfen mit einem Sieb, das Aufsammeln stets leerer Nüsse. Denn was ist Genuß ohne Sicherheit, und wie kann äußeres Glück helfen, wo das innere Gleichgewicht fehlt! Es giebt Menschen, die, obgleich mit ausgezeichne- ten Geisteseigenschaften begabt, doch damit nicht in der Welt fortzukommen wissen, wenn sie nicht durch das Schicksal von Hause aus an ihren wahren Platz gestellt worden sind. Mit eignen Kräften wissen sie diesen nie zu erreichen, weil eine zu weibliche Phan- tasie, in die sich fortwährend fremde Formen ein- drücken, sie verhindert, die Wirklichkeit zu sehen, wie sie ist, und sie ewig nur unter schwankenden Bildern leben läßt. Mit Feuer und Geschick beginnen sie zwar ihre Pläne, aber noch schneller verfolgt diesel- ben ihre Phantasie auf dichterischem Roß, und führt sie ohne Verzug im Traumreiche so glänzend und genügend an das Ziel, daß sie die langsamen Müh- seligkeiten des wirklichen Weges nachher nicht mehr überstehen mögen. So lassen sie denn ein Projekt nach dem andern freiwillig fallen, ehe es zur Reife gedieh. Wie Alles in der Welt hat jedoch auch dieser nachtheilige Zustand seine Kehrseite. Er verhindert zwar daran, sein Glück zu machen, wie man es zu nennen pflegt, giebt aber einen unermeßlichen Trost im Unglu̇ck , und eine Elastizität des Gemüths, die nichts ganz vernichten kann, denn das Reich Genuß- spendender Phantasie-Bilder bleibt zu jeder Zeit un- erschöpflich. Eine ganze Stadt spanischer Schlösser steht Sterblichen dieser Art immer zu Gebot, und sie genießen mit der Hoffnung, im ewigen Wechsel, unzähliche Wirklichkeiten im Voraus. Solche Leute können bei alle dem, für Andere, Besonnenere, mehr Praktische, oft als die größten Hülfsmittel dienen, wenn diese den Enthusiasmus jener zu erregen verstehen. Ihr Scharfsinn erhält dann durch eine positive, sie beherrschende Zuneigung, und daraus entstehendem Zwang, die Ausdauer , welche das eigne Interesse ihnen nicht geben kann, und ihr Eifer ist bleibender für Andere als für sich. Aus demselben Grunde wird, wenn eine höhere Macht sie gleich Anfangs auf des Berges Spitze gestellt, auch Großes von ihnen selbst ausgehen können, denn in diesem Falle ist ihnen der mannichfaltigste großartige Stoff, und mit ihm der Enthusiasmus, dessen sie bedürfen, schon gegeben und fixirt. Es ist auch nichts völlig Neues, Schwankendes, Ungewisses erst zu gründen, das unter ihnen Liegende nur mit künstlerischem Scharfsinn aufs Höehste zu benutzen, zu verbessern, zu erheben, zu verschönern. — Hier wird dann ihr genialer Blick, von tausend ausfüh- renden Köpfen und Händen unterstützt, und durch das innere poetische Auge gekräftigt, von der Höhe, ihrem eigentlichen Element, weiter tragen, als der gewöhnlicher Naturen. — Am Fuße und Rande des Berges aber hilft ihnen die Schärfe dieses Blickes nichts, weil ihr Horizont dort verdeckt ist, und hin- auf, zum mühvollen Klimmen, tragen die indolen- ten Glieder sie nicht, noch können sie den gaukelnden Gestalten widerstehen, die sie unterwegs bald dahin, bald dorthin, von ihrem Pfade verlocken. Sie leben und sterben daher am Berge, ohne je seinen Gipfel zu erreichen, folglich ihrer eignen Kraft ganz inne geworden zu seyn. Bei einem Menschen dieser Art kann man das bekannte Wort umdrehen, und mit Recht sagen: Tel brille au premier rang, qui s’celipse au second . So schön und herrlich die Worte Moral und Tu- gend lauten, praktisch heilsam für das irdische Wohl der menschlichen Gesellschaft wird doch nur die allgemeine klare Erkenntniß derselben als das Nütz- liche seyn. Wer wirklich einsieht, daß der Sündi- gende dem Wilden gleicht, welcher den ganzen Baum umhaut, um zu einer einzigen, oft sauren, Frucht zu gelangen, der Tugendhafte aber, wie der verstän- dige Gärtner handelt, der, die Reife abwartend, die süßen Früchte alle pflückt, mit dem frohen Bewußt- seyn, daß er deshalb den Baum an keiner folgenden Erndte verhindert habe — dessen Tugend wird wahrscheinlich die sicherste bleiben. Je erleuchteter also die Menschen im Allgemeinen über das find, was ihnen frommt , desto frommer , d. h. besser und milder müssen auch ihre Sitten, unter und ge- geneinander selbst, werden. Dann wird auch bald die Wechselwirkung im wohlthätigen Zirkel gehen — nämlich aufgeklärtere Individuen eine bessere Ver- fassung und Regierung gründen, und diese wiederum die Aufklärung der Einzelnen vermehren. Käme es nun endlich dahin, daß eine solche vernunftgemäße höhere Erziehung uns von den Chimären unklarer Zeiten gȧnzlich befreite, Religionszwang unter die Absurditäten verwiese, Liebe und Tugend aber, als eine zur glücklichen Existenz der menschlichen Gesell- schaft innern und ȧußern Nothwendigkeit, klar er- kennen ließe, zugleich aber durch weise und feste po- litische Institutionen, aus dieser Ueberzeugung ent- sproßen, auch zur fortwährenden Beibehaltung der- selben durch heilsame Gewohnheit, gewissermaßen zwänge — so wäre das Paradies gefunden. Die bloßen Strafgesetze für hier und dort, ohne diese innere Ueberzeugung, alle weltliche Politik, im Sinne geschickter Gauner; alle Propheten, göttlich- menschliche Extra-Offenbarungen, Himmel, Hölle und Priester werden es aber schwerlich so weit bringen, — ja so lange diese in den Speichen hängen, möchte das Rad der Aufklȧrung sich nur gar schwierig und langsam umdrehen. Es ist der Bemerkung werth, daß zu der Zeit, als ewige Höllenstrafen am aufrichtigsten geglaubt wurden, es mit der Moralität am schlechtesten stand, und die Zahl grober Verbrechen gegen jetzt tausendfältig war. A. d. H. Daher arbeiten auch so Viele mit allen Kräften einem solchen Resultat entgegen, ja selbst Protestanten protestiren rückwärts , und Manche möchten sogar eine neue Continental-Sperre etabliren, gegen fremde Lichtstrahlen. Uebrigens kann man Niemand verdenken, „quil prêche pour sa paroisse.“ Von einem englischen Erzbischof mit 50,000 Lst. Revenuen z. B. zu ver- langen, daß er aufgeklärt seyn solle, wäre eben so abgeschmackt, als vom Schach von Persien zu erwar- ten, daß er sich aus eigner Neigung zum konstitutio- nellen Monarchen umschaffe. Wenig Individuen werden freiwillig verschmähen, eine reiche und pracht- volle Sinecure zu genießen, bei der nichts weiter von ihnen verlangt wird, als den Leuten ein wenig Staub in die Augen zu streuen, oder ein Despot seyn zu dürfen, der blos nach seiner Laune Millio- nen dirigirt. Die Sache der menschlichen Gesell- schaft ist es aber, es wo möglich so einzurichten, daß wir Alle , auch mit dem besten Willen dazu, eine solche Sinecure weder erlangen, noch solche Despoten werden können. Sonst, als Kind, geschah es mir oft, daß ich keine Ruhe über das Schicksal Hannibal’s finden konnte, oder in Verzweiflung über die Schlacht von Pultava war; heute jammerte ich über Columbus! Wir sind dem geistreichen Amerikaner Washington Irving viel Dank für diese Geschichte schuldig. Es ist ein schö- ner Tribut, dem großen Seefahrer aus dem Lande dargebracht, das er der civilisirten Welt geschenkt, und das bestimmt scheint, die letzte Station zu seyn, die der Cyclus menschlicher Perfektibilität durchläuft. Welch ein Mann, dieser erhabne Dulder! der zu groß für seine Zeit, ihr vierzig Jahre lang nur als ein Narr erschien, und den Rest seines Lebens ihrer Feindschaft preis gegeben war, der er auch zuletzt in Noth und Kummer unterliegen mußte! Aber so ist die Welt, und es wäre darüber selbst närrisch zu werden, wenn man sich nur beim Einzelnen auf- hielte, und uns Nachdenken nicht bald belehrte: daß für die weise Natur, das Individuum nichts, die Spezies Alles ist. Wir leben für und durch die Menschheit und in ihrem großen Ganzen compen- sirt sich auch Alles. Dies kann jeden Vernünftigen vollkommen beruhigen, denn jede Saat geht auf, wenn gleich nicht immer für dieselbe Hand, die sie in die Erde legte, doch schlimme wie gute, der Menschheit geht keine verloren. Und was ist der Zweck von Allem? Leben — ewig alt und ewig neu, an dem auch wir immer fort Theil haben. Darum behaupte ich: was ist , kann nur vollkommen und nothwendig seyn, sonst wäre es nicht. Was geschieht, muß geschehen, nicht weil es Willkühr so vorher bestimmt, wie die Fatalisten annehmen, son- dern weil die Kette der Folgen nothwendig aus der Kette der Ursachen entspringen muß. Relativ, und in den einzelnen Verhältnissen des Weltall-Lebens entschwindet jedoch diese eiserne Nothwendigkeit dem Auge, und giebt tausend ungewissen Beziehungen Raum, ohne die das ganze Lebensspiel ja gleich zu- sammenfiele. Es hat dies die größte Aehnlichkeit mit den Werken der Kunst, oder ist vielmehr ihr Vor- bild. Lear auf dem Theater, jeder Held, den der wahre Dichter uns vorführt, ergreift uns tief, und vielleicht mehr, als er es in der Wirklichkeit thun würde, und doch wissen wir, alles was wir sehen und hören, sey Täuschung. Der Ausdruck: das Thea- ter der Welt, hat einen tiefern Sinn, als man sich gewöhnlich dabei denkt, und Alles was lebt, spielt in Wahrheit: eine göttliche Komödie ! Daß eine gewisse, nöthige Täuschung unser wirk- liches Element sey, wenigstens die Bedingung unsres irdischen Lebens, zeigt sich in Allem. Wir sehnen uns nach der Vergangenheit , schwelgen in Bil- dern der Zukunft und kennen keine Gegenwart . Das einzig Wahre — der Geist — bildet freilich den unsichtbaren Kern, und an ihm bildet sich die bunte Scheinfrucht des Lebens aus. So bleibt es bei Goethe’s tiefem Wort „Wahrheit und Dichtung“ — Geist und Erscheinung. Was mich oft und bitter verdrießen kann, ist, die Leute über das elende Leben hier klagen, und die Welt ein Jammerthal nennen zu hören. Dies ist nicht nur die himmelschreiendste Undankbarkeit (mensch- lich gesprochen) sondern auch die wahre Sünde gegen den heiligen Geist. Ist nicht offenbar Genuß und Wohlseyn durch die ganze Welt der positive Normal- Zustand, Leiden, Böses, Verkrüppeltes nur die nega- tive Schattenseite? Ist nicht das Leben ein ewiges Fest für das gesunde Auge, im Anschauen dessen und seiner Herrlichkeit, man anbetend selig werden kann! Und wäre es nur der tägliche Anblick der Sonne und der mächtigen Sterne Glanz, der Bäume Grünen und Blüthen, und der tausend Blumen Schmelz, der Vögel Jubelgesang und aller Geschöpfe üppige Fülle und reiche Sinnenlust — es wȧre schon viel, um sich des Lebens zu freuen — aber welches mehr wunder- bare Reich entfaltet in unerschöpflichen Schätzen unser eignes Gemüth, welche Fundgruben öffnet Liebe, Kunst, Wissenschaft, die Beobachtung und die Ge- schichte unsres eignen Geschlechts, und in der tiefsten Tiefe, das fromme, ahnende Anschauen Gottes und seines Weltalls! Wahrlich, wir wären nicht so un- dankbar, wenn wir weniger glücklich wären, und Leiden bedürfen wir oft nur zu sehr, um dies recht gewahr zu werden. Man könnte die Disposition da- zu unsern sechsten Sinn nennen, durch den wir das Glück erkennen. Wer davon recht überzeugt ist, der wird zwar immer noch zuweilen klagen, gleich andern unbesonnenen Kindern, schneller aber zur Besinnung kommen, denn das innige Gefühl des Glückes: zu leben , ruht wie ein rosiger Grund in seinem Innern, von dem auch die schwärzesten Figuren, welche das Schicksal darauf erscheinen läßt, wie die Adern vom Blute, sanft durchschimmert werden. Paradoxen meines Freundes B. H. „Ja gewiß, der Geist waltet in uns, und wir in ihm, und ist ewig, und derselbe, der durch alle Wel- ten waltet — aber das, was wir unsre menschliche Seele nennen, das schaffen wir hier uns selbst. Das scheinbare Doppelwesen in uns, wovon das Eine dem Sinnen-Impuls folgen will, das Andere darüber reflectirt und jenes zurück hält, entsteht schon ganz natürlich aus der, so zu sagen, doppelten Natur und Bestimmung des Menschen, nȧmlich , in- dem er zugleich als Individuum, und auch als ein integrirender Theil der Gesellschaft leben soll und muß. Zur letztern Existenz war die Gabe der Sprache nöthig, oder sie konnte gar nicht ins Leben treten, nicht werden. Der einzelne Mensch, isolirt hinge- stellt, ist durchaus, und bleibt, nichts als das mit dem besten Intellekt begabte Thier; er hat nicht mehr Seele als dieses. Der Versuch kann noch täg- lich wiederholt werden. So wie dieser Mensch aber gemeinschaftlich mit andern zu leben anfängt, und durch Sprache ein Austausch von Wahrnehmungen möglich wird, erkennt er bald, daß der Einzelne sich zu seinem eignen Besten dem Ganzen, der Gesell- schaft, zu der er mitgehört, unterordnen, für deren Bestehen Opfer bringen muß, und hier erst, könnte man sagen, entsteht die Essenz der Seele, das Mo- ralprinzip. Das Gefühl seiner Schwäche und Un- wissenheit gebiert zugleich die Religion, das Gefühl Andrer zu bedürfen, die Liebe. Eigennutz und Hu- manität treten nun in jenen fortwährenden Anta- gonismus, den man, ich weiß nicht warum, das un- erforschliche Räthsel des Lebens nennt, da mir der ausgesprochnen Ansicht gemäß, nichts folgerechter und natürlicher erscheint. Die Aufgabe für den Men- schen wird demnach nur seyn, zwischen beiden Po- len das gehörige Gleichgewicht herzustellen. Je vollständiger dies erreicht wird, je wohler befindet sich fortan der Mensch, die Familie, der Staat. Das Extrem, auf einer oder der andern Seite, ist nachtheilig. Das Individuum, welches sich egoistisch allein gelten lassen will, unterliegt der Gewalt der Mehrheit — die romanhafte Schwärmerei, welche selbst verhungert um Andere zu ernȧhren , wird zwar von den Menschen, die jedes ihnen gebrachte Opfer billig bewundern, zuweilen aber auch nur belachen, edel oder närrisch genannt werden, demohngeachtet aber nicht allgemein zu bestehen im Stande seyn, und daher auch nie eine Norm der Nachahmung, eine Pflicht , werden können. Märtyrer, die sich für die heilige Zahl drei braten, oder zur Ehre Bra- ma’s, die Nägel der einen Hand durch die andere wachsen lassen, gehören zu derselben Klasse, wiewohl zu der niedrigsten Stufe derselben, und erhalten ebenfalls, nach der Beschaffenheit der jedesmaligen Ansicht, die verschiedenen Namen von Heiligen oder Wahnsinnigen, bleiben aber, in jedem Fall, nur Ab- normitäten. Nicht daß ich damit in Abrede stellen wollte, daß eine vernunftgemäße Verläugnung und das Opfer seiner selbst zum Besten Anderer, etwas Schönes und Erhabnes seyn könne. Keineswegs, es ist dann allerdings ein schönes , d. h. ein der Menschheit wohlthätiges, Beispiel vom Siege des gesellschaftlichen Prinzips über das individuelle, wel- ches eben so gut vorkommen muß, als sein nur all- zuhäufiger Gegensatz in denen, die nur sich im Auge behalten wollen, und so endlich schonungs- und mitleidslose Verbrecher werden, die der Gesell- Briefe eines Verstorbenen. II. 15 schaft einen ewigen Krieg erklären. Da wir indessen, von Hause aus, uns selbst immer ein wenig näher stehen als der Gesellschaft, (weil zu unsrem Bestehen das Naturgesetz der Selbsterhaltung das stärkste seyn muß) so sind Egoisten häufiger als Humane, mehr Sünder wie Tugendhafte. Die Ersteren sind die wahrhaft Rohen , die zweiten nur, die Gebilde- ten (beiläufig eine Lehre für alle Regierungen, die im Dunkel herrschen wollen). Da aber auch bei dem Gebildetesten immer noch eine rohe Unterlage blei- ben muß, gleich wie der bestpolirteste Marmor, wenn er unter der Politur abgebrochen wird, wieder gro- bes Korn zeigt, so kann auch die Humanität selbst nicht verläugnen, daß sie aus Egoismus hervorge- wachsen, ja eigentlich nichts ist, als ein auf die ganze Menschheit ausgedehnter Egoismus. Wo sich dieser Letztere daher, selbst einseitig, d. h. in Bezug auf den Nutzen des Individuums allein, auf eine sehr großartige Weise ausbildet, erzwingen solche Sterbliche, große Männer und Eroberer genannt, die Bewunderung selbst derjenigen, die ihr Verfahren mißbilligen; ja die Erfahrung lehrt uns, daß sie , deren Nichtachtung des Wohles Anderer eine unge- heure Zahl von irdischen Leiden ihren Mitbrüdern aufbürdete, dennoch, weil sie dabei eine sehr große und überwiegende, vom Glück begünstigte, herr- schende Kraft an den Tag legten, stets hoch von der durch sie leidenden Menschheit verehrt wurden. Hier zeigt sich also wieder, was ich früher sagte, daß Nothwendigkeit und Furcht die ersten Keime in der menschlichen Gesellschaft sind, daher auch die mȧchtigsten Hebel in allen Verhältnissen bleiben, und Kraft zuletzt immer am allermeisten imponirt. Alexander und Cȧsar erscheinen größer in der Ge- schichte als Hor. Cocles und Regulus, wenn auch die Geschichte der Letzteren keine Fabel wȧren . Un- eigennützigkeit, Freundschaft, Nächstenliebe, Groß- muth, entwickeln sich in der Regel erst spȧter , und als seltnere Blumen mit feinerem, und schon raffi- nirterem Duft, eben so wie für die Spekulation sich zuletzt die höchste Kraft nur im Ideal des Guten zeigt, und Aufopferung zuletzt für das Individuum selbst, höchster Genuß wird. Ein anderer, wie mir däucht, schlagender Beweis, daß, was wir Moral nennen, nur aus dem Gesellschaftsleben hervorgehe, ist meines Erachtens, daß wir noch heute kein sol- ches Prinzip, in Bezug auf andere Geschöpfe anzu- erkennen scheinen. Wir würden, wenn wir könnten, zum Behuf unsrer Wissenschaft, uns unbedenklich ei- nen Stern zur Inspektion herunterlangen, und mit einem Engel in unsrer Gewalt nicht viel Um- stände machen, sobald wir ihn nicht mehr zu fürch- ten hätten. Daß wir mit den Thieren (zum Theil auch noch mit den Negern) ganz als Egoisten um- gehen, und schon ein hoher Grad von Cultur dazu gehört, um sie nur nicht unnütz zu quälen, oder leiden zu lassen, liegt am Tage. Ja was noch mehr ist, Menschen unter sich selbst , heben sofort das positive Moralprinzip auf, sobald eine, von ih- nen für competent angesehene Macht , das Gesell- 15* schaftsverhȧltniß partiell aufhebt. So wie der Krieg erklärt ist, mordet der tugendhafteste Soldat seinen Mitbruder ex officio, wäre es auch nur im gezwun- genen Dienst eines Despoten, den er im Herzen für einen Abschaum der Menschheit ansieht. Oder — der Pabst entbindet, Kraft der Religion der Liebe, von allen Gefühlen der Treue, des Rechts, und der Menschlichkeit. Sofort brennt, sengt, mordet, lügt der Fromme con amore, und stirbt zufrie- den und selig , mitten in der Erfüllung seiner Pflicht, und zu Gottes Ehre! Das Thier, welches nur für sich zu leben bestimmt ist, kennt keine Tugend, und hat daher keine Seele, sagt man mit Recht, dennoch bemerkt man im Haus- thiere, ohngeachtet des schwachen Grades seines Denkvermögens, in Folge seiner Erziehung und der Art von Geselligkeit , in der es mit dem Men- schen lebt, auch schon eine sehr sichtliche Spur von Moralität, und wie nach und nach ein deutli- ches Gefühl für Recht und Unrecht bei ihm ent - steht. Man sieht es uneigennützige Liebe fühlen, ja sogar Opfer, ohne das Motiv der Furcht, brin- gen. Kurzum, es fängt an ganz denselben Weg, wie der Mensch, zu gehen, seine Seele beginnt zu tagen, und hätten die Thiere die Facultät der Sprache, so wäre es wohl möglich, daß sie eben so weit wie wir kämen. Da sie uns aber an physischen Kräften überlegen sind, so würde wahrscheinlich der erste Gebrauch, den sie von ihrer neu erlangten Seele machten — unsre Vernichtung seyn. Das Beste für uns wȧre , dahin zu kommen, uns zu sehen wie wir sind, und warum wir so sind — ohne Hypothesen und Ueberschwenglichkeiten — dies ist das einzige Mittel zu wahrer und dauernder Auf- klärung, und folglich zum wahren Glück. Hat die deutsche Philosophie nicht einen etwas zu poetischen Weg gewȧhlt , und gleicht sie nicht, statt einem wohlthätig erleuchtenden und erwärmenden Feuer, mehr einer Girandole, die prachtvoll in tausend Glüh- funken bis zum Himmel emporsteigt, sich den Ster- nen zu assimiliren scheint, bald aber unter ihnen in Nichts verschwindet. Wieviel excentrische Systeme dieser Art haben, seit Kant bis Hegel, einen Augen- blick dort geglänzt, und sind dann entweder schnell verstorben, oder leben in Stücke geschnitten, wie der Regenwurm, einzeln fortwuchernd weiter. Es ist sehr problematisch, ob sie der Gesellschaft so viel praktischen Nutzen gewährt haben, als die jetzt so sehr geringgeschätzten französischen Philosophen, die sich ans Nächste hielten, und mit ihrem scharfen Operationsmesser für’s Erste der positiv existirenden Boa des kirchlichen Aberglaubens den Hauptnerv so ausschnitten, daß sie seitdem nur noch entkräftet umher schleichen kann. Ja, auch der Philosoph soll durch seine Lehren ins Leben eingreifen (der Größte von allen Weisen war eben so praktisch als allgemein verständlich) und Männer, welche auf diese Weise aufklären, stehen gewiß in der Geschichte hȯ- her , als die wunderbarsten der erwȧhnten Feuer- werker. Der wirkliche und einzige Gegenstand der Philo- sophie ist ohne Zweifel Erforschung der Wahrheit, NB. solcher Wahrheit die zu erforschen ist, denn die- ses Bestreben nur kann Früchte bringen. Etwas Unerforschliches suchen, heißt leeres Stroh dreschen. Der richtigste Weg auf welchem man aber zu der auffindbaren Wahrheit gelangen mag, wird, meines Erachtens, heute noch wie zur Zeit des Aristoteles nur der der Erfahrung und Wissenschaft bleiben. Später kann man wohl dahin gelangen, mit Recht sagen zu dürfen: Weil das Gesetz so ist, muß die Erfahrung meine Folgerung bestätigen, aber nur auf dem Wege früherer Erfahrung hatte man doch erst dieses Gesetz gefunden. Lalande konnte daher sehr wohl a priori behaupten, daß es sich mit den Verhältnissen gewisser Sterne so und nicht anders verhalten müße, obgleich dem Ansehen nach richtige Beobachtungen das Gegentheil zu beweisen schienen, weil er die unwandelbare Regel schon wußte , aber ohne Newton’s fallenden Apfel u. s. w., d. h. ohne die frühere und fortgesetzte Beobachtung einzelner Erscheinungen der Natur, und hierdurch gefun- dene Wahrheiten, wären die Geheimnisse des Him- mels uns noch ein Buch mit sieben Siegeln. Soll nun die Philosophie die Wahrheit erforschen, so muß sie es gewiß vor Allen in Bezug auf den Menschen versuchen. Geschichte der Menschheit im weitesten Sinne, und was daraus zum Behuf der Gegenwart und Zukunft abzuleiten ist, wird also immer ihr Hauptvorwurf seyn. Nur in dieser Rich- tung mag es uns dann fort und fort glücken, aus dem was geschah und ist , zu der Erkenntniß der Ursachen zu kommen, warum die Dinge sich so und nicht anders gestalteten, und von Factum zu Factum zurückgehend den Grund -Gesetzen uns zu nähern, hieraus aber auch die Norm für die Folge aufzufin- den. Muß nun auch die erste Ursache alles Seyns unerforschlich bleiben, so wäre es ja wohl hinläng- lich, wenn wir nur klar und deutlich ergründeten, was die Krȧfte unsres Wesens urspru̇nglich wa- ren, was sie schon geworden, und welcher Richtung sie beim fernern Werden nachzustreben haben. Hier wird sich nun vor allem der Gedanke aufdringen, daß nur im Element der Freiheit, beim ungehinder- ten Austausch der Idee weitere Ausbildung gedeihen kann. Zu diesem Behuf war ohne Zweifel die glück- lichste Erfindung, von und für uns, die der Buch- druckerkunst, lebendig geboren, weil die schon hin- länglich gereifte Stimmung der Menschheit sich so- gleich des unermeßlichen Hülfsmittels zu den größten Zwecken bedienen konnte. Sie allein hat es seitdem möglich gemacht, jene ungeheure Macht ins Leben zu rufen, der auf die Länge nichts mehr wird wider- stehen können: die allgemeine Meinung . Un- ter dieser verstehe ich nicht: den Wahn Vieler, son- dern die Meinung der Besten, die sich, indem sie ein Organ gefunden, zu Allen zu dringen, am Ende Bahn brechen muß, um jeden Wahn zu zerstȯren . Ohne die Buchdruckerkunst gab es keinen Luther — und hat denn wirklich das Christenthum bis zu die- ser Epoche sich Bahn brechen können, hatte es zur Zeit des dreißigjȧhrigen Krieges, zur Zeit der englischen Maria, die schwangere Weiber verbrennen ließ, welche in den Flammen niederkamen, zur Zeit der Inqui- sition, horribile dictu! schon die Sitten gemildert, die Menschen barmherziger, sittlicher, liebender ge- macht? Ich sehe wenig Spuren davon. Freiheit der Presse war der große Schritt, der uns dem Zwecke allgemeiner Aufklärung in neuern Zeiten unendlich näher gebracht, und den Begebenheiten einen solchen Schwung gegeben hat, daß wir in einem Jahrzehend jetzt mehr erleben, als unsre Vorfahren in einem Jahrhundert. Nur die Masse der Einsicht, die hier- durch endlich herbeigeführt werden muß, kann der Menschheit wahrhaft nützen. Zu jeder Zeit hat es große, vielleicht unübertreffbare , einzelne Men- schen gegeben, und obgleich ihre Wirkung auf das Ganze nicht verloren war, konnten sie doch gewöhn- lich nur, gleich einem Meteor, eine momentane und partielle Helle verbreiten, die im Laufe der Zeiten schnell wieder verblich. Man nehme nur gleich das höchste Beispiel, Christus, der noch obendrein unter den möglichst günstigsten Umständen erschien, wie unser Gibbon so klar gezeigt hat. Wie viel Millio- nen nannten und nennen sich nun nach ihm, und wieviel davon sind wahre Christen? Er der freisin- nigste und liberalste der Menschen, mußte dem Des- potismus, der Verfolgung, der Lüge nun bald Jahr- tausende zum Schilde dienen, und einem neuen Hei- denthume seinen hohen Namen leihen! Also nur die Masse der Erkenntniß sage ich, die Intelligenz welche eine ganze Nation durchdrungen hat, ist im Stande, bleibende, solid und gesund er- wachsene Institutionen zu begründen, durch die die Gesammtheit wie der Einzelne besser und glücklicher werden soll. Dahin aber eben strebt jetzt die Welt. Politik in hȯchster Bedeutung ist die Religion unsrer Tage. Für sie blüht der Enthusiasmus der Mensch- heit, und soll es neue Kreuzzüge geben, für sie allein werden sie statt finden. Die Vorstellung konstitutio- neller Kammern elektrisirt heut zu Tage mehr als die einer regierenden Kirche, und selbst der Ruhm des Kriegers fängt an, vor dem des großen Staats- bürgers zu erbleichen.“ Prüfet Alles, und nur das Beste behaltet! Aber nun trêve de bavardage. In den Bergen hätte ich Dich nicht mit so viel davon ennuyirt, in den düstern Stadtmauern geht es mir wie Faust in seiner Studierstube. Indessen ein Bischen Feuerluft ist schon fertig. Ich breite den Mantel aus, und von Morgen an, soll wieder frischerer Wind meine Segel schwellen. Doch überall, im Kerker wie unter dem blauen Himmel, bin und bleibe ich ewig Dein treuer herzergebner L . . . . P. S. Dies ist mein letzter Brief aus Dublin. Ich habe meinen Wagen einpacken, und nach S . . . . schicken lassen, meine Engländer verabschiedet, und werde mit einem ehrlichen irländischen Bedienten, unter dem bekannten nom de guerre, jetzt „roman- tisch“ über Bath nach Paris gehen, ohne mich zu übereilen, noch länger als nöthig aufzuhalten. Der Abschied von Freunden und Freundinnen — immer der schwerste — ist schon genommen, und nichts hȧlt mich mehr zurück. Vier und vierzigster Brief. Holyhead, den 15 ten December 1828. Theure und Treue! Du nanntest mich manchmal kindlich, und kein Lob- spruch gilt mir höher. Ja, dem Himmel sey Dank, liebe Julie, Kinder werden wir Beide bleiben, so lange wir athmen, und wenn auch schon hundert Runzeln uns bedeckten. Kinder aber spielen gern, sind zuwei- len ein wenig inconsequent und haschen dabei immer nach Freude. C’est là l’essentiel. So mußt Du mich beurtheilen, und nie viel mehr von mir erwar- ten. Wirf mir also auch nicht vor, daß ich ohne Zweck umherirre — du lieber Himmel! hat doch Parry mit seinem Zweck dreimal vergebens nach dem Nordpol segeln müssen, ohne seinen Zweck zu erreichen , hat doch Napoleon zwanzig Jahre lang Siege auf Siege gehäuft, um zuletzt in St. Helena zu verkümmern, weil er seinen Zweck früher zu gut erreicht hatte! Und was ist überhaupt der Zweck der Menschen? Keiner kann’s eigentlich recht genau ab- gegränzt angeben. Der ostensible ist immer nur ein Theil davon, oft blos das Mittel zum Zweck, und der wahre selbst ändert und motivirt sich gar vielfach im Verfolg desselben. So ging es auch mir. Man hat aber auch Nebenz wecke, und oft werden diese, weil sie besser munden, die Hauptsache. So ging es abermals mir. Au bout du compte bin ich zufrie- den, und was kann man mehr erreichen! Neptun muß mich besonders liebhaben, denn er hält mich jedesmal, wenn er mich in seine Gewalt bekömmt, so lange darin zurück als er kann. Der Wind war uns wieder grade entgegen, und blies mit der erbittertsten Heftigkeit. Auf dem Wasser und auf den hohen Bergen wirkt meine Glücksfähigkeit sehr schwach, denn fast noch nie hatte ich günstigen Wind auf dem Meer, und gar selten einen klaren Himmel, wenn ich ihm so viel tausend Fuß näher kam. Gestern Abends um eilf Uhr verließ ich Dublin in einer Postchaise, bei einer schönen, hellen Mondnacht; die Luft war lau und milde wie im Sommer. Ich rekapitulirte ein wenig die vergangenen zwei Jahre, und ließ alles von Neuem die Revüe passiren. Das Resultat mißfiel mir nicht. Ich habe zwar hie und da geirrt, aber finde mich im Ganzen fester und klarer geworden. Im Einzelnen habe ich auch Einiges ge- wonnen und gelernt, meine physische Maschine dabei nicht verschlechtert, und endlich im Lebensatlas eine Menge interessanter Erinnerungsbilder niedergelegt. Frischen Muth und Lebenslust aber fühle ich zehnfach gekräftigt gegen den schwächlichen Seelenzustand ge- halten, in dem ich Dich verließ, und da dies mehr werth ist, als äußere Dinge, so sah ich, nach vollen- detem Selbstverhör, der unbekannten Zukunft heiter entgegen, und ergötzte mich sogleich behaglich an der Gegenwart. Diese bestand vor der Hand in dem vollsten Jagen des halbbetrunkenen Postillons; denn einem hohen Meerdamme entlang, im blassen Mon- denlicht gings „hop, hop, hop, dahin im sausenden Gallop“ bis wir einen sehr eleganten Gasthof in Howth erreichten, wo ich die Nacht schlief. Ein schö- ner, ungeheurer New Foundland Hund leistete mir Abends beim Theetrinken Gesellschaft, und frühstückte am andern Morgen desgleichen mit mir. Ganz weiß, mit einer schwarzen Schnauze, sah das colossale Thier einem Eisbär ganz ähnlich, der (wie im Bär und Bassa) aus Distraktion den schwarzen Kopf eines Landbären aufgesetzt hat. Ich wollte ihn kaufen, er war aber dem Wirth durchaus nicht feil. In der Nacht hatte ich einen sonderbaren Traum. Ich fand mich in politische Affairen verwickelt, in Folge deren man meiner Person nachstellte, und mein Leben auf alle Weise bedrohte. Zuerst entging ich auf einer großen Jagd mit genauer Noth dem Tode, indem vier bis fünf verkleidete Jäger mich mitten im dichtesten Walde anfielen und ihre Büchsen auf mich abfeuerten, ohne mich jedoch treffen zu kön- nen. Nachher versuchte man mich zu vergiften, und schon hatte ich das grüne Pulver, welches mir als Medizin gegeben worden war, verschluckt, als der Herzog von Wellington hereintrat, um mir ganz kaltblütig zu sagen: Es sey nichts von Bedeutung, er habe eben dasselbe bekommen, hier sey das Gegen- gift. Nach diesem Genuß begann die gewöhnliche Operation der Gegengifte, (wahrscheinlich schon die Anticipation im Traume des morgenden Zustandes auf der See —) in Kurzem ward mir jedoch wohler als je. Alles ging überdem in meinen Geschäften nach Wunsch, ich reiste ab, und war bereits dem Ziele in jeder Hinsicht nahe. Da überfallen mich Räuber, reißen mich aus dem Wagen, und schleppen mich durch Gestrüpp und Ruinen auf eine thurmhohe schmale Mauer, auf der wir hastig fortschreiten, wäh- rend sie, von Alter zerbröckelt, unter unsern Füßen zu wanken scheint. Der Marsch will kein Ende fin- den, und außer der Angst quält mich, wie die Rȧu- ber gleichfalls, ein nagender Hunger. Sie rufen mir endlich wüthend zu, ich solle ihnen Nahrung schaffen, oder sie würden mich selbst schlachten. In dieser Noth däucht es mir, eine leise Stimme zu hören, die mir zuruft: Weise ihnen jene Thür. Ich blicke auf, und erblicke ein hohes klosterartiges Gebäude, mit Epheu überwachsen, an welches schwarze Tannen sich schmiegen, ohne Fenster noch Thüre, ausgenommen eine verschlossene porte cochère von Bronce, hoch ge- nug um ein Haus hineinzuschieben. Schnell gefaßt, rufe ich nun den Räubern zu: Ihr Narren, was verlangt ihr von mir Nahrung, wenn das große Magazin gerade vor Euch liegt! — Wo? brüllt der Hauptmann? Oeffnet dieses Thor, erwiederte ich spöttisch. Als würde die ganze Bande es erst jetzt gewahr, stürzt nun Alles darauf los, der Haupt- mann voran — doch ehe er es noch berührt, ȯffnen sich schon schweigend und langsam die ungeheuren Pforten. Ein seltsamer Anblick erschließt sich. Wir seben in einen tiefen, tiefen Saal hinein, der uns endlos dünkt; in schwindelnder Höhe wölbt sich die Decke; prachtvoll ist alles verziert mit farbigem trans- parentem Gold, kunstvollen Basreliefs und Gemäl- den, die alle Leben und Bewegung zu haben scheinen. Auf beiden Seiten aber erstreckt sich an den Wȧnden hin, eine unabsehbare Reihe grimmig aussehender Holz- figuren, mit grob gemalten Gesichtern, in Gold und Stahl gekleidet, Schwert und Lanze gezückt, und auf ausgestopften Pferden reitend. In der Mitte schließt die Perspektive ein schwarzes Riesenroß, das einen Ritter trägt, dreimal größer und dreimal furchtbarer als die übrigen. Vom Scheitel bis zur Zehe ist auch er in schwarzes Eisen gehüllt. — Wie inspirirt rufe ich aus: Ha, Rüdiger, du bist’s, ehrwürd’ger Ahn- herr, rette mich! Die Worte hallten, wie lauter Don- ner, hundertfach in den Gewölben wieder, und wir glaubten die Holzfiguren wie ihre Pferdebälge die Augen gräßlich verdrehen zu sehen. Alle schauderten — da plötzlich schleudert der Riese sein furchtbares Schlachtschwert, wie einen Blitz in die Höhe, und schon ist uns sein Roß, in entsetzlichen Sätzen vor- wärts springend, ganz nahe, als eine Glocke mit dröhnenden Schlägen ertönt, und der Riese wieder felsenfest vor uns steht. Wir aber, von Grausen überwältigt, flohen insgesammt, so schnell uns unsre Beine tragen wollten. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich nicht zurückblieb. Ich war indeß unter altes Gemȧuer gerathen, die Angst machte meine Gebeine zu Blei. Jetzt erblickte ich eine Sei- tenthüre, und will eben hindurch, als eine gellende Stimme mir dicht in’s Ohr schreit: half past seven! (halb acht Uhr.) Vor Schreck bin ich im Begriff zu Boden zu sinken, eine starke Hand erfaßt mich — ich schlage betäubt die Augen auf, und — mein irländi- scher Bedienter steht vor mir — blos um zu melden, daß, wenn ich nicht bald aufstünde, das Dampfboot ohnfehlbar ohne mich absegeln werde. Du siehst, Julie, so wie ich mich auf die Reise begebe, stellen sich auch wieder kleine Abentheuer ein, wäre es auch nur im Schlafe. Auf dem Schiff fand ich die Leute noch beschäftigt, einen schönen, und fast noch mit mehr Ueberflüßig- keiten und Bequemlichkeiten bepackten Wagen, als ich mit mir führe, wenn ich auf diese Art reise, ein- zuschiffen. Der Kammerdiener und Bediente waren emsig und respektvoll dabei beschäftigt, während ein kleiner Mensch mit einem blonden sorgfältig gekrȧu- selten Lockenkopf, ganz schwarz, aber sehr elegant ge- kleidet, und ohngefähr zwanzig Jahre alt, mit aller Indolenz eines englischen fashionable, auf dem Ver- deck hin und her schlenkerte, ohne von seinem Eigen- thum, und der Mühe seiner Leute die geringste Notiz zu nehmen. Wie ich nachher erfuhr, war er eben zu einer Erbschaft in Irland von 20,000 Pfd. Sterl. Revenüen gelangt, und nun im Begriff, es unter die Leute zu bringen. Er eilte nach Neapel, und schien so guter Dinge, daß selbst die Seekrankheit seine gute Laune nicht verdarb. Indem ich mit ihm sprach, dachte ich mir, uns Beide innerlich betrachtend: Voilà le commencement et la fin! Einen den die Welt aussendet und zu ihm sagt: Genieße mich — und einen den sie zu Hause schickt, und zu ihm sagt: Verdaue mich . — Der Himmel erhalte mir nur meinen guten Magen dazu! doch diese melancholischen Ansichten entstanden nur aus den qualms des Dampfkessels und der Seekrankheit, und nach einiger Ueberlegung freute ich mich an dem Anblick der hoff- nungsreichen Jugend, als wenn ich es selbst wäre, dem sie noch Illusionen machte. Heute Abend gedenke ich mit der Mail weiter zu gehen, und hoffe, daß ein gutes Din é der Ekelkur ein Ende machen wird, welche die Nachwehen der Ueberfahrt noch zurückgelassen hat. Shrewsbury, den 16 ten Abends. Es ging mir nicht ganz so wohl als ich erwartete. Das Din é war keineswegs gut, sondern sehr schlecht, und die Folgen der See gaben mir Migraine, mit Briefe eines Verstorbenen. II. 16 der ich um Mitternacht abfahren mußte. Glücklicher- weise waren wir nur zwei Personen in dem beque- men, viersitzigen Wagen, so daß Jeder eine ganze Seite einnehmen konnte. Ich schlief daher leidlich, und die Luft, wie die sanfte Bewegung, wirkten so wohlthätig, daß gegen sieben Uhr, als ich erwachte, das Kopfweh ziemlich vergangen war. Die Holyhead- Mail muß, allen Aufenthalt mit eingerechnet, zwei deutsche Meilen in der Stunde zurücklegen, daher nie Schritt, meistens Gallop gefahren wird. Unsere Eilkutschen werden nur dann den englischen gleich kommen, wenn einmal die Post ganz frei gege- ben wird, dann aber auch eine gleiche Concurrenz von Reisenden angeschafft. Beides steht nicht zu erwarten. A. d. H. Zum Frühstück trafen wir schon hier ein, wo ich blieb, um mir die Stadt zu besehen. Ich besuchte zuerst das Schloß, größten Theils ein uraltes Gebäude, von rothen Sandsteinquadern aufgeführt, inwendig aber etwas modernisirt. Die Aussicht von dem alten „Keep,“ wo jetzt ein Sommerhäuschen steht, über den Fluß, und eine üppig bewachsene und fruchtbare Ge- gend ist sehr freundlich. Nahe dabei ist das Stadt- gefängniß, wo ich die armen Teufel in der Tretmühle arbeiten sah. Sie waren alle in gelbes Tuch geklei- det, soviel sächsischen Postillonen ähnlich, deren Phleg- ma eine gleiche Aufregung manchmal zu gönnen wäre. Von dieser neumodischen Erziehungsanstalt, wanderte ich (mich schnell acht hundert Jahre zurückversetzend) nach den Ueberresten der alten Abtei, von der nur noch die schöne Kirche erhalten und im Gebrauch ist. Die Glasfenster darin sind, wie überall in England, von den verrückten Fanatikern unter Cromwell zer- stört, aber hier mit neugemaltem Glas außerordent- lich gut restaurirt worden. Der Erbauer dieser Abtei, Rodger Montgomery, erster Graf von Shrewsbury, und einer der Feldherren Wilhelm des Eroberers, liegt in der Kirche, unter einem schönen Monumente begraben. Daneben ein Templer, ganz dem in Wor- cester ähnlich, nur nicht in Farben. Er liegt auch mit übergeschlagenen Beinen auf dem Steine ausge- streckt, wie jener, welche besondere Stellung eine Ei- genthümlichkeit auf den Gräbern der Templer gewe- sen zu seyn scheint. Der Graf von Shrewsbury baute nicht nur die Abtei und dotirte sie, sondern starb auch selbst als Mönch darin, um seine Sünden zu büßen. So wußte die Elastizitȧt des menschlichen Verstandes der rohen Gewalt der Ritter mit über- legener Schlauheit bald geistlichen Zaum und Gebiß anzulegen. Die Stadt ist sehr merkwürdig wegen der Menge ihrer alten Privathäuser, alle von der seltsamsten Form und Bauart. Ich blieb oft in den Straßen stehen, um einige auf meiner Schreibtafel abzuzeich- nen, was immer eine Menge Volks um mich ver- sammelte, das mir verwundert zusah — und mich nicht selten störte. Die Engländer dürfen sich also 16* nicht so sehr wundern, wenn es ihnen in der Türkei und Aegypten eben so ergeht. Horeford, den 17 ten. Es ist nicht zu lȧugnen , daß man, nach einiger Zeit der Entbehrung, den englischen comfort immer mit Vergnügen wieder findet. Abwechselung ist über- haupt die Seele des Lebens, und giebt jedem Dinge, dans son tour, wieder erneuten Werth. Die guten Gasthöfe, die reinlich servirten breakfeasts und din- ners, die geräumigen, und sorgfältig gewärmten Bet- ten, die höflichen und gewandten Kellner — fielen mir, nach dem irländischen Mangel, sehr angenehm auf, und versöhnten mich bald mit den höheren Prei- sen. Um zehn Uhr früh verließ ich Shrewsbury, wie- derum mit der Mail, und erreichte Hereford um acht Uhr Abends. Da es nicht kalt war, saß ich außer- halb, und cedirte meinem Bedienten den Platz in der Kutsche. Zwei bis drei unbedeutende Mȧnner , und ein bübscher, aufgeweckter Knabe von eilf Jahren formirten meine Gesellschaft auf der Imp é riale, wo gewaltig politisirt wurde. Der Knabe war der Sohn wohlhabender Gutsbesitzer, der von seiner, hundert Meilen entfernten, Erziehungsanstalt zur Christmaß ganz allein zu Hause reiste. Diese Gewohnheit Kin- der so früh schon, auf ihre eignen Krȧfte anzuweisen, giebt ihnen gewiß für das folgende Leben die ver- mehrte Selbstständigkeit und Sicherheit, welche die Englȧnder vor andern Nationen, namentlich den Deutschen voraushaben. Die Freude und bewegliche Unruhe des Kindes, je mehr es sich dem väterlichen Hause näherte, rührte und ergötzte mich. Es war so etwas Natürliches und Inniges darin, das mich un- willkührlich an meine eigne Kinderjahre erinnerte — dies unschätzbare, und zu seiner Zeit ungeschȧtzte , Glück, das wir nur im Rückblick zu erkennen im Stande sind! Monmouth, den 18 ten. Gute Julie, heute habe ich wieder einen jener ro- mantischen Tage erlebt, die ich lange entbehrt, einen von den Tagen, deren mannichfache Bilder, wie Feen- mährchen in der Kindheit, erfreuen. Der berühmten Scenery des Flusses Wye verdanke ich sie, die, selbst im Winter, auf den Namen einer der schönsten Ge- genden Englands Anspruch machen kann. Ehe ich Hereford verließ, besah ich noch sehr früh die Cathedrale, die, außer einem schönen Portico, nicht viel Sehenswerthes darbietet, hätte aber bald darüber die Mail versäumt, welche in England auf Niemand wartet. Sie war bereits im vollen Trabe, und ich fing sie wörtlich im Fluge auf. Nur für die dreizehn Meilen bis Roß, die wir außerordentlich schnell, obgleich mit vier blinden Pferden , zurücklegten, bediente ich mich des Wagens, dann nahm ich ein Boot, schickte es fünf Meilen voraus nach dem alten Schloß Goderich, und schlug selbst meinen Weg dahin zu Fuß ein. Er führte mich zu- erst auf einen hochgelegenen Kirchhof mit prachtvoller Aussicht, dann durch eine üppige Gegend, wie am Luganer See, bis zur Ruine, wo ich das kleine Boot mit zwei Rudern und meinem Irländer schon vor- fand. Ich mußte über den Fluß setzen, der hier ziemlich reißend ist, um zu dem, mit der alten Burg gekrönten, Berg zu gelangen. Das Steigen auf dem schlüpfrigen Rasen war ziemlich beschwerlich. Als ich in den hohen Thorweg trat, nahm mir ein Luftstoß die Mütze vom Kopfe, als wolle der Berggeist mir mehr Respekt für die Schatten der verblichenen Rit- ter einflößen. Die Ehrfurcht und Bewunderung konnte aber nicht vermehrt werden, mit der ich die dunklen Gänge, die geräumigen Höfe durchirrte, und auf die verfallenen Treppen hinaufkletterte. Im Som- mer und Herbst wird der River Wye von Reisenden nicht leer, da aber wahrscheinlich nie ein methodischer Englȧnder die Reise auch im Winter unternahm, so sind auch die Leute nicht darauf eingerichtet, und ich fand den ganzen Tag lang nirgends weder Führer, noch irgend eine Sorgfalt zum Behuf der Touristen. So war auch die Leiter, welche nöthig ist, um zu der abgebrochenen Treppe des Hauptthurms zu gelangen, nicht vorhanden, sondern bereits in die Winterquar- tiere gebracht. Mit Hülfe der Bootsleute und mei- nes Dieners, etablirte ich jedoch eine Jakobslei- ter , auf deren Rücken ich mich hinaufschwang. Man übersieht von der Zinne eine unermeßliche Strecke Landes, und die Raubritter, wenn es solche hier gab, konnten Reisende von hier schon Meilen weit ankom- men sehen. Nachdem ich Alles gehörig durchkrochen hatte, und den Berg auf der andern Seite wieder hinabgestiegen, frühstückte ich behaglich im Boote, während dieses geschäftig von den schnell strömenden Wellen fortgetragen wurde. Das Wetter war schön, die Sonne schien hell, ein sehr seltner Fall in dieser Jahreszeit, und die Luft war so warm, wie an einem angenehmen Aprilstag bei uns. Die Bȧume hatten freilich kein Laub, da sie aber ungemein dicht in Aesten, auch mit vielem Immergrün untermischt wa- ren, und das Gras dabei weit grüner und heller glȧnzte als im Sommer, so verlor die Landschaft durch die Jahreszeit weit weniger als man erwartet hätte. Der Boden ist ungemein fruchtbar, die sanf- ten Hügel von oben bis unten bewachsen, wenig Fel- der, meistens Wiesen zwischen den Büschen, und jeden Augenblick erscheint ein Thurm, Dorf oder Schloß, das die fortwährenden Krümmungen des Flusses in den verschiedenartigsten Ansichten zeigen. Eine Zeit lang schwammen wir an den Gränzen dreier Graf- schaften hin, Monmouth zur rechten, Hereford zur linken, und Gloucester vor uns. An einer maleri- schen Stelle, Eisenhämmern gegenüber, deren Flam- men auch bei Tage sichtbar waren, erhebt sich ein Landsitz, der halb den neuen Stempel unsrer Zeit, halb den des grauen Alterthums trägt — dies ist die Wiege Heinrich des V., denn hier verbrachte er seine Kindheit unter Aufsicht der Gräfin von Salis- bury. Tiefer unten im Thal steht noch dieselbe un- ansehnliche kleine Kirche, in der er getauft, und seine Pflegerin begraben ward. Agincourt und Falstaff, Mittelalter und Shakespeare wurden lebendig vor meiner Phantasie, bis die noch ältere und grö- ßere Natur selbst , mich bald alles Uebrige ver- gessen ließ. Denn nun gleitete unser Kahn in die Felsenregion hinein, wo der schäumende Fluß, und seine kühnen Umgebungen den imposantesten Charak- ter annehmen. Es sind verwitterte und zerbröckelte Sandsteinwände, von riesenhasten Dimensionen, alle schroff und perpendikulair abfallend, aus Eichenwäl- dern hervorstehend, und mit hundertfachen Festons von Epheu überhangen. Die Regen und Stürme vieler Jahrtausende haben die weiche Masse in so phantastische Formen verwaschen und gemodelt, daß man künstliches Menschenwerk zu sehen glaubt. Schlosser und Thürme, Amphitheater und Mauern, Zinnen und Obelisken, äffen den Wanderer, der sich in die Ruinen einer Dämonenstadt versetzt wähnt. Oft lösen sich einzelne dieser Gebilde bei Unwettern ab, und stürzen verheerend, von Felsen zu Felsen ab- prallend, mit Donnergetöse in die hier unergründliche Tiefe des Stroms. Man zeigte mir die Ueberbleibsel eines dieser Blöcke, und das Monument des armen Portugiesen, den er in seinem Falle begrub. Diese seltsame Felsenformation erstreckt sich, fast acht Mei- len weit, bis eine Stunde vor Monmouth, wo sie mit einem einzeln stehenden Colosse schließt, welcher der Kopf des Druiden genannt wird. Von einem gewissen Puncte gesehen, zeigt er nämlich das schöne, antike Profil eines Greises, der in tiefem Schlaf ver- sunken scheint. — Als wir vorbeifuhren, stieg eben der Mond über ihn empor, und gab ihm einen er- greifenden Ausdruck. Wie lange, dachte ich, sind dieses Schläfers Augen schon geschlossen, wie oft mag seitdem der Mond sein bleiches Antlitz bestrahlt, und was mag in uralten Zeiten sein Auge gesehen haben, wenn es je offen stand! Ich zweifelte daran in die- sem Augenblick gar nicht, der Glaube war über mich gekommen und hatte mich selig gemacht, denn der heilige Augustin hat ganz recht, wenn er sagt: Eben deswegen glaube ich es, weil es kindisch und unmöglich ist! Ja, es war so, der todte Stein hatte für mich mehr Leben gewonnen, als alle wirk- lich lebenden Figuren um mich her. Eine kurze Zeit lang fuhren wir nun zwischen verengten, dicht vom Wasser bis zur Spitze bewal- deten Ufern, hin, bis eine große kahle Felsenplatte sichtbar wurde, die König Arthurs Ebne genannt wird, weil der fabelhafte Held hier sein Lager aufge- schlagen haben soll. Eine halbe Stunde darauf lang- ten wir in Monmouth an, einer kleinen alterthümli- chen Stadt, in der Heinrich der V. geboren wurde. Seine hohe Statue prangt auf dem Dache des Rath- hauses; von dem Schloße aber, in dem er das Licht der Welt zuerst erblickte, ist nur noch ein gothisch verziertes Fenster und ein Hof übrig, in dem Trut- hühner, Gänse und Enten gemästet werden. Dies paßte freilich besser zum Geburtsort Falstaff’s. Um einen schriftlichen Wegweiser zu kaufen, ging ich in einen Buchladen, wo ich unerwartet die Be- kanntschaft einer sehr liebenswürdigen Familie machte. Sie bestand aus dem alten Buchhändler, seiner Frau, und zwei hübschen Töchtern, die unschuldigsten Land- mädchen, die mir je vorgekommen. Ich traf sie bei ihrem Abendthee, und der Vater, ein gutmüthiger, aber für einen Engländer seltsam sprachseliger Schwätzer, nahm mich förmlich fest und gefangen, um mir die sonderbarsten Fragen über den Continent und die Politik vorzulegen. Die Töchter, die mich, wahrscheinlich aus Erfabrung, bedauerten, wollten ihn abhalten — ich ließ ihn aber gewähren, und gab mich de bonne grace eine halbe Stunde Preis, wo- durch ich die Gewogenheit der ganzen Familie in solchem Grade gewann, daß alle mich auf das drin- gendste einluden, doch einige Tage hier in der schö- nen Gegend zu verweilen, und bei ihnen zu wohnen. Als ich endlich ging, wollten sie für das gekaufte Buch durchaus nichts annehmen, und ich mußte es bongré malgré als Geschenk behalten. Solche schlichte Eroberungen freuen mich, weil ihre Ergebnisse nur vom Herzen kommen können. Chepstow, den 19 ten. Als ich früh angezogen war, und nach schnell ge- nommenem Frühstück abreisen wollte, bemerkte ich, nicht ohne unangenehme Ueberraschung, daß mir meine Börse und Taschenbuch fehlten, die ich immer bei mir zu tragen pflege. Ich erinnerte mich ganz genau, sie gestern Abends, als ich im Coffeeroom, wo ich mich ganz allein befand, gegessen und an Dich ge- schrieben hatte, vor mir hingelegt zu haben, weil ich aus dem Taschenbuch Noten für meinen Brief ent- nahm, und die Börse gebrauchte, um die Schiffer zu bezahlen. Ohne Zweifel hatte ich sie dort liegen lassen, und der Kellner sie sich zu Gemüthe geführt. Ich ließ ihn sogleich rufen, rekapitulirte das ange- gebne Factum, und fragte, ihn scharf dabei ansehend, ob er wirklich nichts gefunden? Der Mensch ward blaß und verlegen, und stammelte, er habe nichts gesehen, als ein einzelnes beschriebenes Blatt Papier, was, wie er glaube, noch unter dem Tische liege. Ich sah nach, und fand es in der That an der be- zeichneten Stelle. Alles dies schien mir immer ver- dächtiger, ich machte daher dem Wirth, einem höchst widrig aussehenden baumlangen Kerl, Vorstellungen, die zugleich einige Drohungen enthielten, er aber antwortete kurz: Er kenne seine Leute, ein Dieb- stahl sei bei ihm seit dreißig Jahren nicht vorgefallen, mein Vorgeben sei ihm daher höchst auffallend — er werde zwar, wenn ich es wolle, sogleich nach einem Magistrat schicken, alle seine Leute schwören, sein ganzes Haus untersuchen lassen — dann aber setzte er höhnisch hinzu, vergessen Sie nicht, daß auch Ihre Sachen bis auf die größte Kleinigkeit untersucht werden müssen, und wenn man bei uns nichts fin- det, Sie die Kosten, und mir Entschädigung bezahlen werden. Qu’allai-je faire dans cette galère! dachte ich, und sah wohl, das Beste sey, meinen Verlust, von ohngefähr zehn Pfund, zu verschmerzen, und ab- zuziehen. Ich nahm daher frische Noten aus mei- nem Mantelsack, bezahlte die ziemlich billige Rech- nung, und glaubte bei dem mir herausgegebenen Gelde, ganz deutlich einen meiner eignen Sovereigns wieder zu erkennen, der einen kleinen Riß über das allerhöchste Auge Georg des IV. hatte. Ueberzeugt daß Wirth und Kellner unter einer Decke steckten, schüttelte ich den Staub von meinen Füßen, und hatte, als ich das Haus in einer Postchaise verließ, das Gefühl eines Menschen, der eben einer Räuber- höhle entronnen ist. Um aber doch künftigen Reisenden einen Dienst zu erzeigen, ließ ich den Wagen, so wie ich um die Ecke war, halten, und ging zu Fuß zu dem gestern er- wähnten Buchhȧndler , ihm mein Mißgeschick mitzu- theilen. Das Erstaunen und Bedauern Aller war gleich groß — bald darauf fingen die Töchter indeß an mit der Mutter zu zischeln, machten sich Zeichen, nahmen dann den Vater bei Seite, und nach kurzer Deliberation kam die Jüngste wieder verlegen auf mich zu, und fragte erröthend: ob der eben gehabte Verlust mir nicht vielleicht „atemporary embarras- ment“ verursachte, und ob ich nicht ein Darlehn von fünf Pfund annehmen wolle, was ich ihnen bei mei- ner Rückkehr wiedererstatten könne? dabei wollte sie mir die Note gleich in die Hand stecken. — Diese Güte rührte mich wirklich tief — sie hatte etwas so Zartes und Uneigennütziges, daß die größte Wohlthat mir vielleicht, unter andern Umständen, weniger Dank eingeflößt haben würde, als dieser gute Wille. Du kannst denken, wie herzlich ich dankte. Gewiß, sagte ich, würde ich, wenn ich es im Geringsten nö- thig hätte, nicht zu stolz gewesen seyn, ein so gut gemeintes Darlehn anzunehmen, da dies aber in kei- ner Art der Fall sey, so würde ich, ihre Großmuth auf eine andere Weise in Anspruch nehmen, und bäte mir daher aus, von jeder der zwei hübschen Monmoutherinnen einen Kuß mit nach dem Conti- nent nehmen zu dürfen. Dies geschah unter vielem Lachen, und mit freundlicher Hingebung, worauf ich, so befrachtet, meinen Wagen wieder aufsuchte. Da ich gestern auf dem Wasser geschifft, zog ich heute den Weg zu Lande vor, der ebenfalls immer längs des Flusses nach Chepstow führt. Die Gegend bleibt von derselben Art; reich, dunkelwaldig und Wiesengrün, hier aber noch vielfach durch Hochöfen, Zinn- und Eisenwerke belebt, deren Feuer in gelb, roth, blau und grünlichen Farben spielen, und aus thurmhohen Feueressen lodern, wo sie zuweilen ganz die Form großer glühender Blumen annehmen, wenn Feuer und Rauch, von der Atmosphäre niedergedrückt, lange Zeit in dichter unbeweglicher Masse verweilen. Ich stieg aus, um eins der Zimmerwerke zu besehen. Es wurde nicht, wie gewöhnlich, von einer Dampfma- schine, sondern von einem ungeheuern haushohen Wasserrade getrieben, das wiederum drei oder vier kleinere in Bewegung setzte. Dieses Rad hatte die Kraft von achtzig Pferden, und die reißende Ge- schwindigkeit, mit der es sich drehte, der grausende Lärm, der im Moment, wo es angelassen ward, er- tönte, die Funken sprühenden Feuerheerden rund um- her, wo das Eisen glühte, und die halb nackten schwarzen Figuren dazwischen, die mit Hämmern und Keulen wild hantirten, und die rothzischenden Tafeln umherwarfen — es paßte Alles vortrefflich zu einem Bilde der Schmiede Vulkan’s. Die Manipulation beginnt damit, daß geschmiedete Eisenbarren oder Stäbe von einem halben Zoll Dicke und acht Fuß Länge, unter ein selbst agirendes Mes- ser gehalten werden, das sie in fußlange Stücke schneidet, mit einer Grazie und Leichtigkeit, als lei- steten sie nicht mehr Widerstand wie frische Butter. Das abgeschnittene Stück wird sogleich einem andern Arbeiter zugeworfen, der es in ein höllisches Feuer schiebt, wo es in wenigen Augenblicken glühend wird. Er holt es dann mit einer Zange wieder heraus, und wirft es, eine Station weiter, auf den sandigen Bo- den. Hier hebt es ein Dritter auf, und schiebt es unter eine Walze, die es nach mehrmaligem schnellen Umdrehen in eine viermal größere und eben so viel dünnere Platte verwandelt. Diese Platte geht nun denselben Weg wieder ins Feuer zurück, wird dann von Neuem gewalzt, und so fort, bis sie so dünn wie Papier ist. Nun werden die Platten erst in die ih- nen bestimmte definitive Form geschnitten, hierauf geschlagen, und gereinigt, welches noch einmal Feuer, nebst gewissen andern Zuthaten, erfordert. Dann kommen sie in ein zweites Haus, wo sie in Vitriol und Sand gewaschen, nachber in das mit Fett flüßig erhaltne Zinn getaucht, und zuletzt von Weibern mit Kley sauber gereinigt und so schön polirt werden, daß man sich darin spiegeln kann. Eine solche Fabrik ist wie eine Welt im Kleinen. Man sieht, hier wie dort, das Höchste und Niedrigste zugleich bestehen, und doch auch den mühsamen Durchgang eines Je- den durch alle Grade, und wie nach und nach das Grobe zum Feinsten wird. Auf halbem Wege verwandelte sich, wie gestern, die freundliche Gegend, in ernstere Felsen, und da, wo sich ein tiefer Kessel verschieden geformter Berge bil- det, erblickten wir in dessen Mittelpunkt, hart über dem silbernen Strome sich erhebend, die berühmte Ruine von Tintern Abbey. Eine vortheilhaftere Lage und imposantere Ueberreste eines weiten, alten Klo- sters, lassen sich kaum denken, ja der Eintritt in die- selben gleicht ganz einer phantastischen Theaterdeco- ration. Die große Kirche steht fast noch ganz erhal- ten, nur einige ihrer Pfeiler und das Dach fehlen. Die Gebäude sind von menschlicher Hand grade aus einer Wald- und Bergschlucht hervorbricht, sich in einem weiten Bogen nȧhert , eine Gärten ähnliche grüne Halbinsel, die einen mit Boskets bedeckten Hügel bildet, umfließt; dann rechts an einer unge- heuern Felsmauer, die mit Deinem Standpunkt fast gleiche Höhe hat, sich schäumend durcharbeitet, und zuletzt bei der, einer verfallnen Stadt ähnlichen, Ruine des Schloßes von Chepstow, sich in den Kanal von Bristol ergießt, wo Alles im Ocean in nebelhaf- ter Ferne verdämmert. Jenseits des Flusses, vor Dir, erstreckt sich, fast durch die ganze zu übersehende Gegend hin, der scharfe Kamm eines langen Bergrückens, mit dichtem Walde bedeckt, aus dessen Baumgewühl eine fortlau- fende, mit Epheu festonirte Felswand, malerisch her- vor bricht. Ueber diesem Gebürgsstamm siehst Du von Neuem Wasser, die 5 Meilen breite Severn, welche von hundert weißen Segeln wimmelt, und an ihren jenseitigen Ufern erblickst Du noch zwei sich über einander lagernde, blaue Hügelreihen voll Frucht- barkeit und reichem Anbau. Die Gruppirung dieser Aussicht bildet ein vollendetes Ideal, und ich kenne keine schönere. Un- erschöpflich an Details, von unabsehbarem Umfang, und dennoch von so hervorstehenden, grandiosen Hauptzügen, daß dadurch die Verwirrung und Leere, welche ein sehr weit umfassender Horizont gewöhnlich verursacht, gänzlich vermieden wird. Der Park von Piercefield, der von Windoliff bis Chepstow die Fels- und Bergrücken einnimmt, ist daher ohne Zweifel einer der herrlichsten in England, wenigstens was seine Lage betrifft. Er besitzt Alles was die Natur nur geben kann, hohen Wald, prächtige Felsen, den fruchtbarsten Boden, ein mildes günstiges Klima für Vegetationen aller Art, einen reißend strömenden Fluß, das nahe Meer, Einsamkeit, und aus ihrer Ruhe die Aussicht in diese reiche Gegend, die ich ge- schildert, gehoben vom Anblick einer der erhabensten Burgruinen, welche nur des Malers Pinsel erfinden konnte, ich meine das über dem Fluß hängende, mehr als 6 Morgen Landes bedeckende, Schloß von Chepstow, welches nach der Stadt zu den Park be- gränzt, obgleich es nicht als Eigenthum dazu ge- hört. Fast alle Schloßruinen in England verdanken wir Cromwell, so wie die zerstörten Kirchen und Klöster Heinrich dem VIII. Die Erstern wurden mit Feuer und Schwerdt verheert, die andern blos auf- gehoben , und dem nagenden Zahne der Zeit, wie dem Eigennutze der Menschen überlassen. Beide Po- tenzen haben vollkommen gleich gewirkt, und die bei- den großen Männer dadurch einen Effekt hervorge- bracht, den sie freilich nicht bezweckten, der aber dem gleich ist, den ihre Personen selbst in der Geschichte zurückgelassen, nämlich ein pittoresker. Ich wan- derte durch den Park zu Fuß, und ließ den Wagen auf der Landstraße folgen. Erst bei halber Dämme- rung erreichte ich die Ruine, was ihren großartigen 17* Eindruck auf mich nur noch vermehrte. Das Schloß hat vier weitläuftige Höfe nebst einer Kapelle, und ist zum Theil noch gut erhalten. Hohe Nuß- und Taxus-Bäume, Obstplantagen und schöner Rasen zieren das Innere, wilde Wein- und Schlingpflan- zen aller Art bedecken die Mauern. In dem am besten conservirten Theile des Schloßes, wohnt eine Frau mit ihrer Familie, die dem Besitzer, dem Her- zog von Beaufort, eine Rente für die Erlaubniß zahlt, die Ruine Fremden zu zeigen, welche einen Schilling dafür erlegen müssen. Du siehst, qu’en Angleterre on fait flêche de tout bois, und daß ein dortiger Herzog mit 60,000 Pf. St. Einkünste, weder den Heller der Wittwe verschmäht, noch sich scheut, Fremde regelmäßig in Contribution setzen zu lassen. Es giebt zwar leider deutsche Souverainchen, die es nicht anders machen. Eben sowohl mit meinem durchlebten Tage zufrie- den als müde vom Klettern, und durchnȧßt vom Regen, der sich in der letzten Stunde wieder einge- stellt hatte, eilte ich in den Gasthof, in mein Negligee, und zum Eßtisch. Da fühlte ich etwas Ungewöhnliches in der Tasche meines Schlafrocks — verwundert brachte ich es heraus, und beschämt be- trachtete ich es — die gestohlen geglaubte Börse nebst Taschenbuch! jetzt erst fiel es mir bei, daß ich sie am vorigen Abend an diesem ungewöhnlichen Ort ver- wahrt, aus Besorgniß, sie später auf dem Tische zu vergessen. Dies soll mir wenigstens eine Lehre seyn, nicht mehr zu leicht auf den bloßen Schein hin, und auf die Verlegenheit des Angeklagten zu verdam- men, denn, bei Menschen von reizbarem Nerven- system und regem Ehrgefühl bringt leicht der bloße Gedanke: daß Andere einen solchen Verdacht haben könnten — dieselben Symptome, wie bei Sündern das Bewußtseyn der Schuld hervor. Meinem guten Herzen wirst Du zutrauen, daß ich sogleich einen Brief an meinen Freund, den Buchhändler, expedirte, um Wirth und Kellner zu disculpiren, und als Schmerzengeld für den Letzteren zugleich zwei Pfund beilegte, die ich an ihn, mit meiner Bitte um Ver- zeihung, abzugeben ersuchte. Hierauf schmeckte mir in Wahrheit das Essen noch besser, da ich nach Kräf- ten Uebles wieder gut gemacht. Dein treuer L .... Fuͤnf und vierzigster Brief. Bristol, den 20 sten Dezember 1828. Gute Julie. Ich hoffe, Du folgst mir auf der Carte, was Dir meine Briefe besser versinnlichen wird, wenn Du auch dort keine der schönen Aussichten mit genießen kannst, welche ich sah, die ich Dir aber alle in meinen Le- bens- und Erinnerungs-Bildern in getreuer Copie mitbringe. Ich besuchte früh noch einmal das herrliche Schloß, wo mich diesen Morgen ein blühendes Mädchen her- um führte, die einen sehr anmuthigen Contrast mit den verbrannten Thürmen, dem schauerlichen Ge- fängnisse des Königsmörders Martin, und dem dunk- len Burgverließ abgab, in das wir zusammen viele Stufen hinabstiegen. Dann besuchte ich eine Kirche mit besonders zierlichem altsächsischen Portal und einem sehr schön gearbeiteten Taufbecken in demselben Styl. Hier liegt auch der arme Martin begraben. Er war einer der Richter Carl des I. und saß 40 Jahre im Schlosse zu Chepstow gefangen, ohne doch je, wie man behauptet, dort seine gute Laune ganz zu verlieren. Nach den ersten Jahren scheint über- haupt seine Haft milder geworden zu seyn, und man ihn auch nach und nach immer etwas besser logirt zu haben, denn Carl II. war nicht grausam. Wenig- stens zeigte mir das Mädchen heute früh drei Ge- mächer, wovon das unterste freilich ein schauderhaftes Loch war, und ciceronisirte dabei in folgenden Wor- ten: „Hier steckte man Martin zuerst hinein, als er noch böse war; da er aber hernach in sich ging, kam er einen Stock höher, und endlich, als er religieus wurde, bekam er das Zimmer mit der schönen Aus- sicht oben.“ Um zwei Uhr fuhr ich mit einer sehr vollen Stage coach, wo ich, ohngeachtet des heftigen Regens, nur mit Mühe noch einen Platz auf dem Bocke bekam, nach Bristol. Wir passirten den Fluß auf einer schö- nen Brücke, die zugleich den besten Standpunkt zur Ansicht des Schloßes bietet, welches sich unmittelbar über den, senkrecht nach dem River Wye herabfallen- den, Felsen erhebt, und besonders dadurch einen so ȧußerst malerischen Anblick gewährt. Wir behielten dann noch lange den Park von Piercefield und seine Felsenwände, jenseits des Flusses, im Angesicht. Ich sagte zu dem Herrn der Stage, der selbst fuhr, der Besitzer dieses schönen Parks müsse ein glücklicher Mann seyn! Keineswegs, erwiederte er, der arme Teufel ist voller Schulden, hat eine zahlreiche Familie, und wünscht gar sehr, einen guten Käufer für Piercefield zu finden. Vor drei Monaten war schon Alles rich- tig, mit einem reichen Kaufmann aus Liverpool, der das schöne Gut für seinen jüngsten Sohn bestimmte. Doch ehe noch abgeschlossen wurde, verheirathet sich dieser Sohn heimlich mit einer Schauspielerin, der Vater enterbt ihn, und so wurde der Kauf rück- gängig. Das hätte wahrlich Stoff zu einigen mora- lischen Betrachtungen gegeben! Das Wetter wurde unterdessen immer abscheulicher, und artete zuletzt in einen völligen Sturm aus. Wir hatten ihn zwar im Rücken, dennoch war die Fahrt über den Channel höchst unangenehm. Die vier Pferde, alles Gepäck, und die Passagiere wurden pèle mêle in ein kleines Boot gepackt, so voll und gepreßt, daß man sich kaum darin rühren konnte. Der Posten neben den Pferden war wirklich gefährlich, da sie sich zuweilen vor den Segeln scheuten, besonders wenn diese gewandt wur- den. Ein Herr fiel bei einer solcher Gelegenheit, sammt der Kiste, auf der er saß, grade unter sie, wurde aber von den gutmüthigen Thieren nur ein wenig getreten, glücklicherweise aber nicht geschlagen, wie es ihm leicht hätte arriviren können. Das Boot, heftig vom Sturm getrieben, lag ganz auf einer Seite, und unaufhörlich spritzten die Wellen über, und durchnäßten uns von Kopf bis zu Fuß. Als wir endlich anlangten, war das Debarkiren auch eben so mühsam als schmutzig, und ich verlor dabei, zu meinem großen Mißvergnügen einen Theil der Werke Lord Byron’s. Man sagte mir, daß diese Ueberfahrt, der häufigen Stürme, des seichten Grunds und der vielen Klippen wegen, oft Unglücksfälle herbeiführe. Vor sechs Monaten scheiterte das Schiff mit der Mail, und mehrere Personen verloren das Leben da- bei. Wir konnten das gewöhnliche Landungshaus auch diesmal nicht erreichen, und mußten daher an der Küste debarkiren, von wo wir, auf einem Strand von roth- und weißgestreiftem Marmor, bis zum Gasthof zu Fuß gingen. Hier bestiegen wir eine an- dere Stage oder Landboot, mit zwanzig Personen gefüllt, und fuhren (aber nicht so schnell als mit der Mail) nach Bristol, von dessen gepriesener Lage ich für heute nur die hellen Glaslaternen und wohl ver- sehenen, bunten Läden gewahr wurde. Bath, den 21 sten Abends. Wenn ich in der Erinnerung aufsuche, was den River Wye so schön macht, und vor so vielen an- dern Flüssen den Vorzug giebt, so finde ich, daß es vorzüglich seine bestimmt gezeichneten Ufer sind, die sich nie in undeutliche Linien verflachen, noch eine nichtssagende Mannichfaltigkeit ohne Charakter dar- bieten, ferner, daß ihn fast immer Wald, Felsen oder Wiesen, durch Gebäude belebt, selten nur Felder und bebaute Fluren begränzen, denn diese letztern sind zwar eine nützliche Sache, aber nicht malerisch. Die vielen und kühnen Krümmungen machen, daß auch die Ufer sich unaufhȯrlich verschieben, und so aus denselben Gegenstȧnden hundert verschiedne Schön- heiten sich entfalten, wie die Stimme, nach mehreren Seiten gewandt, ein vielfaches Echo hervorruft. Bei- läufig gesagt, ist dies auch der Hauptgrund, warum Landschaftsgärtner gekrümmte Wege den graden vor- zogen. Diesen Gedanken hatten die Maler ; nur die Pinsel machten gewundene Korkzieher daraus, indem sie glaubten, daß ihre imaginaire Schönheits- linie, nicht die verschiedene Ansicht der Land- schaft , damit bezweckt werde. Da die Gegenstände, die sich den River Wye ent- lang darbieten, fast immer nur Wenige in großen Massen sind, so bilden sie schöne Gemälde , weil Gemälde eine kürzere Abgränzung verlangen. Die Natur schafft nach einem Maaßstabe, den wir, in seinem Totaleffekt, gar nicht beurtheilen können, dessen höchste Harmonie uns daher verloren gehen muß — die Kunst also strebt darnach, nur einen Theil derselben als ein für Menschen verständliches Ganze idealisch zu formen, und dies ist meines Erachtens nach, die auch der Landschaftsgärtnerei zum Grunde liegende Idee. Doch die Natur selbst bietet für die- sen Zweck oft schon einzeln vollendete Muster dar, einen landschaftlichen Microcosmus, und selten findet man deren in kurzen Räumen mehr vereinigt als auf dieser Fahrt, wo jede neue Wendung des Flusses, so zu sagen, einen neuen Kunst -Genuß darbietet; Pope singt irgendwo schön von dieser Gegend: Pleas d’Vaga echoes thro ’its winding bounds, And rapid Severn hoarse applause resounds. Die deutsche Sprache hat, bei allen ihrem Reich- thum, etwas Unbehülfliches fu̇r die Uebersetzung, be- sonders bei Uebertragungen aus der englischen, der dagegen ihre Zusammensetzung aus so vielen Spra- chen, eine ganz eigenthümliche Leichtigkeit giebt, fremde Gedanken auszudrücken. Mir ist daher auch die erwähnte Strophe fast unübersetzbar erschienen. So oft ich es versuchte, verlor der Gedanke seine Grazie, vielleicht war aber auch meine eigne Unbe- hülflichkeit daran Schuld. Daß zwei der schönsten Ruinen in der Welt am River Wye liegen, ist ebenfalls kein kleiner Vorzug, und nie wurde es mir klarer als hier, daß Prophe- ten in ihrem Vaterlande nichts gelten, denn wie würden sonst soviel tausend Engländer weit hinweg- ziehen, um oft über viel geringere Schönheiten in Enthusiasmus zu gerathen, als ihr eignes Vaterland darbietet. Noch eine Frage möchte ich aufwerfen, warum überhaupt Ruinen so viel mehr die mensch- liche Seele ergreifen, als es kaum die höchsten voll- endeten architektonischen Kunstwerke vermögen? Es scheint fast, als ob diese Menschenwerke erst ihre Vollkommenheit erreichten, wenn die Natur sie wie- der corrigirt hat — und doch ist es gut, wenn zu- letzt der Mensch nochmals eingreift, in den Zeit- punkt, wo die Natur anfängt, seine Spur gänz- lich zu verwischen. Eine grandiose und wohl er- haltne Ruine ist darum das schönste Gebäude. Ich erwähnte schon, daß die Umgegend von Bristol ebenfalls, und mit Recht, einen hohen Ruf hat. An Reichthum, Ueppigkeit der Vegetation und Frucht- barkeit, kann sie von keiner übertroffen werden, an malerischen Schönheiten gewiß nicht von vielen. C’est comme la terre promise; Alles was man sieht, (und als gourmand setze ich hinzu) auch alles was man genießt, ist in hoher Vollkommenheit. Bristol, eine Stadt von 100,000 Einwohnern, liegt in einem tiefen Thal; Clifton, das sich am Berge terassenförmig unmittelbar darüber erhebt, scheint nur ein andrer Theil derselben Stadt. Daß durch diese Lage außerordentliche Effekte hervorgebracht werden müssen, kann man sich leicht vorstellen. Aus dem verworrenen Gewühl der Häusermasse der alten Hauptstadt im Thale ragen drei verwitterte gothische Kirchen empor. Gleich stolzen Ueberresten der Feudal- und Mönchsherrschaft (denn beide gingen, obgleich als feindliche Brüder, Hand in Hand) schienen sie, im Gefühl der alten Größe, noch ihre greisen Häup- ter nicht beugen zu wollen vor dem aufgeschoßnen Pflanzendickicht neuerer Zeit. Besonders eine der- selben, Radcliffchurch, ist ein ganz wunderbarer Bau; leider hat der Sandstein, aus dem sie ausge- führt ist, so sehr von der Zeit gelitten, daß alle Zier- arten, wie angenagt, erscheinen. Ich trat während des Orgelspiels hinein, und obgleich ich, mit schuldi- ger Schicklichkeit, und großer Ehrerbietung, mich nur in eine Ecke stellte, von wo ich das Innere verstoh- len überblicken konnte, wollte mir doch die Illibera- lität des englisch-protestantischen Cultus dies nicht gönnen, und der Prediger sendete eine alte Frau an mich ab, um mir anzudeuten, daß ich mich setzen müsse. Da man in katholischen Kirchen die Gläubi- gen nicht so leicht stört, selbst wenn man, ohne alle Rücksicht, nur hineingeht, um die Sehenswürdigkeiten zu betrachten, und sich gar nicht an den Cultus kehrt, so wunderte ich mich mit Recht, daß die englisch-pro- testantische Frömmigkeit ihrer eignen Schwȧche so wenig zutraue, um so zu sagen von einem Hauch schon umgeblasen zu werden — man löste mir aber nachher das Räthsel. Ich hätte für den Sitz be- zahlen müssen, und der halbe Schilling war das eigentliche fromme Motiv. Ich hatte indeß schon genug gesehen, und verließ die Mummerei Mummerei (popish mummery) nennen die engli- schen Protestanten den katholischen Cultus, der ihrige verdient aber vollkommen denselben Namen. A. d. H. ohne zu bezahlen. In den Gasthof zurückgekehrt, ließ ich nun schnell eine Postchaise anspannen, setzte mich auf den Bock, (nicht als den höchsten Ehrenplatz, wie der Kaiser von China, sondern als höchster Aufsichtsplatz—) und begann meine Excursionen in der Umgegend. Zuerst besah ich die warmen Bäder der Stadt, wo an den Ufern des Severn ein felsiges Thal beginnt, das viel Aehnliches mit dem Plauischen Grunde bei Dresden hat, nur daß die Felsen höher, und die Wassermasse weit reicher ist. Wir begegneten hier dem Maire, in seiner Staatsequipage, prachtvoller als die unsrer Könige auf dem Continent. Sie stach sonderbar mit der einsamen Felsengegend ab. Als sie eben vorbei- kam, zeigte mir der Postillon einen entfernten ver- fallenen Thurm, Cook’s folly genannt, auch eines Maire und reichen Kaufmanns Besitzung, der sich damit ruinirte , und in einer Ruine nun fort- lebt. Das gothische Schloß, das er in einer der herr- lichsten Lagen aufbauen wollte, konnte er nicht voll- enden. Es blieb aber in diesem Stande wahrschein- lich nur eine desto größere Zierde der Gegend. Aus dem Felsengrund wieder emporsteigend, gelangten wir auf eine weite Bergebne, die zu den hiesigen Wett- rennen dient, und von hier, durch strotzendes Land, zu Lord Clifford’s Park, dessen entrée sehr schön ist. Man fährt nämlich, über eine halbe Stunde Wegs, an einer hohen Berglehne in einer gewundnen Allee uralter Eichen hin, die weit genug von einander ge- pflanzt sind, um sich vollkommen nach allen Seiten ausbreiten zu können, ehe sie sich erreichen. Unter ihren Aesten enthüllen sich die herrlichsten Aussichts- punkte auf das reiche Thal von Bristol, so daß, gleich einer Bildergallerie, fast unter jedem Baum ein neues Gemälde erscheint. Rechts aber zeigt sich, an dem ansteigenden Berge, der dunkle Saum des pleasure ground hinter der Wiesenfläche, wo Pflanzungen von Lorbeer, Arbutus und anderm Immergrün den Weg begränzen, bis bei einer Biegung, Schloß und Blu- mengarten plötzlich mit geschmücktem Glanz hervor- treten! Am Ende dieses Parks liegt ein grünes Vorgebürge, auf dessen schmalem Kamm man eine Weile hinfährt, und dann eine schöne Seeaussicht findet. Hier lag eben eine kleine russische Flotille zu unsern Füßen vor Anker, die, nach dem Mittelmeere bestimmt, in den Stürmen der vorigen Woche, dem Scheitern hier nur mit großer Noth entgangen. Den Engländern nach sollte blos die Unwissenheit der Mannschaft daran Schuld gewesen seyn. Ich machte später die persönliche Bekanntschaft des Capitains und fünf anderer Offiziere. Sie sprachen zu meiner Ver- wunderung durchaus keine fremde Sprache, nur russisch, weshalb sich unsre Unterhaltung auch auf bloße Zeichen beschränken mußte. Es schienen sonst artige und civilisirte Leute. Nicht weit von dem erwähnten Park, befindet sich ein interessantes Etablissement, the cottages, ge- nannt. Hier hat der Besitzer, Mr. Harford, das Ideal eines Dörfchens zu realisiren gesucht. Ein schöner grüner Platz, mitten im Walde, ist von einem rings umher geschlängelten Wege umgeben und neun Wohnungen daran gelehnt, alle von verschiedener Form, und aus verschiednem Material erbaut; eine aus Feldsteinen, die andere aus Quadern, diese aus Ziegeln, jene von Holz u. s. w., eine mit Stroh, die andre mit Schindeln, Schiefer u. s. w. gedeckt; jede mit andern Bäumen umpflanzt, und von verschiednen Sorten Climatis, Rosen, Je länger je lieber oder Wein umrankt. Die abgesonderten, und doch zu einem Ganzen verbundenen Wohnungen haben auch ihre besondern Gärten, und einen gemeinschaftlichen Brunnen, der auf der Mitte des Rasenplatzes steht, und den mehrere alte Baumgruppen beschatten. Die durch niedliche Zäune getrennten Garten, bilden so einen frischen Gemüse- und Blumenkranz um das ganze Dörfchen; die Bewohner aber bestehen, was der ganzen Anlage die Krone aufsetzt, nur aus armen Familien, denen die Häuser von dem großmüthigen Besitzer unentgeldlich überlassen worden sind. Kein anmuthigerer, kein passenderer Fleck konnte dem Un- glücke eingeräumt werden; die völlige Abgeschieden- heit und Heimlichkeit desselben, athmet nur Ruhe und Vergessenheit der Welt. Blos dem Walde gegenüber ragte von fern aus alten Eichen ein modernes gothisches Schloß stattlich hervor. Ich wollte es, sowie den umliegenden Park, besichtigen, erhielt aber keinen Einlaß. Wenn an einem englischen Park die Landstraße vorüberführt, ist immer ein Theil der Mauer durch ein Aha, oder durchsichtiges Eisengitter ersetzt, damit man den demü- thig neugierigen Blick in die verbotne Herrlichkeit werfen möge. Aber hiermit ist auch die Liberalität des englischen Besitzers erschöpft. Da es nun heute überdies noch Sonntag war, so gab ich gleich alle Hoffnung auf, den mürrischen Portier zur Aus- nahme zu bewegen, denn auf seiner Stirn war deut- lich, Dante’s umgekehrte Hȯlleninschrift zu lesen: Voi che venite — di entrare lasciate ogni spe- ranza! Meinen Rückweg nahm ich über die Bergstadt Clifton, aus der man Bristol, wie in einem Abgrun- de, unter sich liegen sieht. Die Scene wurde über- dem sehr heiter staffirt durch die, in bunten Farben schillernde, Menge der Kirchgänger beiderlei Ge- schlechts, welcher ich auf allen Gassen begegnete. Stark kontrastirte dagegen ein großes, ganz schwarz angestrichenes Haus mit weißen Fenstern, einem un- ermeßlichen Catafalke ähnlich. Man sagte mir, es sey das Stadthospital, und ein Herr erbot sich, es mir zu zeigen. Das Innere war weit anziehender als der äußere Anstrich. Große Geräumigkeit, freund- liche Säle, und die ausgezeichnetste Reinlichkeit, müs- sen es zu einem sehr trostreichen Aufenthalt für Kranke machen. Nirgends auch spürte ich den min- desten üblen Geruch, außer in der Apotheke, nach Pillen und Rhabarber. Die rechte Seite des Hauses nahmen die männlichen, die linke die weiblichen Pa- tienten ein, und in diesen beiden, den untern Theil Briefe eines Verstorbenen. II. 18 diejenigen Kranken, welche des Arztes, den obern, die des Chirurgus bedurften. Das Operationszim- mer war besonders elegant, und mit mehreren Robi- nets in den Wänden und darunter stehenden Mar- morbecken versehen, um auf allen Seiten das Blut sogleich abwaschen zu können. Eine Mahagoni-Stel- lage in der Mitte, mit Saffiankissen, ist für die zu Schneidenden bestimmt. Es war in der That Alles für Liebhaber so einladend als möglich gemacht. So wohlthätig übrigens dieses Handwerk ist, so werden doch in der Regel die Chirurgen dadurch ein wenig fühllos. Der welcher mich begleitete, machte davon keine Ausnahme. So bemerkte ich unter anderm, in einem der Säle eine Frau, die sich ganz mit einem Tuche zugedeckt hatte, und frug ihn leise, was ihr fehle? „O“, erwiederte er ganz laut, „die ist inkurabel an einer Pulsadergeschwulst; sobald diese berstet muß sie sterben.“ An dem Zucken und leisen Stȯh- nen unter dem Tuche, konnte ich wohl abnehmen, wie schmerzlich die Nachricht wirkte, und bereuete meine Frage. Als wir nachher zu den Männern kamen, sah ich Einen davon, schlohweiß und völlig wie eine Marmorstatüe, im Bette liegen, und da wir diesmal noch weit entfernt waren, erkundigte ich mich abermals nach der Beschaffenheit dieser Krankheit. „Ich weiß es selbst nicht“, rief er, „werde ihn aber gleich fragen.“ Um’s Himmelswillen nicht, bat ich, er war aber schon fort, fühlte des Mannes Hand, der sich nicht rührte, und kam dann lachend wieder, indem er sagte: „der ist kurirt, denn er ist todt.“ Gegen Abend fuhr ich, in einer der kleinen Kut- schen, die nur zwischen Bath und Bristol gehen, nach ersterem Orte. Ich war allein, und schlief den gan- zen Weg über. Als ich von der Sieste erwachte, er- blickte ich beim Mondschein einen weitlȧuftigen , er- leuchteten Palast, auf einer ganz kahlen Höhe, und erfuhr, auf meine Frage, daß dies die milde Stiftung eines bloßen Privatmannes sey, und für fünfzig arme Wittwen bestimmt, die hier in Wohlhabenheit, ja Ueberfluß, leben. Bald darauf erglänzten am Hori- zont noch vielfache andere Lichterreihen, und in wenig Minuten rollten wir über das Pflaster von Bath. Bath, den 22 sten. Seit dem Tage, wo ich Dir die wichtige Begeben- heit meldete, daß die Sonne geschienen — habe ich die Wohlthätige nicht wieder gesehen. Doch trotz Nebel und Regen wanderte ich den ganzen Tag in dieser wunderbaren Stadt herum, die, im Grunde des tiefen und schmalen Bergkessels erbaut, nach und nach alle seine hohen Ränder erstiegen hat. Die Pracht der Palläste, Gärten, Straßen, Terrassen und halbmondförmigen Plätze, Crescents genannt, die von diesen Bergabhängen herabglänzen, ist imponirend und englischen Reichthums würdig. Dessen ohnge- achtet, und obgleich auch die Natur hier schön ist, 18* hat die Mode dennoch Bath verlassen, um sich dem nichts sagenden, baumlosen und überprosaischen Brighton mit fieberhafter Wuth hinzugeben. Des- halb ist jedoch Bath keineswegs von Badegästen ver- lassen, und schon die 40,000 wohlhabenden Einwoh- ner machen es lebendig — nur die fashionable Welt sieht man nicht mehr hier. Der sonst so berühmte „König von Bath“ ehemals der far famed Nash, hat von seinem Nimbus noch mehr verloren, als seine übrigen Collegen. Der, welcher jetzt sein Amt verrichtet, geht, statt sich nie anders als mit sechs Pferden und einem Gefolge von Dienern, wie jener, öffentlich zu zeigen, sehr bescheiden zu Fuße, und wird keine Herzogin von Queensbury mehr vom Balle schicken, weil sie nicht probemäßig angezogen war. Einen großen Eindruck machte auf mich die alte Abteikirche. Ich sah sie zuerst prächtig erleuchtet, welches den eigenthümlichen Anblick ihres Innern freilich noch sehr erhöhte. Ich habe schon ȯfters er- wähnt, daß alle englischen alten Kirchen durch ein- zelne moderne Monumente entstellt sind, hier aber sind deren so viele, und mit einer solchen originellen Art von Symmetrie aufgestellt, daß der volle Con- trast mit der einfachen und erhabnen Architektur einen ganz eignen neuen Genre von malerischem Effekt her- vorbringt. Denke Dir eine herrliche, schlanke gothi- sche Kirche mit den schönsten Verhältnissen, hell er- leuchtet, und in der Mitte durch einen rothen, herab- gelassenen Vorhang in zwei Hälften getheilt. Die Hälfte welche Du übersiehst, bietet einen ganz leeren Raum, ohne Stuhl, Bank, noch Altar, nur der Bo- den bildet eine fortlaufende Mosaik eingelassener Grabsteine mit Inschriften, und eben so sind die Wände, bis zu einer gewissen Höhe, wo eine hori- zontale Linie abschneidet, dicht und ohne Zwischen- raum, mit Büsten, Statüen, eingelassenen Marmor- tafeln und Monumenten aller Art bedeckt, bald von glänzend schwarzem, oder weißem Marmor, bald aus Porphyr, Granit oder andern bunten Steinarten ge- fertigt — das Ganze dem Aussehen eines Saales gleich, den ein Kunstliebhaber, wie ein Museum, deko- rirt, und die Wände mit allerlei verschiedenen Ge- genständen bedeckt hat. Bis zu der Linie, mit der die Monumente abschneiden, war alles im hellsten Licht, weiter oben verlor sich die Helle nach und nach, und unter dem Laubwerk der Gewölbe ward sie zur undeutlichen Dämmerung. Ich und der Küster wa- ren ganz allein in diesem Raum, wȧhrend noch grö- ßerer Lichtglanz hinter dem rothglühenden Vorhang zu schimmern schien, und von dort, aus der andern Hälfte der Kirche, der gedämpfte Gesang der Ge- meinde, wie aus unsichtbarem Heiligthume, zu uns herübertönte. Viele interessante Leute liegen hier begraben, unter andern auch der berühmte Witzling Quin, für den Garrik eine Marmorbüste und poetische Inschrift her- geliefert hat. Am Monumente Waller’s fehlt die Nase, und man behauptet, Jakob II. habe sie selbst, mit seinem Degen, in einer Anwandlung von Bigot- terie abgeschlagen, als er die Kirche, kurz nach seiner Krönung besuchte. Den 23 sten. Hast Du wohl von dem Sonderling Beckfort je gehört, eine Art Lord Byron in Prosa, der das prachtvollste Schloß in England baute, seinen Park aber mit zwölf Fuß hohen Mauern umgeben ließ, und eben so viel Jahre lang Niemand den Eintritt darin verstattete? Nun dieser Mann verauktionirte plötzlich jenes Wunderhaus, Fonthill Abbey, (dessen großer Thurm, an dem man, die Nächte durch, bei Fackelschein gemauert, bald darauf einfiel,) mit Allem was darin war, Die Auktion dauerte mehrere Monate, und nie sah man bei ähnlicher Gelegenheit eine reichere Sammlung der kostbarsten und geschmackvollsten Seltenheiten. A. d. H. und zog nach Bath, wo er eben so einsam lebt. In der Nähe der Stadt hat er abermals einen sonderbaren Thurm, mitten im Felde, gebaut, dem als Dach eine genaue Copie des dimi- nutiv Tempels in Athen, den man die Laterne des Diogenes nennt, (Denkmal des Lysicrates) aufgesetzt ist. Dahin fuhr ich heute, und konnte mir wohl denken, daß auf diesem Platze die gerühmte Aussicht merkwürdig seyn müsse, Einlaß wurde mir jedoch nicht, und ich war genöthigt, blos mit meinem Phan- tasiebilde derselben wieder umzukehren. Der Thurm ist noch unvollendet, sehr hoch, und steht in der offnen, grenzenlosen Einsamkeit einer Bergebne, wie ein Ge- spenst da! Der Besitzer soll früher ein Vermögen von drei Millionen Pfund besessen haben, und noch sehr reich seyn. Man erzȧhlte mir von ihm, daß er sich nur sehr selten sehen lasse, wenn er aber zuwei- len ausreite, geschehe es folgendermaßen: Ein eis- grauer Haushofmeister reite voran. Zwei Reitknechte mit langen Hetzpeitschen hinter ihm. Dann folgt er selbst, von fünf bis sechs Hunden umgeben. Den Schluß machen wiederum zwei Reitknechte mit Peit- schen versehen. So wie, während des Rittes, einer der Hunde sich unfolgsam zeigt, hält die ganze Cara- vane an, und die Strafe wird sogleich mit der Hetz- peitsche applizirt — dieser Edukationskursus aber wȧhrend der ganzen Promenade fortgesetzt, bis man wieder zu Hause angelangt ist. Früher hat Herr Beckford einen, zwar sehr seltsamen, aber doch geist- reichen Roman in französischer Sprache geschrieben, der auch mit vielem Beifall in’s Englische über- setzt worden ist. Ein großer Thurm spielt auch darin eine Hauptrolle, und der Teufel holt zuletzt Alles. Noch eine andere drollige Anekdote von diesem Beckford. Als er in Fonthill wohnte, plagte die Neugierde dies zu sehen, einen benachbarten Lord so sehr, daß er in der Nacht eine Leiter an die hohe Parkmauer legen ließ, und darauf hineinstieg. Er wurde jedoch bald entdeckt, und vor Herrn Beckford gebracht, der ihn, nach Nennung seines Namens, wider Vermuthen, sehr artig aufnahm, selbst am Morgen überall herumführte, hierauf fürstlich be- wirthen ließ, und dann erst sich zurückzog, indem er beim Abschied sich dem Lord noch auf das verbind- lichste empfahl. Dieser wollte nun, ganz vergnügt, über den so wohl gelungenen Zweck, zu Hause eilen, fand aber alle Thore verschlossen, und Niemand da, sie zu öffnen. Als er deshalb zurückkehren mußte, und sich im Schlosse Hülfe erbat, sagte man ihm, Herr Beckford ließe ihn ersuchen da herauszugehen, wo er hineingekommen wäre, die Leiter stand noch am bewußten Orte angelehnt. Der Lord äußerte sich zwar sehr anzüglich, es half aber nichts, er mußte sich bequemen, die Stelle seiner verbotnen Entr é e wieder aufzusuchen, und die Leiter wieder hinauf zu klettern. Unter Verwünschungen des boshaften Men- schenfeindes verließ er, für immer von der Neu- gierde, Fonthill zu besuchen, geheilt, das verbotne Paradies. Als Fonthill verkauft worden war, hielt sich Herr Beckford eine Zeit lang in London auf, wo er in einer Vorstadt verborgen wohnte. In seiner Nähe befand sich der Garten eines seiner Blumenzucht we- gen berühmten Handelsgärtners. Dort ging er täg- lich spazieren, und bezahlte wöchentlich fünfzig Gui- neen für die Erlaubniß: während seiner Spazier- gänge soviel Blumen abzupflücken, als ihm beliebte. Abends besuchte ich das Theater, und fand ein recht hübsches Haus, darin aber ein desto schlechteres Schauspiel. Man gab Rienzi, eine elende, moderne Tragödie, die, bei der Uebertreibung und Unbehol- fenheit der Spieler, weder Weinen noch Lachen, son- dern nur Widerwillen und Langeweile erregte. Ich verließ daher Melpomene’s entweihten Tempel bald, und besuchte meinen Freund, den Abteiküster, um mir die Erlaubniß zu erbitten, die Kirche bei Mond- schein zu besehen. Sobald er sie mir geöffnet, schickte ich ihn fort, und wie ein einsamer Schatten unter den Pfeilern und Gräbern noch lange umherschwär- mend, ließ ich die ernstere Tragödie des Lebens vor mir aufsteigen, von den Schauern der Nacht und des Todes umweht. Den 24 sten. Das Wetter ist noch immer so schlecht, und hängt eine solche Drapperie über alle entfernte Dinge, daß ich keine Exkursionen machen kann, und mich auf die Stadt beschränken muß, die sich indeß, durch die Menge und Mannichfaltigkeit ihrer Prospekte, ganz zu den interessantesten Promenaden eignet. Mit meiner Lieblings-Grabeskirche, fange ich jedesmal an, und höre damit auf — wie das Menschenleben — das auch vom Tode ausgeht und damit endet. Der Architekt, welcher diesen prächtigen Dom baute, hat in Zierarten und Verhältnissen sich ganz vom Ge- wöhnlichen entfernt. So steigen z. B., von außen, neben dem Portal, zwei Jakobsleitern, mit hinan- klimmenden Engeln, bis an das Dach empor, wo sich die Kleinen hinter den Giebeln verlieren. Gar lieb- lich sind die emsigen Himmelsstürmer anzusehen, und wie mich dünkt, ganz im Geiste jener phantasiereichen Architektur erfunden, die das Kindlichste mit dem Erhabensten, die ausgeführtesten Zierarten mit dem grandiosesten Effekt der Massen zu verbinden wußte, und so zu sagen, die ganze irdische Natur, mit Wald- Colossen und Blumen, mit Felsen und Edelsteinen (die bunten Fenster) mit Menschen und Thieren ab- bilden wollte, hierdurch aber am sichersten die heilige Stimmung nach jenseits hervorrief. — Mir ist sie immer als die ächt romantische, i. e. ȧcht deutsche, Bauart vorgekommen, aus unserm eigensten Gemüth entsprossen. Doch glaube ich, sind wir ihr jetzt ent- fremdet, da eine mehr schwärmerische Zeit dazu ge- hȯrt . Wir können sie wohl noch einzeln bewundern und lieben, aber nichts mehr der Art schaffen, was nicht den nüchternsten Stempel der Nachahmung trüge. Dampfmaschinen und Constitutionen gerathen dagegen jetzt besser, als überhaupt alle Kunst. Jedem Zeitalter das Seine. — Da ich die Contraste liebe, so begab ich mich heute Abend, aus dem inhaltschweren Tempel, unmittelbar auf den, in andrer Art eben so wohlgefüllten, und gleich stark illuminirten Stadtmarkt — wo unter be- deckten Gallerieen alle Arten Viktualien verkauft wer- den. Alles ist hier einladend, und elegant, der Ge- genstand für tausend Meisterstücke flämischer Pinsel, und ein genußreicher Anblick für den Gastronomen, der hier seine Natur schönheiten bewundert. Enor- mere Stücken Beef, saftroth in goldnem Fette zit- ternd, besser gemästetes, wie mit Eiderdaun gestopf- tes Geflügel, stolzeres Gemüse, schöngelbern Butter, saftigere Früchte und einladendere Fische sah mein er- stauntes Auge nie! Alles war vom Glanze hundert bunter Lichter verherrlicht, und mit Lorbeer und rothbeerigtem Holly aufgeputzt. Statt eines Weih- nachtstisches, waren hundert aufgestellt, und die Carrikaturen der verkaufenden Weiber glichen vor- trefflich den Pfefferkuchenpuppen, wir Käufer aber den neugierigen und erstaunten Kindern. Schwerlich hätte die brillanteste Gesellschaft mich besser amüsiren können. Wenn ich einen gravitätischen Schöps an- sah, der in jeder Pfote ein Inseltlicht hielt, und sich so selbst erleuchtete, oder eine hängende Poularde, der man einen rothen Wachsstock auf die Kehrseite gepflanzt hatte, einen Kalbskopf mit einer Laterne zwischen den Zähnen, neben einem großen Gänse- rich, dem zwei Kirchenlichter vorleuchteten, oder einen Ochsenschwanz, durch den eine Gasröhre ging, die pretentiös im Flammenbüschel endigte — so machte ich mir die ergötzlichsten Vergleiche mit einer assem- blée in der Heimath, und fand die Aehnlichkeiten oft frappanter als die Portraits der berühmten Maler W. und S . . . . . Man lebt hier weit wohlfeiler als in andern Städ- ten Englands, besonders in den sogenannten boar- dinghouses, wo man für zwei bis drei Guineen wöchentlich, ganz vortrefflich bewirthet, und gut logirt wird, auch eine angenehme und ungenirende Gesell- schaft findet. Equipage braucht man nicht, da Porte- chaisen üblich sind. Den 25 sten. Acht und „ vierzig Stunden “ haben endlich den Himmel versöhnt, und der heutige Tag war, was man hier „a glorious day“ nennt, nämlich ein solcher, an dem zuweilen die Sonne hinter den Wol- ken hervortritt. Du ahnest ohne Zweifel, daß ich ihn nicht unbenutzt ließ. Ich erstieg einen Berg neben der Stadt, von dem man das ganze Weichbild der- selben, und fast jedes einzelne Haus übersehen kann. Die Abteikirche liegt, wie der Kern, in der Mitte; nach allen Seiten steigen die Straßen gleich Strah- len in die Höhe, und im tiefsten Grunde schlängelt sich das Silberband des Avon durch sie hin. Hier- auf setzte ich meinen Weg, auf einer schönen Prome- nade, bis Prior-Park fort, eine große und ehemals glänzende Besitzung, die ein stolzer Lord erbaut hat, jetzt aber ein demüthiger Quäker inne hat, der das Schloß leer stehen läßt, und, der Consequenz seiner Lehre getreu, im alten Stalle wohnt. So ging der Vormittag hin; bei Dämmerung und Mondschein richtete ich einen zweiten Spaziergang nach der andern Seite der Stadt, und fand dort den Anblick in der Stille der hellen Nacht noch pracht- voller. Der Himmel schimmerte in blaßgrüner Farbe, und an der rechten Hälfte desselben waren Massen schwarzer, tief ausgezackter Wolken gelagert. Die gegenüber liegenden Berge schnitten dagegen ihre sanft gerundeten Linien, unter dem Mondlicht, scharf gegen den klaren Himmel ab, wȧhrend das ganze Thal ein blauer Nebel füllte, durch den man nur Tausende von Gaslampen flimmern sah, ohne die Häuser selbst zu erblicken. Es schien ein Dunstmeer, aus dem sich unzähliche Sterne in verdoppeltem Feuer wiederspiegelten. Ich beschloß den Tag mit einem heißen Bade in der Haupt-Badeanstalt, und fand die Einrichtung überall sehr bequem, reinlich und selbst wohlfeil, auch die Bedienung prompt und bescheiden. Den 26 sten. Die üble Angewohnheit im Bett zu lesen, hat mir diese Nacht ein lächerliches Unglück zugezogen. Mein Haar nämlich fing unbemerkt Feuer, und ich mußte den Kopf in die Bettdecken wickeln, um es zu löschen. Schrecklich ist der angerichtete Schaden, denn die ganze eine Kopfhaarhälfte ist vernichtet, so daß ich mich über und über fast kahl habe scheeren lassen müssen. Glücklicherweise besteht meine Stȧrke nicht in den Haaren. Ein Brief von Dir tröstete mich beim Erwachen. Deine Fabel von der Nachtigall ist herrlich. Hätte L . . . . das bedacht, und sich im zwanzigsten Jahre gesagt: Sey todt für die Welt bis zu Deinem fünf und dreißigsten, wie glänzend und glücklich könnte er jetzt ( NB. nach dem Maßstabe der Welt) darin auf- treten! Auch ich habe im Lauf dieser Zeit und noch jetzt oft die Welt und Andere angeklagt, aber bei Licht besehen, Es scheint, die Feuersbrunst direkt am Haupt, hat mich mehr als gewöhnlich erleuchtet. ist dies doch eben so thöricht als ungerecht. Die Welt ist und bleibt einmal die Welt, und ihr alles Ueble, das uns daraus entgegen kommt, zurechnen zu wollen, ist dem Kinde zu vergleichen, welches das Feuer bestrafen will, weil es sich die Finger daran verbrannt hat. L . . . soll also nichts bereuen, denn hätte er fünfzehn Jahr als Murmel- thier vegetirt, so hätte er diese Zeit eben nicht gelebt, und folglich nicht erkannt. Es bleibt immer dabei „que tout est pour le mieux dans ce meilleur des mondes.“ Indem ich Dir herzlich wünsche, dies gleichfalls im- mer einzusehen, empfehle ich mich Dir für diesmal zärtlichst, und bin wie immer Dein treuer L . . . . Sechs und vierzigster Brief. Salisbury, den 27 sten December 1828. Geliebte Freundin! Gestern Abend sieben Uhr verließ ich Bath, wie- derum mit der Mail, für Salisbury. Ich fand mich allein im Wagen mit einer Wittwe in tiefer Trauer, demohngeachtet hatte sie sich schon wieder einen Lieb- haber angeschafft, der vor dem Thore, als blinder Passagier, (aber kein Amor, sondern ächter John Bull) Einlaß erhielt. Er unterhielt uns, wenn er nicht von der Landwirthschaft sprach, mit gräßlichen Tagesneuigkeiten, die die Engländer so sehr lieben, daß ihre Zeitungscolonnen tȧglich damit angefüllt sind. Zwei junge Leute, erzählte er unter anderm, Arbeiter in einer Tuchfabrik in Exeter, fielen vor acht Tagen, mit einander schȧkernd und sich jagend, in eine kochende Masse, welche viele Grade heißer als hoch siedendes Wasser ist. Obgleich beide nach vor- wärts fielen, sprangen doch auch beide im Nu wie- der heraus, rannten aber, wie wahnsinnig, gegen die vorstehende Wand, wo sie in Convulsionen verschieden. Ihr Anblick sollte, nach Aussage der Augenzeugen, über alle Beschreibung furchtbar gewesen seyn, weil in der ungeheuern Hitze alles, von den Kleidern un- geschützte Fleisch, im Augenblicke gänzlich consumirt worden war, und sie daher, mit noch lebenden Todtenschädeln auf den Schultern, aus der Pfanne hervorstürzten. Vielleicht war auch der Mann, der uns solche furchtbare Dinge mittheilte, nur ein Acci- dentmaker, denn er hörte nicht auf mit Schreckens- geschichten, und behauptete nachher, die Holyheadmail, dieselbe mit der ich gekommen, sey einige Tage dar- auf, bei einem Wolkenbruch weggeschwemmt worden, und Pferde und Kutscher nebst einem der Passagiere dabei ertrunken. Ist es wahr, so freue ich mich aller- dings, so viel passendere Zeit zu ihrem Gebrauch ge- wählt zu haben. Nach einigen Stunden verließ mich das zärtliche Paar, in einem Orte wo die Wittwe einen Gasthof besaß (wahrscheinlich der wirkliche Gegenstand von John Bulls Zärtlichkeit), und ich blieb nun ganz allein. Es dauerte aber nicht lange, so bat ein sehr hübsches junges Mädchen, die wir in der Dunkelheit einholten, sie bis Salisbury mitzu- nehmen, da sie sonst die Nacht im nächsten Dorfe zubringen müsse. Ich ertheilte die Erlaubniß sehr gern und versprach sogar dem Kutscher die Bezah- lung zu übernehmen, worauf ich von der Dankbaren Briefe eines Verstorbenen. II. 19 vernahm, daß sie eine Putzmacherin sey, und zur Christmaß sich bei ihren Aeltern etwas über die Zeit verspätet, aber gleich auf die Durchfahrt der Mail gerechnet habe. Die Unterhaltung war jedenfalls an- genehmer als neulich mit der siebenzigjȧhrigen Pu- ritanerin, so daß ich die Zeit sehr kurz vergangen fand, als wir um Mitternacht die Stadt erreichten, wo ich ein gutes Soup é , dann aber nur ein rauchen- des und kaltes Schlafzimmer zur Nachtruhe erhielt. Den 28 sten. Schon früh am Morgen weckte mich das eintönige Geplätscher eines fanften Landregens, so daß ich noch immer (es ist bereits Mittag) lesend beim Frühstück sitze. Ein gutes Buch ist doch eine wahre Elektrisir- maschine! die eignen Gedanken sprühen dabei auch manchmal wie ein Feuerwerk; sie verlöschen aber ge- wöhnlich eben so schnell, denn wollte man die Funken gleich mit Feder und Tinte fixiren, so hörte der Ge- nuß auf, und, wie beim Traume, wäre es nachher der Mu̇he doch vielleicht nicht werth. Das Buch, von dem ich mich heute magnetisiren ließ, ist eine sehr in- genieuse, und admirabel zum Selbstunterricht einge- richtete, fortlaufende Verbindung von Geschichte, Geographie und Astronomie, in ihren Grundzügen. Diese kleinen Encyclopädieen sind eine große Be- quemlichkeit unsrer Zeit. Freilich kömmt wahrer Nutzen immer erst mit dem Studium der Details, indessen müssen die Mauern doch erst hingestellt seyn, ehe man die Gemächer ausschmücken kann. Bei einem wie dem andern Studium aber, halte ich Selb stunterricht für den Erfolgreichsten, wenigstens war er es bei mir — gewiß ist es jedoch, daß manche Menschen überhaupt, und auf keine Art etwas wahr- haft lernen können. Studiren sie z. B. Geschichte, so macht sie ihnen nie das Ewige und Wahre an- schaulich; es bleibt für sie nur eine Chronik, die ihr vortreffliches Gedächtniß an den Fingern abzählt. Jede andre Wissenschaft wird von ihnen ebenfalls nur mechanisch erlernt, und bleibt bloßes Buchstaben- werk. Dennoch wird in der Regel grade dies gründ- liches Wissen genannt, ja die meisten Examinato- ren von Profession verlangen nichts mehr. Das Un- wesen, das in dieser Hinsicht noch an manchen Orten ge- trieben wird, würde zu ergötzlichen Anecdoten Anlaß geben, wenn man es nȧher beleuchtete. Ich kenne unter andern einen jungen Mann, dem, im diploma- tischen Examen, welches erst kürzlich in einer gewissen Residenz eingeführt worden war, die Frage vorgelegt wurde: Wieviel wiegt ein Kubikfuß Holz? Schade daß er nicht antwortete: Wieviel wiegt ein Gold- stück, oder wieviel Gehirn hat ein Dummkopf? Ei- nen Andern vom Militairfach frug man daselbst: welches die merkwürdigste Belagerung sey? Ohne zu stocken erwiederte dieser, (ein in Deutschland natio- nalisirter Ausländer): die Belagerung von Jericho, weil die Mauern mit Trompeten eingebla sen wurden. 19* Man könnte Cannondrum’s davon machen, und ich glaube fast, daß diese langweilige Spielerei sich von dergleichen Examinirungen herschreibt. Viele Geist- liche fragen jetzt wieder: Glauben Sie an den Teu- fel? Ein mauvais plaisant, der sich vor dem Repuls nicht eben allzusehr fürchtete, antwortete neulich: Samiel hilf! Abends. Gegen drei Uhr klärte sich der Himmel ein wenig auf, und da ich nur darauf gewartet, eilte ich in den, schon im Voraus besprochnen, Gig zu steigen, und fuhr mit einem alten Hunter im Gallop nach Stonehenge, dem großen Druidentempel, Grabmal, oder Opferaltar. Die Gegend um Salisbury ist sehr fruchtbar, aber leer von Bäumen, und in keiner Art pittoresk. Auch das wunderbare Stonehenge steht nur auf einem weit ausgedehnten kahlen Wiesenhü- gel. Die feuerrothe Sonnenkugel ohne Wolken, be- rührte in demselben Augenblick den Horizont, als ich, erstaunt über das unerklȧrliche Denkmal, das vor mir lag, an den ersten Druidenstein trat, den die untergehenden Strahlen mit schönem Rosa färbten. Kein Wunder ist es, daß dieses Monument vom Volke dämonischen Kräften zugeschrieben wird, denn kaum würde, selbst in unsern Zeiten, mit allen Hülfs- mitteln der Mechanik, ein solches Werk zum zweiten- mal zu Stande zu bringen seyn. Wie wurde es also einem fast wilden Volke möglich, solche Massen auf- zurichten, und dreißig Meilen weit (denn näher be- findet sich kein Steinbruch) herzutransportiren? Das Ganze bildet einen unregelmäßigen Kranz, theils noch aufrecht stehender, theils umgeworfner, halb in die Erde wieder versunkner Cromlechs (zwei aufgerichtete Steine, über die ein dritter gelegt ist). Mehrere von diesen bestehen aus einzelnen Massen von fünf und zwanzig Fuß Länge und zehn Fuß Breite, wahre Felsen, so daß Manche behauptet haben, Stonehenge sey nur ein Spiel der Natur, was jedoch keinem Augenzeugen zu glauben einfallen wird. Ich war nicht der einzige Beschauer. Ein einsamer Fremder wurde mehrmals sichtbar, der, ohne von mir Notiz zu nehmen, schon seit einer Viertelstunde beständig zählend unter den Steinen umherging, und sehr un- geduldig etwas zu betrachten schien. Ich nahm mir daher die Freiheit, ihn, als er eben wieder hervortrat, mit einer Frage über sein sonderbares Benehmen zu stören, worauf er mir auch sogleich höflich erwiederte, „man habe ihm gesagt, Niemand könne diese Steine richtig zählen, jedesmal käme eine andere Zahl heraus, und dies sey ein Trick (Schabernack), den Satanas, der Erbauer dieses Werks, den Neugierigen spiele. Er habe nun schon sieben mal, seit zwei Stunden, die Erfahrung bestätigt gefunden, und werde gewiß noch närrisch werden, wenn er sie weiter fortsetze.“ Ich rieth ihm daher, lieber davon abzustehen, und sich zu Hause zu begeben, da es ohnedem dunkel werde, sonst könne ihm am Ende Satanas einen noch viel üblern Streich vorbehalten haben. Er fixirte mich satyrisch, mit ganz unheimlichen Augen, sah sich wie nach Jemand um, rief dann mit einemmal: Good bye Sir, und zog ohne Schatten wie Schlehmil (die Sonne war freilich untergegangen) mit wahren Siebenmeilen-Schritten über die Wiese, wo er unter dem Hügel plötzlich verschwand. Ich cilte nun auch von meiner Seite, mich zur Rückkehr zu rüsten, und trabte bald dem hohen Thurme von Salisbury wie- der zu, den schon die Dämmerung verdeckte. Kaum war ich indeß eine Meile scharf gefahren, als der morsche, hohe Gig zusammenbrach, und der Kutscher wie ich selbst, ziemlich unsanft auf den Rasen gewor- fen wurden. Der alte Gaul aber lief mit der abge- lösten Gabel, lustig wiehernd, und in verstärkterem Tempo der Chaussee und Stadt zu. Während wir uns mühsam aufrichteten, hörten wir auch Pferde- getrappel hinter uns — es war der Fremde, der auf einem schönen, schwarzen Roß vorbeigallopirte, und mir lächelnd zurief: Der Teufel läßt schönstens grü- ßen, verehrter Herr! A revoir! und damit sprengte er, wie ein Wirbelwind, davon. Dieser Hohn war wirklich ärgerlich. O, Sie unzeitiger Spaßmacher, schrie ich ihm scheltend nach, helfen Sie uns lieber, statt Ihrer Fadaisen! Aber nur das Echo seiner Hufschläge antwortete uns durch die einbrechende Dunkelheit. Mein Kutscher lief zwar dem entflohenen Klepper eine Meile nach, kam aber bald unverrichte- ter Sache zurück. Es half nichts, wir mußten uns entschließen, da auch nicht eine Hütte sich auf unserm Wege befand, die übrigen sechs Meilen zu Fuße zu gehen. Nie schien mir ein Weg langweiliger, und wenig nur entschädigten mich die Wundergeschichten, die mir der Kutscher unterwegs von seinem Hunter erzählte, als derselbe vor zwanzig Jahren noch der Leader (Anführer) der Salisburyschen Hunt gewe- sen sey. Den 29 sten. Ich benutzte den heutigen Tag sehr gut, trug aber, wahrscheinlich noch als Nachwehen von der gestrigen Nachtpartie, Abends ein derbes Kopfweh davon. Da es indessen nur rheumatischer Natur ist, kehre ich mich nicht daran, setze meine Füße in Senf, Salz und heißes Wasser, und beginne. Salisbury’s weitberühmte Cathedrale rühmt sich des höchsten Thurms in Europa. Er ist vierhundert und zehn Fuß hoch, welches fünf Fuß höher ist, als der Strasburger Münster, wenn ich nicht irre, doch ist jener wenigstens weit schöner. Das Aeußere des großen Doms zeichnet sich vorzüglich durch ein auf- fallendes Ansehn von Neuheit und Nettigkeit aus, so wie durch seine gȧnzliche Vollendung in jedem Detail. Er verdankt dies zwei Hauptreparaturen, die im Laufe der Zeit mit ihm vorgenommen wurden, die erste unter Christoph Ween, die zweite unter Wyatt’s Aufsicht. Auch die Lage dieser Kirche ist eigen- thümlich, da sie, wie ein Modell, ganz frei auf einem schön gehaltenen Platze kurzen Rasens steht, den auf der einen Seite des Bischoffs-Pallast und die Cloisters, auf der andern hohe Linden umgeben. Der Thurm endet in einer Obeliskenartigen Spitze mit einem Kreuze, auf dem, omineus genug, eine Wetterfahne befestigt ist. Dieser geschmacklose Gebrauch schändet die meisten gothischen Kirchen in England. Der Thurm steht fünf und zwanzig Zoll aus dem Lothe, ohne daß man es jedoch bemerkt, nur im Innern sieht man die weichende Biegung der Pfeiler, die zu seiner Stütze bestimmt sind. Dies Innere des heh- ren Tempels ist äußerst imposant, und von Wyatt’s Genie noch mehr hervorgehoben. Eine vortreffliche Idee war es, die merkwürdigen alten Monumente von den Wänden und Winkeln abzulösen, und frei zwischen die prachtvolle doppelte Pfeilerallee aufzustel- len, deren, durch nichts unterbrochne, schlanke Höhe fast Schwindel erregt. Nichts kann sich schöner aus- nehmen, als diese lange Reihe von gothischen Sar- kophagen, auf denen die Riesenfiguren der Ritter und geistlichen Fürsten ausgestreckt in ihrem ewigen Schlafe liegen, während die Stein- und Metallrüstun- gen von den bunten Glasfenstern mit allen Regen- bogenfarben überglänzt werden. Unter Templern und andern Rittern liegt hier auch „Richard Langschwerdt“ begraben, der mit dem Eroberer nach England kam; neben ihm eine Riesengestalt in Alabaster, der Schwerdtträger Heinrich des VII., der bei Bosworth- Field blieb und stets mit zwei langen Schwertern, eins rechts, eins links, focht, mit denen er auch hier abgebildet ist. Die Klöster sind ebenfalls sehr schön. Lange, kunst- reiche Gallerieen führen im Viereck, um den Capitel- saal, welchen letztern nur eine einzige Sȧule in der Mitte stützt, wie den Remter in Marienburg. Die Basreliefs, die in breiten Bändern den Saal umga- ben, scheinen von sehr guter Arbeit zu seyn, sind aber zu Cromwells Zeit halb zerstört worden. In der Mitte steht noch ein halb vermoderter Tisch von Ei- chenholz aus dem 13ten Jahrhundert, auf den, nach ziemlich glaubwürdigen Nachrichten, die Arbeiter am Kirchbau jeden Abend ausgezahlt worden sein sollen, und dies zwar damals mit einem Pfennig pro Tag. Die Besteigung des Thurms ist sehr beschwerlich. Die letzte Hälfte muß man, wie beim Stephansthurm in Wien, auf schmalen Leitern hinan klimmen. End- lich kommt man an eine kleine Dachthüre, dreißig Fuß unter dem Knopfe. Aus dieser Thüre steigt der Mann, welcher die Thurmfahne wöchentlich öhlt, auf eine so gefährliche Art heraus, daß es beinahe unbe- greiflich scheint, wie der siebzigjährige Greis, der die- sen Posten bekleidet, es auszuführen im Stande ist. Ueber dem Fenster hat, wie gesagt, die schmale Thurmspitze noch dreißig Fuß Höhe, wo nichts als eiserne Klammern außerhalb zum Hinaufklettern be- festigt sind. Der Alte muß nun rückwärts aus der kleinen Lucke steigen, sich, wegen des Regendaches, mit dem Oberleibe tief aus derselben herabbiegen, und so nach der ersten Klammer darüber tappen, ohne sie noch sehen zu können. Hat er sie durch das Gefühl endlich erreicht und fest gefaßt, so schwingt er sich, an ihr in der Luft hängend, daran hinauf, und sucht, während dem, mit den Füßen das Regen- dach zu gewinnen, von dem er dann von Klammer zu Klammer hinaufsteigt. Gewiß wäre es leicht, eine bequemere und weniger gefährliche Vorrichtung an- zubringen, aber der Thürmer ist es einmal so von seiner Kindheit an gewöhnt, und will es nicht anders haben. Selbst bei Nacht ist er schon diesen hals- brechenden Weg gegangen, und freut sich, daß nur selten ein Fremder, selbst Matrosen, die sonst überall hinklettern, es gewagt hat, ihm zu folgen. Als wir zur ersten, frei um den Thurm führenden, Gallerie wieder herabkamen, zeigte mir der Führer einen Habicht, der nur zwanzig bis dreißig Fuß über uns schwebte. Seit vielen Jahren, sagte er, hält sich ein Paar dieser Vögel auf dem Thurm auf, und nährt sich von des Herrn Bischoffs Tauben. Ich sehe oft einen oder den andern, fuhr er fort, über dem Kreuz sich wiegen, und dann plötzlich auf die Vögel unten stoßen; manchmal läßt er sie auch auf das Kirchdach oder die Gallerie wieder herabfallen, geht aber nie ein zweitesmal nach einer so verlornen Beute, und läßt sie gewiß dort verfaulen, wenn ich sie nicht weghole. Des Bischoffs Pallast und Garten breiteten sich malerisch unter uns aus, und alle Schornsteine rauchten freudig, denn His Lordship waren eben angekommen, präparirten sich aber auch schon wieder zu einer neuen Badereise. In der Kirche, meinte mein Führer, sähe man den Herrn Bischoff kaum zwei bis dreimal des Jahres. Predi- gen thäten Hochdieselben nie. Ihr heiliges Geschäft bestehe blos darin, 15,000 Pf. St. mit so viel Ge- schmack zu verzehren, als Ihnen der liebe Gott ver- liehen habe — die Arbeit aber werde hinlänglich von Subalternen verrichtet. Diese schöne Einrichtung ist das Einzige was uns noch auf dem Continent fehlt, um ganz glücklich zu seyn, das Einzige was der Mühe werth wäre, aus England nachzuahmen. Auf dem Rückweg spazierte ich in dem dämmernden Dome noch eine Weile, unter den herrlichen Monumenten und den alten Rittern umher, die meine Einbildungs- kraft von Neuem aus ihren Gräbern citirte — denn alles dies, gute Julie, haben wir ja auch früher mit- erlebt, und betrachten jetzt mit Verwunderung unsre eignen alten Bilder, wie wir einst als Nachkommen, in tausend Jahren, wieder die jetzigen anstaunen werden. — Ich hatte Sorge getragen, mir für heute einen so- lideren Wagen als den gestrigen zu verschaffen, und fuhr nun in diesem recht gemächlich nach Wilton, dem schönen Schlosse des Grafen Pembroke. Hier ist eine werthvolle Antiken-Sammlung, die von dem verstorbnen, kunstliebenden Grafen sehr geschmackvoll aufgestellt worden ist. Sie befindet sich in einer brei- ten, rund um den innern Schloßhof laufenden Galle- rie, die mit sämmtlichen Appartements des ersten Stockes communicirt, und ihr reichliches Licht nur von einer Seite erhält. Winter und Sommer ge- währt sie daher den interessantesten Spaztergang, und wird mit wenigen Schritten aus jedem Zimmer erreicht. In den Fenstern hat man die bunten Wap- pen aller Familien angebracht, mit denen die Pem- brokes im Lauf der Zeiten durch Heirath alliirt wurden, eine reiche Sammlung, unter der sich auch das Königlich Englische Wappen befindet. In der Halle aber sind die Rüstungen der alten Kriegshel- den aus der eignen Familie aufgestellt, und Die ih- rer vornehmsten Gefangnen, als der Connetable von Montmorency, ein französischer Prinz von Geblüt, und mehrere Andere. Gewiß, diese alten Erinnerun- gen einer hohen und machtigen Aristokratie haben ihre poetische Seite. Die Castellanin, welche mich herumführte, schien selbst aus einer jener colossalen Rüstungen hervorge- krochen zu seyn, denn sie war ihre volle sechs Fuß hoch, und mit einem Schnurbart geschmückt, dessen sich der alte Connetable nicht zu schȧmen gehabt hätte. Auch konnte man nicht besser in der Geschichte des Mittelalters bewandert sein; dagegen mißhandelte sie die Namen römischer Kaiser und griechischer Phi- losophen auf eine barbarische Weise, erklärte aber ohne Scheu einige sehr leichtfertige Darstellungen ganz richtig, und mit sehr drolligen Kennerausdrücken. Einer der anstoßenden Säle ist abermals mit Fa- milienportraits angefüllt, die jedoch mehr Glanz durch Holbein und Vandyk, als durch die dargestell- ten Personen erhalten. Nach einiger Zeit überstralt in der Regel der Kunstadel den angebornen, comme de raison . Das Schloß enthält außerdem noch mehrere Bilder von Bedeutung, unter denen mir eine Grablegung von Albrecht Dürer, mit gro- ßem Detail in Wasserfarben ausgeführt, am auffal- lendsten war. Ein Garten der Gräfin, auf den sich die Bibliothek-Thüren öffnen, ist im altfranzösischen Geschmack angelegt, und wird durch einen kleinen, sehr reichlich verzierten Tempel geschlossen, der eine besondere Merkwürdigkeit an sich trägt. Er ist näm- lich vom Maler Holbein erbaut, darum aber um nichts geschmackvoller, sondern im Gegentheil ein häß- lich überladnes Monument. Desto niedlicher ist der Garten, und es gereicht den englischen Frauen von Rang zur Ehre, daß sich die meisten durch eine ganz überlegne Kunstfertigkeit in dieser Hinsicht auszeich- nen. Man würde sich sehr irren, wenn man hoffte, daß irgend ein englischer Gärtner im Stande wäre, Meisterstücke von Gartenausschmückung, wie ich Dir in meinen früheren Briefen viele geschrieben Diese Briefe gehören den ersten Theilen an, die noch nicht publizirt werden konnten. A. d. H. , an- zulegen. Diese verdanken alle ihr Daseyn nur dem Kunstsinn und der liebenswürdigen Häuslichkeit der Besitzerinnen. Ich hätte dieses Schloß nicht zu sehen bekommen, da es durchaus verboten war, irgend einen Frem- den, ohne eine schriftliche Erlaubniß des Besitzers, einzulassen, wenn ich nicht die unschuldige List ge- braucht hätte (welche der Herr des Hauses wenn er es erfahren, mir nun wohl verziehen haben wird) mich bei der ritterlichen Castellanin für einen russi- schen Verwandten der Familie auszugeben, mit ei- nem, für sie unlesbaren und unaussprechbaren, Na- men. Es ist zu unangenehm 4 Meilen gefahren zu seyn, eines solchen Zweckes halber, und dann un- verrichteter Sache wieder zurückkehren zu müssen, daher lade ich meine Nothlüge auf die Schuld der inhumanen englischen Sitten, denn bei uns ist man nicht so grausam, und nie wird hier einem Englän- der mit gleicher Illiberalität vergolten. Auf der andern Seite der Stadt liegt eine zweite interessante Besitzung, Langford, dem Grafen Rad- nor gehörig, ein weiter Park und sehr altes Schloß, von sonderbarer dreieckiger Form mit ungeheuer dicken Thürmen, deren Mauern Mosaik nachahmen. In unansehnlichen, niedrigen und schlecht meublirten Zimmern fand ich hier eine der kostbarsten Gemälde- sammlungen, ausgesuchte Bilder der größten Meister, wie es deren so viele bei englischen Privatpersonen giebt, verborgene Schätze, die Niemand sieht, und Niemand kennt. Ein Sonnen-Auf- und Untergang von Claude Lorrain stehen oben an. Der Morgen zeigt uns Aeneas mit seinem Gefolge am glücklichen Strande Italiens landend, und man beneidet die Ankömmlinge um das Landschaftsparadies, das sich vor ihnen erschließt. Auf dem Abendbilde ver- goldet die sinkende Sonne prächtige Ruinen verwach- sener Tempel und Pallaste, die eine einsame, ver- wilderte Gegend umgiebt. Auf- und Untergang des römischen Reichs sollten dadurch allegorisch darge- stellt werden. Wasser, Wolken, Himmel, Bȧume , die durchsichtige zitternde Sonnenatmosphäre — es ist, wie immer bei Claude, die Natur selbst, die man nur wie neu geschaffen sieht. Es ist gewiß schwer zu begrei- fen, wie ein Mann im fünf und dreißigsten Jahre noch Koch und Farbenreiber seyn, und im fünf und vierzig- sten die Welt mit solchen nie erreichten Meisterstücken beschenken konnte! Der wunderschȯne Kopf einer Mag- dalena von Guido, deren thränende Augen, und heißer, halb geöffneter Rosenmund freilich mehr zu tausend Küssen als zur Reue einladen, eine in aller Pracht des Colorits glänzende Santa famiglia von Andrea del Sarto, und mehrere andere Meister- stücke andrer gefeierter Meister hielten mich noch meh- rere Stunden hier fest. Ein Portrait des Grafen Eg- mont hätte schlecht zum Titelkupfer vor Göthes Tra- gödie gepaßt, denn der lebenslustige Schwärmer er- schien hier als ein ziemlich corpulenter Vierziger mit einer Platte auf dem Kopf, und einer wahren All- tags-Physiognomie auf dem Gesicht. Ein ganz an- ders geistvolles Antlitz zeigte sein neben ihm hängen- der Freund von Oranien. Zwischen Beiden saß der finstere, die Grausamkeit als Luxus treibende, Alba zu Pferde. Außer den Gemälden und einigen Antiken enthält das Schloß noch eine andre seltne Kostbarkeit, einen Stuhl oder Thron von Stahl, den die Stadt Augs- burg dem Kaiser Rudolph II. schenkte, die Schwe- den unter Gustav Adolph erbeuteten, und ein Vorfahr des Grafen Radnor in Stockholm kaufte . Die Arbeit ist bewunderungswürdig. Wie schwinden vor diesem Kunstwerk alle Zierlichkeiten unsrer Tage, von Birmingham, der Berliner Eisenfabrik ꝛc., zu elenden Spielereien und wahrem Tand! Man glaubt ein Werk Benvenuto Cellini’s vor sich zu sehen, und weiß nicht was man mehr bewundern soll, ob die herrliche Ausführung und Grazie der Details, oder die geschmackvolle und künstlerische Anordnung des Ganzen? London den 31 sten. Den gestrigen Tag mußte ich meinem Erbfeinde, der Migraine, opfern; heute reiste ich in fortwäh- rendem Regenwetter nach der Metropolis, und setze morgen früh meinen Weg nach Frankreich fort. Die Gegend bot wenig Anziehendes dar, desto animirter war das Gespräch anf unsrer Imperiale und rou- lirte, fast den ganzen Tag, über einen berühmten Boxing Match, wobei, wie es schien, ein Jankee den John Bull angeführt, und durch Bestechung des Haupt-Boxers wie man sagte, 10,000 Pf. St. ge- wonnen hatte. Diese Betrügereien bei allen Arten von Sport, sind so gäng und gebe in England, unter den niedrigsten wie den höchsten Klassen, ge- worden, wie es das falsche Spiel zu den Zeiten des Grafen von Grammont war. Viele rühmen sich fast öffentlich damit und ich habe nie gefunden, daß Solche, die als die „most Knowing ones“ Solche, die Andere am pfiffigsten anzuführen verstehen. A. d. H. be- kannt sind, dadurch an ihrer Reputation in der Ge- sellschaft gelitten hätten — au contraire, sie passir- ten für geistreicher als die übrigen, und man warnte nur hier und da lächelnd, sich vor Denen in Acht zu nehmen. Einige der ersten Mitglieder der Ari- stokratie sind in dieser Hinsicht ganz notorisch, und ich weiß, daß der Vater eines solchen Nobleman, dem man die Besorgniß äußerte, daß sein Sohn doch einmal von einem Blackleg (Betrüger) angeführt werden könne, antwortete: Ich bin dabei weit mehr für die Blacklegs, als für meinen Sohn besorgt! — Ländlich, sittlich! Was auch, wiewohl auf einer un- tern Stufe, England charakterisirte, war, daß der Kutscher, der uns fuhr, in dem besagten unglückli- chen Match ebenfalls 200 Pf. St. verloren hatte, und darüber nur lachte, indem er zu verstehen gab, er würde schon eine andere Dupe finden, die es ihm mit Interessen wieder einbrächte! Wie weit wird der Briefe eines Verstorbenen. II. 20 march of intellect auf dem Continent noch wandern müssen, ehe die Postillone des Fürsten von Turn und Taxis und die Eilwagenfu̇hrer des Herrn von Nagler dergleichen Wetten mit den Reisenden unter- nehmen kȯnnen . Einige Stunden von Windsor kamen wir durch eine in England seltene Gegend, die blos aus Sand und Kiefern besteht. Hier hat man ein prachtvolles Palais mit Park und Gärten erbaut, die neue Mi- litair-Schule, welche mit allem Luxus einer fürstli- chen Besitzung ausgestattet ist. Die Kiefern erschie- nen mir heimathlich, der Pallast nicht. Während ich noch mit den ersten liebäugelte, car à toute âme bien née la patrie est chère, erblickten wir einen altersgrauen Fuchs, der mit nachschleppender Ruthe, über das Haidekraut hergallopirt kam. Der wettlu- stige Kutscher sah ihn zuerst, und schrie: „By God a fox, a fox!“ It’s a dog, behauptete ein Anderer. „I bet You five ponuds to four, it is a fox!“ erwiederte der Rossebändiger. „Done!“ rief der Zweifler, und mußte gleich darauf zahlen, denn es war wirklich ein nicht mehr zu bezweifelnder Fuchs, wiewohl von seltner Größe. Jetzt erschienen meh- rere verlaufene Jagdhunde, die die Spur verloren hatten, und auch einzelne Rothröcke wurden in dem Kieferdickicht sichtbar. Alles schrie ihnen von der Mail zu, wohin der Fuchs gelaufen, ohne es ihnen jedoch verständlich machen zu können. Die Zeit der Mail ist streng gemessen, und jeder unnöthige Auf- enthalt verpönt, aber hier war ein nationales Un- glück im Spiel — denn die meute und Jäger hat- ten den Fuchs verloren! Der Kutscher hielt an, und Mehrere sprangen herab, dem Troß, der nun sich mit jedem Augenblick vermehrte, den rechten Weg zu zeigen. Nicht eher wurden wir wieder flott, bis wir von Neuem die Jagd in vollem Gange sahen, wozu wir die Hüte schwenkten und „Tallyho!“ rie- fen. Sobald unser Gewissen hiernach gänzlich be- ruhigt war, und der Fuchs in der Plaine seinem unvermeidlichen Schicksal überliefert, peitschte der Kutscher in die Pferde, die Versäumniß nachzuholen, und den Rest des Weges jagten wir im sausenden Gallop davon, als wenn der wilde Jäger selbst hin- ter uns wäre. Aber 12 Uhr hat’s geschlagen und bald hätte ich vergessen, nach guter alter Sitte, Dir zu gratuli- ren — denn Ein neues Jahr beginnt, Schon Sand auf Sandkorn rinnt! Wird’s Glück bedeuten, Oder Unheil bereiten? Im wachenden Traume erscheint mir das Bild meines räthselvollen Lebens — Die Wolken zieh’n, die Stürme sausen, Der Donner rollt, die Fluthen brausen, Gefahrvoll ist das Schiff zu schauen, Wer mag dem falschen Meere trauen! 20* Doch hinter jenem schwarzen Schleier Erhellt die Nacht ein goldner Blick — Ist es der Mond in sanfter Feier, Oder der Sonne Abschiedsblick? Dover den 1 sten Januar. Der Bock der Mail ist mein Thron geworden, von dem ich auch zuweilen regiere, und die Zügel vier ra- scher Rosse sehr gut zu führen weiß. Stolz über- schaue ich dann das Land, flüchtig eile ich vor- wärts, (was nicht alle Regierer von sich rühmen können) und dennoch wünsche ich mir manchmal Flü- gel — nur um noch schneller bei Dir zu seyn. In London that ich den ganzen Morgen nichts als, Deinem Befehl gemäß, eine würdige Gema- lin — für Francis aufzusuchen, aber die ächten Blenheim-Spaniels sind verzweifelt rar. Was ich auch sah, es paßte nicht. — Entweder waren die Ohren zu lang, oder zu kurz; die Beine zu krumm, oder zu auswärts; das Fell zu bunt, oder nicht reich genug gefleckt; der Humor zu bissig, oder zu schläfrig — kurzum, ich mußte bald von der unnützen Jagd abstehen. Als ich in Canterbury ankam, flaggten alle Thürme zum Neujahrstage, ich aber feierte ihn noch herrli- cher in der stolzesten und schönsten aller englischen Cathedralen. Dieser romantische Bau, der von den Sachsen angefangen, von den Normanen fortgesetzt, und neuerlich mit Verstand restaurirt worden ist, bildet eigentlich drei ganz verschiedene, aber zusam- menhängende Kirchen, mit vielen unregelmäßigen Seiten-Kapellen und Treppen, auf und niederstei- gendem schwarz und weiß gegatterten Steinboden, und einem Wald von Pfeilern darauf, in harmoni- scher Verwirrung. Auch die gelbliche Farbe des Sandsteins wirkt sehr vortheilhaft, besonders in dem normännischen Theil der Kirche, wo er mit schwar- zen Marmorsäulen abwechselt. Hier liegt das Bild in Erz des schwarzen Prinzen auf seinem Stein- Sarkophage. Ueber ihm hängt sein halb vermoder- ter Handschuh, nebst dem Schwerdte und Schild von Poitiers. Eine Menge andrer Monumente zieren außerdem die Kirche, unter andern das Heinrich des IV. und des Thomas a Becket, welcher in einer der Seitenkapellen ermordet ward. Ein großer Theil der alten bunten Fenster ist erhalten, und von unge- meiner Schönheit der Farben. Einige bieten bloße Muster und Arabesken, gleich durchsichtigen Sammt- tapeten, dar, andere scheinen, wie Juwelierarbeit, aus Edelsteinen aller Farben zusammengesetzt. Hi- storische Gemälde stellen nur wenige dar. Was die- sem grandiosen Dom einen besondern Vorzug vor den übrigen in England giebt, ist, daß hier der stö- rende Schirm in der Mitte nicht existirt, und man die ganze Ausdehnung des Schiffes von 4 — 500 Schritt Länge mit einem Blicke übersieht. Die Or- gel ist in einer der obern Galleriebögen versteckt an- gebracht, und macht von da aus, wenn sie ertönt, einen zauberischen Effect. Ich traf es so glu̇cklich , daß, eben als ich gehen wollte, schon halb im Dunkeln, die Sänger und Musiker eine Uebungsstunde hielten, und ihre schönen unsichtbaren Himmels-Chöre zu glei- cher Zeit den Dom erfüllten, als die letzten Sonnen- stralen im Saphir-Blau und Rubin-Roth der Fen- ster erglühten. Der Erzbischoff von Canterbury ist Primat von England und der einzige Unterthan, in Großbritannien, der, außer dem Königlichen Blut, die Fürstenwürde hat, jedoch nur in seinem Erzbi- schoffs-Sitz, nicht in London, so viel ich weiß. Die- ser protestantische Geistliche hat 60,000 Pf. St. Re- venüen, und darf heirathen. Weiter wüßte ich eben nichts, was ihn von den katholischen Kirchenfürsten unterschiede. Calais den 2 ten. Endlich sehe ich mich wieder in dem geliebten Frankreich! So wenig vortheilhaft auch der erste Contrast auffällt, doch begrüßte ich, fast mit dem Gefühl eines aus langer Gefangenschaft Zurückge- kehrten, den halb heimischen Boden, die reinere Luft, die ungezwungenere, freundlichere, vertraulichere Sitte. Um 5 Uhr waren wir schon in Dover geweckt wor- den, und hatten in völliger Dunkelheit das Packet- boot erklettert. Wir wandelten bereits eine halbe Stunde darin auf und ab, ohne daß man Miene zum Absegeln machte. Mit einemmal verbreitete sich das Gerücht, der Boiler (Dampfkessel) sey schadhaft geworden. Die Furchtsamsten retteten sich sogleich auf den Quai, die Uebrigen schrieen nach dem Ca- pitain, dieser war aber nirgends zu finden; endlich schickte er jemand, der uns ankündigte, man könne ohne Gefahr nicht segeln, und die Sachen würden auf einen französischen Steamer gebracht werden, der um 8 Uhr abginge. Ich benutzte daher diesen Zwischenraum, um die Sonne von dem Fort auf- gehen zu sehen, das die hohen Kalkfelsen über der Stadt krönt. Die Engländer, welche Geld genug besitzen, um jeden nützlichen Plan auszuführen, ha- ben, statt eines äußern Weges, ein Tunnel durch den Felsen gesprengt, der eine Art Trichter bildet, in welchem zwei Wendeltreppen 240 Fuß hoch hin- aufführen. Der Anblick von oben ist höchst pittoresk, und die Sonne stieg über die weite Aussicht, fast wolkenlos, aus dem Meer empor. Ich hätte indeß über die Extase, der ich mich überließ, bald die Ab- fahrt des Schiffes versäumt, das würklich grade mit dem Moment meiner Ankunft absegelte. In 2 ½ Stunde warf uns der heftige Wind binüber. Dies- mal war die Seekrankheit zu ertragen, und ein vor- treffliches Din é , wie es kein englischer Gasthof bie- tet, restaurirte mich in Calais vollkommen. Dies Ho- tel (Bourbon) ist aber auch, was die Küche betrifft, eins der besten Frankreichs. Als wir die, überall gehässigen, Paß- und Polizei- Geschäfte beseitigt hatten, und dem Innern der Stadt zueilten, war ich Zeuge einer lȧcherlichen Scene, die mich gleich, in medias res, nach Frank- reich versetzte. (Verzeih. die naturalia, weil sie non sunt turpia, was Dir der Superintendent übersetzen wird.) Also mein Begleiter, ein Engländer, trat, aus einer leicht zu errathenden Ursache, in einen nichts weniger als reinlichen Seitenhof. Kaum war er indeß dort geschȧftig , als eine sehr gut gekleidete junge Dame aus der Thüre sprang, und anstatt, wie eine Engländerin in gleichem Fall gethan haben würde, erschrocken und mit vor dem Gesicht gehalt- nen Händen eine schnelle Flucht zu ergreifen, sogleich der Gefahr in die Augen sah, höchst erzürnt auf den Eindringling losging, und ihm mit der eigenthüm- lichen französischen Volubilität zurief: Comment Mon- sieur, quelle insolence de p. … dans notre mai- son! Est ce que la rûe n’est pas assez grande pour cela? Vous êtes un grand poliçon! Maman, Maman, voilà un Monsier qui p . . . . . dans notre maison! Der Zorn der kleinen Virago, und die Con- fusion des bestürzten Engländers waren malerisch, erreichten aber den höchsten Grad, als nun auch die herbeigerufene Maman, eine würdige Marrone, er- schien, sich ebenfalls vor den Unglücklichen hinstellte, die Arme übereinander schlug, ihn, ohne sich an den Zustand seiner Toilette zu kehren, von oben bis un- ten mit durchdringenden Blicken maß, und dann mit bedächtiger und ernster Miene ironisch fragte: Eh bien Monsieur, est ce que vous ne finirez point? — Monsieur, permettez moi de vous dire qu’on ne p . . pas ainsi chez les personnes, on p . . . . dans la rûe Monsieur. „Vraiment, je crois, qu’il se mo- que de nous Maman — unterbrach sie die Tochter jetzt halb weinend, l’insolent il ne bouge pas . — Was weiter daraus geworden ist, weiß ich nicht, denn ich überließ, von Herzen lachend, den die beiden Damen noch immer anstierenden Engländer seinem Schicksal, und Jene den jetzt schwierig hergestammel- ten Entschuldigungen des verblüfften Sünders. Den 3 ten. Der erste Morgen-Spaziergang in Frankreich be- hagte mir köstlich. Dieser permanente Sonnenschein, der klare Himmel, den ich lange nicht mehr gesehen, und endlich wieder eine Stadt, deren Häuser und Dächer man von keinem Nebel und Kohlenrauch ge- trübt, klar in der Luft sich abschneiden sehen konnte. — Alles wurde von mir wahrhaft angestaunt. Ich fühlte mich wieder zu Haus, und wandelte jetzt nach dem Hafen, um den letzten Abschied vom Meere zu nehmen. Da lags vor mir, spiegelglatt und blau, endlos überall, außer an der englischen Küste, deren Daseyn ein schwarzes Wolken-Gebürge, (wahrschein- lich die compact gewordnen Nebel jener Insel) ver- rieth. Ich folgte der jettée (einer Art Holzdamm) die wohl eine Viertelstunde in die See hineinführt, und fand mich am Ende derselben bald ganz allein, nichts Lebendes mehr erblickend, als einen Wasser- vogel, der mit Blitzesschnelle vor mir in der Silber- fluth umherschwamm, oft plötzlich untertauchte und dann, erst nach Minuten, an einer weit entferntern Stelle wieder zum Vorschein kam. Dies Spiel setzte er lange fort, und so gewandt und lustig war das Thier dabei, daß man hätte glauben sollen, es wolle mir absichtlich alle seine Künste vormachen. Ich war schon im Begriff, allerhand Phantasieen an dies Schauspiel zu knüpfen — da hörte ich aber die Tritte und das Gespräch einer englischen Familie hinter mir, und schnell entflohen wir beide, der Vogel und ich. Auf dem Stadtwall begegnete ich einem franzö- sischen Hausmädchen mit zwei wunderhübschen eng- lischen Kindern, sehr elegant in Coquelicot Cache- mire und weiß gekleidet. Die Kleinste hatte sich fest an einen Baum geklammert, und refüsirte, mit eng- lischer Freiheitsliebe, auf das bestimmteste, zu Hause zu gehen. Die arme Französin radebrechte umsonst alle englische Schmeicheleien und Drohungen, deren sie nur habhaft werden konnte, alles blieb vergebens: Mon darling come allons, rief sie wehmüthig. I won’t — war die lakonische Antwort. Der kleine Trotzkopf interessirte mich so sehr, daß ich gefällig mich selbst zum Baume begab, um ebenfalls mein Heil bei ihr zu versuchen. Es gelang mir auch bes- ser, denn nach einigen englischen Späßen folgte sie mir glücklich, und ich führte sie triumphirend der Bonne zu. Als ich mich aber nun selbst entfernen wollte, packte mich der kleine Dämon mit allen Kräf- ten beim Rock, und sagte laut lachend: No, no, You shant go now. You forced me arvay from the tree, and I’ll force You to remain with us. Und ich kam wirklich nicht eher fort, immer streng festgehalten, bis wir unter Schäckern und Streiten beim Hause der Eltern angelangt waren. Now I have done with You, schrie die Kleine, indem sie mich los ließ, und jubelnd ins Haus rannte. O You little flirt! rief ich ihr nach — an Dir wird die französische Erziehung auch wenig Früchte bringen. In die Stadt zurückgekehrt, besuchte ich den be- rühmten Br. . . . . Ich sehe, Du schlägst verge- bens den Dictionnaire historique und des Contem- porains auf, und kannst diesen berühmten Namen nicht finden. Hat er sich in der Revolution, oder einer Contre-Revolution ausgezeichnet, ist es ein Krieger, ein Staatsmann? Vous n’y êtes pas . — Er ist viel mehr und viel weniger, wie man es an- sehen will. — Mit einem Wort, es ist einer der berühm- testen, und seiner Zeit mächtigsten Dandees, die Lon- don je gekannt. Br. . . . . beherrschte einst durch den Schnitt seines Rockes eine ganze Generation, und lederne Beinkleider kamen außer Gebrauch, weil ein Jeder verzweifelte, sie in der Vollkommenheit der seinigen nachahmen zu können. Als er aber aus wichtigen Gründen endlich Großbritannien den Rücken kehrte, hinterließ er seinem Vaterlande noch, als letztes Geschenk, das unsterbliche Geheimniß der mit Stärke gesteiften Halsbinden, dessen Unergründ- lichkeit vorher die Elegants der Hauptstadt so ge- quält batte, daß, nach der litterary gazette, zwei davon aus Verzweiflung wirklich selbst Hand an sich gelegt haben sollen, und ein junger Herzog vor Kummer darüber an einem „broken heart“ jämmer- lich verstarb. Der Anfang dieser Krankheit war je- doch schon früher bei ihm dadurch gelegt worden, daß er, bei einer feierlichen Gelegenheit Br. . . . . schüch- tern um sein Urtheil über den eben anhabenden Rock gebeten; dieser aber, ihn nur flüchtig anblickend, mit Verwunderung gefragt hatte: Do You call this thing a coat? (Nennt Ihr das Ding einen Rock?) Sein Ehrgefühl blieb hierdurch unwiederbringlich verletzt. Obgleich nun heut zu Tage es die Kleidung nicht mehr ist, womit man in London den Ton angiebt, so ist doch nur das Vehikel, die Sache selbst aber keineswegs geändert. Den Einfluß, welchen Br. . . ., ohne Vermögen und Geburt, ohne eine schöne Gestalt, oder hervorstechenden Geist, blos durch eine edle Dreistigkeit, einige drollige Originalität, Lust an der Geselligkeit und Talent im Anzug, in Lon- don viele Jahre lang auszuüben wußte, giebt noch immer einen vortrefflichen Maaßstab für das Wesen jener Gesellschaft, und da ich Dir in meinen vorigen Briefen Diejenigen hinlȧnglich geschildert habe, welche jetzt (wiewohl mit weit geringerer Machtvollkommen- heit) Br. . . . . ’s Stelle einnehmen, so wirst Du vielleicht mit mir einverstanden seyn, daß er dersel- ben immer noch mit mehr Genialität sowohl, als größerer Unschuld der Sitten vorstand. Es war eine freiere, mehr ein originelles und zugleich harmlose- res Ganze bildende Thorheit, die sich zu der jetzigen ohngefähr so verhält, wie die Komik und Moralität in Holberg’s Lustspielen zu denen des Kotzebue. Der Gewalt der Mode kann man es freilich nur zuschreiben, wenn man es witzig fand, daß Br. … einem Landjunker, der ihn fragte: Do Yon like green peas? antwortete: I once eat one . Ergötz- licher aber sind seine Streitigkeiten mit dem Prinzen von W . . . . ., dem er, zuerst von ihm in die Mode eingeführt, nachher den Scepter derselben aus der Hand wand, und sogar später seinen Vorsatz: to cut the Prince , mit großem Erfolg ausführte. Lange hatte sich Br. . . . der höchsten Gunst dieser erlauchten Person erfreut, behandelte sie aber zuletzt mit so wenig égard, daß dadurch ein Bruch herbei- geführt wurde. Eines Tags nämlich vergaß er sich so weit, dem Prinzen nach Tisch zuzurufen: Pray G . . . ., will Yon ring the bell for me! (Bitte G . . . . klingeln!) der Prinz von dem indiscreten Lachen der Gesellschaft , wie der impertinenten Familiarität des Avanturier’s tief beleidigt, stand ge- lassen auf und klingelte — als aber der Diener her- eintrat, sagte er, mit den Fingern auf Br. . . . . . weisend: This person want’s his carriage ( diese Person verlangt ihren Wagen). Br. . . . . verlor die Fassung nicht, sondern erwiederte lachend: Capi- tal G … y! (Bravo kleiner G . . . .!) aber bei Gott, ich vergaß ganz, daß die schöne Herzogin auf mich wartet! Ich mache also aus Spaß Ernst und verlasse Euch. So good bye to Y. R. H. Von die- sem Augenblick sah ihn der Prinz nicht mehr in sei- nem Hause. Dies that jedoch ihm selbst in der fashionablen Welt der damaligen Zeit beinahe mehr Schaden als Br. . . . ., der die Sache zu tourniren wußte, als habe er mit dem Prinzen gebrochen. Er pflegte zu seinen intimen Freunden zu sagen: That fellow has first ruined me in Champain, won my money afterwards, and now he think’s he can cut me! (Der Bursche hat mich erst in Champagner rui- nirt, mir dann mein Geld im Spiel abgewonnen, und nun denkt er, er kann thun als kenne er mich nicht.) Einige Tage darauf wollte es der Zufall, daß Br. … dem Prinzen mit einigen berühmten Mode- herrn in New Bondstreet begegnete. Dieser that als wenn er ihn nicht sȧhe , Br. … aber näherte sich, mit aller ihm eignen aisance und effronterie, dem Obristen P … einem der Gesellschaft, und zugleich einem der damaligen Coryphäen der eleganten Welt und indem er ihm mit jener impertinenten Herab- lassung, in der er Meister war, die Hand geschüttelt, ergriff er sein quizzing glass, und den Prinzen da- mit fixirend, flüsterte er dem Obristen allgemein ver- ständlich zu: Who the devil, Colonel, is Your fat old friend, You were just talking to? (Wer Teu- fel, Obrister ist Euer alter fetter Freund dort, mit dem Ihr eben spracht?) Hiermit ließ er die conster- nirte Gesellschaft stehen, bestieg sein Pferd, und ritt lachend davon. Diese Anekdoten wurden mir aus ganz authentischer Quelle von einem Augenzeugen mitgetheilt, weniger gewiß weiß ich, ob es wahr ist, daß früher, wie man erzählt, bei einem diner, wo man schon über das Maaß getrunken hatte, der Prinz auf eine sarkastische Bemerkung den neben ihm sitzenden Br., diesem, im halben Rausche, ein Glas Wein ins Gesicht goß. Br., der solches an der Per- son des Prinzen nicht erwiedern konnte, ergriff so- gleich mit großer Geistesgegenwart sein eignes Glas, und es dem andern Nachbar über den Rock schüt- tend, rief er mit Laune: der Prinz hat befohlen, daß es links weiter gehen soll! Noch lange fuhr Br. . . . . nachher fort, in Lon- don zu regieren, und seinen hohen Antagonisten zu verdunkeln, ja in dieser selben Zeit war es, wo sein Genie den höchsten Flug nahm, und er, um dem Prinzen, der dafür berühmt war, sein Halstuch in einen unnachahmlichen Knoten zu knüpfen, den em- pfindlichsten Stoß zu versetzen — den Gebrauch der Stärke und Hausenblasen für die Cravatten erfand. Von diesem memorablen Augenblick an war Br. . . .’s Sieg entschieden, und Jahre lang marterten sich, wie schon erwähnt, die Dandees vergeblich ab, die Halsbinde wie er zu tragen. Endlich vollbrachte das Spiel, was dem Prinzen mißglückt war, nämlich Br. . . . . aus der exclusiven Gesellschaft zu ver- drängen. Br. . . . . verlor Hab und Gut, und mußte flüchten — auf seinem Schreibtisch aber hin- terließ er dem Vaterland ein versiegeltes Paket. Als man es aufmachte, fand man nichts als fol- gende, mit großen Buchstaben geschriebene, Worte darin: My friends! starch is the thing . — (Freunde! Stärke ist das Ding. —) Und wie große Männer in ihren Werken noch fort- leben, wenn sie selbst auch längst verschollen sind, so bleibt auch Br . . . . . ’s Stärke noch immer am Halse jedes fashionable sichtbar, und verkündet sei- nen hohen Genius. Er selbst aber lebt seitdem in Calais, wohin seiner Gläubiger Autorität nicht reicht, und jeder Zugvogel aus der großen Welt, der seinen Weg hier durch nimmt, trägt dem ehemaligen Pa- triarchen den Tribut einer Visite, oder der Einla- dung zu einem Din é pflichtschuldigst ab. Dies that auch ich, wiewohl unter einem angenom- menen Namen. Leider war mir hinsichtlich des Din é ’s schon ein andrer Fremder zuvorgekommen, und ich kann daher nicht einmal davon urtheilen, wie ein coat eigentlich aussehen müsse, oder ob der lange Aufenthalt in Calais, nebst dem herannahen- den Alter, den Anzug des ehemaligen Königs der Mode weniger classisch gemacht haben — denn ich fand ihn bei meinem Besuch noch bei der zweiten Toilette (drei sind deren früh nöthig) im geblümten Schlafrocke, einer Samtmütze mit Goldquasten auf dem Kopf, und türkischen Pantoffeln an den Füßen, sich selbst rasirend, und nachher, mit den beliebten rothen Wurzelstückchen, sorgfältig die Reste seiner Zȧhne putzend. Das Ameublement um ihn her war ziemlich elegant, ja zum Theil noch ganz reich zu nennen, wiewohl bedeutend fanirt, und ich kann nicht läugnen, sein ganzes Benehmen schien mir da- mit übereinzustimmen. Obgleich gedrückt von seiner jetzigen Lage, zeigte er indeß noch immer einen ziem- lichen Fond von Humor und Gutmüthigkeit. Sein Benehmen war das der guten Gesellschaft, einfach und natürlich, und von größerer Urbanität als die jetzigen Dandees aufzuweisen im Stande sind. Lä- chelnd zeigte er mir seine Pariser Perücke, die er sehr auf Kosten der englischen rühmte, und nannte sich selbst: le cidevant jeune homme, qui passe sa vie entre Paris et Londres . Er schien hinsichtlich meiner etwas neugierig, frug mich über gesellschaft- liche Verhältnisse in London aus, ohne jedoch die gute Lebensart durch irgend eine Art von Zudring- lichkeit irgend zu verläugnen, und ließ es sich dann sichtlich angelegen seyn, mich zu überzeugen, daß er noch immer von allem, was in der englischen Mode- Briefe eines Verstorbenen. II. 21 welt wie der Politischen vorginge, sehr wohl unter- richtet sey. „Je suis au fait de tout, rief er, mais à quoi cela me sertil? On me laisse mourir de faim ici. — J’espêre pourtant que mon aucien Ami, le Duc de W., enverra un beau jour le Consul d’ici à la Chine, et qu’ ensuite il me nommera à sa place. Alors je suis sauvé . . . . .“ und wirk- lich die englische Nation sollte billig etwas für den thun, der die gestärkten Halsbinden erfand! Wie manche sah ich in London, mit schwer wiegenden Sinecuren, die weit weniger für ihr Vaterland gethan haben. — Als ich Abschied nahm und die Treppe hinunter ging, rief er mir noch, die Thüre öffnend, nach, „J’espêre que vous trouverez votre chemin, mon Suisse n’est pas là, je crains.“ — Helas ! dachte ich, point d’argent, point de Suisse . — Um Dich nicht zu lange ohne Nachricht zu lassen, sende ich diesen Brief von hier ab. Vielleicht folge ich ihm bald selbst. Jedenfalls will ich mich jedoch vierzehn Tage in Paris aufhalten, und auch dort alle Deine Aufträge besorgen. Gedenke mein indessen stets mit der alten Liebe. Dein treuer L . . . . Sieben und vierzigster Brief. Paris, den 5 ten Januar 1829. Meine theure, geliebte Freundin! Ich konnte Dir gestern nicht schreiben, da die Di- ligence von Calais bis Paris zwei Tage und eine Nacht braucht, und sich alle zwölf Stunden nur eine halbe zum Essen aufhält. Die Fahrt ist nicht die angenehmste. Etwas todt, etwas elend und schmutzig kommt Einem allerdings das ganze Land, wie auch die Hauptstadt, gegen den wogenden Wirrwarr, den Glanz und die Nettigkeit Englands vor. Der Con- trast ist, in so geringer Entfernung, doppelt auffal- lend. Wenn man auf der Reise die groteske Ma- schine betrachtet, in der man sitzt, die schlecht geschirr- ten Karrengäule, von denen man langsam fortge- schleppt wird, und sich der zierlich leichten Kutschen, der schönen, mit blankem Messing und Glanzleder- 21* Geschirr geschmückten Postzüge der englischen Eilwa- gen erinnert, so denkt man, im Traume 1000 Meilen weiter versetzt worden zu seyn. Die schlechten Stra- ßen, dürftigen und unreinlichen Städte erwecken das- selbe Gefühl, dagegen sind vier Dinge dennoch im Volksleben offenbar besser: Clima, Küche und Keller, Wohlfeilheit und Geselligkeit. Mais commencons par le commencement . Nachdem ich meinen Incognitopaß gegen einen gleichen provisorischen, und nur bis Paris gültigen, auf der Mairie umgetauscht, wobei ich, auf Befragen wie ich hieße, mich meines neuen Namens beinahe nicht erinnert hätte, näherte ich mich dem wunderba- ren Bau, den man in Frankreich eine Diligence nennt. Das Ungethüm hatte die Länge eines Hau- ses, und bestand eigentlich aus vier verschiedenen, wie an einander gewachsenen Wagen, die Berline in der Mitte, eine Kutsche nebst Gepäckkorb hinten, ein Coup é vorn, und an diesem noch das Cabriolet, wo der Conducteur sitzt, und neben welchem auch ich meinen Platz genommen hatte. Dieser Conducteur, ein alter Soldat der Napoleonischen Garde, war, wie ein Kärrner, in eine blaue Blouze gekleidet, mit ei- ner gestickten Mütze aus demselben Zeuge auf dem Kopf, der Postillon sah aber noch origineller aus, und wirklich halb einem Wilden ähnlich. Auch er trug zwar eine Blouze, mit ungeheuren, über und über mit Koth bespritzten Stiefeln darunter, aber zu- gleich auch eine Schürze von schwarzen Schaaffellen, die auf beiden Seiten über seine Schenkel herabhing. Er dirigirte allein 6 Pferde zu 3 und 3 gespannt, und diese zogen ohngefähr 6000 Pfund Bagage, auf einer sehr schlecht unterhaltnen Chauss é e. Die ganze Straße von Calais nach Paris ist überhaupt eine der traurigsten und uninteressantesten, die man sehen kann. Ich würde also meine meiste Zeit mit Lesen zugebracht haben, wenn mich nicht die Unterhaltung des Conducteurs noch besser schadlos gehalten hätte. Seine und der Garden Heldenthaten gaben ihm ein unerschöpfliches Thema, und unbedenklich versicherte er: que les trente mille hommes, dont il faisait partie dans le tems, wie er sich ausdrückte, auraient été plus que suffisans pour conquérir toutes les nations de la terre, et que les autres, n’avaient fait que gâter l’affaire . Er seufzte jedesmal, wenn er seines Empereur gedachte. „Mais c’est sa faute,“ rief er, ah s. d. il serait encore empereur si, dans les ceut jours, il avait seulement voulû employer de jeunes gens, qui desiraient faire for- tune , au lieu de ces vieux Maréchaux qui etaient trop riches, et qui avaient tous peur de leurs fem- mes. N’etaient ils pas tous gros et gras comme des monstres? ah . . . . . parlez moi d’un jeune Co- lonel, comme nous en avions! C lui là vous aurait flanqué ça de la jolie manière. — Mais apres tout, l’Empereur aurait dû se faire tuer à Waterloo, comme notre Colonel. Eh bien Monsieur, ce brave Colonel avait recû trois coups de feu, un à la jambe et deux dans le corps, et pourtant il nous menait encore à l’attaque, porté par deux grena- diers. Mais quand tout fût en vain, et tout fini pour nous — Camerades, dit il: Jai fait à que j’ai pù, mais nous voilà . . . . . . Je ne puis plus rendre service à l’Empereur, à quoi bon de vivre plus long tems? Adieu donc mes Camerades — vive l’Empereur! et le voilà qu’il tire son pistolet, et le décharge dans sa bouche. C’est ainsi, ma foi, que l’Empereur aurait dû finir aussi.“ Hier wurden wir durch ein hübsches Mädchen un- terbrochen, die aus einem unansehnlichen Hause an den Wagen sprang, und nach uns herauf rief (denn wir saßen wenigstens 8 Ellen vom Boden): Ah ça Monsieur le Conducteur! oubliez vous les Crai- pes?“ Oho! es tu là mon enfant? . . . . und schnell kletterte er die gewohnte, sonst halsbrechende, Hüh- nersteige hinab, ließ den Postillon halten und ver- schwand im Hause. Nach wenigen Minuten kam er indeß schon wieder mit einem Packet heraus, ließ sich neben mir behaglich niederfallen, und entfaltete eine reichliche Quantität noch heiß dampfender deut- scher Plinzen, ein Gericht das er, wie er mir er- zählte, in Deutschland kennen gelernt und so lieb ge- wonnen habe, daß er es in sein Vaterland einge- führt. Man sieht also, daß Eroberungen doch auch zu etwas gut sind. Mit französischer Artigkeit bot er mir sogleich an, sein gouté, wie er es nannte, zu theilen, und schon aus Vaterlandsliebe nahm ich es mit Vergnügen an, mußte auch gestehen, daß kein Pächter oder Bauer in Deutschland seine National- Speise besser zubereiten könne. Wir verzehrten sie auf Napoleons Wohl, wo er auch seyn möge! Viel Noth verursachte dem sonst sehr kräftigen Manne eine sonderbare Maschine, die sich, ohngefähr in der Form einer Plumpe, neben seinem Sitze be- fand, und mit der er sich ewig zu schaffen machte, bald aus Leibeskräften daran pumpend, sie richtend, schraubend, oder vor- und rückwärts drehend. Auf meine Frage erfuhr ich, dieß sey eine ganz vortreff- liche neu erfundene Maschinerie, welche dazu diene, die Diligence-Arche beim Herabfahren ohne Hemm- schuh zu retardiren, und bergauf ihren Lauf zu be- schleunigen. Der Conducteur war äußerst stolz auf diese Vorrichtung, nannte sie nie anders als sa me- canique, und behandelte sie mit eben so viel Liebe als Wichtigkeit. Unglücklicherweise brach jedoch die- ses Wunderwerk schon am ersten Tage entzwei, und da wir uns deshalb noch langsamer fortschleppten als bisher, mußte der arme Krieger von den Passa- gieren viel Neckereien wegen seiner schadhaften me- canique ausstehen, so wie über den Namen seines unermeßlichen Wagens, der l’Hirondelle hieß, und freilich diese Benennung nur der bittersten Ironie zu verdanken schien. Es war sehr drollig, bei jedem neuen Relais den armen Teufel zu hören, wie er den Postillon regel- mäßig von dem geschehenen Unglück avertirte, wel- ches mit wenig Abänderung stets folgenden Dialog hervorbrachte: „Mon enfant, il faut que tu saches que je n’ai plus de mécanique.“ Comment s . . d . . plus de mécanique? „Ma mécanique fait encore un peu, vois tû-mais c’est bien peu de chose, le principal brancheron est au diable.“ „Ah diable!“ Man konnte nicht schlechter sitzen, nicht unbeque- mer und langsamer fortkommen, als ich hier in mei- nem himmelhohen Cabriolet; überhaupt war es nun schon eine geraume Zeit, daß ich der meisten gewohn- ten Bequemlichkeiten entbehrte. Demohngeachtet war nie, weder meine Stimmung noch meine Gesundheit, besser als auf dieser ganzen Reise. Ich bin ununter- brochen heiter und zufrieden gewesen, weil ich immer ganz frei war. O großes Gut der Freiheit! Dich schȧtzen wir noch lange nicht genug! Wenn sich jeder Mensch nur recht deutlich machen wollte, was er grade mit seiner Individualität eigentlich zum Glück und zur Zufriedenheit braucht, und nun unbedingt das wȧhlte , was diesem Zweck am meisten entspräche, das andere aber herzhaft wegwürfe (denn Alles kann man doch einmal auf der Welt nicht zusammen ha- ben) wieviel Mißgriffe würden erspart, wie viel klein- licher Ehrgeiz beseitigt, wie viel wahrer Frohsinn be- fördert werden! Alle würden ein großes Uebermaß von Wohlseyn im Leben finden, statt bis ans Grab sich mit Unlust und Unzufriedenheit zu quälen. — Ich will Dich mit keinen ferneren Details unsrer so wenig interessanten Reise ermüden. Sie glich dem Melodram „ein Uhr“, und war eben so langweilig, denn nachdem wir früh Calais verlassen, machten wir um ein Uhr Halt zum Essen, um ein Uhr in der Nacht soupirten wir; den andern Tag ward eben- falls Frühstück und Din é um ein Uhr in Beauvais vereinigt, wo uns ein hübsches Mädchen, die servirte, und ein Freund Bolivar’s der uns viel von der Un- eigennützigkeit des Befreiers erzählte, die schnelle Ab- reise regrettiren machten — und wiederum um ein Uhr in der Nacht hatten wir endlich auf der Douane in Paris um unsre Sachen zu kȧmpfen . Mein Be- dienter lud dann die meinigen auf eine Charette, die ein Mensch vor uns herzog, und uns zugleich durch die dunkeln und schmutzigen Straßen den Weg nach dem H ô tel St. Maurice zeigte, wo ich jetzt in einer kleinen Stube schreibe, die ich mir bescheiden gewählt, und wo der kalte Wind durch alle Thüren und Fen- ster saust, so daß das lodernde Kaminfeuer mich nur auf einer Seite erwärmen kann. Die seidnen Tape- ten, so wie der sie bedeckende Schmutz, die vielen Spiegel und die großen Holzstücken am Kamin auf- geschichtet, so wie das Ziegel-Parquet — alles erin- nert mich lebhaft, daß ich in Frankreich, und nicht mehr in England bin. Ein Paar Tage will ich mich hier ausruhen und meine Empletten machen, dann eile ich in Deine Arme, ohne wo möglich hier auch nur einen Be- kannten zu sehen, car cela m’entrainerait trop . Er- warte daher auch nichts Neues von mir über das alte Paris zu hören. Ein Paar detachirte Tagebuch- Bemerkungen wird alles seyn, was ich Dir bieten kann. Den 6 ten. Um der heftigen Kälte einigermaßen zu begegnen, die ich von jeher in Frankreich und Italien wegen Mangels an Vorkehrungen dagegen am empfindlich- sten fand, mußte ich heut früh alle Spalten meines kleinen Logis mit Bourlets garniren lassen. Dann eilte ich hinaus, den gewöhnlichen ersten Spaziergang der Fremden, nach den Boulevards, Palais royal, Tuilerien ꝛc., denn ich war doch neugierig zu sehen, was sich seit sieben Jahren dort geändert haben möge. Auf den Boulevards fand ich Alles beim Alten, im Palais royal hat der Herzog von Orleans, dieser in jeder Hinsicht ausgezeichnete Prinz, ange- fangen, die schmäligen Holzgallerieen, und andere Winkel durch neue Steingebäude und einen eleganten Glasgang zu ersetzen, welches, wenn alles erst ganz fertig ist, gewiß dies Palais zu einem der ansehnlich- sten machen wird, wie es bereits eins der eigen- thümlichsten und auffallendsten ist, vielleicht schon der Seltenheit wegen, einen Königlichen Prinzen dasselbe Haus mit mehreren hundert F … Mädchen nebst eben so viel Krämern bewohnen, und von diesen, wie von Spiel und Boutiken, soviel Revenuen bezie- hen zu sehen, um mehr als seine menûs plaisirs, da- mit decken zu können. In England würde ein Edel- mann dergleichen sich in seinem Hause nicht als mög- lich denken können, wȧre es aber der Fall, so würde man wenigstens gewiß dafür sorgen, es reinlicher zu halten — denn man muß gestehen, die Götzen Venus und Merkur sind hier, bei allem Prunk des Ausge- hängten, gar schmutzig umgeben. Am Pallast der Tuilerien und der neben an lau- fenden Straße Rivoli waren ziemlich alle angefange- nen Bauwerke noch in demselben Zustande, wie sie Napoleon verlassen. In dieser Hinsicht hat Paris an der kaiserlichen Dynastie verloren, die es in zwanzig Jahren zu einer wahren Prachtstadt umgeschaffen ha- ben würde, welchem Luxus des Schönen, die Rein- lichkeit wohl auch endlich hätte folgen müssen. Auch auf dem place de Louis XV. stehen noch immer die Gerüste um die projektirte Statue, der Triumphbo- gen de l’étoile, wird, wie der Thurm zu Babel, ab- wechselnd aufgebaut und eingerissen, der temple de la victoire, jetzt unendlich passender für die siegende Kirche bestimmt, ist auch noch nicht fertig, und auf dem pont de Louis XVI. möchte man wünschen, daß nichts geschehen wäre, da die lächerlich theatralischen und, im Verhältniß zur Brücke, wenigstens doppelt zu großen Statuen, die man dort auf die Pfeiler postirt hat, welche sie eindrücken zu wollen scheinen, mehr schlechten Acteurs de province, als den fran- zösischen Helden gleichen, die sie darstellen sollen. Da Köche auch zu den französischen Helden gehö- ren, einmal wegen ihrer unübertroffnen Geschicklich- keit, zweitens auch wegen ihres Ehrgefühls (erinnere Dich nur an den Koch Peregrine Pickle’s, und Va- tel, der sich wegen nicht angekommner Fische erstach) so komme ich hier ganz natürlich auf die Pariser- Restaurateurs, die mir, wenn ich nach dem Beliebte- sten, den ich heute besuchte, urtheilen darf, etwas degenerirt scheinen. Ihre, schon sonst ziemlich langen Carten, haben sich zwar seitdem in elegant gebundne Bücher verwandelt, aber die Qualität der Gerichte und Weine hat in demselben Maße abgenommen. Ich eilte nach dieser traurigen Erfahrung zu dem ehemals berühmten Rocher de Cancale. Aber auch „Baleine“ ist ins Meer der Ewigkeit zurückgeschwom- men, und wer sich künftig auf den Cancalischen Fel- sen verläßt, hat auf Sand gebaut. Sic transit glo- ria mundi! Alles Lob mußte ich dagegen dem Theatre de Ma- dame spenden, wo ich meinen Abend zubrachte, Leon- tine Fay ist eine allerliebste Schauspielerin, und ein besseres ensemble kann nirgends gefunden werden. Da ich grade von England kam, so frappirte mich um so mehr die Natürlichkeit, mit der Leontine Fay, in Malvina, die in England erzogne Französin mei- sterhaft wiedergab, ohne daß durch diese Nüance dem übrigen Charakter der mindeste Abbruch geschah. In ihrem künstlerischen Spiel ist keine Copie der Made- moiselle Mars zu entdecken, und dennoch sieht man, auf andre Weise, ein eben so treues und zartes Na- turbild dargestellt. Das zweite Stück, eine Posse, wo ein provinzieller Onkel seine kleine Stadt, in der er eben zum Mitgliede eines Tugendvereins aufgenommen werden soll, schleunig verläßt, um sei- nen Neffen in Paris, über den er die beunruhigend- sten Nachrichten erhalten, von einer liederlichen Le- bensart zu couriren, statt dem aber, von dessen an- gestellten Freunden, selbst zu allen möglichen Leicht- fertigkeiten verführt wird, ward ebenfalls mit aller der komischen Laune und Gewandtheit dargestellt, die diese französischen Riens so anmuthig und amüsant in Paris, so leer und abgeschmackt in der deutschen Uebersetzung erscheinen lassen. Denn so albern es ei- gentlich ist, wenn, nachdem Mamsell Minette den al- ten Martin, gleich im Anfang des Stücks, durch ihre Coquetterieen dahin gebracht hat, ihr einen Kuß zu geben, und in dem Augenblick ihr Liebhaber, der Kellner, mit einem Schweinskopf hereintritt, dieser sprachlos stehen bleibt, und indem er ruft: N’y-a-t’il pas de quoi perdre la tête! die Schüssel mit dem Schweinskopf langsam aus den Händen gleiten läßt, so muß man doch sehr stoisch gesinnt seyn, um bei dem vortrefflich natürlichen Spiel nicht von Herzen mit zu lachen. Die Folge ist eben so ergötzlich Mar- tin, voller Schreck, auf einer solchen Avantüre ertappt worden seyn, tröstet sich am Ende damit, daß man ihn ja hier nicht kenne, und nimmt, in seinem em- barras, des dazu gekommenen Dorval’s Einladung zu einem dejeuner fogleich an, welches auch bald darauf auf dem Theater statt findet. Im Anfang bleibt Martin sehr mȧßig , die Trüffel und Delikates- sen tentiren ihn jedoch zuletzt, et puis, il faut abso- lument les arroser d’un peu de Champagne. Nach vielem Nöthigen entschließt er sich endlich, immer noch moralisirend, ein Glas à la vertû zu trinken. Helas! il n’y-a que le premier pas qui coute. Ein zweites Glas wird der piété getrunken, ein drittes der miséricorde, und ehe die Gäste aufstehen, hören wir Martin betrunken und jubelnd in den Toast ein- stimmen: Vivent les femmes et le vin! Spiel kömmt nun auch an die Reihe, er will sich jedoch nur zu einer Partie Piquet verstehen, wobei er einige drollige Couplets singt, die mit dem Refrain endigen: L’amour s’envole, mais le piquet dûre. Um es kurz zu machen, Martin wird vom Piquet zum écarté und endlich zum Hazard-Spiel verleitet, verliert eine große Summe, und erfährt zuletzt, pour le combler de confusion, daß er und sein Plan von Hause aus verrathen worden, und sein Neffe ihn geprüft habe, statt sich von ihm prüfen zu lassen, wobei er ihn aber leider viel zu leicht befunden. Er accordirt mit Freuden Alles was man will, pourvû qu’on lui garde le secret, und das Stück schließt, indem sein alter Freund mit Extrapost ankömmt, um ihm zu melden, daß Martin gestern, unter allgemeinem Hurrah, zum Präsidenten des Tugendbundes in seiner Vaterstadt erwählt worden sey. Den 7 ten. Ohngeachtet der bourlets und eines brennenden Scheiterhaufens im Kamin, fahre ich dennoch fort in meinem entresol recht empfindlich zu frieren. Dabei herrscht darin ein fortwährendes clair obscûr, so daß ich die Schriftzüge vor mir nur wie hinter einem Schleier sehe. Die kleinen Fenster und hohen gegen- über liegenden Hȧuser lassen es nicht anders zu, so daß ich um Verzeihung bitten muß, wenn ich noch unleserlicher als gewöhnlich schreibe. Du wirst übri- gens bemerkt haben, daß das, zu choquant theure, Porto in England auch mich gelehrt hat, sorgfältiger, und besonders enger, zu schreiben, so daß jetzt ein Schriftlavater aus meinen Briefen an Dich einen großen Theil meines Charakters studiren könnte, blos durch’s Ansehen, meine ich, ohne sie zu lesen. Es geht darin, wie im Leben selbst her, wo ebenfalls oft mit guten Vorsätzen der Verengung, i. e. Be- schränkung aller Art angefangen und eine Weile fort- gefahren wird, bald aber die Zeilen wieder unwill- kührlich weiter werden, und ehe man es sich versieht, die unmerklich wirkende Macht der Gewohnheit zur alten Latitude wieder zurückführte. Ich habe Dir schon gesagt, daß die Carten der Restaurateurs sich in Bücher verwandelt haben, von der Dicke eines Fingers, und reich in Maroquin und Gold eingebunden. Einem englischen Offizier, den ich heute im Caffée anglais fand, imponirte dies so sehr, daß er mehrmals vom erstaunten garçon, la charte, statt la carte verlangte, vielleicht in der Meinung, daß im liberalen Frankreich eine solche, auch für die Caffees, eingeführt worden sey. Obgleich die Fran- zosen selten auf die Sprachquiproquos der Fremden achten, so schien dieses Allarmwort doch nicht ohne ein Lächeln von Mehrern vernommen zu werden, ich aber dachte: wie gern würden Manche es umdrehen, und den Franzosen statt der Charte wieder Carten, — zum Spielen geben. Sehr überrascht wurde ich Abends in der franzö- sischen Oper, die ich noch als eine Art Tollhaus ver- lassen hatte, wo einige Rasende in Verzuckungen schrieen, als wenn sie am Spieße steckten — und jetzt dort süßen Gesang, die beste italienische Methode und schöne Stimmen mit sehr gutem Spiele verei- nigt fand. Rossini, der, wie ein zweiter Orpheus, die Oper also gezähmt, ist hierdurch der wahre Wohl- thäter musikalischer Ohren geworden, und Einheimische wie Fremde danken ihm gerührt ihr Heil. Ich ziehe dieses Schauspiel jetzt, obgleich es weni- ger Mode ist, unbedenklich der italienischen Oper vor, da es fast Alles vereinigt, was man sich nur vom Theater wünschen kann — nȧmlich außer dem ge- nannten guten Gesang und Spiel, prächtige und frische Decorationen und das beste Ballet in der Welt. Wären die Opernterte auch Meisterstücke, so wüßte ich nicht, was noch verlangt werden mȯchte , aber schon wie sie sind, kann man, z. B. mit der Muette de Portici, die ich heute sah, recht sehr zu- frieden seyn, Mademoiselle Noblet ist eine noble Stumme, Grazie und Leben in ihrem Spiel, ohne alle Uebertreibung, und Nourrit der Aeltere ein vor- trefflicher Masaniello, obgleich er allein noch zuweilen etwas zu sehr schreit. Die Costüme waren muster- haft, aber der feuerspeiende Vesuv mißrieth, und die Rauchwolken, welche in die Erde versanken, statt dar- aus hervorzusteigen, waren ein Phänomen, das ich wenigstens nicht so glücklich gewesen bin zu erleben, als ich dem wirklichen Ausbruch des Vesuvs bei- wohnte. Den 8 ten. Ein französischer Schriftsteller sagt irgendwo: „L’on dit que nous sommes des enfans — oui, pour les faiblesses, mais pas pour le bonheur.“ Das kann ich Gottlob von mir keineswegs sagen. Je le suis pour l’un et pour l’autre, ohngeachtet der überstie- genen drei Dutzend Jahre. So amüsire ich mich hier, in der Einsamkeit der großen Stadt, außerordentlich gut, und kann mir noch, ganz wie ein Jüngling ein- bilden, ich träte eben in die Welt, und alles dies sey mir noch neu. Des Morgens besehe ich Merkwür- digkeiten, wandle im Museum auf und ab, oder gehe Schopping (dies Wort bedeutet in den Buden um- herlaufen und Bagatellen kaufen, deren der Luxus in Paris und London fortwȧhrend neue erfindet). Hundert kleine Geschenke habe ich Dir dort bereits gesammelt, so daß mein hiesiges, so wenig geräumi- ges, Logis sie kaum zu fassen im Stande ist, und dennoch kaum achtzig Pfund dafür ausgegeben, denn in England ist die Theuerkeit kostbar, hier ver- Briefe eines Verstorbenen. II. 22 führt nur die Wohlfeilheit , und ich muß manch- mal lachen, wenn ich sehe, daß ein pfiffiger franzö- sischer Kaufmann einen der steifen Insulaner tüchtig angeführt zu haben glaubt, und dieser blos erstaunt hinausgeht, dieselbe Waare grade sechs mal wohlfei- ler als in London gekauft zu haben. Mittags fahre ich in der wissenschaftlichen Prüfung der Restaurateurs fort, und Abends in der der Thea- ter, obgleich ich weder den Cursus der einen noch der andern gȧnzlich zu vollenden Zeit haben werde. Während dem „Schopping“ bemerkte ich heute im palais royal ein Aushängeschild, auf dem die wun- derbare Exposition des Todes des Prinzen Ponia- towsky bei Leipzig angekündigt war. Dergleichen Na- tionellem gehe ich nicht gern vorüber, und stieg da- her, das Wunder zu sehen, eine elende dunkle Treppe hinauf, wo ich in einer noch dunklern Kammer ohne Fenster, einen dürftig gekleideten Mann bei einer halb verlöschten Lampe sitzen fand. Ein großer Tisch, der vor ihm stand, ward von einem schmutzigen Tuche bedeckt. Sobald ich eintrat, eilte er sogleich noch drei andre Lampen anzustecken, die jedoch nicht recht brennen mochten, worauf er laut und heftig zu de- clamiren anfing. Ich glaubte, die Explication beginne schon, und frug, da ich nicht recht acht gegeben, was er gesagt habe? Oh rien! war die Antwort, je parle seulement à mes les lampes, qui ne brulent pas clair. Nachdem diese Conversation mit den Lampen endlich ihren Zweck erreicht, ward das verdeckende Tuch hinweggezogen, und ließ nun ein Kunstwerk erblicken, das einer Nürnberger Spielsache mit klei- nen beweglichen Figuren glich, durch die Erklärungen des Besitzers aber reichlich den Eintrittspreis vergü- tigte. In einem näselnd singenden Tone begann er folgendermaßen: Voilà le fameux Prince Poniatofsky, se tournant avec grace vers les officiers de son corps, en s’écriant! Quand on a tout perdû, et qu’on n’a plus d’espoir, la vie est un opprobre et la mort un devoir. Remarquez bien Messieurs (er redete mich immer im Plural an) comme le cheval blanc du Prince se tourne aussi lestement qu’un cheval véritable. Voyez-pan à droite — pan à gauche — mais le voilà qui s’élance, se cabre se précipite dans la rivière, et disparait. — Dies ge- schah, indem die Figur an einem Faden unter dem Tische, erst rechts und links, dann vorwärts gezogen wurde, und hierauf durch Hinwegziehung eines, im gemalten Wasser angebrachten Schiebers darunter in einen Schubkarren fiel. Ah bien! voilà le Prince Poniatofsky noyé. Il est mort .. C’est la première partie — maintenant Messieurs vous allez voir tout à l’heure la chose, la plus surprenante qui ait ja- mais été montrée en France. Tous ces petits soldats innombrables que vous apercevez devant vous (es waren ohngefähr sechszig bis siebzig) sont tous vrai- ment habillés — habits, gibernes, armes, tout peût s’ôter et remettre à volonté. Les canons ser- vent comme des canons véritables, et sont admirés par tous les officiers du génie qui viennent ici. 22* Um dies ad oculos zu demonstriren, wurde die vor- derste kleine Kanone von der Lavette gehoben, und dem ersten Soldaten sein Degengehenke abgenom- men, welches als hinlȧnglicher Beweis für die ge- machte Angabe galt. Ah, bien! vous allez mainte- nant, Messieurs, voir manoeuvres cette petite ar- mée, comme sur le champ de bataille. Chaque sol- dat, et chaque cheval feront séparément les mou- vemens propres, voyez .... Hier geschah nun wei- ter nichts als daß sämmtliche Püppchen, die im er- sten Akt wahrscheinlich aus Respekt vor dem Fürsten Poniatowsky, sich nicht gerührt hatten, beim Lärm einer Trommel, die ein kleiner Junge unter dem Tische schlug, nun gemeinschaftlich zwei anhaltende, taktförmige Bewegungen machten, die bei den Sol- daten im Heben und wieder Niederfallen ihrer Arme, bei den Pferden im Bäumen und Ausschlagen be- standen. Unterdessen rezitirte der Erklȧrer mit ver- mehrtem Pathos das französische Bulletin jener Af- faire, worauf der zweite Akt schloß. Ich glaubte daß es kaum mehr besser kommen könnte, und da unterdessen einige Zuschauer mehr eingetreten waren, ich auch den üblen Geruch zweier ausgegangenen Lampen nicht lȧnger ertragen mochte, so flüchtete ich für meine Person vom Schlachtfelde, und allen seinen Wundern. Tragisch war es aber doch, dem sich einst so heroisch aufopfernden Helden jetzt so mitspielen zu sehen! In der Oper vergnügte ich mich sehr am Comte Ory, den der jüngere Nourrit sang. Die Kenner mögen noch so viel gegen Rossini schreien — wahr bleibt es doch, daß auch hier wieder Ströme von Melodie das Ohr entzücken, bald in Liebestönen schmelzend, im Gewitter donnernd, beim Banquet der Ritter jubelnd, oder beim Gebet sich feierlich gen Himmel erhebend. Seltsam genug ist es freilich, daß in dieser, fast mehr als leichtfertigen Oper, das, nur als Heuchelei dargestellte, Gebet der Ritter das- selbe ist, welches Rossini früher für Karl X. Krö- nungsfeierlichkeit componirt hatte. Madame Cinti sang die Rolle der Gräfin sehr gut, Mademoiselle Javoureck zeigte, als Page des Grafen, sehr schöne Beine, und auch der Bassist war vortrefflich. Das Ballet, dächte ich, hätte gegen ehemals ein wenig verloren; Albert und Paul werden durch die Jahre nicht leichter, und außer den Damen Noblet und Taglioni zeichnet sich kaum eine Tänzerin aus. Ich bemerkte während der Oper, daß derselbe Akteur, welcher in der Muette eine der Hauptrollen spielt, heute unter dem Corps der Ritter eine ganz unbe- deutende Stelle einnahm. Aehnliches geschieht hier oft, und ist eine höchst nachahmungswerthe Einrich- tung, da nur, wenn auch die Besten zum ensemble conkurriren müssen, die Rolle mag groß oder klein seyn, ein wahrhaft gutes Ganze hervorgebracht wer- den kann. Für dieses ensemble wird überhaupt in Frank- reich weit mehr als bei uns gethan, wo oft die Täu- schung an Kleinigkeiten scheitert, welche die Bequem- lichkeit der Direktion oder der Schauspieler vernach- läßigt. Der selige Hoffmann (nicht der Seelen Ver- theilende, sondern Seelen Ergreifende) pflegte zu sagen, daß von allem Grausenhaften ihm nichts un- heimlicher vorgekommen sey, als wenn er, im Berli- ner Theater, einen Ifflȧnder Geheimerath zuerst so prosaisch sich gehaben, und dann plötzlich statt mensch- lich durch die Thüre abzugehen, wie der leibhaftige Gott sey bei uns, durch die Wand fahren gesehen habe, als sey es bloße Luft. — Den 10 ten. Es ist freudig auffallend, das Museum, nach Allem was restaurirt werden mußte, doch noch so über- schwenglich reich zu finden! Die neuen Sȧle Denon’s geben nun auch dem größten Theile der Standbilder einen würdigen Aufenthaltsort; es ist nur schade, daß man die alten Säle nicht auch in ähnlichem Style einrichtet. Zuviel würde, bei Demolirung der Decken- gemälde, nicht verloren gehen, da sie an sich keinen großen Werth haben, und Gemälde überhaupt sich in Verbindung mit Statüen so schlecht ausnehmen. Sculptur und Malerei sollte man wohl nie ver- einigen. Ohne mich bei den bekannten Meisterstücken auf- zuhalten, laß mich einiger Kunstwerke erwȧhnen , die mich besonders ansprachen, und die ich mich früher nicht gesehen zu haben erinnere. Erstens eine schöne Venus, in Milo erst vor einigen Jahren gefunden, und vom Duc de Rivière dem Könige geschenkt. Sie ist als victrix dargestellt, nach der Meinung der Antiquare, ursprünglich entweder den Apfel vor- zeigend, oder mit beiden Händen das Schild des Mars haltend. Da die beiden Arme fehlen, so bleibt dies Hypothese. Aber wie schön ist der vom Gürtel an nackte Körper! Welches Leben, welche zarte Weich- heit und reizende Form! der triumphirende, stolze Ausdruck des Gesichts ist weiblich wahr, und doch auch göttlich erhaben. Zweitens. Eine weibliche, in weite Gewande ge- hüllte Figur ( image de la Providence im Catalog genannt) ein herrliches, ideales Weib, Sanftmuth und Güte im Antlitz, himmlische Ruhe in der gan- zen Gestalt. Die Draperie ist von höchster Grazie und Vollendung. Drittens. Amor und Psyche, aus der Villa Borg- hese. Die Letztere fleht Amors Verzeihung an, auf ihre Kniee gesunken, und das süße Lächeln Amors zeigt, daß ihr Flehen schon innerlich erhört sey. Wollüstige Formen, und der lieblichste Ausdruck der Gesichter bestechen wenigstens den Laien! Die Gruppe ist so gut erhalten, daß nur die eine Hand des Lie- besgottes als restaurirt erscheint. Viertens. Eine schlafende Nymphe. Die Alten, welche Alles unter den schönsten Gesichtspunkt zu bringen verstanden, pflegten häufig mit solchen Figu- ren, als bloßen Emblemen des Todes, ihre Sarko- phage zu schmücken. Der Schlaf, sieht man, ist tief — aber die Stellung dennoch beinahe üppig, und rei- zend die Glieder, an die sich eine schöne Draperie, nur halb verbergend, anschließt. Sie erinnert mehr an neues junges Leben, als an den vorhergehenden Tod. So sollten wir Alle den Tod betrachten, darstellen und behandeln. Nur falsch verstandenes Christenthum, vielleicht der jüdische Untergrund (wahrlich kein Gold- grund) hat den Tod so lügübre gemacht, und eben so grob sinnlich als unpoetisch, Verwesung und Gerippe zu seinem Emblem erwählt. A. d. H. — Fünftens. Eine Zigeunerin (angeblich), merkwür- dig durch die Mischung von Stein und Bronce. Von letzterem ist die Figur, von ersterem der lacedämoni- sche Mantel. Der Kopf ist zwar modern, aber von einem höchst gefȧlligen , schalkhaften Ausdruck, der ganz einer ächten Zingarella angehört, wie sie Ita- lien liefert. Sechstens. Die prächtige Statüe einer Anbeten- den. Der Kopf und Hals, von weißem Marmor, hat die streng ideale Schönheit der besten Antiken, und der Faltenwurf, vom härtesten Porphyr, könnte in Sammt und Seide nicht leichter und freier fallen. Siebentes. Die colossale Melpomene giebt einem der neuen Säle den Namen, und unter ihr faßt ein elegantes Broncegeländer ganz vorzüglich gelungene Nachahmungen antiker Mosaik, vom Professor Bel- loni, ein. Dies ist eine höchst interessante Erfindung, von der es mich wundert, sie von den Reichen noch so wenig benutzt zu sehen. Achtens. Die Büste des jungen Augustus. Ein schöner, milder, kluger Kopf — sehr verschieden im Ausdruck, wiewohl mit denselben äußern Umrissen der Züge, von der Statüe, die den Kaiser in spä- terem Alter darstellt, wo die Gewalt der Umstände und der Einfluß der Parteien ihn zu so mancher Grausamkeit hinrißen, bis zuletzt doch wieder, mit der unumschränkten Macht, die angeborne sanftere Natur die Oberherrschaft erhielt. Neuntens. Sein großer Feldherr Agrippa. Nie sah ich eine charakteristischere Physiognomie in edlerer Form! Es ist seltsam, daß die Stirn und das Obere der Augen eine große Aehnlichkeit mit einem Manne zeigen, der auch, obwohl in ganz anderem Wir- kungskreise, zu den großen gehört — ich meine Ale- xander v. Humbold. In den andern Theilen des Gesichts verschwindet übrigens diese Aehnlichkeit völlig. Je mehr ich diesen Eisenkopf anschaute, je mehr über- zeugte ich mich, daß ein Solcher grade dem weichen Augustus nȯthig war, um Herr der Welt werden zu können, und zu bleiben. Zehntens. Das Letzte, und zugleich Interessanteste für mich war eine Büste Alexanders, nach Denon’s Ausspruch, die einzige authentische welche existirt; ein wahres Studium für den Physiognomisten und Cranologen, denn die Treue der alten Künstler bil- dete mit gleicher Sorgfalt alle Theile, genau nach dem Vorbilde der Natur. Wirklich hat dieser Kopf alle Wahrheit des Porträts , ganz vom Idealisir- ten entfernt, nicht eben ausgezeichnet schön in den Zügen, aber, in seinen merkwu̇rdigen Verhältnissen und Ausdruck, der Geschichte des großen Originals durchaus entsprechend. Den, zuweilen leichtsinnigen, abandon des Charakters verräth sehr gut der gra- zieus etwas zur Linken geneigte Hals, wie der wol- lüstige Zug um den Mund; Stirn und Kinnladen sind auffallend gleich Napoleon, so wie auch die ganze volle Form des Schädels, hinten und vorn (thierisch und intellektuell), sich wie bei Napoleon gleich vollständig ausgebildet zeigt. Wie Napoleon von sich selbst sagte: carré, autant de base que de hauteus. A. d. H. Die Stirne ist nicht zu hoch (keinen Ideologen verrathend) son- dern gedrängt und metallkrȧftig . Die Züge im All- gemeinen sind zwar regelmäßig und wohlgebildet, aber wie schon erwähnt, nicht idealisch schön zu nen- nen. Um Auge und Nase thront von einer erhab- nen Schlauheit, wenn ich mich so ausdrücken darf, umspielt, Schärfe des Geistes mit dem entschlossen- sten Muth, und zugleich jener sinnigen Gemüthlich- keit der Seele gepaart, die Alexander zu einem eben so unbesiegbaren, als liebenswürdig poetischen, Jünglingshelden machte, wie er einzig in der Ge- schichte dasteht. Mit dem gleichen Complex von Ei- genschaften begabt, würden, weder Carl der XII. noch Napoleon, ihren Untergang in Rußland ge- funden haben, und jetzt der Eine nicht als ein Don Quixotte, der Andere als ein blos tyrannisch berechnender Kraft- und Verstandesmensch angesehen werden. Das Ganze bildet ein Wesen, dessen An- blick in hohem Grade anzieht und, obgleich impo- nirend, dennoch in dem Beschauer selbst Muth, Liebe und Vertrauen hervorruft. Man fühlt sich, im Wi- derschein dieser Züge, behaglich und sicher, und sieht ein, daß ein solcher Mann in allen Zeiten, in allen Lagen des Lebens, Bewunderung und Enthusias- mus erregen, und mit sich fortreißend habe wirken müssen. Noch will ich eines lieblichen Basreliefs und eines originellen Altars erwȧhnen . Das Basrelief (auch aus der Borghesischen Sammlung, die Frankreich, mit so Vielem, Napoleon verdankt) stellt Vulkan vor, wie er das Schild des Aeneas schmiedet. Cyclo- pen um ihn, alle mit wahren Silen- und Faunge- sichtern, sind sehr ergötzlich abgebildet, gar herzig aber erscheint, mitten unter ihnen, ein kleiner, lieb- licher Cupido, der, bald sich hinter einer Thüre ver- steckend, dem Einen der Cyclopen die Mütze escamo- tirt. Alles in der niedlichen Composition ist voll Leben, Laune und Bewegung, und die Wahrheit der Formen und Korrektheit der Zeichnung mei- sterhaft. Der Altar, zwölf Göttern zugleich gewidmet, sieht einem christlichen Taufbecken ähnlich. Die Hautre- liefs der zwölf Gottheitsbüsten umgeben den Rand des Beckens, gleich einem schönen Kranz. Die Ar- beit ist vorzüglich, und die Erhaltung läßt wenig zu wünschen übrig. Die Götter sind in folgender Ord- nung gereiht: Jupiter, Minerva, Apollo, Juno, Neptun, Vulcan, Mercur, Vesta, Ceres, Diana, alle einzeln, zuletzt Mars und Venus vereinigt durch Amor. Es wundert mich, daß man diese geschmack- volle Idee noch nicht im Kleinen für die Bazars der Damen, in Alabaster, Porcellain oder Cristall aus- geführt hat, wie die bekannten Tauben und andere Kunstgegenstände. Nichts könnte sich besser dazu eignen, und doch war nicht einaml bei Jaquet, (dem Nachfolger Getti’s mouleur du Musée ) ein Gypsab- guß davon zu finden, eben so wenig wie von den meisten der angeführten Werke, blos weil diese nicht zu den berühmtesten gehören, unter welchen berühm- testen doch einige recht wenig anziehende sind. Die Menschen sind gar zu sehr comme les moutons de Panurge. Sie folgen blos der Autorität, und las- sen sich von dieser nur vorschreiben, was ihnen gefallen soll. In der Gemäldegallerie würden die erzwungenen Restitutionen ebenfalls weniger bemerkbar seyn, wenn man nicht so viel Gemälde der neueren französischen Schule darin aufgestellt fände, die, ich gestehe es, sehr wenige ausgenommen, oft nur wie halbe Karri- katuren auf mich wirken. Diese theatralische Verzer- rung, dieser Bretteranstand, welche selbst Davids Figuren nicht selten zur Schau tragen, und die stets übertriebenen Leidenschaften erscheinen schülermäßig gegen die edle Naturwahrheit der Italiener, und lassen auch die gewinnende Gemüthlichkeit der Deut- schen und niederlȧndischen Schule gänzlich vermissen. Unter diesen berühmten Neuern mißfiel mir Girodet am meisten, und gewiß kann kein gesunder Kunstsinn seine Sündfluth ohne Widerwillen betrachten, auch Horace Vernet glänzt nur in Genre-Stücken, aber Gerards Einzug Heinrich des IV. scheint mir ein Bild, dessen Ruf dauern wird. Die vielen Rubens und Lesueur die man, um die Lücken zu decken, aus dem Palais Luxemburg her- gebracht hat, ersetzten ebenfalls nur schlecht die ver- schwundenen Raphaels, Leonardo da Vinci’s und Van Eyk’s. Kurz alles Neue und Alte, seit der Restauration hierhergekommene, macht keinen günsti- gen Eindruck, wohin die schlechten Malerbüsten auch noch gehören, die man in gewissen Distancen in der Gallerie unter Säulen aufgestellt hat, und die sich, auch wenn sie besser gearbeitet wären, in einen Gemälde-Saal nie gut passen würden. Wie immer bildet aber auch noch jetzt die prächtige, lange Gallerie, den angenehmsten Spaziergang im Win- ter, und die Liberalität, welche den Zugang stets offen läßt, ist nicht genug zu loben. Wenn ich bedenke, wie noch erbärmlicher es um die Malerei in England steht, wie Italien und Deutsch- land ebenfalls nichts Großes mehr bieten, Macht hier nicht München eine ruhmvolle Ausnahme, wo ein wahrhaft großer Künstler einen noch größern Kunstbeschützer gefunden hat? A. d. H. so möchte man fürchten, daß es mit dieser Kunst bald wie mit der Glasmalerei gehen wird, ja ihr tiefstes Geheimniß wirklich schon verloren gegangen sey. Die Fülle, Kraft, Wahrheit und Leben der alten Maler, wie ihre technische Farbenkenntniß — wo werden sie noch angetroffen? Thorwaldsen, Rauch, Danneker, Canova wetteifern mit der Antike, aber welcher Ma- ler ist auch nur neben die Künstler zweiten Ranges aus der Blüthezeit der Malerei zu stellen? Nur die schon erwähnte Genre-Arbeit prosperirt, obgleich auch in ihr die forgsame, treue Natur-Copie der Niederländer nie entfernt erreicht wird. In einem Seitenhofe des Museums steht jetzt der colossale Sphynx aus Drovettis Sammlung, für den Hof des Louvre bestimmt. Er ist aus ro- senfarbnem Granit und von eben so grandio- ser Sculptur, als stupender Masse, auch ganz in- takt, bis auf die Nase, welche man eben durch eine weiße Gypsnase ersetzte, die noch nicht die letzte Couche und ihre Farbe erhalten hatte. Dieser An- blick machte mich unwillkührlich lachen, und an die sonderbaren Verkettungen der Umstände denkend, die auch diesen Riesen endlich hiehergebracht, rief ich in meinem Innern: Was willst Du, großer Aegypti- scher Naseweis, hier im neuen Babylon nach drei tausend Jahren, wo kein Sphynx mehr ein Räthsel verbirgt, und wo die Verschwiegenheit überhaupt nie zu Hause war. Abends wählte ich mir unter den Theatern die Porte St. Martin, um Faust zu sehen, der schon zum 80sten oder 90sten male die schaulustige Welt anzieht. Der Culminationspunkt dieses Melodramas ist ein Walzer, den Mephistopheles mit Martha tanzt, und in der That, man kann nicht teuflischer walzen! In der noch hübschen Tänzerin sieht man das höllische Feuer bald schreckend, bald die Adern mit Liebes- gluth erfüllend, deutlich agiren, und beide Motive bringen bei der französischen Martha doch nur wol- lüstige Bewegungen hervor, eine Sache, welche die südlichen Tänzerinnen aber noch besser verstehen. Dieser Walzer verfehlt nie den rauschendsten Bei- fall hervorzurufen, und verdient es, da die Panto- mime durchaus sprechend, anziehend, ja in manchen Momenten fast ergreifend ist, ohngefähr wie eine mit Possen untermischte Gespenstergeschichte. Me- phistopheles, obgleich häßlich, hat doch den Anstand eines vornehmen Mannes, was unsern deutschen Teufeln stets abgeht. Unter den Decorationen zeichnet sich der Blocks- berg mit seinen Gräueln aus, die die Wunder der Wolfsschlucht weit hinter sich zurücklassen. Durch grausende Lichter aller Farben erleuchtet, die hinter schwarzen Tannen und Windbrüchen hervorblitzten, wimmelte es von lebenden Gerippen, schillernden Lindwürmern, furchtbaren Mißgeburten, geköpften oder zerfleischten, blutenden Körpern, gräßlichen He- xen, colossalen, glühenden Riesenaugen, die aus den Zweigen lugten, Menschengroßen Kröten, giftge- schwollenen Schlangen, halbvermoderten Leichnamen und vielen andern lieblichen Bildern dieser Art. Im letzten Akt verstieg sich jedoch die Decora- tion zuweit, indem sie Himmel und Hölle zu- gleich darzustellen sich vermaß. Der Himmel, wel- cher natürlich den obern Theil der Bühne einnahm, glänzte zwar sehr schön in lichtblauem Brillantfeuer, dies war aber dem Teint von Gretchen’s Seele so- wohl, als den um sie her pirouettirenden Engeln dergestalt ungünstig, daß sie sämmtlich mehr den Leichnamen des Blocksberges als Seligen ähnlich sahen. Ein weit besseres Colorit hatten dagegen, die unmittelbar unter dem hölzernen Himmelsboden tan- zenden Teufel, die auch ihre rothen Backen durch den Eifer verdienten, mit dem sie Fausts Puppe unverdrossen zu zerreißen beschäftigt waren, bis der Vorhang fiel. — (Es ist eigentlich hübsch, wenn große Menschen solche Kinder sind!) Der Saal des Theaters selbst ist geschmackvoll de- korirt: Bunte Malerei und Gold auf einem weißen Atlasgrund. Die farbigen Blumen, Vögel und Schmetterlinge nehmen sich gar freundlich darauf aus. Das Innere der Logen ist lichtblau, und die Brüstung ahmt rothen Sammt nach. Außer dem störenden Geschrei der Limonadenverkäufer, die für ein deutsches Ohr die Worte: Orgeat, Limonade und Glace, in so seltsamer Abkürzung ausrufen, wan- delte auch ein Jude mit Theater-Lorgnetten umher, die er für 10 Sol das Stück für die Dauer der Vorstellung vermiethete —eine Industrie, die ich mich früher nicht bemerkt zu haben erinnere, und die recht bequem dient, wenn man kein eignes Glas bei der Hand hat. Dieser Brief gelangt wahrscheinlich auf Schlitten zu Dir, denn wir haben, seit ich hier bin, ein ganz russisches Klima, aber leider keine russischen Oefen. Der Himmel verleihe Dir eine bessere Temperatur in B … Dein treuer L .... Briefe eines Verstorbenen. II. 23 Acht und vierzigster Brief. Paris, den 20 sten Januar 1829. Geliebte Julie. Es ist gewiß eine schöne Sache in Paris, einen solchen Spaziergang, wie das Museum bietet, täg- lich zu seiner Disposition zu haben und, um dem Regen oder Schnee zu entgehen, in den Sälen der Götter und unter den Schöpfungen des Genius um- her wandeln zu dürfen! Vive le Roi! für diese Li- beralität gegen Alle. Nachdem ich meinen Vormittag in den Prachtsälen zugebracht, und auch das neue Aegyptische Museum gesehen, von dem ich Dich später unterhalten werde, fand ich zufällig, beim Essen, eine interessante Ge- sellschaft an einem General de l’Empire, dessen Unterhaltung ich dem Theater heute vorzog. Er er- zählte mir als Augen- und Ohrenzeuge eine Menge Anekdoten, die ein lebhafteres Bild, und zum Theil einen tiefern Blick in die ganzen Verhältnisse jener Zeit zuließen, als es Memoiren vermögen, in denen man die Wahrheit nie ganz ohne Schminke ent- falten kann. Es würde zu weitlȧuftig seyn, Dir hier viel davon zu erzählen, und obendrein diese Mittheilung des belebenden Colorits des Worts zu sehr entbehren müssen, weshalb ich das Meiste für mündliche Unterhaltung aufbewahre. Nur einige Züge zur Probe. Es ist nicht zu läugnen, sagte mein Berichterstat- ter, daß im Innern der Familie Napoleons viele ge- meine Verhältnisse statt fanden, welche die Roture verriethen (worunter keineswegs die nicht vornehme Geburt, sondern eine mangelhafte und würdelose Erziehung zu verstehen ist). Namentlich herrschte der größte Haß und die elendesten gegenseitigen In- triguen zwischen der Familie Napoleons und der Kaiserin Josephine, welche auch zuletzt das Opfer davon ward. Napoleon nahm früher stets die Par- tie seiner Frau, und wurde von seiner Mutter des- halb oft ins Angesicht, mit den Namen eines Tyran- nen, Tiber, Nero, und noch weniger classi- schen Ausdrücken gescholten. Uebrigens habe Ma- dame oft gegen ihn geäußert, sagte der General, daß Napoleon schon als kleines Kind stets habe al- lein herrschen, immer nur sich und das Seinige schätzen wollen. Seine Brüder wären von Anfang an von ihm tyrannisirt worden, nur mit Ausnahme 23* Lucien’s, der nie die geringste Beleidigung unge- rächt gelassen. Es errege daher oft ihr Erstaunen, wie gleich sich, durch die ganze Folgezeit, der beider- seitige Charakter der Brüder geblieben. Der Gene- ral behauptete, daß Madame Lätitia die feste Ueber- zeugung gehabt, Napoleon werde übel enden, und kein Geheimniß daraus gemacht, daß sie nur für diese Catastrophe spare. Lucien theilte diese Ueber- zeugung und sagte dem General schon 1811 die merk- würdigen Worte: L’ambition de cet homme est in- satiable, et vous vivrez peutêtre, pour voir sa carcasse et toute sa famille jettées dans les égouts de Paris. Bei der Krönung Napoleons hatte die Kaiserin Mutter, bei welcher der General, nach verlassenem Militairdienste, eine Hofcharge inne hatte, (er sagte mir nicht welche) ihm aufgetragen, genau Achtung zu geben, wieviel Fauteuils, Stühle und Tabourets für die kaiserliche Familie aufgestellt worden wären, und so wie sie hereinträte, ihr unbemerkt seinen Rapport darüber abzustatten. Der General, damals mit Hofsitten ziemlich unbekannt, wunderte sich über den seltsamen Auftrag, richtete ihn aber pünktlich aus, und meldete, er habe nur zwei Fauteuils, einen Stuhl und so und so viel Tabourets gezählt. „Ah! je le pensais, bien, rief Madame M é re, roth vor Zorn, la chaise est pour moi — mais ils se trom- pent dans leur calcûl! Schnell auf den omineusen Stuhl zuschreitend, frug sie den dienstthuenden Kam- merherrn mit bebenden Lippen, wo ihr Sitz sey? dieser wies mit einer tiefen Verbeugung auf den Stuhl — die Tabourets waren schon von den Kö- niginnen und Schwestern eingenommen. Den Stuhl ergreifen, ihn dem Kammerherrn auf die Füße stoßen, der vor Schmerz beinah laut ausschrie, und in das Kabinet eindringen, wo der Kaiser und Josephine warteten, war für die empörte Cousin das Werk ei- nes Augenblicks. Hier folgte nun die indecenteste Scene, wȧhrend er die Kaiserin Mutter in den stärksten Ausdrücken erklärte, daß, wenn ihr nicht augenblicklich ein Fauteuil gegeben werde, sie den Saal verlassen, und vorher laut den Grund ihrer Handlungsweise angeben wolle. Napoleon, obgleich wüthend, mußte bonne mine à mauvais jeu machen, und half sich dadurch, daß er die ganze Sache den armen Grafen Segur, als eine Bevüe, die von ihm allein herrühre, ausbaden ließ „et on vit bientôt, setzte der General hinzu, le digne Comte arriver tout effaré, et apporter lui même un fauteuil a sa Majesté l’Imperatrice mère. Charakteristisch, und ein Beweis, daß keineswegs Josephine, sondern der Kaiser selbst Schuld an dem Vorfall war, ist, daß bei der Heirath mit Maria Louise sich genau dieselbe Sache wiederholte, und die, nun schon zu sehr ein- geschüchterte, und gedemüthigte Mutter nicht mehr den Muth hatte zu widerstreben. Napoleon war bigott erzogen worden, und ob- gleich zu scharfsichtig, um so zu bleiben, oder es vielleicht je ernstlich zu seyn, hatte doch die Gewohn- heit wie bei Allem, mehr oder weniger, auch auf ihn einen so starken Einfluß, daß er sich von den ersten Eindrücken nie ganz frei machen konnte. Es arrivirte ihm sogar zuweilen, wenn etwas ihn plötz- lich frappirte, unwillkührlich das Zeichen des Kreuzes zu machen, ein Gêsté, der den sceptischen Kindern der Revolution, bei einem Manne wie der Kaiser, höchst befremdend vorkam. Mein Freund schrieb auch mir damals von jener Un- terredung, und erwähnte einer komischen Particula- rität, die in den Briefen einer Dame freilich nicht Platz finden konnte, aber hier in einer Note wohl hazadirt werden darf, da sie zugleich den Ton der Großen jener Zeit und ihres Herren so gut schil- dert. Damen warne ich jedoch im Voraus! Napoleon machte nämlich, in Gegenwart Nun noch zuletzt ein artiger trait Carl des IV, , dem man kaum so etwas Zartes zutrauen wird, ob- gleich die, welche ihn persönlich kannten, wissen, daß dieser unendlich liberale und gute, wenn gleich höchst schwache und ungebildete Prinz, als Mensch viel mehr werth war, denn als König. Als Lucien nach Spanien ging, um dort den Po- sten eines Ambassadeur der Republik einzunehmen, begleitete ihn der General als Gesandtschafts-Se- kretair. Der vorige Gesandte hatte alle Grobheit der republikanischen Sitten zum höchsten Scandal des etikettenreichsten und förmlichsten Hofes der Welt, affichirt, und man fürchtete vom Bruder des französischen Staats-Oberhauptes, eine noch größere Arroganz. Lucien hatte indessen le bon esprits, grade das Gegentheil zu thun, erschien sogar in Schuhen und Haarbeutel, und erfüllte alle Ceremo- niel- und Hofpflichten mit solcher Pünktlichkeit, daß man vor Freuden und Dankbarkeit darüber am Hofe in wahres Entzücken gerieth. Lucien wurde nicht nur höchst populair, sondern der wahre Liebling der ganzen königlichen Familie. Er erwiederte, wie mein Erzähler versicherte, diese Freundschaft aufrich- tig, und warnte oft den König wie den Friedens- Fürsten ernstlich, eben so sehr vor der Treulosigkeit, des Erzählers und mehrerer andern Militärs, dem Marschall Massena scherzhafte Vorwürfe, daß er nie ohne Weiber leben könne. „Ich begreife dies weich- liche Wesen nicht,“ sagte der Kaiser. „So lange ich in Italien kommandirte, ließ ich mir nie eine Frau zu nahe kommen, um mich nicht von wichtigeren Din- gen zu zerstreuen, mais j’ai ma saison comme les chiens, setzte er hinzu, ’et j’attends j’usques là. “ Der General versicherte, daß seitdem, wenn man bei Hofe eine besondere Disposition zur Eifersucht bei der Kaiserin Josephine bemerkte, die Höflinge sich lächelnd zuzurufen pflegten: Ah! l’Empereur est dans sa saison. als dem unersättlichen Ehrgeiz seines Bruders, über den er, bei jeder Gelegenheit ganz ohne Rückhalt, sprach. Das Zutrauen des alten Königs pour son grand ami, wie er Napoleon nannte, blieb jedoch bis zum letzten Augenblick unerschütterlich. Vor seinem Abgang setzte Lucien seiner Populari- tät noch durch ein prachtvolles Fest die Krone auf, dessengleichen man in Spanien nie gesehen und wel- ches gegen 400,000 Franken gekostet haben soll. Die höchsten Personen des Hofs, viele Grands, und die ganze königliche Familie beehrten es mit ihrer Ge- genwart, und Letztere namentlich schien dem Ambas- sadeur nicht genug Verbindliches darüber sagen zu können. Wenige Tage darauf erhielten alle Mitglie- der der Gesandtschaft prächtige Geschenke, nur der Ambassadeur ging leer aus, und die republikanische Familiarität erlaubte sich daher, im Palais des Ge- sandten, mehrere deshalb an ihn gerichtete Necke- reien. Indeß war die Abschieds-Audienz vorüber gegangen, Luciens Abreise auf den nächsten Tag bestimmt, und alle Hoffnung auf das erwartete Prä- sent nun ganz aufgegeben, als ein Offizier der wal- lonischen Garden mit Escorte im Hotel ankam, und dem Gesandtschafts-Sekretaire ein in eine Kiste ge- packtes, großes Gemälde, als ein Andenken des Kö- nigs für den Bruder Napoleons, überbrachte. Als man Lucien dies meldete, äußerte er, es sey ohne Zweifel die Venus von Titian, die er mehreremal in des Königs Beiseyn gerühmt, und allerdings ein Gemälde von Werth, indessen sey ihm doch jetzt die- ser Transport unbequem, und er müsse gestehen, er hätte etwas Anderes lieber gesehen. Nichts desto- weniger ward der Offizier mit großer Artigkeit be- dankt und entlassen, bei welcher Gelegenheit ihm Lucien seine eigne kostbare Busennadel anzunehmen bat. Hierauf befahl der Gesandte, daß das Gemälde aus der Kiste genommen, der Rahmen hier gelassen, und es so aufgerollt werde, daß man es auf die Imperiale eines Wagens packen könne. Der Sekre- tair that wie ihm geboten; kaum hatte man aber die umgebende Leinwand weggeschoben, als ihm statt der gepriesenen Venus das, nichts weniger als schöne, Gesicht des Königs freundlich entgegen lä- chelte. Schon wollte er, schadenfroh über das komi- sche Quiproquo zum Gesandten eilen, um es ihm scherzend mitzutheilen, als, beim völligen Hinweg- nehmen der Enveloppe, ihn eine noch viel größere Ueberraschung zurückhielt. Das ganze Gemälde war nämlich, gleich einer Miniature, mit großen Dia- manten eingefaßt, die Lucien später für 4,000,000 Franken in Paris verkaufte. Dies war doch eine wahrhaft königliche Ueberraschung, und der Ambas- sadeur hatte Recht, einen solchen Rahmen nicht, wie er früher befohlen, zu Hause zu lassen. In Badajoz wurde, nach der Behauptung des Generals, Lucien sehr intim mit der Königin von Portugal bekannt, welche ihm dort ein politisches Ren- dezvous gegeben hatte, und meinte er D. … M … könnte wohl die Folge davon seyn. Gewiß ist es, und ich schrieb Dir es bereits von London, daß die- ser Prinz Napoleon auffallend gleicht. Den 13 ten. Die Gait é kam bei meiner heutigen Theater-In- spection an die Reihe, und ich wage zu bekennen: daß ich mich sehr gut dort unterhielt. Diese kleinen Melodramen- und Possen-Theater sind jetzt, die Franzosen mögen noch so vornehm dagegen thun, doch ihre eigentlichen National-Bühnen, welche sogar an dem so auffallenden Uebergang des Publikums zur Romantik nicht ganz unschuldig seyn mögen — denn die Menschen waren der magern Kost herz- lich müde geworden, des ...... pathos tragique. Qui long tems ennuya en termes magnifiques. Neulich als ich Dir den Theaterbericht des einen Abends schuldig blieb, geschah es deswegen, weil ich mich im théàtre français auf eine wahrhaft widrige Weise gelangweilt hatte. Mademoiselle Mars spielte nicht, und ich fand den Schauplatz der einsti- gen Größe Talma’s und Fleury’s, zur größten Er- bärmlichkeit herabgesunken. Ich will Dir jetzt eine ganz kurze Skizze beider Vorstellungen geben, von dem National- und dem Vorstadt-Theater, und obgleich bei dem letztern nur von einem Melodrame, folglich von grob aufgetragenen Farben, leichter Ar- beit und Theater-Coups die Rede seyn kann, so überlasse ich Dir doch zu entscheiden, ob der klas- sischen oder melodramatischen Vorstellung der Vor- zug zu geben sey. Ich fange mit dem Melodram der Gaité an, und bemerke nur im Allgemeinen voraus, daß die Schauspieler gewandt, die Kostume zweckmäßig, Dekorationen, so wie alle scenischen An- ordnungen, sehr gut, und das Ensemble, (wie fast auf den meisten Pariser-Theatern, ausgenommen dem Théâtre français ) vortrefflich waren. Das Stück beginnt mit Tanz und Fröhlichkeit. Matrosen und Fabrikarbeiter feiern ein Fest im Gar- ten ihres Prinzipals, des Herren Vandryk, eines sehr reichen Partikuliers, der seit sechs Jahren, wo er aus der neuen Welt hier angekommen, der Wohl- thäter der holländischen Landstadt geworden ist, in der er sich niedergelassen. Man hört jedoch, daß er sich dadurch auch die Eifersucht und den Neid der Regierung zugezogen, deren erster Justiz-Beamter namentlich, verschiedner Demüthigungen wegen die ihm die Liebe des Volks zu Vandryk zugezogen, sein Todfeind geworden sey. Während der Belustigungen erscheint Vandryk selbst mit seiner lieblichen Tochter, welche vom Sohne des Senators und Barons von Steewens, dem jungen Friedrich, geführt wird. Jubel und Vivatrufen empfängt sie, Vandryk theilt Geschenke unter die Verdientesten aus, und trägt einer Tochter mit dem jungen Baron auf, seine Kinder nun zum Gastmal zu führen, das im Neben- hause bereitet sey. Sinnend bleibt er selbst stehen, und sein Monolog verräth uns, daß alles Glück, alle Ehre und Liebe, die ihn umgäben, den Fluch der ihn verfolge, doch nicht heben könnten, ja ihn nur noch empfindlicher machten! Er überläßt sich dem tiefsten Kummer, dessen Ursache aber unbekannt bleibt. Sein alter Diener tritt ein, und in einer kurzen Unterhaltung erfährt man, daß dieser allein um alles Vergangne wisse, die Befürchtungen seines Herren aber für chimärisch halte, indem er ihn mit der Versicherung zu beruhigen sucht, daß sein Ge- heimniß ja ganz sicher, und jede Entdeckung fast unmöglich sey. Die Tochter kehrt jetzt mit ihrer Amme zurück, und bittet den Vater um Erlaubniß, auch ihre Freundinnen zum Feste abholen zu dürfen. Eine zärtliche Scene folgt, wo der Vater sich an den so herrlich aufgeblühten Reizen der Tochter weidet, und sie endlich mit einer feierlichen Umarmung ent- läßt, in einer Bewegung, die nur dem alten Diener verstȧndlich ist. Noch in der Thür begegnet sie dem Vater des jungen Barons der, reich gekleidet und von seinem Gefolge begleitet, erscheint. Vandryk empfängt ihn mit großer Ehrfurcht, die Familiarität und Freundschaft des Barons fast abwehrend, bis dieser seine Lobeserhebungen und Achtungsbezeigun- gen gegen Vandryk damit beschließt, daß er, ob- gleich er einer der reichsten und angesehensten Edel- leute im Lande ist, für seinen Sohn um Vandryk’s Tochter anhält. Dieser erklärt in der höchsten Agi- tation, eine solche Verbindung sey unmöglich, und vergebens dringt der Baron in ihn, obgleich er ihm deutlich merken ließ, daß das junge Paar bereits einig, und schon durch die innigste Zärtlichkeit ver- bunden sey. „Dies fehlte noch zu meinem Elend!“ ruft Vandryk fast in Verzweiflung aus, als die Thüre aufgerissen wird, und seine Tochter, mit der Amme an der Hand, athemlos hereinstürzt, verfolgt von einem glänzenden jungen Wüstling, der beim Anblick des Barons und Vandryk’s zwar einen Augenblick betroffen stehen bleibt, sich aber schnell faßt, und mit der Geistesgegenwart eines Mannes von Welt sein Betragen zu entschuldigen sucht. Der Baron fragt verächtlich, wer er sey? worauf der junge Mann mit stolzem Anstand antwortet: Mein Name ist Ritter Vathek, erster Sekretair des Raths- Pensionairs von Holland, Grafen von Assefeldt, der so eben hier angekommen ist, um den Zustand der Provinz zu untersuchen. Ist der Graf schon hier? frägt der Baron, mit mehr Höflichkeit, dann muß ich ja eilen, ihn zu bewillkommen, da er mir die Ehre erzeigt, bei mir zu wohnen, denn ich bin Baron Steewes und dieß Herr Vandryk, der Vater der jungen Dame, die .... Vathek verbeugt sich unterbrechend, und nähert sich Vandryk, um auch ihm seine Entschuldigung zu wiederholen, bleibt aber sprachlos stehen, als er dessen Gesicht erblickt. Doch bezwingt er sich augenblicklich, schiebt seine Ver- wirrung auf die Verlegenheit seiner Lage, und eilt nach einigen Gemeinplätzen davon. In der Thür wendet er sich noch einmal unbemerkt von den Uebri- gen um, wirst einen sorgsamen Blick auf den mit seiner Tochter beschäftigten Vandryk, und mit den Worten: beim Himmel, er ist’s! verläßt er das Haus. Die Scene verändert sich. Wir sehen ein reiches Gemach, in welches Graf Assefeldt vom Baron geführt wird. Nach einiger Conversation über den Zustand der Provinz, erwähnt der Baron Vandryks, seiner Verdienste um das Land, und fügt hinzu, daß er dessen Tochter erst heute für seinen Sohn verlangt, überzeugt, daß Van- dryk’s Tugend, sein Einfluß, sein Reichthum und die Würde seines Charakters ihn jedem Edelmanne gleich stellen müßten. Man sieht während dieser Aeußerung den jungen Sekretair höhnisch lächeln, der jetzt vortritt, um die Behörden der Stadt anzu- melden. Diese kommen dem Raths-Pensionaire ihre Ehrfurcht zu bezeigen, wobei der Zuschauer zugleich erfährt, daß ihr Chef, jener erwähnte Feind Van- dryk’s des jungen Ritters Onkel ist. In dem Rap- port, den dieser nun dem Grafen Assefeldt macht, beschuldigt er Vandryk öffentlich, nur ein raffinirter Ruhestörer zu seyn, der unter der Maske eines Fa- brikherrn das Volk zu verführen suche, appügirt da- bei auf die ganz räthselhafte Unbekanntheit seiner Familie, die gänzliche Ungewißheit, woher er selbst komme, wer er, und was seine Endabsicht sey, und giebt endlich zu verstehen, daß er wohl als Spion im Solde einer fremden Macht stehen könne. Graf Assefeldt zeigt sich ruhig und kalt, aber wohlwollend, ermahnt zur Einigkeit und gemeinschaftlichem Eifer für das allgemeine Beste, entläßt die Behörden nebst dem Baron, und wendet sich nun mit Strenge an seinen Sekretair, dem er die Unanständigkeit seines Vetragens an diesem Morgen, worüber der Baron Klage geführt, nachdrücklich verweist. Der Ritter bittet, mit verbißnem Aerger, um Verzeihung, fügt aber hinzu, daß sein, allerdings tadelnswerthes Be- tragen dennoch zu einer merkwürdigen Entdeckung geführt habe, nämlich, wer der verehrte Herr Van- dryk eigentlich sey. „Nun, und wer ist er?“ fragt der Graf gespannt. „Der Henker von Amsterdam.“ — Der Graf schlägt erstaunt die Hȧnde zusammen, und der Ritter fährt in seiner Erklärung fort: „Als siebenjähriges Kind,“ sagte er, „entwendete ich, in unbewußter Spielerei, meiner Mutter einen kostba- ren Diamantring. Er ward lange vergebens gesucht, und um mich nachher für immer von einer so üblen Gewohnheit zu heilen, fiel meine Mutter auf das sonderbare Mittel, den Scharfrichter nebst seinem Er- ben und gesetzlichen Nachfolger, den ältesten seiner Söhne kommen zu lassen, beide in ihrer furchtbaren Amtskleidung und dem breiten Schwerdte in der Hand. Der Jüngste ergriff mich, und indem er das Schwerdt schwenkte, rief er mir zu: dies kalte Eisen würde mir den Tod geben, wenn ich mich je wieder dem schändlichen Verbrechen des Stehlens überließe. Eine wohlthätige Ohnmacht befreite mich hier von aller ferneren Angst, aber nie kam mir seitdem das für mich so schreckliche Antlitz des jungen Mannes aus dem Gedächtniß, und selbst nach 20 Jahren er- kannte ich es heute, nicht ohne innerliches Schau- dern, auf den ersten Blick. Der Graf bleibt ungläubig, hebt die Unwahrschein- lichkeit hervor, daß eine Erinnerung der ersten Kind- heit nach zwanzig Jahren noch so zuverläßig seyn könne, und gebietet seinem Secretair vor der Hand jedenfalls das tiefste Schweigen. Wir werden nun wieder in das Haus Vandryks zurückgeführt, wo seine Tochter ihm ihre Liebe zu Friedrich gesteht, und ehe sie ihn verlȧßt , dringend um seine Einwilligung fleht. Der Vater theilt in der nȧchsten Scene Alles dem treuen Diener mit, welcher ihm so lange zuredet und die Unmöglichkeit der Entdeckung seines Geheimnisses so plausibel macht, daß er endlich selbst äußert, sich noch nie be- ruhigter und sicherer gefühlt zu haben, und mit Thrä- nen väterlicher Liebe den Befehl giebt, das junge Brautpaar zu holen, um ihnen seinen besten Segen zu ertheilen. Freude und Glück Aller scheint voll- kommen, und der alte Baron, der ebenfalls hinzukömmt, theilt ihr Entzücken. Er ladet Vater und Tochter vorläufig zu einem Feste ein, das er dem Grafen Assefeldt heut gebe, wobei er die beste Gelegenheit finden würde, seine künftige Schwiegertochter und Vandryk dem Raths-Pensionair vorzustellen, und seinem Wohlwollen zu empfehlen. Alle gehen ab, und das Theater verwandelt sich in eine Bildergallerie mit einem anstoßenden prächtigen Saale, den man von einer zahlreichen Gesellschaft angefüllt, hinter einer Säulengallerie, erblickt. Der Graf im Vordergrunde unterhält sich noch mit den Regierungsbeamten, welche respektvoll Platz machen, als der Baron Steevens erscheint, um die Familie Vandryk vorzustellen, welche er laut die Wohlthäter der Provinz nennt. Der Graf, sich hȯflich gegen die Tochter verneigend, sagt mit Bedeutung: Eine solche Tugend ziert Jeden , und den Vater fixirend, setzt er hinzu — von welchem Stande er auch sey — wor- auf er ihm schnell den Rücken kehrt. Vandryk ver- räth ängstliche Verlegenheit, während der seitwärts stehende Vathek kein Auge von ihm verwendet, und seine Tochter ihn ängstlich fragt, ob ihm nicht wohl sey, da er so plötzlich erblasse? Nichts, nichts, stam- melt er, ich folge gleich, und legt ihre Hand in die Friedrichs, der sie zögernd in den Saal führt. Alle gehen ab, bis auf Vandryk, der, noch halb bewußt- los die Hand an die Stirne gehalten, stehen bleibt, und Vathek, der, in einen Winkel zurückgezogen, wie ein Tiger auf seine Beute zu lauern scheint. Plötzlich tritt der Ritter hervor, drückt den Hut auf den Kopf, und Vandryk auf die Schulter schlagend, ruft er mit lauter Stimme: Unverschämter! der erste Magistrat Hollands verbietet Euch, sich in seiner Gegenwart zu Tisch zu setzen. Diese Scene ist von ergreifender Wirkung. Der Unglückliche sinkt außer Briefe eines Verstorbenen. II. 24 aller Fassung in die Knie, und ruft Gnade! doch schon ist Vathek verschwunden, und läßt ihn vernichtet zurück. Gerechter Gott, ruft er mit dem Schmerz der Verzweiflung: Ist denn Cains Zeichen auf meiner Stirne eingebrannt, daß Fremde selbst darauf meine Schande lesen müssen! Jetzt eilt seine Tochter, die ihn nicht aus dem Auge gelassen, aus dem Saale wieder herbei, und beschwört ihn, ihr die Ursache seiner unbegreiflichen Bewegung mitzuthei- len; doch ehe ihr noch Andere folgen können, reißt er sie mit sich fort: Laß uns fliehen, meine Tochter, flu̇stert er ihr ins Ohr, nur Flucht und Nacht kann uns vor den Menschenaugen verbergen. Er stürzt mit ihr aus der Thür, und der Vorhang fällt. Nach den Gesetzen Hollands war das Amt des Scharfrichters zu Amsterdam erblich, und der zu sei- nem Nachfolger designirte Sohn konnte sich, ohne ein Krüppel zu seyn, demselben nicht entziehen. Die Familie wurde als Leibeigne des Staats betrachtet, und ihre Flucht als Felonie bestraft. Auf Vandryk ruhte also die doppelte Last der damals allgemein angenommenen Unehrlichkeit seines Handwerks, und des Verbrechens, ihm heimlich entflohen zu seyn. Durch seltnes Glück in allen seinen Unternehmungen begünstigt, hatte er im Auslande ein großes Ver- mögen gewonnen, und nach so langer Zeit erst zu- rückkehrend, gehofft, unerkannt bleiben, und sein Le- ben im Vaterlande beschließen zu kȯnnen , doch hatte das Bewußtseyn seines Elends Gewissen —? ihm nie einen Augenblick Ruhe gegönnt. Alle diese Details erfahren wir in einer Unterredung Vandryk’s mit seinem alten Diener, im verschloßnen Hause, wo er Alles zur Flucht vorbereitet. Seine Tochter erscheint in Thrȧnen , und beschwört ihren Vater um Erklärung aller Räthsel, die sie umgeben. Die Scene, welche sehr erschütternd ist, endet mit dem Geständniß, das der Vater nicht auszusprechen Kraft findet, und auf ein Blatt Pavier schreibt. Mit Zittern ergreift es die Tochter, öffnet es langsam, und das furchtbare Wort lesend, ruft sie erst, seine Füße umklammernd, in Schmerzenstönen, Vater! dann zusammensinkend stammelt sie bewußtlos: Henker! und fällt ohnmächtig zu Boden. Ihr Vater, der den Anblick nicht ertragen kann, entflieht durch die Thür. Als sie in den Armen des treuen Dieners wieder zu sich kömmt, winkt sie ihm, sie allein zu lassen. Sie betet, wirft sich dann auf einen Stuhl, stützt den Kopf in beide Hände, und weint bitterlich. Ein starkes Geräusch am Fenster schreckt sie von Neuem auf. Mit Erstaunen sieht sie einen Mann, in einen rothen Mantel vermummt, herabspringen. Es ist Vathek. Sie will um Hülfe rufen, doch dieser bittet ehrfurchtsvoll nur um einen Augenblick Gehör, um ihres Vaters willen. Eine feurige Liebeserklärung folgt, er erbietet sich mit ihr zu fliehen, sie und 24* ihren Vater für immer in Sicherheit zu bringen, wenn sie sein werden wolle, droht aber Verderben jeder Art im Verweigerungsfalle. Da er indeß nur mit eben so viel Kälte als Würde zurückgewiesen wird, sagt er ihr zuletzt mit losbrechender Wuth: Er wisse sehr wohl, wer ihm eigentlich im Wege stünde, aber auch Friedrich solle ihm nicht entgehen, und sein Tod, ehe noch wenig Stunden vergingen, ihr Werk seyn. Jetzt ruft die Geängstete um Hülfe, Diener und Fabrikarbeiter Vandryks sprengen die Thüre, doch Vathek zieht sein Schwerdt, und den Mantel als Schild gebrauchend, gewinnt er, sich durchschlagend, das Freie. Wir sehen jetzt eine Gallerie im Pallast des Ba- rons. Es ist Nacht, nur spärlich von einer einsa- men Lampe erleuchtet. Friedrich geht unruhig auf und ab, überlegend was er thun solle. Er kann sich die plötzliche Flucht Vandryk’s und seiner Toch- ter nicht erklären, und verliert sich in Hypothesen. Indem klopft eine leise Hand an seine Thüre. Er öffnet verwundert, und Maria’s Amme tritt ver- hüllt ein, mit einer Botschaft ihrer Gebieterin, die Friedrich beschwört, in den Garten herabzukommen, da ein furchtbares Schicksal sie zwinge, alle Rück- sichten aus den Augen zu setzen, um ihn noch ein- mal zu sprechen. Immer mehr erstaunt folgt er der, eben so befremdenden als lieben, Einladung — die Dekoration verändert sich, und eine schöne Mondbe- leuchtung zeigt uns einen sorgfältig unterhaltnen holländischen Garten mit Buchsbaum-Figuren und Blumenbeeten, wo Maria in Reisekleidern ängstlich ihres Bräutigams harrt. Friedrich tritt ein, und nachdem sie unter vielen Thränen und geheimnißvol- len Worten auf ewig von ihm Abschied genommen, sagt sie, der Hauptzweck ihres Besuchs sey, ihn vor Vathek zu warnen, der seinen Tod geschworen. Friedrich glaubt jetzt, Vathek sey die Ursache ihrer Trennung, und vielleicht nicht ganz unbegünstigt von der Familie. Er überhȧuft die unglückselige Maria noch mit Vorwürfen, und sein Zorn erreicht den höchsten Gipfel, als jetzt Vathek selbst hinter einer Hecke hervortritt, und den Degen ziehend ihm spöt- tisch zuruft: Gieb Maria auf, oder streite um sie wie ein Ritter! Maria und ihre Amme schreien um Hülfe, wȧhrend die Jünglinge auf Tod und Leben kämpfen. Der Baron und Graf Assefeldt in Nachtkleidung, eilen mit einigen Dienern und Fa- ckeln herbei, kommen aber nur in dem Augenblick an, als Vathek, tödtlich getroffen, niedersinkt. Sich und seinen Mörder verfluchend, erklärt er noch im Sterben, daß er von Friedrich meuchlings überfal- len worden sey, aber, schließt er: Vandryk wird mich an meinem Mörder rȧchen — Vandryk Polder, der Henker von Amsterdam! Friedrich und der Baron schaudern entsetzt zurück, Maria liegt ohnmächtig in den Armen ihrer Amme, und Vathek stirbt. Hier fällt der Vorhang zum zweitenmale. Einige Tage scheinen vergangen. Die Scene zeigt uns einen Gerichtssaal, dessen Thüren das Volk belagert. Friedrich wird zum letztenmal verhört, und des Mordes als überwiesen erklärt, worauf ihn die Richter, unter dem Vorsitz von Vathek’s Onkel ein- stimmig zum Tode verurtheilen. Der gegenwärtige Graf Assefeldt kann, obgleich tief betrübt, den Lauf des Gesetzes nicht aufhalten. Das empörte Volk sprengt zwar die Pforten, um Friedrich zu befreien, der Graf bezähmt aber die Meuterer durch eine wu̇r- devolle Anrede, bei deren Schluß er ihnen sagt: daß das Gesetz über ihnen Allen stehen müsse, daß aber dennoch jede Hoffnung noch nicht verloren sey, da der General-Statthalter das Recht der Begnadigung üben könne, zu welchem er daher auch bereits, von dem Ausgang des Spruches unterrichtet, den Baron Steevens nach dem Haag abgeschickt habe. Vandryk’s Feind benutzt jedoch den Aufruhr, um die Beschleu- nigung der Hinrichtung anzuordnen, und setzt den Vorstellungen des Grafen keck seine Pflicht als Ma- gistrat entgegen, die er zu verantworten wissen werde. Hier tritt Vandryk, oder vielmehr Polder ein, und bittet den Grafen fußfȧllig um Gnade für den Unglücklichen und der Aussage seiner Tochter nach, eben so unschuldigen Baron. Dieser beklagt jedoch, daß das Zeugniß seiner Tochter unter den obwaltenden Umständen keine Gültigkeit gegen die deutliche Anklage des Sterbenden haben könne, Friedrich jedenfalls, es sey nun auf welche Art es wolle, Vathek’s Tod verschulde, und seine, des Gra- fen, Autorität nicht so weit gehe, den Lauf der Ge- setze hemmen zu können. Alles hänge jetzt nur von der ersten Magistrats-Person, dem Onkel des Ge- tödteten ab, der hier vor ihm stehe. Dieser fixirt den Geängsteten mit teuflischem Lächeln, und als er sich vor ihm niederwirft, sagt er freundlich: Wohlan, lieber Polder, Ihr erscheint hier, wie gerufen! Ich höre, daß Ihr Euer Meisterstück noch nicht abgelegt habt, und requirire Euch hiermit im Namen der Regierung, und in Ermangelung jedes Andern, der Euer Amt verrichten könnte, zu der bevorstehenden Execution. Polder, stumm vor Entsetzen und Wuth, starrt zuerst seinen unmenschlichen Feind lange schweigend an, und bricht dann in glühende Worte aus, die sich einigemal fast zur tragischen Würde erheben. Endlich ruft er: „Ich habe noch nie das Blut eines Nebenmenschen vergossen und werde es nie, aber müßte ich es, so sollte es doch nur das Deinige seyn, Unmensch! Doch, wie plötz- lich inspirirt und umgewandelt, setzt er nach einer Pause hinzu: Verzeiht! der Schmerz nahm mir die Sinne. Es sey — ich gehorche dem Befehl. Er- laubt mir nur eine kurze Vorbereitung. Mit Ver- wunderung und erschüttert sehen ihm beide nach, und folgen ihm schweigend. Wir finden jetzt Friedrich in seinem Kerker, wo Graf Assefeldt eben eintritt, um den Verurtheilten zu fragen, ob er ihm noch in irgend etwas dienen könne? Friedrich verlangt blos zu wissen, ob eine schnell vollzogene Verbindung mit Maria, und ihre Einsetzung zu der Erbin seines Namens und Ver- mögens, unter den jetzigen Umständen gültig sey? Allerdings,“ antwortet der Graf, „aber — der wah- re Namen und Stand müssen in dem Document deutlich und richtig ausgedrückt seyn.“ Friedrich schau- dert, bleibt aber seinem Vorsatz getreu. Der Graf verläßt ihn um Maria zu rufen, die, ein Bild trost- loser Verzweiflung, hereingeführt wird. Hierbei muß ich bemerken, daß die Schauspieler in Frankreich da- für sorgen, bei solchen Gelegenheiten so auszusehen, wie es ihre Gemüthsstimmung mit sich bringen muß, und nicht, wie ich es in Deutschland so oft er- blickte, in der Todesangst und Verzweiflung mit ro- then Pausbacken erscheinen, oder gar in diesem blü- henden Zustande sterben. Friedrich und Marie bie- ten ein treues Bild des höchsten Schmerzes dar. Er dringt in sie, ihm zu seiner Beruhigung die Gewäh- rung einer Bitte zuzuschwören. „Sein Wort,“ ruft sie eifrig „sey ihr Gebot!“ und fällt weinend auf ihre Knie, um seine Vergebung anzuflehen. Sie aufhebend sagt er: „Was hätte ich Dir zu verzeihen! Dir allein Maria danke ich das wenige Glück, dessen ich genoß! In wenig Minuten wirst Du mein Weib, in wenigen Stunden meine Wittwe seyn. Vergiß dann die Vergangenheit ganz, und lebe ein neues glücklicheres Leben!“ Die traurige Ceremonie geht in Gegenwart des Grafen vor sich. Eine Ordonnanz tritt gleich darauf ein und bringt einen Brief des alten Barons. „Gottlob,“ ruft der Graf, auf die Begnadigung des Statthalters hoffend. Im Lesen aber verhüllt er sein Gesicht: „der unglückliche junge Mann,“ sagt er, tief seufzend, „jetzt ist er verloren!“ denn der Baron schreibt, daß er den Statthalter nicht im Haag gefunden, ihm zwar sogleich nachge- reist sey, aber noch nicht wisse, wo er ihn antreffen werde. Er beschwȯrt daher um Aufschub, den der Graf leider nicht im Stande ist zu gewähren, ohne die Einwilligung des Onkels Vatheks, welche nicht zu hoffen steht. Die Wache erscheint jetzt, und Fried- rich wird abgeführt. Die sich verwandelnde Scene führt uns in eine freie Landschaft mit belebten Ka- nälen im Hintergrunde. Haufen Volks versammeln sich, die Execution mit anzusehen, stoßen aber dabei wilde Drohungen gegen die grausamen Richter aus, welche zuletzt in Empörung ausarten. Das Schaffot wird gestürmt und zertrümmert, Soldaten rücken an, Tumult und Gefecht füllt das Theater. Vatheks Onkel, an der Spitze des Militairs, stellt jedoch die Ordnung wieder her, und befiehlt, da das Schaffot zertrümmert sey, den Balkon eines nahen Hauses zur Hinrichtung einzurichten. Man hört, seitwärts der Bühne, die Arbeiter beschäftigt, während Graf Assefeldt vergebens seine Bitten um Aufschub mit ernsten Drohungen vermischt. Der Zug erscheint. Friedrich, gefesselt in der Mitte, und Polder im ro- then Gewande seines Amts, das breite Schwerdt entblößt in der Hand haltend, ziehen in Hintergrund der Bühne vorüber. Soldaten mit gefälltem Bajo- net wehren der empörten Menge. Langsam ver- schwindet der Zug, der Graf bleibt allein, in höch- ster Bekümmerniß, mit einem Diener zurück. Wie in der Jungfrau von Orleans, giebt der Diener, der auf eine Erhöhung gestiegen ist, dem Grafen, der sich voll Abscheu abgewendet hat, Nachricht von dem was vorgeht. Endlich ruft der Späher von oben herab: jetzt kniet der junge Herr Baron nieder ..... sie verbinden ihm die Augen — der Scharfrichter naht sich ihm . . . . O mein Gott! . . . . . und hier hört man einen dumpfen Schlag hinter der Scene, wie von einem Schwert, das auf den Block fällt. Der Graf verhüllt sein Gesicht, und tritt schaudernd zurück, als Polder leichenblaß in seinen Mantel gehüllt, von zwei Bürgern unterstützt herbei- geführt wird, wȧhrend lautes Getöse hinter der Scene erschallt. „Gerechter Himmel! was habt Ihr gethan!“ ruft der Graf. „Seht hier, was ich ge- than,“ erwiedert Polder mit schwacher Stimme, und den Mantel aufschlagend, hält er ihm den verbunde- nen Stumpf seines rechten Armes hin, von dem er sich eben die Hand selbst abgehauen. „Mein junger Freund,“ setzt er matt hinzu, „ist nun wenigstens auf mehrere Stunden sicher.“ Das Volk strömt in dumpfer Betäubung herbei, aber mit ihnen auch Vandryks Onkel, der wüthend befiehlt, den pflichtlo- sen Scharfrichter sogleich in das tiefste Gefängniß zu werfen. Doch indem er noch spricht, erschallt von fern ein ängstliches Rufen, man hört den Gallop ei- nes Pferdes, und sieht Baron Steevens, vom schäu- menden Roß springend, den Pardon des Statthal- ters hoch empor halten, laut Gnade! Gnade! rufen, und dann erschöpft den Umstehenden in die Arme sinken. Graf Assefeldt öffnet das Papier, liest laut die Begnadigung Friedrichs, und kündigt zugleich dem ersten Magistrat vorläufige augenblickliche Dis- pensation seines Amtes an. Tief gerührt umarmt er den Befreiten, und der Vorhang fällt. — Ich weiß recht gut, welche lange Litaney Kunstrich- ter hier hören lassen können, von gemeinen Verhält- nissen, Theater-Coups, Unwahrscheinlichkeiten u. s. w. Man bedenke, ich wiederhole es, daß nur von einem Melodram die Rede ist, an das man keine großen Forderungen machen darf, aber dennoch bin ich über- zeugt, daß kein unbefangner frischer Sinn diese Vor- stellung ohne lebhaft erregtes Interesse sehen wird. Laß uns um zu dem théâtre français übergehen, das ich, der Bekanntheit der Stücke wegen, kürzer abfertigen kann. Nach einem griechisch-französischen Trauerspiel, in- dem die antiken Gewänder vergebens Franzosen zu Griechen stempeln sollten, der alte Held der Provin- zen, Joanny, vergebens eine schwache Copie des gött- lichen Talma aufzustellen versuchte, und auch die (wahrlich jetzt au del à de la permission häßliche) Duchesnois mit weinerlicher, veralteter und verstei- nerter Manier am Ende jeder Phrase vergebens mit den Händen in der Luft, ebenfalls à la Talma, ge- zittert, die Uebrigen aber eine wahrhaft trostlose Mittelmäßigkeit abgehaspelt hatten, wurde, zum Schluß, der Mercure galant aufgeführt. Die abge- tragenen gestickten Seidenkleider verriethen die längst vergangene Zeit, in der dieses Stück spielt, eben so sehr, als es die Unbehülflichkeit that, mit der diese Tracht von den neuen Schauspielern getragen wurde. Die Damen hatten es sich dagegen bequem gemacht, und waren nach der neuesten heutigen Mode geklei- det. Die Comödie ist ganz ohne Intrigue, nur ein damaliges Gelegenheitsstück, das jetzt zu geben fast absurd ist. Als Hauptpointe erscheint ein alter Herr, der, kurz vor der Hochzeit, das Verhältniß mit seiner jungen Braut abbricht, und als er, vor dem jungen Mädchen und ihrer Freundin, darüber vom Bruder zur Rede gestellt wird, ganz einfach antwortet: C’est tout simple, j’ai peur d’être Cocû, worauf er ein Paar Hundert Verse rezitirt, die dieses Thema ins grellste Licht setzen. Das Stück schließt mit der Aufgabe eines Räthsels. Niemand kann es errathen, der Autor enthüllt es also selbst. Was ist es? un pêt. Ah, ruft die junge Dame, il fallait avoir bon néz pour deviner cela — und mit diesem classischen Witz fällt der Vorhang. Ce pauvre pêt me semblait, en vérité, le dernier souffle du théâtre français! Abgerechnet „que tous les genres sont bon hors le genre ennuyeux, möchte der Inhalt dieser letzten Pie ç e sich doch wohl besser für ein Winkelgäßchen der Vorstadt geschickt haben. Was aber noch merkwür- diger erscheint, ist, daß auf diesem hochtrabenden, classischen Nationaltheater selbst nothgedrungen jetzt auch Melodramen, (wenigstens dem Inhalt nach, wenn auch ohne Musik), gegeben werden, und nur diese noch Zuschauer herbeiziehen, wie das einzige dermalige Cassenstück, der Spion, zur Genüge beweist. So pflanzt ein Theater nach dem andern die ro- mantische Fahne, mehr oder weniger glücklich, auf, und Tragödien und Schauspiele, à la Shakespeare, wie die Franzosen sagen, erscheinen daselbst täglich, die, ohne fernere Gewissensbisse des Autors und Pub- likums, alle verehrten Einheiten über den Haufen werfen. Die Revolution hat die Franzosen in jeder Art neu geboren; — auch ihre Poesie wird eine neue wer- den, und das nimmer neidische Deutschland ruft ih- nen freudig zu: Glück auf! Den 14 ten. Ich besah heute einige neue Gebäude, unter an- dern die, mit stattlichen Colonnaden umgebene Börse, deren Größe und Totaleindruck imposant ist; doch nehmen sich die langen, schmalen gewölbten Fenster hinter den Säulen sehr häßlich aus. Die modernen Bedürfnisse harmoniren oft gar zu schlecht mit dem antiken Styl. Das Innere ist ebenfalls grandios, und die Täuschung der Deckenmalerei in der Haupt- halle vollkommen. Man schwört, darauf Basreliefs zu sehen, obgleich schlechte. Auf den Boulevards hat man, wie ich heute erst bemerkte, gute Verbesserungen durch Wegnahme meh- rerer Häuser bewerkstelligt, und die Porte St. Denis und St. Martin nehmen sich nun weit besser aus als ehemals. Ludwig der XIV. verdient diese Monu- mente, schon um seiner Verschönerung der Hauptstadt willen, denn in der That, was man in Paris Schö- nes und Großes sieht, Ludwig der XIV. oder Na- poleon gründeten es. Die Alleen hat man glücklicher- weise sorgfältig geschont, und nicht, wie sie in Berlin unter den Linden und auf dem Dönhofsplatz, die gro- ßen Bäume abgehauen, um kleine astlose Knüppel statt ihrer hin zu pflanzen. Einen seltsamen Anblick gewähren die vielen Dames blanches und Omnibus, Wagen, die zwanzig bis dreißig Personen halten, die Boulevards fortwährend von einem Ende bis zum andern durchfahren, und jeden müden Fußgänger für bestimmte, sehr billige Preise darin aufnehmen. Mel- det sich einer, so zieht der hinten sitzende Conducteur eine Klingel und der Kutscher hält. Eine fliegende Treppe sinkt herab und in wenigen Secunden geht es wieder vorwärts. Nur drei unglückliche Rosse zie- hen diese schweren Wagen, so daß ich, bei der jetzigen Glätte, oft sämmtliche Pferde neben einander hinstür- zen sah. Man sagt, England sey eine Hölle für die Pferde, sollte indeß die Metempsycose wahr seyn, so bitte ich mir doch jedesmal aus, lieber ein englisches Pferd zu werden als ein französisches. Wie man diese unglücklichen Thiere hier oft behandelt, ist wahr- lich empörend! und es wäre zu wünschen, daß die Polizey sie, wie in England, beschützte. Ich erinnere mich, daß ich einst in London eine ähnliche Mißhand- lung eines armen Cabrioletpferdes durch einen Fiacre mit ansah. Kommen Sie, sagte der mich begleitende Engländer; wenn Sie eine Stunde Zeit haben, sol- len Sie sofort der Bestrafung dieses Menschen bei- wohnen. Er rief den Mann nun ganz gelassen heran, stieg mit mir ein, und befahl ihm auf’s Po- lizei-Büreau zu fahren. Dort brachte er seine Klage an, daß der Kutscher sein Pferd unnütz gepeinigt und gemißhandelt habe. Ich bezeugte es, und der Kerl war genöthigt, sogleich eine ziemlich bedeutende Geld- strafe zu erlegen, worauf er uns noch wieder zurück- fahren mußte. Du kannst Dir seinen guten Humor dabei vorstellen. Auch in andern Theilen der Stadt sind solche Omnibus im Gange, und die längste Course kostet doch nur einige Sols. Es ist höchst amüsant, Abends dergleichen Fahrten, auch ohne bestimmten Zweck, zu machen, nur der sonderbaren Carricaturen wegen, die man hier antrifft, und der originellen Conversa- tionen, die man mit anhört. Man glaubt oft einer Vorstellung der Variétés beizuwohnen, und findet Brunets und Odry’s Originale getreu hier wieder. Du weißt, wie gern ich auf diese Art beobachtend unter Menschen bin, und überhaupt dazu die Mittel- stände am meisten liebe, die auch heut zu Tage al- lein noch etwas Eigenthümliches haben, und auch die glücklichsten sind, denn wahrlich — die Medaille hat sich ganz und gar umgekehrt. Die Mittelstände, bis zum Handwerker herab, sind jetzt die wirklich be- günstigten, durch Sitten und Zeitumstände. Die hö- heren Classen finden sich mit ihren Rechten oder Prätensionen zu fortwährender Opposition und Deh- müthigung verdammt. Unterstützt hinlängliches Geld ihre Anforderungen, so geht es noch leidlich, obgleich auch hierin, der Ostentation wegen, der Erbsünde der Reichen, wenn es nicht Geiz ist, ihnen Geld weit weniger reellen Genuß gewähren kann, als es ein Paar Stufen tiefer verleiht. — Hält aber den Rang kein Vermögen empor, so ist der so Gestellte ganz gewiß von allen seinen Mitbürgern, den Verbrecher ausgenommen, der Beklagenswertheste, unmittelbar nach dem, welcher wirkliche Hungersnoth leidet. Daher sollte Jeder, wie ich schon einmal, glaube ich, gegen Dich äußerte, seine Lage in der Welt ge- nau erwägen, und der Ambition oder Eitelkeit (ich schließe hiervon nur die Ambition des wahren Ver- dienstes aus, welche sich durch ihr Wirken selbst, und nur durch dies allein belohnt findet) nichts auf- opfern, denn keine Epoche der Welt war einer solchen weniger günstig. Wir Vornehme werden jetzt wirk- lich wohlfeil zu weiser Enthaltsamkeit und praktischer Philosophie jeder Art hingeführt, und dem Himmel sey Dank dafür! Mit diesen Gedanken, im Innern der Dame blan- che kam ich bei Franconi’s Theater an, das auch ein Blinder, nur dem Pferdegeruch nachgehend, schon auffinden kann. Was hier getrieben wird, ist aller- dings eine abscheuliche Geschmacklosigkeit, und ein Publikum, das nichts Andres zu sehen bekȧme , müßte am Ende selbst zu halbem Vieh werden. Ich spreche von den ganz sinnlosen Schauspielen, die hier darge- stellt werden — die einzelnen equilibristischen Uebun- gen sind dagegen oft recht sehenswerth. Besonders erfreute mich der Seilschwinger, Diavolo betitelt, der gewiß alle seine Mitbewerber so sehr überflügelt, als Vestris einst seine Collegen. Eine schönere Gestalt, größere Gewandtheit, Sicherheit und vollendetere Grazie scheinen in dieser Art kaum denkbar. Er ist der fliegende Merkur, der von Neuem eine mensch- liche Form angenommen hat; die Luft scheint sein wahres Element, und das Seil nur ein Luxusartikel, um sich damit, wie mit einer Guirlande, zu drapi- ren. Im wildesten Schwunge sieht man ihn, haus- hoch, ganz frei und unangebunden auf dem Seile liegen, jetzt dicht vor den Logen mit dem classischen Anstand einer Antike vorüberschweben, und gleich darauf, wie eine Marionette, mit dem Kopf unten, und den Beinen nach oben, ein entrechat in den Wolken des Theaterhimmels ausführen. Daß er sich wie ein Rad, vor- und rückwärts, mit der Schnellig- keit eines Uhrwerks, umdrehen, unangebunden sich in der Länge des Seils hinlegen, oder nur mit ei- nem Fuß daran hängend umherschwenken kann, ver- steht sich von selbst. Er verdient seinen Namen durch die That. Je Diavolo non puo far meglio . Briefe eines Verstorbenen. II. 25 Den 14 ten. Als Zugabe zu meinem gestrigen Briefe habe ich Dir schnell eine Dame blanche, gefüllt mit — Bon- bons gekauft, und als nachfolgendes Weihnachtsge- schenk für Mademoiselle H . . . . eine Bronze pen- dule beigefügt, mit laufendem Springbrunnen am Fuße und einem arbeitenden Telegraphen auf der Spitze. Sage ihr, daß sie den letzten sehr gut gebrau- chen möge, um durch seine Hülfe öffentliche Gespräche zu halten, die doch kein Unberufner verstehen könne. An solchen Spielereien ist Paris unerschöpflich, sie sind aber hauptsächlich nur auf die Fremden berech- net, denn die Franzosen kaufen sie selten und finden sie, nicht ganz mit Unrecht, de mauvais gout . Um mit den Theatern zu endigen, besuchte ich heute drei auf einmal. Zuerst im théâtre français zwei Akte aus der neueren, höchst elenden Tragödie, Isa- belle de Bavière . Auch diesmal fand ich meine frü- heren Eindrücke bestätigt, und nicht allein die Schau- spieler (Joanny ausgenommen, der die Rolle Carl des VI. nicht schlecht spielt, wenn er gleich Talma nicht verglichen werden kann) waren die Mittelmä- ßigkeit selbst, sondern auch Costumes, Dekorationen und aller übrige Apparat unter dem letzten Boule- vards-Theater. Das Pariser Volk wurde unter an- dern durch sieben Männer und zwei Weiber, die Pairs von Frankreich aber durch drei oder vier Sta- tisten, in wahre Lumpen gehüllt und mit goldpapier- nen Kronen auf den Köpfen, wie in der Puppen- Comödie, repräsentirt. Der Saal war leer, und die Kȧlte kaum auszuhalten. Ich fuhr also schnell nach dem Ambigucomique, wo ich ein hübsches neues Haus fand, mit sehr frischen Dekorationen. Man gab zum Zwischenspiele eine Art Ballet, welches die deut- sche Landwehr gar nicht übel parodirte, und also we- nigstens nicht langweilig war. Es wunderte mich übrigens, daß es den Franzosen nicht mit der Land- wehr und den Preußischen Hȯrnern geht, wie den Burgundern mit den Alpenhörnern der Schweizer, de- ren Ton sie sich nicht gern zurückrufen ließen, denn, wie die Chronik sagt, à Granson les avoient trop ouis! Das italienische Theater beschloß meinen Abend. Hier findet man das gewählteste Publikum, es ist die Modebühne. Der Saal ist sehr artig dekorirt, die Erleuchtung brillant und der Gesang entspricht der Erwartung. Sonderbar bleibt es aber doch, daß selbst ein, ganz aus Italienern bestehendes, Personal, im Auslande nie so singt, nie das köstliche Ganze darstellt, wie es in Italien der Fall ist. Ihr Feuer scheint in der fremden Region zu erkalten, ihre Laune zu vertrocknen, da sie wissen, daß sie zwar beklatscht werden, aber mit dem Publikum nicht mehr eine Familie ausmachen, der Buffo, wie der erste Sänger doch nur halb verstanden, und wohl auch musikalisch nur halb empfunden werden. In Italien ist die Oper Natur, und ich möchte sagen nothwendiges Be- dürfniß, in Deutschland, England und Frankreich nur Kunstgenuß und Zeitvertreib. 25* Madame Mallibran Garcia (man gab Ceneren- tola) erreicht in dieser Rolle, meines Erachtens, die Sontag nicht; sie hat aber einen ihr eignen genre, der immer mehr anzieht, je länger man ihn hört, und ich zweifle nicht, daß auch sie Rollen hat, in denen ihr die Palme vor allen andern gebühren würde. Sie hat einen Amerikaner geheirathet, und auch ihr Gesangstyl kam mir ganz amerikanisch vor, d. h. frei, kühn und republikanisch, während die Pasta, wie ein Aristokrat, oder gar ein Autokrat, despotisch mit sich fortreißt, und die Sontag schmel- zend und mezza voce, wie im himmlischen Reiche, flötet. Der Tenor Bordogni hatte die schwere Auf- gabe ohne Stimme zu singen, und er that unter die- sen Umständen was er vermochte; Zuchelli war, wie immer, vortrefflich, und Santini sein würdiger Rival. Spiel und Gesang hatten überhaupt, fast durchgängig, Leben, Kraft und Grazie, mehr als auf andern ausländisch-italienischen Bühnen. Als ich in mein Hotel zurückkam, wurde ich mit einer der Pariser Annehmlichkeiten überrascht, die doch einer solchen Stadt wahrhaft zur Schande ge- reichen. Ich glaubte, obgleich mein Hotel ein ange- sehenes ist, und im belebtesten Stadttheile liegt, in eine Cloake gerathen zu seyn, denn man hatte eben das Ausräumen gewisser Fundgruben begonnen, mit welcher Operation die Häuser hier zweimal des Jah- res verpestet werden. Ein Dutzend Pastillen habe ich bereits verbrannt, kann aber immer noch keine gründliche Reaktion er- regen. Den 24 sten. Schon früh saß ich heute im Cabriolet, um eine weitere tournée als gewöhnlich, und alten Bekann- ten einen Besuch zu machen. Ich dirigirte den Kut- scher zuerst nach Notredame und bedauerte unter- wegs, als ich auf dem pont neuf ankam, daß man der Statüe Heinrich des IV. diese Stelle angewiesen hat, wo sie so unzweckmȧßig auf die kahle Basis des Obelisken gesetzt ist, welchen Napoleon früher projektirt hatte, und für den der Platz gewiß mit großer Sagacität ausgesucht war, während jetzt, dicht unter den weiten und hohen Häusermassen, welche den Hintergrund der kleinen Statüe umgeben und sich in einem kolossalen Dreieck gegen sie schlie- ßen, das bȧumende Pferd von weitem nur den Effekt eines hüpfenden Insekts macht. Indem ich noch bei mir diese Betrachtungen verfolgte, und was aus Paris geworden wäre, wenn Napoleon fortregiert, rief der Cabriolet-Führer plötzlich: Voilà la morne . Ich ließ halten, ( car j’aime les emotions lugûbres ) und betrat das bisher noch nie gesehene Leichenhaus, wo, wie Du weißt, alle unbekannte, Todtgefundene ausgestellt werden. Hinter einem hölzernen Gitter erblickt man einen kleinen reinlichen Saal, mit acht schwarz angestrichnen hölzernen Bahren in Reihe und Glied gestellt, das Kopfende der Wand zugekehrt, das untere gegen die Zuschauer gerichtet. Die Tod- ten werden nackt darauf gelegt, und die Kleider und Effekten derselben hinter ihnen an der weißen Wand aufgehangen, so daß Jeder leicht daraus das ihm Angehörige erkennen mag. Nur ein alter Mann, mit einer ächt nationellen Franzosen-Physiognomie, Ringen in den Ohren und am Finger, lag ganz freundlich und lächelnd mit offnen Augen da, täu- schend einer Wachsfigur ähnlich, und mit einer Miene, als hätte er eben seinem Nachbar noch eine Priese anbieten wollen, wie ihn der Tod übereilt. Seine Kleider waren gut — superbes, wie ein zer- lumpter Kerl neben mir sagte, der sie mit sehnsüchti- gen Blicken betrachtete. Am Körper war keine ge- waltsame Verletzung zu sehen, so daß den Alten wahrscheinlich der Schlag in einem entfernten Theile der Stadt, seinen Verwandten noch unbewußt, ge- troffen hatte, denn Elend schien hier nicht statt ge- funden zu haben. Einer der Wächter erzählte mir ein sonderbares Faktum, nämlich, daß im Winter die sich Ersäufenden, welches in Paris jetzt die fashionable Methode ist, sich ums Leben zu bringen, um zwei Drittel seltener sind, als im Sommer. Der Grund kann doch, so lächerlich es klingen mag, kein andrer seyn, als weil im Winter das Wasser zu kalt ist (denn zugefroren ist die Seine nur sehr sel- ten). Aber wie die Kleinigkeiten, und alltäglichen Dinge die großen Begebenheiten im Leben weit mehr regieren, als man glaubt, so scheinen sie auch noch im Tode ihre Macht auszuüben, und die Verzweif- lung selbst bleibt noch douillet, und von Sinnlich- keit befangen. Du erinnerst Dich der drei Portale von Notre Dáme mit den eichenen Pforten, die mit herrlichen Bronze- blumen und Arabesken verziert sind, und wie die ganze in ihren Details interessante Façade, einen originellen Anblick gewähren; aber, gleich dem ehe- maligen Tempel zu Jerusalem, wird auch Notre Dáme durch Buden und Verkäufer entstellt, die sich bis ins Innere der Kirche eingenistet haben. Dieses Innere, das dem Aeußern überhaupt so wenig ent- spricht, ist durch einen neuen Anstrich noch unbedeu- tender geworden. In der Fortsetzung meiner Promenade stieg ich auch einen Augenblick beim Pantheon aus. Es ist Schade, daß die Lage und Umgebung dieses Tempels so sehr unvortheilhaft sind. Auch im Innern erschien er mir immer fast zu einfach und zierlos, was zu diesem Styl nicht paßt, und der neue Plafond von Girodet ist ohne Theater-Lorgnette kaum zu ent- decken. Die Oeffnung der Kuppel ist zu klein und hoch, um irgend etwas von dem Gemälde deutlich auffassen zu können. An einem Pfeiler sah ich ein detachirtes Stück Teppich hängen, und erfuhr auf Nachfrage, es sey dies eine Arbeit der unglücklichen Marie Antoinette, und von Madame der Kirche ge- schenkt worden. Ueber dem Seitenaltar stand: Autel privilegié — d. h. Ablaß ertheilend! die Ideen-Asso- ciation, welche dieser Anblick hervorbrachte, rief mir die nahe Menagerie ins Gedächtniß, und ich fuhr nach dem Jardin des plantes, wo es den Thieren zu kalt geworden war, daher ich auch alle, lebende und todte, verschlossen fand, und nur einen großen Eisbären besuchen konnte. Dieser kehrte, als ich kam, ohne sich stören zu lassen, wie ein Tagelöhner, mit großer Geduld und Ruhe seinen Zwinger mit den Vordertazzen, deren er sich als eines Besens bediente, brachte dann das Stroh und den trocknen Schnee in seine Höhle, um ein weiches Lager daraus zu bereiten, worauf er sich zuletzt auch, behaglich murrend, langsam ausstreckte. Auch sein Nachbar Martin, der Landbär, welcher einst eine Schildwache fraß, befindet sich noch wohl, war aber heute nicht visible. Auf dem Rückweg besuchte ich noch eine dritte Kirche, St. Eustache, die im Innern grandio- ser erscheint als Notre Dáme und Pantheon, auch durch einige bunte Fenster und Gemälde belebt wird. Von den Letztern war sogar, zu irgend einem Feste, eine Art Ausstellung in der Kirche veranstaltet, die jedoch den Kunstsinn nicht sonderlich ansprach. An- genehmer war die schöne Musik, bei der mehrere Posaunen ergreifend wirkten. Warum wendet man ein so erhabnes Instrument nicht weit öfter bei un- serer Kirchenmusik an? Als ich über die place des victoires fuhr, schickte ich einen Stoßseufzer gen Himmel, über die Nich- tigkeit des Ruhms und seiner Monumente. Auf diesem Platz stand, wie Du Dich noch erinnern wirst, einst Desaix’s Statüe, die er wahrlich um Frankreich verdient hatte. Jetzt ist sie weggeworfen, und ein rȯmisch gepanzerter Ludwig der XIV. , mit der Al- longen-Perücke auf dem Haupte, dessen Roß einem großen hölzernen Steckenpferd ähnlich sieht, hat seine Stelle eingenommen. Mit Mühe tröstete ich mich über die traurigen moralischen Betrachtungen, die dieser Anblick bei mir erweckte, durch sinnlichere Eindrücke im sallon des frêres provencaux, ver- möge guter Trüffeln, und der Lektüre eines weniger guten Mode-Romans. Ja ich bedurfte einer ganzen Bouteille Champagner, um endlich mit Salomo aus- rufen zu können: Alles ist eitel! und dann hinzuzu- setzen: Drum genießt den Augenblick, ohne zuviel darüber nachzudenken! In dieser guten Stimmung durchstrich ich hierauf zum letztenmal das Palais royal, wo so viel bunte Colifichets , und neue Er- findungen mir aus den hellerleuchteten Buden entge- genglänzten, daß ich am crystallnen Nachthimmel den Vollmond, der, ganz klein und eydottergelb, an einer der Feueressen gegenüber zu hängen schien, bei- nahe auch für eine ganz neu erfundene Spielsache angesehen, und mich gar nicht sehr gewundert haben würde, wenn der Mondmann, oder Mademoiselle Garnerin daraus hervorgestiegen, und im Innern von Very’s Feueresse verschwunden wären. Da aber Alles beim Alten blieb, so ließ ich mir wenigstens von dem, die dunkeln Oehllampen sehr überstrahlen- den, Gestirn nach den Varietés leuchten, poury finir ma digestion en riant . Dieser Zweck gelang auch vollkommen, denn das kleine Theater hat zwar Po- tier, aber mit ihm nicht allen seinen Lachreiz ver- loren. Gewonnen hat es dagegen (für die Augen wenigstens) eine allerliebste kleine Schauspielerin, Mademoiselle Valerie, und ein viel besseres und fri- scheres Aeußere als sonst. Zu den glücklichen Neuerun- gen gehört es, daß der Vorhang nicht wie gewöhn- lich, nur eine gemalte Draperie, sondern von wirk- lich in Falten drapirten, dunkelblauem Zeuge ist, was sich zu dem Cramoisi, weiß und gold des Saales, sehr gut ausnimmt. Er wird nun auch nicht mehr so unbeholfen und steif in die Höhe gerollt, wie die andern, sondern zieht sich grazieus, beim Beginn des Spiels, von beiden Seiten zurück. Die größeren Bühnen sollten dies nachahmen. Den 16 ten. Sonst waren die Ana’s Mode, jetzt sind es die Ama’s, et le change est pour le mieux, denn die ersten erinnerten unwillkührlich an Esel, die zweiten dagegen an Liebe, obgleich mit den ersten große Männer gemeint waren, und die zweiten nur der Wissenschaft- und Kunst-Liebe angehören. Durch die gewöhnlich darin herrschende ȧgyptische Finster- niß aber gewähren sie doch auch Amor zuweilen ei- nigen Spielraum. Ich widmete diesen Ama’s den heutigen ganzen Morgen, und fing mit dem Ama der Geographie, dem Georama an. Hier sieht man sich auf einmal in der Mitte der Erdkugel, wohin Herr Dr. Nürn- berger mit seinem projectirten Schacht noch nicht ge- langt ist, wo sich aber sogleich die andere Hypothese eines Lichtmeers im Innern der Erde bestȧtigte , denn es ist hier so licht, daß die ganze Erdkruste da- von transparent wird, und man von innen heraus sogar die politischen Ländergrenzen deutlich er- kennen kann. Unglücklicherweise hat man den Nord- pol über sich, durch den heute ein so verzweifelt kal- ter Luftzug hereindrang, daß der kleine eiserne Ofen, unten im Südpol, durchaus mit seiner Wärme nicht durchdringen konnte. Dies schwächte meine Neu- gierde sehr, weshalb ich Dir auch nur sagen kann, daß kein Globus die Geographie so anschaulich macht, als das Georama, und es zu wünschen wäre, daß alle Lankasterschen Schulen künftig ebenfalls in ei- nem solchen Bauche der Erde angelegt würden, wo man sich bei größerer Gesellschaft, auch mutuellement besser wärmen könnte. Die Seen erscheinen hier, wie in der Wirklichkeit, sehr hübsch blau und durch- sichtig, die feuerspeienden Berge wie kleine glühende Punkte, und den schwarzen Bergketten folgt man be- quem mit den Augen. Als etwas Seltsames fiel es mir auf, daß die großen transparenten Seen in Chi- na, zugleich die Umrisse wahrhaft chinesischer Fratzen darstellten, ganz ihren grotesken Götter-Bildern ähnlich. Unter andern erschien der größte, ohne al- len Effort der Einbildungskraft, als das leibhaftigste Bild eines fliegenden Drachen, wie deren so hȧufig auf den chinesischen Vasen und auf dem Brustlatz der Mandarine abgebildet sind. Auf diese neue Ent- deckung thue ich mir etwas zu Gute, und wer weiß, ob sich daraus nicht ein neues Licht über die chinesi- sche Mythologie verbreitet. Worüber ich mich dage- gen sehr entrüstet fühlte, war, daß die neuen (nun schon alten) Entdeckungen am Nordpol, in Afrika und dem Himalaya-Gebürge noch nicht einmal an- gegeben waren. Es schien überhaupt die ganze Sa- che etwas en décadence zu seyn, denn, anstatt daß man sonst in Paris zu allen Vorstellungen dieser Art durch hübsche Weiber, die am Bureau sitzen, an- zulocken sucht, nahm hier eine furchtbare Person, die den lepreux d’Aosta glich, die Geldspenden ein. Das Diorama, eine halbe Stunde weiter auf den Boulevards, giebt eine Ansicht des Gotthards und Venedigs. Die erstere Gegend, auf der italienischen Seite des Gebürges, die ich in natura gesehen, war schön und täuschend abgebildet, da aber keine Verän- derungen der Beleuchtung dabei statt finden, wie bei dem, (weit vorzüglicheren) Diorama in London, so giebt der Anblick weniger Abwechselung und Genuß. Venedig war schlecht gemalt, und von so gelbem Lichte beschienen, als wenn es, aus gerechtem Aerger über die Franzosen, die einst seine politische Existenz zerstörten, und es dann nicht einmal behielten — die jaunisse bekommen hätte. Beim Neorama sieht man sich in die Mitte der Peterskirche versetzt, — die Täuschung ist aber nur sehr mittelmäßig, und die Menge der natürlich unbe- weglichen Figuren, bei so viel Prätension zu voll- kommner Nachahmung, störend. Nur Schlafende oder Todte sollte man zur Staffage eines solchen Bildes benutzen. Das Fest des heiligen Petrus wird dargestellt. Pabst, Kardinȧle , Gefolge und die päbst- liche Garde en haye füllen die Kirche, und sind da- bei so schlecht gemalt, daß Seine Heiligkeit der Pabst wie ein vor der alten Jupiter-Statue Petri’s hinge- worfener Schlafrock aussahen. Mit Uebergehung der bekannten Panorama’s und Cosmorama’s, bringe ich Dich endlich in das Urano- rama, im neuen passage Viviene . Dies ist eine sehr ingenieuse Maschine, um den Lauf der Planeten unsers Sonnen-Systems anschaulich zu machen. Ich mag nicht läugnen, daß ich nie vorher eine so klare Idee vom Grunde der Jahreszeiten, der Mondwech- sel u. s. w. hatte, als nach einer Stunde, die ich hier verbrachte. Mündlich werde ich Dich näher davon unterrichten, ja, wenn Du 1200 Franken daran wen- den willst, kannst Du eine Copie der ganzen Ma- schine im Kleinen erhalten, die in keiner ansehnli- chen Bibliothek fehlen sollte. Ich hatte also heute früh mit dem Mittelpunkt der Erde angefangen, dann die verschiedenen Herr- lichkeiten ihrer Oberfläche bewundert und nach einem flüchtigen Besuch auf sämmtlichen Planeten, in der Sonne aufgehört. Es fehlte nichts als ein letztes ama , das mir den siebenten Himmel und die Houris gezeigt, so wäre meine Reise ganz vollständig gewe- sen, und ich hätte mehr in diesem Vormittag ge- sehen, als der ägyptische Derwisch in den fünf Se- kunden, die er mit dem Kopf im Wassereimer zu- brachte. Es ist also wohl das Beste, hiermit auch den Vor- hang vor meinem fernern Thun und Lassen herabzu- ziehen. Wenn er sich wieder vor Dir aufthut, wird es nur seyn, um daß ich Dir selbst daraus entgegen trete — denn schneller wie Briefe eile ich morgen der Heimath wieder zu. Erst, wenn ich dort die Seelenkräfte von Neuem mir erfrischt, will ich die al- ten Pläne vollführen — einen Winter unter Grana- da’s Orangen- und Oleanderblüthen verträumen, eine Zeit unter Afrika’s Palmen wandeln, und die altern- den Wunder Aegyptens zuletzt vom Gipfel seiner Pyramiden betrachten. Bis dahin keinen Brief mehr. Dein treuster Freund L . . . . . Wir hoffen nächstens den dritten und vierten Band , (oder vielmehr den 1sten und 2ten, vide die Vorrede) dieses geistreichen Buches der Welt vorle- gen zu dürfen. Anmerkung der Verlagshandlung. Ende . Druck und Verlag von F. G. Franckh in München.