Zweite Abtheilung : Die Poeten . Das junge Europa . Novelle von Heinrich Laube . Zweiter Band . Leipzig , 1833 . Bei Otto Wigand . Inhalt . Seite 18. Hyppolit an Constantin 1 Valerius an Constantin 1 19. Camilla an Ludovico 36 20. Hyppolit an Julia 39 21. Valerius an Constantin 41 22. Julia an ihre Mutter 48 23. Valerius an Constantin 59 24. Hyppolit an Constantin 62 25. Constantin an Valerius 70 26. Camilla an Alberta 81 27. Hyppolit an Constantin 83 28. Valerius an Constantin 93 29. Hyppolit an Constantin 100 30. Julia an ihre Mutter 103 31. Alberta an Camilla 105 32. Leopold an Valerius 109 33. Camilla an Alberta 118 34. Valerius an William 122 Seite 35. Hyppolit an Valerius 143 36. Valerius an Constantin 149 37. Camilla an Valerius 161 38. William an Valerius 166 39. Constantin an Valerius 169 40. Camilla an Valerius 182 41. Valerius an Constantin 185 42. Der Oberst Kicki an den Grafen von Topf 192 18. Hyppolit an Constantin . Den 7. August. M ein Pferd — mein Pferd — a horse a horse, a kingdom for a horse — ja so hab' ich geschrien, und bin hinuntergestürzt, um fortzujagen nach Paris — lache mich aus, schmähe mich, schlage mich, daß ich nur bis an's Portal des Schlosses kam: Julia stieg aus dem Reisewagen, und sah mich neugierig an mit ihren großen Augen, und das große Auge der Welt¬ geschichte schlug seine Wimpern für mich zu, und ich blieb hier und glühe in Liebesfieber, wie es meine Seele nie gekannt. Vergieb mir, ich reiche dem Valer die Feder, er mag weiter schreiben. Ich kann es nicht. Valerius an Constantin. Ich habe sie gelesen jene Worte, Freund, „Sie haben den König verjagt, weil er die Charte gebrochen,“ II . 1 ich babe sie gehört und mein zitternder Mund hat sie mir hundertmal zum Hören vorgesagt, daß die Eisrinde an meinem Herzen springen und meine liebende Seele, die alles Hoffen verlernt, daran glauben möchte, es gebe noch Recht und Gerechtigkeit in der Welt, und der Freund der Menschen brauche nicht mit gebrochenem Herzen zu sterben. O Berg, der auf meiner Seele lastete, wie hoch flogst du auf, o du schlimmes Jahr¬ hundert, wie hattest du dich verpuppt, daß selbst deine liebendsten Söhne dein Angesicht nicht mehr erkannten. Hätte ich doch einen Franzosen bei der Hand, daß ich ihn küssen, drücken und wieder küssen könnte. Also wieder dieses leichtblütige Volk mußte es sein, das zum zweiten Male die Riegel der Entwickelungsgeschichte hin¬ wegstoßen mußte von der finstern Zeit, auf daß Licht hereinbreche, strahlendes Licht. O mein Vaterland mit deinen Philistern, nur diesmal nicht wieder den ab¬ scheulichen Undank, jene Pförtner der Weltgeschichte, jene rosenrothen Franken nicht anerkennen zu wollen. Ach Constantin, Constantin, ich habe mich gefreut wie ein Knabe, den man eingesperrt hatte, und nun hin¬ ausließ in den Sonnenschein; wie einen unnützen Wanderstab warf ich alle Rücksicht, alle Besonnenheit von mir, fiel dem Grafen um den Hals — wir sa¬ ßen bei Tisch, als Dein Brief ankam — küßte seine Tochter zwei-, dreimal, küßte Camilla fünf-, sechsmal, riß das Fenster auf und schrie in den Himmel: „Jetzt; blauer Bogen, behalte Deine Sonne, auf der Erde ist die Freiheit eingekehrt,“ und den kleinen Leopold hob ich hoch in die Höhe und drückte ihn dann an meine Brust, und zerquetschte ihm fast den kleinen Schädel und rief: „Nun Junge, sing' mir Freiheitslieder“ — ach ich war ein Kind, es war die glücklichste Stunde meines Lebens. Und Dir, Constantin, vergeb' ich alle dummen Streiche und schlimmen Dinge für Deine Schmarre auf der Wange, und glücklich bist Du ja nun auch geworden, es mag kommen was da wolle, Du hast ja bluten, das Leben wagen dürfen für unsern Glauben. Laß' mich schweigen, laß' mich schweigen, Freund, ich werde kindisch. Ich werde Dir von unserm kleinen Ameisentreiben hier erzählen, um mich zu sammeln. Wenn's nur gehen wird. Ich bin ganz aus dem Gleise und möchte hinaus in die Welt, um zu helfen am neuen Bau der großen Weltkirche. Die Verhältnisse begannen eben in ihrer Unordnung sich ein wenig zu 1* ordnen, als — ach ich kann jetzt nicht, die Völker tanzen Arm in Arm auf dem Papier herum, statt der Liebes¬ paare, die es sollen. Morgen, morgen — morgen ist ja auch Freiheit, ich muß mich erst an das Glück, was wie ein Gewitter gekommen ist, gewöhnen. Morgen, übermorgen von unsern kleinen Liebesgeschichten; ich will Parodien von jener begonnenen großen daraus machen, dann wird's am ersten gehn. O Gott, ist denn diese rosenfarbne Welt dieselbe, die noch gestern aschgrau war, soweit ich die Blicke sandte, und Du kleiner Vogel, der sich auf mein Fenster setzt, kommst Du aus dem schönen Frankreich, flogst Du vielleicht über Paris in den letzten Julitagen, hast Du jenes bunte Stück der neuen Welt schon gesehen? Vöglein, willst Du Zucker, bleib ruhig, ich taste Deine Freiheit nicht an, solch' ein Frevler bin ich nicht — nicht wahr, die Freiheit ist das Höchste, da fliegt er fort und lacht mich aus. Bravo, mein Vöglein. Wärst Du doch ein Kutscher, Vogel! — Constantin, Du siehst, ich werde kindisch, ich muß aufhören. In den Fluß will ich mich werfen, meine Gluth zu kühlen, mit den Wellen zu ringen. Mein Körper zuckt nach Thätig¬ keit, ich muß ihn ermüden, sonst bringt er mich um. — Den 8. August. Nichts davon heute. Wie meine heiligste Liebe will ich es einschließen in mein Herz. Von Grünschloß aber will ich erzählen, es wird wie ein grünes Idyll in Dein rothes Epos treten. Du erinnerst Dich, daß mir der Graf Topf räth¬ selhaft war. Ich glaube jetzt etwas mehr auf dem Reinen mit ihm zu sein. Vor einiger Zeit kam ein Graf Fips hier an, ein Ohrfeigengesicht, offenbar um des Grafen Tochter Alberta zu freien. Ich schrieb nach der Stadt einem jungen Manne aus den sogenannten vornehmen Ständen, der sich immer sehr freundschaft¬ lich gegen mich bewiesen hatte, und bat um Auskunft über diesen Herrn Fips, und was man von unserm Grafen sage. Der junge Adlige schrieb sehr unbefan¬ gen und wie es schien, sehr genau unterrichtet. Fips sucht eine reiche Frau; außer diesem Wünschen sei nichts an ihm: das war leicht glaublich. Das Urtheil über den Grafen klingt bizarr, ist aber so mit richtigen De¬ tails unterstützt, und paßt im höheren Stile wirklich zu dieser originellen Figur. „Graf Topf“ — sagt der Briefsteller, — „ist von Jugend auf ein Mann der Mode gewesen, aber im¬ mer der neuesten, so daß er seinen Umgebungen im¬ mer voraus war, und darum stets wunderlich erschien. Als die Mode aufkam, nach Italien zu reisen, ging er auf mehrere Jahre hin, und errichtete in Florenz ein glänzendes Haus für alle Künstler, die bei ihm wohn¬ ten und lebten; er war bald eine Behörde der dortigen Kunst. — Als die Franzosen vertrieben waren, und Alles gegen sie schimpfte, war er der erste Napoleons¬ poet, und vertheidigte ihn gegen alle Welt. Zur Zeit der europäischen Congresse begann die Aristokratie ein neues übermüthiges Leben, ihr Muster war Graf Topf, der schon ein halbes Jahr vorher in der Residenz den grand seigneur spielte, von dem man damals glaubte, er ruinire sich aus eitel Hochmuth. Damals lebten ab und zu in seinem Hause die bedeutendsten Schrift¬ steller der Reaction. Hr. von Haller war viel will¬ kommen, Kotzebue sehr wohl aufgenommen, Hr. von Stourdza hatte sein Absteigequartier beim Grafen Topf und Frau von Krüdener trank alle Tage Thee bei ihm, und segnete die Theegesellschaft. Nur die Turn¬ zeit, das altteutsch gebundene Gesangbuch der Reaction, hat er beinahe verpaßt. Das allzu Demokratische daran mochte ihn eine Zeitlang abgehalten haben, sich damit einzulassen, und wahrscheinlich hoffte er, die Richtung werde bald vorübergehen. Dennoch erinnern sich noch sehr Viele lebhaft, daß er einer durchziehenden Tur¬ nerbande ein großes altteutsches Mahl gerüstet, und weil er nicht schnell genug einen teutschen Rock bei der Hand gehabt, mit bloßem Halse und halb entblö߬ ter Brust dem alten Jahn gegenüber im Schlafrock prä¬ sidirt habe. Man erinnert sich noch eines lebhaften Streites, den er mit jenem geführt, ob Kastavien eine ächte teutsche Frucht seien. Jahn verneinte es zürnend, und warf eine große hölzerne Schüssel, — denn Topf that nichts halb, und alles Geschirr war antik — voll Kastanien an die Erde, obwohl seine Turner sich ein wenig opponirten, weil ihnen die schmackhaften Maro¬ nen behagten. „Eicheln, Topf, wuchsen im Teutobur¬ ger Walde, Eicheln, nicht aber diese welschen überal¬ pigen Gewächse, mit denen wahrscheinlich Hannibal seine Truppen zu Capua verweichelte. Thu mir nicht ein Gleiches mit meinen jungen Söhnen Teuts, Topf, ich beschwöre Dich bei Hertha's weißen Rossen.“ Der Graf argumentirte eine Zeitlang mit dem Nibelungen¬ liede, dann gab er gerührt nach, und umarmte Jahn mit den Worten: „So retten wir Teutschland vor aus¬ ländischem Tand. — Jahn, keine Kastanien!“ „Als der spanische Korteskrieg ausbrach, hatte er sich wahrscheinlich mit dem englischen Unterhause in Rap¬ port gesetzt, kurz mehrere Tage vorher, eh' Canning zu St. Stephan sich erhob und seinen liberalen Donner über Europa schleuderte, hielt der Graf Topf bei einem Gastmahl eine ähnliche Rede, und ward so lange für verrückt gehalten, bis die Zeitungen aus England anka¬ men. Lang vor der Schlacht bei Navarin war er der renommirteste Philhellene im ganzen Lande, und theilte oft englische Griechenlieder mit, welche ihm sein Speci¬ alissimus Lord Byron geschickt haben sollte. Noch ehe der Kaiser Nicolaus daran dachte, den Verdienstadel ge¬ gen den Erbadel zu erheben, vertheidigte er mit steigen¬ der Beredsamkeit diese Idee und focht gegen die Türken und gegen den Halbmond, eh' die russischen Truppen dazu kommandirt wurden. Seine unverkennbare Absicht ist immer dahin gegangen, den weitsehenden Politiker, den Mann der modernsten Bildung zu spielen: man weiß nicht, ob er je ein wichtiges Staatsamt gesucht, oder nur den Titel eines Gonfaloniere der Zeit erstrebt; aber trotz seiner extremen Handelsweise, die ihn oft vor¬ übergehend lächerlich gemacht hat, steht er in dem Rufe großer Klugheit, und alle Welt ist der Meinung, daß er sich jetzt mit jungen Geistern Ihrer Art umgiebt, da¬ mit er der Zeit vorausgehoben werde. Nach dem, was jetzt in Frankreich vorgefallen, scheint es ihm wirklich wieder gelungen zu sein, denn ich kenne ja Ihre libe¬ rale Richtung, die wahrscheinlich auch Ihre Freunde theilen. Man spricht neben der Julirevolution nur vom Grafen Topf und seinem historischen Treffer, und Sie werden wahrscheinlich bald mehrere der hiesigen Notabi¬ litäten auf Grünschloß sehen, welche das Terrain recog¬ nosciren wollen. Das wird des Grafen größte Freude sein. Sein Vermögen ist zwar durch seine kühne Art zu leben ein Wenig erschüttert, aber noch keinesweges zerrüttet, und er wird bei der Vermählung seiner Tochter keiner andern Rücksicht folgen, als sie dem historisch mo¬ dernsten Manne zu geben. Stand, Vermögen wird gar nicht in Betracht kommen, schon weil es jetzt Mode wird, die sogenannten geistigen Vorzüge im Gegensatz zu den herkömmlichen allein zu beachten. Von dieser Seite also, werther Freund, steht Ihnen gar nichts im Wege, wenn Sie Absichten auf die schöne Alberta ha¬ ben — davon ist man jetzt nach den Julitagen allge¬ mein überzeugt, daß Graf Fips nicht reüssirt.“ — So viel aus jenem Briefe. Denke Dir nun den Grafen als einen Fünfziger, als einen Mann von den feinsten Sitten, dem gebildetsten, artigsten Betragen, der in allen Dingen Kenntnisse, und für Alles große Em¬ pfänglichkeit besitzt. Es ist wahr, sein Wissen ist meist oberflächlich; er hat die Klassiker gelesen aber nicht empfunden, er kokettirt mit den Griechen und ein abgeschmackter hohler Römer läuft ihm hie und da da¬ zwischen; er hat Geschichte studirt, weil er sie aber oft an so verschiedenen Fäden aufgereiht hat, so sind seine Ansichten verworren geworden. Er hat von allen Re¬ ligionsphilosophemen genippt, ist abwechselnd Atheist, Deist, Protestant, Quäker und Pantheist gewesen und wie alle extreme Geister, die in der eignen Positivität keinen Haltpunkt finden, am Ende romanischer Katholik geworden, der aber noch immer mit Aufmerksamkeit Re¬ ligionsgespräche anhört. Sein Aeußeres ist imponirend. Von hohem starken Wuchse hat sein Gang jene adlige Gemessenheit und Sicherheit, die wir noch in unsrer frühen Jugend so oft an den damaligen Grafen und Baronen gesehen. Die Geberden, Gesticulationen, Be¬ wegungen sind weit, breit, aber sicher gerundet. Du siehst, wie viel auf den ersten Tanzmeister ankommt, denn ich bin überzeugt, daß sich der Graf viel Mühe gegeben hat, die modernen, kürzeren Bewegungen zu erlernen. Natürlich geht er ganz modisch gekleidet. Sein lockiges Haar ist noch voll und dicht, wie das ei¬ nes Jünglings, aber schneeweiß. Das giebt dem gan¬ zen Gesichte, welches sich ebenfalls durch einen sehr wei¬ ßen Teint auszeichnet, etwas Geisterartiges, und die un¬ stäten schwarzen Augen irren wie heimathlos umher. Der Schnitt des Gesichts ist edel; eine Römernase er¬ höht diesen Eindruck. Nur der etwas breite eingeknif¬ fene Mund und der untere Theil des Kopfes deutet dar¬ auf hin, daß der Mann schon viel gelebt habe. Die Faltenlinien von den Nasenflügeln aus drängen die un¬ tere Wange tief hinab nach dem Kinn. Dieser untere Kopf hängt nur, und hat die Spannkraft verloren; er ist das Bild seiner Charakterlosigkeit. Er redet fast alle Sprachen und dem Anschein nach alle gut, wenigstens versichert es Hyppolit vom Spanischen, William vom Englischen, Leopold vom Italienischen und ich höre es am Französischen, das er keineswegs so altmodisch wie die meisten unserer Aristokraten redet, die wie der junge Anacharsis plappern. Eins ist überaus liebenswürdig an ihm: sein Sinn für jede Art von Poesie. Der Mann verdaut mehr Verse in einem Niedersitzen als ich einen ganzen Monat lang im Stande bin zu verbrau¬ chen, und hört Raisonnements über Poeterei an, bis der Raisonneur heiser ist. Ich glaube, er hat viel geliebt; er kostet das kleinste Lied durch und durch und hat wirk¬ lich ein so ausgebildetes Gefühl dafür, daß ihm nicht die kleinste Andeutung oder Beziehung entgeht. Dies ist denn auch das schöne Band, welches ihm seine Toch¬ ter fest am Herzen erhält. Ich glaube wirklich nicht, daß er ihrer Neigung nur im Entferntesten in den Weg treten würde, sie müßte denn auf einen ganz veralteten jungen Mann fallen. Aber ich habe nichts als Besorg¬ niß mit der schönen Alberta. Seit einiger Zeit neigte sie sich offenbar mit großer Vorliebe zum alterthümlichen William, diesem altenglischen Stockjobber, wie Ihr ihn zu nennen beliebt. Ich glaube, sein gläubiges Christen¬ thum fesselte die weiche furchtsame Seele. Da kam Hyp¬ polit, das reizende böse Geschick der Weiber, und nun ist die Verwirrung vollständig. Es ist eine sehr schlimme Sache mit Hyppolit. Wie oft hab' ich es ihm vorge¬ stellt, daß es gar kein Rechtsverhältniß sei, in das er sich Frauenzimmern gegenüber begebe. Er geht jede Ver¬ bindung ein, ohne von seiner Seite auch nur irgend etwas Andres zu gewähren, als daß er genießt, so lange es seine Laune so will. Auf meinen ernsten Tadel und meine eben so ernste Versicherung, daß ich ihn einsper¬ ren lassen würde, hätte ich Gewalt über ihn, erwiderte er lachend, daß er nie von einem Frauenzimmer Liebe verlangt, noch irgend einer mehr als augenblickliche Nei¬ gung versprochen habe. Es sei ein rechtliches Contrakts¬ verhältniß; daß man von der andern Seite oft mehr präsumire, wäre nicht seine Schuld. Was soll ich mit ihm anfangen? Soll ich ihn der Polizei anzei¬ gen? Die betrachtet blos die moralisch Buckligen, Lahmen ꝛc.; sie ist nur für äußere Uebel da, die jeder andere Mensch auch sieht; soll ich ihm unaufhörlich Steckbriefe schreiben und seine Umgebungen vor ihm warnen, wie ein Gensd'armes mit blanker Klinge neben ihm herreiten? Wenn ich ihn nur überzeugen könnte, daß er unter unsern bürgerlichen Konstellationen Unrecht habe, daß man dem Verbande einer Gesellschaft Vieler¬ lei, so auch dieses zum Opfer bringen müßte. So lange das Verhältniß zwischen Mann und Weib noch nicht anders geordnet ist als wie jetzt in das traurige Ein¬ mal Eins der Ehe, so lange erfordert die Verpflichtung ge¬ gen die neben mir Stehenden meine Aufmerksamkeit, Scho¬ nung, Vorsicht, ja Entsagung; Hyppolit kennt aber nur Verpflichtungen gegen sich, darum ist er eigentlich für kei¬ nen civilisirten Staat zu brauchen. Die persönliche Frei¬ heit ist bei meiner Theorie durchaus nicht gefährdet, aber die Freiheit sieht, nur die Schrankenlosigkeit ist blind. Das Weib, was gleich mir die Ehe nur für eine Krücke der tausend Schwachen, nur für ein leider noch immer nothwendiges Hülfsmittel der Gesellschaft ansieht, das Weib, was sich stark genug fühlt, die äußeren Nach¬ theile der Gesellschaft zu ertragen, sobald diese den Be¬ trug gegen sich entdeckt — dies Weib ergiebt sich mir mit Freiheit, und sie freut sich oder leidet wie ein selbst¬ ständig freies Wesen, jenachdem unsere Verbindung Freude oder Leid bringt; dies Weib such' ich zu gewin¬ nen, sobald sie mein Interesse für sich erregt. Aber den Galeerensclaven von Freiheit und Genuß zu reden, ist grausam: ein Weib, was in den gewöhnlichen Ban¬ den der Gesellschaft Nothwendigkeit sieht, Befriedigung, Genüge findet, in Opposition gegen sie also zu Grunde gehen müßte, ein solches Weib an sich reißen und doch ihre Ansichten vom bürgerlichen Leben nicht annehmen wollen — das ist Laster. Und in solchem Falle ist Hyppolit. Die Welt um ihn lebt im rechtlichen Frie¬ denszustande, er aber zieht umher wie ein außerrechtlich erobernder Krieger, das ist eine unverschämte Bevorzu¬ gung des Individuums gleich dem Absolutismus, die ich verabscheue, und doch kann ich mich nicht zu dem phili¬ sterhaften Handwerk entschließen, Alberta, seine sichre Beute, vor dem Unglück, was ihrer harrt, zu warnen. Weiß ich denn auch, ob das Mädchen nicht glücklich ist, wenn sie nur eine heiße Stunde unter den Strahlen ihrer Liebessonne ruht? Wie ist sie glücklich, wenn sie ihn nur sieht, träumerisch geht sie mit uns umher, lächelt schmerz¬ lich, spricht wenig, und ist innig, weich wie ein Blu¬ menblatt. Mit allen Waffengattungen ist die Liebe in ihr sanftes Herz gezogen, und hat Alles zum Kriegs¬ stande ausgerüstet: wenn der Feind der Liebeshindernisse in unsern Gesprächen zum Vorschein kommt, da hebt sie das schöne Köpfchen plötzlich muthig, und ihr Türken¬ bund, den sie um den Kopf trägt, wirft sich in den Nacken und sie fordert kühn alle Welt heraus. Alle Scheu ist von ihr gewichen in solchen Momenten. In einem ähnlichen Gespräche redete ich ihr in diesen Tagen — wir promenirten in einem entfernten Theile des Gartens — aus vollem Herzen und mit inniger Ueberzeugung von der Freiheit jeder Art. Sie horchte mir mit ge¬ senktem Haupe zu, plötzlich blieb sie stehen, sah mich mit den rührenden Blicken eines Engels, dem das Ge¬ fühl die Brust sprengen will, lange und innig an, faßte auf einmal mein Gesicht in ihre beiden Hände, legte das Köpfchen auf meine Brust und sprach: „Sie sind ein guter Mann“ — dann flog sie schüchtern wie ein Reh von dannen. Wenn Hyppolit mit ihr sprach, so schauerte sie in Liebeslust; ich hab immer gefürchtet, sie werde ihm einmal öffentlich um den Hals fallen. Graf Fips läßt immer neue Kravatten und Fracks aus der Stadt kommen, ich glaube aber, er fängt allmäh¬ lig an zu verzweifeln, wenigstens spricht er schon sehr lange von der Abreise. Er ist in einer sehr üblen Stel¬ lung, und ich bewundre aufrichtig die Schaafsgeduld die¬ ses Menschen, dies Treiben mehrere Wochen mit anzu¬ sehen. Uns bürgerliches Pack verachtet er natürlich im Grunde seines Herzens und in Verzweiflung richtet er hie und da das Gespräch an den legitimen William, das ist der einzige Knopf seines Rocks, auf den er sich verlassen kann. Der Graf sucht das Gespräch immer allgemein zu machen, und das liebt Graf Fips nicht; die Unterhaltungen, welche er mit den Damen anknüpft, schnappen auch stets in großer Geschwindigkeit ab; bei Hyppolit muß er befürchten, gar keine Antwort zu be¬ kommen. Leopold, den er manchmal gern zum Besten haben möchte, verwickelt ihn in poetische Gespräche, aus denen er keinen Ausweg findet; mich hat er nie recht leiden mögen, nach einem neulichen Gespräch über Adel, feine Manieren ꝛc., was ich Dir später mittheilen werde, haßt er mich unzweifelhaft entschieden; er läuft wie ein verlorner Gedanke aus vergangner Zeit unter lauter fremden Büchern herum, rückt seine Brille, zupft den braunen Frack in die Taille, ist ein Laffe — das sind seine Vergnügen. Seit wir ein demokratisches Treiben bei Tisch vorgeschlagen haben, ist er ganz sprachlos. Man aß früher an langer Tafel, und in den Sitzen herrschte eine Art Rangordnung. Wir stellten dem Gra¬ fen vor, daß alles Schöne und Große rund sei, alle Ecken würden heutiges Tages abgeschliffen — den Tag drauf speis'ten wir an einem runden Tische und setzten uns, wie's eben kommt. Der Graf hat sich nur aus¬ bedungen, daß ich immer neben ihm sitze, und da wir immer zusammenschwatzen, so sitzt Camilla fast immer zu meiner andern Seite, sie müßte denn böse auf mich sein. Sie ist ein sehr liebenswürdiges Wesen, hat viel Verstand, faßt sehr schnell und ist munter über und über. Du weißt, wie ich das liebe. Sie stellt sich zwar, als schnelle sie die Gefühle mit dem Finger fort, ich glaube aber aus einzelnen Gewitterschlägen ihres Wesens schließen zu können, daß sie der tiefsten Leidenschaft fä¬ hig ist, da sie zu den verschlossnen Gemüthern gehört — verstehe mich recht: zu denen, welche alle Thüren des Wesens offen halten, die innerste Herzensthür aber nur allein unter Thränen der schönsten Freude oder des tief¬ sten Leids öffnen, sonst aber so verstellen, daß man gar keine Thür ahnen, und Alles an ihnen zu wissen glau¬ ben möchte. Da sie ein solch verstocktes Gemüth ist, so wird sie einst unendlich reicher als tausend Andre be¬ glücken können, aber auch unendlich glücklicher oder un¬ glücklicher sein. Alle innersten Herzenskräfte harren näm¬ lich noch ungeschwächt ihrer Befreiung. Sie ist hoch und sehr schön gewachsen und hat ein äußerst liebreiches Gesicht, lächelnde schalkhafte Augen, eine zierliche Stumpf¬ nase, einen kleinen üppigen Mund, der viel schwatzt und lacht und blendend weiße Zähne zeigt. Ihr volles lichtbraunes Haar flattert in zurückgestrichenen Locken in einen vollen, feisten, schneeweißen Nacken, der wie zum Köpfen gemacht ist. Ich nenne sie darum oft Ludwigs Frau, und erkläre ihren öftern Eigensinn und ihre Hart¬ näckigkeit daher. Das thu' ich oft, weil sie mich dabei immer auf den Mund schlägt. Wie ein bunter Vogel geht sie gekleidet; ich habe sie mehrmals darüber ver¬ höhnt und bin deshalb von ihr ausgelacht worden, weil ich so wenig Farbenschönheit und Farbenverhältnisse be¬ griffe. Und sie hat den Sieg davon getragen, hat sich mehrmals einfarbig gekleidet, und ich habe zugestehen müssen, daß es nicht zu ihrem bunten Wesen passe. Noch an jenem Abende, wo Alberta so erregt war, daß sie mich fast mit ihrem Geliebten verwechselte, fand sie sich mit Hyppolit zurecht. Ich sah zufällig der Scene zu, es war wirklich ein artiges Bild. Neben dem gro¬ ßen Saale, wo wir oft sind, ist nur durch eine Glas¬ thür getrennt und mehrere Stufen tiefer das Gewächs¬ haus, wo ein Theil der Orangerie steht, der nicht Raum genug vor dem Schlosse haben oder vielleicht die teut¬ sche Luft gar nicht vertragen mag. Ich suchte Camilla, die sich nirgends sehen ließ — der Saal war leer; ich gehe bis an die Glasthür und sehe in der Tiefe der südlichen Bäume Alberta sinnend und träumend die Hände in den Schooß gelegt unter einem Feigenbaume sitzen. Sie sah wie Preciosa aus, die mit gebrochnem Herzen nachsinnt, ob ihr wohl Alonso aus Madrid nach¬ folgen werde. Da öffnet sich die Thür an der andern Seite der Orangerie und einen Fandango singend kommt Hyppolit herangestürmt. Wie im Traum springt das Mädchen auf und hebt die Arme. — Hyppolit, den nichts überrascht, faßt ihre Hände, sie sinkt ihm an die Brust und umschlingt ihn; er hebt mit beiden Händen ihren Kopf in die Höhe und küßt sie. Die fremden Bäume und ich hinter der Glasthür, wir sahen still zu; mal' es aus das Bild. Später. Der Graf holte mich gestern vom Schreiben zum Spazirengehen ab. Ich bin sehr verdrießlich, Freund, über all die Dinge, die sich hier zusammenfädeln; es ist lächerlich, daß ich sie Dir erzähle, der Du auf dem Markte der Welt Dich herumbewegst. Aber ich denke, dieser Mikrokosmus soll Dich doch unterhalten, ich fürchte er wird nur zu bald sehr interessant. Der Graf war so unsicher, er fühlte so hin und her nach Diesem und Jenem an mir und Hyppolit, daß ich nicht weiß, wie ich Dir's beschreiben soll. Mir ward ganz heiß dabei, — es wurde alles so heirathlich, so bürgerlich ernsthaft, daß mir bald kein Zweifel blieb, der Graf wolle unserm Weibertreiben ans Leben gehn. Ich konnte nicht klar heraustreten mit meinen Antworten, weil er es mit sei¬ nen Fragen nicht that, und ich solchergestalt leicht eine Betise begehen konnte; indeß ließ ich ihn doch nicht un¬ deutlich merken, wie diese ganze Wendung der Fahrt nicht in meinen Kram passe, mir sogar sehr unangenehm sei. Die Welt ist doch wahrhaftig eine so große Hei¬ rathskanzlei, daß man nur in ein Haus treten darf, worin ein weibliches Wesen wohnt, um beim Heraus¬ gehn Heirathsfragezeichen auf dem Rücken zu haben. Wird nicht alle Geselligkeit dadurch zu Grunde gerichtet! Sieh unser Schloß an, wie ist alles durch diese ver¬ zweifelte Einzäunung zerrissen, zertheilt! Graf Fips reis't schon seit 14 Tagen ab, und ärgert sich alle Tage dreimal, daß er noch da ist und beschließt 10 Mal, mor¬ gen werde er reisen und immer nur ein Mal, daß er noch einen Tag warten wolle. Wenn die Sonne auf¬ geht, da ist die Erde unschuldig und der unglückliche Liebhaber hofft das Beste — dieser Fips ist ein Maul¬ affe, aber er fühlt seinen traurigen Schmerz, einen Korb am Frackschoß zu tragen, so gut wie Einer. Was ihm an Gefühl zur Empfängniß dieses Schmerzes fehlt, das ersetzt die Eitelkeit; ich glaube, er wartet blos, weil er sich fürchtet, leer in der Stadt anzukommen. Leopold's leichter Sinn ist sogar gebrochen, er hinkt wie ein lah¬ mes Füllen hinaus in's Feld; man ist ihm zu ernst¬ haft geworden, sein Scherz erschrickt vor den verkauf¬ ten oder verschenkten Augen, die keinen Blick für ihn haben. Für ihn ist mir zwar am wenigsten bange; er ist mir der Flußreiher in der Fabel, er nascht am Besten herum, bis ihn der Liebeshunger drängt, mit ei¬ nem Gründling vorlieb zu nehmen. Ich höre, er hat sich beim Pastor und Förster bekannt gemacht, und er tändelt wahrscheinlich bereits von der Waldmaid zum Gotteslämmchen. Aber William ist mir ein Gräuel, seine eigne philisterhafte Absonderungswuth rächt sich fürchterlich an ihm: weil er Alles, die ganze reiche schön Welt zu Zwei und Zwei abschachteln möchte wie in eine traurige dumpfe Arche Noäh, so ist er nun selbst ein verlaßnes, trostloses Wesen. Seit sich Alberta so entschieden mit allen Kräften zu Hyppolit wendete, ist dieser William ein wahrer Cromwell, der Alles maltrai¬ tiren möchte. Er ist ingrimmig, grob, ungezogen, ja boshaft wie ein verwöhnter Knabe. Er ärgert Alles. Das ist nun jene christliche Liebe, welche der Mann auf der Lippe trug. Weil er keine Freiheit kannte im Glauben und Gefühl, so weiß er nun auch keine zu gestatten. Er ist auch in der Eifersucht Fanatiker und Schwärmer; er ist sehr unangenehm. Es ist kein Schmerz in ihm, son¬ dern Grimm. Ich selbst bin aus meiner Ruhe aufge¬ stört, weil ich die fröhliche Camilla täglich mit verwein¬ ten Augen sehe, weil ich kein heitres Wort mehr von ihren Lippen höre, weil mich das gute Mädchen innig dauert, und ich durchaus nicht weiß was ihr fehlt. Sollte das unglückliche Mädchen etwa auch den Mörder Hyp¬ polit lieben?! Nun sieh, was sind das für Dinge, was ist das für unnütze Verwirrniß, die das Leben un¬ klar, unerquicklich macht. Ach, ich bin ärgerlich! Als gäb' es auf der Welt keine andern Beziehungen mehr als zwischen Mann und Weib! Ich bin der traurigen Camilla selbst so gut geworden, daß ich in mir selbst Verwirrung fürchte. Und nun führt das Geschick die Gräfin Julia hieher, und das Haus wird ein Tollhaus. Ich will die Sache erst noch etwas reifen lassen, eh' ich Dir breiter davon spreche. Wir geben uns alle mögliche Mühe, wichtige, spannende, ja verletzende Gespräche über allgemeine Gegenstände auf's Tapet zu bringen, sobald wir bei Tisch oder beim Thee alle versammelt sind, da mit die große Spannung und Zerrissenheit der Gesell¬ schaft zugedeckt werde. Höre eines derselben. William behauptet in seinem Grimm, daß die häusliche Einrichtung in den höheren Bürgerhäusern be¬ quemer sei, als in den meisten sogenannten vornehmen, adlichen Häusern; der Adel wohne oft schöner, aber selten so gut als der wohlhabende Bürgerliche. Fips nahm die plump angefangene Sache eben so plump auf, und reizte mich, sie fortzuführen. Ich sagte, der Vornehme kenne die häuslichen, kleineren, fast trivial aussehenden Bequemlichkeiten im Leben selten — er wohne vielleicht in der brillantesten Stube, aber es sei in der ganzen Stube kein wollüstiger Winkel, wo er sich im Körper oder Faulheitsdrange ganz ausstrecken könne, es seien so viel Herrlichkeiten aufgehäuft, daß er etwas zu zer¬ schlagen fürchte, es fehle das Lauschige, Behagliche der Wohnung, eine Hauptblüthe der Kultur, die Horazische Vermischung des Nützlichen mit dem Angenehmen, des Angenehmen mit dem Schönen, die Hauptsumme all dieser Dinge: das Bequeme gehe den sogenannten Vor¬ nehmen meist ab. Sie leben ewig im Frack — war ich keck genug zuzusetzen — sie gehen auch zu Hause in kurzen seidnen Strümpfen umher, mit denen man keinen Sprung wagen darf, ohne fürchten zu müssen, daß sie platzen. Und das kommt daher, weil Alles an ihnen auf die Oberfläche, auf die Erscheinung berechnet ist; sie schätzen Alles nach dem, wie es in die Augen fällt, wie es scheint , niemals nach dem wie es ist ; daher ihr oberflächliches Wissen, daher die historische Erscheinung, daß fast alle gesellschaftlichen und sonstigen Entdeckungen von der nicht vornehmen Klasse ausgegangen sind. Daher ihr Wohnen, ihre Kleider, Formen, die sogenannten seinen Manieren — es ist Alles heller Sonnenschein auf einer Schneeflur; es sieht Alles glatt, weiß, glänzend, ja schimmernd aus, und ist doch unerquicklich, kalt und unbequem. Es fehlt in diesem Ganzen das Innerliche, das Herz. Sie bringen’s, wenn es hoch kommt, bis zum Geist, nim¬ mer bis zur Seele; das liegt am ganzen Zuschnitt: sie wollen von Jugend auf glänzen, nicht aber wärmen. Hyppolit setzte hinzu, daß die eigentlich vornehmen Leute nur die Staffage der Welt seien, und daß darum die Ausnahmen unter ihnen, welche tiefer gehen und fühlen und ausfühlen wollen, meist unglücklich würden. Al¬ berta schrack zusammen, und sah den Sprecher, mit einem Blick schneidenden Schmerzes an. Fips machte ein II . 2 verächtliches Gesicht und sagte gar nichts. Der Graf aber schien ebenfalls verletzt zu sein und meinte, das ganze Raisonnement sei sehr einseitig, und das Ganze sei von einem Winkel aus angesehen. Es wäre viel¬ leicht etwas daran richtig, wenn man die historische Stellung das Adels, dem der Angriff doch unzweifel¬ haft gelte, auf eben diese Weise darthun könne. Der Adel, nahm Hyppolit das Wort, hatte eine in der ganzen Construktion der Gesellschaft begründete Stellung, er war ein integrirender, lebendiger Theil des Staats¬ lebens, mit einem Worte, er war Leben, als es nur Herren und Sklaven gab. Die herrschende Klasse, die aus den Anführern oder den Kriegern oder den Ero¬ berern bestand — denn nur das Schwert war das Kri¬ terium — wurde der Adel, sie gestatteten Einem, Fürst zu sein, und hielten ihn nur soweit in Zaum, daß er ihrer Theilnahme am Herrenrechte nicht zu nahe trete. Allmählig machten sich aber die Sklaven durch ihre heranwachsende Masse, durch Erfindungen, durch Gelehr¬ samkeit geltend, das Schwert reichte nicht mehr ganz aus; da sprach der Adel die Vergangenheit um Hülfe an, er erfand die Stammbäume, die Ahnen; an die Stelle des Schwertrechts trat das historische. Der Verzug des größeren Besitzes machte es ihm noch lange Zeit möglich, eine höhere Klasse zu repräsentiren. Der speculative Geist des Bürgers riß nach und nach einen großen Theil dieses Besitzes an sich, die Gelehrsamkeit wurde immer flüssiger, man fing an, die Bestandtheile der Gesellschaft zu prüfen, der Adel war genöthigt zu glänzen , weil sein Kern verdorrt war. Alle höheren Thätigkeiten des Menschen drängten sich allmählig in einen Früchteknoten zusammen, es entstand die Bildung und sie stürzte den Adel, weil sie das Kriterium des Schwertes und der Ahnen vernichtete. Die Allgemein¬ heit ward vernünftig und es wurde ein lächerlicher Be¬ griff, auf eine höhere Stellung in der Gesellschaft An¬ sprüche zu machen, weil es die Vorfahren gethan. Aber mein Gott, begann Graf Fips, es muß doch ein Unterschied existiren. Er erhielt lange keine Antwort, weil Jeder lachte. Das Gespräch schien ab¬ gebrochen und der kleine Leopold knüpfte es spaßhaft mit einer Antwort für Fips wieder an. Allerdings, sagte er, ein Unterschied zwischen Klugen und Dummen, und der existirt noch. Der Graf Topf schwieg. Wil¬ liam aber erhob seine Stentorstimme und vertheidigte das Mittel der Erinnerungen, was Tausende aufreize, 2* besser zu sein, als sie ohne selbiges sein würden. Er sei nicht eben für den Adel, aber wenn man solches Verhöhnen alles Herkommens und historischen Rechtes zugäbe, so bräche das jakobinische Vernunftrecht unheil¬ voll über alles herein und nichts stünde mehr sicher. Ich erwiderte ihm, daß nichts bestehen solle, was nicht vernünftig sei, daß darüber kein Zweifel mehr obwalte, und man nur über die Art und den Weg, alten Schutt wegzuräumen uneins wäre. Die gemäßigten Reformer wollten kein Privatrecht verletzen, um allgemeines Recht zu erzeugen. Der Adel selbst aber sei nicht einmal ein Privatrecht, sondern nur ein usurpirter Titel einer alten Gewalt, die Gewalt sei aber gestürzt und ein König ohne Land sei ein Narr, wenn er sich noch König nennen und von Hofceremonien umräuchern lasse. Der Adel sei für wahnsinnig zu erklären — fuhr Hyp¬ polit fort — wenn er noch in Generalsuniform ein¬ hergehen wolle, während er längst mit der großen Men¬ ge in Reih' und Glied marschiren müßte. „Wollen Sie nicht „schwach“ sagen?“ schaltete Graf Topf ein. Du siehst, wie gereizt das Gespräch wurde. Ich versuchte einzulenken, und mich auf den Anfangspunkt der Unterhaltung, den Mangel des bequemen warmen Lebens beziehend, setzte ich hinzu: Es ist aber auf der andern Seite etwas, was der Adel aus seiner Herrscher¬ zeit behalten hat, und was wir ihm immer noch nicht haben gleich thun können, das ist die leichte Art zu leben. Er lebt geflügelter, freier, weil er sich hoch ge¬ stellt glaubt, seine Geschäfte sind ihm Nebensache, der Genuß des Lebens aber Hauptsache. Er weiß mehr zu genießen, weil er mehr sucht. Die Mühen der Jahr¬ hunderte, durch welche wir bis hieher gekommen sind, lasten noch lähmend auf unsern Schwingen. Der Adel hat keine Mühen gekannt, drum ist sein Wesen leichter, drum verfällt er nicht in den Irrthum, das Geschäft für den Zweck anzusehen, wie es z. B. unser Kauf¬ mann thut. Unser höherer Bürgerstand lebt bequemer, weil er von Jugend her immer noch eine Flügelthür seines Herzens offen stehen hat und innerlich zu voll ist, um blos auf das Aeußere zu sehen; er erbt kein Ansehn, muß also sein Reisegeld verdienen — aber der Adel lebt leichter, weil er von Jugend auf sorglos ist. Er kennt unsre Hypochondrie, die Krankheit der Mühe, nicht. Indeß, der Sieg ist schon lang erkämpft, und die Noth des Kampfes wird bald vergessen sein, dann er¬ werben wir auch diesen Vorzug, dann wird der Adel nicht nur getadelt, er wird verlacht werden, wie jeder banquerotte Kaufmann, der noch nach Goldstücken rechnet. Aber der Menschen Sinn trachtet nach Bevorzu¬ gung — hub Graf Topf an — nur das moralische Streben bändigt ihn; unter den Siegern über die historische Klasse bildet sich wieder eine Aristokratie, die Phasen der Geschichte sind nur ein Wechsel der herr¬ schenden Klassen, aber kein Aufhören derselben; der neue Feind ist die Geldaristokratie und wahrlich, meine Herren, sie ist noch platter und prosaischer, sie hat nicht einen Funken von Poesie, und grade das Extrem des Adels, das trostlose Geschäft, schwingt sich im Gewande der Industrie auf den Thron, mir schaudert vor dieser neuen, blos rechnenden Herrschaft, wo die Herzen nichts mehr gelten. Ich gab ihm Recht und gestand zu, daß wir sehr auf der Hut sein müßten, uns den Sieg nicht steh¬ len zu lassen, den Sieg der Bildung. Immer aber, fuhr ich fort, ist das doch ein großer Schritt weiter, wenn der Erbaristokratismus gestürzt ist, und wir viel¬ leicht leider beim Geldaristokratismus angekommen sind, so ekelhaft dieser auch sein mag. Die nächste Morgen¬ röthe kann mir das Geld, einige Jahre können mir die Gelehrsamkeit, das Wissen bringen — keine Ewig¬ keit, kein Gott kann mir eine Vergangenheit, lächerliche Ahnen geben, wie sie der Adel verlangt. Und darin liegt das Fundament zukünftiger Zeit, die vielleicht jetzt in Frankreich beginnt. Alle Wege müssen offen sein zu Allem — nicht unbedingte Gleichheit, aber unbedingt gleiche Befugniß zu Allem, das ist die Loosung des neuen Jahrhunderts. Erbt nicht der Sohn des Millionärs auch die Million? warf abgehend von meinem Schlußsatze der Graf ein. Hyppolit antwortete für mich: Er kann sie morgen ganz oder zum Theil verlieren, und sein Nach¬ bar kann sie gewonnen haben. Sie können Ihre Ah¬ nen nicht verlieren, kein Nachbar kann sie gewinnen, darin ruht der Widerspruch mit der neuen Theorie: Al¬ les muß für Alle erreichbar sein. Graf Fips meinte, ich hätte der feinen Manieren mit erwähnt, die würden nach diesen barbarischen An¬ sichten ganz zu Grunde gehn. Ich erwiderte ihm, daß ich die feinen Manieren allerdings für ein Produkt der Civilisation ansähe, daß ich aber keinesweges an ihren Untergang ohne den Adel glaubte. Manches von dem, fuhr ich fort, was Sie, Herr Graf v. Fips, so nennen, dürfte allerdings verloren gehn; Manches von dem, was der Adel darunter versteht, der aber nur eine Frucht mit schöner Schaale will, die ihren Zweck durch ihr Aussehen erreicht habe, nimmer aber geöffnet zu werden brauche — die eigentlichen feinen Manieren sind ein Ergebniß der höchsten Kultur, und die meisten feinen Leute kennen sie nicht, weil sie eben nicht culti¬ virt genug sind. Es handelt sich dabei natürlich nicht um ein Kompliment oder diese und jene Floskel, das ist nichts als Tournüre, die durch einige Uebung wie das Tanzen von Jedem erlernt werden kann, und er¬ lernt werden soll, denn sie ist die Bedingung des Er¬ scheinens, und das Erscheinen soll schön sein. Es han¬ delt sich aber um das höchste geistige Verständniß und um die schönste und gewandteste und geeignetste Erschei¬ nung des Geistigen, es handelt sich darum, wie die wissenschaftliche Bildung schön und sauber gekleidet in Gesellschaft geht, und in passendem harmonischem Kostüm und Ton auftritt — das ist die Blüthe der Kultur, das ist die feinste Manier. Es ist Sache des Kunst¬ sinns und einer durchaus nicht verwerflichen Aesthetik, der auch ich huldige, daß auch die äußere Erscheinung angenehm gerundet ꝛc. sei; der Tölpel verletzt mein ästhetisches Gefühl, der gewandte Weltmann erfrischt es, schon darum, weil jede Sicherheit im Zuschauenden oder Mitbetheiligten Sicherheit erzeugt. Aber Alles das ist ja nur Blatt und Blüthe der Kultur, die Frucht, der Kern, bleibt ewig die Hauptsache, und des Tölpels schönes gediegenes Wort wird mich immer erquicken, des Weltmannes fades Geschwätz wird mich anekeln, weil der gebildete Mensch eben nicht wie die Ziege von Blättern leben kann, sondern Früchte braucht. Es stellt sich also dar, wie die Anbeter der feinen Manieren oben auf dem Schaum des Fleischtopfes schwimmen, den man abhebt und zur Erde wirft, nachdem er den Koch einige Sekunden durch die Gewißheit erfreut hat, das Fleisch beginne gar zu werden. Sie künden Kul¬ tur an, sind aber keine. Dies Scheinen und Sein, Aeußere und Innere ist der durchlaufende unterschei¬ dende Typus des sogenannten Vornehmen und Ge¬ bildeten. Es kommt dem sogenannten feinen Menschen nicht im Geringsten darauf an, die geistigen Interessen einer Gesellschaft vor den Kopf zu stoßen, wenn er das nur mit einem zierlichen Komplimente thut — man spreche das Wichtigste, erzähle, lese das Inter¬ essanteste: ein gesellschaftliches Unding, was sich eben ereignet, bricht es ab, stört, und kein Mensch mit fei¬ nen Manieren fragt, welcher Gedanke, welche Folgerung unterbrochen worden sei — darum weil diese Manieren ihnen nur der Form, nicht der Gedanken halber da sind; der Gedanke erzeugt bei ihnen nicht die Form, sondern die Form den Gedanken. Darum ist ihr Gipfel die Förmlichkeit, und nur die Auserwählten werden das, was die Römer formosi nannten, äußerlich schön, mehr aber nicht. Jedermann aber weiß, daß Roms größte Männer nicht die formosi gewesen sind. Das ist z. B. gute feine Manier, um Ihnen durch ein Beispiel anzudeuten, was ich darunter ver¬ stehe: dem Andern durch alle Schlangenwindungen des Gedankenprocesses zu folgen, wo er strauchelt ihm die Hand zu reichen, wo er eilt und fliegt, nachzueilen, nachzufliegen und wenn's wirklich geflogen ist und man artig sein will, dies bemerken — alle geistigen oder sonstigen Interessen des Anderen zu den eignen machen und mit Theilnahme verfolgen, der geistigen oder mo¬ ralischen Atmosphäre, die um ihn ist, ungetheilte Auf¬ merksamkeit schenken — da kann manches Aeußere, eine herab gefallene Nadel, ein Zwirnknäul ꝛc. übersehen wer¬ den: wenn man dem Besten des Menschen sich anschmiegt, so hat man die besten Manieren, alles Andere ist an¬ genehme Zugabe. Wird es aber zur Hauptsache ge¬ macht — setzte Hyppolit — Leerheit, Abgeschmackt¬ heit, Unkultur, und die feinen Personen, die sich im¬ mer und nur darin wohlbefinden können, dürfen nicht zu unsern gebildeten Ständen gezählt werden, weil sie von Bildung nichts wissen und an hohlen Spielereien, an Firlefanz und Puppenkram genug haben. Und mei¬ nen Sie denn, daß jene feinen Manieren ein Prä¬ rogativ des Adels seien? Nicht einmal die letztern sind es, und wir haben solcher bürgerlichen Affen genug. Es ist eine lächerliche Schwäche von uns, daß wir den arroganten Titel „Adel“ noch immer gestatten, daß wir ihn selbst in unserer Polemik noch immer gebrauchen; man nenne es „Junkerei“ oder ähnlich. Man war still, wir hatten zu heftig gesprochen; ich fürchte, unsere hiesige Gesellschaft ist der Auflösung nahe. Ich sehe durch meine Glasthür Camilla einsam wandeln — leb' wohl für heute, ich will ernstlich zu erfahren versuchen, welcher Kummer das liebe Mädchen drückt, ich habe sie sehr gern. Leb' wohl! 19. Camilla an Ludovico. Grünschloß. Ich habe Unrecht gegen Sie, Ihre gegen mich ge¬ richteten Vorwürfe sind gerecht. Aber ehrlich und offen will ich gegen Sie bleiben; Sie haben mir Ihre Liebe und Hand angetragen, Sie haben mich damals über¬ rascht, ich war ein unerfahren Ding; ich wußte nicht, was ich versprach. Warum mußten Sie aber auch so lang' von mir bleiben; warum kamen Sie nicht, wie Sie versprachen, dies Frühjahr! Wie viel Schmerz wäre mir erspart worden. Ich habe die Treue gegen Sie gebrochen. Ihr Verlobungsring liegt im Kasten. Fürchten Sie nicht die Nachricht eines Excesses, es gilt nur die Treue meines Herzens. Valerius, ein Poet, kam zu uns, er warb um Niemand, lebte ruhig, harm¬ los, dem Anschein nach ohne Wunsch, ohne Verlangen nach irgend etwas an unsrer Seite und gewann sich somit das, was er nicht suchte, unsre Theilnahme. Ich hatte ihn gern, und nur zuweilen dämmerte die Ver¬ muthung in mir auf, daß er Ihnen gefährlich werden könnte. — Erlauben Sie mir dies Wort; Ihr letzter Brief berechtigt mich noch dazu. Aber ich schüttelte lächelnd den Gedanken von den leichten Schwingen mei¬ nes Wesens; ich hoffte nichts als einen lieben, zuver¬ läßigen Freund in ihm zu gewinnen. Sein unwandel¬ barer Gleichmuth bestärkte mich darin. Wie ein Blitz¬ strahl traf mich das Wetter. Vor einiger Zeit such' ich ihn und Alberta, die im Garten promenirten. Ich biege um eine hohe Cypressenreihe und sehe in der Tiefe des Gartens zwischen Bäumen eine Gruppe, die mich erstarren machte, und mir eine traurige Gewißheit über mein In¬ neres brachte. Alberta ruht an der Brust des Valerius. Heiße Thränen stürzten aus meinen Augen, ich fühlte, daß ich Ihnen untreu geworden, daß ich jenen unglück¬ seligen Mann liebte. Keine Macht der Erde würde dies Geständniß über meine Lippen gebracht haben; Ihnen bin ich's schuldig. Vergeben Sie mir, vergessen Sie mich. Denken Sie mit Theilnahme an unser grünes Schloß, wo außer meinem Leid ein breites Feld von Trauer sprießt. „Ein Jüngling liebt ein Mädchen, Das hat einen Andern erwählt; Der Andre liebt eine Andre, Und hat sich mit dieser vermählt.“ Der Stifter meines Unheils wird selbst unglücklich: Alberta liebt seinen Freund Hyppolit, ach und ich fürchte, dieser liebt die schöne Gärfin Julia, die vor Kurzem hier angekommen ist. Das Unglück hat sich hier einge¬ nistet. Grüßen Sie innigst Ihre Schwester, o daß ich mein Leid in Ihren Busen weinen könnte. Die Bitte, mir nicht zu antworten, darf ich wohl nicht erst aussprechen. Vergeben Sie mir! Camilla. 20. Hyppolit an Julia. Wir sind in einem Hause und ich muß das todte geschriebene Wort an Sie richten, dem warmen leben¬ digen gestatten Sie keinen Zugang. Warum verschließen Sie sich in Ihrem Zimmer, warum nehmen Sie mir meinen Tag, das Licht ihrer Augen? Ist es meine Schuld, daß ich Sie später gesehen als die gute Al¬ berta? Ich habe ein heißes glühendes Herz, mein Fräu¬ lein, ich schwöre es Ihnen, ich will, ich werde Ihr kaltes Gemüth erwärmen; nur Ihre Hand reichen Sie mir, durch die Fingerspitzen will ich mein Leben bis zu Ihrem Herzen treiben. Nie habe ich einem Weibe meine Liebe erklärt, Ihnen, Julia, sage ich, daß ich vergehe in Liebessehnsucht nach Dir. Du bist meine Sonne, mein Mond, der ganze gestirnte Himmel meiner Wün¬ sche, meine Erde, meine Welt, meine ganze Hoffnung auf Seligkeit. Antworten Sie mir, meine ganze Seele fleht, antworten Sie mir gütig, öffnen Sie Ihre Zim¬ mer, ich muß Sie sehen, ich verschmachte in dieser Wüste. Ihr Anblick ist mir die erfrischende Quelle; ich renne mir den Kopf ein in dieser Nacht. Sie sind mein Licht, o leuchten Sie mit dem Meere des Lichts in Ihren Augen. Ich zünde das Schloß an, um Sie aus den Flammen zu tragen, Sie in Dampf und Gluth zu küssen. — Weib, was mich unterjocht, ich liebe Dich Julia, Du weißt nicht was das heißt. Antworte mir, erscheine! — 21. Valerius an Constantin. Warum schreibst Du keine Zeile, Mensch? Lebst Du nicht mehr? Ich muß alle Stärke des Gemüths zusammennehmen, um in diesem Drange der Dinge fest zu stehen. Sollte Dir ein Unglück begegnet sein, laß es uns bald wissen; ich will zu Dir kommen, Du hast ja für die Freiheit gefochten, für das einzige Unwan¬ delbare im Leben. Hier ist viel Unheil. Camilla weicht mir aus, steht mir nicht Rede. Das thut mir unend¬ lich weh. Alberta liegt krank, Hyppolit hat ihr das Herz gebrochen, der Südländer ist rasselnd in ihm aufgesprungen, er ras't in Liebe für die schöne Julia. Diese flieht ihn wie ein Reh den Wolf, und hält sich mehrere Tage in ihren Zimmern verschlossen. Heut kam sie zu Tisch; im Augenblick als wir uns setzten, fuhr die Fürstin Constantie vor. Nun ist die Verwirrung vollständig. Hyppolit schäumt wie ein Eber, ich habe meine Noth, ihn in civilisirten Schranken zu halten. Wäre dieser Mensch ohne Bildung, man sähe die Tha¬ ten eines blutigen Barbaren. Der Graf ist äußerst nie¬ dergeschlagen und sprach heute wehmüthige rührende Worte mit mir. „Ich bin alt geworden — sagte er — und kann der Zeit nicht mehr voraus, sie übereilt und mordet mich und mein armes Kind.“ Später. Eben erhalte ich eine Ausforderung von unbekannter Hand. Es werden da so viel Nichtswürdigkeiten auf mich gehäuft, daß ich ein entsetzlicher Verbrecher sein muß. Es ist doch unangenehm, auch nur für einen ein¬ zigen Menschen ein solcher Gegenstand des Abscheus zu sein. Ich sinne hin und her, weil mir der Gedanke aufsteigt, die Handschrift schon irgendwo gesehn zu haben. Ich kann's nicht aussinnen. Alle Anschuldigungen sind indeß so unklar, unbestimmt ausgedrückt, daß ich durch¬ aus nicht genau weiß, welcher Uebelthat ich angeklagt werde. Weiber scheinen dabei betheiligt zu sein; es ist also wohl ein eifersüchtiger oder Ritterdienst thuender Mann. Und somit ist die Sache vielleicht ein Mißver¬ ständniß, denn ich wüßte doch wahrlich nicht, wem ich der Weiber halber etwas gethan haben sollte. Der gute Mann verlangt keine Antwort, sondern wird sich in Kur¬ zem selbst melden. Soll ich offenherzig sein? Die Sache ist mir unangenehm, ich habe es neuerdings immer ge¬ fürchtet, in eine Duellangelegenheit verwickelt zu werden, weil ich den fatalen Kampf meiner gesunden Ansicht mit meiner schwächlichen Empfindsamkeit voraussah. Das Duell ist mir verhaßt, und wenn ich an die sogenann¬ ten Skandäler auf der Universität zurückdenke, so kom¬ men auch alle die Harlekinaden mit, aus deren bunten Lappen das ganze Studentenleben bestand, und jene Paukereien erscheinen mir wie ein ernsthaftes Spiel, bei dem leicht ein Unglück geschieht. Wenn man aber die Harlekinsjacke ausgezogen hat, soll man auch das Spielen lassen. Ich würde es von Staatswegen Nie¬ mand verbieten, weil es eine Beschränkung der per¬ sönlichen Freiheit wäre, und weil es wirklich Verhältnisse giebt, von deren feinen Linien das bürgerliche Recht keine Kenntniß haben kann, da es seiner Natur nach al fresco gemalt sein muß. Ich kann es Niemand wehren, an den Vortheilen der Civilisation keinen An¬ theil nehmen zu wollen, sobald er einen Andern, der das will, nicht stört. Wenn also ihrer zwei außer dem Ge¬ setze begriffen sein und ihre Angelegenheit durch Degen oder Kugel schlichten wollen, so soll man sie gewähren lassen. Aber man betrachte jedes Duell mit also mi߬ trauischen Augen, als man es noch immer mit günsti¬ gen thut. Man gestatte Jedem, es unbeschadet seiner äußern Ehre zurückzuweisen; man blamire, verlache diese mittelalterliche Courage, das Vorrecht von Studenten und Soldaten, die es in Ermangelung eines besseren Kerns zum Mittelpunkte ihres Lebens gemacht haben, bei denen man keiner andern Eigenschaft bedarf, um für vollkommen zu gelten. Die besten Männer der Welt¬ geschichte dürften leichtlich nichts taugen, wenn man die¬ sen Duellmaaßstab bei ihnen anlegen wollte, und doch ist es Mode geworden, selbigen Maaßstab an uns Alle anzulegen. Sind wir nicht wie die Kinder? Wenn sich einer vor Dummheiten nicht fürchtet, so ist er ein tüchtiger Mann, vor Klugheiten aber Furcht zu haben, ein Dummkopf zu sein, das thut der Ehre nichts. Ich habe mich auf der Universität geschlagen, weil — nun ja, weil ich Student war; ich werde mich wahr¬ scheinlich jetzt wieder schlagen, weil ich schwach bin, oder wenigstens nicht den Muth habe, allein stark zu sein. Aber ich will mich bessern, ich will mich an das Schreck¬ bild gewöhnen, für feig zu gelten; es gehört ja doch wahr¬ lich mehr Muth dazu, ihm ins Angesicht zu sehn als einer schmalen Kugelmündung. Wenn meine Besserung nicht so schnell von Statten geht, daß ich schon meinen jetzigen Ausfoderer heimschicke, so soll er doch der letzte sein, mit dem ich diese Narrheit treibe. Laß mich Dir's gestehen, daß meine Schwäche durch meine Umgebung gesteigert wird: der Adel sieht seinen Duellmuth für eine Prärogative an, womit er seine andern Prärogativen verdiene; wenn ich ihm den Unsinn des Duells noch so klar beweise, so zuckt er doch die Achsel und schwappt sich auf den Bauch und spricht: „Man sieht's doch gleich“ ꝛc. — Unter den Indianern mußt Du erst an den Götzen, welchen sie verehren, geglaubt haben, eh' Du ihnen beweisen kannst, daß der Götze ein Götze sei. Ich will noch einmal mich gläubig stellen, und dann auf offnem Markte das Götzenbild zertrümmern. Es ist ja doch gar zu lächerlich, jedem Laffen preisgegeben zu sein, sei's auch nur den Zeitpunkt betreffend, in welchem ich ihm zu Dienst sein muß. Man beschäftigt sich mit den höchsten Interessen der Menschheit und ist den al¬ ten Resten der Blutrache, dem faustrechtlichen Larifari unterworfen; man predigt auf der Kanzel und sündigt hinter der Kirche. Der Krieg im Allgemeinen bleibt immer noch ein Akt der Barbarei, welcher wegen der Verschiedenartigkeit der Stufen, auf denen die Völker stehen, noch immer nicht abgeschafft werden kann; aber den Krieg im Kleinen sollten wir doch wahrlich däm¬ pfen können. Es ist eine eben so große Dummheit, als wenn man den Kriegerstand den übrigen voran¬ stellt, statt ihn nachzusetzen: er ist ein leider noch immer nothwendiges Instrument für ein Uebel, was durch Kultur immer geringer wird, ein Instrument was man mit Bedauern und Mitleid ansehen sollte, weil es der redende Beweis unserer Unkultur ist. Ist es wohl schon Jemand eingefallen, die Kanone mit Verehrung anzusehen, weil man damit eine Masse Menschen nieder¬ schießen kann? Aber es ist der alte Rest der Erobe¬ rung, des Lehnwesens, der Barbarei, wo nur das gel¬ ten konnte, was große physische Gewalt entwickelte, was Furcht einflößte. Die Kultur beginnt mit Zer¬ stören: man haut Wälder nieder, tödtet die wilden Thiere — wollen wir denn immer im Beginn der Kultur stehen bleiben und die barbarischen Schutzmittel unsrer Staaten, die Kriegsheere vorn hin stellen; je höher der Kulturzustand eines Staates ist, desto tiefer tritt der rohe Krieg in den Schatten, desto mehr ver¬ schwindet dieser rohe Muth, der den Professions-Duel¬ lanten nöthig ist. Man lehre die Jugend, den Tod nicht zu fürchten, aber man lehre es auf eine civili¬ sirtere Weise. — Die Fürstin hat viel Gefolge mitgebracht. Es ist ein buntes festliches Treiben hier eingekehrt, es geht Alles geputzt, und doch ist Niemand vergnügt — wir leben auf einem Todtenacker, den man mit bunten Blumen beworfen hat. Hyppolit steht knirschend wie ein Todesengel da und ist vernichtend in Wort, Blick und Geberde. Ich habe ihn nie so beißend witzig, verständig, vornehm gesehen. Die kecke Fürstin richtet oft das Wort an ihn, er wirft Dolche statt Worte zu¬ rück. Gestern fragte sie ihn nach Desdemona. Mit einer fürchterlichen Kälte erwiderte er: Eine Schlange hat ihr Leben vergiftet und sie von dem Ort vertrieben, wo sie glücklich war — jetzt ist sie wahnsinnig. Con¬ stantie erbleichte. Ich fragte ihn später, ob es gräßliche Erfindung seines Grimmes sei. Nichts weiter, erwie¬ derte er, und reichte mir einen Brief. Er war aus Wien und von Desdemona angefangen; sie schrieb mit herzzerreißender Sehnsucht, ihre Liebe stand auf einer Höhe, vor der ich selbst schwindelte — die Fortsetzung war von einer uns unbekannten Dame, welche Hyppo¬ lit mittheilte, daß Desdemona in ein hitziges Fieber verfallen sei, und daß die Aerzte für ihr Leben und für ihren Verstand Alles besorgten. Möge es Dir besser ergehen als uns. Leb wohl. 22. Julia an ihre Mutter. Wie es mir geht, meine liebe, liebe Mutter? Gut — schlecht — die Worte passen nicht dafür; unglaublich wunderlich. Für Augenblicke fühl' ich mich beseligt, ich schwimme in Blüthendüften, und dann kommt wieder ein langer Tag unaussprechlicher Angst, kindischer Ver¬ zweiflung. So leiten die Dichter gewöhnlich ein, wenn sie ein verliebtes Mädchen einführen wollen; ich weiß, wie oft Papa darüber lachte, aber hier ist es doch ein wenig anders. Ein junger Mann, von aller Welt kurz Hyppolit genannt — er soll der Sohn eines spa¬ nischen Grand sein — macht mir auf eine beispiellose Weise den Hof. Sein stürmisches Wesen, mit dem er mich übereilte, hat mich tödtlich erschreckt; was ich von der Fürstin Constantie, die seit einigen Tagen hier ist, vernehme, was ich an der unglücklichen Alberta sehe, die ihn glühend liebt, und plötzlich von ihm verlassen ist, flößt mir ein Grauen vor dem Menschen ein. Und da¬ bei ist er zauberhaft schön, beredt, liebenswürdig — ach meine liebe Mutter! dafür ist der Ausdruck erfun¬ den: er ist ein gefährlicher Mensch. Wenn Alles wahr ist, was man vereinzelt von ihm hört, so ist er ein sol¬ cher Ausbund von Lasterhaftigkeit, eine solche Größe von Untugend, daß man versucht wird ihn zu bewun¬ dern. Er weiß z. B. um Albertas heftige Neigung für ihn, er hat sie hingenommen wie ein angenehm Geschenk und vom Tage meiner Ankunft an nicht die mindeste Notiz mehr davon gezeigt. Meinst Du nun aber, daß er in ihrer Gegenwart befangen, auch nur im Mindesten befangen wäre? Gott bewahre; er un¬ terhält sich harmlos, als ob gar nichts vorgefallen sei. Mich verfolgt er mit den feurigsten Versicherungen sei¬ ner Liebe; aber selbst in seinen Bitten liegt etwas Wil¬ des, Herausforderndes. Der Himmel weiß, was die Fürstin gegen ihn hatte, sie nahm in der ersten Zeit ihres Hierseins unglaublich leidenschaftlich Partei gegen ihn, sie war immer so erregt, wenn sie von ihm sprach, daß ich eine Zeitlang glaubte, sie habe eine glühende Neigung in die Livr é e des Hasses gekleidet — es war ein auffallender Anblick, diese stolze gewaltige Frau und den imponirenden Hyppolit einander gegenüber sitzen zu sehen: Constantie sah ihm vornehm, fest, starr in die Augen, als erzähle sie ihm eine Geschichte von seiner eignen Nichtswürdigkeit; er gab die Blicke sprühend zu¬ II. 3 rück, und warf einen ganzen blitzenden Wolkenhimmel mit lauter Zerstörung und Verachtung in ihre Augen, der verächtlich heruntergezogene Mund sprach die Er¬ läuterung jener fürchterlichen Blicke. So oft er den Namen Desdemona aussprach, war der Stolz der Für¬ stin gebrochen, ihre Schlacht verloren — es ist unver¬ kennbar, daß sich die beiden Leute gekannt, und viel¬ fache Beziehungen zu einander haben. Constantie ist heftig, leidenschaftlich, sogar rachsüchtig, weil sie nicht nur eitel, sondern stolz ist — sollte es ihr vielleicht mit Hyppolit wie der armen Alberta ergangen sein! Ich will doch genau Acht haben, oder Hyppolit selbst ein¬ mal fragen — erinnerst Du Dich nicht, liebe Mutter, wie verwegen sie vorigen Winter in Berlin über der¬ gleichen Dinge sprach, wenn sie des Donnerstags in unsere kleineren Gesellschaften kam. Ich habe mich im¬ mer vor ihrer Art zu lieben gefürchtet; ihre Neigungen sind ein glühender Sirokko, und sie paßt eigentlich ganz zu Hyppolit. Die gute Alberta hat einige Tage un¬ aussprechlich gelitten, jedoch es scheint mir wie eine hitzige Krankheit mit Heftigkeit, aber schnell vorübergehen zu wollen. Ihr zum Glück und uns Allen zur Freude ist ein Herr Valerius hier, der auf Alle den wohlthä¬ tigsten Einfluß ausübt. Er ist der einzige, mit dem Hyppolit in seiner jetzigen Leidenschaft, die aus aller¬ lei Ingredienzien zusammengesetzt ist, redet. Ich glaube, Hyppolit haßt die Fürstin ebenso, wie er mich zu lieben glaubt, und wenn ich dem Manne heute sagte, ich liebe ihn, so theilte ich wahrscheinlich in einigen Wo¬ chen das Schicksal seiner Verlassenen — ich will aber mein Schicksal mit Niemand theilen, ich will mich durch nichts hinreißen, übereilen lassen, ich will nicht diesen Gefühlsaufwand, diese Stürme, diese Unebenheiten, dies unersprießliche Geräusch. Liebe Mutter, ich bin meines Vaters Tochter, schilt mir nicht dies mein Wesen. Es macht diese innere Ordnung nur mein Glück. Könntest Du Dich mit mir hier umsehen, wie die Neigungen, Lei¬ denschaften, Verhältnisse bunt durch einander liegen, wie in einem ungeordneten Zimmer, Du würdest mit mir da¬ vor zurückschrecken. Solche Unklarheit, Verworrenheit meiner inneren Dinge ist immer ein Unglück für mich, das mich zu Tode hetzte wie ein Gespenst. Darum lobte ich den Herrn Valer; fast Alle lehnen sich an ihn, weil er al¬ lein fest zu stehen scheint. Es ist, als ob er mit Alberta in magnetischem Rapport stände, so wie er zu ihr tritt, schließt sich die Blume ihres Schmerzes mit ihren Thränen, und 3 * das liebe Mädchen ist mild, sanft, ja manchmal sogar heiter. Er spricht sehr schön, nicht so glänzend wie Hyppolit, aber eindringlicher, gediegener; alle seine Ei¬ genschaften sind nicht so blendend wie bei diesem, aber alle sind sichrer, fester, abgemachter. Ich liebe das sehr. Auch Graf Topf ist ihm sehr zugethan, und die Fürstin, welche ihn anfänglich ignorirte, weil er etwas sparsam in den Annäherungs- und Höfllichkeitsformen ist, geizt jetzt förmlich mit seinen Gesprächen. Er schafft uns die einzigen heimlichen Abendstunden: wir sitzen auf der Plattform des Schlosses unter dem Zelte, sehen auf der einen Seite nach den fernen Bergen, auf der andern nach der nahen Stadt und dem Flussesspiegel, der zu ihr hinzieht; Hyppolit rastet selten lange dabei, sondern stürmt meist zu Pferd durch die Ebene und Va¬ lerius bringt uns in das liebenswürdigste Geschwätz. Er hat zwar eigentlich selbst abscheuliche Grundsätze über Ehe, Staat und Menschen, aber er versteht es, das Wildeste geordnet vorzutragen, interessant, wünschens¬ werth zu machen; die freien Dinge, welche Constantie äußert, sind eigentlich bei weitem nicht so arg als die seinen, und doch klingen sie mir so viel gräulicher. Es kommt vielleicht daher, weil sie mir unweiblich dünken. Die Fürstin vertheidigt zum Beispiel den Genuß aller Vergnügungen, auch wenn sie nach unsern bürgerlichen Ansichten zu den verbotnen gehören. Sie hält z. B. die Ehe nur für eine Form, welche der äußeren Dinge wegen da sei, und namentlich den materiellen Besitz des Weibes sichere. Es wird mir unheimlich, wenn ich eine verheirathete Frau so sprechen höre — wenn dergleichen verwirklicht werden sollte, so müßte ja ein trostloses Durcheinander entstehen. Valer, welcher die Frauen selbstständiger gestellt sehen will, und wunderlich genug von den neuen verwirrenden Zeitbewegungen Viel für uns erwartet, opponirte der Fürstin in vielen Din¬ gen. Er machte sie darauf aufmerksam, wie gerade jetzt das äußere Leben der Frauen in der Luft schwebe, wenn sie ihren einzigen Haltpunkt, die Ehe, aufgäben; wie nur die stärksten und edelsten Weiber einen Ueber¬ gang zu besserem freierem Gesellschaftsleben dadurch bil¬ den könnten, daß sie sich der Ehe nicht unterwürfen, die neuen Begriffe aber auf alle Weise unterstützten, weil nach der politischen Revolution die sociale vor den Thoren läge, durch welche das Weib eine gesellschaft¬ liche Stellung erlangen würde. Das Christenthum habe das Weib nur zur Hälfte frei gemacht, sie müsse es ganz werden; der jetzige Durchgangspunkt aber bringe wie jedes Ringen nach neuen Zuständen, wie alles Halbe sehr viel Unglück, und die Frauen müßten sehr auf ihrer Hut sein, da die öffentliche Meinung noch keinesweges so weit gebracht sei, Toleranz gegen sie zu üben. Die alten Verhältnisse seien wie die alte Kirche in Auflösung begriffen, die Rettung sei nahe, aber die Gefahr doppelt groß. Ich schreibe Dir diese Dinge aus meinem treuen Gedächtniß; ich verstehe wenig oder gar nichts davon, und sie würden mich wie alles Aen¬ dern beunruhigen, sähen sie nicht in dem Vortrage Va¬ lers so abgemacht aus. Die Fürstin protestirte feurig dagegen. Sie gab die eigentliche Auflösung der Ehe und Kirche in den höheren Ständen zu, fand die Auf¬ lösung vernünftig, verlangte aber das Beibehalten der alten Formen, welche die Gebildeten schützten und doch nicht beengten, der großen Masse aber nothwendig seien. Valer nannte das lächelnd Aristokratismus und gebrauchte den garstigen Ausdruck, daß auf diese Weise die Welt verfaule. Geschwüre müsse man aufschneiden, auch wenn es schmerze. Fi, — wie häßlich klingt das und doch fällt es mir jetzt erst auf; im Munde des Man¬ nes klang's nicht so. Herr William, einer der hiesigen Gäste, vertheidigte hart und unduldsam das Bestehende, und tadelte beide Ansichten, sie seien unchristlich und darum unsittlich, lös'ten das Fundament der Civilisation, und untergrüben die Grundprincipien der Gesellschaft; sie seien die Ausgeburt des menschlichen Dünkels, wel¬ cher die Gottheit spielen und die ewigen Gesetze um¬ ändern wolle. Die Menschen hätten zu hundert Malen versucht, das Christenthum abzuschaffen und seien im¬ mer zu Schanden geworden; ihm verdankten wir alle Art von Bildung und es heiße auf die Barbarei zu¬ rückdrängen, wenn man dergleichen Auflösung predige — menschlicher Verstand ordne keine Welt, der göttliche sei nns in Christo zu Hülfe gekommen, und es heiße Gott lästern, wenn man seine eignen Institutionen ver¬ bessern wolle. Valer nahm das Gespräch gegen ihn auf; ich kann Dir's nicht wiederholen, weil es für mich zu gelehrt wurde. Die Fürstin lud Beide ein, in einigen Wochen auf ihrem Lustschloß einzukehren, wo sich einen Monat hindurch viel Gesellschaft zusammen¬ fände. Es sei ein Gesundbrunnen in der Nähe, wel¬ cher Valers nicht ganz fester Gesundheit sehr zuträglich sein werde. Alberta sah aufmerksam und fast ängstlich drein und horchte. William nahm die Einladung sehr dankbar an, Valer schlug sie aus. Die Fürstin war verletzt. Alberta schien erfreut; wir trennten uns. — — So eben ist der Graf aus der Stadt zurückgekommen, und hat die wunderliche, aber wie er meint, zuverlässige Nachricht mitgebracht, daß sich unter den hiesigen Poe¬ ten ein verkappter Prinz aus einem sehr vornehmen Hause befinde. Du kannst denken, welche Neugier diese Nachricht erregte; die Meinungen waren alle dafür, es könne nur Hyppolit oder Valerius sein. Natürlich dauerte es auch nicht lange, daß Beide aus dem Fragen, Zi¬ scheln, Ausholen erfuhren, um was es sich handle. Hyppolit schlug ein tolles Gelächter auf, und verlangte unanständig, man solle seinen Vater nicht verunglim¬ pfen, der ein Mauleseltreiber in Catalonien sei. Va¬ lerius lachte ebenfalls und erklärte mit liebenswürdiger Offenheit, daß sein Vater ein schlichter Landgeistlicher mit 400 Thlr. Gehalt wäre und noch sechs Prinzen außer ihm und zwei Prinzessinnen auferzogen habe. Die Gesellschaft war durch diese Erklärungen verstimmt, und die Fürstin fragte piquirt Valerius, ob es ihm so unangenehm sei, für einen Prinzen gehalten zu werden. Der abscheuliche Mensch antwortete sehr ernsthaft „Ja.“ Auf William rieth wunderlich genug Niemand, und ob¬ wohl man die Vermuthung bei Hyppolit und Valerius noch keinesweges aufgab, so ging doch nun Alles auf den sogenannten Proven ç alen Herrn Leopold über. Die¬ ser kleine hübsche Mann ist sehr wenig auf dem Schlosse zu sehen, er streift in der Umgegend umher und soll lauter demokratische Liebschaften anknüpfen. Seine Freunde wußten nichts über sein Herkommen und dem einfältigen Valerius fiel es erst jetzt ein, daß er schon früher einmal von Leopold selbst etwas Aehnliches ge¬ hört, es aber vergessen habe. — — — — Wir saßen eben Nachmittags im Garten, als der Kleine von seinen Streifereien ankam. Er hat wirklich so etwas Appartes an sich, und ist so fein und niedlich, als sei er in Purpurwindeln gewickelt gewesen. Man fragte ihn; er that verlegen, läugnete nicht direkt, gab nicht eben zu — kurz bestätigte Alles in dem vor¬ gefaßten Glauben, und hat nun den immerwährenden Spott von Hyppolit, den Scherz von Valer zu erdul¬ den. Jener nennt ihn nicht mehr anders als „Kleine Excellenz!“ Was mich anbetrifft, ich glaube der Prinz steckt anderswo. O Mutter, rath mir, hilf; Hyppolit überströmt mich mit feuriger Liebe; zuweilen komme ich mir wie die glückliche Omphale vor, zu deren Füßen Her¬ cules ruht, und zuweilen wieder wie die unglückliche Proserpina, welche der Gott der Unterwelt bedroht, und vom Lichte der Sonne hinwegreißen will. O wie schmerzhaft ist mir diese Unsicherheit, diese Verwirrung, welche die Männer anrichten! Unsre fröh¬ liche muntre Camilla ist— der Himmel weiß wodurch — vollständig umgewandelt. Sie ist still wie das Grab, und ist wenig unter uns. Eben erhalte ich einen Brief vom Vater aus Pa¬ ris — ich werde Dir ihn beilegen — Adieu, tausend¬ mal Adieu, meine liebe zärtliche Mutter. 23. Valerius an Constantin. Also wirklich krank bist Du, gemüthskrank? Krank an Deinem neuen Frankreich — ich glaube Du hast Recht mit Deiner Krankheit; sie wollen Euer heißes Juliblut confisciren. Schreib' mir nur nicht so karg darüber — mehr, mehr, auch wenn es Wermuth ist. Heut Abend ist plötzlich mein Gegner hier ange¬ kommen; er kennt den Grafen und hat ihn unterrichtet. Eben war dieser bei mir, sehr ernsthaft und feierlich ge¬ stimmt; von seiner sonstigen Wärme gegen mich keine Spur. Was muß der Mensch für Dinge ihm gesagt haben! Ich ging mein Leben durch und fand durchaus keinen Anhaltspunkt. Deshalb versicherte ich dem Gra¬ fen, es müßte nothwendig ein Irrthum sein. Mit wunderlicher Bestimmtheit versicherte mir dieser, es sei keiner, und der Fremde habe den triftigsten Grund mich zu fordern. Natürlich erklärte ich, daß vom Duell keine Rede sein könne, bevor ich von der Ursache unterrichtet und mit dem Narren, der Person, welche mich durch¬ aus todtschießen wolle, bekannt gemacht sei. — Auf des Grafen Bitte, nicht darnach zu fragen, auf seine heilige Versicherung, daß Alles in vollgültiger Richtig¬ keit sei, habe ich mich zu der wunderlichen Farce ent¬ schließen müssen, ein Duell mit Jemand einzugehen, den ich nicht kenne, dessen Vorwürfe und Zornesgründe mir unbekannt sind. Morgen früh werden sich zwei Leute im Park schießen. Der Eine tritt wie eine Sache, wie ein Pfahl ans Ziel hin, der Andre aber wird, Gott weiß, wessen Ehre durch einen Schuß auf diesen Pfahl reinigen. O Welt, mit wie viel Fratzenbildern bist du eingezäunt! Begegnet mir etwas Menschliches, so bedaure die Enkel, daß ihnen ein Kämpfer für ihre Freiheit gefallen ist, beneide die jetzt Herrschenden, daß sie einen unver¬ söhnlichen Feind ihrer Herrschaft weniger haben. Ich habe nur ein großes Interesse auf dieser Welt, das ist die Freiheit, nur weil ich noch für sie sterben kann, würd' ich ungern im Fratzenkampfe untergehen. — — Eben höre ich mit tiefem Schmerz, daß Camilla bei Ankunft des Fremden außer sich gerathen ist, sich eingeschlossen, gepackt und so eben den Reisewagen be¬ stellt hat. Der Wagen rollt vor das Schloß — lautes Geräusch auf der Flur, der Treppe. — — Ich ging an die Thür und hörte eine fremde Stimme neben Camilla's; ich durfte nicht hin; es war offenbar der Fremde, und dem Grafen hatte ich versprechen müssen, ihm auszuweichen. — Alberta sprach weinend dazwischen; sie waren im Hausflur, ich eilte an mein Fenster, Lich¬ ter und Laternen erhellten den Raum vor dem Schlosse, Camilla ging eilig auf den Wagen zu, wehrte mit der Hand Alle zurück, sprang in den Wagen, und flog davon. Das Schloß ist einsam für mich, ich bin dem Mädchen sehr gut gewesen. Die Lösung der Räthsel muß ich erwarten. 24. Hyppolit an Constantin. Der Teufel ist los und es gilt den ernsthaften Ver¬ such, ob wir ihn nicht besiegen können. Ein Weib, das ich nicht gewinnen kann, ein Freund, dessen Herz¬ blut unnützerweise strömt. Valerius schoß sich heut Mor¬ gen mit einem Fremden, der verlarvt auf der Mensur erschien, und dem Graf Topf sehr ernsthaft sekundirte. Sie schossen sich auf Barriere. Valer war vollkommen passiv dabei, blieb unverrückt auf seinem Platze stehen, und machte keine Miene anzugreifen. Desto eiliger avancirte der Gegner. Als Valer die blutigste Absicht nicht mehr verkennen mochte, regte sich ihm die Galle auch, er trat einen Schritt vor und drückte ab, im nämlichen Augenblick that's der Gegner auch — Blitz und Knall von beiden Seiten, Beide stürzen zu¬ sammen. Kaum fing ich meinen armen Freund noch in den Armen auf. Das Blut stürzte aus der oberen rechten Brust. Eh' ich ihn noch ins Haus bringen konnte, hatte sich der Gegner aufgerafft, er war nur von einem Streifschuß am Schlaf betäubt gewesen und kam ohne Maske zu uns heran. Valer, der nicht einen Augen¬ blick die Besinnung verlor, schien ihn sogleich zu erken¬ nen und machte — sprechen konnte er nicht — eine unwillige Bewegung mit der Hand zum Zeichen, daß er ihm aus den Augen gehen möge. Der Narr konnte aber sein Komödienspiel nicht lassen und fing an zu deklamiren, er sei Clara's Bruder, und Valer habe seine Schwester unglücklich gemacht, ein Brief, den er bei seiner Schwester gefunden, habe es ihm verrathen — — Es wurde mir zu Viel, und ich drängte ihn mit Schul¬ ter und Arm von meinem Freunde weg, ihn bedeutend, daß Epiloge vor einem schwer Verwundeten überflüssig seien, und daß ich ihm mit meiner Sekundantenkugel den Weg zeigen würde, wenn er sich nicht schleunig davon mache. Dem Grafen sagte ich einige harte Worte wegen dieses unziemlichen Betragens, er zog den Mann mit dem gelben Italienergesicht fort. Ich trug Valer auf sein Zimmer; es war sehr früh am Tage. Niemand störte mich. Der Graf hatte schon den Abend vorher nach einem Arzte geschickt, der ward her¬ beigeholt, und untersuchte die Wunde. Die Kugel war dicht unter der Schulter hineingegangen und saß noch drinn. Der malitiöse Schuft hatte wenig Pulver genom¬ men. Valer hatte noch kein Wort gesprochen; wir leg¬ ten ihn so, daß er es bequemer hatte, und er forderte plötzlich den zögernden Arzt auf, rasch ans Werk zu gehn, die Kugel herauszuziehen und ihm rund und baar zu sagen, ob es das Leben koste, und wie lang' es dau¬ ern könne. Der Arzt schien ein Tölpel zu sein, machte dem armen Valer unsägliche Schmerzen, eh' er die Ku¬ gel fassen und herausbringen konnte, und zuckte dann, nochmals befragt, unsicher die Achseln. Ich stieß den Narren weg, nahm die Untersuchungswerkzeuge, und forschte sorgfältig, wie weit die Kugel gedrungen. Ich habe ja doch nicht umsonst mit Cuvier am menschlichen Körper die Lebensströmungen aufgesucht. Mein Bescheid war etwas tröstlicher. „Es ist Gefahr da, Valer, sie kann aber abgewendet werden, wenn Du mehrere Tage ohne äußerliche und innere Bewegung still ruhest.“ — „„Ich danke Dir, — sagte er — berichte dem Manne noch, daß er seine fanatische Wuth aufgeben und versichert sein möge, er sei im Irrthum über mich und seine Schwester““ — „Ich will lieber dem Hans¬ wurst den Hals brechen“ — Valer machte lächelnd eine mißbilligende Bewegung; ich ging zum Grafen. Das ganze Haus war aufgeweckt und voll Besorgniß, die arme Alberta, das gutmüthige Kind, hatte verweinte Augen, auch Gräfin Julia war da, und das schlimme Weib hat mich noch nie so angelegentlich um etwas gebeten als hier um Nachricht über Valer; selbst die Fürstin hatte sich eingefunden, und stellte sich besorgt um unsern Freund. Der Graf begegnete mir, und war auf dem Wege zu uns; der gute alte Mann hatte geweint, und war in Todesangst um seinen Liebling, dem er bereits im Herzen alles Mißtrauen abgebeten, was etwa die Anklage des Fremden erregt haben mochte. Ich theilte ihm Valers Auftrag mit; der Fremde war schon fort, er ist Camillas Verlobter, und ist seiner entflohe¬ nen Braut nachgeeilt. Gott weiß, was der flüchtigen Camilla durch den Sinn gegangen ist. Es hat mich gerührt wie alle Domestiken, schluchzend herankammen, um zu fragen, ob der gute Herr Valerius auch am Leben bleiben werde. Es ist mir immer bewunderns¬ werth an Valers eigentlich so vornehmem Wesen geblie¬ ben, wie demokratisch er die unter ihm Stehenden zu behandeln und dadurch zu fesseln weiß. Es ist nicht die niedrige Volksschmeichelei, die ich eben so hasse wie das Speichellecken eines Hofraths, es ist das vertrau¬ liche Zugeständniß, der Andre habe dieselben Ansprüche wie er und nur die Mittel selbige geltend zu machen seien verschieden, was dem Valerius so viel Herzen un¬ ter der Volksmasse gewinnt. Es wäre entsetzlich, wenn der Tod seine Krallen in das schöne Herz schlüge. Ich habe Valer sehr lieb. Selbst ein allzu sanguinischer Mensch brauche ich wechselnde Wogen und Stürme, aber mein Auge ruht aus auf meines Freundes Spiegelfläche des innern Meeres. Ich bin gewiß, daß es ihm unsäglich viel kosten mag, so ruhig und geordnet zu sein, die Ge¬ danken, die oft so wild und toll sind gleich den blut¬ dürstigen Thieren der Wüste, also gezähmt zu haben, daß sie wie stolze civilisirte Löwen und Panther vor seinen Wagen einhergehen, ich bin überzeugt, daß es seine besten Kräfte verzehrt, die umfassendste Revolution im Busen zu tragen und doch der Humanität keinen Augenblick zu vergessen. — Seine Gefahr hat das Unglaubliche vermocht: sie hat eine Pause in meiner Leidenschaft zu Julia hervorgebracht, ich darf und will jetzt nicht an das Weib denken, nach dem mein ganzes Wesen sich breitet, wie der Sturmwind über die Fläche, die er bedecken, durchdringen, mit sich fortreißen möchte. Es ist nicht die gewöhnliche Koketterie in mir, daß mich ihr Widerstand doppelt reize; ich habe immer despotisch geliebt und nie darnach gefragt, wie der Gegenstand meiner jedesmaligen Neigung mein Ich in sich aufnahm, wenn ich mich ihm näherte, ich weiß, daß Valerius Recht hat, wenn er mich den fürchterlichsten Egoisten der Liebe und darum unmoralisch nennt — aber ich weiß auch, daß ich diese schöne Julia mit den schwim¬ menden Herzensaugen mit der ganzen im Morgenthau der Jugend lüstern hin und her schwankenden Gestalt verfolgen werde durch alle Zonen, bis dies weiche We¬ sen meinen straffen Gliedern sich anschmiegt in Begeg¬ nung und Wollust. Ich werde — — nicht doch, ich werde nichts thun, bis Valers Gefahr abgewendet oder — beendet ist. Es würde mich ein Todtenfieber schütteln, wenn mir der liebe Mann von meinem Feinde, dem Tode, entrissen würde. Ihr seid alle Trabanten, er ist ein Planet mit eignem Lichte; ich bin sein Komet. Sein Anblick, ein Wort aus seinem Munde, eine Zeile von seiner Hand sind mein Polastern auf meiner gro¬ ßen Seereise, ich würde mich den Wogen überlassen, ginge mir dieser Stern unter. — — — Er liegt still wie ein griechischer Philosoph mit seinen Schmerzen da. William lies't ihm des Aschylus Prometheus vor; sein Zustand ist sehr bedenklich; wenn ich der Furcht in meinem Herzen den Zugang gestatten wollte, lieber Constantin, so würd' ich fürchten, das schöne Herz Valers werde heut' Nacht still stehen — — Leo¬ pold weint an seinem Bett still in sich hinein, Valers Hand ruht auf des Kleinen Lockenkopf, er sieht nichts von den Thränen. Ich war eben unten im Gesellschafts¬ saale — es war Alles versammelt; außer der Fürstin sprach man nur leise, es war wie in der Kirche. Zum ersten Male seit Julias Ankunft, wo ich sie nicht mehr küssen konnte, kam heute Alberta zu mir, als ich ein¬ trat; das arme Kind sah recht blaß aus: ich konnte ihr nicht helfen, ich konnte ihr auch nichts Tröstliches von Valer sagen. Auch Julia forschte ängstlich und in der Hast des Fragens ergriff sie zum ersten Male meine Hand! Aber Valer rann durch alle meine Adern, ich fühlte nichts im ersten Augenblicke — der Augenblick war kurz, das Blut ward wieder mein; da floh die Hand feig aus dem Kampfe. Die Fürstin thut ver¬ ständig theilnehmend, das ist mir sehr widerwärtig. Graf Fips, der wie ein Stück Holz dabei steht, ist mir an¬ genehmer. Alberta hatte die Kühnheit, ihren Vater um die Erlaubniß zu bitten, mit ihm den Kranken besuchen zu dürfen. Er hat es ihr zum Abende zugesagt. Ich habe es nicht verweigert, weil ich nicht glaube, daß es den Valerius aufregen werde; seine Clara würd' ich nicht zu ihm lassen. „Des Abends sieht ein Sterben¬ der besser aus als beim Sonnenschein — das helle Le¬ ben des Tages contrastirt zu grauenhaft mit dem her¬ anziehenden Tode; es ist natürlicher des Nachts zu ster¬ ben.“ — Diese Worte des Grafen fielen wie Grabgeläut in unsre Herzen — wir waren erstarrt. Ich hasse das Glockengeläut, ich hasse die Raben, ich hasse den Tod. Es wär' eine Dummheit der Natur, wenn sie den Valerius sterben ließe. 25. Constantin an Valerius . Ich weiß es Freund, Du wirst außer Dir sein über meinen Brief, Du wirst mich dumm, albern, ver¬ rückt nennen. Vergieb mir meine Albernheit, ich will wenigstens wahr sein, und Dir alles geben, was sich mir durch den Kopf bewegt. Ich fühl' es daß ich auf einer Grenzlinie angekommen bin und plötzlich ein an¬ drer Mensch werde, ich fühl' es, daß Dir dieser neue Mensch weniger behagen wird als der alte mit seinen Fehlern. Aber gestatte mir, daß ich Euch allmählig Al¬ les, was sich in mir bewegt, darlege. Daß ich viel¬ leicht mehrere Monate nur rhapsodisch zu schreiben im Stande bin, kann Euch nicht wundern, wo soll ich die Ordnung hernehmen, da ich eben in eine Krisis trete, die nach Ordnung lechzt. Die Welt mit ihrer Unordnung ist mir plötzlich auf die Brust gefallen, ich will sie allmählig herunterwerfen, Gott weiß, was mir dann übrig bleibt. Ob ich reicher oder ärmer werde! Wenn auch ärmer, ich will aufräumen. Ich glaube Dir schon einmal etwas Aehnliches geschrieben zu haben, es ist nicht dasselbe gewesen, was ich jetzt denke, viel¬ leicht ist das jetzige gerade der Antipode von dem Frü¬ heren, vielleicht war Jenes Abenddämmerung, vielleicht ist dies Reaktion und Jenes war Revolution. Beide müssen Schutt wegschaffen, aber wahr bin ich immer bei meiner armen Seele. Ueber der Menschheit vergißt man jetzt gewöhnlich die Menschen und in dieser Zeit der Brände, Kanonen und glühenden Reden ist es doch erbärmlich kalt. Die Idee ist eine ganz schöne Sache, für fast Alle zu groß und sie bleibt immer nur Idee Vermählt sie sich nicht mit dem Individuum, mit der Gestalt, so ist sie so gut wie nicht da gewesen. Ach und das traurige er¬ bärmliche Pathos. Da bestrafen nun die Franzosen den Meineid ihres Königs — gut, obgleich schlimm, sie betragen sich eine Weile vernünftig — sehr gut. Nun kommen die allgemeinen Redensarten liberté , gloire etc . heran. Wer für diese hundsföttische gloire Leben und Glück von Generationen opfert, jeder noch so ruhmgekrönte Eroberer ist als solcher (unbeschadet sei¬ ner übrigen Größe) gebrandmarkt und ehrlos. Ich will nicht hitzig werden, darum hör' ich auf, ich will nicht gemein und wüthend werden, darum schweig ich von der Journalistik. Gott, wenn sie doch erst so schlecht wäre, daß Keiner mehr von ihr wissen wollte; aber nein, dazu müßte sie sehr gut werden. Ja, in den ersten Tagen des August war ich noch außer mir, als die Lafittsche Parthei für den Herzog von Orleans warb, ich habe mit den Volksmassen das Stadthaus umlagert und mich heiser nach der Repu¬ blik geschrien, ich habe neben Dubourg gestanden, als er dem neuen Könige drohte, es werde ihm eben so gehen wie dem schlechten zehnten Karl, wenn er seinen Eid breche, ich habe die geballte Faust in dem Augen¬ blick gegen Ludwig Philipp erhoben, ich habe mit Dir durch die Straßen geschrien, „man hat unsre Revolu¬ tion confiscirt,“ ich habe mich und die Welt ermor¬ den, in die Luft sprengen wollen, hätt' ich nur Pul¬ ver genug gehabt. — Darauf verfiel ich in ein hitziges Fieber und nach mehreren Wochen fand ich meine Besinnung und mich im Hotel Dieu wieder. Als ich wieder auf den Bei¬ nen war, fand ich Paris in Ordnung. Ich dachte Viel über die Ordnung nach, und bin lange Zeit sehr kleinlaut gewesen. Es ist wirklich ein großes Ding um die Ordnung, mein Freund. Als kleiner Bube hatte ich einen Holz¬ kasten, wo kleine Quadrate und Dreiecke geschickt in einander gepaßt waren; mein größerer Bruder ver¬ stand das Zusammensetzen, aber er ging immer sehr vorsichtig zu Werke, wenn er die Theile auseinander nahm, ich wollte es ihm nachmachen und stürzte den Kasten um, aber ich kam nicht zu Stande und mußte ihn zu Hülfe rufen; allein da Alles durcheinander ge¬ geworfen war, kostete es ihn viel Zeit und Mühe, und er schalt mich sehr aus. Mit dem Umstürzen des Holz¬ kastens ist man sehr eilig. Ich befinde mich übrigens im Ganzen hier recht wohl — in einem fremden Orte erträgt man seinen Jammer leichter als in dem, der die historische Ent¬ wicklung dieses Jammers mit angesehen hat. Man kann in einem neuen Rocke nicht so traurig sein wie in einem alten. Ich habe meinen alten, blutigen Kit¬ tel ausgezogen und fühle mich viel leichter und freier. Die Welt spricht von ihrer Universalrevolution, und daß die Lutherische Revolution ihren Wendepunkt erreicht habe, und ich habe indeß meine Special-Umwälzung vollendet; ich glaube, Ihr werdet nicht ermangeln aus diesem äußeren Wechsel Vielerlei zu schließen. Hört, seit Monaten bin ich in die Nähe keines Weibes mehr II . 4 gekommen, die Haare werden nicht mehr à la Caracalla gestrichen, seit langer Zeit bin ich nicht mehr trunken gewesen. Jetzt habe ich sogar das Wassertrinken gelernt, seit kurzer Zeit rauche ich keinen Tabak mehr. Demnach ist die Titulatur Falstaff antiquirt und gänzlich unpas¬ send geworden. Mit diesen alten Gewohnheiten ist auch das vollblütige Phlegma von mir gewichen, und mir ist viel leichter dabei. Es ist wirklich ein großer Unter¬ schied, ob einem Bier und Wein oder Blut in den Adern fließt. Ich tummle mich jetzt mitunter in den wahnsinnigsten Reimereien und nicht blos der Reimerei wegen; mein früheres Schimpfen auf die bloße Form kommt mir jetzt platt vor, auch die bloße Form ist ein Leben und ihre Seelenfäden sind dem geübtesten Auge sichtbar. Man muß das Auge üben. Früher sagte ich: all' diese Künsteleien haben nicht das geringste Ver¬ dienst; ja sie sind nicht einmal mühsam, acht Tage Ue¬ bung und man macht Verse wie ein Blutigel. Es ist wahr, ich habe es bald gelernt; aber ich glaube nicht, daß es mir in meinem früheren Materialismus so leicht geworden wäre; man muß eine geistigere Sauberkeit dazu mitbringen. Ich höre jetzt viel Musik. Daß Werdende, sich Bewegende ist das Musikalische in uns, weil man es in seinem Zusammenhange nicht überblicken kann; dar¬ um, Freund, sind Revolutionen etwas so sehr Gewag¬ tes, dem man sich nur in äußerster Nothwendigkeit hin¬ geben darf; das Gewordene, Abgemachte, Plastische ist als ein außer uns Liegendes immer in der Vergangen¬ heit. Man übersieht es und kann leichter der Sache Herr werden. Das ist der Vorzug der Stabilität und der vorsichtigen Reformen. Jene ist das Plastische der Weltgeschichte, die Musik ist ihre Revolution. Daher der Zwiespalt in unserm Innern, der uns abwechselnd zu dem Musikalischen und Plastischen hinzieht, wo wir dann bei dem einen Bewegung, bei dem andern Ruhe gleich unangenehm vermissen. Das Vermittelnde ist die Liebe und die Poesie. Ich will dichten und lieben; die Musik betäubt mich, macht mich wirr. In Liebe und Poesie ist gerade das Geistigste, die Idee, zugleich das Plastische, was wir uns in jedem Augenblicke deutlich vorhalten können, während das mehr Materielle, die Form, in der beide sich äußern, das Musikalische ist, so daß wir zugleich Ruhe und Bewegung genießen. So bin ich auch mit meinen religiösen Ansichten jetzt unzufrieden. Man sieht es solchen Byron-ratio¬ 4 * nalistischen Ansichten auf 100 Meilen an, in welcher Unbehaglichkeit sie empfangen worden sind. Ich habe mich nun lange genug mit solchem Zeuge gequält: aber was ist das Eude vom Liede? Man kann nun einmal alles Religiöse und dahin Gehörige nicht ins Reine bringen, und was hätte man auch davon, wenn man es könnte? Eine Wissenschaft mehr und eine Welt von Gefühlen weniger. Und wir müssen in dieser Blüthen und Kraut zerstörenden Giftzeit mit den Gefühlen wahr¬ lich sparsam umgehen. Du siehst nun, und wirst näch¬ stens schreiben, Constantin ist unter die Frommen ge¬ gangen und bekommt nächstens ein Bisthum in par¬ tibus infidelium . Nein, Mann, dem ist nicht so; aber ich suche mir jetzt fortwährend negirend alles Po¬ sitive hervor, was sich irgend in honetter Gesellschaft präsentiren kann. Ich habe den festen Entschluß ge¬ faßt, das Leben schön zu finden und schon giebt es Stunden, wo ich es ganz erträglich finde. Ich kenne weder das Christenthum noch eine andere Religion so genau wie Du, genau genug, um ordentlich darüber urtheilen zu können, aber soviel mir als Religionsdi¬ lettanten scheint, ist das Christenthum eine dauerhaft gearbeitete Lehre, die uns Beide wohl überleben wird, selbst wenn Du dagegen zu Felde zögest. Mit der Bi¬ bel geht es mir — so weit ich sie kenne, — auch wunderlich. Als ein heiliges Buch, das an sich Ver¬ ehrung fordert, konnte ich sie lange nicht leiden, denn ein Buch, meinte ich, bleibe doch ein Buch und könne durch ein Buch in den Sand gestreckt werden; aber als episches Gedicht steht sie mir unnennbar hoch und ist mir außerordentlich lieb. „Da kam ein König in Aegypten auf, der wußte nichts von Joseph.“ — Kann das Verschlungenwerden durch die Zeit rührender ausgedrückt werden? — Manche Stunden giebt es indeß noch, Freund, wo ich mir selbst mit meinen überaus vernünftigen An¬ sichten wie ein bei der Gewerbschule angestellter Regie¬ rungsrath vorkomme. Ich habe an meinen Vater um Versöhnung und Vergebung geschrieben, und denke meine juristische Carri è re wieder aufzunehmen. Meine Tollhei¬ ten in Paris kennt bei mir zu Lande Niemand. Was Einem wohl das stete Ringen, Lesen, Den¬ ken, Recensiren, Recensirtwerden nützt? — eben daß man ringt, denkt, lies't ꝛc. — daß man etwas zu thun hat, sowie das gemähte Gras wieder wächst, um wieder gemäht zu werden. Was verstehst Du unter einer zeitgemäßen Religion? Die Religion einer jeden Zeit ist die zeitgemäße. Du raisonnirst über die Pfaf¬ fen, die sich so gemächlich in ihrem alten Dachsbau bewegen und willst doch am Ende einen neuen dito anlegen. Sowie man über Religion spricht und schreibt, kommt gewiß etwas Verkehrtes heraus, was dem Spre¬ chenden oder Schreibenden fremd ist; es geht einem wie der Kassandra, aber anders, die Worte werden im Munde verdreht. Es ist, als sollte man dergleichen nicht besprechen wie die nächste Wollschur oder Weinlese. Wenn ich an einem schönen Tage oder auch in einem anständigen trocknen Sturme mit offnem Rock spaziren gehe, in ein friedliches Menschenantlitz sehe; wenn ich eine tüchtige, nicht nach Knalleffekt haschende Musik höre, ein duftiges Gemälde oder eine Statue mit reinen schö¬ nen Formen anblicke; wenn ich endlich eine recht lu¬ stige, sich ganz gehen lassende Gesellschaft sehe: da weiß ich so klar mit und in dem Himmel Bescheid, daß es eine wahre Freude ist. Sowie ich dagegen noch so ge¬ sammelt, durchgesehen und verbessert von Gott, Reli¬ gion ꝛc. spreche oder schreibe, flugs ist eine Albernheit mehr in der Welt. Auch mir war noch vor Kurzem das Christenthum als Conglomerat von Dogmen nichts mehr und nichts weniger werth als der Muhamedanismus ꝛc. — aber das Gedicht, die Christuslehre, und die zum Grunde liegende Idee, die es hervorgerufen hat und neu belebt, sollen die nicht mehr als lumpige 18 Jahrhunderte sich halten können? Fragst Du denn bei der Ilias, ob sie ein zeitgemäßes Epos sei? Lieber Katholik, als in der Religion Rationalist. Laß mir nur etwas Zeit, ich werd' mich schon finden; der alte und neue Mensch wirthschaften noch heftig in mir. Du achtest ja jede Individualität, achte auch vor der Hand meine tastende. Und bildet sich am Ende auch eine Dir entgegengesetzte heraus, gewähr' mir nicht nur Gerechtigkeit, ich weiß, das wirst Du immer, sondern auch Theilnahme. Es regen sich aber wieder Gedanken des alten Menschen in mir, drum werd' ich plötzlich so kleinlaut: ich kann sie nicht un¬ terdrücken. „O wenn ich nicht gar zu vernünftig wäre, so machte ich tolle Streiche.“ Es wäre gewiß recht gut für mich, wenn ich mich eine Zeitlang des Den¬ kens enthielte. Es giebt in der That keine schädlichere Erfindung. Da sitzt man nun und konstruirt und ab¬ strahirt sich ein Leben und einen Begriff von Dem und Jenem, anstatt zu leben und den Sachen herzhaft, ohne Skrupel, nahe zu treten. Wenn ich daran denke, wie viele Freuden des Lebens man aus bloßer Grillenfän¬ gerei versäumt, so möchte man sich ohrfeigen. Leo¬ pold ist eigentlich der einzige vernünftige Mensch, den ich kenne. Was ist das nun für ein Brief aus Paris, wo Europa's Zukunft kreiset! Von Plastik, Musik und Theologie schrieb ich von hier. Ist das nicht ächt teutsch? Aber dies ächt Teutsche behagt eben dem Embryo mei¬ nes neuen Menschen so ganz und gar. Ich gehe viel in Gesellschaft — was ich mit den Menschen jetzt mache? — was sollte man auch mit vie¬ len Menschen anfangen, wenn man sie nicht wenigstens zum Studium benutzte. Ach, viel eitel bunt Musika¬ lisches, wenig, sehr wenig Plastisches. Ich werde bald nach Teutschland kommen. 26. Camilla an Alberta. Um Gotteswillen ist es wahr, ist es wirklich, was ich eben im Hause der Fürstin vernommen — Ludovico hat den Valerius erschossen? O ich beschwöre Dich, fertige den Boten sogleich wieder ab, damit ich heut' noch Nachricht habe. Ich stehe zwischen lauter Grä¬ bern und will doch wissen, in welches ich springen soll. O Gott, meine Gute, ich kann nicht schreiben, weil ich nicht sehen kann vor dem Thränenstrome. Nein, nein, Gott wird seinen Liebling doch nicht von einem heißblü¬ tigen Tölpel ermorden lassen, dessen einzig Verdienst das heiße Blut ist. Armes Mädchen, was magst Du leiden. Ach es ist Unsinn! Der Mann, der noch so viel in der Welt zu thun hat, kann nicht erschossen sein von einem nutzlosen Menschen. Ist dieser Narr doch gar verrückt genug, mich hier auszukundschaften und meine Hand zu verlangen, während er mir auf die nächste Frage eingestehen muß, daß er Valerius niedergeschossen, und nicht wisse, ob er noch lebe. Und jenes Herz sollte still stehen — o wozu klappern die tausend unnützen dann noch weiter?! O Liebe, schreibe mir sogleich! Lu¬ dovico ist schon auf dem Wege nach Berlin, um mich einzuholen — der Uebelthäter soll in den Wind fahren, ich bleibe vor der Hand hier — und meine gute Alberta, nicht wahr, Du schreibst sogleich — ach Gott, ich weiß nicht was ich sage, was ich will — ja, ja Gewißheit nur, nichts weiter. — 27. Hyppolit an Constantin. Warum hat die Natur den Menschen nicht größer und stärker geschaffen? Ueber Berge mag er stolpern können, aber es ist ein Jammer, daß er über jeden Maulwurfshaufen fällt. Solch ein Wicht kann doch eigentlich auch nicht schön sein! Man sollte keine Sta¬ tuen mehr machen, keine menschlichen Figuren malen, keine Heldengedichte und Dramata schreiben. Die ganze Natur allein verdient so etwas, der einzelne Mensch aber nicht. Nicht das kleine Herz dieses Mädchens kann ich erobern — o, der Mensch ist ein Wicht und nichts weiter. Valerius scheint die Hauptgefahr überstanden zu haben, indessen ist er noch keineswegs gerettet. Ist so was in Arabien erhört worden? Wie barmherzige Sa¬ maritanerinnen sitzen die Weiber um sein Lager herum und sprechen und lesen ihm vor. Selbst die stolze Kon¬ stantie fehlt nicht. Der Graf hat dem armen Kranken einen weichen seidnen Patientenanzug geschenkt, in die¬ sem nun liegt Valer wie ein verwundeter Emir, dem die verrückten Kreuzfahrer hart zugesetzt, auf seiner Ot¬ tomane und läßt die Houris um sich tändeln. Ihm zu¬ nächst sitzt immer die sensitive Alberta, die meine Un¬ treu in seine schönen Augen versenken zu wollen scheint. Meinethalben, das weiche, weiße Kind kann mich nicht ansehn und nur Valer's Nähe scheint sie zu stärken. Die Fürstin übertrifft mich; so groß hab' ich die Ge¬ schicklichkeit noch nicht gesehen, kein Gedächtniß zu be¬ sitzen. Nach jenem kurzen Wortwechsel über Desdemona schien sie lange Zeit sehr bewegt zu sein. Sie hat lau¬ ter stolze Laster, aber auch ihre ebenbürtigen Gegner: stolze Tugenden. Sie schien durch jene Nachricht von Desdemona sehr zu leiden und von William, dessen Un¬ terwürfigkeit ihrem gesellschaftlichen Sinne am bereit¬ willigsten entgegen kam, erfuhr ich, daß sie durch ihn die lebhaftesten Anstalten in Wien treffe, Desdemonas Wohl zu befördern. Der junge Pfaff sagte mir das triumphirend, und mit scharfen Andeutungen mich an¬ klagend. Ich wehrte ihm diesmal nicht: war ich ein guter Mensch, so ließ ich jene heiße liebedurstige Seele nicht verschmachten und allein ziehen. Aber ich bin nur ein Mensch. Constantie läßt sich oft stundenlang von William christliche Moral auseinandersetzen und scheint sehr aufmerksam zuzuhören; sie stellt eine Art Exami¬ natorium mit ihm an und legt ihm schwierige Fälle ror. William ist natürlich entzückt, seinen Kram so anzu¬ bringen und wird lächerlich hochmüthig; solche Geduld ist ihm lange Zeit von verständigen Leuten nicht gewor¬ den. Die Fürstin schloß meist die Gespräche damit, daß sie plötzlich kopfschüttelnd, und lächelnd aufstand, vor sich hinsprach: „Ja, ja, das sind schlimme Dinge.“ Nur das Lächeln sah William nie und er fiel natürlich heut' aus seines Himmels Wolken, als Konstantie die Si¬ tzung mit den Worten aufhob: „Mein lieber Herr Wil¬ liam, das ist lauter Büchermoral, die bestaubt aussieht in dem Sonnenschein, welcher in unsern modernen Zim¬ mern lagert. Unsre Menschen sind nicht mehr die Vor¬ dersätze zu Ihren Schlüssen, die Dinge können also un¬ möglich zu einander passen. Es giebt eine Moral, die in die Poren des leichtsinnigen Burschen dringt; aber die holt man nicht aus dem Grunde eines alten abgestandenen Gewässers, man greift in die Fluthen, in welchen jener leichtsinnige Bursch eben treibt; nicht in Syrien heilen kluge Leute den Pariser, sondern in Paris. Ihr Zeug ist langweilig wie alles Unzeitige.“ — Beim Zeus, es ist ein verständig Weib, und der Blick, der mich in diesem Augenblicke aus ihren blitzenden Augen traf, er¬ innerte mich an jene Nächte neben der Bibiliothek, an jene Herrscherblicke, mit denen sie mich regierte. Sie sah, was in mir vorging, und wie ein schneller Wind¬ stoß flog jene nächtliche Liebe über unsre Augen und Lippen. Wir hätten uns umarmt, wären wir allein gewesen. William stand so zerschmettert da, daß ich ihn das erste Mal in meinem Leben bedauert habe. Die Fürstin hatte am Fenster gesessen, er vor ihr gestan¬ den, Julia saß auf dem Sopha und hatte ein großes Gemälde vor sich, nach welchem sie einen Teppich stickte. Ich saß ihr gegenüber am Tisch und erzählte ihr von Spanien, von der Einsamkeit der öden Straßen, von dem romantischen Zauber dieses Alleinseins und dergleichen; sie war freundlicher als gewöhnlich und ließ zuweilen die Nadel ruhen, indem sie forschend auf mich hinsah. Dies träumerische Zuhören gab ihr einen so rührend unschuldigen, harmlosen Ausdruck, daß ich gar zu gern zu ihr gesprungen wäre. Ich wünschte Konstantien und William zum Henker. Bald darauf schloß sich das Gespräch, wie ich Dir erzählte. Die Fürstin ging, und gleich darauf auch William. Julia ward unruhig, und machte Miene ihre Arbeit zusammenzulegen und aufzu¬ brechen; sie scheint wie etwas Unheimliches das Allein¬ sein mit mir zu fliehen. Ich sprang zu ihr, drückte ihre Hand an meine Lippen und bat, wirklich schmerz¬ lich erregt, so sanft als ich konnte, sie möge nicht so hart gegen mich sein, sie möge mich nicht fliehen. Ei¬ nen Augenblick stand sie unschlüßig mit gesenktem Köpf¬ chen, ließ mir aber ihre Hand, dann sah sie auf, das Wasser stand ihr in den Augen, der alte Hyppolit er¬ wachte, ich wollte sie in meine Arme schließen; sie drückte mir aber die warme kleine Hand in's Gesicht, schüttelte weinend ihre Locken und ging nach der Thür. Wo hätte ich sonst das Abweisen eines Sturms so ohne neuen Versuch hingehen lassen! Ich blieb starr und trau¬ rig stehen. Und dies schien sie zu ermuthigen. Sie hatte schon die Thür in der Hand, als sie mit ihrer rührenden Stimme sagte: „Wollen wir einen Gang durch den Garten machen?“ Ich führte sie in eine dunkle Kastanienallee, die aus dem Garten in ein nahes Wäldchen führt. Sanft und mild war sie und sprach mehr als gewöhnlich. Ich faßte ihren Arm, um sie zu führen; sie bebte zusammen, als meine Hand sie berührte. Mein ungeduldiges Herz duldete den Zwang nicht länger, es drängte mich stür¬ misch das blühende Mädchen zu umarmen. Ihre klare, durchsichtige Haut war durch die Bewegung auf den Wangen geröthet; es war ein warmer Tag und sie trug ein leichtes weißes Kleid, ein dünnes rothes Flortüch¬ lein um den Hals, mit dem die Lüfte spielten, und was nicht im Stande war, das schöne weiße Fleisch der run¬ den Schultern und des jungen Busens zu verhüllen. Unter einem großen Platanusbaume, der einsam unter den Kastanien stand, und seine breiten Aeste wie ein gefälliger Liebeshehler ausbreitete, hielt ich plötzlich im Gehen inne, schlang meinen Arm um das heiße strah¬ lende Mädchen — sie wendete sich nicht zu mir und ich konnte nur ihre Seite an meinen glühenden Kör¬ per drängen. „Nicht so, Hyppolit,“ bat sie innig. Mein gerührtes Herz zerbrach die Sehnen meines Kör¬ pers, ich knickte zusammen und mein Kopf sank auf ihre Schulter. Ich fühlte ihre Hand in meinen Haaren und den Hauch eines Kußes auf meiner Stirn. „Leb wohl, mein Freund,“ sprach sie und flog davon. An die Platane gelehnt sah ich ihr schmerzlich nach. Das mag wohl etwas von Eurer sentimentalen Liebe sein, was mir mit diesem Mädchen gekommen ist: ich wüßte nicht, daß es mir je so ergangen wäre: meine Augen standen in Thränen. Wie lange ich an dem Baume gestanden hatte, weiß ich nicht — Prinz Leopold kam aus dem Wäld¬ chen hergeschlendert, und weckte mich durch seinen Gesang. Es war eines jener leichtsinnigen teutschen Liebesliedchen, deren die Teutschen so wenig, die Franzosen so viel, die Spanier gar keine haben, in denen Liebe und Liebchen gutmüthig verspottet werden. Sie sind die Kritik eines leichten Herzens. Er erzählte mir lachend, daß ihm der Pfarrer und der Förster so eben die Thür gewiesen. Sie waren dahinter gekommen, daß er ein Liebesver¬ hältniß mit den Töchtern von Beiden zu gleicher Zeit unterhielte. Der Pfarrer hatte dem Förster und dieser dem Pfarrer vom zukünftigen Schwiegersohne erzählt, und am Ende hatte sich's ergeben, daß sie Beide den¬ selben meinten. Darauf hatte ihn der Förster unsanft unter mehrfachen Grobheiten und Flüchen, der Pfarrer mit himmlischem Schwefel drohend unter salbungsvoller Rede jeder aus seinem Hause gewiesen. Er war näm¬ lich zuerst bei letzterem gewesen und hatte sich für solch Finale rasch bei der Tochter des ersteren stärken wollen, war aber aus dem Regen in die Traufe gekommen. Dem groben Förster hatte er mit seiner Prinzlichkeit ge¬ droht; das hatte aber den nur noch mehr ergrimmt. Hinter dem Hause indeß hatte ihm das gutmüthige För¬ sterröschen zum Abend um neun noch ein Rendezvous im Walde versprochen, und als er auf dem Rückwege bei der Kirche vorbeigekommen, hatte ihm Juditha, des Pfarrers Töchterlein, einen Abschied Abends um elf un¬ ter dem Sturmdach der Sakristei zugesagt. Ich mußte über unsern kleinen Detailhändler in der Liebe herzlich lachen. Wenn übrigens der kleine Aff' nicht wirklich der Sohn eines Prinzen ist, so glaubt er doch gewiß bald selbst daran — aus lauter Poesie. Es ist Alles an ihm Duft, Lüge, Traum, daß er am wenigsten dar¬ über Auskunft geben kann, was von seinen Verhält¬ nissen richtig und wahr ist. Ich glaube ihm nicht ei¬ nen Vorgang, den er mir erzählt; deshalb klag' ich sei¬ nen lügenhaften Willen nicht an, er weiß es nicht bes¬ ser. Jeden Vorfall sieht er mit tausend dichterischen Augen an, er kann nicht dafür, daß er unendlich viel Dinge zu viel sieht.. Er hat nicht eine Ader vom Hi¬ storiker und ein paar Eimer Bluts zuviel vom Poeten. Es ist lächerlich, was sich die Leute für Mühe ge¬ ben hinter das prinzliche Incognito zu kommen, selbst der Graf verleugnet seinen anticipirenden historischen Cha¬ rakter und interessirt sich sehr dafür. William ist offen¬ bar in der peinlichsten Verlegenheit, ob er seine frühere fanatisch sittenrichterliche Rolle dem Kleinen gegenüber mildern oder aufgeben soll, es freut mich aber an ihm, er scheint doch soviel Stolz zu besitzen, daß er sich nicht ganz dazu entschließen kann. Er knurrt und grollt wie ein Kettenhund, der aufgehört hat zu bellen. Fips ist sehr respectvoll gegen den Kleinen und Konstantie be¬ trachtet ihn so oft lächelnd, so ahnungsreich, sarkastisch und doch komisch gutmüthig lächelnd, als sähe sie tief durch ein Gewebe — sie ist ein kluges Weib; Gott weiß, was sie hat, ich bin zu wenig neugierig, um mich darum zu kümmern. Wäre die Sache aber wich¬ tiger als sie's ist, so könnte sich das Tragische ereignen, daß die in Frage stehende Person über das eigne Ich keine zuverläßige Auskunft geben könnte; denn ich bin fest überzeugt, Dichtung und Wahrheit ist in Leopold über seinen Prinzen bereits so in einander geflossen, daß er am wenigsten entscheiden könnte, ob er ein Prinz sei oder nicht. Die Fürstin hat irgend etwas vor, will irgend eine Komödie aufführen: sie lacht den William aus und protegirt ihn offenbar und hat ihn ernsthaft auf ihr Schloß eingeladen; sie lächelt spitzbübisch über Leopold und will ihn ebenfalls mitnehmen; sie achtet und scheut Valerius und möchte ihn offenbar auch von der Par¬ tie haben. Ich glaube, sie fürchtet am meisten darum für sein Leben. Es ist ein schwer zu ergründendes Weib. An William will sie sich wahrscheinlich einen gläubigen verehrungslustigen Lamartine erziehen, der sie in Oden und Liedern preis't; daß er ein bedeutendes poetisches Talent ist, hat ihr richtiger Takt längst herausgefunden. Und allerdings ist er der Einzige, der sich etwa noch zum Hofsänger qualificirte. Sie behandelt ihn weg¬ werfend, und doch umstrickt sie ihn mit Aufmerksamkeit, während sie Leopold wie ein Kind behandelt, das man verhätschelt. Ob alles dies, vor allem aber ihre innige Theilnahme, die sie dem Valer an den Tag legt, Op¬ positionsgeist gegen mich ist, ich weiß es nicht: die Frau weiß die Anfangsfäden so schlau zu verbergen, ist bizarr und affektirt Bizarrerien, so daß man schwer zur richtigen Anschauung kommt. Du merkst es wohl, daß ich aus Verzweiflung schwatze — umsonst hab' ich Julia gesucht, sie entzieht sich mir geflissentlich. Ich werde Schicksalstragödien le¬ sen, denn ich glaube fast: das Schicksal der Liebe und des Weibes will sich rächen an mir durch dieses schöne Mädchen. Sie ist die erste, der ich meine Liebe nach¬ trage wie ein Bettler dem hartherzigen Wanderer seine Bitte — und sie ist's gerade, die mich verschmäht. Ist mein Leben verdorrt, mein Blut vertrocknet, mein Geist versumpft? Wo liegt jenes Etwas, jener uner¬ klärliche Hauch der Sympathie, der das verbindende Mit¬ tel ist zwischen den verschiedenartigsten Wesen, der sie zusammenzieht? Wo ist jene Elfenbrücke, wo sich des Mannes und Weibes Gedanken im Mondschein finden und mit einander buhlen, eh' Mann und Weib die klare Vorstellung davon haben, und die dann zurückhüp¬ fen in die Tiefen der Herzen, ihre nächtlichen Geschich¬ ten erzählen und die Liebe stiften wie ein Gedicht? O ihr Elfenpoeten Julias und Hyppolits, wo seid ihr! Sieh, es ist soweit mit mir gekommen, daß ich klarer, sonnenheller Mensch dem Mondscheingeheimniß der sentimentalen Liebe nachspüre, daß ich ein blasser Romantiker werde; wo ich früher nichts als das offne Walten der besten Kräfte sah, die sich nach Naturgesetzen anziehen, da such' ich jetzt mysteriöse Sympathie. Es ist weit mit mir gekommen. Ich bin wie ein über¬ schwenglicher Mediziner; wenn seine Therapie nicht mehr ausreicht, da flüchtet er zu den sympathetischen Be¬ schwörungsformeln. Weißt Du keine für meine Julia? O daß wir keinen Teufel mehr haben, dem ich mich verschreiben könnte für das liebreizende Mädchen! — — Und doch muß ich über die lächerliche Scene, die sich neben mir begiebt, lachen. Valerius hat den Pro¬ ven ç alen an den Schreibtisch citirt; um ihm einen Brief an Dich zu dictiren; Leopold zappelt wie ein Böcklein, und möchte gar zu gern fort, aber Valers Auge und Wort fesselt ihn, er ist wie eine am Magnet hin und herrückende Stecknadel, die gern entweichen möchte, er sieht pudelnärrisch aus. 28. Valerius an Constantin. Meine Kräfte sind in diesem Augenblick zu ge¬ schwächt, als daß ich Deinen Brief sorgfältig einzeln und umfassend beantworten könnte. Es ist ein trüber Nebel¬ tag, den Du mir geschickt, Freund. Jeder gewissenhafte Mensch zweifelt zuweilen an den Wahrheiten, die sein Leben leiten und zusammenhalten. Du bist in einer be¬ denklichen Krisis, und ich fürchte, die Jugend Deines Geistes und Herzens geht darin zu Grunde; ich fürchte, Du wirst in Kurzem ein alter Mann sein, die Jugend irrt allerdings mehr als das Alter, aber sie ist Poesie und Leben; ein grüner Irrthum ist schöner als ein ver¬ trocknetes richtiges Wort. Die Natur wechselt, das Bild bleibt unverändert — willst Du den gemalten Frühling dem natürlich knospenden und grünenden vorziehn, weil jener unverändert derselbe bleibt? All' solche Krisen und Reactionen kommen von einer mangelhaften Geschichtsauf¬ fassung, von der Minuten- und Tagsgeschichte — jene Wis¬ senschaft aller Wissenschaften zählt aber nach Jahrhunderten. Jeder große Mann bringt Tausenden Tod, um Millionen Leben zu bereiten; der Haufen Todter, den der Kampf einer neuen Zeit um Euch aufhäuft, verengt Euch die Aussicht, Ihr seht nur den blutigen Tag, nicht das goldne Jahrhundert. In einem Worte ruht die Erschei¬ nung so vieler Reactionen aus gutem Willen. Dies Wort heißt „Vergessen, daß wir in einer kritischen Zeit leben.“ Die Jugend, die keiner Ruhe bedarf, weil sie Leben genug besitzt, fragt wenig darnach, was Dies oder Jenes kostet, sie ist für Revolution, weil sie für Ab¬ wechselung, für große Lebensentwicklung ist. Wenn uns die Jugend verläßt, so meinen wir, die Zeit müsse eben¬ falls vollendet sein; wir verlangen, daß die Zeit in eben so kurzen Schritten gehe als ein Mensch, eben so schnell mit ihrem Leben zu Ende sei als wir. Der ist der große Historiker, der nicht nach dem Schlage des eignen Her¬ zens urtheilt, denn wie zeitig schlägt ein menschliches Herz matt, sondern nach dem Herzschlage der geschicht¬ lichen Epoche. Das Jahrhundert kommt wie ein Wan¬ dersmann mit zerrissenen, abgetragenen, schmutzigen Klei¬ dern an dem Orte an, wo es sich neu kleiden, reinigen, säubern, umgestalten soll — ein Kleidungsstück nach dem andern wird abgeworfen, der unkundige Mensch geht vorüber, er hat es lebhaft gewünscht, daß jener Wan¬ derer sich neu gestalten soll; aber er sieht die halb ent¬ kleidete schmutzige Figur, er entsetzt sich davor, nennt seinen Wunsch Frevel, verhüllt sein Gesicht und läuft heulend von dannen. Die Metamorphose geht unter¬ deß weiter, das Bad, — freilich oft mit Blut gefärbt, so lange die Civilisation noch eine halbkriegerische, so¬ mit halbbarbarische ist — wäscht die letzten Flecken ab, die neuen Gedanken flattern als neue Kleider umher, die neue Zeit ist vollendet und erscheint auf den Märk¬ ten; aber jener Mensch, der vorüberging, glaubt immer noch den Schmutz unter den neuen Gewändern versteckt, den er damals gesehen; sein Herz ist alt geworden, er hat das Hoffen verlernt, er erkennt nicht mehr, was schön ist, denn sein Blick ist befangen — jener Mensch ist der Reaktionair aus gutem Willen. Du hast plötzlich vergessen, daß wir immitten ei¬ ner kritischen, zerstörenden, umwandelnden Epoche sind, in drei Tagen hast Du die Metamorphose vollendet sehen wollen — da dieser Glaube Dich getäuscht, wie er Dich täuschen mußte, denn nicht in einer Nacht blüht die ganze Erde auf, läufst Du heulend und Dein Gesicht verhüllend von dannen. Dir spukt die Tages- und Wochengeschichte im Kopf und die Weltgeschichte Deines II. 5 Herzens hast Du vergessen, die in Jahren, Jahrzehnden und Jahrhunderten schreitet, weil Dein Herz plötzlich zu¬ sammengeschrumpft ist. Diese mangelhafte Gesellschaftsanschauung entreißt unserer sich wiedergebährenden Zeit manch braven Mann, seine Kraft reicht nicht aus für den fortwährenden Un¬ tersuchungs- und Anklagestand, die Eitelkeit überkommt ihn und erklärt lieber das Ganze für einen Irrthum, als sich für schwach. Der nur wird ein großer Feld¬ herr, der die Massen zu beurtheilen versteht, der nur ein großer Historiker, der die Zeitmassen in seinem Geiste aufzunehmen und zu beherrschen vermag. Wenn Na¬ poleon an der Brücke von Lodi tausend von seinen Gre¬ nadieren schonte, so drang das freiheitsmörderische Oesterreich vielleicht nach Frankreich und Millionen wur¬ den um die Freiheit gebracht, welche in Frankreich auf¬ wuchs für die Welt. Jahrzehnte des alten Jammers kehrten wieder. Da das Handgemenge um die Freiheit begonnen hat, alle Triebe, Begriffe, Wissenschaften, Künste in dieses Handgemenge verwickelt sind, schreist Du mit schwacher Stimme „Ordnung — Ordnung,“ und weil es nichts hilft, wirfst Du Dich weinend an den Bo¬ den. Kämpfe — der Kampf ist zur Kriegszeit der nächste Weg zur Ordnung. Ermannst Du Dich nicht, erreichst Du nicht die Höhe des historischen Ueberblicks, wo die kleinen Stö¬ rungen verschwinden, Freund, so bist Du in Kurzem von der neuen Zeit geschieden, so bist Du bald eine Mumie. Also Kopf in die Höhe, helle Augen und nun laß sausen und brausen: was rechtest Du mit der Na¬ tur, wenn Du eben während des Sturmwindes aus¬ gehst und doch verlangst, Dein Rock solle keine Falten werfen, Deine romantische Figur solle nicht zerstört wer¬ den — es ist nun einmal Sturmwindszeit und die ist nicht vorüber, wenn die Kalender mit den königlichen Stempeln nichts davon wissen. — Ade Constantin — Dein Valer. Schreiber Dieses, der Prinz Zerbino aus der Provence, schickt Dir ein ganzes Füllhorn Grüße und Ent¬ schuldigungen, daß er seine Hand hat leihen müssen zu so herben Dingen. 5 * 29. Hyppolit an Constantin. Jag' Deine Augen Carri è re durch diese Zeilen. Sobald Du am Ende bist, eil' an die Thore nach Teutsch¬ land zu, gieb Aufträge, beschreibe, unterrichte, versprich Belohnungen — thu Alles, um der Gräfin Julia, wenig¬ stens ihrer Wohnung, wenigstens der Nachricht habhaft zu werden, ob sie in Paris ist oder nicht. Dieser Brief kommt auf dem kürzesten Wege zu Dir, er reis't gewiß schneller als eine Dame. Vor einer Stunde ist Julia abgereis't; ich trat nach jenem thörichten Geschwätz Leo¬ polds, wobei wir vielfach stehen geblieben waren, ge¬ lacht, kurz die Zeit vertrödelt hatten, in den Schloßhof, und hoffte Julien verschämt aber liebevoll im Gesellschatfs¬ saale zu finden — da fliegt Juliens Reisewagen über die jenseitige Brücke, die vier Pferde wiehern wie hohn¬ lachend und ziehen die Beute im gestreckten Trabe von dannen — alle Muskeln schwellen mir, ich starre wie ein zürnendes Steinbild hin, tausend Leidenschaften dro¬ hen mich zu zersprengen — da wendet sich ein Kopf aus dem Wagen; ich erkenne Julien, sie winkt Abschied mit dem Taschentuche. Da wird der Stein lebendig, ich fliege in den Stall, zum Satteln ist keine Zeit, werfe meinem Pferde den Zaum über, springe auf und jage ventre à terre der davon eilenden Beute nach — am nächsten Dorfe erreiche ich glücklich den Wagen, ich ruf den Kutschern Halt zu, sie erhalten aus dem Wagen Gegenbefehl, Julia, die mich erblickt hat, ertheilt den Gegenbefehl, mein Pferd droht unter mir zusammenzu¬ stürzen. Ich wollte in den Wagen springen, mit ge¬ rungenen Händen bat sie mich, abzulassen, zurückzukeh¬ ren. Ihr Gesicht schwamm in Thränen, sie schien im¬ merwährend geweint zu haben — Hyppolite, toute mon ame Vous prie de me faire partir, Vous m'as¬ sassinez en m'empêchant — das geschah alles noch im Trabe, ich schrie dem ersten Kutscher zu, ich er¬ würgte ihn wenn er nicht Schritt führe — er that's „ Julie, mon ange, pourquoi ça? “ Sie reichte mir die Hand aus dem Wagen, sie war glühend heiß und bebte. Ich drückte sie an meine Lippen. „ Vous me tuez, si vous ne retournez pas !“ — Ach, das sagte sie mit einem Blick, der mit seiner Rührung den Himmel ge¬ spalten hätte. Ich hielt mein Pferd still und blieb zu¬ rück. Da warfen die Kutscher ihre Pferde in Galopp — meine Wuth erwachte, ich wollte die Schufte ermorden und jagte nach. Julia erhob sich händeringend im Wagen, neben ihr stürzte mein Pferd zusammen, ich hörte Ju¬ liens Schrei und Haltrufen, aber mein Stolz hob mich unter dem Leibe meines Pferdes in die Höhe; ich winkte ihr, fortzufahren — sie fuhr. Ich weiß nicht, wie ich zurückgekommen bin. Thu wie ich Dich gebeten, bald siehst Du mich selbst. 30. Julia an ihre Mutter. Du hattest Recht Mutter, als Du mir riethst mei¬ nen Aufenthalt in Grünschloß abzukürzen, Hyppolit würde mein Unglück sein. Er ist der schönste, gewaltigste Mann, den ich geseheu , wäre ich länger geblieben, so hätte er mich überwältigt, ob ich ihn deshalb je geliebt hätte, weiß ich nicht. Gestern bin ich abgereis't, weil es die höchste Zeit war, ich gehe zum Vater nach Paris und schreibe Dir dies Billet aus dem ersten Nachtlager. Morgen mehr, liebe Mutter, ich bin todtmüde. Fast eine Stunde lang bin ich im Wagen ohnmächtig gewesen — Hyppolit kam wie ein zürnender Gott hinter dem Wagen her und wollte mich halten. Ach Mutter, was hab' ich gelitten dabei. Ich gab ihm meine Hand, unendliche Wollust jagte sein Kuß darauf durch meine Sinne, aber mir war's, als hielt mich ein wilder Geist. Mein Mädchen, die etwas von unsern Gesprächen verstanden hatte, gab den Kutschern ein Zeichen, der Wagen flog davon, Hyppolit schrie auf, daß es mir Mark und Bein erbe¬ ben machte, er jagte uns nach, das Pferd brach unter ihm zusammen und stürzte auf ihn — Mutter, ich war zertrümmert, schrie Halt, wollte aus dem Wagen — ach — meine Kräfte hatten mich verlassen, ich war bewußtlos zurückgefallen, das Mädchen hatte fortfahren lassen. Sie erzählte mir, Hyppolit habe unverletzt ge¬ schienen, habe selbst uns fortgewinkt, sei aufgestanden und habe uns lange mit untergeschlagenen Armen da¬ stehend nachgesehen. Ach, es war sehr traurig, liebe Mutter, und ich werde wohl lange nicht froh werden. 31. Alberta an Camilla. Ach, daß Du nicht mehr bei mir bist, meine arme geliebte Camilla! O wie wollt' ich Dich küssen! Du wunderst Dich, daß ich nicht traurig bin, weil Du von der Fürstin gehört hast, Julia sei fort, und Hyp¬ polit sei ihr spornstreichs nachgereis't. Nein, meine Liebe, ich bin gar nicht traurig, ich bin recht still, aber recht ruhig, ja sogar glücklich. Der ganze Schwarm ist fortgeflogen; Du weißt, daß Constantie William und Leopold mitgenommen hat, Graf Fips ist ein stummer Mann, wir haben nur den lieben kranken Valerius hier, und der ist mehr werth als Alle. Man sagt mir, ich sei in Hyppolit verliebt ge¬ wesen, und er hätte mich sehr unglücklich gemacht: das Erste mag wohl wahr sein, ich glaube, es ist auch das rechte Wort getroffen. Geliebt? Ach, nein, berauscht —, o bitte, erlaß' mir das Zergliedern, Du weißt, ich kann das nicht, ich liebe das bewußtlose, ungeprüfte Hin¬ träumen, ich frage nicht viel. Valerius nennt mich drum immer die romantische Dame, und hat mir ver¬ sprochen mit mir nach Paris zu reisen, und mich mit den dortigen Romantikern Victor Hugo, Janin und wie sie heißen mögen, bekannt zu machen. Ja, ja, das hat er mir versprochen. Und sie würden mich sehr lieben, sagt er, der gute Mann. Gestern hat er mir Victor Hugo's Hernani vorgelesen — ach, wenn ich doch so lieben könnte wie Donna Sol, sterben könnt' ich gewiß so für meinen Hernani. Aber Hernani gleicht in vieler Wildheit zu sehr dem Hyppolit, es ist in Bei¬ den zu tolles spanisches Blut. Ich habe Valerius ge¬ beten, mir einen sanftern Hernani, einen teutschen zu schreiben. Er lachte, als ich's ihm sagte, daß die Teut¬ schen am liebenswürdigsten wären. Der Vater hat uns versprochen, daß wir drei, er, Valerius und ich im Spätherbst nach Paris reisen würden. Papa ist viel weicher als sonst, aber nicht mehr recht lustig. Du fehlst ihm, meine liebe Camilla, o komm und mach' uns munter mit Deiner guten Laune. Wenn Du bald kommst, kannst Du auch mit reisen. Valerius hat heut' viel zu schön für Dich gebeten und der Vater nickte still mit dem Kopfe und sah so unbeschreiblich gut dabei aus. Ach Gott ja, Du warst in der letzten Zeit gar nicht mehr vergnügt, das fällt mir erst ein. Gieb doch Deinen garstigen Ludovico auf. Dem Herrn Valerius darf man gar nicht davon sprechen, sonst wird er gleich betrübt. Die Fürstin wollt' ihn gar zu gern mitnehmen; der Vater sagte uns, sie hätte sich einen Scherz aus¬ gesonnen, die jungen Leute mit ihren neuen Ansichten in den großen Gesellschaften auftreten zu lassen, welche sich jetzt auf ihrem Lustschlosse versammeln werden. Sie verspräche sich an diesem Turnier mit den alten Rittern sehr viel Spaß, aber William und Leopold hälfen ihr eigentlich nicht viel, jener weil er zu fromm und legitim, dieser, weil er zu luftig, unsicher und nach¬ giebig sei. Beide würden ihr nur mit Poesie aushel¬ fen können; nur wenn Valerius mitkäme, sei auf vor¬ theilhaften Kampf zu rechnen. Da er es bestimmt aus¬ schlug, so hat er wenigstens versprechen müssen, feind¬ liche Briefe hinzuschreiben, welche die ganze Gesellschaft besprechen, und bekämpfend durch den Sekretär William beantworten würden. Es ist gar nicht hübsch von Constantien, daß sie unserm kranken Freunde so viel zu schaffen machen will — er soll ruhen, und geh'ts nach mir, so schreibt er keine Zeile. Aber das Ein und Alles meines Briefs ist: Kom¬ me — komme morgen, Herr Valerius bittet auch schön, und der Vater auch. Es ist jetzt ja hübsch still und heimlich auf Grünschloß, es wird Dir sehr behagen. Valerius darf noch nicht viel gehen, und da sitzen wir fast den ganzen Tag auf der Terrasse unter den Aka¬ zien und schwatzen und lesen und treiben Allerlei. Herr Valerius trägt den Arm im Tuch und sieht noch blasser aus als sonst, aber viel sanfter, freundlicher, milder. Komm nur, komm, er will uns Geschichten erzählen, wenn Du da bist — hörst Du? Komm! Jetzt küß' ich Dich eins-zwei-dreimal und bin Deine zärtliche Alberta . 32. Leopold an Valerius. „Im wunderschönen Monat Mai Als alle Knospen sprangen, Da ist in meinem Herzen Die Liebe aufgegangen. Im wunderschönen Monat Mai Als alle Vögel sangen, Da hab' ich ihr gestanden Mein Sehnen und Verlangen.“ Es ist zwar September und die Früchte fallen, aber um so besser, die Vöglein singen noch, die Natur ist noch schön, eine üppige Frau voll Lebenslust, Saft und Liebe. Weißt Du noch, wie der Präsident in Ka¬ bale und Liebe sich spreizt und feierlich die größte Hälfte des Mords auf den überscharf geschliffenen Be¬ griff des Malitiösen, seinen Todten-Wurm wälzt und weißt Du's noch, nun so lache nicht: ich wälze, wenn auch minder feierlich, einen Theil meines bunten Lebens auf Deine Verantwortung. Sonst flog ich unbewußt umher und stahl, jetzt thu' ich's systematischer, seit ich einmal ein Stück Deines Systems gehört. Wenn ich sündige, so geschieht's zum Theil mit auf Deine Rech¬ nung und das ist mein Trost. Erinnerst Du Dich noch jener Worte; wir saßen an der Promenade, ein Roué strich vorüber, an seinem Arm hing ein reizendes Mädchen. Der Mann sah glücklich in die grünen Baum¬ zweige, zwischen denen der Sonnenstrahl hin- und her¬ hüpfte und man sah es ihm an, wie sein ganzes We¬ sen auf solchen wollüstigen Sonnenstrahlen hinschaukelte, Freund Valerius, da nahmst Du das Wort und sprachst wie folgt: „Warum scheltet Ihr den Mann, es ist sehr möglich, daß er kein Scheltwort verdient. Die Natur ist überschwenglich reich, und doch sind die meisten Menschen arm — es ist auch eine Sünde arm zu sein. Warum verschließt Ihr die tausend Thore des Genusses, die Ihr öffnen könnt. Es ist auch eine Tugend, über¬ schwenglich zu genießen. Versteht Ihr das ganze Trei¬ ben der Zeit, den Demokratismus, der immer höher und höher sein leuchtendes Haupt hebt? Statt tausend Menschen will er Millionen beglücken — das ist sein Gegensatz zum Aristokratismus. Nehmt den Strahl dieses leuchtenden Kopfes in Euch auf, seht, hört und fühlt statt aus fünf Organen aus tausend und Ihr werdet glücklicher und somit tugendhafter sein. Nicht zum Verbieten hat die Natur so unsäglich viel Freude ausgestreut. Es ist ein Fortschritt der Kultur, man¬ nigfach glücklich zu sein; was man einen Rou é nennt, das ist oft der tüchtigste Mensch, der civilisirteste Mann, der die Natur mit hellerem Blick umarmt als die plum¬ pen sogenannten tugendhaften Philister, deren Verdienst darin besteht, die meisten Freuden uicht zu kennen, ja zu fliehen. Geht fort mit Eurer bleichen negativen Tugend. Ihr treibt den unnatürlichsten Prozeß, statt mehr und mehr Fähigkeiten in Euch zu schaffen; je größer der Reichthum rings um Euch wird, trachtet Ihr nur darauf jene Reichthümer zu zerstören, damit Eure Armuth nicht an den Tag kommt. Ihr seid die traurigsten Revolutionairs. Weil es ein Paris, über¬ haupt große Städte, großes, reich bewegtes Leben, neue Ideen, tausenderlei Neues giebt, was noch nicht in dem A B C Büchlein Eurer Moral und Fähigkeit steht, habt Ihr nichts Eiligeres zu thun als all' die Dinge zu verdammen. Wer nur die gewaltige Man¬ nigfaltigkeit des neuen gesellschaftlichen Lebens, das bunte Vielerlei der großen Städte, das verschiedenartig gewordene Wesen der Modeweiber zu genießen versteht, den will ich preisen, der ist würdig des großen Reich¬ thums der Kultur, der ist ein Mann der Zeit, und der Mann der Zeit ist tugendhaft. Ihr seid abgeschmackt mit den Vorwürfen des wilden, tollen, ausschweifenden Lebens, die Ihr aus lauter Neid und Schwäche Jedem anhängt, der zu genießen versteht. Mein Mann ist der, welcher die große göttliche Demokratie unsrer Tage in allen Theilen der Gesellschaft in sich aufzunehmen versteht, wer Kunst, Wissenschaft, Geselligkeit, Weib, die sogenannte Natur ganz und gar lieben kann, der ist der reifste Studiosus unsrer Tage und er kann dem Herrgott zu¬ jauchzen, daß er seine Welt durch und durch begrif¬ fen habe.“ „Darum ärgern mich auch unsre Romane so sehr. Sie sind wunderbar hinter der Zeit zurückgeblieben und das Wesentliche unseres besten Romans, des Wil¬ helm Meister, die Veilfältigkeit haben sie nicht verstan¬ den. Unsre Romanhelden lieben meist auch wie der mittelalterliche Minnenarr. Für einen einzigen Gegen¬ stand lebt und stirbt er und ist für alles Andre blind. Es heißt die Natur zusammenschnüren und die große Gesellschaft in Kämmerchen abtheilen. Jede Bildung fängt allerdings vom Individuum an und die vervoll¬ kommneten Einzelverhältnisse bereiten die allgemeine Aus¬ bildung vor. Aber wir können doch nicht ewig blos anfangen. Ich bitte Euch, Ihr Leute, macht Euch reicher.“ Sieh, was für ein aufmerksamer Zuhörer ich ge¬ wesen bin. Deine Worte erschlossen mir damals eine neue Welt, und ich schrieb sie mir wie eine Apologie meines Treibens auf. Was giebt es Schöneres, als das eigne Treiben, was aus unsrem unklaren Drange hervorgeht, plötzlich geordnet, systematisch gerechtfertigt und empfohlen aus dem Munde eines edlen Mannes dargestellt zu hören! Ich lebte damals wie heut', näm¬ lich bunt; jedem Menschen aber, der verschieden von seinen Umgebungen lebt, kommt zuweilen der Gewissens¬ zweifel, ob er nicht Unrecht habe neben der großen Menge, die doch in geordneten religiösen und staatlichen Verhältnissen sich bewege, die doch am Ende als All¬ gemeinheit eine richtigere Einsicht habe. Meine Zwei¬ fel zerstoben vor Deinen Worten. Ich hatte vorher, wo ich Genuß fand, genossen, unbekümmert um alles Uebrige; jetzt suchte ich mehr als je die Abwechslung und Mannigfaltigkeit. Ich hielt mein bewegtes Innere für gerechtfertigt. Auf dem fürstlichen Schlosse hier hat sich mir ein Lustgarten mit orientalischem Farben¬ schmelz geöffnet. Der Fürstin dichte ich alle Tage ein Sonnett und beim Thee les' ich es vor, der Prinzessin Amelie sing' ich tausend Liebeslieder — ich bin wie der Singvogel in duftenden Zweigen. Weiß der wohl, wie viel er singt? O die Welt hat tausend und aber tausend Augen, und aus jedem einzelnen sieht Liebe und Schönheit. Könntest Du nur in das schwärmerische meiner himmlischen Amelie sehen, alle Lieder aller pro¬ ven ç alischen Dichter ruhen darin — aber nein, ich sollte seit Grünschloß scheu geworden sein vor Dir und Hyppolit — habt Ihr mich nicht dort aus allen mei¬ nen klingenden Wäldern vertrieben? Es ist mir erst jetzt eingefallen, nachdem mich William darauf auf¬ merksam gemacht. William ist nebenbei sehr elend, ich fürchte, er liebt die Fürstin, aber er läßt sich gewiß eher kreuzigen, als daß er zu ihr oder sonst Jemand ein Wort davon sagt. Die Grundsätze, ach die schwer¬ fälligen Grundsätze. Er scheint sehr zu leiden und Dich haßt er förmlich, weil die Fürstin oft mit In¬ teresse und Achtung von Dir spricht. Im beiliegenden Briefe, den er der Gesellschaft vorgetragen, beginnt er die Polemik mit Dir — ich habe nicht recht aufgepaßt, ich glaube meist über Theologie. Die Fürstin stachelt ihn dazu und er läßt sich wohl größtentheils darum in einen Kampf mit Dir ein, weil ihm die Fürstin eine Niederlage phrophezeiht und ihn der Ehrgeiz sticht. Ant¬ worte mir bald. Der Kampf soll öffentlich geführt werden; ich werde unterdeß eine einaktige Tragödie schrei¬ ben, wo unser moderner Heinrich von Ofterdingen, dem der Blick der neuen thüringischen Fürstin Grundsätze und Blick verwirrt hat, ein trauriges Ende nimmt. Aber unsre Wartburg ist doch schöner als jene Eise¬ nacher, und daß ich Liebespsalme meiner Amelie singe, statt aus dem Hebräischen Davidische zu übersetzen, ist auch nicht mein Schade. Prinzessin Amelie ist die nordische Sakontala, sie schimmert im goldnen Duft, sie spricht süß wie die Peri, ihr Auge ist der Stern der heiligen drei Könige, sie ist anzuschauen in ihren erhobenen Wesen wie die Ceder auf dem Libanon. Das ist mein Psalter. Ame¬ lie ist eine reizend verkörperte Romantik, sie wiegt sich auf Tönen, sie schwebt auf Akkorden. Lache nicht wie¬ der über meine Ueberschwenglichkeit. Wir waren uns in fliegenden Gesprächen begegnet, meine Lieder flogen aus meinem Fenster in den Garten, wo sie träumend hin und her ging; meine Lieder klangen des Abends aus ihrem Zimmer und die Guitarre fragte schelmisch, ob sie recht gekleidet gingen. Es war ein sonniger Sonn¬ tagsmorgen, die Landleute gingen geputzt zur Kirche; ich schaukelte mich auf den zauberhaften Reimen der Schö¬ pfung. Da schlüpft Amelie vor meinen Augen in den Garten, ich hörte die Thür des Pavillons öffnen. Ich ging, ich flog hinunter und sah aus dem Gebüsch durch die Fenster des Gartenhauses. Sie stand an einen Pfeiler gelehnt, hielt ein Buch in der Hand, las ab¬ wechselnd und sah in den Himmel. Ich kannte den Einband; es waren Ludovico Tieks Gedichte. Amelie trug ein rosenrothes Kleid, ihre langen blonden Locken fielen à l'enfant wie des Sonnengottes Strahlen auf die Schulter, eine Lilie sah mit unschuldigem Auge aus ihnen hervor. Die Prinzessin ist schlank und leicht wie eine Gazelle, ihre Haut ist weiß wie Federgewölk, ihr Mund süß und klein wie ein Liebeswort, und die schma¬ len Lippen bebten, als spräche sie einen beflügelten Vers in die Lüfte. Ich sprang zu ihr, stürzte zu ihren Fü¬ ßen, bedeckte mit Küssen die kleine Hand, weinte vor Liebe, umfaßte ihre Knie und drückte meinen Kopf dar¬ an. Ich weiß nicht wie es weiter geschah, ihre Hand fühlt' ich an meiner Wange, sie lag bald an mei¬ ner Brust, und wir sprachen von Tiek und Liebe. Wir dichten und küssen täglich und die Welt ist wun¬ derschön. Schreiben kann ich nicht mehr — der Himmel sende Dir Glück; die Fürstin sprach heut schalkhaft von einer nahen Hochzeit. 33. Camilla an Alberta. Ich soll zu Euch kommen? Ach Du gutes harm¬ loses Kind weißt nicht, was Du bittest und doch, wenn ich wirklich ein starkes Mädchen bin; so siehst Du mich bald. Ach, ich weiß nicht wohin ich soll, und Grün¬ schloß ist so schön, so verführerisch schön. Hätt' ich nur einen so jungen, fügsamen Charakter wie Du, meine Liebe. Ich habe ein hartes garstiges Herz. Aber hier auf dem Schlosse der Fürstin halte ich's nicht mehr aus vor Langerweile. William schmachtet für die Fürstin und bemerkt es nicht, wie ihn ihr Schwager schnöde, ja un¬ würdig, verächtlich und abgeschmackt behandelt — o wie würde Valers Zorn donnern, wenn er dies mit an¬ sähe. Der Prinz gewordene Leopold spielt eine wunder¬ liche Rolle hier. Man behandelt ihn mit aller Aus¬ zeichnung, die seinem neuen Stande zukommt, und doch weiß Niemand, wie er eigentlich heißt, und doch hüpft ein so gefährlicher Spott auf den Lippen der Für¬ stin herum, wenn sie mit dem „verzauberten Prinzen“ spricht, daß ich wirklich nicht weiß, was ich dazu sa¬ gen soll. So erregt mir das ernsthafte Liebesverhältniß, was sich zwischen Leopold und der Prinzessin Amelie ge¬ bildet hat, eine Art gespenstigen Grauens. Ich fürchte, Canstantie haßt die Prinzessin. Die klare, in Göthe poetische Frau ist der gerade Gegensatz alles Nebelhaften, unklar Romantischen. Unsre Freunde würden sagen: sie ist griechisch, plastisch und Gott weiß was, die Prinzessin aber ossianisch, mittelalterlich, christlich. Es ist mehr, es ist ein wunderlich Wesen, diese Amelie. Wenn man noch keinen Begriff von einer Mondschein¬ prinzessin hat, so muß man sie ansehn, aber feineren, durchsichtigeren Teint habe ich nie erblickt, weicheres, schöneres Organ nie gehört — ich kann mich nur von dem Gedanken nicht losmachen, daß all' solche toll ro¬ mantische Personen schwachköpfig sind. Du weißt, daß das Haus, woher sie stammt, sehr vornehm, aber sehr arm ist. Bei all ihrer Schwärmerei hat Amelie doch gegen alle niedrigern Stände einen Stolz, ja Hochmuth, daß ich mich oft innerlich erbittert gefühlt habe, wenn ich es sah. Das ist Alles so ganz anders bei der Für¬ stin. Nur der Schwager derselben paßt zu Amelie — es ist ein garstiger Mensch, hinter dessen Hofton eine grinsende Rohheit zu lauern scheint. Er giebt sich den Anschein, als zeichne er mich aus, Ach mir ist so un¬ heimlich unter all den Larven, und daß sie mich zum Theil an Grünschloß erinnern, ist mir doppelt schmerz¬ haft — ich will nichts von Euch Lieben hören, wenn ich nicht bei Euch sein kann. Ach, Ihr mögt in Eu¬ rem Frieden recht glücklich sein, Ihr guten Leute. Nach Paris soll ich mit Euch reisen? Ach ich möchte wohl, aber — ach liebe Alberta, es ist nicht alles gut in der Welt. Wenn ich recht stark oder recht schwach werde, so bin ich bald in Grünschloß. Gestern hab' ich einen sehr lieben Brief von Ludovico's Schwester erhalten. Sie muß ein sehr liebenswürdiges Wesen sein, und bittet mich um Nachricht über ihren Bruder, der sie plötzlich verlassen hat, ohne daß sie den Grund seiner Abreise weiß. Wie geht es mit Valers Gesundheit? Wie ist der Himmel doch so gut, daß er das Unglück abgewendet. — — Ich werde wohl bald kommen, ich sehne mich sehr nach Euch und doch, liebe Alberta, ist es eine große Thor¬ heit, wenn ich zu Euch gehe. Glaub' mir's, ich bin recht übel daran. Hatte mir nicht die Fürstin mit ih¬ rem klaren Geiste so Manches von den Verhältnissen auf Grünschloß in einem andern Lichte dargestellt als es mir erschienen war, ich wäre noch übler daran und käme nicht zu Euch, verzehrte sich auch mein Herz in Sehnsucht. Frag mich nicht, was das für Räth¬ sel sind, frag mich nicht, gutes Kind! Wenn einmal meine gute Laune wieder bei mir einkehren sollte, dann werde ich Dir davon erzählen, recht viel erzählen. Tausend Grüße für Euch Alle und nun Ade — Ade! — II . 6 34. Valerius an William. Ich bin eben wenig aufgelegt, Deine theologischen Bedenklichkeiten zu erwidern, auch müßte es in einem Tone geschehen, der mir für Eure bunte Gesellschaft gar nicht passend erscheint. Einige Briefe Constantins aus frü¬ herer Zeit über diesen Gegenstand geschrieben finden sich eben bei mir vor; die werden viel besser für Euren Kreis passen und ich werde nur hie und da einige Notizen einstreuen. Warne in meinem Namen den Leopold vor dummen Streichen. Er hat mir vor Kurzem eine Reihen¬ folge Meinungen von mir citirt, wo ich die Mannig¬ faltigkeiten des Lebens empfehle, in seinen Händen dürf¬ ten sie sich aber leicht in Anpreisungen eines rücksichts¬ losen Leichtsinnes, ja einer gefährlichen Lüderlichkeit verwandeln. Gewöhne Dir doch die verzweifelten Parenthesen ab, mache lieber kleine selbstständige Sätze daraus — ein kleiner, wenig wissender und somit wenig sagender, aber in sich geschlossener, abgerundeter Mensch ist in seiner Ganzheit doch mehr werth als solch ein geschmeidiges Hofschränzchen, was sich überall anschmiegt, anhängt und somit auch überall Raum findet. Diese Instru¬ mente sind gerade so, wie das, was mit Dir viele Teutsche über den Adel sagen: sie trennen nicht, sie ver¬ binden nicht, sie nippen wie Fische vom Angelhaken; sie reden sich vor, daß sie was wollten und wollen nichts; sie erblassen des Todes, wenn man ihnen die hinten und vorn einschließenden, den Rücken deckenden Haken und Klammern nimmt, wenn sie frei und selbst Stürmen und Sonnenschein preisgegeben dastehn sollen. In einer provisorischen Zeit sprecht leise, halbe Worte; in einer zerstö¬ renden und schaffenden ganze, verständliche, rückhaltslose. Auch das Wort ist emancipirt; neben der Gleichheit der Menschen soll auch die Gleichheit der Gedanken gehen; der Kleine soll sich nicht schämen und fürchten, unge¬ schützt vor den Großen hinzutreten. Die furchtsamen Parenthesen sind eine ganz teutsche Manier, keine andere Sprache quält sich so damit, weil alle andre Völker mehr persönlichen Stolz haben und hatten als wir: Ci¬ cero ist vielleicht auszunehmen, der nur Muth hatte Muth zu zeigen, nicht aber welchen zu haben. Laß nun Constantin reden. „Die Sünde des Selbstmords ist mir spaßhaft. Wozu 6* sind alle die Fähigkeiten da, mit jedem Tritte dem We¬ sen dahier ein Ende zu machen, wenn wir's nicht dür¬ fen? „„Eben da ruht's““— sagen diese sogenannten frommen Leute — „„Euer feier Wille ist nicht be¬ schränkt, nun zeigt, daß Ihr ihn zum Guten brauchen könnt; bezeigt Euch dankbar gegen den Schöpfer für das Geschenk des Lebens, was er Euch gegeben — eben diese Gelegenheiten und Möglichkeiten sind der Prüf¬ stein; fallt nicht über sie und wohl Euch dann.““ „Ueber diese Prüfsteine und Prüfsteine“ als ob uns der liebe Gott nur hergesetzt, um sich die Zeit mit uns zu vertreiben in lauter Prüfen. Die Theologen ge¬ fallen sich so überaus im Lehren — da müssen wir denn immer Schüler sein, die unter dem dräuenden Haselnu߬ stock examinirt werden; der Karzer ist die Hölle und das Heraufrücken über den Nachbar der Himmel. Daß die Leute dem Einen nichts Gutes gewähren können ohne dem Andern weh zu thun — wenn sie doch Lection nähmen bei der Natur. Aber sie sind eben die Lehrer, deren es so viele giebt, die nicht für die Straße die frische Luft und den Sonnenschein lehren, sondern nur für die Schulstube. Wer sagt uns denn, daß uns der Herrgott wie die Schulbuben behandelt? — Wahrlich es kann nichts die Hypochondrie so befördern als diese Theo¬ rieen; das mit tausend Zungen zu predigende und zu preisende Gute, was Christus gebracht und durch seinen Tod besiegelt hat, ist durch die Handwerker entstellt wor¬ den. Sein Opfer, wodurch er einen unschätzbaren Schatz von Wahrheiten beglaubigt und der Welt ans Herz gelegt hat, dieses Opfer ist zu einer erdrückenden Kreuz- und Wundertheorie verdreht worden. Man muß sich schä¬ men, wenn man einen Zeisig lustig zwitschern hört — die ganze Erde ist durch die schwarzblütigen Leute zu einem Sarge eingesegnet worden; Sonne, Mond und Sterne sind Todtenfackeln, der Himmel ist ein großes schwarzes Leichentuch, die Menschen sind lauter Todte oder Todes¬ reife und tragen alle Leid. Es schickt sich nicht zu la¬ chen, wenn man an Gott denkt — o Du fröhlicher Gott, der so viel Freude ausgegossen. Das nennen sie Christenthum. Großer Christus, was würdest du zur Ausgeburt deiner menschenfreundlichen Gedanken sagen! Was richten die Menschen für Unglück an. Die Pfaf¬ fen sind die blutigen Cordeliers der Franzosen, welche das schönste innere Leben nicht einmal wie jene kurz und schnell guillotiniren, sondern langsam vergiften durch Angst und Furcht. Mit der Muttermilch wird der trübe Glaube eingesogen, später eingedroht und eingeprügelt, wie jener Knecht Ruprecht wird der Schöpfer gemacht, nichts als Furcht und Furcht und Demuth wird gepre¬ digt — nur die unversiegbare, unzerstörliche Quelle der geistigen Gesundheit des Menschen, nur die Herrschlust der Stärkeren hat die Menschen noch bisher in einer halb aufrechten Stellung erhalten und sie nur theilweise zu Quäkern, Herrnhuthern und dergleichen zusammen¬ knicken lassen. Die lebendige Natur in ihrer Lebendig¬ keit entwickelt lauter Freude, aber wir sollen uns nur „unter Furcht und Zittern“ freuen, weil es einst welt¬ beherrschende Römer gegeben hat, die die Welt in straf¬ fen Zügeln hielten, weil es einmal ausgeartete Juden gab, weil einst der trefflichste Mann zwischen dem ga¬ liläischen und todten Meer auf das unwürdigste und tödtlichste verfolgt wurde, weil man vor so vielen Jahr¬ hunderten so furchtsam gedacht oder die Menschen so furchtsam gestempelt hat.“ „Was ist denn das für ein Geschenk, was mir keine Freude macht? Welch ein unwürdiger Gedanke von der göttlichen Gerechtigkeit, daß uns etwas aufge¬ drängt werde, was uns nicht gefällt! Was schwatzt Ihr denn vom freien Willen und rühmt Euch dessen, wenn Ihr ihn nicht gebrauchen dürfet. „Was man nicht nützt, ist eine schwere Last.“ „Gerade das ist die Spitze von geistiger Freiheit, das Ende seines Daseins in Händen zu haben, das ist der deutlichste Beweis, den uns die Gottheit gegeben, daß sie uns nicht zum Jammer hergesetzt — Prüfung und Prüfung ist ein gottloser Gedanke, wenn er auch nicht unlogisch ist, — denn was soll denn geprüft wer¬ den? — Die Kräfte, die uns Gott gegeben? — Kennt er die nicht? Oder, wie wir sie verbraucht? Ja wohl! Aber so verbraucht sie denn auch, nehmt sie nicht ge¬ fangen. Errichtet ein Tribunal in Eurem Herzen, das ist das gerechteste; denkt und lernt so viel Ihr könnt, damit das Tribunal möglichst weise werde. Tann lauscht seinem Urtheile und folgt ihm. Ihr werdet einst sicher damit bestehen, denn es ist auf den sichersten Rechts¬ grund basirt. Ihr werdet nach Gesetzen gerichtet, die Ihr gekannt, die Ihr für die besten gehalten, denen Ihr Euch gefügt habt.“ „Ihr kommt nicht zu Stande mit Eurer despo¬ tischen Objektivität; jede einzelne Subjetivität appellirt nach der menschlichen Konstruktion zuerst an ihr eignes Objekt und akkommodirt sich nur, soweit es geht, Eu¬ rem Gesetz. — Die Menschen können alle Schuhe brau¬ chen, aber nicht alle einen Schuh.“ „Die Pfaffen haben noch mehr Unglück in die Welt gebracht als die Aristokraten; diese drückten uns zu Boden, aber das Sonnenlicht konnten sie uns nicht nehmen; jene verhüllten die Sonne mit einem schwar¬ zen Tuche, worauf sie den Kreuzestod malten. Die be¬ sten Pfaffen waren die schlimmsten, weil sie an sich selbst glaubten. Sie werden in eine solche Klugheit hinein¬ geredet, da sie immer gebend vor der Welt stehn — ein abscheulicher Dünkel kann gar nicht ausbleiben. Sie haben die Schlüssel zum Himmel und zur Hölle, und die Thürsteher sind immer schlimmer als die Hausherrn. Es ist gar nicht mehr die Rede vom Empfangen bei ihnen, sie sind meist alte Weiber — oder sie halten doch Alles, was man Ihnen sagt, für Nebensache, denn was alles Andre überflüßig macht, glauben sie doch zu haben.“ „Der jämmerlichste Dorfpfaff, der 40 Jahr die Welt und was sie geboren, jenseit seiner nächsten Berge nicht ge¬ sehen, bedauert den gescheidtesten Mann, der hie und da über Dinge sprechen will, die über Essen und Trinken gehn. — Ist es nicht zum Verzweifeln, wenn ich neben solch einen Manne von den beschränktesten Verstandeskräften stehe, dem ich mich geistig überlegen fühle, und dessen thierische blinde Keckheit und Zuversicht ich sehe — für den Mann mag's gut sein, für die, welche neben und unter ihm stehen, vielleicht auch noch; für seine Pfarr¬ kinder, die tüchtigere Geistesfähigkeiten haben, ist es ein Jammer, denn die drückt er mit theologischem Daum¬ drücken zu sich hinunter. „Die Pfaffen halten die Bildung eben so auf, wie ein schlechter Weg das Reisen.“ „Es wird nicht leicht Jemand die unendlichen Seg¬ nungen, die das Christenthum der Erde gebracht, die jede positive Religion mehr oder minder der Gesellschaft sich erst entwickelnder Menschen bringt, so preisen als ich; aber sobald man nicht eine tägliche Perfectibilität dieser Lehren annimmt, sobald man ihren Dienst nicht auf grenzenlose Freiheit gründet, unterläßt man das Gute, zerstört man das Beste, so lange trägt ihr Segen an den Schwingen unendlich viel Elend. Jene Freiheit muß viel größer sein, als die je zu erlangende politische, denn der menschliche Geist hat keine Grenzen und kann sich zu keiner staatlichen Beschränkung verstehen.“ „Was wissen wir denn gewiß? Unsere Geistesthätig¬ keiten sind wie das Wild im umzäunten Gehege, Alles ist nur beziehungsweise, Alles von Hecken, Gräben, Zäunen eingeschlossen. — Wie viel kann denn ohne Einschränkung, ohne Ausnahme für alle Zeiten und Län¬ der geboten und verboten werden? Die steifsten Gramma¬ tiker reden mir das Wort; sie sagen: keine Regel ist ohne Ausnahme.“ „Gerade daß man die Religion wie die meisten Wissenschaften zur Zunft gemacht, gerade das hat die zünftigen Theologen jeder Confession, grade das hat die Handwerker geschaffen, und jedes Handwerk will einen goldnen Boden haben. Klappern gehört zum Hand¬ werk. Nun thut das Volk, als sei es abonnirt in die Vorlesungen, die der Herrgott alle Sonntag Morgen lies't. Das hat die aufgeblähten Pfaffen hervorgebracht, die mit ihrem Katechismus alle Welt auslachen, und sich über allem Verstande dünken; „denn wir haben in ihm,“ sagen sie, „den göttlichen Verstand“ — und weil der eifrige, fromme, aber gesunde Paulus einmal durchdrungen von der menschlichen Schwäche, von der engen Begrenzung unseres Vermögens gesagt hat: „All unser Wissen ist Stückwerk“ — da schreien sie: „Be¬ tet und singt, denn Ihr seid verworfene Kreaturen, die nicht werth sind, daß sie die Sonne bescheint — bei uns allein ist Wahrheit und Leben und draußen, außer¬ halb der Kirchthüre, auf der grünen Erde Finsterniß und Schatten des Todes.“ „Sie sind wie die von einem bösen Geist Besesse¬ nen — es wird und muß eine Zeit kommen, wo ihre dummen Teufel ebenfalls in Gergesenersäue fahren.“ „Es muß die positive Religion vervollkommnet wer¬ den können, wenn sie Nutzen haben soll — kann man denn etwa leugnen, daß ein Dritttheil unserer jetzigen Welt ein andres Christenthum als das der Pfaffen braucht? Sowie es zumeist jetzt gelehrt wird, hat es nur Einfluß auf die wenigen Gläubigen, die sich für blind halten und einen Stab wollen — thut Wunder, sagt ihnen, daß sie sehen und sie werden sehen. Mit dieser aufge¬ stellten Perfectibilität hört auch das Pfaffenthum auf, denn es tritt dann der Theologe in die Reihe aller übrigen, die sich dem Kriterium beugen, was uns das höchste ist, weil es kein andres giebt, welches uns sa¬ gen könnte, was das Höchste sei. Die Vernunft aber ist jenes Kriterium, unter welchem am Ende alle Par¬ teien fechten, nur daß die Einen ihr Banner entfal¬ ten, die Andern es zusammengewickelt einhertragen. Was ists, wenn der sogenannte Supranaturalist sagt: Ich muß eine unmittelbare Offenbarung statuiren, denn die Gottheit offenbart sich oft unmittelbar; ich weiß nicht, warum der Baum grün ist, warum die Erde Gewächse treibt ꝛc. — Darum muß ich annehmen, Gott offen¬ bare sich unmittelbar.“ „Kommt der Mann nur dadurch zu diesen Ansich¬ ten, daß er seine Schlafmütze auf den Baum oder auf die Erde wirft? Nein, durch den Gebrauch seiner Ver¬ nunft — nenne ihn aber einen Rationalisten und er wirft Dir die Schlafmütze ins Gesicht. Vernünftig wol¬ len die Leute durchaus nicht heißen. Ach, die Faul¬ heit ist aber die Erbsünde; hundert mal haben sie an¬ gefangen zu gehen in der Kirchengeschichte, nach einer kurzen Weile waren sie müde und wurden eben so starre Wegweiser wie die Andern. So hat's der Protestan¬ tismus gemacht: er erstarrte bald in Lutheranismus und Clavinismus; so macht es der Rationalismus ebenfalls; weil Wegscheider, Paulus oder Röhr da oder dort ste¬ hen geblieben sind, da ist die Sache fertig. Es ist eine ekelhafte Faulheit!“ „Uebrigens ist der Streit mit den Rationalisten schon lange veraltet; Pietismus und Mysticismus ha¬ ben unterdeß wieder einmal zu Berlin und sonst wo de¬ bütirt, und die Naturphilosophie hat sich mehr oder minder hie und da dreingemengt. Ich habe gar nichts gegen diese transscendenten Fahrten des modernen Odys¬ seus, es werden alle höheren Thätigkeiten in Trab ge¬ setzt — irrt, fahrt, sucht. Meinethalben mag der neue Odysseus jetzt mit einer verliebten Insulanerin schwär¬ men und der Phantasie den Zügel schießen lassen, bald mit den Phäaken verständig reden, bald materiell gegen die Freier agiren. Es scheint noch etwas bunt, karnevalartig in der Philosophie herzugehen; es stürzen sich eine Menge Kriterien kopfüber in einen Strom von Himmelsüberfluß oder Naturerguß und jedes schwimmt nach Kräften. Ist das Schwimmen vergnüglich, giebts gar am Ende ein grünendes Ufer — immerzu, schwim¬ men Sie, meine Herren, wir schwimmen Alle und su¬ chen mit Gefahr des Columbus das Richtige — ach, wir finden leider kein Amerika, nicht einmal den Be¬ weis der Richtigkeit unserer Speculation, das grüne Guanahani!“ „So lange nicht einer von den Philosophen unter den Zeitungsanzeigern in der Beilage bekannt ma¬ chen kann: „Unterzeichneter hat mit letzter Post direct von Herrgott et Comp . aus dem Himmel herunter das Einzigrichtige in bester Qualität bezogen, und empfiehlt es seinen geehrten Kunden zu den billigsten Preisen ꝛc.“ — so lange wollen wir unsern Tadel zurückhalten, ja un¬ ser Lob sogar austheilen, wenn auf mancherlei Weise nach der Erkenntniß gestrebt wird.“ „Ich bin kein Naturphilosoph im gebräuchlichen Sinne des Worts, obwohl ich die Natur anbete und sie für den Brunnen aller Brunnen halte, obwohl ich eine Jahrhundert reiche Ernte von den Saamenkörnern der Knospen und Blüthen dieser Philosophie erwarte. Ich hasse die religiöse Fühlerei, die Gefühlsschwärmerei, wozu sie im Praktischen häufig führt — — aber ich bin tolerant; am meisten begebe ich mich alles Verdammens, wenn ich des Menschen beste innere Thätigkeit vorn im Zuge und redlich betheiligt sehe. „Mein Rationalismus, den selbst Du, Valerius, öfters angreifst und platt, leer zu nennen beliebst, ist etwa Folgendes: die Vernunft zeigt mir, daß sich in Natur und Welt alles nach gewissen Gesetzen und Re¬ geln entwickle, die ich entweder erkenne oder nicht er¬ kenne, aber auch unerkannt voraussetzen darf und muß — ich weiß nicht, welche Kraft die Blüthe aufsprengt, aber ich weiß, daß eine Kraft dazu nöthig ist — ich sehe Alles nach solcher Ordnung sich entwickeln, und wenn ich die Gesetze auch nicht wie das Landrecht in Para¬ graphen getheilt habe, so habe ich doch einen Begriff vom Gesetzesgange. — Darum nun, weil ich die Gott¬ heit überall in gewissen bestimmten Kreisen und Ge¬ setzen in der Natur wirken sehe, statuire ich kein plötz¬ liches unvorbereitetes gewaltsames Herausschreiten wie die Erscheinung eines leiblichen Sohnes Gottes, der auf Erden überall, wo er hinkäme, die gewöhnlichen Gesetze vermöge seiner Ueberirdischkeit aufhöbe. Wie willst Du denn dem Moslem ꝛc. dasselbe Recht strei¬ tig machen?“ „Es ist wirklich ein tiefer schwerer Jammer, wenn man viele der besten Köpfe auf den theologischen und halbtheologischen Lehrstühlen sitzen sieht und bedenkt, daß sie sich ihr ganzes Leben hindurch mit des Kaisers Bart beschäftigen. Sie leben in einer Camera ob¬ scura und wehe dem, der daran rütteln oder hinein¬ leuchten wollte. Es ist ein großes Reich, umschlossen wie von der chinesischen Mauer von Terminologien und Technologien, die seit den ersten Kirchenvätern errichtet wurden; das 1800 Jahre alte Buch, um dessen Sinn sie sich herumquälen, ist das unveränderliche Staats¬ grundgesetz und innerhalb dieser Mauer hetzen sich die Leute trotz Reformationen und Revolutionen zu Tode. Heraus können sie nicht, denn draußen liegt die pro¬ fane Natur — große Weltseele vergieb ihrer Dumm¬ heit die Blasphemie, deine ewigen Güter in heilige und profane zu theilen, Alles ist Tempel, Alles bist Du, es giebt kein Draußen, nur die Privilegirten haben ein Profanes. Voltaire sagte einst von andern Bevorzug¬ ten, sie seien einst mit Sporen an den Füßen und ihre Unterthanen mit Sätteln auf dem Rücken zur Welt gekommen; wir haben immer noch jene todten¬ bleiche Klasse, die mit Bibelsprüchen bedruckt und mit salbungsreichen Phrasen im Munde auf dieser Welt er¬ schienen sind.“ „Es ist wirklich ein Zauberkreis, in dem man eine Klasse von Menschen, die sich professionsmäßig mit Se¬ ligmachen und Verdammen beschäftigte, eingesperrt hat, aus dem sie nicht herauskönnen. Und es ist eben so schlimm, wenn sich so viele von den Leuten Rationa¬ listen nennen, denn sie haben die ratio dem Handwerk vermiethet; sie sind wie der Esel in der Mühle, der im Kreise herumgehend ein Rad bewegt. Der höchste und beste Grundsatz dieser Leute ist: „Erkläre auf die ein¬ fachste und beste Art, wie es die Hermeneutik bei den sogenannten profanen Schriftstellern lehrt, die hei¬ lige Schrift und das Resultat dieser Erklärung sei Deine Religion“ und daneben sagen sie mir, der Stif¬ ter jener Religion sei ein vortrefflicher Mensch, aber nur ein Mensch gewesen und dieser Mensch soll nun eine Glaubens- und Sittenlehre gegeben haben, die nach 1800 Jahren ganz andern Ländern, nachdem alle gesellschaftlichen Verhältnisse zehnmal umgestürzt und um¬ geändert worden sind, noch unverändert gelten soll! Daher die Erscheinung, daß der gebildete Theil der Welt, welcher nicht von der Theologie lebt, überall eine eigne Sittenlehre hat, und von sogenannten Sündern wim¬ melt; daher die wunderbare Stellung, welche der Theo¬ loge unbefangenen Leuten gegenüber einnimmt; daher der Glaube, die Theologie sei blos da, um dem Volke etwas vorzumachen, ihm etwas zu thun zu geben.“ „Die gesellschaftlichen Verhältnisse und die mora¬ lischen Anforderungen müssen Eins das Andere bedingen, Eins in dem Andern aufgehen: so wenig wie ich ver¬ langen kann, daß sich unsere heutige Gesellschaft mit einem Gesetzbuche Solons oder Lykurgs glücklich fühlen soll, so wenig kann ich die unantastbare Stabilität ver¬ alteter Moralgesetze verlangen. Die Vorbedingungen sind verändert, und die Folgerungen sollten noch jenen gemäß bestehen? Alle unsere Philosophen sind leider, nachdem man sie getauft und konfirmirt hat, in der Väter Glauben vollkommen hineinerzogen worden; die Wenigen, welche sich vom Autoritätseinfluße frei erhal¬ ten haben, werden überschrien von der Menge — all' unsere Wissenschaft ist kirchlich infizirt. Daher sind un¬ sere Moralprincipien neuerer Geburt immer nur Ab¬ drücke der früheren Platte geworden. Die sogenannten Indifferenten haben nicht den Muth zu glauben und nicht den zu prüfen. Dahinein gehören fast alle Leute der höheren Bildung; daher das Geschrei der Pfaffen über die wechselnde Gleichgültigkeit in religiösen Din¬ gen. Aus dem Mißverhältniß der Anforderungen und Gewährleistungen entspringt sie und wird nur mit die¬ sem gehoben. Daher auch die Erscheinung, daß Leute mit unruhigerem Blute und geringerer Geistes- und Seelenstärke, die eines Haltpunktes bedurften, das ge¬ waltige Auseinandergehen der herrschend gewordenen Le¬ bensansichten und der vorgepredigten deutlich vor Augen sahen, nach den äußersten Zipfeln griffen und um ja das Gute zu thun, des Guten zu viel thaten und mit geschlossenem Auge und plapperndem Munde hineinschrit¬ ten in die Nacht des Mysticismus. Derselbe Grund, der den Indifferentismus erzeugte, schuf auch die Pietisterei, sowie der Winter hier Eis und Schnee, dort Re¬ gen bringt.“ „Gebt den Leuten Führer mit, welche unsere Spra¬ chen, unsere Länder kennen, dann werden sie nicht so oder so irre gehen, unsere jungen alten Pfaffen sprechen hebräisch oder sonst ein unverständlich todtes Idiom; laßt sie mehr nach der Mode zuschneiden, laßt sie Fran¬ zösisch und Englisch lernen, modernisirt sie. Die Mode steckt nicht blos im Schnitt des Kleides, dies ist nur einer ihrer zufälligen Ausdrücke, sie ist die ewig junge Kraft des menschlichen Herzens, der Trieb der Welt¬ geschichte, welcher die Erdkugel und mit ihr die Civili¬ sation bewegt.“ „Dies sind Skizzen. Ich bin ein armer Balladen¬ dichter, sonst nichts. Sieh den Katholicismus an: wie ein gestürzter, aber nicht gebeugter König ging er ein¬ her; er sprach nicht um Theilnahme an aber er fand und erregte sie, mit ursprünglicher Hoheit, der man nie das Angelernte ansieht, verrichtete er nach wie vor sein Amt; die Poeten bestach er mit himmlischem Golde — er ist der uralte Absolutismus. Ein rüstiger Jüngling, der noch nichts hat, aber Alles erwerben will und das Meiste entbehren kann, ein platter Cyniker trat der Protestantismus auf, ward altklug, verschrumpfte.“ ꝛc. ꝛc. Soviel aus dem Briefe Constantins. Ich habe Manches weggestrichen, weil es für Euren Kreis zu bunt, zu ausschweifend war; daß ich die Meinung des Briefes in vielen Dingen theile, weißt Du. Meine eigne Richtung ist es im Grunde aber nicht. Das Princip, welches wie das Blut durch alle meine Ansich¬ ten rollt, ist die Freiheit. Ich will sie auch in reli¬ giösen Dingen. Man soll mir und Allen gestatten, zu glauben was ich will — wer einen Teufel braucht, der soll ihn haben. Ihn beglückt der Teufel und die Sünde. Ich hasse das Schematisiren, das Zusammen¬ drücken der Menschen zu einem Knäuel. Bildet das Volk, damit es keines Popanzes mehr bedarf — Euren theologischen Weg mißbillige auch ich. Auf ihm kommt das Volk zu keiner geistigen Freiheit. Bildet das Ge¬ fühl, das Bedürfniß, die Atmosphäre des Rechtes aus, das Recht sei der Menschen Religion, der Glaube sei frei und dem Einzelnen angehörig. Auf jenes Funda¬ ment gründet die Sicherheit des Zusammenlebens im Staate, die Rechtlichkeit, die Gesetzlichkeit sei der Aus¬ druck der Religion. Constantin hat Recht, wenn er Eure Theologie anklagt; sie ist stockig und versteht nichts von der Zeit. Den Glauben selbst anbelangend ist Constantin sich selbst wohl nicht recht klar. Er spricht viel von der nüchternen Religionsmathematik der Ratio¬ nalisten. Sie sind wichtig geworden zur Läuterung wie die Jakobiner; aber sie sind nicht blos furchtsam wie er mit Recht sagt, sie sind auch platt, weil sie eitel und egoistisch mit ihrem bischen Vernunft Alles ab¬ machen wollen. Die Poesie jedes Menschen sei sein Glaube. Gebt sie frei, entledigt sie der Fesseln, jeder Mensch ist poetisch; die Pfaffen hindern nur die Ent¬ wicklung, weil sie durch objective Mährchen die schaf¬ fenden Thätigkeiten der Menschen einengen. Aus den Staaten und ihrer Konstruktion ist jedes religiöse Element verschwunden; der Königsglaube, die Obrigkeitsreligion, wie sie gelehrt ward, existiren nicht mehr, man frägt nicht mehr nach der höheren Einsetzung dabei, man frägt nach dem Nutzen, nach den Rechts¬ verhältnissen; der Staat ist kein göttliches Institut mehr, er ist eins der Klugheit, des Verstandes, des daraus fließenden gegenseitigen Vortheils — was sollen also die religiösen Bedingnisse? Fragt Niemand nach dem Katechismus, fragt ihn nach seinem Rechts-Breve, laßt Jeden zu im Staate, so Juden als Heiden. Frei ist die Kunst — die Poesie soll es auch sein, und mein Him¬ mel und meine Hölle sind das Werk meiner Poesie. — Lebe wohl, warne Leopold; ich glaube, er ist wieder auf dem Wege, dumme Streiche zu machen. Willst Du einen Rath von mir annehmen, so verlasse schleunigst den Kreis, in welchem Du Dich jetzt befindest. 35. Hyppolit an Valerius. Wien, im September. Verachtete ich nicht die Trostlosigkeit, Freund, ich wäre trostlos. Haßte ich nicht die Reue, diese Schul¬ denmacherin bei der Zukunft, die unnützerweise Geld für die Vergangenheit leiht, ich finge an Manches zu bereuen. Ich trete in den Speisesaal und setze mich. Ein leiser Schrei meiner Nachbarin läßt mich genau in das halbverhüllte Gesicht sehen — es ist Julia, die auf¬ stehen und davon eilen will. Ich fasse krampfhaft ihre Hand und halte sie fest, sie kann nicht fort, ohne gro¬ ßes Aufsehen vor der zahlreichen Gesellschaft zu verur¬ sachen. Der Himmel weiß, was ich ihr in Gluth und Wuth der Liebe Alles zuflüsterte, sie bebte wie ein Es¬ penblatt, ihre Brust schlug hoch, das Gesicht brannte in Schaam und Feuer. Da fielen ihre weinenden Au¬ gen wie fußfällig in die meinen, sie bat, wie eine Sün¬ derin ihren Beichtiger um Hoffnung für die Seligkeit bitten mag, ich möge sie lassen. Noch eh' ich zu etwas entschlossen war, erstarrte ihre Hand in der meinen, sie lehnte sich an die Rückseite des Stuhls und war ohn¬ mächtig. Ihre Augen blieben offen, kein Mensch au¬ ßer mir kannte ihren Zustand. Die Kellner präsentir¬ ten ihr die Speisen, ich dankte statt ihrer. Mein wil¬ der Mensch hatte Lust, sich über das Ereigniß zu freuen, und wollte eben die unwohl gewordene Dame auf ihr Zimmer bringen lassen, um die wieder lebendige in ihrer Schwäche zu erobern. Der alte stolze Hyppolit schämt sich dieses jämmerlichen Gedankens, aber die Liebe hat die alte Kraft zermalmt. In dem Augen¬ blicke tritt ein Kellner zu mir und berichtet, daß eine Dame, welche im Hause wohne, meinen Namen er¬ fahren und mich fragen lasse, ob ich derselbe sei, wel¬ cher die Schauspielerin Desdemona gekannt habe. Diese liege krank in selbigem Hotel darnieder, und wünsche sehnlich mich zu sprechen. In eine verödete Gegend meines Herzens schlug dieser Blitz, und entzündete sie von einem Ende zum andern. Julia hatte sich erholt, ich führte sie aus dem Saale, küßte sie auf das ge¬ brochene Auge und flog davon, Desdemonas Zim¬ mer suchend. O was erlebte ich! Mein gestähltes Innere bog sich wie ein Baumzweig. Bleich, ein Bild des zerstö¬ renden Totes, lag das einst so schöne Weib auf dem Lager. Die langen schwarzen Flechten hingen aufgelöst über Gesicht und Schultern und das weiße Nachtkleid herunter, die weichen Züge des Antlitzes waren spitz und schmerzhaft geworden; der Mund, sonst lieblich wie ein Liebeslied, war vrrzogen, nur das Auge mit seiner ewigen Liebe war derselbe Stern geblieben, der nur bei heranbrechendem Tageslichte matter schien. Sie sprach nichts, als ich eintrat, es schien sie gar nicht zu über¬ raschen; als ich an ihr Bett trat, nickte sie kaum merk¬ lich mit dem Haupte und lispelte: „Nicht wahr, Hyp¬ polit, es kann mir doch Niemand wehren Dich zu lie¬ ben?“ Die heißen Thränen — ja Freund, es waren heiße Thränen aus dem Kern meines Herzens — stürz¬ ten aus meinen Augen anf ihre abgemagerte Hand: „Bist ja heut so lang bei der Fürstin gewesen“ — sagte sie weiter, ein zweischneidig Schwerdt wühlte in meinem Innern — „Du hast mich heut nicht gesehen und ich habe die Desdemona gut gespielt, so wie Du michs gelehrt.“ Ich fühlte einen krampfhaften Druck in meiner Hand, sie holte tief Athem, der Mund war wieder Liebe und lächelte, das Auge strahlte alte Glück¬ seligkeit, ich hörte noch leise, ganz leise die Worte: „Ach II . 7 wie lieb ich Dich“ — und Desdemona war todt. Lange stand ich unbeweglich, ich war auch todt. Des Kindes Stimme, was an der Erde spielte, und plötz¬ lich über sein Spiel aufjauchzte, erweckte mich. Die er¬ starrte Hand Desdemonas hielt die meine fest umklam¬ mert, ich konnte nicht los und wollte der Todten durch das Aufbrechen keine Schmerzen machen. Ich blieb noch lange stehen und suchte mit der freien Hand in all meinen Taschen herum, um eine Waffe zu finden. Ich wollte bei meinem Weibe bleiben. Meine Taschen wa¬ ren leer. Da mußte ich das Gräßlichste thun und meine Hand gewaltsam von der todten Liebe befreien. Langsam ging ich nach der Thür. Das kleine Mädchen sah mich lächelnd an und bat mich, mit ihr zu spielen. Lange stand ich noch an der Thür und sah nach der lieben Leiche; dann ging ich und schloß die Thür leise; ich wollte mein Weib nicht stören. Dieses zuschlagende Schloß trennte mich von meiner innigsten Vergangen¬ heit. Ich ging langsam den Saal entlang und sah nur in weiter Ferne, was dicht um mich her vorging. Damen in Reisekleidern schlüpften an mir vorüber — es mochte Julia und ihr Mädchen sein — ich beach¬ tete sie nicht. Man erzählte mir später, daß ich mich an die Hansthür gestellt und der fortfahrenden Julia starr zugesehen, auf ihre an mich gerichteten Worte nichts erwidert habe. Es war die erste Todtenstunde meines Lebens und ich denke mit Grausen daran — der Tod ist ein garstig Scheusal, er ist der baare hä߬ liche Gegensatz des Schönen. Es war ein trüber Re¬ gentag gewesen, als ich noch an der Hausthür des Hotels stand, brach plötzlich die Nachmittagssonne die Wolken und leuchtete mir in das starre Auge. Da wich mein Feind, der Tod, aus allen meinen Gliedern, ich fühlte wieder lebendig Blut in mir, meine Sehnen spannten sich, ich war auferstanden. Es fiel mir al¬ les Lebendige, was ich gesehn, wieder ein. Juliens Ab¬ reise und ihre Schönheit — ich rief nach Pferden. Was kümmert mich der Tod! Was sind die Menschen dumm, mit diesem abscheulichen Zustande noch Gepränge und Aufsehn vorzunehmen. Der gestorbene Mensch ist eine Sache, man bringe sie bei Seit so schnell als möglich. Wer sich mit einem Leichnam beschäftigen kann, die Seele mag ihm noch so lieb gewesen sein, ist ein ver¬ härtetes unästhetisches Leichenweib, ein Handwerks-Tod¬ tengräber. Ich will lieber selbst sterben als sterben sehn. Ich schreibe dies in einem andern Gasthofe und warte 7* auf Pferde. Die bunte Bastei mit ihrem Sonnenschein liegt vor meinem offnen Fenster; es ist aller Tod in mir überwunden, die Vergangenheit der vorigen Stunde liegt in tiefem, weit entferntem Nebel hinter mir. Mein Leben ist wieder lebendig — der Wagen fährt vor — Ade, mein Freund, ich fliege nach Paris, um Julien zu erobern. Ich werde sie erobern, müßt' ich ihr nach¬ jagen durch alle Zonen. Soll ich auch noch die Sen¬ timentalität lieben, diese Krücke der Schwäche, der Re¬ genschirm beim Gewitterregen, der das furchtsame Ge¬ sicht vor Donner und Blitz versteckt, dies Liebäugeln mit dem Tode! Bin ich hier um zu sterben oder um zu leben? Ist die Sonne, weil sie täglich einmal un¬ tergeht, zum Untergehen da? O Ihr täglich sterbenden Menschen mit Eurer Romantik und wie Ihr die Fratze nennt, Blut und Wärme such' ich, ich suche Liebe und Julien — und damit Gott befohlen, Freund. 56. Valerius an Constantin. Hyppolit ist auf der Reise nach Paris, ihm kann ich nicht schreiben, Du wirst wohl in Deiner begonne¬ nen Metamorphose noch so viel Gedächtniß übrig be¬ halten haben, daß Du ein wenig Interesse an mir und meinen Angelegenheiten nimmst; ich will nichts über Staat und Kirche schreiben, mein Herz drängt mich aber zur Mittheilung, ich muß sprechen, muß schwätzen, höre mir zu. Sie ist wieder gekommen, Camilla näm¬ lich. Erröthend trat sie mir entgegen, ein ganzer Mor¬ genhimmel von Schaamhaftigkeit glänzte auf ihrem lieb¬ reichen Gesichte: damals wußte ich nicht warum, jetzt weiß ich's. Ich war spaziren geritten als sie ankam; der Himmel war blau, die Sonne, das Auge Gottes auf dieser Erde, wärmend und freundlich in milder Liebe, die Lerchen sangen ihre jauchzenden Stoßtöne der Freude, die Bäume mit Früchten beladen sahen wie glückliche Mütter freundlich drein in die helle Welt, ich schaukelte mich auf dem Pferde in gesunder fröhlicher Empfängniß all dieser Freuden, die der Schöpfer Allen, auch den Aermsten freigebig schenkt, die Weltgeschichte ging rosenfarbig an mir vorüber, ich hoffte das Beste für die strebenden Menschen. In dieser Stimmung ritt ich langsam in den Schloßhof. Auf den Stufen vor dem Schlosse sah ich zwei Damen stehen und die eine, ich erkannte Alberta am weißen leuchtendem Gewande — mir mit dem Tuche winken. Camilla war die andre, sie war eben angekommen. In meine glückselige Seele fiel ihr verschämter Blick wie ein tiefsinniger Liebesge¬ danke Byrons, die ruhige Freude in mir, die wie ein glücklicher Vogel in den Baumzweigen saß, erhob plötz¬ lich die Schwingen und flatterte jubelnd in die Höhe, die ruhige Freude in meinem Innern erhob sich zu ei¬ nem Jauchzen über namenloses Glück. Ich sah plötz¬ lich, daß ich Camilla liebte. Sie reichte mir ihre schöne, weiße Hand, ich drückte sie innig an meine zuckende Lippe, ich sah aus meinem Glück heraus ihr tief in die feuchten glänzenden Augen bis ins Herz hinein, unsre Hände vermählten sich, und die harmlose Alberta freute sich unsrer Freude. Wir gingen in den Garten und spielten wie die glücklichen Kinder. Camilla war weich, innig und warm wie ein Maiabend und ihr Auge hing wie ein küßender Engel an meinen Blicken; sie war nicht wie sonst munter und ausgelassen, sie lachte nicht, aber sie sah wie ein Engel aus, der sich freut. Nur wenn mein Glück mitunter aufjauchzte, sprang ihr sonstiges hüpfendes Temperament aus ihr hervor: die Augen blitzten, alle Züge des Gesichts jubelten, alle Glieder hoben sich zum schwebenden Tanze, sie begann ein fröhliches Lied, und tänzelte eine Strecke hin. Ich konnte ihr nicht sagen, was mir das Herz bewegte, denn Alberta ging nicht von unsrer Seite. Wir schwärm¬ ten also in romantischer Ungewißheit den halben Tag in Garten und Wald umher, unsre Blicke sprachen von vollem Herzen, von süßem Glücke, unsre Lippen bar¬ gen die Schönheit der Welt. Hie und da schien mir ein Schatten über Camillas Angesicht zu fliegen, wenn ich mit Alberta tändelte, und mit dem lieben kindlichen Wesen kosende Worte wechselte. Der Graf ist in der letzten Zeit unsrer Einsam¬ keit wieder aufgelebt; an die Stelle des langweiligen Fips, der endlich seine diplomatischen Bestrebungen auf¬ gegeben und seine Lenden gegürtet hat, ist sein bunter Marschall der Laune, Camilla, getreten. Wir leben wie die Engel, und wollen in einigen Monaten nach Pa¬ ris kommen. Die romantische Ungewißheit mit Camilla hat sich in die reizendste Klarheit aufgelöst. Wir sa¬ ßen in den ersten Tagen ihrer Ankunft auf der Plat¬ form unter dem Zelt, dessen Seitenwände wir aufge¬ schlagen hatten. Es war gegen Abend, der Himmel roth, die Erde duftete in Wollust. Ich sah glücklich ins Land hinein und stand mit untergeschlagenen Armen neben Camilla, welche die Gegend zeichnete. Alberta stand auf der andern Seite und sang, den Kopf an die Säule des Zeltes hinauslehend, sang ein Wanderlied des lieben Wilhelm Müller. Camilla sah von Zeit zu Zeit auf und hing ihre innigen Blicke an mein freudestrah¬ lendes Auge. Es küßten sich unsre Seelen. Die Nach¬ tigall schlug in Albertas Gesang. Auf einmal kehrte sich diese um, küßte Camilla, reichte mir die Hand und sprang hinweg um zu musiciren — der Gesang, sagte sie, sei ihr zu wenig, sie müsse die Töne, die in ihr herumwogten, ausströmen. Ich setzte mich neben Ca¬ milla und sah bald auf ihre Zeichnung, bald in ihr Auge. Ich fühlte es, daß ich im Begriff stand, unsern Dämmernebel zu zerreißen. Der Mann ist darin im¬ mer plumper als das Weib, er trachtet in seiner Nüch¬ ternheit mehr nach bestimmten Formen, er ist griechischer, das Weib romantischer, christlicher. Das reine Weib liebt Jahrelang ohne Worte, der Mann nicht so viel Monate. „Camilla,“ sprach ich leise — sie ahnete, was kommen würde und bebte zusammen. „Valerius,“ fragte sie kaum hörbar zurück. Der Bleistift fiel ihr aus der Hand, sie neigte sich darnach und die Fülle ihrer Haare fiel ihr über die Wange, Schultern und Busen. Ich ergriff ihre Hand, führte sie an meinen Mund, und sah ihr bewegt in die Augen. Sie er¬ widerte den Druck meiner Hand nicht, aber die Thrä¬ nen standen ihr im Auge, und als ich meinen Kopf an ihre Schulter in die herunter wallenden Locken drückte, da zog sie die Hand aus der meinen und ich fühlte den weichen runden Arm um meinen Nacken und ihre Thräne fiel auf meine Stirn. Ich sah in ihr seliges Gesicht, und sagte leise: „Camilla, ich liebe Dich.“ Ihr leises Weinen ging in Schluchzen über und ihr Antlitz an meinem Haupte verbergend vernahm nur mein nahes Ohr die kaum hörbaren Worte: „Ich liebe Dich un¬ säglich.“ Da sprang ich auf, hob ihr Gesicht in die Höhe, küßte ihr die Thränen vom Auge nud drückte die weiche nachgiebige Gestalt fest an mein Herz. Sie lä¬ chelte jetzt wie ein Engel, und wir küßten uns und freuten uns unsrer Liebe. Aller frühere Uebermuth, dieser reizende vielfarbige Knabe, kam mit diesem Ge¬ ständnisse wieder über sie. Blöde und bescheiden vor¬ her, war sie nun toll und ausgelassen. Aber rührend klagte sie mir, was sie damals gelitten, als sie Alberta im Garten an meiner Brust gesehen habe; mit neuen Thränen gestand sie, daß sie deshalb hinwegereis't und sie sah mich unsicher, schwankend, halb ungläubig von der Seite an, als ich ihr die Versicherung gab, sie sei im größten Irrthume gewesen, und es habe zwischen mir und Alberta nie etwas Andres als ein freundschafliches Verhältniß bestanden. Endlich hielt sie mir den Mund zu und sagte: ich glaube Dir, aber sei kein roher Mann und laß Alberta nie etwas von unserem Uebereinkom¬ men in Liebe und Zärtlichkeit wissen — hörst Du?“ Ich versprachs mit Freuden. Durch die vielen Hinder¬ nisse unsrer bürgerlichen Gesellschaft, durch die Polizei und die Strafgerichte, durch die Unsicherheit unseres gan¬ zen Lebens, die Ungewißheit des nahen oder fernen To¬ des sind wir so furchtsame Wesen geworden, daß wir das Schönste, was wir besitzen, oft dann schon gefähr¬ det glauben, sobald es nicht mehr unser Geheimniß ist. Die herzdurchdringende Liebe will keine andre Wohnung als das Herz, sie flieht und haßt die Märkte — so ist ihre Jugend. Sie gleicht dem jungen Bürger in der hoch und dumpfgebauten Reichsstadt, er schleicht aus dem strahlendsten Sonnenschein, der vor den Thoren üppig seine Arme um die Erde schlägt, aus der lebendi¬ gen Menschenmenge, die sich laut des Daseins freut, auf das düstre Stübchen seines Mädchens, und oben in der dunklen Einsamkeit sind Beide froh, daß nicht Sonnenschein noch Menschenwoge zu ihnen dringt. Dies äußerlich aristokratische Absonderungswesen ist aller jun¬ gen Liebe eigen. Ich freute mich noch aus vielen an¬ dern Gründen über Camillas Vorschlag. Ist doch meine öffentliche Liebe Sünde gegen Clara. Fragst Du mich, warum ich mein Clärchen nicht suche, da ich doch erfahren, sie sei noch frei, und harre wahrscheinlich ihres alten Geliebten, so kann ich Dir nicht viel Tröst¬ liches für die meisten Leute erwidern. Der Liebesharm ist eine süße Krankheit, die mit dem schönsten Schmerz beglückt und mit reiferer Gesundheit endet. Der teut¬ sche Liebesharm ist ein chronisches Uebel, was Jüng¬ ling und Mann entnervt. Man muß gegen ihn käm¬ pfen. Ich will nicht treu sein, weil ich die Treue zumeist für eine Sünde gegen unsern fort- und fort¬ rückenden Planeten und das, was drauf und dran ist, halte. Treue ist ein Schutzmittel für schwache, nicht ausreichende Kräfte; die Kräfte sollen aber am Ende stark werden. So lange man diese Krücken der Liebe nicht fortwirft, lernt man nicht selbstständig lieben. Auch die Liebe verläßt sich in jener sogenannten Tu¬ gend auf das Herkommen und ruht aus auf einem her¬ gebrachten Privilegium, statt auf eigner, unversiegbarer Kraft zu bestehen. Es ist ein Traditionsgut, wie jedes andre auch, die Länge der Zeit ist das Verdienst, nicht die Größe oder Schönheit der Sache. Alle die tausend gebrochnen Herzen, alle die langweiligen verdrossenen Ehen sind die Kinder der Treue. Jedes schwindsüchtige Mädchen, jeder jämmerliche Jüngling verläßt sich auf ihren Schutz, wenn es ihr oder ihm gelungen, in einer schwachen Stunde eine Eroberung zu machen. Die Treue ist das große Gängelband der menschlichen Faul¬ heit und Schwäche, sie ist auch die Poesie der Kraft¬ losigkeit und ein „getreuer Eckard“ unsrer Tage, wie Du ihn einst vorhattest, ist eine Sünde wider den Geist der Zeit und der Geist der Zeit ist der Zeit heiliger Geist. Wenn der König von Gottes Gnaden sich auf Herkommen und angestammte Treue beruft, und darin statt in der Vortrefflichkeit seiner Regierung die Noth¬ wendigkeit derselben finden läßt, so ist dieß die steife Lehre von der Treue. Nur was Blut hat, soll le¬ ben, nicht was nach Leben aussieht; ist Deines Lebens Blut in Deiner alten Liebe zu finden, dann sei treu, dann ist Deine Liebe jung. Dies ist die schöne Lehre von der Beständigkeit, die dann eine Tugend ist, wenn die äußeren Verhältnisse mit den inneren harmo¬ niren. So ist die Ehe nur ein Damm gegen den Strom der Geselligkeit; wißt ihr auf freiere Weise den Strom zu leiten, so braucht Ihr keine Dämme. Wenn erst Tausende nichts mehr dem Herkommen zu Liebe thun, so ist das Lebenselement des Herkommens, seine Un¬ zweifelhaftigkeit, vernichtet, und eine neue Welt nähert sich im Sturmschritt. Es geht Alles Hand in Hand, die Gesetze sind eine große Kette: trennt ein Glied und die andern klirren ebenfalls auseinander. Es hat keine Zeit gegeben, wo mehr und mehr die Jugend ihrer eignen Kraft vertrauend die Ruhebänke des Staates, die Aemter der stillen Gewässer, wo keine Welle steigt und fällt, so mit dem Rücken ansieht, und diese Faul¬ plätze dem jungen Alter überläßt, was keine eigne Kraft in sich spürt und in dem Schooße der hergebrachten Ordnungskraft Schutz sucht. Die neuen Staaten ma¬ chen nach eben diesen Grundsätzen die Aemter beweglich, nur die Kraft behält sie, dem Herkommen zahlt man kei¬ nen Deut — Alles gilt nur durch das, was es ist, nicht was es war oder heißt. Soll es mit den Aemtern der Liebe nicht eben so werden? Dasselbe Geschrei, was sich gegen Aufhebung von Ehe und Treue jetzt erheben wird, erhob sich gegen den wechselnden Staatsdienst in den neu constuirten Staaten. — Fülle vom Leben bringt allerdings auch oft schnellen Tod; man wird neue Ge¬ setze für jenes gesellschaftliche Verhältniß erfinden, wie man sie für diese gefunden, denn auch die Freiheit hat ihre Gesetze. Aber sie müssen sich in allen Theilen er¬ weitern, darin ruht das unbehagliche Drängen des jun¬ gen Geschlechts. Der Furchtsame mag davor erschrecken, den Muthigen gehört die Welt. Was man nicht er¬ werben kann, fürchtet man am meisten zu verlieren; wer die Kraft in sich fühlt, bangt vor keinem Verlust, und nur die Kraft soll herrschen, nicht das Herkommen. Dies und manches Andere sprach ich in stillen Stunden zu Camilla. Sie hörte aufmerksam zu, schmählte oft, es sei ihr zu hoch, nöthigte mich deutlicher zu spre¬ chen, nickte lächelnd, daß sie mich verstünde, weinte dann, daß sie mich verlieren werde und lachte wieder, daß sie mich jetzt habe. Ich glaub' es gern, daß Du Recht hast, denn ich glaub' Dir Alles“ — sagte sie — „Du sollst mich nicht heirathen, wenn Du nicht willst, das Heirathen ist auch wirklich nicht hübsch, es ist wirk¬ lich philisterhaft. Ich will bei Dir bleiben, so lange Du mich magst, und magst Du mich nicht mehr — nun — nun so will ich die Vergangenheit noch einmal al¬ lein leben und doch glücklich sterben.“ Sie war einen Augenblick traurig, und wir küßten uns heiß und leiden¬ schaftlich, dann trocknete sie sich die Augen, fuhr mit der Hand über die Stirn und durch die Luft, als wollte sie schlimme Gestalten hinwegjagen und sprach dann fröhlich weiter: „Wie es mich reizt, die große Revo¬ lution mit beginnen, mit bezahlen zu helfen; wie ich mich freuen werde, wenn die Leute mich anklagen und doch beneiden werden, daß ich frei und fessellos ein schönes Liebesleben mit Dir führe. Meine guten Eltern sind todt, ihnen mach' ich keine Sorge durch dies neue ungewöhnliche, darum verdammte Leben; mein Vermögen reicht hin nach den Wünschen unseres Herzens zu ver¬ kehren, und nicht wahr, so schnell und sogleich wird Dir nicht eine Andre besser gefallen, mein lieber Valer — — in Paris bleiben wir zurück, wenn der Graf heimkehrt und wir fragen um nichts als daß wir ein¬ ander gehören.“ Das gute Kind ist ein Engel und ich bin überaus glücklich; ihre unverfälschte Seele, wel¬ che der Frohsinn vor allen Flecken bewahrt hat, schleicht mit liebenswürdiger Zudringlichkeit in alle Ritzen mei¬ nes Herzens und nistet sich fest — o es ist eine freie göttliche Liebe, von der die Heirathskandidaten keine Ah¬ nung haben. — Bald erfährst Du mehr, schreib bald, ob Hyppolit angekommen ist. 37. Camilla an Valerius. Es ist sehr garstig, sehr garstig und ungezogen von Dir, daß Du Deine dummen Stadtgeschäfte nicht schnel¬ ler abmachst und länger, als Dir erlaubt war, ausbleibst. Alberta ängstigt sich um Dich, das thu' ich zwar nicht: Du bist ja ein starker Mann, der im gewöhnlichen Le¬ bensgange den harten Nacken nicht brechen wird; aber komm Herz, Seele, Gedanke meines Lebens, ich lechze nach Deinem Auge, nach dem Druck Deiner Hand; hätte ich nur eine Wange von Dir da, um mein heiß Ge¬ sicht darauf zu drücken. Bis gestern Abend war ich doch eigentlich sehr heiter, ich saß lange auf Deinem Zimmer, naschte in Deinen Papieren herum und sang Deine Lie¬ der; ich fand es sogar schön, Dich einmal nicht zu ha¬ ben, um zu sehen, wie viel mir fehle, um meiner Schwäche zu trotzen und allein zu leben. Die gute Alberta war viel trauriger, und sprach immerwährend mit einiger Sehn¬ sucht von Dir. Als der Abend kam, gingen wir Dir entgegen, die Weiber, nicht die Hexen erwarteten den Makbeth auf der Haide, — er kam nicht. Da brach alle Gluth und Leidenschaft, über welche mich die Ruhe des Tages so sehr getäuscht hatte, wie ein Orkan aus mir heraus, ich mußte bitterlich weinen — o bitte, schilt mich nicht, ich dachte, Du wolltest nicht wiederkommen, — dumme schwarze Abendgedanken, fremd in meinem Blute. Heut' ist's viel besser, ich bin wieder munter und heiter und denke: „kommt er nicht heute, so kommt er doch bald.“ Aber höre, zu lang treib mir's nicht, bin ich denn dazu auf der Welt, um getrennt von Dir zu leben? Vergiß nicht, mir hochrothes Band zu kaufen, sonst mußt Du noch oft schelten über meine verblichnen Bän¬ der, und Du hast Recht, sie sind matt und häßlich wie blonde Augenbrauen auf einem brünetten Gesicht. Ich habe mir auch ausgesonnen, wie ich Dich viel hübscher küssen will — Du sollst nur sehen, aber laß Dir Dein Bärtchen nicht abschneiden, bitte, bitte. Vergiß mir das Zeichen¬ papier nicht, ich muß Dein kühnes Byrongesicht malen. Deine Formen sind nicht so schön, aber es fliegt Dir dieselbe Freiheitsmelancholie um die Augenwinkel, es ist derselbe schöne Liebesmund, auf dem die großen Worte und die süßen Küsse ruhn, mit denen er die schönen Italienerinnen bestach. Wenn Dir doch der Bote mit diesem Briefe schon unterwegs begegnete. Wärst Du nicht Du, der überaus zuverläßige Valer, Dein Wegbleiben, Deine Kameraden, von denen ich Dir gleich erzählen werde, machten mir große Angst. Wie wild, unbändig, schonungslos be¬ trug sich in allen Verhältnissen Hyppolit und nun höre, was uns die Fürstin schreibt. Leopold hat die Prin¬ zessin Amelie wirklich heirathen wollen; am Ende hat man doch natürlich sichere und bestimmte Dokumente über seine Herkunft und seine sonstigen Verhältnisse be¬ gehrt, er hat ein unlösbares Incognito vorgeschützt, die Fürstin hat wunderlich genug seine Partie genommen und es hat den folgenden Tag zur Hochzeit kommen sol¬ len, da der schwache Fürst keine weitern Einwendungen gemacht. Das ganze Schloß glänzt des Abends im Kerzenschein eines strahlenden Polterabends, Park und Büsche blitzen Liebeslichter, die geladene und frei herbei¬ strömende Menge erfüllt die Gänge, der glückliche Prinz Leopold, seine ätherische Braut am Arme, hüpft populär durch die Massen und lächelt äußerst glücklich. Er spricht im Vorübergehn mit den Bauern von Volksrechten und Freiheit und Gleichheit, der Volksjubel wird immer grö¬ ßer, ein wüthendes Geschrei läßt den volksfreundlichen Erbprinzen leben, verlangt ihn zu sehen, trägt ihn auf den Schultern einher. Prinz Leopold hat seiner Prinzes¬ sin Braut gesagt, so hätten's die alten Minnefürsten zur Zeit der Romantik getrieben, und bestellt eine Trag¬ bahre für die romantische Dame, damit sie Theil nehme an dem Triumphzuge. Vom Balkon aus sieht der Hof zu und die Fürstin lächelt sehr — so schreibt sie selbst. Da kommt ihr Schwager an, und zerstört dräuend die demokratische Herrlichkeit. Er ruft Leopold bei Seite und spricht lange mit ihm. Dieser kommt zu seiner Braut zurück, spricht viel von den Thränen der Roman¬ tik, erbittet sich von William eine Summe Geldes, um die Bauern damit zu beglücken und verschwindet. Dem zu Fuß Fortwandernden ist ein Bauer begegnet, der fahrende Prinz hat ihm erzählt, er ginge erst nach Belgien um für die Volkssouverainetät zu fechten; erst wenn diese errungen sei, dürfe man der Liebe Freuden pflegen. Prinzessin Amelie hat erklärt, Ohnmachten seien zu modern, sie werde sich nicht damit befassen; sie trägt das Haar aufgelöst und singt am offnen Fenster des Nachts Lieder von Tiek und Novalis; sie ißt nur ein Gericht und kleidet sich aschgrau, übrigens ist sie wohl. Die Fürstin setzt hinzu, Viele würden die Sache einen Skandal nennen, auch Herr Valerius, und das Ganze würde Wasser auf Deine Mühle sein. Uebrigens mö¬ gest Du sie doch besuchen, sie wolle mit Dir darüber sprechen. Ich hoffe, das wirst Du bleiben lassen. Es ist ein stolzes, herrsch- und rachsüchtiges Weib, Du magst mir's glauben, und ich fürchte sehr, sie hat dies Alles absichtlich angezettelt. — — Eben kommt eine schreckliche Nachricht an. Wil¬ liam hat des Abends auf dem Korridor den Schwager der Fürstin mit einem Dolchstich niedergeworfen, ist in die Zimmer der Fürstin wie wahnsinnig gedrungen und erst bei ihrem Hülferufen entflohen. Er wird auf das Lebhafteste verfolgt; zu dem Ende kam die Nachricht mit einem Kurier hier an. Ach, wenn er nur Dir nicht begegnet! O eile, eile zu uns, mir bangt für Dich bei so grauenvollen Nachrichten. 38. William an Valerius. Ich baue auf Deine Redlichkeit und vertraue mich Dir an. Die Verfolgung ist mir auf der Ferse, ich habe große Noth, ihr zu entrinnen, thu alles Mögliche, sie auf falsche Spur zu leiten, verbreite, ich sei nach Oester¬ reich geflohen. In diesem Augenblicke darf ich mich nicht weiter wagen, sondern muß mich verborgen halten. Erst wenn die falschen Nachrichten zu wirken anfangen, hoffe ich über die Belgische Grenze zu entkommen. Mein ganzes Innere ist aufgelöst, ich frage mich nach keiner Rechenschaft, denn ich kann mir keine gebeu . Mein Ge¬ wissen ist verloren, keine Autorität vermag mich frei zu sprechen; nun so rolle denn das Rad dem Abgrunde zu. Daß ich die Fürstin mit glühendem Verlangen liebte, wird Dir wohl schon klar geworden sein. Lange kämpf¬ ten meine Grundsätze hartnäckig gegen mein Fleisch. Ich hätte gesiegt, wäre ich nicht durch die freundlichen Worte und Blicke des schönen Weibes verführt worden. Ich stand auf dem Punkte abzureisen und empfahl mich ihr; sie reichte mir die weiche Hand zum Kuße, strich mir das Haar von der Stirn und fragte, was mich drängte. Ich konnte nicht fort, die Sünde war aus¬ gebildet in meinem Herzen, ich vermochte es nicht mehr, mich vor meinem Gewissen zu rechtfertigen. Ich schlug mein Gewissen todt und wollte genießen. Jener un¬ heimliche Schwager stellte sich mir entgegen; er fiel als erstes Opfer eines Menschen, der die Bande der Ordnung in sich zerrissen hat. Schweig, schweig, ich erkenne es an, daß Du mir gegenüber jetzt im Rechte bist. Es ist Ordnung in Dir, wenn auch eine Ordnung, die ich verabscheue. Ich selbst geh' zu Grunde, aber mein System bleibt unerschüttert; ich bin außer ihm. Alle jene Begierden, welche die Gesetze meiner Religion in starren Banden hielten, sind rasselnd aufgesprungen, ha¬ ben sich meiner bemächtigt, seit ich jenen Fehltritt be¬ gangen. Ein Stein ist herausgerissen, es stürzt das ganze Gebäude über mir zusammen; ich muß rennen und rennen, um diesem Geschick zu entgehn. Die Hölle hohnlacht, aber sie soll wenigstens einen glänzenden Fang gemacht haben; ich habe mich verloren, aber die Lust will ich gewinnen. Zurück führt kein Weg, der Him¬ mel geht am Abgrunde hin, ein falscher Tritt ist hin¬ reichend. Ich bin gefallen und will mich der neuen Gesellschaft würdig machen. Früher lohnte meine Tu¬ gend die äußersten Entbehrungen, Entbehrungen ohne diesen Gegendruck sind kindische Schwäche — die Tu¬ gend ist verloren nun denn, so jag' ich nach dem Genuß. Ihr habt viel Schuld an meinem Unglück; wer die Verlängnung der Religion stets neben sich sieht, wird matt in seinen Dogmen. Ihr unseligen Volksverführer habt meinen besten Theil auf Eurem Gewissen. 39. Constantin an Valerius. Du schreibst mir nicht, Freund, weil Du wahrschein¬ lich mir und meiner Sinnesänderung zürnst. Warum lässest Du Dir die Gelegenheit entgehen, auf eine Krisis einzuwirken, und in einer solchen befind' ich mich doch zuverläßig. Rette an mir was zu retten ist, ich fühle, wie mir Alles unter den Händen verschwindet; ich fange an, den Schicksalstragödien zu glauben, es denkt und lös't ein fremder Geist in mir. Du gehörst ja doch sonst nicht zu der platt republicanischen Partei, Du warst ja, wahrhaftig so war's, oft genug mein Gegner; Du ge¬ stattest ja Entwickelungsgang, Modification ꝛc. — Sollte denn an mir gar nichts mehr zu brauchen sein? Hyp¬ polit ist da und trägt mir eigentlich auf, an Dich zu schreiben, er selbst schreibt keine Zeile: entweder tobt er herum oder liegt starr ausgestreckt da und schweigt. Meine politische Sinnesänderung, die ich ihm mittheilte, nahm er mit tödtlichem Schweigen auf; es erkältete, ja entsetzte mich durch und durch, als er mit untergeschla¬ genen Armen vor mir stehend mit den schwarzen tief¬ II . 8 brennenden Augen bis in das Innerste meiner Seele hineinsah; — die Verachtung sprang lachend um seine Mundwinkel; er sprach kein Wort. „Willst Du mir nicht etwas darüber sagen? — Wofür habe ich Euch Freunde? „Hyppolit, sprich doch!“ „„Du bist ein schwa¬ cher Mensch, ein teutscher Wicht, der mit Träumen buhlt und vor dem Sonnenlicht bleich wird — wäre nicht Valer unter Euch gewesen, mich reute der Zeit, die ich in Euren Kreisen verbracht — sprich mir nicht wie¬ der davon!““ Damit ging er hinweg. Es ist ein beispielloser Uebermuth solches Ausländers, ich war sehr zornig und machte mir durch viele Worte Luft. Als er am andern Morgen erst heimkam, wiederholte ich ihm allen Zorn, alle Vorwürfe. Lange schien er gar nicht zuzuhören, endlich warf er einen raschen unwilligen Blick auf mich, und warf die ganz fremde Frage dazwischen, ob ich ihm für den Abend ein Billet zum Gesandten¬ balle verschaffen könne. Sein Liebeselend, das auf dem blassen Gesicht umherirrt, ließ mich abstehen von mei¬ ner Polemik; ich fragte theilnehmend, wie seine Sachen mit Julien ständen. Mit vieler Mühe habe ich folgen¬ den Thatbestand ermittelt, denn man muß ihm wie ein Kriminalist das Wichtigste abfragen, da er kaum mit drei Worten antwortet, nie aber erzählt. Er ist früher hier eingetroffen als Julia, und erfuhr es bald, daß sie erst erwartet werde. Wie eine Bildsäule stand er nun Tag und Nacht vor der Barriere, welche sie aller Wahrscheinlichkeit nach passiren mußte. Sie kam des Nachts, sein Falkenauge erkannte sie, er sprang hinten auf den Wagen und fuhr mit in das Hotel, öffnete den Schlag, hob sie heraus. Heftig drückte er sie an sich, da erkannte sie ihn und wollte rufen. Er verhinderte sie daran und bat, ihm Zutritt zu ihrem Hause zu gestatten. Sie verneint es entschieden. „Wohl,“ sagt er, sie loslassend, „ich spreche Sie mindestens 5 Minuten allnächtlich um 12 Uhr auf dem Korridor des ersten Stocks oder ich zünde das Haus an und er¬ morde Sie sammt Ihrem Vater.“ Das Alles war das Werk von zwei Minuten; als man nach ihr rief, war er verschwunden gewesen. Was ist diesem wilden uncivilisirten Menschen nicht Al¬ les zuzutrauen; könnte er's, er würfe die Erde dem Monde an den Kopf um einer Liebesgrille halber. Das Mäd¬ chen konnte ihn arretiren lassen, wenn er kam; aber so antiromantisch sind unsere Mädchen nicht. Und ist es nicht süß, so toll geliebt zu werden? Er hat sie 8 * mehrmals gesprochen, sie hat geweint und ihn beschworen, sie ungestört zu lassen. Thränen fruchten sonst nichts bei ihm; aber er liebt Julien grenzenlos, er ist schon über eine Woche lang nicht mehr hingegangen. Ich will ihm zu Willen sein, meine berliner Bekanntschaft er¬ neuern und bei Juliens Vater meine Aufwartung machen. Hoffentlich bekomme ich auf diese Weise Karten zu dem großen Balle. Es macht auch mir Freude, das schöne Mädchen wieder zu sehen. — Später. Das wird eine bunte Wirthschaft. Ich wurde ge¬ meldet und angenommen. Julia ist wirklich sehr schön und liebenswürdig. Sie saß noch in Haustoillette am Fenster und las. Ein leichtes weißes Morgenkleid mit fliegenden Aermeln, die um den schönen vollen Arm spiel¬ ten, umflog poetisch die schönen Glieder; die dunkeln Locken hüpften wie damals auf den Schultern. Sie war herzlich freundlich gegen mich und behandelte mich mit aufgeschloßner, liebevoller Seele wie einen alten Bekann¬ ten, mir vorwerfend, daß ich erst so spät nach ihr frage. Wie warm und heimathlich thut das meiner erstarrten Brust — was ist doch die Weltgeschichte trocken ohne den Odem der Weiber Du hast Recht, Freund, die Welt ohne Weiber ist ein Rechenexempel, oder eine langweilge Schulstube. Ich trat mit ihr ins offne Fenster und sah in die lebendige Rue Honoré ! — Das war ein ganz ander Paris, wie es sich in ihren Augen wieder¬ spiegelte, von ihren Lippen wieder zu mir kam. Noch will ihr die tolle Stadt nicht behagen, es geht ihr Alles so wüst und regellos durcheinander; „ich bin ein kleiner Pedant, sagte sie, wo ich die Regel nicht entdecken kann, da wird mir unruhig zu Muth; ich habe mich zum teutschen Gott der schönen Ordnung und Harmonie, zu Göthe geflüchtet und seine Iphigenia, seinen Tasso gelesen, um mir Ruhe zu verschaffen vor dem Getümmel.“ Liebenswürdiges Mädchen, wie harmonisch klang das in das Streben meines jetzigen Wesens. Ich sprach freudeglühend davon, wie angenehm es mich überrasche, in den hüpfenden Jugendjahren solche Besonnenheit zu finden, sie lächelte und meinte, Du habest sie oft des¬ halb geneckt und eine junge Matrone genannt. „Aber — fuhr sie fort — hat das Weib bei seiner schönen un¬ betheiligten Stellung in der gesellschaftlichen Stellung et¬ was Passenderes zu erwählen als das Princip der Ord¬ nung, der Einfachheit und Ruhe? Einfachheit und Ruhe sind die Elemente der Schönheit und diese soll ja un¬ ser Streben, unser Endziel sein. Der Mann schafft, zeugt, producirt, wir reproduciren, wir ordnen das Ge¬ schaffne. Ich halte es für thöricht, wenn eine Frau nicht wie Göthe allen unerquicklichen Lärm, alle Unruh, ja allen Wechsel fern von sich hält, selbst mit Aufopfe¬ rung des Reizes; die Empfänglichkeit wird durch große Gaben verwöhnt, die feinen Organe, welche sonst bei den kleinsten Luftströmungen beben, werden abge¬ stumpft. Ich halte aber darum auch Göthe für eine neue Art Halbgott, d. h. ich glaube, das Beste des Weibes war in ihm aufgenommen und durch seine edle Männlichkeit verherrlicht, gehoben. Zum plumpen Han¬ deln würde er nie getaugt haben.“ — Dabei spielte die kleine fleischige Hand, die sich weich senkend an den schönen Arm schließt, mit den Blättern des Tasso und das Auge ruhte auf mir wie das der schönen Prinzessin Leonore. Ich fühlte Tasso's Vergehen in mir und hätte sie gern umarmt, wenigstens die schönste Hand und den verführerischen Arm geküßt. In ihre Ideen eingehend beschrieb ich ihr meine Entwicklung und die allmählige Reaktion, wie Du es nennen magst — das freute sie sehr und sie erwähnte mehrmal, warum Du mit Deiner Mäßigung, sauberen Klarheit, Deinem geläuterten Schön¬ heitssinn nicht eben dahin kommen könnest. Sie bat mich, bald wiederzukommen und ihren Vater kennen zu lernen, der sich sehr freuen würde, einem solchen Gange der politischen Ausbildung zuzuhören. Ich nannte Hyp¬ polits Namen; sie entfärbte sich und Thränen traten ihr in die Augen. Ich bat, ihn mitbringen zu dürfen. Sie schwankte, mein Mitwissen errieth sie mit weiblichem Takte sogleich — das gab ein heimliches Band zwischen uns, was uns schnell einander näher brachte. Sie war verlegen, zupfte an den Bändern, sah auf die Erde, faltete auf dem Schooß die kleinen Hände und sah starr in ihre Verschlingung. Endlich hob sie langsam den Kopf, sah mich wehmüthig an und sagte bittend: Las¬ sen Sie ihn nie allein kommen, ich fürchte mich vor ihm. Dies Vertrauen überwältigte mich, ich ergriff ihre Hand und küßte sie schnell; sie zog sie so schnell als es die Artigkeit gestattet, hinweg, stand auf und empfahl sich mir. Ein Gang in die Pairskammer hielt mich ein wenig auf. — Zu Haus angekommen fand ich schon Billets für uns zum Balle für den Abend. Hyppolit sah schmerzlich drein, als ich ihm Alles erzählte. Später. Nun, wir sind da gewesen und werden wohl schwer¬ lich wieder zusammen hingehen. Es war ein glänzender Ball. Alle Notabilitäten vom jungen Frankreich waren da. Lafitte mit dem regelmäßigen ehrlichen Gesichte und der unveränderlich festgeordneten Frisur spielte als Pre¬ mier eine fein französische artige Rolle. Seinen Be¬ strebungen verdankt Ludwig Philipp das königliche Bett im Palais royal, er hat all sein Vermögen gegen die alten Bourbonen in die Schanzen geschlagen, er ist ein klassisch braver Mann, das gestehen seine Feinde zu. Aber Alles an ihm ist classisch, nicht ein Zug, nicht eine Falte im Gesicht ist romantisch. Seine Gefällig¬ keit, Artigkeit ist so abgemacht, daß nichts sie aus dem Gleise bringen kann; er würde den russischen Gesandten, den schneeweißen Kriecher Pozzo di Borgo, mit dem er den Abend über viel sprach, mit eben der Galanterie, die flammendste Kriegserklärung übergeben, als er ihm jetzt eine Priese Tabak anbot. Das Gesicht ist die stei¬ nerne glatte Galanterie, ein Kopf aus Louis des Vier¬ zehnten zierlichen Epoche und darunter ein Herz der jüngsten französischen Jugend. Er unterhielt sich viel mit Julia und er ist allerdings ganz der Mann für sie — ich glaube, wenn ihn heute ein freches Tribunal mit den schreiendsten Ungerechtigkeiten zum Tode verurtheilte, er würde sich höflich vertheidigen. In den wildesten Kam¬ merdebatten, mit den insolentesten Gegnern bleibt der Mann artig, verbindlich — es ist eine Klassicitität, die mich sogar erstarren macht. Julie war entzückt von ihm und sagte ihm dies ziemlich deutlich — ich stand daneben; wenn er sich doch nur ein wenig mehr als die Form erheischte, gefreut hätte, er ist der glatte und doch endlos tiefe See. Und doch haben wenig Länder Männer, auf welche sie so stolz sein können als Frank¬ reich auf Lafitte. Unweit davon saß der Alte von Drü¬ ben, der Friedensnapoleon, der langweiligste, einför¬ migste Freiheitsmann La Fayette, der schlechteste Mar¬ quis der alten, der beste Bürger der neuen Zeit. Der Mann ist mir sehr im Wege, weil ich ihn gern auf das Härteste tadelte und doch so unbegrenzt achten muß. Er ist auch ein Klassiker mit seiner unwandelbaren Frei¬ heitsidee, der Klassiker der romantisch französischen Re¬ volution; nur seine unverwüstliche Jugend giebt ihm einen romantischen Anstrich. So nimmt er in der po¬ litischen Welt Frankreichs mit derselben Unsterblichkeit denselben Platz ein, welchen Göthe im teutschen literari¬ schen Staate behauptet: es sind beides Klassiker mit ein wenig romantischem Odem. Ich bin begierig, wer der Erde zuerst den Tribut des Todes wird zahlen müs¬ sen. Die Natur ist sparsam mit solchen Leuten und da es ihr leichter zu werden scheint, gute Herzen als gute Köpfe zu schaffen, so wird wohl Göthe länger leben und dadurch bekunden, daß er wichtiger für die Mensch¬ heit sei als La Fayette. Dieser letztere ist mir zu platt praktisch und sein Amerikanismus ist doch eigentlich eine Armuth. So sieht auch sein Kopf aus, nüchtern, pro¬ saisch amerikanisch. Es ist kein Geist in dem formlos gutmüthigen Gesichte, nicht ein Zug thatkräftigen Ver¬ standes. Aber seine Manieren würden Dich entzücken: alle Feinheit des französischen Styls, alle liebenswür¬ dige Artigkeit ist darin, und doch nimmt ihnen jene de¬ mokratische Bonhommie, jene amerikanische Gleichstellung von Hoch und Niedrig, jene Poesie der Gleichheit aus dem neunziger Jahren doch nimmt ihm diese allen Bei¬ satz von Künstlichkeit, von Geckenhaftigkeit, was man namentlich bei alten Leuten so oft findet. Das ist La Faytte’s Poesie: er hat in abstrakte Begriffe, ja in kon¬ ventionelle Formen Blut und warmes Leben gebracht; er ist nicht die abstrakte Lehre von Freiheit und Civi¬ lisation, sondern ihr Mensch. Julia liebt ihn gar nicht, und sah, am Arme ihres Vaters hängend, der neben ihm stand, nicht eben wohlwollend auf den alten Käm¬ pen. Aber seine Humanität überwältigte sie bald und sie gestand mir, daß sie sich die Revolution nie so sauber, geordnet und sanft habe denken können, als sie sich in zwei ihrer Koryphäen Lafitte und La Fayette ausdrücke. Hyppolit stand dabei und erzählte von den Freiheitskrie¬ gen in Südamerika, denen er eine Zeitlang beigewohnt. Lafitte glich mit feiner Hand alle Unebenheit aus, welche Hyppolits Feuereifer in einem diplomatischen Kreise zu wiederholten Malen erzeugte. La Fayette lächelte und ein großer breitschulteriger Mann, der mit untergeschlagenen Armen dabei stand und sein großes blitzendes Auge ste¬ chend herumjagte im Kreise, warf einige giftige polemische Worte hinein. Hyppolit nahm sie auf und es gab hin und her mehrere schnellblitzende und donnernde Gewitter¬ schläge. La Fayette besprach mit freundlichen Worten den Sturm. Es handelte sich zumeist um die spanischen Ver¬ hältnisse, auf die man von Südamerika aus gekommen war. Hyppolit nahm glühend die Parthei der spanischen Com¬ muneros; jener breitschultrige Mann, Casimir Perier war es, griff die Cortescharte auf das heftigste an und nannte sie eine ausschweifende — Hyppolits Zornader schwoll hoch auf. — Ich habe Ihnen den Contretanz zugesagt, der eben beginnt, sagte die friedliebende Julia zu ihm und entführte den Kampflustigen. Perier sah ernst und fast zürnend darein. Er hat ein von Verstand und Denken durchwühltes Gesicht. Ich ging in den Tanz¬ saal und betrachtete mir die Jugend Frankreichs. Mein Blick fiel bald auf Hyppolit und Julia, sie tanzten nachlässig, Hyppolit sprach eifrig, sah sehr erhitzt aus. Ich trat näher hinzu und sah, wie er ihre Hand krampf¬ haft festhielt. Der Tanz war zu Ende, er ließ sie nicht los und begleitete sie nach einem Nebenzimmer, oder vielmehr schien sie nothgedrungen ihn zu begleiten. Ein unaussprechlich bittender Blick von ihr traf mich, ich folgte ihnen. Hyppolit eilte mit seiner Beute durch die von Gästen angefüllten Zimmer nach den entlegneren leeren. Mich bemerkte er nicht, mit dem Rücken ge¬ gen mich hielt er in einem leeren Gemach inne, um¬ faßte Julien und beschwor sie mit herzzerreißender Stimme, den innigsten Worten, seine Liebe nicht ferner zu ver¬ schmähen; er werde sanft und mild sein, er liebe sie bis zur Raserei. — — Julia weinte heftig, Hyppolit ließ sie los und küßte sie auf das feuchte Auge, sie schauerte zusammen, streckte die Arme nach mir aus, taumelte die wenigen Schritte bis zu mir und fiel ohnmächtig in meine Arme. — Da näherte sich Geräusch aus dem angrenzenden Zimmer, Hyppolit sah mich mit einem unbeschreiblichen Blicke an, und griff nach Julien, um sie hinwegzutra¬ gen; ich bat ihn herzlich, es nicht zu thun, lieber eiligst die Thür zu verriegeln — „Nein,“ sagte er hart, da wollte ich selbst die Ohnmächtige ins nächste Gemach retten. In dem Augenblicke ging die Thür auf, Ju¬ liens Vater trat ein. — Heut' ist Julia nicht mehr in Paris; Hyppolit hat kein Wort mit mir gesprochen und ist verschwunden; seinen Hut und Mantel hat mein Diener aus der Seine gefischt. Juliens Vater schickt eben nach mir. Lebe wohl, ich komme in diesen Ta¬ gen nach Teutschland, um eine Anstellung zu suchen. 40. Camilla an Valerius. Daß die dummen Polen auch gerade jetzt ihre Re¬ volution anfangen mußten, während Du in der Stadt warest — von hier hätte ich Dich gewiß nicht fortge¬ lassen, nach den neuesten Vorfällen zu fragen. Ich wün¬ sche den lieben Leuten alles Gute, ich glaube Dir's gern, daß sie ein himmelschreiendes Recht haben, aber ich wünsche mir auch meinen Liebhaber. Hast Du noch nicht genug Nachrichten, wirst Du nicht bald kommen? Ach ich bin wirklich schon recht böse auf Dich: das Wetter wird immer rauher, man kann beinah nicht mehr aus dem Hause, die Lan¬ geweile und Sehnsucht wird immer größer und noch dazu die Angst — ja wohl die Angst. Höre nur! Gestern kam ein Reisewagen, und brachte mir eine liebe alte Freundin, das wäre ja doch nur etwas, worüber ich mich freuen könnte; ja doch, ich freute mich sehr, aber nicht lange. Denke nur, als wir zum ersten ruhigen Gespräche kamen, da sah aus jedem Auge, jedem Zuge des Gesichts, Dein Blick, Dein Geist, die Worte wa¬ reu Dein, so müßtest Du sprechen, wärst Du ein Weib; der Rede- und Tonfall ganz wie bei Dir, das ganze Wesen, der ganze Luftkreis der des Valerius — Mann, ich entsetzte mich, wärst Du verheirathet, es müßte dies Deine Frau sein. Ich theilte dies Alles meiner Freun¬ din mit, sie lächelte. Wie bin ich erschrocken, als sie mir sagte, daß sie Dich kenne. O bleib jetzt, komm nicht, ich fürchte mich vor Unglück, wenn Du jetzt kommst. Ach nein, wenn sie Dich beglücken könnte, komm, komm, ich würde so gern für Dein Glück ster¬ ben. Als Du mir von Deiner ersten Liebe erzähltest, da war ich so schmerzhaft erregt und doch so überaus selig in dem Gedanken, wenn ich sie Dir wieder in den Arm legen und mein seligweinend Gesicht zwischen eure an einander gedrückten Schultern schmiegen könnte. Du hast Recht, die Liebe ist mehr als der Besitz einer ein¬ zigen Person, sie ist eine ganze Atmosphäre von Wohl wollen und viel hat darin Raum. Wenn ich Dich nur nicht so viel geküßt hätte, das ist so schlimm, jetzt wird es mir doch viel schwerer werden, Dich am Herzen einer Andern zu sehen. Du glaubst aber nicht, um wie viel lieber ich Dich habe wegen Deiner offnen Ehrlichkeit, daß Du mir gleich beim ersten Kusse sagtest, Dein Herz sei nicht mehr jungfräulich, Du hättest Liebe gewährt und genossen und liebtest noch und würdest noch geliebt. Ich kann klagen und weinen, wenn man Dich mir heute entführte, aber nicht über Dich und das ist sehr lieb und schön. Du bleibst ewig mein unwandelbarer Stern, Du bist der ehrliche Palmerio. Komm, komm, Du Licht meiner Augen, ich will nur Deine Gestalt sehen, das gleichgültigste Wort Deiner lieben, lieben Stimme hören und glücklich, sehr glücklich sein. Komm! — Ich lege Dir einen Brief von Constantin und einen von der Fürstin bei — was will denn die gefährliche Frau von Dir? Ach, Du machst mir recht viel Sorge. Die gute Alberta ist so still und traurig, daß Du nicht da bist, sie sitzt fortwährend am Fenster, und wenn ein Reiter kommt, jubelt sie, und wenn Du's nicht bist, kommt ihr das Wasser in die Augen. Ach, Du bist ein Bösewicht. Auch der Graf ist so still und noch sanfter als sonst; auch er scheint Kummer zu haben. Eile, uns froh zu machen! 41. Valerius an Constantin. Ich lege Dir Williams Brief bei; steh, wohin der einseitige Fanatismus führt. Wo jeder Gedanke von Freiheit fehlt, da giebt es nur Höhen und Tiefen, schmale Wege, jähe Abgründe; nur die Freiheit ebnet die Welt so wunderbar, daß Alles gefahrlos gehen und springen kann. Man kann irren mit der Freiheit, aber an jedem neuen Morgen kann man sich zurecht finden. Der absolutistische religiöse oder politische Glaube kennt keinen Irrthum, er kennt nur Sünde und die Sünde gebiert den Tod, sagt er selbst. William ist das Opfer des Absolutismus, Leopold wird der Spiel¬ ball der Gesetzlosigkeit — er ist im belgischen Heere Compagnie-Chirurgus, wie ich eben erfahren und spielt eine abgerissene kümmerliche Rolle, und nur die un¬ geheuren, titanenartigen Kräfte erhalten oben auf der Lebenswoge den zügellosen Hyppolit; nur sein riesen¬ hafter Geist läßt ihn bestehen mit seiner unbändigen, die Civilisation überspringenden Freiheit. Du scheinst ihn für todt zu halten, das ist er gewiß nicht; ein solcher Romancharakter lebt noch lange in der Wildheit und wird einst, wenn seine bestialische Kraft an den Schran¬ ken der Bildung gebrochen ist, der Anführer eines frei¬ heitsbedürftigen Volkes. Seine Subjectivität muß erst zertrümmert werden, eh' er nützen kann. Jetzt ist er im Stadium des Danton und nur die gefährliche Zeit fehlt, daß er sich wie jener auszeichne. Aber dieser subjective Danton wird guillotinirt werden, und seine geläuterte Objectvität wird einst mit der neuen Gironde unserer Tage lehren. Er wird einst der hinreißende neue Vergniaud werden. Es ist ein merkwürdiger Wen¬ depunkt in unserem Leben eingetreten. Ich gehe mor¬ gen nach Warschau, um für das heilige Recht eines Volkes gegen die Tyrannen zu fechten. Ich liebe das polnische Volk nicht eben sehr, aber für seine Sache will ich bluten und sterben. Dies asiatische Element einer Herrscher- und einer Sklavenkaste, das sie noch immer nicht ernstlich bekämpft haben, ist mir sehr zu¬ wider. Es ist allerdings nicht der gewöhnliche Begriff der Aristokratie, die man ihnen meisthin zum Vorwurf macht, es ist eine demokratische Aristokratie, welche die Stufen unter sich wenig beachtet und eine große Gleich¬ heit unter sich eingeführt hat; aber ich würde lieber eine aristokratische Demokratie sehen. Ihre ernstlichen Annäherungen an eine allgemeine demokratische Civili¬ sation sind sehr träge, wenn man selbst die Absicht der Besten, welche die Charte vom 3. Mai entworfen, wenn man die Selbstständigkeit ihrer bisherigen Unter¬ jochungsperiode abrechnet. Es ist noch viel roh Asia¬ tisches an ihnen, aber ihre überwältigende Poesie der Vaterlandsliebe, dieses Käthchen von Heilbronn in ei¬ nem ganzen Volke, ist zauberhaft, ihr Kampf ist der reinste und edelste, der gefochten werden kann. Drum will ich hin, morgen schon, aus Folgendem. Ich kehre aus der Stadt zurück, finde weiblichen Besuch auf dem Schlosse, trete ins Zimmer: an der Hand Camilla's tritt mir Clara entgegen. Freude, Ueberraschung, Schrecken, Besorgniß pressen mir den Namen Clara aus — ich sehe den Blitzstrahl in die schlanke Palme Camilla zündend einschlagen. Das liebe Kind ward bleich, das Wasser schoß ihr in die Augen, aber sie lächelte wie ein Engel. Clara war sanft und lieb. Mein Entschluß war schnell gefaßt: ich kündigte ihnen meine morgende Abreise an. Die guten Wesen haben mich alle so lieb, daß jedes nun zu sehr mit sich beschäftigt war, als daß es auf die andern hätte Acht haben können. Einen Augenblick war ich durch einen Zufall, der die Andern auseinander sprengte, mit Clara allein. — „Willst Du mir nicht Morgen schenken, lieber Valer, ich will sonst weiter nichts von Dir.“ Die Rührung überwältigte mich, weinend fiel ich ihr um den Hals, sie bedeckte mein Gesicht mit ihren war¬ men Händen, küßte mich nur auf das Auge und sprach: „Du guter Junge — ich will nichts von Dir, als Dich einmal sehen.“ Ich wäre untröstlich, erführe dieser Engel meiner Poesie, daß ich noch Andre liebte und küßte. — Als Alberta zurückkam, eilte ich fort, um Camilla zu su¬ chen. Sie kam mir wie ein Kind sanftlächelnd ent¬ gegen, gab mir ihre Hand und fragte nur: „Sie ist es?“ — Sie ist's, antwortete ich und erregt in allen Fibern meiner Seele wollt' ich das liebenswürdigste Mädchen an mein Herz drücken. Sie hielt mir die Hand vor den Mund und sagte: „Bitte, bitte, nein — Du armer reicher Mann.“ — Willst Du mir meinen Reichthum lassen? — „Ob ich will?“ — Laß Clara nichts von unsrer Liebe ahnen. „Wie kannst Du bit¬ ten, was sich von selbst versteht; ich bin doch glücklich.„ Nun war ich ausgelassen lustig — Liebe, was bist du reich, und die ungeschickten Menschen machen dich so dürftig, weil sie egoistisch, jämmerlich egoistisch sind. Ich sagte Camilla, daß ich den andern Tag noch da bleiben würde. „Es ist recht schlimm, daß Du gehst, wir werden Alle vor Sehnsucht sterben.“ Es war ein seliger Tag, den ich von allen Sei¬ ten in Liebe gehüllt verlebte. Meine neuen Ideen, die Camilla zur Sprache brachte, weil sie unser Lebens¬ odem geworden sind, waren für Clara neu; meine al¬ ten, deren Clara erwähnte, waren's für Camilla, Al¬ berta flog wie ein Schmetterling zwischen uns. Ich habe einen Tag in Indien gelebt, wir haben unser Herzblut ausgetauscht. Allein konnt' ich, durft' ich mit keiner sein, allen Abschied verbat ich mir sogleich; wir saßen bis tief in die Nacht beisammen, nur den guten Grafen küßte ich im Vorsaale herzlich ab, nahm Reise¬ geld von ihm an, versprach zu schreiben und, wenn mich keine Kugel träfe, bald wieder zu kommen. Der liebe Mann weinte und segnete mich wie ein Vater. — Ich hatte mir mein Pferd satteln lassen, brachte meine lieben Zuhörerinnen in ein erhebendes Gespräch über ein weites reiches Leben nach dem Tode, über seinen Vorgeschmack, die Freiheit, und die Opfer, die wir ihr bringen müßten. — Der erhobene Mensch trägt alles Leid noch einmal so leicht; das Herz besitzt unglaub¬ liche Kräfte, man muß sie nur wecken. Wir glühten Alle von Begeisterung für das Edle und Große und die Mädchen wären alle mitgestorben, wenn es des Todes bedurft hätte. Da ging ich hinaus, setzte mich auf's Pferd, ritt unter das Fenster und rief. Sie öffneten hastig, in vollem Lichte standen sie beide, meines Herzens Arme. Alberta mußte zufällig eben das Zimmer verlassen haben. Der Mond schien auf mein thränen¬ weiches Gesicht. Ade, meine Liebe, sprach ich, in ei¬ ner freieren Welt wieder. Fort ritt ich, und sah nur noch, wie sich die lieben Mädchen in die Arme fielen. Taugt mein Dichten und Trachten nicht für diese ge¬ sellschaftliche Welt, so wird mich wohl eine russische Kugel treffen. Ade Teutschland, vielleicht seh' ich dich nie wieder. Kommst Du her, wie Du schreibst, so suche die Bekanntschaft der Fürstin, und sage ihr, wenn ich am Leben bliebe, würde ich ihr einst antworten. Sie hat mir einen wunderbar klugen Brief über William, Hyppolit, Leopold und alle diese betreffenden Verhältnisse geschrieben. Man darf sie nicht nach dem gewöhnli¬ chen Maaßstabe messen, sie ist ein merkwürdig Weib, die vielleicht durch allzuspitze Klugheit sich und andre verderbt. Ich schreibe Dir dies in Breslau — lebe wohl, ich reise. Halte Dein Herz munter, Freund, laß es nicht vertrocknen. 42. Der Oberst Kicki an den Grafen von Topf. Im März 1831. Ihrem Verlangen gemäß, sehr geehrter Herr, hab' ich mich nach Herrn Valerius überall erkundigen lassen, kann Ihnen aber leider nur einen unvollständigen trau¬ rig klingenden Bericht mittheilen. Die ihn umgebenden Reiter haben ihn bis Nachmittags ungefähr 2 Uhr tap¬ fer bei Grochow kämpfen sehen, nach dem großen Ka¬ vallerieangriff der Russen ist er vermißt worden. Noch weiß Niemand was ihm widerfahren, freilich ist es das Wahrscheinlichste, daß er gefallen, es waren der Tod¬ ten so viele, der Feind drang bis auf unsere Stellun¬ gen, es ist fast unmöglich, das Schicksal eines Einzel¬ nen zu ermitteln. Gestatten Sie mir, Herr Graf, die Versicherung vorzüglicher Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu sein ꝛc. ꝛc. —