Critik der practischen Vernunft von Immanuel Kant . Riga, bey Johann Friedrich Hartknoch 1788 . Vorrede . W arum diese Critik nicht eine Critik der reinen practischen, sondern schlechthin der practi- schen Vernunft uͤberhaupt betitelt wird, obgleich der Parallelism derselben mit der speculativen das erstere zu erfodern scheint, daruͤber giebt diese Abhandlung hinreichenden Aufschluß. Sie soll blos darthun, daß es reine practische Vernunft gebe, und critisirt in dieser Absicht ihr ganzes practisches Vermoͤgen. Wenn es ihr hiemit gelingt, so bedarf sie das reine Vermoͤgen selbst nicht zu critisiren, um zu sehen, ob sich die Vernunft mit einem solchen, als einer blo- ßen Anmaßung, nicht uͤbersteige (wie es wol mit der speculativen geschieht). Denn wenn sie, als rei- ne Vernunft, wirklich practisch ist, so beweiset sie ih- re und ihrer Begriffe Realitaͤt durch die That, und al- les Vernuͤnfteln wider die Moͤglichkeit, es zu seyn, ist vergeblich. A 2 Mit Vorrede . Mit diesem Vermoͤgen steht auch die transscen- dentale Freyheit nunmehro fest, und zwar in derjeni- gen absoluten Bedeutung genommen, worin die spe- culative Vernunft beym Gebrauche des Begriffs der Causalitaͤt sie bedurfte, um sich wider die Antinomie zu retten, darin sie unvermeidlich geraͤth, wenn sie in der Reihe der Causalverbindung sich das Unbeding- te denken will, welchen Begriff sie aber nur problema- tisch, als nicht unmoͤglich zu denken, aufstellen konn- te, ohne ihm seine objective Realitaͤt zu sichern, son- dern allein, um nicht durch vorgebliche Unmoͤglichkeit dessen, was sie doch wenigstens als denkbar gelten las- sen muß, in ihrem Wesen angefochten und in einen Abgrund des Scepticisms gestuͤrzt zu werden. Der Begriff der Freyheit, so fern dessen Reali- taͤt durch ein apodictisches Gesetz der practischen Ver- nunft bewiesen ist, macht nun den Schlußstein von dem ganzen Gebaͤude eines Systems der reinen, selbst der speculativen, Vernunft aus, und alle andere Be- griffe (die von Gott und Unsterblichkeit), welche, als bloße Ideen, in dieser ohne Haltung bleiben, schlie- ßen sich nun an ihn an, und bekommen mit ihm und durch ihn Bestand und objective Realitaͤt, d. i. die Moͤg- Vorrede . Moͤglichkeit derselben wird dadurch bewiesen , daß Freyheit wirklich ist; denn diese Idee offenbaret sich durchs moralische Gesetz. Freyheit ist aber auch die einzige unter allen Ideen der spec. Vernunft, wovon wir die Moͤglich- keit a priori wissen, ohne sie doch einzusehen, weil sie die Bedingung Damit man hier nicht Inconsequenzen anzutreffen waͤhne, wenn ich jetzt die Freyheit die Bedingung des moralischen Gesetzes nenne, und in der Abhandlung nach- her behaupte, daß das moralische Gesetz die Bedingung sey, unter der wir uns allererst der Freyheit bewußt werden koͤnnen, so will ich nur erinnern, daß die Frey- heit allerdings die ratio essendi des moralischen Gesetzes, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freyheit sey. Denn, waͤre nicht das moralische Gesetz in unserer Vernunft eher deutlich gedacht, so wuͤrden wir uns niemals berechtigt halten, so etwas, als Freyheit ist, (ob diese gleich sich nicht widerspricht) anzunehmen . Waͤre aber keine Freyheit, so wuͤrde das moralische Ge- setz n uns gar nicht anzutreffen seyn. des moralischen Gesetzes ist, welches wir wissen. Die Ideen von Gott und Unsterblich- keit sind aber nicht Bedingungen des moralischen Ge- setzes, sondern nur Bedingungen des nothwendigen A 3 Ob- Vorrede . Objects eines durch dieses Gesetz bestimmten Willens, d. i. des bloß practischen Gebrauchs unserer reinen Vernunft; also koͤnnen wir von jenen Ideen auch, ich will nicht bloß sagen, nicht die Wirklichkeit, sondern auch nicht einmal die Moͤglichkeit zu erkennen und einzusehen behaupten. Gleichwol aber sind sie die Bedingungen der Anwendung des moralisch bestimm- ten Willens auf sein ihm a priori gegebenes Object (das hoͤchste Gut). Folglich kann und muß ihre Moͤg- lichkeit in dieser practischen Beziehung angenommen werden, ohne sie doch theoretisch zu erkennen und ein- zusehen. Fuͤr die letztere Foderung ist in practischer Absicht genug, daß sie keine innere Unmoͤglichkeit (Widerspruch) enthalten. Hier ist nun ein, in Ver- gleichung mit der speculativen Vernunft, bloß sub- jectiver Grund des Fuͤrwahrhaltens, der doch einer eben so reinen, aber practischen Vernunft objectiv guͤltig ist, dadurch den Ideen von Gott und Unsterb- lichkeit vermittelst des Begriffs der Freyheit objective Realitaͤt und Befugniß, ja subjective Nothwendig- keit (Beduͤrfniß der reinen Vernunft) sie anzunehmen verschafft wird, ohne daß dadurch doch die Vernunft im theoretischen Erkenntnisse erweitert, sondern nur die Moͤglichkeit, die vorher nur Problem war, hier Asser- Vorrede . Assertion wird, gegeben, und so der practische Ge- brauch der Vernunft mit den Elementen des theoreti- schen verknuͤpft wird. Und dieses Beduͤrfniß ist nicht etwa ein hypothetisches, einer beliebigen Absicht der Speculation, daß man etwas annehmen muͤsse, wenn man zur Vollendung des Vernunftgebrauchs in der Speculation hinaufsteigen will, sondern ein gesetzli- ches, etwas anzunehmen, ohne welches nicht gesche- hen kann, was man sich zur Absicht seines Thuns und Lassens unnachlaßlich setzen soll. Es waͤre allerdings befriedigender fuͤr unsere speculative Vernunft, ohne diesen Umschweif jene Auf- gaben fuͤr sich aufzuloͤsen, und sie als Einsicht zum practischen Gebrauche aufzubewahren; allein es ist einmal mit unserem Vermoͤgen der Speculation nicht so gut bestellt. Diejenige, welche sich solcher hohen Erkenntnisse ruͤhmen, sollten damit nicht zuruͤckhal- ten, sondern sie oͤffentlich zur Pruͤfung und Hoch- schaͤtzung darstellen. Sie wollen beweisen; wohlan! so moͤgen sie denn beweisen, und die Critik legt ihnen, als Siegern, ihre ganze Ruͤstung zu Fuͤßen. Quid statis? Nolint. Atqui licet esse beatis. — Da sie al- so in der That nicht wollen, vermuthlich weil sie nicht A 4 koͤn- Vorrede . koͤnnen, so muͤssen wir jene doch nur wiederum zur Hand nehmen, um die Begriffe von Gott, Frey- heit und Unsterblichkeit, fuͤr welche die Speculation nicht hinreichende Gewaͤhrleistung ihrer Moͤglichkeit findet, in moralischem Gebrauche der Vernunft zu su- chen und auf demselben zu gruͤnden. Hier erklaͤrt sich auch allererst das Raͤthsel der Critik, wie man dem uͤbersinnlichen Gebrauche der Categorien in der Speculation objective Realitaͤt absprechen, und ihnen doch, in Ansehung der Objecte der reinen practischen Vernunft, diese Realitaͤt zuge- stehen koͤnne; denn vorher muß dieses nothwendig inconsequent aussehen, so lange man einen solchen practischen Gebrauch nur dem Namen nach kennt. Wird man aber jetzt durch eine vollstaͤndige Zergliede- rung der letzteren inne, daß gedachte Realitaͤt hier gar auf keine theoretische Bestimmung der Catego- rien und Erweiterung des Erkenntnisses zum Ueber- sinnlichen hinausgehe, sondern nur hiedurch gemey- net sey, daß ihnen in dieser Beziehung uͤberall ein Object zukomme; weil sie entweder in der nothwen- digen Willensbestimmung a priori enthalten, oder mit dem Gegenstande derselben unzertrennlich verbunden sind, Vorrede . sind, so verschwindet jene Inconsequenz; weil man einen andern Gebrauch von jenen Begriffen macht, als speculative Vernunft bedarf. Dagegen eroͤffnet sich nun eine vorher kaum zu erwartende und sehr befrie- digende Bestaͤtigung der consequenten Denkungs- art der speculativen Critik darin, daß, da diese die Gegenstaͤnde der Erfahrung, als solche, und darun- ter selbst unser eigenes Subject, nur fuͤr Erscheinun- gen gelten zu lassen, ihnen aber gleichwol Dinge an sich selbst zum Grunde zu legen, also nicht alles Ue- bersinnliche fuͤr Erdichtung und dessen Begriff fuͤr leer an Inhalt zu halten, einschaͤrfte: practische Vernunft jetzt fuͤr sich selbst, und ohne mit der speculativen Ver- abredung getroffen zu haben, einem uͤbersinnlichen Gegenstande der Categorie der Causalitaͤt, nemlich der Freyheit, Realitaͤt verschafft, (obgleich, als practi- schem Begriffe, auch nur zum practischen Gebrauche,) also dasjenige, was dort bloß gedacht werden konnte, durch ein Factum bestaͤtigt. Hiebey erhaͤlt nun zu- gleich die befremdliche, obzwar unstreitige, Behaup- tung der speculativen Critik, daß sogar das denkende Subject ihm selbst, in der inneren Anschauung, bloß Erscheinung sey, in der Critik der practischen Vernunft auch ihre volle Bestaͤtigung, so gut, daß A 5 man Vorrede . man auf sie kommen muß, wenn die erstere diesen Satz auch gar nicht bewiesen haͤtte Die Vereinigung der Causalitaͤt, als Freyheit, mit ihr, als Naturmechanism, davon die erste durchs Sittengesetz, die zweyte durchs Naturgesetz, und zwar in einem und demselben Subjecte, dem Menschen, fest steht, ist un- moͤglich, ohne diesen in Beziehung auf das erstere als Wesen an sich selbst, auf das zweyte aber als Erschei- nung, jenes im reinen, dieses im empirischen Bewußt- seyn, vorzustellen. Ohne dieses ist der Widerspruch der Vernunft mit sich selbst unvermeidlich. . Hiedurch verstehe ich auch, warum die erheblich- sten Einwuͤrfe wider die Critik, die mir bisher noch vorgekommen sind, sich gerade um diese zwey Angel drehen: nemlich einerseits, im theoretischen Erkennt- niß geleugnete und im practischen behauptete objective Realitaͤt der auf Noumenen angewandten Categorien, andererseits die paradoxe Foderung, sich als Sub- ject der Freyheit zum Noumen, zugleich aber auch in Absicht auf die Natur zum Phaͤnomen in seinem eigenen empirischen Bewußtseyn zu machen. Denn, so lange man sich noch keine bestimmte Begriffe von Sittlichkeit und Freyheit machte, konnte man nicht erra- Vorrede . errathen, was man einerseits der vorgeblichen Erschei- nung als Noumen zum Grunde legen wolle, und an- dererseits, ob es uͤberall auch moͤglich sey, sich noch von ihm einen Begriff zu machen, wenn man vorher alle Begriffe des reinen Verstandes im theoretischen Gebrauche schon ausschließungsweise den bloßen Er- scheinungen gewidmet haͤtte. Nur eine ausfuͤhrliche Critik der practischen Vernunft kann alle diese Miß- deutung heben, und die consequente Denkungsart, wel- che eben ihren groͤßten Vorzug ausmacht, in ein hel- les Licht setzen. So viel zur Rechtfertigung, warum in diesem Werke die Begriffe und Grundsaͤtze der reinen specu- lativen Vernunft, welche doch ihre besondere Critik schon erlitten haben, hier hin und wieder nochmals der Pruͤfung unterworfen werden, welches dem systema- tischen Gange einer zu errichtenden Wissenschaft sonst nicht wohl geziemet (da abgeurtheilte Sachen billig nur angefuͤhrt und nicht wiederum in Anregung ge- bracht werden muͤssen), doch hier erlaubt, ja noͤthig war; weil die Vernunft mit jenen Begriffen im Ue- bergange zu einem ganz anderen Gebrauche betrachtet wird, als den sie dort von ihnen machte. Ein sol- cher Vorrede . cher Uebergang macht aber eine Vergleichung des aͤl- teren mit dem neuern Gebrauche nothwendig, um das neue Gleis von dem vorigen wohl zu unterscheiden und zugleich den Zusammenhang derselben bemerken zu lassen. Man wird also Betrachtungen dieser Art, unter andern diejenige, welche nochmals auf den Be- griff der Freyheit, aber im practischen Gebrauche der reinen Vernunft, gerichtet worden, nicht wie Ein- schiebsel betrachten, die etwa nur dazu dienen sollen, um Luͤcken des critischen Systems der speculativen Ver- nunft auszufuͤllen (denn dieses ist in seiner Absicht voll- staͤndig), und, wie es bey einem uͤbereilten Baue her- zugehen pflegt, hintennach noch Stuͤtzen und Stre- bepfeiler anzubringen, sondern als wahre Glieder, die den Zusammenhang des Systems bemerklich machen, und Begriffe, die dort nur problematisch vorgestellt werden konnten, jetzt in ihrer realen Darstellung ein- sehen zu lassen. Diese Erinnerung geht vornehmlich den Begriff der Freyheit an, von dem man mit Be- fremdung bemerken muß, daß noch so viele ihn ganz wohl einzusehen und die Moͤglichkeit derselben erklaͤ- ren zu koͤnnen sich ruͤhmen, indem sie ihn bloß in psy- chologischer Beziehung betrachten, indessen daß, wenn sie ihn vorher in transscendentaler genau erwogen haͤt- ten, Vorrede . ten, sie so wohl seine Unentbehrlichkeit, als pro- blematischen Begriffs, in vollstaͤndigem Gebrauche der speculativen Vernunft, als auch die voͤllige Unbe- greiflichkeit desselben haͤtten erkennen, und, wenn sie nachher mit ihm zum practischen Gebrauche giengen, gerade auf die naͤmliche Bestimmung des letzteren in Ansehung seiner Grundsaͤtze von selbst haͤtten kommen muͤssen, zu welcher sie sich sonst so ungern verstehen wollen. Der Begriff der Freyheit ist der Stein des Anstoßes fuͤr alle Empiristen, aber auch der Schluͤs- sel zu den erhabensten practischen Grundsaͤtzen fuͤr cri- tische Moralisten, die dadurch einsehen, daß sie noth- wendig rational verfahren muͤssen. Um deswillen er- suche ich den Leser, das was zum Schlusse der Ana- lytik uͤber diesen Begriff gesagt wird, nicht mit fluͤch- tigem Auge zu uͤbersehen. Ob ein solches System, als hier von der reinen practischen Vernunft aus der Critik der letzteren ent- wickelt wird, viel oder wenig Muͤhe gemacht habe, um vornehmlich den rechten Gesichtspunct, aus dem das Ganze derselben richtig vorgezeichnet werden kann, nicht zu verfehlen, muß ich den Kennern einer der- gleichen Arbeit zu beurtheilen uͤberlassen. Es setzt zwar Vorrede . zwar die Grundlegung zur Metaphysik der Sit- ten voraus, aber nur in so fern, als diese mit dem Princip der Pflicht vorlaͤufige Bekanntschaft macht und eine bestimmte Formel derselben angiebt und recht- fertigt Ein Recensent, der etwas zum Tadel dieser Schrift sa- gen wollte, hat es besser getroffen, als er wol selbst ge- meynt haben mag, indem er sagt: daß darin kein neues Princip der Moralitaͤt, sondern nur eine neue Formel aufgestellet worden. Wer wollte aber auch einen neuen Grundsatz aller Sittlichkeit einfuͤhren, und diese gleichsam zuerst erfinden? gleich als ob vor ihm die Welt, in dem was Pflicht sey, unwissend, oder in durchgaͤngigem Irr- thume gewesen waͤre. Wer aber weiß, was dem Mathe- matiker eine Formel bedeutet, die das, was zu thun sey, um eine Aufgabe zu befolgen, ganz genau bestimmt und nicht verfehlen laͤßt, wird eine Formel, welche dieses in Ansehung aller Pflicht uͤberhaupt thut, nicht fuͤr etwas Unbedeutendes und Entbehrliches halten. ; sonst besteht es durch sich selbst. Daß die Eintheilung aller practischen Wissenschaften zur Vollstaͤndigkeit nicht mit beygefuͤgt worden, wie es die Critik der speculativen Vernunft leistete, dazu ist auch guͤltiger Grund in der Beschaffenheit dieses prac- tischen Vernunftvermoͤgens anzutreffen. Denn die besondere Bestimmung der Pflichten, als Menschen- pflich- Vorrede . pflichten, um sie einzutheilen, ist nur moͤglich, wenn vorher das Subject dieser Bestimmung (der Mensch), nach der Beschaffenheit, mit der er wirklich ist, ob- zwar nur so viel als in Beziehung auf Pflicht uͤberhaupt noͤthig ist, erkannt worden; diese aber gehoͤrt nicht in eine Critik der practischen Vernunft uͤber- haupt, die nur die Principien ihrer Moͤglichkeit, ihres Umfanges und Grenzen vollstaͤndig ohne besondere Beziehung auf die menschliche Natur an- geben soll. Die Eintheilung gehoͤrt also hier zum System der Wissenschaft, nicht zum System der Critik. Ich habe einem gewissen, wahrheitliebenden und scharfen, dabey also doch immer achtungswuͤrdigen Recensenten jener Grundlegung zur Met. d. S. auf seinen Einwurf, daß der Begriff des Guten dort nicht (wie es seiner Meynung nach noͤthig gewe- sen waͤre) vor dem moralischen Princip festgesetzt worden Man koͤnnte mir noch den Einwurf machen, warum ich nicht auch den Begriff des Begehrungsvermoͤgens , oder des Gefuͤhls der Lust vorher erklaͤrt habe; obgleich die- , in dem zweyten Hauptstuͤcke der Analytik, wie Vorrede . wie ich hoffe, Genuͤge gethan; eben so auch auf manche andere Einwuͤrfe Ruͤcksicht genommen, die mir dieser Vorwurf unbillig seyn wuͤrde, weil man diese Er- klaͤrung, als in der Psychologie gegeben, billig sollte vor- aussetzen koͤnnen. Es koͤnnte aber freylich die Definition daselbst so eingerichtet seyn, daß das Gefuͤhl der Lust der Bestimmung des Begehrungsvermoͤgens zum Grunde ge- legt wuͤrde (wie es auch wirklich gemeinhin so zu gesche- hen pflegt), dadurch aber das oberste Princip der practi- schen Philosophie nothwendig empirisch ausfallen muͤß- te, welches doch allererst auszumachen ist, und in dieser Critik gaͤnzlich widerlegt wird. Daher will ich diese Er- klaͤrung hier so geben, wie sie seyn muß, um diesen strei- tigen Punct, wie billig, im Anfange unentschieden zu lassen. — Leben ist das Vermoͤgen eines Wesens, nach Gesetzen des Begehrungsvermoͤgens zu handeln. Das Begehrungsvermoͤgen ist das Vermoͤgen des- selben, durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstaͤnde dieser Vorstellungen zu seyn. Lust ist die Vorstellung der Uebereinstim- mung des Gegenstandes oder der Handlung mit den subjectiven Bedingungen des Lebens , d. i. mit dem Vermoͤgen der Causalitaͤt einer Vorstellung in Ansehung der Wirklichkeit ihres Objects (oder der Bestimmung der Kraͤfte des Subjects zur Handlung es hervorzubringen). Mehr brauche ich nicht zum Behuf der Critik von Begriffen, die aus der Psychologie ent- lehnt werden, das uͤbrige leistet die Critik selbst. Man wird Vorrede . mir von Maͤnnern zu Haͤnden gekommen sind, die den Willen blicken lassen, daß die Wahrheit auszu- mitteln ihnen am Herzen liegt, (denn die, so nur ihr al- wird leicht gewahr, daß die Frage, ob die Lust dem Be- gehrungsvermoͤgen jederzeit zum Grunde gelegt werden muͤsse, oder ob sie auch unter gewissen Bedingungen nur auf die Bestimmung desselben folge, durch diese Erklaͤ- rung unentschieden bleibt; denn sie ist aus lauter Merk- malen des reinen Verstandes d. i. Categorien zusammen- gesetzt, die nichts Empirisches enthalten. Eine solche Behutsamkeit ist in der ganzen Philosophie sehr empfeh- lungswuͤrdig, und wird dennoch oft verabsaͤumt, nemlich seinen Urtheilen vor der vollstaͤndigen Zergliederung des Begriffs, die oft nur sehr spaͤt erreicht wird, durch ge- wagte Definition nicht vorzugreifen. Man wird auch durch den ganzen Lauf der Critik (der theoretischen sowohl als practischen Vernunft) bemerken, daß sich in demsel- ben mannigfaltige Veranlassung vorfinde, manche Maͤn- gel im alten dogmatischen Gange der Philosophie zu er- gaͤnzen, und Fehler abzuaͤndern, die nicht eher bemerkt werden, als wenn man von Begriffen einen Gebrauch der Vernunft macht, der aufs Ganze derselben geht . Kants Crit. d. pract. Vern. B Vorrede . altes System vor Augen haben, und bey denen schon vorher beschlossen ist, was gebilligt oder mißbilligt wer- den soll, verlangen doch keine Eroͤrterung, die ihrer Privatabsicht im Wege seyn koͤnnte;) und so werde ich es auch fernerhin halten. Wenn es um die Bestimmung eines besonde- ren Vermoͤgens der menschlichen Seele, nach seinen Quellen, Inhalte und Grenzen zu thun ist, so kann man zwar, nach der Natur des menschlichen Erkennt- nisses, nicht anders als von den Theilen derselben, ihrer genauen und (so viel als nach der jetzigen Lage unserer schon erworbenen Elemente derselben moͤglich ist) vollstaͤndigen Darstellung anfangen. Aber es ist noch eine zweyte Aufmerksamkeit, die mehr philo- sophisch und architectonisch ist; nemlich, die Idee des Ganzen richtig zu fassen, und aus derselben alle jene Theile in ihrer wechselseitigen Beziehung auf ein- ander, vermittelst der Ableitung derselben von dem Begriffe jenes Ganzen, in einem reinen Vernunftver- moͤgen ins Auge zu fassen. Diese Pruͤfung und Ge- waͤhr- Vorrede . waͤhrleistung ist nur durch die innigste Bekanntschaft mit dem System moͤglich, und die, welche in Ansehung der ersteren Nachforschung verdrossen gewesen, also diese Bekanntschaft zu erwerben nicht der Muͤhe werth geachtet haben, gelangen nicht zur zweyten Stufe, nemlich der Uebersicht, welche eine syntheti- sche Wiederkehr zu demjenigen ist, was vorher ana- lytisch gegeben worden, und es ist kein Wunder, wenn sie allerwerts Inconsequenzen finden, obgleich die Luͤcken, die diese vermuthen lassen, nicht im System selbst, sondern blos in ihrem eigenen unzusammenhaͤn- genden Gedankengange anzutreffen sind. Ich besorge in Ansehung dieser Abhandlung nichts von dem Vorwurfe, eine neue Sprache einfuͤhren zu wollen, weil die Erkenntnißart sich hier von selbst der Popularitaͤt naͤhert. Dieser Vorwurf konnte auch niemanden in Ansehung der ersteren Critik bey- fallen, der sie nicht blos durchgeblaͤttert, sondern durchgedacht hatte. Neue Worte zu kuͤnsteln, wo die Sprache schon so an Ausdruͤcken fuͤr gegebene Be- B 2 grif- Vorrede . griffe keinen Mangel hat, ist eine kindische Bemuͤhung, sich unter der Menge, wenn nicht durch neue und wahre Gedanken, doch durch einen neuen Lappen auf dem alten Kleide auszuzeichnen. Wenn daher die Leser jener Schrift populaͤrere Ausdruͤcke wissen, die doch dem Gedanken eben so angemessen seyn, als mir jene zu seyn scheinen, oder etwa die Nichtigkeit dieser Gedanken selbst, mithin zugleich jedes Ausdrucks, der ihn bezeichnet, darzuthun sich getrauen; so wuͤrden sie mich durch das erstere sehr verbinden, denn ich will nur verstanden seyn; in Ansehung des zweyten aber sich ein Verdienst um die Philosophie erwerben. So lan- ge aber jene Gedanken noch stehen, zweifele ich sehr, daß ihnen angemessene und doch gangbarere Aus- druͤcke dazu aufgefunden werden duͤrften. Mehr (als jene Unverstaͤndlichkeit) besorge ich hier hin und wieder Misdeutung in Ansehung einiger Ausdruͤcke, die ich mit groͤßter Sorgfalt aussuchte, um den Begriff nicht verfehlen zu lassen, darauf sie weisen. So hat in der Tafel der Categorien der practischen Vernunft, in dem Titel der Modalitaͤt, das Erlaubte und Unerlaub- te Auf Vorrede . Auf diese Weise waͤren denn nunmehr die Prin- cipien a priori zweyer Vermoͤgen des Gemuͤths, des B 3 Er- te (practisch-objectiv Moͤgliche und Unmoͤgliche) mit der naͤchstfolgenden Categorie der Pflicht und des Pflicht- widrigen im gemeinen Sprachgebrauche beynahe einer- ley Sinn; hier aber soll das erstere dasjenige bedeuten, was mit einer blos moͤglichen practischen Vorschrift in Einstimmung oder Widerstreit ist (wie etwa die Aufloͤ- sung aller Probleme der Geometrie und Mechanik), das zweyte, was in solcher Beziehung auf ein in der Ver- nunft uͤberhaupt wirklich liegendes Gesetz steht; und dieser Unterschied der Bedeutung ist auch dem gemeinen Sprachgebrauche nicht ganz fremd, wenn gleich etwas ungewoͤhnlich. So ist es z. B. einem Redner, als sol- chem, unerlaubt, neue Worte oder Wortfuͤgungen zu schmieden; dem Dichter ist es in gewissem Maaße er- laubt; in keinem von beiden wird hier an Pflicht gedacht. Denn wer sich um den Ruf eines Redners bringen will, dem kann es niemand wehren. Es ist hier nur um den Unterschied der Imperativen unter problematischem, assertorischen und apodictischen Bestimmungsgrunde, zu thun. Eben so habe ich in derjenigen Note, wo ich die moralischen Ideen practischer Vollkommenheit in ver- schie- Vorrede . Erkenntniß- und Begehrungsvermoͤgens ausgemittelt, und, nach den Bedingungen, dem Umfange und Gren- schiedenen philosophischen Schulen gegen einander stellete, die Idee der Weisheit von der der Heiligkeit unterschieden, ob ich sie gleich selbst im Grunde und objectiv fuͤr einerley erklaͤret habe. Allein ich verstehe an diesem Orte darun- ter nur diejenige Weisheit, die sich der Mensch (der Stoi- ker) anmaaßt, also subjectiv als Eigenschaft dem Men- schen angedichtet. (Vielleicht koͤnnte der Ausdruck Tu- gend , womit der Stoiker auch großen Staat trieb, bes- ser das Characteristische seiner Schule bezeichnen.) Aber der Ausdruck eines Postulats der r. pr. Vern. konnte noch am meisten Misdeutung veranlassen, wenn man da- mit die Bedeutung vermengete, welche die Postulate der reinen Mathematik haben, und welche apodictische Ge- wißheit bey sich fuͤhren. Aber diese postuliren die Moͤg- lichkeit einer Handlung , deren Gegenstand man a priori theoretisch mit voͤlliger Gewißheit als moͤglich voraus erkannt hat. Jenes aber postulirt die Moͤglich- keit eines Gegenstandes (Gottes und der Unsterblichkeit der Seele) selbst aus apodictischen practischen Gesetzen, also nur zum Behuf einer practischen Vernunft; da denn diese Gewißheit der postulirten Moͤglichkeit gar nicht theo- Vorrede . Grenzen ihres Gebrauchs, bestimmt, hiedurch aber zu einer systematischen, theoretischen so wohl als prac- tischen Philosophie, als Wissenschaft, sicherer Grund gelegt. Was Schlimmeres koͤnnte aber diesen Bemuͤhun- gen wol nicht begegnen, als wenn jemand die uner- wartete Entdeckung machte, daß es uͤberall gar kein Erkenntniß a priori gebe, noch geben koͤnne. Allein es hat hiemit keine Noth. Es waͤre eben so viel, als ob jemand durch Vernunft beweisen wollte, daß es keine Vernunft gebe. Denn wir sagen nur, daß wir etwas durch Vernunft erkennen, wenn wir uns be- wußt sind, daß wir es auch haͤtten wissen koͤnnen, wenn es uns auch nicht so in der Erfahrung vorgekom- B 4 men theoretisch, mithin auch nicht apodictisch, d. i. in Anse- hung des Objects erkannte Nothwendigkeit, sondern in Ansehung des Subjects, zu Befolgung ihrer objectiven, aber practischen Gesetze nothwendige Annehmung, mithin blos nothwendige Hypothesis ist. Ich wußte fuͤr diese subjective, aber doch wahre und unbedingte Vernunftnoth- wendigkeit keinen besseren Ausdruck auszufinden. Vorrede . men waͤre; mithin ist Vernunfterkenntniß und Er- kenntniß a priori einerley. Aus einem Erfahrungs- satze Nothwendigkeit ( ex pumice aquam ) auspressen wollen, mit dieser auch wahre Allgemeinheit (ohne welche kein Vernunftschluß, mithin auch nicht der Schluß aus der Analogie, welche eine wenigstens praͤ- sumirte Allgemeinheit und objective Nothwendigkeit ist, und diese also doch immer voraussetzt,) einem Ur- theile verschaffen wollen, ist gerader Widerspruch. Subjective Nothwendigkeit, d. i. Gewohnheit, statt der objectiven, die nur in Urtheilen a priori stattfindet, unterschieben, heißt der Vernunft das Vermoͤgen ab- sprechen, uͤber den Gegenstand zu urtheilen, d. i. ihn, und was ihm zukomme, zu erkennen, und z. B. von dem, was oͤfters und immer auf einen gewissen vor- hergehenden Zustand folgte, nicht sagen, daß man aus diesem auf jenes schließen koͤnne (denn das wuͤr- de objective Nothwendigkeit und Begriff von einer Ver- bindung a priori bedeuten), sondern nur aͤhnliche Faͤlle (mit den Thieren auf aͤhnliche Art) erwarten duͤrfe, d. i. den Begriff der Ursache im Grunde als falsch und blo- Vorrede . bloßen Gedankenbetrug verwerfen. Diesem Mangel der objectiven und daraus folgenden allgemeinen Guͤl- tigkeit dadurch abhelfen wollen, daß man doch keinen Grund saͤhe, andern vernuͤnftigen Wesen eine andere Vorstellungsart beyzulegen, wenn das einen guͤltigen Schluß abgaͤbe, so wuͤrde uns unsere Unwissenheit mehr Dienste zu Erweiterung unserer Erkenntniß lei- sten, als alles Nachdenken. Denn blos deswegen, weil wir andere vernuͤnftige Wesen außer dem Men- schen nicht kennen, wuͤrden wir ein Recht haben, sie als so beschaffen anzunehmen, wie wir uns erkennen, d. i. wir wuͤrden sie wirklich kennen. Ich erwaͤhne hier nicht einmal, daß nicht die Allgemeinheit des Fuͤr- wahrhaltens die objective Guͤltigkeit eines Urtheils (d. i. die Guͤltigkeit desselben als Erkenntnisses) be- weise, sondern, wenn jene auch zufaͤlliger Weise zutraͤ- fe, dieses doch noch nicht einen Beweis der Uebereinstim- mung mit dem Object abgeben koͤnne; vielmehr die ob- jective Guͤltigkeit allein den Grund einer nothwendigen allgemeinen Einstimmung ausmache. B 5 Hume Vorrede . Hume wuͤrde sich bey diesem System des all- gemeinen Empirisms in Grundsaͤtzen auch sehr wohl befinden; denn er verlangte, wie bekannt, nichts mehr, als daß, statt aller objectiven Bedeutung der Nothwendigkeit im Begriffe der Ursache, eine blos subjective, nemlich Gewohnheit, angenommen werde, um der Vernunft alles Urtheil uͤber Gott, Freyheit und Unsterblichkeit abzusprechen; und er verstand sich gewiß sehr gut darauf, um, wenn man ihm nur die Principien zugestand, Schluͤsse mit aller logischen Buͤndigkeit daraus zu folgern. Aber so allgemein hat selbst Hume den Empirism nicht gemacht, um auch die Mathematik darin einzuschließen. Er hielt ihre Saͤtze fuͤr analytisch, und, wenn das seine Richtig- keit haͤtte, wuͤrden sie in der That auch apodictisch seyn, gleichwol aber daraus kein Schluß auf ein Ver- moͤgen der Vernunft, auch in der Philosophie apodictische Urtheile, nemlich solche, die synthetisch waͤren, (wie der Satz der Causalitaͤt,) zu faͤllen, gezogen werden koͤnnen. Naͤhme man aber den Empirism der Principien allge- mein an, so waͤre auch Mathematik damit eingeflochten. Wenn Vorrede . Wenn nun diese mit der Vernunft, die blos em- pirische Grundsaͤtze zulaͤßt, in Widerstreit geraͤth, wie dieses in der Antinomie, da Mathematik die unend- liche Theilbarkeit des Raumes unwidersprechlich be- weiset, der Empirism aber sie nicht verstatten kann, unvermeidlich ist: so ist die groͤßte moͤgliche Evidenz der Demonstration, mit den vorgeblichen Schluͤssen aus Erfahrungsprincipien, in offenbarem Wider- spruch, und nun muß man, wie der Blinde des Che- selden fragen: was betruͤgt mich, das Gesicht oder Gefuͤhl? (denn der Empirism gruͤndet sich auf einer gefuͤhlten , der Rationalism aber auf einer eingesehe- nen Nothwendigkeit.) Und so offenbaret sich der all- gemeine Empirism als den aͤchten Scepticism , den man dem Hume faͤlschlich in so unbeschraͤnkter Be- deutung beylegte Namen, welche einen Sectenanhang bezeichnen, ha- ben zu aller Zeit viel Rechtsverdrehung bey sich gefuͤhrt; ungefehr so, als wenn jemand sagte: N. ist ein Idea- list . Denn, ob er gleich, durchaus, nicht allein einraͤumt, sondern darauf dringt, daß unseren Vorstellungen aͤuße- rer , da er wenigstens einen sicheren Pro- Vorrede . Probirstein der Erfahrung an der Mathematik uͤbrig ließ, statt daß jener schlechterdings keinen Probirstein derselben (der immer nur in Principien a priori ange- troffen werden kann) verstattet, obzwar diese doch nicht aus bloßen Gefuͤhlen, sondern auch aus Urthei- len besteht. Doch, da es in diesem philosophischen und cri- tischen Zeitalter schwerlich mit jenem Empirism Ernst seyn kann, und er vermuthlich nur zur Uebung der Ur- theilskraft, und um durch den Contrast die Nothwen- digkeit rationaler Principien a priori in ein helleres Licht zu setzen, aufgestellet wird: so kann man es denen doch Dank wissen, die sich mit dieser sonst eben nicht be- lehrenden Arbeit bemuͤhen wollen. rer Dinge wirkliche Gegenstaͤnde aͤußerer Dinge corre- spondiren, so will er doch, daß die Form der Anschauung derselben nicht ihnen, sondern nur dem menschlichen Ge- muͤthe anhaͤnge. Ein- Einleitung. Von der Idee einer Critik der praktischen Vernunft . D er theoretische Gebrauch der Vernunft beschaͤff- tigte sich mit Gegenstaͤnden des bloßen Er- kenntnißvermoͤgens, und eine Critik derselben, in Ab- sicht auf diesen Gebrauch, betraf eigentlich nur das reine Erkenntnißvermoͤgen, weil dieses Verdacht er- regte, der sich auch hernach bestaͤttigte, daß es sich leicht- lich uͤber seine Grenzen, unter unerreichbare Ge- genstaͤnde, oder gar einander widerstreitende Be- griffe, verloͤhre. Mit dem practischen Gebrauche der Vernunft verhaͤlt es sich schon anders. In diesem be- schaͤfftigt sich die Vernunft mit Bestimmungsgruͤnden des Willens, welcher ein Vermoͤgen ist, den Vor- stellungen entsprechende Gegenstaͤnde entweder hervor- zubringen, oder doch sich selbst zu Bewirkung dersel- ben (das physische Vermoͤgen mag nun hinreichend seyn, oder Einleitung von der Idee oder nicht) d. i. seine Causalitaͤt zu bestimmen. Denn da kann wenigstens die Vernunft zur Willensbestim- mung zulangen, und hat so fern immer objective Rea- litaͤt, als es nur auf das Wollen ankommt. Hier ist also die erste Frage: ob reine Vernunft zur Be- stimmung des Willens fuͤr sich allein zulange, oder ob sie nur als empirisch-bedingte ein Bestimmungs- grund derselben seyn koͤnne. Nun tritt hier ein durch die Critik der reinen Vernunft gerechtfertigter, ob- zwar keiner empirischen Darstellung faͤhiger Begriff der Causalitaͤt, nemlich der der Freyheit , ein, und wenn wir anjetzt Gruͤnde ausfindig machen koͤnnen, zu bewei- sen, daß diese Eigenschaft dem menschlichen Willen (und so auch dem Willen aller vernuͤnftigen Wesen) in der That zukomme, so wird dadurch nicht allein dargethan, daß reine Vernunft practisch seyn koͤnne, sondern daß sie allein, und nicht die empirisch-be- schraͤnkte, unbedingterweise practisch sey. Folglich werden wir nicht eine Critik der reinen practischen , sondern nur der practischen Vernunft uͤberhaupt, zu bearbeiten haben. Denn reine Vernunft, wenn al- lererst dargethan worden, daß es eine solche gebe, be- darf keiner Critik. Sie ist es, welche selbst die Richt- schnur zur Critik alles ihres Gebrauchs enthaͤlt. Die Cri- einer Critik d. practischen Vernunft. Critik der practischen Vernunft uͤberhaupt hat also die Obliegenheit, die empirisch bedingte Vernunft von der Anmaßung abzuhalten, ausschließungsweise den Bestimmungsgrund des Willens allein abgeben zu wollen. Der Gebrauch der reinen Vernunft, wenn, daß es eine solche gebe, ausgemacht ist, ist allein im- manent; der empirisch-bedingte, der sich die Allein- herrschaft anmaßt, ist dagegen transscendent, und aͤußert sich in Zumuthungen und Geboten, die ganz uͤber ihr Gebiet hinausgehen, welches gerade das um- gekehrte Verhaͤltniß von dem ist, was von der reinen Vernunft im speculativen Gebrauche gesagt werden konnte. Indessen, da es immer noch reine Vernunft ist, deren Erkenntniß hier dem practischen Gebrauche zum Grunde liegt, so wird doch die Eintheilung einer Cri- tik der practischen Vernunft, dem allgemeinen Abrisse nach, der der speculativen gemaͤß angeordnet werden muͤssen. Wir werden also eine Elementarlehre und Methodenlehre derselben, in jener, als dem ersten Theile, eine Analytik , als Regel der Wahrheit, und eine Dialectik , als Darstellung und Aufloͤsung des Scheins in Urtheilen der practischen Vernunft haben muͤssen. Allein die Ordnung in der Unterabtheilung der Einleitung von der Idee einer Critik etc. der Analytik wird wiederum das Umgewandte von der in der Critik der reinen speculativen Vernunft seyn. Denn in der gegenwaͤrtigen werden wir von Grund- saͤtzen anfangend zu Begriffen und von diesen aller- erst, wo moͤglich, zu den Sinnen gehen; da wir hin- gegen bei der speculativen Vernunft von den Sinnen anfingen, und bey den Grundsaͤtzen endigen mußten. Hievon liegt der Grund nun wiederum darin: daß wir es jetzt mit einem Willen zu thun haben, und die Vernunft nicht im Verhaͤltniß auf Gegenstaͤnde, son- den auf diesen Willen und dessen Causalitaͤt zu erwaͤ- gen haben, da denn die Grundsaͤtze der empirisch un- bedingten Causalitaͤt den Anfang machen muͤssen, nach welchem der Versuch gemacht werden kann, un- sere Begriffe von dem Bestimmungsgrunde eines sol- chen Willens, ihrer Anwendung auf Gegenstaͤnde, zuletzt auf das Subject und dessen Sinnlichkeit, aller- erst festzusetzen. Das Gesetz der Causalitaͤt aus Freyheit, d. i. irgend ein reiner practischer Grundsatz, macht hier unvermeidlich den Anfang, und bestimmt die Gegenstaͤnde, worauf er allein bezogen werden kann. Der Der Critik der practischen Vernunft Erster Theil. Elementarlehre der reinen practischen Vernunft. Kants Crit. d. pract. Vern. C Erstes Buch. Die Analytik der reinen practischen Vernunft . Erstes Hauptstuͤck. Von den Grundsaͤtzen der reinen practischen Vernunft . §. 1. Erklaͤrung . P ractische Grundsaͤtze sind Saͤtze, welche eine allge- meine Bestimmung des Willens enthalten, die mehrere practische Regeln unter sich hat. Sie sind subjectiv, oder Maximen , wenn die Bedingung nur als fuͤr den Willen des Subjects guͤltig von ihm ange- sehen wird; objectiv aber, oder practische Gesetze , wenn jene als objectiv d. i. fuͤr den Willen jedes ver- nuͤnftigen Wesens guͤltig erkannt wird. Anmerkung . Wenn man annimmt, daß reine Vernunft einen practisch d. i. zur Willensbestimmung hinreichenden Grund in sich ent- C 2 halten I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen halten koͤnne, so giebt es practische Gesetze; wo aber nicht, so werden alle practische Grundsaͤtze bloße Maximen seyn. In einem pathologisch-afficirten Willen eines vernuͤnftigen Wesens kann ein Widerstreit der Maximen, wider die von ihm selbst erkannte practische Gesetze, angetroffen werden. Z. B. es kann sich jemand zur Maxime machen, keine Beleidigung un- geraͤchet zu erdulden, und doch zugleich einsehen, daß dieses kein practisches Gesetz, sondern nur seine Maxime sey, dagegen, als Regel fuͤr den Willen eines jeden vernuͤnftigen Wesens, in einer und derselben Maxime, mit sich selbst nicht zusammen stimmen koͤnne. In der Naturerkenntniß sind die Principien dessen, was geschieht, (z. B. das Princip der Gleichheit der Wirkung uud Gegenwirkung in der Mittheilung der Bewe- gung) zugleich Gesetze der Natur; denn der Gebrauch der Vernunft ist dort theoretisch und durch die Beschaffenheit des Objects bestimmt. In der practischen Erkenntniß, d. i. der- jenigen, welche es blos mit Bestimmungsgruͤnden des Willens zu thun hat, sind Grundsaͤtze, die man sich macht, darum noch nicht Gesetze, darunter man unvermeidlich stehe, weil die Vernunft im Practischen es mit dem Subjecte zu thun hat, nemlich dem Begehrungsvermoͤgen, nach dessen besonde- rer Beschaffenheit sich die Regel vielfaͤltig richten kann. — Die practische Regel ist jederzeit ein Product der Vernunft, weil sie Handlung, als Mittel zur Wirkung, als Absicht vor- schreibt. Diese Regel ist aber fuͤr ein Wesen, bey dem Ver- nunft nicht ganz allein Bestimmungsgrund des Willens ist, ein Imperativ , d. i. eine Regel, die durch ein Sollen, welches die objective Noͤthigung der Handlung ausdruͤckt, bezeichnet wird, und bedeutet, daß, wenn die Vernunft den Willen gaͤnzlich bestimmete, die Handlung unausbleiblich nach dieser Regel geschehen wuͤrde. Die Imperativen gelten also objectiv, und der reinen practischen Vernunft. und sind von Maximen, als subjectiven Grundsaͤtzen, gaͤnzlich unterschieden. Jene bestimmen aber entweder die Bedingun- gen der Causalitaͤt des vernuͤnftigen Wesens, als wirkender Ursache, blos in Ansehung der Wirkung und Zulaͤnglichkeit zu derselben, oder sie bestimmen nur den Willen, er mag zur Wirkung hinreichend seyn oder nicht. Die erstere wuͤrden hypothetische Imperativen seyn, und bloße Vorschriften der Geschicklichkeit enthalten; die zweyten wuͤrden dagegen catego- risch und allein practische Gesetze seyn. Maximen sind also zwar Grundsaͤtze , aber nicht Imperativen . Die Impera- tiven selber aber, wenn sie bedingt sind, d. i. nicht den Wil- len schlechthin als Willen, sondern nur in Ansehung einer be- gehrten Wirkung bestimmen, d. i. hypothetische Imperativen sind, sind zwar practische Vorschriften , aber keine Gesetze . Die letztern muͤssen den Willen als Willen, noch ehe ich frage, ob ich gar das zu einer begehrten Wirkung erforderliche Vermoͤ- gen habe, oder was mir, um diese hervorzubringen, zu thun sey, hinreichend bestimmen, mithin categorisch seyn, sonst sind es keine Gesetze; weil ihnen die Nothwendigkeit fehlt, welche, wenn sie practisch seyn soll, von pathologischen, mithin dem Willen zufaͤllig anklebenden Bedingungen, unabhaͤngig seyn muß. Saget jemanden, z. B. daß er in der Jugend arbeiten und sparen muͤsse, um im Alter nicht zu darben: so ist die- ses eine richtige und zugleich wichtige practische Vorschrift des Willens. Man sieht aber leicht, daß der Wille hier auf etwas Anderes verwiesen werde, wovon man voraussetzt, daß er es begehre, und dieses Begehren muß man ihm, dem Thaͤter selbst, uͤberlassen, ob er noch andere Huͤlfsquellen, außer seinem selbst erworbenen Vermoͤgen, vorhersehe, oder ob er gar nicht hoffe alt zu werden, oder sich denkt im Falle der Noth dereinst schlecht behelfen zu koͤnnen. Die Vernunft, aus der allein C 3 alle I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen alle Negel, die Nothwendigkeit enthalten soll, entspringen kann, legt in diese ihre Vorschrift zwar auch Nothwendigkeit, (denn ohne das waͤre sie kein Imperativ,) aber diese ist nur subjectiv bedingt, und man kann sie nicht in allen Subjecten in gleichem Grade voraussetzen. Zu ihrer Gesetzgebung aber wird erfodert, daß sie blos sich selbst vorauszusetzen beduͤrfe, weil die Regel nur alsdenn objectiv und allgemein guͤltig ist, wenn sie ohne zufaͤllige, subjective Bedingungen gilt, die ein vernuͤnftig Wesen von dem anderen unterscheiden. Nun sagt jemanden: er solle niemals luͤgenhaft versprechen, so ist dies eine Regel, die blos seinen Willen betrift; die Absichten, die der Mensch haben mag, moͤgen durch denselben erreicht werden koͤnnen, oder nicht; das bloße Wollen ist das, was durch jene Regel voͤllig a priori bestimmt werden soll. Findet sich nun, daß diese Regel practisch richtig sey, so ist sie ein Gesetz, weil sie ein categorischer Imperativ ist. Also beziehen sich practische Gesetze allein auf den Willen, unangesehen des- sen, was durch die Causalitaͤt desselben ausgerichtet wird, und man kann von der letztern (als zur Sinnenwelt gehoͤrig) ab- strahiren, um sie rein zu haben. §. 2. Lehrsatz I. Alle practische Principien, die ein Object (Ma- terie) des Begehrungsvermoͤgens, als Bestimmungs- grund des Willens, voraussetzen, sind insgesamt em- pirisch und koͤnnen keine practische Gesetze abgeben. Ich verstehe unter der Materie des Begehrungs- vermoͤgens einen Gegenstand, dessen Wirklichkeit begeh- ret wird. Wenn die Begierde nach diesem Gegenstande nun der reinen practischen Vernunft. nun vor der practischen Regel vorhergeht, und die Be- dingung ist, sie sich zum Princip machen, so sage ich ( erstlich ): dieses Princip ist alsdenn jederzeit empirisch. Denn der Bestimmungsgrund der Willkuͤhr ist alsdenn die Vorstellung eines Objects, und dasjenige Verhaͤlt- niß derselben zum Subject, wodurch das Begehrungs- vermoͤgen zur Wirklichmachung desselben bestimmt wird. Ein solches Berhaͤltniß aber zum Subject heißt die Lust an der Wirklichkeit eines Gegenstandes. Also muͤßte diese als Bedingung der Moͤglichkeit der Bestimmung der Willkuͤhr vorausgesetzt werden. Es kann aber von keiner Vorstellung irgend eines Gegenstandes, welche sie auch sey, a priori erkannt werden, ob sie mit Lust oder Unlust verbunden, oder indifferent seyn werde. Also muß in solchem Falle der Bestimmungsgrund der Willkuͤhr jederzeit empirisch seyn, mithin auch das practische materiale Princip, welches ihn als Bedin- gung voraussetzte. Da nun ( zweytens ) ein Prineip, das sich nur auf die subjective Bedingung der Empfaͤnglichkeit einer Lust oder Unlust, (die jederzeit nur empirisch erkannt, und nicht fuͤr alle vernuͤnftige Wesen in gleicher Art guͤltig seyn kann,) gruͤndet, zwar wol fuͤr das Sub- ject, das sie besitzt, zu ihrer Maxime, aber auch fuͤr diese selbst (weil es ihm an objectiver Nothwendigkeit, die a priori erkannt werden muß, mangelt) nicht zum C 4 Gesetze I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen Gesetze dienen kann, so kann ein solches Princip nie- mals ein practisches Gesetz abgeben. §. 3. Lehrsatz II. Alle materiale practische Principien sind, als sol- che, insgesamt von einer und derselben Art, und ge- hoͤren unter das allgemeine Princip der Selbstliebe, oder eigenen Gluͤckseligkeit. Die Lust aus der Vorstellung der Existenz einer Sache, so fern sie ein Bestimmungsgrund des Begeh- rens dieser Sache seyn soll, gruͤndet sich auf der Em- pfaͤnglichkeit des Subjects, weil sie von dem Daseyn eines Gegenstandes abhaͤngt ; mithin gehoͤrt sie dem Sinne (Gefuͤhl) und nicht dem Verstande an, der eine Beziehung der Vorstellung auf ein Object , nach Be- griffen, aber nicht auf das Subject, nach Gefuͤhlen, ausdruͤckt. Sie ist also nur so fern practisch, als die Empfindung der Annehmlichkeit, die das Subject von der Wirklichkeit des Gegenstandes erwartet, das Begehrungsvermoͤgen bestimmt. Nun ist aber das Be- wußtseyn eines vernuͤnftigen Wesens von der Annehm- lichkeit des Lebens, die ununterbrochen sein ganzes Da- seyn begleitet, die Gluͤckseligkeit , und das Princip, diese sich zum hoͤchsten Bestimmungsgrunde der Willkuͤhr zu machen, das Princip der Selbstliebe. Also sind alle materiale Principien, die den Bestimmungsgrund der Will- der reinen practischen Vernunft. Willkuͤhr in der, aus irgend eines Gegenstandes Wirk- lichkeit zu empfindenden, Lust oder Unlust setzen, so fern gaͤnzlich von einerley Art , daß sie insgesamt zum Prin- cip der Selbstliebe, oder eigenen Gluͤckseligkeit gehoͤren. Folgerung . Alle materiale practische Regeln setzen den Be- stimmungsgrund des Willens im unteren Begehrungs- vermoͤgen , und, gaͤbe es gar keine blos formale Ge- setze desselben, die den Willen hinreichend bestimmeten, so wuͤrde auch kein oberes Begehrungsvermoͤgen ein- geraͤumt werden koͤnnen. Anmerkung I. Man muß sich wundern, wie sonst scharfsinnige Maͤnner einen Unterschied zwischen dem unteren und oberen Begeh- rungsvermoͤgen darin zu finden glauben koͤnnen, ob die Vorstellungen , die mit dem Gefuͤhl der Lust verbunden sind, in den Sinnen , oder dem Verstande ihren Ursprung haben. Denn es kommt, wenn man nach den Bestimmungs- gruͤnden des Begehrens fraͤgt und sie in einer von irgend et- was erwarteten Annehmlichkeit setzt, gar nicht darauf an, wo die Vorstellung dieses vergnuͤgenden Gegenstandes herkomme, sondern nur wie sehr sie vergnuͤgt. Wenn eine Vorstellung, sie mag immerhin im Verstande ihren Sitz und Ursprung ha- ben, die Willkuͤhr nur dadurch bestimmen kann, daß sie ein Gefuͤhl einer Lust im Subjecte voraussetzet, so ist, daß sie ein Bestimmungsgrund der Willkuͤhr sey, gaͤnzlich von der Be- schaffenheit des inneren Sinnes abhaͤngig, daß dieser nemlich dadurch mit Annehmlichkeit afficirt werden kanu . Die Vor- C 5 stellun- I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen stellungen der Gegenstaͤnde moͤgen noch so ungleichartig, sie moͤgen Verstandes-, selbst Vernunftvorstellungen im Gegensatze der Vorstellungen der Sinne seyn, so ist doch das Gefuͤhl der Lust, wodurch jene doch eigentlich nur den Bestimmungsgrund des Willens ausmachen, (die Annehmlichkeit, das Vergnuͤgen, das man davon erwartet, welches die Thaͤtigkeit zur Hervor- bringung des Objects antreibt,) nicht allein so fern von einer- ley Art, daß es jederzeit blos empirisch erkannt werden kann, sondern auch so fern, als er eine und dieselbe Lebenskraft, die sich im Begehrungsvermoͤgen aͤußert, afficirt, und in dieser Beziehung von jedem anderen Bestimmungsgrunde in nichts, als dem Grade, verschieden seyn kann. Wie wuͤrde man son- sten zwischen zwey der Vorstellungsart nach gaͤnzlich verschiede- nen Bestimmungsgruͤnden eine Vergleichung der Groͤße nach anstellen koͤnnen, um den, der am meisten das Begehrungs- vermoͤgen afficirt, vorzuziehen? Eben derselbe Mensch kann ein ihm lehrreiches Buch, das ihm nur einmal zu Haͤnden kommt, ungelesen zuruͤckgeben, um die Jagd nicht zu versaͤu- men, in der Mitte einer schoͤnen Rede weggehen, um zur Mahlzeit nicht zu spaͤt zu kommen, eine Unterhaltung durch vernuͤnftige Gespraͤche, die er sonst sehr schaͤtzt, verlassen, um sich an den Spieltisch zu setzen, so gar einen Armen, dem wohlzuthun ihm sonst Freude ist, abweisen, weil er jetzt eben nicht mehr Geld in der Tasche hat, als er braucht, um den Eintritt in die Comoͤdie zu bezahlen. Beruht die Wil- lensbestimmung auf dem Gefuͤhle der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit, die er aus irgend einer Ursache erwartet, so ist es ihm gaͤnzlich einerley, durch welche Vorstellungsart er afficirt werde. Nur wie stark, wie lange, wie leicht er- worben und oft wiederholt, diese Annehmlichkeit sey, daran liegt es ihm, um sich zur Wahl zu entschließen. So wie dem- jenigen, der reinen practischen Vernunft. jenigen, der Gold zur Ausgabe braucht, gaͤnzlich einerley ist, ob die Materie desselben, das Gold, aus dem Gebirge gegra- ben, oder aus dem Sande gewaschen ist, wenn es nur allent- halben fuͤr denselben Werth angenommen wird, so fraͤgt kein Mensch, wenn es ihm blos an der Annehmlichkeit des Lebens gelegen ist, ob Verstandes- oder Sinnesvorstellungen, sondern nur wie viel und großes Vergnuͤgen sie ihm auf die laͤngste Zeit verschaffen. Nur diejenigen, welche der reinen Vernunft das Vermoͤgen, ohne Voraussetzung irgend eines Gefuͤhls den Willen zu bestimmen, gerne abstreiten moͤchten, koͤnnen sich so weit von ihrer eigenen Erklaͤrung verirren, das, was sie selbst vorher auf ein und eben dasselbe Princip gebracht haben, dennoch hernach fuͤr ganz ungleichartig zu erklaͤren. So findet sich z. B. daß man auch an bloßer Kraftanwendung , an dem Bewußtseyn seiner Seelenstaͤrke in Ueberwindung der Hindernisse, die sich unserem Vorsatze entgegensetzen, an der Cultur der Geistestalente, u. s. w., Vergnuͤgen finden koͤnne, und wir nennen das mit Recht feinere Freuden und Er- goͤtzungen, weil sie mehr, wie andere, in unserer Gewalt sind, sich nicht abnutzen, das Gefuͤhl zu noch mehrerem Ge- nuß derselben vielmehr staͤrken, und, indem sie ergoͤtzen, zu- gleich cultiviren. Allein sie darum fuͤr eine andere Art, den Willen zu bestimmen, als blos durch den Sinn, auszugeben, da sie doch einmal, zur Moͤglichkeit jener Vergnuͤgen, ein dar- auf in uns angelegtes Gefuͤhl, als erste Bedingung dieses Wohlgefallens, voraussetzen, ist gerade so, als wenn Un- wissende, die gerne in der Metaphysik pfuschern moͤchten, sich die Materie so fein, so uͤberfein, daß sie selbst daruͤber schwind- lich werden moͤchten, denken, und dann glauben, auf diese Art sich ein geistiges und doch ausgedehntes Wesen erdacht zu ha- ben. Wenn wir es, mit dem Epicur , bey der Tugend aufs bloße I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen bloße Vergnuͤgen aussetzen, das sie verspricht, um den Willen zu bestimmen: so koͤnnen wir ihn hernach nicht tadeln, daß er dieses mit denen der groͤbsten Sinne fuͤr ganz gleichartig haͤlt; denn man hat gar nicht Grund ihm aufzubuͤrden, daß er die Vorstellungen, wodurch dieses Gefuͤhl in uns erregt wuͤrde, blos den koͤrperlichen Sinnen beygemessen haͤtte. Er hat von vielen derselben den Quell, so viel man errathen kann, eben sowohl in dem Gebrauch des hoͤheren Erkenntnißvermoͤgens ge- sucht; aber das hinderte ihn nicht und konnte ihn auch nicht hindern, nach genanntem Princip das Vergnuͤgen selbst, das uns jene allenfalls intellectuelle Vorstellungen gewaͤhren, und wodurch sie allein Bestimmungsgruͤnde des Willens seyn koͤn- nen, gaͤnzlich fuͤr gleichartig zu halten. Consequent zu seyn, ist die groͤßte Obliegenheit eines Philosophen, und wird doch am seltensten angetroffen. Die alten griechischen Schulen geben uns davon mehr Beyspiele, als wir in unserem syncretistischen Zeitalter antreffen, wo ein gewisses Coalitionssystem wider- sprechender Grundsaͤtze voll Unredlichkeit und Seichtigkeit er- kuͤnstelt wird, weil es sich einem Publicum besser empfiehlt, das zufrieden ist, von allem Etwas, und im Ganzen nichts zu wissen, und dabey in allen Saͤtteln gerecht zu seyn. Das Princip der eigenen Gluͤckseligkeit, so viel Verstand und Vernunft bey ihm auch gebraucht werden mag, wuͤrde doch fuͤr den Willen keine andere Bestimmungsgruͤnde, als die dem unteren Be- gehrungsvermoͤgen angemessen sind, in sich fassen, und es giebt also entweder gar kein Begehrungsvermoͤgen, oder reine Ver- nunft muß fuͤr sich allein practisch seyn, d. i. ohne Voraus- setzung irgend eines Gefuͤhls, mithin ohne Vorstellungen des Angenehmen oder Unangenehmen, als der Materie des Be- gehrungsvermoͤgens, die jederzeit eine empirische Bedingung der Principien ist, durch die bloße Form der practischen Regel den der reinen practischen Vernunft. den Willen bestimmen koͤnnen. Alsdenn allein ist Vernunft nur, so fern sie fuͤr sich selbst den Willen bestimmt, (nicht im Dienste der Neigungen ist,) ein wahres oberes Begehrungs- vermoͤgen, dem das pathologisch bestimmbare untergeordnet ist, und wirklich, ja specifisch von diesem unterschieden, so daß sogar die mindeste Beymischung von den Antrieben der letzteren ihrer Staͤrke und Vorzuge Abbruch thut, so wie das mindeste Empirische, als Bedingung in einer mathematischen Demon- stration, ihre Wuͤrde und Nachdruck herabsetzt und vernichtet. Die Vernunft bestimmt in einem practischen Gesetze unmittel- bar den Willen, nicht vermittelst eines dazwischen kommenden Gefuͤhls der Lust und Unlust, selbst nicht an diesem Gesetze, und nur, daß sie als reine Vernunft practisch seyn kann, macht es ihr moͤglich, gesetzgebend zu seyn. Anmerkung II. Gluͤcklich zu seyn, ist nothwendig das Verlangen jedes vernuͤnftigen aber endlichen Wesens, und also ein unvermeidli- cher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermoͤgens. Denn die Zufriedenheit mit seinem ganzen Daseyn ist nicht etwa ein urspruͤnglicher Besitz, und eine Seligkeit, welche ein Bewußt- seyn seiner unabhaͤngigen Selbstgenugsamkeit voraussetzen wuͤr- de, sondern ein durch seine endliche Natur selbst ihm aufge- drungenes Problem, weil es beduͤrftig ist, und dieses Be- duͤrfniß betrift die Materie seines Begehrungsvermoͤgens, d. i. etwas, was sich auf ein subjectiv zum Grunde liegendes Ge- fuͤhl der Lust oder Unlust bezieht, dadurch das, was es zur Zufriedenheit mit seinem Zustande bedarf, bestimmt wird. Aber eben darum, weil dieser materiale Bestimmungsgrund von dem Subjecte blos empirisch erkannt werden kann, ist es unmoͤglich diese Aufgabe als ein Gesetz zu betrachten, weil die- ses als objectiv in allen Faͤllen und fuͤr alle vernuͤnftige Wesen eben I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen eben denselben Bestimmungsgrund des Willens enthal- ten muͤßte. Denn obgleich der Begriff der Gluͤckseligkeit der practischen Beziehung der Objecte aufs Begehrungsvermoͤgen allerwerts zum Grunde liegt, so ist er doch nur der allgemei- ne Titel der subjectiven Bestimmungsgruͤnde, und bestimmt nichts specifisch, darum es doch in dieser practischen Aufgabe allein zu thun ist, und ohne welche Bestimmung sie gar nicht aufgeloͤset werden kann. Worin nemlich jeder seine Gluͤck- seligkeit zu setzen habe, kommt auf jedes sein besonderes Ge- fuͤhl der Lust und Unlust an, und selbst in einem und demselben Subject auf die Verschiedenheit der Beduͤrfniß, nach den Ab- aͤnderungen dieses Gefuͤhls, und ein subjectiv nothwendiges Gesetz (als Naturgesetz) ist also objectiv ein gar sehr zufaͤl- liges practisches Princip, das in verschiedenen Subjecten sehr verschieden seyn kann und muß, mithin niemals ein Gesetz ab- geben kann, weil es, bey der Begierde nach Gluͤckseligkeit, nicht auf die Form der Gesetzmaͤßigkeit, sondern lediglich auf die Materie ankommt, nemlich ob und wie viel Vergnuͤgen ich in der Befolgung des Gesetzes zu erwarten habe. Princi- pien der Selbstliebe koͤnnen zwar allgemeine Regeln der Ge- schicklichkeit (Mittel zu Absichten auszufinden) enthalten, als- denn sind es aber blos theoretische Principien Saͤtze, welche in der Mathematik oder Naturlehre practisch genannt werden, sollten eigentlich technisch heißen. Denn um die Willensbestimmung ist es diesen Lehren gar nicht zu thun; sie zeigen nur das Mannigfaltige der moͤglichen Hand- lung an, welches eine gewisse Wirkung hervorzubringen hin- reichend ist, und sind also eben so theoretisch, als alle Saͤtze, welche die Verknuͤpfung der Ursache mit einer Wirkung aus- sagen. Wem nun die letztere beliebt, der muß sich auch ge- fallen lassen, die, erstere zu seyn. , z. B. wie der- der reinen practischen Vernunft. derjenige, der gerne Brodt essen moͤchte, sich eine Muͤhle aus- zudenken habe). Aber practische Vorschriften, die sich auf sie gruͤnden, koͤnnen niemals allgemein seyn, denn der Bestim- mungsgrund des Begehrungsvermoͤgens ist auf das Gefuͤhl der Lust und Unlust, das niemals als allgemein auf dieselben Gegenstaͤnde gerichtet, angenommen werden kann, gegruͤndet. Aber gesetzt, endliche vernuͤnftige Wesen daͤchten auch in Ansehung dessen, was sie fuͤr Objecte ihrer Gefuͤhle des Vergnuͤgens oder Schmerzens anzunehmen haͤtten, imgleichen sogar in Ansehung der Mittel, deren sie sich bedienen muͤssen, um die erstern zu erreichen, die andern abzuhalten, durchgehends einerley, so wuͤrde das Princip der Selbstliebe dennoch von ihnen durchaus fuͤr kein practisches Gesetz ausgegeben werden koͤnnen; denn diese Einhelligkeit waͤre selbst doch nur zufaͤllig. Der Bestimmungsgrund waͤre immer doch nur sub- jectiv guͤltig und blos empirisch, und haͤtte diejenige Nothwen- digkeit nicht, die in einem jeden Gesetze gedacht wird, nem- lich die objective aus Gruͤnden a priori ; man muͤßte denn diese Nothwendigkeit gar nicht fuͤr practisch, sondern fuͤr blos phy- sisch ausgeben, nemlich daß die Handlung durch unsere Nei- gung uns eben so unausbleiblich abgenoͤthigt wuͤrde, als das Gaͤhnen, wenn wir andere gaͤhnen sehen. Man wuͤrde eher behaupten koͤnnen, daß es gar keine practische Gesetze gebe, sondern nur Anrathungen zum Behuf unserer Begierden, als daß blos subjective Principien zum Range practischer Gesetze erhoben wuͤrden, die durchaus objective und nicht blos subjective Nothwendigkeit haben, und durch Vernunft a priori , nicht durch Erfahrung (so empirisch allgemein diese auch seyn mag) erkannt seyn muͤssen. Selbst die Regeln einstimmiger Erschei- nungen werden nur Naturgesetze (z. B. die mechanischen) ge- nannt, wenn man sie entweder wirklich a priori erkennt, oder doch I. Th. I. B. I Hauptst. Von den Grundsaͤtzen doch (wie bey den chemischen) annimmt, sie wuͤrden a priori aus objectiven Gruͤnden erkannt werden, wenn unsere Einsicht tiefer gienge. Allein bey blos subjectiven practischen Princi- pien wird das ausdruͤcklich zur Bedingung gemacht, daß ihnen nicht objective, sondern subjective Bedingungen der Willkuͤhr zum Grunde liegen muͤssen; mithin, daß sie jederzeit nur als bloße Maximen, niemals aber als practische Gesetze, vorstellig gemacht werden duͤrfen. Diese letztere Anmerkung scheint beym ersten Anblicke bloße Wortklauberey zu seyn; allein die Wort- bestimmung des allerwichtigsten Unterschiedes, der nur in pra- ctischen Untersuchungen in Betrachtung kommen mag. §. 4. Lehrsatz III. Wenn ein vernuͤnftiges Wesen sich seine Maximen als practische allgemeine Gesetze denken soll, so kann es sich dieselbe nur als solche Principien denken, die nicht der Materie, sondern blos der Form nach, den Bestimmungsgrund des Willens enthalten. Die Materie eines practischen Princips ist der Ge- genstand des Willens. Dieser ist entweder der Bestim- mungsgrund des letzteren, oder nicht. Ist er der Be- stimmungsgrund desselben, so wuͤrde die Regel des Wil- lens einer empirischen Bedingung (dem Verhaͤltnisse der bestimmenden Vorstellung zum Gefuͤhle der Lust und Unlust) unterworfen, folglich kein practisches Ge- setz seyn. Nun bleibt von einem Gesetze, wenn man alle Materie, d. i. jeden Gegenstand des Willens (als Bestimmungsgrund) davon absondert, nichts uͤbrig, als der reinen practischen Vernunft. als die bloße Form einer allgemeinen Gesetzgebung. Also kann ein vernuͤnftiges Wesen sich seine subjectiv- practische Principien, d. i. Maximen, entweder gar nicht zugleich als allgemeine Gesetze denken, oder es muß an- nehmen, daß die bloße Form derselben, nach der jene sich zur allgemeinen Gesetzgebung schicken, sie fuͤr sich allein zum practischen Gesetze mache. Anmerkung . Welche Form in der Maxime sich zur allgemeinen Gesetz- gebung schicke, welche nicht, das kann der gemeinste Verstand ohne Unterweisung unterscheiden. Ich habe z. B. es mir zur Maxime gemacht, mein Vermoͤgen durch alle sichere Mittel zu vergroͤßern. Jetzt ist ein Depositum in meinen Haͤnden, dessen Eigenthuͤmer verstorben ist und keine Handschrift dar- uͤber zuruͤckgelassen hat. Natuͤrlicherweise ist dies der Fall meiner Maxime. Jetzt will ich nur wissen, ob jene Maxime auch als allgemeines practisches Gesetz gelten koͤnne. Ich wende jene also auf gegenwaͤrtigen Fall an, und frage, ob sie wol die Form eines Gesetzes annehmen, mithin ich wol durch meine Maxime zugleich ein solches Gesetz geben koͤnnte: daß jedermann ein Depositum ableugnen duͤrfe, dessen Nieder- legung ihm niemand beweisen kann. Ich werde sofort gewahr, daß ein solches Princip, als Gesetz, sich selbst vernichten wuͤr- de, weil es machen wuͤrde, daß es gar kein Depositum gaͤbe. Ein practisches Gesetz, was ich dafuͤr erkenne, muß sich zur allgemeinen Gesetzgebung qualificiren; dies ist ein identischer Satz und also fuͤr sich klar. Sage ich nun, mein Wille steht unter einem practischen Gesetze, so kann ich nicht meine Nei- gung (z. B. im gegenwaͤrtigen Falle meine Habsucht) als den zu einem allgemeinen practischen Gesetze schicklichen Bestim- Kants Crit. d. pract. Vern. D mungs- I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen mungsgrund desselben anfuͤhren; denn diese, weit gefehlt, daß sie zu einer allgemeinen Gesetzgebung tauglich seyn sollte, so muß sie vielmehr in der Form eines allgemeinen Gesetzes sich selbst aufreiben. Es ist daher wunderlich, wie, da die Begierde zur Gluͤckseligkeit, mithin auch die Maxime, dadurch sich jeder diese letztere zum Bestimmungsgrunde seines Willens setzt, allgemein ist, es verstaͤndigen Maͤnnern habe in den Sinn kommen koͤnnen, es darum fuͤr ein allgemein practisches Ge- setz auszugeben. Denn da sonst ein allgemeines Naturgesetz alles einstimmig macht, so wuͤrde hier, wenn man der Ma- xime die Allgemeinheit eines Gesetzes geben wollte, grade das aͤußerste Widerspiel der Einstimmung, der aͤrgste Widerstreit und die gaͤnzliche Vernichtung der Maxime selbst und ihrer Absicht erfolgen. Denn der Wille Aller hat alsdenn nicht ein und dasselbe Object, sondern ein jeder hat das seinige (sein eigenes Wohlbefinden), welches sich zwar zufaͤlligerweise, auch mit anderer ihren Absichten, die sie gleichfalls auf sich selbst richten, vertragen kann, aber lange nicht zum Gesetze hinrei- chend ist, weil die Ausnahmen, die man gelegentlich zu ma- chen befugt ist, endlos sind, und gar nicht bestimmt in eine allgemeine Regel befaßt werden koͤnnen. Es kommt auf diese Art eine Harmonie heraus, die derjenigen aͤhnlich ist, welche ein gewisses Spottgedicht auf die Seeleneintracht zweyer sich zu Grunde richtenden Eheleute schildert: O wundervolle Harmonie, was er will, will auch sie etc. oder was von der Anheischigmachung Koͤnig Franz des Ersten gegen Kaiser Carl den Fuͤnften erzaͤhlt wird: was mein Bruder Carl haben will, (Mayland) das will ich auch haben. Empirische Be- stimmungsgruͤnde taugen zu keiner allgemeinen aͤußeren Gesetz- gebung, aber auch eben so wenig zur innern; denn jeder legt sein der reinen practischen Vernunft. sein Subject, ein anderer aber ein anderes Subject der Nei- gung zum Grunde, und in jedem Subject selber ist bald die, bald eine andere im Vorzuge des Einflusses. Ein Gesetz aus- findig zu machen, das sie insgesamt unter dieser Bedingung, nemlich mit allerseitiger Einstimmung, regierte, ist schlechter- dings unmoͤglich. §. 5. Aufgabe I. Vorausgesetzt, daß die bloße gesetzgebende Form der Maximen allein der zureichende Bestimmungsgrund eines Willens sey: die Beschaffenheit desjenigen Wil- lens zu finden, der dadurch allein bestimmbar ist. Da die bloße Form des Gesetzes lediglich von der Vernunft vorgestellt werden kann, und mithin kein Ge- genstand der Sinne ist, folglich auch nicht unter die Erscheinungen gehoͤrt; so ist die Vorstellung derselben als Bestimmungsgrund des Willens von allen Bestim- mungsgruͤnden der Begebenheiten in der Natur nach dem Gesetze der Causalitaͤt unterschieden, weil bey die- sen die bestimmenden Gruͤnde selbst Erscheinungen seyn muͤssen. Wenn aber auch kein anderer Bestimmungs- grund des Willens fuͤr diesen zum Gesetz dienen kann, als blos jene allgemeine gesetzgebende Form; so muß ein solcher Wille als gaͤnzlich unabhaͤngig von dem Na- turgesetz der Erscheinungen, nemlich dem Gesetze der Causalitaͤt, beziehungsweise auf einander, gedacht wer- den. Eine solche Unabhaͤngigkeit aber heißt Freyheit im strengsten d. i. transscendentalen Verstande. Also D 2 ist I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen ist ein Wille, dem die bloße gesetzgebende Form der Maxime allein zum Gesetze dienen kann, ein freyer Wille. §. 6. Aufgabe II. Vorausgesetzt, daß ein Wille frey sey, das Gesetz zu finden, welches ihn allein nothwendig zu bestimmen tauglich ist. Da die Materie des practischen Gesetzes, d. i. ein Object der Maxime, niemals anders als empirisch ge- geben werden kann, der freye Wille aber, als von em- pirischen (d. i. zur Sinnenwelt gehoͤrigen) Bedingun- gen unabhaͤngig, dennoch bestimmbar seyn muß; so muß ein freyer Wille, unabhaͤngig von der Materie des Gesetzes, dennoch einen Bestimmungsgrund in dem Gesetze antreffen. Es ist aber, außer der Materie des Gesetzes, nichts weiter in demselben, als die gesetzge- bende Form enthalten. Also ist die gesetzgebende Form, so fern sie in der Maxime enthalten ist, das einzige, was einen Bestimmungsgrund des Willens ausmachen kann. Anmerkung . Freyheit und unbedingtes practisches Gesetz weisen also wechselsweise auf einander zuruͤck. Ich frage hier nun nicht: ob sie auch in der That verschieden seyn, und nicht vielmehr ein unbedingtes Gesetz blos das Selbstbewußtseyn einer reinen practischen Vernunft, diese aber ganz einerley mit dem positi- ven Begriffe der Freyheit sey; sondern wovon unsere Er- kenntniß des unbedingt-Practischen anhebe, ob von der Freyheit der reinen practischen Vernunft. Freyheit, oder dem practischen Gesetze. Von der Freyheit kann es nicht anheben; denn deren koͤnnen wir uns weder unmittel- bar bewußt werden, weil sein erster Begriff negativ ist, noch darauf aus der Erfahrung schließen, denn Erfahrung giebt uns nur das Gesetz der Erscheinungen, mithin den Mechanism der Natur, das gerade Widerspiel der Freyheit, zu erkennen. Also ist es das moralische Gesetz, dessen wir uns unmittel- bar bewußt werden (so bald wir uns Maximen des Willens entwerfen), welches sich uns zuerst darbietet, und, indem die Vernunft jenes als einen durch keine sinnliche Bedingungen zu uͤberwiegenden, ja davon gaͤnzlich unabhaͤngigen Bestim- mungsgrund darstellt, gerade auf den Begriff der. Freyheit fuͤhrt. Wie ist aber auch das Bewußtseyn jenes moralischen Gesetzes moͤglich? Wir koͤnnen uns reiner practischer Gesetze bewußt werden, eben so, wie wir uns reiner theoretischer Grundsaͤtze bewußt sind, indem wir auf die Nothwendigkeit, womit sie uns die Vernunft vorschreibt, und auf Absonderung aller empirischen Bedingungen, dazu uns jene hinweiset, Acht haben. Der Begriff eines reinen Willens entspringt aus den ersteren, wie das Bewußtseyn eines reinen Verstandes aus dem letzteren. Daß dieses die wahre Unterordung unserer Begriffe sey, und Sittlichkeit uns zuerst den Begriff der Frey- heit entdecke, mithin practische Vernunft zuerst der specula- tiven das unaufloͤslichste Problem mit diesem Begriffe auf- stelle, um sie durch denselben in die groͤßte Verlegenheit zu setzen, erhellet schon daraus: daß, da aus dem Begriffe der Freyheit in den Erscheinungen nichts erklaͤrt werden kann, sondern hier immer Naturmechanism den Leitfaden ausmachen muß, uͤberdem auch die Antinomie der reinen Vernunft, wenn sie zum Unbedingten in der Reihe der Ursachen aufsteigen will, sich, bey einem so sehr wie bey dem andern, in Unbegreiflich- D 3 keiten I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen keiten verwickelt, indessen daß doch der letztere (Mechanism) wenigstens Brauchbarkeit in Erklaͤrung der Erscheinungen hat, man niemals zu dem Wagstuͤcke gekommen seyn wuͤrde, Freyheit in die Wissenschaft einzufuͤhren, waͤre nicht das Sit- tengesetz und mit ihm practische Vernunft dazu gekommen und hatte uns diesen Begriff nicht aufgedrungen. Aber auch die Erfahrung bestaͤtigt diese Ordnung der Begriffe in uns. Setzet, daß jemand von seiner wolluͤstigen Neigung vorgiebt, sie sey, wenn ihm der beliebte Gegenstand und die Gelegenheit dazu vorkaͤmen, fuͤr ihn ganz unwiderstehlich, ob, wenn ein Galgen vor dem Hause, da er diese Gelegenheit trifft, aufge- richtet waͤre, um ihn sogleich nach genossener Wollust daran zu knuͤpfen, er alsdenn nicht seine Neigung bezwingen wuͤrde. Man darf nicht lange rathen, was er antworten wuͤrde. Fragt ihn aber, ob, wenn sein Fuͤrst ihm, unter Androhung dersel- ben unverzoͤgerten Todesstrafe, zumuthete, ein falsches Zeug- niß wider einen ehrlichen Mann, den er gerne unter scheinbaren Vorwaͤnden verderben moͤchte, abzulegen, ob er da, so groß auch seine Liebe zum Leben seyn mag, sie wol zu uͤberwinden fuͤr moͤglich halte. Ob er es thun wuͤrde, oder nicht, wird er vielleicht sich nicht getrauen zu versichern; daß es ihm aber moͤglich sey, muß er ohne Bedenken einraͤumen. Er urtheilet also, daß er etwas kann, darum weil er sich bewußt ist, daß er es soll, und erkennt in sich die Freyheit, die ihm sonst ohne das moralische Gesetz unbekannt geblieben waͤre. §. 7. Grundgesetz der reinen practischen Vernunft. Handle so, daß die Maxime deines Willens jeder- zeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten koͤnne. Anmer- der reinen practischen Vernunft. Anmerkung . Die reine Geometrie hat Postulate als practische Saͤt e, die aber nichts weiter enthalten, als die Voraussetzung, daß man etwas thun koͤnne, wenn etwa gefodert wuͤrde, man solle es thun, und diese sind die einzigen Saͤtze derselben, die ein Daseyn betreffen. Es sind also practische Regeln unter einer problematischen Bedingung des Willens. Hier aber sagt die Regel: man solle schlechthin auf gewisse Weise verfahren. Die practische Regel ist also unbedingt, mithin, als catego- risch practischer Satz, a priori vorgestellt, wodurch der Wille schlechterdings und unmittelbar (durch die practische Regel selbst, die also hier Gesetz ist,) objectiv bestimmt wird. Denn reine, an sich practische Vernunft ist hier unmittelbar ge- setzgebend. Der Wille wird als unabhaͤngig von empirischen Bedingungen, mithin als reiner Wille, durch die bloße Form des Gesetzes als bestimmt gedacht, und dieser Bestimmungs- grund als die oberste Bedingung aller Maximen angesehen. Die Sache ist befremdlich genug, und hat ihres gleichen in der ganzen uͤbrigen practischen Erkenntniß nicht. Denn der Ge- danke a priori von einer moͤglichen allgemeinen Gesetzgebung, der also blos problematisch ist, wird, ohne von der Erfahrung oder irgend einem aͤußeren Willen etwas zu entlehnen, als Gesetz unbedingt geboten. Es ist aber auch nicht eine Vor- schrift, nach welcher eine Handlung geschehen soll, dadurch eine begehrte Wirkung moͤglich ist, (denn da waͤre die Regel immer physisch bedingt,) sondern eine Regel, die blos den Willen, in Ansehung der Form seiner Maximen, a priori bestimmt, und da ist ein Gesetz, welches blos zum Behuf der subjectiven Form der Grundsaͤtze dient, als Bestimmungs- grund durch die objective Form eines Gesetzes uͤberhaupt, wenigstens zu denken, nicht unmoͤglich. Man kann das Be- D 4 wußt- I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen wußtseyn dieses Grundgesetzes ein Factum der Vernunft nen- nen, weil man es nicht aus verhergehenden Datis der Ver- nunft, z. B. dem Bewußtseyn der Freyheit (denn dieses ist uns nicht vorher gegeben), herausvernuͤnfteln kann, sondern weil es sich fuͤr sich selbst uns aufdringt als synthetischer Satz a priori, der auf keiner, wed er reinen noch empirischen An- schauung gegruͤndet ist, ob er gleich analytisch seyn wuͤrde, wenn man die Freyheit des Willens voraussetzte, wozu aber, als positivem Begriffe, eine intellectuelle Anschauung erfodert werden wuͤrde, die man hier gar nicht annehmen darf. Doch muß man, um dieses Gesetz ohne Mißdeutung als gegeben anzusehen, wohl bemerken: daß es kein empirisches, sondern das einzige Factum der reinen Vernunft sey, die sich dadurch als urspruͤnglich gesetzgebend ( sic volo, sic jubeo, ) ankuͤndigt. Folgerung . Reine Vernunft ist fuͤr sich allein practisch, und giebt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen. Anmerkung . Das vorher genannte Factum ist unleugbar. Man darf nur das Urtheil zergliedern, welches die Menschen uͤber die Gesetzmaͤßigkeit ihrer Handlungen faͤllen: so wird man jeder- zeit finden, daß, was auch die Neigung dazwischen sprechen mag, ihre Vernunft dennoch, unbestechlich und durch sich selbst gezwungen, die Maxime des Willeus bey einer Handlung je- derzeit an den reinen Willen halte, d. i. an sich selbst, indem sie sich als a priori practisch betrachtet. Dieses Princip der Sittlichkeit nun, eben um der Allgemeinheit der Gesetzgebung willen, die es zum formalen obersten Bestimmungsgrunde des Willens, unangesehen aller subjectiven Verschiedenheiten des- selben, der reinen practischen Vernunft. selben, macht, erklaͤrt die Vernunft zugleich zu einem Gesetze fuͤr alle vernuͤnftige Wesen, so fern sie uͤberhaupt einen Willen d. i. ein Vermoͤgen haben, ihre Causalitaͤt durch die Vorstel- lung von Regeln zu bestimmen, mithin so fern sie der Hand- lungen nach Grundsaͤtzen, folglich auch nach practischen Prin- cipien a priori (denn diese haben allein diejenige Nothwendig- keit, welche die Vernunft zum Grundsatze fodert), faͤhig seyn. Es schraͤnkt sich also nicht blos auf Menschen ein, sondern geht auf alle endliche Wesen, die Vernunft und Willen haben, ja schließt sogar das unendliche Wesen, als oberste Intelligenz, mit ein. Im ersteren Falle aber hat das Gesetz die Form ei- nes Imperativs, weil man an jenem zwar, als vernuͤnftigem Wesen, einen reinen, aber, als mit Beduͤrfnissen und sinn- lichen Bewegursachen afficirtem Wesen, keinen heiligen Wil- len, d. i. einen solchen, der keiner dem moralischen Gesetze widerstreitenden Maximen faͤhig waͤre, voraussetzen kann. Das moralische Gesetz ist daher bey jenen ein Imperativ, der categorisch gebietet, weil das Gesetz unbedingt ist; das Ver- haͤltniß eines solchen Willens zu diesem Gesetze ist Abhaͤngig- keit, unter dem Namen der Verbindlichkeit, welche eine Noͤ- thigung, obzwar durch bloße Vernunft und dessen objectives Gesetz, zu einer Handlung bedeutet, die darum Pflicht heißt, weil eine pathologisch afficirte (obgleich dadurch nicht bestimm- te, mithin auch immer freye) Willkuͤhr, einen Wunsch bey sich fuͤhrt, der aus subjectiven Ursachen entspringt, daher auch dem reinen objectiven Bestimmungsgrunde oft entgegen seyn kann, und also eines Widerstandes der practischen Vernunft, der ein innerer, aber intellectueller, Zwang genannt werden kann, als moralischer Noͤthigung bedarf. In der allergnug- samsten Intelligenz wird die Willkuͤhr, als keiner Maxime faͤhig, die nicht zugleich objectiv Gesetz seyn konnte, mit Recht D 5 vor- I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen vorgestellt, und der Begriff der Heiligkeit, der ihr um des- willen zukommt, setzt sie zwar nicht uͤber alle practische, aber doch uͤber alle practisch-einschraͤnkende Gesetze, mithin Ver- bindlichkeit und Pflicht weg. Diese Heiligkeit des Willens ist gleichwol eine practische Idee, welche nothwendig zum Ur- bilde dienen muß, welchem sich ins Unendliche zu naͤhern das einzige ist, was allen endlichen vernuͤnftigen Wesen zusteht, und welche das reine Sittengesetz, das darum selbst heilig heißt, ihnen bestaͤndig und richtig vor Augen haͤlt, von wel- chem ins Unendliche gehenden Progressus seiner Maximen und Unwandelbarkeit derselben zum bestaͤndigen Fortschreiten sicher zu seyn, d. i. Tugend, das hoͤchste ist, was endliche practische Vernunft bewirken kann, die selbst wiederum wenigstens als natuͤrlich erworbenes Vermoͤgen nie vollendet seyn kann, weil die Sicherheit in solchem Falle niemals apodictische Gewißheit wird, und als Ueberredung sehr gefaͤhrlich ist. §. 8. Lehrsatz IV. Die Avtonomie des Willens ist das alleinige Princip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemaͤßen Pflichten: Alle Heteronomie der Willkuͤhr gruͤndet da- gegen nicht allein gar keine Verbindlichkeit, sondern ist vielmehr dem Princip derselben und der Sittlichkeit des Willens entgegen. In der Unabhaͤngigkeit nemlich von aller Materie des Gesetzes (nemlich einem begehrten Objecte) und zugleich doch Bestimmung der Willkuͤhr durch die bloße allgemeine gesetzgebende Form, deren eine Maxime faͤhig seyn muß, besteht das alleinige Princip der Sittlichkeit. Jene Unabhaͤngigkeit aber ist der reinen practischen Vernunft. ist Freyheit im negativen, diese eigene Gesetzgebung aber der reinen, und als solche, practischen Vernunft, ist Freyheit im positiven Verstande. Also druͤckt das moralische Gesetz nichts anders aus, als die Avtonomie der reinen practischen Vernunft, d. i. der Freyheit, und diese ist selbst die formale Bedingung aller Maximen, unter der sie allein mit dem obersten practischen Gesetze zusammenstimmen koͤnnen. Wenn daher die Materie des Wollens, welche nichts anders, als das Object ei- ner Begierde seyn kann, die mit dem Gesetz verbunden wird, in das practische Gesetz als Bedingung der Moͤglichkeit desselben hineinkommt, so wird daraus Heteronomie der Willkuͤhr, nemlich Ab- haͤngigkeit vom Naturgesetze, irgend einem Antriebe oder Neigung zu folgen, und der Wille giebt sich nicht selbst das Gesetz, sondern nur die Vorschrift zur ver- nuͤnftigen Befolgung pathologischer Gesetze; die Ma- xime aber die auf solche Weise niemals die allgemein- gesetzgebende Form in sich enthalten kann, stiftet auf diese Weise nicht allein keine Verbindlichkeit, sondern ist selbst dem Princip einer reinen practischen Vernunft, hiemit also auch der sittlichen Gesinnung entgegen, wenn gleich die Handlung, die daraus entspringt, gesetzmaͤ- ßig seyn sollte. Anmerkung I. Zum practischen Gesetze muß also niemals eine practische Vorschrift gezaͤhlt werden, die eine materiale (mithin empi- rische) I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen rische) Bedingung bey sich fuͤhrt. Denn das Gesetz des reinen Willens, der frey ist, setzt diesen in eine ganz andere Sphaͤre, als die empirische, und die Nothwendigkeit, die es ausdruͤckt, da sie keine Naturnothwendigkeit seyn soll, kann also blos in formalen Bedingungen der Moͤglichkeit eines Gesetzes uͤber- haupt bestehen. Alle Materie practischer Regeln beruht im- mer auf subjectiven Bedingungen, die ihr keine Allgemeinheit fuͤr vernuͤnftige Wesen, als lediglich die bedingte (im Falle ich dieses oder jenes begehre, was ich alsdenn thun muͤsse, um es wirklich zu machen,) verschaffen, und sie drehen sich insgesamt um das Princip der eigenen Gluͤckseligkeit. Nun ist freylich unleugbar, daß alles Wollen auch einen Ge- genstand, mithin eine Materie haben muͤsse; aber diese ist darum nicht eben der Bestimmungsgrund und Bedingung der Maxime; denn, ist sie es, so laͤßt diese sich nicht in allgemein gesetzgebender Form darstellen, weil die Erwartung der Existenz des Gegenstandes alsdenn die bestimmende Ursache der Will- kuͤhr seyn wuͤrde, und die Abhaͤngigkeit des Begehrungsver- moͤgens von der Existenz irgend einer Sache dem Wollen zum Grunde gelegt werden muͤßte, welche immer nur in empiri- schen Bedingungen gesucht werden, und daher niemals den Grund zu einer nothwendigen und allgemeinen Regel abgeben kann. So wird fremder Wesen Gluͤckseligkeit das Object des Willens eines vernuͤnftigen Wesens seyn koͤnnen. Waͤre sie aber der Bestimmungsgrund der Maxime, so muͤßte man vor- aussetzen, daß wir in dem Wohlseyn anderer nicht allein ein natuͤrliches Vergnuͤgen, sondern auch ein Beduͤrfniß finden, so wie die sympathetische Sinnesart bey Menschen es mit sich bringt. Aber dieses Beduͤrfniß kann ich nicht bey jedem ver- nuͤnftigen Wesen (bey Gott gar nicht) voraussetzen. Also kann zwar die Materie der Maxime bleiben, sie muß aber nicht der reinen practischen Vernunft. nicht die Bedingung derselben seyn, denn sonst wuͤrde diese nicht zum Gesetze taugen. Also die bloße Form eines Gesetzes, welches die Materie einschraͤnkt, muß zugleich ein Grund seyn, diese Materie zum Willen hinzuzufuͤgen, aber sie nicht voraus- zusetzen. Die Materie sey z. B. meine eigene Gluͤckseligkeit. Diese, wenn ich sie jedem beylege (wie ich es denn in der That bey endlichen Wesen thun darf) kann nur alsdenn ein objecti- ves practisches Gesetz werden, wenn ich anderer ihre in die- selbe mit einschließe. Also entspringt das Gesetz, anderer Gluͤckseligkeit zu befoͤrdern, nicht von der Voraussetzung, daß dieses ein Object fuͤr jedes seine Willkuͤhr sey, sondern blos daraus, daß die Form der Allgemeinheit, die die Vernunft als Bedingung bedarf, einer Maxime der Selbstliebe die objective Guͤltigkeit eines Gesetzes zu geben, der Bestimmungsgrund des Willens wird, und also war das Object (anderer Gluͤckselig- keit) nicht der Bestimmungsgrund des reinen Willens, son- dern die bloße gesetzliche Form war es allein, dadurch ich meine auf Neigung gegruͤndete Maxime einschraͤnkte, um ihr die All- gemeinheit eines Gesetzes zu verschaffen, und sie so der reinen practischen Vernunft angemessen zu machen, aus welcher Ein- schraͤnkung, und nicht dem Zusatz einer aͤußeren Triebfeder, alsdenn der Begriff der Verbindlichkeit , die Maxime mei- ner Selbstliebe auch auf die Gluͤckseligkeit anderer zu erwei- tern, allein entspringen koͤnnte. Anmerkung II. Das gerade Widerspiel des Princips der Sittlichkeit ist: wenn das der eigenen Gluͤckseligkeit zum Bestimmungsgrunde des Willens gemacht wird, wozu, wie ich oben gezeigt habe, alles uͤberhaupt gezaͤhlt werden muß, was den Bestimmungs- grund, der zum Gesetze dienen soll, irgend worin anders, als in der gesetzgebenden Form der Maxime setzt. Dieser Wider- I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen Widerstreit ist aber nicht blos logisch, wie der zwischen empi- risch-bedingten Regeln, die man doch zu nothwendigen Er- kenntnißprincipien erheben wollte, sondern practisch, und wuͤrde, waͤre nicht die Stimme der Vernunft in Beziehung auf den Willen so deutlich, so unuͤberschreybar, selbst fuͤr den gemein- sten Menschen so vernehmlich, die Sittlichkeit gaͤnzlich zu Grunde richten; so aber kann sie sich nur noch in den Kopf- verwirrenden Speculationen der Schulen erhalten, die dreist genug seyn, sich gegen jene himmlische Stimme taub zu ma- chen, um eine Theorie, die kein Kopfbrechen kostet, aufrecht zu erhalten. Wenn ein dir sonst beliebter Umgangsfreund sich bey dir wegen eines falschen abgelegten Zeugnisses dadurch zu rechtfer- tigen vermeynete, daß er zuerst die, seinem Vorgeben nach, heilige Pflicht der eigenen Gluͤekseligkeit vorschuͤtzte, alsdenn die Vortheile herzaͤhlte, die er sich alle dadurch erworben, die Klugheit namhaft machte, die er beobachtet, um wider alle Entdeckung sicher zu seyn, selbst wider die von Seiten deiner selbst, dem er das Geheimniß darum allein offenbaret, damit er es zu aller Zeit ableugnen koͤnne; dann aber im ganzen Ernst vorgaͤbe, er habe eine wahre Menschenpflicht ausgeuͤbt: so wuͤrdest du ihm entweder gerade ins Gesicht lachen, oder mit Abscheu davon zuruͤckbeben, ob du gleich, wenn jemand blos auf eigene Vortheile seine Grundsaͤtze gesteuert hat, wider diese Maaßregeln nicht das mindeste einzuwenden haͤttest. Oder setzet, es empfehle euch jemand einen Mann zum Haushalter, dem ihr alle eure Angelegenheiten blindlings anvertrauen koͤn- net, und, um euch Zutrauen einzufloͤßen, ruͤhmete er ihn als einen klugen Menschen, der sich auf seinen eigenen Vortheil meisterhaft verstehe, auch als einen rastlos wirksamen, der keine Gelegenheit dazu ungenutzt vorbeygehen ließe, endlich, damit auch der reinen practischen Vernunft. auch ja nicht Besorgnisse wegen eines poͤbelhaften Eigennutzes desselben im Wege stuͤnden, ruͤhmete er, wie er recht fein zu leben verstuͤnde, nicht im Geldsammeln oder brutaler Ueppig- keit, sondern in der Erweiterung seiner Kenntnisse, einem wohlgewaͤhlten belehrenden Umgange, selbst im Wohlthun der Duͤrftigen, sein Vergnuͤgen suchte, uͤbrigens aber wegen der Mittel (die doch ihren Werth oder Unwerth nur vom Zwecke entlehnen) nicht bedenklich waͤre, und fremdes Geld und Gut ihm hiezu, so bald er nur wiffe , daß er es unentdeckt und un- gehindert thun koͤnne, so gut wie sein eigenes waͤre: so wuͤrdet ihr entweder glauben, der Empfehlende habe euch zum besten, oder er habe den Verstand verlohren. — So deutlich und scharf sind die Grenzen der Sittlichkeit und der Selbstliebe abgeschnitten, daß selbst das gemeinste Auge den Unterschied, ob etwas zu der einen oder der andern gehoͤre, gar nicht verfehlen kann. Fol- gende wenige Bemerkungen koͤnnen zwar bey einer so offenbaren Wahrheit uͤberfluͤssig scheinen, allein sie dienen doch wenigstens dazu, dem Urtheile der gemeinen Menschenvernunft etwas mehr Deutlichkeit zu verschaffen. Das Princip der Gluͤckseligkeit kann zwar Maximen, aber niemals solche abgeben, die zu Gesetzen des Willens tauglich waͤren, selbst wenn man sich die allgemeine Gluͤckseligkeit zum Objecte machte. Denn, weil dieser ihre Erkenntniß auf lauter Erfahrungsdatis beruht, weil jedes Urtheil daruͤber gar sehr von jedes seiner Meynung, die noch dazu selbst sehr veraͤnder- lich ist, abhaͤngt, so kann es wol generelle, aber niemals universelle Regeln, d. i. solche, die im Durchschnitte am oͤf- tersten zutreffen, nicht aber solche, die jederzeit und nothwen- dig guͤltig seyn muͤssen, geben, mithin koͤnnen keine practische Gesetze darauf gegruͤndet werden. Eben darum, weil hier ein Object der Willkuͤhr der Regel derselben zum Grunde gelegt und I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen und also vor dieser vorhergehen muß, so kann diese nicht worauf anders, als auf das, was man empfiehlt, und also auf Erfah- rung bezogen und darauf gegruͤndet werden, und da muß die Verschiedenheit des Urtheils endlos seyn. Dieses Princip schreibt also nicht allen vernuͤnftigen Wesen eben dieselbe practi- sche Regeln vor, ob sie zwar unter einem gemeinsamen Titel, nemlich dem der Gluͤckseligkeit, stehen. Das moralische Ge- setz wird aber nur darum als objectiv nothwendig gedacht, weil es fuͤr jedermann gelten soll, der Vernunft und Willen hat. Die Maxime der Selbstliebe (Klugheit) raͤth blos an; das Gesetz der Sittlichkeit gebietet. Es ist aber doch ein großer Unterschied zwischen dem, wozu man uns anraͤthig ist, und dem, wozu wir verbindlich sind. Was nach dem Princip der Avtonomie der Willkuͤhr zu thun sey, ist fuͤr den gemeinsten Verstand ganz leicht und ohne Bedenken einzusehen; was unter Voraussetzung der Heterono- mie derselben zu thun sey, schwer, und erfodert Weltkenntniß; d. i. was Pflicht sey, bietet sich jedermann von selbst dar; was aber wahren dauerhaften Vortheil bringe, ist allemal, wenn dieser auf das ganze Daseyn erstreckt werden soll, in un- durchdringliches Dunkel eingehuͤllt, und erfodert viel Klugheit, um die practische darauf gestimmte Regel durch geschickte Aus- nahmen auch nur auf ertraͤgliche Art den Zwecken des Lebens anzupassen. Gleichwol gebietet das sittliche Gesetz jedermann, und zwar die puͤnctlichste, Befolgung. Es muß also zu der Beurtheilung dessen, was nach ihm zu thun sey, nicht so schwer seyn, daß nicht der gemeinste und ungeuͤbteste Verstand selbst ohne Weltklugheit damit umzugehen wuͤßte. Dem categorischen Gebote der Sittlichkeit Genuͤge zu leisten, ist in jedes Gewalt zu aller Zeit; der empirisch-bedingten Vor- der reinen practischen Vernunft. Vorschrift der Gluͤckseligkeit nur selten, und bey weitem nicht, auch nur in Ansehung einer einzigen Absicht, fuͤr jedermann moͤglich. Die Ursache ist, weil es bey dem ersteren nur auf die Maxime ankommt, die aͤcht und rein seyn muß, bey der letzteren aber auch auf die Kraͤfte und das physische Vermoͤgen, einen begehrten Gegenstand wirklich zu machen. Ein Gebot, daß jedermann sich gluͤcklich zu machen suchen sollte, waͤre thoͤ- richt; denn man gebietet niemals jemanden das, was er schon unausbleiblich von selbst will. Man muͤßte ihm blos die Maaßregeln gebieten, oder vielmehr darreichen, weil er nicht alles das kann, was er will. Sittlichkeit aber gebieten, unter dem Namen der Pflicht, ist ganz vernuͤnftig; denn deren Vor- schrift will erstlich eben nicht jedermann gerne gehorchen, wenn sie mit Neigungen im Widerstreite ist, und was die Maas- regeln betrift, wie er dieses Gesetz befolgen koͤnne, so duͤrfen diese hier nicht gelehrt werden; denn, was er in dieser Bezie- hung will, das kann er auch. Der im Spiel verlohren hat, kann sich wol uͤber sich selbst und seine Unklugheit aͤrgern , aber wenn er sich bewußt ist, im Spiel betrogen (obzwar dadurch gewonnen) zu ha- ben, so muß er sich selbst verachten , so bald er sich mit dem sittlichen Gesetze vergleicht. Dieses muß also doch wol etwas Anderes, als das Princip der eigenen Gluͤckseligkeit seyn. Denn zu sich selber sagen zu muͤssen: ich bin ein Nichtswuͤr- diger, ob ich gleich meinen Beutel gefuͤllt habe, muß doch ein anderes Richtmaaß des Urtheils haben, als sich selbst Bey- fall zu geben, und zu sagen: ich bin ein kluger Mensch, denn ich habe meine Casse bereichert. Endlich ist noch etwas in der Idee unserer practischen Vernunft, welches die Uebertretung eines sittlichen Gesetzes begleitet, nemlich ihre Strafwuͤrdigkeit . Nun laͤßt sich mit Kants Crit. d. pract. Vern. E dem I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen dem Begriffe einer Strafe, als einer solchen, doch gar nicht das Theilhaftigwerden der Gluͤckseligkeit verbinden. Denn obgleich der, so da straft, wol zugleich die guͤtige Absicht ha- ben kann, diese Strafe auch auf diesen Zweck zu richten, so muß sie doch zuvor als Strafe, d. i. als bloßes Uebel fuͤr sich selbst gerechtfertigt seyn, so daß der Gestrafte, wenn es dabey bliebe, und er auch auf keine sich hinter dieser Haͤrte verber- gende Gunst hinaussaͤhe, selbst gestehen muß, es sey ihm Recht geschehen, und sein Loos sey seinem Verhalten vollkommen an- gemessen. In jeder Strafe, als solcher, muß zuerst Gerech- tigkeit seyn, und diese macht das Wesentliche dieses Begriffs aus. Mit ihr kann zwar auch Guͤtigkeit verbunden werden, aber auf diese hat der Strafwuͤrdige, nach seiner Auffuͤhrung, nicht die mindeste Ursache sich Rechnung zu machen. Also ist Strafe ein physisches Uebel, welches, wenn es auch nicht als natuͤrliche Folge mit dem moralisch-Boͤsen verbunden waͤre, doch als Folge nach Principien einer sittlichen Gesetzgebung verbunden werden muͤßte. Wenn nun alles Verbrechen, auch ohne auf die physischen Folgen in Ansehung des Thaͤters zu sehen, fuͤr sich strafbar ist, d. i. Gluͤckseligkeit (wenigstens zum Theil) verwirkt, so waͤre es offenbar ungereimt zu sagen: das Ver- brechen habe darin eben bestanden, daß er sich eine Strafe zu- gezogen hat, indem er seiner eigenen Gluͤckseligkeit Abbruch that (welches nach dem Princip der Selbstliebe der eigentliche Begriff alles Verbrechens seyn muͤßte). Die Strafe wuͤrde auf diese Art der Grund seyn, etwas ein Verbrechen zu nen- nen, und die Gerechtigkeit muͤßte vielmehr darin bestehen, alle Bestrafung zu unterlassen und selbst die natuͤrliche zu ver- hindern; denn alsdenn waͤre in der Handlung nichts Boͤses mehr, weil die Uebel, die sonst darauf folgeten, und um de- ren willen die Handlung allein boͤse hieß, nunmehro abgehalten waͤren. der reinen practischen Vernunft. waͤren. Vollends aber alles Strafen und Belohnen nur als das Maschinenwerk in der Hand einer hoͤheren Macht anzu- sehen, welches vernuͤnftige Wesen dadurch zu ihrer Endabsicht (der Gluͤckseligkeit) in Thaͤtigkeit zu setzen allein dtenen soll- te, ist gar zu sichtbar ein alle Freyheit aufhebender Mecha- nism ihres Willens, als daß es noͤthig waͤre uns hiebey auf- zuhalten. Feiner noch, obgleich eben so unwahr, ist das Vorgeben derer, die einen gewissen moralischen besondern Sinn anneh- men, der, und nicht die Vernunft, das moralische Gesetz be- stimmete, nach welchem das Bewußtseyn der Tugend unmittel- bar mit Zufriedenheit und Vergnuͤgen, das des Lasters aber mit Seelenunruhe und Schmerz verbunden waͤre, und so alles doch auf Verlangen nach eigener Gluͤckseligkeit aussetzen. Ohne das hieher zu ziehen, was oben gesagt worden, will ich nur die Taͤuschung bemerken, die hiebey vorgeht. Um den Lasterhaften als durch das Bewußtseyn seiner Vergehungen mit Gemuͤths- unruhe geplagt vorzustellen, muͤssen sie ihn, der vornehmsten Grundlage seines Characters nach, schon zum voraus als, we- nigstens in einigem Grade, moralisch gut, so wie den, wel- chen das Bewußtseyn pflichtmaͤßiger Handlungen ergoͤtzt, vor- her schon als tugendhaft vorstellen. Also mußte doch der Be- griff der Moralitaͤt und Pflicht vor aller Ruͤcksicht auf diese Zufriedenheit vorhergehen und kann von dieser gar nicht abge- leitet werden. Nun muß man doch die Wichtigkeit dessen, was wir Pflicht nennen, das Ansehen des moralischen Gesetzes und den unmittelbaren Werth, den die Befolgung desselben der Person in ihren eigenen Augen giebt, vorher schaͤtzen, um jene Zufriedenheit in dem Bewußtseyn seiner Angemessenheit zu derselben, und den bitteren Verweis, wenn man sich dessen Uebertretung vorwerfen kann, zu fuͤhlen. Man kann also E 2 diese I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen diese Zufriedenheit oder Seelenunruhe nicht vor der Erkenntniß der Verbindlichkeit fuͤhlen und sie zum Grunde der letzteren machen. Man muß wenigstens auf dem halben Wege schon ein ehrlicher Mann seyn, um sich von jenen Empfindungen auch nur eine Vorstellung machen zu koͤnnen. Daß uͤbrigens, so wie, vermoͤge der Freyheit, der menschliche Wille durchs moralische Gesetz unmittelbar bestimmbar ist, auch die oͤftere Ausuͤbung, diesem Bestimmungsgrunde gemaͤß, subjectiv zu- letzt ein Gefuͤhl der Zufriedenheit mit sich selbst wirken koͤnne, bin ich gar nicht in Abrede; vielmehr gehoͤrt es selbst zur Pflicht, dieses, welches eigentlich allein das moralische Gefuͤhl genannt zu werden verdient, zu gruͤnden und zu cultiviren; aber der Begriff der Pflicht kann davon nicht abgeleitet werden, sonst muͤßten wir uns ein Gefuͤhl eines Gesetzes als eines sol- chen denken, und das zum Gegenstande der Empfindung machen, was nur durch Vernunft gedacht werden kann; welches, wenn es nicht ein platter Widerspruch werden soll, allen Begriff der Pflicht ganz aufheben, und an deren Statt blos ein mechani- sches Spiel feinerer, mit den groͤberen bisweilen in Zwist ge- rathender, Neigungen setzen wuͤrde. Wenn wir nun unseren formalen obersten Grundsatz der reinen practischen Vernunft (als einer Avtonomie des Willens) mit allen bisherigen materialen Principien der Sittlichkeit vergleichen, so koͤnnen wir in einer Tafel alle uͤbrige, als sol- che, dadurch wirklich zugleich alle moͤgliche andere Faͤlle, außer einem einzigen formalen, erschoͤpft sind, vorstellig machen, und so durch den Augenschein beweisen, daß es vergeblich sey, sich nach einem andern Princip, als dem jetzt vorgetragenen, um- zusehen. — Alle moͤgliche Bestimmungsgruͤnde des Willens sind nemlich entweder blos subjectiv und also empirisch, oder auch objectiv und rational; beide aber entweder aͤußere oder innere. Practi- der reinen practischen Vernunft. E 3 Die I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen Die auf der linken Seite stehende sind insgesamt empi- risch und taugen offenbar gar nicht zum allgemeinen Princip der Sittlichkeit. Aber die auf der rechten Seite gruͤnden sich auf der Vernunft, (denn Vollkommenheit, als Beschaf- fenheit der Dinge, und die hoͤchste Vollkommenheit in Sub- stanz vorgestellt, d. i. Gott, sind beide nur durch Vernunft- begriffe zu denken.) Allein der erstere Begriff, nemlich der Vollkommenheit, kann entweder in theoretischer Bedeu- tung genommen werden, und da bedeutet er nichts, als Voll- staͤndigkeit eines jeden Dinges in seiner Art (transscendentale), oder eines Dinges blos als Dinges uͤberhaupt (metaphysische), und davon kann hier nicht die Rede seyn. Der Begriff der Vollkommenheit in practischer Bedeutung aber ist die Taug- lichkeit, oder Zulaͤnglichkeit eines Dinges zu allerley Zwecken. Diese Vollkommenheit, als Beschaffenheit des Menschen, folglich innerliche, ist nichts anders, als Talent, und, was dieses staͤrkt oder ergaͤnzt, Geschicklichkeit. Die hoͤchste Vollkommenheit in Substanz, d. i. Gott, folglich aͤußerliche, (in practischer Absicht betrachtet,) ist die Zulaͤnglichkeit dieses Wesens zu allen Zwecken uͤberhaupt. Wenn nun also uns Zwecke vorher gegeben werden muͤssen, in Beziehung auf wel- che der Begriff der Vollkommenheit (einer inneren, an uns selbst, oder einer aͤußeren, an Gott,) allein Bestimmungs- grund des Willens werden kann, ein Zweck aber, als Object, welches vor der Willensbestimmung durch eine practische Regel vorhergehen und den Grund der Moͤglichkeit einer solchen ent- halten muß, mithin die Materie des Willens, als Bestim- mungsgrund desselben genommen, jederzeit empirisch ist, mit- hin zum epicurischen Princip der Gluͤckseligkeitslehre, nie- mals aber zum reinen Vernunftprincip der Sittenlehre und der Pflicht dienen kann, (wie denn Talente und ihre Befoͤr- derung der reinen practischen Vernunft. derung nur, weil sie zu Vortheilen des Lebens beytragen, oder der Wille Gottes, wenn Einstimmung mit ihm, ohne vorher- gehendes von dessen Idee unabhaͤngiges practisches Princip, zum Objecte des Willens genommen worden, nur durch die Gluͤckseligkeit, die wir davon erwarten, Bewegursache des- selben werden koͤnnen,) so folgt erstlich, daß alle hier aufge- stellte Principien material sind, zweytens , daß sie alle moͤg- liche materiale Principien befassen, und daraus endlich der Schluß: daß, weil materiale Principien zum obersten Sitten- gesetz ganz untauglich sind, (wie bewiesen worden,) das for- male practische Princip der reinen Vernunft, nach welchem die bloße Form einer durch unsere Maximen moͤglichen allge- meinen Gesetzgebung den obersten und unmittelbaren Bestim- mungsgrund des Willens ausmachen muß, das einzige moͤg- liche sey, welches zu categorischen Imperativen, d. i. practi- schen Gesetzen (welche Handlungen zur Pflicht machen), und uͤberhaupt zum Princip der Sittlichkeit, sowohl in der Beur- theilung, als auch der Anwendung auf den menschlichen Wil- len, in Bestimmung desselben, tauglich ist. E 4 I. I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen I. Von der Deduction der Grundsaͤtze der reinen practischen Vernunft. D iese Analytik thut dar, daß reine Vernunft practisch seyn, d. i. fuͤr sich, unabhaͤngig von allem Empirischen, den Willen bestimmen koͤnne — und dieses zwar durch ein Factum, worin sich reine Vernunft bey uns in der That practisch beweiset, nemlich die Avtonomie in dem Grundsatze der Sittlichkeit, wodurch sie den Willen zur That bestimmt. — Sie zeigt zugleich, daß dieses Factum mit dem Bewußtseyn der Freyheit des Willens unzertrennlich verbunden, ja mit ihm einerley sey, wo- durch der Wille eines vernuͤnftigen Wesens, das, als zur Sinnenwelt gehoͤrig, sich, gleich anderen wirksa- men Ursachen, nothwendig den Gesetzen der Causalitaͤt unterworfen erkennt, im Practischen, doch zugleich sich auf einer andern Seite, nemlich als Wesen an sich selbst, seines in einer intelligibelen Ordnung der Dinge bestimmbaren Daseyns bewußt ist, zwar nicht einer be- sondern Anschauung seiner selbst, sondern gewissen dy- namischen Gesetzen gemaͤß, die die Causalitaͤt desselben in der Sinnenwelt bestimmen koͤnnen; denn, daß Frey- heit, wenn sie uns beygelegt wird, uns in eine intelli- gibele Ordnung der Dinge versetze, ist anderwerts hin- reichend bewiesen worden. Wenn der reinen practischen Vernunft. Wenn wir nun damit den analytischen Theil der Critik der reinen speculativen Vernunft vergleichen, so zeigt sich ein merkwuͤrdiger Contrast beider gegen ein- ander. Nicht Grundsaͤtze, sondern reine sinnliche An- schauung (Raum und Zeit) war daselbst das erste Datum, welches Erkenntniß a priori und zwar nur fuͤr Gegenstaͤnde der Sinne moͤglich machte. — Synthe- tische Grundsaͤtze aus bloßen Begriffen ohne Anschauung waren unmoͤglich, vielmehr konnten diese nur in Be- ziehung auf jene, welche sinnlich war, mithin auch nur auf Gegenstaͤnde moͤglicher Erfahrung stattfinden, weil die Begriffe des Verstandes, mit dieser Anschauung ver- bunden, allein dasjenige Erkenntniß moͤglich machen, welches wir Erfahrung nennen. — Ueber die Erfah- rungsgegenstaͤnde hinaus, also von Dingen als Nou- menen, wurde der speculativen Vernunft alles Positive einer Erkenntniß mit voͤlligem Rechte abgesprochen. — Doch leistete diese so viel, daß sie den Begriff der Nou- menen, d. i. die Moͤglichkeit, ja Nothwendigkeit der- gleichen zu denken, in Sicherheit setzte, und z. B. die Freyheit, negativ betrachtet, anzunehmen, als ganz vertraͤglich mit jenen Grundsaͤtzen und Einschraͤnkungen der reinen theoretischen Vernunft, wider alle Einwuͤrfe rettete, ohne doch von solchen Gegenstaͤnden irgend et- was bestimmtes und erweiterndes zu erkennen zu geben, indem sie vielmehr alle Aussicht dahin gaͤnzlich ab- schnitt. E 5 Da- I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen Dagegen giebt das moralische Gesetz, wenn gleich keine Aussicht, dennoch ein schlechterdings aus allen Datis der Sinnenwelt und dem ganzen Umfange unse- res theoretischen Vernunftgebrauchs unerklaͤrliches Fa- ctum an die Hand, das auf eine reine Verstandeswelt Anzeige giebt, ja diese so gar positiv bestimmt und uns etwas von ihr, nemlich ein Gesetz, erkennen laͤßt. Dieses Gesetz soll der Sinnenwelt, als einer sinn- lichen Natur, (was die vernuͤnftigen Wesen betrifft,) die Form einer Verstandeswelt d. i. einer uͤbersinnli- chen Natur verschaffen, ohne doch jener ihrem Mecha- nism Abbruch zu thun. Nun ist Natur im allgemeinsten Verstande die Existenz der Dinge unter Gesetzen. Die sinnliche Natur vernuͤnftiger Wesen uͤberhaupt ist die Existenz derselben unter empirisch bedingten Gesetzen, mithin fuͤr die Vernunft Heteronomie. Die uͤbersinn- liche Natur eben derselben Wesen ist dagegen ihre Exi- stenz nach Gesetzen, die von aller empirischen Bedingung unabhaͤngig sind, mithin zur Avtonomie der reinen Vernunft gehoͤren. Und, da die Gesetze, nach welchen das Daseyn der Dinge vom Erkenntniß abhaͤngt, pra- ctisch sind; so ist die uͤbersinnliche Natur, so weit wir uns einen Begriff von ihr machen koͤnnen, nichts an- ders, als eine Natur unter der Avtonomie der rei- nen practischen Vernunft. Das Gesetz dieser Avto- nomie aber ist das moralische Gesetz; welches also das Grundgesetz einer uͤbersinnlichen Natur und einer reinen Ver- der reinen practischen Vernunft. Verstandeswelt ist, deren Gegenbild in der Sinnenwelt, aber doch zugleich ohne Abbruch der Gesetze derselben, existiren soll. Man koͤnnte jene die urbildliche (na- tura archetypa) , die wir blos in der Vernunft erken- nen; diese aber, weil sie die moͤgliche Wirkung der Idee der ersteren, als Bestimmungsgrundes des Wil- lens, enthaͤlt, die nachgebildete (natura ectypa) nen- nen. Denn in der That versetzt uns das moralische Gesetz, der Idee nach, in eine Natur, in welcher reine Vernunft, wenn sie mit dem ihr angemessenen physi- schen Vermoͤgen begleitet waͤre, das hoͤchste Gut her- vorbringen wuͤrde, und bestimmt unseren Willen die Form der Sinnenwelt, als einem Ganzen vernuͤnftiger Wesen, zu ertheilen. Daß diese Idee wirklich unseren Willensbestim- mungen gleichsam als Vorzeichnung zum Muster liege, bestaͤtigt die gemeinste Aufmerksamkeit auf sich selbst. Wenn die Maxime, nach der ich ein Zeugniß ab- zulegen gesonnen bin, durch die practische Vernunft ge- pruͤft wird, so sehe ich immer darnach, wie sie seyn wuͤrde, wenn sie als allgemeines Naturgesetz goͤlte. Es ist offenbar, in dieser Art wuͤrde es jedermann zur Wahrhaftigkeit noͤthigen. Denn es kann nicht mit der Allgemeinheit eines Naturgesetzes bestehen, Aus- sagen fuͤr beweisend und dennoch als vorsetzlich unwahr gelten zu lassen. Eben so wird die Maxime, die ich in An- I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen Ansehung der freyen Disposition uͤber mein Leben neh- me, sofort bestimmt, wenn ich mich frage, wie sie seyn muͤßte, damit sich eine Natur nach einem Gesetze derselben erhalte. Offenbar wuͤrde niemand in einer solchen Natur sein Leben willkuͤhrlich endigen koͤnnen, denn eine solche Verfassung wuͤrde keine bleibende Na- turordnung seyn, und so in allen uͤbrigen Faͤllen. Nun ist aber in der wirklichen Natur, so wie sie ein Gegen- stand der Erfahrung ist, der freye Wille nicht von selbst zu solchen Maximen bestimmt, die fuͤr sich selbst eine Natur nach allgemeinen Gesetzen gruͤnden koͤnnten, oder auch in eine solche, die nach ihnen angeordnet waͤre, von selbst passeten; vielmehr sind es Privatneigungen, die zwar ein Naturganzes nach pathologischen (physi- schen) Gesetzen, aber nicht eine Natur, die allein durch unsern Willen nach reinen practischen Gesetzen moͤglich waͤre, ausmachen. Gleichwol sind wir uns durch die Vernunft eines Gesetzes bewußt, welchem, als ob durch unseren Willen zugleich eine Naturordnung entspringen muͤßte, alle unsere Maximen unterworfen sind. Also muß dieses die Idee einer nicht empirisch-gegebenen und dennoch durch Freyheit moͤglichen, mithin uͤber- sinnlichen Natur seyn, der wir, wenigstens in practi- scher Beziehung, objective Realitaͤt geben, weil wir sie als Object unseres Willens, als reiner vernuͤnftiger Wesen ansehen. Der der reinen practischen Vernunft. Der Unterschied also zwischen den Gesetzen einer Natur, welcher der Wille unterworfen ist, und einer Natur, die einem Willen (in Ansehung dessen, was Beziehung desselben auf seine freye Handlungen hat) unterworfen ist, beruht darauf, daß bey jener die Ob- jecte Ursachen der Vorstellungen seyn muͤssen, die den Willen bestimmen, bey dieser aber der Wille Ursache von den Objecten seyn soll, so daß die Causalitaͤt dessel- ben ihren Bestimmungsgrund lediglich in reinem Ver- nunftvermoͤgen liegen hat, welches deshalb auch eine reine practische Vernunft genannt werden kann. Die zwey Aufgaben also: wie reine Vernunft einerseits a priori Objecte erkennen, und wie sie an- dererseits unmittelbar ein Bestimmungsgrund des Wil- lens d. i. der Causalitaͤt des vernuͤnftigen Wesens in Ansehung der Wirklichkeit der Objecte (blos durch den Gedanken der Allgemeinguͤltigkeit ihrer eigenen Maxi- men als Gesetzes) seyn koͤnne, sind sehr verschieden. Die erste, als zur Critik der reinen speculativen Vernunft gehoͤrig, erfodert, daß zuvor erklaͤrt werde, wie Anschauungen, ohne welche uns uͤberall kein Ob- ject gegeben und also auch keines synthetisch erkannt werden kann, a priori moͤglich sind, und ihre Aufloͤsung faͤllt dahin aus, daß sie insgesamt nur sinnlich seyn, daher auch kein speculatives Erkenntniß moͤglich werden lassen, das weiter ginge, als moͤgliche Erfahrung reicht, und I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen und daß daher alle Grundsaͤtze jener reinen practischen Vernunft nichts weiter ausrichten, als Erfahrung, ent- weder von gegebenen Gegenstaͤnden, oder denen, die ins Unendliche gegeben werden moͤgen, niemals aber vollstaͤndig gegeben sind, moͤglich zu machen. Die zweyte, als zur Critik der practischen Ver- nunft gehoͤrig, fodert keine Erklaͤrung, wie die Objecte des Begehrungsvermoͤgens moͤglich sind, denn das bleibt, als Aufgabe der theoretischen Naturkenntniß, der Critik der speculativen Vernunft uͤberlassen, son- dern nur, wie Vernunft die Maxime des Willens be- stimmen koͤnne, ob es nur vermittelst empirischer Vor- stellung, als Bestimmungsgruͤnde, geschehe, oder ob auch reine Vernunft practisch und ein Gesetz einer moͤg- lichen, gar nicht empirisch erkennbaren, Naturordnung seyn wuͤrde. Die Moͤglichkeit einer solchen uͤbersinnli- chen Natur, deren Begriff zugleich der Grund der Wirklichkeit derselben durch unseren freyen Willen seyn koͤnne, bedarf keiner Anschauung a priori (einer intel- ligibelen Welt), die in diesem Falle, als uͤbersinnlich, fuͤr uns auch unmoͤglich seyn muͤßte. Denn es kommt nur auf den Bestimmungsgrund des Wollens in den Maximen desselben an, ob jener empirisch, oder ein Be- griff der reinen Vernunft (von der Gesetzmaͤßigkeit der- selben uͤberhaupt) sey, und wie er letzteres seyn koͤnne. Ob die Causalitaͤt des Willens zur Wirklichkeit der Ob- jecte zulange, oder nicht, bleibt den theoretischen Prin- cipien der reinen practischen Vernunft. cipien der Vernunft zu beurtheilen uͤberlassen, als Un- tersuchung der Moͤglichkeit der Objecte des Wollens, deren Anschauung also in der practischen Aufgabe gar kein Moment derselben ausmacht. Nur auf die Wil- lensbestimmung und den Bestimmungsgrund der Ma- xime desselben, als eines freyen Willens, kommt es hier an, nicht auf den Erfolg. Denn, wenn der Wille nur fuͤr die reine Vernunft gesetzmaͤßig ist, so mag es mit dem Vermoͤgen desselben in der Ausfuͤhrung stehen, wie es wolle, es mag nach diesen Maximen der Gesetz- gebung einer moͤglichen Natur eine solche wirklich dar- aus entspringen, oder nicht, darum bekuͤmmert sich die Critik, die da untersucht, ob und wie reine Vernunft practisch, d. i. unmittelbar Willenbestimmend, seyn koͤnne, gar nicht. In diesem Geschaͤffte kann sie also ohne Tadel und muß sie von reinen practischen Gesetzen und deren Wirk- lichkeit anfangen. Statt der Anschauung aber legt sie denselben den Begriff ihres Daseyns in der intelligibelen Welt, nemlich der Freyheit, zum Grunde. Denn dieser bedeutet nichts anders, und jene Gesetze sind nur in Beziehung auf Freyheit des Willens moͤglich, unter Voraussetzung derselben aber nothwendig, oder, umge- kehrt, diese ist nothwendig, weil jene Gesetze, als practische Postulate, nothwendig sind. Wie nun die- ses Bewußtseyn der moralischen Gesetze, oder, welches einerley ist, das der Freyheit, moͤglich sey, laͤßt sich nicht I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen nicht weiter erklaͤren, nur die Zulaͤssigkeit derselben in der theoretischen Critik gar wohl vertheidigen. Die Exposition des obersten Grundsatzes der pra- ctischen Vernunft ist nun geschehen, d. i. erstlich, was er enthalte, daß er gaͤnzlich a priori und unabhaͤngig von empirischen Principien fuͤr sich bestehe, und dann, worin er sich von allen anderen practischen Grundsaͤtzen unterscheide, gezeigt worden. Mit der Deduction, d. i. der Rechtfertigung seiner objectiven und allgemei- nen Guͤltigkeit und der Einsicht der Moͤglichkeit eines solchen synthetischen Satzes a priori, darf man nicht so gut fortzukommen hoffen, als es mit den Grund- saͤtzen des reinen theoretischen Verstandes anging. Denn diese bezogen sich auf Gegenstaͤnde moͤglicher Er- fahrung, nemlich auf Erscheinungen, und man konnte beweisen, daß nur dadurch, daß diese Erscheinungen nach Maaßgabe jener Gesetze unter die Categorien ge- bracht werden, diese Erscheinungen als Gegenstaͤnde der Erfahrung erkannt werden koͤnnen, folglich alle moͤgliche Erfahrung diesen Gesetzen angemessen seyn muͤsse. Einen solchen Gang kann ich aber mit der De- duction des moralischen Gesetzes nicht nehmen. Denn es betrifft nicht das Erkenntniß von der Beschaffenheit der Gegenstaͤnde, die der Vernunft irgend wodurch anderwerts gegeben werden moͤgen, sondern ein Er- kenntniß, so fern es der Grund von der Existenz der Gegenstaͤnde selbst werden kann und die Vernunft durch die- der reinen practischen Vernunft. dieselbe Causalitaͤt in einem vernuͤnftigen Wesen hat, d. i. reine Vernunft, die als ein unmittelbar den Wil- len bestimmendes Vermoͤgen angesehen werden kann. Nun ist aber alle menschliche Einsicht zu Ende, so bald wir zu Grundkraͤften oder Grundvermoͤgen gelan- get sind; denn deren Moͤglichkeit kann durch nichts be- griffen, darf aber auch eben so wenig beliebig erdichtet und angenommen werden. Daher kann uns im theo- retischen Gebrauche der Vernunft nur Erfahrung dazu berechtigen, sie anzunehmen. Dieses Surrogat, statt einer Deduction aus Erkenntnißquellen a priori, empi- rische Beweise anzufuͤhren, ist uns hier aber in Ansehung des reinen practischen Vernunftvermoͤgens auch benom- men. Denn, was den Beweisgrund seiner Wirklich- keit von der Erfahrung herzuholen bedarf, muß den Gruͤnden seiner Moͤglichkeit nach von Erfahrungsprin- cipien abhaͤngig seyn, fuͤr dergleichen aber reine und doch practische Vernunft schon ihres Begriffs wegen unmoͤglich gehalten werden kann. Auch ist das mora- lische Gesetz gleichsam als ein Factum der reinen Ver- nunft, dessen wir uns a priori bewußt sind und welches apodictisch gewiß ist, gegeben, gesetzt, daß man auch in der Erfahrung kein Beyspiel, da es genau befolgt waͤre, auftreiben konnte. Also kann die objective Realitaͤt des moralischen Gesetzes durch keine Deduction, durch alle Anstrengung der theoretischen, speculativen oder empirisch unterstuͤtzten Vernunft, bewiesen, und Kants Crit. d. pract. Vern. F also, I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen also, wenn man auch auf die apodictische Gewißheit Verzicht thun wollte, durch Erfahrung bestaͤtigt und so a posteriori bewiesen werden, und steht dennoch fuͤr sich selbst fest. Etwas anderes aber und ganz Widersinnisches tritt an die Stelle dieser vergeblich gesuchten Deduction des moralischen Princips, nemlich, daß es umgekehrt selbst zum Princip der Deduction eines unerforschlichen Vermoͤgens dient, welches keine Erfahrung beweisen, die speculative Vernunft aber (um unter ihren cosmo- logischen Ideen das Unbedingte seiner Causalitaͤt nach zu finden, damit sie sich selbst nicht widerspreche,) we- nigstens als moͤglich annehmen mußte, nemlich das der Freyheit, von der das moralische Gesetz, welches selbst keiner rechtfertigenden Gruͤnde bedarf, nicht blos die Moͤglichkeit, sondern die Wirklichkeit an Wesen bewei- set, die dies Gesetz als fuͤr sie verbindend erkennen. Das moralische Gesetz ist in der That ein Gesetz der Causalitaͤt durch Freyheit, und also der Moͤglichkeit einer uͤbersinnlichen Natur, so wie das metaphysische Gesetz der Begebenheiten in der Sinnenwelt ein Gesetz der Causalitaͤt der sinnlichen Natur war, und jenes bestimmt also das, was speculative Philosophie unbe- stimmt lassen mußte, nemlich das Gesetz fuͤr eine Cau- salitaͤt, deren Begriff in der letzteren nur negativ war, und verschafft diesem also zuerst objective Realitaͤt. Diese der reinen practischen Vernunft. Diese Art von Creditiv des moralischen Gesetzes, da es selbst als ein Princip der Deduction der Frey- heit, als einer Causalitaͤt der reinen Vernunft, aufge- stellt wird, ist, da die theoretische Vernunft wenigstens die Moͤglichkeit einer Freyheit anzunehmen genoͤthigt war, zu Ergaͤnzung eines Beduͤrfnisses derselben, statt aller Rechtfertigung a priori voͤllig hinreichend. Denn das moralische Gesetz beweiset seine Realitaͤt dadurch auch fuͤr die Critik der speculativen Vernunft genug- thuend, daß es einer blos negativ gedachten Causalitaͤt, deren Moͤglichkeit jener unbegreiflich und dennoch sie anzunehmen noͤthig war, positive Bestimmung, nem- lich den Begriff einer den Willen unmittelbar (durch die Bedingung einer allgemeinen gesetzlichen Form sei- ner Maximen) bestimmenden Vernunft hinzufuͤgt, und so der Vernunft, die mit ihren Ideen, wenn sie specu- lativ verfahren wollte, immer uͤberschwenglich wurde, zum erstenmale objective, obgleich nur practische Rea- litaͤt zu geben vermag und ihren transscendenten Ge- brauch in einen immanenten (im Felde der Erfah- rung durch Ideen selbst wirkende Ursachen zu seyn) ver- wandelt. Die Bestimmung der Causalitaͤt der Wesen in der Sinnenwelt, als einer solchen, konnte niemals unbe- dingt seyn, und dennoch muß es zu aller Reihe der Be- dingungen nothwendig etwas Unbedingtes, mithin auch eine sich gaͤnzlich von selbst bestimmende Causalitaͤt ge- F 2 ben. I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen ben. Daher war die Idee der Freyheit, als eines Ver- moͤgens absoluter Spantaneitaͤt, nicht ein Beduͤrfniß, sondern was deren Moͤglichkeit betrifft, ein analyti- scher Grundsatz der reinen speculativen Vernunft. Al- lein, da es schlechterdings unmoͤglich ist, ihr gemaͤß ein Beyspiel in irgend einer Erfahrung zu geben, weil un- ter den Ursachen der Dinge, als Erscheinungen, keine Bestimmung der Causalitaͤt, die schlechterdings unbe- dingt waͤre, angetroffen werden kann, so konnten wir nur den Gedanken von einer freyhandelnden Ursache, wenn wir diesen auf ein Wesen in der Sinnenwelt, so fern es andererseits auch als Roumenon betrachtet wird, anwenden, vertheidigen, indem wir zeigten, daß es sich nicht widerspreche, alle seine Handlungen als phy- sisch bedingt, so fern sie Erscheinungen sind, und doch zugleich die Causalitaͤt derselben, so fern das handelnde Wesen ein Verstandeswesen ist, als physisch unbedingt anzusehen, und so den Begriff der Freyheit zum regu- lativen Princip der Vernunft zu machen, wodurch ich zwar den Gegenstand, dem dergleichen Causalitaͤt bey- gelegt wird, gar nicht erkenne, was er sey, aber doch das Hinderniß wegnehme, indem ich einerseits in der Erklaͤrung der Weltbegebenheiten, mithin auch der Handlungen vernuͤnftiger Wesen, dem Mechanismus der Naturnothwendigkeit, vom Bedingten zur Bedingung ins Unendliche zuruͤckzugehen, Gerechtigkeit wiederfah- ren lasse, andererseits aber der speculativen Vernunft den der reinen practischen Vernunft. den fuͤr sie leeren Platz offen erhalte, nemlich das In- telligibele, um das Unbedingte dahin zu versetzen. Ich konnte aber diesen Gedanken nicht realisiren, d. i. ihn nicht in Erkenntniß eines so handelnden Wesens, auch nur blos seiner Moͤglichkeit nach, verwandeln. Diesen leeren Platz fuͤllt nun reine practische Vernunft, durch ein bestimmtes Gesetz der Causalitaͤt in einer intel- ligibelen Welt, (durch Freyheit,) nemlich das morali- sche Gesetz, aus. Hiedurch waͤchst nun zwar der specu- lativen Vernunft in Ansehung ihrer Einsicht nichts zu, aber doch in Ansehung der Sicherung ihres problema- tischen Begriffs der Freyheit, welchem hier objective und obgleich nur practische, dennoch unbezweifelte Realitaͤt verschafft wird. Selbst den Begriff der Cau- salitaͤt, dessen Anwendung, mithin auch Bedeutung, eigentlich nur in Beziehung auf Erscheinungen, um sie zu Erfahrungen zu verknuͤpfen, stattfindet, (wie die Critik der reinen Vernunft beweiset,) erweitert sie nicht so, daß sie seinen Gebrauch uͤber gedachte Grenzen aus- dehne. Denn wenn sie darauf ausgienge, so muͤßte sie zeigen wollen, wie das logische Verhaͤltniß des Grun- des und der Folge bey einer anderen Art von Anschau- ung, als die sinnliche ist, synthetisch gebraucht werden koͤnne, d. i. wie caussa noumenon moͤglich sey; wel- ches sie gar nicht leisten kann, worauf sie aber auch als practische Vernunft gar nicht Ruͤcksicht nimmt, in- dem sie nur den Bestimmungsgrund der Causalitaͤt F 3 des I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen des Menschen, als Sinnenwesens, (welche gegeben ist,) in der reinen Vernunft (die darum practisch heißt,) setzt, und also den Begriff der Ursache selbst, von dessen Anwendung auf Objecte zum Behuf theoretischer Er- kenntnisse sie hier gaͤnzlich abstrahiren kann, (weil die- ser Begriff immer im Verstande, auch unabhaͤngig von aller Anschauung, a priori angetroffen wird,) nicht um Gegenstaͤnde zu erkennen, sondern die Causalitaͤt in Ansehung derselben uͤberhaupt zu bestimmen, also in keiner andern, als practischen Absicht braucht, und da- her den Bestimmungsgrund des Willens in die intelli- gibele Ordnung der Dinge verlegen kann, indem sie zugleich gerne gesteht, das, was der Begriff der Ursa- che zur Erkenntniß dieser Dinge fuͤr eine Bestimmung haben moͤge, gar nicht zu verstehen. Die Causalitaͤt in Ansehung der Handlungen des Willens in der Sin- nenwelt muß sie allerdings auf bestimmte Weise erken- nen, denn sonst koͤnnte practische Vernunft wirklich keine That hervorbringen. Aber den Begriff, den sie von ihrer eigenen Causalitaͤt als Noumenon macht, braucht sie nicht theoretisch zum Behuf der Erkenntniß ihrer uͤbersinnlichen Existenz zu bestimmen, und also ihm so fern Bedeutung geben zu koͤnnen. Denn Be- deutung bekommt er ohnedem, obgleich nur zum practischen Gebrauche, nemlich durchs moralische Ge- setz. Auch theoretisch betrachtet bleibt er immer ein reiner a priori gegebener Verstandesbegriff, der auf Gegen- der reinen practischen Vernunft. Gegenstaͤnde angewandt werden kann, sie moͤgen sinn- lich oder nicht sinnlich gegeben werden; wiewol er im letzteren Falle keine bestimmte theoretische Bedeutung und Anwendung hat, sondern blos ein formaler, aber doch wesentlicher Gedanke des Verstandes von einem Objecte uͤberhaupt ist. Die Bedeutung, die ihm die Vernunft durchs moralische Gesetz verschafft, ist lediglich practisch, da nemlich die Idee des Gesetzes einer Cau- salitaͤt (des Willens) selbst Causalitaͤt hat, oder ihr Bestimmungsgrund ist. II. Von dem Befugnisse der reinen Vernunft, im practischen Gebrauche , zu einer Erweiterung, die ihr im speculativen fuͤr sich nicht moͤglich ist. A n dem moralischen Princip haben wir ein Gesetz der Causalitaͤt aufgestellt, welches den Bestimmungsgrund der letzteren uͤber alle Bedingungen der Sinnenwelt wegsetzt, und den Willen, wie er als zu einer intelligi- belen Welt gehoͤrig bestimmbar sey, mithin das Sub- ject dieses Willens (den Menschen) nicht blos als zu einer reinen Verstandeswelt gehoͤrig, obgleich in dieser Beziehung als uns unbekannt (wie es nach der Critik F 4 der I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen der reinen speculativen Vernunft geschehen konnte) ge- dacht, sondern ihn auch in Ansehung seiner Causalitaͤt, vermittelst eines Gesetzes, welches zu gar keinem Na- turgesetze der Sinnenwelt gezaͤhlt werden kann, be- stimmt, also unser Erkenntniß uͤber die Grenzen des letzteren erweitert, welche Anmaaßung doch die Critik der reinen Vernunft in aller Speculation fuͤr nichtig erklaͤrte. Wie ist nun hier practischer Gebrauch der reinen Vernunft mit dem theoretischen eben derselben, in Ansehung der Grenzbestimmung ihres Vermoͤgens zu vereinigen. David Hume, von dem man sagen kann, daß er alle Anfechtung der Rechte einer reinen Vernunft, wel- che eine gaͤnzliche Untersuchung derselben nothwendig machten, eigentlich anfing, schloß so. Der Begriff der Ursache ist ein Begriff, der die Nothwendigkeit der Verknuͤpfung der Existenz des Verschiedenen, und zwar, so fern es verschieden ist, enthaͤlt, so: daß, wenn A gesetzt wird, ich erkenne, daß etwas davon ganz ver- schiedenes, B, nothwendig auch existiren muͤsse. Noth- wendigkeit kann aber nur einer Verknuͤpfung beygelegt werden, so fern sie a priori erkannt wird; denn die Erfahrung wuͤrde von einer Verbindung nur zu erken- nen geben, daß sie sey, aber nicht, daß sie so noth- wendigerweise sey. Nun ist es, sagt er, unmoͤglich, die Verbindung, die zwischen einem Dinge und einem anderen, (oder einer Bestimmung und einer anderen, ganz der reinen practischen Vernunft. ganz von ihr verschiedenen,) wenn sie nicht in der Wahrnehmung gegeben werden, a priori und als noth- wendig zu erkennen. Also ist der Begriff einer Ursache selbst luͤgenhaft und betruͤgerisch, und ist, am gelinde- sten davon zu reden, eine so fern noch zu entschuldi- gende Taͤuschung, da die Gewohnheit (eine subjective Nothwendigkeit) gewisse Dinge, oder ihre Bestimmun- gen, oͤfters neben, oder nach einander ihrer Existenz nach, als sich beygesellet, wahrzunehmen, unvermerkt fuͤr eine objective Nothwendigkeit in den Gegenstaͤnden selbst eine solche Verknuͤpfung zu setzen, genommen, und so der Begriff einer Ursache erschlichen und nicht rechtmaͤßig erworben ist, ja auch niemals erworben oder beglaubigt werden kann, weil er eine an sich nichtige, chimaͤrische, vor keiner Vernunft haltbare Verknuͤpfung fodert, der gar kein Object jemals correspondiren kann. — So ward nun zuerst in Ansehung alles Er- kenntnisses, das die Existenz der Dinge betrifft, (die Mathematik blieb also davon noch ausgenommen,) der Empirismus als die einzige Quelle der Principien eingefuͤhrt, mit ihm aber zugleich der haͤrteste Scep- ticism selbst in Ansehung der ganzen Naturwissenschaft (als Philosophie). Denn wir koͤnnen, nach solchen Grundsaͤtzen, niemals aus gegebenen Bestimmungen der Dinge ihrer Existenz nach auf eine Folge schließen, (denn dazu wuͤrde der Begriff einer Ursache, der die Nothwendigkeit einer solchen Verknuͤpfung enthaͤlt, F 5 erfodert I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen erfodert werden,) sondern nur nach der Regel der Ein- bildungskraft, aͤhnliche Faͤlle, wie sonst, erwarten, welche Erwartung aber niemals sicher ist, sie mag auch noch so oft eingetroffen seyn. Ja bey keiner Begeben- heit koͤnnte man sagen: es muͤsse etwas vor ihr vor- hergegangen seyn, worauf sie nothwendig folgte, d. i. sie muͤsse eine Ursache haben, und also, wenn man auch noch so oͤftere Faͤlle kennete, wo dergleichen vor- herging, so daß eine Regel davon abgezogen werden konnte, so koͤnnte man darum es nicht als immer und nothwendig sich auf die Art zutragend annehmen, und so muͤsse man dem blinden Zufalle, bey welchem aller Vernunftgebrauch aufhoͤrt, auch sein Recht lassen, welches denn den Scepticism, in Ansehung der von Wirkungen zu Ursachen aufsteigenden Schluͤsse, fest gruͤndet und unwiderleglich macht. Die Mathematik war so lange noch gut wegge- kommen, weil Hume dafuͤr hielt, daß ihre Saͤtze alle analytisch waͤren, d. i. von einer Bestimmung zur andern, um der Identitaͤt willen, mithin nach dem Satze des Widerspruchs fortschritten, (welches aber falsch ist, indem sie vielmehr alle synthetisch sind, und, obgleich z. B. die Geometrie es nicht mit der Existenz der Dinge, sondern nur ihrer Bestimmung a priori in einer moͤglichen Anschauung zu thun hat, dennoch eben so gut, wie durch Causalbegriffe, von einer Bestim- mung A zu einer ganz verschiedenen B, als dennoch mit der reinen practischen Vernunft. mit jener nothwendig verknuͤpft, uͤbergeht. Aber end- lich muß jene wegen ihrer apodictischen Gewißheit so hochgepriesene Wissenschaft doch dem Empirismus in Grundsaͤtzen, aus demselben Grunde, warum Hume, an der Stelle der objectiven Rothwendigkeit in dem Be- griffe der Ursache, die Gewohnheit setzte, auch unter- liegen, und sich, unangesehen alles ihres Stolzes, ge- fallen lassen, ihre kuͤhne, a priori Beystimmung ge- bietende Anspruͤche herabzustimmen und den Beyfall fuͤr die Allgemeinguͤltigkeit ihrer Saͤtze von der Gunst der Beobachter erwarten, die als Zeugen es doch nicht weigern wuͤrden zu gestehen, daß sie das, was der Geo- meter als Grundsaͤtze vortraͤgt, jederzeit auch so wahr- genommen haͤtten, folglich, ob es gleich eben nicht nothwendig waͤre, doch fernerhin, es so erwarten zu duͤrfen, erlauben wuͤrden. Auf diese Weise fuͤhrt Humen’s Empirism in Grundsaͤtzen auch unvermeid- lich auf den Scepticism, selbst in Ansehung der Ma- thematik, folglich in allem wissenschaftlichen theoreti- schen Gebrauche der Vernunft (denn dieser gehoͤrt ent- weder zur Philosophie , oder zur Mathematik). Ob der gemeine Vernunftgebrauch (bey einem so schrecklichen Umsturz, als man den Haͤuptern der Erkenntniß begeg- nen sieht) besser durchkommen, und nicht vielmehr, noch unwiederbringlicher, in eben diese Zerstoͤhrung alles Wissens werde verwickelt werden, mithin ein allge- meiner Scepticism nicht aus denselben Grundsaͤtzen fol- gen I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen gen muͤsse, (der freylich aber nur die Gelehrten treffen wuͤrde,) das will jeden selbst beurtheilen lassen. Was nun meine Bearbeitung in der Critik der reinen Vernunft betrifft, die zwar durch jene Humische Zweifellehre veranlaßt ward, doch viel weiter ging, und das ganze Feld der reinen theoretischen Vernunft im syn- thetischen Gebrauche, mithin auch desjenigen, was man Metaphysik uͤberhaupt nennt, befassete: so verfuhr ich, in Ansehung der den Begriff der Causalitaͤt be- treffenden Zweifel des schottischen Philosophen, auf folgende Art. Daß Hume, wenn er (wie es doch auch fast uͤberall geschieht,) die Gegenstaͤnde der Er- fahrung fuͤr Dinge an sich selbst nahm, den Begriff der Ursache fuͤr truͤglich und falsches Blendwerk erklaͤr- te, daran that er ganz recht; denn von Dingen an sich selbst und deren Bestimmungen als solchen kann nicht eingesehen werden, wie darum, weil etwas A gesetzt wird, etwas anderes B auch nothwendig gesetzt wer- den muͤsse, und also konnte er eine solche Erkenntniß a priori von Dingen an sich selbst gar nicht einraͤumen. Einen empirischen Ursprung dieses Begriffs konnte der scharfsinnige Mann noch weniger verstatten, weil dieser geradezu der Nothwendigkeit der Verknuͤpfung wider- spricht, welche das Wesentliche des Begriffs der Cau- salitaͤt ausmacht; mithin ward der Begriff in die Acht erklaͤrt, und in seine Stelle trat die Gewohnheit im Be- obachten des Laufs der Wahrnehmungen. Aus der reinen practischen Vernunft. Aus meinen Untersuchungen aber ergab es sich, daß die Gegenstaͤnde, mit denen wir es in der Erfah- rung zu thun haben, keinesweges Dinge an sich selbst, sondern blos Erscheinungen sind, und daß, obgleich bey Dingen an sich selbst gar nicht abzusehen ist, ja unmoͤg- lich ist einzusehen, wie, wenn A gesetzt wird, es wider- sprechend seyn solle, B, welches von A ganz verschieden ist, nicht zu setzen, (die Rothwendigkeit der Verknuͤ- pfung zwischen A als Ursache und B als Wirkung,) es sich doch ganz wohl denken lasse, daß sie als Erschei- nungen in einer Erfahrung auf gewisse Weise (z. B. in Ansehung der Zeitverhaͤltnisse) nothwendig verbun- den seyn muͤssen und nicht getrennt werden koͤnnen, ohne derjenigen Verbindung zu widersprechen, ver- mittelst deren diese Erfahrung moͤglich ist, in welcher sie Gegenstaͤnde und uns allein erkennbar sind. Und so fand es sich auch in der That: so, daß ich den Begriff der Ursache nicht allein nach seiner objectiven Realitaͤt in Ansehung der Gegenstaͤnde der Erfahrung beweisen, sondern ihn auch, als Begriff a priori, wegen der Nothwendigkeit der Verknuͤpfung, die er bey sich fuͤhrt, deduciren, d. i. seine Moͤglichkeit aus reinem Verstan- de, ohne empirische Quellen, darthun, und so, nach Wegschaffung des Empirismus seines Ursprungs, die unvermeidliche Folge desselben, nemlich den Scepti- cism, zuerst in Ansehung der Naturwissenschaft, dann auch, wegen des ganz vollkommen aus denselben Gruͤn- den I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen den folgenden in Ansehung der Mathematik, beider Wissenschaften, die auf Gegenstaͤnde moͤglicher Erfah- rung bezogen werden, und hiemit den totalen Zwei- fel an allem, was theoretische Vernunft einzusehen be- hauptet, aus dem Grunde heben konnte. Aber wie wird es mit der Anwendung dieser Cate- gorie der Causalitaͤt) und so auch aller uͤbrigen; denn ohne sie laͤßt sich kein Erkenntniß des Existirenden zu Stande bringen;) auf Dinge, die nicht Gegenstaͤnde moͤglicher Erfahrung sind, sondern uͤber dieser ihre Grenze hinaus liegen? Denn ich habe die objective Realitaͤt dieser Begriffe nur in Ansehung der Gegen- staͤnde moͤglicher Erfahrung deduciren koͤnnen. Aber eben dieses, daß ich sie auch nur in diesem Falle geret- tet habe, daß ich gewiesen habe, es lassen sich dadurch doch Objecte denken, obgleich nicht a priori bestim- men: dieses ist es, was ihnen einen Platz im reinen Verstande giebt, von dem sie auf Objecte uͤberhaupt (sinnliche, oder nicht sinnliche) bezogen werden. Wenn etwas noch fehlt, so ist es die Bedingung der Anwen- dung dieser Categorien, und namentlich der der Cau- salitaͤt, auf Gegenstaͤnde, nemlich die Anschauung, wel- che, wo sie nicht gegeben ist, die Anwendung zum Be- huf der theoretischen Erkenntniß des Gegenstandes, als Noumenon, unmoͤglich macht, die also, wenn es jemand darauf wagt, (wie auch in der Critik der reinen Vernunft geschehen,) gaͤnzlich verwehrt wird, indessen, daß der reinen practischen Vernunft. daß doch immer die objective Realitaͤt des Begriffs bleibt, auch von Noumenen gebraucht werden kann, aber ohne diesen Begriff theoretisch im mindesten be- stimmen und dadurch ein Erkenntniß bewirken zu koͤn- nen. Denn, daß dieser Begriff auch in Beziehung auf ein Object nichts Unmoͤgliches enthalte, war da- durch bewiesen, daß ihm sein Sitz im reinen Verstande bey aller Anwendung auf Gegenstaͤnde der Sinne ge- sichert war, und ob er gleich hernach etwa, auf Dinge an sich selbst (die nicht Gegenstaͤnde der Erfahrung seyn koͤnnen) bezogen, keiner Bestimmung, zur Vor- stellung eines bestimmten Gegenstandes, zum Behuf einer theoretischen Erkenntniß, faͤhig ist, so konnte er doch immer noch zu irgend einem anderen (vielleicht dem practischen) Behuf einer Bestimmung zur Anwen- dung desselben faͤhig seyn, welches nicht seyn wuͤrde, wenn, nach Hume, dieser Begriff der Causalitaͤt et- was, das uͤberall zu denken unmoͤglich ist, enthielte. Um nun diese Bedingung der Anwendung des ge- dachten Begriffs auf Noumenen ausfindig zu machen, duͤrfen wir nur zuruͤcksehen, weswegen wir nicht mit der Anwendung desselben auf Erfahrungsgegen- staͤnde zufrieden sind, sondern ihn auch gern von Din- gen an sich selbst brauchen moͤchten. Denn da zeigt sich bald, daß es nicht eine theoretische, sondern practische Absicht sey, welche uns dieses zur Nothwendigkeit macht. Zur Speculation wuͤrden wir, wenn es uns damit I. Th. I. B. I Hauptst. Von den Grundsaͤtzen damit auch gelaͤnge, doch keinen wahren Erwerb in Naturkenntniß und uͤberhaupt in Ansehung der Gegen- staͤnde, die uns irgend gegeben werden moͤgen, machen, sondern allenfalls einen weiten Schritt vom Sinnlich- bedingten (bey welchem zu bleiben und die Kette der Ursachen fleißig durchzuwandern wir so schon genug zu thun haben) zum Uebersinnlichen thun und unser Er- kenntniß von der Seite der Gruͤnde zu vollenden und zu begrenzen, indessen daß immer eine unendliche Kluft zwischen jener Grenze und dem, was wir kennen, un- ausgefuͤllt uͤbrig bliebe, und wir mehr einer eiteln Frag- sucht, als einer gruͤndlichen Wißbegierde, Gehoͤr gege- ben haͤtten. Außer dem Verhaͤltnisse aber, darin der Ver- stand zu Gegenstaͤnden (im theoretischen Erkenntnisse) steht, hat er auch eines zum Begehrungsvermoͤgen, das darum der Wille heißt, und der reine Wille, so fern der reine Verstand (der in solchem Falle Vernunft heißt) durch die bloße Vorstellung eines Gesetzes practisch ist. Die objective Realitaͤt eines reinen Willens, oder, wel- ches einerley ist. einer reinen practischen Vernunft ist im moralischen Gesetze a priori gleichsam durch ein Factum gegeben; denn so kann man eine Willensbestim- mung nennen, die unvermeidlich ist, ob sie gleich nicht auf empirischen Principien beruht. Im Begriffe eines Willens aber ist der Begriff der Causalitaͤt schon ent- halten, mithin in dem eines reinen Willens der Begriff einer der reinen practischen Vernunft. einer Causalitaͤt mit Freyheit, d. i. die nicht nach Na- turgesetzen bestimmbar, folglich keiner empirischen An- schauung, als Beweises seiner Realitaͤt, faͤhig ist, den- noch aber in dem reinen practischen Gesetze a priori, seine objective Realitaͤt, doch (wie leicht einzusehen,) nicht zum Behufe des theoretischen, sondern blos pra- ctischen Gebrauchs der Vernunft vollkommen rechtfer- tigt. Nun ist der Begriff eines Wesens, das freyen Willen hat, der Begriff einer caussa noumenon und daß sich dieser Begriff nicht selbst widerspreche, dafuͤr ist man schon dadurch gesichert, daß der Begriff einer Ursache als gaͤnzlich vom reinen Verstande entsprungen, zugleich auch seiner objectiven Realitaͤt in Ansehung der Gegenstaͤnde uͤberhaupt durch die Deduction gesichert, dabey seinem Ursprunge nach von allen sinnlichen Be- dingungen unabhaͤngig, also fuͤr sich auf Phaͤnomene nicht eingeschraͤnkt, (es sey denn, wo ein theoretischer bestimmter Gebrauch davon gemacht werden wollte,) auf Dinge als reine Verstandeswesen allerdings ange- wandt werden koͤnne. Weil aber dieser Anwendung keine Anschauung, als die jederzeit nur sinnlich seyn kann, untergelegt werden kann, so ist caussa noume- non in Ansehung des theoretischen Gebrauchs der Ver- nunft, obgleich ein moͤglicher, denkbarer, dennoch leerer Begriff. Nun verlange ich aber auch dadurch nicht die Beschaffenheit eines Wesens, so fern es einen reinen Willen hat, theoretisch zu kennen; es ist mir Kants Crit. d. pract. Vern. G genug, I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsaͤtzen genug, es dadurch nur als ein solches zu bezeichnen, mit- hin nur den Begriff der Causalitaͤt mit dem der Frey- heit (und was davon unzertrennlich ist, mit dem mo- ralischen Gesetze, als Bestimmungsgrunde derselben,) zu verbinden; welche Befugniß mir, vermoͤge des rei- nen, nicht empirischen Ursprungs des Begriffs der Ur- sache, allerdings zusteht, indem ich davon keinen an- deren Gebrauch, als in Beziehung auf das moralische Gesetz, das seine Realitaͤt bestimmt, d. i. nur einen practischen Gebrauch zu machen mich befugt halte. Haͤtte ich, mit Hume’n, dem Begriffe der Cau- salitaͤt die objective Realitaͤt im practischen Gebrauche nicht allein in Ansehung der Sachen an sich selbst (des Uebersinnlichen), sondern auch in Ansehung der Gegen- genstaͤnde der Sinne genommen: so waͤre er aller Be- deutung verlustig und als ein theoretisch unmoͤglicher Begriff fuͤr gaͤnzlich unbrauchbar erklaͤrt worden; und, da von nichts sich auch kein Gebrauch machen laͤßt, der practische Gebrauch eines theoretisch-nichtigen Begriffs ganz ungereimt gewesen. Nun aber der Begriff einer empirisch unbedingten Causalitaͤt theoretisch zwar leer (ohne darauf sich schickende Anschauung), aber immer doch moͤglich ist und sich auf ein unbestimmt Object be- zieht, statt dieses aber ihm doch an dem moralischen Gesetze, folglich in practischer Beziehung, Bedeutung gegeben wird, so habe ich zwar keine Anschauung, die ihm seine objective theoretische Realitaͤt bestimmte, aber er der reinen practischen Vernunft. er hat nichts desto weniger wirkliche Anwendung, die sich in Concreto in Gesinnungen oder Maximen darstel- len laͤßt, d. i. practische Realitaͤt, die angegeben wer- den kann; welches denn zu seiner Berechtigung selbst in Absicht auf Noumenen hinreichend ist. Aber diese einmal eingeleitete objective Realitaͤt eines reinen Verstandesbegriffs im Felde des Uebersinn- lichen, giebt nunmehr allen uͤbrigen Categorien, ob- gleich immer nur, so fern sie mit dem Bestimmungs- grunde des reinen Willens (dem moralischen Gesetze) in nothwendiger Verbindung stehen, auch objective, nur keine andere als blos practisch-anwendbare Reali- taͤt, indessen sie auf theoretische Erkenntnisse dieser Ge- genstaͤnde, als Einsicht der Natur derselben durch reine Vernunft, nicht den mindesten Einfluß hat, um dieselbe zu erweitern. Wie wir denn auch in der Folge finden werden, daß sie immer nur auf Wesen als Intelligen- zen, und an diesen auch nur auf das Verhaͤltniß der Vernunft zum Willen, mithin immer nur aufs Practische Beziehung haben und weiter hinaus sich kein Erkenntniß derselben anmaaßen; was aber mit ih- nen in Verbindung noch sonst fuͤr Eigenschaften, die zur theoretischen Vorstellungsart solcher uͤbersinnlichen Dinge gehoͤren, herbeygezogen werden moͤchten, diese insgesamt alsdenn gar nicht zum Wissen, sondern nur zur Befugniß (in practischer Absicht aber gar zur Noth- wendigkeit) sie anzunehmen und vorauszusetzen gezaͤhlt G 2 werden, I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe werden, selbst da, wo man uͤbersinnliche Wesen (als Gott) nach einer Analogie, d. i. dem reinen Vernunft- verhaͤltnisse, dessen wir in Ansehung der sinnlichen uns practisch bedienen, und so der reinen theoretischen Ver- nunft durch die Anwendung aufs Uebersinnliche, aber nur in practischer Absicht, zum schwaͤrmen ins Ueber- schwengliche nicht den mindesten Vorschub giebt. Der Analytik der practischen Vernunft Zweytes Hauptstuͤck. Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen practischen Vernunft. U nter einem Begriffe der practischen Vernunft ver- stehe ich die Vorstellung eines Objects als einer moͤglichen Wirkung durch Freyheit. Ein Gegenstand der practischen Erkenntniß, als einer solchen, zu seyn, bedeutet also nur die Beziehung des Willens auf die Hand- lung, dadurch er, oder sein Gegentheil, wirklichge- macht wuͤrde, und die Beurtheilung, ob etwas ein Ge- genstand der reinen practischen Vernunft sey, oder nicht, ist nur die Unterscheidung der Moͤglichkeit oder Unmoͤg- lichkeit, diejenige Handlung zu wollen, wodurch, wenn wir das Vermoͤgen dazu haͤtten (woruͤber die Erfah- rung urtheilen muß), ein gewisses Object wirklichwer- den eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. den wuͤrde. Wenn das Object als der Bestimmungs- grund unseres Begehrungsvermoͤgens angenommen wird, so muß die physische Moͤglichkeit desselben durch freyen Gebrauch unserer Kraͤfte vor der Beurtheilung, ob es ein Gegenstand der practischen Vernunft sey oder nicht, vorangehen. Dagegen, wenn das Gesetz a priori als der Bestimmungsgrund der Handlung, mithin diese als durch reine practische Vernunft bestimmt, betrachtet werden kann, so ist das Urtheil, ob etwas ein Gegen- stand der reinen practischen Vernunft sey oder nicht, von der Vergleichung mit unserem physischen Vermoͤgen ganz unabhaͤngig, und die Frage ist nur, ob wir eine Handlung, die auf die Existenz eines Objects gerichtet ist, wollen duͤrfen, wenn dieses in unserer Gewalt waͤre, mithin muß die moralische Moͤglichkeit der Handlung vorangehen; denn da ist nicht der Gegen- stand, sondern das Gesetz des Willens der Bestimmungs- grund derselben. Die alleinigen Objecte einer practischen Vernunft sind also die vom Guten und Boͤsen. Denn durch das erstere versteht man einen nothwendigen Gegenstand des Begehrungs-, durch das zweyte des Verabscheu- ungsvermoͤgens, beides aber nach einem Princip der Vernunft. Wenn der Begriff des Guten nicht von einem vor- hergehenden practischen Gesetze abgeleitet werden, sondern diesem vielmehr zum Grunde dienen soll, so kann er G 3 nur I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe nur der Begriff von etwas seyn, dessen Existenz Lust verheißt und so die Causalitaͤt des Subjects zur Her- vorbringung desselben, d. i. das Begehrungsvermoͤgen be- stimmt. Weil es nun unmoͤglich ist a priori einzusehen, welche Vorstellung mit Luft, welche hingegen mit Un- lust werde begleitet seyn, so kaͤme es lediglich auf Er- fahrung an, es auszumachen, was unmittelbar gut oder boͤse sey. Die Eigenschaft des Subjects, worauf in Beziehung diese Erfahrung allein angestellt werden kann, ist das Gefuͤhl der Lust und Unlust, als eine dem inneren Sinne angehoͤrige Receptivitaͤt und so wuͤrde der Begriff von dem, was unmittelbar gut ist, nur auf das gehen, womit die Empfindung des Vergnuͤgens unmittelbar verbunden ist, und der von dem schlechthin- Boͤsen auf das, was unmittelbar Schmerz erregt, al- lein bezogen werden muͤssen. Weil aber das dem Sprachgebrauche schon zuwider ist, der das Angenehme vom Guten, das Unangenehme vom Boͤsen unter- scheidet, und verlangt daß Gutes und Boͤses jederzeit durch Vernunft, mithin durch Begriffe, die sich allge- mein mittheilen lassen, und nicht durch bloße Empfin- dung, welche sich auf einzelne Objecte und deren Em- pfaͤnglichkeit einschraͤnkt, beurtheilt werde, gleichwol aber fuͤr sich selbst mit keiner Vorstellung eines Objects a priori eine Lust oder Unlust unmittelbar verbunden werden kann, so wuͤrde der Philosoph, der sich genoͤ- thigt glaubte, ein Gefuͤhl der Lust seiner practischen Be- eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. Beurtheilung zum Grunde zu legen, gut nennen, was ein Mittel zum Angenehmen, und Boͤses, was Ursache der Unannehmlichkeit und des Schmerzens ist; denn die Beurtheilung des Verhaͤltnisses der Mittel zu Zwecken gehoͤrt allerdings zur Vernunft. Obgleich aber Ver- nunft allein vermoͤgend ist, die Verknuͤpfung der Mittel mit ihren Absichten einzusehen, (so daß man auch den Willen durch das Vermoͤgen der Zwecke definiren koͤnn- te, indem sie jederzeit Bestimmungsgruͤnde des Begeh- rungsvermoͤgens nach Principien sind,) so wuͤrden doch die practischen Maximen, die aus dem obigen Begriffe des Guten blos als Mittel folgten, nie etwas fuͤr sich selbst-, sondern immer nur irgend wozu- Gutes zum Gegenstande des Willens enthalten: das Gute wuͤrde jederzeit blos das Nuͤtzliche seyn, und das, wozu es nutzt, muͤßte allemal außerhalb dem Willen in der Em- pfindung liegen. Wenn diese nun, als angenehme Empfindung, vom Begriffe des Guten unterschieden werden muͤßte, so wuͤrde es uͤberall nichts unmittelbar gutes geben, sondern das Gute nur in den Mitteln zu etwas anderm, nemlich irgend einer Annehmlichkeit, ge- sucht werden muͤssen. Es ist eine alte Formel der Schulen: nihil appe- timus, nisi sub ratione boni; nihil aversamur, nisi sub ratione mali; und sie hat einen oft richtigen, aber auch der Philosophie oft sehr nachtheiligen Gebrauch, weil die Ausdruͤcke des boni und mali eine Zweydeu- G 4 tigkeit I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe tigkeit enthalten, daran die Einschraͤnkung der Sprache Schuld ist, nach welcher sie eines doppelten Sinnes faͤ- hig sind und daher die practischen Gesetze unvermeidlich auf Schrauben stellen, und die Philosophie, die im Gebrau- che derselben gar wohl der Verschiedenheit des Begriffs bey demselben Worte inne werden, aber doch keine beson- dere Ausdruͤcke dafuͤr finden kann, zu subtilen Distin- ctionen noͤthigen, uͤber die man sich nachher nicht eini- gen kann, indem der Unterschied durch keinen angemes- senen Ausdruck unmittelbar bezeichnet werden konnte. Ueberdem ist der Ausdruck sub ratione boni auch zweydeutig. Denn er kann so viel sagen: wir stellen uns etwas als gut vor, wenn und weil wir es begehren (wollen); aber auch: wir begehren etwas darum, weil wir es uns als gut vorstellen, so daß entweder die Begierde der Bestimmungsgrund des Be- griffs des Objects als eines Guten, oder der Begriff des Gu- ten der Bestimmungsgrund des Begehrens (des Willens) sey; da denn das: sub ratione boni, im ersteren Falle bedeuten wuͤr- de, wir wollen etwas unter der Idee des Guten, im zwey- ten, zu Folge dieser Idee, welche vor dem Wollen als Bestim- mungsgrund desselben vorhergehen muß. Die deutsche Sprache hat das Gluͤck, die Ausdruͤcke zu besitzen, welche diese Verschiedenheit nicht uͤbersehen lassen. Fuͤr das, was die Lateiner mit einem einzigen Worte bonum benennen, hat sie zwey sehr verschiedene Begriffe, und auch eben so verschiedene Ausdruͤcke. Fuͤr bonum das Gute und das Wohl, fuͤr malum das Boͤse und das Uebel (oder Weh ): so daß es zwey ganz eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. ganz verschiedene Beurtheilungen sind, ob wir bey einer Handlung das Gute und Boͤse derselben, oder unser Wohl und Weh (Uebel) in Betrachtung ziehen. Hieraus folgt schon, daß obiger psychologischer Satz wenigstens noch sehr ungewiß sey, wenn er so uͤbersetzt wird: wir begehren nichts, als in Ruͤcksicht auf unser Wohl oder Weh; dagegen er, wenn man ihn so giebt: wir wollen, nach Anweisung der Vernunft, nichts, als nur so fern wir es fuͤr gut oder boͤse hal- ten, ungezweifelt gewiß und zugleich ganz klar ausge- druͤckt wird. Das Wohl oder Uebel bedeutet immer nur eine Beziehung auf unseren Zustand der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit, des Vergnuͤgens und Schmer- zens, und, wenn wir darum ein Object begehren, oder verabscheuen, so geschieht es, nur so fern es auf unsere Sinnlichkeit und das Gefuͤhl der Lust und Unlust, das es bewirkt, bezogen wird. Das Gute oder Boͤse be- deutet aber jederzeit eine Beziehung auf den Willen, so fern dieser durchs Vernunftgesetz bestimmt wird, sich etwas zu seinem Objecte zu machen; wie er denn durch das Object und dessen Vorstellung niemals unmittelbar bestimmt wird, sondern ein Vermoͤgen ist, sich eine Re- gel der Vernunft zur Bewegursache einer Handlung (dadurch ein Object wirklichwerden kann) zu machen. Das Gute oder Boͤse wird also eigentlich auf Handlun- gen, nicht auf den Empfindungszustand der Person be- G 5 zogen, I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe zogen, und, sollte etwas schlechthin (und in aller Ab- sicht und ohne weitere Bedingung) gut oder boͤse seyn, oder dafuͤr gehalten werden, so wuͤrde es nur die Hand- lungsart, die Maxime des Willens und mithin die han- delnde Person selbst, als guter oder boͤser Mensch, nicht aber eine Sache seyn, die so genannt werden koͤnnte. Man mochte also immer den Stoiker auslachen, der in den heftigsten Gichtschmerzen ausrief: Schmerz, du magst mich noch so sehr foltern, ich werde doch nie gestehen, daß du etwas Boͤses (κακον, malum ) seyst! er hatte doch recht. Ein Uebel war es, das fuͤhlte er, und das verrieth sein Geschrey; aber daß ihm dadurch ein Boͤses anhinge, hatte er gar nicht Ursache einzuraͤu- men; denn der Schmerz verringert den Werth seiner Person nicht im mindesten, sondern nur den Werth seines Zustandes. Eine einzige Luͤge, deren er sich be- wußt gewesen waͤre, haͤtte seinen Muth niederschlagen muͤssen; aber der Schmerz diente nur zur Veranlas- sung, ihn zu erheben, wenn er sich bewußt war, daß er sie durch keine unrechte Handlung verschuldet und sich dadurch strafwuͤrdig gemacht habe. Was wir gut nennen sollen, muß in jedes ver- nuͤnftigen Menschen Urtheil ein Gegenstand des Begeh- rungsvermoͤgens seyn, und das Boͤse in den Augen von jedermann ein Gegenstand des Abscheues; mithin be- darf es, außer dem Sinne, zu dieser Beurtheilung noch Ver- eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. Vernunft. So ist es mit der Wahrhaftigkeit im Ge- gensatz mit der Luͤge, so mit der Gerechtigkeit im Ge- gensatz der Gewaltthaͤtigkeit etc. bewandt. Wir koͤnnen aber etwas ein Uebel nennen, welches doch jedermann zugleich fuͤr gut, bisweilen mittelbar, bisweilen gar fuͤr unmittelbar erklaͤren muß. Der eine chirurgische Operation an sich verrichten laͤßt, fuͤhlt sie ohne Zweifel als ein Uebel; aber durch Vernunft erklaͤrt er, und jedermann, sie fuͤr gut. Wenn aber jemand, der friedliebende Leute gerne neckt und beunruhigt, endlich einmal anlaͤuft und mit einer tuͤchtigen Tracht Schlaͤge abgefertigt wird; so ist dieses allerdings ein Uebel, aber jedermann giebt dazu seinen Beyfall und haͤlt es an sich fuͤr gut, wenn auch nichts weiter daraus entspraͤnge; ja selbst der, der sie empfaͤngt, muß in seiner Vernunft erkennen, daß ihm Recht geschehe, weil er die Pro- portion zwischen dem Wohlbefinden und Wohlverhal- ten, welche die Vernunft ihm unvermeidlich vorhaͤlt, hier genau in Ausuͤbung gebracht sieht. Es kommt allerdings auf unser Wohl und Weh in der Beurtheilung unserer practischen Vernunft gar sehr viel, und, was unsere Natur als sinnlicher Wesen betrifft, alles auf unsere Gluͤckseligkeit an, wenn diese, wie Vernunft es vorzuͤglich fodert, nicht nach der voruͤbergehenden Empfindung, sondern nach dem Einflusse, den diese Zufaͤlligkeit auf unsere ganze Exi- stenz und die Zufriedenheit mit derselben hat, beurtheilt wird; I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe wird; aber alles uͤberhaupt kommt darauf doch nicht an. Der Mensch ist ein beduͤrftiges Wesen, so fern er zur Sinnenwelt gehoͤrt und so fern hat seine Vernunft allerdings einen nicht abzulehnenden Auftrag, von Seiten der Sinnlichkeit, sich um das Interesse derselben zu bekuͤmmern und sich practische Maximen, auch in Absicht auf die Gluͤckseligkeit dieses, und, wo moͤglich, auch eines zukuͤnftigen Lebens, zu machen. Aber er ist doch nicht so ganz Thier, um gegen alles, was Ver- nunft fuͤr sich selbst sagt, gleichguͤltig zu seyn, und diese blos zum Werkzeuge der Befriedigung seines Beduͤrf- nisses, als Sinnenwesens, zu gebrauchen. Denn im Werthe uͤber die bloße Thierheit erhebt ihn das gar nicht, daß er Vernunft hat, wenn sie ihm nur zum Behuf desjenigen dienen soll, was bey Thieren der In- stinct verrichtet; sie waͤre alsdenn nur eine besondere Manier, deren sich die Natur bedient haͤtte, um den Menschen zu demselben Zwecke, dazu sie Thiere bestimmt hat, auszuruͤsten, ohne ihn zu einem hoͤheren Zwecke zu bestimmen. Er bedarf also freylich, nach dieser einmal mit ihm getroffenen Naturanstalt, Vernunft, um sein Wohl und Weh jederzeit in Betrachtung zu ziehen, aber er hat sie uͤberdem noch zu einem hoͤheren Behuf, nemlich auch das, was an sich gut oder boͤse ist, und woruͤber reine, sinnlich gar nicht interessirte Vernunft nur allein urtheilen kann, nicht allein mit in Ueberlegung zu nehmen, sondern diese Beurtheilung von eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. von jener gaͤnzlich zu unterscheiden, und sie zur obersten Bedingung des letzteren zu machen. In dieser Beurtheilung des an sich Guten und Boͤsen, zum Unterschiede von dem, was nur beziehungs- weise auf Wohl oder Uebel so genannt werden kann, kommt es auf folgende Puncte an. Entweder ein Ver- nunftprincip wird schon an sich als der Bestimmungs- grund des Willens gedacht, ohne Ruͤcksicht auf moͤgli- che Objecte des Begehrungsvermoͤgens, (also blos durch die gesetzliche Form der Maxime,) alsdenn ist jenes Princip practisches Gesetz a priori, und reine Vernunft wird fuͤr sich practisch zu seyn angenommen. Das Ge- setz bestimmt alsdenn unmittelbar den Willen, die ihm gemaͤße Handlung ist an sich selbst gut, ein Wille, dessen Maxime jederzeit diesem Gesetze gemaͤß ist, ist schlechterdings, in aller Absicht, gut, und die oberste Bedingung alles Guten: oder es geht ein Bestim- mungsgrund des Begehrungsvermoͤgens vor der Ma- xime des Willens vorher, der ein Object der Lust und Unlust voraussetzt, mithin etwas, das vergnuͤgt oder schmerzt, und die Maxime der Vernunft, jene zu be- foͤrdern, diese zu vermeiden, bestimmt die Handlungen, wie sie beziehungsweise auf unsere Neigung, mithin nur mittelbar (in Ruͤcksicht auf einen anderweitigen Zweck, als Mittel zu demselben) gut sind, und diese Maximen koͤnnen alsdenn niemals Gesetze, dennoch aber vernuͤnftige, practische Vorschriften heißen. Der Zweck selbst, I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe selbst, das Vergnuͤgen, das wir suchen, ist im letzteren Falle nicht ein Gutes, sondern ein Wohl, nicht ein Begriff der Vernunft, sondern ein empirischer Begriff von einem Gegenstande der Empfindung; allein der Ge- brauch des Mittels dazu, d. i. die Handlung (weil dazu vernuͤnftige Ueberlegung erfodert wird) heißt den- noch gut, aber nicht schlechthin, sondern nur in Bezie- hung auf unsere Sinnlichkeit, in Ansehung ihres Ge- fuͤhls der Lust und Unlust; der Wille aber, dessen Ma- xime dadurch afficirt wird, ist nicht ein reiner Wille, der nur auf das geht, wobey reine Vernunft fuͤr sich selbst practisch seyn kann. Hier ist nun der Ort, das Paradoxon der Me- thode in einer Critik der practischen Vernunft zu erklaͤ- ren: daß nemlich der Begriff des Guten und Boͤsen nicht vor dem moralischen Gesetze, (dem es dem Anschein nach so gar zum Grunde gelegt werden muͤßte,) sondern nur (wie hier auch geschieht) nach demselben und durch dasselbe bestimmt werden muͤsse. Wenn wir nemlich auch nicht wuͤßten, daß das Princip der Sittlichkeit ein reines a priori den Willen bestimmendes Gesetz sey, so muͤßten wir doch, um nicht ganz umsonst ( gratis ) Grundsaͤtze anzuneh- men, es anfaͤnglich wenigstens unausgemacht lassen, ob der Wille blos empirische, oder auch reine Bestim- mungsgruͤnde a priori habe; denn es ist wider alle Grundregeln des philosophischen Verfahrens, das, woruͤber eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. woruͤber man allererst entscheiden soll, schon zum vor- aus als entschieden anzunehmen. Gesetzt, wir wollten nun vom Begriffe des Guten anfangen, um davon die Gesetze des Willens abzuleiten, so wuͤrde dieser Begriff von einem Gegenstande (als einem guten) zugleich die- sen, als den einigen Bestimmungsgrund des Willens, angeben. Weil nun dieser Begriff kein practisches Ge- setz a priori zu seiner Richtschnur hatte; so koͤnnte der Probirstein des Guten oder Boͤsen in nichts anders, als in der Uebereinstimmung des Gegenstandes mit un- serem Gefuͤhle der Lust oder Unlust gesetzt werden, und der Gebrauch der Vernunft koͤnnte nur darin bestehen, theils diese Lust oder Unlust im ganzen Zusammenhange mit allen Empfindungen meines Daseyns, theils die Mittel, mir den Gegenstand derselben zu verschaffen, zu bestimmen. Da nun, was dem Gefuͤhle der Lust gemaͤß sey, nur durch Erfahrung ausgemacht werden kann, das practische Gesetz aber, der Angabe nach, doch darauf, als Bedingung, gegruͤndet werden soll, so wuͤrde geradezu die Moͤglichkeit practischer Gesetze a priori ausgeschlossen; weil man vorher noͤthig zu fin- den meynte, einen Gegenstand fuͤr den Willen auszu- finden, davon der Begriff, als eines Guten, den all- gemeinen, obzwar empirischen Bestimmungsgrund des Willens ausmachen muͤsse. Nun aber war doch vorher noͤthig zu untersuchen, ob es nicht auch einen Bestim- mungsgrund des Willens a priori gebe (welcher nie- mals I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe mals irgendwo anders, als an einem reinen practischen Gesetze, und zwar so fern dieses die bloße gesetzliche Form, ohne Ruͤcksicht auf einen Gegenstand, den Ma- ximen vorschreibt, waͤre gefunden worden). Weil man aber schon einen Gegenstand nach Begriffen des Guten und Boͤsen zum Grunde alles practischen Gesetzes legte, jener aber ohne vorhergehendes Gesetz nur nach empirischen Begriffen gedacht werden konnte, so hatte man sich die Moͤglichkeit, ein reines practisches Gesetz auch nur zu denken, schon zum voraus benommen; da man im Gegentheil, wenn man dem letzteren vorher analytisch nachgeforscht haͤtte, gefunden haben wuͤrde, daß nicht der Begriff des Guten, als eines Gegenstan- des, das moralische Gesetz, sondern umgekehrt das mo- ralische Gesetz allererst den Begriff des Guten, so fern es diesen Namen schlechthin verdient, bestimme und moͤglich mache. Diese Anmerkung, welche blos die Methode der obersten moralischen Untersuchungen betrifft, ist von Wichtigkeit. Sie erklaͤrt auf einmal den veranlassen- den Grund aller Verirrungen der Philosophen in An- sehung des obersten Princips der Moral. Denn sie suchten einen Gegenstand des Willens auf, um ihn zur Materie und dem Grunde eines Gesetzes zu machen, (welches alsdenn nicht unmittelbar, sondern vermittelst jenes an das Gefuͤhl der Lust oder Unlust gebrachten Gegenstandes, der Bestimmungsgrund des Willens seyn sollte, eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. sollte, anstatt daß sie zuerst nach einem Gesetze haͤtten forschen sollen, das a priori und unmittelbar den Wil- len, und diesem gemaͤß allererst den Gegenstand bestim- mete). Nun mochten sie diesen Gegenstand der Lust, der den obersten Begriff des Guten abgeben sollte, in der Gluͤckseligkeit, in der Vollkommenheit, im morali- schen Gesetze, oder im Willen Gottes setzen, so war ihr Grundsatz allemal Heteronomie, sie mußten unvermeid- lich auf empirische Bedingungen zu einem moralischen Gesetze stoßen; weil sie ihren Gegenstand, als unmit- telbaren Bestimmungsgrund des Willens, nur nach sei- nem unmittelbaren Verhalten zum Gefuͤhl, welches allemal empirisch ist, gut oder boͤse nennen konnten. Nur ein formales Gesetz, d. i. ein solches, welches der Vernunft nichts weiter als die Form ihrer allgemeinen Gesetzgebung zur obersten Bedingung der Maximen vor- schreibt, kann a priori ein Bestimmungsgrund der pra- ctischen Vernunft seyn. Die Alten verriethen indessen diesen Fehler dadurch unverholen, daß sie ihre morali- sche Untersuchung gaͤnzlich auf die Destimmung des Be- griffs vom hoͤchsten Gut, mithin eines Gegenstandes setzten, welchen sie nachher zum Bestimmungsgrunde des Willens im moralischen Gesetze zu machen gedach- ten: ein Object, welches weit hinterher, wenn das moralische Gesetz allererst fuͤr sich bewaͤhrt und als un- mittelbarer Bestimmungsgrund des Willens gerechtfer- tigt ist, dem nunmehr seiner Form nach a priori be- Kants Crit. d. pract. Vern. H stimm- I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe stimmten Willen als Gegenstand vorgestellt werden kann, welches wir in der Dialectik der reinen practischen Ver- nunft uns unterfangen wollen. Die Neueren, bey de- nen die Frage uͤber das hoͤchste Gut außer Gebrauch ge- kommen, zum wenigsten nur Nebensache geworden zu seyn scheint, verstecken obigen Fehler (wie in vielen andern Faͤllen) hinter unbestimmten Worten, indessen, daß man ihn gleichwol aus ihren Systemen hervor- blicken sieht, da er alsdenn allenthalben Heteronomie der practischen Vernunft verraͤth, daraus nimmermehr ein a priori allgemein gebietendes moralisches Gesetz entspringen kann. Da nun die Begriffe des Guten und Boͤsen, als Folgen der Willensbestimmung a priori, auch ein rei- nes practisches Princip, mithin eine Causalitaͤt der rei- nen Vernunft voraussetzen: so beziehen sie sich, ur- spruͤnglich, nicht (etwa als Bestimmungen der synthe- tischen Einheit des Mannigfaltigen gegebener Anschau- ungen in einem Bewußtseyn) auf Objecte, wie die reinen Verstandesbegriffe, oder Categorien der theore- tischgebrauchten Vernunft, sie setzen diese vielmehr als gegeben voraus: sondern sie sind insgesamt modi einer einzigen Categorie, nemlich der der Causalitaͤt, so fern der Bestimmungsgrund derselben in der Vernunftvor- stellung eines Gesetzes derselben besteht, welches, als Gesetz der Freyheit, die Vernunft sich selbst giebt und dadurch sich a priori als practisch beweiset. Da indes- sen eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. sen die Handlungen, einerseits zwar unter einem Ge- setze, das kein Naturgesetz, sondern ein Gesetz der Frey- heit ist, folglich zu dem Verhalten intelligibeler Wesen, andererseits aber doch auch, als Begebenheiten in der Sinnenwelt, zu den Erscheinungen gehoͤren, so werden die Bestimmungen einer practischen Vernunft nur in Beziehung auf die letztere, folglich zwar den Catego- rien des Verstandes gemaͤß, aber nicht in der Absicht eines theoretischen Gebrauchs desselben, um das Man- nigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Be- wußtseyn a priori zu bringen, sondern nur um das Mannigfaltige der Begehrungen, der Einheit des Bewußtseyns einer im moralischen Gesetze gebietenden practischen Vernunft, oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen, Statt haben koͤnnen. Diese Categorien der Freyheit, denn so wollen wir sie, statt jener theoretischen Begriffe, als Catego- rien der Natur benennen, haben einen augenscheinlichen Vorzug vor den letzteren, daß, da diese nur Gedanken- formen sind, welche nur unbestimmt Objecte uͤberhaupt fuͤr jede uns moͤgliche Anschauung durch allgemeine Be- griffe bezeichnen, diese hingegen, da sie auf die Bestim- mung einer freyen Willkuͤhr gehen, (der zwar keine Anschauung, voͤllig correspondirend, gegeben werden kann, die aber, welches bey keinen Begriffen des theo- retischen Gebrauchs unseres Erkenntnißvermoͤgens statt- findet, ein reines practisches Gesetz a priori zum Grunde H 2 liegen I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe liegen hat,) als practische Elementarbegriffe statt der Form der Anschauung (Raum und Zeit), die nicht in der Vernunft selbst liegt, sondern anderwerts, nemlich von der Sinnlichkeit, hergenommen werden muß, die Form eines reinen Willens in ihr, mithin dem Den- kungsvermoͤgen selbst, als gegeben zum Grunde liegen haben; dadurch es denn geschieht, daß, da es in allen Vorschriften der reinen practischen Vernunft nur um die Willensbestimmung , nicht um die Naturbedin- gungen (des practischen Vermoͤgens) der Ausfuͤhrung seiner Absicht zu thun ist, die practischen Begriffe a priori in Beziehung auf das oberste Princip der Freyheit so- gleich Erkenntnisse werden und nicht auf Anschauungen warten duͤrfen, um Bedeutung zu bekommen, und zwar aus diesem merkwuͤrdigen Grunde, weil sie die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen, (die Wil- lensgesinnung) selbst hervorbringen, welches gar nicht die Sache theoretischer Begriffe ist. Nur muß man wohl bemerken, daß diese Categorien nur die practische Vernunft uͤberhaupt angehen, und so in ihrer Ordnung, von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlich- bedingten, zu denen, die, sinnlich-unbedingt, blos durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen. Tafel eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. H 3 Man I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe Man wird hier bald gewahr, daß, in dieser Ta- fel, die Freyheit, als eine Art von Causalitaͤt, die aber empirischen Bestimmungsgruͤnden nicht unterw o rfen ist, in Ansehung der durch sie moͤglichen Handlungen, als Erscheinungen in der Sinnenwelt, betrachtet werde, folglich sich auf die Categorien ihrer Naturmoͤglichkeit beziehe, indessen daß doch jede Categorie so allgemein genommen wird, daß der Bestimmungsgrund jener Cau- salitaͤt auch außer der Sinnenwelt in der Freyheit als Eigenschaft eines intelligibelen Wesens angenommen wer- den kann, bis die Categorien der Modalitaͤt den Ueber- gang von practischen Principien uͤberhaupt zu denen der Sittlichkeit, aber nur problematisch , einleiten, welche nachher durchs moralische Gesetz allererst dogmatisch dargestellt werden koͤnnen. Ich fuͤge hier nichts weiter zur Erlaͤuterung ge- genwaͤrtiger Tafel bey, weil sie fuͤr sich verstaͤndlich ge- nug ist. Dergleichen nach Principien abgefaßte Ein- theilung ist aller Wissenschaft, ihrer Gruͤndlichkeit sowol als Verstaͤndlichkeit halber, sehr zutraͤglich. So weiß man, z. B., aus obiger Tafel und der ersten Nummer derselben sogleich, wovon man in practischen Erwaͤgun- gen anfangen muͤsse: von den Maximen, die jeder auf seine Neigung gruͤndet, den Vorschriften, die fuͤr eine Gattung vernuͤnftiger Wesen, so fern sie in gewissen Neigungen uͤbereinkommen, gelten, und endlich dem Gesetze, welches fuͤr alle, unangesehen ihrer Nei- gun- eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. gungen, gilt, u. s. w. Auf diese Weise uͤbersieht man den ganzen Plan, von dem, was man zu leisten hat, so gar jede Frage der practischen Philosophie, die zu beantworten, und zugleich die Ordnung, die zu befol- gen ist. Von der Typik der reinen practischen Urtheilskraft . Die Begriffe des Guten und Boͤsen bestimmen dem Willen zuerst ein Object. Sie stehen selbst aber unter einer practischen Regel der Vernunft, welche, wenn sie reine Vernunft ist, den Willen a priori in Ansehung seines Gegenstandes bestimmt. Ob nun eine uns in der Sinnlichkeit moͤgliche Handlung der Fall sey, der unter der Regel stehe, oder nicht, dazu gehoͤrt practi- sche Urtheilskraft, wodurch dasjenige, was in der Re- gel allgemein ( in abstracto ) gesagt wurde, auf eine Handlung in concreto angewandt wird. Weil aber eine practische Regel der reinen Vernunft erstlich , als practisch , die Existenz eines Objects betrifft, und zweytens , als practische Regel der reinen Vernunft, Nothwendigkeit in Ansehung des Daseyns der Handlung bey sich fuͤhrt, mithin practisches Gesetz ist, und zwar nicht Naturgesetz, durch empirische Bestimmungsgruͤnde, sondern ein Gesetz der Freyheit, nach welchem der Wille, unabhaͤngig von allem Empirischen, (blos durch die Vorstellung eines Gesetzes uͤberhaupt und dessen H 4 Form) I. Th. I. B. II Hauptst. Von dem Begriffe Form) bestimmbar seyn soll, alle vorkommende Faͤlle zu moͤglichen Handlungen aber nur empirisch, d. i. zur Erfahrung und Natur gehoͤrig seyn koͤnnen: so scheint es widersinnisch, in der Sinnenwelt einen Fall antref- fen zu wollen, der, da er immer so fern nur unter dem Naturgesetze steht, doch die Anwendung eines Gesetzes der Freyheit auf sich verstatte, und auf welchen die uͤbersinnliche Idee des Sittlichguten, das darin in con- creto dargestellt werden soll, angewandt werden koͤnne. Also ist die Urtheilskraft der reinen practischen Vernunft eben denselben Schwierigkeiten unterworfen, als die der reinen theoretischen, welche letztere gleichwol, aus denselben zu kommen, ein Mittel zur Hand hatte; nem- lich, da es in Ansehung des theoretischen Gebrauchs auf Anschauungen ankam, darauf reine Verstandesbe- griffe angewandt werden koͤnnten, dergleichen Anschau- ungen (obzwar nur von Gegenstaͤnden der Sinne) doch a priori, mithin, was die Verknuͤpfung des Mannig- faltigen in denselben betrifft, den reinen Verstandes- begriffen a priori gemaͤß (als Schemate ) gegeben werden koͤnnen. Hingegen ist das sittlich-Gute etwas dem Objecte nach Uebersinnliches, fuͤr das also in kei- ner sinnlichen Anschauung etwas Correspondirendes ge- funden werden kann, und die Urtheilskraft unter Ge- setzen der reinen practischen Vernunft scheint daher be- sonderen Schwierigkeiten unterworfen zu seyn, die darauf beruhen, daß ein Gesetz der Freyheit auf Handlungen, als eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. als Begebenheiten, die in der Sinnenwelt geschehen, und also so fern zur Natur gehoͤren, angewandt wer- den soll. Allein hier eroͤffnet sich doch wieder eine guͤnstige Aussicht fuͤr die reine practische Urtheilskraft. Es ist bey der Subsumtion einer mir in der Sinnenwelt moͤg- lichen Handlung unter einem reinen practischen Gese- tze nicht um die Moͤglichkeit der Handlung , als einer Begebenheit in der Sinnenwelt, zu thun; denn die ge- hoͤrt fuͤr die Beurtheilung des theoretischen Gebrauchs der Vernunft, nach dem Gesetze der Causalitaͤt, eines reinen Verstandesbegriffs, fuͤr den sie ein Schema in der sinnlichen Anschauung hat. Die physische Causali- taͤt, oder die Bedingung, unter der sie stattfindet, ge- hoͤrt unter die Naturbegriffe, deren Schema transscen- dentale Einbildungskraft entwirft. Hier aber ist es nicht um das Schema eines Falles nach Gesetzen, son- dern um das Schema (wenn dieses Wort hier schicklich ist) eines Gesetzes selbst zu thun, weil die Willensbe- stimmung (nicht der Handlung in Beziehung auf ihren Erfolg) durchs Gesetz allein, ohne einen anderen Be- stimmungsgrund, den Begriff der Causalitaͤt an ganz andere Bedingungen bindet, als diejenige sind, welche die Naturverknuͤpfung ausmachen. Dem Naturgesetze, als Gesetze, welchem die Ge- genstaͤnde sinnlicher Anschauung, als solche, unter- H 5 wor- I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe worfen sind, muß ein Schema, d. i. ein allgemeines Verfahren der Einbildungskraft, (den reinen Verstan- desbegriff, den das Gesetz bestimmt, den Sinnen a prio- ri darzustellen,) correspondiren. Aber dem Gesetze der Freyheit, (als einer gar nicht sinnlich bedingten Causa- litaͤt,) mithin auch dem Begriffe des unbedingt-Guten, kann keine Anschauung, mithin kein Schema zum Be- huf seiner Anwendung in concreto untergelegt werden. Folglich hat das Sittengesetz kein anderes, die Anwen- dung desselben auf Gegenstaͤnde der Natur vermitteln- des Erkenntnißvermoͤgen, als den Verstand (nicht die Einbildungskraft), welcher einer Idee der Vernunft nicht ein Schema der Sinnlichkeit, sondern ein Gesetz, aber doch ein solches, das an Gegenstaͤnden der Sinne in concreto dargestellt werden kann, mithin ein Natur- gesetz, aber nur seiner Form nach, als Gesetz zum Be- huf der Urtheilskraft unterlegen kann, und dieses koͤn- nen wir daher den Typus des Sittengesetzes nennen. Die Regel der Urtheilskraft unter Gesetzen der reinen practischen Vernunft ist diese: Frage dich selbst, ob die Handlung, die du vorhast, wenn sie nach einem Gesetze der Natur, von der du selbst ein Theil waͤrest, geschehen sollte, sie du wol, als durch deinen Willen moͤglich, ansehen koͤnntest. Nach dieser Regel beurtheilt in der That jedermann Handlungen, ob sie sittlich-gut oder boͤse sind. So sagt man: Wie, wenn ein jeder , wo eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. wo er seinen Vortheil zu schaffen glaubt, sich erlaubte, zu betruͤgen, oder befugt hielte, sich das Leben abzukuͤrzen, so bald ihn ein voͤlliger Ueberdruß desselben befaͤllt, oder anderer Noth mit voͤlliger Gleichguͤltigkeit ansaͤhe, und du gehoͤrtest mit zu einer solchen Ordnung der Dinge, wuͤrdest du darin wol mit Einstimmung deines Wil- lens seyn? Nun weiß ein jeder wol: daß, wenn er sich in Geheim Betrug erlaubt, darum eben nicht jedermann es auch thue, oder wenn er unbemerkt lieblos ist, nicht sofort jedermann auch gegen ihn es seyn wuͤrde; daher ist diese Vergleichung der Maxime seiner Handlungen mit einem allgemeinen Naturgesetze auch nicht der Be- stimmungsgrund seines Willens. Aber das letztere ist doch ein Typus der Beurtheilung der ersteren nach sitt- lichen Principien. Wenn die Maxime der Handlung nicht so beschaffen ist, daß sie an der Form eines Natur- gesetzes uͤberhaupt die Probe haͤlt, so ist sie sittlich-un- moͤglich. So urtheilt selbst der gemeinste Verstand; denn das Naturgesetz liegt allen seinen gewoͤhnlichsten, selbst den Erfahrungsurtheilen immer zum Grunde. Er hat es also jederzeit bey der Hand, nur daß er in Faͤl- len, wo die Causalitaͤt aus Freyheit beurtheilt werden soll, jenes Naturgesetz blos zum Typus eines Gesetzes der Freyheit macht, weil er, ohne etwas, was er zum Beyspiele im Erfahrungsfalle machen koͤnnte, bey Hand zu haben, dem Gesetze einer reinen practischen Vernunft nicht den Gebrauch in der Anwendung verschaffen koͤnnte. Es I. Th. I. B. II. Hauptst. Von dem Begriffe Es ist also auch erlaubt, die Natur der Sinnen- welt als Typus einer intelligibelen Natur zu brau- chen, so lange ich nur nicht die Anschauungen, und was davon abhaͤngig ist, auf diese uͤbertrage, sondern blos die Form der Gesetzmaͤßigkeit uͤberhaupt (deren Be- griff auch im reinsten Vernunftgebrauche stattfindet, aber in keiner anderen Absicht, als blos zum reinen prac- tischen Gebrauche der Vernunft, a priori bestimmt er- kannt werden kann,) darauf beziehe. Denn Gesetze, als solche, sind so fern einerley, sie moͤgen ihre Bestim- mungsgruͤnde hernehmen, woher sie wollen. Uebrigens, da von allem Intelligibelen schlechter- dings nichts als (vermittelst des moralischen Gesetzes) die Freyheit, und auch diese nur so fern sie eine von jenem unzertrennliche Voraussetzung ist, und ferner alle intelligibele Gegenstaͤnde, auf welche uns die Vernunft, nach Anleitung jenes Gesetzes, etwa noch fuͤhren moͤchte, wiederum fuͤr uns keine Realitaͤt weiter haben, als zum Behuf desselben Gesetzes und des Gebrauches der reinen practischen Vernunft, diese aber zum Typus der Ur- theilskraft die Natur (der reinen Verstandesform der- selben nach) zu gebrauchen berechtigt und auch benoͤ- thigt ist: so dient die gegenwaͤrtige Anmerkung dazu, um zu verhuͤten, daß, was blos zur Typik der Be- griffe gehoͤrt, nicht zu den Begriffen selbst gezaͤhlt wer- de. Diese also, als Typik der Urtheilskraft, bewahrt fuͤr dem Empirism der practischen Vernunft, der die pra- eines Gegenstandes der reinen pract. Vernunft. practischen Begriffe, des Guten und Boͤsen, blos in Er- fahrungsfolgen (der sogenannten Gluͤckseligkeit) setzt, obzwar diese und die unendlichen nuͤtzlichen Folgen eines durch Selbstliebe bestimmten Willens, wenn dieser sich selbst zugleich zum allgemeinen Naturgesetze machte, al- lerdings zum ganz angemessenen Typus fuͤr das Sitt- lichgute dienen kann, aber mit diesem doch nicht einer- ley ist. Eben dieselbe Typik bewahrt auch vor dem Mysticism der practischen Vernunft, welche das, was nur zum Symbol dienete, zum Schema macht, d. i. wirkliche, und doch nicht sinnliche, Anschauungen (ei- nes unsichtbaren Reichs Gottes) der Anwendung der moralischen Begriffe unterlegt und ins Ueberschwengli- che hinausschweift. Dem Gebrauche der moralischen Begriffe ist blos der Nationalism der Urtheilskraft an- gemessen, der von der sinnlichen Natur nichts weiter nimmt, als was auch reine Vernunft fuͤr sich denken kann, d. i. die Gesetzmaͤßigkeit, und in die uͤbersinnliche nichts hineintraͤgt, als was umgekehrt sich durch Hand- lungen in der Sinnenwelt nach der formalen Regel ei- nes Naturgesetzes uͤberhaupt wirklich darstellen laͤßt. In- dessen ist die Verwahrung vor dem Empirism der prac- tischen Vernunft viel wichtiger und anrathungswuͤrdi- ger, womit der Mysticism sich doch noch mit der Rei- nigkeit und Erhabenheit des moralischen Gesetzes zusam- men vertraͤgt und außerdem es nicht eben natuͤrlich und der gemeinen Denkungsart angemessen ist, seine Einbil- dungs- I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern dungskraft bis zu uͤbersinnlichen Anschauungen anzu- spannen, mithin auf dieser Seite die Gefahr nicht so allgemein ist; da hingegen der Empirism die Sittlich- keit in Gesinnungen (worin doch, und nicht blos in Handlungen, der hohe Werth besteht, den sich die Menschheit durch sie verschaffen kann und soll,) mit der Wurzel ausrottet, und ihr ganz etwas anderes, nem- lich ein empirisches Interesse, womit die Neigungen uͤberhaupt unter sich Verkehr treiben, statt der Pflicht unterschiebt, uͤberdem auch, eben darum, mit allen Neigungen, die, (sie moͤgen einen Zuschnitt bekommen, welchen sie wollen,) wenn sie zur Wuͤrde eines obersten practischen Princips erhoben werden, die Menschheit de- gradiren, und da sie gleichwol der Sinnesart aller so guͤnstig sind, aus der Ursache weit gefaͤhrlicher ist, als alle Schwaͤrmerey, die niemals einen daurenden Zu- stand vieler Menschen ausmachen kann. Drittes Hauptstuͤck. Von den Triebfedern der reinen practischen Vernunft . D as Wesentliche alles sittlichen Werths der Hand- lungen kommt darauf an, daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme . Geschieht die Willensbestimmung zwar gemaͤß dem moralischen Gesetze, aber nur vermittelst eines Gefuͤhls, welcher Art der reinen practischen Vernunft. Art es auch sey, das vorausgesetzt werden muß, damit jenes ein hinreichender Bestimmungsgrund des Willens werde, mithin nicht um des Gesetzes willen; so wird die Handlung zwar Legalitaͤt, aber nicht Moralitaͤt enthalten. Wenn nun unter Triebfeder (elater ani- mi) der subjective Bestimmungsgrund des Willens eines Wesens verstanden wird, dessen Vernunft nicht, schon vermoͤge seiner Natur, dem objectiven Gesetze nothwen- dig gemaͤß ist, so wird erstlich daraus folgen: daß man dem goͤttlichen Willen gar keine Triebfedern beylegen koͤnne, die Triebfeder des menschlichen Willens aber (und des von jedem erschaffenen vernuͤnftigen Wesen) niemals etwas anderes, als das moralische Gesetz seyn koͤnne, mithin der objective Bestimmungsgrund jederzeit und ganz allein zugleich der subjectiv-hinreichende Be- stimmungsgrund der Handlung seyn muͤsse, wenn diese nicht blos den Buchstaben des Gesetzes, ohne den Geist Man kann von jeder gesetzmaͤßigen Handlung, die doch nicht um des Gesetzes willen geschehen ist, sagen: sie sey blos dem Buchstaben , aber nicht dem Geiste (der Gesinnung) nach moralisch gut. desselben zu enthalten, erfuͤllen soll. Da man also zum Behuf des moralischen Gesetzes, und um ihm Einfluß auf den Willen zu verschaffen, kei- ne anderweitige Triebfeder, dabey die des moralischen Gesetzes entbehrt werden koͤnnte, suchen muß, weil das al- I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern alles lauter Gleißnerey, ohne Bestand, bewirken wuͤr- de, und so gar es bedenklich ist, auch nur neben dem moralischen Gesetze noch einige andere Triebfedern (als, die des Vortheils,) mitwirken zu lassen; so bleibt nichts uͤbrig, als blos sorgfaͤltig zu bestimmen, auf welche Art das moralische Gesetz Triebfeder werde, und was, indem sie es ist, mit dem menschlichen Begehrungsvermoͤgen, als Wirkung jenes Bestimmungsgrundes, auf dasselbe vorgehe. Denn wie ein Gesetz fuͤr sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des Willens seyn koͤnne, (welches doch das Wesentliche aller Moralitaͤt ist,) das ist ein fuͤr die menschliche Vernunft unaufloͤsliches Problem und mit dem einerley: wie ein freyer Wille moͤglich sey. Also werden wir nicht den Grund, woher das morali- sche Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe, sondern was, so fern es eine solche ist, sie im Gemuͤthe wirkt, (besser zu sagen, wirken muß,) a priori anzuzeigen haben. Das Wesentliche aller Bestimmung des Willens durchs sittliche Gesetz ist: daß er als freyer Wille, mit- hin nicht blos ohne Mitwirkung sinnlicher Antriebe, sondern selbst mit Abweisung aller derselben, und mit Ab- bruch aller Neigungen, so fern sie jenem Gesetze zuwider seyn koͤnnten, blos durchs Gesetz bestimmt werde. So weit ist also die Wirkung des moralischen Gesetzes als Triebfeder nur negativ, und als solche kann diese Triebfeder a priori erkannt werden. Denn alle Nei- gung der reinen practischen Vernunft. gung und jeder sinnliche Antrieb ist auf Gefuͤhl gegruͤn- det, und die negative Wirkung aufs Gefuͤhl (durch den Abbruch, der den Neigungen geschieht) ist selbst Gefuͤhl. Folglich koͤnnen wir a priori einsehen, daß das morali- sche Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens dadurch, daß es allen unseren Neigungen Eintrag thut, ein Ge- fuͤhl bewirken muͤsse, welches Schmerz genannt werden kann, und hier haben wir nun den ersten, vielleicht auch einzigen Fall, da wir aus Begriffen a priori das Verhaͤltniß eines Erkenntnisses (hier ist es einer reinen practischen Vernunft) zum Gefuͤhl der Lust oder Unlust bestimmen konnten. Alle Neigungen zusammen, (die auch wol in ein ertraͤgliches System gebracht werden koͤnnen, und deren Befriedigung alsdenn eigene Gluͤck- seligkeit heißt) machen die Selbstsucht (solipsismus) aus. Diese ist entweder die der Selbstliebe, eines uͤber alles gehenden Wohlwollens gegen sich selbst (Philav- tia) , oder die des Wohlgefallens an sich selbst (Arro- gantia). Jene heißt besonders Eigenliebe, diese Ei- genduͤnkel. Die reine practische Vernunft thut der Ei- genliebe blos Abbruch, indem sie solche als natuͤrlich, und noch vor dem moralischen Gesetze, in uns rege, nur auf die Bedingung der Einstimmung mit diesem Gesetze einschraͤnkt; da sie alsdenn vernuͤnftige Selbstliebe genannt wird. Aber den Eigenduͤnkel schlaͤgt sie gar nieder, indem alle Anspruͤche der Selbstschaͤtzung, die vor der Uebereinstimmung mit dem sittlichen Gesetze vor- Kants Crit. d. pract. Vern. J her- I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern hergehen, nichtig und ohne alle Befugniß sind, indem eben die Gewißheit einer Gesinnung, die mit diesem Ge- tze uͤbereinstimmt, die erste Bedingung alles Werths der Person ist (wie wir bald deutlicher machen werden) und alle Anmaaßung vor derselben falsch und gesetzwidrig ist. Nun gehoͤrt der Hang zur Selbstschaͤtzung mit zu den Neigungen, denen das moralische Gesetz Abbruch thut, so fern jene blos auf der Sittlichkeit beruht. Al- so schlaͤgt das moralische Gesetz den Eigenduͤnkel nieder. Da dieses Gesetz aber doch etwas an sich Positives ist, nemlich die Form einer intellectuellen Causalitaͤt, d. i. der Freyheit, so ist es, indem es im Gegensatze mit dem subjectiven Widerspiele, nemlich den Neigungen in uns, den Eigenduͤnkel schwaͤcht, zugleich ein Gegenstand der Achtung, und indem es ihn sogar niederschlaͤgt, d. i. demuͤthigt, ein Gegenstand der groͤßten Achtung, mithin auch der Grund eines positiven Gefuͤhls des nicht empirischen Ursprungs ist, und a priori erkannt wird. Also ist Achtung fuͤrs moralische Gesetz ein Ge- fuͤhl, welches durch einen intellectuellen Grund gewirkt wird, und dieses Gefuͤhl ist das einzige, welches wir voͤllig a priori erkennen, und dessen Nothwendigkeit wir einsehen koͤnnen. Wir haben im vorigen Hauptstuͤcke gesehen: daß alles, was sich als Object des Willens vor dem mora- lischen Gesetze darbietet, von den Bestimmungsgruͤnden des Willens, unter dem Namen des unbedingt-Guten, durch der reinen practischen Vernunft. durch dieses Gesetz selbst, als die oberste Bedingung der practischen Vernunft, ausgeschlossen werde, und daß die bloße practische Form, die in der Tauglichkeit der Maximen zur allgemeinen Gesetzgebung besteht, zuerst das, was an sich und schlechterdings-gut ist, bestimme, und die Maxime eines reinen Willens gruͤnde, der al- lein in aller Absicht gut ist. Nun finden wir aber un- sere Natur, als sinnlicher Wesen so beschaffen, daß die Materie des Begehrungsvermoͤgens (Gegenstaͤnde der Neigung, es sey der Hoffnung, oder Furcht) sich zuerst aufdringt, und unser pathologisch bestimmbares Selbst, ob es gleich durch seine Maximen zur allgemeinen Ge- setzgebung ganz untauglich ist, dennoch gleich, als ob es unser ganzes Selbst ausmachte, seine Anspruͤche vor- her und als die ersten und urspruͤnglichen geltend zu ma- chen bestrebt sey. Man kann diesen Hang, sich selbst nach den subjectiven Bestimmungsgruͤnden seiner Will- kuͤhr zum objectiven Bestimmungsgrunde des Willens uͤberhaupt zu machen, die Selbstliebe nennen, welche, wenn sie sich gesetzgebend und zum unbedingten practi- schen Princip macht, Eigenduͤnkel heißen kann. Nun schließt das moralische Gesetz, welches allein wahrhaftig (nemlich in aller Absicht) objectiv ist, den Einfluß der Selbstliebe auf das oberste practische Princip gaͤnzlich aus, und thut dem Eigenduͤnkel, der die subjectiven Be- dingungen des ersteren als Gesetze vorschreibt, unendli- chen Abbruch. Was nun unserem Eigenduͤnkel in un- J 2 serem I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern serem eigenen Urtheil Abbruch thut, das demuͤthigt. Also demuͤthigt das moralische Gesetz unvermeidlich je- den Menschen, indem dieser mit demselben den sinnli- chen Hang seiner Natur vergleicht. Dasjenige, dessen Vorstellung, als Bestimmungsgrund unseres Wil- lens, uns in unserem Selbstbewußtseyn demuͤthigt, er- weckt, so fern als es positiv und Bestimmungsgrund ist, fuͤr sich Achtung. Also ist das moralische Gesetz auch subjectiv ein Grund der Achtung. Da nun alles, was in der Selbstliebe angetroffen wird, zur Neigung gehoͤrt, alle Neigung aber auf Gefuͤhlen beruht, mit- hin was allen Neigungen insgesammt in der Selbstliebe Abbruch thut, eben dadurch nothwendig auf das Ge- fuͤhl Einfluß hat, so begreifen wir, wie es moͤglich ist, a priori einzusehen, daß das moralische Gesetz, indem es die Neigungen und den Hang, sie zur obersten pra- ctischen Bedingung zu machen, d. i. die Selbstliebe, von allem Beytritte zur obersten Gesetzgebung ausschließt, eine Wuͤrkung aufs Gefuͤhl ausuͤben koͤnne, wel- che einerseits blos negativ ist, andererseits und zwar in Ansehung des einschraͤnkenden Grundes der rei- nen practischen Vernunft positiv ist, und wozu gar kei- ne besondere Art von Gefuͤhle, unter dem Namen eines practischen, oder moralischen, als vor dem moralischen Gesetze vorhergehend und ihm zum Grunde liegend, angenommen werden darf. Die der reinen practischen Vernunft. Die negative Wirkung auf Gefuͤhl (der Unannehm- lichkeit) ist, so wie aller Einfluß auf dasselbe, und wie jedes Gefuͤhl uͤberhaupt, pathologisch. Als Wirkung aber vom Bewußtseyn des moralischen Gesetzes, folglich in Beziehung auf eine intelligibele Ursache, nemlich das Subject der reinen practischen Vernunft, als ober- sten Gesetzgeberin, heißt dieses Gefuͤhl eines vernuͤnfti- gen von Neigungen afficirten Subjects, zwar Demuͤ- thigung (intellectuelle Verachtung), aber in Beziehung auf den positiven Grund derselben das Gesetz zugleich Achtung fuͤr dasselbe, fuͤr welches Gesetz gar kein Gefuͤhl stattfindet, sondern im Urtheile der Vernunft, indem es den Widerstand aus dem Wege schafft, die Wegraͤu- mung eines Hindernisses einer positiven Befoͤrderung der Causalitaͤt gleichgeschaͤtzt wird. Darum kann die- ses Gefuͤhl nun auch ein Gefuͤhl der Achtung fuͤrs mo- ralische Gesetz, aus beiden Gruͤnden zusammen aber ein moralisches Gefuͤhl genannt werden. Das moralische Gesetz also, so wie es formaler Bestimmungsgrund der Handlung ist, durch practische reine Vernunft, so wie es zwar auch materialer, aber nur objectiver Bestimmungsgrund der Gegenstaͤnde der Handlung unter dem Namen des Guten und Boͤsen, ist, so ist es auch subjectiver Bestimmungsgrund, d. i. Trieb- feder, zu dieser Handlung, indem es auf die Sittlichkeit des Subjects Einfluß hat, und ein Gefuͤhl bewirkt, welches dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen befoͤr- J 3 der- I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern derlich ist. Hier geht kein Gefuͤhl im Subject vorher, das auf Moralitaͤt gestimmt waͤre. Denn das ist un- moͤglich, weil alles Gefuͤhl sinnlich ist; die Triebfeder der sittlichen Gesinnung aber muß von aller sinnlichen Bedingung frey seyn. Vielmehr ist das sinnliche Ge- fuͤhl, was allen unseren Neigungen zum Grunde liegt, zwar die Bedingung derjenigen Empfindung, die wir Achtung nennen, aber die Ursache der Bestimmung des- selben liegt in der reinen practischen Vernunft, und die- se Empfindung kann daher, ihres Ursprunges wegen, nicht pathologisch, sondern muß practisch gewirkt hei- ßen; indem dadurch, daß die Vorstellung des morali- schen Gesetzes der Selbstliebe den Einfluß, und dem Ei- genduͤnkel den Wahn benimmt, das Hinderniß der rei- nen practischen Vernunft vermindert, und die Vorstel- lung des Vorzuges ihres objectiven Gesetzes vor den An- trieben der Sinnlichkeit, mithin das Gewicht des erste- ren relativ (in Ansehung eines durch die letztere afficir- ten Willens) durch die Wegschaffung des Gegengewichts, im Urtheile der Vernunft hervorgebracht wird. Und so ist die Achtung fuͤrs Gesetz nicht Triebfeder zur Sitt- lichkeit, sondern sie ist die Sittlichkeit selbst, subjectiv als Triebfeder betrachtet, indem die reine practische Vernunft dadurch, daß sie der Selbstliebe, im Gegen- satze mit ihr, alle Anspruͤche abschlaͤgt, dem Gesetze, das jetzt allein Einfluß hat, Ansehen verschafft. Hiebey ist nun zu bemerken: daß, so wie die Achtung eine Wir- kung der reinen practischen Vernunft. kung aufs Gefuͤhl, mithin auf die Sinnlichkeit eines vernuͤnftigen Wesens ist, es diese Sinnlichkeit, mithin auch die Endlichkeit solcher Wesen, denen das morali- sche Gesetz Achtung auferlegt, voraussetze, und daß einem hoͤchsten, oder auch einem von aller Sinnlichkeit freyen Wesen, welchem diese also auch kein Hinderniß der practischen Vernunft seyn kann, Achtung fuͤrs Gesetz nicht beygelegt werden koͤnne. Dieses Gefuͤhl (unter dem Namen des morali- schen) ist also lediglich durch Vernunft bewirkt. Es dient nicht zu Beurtheilung der Handlungen, oder wol gar zur Gruͤndung des objectiven Sittengesetzes selbst, sondern blos zur Triebfeder, um dieses in sich zur Ma- xime zu machen. Mit welchem Namen aber koͤnnte man dieses sonderbare Gefuͤhl, welches mit keinem pa- thologischen in Vergleichung gezogen werden kann, schicklicher belegen? Es ist so eigenthuͤmlicher Art, daß es lediglich der Vernunft, und zwar der practischen rei- nen Vernunft, zu Gebote zu stehen scheint. Achtung geht jederzeit nur auf Personen, nie- mals auf Sachen. Die letztere koͤnnen Neigung, und wenn es Thiere sind (z. B. Pferde, Hunde etc.), so gar Liebe, oder auch Furcht, wie das Meer, ein Vulcan, ein Raubthier, niemals aber Achtung in uns erwecken. Etwas, was diesem Gefuͤhl schon naͤher tritt, ist Be- wunderung, und diese, als Affect, das Erstaunen, J 4 kann I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern kann auch auf Sachen gehen, z. B. himmelhohe Berge, die Groͤße, Menge und Weite der Weltkoͤrper, die Staͤrke und Geschwindigkeit mancher Thiere, u. s. w. Aber alles dieses ist nicht Achtung. Ein Mensch kann mir auch ein Gegenstand der Liebe, der Furcht, oder der Bewunderung, so gar bis zum Erstaunen und doch darum kein Gegenstand der Achtung seyn. Seine scherzhafte Laune, sein Muth und Staͤrke, seine Macht, durch seinen Rang, den er unter anderen hat, koͤnnen mir dergleichen Empfindungen einfloͤßen, es fehlt aber immer noch an innerer Achtung gegen ihn. Fontenelle sagt: vor einem Vornehmen buͤcke ich mich, aber mein Geist buͤckt sich nicht Ich kann hinzu setzen: vor einem niedrigen, buͤrgerlich-gemeinen Mann, an dem ich eine Rechtschaffenheit des Characters in einem gewissen Maaße, als ich mir von mir selbst nicht be- wußt bin, wahrnehme, buͤckt sich mein Geist, ich mag wollen oder nicht, und den Kopf noch so hoch tragen, um ihn meinen Vorrang nicht uͤbersehen zu lassen. Warum das? Sein Beyspiel haͤlt mir ein Gesetz vor, das meinen Eigenduͤnkel niederschlaͤgt, wenn ich es mit meinem Verhalten vergleiche, und dessen Befolgung, mithin die Thunlichkeit desselben, ich durch die That bewiesen vor mir sehe. Nun mag ich mir sogar eines gleichen Grades der Rechtschaffenheit bewußt seyn, und die Achtung bleibt doch. Denn, da beym Menschen immer alles Gute mangelhaft ist, so schlaͤgt der reinen practischen Vernunft. schlaͤgt das Gesetz, durch ein Beyspiel anschaulich ge- macht, doch immer meinen Stolz nieder, wozu der Mann, den ich vor mir sehe, dessen Unlauterkeit, die ihm immer noch anhaͤngen mag, mir nicht so, wie mir die meinige, bekannt ist, der mir also in reinerem Lichte erscheint, einen Maaßstab abgiebt. Achtung ist ein Tribut, den wir dem Verdienste nicht verweigern koͤn- nen, wir moͤgen wollen oder nicht; wir moͤgen allen- falls aͤußerlich damit zuruͤckhalten, so koͤnnen wir doch nicht verhuͤten, sie innerlich zu empfinden. Die Achtung ist so wenig ein Gefuͤhl der Lust, daß man sich ihr in Ansehung eines Menschen nur un- gern uͤberlaͤßt. Man sucht etwas ausfindig zu machen, was uns die Last derselben erleichtern koͤnne, irgend einen Tadel, um uns wegen der Demuͤthigung, die uns durch ein solches Beyspiel widerfaͤhrt, schadlos zu halten. Selbst Verstorbene sind, vornehmlich wenn ihr Beyspiel unnachahmlich scheint, vor dieser Critik nicht immer gesichert. So gar das moralische Gesetz selbst, in seiner feyerlichen Majestaͤt, ist diesem Be- streben, sich der Achtung dagegen zu erwehren, ausge- sotzt . Meynt man wol, daß es einer anderen Ursache zu- zuschreiben sey, weswegen man es gern zu unserer ver- traulichen Neigung herabwuͤrdigen moͤchte, und sich aus anderen Ursachen alles so bemuͤhe, um es zur be- liebten Vorschrift unseres eigenen wohlverstandenen Vortheils zu machen, als daß man der abschreckenden J 5 Ach- I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern Achtung, die uns unsere eigene Unwuͤrdigkeit so strenge vorhaͤlt, los werden moͤge? Gleichwol ist darin doch auch wiederum so wenig Unlust: daß wenn man ein- mal den Eigenduͤnkel abgelegt, und jener Achtung practi- schen Einfluß verstattet hat, man sich wiederum an der Herrlichkeit dieses Gesetzes nicht satt sehen kann, und die Seele sich in dem Maaße selbst zu erheben glaubt, als sie das heilige Gesetz uͤber sich und ihre gebrechliche Ratur erhaben sieht. Zwar koͤnnen große Talente und eine ihnen proportionirte Thaͤtigkeit auch Achtung, oder ein mit derselben analogisches Gefuͤhl, bewirken, es ist auch ganz anstaͤndig es ihnen zu widmen, und da scheint es, als ob Bewunderung mit jener Empfindung einerley sey. Allein, wenn man naͤher zusieht, so wird man bemerken, daß, da es immer ungewiß bleibt, wie viel das angebohrne Talent und wie viel Cultur durch eigenen Fleiß an der Geschicklichkeit Theil habe, so stellt uns die Vernunft die letztere muthmaßlich als Frucht der Cultur, mithin als Verdienst vor, welches unseren Eigenduͤnkel merklich herabstimmt, und uns daruͤber entweder Vorwuͤrfe macht, oder uns die Be- folgung eines solchen Beyspiels, in der Art, wie es uns angemessen ist, auferlegt. Sie ist also nicht bloße Bewunderung, diese Achtung, die wir einer solchen Person (eigentlich dem Gesetze, was uns sein Bey- spiel vorhaͤlt,) beweisen; welches sich auch dadurch be- staͤtigt, daß der gemeine Haufe der Liebhaber, wenn er der reinen practischen Vernunft. er das Schlechte des Characters eines solchen Mannes (wie etwa Voltaire,) sonst woher erkundigt zu haben glaubt, alle Achtung gegen ihn aufgiebt, der wahre Gelehrte aber sie noch immer wenigstens im Gesicht- puncte seiner Talente fuͤhlt, weil er selbst in einem Ge- schaͤfte und Berufe verwickelt ist, welches die Nachah- mung desselben ihm gewissermaaßen zum Gesetze macht. Achtung fuͤrs moralische Gesetz ist also die einzige und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder, so wie dieses Gefuͤhl auch auf kein Object anders, als lediglich aus diesem Grunde gerichtet ist. Zuerst be- stimmt das moralische Gesetz objectiv und unmittelbar den Willen im Urtheile der Vernunft; Freyheit, deren Causalitaͤt blos durchs Gesetz bestimmbar ist, besteht aber eben darin, daß sie alle Neigungen, mithin die Schaͤtzung der Person selbst auf die Bedingung der Be- folgung ihres reinen Gesetzes einschraͤnkt. Diese Ein- schraͤnkung thut nun eine Wirkung aufs Gefuͤhl, und bringt Empfindung der Unlust hervor, die aus dem moralischen Gesetze a priori erkannt werden kann. Da sie aber blos so fern eine negative Wirkung ist, die, als aus dem Einflusse einer reinen practischen Vernunft entsprungen, vornemlich der Thaͤtigkeit des Subjects, so fern Neigungen die Bestimmungsgruͤnde desselben sind, mithin der Meynung seines persoͤnlichen Werths Abbruch thut, (der ohne Einstimmung mit dem mo- ralischen Gesetze auf nichts herabgesetzt wird,) so ist die I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern die Wirkung dieses Gesetzes aufs Gefuͤhl blos Demuͤthi- gung, welche wir also zwar a priori einsehen, aber an ihr nicht die Kraft des reinen practischen Gesetzes als Triebfeder, sondern nur den Widerstand gegen Triebfedern der Sinnlichkeit erkennen koͤnnen. Weil aber dasselbe Gesetz doch objectiv, d. i. in der Vorstel- lung der reinen Vernunft, ein unmittelbarer Bestim- mungsgrund des Willens ist, folglich diese Demuͤthi- gung nur relativ auf die Reinigkeit des Gesetzes statt- findet, so ist die Herabsetzung der Anspruͤche der mora- lischen Selbstschaͤtzung, d. i. die Demuͤthigung auf der sinnlichen Seite, eine Erhebung der moralischen, d. i. der practischen Schaͤtzung des Gesetzes selbst, auf der intellectuellen, mit einem Worte Achtung fuͤr’s Gesetz, also auch ein, seiner intellectuellen Ursache nach, positi- ves Gefuͤhl, das a priori erkannt wird. Denn eine jede Verminderung der Hindernisse einer Thaͤtigkeit ist Be- foͤrderung dieser Thaͤtigkeit selbst. Die Anerkennung des moralischen Gesetzes aber ist das Bewußtseyn einer Thaͤtigkeit der practischen Vernunft aus objectiven Gruͤnden, die blos darum nicht ihre Wirkung in Hand- lungen aͤußert, weil subjective Ursachen (pathologische) sie hindern. Also muß die Achtung fuͤrs moralische Gesetz auch als positive aber indirecte Wirkung desselben aufs Gefuͤhl, so fern jenes den hindernden Einfluß der Neigungen durch Demuͤthigung des Eigenduͤnkels schwaͤcht, mithin als subjectiver Grund der Thaͤtigkeit d. i. der reinen practischen Vernunft. d. i. als Triebfeder zu Befolgung desselben, und als Grund zu Maximen eines ihm gemaͤßen Lebenswan- dels angesehen werden. Aus dem Begriffe ei- ner Triebfeder entspringt der eines Interesse; welches niemals einem Wesen, als was Vernunft hat, bey- gelegt wird, und eine Triebfeder des Willens bedeu- tet, so fern sie durch Vernunft vorgestellt wird. Da das Gesetz selbst in einem moralisch-guten Willen die Triebfeder seyn muß, so ist das moralische Interesse ein reines sinnenfreyes Interesse der bloßen practischen Vernunft. Auf dem Begriffe eines Interesse gruͤndet sich auch der einer Maxime. Diese ist also nur als- denn moralisch aͤcht, wenn sie auf dem bloßen Inter- esse, das man an der Befolgung des Gesetzes nimmt, braucht. Alle drey Begriffe aber, der einer Triebfe- der, eines Interesse und einer Maxime, koͤnnen nur auf endliche Wesen angewandt werden. Denn sie setzen insgesamt eine Eingeschraͤnktheit der Natur eines We- sens voraus, da die subjective Beschaffenheit seiner Willkuͤhr mit dem objectiven Gesetze einer practischen Vernunft nicht von selbst uͤbereinstimmt; ein Beduͤrfniß, irgend wodurch zur Thaͤtigkeit angetrieben zu werden, weil ein inneres Hinderniß derselben entgegensteht. Auf den goͤttlichen Willen koͤnnen sie also nicht ange- wandt werden. Es liegt so etwas besonderes in der grenzenlosen Hochschaͤtzung des reinen, von allem Vortheil entbloͤß- ten, I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern ten, moralischen Gesetzes, so wie es practische Ver- nunft uns zur Befolgung vorstellt, deren Stimme auch den kuͤhnsten Frevler zittern macht, und ihn noͤ- thigt sich vor seinem Anblicke zu verbergen: daß man sich nicht wundern darf, diesen Einfluß einer blos in- tellectuellen Idee aufs Gefuͤhl fuͤr speculative Vernunft unergruͤndlich zu finden, und sich damit begnuͤgen zu muͤssen, daß man a priori doch noch so viel einsehen kann; ein solches Gefuͤhl sey unzertrennlich mit der Vorstellung des moralischen Gesetzes in jedem endlichen vernuͤnftigen Wesen verbunden. Waͤre dieses Gefuͤhl der Achtung pathologisch und also ein auf dem inneren Sinne gegruͤndetes Gefuͤhl der Lust, so wuͤrde es ver- geblich seyn, eine Verbindung derselben mit irgend ei- ner Idee a priori zu entdecken. Nun aber ist ein Ge- fuͤhl, was blos aufs Practische geht, und zwar der Vorstellung eines Gesetzes lediglich seiner Form nach, nicht irgend eines Objects desselben wegen, anhaͤngt, mithin weder zum Vergnuͤgen, noch zum Schmerze ge- rechnet werden kann, und dennoch ein Interesse an der Befolgung desselben hervorbringt, welches wir das moralische nennen; wie denn auch die Faͤhigkeit, ein solches Interesse am Gesetze zu nehmen (oder die Ach- tung fuͤr’s moralische Gesetz selbst) eigentlich das mo- ralische Gefuͤhl ist. Das Bewußtseyn einer freyen Unterwerfung des Willens unter das Gesetz, doch als mit einem unver- meid- der reinen practischen Vernunft. meidlichen Zwange, der allen Neigungen, aber nur durch eigene Vernunft angethan wird, verbunden, ist nun die Achtung fuͤr’s Gesetz. Das Gesetz, was diese Achtung fodert und auch einfloͤßt, ist, wie man sieht, kein anderes, als das moralische (denn kein anderes schließt alle Neigungen von der Unmittelbarkeit ihres Einflusses auf den Willen aus). Die Handlung, die nach diesem Gesetze, mit Ausschließung aller Bestim- mungsgruͤnde aus Neigung, objectiv practisch ist, heißt Pflicht , welche, um dieser Ausschließung willen, in ihrem Begriffe practische Noͤthigung , d. i. Bestim- mung zu Handlungen, so ungerne , wie sie auch ge- schehen moͤgen, enthaͤlt. Das Gefuͤhl, das aus dem Bewußtseyn dieser Noͤthigung entspringt, ist nicht pa- thologisch, als ein solches, was von einem Gegenstande der Sinne gewirkt wuͤrde, sondern allein practisch, d. i. durch eine vorhergehende (objective) Willensbestim- mung und Causalitaͤt der Vernunft, moͤglich. Es ent- haͤlt also, als Unterwerfung unter ein Gesetz, d. i. als Gebot, (welches fuͤr das sinnlich-afficirte Subject Zwang ankuͤndigt,) keine Lust, sondern, so fern, viel- mehr Unlust an der Handlung in sich. Dagegen aber, da dieser Zwang blos durch Gesetzgebung der eigenen Vernunft ausgeuͤbt wird, enthaͤlt es auch Erhebung , und die subjective Wirkung aufs Gefuͤhl, so fern da- von reine practische Vernunft die alleinige Ursache ist, kann also blos Selbstbilligung in Ansehung der letz- teren I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern teren heißen, indem man sich dazu ohne alles Interesse, blos durchs Gesetz bestimmt erkennt, und sich nunmehro eines ganz anderen, dadurch subjectiv hervorgebrachten, Interesse, welches rein practisch und frey ist, bewußt wird, welches an einer pflichtmaͤßigen Handlung zu nehmen, nicht etwa eine Neigung anraͤthig ist, sondern die Vernunft durchs practische Gesetz schlechthin gebie- tet und auch wirklich hervorbringt, darum aber einen ganz eigenthuͤmlichen Namen, nemlich den der Ach- tung, fuͤhrt. Der Begriff der Pflicht fodert also an der Hand- lung, objectiv, Uebereinstimmung mit dem Gesetze, an der Maxime derselben aber, subjectiv, Achtung fuͤrs Gesetz, als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe. Und darauf beruht der Unterschied zwi- schen dem Bewußtseyn, pflichtmaͤßig und aus Pflicht, d. i. aus Achtung fuͤr’s Gesetz, gehandelt zu haben, da- von das erstere (die Legalitaͤt) auch moͤglich ist, wenn Neigungen blos die Bestimmungsgruͤnde des Willens gewesen waͤren, das zweyte aber, (die Moralitaͤt, ) der moralische Werth, lediglich darin gesetzt werden muß, daß die Handlung aus Pflicht, d. i. blos um des Gesetzes willen geschehe. Wenn man den Begriff der Achtung fuͤr Personen, so wie er vorher dargelegt worden, genau erwaͤgt, so wird man gewahr, daß sie immer auf dem Bewußtseyn einer Pflicht beruhe, die uns Es der reinen practischen Vernunft. Es ist von der groͤßten Wichtigkeit in allen mora- lischen Beurtheilungen auf das subjective Princip aller Maximen mit der aͤußersten Genauigkeit Acht zu haben, damit alle Moralitaͤt der Handlungen in der Nothwen- digkeit derselben aus Pflicht und aus Achtung fuͤrs Gesetz, nicht aus Liebe und Zuneigung zu dem, was die Handlungen hervorbringen sollen, gesetzt werde. Fuͤr Menschen und alle erschaffene vernuͤnftige Wesen ist die moralische Nothwendigkeit Noͤthigung, d. i. Ver- bindlichkeit, und jede darauf gegruͤndete Handlung als Pflicht, nicht aber als eine uns von selbst schon beliebte, oder beliebt werden koͤnnende Verfahrungsart vorzu- stellen. Gleich als ob wir es dahin jemals bringen koͤnnten, daß ohne Achtung fuͤrs Gesetz, welche mit Furcht oder wenigstens Besorgniß vor Uebertretung verbunden ist, wir, wie die uͤber alle Abhaͤngigkeit erhabene Gott- heit, von selbst, gleichsam durch eine uns zur Natur gewordene, niemals zu verruͤckende Uebereinstimmung des Willens mit dem reinen Sittengesetze, (welches also, da wir niemals versucht werden koͤnnen, ihm untreu uns ein Beyspiel vorhaͤlt, und daß also Achtung niemals einen andern als moralischen Grund haben koͤnne, und es sehr gut, so gar in psychologischer Absicht zur Menschenkenntniß sehr nuͤtzlich sey, allerwerts, wo wir diesen Ausdruck brauchen, auf die geheime und wundernswuͤrdige, dabey aber oft vorkom- mende Ruͤcksicht, die der Mensch in seinen Beurtheilungen aufs moralische Gesetz nimmt, Acht zu haben. Kants Crit. d. pract. Vern. K I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern untreu zu werden, wol endlich gar aufhoͤren koͤnnte fuͤr uns Gebot zu seyn,) jemals in den Besitz einer Heilig- keit des Willens kommen koͤnnten. Das moralische Gesetz ist nemlich fuͤr den Willen eines allervollkommensten Wesens ein Gesetz der Heilig- keit, fuͤr den Willen jedes endlichen vernuͤnftigen Wesens aber ein Gesetz der Pflicht, der moralischen Noͤthigung und der Bestimmung der Handlungen desselben durch Achtung fuͤr dies Gesetz und aus Ehrfurcht fuͤr seine Pflicht. Ein anderes subjectives Princip muß zur Trieb- feder nicht angenommen werden, denn sonst kann zwar die Handlung, wie das Gesetz sie vorschreibt, ausfal- len, aber, da sie zwar pflichtmaͤßig ist, aber nicht aus Pflicht geschieht, so ist die Gesinnung dazu nicht mora- lisch, auf die es doch in dieser Gesetzgebung eigentlich ankoͤmmt. Es ist sehr schoͤn, aus Liebe zu Menschen und theil- nehmendem Wohlwollen ihnen Gutes zu thun, oder aus Liebe zur Ordnung gerecht zu seyn, aber das ist noch nicht die aͤchte moralische Maxime unsers Verhal- tens, die unserm Standpuncte, unter vernuͤnftigen Wesen, als Menschen, angemessen ist, wenn wir uns anmaaßen, gleichsam als Volontaire, uns mit stolzer Einbildung uͤber den Gedanken von Pflicht wegzusetzen, und uns, als vom Gebote unabhaͤngig, blos aus eige- ner Lust das thun zu wollen, wozu fuͤr uns kein Gebot noͤ- der reinen practischen Vernunft. noͤthig waͤre. Wir stehen unter einer Disciplin der Vernunft, und muͤssen in allen unseren Maximen der Unterwuͤrfigkeit unter derselben nicht vergessen, ihr nichts zu entziehen, oder dem Ansehen des Gesetzes (ob es gleich unsere eigene Vernunft giebt) durch eigenliebi- gen Wahn dadurch etwas abkuͤrzen, daß wir den Be- stimmungsgrund unseres Willens, wenn gleich dem Gesetze gemaͤß, doch worin anders, als im Gesetze selbst, und in der Achtung fuͤr dieses Gesetz setzten. Pflicht und Schuldigkeit sind die Benennungen, die wir allein unserem Verhaͤltnisse zum moralischen Gesetze geben muͤssen. Wir sind zwar Gesetzgebende Glieder eines durch Freyheit moͤglichen, durch practische Ver- nunft uns zur Achtung vorgestellten Reichs der Sitten, aber doch zugleich Unterthanen, nicht das Oberhaupt desselben, und die Verkennung unserer niederen Stufe, als Geschoͤpfe, und Weigerung des Eigenduͤnkels gegen das Ansehen des heiligen Gesetzes, ist schon eine Ab- truͤnnigkeit von demselben, dem Geiste nach, wenn gleich der Buchstabe desselben erfuͤllt wuͤrde. Hiemit stimmt aber die Moͤglichkeit eines solchen Gebots, als: Liebe Gott uͤber alles und deinen Naͤch- sten als dich selbst Mit diesem Gesetze macht das Princip der eigenen Gluͤckseligkeit, welches einige zum obersten Grundsatze der Sittlichkeit machen wol- , ganz wohl zusammen. Denn K 2 es I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern es fodert doch, als Gebot, Achtung fuͤr ein Gesetz, das Liebe befiehlt, und uͤberlaͤßt es nicht der beliebigen Wahl, sich diese zum Princip zu machen. Aber Liebe zu Gott als Neigung (pathologische Liebe) ist unmoͤglich; denn er ist kein Gegenstand der Sinne. Eben dieselbe gegen Menschen ist zwar moͤglich, kann aber nicht geboten werden; denn es steht in keines Menschen Vermoͤgen, jemanden blos auf Befehl zu lieben. Also ist es blos die practische Liebe, die in jenem Kern aller Gesetze verstanden wird. Gott lieben, heißt in dieser Bedeu- tung, seine Gebote gerne thun; den Naͤchsten lieben, heißt, alle Pflicht gegen ihn gerne ausuͤben. Das Ge- bot aber, das dieses zur Regel macht, kann auch nicht diese Gesinnung in pflichtmaͤßigen Handlungen zu ha- ben, sondern blos darnach zu streben gebieten. Denn ein Gebot, daß man etwas gerne thun soll, ist in sich widersprechend, weil, wenn wir, was uns zu thun ob- liege, schon von selbst wissen, wenn wir uns uͤberdem auch bewußt waͤren, es gerne zu thun, ein Gebot daruͤ- ber ganz unnoͤthig, und, thun wir es zwar, aber eben nicht gerne, sondern nur aus Achtung fuͤrs Gesetz, ein Gebot, welches diese Achtung eben zur Triebfeder der Maxime macht, gerade der gebotenen Gesinnung zuwi- der wollen, einen seltsamen Contrast: Dieses wuͤrde so lauten: Liebe dich selbst uͤber alles, Gott aber und deinen Naͤch- sten um dein selbst willen. der reinen practischen Vernunft. der wirken wuͤrde. Jenes Gesetz aller Gesetze stellt al- so, wie alle moralische Vorschrift des Evangelii, die sittliche. Gesinnung in ihrer ganzen Vollkommenheit dar, so wie sie als ein Ideal der Heiligkeit von keinem Ge- schoͤpfe erreichbar, dennoch das Urbild ist, welchem wir uns zu naͤheren, und in einem ununterbrochenen, aber unendlichen Progressus, gleich zu werden streben sollen. Koͤnnte nemlich ein vernuͤnftig Geschoͤpf jemals dahin kommen, alle moralische Gesetze voͤllig gerne zu thun, so wuͤrde das so viel bedeuten, als, es faͤnde sich in ihm auch nicht einmal die Moͤglichkeit einer Begier- de, die ihn zur Abweichung von ihnen reizte; denn die Ueberwindung einer solchen kostet dem Subject immer Aufopferung, bedarf also Selbstzwang, d. i. innere Noͤthigung zu dem was man nicht ganz gern thut. Zu dieser Stufe der moralischen Gesinnung aber kann es ein Geschoͤpf niemals bringen. Denn da es ein Geschoͤpf, mithin in Ansehung dessen, was er zur gaͤnzlichen Zu- friedenheit mit seinem Zustande fodert, immer abhaͤn- gig ist, so kann es niemals von Begierden und Neigun- gen ganz frey seyn, die, weil sie auf physischen Ursachen beruhen, mit dem moralischen Gesetze, das ganz ande- re Quellen hat, nicht von selbst stimmen, mithin es je- derzeit nothwendig machen, in Ruͤcksicht auf dieselbe, die Gesinnung seiner Maximen auf moralische Noͤthi- gung, nicht auf bereitwillige Ergebenheit, sondern auf Achtung, welche die Befolgung des Gesetzes, obgleich K 3 sie I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern sie ungerne geschaͤhe, fodert, nicht auf Liebe, die keine innere Weigerung des Willens gegen das Gesetz besorgt, zu gruͤnden, gleichwol aber diese letztere, nemlich die bloße Liebe zum Gesetze (da es alsdenn aufhoͤren wuͤrde Gebot zu seyn, und Moralitaͤt, die nun subjectiv in Heilig- keit uͤbergienge, aufhoͤren wuͤrde Tugend zu seyn) sich zum bestaͤndigen, obgleich unerreichbaren Ziele seiner Bestrebung zu machen. Denn an dem, was wir hoch- schaͤtzen, aber doch (wegen des Bewußtseyns unserer Schwaͤchen) scheuen, verwandelt sich, durch die meh- rere Leichtigkeit ihm Gnuͤge zu thun, die ehrfurchtsvolle Scheu in Zuneigung, und Achtung in Liebe, wenig- stens wuͤrde es die Vollendung einer dem Gesetze gewid- meten Gefinnung seyn, wenn es jemals einem Geschoͤ- pfe moͤglich waͤre sie zu erreichen. Diese Betrachtung ist hier nicht so wohl dahin ab- gezweckt, das angefuͤhrte evangelische Gebot auf deut- liche Begriffe zu bringen, um der Religionsschwaͤrme- rey in Ansehung der Liebe Gottes, sondern die sittliche Gesinnung, auch unmittelbar in Ansehung der Pflich- ten gegen Menschen, genau zu bestimmen, und einer blos moralischen Schwaͤrmerey, welche viel Koͤpfe an- steckt, zu steuren, oder, wo moͤglich, vorzubeugen. Die sittliche Stufe, worauf der Mensch (aller unserer Einsicht nach auch jedes vernuͤnftige Geschoͤpf) steht, ist Achtung fuͤrs moralische Gesetz. Die Gesinnung, die ihm, dieses zu befolgen, obliegt, ist, es aus Pflicht, nicht der reinen practischen Vernunft. nicht aus freywilliger Zuneigung und auch allenfalls un- befohlener von selbst gern unternommener Bestrebung zu befolgen, und sein moralischer Zustand, darin er jedesmal seyn kann, ist Tugend, d. i. moralische Ge- sinnung im Kampfe, und nicht Heiligkeit im vermein- ten Besitze einer voͤlligen Reinigkeit der Gesinnungen des Willens. Es ist lauter moralische Schwaͤrmerey und Steigerung des Eigenduͤnkels, wozu man die Ge- muͤther durch Aufmunterung zu Handlungen, als edler, erhabener und großmuͤthiger stimmt, dadurch man sie in den Wahn versetzt, als waͤre es nicht Pflicht, d. i. Achtung fuͤrs Gesetz, dessen Joch (das gleichwol, weil es uns Vernunft selbst auferlegt, sanft ist,) sie, wenn gleich ungern, tragen muͤßten, was den Bestimmungs- grund ihrer Handlungen ausmachte; und welches sie im- mer noch demuͤthigt, indem sie es befolgen (ihm gehor- chen ), sondern als ob jene Handlungen nicht aus Pflicht, sondern als baarer Verdienst von ihnen erwartet wuͤrde. Denn nicht allein, daß sie durch Nachahmung solcher Thaten, nemlich aus solchem Princip, nicht im minde- sten dem Geiste des Gesetzes ein Genuͤge gethan haͤtten, welcher in der dem Gesetze sich unterwerfenden Gesin- nung, nicht in der Gesetzmaͤßigkeit der Handlung, (das Princip moͤge seyn, welches auch wolle,) besteht, und die Triebfeder pathologisch (in der Sympathie oder auch Philavtie), nicht moralisch (im Gesetze) setzen, so brin- gen sie auf diese Art eine windige, uͤberfliegende, phan- K 4 tasti- I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern tastische Denkungsart hervor, sich mit einer freywilli- gen Gutartigkeit ihres Gemuͤths, das weder Sporns noch Zuͤgel beduͤrfe, fuͤr welches gar nicht einmal ein Gebot noͤthig sey, zu schmeicheln, und daruͤber ihrer Schuldigkeit, an welche sie doch eher denken sollten, als an Verdienst, zu vergessen. Es lassen sich wol Hand- lungen anderer, die mit großer Aufopferung, und zwar blos um der Pflicht willen, geschehen sind, unter dem Namen edler und erhabener Thaten preisen, und doch auch nur so fern Spuren da sind, welche vermuthen lassen, daß sie ganz aus Achtung fuͤr seine Pflicht, nicht aus Herzensaufwallungen geschehen sind. Will man je- manden aber sie als Beyspiele der Nachfolge vorstellen, so muß durchaus die Achtung fuͤr Pflicht (als das ein- zige aͤchte, moralische Gefuͤhl) zur Triebfeder gebraucht werden: diese ernste, heilige Vorschrift, die es nicht unserer eitelen Selbstliebe uͤberlaͤßt, mit pathologischen Antrieben (so fern sie der Moralitaͤt analogisch sind) zu taͤndeln, und uns auf verdienstlichen Werth was zu Gute zu thun. Wenn wir nur wohl nachsuchen, so werden wir zu allen Handlungen, die anpreisungswuͤr- dig sind, schon ein Gesetz der Pflicht finden, welches gebietet und nicht auf unser Belieben ankommen laͤßt, was unserem Hange gefaͤllig seyn moͤchte. Das ist die einzige Darstellungsart, welche die Seele moralisch bil- det, weil sie allein fester und genau bestimmter Grund- saͤtze faͤhig ist. Wenn der reinen practischen Vernunft. Wenn Schwaͤrmerey in der allergemeinsten Be- deutung eine nach Grundsaͤtzen unternommene Ueber- schreitung der Grenzen der menschlichen Vernunft ist, so ist moralische Schwaͤrmerey diese Ueberschreitung der Grenzen, die die practische reine Vernunft der Menschheit setzt, dadurch sie verbietet den subjectiven Bestimmungsgrund pflichtmaͤßiger Handlungen, d. i. die moralische Triebfeder derselben, irgend worin an- ders, als im Gesetze selbst, und die Gesinnung, die da- durch in die Maximen gebracht wird, irgend ander- werts, als in der Achtung fuͤr dies Gesetz, zu setzen, mithin den alle Arroganz sowol als eitele Philavtie niederschlagenden Gedanken von Pflicht zum obersten Lebensprincip aller Moralitaͤt im Menschen zu machen gebietet. Wenn dem also ist, so haben nicht allein Roman- schreiber, oder empfindelnde Erzieher (ob sie gleich noch so sehr wider Empfindeley eifern), sondern bisweilen selbst Philosophen, ja die strengsten unter allen, die Stoiker, moralische Schwaͤrmerey, statt nuͤchterner, aber weiser Disciplin der Sitten, eingefuͤhrt, wenn gleich die Schwaͤrmerey der letzteren mehr heroisch, der ersteren von schaaler und schmelzender Beschaffenheit war, und man kann es, ohne zu heucheln, der mora- lischen Lehre des Evangelii mit aller Wahrheit nachsa- gen: daß es zuerst, durch die Reinigkeit des moralischen Princips, zugleich aber durch die Angemessenheit dessel- K 5 ben I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern ben mit den Schranken endlicher Wesen, alles Wohl- verhalten des Menschen der Zucht einer ihnen vor Au- gen gelegten Pflicht, die sie nicht unter moralischen ge- traͤumten Vollkommenheiten schwaͤrmen laͤßt, unter- worfen und dem Eigenduͤnkel sowol als der Eigenliebe, die beide gerne ihre Grenzen verkennen, Schranken der Demuth (d. i. der Selbsterkenntniß) gesetzt habe. Pflicht! du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bey sich fuͤhrt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natuͤrliche Abneigung im Gemuͤthe erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, son- dern blos ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemuͤthe Eingang findet, und doch sich selbst wider Willen Verehrung (wenn gleich nicht immer Befolgung) erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich in Geheim ihm entgegen wirken, welches ist der deiner wuͤrdige Ursprung, und wo findet man die Wur- zel deiner edlen Abkunft, welche alle Verwandtschaft mit Neigungen stolz ausschlaͤgt, und von welcher Wurzel abzustammen, die unnachlaßliche Bedingung desjenigen Werths ist, den sich Menschen allein selbst geben koͤnnen? Es kann nichts Minderes seyn, als was den Menschen uͤber sich selbst (als einen Theil der Sinnen- welt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knuͤpft, die nur der Verstand denken kann, und die zu- gleich der reinen practischen Vernunft. gleich die ganze Sinnenwelt, mit ihr das empirisch-be- stimmbare Daseyn des Menschen in der Zeit und das Ganze aller Zwecke (welches allein solchen unbedingten practischen Gesetzen, als das moralische, angemessen ist,) unter sich hat. Es ist nichts anders als die Persoͤn- lichkeit, d. i. die Freyheit und Unabhaͤngigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermoͤgen eines Wesens betrachtet, welches eigenthuͤm- lichen, nemlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen reinen practischen Gesetzen die Person also, als zur Sin- nenwelt gehoͤrig, ihrer eigenen Persoͤnlichkeit unterwor- fen ist, so fern sie zugleich zur intelligibelen Welt ge- hoͤrt; da es denn nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als zu beiden Welten gehoͤrig, sein eigenes Wesen, in Beziehung auf seine zweyte und hoͤchste Be- stimmung, nicht anders, als mit Verehrung und die Gesetze derselben mit der hoͤchsten Achtung betrachten muß. Auf diesen Ursprung gruͤnden sich nun manche Ausdruͤcke, welche den Werth der Gegenstaͤnde nach moralischen Ideen bezeichnen. Das moralische Gesetz ist heilig (unverletzlich). Der Mensch ist zwar unhei- lig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig seyn. In der ganzen Schoͤpfung kann al- les, was man will, und woruͤber man etwas vermag, auch blos als Mittel gebraucht werden; nur der Mensch, und mit ihm jedes vernuͤnftige Geschoͤpf, ist Zweck I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern Zweck an sich selbst. Er ist nemlich das Subject des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermoͤge der Avtonomie seiner Freyheit. Eben um dieser willen, ist jeder Wille, selbst jeder Person ihr eigener, auf sie selbst gerichteter Wille, auf die Bedingung der Einstim- mung mit der Avtonomie des vernuͤnftigen Wesens eingeschraͤnkt, es nemlich keiner Absicht zu unterwerfen, die nicht nach einem Gesetze, welches aus dem Willen des leidenden Subjects selbst entspringen koͤnnte, moͤg- lich ist; also dieses niemals blos als Mittel, sondern zugleich selbst als Zweck zu gebrauchen. Diese Bedin- gung legen wir mit Recht sogar dem goͤttlichen Willen, in Ansehung der vernuͤnftigen Wesen in der Welt, als seiner Geschoͤpfe, bey, indem sie auf der Persoͤnlich- keit derselben beruht, dadurch allein sie Zwecke an sich selbst sind. Diese Achtung erweckende Idee der Persoͤnlichkeit, welche uns die Erhabenheit unserer Natur (ihrer Be- stimmung nach) vor Augen stellt, indem sie uns zugleich den Mangel der Angemessenheit unseres Verhaltens in Ansehung derselben bemerken laͤßt, und dadurch den Eigenduͤnkel niederschlaͤgt, ist selbst der gemeinsten Men- schenvernunft natuͤrlich und leicht bemerklich. Hat nicht jeder auch nur mittelmaͤßig ehrlicher Mann bisweilen ge- funden, daß er eine sonst unschaͤdliche Luͤge, dadurch er sich entweder selbst, aus einem verdrießlichen Handel ziehen, oder wol gar einem geliebten und verdienst- vollen der reinen practischen Vernunft. vollen Freunde Nutzen schaffen konnte, blos darum un- terließ, um sich in Geheim in seinen eigenen Augen nicht verachten zu duͤrfen? Haͤlt nicht einen rechtschaffe- nen Mann im groͤßten Ungluͤcke des Lebens, das er vermeiden konnte, wenn er sich nur haͤtte uͤber die Pflicht wegsetzen koͤnnen, noch das Bewußtseyn aufrecht, daß er die Menschheit in seiner Person doch in ihrer Wuͤrde erhalten und geehrt habe, daß er sich nicht vor sich selbst zu schaͤmen und den inneren Anblick der Selbstpruͤfung zu scheuen Ursache habe? Dieser Trost ist nicht Gluͤckseligkeit, auch nicht der mindeste Theil derselben. Denn niemand wird sich die Gelegenheit dazu, auch vielleicht nicht einmal ein Leben in solchen Umstaͤn- den wuͤnschen. Aber er lebt, und kann es nicht erdul- den, in seinen eigenen Augen des Lebens unwuͤrdig zu seyn. Diese innere Beruhigung ist also blos negativ, in Ansehung alles dessen, was das Leben angenehm ma- chen mag; nemlich sie ist die Abhaltung der Gefahr, im persoͤnlichen Werthe zu sinken, nachdem der seines Zu- standes von ihm schon gaͤnzlich aufgegeben worden. Sie ist die Wirkung von einer Achtung fuͤr etwas ganz anderes, als das Leben, womit in Vergleichung und Entgegensetzung, das Leben vielmehr, mit aller seiner Annehmlichkeit, gar keinen Werth hat. Er lebt nur noch aus Pflicht, nicht weil er am Leben den mindesten Geschmack findet. So I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern So ist die aͤchte Triebfeder der reinen practischen Vernunft beschaffen; sie ist keine andere, als das reine moralische Gesetz selber, so fern es uns die Erhabenheit unserer eigenen uͤbersinnlichen Existenz spuͤren laͤßt, und subjectiv, in Menschen, die sich zugleich ihres sinn- lichen Daseyns und der damit verbundenen Abhaͤngig- keit von ihrer so fern sehr pathologisch afficirten Natur bewußt sind, Achtung fuͤr ihre hoͤhere Bestimmung wirkt. Nun lassen sich mit dieser Triebfeder gar wohl so viele Reize und Annehmlichkeiten des Lebens verbin- den, daß auch um dieser willen allein schon die kluͤgste Wahl eines vernuͤnftigen und uͤber das groͤßte Wohl des Lebens nachdenkenden Epicuraͤers sich fuͤr das sittliche Wohlverhalten erklaͤren wuͤrde, und es kann auch rathsam seyn, diese Aussicht auf einen froͤhlichen Genuß des Lebens mit jener obersten und schon fuͤr sich allein hin- laͤnglich-bestimmenden Bewegursache zu verbinden; aber nur um den Anlockungen, die das Laster auf der Gegen- seite vorzuspiegeln nicht ermangelt, das Gegengewicht zu halten, nicht um hierin die eigentliche bewegende Kraft, auch nicht dem mindesten Theile nach, zu setzen, wenn von Pflicht die Rede ist. Denn das wuͤrde so viel seyn, als die moralische Gesinnung in ihrer Quelle verunrei- nigen wollen. Die Ehrwuͤrdigkeit der Pflicht hat nichts mit Lebensgenuß zu schaffen; sie hat ihr eigenthuͤmliches Gesetz, auch ihr eigenthuͤmliches Gericht, und wenn man auch beide noch so sehr zusammenschuͤtteln wollte, um sie der reinen practischen Vernunft. sie vermischt, gleichsam als Arzeneymittel, der kranken Seele zuzureichen, so scheiden sie sich doch alsbald von selbst, und, thun sie es nicht, so wirkt das erste gar nicht, wenn aber auch das physische Leben hiebey einige Kraft gewoͤnne, so wuͤrde doch das moralische ohne Rettung dahin schwinden. Critische Beleuchtung der Analytik der reinen practischen Vernunft. I ch verstehe unter der critischen Beleuchtung einer Wissenschaft, oder eines Abschnitts derselben, der fuͤr sich ein System ausmacht, die Untersuchung und Recht- fertigung, warum sie gerade diese und keine andere sy- stematische Form haben muͤsse, wenn man sie mit einem anderen System vergleicht, das ein aͤhnliches Erkennt- nißvermoͤgen zum Grunde hat. Nun hat practische Vernunft mit der speculativen so fern einerley Erkennt- nißvermoͤgen zum Grunde, als beide reine Vernunft sind. Also wird der Unterschied der systematischen Form der einen, von der anderen, durch Vergleichung beider bestimmt und Grund davon angegeben werden muͤssen. Die Analytik der reinen theoretischen Vernunft hatte es mit dem Erkenntnisse der Gegenstaͤnde, die dem Ver- I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern Verstande gegeben werden moͤgen, zu thun, und mußte also von der Anschauung, mithin (weil diese jeder- zeit sinnlich ist,) von der Sinnlichkeit anfangen, von da aber allererst zu Begriffen (der Gegenstaͤnde dieser Anschauung) fortschreiten, und durfte, nur nach beider Voranschickung, mit Grundsaͤtzen endigen. Dagegen, weil practische Vernunft es nicht mit Gegenstaͤnden, sie zu erkennen, sondern mit ihrem eigenen Vermoͤgen, jene (der Erkenntniß derselben gemaͤß) wirklich zu machen, d. i. es mit einem Willen zu thun hat, wel- cher eine Causalitaͤt ist, so fern Vernunft den Bestim- mungsgrund derselben enthaͤlt, da sie folglich kein Ob- ject der Anschauung, sondern (weil der Begriff der Causalitaͤt jederzeit die Beziehung auf ein Gesetz enthaͤlt, welches die Existenz des Mannigfaltigen im Verhaͤltnisse zu einander bestimmt,) als practische Vernunft, nur ein Gesetz derselben anzugeben hat: so muß eine Critik der Analytik derselben, so fern sie eine practische Ver- nunft seyn soll, (welches die eigentliche Aufgabe ist,) von der Moͤglichkeit practischer Grundsaͤtze a priori anfangen. Von da konnte sie allein zu Begriffen der Gegenstaͤnde einer practischen Vernunft, nemlich denen des schlechthin-Guten und Boͤsen fortgehen, um sie je- nen Grundsaͤtzen gemaͤß allererst zu geben, (denn diese sind vor jenen Principien als Gutes und Boͤses durch gar kein Erkenntnißvermoͤgen zu geben moͤglich,) und nur alsdenn konnte allererst das letzte Hauptstuͤck, nemlich das der reinen practischen Vernunft. das von dem Verhaͤltnisse der reinen practischen Ver- nunft zur Sinnlichkeit und ihrem nothwendigen, a priori zu erkennenden Einflusse auf dieselbe, d. i. vom mora- lischen Gefuͤhle, den Theil beschließen. So theilete denn die Analytik der practischen reinen Vernunft ganz analogisch mit der theoretischen den ganzen Umfang al- ler Bedingungen ihres Gebrauchs, aber in umgekehr- ter Ordnung. Die Analytik der theoretischen reinen Vernunft wurde in transscendentale Aesthetik und transscendentale Logik eingetheilt, die der practischen umgekehrt in Logik und Aesthetik der reinen practischen Vernunft, (wenn es mir erlaubt ist, diese sonst gar nicht angemessene Benennungen, blos der Analogie wegen, hier zu gebrauchen,) die Logik wiederum dort in die Analytik der Begriffe und die der Grundfaͤtze , hier in die der Grundsaͤtze und Begriffe. Die Aesthetik hatte dort noch zwey Theile, wegen der doppelten Art einer sinnlichen Anschauung; hier wird die Sinnlichkeit gar nicht als Anschauungsfaͤhigkeit, sondern blos als Gefuͤhl (das ein subjectiver Grund des Begehrens seyn kann,) betrachtet, und in Ansehung dessen verstattet die reine practische Vernunft keine weitere Eintheilung. Auch, daß diese Eintheilung in zwey Theile mit deren Unterabtheilung nicht wirklich (so wie man wol im Anfange durch das Beyspiel der ersteren verleitet werden konnte, zu versuchen) hier vorgenommen wur- de, davon laͤßt sich auch der Grund gar wohl einsehen. Kants Crit. d. pract. Vern. L Denn I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern Denn weil es reine Vernunft ist, die hier in ihrem practischen Gebrauche, mithin von Grundsaͤtzen a priori und nicht von empirischen Bestimmungsgruͤnden ausge- hend, betrachtet wird: so wird die Eintheilung der Ana- lytik der r. pr. V. der eines Vernunftschlusses aͤhnlich ausfallen muͤssen, nemlich vom Allgemeinen im Ober- satze (dem moralischen Princip), durch eine im Unter- satze vorgenommene Subsumtion moͤglicher Handlungen (als guter oder boͤser) unter jenen, zu dem Schlußsa- tze, nemlich der subjectiven Willensbestimmung (einem Interesse an dem practisch - moͤglichen Guten und der darauf gegruͤndeten Maxime) fortgehend. Demjeni- gen, der sich von den in der Analytik vorkommenden Saͤtzen hat uͤberzeugen koͤnnen, werden solche Verglei- chungen Vergnuͤgen machen; denn sie veranlassen mit Recht die Erwartung, es vielleicht dereinst bis zur Ein- sicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermoͤgens (des theoretischen sowol als practischen) bringen, und alles aus einem Princip ableiten zu koͤnnen; welches das unvermeidliche Beduͤrfniß der menschlichen Vernunft ist, die nur in einer vollstaͤndig systematischen Einheit ihrer Erkenntnisse voͤllige Zufriedenheit findet. Betrachten wir nun aber auch den Inhalt der Er- kenntniß, die wir von einer reinen practischen Vernunft, und durch dieselbe, haben koͤnnen, so wie ihn die Analy- tik derselben darlegt, so finden sich, bey einer merkwuͤr- digen Analogie zwischen ihr und der theoretischen, nicht weni- der reinen practischen Vernunft. weniger merkwuͤrdige Unterschiede. In Ansehung der theoretischen koͤnnte das Vermoͤgen eines reinen Ver- nunfterkenntnisses a priori durch Beyspiele aus Wissen- schaften, (bey denen man, da sie ihre Principien auf so mancherley Art durch methodischen Gebrauch auf die Probe stellen, nicht so leicht, wie im gemeinen Erkennt- nisse, geheime Beymischung empirischer Erkenntnißgruͤn- de zu besorgen hat) ganz leicht und evident bewiesen werden. Aber daß reine Vernunft, ohne Beymischung irgend eines empirischen Bestimmungsgrundes, fuͤr sich allein auch practisch sey; das mußte man aus dem ge- meinsten practischen Vernunftgebrauche darthun koͤnnen, indem man den obersten practischen Grundsatz, als einen solchen, den jede natuͤrliche Menschenvernunft, als voͤllig a priori, von keinen sinnlichen Datis abhaͤn- gend, fuͤr das oberste Gesetz seines Willens erkennt, be- glaubigte. Man mußte ihn zuerst, der Reinigkeit sei- nes Ursprungs nach, selbst im Urtheile dieser gemeinen Vernunft bewaͤhren und rechtfertigen, ehe ihn noch die Wissenschaft in die Haͤnde nehmen konnte, um Ge- brauch von ihm zu machen, gleichsam als ein Factum, das vor allem Vernuͤnfteln uͤber seine Moͤglichkeit und allen Folgerungen, die daraus zu ziehen seyn moͤchten, vorhergeht. Aber dieser Umstand laͤßt sich auch aus dem kurz vorher angefuͤhrten gar wohl erklaͤren; weil practische reine Vernunft nothwendig von Grundsaͤtzen anfangen muß, die also aller Wissenschaft, als erste L 2 Da- I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern Data, zum Grunde gelegt werden muͤssen, und nicht allererst aus ihr entspringen koͤnnen. Diese Rechtferti- gung der moralischen Principien, als Grundsaͤtze einer reinen Vernunft, konnte aber auch darum gar wohl, und mit gnugsamer Sicherheit, durch bloße Berufung auf das Urtheil des gemeinen Menschenverstandes ge- fuͤhret werden, weil sich alles Empirische, was sich als Bestimmungsgrund des Willens in unsere Maximen ein- schleichen moͤchte, durch das Gefuͤhl des Vergnuͤgens oder Schmerzens, das ihm so fern, als es Begierde er- regt, nothwendig anhaͤngt, sofort kenntlich macht, die- sem aber jene reine practische Vernunft geradezu wider- steht, es in ihr Princip, als Bedingung, aufzunehmen. Die Ungleichartigkeit der Bestimmungsgruͤnde (der em- pirischen und rationalen) wird durch diese Widerstre- bung einer practisch - gesetzgebenden Vernunft, wider alle sich einmengende Neigung, durch eine eigenthuͤmli- che Art von Empfindung, welche aber nicht vor der Gesetzgebung der practischen Vernunft vorhergeht, son- dern vielmehr durch dieselbe allein und zwar als ein Zwang gewirkt wird, nemlich durch das Gefuͤhl einer Achtung, dergleichen kein Mensch fuͤr Neigungen hat, sie moͤgen seyn, welcher Art sie wollen, wohl aber fuͤrs Gesetz, so kenntlich gemacht und so gehoben und her- vorstechend, daß keiner, auch der gemeinste Menschen- verstand, in einem vorgelegten Beyspiele nicht den Au- genblick inne werden sollte, daß durch empirische Gruͤn- de der reinen practischen Vernunft. de des Wollens ihm zwar ihren Anreitzen zu folgen, ge- rathen, niemals aber einem anderen, als lediglich dem reinen practischen Vernunftgesetze, zu gehorchen, zuge- muthet werden koͤnne. Die Unterscheidung der Gluͤckseligkeitslehre von der Sittenlehre, in derer ersteren empirische Principien das ganze Fundament, von der zweyten aber auch nicht den mindesten Beysatz derselben ausmachen, ist nun in der Analytik der reinen practischen Vernunft die erste und wichtigste ihr obliegende Beschaͤftigung, in der sie so puͤnctlich, ja, wenn es auch hieße, peinlich, ver- fahren muß, als je der Geometer in seinem Geschaͤfte. Es kommt aber dem Philosophen, der hier (wie jeder- zeit im Vernunfterkenntnisse durch bloße Begriffe, ohne Construction derselben) mit groͤßerer Schwierigkeit zu kaͤmpfen hat, weil er keine Anschauung (reinem Nou- men) zum Grunde legen kann, doch auch zu statten: daß er, beynahe wie der Chemist, zu aller Zeit ein Ex- periment mit jedes Menschen practischer Vernunft an- stellen kann, um den moralischen (reinen) Bestim- mungsgrund vom empirischen zu unterscheiden; wenn er nemlich zu dem empirisch-afficirten Willen (z. B. des- jenigen, der gerne luͤgen moͤchte, weil er sich dadurch was erwerben kann) das moralische Gesetz (als Bestim- mungsgrund) zusetzt. Es ist, als ob der Scheidekuͤnst- ler der Solution der Kalkerde in Salzgeist Alkali zu- setzt; der Salzgeist verlaͤßt so fort den Kalk, vereinigt L 3 sich I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern sich mit dem Alkali, und jener wird zu Boden gestuͤrzt. Eben so haltet dem, der sonst ein ehrlicher Mann ist (oder sich doch diesmal nur in Gedanken in die Stelle eines ehrlichen Mannes versetzt) das moralische Gesetz vor, an dem er die Nichtswuͤrdigkeit eines Luͤgners er- kennt, so fort verlaͤßt seine practische Vernunft (im Ur- theil uͤber das, was von ihm geschehen sollte) den Vor- theil, vereinigt sich mit dem, was ihm die Achtung fuͤr seine eigene Person erhaͤlt (der Wahrhaftigkeit), und der Vortheil wird nun von jedermann, nachdem er von allem Anhaͤngsel der Vernunft (welche nur gaͤnzlich auf der Seite der Pflicht ist) abgesondert und gewaschen worden, gewogen, um mit der Vernunft noch wohl in anderen Faͤllen in Verbindung zu treten, nur nicht, wo er dem moralischen Gesetze, welches die Vernunft nie- mals verlaͤßt, sondern sich innigst damit vereinigt, zu- wider seyn koͤnnte. Aber diese Unterscheidung des Gluͤckseligkeitsprin- cips von dem der Sittlichkeit, ist darum nicht so fort Entgegensetzung beyder, und die reine practische Ver- nunft will nicht, man solle die Anspruͤche auf Gluͤckse- ligkeit aufgeben, sondern nur, so bald von Pflicht die Rede ist, darauf gar nicht Ruͤcksicht nehmen. Es kann sogar in gewissem Betracht Pflicht seyn, fuͤr seine Gluͤck- seligkeit zu sorgen; theils weil sie (wozu Geschicklichkeit, Gesundheit, Reichthum gehoͤrt) Mittel zu Erfuͤllung seiner Pflicht enthaͤlt, theils weil der Mangel derselben (z. der reinen practischen Vernunft. (z. B. Armuth) Versuchungen enthaͤlt, seine Pflicht zu uͤbertreten. Nur, seine Gluͤckseligkeit zu befoͤrdern, kann unmittelbar niemals Pflicht, noch weniger ein Princip aller Pflicht seyn. Da nun alle Bestimmungsgruͤnde des Willens, ausser dem einigen reinen practischen Ver- nunftgesetze, (dem moralischen) insgesamt empirisch sind, als solche also zum Gluͤckseligkeitsprincip gehoͤren, so muͤssen sie insgesamt vom obersten sittlichen Grundsatze abgesondert, und ihm nie als Bedingung einverleibt werden, weil dieses eben so sehr allen sittlichen Werth, als empirische Beymischung zu geometrischen Grundsaͤ- tzen, alle mathematische Evidenz, das Vortreflichste, was (nach Platos Urtheile) die Mathematik an sich hat, und das selbst allem Nutzen derselben vorgeht, aufheben wuͤrde. Statt der Deduction des obersten Princips der reinen practischen Vernunft, d. i. der Erklaͤrung der Moͤglichkeit einer dergleichen Erkenntniß a priori, konn- te aber nichts weiter angefuͤhrt werden, als, daß, wenn man die Moͤglichkeit der Freyheit einer wirkenden Ursa- che einsaͤhe, man auch, nicht etwa blos die Moͤglichkeit, sondern gar die Nothwendigkeit des moralischen Gese- tzes, als obersten practischen Gesetzes vernuͤnftiger We- sen, denen man Freyheit der Causalitaͤt ihres Willens beylegt, einsehen wuͤrde; weil beide Begriffe so unzer- trennlich verbunden sind, daß man practische Freyheit auch durch Unabhaͤngigkeit des Willens von jedem ande- L 4 ren, I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern ren, ausser allein dem moralischen Gesetze, definiren koͤnnte. Allein die Freyheit einer wirkenden Ursache, vornehmlich in der Sinnenwelt, kann ihrer Moͤglichkeit nach keinesweges eingesehen werden; gluͤcklich! wenn wir nur, daß kein Beweis ihrer Unmoͤglichkeit stattfin- det, hinreichend versichert werden koͤnnen, und nun, durchs moralische Gesetz, welches dieselbe postulirt, ge- noͤthigt, eben dadurch auch berechtigt werden, sie anzu- nehmen. Weil es indessen noch viele giebt, welche diese Freyheit noch immer glauben nach empirischen Principien, wie jedes andere Naturvermoͤgen, erklaͤren zu koͤnnen, und sie als psychologische Eigenschaft, deren Er- klaͤrung lediglich auf einer genaueren Untersuchung der Natur der Seele und der Triebfeder des Willens an- kaͤme, nicht als transscendentales Praͤdicat der Causa- litaͤt eines Wesens, das zur Sinnenwelt gehoͤrt, (wie es doch hierauf wirklich allein ankommt) betrachten, und so die herrliche Eroͤffnung, die uns durch reine pra- ctische Vernunft vermittelst des moralischen Gesetzes widerfaͤhrt, nemlich die Eroͤffnung einer intelligibelen Welt, durch Realisirung des sonst transscendenten Be- griffs der Freyheit und hiemit das moralische Gesetz selbst, welches durchaus keinen empirischen Bestim- mungsgrund annimmt, aufheben; so wird es noͤthig seyn, hier noch etwas zur Verwahrung wider dieses Blendwerk, und der Darstellung des Empirismus in der ganzen Bloͤße seiner Seichtigkeit anzufuͤhren. Der der reinen practischen Vernunft. Der Begriff der Causalitaͤt, als Naturnothwen- digkeit, zum Unterschiede derselben, als Freyheit, be- trifft nur die Existenz der Dinge, so fern sie in der Zeit bestimmbar ist, folglich als Erscheinungen, im Gegensatze ihrer Causalitaͤt, als Dinge an sich selbst. Nimmt man nun die Bestimmungen der Existenz der Dinge in der Zeit fuͤr Bestimmungen der Dinge an sich selbst, (welches die gewoͤhnlichste Vorstellungsart ist,) so laͤßt sich die Nothwendigkeit in Causalverhaͤltnisse mit der Freyheit auf keinerley Weise vereinigen; son- dern sie sind einander contradictorisch- entgegengesetzt. Denn aus der ersteren folgt: daß eine jede Begebenheit, folglich auch jede Handlung, die in einem Zeitpuncte vorgeht, unter der Bedingung dessen, was in der vor- hergehenden Zeit war, nothwendig sey. Da nun die vergangene Zeit nicht mehr in meiner Gewalt ist, so muß jede Handlung, die ich ausuͤbe, durch bestimmen- de Gruͤnde, die nicht in meiner Gewalt seyn, noth- wendig seyn, d. i. ich bin in dem Zeitpuncte, darin ich handle, niemals frey. Ja, wenn ich gleich mein gan- zes Daseyn als unabhaͤngig von irgend einer fremden Ursache (etwa von Gott) annaͤhme, so daß die Bestim- mungsgruͤnde meiner Causalitaͤt, so gar meiner ganzen Existenz, gar nicht außer mir waͤren: so wuͤrde dieses jene Naturnothwendigkeit doch nicht im mindesten in Freyheit verwandeln. Denn in jedem Zeitpuncte stehe ich doch immer unter der Nothwendigkeit, durch das zum L 5 han- I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern handeln bestimmt zu seyn, was nicht in meiner Ge- walt ist, und die a parte priori unendliche Reihe der Begebenheiten, die ich immer nur, nach einer schon vor- herbestimmten Ordnung, fortsetzen, nirgend von selbst anfangen wuͤrde, waͤre eine stetige Naturkette, meine Causalitaͤt also niemals Freyheit. Will man also einem Wesen, dessen Daseyn in der Zeit bestimmt ist, Freyheit beylegen: so kann man es, so fern wenigstens, vom Gesetze der Naturnothwen- digkeit aller Begebenheiten in seiner Existenz, mithin auch seiner Handlungen, nicht ausnehmen; denn das waͤre so viel, als es dem blinden Ungefehr uͤbergeben. Da dieses Gesetz aber unvermeidlich alle Causalitaͤt der Dinge, so fern ihr Daseyn in der Zeit bestimmbar ist, betrifft, so wuͤrde, wenn dieses die Art waͤre, wornach man sich auch das Daseyn dieser Dinge an sich selbst vorzustellen haͤtte, die Freyheit, als ein nichtiger und unmoͤglicher Begriff verworfen werden muͤssen. Folg- lich, wenn man sie noch retten will, so bleibt kein Weg uͤbrig, als das Daseyn eines Dinges, so fern es in der Zeit bestimmbar ist, folglich auch die Causalitaͤt nach dem Gesetze der Naturnothwendigkeit, blos der Er- scheinung, die Freyheit aber eben demselben Wesen, als Dinge an sich selbst, beyzulegen. So ist es allerdings unvermeidlich, wenn man beide einander widerwaͤrtige Begriffe zugleich erhalten will; allein in der Anwendung, wenn man sie als in einer und derselben Handlung ver- einigt, der reinen practischen Vernunft. einigt, und also diese Vereinigung selbst erklaͤren will, thun sich doch große Schwierigkeiten hervor, die eine solche Vereinigung unthunlich zu machen scheinen. Wenn ich von einem Menschen, der einen Dieb- stahl veruͤbt, sage: diese That sey nach dem Natur- gesetze der Causalitaͤt aus den Bestimmungsgruͤnden der vorhergehenden Zeit ein nothwendiger Erfolg, so war es unmoͤglich, daß sie hat unterbleiben koͤnnen; wie kann denn die Beurtheilung nach dem moralischen Gesetze hierin eine Aenderung machen, und voraussetzen, daß sie doch habe unterlassen werden koͤnnen, weil das Gesetz sagt, sie haͤtte unterlassen werden sollen, d. i. wie kann derjenige, in demselben Zeitpuncte, in Ab- sicht auf dieselbe Handlung, ganz frey heißen, in wel- chem, und in derselben Absicht, er doch unter einer un- vermeidlichen Naturnothwendigkeit steht? Eine Ausflucht darin suchen, daß man blos die Art der Bestimmungs- gruͤnde seiner Causalitaͤt nach dem Naturgesetze einem comparativen Begriffe von Freyheit anpaßt, (nach welchem das bisweilen freye Wirkung heißt, davon der bestimmende Naturgrund innerlich im wirkenden We- sen liegt, z. B. das was ein geworfener Koͤrper verrich- tet, wenn er in freyer Bewegung ist, da man das Wort Freyheit braucht, weil er, waͤhrend, daß er im Fluge ist, nicht von außen wodurch getrieben wird, oder wie wir die Bewegung einer Uhr auch eine freye Bewegung nennen, weil sie ihren Zeiger selbst treibt, der also nicht I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern nicht aͤußerlich geschoben werden darf, eben so die Handlungen des Menschen, ob sie gleich, durch ihre Be- stimmungsgruͤnde, die in der Zeit vorhergehen, noth- wendig sind, dennoch frey nennen, weil es doch innere durch unsere eigene Kraͤfte hervorgebrachte Vorstellun- gen, dadurch nach veranlassenden Umstaͤnden erzeugte Begierden und mithin nach unserem eigenen Belieben bewirkte Handlungen sind,) ist ein elender Behelf, wo- mit sich noch immer einige hinhalten lassen, und so je- nes schwere Problem mit einer kleinen Wortklauberey aufgeloͤset zu haben meynen, an dessen Aufloͤsung Jahr- tausende vergeblich gearbeitet haben, die daher wol schwerlich so ganz auf der Oberflaͤche gefunden werden duͤrfte. Es kommt nemlich bey der Frage nach derje- nigen Freyheit, die allen moralischen Gesetzen und der ihnen gemaͤßen Zurechnung zum Grunde gelegt werden muß, darauf gar nicht an, ob die nach einem Natur- gesetze bestimmte Causalitaͤt, durch Bestimmungsgruͤnde, die im Subjecte, oder außer ihm liegen, und im er- steren Fall, ob sie durch Instinct oder mit Vernunft ge- dachte Bestimmungsgruͤnde nothwendig sey, wenn diese bestimmende Vorstellungen nach dem Gestaͤndnisse eben dieser Maͤnner selbst, den Grund ihrer Existenz doch in der Zeit und zwar dem vorigen Zustande haben, dieser aber wieder in einem vorhergehenden etc. so moͤgen sie diese Bestimmungen, immer innerlich seyn, sie moͤgen psychologische und nicht mechanische Causalitaͤt haben, d. i. der reinen practischen Vernunft. d. i. durch Vorstellungen, und nicht durch koͤrperliche Bewegung, Handlung hervorbringen, so sind es immer Bestimmungsgruͤnde der Causalitaͤt eines Wesens, so fern sein Daseyn in der Zeit bestimmbar ist, mithin unter nothwendig machenden Bedingungen der vergan- genen Zeit, die also, wenn das Subject handeln soll, nicht mehr in seiner Gewalt sind , die also zwar psy- chologische Freyheit, (wenn man ja dieses Wort von einer blos inneren Verkettung der Vorstellungen der Seele brauchen will,) aber doch Naturnothwendigkeit bey sich fuͤhren, mithin keine transscendentale Frey- heit uͤbrig lassen, welche als Unabhaͤngigkeit von al- lem empirischen und also von der Natur uͤberhaupt ge- dacht werden muß, sie mag nun Gegenstand des inne- ren Sinnes, blos in der Zeit, oder auch aͤußeren Sin- ne, im Raume und der Zeit zugleich betrachtet werden, ohne welche Freyheit (in der letzteren eigentlichen Be- deutung), die allein a priori practisch ist, kein mora- lisch Gesetz, keine Zurechnung nach demselben, moͤglich ist. Eben um deswillen kann man auch alle Nothwen- digkeit der Begebenheiten in der Zeit nach dem Natur- gesetze der Causalitaͤt, den Mechanismus der Natur nennen, ob man gleich darunter nicht versteht, daß Dinge, die ihm unterworfen sind, wirkliche materielle Maschinen seyn muͤßten. Hier wird nur auf die Noth- wendigkeit der Verknuͤpfung der Begebenheiten in einer Zeitreihe, so wie sie sich nach dem Naturgesetze entwi- ckelt, I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern ckelt, gesehen, man mag nun das Subject, in welchem dieser Ablauf geschieht, Avtomaton materiale , da das Maschinenwesen durch Materie, oder mit Leibnitzen spirituale, da es durch Vorstellungen betrieben wird, nennen, und wenn die Freyheit unseres Willens keine andere als die letztere (etwa die psychologische und comparative, nicht transscendentale d. i. absolute zu- gleich) waͤre, so wuͤrde sie im Grunde nichts besser, als die Freyheit eines Bratenwenders seyn, der auch, wenn er einmal aufgezogen worden, von selbst seine Bewegungen verrichtet. Um nun den scheinbaren Widerspruch zwischen Naturmechanismus und Freyheit in ein und derselben Handlung an dem vorgelegten Falle aufzuheben, muß man sich an das erinnern, was in der Critik der reinen Vernunft gesagt war, oder daraus folgt: daß die Na- turnothwendigkeit, welche mit der Freyheit des Sub- jects nicht zusammen bestehen kann, blos den Be- stimmungen desjenigen Dinges anhaͤngt, das unter Zeitbedingungen steht, folglich nur dem des handeln- den Subjects als Erscheinung, daß also so fern die Be- stimmungsgruͤnde einer jeden Handlung desselben in dem- jenigen liegen, was zur vergangenen Zeit gehoͤrt, und nicht mehr in seiner Gewalt ist, (wozu auch seine schon begangene Thaten, und der ihm dadurch be- stimmbare Character in seinen eigenen Augen, als Phaͤnomens, gezaͤhlt werden muͤssen). Aber ebendas- selbe der reinen practischen Vernunft. selbe Subject, das sich anderseits auch seiner, als Din- ges an sich selbst, bewußt ist, betrachtet auch sein Da- seyn, so fern es nicht unter Zeitbedingungen steht, sich selbst aber nur als bestimmbar durch Gesetze, die es sich durch Vernunft selbst giebt, und in diesem seinem Daseyn ist ihm nichts vorhergehend vor seiner Willens- bestimmung, sondern jede Handlung, und uͤberhaupt jede dem innern Sinne gemaͤß wechselnde Bestimmung seines Daseyns, selbst die ganze Reihenfolge seiner Exi- stenz, als Sinnenwesen, ist im Bewußtseyn seiner in- telligibelen Existenz nichts als Folge, niemals aber als Bestimmungsgrund seiner Causalitaͤt, als Noumens, anzusehen. In diesem Betracht nun kann das ver- nuͤnftige Wesen, von einer jeden gesetzwidrigen Hand- lung, die es veruͤbt, ob sie gleich, als Erscheinung, in dem Vergangenen hinreichend bestimmt, und so fern unausbleiblich nothwendig ist, mit Recht sagen, daß er sie haͤtte unterlassen koͤnnen; denn sie, mit allem Vergangenen, das sie bestimmt, gehoͤrt zu einem ein- zigen Phaͤnomen seines Characters, den er sich selbst verschafft, und nach welchem er sich als einer von aller Sinnlichkeit unabhaͤngigen Ursache, die Causalitaͤt je- ner Erscheinungen selbst zurechnet. Hiemit stimmen auch die Richterausspruͤche des- jenigen wundersammen Vermoͤgens in uns, welches wir Gewissen nennen, vollkommen uͤberein. Ein Mensch mag kuͤnsteln, so viel als er will, um ein gesetzwidri- ges I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern ges Betragen, dessen er sich erinnert, sich als unvor- setzliches Versehen, als bloße Unbehutsamkeit, die man niemals gaͤnzlich vermeiden kann, folglich als etwas, worin er vom Strom der Naturnothwendigkeit fort- gerissen waͤre, vorzumalen und sich daruͤber fuͤr schuld- frey zu erklaͤren, so findet er doch, daß der Advocat, der zu seinem Vortheil spricht, den Anklaͤger in ihm keinesweges zum Verstummen bringen koͤnne, wenn er sich bewußt ist, daß er zu der Zeit, als er das Un- recht veruͤbte, nur bey Sinnen, d. i. im Gebrauche sei- ner Freyheit war, und gleichwol erklaͤrt er sich sein Vergehen, aus gewisser uͤbeln, durch allmaͤlige Ver- nachlaͤssigung der Achtsamkeit auf sich selbst zugezogener Gewohnheit, bis auf den Grad, daß er es als eine natuͤrliche Folge derselben ansehen kann, ohne daß die- ses ihn gleichwol wider den Selbsttadel und den Ver- weis sichern kann, den er sich selbst macht. Darauf gruͤndet sich denn auch die Reue uͤber eine laͤngst began- gene That bey jeder Erinnerung derselben; eine schmerz- hafte, durch moralische Gesinnung gewirkte Empfin- dung, die so fern practisch leer ist, als sie nicht dazu dienen kann, das Geschehene ungeschehen zu machen, und sogar ungereimt seyn wuͤrde, (wie Priestley, als ein aͤchter, consequent verfahrender Fatalist, sie auch dafuͤr erklaͤrt, und in Ansehung welcher Offenherzig- keit er mehr Beyfall verdient, als diejenige, welche, indem sie den Mechanism des Willens in der That, die Frey- der reinen practischen Vernunft. Freyheit desselben aber mit Worten behaupten, noch immer dafuͤr gehalten seyn wollen, daß sie jene, ohne doch die Moͤglichkeit einer solchen Zurechnung begreiflich zu machen, in ihrem syncretistischen System mit ein- schließen,) aber, als Schmerz, doch ganz rechtmaͤßig ist, weil die Vernunft, wenn es auf das Gesetz unserer in- telligibelen Existenz (das moralische) ankommt, keinen Zeitunterschied anerkennt, und nur fraͤgt, ob die Bege- benheit mir als That angehoͤre, alsdenn aber immer dieselbe Empfindung damit moralisch verknuͤpft, sie mag jetzt geschehen, oder vorlaͤngst geschehen seyn. Denn das Sinnenleben hat in Ansehung des intelligibelen Bewußtseyns seines Daseyns (der Freyheit) absolute Einheit eines Phaͤnomens, welches, so fern es blos Erscheinungen von der Gesinnung, die das moralische Gesetz angeht, (von dem Character) enthaͤlt, nicht nach der Naturnothwendigkeit, die ihm als Erscheinung zukommt, sondern nach der absoluten Spontaneitaͤt der Freyheit beurtheilt werden muß. Man kann also ein- raͤumen, daß, wenn es fuͤr uns moͤglich waͤre, in eines Menschen Denkungsart, so wie sie sich durch innere so- wol als aͤußere Handlungen zeigt, so tiefe Einsicht zu haben, daß jede, auch die mindeste Triebfeder dazu uns bekannt wuͤrde, imgleichen alle auf diese wirkende aͤußere Veranlassungen, man eines Menschen Verhal- ten auf die Zukunft mit Gewißheit, so wie eine Mond- oder Sonnenfinsterniß, ausrechnen koͤnnte, und dennoch Kants Crit. d. pract. Vern. M dabey I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern dabey behaupten, daß der Mensch frey sey. Wenn wir nemlich noch eines andern Blicks, (der uns aber freylich gar nicht verliehen ist, sondern an dessen Statt wir nur den Vernunftbegriff haben,) nemlich einer in- tellectuellen Anschauung desselben Subjects faͤhig waͤren, so wuͤrden wir doch inne werden, daß diese ganze Kette von Erscheinungen in Ansehung dessen, was nur immer das moralische Gesetz angehen kann, von der Spontaneitaͤt des Subjects, als Dinges an sich selbst, abhaͤngt, von deren Bestimmung sich gar keine physische Erklaͤrung geben laͤßt. In Ermangelung dieser Anschauung ver- sichert uns das moralische Gesetz diesen Unterschied der Beziehung unserer Handlungen, als Erscheinungen, auf das Sinnenwesen unseres Subjects, von derjenigen, dadurch dieses Sinnenwesen selbst auf das intelligibele Substrat in uns bezogen wird. — In dieser Ruͤck- sicht, die unserer Vernunft natuͤrlich, obgleich uner- klaͤrlich ist, lassen sich auch Beurtheilungen rechtferti- gen, die mit aller Gewissenhaftigkeit gefaͤllet, dennoch dem ersten Anscheine nach aller Billigkeit ganz zu wider- streiten scheinen. Es giebt Faͤlle, wo Menschen von Kindheit auf, selbst unter einer Erziehung, die, mit der ihrigen zugleich, andern ersprießlich war, dennoch so fruͤhe Bosheit zeigen, und so bis in ihre Mannes- jahre zu steigen fortfahren, daß man sie fuͤr gebohrne Boͤsewichter, und gaͤnzlich, was die Denkungsart be- trifft, fuͤr unbesserlich haͤlt, gleichwol aber sie wegen ihres der reinen practischen Vernunft. ihres Thuns und Lassens eben so richtet, ihnen ihre Verbrechen eben so als Schuld verweiset, ja sie (die Kinder) selbst diese Verweise so ganz gegruͤndet finden, als ob sie, ungeachtet der ihnen beygemessenen hoff- nungslosen Naturbeschaffenheit ihres Gemuͤths, eben so verantwortlich blieben, als jeder andere Mensch. Dieses wuͤrde nicht geschehen koͤnnen, wenn wir nicht voraussetzten, daß alles, was aus seiner Willkuͤhr ent- springt (wie ohne Zweifel jede vorsetzlich veruͤbte Hand- lung) eine freye Causalitaͤt zum Grunde habe, welche von der fruͤhen Jugend an ihren Character in ihren Erscheinungen (den Handlungen) ausdruͤckt, die we- gen der Gleichfoͤrmigkeit des Verhaltens einen Na- turzusammenhang kenntlich machen, der aber nicht die arge Beschaffenheit des Willens nothwendig macht, son- dern vielmehr die Folge der freywillig angenommenen boͤsen und unwandelbaren Grundsaͤtze ist, welche ihn nur noch um desto verwerflicher und strafwuͤrdiger machen. Aber noch steht eine Schwierigkeit der Freyheit bevor, so fern sie mit dem Naturmechanism, in einem Wesen, das zur Sinnenwelt gehoͤrt, vereinigt werden soll. Eine Schwierigkeit, die, selbst nachdem alles bisherige eingewilligt worden, der Freyheit dennoch mit ihrem gaͤnzlichen Untergange droht. Aber bey dieser Gefahr giebt ein Umstand doch zugleich Hoffnung zu einem fuͤr die Behauptung der Freyheit noch gluͤck- M 2 lichen I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern lichen Ausgange, nemlich daß dieselbe Schwierigkeit viel staͤrker (in der That, wie wir bald sehen werden, allein,) das System druͤckt, in welchem die in Zeit und Raum bestimmbare Existenz fuͤr die Existenz der Dinge an sich selbst gehalten wird, sie uns also nicht noͤthigt, unsere vornehmste Voraussetzung von der Idealitaͤt der Zeit, als bloßer Form sinnlicher Anschauung, folglich als bloßer Vorstellungsart, die dem Subjecte als zur Sin- nenwelt gehoͤrig eigen ist, abzugehen, und also nur er- fodert sie mit dieser Idee zu vereinigen. Wenn man uns nemlich auch einraͤumt, daß das intelligibele Subject in Ansehung einer gegebenen Handlung noch frey seyn kann, obgleich es als Sub- ject, das auch zur Sinnenwelt gehoͤrig, in Ansehung derselben mechanisch bedingt ist, so scheint es doch, man muͤsse, so bald man annimmt, Gott, als allgemei- nes Urwesen, sey die Ursache auch der Existenz der Substanz (ein Satz, der niemals aufgegeben werden darf, ohne den Begriff von Gott als Wesen aller We- sen, und hiemit seine Allgenugsamkeit, auf die alles in der Theologie ankommt, zugleich mit aufzugeben), auch einraͤumen. Die Handlungen des Menschen haben in demjenigen ihren bestimmenden Grund, was gaͤnzlich außer ihrer Gewalt ist, nemlich in der Causalitaͤt ei- nes von ihm unterschiedenen hoͤchsten Wesens, von welchem das Daseyn des erstern, und die ganze Be- stimmung seiner Causalitaͤt ganz und gar abhaͤngt. In der der reinen practischen Vernunft. der That: waͤren die Handlungen des Menschen, so wie sie zu seinen Bestimmungen in der Zeit gehoͤren, nicht bloße Bestimmungen desselben als Erscheinung, sondern als Dinges an sich selbst, so wuͤrde die Frey- heit nicht zu retten seyn. Der Mensch waͤre Marionette, oder ein Vaucansonsches Avtomat, gezimmert und auf- gezogen von dem obersten Meister aller Kunstwerke, und das Selbstbewußtseyn wuͤrde es zwar zu einem denkenden Avtomate machen, in welchem aber das Be- wußtseyn seiner Spontaneitaͤt, wenn sie fuͤr Freyheit gehalten wird, bloße Taͤuschung waͤre, indem sie nur comparativ so genannt zu werden verdient, weil die naͤchsten bestimmenden Ursachen seiner Bewegung, und eine lange Reihe derselben zu ihren bestimmenden Ur- sachen hinauf, zwar innerlich sind, die letzte und hoͤch- ste aber doch gaͤnzlich in einer fremden Hand angetrof- fen wird. Daher sehe ich nicht ab, wie diejenige, welche noch immer dabey beharren, Zeit und Raum fuͤr zum Daseyn der Dinge an sich selbst gehoͤrige Bestim- mungen anzusehen, hier die Fatalitaͤt der Handlungen vermeiden wollen, oder, wenn sie so geradezu (wie der sonst scharfsinnige Mendelssohn that,) beide nur als zur Existenz endlicher und abgeleiteter Wesen, aber nicht zu der des unendlichen Urwesens nothwendig ge- hoͤrige Bedingungen einraͤumen, sich rechtfertigen wol- len, woher sie diese Befugniß nehmen, einen solchen Unterschied zu machen, sogar wie sie auch nur dem Wi- M 3 der- I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern derspruche ausweichen wollen, den sie begehen, wenn sie das Daseyn in der Zeit als den endlichen Dingen an sich nothwendig anhaͤngende Bestimmung ansehen, da Gott die Ursache dieses Daseyns ist, er aber doch nicht die Ursache der Zeit (oder des Raums) selbst seyn kann, (weil diese als nothwendige Bedingung a priori dem Daseyn der Dinge vorausgesetzt seyn muß,) seine Causalitaͤt folglich in Ansehung der Existenz dieser Din- ge, selbst der Zeit nach, bedingt seyn muß, wobey nun alle die Widerspruͤche gegen die Begriffe seiner Unendlich- keit und Unabhaͤngigkeit unvermeidlich eintreten muͤssen. Hingegen ist es uns ganz leicht, die Bestimmung der goͤttlichen Existenz, als unabhaͤngig von allen Zeitbe- dingungen, zum Unterschiede von der eines Wesens der Sinnenwelt, als die Existenz eines Wesens an sich selbst , von der eines Dinges in der Erscheinung zu unterscheiden. Daher, wenn man jene Idealitaͤt der Zeit und des Raums nicht annimmt, nur allein der Spinozism uͤbrig bleibt, in welchem Raum und Zeit wesentliche Bestimmungen des Urwesens selbst sind, die von ihm abhaͤngige Dinge aber (also auch wir selbst) nicht Substanzen, sondern blos ihm inhaͤrirende Acci- denzen sind; weil, wenn diese Dinge blos, als seine Wirkungen, in der Zeit existiren, welche die Bedingung ihrer Existenz an sich waͤre, auch die Handlungen die- ser Wesen blos seine Handlungen seyn muͤßten, die er irgendwo und irgendwann ausuͤbte. Daher schließt der der reinen practischen Vernunft. der Spinozism, unerachtet der Ungereimtheit seiner Grundidee, doch weit buͤndiger, als es nach der Schoͤ- pfungstheorie geschehen kann, wenn die fuͤr Substan- zen angenommene und an sich in der Zeit existirende Wesen Wirkungen einer obersten Ursache, und doch nicht zugleich zu ihm und seiner Handlung, sondern fuͤr sich als Substanzen angesehen werden. Die Aufloͤsung obgedachter Schwierigkeit geschicht, kurz und einleuchtend, auf folgende Art: Wenn die Existenz in der Zeit eine bloße sinnliche Vorstellungsart der denkenden Wesen in der Welt ist, folglich sie, als Dinge an sich selbst, nicht angeht: so ist die Schoͤpfung dieser Wesen eine Schoͤpfung der Dinge an sich selbst; weil der Begriff einer Schoͤpfung nicht zu der sinnlichen Vorstellungsart der Existenz und zur Causalitaͤt gehoͤrt, sondern nur auf Noumenen bezogen werden kann. Folg- lich, wenn ich von Wesen in der Sinnenwelt sage: sie sind erschaffen; so betrachte ich sie so fern als Noume- nen. So, wie es also ein Widerspruch waͤre, zu sagen, Gott sey ein Schoͤpfer von Erscheinungen, so ist es auch ein Widerspruch, zu sagen, er sey, als Schoͤpfer, Ursache der Handlungen in der Sinnenwelt, mithin als Erscheinungen, wenn er gleich Ursache des Daseyns der handelnden Wesen (als Noumenen) ist. Ist es nun moͤglich, (wenn wir nur das Daseyn in der Zeit fuͤr et- was, was blos von Erscheinungen, nicht von Dingen an sich selbst gilt, annehmen,) die Freyheit, unbeschadet M 4 dem I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern dem Naturmechanism der Handlungen als Erscheinun- gen, zu behaupten, so kann, daß die handelnden Wesen Geschoͤpfe sind, nicht die mindeste Aenderung hierin machen, weil die Schoͤpfung ihre intelligibele, aber nicht sensibele Existenz betrifft, und also nicht als Be- stimmungsgrund der Erscheinungen angesehen werden kann; welches aber ganz anders ausfallen wuͤrde, wenn die Weltwesen als Dinge an sich selbst in der Zeit exi- stirten, da der Schoͤpfer der Substanz, zugleich der Ur- heber des ganzen Maschinenwesens an dieser Substanz seyn wuͤrde. Von so großer Wichtigkeit ist die in der Crit. der r. spec. V. verrichtete Absonderung der Zeit (so wie des Raums) von der Existenz der Dinge an sich selbst. Die hier vorgetragene Aufloͤsung der Schwierig- keit hat aber, wird man sagen, doch viel Schweres in sich, und ist einer hellen Darstellung kaum empfaͤnglich. Allein, ist denn jede andere, die man versucht hat, oder versuchen mag, leichter und faßlicher? Eher moͤchte man sagen, die dogmatischen Lehrer der Metaphysik haͤt- ten mehr ihre Verschmitztheit als Aufrichtigkeit darin bewiesen, daß sie diesen schwierigen Punct, so weit wie moͤglich, aus den Augen brachten, in der Hoffnung, daß, wenn sie davon gar nicht spraͤchen, auch wol nie- mand leichtlich an ihn denken wuͤrde. Wenn einer Wis- senschaft geholfen werden soll, so muͤssen alle Schwierig- keiten aufgedecket und sogar diejenigen aufgesucht wer- den, der reinen practischen Vernunft. den, die ihr noch so in geheim im Wege liegen; denn jede derselben ruft ein Huͤlfsmittel auf, welches, ohne der Wissenschaft einen Zuwachs, es sey an Umfang, oder an Bestimmtheit, zu verschaffen nicht gefunden werden kann, wodurch also selbst die Hindernisse Befoͤrderungsmittel der Gruͤndlichkeit der Wissenschaft werden. Dagegen, werden die Schwierigkeiten absichtlich verdeckt, oder blos durch Palliativmittel gehoben, so brechen sie, uͤber kurz oder lang, in unheilbare Uebel aus, welche die Wissenschaft in einem gaͤnzlichen Scepticism zu Grunde richten. Da es eigentlich der Begriff der Freyheit ist, der unter allen Ideen der reinen speculativen Vernunft, al- lein so große Erweiterung im Felde des Uebersinnlichen, wenn gleich nur in Ansehung des practischen Erkennt- nisses verschafft, so frage ich mich: woher denn ihm ausschließungsweise eine so große Fruchtbarkeit zu Theil geworden sey , indessen die uͤbrigen zwar die leere Stelle fuͤr reine moͤgliche Verstandeswesen bezeichnen, den Begriff von ihnen aber durch nichts bestimmen koͤn- nen. Ich begreife bald, daß, da ich nichts ohne Cate- gorie denken kann, diese auch in der Idee der Ver- nunft, von der Freyheit, mit der ich mich beschaͤf- tige, zuerst muͤsse aufgesucht werden, welche hier die Categorie der Causalitaͤt ist, und daß ich, wenn gleich dem Vernunftbegriffe der Freyheit, M 5 als I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern als uͤberschwenglichem Begriffe, keine correspondirende Anschauung untergelegt werden kann, dennoch dem Ver- standesbegriffe (der Causalitaͤt), fuͤr dessen Synthesis jener das Unbedingte fodert, zuvor eine sinnliche An- schauung gegeben werden muͤsse, dadurch ihm zuerst die objective Realitaͤt gesichert wird. Nun sind alle Cate- gorien in zwey Classen, die mathematische , welche blos auf die Einheit der Synthesis in der Vorstellung der Objecte, und die dynamische , welche auf die in der Vorstellung der Existenz der Objecte gehen, eingetheilt. Die erstere (die der Groͤße und der Qualitaͤt) enthalten jederzeit eine Synthesis des Gleichartigen , in welcher das Unbedingte, zu dem in der sinnlichen Anschauung gegebenen Bedingten in Raum und Zeit, da es selbst wiederum zum Raume und der Zeit gehoͤren, und also immer wieder unbedingt seyn mußte, gar nicht kann gefunden werden; daher auch in der Dialectik der rei- nen theoretischen Vernunft die einander entgegengesetzte Arten, das Unbedingte und die Totalitaͤt der Bedingun- gen fuͤr sie zu finden, beide falsch waren. Die Cate- gorien der zweyten Classe (die der Causalitaͤt und der Nothwendigkeit eines Dinges) erforderten diese Gleich- artigkeit (des Bedingten und der Bedingung in der Synthesis) gar nicht, weil hier nicht die Anschauung, wie sie aus einem Mannigfaltigen in ihr zusammengesetzt, sondern nur wie die Existenz des ihr correspondirenden bedingten Gegenstandes zu der Existenz der Bedingung, (im der reinen practischen Vernunft. (im Verstande als damit verknuͤpft) hinzukomme, vor- gestellt werden solle, und da war es erlaubt, zu dem durchgaͤngig Bedingten in der Sinnenwelt (so wohl in Ansehung der Causalitaͤt als des zufaͤlligen Daseyns der Dinge selbst) das Unbedingte, obzwar uͤbrigens unbe- stimmt, in der intelligibelen Welt zu setzen, und die Synthesis transscendent zu machen; daher denn auch in der Dialectik der r. spec. V. sich fand, daß beide, dem Scheine nach, einander entgegengesetzte Arten das Unbedingte zum Bedingten zu finden, z. B. in der Syn- thesis der Causalitaͤt zum Bedingten, in der Reihe der Ursachen und Wirkungen der Sinnenwelt, die Causali- taͤt, die weiter nicht sinnlich bedingt ist, zu denken, sich in der That nicht widerspreche, und daß dieselbe Hand- lung, die, als zur Sinnenwelt gehoͤrig, jederzeit sinnlich bedingt, d. i. mechanisch-nothwendig ist, doch zugleich auch, als zur Causalitaͤt des handelnden Wesens, so fern es zur intelligibelen Welt gehoͤrig ist, eine sinnlich unbedingte Causalitaͤt zum Grunde haben, mithin als frey gedacht werden koͤnne. Nun kam es blos darauf an, daß dieses Koͤnnen in ein Seyn verwandelt wuͤr- de, d. i., daß man in einem wirklichen Falle, gleichsam durch ein Factum, beweisen koͤnne: daß gewisse Hand- lungen eine solche Causalitaͤt (die intellectuelle, sinnlich unbedingte) voraussetzen, sie moͤgen nun wirklich, oder auch nur geboten, d. i. objectiv practisch nothwendig seyn. An wirklich in der Erfahrung gegebenen Hand- lun- I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern lungen, als Begebenheiten der Sinnenwelt, konnten wir diese Verknuͤpfung nicht anzutreffen hoffen, weil die Causalitaͤt durch Freyheit immer außer der Sinnen- welt im Intelligibelen gesucht werden muß. Andere Dinge, außer den Sinnenwesen, sind uns aber zur Wahrnehmung und Beobachtung nicht gegeben. Also blieb nichts uͤbrig, als daß etwa ein unwidersprechli- cher und zwar objectiver Grundsatz der Causalitaͤt, wel- cher alle sinnliche Bedingung von ihrer Bestimmung aus- schließt, d. i. ein Grundsatz, in welchem die Vernunft sich nicht weiter auf etwas Anderes als Bestimmungsgrund in Ansehung der Causalitaͤt beruft, sondern den sie durch jenen Grundsatz schon selbst enthaͤlt, und wo sie also, als reine Vernunft , selbst practisch ist, gefunden wer- de. Dieser Grundsatz aber bedarf keines Suchens und keiner Erfindung; er ist laͤngst in aller Menschen, Ver- nunft gewesen und ihrem Wesen einverleibt, und ist der Grundsatz der Sittlichkeit . Also ist jene unbeding- te Causalitaͤt und das Vermoͤgen derselben, die Freyheit, mit dieser aber ein Wesen (ich selber), welches zur Sin- nenwelt gehoͤrt, doch zugleich als zur intelligibelen gehoͤ- rig nicht blos unbestimmt und problematisch gedacht , (welches schon die speculative Vernunft als thunlich aus- mitteln konnte) sondern sogar in Ansehung des Gese- tzes ihrer Causalitaͤt bestimmt und assertorisch erkannt , und so uns die Wirklichkeit der intelligibelen Welt, und zwar in practischer Ruͤcksicht bestimmt , gegeben wor- den, der reinen practischen Vernunft. den, und diese Bestimmung, die in theoretischer Ab- sicht transscendent (uͤberschwenglich) seyn wuͤrde, ist in practischer immanent . Dergleichen Schritt aber konnten wir in Ansehung der zweyten dynamischen Idee, nemlich der eines nothwendigen Wesens nicht thun. Wir konnten zu ihm aus der Sinnenwelt, ohne Ver- mittelung der ersteren dyn. Idee, nicht hinauf kom- men. Denn, wollten wir es versuchen, so muͤßten wir den Sprung gewagt haben, alles das, was uns gege- ben ist, zu verlassen, und uns zu dem hinzuschwingen, wovon uns auch nichts gegeben ist, wodurch wir die Verknuͤpfung eines solchen intelligibelen Wesens mit der Sinnenwelt vermitteln koͤnnten (weil das nothwendige Wesen als außer uns gegeben erkannt werden sollte); welches dagegen in Ansehung unseres eignen Subjects, so fern es sich durchs moralische Gesetz einerseits als in- telligibeles Wesen (vermoͤge der Freyheit) bestimmt, andererseits als nach dieser Bestimmung in der Sin- nenwelt thaͤtig, selbst erkennt, wie jetzt der Augenschein darthut, ganz wohl moͤglich ist. Der einzige Begriff der Freyheit verstattet es, daß wir nicht außer uns hinaus- gehen duͤrfen, um das Unbedingte und Intelligibele zu dem Bedingten und Sinnlichen zu finden. Denn es ist unsere Vernunft selber, die sich durchs hoͤchste und unbe- dingte practische Gesetz, und das Wesen, das sich dieses Gesetzes bewußt ist, (unsere eigene Person) als zur rei- nen Verstandeswelt gehoͤrig, und zwar sogar mit Bestim- mung I. Th. I. B. III. Hauptst. Von den Triebfedern mung der Art, wie es als ein solches thaͤtig seyn koͤnne, erkennt. So laͤßt sich begreifen, warum in dem ganzen Vernunftvermoͤgen nur das Practische dasjenige seyn koͤnne, welches uns uͤber die Sinnenwelt hinaushilft, und Erkenntnisse von einer uͤbersinnlichen Ordnung und Verknuͤpfung verschaffe, die aber eben darum freylich nur so weit, als es gerade fuͤr die reine practische Ab- sicht noͤthig ist, ausgedehnt werden koͤnnen. Nur auf Eines sey es mir erlaubt bey dieser Gele- genheit noch aufmerksam zu machen, nemlich daß jeder Schritt, den man mit der reinen Vernunft thut, sogar im practischen Felde, wo man auf subtile Speculation gar nicht Ruͤcksicht nimmt, dennoch sich so genau und zwar von selbst an alle Momente der Critik der theore- tischen Vernunft anschließe, als ob jeder mit uͤberlegter Vorsicht, blos um dieser Bestaͤtigung zu verschaffen, aus- gedacht waͤre. Eine solche auf keinerley Weise gesuch- te, sondern (wie man sich selbst davon uͤberzeugen kann, wenn man nur die moralischen Nachforschungen bis zu ihren Principien fortsetzen will) sich von selbst findende, genaue Eintreffung der wichtigsten Saͤtze der practischen Vernunft, mit denen oft zu subtil und unnoͤthig schei- nenden Bemerkungen der Critik der speculativen, uͤber- rascht und setzt in Verwunderung, und bestaͤrkt die schon von andern erkannte und gepriesene Maxime in jeder wissenschaftlichen Untersuchung mit aller moͤglichen Ge- nauigkeit und Offenheit seinen Gang ungestoͤrt fortzuse- tzen, der reinen practischen Vernunft. tzen, ohne sich an das zu kehren, wowider sie außer ihrem Felde etwa verstoßen moͤchte, sondern sie fuͤr sich allein, so viel man kann, wahr und vollstaͤndig zu voll- fuͤhren. Oeftere Beobachtung hat mich uͤberzeugt, daß, wenn man diese Geschaͤffte zu Ende gebracht hat, das, was in der Haͤlfte desselben, in Betracht anderer Lehren außerhalb, mir bisweilen sehr bedenklich schien, wenn ich diese Bedenklichkeit nur so lange aus den Augen ließ, und blos auf mein Geschaͤfft Acht hatte, bis es vollen- det sey, endlich auf unerwartete Weise mit demjenigen vollkommen zusammenstimmte, was sich ohne die min- deste Ruͤcksicht auf jene Lehren, ohne Parteylichkeit und Vorliebe fuͤr dieselbe, von selbst gefunden hatte. Schriftsteller wuͤrden sich manche Irrthuͤmer, manche verlohrne Muͤhe (weil sie auf Blendwerk gestellt war) ersparen, wenn sie sich nur entschließen koͤnnten, mit etwas mehr Offenheit zu Werke zu gehen. Zwey- I. Th. II. B I. Hauptst. Von einer Dialectik Zweytes Buch. Dialectik der reinen practischen Vernunft. Erstes Hauptstuͤck. Von einer Dialectik der reinen practischen Vernunft uͤberhaupt. D ie reine Vernunft hat jederzeit ihre Dialectik, man mag sie in ihrem speculativen oder practischen Gebrauche betrachten; denn sie verlangt die absolute Totalitaͤt der Bedingungen zu einem gegebenen Beding- ten, und diese kann schlechterdings nur in Dingen an sich selbst angetroffen werden. Da aber alle Begriffe der Dinge auf Anschauungen bezogen werden muͤssen, welche, bey uns Menschen, niemals anders als sinnlich seyn koͤnnen, mithin die Gegenstaͤnde, nicht als Dinge an sich selbst, sondern blos als Erscheinungen erkennen lassen, in deren Reihe des Bedingten und der Bedin- gungen das Unbedingte niemals angetroffen werden kann, so entspringt ein unvermeidlicher Schein aus der An- der reinen practischen Vernunft uͤberhaupt. Anwendung dieser Vernunftidee der Totalitaͤt der Be- dingungen (mithin des Unbedingten) auf Erscheinun- gen, als waͤren sie Sachen an sich selbst (denn dafuͤr werden sie, in Ermangelung einer warnenden Critik, jederzeit gehalten), der aber niemals als truͤglich be- merkt werden wuͤrde, wenn er sich nicht durch einen Widerstreit der Vernunft mit sich selbst, in der An- wendung ihres Grundsatzes, das Unbedingte zu allem Bedingten vorauszusetzen, auf Erscheinungen, selbst verriethen. Hiedurch wird aber die Vernunft genoͤ- thigt, diesem Scheine nachzuspuͤren, woraus er ent- springe, und wie er gehoben werden koͤnne, welches nicht anders, als durch eine vollstaͤndige Critik des gan- zen reinen Vernunftvermoͤgens, geschehen kann; so daß die Antinomie der reinen Vernunft, die in ihrer Dia- lectik offenbar wird, in der That die wohlthaͤtigste Ver- irrung ist, in die die menschliche Vernunft je hat ge- rathen koͤnnen, indem sie uns zuletzt antreibt, den Schluͤssel zu suchen, aus diesem Labyrinthe herauszu- kommen, der, wenn er gefunden worden, noch das entdeckt, was man nicht suchte und doch bedarf, nem- lich eine Aussicht in eine hoͤhere, unveraͤnderliche Ordnung der Dinge, in der wir schon jetzt sind, und in der unser Daseyn der hoͤchsten Vernunftbestimmung gemaͤß fortzusetzen, wir durch bestimmte Vorschriften nunmehr angewiesen werden koͤnnen. Kants Crit. d. pract. Vern. N Wie I. Th. II. B. I. Hauptst. Von einer Dialectik Wie im speculativen Gebrauche der reinen Ver- nunft jene natuͤrliche Dialectik aufzuloͤsen, und der Irr- thum, aus einem uͤbrigens natuͤrlichen Scheine, zu verhuͤten sey, kann man in der Critik jenes Vermoͤgens ausfuͤhrlich antreffen. Aber der Vernunft in ihrem practischen Gebrauche geht es um nichts besser. Sie sucht, als reine practische Vernunft, zu dem practisch- Bedingten (was auf Neigungen und Naturbeduͤrfniß beruht) ebenfalls das Unbedingte, und zwar nicht als Bestimmungsgrund des Willens, sondern, wenn dieser auch (im moralischen Gesetze) gegeben worden, die unbedingte Totalitaͤt des Gegenstandes der reinen practischen Ver- nunft, unter dem Namen des hoͤchsten Guts. Diese Idee practisch-, d. i. fuͤr die Maxime unse- res vernuͤnftigen Verhaltens, hinreichend zu bestimmen, ist die Weisheitslehre, und diese wiederum als Wis- senschaft, ist Philosophie, in der Bedeutung, wie die Alten das Wort verstanden, bey denen sie eine An- weisung zu dem Begriffe war, worin das hoͤchste Gut zu setzen, und zum Verhalten, durch welches es zu er- werben sey. Es waͤre gut, wenn wir dieses Wort bey seiner alten Bedeutung ließen, als eine Lehre vom hoͤchsten Gut, so fern die Vernunft bestrebt ist, es darin zur Wissenschaft zu bringen. Denn einestheils wuͤrde die angehaͤngte einschraͤnkende Bedingung dem griechischen Ausdrucke (welcher Liebe zur Weisheit be- deutet) angemessen und doch zugleich hinreichend seyn, die der reinen practischen Vernunft uͤberhaupt. die Liebe zur Wissenschaft, mithin aller speculativen Erkenntniß der Vernunft, so fern sie ihr, sowol zu je- nem Begriffe, als auch dem practischen Bestimmungs- grunde dienlich ist, unter dem Namen der Philosophie, mit zu befassen, und doch den Hauptzweck, um dessent- willen sie allein Weisheitslehre genannt werden kann, nicht aus den Augen verlieren lassen. Anderen Theils wuͤrde es auch nicht uͤbel seyn, den Eigenduͤnkel desjeni- gen, der es wagte sich des Titels eines Philosophen selbst anzumaaßen, abzuschrecken, wenn man ihm schon durch die Definition den Maaßstab der Selbstschaͤtzung vorhielte, der seine Anspruͤche sehr herabstimmen wird; denn ein Weisheitslehrer zu seyn, moͤchte wol etwas mehr, als einen Schuͤler bedeuten, der noch immer nicht weit genug gekommen ist, um sich selbst, vielwe- niger um andere, mit sicherer Erwartung eines so ho- hen Zwecks, zu leiten; es wuͤrde einen Meister in Kenntniß der Weisheit bedeuten, welches mehr sagen will, als ein bescheidener Mann sich selber anmaaßen wird, und Philosophie wuͤrde, so wie die Weisheit, selbst noch immer ein Ideal bleiben, welches objectiv in der Vernunft allein vollstaͤndig vorgestellt wird, sub- jectiv aber, fuͤr die Person, nur das Ziel seiner unauf- hoͤrlichen Bestrebung ist, und in dessen Besitz, unter dem angemaaßten Namen eines Philosophen, zu seyn, nur der vorzugeben berechtigt ist, der auch die unfehl- bare Wirkung derselben (in Beherrschung seiner selbst, N 2 und I. Th. II. B. I Hauptst. Von einer Dialectik und dem ungezweifelten Interesse, das er vorzuͤglich am allgemeinen Guten nimmt) an seiner Person, als Beyspiele, aufstellen kann, welches die Alten auch fo- derten, um jenen Ehrennamen verdienen zu koͤnnen. In Ansehung der Dialectik der reinen practischen Vernunft, im Puncte der Bestimmung des Begriffs vom hoͤchsten Gute, (welche, wenn ihre Aufloͤsung gelingt, eben sowol, als die der theoretischen, die wohlthaͤtigste Wirkung erwarten laͤßt, dadurch daß die aufrichtig angestellte und nicht verheelte Widerspruͤche der reinen practischen Vernunft mit ihr selbst, zur voll- staͤndigen Critik ihres eigenen Vermoͤgens noͤthigen,) haben wir nur noch eine Erinnerung voranzuschicken. Das moralische Gesetz ist der alleinige Bestim- mungsgrund des reinen Willens. Da dieses aber blos formal ist, (nemlich, allein die Form der Maxime, als allgemein gesetzgebend, fodert,) so abstrahirt es, als Bestimmungsgrund, von aller Materie, mithin von al- lem Objecte, des Wollens. Mithin mag das hoͤchste Gut immer der ganze Gegenstand einer reinen practi- schen Vernunft, d. i. eines reinen Willens seyn, so ist es darum doch nicht fuͤr den Bestimmungsgrund desselben zu halten, und das moralische Gesetz muß al- lein als der Grund angesehen werden, jenes, und dessen Bewirkung oder Befoͤrderung, sich zum Objecte zu machen. Diese Erinnerung ist in einem so delicaten Falle, der reinen practischen Vernunft uͤberhaupt. Falle, als die Bestimmung sittlicher Principien ist, wo auch die kleinste Mißdeutung Gesinnungen verfaͤlscht, von Erheblichkeit. Denn man wird aus der Analytik ersehen haben, daß, wenn man vor dem moralischen Gesetze irgend ein Object, unter dem Namen eines Gu- ten, als Bestimmungsgrund des Willens annimmt, und von ihm denn das oberste practische Princip ableitet, dieses alsdenn jederzeit Heteronomie herbeybringen und das moralische Princip verdraͤngen wuͤrde. Es versteht sich aber von selbst, daß, wenn im Begriffe des hoͤchsten Guts das moralische Gesetz, als oberste Bedingung, schon mit eingeschlossen ist, alsdenn das hoͤchste Gut nicht blos Object, sondern auch sein Begriff, und die Vorstellung der durch unsere practische Vernunft moͤglichen Existenz desselben zugleich der Be- stimmungsgrund des reinen Willens sey; weil alsdenn in der That das in diesem Begriffe schon eingeschlossene und mitgedachte moralische Gesetz und kein anderer Ge- genstand, nach dem Princip der Avtonomie, den Wil- len bestimmt. Diese Ordnung der Begriffe von der Willensbestimmung darf nicht aus den Augen gelassen werden; weil man sonst sich selbst mißversteht und sich zu widersprechen glaubt, wo doch alles in der vollkom- mensten Harmonie neben einander steht. N 3 Zwey I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik Zweytes Hauptstuͤck. Von der Dialectik der reinen Vernunft in Bestimmung des Begriffs vom hoͤchsten Gut . D er Begriff des Hoͤchsten enthaͤlt schon eine Zwey- deutigkeit, die, wenn man darauf nicht Acht hat, unnoͤthige Streitigkeiten veranlassen kann. Das Hoͤchste kann das Oberste (supremum) oder auch das Vollendete (consummatum) bedeuten. Das erstere ist diejenige Bedingung, die selbst unbedingt d. i. kei- ner andern untergeordnet ist (originarium); das zwey- te, dasjenige Ganze, das kein Theil eines noch groͤße- ren Ganzen von derselben Art ist (perfectissimum) . Daß Tugend (als die Wuͤrdigkeit gluͤcklich zu seyn) die oberste Bedingung alles dessen, was uns nur wuͤnschenswerth scheinen mag, mithin auch aller unse- rer Bewerbung um Gluͤckseligkeit, mithin das oberste Gut sey, ist in der Analytik bewiesen worden. Darum ist sie aber noch nicht das ganze und vollendete Gut, als Gegenstand des Begehrungsvermoͤgens vernuͤnfti- ger endlicher Wesen; denn, um das zu seyn, wird auch Gluͤckseligkeit dazu erfodert, und zwar nicht blos in den par- der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. parteyischen Augen der Person, die sich selbst zum Zwecke macht, sondern selbst im Urtheile einer unpar- teyischen Vernunft, die jene uͤberhaupt in der Welt als Zweck an sich betrachtet. Denn der Gluͤckseligkeit beduͤrftig, ihrer auch wuͤrdig, dennoch aber derselben nicht theilhaftig zu seyn, kann mit dem vollkommenen Wollen eines vernuͤnftigen Wesens, welches zugleich alle Gewalt haͤtte, wenn wir uns auch nur ein solches zum Versuche denken, gar nicht zusammen bestehen. So fern nun Tugend und Gluͤckseligkeit zusammen den Besitz des hoͤchsten Guts in einer Person, hiebey aber auch Gluͤckseligkeit, ganz genau in Proportion der Sitt- lichkeit (als Werth der Person und deren Wuͤrdigkeit gluͤcklich zu seyn) ausgetheilt, das hoͤchste Gut ei- ner moͤglichen Welt ausmachen: so bedeutet dieses das Ganze, das vollendete Gute, worin doch Tugend im- mer, als Bedingung, das oberste Gut ist, weil es weiter keine Bedingung uͤber sich hat, Gluͤckseligkeit immer etwas, was dem, der sie besitzt, zwar angenehm, aber nicht fuͤr sich allein schlechterdings und in aller Ruͤcksicht gut ist, sondern jederzeit das moralische gesetz- maͤßige Verhalten als Bedingung voraussetzt. Zwey in einem Begriffe nothwendig verbundene Bestimmungen muͤssen als Grund und Folge verknuͤpft seyn, und zwar entweder so, daß diese Einheit als analytisch (logische Verknuͤpfung) oder als synthe- tisch (reale Verbindung), jene nach dem Gesetze der N 4 Iden- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik Identitaͤt, diese der Causalitaͤt betrachtet wird. Die Verknuͤpfung der Tugend mit der Gluͤckseligkeit kann also entweder so verstanden werden, daß die Bestrebung tugendhaft zu seyn und die vernuͤnftige Bewerbung um Gluͤckseligkeit nicht zwey verschiedene, sondern ganz identische Handlungen waͤren, da denn der ersteren keine andere Maxime, als zu der letztern zum Grunde gelegt zu werden brauchte: oder jene Verknuͤpfung wird dar- auf ausgesetzt, daß Tugend die Gluͤckseligkeit als etwas von dem Bewußtseyn der ersteren unterschiedenes, wie die Ursache eine Wirkung, hervorbringe. Von den alten griechischen Schulen waren eigent- lich nur zwey, die in Bestimmung des Begriffs vom hoͤchsten Gute so fern zwar einerley Methode befolg- ten, daß sie Tugend und Gluͤckseligkeit nicht als zwey verschiedene Elemente des hoͤchsten Guts gelten ließen, mithin die Einheit des Princips nach der Regel der Identitaͤt suchten; aber darin schieden sie sich wiederum, daß sie unter beiden den Grundbegriff verschiedentlich waͤhlten. Der Epicuraͤer sagte: sich seiner auf Gluͤck- seligkeit fuͤhrenden Maxime bewußt seyn, das ist Tu- gend; der Stoiker: sich seiner Tugend bewußt seyn, ist Gluͤckseligkeit. Dem erstern war Klugheit so viel als Sittlichkeit; dem zweyten, der eine hoͤhere Benennung fuͤr die Tugend waͤhlete, war Sittlichkeit allein wahre Weisheit. Man der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. Man muß bedauren, daß die Scharfsinnigkeit die- fer Maͤnner (die man doch zugleich daruͤber bewundern muß, daß sie in so fruͤhen Zeiten schon alle erdenkliche Wege philosophischer Eroberungen versuchten) ungluͤck- lich angewandt war, zwischen aͤußerst ungleichartigen Begriffen, dem der Gluͤckseligkeit und dem der Tugend, Identitaͤt zu ergruͤbeln. Allein es war dem dialectischen Geiste ihrer Zeiten angemessen, was auch jetzt biswei- len subtile Koͤpfe verleitet, wesentliche und nie zu ver- einigende Unterschiede in Principien dadurch aufzuhe- ben, daß man sie in Wortstreit zu verwandeln sucht, und so, dem Scheine nach, Einheit des Begriffs blos unter verschiedenen Benennungen erkuͤnstelt, und die- ses trifft gemeiniglich solche Faͤile, wo die Vereinigung ungleichartiger Gruͤnde so tief oder hoch liegt, oder eine so gaͤnzliche Umaͤnderung der sonst im philosophi- schen System angenommenen Lehren erfodern wuͤrde, daß man Scheu traͤgt sich in den realen Unterschied tief einzulassen, und ihn lieber als Uneinigkeit in bloßen For- malien behandelt. Indem beide Schulen Einerleyheit der practischen Principien der Tugend und Gluͤckseligkeit zu ergruͤbeln suchten, so waren sie darum nicht unter sich einhellig, wie sie diese Identitaͤt herauszwingen wollten, sondern schieden sich in unendliche Weiten von einander, indem die eine ihr Princip auf der aͤsthetischen, die andere auf der logischen Seite, jene im Bewußtseyn der sinn- N 5 lichen I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik lichen Beduͤrfniß, die andere in der Unabhaͤngigkeit der practischen Vernunft von allen sinnlichen Bestimmungs- gruͤnden setzte. Der Begriff der Tugend lag, nach dem Epicuraͤer, schon in der Maxime seine eigene Gluͤck- seligkeit zu befoͤrdern; das Gefuͤhl der Gluͤckseligkeit war dagegen nach dem Stoiker schon im Bewußtseyn seiner Tugend enthalten. Was aber in einem andern Begriffe enthalten ist, ist zwar mit einem Theile des Enthaltenden, aber nicht mit dem Ganzen einerley und zween Ganze koͤnnen uͤberdem specifisch von einan- der unterschieden seyn, ob sie zwar aus eben demselben Stoffe bestehen, wenn nemlich die Theile in beiden auf ganz verschiedene Art zu einem Ganzen verbunden wer- den. Der Stoiker behauptete, Tugend sey das ganze hoͤchste Gut, und Gluͤckseligkeit nur das Bewußtseyn des Besitzes derselben, als zum Zustand des Subjects gehoͤrig. Der Epicuraͤer behauptete, Gluͤckseligkeit sey das ganze hoͤchste Gut, und Tugend nur die Form der Maxime sich um sie zu bewerben, nemlich im vernuͤnf- tigen Gebrauche der Mittel zu derselben. Nun ist aber aus der Analytik klar, daß die Ma- ximen der Tugend und die der eigenen Gluͤckseligkeit in Ansehung ihres obersten practischen Princips ganz un- gleichartig sind, und, weit gefehlt, einhellig zu seyn, ob sie gleich zu einem hoͤchsten Guten gehoͤren, um das letztere moͤglich zu machen, einander in demselben Sub- jecte gar sehr einschraͤnken und Abbruch thun. Also bleibt der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. bleibt die Frage: wie ist das hoͤchste Gut practisch moͤglich, noch immer, unerachtet aller bisherigen Coa- litionsversuche, eine unaufgeloͤsete Aufgabe. Das aber, was sie zu einer schwer zu loͤsenden Aufgabe macht, ist in der Analytik gegeben, nemlich daß Gluͤck- seligkeit und Sittlichkeit zwey specifisch ganz verschie- dene Elemente des hoͤchsten Guts sind, und ihre Ver- bindung also nicht analytisch erkannt werden koͤnne, (daß etwa der, so seine Gluͤckseligkeit sucht, in diesem seinem Verhalten sich durch bloße Aufloͤsung seiner Be- griffe tugendhaft, oder der, so der Tugend folgt, sich im Bewußtseyn eines solchen Verhaltens schon ipso facto gluͤcklich finden werde,) sondern eine Synthesis der Begriffe sey. Weil aber diese Verbindung als a priori, mithin practisch nothwendig, folglich nicht als aus der Erfahrung abgeleitet, erkannt wird, und die Moͤglichkeit des hoͤchsten Guts also auf keinen empi- rischen Principien beruht, so wird die Deduction die- ses Begriffs transscendental seyn muͤssen. Es ist a priori (moralisch) nothwendig, das hoͤchste Gut durch Freyheit des Willens hervorzubringen; es muß also auch die Bedingung der Moͤglichkeit desselben lediglich auf Erkenntnißgruͤnden a priori beruhen. I. I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik I. Die Antinomie der practischen Vernunft. I n dem hoͤchsten fuͤr uns practischen, d. i. durch unsern Willen wirklich zu machenden, Gute, werden Tu- gend und Gluͤckseligkeit als nothwendig verbunden ge- dacht, so, daß das eine durch reine practische Vernunft nicht angenommen werden kann, ohne daß das ande- re auch zu ihm gehoͤre. Nun ist diese Verbin- dung (wie eine jede uͤberhaupt) entweder analytisch, oder synthetisch. Da diese gegebene aber nicht analytisch seyn kann, wie nur eben vorher gezeigt worden, so muß sie synthetisch, und zwar als Ver- knuͤpfung der Ursache mit der Wirkung gedacht wer- den; weil sie ein practisches Gut, d. i. was durch Hand- lung moͤglich ist, betrifft. Es muß also entweder die Begierde nach Gluͤckseligkeit die Bewegursache zu Ma- ximen der Tugend, oder die Maxime der Tugend muß die wirkende Ursache der Gluͤckseligkeit seyn. Das erste ist schlechterdings unmoͤglich; weil (wie in der Analytik bewiesen worden) Maximen, die den Bestimmungs- grund des Willens in dem Verlangen nach seiner Gluͤck- seligkeit setzen, gar nicht moralisch sind, und keine Tu- gend gruͤnden koͤnnen. Das zweyte ist aber auch un- moͤglich, weil alle practische Verknuͤpfung der Ursachen und der Wirkungen in der Welt, als Erfolg der Wil- lens- der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. lensbestimmung sich nicht nach moralischen Gesinnungen des Willens, sondern der Kenntniß der Naturgesetze und dem physischen Vermoͤgen, sie zu seinen Absichten zu ge- brauchen, richtet, folglich keine nothwendige und zum hoͤchsten Gut zureichende Verknuͤpfung der Gluͤckseligkeit mit der Tugend in der Welt, durch die puͤnctlichste Beob- achtung der moralischen Gesetze, erwartet werden kann. Da nun die Befoͤrderung des hoͤchsten Guts, welches diese Verknuͤpfung in seinem Begriffe enthaͤlt, ein a priori nothwendiges Object unseres Willens ist, und mit dem moralischen Gesetze unzertrennlich zusammen- haͤngt, so muß die Unmoͤglichkeit des ersteren auch die Falschheit des zweyten beweisen. Ist also das hoͤchste Gut nach practischen Regeln unmoͤglich, so muß auch das moralische Gesetz, welches gebietet dasselbe zu be- foͤrdern, phantastisch und auf leere eingebildete Zwecke gestellt, mithin an sich falsch seyn. II. Critische Aufhebung der Antinomie der practischen Vernunft. I n der Antinomie der reinen speculativen Vernunft findet sich ein aͤhnlicher Widerstreit zwischen Naturnoth- wendigkeit und Freyheit, in der Causalitaͤt der Bege- benheiten in der Welt. Er wurde dadurch gehoben, daß bewiesen wurde, es sey kein wahrer Widerstreit, wenn I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik wenn man die Begebenheiten, und selbst die Welt, dar- in sie sich ereignen, (wie man auch soll) nur als Erschei- nungen betrachtet; da ein und dasselbe handelnde We- sen, als Erscheinung (selbst vor seinem eignen innern Sinne) eine Causalitaͤt in der Sinnenwelt hat, die je- derzeit dem Naturmechanism gemaͤß ist, in Ansehung derselben Begebenheit aber, so fern sich die handelnde Person zugleich als Noumenon betrachtet (als reine In- telligenz, in seinem nicht der Zeit nach bestimmbaren Daseyn), einen Bestimmungsgrund jener Causalitaͤt nach Naturgesetzen, der selbst von allem Naturgesetze frey ist, enthalten koͤnne. Mit der vorliegenden Antinomie der reinen practi- schen Vernunft ist es nun eben so bewandt. Der erste von den zwey Saͤtzen, daß das Bestreben nach Gluͤckse- ligkeit einen Grund tugendhafter Gesinnung hervorbrin- ge, ist schlechterdings falsch; der zweyte aber, daß Tugendgesinnung nothwendig Gluͤckseligkeit hervorbrin- ge, ist nicht schlechterdings , sondern nur so fern sie als die Form der Causalitaͤt in der Sinnenwelt betrachtet wird, und, mithin, wenn ich das Daseyn in derselben fuͤr die einzige Art der Existenz des vernuͤnftigen Wesens annehme, also nur bedingter Weise falsch. Da ich aber nicht allein befugt bin, mein Daseyn auch als Noumenon in einer Verstandeswelt zu denken, sondern sogar am moralischen Gesetze einen rein intellectuellen Bestimmungsgrund meiner Causalitaͤt (in der Sinnen- welt) der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst Gut. welt) habe, so ist es nicht unmoͤglich, daß die Sittlich- keit der Gesinnung einen, wo nicht unmittelbaren, doch mittelbaren (vermittelst eines intelligibelen Urhebers der Natur) und zwar nothwendigen Zusammenhang, als Ursache, mit der Gluͤckseligkeit, als Wirkung in der Sinnenwelt habe, welche Verbindung in einer Natur, die blos Object der Sinne ist, niemals anders als zu- faͤllig stattfinden, und zum hoͤchsten Gute nicht zulan- gen kann. Also ist, unerachtet dieses scheinbaren Widerstreits einer practischen Vernunft mit sich selbst, das hoͤchste Gut der nothwendige hoͤchste Zweck eines moralisch be- stimmten Willens, ein wahres Object derselben; denn es ist practisch moͤglich, und die Maximen des letzteren, die sich darauf ihrer Materie nach beziehen, haben ob- jective Realitaͤt, welche anfaͤnglich durch jene Antino- mie in Verbindung der Sittlichkeit mit Gluͤckseligkeit nach einem allgemeinen Gesetze getroffen wurde, aber aus bloßem Mißverstande, weil man das Verhaͤltniß zwischen Erscheinungen fuͤr ein Verhaͤltniß der Dinge an sich selbst zu diesen Erscheinungen hielte. Wenn wir uns genoͤthigt sehen, die Moͤglichkeit des hoͤchsten Guts, dieses durch die Vernunft allen ver- nuͤnftigen Wesen ausgesteckten Ziels aller ihrer morali- schen Wuͤnsche, in solcher Weite, nemlich in der Ver- knuͤpfung mit einer intelligibelen Welt, zu suchen, so muß I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik muß es befremden, daß gleichwol die Philosophen, al- ter so wol, als neuer Zeiten, die Gluͤckseligkeit mit der Tugend in ganz geziemender Proportion schon in diesem Leben (in der Sinnenwelt) haben finden, oder sich ihrer bewußt zu seyn haben uͤberreden koͤnnen. Denn Epikur sowol, als die Stoiker, erhoben die Gluͤckselig- keit, die aus dem Bewußtseyn der Tugend im Leben ent- springe, uͤber alles, und der erstere war in seinen pra- ctischen Vorschriften nicht so niedrig gesinnt, als man aus den Principien seiner Theorie, die er zum Erklaͤren, nicht zum Handeln brauchte, schließen moͤchte, oder, wie sie viele, durch den Ausdruck Wollust, fuͤr Zufrie- denheit, verleitet, ausdeuteten, sondern rechnete die uneigennuͤtzigste Ausuͤbung des Guten mit zu den Ge- nußarten der innigsten Freude, und die Gnuͤgsamkeit und Baͤndigung der Neigungen, so wie sie immer der streng- ste Moralphilosoph fodern mag, gehoͤrte mit zu seinem Plane eines Vergnuͤgens (er verstand darunter das stets froͤhliche Herz); wobey er von den Stoikern vor- nemlich nur darin abwich, daß er in diesem Vergnuͤ- gen den Bewegungsgrund setzte, welches die letztern, und zwar mit Recht, verweigerten. Denn einestheils fiel der tugendhafte Epicur, so wie noch jetzt viele mo- ralisch wohlgesinnte, obgleich uͤber ihre Principien nicht tief genug nachdenkende Maͤnner, in den Fehler, die tugendhafte Gesinnung in denen Personen schon voraus- zusetzen, fuͤr die er die Triebfeder zur Tugend zuerst an- geben der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. geben wollte (und in der That kann der Rechtschaffene sich nicht gluͤcklich finden, wenn er sich nicht zuvor sei- ner Rechtschaffenheit bewußt ist; weil, bey jener Gesin- nung, die Verweise, die er bey Uebertretungen sich selbst zu machen durch seine eigene Denkungsart genoͤthigt seyn wuͤrde, und die moralische Selbstverdammung ihn alles Genusses der Annehmlichkeit, die sonst sein Zustand enthalten mag, berauben wuͤrden). Allein die Frage ist: wodurch wird eine solche Gesinnung und Denkungsart, den Werth seines Daseyns zu schaͤtzen, zuerst moͤglich; da vor derselben noch gar kein Gefuͤhl fuͤr einen mora- lischen Werth uͤberhaupt im Subjecte angetroffen wer- den wuͤrde. Der Mensch wird, wenn er tugendhaft ist, freylich, ohne sich in jeder Handlung seiner Rechtschaf- fenheit bewußt zu seyn, des Lebens nicht froh werden, so guͤnstig ihm auch das Gluͤck im physischen Zustande desselben seyn mag; aber um ihn allererst tugendhaft zu machen, mithin ehe er noch den moralischen Werth seiner Existenz so hoch anschlaͤgt, kann man ihm da wol die Seelenruhe anpreisen, die aus dem Bewußtseyn ei- ner Rechtschaffenheit entspringen werde, fuͤr die er doch keinen Sinn hat? Andrerseits aber liegt hier immer der Grund zu ei- nem Fehler des Erschleichens ( vitium subreptionis ) und gleichsam einer optischen Illusion in dem Selbstbe- wußtseyn dessen, was man thut, zum Unterschiede dessen was man empfindet, die auch der versuchteste nicht voͤl- Kants Crit. d. pract. Vern. O lig I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik lig vermeiden kann. Die moralische Gesinnung ist mit einem Bewußtseyn der Bestimmung des Willens unmit- telbar durchs Gesetz nothwendig verbunden. Nun ist das Bewußtseyn einer Bestimmung des Begehrungsver- moͤgens immer der Grund eines Wohlgefallens an der Handlung, die dadurch hervorgebracht wird; aber diese Lust, dieses Wohlgefallen an sich selbst, ist nicht der Bestimmungsgrund der Handlung, sondern die Bestim- mung des Willens unmittelbar, blos durch die Vernunft, ist der Grund des Gefuͤhls der Lust, und jene bleibt eine reine practische nicht aͤsthetische Bestimmung des Begeh- rungsvermoͤgens. Da diese Bestimmung nun innerlich gerade dieselbe Wirkung eines Antriebs zur Thaͤtigkeit thut, als ein Gefuͤhl der Annehmlichkeit, die aus der begehrten Handlung erwartet wird, wuͤrde gethan ha- ben, so sehen wir das, was wir selbst thun, leichtlich fuͤr etwas an, was wir blos leidentlich fuͤhlen, und nehmen die moralische Triebfeder fuͤr sinnlichen Antrieb, wie das allemal in der sogenannten Taͤuschung der Sin- ne (hier des innern) zu geschehen pflegt. Es ist etwas sehr Erhabenes in der menschlichen Natur, unmittelbar durch ein reines Vernunftgesetz zu Handlungen bestimmt zu werden, und sogar die Taͤuschung, das Subjective dieser intellectuellen Bestimmbarkeit des Willens fuͤr et- was aͤsthetisches und Wirkung eines besondern sinnlichen Gefuͤhls (denn ein intellectuelles waͤre ein Widerspruch) zu halten. Es ist auch von großer Wichtigkeit, auf die- der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. diese Eigenschaft unserer Persoͤnlichkeit ausmerksam zu machen, und die Wirkung der Vernunft auf dieses Ge- fuͤhl bestmoͤglichst zu cultiviren. Aber man muß sich auch in Acht nehmen, durch unaͤchte Hochpreisungen dieses moralischen Bestimmungsgrundes, als Triebfe- der, indem man ihm Gefuͤhle besonderer Freuden, als Gruͤnde (die doch nur Folgen sind) unterlegt, die ei- gentliche aͤchte Triebfeder, das Gesetz selbst, gleichsam wie durch eine falsche Folie, herabzusetzen und zu ver- unstalten. Achtung und nicht Vergnuͤgen, oder Genuß der Gluͤckseligkeit, ist also etwas, wofuͤr kein der Ver- nunft zum Grunde gelegtes, vorhergehendes Gefuͤhl (weil dieses jederzeit aͤsthetisch und pathologisch seyn wuͤrde) moͤglich ist, als Bewußtseyn der unmittelbaren Noͤthigung des Willens durch Gesetz, ist kaum ein Ana- logon des Gefuͤhls der Lust, indem es im Verhaͤltnisse zum Begehrungsvermoͤgen gerade eben dasselbe, aber aus andern Quellen, thut; durch diese Vorstellungsart aber kann man allein erreichen, was man sucht, nem- lich daß Handlungen nicht blos pflichtmaͤßig (angeneh- men Gefuͤhlen zu Folge), sondern aus Pflicht geschehen, welches der wahre Zweck aller moralischen Bildung seyn muß. Hat man aber nicht ein Wort, welches nicht einen Genuß, wie das der Gluͤckseligkeit, bezeichnete, aber doch ein Wohlgefallen an seiner Existenz, ein Analogon der Gluͤckseligkeit, welche das Bewußtseyn der Tugend O 2 noth- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik nothwendig begleiten muß, anzeigete? Ja! dieses Wort ist Selbstzufriedenheit, welches in seiner eigentlichen Bedeutung jederzeit nur ein negatives Wohlgefallen an seiner Existenz andeutet, in welchem man nichts zu be- duͤrfen sich bewußt ist. Freyheit und das Bewußtseyn derselben, als eines Vermoͤgens, mit uͤberwiegender Gesinnung das moralische Gesetz zu befolgen, ist Un- abhaͤngigkeit von Neigungen, wenigstens als bestim- menden (wenn gleich nicht als afficirenden ) Bewegur- sachen unseres Begehrens, und, so fern, als ich mir derselben in der Befolgung meiner moralischen Maximen bewußt bin, der einzige Quell einer nothwendig da- mit verbundenen, auf keinem besonderen Gefuͤhle beru- henden, unveraͤnderlichen Zufriedenheit, und diese kann intellectuel heißen. Die aͤsthetische (die uneigentlich so genannt wird), welche auf der Befriedigung der Neigun- gen, so fein sie auch immer ausgekluͤgelt werden moͤgen, beruht, kann niemals dem, was man sich daruͤber denkt, adaͤquat seyn. Denn die Neigungen wechseln, wachsen mit der Beguͤnstigung, die man ihnen wider- fahren laͤßt, und lassen immer ein noch groͤßeres Leeres uͤbrig, als man auszufuͤllen gedacht hat. Daher sind sie einem vernuͤnftigen Wesen jederzeit laͤstig, und wenn es sie gleich nicht abzulegen vermag, so noͤthigen sie ihm doch den Wunsch ab, ihrer entledigt zu seyn. Selbst eine Neigung zum Pflichtmaͤßigen (z. B. zur Wohlthaͤ- tigkeit) kann zwar die Wirksamkeit der moralischen Ma- ximen der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. ximen sehr erleichtern, aber keine hervorbringen. Denn alles muß in dieser auf der Vorstellung des Gesetzes, als Bestimmungsgrunde, angelegt seyn, wenn die Hand- lung nicht blos Legalitaͤt, sondern auch Moralitaͤt ent- halten soll. Neigung ist blind und knechtisch, sie mag nun gutartig seyn oder nicht, und die Vernunft, wo es auf Sittlichkeit ankommt, muß nicht blos den Vor- mund derselben vorstellen, sondern, ohne auf sie Ruͤck- sicht zu nehmen, als reine practische Vernunft ihr ei- genes Interesse ganz allein besorgen. Selbst dies Ge- fuͤhl des Mitleids und der weichherzigen Theilnehmung, wenn es vor der Ueberlegung, was Pflicht sey, vor- hergeht und Bestimmungsgrund wird, ist wohldenken- den Personen selbst laͤstig, bringt ihre uͤberlegte Maxi- men in Verwirrung, und bewirkt den Wunsch, ihrer entledigt und allein der gesetzgebenden Vernunft unter- worfen zu seyn. Hieraus laͤßt sich verstehen: wie das Bewußtseyn dieses Vermoͤgens einer reinen practischen Vernunft durch That (die Tugend) ein Bewußtseyn der Obermacht uͤber seine Neigungen, hiemit also der Unabhaͤngigkeit von denselben, folglich auch der Unzufriedenheit, die diese immer begleitet, und also ein negatives Wohlge- fallen mit seinem Zustande, d. i. Zufriedenheit, her- vorbringen koͤnne, welche in ihrer Quelle Zufriedenheit mit seiner Person ist. Die Freyheit selbst wird auf solche Weise (nemlich indirect) eines Genusses faͤhig, O 3 welcher I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik welcher nicht Gluͤckseligkeit heißen kann, weil er nicht vom positiven Beytritt eines Gefuͤhls abhaͤngt, auch genau zu reden nicht Seligkeit , weil er nicht gaͤnzliche Unabhaͤngigkeit von Neigungen und Beduͤrfnissen ent- haͤlt, der aber doch der letztern aͤhnlich ist, so fern nem- lich wenigstens seine Willensbestimmung sich von ihrem Einflusse frey halten kann, und also, wenigstens seinem Ursprunge nach, der Selbstgenugsamkeit analogisch ist, die man nur dem hoͤchsten Wesen beylegen kann. Aus dieser Aufloͤsung der Antinomie der practi- schen reinen Vernunft folgt, daß sich in practischen Grundsaͤtzen eine natuͤrliche und nothwendige Verbin- dung zwischen dem Bewußtseyn der Sittlichkeit, und der Erwartung einer ihr proportionirten Gluͤckseligkeit, als Folge derselben, wenigstens als moͤglich denken (darum aber freylich noch eben nicht erkennen und ein- sehen) lasse: dagegen, daß Grundsaͤtze der Bewerbung um Gluͤckseligkeit unmoͤglich Sittlichkeit hervorbringen koͤnnen: daß also das oberste Gut (als die erste Be- dingung des hoͤchsten Guts) Sittlichkeit, Gluͤckseligkeit dagegen zwar das zweyte Element desselben ausmache, doch so, daß diese nur die moralisch-bedingte, aber doch nothwendige Folge der ersteren sey. In dieser Unterordnung allein ist das hoͤchste Gut das ganze Ob- ject der reinen practischen Vernunft, die es sich noth- wendig als moͤglich vorstellen muß, weil es ein Gebot derselben ist, zu dessen Hervorbringung alles Moͤgliche bey- der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. beyzutragen. Weil aber die Moͤglichkeit einer solchen Verbindung des Bedingten mit seiner Bedingung gaͤnz- lich zum uͤbersinnlichen Verhaͤltnisse der Dinge gehoͤrt, und nach Gesetzen der Sinnenwelt gar nicht gegeben werden kann, obzwar die practische Folge dieser Idee, nemlich die Handlungen, die darauf abzielen, das hoͤchste Gut wirklichzumachen, zur Sinnenwelt gehoͤ- ren; so werden wir die Gruͤnde jener Moͤglichkeit erst- lich in Ansehung dessen, was unmittelbar in unserer Ge- walt ist, und dann zweytens in dem, was uns Ver- nunft, als Ergaͤnzung unseres Unvermoͤgens, zur Moͤg- lichkeit des hoͤchsten Guts (nach practischen Principien nothwendig) darbietet und nicht in unserer Gewalt ist, darzustellen suchen. III. Von dem Primat der reinen practischen Vernunft in ihrer Verbindung mit der speculativen. U nter dem Primate zwischen zweyen oder mehreren durch Vernunft verbundenen Dingen verstehe ich den Vorzug des einen, der erste Bestimmungsgrund der Verbindung mit allen uͤbrigen zu seyn. In engerer, practischen Bedeutung bedeutet es den Vorzug des In- teresse des einen, so fern ihm (welches keinem andern nachgesetzt werden kann) das Interesse der andern un- O 4 ter- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik tergeordnet ist. Einem jeden Vermoͤgen des Gemuͤths kann man ein Interesse beylegen, d. i. ein Princip, welches die Bedingung enthaͤlt, unter welcher allein die Ausuͤbung desselben befoͤrdert wird. Die Vernunft, als das Vermoͤgen der Principien, bestimmt das In- teresse aller Gemuͤthskraͤfte, das ihrige aber sich selbst. Das Interesse ihres speculativen Gebrauchs besteht in der Erkenntniß des Objects bis zu den hoͤchsten Prin- cipien a pri ri, das des practischen Gebrauchs in der Bestimmung des Willens , in Ansehung des letzten und vollstaͤndigen Zwecks. Das, was zur Moͤglichkeit eines Vernunftgebrauchs uͤberhaupt erfoderlich ist, nemlich daß die Principien und Behauptungen derselben einan- der nicht widersprechen muͤssen, macht keinen Theil ih- res Interesse aus, sondern ist die Bedingung uͤberhaupt Vernunft zu haben; nur die Erweiterung, nicht die bloße Zusammenstimmung mit sich selbst, wird zum In- teresse derselben gezaͤhlt. Wenn practische Vernunft nichts weiter annehmen und als gegeben denken darf, als was speculative Ver- nunft fuͤr sich, ihr aus ihrer Einsicht darreichen konnte, so fuͤhrt diese das Primat. Gesetzt aber, sie haͤtte fuͤr sich urspruͤngliche Principien a priori, mit denen gewisse theoretische Positionen unzertrennlich verbunden waͤren, die sich gleichwol aller moͤglichen Einsicht der speculati- ven Vernunft entzoͤgen, (ob sie zwar derselben auch nicht widersprechen muͤßten) so ist die Frage, welches In- der rein. Vern. in Best. des Begr vom hoͤchst. Gut. Interesse das oberste sey, (nicht, welches weichen muͤßte, denn eines widerstreitet dem andern nicht nothwendig); ob speculative Vernunft, die nicht von allem dem weiß, was practische ihr anzunehmen darbietet, diese Saͤtze aufnehmen, und sie, ob sie gleich fuͤr sie uͤberschweng- lich sind, mit ihren Begriffen, als einen fremden auf sie uͤbertragenen Besitz, zu vereinigen suchen muͤsse, oder ob sie berechtigt sey, ihrem eigenen abgesonderten In- teresse hartnaͤckig zu folgen, und, nach der Canonik des Epicurs, alles als leere Vernuͤnfteley auszuschla- gen, was seine objective Realitaͤt nicht durch augen- scheinliche in der Erfahrung aufzustellende Beyspiele be- glaubigen kann, wenn es gleich noch so sehr mit dem Interesse des practischen (reinen) Gebrauchs verwebt, an sich auch der theoretischen nicht widersprechend waͤre, blos weil es wirklich so fern dem Interesse der specula- tiven Vernunft Abbruch thut, daß es die Grenzen, die diese sich selbst gesetzt, aufhebt, und sie allem Unsinn oder Wahnsinn der Einbildungskraft preisgiebt. In der That, so fern practische Vernunft als pa- thologisch bedingt, d. i. das Interesse der Neigungen unter dem sinnlichen Princip der Gluͤckseligkeit blos ver- waltend, zum Grunde gelegt wuͤrde, so ließe sich diese Zumuthung an die speculative Vernunft gar nicht thun. Mahomets Paradies, oder der Theosophen und My- stiker schmelzende Vereinigung mit der Gottheit, so wie jedem sein Sinn steht, wuͤrden der Vernunft ihre O 5 Unge- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik Ungeheuer aufdringen, und es waͤre eben so gut, gar keine zu haben, als sie auf solche Weise allen Traͤume- reyen preiszugeben. Allein wenn reine Vernunft fuͤr sich practisch seyn kann und es wirklich ist, wie das Bewußtseyn des moralischen Gesetzes es ausweiset, so ist es doch immer nur eine und dieselbe Vernunft, die, es sey in theoretischer oder practischer Absicht, nach Principien a priori urtheilt, und da ist es klar, daß, wenn ihr Vermoͤgen in der ersteren gleich nicht zulangt, gewisse Saͤtze behauptend festzusetzen, indessen daß sie ihr auch eben nicht widersprechen, eben diese Saͤtze, so bald sie unabtrennlich zum practischen Interesse der reinen Vernunft gehoͤren, zwar als ein ihr fremdes Angebot, das nicht auf ihrem Boden erwachsen, aber doch hinreichend beglaubigt ist, annehmen, und sie, mit allem was sie als speculative Vernunft in ihrer Macht hat, zu vergleichen und zu verknuͤpfen suchen muͤsse; doch sich bescheidend, daß dieses nicht ihre Ein- sichten, aber doch Erweiterungen ihres Gebrauchs in irgend einer anderen, nemlich practischen, Absicht sind, welches ihrem Interesse, das in der Einschraͤnkung des speculativen Frevels besteht, ganz und gar nicht zuwi- der ist. In der Verbindung also der reinen speculativen mit der reinen practischen Vernunft zu einem Erkennt- nisse fuͤhrt die letztere das Primat , vorausgesetzt nem- lich, daß diese Verbindung nicht etwa zufaͤllig und be- liebig, der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. liebig, sondern a priori auf der Vernunft selbst gegruͤn- det, mithin nothwendig sey. Denn es wuͤrde ohne diese Unterordnung ein Widerstreit der Vernunft mit ihr selbst entstehen; weil, wenn sie einander blos beyge- ordnet (coordinirt) waͤren, die erstere fuͤr sich ihre Grenze enge verschließen und nichts von der letzteren in ihr Gebiet aufnehmen, diese aber ihre Grenzen dennoch uͤber alles ausdehnen, und, wo es ihr Beduͤrfniß er- heischt, jene innerhalb der ihrigen mit zu befassen su- chen wuͤrde. Der speculativen Vernunft aber unterge- ordnet zu seyn, und also die Ordnung umzukehren, kann man der reinen practischen gar nicht zumuthen, weil alles Interesse zuletzt practisch ist, und selbst das der speculativen Vernunft nur bedingt und im practischen Gebrauche allein vollstaͤndig ist. IV. Die Unsterblichkeit der Seele, als ein Postular der reinen practischen Vernunft . D ie Bewirkung des hoͤchsten Guts in der Welt ist das nothwendige Object eines durchs moralische Gesetz be- stimmbaren Willens. In diesem aber ist die voͤllige Angemessenheit der Gesinnungen zum moralischen Ge- setze die oberste Bedingung des hoͤchsten Guts. Sie muß also eben sowol moͤglich seyn, als ihr Object, weil sie I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik sie in demselben Gebote dieses zu befoͤrdern enthalten ist. Die voͤllige Angemessenheit des Willens aber zum moralischen Gesetze ist Heiligkeit, eine Vollkommen- heit, deren kein vernuͤnftiges Wesen der Sinnenwelt, in keinem Zeitpuncte seines Daseyns, faͤhig ist. Da sie indessen gleichwol als practisch nothwendig gefo- dert wird, so kann sie nur in einem ins Unendliche ge- henden Progressus zu jener voͤlligen Angemessenheit angetroffen werden, und es ist, nach Principien der reinen practischen Vernunft, nothwendig, eine solche practische Fortschreitung als das reale Object unseres Willens anzunehmen. Dieser unendliche Progressus ist aber nur unter Voraussetzung einer ins Unendliche fortdaurenden Exi- stenz und Persoͤnlichkeit desselben vernuͤnftigen Wesens (welche man die Unsterblichkeit der Seele nennt,) moͤg- lich. Also ist das hoͤchste Gut, practisch, nur unter der Voraussetzung der Unsterblichkeit der Seele moͤglich; mithin diese, als unzertrennlich mit dem moralischen Gesetz verbunden, ein Postulat der reinen practi- schen Vernunft (worunter ich einen theoretischen, als solchen aber nicht erweislichen Satz verstehe, so fern er einem a priori unbedingt geltenden practischen Gesetze unzertrennlich anhaͤngt). Der Satz von der moralischen Bestimmung unse- rer Natur, nur allein in einem ins Unendliche gehen- den Fortschritte zur voͤlligen Angemessenheit mit dem Sitten- der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. Sittengesetze gelangen zu koͤnnen, ist von dem groͤßten Nutzen, nicht blos in Ruͤcksicht auf die gegenwaͤrtige Ergaͤnzung des Unvermoͤgens der speculativen Vernunft, sondern auch in Ansehung der Religion. In Ermange- lung desselben wird entweder das moralische Gesetz von seiner Heiligkeit gaͤnzlich abgewuͤrdigt, indem man es sich als nachsichtlich, (indulgent) und so unserer Be- haglichkeit angemessen, verkuͤnstelt, oder auch seinen Beruf und zugleich Erwartung zu einer unerreichbaren Bestimmung, nemlich einem verhofften voͤlligen Erwerb der Heiligkeit des Willens, spannt, und sich in schwaͤr- mende, dem Selbsterkenntniß ganz widersprechende theosophische Traͤume verliert, durch welches beides das unaufhoͤrliche Streben zur puͤnctlichen und durch- gaͤngigen Befolgung eines strengen unnachsichtlichen, dennoch aber nicht idealischen, sondern wahren Ver- nunftgebots, nur verhindert wird. Einem vernuͤnfti- gen, aber endlichen Wesen ist nur der Progressus ins Unendliche, von niederen zu den hoͤheren Stufen der moralischen Vollkommenheit, moͤglich. Der Unend- liche, dem die Zeitbedingung Nichts ist, sieht, in die- ser fuͤr uns endlosen Reihe, das Ganze der Angemessen- heit mit dem moralischen Gesetze, und die Heiligkeit, die sein Gebot unnachlaßlich fodert, um seiner Gerechtig- keit in dem Antheil, den er jedem am hoͤchsten Gute bestimmt, gemaͤß zu seyn, ist in einer einzigen intel- lectuellen Anschauung des Daseyns vernuͤnftiger Wesen ganz I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik ganz anzutreffen. Was dem Geschoͤpfe allein in Anse- hung der Hoffnung dieses Antheils zukommen kann, waͤre das Bewußtseyn seiner erpruͤften Gesinnung, um aus seinem bisherigen Fortschritte vom Schlechteren zum Moralischbesseren und dem dadurch ihm bekannt gewordenen unwandelbaren Vorsatze eine fernere unun- terbrochene Fortsetzung desselben, wie weit seine Exi- stenz auch immer reichen mag, selbst uͤber dieses Leben hinaus zu hoffen, Die Ueberzeugung von der Unwandelbarkeit seiner Gesinnung im Fortschritte zum Guten, scheint gleichwol auch einem Ge- schoͤpfe fuͤr sich unmoͤglich zu seyn. Um deswillen laͤßt die christliche Religionslehre sie auch von demselben Geiste, der die Heiligung, d. i. diesen festen Vorsatz und mit ihm das Be- wußtseyn der Beharrlichkeit im moralischen Progressus, wirkt, allein abstammen. Aber auch natuͤrlicher Weise darf derjenige, der sich bewußt ist, einen langen Theil seines Lebens bis zu Ende desselben, im Fortschritte zum Bessern, und zwar aus aͤch- ten moralischen Bewegungsgruͤnden, angehalten zu haben, sich wol die troͤstende Hoffnung, wenn gleich nicht Gewißheit, ma- chen, daß er, auch in einer uͤber dieses Leben hinaus fortge- setzten Existenz, bey diesen Grundsaͤtzen beharren werde, und, wiewol er in seinen eigenen Augen hier nie gerechtfertigt ist, noch, bey dem verhofften kuͤnftigen Anwachs seiner Naturvoll- kommenheit, mit ihr aber auch seiner Pflichten, es jemals hoffen darf, dennoch in diesem Fortschritte, der, ob er zwar ein ins Unendliche hinausgeruͤcktes Ziel betrifft, dennoch fuͤr Gott als Besitz gilt, eine Aussicht in eine selige Zukunft ha- ben; denn dieses ist der Ausdruck, dessen sich die Vernunft be- dient, um ein von allen zufaͤlligen Ursachen der Welt unab- haͤngiges vollstaͤndiges Wohl zu bezeichnen, welches eben so, wie und so, zwar niemals hier, oder in der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. in irgend einem absehlichen kuͤnftigen Zeitpuncte seines Daseyns, sondern nur in der (Gott allein uͤbersehba- ren) Unendlichkeit seiner Fortdauer dem Willen dessel- ben (ohne Nachsicht oder Erlassung, welche sich mit der Gerechtigkeit nicht zusammenreimt) voͤllig adaͤquat zu seyn. V. Das Daseyn Gottes, als ein Postulat der reinen practischen Vernunft . D as moralische Gesetz fuͤhrete in der vorhergehenden Zergliederung zur practischen Aufgabe, welche, ohne allen Beytritt sinnlicher Triebfedern, blos durch reine Vernunft vorgeschrieben wird, nemlich der nothwendi- gen Vollstaͤndigkeit des ersten und vornehmsten Theils des hoͤchsten Guts, der Sittlichkeit , und, da diese nur in einer Ewigkeit voͤllig aufgeloͤset werden kann, zum Postulat der Unsterblichkeit . Eben dieses Gesetz muß auch zur Moͤglichkeit des zweyten Elements des hoͤchsten Guts, nemlich der jener Sittlichkeit ange- messenen Gluͤckseligkeit , eben so uneigennuͤtzig, wie wie Heiligkeit eine Idee ist, welche nur in einem unendlichen Progressus und dessen Totalitaͤt enthalten seyn kann, mithin vom Geschoͤpfe niemals voͤllig erreicht wird. I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik wie vorher, aus bloßer unparteyischer Vernunft, nem- lich auf die Voraussetzung des Daseyns einer dieser Wirkung adaͤquaten Ursache fuͤhren, d. i. die Existenz Gottes, als zur Moͤglichkeit des hoͤchsten Guts (wel- ches Object unseres Willens mit der moralischen Gesetz- gebung der reinen Vernunft nothwendig verbunden ist) nothwendig gehoͤrig, postuliren. Wir wollen diesen Zusammenhang uͤberzeugend darstellen. Gluͤckseligkeit ist der Zustand eines vernuͤnftigen Wesens in der Welt, dem es, im Ganzen seiner Exi- stenz, alles nach Wunsch und Willen geht, und beruhet also auf der Uebereinstimmung der Natur zu seinem ganzen Zwecke, imgleichen zum wesentlichen Be- stimmungsgrunde seines Willens. Nun gebietet das mo- ralische Gesetz, als ein Gesetz der Freyheit, durch Be- stimmungsgruͤnde, die von der Natur und der Ueber- einstimmung derselben zu unserem Begehrungsvermoͤgen (als Triebfedern) ganz unabhaͤngig seyn sollen; das handelnde vernuͤnftige Wesen in der Welt aber ist doch nicht zugleich Ursache der Welt und der Natur selbst. Also ist in dem moralischen Gesetze nicht der mindeste Grund zu einem nothwendigen Zusammenhang zwischen Sittlichkeit und der ihr proportionirten Gluͤckseligkeit eines zur Welt als Theil gehoͤrigen, und daher von ihr abhaͤngigen, Wesens, welches eben darum durch seinen Willen nicht Ursache dieser Natur seyn, und sie, was seine Gluͤckseligkeit betrifft, mit seinen practischen Grund- saͤtzen der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. saͤtzen aus eigenen Kraͤften nicht durchgaͤngig einstimmig machen kann. Gleichwol wird in der practischen Auf- gabe der reinen Vernunft, d. i. der nothwendigen Bear- beitung zum hoͤchsten Gute, ein solcher Zusammenhang als nothwendig postulirt: wir sollen das hoͤchste Gut (welches also doch moͤglich seyn muß) zu befoͤrdern su- chen. Also wird auch das Daseyn einer von der Na- tur unterschiedenen Ursache der gesammten Natur, wel- che den Grund dieses Zusammenhanges, nemlich der ge- nauen Uebereinstimmung der Gluͤckseligkeit mit der Sitt- lichkeit, enthalte, postulirt . Diese oberste Ursache aber soll den Grund der Uebereinstimmung der Natur nicht blos mit einem Gesetze des Willens der vernuͤnfti- gen Wesen, sondern mit der Vorstellung dieses Gesetzes, so fern diese es sich zum obersten Bestimmungsgrun- de des Willens setzen, also nicht blos mit den Sitten der Form nach, sondern auch ihrer Sittlichkeit, als dem Bewegungsgrunde derselben, d. i. mit ihrer moralischen Gesinnung enthalten. Also ist das hoͤchste Gut in der Welt nur moͤglich, so fern eine oberste der Natur ange- nommen wird, die eine der moralischen Gesinnung gemaͤße Causalitaͤt hat. Nun ist ein Wesen, das der Handlungen nach der Vorstellung von Gesetzen faͤ- hig ist, eine Intelligenz (vernuͤnftig Wesen) und die Causalitaͤt eines solchen Wesens nach dieser Vorstellung der Gesetze ein Wille desselben. Also ist die oberste Ur- sache der Natur, so fern sie zum hoͤchsten Gute voraus- Kants Crit. d. pract. Vern. P gesetzt I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik gesetzt werdeu muß, ein Wesen, das durch Verstand und Willen die Ursache (folglich der Urheber) der Ra- tur ist, d. i. Gott. Folglich ist das Postulat der Moͤglichkeit des hoͤchsten abgeleiteten Guts (der besten Welt) zugleich das Postulat der Wirklichkeit eines hoͤch- sten urspruͤnglichen Guts, nemlich der Existenz Got- tes. Nun war es Pflicht fuͤr uns das hoͤchste Gut zu befoͤrdern, mithin nicht allein Befugniß, sondern auch mit der Pflicht als Beduͤrfniß verbundene Nothwen- digkeit, die Moͤglichkeit dieses hoͤchsten Guts vorauszu- setzen; welches, da es nur unter der Bedingung des Daseyns Gottes stattfindet, die Voraussetzung desselben mit der Pflicht unzertrennlich verbindet, d. i. es ist mo- ralisch nothwendig, das Daseyn Gottes anzunehmen. Hier ist nun wohl zu merken, daß diese moralische Rothwendigkeit subjectiv, d. i. Beduͤrfniß, und nicht objectiv, d. i. selbst Pflicht sey; denn es kann gar keine Pflicht geben, die Existenz eines Dinges anzunehmen (weil dieses blos den theoretischen Gebrauch der Ver- nunft angeht). Auch wird hierunter nicht verstanden, daß die Annehmung des Daseyns Gottes, als eines Grundes aller Verbindlichkeit uͤberhaupt, nothwen- dig sey (denn dieser beruht, wie hinreichend bewiesen worden, lediglich anf der Avtonomie der Vernunft selbst). Zur Pflicht gehoͤrt hier nur die Bearbeitung zu Her- vorbringung und Befoͤrderung des hoͤchsten Guts in der Welt, dessen Moͤglichkeit also postulirt werden kann, die der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. die aber unsere Vernunft nicht anders denkbar findet, als unter Voraussetzung einer hoͤchsten Intelligenz, de- ren Daseyn anzunehmen also mit dem Bewußtseyn un- serer Pflicht verbunden ist, obzwar diese Annehmung selbst fuͤr die theoretische Vernunft gehoͤrt, in Ansehung deren allein sie als Erklaͤrungsgrund betrachtet, Hy- pothese, in Beziehung aber auf die Verstaͤndlichkeit ei- nes uns doch durchs moralische Gesetz aufgegebenen Ob- jects (des hoͤchsten Guts), mithin eines Beduͤrfnisses in practischer Absicht, Glaube, und zwar reiner Ver- nunftglaube, heißen kann, weil blos reine Vernunft (sowol ihrem theoretischen als practischen Gebrauche nach) die Quelle ist, daraus er entspringt. Aus dieser Deduction wird es nunmehr begreif- lich, warum die griechischen Schulen zur Aufloͤsung ih- res Problems von der practischen Moͤglichkeit des hoͤch- sten Guts niemals gelangen konnten; weil sie nur im- mer die Regel des Gebrauchs, den der Wille des Men- schen von seiner Freyheit macht, zum einzigen und fuͤr sich allein zureichenden Grunde derselben machten, ohne, ihrem Beduͤnken nach, das Daseyn Gottes dazu zu beduͤr- fen. Zwar thaten sie daran recht, daß sie das Princip der Sitten unabhaͤngig von diesem Postulat, fuͤr sich selbst, aus dem Verhaͤltniß der Vernunft allein zum Willen, festsetzten, und es mithin zur obersten practi- schen Bedingung des hoͤchsten Guts machten; es war aber darum nicht die ganze Bedingung der Moͤglichkeit P 2 dessel- I. Th. II. B II. Hauptst. Von der Dialectik desselben. Die Epikuraͤer hatten nun zwar ein ganz falsches Princip der Sitten zum obersten angenommen, nemlich das der Gluͤckseligkeit, und eine Maxime der beliebigen Wahl, nach jedes seiner Neigung, fuͤr ein Gesetz untergeschoben: aber darin verfuhren sie doch consequent genug, daß sie ihr hoͤchstes Gut eben so, nem- lich der Niedrigkeit ihres Grundsatzes proportionirlich, abwuͤrdigten, und keine groͤßere Gluͤckseligkeit erwarte- ten, als die sich durch menschliche Klugheit (wozu auch Enthaltsamkeit und Maͤßigung der Neigungen gehoͤrt) erwerben laͤßt, die, wie man weiß, kuͤmmerlich genug und nach Umstaͤnden sehr verschiedentlich, ausfallen muß; die Ausnahmen, welche ihre Maximen unaufhoͤr- lich einraͤumen mußten, und die sie zu Gesetzen untaug- lich machen, nicht einmal gerechnet. Die Stoiker hat- ten dagegen ihr oberstes practisches Princip, nemlich die Tugend, als Bedingung des hoͤchsten Guts ganz richtig gewaͤhlt, aber indem sie den Grad derselben, der fuͤr das reine Gesetz derselben erforderlich ist, als in die- sem Leben voͤllig erreichbar vorstelleten, nicht allein das moralische Vermoͤgen des Menschen, unter dem Namen eines Weisen, uͤber alle Schranken seiner Natur hoch gespannt, und etwas, das aller Menschenkenntniß wi- derspricht, angenommen, sondern auch, vornemlich das zweyte zum hoͤchsten Gut gehoͤrige Bestandstuͤck, nemlich die Gluͤckseligkeit, gar nicht fuͤr einen besonde- ren Gegenstand des menschlichen Begehrungsvermoͤgens wol- der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. wollen gelten lassen, sondern ihren Weisen, gleich ei- ner Gottheit, im Bewußtseyn der Vortrefflichkeit seiner Person, von der Natur (in Absicht auf seine Zufrieden- heit) ganz unabhaͤngig gemacht, indem sie ihn zwar Uebeln des Lebens aussetzten, aber nicht unterwarfen, (zugleich auch als frey vom Boͤsen darstellcten ) und so wirklich das zweyte Element des hoͤchsten Guts, eigene Gluͤckseligkeit wegließen, indem sie es blos im Handeln und der Zufriedenheit mit feinem persoͤnlichen Werthe setzten, und also im Bewußtseyn der sittlichen Denkungs- art mit einschlossen, worin sie aber durch die Stimme ihrer eigenen Natur hinreichend haͤtten widerlegt wer- den koͤnnen. Die Lehre des Christenthums Man haͤlt gemeiniglich dafuͤr, die christliche Vorschrift der Sit- ten habe in Ansehung ihrer Reinigkeit vor dem moralischen Be- griffe der Stoiker nichts voraus; allein der Unterschied beider ist doch sehr sichtbar. Das stoische System machte das Be- wußtseyn der Seelenstaͤrke zum Angel, um den sich alle sittli- che Gesinnungen wenden sollten, und, ob die Anhaͤnger dessen zwar von Pflichten redeten, auch sie ganz wohl bestimmeten, so setzten sie doch die Triebfeder und den eigentlichen Bestimmungs- grund des Willens, in einer Erhebung der Denkungsart uͤber die niedrige und nur durch Seelenschwaͤche machthabende Trieb- federn der Sinne. Tugend war also bey ihnen ein gewisser He- roism des uͤber thierische Natur des Menschen sich erhebenden Weisen, der ihm selbst genug ist, andern zwar Pflichten vor- traͤgt, selbst aber uͤber sie erhaben, und keiner Versuchung zu Ueber- , wenn man sie auch noch nicht als Religionslehre betrachtet, giebt in P 3 die- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik diesem Stuͤcke einen Begriff des hoͤchsten Guts (des Reichs Gottes), der allein der strengsten Foderung der practi- Uebertretung des sittlichen Gesetzes unterworfen ist. Dieses alles aber konnten sie nicht thun, wenn sie sich dieses Gesetz in der Reinigkeit und Strenge, als es die Vorschrift des Evange- lii thut, vorgestellt haͤtten. Wenn ich unter einer Idee eine Vollkommenheit verstehe, der nichts in der Erfahrung adaͤquat gegeben werden kann, so sind die moralischen Ideen darum nichts Ueberschwengliches, d. i. dergleichen, wovon wir auch nicht einmal den Begriff hinreichend bestimmen koͤnnten, oder von dem es ungewiß ist, ob ihm uͤberall ein Gegenstand correspon- dire, wie die Ideen der speculativen Vernunft, sondern dienen, als Urbilder der practischen Vollkommenheit, zur unentbehrli- chen Richtschnur des sittlichen Verhaltens, und zugleich zum Maaßstabe der Vergleichung. Wenn ich nun die christliche Moral von ihrer philosophischen Seite betrachte, so wuͤrde sie, mit den Ideen der griechischen Schulen verglichen, so erschei- nen: Die Ideen der Cyniker , der Spicuraͤer, der Stoiker und des Christen, sind: die Natureinfalt, die Klugheit, die Weisheit und die Heiligkeit. In Ansehung des Weges, dazu zu gelangen, unterschieden sich die griechischen Philosophen so von einander, daß die Cyniker dazu den gemeinen Menschen- verstand, die andern nur den Weg der Wissenschaft, beide also doch bloßen Gebrauch der natuͤrlichen Kraͤfte dazu hinreichend fanden. Die christliche Moral, weil sie ihre Vor- schrift (wie es auch seyn muß) so rein und unnachsichtlich ein- richtet, benimmt dem Menschen das Zutrauen, wenigstens hier im Leben, ihr voͤllig adaͤquat zu seyn, richtet es aber doch auch dadurch wiederum auf, daß, wenn wir so gut handeln, als in unserem Vermoͤgen ist, wir hoffen koͤnnen, daß, was nicht in unserm Vermoͤgen ist, uns anderweitig werde zu statten kom- men, wir moͤgen nun wissen, auf welche Art, oder nicht. Ari- stoteles und Plato unterschieden sich nur in Ansehung des Ur- sprungs unserer sittlichen Begriffe. der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. practischen Vernunft ein Gnuͤge thut. Das moralische Gesetz ist heilig (unnachsichtlich) und fodert Heiligkeit der Sitten, obgleich alle moralische Vollkommenheit, zu welcher der Mensch gelangen kann, immer nur Tu- gend ist, d. i. gesetzmaͤßige Gesinnung aus Achtung fuͤrs Gesetz, folglich Bewußtseyn eines continuirlichen Han- ges zur Uebertretung, wenigstens Unlauterkeit d. i. Bey- mischung vieler unaͤchter (nicht moralischer) Bewegungs- gruͤnde zur Befolgung des Gesetzes, folglich eine mit Demuth verbundene Selbstschaͤtzung, und also in Anse- hung der Heiligkeit, welche das christliche Gesetz fodert, nichts als Fortschritt ins Unendliche dem Geschoͤpfe uͤbrig laͤßt, eben daher aber auch dasselbe zur Hoffnung seiner ins Unendliche gehenden Fortdauer berechtigt. Der Werth einer dem moralischen Gesetze voͤllig angemesse- nen Gesinnung ist unendlich; weil alle moͤgliche Gluͤck- seligkeit, im Urtheile eines weisen und alles vermoͤgen- den Austheilers derselben, keine andere Einschraͤnkung hat, als den Mangel der Angemessenheit vernuͤnftiger Wesen an ihrer Pflicht. Aber das moralische Gesetz fuͤr sich verheißt doch keine Gluͤckseligkeit; denn diese ist, nach Begriffen von einer Naturordnung uͤberhaupt, mit der Befolgung desselben nicht nothwendig verbunden. Die christliche Sittenlehre ergaͤnzt nun diesen Mangel (des zweyten unentbehrlichen Bestandstuͤcks des hoͤchsten Guts) durch die Darstellung der Welt, darin vernuͤnf- tige Wesen sich dem sittlichen Gesetze von ganzer Seele P 4 wei- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik weihen, als eines Reichs Gottes, in welchem Natur und Sitten in eine, jeder von beiden fuͤr sich selbst frem- de, Harmonie, durch einen heiligen Urheber kommen, der das abgeleitete hoͤchste Gut moͤglich macht. Die Hei- ligkeit der Sitten wird ihnen in diesem Leben schon zur Richtschnur angewiesen, das dieser proportionirte Wohl aber, die Seligkeit , nur als in einer Ewigkeit erreich- bar vorgestellt; weil jene immer das Urbild ihres Ver- haltens in jedem Stande seyn muß, und das Fortschrei- ten zu ihr schon in diesem Leben moͤglich und nothwen- dig ist, diese aber in dieser Welt, unter dem Namen der Gluͤckseligkeit, gar nicht erreicht werden kann, (so viel auf unser Vermoͤgen ankommt) und daher lediglich zum Gegenstande der Hoffnung gemacht wird. Diesem ungeachtet ist das christliche Princip der Moral selbst doch nicht theologisch (mithin Heteronomie) sondern Avtonomie der reinen practischen Vernunft fuͤr sich selbst, weil sie die Erkenntniß Gottes und seines Willens nicht zum Grunde dieser Gesetze, sondern nur der Gelangung zum hoͤchsten Gute, unter der Bedingung der Befol- gung derselben macht, und selbst die eigentliche Trieb- feder zu Befolgung der ersteren nicht in den gewuͤnsch- ten Folgen derselben, sondern in der Vorstellung der Pflicht allein setzt, als in deren treuer Beobachtung die Wuͤrdigkeit des Erwerbs der letztern allein be- steht. Auf der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. Auf solche Weise fuͤhrt das moralische Gesetz durch den Begriff des hoͤchsten Guts, als das Object und den Endzweck der reinen practischen Vernunft, zur Religion, d. i. zur Erkenntniß aller Pflichten als goͤttlicher Ge- bote, nicht als Sanctionen, d. i. willkuͤhrliche fuͤr sich selbst zufaͤllige Verordnungen, eines fremden Willens, sondern als wesentlicher Gesetze eines jeden freyen Willens fuͤr sich selbst, die aber dennoch als Ge- bote des hoͤchsten Wesens angesehen werden muͤssen, weil wir nur von einem moralisch-vollkommenen, (heiligen und guͤtigen) zugleich auch allgewaltigen Willen, das hoͤchste Gut, welches zum Gegenstande unserer Bestre- bung zu setzen uns das moralische Gesetz zur Pflicht macht, und also durch Uebereinstimmung mit diesem Willen dazu zu gelangen hoffen koͤnnen. Auch hier bleibt daher alles uneigennuͤtzig und blos auf Pflicht ge- gruͤndet; ohne daß Furcht oder Hoffnung als Triebfe- dern zum Grunde gelegt werden duͤrften, die, wenn sie zu Principien werden, den ganzen moralischen Werth der Handlungen vernichten. Das moralische Gesetz ge- bietet, das hoͤchste moͤgliche Gut in einer Welt mir zum letzten Gegenstande alles Verhaltens zu machen. Die- ses aber kann ich nicht zu bewirken hoffen, als nur durch die Uebereinstimmung meines Willens mit dem eines heiligen und guͤtigen Welturhebers, und, obgleich in dem Begriffe des hoͤchsten Guts, als dem eines Gan- zen, worin die groͤßte Gluͤckseligkeit mit dem groͤßten P 5 Maa- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik Maaße sittlicher (in Geschoͤpfen moͤglicher) Vollkom- menheit, als in der genausten Proportion verbunden vorgestellt wird, meine eigene Gluͤckseligkeit mit enthal- ten ist: so ist doch nicht sie, sondern das moralische Ge- setz (welches vielmehr mein unbegrenztes Verlangen darnach auf Bedingungen strenge einschraͤnkt) der Be- stimmungsgrund des Willens, der zur Befoͤrderung des hoͤchsten Guts angewiesen wird. Daher ist auch die Moral nicht eigentlich die Leh- re, wie wir uns gluͤcklich machen, sondern wie wir der Gluͤckseligkeit wuͤrdig werden sollen. Nur denn, wenn Religion dazu kommt, tritt auch die Hoffnung ein, der Gluͤckseligkeit dereinst in dem Maaße theilhaftig zu werden, als wir darauf bedacht gewesen, ihrer nicht unwuͤrdig zu seyn. Wuͤrdig ist jemand des Besitzes einer Sache, oder eines Zustandes, wenn, daß er in diesem Besitze sey, mit dem hoͤchsten Gute zusammenstimmt. Man kann jetzt leicht einsehen, daß alle Wuͤrdigkeit auf das sittliche Verhalten ankomme, weil dieses im Begriffe des hoͤchsten Guts die Bedingung des uͤbrigen, (was zum Zustande gehoͤrt) nemlich des Antheils an Gluͤck- seligkeit ausmacht. Nun folgt hieraus: daß man die Moral an sich niemals als Gluͤckseligkeitslehre behan- deln muͤsse, d. i. als eine Anweisung der Gluͤckseligkeit theil- haftig zu werden; denn sie hat es lediglich mit der Ver- der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. Vernunftbedingung ( conditio sine qua non ) der letz- teren, nicht mit einem Erwerbmittel derselben zu thun. Wenn sie aber (die blos Pflichten auferlegt, nicht ei- gennuͤtzigen Wuͤnschen Maaßregeln an die Hand giebt,) vollstaͤndig vorgetragen worden: alsdenn allererst kann, nachdem der sich auf ein Gesetz gruͤndende moralische Wunsch das hoͤchste Gut zu befoͤrdern (das Reich Got- tes zu uns zu bringen), der vorher keiner eigennuͤtzigen Seele aufsteigen konnte, erweckt, und ihm zum Behuf der Schritt zur Religion geschehen ist, diese Sittenlehre auch Gluͤckseligkeitslehre genannt werden, weil die Hoffnung dazu nur mit der Religion allererst anhebt. Auch kann man hieraus ersehen: daß, wenn man nach dem letzten Zwecke Gottes in Schoͤpfung der Welt fraͤgt, man nicht die Gluͤckseligkeit der ver- nuͤnftigen Wesen in ihr, sondern das hoͤchste Gut nen- nen muͤsse, welches jenem Wunsche dieser Wesen noch eine Bedingung, nemlich die der Gluͤckseligkeit wuͤrdig zu seyn, d. i. die Sittlichkeit eben derselben vernuͤnfti- gen Wesen, hinzufuͤgt, die allein den Maaßstab ent- haͤlt, nach welchem sie allein der ersteren, durch die Hand eines weisen Urhebers, theilhaftig zu werden hoffen koͤnnen. Denn, da Weisheit, theoretisch be- trachtet, die Erkenntniß des hoͤchsten Guts, und pra- ctisch, die Angemessenheit des Willens zum hoͤchsten Gute bedeutet, so kann man einer hoͤchsten selbststaͤn- digen Weisheit nicht einen Zweck beylegen, der blos auf I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik auf Guͤtigkeit gegruͤndet waͤre. Denn dieser ihre Wir- kung (in Ansehung der Gluͤckseligkeit der vernuͤnftigen Wesen) kann man nur unter den einschraͤnkenden Be- dingungen der Uebereinstimmung mit der Heiligkeit Hiebey, und um das Eigenthuͤmliche dieser Begriffe kenntlich zu machen, merke ich nur noch an: daß, da man Gott ver- schiedene Eigenschaften beylegt, deren Qualitaͤt man auch den Geschoͤpfen angemessen findet, nur daß sie dort zum hoͤchsten Grade erhoben werden, z. B. Macht, Wissenschaft, Gegen- wart, Guͤte etc. unter den Benennungen der Allmacht, der All- wissenheit, der Allgegenwart, der Allguͤtigkeit etc. es doch drey giebt, die ausschließungsweise, und doch ohne Beysatz von Groͤße, Gott beygelegt werden, und die insgesamt moralisch sind. Er ist der allein Heilige, der allein Selige, der allein Weise ; weil diese Begriffe schon die Uneingeschraͤnktheit bey sich fuͤhren. Nach der Ordnung derselben ist er denn also auch der heilige Gesetzgeber (und Schoͤpfer) der guͤtige Regierer (und Er- halter) und der gerechte Richter. Drey Eigenschaften, die alles in sich enthalten, wodurch Gott der Gegenstand der Re- ligion wird, und denen angemessen die metaphysischen Voll- kommenheiten sich von selbst in der Vernunft hinzu fuͤgen. seines Willens, als dem hoͤchsten urspruͤnglichen Gute angemessen, denken. Daher diejenige, welche den Zweck der Schoͤpfung in die Ehre Gottes (vorausge- setzt, daß man diese nicht anthropomorphistisch, als Neigung gepriesen zu werden, denkt,) setzten, wol den besten Ausdruck getroffen haben. Denn nichts ehrt Gott mehr, als das, was das schaͤtzbarste in der Welt ist, die Achtung fuͤr sein Gebot, die Beobachtung der heiligen Pflicht, die uns sein Gesetz auferlegt, wenn seine der rein. Vern. in Best. des Begr vom hoͤchst. Gut. seine herrliche Anstalt dazu kommt, eine solche schoͤne Ordnung mit angemessener Gluͤckseligkeit zu kroͤnen. Wenn ihn das letztere (auf menschliche Art zu reden,) liebenswuͤrdig macht, so ist er durch das erstere ein Ge- genstand der Anbetung (Adoration). Selbst Menschen koͤnnen sich durch Wohlthun zwar Liebe, aber dadurch allein niemals Achtung erwerben, so daß die groͤßte Wohlthaͤtigkeit ihnen nur dadurch Ehre macht, daß sie nach Wuͤrdigkeit ausgeuͤbt wird. Daß, in der Ordnung der Zwecke, der Mensch (mit ihm jedes vernuͤnftige Wesen) Zweck an sich selbst sey, d. i. niemals blos als Mittel von jemanden (selbst nicht von Gott) ohne zugleich hiebey selbst Zweck zu seyn, koͤnne gebraucht werden, daß also die Mensch- heit in unserer Person uns selbst heilig seyn muͤsse, folgt nunmehr von selbst, weil er das Subject des mora- lischen Gesetzes, mithin dessen ist, was an sich heilig ist, um dessen willen und in Einstimmung mit welchem auch uͤberhaupt nur etwas heilig genannt werden kann. Denn dieses moralische Gesetz gruͤndet sich auf der Av- tonomie seines Willens, als eines freyen Willens, der nach seinen allgemeinen Gesetzen nothwendig zu demje- nigen zugleich muß einstimmen koͤnnen, welchem er sich unterwerfen soll. VI. I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik VI. Ueber die Postulate der reinen practischen Vernunft uͤberhaupt. S ie gehen alle vom Grundsatze der Moralitaͤt aus, der kein Postulat, sondern ein Gesetz ist, durch welches Vernunft mittelbar den Willen bestimmt, welcher Wille eben dadurch, daß er so bestimmt ist, als reiner Wille, diese nothwendige Bedingungen der Befolgung seiner Vorschrift fodert. Diese Postulate sind nicht theoreti- sche Dogmata, sondern Voraussetzungen in nothwen- dig practischer Ruͤcksicht, erweitern also zwar das spe- culative Erkenntniß, geben aber den Ideen der speeu- lativen Vernunft im Allgemeinen (vermittelst ihrer Beziehung aufs Practische) objective Realitaͤt, und be- rechtigen sie zu Begriffen, deren Moͤglichkeit auch nur zu behaupten sie sich sonst nicht anmaaßen koͤnnte. Diese Postulate sind die der Unsterblichkeit, der Freyheit, positiv betrachtet, (als der Causalitaͤt eines Wesens, so fern es zur intelligibelen Welt gehoͤrt,) und des Daseyns Gottes. Das erste fließt aus der pra- ctisch nothwendigen Bedingung der Angemessenheit der Dauer zur Vollstaͤndigkeit der Erfuͤllung des moralischen Gesetzes; das zweyte aus der nothwendigen Voraus- setzung der Unabhaͤngigkeit von der Sinnenwelt und des Vermoͤgens der Bestimmung seines Willens, nach dem Ge- der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. Gesetze einer intelligibelen Welt, d. i. der Freyheit; das dritte aus der Nothwendigkeit der Bedingung zu einer solchen intelligibelen Welt, um das hoͤchste Gut zu seyn, durch die Voraussetzung des hoͤchsten selbststaͤndigen Guts, d. i. des Daseyns Gottes. Die durch die Achtung fuͤrs moralische Gesetz nothwendige Absicht aufs hoͤchste Gut und daraus fließende Voraussetzung der objectiven Realitaͤt desselben, fuͤhrt also durch Postulate der practischen Vernunft zu Begriffen, welche die speculative Vernunft zwar als Aufgaben vortragen, sie aber nicht aufloͤsen konnte. Also 1. zu derjenigen, in deren Aufloͤsung die letztere nichts, als Paralogismen begehen konnte, (nemlich der Unsterblichkeit) weil es ihr am Merkmale der Be- harrlichkeit fehlete, um den psychologischen Begriff ei- nes letzten Subjects, welcher der Seele im Selbstbe- wußtseyn nothwendig beygelegt wird, zur realen Vor- stellung einer Substanz zu ergaͤnzen, welches die practi- sche Vernunft, durch das Postulat, einer zur Ange- messenheit mit dem moralischen Gesetze im hoͤchsten Gu- te, als dem ganzen Zwecke der practischen Vernunft, erforderlichen Dauer, ausrichtet. 2. Fuͤhrt sie zu dem, wovon die speculative Vernunft nichts als Antinomie enthielt, deren Aufloͤsung sie nur auf einem problema- tisch zwar denkbaren, aber seiner objectiven Realitaͤt nach fuͤr sie nicht erweislichen und bestimmbaren Be- griffe gruͤnden konnte, nemlich die cosmologische Idee einer I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik einer intelligibelen Welt und das Bewußtseyn unseres Daseyns in derselben, vermittelst des Postulats der Freyheit, (deren Realitaͤt sie durch das moralische Ge- setz darlegt, und mit ihm zugleich das Gesetz einer intel- ligibelen Welt, worauf die speculative nur hinweisen, ihren Begriff aber nicht bestimmen konnte). 3. Ver- schafft sie dem, was speculative Vernunft zwar denken, aber als bloßes transscendentales Ideal unbestimmt lassen mußte, dem theologischen Begriffe des Urwesens, Bedeutung, (in practischer Absicht, d. i. als einer Be- dingung der Moͤglichkeit des Objects eines durch jenes Gesetz bestimmten Willens,) als dem obersten Princip des hoͤchsten Guts in einer intelligibelen Welt, durch gewalthabende moralische Gesetzgebung in derselben. Wird nun aber unser Erkenntniß auf solche Art durch reine practische Vernunft wirklich erweitert, und ist das, was fuͤr die speculative transscendent war, in der practischen immanent? Allerdings, aber nur in practischer Absicht. Denn wir erkennen zwar da- durch weder unserer Seele Natur, noch die intelligi- bele Welt, noch das hoͤchste Wesen, nach dem, was sie an sich selbst sind, sondern haben nur die Begriffe von ihnen im practischen Begriffe des hoͤchsten Guts ver- einigt, als dem Objecte unseres Willens, und voͤllig a priori, durch reine Vernunft, aber nur vermittelst des moralischen Gesetzes, und auch blos in Beziehung auf dasselbe, in Ansehung des Objects, das es gebietet. Wie der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. Wie aber auch nur die Freyheit moͤglich sey, und wie man sich diese Art von Causalitaͤt theoretisch und positiv vorzustellen habe, wird dadurch nicht eingesehen, son- dern nur, daß eine solche sey, durchs moralische Gesetz und zu dessen Behuf postulirt. So ist es auch mit den uͤbrigen Ideen bewandt, die nach ihrer Moͤglichkeit kein menschlicher Verstand jemals ergruͤnden, aber auch, daß sie nicht wahre Begriffe sind, keine Sophisterey der Ueberzeugung, selbst des gemeinsten Menschen, jemals entreißen wird. VII. Wie eine Erweiterung der reinen Vernunft, in practischer Absicht, ohne damit ihr Erkenntniß, als speculativ, zugleich zu erweitern, zu denken moͤglich sey? W ir wollen diese Frage, um nicht zu abstract zu werden, sofort in Anwendung auf den vorliegenden Fall beantworten. — Um ein reines Erkenntniß pra- ctisch zu erweitern, muß eine Absicht a priori gegeben seyn, d. i. ein Zweck, als Object (des Willens), wel- ches, unabhaͤngig von allen theologischen Grundsaͤtzen, durch einen den Willen unmittelbar bestimmenden (ca- tegorischen) Imperativ, als practisch-nothwendig vor- gestellt wird, und das ist hier das hoͤchste Gut. Die- ses ist aber nicht moͤglich, ohne drey theoretische Begriffe (fuͤr die sich, weil sie bloße reine Vernunftbegriffe sind, Kants Crit. d. pract. Vern. Q keine I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik keine correspondirende Anschauung, mithin, auf dem theoretischen Wege, keine objective Realitaͤt finden laͤßt,) vorauszusetzen: nemlich Freyheit, Unsterblich- keit, und Gott. Also wird durchs practische Gesetz, wel- ches die Existenz des hoͤchsten in einer Welt moͤglichen Guts gebietet, die Moͤglichkeit jener Objecte der reinen speculativen Vernunft, die objective Realitaͤt, welche diese ihnen nicht sichern konnte, postulirt; wodurch denn die theoretische Erkenntniß der reinen Vernunft allerdings einen Zuwachs bekommt, der aber blos darin besteht, daß jene fuͤr sie sonst problematische (blos denkbare) Begriffe, jetzt assertorisch fuͤr solche erklaͤrt werden, denen wirklich Objecte zukommen, weil pra- ctische Vernunft die Existenz derselben zur Moͤglichkeit ihres, und zwar practisch-schlechthin nothwendigen, Objects des hoͤchsten Guts unvermeidlich bedarf, und die theoretische dadurch berechtigt wird, sie vorauszu- setzen. Diese Erweiterung der theoretischen Vernunft ist aber keine Erweiterung der Speculation, d. i. um in theoretischer Absicht nunmehr einen positiven Ge- brauch davon zu machen. Denn da nichts weiter durch practische Vernunft hiebey geleistet worden, als daß jene Begriffe real sind, und wirklich ihre (moͤgliche) Objecte haben, dabey aber uns nichts von Anschauung derselben gegeben wird, (welches auch nicht gefodert werden kann,) so ist kein synthetischer Satz durch diese eingeraͤumte Realitaͤt derselben moͤglich. Folglich hilft uns der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. uns diese Eroͤffnung nicht im mindesten in speculativer Absicht, wol aber in Ansehung des practischen Ge- brauchs der reinen Vernunft, zur Erweiterung dieses unseres Erkenntnisses. Die obige drey Ideen der spe- culativen Vernunft sind an sich noch keine Erkenntnisse; doch sind es (transscendente) Gedanken, in denen nichts Unmoͤgliches ist. Nun bekommen sie durch ein apodictisches practisches Gesetz, als nothwendige Be- dingungen der Moͤglichkeit dessen, was dieses sich zum Objecte zu machen gebietet, objective Realitaͤt, d. i. wir werden durch jenes angewiesen, daß sie Objecte haben, ohne doch, wie sich ihr Begriff auf ein Ob- ject bezieht, anzeigen zu koͤnnen, und das ist auch noch nicht Erkenntniß dieser Objecte; denn man kann da- durch gar nichts uͤber sie synthetisch urtheilen, noch die Anwendung derselben theoretisch bestimmen, mithin von ihnen gar keinen theoretischen Gebrauch der Vernunft machen, als worin eigentlich alle speculative Erkennt- niß derselben besteht. Aber dennoch ward das theore- tische Erkenntniß, zwar nicht dieser Objecte, aber der Vernunft uͤberhaupt, dadurch so fern erweitert, daß durch die practischen Postulate jenen Ideen doch Objecte gegeben wurden, indem ein blos problemati- scher Gedanke dadurch allererst objective Realitaͤt be- kam. Also war es keine Erweiterung der Erkenntniß von gegebenen uͤbersinnlichen Gegenstaͤnden, aber doch eine Erweiterung der theoretischen Vernunft und Q 2 der I. Th II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik der Erkenntniß derselben in Ansehung des Uebersinnli- chen uͤberhaupt, so fern als sie genoͤthigt wurde, daß es solche Gegenstaͤnde gebe, einzuraͤumen, ohne sie doch naͤher bestimmen, mithin dieses Erkenntniß von den Objecten (die ihr nunmehr aus practischem Grunde, und auch nur zum practischen Gebrauche, gegeben worden,) selbst erweitern zu koͤnnen, welchen Zuwachs also die reine theoretische Vernunft, fuͤr die alle jene Ideen transscendent und ohne Object sind, lediglich ihrem reinen practischen Vermoͤgen zu verdanken hat. Hier werden sie immanent und constitutiv, indem sie Gruͤnde der Moͤglichkeit sind. Das nothwendige Ob- ject der reinen practischen Vernunft (das hoͤchste Gut) wirklich zu machen, da sie, ohne dies, transscen- dent und blos regulative Principien der speculativen Vernunft sind, die ihr nicht ein neues Object uͤber die Erfahrung hinaus anzunehmen, sondern nur ihren Ge- brauch in der Erfahrung der Vollstaͤndigkeit zu naͤheren, auferlegen. Ist aber die Vernunft einmal im Besitze dieses Zuwachses, so wird sie, als speculative Vernunft, (eigentlich nur zur Sicherung ihres practischen Ge- brauchs) negativ, d. i. nicht erweiternd, sondern laͤu- ternd, mit jenen Ideen zu Werke gehen, um einerseits den Anthropomorphism als den Quell der Super- stition, oder scheinbare Erweiterung jener Begriffe durch vermeynte Erfahrung, andererseits den Fanati- cism, der sie durch uͤbersinnliche Anschauung oder der- gleichen der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. gleichen Gefuͤhle verspricht, abzuhalten; welches alles Hindernisse des practischen Gebrauchs der reinen Ver- nunft sind, deren Abwehrung also zu der Erweiterung unserer Erkenntniß in practischer Absicht allerdings ge- hoͤrt, oder daß es dieser widerspricht, zugleich zu ge- stehen, daß die Vernunft in speculativer Absicht dadurch im mindesten nichts gewonnen habe. Zu jedem Gebrauche der Vernunft in Ansehung eines Gegenstandes werden reine Verstandesbegriffe (Categorien) erfodert, ohne die kein Gegenstand ge- dacht werden kann. Diese koͤnnen zum theoretischen Gebrauche der Vernunft, d. i. zu dergleichen Erkennt- niß nur angewandt werden, so fern ihnen zugleich An- schauung (die jederzeit sinnlich ist) untergelegt wird, und also blos, um durch sie ein Object moͤglicher Erfah- rung vorzustellen. Nun sind hier aber Ideen der Ver- nunft, die in gar keiner Erfahrung gegeben werden koͤnnen, das, was ich durch Categorien denken muͤßte, um es zu erkennen. Allein es ist hier auch nicht um das theoretische Erkenntniß der Objecte dieser Ideen, sondern nur darum, daß sie uͤberhaupt Objecte haben, zu thun. Diese Realitaͤt verschafft reine practische Vernunft, und hiebey hat die theoretische Vernunft nichts weiter zu thun, als jene Objecte durch Categorien blos zu denken, welches, wie wir sonst deutlich gewiesen haben, ganz wohl, ohne Anschauung (weder sinnliche, noch uͤbersinnliche) zu beduͤrfen, angeht, weil die Ca- Q 3 tego- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik tegorien im reinen Verstande unabhaͤngig und vor aller Anschauung, lediglich als dem Vermoͤgen zu denken, ihren Sitz und Ursprung haben, und sie immer nur ein Object uͤberhaupt bedeuten, auf welche Art es uns auch immer gegeben werden mag. Nun ist den Ca- tegorien, so fern sie auf jene Ideen angewandt werden sollen, zwar kein Object in der Anschauung zu geben moͤglich; es ist ihnen aber doch, daß ein solches wirk- lich sey, mithin die Categorie, als eine bloße Gedan- kenform, hier nicht leer sey, sondern Bedeutung habe, durch ein Object, welches die practische Vernunft im Begriffe des hoͤchsten Guts ungezweifelt darbietet, die Realitaͤt der Begriffe, die zum Behuf der Moͤglich- keit des hoͤchsten Guts gehoͤren, hinreichend gesichert, ohne gleichwol durch diesen Zuwachs die mindeste Er- weiterung des Erkenntnisses nach theoretischen Grund- saͤtzen zu bewirken. Wenn, naͤchstdem, diese Ideen von Gott, einer intelligibelen Welt (dem Reiche Gottes) und der Un- sterblichkeit durch Praͤdicate bestimmt werden, die von unserer eigenen Natur hergenommen sind, so darf man diese Bestimmung weder als Versinnlichung jener reinen Vernunftideen (Anthropomorphismen), noch als uͤber- schwengliches Erkenntniß uͤbersinnlicher Gegenstaͤnde ansehen; denn diese Praͤdicate sind keine andere als Ver- der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. Verstand und Wille, und zwar so im Verhaͤltnisse gegen einander betrachtet, als sie im moralischen Gesetze ge- dacht werden muͤssen, also nur, so weit von ihnen ein reiner practischer Gebrauch gemacht wird. Von allem uͤbrigen, was diesen Begriffen psychologisch anhaͤngt, d. i. so fern wir diese unsere Vermoͤgen in ihrer Aus- uͤbung empirisch beobachten, (z. B., daß der Verstand des Menschen discursiv ist, seine Vorstellungen also Ge- danken, nicht Anschauungen sind, daß diese in der Zeit auf einander folgen, daß sein Wille immer mit einer Abhaͤngigkeit der Zufriedenheit von der Existenz seines Gegenstandes behaftet ist, u. s. w. welches im hoͤch- sten Wesen so nicht seyn kann,) wird alsdenn abstra- hirt, und so bleibt von den Begriffen, durch die wir uns ein reines Verstandeswesen denken, nichts mehr uͤbrig, als gerade zur Moͤglichkeit erfoderlich ist, sich ein moralisch Gesetz zu denken, mithin zwar ein Erkenntniß Gottes, aber nur in practischer Beziehung, wodurch, wenn wir den Versuch machen, es zu einem theoreti- schen zu erweitern, wir einen Verstand desselben bekom- men, der nicht denkt, sondern anschaut, einen Wil- len, der auf Gegenstaͤnde gerichtet ist, von deren Exi- stenz seine Zufriedenheit nicht im Mindesten abhaͤngt, (ich will nicht einmal der transscendentalen Praͤdicate erwaͤhnen, als z. B. eine Groͤße der Existenz, d. i. Dauer, die aber nicht in der Zeit, als dem einzigen uns moͤglichen Mittel uns Daseyn als Groͤße vorzustel- Q 4 len, I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik len, stattfindet,) lauter Eigenschaften, von denen wir uns gar keinen Begriff, zum Erkenntnisse des Gegen- standes tauglich, machen koͤnnen, und dadurch belehrt werden, daß sie niemals zu einer Theorie von uͤber- sinnlichen Wesen gebraucht werden koͤnnen, und also, auf dieser Seite, ein speculatives Erkenntniß zu gruͤn- den gar nicht vermoͤgen, sondern ihren Gebrauch lediglich auf die Ausuͤbung des moralischen Gesetzes einschraͤnken. Dieses letztere ist so augenscheinlich, und kann so klar durch die That bewiesen werden, daß man getrost alle vermeynte natuͤrliche Gottesgelehrte (ein wun- derlicher Name) Gelehrsamkeit ist eigentlich nur der Inbegriff historischer Wissenschaften. Folglich kann nur der Lehrer der geoffenbarten Theologie ein Gottesgelehrter heißen. Wollte man aber auch den, der im Besitze von Vernunftwissenschaften (Mathe- matik und Philosophie) ist, einen Gelehrten nennen, obgleich dieses schon der Wortbedeutung (als die jederzeit nur dasjenige, was man durchaus gelehret werden muß, und was man also nicht von selbst, durch Vernunft, erfinden kann, zur Gelehr- samkeit zaͤhlt,) widerstreiten wuͤrde: so moͤchte wol der Philo- soph mit seiner Erkenntniß Gottes, als positiver Wissenschaft, eine zu schlechte Figur machen, um sich deshalb einen Gelehr- ten nennen zu lassen. auffodern kann, auch nur eine diesen ihren Gegenstand (uͤber die blos onkologischen Praͤdicate hinaus) bestimmende Eigenschaft, etwa des Verstan- des, oder des Willens, zu nennen, an der man nicht unwidersprechlich darthun koͤnnte, daß, wenn man alles der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. alles Anthropomorphistische davon absondert, uns nur das bloße Wort uͤbrig bleibe, ohne damit den mindesten Begriff verbinden zu koͤnnen, dadurch eine Erweiterung der theoretischen Erkenntniß gehofft werden duͤrfte. In Ansehung des Practischen aber bleibt uns von den Ei- genschaften eines Verstandes und Willens doch noch der Begriff eines Verhaͤltnisses uͤbrig, welchem das praeti- sche Gesetz (das gerade dieses Verhaͤltniß des Verstandes zum Willen a priori bestimmt) objective Realitaͤt ver- schafft. Ist dieses nun einmal geschehen, so wird dem Begriffe des Objects eines moralisch bestimmten Willens (dem des hoͤchsten Guts) und mit ihm den Bedingungen seiner Moͤglichkeit, den Ideen von Gott, Freyheit und Unsterblichkeit, auch Realitaͤt, aber immer nur in Bezie- hung auf die Ausuͤbung des moralischen Gesetzes (zu kei- nem speculativen Behuf), gegeben. Nach diesen Erinnerungen ist nun auch die Beant- wortung der wichtigen Frage leicht zu finden: Ob der Begriff von Gott ein zur Physik (mithin auch zur Metaphysik, als die nur die reinen Principien a priori der ersteren in allgemeiner Bedeutung enthaͤlt) oder ein zur Moral gehoͤriger Begriff sey. Natureinrich- tungen, oder deren Veraͤnderung zu erklaͤren, wenn man da zu Gott, als dem Urheber aller Dinge, seine Zuflucht nimmt, ist wenigstens keine physische Erklaͤrung, und uͤberall ein Gestaͤndniß, man sey mit seiner Philo- sophie zu Ende; weil man genoͤthigt ist, etwas, wovon Q 5 man I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik man sonst fuͤr sich keinen Begriff hat, anzunehmen, um sich von der Moͤglichkeit dessen, was man vor Augen sieht, einen Begriff machen zu koͤnnen. Durch Metaphysik aber von der Kenntniß dieser Welt zum Begriffe von Gott und dem Beweise seiner Existenz durch sichere Schluͤsse zu gelangen, ist darum unmoͤglich, weil wir diese Welt als das vollkommenste moͤgliche Ganze, mit- hin, zu diesem Behuf, alle moͤgliche Welten (um sie mit dieser vergleichen zu koͤnnen) erkennen, mithin all- wissend seyn muͤßten, um zu sagen, daß sie nur durch einen Gott (wie wir uns diesen Begriff denken muͤssen,) moͤglich war. Vollends aber die Existenz dieses Wesens aus bloßen Begriffen zu erkennen, ist schlechterdings un- moͤglich, weil ein jeder Existentialsatz, d. i. der, so von einem Wesen, von dem ich mir einen Begriff mache, sagt, daß es existire, ein synthetischer Satz ist, d. i. ein solcher, dadurch ich uͤber jenen Begriff hinausgehe und mehr von ihm sage, als im Begriffe gedacht war: nemlich daß diesem Begriffe im Verstande noch ein Gegenstand außer dem Verstande correspondirend gesetzt sey, wel- ches offenbar unmoͤglich ist durch irgend einen Schluß herauszubringen. Also bleibt nur ein einziges Verfah- ren fuͤr die Vernunft uͤbrig, zu diesem Erkenntnisse zu ge- langen, da sie nemlich, als reine Vernunft, von dem obersten Princip ihres reinen practischen Gebrauchs aus- gehend, (indem dieser ohnedem blos auf die Existenz von Etwas, als Folge der Vernunft, gerichtet ist,) ihr Ob- der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. Object bestimmt. Und da zeigt sich, nicht allein in ih- rer unvermeidlichen Aufgabe, nemlich der nothwendigen Richtung des Willens auf das hoͤchste Gut, die Noth- wendigkeit, ein solches Urwesen, in Beziehung auf die Moͤglichkeit dieses Guten in der Welt, anzunehmen, son- dern, was das Merkwuͤrdigste ist, etwas, was dem Fortgange der Vernunft auf dem Naturwege ganz man- gelte, nemlich ein genau bestimmter Begriff dieses Urwesens. Da wir diese Welt nur zu einem kleinen Theile kennen, noch weniger sie mit allen moͤglichen Welten vergleichen koͤnnen, so koͤnnen wir von ihrer Ordnung, Zweckmaͤßigkeit und Groͤße wol auf einen weisen, guͤtigen, maͤchtigen etc. Urheber derselben schließen, aber nicht auf seine Allwissenheit, Allguͤtig- keit, Allmacht, u. s. w. Man kann auch gar wohl einraͤumen: daß man diesen unvermeidlichen Mangel durch eine erlaubte ganz vernuͤnftige Hypothese zu ergaͤn- zen wohl befugt sey; daß nemlich, wenn in so viel Stuͤ- cken, als sich unserer naͤheren Kenntniß darbieten, Weis- heit, Guͤtigkeit etc. hervorleuchtet, in allen uͤbrigen es eben so seyn werde, und es also vernuͤnftig sey, dem Welturheber alle moͤgliche Vollkommenheit beyzulegen; aber das sind keine Schluͤsse, wodurch wir uns auf un- sere Einsicht etwas duͤnken, sondern nur Befugnisse, die man uns nachsehen kann, und doch noch einer anderweitigen Empfehlung beduͤrfen, um davon Gebrauch zu machen. Der Begriff von Gott bleibt also auf dem empirischen We- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik Wege (der Physik) immer ein nicht genau bestimmter Begriff von der Vollkommenheit des ersten Wesens, um ihn dem Begriffe einer Gottheit fuͤr angemessen zu hal- ten (mit der Metaphysik aber in ihrem transscendenta- len Theile ist gar nichts auszurichten). Ich versuche nun diesen Begriff an das Object der practischen Vernunft zu halten, und da finde ich, daß der moralische Grundsatz ihn nur als moͤglich, unter Voraussetzung eines Welturhebers von hoͤchster Voll- kommenheit, zulasse. Er muß allwissend seyn, um mein Verhalten bis zum Innersten meiner Gesinnung in allen moͤglichen Faͤllen und in alle Zukunft zu erkennen; allmaͤchtig, um ihm die angemessenen Folgen zu erthei- len; eben so allgegenwaͤrtig, ewig, u. s. w. Mithin bestimmt das moralische Gesetz durch den Begriff des hoͤchsten Guts, als Gegenstandes einer reinen practischen Vernunft, den Begriff des Urwesens als hoͤchsten We- sens, welches der physische (und hoͤher fortgesetzt der metaphysische) mithin der ganze speculative Gang der Vernunft nicht bewirken konnte. Also ist der Begriff von Gott ein urspruͤnglich nicht zur Physik, d. i. fuͤr die speculative Vernunft, sondern zur Mo- ral gehoͤriger Begriff, und eben das kann man auch von den uͤbrigen Vernunftbegriffen sagen, von denen wir, als Postulaten derselben in ihrem practischen Ge- brauche, oben gehandelt haben. Wenn der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. Wenn man in der Geschichte der griechischen Phi- losophie uͤber den Anaxagoras hinaus keine deutliche Spuren einer reinen Vernunfttheologie antrifft, so ist der Grund nicht darin gelegen, daß es den aͤlteren Philo- sophen an Verstande und Einsicht fehlte, um durch den Weg der Speculation, wenigstens mit Beyhuͤlfe einer ganz vernuͤnftigen Hypothese, sich dahin zu erheben; was konnte leichter, was natuͤrlicher seyn, als der sich von selbst jedermann darbietende Gedanke, statt unbe- stimmter Grade der Vollkommenheit verschiedener Welt- ursachen, eine einzige vernuͤnftige anzunehmen, die al- le Vollkommenheit hat? Aber die Uebel in der Welt schienen ihnen viel zu wichtige Einwuͤrfe zu seyn, um zu einer solchen Hypothese sich fuͤr berechtigt zu halten. Mithin zeigten sie darin eben Verstand und Einsicht, daß sie sich jene nicht erlaubten, und vielmehr in den Natur- ursachen herum suchten, ob sie unter ihnen nicht die zu Urwesen erfoderliche Beschaffenheit und Vermoͤgen an- treffen moͤchten. Aber nachdem dieses scharfsinnige Volk so weit in Nachforschungen fortgeruͤckt war, selbst sittliche Gegenstaͤnde, daruͤber andere Voͤlker niemals mehr als geschwatzt haben, philosophisch zu behandeln: da fanden sie allererst ein neues Beduͤrfniß, nemlich ein practisches, welches nicht ermangelte ihnen den Begriff des Urwesens bestimmt anzugeben, wobey die speculati- tive Vernunft das Zusehen hatte, hoͤchstens noch das Verdienst, einen Begriff, der nicht auf ihrem Boden er- wach- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik wachsen war, auszuschmuͤcken, und mit einem Gefolge von Bestaͤtigungen aus der Naturbetrachtung, die nun allererst hervortraten, wol nicht das Ansehen desselben, (welches schon gegruͤndet war) sondern vielmehr nur das Gepraͤnge mit vermeynter theoretischer Vernunftein- sicht zu befoͤrdern. Aus diesen Erinnerungen wird der Leser der Crit. d. r. spec. Vernunft sich vollkommen uͤberzeugen: wie hoͤchstnoͤthig, wie ersprießlich fuͤr Theologie und Moral, jene muͤhsame Deduction der Categorien war. Denn dadurch allein kann verhuͤtet werden, sie, wenn man sie im reinen Verstande setzt, mit Plato, fuͤr angebohren zu halten, und darauf uͤberschwengliche Anmaaßungen mit Theorien des Uebersinnlichen, wovon man kein En- de absieht, zu gruͤnden, dadurch aber die Theologie zur Zauberlaterne von Hirngespenstern zu machen; wenn man sie aber fuͤr erworben haͤlt, zu verhuͤten, daß man nicht, mit Epicur, allen und jeden Gebrauch derselben, selbst den in practischer Absicht, blos auf Gegenstaͤnde und Bestimmungsgruͤnde der Sinne einschraͤnke. Nun aber, nachdem die Critik in jener Deduction erstlich be- wies, daß sie nicht empirischen Ursprungs seyn, sondern a priori im reinen Verstande ihren Sitz und Quelle ha- ben; zweytens auch, daß, da sie auf Gegenstaͤnde uͤber- haupt, unabhaͤngig von ihrer Anschauung, bezogen wer- den, der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. den, sie zwar nur in Anwendung auf empirische Gegen- staͤnde theoretisches Erkenntniß zu Stande bringen, aber doch auch, auf einen durch reine practische Ver- nunft gegebenen Gegenstand angewandt, zum bestimm- ten Denken des Uebersinnlichen dienen, jedoch nur, so fern dieses blos durch solche Praͤdicate bestimmt wird, die nothwendig zur reinen a priori gegebenen practischen Absicht und deren Moͤglichkeit gehoͤren. Speculative Einschraͤnkung der reinen Vernunft und practische Er- weiterung derselben bringen dieselbe allererst in dasjeni- ge Verhaͤltniß der Gleichheit, worin Vernunft uͤber- haupt zweckmaͤßig gebraucht werden kann, und dieses Beyspiel beweiset besser, als sonst eines, daß der Weg zur Weisheit, wenn er gesichert und nicht ungangbar oder irreleitend werden soll, bey uns Menschen unver- meidlich durch die Wissenschaft durchgehen muͤsse, wo- von man aber, daß diese zu jenem Ziele fuͤhre, nur nach Vollendung derselben uͤberzeugt werden kann. VIII. Vom Fuͤrwahrhalten aus einem Beduͤrfnisse der reinen Vernunft . E in Beduͤrfniß der reinen Vernunft in ihrem specu- lativen Gebrauche fuͤhrt nur auf Hypothesen, das der rei- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik reinen practischen Vernunft aber zu Postulaten; denn im ersteren Falle steige ich vom Abgeleiteten so hoch hin- auf in der Reihe der Gruͤnde, wie ich will, und be- darf eines Ungrundes, nicht um jenem Abgeleiteten (z. B. der Causalverbindung der Dinge und Veraͤnderun- gen in der Welt) objective Realitaͤt zu geben, sondern nur um meine forschende Vernunft in Ansehung desselben vollstaͤndig zu befriedigen. So sehe ich Ordnung und Zweckmaͤßigkeit in der Natur vor mir, und bedarf nicht, um mich von deren Wirklichkeit zu versichern, zur Spe- culation zu schreiten, sondern nur um sie zu erklaͤren, eine Gottheit, als deren Ursache, voraus zu setzen; da denn, weil von einer Wirkung der Schluß auf eine be- stimmte, vornemlich so genau und so vollstaͤndig bestimm- te Ursache, als wir an Gott zu denken haben, immer unsicher und mißlich ist, eine solche Voraussetzung nicht weitergebracht werden kann, als zu dem Grade der, fuͤr uns Menschen, allervernuͤnftigsten Meinung Aber selbst auch hier wuͤrden wir nicht ein Beduͤrfniß der Ver- nunft vorschuͤtzen koͤnnen, laͤge nicht ein problematischer, aber doch unvermeidlicher Begriff der Vernunft vor Augen, nemlich der, eines schlechterdings nothwendigen Wesens. Dieser Be- griff will nun bestimmt seyn, und das ist, wenn der Trieb zur Erweiterung dazu kommt, der objective Grund eines Beduͤrf- nisses der speculativen Vernunft, nemlich den Begriff eines nothwendigen Wesens, welches andern zum Urgrunde dienen soll, naͤher zu bestimmen, und dieses letzte also wodurch kennt- lich zu machen. Ohne solche vorausgehende nothwendige Pro- bleme . Da- gegen der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. gegen ist ein Beduͤrfniß der reinen practischen Vernunft, auf einer Pflicht gegruͤndet, etwas (das hoͤchste Gut) zum Gegenstande meines Willens zu machen, um es nach allen meinen Kraͤften zu befoͤrdern; wobey ich aber die Moͤglichkeit desselben, mithin auch die Bedingungen dazu, nemlich Gott, Freyheit und Unsterblichkeit vor- aussetzen muß, weil ich diese durch meine speculative Vernunft nicht beweisen, obgleich auch nicht widerlegen kann. Diese Pflicht gruͤndet sich auf einem, freylich von diesen letzteren Voraussetzungen ganz unabhaͤngigen, fuͤr sich selbst apodietisch gewissen, nemlich dem morali- schen, Gesetze, und ist, so fern, keiner anderweitigen Unterstuͤtzung durch theoretische Meynung von der in- nern Beschaffenheit der Dinge, der geheimen Abzweckung der Weltordnung, oder eines ihr vorstehenden Regie- rers, beduͤrftig, um uns auf das vollkommenste zu un- bedingt-gesetzmaͤßigen Handlungen zu verbinden. Aber der subjective Effect dieses Gesetzes, nemlich die ihm an- gemessene und durch dasselbe auch nothwendige Gesin- nung, das practisch moͤgliche hoͤchste Gut zu befoͤrdern, setzt doch wenigstens voraus, daß das letztere moͤglich sey, widrigenfalls es practisch-unmoͤglich waͤre, dem Objecte eines Begriffes nachzustreben, welcher im Grun- de leer und ohne Object waͤre. Nun betreffen obige Postu- bleme giebt es keine Beduͤrfnisse, wenigstens nicht der reinen Vernunft; die uͤbrigen sind Beduͤrfnisse der Neigung. Kants Crit. d. pract. Vern. R I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik Postulate nur die physische oder metaphysische, mit ei- nem Worte, in der Natur der Dinge liegende Bedin- gungen der Moͤglichkeit des hoͤchsten Guts, aber nicht zum Behuf einer beliebigen speculativen Absicht, sondern eines practisch nothwendigen Zwecks des reinen Ver- nunftwillens, der hier nicht waͤhlt, sondern einem un- nachlaßlichen Vernunftgebote gehorcht, welches seinen Grund, objectiv, in der Beschaffenheit der Dinge hat, so wie sie durch reine Vernunft allgemein beurtheilt wer- den muͤssen, und gruͤndet sich nicht etwa auf Neigung, die zum Behuf dessen, was wir aus blos subjectiven Gruͤnden wuͤnschen, so fort die Mittel dazu als moͤglich, oder den Gegenstand wol gar als wirklich, anzuneh- men keinesweges berechtigt ist. Also ist dieses ein Beduͤrfniß in schlechterdings nothwendiger Absicht, und rechtfertigt seine Voraussetzung nicht blos als er- laubte Hypothese, sondern als Postulat in practischer Absicht; und, zugestanden, daß das reine moralische Gesetz jedermann, als Gebot, (nicht als Klugheitsregel,) unnachlaßlich verbinde, darf der Rechtschaffene wol sa- gen: ich will, daß ein Gott, daß mein Daseyn in dieser Welt, auch außer der Naturverknuͤpfung, noch ein Daseyn in einer reinen Verstandeswelt, endlich auch daß meine Dauer endlos sey, ich beharre darauf und lasse mir diesen Glauben nicht nehmen; denn dieses ist das einzige, wo mein Interesse, weil ich von demselben nichts nachlassen darf, mein Urtheil unvermeidlich be- stimmt, der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. stimmt, ohne auf Vernuͤnfteleyen zu achten, so wenig ich auch darauf zu antworten oder ihnen scheinbarere entge- gen zu stellen im Stande seyn moͤchte Im deutschen Museum, Febr. 1787, findet sich eine Abhandlung von einem sehr feinen und hellen Kopfe, dem sel. Wizenmann, dessen fruͤher Tod zu bedauren ist, darin er die Befugniß, aus einem Beduͤrfnisse auf die objective Realitaͤt des Gegenstandes desselben zu schließen, bestreitet, und seinen Gegenstand durch das Beyspiel eines Verliebten erlaͤutert, der, indem er sich in eine Idee von Schoͤnheit, welche blos sein Hirngespinst ist, ver- narrt haͤtte, schließen wollte, daß ein solches Object wirklich wo existire. Ich gebe ihm hierin vollkommen recht, in allen Fuͤllen, wo das Beduͤrfniß auf Neigung gegruͤndet ist, die nicht einmal nothwendig fuͤr den, der damit angefochten ist, die Existenz ihres Objects postuliren kann, vielweniger eine fuͤr je- dermann guͤltige Foderung enthaͤlt, und daher ein blos subjec- tiver Grund der Wuͤnsche ist. Hier aber ist es ein Vernunft- beduͤrfniß, aus einem objectiven Bestimmungsgrunde des Willens, nemlich dem moralischen Gesetze entspringend, wel- ches jedes vernuͤnftige Wesen nothwendig verbindet, also zur Voraussetzung der ihm angemessenen Bedingungen in der Natur a priori berechtigt, und die letztern von dem voll- staͤndigen practischen Gebrauche der Vernunft unzertrennlich macht. Es ist Pflicht, das hoͤchste Gut nach unserem groͤßten Vermoͤgen wirklichzumachen; daher muß es doch auch moͤg- lich seyn; mithin ist es fuͤr jedes vernuͤnftige Wesen in der Welt auch unvermeidlich, dasjenige vorauszusetzen, was zu dessen objectiver Moͤglichkeit nothwendig ist. Die Voraussetzung ist so nothwendig, als das moralische Gesetz, in Beziehung auf welches sie auch nur guͤltig ist. . Um bey dem Gebrauche eines noch so ungewohn- ten Begriffs, als der eines reinen practischen Vernunft- R 2 glau- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik glaubens ist, Mißdeutungen zu verhuͤten, sey mir er- laubt noch eine Anmerkung hinzuzufuͤgen. — Es sollte fast scheinen, als ob dieser Vernunftglaube hier selbst als Gebot angekuͤndigt werde, nemlich das hoͤch- ste Gut fuͤr moͤglich anzunehmen. Ein Glaube aber, der geboten wird, ist ein Unding. Man erinnere sich aber der obigen Auseinandersetzung dessen, was im Be- griffe des hoͤchsten Guts anzunehmen verlangt wird, und wird man inne werden, daß diese Moͤglichkeit an- zunehmen gar nicht geboten werden duͤrfe, und keine practische Gesinnungen fodere, sie einzuraͤumen, son- dern daß speculative Vernunft sie ohne Gesuch zugeben muͤsse; denn daß eine, dem moralischen Gesetze ange- messene, Wuͤrdigkeit der vernuͤnftigen Wesen in der Welt, gluͤcklich zu seyn, mit einem dieser proportionir- ten Besitze dieser Gluͤckseligkeit in Verbindung, an sich unmoͤglich sey, kann doch niemand behaupten wollen. Nun giebt uns in Ansehung des ersten Stuͤcks des hoͤch- sten Guts, nemlich was die Sittlichkeit betrifft, das moralische Gesetz blos ein Gebot, und, die Moͤglichkeit jenes Bestandstuͤcks zu bezweifeln, waͤre eben so viel, als das moralische Gesetz selbst in Zweifel ziehen. Was aber das zweyte Stuͤck jenes Objects, nemlich die jener Wuͤrdigkeit durchgaͤngig angemessene Gluͤckseligkeit, be- trifft, so ist zwar die Moͤglichkeit derselben uͤberhaupt einzuraͤumen gar nicht eines Gebots beduͤrftig, denn die theoretische Vernunft hat selbst nichts dawider: nur die der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. die Art, wie wir uns eine solche Harmonie der Ra- turgesetze mit denen der Freyheit denken sollen, hat et- was an sich, in Ansehung dessen uns eine Wahl zu- kommt, weil theoretische Vernunft hieruͤber nichts mit apodictischer Gewißheit entscheidet, und, in Ansehung dieser, kann es ein moralisches Interesse geben, das den Ausschlag giebt. Oben hatte ich gesagt, daß, nach einem bloßen Naturgange in der Welt, die genau dem sittlichen Wer- the angemessene Gluͤckseligkeit nicht zu erwarten und fuͤr unmoͤglich zu halten sey, und daß also die Moͤglich- keit des hoͤchsten Guts, von dieser Seite, nur unter Voraussetzung eines moralischen Welturhebers koͤnne eingeraͤumt werden. Ich hielt mit Vorbedacht mit der Einschraͤnkung dieses Urtheils auf die subjectiven Bedingungen unserer Vernunft zuruͤck, um nur dann allererst, wenn die Art ihres Fuͤrwahrhaltens naͤher bestimmt werden sollte, davon Gebrauch zu machen. In der That ist die genannte Unmoͤglichkeit blos sub- jectiv, d. i. unsere Vernunft findet es ihr unmoͤglich, sich einen so genau angemessenen und durchgaͤngig zweck- maͤßigen Zusammenhang, zwischen zwey nach so ver- schiedenen Gesetzen sich eraͤugnenden Weltbegebenheiten, nach einem bloßen Naturlaufe, begreiflich zu machen; ob sie zwar, wie bey allem, was sonst in der Natur zweckmaͤßiges ist, die Unmoͤglichkeit desselben nach all- R 3 gemei- I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik gemeinen Naturgesetzen, doch auch nicht beweisen, d. i. aus objectiven Gruͤnden hinreichend darthun kann. Allein jetzt kommt ein Entscheidungsgrund von an- derer Art ins Spiel, um im Schwanken der speculati- ven Vernunft den Ausschlag zu geben. Das Gebot, das hoͤchste Gut zu befoͤrdern, ist objectiv (in der practischen Vernunft), die Moͤglichkeit desselben uͤberhaupt gleich- falls objectiv (in der theoretischen Vernunft, die nichts dawider hat,) gegruͤndet. Allein die Art, wie wir uns diese Moͤglichkeit vorstellen sollen, ob nach allgemeinen Naturgesetzen, ohne einen der Natur vorstehenden wei- sen Urheber, oder nur unter dessen Voraussetzung, das kann die Vernunft objectiv nicht entscheiden. Hier tritt nun eine subjective Bedingung der Vernunft ein: die einzige ihr theoretisch moͤgliche, zugleich der Mo- ralitaͤt (die unter einem objectiven Gesetze der Ver- nunft steht,) allein zutraͤgliche Art, sich die genaue Zu- sammenstimmung des Reichs der Natur mit dem Reiche der Sitten, als Bedingung der Moͤglichkeit des hoͤch- sten Guts, zu denken. Da nun die Befoͤrderung dessel- ben, und also die Voraussetzung seiner Moͤglichkeit, objectiv (aber nur der practischen Vernunft zu Folge,) nothwendig ist, zugleich aber die Art, auf welche Weise wir es uns als moͤglich denken wollen, in unserer Wahl steht, in welcher aber ein freyes Interesse der reinen practischen Vernunft fuͤr die Annehmung eines weisen Welturhebers entscheidet: so ist das Princip, was unser Urtheil der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. Urtheil hierin bestimmt, zwar subjectiv, als Beduͤrf- niß, aber auch zugleich als Befoͤrderungsmittel dessen, was objectiv (practisch) nothwendig ist, der Grund einer Maxime des Fuͤrwahrhaltens in moralischer Ab- sicht, d. i. ein reiner practischer Vernunftglaube. Dieser ist also nicht geboten, sondern, als freywillige, zur moralischen (gebotenen) Absicht zutraͤgliche, uͤben- dem noch mit dem theoretischen Beduͤrfnisse der Ver- nunft einstimmige Bestimmung unseres Urtheils, jene Existenz anzunehmen und dem Vernunftgebrauch ferner zum Grunde zu legen, selbst aus der moralischen Gesin- nung entsprungen; kann also oͤfters selbst bey wohlge- sinneten bisweilen in Schwanken niemals aber in Un- glauben gerathen. IX. Von der der practischen Bestimmung des Menschen weislich angemessenen Proportion seiner Erkenntnißvermoͤgen. W enn die menschliche Natur zum hoͤchsten Gute zu streben bestimmt ist, so muß auch das Maaß ihrer Er- kenntnißvermoͤgen, vornehmlich ihr Verhaͤltniß unter einander, als zu diesem Zwecke schicklich, angenommen werden. Nun beweiset aber die Critik der reinen spe- culativen Vernunft die groͤßte Unzulaͤnglichkeit dersel- R 4 ben, I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik ben, um die wichtigsten Aufgaben, die ihr vorgelegt werden, dem Zwecke angemessen aufzuloͤsen, ob sie zwar die natuͤrlichen und nicht zu uͤbersehenden Winke eben derselben Vernunft, imgleichen die großen Schritte, die sie thun kann, nicht verkennt, um sich diesem großen Ziele, das ihr ausgesteckt ist, zu naͤheren, aber doch, ohne es jemals fuͤr sich selbst, sogar mit Beyhuͤlfe der groͤßten Naturkenntniß, zu erreichen. Also scheint die Natur hier uns nur stiesmuͤtterlich mit einem zu un- serem Zwecke benoͤthigten Vermoͤgen versorgt zu haben. Gesetzt nun, sie waͤre hierin unserem Wunsche willfaͤhrig gewesen, und haͤtte uns diejenige Einsichts- faͤhigkeit, oder Erleuchtung ertheilt, die wir gerne be- sitzen moͤchten, oder in deren Besitz einige wol gar waͤhnen sich wirklich zu befinden, was wuͤrde allem Ansehn nach wol die Folge hievon seyn? Wofern nicht zugleich unsere ganze Natur umgeaͤndert waͤre, so wuͤrden die Neigungen, die doch allemal das erste Wort haben, zuerst ihre Befriedigung, und, mit vernuͤnftiger Ueber- legung verbunden, ihre groͤßtmoͤgliche und daurende Befriedigung, unter dem Namen der Gluͤckseligkeit, verlangen; das moralische Gesetz wuͤrde nachher spre- chen, um jene in ihren geziemenden Schranken zu hal- ten, und sogar sie alle insgesamt einem hoͤheren, auf keine Neigung Ruͤcksicht nehmenden, Zwecke zu unter- werfen. Aber, statt des Streits, den jetzt die mora- lische Gesinnung mit den Neigungen zu fuͤhren hat, in welchem, der rein. Vern. in Best. des Begr. vom hoͤchst. Gut. welchem, nach einigen Niederlagen, doch allmaͤlig moralische Staͤrke der Seele zu erwerben ist, wuͤrden Gott und Ewigkeit, mit ihrer furchtbaren Majestaͤt, uns unablaͤssig vor Augen liegen, (denn, was wir vollkommen beweisen koͤnnen, gilt in Ansehung der Ge- wißheit, uns so viel, als wovon wir uns durch den Augenschein versichern). Die Uebertretung des Gesetzes wuͤrde freylich vermieden, das Gebotene gethan wer- den; weil aber die Gesinnung, aus welcher Hand- lungen geschehen sollen, durch kein Gebot mit eingefloͤßt werden kann, der Stachel der Thaͤtigkeit hier aber so- gleich bey Hand, und aͤußerlich ist, die Vernunft also sich nicht allererst empor arbeiten darf, um Kraft zum Widerstande gegen Neigungen durch lebendige Vorstel- lung der Wuͤrde des Gesetzes zu sammeln; so wuͤrden die mehresten gesetzmaͤßigen Handlungen aus Furcht, nur wenige aus Hoffnung und gar keine aus Pflicht gesche- hen, ein moralischer Werth der Handlungen aber, wor- auf doch allein der Werth der Person und selbst der der Welt in den Augen der hoͤchsten Weisheit, ankommt, wuͤrde gar nicht existiren. Das Verhalten der Men- schen, so lange ihre Natur, wie sie jetzt ist, bliebe, wuͤrde also in einen bloßen Mechanismus verwandelt werden, wo, wie im Marionettenspiel, alles gut gesticuliren, aber in den Figuren doch kein Leben anzutreffen seyn wuͤrde. Nun, da es mit uns ganz anders beschaffen ist, da wir, mit aller Anstrengung unserer Vernunft, R 5 nur I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik etc. nur eine sehr dunkele und zweydeutige Aussicht in die Zukunft haben, der Weltregierer uns sein Daseyn und seine Herrlichkeit nur muthmaaßen, nicht erblicken, oder klar beweisen laͤßt, dagegen das moralische Gesetz in uns, ohne uns etwas mit Sicherheit zu verheißen, oder zu drohen, von uns uneigennuͤtzige Achtung fodert, uͤbrigens aber, wenn diese Achtung thaͤtig und herr- schend geworden, allererst alsdenn und nur dadurch, Aussichten ins Reich des Uebersinnlichen, aber auch nur mit schwachen Blicken erlaubt; so kann wahrhafte sitt- liche, dem Gesetze unmittelbar geweihete Gesinnung stattfinden und das vernuͤnftige Geschoͤpf des Antheils am hoͤchsten Gute wuͤrdig werden, das dem moralischen Werthe seiner Person und nicht blos seinen Handlungen angemessen ist. Also moͤchte es auch hier wol damit seine Richtigkeit haben, was uns das Studium der Na- tur und des Menschen sonst hinreichend lehrt, daß die unerforschliche Weisheit, durch die wir existiren, nicht minder verehrungswuͤrdig ist, in dem, was sie uns ver- sagte, als in dem, was sie uns zu theil werden ließ. Der Der Critik der practischen Vernunft Zweyter Theil. Methodenlehre der reinen practischen Vernunft. U nter der Methodenlehre der reinen practischen Vernunft kann man nicht die Art (sowol im Nachdenken als im Vortrage) mit reinen practischen Grundsaͤtzen in Absicht auf ein wissenschaftliches Er- kenntniß derselben zu verfahren, verstehen, welches man sonst im theoretischen eigentlich allein Methode nennt, (denn populaͤres Erkenntniß bedarf einer Manier, Wissenschaft aber einer Methode, d. i. eines Verfahrens nach Principien der Vernunft, wodurch das Mannig- faltige einer Erkenntniß allein ein System werden kann). Vielmehr wird unter dieser Methodenlehre die Art verstanden, wie man den Gesetzen der reinen practischen Vernunft Eingang in das menschliche Ge- muͤth, Einfluß auf die Maximen desselben verschaffen, d. i. die objectiv-practische Vernunft auch subjectiv practisch machen koͤnne. Nun ist zwar klar, daß diejenigen Bestimmungs- gruͤnde des Willens, welche allein die Maximen eigent- lich moralisch machen und ihnen einen sittlichen Werth geben, die unmittelbare Vorstellung des Gesetzes und die objectiv-nothwendige Befolgung desselben als Pflicht, als die eigentlichen Triebfedern der Handlungen vorge- stellt werden muͤssen; weil sonst zwar Legalitaͤt der Hand- II. Th. Methodenlehre Handlungen, aber nicht Moralitaͤt der Gesinnungen bewirkt werden wuͤrde. Allein nicht so klar, vielmehr beym ersten Anblicke ganz unwahrscheinlich, muß es je- dermann vorkommen, daß auch subjectiv jene Darstel- lung der reinen Tugend mehr Macht uͤber das mensch- liche Gemuͤth haben und eine weit staͤrkere Triebfeder abgeben koͤnne, selbst jene Legalitaͤt der Handlungen zu bewirken, und kraͤftigere Entschließungen hervorzubrin- gen, das Gesetz, aus reiner Achtung fuͤr dasselbe, jeder anderer Ruͤcksicht vorzuziehen, als alle Anlockungen, die aus Vorspiegelungen von Vergnuͤgen und uͤberhaupt allem dem, was man zur Gluͤckseligkeit zaͤhlen mag, oder auch alle Androhungen von Schmerz und Uebeln jemals wirken koͤnnen. Gleichwohl ist es wirklich so bewandt, und waͤre es nicht so mit der menschlichen Natur beschaffen, so wuͤrde auch keine Vorstellungsart des Gesetzes durch Umschweife und empfehlende Mittel jemals Moralitaͤt der Gesinnung hervorbringen. Alles waͤre lauter Gleißnerey, das Gesetz wuͤrde gehaßt, oder wol gar verachtet, indessen doch um eigenen Vortheils willen befolgt werden. Der Buchstabe des Gesetzes (Legalitaͤt) wuͤrde in unseren Handlungen anzutreffen seyn, der Geist derselben aber in unseren Gesinnungen (Moralitaͤt) gar nicht, und da wir mit aller unserer Bemuͤhung uns doch in unserem Urtheile nicht ganz von der Vernunft los machen koͤnnen, so wuͤrden wir unvermeidlich in unseren eigenen Augen als nichtswuͤr- dige der reinen practischen Vernunft. dige, verworfene Menschen erscheinen muͤssen, wenn wir uns gleich fuͤr diese Kraͤnkung vor dem inneren Richterstuhl dadurch schadlos zu halten versuchten, daß wir uns an denen Vergnuͤgen ergoͤtzten, die ein von uns angenommenes natuͤrliches oder goͤttliches Gesetz, un- serem Wahne nach, mit dem Maschinenwesen ihrer Policey, die sich blos nach dem richtete, was man thut, ohne sich um die Bewegungsgruͤnde, warum man es thut, zu bekuͤmmern, verbunden haͤtte. Zwar kann man nicht in Abrede seyn, daß, um ein entweder noch ungebildetes, oder auch verwildertes Gemuͤth zuerst ins Gleis des moralisch-Guten zu brin- gen, es einiger vorbereitenden Anleitungen beduͤrfe, es durch seinen eigenen Vortheil zu locken, oder durch den Schaden zu schrecken; allein, so bald dieses Maschinen- werk, dieses Gaͤngelband nur einige Wirkung gethan hat, so muß durchaus der reine moralische Bewegungsgrund an die Seele gebracht werden, der nicht allein dadurch, daß er der einzige ist, welcher einen Character (practi- sche consequente Denkungsart nach unveraͤnderlichen Maximen) gruͤndet, sondern auch darum, weil er den Menschen seine eigene Wuͤrde fuͤhlen lehrt, dem Ge- muͤthe eine ihm selbst unerwartete Kraft giebt, sich von aller sinnlichen Anhaͤnglichkeit, so fern sie herrschend werden will, loszureißen, und in der Unabhaͤngigkeit seiner intelligibelen Natur und der Seelengroͤße, dazu er II. Th. Methodenlehre er sich bestimmt sieht, fuͤr die Opfer, die er darbringt, reichliche Entschaͤdigung zu finden. Wir wollen also diese Eigenschaft unseres Gemuͤths, diese Empfaͤnglich- keit eines reinen moralischen Interesse, und mithin die bewegende Kraft der reinen Vorstellung der Tugend, wenn sie gehoͤrig an’s menschliche Herz gebracht wird, als die maͤchtigste, und, wenn es auf die Dauer und Puͤnctlichkeit in Befolgung moralischer Maximen an- kommt, einzige Triebfeder zum Guten, durch Beob- achtungen, die ein jeder anstellen kann, beweisen; wo- bey doch zugleich erinnert werden muß, daß, wenn diese Beobachtungen nur die Wirklichkeit eines solchen Gefuͤhls, nicht aber dadurch zu Stande gebrachte sitt- liche Besserung beweisen, dieses der einzigen Methode, die objectiv-practischen Gesetze der reinen Vernunft durch bloße reine Vorstellung der Pflicht subjectiv-practisch zu machen, keinen Abbruch thue, gleich als ob sie eine leere Phantasterey waͤre. Denn, da diese Methode noch niemals in Gang gebracht worden, so kann auch die Erfahrung noch nichts von ihrem Erfolg aufzeigen, sondern man kann nur Beweisthuͤmer der Empfaͤnglich- keit solcher Triebfedern fodern, die ich jetzt kuͤrzlich vor- legen und darnach die Methode der Gruͤndung und Cultur aͤchter moralischer Gesinnungen, mit wenigem, entwerfen will. Wenn man auf den Gang der Gespraͤche in ge- mischten Gesellschaften, die nicht blos aus Gelehrten und der reinen practischen Vernunft. und Vernuͤnftlern, sondern auch aus Leuten von Ge- schaͤfften oder Frauenzimmer bestehen, Acht hat, so be- merkt man, daß, außer dem Erzaͤhlen und Scherzen, noch eine Unterhaltung, nemlich das Raͤsonniren, darin Platz findet; weil das erstere, wenn es Reuigkeit, und, mit ihr, Interesse bey sich fuͤhren soll, bald erschoͤpft, das zweyte aber leicht schaal wird. Unter allem Raͤ- sonniren ist aber keines, was mehr den Beytritt der Personen, die sonst bey allem Vernuͤnfteln bald lange Weile haben, erregt, und eine gewisse Lebhaftigkeit in die Gesellschaft bringt, als das uͤber den sittlichen Werth dieser oder jener Handlung, dadurch der Cha- racter irgend einer Person ausgemacht werden soll. Diejenige, welchen sonst alles Subtile und Gruͤblerische in theoretischen Fragen trocken und verdrießlich ist, tre- ten bald bey, wenn es darauf ankommt, den morali- schen Gehalt einer erzaͤhlten guten oder boͤsen Handlung auszumachen, und sind so genau, so gruͤblerisch, so subtil, alles, was die Reinigkeit der Absicht, und mit- hin den Grad der Tugend in derselben vermindern, oder auch nur verdaͤchtig machen koͤnnte, auszusinnen, als man bey keinem Objecte der Speculation sonst von ihnen erwartet. Man kann in diesen Beurtheilungen oft den Character der uͤber andere urtheilenden Per- sonen selbst hervorschimmern sehen, deren einige vor- zuͤglich geneigt scheinen, indem sie ihr Richteramt, vor- nehmlich uͤber Verstorbene, ausuͤben, das Gute, was Kants Crit. d. pract. Vern. S von II. Th. Methodenlehre von dieser oder jener That derselben erzaͤhlt wird, wi- der alle kraͤnkende Einwuͤrfe der Unlauterkeit und zu- letzt den ganzen sittlichen Werth der Person wider den Vorwurf der Verstellung und geheimen Boͤsartigkeit zu vertheidigen, andere dagegen mehr auf Anklagen und Beschuldigungen sinnen, diesen Werth anzufechten. Doch kann man den letzteren nicht immer die Absicht beymessen, Tugend aus allen Beyspielen der Menschen gaͤnzlich wegvernuͤnfteln zu wollen, um sie dadurch zum leeren Namen zu machen, sondern es ist oft nur wohl- gemeynte Strenge in Bestimmung des aͤchten sittlichen Gehalts, nach einem unnachsichtlichen Gesetze, mit welchem und nicht mit Beyspielen verglichen der Eigenduͤnkel im Moralischen sehr sinkt, und Demuth nicht etwa blos gelehrt, sondern bey scharfer Selbst- pruͤfung von jedem gefuͤhlt wird. Dennoch kann man den Vertheidigern der Reinigkeit der Absicht in ge- gebenen Beyspielen es mehrentheils ansehen, daß sie ihr da, wo sie die Vermuthung der Rechtschaffenheit fuͤr sich hat, auch den mindesten Fleck gerne abwischen moͤchten, aus dem Bewegungsgrunde, damit nicht, wenn allen Beyspielen ihre Wahrhaftigkeit gestritten und aller menschlichen Tugend die Lauterkeit wegge- leugnet wuͤrde, diese nicht endlich gar fuͤr ein bloßes Hirngespinst gehalten, und so alle Bestrebung zu dersel- ben als eitles Geziere und truͤglicher Eigenduͤnkel ge- ringschaͤtzig gemacht werde. Ich der reinen practischen Vernunft. Ich weiß nicht, warum die Erzieher der Jugend von diesem Hange der Vernunft, in aufgeworfenen practischen Fragen selbst die subtilste Pruͤfung mit Vergnuͤgen einzuschlagen, nicht schon laͤngst Gebrauch gemacht haben, und, nachdem sie einen blos moralischen Catechism zum Grunde legten, sie nicht die Biographien alter und neuer Zeiten in der Absicht durchsuchten, um Belaͤge zu den vorgelegten Pflichten bey der Hand zu haben, an denen sie, vornehmlich durch die Verglei- chung aͤhnlicher Handlungen unter verschiedenen Um- staͤnden, die Beurtheilung ihrer Zoͤglinge in Thaͤtigkeit setzten, um den mindern oder groͤßeren moralischen Ge- halt derselben zu bemerken, als worin sie selbst die fruͤhe Jugend, die zu aller Speculation sonst noch un- reif ist, bald sehr scharfsichtig, und dabey, weil sie den Fortschritt ihrer Urtheilskraft fuͤhlt, nicht wenig inter- essirt finden werden, was aber das vornehmste ist, mit Sicherheit hoffen koͤnnen, daß die oͤftere Uebung, das Wohlverhalten in seiner ganzen Reinigkeit zu kennen und ihm Beyfall zu geben, dagegen selbst die kleinste Abweichung von ihr mit Bedauern oder Verachtung zu bemerken, ob es zwar bis dahin nur ein Spiel der Ur- theilskraft, in welchem Kinder mit einander wetteifern koͤnnen, getrieben wird, dennoch einen dauerhaften Eindruck der Hochschaͤtzung auf der einen und des Ab- scheues auf der andern Seite zuruͤcklassen werde, welche, durch bloße Gewohnheit solche Handlungen als Bey- S 2 falls- II. Th. Methodenlehre falls- oder Tadelswuͤrdig oͤfters anzusehen, zur Recht- schaffenheit im kuͤnftigen Lebenswandel eine gute Grund- lage ausmachen wuͤrden. Nur wuͤnsche ich sie mit Bey- spielen sogenannter edler (uͤberverdienstlicher) Hand- lungen, mit welchen unsere empfindsame Schriften so viel um sich werfen, zu verschonen, und alles blos auf Pflicht und den Werth, den ein Mensch sich in seinen eigenen Augen durch das Bewußtseyn, sie nicht uͤbertre- ten zu haben, geben kann und muß, auszusetzen, weil, was auf leere Wuͤnsche und Sehnsuchten nach unersteig- licher Vollkommenheit hinauslaͤuft, lauter Romanhel- den hervorbringt, die, indem sie sich auf ihr Gefuͤhl fuͤr das uͤberschwenglich-Große viel zu Gute thun, sich dafuͤr von der Beobachtung der gemeinen und gangba- ren Schuldigkeit, die alsdenn ihnen nur unbedeutend klein scheint, frey sprechen. Handlungen, aus denen große uneigennuͤtzige, theilnehmende Gesinnung und Menschlichkeit hervorleuchtet, zu preisen, ist ganz rathsam. Aber man muß hier nicht sowol auf die See- lenerhebung, die sehr fluͤchtig und voruͤbergehend ist, als viel- mehr auf die Herzensunterwerfung unter Pflicht , wovon ein laͤngerer Eindruck erwartet werden kann, weil sie Grund- saͤtze (jene aber nur Aufwallungen) mit sich fuͤhrt, aufmerk- sam machen. Man darf nur ein wenig nachsinnen, man wird immer eine Schuld finden, die er sich irgend wodurch in An- sehung des Menschengeschlechts aufgeladen hat, (sollte es auch nur die seyn, daß man, durch die Ungleichheit der Menschen in der buͤrgerlichen Verfassung, Vortheile genießt, um deren willen andere desto mehr entbehren muͤssen,) um durch die eigen- lie- Wenn der reinen practischen Vernunft. Wenn man aber fraͤgt: was denn eigentlich die reine Sittlichkeit ist, an der, als dem Probemetall, man jeder Handlung moralischen Gehalt pruͤfen muͤsse, so muß ich gestehen, daß nur Philosophen die Entschei- dung dieser Frage zweifelhaft machen koͤnnen; denn in der gemeinen Menschenvernunft ist sie, zwar nicht durch abgezogene allgemeine Formeln, aber doch durch den gewoͤhnlichen Gebrauch, gleichsam als der Unterschied zwischen der rechten und linken Hand, laͤngst entschieden. Wir wollen also vorerst das Pruͤfungsmerkmal der rei- nen Tugend an einem Beyspiele zeigen, und indem wir uns vorstellen, daß es etwa einem zehnjaͤhrigen Knaben zur Beurtheilung vorgelegt worden, sehen, ob er auch von selber, ohne durch den Lehrer dazu angewiesen zu seyn, nothwendig so urtheilen muͤßte. Man erzaͤhle die Geschichte eines redlichen Mannes, den man bewe- gen will, den Verleumdern einer unschuldigen, uͤbri- gens nichts vermoͤgenden Person (wie etwa Anna von Bolen auf Anklage Heinrich VIII. von England) bey- zutreten. Man bietet Gewinne, d. i. große Geschenke oder hohen Rang an, er schlaͤgt sie aus. Dieses wird bloßen Beyfall und Billigung in der Seele des Zuhoͤ- rers wirken, weil es Gewinn ist. Nun faͤngt man es mit Androhung des Verlusts an. Es sind unter diesen S 3 Ver- liebige Einbildung des Verdienstlichen den Gedanken an Pflicht nicht zu verdraͤngen. II. Th. Methodenlehre Verleumdern seine besten Freunde, die ihm jetzt ihre Freundschaft aufsagen, nahe Verwandte, die ihn (der ohne Vermoͤgen ist,) zu enterben drohen, Maͤchtige, die ihn in jedem Orte und Zustande verfolgen und kraͤn- ken koͤnnen, ein Landesfuͤrst, der ihn mit dem Verlust der Freyheit, ja des Lebens selbst bedroht. Um ihn aber, damit das Maaß des Leidens voll sey, auch den Schmerz fuͤhlen zu lassen, den nur das sitt- lich gute Herz recht inniglich fuͤhlen kann, mag man seine mit aͤußerster Noth und Duͤrftigkeit bedrohete Familie ihn um Nachgiebigkeit anflehend, ihn selbst, obzwar rechtschaffen, doch eben nicht von festen unempfindlichen Organen des Gefuͤhls, fuͤr Mitleid sowol als eigener Noth, in einem Augenblick, darin er wuͤnscht den Tag nie erlebt zu haben, der ihn einem so unaussprechlichen Schmerz aussetzte, dennoch seinem Vorsatze der Redlichkeit, ohne zu wanken oder nur zu zweifeln, treu bleibend, vorstellen: so wird mein ju- gendlicher Zuhoͤrer stufenweise, von der bloßen Billi- gung zur Bewunderung, von da zum Erstaunen, endlich bis zur groͤßten Verehrung, und einem lebhaften Wunsche, selbst ein solcher Mann seyn zu koͤnnen, (ob- zwar freylich nicht in seinem Zustande,) erhoben wer- den; und gleichwol ist hier die Tugend nur darum so viel werth, weil sie so viel kostet, nicht weil sie etwas einbringt. Die ganze Bewunderung und selbst Bestre- bung zur Aehnlichkeit mit diesem Character beruht hier gaͤnz- der reinen practischen Vernunft. gaͤnzlich auf der Reinigkeit des sittlichen Grundsatzes, welche nur dadurch recht in die Augen fallend vorgestel- let werden kann, daß man alles, was Menschen nur zur Gluͤckseligkeit zaͤhlen moͤgen, von den Triebfedern der Handlung wegnimmt. Also muß die Sittlichkeit auf das menschliche Herz desto mehr Kraft haben, je reiner sie dargestellt wird. Woraus denn folgt, daß, wenn das Gesetz der Sitten und das Bild der Heiligkeit und Tugend auf unsere Seele uͤberall einigen Einfluß ausuͤben soll, sie diesen nur so fern ausuͤben koͤnne, als sie rein, unvermengt von Absichten auf sein Wohlbe- finden, als Triebfeder ans Herz gelegt wird, darum weil sie sich im Leiden am herrlichsten zeigt. Dasjenige aber, dessen Wegraͤumung die Wirkung einer bewegen- den Kraft verstaͤrkt, muß ein Hinderniß gewesen seyn. Folglich ist alle Beymischung der Triebfedern, die von eigener Gluͤckseligkeit hergenommen werden, ein Hin- derniß, dem moralischen Gesetze Einfluß aufs mensch- liche Herz zu verschaffen. — Ich behaupte ferner, daß selbst in jener bewunderten Handlung, wenn der Bewegungsgrund, daraus sie geschah, die Hochschaͤtzung seiner Pflicht war, alsdenn eben diese Achtung fuͤrs Gesetz, nicht etwa ein Anspruch auf die innere Mey- nung von Großmuth und edler verdienstlicher Denkungs- art, gerade auf das Gemuͤth des Zuschauers die groͤßte Kraft habe, folglich Pflicht, nicht Verdienst, den nicht allein bestimmtesten, sondern, wenn sie im rechten Lichte S 4 ihrer II. Th. Methodenlehre ihrer Unverletzlichkeit vorgestellt wird, auch den ein- dringendsten Einfluß aufs Gemuͤth haben muͤsse. In unsern Zeiten, wo man mehr mit schmelzen- den weichherzigen Gefuͤhlen, oder hochfliegenden, auf- blaͤhenden und das Herz eher welk, als stark, machen- den Anmaaßungen uͤber das Gemuͤth mehr auszurich- ten hofft, als durch die der menschlichen Unvollkom- menheit und dem Fortschritte im Guten angemeßnere trockne und ernsthafte Vorstellung der Pflicht, ist die Hinweisung auf diese Methode noͤthiger, als jemals. Kindern Handlungen als edele, großmuͤthige, verdienst- liche zum Muster aufzustellen, in der Meynung, sie durch Einfloͤßung eines Enthusiasmus fuͤr dieselbe einzu- nehmen, ist vollends zweckwidrig. Denn da sie noch in der Beobachtung der gemeinsten Pflicht und selbst in der richtigen Beurtheilung derselben so weit zuruͤck sind, so heißt das so viel, als sie bey Zeiten zu Phantasten zu machen. Aber auch bey dem belehrtern und erfahr- nern Theil der Menschen ist diese vermeynte Triebfeder, wo nicht von nachtheiliger, wenigstens von keiner aͤch- ten moralischen Wirkung aufs Herz, die man dadurch doch hat zuwegebringen wollen. Alle Gefuͤhle, vornemlich die, so ungewohnte Anstrengung bewirken sollen, muͤssen in dem Augenbli- cke, da sie in ihrer Heftigkeit sind, und ehe sie verbrau- sen, ihre Wirkung thun, sonst thun sie nichts; indem das der reinen practischen Vernunft. das Herz natuͤrlicherweise zu seiner natuͤrlichen gemaͤßig- ten Lebensbewegung zuruͤckkehrt, und sonach in die Mat- tigkeit verfaͤllt, die ihm vorher eigen war; weil zwar etwas, was es reizte, nichts aber, das es staͤrkte, an dasselbe gebracht war. Grundsaͤtze muͤssen auf Begriffe errich- tet werden, auf alle andere Grundlage koͤnnen nur An- wandelungen zu Stande kommen, die der Person kei- nen moralischen Werth, ja nicht einmal eine Zuversicht auf sich selbst verschaffen koͤnnen, ohne die das Bewußt- seyn seiner moralischen Gesinnung und eines solchen Cha- racters, das hoͤchste Gut im Menschen, gar nicht statt- finden kann. Diese Begriffe nun, wenn sie subjectiv practisch werden sollen, muͤssen nicht bey den objectiven Gesetzen der Sittlichkeit stehen bleiben, um sie zu be- wundern, und in Beziehung auf die Menschheit hoch- zuschaͤtzen, sondern ihre Vorstellung in Relation auf den Menschen und auf sein Individuum betrachten; da denn jenes Gesetz in einer zwar hoͤchst achtungswuͤrdigen, aber nicht so gefaͤlligen Gestalt erscheint, als ob es zu dem Elemente gehoͤre, daran er natuͤrlicher Weise ge- wohnt ist, sondern wie es ihn noͤthiget, dieses oft, nicht ohne Selbstverleugnung, zu verlassen, und sich in ein hoͤheres zu begeben, darin er sich, mit unaufhoͤrlicher Besorgniß des Ruͤckfalls, nur mit Muͤhe erhalten kann. Mit einem Worte, das moralische Gesetz verlangt Be- folgung aus Pflicht, nicht aus Vorliebe, die man gar nicht voraussetzen kann und soll. S 5 Laßt II. Th. Methodenlehre Laßt uns nun im Beyspiele sehen, ob in der Vor- stellung einer Handlung als edler und großmuͤthiger Handlung mehr subjectiv bewegende Kraft einer Trieb- feder liege, als, wenn diese blos als Pflicht in Verhaͤlt- niß auf das ernste moralische Gesetz vorgestellt wird. Die Handlung, da jemand, mit der groͤßten Gefahr des Lebens, Leute aus dem Schiffbruche zu retten sucht, wenn er zuletzt dabey selbst sein Leben einbuͤßt, wird zwar einerseits zur Pflicht, andererseits aber und groͤßtentheils auch fuͤr verdienstliche Handlung angerechnet, aber unsere Hochschaͤtzung derselben wird gar sehr durch den Begriff von Pflicht gegen sich selbst, welche hier etwas Abbruch zu leiden scheint, geschwaͤcht. Entscheidender ist die großmuͤthige Aufopferung seines Lebens zur Er- haltung des Vaterlandes, und doch, ob es auch so voll- kommen Pflicht sey, sich von selbst und unbefohlen dieser Absicht zu weihen, daruͤber bleibt einiger Scrupel uͤbrig, und die Handlung hat nicht die ganze Kraft eines Mu- sters und Antriebes zur Nachahmung in sich. Ist es aber unerlaßliche Pflicht, deren Uebertretung das mo- ralische Gesetz an sich und ohne Ruͤcksicht auf Menschen- wohl verletzt, und dessen Heiligkeit gleichsam mit Fuͤßen tritt, (dergleichen Pflichten man Pflichten gegen Gott zu nennen pflegt, weil wir uns in ihm das Ideal der Heiligkeit in Substanz denken,) so widmen wir der Be- folgung desselben, mit Aufopferung alles dessen, was fuͤr die innigste aller unserer Neigungen nur immer ei- nen der reinen practischen Vernunft. nen Werth haben mag, die allervollkommenste Hochach- tung, und wir finden unsere Seele durch ein solches Beyspiel gestaͤrkt und erhoben, wenn wir an demselben uns uͤberzeugen koͤnnen, daß die menschliche Natur zu einer so großen Erhebung uͤber alles, was Natur nur im- mer an Triebfedern zum Gegentheil aufbringen mag, faͤhig sey. Juvenal stellt ein solches Beyspiel in einer Steigerung vor, die den Leser die Kraft der Triebfeder, die im reinen Gesetze der Pflicht, als Pflicht, steckt, leb- haft empfinden laͤßt: Esto bonus miles, tutor bonus, arbiter idem Integer; ambiguae si quando citabere testis Incertaeque rei, Phalaris licet imperet, ut sis Falsus, et admoto dictet perinria tauro, Summum crede nefas animam praeferre pudori, Et propter vitam vivendi perdere caussas. Wenn wir irgend etwas Schmeichelhaftes vom Verdienstlichen in unsere Handlung bringen koͤnnen, denn ist die Triebfeder schon mit Eigenliebe etwas ver- mischt, hat also einige Beyhuͤlfe von der Seite der Sinn- lichkeit. Aber der Heiligkeit der Pflicht allein alles nach- setzen, und sich bewußt werden, daß man es koͤnne, weil unsere eigene Vernunft dieses als hir Gebot anerkennt, und sagt, daß man es thun solle, das heißt sich gleich- sam uͤber die Sinnenwelt selbst gaͤnzlich erheben, und ist in demselben Bewußtseyn des Gesetzes auch als Trieb- feder eines die Sinnlichkeit beherrschenden Vermoͤgens unzer- II. Th. Methodenlehre unzertrennlich, wenn gleich nicht immer mit Effect ver- bunden, der aber doch auch, durch die oͤftere Beschaͤffti- gung mit derselben, und die anfangs kleinern Versuche ihres Gebrauchs, Hoffnung zu seiner Bewirkung giebt, um in uns nach und nach das groͤßte, aber reine mora- lische Interesse daran hervorzubringen. Die Methode nimmt also folgenden Gang. Zuerst ist es nur darum zu thun, die Beurtheilung nach mo- ralischen Gesetzen zu einer natuͤrlichen, alle unsere eigene, sowol als die Beobachtung fremder freyer Handlungen begleitenden Beschaͤfftigung und gleichsam zur Gewohn- heit zu machen, und sie zu schaͤrfen, indem man vorerst fraͤgt, ob die Handlung objectiv dem moralischen Ge- setze, und welchem, gemaͤß sey; wobey man denn die Aufmerksamkeit auf dasjenige Gesetz, welches blos einen Grund zur Verbindlichkeit an die Hand giebt, von dem unterscheidet, welches in der That verbindend ist (le- ges obligandi a legibus obligantibus) , (wie z. B. das Gesetz desjenigen, was das Beduͤrfniß der Menschen im Gegensatze dessen, was das Recht derselben von mir fordert, wovon das Letztere wesentliche, das Erstere aber nur außerwesentliche Pflichten vorschreibt,) und so ver- schiedene Pflichten, die in einer Handlung zusammen- kommen, unterscheiden lehrt. Der andere Punct, wor- auf die Aufmerksamkeit gerichtet werden muß, ist die Frage: ob die Handlung auch (subjectiv) um des mo- rali- der reinen practischen Vernunft. ralischen Gesetzes willen geschehen, und also sie nicht allein sittliche Richtigkeit, als That, sondern auch sitt- lichen Werth, als Gesinnung, ihrer Maxime nach ha- be. Nun ist kein Zweifel, daß diese Uebung, und das Bewußtseyn einer daraus entspringenden Cultur unserer blos uͤber das Practische urtheilenden Vernunft, ein ge- wisses Interesse, selbst am Gesetze derselben, mithin an sittlich guten Handlungen nach und nach hervorbringen muͤsse. Denn wir gewinnen endlich das lieb, dessen Betrachtung uns den erweiterten Gebrauch unserer Er- kenntnißkraͤfte empfinden laͤßt, welchen vornemlich das- jenige befoͤrdert, worin wir moralische Richtigkeit an- treffen; weil sich die Vernunft in einer solchen Ordnung der Dinge mit ihrem Vermoͤgen, a priori nach Princi- pien zu bestimmen was geschehen soll, allein gut finden kann. Gewinnt doch ein Naturbeobachter Gegenstaͤnde, die seinen Sinnen anfangs anstoͤßig sind, endlich lieb, wenn er die große Zweckmaͤßigkeit ihrer Organisation daran entdeckt, und so seine Vernunft an ihrer Betrach- tung weidet, und Leibnitz brachte ein Insect, welches er durchs Microscop sorgfaͤltig betrachtet hatte, schonend wiederum auf sein Blatt zuruͤck, weil er sich durch seinen Anblick belehrt gefunden, und von ihm gleichsam eine Wohlthat genossen hatte. Aber diese Beschaͤfftigung der Urtheilskraft, wel- che uns unsere eigene Erkenntnißkraͤfte fuͤhlen laͤßt, ist noch II. Th. Methodenlehre noch nicht das Interesse an den Handlungen und ihrer Moralitaͤt selbst. Sie macht blos, daß man sich gerne mit einer solchen Beurtheilung unterhaͤlt, und giebt der Tugend, oder der Denkungsart nach moralischen Gese- tzen, eine Form der Schoͤnheit, die bewundert, darum aber noch nicht gesucht wird (laudatur et alget); wie alles, dessen Betrachtung subjectiv ein Bewußtseyn der Harmonie unserer Vorstellungskraͤfte bewirkt, und wo- bey wir unser ganzes Erkenntnißvermoͤgen (Verstand und Einbildungskraft) gestaͤrkt fuͤhlen, ein Wohlgefal- len hervorbringt, das sich auch andern mittheilen laͤßt, wobey gleichwol die Existenz des Objects uns gleichguͤltig bleibt, indem es nur als die Veranlassung angesehen wird, der uͤber die Thierheit erhabenen Anlage der Ta- lente in uns inne zu werden. Nun tritt aber die zwey- te Uebung ihr Geschaͤfft an, nemlich in der lebendigen Darstellung der moralischen Gesinnung an Beyspielen, die Reinigkeit des Willens bemerklich zu machen, vorerst nur als negativer Vollkommenheit desselben, so fern in einer Handlung aus Pflicht gar keine Triebfedern der Neigungen als Bestimmungsgruͤnde auf ihn einfließen; wodurch der Lehrling doch auf das Bewußtseyn seiner Freyheit aufmerksam erhalten wird; und obgleich diese Entsagung eine anfaͤngliche Empfindung von Schmerz er- regt, dennoch dadurch, daß sie jenen Lehrling dem Zwan- ge selbst wahrer Beduͤrfnisse entzieht, ihm zugleich eine Befreyung von der mannigfaltigen Unzufriedenheit, darin der reinen practischen Vernunft. darin ihn alle diese Beduͤrfnisse verflechten, angekuͤndigt, und das Gemuͤth fuͤr die Empfindung der Zufriedenheit aus anderen Quellen empfaͤnglich gemacht wird. Das Herz wird doch von einer Last, die es jederzeit ingeheim druͤckt, befreyt und erleichtert, wenn an reinen morali- schen Entschließungen, davon Beyspiele vorgelegt wer- den, dem Menschen ein inneres, ihm selbst sonst nicht einmal recht bekanntes Vermoͤgen, die innere Freyheit, aufgedeckt wird, sich von der ungestuͤmen Zudringlichkeit der Neigungen dermaßen loszumachen, daß gar keine, selbst die beliebteste nicht, auf eine Entschließung, zu der wir uns jetzt unserer Vernunft bedienen sollen, Einfluß habe. In einem Falle, wo ich nur allein weiß, daß das Unrecht auf meiner Seite sey, und obgleich das freye Gestaͤndniß desselben, und die Anerbietung zur Ge- nugthuung an der Eitelkeit, dem Eigennutze, selbst dem sonst nicht unrechtmaͤßigen Widerwillen gegen den, des- sen Recht von mir geschmaͤlert ist, so großen Widerspruch findet, dennoch mich uͤber alle diese Bedenklichkeiten wegsetzen kann, ist doch ein Bewußtseyn einer Unabhaͤn- gigkeit von Neigungen und von Gluͤcksumstaͤnden, und der Moͤglichkeit sich selbst genug zu seyn, enthalten, wel- che mir uͤberall auch in anderer Absicht heilsam ist. Und nun findet das Gesetz der Pflicht, durch den positiven Werth, den uns die Befolgung desselben empfinden laͤßt, leichteren Eingang durch die Achtung fuͤr uns selbst im Bewußtseyn unserer Freyheit. Auf diese, wenn sie wohl ge- II. Th. Methodenlehre gegruͤndet ist, wenn der Mensch nichts staͤrker scheuet, als sich in der inneren Selbstpruͤfung in seinen eigenen Augen geringschaͤtzig und verwerflich zu finden, kann nun jede gute sittliche Gesinnung gepfropft werden; weil dieses der beste, ja der einzige Waͤchter ist, das Ein- dringen unedler und verderbender Antriebe vom Gemuͤ- the abzuhalten. Ich habe hiemit nur auf die allgemeinsten Maximen der Methodenlehre einer moralischen Bildung und Ue- bung hinweisen wollen. Da die Mannigfaltigkeit der Pflichten fuͤr jede Art derselben noch besondere Bestim- mungen erforderte, und so ein weitlaͤuftiges Geschaͤffte ausmachen wuͤrde, so wird man mich fuͤr entschuldigt halten, wenn ich, in einer Schrift, wie diese, die nur Voruͤbung ist, es bey diesen Grundzuͤgen bewenden lasse. Beschluß . Z wey Dinge erfuͤllen das Gemuͤth mit immer neuer und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht, je oͤfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschaͤfftigt: Der bestirnte Himmel uͤber mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelhei- ten verhuͤllt, oder im Ueberschwenglichen, außer mei- nem Gesichtskreise, suchen und blos vermuthen; ich se- he der reinen practischen Vernunft. he sie vor mir und verknuͤpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtseyn meiner Existenz. Das erste faͤngt von dem Platze an, den ich in der aͤußern Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknuͤpfung, darin ich stehe, ins unabsehlich-Große mit Welten uͤber Welten und Sy- stemen von Systemen, uͤberdem noch in grenzenlose Zei- ten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. Das zweyte faͤngt von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persoͤnlichkeit, an, und stellt mich in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstande spuͤrbar ist, und mit welcher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich, nicht wie dort, in blos zufaͤlliger, sondern allgemeiner und nothwendiger Verknuͤpfung erkenne. Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernich- tet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines thierischen Geschoͤpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punct im Weltall) wieder zu- ruͤckgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. Der zweyte erhebt dagegen meinen Werth, als einer Intel- ligenz, unendlich, durch meine Persoͤnlichkeit, in wel- cher das moralische Gesetz mir ein von der Thierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhaͤngiges Le- ben offenbart, wenigstens so viel sich aus der zweck- maͤßigen Bestimmung meines Daseyns durch dieses Gesetz, welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieses Lebens Kants Crit. d pract Vern. T ein- II. Th. Methodenlehre eingeschraͤnkt ist, sondern ins Unendliche geht, abneh- men laͤßt. Allein, Bewunderung und Achtung koͤnnen zwar zur Nachforschung reizen, aber den Mangel derselben nicht ersetzen. Was ist nun zu thun, um diese, auf nutz- bare und der Erhabenheit des Gegenstandes angemessene Art, anzustellen? Beyspiele moͤgen hiebey zur War- nung, aber auch zur Nachahmung dienen. Die Welt- betrachtung fing von dem herrlichsten Anblicke an, den menschliche Sinne nur immer vorlegen, und unser Ver- stand, in ihrem weiten Umfange zu verfolgen, nur im- mer vertragen kann, und endigte — mit der Stern- deutung. Die Moral fing mit der edelsten Eigenschaft in der menschlichen Natur an, deren Entwickelung und Cultur auf unendlichen Nutzen hinaussieht, und endigte — mit der Schwaͤrmerey, oder dem Aberglauben. So geht es allen noch rohen Versuchen, in denen der vornehmste Theil des Geschaͤfftes auf den Gebrauch der Vernunft ankommt, der nicht, so wie der Gebrauch der Fuͤße, sich von selbst, vermittelst der oͤftern Ausuͤbung, findet, vornemlich wenn er Eigenschaften betrifft, die sich nicht so unmittelbar in der gemeinen Erfahrung dar- stellen lassen. Nachdem aber, wiewol spaͤt, die Maxime in Schwang gekommen war, alle Schritte vorher wohl zu uͤberlegen, die die Vernunft zu thun vorhat, und sie nicht anders, als im Gleise einer vorher wohl uͤber- dachten Methode, ihren Gang machen zu lassen, so be- kam der reinen practischen Vernunft. kam die Beurtheilung des Weltgebaͤudes eine ganz an- dere Richtung, und, mit dieser, zugleich einen, ohne Vergleichung, gluͤcklichern Ausgang. Der Fall eines Steins, die Bewegung einer Schleuder, in ihre Ele- mente und dabey sich aͤußernde Kraͤfte aufgeloͤst, und mathematisch bearbeitet, brachte zuletzt diejenige klare und fuͤr alle Zukunft unveraͤnderliche Einsicht in den Weltbau hervor, die, bey fortgehender Beobachtung, hoffen kann, sich immer nur zu erweitern, niemals aber, zuruͤckgehen zu muͤssen, fuͤrchten darf. Diesen Weg nun in Behandlung der moralischen Anlagen unserer Natur gleichfalls einzuschlagen, kann uns jenes Beyspiel anraͤthig seyn, und Hoffnung zu aͤhnlichem guten Erfolg geben. Wir haben doch die Beyspiele der moralisch-urtheilenden Vernunft bey Hand. Diese nun in ihre Elementarbegriffe zu zergliedern, in Ermangelung der Mathematik aber ein der Chemie aͤhnliches Verfahren, der Scheidung des Empirischen vom Rationalen, das sich in ihnen vorfinden moͤchte, in wiederholten Versuchen am gemeinen Menschenver- stande vorzunehmen, kann uns Beydes rein, und, was Jedes fuͤr sich allein leisten koͤnne, mit Gewißheit kenn- bar machen, und so, theils der Verirrung einer noch rohen ungeuͤbten Beurtheilung, theils (welches weit. noͤthiger ist) den Genieschwuͤngen vorbeugen, durch welche, wie es von Adepten des Steins der Weisen zu geschehen pflegt, ohne alle methodische Nachforschung und II. Th. Methodenlehre der reinen pract. Vern. und Kenntniß der Natur, getraͤumte Schaͤtze versprochen u wahre verschleudert werden. Mit einem Worte: Wissenschaft (critisch gesucht und methodisch eingeleitet) ist die enge Pforte, die zur Weisheitslehre fuͤhrt, wenn unter dieser nicht blos verstanden wird, was man thun, sondern was Lehrern zur Richtschnur dienen soll, um den Weg zur Weisheit, den jedermann gehen soll, gut und kenntlich zu bahnen, und andere vor Irrwegen zu siche- ren; eine Wissenschaft, deren Aufbewahrerin jederzeit die Philosophie bleiben muß, an deren subtiler Unter- suchung das Publicum keinen Antheil, wohl aber an den Lehren zu nehmen hat, die ihm, nach einer sol- chen Bearbeitung, allererst recht hell einleuchten koͤnnen.