Clarissa, Die Geschichte eines vornehmen Frauenzimmers, von demjenigen herausgegeben, welcher die Ge- schichte der Pamela geliefert hat: und nunmehr aus dem Englischen in das Deutsche uͤbersetzt. Erster Theil. GOETTJNGEN, Verlegts Abram Vandenhoͤck, Universitaͤts-Buchh. 1748. Mit Koͤnigl. Pohln. und Churf. Saͤchß. allergnaͤdigsten Privilegio. Die Vorrede des Uebersetzers. E s sind die Geschichte der Clarissa dem Verleger dieser deutschen Uebersetzung, so bald sie in England heraus kamen, von solchen Maͤnnern angepriesen und ihm angera- then worden eine deutsche Uebersetzung davon zu besorgen, auf deren Urtheil er sich voͤllig verlassen konnte, und deren Nahmen, wenn es noͤthig waͤre sie bekannt zu machen, ihm und der von ihm herausgegebenen Uebersetzung an statt einer Schutz-Schrifft dienen koͤnnten. Der eine unter denen, dessen Rath er folge- te, zog die Clarissa der mit so vielem Beyfall aufgenommenen Pamela vor: und weil die- ser Mann von dem groͤßesten und besten Theil Deutschlandes fuͤr den groͤßesten Kunstrichter unserer Zeit in den schoͤnen Wissenschafften angesehen wird; und diejenigen Stuͤcke, die er )( 2 bis- Vorrede. bisher (obgleich sparsam) zum Vergnuͤgen und Besserung der Deutschen herausgegeben hat, von Dichtern sowohl als von andern Lesern bey nahe fuͤr canonisch angesehen sind; und uͤber das in den Schriften und Urtheilen die- ses Mannes die strengesten Grund-Saͤtze der Tugend und der Religion herrschen: so konnte der Verleger nicht anders als vergnuͤgt seyn, daß ihm dieses Buch zuerst in die Haͤnde ge- fallen waͤre; und er sahe sich sogleich nach ei- nem Uebersetzer um, von dem er hoffen koͤnnte, daß er das Englische genugsahm verstuͤnde, ein so schweres Buch zu uͤbersetzen, und daß er nicht durch eine allzu matte und steiffe deutsche Schreib-Art den Leser des Vergnuͤ- gens berauben wuͤrde, das er bey einer Schrift dieser Art mit dem groͤssesten Rechte fodern kann. Es wird nicht noͤthig seyn ausfuͤhrlicher zu melden, daß sich der Verleger in Ausfindung eines solchen Uebersetzers Muͤhe gegeben, und des Raths desjenigen Mannes dabey inson- derheit Vorrede. derheit bedienet hat, der ihm die Clarissa als ein Meisterstuͤck eines wohl geschriebenen Eng- lischen Buchs angepriesen hatte. Derselbige den er endlich ersucht hat, die Uebersetzung des gantzen Buchs zu uͤbernehmen, hat sich selbst eine geraume Zeit in England aufgehalten, und hoffet deswegen, daß sich der Leser desto eher auf seine Uebersetzung werde verlassen koͤnnen. Er hat diesen Umstand auf Verlan- gen des Verlegers hier melden muͤssen, und er glaubt destoweniger, daß ihn ein ver- nuͤnftiger Leser deshalb einer Unbescheidenheit beschuldigen werde, weil er seine Ehre nie darin gesucht hat, oder zu suchen gedenckt, daß er ein guter Uebersetzer heiße, sondern entschlossen ist, sich durch andere Mittel ein guͤnstiges Urtheil der Welt zu erwerben. Er wuͤrde auch, da er mit anderer Arbeit uͤber- haͤuft ist, und nebst einigen eigenen Schriften die er unter der Feder hat, alle Tage mehrere Stunden zu Vorlesungen auf der hiesigen Universitaͤt anwendet, diese Ueber- Vorrede. Uebersetzung nicht uͤbernommen haben, zu welcher er die Zeit von dem Umgang mit guten Freun- den abbrechen mußte; wenn er nicht in der Uebersetzung dieses Buchs der Welt einen wahr- haften Dienst zu leisten geglaubt haͤtte, und sich einigermaßen unterstuͤnde auf den Uhrhe- ber dieses Buchs die Zeilen zu deuten, die ihm bey einer anderer noch erhabenern Gele- genheit entfallen sind: Er mahlete das ernstliche Gebot Der warnenden Vernunft in lockenden Ge- beerden. Selbst denn, wenn es dem Frevler droht, Hies er die Worte reitzend werden: Bis es des Lasters Freund mit Schaudern list, Und fast auf Schrecken luͤstern ist. Er suchte neue Redens-Arten, Die Richtigkeit mit Anmuth paarten, Und ein zur Lust gedichtet Bild, Das schertzt, und in den Schertz den Ernst der Lehren huͤllt. Ein Vorrede. Ein solches Buch zu uͤbersetzen, konnte er fuͤr keine Bemuͤhung ansehen, die unnuͤtz waͤre, und ihn in dem Urtheil verstaͤndiger Leute er- niedrigen wuͤrde. Er hat gesucht, die verschiedene Schreib- Art, die die Brieffe der verschiedenen Perso- nen unterscheidet, nachzuahmen: z. E. die lo- sen Beschreibungen, welche die Fraͤulein Howe zu machen pflegt; die gezwungen-witzi- ge Schreib-Art des Jacob Harlowe, u. s. f. Eine woͤrtliche Uebersetzung ist bey Buͤchern unangenehm, die vergnuͤgen sollen: er hat daher die Freyheit gebraucht, die Worte im deutschen so zu setzen, wie sie seiner Meinung nach in dieser Sprache am besten lauteten. Jnsonderheit hat er oft die allzulangen und im deutschen unangenehmen Periodos der Englaͤnder in mehrere kurtze getheilt: auch bisweilen doch selten einen Spaß, der im Englischen und nicht im deutschen lebhaft oder gewoͤhnlich ist, mit einem andern vertauscht, der sich im deutschen besser schickte. Weil Vorrede. Weil er durch die Uebersetzung Gelegenheit gehabt hat, die Clarissa genauer kennen zu lernen: so nimt er sich die Freyheit, dem Le- ser die Vorzuͤge zu entdecken, welche be- reits diese ersten Theile vor der Pamela ha- ben. Die Schreib-Art der Haupt-Person ist hier gleich zu Anfang erhabener, als sie in der Pamela ist, oder seyn durfte. Man hat nicht mit so vielen Kleinigkeiten zu thun. Wer kann zwar allen etwas recht machen? Es ha- ben einige gemeint, die Clarissa schreibe zierli- cher als ein Frauenzimmer schreiben koͤnnte. Wenn Frauenzimmer selbst diesen Einwurff machen sollten, so ruͤhret er gewiß entweder von ihrer Demuth oder daher daß sie nicht Clarissen sind. Jn dem Munde einer Manns- Person aber wird er weder hoͤflich noch be- scheiden lauten: und es wird immer die Fra- ge seyn, welche Frauenzimmer ein solcher Tadler zum Muster nehme? Sind es vorneh- me Vorrede. me Frauenzimmer von Verstand, von Bele- senheit und Erziehung: so meine ich, daß es manche solche Frauenzimmer den Manns-Per- sonen in der Schreib-Art zuvor thun. Des Herrn von Bussy Briefe sind niemahls so hoch geschaͤtzt worden, als die von seiner Verwantin der Frau von Sevigne. Der Uebersetzer ist hierin so sehr verschiedener Meinung, daß er sich nicht unterstanden hat, die Ode zu uͤber- setzen, die im zweyten Theil Bl. 80 mangelt, weil sie nach dem Zeugniß des Englischen Schriftstellers von einem Frauenzimmer ver- fertiget ist, und dem gantzen Geschlecht zur Ehre gereicht. Jn der Pamela wird mehr als einmahl ei- ne Ohnmacht zu Entwickelung eines Knotens gebraucht, und die Heldin dadurch von der Gefahr errettet, die ihr drohete. Dieses scheint ein Fehler zu seyn, weil es die Wahr- scheinlichkeit der Erzaͤhlung mindert. Denn es ist nicht vermuthlich, daß ein Frauenzim- mer Vorrede. mer in den Umstaͤnden der Pamela so oft mit Ohnmachten uͤberfallen werden sollte. Jn den vier ersten Theilen der Clarissa findet sich keine Ohnmacht, die einen Knoten aufzuloͤ- sen gleichsahm gerufen ist: ob sich gleich bis- weilen Clarissa eine so gefaͤllige Ohnmacht wuͤnschet, die ihr zu rechter Zeit aufwarten solle. Die Pamela verliert zuletzt das lebhafte, muntere, reitzende und unerwartete. Der vierte Theil wird so ernsthaft, daß ihn der vielleicht kaum in einem Monathe durchlieset, der uͤber den ersten Theilen Naͤchte aufgesessen hatte. Bey der Clarissa waͤchst das lebhafte, muntere, reitzende, und unerwartete. Wenn ein Leser ein so fluͤchtiges Hertz hat, daß ihm einige Stellen der zwey ersten Theile zu ernst- haft vorkommen, und er nicht das rauschen- de Vergnuͤgen dabey empfindet, das er sich wuͤnschet: so wird eben derselbige Leser bey dem Anfang des dritten und bey dem Ende des Vorrede. des vierten Theils das Buch nicht aus den Haͤnden legen koͤnnen. Der Jnhalt der fol- genden Theile traͤgt hiezu vieles bey. Jch weiß nicht, ob ich dem Leser den Ge- fallen thun und von ihrem Jnhalt etwas mel- den soll? oder ob es besser ist, ihn in einer angenehmen Ungewißheit zu lassen, die hernach durch Lesung dieser unerwarteten Zufaͤlle desto mehr vergnuͤgt werden wird? Doch nein! ich will den Fluch nicht auf mich laden, mit dem mich die ungesaͤttigte Neugier zwischen hier und Ostern verwuͤnschen koͤnnte. Jm Anfang des dritten Theils findet man, wie listig es Lovelace angefangen hat, die Clarissa dennoch dahin zu vermoͤgen, daß sie in seiner Gesellschaft ihrer Eltern Haus ver- ließ. Er hat bisweilen den aufrichtigsten Vorsatz gegen sie: allein sie macht aus Furcht, das Vorrede. das vierte Gebot zu uͤbertreten, Zweiffel, und schiebt die Trauung auf. Er will sie auf alle moͤgliche Proben stellen, und wuͤnscht sie zu be- siegen, ehe die Kirche ihren Seegen zu dem Siege gesprochen haͤtte. Er macht aber doch auch Anstalten, wahre Anstalten, zum Heyra- then. Er ist bisweilen ein eingefleischter Wi- derspruch von Treue und Untreue. Er bringt sie endlich so weit, daß sie sich nach London be- giebt: und er miethet sie in das Haus des angeblichen Sinclair ein. Die Nymphen dieses Hauses verwandeln sich in Jungfern von gutem Stande, von Tugend, und andern guten Eigenschaften; und Clarissa meint, daß sie die Personen sind, die sie spielen. Bey al- len diesen Umstaͤnden beobachtet er den Anstand, der erfodert ward, wenn Clarissa dieses Haus fuͤr tugendhaft und ehrbahr halten sollte. Alle seine List kann sie nicht besiegen: er zuͤn- det endlich, um sie weniger angekleidet zu se- hen, das Haus des Nachts an; er erhaͤlt aber nur einen kleinen Theil von seinem Endzweck. Sie Vorrede. Sie fluͤchtet des folgenden Tages mit der groͤssesten Klugheit: und der vierte Theil laͤßt Lovelacen in der unaussprechlichsten Verwir- rung. Der fuͤnfte und sechste Theil hat das Licht noch nicht gesehen. Der Doctor H. muß in demselben zuerst auftreten, von dem die vier er- sten Theile nichts wissen. Vielleicht findet man in dem sieben und dreißigsten Briefe des zweyten Theils eine Ahndung von dem fuͤrch- terlichen Ende dieses Trauer-Spiels. Ver- muthlich werden diese Theile schon jetzt in Eng- land in der Presse seyn: und wo dieses ist, so liefert der Verleger die Uebersetzung des drit- ten und vierten Theils auf Ostern 1749, und den fuͤnften und sechsten Theil auf Michaelis. Goͤttingen den 20 Sept. 1748. Clarissa der erste Theil. Erster Brief von Fraͤulein Anna Howe an Fraͤulein Clarissa Harlowe. den 10. Jan. J ch bin wegen der Unruhe, die Jhr Haus seit kurtzen in Verwirrung gesetzet, sehr bekuͤmmert. Jch kan leicht dencken, wie emp- findlich es Jhnen seyn muͤsse, daß Jhrer in allen oͤffentlichen Gespraͤchen gedacht, wird: und dennoch ist es bey einer so bekant gewordenen Be- gebenheit unmoͤglich, daß nicht ein jeder auf dasje- nige aufmercksam seyn sollte, was ein junges Frauenzimmer betrifft, dessen ausnehmende Vor- zuͤge jederman veranlasset haben, an ihren Bege- benheiten Antheil zu nehmen. Jch bin begierig von Jhnen selbst die eigentlichen Umstaͤnde eines Verfahrens zu vernehmen, das man Sie wegen ei- nes unverschuldeten Zufalls empfinden laͤsset, in welchem, so viel ich erfahren kan, der leidende Theil den Angriff gethan hat. Jch habe auf die erste Nachricht von der vorgegangenen Schlaͤgerey Hrn. Diggs Der Wund-Artzt ihres Bruders. sogleich her bitten lassen, um Erster Theil. A mich Die Geschichte mich aus Besorgniß fuͤr sie zu erkundigen, wie sich Jhr Bruder befinde. Er sagte mir, die Wunde sey gar nicht gefaͤhrlich: allein das Fieber koͤnte von schlimmen Folgen seyn, welches dem Anschein nach durch die hefftige Unruhe des Ge- muͤths staͤrcker geworden ist. Herr Wyerley tranck gestern mit uns Thee: und ob er gleich, wie sehr zu vermuthen, gar nicht partheyisch fuͤr Herrn Lovelace ist, so tadelt doch sowohl er, als Herr Symmes/ Jhre Familie sehr, wegen ihres sonderlichen Betragens gegen Herrn Lovelace/ als er selbst kam, um sich nach dem Befinden Jhres Bruders zu erkundigen, und seine Bekuͤmmerniß wegen des vorgegangenen Ungluͤcks zu bezeigen. Man sagt, daß Herr Lovelace nicht umhin gekonnt, seinen Degen zu ziehen: und daß entwe- der Jhres Bruders Ungeschicklichkeit oder Hitze ihn schon bey dem ersten Gang voͤllig in die Ge- walt seines Gegners geliefert habe. Wie mir erzehlet worden, so hat er sich darauf zuruͤck ge- zogen und zu ihm gesagt: Behutsamer! Herr Harlowe. Sie geben sich durch ihre Hitze bloß! Sie geben mir zu viel Vortheil! Jhrer Schwe- ster wegen vergebe ich alles: wenn ‒ ‒ ‒. Die- ses soll ihn nur verwegener gemacht haben, sich noch mehr Bloͤße und seinem Gegner mehr Vor- theil zu geben, der ihn nach einer leichten Ver- wundung am Arm entwaffnete. Einige Leute, die auf Jhren Bruder, wegen sei- nes herrsch suͤchtigen Gemuͤths, und wegen seines Hochmuths und Eigensins nicht wohl zu sprechen sind, der Clarissa. sind, sagen, daß sich die Hitze des jungen Herrn sehr abgekuͤhlet, als er sein Blut von dem Arm haͤuffig herab fliessen sahe, und daß er die großmuͤ- thigen Dienste seines Gegners angenommen, der ihm Rock und Weste ausziehen half, und ihm den Arm bis auf Ankunft des Wund-Artztes verband. Er soll dieses alles so geduldig gelitten haben, daß dadurch der Besuch, welchen sein Gegner hernach bey ihm abstatten wollte, um sich nach seinem Be- finden zu erkundigen, weder fuͤr eine Verspottung noch fuͤr unzeitig konnte gehalten werden. Doch dem sey wie ihm wolle, jederman bedau- ret Sie. So standhaft und immer einerley in Jhrer Auffuͤhrung! So begierig, wie Sie oft ge- sagt haben, unbemerckt durch das Leben hin- durch zu schleichen, und welches ich noch hinzu setzen moͤchte, in Jhren verborgenen Gutthaͤtigkei- ten nicht erkannt und beobachtet zu werden, weil Jhnen das blosse Bewustseyn derselben, der edelste und vortreflichste Lohn schien! Nuͤtzlich ohne es scheinen zu wollen! nach Jhrem wohl ausge- suchten Wahlspruch: Und dennoch auf einmahl zu Jhrem grossem Verdruß in die Nachrede der Leute gebracht! und in ihrem eigenen Hause mit der Schuld fremder Vergehungen belaͤstiget! Wie muß eine solche Tugend in jedem Stuͤcke lei- den! Unterdessen muß man gestehen, daß Jhre Pruͤfung Jhrer Klugheit gemaͤß ist. Da Jhre Freunde ausser Hause besorget sind, daß ein so hefftiger Streit, dessen sich dem Anschein nach die beyden Haͤuser annehmen und ihn zu ei- A 2 nem Die Geschichte nem Familien-Streit macheu, noch andere un- gluͤckliche Folgen haben moͤchte: so ersuche ich Sie, mich durch eine Nachricht von Jhrer eigenen Hand in Stand zu setzen, daß ich Jhr Betragen bey ge- gebener Gelegenheit rechtfertigen koͤnne. Meine Mutter und wir alle reden gleich andern Leuten bey nahe von niemand als von Jhnen und von den Folgen, die die Rachgier eines so hitzigen Kopfes als Hr. Lovelace ist haben koͤnnte: denn dieser giebt vor, daß Jhres Vaters Bruͤder Jhm auf das schimpflichste begegnet sind. Meine Mut- ter will; daß Sie nunmehr ihn weder sprechen, noch einigen Brief-Wechsel mit ihm unterhalten koͤnten, ohne den Wohlstand aufs aͤusserste aus den Augen zu setzen. Jhres Vaters Bruder hat sie sehr eingenommen, von dem Sie wissen, daß er uns bisweilen besucht. Er hat bey diesem Vorfall es als eine sehr schwartze That einer Schwester vorgestellet, wenn sie einem Liebhaber noch einige Hoffnung machte, der den Weg zu Jhrem Hertzen durch Jhres Bruders Blut neh- men wollte. Dies war sein Ausdruck. Schreiben Sie mir demnach, mein Schatz, al- les was von der Zeit an vorgefallen ist, da Herr Lovelace den ersten Zutrit in Jhr Hauß bekom- men hat, insonderheit das, was Jhre aͤlteste Schwester und ihn betrifft. Denn hievon gehen sehr verschiedene Reden: einige Leute glauben, daß die juͤngere Schwester wenigstens durch ihre gros- se Vorzuͤge und Artigkeit der Aeltesten das Hertz eines Liebhabers gestohlen habe. Schreiben Sie der Clarissa. Sie aber so vollstaͤndig, daß auch solchen ein Ge- nuͤge geschehe, die von Jhren Umstaͤnden nicht so viel Nachricht haben, als ich. Sollte aus der Hefftigkeit der Gemuͤther, mit denen Sie jetzt zu thun haben, ein Ungluͤck entstehen; so wird nichts mehr zu Jhrer Rechtfertigung dienen koͤnnen, als diese schon einige Zeit vorher gegebene Nachricht. Sie sehen, was Sie sich dadurch fuͤr eine Last aufgebuͤrdet haben, daß Sie alle Jhres Geschlechts uͤbertreffen. Ein jedes Frauenzimmer, daß Sie kennet, oder von Jhnen gehoͤrt hat, masset sich gleichsam ein Recht an, Sie wegen Jhrer Auf- fuͤhrung in einer so gefaͤhrlichen und empfindlichen Begebenheit zur Rechenschafft zu ziehen. Jedermanns Auge ist auf Sie gerichtet, und erwartet von Jhnen ein Muster dem man nachfol- gen koͤnne. Jch wuͤnschte, daß Sie Freyheit ha- ben moͤchten Jhren eigenen Einsichten zu folgen: alsdenn, hoffe ich, wuͤrde alles auf eine leichte und anstaͤndige Art geendiget werden. Jhre Fuͤhrer und Fuͤhrerinnen setzen mich nur in Sorge; denn obgleich Jhre Mutter alle Eigenschafften an sich hat, andere zu regieren, so muß Sie sich doch re- gieren lassen. Jhre Schwester und Jhr Bruder werden Sie gewiß hindern den Weg zu gehen, den Sie selbst waͤhlen wuͤrden. Aber ich weiß Sie vergoͤnnen mir nicht, mich uͤber diesen letzten Punct weitlaͤuftiger zu erklaͤren. Jch bitte mir Vergebung aus, und schliesse. Doch was soll ich um Vergebung bitten? da Jhre Sorge, meine Sorge ist, und Jhre Ehre, meine A 3 Ehre Die Geschichte Ehre; da ich Sie so liebe, als nie Frauenzimmer einander geliebet haben; und da Sie mir Erlaub- niß gegeben haben, Sorge und Liebe mit Jhnen zu theilen; und schon mehrere Jahre (wenigstens kann man sie in einen so jungen Alter mehrere nennen) einen Platz in der ersten Classe Jhrer Freundinnen gegoͤnnet haben, Jhrer ewig danck- baren und ergebensten Anna Howe. P. S. Wollen Sie mir die Gefaͤlligkeit erzeigen, mir eine Abschrifft des Eingangs zu den in Jh- res Groß-Vaters letzten Willen Jhrentwegen ge- machten Clausuln zu uͤbersenden? und mir erlau- ben solche meiner Base Harman zu schicken? Sie ist sehr begierig diesen Eingang zu sehen. Jedoch ist sie von Jhuen so eingenommen, daß ob Sie ihr gleich von Person unbekannt sind, sie doch schon zum voraus billiget, daß Jhr Groß-Va- ter Sie vorzuͤglich vor andern bedacht hat, ohne die Ursachen noch zur Zeit zu wissen, die ihn hie- zu bewogen haben. Zweyter Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Harlowburg den 13. Jan. W ie uͤberhaͤuffen Sie mich mit einer rechten Last von Hoͤflichkeit! Jch kan zwar an Jh- rer der Clarissa. rer Aufrichtigkeit nicht zweifeln: allein Sie soll- ten sich doch billig in Acht nehmen, daͤß Jhre guͤ- tige Partheylichkeit gegen mich nicht zum Nach- theil ihrer Beurtheilungs-Kraft ausgeleget wer- den moͤge. Sie unterscheiden die vortrefflichen Gedancken nicht, die ich Jhnen bisweilen abbor- ge, und die Kunst verstehe sie so anzubringen, als waͤren es meine eigene. Denn in allem was Sie thun, und was Sie reden, ja selbst in Jhren so lebhaften Blicken geben Sie, ohne es zu wissen, einer Dienerin, die Sie so liebet, und so auf Sie Acht giebet als ich es thue, lauter Lehren. Jch bitte demnach, seyn Sie inskuͤnftige sparsamer mit Jhrem Lobe; damit nicht nach diesem meinem Gestaͤndniß der Argwohn enstehen moͤge, daß Sie sich selbst heimlich in meinem Lobe zu loben gedaͤchten. Unsere Familie ist in der That sehr ausser Ord- nung gekommen- ausser Ordnung! Nein sie ist in der allergroͤsten Unordnung gewesen, seit dem jene ungluͤckliche Begebenheit vorgefallen ist. Man hat alle Schuld auf mich geworfen: und ich wuͤrde von selbsten mir diese Sache zu sehr zu Ge- muͤthe gezogen haben, wenn andere glimpflicher und billiger mit mir umgegangen waͤren. Es mag mein Wunsch die Frucht einer tadel- haften Ungedult seyn, und daher entstehen, daß ich zu guͤtig erzogen bin gegen Beschuldigung un- empfindlich zu seyn, oder er mag daher kommen, daß ich diejenigen um meinet willen nicht ohne Verdruß kan tadeln hoͤren, die ich zu entschuldi- A 4 gen, Die Geschichte gen, verbunden bin: so habe ich doch bisweilen gewuͤnschet, daß es GOtt gefallen haͤtte, mich in meinem lctzten Fieber wegzunehmen, als ich mich noch jedermanns Liebe und guter Meynung zu er- freuen hatte; und noch oͤfter habe ich gewuͤnschet, daß mein Groß-Vater mir in seinem letzten Wil- len nicht so viel zum voraus vermacht haͤtte. Denn diese seine Guͤte hat, wie ich muthmasse, das Hertz meines Bruders und meiner Schwester von mir abgewandt, und wenigstens einigen Neid auf die Gewogenheit meiner Vater-Bruͤder gegen mich bey Jhnen erwecket, welcher Jhre Liebe biswei- len verdunckelt. Da mein Bruder von seinem Fieber gluͤcklich wieder hergestellet ist, und man in Ansehung sei- ner Wunde auch gute Hoffnung hat, ob er sich gleich noch nicht ausgewaget: so will ich in Er- zaͤhlung unserer Kleinigkeiten, so umstaͤndlich seyn, als Sie verlangen. Aber GOtt verhuͤte, daß niemals ein neues Ungluͤck moͤge Anlaß ge- ben, diese Nachricht zu dem Zwecke, dessen Sie so guͤtig erwaͤhnen, anderen vorzuzeigen. Jch will Jhrem Befehl gemaͤß von der ersten Bewerbung des Herrn Lovelace um meine Schwester den Anfang machen, und so kurtz seyn als moͤgltch ist. Jch will nur die Sachen erzaͤh- len, und Jhnen uͤberlassen, von der Wahrheit des Geruͤchts zu urtheilen, daß die juͤngere Schwe- ster der aͤltern ein Hertz gestohlen habe. Es gescha- he zu folge einer Berathschlagung zwischen dem Lord M. und meines Vaters Bruder Anton/ daß der Clarissa. daß Herr Lovelace mit Erlaubniß meiner Eltern meiner Schwester Arabella die Aufwartung machte. Mein Bruder hielt sich damals in Schottland auf, um die schoͤnen Guͤter zu bese- hen, dle ihm von seiner freygebigen Pathe nebst andern von gleichem Werth in der Grafschafft Yorck, vermacht waren. Jch befand mich damals auf meiner so genannten Hollaͤnderey Damit ihr Großvater sie so oft zu sich bitten koͤnte als ihre uͤbrigen Freunde sie missen konten, erlaubte er ihr eine kleine Hollaͤnderey, so wie sie es selbst fuͤr gut finden wuͤrde anzulegen. Als diese fertig war, sand sie wegen ihrer ungekuͤnstelten Zierlichkeit und Be- quemlichkeit so viel Bewunderer, daß das gantze Gut, so vorhin der Lage wegen der Hayn geheissen hatte, nunmehro unter dem Nahmen der Hollaͤnderey be- kannt ward. Jhrem Groß Vater geschahe insbe, sondere ein Gefalle, wenn man es so nannte. , um die Rechnungen des Gutes durchzusehen, daß mir mein Groß-Vater zum voraus vermacht hat- te. Denn man erlaubet mir jaͤhrlich einmal die- ses Gut selbst in Augenschein zu nehmen, ob ich es gleich gaͤntzlich meinem Vater zur Verwaltung uͤberlassen habe. Den naͤchsten Tag nach Herrn Lovelaces er- sten Zuspruch besuchte mich meine Schwester da- selbst. Lovelace schien ihr ungemein wohl zu ge- fallen, sein Familie: sein Vermoͤgen und zwey tausend Pfund jaͤhrlicher gewisser Einkuͤnfte, wie der Lord M. meinem Vater Bruder Anton ver- sichert hatte: die starcke Vermuthung, daß er die- A 5 ses Die Geschichte ses Herrn Erbe seyn werde; was er von Lady Sara Sadleyr und Lady Lawrance zu hoffen hat, als welche beyde nebst dem Lord M. sehr wuͤnschen ihn bald verheyrathet zu sehen, weil er der letzte von der Familie ist: waren dises nicht Umstaͤnde genug ihn meiner Schwester angenehm zu machen? „So ein artiger Herr! O ihre liebe Clarissa! (denn damals konnte sie mich sehr zaͤrtlich lieben, weil er sie aufgeraͤumt und liebreich gemacht hatte) „Er war nur gar zu artig fuͤr sie! Sie hoffete „seine Liebe stets zu behalten, wenn sie nur eben „so einnehmend waͤre, als sonst jemand! „denn sie hoͤrte er waͤre wild, sehr wild und sehr „lustig, und haͤtte sehr gern mit Liebes-Sachen „zu thun. Aber er waͤre jung und habe guten „Verstand: er wuͤrde seinen Jrthum einsehen, „wenn sie nur Gedult mit seinen Fehlern haben „koͤnte, falls diese nicht ohnedem durch seine „Verheyrathung wegfielen. Solcher Sachen sprach sie noch mehrere, und bat mich, daß ich doch den liebenswuͤrdigen Herrn, wie sie ihn nennete, auch sehen moͤchte. Aber von neuen uͤberfiel sie eine Sorge, „daß sie „nicht artig genug fuͤr ihn waͤre: das waͤre aͤr- „gerlich, hieß es, wenn der Mann in diesem „Stuͤck die Frau uͤbertreffen solte.„ Hierauf trat sie wieder vor den Spiegel und machte sich das Compliment, „sie saͤhe gut genug aus. „Man hielte manches Frauenzimmer fuͤr mittel- „maͤßig schoͤn, das doch von ihr uͤbertroffen „wuͤrde der Clarissa. „wuͤrde: man habe ihre Gestalt stets fuͤr an- „staͤndig gehalten; wobey ich ihr sagte, daß Anstaͤndigkeit nicht so viel in der Gestalt als Schoͤnheit verlieren koͤnnte, und bleiben wuͤrde, wenn jene laͤngst verwelcket waͤre. Hierauf kehrte sie sich wieder zum Spiegel, „und be- „merckte, daß ihre Gesichts-Zuͤge und ihre Au- „gen nicht eben die schlimmsten waͤren, (ich er- innere mich, daß sie eben damahls ungewoͤhnlich hell waren) „kurtz: Es waͤre nichts zu tadeln, „obgleich auch nichts sehr reitzendes an ihr zu fin- „den waͤre. Sie war zweifelhafft: ist was an „mir auszusetzen Claͤrgen? Vergeben Sie mir, mein Hertz, ich habe nie vorhin so umstaͤndlich alle Kleinigkeiten geschrie- ben, auch selbst nicht an Sie. Jetzt wuͤrde ich eben so wenig eine so freye Beschreibung von der Auffuͤhrung meiner Schwester machen, wañ Sie sich nicht gegen meinen Bruder ruͤhmte, daß Herr Lovelace niemahls das Gluͤck gehabt habe, ihr zu gefallen. Ueber dieses befehlen Sie, daß ich auch Kleinigkeiten in meine Beschreibung mit ein- fliessen lassen soll, und vergoͤnnen mir nicht die Miene und die Art zu verschweigen, womit eine Sache die Nachdencken erwecken kan gesprochen ist: und in der That ist Jhre Anmerckung richtig, daß die Mienen unsere Gemuͤths-Fassung oͤffters besser ausdrucken, als die Worte selbst. Jch wuͤnschte ihr Gluͤck zu ihrer Hoffnung. Sie nahm meinen Gluͤckwunsch an, und schien mit sich selbst sehr wohl vergnuͤgt zu seyn. Der Die Geschichte Der junge Herr gefiel ihr bey seinem naͤchsten Besuch noch besser. Und dennoch machte er sich nicht eben insbesondere viel mit ihr zu thun, ob ihm gleich Gelegenheit dazu gegeben ward. Man wunderte sich zwar hieruͤber, weil mein Vaters- Bruder, der ihm den ersten Zugang in unser Haus verschaffet hatte, deutlich gesaget hatte, daß er meine Schwester besuchen wollte. Doch unsere Eigenliebe macht uns immer sehr willfaͤhrig, den Schein des Kaltsinns bey solchen Personen zu ent- schuldigen, denen wir gern gefallen moͤchten. Meine Schwester entdeckte auch eine fuͤr Herrn Lovelace sehr ruͤhmliche Ursache, warum er sich der gegebenen Gelegenheit so wenig bedienete. Jn der That er war zu bloͤde, (dencken Sie ein- mahl: Herr Lovelace soll bloͤde seyn) Jch muß bekennen, daß ob er gleich munter und lebhaft ist, er doch nichts unverschaͤmtes im Gesichte hat: aber die Zeit muß wohl laͤngstens vorbey seyn, da er bloͤde gewesen ist. Doch auf diese Weise konnte meine Schwester damit fertig werden. „Auf ihr Wort, sie glaub- „te, daß Herr Lovelace die uͤble Nachrede „in Absicht seiner Auffuͤhrung gegen die Frauens- „Leute nicht verdiene. Er war ihrer Meynung „nach ein sehr wohlgesitteter Herr. Sie glaub- „te er haͤtte gern seine Meynung frey heraus „gesagt: aber ein oder zweymahl, da er das „Wort schon auf der Zunge hatte, gerieth er in „eine so liebenswuͤrdige Verwirrung, er schien „ihr tiefe Hochachtung, und vollkommene Ehr- erbie- der Clarissa. „erbietung zu erweisen. Nichts gefiele ihr besser, „als daß ein junger Herr, der ein Hertz erobern „will, seiner Schoͤnen ehrerbietig begegne. „ Dieses Gluͤck wuͤnschen wir uns wohl alle; und wir haben Ursache es uns zu wuͤnschen: Denn in manchen Familien habe ich bemercket, daß nach- her sehr wenig Ehrerbietung fuͤr das Frauenzim- mer zu erwarten ist. Sie sagte meiner Base Hervey: „sie wolle das kuͤnfftige mahl nicht so „sehr zuruͤck halten: sie waͤre keine solche Thoͤrin, „daß sie einen Liebhaber nur quaͤlen wollte, der „nichts als Gegenliebe verdiente; und daß sie „ihn desto mehr quaͤlen wollte, je hoͤher er sie „schaͤtzte. Nein so waͤre sie nicht!„ Wenn sie nur nicht auf eine Person gezielt haͤtte, die mir ungemein werth ist, so daͤchte ich fast, daß sie mit Grund einen Fehler unsers Geschlechts getadelt haͤtte. Jch nehme ein ungebuͤhrliches und hartes Wort aus. Arabella fuͤhrete sich bey seinem dritten Besuch so guͤtig und vorsichtig auf als sie sich vorgenom- men hatte: und sie selbst glaubte, nunmehr haͤtte er sein Anliegen frey heraus sagen koͤnnen. Aber er war noch bloͤde: er konnte seine unzeitige Ehr- erbietung nicht uͤberwinden. Dieser Besuch hatte demnach keinen andern Ausgang, als der vorige. Aber nun fing sie an uͤber ihn mißvergnuͤgt zu seyn. Sie verglich seine gantze Gemuͤths-Beschaf- fenheit mit seinem Betragen gegen sie selbst; und da sich vorhin noch niemand um sie beworben hat- te, so gestand sie, sie wisse gar nicht, wie sie sich ge- gen Die Geschichte gen einen so seltsamen Liebhaber auffuͤhren solle. „Was kan der Mensch fuͤr eine Absicht haben? „(sagte sie zu meiner Base) Mein Vaters „Bruder hat deutlich gesagt, er braͤchte ihn als „einen Freyer in unser Haus.„ Es kan nicht blosse Bloͤdigkeit seyn: (nun dachte sie der Sache weiter nach) „denn er haͤtte ja mit meines Va- „ters Bruder reden koͤnnen, wenn er nicht das „Hertz gehabt haͤtte, seine Erklaͤrung gegen mich „zu thun. Jch frage nach ihm nicht viel. Es „ist doch aber wahthaftig billig, daß eine Manns- „Person, daß Frauenzimmer nicht lange rathen „lasse sondern ihr selbst seine Absicht zu verstehen „gebe. Allein in der That ich mercke, er suchet „nicht so wohl meine als meiner Mutter Gunst „zu erlangen. Es ist wahr, jedermann be- „wundert meine Mutter wegen ihrer vortrefli- „chen Auffuͤhrung: er wird sich aber irren, wenn „er dencket, daß er die Tochter durch die Mutter „kriegen will. Wenigstens solte er um seines „eigenen Vortheils willen es meiner Wahl uͤber- „lassen, gegen ihn gefaͤllig zu seyn, wenn „er sich so auffuͤhret, daß er mir gefallen kan. „Jch muß es gestehen, daß seine entfernte und „fremde Art des Umgangs desto wunderbah- „rer ist, weil er seinen Besuch fortsetzet und ein „Verlangen bezeuget, mit der gantzen Familie „Freundschaft zu halten, da er doch wohl mer- „chen muß, daß ich Verstand habe, falls ich an- „ders selbst sagen darf was die Welt von mir ur- „theilet.„ Hier- der Clarissa. Hierbey wußte sie zu erzaͤhlen, „daß er man- „chen artigen Spaß, der ihr entfallen waͤre, „wohl bemercket, und sehr bewundert haͤtte. Es „sey zwar einem offenen und freyen Hertzen als sie „habe, sehr beschwerlich zuruͤck zu halten: allein „sie koͤnnte ihrer Base nicht verheelen, daß sie „niemals vergessen wuͤrde, was sie ihrem Ge- „schlecht, und was sie sich selbst schuldig sey, „wenn auch wieder Herr Lovelaces Auffuͤhrung „eben so wenig einzuwenden waͤre als wieder sei- „ne Gestalt, und wenn er auch kuͤnftig seine Bit- „te noch so eifrig anbraͤchte.„ Jch ward nicht mit zu Rathe gezogen. Jch war noch immer verreiset. Sie fassete auf Anra- then meiner Base Hervey den Schluß, bey dem naͤchsten Besuch gantz ernsthaft und zuruͤckhaltend zu thun, wenn er nicht besonders Gelegenheit such- te, mit ihr naͤher bekannt zu werden. Meine Schwester hatte die Sache nicht wohl uͤberlegt. Der Erfolg wieß, daß dieses nicht der rechte Weg war, den man um einer blossen Un- terlassung willen mit einem so klugen Mann als Herr Lovelace haͤtte gehen sollen. Ja auch gegen einen andern haͤtte man nicht so verfahren sollen; denn wenn die Liebe nicht so tief gewurzelt ist, daß sie bey der besten Gelegenheit, die man dazu giebt, eine Liebes-Erklaͤrung hervor bringt, so hat man wenig Ursach zu hoffen, daß sie gleichsam durch den toͤdtenden Wind der Empfindlichkeit und Rache wachsen werde. Ueber dieses ist meine ar- me Schwester von Natur nicht allzu aufgeraumt: ich Die Geschichte ich erfahre diese Warheit leider zu oft, als daß ich sie ihnen verheelen koͤnte. Wenn sie nun mit Willen noch verdrießlicher hat scheinen wol- len, als sie gemeiniglich ist, so muß dieses ein gar nicht vortheilhaftes Bild von ihr gegeben haben. Jch weiß nicht was in dieser Zusammenkunft vorgefallen ist; der Ausgang sollte einen fast auf die Gedancken bringen, daß Herr Lovelace so lose und fast so niedertraͤchtig gewesen sey, die Ge- legenheit mit Fleiß zu suchen und zu gebrauchen, welche ihm meine Schwester dieses mal gab. Es beliebte ihm jetzund seine Bitte anzubringen: aber sie erzehlet, daß er sie vorher, (sie wuste nicht, auf welche Art und Weise?) so zum Unwillen ge- reitzet, und so misvergnuͤgt gemacht habe, daß sie unmoͤglich so gleich wieder zu sich selbst habe kommen koͤnnen. Dem ohngeachtet drang er mit seiner Bitte in sie, nicht anders, als wenn er ein deutliches Ja erzwingen wollte, ließ ihr aber nicht Zeit wieder aufgeraͤumt zu werden, und be- muͤhete sich nicht sie zu besaͤnftigen. Sie konnte daher nicht anders, als seine Bitte abschlagen; ließ ihm aber dabey mercken, daß ihr nicht sowohl sein Anbringen mißfiele, als die Art mit der er es angebracht hatte: denn er habe sich mehr um ihre Mutter, als um sie beworben, gerade als wenn er gewiß wuͤßte, daß sie sogleich Ja sagen wuͤrde so bald es ihm beliebte. Eine Verweigerung voller Ja-Worte! Von gleicher Beschaffenheit waren alle ihre uͤbrige Ein- wendungen, nehmlich sie habe nicht Lust sich zu der Clarissa. zu veraͤndern; sie sey jetzt gluͤcklicher/ als sie jemals werden koͤnte. Sie brachte noch mehr solcher bejahenden Verneinungen vor, ich kan sie wohl so nennen, ohne uͤber meine Schwe- ster zu spotten: denn was kan ein jung Maͤdgen in solchen Umstaͤnden anders sagen, wenn es fuͤrchten muß, daß es durch ein allzuwilliges Ja sich nur bey dem andern Geschlechte veraͤchtlich machen wuͤrde? Denn dieses pflegt doch sein Gluͤck hoͤher oder geringer zu schaͤtzen, nachdem ihm das Ja-Wort leichter, oder schwerer zu er- halten geworden. Mir gefaͤllt die Antwort der Fraͤulein Biddulf auf einige Verse die von ei- nem jungen Herrn herumgehen Siehe den 31. Brief. , der sich uͤber die Verstellung des Frauenzimmers lustig mach- te. Sie werden nichts daran tadeln, als daß un- sere Fehler zu freymuͤthig bekannt werden. Du niedertraͤchtigs Volk das Zaͤrtlichkeit ver- lacht, Wenn es durch falschen Schwur die Schoͤ- nen zaͤrtlich macht? So bald wir sproͤde sind, und unsre Gunst verheelen, Hoͤhnt ihr die Bloͤdigkeit ihr poͤbelhaften Seelen. Entschließt euch selbst zuerst zu ofner Redlichkeit, So wird dem Redlichen ein ofnes Herz ge- weyht. Sonst spottet unsrer nicht: es liegt in euren Raͤncken Die Erster Theil. B Die Geschichte Die Ursach, daß wir nicht so reden als wir dencken. Hier muß ich meine Feder niederlegen, ich werde sie aber bald wieder nehmen, um weiter zuschreiben. Der dritte Brief. von Fraͤulein Clarissa Harlove an Fraͤulein Howe/ den 13. und 14. Jan. S o hatte denn Herr Lovelace seine Antwort von meiner Schwester, nach der Erklaͤ- rung, die er ihren Worten gab. Mit sehr groser Betruͤbnis, (wie er vorgab) ließ er sich ihren Ausspruch gefallen. Jch fuͤrchte mein Hertz, er weiß sich sehr zu verstellen. „Eine so gesetzte „Unveraͤnderlichkeit, Eine so erhabene Stand- „hafftigkeit fand er seinem Vorgeben nach bey „meiner Schwester, daß ihm keine Hoffnung „uͤbrig blieb, sie zur Aendrung ihres Entschlusses „zu bewegen, den sie mit voͤlliger Ueberlegung „gefasset hatte. Er seuffzete, nach der Erzeh- „lung meiner Schwester, als er von ihr Ab- „schied nahm! der Seufzer war recht tief: er „umfassete ihre Hand, und kuͤssete sie recht feu- „rig; er gieng darauf mit der ehrerbietigsten „Miene weg. Als er so vor ihr stand, so trat „ihrem Hertzen fast ein Mitleiden gegen ihn an, „ob er sie gleich vorhin erzuͤrnet hatte.„ Gewiß ei- ne gute Vorbereitung zum kuͤnftigen Ja-Wort, wenig- der Clarissa. wenigstens nach ihrer Absicht: denn als sie dis Mitleiden empfand, ließ sie sich noch gar nicht einfallen, daß er seine Bitte nicht abermals an- bringen wuͤrde. Er wartete meiner Mutter noch auf, und klagte ihr sein Ungluͤck mit vieler Ehrerbietung, so wohl gegen meine Schwester, als die gantze Fa- milie, und ließ eine rechte starke Bekuͤmmerniß daruͤber blicken, daß er nicht das Gluͤck haben sollte, mit ihr naͤher verbunden zu werden. Die- ses machte bey allen einen ihm vortheilhaften Eindruck, denn mein Bruder war damals noch in Schottland: und man glaubte, er werde sein Gewerbe abermahls anzubringen suchen. Als aber Herr Lovelace gleich nach London reise- te, und sich daselbst vierzehn Tage aufhielt, auch gegen meinen Vaters Bruder Anton/ den er dort antraf, sich wegen des ihm betruͤbten Ent- schlusses meiner Schwester, unverheyrathet zu blei- ben, beklagte; so sahe man wohl, daß in der Sa- che weiter nichts zu thun seyn wuͤrde. Bey dieser Gelegenheit vergaß meine Schwe- ster nichts, sich in den Vortheil zu setzen, und sie machte aus der Noth eine Tugend. Der Mensch war nun in ihren Augen ein ganz anderer Mensch geworden „ein eingebildeter Mensch! der seine „eigene Vorzuͤge mehr als zu wohl kenne, und „doch waͤren diese seine gute Eigenschaften bey „weiten nicht so groß, als sie zu Anfang gehof- „fet haͤtte. Er waͤre bald kalt, bald warm, und „seine Liebe waͤre einem Fieber sehr aͤhnlich. B 2 Ein Die Geschichte „Ein bestaͤndiger Mann, der Tugend besaͤsse „waͤre ihr lieber, als tausend solche artige „Flatterer. Vielleicht moͤchte ihre Schwester „ Claͤrgen es der Muͤhe werth achten, sich mit „einem solchen Liebhaber abzugeben. Die haͤtte „Gedult, die koͤnnte bitten und uͤberreden, und „in der That das Maͤdgen haͤtte etwas aͤhnli- „ches von Jemanden: sie aber moͤge keinen „Mann haben, wenn er auch die gantze Welt be- „saͤsse, auf dessen Hertz sie sich nicht eine Stunde „lang verlassen koͤnnte; Sie freue sich von Her- „tzen daß sie sich von ihm loß gemacht habe.„ Da Herr Lovelace wieder aufs Land kam, that er meinem Vater und Mutter die Ehre, sie zu besuchen. Er sagte, er hoffe, daß es ihm er- laubt seyn wuͤrde, bestaͤndige Bekanntschaft und Freundschaft mit einer Familie zu halten, die er nie aufhoͤren wuͤrde zu verehren, ob er gleich so ungluͤcklich gewesen waͤre, daß ihm die gehofte Verbuͤndung abgeschlagen sey. Zu meinem Un- gluͤck, so mag ich es wohl nennen, war ich da- mals zu Hause und gegenwaͤrtig. Man bemerkte alsobald daß er auf mich ein Auge gerichtet hatte. So bald er weg gegan- gen war, stellte sich meine Schwester, als haͤtte sie grosse Lnst seiner Anwerbung um mich befoͤr- derlich zu seyn, falls er sie deutlich vorbringen wuͤrde. Dis sollte eine großmuͤthige Verach- tung heissen. Meine Base Hervey war eben gegenwaͤrtig, und sagte, wir wuͤrden das artigste Paar in ganz Eng- der Clarissa. England seyn, wenn meine Schwester nichts da- gegen einzuwenden haͤtte. Nein wahrhaftig nicht, stuͤrzte sie mit hochmuͤthigen Geberden heraus! es wuͤrde sich dieses Betragen zu dem Korbe gar nicht schicken, den ich ihm mit voller Ueberlegung gegeben habe. Meine Mutter sagte; das eintzige, was sie wider seine naͤhere Verbindung mit einer von ihren beyden Toͤchtern einzuwenden habe, sey seine unordentliche Lebens-Art. Mein Onkle Harlowe antwortete: seine Tochter Claͤrgen (denn so hat er mich von meiner Kindheit an gern genannt) wuͤrde ihn bekehren, falls ihn irgend ein Frauenzimmer be- kehren koͤnnte. Der andere Bruder meines Vaters Anton/ gab seinen Beyfall sehr nachdruͤcklich; Er setzte aber hinzu, was Frau Hervey schon vorhin erinnert hatte, daß man meiner Schwester Mey- nung besonders hoͤren muͤste. Sie fing von neuem an, ihn zu veracheen; und erklaͤrte sich: sie moͤchte ihn nicht nehmen, wenn gleich alle Manns-Personen in England bis auf ihn ausgestorben waͤren. Sie versicherte im Ge- gentheil, sie sey bereit, sich aller ihrer Anspruͤche an ihn unter Hand und Siegel zu begeben, wenn sich Claͤrgen von seinem Flitter-Golde wollte blenden lassen, und wenn sonst alle damit zu- frieden waͤren, daß er das Maͤdgen kriegte. Mein Vater unterbrach endlich sein langes Stillschweigen, weil sein Bruder Anton sehr in B 3 ihn Die Geschichte ihn drang, daß er seine Meynung eroͤfnen moͤchte. Er sagte: er habe von seinem Sohn Jacob ei- nen Brief bekommen, den er geschrieben, als er gehoͤret haͤtte, daß sich Herr Lovelace um seine Schwester Arabella bewuͤrbe: er habe diesen Brief niemanden, als meiner Mutter gezeiget, weil doch bey dessen Empfang die ganze Sache schon vorbey gewesen sey. Sein Sohn bezeuge in diesem Schreiben ein grosses Misfallen an ih- rer Verheyrathung mit Herrn Lovelace/ wegen der uͤbeln Auffuͤhrung dieses Mannes. Er wisse zwar, daß ein alter Groll zwischen ihnen beyden obwalte; aber er wolle sich doch nicht eher uͤber diese Sache erklaͤren, bis er von seinem Sohn nach dessen Zuruͤckkunft alles selbst gehoͤret, was er einzuwenden habe, weil er gern alle Gelegen- heit zur Trennung und Feindschaft in seiner Fa- milie vermeiden wolle. Er sey desto geneigter seinem Sohn diese Gefaͤlligkeit zu erweisen, weil die allgemeine Meynung die man von Herrn Lo- velace habe, das Misfallen seines Sohnes an der Heyrath nur allzusehr rechtfertige. Er habe gehoͤret, (er glaubte aber, jedermann muͤste dis auch gehoͤret haben) daß Lovelace ein sehr aus- schweifender Mensch sey, und auf Reisen viel Schulden gemacht habe: er sehe auch in der That recht aus, als ein Verschwender. Diese Umstaͤnde habe ich theils von meiner Ba- se Hervey/ und theils von meiner Schwester: denn ich ward heraus gerufen, so bald man anfing von der Sache zu sprechen. Als ich wieder kam, fragte der Clarissa. fragte mich mein Onckle Anton; wie mir Herr Lovelace gefiele. Jedermann sehe wohl, setzte er hinzu, daß ich ein Hertz erobert haͤtte. Jch antwortete ihm ohne mich zu bedenken: Ganz und gar nicht! Er scheint von seiner Person und Eigenschaften eine so vortheilhafte Meynung zu haben, daß er schwerlich gegen seine Frau die noͤ- thige Achtung haben wird, er mag heyrathen, welche er will. Meine Schwester war insonderheit mit dieser Antwort vergnuͤgt, sie bestaͤtigte das was ich ge- sagt hatte, und ruͤhmete mein Urtheil: denn es war zugleich ihr Urtheil. Allein den folgenden Tag kam der Lord M. auf unser Gut, als ich eben nicht zu Hause war. Er that in seines Vetters Namen einen foͤrmli- chen Antrag, mit der Erklaͤrung seine ganze Fa- milie wuͤnsche sich die Ehre mit der Unsrigen ver- wandt zu werden: und er hoffe, sein Vetter werde eine bessere Antwort von der Juͤngern, als von der aͤltern Schwester bekommen. Kurtz: es ward Herrn Lovelace verstattet mich zu besuchen, weil man ihn fuͤr einen jungen Herrn hielt, der von unserer Familie alle gute Begeg- nung verdienet haͤtte; doch behielt sich in Absicht auf mich mein Vater bevor, daß er nichts ohne seines Sohnes Beyrath beschliessen wolle. Uebri- gens verließ man sich auf meine Vorsich tigkeit und Klugheit; denn ich machte noch eben diesel- ben Einwendungen gegen Herrn Lovelace, und wollte nicht einmahl, da wir besser bekannt ge- B 4 worden, Die Geschichte worden, einige Gespraͤche anhoͤren, die mich ins besondere angingen, daher ich ihm die Gelegen- heit abschnitt, sich mit mir allein zu unterreden. Er ertrug dieses mit mehr Gelassenheit, als man von seiner Gemuͤthsbeschaffenheit dencken koͤnnen, denn man sagt gemeiniglich, daß er sehr lebhaft und heftig sey; und es scheint, daß er von Kindheit auf nicht sey gewoͤhnt worden, Wider- spruch zu leiden, oder sich in seinen Neigungen Einhalt thun zu lassen: eine Sache die in vor- nehmen Familien, bey einzigen Soͤhnen gar zu ge- woͤhnlich ist, und seine Mutter hat ausser ihm nie- mahls ein ander Kind gehabt. Wie ich Jhnen aber schon sonst erzaͤhlet habe, konnte ich dem ohn- geachtet wohl merken, daß er von sich eine viel zu gute Meynung habe, und gar nicht zweifele, seine Person und Artigkeit wuͤrde mich unvermerkt ein- nehmen. Er sagte zu meiner Base Hervey: wenn er mich nur einmahl gewonnen haͤtte, so hoffe er, von einem so standhaftem Gemuͤthe, daß meine Liebe gegen ihn desto dauerhafter seyn wuͤr- de. Meine Schwester meinte ganz andere Ursa- chen seiner Gedult zu finden, und ihr Urtheil wuͤrde mehr Gewicht gehabt haben, wenn sie weniger Ur- sache gehabt haͤtte, durch Vorurtheile gegen ihn eingenommen zu seyn. Sie sagte, der Mensch moͤchte sich vielleicht uͤberall nicht darnach sehnen, verheyrathet zu werden. Er moͤchte vielleicht ein Dutzend Maitressen haben, und der Verzug sey eben so vortheilhaft fuͤr seine Ausschweifungen, als fuͤr meine sehr wohlangenommene Kalt- sinnig- der Clarissa. sinnigkeit. Dieses waren ihre guͤtigen Aus- druͤcke. Was fuͤr Bewegungs-Gruͤnde er inzwischen haben mogte, eine ihm so ungewoͤhnliche Gedult zu beweisen, sonderlich bey einer Person, die von ihm fuͤr ein hinlaͤngliches Gluͤck gehalten ward, seine Begierde rege zu machen; so ist doch dieses gewiß, daß er hiedurch manchen Verdrießlichkei- ten und Kraͤnkungen entging. Denn weil mein Vater seine Einwilligung bis zu meines Bruders Ankunft aufschob, so erwieß ihm jedermann die Hoͤflichkeiten, die man seinem Stande schuldig war. Wir hoͤrten zwar von Zeit zu Zeit uͤble Nach- richten von seiner Lebensart, wir konnten ihn aber wegen ihrer Richtigkeit nicht befragen, ohne ihm einen groͤssern Vortheil uͤber uns und mehr Recht zu geben, als die Klugheit erlaubte. Denn allem Ansehen nach war eine abschlaͤgliche Antwort auf seine Bitte wahrscheinlicher als ein Ja. Er behielt also einen freyen Zutritt in unser Haus, dessen er sich fast bedienen konnte, wie er nur selbst wollte. Denn da meine Freunde in sei- nem Betragen lauter Ehrerbietigkeit wahrnah- men, und keine ungestuͤme Heftigkeit bey ihn fan- den, so schienen sie recht vergnuͤgt mit seinem Um- gang zu seyn. Jch aber sahe ihn fuͤr weiter nichts, als einen ordentlichen Gast an, und that nicht, als wenn mich sein Besuch naͤher betraͤffe, als irgend einen andern im Hause, war auch deswegen bey seinem Kommen und Weggehen nicht mehr als andere, bey der Hand. B 5 Allein Die Geschichte Allein diese meine Gleichguͤltigkeit hatte sonft fuͤr ihn erwuͤnschte Folgen; denn hierdurch er- hielt er die Erlaubniß, eines Briefwechsels mit mir, wozu ich mich niemahls wuͤrde entschlossen haben, wenn er ihn haͤtte anfangen wollen, nach- dem die Feindseligkeiten zwischen unsern Familien schon ausgebrochen waren. Die Veranlass n ng des erwaͤhnten Briefwechsels war folgende. Meinem Vetter Herrn Hervey war ein junger Herr zur Aufsicht anvertrauet, den er ein oder zwey Jahr in fremde Laͤnder schicken wollte, um die so genannte grosse Reise vorzunehmen. Da er nun befand, daß Herr Lovelace von allem, was ein Reisender bey solcher Gelegenheit zu be- obachten hat, gute Nachricht geben konnte, so bat er ihn, eine Beschreibung der Hoͤfe und Laͤn- der, die er gesehen hatte, aufzusetzen, und inson- derheit anzuzeigen, worauf ein Reisender die mei- ste Aufmercksamkeit zu richten haͤtte. Er willigte hierin, doch mit der Bedingung, daß ich seine Hand leiten moͤchte, wie er es nenne- te. Da nun jedermann seine Schreib-Art hatte ruͤhmen hoͤren, und man hoffete seine Erzaͤhlung wuͤrde dienen, die langen Abende im Winter auf eine angenehme Art zu vertreiben, und es eben nicht schien, daß er dadurch Gelegenheit bekom- men wuͤrde, an mich von Liebe zu schreiben, weil die Briefe in der ganzen Gesellschaft solten vor- gelesen werden; so machte ich desto weniger Ein- wendungen, an ihn zu schreiben, und bald aller- hand Anmerkungen zu machen, bald ihm Fragen zur der Clarissa. zur Beantwortung vorzulegen. Vielleicht war ich hiezu desto williger, weil ich gern schreibe; und die das Schreiben lieben, lassen nicht leicht eine Gelegenheit vorbey, da die Feder kann gebraucht werden. Als endlich jedermann damit zufrieden war, und Herr Hervey so gar darum bat; so fuͤrchtete ich, daß wo ich allein eine Schwierigkeit machte, ich den Schein geben duͤrfte, als haͤtte ich ein besonders Auge auf diesen Herrn gerich- tet, und daß solches von einem, der so viel Ei- genliebe hat, leicht allzuvortheilhaft fuͤr sich koͤn- te gedeutet werden. Es wuͤrde auch meine Schwester ihre Anmerkungen bey solcher Gele- genheit nicht gesparet haben. Sie haben einige von seinen Briefen selbst gesehen, und die Nachrichten, die er von Per- sonen, Staͤdten, und andern Dingen gab, ge- fielen Jhnen wohl: Sie waren gleicher Meynung mit mir, daß er nicht unter die gemeinen Reisen- den gehoͤre, sondern auf alles sehr genau gemerkt habe. Meine Schwester selbst gestand, daß er einen ziemlichen Ansatz zum schreiben, und be- schreiben haͤtte: und mein Vater, der in seiner Jugend gereiset ist, sagte seine Anmerkungen waͤren sehr artig, und man koͤnnte daraus sehen, daß er viel Belesenheit, Verstand und guten Geschmack besaͤsse. Auf diese Art entstand zwischen mir und ihm mit aller Bewilligung eine Art des Briefwechsels. Jedermann verwunderte und vergnuͤgte sich uͤber die geduldige Ehrerbietung, die er gegen mich blicken Die Geschichte blicken ließ, denn dieses war der Name, den sie seinem Betragen gaben. Jndessen zweifelte man nicht, daß er nicht bald mit mehrerer Ungeduld in uns dringen solte; denn sein Besuch ward immer haͤufiger, und er bekannte meiner Base Hervey, daß er gegen mich eine heftige Zuneigung, und zugleich eine Ehrfurcht habe, die er vorhin noch nie empfunden: dieser allein, koͤnne er den Schein der Beruhigung zuschreiben, damit er bisheꝛ meines Vateꝛs ihm unangenehmen Willen, und meine Art ihm noch fremde zu begegnen, er- tragen haͤtte. Aber mein Herz, dieses ist vermuthlich sein gewoͤhnliches Betragen gegen alle unseres Ge- schlechts, denn hat nicht meine Schwester zu An- fang alle Art der Ehrerbietung von ihm geuossen? Mein Vater erwartete indessen ungestuͤmere Bitten, und hielt alle uͤble Nachrichten von ihm in Bereitschaft, um sie ihm in solchem Falle als Einwuͤrfe gegen seine Bitte vorzuhalten. Mir war sehr lieb, daß er dieses that: und es wuͤrde wunderlich gewesen seyn, wenn ich anders gesinnet gewesen waͤre. Denn eben diejenige, die Herr Wyerleys Antrag wegen seiner freyen Meynun- gen abschlug, waͤre nicht zu entschuldigen gewe- sen, wenn sie einen andern angenommen haͤtte, dessen Thaten und Lebens-Art frey waren. Allein ich muß gestehen, daß er in die Briefe, die von der Hauptsache handelten, bisweilen ein anderes Briefgen einschloß, in welchem er seine Liebe gegen mich zu erkennen gab, und sich heftig genug uͤber meine Schuͤchternheit beschwerete. Jch that, der Clarissa. that, als wenn ich diese Briefgen gar nicht em- pfangen haͤtte: denn da ich nichts an ihn geschrie- ben, als was die Hauptsache unsers Briefwech- sels, die jeder wissen durfte, betraf, so hielt ich fuͤr billig, was er von einer Nebensache schrieb, so vorbeygehen zu lassen, als haͤtte ich es nie gelesen. Jch muste es auch deshalb so machen, weil der allgemeine Beyfall, den seine Briefe erhielten, mir keine Freyheit ließ, den Briefwechsel abzubrechen, wenn ich nicht die wahre Ursach melden wollte, die mich dazu bewogen. Ueber dieses, konnte man ohngeachtet aller seiner haͤufigen und ehrerbietigen Aufwartung wohl sehen, daß es wahr sey, was die Welt ohnehin von ihm sagt, daß er einen hochmuͤthigen und hitzigen Sinn habe: ich hatte diese unbaͤndige Gemuͤths-Art an meinem Bru- der schon zu gut kennen lernen, als daß ich Sie an einer Person, die noch in ein naͤheres Band mit mir treten wollte, haͤtte entschuldigen koͤnnen. Jch hatte eine kleine Probe von dieser Ge- muͤths-Art bey der eben gemeldeten Gelegenheit: denn da er mir zum drittenmahl ein geheimes Briefgen eingeleget hatte, fragte er mich bey dem naͤchsten Besuch; ob ich nicht noch einen beson- dern Brief von ihm bekommen haͤtte? Jch sagte ihm, ich wuͤrde nie einen Brief beantworten, der auf diese Weise an mich kaͤme, und ich haͤtte nur auf eine so gute Gelegenheit gewartet, als er mir jetzt gaͤbe, nm ihn diese Erklaͤrung zu thun. Jch baͤte ihn demnach nicht wieder, hievon zu schreiben: sonst wuͤrde ich ihm beyde Briefe zuruͤck schicken, und nie wieder eine Zeile schreiben. Sie Die Geschichte Sie koͤnnen sich kaum vorstellen, was der Mensch fuͤr ein trotzig Gesicht machte, nicht an- ders, als wenn es ihn verdroͤsse, daß ich nicht mehr durch ihn geruͤhret waͤre; und was es ihm fuͤr einen augenscheinlichen Kampf kostete, seine hochmuͤthigen Geberden bescheidener und sanfter zu machen, als er wieder zu sich selbst kam; wel- ches so gleich geschah. Allein ich that als merkte ich beydes nicht: denn ich hielt fuͤr das beste, ihn durch meine Kaltsinnigkeit und Gleichguͤltigkeit, damit ich seine fruͤhzeitige Hofnung abwieß, und zugleich den Schein des Hochmuths zu vermeiden suchte, zu uͤberzeugen, daß er bey mir noch nicht hoch genug angesehen sey, mich uͤber seine Worte oder Geberden zu aͤrgern, oder mit andern Wor- ten, daß ich ihn nicht werth genug schaͤtzete, durch ein laͤchelndes oder saures Gesichte ihn von an- dern zu unterscheiden. Er hatte in der That so viel Verstand, daß er mir einmahl, obgleich ohne seinen Vorsatz, einen Unterricht gab, durch den ich behutsamer ward. Deun er sagte bey einer gewissen Gelegenheit: wenn eine Manns-Person ein Frauenzimmer nicht zu dem bekaͤnntniß bringen koͤnnte, daß sie eine Neigung gegen ihn habe, so habe man doch eben so viel und oft noch mehr gewonnen, wenn man sie boͤse machte. Jch muß hier abbrechen: ich werde aber meine Erzehlung, so bald es mir moͤglich ist, fortsetzen. Jndessen verharre ich Dero ergebenste Dienerin C. Harlowe. der Clarissa. Der vierte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. den 15. Jan. J n diesen Umstaͤnden befand ich mich mit Herr L ovelace/ als mein Bruder aus Schott- land zuruͤck kam. So bald man gegen ihn etwas von den Besuchen dieses Herrn erwaͤhnete, bezeu- gete er ohne einiges Bedencken, und ohne sich des- halb zu entschuldigen, sein grosses Mißfallen dar- uͤber. Er fand sehr merkliche Fehler in seiner Lebens-Art, und nahm sich die Freyheit mit duͤr- ren Worten zu sagen: er wundere sich, wie es ei- nem von seines Vaters Bruͤdern in den Sinn kommen koͤnnen, diesem Freyer die geringste Hoff- nung auf eine von seinen beyden Schwestern zu machen. Zugleich dankte er meinem Vater da- fuͤr, daß er sein Ja-Wort bis zu seiner Ankunft nicht haͤtte geben wollen, fast so als ein Vorgesetz- ter danken wuͤrde, wenn er einen geringern lobet, weil er in seiner Abwesenheit seine Schuldigkeie in Acht genommen hatte. Er bekannte seinen alten Groll gegen ihn, aber er rechtfertigte denselben durch die uͤble Nachrede die Herr L ovelace uͤber- all habe, und durch das, was er selbst von seinen Universitaͤts-Jahren wuͤste. Er sagte, er habe ihn stets gehasset, und wuͤrde ihn immer hassen: und er wuͤrde ihn niemals fuͤr einen Bruder, noch mich fuͤr eine Schwester erkennen, wenn ich ihn heyrathete. Den Die Geschichte Den Anfang der Universitaͤts-Feindschaft habe ich auf diese Art erzehlen hoͤren: Herr Lovelace war uͤberall als ein junger Mensch von Munter- keit und Hertzhafftigkeit bekannt: und es scheint, daß seine Geschwindigkeit in Erlernung aller Thei- le der Gelehrsamkeit eben so groß gewesen sey, als jene. Der Fleiß den er in den Studierstunden bewies hatte kaum seines gleichen. Das schei- net sein Haupt-Charackter auf Universitaͤten ge- wesen zu seyn. Er erwarb sich dadurch viel Freun- de unter den Studenten, weil die, welche ihn nicht liebten, ihn doch fuͤrchten mußten, indem er we- gen seiner Munterkeit leicht aufzubringen war, und Muth genug hatte, seine Sache auszufuͤhren. Er bekam hiedurch so viel Anhaͤnger, unter den unruhigen Koͤpfen auf der Universitaͤt, als er wol- te. Jch weiß, Sie werden hiebey dencken, daß diese Gemuͤthsbeschaffenheit nicht all zu liebens- wuͤrdig sey. Allein mein Bruder hatte kein besse- res Gemuͤth, sein natuͤrlicher Hochmuth konnte einen Vorzug, der so in die Augen fiel, nicht ertra- gen: uͤber das pflegt leicht ein wuͤrcklicher Haß zu entstehen, wenn man einen mehr fuͤrchten als lieben muß. Mein Bruder war wenig Herr uͤber sich selbst, daher ward er von dem andern vielleicht auf unanstaͤndige Weise laͤcherlich gemacht. Sie kamen also niemals zusammen, ohne sich zu zan- cken, und weil jedermann aus Zuneigung oder aus Furcht es mit Lovelace hielt, so hatte er viel ver- drießliche Stunden, so lange sie in einem Colle- gio der Clarissa. gio Auf der Universitaͤt zu Oxford sind 26. Collegia, das ist, oͤffentliche Gebaͤude, in denen die Studenten wohnen, und Privat-Unterricht geniessen. L o vela- ce und Harlowe sind demnach nichi bloß auf eine Universitaͤt, sondern auch in ein gemeinschaftliches Wohngebaͤude von dem Verfasser dieser Nachrichten gesetzet worden. waren. Desto weniger war es, demnach zu verwundern, daß ein junger Mensch, von nicht allzusanftmuͤthiger Natur, einen so alten und so tief eingewurzelten Groll zum Ausbruch kommen ließ. Meine Schwester die nur auf Gelegenheit ge- wartet hatte, war bereit, sich mit ihm zu vereini- gen, und die ihm vrrhaßte Person auch zu hassen. „Sie laͤugnete schlechterdings, daß sie jemahls „etwas von ihm gehalten habe, nie sagte sie haͤt- „te er ihr gefallen. Seine Guͤter musten gewiß „sehr verschuldet seyn: Es koͤnnte nicht anders „seyn, weil er so viel auf seine Wolluͤste wendete. „Er haͤtte nicht einmahl ein eigen Haus gemie- „thet: er hielte nicht Kutsche und Pferde. Da „nun niemand glaubte, daß er diß aus Demuth „unterliesse, so sey die wahre Ursache leicht zu er- „rathen.„ Hierauf ruͤhmete sie sich gegen mei- nen Bruder, und er lobete sie, daß sie diese Parthey ausgeschlagen haͤtte: beyde machten eine gemein- schaftliche Sache daraus ihn bey aller Gelegenheit herunter zu setzen, ja oͤfters machten sie nur die Gelegenheit; und ihre Feindschafft gegen ihn ging so Erster Theil. C Die Geschichte so weit, daß bey nahe ein jedes Gespraͤch sich mit einer Erzaͤhlung seiner uͤbeln Eigenschaften endigte. Jch gab mir keine Muͤhe ihn zu vertheidigen, wenn nur ihre Stiche nicht auch mich angingen. Jch sagte ihnen: ich schaͤtzte ihn nicht hoch genug, seinetwegen einen Streit in der Familie anzufan- gen. Da man glaubte, er habe nur allzuviel Ge- legenheit gegeben, so uͤbel von ihm zu urtheilen, so glaubte ich auch, es sey nicht unrecht, wenn er die Folgen seiner Handlungen empfaͤnde. Jedoch bisweilen, wenn ich merckte, daß sie aus Hefftigkeit gantz unwahrscheinliche Dinge sprachen, so hielt ich mich verpflichtet ein Wort fuͤr ihn zu reden. Dies war schon genug, mir den Vorwurf zuzuziehen, daß ich von ihm eingenom- men waͤre, und es nur nicht bekennen wollte. Zu- letzt kam es so weit, daß ich mich mit der Musik beschaͤftigte, oder auf meine Stube ging, wenn ich die Unterredung nicht auf etwas anders lencken konnte. Jhr Betragen gegen ihn war sehr kaltsinnig und unhoͤflich, wenn sie ihm nicht gaͤntzlich aus den Wege gehen konnten: indessen enthielten sie sich doch noch aller Beleidigungen: deñ sie hofften mei- nen Vater dahin zu vermoͤgen, daß er ihm, den Besuch verbieten solte. Da aber in seiner Auffuͤh- rung nichts unanstaͤndiges war, wodurch ein sol- ches Verfahren gegen einen Mann von seiner Herkunft und Stande haͤtte koͤnnen gerechtfertigt werden, so richteten sie nichts aus: hierauf drun- gen sie sehr in mich, daß ich ihm den fernern Be- such der Clarissa. such untersagen solte. Jch fragte sie: was ich fuͤr Recht haͤtte mir dergleichen in meines Vaters Hause anzumassen, sonderlich da ich so fremd ge- gen ihn waͤre, daß (sie beyde nur ausgenommen) er mehr ein Gast aller im gantzen Hause, als mein Gast zu seyn schien? dagegen versetzten sie mir: es waͤre zwischen uns beyden eine kuͤnstliche und abgeredete Verstellung: wir verstuͤnden ein- ander besser, als wir haben wollten, daß es andere glaubten. Endlich liessen sie auf einmahl ihren Leidenschaften so den Zuͤgel daß an statt weg zu- gehen, wenn er kam, wie sie vorhin gethan hat- ten, sie nunmehr ihm Recht mit willen in den Weg kamen, um sich an Jhm zu reiben Die Ursachen hievon wird man in dem 13. Brief sehen. Herr Lovelace verschmertzte dieses nicht gern, wie sie leicht dencken koͤnnen; doch that er wei- ter nichts, als das er sich mit vieler Empfind- lichkeit daruͤber gegen mich beklagte. Sein Ausdruck war, meines Bruders Verfahren wuͤrde er unmoͤglich ertragen koͤnnen, wenn es nicht um meinetwillen geschaͤhe. Es that mir Leid, daß er hiedurch seiner eig- nen Meinung nach ein Verdienst und Recht gegen mich bekam, und dieses um so viel mehr, weil ei- nige Beleidigungen, die er ertrug, sich gar nicht entschuldigen liessen. Jch antwortete ihm: ich sey vest entschlossen, es mit meinem Bruder nicht zu verderben, wenn ich es irgend vermeiden koͤnte, seine C 2 Die Geschichte seine Fehler moͤchten auch so groß seyn, als sie wol- ten. Da einer den andern nicht mit Gelassenheit sehen koͤnte, so wuͤrde mir lieb seyn, wenn er mei- nen Bruder nicht in den Weg kaͤme, und ich waͤ- re gewiß versichert, das mein Bruder ihn nicht su- chen wuͤrde. Diese Antwort verdroß ihn innerlich sehr: er sagte aber weiter nichts, als dieses: er muͤßte alle Beleidigungen ertragen wenn ich es haben wollte. Man habe ihm sonst Schuld gegeben, daß er allzuheftig sey: er hoffe aber bey dieser Ge- legenheit so viel Herrschaft uͤber sich selbst zu be- weisen, als wenige von seinem Alter, bey glei- chen Beleidigungen wuͤrden beweisen koͤnnen. Er zweifle nicht, daß eine Person von meiner Groß- muth, und Einsicht seine Maͤßigung aus der wah- ren Ursache herleiten wuͤrde. Mein Bruder hatte eben vorher mit Genehm- haltung meiner Vaters-Bruͤder einen Anver- wandten eines von dem Lord M. abgedanckten Verwalters, der auch einen Theil von Herrn L o- velace Vermoͤgen unter Haͤnden gehabt, und von ihɯ den Abschied bekommen hatte, gebraucht, sich nach dessen Schulden, Gesellschaft, Liebes-Hi- stoͤrgen und dergleichen Dingen naͤher zu erkundi- gen. Frau Hervey hat mir im Vertrauen folgende Umstaͤnde von der Aussage dieses Mañes entdecket. „Er waͤre ein freygebiger Hauswirth: „er sparete an solchen Ausgaben nichts, die zu „einer wahren Verbesserung seiner Guͤter gereich- „ten: er haͤtte auf seine eigene Sachen Acht und ver- der Clarissa. „verstuͤnde sie: auf Reisen habe er zwar viel ver- „than, und grosse Schulden gemacht, (denn „er mache nie ein Geheimniß daraus, wie seine „Sachen stuͤnden), aber er habe hernach seine „jaͤhrliche Ausgaben auf eine gewisse Summe „eingeschraͤnckt und keinen Staat gefuͤhret, da- „mit er nicht noͤthig haben moͤchte, seinem Vet- „ter und seinen Baasen verbunden zu seyn: denn „von diesen wuͤrde er zwar Geld bekommen koͤn- „nen, so viel er wollte, aber er waͤre darin „sehr eigensinnig, daß er keine Einrede von ih- „nen annehmen wollte: er verunwilligte sich oft „mit ihnen, und begegnete ihnen so frey, daß „sie sich alle vor ihm fuͤrchteten. Es sey aber „nicht an dem, daß seine Guͤter, wie mein Bruder „gehoͤret haͤtte, zur Hypothec verschrieben waͤ- „ren: sein Credit sey gut, und er wuͤrde jetzt „vermuthlich fast gaͤntzlich von seinen Schulden „frey seyn. Er sey ein wunderlicher Herr in Ab- „sicht auf Frauens-Leute. Wenn seine Paͤchter „artige Toͤchter haͤtten, so pflegten sie ihm diesel- „ben nicht gern sehen zu lassen. Er glaube nicht „daß er eine eigene Maitresse halte, denn etwas „neues sey sein hoͤchstes Gut.„ (Dis war der Ausdruck des Mannes) „Er glaube nicht, daß er sich verheyrathen „werde, weil ihn seiu Vetter und seine Basen „allzusehr plagten. Man habe ihn nie betrun- „cken gesehen. Er habe grosse Lust zu neuen „Haͤndeln, und schreibe gern. Er habe gehoͤrt, „daß er in London ein sehr wildes Leben fuͤhren C 3 „solle: Die Geschichte „solle: er habe sechs oder sieben Leute, mit denen „er stets umgehe, und diese waͤren so arg als er. „Er bringe sie bisweilen mit auf das Land, und „die gantze Gegend sey froh, wenn sie wieder „wegreiseten. Ob er gleich sehr jachzornig sey, so „wollte er doch gern vor freundlich und aufge- „raͤumt angesehen seyn: er moͤchte gern einen „Schertz austheilen, er nehme aber auch gern ei- „nen Schertz ein, und pflegte bey Gelegenheit so „frey uͤber sich selbst zu lachen, als irgend ein „Mensch thun koͤnnte. Dis war die Beschreibung, die ein Feind von ihm machte: denn, wie meine Base anmerckte, so ward alles gute und lobenswuͤrdige mit Wider- willen gesagt, und es hieß dabey allezeit: ich mnß sagen ‒ ‒ oder, um ihm Gerechtigkeit wi- derfahren zu lassen. Hingegen alles uͤbele ward freywillig und gern ausgesagt. Weil man nun eine noch schlimmere Beschreibung erwartet hatte, so war diese obgleich schlimme Nachricht dem Zweck des anfragenden nicht gemaͤß: es wuchs daher die Sorge meines Bruders und mei- ner Schwester, daß seine Anwerbung Gehoͤr fin- den moͤchte. Denn der schlimmste Theil dieser Aussage war bereits bekannt oder doch als richtig angenommen, wie er die erste Erlaubniß zum Umgang mit meiner Schwester bekam. Allein uͤber sein Betragen gegen mich muß ich diese ihm nachtheilige Anmerckung machen: Ohngeachtet er mir seine Gedult gegen meines Bruders Unhoͤflichkeiten sehr hoch anrechnete, hat er der Clarissa. er doch keinen Versuch gethan sich mit ihm ans- zusoͤhnen, und mich durch eine Gefaͤlligkeit dieser Art ihm verbindlich zu machen. Jch glaube zwar nicht, daß er etwas wuͤrde ausgerichtet haben, wenn er ihm oder meiner Schwester aach noch so hoͤflich begegnet haͤtte: inzwischen sollte man doch von einem so artigen und wohlgezogenen jungen Herrn vermuthen, daß er bey den Absichten, die er hatte, bereit gewesen waͤre, es wenigstens zu versuchen. Aber statt dessen zeigete er in allen Hand- lungen, daß er beyde recht von Hertzen verachtete, davon ich immer etwas neues und schlimmers hoͤ- ren muste. Haͤtte ich ihm zu verstehen geben wol- len, daß er sein Betragen gegen meinen Bruder aͤndern moͤchte, so haͤtte er dieses fuͤr eine vor- theilhafte Erklaͤrung angesehen, und sich darauf nicht wenig eingebildet. Das muͤste ich gethan haben! Jch zweiflelte auch nicht, daß da ihm nie- mand einige Hoffnung machte, sein Hochmuth bald Feuer fangen und er von selbst seinen Besuch einstellen oder nach London reisen wuͤrde; allwo er sich meistentheils aafzuhalten pflegte, ehe er mit unserer Familie bekannt ward. Jn dem letzten Fall durfte er nicht hoffen, daß ich Briefe von ihm annehmen, noch weniger, daß ich sie beant- worten wuͤrde, weil die Ursache nun aufgehoͤrt hatte, die mich ehemals veranlassete, Briefe von ihm anzunehmen. Meines Bruders Widerwille gegen ihn konte diese Zeit nicht abwarten. Nach verschiedenen groben Vergehungen, die Herr L oyelace eben C 4 so Die Geschichte so veraͤchtlich und hochmuͤthig abwieß, als der be- leidigende Theil sie unternahm, unterstand sich mein Bruder, in die Thuͤr zu treten, da jener kam, als wolte er ihm den Eingang verwehren. Als er sich nun nach mir erkundigte, fragte er ihn: was er bey seiner Schwester zu thun haͤtte. Mein Bruder sagt: L ovelace habe ausgese- hen als wollte er ihn gleich heraus fodern, und ha- be geantwortet: er waͤre bereit einem Cavalier auf alle Fragen zu antworten. Er wuͤnschte aber, daß Herr Jacob Harlowe/ der seit einiger Zeit so trotzig gethan, sich erinnern moͤchte, daß er nicht mehr auf der Universitaͤt waͤre. Der redliche Doctor L evin/ der mich mit sei- nem Besuch bisweilen zu beehren pflegt, hatte mich eben in meiner eigenen Stube verlassen, und ging nach der Thuͤr. Er hoͤrete ihren Wort-Wechsel, und brachte sie aus einander, da sie beyderseits schon an den Degen gegriffen hatten. Er sagte hierauf Herrn L ovelace/ wo ich zu finden waͤre; dieser sprang vor meinen Bruder vorbey mich auf- zusuchen. Sein Ausdruck war: er sey ihm ent- gangen, da er als ein gehetztes wildes Schwein im Nachsetzen eben anbeissen wollen. Dis setzte uns alle in Bestuͤrtzuug. Mein Vater gab Herrn L ovelace zu verstehen, und ich muste auf seinen Befehl ihm deutlicher sagen: er wuͤnsche um Friede im Hause zu erhalten, daß er seine Besuche einstellen moͤchte. Herr L ovelace ist nicht der Mann, der von seinem Vorhaben leicht abstehen wird, insonder- heit der Clarissa. heit in einer Sache die sein Hertz so nahe, als er es hier vorgiebt, angehet. Weil ihm nun der fer- nere Besuch nicht schlechterdings verboten war, so setzte er ihn nach wie vor fort. Denn ob ich mich gleich bemuͤhete, seinen Besuch so oft ich konnte zu vermeiden, sahe ich doch, daß wenn ich mich desselben gaͤntzlich entschlagen wollte, ich die Sache viel schlimmer machen wuͤrde: denn die Beleidigungen und Zunoͤthigungen des einen Theils verschmertzte der andere blos aus Hochach- tung gegen mich. Meines Bruders Heftigkeit machte mich zur Schuldnerin seines Widersa- chers so unangenehm es mir auch war, ihm ver- bindlich zu seyn. Jndeß kamen die Vorschlaͤge zu einer Verhey- rathung mit Heern Symmes und Mullins da- zwischen. Mein Bruder war ihrer beyder Frey- werber, eines nach dem andern, und war die Zeit uͤber etwas gelassener: denn da niemand glaubte, daß ich Herrn L ovelace allzugeneigt waͤre, so hoffete er meinen Vater oder dessen Bruder dahin zu bewegen, daß sie sich den Antrag eines von beyden gefallen lassen und durch ihn Herrn L ove- lace ausschliessen sollten. Allein er hoͤrete bald auf Maasse zu halten, als er sahe, daß ich noch genug in unser Familie vermochte, mich dieser beyden Freyer zu entschlagen, so wie ich vorhin, den Antrag des Herrn Wyerley abgelehnt hatte, ehe er nach Schottland reisete und ehe mich Herr L ovelace besuchte. Zufoͤrderst warf er mir vor, ich haͤtte fuͤr Herrn L ovelace ein ungegruͤndetes C 5 Vor- Die Geschichte Vorurtheil, welches er fuͤr strafbar ansahe: und endlich beschimpfete er auch Herrn Lovelace per- soͤnlich. Da dieses in Herr Eduard Symmes Ein Bruder des andern Herr Symmes. Hause ein halbe Meile von hier geschahe, und kein redlicher Dr. L ewin zugegen war um sich ins Mittel zu legen: erfolgte die ungluͤckliche Schlaͤgerey. Mein Bruder ward, wie Sie ge- hoͤrt haben, entwafnet. Als man ihn nach Hause gebracht hatte, und jederman die Wunde gefaͤhr- licher hielt als sie in der That war, auch ein Wund-Fieber dazu schlug; so brach jederman los, und alles ward mir zur Last gelegt. Herr L ovelace schickte drey Tage nach einan- der und zwar taͤglich zweymahl nach unserm Hau- se, um sich nach dem Befinden meines Bruders zu erkundigen. Ob er gleich harte und so gar an- zuͤgliche Antworten bekam, ließ er sich dieses doch nicht abschrecken am vierten Taͤg versoͤnlich Nach- richt einzuziehen. Hier ward ihm von meines Vaters Bruͤderu, die eben zugegen waren, noch unhoͤflicher begegnet. Mein Vater ward mit Ge- walt abgehalten, daß er nicht mit dem Degen in der Faust auf ihn losging, ob er gleich das Po- dagra hatte. Jch fiel aus Schrecken in Ohnmacht, da ich sa- he, daß jederman es auf das aͤusserste ankommen lassen wollte, und ich Herrn L ovelace schweren hoͤrte: er wollte nicht weggehen, ohne daß er mich gesprochen, oder wenigstens meines Vaters Bruder gezwungen habe, ihm die angethanen Be- der Clarissa. Beschimpfungen abzubitten. Jndeß war die Thuͤr zwischen ihnen verschlossen und verriegelt: und meine Mutter hielt mit aller Gewalt meinen Va- ter auf. Meine Schwester gab Herrn Love- lace die schnoͤdesten Worte, und zog auf mich los, so bald ich wieder zu mir selbst kam. Alß er aber erfuhr, wie uͤbel ich mich befaͤnde, ging er mit ei- nem Schwur sich zu raͤchen aus dem Hause. Herr Lovelace ist stets bey unsern Bedienten wohl angeschrieben gewesen. Seine Guͤtigkeit und Freygebigkeit gegen sie, und daß er sich her- unter ließ, mit einem jeden auf eine artige und schertzhafte Weise zu reden, hatte ihm aller Her- tzen gewonnen. Jnsonderheit gaben sie bey die- sem Vorfall den uͤbrigen allen Unrecht, wenn sie unter sich davon redeten, und ruͤhmten seine Ge- dult und anstaͤndige Auffuͤhrung, bis er aufs aͤus- serste gereitzt ward, so ausnehmend, daß ich durch ihre Erzehlungen, und durch die Furchr vor schlimmern Folgen bewogen ward einen Brief noch selbigen Abend von ihm anzunehmen, und einige Tage nachher zu beantworten, weil er un- gemein hoͤflich geschrieben war, und Herr Love- lace versprach, die gantze Sache meiner Entschei- dung zu uͤberlassen, und sich voͤllig nach meinem Willen zu richten. Auf eine so ungluͤckliche Weise ward er ge- zwungen den vorigen Briefwechsel von neuen an- zufangen. Doch schrieb ich nicht eher, bis ich durch Hrn. Symmes Bruder erfahren, daß mein Bruder ihn durch seine Beschimpfung gezwungen den Die Geschichte den Degen zu ziehen, und da er sich dessen aus Hochachtung gegen mich gewegert, ihm gedrohet, er wolle ihn fuͤr keinen ehrlichen Kerl halten, wenn er nicht zoͤge: und bis ich mittelst aller nur ersinn- lichen Nachfragen voͤllig versichert ward daß er in den Haͤndeln mit meines Vaters Bruͤdern abermals der angegriffene Theil gewesen, und zwar auf eine noch gewaltthaͤtigere Weise, als ich gemeldet habe. Herr Symmes erzehlte zwar meinem Vater und uͤbrigen Freunden eben diese Umstaͤnde: aber sie hatten schon zu viel Theil an dem Streit ge- nommen, als daß sie mit Ehren haͤtten zuruͤck kom- men oder vergeben koͤnnen. Mir ward daher ver- boten, mit ihm Briefe zu wechseln, oder mich einen Augenblick in seiner Gesellschaft finden zu lassen. Aber noch einen Umstand muß ich im Ver- trauen melden: denn meine Mutter hat mir ver- boten, etwas davon zu erwaͤhnen. Meine Mutter bezeugte gegen mich ihre Sorge wegen der uͤblen Folgen so die Herrn L ovelace widerfahrne Be- schimpfungen haben koͤnnten, und uͤberließ es mei- ner eigenen Ueberlegung und Vorsichtigkeit, dem bevorstehenden Ungluͤck wenigstens auf der einen Seite vorzubeugen so viel ich koͤnnte. Jch muß hier abbrechen: ich glaube aber daß ich ihrem Befehl und Absichten voͤlliges Gnuͤgen geleistet habe. Es stehet sonst einem Kinde nicht zu, daß es seine Auffuͤhrung gleichsam auf Un- kosten derer rechtfertige, denen wir die groͤste Ehr- erbietung schuldig sind: da ich aber weiß, daß jede mich der Clarissa. mich betreffende Nachricht von Jhnen eben so an- gesehen wird, als wenn sie ihre eigne Angelegen- heiten betraͤffe, und Sie andern nicht mehr als zur Sache dienet eroͤffnen werden: so will ich fort- fahren so umstaͤndlich, als es unsere bisherige Ge- wohnheit mit sich bringt, an Sie zu schreiben, wenn mir nur die Gelegenheit nicht abgeschnitten wird. Es ist die reine Wahrheit, was ich ihnen so oft gesagt habe, daß mein groͤssestes Vergnuͤgen in dem Umgang mit Jhnen bestehet. Kann ich die- ses nicht persoͤnlich geniessen, so will ich es doch in Briefen thun. Jch muß inzwischen gestehen, daß ich mit aͤus- serster Bekuͤmmerniß vernehme, daß aller Leute Gespraͤche von mir handeln. Sie und alle Welt sagen mir dieses. Jn ihrer guͤtigen und vorsichtigen Besorgniß fuͤr meinen guten Nahmen, und in der Gelegenheit, die Sie mir gegeben haben, meine Um- staͤnde vorher zu erzaͤhlen, ehe noch ein neues Un- gluͤck, das GOtt abwenden wolle, die Sache ver- schlimmert, erkenne ich recht das Bild meiner auf- richtigsten Freundin der Fraͤulein Howe, und werde zwiefach dadurch verbunden, stets zu behar- ren, Dero Danckbare und ergebenste, Clarissa Harlowe. Abschrifft des verlangten Eingangs der Clausel in ihres Gros-Vaters Testament, welche in diesen Brief auf Verlangen eingeschlossen war. Da Die Geschichte Da das vorhin erwaͤhnte Gut eigentlich von mir selbst erworben ist: und meine drey Soͤhne ausser- ordentlich gluͤcklich gewesen, und zu grossem Reich- thum gelanget sind; der aͤlteste nemlich durch die unerwartete und reiche Ausbeute der neuen Berg- wercke; der zweyte, durch die Erbschafften, so er von seiner Frauen Verwandten erhalten, des so betraͤchtlichen Heyraths-Guts nicht zu gedencken; und Anton durch seinen Ost-Jndischen Handel und gluͤcklich ausgefallene Reisen: da ferner mein Enckel Jacob durch seine guͤtige Pathe, Frau L ovells, hinlaͤnglich versorget werden wird, wel- che in Ermangelung naher Anverwandten mich versichert hat, daß sie so wohl durch eine Schen- ckung unter dcn Lebendigen als durch ihren letzten Willen ihm ihre Guͤter in Schottland und Eng- land zuzuwenden gesinnet sey; (denn, GOtt sey Danck, wenig Familien sind in allen ihren Zwei- gen so gluͤcklich gewesen, als die meinige) da al- lem Ansehen nach mein zweyter Sohn Jacob meinem Enckel und Enckelin Arabella dasjenige ersetzen wird, was ihnen durch diesen meinen letz- ten Willen entgehet, (denn ich verlange im ge- ringsten nicht, dieser zu nahe zu treten, habe auch keine Ursache dazu, denn sie ist stets gehorsahm und ein Kind von guter Hoffnung gewesen) da meine Soͤhne Johann und Anton nicht geneigt scheinen, sich zu verheyrathen, und folglich mein Sohn Jacob allein mit Leibes-Erben geseegnet ist, und Hoffnung hat, das Geschicht fortzusetzen: da ich alles dieses in Erwegung gezogen, und da mei- der Clarissa. meine Liebste und wertheste Enckelin Clarissa Harlowe von Kindheit an in ihrem Gehorsahm gegen mich ihres gleichen nicht gehabt hat, und von allen die sie gekannt haben als ein gantz aus- serordentliches Kind bewundert ist: so will ich zu meinem Vergnuͤgen sie als mein eigenes Kind an- sehen, und zwar dieses ohne jemandes Beleidi- gung: ich hoffe auch, niemand werde dieses als eine Beleidigung ansehen, indem mein Sohn Ja- cob seine Gewogenheit in gehoͤriger und groͤsserer Masse gegen Fraͤulein Arabellen und Juncker Jacob bezeigen kann. Dieses sage ich sind die Ursachen, welche mich bewegen, obbemeldetes Gut diesem allerliebsten Kinde zu vermachen, welches die Freude meines Alters ist, und durch ihren lieb- reichen Gehorsam und zaͤrtliche Ehrfurcht meine Tage, wie ich allerdings glaube, verlaͤngert hat. Solchemnach ist dieses mein ausdruͤcklicher Wille und Gebot, und ich befehle meinen drey Soͤhnen, Johann, Jacob, und Anton, mei- nem Enckel Jacob und meiner Enckelin Ara- bella, so lieb ihnen mein Seegen und Gedaͤcht- niß ist, und so als sie verlangen, daß ihrem letzten Willen nachgelebet werden solle, daß sie mein Ver- maͤchtniß zum besten meiner Enckelin Clarissa auf keine Weise kraͤncken oder anfechten sollen, wenn solches gleich den Rechten nicht gemaͤß oder etwas in den Ausdruͤcken versehen seyn moͤchte, auch daß Sie nicht zugeben sollen, daß unter irgend einigem Vorwand daruͤber gestritten oder gerechtet werde. Und in dieser Zuversicht u. s. w. Der Die Geschichte Der fuͤnffte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe/ an Fraͤulein Howe. den 20. Jan. J ch bin gehindert worden, meinem Vorhaben gemaͤß ein mehreres zu schreiben. Weder die Nacht noch die Morgen-Stunden sind mein eigen gewesen. Meine Mutter hat sich sehr uͤbel befunden, und wollte keine andere Waͤrterin ha- ben, als mich: denn sie war bettlaͤgrig, und zwey Nachte erlaubte sie mir, bey ihr zu schlafen. Jhre Unpaͤßlichkeit bestand in einer hefftigen Colik. Der Streit so ungestuͤmer und allzu maͤnnlicher Gemuͤther und die Furcht vor noch mehrerem Ungluͤck, das aus der zunehmenden Feindschafft aller in unserm Hause gegen Herrn L ovelace, und aus seiner rachgierigen und hertz- haften Gemuͤths-Art entstehen koͤnnte, sind ihr unertraͤglich. Auch wird ihr guͤtiges und zaͤrtliches Gemuͤthe, daß von Anfang an bey aller Gelegen- heit seine eigene Zufriedenheit gern aufgeopfert hat, um nur einiger massen den Haus-Frieden zu erhal- ten, dadurch sehr gekraͤncket, daß sie befuͤrchtet, es moͤge bereits der Grund zu Neid und Feindschaft in ihrer bisher so eintraͤchtigen und gluͤcklichen Fa- milie gelegt seyn. Mein Bruder und meine Schwester, die sonst so oft mit einander zerfielen, sind jetzt so einig und so oft beysammen, (ihr ent- fiel das Wort, sie machen eine Cabale ) daß sie voller Furcht wegen der Folgen ist. Jhre lieb- reiche der Clarissa. reiche Bekuͤmmerniß ist, daß diese Vereinigung vielleicht zu meinem Nachtheil gereichen mochte, indem sie siehet, daß sie sich immer mehr gegen mich fremde stellen und zuruͤck halten. Jedoch wenn sie sich nur der Vorzuͤge mit Nachdruck ge- brauchte, die sie durch ihre vortrefliche Eigen- schaften nothwendig haben muß, so wuͤrden diese Familien-Streitigkeiten vielleicht in ihrer ersten Geburt erstickt werden und zwar dis um so viel mehr, da sie versichert seyn kan, daß ich so viel moͤglich ist nachgeben werde, sowohl weil meine Geschwister aͤlter sind als jch, als auch aus Liebe gegen eine so guͤtige und vortrefliche Mutter. Denn wenn ich Jhnen, mein Hertz, schreiben darf, was ich sonst niemand wuͤrde mercken lassen, so glaube ich, daß wenn sie nicht ein so sanftes Gemuͤth gehabt, und weniger mit Gedult gelit- ten haͤtte, so wuͤrden auch andere ihr weniger zu leiden angemuthet haben. Ein schlechter Ruhm, werden Sie dencken, fuͤr diejenigen, die eine so herabgelassene Guͤtigkeit nur mißbrauchen, um sie zu kraͤncken und zu beunruhigen. Bisweilen moͤchte ich fast dencken, daß wir uns nach unserm Belieben in der Welt in Anse- hen setzen und anderer Furcht und Ehrerbietung erlangen koͤnnen, wenn wir nur die Gabe haben, eigensinnig auf unserm Kopf zu bestehen, und mit diesem Vorsatz unsern ersten Auftritt in der Welt machen. Man hat zwar alsdenn weniger Liebe zu gewarten: aber das ist es auch alles. Haben wir nur Vermoͤgen die zu zwingen, mit welchen Erster Theil. D wir Die Geschichte wir umgehen, so werden wir nicht einmal mer- cken, daß wir weniger beliebt sind: denn unsere Schmeichler werden uns ehe alles als unsere Fehler sagen. Haͤtte diese Anmerckung nicht ihre Rlchtigkeit, wie waͤre es denn moͤglich, daß selbst die Fehler und unbesonnene Hefftigkeit meines Bruders und meiner Schwester der gantzen Familie gleichsam so wichtig und ehrwuͤrdig scheinen sollten. Wird meinem Sohn/ wird meines Bruders Sohn/ dieses Verfahren gefallen? was wird er dazu sagen? Dis sind die Fragen, die seine Vorgesetzten zum voraus aufwerfen, ehe sie einen Entschluß fassen, obgleich ihr Wille sein Wille seyn sollte. Mit Recht er- wartet er solche Eherbietung von jedermann, da selbst mein Vater, der sonst seiner Herrschafft nichts vergiebt, ihm dieselbe bestaͤndig erweiset: und da die Guͤtigkeit seiner Pathe ein sonst schon allzufreyes und zu wenig eingeschraͤncktes Gemuͤth noch mehr frey und zuͤgellos gemacht hat. Aber wohin fuͤhret mich diese Betrachtung! Jch weiß, daß Sie niemand von uns lieben, meine Mutter und mich ausgenommen; und Sie wissen so wenig von Verstellung, daß Sie oͤfters als ich wuͤnsche Jhre Abneigung von den andern gegen mich bli- cken lassen. Sollte ich denn wohl diese Abneigung von solchen, denen Sie meinem Wunsch nach ge- neigt seyn sollen, noch groͤsser machen? insonder- heit in Absicht auf meinen Vater? Denn dieser arme Mann verdient einige Entschuldigung, wenn er der Clarissa. er eigensinnig ist. Er hat von Natur kein uͤbles und hartes Gemuͤth: in seiner Person und Minen, ja so gar in seinem Umgange, wenn er nur nicht eben einen Anfall vom Podagra hat, kan man seine Geburt und Erziehung wohl spuͤren. Vielleicht muß sich unser Geschlecht zum vor- aus darauf gefaßt machen, einige Unhoͤflichkeit von dem Manne zu erdulden, weil unser Hertz um die Zeit, da er noch unser Liebhaber war ihm den Vorzug vor allen andern gegeben hat. Man sage so viel man will, daß die Grosmuth eine Tugend des maͤnnlichen Geschlechts sey: ich habe im Gegentheil angemerckt, daß sie bey diesem Geschlecht wenigstens zehnmahl seltener als bey dem unsrigen anzutreffen sey. Aber was mei- nen Vater anlanget, so hat ihn seine schmertzhaf- te Kranckheit zu einem gantz andern Manne ge- macht, als er vorhin war. Sie uͤberfiel ihn auf einmal in der Bluͤte seiner Jahre so heftig, daß sein lebhaftes Gemuͤthe alles Feuer und Munter- keit verlohr, und schwerlich Zeit Lebens wieder be- kommen wird. Sein munterer Geist ward gleich- sam gefesselt, und was ihm noch von Lebhaftig- keit uͤbrig blieb, ist jetzt nur ein Mittel, seine Un- gedult zu vermehren, die vermuthlich durch seine ausserordentliche Gluͤckseligkeit im Zeitlichen waͤchst. Denn es scheint, daß die, die am we- nigsten des zeitlichen Segens ermangeln am aller unzufriedensten sind, daß sie noch eines eintzigen ermangeln. D 2 Aber Die Geschichte Aber womit kan mein Bruder seinen Hoch- muth und Unfreundlichkeit entschuldigen? Er ist in der That (mir thut leid daß ich es sagen muß) ein junger Mensch von eigensinnigem und ver- drießlichem Gemuͤth, und begegnet bisweilen meiner Mutter ‒ ‒ ‒ ich mag nicht sagen, wie? ‒ ‒ Ob er gleich alles besitzt, was er nur wuͤnschen mag, so verursachet doch der Ehrgeitz der Jugend den er schon mit den Lastern des hohen Alters ver- bindet, daß er nichts geniesset, als ‒ ‒ ich haͤtte bey nahe gesagt, seinen Eigensinn und seinen Hochmuth. Allein ich gebe Jhnen nur mehr Ursache, mit uns mißvergnuͤgt zu seyn! Ehe- mahls moͤchte es wol in Jhrer Macht gestanden haben, mein Schatz, ihn nach Jhrem Willen umzuschmeltzen. Ohaͤtten Sie meine Schwester werden koͤnnen; so haͤtte ich doch eine Schwester, die auch meine Freundin waͤre. Daß er aber jetzt Sie nicht liebet, wundert mich nicht. Sie erstickten mit einer Verachtung, die allzunahe mit seinem Hochmuth verwandt zu seyn scheint, die ersten Bluͤten einer Liebe, die durch den Werth der Geliebten gewiß wuͤrde heftiger geworden seyn, und ihn einiger massen wuͤrdig haͤtte machen koͤnnen, sie zu besitzen. Aber nicht mehr hievon! Jn meinem naͤchsten Schreiben gedencke ich meine vorgehabte Erzeh- lung fortzusetzen, und will gleich nach dem Fruͤh- stuͤck wieder an meinen Schreib-Tisch gehen. Die- ses sende ich durch den Boten, den Sie mit so vie- ler Guͤtigkeit geschickt haben, um Sich wegen mei- der Clarissa. meines Stillschweigens nach unserm Befinden zu erkundigen. Jch verharre indes Dero ergebenste und verbundenste Freundin und Dienerin Clarissa Harlowe. Der sechste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Anna Howe. Harlowe Burg den 20. Jan. J ch will meine Erzaͤhlung fortsetzen. Da es sich mit meinem Bruder zur Besserung an- laͤst, so ist zwar seine Rachgier durch den erlitte- nen Schimpf mehr gewachsen als verringert; aber es fangen doch meine Freunde (nemlich mein Va- ter und seine Bruͤder, nicht aber meine eigene Ge- schwister) an, zu uͤberlegen, daß sie mir sehr un- freundlich begegnet sind. Meine Mutter hat die Guͤtigkeit gehabt, seit Absendung meines letzteren mir diese Nachricht zu geben. Sie moͤgen zwar allem Ansehen nach glauben, daß ich noch Briefe von Herrn Lovelace bekom- me. Da aber der Lord M. gewiß seinem Vet- ter nicht abfallen wird, so sind sie dergestalt in Sorgen, daß sie mich gar nicht befragen, ob ich mit ihm Briefe wechsele oder nicht. Man solte D 3 fast Die Geschichte fast dencken, daß sie hiebey durch die Finger se- hen wollen, und unsern Brief-Wechsel fuͤr das eintzige noch uͤbrige Mittel halten, einen so sehr ge- reitzten und hitzigen Kopf zu besaͤnftigen. Denn er verlangt noch immer von meines Vaters Bruͤ- dern eine Genugthuung. Vielleicht sieht er die- ses fuͤr den sichersten Weg an, wieder mit Vor- theil den Zutritt in unser Haus zu erhalten: denn an Kunst-Griffen fehlt es ihm nicht. Jn der That hat meine Baase Hervey meiner Mutter den Vorschlag gethan, ob es nicht gut sey, meinen Bruder zu der schon vorhin vorgehabten Reise auf seine Guͤter in der Grafschaft Yorck zu bewe- gen, um sich daselbst aufzuhalten bis sich die Sa- che verblutet haͤtte. Aber dis ist seine Meinung gar nicht. Er hat von neuen zu verstehen gegeben: er werde nie ver- gnuͤgt seyn, bis er mich verheyrathet sehe. Und da weder Herr Symmes noch Herr Muͤllins fuͤr anstaͤndige Partheyen gehalten werden, so hat er Herrn Wyerley noch einmahl in Vorschlag ge- bracht, und dessen grosse Zuneigung zu mir als einen Bewegungs-Grund gebraucht. Jch habe abermahls diesen Antrag verworffen. Gestern erwaͤhnte er jemanden, der meinetwegen an ihn geschrieben haͤtte, und sehr vortheilhafte Bedin- gungen verspreche. Dieser ist Herr Solmes, der reiche Solmes, wie man ihn nennet. Aber keine Seele hat diesen Vorschlag einer Ueberle- gung gewuͤrdiget. Weñ keiner von seinen Heyraths-Vorschlaͤgen zu der Clarissa. zu Stande kommt, so gedenckt er (wie ich unter der Hand weiß) mich zu ersuchen, daß ich nach Schottland reisen, und, wie der hoͤfliche Antrag lautet, seine Haushaltung eben so einrichten soll, als unsere eingerichtet ist. Meine Mutter will dieses um ihrer eigenen Bequemlichkeit willen ver- bitten: denn da sie meint, daß ich ihr bisher die Last der Haushaltung abgenommen habe; und meine Schwester sich nicht dazu schicket: so wuͤrde nach meiner Abreise alle Last wieder auf sie zuruͤck- fallen. Wenn sie auch diese Einwendung nicht machen solte, so wuͤrde ich sie machen. Denn seyn Sie versichert, ich habe wenige Lust seine Haͤushaͤlterin zu werden: und ich wuͤrde, wenn ich mit ihm reisete mehr Magd als Schwester seyn muͤssen; vielleicht um desto mehr, weil mich die Geburt zu seiner Schwester gemacht hat. Wenn mir endlich Herr L ovelace gar nachfolgete, so koͤnnten die Sachen aͤrger werden, als sie jetzt sind. Da meine Mutter ohnehin besorget, daß Herr Lovelace mich von neuen hier moͤchte besuchen wollen, und meines Vaters Bruͤder aus Furcht vor ihm nie unbewaffnet und ohne bewaffnete Be- dienten ausgehen, und mein Bruder bald mit ih- nen wird ausgehen koͤnnen: so habe ich meine Mutter gebeten, mir die Erlaubniß auszuwircken, daß ich Sie auf vierzehn Tage besuchen duͤrfe. Was meynen Sie, mein Schatz, wird Jhre Frau Mutter mir dieses wol vergoͤnnen? D 4 Jch Die Geschichte Jch darf nicht Ansuchung thun, nach meinem eigenen Gute zu reisen. Denn ich fuͤrchte, man wuͤrde mir diese Bitte so auslegen, als wolte ich mich in die Freyheit setzen, zu der mir der letzte Wille meines Gros-Vaters ein Recht giebt. Wie jetzt die Sachen stehen, wuͤrde man diesen Wunsch fuͤr eine Folge einer Neigung gegen denjenigen ansehen, auf den unser Haus so sehr erbittert ist. Aber wahrhaftig, wenn ich nur so vergnuͤgt und gluͤcklich hier seyn koͤnte, als ich sonst zu seyn pfleg- te, so wolte ich Herrn Lovelace und allen seines Geschlechts gern entsagen, und mich nie reuen las- sen, daß ich mein Gut der Gewalt meines Vaters uͤbergeben habe. Eben jetzt erfreuet mich meine Mutter mit der Nachricht, daß mir meine Bitte zugestanden sey. Jedermann, nur nicht mein Bruder, haͤlt es ge- nehm, daß ich Sie besuchen soll. Er hat aber zur Antwort bekommen: er muͤsse nicht dencken, daß er in allen Dingen regieren wolle. Jch werde in den grossen Saal geruffen werden, wo mir in Gegenwart meiner Vaters-Bruͤder und meiner Base Hervey diese Erlaubniß foͤrmlich soll er- theilt werden. Sie wissen, daß man in unserm Hause viel Umstaͤnde macht. Man wird nicht leicht in einer gantzen Familie so viel Eintracht finden, als in der unsrigen. Mei- nes Vaters-Bruͤder sehen uns an, als waͤren wir ihre eigene Kinder, und erklaͤren sich, daß sie blos aus Liebe zu uns ungeheyrathet bleiben. Daher wird der Clarissa. wird alles, was uns angehen kann, mit ihnen uͤberlegt. Destoweniger ist es zu verwundern, daß sie bey dieser Gelegenheit, da Herr L ovelace ent- schlossen ist, in unserm Hause einen freundschaftli- chen Besuch abzulegen, (ich fuͤrchte, er wird sich auf Feindschaft endigen) zu Rathe gezogen wer- den, ob ich Erlaubniß haben solle, Sie zu besuchen. Hoͤren Sie denn, was bey der mir oͤffentlich gegebenen Erlaubniß vorgegangen ist: ob ich gleich weiß, daß Jhnen diese Nachricht wenig zuneigung und Hochachtung gegen meinen Bruder erwecken werde. Allein hiefuͤr kann ich nicht: ich selbst bin nun auf ihn boͤse. Ueber dieses ist es noͤthig, daß Sie die Bedingungen wissen, unter welchen mir erlaubt ist, Jhr Gast zu seyn. So bald ich in den Saal trat, sagte meine Mutter: Claͤrchen, deine Bitte, die Fraͤulein Howe auf einige Tage zu besuchen, ist in Ueberle- gung gezogen, und zugestanden worden. Gauz wider meine Neigung/ muß ich sa- gen, brach mein Bruder heraus, ehe sie aus- geredet hatte. Mein Sohn Jacob! sagte mein Vater mit einer krausen Stirn. Er ließ sich dieses nicht anfechten. Er traͤgt den Arm noch in einer Binde; und gebraucht sich oft der niedertraͤchtigen List, auf diese Binde zu sehen, so bald etwas vorkommt, das einigermas- sen zu Herrn L ovelaces Vortheil gedeutet wer- den, Die Geschichte den, oder auf eine Aussoͤhnung mit ihm abzielen kann. So verbiete man denn, sprach er, dem Maͤdgen (in seinem Munde bin ich sehr oft das Maͤdgen) den liederlichen Kerl zu sprechen. Niemand redete. Er nahm ihr Stillschweigen fuͤr eine Billigung seiner Worte an, und fuhr fort: Hoͤrt ihr, Schwe- ster Claͤrchen? Jhr sollt keinen Besuch von des Lord M. Vetter annehmen! Das Stillschweigen der uͤbrigen waͤhrete noch. Merckt ihr, Fraͤulein, was euch erlaubt ist? fragte er. Jch antwortete: ich wuͤrde mich freuen, wenn ich mercken koͤnnte, daß ihr mein Bruder seyd; und wenn ihr mercken wolltet, daß ihr weiter nichts als mein Bruder seyd. Er hub beyde Haͤnde auf, und sagte auf eine spoͤttische Weise: o die verliebte Seele! Jch sagte zu meinem Vater: ich beruffe mich hier auf Jhre Billigkeit. Habe ich dergleichen Re- den verdient, so schonen Sie meiner nicht. Soll ich aber wegen der Heftigkeit Rechenschaft geben ‒ ‒ Nicht weiter! nicht weiter von beyden Seiten! sagte mein Vater. Du sollst keinen Besuch von Lovelace annehmen! Wiewohl ‒ ‒ Und du sollst keine empfindlichen Reden gegen deine Schwester gebrauchen. Sie ist mein liebes Kind. Jch habe weiter nichts zu sagen, versetzte er: aber meiner Schwester Ehre und die Ehre der gan- tzen Familie liegt mir am Hertzen. Und hieraus entstehen eure unbruͤderlichen Stiche? antwortete ich. der Clarissa. Er sprach: bedenkt aber, daß nicht ich sondern euer Vater euch Lovelaces Umgang verbietet. Meine Base Hervey antwortete: mein Vetter, vergoͤnnen Sie mir zu sagen, daß man sich auf Claͤrchens Vorsichtigkeit und Klugheit verlassen kann. Meine Mutter bekraͤfftigte dieses. Aber, (versetzte meine Schwester) ich hoffe, es werde nicht schaͤdlich seyn, daß man meiner Schwe- ster deutlich sage, unter welchen Bedingungen sie zu der Fraͤulein Howe reisen duͤrfe. Denn wenn er es versucht, ihr dort zuzusprechen ‒ ‒ Mein Vaters-Bruder Harlowe fiel ihr in das Wort: sie koͤnnen versichert seyn, daß er sich be- muͤhen wird, sie dort zu besuchen. Und Anton setzte noch dazu: ein so unverschaͤmter Mann wuͤr- de es auch hier versuchen. Und es ist besser, daß es dort, als daß es hier geschehe. Besser weder hier noch dort! sagte mein Vater. Jch befehle dir/ so lieb dir meine Liebe ist/ ihn gar nicht zu sprechen. Jch werde, sprach ich, auf keine Weise Gele- genheit dazu geben, dis versichere ich. Jch werde ihn schlechterdings nicht sprechen, wenn ich es auf eine anstaͤndige Art vermeyden kann. Meine Mutter berieff sich darauf, daß ich bis- her so kaltsinnig mit ihm umgegangen, und be- kraͤfftigte von neuen das Urtheil der Frau Hervey, daß man sich auf meine Vorsichtigkeit verlassen koͤnnte. Mein Bruder stichelte mit diesen drey Worten: zum-Schein ‒ ‒ kaltsinnig! Mein Die Geschichte Mein Sohn! sagte mein Vater ganz ernsthaft. Es ist gut! antwortete er, und erinnerte mich von neuen auf eine anzuͤgliche Weise an der Be- dingung meiner Reise. Dis war das Ende unse- rer Unterredung. Wollen Sie mir versprechen, mein Hertz, daß der so verhaßte Mensch sich Jhrem Hause nicht naͤhern soll? Aber wie ungereimt ist dieses? Da man mir eben deswegen erlaubt, zu Jhnen zu rei- sen, weil man kein auder Mittel siehet, Herrn L ovelaces Besuch in unserm eigenen Hause zu vermeiden. Sollte er aber ja kommen, so bitte ich Sie recht ernstlich, daß Sie uns nie allein las- sen wollen. Jch zweiffele nicht, daß ich von Jhrer Frau Mutter Erlaubniß erhalten werde, Sie zu besu- chen. Jch will daher meine Sachen in Ordnung bringen, und hoffe in zwey oder drey Tagen bey Jhnen zu seyn. Jndessen verharre ich Dero treu und ergebenste Clarissa Harlowe. Der siebente Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. (Nach ihrer Zuruͤckkunft.) Harloweburg den 20. Febr. J ch bitte Sie um Vergebung, daß ich nicht eher geschrieben habe. Ach, mein Schatz, es der Clarissa. es sieht fuͤr mich schlimm aus. Meinem Bruder und meiner Schwester sind alle ihre Absichten ge- lungen. Sie haben fuͤr mich einen neuen Liebha- ber ausfuͤndig gemacht: einen recht heßlichen Liebhaber! und dennoch haͤlt jederman seine Par- they. Es ist nunmehr kein Wunder, daß ich so schleunig habe nach Hause kommen muͤssen: eine Stunde nach erhaltener Rachricht! Sie wissen selbst, daß ich von meiner Ruͤckreise keine Nach- richt hatte, als bis der Wagen kam, der mich ab- holen sollte. Dis alles; wie ich hoͤre, geschahe aus Furcht (aus einer unanstaͤndigen Furcht,) daß ich mich mit Herrn Lovelace einlassen moͤchte, wenn ich die Ursache wuͤste, die meine Zuruͤckbe- ruffung veranlassete. Es ist offenbar, daß sie in Sorgen stunden, der neue Freyer moͤchte mir nicht gefallen. Mit recht konten sie dieses besorgen. Denn wer, dencken Sie, wer ist mein Freyer? Kein anderer als der Solmes! Haͤtten Sie das glau- ben koͤnnen? Und dennoch haben alle sich schon vest entschlossen, daß ich ihn nehmen muͤsse, meine Mutter nicht ausgenommen. Ach meine liebe und vortrefliche Mutter! Jch kan nicht begreifen, wie sie sich hierzu hat koͤnnen bewegen lassen. Als der erste Vorschlag in der Sache geschahe, war sie noch so guͤtig gegen mich, daß sie antwoꝛtete: wenn Herr Solmes Ost- und West-Jndien besaͤsse und es mir verschreiben wollte, so glaubte sie dennoch nicht, daß er ihre Claͤrchen Harlowe verdiente. Ob Die Geschichte Ob ich gleich drey Wochen abwesend gewe- sen war, so war doch der Willkommen so ver- schieden von demjenigen, den ich mir sonst nach ei- ner jeden kleinen Reise versprechen konnte, daß ich schon zum voraus merckte, ich wuͤrde fuͤr die ver- gnuͤgte Zeit buͤssen muͤssen, die ich in Jhrem Um- gange gehabt habe. Jch will Jhnen kurtz die Umstaͤnde erzehlen. Mein Bruder kam mir entgegen, und bot mir die Hand, als ich aus dem Wagen stieg. Er buͤckte sich recht tief, und sagte: mit Erlaubniß/ Fraͤulein! Jch meynte daß er eben gut aufge- raͤumt waͤre, fand aber bald, daß er meiner mit Hoͤflichkeiten spotten wollte. Und so fuͤhrte er mich recht foͤrmlich. Jch plauderte unterweges, und erkundigte mich nach eines jeden Befinden, den ich selbst zu sehen bekommen muste, ehe er mir antworten konnte. Jn dem grossen Saal fand ich meinen Vater und Mutter, meine beyden Va- ters Bruͤder und meine Schwester. Jch ward gleich bey meinem Eintritt bestuͤrtzt, daß alle meine werthesten Angehoͤrigen sich so un- gewoͤhnlich fremde bezeigeten. Sie blieben insge- samt sitzen. Jch lief zu meinem Vater und kniete vor ihm nieder: nachher zu meiner Mutter. Von beyden bekam ich einen kalten Kuß. Mein Vater sagte mit halb ausgesprochenen Worten: GOtt segne dich meine Tochter. Meine Mut- ter nennete mich zwar Kind! aber sie umar- mete mich nicht mit der gewoͤhnlichen Zaͤrtlich- keit. Jch der Clarissa. Jch wandte mich hierauf zu meines Vaters Bruͤdern und zu meiner Schwester, die mich mit einem sauren und gezwungenen Gesicht willkom- men hieß. Es ward mir befohlen, mich nieder- zulassen. Jch war voller Kummer, und sagte: es sey meine Schuldigkeit zu stehen, falls ich an- ders eine so ernstliche und ungewoͤhnliche Aufnah- me ausstehen koͤnnte. Jch muste mein Gesicht weg wenden, und mir mit dem Tuch einige Thraͤ- nen abwischen. Mein Bruder und Anklaͤger trat auf, und be- schuldigte mich, daß ich bey Fraͤulein Howe nicht weniger als fuͤnf oder sechs mahl einen Besuch von der Person angenommen haͤtte, die sie insge- samt mit Recht hassen muͤsten, (dis war sein Ausdruck) ohngeachtet mir das Gegentheil be- fohlen waͤre. Jch sollte es leugnen, wenn ich koͤnnte. Jch antwortete: ich sey nicht gewohnt, die Wahrheit zu verleugnen, und wollte es auch jetzt nicht thun. Jch wollte gern bekennen, daß ich die Person die er meynete in den naͤchsten drey Wochen oͤfter als fuͤnf oder sechs mahl gesprochen haͤtte: ( Laßt mich nur ausreden/ mein Bru- der! muste ich hier sagen, weil er sich nicht laͤnger halten konnte) allein daß er stets nach der gnaͤdigen Frau oder Fraͤulein Howe gefragt habe. Beyde, setzte ich hinzu, wuͤrden gewiß bey jetzigen Umstaͤnden lieber seinen Besuch ab- gelehnt haben: Davon waͤre ich vest versichert. Allein sie haͤtten sich mehr als einmahl damit ent- Die Geschichte entschuldiget, daß sie seiner Geburt und Stande alle Hoͤflichkeit schuldig waͤren, und daß sie nicht gleich Ursachen mit meinem Vater haͤtten, ihm das Haus zu verbieten. Sie sehen, daß ich mich einiger Entschuldigun- gen nicht bedient habe, die ich wohl haͤtte gebrau- chen koͤnnen. Es schien daß mein Bruder eben losbrechen wollte: und mein Vater nahm das Gesicht an, das gemeiniglich einen nahen Sturm verkuͤndigt. Seine Bruͤder flisterten einander einige Worte in die Ohren. Meine Schwester hub beyde Haͤnde auf, uͤber mein grosses Verbrechen Klage zu fuͤh- ren. Jch bat, daß man mich nur voͤllig hoͤren moͤchte: und meine Mutter sagte: so laßt denn das Kind (dis war noch ihr guͤtiges Wort) ausreden! Jch redete hierauf weiter: ich hoffte, es waͤre nichts ungebuͤhrliches geschehen. Es wuͤrde sich fuͤr mich nicht geschickt haben, der Frau oder der Fraͤulein Howe vorzuschreiben, von wem sie Be- such annehmen sollten. Frau Howe habe stets ihre Lust an dem schertzhaften Wortwechsel ihrer Tochter und des Herrn L ovelace gehabt. Jch haͤtte ja ihren Gast mit keinem Rechte fuͤr einen ausgeben koͤnnen, der um meinet willen kaͤ- me: und nichts anders als dieses wuͤrde ich doch gethan haben, wenn ich mich geweigert haͤtte in ihre Gesellschaft zu kommen, so oft er sich mit darin befunden haͤtte. Jch haͤtte ihn uͤber dieses nie anders gesprochen als in Gegenwart der bey- der Clarissa. beyden Frauenzimmer, oder wenigstens in Bey- seyn einer von ihnen beyden: und als er einmahl darauf gedrungen, mich nur einige Augenblicke allein zu sprechen, haͤtte ich ihm bedeutet, daß mir seine Besuche nie angenehm seyn koͤnnten, und ich am wenigsten ihm eine solche Gelegenheit verstat- ten wuͤrde, so lange keine Versoͤhnung zwischen seiner und meiner Familie erfolgete. Jch sagte ihnen ferner: daß Fraͤulein Howe/ von meinen Gedancken so gut unterrichtet gewesen waͤre, daß sie mich nicht einen Augenblick mit ihm allein gelassen haͤtte. Auch haͤtte ich mich nicht herunter ruffen lassen, wenn ich nicht schon bey seiner Ankunft in dem Saal gewesen. Jch glaub- te, daß es gezwungen liesse, und von ihm vor- theilhaft ausgelegt werden koͤnnte, wenn ich die Gesellschaft verlassen, so oft er gekommen, oder mich geweigert haͤtte in die Gesellschafft zu gehen, wenn ich gesehen, daß er einige Zeit da bleiben wollte. Mein Bruder hoͤrte mich mit einer solchen un- geduldigen Art aus, daß ich schon zum voraus sei- nen Vorsatz mercken konnte, misvergnuͤgt uͤber mich zu seyn, ich moͤchte nun sagen, was ich woll- te. Es schien, die andern waͤren wohl mit mir zu frieden gewesen, wenn sie mir nicht haͤtten eine Furcht einjagen wollen, um etwas anders desto leichter durchzutreiben. Alles dieses zeigte deut- lich, daß sie kein freywilliges Ja von mir erwar- teten: und war ein stillschweigendes Bekenntniß davon, daß der Braͤutigam, den sie mir vorschla- Erster Theil. E gen Die Geschichte gen wollten, sehr unangenehme Eigenschafften haben muͤsse. Kaum hatte ich ausgeredet, so schwor mein Bruder in Gegenwart meines Vaters, der ihm weder durch Worte noch durch ein ernstliches Ge- sicht Einhalt that, daß er sich niemahls mit dem liederlichen Kerl aussoͤhnen wollte, und er koͤnnte mich nicht fuͤr seine Schwester erkennen, wenn ich einem, der sie insgesammt so sehr beleidiget haͤtte, die geringste Hoffnuug machte. Einem Menschen, setzte meine Schwester mit einem Gesichte welches vor zuruͤck gehaltenem Zorn bersten wollte, hinzu, Einem Menschen, der beynahe meines Bruders Moͤrder ge- worden waͤre! Sie hat ohnehin ein ungestaltes und plumpes Gesicht; falls Sie mir anders die- sen Ausdruck von meiner Schwester zu gebrau- chen, erlauben. Doch Sie vergeben mir diese Frey- heit eher, als ich mir selbst: allein ist wol ein Wurm der sich nicht kruͤmmet, wenn er zertreten wird? Mein Vater sagte hierauf mit heftigen Geben- den und Stimme, (Sie wissen, er hat eine fuͤrch- terliche Stimme, wenn er zornig ist) man habe gegen mich allzu viel Nachsicht bewiesen, da man mir erlaubt, bald diesem bald jenem Herrn ab- schlaͤgige Antwort zu geben. Die Reihe sey nun einmahl an ihm, Gehorsam zu fodern. Dis ist wahr! sagte meine Mutter: ich hoffe, daß ein Kind, dem wir so viel Liebe erwiesen ha- ben, uns nicht wiedersprechen werde. Um der Clarissa. Um mich zu uͤberzeugen, daß sie alle gleicher Meinung waͤren, sagte mein Vetter Harlowe: er hoffe, seine liebe Baase verlangte nur ihres Va- ters Willen zu wissen, um eine Probe ihres Ge- horsams geben zu koͤnnen. Und mein Vetter Anton setzte nach seiner rauhen Art hinzu: ich wuͤrde hoffentlich keine Ursache geben, zu fuͤrchten, daß ich meines Grosvaters Guͤtigkeit misbrau- chen wollte, mich von dem schuldigen Gehorsam loos zu machen. Wenn ich dergleichen daͤchte, so koͤnne er mir versichern, daß man das Testa- ment meines Grosvaters umstossen koͤnnte und wuͤrde. Jch erstaunete: das koͤnnen Sie leicht dencken. Jch konnte nicht begreiffen, auf wen alle diese Vorbereitungen zieleten: ob Herr Wyerley von neuen um mich angehalten haͤtte, oder sonst jemand anders? Jungen Maͤdchens pflegen doch leicht grosse Vergleichungen einzufallen, wenn es ihre eigene Sache betrifft: und mir kam diese Anwer- bung, in wessen Namen sie auch geschehen moͤch- te, so vor, als die Anwerbung der Englaͤnder um die Printzeßin von Schottland zu Zeit Koͤnig Eduard des sechsten. Wie koͤnnte ich mir aber traͤumen lassen, daß Herr Solmes der Freyer sey, den man mir aufdringen wollte? Jch wuͤßte nicht, antwortete ich, daß ich Ursa- che gegeben haͤtte, so hart mit mir zu verfahren. Jch hoffete, daß ich gegen ihre viele Liebe nie un- erkenntlich seyn wuͤrde; und uͤber dieses wuͤrde ich mich stets der Pflicht einer Tochter und einer E 2 Bru- Die Geschichte Bruders-Tochter kindlich erinnern. Allein die gantz ungewoͤhnliche und unerwartete Art, mich zu bewillkommen, haͤtte mich so bestuͤrtzt gemacht, daß ich mir Erlaubniß ausbitten muͤßte, wegzuge- hen, und mich wieder zu erholen. Da keiner etwas einwendete, machte ich ohne weiter etwas zu sagen meinen Reverentz und gieng weg. Mir kam es vor, als verliesse ich meinen Bruder und meine Schwester recht vergnuͤgt, und als wuͤrden sie sich einander Gluͤck wuͤnschen, daß durch ihre guͤtige Bemuͤhung endlich der An- fang gemacht sey, mir hart zu begegnen. Jn meiner Cammer ließ ich gegen meine treue Han- nichen meine Betruͤbniß daruͤber aus, daß der neue Antrag, den man mir thun wollte, schon zum voraus ein so ernsthafftes Ansehen gewon- nen haͤtte. Ehe ich noch wieder zu mir selbst gekommen war, ward ich zum Thee gerufen. Jch ließ mich zwar durch mein Cammer-Maͤdchen entschuldi- gen: auf wiederholten Befehl aber ging ich mit so froͤlichem Gesicht, als mir moͤglich war, hinun- ter. Hier mußte ich mich von neuen verant- worten: Denn mein Bruder (so reich ist man an Beschuldigungen, wenn man einmahl entschlos- sen ist, alles uͤbel auszulegen) mein Bruder, sage ich, gab mir deutlich und unhoͤflich genug zu verstehen, ich haͤtte blos aus Verdruß nicht zum Thee kommen wollen, weil man einer Per- son vorhin nicht in Ehren gedacht haͤtte, in die ich verliebt waͤre. Jch der Clarissa. Jch koͤnte euch leicht antworten (sagte ich) wie es diese Beschuldigung verdient. Allein wenn ich gleich an euch keinen Bruder habe, so sollt ihr doch stets an mir eine Schwester behalten. Eine artige Sanftmuth! wispelte meine Schwester mit verzogenen Lippen, und sahe mei- nen Bruder dabey an. Er befahl mir mit einem vornehmen Gesicht, seine Liebe zu verdienen: alsdenn sollte sie mir nicht entstehen. Nachdem wir uns gesetzt hatten, redete meine Mutter mit der gewoͤhnlichen Artigkeit und Vor- treflichkeit, die alle ihre Reden an sich haben, von der Liebe zwischen Geschwistern, und verwieß es meinem Bruder und meiner Schwester glimpflich, daß sie sich so leicht gegen mich haͤtten aufbringen lassen, wobey sie auf eine beynahe listige Weise fuͤr mich Buͤrge ward, daß ich dem Willen mei- nes Vaters Folge leisten wuͤrde. Mein Vater sagte: alsdenn wuͤrde alles gut seyn: mein Bruder: denn wuͤrden sie sich in mich ver- lieben: meine Schwester: sie wuͤrden mich so lieb als jemahls haben: und meines Vaters Bruͤder: denn wuͤrden sie recht stoltz auf mich seyn. Aller dieser Versprechungen werde ich mich leider begeben muͤssen. So ward ich bewillkommet, als ich von Jh- nen zuruͤck kam. Ehe wir noch den Thee ausgetruncken hatten, trat Herr Solmes in das Zimmer. Mein Va- ters Bruder Anton fuͤhrte ihn zu mir, als eiren Herrn, der sein besonders guter Freund sey. Mein E 3 an- Die Geschichte anderer Vetter Harlowe brauchte eben so vor- theilhafte Ausdruͤcke: und mein Vater sagte: Herr Solmes ist mein Freund/ Clarissa Harlowe! Meine Mutter sahe bald ihn bald mich an, als er neben mir saß: mich duͤnckte, daß ich in ihren Augen lesen konte, daß sie meinet- wegen besorgt waͤre. Jch sahe sie an, und bat um Mitleiden: bisweilen, wenn es sich thun ließ, gab ich ihm einen verdrießlichen Blick, um ihn abzuschrecken. Jn meines Bruders und mei- ner Schwester Munde war nichts als Herr Sol- mes: Herr Solmes ward unaufhoͤrlich auf das freundlichste genannt. So schmeichelten alle einem so elenden Kerl. Jch thue weiter nichts hinzu, als daß ich mich gegen Jhre Frau Mutter wegen der genos- senen Guͤtigkeit gehorsamst bedancke, wie ich denn noch in einem an sie selbst gerichteten Briefe su- chen werde mein danckbares Gemuͤth auszudruͤ- cken; und daß ich verharre Dero stets verpflichtete Cl. Harlowe. Der achte Brief. von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe/ den 24. Febr. M an setzt die Sache mit einer recht unsinni- gen Hitze durch. Jch glaube, Solmes wohnt jetzt hier. Er schmeichelt ihnen, und wird von Tage der Clarissa. Tage zu Tage bey ihnen beliebter. So vor- trefliche Bedingungen! so schoͤne Ver- schreibungen! ruft jedermann. O mein Schatz, wenn ich diesen Familien Feh- ler nur nicht beweinen duͤrfte! diese unersaͤttliche Begierde nach mehrerem Reichthum, obgleich sie schon alle zusammen mehr als reich sind! gegen Sie kan ich dreister hievon reden, weil wir uns bey- de oft diese gemeinfchaftliche Noth geklagt haben. Mein Vater und seine Bruͤder sind in diesem Stuͤck gegen mich, was Jhre Frau Mutter gegen Sie ist. Sonst ist nichts an ihnen auszusetzen. Es laͤßt, als ob mein Vater alles sein Recht uͤber mich meinem Bruder uͤbergeben haͤtte; und dieser will dafuͤr angesehen seyn, daß er mich jetzt zaͤrtlicher liebe als jemals. Jch habe mich ge- gen ihn deutlich und offenhertzig erklaͤrt: allein er will aus meiner Erklaͤrung einen Spaß machen, und stellet sich, als koͤnte er gar nicht glauben, daß seine Schwester Claͤrchen/ das so gehorsame und wohlgeartete Kind, sich wider den Willen al- ler der Jhrigen setzen werde. Jch zittere, wenn ich an den Ausgang gedencke, den die Sache neh- men koͤnte: denn ich sehe, daß sie in ihrem Ent- schluß unbeweglich sind. Mein Vater und meine Mutter vermeiden mit Fleiß alle Gelegenheit, die ich gebrauchen koͤnte, mit ihnen allein zu sprechen. Sie fragen mich nicht um meine Meinung, sondern wollen gern zum vor- aus setzen, daß Jhr Wille auch mein Wille seyn werde. Und doch kan ich nicht hoffen, bey irgend einem andern als nur bey ihnen durch Bitten und E 4 Vorstel- Die Geschichte Vorstellungen etwas auszurichten: denn bey ih- nen fallen die Ursachen weg, die meine Geschwi- ster haben, mich zu einer Heyrath zu zwingen. Jch widerspreche ihnen jetzund weniger, und spare al- les, was ich zu sagen habe, auf eine Unterredung mit meinem Vater allein, wenn er mich anders ge- duldig anhoͤren will. Wie schwer wird es mir, eine abschlaͤgige Antwort zu geben, da beydes Pflicht und Hertz machen, daß ich wuͤnsche meine Eltern, durch Gehorsam zu erfreuen! Dreymal habe ich schon einen Besuch auf meiner Stube von diesem Mann ausstehen muͤs- sen, ausser dem, daß ich bey seinem Besuch, damit er meine Eltern beehrt, auch gegenwaͤrtig bin. Er ist mir aber schlechterdings unertraͤglich. Er hat nur nach Mundes-Maasse Verstand: artige Wissenschaften und Belesenheit hat er gar nicht: er weiß nichts, als wie viel seine Guͤter einbringen, und wie man sie besser nuͤtzen koͤnnte, und was sonst zur Haushaltung und zu dem Landwesen ge- hoͤrt. Allein ich weiß nicht, wie ich bin! ich kom- me mir gantz tumm und betaͤubt vor. Man hat den Anfang gemacht, mir so hart zu begegnen, daß ich kaum das Hertz habe, auf der abschlaͤgigen Antwort zu bestehen, die ich doch geben muß. Es scheint, sie haben sich bemuͤhet die gute Frau Norton auf ihrer Seite zu bringen, ehe ich nach Hause gekommen bin: so sehr sind sie auf alle Mittel bedacht, die Sache durchzutreiben. Da aber Frau Norton nicht so gesinnet war, wie sie es wuͤnschten, so sagten sie zu ihr sie wuͤrde wohl der Clarissa. wohl thun, sich eine Zeitlang unsers Hauses zu enthalten. Und doch ist sie, naͤchst meiner Mut- ter, die eintzige in der Welt, die etwas bey mir ausrichten wuͤrde, wenn die Forderungen der meinigen billig waͤren, oder wenn sie ihr auch nur billig scheinen koͤnnten. Meiner Mutter Schwester hatte sich verlauten lassen: sie hielte es fuͤr unmoͤglich, mich dahin zu bringen, daß ich Herrn Solmes liebete. Sie hat aber eine andere Sprache lernen muͤssen. Sie will mich morgen besuchen: und weil ich von meinem Bruder und Schwester nicht einmal habe anhoͤren wollen, was mir Herr Solmes fuͤr herrliche Guͤ- ter verschreiben will, so soll sie mir hievon Nach- richt geben, und zugleich meine Antwort abholen. Denn mein Vater (so heist es) kan ohnmoͤglich so viel Gedult haben, sich auch nur vorzustellen, daß ich mich gegen seinen Willen setzen wollte. Jnzwischen ist mir angekuͤndiget: ich wuͤrde wohl thun, wenn ich den naͤchsten Sonntag nicht darauf daͤchte, in die Kirche zu gehen. Eben die- sen Befehl habe ich schon den vorigen Sonntag bekommen. Denn sie fuͤrchten, daß Herr Love- lace in der Kirche seyn, und mich nach Hause be- gleiten moͤchte. Geben Sie mir, meine allerliebste Fraͤulein Howe/ nur etwas von Jhrer vortreflichen Hertz- haftigkeit: ich brauche sie jetzt am noͤthigsten. Sie koͤnnen leicht dencken, daß Herr Solmes sich nicht eben ruͤhmen duͤrfte, daß er viel bey mir ausgerichtet habe. Er hat nicht Verstand genung, E 5 etwas Die Geschichte etwas vorzubringen, das zur Sache dienet. Er bewirbt sich in der That nur um die meinigen, und mein Bruder fuͤhret sich gegen mich auf, als waͤ- re er se in Freywerber. Jch habe zwar meinem Bruder deutlich meine Abgeneigtheit zu erkennen gegeben; allein da ich mich verpflichtet halte, einem Manne hoͤflich und anstaͤndig zu begegnen, der bey meiner gantzen Familie gelitten ist, und mir von ihr angepriesen wird, so wollen sie daraus mit aller Gewalt schliessen, daß ich nur aus Bloͤ- digkeit Nein sage. Er kennet seine Maͤngel zu wenig, und, wenn ich ihm, so viel ich nur kan, aus dem Wege gehe, und gegen ihn fremde bin, so glaubt er, meine Bloͤdigkeit sey daran schuld. Denn, da er sich nur um die Gunst der meinigen bewirbet, so habe ich nicht einmahl Gelegenheit, Nein zu ihm zu sagen, denn er fraͤgt mich nie. Er scheint daher mit einer maͤnnlichen Grosmuth mehr das schuͤchterne Maͤdgen zu bedauren, als eine abschlaͤgige Antwort zu befuͤrchten. den 25. Februar. Die Unterredung, die ich mit meiner Base haben sollte, ist nun wuͤrcklich vor sich gegangen. Jch habe mir die Vorschlaͤge meines Freyers von ihr muͤssen erzehlen lassen, und sie hat mir alle Ursachen gesagt, warum ihm Gehoͤr gegebeu wird. Jch kan nicht ohne Widerwillen erwaͤhnen, daß er eben so ungerecht handelt, indem er so vieles verspricht, als diejenigen, denen ich doch Ehr- furcht schuldig bin, indem sie seine Versprechun- gen der Clarissa. gen annehmen. Jch hasse ihn jetzt mehr, als vor- hin. Ein schoͤnes Gut ist schon zum Nachtheil, der obgleich noch entfernten Anverwandten erhal- ten, die kuͤnftig einen Anspruch darauf machen koͤnten, nemlich das Gut, das mein Bruder von seiner Pathe geerbet hat. Hierauf bauen sie eine Hoffnung (vermuthlich in die Luft), daß sie noch mehreres erhalten wollen, und daß wenigstens mein Gut dereinst wieder an die Familie fallen werde. Mich duͤnckt die gantze Welt ist nur eine grosse Familie: Wenigstens war sie dieses bey ih- rem Anfang. Wie soll ich denn diese eingennuͤtzi- ge Absichten kleiner Geister anders beschreiben, als daß man einer Verwandtschaft vergißt, und sich einer andern erinnert? Als ich schlechterdings mich weigerte, ihn zu nehmen, die Bedingungen moͤchten auch so vor- theilhaft seyn, als sie immer wollten, so muste ich ein Verbot anhoͤren, das mir recht an das Hertz tritt. Wie kan ich es ihnen schreiben? Und ich muß es doch thun! Jch soll einen gantzen Monath, oder bis ich von neuen Erlaubniß er- halten habe, mit niemanden ausser dem Hause Briefe wechseln. Mein Bruder kuͤndigte mir die- ses mit einem rechten Amts-Gesichte an, nachdem Frau Hervey meine Antwort uͤberbracht hatte. Sie hat zwar dieses auf die gelindeste Weise ge- than, ja so gar, ohne Vollmacht von mir zu ha- ben, einige entfernte Hoffnung gegeben, daß ich mich kuͤnftig bequemen duͤrfte. Jch fragte: darf ich denn auch nicht an Fraͤulein Howe schreiben? Nein Die Geschichte Nein/ gnaͤdige Fraͤulein/ sagte er spoͤttisch, auch nicht einmahl an Fraͤulein Howe. Denn sie haben ja selbst gestanden/ daß Lovelace der Liebling von der Fraͤuleiu Howe sey. Sehen sie es wohl, meine liebe Fraͤulein? Meynet ihr aber, Bruder, sagte ich, daß dis der rechte Weg sey? Bekuͤmmert ihr euch darum? Wisset! man wird eure Briefe auffangen, ich kans euch ver- sichern. Mit diesen Worten lief er fort. Meine Schwester kam bald darauf zu mir, und sagte: Nun Klaͤrchen/ ich hoͤre ihr seyd auf guten Wegen. Man hat aber Verdacht auf einige Leute, daß sie euch in eurem Ungehorsam staͤrcken, und deswegen soll ich euch ankuͤndi- gen, daß man gerne sehe, wenn ihr ein paar Wochen lang, bis auf weitere Erlaubniß, kei- nen Besuch gebt, und auch keinen annehmet. Befehlen das die, welche uͤber mich zu befeh- len haben, sagte ich? Fragt sie, fragt sie, mein Kind! sprach sie, und drohete mir mit dem Finger. Jch habe euch das gesagt, was ich zu sagen hatte. Euer Vater verlangt Gehorsam von euch. Er hat die gute Hoffnung von euch, daß ihr gehorsam seyn wer- det, und wollte gern allen Verfuͤhrungen zum Ungehorsam vorbeugen. Jch antwortete: Jch weiß meine Pflicht. Jch hoffe aber, daß man von mir nichts un- moͤgliches fordern werde. Hier- der Clarissa. Hierauf versetzte sie: Ein unverschaͤmtes, eite- les, eingebildetes junges Ding! Nach eurer tie- fen Weisheit wisset ihr nur allein, was sich schi- cket, und was recht ist. Jch fuͤr mein Theil habe schon lange Zeit durch eure Larve hindurch gesehen, und nun werdet ihr jedermann verrathen, wie ihr im Hertzen beschaffen seyd. Jch kehrte Augen und Haͤnde gen Himmel, und sagte: liebe liebe Schwester, warum ‒ ‒? Nichts von liebe Schwester! antwortete sie. Jch versichre euch, ihr blendet mich nicht durch eure Zauberey. Dis war ihr Ausdruck, und damit lief sie weg, und rief mir ruͤcklings zu: Es wird euch bald ein jeder so gut kennen, als ich euch kenne. Behuͤte GOtt! dachte ich, was habe ich fuͤr eine Schwester? wodurch habe ich alles dieses verdient. Jch bedaurte hiebey von neuen, daß mein Großvater mich aus allzu grosser Liebe mei- nen uͤbrigen Geschwistern in der Erbschaft vorge- zogen hat. den 25. Febr. Abends. Jch weiß nicht, was mein Bruder und meine Schwester wider mich moͤgen angebracht haben. Mein Vater ist sehr zornig auf mich. Jch ward zum Thee gerufen, und gieng mit einem froͤlichen Gesicht hinunter: Allein ich hatte bald Ursach be- truͤbt auszusehen. Alle nahmen ein ernsihafftes und vornehmes Gesicht an. Meine Mutter sa- he bestaͤndig auf den Thee-Topf: wenn sie ja auf- sahe, Die Geschichte sahe, so war es, als wenn an ihren Augenliebern ein Gewicht hinge, und sie sahe mich nie an. Mein Vater saß halb zur Seite in seinem Lehn- Stuhl, damit er mich nicht ansesehen duͤrfte, und hob die gefaltnen Haͤnde bald auf, bald nieder. Al- le Finger des armen Mannes waren in Bewe- gung, als wenn es ihm bis unter die Naͤgel krib- belte. Meiner Schwester schwollen alle Adern auf; mein Bruder sahe mich mit einer veraͤchtli- chen Mine an, und maß mich mit seinen Augen von Haupt bis auf die Fuͤsse so bald ich in den Saal trat. Meine Baase war auch da; mich duͤnckte, ich konte in ihren Augen eine Guͤtigkeit lesen, die sie gerne verstecken wollte. Sie blieb sitzen, und neigete sich gantz kaltsinnig gegen mich. Darauf wieß sie mit den Augen auf meinen Bru- der, und auf meine Schwester. Dis erklaͤrte ich so, als wollte sie mir die Ursach ihres ungewoͤhn- lichen Betragens zu verstehen geben. Bewahre GOtt! mein Schatz, warum suchten sie ein Hertz, das bisher nie fuͤr eigensinnig oder knech- tisch gehalten ist, mehr durch Furcht als durch Liebe zu bewegen? Jch setzte mich auf meinen Stuhl nieder. Soll ich Thee-Wasser aufgiessen, sagte ich zu meiner Mutter? Sie wissen, dies ist sonst mein Amt. Nein! hieß es. Eine kurtze Antwort, in Ei- ner Sylbe. Sie nahm die Thee-Kanne selbst; Meine Schwester wollte ihr helffen, aber mein Bruder hieß sie gehen, u nd sagte, daß er das Wasser selbst aufgiessen wollte. Das Hertz kam mir der Clarissa. mir auf die Zunge. Jch wußte nicht, wie ich mich fassen solte. Was dachte ich, soll hieraus werden? Bey der zweyten Tasse stund meine Mutter auf: Nur ein Wort allein meine Schwester, sag- te sie zu Frau Hervey, und faßte sie an die Hand. Meine Schwester verlohr sich auch, zuletzt mein Bruder, und so blieb ich allein bey meinem Va- ter. Er sahe so ernsthat aus, daß mir der Muth fehlete, als ich mir zwey oder drey mahl vornahm ihn anzureden, weil vorhin eine so grosse Stille ge- wesen war. Endlich fragte ich ihn, ob er befoͤhle, daß ich noch eine Tasse einschenckte. Jch bekam nichts zur Antwort, als die eine verdrießliche Sylbe, die ich schon von meiner Mutter vorher gehoͤrt hatte. Er stand auf, und gieng in der Stube herum. Jch stand auch auf, und wollte mich zu seinen Fuͤssen werffen; allein seine Ernsthaftigkeit setzte mich so in Furcht, daß ich ihm nicht einmahl dieses Zei- chen der kindlichen Liebe geben konnte, davon mein Hertz doch uͤberfloß. Das Podagra zwang ihn, sich an einen Stuhl zu lehnen. Hier nahm ich mir etwas mehr Muth: ich gieng zu ihm, und bat ihn, er moͤchte mir doch sagen, womit ich ihn beleidigt haͤtte. Er kehrte mir den Ruͤcken zu, und sagte mit star- cker Stimme: Jch fodere Gehorsam Clarissa Harlowe! Jch antwortete, behuͤte GOtt! solt ich ungehorsam seyn? Jch habe mich noch niemahls ihrem Willen widersetzet. Er Die Geschichte Er fiel mir in die Rede: Und ich mich nie deinen thoͤrichten Einfaͤllen/ Clarissa Har- lowe. Laß mich nicht eben den Verdruß erfahren, den alle erfahren, die gegen das Frauenvolck guͤtig sind. Denn je mehr wir nachgeben, je mehr wi- dersprecht ihr uns. Sie wissen, mein Schatz, daß mein Vater eben so wenig als mein Bruder eine gute Meinung von dem Frauenzimmer hat, obgleich meine Mut- ter so viel nachgibt, als schwerlich eine Frau in der Welt thun wird. Jch wollte ihm eben Versicherungen von mei- nem Gehorsam geben. Er uuterbrach mich. Keine Versicherungen, Maͤdchen! Keine Worte! Jch liebe kein Geschwaͤtz. Du solt mir gehorchen. Jch habe kein Kind. Jch will kein Kind ha- ben, wenn es nicht gehorsam ist. Jch hoffe, sie haben nicht Ursach gehabt ‒ ‒ Sage mir nicht, was ich nicht gehabt habe: sondern was ich jetzt habe, und haben soll. Hoͤren sie mich doch aus: Jch fuͤrchte mein Bruder und meine Schwester ‒ ‒. Nichts gegen deinen Bruder und gegen deine Schwester! Die Ehre der Familie liegt ihnen am Hertzen. Jch hoffe auch ‒ ‒. Hoffe nichts Maͤdchen. Sage mir nicht, was du hoffest, sondern was du thust. Jch fodere nichts von dir, als was du thun kanst, und thun mußt. Jch will mich gern bequemen, aber ich hoffe sie werden so guͤtig seyn ‒ ‒. Keine der Clarissa. Keine Einwendung! Kein Aber; Maͤdchen! Keine Einschraͤnckungen! Gehorsam solt du seyn, und das noch dazu mit Freuden: Sonst bist du mein Kind nicht. Jch weinte. Mein lieber und werther Vater (sprach ich, und fiel auf die Knie), darf ich nicht bitten, daß ich nur ihrem und meiner Mutter Willen gehorchen moͤge, und nicht dem Willen meines Bruders. Jch wollte noch weiter reden: Aber er kehrte mir den Ruͤcken zu, und ging mit den Worten weg: Jch mag dich nicht anhoͤren, wenn du durch aller- hand List und Schul-Geschwaͤtz das vierdte Ge- bot ausmusteren willst. Gehorsam, Gehorsam! Mein Hertz ist so voll, daß ich meiner Pflicht vergessen muͤßte, wo ich es gegen Sie ausschuͤtten solte. Jch will lieber die Feder niederlegen. Doch ich darf ‒ ‒. Nein ich will die Feder gewiß nie- derlegen. Der neunte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. den 26. Febr. des Morgens. M eine Baase ist vergangene Nacht hier geblie- ben, und hat mich heute fruͤh mit Anbruch des Tages besucht. Sie sagt mir, daß man mich mit Willen bey meinen Vater allein in der Stube ge- Erster Theil. F lassen Die Geschichte lassen habe, damit er mich befragen koͤnnte, ob seine Hoffnung, die er auf meinen Gehorsam gese- tzet, ihn nicht triegen wuͤrde? Allein er haͤtte selbst gestanden, daß er seinen Zweck nicht haͤtte erreichen koͤnnen, weil eine Erzaͤhlung ihm gar zu sehr im Gemuͤth gelegen, dadurch mich mein Bruder an- geschwaͤrtzet haͤtte, und weil es ihm unertraͤglich gewesen waͤre, es sich auch nur als moͤglich vorzu- stellen, daß ein so gehorsams Kind sich seinem Willen in einer Sache wiedersetzen koͤnnte, die das Beste der gantzen Familie so sehr betraͤfe. Aus ein paar Worten, die ihr entfallen sind, mercke ich, daß man sich auf mein lencksames Ge- muͤth gar zu sehr verlasse. Die meinigen irren sich hierin. Jch habe mich genau untersucht, und ich finde eben so viel von meines Vaters Kopf in mir, als ich Sanftmuth von meiner Mutter ge- erbt habe. Mein Onkle Harlowe wiederraͤth sehr, mich aufs aͤusserste zu treiben: Allein seines Bruders- Sohn, der vergessen hat, daß er mein Bruder ist, versichert zum voraus, daß meine Ehrbegier- de und die Grundsaͤtze, denen ich bestaͤndig folge, mich lehren wuͤrden meine Pflicht zu beob- achten. Dis war sein Ausdruck: vielleicht waͤ- re es besser, daß ich diesen Ausdruck nicht wuͤste. Meine Baase giebt mir den Rath, das gege- bene Verbot genau zu beobachten, und Herrn Solmes nicht ohne alle Hoffnung zu lassen. Dieses letzte habe ich schlechterdings abgeschlagen, es mag auch daraus kommen, was will. Jch habe der Clarissa. habe mich bequemet keinen Besuch anzunehmen, noch zu geben; Aber von dem Brief-Wechsel mit Jhnen kan mich nichts abhalten, als blos die Furcht, daß meine Briefe aufgefangen werden moͤgten. Sie glaubt daß mein Vater diesen Befehl oh- ne meine Mutter zu befragen gegeben habe, und zwar blos aus Liebe gegen mich, damit ich nicht eine Todsuͤnde gegen ihn begehen moͤchte. Denn er befuͤrchtete daß mich andere Leute (das sind Sie, und Fruͤulein Lloyd ) hiezu verfuͤhren moͤgten, und daß ich es von selbst nicht thun wer- de. Denn er spricht noch sehr wohl von mir, und lobet mich, wie sie saget, ungemein. Das ist Gnade! das ist vaͤterliche Nachsicht! So muß man es anfangen, wenn man nach Art eines Koͤniges, der uͤbelgesinnete Unterthanen von einem Aufruhr abhalten will, wodurch sie sich aller ihrer Guͤter verlustig machen wuͤrden, ein hart- naͤckiges Kind vor Ungehorsam und Verderben zu bewahren sucht. Dis ist die Weisheit meines jungen Herrn Bruders; eines Betriegers ohne Kopf, und eines Bruders ohne Hertz. Wie gluͤcklich haͤtte ich mit irgend einem andern Bruder als Jacob Harlowe leben koͤnnen? Und wie gluͤcklich mit irgend einer andern Schwe- ster, als mit seiner. Verwundrrn sie sich nicht hieruͤber mein Schatz, daß ich jetzt mehr meine Schuldigkeit, als Sie sonst die Liebe in der Beurtheilung meiner Geschwister aus den Augen setze, da ich Jhnen so oft eine Straf-Predigt F 2 gehal- Die Geschichte gehalten, wenn Sie zu frey von den meinigen ge- urtheilet haben. Der Gedancke ist mir unertraͤg- lich, daß man mich des allergroͤßten Vergnuͤgens berauben will, das ich in meinem Leben geniese: ich meine des schriftlichen oder muͤndlichen Um- gangs mit Jhnen. Und wer kann sich ohne Wi- derwillen von einer so niedertraͤchtigen Arglistig- keit betriegen lassen, die noch dazu mit so viel Hef- tigkeit und Hochmuth verbunden ist. Allein meine Liebste Fraͤulein Howe koͤnnten Sie mir wol so viel zu gefallen thun, daß Sie sich zu einem geheimen Briefwechsel mit miꝛ bequemen. Wenn Sie dieses thun wollen, so ist mir ein Weg beygefallen, wie solches sicher geschehen kann. Sie wissen doch unsern so genannten gruͤnen Gang an dem Holtzstall und dem Hofe auf dem wir das Feder-Vieh haben. Hier habe ich einige Jndianische Huͤner, Fasanen und Pfauen, mit de- nen ich mir zweymal des Tages die Zeit vertreibe. Jch thue dieses desto lieber, weil sie meinem seel. Grosvater gehoͤrt haben, und er mir befohlen hat, fuͤr sie zu sorgen: deswegen ich sie auch von mei- ner Hollaͤnderey nach seinem Tode hieher habe bringen lassen. Dieser gruͤne Gang ist niedriger als der Boden des Holtz-Stalles, und in der einen Seiten-Wand des Holtz-Stalles sind die Bretter an etlichen Orten eine halbe Elle weit von der Erde auf gefault. Meine Hannichen kann hier mit Kreite ein Zeichen machen, wo man einen Brief oder Paquetchen unter den Straͤu- chen einstecken kann. Man kann dis wohl so machen, der Clarissa. machen, daß es keinen Verdacht eines gehei- men Briefwechsels giebet. Jch bin eben an dem Orte gewesen, und sehe, daß er zu unserm Zwecke bequem ist; Es kan demnach ihr ehrlicher Robert ohne sich unserm Hause zu naͤhern nur thun, als gienge er durch den gruͤnen Gang, der ohnedem der ordentliche Weg nach zwey oder drey Vorwercken ist. Mir soll es lieber seyn, wenn er keine Lieverey an hat. Er wird auf diese Weise gantz bequem meine Briefe abholen, und Jhre bringen koͤnnen. Es ist dieser Ort desto bequemer, weil bey nahe niemand dahin kommt, als ich und meine Hannichen/ um das Federvieh zu futtern. Denn hier ist nur unser grosse Holtzstall. Das taͤgliche Brennholtz haben wir naͤher am Hause. Eine Ecke ist von dem uͤbrigen Hoͤfen fuͤr mein Federvieh abgesondert. Es kan daher weder mir noch Hannichen an einem Vorwand feh- len, oft dahin zu gehen. Versuchen Sie einmal, ob Sie auf diese Wei- se einen Brief an mich bringen koͤnnen, und geben Sie mir guten Rath, was ich bey so verworrenen Umstaͤnden anfangen soll. Schreiben Sie mir, was ich mir Jhrer Meynung nach fuͤr Hoffnung machen kan? und wie Sie sich in gleichen Um- staͤnden verhalten wuͤrden. Doch muß ich mir zum voraus von Jhnen ausbitten, daß Sie mir ja nicht anrathen, Herrn Solmes zu nehmen. Mir komt aber sehr wahrscheinlich vor, daß man F 3 durch Die Geschichte durch Jhre Frau Mutter versuchen werde Sie zu bewegen, daß Sie mir hiezu rathen moͤch- ten, weil man wohl weiß, wie viel Jhr Rath bey mir vermoͤge. Doch Nein! nach weiterer Ueberlegung der Sache bitte ich Sie mir Jhre voͤllige Meynung zu schreiben, wenn Sie auch sollten auf Herrn Solmes Seite seyn. Jch habe zwar meine Entschliessung schon gefaßt, ich glaube, daß sie unveraͤnderlich seyn werde: ich will aber alles ge- duldig anhoͤren, was man gegen meine Entschlies- s n ng enwenden kan. Denn ich versichre Jhnen auf mein Wort, daß wo ich mich anders selbst kenne, ich nicht so sehr zaͤrtliche Blicke auf einen gewissen andern werfe, als meine Geschwister mich beschuldigen, und Sie selbst nach Jhrer Losigkeit mir Schuld gaben, als er mich die letzten mahle besuchte. Wenn ich einige mehrere Nei- gung gegen ihn, als gegen irgend eine andere Per- son habe, so gruͤndet sich diese Neigung nicht, auf seine eigene Vorzuͤge, sondern blos auf das Un- recht, das er meinetwegen erlitten hat. Jch habe ein kleines Schreiben an Jhre Frau Mutter beygelegt, mich fuͤr alle Guͤte zu bedan- cken, die sie mich in der letzten so vergnuͤgten Zeit hat geniessen lassen. Wie sehr befuͤrchte ich, daß ich in meinem Leben nie wieder eine so vergnuͤgte Zeit haben werde! Dieses Schreiben an Jhre Frau Mutter soll der Ueberbringer vorzeigen, wenn er nicht ohne Verdacht und Nachfrage aus meinem Hause kommen kan, und soll sich von mei- der Clarissa. meinem Briefe an Sie nichts mercken lassen. Un- noͤthige Aufsicht und Zwang pflegen uns doch ge- meiniglich zu List und kleinen Schelm-Stuͤcken zu gewoͤhnen. Jch wuͤrde gewiß einen Abscheu vor allem geheimen Briefwechsel haben, wenn ich nicht dazu gezwungen wuͤrde: und noch jetzt komt mir diese Sache so niedertraͤchtig vor, daß ich mich kaum unterstehe zu hoffen, daß Sie ei- nigen Antheil daran nehmen werden. Ach warum stoͤßt man mich mit Gewalt in einen Stand, den ich zwar ehre, aber zu dem ich keine Neigung habe? Warum verheyrathet sich mein Bruder nicht, der um so viel Jahre aͤlter ist als ich, da er so sehr auf meine Verheyra- thung dringet? Warum wird nicht meine aͤl- tere Schwester zuerst versorget? Dis sind schon meine Klagen gegen meiner Mutter Schwester gewesen. Allein ich breche diese vergebliche Klagen ab, und versichere, daß ich stets bin und seyn werde Dero ergebenste Clarissa Harlowe. Der zehnte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clarissa Harlowe. den 27. Febr. W as muͤssen einige Leute fuͤr verkehrte Koͤpfe haben! Fraͤulein Clarissa Harlowe soll F 4 Herrn Die Geschichte Herrn Roger Solmes aufgeopfert werden! Wie kan sich einer etwas so ungereimtes ein- fallen lassen? Sie verlangen von mir: ich soll Jhnen nicht anrathen Herrn Solmes zu nehmen. Jch sollte fast glauben mein Schatz, daß Sie in der That zu der Familie gehoͤren, die sich eine so abgeschmackte Parthey fuͤr Sie gefallen lassen koͤnnen: sonst haͤtten Sie sich gar nicht vorstel- len koͤnnen, gaß ich Jhnen anrathen wuͤrde, Herrn Solmes zu nehmen. Bitten Sie mich nur einmahl, daß ich einen Abriß von ihm mache. Sie wissen ja, daß ich geschickt bin ein eckelhaftes Bild zu mahlen. Doch ich will lieber einige Zeit mit meiner Be- schreibung warten: denn wer weiß, was sich noch endlich zutragen kan, da man so viel Hef- tigkeit gebraucht, und da Sie so wenig Muth besitzen den Strom zu widerstehen. Sie wuͤnschen sich nur etwas von meinem Muth. Jst dis Jhr Ernst? Er wuͤrde Jhnen jetzt nichts mehr helfen, und wuͤrde Sie nicht einmahl kleiden. Sie sind Jhrer Mutter Tochter, Sie moͤgen davon dencken was Sie wollen, und haben es mit heftigen Gemuͤthern zu thun. Sie haͤtten fruͤher etwas von meinem Muth annehmen sollen: nemlich damals, da Sie Jhr Gut solchen Leu- ten in die Haͤnde spieleten, die glaubten ein naͤhe- res Recht daran zu haben als Sie. Was sind Sie dessen gebessert, daß der Praͤtendent auf Jhr Gut Jhr Vater ist? Hat er nicht zwey aͤltere Kin- der Clarissa. Kinder? Sind ihm diese nicht viel aͤhnlicher als Sie? Jch bekenne es, daß meine Fragen sehr frey sind: allein verweisen Sie mir ja diese Freyheit nicht, sonst wuͤrde die Auslegung, die Sie vorher machen muͤsten, eben so beissend gegen die Jhrigen seyn, als meine Fragen selbst sind. Da ich mich einmal gewaget habe, frey zu schreiben, so muͤssen Sie mir noch ein paar Zeilen von gleicher Art zu gute halten: hernach will ich bescheidener werden. Sollten Sie nicht billig wissen, daß Geitz und Mißgunst nie dadurch besaͤnftiget werden, wenn man dem Geitzigen giebt was er haben will, und wenn man den Neidischen an Verdiensten und eigenen Vorzuͤgen uͤbertrifft. Beydes ist nichts als Zunder fuͤr unersaͤttlichen Flammen. Soll ich Jhnen Rath geben, so muͤssen Sie mir alle Ursachen schreiben, davon Sie wissen oder vermuthen, daß sie Jhre Geschwister veran- lassen, Sie zu dieser Heyrath zu zwingen. Wenn Sie mir erlauben wollten, einen Auszng aus Jhren Briefen zum Vergnuͤgen und Zeit- vertreib meines Vetters auf der kleinen Jnsel zu machen, der so sehr begierig ist, etwas von Jh- ren Umstaͤnden zu hoͤren: so wuͤrde ich es fuͤr eine sehr grosse Gefaͤlligkeit ansehen. Sie haben so viel Zaͤrtlichkeit gegen einige Leu- te, die nichts von Zaͤrtlichkeit und Liebe, als blos gegen sich selbst, wissen oder empfinden, daß ich Sie beschwoͤren muß, mir die Wahrheit rein F 5 heraus Die Geschichte herauszuschreiben. Bedencken Sie, daß eine so genaue Freundschaft als die unsrige ist, nicht er- laubt, daß man einander etwas verberge. Sie koͤnnen versichert seyn, daß ich unpartheyisch bin: Sie duͤrfen nicht einmal anders von mir dencken, ohne sich einer Uebereilung zu beschuldigen, nach- dem Sie mich um Rath gefragt haben. Jch erin- nere mich auch noch der Regel, die Sie mir selbst gegeben haben: daß die Freundschaft nie den Ausschlag gegen die Gerechtigkeit geben muͤsse. Suchen Sie die Jhrigen zu entschuldigen wo Sie es koͤnnen. Jch will zufrieden seyn, wenn die von ihnen getroffene Wahl gleich keinen voͤllig hinlaͤnglichen Grund vor sich hat, falls nur ein Quentchen von Menschen-Verstande darin anzu- treffen ist. Jch weiß so viel von den Umstaͤnden Jhres Hauses: und doch kan ich mir gar keinen Begriff machen, wie es moͤglich sey, daß alle, daß so gar Jhre Frau Mutter und Jhre Frau Base Hervey gegen das, was sie selbst vorhin von der Sache geurtheilet, sprechen und Jhnen Herrn Solmes anpreisen koͤnnen. Bey den uͤbrigen wer- de ich mich nie uͤber die allerwunderlichste Hand- lung, die sie vornehmen oder beschliessen, verwun- dern, wenn der Eigennutz dadurch befoͤrdert wird. Sie fragen, warum sich ihr Bruder nicht verheyrathe? Jch kan Jhnen die Ursache leicht melden: sein ungestuͤmes Wesen und sein Hoch- muth ist so bekant, daß ohngeachtet der schoͤnen Guͤter die er schon jetzt besitzt, und die er noch zu hoffen hat, kein Frauenzimmer, auf das er et- wan der Clarissa. man dencken wuͤrde, ihn nehmen wird. Seine Guͤter, die er geerbet, haben nicht sowohl seine Hochachtnng bey andern, als seinen Hochmuth vermehrt. Er ist mir der unertraͤglichste Mensch, den ich je gesehen habe. Sie tadeln mich zwar, daß ich ihn so schnoͤde abgewiesen habe, allein er verdiente nichts bessers. Er bewarb sich mit ei- ner solchen Art und Miene um mich, als wenn er mir eine Gnade zuwenden, und nicht als wenn er um Gunst und Liebe bitten wollte. Nichts freuet mich mehr, als wenn ich hoch- muͤthige und unverschaͤmte Leute kraͤncken kan. Was meynen Sie, woher kommt es anders, daß ich Hickman um mich dulden kan? als daher, daß er bescheiden ist, und es erkennet, daß er meiner nicht werth ist. Auf die zweyte Frage, warum Jhre aͤltere Schwester nicht heyrathe? gebe ich zur Antwort: erstlich, sie muß einen Freyer von grossen und unverschuldeten Guͤtern haben; zum andern, sie hat noch eine juͤngere Schwester. Jch bitte Sie mein Kind, sagen sie mir doch, welcher Cavalier der Guͤter ohne Schulden hat wird an die aͤlteste Schwester dencken, so lange diese juͤngere noch ledig ist. Sie sind zu reich, mein Kind, als daß sie gluͤcklich seyn koͤnnten. Nach den Gesetzen, die wenigstens durch das Herkommen Jhrer Familie bestaͤtigt sind, muß ein jeder, der zu ihrem Hause gehoͤrt, noch reicher heyrathen als er selbst ist. Kan man den Leuten wol verdencken, daß sie das immer Die Geschichte immer zu vermehren suchen, worin ihrer Mey- nung nach ihr hoͤchstes Gut und groͤssester Vorzug bestehet? Hat Jhre Familie jemals ihre Absichten auf wahre Gluͤckseligkeit gerichtet? Jst nur je- mand in Jhrer Familie, Sie allein ausgenom- men, im Stande, ein Gluͤck ausser dem Reich- thum zu geniessen? So moͤgen sie denn murren, und immer sammeln; und wenn sie dennoch mit Verwunderung gewahr werden muͤssen, daß sie bey allem Reichthum nicht gluͤcklich sind, und nicht wissen was ihnen fehlt, moͤgen sie sich einbilden, daß blos der Mangel noch groͤsserer Guͤter sie miß- vergnuͤgt mache. Sie werden immer mehr zu sammlen suchen, bis der Tod, der eben so un- ersaͤttlich ist als sie, ihre Schaͤtze wegraffet. Geben Sie mir nur Nachricht von den Bewe- guugs-Gruͤnden, welche die Jhrigen vorwen- den, und um deren willen Sie selbst bekennen diese Heyrath zu wuͤnschen: so will ich Jhnen bald mehr von ihren Absichten entdecken helfen, als Sie mir von selbst melden werden. Jhre Base Hervey hat Jhnen, wie Sie schreiben, von diesen Bewegungs-Gruͤnden Nachricht ge- geben: Warum muß ich Sie aber erst bitten, mir auch einige Rachricht davon mitzutheilen, da Sie mich doch um Rath fragen? Jch habe Jhnen dieses schon oben zu verstehen gegeben. Es ist klug gehandelt, daß Jhnen der Brief- wechsel mit mir verboten wird. Jch wundere mich nicht daruͤber, und ich verdencke es auch den Jhrigen nicht. Es ist offenbar, daß sie die Thor- heit der Clarissa. heit ihrer Anschlaͤge selbst einsehen: und wenn sie dieses thun, so muͤssen sie nothwendig das Urtheil anderer uͤber diese Anschlaͤge scheuen. Jch freue mich, daß Sie einen Weg zum Brief-Wechsel zwischen uns ausgefunden haben, und ich billige Jhren Vorschlag sehr. Jch werde ihn noch mehr billigen, wenn dieses Schreiben gluͤcklich zu Jhren Haͤnden kommt. Sollte es aber auch in fremde Haͤnde gerathen, so wuͤrde ich gantz und gar nicht daruͤber betreten seyn: nur um Jhrentwillen wuͤrde es mir leyd seyn. Noch vor Empfang Jhres Schreibens haben wir freylich gehoͤrt, daß es zwischen Jhnen und den Jhrigen bey Jhrer Ruͤckkunft nicht recht ge- standen habe: und daß Herr Solmes Sie nicht ohne Hoffnung eines gluͤcklichen Ausganges be- suchte. Jch meinte aber, es koͤnnte ein Jrrthum in der Person seyn, und er wuͤrde nur um Fraͤulein Arabella anhalten: denn die schien mir noch viel zu gut fuͤr ihn zu seyn, wenn sie nur so aufge- raͤumt und von so ehrlichem Gemuͤthe waͤre, als sonst das plumpe und schwerfaͤllige Frauenzimmer zu seyn pflegt. Jch meinte ich haͤtte die gantze Sa- che errathen, und meine allerliebste Freundin waͤ- re deshalb so schleunig nach Hause gefodert, daß sie die Zuschickung zur Hochzeit machen helfen sol- te. Jch sagte noch zu meiner Mutter: Wer weiß/ ob nicht der Mann einen ertraͤgli- chen Aufzug macht/ wenn er seine garstige gelbe Perucke/ und seinen grossen Hut/ die ich immer fuͤr ein Ueberbleibsel aus Crom- wels Die Geschichte wels Zeiten gehalten habe/ ableget/ und denn mit Fraͤulein Arabella nach der Kir- che wackelt. Sie hat selbst erkannt, daß das Frauenzimmer die Manns-Person an Schoͤnheit uͤbertreffen muͤsse. Wenn sie immer bey eben den Gedancken bleibt/ so wird sie keine anstaͤndigere Parthey als Herrn Solmes antreffen. Jch blieb bey mei- ner Vermuthung, wieder die gemeine Sage: denn ich konnte nicht glauben, das die unverstaͤn- digsten Leute in England so unverstaͤndig waͤren, daß sie sich in den Sinn kommen liessen, Sol- mes und Sie zu verheyrathen. Wir hoͤrten, daß Sie keinen Besuch annaͤhmen. Hievon konnte ich keine andere Ursache errathen, als daß man die Zubereitungen auf Jhrer Schwe- ster Hochzeit geheim halten wolte, und die Trau- ung unvermuthet vor sich gehen wuͤrde. Fraͤulein Lloyd und Fraͤulein Biddulph besuchten mich, um sich deshalb bey mir zu erkundigen. Jnson- derheit waren sie begierig, zu wissen, um welcher Ursache willen Sie den Sonntag nach Jhrer Zu- ruͤckkunft beynahe hundert Anbeter vergeblich haͤt- ten warten lassen, (so sagten sie) und weder Vor- mittags noch Nachmittags in der Kirche gewesen waͤren? Hievon konte ich die Ursache, die Sie selbst melden ohne Muͤhe errathen: nemlich die Besorg- nis der Jhrigen, daß Herr Lovelace auch in der Kirche seyn, und Sie nach Hause bringen moͤchte. Meine Mutter hat ihre guͤtigen Ausdruͤcke in dem uͤbersandten Briefe sehr wohl aufgenommen. Sie der Clarissa. Sie sagte: „Fraͤulein Clarissa Harlowe ist „ein Frauenzimmer das wenig seines gleichen hat. „Ein jeder Besuch von ihr ist in der That eine „Wohlthat: und man wird recht misvergnuͤgt „wenn sie Abschied nimt.„ Jch bekam auch das meinige: denn sie setzte hinzu: „O meine Toch- „ter, wenn du nur etwas von ihrem gefaͤlligen „Wesen haͤttest!„ Doch das kraͤnckt mich nicht: denn Sie wurden gelobet. Jch halte Sie fuͤr mich selbst, und ich kitzel- te mich an Jhrem Lobe. Soll ich die Wahrheit schreiben, so freuete ich mich desto mehr uͤber dieses Lob, weil ich glaubte, ich waͤre in Ermangelung Jhrer lobenswuͤrdigen Eigenschaften doch nicht ungluͤcklicher als Sie. Denn haͤtte ich zwantzig solche Bruͤder, und zwantzig solche Schwestern, als Sie haben, so wuͤrde sich keiner von ihnen, ja sie alle zusammen genommen nicht unterstehen, so mit mir umzugehen, als Jhr eintziger Bruder und Jh- re eintzige Schwester mit Jhnen umgehet. Wer viel leiden kan, wird viel zu leiden haben: so ist es uͤberall in der Welt: und es ist dieses ihr eigner Satz, denn Sie an einem sehr merckwuͤrdigen Beyspiel in Jhrem eigenen Hause bemerckt und ge- lernt, und dennoch bisher wenig angewandt haben. Jch mache aus allem den Schluß: daß ich mich besser in Diese Welt schicke als Sie, und Sie sich besser in die zukuͤnftige schicken als ich. Daß ist der Unterschied zwischen uns. Allein um meinet- willen, und um hundert anderer willen, wuͤnsche ich, daß es lange, sehr lange waͤhren mag, ehe sie Die Geschichte sie uns verlassen, um eine Gesellschafft zu genies- sen, die Jhnen aͤhnlicher und anstaͤndiger ist. Jch habe meiner Mutter erzaͤhlt, wie unange- nehm Sie zu Hause bewillkommet sind: und was fuͤr einen ungestalten Menschen man Jhnen aus- gesucht hat, und Sie zwingen will, ihn zu neh- men. Sie ergriff die Gelegenheit, ihre Nach- sicht gegen mich zu ruͤhmen/ da ich mich recht tyrannisch/ (den Namen gab sie meinem Betragen. Die Muͤtter haben immer ihren ei- genen Kopf, und den muß man ihnen lassen) ge- gen einen Freyer auffuͤhrte/ den sie mir doch so sehr anpriese/ und gegen den ich keine ge- rechte Einwendungen machen koͤnnte. Sie redete noch sonst viel davon, daß ich wegen ihrer Nachsicht desto gefaͤlliger gegen sie seyn solte. Auf diese Weise werde ich ihr kuͤnftig nichts mehr von Jhren Umstaͤnden erzaͤhlen duͤrfen; denn sie wuͤrde so gar Jhren Brief-Wechsel mit mir und mit Herrn Lovelace nicht billigen, und mit dem Na- men des Ungehorsams oder unerlaubter und heimlicher Streiche belegen: denn sie redet von nichts als von blindem Gehorsam. Ueber dieses ist sie sehr aufmercksam auf die Predigten des alten steiffen Hagestoltzens, ich meine Jhren Onckle Anton: und sie wird sich sehr bedencken Jhnen Recht zu geben, wenn Sie gleich offenbar Recht haben, weil sie vermuthet, ihre eigene Toch- ter werde sich nach dem Exempel der Fraͤulein Harlowe richten. Allein das heißt die Sache nicht recht angegriffen: den wer andern nichts nach- giebt, der Clarissa. giebt, denn geben andre auch nichts nach, und wer zuviel erhalten will, der verliert alles. Koͤnnen Sie wol rathen, mein Hertz, was der alte lehreiche Knabe, der immer prediget, die unempfindliche Seele von groben Sinnen, Jhr Onckle Anton/ was der fuͤr eine Absicht hat, die ihn so oft in unser Haus fuͤhret? Man sieht nichts als Freundlichkeit und Laͤcheln an ihm und meiner Mutter: einer ruͤhmt immer des andern Haus- haltung. „So fange ich das Ding an„ heißt „es:„ und so mache ich es auch „‒ ‒„ ich „freue mich/ mein Herr daß Jhnen meine „Weise gefaͤllt/ „‒ ‒„ Sie sehen recht ge- „nau auf alles/ gnaͤdige Frau. „ ‒ ‒„ Ach! „es wuͤrde nichts im Hause geschehen/ al- „les wuͤrde liegen bleiben/ wenn ich nicht „da waͤre.„ Beyde schelten auf ihre Bedienten, und ruͤhmen ihre eigene Klugheit in der Haushal- tung. Man hoͤrt so viel von, mein Hertz! und, in aller Welt ‒ ‒ ‒ um Gottes willen/ wie verstaͤndig fangen sie es an! Bisweilen reden sie gantz leise, und wispern sich noch etwas in die Ohren, wenn ich uͤber ihrer Unterredung unver- muthet in die Stube komme. Jn der That, das Ding faͤngt mir an nur halb zu gefallen. Mein eintziger Trost ist, daß die alten Haͤgestol- tzen so viel Jahre Zeit brauchen, sich auf das Hey- rathen zu bedencken, als sie etwan hoffen koͤnnen noch in der Welt zu leben. Waͤre das nicht, so wuͤrde ich Feuer geben, wenn er meine Mutter zu oft besucht: und wuͤrde lieber Herrn H ickman als Erster Theil. G einen Die Geschichte einen Freyer, der sich besser fuͤr meine Mutter schickte, anzupreisen suchen. Denn was ihm an Jahren mangelt, das ersetzt er durch seine Ernst- haftigkeit. Wenn ich mich nicht fuͤrchtete, daß Sie mir einen Berweiß geben moͤchten, so wollte ich sagen, daß beyde ein steifes und gezwungenes Wesen haben, welches macht, daß sie fast von ei- nem Alter zu seyn scheinen: und dieses hat zuge- nomme, seitdem er sich in Hoffnung auf die Gunst meiner Mutter zu viel gegen mich herausgenom- men hat, und ich ihn dafuͤr buͤssen lasse. Wenn beyde gewahr werden, daß ich verdrießlich und murrisch gegen ihn bin, so beseufzen sie sein Ungluͤck in der Stille, und haben so viel Mitleiden gegen einander, daß ich sie fuͤr verliebt halten muß, wenn das Mitleiden die naͤchste Stuffe zu der Liebe ist. Jch weiß, sie werden mir einen straͤfflichen Blick geben. Allein nehmen Sie sich in Acht, daß ich Sie nicht selbst angreiffe. Wir lesen wenigstens von dem Hannibal/ daß sein Kunst-Griff gewesen sey, die Roͤmer stets in ihrem eignen Land anzugreifen. Sie versichern, und zwar noch dazu auf Jhr Wort/, daß Sie keine solche Blicke (ein artiges Wort, anstatt Liebe ) auf einen gewissen an- dern werfen/ als Jhre Geschwister Sie be- schuldigen. Sie brauchen niemanden erst zu ver- stehen zu geben, mein Schatz, daß die beyden letz- ten Monathe eine sehr gluͤckliche Zeit fuͤr diesen gewissen andern gewesen sind, da er seine Lang- muth gegen die naͤchsten Anverwandten Jhnen als eine Gefaͤlligkeit hat anrechnen koͤnnen. Doch der Clarissa. Doch ich muß weiter gehen: Sie schreiben, so sehr zaͤrtliche Blicke. Wie sehr sind sie, denn zaͤrtlich. Darf ich eine Folge aus Jhren Worten ziehen? Die Jhrigen glauben, sie sind sehr zaͤrt- lich: Sie scheinen aber nur ein weniges zu ge- stehen. Werden Sie nicht boͤse. Jch thue Jh- nen kein Unrecht: denn Sie haben mir dieses we- nige von Zaͤrtlichkeit nicht bekennen wollen; und nie werden wir doch neugieriger, als wenn man etwas geheim halten will. Allein es scheint, als wollten Sie ihr Wort fast wieder zuruͤcknehmen, und zweifelten selbst an dem was Sie geschrieben hatten. Denn Sie setzen dazu: wo ich mich anders selbst kenne. War dieser Zusatz in einem Briefe an mich noͤthig? Brauchten Sie mir das auf Jhr Wort zu versi- chern? Vielleicht wissen sie besser, was fuͤr Blicke Sie auf ihn werfen! Doch nein, ich glaube dieses nicht. Der Anfang der Liebe ist meistentheils un- mercklich: und der dritte, der die Handlungen der liebenden Person siehet, wird oft mehr davon ge- wahr, wenn dasjenige Hertz, so von der Liebe be- sessen ist (kan ich es nicht eine Besitzung nennen) noch nicht weiß, was fuͤr ein Geist in ihm wohnet. Sie setzen hinzu: wenn Sie ja einige meh- rere Neigung gegen ihn/ als gegen eine an- dere Person haͤtten/ so gruͤnde sich diese Neigung nicht auf seine eigene Vorzuͤge/ sondern blos auf das Unrecht/ das er Jh- rentwegen erlitten habe. Jn der That, eine großmuͤthige Erklaͤrung, und die dadurch glaub- G 2 wuͤr- Die Geschichte wuͤrdiger wird, weil sie sich zu Jhrer Gemuͤths- Beschaffenheit schickt. Allein verlassen Sie sich nicht zuviəl darauf: Sie sind in Gefahr; Sie moͤgen es wissen oder nicht, so will doch die Liebe in Jhrem Hertzen Platz nehmen. Selbst Jhre angebohrne Grosmuth und Jhr edles Hertz setzen Sie in Gefahr: und alle die Jhrigen streiten fuͤr ihn, wenn Sie auf eine unvernuͤnftige Weise wider ihn streiten. Jch will Leib und Leben da- bey verpfaͤnden, daß Lovelace ungeachtet aller seiner Bestaͤndigkeit und Ehrerbietung doch schon weiter gesehen hat, als seine Bestaͤndigkeit und Ehrerbietung, diese so gluͤcklich angenommene Ei- genschaften wenn er Jhr Hertz besiegen will, ihm erlauben werden, frey zu gestehen. Er hat gesehen, daß seine Feinde besser fuͤr ihn arbeiten, als er selbst zu thun im Stande seyn wuͤrde. Sie haben bey andern bemerckt, daß nichts so scharfsichtig ist, als ein hochmuͤthiger Liebhaber, denn dieser entdecke so gar Zuneigung, wo keine ist, und werde schwer- lich die Zuneigung unbemerckt lassen, wo sie sich in der That befindet. Wer aber hat jemals Herrn Lovelace fuͤr demuͤthig gehalten. Kurtz, ich mache aus seinem freymuͤthigen Be- tragen, und daraus, daß man keine Spur einer Bekuͤmmerniß bey ihm wahrnimt, den Schluß, daß er tiefer in ihr Hertz gesehen haben muͤsse, als ich; tiefer als Sie glauben daß man sehen koͤnne; ja tiefer als Sie selbst sehen. Denn da- von bin ich versichert, daß sie es mir nicht wuͤr- den der Clarissa. den verheelt haben, wenn Sie selbst die Neigun- gen bey sich erkannt haͤtten, die er entdeckt hat. Er hat Sie vermocht, insgeheim mit ihm Bri- fe zu wechseln, um ihn abzuhalten, daß er die Be- schimpfungen, die ihm widerfahren sind und noch taͤglich widerfahren, nicht raͤchen moͤge. Jch glaube gern, daß der Jnhalt Jhrer Briefe nicht so beschaffen sey, daß er sich dessen ruͤhmen koͤnne. Allein ist nicht die Sache selbst schon ein grosser Sieg, daß Sie seine Briefe annehmen und beant- worten? Sie verlangen von ihm, daß er den Brief-Wechsel geheim halten solle: folglich haben Sie Ein Geheimniß, das Sie nicht gern of- fenbart sehen moͤchten, und er weiß dieses Ge- heimniß. Er selbst ist dieses Geheimniß. Macht dieses nicht eine grosse Vertraulichkeit zwischen Jhnen, und Jhrem Anbeter? Macht es Sie nicht fremde von Jhren Eltern? Allein wer kann es Jhnen bey so gestalten Sa- chen verdencken? Sie haben durch Jhre Gefaͤllig- keit gegen ihn bisher manchem Ungluͤck vorgebeu- get; und Sie werden fortfahren muͤssen, eben so gefaͤllig zu seyn, so lange noch die Ursache nicht gehoben ist, die Sie bisher dazu genoͤthiget hat. Jhr Schicksaal hat Sie wider Jhre Neigung in diesen Briefwechsel gezogen: allein die Gewohn- heit Briefe mit ihm zu wechseln, und der loͤbliche Endzweck den Sie dabey haben, wird nicht allein alles entschuldigen was sonst unanstaͤndig waͤ- re, sondern auch eine Neigung machen. Jch rathe Jhnen so lieb es Jhnen ist, in einer so G 3 schwe- Die Geschichte schweren Sache eine Probe von der Klugheit zu geben, die alle Jhre uͤbrige Handlungen regieret, daß Sie sich vor einer genauen Untersuchung aller der wahren und eigentlichen Quellen nicht scheuen wollen, aus denen Jhre großmuͤthige und recht edle Gesinnung gegen diesen gluͤcklichen Herrn ge- flossen ist. Jch glaube gewiß, daß Sie finden wer- den, die eigentliche Quelle sey nichts anders als Liebe. Fuͤrchten Sie sich vor dem Worte nicht! ‒‒ Hat nicht Herr Lovelace selbst so viel Einsicht in diese Philosophie, daß er Jhrer Base der Frau Hervey die Anmerckung geben koͤnnen: es pflege die Liebe in den standhaftesten Gemuͤthern am tief- sten zu wurtzeln? Der Hencker hole seine Einsich- ten, und seinen verschmitzten Kopf! Es sind schon sechs oder sieben Wochen, da er dieses gesagt und gemerckt hat. Sie wissen, daß ich aus Erfahrung rede. Bey der allergenauesten Pruͤfung habe ich die Zeit doch nicht bestimmen koͤnnen, in der meine Kranckheit ihren Anfang nahm: Allein haͤtte ich nicht den Rath von Jhnen damals bekommen, den ich ihnen jetzt wieder gebe, so wuͤrde ich (wie man sagt) sterblich verliebt geworden seyn. Und doch war mein Freyer nur halb so: ‒ ‒ so? was denn, mein Schatz? was meine ich wol, wie ist er nicht gewesen? ‒ ‒ ‒ Jn der That Lovelace ist ein Liebenswuͤrdiger junger Herr: auch deñ waͤre er schon liebenswuͤrdig, wenn er Jhr eintziger Freyer waͤre. Jch will Sie nicht verliebt machen, wenn Sie meinen Brief le- sen. Nein in der That nicht. Finden Sie aber nicht der Clarissa. nicht eben bey Durchlesung dieser Zeilen eine un- gewoͤhnliche Empfindung, die macht, daß Jh- nen eine Roͤthe ausbricht, und daß ihr Hertz staͤr- cker schlaͤget? Es ist nichts als Grosmuth, mein Kind, von der Jhnen das Hertz pochen wird! Allein ich dencke das, was der Roͤmische Wahrsager zum Caͤsar sprach: huͤte dich vor dem funfzehenten Mertz! Leben Sie wohl, und verzeihen mir mein freyes Schreiben. Gebrauchen Sie sich bald des gruͤ- nen Ganges, um die Vergebung anzukuͤndigen Jhrer ergebensten Anna Howe. Der eilffte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe/ an Fraͤulein Howe. Mittewochens den 1. Mertz. D as Ende ihres letzten Briefes hat mich verun- ruhiget, und ist mir etwas empfindlich ge- wesen. Als ich es das erste mahl uͤberlaß, so sag- te ich zu mir selbst: du hast es in einem Brief an deine allerbeste Freundin fuͤr unnoͤthig gehalten, die Worte mit Fleiß so abzuwaͤgen, daß sie zu kei- nem Tadel Gelegenheit geben moͤchten. Allein ich faßte mich bald wieder, und dachte, es koͤnne viel- leicht etwas mehreres als die Losigkeit einer so muntern Feder diesen Theil Jhres Briefes veran- G 4 lasset Die Geschichte lasset haben, ich moͤchte vielleicht eine Unvorsich- tigkeit begangen haben: und ich entschloß mich, eine genaue Pruͤfung meiner selbst anzustellen. Jch habe aber nichts von dem Schlagen des Her- tzens bey mir finden koͤnnen, dessen Sie Erwaͤh- nung thun. Sie koͤnnen mir dis auf m ein Wort glauben. Jch muß bekennen, daß die Stellen meines vorigen Briefes, bey denen Jhr Tadel entweder so lustig oder so ernstlich und stren- ge ist, Jhnen eine recht bequeme Gelegenheit gege- ben haben, auf eine angenehme und artige Weise auf mich zu sticheln. Es ist wahr, sie geben Gele- genheit dazu: und ich kan nicht begreiffen, wie mir eben der Kopf muß gestanden haben, als meine Feder so wunderlich geschrieben hat. Allein ich bitte Sie, hat der Ausdruck viel zu bedeuten, wenn man gegen keinen eine besonde- re Neigung hat, und man sagt, man gebe eini- gen einen Vorzug vor andern? Jst es unrecht, wenn man schreibt, man gebe denen den Vorzug, denen unsre Anverwandten Grobheiten erzeiget haben, und die um unsertwillen diese Grobheiten verschmertzt haben, die sie sonst raͤchen wuͤrden? Jch kan ja ohne Suͤnde sagen: Herr Lovelace verdient den Vorzug vor Herrn Solmes, und ich ziehe ihn auch wircklich Hernn Solmes vor. Al- lein hieraus folget noch keinesweges, daß ich in ihn verliebt seyn muͤsse. Jch moͤchte in der That nicht gern in ihm ver- liebt sein: ich wolte die Welt nicht dafuͤr neh- men! Denn erstlich habe ich eine sehr schlechte Mie- der Clarissa. Meinung von seiner Tugend; und ich verdencke es allen den meinigen, meinen Bruder ausgen om- men, daß sie ihm einen Zutritt in unser Haus ver- stattet haben, der ihm einige Hoffnung geben konte, ohne daß mir Recht gehabt haͤtten, ihm seine Aus- schweifungen vorzuhalten, weil die Hoffnung noch sehr entfernt war. Zum andern glaube ich, daß er ein eingebildeter Mensch ist, und wenigstens bey sich selbst und heimlich triumphirt, wenn er ein Hertz besieget zu haben glaubt. Zum dritten scheint seine Bestaͤndigkeit und Ehrerbitung, wel- che Sie in Jhrem letztern Briefe ruͤhmen, et- was hochmuͤthiges an sich zu haben, gerade als wenn man ihm dafuͤr dancken muͤßte, daß er sich um unsre Gunst bewuͤrbe, und als wenn das Hertz eines Frauenzimmers durch seine Be- werbung um sie schon zum voraus bezahlt waͤre. So bald er nicht auf seiner Huth ist, scheint er so zu handeln, als waͤre seine Hoͤflichkeit nur etwas uͤberfluͤßiges, dazu ihm blos sein Herkommen und gute Erziehung, und vielleicht die Erziehung mehr als seine eigene Wahl, verbinden. Es hat recht das Ansehen, als solte es nur eine herabgelassene Hoͤflichkeit einer hoͤhern Person seyn. Sie scheint etwas verborgenes und gezwungenes an sich zu haben, das man desto sorgfaͤltiger bemercken muß, weil ihm sonst alles so gut anstehet, und er in allen Dingen so natuͤrlich und ungezwungen ist. Endlich so freundlich er gegen fremde Be- dienten thun kan, daß seine Freundlichkeit so gar bisweilen eine Vertraulichkeit zu werden scheint, G 5 die Die Geschichte die jedoch weil sie etwas vornehmes an sich hat, nach Jhrem Urtheil einem Mann von Stande nicht unanstaͤndig ist; so zornig kan er auf seine ei- gene Bediente seyn. Ein Fluch entfaͤhrt ihm dann und wann; und man kan den Bedienten an den Augen absehen, daß sie sich erschrecken, und daß er schlimmer mit ihnen umgegangen seyn wuͤrde, wenn ich nicht zugegen gewesen waͤre. Er selbst pflegt auch ein Gesichte dazu zu machen, das einen in dieser Vermuthung bestaͤrckt. Wahrhaftig, mein Schatz, er ist kein Mann fuͤr mich. Jch habe viel gegen ihn einzuwenden. Um seinetwillen wird mein Hertz nicht schlagen; und ich werde im Gesicht nicht roth werden, es waͤre denn aus Unwillen gegen mich, daß ich Jh- nen Gelegenheit gegeben habe, diesen Verdacht auf mich zu werffen. Allein, meine allerliebste Freundin, Sie muͤssen aus einer Danckbarkeit, die man jederman schuldig ist, nicht gleich Liebe machen. Dieser Gedancke ist mir unertraͤglich. Solte ich aber je so ungluͤcklich seyn, davon uͤber- zeuget zu werden, daß es dennoch Liebe gewesen, so verspreche ich Jhnen auf mein Wort, das ist bey mir so viel als auf meine Ehre, daß ich es Jhnen nicht verheelen will. Sie verlangen daß ich den gruͤnen Gang bald suchen soll, um Jhnen die Versicherung zu geben, daß ich Jhren artigen Schertz nicht uͤbel nehme. Jch will daher diesen Brief gleich schliessen: und ver- spare die Nachricht von den Bewegungs-Gruͤnden der meinigen, den Antrag des Herrn Solmes mit so der Clarissa. so vieler Hefftigkeit durchzutreiben, auf mein kuͤnfftiges Schreiben. Seyn sie indes versichert, daß ich Jhren Brief nicht uͤbel aufnehme: ich dancke Jhnen vielmehr von Hertzen fuͤr Jhre treuen und freundschaftlichen Erinnerungen und War- nungen, ja ich bitte Sie, wie ich Sie schon oft ge- beten habe, mir es deutlich zu sagen, wenn Sie einen Fehler an mir gewahr werden, den Jhre par- theyische Liebe und Zuneigung zu mir gegen an- dere entschuldigen und bemaͤnteln wuͤrde. Denn ich wollte auch dem Feinde nicht gern Gelegen- heit geben, uͤbel von mir zu urtheilen. Wie soll ich mich aber behutsam genug auffuͤhren, wenn meine beste Freundin mir nicht bisweileu einen Spiegel vorhalten, und mir meine Maͤngel entdecken will? Faͤllen Sie nun ein so unpartheyisches Urtheil uͤber mich, als ein Fremder faͤllen wuͤrde, der eben die Umstaͤnde wuͤßte, die Jhnen bekant sind. Viel- leicht wird mir ihr Urtheil zu Anfang weh thun: vielleicht werde ich erroͤthen, daß ich Jhrer Freundschaft unwuͤrdiger bin, als ich zu seyn ge- wuͤnscht und gehofft habe: allein Jhre guͤtigen Erinnerungen werden mich doch gewiß zum Nach- dencken bringen, und ich werde mich bessern. Thue ich dieses nicht, so sollen Sie mich wegen eines so grossen Vergehens schelten, und ich werde keine Entschuldigung haben. Wenn Sie mich dieses Vergehens schuldig befinden und Sie scheltẽ mich nicht, so sind Sie nicht eine so aufrichtige Freun- din von mir, als ich von Jhnen gewesen bin: denn Die Geschichte denn ich habe Jhrer bey gleicher Gelgenheit nicht geschont, wie Sie selbst wissen. Jch beschliesse diesen Brief um einen andern anzufangen. Jch versichere nur noch, daß ich bin und stets seyn werde Dero ergebenste und danckbarste Clarissa Harlowe. Der Zwoͤlfte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clarissa Harlowe. Donnerstags den 2. Maͤrtz. W ahrhaftig/ Sie wollten nicht in Herrn Lovelace verliebt seyn! ‒ ‒ Jhre Die- nerin, mein Schatz! Jch wollte auch nicht gern, daß Sie es waͤren: denn ohngeachtet aller Vor- zuͤge, die ihm seine persoͤnlichen Eigenschaften, seine Guͤter und sein Stand geben, glaube ich nicht daß er Jhrer auf einige Weise werth sey. Dis ist meine Meinung, so wohl um der Ursachen willen, die Sie selbst erwaͤhnen, und die ich voͤllig fuͤr richtig halte, als auch wegen einer Nachricht die ich vor venigen Stunden von der Frau Fortes- cue, einer Freundin der Lady Lawrance/ ge- hoͤrt habe, die ihn sehr genau kennet. Erlauben Sie mir anbey, Jhnen meinen schuldigen Gluͤckwunsch abzustatten, daß Sie das erste mir bekannt gewor- dene der Clarissa. dene Frauenzimmer sind, welches die Liebe, die sonst ein Loͤwe zu seyn pflegt, in ein Schoos- Huͤndchen hat verwandeln koͤnnen. Sie wissen nichts von einem Schlagen des H ertzens/ nichts von Roͤthe: Sie sind nicht verliebt. Dis hat seinen hinlaͤnglichen Grund: denn Sie wollen/ Sie haben sich einmahl ent- schlossen, nicht verliebt zu seyn. Was laͤßt sich mehr von der Sache sagen? Nur, mein Schatz, ich werde sehr genau auf Sie Acht haben, und ich hoffe, Sie werden sich selbst eben so scharf seyn: denn es ist noch kein Beweiß, daß man in der That nicht verliebt sey, weil man nicht will verliebt seyn. Nur noch ein Wort Jhnen ins Ohr, mein allerliebster Schatz, ehe ich gantz aufhoͤre von der Liebe zu schreiben, die ich Jhnen Schuld gebe. Die Vorsichtigkeit befielt uns zu glauben, und die gemeine Erfahrung bestaͤrckt es, daß ein Zu- schauer besser von dem Spiel urtheilen koͤnne, als die Partheyen. Jst es nicht moͤglich, daß Sie mit so wunderlichen Koͤpfen zu thun gehabt haben, daß Sie selbst nicht darauf mercken koͤnnen, wenn Jhnen das Hertz staͤrcker geschlagen hat? Oder, da Jhnen das Hertz um zwey gantz verschie- dener Ursachen willen hat schlagen koͤnnen, ist es nicht moͤglich, daß Sie die gefuͤhlten Schlaͤge aus der unrichtigen Ursache hergeleitet haben? Sie moͤgen Herrn Lovelace hoch schaͤtzen, odeꝛ nicht; so werden Sie doch nun schon ungeduldig seyn, daß ich noch nichts von meiner Unterredung mit Frau Fortescue gemeldet habe. Jch will Sie nicht laͤnger in Zweifel halten. Sie Die Geschichte Sie weiß hundert wilde Streiche von seiner Kindheit an, bis in sein erwachsenes Alter: denn sie sagt, weil ihm niemand durch den Sinn gefah- ren waͤre, so haͤtte er eine Menge poßirlich und albern Zeug angefangen, und waͤre eine rechte Meer-Katze vom Jungen gewesen. Jch will alle diese kindische Schelmereyen uͤbergehen, obgleich sich viel daraus schliessen laͤßt: und will nur ei- nige Jhnen theils bekante theils unbekante Nach- richten aus ihrem Munde erzehlen, und ein paar Anmerckungen daꝛuͤber machen. Frau Fortescue gestehet das, was jedermann von ihm weiß, daß er ein Herr von sehr lustiger Lebens-Att sey, und das er dieses selbst nicht leugne. Sie sagt aber, wenn er sich etwas angelegen seyn lasse, oder etwas unternehme, so sey kein fleißigerer und bestaͤndigerer Mensch unter der Sonne zu finden als er. Er pflegt eben so wie Sie nur sechs Stunden zu schlaffen. Schreiben, ist sein Ver- gnuͤgen: wenn er seinen Onckle, oder Lady La- wrance/ oder Lady Sadleir besucht, so findet man ihn immer mit der Feder in der Hand, so bald er sich aus der Gesellschaft wegbegeben hat. Einer von seinen besten Bekannten hat ihr viel davon erzehlt, daß er gern schreibe, mit dem Zusatz: die Gedancken floͤssen ihm Stromweise in die Feder. Sie wissen, daß wir uns einige mahl daruͤber gewundert haben, daß er eine so schoͤne Hand hat, ob er gleich so geschwinde schreibt. Er muß in der ersten Kindheit bereits einen un- vergleichlichen Kopf gehabt, und alles sehr leicht gelernt der Clarissa. gelernt haben: denn ein so lustiger und feuriger junger Mensch hat sich gewiß nicht viel Muͤhe ge- geben, die Geschicklichkeit zu erlangen, die er be- sitzt, und die man selten bey jungen Herren von Stande und Vermoͤgen findet, sonderlich bey de- nen, die so viel Willen gehabt haben, als er. Als er einmal wegen seiner Geschicklichkeit und wegen des ausnehmenden Fleisses gelobet ward, den er mit einer so lustigen Lebens-Art ver- bindet, beging er die Schwachheit, sich mit Ju- lius Caͤsar zu vergleichen, der des Tages uͤber grosse Thaten gethan und sie des Nachts aufge- zeichnet haͤtte. Er meynte so gar, es fehle ihm nichts als der erste Auftrit/ den Julius Caͤ- sar in der Welt gehabt haͤtte: wenn er den nur haͤtte/ so wollte er Aufsehens genug in unserer Zeit machen. Er sagte dieses zwar als im Schertz: denn Frau Fortescue machte eben die Anmerckung uͤber ihn, die wir schon gemacht haben, daß er die Kunst besaͤsse, seine Prahlerey auf eine lustige Weise zu erkennen und sich selbst damit aufzuziehen. Hiedurch entgeht er der Ver- achtung, die sonst auf Prahlerey und Eigenliebe zu folgen pflegt: und zugleich macht er doch an- dern bey nahe weiß, daß er in der That den Ruhm verdiene, den er sich nur im Schertz giebt. Jch will setzen, daß dieser Ruhm wahr sey, und daß er die Stunden, die er vom Schlaf ab- brechen kan, zum schreiben anwendet: so moͤch- te ich doch wissen, was er fuͤr Materie zum schrei- hen hat. Schreibt er seine eigenen Thaten auf, wie Die Geschichte wie Julius Caͤsar: so muß er gewiß ein sehr gottloser Mensch seyn, und sich viel unerlaubtes unterstehen. Denn niemand hat ihn im Verdacht, daß ernsthafte und gute Handlungen ein angeneh- mer Zeitvertreib fuͤr sein wildes Gemuͤth seyn. So anstaͤndig sein Betragen in Gesellschaft ist, so glaube ich doch nicht, daß seine Papiere ihm zu Ehren und andern zum Besten gereichen moͤchten, wenn sie sollten gelesen werden. Er muß dieses selbst wissen: denn Frau Fortescur erzehlet: daß er ohngeachtet seines starcken Briefwechsels doch mit seinen Briefen so heimlich sey, als wenn lau- ter Hoch-Verrath darin enthalten waͤre: und den- noch zerbraͤche er sich den Kopf nie uͤber Staats- Sachen, ob er gleich die Absichten der Hoͤfe sehr genau habe kennen lernen. Es ist kein Wunder, mein Schatz, wenn wir beyde am Schreiben Vergnuͤgen finden, da wir, so bald wir nur eine Feder in der Hand halten konten, uns stets durch einen angenehmen Brief- wechsel die Stunden verkuͤrtzt haben. Wir ha- ben mit haͤußlichen Sachen zu thun: und wir koͤn- nen das Papier mit hundert unschuldigen Dingen verderben, die uns deswegen angenehm scheinen, weil sie unschuldig sind, ob sie gleich andern weder zum Nutzen noch Vergnuͤgen gereichen wuͤrden, wenn sie in fremde Haͤnde fielen. Aber das ist mir unbegreiflich, daß ein lebhafter junger Herr, der gern reitet, jaget, reiset, sich bey oͤffentlichen Lustbarkeiten befindet, und die Mittel hat, sich ein Vergnuͤgen zu machen, dennoch etliche Stunden an der Clarissa. aneinander stille sitzen und schreiben kan, wie er nach seiner eigenen Erzehlung oͤfters thut. Frau Fortescue erzehlte noch ferner: er sey vollkommen Meister von der abgebrochenen Schreib-Art. Was koͤnte doch einer, der ohne- hin so geschwind schreibt als er, fuͤr Ursachen haben, noch die abgebrochene Hand zu lernen? Sie sagt: er habe ein erstaunendes Gedaͤcht- niß, und eine sehr lebhafte Einbildungs-Kraft: davon wir auch schon Proben gehabt haben. Jndessen, was er auch sonst fuͤr Laster haben mag, so sagt Frau Fortescue von ihm, was ihm jederman nachruͤhmet: daß er sich nie im Trunck uͤbernehme. Unter seine uͤbeln Eigenschaften ge- hoͤrt das Spielen nicht mit, dadurch andere Zeit und Gut verschwenden. Seine Ueberlegung kan demnach so reif, und sein Verstand so aufgeklaͤrt seyn, als es irgend sein noch junges Alter und sei- ne natuͤrliche Munterkeit zulaͤßt: und weil er des Morgens sehr fruͤh aufstehet, muß er viel Zeit uͤbrig behalten, die er mit Schreiben oder mit aͤrgern Beschaͤftigungen zubringen kan. Frau Fortescue sagt: daß er sonderlich mit ei- nem Herrn sehr genau bekannt sey, und mit ihm einen sehr vertrauten Brief-Wechsel unterhalte. Jhnen wird hiebey die Nachricht einfallen die der abgedanckte Paͤchter von ihm und seinen guten Freunden gegeben hat. Je mehr ich von ihm in Erfahrung bringe, desto richtiger befinde ich alles, was dieser Mann von ihm gesagt hat. Auch darin stimmet Frau Fortescue mit jenem Erster Theil. H Paͤchter Die Geschichte Paͤchter uͤberein, daß sich seine Anverwandten sehr vor ihm fuͤrchten, und daß sein Hochmuth ihm nicht zulasse, einige Gefaͤlligkeiten von ihnen an- zunehmen, dadurch er ihnen verpflichtet wuͤrde. Sie glaubt, daß er von Schulden gantz frey sey, und auch kuͤnftig keine wieder machen wer- de: ohne Zweifel um eben der Ursache willen, die ihn abhaͤlt, seinen Verwandten einigen Danck schuldig zu seyn. Wer geneigt ist, das Beste von ihm zu den- cken, der wird sagen: Ein braver/ gelehrter und fleißiger Herr koͤnne unmoͤglich von Natur lasterhaft seyn. Allein wenn er besser ist, als seine Feinde sagen, (ist er schlimmer, so ist er wahrhaftig schlimm genung) so ist er deswegen nicht zu ent- schuldigen, daß er fuͤr seine Ehre so unbesorgt ist. Nur zwey Ursachen koͤnnen hievon angegeben wer- den: Entweder sein Gewissen muß ihm sagen, daß es wahr sey, was man ihm boͤses nachre- det; oder er muß eine Ehre darin suchen, daß er fuͤr lasterhaft gehalten wird. Sowol dieses als jenes ist eine schlimme Anzelge. Das erste zei- get ein gantz ruchloses Gemuͤth an, und in dem zweyten Fall muß man den Schluß machen, daß er sich nicht schaͤmen werde, daß zu begehen, wenn er Gelegenheit hat, was er sich nachsagen zu lassen, nicht schaͤmet. Alles zusammen genommen, was wir sonst wissen, und was ich von Frau Fortescue gehoͤrt habe, so muß L ovelace ein sehr lasterhafter Mensch seyn. Wir beyde haben die Meynung von ihm ge- der Clarissa. gehabt, daß er viel zu lustig, viel zu unbedaͤchtig und wild, und viel zu wenig ein Heuchler sey, als daß man ihn nicht solte ausforschen koͤnnen. Sie sehen, daß er seinen natuͤrlichen Hochmuth nie- mals verborgen hat, und wen̄ sich Jhr Bruder un- gebuͤhrlich gegen ihn aufgefuͤhret hat: wen er eini- ger Verachtung werth haͤlt, den bezahlt er mit der aͤussersten Verachtung, und er ist nicht einmal so hoͤflich gewesen, daß er Jhres Herrn Vaters Bruͤ- der geschonet haͤtte. Er mag aber auch noch so tief und unergruͤndlich seyn, so wuͤrden Sie ihn doch bald ausforschen, wenn man Sie nur han- deln liesse, wie Sie selbst wollten. Sie wuͤrden seinen eitelen Hochmuth als einen Schluͤssel zu sei- nem Hertzen gebrauchen koͤnnen. Jch habe nicht leicht einen Menschen gesehen, der lieber geprahlt hat; und doch kommt nicht leicht jemand mit sei- ner Prahlerey gluͤcklicher durch als er, welches auch Frau Fortescue anmerckte. Jn seinen Prahle- reyen herrscht ein lebhafter und lustiger Schertz: ein anderer wuͤrde unertraͤglich seyn, wenn er nur halb so viel von sich selbst spraͤche, als er zu thun pfleget, so oft er dazu aufgeraͤumt ist. Wenn man von dem Wolfe redet/ so kuckt er durch die Hecken. Der muntere Schelm hat mich besucht, und ist eben weggegangen. Er ist voll Ungedult und Rachgier, daß man mit Jh- nen so uͤbel umgehet, und voller Furcht, daß Sie sich doch endlich werden uͤbertaͤuben lassen. Jch sagte Jhm meine Meynung, daß Sie niemals an H 2 einen Die Geschichte einen solchen Menschen, als Solmes ist, nur dencken wuͤrden, und daß Sie sich vermuthlich mit Jhren Verwandten vergleichen wuͤrden, weder jenen noch ihn zu nehmen. Er antwortete, er glaube nicht, daß jemahls ein Mann von seinen Mitteln und Stande so wenig Gunst von einem Frauenzimmer habe erhalten koͤnnen, um deren willen er doch so viel ausgestanden haͤtte. Jch sagte ihm so frey, als ich zu thun pflege, meine Meynung Allein, wer wird sich selbst Unrecht geben? Er beklagte sich, daß man Spio- nen ausgeschickt habe, die sich nach seinen Um- staͤnden und Auffuͤhrung haͤtten erkundigen muͤs- sen, und daß dieses Jhr Bruder und Jhres Herrn Vaters Bruͤder gethan haͤtten. Jch sagte: dieses koͤnnte ihn nicht anders, als sehr verdriessen, weil vielleicht beydes in der Pruͤfung schlecht bestehen wuͤrde. Er antwortete mit laͤcheln: Gehorsamer Diener! Die Gelegen- heit war zu gut, als daß Fraͤulein Howe/ die meiner nie geschont hat, sie vorbey gehen lassen sollte: Aber GOtt sey den armen Seelen gnaͤ- dig! Koͤnnen sie es wohl glauben? Sie hoffen an mir zu Schelmen zu werden. Sie moͤgen sich in Acht nehmen, daß ich sie nicht mit baarer Muͤntze bezahle. Jhr Hertz ist zu dergleichen Raͤncken aufgelegter, als ihr Kopf. Jch fragte ihn: machen sie sich etwan eine Ehre daraus, daß ihr Kopf besser zu selchen Raͤncken aufgelegt ist? Er der Clarissa. Er zog zuruͤck, und that weiter nichts, als daß er von seiner Ehrfurcht und Liebe gegen Sie redete. Der Gegenstand derselben ist so vortreff- lich, daß ich keinen Zweifel in seine Betheurun- gen setzen kann. Leben Sie wohl, meine wertheste und vortreff- liche Freundin. Jch liebe, und bewundere Sie mehr, als ich es ausdruͤcken kan, wegen des recht edlen Schlusses ihres letzteren Briefes. Jch fing diesen Brief mit einem ausgelassenen Schertz an, weil ich weiß, daß Sie meiner Thorheit viel zu gute halten. Aber nie ist ein Hertz mehr von der zaͤrtlichsten Liebe angefeuret worden, als das Hertz der Jhnen gantz eigenthuͤmlichen Anna Howe. Der dreyzehente Brief. von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe/ Mittewochens den 1. Maͤrtz. J ch ergreiffe die Feder wieder, um Jhnen die Ursachen zu berichten, die alle meine Ver- wandten bewogen haben, den Antrag des Herrn Solmes mit so grosser Hefftigkeit zu unterstuͤ- tzen. H 3 Jch Die Geschichte Jch werde in die vergangene Zeit zuruͤckgehen muͤssen, um diese Sache ins Licht zu setzen; und vielleicht sind Jhnen einige Umstaͤnde ohnehin be- kannt, die ich um des Zusammenhanges willen anfuͤhren muß. Mein jetziges Schreiben kan eine Ergaͤntzung dessen seyn, was ich in meinen Brie- fen vom 15ten und 20ten Jan. ausgelassen habe. Jch sehe aus dem kurtzen Auszuge, den ich von diesen Briefen behalten habe, daß ich Jhnen be- reits von der Unversoͤhnlichkeit meines Bruders und meiner Schwester Nachricht gegeben habe, wie auch von den mir bekannt gewordenen Kuͤn- sten, dadurch sie ihn bey meinen uͤbrigen Verwand- ten anzuschwaͤrtzen gesucht haben. Jch habe unter andern gemeldet, daß sie sich zu Anfang kaltsinnig gegen ihn bewiesen haben, doch ohne ihn eigentlich zu beleidigen: und daß sie auf einmahl heftiger ge- worden, und ihm auf das schimpflichste begegnet sind, bis zuletzt die ungluͤckliche Schlaͤgerey zwi- schen ihm und meinem Bruder erfolget ist. Jn meiner letzten Unterredung mit meiner Mut- ter Schwester habe ich erfahren, daß diese unver- muthete Veraͤnderung in der Auffuͤhrung meines Bruders und meiner Schwester nicht aus einer alten Universitaͤts-Feindschafft, oder aus verach- teter Liebe, sondern aus andern und staͤrckern Ursa- chen herzuleiten ist, nemlich aus einer Beysorge, daß meines Vaters Bruͤder dem Beyspiel meines Grosvaters in Absicht auf mich zu folgen geneigt seyn moͤchten, und daß sie wenigstens mehr thun moͤchten, als mein Bruder und Schwester wuͤnsch- ten. der Clarissa. ten. Es scheinet, daß diese Furcht aus einer Un- terredung zwischen meines Vaters Bruͤdern, mei- nem Bruder, und meiner Schwester entstanden sey. Frau Hervey hat mir davon im Vertrauen Nachricht gegeben, mich um desto eher dahin zu vermoͤgen, daß ich die von Herrn Solmes vorge- schlagenen unvergleichlichen Bedingungen anneh- men moͤchte. Sie haͤlt mir unter andern vor, daß ich meines Bruders und meiner Schwester Absichten zunichte machen, und meines Vaters, und meiner Onckles Wohlgewogenheit unverruͤckt behalten koͤnnte, wenn ich nur zu rechter Zeit gegeñ sie ge- faͤllig seyn wollte. Jch will Jhnen den Jnhalt ihrer Erzaͤhlung mittheilen, wenn ich vorher ein paar Anmerckun- gen werde gemacht haben, die vielleicht Jhrenthal- ben nicht noͤthig waͤren, wenn sie nicht der Zusam- menhang meiner Erzaͤhlung erfoderte. Sie wissen schon, worauf alle Absichten der meinigen gerichtet sind, nemlich darauf, daß wir unter den Geschlechten des Koͤnigreichs ei- nen Platz bekommen moͤgen: ein Ausdruck, der unserer Familie, die doch auch nicht schlecht oder neu ist, sonderlich von meiner Mutter Seite, wenig Ehre bringt. Jndes ist es die gewoͤhnliche Absicht bemittelter Familien, die ohne Rang und Titel nicht vergnuͤgt seyn koͤnnen. Meines Vaters Bruͤder hatten die Absicht, ein jedes von uns drey Kindern unter dem hohen Adel zu sehen: denn sie meinten, da sie selbst unverheyrathet waͤren, so koͤnnten sie uns so wohl versorgen, und so vor- theilhaft verheyrathen, daß wenigstens unsere H 4 Nach- Die Geschichte Nachkommen dereinst den ersten Rang in dem Koͤnigreich erlangen moͤchten. Hingegen glaubte mein Bruder, als der einzige Sohn, wir beyden Maͤdchens waͤren uͤberfluͤßig reichlich bedacht, wenn ein jedes zehn oder funfzehn tausend Pfund mit bekaͤme: und so wuͤrden die liegenden Gruͤnde der Familie, die mein Grosvater, mein Vater und dessen Bruͤder besaͤssen, nebst dem was noch sonst an Barschafft nach Abzug der uns zugedachten funfzehntausend Pfund uͤbrig blieb, mit dem Gu- te seiner Pathe, darauf er die Anwartschafft hat- te, zusammen genommen, so viel ausmachen, und ihm so viel Ansehen und Freundschaft erwerben, daß er hoffen koͤnnte ein Lord zu werden. Denn ohne diesen Titel konnte sein Ehrgeitz nicht befrie- diget werden. Bey dieser Absicht that er schon zum voraus gantz vornehm. Er ließ sich mercken: „daß sein „Grosvater und seines Vaters-Bruͤder nichts „anders als seine Haushalter waͤren, die er sich nie „besser wuͤnschen moͤchte. Die Toͤchter waͤren nur „eine Last der Familien: sie waͤren der Abzug „vom Capital.„ Er hatte sonderlich einen nieder- traͤchtigen Ausdruck oft im Munde, und schien sich, so oft er ihn vorbrachte, so wohl zu gefallen, als ir- gend Leute thun koͤnnen, die andern ihre gluͤckli- chen Einfaͤlle mittheilen: „wer nemlich, Soͤhne „erzoͤge, der futterte Huͤner auf seinen Tisch:„ (ich fragte ihn einmahl: ob er ihnen auch endlich den Hals abschneiden muͤßte, damit das Gleichniß sich recht schicken moͤchte?) „die Toͤchter aber „waͤ- der Clarissa. „waͤren Huͤner fuͤr anderer Leute Tisch.„ Er pfleg- te noch die hoͤfliche Anmerckung dazu zu setzen: „Man muͤsse die Guͤter der Familien mit in den „Kauf geben, damit sie nur jemand nehmen moͤch- „te.„ Dieser Ausdruck pflegte meine aͤltere Schwester gantz ausser sich zu setzen: und ob es gleich scheint, daß sie jetzt dafuͤr haͤlt, es koͤnne nur die juͤngste Schwester eine Last der Familie seyn, so trug sie mir doch damahls oft an, eine Parthey in unserm Hause gegen die unersaͤttlichen Absichten meines Bruders zu machen. Jch wollte aber sei- ne freyen Reden blos fuͤr einen lustigen Schertz ansehen, und sagte, es waͤre mir lieb, einen jungen Menschen, der selten aufgeraͤumt sey, einmahl schertzen zu hoͤren: oder hoͤchstens hielt ich sie fuͤr eine Schwachheit, die man nicht mit Unwillen sondern mit Auslachen abweisen muͤßte. Mein Bruder ward sehr ungehalten auf mich, als das Testament meines Grosvaters einen Theil der Guͤter, die er schon in Hoffnung besaß, ver- aͤussert hatte: denn der Theil des Testament in welchem er mich bedacht hatte, war vorhin gantz unbekannt, und ich selbst hatte nichts davon ge- wust. Es ist wahr, niemand war voͤllig mit die- sem Willen meines Grosvaters zufrieden. Denn ob ich gleich bey allen beliebt war, so meinten doch Vater, Onckles, Bruder, Schwester ins- gesamt, sie waͤren mir als dem juͤngsten Kinde nachgesetzt, und es waͤre wenigstens ihren Rech- ten zu nahe getreten, und ihnen die Haͤnde gebun- den, daß sie nicht mit dem Gute thun koͤnnten was H 5 sie Die Geschichte sie wollten. Und wer wuͤnscht sich nicht die Macht, das was er fuͤr das seinige angesehen hat wenig- stens selbst verschencken oder vermachen zu koͤnnen. Auch meinem Vater war es unertraͤglich, daß ich nun vor mich solte leben koͤnnen, und seiner so zu reden nicht noͤthig haͤtte: denn freylich machte mich der Wille meines Grosvaters gantz frey und ungebunden, da mir das Gut mit voͤlliger Gewalt uͤbergeben ward, und ohne daß ich jemand Rechen- schafft davon schuldig seyn sollte. Daß dieses die Meinung des Testaments sey, erkannten da- mahls alle die meinigen. Damit ich nun allen Verdruß vermeiden moͤchte, so uͤbergab ich nicht nur das Gut der Aufsicht und Verwaltung meines Vaters, sondern auch das mir vermachte Geld, welches die Haͤlfte des Gel- des war, das mein Grosvater bey seinem Tode baar in seinem Hause hatte; denn die andere Haͤlf- te hatte er an meine Schwester vermacht. Jch wollte mit dem vergnuͤgt seyn, was mir mein Va- ter aus blosser Guͤtigkeit wuͤrde zufliessen lassen, und ich verlangte nicht einmahl eine Zulage zu meinem Taschen-Gelde. Jch meinte, daß ich allen Neid gleichsam eingewiget haͤtte: allein mein Bruder und meine Schwester wurden, wie ich nun einsehe, nur noch neidischer auf die Liebe die meines Vaters Bruͤder auf mich wurfen, und auf das Vergnuͤgen, das sie und mein Vater we- gen der von meinem Gehorsam gegebenen Pro- be bezeugeten. Bey aller Gelegenheit waren sie also bereit, mir heimlich Verdruß zu erwecken. Jch der Clarissa. Jch ließ mich aber dis nicht sehr anfechten: denn ich meinte, nachdem die Ursache aus dem Wege geraͤumet waͤre, die sie hatten auf mich neidisch zu seyn, so waͤre alles nur eine Frucht des Muth- willens, der meinem Bruder und meiner Schwe- ster so natuͤrlich ist. Bald darauf erbte mein Bruder das Gut sei- ner Pathe. Das war fuͤr uns alle ein Gluͤck: und noch ein groͤsseres Gluͤck war es, daß er nach Schottland reisete, um es in Besitz zu nehmen, und eine so angenehme Ursache hatte lange auszu- bleiben. Der Lord M. that darauf den Antrag wegen meiner Schwester; und das war ein aber- mahliges Gluͤck von kurtzer Dauer fuͤr uns alle, denn meine Schwester war damahls ausserordent- lich aufgeraͤumet, wie ich Jhnen schon gemeldet habe. Sie wissen, wie es mit diesem Vorschlage abge- lauffen, und was an dessen Stelle gekommen ist. So bald mein Bruder aus Schottland zuruͤck- gekommen war, so war alles wieder uneinig. Mei- ne Schwester Arabella wuste sich gegeu meinen Bruder anzustellen, als wenn sie Herrn Love- lace wegen seines unordentlichen Lebens abschlaͤ- gige Antwort gegeben haͤtte. Dieses vereinigte meinen Bruder und meine Schwester, daß sie wieder mich gemeinschaftliche Sache machen kon- ten. Sie gaben sich Muͤhe, Herrn Lovelace und so gar seine Familie (welche doch gewiß alle Hochachtung verdient) bey jeder Gelegenheit her- unter zu setzen und veraͤchtlich zu machen. Die- ses Die Geschichte ses veranlassete einigen Wortwechsel zwischen ih- nen und meines Vaters Bruͤdern. Jch will Jh- nen den kurtzen Jnhalt desjenigen melden, was meines Vaters Bruͤder damals gesagt haben sol- len, und nur noch erinnern, daß diese Unterredung kurtz vor der Schlaͤgerey meines Bruders, und gleich nachher vorgefallen ist, nachdem sich mein Bruder wegen der Umstaͤnde des Herrn Lovelace erkundigt, und eine bessere Nachricht, als ihm lieb war, seinetwegen eingezogen hatte. Mein Bruder und meine Schwester zogen heftig auf Hrn. Lovelace loos, und fuͤgten einige neue Erzaͤhlungen, die ihm zu schlechtem Ruhm gereich- ten, als einen Beweis zu ihren Laͤsterungen gegen ihn hinzu. Nachdem mein Onckle Anton sie gedul- dig ausgehoͤꝛt hatte, eꝛwiedeꝛte er: er glaube dieser Cavallier fuͤhre sich auf/ wie sichs fuͤr einen Cavallier gebuͤhre: und Claͤrchen bewiese sich recht verstaͤndig. Er haͤtte ihnen schon oft gesagt, daß man keine erwuͤnschtere Par- they ausdencken koͤnnte/ wenn man auf die Ehre der Familie sehen wollte. Herr Love- lace haͤtte von seinem Vater schoͤne Guͤter von denẽ selbst ein Feind bezeuget haͤtte, daß keine Schulden darauf hafteten. Er scheine auch nicht so schlimm und lasterhaft zu seyn als man ihn gemeiniglich abmahlte. Er sey zwar wild; allein es waͤren die Rasejahre bey ihm noch nicht vorbey: und er sey versichert, seines Bꝛudeꝛs Tochteꝛ wuͤꝛde keine Neigung zu ihm haben, wenn sie nicht mit Grund glau- der Clarissa. glauben koͤnnte/ daß er sich gebessert haͤt- te/ oder sich wenigstens durch ihr Exem- pel gewinnen lasse und bessern wuͤrde. Meine Base erzehlet mir, daß er hiebey eine Probe von Herrn Lovelaces Grosmuth ange- fuͤhret habe, um zu beweisen, daß er so schwartz nicht seyn koͤnnte, als man ihn vorzustellen pfieg- te, und daß er (wie mein Onckle es ausdruͤckte) etwas gleiches mit mir im Gemuͤth haͤtte. Mein Onckle stellete ihm nemlich einmal vor, daß seine Guͤter des Jahrs drey bis vier hundert Pfund mehr Pacht geben koͤnnten, und daß er dieses von dem Lord M. gehoͤrt haͤtte. Er antwortete aber: „seine Paͤchter haͤtten bisher die Pacht richtig be- „zahlt: und er wollte bey der Gewohnheit seiner „Familie bleiben, den alten Pachtern und ihren „Kindern die Pacht nicht so aufzutreiben, daß „sie Bettler werden muͤsten. Er habe seine „Freude daran, wenn alle seine Paͤchter dick „und fett wuͤrden, und vergnuͤgt aussaͤhen. Jch selbst habe eben dergleichen einmal aus seinem Munde gehoͤrt: und mir hat er nie bes- ser gefallen, als da er es sagte, nur ein eintziges mahl ausgenommen. Ein ungluͤcklich gewordener Paͤchter suchte bey meinem Onckle Anton um Nachsicht an, als Herr Lovelace eben zugegen war: er muste aber mit einer abschlaͤgigen Antwort weggehen. Herr Lovelace stellete hierauf seine Sache so gut und nachdruͤcklich vor, daß mein Onckle ihn wieder herein ruffen ließ, und ihm seine Bitte zugestand: darauf Die Geschichte darauf folgte er ihm ohne viel Umstaͤnde zu ma- chen bis auf den Vorsaal nach, und gab ihm vors erste zu seiner Nothdurft zwoͤlf Thaler; denn der Mann hatte sich verlauten lassen, er habe alles in allem keine zwey Gulden mehr uͤbrig. Bey dieser Gelegenheit erzehlte Herr Lovelace ohne einigen Schein der Prahlerey das gute Werck, dessen ich vorhin gedachte. Er sahe einen alten Paͤchter mit seiner Frau sehr schlecht gekleidet in der Kirche. Des andern Tages fragte er ihn um die Ursache eines so schlechten Aufzuges, weil er wuste, daß der Mann keine schwere Pacht haͤtte. Er antworte: er habe in guter Meynung eine grosse Thorheit begangen, die ihn so zuruͤck ge- bracht haͤtte, daß er die Pacht nicht wuͤrde haben bezahlen koͤnnen, wenn er sich besser haͤtte kleiden wollen. Herr Lovelace erkundigte sich, wie viel Zeit er etwan brauchte, um die Thorheit gut zu machen, und sich wieder zu erholen. Der Paͤchter meinte: ohngefaͤhr zwey oder drey Jahr. Wohl! sagte er: Jch will ihm sieben Jahr lang alle Jahr fuͤnf Pfund an der Pacht erlassen/ aber er soll es fuͤr sich und seine Frau an- wenden/ daß man des Sonntags an der Kleidung sehen koͤnne/ daß er mein Paͤch- ter ist. Unterdessen nehme er dieses weni- ge an (er zog fuͤnf Guineas aus der Tasche) um sich gleich besser kleiden zu koͤnnen. Den kuͤnftigen Sonntag muß ich ihn und seine Frau als ein liebes Paar in der Kirche sehen: und ich bitte ihn/ daß er nach dem der Clarissa. dem Gottes-Dienst bey mir vorlieb nimmt. Dis gefiel mir sehr wol, weil er in dieser Handlung sich freygebig und doch auch verstaͤndig auffuͤhrte, und, wie'mein Onckle sehr richtig an- merckte, die jaͤhrliche Pacht des Gutes nicht her- untersetzte. Dem ohngeachtet schlug mir das Hertz nicht dabey, und ich bekam keine Roͤthe ins Ge- sicht. Sie koͤnnen mir auf mein Wort glau- ben. Aber das muß ich Jhnen gestehen, daß ich heimlich zu mir sagte: wenn es mein Verhaͤngniß waͤre, diesen Mann zu kriegen, so wuͤrde er mich nicht abhalten mir durch Wohlthaten ein Ver- gnuͤgen zu machen. Es ist Schade, daß ein Herr, der so viel gutes an sich hat, nicht in allen Stuͤcken tugendhaft ist. Vergeben Sie mir, daß ich mich bey einem Ne- ben-Umstande so weitlaͤufftig aufgehalten habe. Jch komme wieder auf die Unterredung meines Onckles mit meinen Geschwistern: Er sagte noch weiter: Herr L ovelace habe ausser seinem Stamm-Gute noch sehr schoͤne Erbschaff- ten zu erwarten. Als er um Arabellen ange- halten/ habe ihm der L ord M. gesagt/ was sowohl er selbst als seine beyden Halbschwe- stern fuͤr ihn zu thun gesinnet waͤren/ um ihn desto mehr in den Stand zu setzen/ daß er sich dereinst dem Titel gemaͤß auffuͤh- ren koͤnnte/ der durch den Tod des L ord M. verloͤscht/ und den sie nachher auf ihn zu bringen hoffen. Ja sie haͤtten noch groͤssere Die Geschichte groͤssere Absichten/ nemlich ihm den weit hoͤhern Rang und Titel zu verschaffen/ der verloschen sey/ als der Vater seiner Halb- Schwestern ohne maͤnnliche Erben gestor- ben. Diese Absicht machte eben/ daß seine Verwandten so ernstlich auf seine Vermaͤh- lung daͤchten. Er selbst wuͤste keine bessere Parthey fuͤr Herrn Lovelace auszusinnen: und unsere Familie haͤtte Mittel genug/ den Staat drey vornehmer Haͤuser davon zu fuͤhren. Er koͤnnte also nicht leugnen/ daß er diese Vermaͤhlung sehr gern sehen wuͤrde: weil ihn Herrn Lovelaces Herkom- men und Mittel hoffen liessen/ daß seine Claͤrchen dereinst in den hohen Adel des Koͤnigreichs kommen koͤnnte. Bey dieser Hoffnung (hier ist die Wunde, die eben den em- pfindlichsten Ort getroffen hat) hielte er fuͤr dienlich/ solche Anstalten zu machen/ daß sich Claͤrchen ihrem Stande gemaͤß moͤchte auffuͤhren koͤnnen. Der andre Bruder meines Vaters stimmet diesen Absichten vollkommen bey. Er sagte: die uͤble Lebens-Art/ welche man Herrn L ove- lace schuld gebe/ sey das eintzige/ so gegen ihn eingewendet werden koͤnnte. Denn sonst koͤnnte mein Vater genugsam fuͤr meinen Bruder und fuͤr meine Schwester sorget; und mein Bruder haͤtte ohnehin schon ein ansehnliches Gut von seiner Pathe geerbet. Wenn der Clarissa. Wenn ich dieses eher gewust haͤtte, so wuͤrde ich mich in die Auffuͤhrung meines Bruders und mei- ner Schwester leichter haben finden koͤnnen, und ich wuͤrde mehr auf meiner Hut gewesen seyn, als ich bisher fuͤr noͤthig gehalten habe. Sie koͤnnen dencken, wie meinem Bruder bey dieser Unterredung zu Muthe gewesen seyn muß. Er konte gewiß nicht anders als sehr mißvergnuͤgt seyn, da sich seine zwey Haushaͤlter so verfaͤngli- che Worte in seiner Gegenwart verlauten liessen. Sein ungestuͤmes Wesen hatte ihm beynahe von seiner Kindheit an die Furcht und Ehrerbietung aller im Hause zuwege gebracht. Selbst mein Vater pflegte ihm, als dem eintzigen Sohn und Stammhalter schon vorhin nachzugeben, ehe er noch durch die erhaltene Erbschaft unleidlicher und eigensinniger ward. Er hatte also wenig Ursache, eine Gemuͤths-Beschaffenheit zu bessern, die ihm so viel Ansehen und Vorzuͤge gab: und so brach er dieses mahl in Gegenwart meiner Onckles mit Ungestuͤm in die Worte aus: Merckt ihr wohl, Arabelle/ wie es stehet? wir muͤssen uns in Acht nehmen. Diese Syrene wird uns un- sers Vaters Bruͤder eben so gut als unsern Grosvater abspaͤnnstig machen. Je mehr ich auf alle Umstaͤnde zuruͤck dencke, desto mehr werde ich gewahr, daß sich mein Bru- der und meine Schwester von dieser Zeit an gegen mich so aufgefuͤhrt haben, als wenn sie glaubten, daß ich ihnen in ihren Absichten hinderlich waͤre, und bisweilen, als wenn ich mit ihrem gemein- Erster Theil. J schaft- Die Geschichte schaftlichen Feinde in einem genauen Buͤndniß stuͤnde. Hingegen haben sie seit der Zeit stets ge- meinschaftliche Sache gemacht, und alles was sie vermochten angewandt, die Heyrath zu hintertrei- ben, die ihren Absichten so sehr im Wege stand. Allein schien dieses nicht unmoͤglich, nachdem sich meines Vaters Bruͤder so deutlich erklaͤrt hat- ten? Nein! mein Bruder wußte Mittel zu finden, und meine Schwester leistete ihm allen Beystand. Sie machten, daß die Einigkeit in unserm Hau- se gestoͤrt, und ein jeder mißvergnuͤgt gemacht ward. Herrn L ovelace ward nach und nach immer kaltsinniger von jedermann begegnet: und da er sich durch blosse Kaltsinnigkeit nicht abwei- sen lassen wollte, so erfolgten bald allerhand schimpfliche und unanstaͤndige Begegnungen; es kam so weit, daß man ihn fast herausfoderte: und endlich erfolgte die Schlaͤgerey. Dieses Mittel that die gehoffte Wirckung. Will ich ih- nen nunmehr nicht zu Gefallen seyn, so will man wegen des grosvaͤterlichen Guts einen Proceß mit mir anfangen, und, so wenig ich auch gesucht habe mich der Freyheit zu bedienen, die ich durch das Testament meines Grosvaters haͤtte erlan- gen koͤnnen, so will man mich doch in den Stand setzen: daß ich mich so vollkommen nach meines Vaters Willen richten muͤsse/ als es bey einer Tochter noͤthig ist/ die iht eig- nes Bestes nicht versteht. Dis ist die Spra- che, die jetzt i n unserm Hause geredet wird. Aber o wie gluͤcklich werden wir insgesamt nach dem der Clarissa. dem Vorgeben meiner Geschwister seyn, wenn ich gutem Rath folge? Jch soll so schone Geschencke bekommen: so schoͤne Juwelen: ich weiß nicht was sonst noch mehr. Alle zusammen wollen mich beschencken. Auch hat Herr Solmes so grosse Mittel, und verspricht mir so viel (denn nach allen seinen Verwandten fragt er nichts) daß ich noth- wendig durch ihn reich und gluͤcklich werden muß, wenn man auch die gute Gesinnung der meinigen nicht in Betrachtung ziehen wollte. Die Absicht, die meine Geschwister haben, ist ihr Vergroͤsse- rungs-Glas, dadurch sie so vortrefliche Eigenschaf- ten an mir wahrnehmen koͤnnen, die alle Verspre- chungen und Verschreibungen meines Freyers voͤl- lig bezahlen, und noch uͤberdieses ihn so wohl als meine Anverwandten verpfiichten, daß sie sich gegen mich danckbar erzeigen muͤssen, wenn ich nur in dieser Sache folgsam und gefaͤllig bin. Er selbst soll dis glauben: so geringschaͤtzig ist er in ihren und in seinen eigenen Augen. Wie gluͤcklich, wie reich, wie geehrt koͤnnen wir drey Geschwister werden, wenn diese unvergleich- lichen Absichten zu Stande kommen! Und wie sehr werde ich mir alle meine Anverwandten ver- bindlich machen! und zwar dieses blos durch eine Probe meines Gehorsams, die sich zu meiner gan- tzen Auffuͤhrung und Gemuͤths-Art vollkommen schickt, wo ich anders das wohlgezogene, arti- ge, gehorsame Kind bin, dafuͤr man mich bisher gehalten hat. So wird die Sache auf der guten Seiten vorge- J 2 stellt, Die Geschichte stellt, um meinen Vater und seine Bruͤder zu ge- winnen: allein ich befuͤrchte, daß meines Bru- ders und meiner Schwester Absicht ist, mich gaͤntz- lich bey ihnen schwartz zu machen, es koste was es will. Sonst wuͤrden sie ja bey meiner Zuruͤck- kunft von der Reise mich eher durch Liebe als durch Furcht zu bewegen gesucht haben, duß ich mir den Vorschlag gefallen lassen moͤchte, den sie mit aller Gewalt durchtreiben wollen. Allen Bedienten ist inzwischen anbefohlen wor- den, daß sie Herrn Solmes mit der groͤssesten Ehrerbietung begegnen sollen. Bey einigen in unserm Hause heist er nunmehr, der grosmuͤ- thige Herr Solmes. Solte dies nicht ein still- schweigendes Bekaͤntniß seyn, daß er sich durch seine Eigenschafften keine Ehrerbietung erwerben koͤnne, wenn man es den Leuten anbefehlen muß, Ehrerbietung fur ihn zu haben? So oft er uns besucht, wird er von der Herr- schaft auf das freundlichste empfangen, und die Be- diente schmiegen und biegen sich vor ihm und war- ten auf seinen Befehl. Jn aller Munde schallen die edlen und vortrefflichen Verschreibungen. Edel und vortrefflich sind die Worte, da- mit sie die unedlen Anerbietungen eines Menschen schmuͤcken, der so niedertraͤchtig und gottlos ist, daß er sich nicht schaͤmt, frey zu bekennen, er hasse seine eigenen Anveꝛwanten; und der ihnen, so noͤthig sie auch seiner Huͤlfe haben, das rauben will worauf sie eine gegruͤndete Anwartschaft hatten. Mir will er alles verschreiben; und wenn ich eben so wie der Clarissa. wie seine vorigen Frauens ohne Kinder sterbe, so soll es an meine Familie fallen. Dis sind die edlen und vortrefflichen Vorschlaͤge. Eine solche Ungerechtigkeit gegen seine Angehoͤ- rigen waͤre mir schon Ursache genung, wenn ich sonst keine Ursache haͤtte, den gemeinen Kerl zu verachten. Jch nenne ihn mit Recht einen gemei- nen Kerl: denn er ist nicht einmal dazu gebohren, so reich zu seyn; sondern der ungeheure Reichthum ist immer von einem Knicker einem andern Knicker mit Uebergehung des naͤchsten Erben vermacht worden, weil er das grosse Verdienst hatte, ein Knicker zu seyn. Wuͤrden Sie nicht glauben, daß die Annehmung solcher ungerechten Verheis- sungen eben so niedertraͤchtig bey mir seyn wuͤrde, als die Anbietung derselben bey ihm ist, wenn ich mich uͤberwinden koͤnnte, meine Haͤnde mit sol- chem Gut zu beschmutzen, und wenn ich die Hoff- nung das seinige dereinst zu besitzen den allerge- ringsten Einfluß in meine Wahl haben liesse? Es betruͤbt mich wahrhaftig sehr, daß meine Anver- wandten seinen Antrag wegen solcher Ursachen zu befoͤrdern suchen, die bey einem gewissenhaften Menschen nichts gelten koͤnnen. Allein es scheint, daß dieses das eintzige Mittel war, Herrn Lovelace gaͤntzlich zu verbannen, und dennoch alle die Endzwecke zu erreichen, die meine Anverwandten in Absicht auf uns vest ge- setzt haben. Man hoffet, daß ich durch meine Verweigerung ein so grosses Gluͤck fuͤr unsre Fa- milie nicht werde zernichten wollen. Man hat J 3 schon Die Geschichte schon entdeckt, daß es moͤglich sey, (Sie muͤssen wissen, daß die unersaͤttliche Begieꝛde meines Bꝛu- ders aus der Moͤglichkeit gleich eine Wahr- scheinlichkeit macht) daß meines Grosvaters Gut, und die noch wichtigern Guͤter, die Hert Solmes besitzet, dereinst an unser Haus fallen koͤnnten. Man weiß zu erzehlen, daß noch ent- ferntere Anwardtschafften bisweilen erlediget, und denen Erben zu Theil worden sind, an die man nie gedacht haͤtte: und meine Schwestər erinnert sich hiebey des alten erbaulichen Sprichworts: Es ist gut, wenn man mit einem Gute verwandt werden kan. Jch glaube, daß Solmes heimlich uͤber die Schloͤsser, die sie in die Lufft bauen, lachen muß. Er verspricht, und dadurch macht er sie zu allen Diensten willig. Er sieht im Geiste mein Gut, das mir so viel Neid erwecket, schon als das seinige an. Es liegt zwi- schen zwey andern Guͤtern die ihm gehoͤren, und er kan es wegen dieser Lage noch einmal so hoch nutzen, als irgend ein andrer thun koͤnnte. Jch zweifele gar nicht mehr daran, daß er in mein Gut und nicht in mich verliebt sey. Dis sind die Bewegungs-Gruͤnde, welche die meinigen vermocht haben, das Ansuchen des Herrn Solmes so hefftig zu unterstuͤtzen. Jch muß von neuen uͤber die Erb-Suͤnde unserer Fa- milie klagen, durch welche diese Bewegungs- Gruͤnde so wichtig und unuͤberwindlich werden. Mein Bruder und meine Schwester haben durch Herrn Solmes Antrag ihre Absichten gegen mich erreicht der Clarissa. erreicht, es mag die Sache ausfallen wie sie will. Sie haben meinen Vater uͤberredet, es zu seiner eigenen Sache zu machen, und als ei- nen kindlichen Gehorsam von mir zu fodern, daß ich mein Ja-Wort von mir gebe. Meine Mutter hat sich nie den Willen mei- nes Vaters widersetzt, wenn er seinen Entschsuß schon voͤllig gefaßt hatte. Meine Onckles sind harte, eigensinnige, und allzubeguͤterte Hagestoltzen, ob sie gleich sonst uͤberhaupt brave und verehrens-wuͤrdige Maͤnner sind. Sie rechnen sehr viel zu den kindlichen Pflichten, und zu dem Gehorsam den eine Frau dem Manne schuldig sey: vermuthlich hat das guͤtige und nachgebende Wesen meiner Mutter sie in ihrer Meynung wegen des letzten Puncts bestaͤrckt, und ihnen Gelegenheit gegeben, sich auf den Gehorsam ihrer, Tochter desto groͤssere Hoffnung zu machen. Frau H ervey/ die selbst nicht allzugluͤcklich in der Heyrath gewesen, und vielleicht gegen meinen Bruder eine kleine Verpflichtung hat, ist uͤbertaͤubt worden, und will sich nicht unter- stehen gegen den so vesten Entschluß meines Va- ters und seiner Bruͤder ein Wort, das zu mei- nem wahren Besten gereichen koͤnnte, zu reden. Eben daraus, daß weder sie noch meine Mutter sich bemuͤhet mir zu Huͤlfe zu kommen, muß ich schliessen, daß mein Vater in seinem Willen un- beweglich und unerbittlich sey. Die unhoͤfliche Auffuͤhrung gegen Frau Norton ist ein neuer J 4 Be- Die Geschichte Beweiß hievon. Einer so verstaͤndigen Frau, die alle Hochachtung verdienet, und deren gute Eigen- schafften auch von allen erkannt werden, die aber arm ist, und deswegen nicht genug Gewicht hatte ihren Rath mit Nachdruck wieder eine mit Ge- walt getriebene Sache zu geben, wird angedeutet, daß sie unser Haus meiden, und daß sie nicht einmahl an mich schreiben solle! Denn die- sen Zusatz habe ich noch heute erfahren. Allein der Haß gegen L ovelace/ die Ver- groͤsserung unserer Familie, und sonderlich der starcke Bewegungs-Grund, die Rechte eines Vaters/ sind eine solche vereinigte Macht, der ich nicht widerstehen kan: ein jedes allein ge- nommen wuͤrde schon unuͤberwindlich seyn. Ein so fuͤrchterliches Ansehen hat der Antrag des eckelhaften Mannes gewonnen. Mein Bruder und meine Schwefer freuen sich uͤber ihren Sieg. Der Ausdruck ist, sie haͤtten mich unter sich gekriegt/ wie ihn meine Han- nichen neulich im Vorbeygehen aufgefangen hat. Die Sache ist gantz richtig, nur erinnere ich mich nicht, daß ich jemals auf eine unerlaubte Weise oben gelegen habe. Entweder bin ich ge- zwungen, zu meinem eigenen Ungluͤck noch Ja zu sagen, und denn werde ich in ihren Haͤnden ein Mittel der Rache an Herrn L ovelace; oder ich zerfalle mit meiner gantzen Familie. Jch kan mich nun nicht weiter daruͤber ver- wundern, wenn die Hof-Leute, denen die Arg- listigkeit in einem doppelten Maaß gegeben ist, hinter der Clarissa. hinter einander her sind, und allerhand Cabalen machen, nachdem unsre kleine Familie nicht ein- mal von diesem Uebel frey ist, da doch nur drey unter uns mit einander streitende Absichten ha- ben koͤnnen, und die eine unter diesen dreyen uͤber niedertraͤchtige und eigennuͤtzige Absichten hinweg zu seyn hoffet. Mich kraͤnckt nichts so sehr, als daß meiner Mutter Gemuͤth bey diesen Umstaͤnden ungemein viel wird leiden muͤssen. Wie kan doch ein Mann, und noch dazu ein Mann von gutem Ge- muͤth (aber ach der Name eines Mannes schließt allzuviel Rechte und Vorzuͤge in sich ein!) wie kan er sage ich so eigensinnig und bey allen Vor- stellungen so unuͤberwindlich gegen eine Person seyn, durch welche doch so viel Mittel an unser Haus gekommen sind, deren Werth die meinigen so hoch schaͤtzen, und eben deshalb schuldig waͤ- ren, meine Mutter desto hoͤher zu schaͤtzen? Jch kan nicht schlechterdings leugnen, daß die meinigen meine Mutter hochschaͤtzen: allein sie hat diese Hochachtung blos durch Nachgeben erkaufen muͤssen, da sie doch so viel eigene Vorzuͤge besitzt, die von selbst Hochachtung verdienen, und so viel Verstand und Klugheit hat, daß man billig ihren Einsichten folgen, und andre ihr, nicht aber sie andern nachgeben sollte. Aber wie schweift meine Feder aus? Soll ich verkehrtes Maͤdchen mich unterstehen, von meinen Anverwandten, denen ich Ehrfurcht schuldig bin, und gegen die ich Ehrfurcht habe, so frey zu schrei- J 5 ben? Die Geschichte ben? Doch die Umstaͤnde sind so verworren, daß ich selbst ihre Maͤngel offenbaren muß, um ihre tadelhaften Handlungen einiger massen zu entschuldigen! Da Sie wissen, wie zaͤrtlich ich meine Mutter liebe und verehre, so werden Sie am besten ur- theilen koͤnnen, wie dringend die Ursachen sind, die mich bewegen koͤnnen, mich den von ihr gebilligten Absichten meiner Geschwister zu wi- dersetzen. Allein ich muß es thun. Es ist ohn- moͤglich, daß ich Ja zu diesen Absichten sage: und ich muß mich bald und deutlich daruͤber erklaͤ- ren, daß ich nimmer Ja sagen werde, wenn ich meine Umstaͤnde nicht noch verworrener machen will. An eben dem Tage, an welchem ich diesen Brief schreibe, ist ein Advocate wegen der Sicher- heit die man bey Herrn Solmes Verschreibun- gen haben koͤnnte, um Rath gefragt worden. Wie gluͤcklich waͤre ich, wenn wir Papisten waͤren! Alsdenn wuͤrde ein Kloster alle Absichten meiner Geschwister erfuͤllen koͤnnen. Wie gluͤck- lich waͤre ich, wenn nicht eine Person, die Sie ge- nau kennen, einen gewissen Antrag ausgeschlagen haͤtte. Alles wuͤrde schon zur Richtigkeit geweseu seyn, ehe mein Bruder haͤtte aus Schottland zu- ruͤck kommen, und die Sachen verderben koͤnnen. Denn wuͤrde ich eine Schwester gehabt haben, da ich jetzt keine habe: und zwey Bruͤder von glei- chem Ehrgeitz und von gleichem Range, an denen ich nur das hochgeschaͤtzt haben wuͤrde, was ein Stuͤck ihres wahrhaften Adels ist. Jch der Clarissa. Jch muß mich wundern, daß sich mein Bru- der durch so weit aussehende eigennuͤtzige Absich- ten regieren laͤßt. Der geringste Zufall kan seine Hoffnung zu Wasser machen: ein jedes Fieber, dazu der Saame schon in seinem hitzigen und un- ruhigen Gebluͤt liegt, ein jeder ungluͤcklicher Stich eines gereitzten Widersachers, ist hinlaͤnglich alle seine Absichten zu vereiteln. Jch will meinen Brief abbrechen. Wenn ich gleich noch so frey von meinen Anverwandten schreibe, so bin ich doch versichert, daß Sie es guͤtig auslegen werden. Jch traue Jhnen auch zu, daß Sie die Stellen meiner Briefe andern weder vorlesen noch in Ab- schrifft uͤberschicken werden, in denen ich zu frey von meinen Eltern und Geschwistern geurtheilet habe, und die Gelegenheit geben moͤchten, mich des Mangels der kindlichen Ehrfurcht und schwesterlichen Liebe, oder jene eines Unverstan- des und einer uͤbereilten Auffuͤhrung zu beschul- digen. Diese Hoffnung heget Dero ergebenste Clarissa Harlowe. Der vierzehnte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Donnerstag Abends den 2. Maͤrtz. A ls Hannichen meinen langen Brief, den ich gestern angefangen und wegen mancher Hin- derun- Die Geschichte derungen erst vor einer Stunde geschlossen ha- be, an den bestimmten Ort legte, so fand sie Jhr heutiges Schreiben. Jch bin Jhnen fuͤr Jhre guͤtige Bemuͤhung verbunden. Diese Ant- wort darauf soll so bald an Ort und Stelle ge- bracht werden, daß Jhr Diener sie hoffentlich zu- gleich mit dem vorigen Briefe uͤberbringen wird. Es wird aber nichts darin stehen, als ein Danck fuͤr Jhre Liebe und Freundschaft gegen mich, und die betruͤbte Wahrheit, daß meine Besorgniß von Tage zu Tage zunimmt. Jch muß nothwendig Gelegenheit suchen, mit meiner Mutter allein zu sprechen, und sie um ein guͤtiges Vorwort fuͤr mich zu bitten: sonst stehe ich in Gefahr, duß ein gewisser Tag zur Hochzeit vest gesetzt und der Eckel, mit dem ich an Solmes dencke, fuͤr die Frucht der Bloͤdigkeit gehalten wird. Sollten sich Schwestern nicht als Schwe- stern gegen einander auffuͤhren? Sollten sie nicht bey einer solchen Gelegenheit, als diese ist, gemein- schaftliche Sachen machen, und es als eine Sache ansehen, die ein jedes Frauenzimmer angehet? Allein meine Schwesteꝛ hat die eigeñuͤtzigen Absich- ten meines Bruders, mit dem sie vermuthlich alles abgeredet hatte, zu befoͤrdern gesucht, und in Ge- genwart der gantzen Familie so ernstlich, als sie zu seyn pflegt, wenn sie etwas durchaus haben will, darauf gedrungen, daß man mir einen Tag bestimmen, und mir drohen muͤste, daß ich mein gantzes Erbtheil und die Liebe aller meiner Ange- hoͤrigen verlieren sollte, wenn ich nicht Gehorsam leisten der Clarissa. leisten wuͤrde. Sie brauchte sich nur halb so viel Muͤhe zu geben. Mein Bruder vermag ohnehin genug, und er hat Mittel gefunden, die gantze Fa- milie gegen mich zu vereinigen. Nachdem ent- weder ein neuer Verdruß vorgefallen, oder eine neue Nachricht von Herrn L ovelace eingezogen ist, (denn ich weiß nicht genau, wie die gantze Sa- che zusammen haͤngt) so haben sich alle miteinan- der verbunden, und wollen sich durch Unterschrift uud Siegel verbinden (was soll ich armes Kind doch anfangen!) mir Herrn Solmes aufzu- dringen, und die Rechte meines Vaters die man vorschuͤtzt, gegen mich zu behaupten, es mag ko- sten was es will. Sie versprechen auch sich ge- gen Herrn L ovelace auf alle Weise zu setzen, weil er ein liederlicher Mensch und ein Feind der Familie seyn soll. Jst es nicht eben so viel, als wenn sie sich mit deutlichen Worten wider mich verbunden haͤtten? Aber wie unverstaͤndig han- deln sie, daß sie diejenigen zwingen, gemeinschaft- liche Sache miteinander zu machen, die sie doch zu trennen suchen. Die Nachricht des abgedanckten Pachters war schlimm genug, und was Frau Fortescue von Hrn. L ovelace meldet, bekraͤftigt jene Nachricht, und zwinget mich, noch schlimmere Dinge zu den- cken. Meine Freunde haben etwas erfahren, da- von Jungfer Barnes meiner Hannichen gesagt hat, er sey so schwartz, daß kein aͤrgerer Mensch als er unter der Sonne seyn koͤnte. Meinetwe- gen moͤgen sie ihn gar aufhaͤngen: was geht er mich an? Die Geschichte an? und was wuͤrde ich mit ihm zu thun haben, wenn der verzweifelte Solmes nicht in der Welt waͤre. O mein Schatz, wie verhaßt ist mir die- ser Kerl, wenn er mein Braͤutigam seyn soll! Meine saͤmmtlichen Anverwandten fuͤrchten sich vor Herrn Lovelace: und tragen doch kein Be- dencken, ihn durch Beleidigung zur Rache zu reitzen. Wie sehr bin ich verwickelt, da i ch um ihrentwillen gezwungen bin, mit Herrn L ove- lace Briefe zu wechseln. GOtt verhuͤte nur, daß ihre Heftigkeit mich nie zwingen moͤge, es um mein selbst Willen zu thun. Sie werden mir doch endlich nachgeben. Jch kan wenigstens ih- nen nachgeben. Die folgsamsten Ge- muͤ und d die unveraͤnderlichsten, wenn man sich ohne Noth und auf eine harte Art zu ihnen drin- get: denn da sie sich nicht leichtsinnig entschliessen, so macht selbst die viele vorhergegangene Ueberle- gung, daß sie ihre einmahl gefaßten Meinungen am wenigsten aͤndern. Wenn man endlich gantz deutlich siehet, daß man so und nicht anders han- deln muͤsse, so ist es unertraͤglich, es erst mit an- dern als eine zweifelhafte Sache uͤberlegen und daruͤber streiten zu sollen. Jch kriege Verhinderung, und ich kan nur eil- fertig und mit vieler Furcht wegen meines kuͤnff- tigen Schicksaals versichern, daß was man auch sonst aus mir machen will, ich doch stets seyn werde, mehr die Jhrige, als meine eigene Clarissa Harlowe. Der der Clarissa. Der funfzehnte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clarissa Harlowe. Freytags den 3. Maͤrtz. J ch habe Jhre beyden Briefe zugleich erhalten Es ist ein Ungluͤck, daß da Sie nach dem Willen der Jhrigen sich schlechterdings veraͤndern sollen, ein veraͤchtlicher Mensch nach dem andern sich untersteht, um ein so schaͤtzbares Kleinod an- zuhalten. Man kann diese Leute durch nichts anders als durch ihre Unverschaͤmtheit und Eigen- liebe entschuldigen. Daß aber diese unverschaͤmten Leute Jhren Anverwandten viel ertraͤglicher schei- nen als andern Leuten, kom̃t daher, weil sie Fehler an sich haben, die jenen etwas weniger anstoͤßig sind. Und auch hievon kan man die Ursache erra- then. Soll ich sie Jhnen nennen? Die Jhrigen fin- den etwas aͤhnliches von sich an diesen Leuten. Vielleicht muß ich auch hier der Demuth Jhrer Geschwister und Onkles nicht vergessen, denn wie koͤnnen sie glauben daß ihre Schwester oder ihres Bruders Tochter ein Engel sey? Jch mag mich nicht deutlicher ausdrucken, um Sie nicht boͤse zu machen. Wo wird sonst wol eine Manns-Per- son, bey welcher die Eigenliebe noch nicht alles noͤthige Mißtrauen gegen sich selbst ausgeloͤschet hat, sich unterstehen koͤnnen, auf Fraͤulein Cla- rissa Harlowe zu hoffen? Hoͤchstens wird einer kuͤhn genug seyn, seine Wuͤnsche auf Sie zu rich- ten. Die Geschichte ten. Wer demnach unverschaͤmt und unbesonnen ist, der wagt es, um Sie anzuhalten: und Leute von wahrhaftigen Vorzuͤgen haben zu viel Be- scheidenheit und Ehrerbietung, als daß sie sich un- terstehen solten, ihre Wuͤnsche zu erkennen zu ge- ben. Darum uͤberfaͤllt Sie ein Symmes, ein Byron, ein Mullins, ein Wyerley, der noch unter den uͤbrigen schlechten der beste ist, und ein Solmes, einer nach dem andern: lauter solche Kerls, die sich Hffnung auf einen gluͤcklichen Ausgang ihres Gesuchs machen duͤrffen, wenn sie den Rest Jhrer Familie betrachten; aber nicht oh- ne Verwegenheit von Jhnen selbst ein Ja-Wort hoffen koͤnnen. Jch fuͤrchte aber deñoch, daß alle Bemuͤhungen, welche Sie anwenden die Sache zu hintertreiben, vergeblich seyn werden. Sie muͤssen, und fast bin ich besorget Sie wollen sich einem so eckel- haften Mann aufopfern lassen: denn die Lock- Speise die er gebraucht scheint den Jhrigen allzu reitzend. O meine allerliebste Freundin, sollen so unvergleichliche Eigenschafften, und solche recht eigene Vorzuͤge die Sie uͤber andere so sehr erhe- ben, durch eine solche Ehe heruntergesetzt werden? Jhr Onkle sagt zu meiner Mutter: Sie muͤßttn sich nicht unterstehen die Auctoritaͤt Jhrer An- verwandten zu schwaͤchen! Wahrhaftig ein sehr starckes Wort in dem Munde einer Person, die bey kleinen Einsichten den Vorzug hat, daß sie dreyßig Jahr fruͤher in der Welt gewesen! Jch meine dieses nur von Jhres Vaters-Bruͤdern: denn der Clarissa. denn die Auctoritaͤt und Rechte der Eltern halte ich allerdings fuͤr heilig. Nur sollten El- tern nichts ohne vernuͤnfftige Ursache befehlen. Verwundern Sie sich nicht, daß Jhre Schwe- ster bey dieser Gelegenheit vergißt, daß sie eine Schwester sey. Jch weiß noch einen Umstand, wenn man den und Jhres unbaͤndigen Bruders Absichten und Bewegungs-Gruͤnde zusammen nimmt, so kan einem ihre Hefftigkeit nicht mehr unbegreiflich seyn. Sie selbst haben mir gemel- det, daß die Artigkeit, die Herr Lorelace in sei- ner Bildung und Auffuͤhrung besitzt, zu Anfang das Auge Jhrer Schwester sehr geruͤhrt habe, ob sie gleich jetzt vorgiebt, daß sie ihn verachte, nnd von ihm auf das aͤusserste verachtet wird. Jch weiß aber, daß die Liebe gegen ihn noch in ihrem Hertzen ist, und daß sie ihm den Vorzug vor allen seines Geschlechts giebt. Arabella hat einen un- erhoͤrten Hochmuth, und sehr viel Niedertraͤchtig- keit bey ihrem Hochmuth. Aus Liebe sind ihre verdrießlichen Tage, ihre schlaflosen Naͤchte, und ihre Rache gegen ihre liebe Elisabeth Bar- nes entstanden. Sich einem Cammer-Maͤdchen anzuvertrauen! Jst das nicht Unverstand! Allein wie grosse Seelen ihres gleichen suchen, so pflegen auch kleine Geister ihres gleichen zu suchen und zu finden. Sie hat in grossem Vertrauen ihre Nei- gung gegen Herrn Lovelace dem Cammer-Kaͤtz- gen anvertrauet: das Geheimniß hat die Runde unter dem Frauenzimmer gemacht, wie es Herr Lovelace nennt, wenn er sich bey gleichen Erster Theil. K Ge- Die Geschichte Gelegenheit uͤber unser Geschlecht aufhalten will. Elisabeth machte sich eine Ehre daraus, wenn sie ein Geheimniß wuste, und sie konnte auch ih- ren Eifer gegen Herrn Lovelaces Untreue, (wie sie es wenigstens nennete) nicht laͤn ger zuruͤck hal- ten: sie erzehlte also das Geheimniß einer von ih- ren Vertrauten: Diese sagte es der Jungfer H ar- riot/ die in Diensten bey Fraͤulein Lloyd ist, und bat sehr, es ja nicht weiter zu sagen: die H arriot erzehlte es ihrer Fraͤulein, und Fraͤulein Lloyd mir. Jch melde es Jhnen, und gebe Jhnen Erlaubniß, das Geheimniß anzuwenden, wie Sie es selbst fuͤr gut finden. Sie duͤrffen sich nun nicht ɯehr verwundern, wenn Jhre Schwe- ster sich nicht als eine Schwester, sondern als eine, deren Liebe um Jhrentwillen verschmaͤht ist, gegen Sie auffuͤhret: Sie werden auch die Worte, Zau- berey/ Syrene und andere von gleicher Art, die sie gegen Sie ausgestossen hat, nun voͤlliger ver- stehen, wie auch dieses, daß sie so hefftig darauf gedrungen, den Tag vest zu setzen, an welchem Sie durch Herrn S olmes ungluͤcklich gemacht werden sollten. Mit einem Worte, alle Grob- heiten und Hefftigkeiten Jhrer Schwester werden nun begreiflicher. Wie suͤß wird ihr die Rache gegen Sie und gegen Herrn L ovelace seyn, wenn sie es dahin bringen kan, daß ihre unvergleich- liche, und zu ihrem Verdruß allzu liebenswuͤrdige Schwester an einen ihr verhaßten Mann gegeben wird, und also nie demjenigen zu Theil werden kan, den sie selbst liebet, es sey nun mit oder ohne der Clarissa. Hoffnung einiger Gegen-Liebe, und von dem sie glaubet, daß er von ihrer Schwester geliebet werde. Da verschmaͤhete Liebe sonst sich nicht gescheuet hat, Gifft und Dolch zu Kuͤhlung ih- rer Rachgier anzuwenden: so duͤrffen Sie sich nicht wundern, wenn die Verbindung zwischen den naͤchsten Bluts-Freunden in solchem Falle aufhoͤrt, und eine Schwester vergißt, daß sie eine Schwester ist. Dieser geheime Bewegungs-Grund, der desto staͤrckere Wirckungen hat, je mehr ihn Jhre Schwester aus Hochmuth zu verbergen sucht, setzt mich Jhrentwegen in Sorge, wenn ich dabey be- dencke, mit wie neidischen Augen Jhre Schwester Sie schon vorhin angesehen hat, und was fuͤr Bewegungs-Gruͤnde man ganz ohngescheuet vor- bringt; und insonderheit, daß ein Bruder, der so viel bey der gantzen Familie gilt, dessen Eigen- nutz und Rachgier, seine zwey liebsten und herr- schenden Leidenschafften, beyde zu Jhrem Ungluͤck arbeiten, mit Jhrer Schwester gemeine Sache macht. Beyde haben jetzt die Ohren Jhrer El- tern und Anverwandten allein, und stellen alles, was Sie reden und thun, auf der schlimmen Seite vor. Sie haben immer eine gehaͤßige Ma- terie, die sie noch schwaͤrtzer machen koͤnnen, als sie ist, nemlich die Schlaͤgerey, und die uͤble Lebens-Art des Herrn Lovelace. Wie wollen Sie einer so starcken und vereinigten Macht wi- derstehen! Jch sehe gewiß zum voraus, daß sie uͤber ein so sanftes Hertz, das so wenig von Wi- K 2 der- Die Geschichte derspenstigkeit weiß als das Jhrige, schon gewiß zum voraus. Man sage es nicht zu Gath! Sie muͤssen eine Beute fuͤr Herrn Solmes werden. Sie werden auch nun errathen koͤnnen, von welcher Gegend her die ehemals erwaͤhnte Nach- richt gekommen ist, daß die juͤngere Schwester der aͤltern ein Hertz gestohlen habe. Denn Elisabeth schwatzte unter der Hand, zu eben der Zeit, da sie das uͤbrige ausplauderte, daß weder Sie noch Herr Lovelaee es verantworten koͤnnten, wie sie mit ihrer Fraͤulein umgegangen waͤren. Jst es nicht eine Grausamkeit von Jhnen, mein Schatz, daß Sie der armen Arabellen den eintzigen Liebhaber entwandten, den sie in ihrem gantzen Leben gehabt hat? und dieses eben zu der Zeit, da sie sich ruͤh- mete, daß sie nun endlich es in ihrer Gewalt haͤt- te, ihr eigenes holdseliges Hertz zu vergnuͤgen, und noch uͤber dieses andre Thoͤrinnen ihres Ge- schlechts (unter denen ihre Gnaden Fraͤulein Ho- we vermuthlich eine der vornehmsten seyn soll) durch guten Vorgang zu lehren, wie man einen Liebhaber am seidenen Strick fuͤhren und ohne einen Kapp-Zaum lencken koͤnne? Jch habe bey diesen Umstaͤnden ferner nicht den geringsten Zweifel uͤbrig, daß nicht die Gunst der Jhrigen gegen den elenden Solmes unveraͤnderlich seyn werde; und daß sie sich nicht auf eine Jhnen schaͤdliche Weise auf Jhren sanften und nachgebenden Sinn, und auf Jhre Achtung fuͤr Jhre eigene Ehre und fuͤr die Liebe der Jhrigen verlassen. Jch werde im- mer der Clarissa. mer mehr uͤberzeugt, daß mein ehemaliger Rath gut und noͤthig gewesen: Sie solten das Gut selbst behalten, das Jhnen Jhr Grosvater vermacht hat. Haͤtten Sie dieses gethan, so wuͤrde man wenig- stens aͤusserlich einige Achtung und Hoͤflichkeit ge- gen Sie bewiesen, und den Unwillen und Neid verborgen haben, welche jetzt aus der engen Brust Jhres Bruders und Jhrer Schwester nothwen- dig ausbrechen muͤssen. Jch muß noch ein Wort in diesem Ton reden. Mercken Sie nicht, daß Jhr Bruder seit der Zeit mehr Einfluß als Sie in Jhre gantze Familie hat, nachdem er selbst so ansehnliche Guͤter geer- bet, und Sie jemanden Lust gemacht haben, noch laͤnger in dem Besitz und Genuß Jhres Gutes zu bleiben, wenn Sie nicht seine Vorschrif- ten mit unuͤberlegtem Gehorsam annehmen? Jch weiß, was fuͤr loͤbliche Ursachen Sie hiezu hatten: und wer solte damals gedacht haben, daß Sie sich auf einen Vater, der Sie so zaͤrtlich liebete, nicht mit Recht verlassen koͤnten? Allein was meynen Sie, wuͤrde wol Jhr Bruder, der uͤber das grosvaͤtterliche Testament murrete, und mit neidischen Augen das Vermaͤchtniß als sein Eigen- thum ansahe, weil er ein eintziger Sohn war, sich unterstanden haben, wircklich dahin zu trachten, daß er es Jhnen wider entwenden moͤchte; wenn Sie sich in den Besitz des Jhrigen gesetzt, die Ein- kuͤnffte genossen, und sich auf Jhrem Gut aufge- halten haͤtten? Die Gesellschaft der tugendhasten und verstaͤndigen Frau Norton, die Sie zu sich K 3 neh- Die Geschichte nehmen wollten, wuͤrde Sie ohngeachtet der Bluͤ- te Jhrer Jugend vor uͤbler Nachrede in Sicherheit gesetzt haben. Jch habe Jhnen schon vor einiger Zeit geschrieben, daß ich Jhre Pruͤfung nicht fuͤr groͤsser ansehe, als Jhre Klugheit: aber denn wer- de ich sagen, daß Sie mehr sind als ein Frauen- zimmer, wenn Sie sich mit Ehren aus einem so verworrenen Handel wickeln koͤnnen; da Sie mit einigen so heftigen und niedertraͤchtigen und mit andern so herrschsuͤchtigen Gemuͤthern zu thun ha- ben. Jn der That, wenn Sie sich uͤberwinden, Hn. S olmes zu nehmen, so halte ich nichts mehr fuͤr ohnmoͤglich, und die Welt wird Sie wegen Thres blinden Gehorsams, und wegen Jhrer gaͤnz- lichen Verleugnung alles dessen was Wille heissen kan, noch mehr als bisher bewundern muͤssen. Was Sie von Hn. Lovelaces Guͤtigkeit ge- gen seine Paͤchter, und von seinem kleinen Geschenk, damit er Jhres Onkels Pachter erfreuete, gemel- det haben, gefaͤllt mir sehr wohl. Frau Fortescue ruͤhmt, daß er ein sehr guͤtiger Herr gegen seine Leute sey: ich haͤtte Jhnen auch dieses schreiben koͤnnen, wenn ich Jhnen eine gute Meinung von ihm haͤtte beybringen wollen. Er hat einige gu- te Eigenschaften an sich, die Hoffnung machen, daß er ein ertraͤglicher Mann seyn wird, wenn er erst aͤlter als funfzig Jahr ist. Aber GOtt sey den Weibern gnaͤdig, die ihm vorher durch das Schicksaal bestim̃et sind. Den Weibern, sage ich: denn ich glaube, daß er wenigstens ein halbes Dutzend vorher zu Tode quaͤlen wird. Doch, ich ver- der Clarissa. vergesse, was ich schreiben wollte. Muß man nicht des armen Pachters Ehrlichkeit und Danck- barkeit ruͤhmen, wenn man bisweilen in Gesell- schaften hoͤrt, daß der arme Mann Jhren Onckle herausgeruffen und ihme alsobald die zwoͤlf Tha- ler auf Abschlag bezahlt hat? Aber was kan man von dem Herrn sagen, der wußte, daß der Paͤchter in der aͤussersten Duͤrftigkeit war, und dennoch das Geld annehmen konte? der sich nichts davon mercken ließ, so lange als Herr Lovelace noch da blieb, und so bald er den Ruͤcken gewandt hatte, es andern erzaͤhlte, und die Ehrlichkeit des Paͤch- ters ruͤhmte? Wenn dieses wahr waͤre, und der Herr kein naher Verwandter meiner besten Freun- din waͤre, wie veraͤchtlich wuͤrde er mir vorkom- men! Doch die Erzaͤhlung kan verbessert seyn. Jedermann redet von geitzigen Leuten uͤbel: man kan es auch nicht aͤndern; denn ihre gantze Sorge geht nur auf das, was sie hoͤher als alle gute Nachrede schaͤtzen. Sie wuͤrden unmenschlich geitzig seyn, wenn sie beydes haben wollten, da sie keines von beyden verdienen. Jch warte mit Schmertzen auf Jhren kuͤnffti- gen Brief. Jch dencke an nichts anders, als an Sie und an Jhre Sache: denn ich bin, und werde stets mit groͤster Zaͤrtlichkeit seyn, Dero gantz eigene Anna Howe. K 4 Der Die Geschichte Der sechsszehente Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. (vor Empfang des vorigen geschrieben.) Freytags den 3. Maͤrtz. J ch habe einen harten Tag gehabt: eine Ver- suchung uͤber die andere! eine Unterredung uͤber die andere! Welches Gesetz, welche Ceremo- nie, kan jemanden ein Anrecht an ein solches Hertz geben, das unter allen Geschoͤpfen GOttes kein eintziges so verabscheuet, als ihn? Jch hoffe, daß meine Mutter etwas zu meinem Besten ausrichten wird. Jch will Jhnen alles schreiben, wenn ich auch die gantze Nacht aufsi- tzen solte: denn ich habe sehr viel zu schreiben, und wollte gern in meiner Erzaͤhlung so umstaͤndlich seyn, als moͤglich ist. Jn meinem letzten Briefe erwaͤhnte ich nur eil- fertig und voller Schrecken, die Besorgniß in die mich einige zwischen meiner Mutter und ihrer Schwester gefallene Worte setzten, die meine Hannichen gehoͤrt hatte. Jch brauche Jhnen hievon nichts zu erzaͤhlen: denn ich werde Jhnen jetzt ausfuͤhrliche Nachricht von dem geben, was ich selbst in wenigen Stunden mit meiner Mutter habe reden muͤssen. Und in diesem ist alles ent- halten, was mir Hannichen erzaͤhlte. Jch der Clarissa. Jch mache also den Anfang. Als das Fruͤh-Stuͤck fertig war, ging ich heute Morgen mit einem schweren Hertzen hinunter, weil mich das noch beunruhigte, was ich den Tag vorher von Hannichen gehoͤrt hatte. Jch wuͤnsch- te mir indessen eine Gelegenheit, mit meiner Mut- ter allein zu reden, weil ich sie zu gewinnen hoffete, daß sie sich meiner annehmen moͤchte: und nahm mir vor, es zu versuchen, wenn sie nach dem Fruͤh-Stuͤck in ihre eigene Stube gehen wuͤrde. Zu allem Ungluͤck aber fand ich hier den eckelhaf- ten Solmes, der sich mit einem dreisten Gesicht in dem man seine gewisse Hoffnung wahrnehmen konte, zwischen meine Mutter und Schwester gelagert hatte. Doch Sie wissen, mein Hertz, daß Leute die wir nicht leiden moͤgen uns nichts recht machen koͤnnen. Es waͤre noch angegangen, wenn er sitzen ge- blieben waͤre. Aber das krumme breitschulterige Ungeheuer mußte nothwendig aufstehen, und sich nach dem Stuhl hinbewegen, welcher gleich bey dem meinigen stand. Jch schob ihn eine Ecke weg, als wenn ich Platz fuͤr meinen Stuhl ma- chen wollte, und setzte mich geschwind und ver- drießlich genug (wie ich fuͤrchte) nieder, denn al- les was ich gehoͤrt hatte lag mir noch im Gemuͤth. Dis war noch nicht genug ihn abzuschrecken: er ist ein Kerl voll guter Zuversicht und Verwegen- heit. Jn der That, mein Hertz, der Mann ist sehr zuversichtlich. Er nahm den weggehobenen Stuhl, und setzte ihn so nahe an meinen, daß er K 5 mir Die Geschichte mir den Reif-Rock druͤckcte, als er sein abscheu- liches Gewicht in den Stuhl zu sencken beliebte. Dis verdroß mich so, da mir noch alles, was ich gehoͤrt hatte, im Gemuͤthe lag, daß ich mich auf einen andern Stuhl setzte. Jch bekenne es, daß ich hier zu wenig auf meiner Huth war: ich gab meinem Bruder und meiner Schwester allzu vielen Vortheil, dessen sie sich auch gewiß gebrauch- ten. Allein ich that es nicht mit Willen: ich konte es nicht lassen, und wußte selbst nicht was ich that. Mein Vater war sehr ungehalten: und Sie wissen, daß man ihm jeden Unwillen deutlich im Gesichte ansehen kan. Er sagte mit einer har- ten Stimme: Clarissa Harlowe! und hielt inne. Jch neigete mich, und sagte: was be- fehlen Sie? Jch zitterte hiebey, zog meinen Stuhl etwas naͤher, und setzte mich nieder. Die- ses mahl fuͤhlte ich, daß mir das Gesicht uͤber und uͤber gluͤete. Besorge den Thee/ mein Kind: sagte meine guͤtige Mutter: setze dich zu mir/ mein H ertz/ und thue Thee ein. Jch setzte mich mit Frenden auf den Stuhl, den Solmes vorhin verlassen hatte, und erholte mich bald, da sie so guͤtig war, mir etwas zu thun zu geben. Um das vorige bey meinem Vater wieder gut zu ma- chen, that ich unter dem Thee-trincken ein paar Fragen auf eine hoͤfliche und freundliche Art an Herrn Solmes. Meine Schwester wisperte mir uͤber die Schulter mit einer hoͤhnischen und froh- lockenden Mine die Worte zu: man kan den H och- der Clarissa. H ochɯuth doch endlich zwingen. Jch kehr- te mich aber nicht an sie. Meine Mutter war ungemein guͤtig gegen mich. Jch fragte sie: ob der Thee so recht waͤ- re? sie sagte gantz leise: mir ist alles recht/ mein H ertz/ was du thust. Jch bildete mir auf dieses guͤtige Wort recht viel ein: und ich hoffte, daß auch mein Vater alles Mißvergnuͤgen haͤtte fah- ren lassen, denn er redete auch ein paar mahl freundlich mit mir. Es sind Kleinigkeiten, da- mit ich Sie bemuͤhe: allein diese Kleinigkeiten wa- ren Vorbereitungen zu Dingen, die fuͤr mich von grosser Wichtigkeit sind. Noch vor Endigung des Fruͤhstuͤcks ging mein Vater mit meiner Mutter hinaus, unter dem Vorwand, daß er ein Wort mit ihr allein zu re- den haͤtte. Meine Schwester und meiner Mutter Schwester verlohren sich auch eine nach der an- dern. Mein Bruder gab mir einige spoͤttische Blicke, die ich genug verstand, allein Herr Sol- mes merckte nichts davon. Endlich stand er auch auf, und sagte zu mir: ich habe etwas rares/ das ich euch gern zeigen wollte. Jch will es holen. Er ging gleich hinaus, und schlug die Thuͤr hinter sich zu. Jch merckte l eic ht, was die Ab- sicht waͤre. Jch stand auf, eben da der Solmes ei- nige Sylben heraus brachte, die der Anfang ei- ner Rede werden solten, und die krummen Fuͤsse so setzte, als wolte er naͤher zu mir kommen. Jn der That, alles was er thut ist mir verhaßt. Jch unterbrach ihn: ich will meinen Bruder der Muͤhe Die Geschichte Muͤhe uͤberheben/ seine Raritaͤt herzubrin- gen: machte meinen Reverentz, und sagte: ihre Dienerin mein Herr. Er sahe aus wie ein Nar- re, und rief ein paar mahl: Madame! Madame! Jch ließ ihn stehen, und suchte meinen Bruder auf, um mein Wort zu halten, der mit meiner Schwester in den Garten gegangen war, obgleich das Wetter nicht eben das beste war. Nun war es deutlich, daß er seine Raritaͤt bey mir in der Stube gelassen hatte, und mir keine andere zu zeigen gedachte. Jch war kaum in meine Stube getreten, und hatte mir vorgenommen, mir durch meine Hanni- chen die Erlaubniß ausbitten zu lassen, daß ich meine Mutter allein sprechen koͤnte, wozu mir ihre vorhin bewiesene Guͤtigkeit noch mehr Muth machte: so kam Schorey schon, und brachte mir Befehl von ihr, mich in ihrem Closet Wir werden mit Erlaubniß des Lesers diesen Namen beybehalten, weil ich kein deutsches Wort finde, das die Sache recht ausdruckt. Die Englischen Haͤuser ruͤ- cken gemeiniglich auf der Seite des Hofes ein gantz kleines Neben-Gebaͤude etwan 4 bis 5. Ellen lang und breit hinaus: in demselben ist in jedem Stockwerck ein Cabinet ohne Camin, in welches man aus der Stube gehet, dieses nennen sie Closet. ein- znfinden. Jch erfuhr durch Hannichen, daß mein Va- ter eben mit einem ernstlichen und zornigen Gesich- te aus meiner Mutter Stube gegangen war. Jch furchte mich deshalb eben so sehr vor einer Un- terre- der Clarissa. terredung mit meiner Mutter, als ich sie vorhin gewuͤnscht hatte. Jch ging aber dennoch hin- unter: und meine Furcht machte, daß ich mit Zittern zu ihr trat, und sie sehen konnte, wie mir das Hertz schlug. Sie sahe, daß ich voller Furcht waͤre, und oͤffnete mir ihre liebreichen Armen mit denen sie mich umfing. Komm mein Kind/ sagte sie, und kuͤsse mich. Warum zittert mein Klei- nod so? Diese Guͤtigkeit, damit sie mich auf das zubereitete, was sie unangenehmes zu sagen hatte, und die Freundlichkeit, die ich kurtz vorhin von ihr genossen hatte, benahmen mir meine Furcht einiger massen: Sie sahe wol, daß sie die bittere Pille versilbern muͤste. Jch konnte nichts weiter zu ihr sagen, als: o meine Mutter! Jch schlug meine Arme um ihren Hals, und ließ mein Gesicht in ihren Busen sincken. Sie spꝛach: mein Kind/ mein Kind/ du kanst gar zu beweglich thun. Brauche dich jetzt deines Veꝛmoͤgens nicht, sonst wer- de ich mich mich nicht wagen duͤrfen, bey diꝛ allein zu bleiben. Wir weinten beyde: Jhre Thraͤ- nen fielen auf meinen Hals, und meine in ihren Bu- sen. O muͤssen alle diese guͤtige Worte, davon ihre Lippen uͤberflossen, vergeblich ausgesprochen seyn! H ebe doch dein liebes Gesicht auf: sagte sie noch weiter: mein bestes Kind! meine eigene Tochter! meine Claͤrchen H arlowe! meine allerliebste Tochter! hebe doch das Gesicht auf/ das ich stets so sehr geliebet habe. Was Die Geschichte Was sollen diese Seuffzer! Soll die blosse Furcht, daß ich dich zum Gehorsam er- mahnen muß/ dich in solche Unruhe setzen, daß du ehe ich noch anfange zu reden ‒ ‒ ‒ Es ist mir lieb/ mein H ertz/ daß du nun schon rathen kanst/ was ich zu sagen ha- be. Jch bin nun der Muͤhe uͤberhoben/ dir das zu eroͤffnen/ was mir wuͤrde so schwer geworden seyn/ und was ich doch uͤber mich genommen hatte/ dir zu sagen. Hierauf stund sie auf, um einen Stuhl herbey zu ziehen. Jch muste mich, so wie ich war, da ich mir aus Furcht vor dem was sie zu sagen hatte, und aus Danckbarkeit gegen ihr muͤtterli- ches Hertz, der Thraͤnen nicht enthalten konnte, bey ihr niedersetzen. Seuffzer blieben noch die eintzige Sprache, die ich reden konnte. Sie zog ihren Stuhl noch naͤher an meinen, und umfas- sete mich mit ihren zaͤrtlichen Armen, und druͤck- te meinen gluͤenden Hals, den sie mit Thraͤnen befeuchtet hatte, an den ihrigen: laß mich denn reden/ mein Kind/ weil du doch nicht re- den willst. H oͤre mir denn zu; und falle mir nun auch nicht in die Rede. Du weißt/ mein Kind/ was ich taͤglich auszustehen habe/ um Frieden zu erhalten. Dein Vater ist ein guter Mann und mei- net es recht gut: aber er will sich weder einreden/ noch sich uͤberreden lassen. Du hast bisweilen mit mir Mitleiden gehabt/ daß ich in allen Dingen nachgeben mnß. Der der Clarissa. Der arme Mann! Er hat wenig Ehre/ und ich habe desto mehr Ehre davon/ wenn ich nachgebe: ich wollte aber lieber diese Ehre nicht haben/ da sie mir und ihm so theur zu erkauffen wird. Dn bist ein ge- horsames/ ein verstaͤndiges Kind/ (ver- muthlich wollte sie mich durch dieses Lob erst so ge- horsam und verstaͤndig machen, als sie mich zu sehen wuͤnschte) ich weiß gewiß/ du wirst meine Unruhe nicht vergroͤssern wollen: du wirst den H aus-Frieden nicht stoͤren wol- len/ der deiner Mutter bisher so viel geko- stet hat. Gehorsam ist besser denn Opfer. O meine Claͤrchen H arlowe/ erfreue mich/ und sage mir/ daß ich bisher eine unnoͤthige Furcht deinetwegrn gehabt habe. Jch se- he deine Bekuͤmmersiß! ich sehe deine Ver- wirrung wohl! Jch sehe/ wie du mit dir selbst zu streiten hast. Jch will dich einen Augenblick allein lassen. Hier zog sie ihre Arme von meinem Halse ab, und stund auf, damit ich ihre eigene Bekuͤmmerniß und Mitleiden nicht wahrnehmen moͤchte. Jch wollte reden, und fiel so gleich, da sie mich loßgelassen hatte, auf mei- ne Kniee, als wollte ich sie um Huͤlfe und Mit- leiden anflehen. Aber sie sagte: Antworte mir nicht. Jch habe mich noch nicht gefasset/ deine unuͤberwindlichen Bitten und Klagen anzuhoͤreu. Jch will dich allein lassen/ damit du dich besser fassen kanst. S o lieb dir deiner Mutter Segen ist/ so sehr bitte ich Die Geschichte ich dich/ laß nicht alle meine muͤtterliche Zaͤrtlichkeit an dir verschwendet seyn. Sie ging hierauf in die Stube, und wischte sich die Augen ab, da meine von Thraͤnen uͤberflossen, und und mein Hertz alles verstand und fuͤhlte, was sie mir hatte sagen wollen. Sie kam bald wieder, nachdem sie sich haͤr- ter gemacht hatte, und fand mich noch auf mei- nen Knieen. Das Gesicht hatte ich auf den Stuhl gelegt, auf dem sie gesessen hatte. Siehe mich doch an/ sprach sie, meine Claͤrchen H arlowe. Jch hoffe/ du wirst nicht muͤrrisch und eigensinnig leyn. „Nein!„ sagte ich: „gewiß nicht.„ Jch stand auf: und fiel abermals vor ihr auf die Knie. Sie richtete mich auf: Kein knien gegen mich! als nur durch Gehorsam und Nachgeben. Dein H ertz/ und nicht deine Knie muͤssen sich beugen. Die Sache ist einmal ausge- macht. Schicke dich/ deinem Vater so zu begegnen/ wenn er zu dir kommen wird/ als er es wuͤnscht. Auf dieser eintzigen Viertel-Stunde beruht meine kuͤnfftige Ruhe und Gluͤckseligkeit/ das Vergnuͤgen unserer Familie/ und deine eigene Sicher- heit. Denn du weißt/ wie hefftig dein Va- ter ist. Jch sage dir endlich/ daß du/ so lieb dir mein Segen ist/ dich darein erge- ben sollst/ H errn Solmes zu nehmen. Nun ging mir der Stich an das Hertz. Jch fiel nieder: und da ich wieder zu mir selbst kam, be- der Clarissa. befand ich mich in den Haͤnden meiner Hanni- chen und des Cammermaͤdchens meiner Schwe- ster, die mir die Haͤnde offen hielten. Sie hatten mir die Naͤthe an den Kleidern aufgeschnitten, und meine Mutter war weggegangen. Waͤre meine Mutter vorhin nicht so guͤtig gegen mich gewesen, und haͤtte sie den verhaßten Namen gar nicht, oder nach einiger vorhergegangenen Vorbereitung ge- nannt, so wuͤrde ich den schrecklichen Ton ohne eine so merckliche Gemuͤths-Bewegung haben an- hoͤren koͤnnen. Aber was fuͤr ein hartes Wort einer Mutter, gegen die ich so viel kindliche Liebe und Ehrfurcht hege, war es nicht, daß sie mir bey Verlust ihres Segens befohl, daß ich mich darein ergeben sollte, Herrn Solmes zu neh- men? Schorey brachte mir darauf in meiner Mut- ter Namen auf eine recht foͤrmliche Art dieses Com- pliment: die gnaͤdige Frau ist wegen ihrer Unpaͤßlichkeit sehr bekuͤm̃ert. Sie wuͤnscht sie nach einer Stunde wieder bey sich zu se- hen/ und hat mir noch aufgetragen ihnen zu sagen: daß sie alsdenn alles von ihrem Gehorsam erwartet. Jch ließ nichts wieder bestellen. Denn was konte ich sagen? Hanni- chen muste mich in meine eigene Stube fuͤhren. Sie werden leicht dencken, wie ich hier den groͤsse- sten Theil meiner Zeit zugebracht habe. Jndessen kam meine Mutter zu mir herauf. Sie sagte: ich will lieber in diese Stube kommen. Erschrick dich nur nicht, mein Kind: zittere Erster Theil. L nicht Die Geschichte nicht. Bin ich nicht deine Mutter? Bin ich nicht deine guͤtige, deine liebe Mutter? Mache mich nicht durch deine Unruhe auch unruhig. Jch will dich gern vergnuͤgt machen; mache du mich nicht misvergnuͤgt. Komm, mein Kind, wir wollen in deine Buͤcher-Stube gehen. Sie faßte meine Hand, ging voran, und hieß mich bey ihr niederfitzen. Nachdem sie sich nach meinem Befinden erkundiget hatte, fing sie so an zu reden, als glaubte sie, daß ich die Bedenckzeit dazu angewandt haͤtte, alle meine Zweifel zu uͤber- winden. Sie beliebte zu sagen, daß mein Vater und sie um meine natuͤrliche Bescheidenheit zu schonen, die gantze Sache uͤber sich genommen haͤtten. Hoͤre mich aus/ und denn rede. (denn ich wollte eben losbrechen und mich verantworten.) Du weißt wohl was H err S olmes fuͤr eine Absicht gehabt hat/ um welcher willen er unser H aus bisher so oft besucht hat. Liebste Mutter! sagte ich. H oͤre mich aus/ und denn rede. Er hat zwar nicht alle Eigenschaften/ die ich ihm wuͤnschen moͤchte. Allein er ist ein tugend- hafter Mann/ und er hat keine Laster. Keine Laster? H oͤre mich aus Kind. Du hast in deiner Auffuͤhrung gegen ihn nicht allerdings ge- fehlt. Wir haben mit Vergnuͤgen gesehen/ daß du nicht ‒ ‒ Soll der Clarissa. Soll ich itzo noch nicht reden? Jch werde gleich ausgeredet haben. Ein so tugendhaftes und srommes Kind/ be- liebte sie zu sagen/ kan einen Ertz-Boͤsewicht ohnmoͤglich lieben. Du hast viel zu viel Lie- be fuͤr deinen Bruder/ als daß du jemanden zu heyrathen wuͤnschen soltest/ der ihn bey nahe getoͤdtet haͤtte/ der deines Vaters Bruͤdern drohet/ und der uns allen trotzet. Du hast sechs oder sieben mal deinen Wil- len gehabt. Wir wollen uns jetzt nur in Sicherheit setzen/ daß du nie einem so lie- derlichen Menschen zu Theil werden moͤ- gest. S age es mir. Jch darf es doch wohl wissen: ob du diesen Kerl allen uͤbri- gen vorziehest? GOtt behuͤte mich/ daß du nicht mit Ja antwortest. Denn eine solche Erklaͤrung wuͤrde uns alle ungluͤck- lich machen. Doch sage es mir/ bist du in diesen Mann verliebet? Jch wußte wohl, was darauf folgen wuͤrde, wenn ich nein gesaget haͤtte. Du stockest. Du antwortest mir nicht: du kanst mir nicht antworten. (Sie stand auf) Jch will dich nie wieder ansehen. O Liebste Mutter/ Toͤdten sie mich nicht durch ihren Unwillen. Jch wollte nicht/ ich koͤnte nicht einen Augenblick schweigen/ wo ich nicht eine Folge vermuthen muͤßte/ wenn ich so antwortete/ wie sie es gerne L 2 sehen. Die Geschichte sehen. Allein es mag meine Antwort fuͤr eine Folge haben/ welche sie will/ so zwin- get mich ihre Drohung doch zu reden. Jch sage es frey heraus/ daß ich mein eigen Herz nicht kenne/ wenn es nicht ganz frey von Liebe ist. Jch bitte liebste Mutter/ lassen sie mich doch fragen/ womit habe ich es deñ in meiner Auffuͤhrung versehen/ daß ich wie ein leichtsinnigkes Maͤdchen soll zum Hey- rathen gezwungen werden/ um mich ich weiß nicht wo vor zu bewahren. Darf ich sie nicht bitten/ daß sie fuͤr meine Ehre be- sorgt seyn wollen? Lassen sie ihre Clarissa nicht zu einer Verbindung gezwungen wer- den/ von der sie gern ihr Lebe-Tage frey bleiben moͤchte es sey auch mit wem es wol- le. Zwingen sie mich doch nicht/ aus der uͤberfluͤßigen Beysorge/ daß ich mir sonst selbst eine Parthey aussuchen und meine Familie beschimpfen moͤchte. Sie vergaß auf die Bewegungs-Gruͤnde, die ich vorgebracht hatte, zu antworten: Gut! sagte sie, Claͤrchen/ wenn dein Hertz frey ist ‒ ‒ ‒ „Meine liebe Mutter, lassen sie jetzt ihrem guͤti- „gen und edlen Hertzen Freyheit, daß es ein Wort „fuͤr mich bey ihnen sprechen darff. Ziehen sie „nicht die Folge aus meinen Worten, die ich vor- „hin besorgte, und mich deshalb scheuete zu ant- „worten.„ „Jch will mir nicht immer in die Rede fallen „lassen, Claͤrchen. Du siehest in meiner Auf- fuͤh- der Clarissa. „fuͤhrung gegen dich muͤtterliche Zaͤrtlichkeit. Du „kanst wol mercken, daß ich nicht gern von einer „dir verdrießlichen Sache mit dir zu reden uͤber „mich genommen habe, weil ich selbst den Mann „in einigen Stuͤcken noch besser wuͤnschte, und „weil ich weiß, daß du an einem Braͤutigam eine „uͤbertriebene Vollkommenheit suchest. „Halten sie mir nur dieses mahl, sagte ich, „entschuldiget. Jst denn einige Gefahr, daß „ich etwas unbesonnenes in Absicht auf denje- „nigen, auf welchen sie zielen, vornehmen werde. „Noch einmal in die Rede gefallen! Sollst du „mich denn fragen, und die Sache mit mir aus- „fechten? du weißt, daß wird an einem andern „Orte nicht angehen: wahrhaftig es wird nicht „angehen. Was hast du unartiges Maͤdchen denn „fuͤr Ursachen, es gegen mich zu versuchen, als „weil du meynst, ich sey so guͤtig, daß du es „mir wohl bieten duͤrfest.„ „Was soll ich sagen? was soll ich thun? „Was kan doch fuͤr eine Ursache dazu vorhan- „den seyn, daß keine Vorstellung von mir an- „genommen werden soll? „Noch einmahl, Clarissa Harlowe? „Vergeben Sie mir, allerliebste Mutter. Jch „habe stets meine Ehre und mein Vergnuͤgen „darin gesucht, daß ich ihnen Gehorsam gelei- „stet habe. Aber sehen sie doch den Mann nur „an! wie ungestalt! wie unangenehm! L 3 „Nun Die Geschichte „Nun sehe ich, Claͤrchen/ auf wen du ein „Auge wirfst. Herr Solmes ist nur in Ver- „gleichung gegen einen andern unangenehm, weil „er nicht so viel angenehmes hat als ein anderer, „der dir besser in die Augen faͤllt.„ Aber, erwiederte ich, „sind nicht seine Sit- „ten eben so unangenehm? Jst nicht seine aͤussere „Gestalt eine wahre Abbildung seines Gemuͤths? „Jch frage nach dem andern Mann gar nichts, „und will nichts nach ihm fragen. Erloͤsen sie „mich nur von diesem, vor dem mein Hertz einen „naturlichen Abscheu hat.„ „Unterstehe dich nur, deinem Vater solche „Bedingungen vorzuschreiben! Glaubst du, „daß es ihm wird ertraͤglich seyn, sich mit dir „in einen solchen Wortwechsel einzulassen? Habe „ich dich nicht beschworen, gehorsam zu seyn, „so lieb es dir ist, daß ich noch eine ruhige Stunde „habe? Was habe ich in der Welt, daß ich „nicht aufopfere? Selbst die Arbeit die ich jetzt „uͤbernehme, weil ich besorgte du moͤchtest dich „nicht so leicht bewegen lassen, ist mir wahrhaftig „eine schwere Arbeit. Wilst du denn gar nichts „aufopfern? Hast du nicht alle Partheyen aus- „geschlagen, die dir angetragen sind? Wenn wir „keinen Argwohn haben sollen, daß du dabey ei- „ne geheime Absicht gehabt hast, so bequeme dich „jetzt. Denn gehorchen must du, oder du wirst „dafuͤr angesehen werden, als wolltest du der „gantzen Famile trotzen.„ Als sie dis gesagt hatte, stand sie auf, und ging der Clarissa. ging weg. Allein in der Thuͤr blieb sir noch stehen, und kehrte sich mit den Worten um: ich will drun- ten nicht erzehlen, in was fuͤr einer Gemuͤths-Fas- sung ich dich verlassen habe. Ueberlege alles wohl. Die Sache ist einmal beschlossen. Wenn du dei- nes Vaters und deiner Mutter Segen und das Vergnuͤgen der gantzen Familie hochschaͤtzest, so gib nach. ich lasse dich auf einige Augenblick al- lein, und komme bald wieder. Mache, daß ich dich so finde, als ich dich gern finden wollte. Wenn dein Hertz frey von Liebe ist, so laß es durch Gehor- sam regiert werden. Nach einer halben Stunde kam meine Mutter wieder. Sie faßte mich an die Hand, und sagte: „ist es mir bescheert, daß ich mich immer selbst „wegen meiner Fehler bestrafen muß? Jch fuͤrch- „te, daß ich mir durch die Art, mit der ich mei- „nen Vortrag anbrachte, selbst deine abschlaͤgige „Antwort zugezogen habe. Jch fing so an mit „dir zu reden, als wenn ich eine abschlaͤgige Ant- „wort befuͤrchtete, und durch diese Gelindigkeit „habe ich dich dreiste gemacht, sie mir zu geben. „Sagen sie das nicht, wertheste Mutter!„ Sie fuhrt fort: „wenn ich selbst die Gelegen- „heit zu unserm Streit gegeben haͤtte; ja wenn „es nur in meiner Macht stuͤnde, nachzugeben: „so weist du wohl, wie viel du bey mir ausrich- „ten kanst. ‒ ‒„ Was meynen Sie, liebste Fraͤulein H owe/ kan man Lust zum heyrathen bekommen, wenn man gewahr wird, daß ein so artiges und edles L 4 Gemuͤth Die Geschichte Gemuͤth als meiner Mutter ihres entweder da- durch ungluͤcklich oder alles Vermoͤgens beraubet werden muß, seinen guͤtigen Trieben zu folgen?) „‒ ‒ Jch wollte das vorige mahl deine Gruͤnde „nicht einmahl anhoͤren, weil ich doch schon zum „voraus wuste, daß sie nichts ausrichten wuͤrden. „Auch hierin habe ich gefehlt. Denn von ei- „nem jungen Kinde, das gewohnt ist, alles zu „uͤberlegen, und sich durch Gruͤnde uͤberzeugen „zu lassen, muß man billig alle Einwendungen „anhoͤren. Jch komme aber zum dritten mahl, „und bin bereit, alles anzuhoͤren, was du zu „sagen hast. Aber laß dich doch durch meine „Gedult zur Danckbarkeit, ich will so gar sagen, „zur Großmuth reitzen! denn mit dir spreche „ich jetzund, die du sonst ein so großmuͤthiges „Hertz gehabt hast. Wenn dein Hertz in der „That durch keine andere Liebe gebunden ist, „so zeige mir einmal, wie viel du mir zu Gefallen „thun kanst. Sey nur so bescheiden in deinen „Reden, als du sonst zu seyn pflegest, so will „ich alles anhoͤren: aber wisse zum voraus, du „magst sagen was du wilst, so wird es nichts „fruchten.„ „Wie fuͤrchterlich ist diese Vorbereitung?„ sagte ich. „Jndessen wuͤrden doch meine Reden „etwas fruchten, wenn ich Sie nur zum Mitlei- „den bewegen koͤnte.„ „Mein Mitleiden und meine Liebe hast du „vollkommen. Allein Claͤrchen/ was fragt „ein so verstaͤndiges Kind, dessen Hertz sonst durch „nichts der Clarissa. „nichts gebunden ist, nach dem aͤusserlichen „Ansehen?„ „Soll denn aber mein Auge gleich durch das „erste Ansehen beleidiget werden, um mein Hertz „zu gewinnen? koͤnnen Sie darauf dencken, daß „ich einen heyrathen soll, bey dessen Anblick sich „gleich das Herz im Leibe vor Eckel umkehren muß, „sonderlich wenn eine jede Unterredung mit ihm „mich daꝛin bekꝛaͤftiget, daß mein Eckel geꝛecht sey? „Das sind nur vorgefaßte Meynungen, Claͤr- „chen. Laß mich nicht so weit getrieben wer- „den, daß ich die edle Standhaftigkeit bey dir „fuͤr einen Fehler ansehen muß, die ich sonst fuͤr „deine Ehre hielt, und darauf ich mir mit mei- „ner Tochter recht viel einbildete. Jn diesem „Fall wuͤste ich es nicht anders als Hartnaͤckigkeit „und Ungehorsam zu nennen. Hast du nicht ge- „gen etliche allerhand Einwendungen gemacht ‒ ‒ „Die Einwendungen gingen auf ihr Gemuͤth, „oder auf ihre Begriffe von der Religion. Aber „dieser Mann ‒ ‒ „Jst ein ehrlicher Mann, Claͤrchen. Er „hat ein gut Gemuͤth. Er ist ein tugendhafter „Mann.„ „Er soll ein ehrlicher Mann seyn? Sein Ge- „muͤth gut? Er ein tugendhafter Mann?„ „Niemand hat ihm diesen Ruhm je abgeleug- „net.„ „Kan das ein ehrlicher Mann seyn, der an „allen seinen Anverwanten zum Raͤuber werden, „und ihnen ihre gerechte Anwardtschaften entzie- L 5 „hen Die Geschichte „hen will? kan der ein gutes Gemuͤth haben?„ „Aus Liebe zu dir, Claͤrchen/ verspricht er „eben so vieles. Du bist die allerletzte, die ihm „seine Guͤtigkeit gegen dich vorwerfeu darf.„ „Vergoͤnnen Sie mir dis zu sagen. Wer „wahre Gluͤckseligkeit hoͤher schaͤtzt, als Geld, „wie ich thue, die ich nicht einmal so viel brauche „als ich habe, und das meinige zum Zeichen mei- „nes Gehorsams fahren lassen kan ‒ ‒„ „Nichts mehr! nichts mehr von deinen guten „Wercken. Du weißt, daß du durch die Probe, „die du mit Freuden von deinem Gehorsam ge- „geben hast, nichts verlieren sondern gewinnen „wirst. Du hast nur dein Brod uͤber das „Wasser fabren lassen. Sage also nichts mehr „davon. Es sieht es nicht jedermann fuͤr ein „gures Werck an: ob ich es gleich fuͤr ein sehr „gutes Werck halte. Und so urtheilten auch dein „Vater und seine Bruͤder damahls davon.„ Damahls! „sagen sie. O wie niedertraͤch- „tig handelt mein Bruder und meine Schwester, „weil sie besorgen, daß die Liebe, die alle noch „vor kurtzen auf mich wurfen ‒ ‒„ „Jch hoͤre keine Klage gegen deinen Bruder „und Schwester an. Was fuͤr Streitigkeiten in „unserer Familie sehe ich zu einer Zeit zum voraus, „in welcher ich hoffete, daß ihr alle der Trost, „meiner zunehmenden Jahre werden solltet!„ „GOtt gebe sein Gedeyen zu allen großmuͤ- „thigen Absichten meines Bruders und meiner „Schwester! Jch will keine Streitigkeiten in der „Familie der Clarissa. „Familie veranlassen, wenn ich ihnen nur vor- „beugen kan. Sie sollen mir selbst befehlen, „was ich von ihnen tragen soll: und das will ich „tragen. Allein lassen sie meine Handlungen fuͤr „mich reden, und richten sie sich nicht nach den „falschen Auslegungen, die jene daruͤber machen. „Denn ich bin gewiß versichert, daß dieses „mein Ungluͤck gewesen ist. Aus den harten „und unangenehmen Verboten, die mir neulich „gegeben sind, habe ich es wohl mercken koͤnnen. Eben kam mein Vater herauf. Seine ernst- hafte Mine machte mich zitternd. Er ging zwey oder dreymahl in meiner Stuben auf und nieder, und sagte darauf zu meiner Mutter, die bey sei- nem Eintritt in die Stube aufhoͤrte zu reden: „du bist lange ausgeblieben. Das Essen ist „bald fertig. Was du zu sagen hattest, brauch- „te nicht viel Worte: sondern du brauchtest nur „ihr deinen und meinen Willen kund zu thun. „Vielleicht aber hast du etwas von der Zuberei- „tung auf die Hochzeit abzureden gehabt. Komm „bald herunter, und bringe deine Tochter mit, „wenn sie anderst diesen Namen verdient.„ Als er wegging, gab er mir einen so ernsthaften Blick, daß ich nicht im Stande war, ein Wort mit ihm zu reden, ja ich konte eine halbe Viertel-Stunde gegen meine Mutter aus Bestuͤrtzung kein Wort vorbringen. Konte einen dieses Betragen nicht einen Schre- cken einjagen? Meine Mutter schien mit meiner Bekuͤmmerniß Mitleiden zu haben. Sie kuͤssete mich, Die Geschichte mich, nennete mich ihr liebes Kind/ und sag- te mir: mein Vater sollte nichts davon erfahren, daß ich mich seinem Willen eine Zeitlang wider- setzt haͤtte. Er haͤtte uns auf eine Ausflucht ge- holfen, damit sie ihr langes Aussenbleiben ent- schuldigen koͤnnte. Komm mein Hertz/ sag- te sie, das Essen wird gleich aufgetragen werden. Wir wollen hinunter gehen. Mit diesen Worten ergriff sie meine Hand. Hieruͤber erschrack ich, und sagte: „Wie? ich „soll mit Jhnen hinunter gehen, um meinen „Vater in der Meynung zu bestaͤrcken, daß wir „von Vorbereitungen zur Hochzeit geredet haben. „O meine liebe Mutter, befehlen sie mir nicht, „mit ihnen zu gehen, wenn diese Auslegung dar- „uͤber gemacht werden soll. „Du siehst, mein Kind, antwortete sie, daß „dein Vater uͤber unser laͤngeres Aussenbleiben „die noch schlimmere Auslegung machen wird, „als wolltest du uͤber etwas streiten und rechten, „was doch schlechterdings deine Schuldigkeit ist. „Sey versichert, daß ihm dieses unertraͤglich „seyn wird. Hat er dir nicht selbst vor einigen „Tagen gesagt, daß er Gehorsam fodert? Jch „will dich zum dritten mahl verlassen. Jch muß „etwas zu deiner Entschuldigung erdencken: „soll ich sagen, daß deine Bloͤdigkeit bey dieser „Gelegenheit ‒ ‒ „Jch bitte sie, sagen sie nichts von Bloͤdig- „keit bey einer solchen Gelegenheit. Dadurch „wuͤrde ich Anlaß geben zu hoffen ‒ ‒ Wilst der Clarissa. „Willst du denn nicht Anlaß geben zu hoffen, „verkehrtes Maͤdchen?„ Sie stand auf, und ging eilig weg: „nimm dir Bedenck-Zeit! Es „ist noͤthig, daß du dir Bedenck-Zeit nimmst. „Wenn ich wieder komme, so laß mich hoͤren, „ob ich wegen meiner Geduld gegen dich mich „selbst bestraffen, und von deinem Vater taͤglich „mir es vorwerffen lassen soll, daß ich dich ver- „zogen habe.„ Sie blieb noch ein wenig in der Thuͤr stehen, und schien zu erwarten, daß ich mich bedencken und sie bitten solte, einige Entschuldigung und guͤtige Auslegung meines Aussenbleibens vorzu- bringen. Denn sie sagte zu mir: ich glaube/ du wirst verbitten/ daß ich nicht sagen soll/ was ‒ ‒ Jch unterbrach sie: wo soll ich auf Liebe und Zaͤrtlichkeit hoffen/ wenn ich meiner Mutter Hertz verlohren habe? Sie sehen leicht ein, daß eine Bitte, mein Aus- senbleiben guͤtig zu deuten, in der That so viel wuͤrde gewesen seyn, als wenn ich uͤber die Fra- ge, wegen welcher ich mich schon voͤllig entschlos- sen hatte, noch handeln wollte, und daß ich dadurch den meinigen Gelegenheit gegeben haben wuͤrde zu hoffen, daß ich noch einiger massen zweifelhaft waͤre. Meine Mutter ging demnach allein hin- unter. Hier will ich meine Erzaͤhlung schliessen, und sie an Ort und Stelle bringen. Sie beehren mich mit einer so zaͤrtlichen Liebe, daß ich nicht fuͤrch- ten Die Geschichte ten darff, daß sie meine Erzaͤhlung von Kleinig- keiten, die jedoch meine Ehre und Gluͤckseeligkeit betreffen, fuͤr allzu umstaͤndlich halten. Jch wer- de daher meine kuͤnftige Briefe eben so einrichten, als diesen. Jch bin in so mißlichen Umstaͤnden, daß ich frey und offenhertzig geschriebene Nach- richten nicht gern unter meinen Papieren behalten mag. Jch bitte Sie, lassen Sie Robert taͤg- lich zusehen, ob ich einen Brief hingelegt habe, wenn er gleich bisweilen vergeblich kommen sollte. Jch werde mich aber freuen, wenn Sie ihn nicht mit leerer Hand nach dem gruͤnen Gange schicken. Was fuͤr eine Guͤte gegen mich wird es seyn, wenn die Freundschaft Sie so fleißig im Brief-Wechsel macht, als mich mein Ungluͤck! Wenn die Briefe weggenommen sind, so halte ich mich versichert, daß sie zu Jhren Haͤnden gekommen sind. Da ich schreiben werde, so oft ich Gelegenheit habe, so darf ich kuͤnftig den Titel und die Unterschrifft weglassen. Denn Sie wissen ohnehin schon, mit wie vieler Ergebenheit ich bin, Dero ergebenste Clarissa H arlowe. Der siebzehnte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe/ M eine Mutter kam gleich nach dem Essen wieder zu mir, und erzaͤhlte mir: „mein Va- der Clarissa. „Vater habe sie befragt, ob ich mit Freuden ge- „horsam waͤre?„ (es scheint, an dem Gehorsam selbst zweifelt man nicht, sondern nur an meiner Freude bey dem Gehorsam) „Sie habe geant- „wortet: sie haͤtte einem Kinde, das sie so viel „Ursache haͤtte zu lieben„ (ihr Ausdruck war, sie haͤtte sich nicht entbrochen dis zu bekennen) „gern Freyheit lassen wollen, alles zu sagen, was „ihm auf dem Hertzen laͤge, damit der Gehorsam „desto williger und ungezwungener seyn moͤchte. „Sie haͤtte eben meine Einwendungeu geduldig „angehoͤrt, als er in die Stube getreten sey: und „sie faͤnde, daß ich uͤberall nicht Lust haͤtte, mich „zu verheyrathen.„ Mein Vater hat hierauf mit Unwillen geant- wortet: sie mag sich in Acht nehmen! Sie mag sich ja in Acht nehmen, damit sie sich nicht bey mir verdaͤchtig macht, als wenn ihr Hertz an ei- nem andern haͤnget. Allein du kanst sie aushoͤ- ren, wenn sie blos ihr Hertz ausschuͤtten, und sich nicht gegen meinen Befehl auflehnen will. Mei- ne Mutter erzaͤhlte mir dieses, mit dem Zusatz: „ich bin mit eben der Gemuͤthsfassung wieder zu „dir gekommen, wenn du mich durch deinen Ei- „gensinn nicht zwingest, daß ich meine Auffuͤh- „rung gegen dich aͤndern muß.„ „Sie haben mir Gerechtigkeit wiederfahren „lassen, sagte ich, wenn Sie bezeuget haben, daß „ich schlechterdings keine Lust habe, mich zu ver- hey- Die Geschichte „heyrathen. Jch hoffe, ich sey bisher nicht so „unnuͤtz in meines Vaters Hause gewesen, daß ‒ ‒ „Erzaͤhle mir deine Verdienste nicht, Claͤr- „chen. Du bist ein gutes Kind gewesen, und „hast mir die Haushaltungs-Sorgen abgenom- „men: mache mir aber jetzt nicht mehrere Sorgen, „als du mir jemals abgenommen hast. Die Ehre, „die dir deine Geschicklich keit in der Haushaltung „erworben hat, hat deine Muͤhe reichlich bezahlet. „Allein es wird nun die Huͤlfe, die ich von dir „haben kan, bald ihr Ende erreichen. Denn „wenn du heyrathest, so ist dis ihr natuͤrliches „und zugleich ein uns allen angenehmes Ende, „falls nemlich deine Heyrath nach unserm Sinn „ist: denn deine eigene Haushaltung wird deine „Aufsicht erfodern. Schlaͤgst du aber diese Par- „they aus, so ist deine Huͤlffe doch am Ende, „aber nicht auf die natuͤrliche Weise. Du verstehst „mich wohl, mein Kind!„ Jch weinte. Sie fuhr fort: „ich habe mich schon nach einer Haus- „haͤlterin umgesehen. Jch haͤtte gern deine ehr- „liche Frau Norton gehabt: aber ich glaube „daß du selbst wuͤnschen wirst, diese brave Frau „bey dir zu haben. Jst das dein Wunsch, so „will ich dir gern hierin gefaͤllig seyn. „Allein warum liebste Mutter, warum stoͤßt „man die juͤngere Schwester in einen Stand, „in den ich uͤberall zu treten nicht Lust habe.„ „Jch glaube, du wilst mich fragen, warum „man bey Herrn Solmes Antrag nicht auf dei- „ne Schwester dencke.„ „Ja, der Clarissa. „Ja, das meyne ich auch, wenn mir er- „laubt ist dis zu fragen. „Die Antwort darauf kanst du von deinem „Vater erhalten. Herr S olmes hat seine „Ursachen darum er dich ihr vorziehet.„ „Und ich habe meine Ursachen, darum ich „ihn nicht haben will. Warum soll ich ‒ ‒ Sie unterbrach mich: „die Hitze, mit der „du mir antwortest, ist unertraͤglich. Jch will „weggehen, dein Vater mag kommen, denn ich „ich sehe, ich kan nichts bey dir ausrichten.„ Jch will lieber sterben, als ‒ ‒„ Sie legte mir die Hand auf den Mund. „Re- „de kein Wort, Claͤrchen, bey dem du nicht „wieder zuruͤck kanst. So bald du mit einem „Worte sagest, daß du nicht nachgeben willst, „so bald ist unsre Unterhandlung aus.„ Jch weinte vor Kummer: „dis sind alle „meines Bruders Anstalten. Das ist die „Frucht seiner unersaͤttlichen Absichten.„ „Tadele deinen Bruder nicht: ihm liegt nichts „am Hertzen, als die Ehre der Familie.„ „Jch will meine Familie eben so wenig be- „schimpfen, als mein Bruder.„ „Das glaube ich gern: aber du wirst hoffent- „lich deinem Vater, mir, und deinen Onckles „zutrauen, daß wir am besten wissen, was der „Familie Ehre oder Schande macht.„ Jch erbot mich abermals unverheyrathet zu bleiben, odeꝛ wenigstens nicht ohne alleꝛ voͤllige Be- willigung eine Parthey zu erwaͤhlen. Allein ich Erster Theil. M bekam Die Geschichte bekam zur Anewort: „wenn ich Proben meines „Gehorsams geben wollte, so muͤsten sie und „nicht ich selbst bestimmen, worin diese Pro- „ben bestehen sollten.„ Jch antwortete: „ich hoffete, ich haͤtte mich „stets so aufgefuͤhret, daß eine solche Probe „meines Gehorsams, als man mir jetzt auf- „legte, nicht noͤthig waͤre. Ja, sagte sie, „du hast dich sehr wohl auf- „gefuͤhret. Allein dein Gehorsam ist bisher „noch nie auf die Probe gestellet worden, und „ich hoffe, du wirst in dieser Probe gut bestehen „wollen. So lange die Kinder klein sind, gefaͤllt „den Eltern alles was sie thun. Du bist frey- „lich in deiner gantzen Auffuͤhrung ein gutes „Kind gewesen: wir aber haben dir mehr nach- „gegeben, als du uns. Jetzt ist die rechte Probier- „Zeit, da du in die Jahre getreten bist, daß wir „auf deine Verheyrathung dencken koͤnnen: son- „derlich da dein Gros-Bater dich bey nahe in „Freyheit gesetzt, und dich dabey denen vorgezo- „gen hat, welche eine naͤhere Anwardtschafft auf „das Gut hatten.„ „Mein Gros-Vater wuste ja zum voraus, „daß mein Vater diesen Abgang meinem Bru- „der und meiner Schwester ersetzen moͤchte; und „er verlanget dieses so gar in seinem letzten Wil- „len. Jch habe nichts gethan, um mir seine „Liebe zu erwerben, als was meine Schuldigkeit „war. Es war sein Vermaͤchtniß nicht sowohl „ein Vortheil fuͤr mich, als ein Zeichen seiner „Liebe. der Clarissa. „Liebe. Jch suche mich ja auch nicht von dem „Gehorsam gegen meine Eltern loos zu reissen: „wenn ich Koͤnigin von der gantzen Welt waͤre, „so wollte ich meine Pflicht gegen sie und gegen „meinen Vater nie aus den Augen setzen; ich „wollte mir ihren Segen kniend ausbitten, wenn „auch millionen Menschen zugegen waͤren. Also ‒ ‒ „Jch mag dir nicht gern in die Rede fallen, „ Claͤrchen/ ob du gleich fertig genug bist mir „in die Rede zu fallen. Du bist noch jung, „und der Sinn ist dir nicht gebrochen. Bey „allem Ruhm, den du von deinem Gehorsam „machst bitte ich dich, mir etwas mehr Ehrer- „bietung zu erzeigen, wenn ich rede. „Jch bitte sie um Vergebung, und um Ge- „dult, mich in einer so wichtigen Sache zu „hoͤren. Wenn ich nicht ernstlich redete, so „wuͤrde es scheinen, als haͤtte ich nur einige „Grillen, nach Art der Maͤdchens, im Kopf, „da mir doch der Mann gaͤntzlich unertraͤglich ist. Clarissa H arlowe! „Liebste, allerliebste Mutter, erlauben sie mir „nur dieses mahl, daß ich sagen darf, was ich „auf dem Hertzen habe. Es ist etwas hartes „fuͤr mich, daß ich ihnen nicht einmal die Ur- „sache alles meines Ungluͤcks nennen darf. „Denn ich soll kein unehrerbietiges Wort von „einer gewissen Person reden, die mich fuͤr eine „Hinderniß ihrer weitlaͤufftigen und gierigen „Absichten haͤlt, und sich gegen mich auffuͤh- „ret, als wenn ich ein Sclave waͤre. M 2 „Wie Die Geschichte „Wie weit gehst du, Claͤrchen? „Liebste Mutter, gegen meinen Vater habe „ich zuviel Hochachtung und Ehrfurcht. Jch „kan ihn nicht fuͤr so hart und herrisch halten, „daß er gegen sie gestuͤnde, er wolle schlechter- „dings als ein Herr mit mir umgehen. „Was nun Claͤrchen? ‒ ‒ Maͤdchen! „Jch bitte nur um Gedult. Sie selbst belieb- „ten ja zu sagen, sie wollten mich mit Gedult „aushoͤren. Das aͤusserliche Ansehen soll bey „mir ein Nichts seyn, weil man mich fuͤr ver- „staͤndig haͤlt! Mein Auge soll beleidiget, und „mein Verstand nicht uͤberzeuget werden! „Maͤdchen! Maͤdchen! „So will man mich durch die guten Eigen- „schafften straffen, deren man mich beschuldigt. „Jch soll ein Ungeheuer heyrathen. „Jch komme ausser mir. Redest du noch „ Clarissa H arlowe? „Meine liebe Mutter, in meinen Augen ist „er ein Ungeheuer. ‒ ‒ Damit ich zu dieser Be- „gegnung nicht sauer sehen moͤge, ruͤhmt man „mich einmal, daß mein Hertz noch frey von „Liebe sey. Ein anderes mahl giebt man mir „Schuld, daß ich mich in einem jungen Herrn „verliebt habe, gegen dessen Auffuͤhrung sehr „viel einzuwenden ist. Jch werde eingesperret, „als wenn ich ein liederliches Maͤdchen waͤre, „und mit diesem Menschen davon lauffen, und „die gantze Familie beschimpfen wollte. Wer „kan Gedult behalten, wenn ihm so begegnet „wird? „Nun der Clarissa. „Nun hoffe ich wirst du mir auch erlauben zu „sprechen, Claͤrchen : denn ich meine, daß ich „mit dir Geduld gehabt habe. Haͤtte ich den- „cken koͤnnen ‒ ‒ doch ich will mich kurtz fassen. „Deine Mutter soll dir ein Exempel der Geduld „geben, die du so dreiste von ihr foderst, und doch „selbst nicht beweisest.„ Diese Herablassung meiner Mutter machte mich recht bekuͤmmert, und ging mir weit mehr zn Hertzen, als Schaͤrffe und Haͤrte haͤtte thun koͤnnen. Allein sie wuste und ich glaube sie uͤber- legte auch, daß sie etwas sehr hartes und unange- nehmes zu bestellen uͤbernommen hatte, ja ich mag sagen, etwas ungerechtes: sonst wuͤrde sie nicht so viel Geduld mit mir gehabt haben. „Du must wissen, fuhr sie fort, daß auf eine „kurtze Zeit, darinn du dich besinnen kannst, „alles ankommet: das hat mir dein Vater mit „den Worten gesagt. Bisher bist du ein ge- „horsames Kind gewesen, wie du mir so oft vor- „ruͤckest. Du hast aber auch nicht Ursache ge- „habt ungehorsam zu seyn: denn es hat nicht „leicht ein Kind mehr Liebe genossen als du. Bey „dir steht es nun, was du zu thun gedenckst. „Willst du alle deine vorigen guten Wercke „schwartz machen? Willst du zu der Zeit, da „man von dir erwartet, daß du deinen kindlichen „Gehorsam durch die groͤsseste Probe croͤnen wer- „dest, da du sagest, daß dein Hertz frey von Lie- „be sey, uns diese so gewuͤnschte Probe geben? „Oder hast du die Absicht, frey und ungebunden M 3 nach Die Geschichte „nach deinem eigenen Sinne zu handeln? (Denn „so wird man es nehmen, Claͤrchen/ wenn du „es auch nicht so meinest) Wilst du machen, daß „einer den du vielleicht heimlich liebest, die Un- „gebundenheit die dir dein eigenes geerbtes Ver- „moͤgen zu geben scheint wider uns alle fuͤr dich „oder vielmehr wider sich selbst anwendet? Wilst „du mit uns allen brechen? und einem so eifersuͤch- „tigen Vater trotzen, der vielleicht ohne Noth „eifersuͤchtig ist, wenn es auf die Vorrechte seines „Geschlechts uͤber unseres ankommt, aber war- „lich noch zehnmal strenger seyn wird, die Rech- „te eines Vaters zu behaupten? Das ist die „Sache, die wir jetzt miteinander zu uͤberlegen „haben. Du weißt, daß dein Vater einmal „seinen Schluß gefasset hat, und daß er noch „niemals nachgegeben hat, wo er glaubte, daß „er Recht haͤtte die Sache durchzutreiben. Nur allzu wahr! dachte ich bey mir selbst. Mein Bruder hat einmal meinen Vater auf sei- ner Seite, und so hat sein Vorschlag schon Haͤnde und Fuͤsse, und wird gehen, ohne daß er sich wei- ter bemuͤhet. Denn nun heißt es meines Va- ters Befehl, dem ich mich widersetzte, und nicht meines Bruders gewinnsuͤchtige Absichten. Jch schwieg stille, und ich muß bekennen, daß etwas Eigensinn in meinem Stillschweigen war. Mein Hertz war mir zu beklemmt, und es kam mir hart vor, daß meine Mutter mich selbst gleich- sam aufgegeben hat, und den unbaͤndigen Wil- len meines Bruders auch zu ihrem Willen ge- macht der Clarissa. macht hat. Allein mein Stillschweigen half mir noch weniger: sie sagte: „ich sehe, Kind, du bist „uͤberzeugt. Nun bist du mein gutes Kind, nun „habe ich dich lieb, meine Claͤrchen. Jch will „mich nicht einmahl mercken lassen, daß du mir „widersprochen hast, sondern alle Schuld auf „deine Bescheidenheit schieben, die dir so beson- „ders eigen ist. Deine Verleugnung und Ge- „horsam soll dir bey deinem Vater als ein voͤl- „liges gutes Werck angeschrieben werden.„ Jch weinte. Sie wischte mir die Thraͤnen zaͤrtlich aus den Augen, und kuͤssete mich. „Dein „Vater wartet darauf, daß du mit einem froͤ- „lichen Gesicht hinunter kommen solst: ich will „dich aber noch entschuldigen. Du siehst, daß „ich allen deinen Einwuͤrffen mit recht muͤtter- „licher Liebe und Geduld begegnet bin. Jch „freue mich in der Hoffnung, daß du nun uͤber- „zeuget bist. Das ist mir ein Beweis der er- „freulichen Wahrheit, daß dein Hertz noch un- „gebunden ist.„ Jst dieses nicht beynahe eine Grausamkeit von einer so guͤtigen Mutter? Es wuͤrde gottlos seyn (waͤre es nicht gottlos, mein Schatz?) wenn ich glauben wollte, daß meine Mutter gegen mich Raͤncke spielen koͤnnte. Allein sie wird gezwun- gen, und muß sich allerhand Wege gefallen lassen, vor denen ihr Hertz einen Abscheu hat. Sie sucht blos mein bestes, denn sie siehet schon zum voraus, daß meine Einwendungen bey gewissen andern Ohren gar kein Gehoͤr finden werden. M 4 Sie Die Geschichte Sie sagte: „ich will hinunter gehen, und „dich entschuldigen, daß du diesen Nachmittag „nicht zum Thee kommst: denn ich sehe wohl, „daß noch etwas Ueberwindung bey dir erfodert „wird. Jch verdenke dir dieses nicht, und ich will „auch mit deiner natuͤrlichen Bloͤdigkeit Geduld „haben. Du solst also nicht herunter kommen, „wenn du nicht selbst wilst. Dis eintzige verlan- „ge ich, daß du mich durch deine Auffuͤhrung „nicht zur Luͤgnerin machen solst, wenn du zum „Abendessen kommen wirst. Fuͤhre dich auch ge- „gen deinen Bruder und Schwester nicht anders „auf, als du sonst gethan hast: denn aus deinem „Betragen gegen sie werden wir abnehmen, ob „du uns mit Freuden gehorsam bist, oder nicht. „Du siehst, daß ich dir als eine Freundin rathe, da „ich dir als Mutter befehlen koͤnte. Lebe wohl, „mein Hertz.„ Mit diesen Worten kuͤssete sie mich, und wollte weggehen. „Meine liebste Mutter,„ sagte ich, „ver- „geben sie mir: ihr Hertz kan gewiß nicht glau- „ben, daß ich jemals so einen Mann haben „will.„ Sie ward sehr ungehalten, und man konte an ihr mercken, daß es sie verdroß, sich in ihrer Hoffnung betrogen zu sehen. Sie drohete mir, sie wollte mich alles allein mit meinem Vater und seinen Bruͤdern ausmachen lassen. Sie hielt mir offenhertzig und freymuͤthig vor: ich solte beden- cken, wie ich meinem Bruder und meiner Schwe- ster das Schwerdt in die Haͤnde gaͤbe, wenn sie mich der Clarissa. mich aus eigennuͤtzigen Absichten bey meines Va- ters Bruͤdern anzuschwaͤrtzen suchten. Sie sag- te: sie haͤtte fruͤhzeitig genug alle moͤgliche Ein- wendung gegen den jetzigen Vorschlag angebracht, weil sie zum voraus befuͤrchtet haͤtte, daß ich keine Lust da zu haben wuͤrde, nachdem ich einige Par- theyen ausgeschlagen haͤtte, bey denen das aͤusser- liche viel angenehmer gewesen waͤre. Haͤtte sie durchdringen koͤñen, so wuͤrde ich gar nichts davon gehoͤrt haben. Da sie aber nichts haͤtte ausrich- ten koͤnnen, so duͤrffte ich mir noch viel weniger Hoffnung dazu machen. Sie haͤtte so wohl um meines eigenen besten willen, und damit ich die all- gemeine Liebe der meinigen beybehalten moͤchte, die ich bisher genossen, als auch um ihrer Ruhe und um des Friedens willen, es uͤbernommen, mit mir zu reden. So bald ich mich weigerte zu ge- horchen, wuͤrde mein Vater in Feuer und Flam- men ausbrechen. Seine Bruͤder waͤren eben so unbeweglich als er, weil sie fest glaubten, daß die- se Heyrath ein Mittel zu ihrer Haupt-Absicht, der Vergroͤsserung und Erhebung unserer Familie, seyn wuͤrde. Jhre Schwester Frau Hervey, und Herr Hervey waͤren gleicher Meinung: und es waͤre harte wenn ich mich nach dem einstimmigen Rath von Vater, Mutter, Onckles und Base in meiner Wahl nicht richten wollte. Sie fuͤr ihr Theil sey zwar versichert, daß ich nicht aus der Ursache eine Abneigung von dieser Parthey haͤtte, weil sie die Familien-Absichten befoͤderte: allein sie koͤnne mich versichern, daß jedermann diese An- M 5 mer- Die Geschichte merckung uͤber meine absch laͤgige Antwort machen wuͤrde, als suchte nur die so sehr verlangte Ver- groͤsserung der Familie zu hindern. So viel ich auch davon sagte, daß ich unverheyrathet zu blei- ben gedaͤchte, so wenig wuͤrde davon geglaubt werden, da der Mann, der sie alle auf das em- pfindlichste beleidigt haͤtte, noch unverheyrathet bliebe, und immer um mich herum brausete/ wie sie es nannte. Wenn Herr Lovelace ein Engel waͤre, und mein Vater haͤtte es sich ein- mal in den Kopf gesetzt, daß ich ihn nicht haben solte, so koͤnte ich glauben, daß ihm alle Vor- stellungen gegen seinen Willen unertraͤglich seyn wuͤrden. Es kaͤme dazu, daß man glaubte, ich wechselte noch Briefe mit Hn. Lovelace: und dieser Argwohn, nebst dem Verdacht als wenn die Briefe von beyden Seiten durch die Haͤnde der Fraͤulein H owe gingen, sey die Ursache des wider ihren Willen mir verbotenen Brief-Wechsels mit der Fraͤulein H owe. Jch beantwortete alles was sie gesagt hatte, und ich bin gewiß, daß sie mit meiner Antwort wuͤrde zufrieden gewesen seyn, wenn sie ihren ei- genen Urtheil haͤtte folgen duͤrffen. Uber das mir unangenehme und harte Verbot beklagte ich mich bitterlich. Sie antwortete: ich koͤnnte aus diesem Verbot sehen, wie ernstlich es mein Vater in der Sache meynte. Es koͤnte mir aber die Freyheit Briefe zu wechseln wieder gegeben werden, so bald ich es selbst fuͤr schicklich hielte, und glaubte, daß kein Schade der Clarissa. Schade daraus entstehen wuͤrde. Jch seuffzete und weinete, ohne ein Wort zu reden. Sie sag- te: „ Claͤrchen, soll ich deinem Vater sagen, daß „dieses Verbot in der That so uͤberfluͤßig sey, als „ich es gleich Anfangs gehalten haͤtte? daß du „deine Pflicht wissest, und dich seinem Willen „nicht widersetzen wilst? Was sagt mein liebes „Kind hierzu? Was kan ich, sagte ich, „auf so guͤtige „Fragen antworten? Jch weiß meine Pflicht, „und niemand kan williger seyn als ich, sie zu „beobachten. Allein nehmen sie mir nicht uͤbel, „wenn ich lieber mich auf noch laͤngere Zeit dem „Verbot unterwerfen als es so theuer abkauf- „fen will.„ Meine Mutter nennete mich hierauf ein eigen- sinniges und verkehrtes Maͤdchen: und nachdem sie zwey oder dreymal in der Stube auf und nie- der gegangen war, sagte sie: „dein Hertz waͤre „ungebunden, Claͤrchen! Wie kanst du mir „daß weiß machen wollen? Eine so ungewoͤhn- „lich starcke Abneigung von einer Person kan „keine andere Quelle haben, als eine eben so star- „cke Zuneigung gegen eine andere Person. Sage „mir Claͤrchen, und sage mir aufrichtig, ob „du noch mit Hn. Lovelace Briefe wechselst? Jch antwortete: „allerliebste Mutter, sie „wissen ja, was mich dazu gezwungen hat. Jch „beantwortete seine Briefe um groͤsseres Ungluͤck „zu verhuͤten: und unsere Besorgniß ist ja noch „nicht voruͤber. Jn Die Geschichte „Jch gestehe dir gern, ob ich es gleich nicht „gern andre wissen lassen wollte, daß ich vorhin „geglaubt habe, es waͤre rathsam so heftige Ge- „muͤther zu besaͤnftigen. Jch glaubte damals, „daß alles durch des L ord M. und seiner bey- „den Schwestern Vermittelung wieder ins seine „gebracht werden wuͤrde. Aber da diese alle em- „pfindlich sind und sich das anziehen, was ihrem „Vetter begegnet ist; da ihr Vetter uns allen „trotzt: und da ein anderer solche Bedingungen „angeboten hat, als wir nie haͤtten fodern koͤn- „nen, durch die vermuthlich deines Grosvaters „Gut bey der Familie bleibt, und noch groͤsserer „Reichthum an die Familie gebracht werden „kan: so sehe ich nicht, wie ein fernerer Brief- „Wechsel verstattet werden koͤnte. Jch verbie- „te ihn dir von nun an, bey Verlust aller meiner „Liebe. „Aber geben sie mir nur einen Rath, wie ich „ohne meinen Bruder und Onkles in neue Gefahr „zu setzen den Brief-Wechsel abbrechen soll. „Wollte GOtt, man haͤtte dem Mann, der bey „allen so verhaßt ist, nicht durch harte und grobe „Auffuͤhrung da er eine Versoͤhnung suchte den „allerbesten Vorwand gegeben sich zu raͤchen: so „haͤtte es stets in meiner Macht gestanden, den „Brief-Wechsel abzubrechen, und seine unor- „dentliche Lebens-Art wuͤrde mir zu aller Zeit zur „Entschuldigung gedienet haben. Da aber mein „Bruder und meine Onckels gar nicht Maasse „halten; da er ihre Absichten weiß, und ich mit gutem der Clarissa. „gutem Grunde vermuthe, daß blos seine „Werthschaͤtzung fuͤr mich ihn abgehalten, sich „und seine Familie nicht zu raͤchen: so frage „ich sie selbst, wie soll ich es anfangen? Wol- „len sie, daß ich ihn desperat mache? „Die Gesetze werden uns schuͤtzen, mein Kind, „die Obrigkeit wird ‒ ‒ „Aber kan nicht vorher ein Ungluͤck vorgehen? „Die Gesetze schlaffen, so lange sie niemand „uͤbertrit. „Du hast mir ein Versprechen gegeben, wenn „ich nur diesen Zweifel heben koͤnnte. Jst das „dein Ernst, Claͤrchen? Willst du wuͤrcklich den „Briefwechsel mit Herrn Lovelace unter dieser „Bedingung voͤllig abbrechen. Das sage mir! „Ja es ist mein Ernst: ich will es thun. „Sie koͤnnen selbst alle Briefe sehen, die wir „gewechselt haben. Sie werden sehen, daß „ich ihm nicht die geringste Hoffnung, die mit „dem kindlichen Gehorsam nicht bestehen koͤnn- „te, gemacht habe. Nach Durchlesung dieser „Briefe werden sie mir besser sagen koͤnnen, wie „ich unsere schrifftliche Unterhandlung sicher „abbrechen koͤnne.„ „Jch halte dich bey deinem Worte, Claͤr- „chen/ gib mir seine Briefe an dich, und die „Aufsaͤtze von deinen Briefen an ihn. „Jch hoffe, sie werden so guͤtig seyn, es fuͤr „sich allein zu behalten, was ich geschrieben „habe, und uͤberhaupt, daß ich mit ihm Briefe „wechsele ‒ ‒ ‒ ‒ „Keine Die Geschichte „Keine Bedingungen bey deiner Mutter! „du kanst dich auf meine Vorsichtigkeit verlas- „sen.„ Jch bat sie um Vergebung, und ersuchte sie, daß sie selbst den Schluͤssel zu einem besondern Kaͤstchen in meinem Schreib-Tisch nehmen moͤch- te, in welchem die Briefe lagen, damit sie selbst sehen moͤchte, daß ich nichts vor ihr geheim hielte. Sie that dieses und nahm alle seine und meine an ihn geschriebene Briefe heraus. Ob ich sie gleich ohne Bedingung bekommen habe/ sagte sie, so sollst du sie doch wieder ha- ben/ und niemand soll sie sehen. Jch danck- te ihr fuͤr ihre Guͤtigkeit. Sie ging weg um sie zu lesen, mit dem Versprechen, nach deren Durch- lesung wieder zu mir zu kommen. Sie haben alle zwischen ihm und mir vor meiner letzten Reise gewechselten Briefe gesehen, und Sie wissen, daß kein Ausdruck darin war, dessen er sich ruͤhmen kan. Jch habe seit der Zeit durch die Jhnen muͤndlich gemeldete Gele- genheit drey andere Briefe bekommen, von de- nen ich einen noch nicht beantwortet habe. Der Jnhalt dieser Briefe komt mit den vori- gen ziemlich uͤberein. Er bittet um Gegenliebe von meiner Seiten, und giebt mir die staͤrcksten Versicherungen von der Aufrichtigkeit seiner Nei- gung gegen mich. Er beklagte sich uͤber die nie- dertraͤchtigen und schimpflichen Reden, die mein Bruder in allen Gesellschafften gegen ihn ausstoͤßt, uͤber die Drohungen und den recht feindseligen Auf- der Clarissa. Aufzug der Bruͤder meines Vaters, und uͤber die Kuͤnste welcher sie sich bedienen ihn uͤberall schwartz zu machen. Er erklaͤrt sich endlich also: „weder „seine Ehre noch die Ehre seiner Familie (welcher „man ebenfalls nicht schonete, so oft man seiner „im uͤbeln gedaͤchte, und das Andencken einer un- „gluͤcklichen Schlaͤgerey erneuerte, der er gern aus „dem Wege gegangen waͤre) erlaubten ihm ei- „nen Schimpf nach dem andern geduldig hinzu- „nehmen. Er muͤsse das Betragen meines Bru- „ders noch hoͤher empfinden, da er gewiß ver- „sichert sey, daß wenn ich ihm gleich nicht guͤn- „stig waͤre, ich doch auch gegen den in den Wurff „gebrachten Solmes keine Neigung haͤtte, oder „haben koͤnnte. Mein Bruder gestuͤnde seinen „Grimm und Bosheit gegen jedermann: und „ruͤhmte sich oͤffentlich, daß er Hoffnung habe, „durch diesen Solmes mich zu kraͤncken, und „sich an ihm zu raͤchen. Wenn auch keine noch „viel staͤrckere Ursache ihn antriebe, so wuͤrde er „doch nicht unterlassen koͤnnen, gegen einen arg- „listigen Streich zu arbeiten, durch den man ihn „eigentlich zu beleidigen suchte. Jch muͤste ihm er- „lauben, daß er mit Hrn. Solmes selbst ein Wort „von dieser Sache spraͤche. Jnsonderheit dringt „er sehr darauf, daß ich ihm erlauben moͤchte, „meine Onckels oder gar meine Eltern in Gesell- „schafft des Lord M. zu besuchen: und ver- „spricht mir, alle Beleidigungen, die ihm bey „solcher Gelegenheit gegeben werden moͤchten, mit „Gedult zu ertragen, wenn sie anders von der „Art Die Geschichte „Art waͤren, daß sie ein Mensch ertragen koͤnn- „te.„ (Fuͤr diesen Umstand moͤcht ich in der That nicht gern Buͤrge seyn.) Jn meiner Antwort widerholte ich, was ich ihm schon so oft geschrieben habe: „daß er schlech- „terdings keine Liebe von mir ohne Bewilligung „der meinigen erwarten soll. Jch wuͤste gewiß, „daß sie seinen Besuch nicht annehmen wuͤrden. „Jch wuͤrde nie so ungehorsam und so unver- „staͤndig seyn, daß ich aus Liebe zu irgend jeman- „den, wer es auch seyn moͤchte, mich von mei- „ner Familie trennen liesse. Jch waͤre ihm we- „gen der Gedult keine Verpflichtung schuldig, die „ein hitziger Kopf auf meine Bitte gegen einen „andern hitzigen Kopf haͤtte: denn ich baͤte ihn „um nichts, als wozu ihn Klugheit, Gerechtig- „keit und die Landes-Gesetze ohnehin verbinden, „Er betroͤge sich, wenn er hoffete, daß lich um „dieser Gefaͤlligkeit willen eine Neigung gegen „ihn haͤtte: ich haͤtte ihm schon oft gemeldet, daß „ich mich gar nicht zu verheyrathen gedaͤchte. „Jch koͤnnte auch einen heimlichen Briefwechsel „mit ihm nicht laͤnger fortsetzen: denn es wuͤrde „nidertraͤchtig und ungehorsam von mir gehan- „delt seyn, und gaͤbe noch uͤber dieses einen boͤsen „Schein, den man nicht fuͤglich entschuldigen „koͤnnte. Er moͤge sich daher keine Hoffnung „machen, daß ich noch ferner Briefe mit ihm „wechseln wollte.„ Hierauf antwortete er in seinem letzten Schrei- ben unter andern: „wenn ich wircklich entschlos- „sen der Clarissa. „sen waͤre, allen Brief-Wechsel mit ihm aufzu- „heben, so muͤste er daraus schliessen, daß ich „mich in der That bequemen wollte einen Kerl zu „nehmen, den kein Frauenzimmer von Stande „und Mitteln fuͤr ertraͤglich halten koͤnnte. Jn „solchem Fall moͤchte ich ihm vergeben, daß er „mir deutlich schreiben muͤste: der Gedancke sey „ihm gantz unertraͤglich, daß er diejenige auf „ewig sich solte entreissen lassen, auf die alle seine „jetzige und zukuͤnftige Hoffnung gehe; und daß „er das unbaͤndige Frolocken meines Bruders „uͤber diesen Sieg ohnmoͤglich wuͤrde erdulden „koͤnnen. Er wollte zwar jetzt nicht drohen, sich „an meinem Bruder oder an diesem Menschen „zu vergreiffen: er wuͤrde aber seine Entschlies- „sungen alsdenn so nehmen muͤssen, wie ihn eben „sein Gemuͤth antreiben wuͤrde, wenn ein so „schwartzer und ungluͤcklicher Tag es wild und „zuͤgellos machte. Wenn er wuͤßte, daß alles „mit meinem guten Willen geschehen sey, so „wuͤrde er suchen muͤssen sein unvermeidliches „Schicksaal so viel moͤglich mit Geduld zu ertra- „gen: allein wenn Zwang und Gewalt gegen „mich gebraucht wuͤrden, so wollte er fuͤr die „Folgen nicht stehen, die ein solches Verfah- „ren haben koͤnten.„ Jch will Jhnen die Briefe selbst nach einigen Tagen zum Durchlesen schicken. Jch wollte sie jetzt mit beylegen, wenn ich nicht besorgt waͤre, daß ein unvermutheter Zufall meine Mutter noͤ- thigen moͤchte, sie noch einmal von mir zu ver- Erster Theil. N langen. Die Geschichte langen. Sie werden in seinen Briefen die Kunst- Griffe bald bemercken, dadurch er mich zwingen will, den Brief-Wechsel fortzusetzen. Meine Mutter kam nach Vefliessung einer Stunde wieder zu mir. Sie sagte: „da hast „du deine Briefe wieder, Claͤrchen! ich habe „nichts daran auszusetzen, alle Worte sind mit „Behutsamkeit gewaͤhlt. Du hast so geschrieben, „daß du dir das noͤthige Ansehen und Vorrecht „nicht vergiebest, und den Wohlstand in nichts „beleidigest: und hast ihm genugsam zu verste- „hen gegeben, daß du uͤber seine Drohungen „und harten Ausdruͤcke empfindlich bist. Allein „kanst du dieses fuͤr eine anstaͤndige Verbin- „dung halten, da der eine Theil seinen Haß und „der andere sein Trotzen und Verachtung nicht „einmal zu verbergen trachtet? Kanst du glau- „ben, daß es sich schicket, einem Menschen die „geringste Hoffnung auf dich zu machen, der „fich mit deinem Bruder geschlagen hat, wenn „er auch noch so viele Zuneigung gegen dich zu ha- „ben vorgiebt, und die allerschoͤnsten Mittel hat? „Nein! sagte ich: das kan ich auch nicht „glauben: und sie werden gesehen haben, daß „ich dieses zu verstehen gegeben habe. Allein da „sie nun alle Briefe gelesen haben, so bitte ich „mir ihren Befehl aus, nach dem ich mich in ei- „ner so verworrenen Sache zu richten begierig „bin. „Jch der Clarissa. „Jch will dir ein Wort sagen, Claͤrchen. „Allein wenn ich nicht an deinem guten Gemuͤ- „the zweiffeln soll, so mnst du es weder in dei- „nem Hertzen noch in deinen Reden gegen mich „gebrauchen. Es hat mir so wohl gefallen, daß „du den Schluͤssel mir auf eine so zuversichtliche „Weise gegeben hast, und daß ich dich in dei- „nen Briefen so verstaͤndig und behutsam finde, „daß ich gern die gantze Sache deinem eignen „Gutbefinden anheim stellen, und mir nur die „Freyheit vorbehalten wollte, kuͤnfftig deine „Briefe zu sehen und das noͤthige dabey zu er- „innern, unter der Bedingung, daß der Brief- „Wechsel gantz aufhoͤrte, so bald es thunlich „seyn wird: wenn ich es nur dahin bringen „koͤnnte, daß die uͤbrigen im Hause, oder we- „nigstens dein Vater mit mir hierin einerley „Meinung waͤren. Aber da ich dieses nicht er- „halten kan, und zum voraus weiß, daß dein „Vater alle Geduld verlieren wuͤrde, wenn es „herauskaͤme, daß du noch nach geschehenem „Verbot mit Herrn Lovelace Briefe gewech- „selt hast, oder sie gar noch ferner wechseltest: „so verbiete ich dir das Schreiben gantz und gar. „Da aber die Frage so schwer und verworren „ist, so wuͤnsche ich von dir selbst einen guten „Vorschlag zu hoͤren; weil, wie du sagest, dein „Hertz ungebunden ist, und du selbst bekennest, du „koͤntest bey diesen Umstaͤnden nicht glauben, „daß die Verbindung mit einem Menschen, der „uns alle so empfindlich beleidiget hat, geziemend N 2 „sey. Die Geschichte „sey. Was scheint dir das rathsamste zu seyn? „Sage mir deine Gedancken von der gantzen „Frage, mein Claͤrchen. „ Jch sahe wohl, daß dieses eine neue Versu- chung waͤre, und antwortete, ohne mich lange zu bedencken: „Mein Vorschlag ist dieser: Jch „will an Herrn Lovelace, dessen letzter Brief „noch unbeantwortet ist, schreiben: er habe nicht „noͤthig, sich um das zu bekuͤmmern, was „zwischen meinem Vater und mir vorgehet; ich „verlangte und brauchte seinen Rath nicht; weil „er aber glaubte, er werde durch meines Bru- „ders Geschwaͤtz, und dadurch, daß dieser „Hrn. Solmes Antrag ihm zum Trotz durch- „zutreiben suche, berechtigt, sich in meine Haͤn- „del zu mischen, so versicherte ich ihn, daß ich die- „sen Mann nie nehmen wuͤrde. Er muͤsse die- „ses aber nicht so auslegen, als wenn es aus „einiger Zuneigung gegen ihn geschehe.„ Jch fuhr fort: „Wenn mir erlaubt ist, ihm diese „Versicherung zu geben, und wenn dem zu „folge Herr Solmes mit seinem Gesuch ab- „gewiesen wird: so mag hernach Lovelace zu- „frieden seyn oder nicht, ich werde mich doch „nicht mit ihm einlassen, und keine Zeile mehr „an ihn schreiben, ja ihn mein Lebetage nicht „wider sprechen, wenn ich es vermeiden kan. „Jch werde alsdenn eine gute Entschuldigung „haben, die meiner Familie keine Feindschaft „von ihm zuziehen kan. „Aber der Clarissa. „Aber, mein Hertz, was soll ich gegen die „vortheilhaften Bedingungen einwenden, die „Herr Solmes antraͤgt? Durch diese hat er je- „dermann eingenommen. Er hat deinem Bruder „Hoffnung zu Vertauschung einiger Guͤter ge- „macht, oder wenigstens dazu, daß er das Gut „in Schottland an sich kauffen wolle; denn du „must wissen, daß die Absicht unserer Familie ist, „in dieser Gegend mehr Guͤter anzukauffen. Dein „Bruder hat einen Entwurf aufgesetzt, der uns „allen ausserordentlich wohl gefallen hat: und eine „so reiche Familie, die ihre Absicht auf Ehre ge- „richtet hat, kan nicht anders als mit Vergnuͤ- „gen eine nahe Hoffnung vor sich sehen, daß „sie unter den Vornehmsten im Koͤnigreich einen „Platz bekommen koͤnne. „Allein soll ich denn um dieser Absichten wil- „len, und um diesen Entwurf meines Bruders „wahr und wuͤrcklich zu machen, einer mir uner- „traͤglichen Person aufgeopfert werden? Aller- „liebste Mutter, erretten sie mich, wenn es anders „moͤglich ist, von diesem grossen Ungluͤck! Jch „wlll mich lieber lebendig begraben lassen, als „ihn nehmen.„ Sie verwieß mir meine Hefftigkeit, allein sie versprach mir zugleich, eine Gelegenheit zu suchen, daß sie mit meinem Onckle Harlowe meinetwegen reden koͤnnte. Wenn es dieser fuͤr rathsam hielte und mit fuͤr mich sprechen wollte, so versprach sie auch mit meinem Vater zu reden: und ich sollte des andern Morgens weitere Nachricht haben. Sie N 3 ging Die Geschichte ging hierauf hinunter, und versprach guͤtigst mich zu entschuldigen, wenn ich von dem Abend-Essen weg bliebe. Jch ergriff so gleich die Feder, diese Nachrichten fuͤr Sie aufzuzeichnen. Wie quaͤlend ist es, wenn man sich dem Wil- len einer solchen Mutter widersetzen muß? Jch dencke oft bey mir selbst: warum ist doch eben so ein Mann als Solmes auf mich gefallen, und warum will er nicht von mir ablassen? er, der ein- tzige Mann in der Welt, der so viel anbieten und so wenig verdienen konnte? Jn der That, er verdient recht wenig: in sei- ner Gemuͤths-Beschaffenheit ist nichts, das ihm Ehre bringt. Er ist wegen seiner Knickerey in aller Leute Munde. Seine Niedertraͤchtigkeit ist nicht blos ein Laster, sondern ein unbegreiflicher Unverstand: denn wenn er es klug anfinge, so wuͤr- de es ihn jaͤhrlich nicht mehr als funfzig Pfund mehr kosten, anstatt dessen, daß ihn ein jeder fuͤr karg und gemein halt, den Ruhm der Freygebig- keit zu erlangen. Jhnen kostet eine allgemeine gute Nachrede viel weniger: und er koͤnnte sich deswe- gen mit geringen Unkosten desto beliebter machen, weil er von einem solchen Geitzhals, als der Ritter Oliver war, sein erstaunliches Vermoͤgen geerbt hat. Allein seine Auffuͤhrung macht, daß der Mund aller Leute das Sprichwort auf ihn deutet: So lange Solmes lebet/ ist Oliver nicht todt. Man sagt zwar die Welt rede gern von Leuten uͤbel. Allein ich finde, daß das Urtheil der Welt richtiger der Clarissa. richtiger ist als man denckt: denn die Welt ur- theilt nach dem Gefuͤhl, und die, welche sich am meisten uͤber die Tadelsuch der Welt beschweren, moͤchten lieber in sich als ausser sich die Ursache aufsuchen, warum sie getadelt werden. Das Hertz ist mir leichter geworden, weil ich sahe, daß meine Mutter etwas gutes fuͤr mich auszurichten, und mich von diesem Mann zu er- loͤsen suchen wird. Alsdenn werde ich Lust ha- ben, dergleichen Betrachtungen uͤber die Sitten der Menschen anzustellen, als mir vorhin aus der Feder fielen. Wenn sie aber auch nichts ausrichtet, so will ich aus Gehorsam gegen Jh- ren Befehl dennoch bey Gelegenheit mit auf- schreiben, was mir von dergleichen Gedancken beyfaͤllt. Denn wenn ich auch in viel betruͤb- tern Umstaͤnden nichts von dieser Art in meine Briefe einfliessen liesse, so wuͤrde es scheinen, als schriebe ich meine Briefe blos aus Eigenliebe, und nicht um dem Verlangen einer so werthen Freundin zu Diensten zu seyn. Jch koͤnnte zwar zur Entschuldigung anbringen, daß dis sehr natuͤrlich sey: allein ist nicht selbst dieses natuͤrliche schon ein Fehler, wenn es uns hindert, einer Freundin eine Gefaͤlligkeit zu erweisen, und uns selbst schrifftlich eine Lehre zu geben. N 4 Der Die Geschichte Der achtzehnte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe/ Sonnabend den 4. Maͤrtz. H aͤtte man nicht hoffen sollen, daß ich etwas erhalten wuͤrde, da ich mich zu so vielem erbot, und da meiner Meynung nach das Mittel so bequem war, einen Brief-Wechsel als aus ei- genem Triebe abzubrechen, von dem ich mich sonst nicht loos machen kan, ohne meine Fami- lie in Gefahr zu setzen? Aber der Entwurff mei- nes Bruders, und meines Vaters Unleidlichkeit gegen allen Widerspruch, sind nnuͤberwindliche Bollwercke. Jch habe mich vergeblich bemuͤhet, von jenem Entwurff eine Abschrifft zu erhalten: ich wollte ihn sonst aus einander gesetzt und bey Gelegenheit in seiner Bloͤsse vorgestellet haben. Jch bin diese gantze Nacht nicht zu Bette ge- wesen, und dennoch bin ich nicht schlaͤffrich. Furcht, Hoffnung und Zweifel (diese unruhige Gesell- schafft) haben mir den Schlaf aus den Augen gewischt. Jch ging des Morgens zu gewoͤhnli- cher Zeit hinunter, und ordnete das noͤthige in der Haushaltung an, damit niemand mercken moͤchte, daß ich die Nacht nicht geschlafen habe. Um acht Uhr kam Schorey/ und sagte mir von wegen meiner Mutter, ich sollte zu ihr in die Stube kommen. Jch konnte meiner Mutter an den Augen ansehen, daß sie geweint hatte. Sie schien der Clarissa. schien mir nicht so zaͤrtlich gegen mich zu seyn als gestern: und dieser Anblick schlug mich gleich sehr nieder. Sie sagte: setze dich nieder/ Clarissa Har- lowe; ich will gleich mit dir reden: und kramte in einem Leinewands-Kasten, ohne daß man sehen konnte, ob sie beschaͤfftiget waͤre oder nicht. Nach einiger Zeit fragte sie mich gantz kaltsinnig: was ich in der Haushaltung angeord- net haͤtte? Jch gab ihr den Kuͤchen-Zettel von dem heutigen und folgenden Tage, und fragte sie: ob sie damit zufrieden waͤre? Sie machte einige kleine Veraͤnderungen darin, allein mit einer so kaltsinuigen und steifen Mine, daß meine Unruhe dadurch vergroͤssert ward: Sie sagte: Herr Harlowe gedenckt heute aus- sern Hause bey seinem Bruder Anton zu speisen. Jch dachte bey mir selbst: heißt der Mann Herr Harlowe? Habe ich denn keinen Vater mehr? Setze dich nieder/ wenn ich es dir sage! Jch setzte mich nieder. Du siehst wunderlich aus/ Claͤrchen. Jch will es nicht hoffen: sagte ich. Wenn Kinder Kinder blieben/ so wuͤr- den auch Eltern ‒ ‒ hier hielt sie inne, und ging vor den Nacht-Tisch, sah in den Spiegel, ließ einen halben Seufzer fahren, und verhustete die andere Haͤlffte, als wenn es ihr leid waͤre, daß sie geseufzt hatte. Jch mag das Maͤdchen nicht so murrisch sehen! sagte sie. N 5 Jch Die Geschichte Jch antwortete: ich bin gewiß nicht murrisch. Mich duͤnckt, ich konnte in dem Spiegel sehen, daß meine Mutter sich mit einem zaͤrtlichen Auge nach mir umsahe: allein ihre Worte stimmeten nicht damit uͤberein: Es ist eins der unertraͤglichsten Dinge in der Welt/ wenn Leute uͤber das schreyen und jammern/ was sie vermeiden koͤnnen. Jch wuͤnschte/ daß es in meinem Ver- moͤgen stuͤnde: antwortete ich mit seufzen. Buß-Thraͤnen/ und Seufzer vor Trotz schicken sich trefflich gut zusammen! Du kanst nach deiner Stube hinauf gehen: ich werde bald zu dir kommen und weiter mit dir reden. Jch machte einen ehrerbietigen Reverentz: sie sagte aber: spotte mich nicht durch die aͤus- serlichen Zeichen der Ehrerbietnug. Dein Hertz ist es/ was ich verlange/ Claͤrchen. Sie haben es auch gantz und gar. Es ist nicht so voͤllig mein/ als es ihnen ergeben ist. Die Worte sind gut. Wenn die Wor- te der Geborsam selbst waͤren/ sagt jemand/ so wuͤrde kein gehorsameres Kind seyn als Clarissa H arlowe. GOtt vergebe es dem jemand/ wer es auch ist. GOtt vergebe es ihm! Jch mach- te nochmals einen Reverentz, und ging nach ih- rem Befehl weg. Sie schien sich hieruͤber zu verwundern, und wollte ungehalten auf mich wer- den. der Clarissa. den. Sie kehrte mir den Ruͤcken zu, und rief mit Hefftigkeit: wo nun hin/ Clarissa H ar- lowe? Sie befohlen mir ja/ auf meine Stube zu gehen. Jch finde dich sehr bereitwillig/ da wegzugehen/ wo ich bin. Geschieht es aus Trotz/ oder aus Gehorsam? Du bist sebr willfaͤhrig/ mich zu verlassen. Jch konnte mich nicht laͤnger halten, sondern muste mich zu ihren Fuͤssen werfen: Meine al- lerliebste Mutter/ sagen sie mir zum vor- aus/ was ich alles leiden/ und was aus mir werden soll. Jch will es ertragen/ wenn ich es nur ertragen kan: aber das ist mir unertraͤglich/ wenn sie auf mich unwillig sind. „Laß mich allein, Clarissa H arlowe! Kein „knien kan ich leiden! was fuͤr beugsame Ge- „lencke, und was fuͤr ein unbeugsames Hertz! Stehe auf, das sage ich dir! „Jch kan nicht aufstehen. Jch muß meiner „Mutter ungehorsam werden, wenn sie mir be- „fielt, von ihr zu gehen, ehe sie mir vergeben „hat. Hier ist kein murrisches Wesen! Keine „Unart! sondern etwas schlimmers, nemlich „offenbarer Ungehorsam. Sie koͤnnen sich „nicht von mir losreissen.„ (Jch umfassete sie im knien, und sie wollte sich losmachen. Mein Gesicht hielt ich in die Hoͤhe, und sahe sie mit weinenden Augen an, die gewiß die Sprache mei- Die Geschichte meines Hertzens nicht geredet haͤtten, wenn etwas anders als Ehrerbietung und Unterwerfung in ih- nen befindlich gewesen waͤre.) Sie sollen sich nicht von mir losreissen. (Denn sie suchte noch immer von mir zu kommen, und sahe bald auf diese bald auf jene Seite mit einer liebens- wuͤrdigen Verwirrung, als wenn sie nicht wuͤste, was sie selbst anfangen sollte.) Jch will nicht aufstehen/ nicht weggehen/ sie nicht los- lassen/ bis sie sagen/ daß sie nicht unwil- lig auf mich sind. Sie schlug ihre lieben Arme um meinen Hals, wie ich die meinigen um ihre Knie, und sagte: „o du allzubewegliches Kind fuͤr mein Hertz! „Warum ward mir diese Arbeit ‒ ‒ Aber laß „mich jetzt allein! Jch kan es nicht ausspre- „chen in was fuͤr Unruhe ich jetzt bin. Jch will „nicht ungehalten auf dich seyn, wenn ich es un- „terlassen kan, und wenn du ein gutes Kind seyn „willst.„ Jch stund mit Zittern auf, und wuste kaum was ich that, oder wie ich stand und wegging. Meine H annichen kam gleich zu mir auf meine Stube, als sie hoͤrte, daß ich von meiner Mut- ter weggegangen war, und brachte mir frisches Wasser, damit ich nicht ohnmaͤchtig werden moͤchte. Das war alles, was sie ausrichten konnte. Denn es waͤhrte zwey Stunden, ehe ich so viel wieder zu mir selbst kam, daß ich die Feder ergreifen konnte, um Jhnen den betruͤbten Aus- gang meiner Hoffnung zu meldeu. Mei- der Clarissa. Meine Mutter ging hinunter zum Fruͤhstuͤck. Jch war nicht im Stande dabey zu erscheinen: ich glaube aber auch nicht, daß ich geruffen seyn wuͤr- de, wenn ich gleich besser gewesen waͤre, weil mein Vater, da er neulich auf meiner Stube war, den nachdencklichen Befehl gegeben hatte, mich mit hinunter zu bringen, wenn ich des Namens einer Tochter werth waͤre. Denn werde ich aber seiner Meinung nach nie verdienen, wenn er seine Meinung in Absicht auf den Solmes nicht aͤn- dert. Der neunzehnte Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. (Eine Antwort auf den funfzehenten Brief.) Sonnabends den 4. Maͤrtz, um 12. Uhr. J etzt eben bringt mir Hannichen von dem ab- geredeten Ort den Brief, mit dem Sie mich gestern beschenckt haben. Der Jnhalt hat mich sehr tiefsinnig gemacht, und ich werde sehr ernst- haft darauf antworten. Solte ich Herrn Sol- mes noch nehmen? Nein! nimmermehr. Jch wollte lieber ich weiß nicht was ‒ ‒ doch ich will vorher den uͤbrigen Jnhalt Jhres Briefes be- antworten, damit ich diesen Theil desselben mit mehrerer Gelassenheit beruͤhren koͤnne. Was Sie von der Zuneigung meiner Schwester gegen Die Geschichte gegen Herrn Lovelace melden ist mir nicht so neu, daß es mich in Verwunderung setzen koͤnte. Sie giebt sich so viel Muͤhe, andere zu bereden, daß er ihr niemals gefallen haͤtte, und niemals gefal- len koͤnte, daß man eben hiedurch auf einen Verdacht kommen muß. Niemals erzaͤhlt sie ihren Abschied von ihm, und daß sie ihm ab- schlaͤgige Antwort gegeben, ohne die Farbe zu veraͤndern, und ohne einen hoͤhnischen Blick auf mich zu werfen. Die hochmuͤthige Geberde, die sie annimt, ist mit einen unruhigen Zorn ver- mischet: und beyde Leydenschaften, die aus ihren Augen brechen, scheinen anzuzeigen, daß sie ei- nem Freyer abschlaͤgige Antwort gegeben hat, den sie eines Ja-Worts wuͤrdig schaͤtzet. Was haͤtte sie sonst fuͤr Ursach, boͤse zu werden, oder groß zu thun? Die arme Arabella! Man muß Mit- leiden mit ihr haben. Zuneigung und Abneigung bleiben beyde bey ihr in keinen Schrancken. Jch wollte ihr von Hertzen goͤnnen daß alle ihre Wuͤn- sche erfuͤllet waͤren. Was meinen ehemaligen Entschluß anlanget, die Verwaltung meines Gutes meinem Vater zu uͤbergeben, so wissen Sie, daß an den Gruͤnden, die mich hiezu bewogen, nichts auszusetzen war. Jhr Rath, das Gegentheil dessen zu thun, was ich gethan habe, gruͤndete sich so viel ich mich er- innern kan, auf Jhre gute Meinung von mir, in- dem Sie glaubten, ich wuͤrde von meiner unge- bundenen Freyheit keinen tadelhaften Gebrauch machen: denn keine von uns beyden konte da- mals der Clarissa. mals vorher sehen, was jetzt erfolget ist, und am wenigsten daß sich das Gemuͤth meines Vaters gegen mich so sehr veraͤndern wuͤrde; obgleich Sie jetzt fast so mit mir reden, als haͤtten Sie damals eine Gabe der Weissagung gehabt. Meines Bru- ders Absichten wieder mich, oder vielmehr seine eigennuͤtzige Liebe zu sich seibst, erregten zwar damals schon einem Verdacht bey Jhnen: aber ich habe von meinen Geschwisteꝛn nie eine so schlim- me Meinung gehabt, als Sie stets geaͤussert ha- ben. Sie haben nie eine Zuneigung gegen sie ge- habt; und wem man nicht guͤnstig ist, den sieht man immer von der schlimmsten Seite an, so wie die Liebe oft bey wahrhaften Fehlern blind ist. Jch will die Ursachen die mich damals bewogen zu thun, was ich that, kuͤrtzlich wiederholen. Jch fand, daß sich Neid und Verdruß in aller Hertzen regete, wo vorhin Liebe und Eintracht ge- herrschet hatte: man tadelte meinen lieben seeligen Gros-Vater, und gab ihm Schuld, er waͤre kindisch geworden, und ich haͤtte mir seine Schwachheit zu Nutze gemacht. Jch dachte bey mir selbst: in jungen Jahren wuͤnschen sich alle die Freyheit, nur ist bey einigen die Begierde nach Freyheit groͤsser als bey andern; und die, so sich am meisten darnach sehnen, sind gemeiniglich die ungeschicktesten, sich und andere zu regieren. Es ist in der That ein grosses und ungewoͤhnliches Vermaͤchtniß fuͤr ein so junges Kind, das ich von meinem Grosvater erhalten habe. Allein man muß sich nicht alles Rechts gebrauchen, das man hat; Die Geschichte hat; und wenn man alles annimmt, was uns Guͤtigkeit und all zu gutes Zutrauen zuwendet, so ist es ein Zeichen, daß man sich nicht maͤßigen koͤnne, und unersaͤttlich sey. Man macht sich eben hiedurch eines so guͤtigen Zutrauens unwuͤr- dig, und giebt schlechte Hoffnung, daß man das wohl anwenden werde, was uns zugefallen ist. Jch habe mir zwar, (dachte ich) allerhand suͤsse Gedancken gemacht, daß andere durch mein Gluͤck auch gluͤcklich werden solten, wenn ich mich als eine gute Haushaͤlterin auf meinem Gute auffuͤhrte. (Denn sollen wir nicht alles das unsrige mit solchen Augen ansehen, als wenn wir nur Haushalter daruͤber waͤren?) Allein ich will mich selbst genau untersuchen. Jst nicht vielleicht Hochmuth und Ruhm-Begierde die wahre Quelle meiner vermeinten Menschen-Liebe gewesen? Soll ich nicht billig gegen mein eigenes Hertz argwoͤhnisch seyn? Wenn ich mich durch andere gute Meinung aufblasen lasse, und mich unterstehe mir selbst zu rathen; so koͤnnen an- dere mich meinem Unverstande uͤberlassen. Aller Augen sind auf ein junges Maͤdchen, das seine Freyheit hat, gerichtet, auf dessen Auffuͤhrung, Besuche, und auf die Herren, die bey ihr Be- such abstatten: und der Abschaum des andern Geschlechts wagt sich eben an sie, sie zu verfuͤh- ren. Wenn ich auch in der besten Meinung et- was versehen solte, o wie manche wuͤrden uͤber mich ihr Hohngelaͤchter anstellen, und wie weni- ge wuͤrden mit mir Mitleiden haben? Je mehr ich der Clarissa. ich gesucht habe, andere zu uͤbertreffen, desto mehr wuͤrden von jener und desto weniger von dieser Art seyn. Dieses sind einige von den Betrachtungen, die ich damals anstellete. Jch wuͤrde noch jetzt in eben den Umstaͤnden bey reifer Ueberlegung eben so handeln. Wer kan kuͤnftige Zufaͤlle vorher sehen? Wir koͤnnen nichts weiter thun, als die Sache nach den Umstaͤnden uͤberlegen, unter denen sie sich uns in der gegenwaͤrtigen Zeit vorstellet, und unser Urtheil darnach einrichten. Habe ich gefehlet, so habe ich durch meinen Fehler bewie- sen, daß ich an der Klugheit dieser Welt einen Mangel habe. Wenn man dadurch in Ungluͤck geraͤth, daß man seiner Schuldigkeit gemaͤß und sogar großmuͤthig gehandelt hat, so dient es ei- nem zur Beruhigung, daß man siehet, der Feh- ler sey nicht bey uns sondern in der Niedertraͤch- tigkeit anderer zu suchen. Jch will lieber Ursache haben, andere fuͤr hart zu halten, als daß ich ih- nen sollte Ursache geben, mich fuͤr ungehorsam und Pflicht-vergessen zu halten: und ich bin ver- sichert, daß Sie eben so gesinnet sind. Jch komme nun auf den wichtigsten Theil Jh- res Briefes. Sie meynen, ich wuͤrde bey diesen Umstaͤnden nothwendig Herrn Solmes zu Theil werden muͤssen. Jch will nicht hitzig und vorei- lig seyn, das Gegentheil zu behaupten: aber ich glaube, es kan und soll nimmer geschehen. Jch weiß, daß man sich auf meinen nachgebenden und beugsamen Sinn verlaͤßt: ich habe Jhnen Erster Theil. O aber Die Geschichte aber schonst sonst geschrieben, daß ich nicht blos meiner Mutter Art an mir habe, sondern daß sich auch meines Vaters Blut in mir reget. Gewiß wenn ich auf das Acht gebe, was in unserm Hau- se vorgehet, so macht es mir wenig Lust, meiner Mutter in ihrer Sanfftmurh und Verleugnung auf eine blinde Weise nachzufolgen. Hat sie mir nicht selbst gestehen muͤssen, daß es ihr bescheert sey, daß sie sich immer Unrecht geben und tra- gen muß, was ihr andere auflegen. Bey mei- ner Mutter wird das wahr, was Sie zu sagen pflegen: weil sie viel dulden kan, so muß sie auch viel dulden. Was kan man erdencken (sie selbst gesteht es) daß sie nicht aufgeopfert hat, um Frieden zu erhalten? Hat sie aber durch so viele Opfer diejenige Ruhe und Zufriedenheit, die sie doch so sehr verdient, erkauffen koͤnnen? Nichts weniger: ich fuͤrchte vielmehr, daß Mißvergnuͤ- gen und Unruhe ihr Lohn gewesen ist. Wie oft hat sie mir Gelegenheit gegeben, die Anmerckung zu machen, daß wir armen Menschen durch un- sere uͤbermaͤßige Bemuͤhung, unsere natuͤrliche Gemuͤths-Fassung ungestoͤrt zu behalten, das- jenige verlieren, was eben die Frucht und das angenehme davon seyn sollte. Denn wer eine Absicht gegen uns hat, der merckt unsere Schwach- heit aus, und giebt auf desjenige Acht, wofuͤr wir alles andre aufopfern wollen: er bestuͤrmet uns von dieser schwachen Seite, und gebraucht unsere Hoffnung und Furcht als Waffen gegen uns, dadurch er uns gewiß uͤberwaͤltigen kan. Mein der Clarissa. Mein frommer Herr D. Lewin hat mir die Lehre gegeben: die Standhaftigkeit, eine Tugend welche die Tadelsucht einiger unartigen Leute un- serm Geschlecht absprechen will, erwerbe dem Ehr- furcht der sie beweise, und setze ihn so hoch, daß niedertraͤchtige Gemuͤther sich nicht unterstuͤnden etwas gegen ihn zu unternehmen, wenn sie ein- mahl seine Standhaftigkeit erfahren haben: nur muͤsse sie nicht anders bewiesen werden, als wenn man uͤberzeugt ist, daß man Recht habe, und wenn die Sache wichtig ist; sonst wuͤrde es nicht Standhafftigkeit sondern Eigensinn seyn. Er hat mich daher oͤfters ermahnt, bey einem Entschluß, von dem ich gewiß versichert seyn wuͤrde, daß er lobenswuͤrdig sey, Standhafftigkeit zu beweisen. Bin ich nicht jetzt auf eine Probe gesetzt, in wel- cher ich diese Tugend billig zeigen soll, wenn ich sie anders besitze? Jch habe mich vorhin erklaͤrt: es koͤnnte und es sollte nicht geschehen, daß ich Herrn Solmes nehme. Jch wiederhole es hier: es soll billig nicht geschehen! Denn warum sollte ich die kuͤnfftige Gluͤckseligkeit meines gantzen Le- bens den hochmuͤthigen und weit aussehenden Ab- sichten meines Bruders aufopfern? Warum soll- te ich mich zum Werckzeuge gebrauchen lassen, die Anverwandten des Herrn Solmes ihrer Erb- schafften und Anwardtschafften zu berauben, um eine Familie (es ist zwar die meinige) noch rei- cher zu machen, die ohnehin grossen Reichthum besitzet? Denn wenn diese Familie auch erlanget, was sie jetzt suchet, so wird sie doch mit eben dem O 2 Recht Die Geschichte Recht, daruͤber mißvergnuͤgt seyn, daß sie keine regierende Familie ist, als sie jetzt sich verunru- higt, den Titel eines Lords zu erhalten. Denn was Sie von dem Geitz schreiben, das gilt gewiß auch von dem Ehrgeitz: er wird nie gesaͤttiget, wenn er seine Absichten erreicht. Jch soll billig desto- weniger mich zum Werckzeuge der Absichten mei- nes Bruders misbrauchen lassen, weil sie mir so sehr veraͤchtlich scheinen, und weil ich keine Lust zu einem hoͤheren Stande und groͤssern Guͤtern habe, indem ich voͤllig uͤberzeugt bin, daß Gluͤckselig- keit und Reichthum zwey sehr verschiedene Dinge sind, die man sehr selten beysammen findet. Allein vor dem Widerstande den ich werde thun muͤssen, und vor dem Kampf den ich zu uͤberneh- men habe, fuͤrchte ich mich schon zum voraus. Es ist moͤglich, daß mich die Beobachtung der Lehre des frommen Doctors ungluͤcklicher macht, als ich gewesen seyn wuͤrde, wenn ich nachgeben koͤnnte. Denn was ich Standhafftigkeit nenne, das wird fuͤr Trotz, fuͤr Eigensinn, fuͤr vorgefassete Meynungen von denen gehalten, die das Recht haben, meine Auffuͤhrung nach ihrer Willkuͤhr zu deuten. Wenn wir auch vollkommen und gantz ohne Fehler waͤren, das wir doch nie werden koͤnnen, so wuͤrden wir doch in diesem Leben nicht gluͤckselig seyn, wenn nicht andere, mit denen wir zu thun haben, und insonderheit die, welche etwas uͤber uns zu befehlen haben, ebensals von der Vernunft und richtigen Grund-Saͤtzen belebet und regieret werden. der Clarissa. werden. Uns bleibt demnach keine andere Arbeit uͤbrig, als unsere Wahl nach richtigen Grundsaͤ- tzen anzustellen, und dabey Standhaftigkeit zu beweisen; den Ausgang aber der Vorsehung zu uͤberlassen. So will ich mich bey gegenwaͤrtigem Vorfall zu verhalten suchen, wenn Sie es billi- gen: und bitte Sie, mich nicht ohne Unterricht zu lassen, wenn Sie den Weg nicht billigen den ich mir vorsetze. Allein wie werde ich es bey mir selbst verantwor- ten koͤnnen, daß meine Mutter um meinetwillen viel auszustehen haben wird? Jch dencke, folgen- de Betrachtung sey nicht ungegruͤndet: ihr Lei- den kan nicht lange waͤhren, wenigstens nicht laͤn- ger als bis der jetzige Streit auf eine oder andere Weise geendiget ist: dahingegen mein Ungluͤck, wenn ich nachgebe, dauren wuͤrde so lange ich leb- te, indem ich meinen Eckel vor Herrn Solmes ohnmoͤglich uͤberwinden kan. Da ich uͤber dieses eine gegruͤndete Vermuthung habe, daß sie sich wi- der ihren Willen in die Absichten der uͤbrigen von der Familie hat ziehen lassen, so wird es sie desto weniger bekuͤmmern, wenn diese Absichten nicht den Erfolg haben, den sie nach meiner Meinung billig nicht haben sollen. Jch bin in kurtzer Zeit sehr weit gegangen: al- lein die Wunde traf mein Hertz. Aus den An- merckungen, die ich gegen Sie uͤber das vorge- gangene gemacht habe, werden Sie nur allzu viel Standhaftigkeit von mir erwarten, wenn ich eine abermalige Unterredung mit meiner Mutter ha- O 3 ben Die Geschichte ben werde. Jch sehe dieser sehr nahe entgegen. Sie hat mir gesagt, daß mein Vater und mein Bruder diesen Mittag bey meinem Onckle An- ton zu Gaste sind: vermuthlich geschiehet dieses, um bessere Gelegenheit zu einer abermaligen und ausfuͤhrlichen Unterredung zu machen. Hannichen sagt mir, daß mein Vater unge- halten gewesen waͤre, als er von meiner Mutter Abschied genommen, und daß er unfreundlich mit ihr geredet habe: vielleicht deswegen, weil sie zu viel auf meiner Seite ist. Hannichen hatte sie mit einer weinenden Stimme sagen hoͤren: du machst mich in der That recht beklemmt. Das arme Maͤdchen verdient nicht ‒ ‒ Mehr konte sie nicht hoͤren, als diese Worte, und daß er sagte: er wolle jemanden den Sinn brechen. Mein Sinn wird es seyn sollen, nicht meiner Mutter Sinn: hoffe ich. Weil heute niemand bey meiner Mutter speiset, als meine Schwester, so hoffete ich, ich wuͤrde zu Tische geruffen werden: allein meine Mutter schickte mir das Essen. Jch habe bestaͤndig ge- schrieben, und konte keinen Bissen anruͤhren. Damit es aber nicht lassen moͤchte, als waͤre es aus Eigensinn geschehen, so befahl ich Hanni- chen davon zu essen. Eher ich diesen Brief schliesse, will ich erwarten, ob ich ins geheim auf eine oder andere Weise Nachrichten einziehen kan, die werth sind, hinzu- gesetzt zu werden; und will deswegen nach dem Holtzstall und in dem Garten gehen. Jch der Clarissa. Jch habe meinen Vorsatz nicht bewerckstelligen koͤnnen, darum soll Hannichen diesen Brief zur Stelle bringen. Meine Mutter hat nach mir gefragt, und ihr befohlen, mir zu sagen, daß sie zu mir kommen, und in meinem eigenen Closet mit mir reden wollte. Sie kommt eben! ich schliesse. Der zwantzigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Sonnabend, Nachmittags. D er Besuch ist vorbey, aber meine Sachen stehen schlimmer als vorhin. Da meine Mutter sich gegen mich erklaͤret hat, daß dieses der letzte Versuch waͤre, mich in Guͤte zu uͤberre- den, so will ich desto umstaͤndlicher in meiner Er- zaͤhlung seyn. Gleich bey dem Eintritt in die Stube sagte sie: ich habe fruͤher als gewoͤhnlich gespeiset, und bald abgegessen, damit ich mit dir reden koͤnnte: und ich versichere dir, daß dieses die letzte Unterredung seyn wird, die man mir vergoͤnnen wird und die ich Lust haben werde von dieser Sache anzustellen, wenn du so eigensinnig seyn soltest, als sich ei- nige einbilden, die du hoffentlich zu Schanden machen wirst; und wenn du mir zeigen wirst, O 4 daß Die Geschichte daß ich und mein Rath bey dir nicht so viel gelte, als ich durch meine Guͤtigkeit verdient zu haben glaube. Dein Vater speiset Mittags und Abends bey seinem Bruder, um uns diese Gelegenheit zu ge- ben: und nach seiner Ruͤckkunft wird er nach der Nachricht, die ich ihm aufrichtig von allem geben werde, seine Einrichtung zu machen wissen. Jch wollte reden; aber sie sagte: Hoͤre erst, Clarissa, was ich dir zu sagen habe, und alsdenn rede: es waͤre denn, daß du mir haͤttest sagen wol- len, du wolltest gehorsam seyn. Sage mir, war das deine Meinung? Wenn es dis gewesen ist, so darffst du reden. Jch schwieg stille. Sie sahe mich mit einem besorgten und zorni- gen Gesicht an. Jch finde gar kein Nachge- ben! Es ist bisher ein so gehorsames Kind gewesen! Wilst du oder kanst du das nicht sagen/ was ich gern hoͤren wollte? Sie machte eine Bewegung mit der Hand, als wenn sie mich wegweisen und aufgeben wollte: nun so bleibe stumm! weder ich noch dein Vater kan deine offenbare Widersetzung dulden. Sie hielt in, als erwartete sie von mir eine bessere Antwort. Jch blieb noch stumm: und sahe mit thraͤnenden Augen vor mich nieder. „Du unbewegliches Maͤdchen! Sage, rede „frey heraus: willst du dich uns allen in einer „Sache widersetzen, die uns am Hertzen liegt? „Jst der Clarissa. „Jst es mir erlaubt, mich zu beklagen?„ „Warum willst du dich gegen mich beklagen: „ Clarissa? dein Vater ist unbeweglich. Ha- „be ich dir nicht gesagt, daß keine Aenderung zu „hoffen ist, weil es das Beste und die Ehre der „Familie betrifft? Sey artig! du bist es ja sonst „immer gewesen, auch so gar mit deiner Unbe- „quemlichkeit und Schaden. Wer wird endlich „nachgeben muͤssen? Wir alle dir? Oder du uns „allen? Wenn du nun doch endlich nachgeben „mußt, und siehest, daß du uns nicht zum Nach- „geben bringen kanst; so thue es doch jetzt, da „es artig laͤßt. Denn nachgeben mußt du, oder „du bist unser Kind nicht.„ Jch weinte, weil ich nicht wuste was ich sagen solte, oder vielmehr, wie ich das einkleiden solte, was ich zu sagen haͤtte. „Wisse, daß sich bey deines Grosvaters Te- „stament Einwendungen machen lassen! Du „wirst keinen Groschen von dem Gut behalten, „wenn du nicht nachgiebst. Dein Grosvater „vermachte es dir als eine Belohnung deines Ge- „horsams gegen ihn und gegen uns: und du ver- „lierst es mit Recht, wenn ‒ ‒ „Nehmen Sie mir nicht uͤbel, wenn ich frey „sage, ich will das gantze nicht haben, wenn „ich es mit Unrecht besitze. Jndessen will ich hof- „fen, daß man Herrn Solmes die Einwendun- „gen, die gemacht werden koͤnten, nicht verhal- „ten wird.„ Sie sagte: dis waͤre sehr dreiste geredet: ich O 5 solte Die Geschichte solte bedencken, daß wenn ich mich dieses Guts durch meinen Ungehorsam verlustig machte, ich zugleich das Hertz meines Vaters voͤllig verlieren wuͤrde. Jch solte uͤberlegen, in was fuͤr aͤusserste Armuth ich alsdenn gerathen wuͤrde, daß ich weder mir helffen noch an andern Wercke der Liebe uͤben koͤnte, die ich mir so oft vorgenommen haͤtte. Jch sagte: ich wuͤrde mich nach meinen Um- staͤnden richten muͤssen. Nur von dem werde viel gefodert, dem viel gegeben sey. Jch muͤste GOtt danckbar seyn, fuͤr das was er mir gegeben haͤtte: und ich wuͤnschte ihr und der Frau Norton See- gen dafuͤr, daß sie mich so erzogen haͤtten, daß ich mit wenigem vergnuͤgt seyn koͤnte: ich wollte wol sagen, mit noch viel wenigerm, als meines Va- ters Guͤtigkeit mir jaͤhrlich ausgesetzt hatte. Jch daͤchte oft an jenen alten Roͤmer, und an sein Lin- sen-Gerichte. Meine Mutter antwortete: was fuͤr ein ver- kehrter Sinn ist das? Wenn du deine Hoffnung auf einen von deinen beyden Onkels setzest, so wird dich die Hoffnung betriegen. Sie werden gantz von dir ablassen, und nichts mehr mit dir zu thun haben wollen, so bald es dein Vater thut. Jch sagte; es thaͤte mir leyd, daß ich zu we- nig gutes an mir haͤtte, einen tieffern Eindruck in ihre Gemuͤther zu machen, und eine bestaͤndigere Wohlgewogenheit zu verdienen. Jch wuͤrde sie dem ohngeachtet lieben und ehren, so lange ich lebte. Sie schrieb alles dieses gewissen Vorurtheilen zu, und schloß daraus, daß ich mich durch je- mand der Clarissa. mand haͤtte einnehmen lassen. Mein Bruder und meine Schwester koͤnten fast nicht aus dem Hause treten, ohne hievon etwas neues zu hoͤren. Jch sagte, es thaͤte mir leyd, daß ich in der Leute Rede kommen muͤßte. Jch bate aber, sie moͤchte darauf Acht geben, ob das nicht einerley Leute waͤren, die mich in unserm Hause schwartz zu machen suchten, die in Gesellschafften mich fuͤr verliebt ausgeben, und die das zu Hause wieder erzaͤhlten, was in Gesellschafften vorgefallen seyn solte. Sie verwieß mir diese Anmerckung ernstlich: und ich hoͤrte ihren Verweiß an, ohne mich zu ver- antworten. Du trotzest, Clarissa/ sagte sie: ich sehe es daß du trotzest. Und darauf ging sie ein paar mal mit Unwillen in der Stube auf und nieder. Sie wandte sich abermals zu mir und sagte: ich sehe, daß dir diese Beschuldigung gantz ertraͤglich ist. Du bemuͤhest dich nicht einmal, etwas zu deiner Rechtfertigung zu sagen. Jch scheuete mich Anfangs, dir alles zu sagen, was mir an dich zu bestellen aufgetragen war, wenn du dich nicht uͤberreden lassen wolltest: allein ich sehe, ich habe dein Gemuͤth zaͤrtlicher und empfindlicher ge- halten als es ist. Einem so standhaften und un- beweglichen Kinde, als du bist, wird es nicht viel Unruhe verursachen, wenn ich dir hiemit sage: daß der Heyraths-Contract schon aufgesetzt ist, und daß du in wenigen Tagen wirst herunter ge- fodert werden, um ihn zu lesen und zu unterzeich- nen. Die Geschichte nen. Denn es ist unmoͤglich, daß du den ge- ringsten Einwurf dagegen machen koͤntest, wenn dein Hertz frey ist: du muͤßtest denn dis eintzige dagegen einwenden, daß er fuͤr dich und die gantze Familie zu vortheilhaft sey. Jch blieb noch gantz sprachlos. Obgleich mein Hertz so voll Kummer war, daß es sich nicht halten konte, so konte ich doch weder Thraͤnen noch Worte von mir geben. Sie sagte, es betruͤbe sie, daß ich so abgeneigt von dieser Heyrath sey. (Sie beliebte es schon eine Heyrath zu nennen) Es betraͤffe doch das Wohl und die Ehre der gantzen Familie, wie mir ihre Schwester bereits gesagt haͤtte: und ich muͤß- te nachgeben. Jch blieb noch sprachlos. Sie umfassete die warme Statuͤe (wie sie mich zu nennen beliebte) mit beyden Armen, und bat mich um GOttes willen, und um ihr selbst- willen, daß ich nachgeben solte. Nun bekam ich auf einmal die Gabe der Thraͤ- nen und der Worte. Jch fiel vor ihr nieder, und faltete meine aufgehobenen Haͤnde: sie haben mir, sagte ich, das Leben gegeben, das bisher durch ih- re und meines Vaters Guͤtigkeit ein gluͤckliches und vergnuͤgtes Leben fuͤr mich gewesen ist. Ma- chen sie mich doch nicht in dem gantzen Ueberrest meines Lebens ungluͤcklich! Sie antwortete: dein Vater will dich gar nicht sehen, wenn du nicht das gehorsame Kind bist, das er bisher an dir gehabt hat. Du bist bisher noch der Clarissa. noch nie auf eine Probe gestellet worden, welche den Namen einer Probe verdienet haͤtte. Die Muͤhe, die ich jetzt anwende dich zu bewegen, wird und soll die letzte seyn. Gib mir doch nur einige Hoffnung, mein liebes Kind: es betrifft meine Ruhe und Zufriedenheit. Jch will mit einer blossen Hoffnung zufrieden seyn; da dein Vater einen blinden Gehorsam, den du mit Freuden leisten sollst, als eine Schuldigkeit fo- dert. Gib mir nur Hoffnung mein Kind! Jch sagte: wenn ich einer so guͤtigen und lie- ben Mutter Hoffnung mache, so ist es eben so viel, als wenn ich alles einwilligte. Handle ich aufrichtig, wenn ich ihnen Hoffnung zu etwas mache, das ich nicht halten kan? Sie ward sehr ungehalten, und nannte mich abermals ein verkehrtes Maͤdchen. Sie warff mir vor, daß ich blos meinem Triebe folgete, und weder ihre Ruhe noch meine Pflicht vor Augen haͤtte. Sie sagte: „es sey eine verdrießliche „Sache fuͤr Eltern, die an einer Tochter in den „ersten Kinder-Jahren und in der gantzen Erzie- „hung ihr Vergnuͤgen gehabt haͤtten, weil sie sich „haͤtten Hoffnung machen koͤnnen, daß sie der- „einst ein recht danckbares und gehorsames Kind „werden wuͤrde, wenn sie endlich zu der Zeit, da sie „ihre Wuͤnsche und Hoffnung erfuͤllet sehen woll- „ten, gewahr werden muͤsten, daß sie ihrem eigenen „Gluͤck im Wege stehe, ihren Eltern keine Freu- „de machen wolle, die besten Vorschlaͤge und „Verschreibungen verwerfe, und ihre bekuͤm- „merten Die Geschichte „merten Freunde in Sorgen setze, daß sie das „Eigenthum eines liederlichen und niedertraͤchti- „gen Frey-Geistes werden wolle, der der gantzen „Familie trotze, (es moͤge nun die Schuld der „Feindschafft liegen auf welcher Seite sie wolle) „und wuͤrcklich seine Haͤnde mit dem Blute ihres „Bruders beflecket habe.„ Sie widerholte gegen mich: „daß mein „Vater einmal seinen Sinn darauf gesetzt, und „sich so gar erklaͤrt haͤtte, er wolle lieber gar kei- „ne Tochter haben, als eine Tochter, mit der „er nicht zu ihrem eigenen Besten machen koͤnnte „was er wollte. Jch haͤtte ja vorgegeben, daß „mein Hertz ungebunden sey; und durch meinen „Gehorsam werde das Beste seiner gantzen Fa- „milie befoͤrdert. Er habe bey so haͤuffigen „Anfaͤllen vom Podagra, deren einer immer ge- „faͤhrlicher schiene als der andere, keine grosse „Hoffnung noch lange in der Welt zu leben, „oder hier viel Vergnuͤgen und gute Tage zu ge- „niessen. Er hoffe doch, daß ich, von der mein „Gros-Vater vorgegeben haͤtte, daß ich durch „meinen Gehorsam etwas zur Verlaͤngerung „seines Lebens beygetragen haͤtte, meines Va- „ters Leben durch meinen Ungehorsam nicht „verkuͤrtzen wollte.„ Dis muste mir nothwendig sehr zu Hertzen ge- ben. Jch weinte ohne ein Wort zu sagen, denn ich konte nicht reden. Meine Mutter fuhr fort: „was „kan dein Vater fuͤr Ursachen haben, darum „er diese Sache so ernstlich treibet, als weil er „siehet, der Clarissa. „siehet, daß sie zum Besten und Aufnahme der „gantzen Familie gereichet, die schon so viel Mittel „hat, als bey einer Familie vom hoͤchsten Stan- „de erfodert werden, und deshalb nach einem hoͤ- „hern Range trachten muß. So geringe dir die- „se Absichten vorkommen, so wichtig werden sie „von deinem Vater und von allen deinen Freun- „den geschaͤtzt: und dein Vater wird gewiß die „Frage selbst entscheiden wollen, was zu seiner „Kinder Besten gereichet oder nicht. Deine all „zu philosophische Verachtung des Ranges, die „andere eine gezwungene Philosophie nen̄en, „schmeckt so sehr nach den besondern Grillen „eines eigenen Kopfes, daß wir nicht Lust haben, „uns darnach zu richten. Die wahre Demuth „und Bescheidenheit wuͤrde dich vielmehr lehren, „ein Mißtrauen in deine eigene Einfaͤlle zu setzen, „und nicht Absichten zu tadeln, die das Exempel „der gantzen Welt rechtfertigt.„ Jch antwortete noch nicht. Sie redete fort: „dein Vater hat wegen der guten Meynung, die „er von deiner Klugheit, Gehorsam und Danck- „barkeit hat, sein Wort an deiner Stelle von sich „gegeben, als du noch bey der Fraͤulein Howe „warest, und allerhand Contracte gemacht, die „sich auf deine Verheyrathung mit Herrn Sol- „mes gruͤnden, und nunmehr nicht umgestossen „werden koͤnnen.„ Jch dachte hiebey; warum suchte man mich denn bey meiner Zuruͤckkunfft durch eine so sonder- bare und ernsthaffte Bewillkommung in Furche zu Die Geschichte zu setzen? Gewiß dieser Bewegungs-Grund kommt nicht von meiner Mutter her, sondern sie muß ihn, wie alles das uͤbrige, denen nach- beten, die sie abgeschickt haben. „Dein Vater sagt: deine unerwartete Wi- „dersetzung und Herrn Lovelaces fortwaͤhren- „de Drohungen uͤberzeugten ihn von Tage zu „Tage mehr, daß er einen nicht allzuentfernten „Tag aussetzen muͤsse, um aller Hoffnung je- „nes Menschen und seiner eigenen Besorgniß, „dazu ein so zaͤrtlich geliebtes Kind durch seinen „Ungehorsam Anlaß gebe, ein Ende zu machen. „Er habe deswegen schon um Proben von den „reichsten Stoffen nach London geschrieben.„ Jch erschrack uͤber diese Uebereilung der- massen, daß ich gantz ausser Athem kam: ich wollte eben mit Nachdruck und Hitze dagegeu reden. Jch wuste wohl, in wessen Gehirn die- se gluͤckliche Erfindung jung geworden war: denn mein Bruder hatte sich einmal verlauten lassen: wenn man die Maͤdchens nur so weit gebracht haͤtte, daß sie es in Ueberlegung nehmen/ ob sie sich veraͤndern wollten, so pflegte der Anblick der Anstalten zur Hochzeit bald den Ausschlag zu geben/ weil sie in die Augen fielen, und die Maͤdchens sich gleich da- bey die Herrlichkeit vorstelleten, als Frau zu be- fehlen zu haben. Allein meine Mutter redete so geschwind weiter fort, daß ich nicht zu Wor- te kommen konnte, um mein Mißvergnuͤgen zu bezeugen. Dein der Clarissa. „Dein Vater kan weder um deinet noch um „seiner selbst willen laͤnger in einem Zweifel blei- „ben, der ihm so viel Unruhe macht. Als ich „vor dich bat, so antwortete er mir: ich solte mei- „ne Auctoritaͤt gegen dich gebrauchen, so lieb „mir meine eigene Ruhe waͤre, (wie hart war der Ausdruck gegen eine so gute Frau?) und so „lieb es mir waͤre, den Verdacht bey ihm zu ver- „meiden, als wenn ich selbst heimlich den An- „trag des liederlichen Kerls zu befoͤrdern trach- „tete: denn ein liederlicher Mensch finde bey al- „lem Frauens-Volck, bey dem tugendhaften „eben so wohl als bey dem lasterhaften, sehr „viel Gunst. Jch koͤnte auch desto eher ernst- „lich mit dir reden, weil du bekannt haͤttest (da „kommt der Fall-Strick wieder zum Vorschein, „den man mir gelegt hat) daß dein Hertz unge- „bunden waͤre.„ (Sind das nicht unanstaͤndige Beschuldigun- gen gegen unser gantzes Geschlecht? sonderlich in Absicht auf meine Mutter, die unter mehreren Partheyen, deren Umstaͤnde eben so gut waren, meinen Vater blos deswegen gewaͤhlt hat, weil man von der Lebens-Art der uͤbrigen nicht die beste Meinung hatte?) „Dein Vater hat mit dem Befehl von mir Ab- „schied genommen: ich solte gleich von dir gehen, „wenn ich faͤnde, daß ich nichts bey dir ausrich- „ten koͤnte, und solte dich allein lassen, um dich „an den Folgen deines doppelten Ungehorsams zu „erquicken.„ Erster Theil. P Hier- Die Geschichte Hierauf bat sie mich mit dem groͤssesten Ernst und Herablassung, ich moͤchte meinen Vater bey seiner Zuruͤckkunft von meinem willigen Gehor- sam versichern, und das moͤchte ich sowohl um ihrent als um meinet willen thun. Die Guͤtigkeit meiner Mutter gegen mich, und ihr Verlangen, daß ich wenigstens um ihrent- willen nachgeben moͤchte, ruͤhrte mich so sehr, und der Verdacht, daß die mir so eckelhafte Person mir deswegen nicht gefiele, weil ich zu einer andern ihnen verhaßten Person eine besondere Zuneigung haͤtte, war mir so empfindlich: daß ich wuͤnsch- te, gehorsam seyn zu koͤnnen. Jch hielt deswegen inn, ich bedachte mich, ich uͤberlegte alles, und re- dete ziemlich lange nichts. Jch konnte es mei- ner Mutter an den Augen absehen, daß sie hoffete mein Stillschweigen wuͤrde sich mit einer vergnuͤg- lichern Antwort endigen. Als ich mich aber be- sann, daß alles auf Anstifften meines Bruders und meiner Schwester geschehe, die von Neid und Eigennutz besessen waͤren: daß ich nicht ver- dienet haͤtte, daß man mir so begegnete, als seit kurtzem geschehen ist: daß man schon in allen Ge- sellschafften von meinem Ungluͤck rede: daß jeder- mann wuͤste, was ich fuͤr eine Abneigung gegen diesen Mann habe, und daß daher mein Nachge- ben weder den Meinigen noch mir Ehre bringen wuͤrde: daß es kein Zeichen des Gehorsams, son- dern eines knechtischen und niedertraͤchtigen Ge- muͤths seyn wuͤrde, weñ man den Verlust zeitlichen Guͤter durch Verschertzung der wahren kuͤnftigen Gluͤck- der Clarissa. Gluͤckseligkeit und Zufriedenheit abkauffen wolte: daß mein Bruder und meine Schwester gewiß uͤber den Sieg frolocken wuͤrden, den sie uͤber mich und uͤber Hn. Lovelace dadurch erhielten: daß, so wenig er mich sonst anginge, dieses Frolo- cken meines Bruders uͤber ihn ein sehr schlechtes Ende nehmen koͤnte: als ich mir Hn. Solmes unangenehme und eckelhafte Bildung und seine noch eckelhafteren Sitten vorstellete; seinen Man- gel des Verstandes, in dem billig die Ehre und der Vorzug einer Manns-Person bestehen soll, ein Mangel, den man an dem Haupt der Familie de- sto weniger uͤbersehen kan, weil er die beste Frau verhindert, diejenige Ehrerbietung gegen ihn zu haben, ohne welche sie von ihrer getroffenen Wahl keine Ehre haben kan: da ich uͤberlegte, daß Herr Solmes in diesem wichtigen Stuͤcke (ich kan dieses an Sie ohne mich selbst zu erhe- ben schreiben) mir so ungleich sey, daß ein jeder der uns jetzt oder kuͤnfftig kennete oder kennen wuͤr- de, bald mercken muͤste, was fuͤr niedertraͤchtige Absichten mich verleitet haͤtten, ihn zu waͤhlen: Da alle diese Betrachtungen, die mir stets im Gemuͤthe schweben, sich mir auf einmal vorstel- leten: so sagte ich mit gerungenen Haͤnden, und recht von Hertzens-Grunde: ich wolte gern die grausamste Marter ausstehen, und das Leben lassen, wenn es zu ihrer Beruhigung etwas beytragen koͤnte. Allein dieser Mann wird mir jedesmal eckelhafter, wenn ich gern auf ihren Befehl eine Zuneigung gegen ihn fassen wollte. Sie koͤnnen P 2 sich Die Geschichte ohnmoͤglich vorstellen, wie sehr ihm meine gantze Seele zuwider ist. Und sie wollen von einem ge- schlossenen Ehe-Contract reden! von Proben! von einem nahe bevorstehenden Tage! Liebste Mutter retten sie ihr Kind von diesem grossen und unertraͤglichen Ungluͤck! Es kan der Kummer nicht lebendiger abgemahlt werden, als er sich in ihrem Gesicht zeigete, ob- gleich sie ihn zu verbergen und an dessen statt ei- ne eine zornige Gebaͤrde anzunehmen suchte. Die- se behielt endlich den Platz in ihrem Gesichte; sie wandte die Augen gen Himmel, trat hart auf den Boden, und kehrte mir mit den Worten: eine unerhoͤrte Verkehrtheit! den Ruͤcken zu. Jch ergriff sie bey dem Rocke, und ich glaube, daß ich beynahe ausgesehen haben muß, als wenn ich unsinnig waͤre. Haben sie doch Geduld mit mir, liebste Mutter: sagte ich. Verlassen sie mich nicht gaͤntzlich! Wenn sie sich ja von ihrem Kinde trennen muͤssen, so bitte ich, daß sie mir ihr Hertz, so viel an ihnen ist, nicht schlechterdings entziehen. Meine Onkles moͤgen immerhin hart, und mein Vater unerbittlich seyn! Meines Bruders hoch- muͤthige Absichten, und der Neid meiner Schwe- ster mag mein Leiden immerhin vergroͤssern! Wenn ich mich nur meiner Mutter Liebe, oder wenigstens ihres Mitleydens getroͤsten kan. Sie kehrte sich mit einem freundlicherem Ge- sichte zu mir, und sagte: Du hast alle meine Liebe! du hast alles mein Mitleiden. Al- lein/ gutes Maͤdchen/ ich habe deine Liebe und dein Mitleiden nicht. Wahr- der Clarissa. „Wahrhaftig, sie haben beydes. Sie ha- „ben alle meine Ehrerbietung, und alle meine „Danckbarkeit. Nur in diesem eintzigen Stuͤcke „‒ ‒ ‒ kan ich denn in diesem eintzigen Stuͤcke „nichts erhalten? Will man denn gar keinen „Vorschlag annehmen? War nicht mein Vor- „schlag in Absicht auf die verhaßte Person so be- „schaffen, daß man ihn annehmen koͤnnte?„ Jch wuͤnschte um meinet und um deinet willen/ du unbewegliches Maͤdchen/ daß ich diese Frage entscheiden duͤrfte. Allein warum quaͤlst du mich so durch deine Fra- gen/ da du doch weißt/ daß ich sie nicht beantworten kan? Es ist nur die Haͤlffte von dem/ was die deinigen verlangen/ daß du Herrn Lovelace gaͤntzlich entsagen sollst: und wenn du ihm noch so ernstlich entsa- gest/ so wirst du doch bey niemand/ als vielleicho bey mir/ Glauben finden. So lange du unverheyrathet bleibest/ hat Herr Lovelace noch Hoffnung: und jedermann wird glauben/ daß du noch Zuneigung ge- gen ihn habest. „Erlauben sie mir die Wahrheit zu sagen. „Jhre Guͤtigkeit, ihre Gedult gegen mich, ihre „Ruhe und Zufriedenheit, gelten bey mir mehr „als alle andere Bewegungs-Gruͤnde. Denn „ob gleich mein Bruder, und auf dessen Anstiff- „ten auch mein Vater mit mir umgehet, als „wenn ich eine Sclavin und nicht Tochter im „Hause waͤre: so habe ich doch kein sclavisch P 3 „Hertz Die Geschichte „Hertz. Sie haben mich nicht so erzogen, daß „ich niedertraͤchtig seyn kan. So Claͤrchen! du willst deinem Vater trotzen? Jch habe schon vorhin befuͤrchtet/ daß es so weit kommen wuͤrde. Was wird endlich daraus werden? Jch/ sprach sie mit einem Seuffzer, muß mir selbst manchen Ein- fall gefallen lassen. „Das thut mir eben leid, liebste Mutter. „Meynen sie nicht, daß eben das, was ich an „ihrem Exempel gesehen habe, und die Furcht „vor dem, was man von einem noch haͤrteren Ge- „muͤthe, das kaum halb so viel Verstand besitzt, „als mein Vater, in dem Ehestande erwarten „muß, einen Eindruck bey mir gemacht hat? „Kan ich dadurch Lust bekommen, mich zu ver- „heyrathen? Es ist noch eine Erleichterung, „wenn man dem Eigensinn eines verstaͤndigen „Mannes folgen muß: und ich erinnere mich „uͤber dieses von ihnen gehoͤrt zu haben, daß „mein Vater vor mehreren Jahren ein aufge- „raͤumter und munterer Mann gewesen ist, ge- „gen dessen Gestalt und Auffuͤhrung nichts ein- „zuwenden war. Aber der Mann, den man „mir aufdringen will ‒ ‒„ Halte dich nicht uͤber deinen Vater auf. (Kan man das wol nennen, sich uͤber seinen Va- ter aufhalten? Jch habe mich bemuͤhet, Jhnen von Wort zu Wort zu melden, was ich sagte.) Jch muß es nochmahls sagen/ du koͤnntest nicht so unbeweglich in deiner Abneigung von der Clarissa. von diesem Manne seyn/ wenn du gegen alle andere Manns-Personen gleich gesin- net waͤrest. Dein Eigensinn und Hals- starrigkeit macht mich endlich muͤde/du bist das allerhallstarrigste Maͤdchen/ das ich je gesehen habe. Du bedenckst nicht/ daß es dem Vater anfangen wird/ wo ich es lassen werde; und daß ich mich gaͤntzlich deines Umgangs enthalten muß/ wenn du nicht nachgiebst. Jch will es dir noch einmal antragen. Kanst du dich entschliessen/ deinen Vater zum Zorn zu reitzen/ und ihm zu trotzen? und deinen Onckels auch zu trotzen? Willst du lieber mit uns insge- samt zerfallen/ als Herrn Solmes / oder mir nur einige Hoffnung geben? „Wie schwer wird mir die Wahl? Allein „was soll ich antworten, wenn ich aufrichtig ant- „worten will? Kan nicht meine ewige Gluͤck- „seligkeit durch eine Antwort, die ich gern ge- „ben wollte, in Gefahr gesetzt werden? Wird „nicht jeder Schatten der Hoffnung, die ich so „gern geben wollte, unvermuthet durch eine dar- „uͤber gemachte Auslegung in eine Gewißheit „verwandelt werden? Sucht man mich nicht zu „fangen, und sucht man nicht selbst mein Ver- „langen, Gehorsam zu leisten, gegen mich an- „zuwenden, wenn ich mich uͤbereilte einige Ant- „wort zu geben, daraus man eine Hoffnung „machen koͤnnte? Vergeben sie, daß ein Kind P 4 so Die Geschichte „so dreiste redet, wenn es die Sache erfodert. „Der Ehe-Contract ist schon entworfen! Die „Proben sind schon verschrieben! Es soll ein Tag „zur Hochzeit angesetzt werden! wie kan ich bey „solchen Umstaͤnden einige Hoffnung geben, „wenn ich nicht entschlossen bin, mich diesem „Manne aufzuopfern?„ Sage nicht mehr/ Maͤdchen/ daß dein Hertz frey ist. Du betriegest dich selbst/ wenn du es denckst. „So weit werde ich getrieben,„ sagte ich mit gerungenen Haͤnden, „weil es ein Bruder voll „eigennuͤtziger und unendlicher Absichten haben „will; und eine Schwester‒‒„ Wie oft muß ich dir verbieten/ Claͤrchen/ dich solcher Ausdruͤcke zu bedienen/ die sich fuͤr eine Schwester nicht schicken. Jst nicht dein Vater/ sind nicht deine Onckles/ ist nicht jedermann auf Herrn Solmes Sei- te? Jch muß dir sagen/ undanckbares Maͤdchen/ (du bist eben so undanckbar als unbeweglich) ich muß dir nochmals sa- gen/ daß ich glaube/ du koͤnntest nimmer so eigensinnig seyn/ wenn du nicht verliebt waͤrest. Du kanst leicht dencken/ was dei- nes Vaters erste Frage seyn wird/ wenn er nach Hause kommt. Jch werde ihm sagen muͤssen/ daß ich nichts ausgerichtet habe. Jch habe das meinige gethan. Wenn du dich besinnest/ ehe er nach Hause kommt/ so komm zu mir/ und gib mir Nachricht da- von. der Clarissa. von. Du hast noch einige Zeit/ weil er zum Abend-Essen bleiben wird. Jch will zu dir nicht wieder kommen. Mit diesen Worten ging sie weg. Was konnte ich anders thun, als weinen? Wegen meiner Mutter bin ich am meisten bekuͤm- mert; mehr als um mein selbst willen. Sie ver- dient, wenn ich alles uͤberlege, noch mehr Mit- leiden als ich, insonderheit deswegen, weil sie ge- gen ihre eigene Einsicht handeln muß. Sie ist ein unvergleichliches Frauenzimmer! und es ist betruͤbt, daß ihre Sanfftmuth und Herablassung nicht durch die natuͤrlichen Folgen dieser liebens- wuͤrdigen Eigenschafften belohnt wird. Allein es wuͤrde nie so weit gekommen seyn, wenn sie sich fruͤh in Acht genommen haͤtte, daß hefftige Ge- muͤther nicht haͤtten mercken koͤnnen, was sie fuͤr Gewalt uͤber sie haben. Meine Feder verfuͤhrt mich zum schreiben: und ich vergesse unterdessen, daß meine Mutter auf mich warten kan, und vielleicht wegen ihrer ei- genen Umstaͤnde auf mich ungehalten ist. Sie hat mir zu verstehen gegeben, ich muͤste zu ihr kommen, wenn ich meine Entschliessung aͤnderte: das ist in der That so viel als ein Verbot, bey der Gesinnung die ich jetzt habe, zu ihr zu kom- men. Allein sie ist im Unwillen von mir gegan- gen: und so hat es ein trotziges Ansehen, und laͤst bey nahe als wenn ich mich ihrer Vorsprache und Vermittelung begeben wollte, wenn ich nicht zu ihr gehe, und sie ersuche, Mitleiden mit mir zu P 5 ha- Die Geschichte ben, und meinem Vater alles auf der besten Seite vorstellen. Jch entschliesse mich, zu ihr zu gehen. Jch will lieber, daß die gantze Welt auf mich boͤse ist, als meine Mutter. Damit aber nichts von Papieren auf meiner Stuben bleiben moͤge, so soll Hannichen diesen Brief zur Stelle bringen. Wenn Sie vielleicht auf einmal zwey oder drey Briefe von mir bekommen, so sind sie ein Tage- Register der Bekuͤmmerniß Jhrer ungluͤcklichen aber stets ergebenen und getreuen Freundin Cl. H arlowe. Der ein und zwanzigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Sonnabend Abends. J ch bin hinunter gewesen: aber ich bin un- gluͤcklich in allem was ich vornehme, wenn ich auch noch so eine gute Absicht habe. Sie werden aus meiner Erzehlung sehen, daß ich die Sache verschlimmert habe, da ich sie verbessern wollte. Meine Mutter und meine Schwester waren in dem Saal, als ich zu ihnen kam. Das arti- ge Gesicht meiner Mutter gluͤete dergestalt, daß ich fast mercken konnte, sie muͤsse mit einiger Ge- muͤths-Bewegung gegen ihr ungluͤckliches Kind geredet der Clarissa. geredet haben: und meiner Schwester Gesicht schien dieses zu bekraͤfftigen, das ebenfals gantz gluͤend war, nur daß es brauner und eigensinni- ger aussahe. Vielleicht hatte sie von dem, was vorgegangen war, eine umstaͤnndliche Nachricht gegeben, um meine Schwester und durch diese meinen Bruder und Onckels zu uͤberzeugen, daß sie alles moͤgliche bey mir angewandt haͤtte. Jch glaube, ich bin als ein Uehelthaͤter, den sein Gewissen niederschlaͤgt, in den Saal getreten. Jch bat mir Erlaubniß aus, mit ihr allein zu sprechen: sie gab mir aber die Antwort in solchen Worten und mit solchen Geberden, daß meine Vermuthung sehr bestaͤrcket ward. Sie nahm eine Ernsthafftigkeit an, die sich zu ihrem guͤtigen Gesichte niemals schicket, und sag- te: Clarissa H atlowe/ du siehst mir gar nicht aus, als wenn du nachgeben, sondern als wenn du um etwas bitten wolltest. Wenn ich mich irre, so sage es mir: und alsdenn bin ich bereit, mit dir zu gehen, wohin du beliebest. Doch dem sey wie ihm wolle, du kanst alles in deineꝛ Schwester Gegenwart sagen. Jch dachte, meine Mutter haͤtte wohl mit mir allein gehen koͤnnen, da sie genugsam weiß, daß meine Schwester gar nicht meine Freundin ist. Jch antwortete: ich sey herunter gekommen, um mir bey ihr Vergebung wegen dessen aus zu- bitten, worin ich mich gegen sie selbst bey der vo- rigen Unterredung vergangen haben moͤchte, und um sie zu ersuchen, daß sie sich bemuͤhen moͤchte, meinen Die Geschichte meinen Vater zu besaͤnftigen, wenn sie ihm Nach- richt von dem braͤchte, was vorgegangen sey. Was fuͤr ein Gesicht machte mein Schwester hiebey! recht als wenn ich eine Tod-Suͤnde be- gangen haͤtte. Wie erhub sie Augen und Haͤnde! wie runtzelte sie die Stirne! Meine Mutter war ohnehin schon ungehalten genug auf mich: und fragte mich: warum ich zu ihr herunter kaͤme, wenn ich noch ungehorsam waͤre? Sie hatte das Wort kaum ausgeredet, so kam Schorey/ und meldete Herrn Solmes der unterdessen in den grossen Saal getreten war. Was trieb den eckelhafften Menschen bey spaͤtem Abend, da es schon gantz finster war, in unser Haus. Jch glaube, es war so veranstaltet, daß er des Abends hier essen sollte, damit er erfuͤhre, was meine Muter bey mir wuͤrde ha- ben ausrichten koͤnnen, und damit uns mein Vater beysaɯmen finden moͤchte, wenn er nach Hause kaͤme. Jch wollte mich davon machen: allein meine Mutter befahl mir, nicht aus der Stelle zu gehen, weil ich doch einmahl herunter gekommen waͤre ihrer zu spotten. Jch sollte mich, setzte sie hinzu, so gegen ihn betragen, daß sie dadurch Muth be- kommen moͤchte, meinem Vater eine so gute Nachricht von mir zu geben, als ich sie vorhin ersucht haͤtte. Meine Schwester frolockete hieruͤber, und mich verdroß es, daß ich mich selbst so gefangen hatte, und einen so scharfen und empfindlichen Ver- der Clarissa. Verweiß anhoͤren muste, bey welchem meine Mutter mehr meiner stichelnden Schwester als ei- ner guͤtigen Mutter gleich zu sehen schien, wenn ich mich anders unterstehen darf, so von ihr zu schrei- ben. Denn es hatte fast das Ansehen, als wenn sich meine Mutter daruͤber freuete, daß ich so uͤber- eilt ward. Der Mann stieg in die Stube herein. Sie wissen, daß er gehet, als wenn er Pausen machen muͤßte, und als wenn er aus Armuth an Gedan- cken um sich die Zeit zu vertreiben seine Schritte zaͤhlete, so wie der von Dryden vorgestellete un- geschickte Bauer zu pfeiffen pflegte. Er beehrte erstlich meine Mutter mit seinem ungeschickten Buͤckling, nachher meine Schwester, endlich mich; nicht anders als wenn ich schon seine Frau waͤre, und er gegen mich am wenigsten Hoͤflich- keit noͤthig haͤtte. Darauf setzte er sich neben mir nieder, und benachrichtigte uns, was es fuͤr Wet- ter sey. Er machte es sehr kalt: allein ich war heiß genug. Er wandte sich darauf zu mir, frag- te mich, wie ich das Wetter faͤnde, und wollte mich bey der Hand fassen. Jch zog die Hand veraͤchtlich genug zuruͤck. Meine Mutter sahe ungehalten dazu aus, und meine Schwester bis sich auf die Lippen. Jch konte mich nicht laͤnger halten: und ich glaube, daß ich in meinem Leben nicht so dreiste gewesen bin. Denn ich fuhr fort meine Mutter zu bitten, als wenn Herr Solmes gar nicht zu- gegen gewesen waͤre. Mei- Die Geschichte Meine Mutter veraͤnderte die Farbe im Ge- sichte, und sahe bald ihn, bald meine Schwester, bald mich an. Meine Schwester kriegte groͤssere Augen, als ich sie jemahls an ihr wahrgenommen habe. Diesmahl konte mich der Mann verstehen. Er hustete: er setzte sich von einem Stuhl auf den an- dern. Jch fuhr fort, meine Mutter um eine ge- neigte Erzaͤhlung des vorgegangenen zu ersuchen. Nichts, fing ich an, als blos eine unuͤber- windliche Abneigung ‒ ‒ Was will das Maͤdchen? sagte sie. Was Claͤrchen! Schicken sich die Reden hieher? Jst dis ‒ ‒ ist dis ‒ ‒ ist dis eine Zeit ‒ ‒ Sie sahe abermals auf Herrn Solmes. Wenn ich zuruͤck dencke, so thut es mir leyd, daß ich meine Mutter in solche Noth gesetzt habe. Es war in der That sehr unartig von mir gehandelt. Jch bat sie um Vergebung; doch mit dem Zu- satz; weil mein Vater bald nach H ause kom- men wuͤrde/ so waͤre dieses die eintzige Ge- legenheit/ die ich haͤtte/ meine Bitte/ an- zubringen. Da sie mir verboten haͤtte/ wegzugehen/ so haͤtte ich geglaubt, ich muͤ- ste mir nicht durch H n. Solmes Zuspruch eine Gelegenheit entziehen lassen/ auf die mir so vieles ankaͤme: und ich koͤñte ihm (hiebey sahe ich auf ihn) zu gleicher Zeit zeigen, daß die Muͤhe die er sich gaͤbe vergeblich sey/ wenn er seine Besuche in unser H aus um meinet willen fortsetzte. Jst der Clarissa. Jst das Maͤdchen toll! sagte meine Mutter, um meinem reden ein Ende zu machen. Meine Schwester that, als wenn sie meiner Mutter etwas heimlich in die Ohren sagen wollte, und sprach mit einer spoͤttischen Miene: „sie spot- „tet ihrer, weil sie ihr nicht erlauben wollten, „wegzugehen.„ Jch gab ihr nur einen Blick, und wandte mich wieder zu meiner Mutter: Erlauben sie mir/ das ich meine Bitte wiederholen darf. Jch habe weder Bruder noch Schwester/ wenn ich meiner Mutter H ertz verliere/ so bin ich gantz verlohren. Herr Solmes setzte sich wieder auf seinen er- sten Platz, und fing an den Kopf seines Spani- schen Rohrs, der fast eben so runtzelicht und un- gestalt aussiehet als sein eigener, zu nagen. Jch haͤtte nicht gedacht, daß der Mann so empfindlich waͤre. Meine Schwester sahe im Gesicht wie ein ro- thes Tuch aus. Sie ging zu dem Tische, auf welchem der Fechtel lag, und ohngeachtet es nach Herrn Solmes Anmerckung kalt war, wehete sie doch heftig damit, um sich abzukuͤhlen. Meine Mutter faßte mich voller Ungeduld bey der Hand, und fuͤhrete mich aus ihrem Saal in den meinigen, der gleich daran stoͤßt, wie Sie wissen. Was denckst du Claͤrchen? Jst das nicht eine verwegene, eine unertraͤgliche Auffuͤh- rung? Die Geschichte Jch bitte sie um Vergebung, antwortete ich, wenn sie es so genommen haben. Allein scheint es nicht, daß Schlingen fuͤr mich gelegt sind? Jch kenne meinen Bruder wohl: wenn ich ein gu- tes Wort sage, so wird er es gleich auslegen, als wenn ich zu allem Ja sagte, und es mir gefallen liesse, daß er mich austreiben will. Mein Bru- der und meine Schwester duͤrfften sich nur halb so viel Muͤhe geben. Meine Mutter wollte mit Unwillen von mir gehen. Jch bat sie aber, noch zu warten: „nur „eine einzige Guͤtigkeit, meine liebste Mutter ha- „be ich mir noch von ihnen ausbitten. Was will das Maͤdchen? Jch sehe, wie jedermann zu Wercke gehet. „Jch kann nie darauf dencken, Herrn Solmes „zu nehmen: und ich sehe zum Voraus, wie „unruhig mein Vater werden wird, wenn er „diese Nachricht bekommt. Daraus, daß sie „bisher geneigt gewesen sind, meine Bitten an- „zuhoͤren, werden die uͤbrigen schliessen, daß sie „gegen ihr armes Kind, das von allen verban- „net zu seyn scheint, noch ein muͤtterliches Hertz „haben. Es werden daher die andern suchen, „mich einzusperren, und der Gegenwart aller „derer gaͤntzlich zu berauben, die mich bisher „geliebet haben.„ (Man drohet in der That, dieses zu thun.) „Wenn es so weit kommt, wenn „mir die Gelegenheit benommen wird, meine „Sache vorzustellen, und mich insonderheit an „sie und an meinen Onkle Harlowe zu wenden; so der Clarissa. „so sehe ich schon zum voraus, daß aller Ohren „zu meinem Nachtheil offen stehen werden, und „daß alle Luͤgen gegen mich das Haupt erheben „werden. Jch bitte deswegen demuͤthig, daß sie „nicht zugeben wollen, wo sie es anders hindern „koͤnnen, daß zu meinen bisherigen unangeneh- „men Einschraͤnckungen noch diese hinzu kom̃me.„ Deine H annichen hat gehorchet/ und dir diese/ wie mehrere andere Nachrichten ge- geben. Meine H annichen horcht nicht. Meine H an- nichen. ‒ ‒ ‒ Entschuldige sie nicht weiter. Es ist be- kannt/ daß sie nicht viel gutes anrichtet: es ist schon bekannt. Aber nicht mehr von dem geschaͤfftigen Maͤdchen/ das sich in al- les menget. Es ist wahr/ dein Vater hat- te vor/ dich auf deine Stube einzusperren/ wenn du nicht gehorchen wuͤrdest/ um desto gewisser versichert zu seyn/ daß du mit de- nen/ die dich zum Ungehorsam verfuͤhren/ keine Briefe wechseln koͤnnest. Er trug mir auf/ als er aus dem H ause ging/ dir dieses zu sagen/ wenn ich dich ungehorsam faͤn- de: allein ich hatte nicht Lust/ dir eine so harte Nachricht zu sagen/ und ich hoffete noch immer/ daß du endlich nachgeben wuͤrdest. Jch glaube H annichen hat ge- horchet/ und dir dieses wieder erzehlt: und vielleicht auch das/ daß er gesagt hat/ er wollte lieber dein H ertz kraͤncken/ als leiden/ Erster Theil. Q daß Die Geschichte daß du sein H ertz kraͤncken solltest. Und ich sage dir hiemit/ du wirst eingesperret wer- den/ und man wird ferner nicht zugeben/ daß du einem von uns mit deinem Klagen und Winseln in den Ohren liegest. Wir wollen sehen/ wer wird nachgeben muͤssen: du uns? oder wir insgesammt dir? Jch wollte H annichen entschuldigen, und thun, als wenn ich meine Nachricht durch Elisa- beth Barnes/ die der Widerschall von meiner Schwester ist, erfahren haͤtte: denn diese hat es gegen eine andere Magd geruͤhmet. Allein-sie befahl mir abermals, davon stille zu schweigen. Jch wuͤrde bald finden, daß andere eben so uner- bittlich seyn koͤnnten, als ich eigensinnig und un- beweglich waͤre. Da sie saͤhe, daß ich mich auf ihre Gelindigkeit verliesse, und nichts darnach fragte, daß sie um meinet willen mit ihrem Manne, mit seinen Bruͤdern und mit ihren uͤbri- gen Kindern in Uneinigkeit geriethe, so wollte sie mir ein fuͤr alle mahl versichern, daß sie eben so sehr wider Herrn Lovelace und fuͤr Herrn Solmes waͤre, und daß ihr die Vergroͤsserung unserer Fa- milie eben so schr am Hertzen laͤge, als irgend ei- nem andern. Sie wuͤrde zu keinem Mittel Nein sagen, das man fuͤr noͤthig halten moͤchte, um ein widerspenstiges Kind zum Gehorsam zu zwin- gen. Als ich bey nahe umfallen wollte, bot sie mir den Arm, und hielt mich. Jsts der Clarissa. Jsts das alles, was ich von meiner Mutter erwarten kan? „sagte ich. „Ja! das ists alles. Aber, Claͤrchen/ ich „will dir noch eine Bedenck-Zeit geben. Gehe „wieder zu Herrn Solmes hinein, und fuͤhre „dich verstaͤndig auf, damit euch dein Vater bey- „sammen finde, wenn er nach Hause kommt, und „sehe, daß du dem Manne zum wenigsten hoͤf- „lich begegnest.„ Meine Fuͤsse gingen von sich selbst, wie es mir vor kam, von dem Saal weg, und nach der Trep- pe zu: bey der Treppe stand ich stille. Wenn du dir denn vorgenommen hast/ fuhr sie fort, uns allen zu trotzen/ so magst du mir nach deiner Stube gehen/ wie du im Sinne zu haben scheinest. Allein so sey dir GOtt gnaͤdig! „GOtt sey mir gnaͤdig! ich kan ohnmoͤg- „lich so handeln, daß man bewogen werde eine „Hoffnung von mir zu fassen, die hernach nicht „erfuͤllet wird. Allein beten sie nur fuͤr mich: „wie ich fuͤr sie beten werde, die Schuld an „meinem Ungluͤck sind.„ Jch fing an fortzugehen. So wilst du doch hinauf gehen/ Claͤr- chen? Jch sahe sie an. Die Thraͤnen kamen mir eben zu rechter Zeit in die Augen, fuͤr mich zu sprechen; dann ich stand stille, ohne ein Wort sagen zu koͤnnen. Du gutes Maͤdchen/ mache mir nicht so Q 2 vielen Die Geschichte vielen Kummer! du liebes gutes Kind/ mache mir nicht so vielen Kummer! sagte sie mit ausgehaltener Hand, und stand gleich- fals stille. „Was kan ich thun? Was ist mir noch „moͤglich weiter zu thun?„ Gehe wieder hinein/ Kind! Gehe wie- der in die S tube/ mein liebes Kind! da- mi t dein Vater euch nur beysammen fin- den moͤge. „Soll das geschehen, um ihm eine falsche „Hoffnung zu machen? um Herrn S olmes „Hoffnung zu machen? Sie wieß mich mit der Hand von sich, und sagte mit einem zornigen Gesichte: hartnaͤckige/ verkehrte/ ungehorsame Clarissa H arlowe! so folge denn deinem Kopfe/ und gehe hin wo du hin willst. Allein unterstehe dich nicht wieder ohne Erlaubniß herunter zu kommen: (ich befehle es dir!) so lange dein Vater seinen Entschluß deinetwegen noch nicht kund gemacht hat. Sie verließ mich in grossem Unwillen, und ich ging mit einem schweren Hertzen, und mit eben so schweren Fuͤssen die Treppe hinauf. Mein Vater ist nach Hause gekommen, und hat meinen Bruden mitgebracht. Ob es gleich spaͤt ist, so sitzen sie doch noch alle beysammen und haben sich eingeschlossen: es geht keine Thuͤr auf, und keine Seele kommt aus der Stube Wen der Clarissa. Wenn H annichen auf und nieder geht, so huͤten sich alle vor ihr, als wenn sie die Pest haͤtte. Endlich geht die erzuͤrnte Gesellschafft ausein- ander. Es sind Boten an meine beyden Onkles und an meiner Mutter Schwester geschickt, wie ich glaube, um sie auf Morgen zum Fruͤhstuͤck hieher zu bitten. Denn werde ich auch wol mein Urtheil bekommen. Es ist schon uͤber eilfe, und ich kriege Befehl, zu Bette zu gehen. um 12. Uhr. Diesen Augenblick werden mir die Schluͤssel abgefodert. Jch solte herunter geruffen werden, allein mein Vater sagte, er koͤnte mich nicht vor seinen Augen dulden. Wie sehr hat sich alles in wenig Wochen geaͤndert. S chorey uͤberbrach- te mir den Befehl, die Schluͤssel abzugeben: die Thraͤnen stunden ihr dabey in den Augen. Sie sind gluͤcklich, mein Schatz. Moͤgen Sie nur immer so gluͤcklich bleiben! so werde ich doch nicht gantz ungluͤcklich seyn. Der zwey und zwantzigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Sontag Morgens den 5. Maͤrtz. H annichen hat mir eben aus der abgelegenen Oeffnung in der Garten- Mauer einen Q 3 Brief Die Geschichte Brief von Herrn Lovelace gebracht, den der Lord M. mit unterzeichnet hatte. Er war ge- stern Abend hingelegt. Er meldet mir: „Herr S olmes ruͤhme sich „oͤffentlich, daß er in wenig Tagen mit einem so „scheuen Frauenzimmer, als in gantz England „nicht zu finden sey, getrauet werden wuͤrde. „Mein Bruder mache die Auslegung daruͤber, „und versichere allen und jeden, daß seine juͤng- „ste Schwester sehr bald Herrn S olmes Frau „seyn wuͤrde.„ Er berichtet mir auch, daß die Proben verschrieben sind, davon meine Mut- ter Erwaͤhnung that. Es kan doch nichts, was in diesem Hause vor- gehet oder geredet wird, vor ihm verborgen blei- ben! Er schreibt: „Meine Schwester stimmete in „ihren Reden voͤllig mit meinem Bruder uͤberein, „und hielte sich dabey so empfindlich uͤber ihn auf, „daß es ihn nothwendig sehr verdriessen muͤß- „te. Die Sache selbst und die Art sie vorzu- „bringen, gehe ihm zu Hertzen.„ Er druͤcket „sich hieruͤber sehr heftig aus. „Es ist ihm unbegreiflich, was die Meinigen „fuͤr Ursachen haben koͤnnen, ihm einen solchen „Menschen als S olmes ist vorzuziehen. Wenn „es auf vortheilhafte Ehe-Pacten ankaͤme, so „solte gewiß S olmes nichts versprechen koͤn- „nen, daß er nicht auch zu thun bereit sey.„ „Was seine Guͤter und Familie anlangte, so „koͤnte gegen jene niemand etwas einwenden, und der Clarissa. „und diese wolte er nicht gern dadurch beschim- „pfen, daß er sie mit der Familie des Solmes „nur vergliche. Er berufft sich auf den Lord M. „der von ihm bezeugen koͤnne, wie sehr er sich „seit der Zeit, da er um mich mit einiger Hoff- „nung angehalten, gebessert habe.„ Jch glau- be, daß eben deswegen der Brief von seiner Gna- den unterzeichnet ist, damit ich dieses als eine Art eines guten Zeugnisses fuͤr Herrn Lovelace anse- hen moͤchte. „Er bittet mich um Erlaubniß, daß er in „Gesellschaft des Lord M. meinem Vater oder „meinen Onckels zusprechen, und ihnen Vor- „schlaͤge thun duͤrfte, die sie gewiß annehmen „wuͤrden, wenn sie sie nur hoͤren wollten: und „er verspricht, alle Mittel zur Aussoͤhnung, die „ich nur vorschreiben wollte, anzuwenden.„ Er untersteht sich dabey, sehr ernstlich zu bitten, daß ich mich mit ihm in meines Vaters Garten insgeheim bey Nacht-Zeit unterreden wollte: er wollte noch eine Person, welche ich befehlen wuͤr- de, mitbringen. Jn der That, wenn Sie den Brief sehen solten, so wuͤrden Sie glauben, daß ich ihm ent- weder grosse Hoffnung gemacht haͤtte, und daß unsere Sachen beynahe zur Richtigkeit waͤren: oder daß er zum voraus wissen muͤßte, daß mich meine Anverwandten noͤthigen wuͤrden bey Frem- den Schutz zu suchen. Denn er untersteht sich, mir im Namen seiner Gnaden anzutragen, daß ich zu dem Lord M. fluͤchten moͤchte, wenn man um Q 4 Sol- Die Geschichte Solmes willen hart und unertraͤglich mit mir verfahren sollte. Jch glaube, daß uns die Manns-Personen da- durch zu fangen suchen, daß sie allerhand dreiste und verwegene Hoffnung zu haben vorgeben, und uns unverschaͤmte Anerbietungen machen. Sie dencken, wir sollen zu bloͤde oder zu hoͤflich seyn, ihnen die Wahrheit dafuͤr zu sagen: und wenn wir dieses unterlassen, so nehmen sie unser Still- schweigen fuͤr ein Ja-Wort und fuͤr eine Gewaͤh- rung ihrer Bitte an. Es sind noch andere besondere Umstaͤnde in die- sem Briefe enthalten, die ich ihnen melden muß: ich will Jhnen den Brief selbst, oder eine Abschrift davon zuschicken. Jch dencke mit vieler Bekuͤmmerniß daran, daß ich auf der einen Seite so weit hinein gezogen und von der andern Seite so weit getrieben bin, einen heimlichen Brief-Wechsel fortzusetzen, der in der That verliebt zu seyn scheint, und daruͤber mich mein eigenes Gewissen straffet. Wenn ich diesen Brief-Wechsel nicht bald ab- breche, so bekommt Herr Lovelace durch meine traurigen Umstaͤnde taͤglich neuen Vortheil, und ich werde meyr und mehr verstrickt. Wenn ich ihn aber abbreche, ehe ich die Versicherung erhal- ten habe, daß Herr S olmes ferner nicht gehoͤret werden soll, so ‒ ‒ Waͤre es nicht am besten, mein Hertz, daß ich ihn noch einige Zeit fortsetzte? in Hoffnung, daß ich ihn endlich unter einer vor- theilhaften Bedingung, die mir die Meinigen machen der Clarissa. machen muͤßten, aufgeben kan. Wen kan ich hieruͤber ausser Jhnen um Rath fragen? Alle meine Verwandten sind nun versammlet, und fruͤhstuͤcken miteinander. Jch bin so unru- hig, daß ich die Feder niederlegen muß. Sie gehen miteinander nach der Kirche. Han- nichen sagt, man koͤnne ihnen den Verdruß und die Unruhe an der Stirne ansehen: und sie glaubt, es muͤsse ein Endschluß gefasset seyn. Sonntag Mittags. Nichts ist quaͤlender, als zwischen Furcht und Hoffnung zu schweben. Jch will mir Erlaubniß ausbitten, diesen Nachmittag in die Kirche zu ge- hen. Jch sehe zwar einer abschlaͤgigen Antwort schon entgegen; allein wenn ich nicht bitte, so wird es heissen, die Schuld sey mein eigen, daß ich zu Hause bleiben muͤßte. Jch verlangte Schorey zu sprechen. Als sie kam, ersuchte ich sie, meine Mutter in meinem Namen um Erlaubniß zu bitten, daß ich diesen Nachmittag in die Kirche gehen duͤrffte. Was meynen Sie, was bekam ich fuͤr Antwort? Sie muß ihren Bruder bitten/ wenn sie etwas zu bitten hat. So bin ich denn an meinen Bruder verkaufft. Jch war dennoch entschlossen, ihn darum zu bitten. Als mir das Essen geschickt ward, gab ich einen Brief mit, in welchem ich mich an ihn Q 5 wandte, Die Geschichte wandte, und durch ihn meinen Vater um Erlaub- niß ansprach dem Gottesdienst beyzuwohnen. Jch erhielt aber diese veraͤchtliche Antwort von ihm: sagt ihr wieder/ daß wir ihr Gesuch morgen uͤberlegen wollen. Also soll es mor- gen uͤberlegt werden, ob ich heute zur Kirchen gehen soll! Geduld ist die beste Verantwortung gegen einen solchen Spott: allein wahrhaftig durch diese Mittel werden die Meinigen bey ihrer Clarissa H arlowe nicht viel ausrichten. Jch glaube, daß dieses nur der Anfang von dem sey, was ich noch kuͤnfftig von meinem Bruder zu er- warten habe, nachdem ich einmal in seine Hand verkauft bin. Nach Uberlegung der Sache hielt ich fuͤr rath- sam, meine Bitte zu wiederholen. Jch that es: und hier folget die Abschrifft meiner Bitte, und der mir ertheilten Antwort: Mein Bruder, „Jch weiß nicht, wie ich die Antwort verste- „hen soll, die ihr mir auf meine Bitte, daß ich „diesen Nachmittag in die Kirche gehen duͤrffte, „ertheilet habt. Wenn ihr habt zeigen wollen, „daß ihr lustig und aufgeraͤumt waͤret, so hoffe „ich, daß ihr noch jetzund aufgeraͤumt seyn, und „mir desto leichter zugestehen werdet, was ich bit- „te. Jhr wisset, daß ich niemals bey gesun- „den Tagen die Kirche versaͤumt habe, ausge- „nommen die beyden letzten Sonntage, da mir „angedeutet ward, daß ich wohl thun wuͤrde, „mich der Clarissa. „der Kirche zu enthalten. Meine Umstaͤnde sind „so beschaffen, daß ich niemals mehr als jetzt „der Wohlthat des oͤffentlichen und gemein- „schafftlichen Gebetes benoͤthiget war. Jch will „heilig versprechen, nur hin und wieder zuruͤck „zu gehen, und ich hoffe, man wird mich ohne- „hin nicht einmal im Verdacht haben, daß ich „einen andern Endzweck haͤtte. Mein niederge- „schlagenes Wesen wird das genugsam entschul- „digen, daß ich keinen Besuch annehme. Jch „will die Hoͤflichkeits-Bezeigungen aller derer, „die mich kennen, nur auf eine entfernte Weise „ewiedern. Wenn mein Ungluͤck zu seinem En- „de eilet, so braucht es nicht noch der gantzen „Welt vorher kund gemacht und gleichsam „ausgeruffen zu werden. Jch bitte mir also „diese Gewogenheit um meines guten Namens „willen aus, und damit ich mich in der Nachbar- „schaft kuͤnftig moͤge ohne Schaam sehen lassen „koͤnnen, wenn ich alle Bedraͤngnisse noch uͤber- „lebe, die gedrohet werden.„ „Eurer ungluͤcklichen Schwester „ Cl. Harlowe. Antwort hierauf An Fraͤulein Clarissa H arlowe. „ E s ist wunderlich, daß ein Maͤdchen so viel „aus dem Kirchengehen macht, und zu glei- „cher Zeit ihren Eltern in einer Sache ungehor- „sam Die Geschichte „sam ist an der ihnen und der gantzen Familie „so viel gelegen ist. Man giebt euch den Rath, „Fraͤulein, euch durch den Gottesdienst auf eu- „rer Cammer zu erbauen: und ich wuͤnsche, daß „dieser einen guten Einfluß in das Gemuͤthe ei- „nes so hartnaͤckigen und ungehorsamen Kindes „haben moͤge, als ich bisher ausser euch noch nicht „gesehen habe. Den Zweck hievon will ich euch „nicht verhalten: es ist dieser, daß ihr moͤ- „get gekraͤncket und eben hiedurch gezwungen „werden, Gehorsam zu leisten. Unsere Nach- „barn, bey denen ihr in gutem Ansehen zu ste- „hen wuͤnschet, wissen schon von eurem Trotz. „Wenn ihr also wahrhaftig fuͤr euren guten „Namen besorgt seyd, so zeiget diese Sorge „auf die rechte Art und Weise: denn noch ist „es in eurer Gewalt, ihn zu erhalten, oder zu „verlieren. Jacob Harlowe. So hat mich mein Bruder in sein Garn be- kommen; und es geht mir als einem tummen Voͤgelchen, das die Schlinge dichter zuziehet, je mehr es sich loszumachen suchet. Der der Clarissa. Der drey und zwantzigste Brief. von Fraͤulein Clarissa Harlowe/ an Fraͤulein Howe. Montag Morgens den 6. Maͤrtz M eine Angehaͤrigen haben es recht darauf gesetzt, mich zu betruͤben. Meine arme Hannichen hat den Abschied bekommen, und zwar dieses auf eine schimpfliche Weise. Es geschahe also: Eine halbe Stunde, nachdem ich sie hinunter geschickt hatte, mein Fruͤhstuͤck zu holen, kam das verwegene Mensch die Elisabeth Barnes/ meiner Schwester geheimte Raͤthin und Maͤdchen herauf: (wenn ich anders die fuͤr ein Dienst- Maͤdchen ausgeben kan, die zugleich eine vertrau- te Freundin und geheimte Raͤthin ist.) Was befehlen sie zum Fruͤhstuͤck? fing sie an. Jch verwunderte mich: was ich zum Fruͤh- stuͤck haben will/ Elisabeth! Wie? was ist vorgegangen? Wie kommt das? Jch nannte darauf Hannichen. Jch wuste selbst nicht, was ich sagen sollte. Verwundern sie sich nicht, Fraͤulein: sie werden Hannichen hier im Hause nicht wieder sehen. GOtt behuͤte! Hat H annichen ein Un- gluͤck gehabt! Was ist mit H annichen vor- gegangen. Wie? Fraͤulein! Kurtz und gut; ihr Herr „Vater meynt, daß Hannichen lange genug „im Hause gewesen ist, lose Haͤndel anzufangen, darum Die Geschichte „darum hat er sie weggejagt, und ich soll ihnen „kuͤnftig aufwarten.„ Jch konnte mich der Thraͤnen nicht enthalten. „Jch habe nichts, darin ich ihr mit aufwarten „koͤnnt, Elisabeth; gantz und gar nichts. „Allein wo ist dann Hannichen? Kan ich das „arme Maͤdchen nicht sprechen? Sie hat noch „ein halbes Jahr Lohn zu fodern. Kan ich das „ehrliche Maͤdchen nicht zu sehen bekommen, um „ihr den Lohn, zu bezahlen? Vielleicht sehe ich sie „nie wieder: denn ich mercke wohl, daß es alle „darauf gesetzt haben, mich zu betruͤben.„ „Und alle dencken (sagte sie), Fraͤulein, daß sie „es darauf gesetzt haben, sie zu betruͤben. So „koͤnnen sie eins fuͤr das andre rechnen,„ Jch nannte sie, unverschaͤmt: und fragte sie, ob sie mir auf eine so zuversichtliche Weise aufzu- warten gedaͤchte? Jch drang so sehr darauf, das arme Maͤdchen zu sprechen, daß sie mir zu Gefallen (wie sie es nannte) hinunter ging, und meine Bitte anbrach- te. Das gute Maͤdchen, war eben so voll Be- gierde mich zu sprechen: und es ward endlich er- laubt, doch daß es in Gegenwart der Schorey und Elisabeth geschehen sollte. Als sie kam, danckte ich ihr fuͤr ihre bisherigen treuen Dienste. Sie konnte sich vor Kummer nicht halten, und fing an, ihre Treue und Liebe ge- gen mich zu versichern, und sich zu entschuldigen, daß sie keine losen Haͤndel angefangen haͤtte. Jch sagte ihr: diejenigen, die sie aus dem Dien- der Clarissa. Dienste trieben, zweifelten an ihrer Treue nicht: es geschaͤhe nur um mir einen Verdruß anzuthun. Es ginge mir nahe: indessen hoffete ich, daß sie eben so einen guten Dienst wieder finden wuͤrde. Niemals, niemals, sagte sie mit gerungenen Haͤnden, wuͤrde sie eine Herrschafft so lieben koͤn- nen. Das ehrliche Maͤdchen fing darauf an, mich aus allen Kraͤfften zu loben, und ihre Liebe gegen mich zu bezeugen. Wir sind immer geneigt, unsere Wohlthaͤter daruͤber zu ruͤhmen, daß sie uns Wohlthaten er- zeigt haben: gerade als wenn ein jeder in so fern recht oder unrecht thaͤte, als er gegen uns guͤtig oder unguͤtig ist. Allein dieses Maͤdchen ver- diente es, daß man ihr guͤtig begegnete: und es ist kein gutes Werck von mir, daß ich gegen eine guͤ- tig gewesen bin, die ich entweder hervor ziehen und lieben oder mich einer Undanckbarkeit schul- dig machen muͤste. Jch schenckte ihr etwas Linen-Zeug, Spitzen und andere schlechte Dinge: und vor vier Pfund, die ich ihr schuldig war, gab ich ihr zehn Gui- neas. Vier Pfund sind 22. Rthlr. zehn Guineas ma- chen 60. Rthlr. Jch setzte dazu: so bald ich wieder in den Stand kaͤme, zu thun was ich wollte, so wuͤrde ich an keine andere dencken als an sie. Elisabeth sagte der Schorey einige neidische Worte in die Ohren. Hannichen sagte mir, weil sie keine andere Gelegenheit hatte, in beyder Gegenwart: sie waͤ- re Die Geschichte re befragt worden, ob sie Briefe an mich oder von mir bey sich haͤtte. Sie haͤtte sich gantz von Fraͤu- lein H arlowe durchsuchen lassen, um sie zu uͤber- zeugen, daß sie keine Briefe haͤtte. Hierauf gab sie mir Nachricht, wie viel Phasanen und Jndia- nische Huͤner auf dem Hofe befindlich waͤren: und ich antwortete, ich wollte selbst dafuͤr sorgen, daß sie gefuttert wuͤrden, und taͤglich zwey oder drey mahl hingehen. Wir beweinten uns untereinander bey dem Abschied. Das Maͤdchen wuͤnschte noch jedwedem im Hause namentlich alles Gute was es wuste. Es ist eine schmertzliche Sache, sich einer so treuen Bedientin auf eine so unanstaͤndige Weise beraubt zu sehen. Jch konnte mich nicht enthal- ten zu sagen: diese Mittel waͤren zwar hinlaͤnglich mich zu betruͤben, allein sehr unzulaͤnglich zu allen andern Endzwecken meiner Verfolger. Elisabeth sagte zwar hiebey zu der Schorey mit einem verdrießlichen Hohngelaͤchter: man wuͤrde sehen wie kuͤnstlich ein jeder waͤre. Jch that aber nicht, als wenn ich es hoͤrte. Wenn die Hexe meynt, daß ich ihrer Fraͤulein ein Hertz gestohlen habe, wie sie gesagt hat; so haͤlt sie es wohl fuͤr ihre Schuldigkeit, gegen mich grob zu seyn. Auf diese Weise habe ich mich von meiner gu- ten H annichen scheiden muͤssen. Wenn Sie einen anstaͤndigen Ort fuͤr sie wissen, so versorgen Sie das Maͤdchen aus Liebe gegen mich. Der der Clarissa. Der Vier und zwantzigste Brief. von Fraͤulein Clarissa H arlowe an Fraͤulein H owe. Montags kurtz vor 12. Uhr. J etzt eben erhalte ich beykommenden Brief. Mein Bruder hat uͤberall gewonnene Sache. Jch uͤbersende Jhnen auch eine Abschrift meiner Antwort. Mehr kan ich dieses mahl nicht schrei- ben. Fraͤulein Claͤrchen. Montags den 6. Maͤrtz. „Auf Eures Vaters und Eurer Mutter „Befehl schreibe ich diese Zeilen an Euch, um „Euch zu verbieten, daß Jhr ihnen nicht un- „ter die Augen kommen sollt, auch nicht ein- „mal in den Garten, wenn sie darin sind. Jhr „sollt auch sonst nicht ohne in Begleitung der „ Elisabeth Barnes in den Garren kommen: „es waͤre denn, daß es Euch erlaubt oder be- „fohlen wuͤrde. „So lieb Euch ihr Seegen ist, so ernstlich „wird Euch untersagt, daß ihr keine Briefe mit „dem liederlichen Lovelace wechseln sollet. „Man weiß wohl, daß Jhr dieses bisher durch „Huͤlfe Eurer listigen Hannichen gethan habt: „und daher ruͤhrt es, daß sie so ploͤtzlich wegge- „jagt ist: wie denn billig war.„ „Jhr sollt auch nicht an Fraͤulein Howe „schreiben, die sich seit einiger Zeit viel einzubil- Erster Theil. R den Die Geschichte „den scheint, und vielleicht Euren Brief-Wech- „sel mit jenem liederlichen Menschen befoͤrdern „moͤchte. Kurtz, Jhr sollt ohne Erlaubniß an „niemanden schreiben.„ „Jhr sollt auch keinem von Euren Onckles vor „die Augen kommen, ohne besondere Erlaub- „niß von ihnen zu haben. Es geschieht aus „Guͤtigkeit gegen Euch, daß Eure Eltern Euch „nicht sehen wollen, nachdem Jhr ihnen so uͤbel „begegnet seyd.„ „Auch sollt Jhr Euch nicht ungeruffen in ir- „gend einem Zimmer des Hauses sehen lassen, in „dem Jhr bisher nach Belieben habt schalten „und walten koͤnnen.„ „Kurtz, Jhr muͤßt Euch in Eurer Stube auf- „halten, und duͤrfft nicht aus derselben kom- „men, als nur bisweilen Morgens und Abends, „um in Begleitung der Elisabeth Barnes „in dem Garten spatzieren zu gehen. Allein „auch denn muͤsset Jhr ohne Euch vor den Zim- „mern aufzuhalten die Hintertreppe gleich und „ohnverweilt auf und nieder gehen, damit der „Anblick eines so verkehrten Maͤdchens die Be- „truͤbniß nicht vermehren moͤge, die Jhr jeder- „mann verursachet habt.„ „Die bestaͤndigen Drohungen Eures Love- „laces und Eure unerhoͤrte Hartnaͤckigkeit wer- „den die Mittel zu denen wir schreiten muͤssen, „bey Euch rechtfertigen. Wie viel hat Eure „guͤtige und geduldige Mutter mit Euch zu thun „gehabt, die so lange Euer Wort redete, und alles der Clarissa. „alles fuͤr Euch versprach, als andere schon daran „verzweifelten, daß Jhr Euch wuͤrdet lencken „lassen, weil Jhr so sonderbar zu Wercke gin- „get. Wie verkehrt muß Eur Sinn seyn, wenn „er eine solche Mutter zwinget, Euch fahren „zu lassen! Sie glaubt, daß sie recht hieran „thue: und sie will Euch nicht wieder anneh- „men, bis Jhr durch Gehorsam den ersten „Schritt zu ihr thut. „Von mir moͤgt Jhr vielleicht die schlimmste „Meinung haben; und ich troͤste mich, daß Jhr „diese schlimmen Meinungen von mir mit einer „andern Person gemein habt. Jch habe indessen „den Rath gegeben: man solte Euch vergoͤnnen, „daß Jhr Eurem eigen Kopfe folgen duͤrftet, (wel- „ches fuͤr einige Leute die groͤsseste Straffe ist,) „und daß man das Haus nicht durch eine Person „belaͤstigen solte, die uns desto mehr Muͤhe macht, „weil sie uns in die Nothwendigkeit gesetzt hat, „ihr aus dem Wege zu gehen, ob wir gleich mit „ihr unter einem Dache sind. „Wenn Euch der Jnhalt meines Briefes hart „vorkommt, so habt Jhr es noch in Eurer „Macht, allem was Euch beschwerlich ist durch „ein eintziges Wort abzuhelfen. Allein ich weiß „nicht, ob Jhr dieses immer in Eurer Macht ha- „ben werdet. „ Elisabeth Barnes hat Befehl, Euch in „allen Dingen zu gehorchen, die nicht mit Jh- „rer so wohl als mit Eurer Pflicht streiten. Jacob Harlowe. R 2 An Die Geschichte An Juncker Jacob Harlowe. Mein Bruder, „ J ch will weiter nichts melden, als daß Jhr „Ursache habt, Euch zu freuen, daß Euch „Eure Absichten gelungen sind, und Jhr nun „von mir sagen koͤnt was Jhr beliebet, indem „ich mich so wenig verantworten kan, als wenn „ich schon wircklich todt waͤre. Jch will mir „aber doch noch diese eintzige Gewogenheit aus- „bitten: veranstaltet nicht, daß man haͤrter „mit mir umgehe, als noͤthig ist, die Endzwe- „cke zu erreichen, die Jhr etwan haben moͤchtet „gegen Eure ungluͤckliche Schwester Clarissa Harlowe. Der fuͤnf und zwantzigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Dienstags den 7. Maͤrtz. A us meinem letzten Briefe werden Sie ersehen haben, wie ich herumgetrieben werde, und wie sehr ich eine Gefangene bin, ohne daß ein- mahl meiner Ehre geschonet wird. Sie wissen alles was vorgegangen ist: was urtheilen Sie nun davon? Sind das bequeme Mittel, mich zu besaͤnftigen? Allein dieses ist auch nicht die Mei- nung, der Clarissa. Meinung, sondern mit Gewalt und durch Furcht wollen sie mich zwingen, meines Bruders Absich- ten zu erfuͤllen. Meine eintzige Hoffnung ist, daß ich mich so lange werde halten koͤnnen, bis mein Vetter Morden von Florentz ankommt: denn man erwartet ihn sehr bald. Wenn aber ein naher Tag vest gesetzt wird, so fuͤrchte ich, daß er zu spaͤt kommen wird, mich zu retten. Aus meines Bruders Briefe ist klar, daß mei- ne Mutter in der Nachricht, die sie von unserer Unterredung geben mußte, meiner nicht gescho- net hat. Sie gab mir einen Winck, daß mein Bruder Asichten haͤtte, die ich zu vernichten su- chen sollte. Allein sie hatte einmal versprochen eine aufrichtige Nachricht von allem dem zu geben was zwischen ihr und mir vorfallen wuͤr- de: und es war leidlicher sich von einer Tochter loszusagen, als mit dem Manne und mit al- len im Hause zu zerfallen. Sie meynen nun, daß sie gewonnen haben, nachdem ich meiner armen H annichen beraubet bin. Allein so lange ich noch Freyheit habe in den Garten zu gehen, und mein Feder- Vieh zu besehen; irren sie sich in ihrer Hoffnung. Jch fragte Elisabeth: ob sie auf mich Ach- tung geben oder mit mir gehen solte? und ob ich von ihr Erlaubniß haben muͤßte, wenn ich in den Garten gehen oder mein Feder- Vieh be- suchen wolle? Um Gottes willen, sagte sie, was soll die Frage bedeuten? Sie gestand indessen, sie habe R 3 ge- Die Geschichte gehoͤrt, daß ich nicht in den Garten gehen solte, wenn meine Eltern oder Onckels darin waͤren. Weil ich mich aber noch mehr hievon versichern wollte, so ging ich gleich hinunter, und blieb eine Stunde aus, ohne daß mir ein Wort gesagt ward. Und doch ging ich eine gute Zeit unter meines Bruders Studir-Stube gerade seinem Fenster gegen uͤber auf und ab, und er befand sich eben mit meiner Schwester auf der Stube. Daß sie mich gesehen haben konte ich aus dem lauten Gelaͤchter schliessen, dazu sie sich zwungen um mich zu kraͤncken. Es ist also dieser Theil von meines Bruders Briefe ohne Befehl meines Vaters geschrieben, und nur ein Versuch sich seiner Herrschafft zu be- dienen. Er kan ihn vielleicht kuͤnfftig geltend machen. Doch das will ich nicht hoffen. Dienstag Abends. Seit dem ich obiges geschrieben, habe ich es gewagt durch Schorey einen Brief an meine Mutter zu schicken. Jch trug ihr auf, ihn in ihre eigene Haͤnde zu lieffern, wenn niemand dabey waͤre. Jch lege die Abschrifft bey. Jch suchte es da- hin zu bringen, daß man im Hause glauben moͤch- te, ich haͤtte gar kein Mittel zum Brief-Wechsel mehr uͤbrig, nachdem H annichen aus dem Hau- se geschafft ist. Jch halte nicht alles fuͤr recht, was ich thue. Jch fuͤrchte, daß dieses eine un- erlaubte List gewesen ist. Allein dieses sind nach- folgende Gedancken, da der Brief schon weg war. Hoch- der Clarissa. H ochzuehrende Frau Mutter/ „Da ich Jhnen bekant habe, daß ich Briefe „von Herrn Lovelace erhalten habe, in denen „er von nichts als Rache redete, und daß ich sie „blos um Ungluͤck zu vermeiden beantwortet ha- „be; und da ich Jhnen meine Antworten in Ab- „schrift gezeiget habe, deren Jnhalt sie zwar „nicht misbilligten, allein dennoch fuͤr noͤthig „hielten, mir den fernern Brief-Wechsel mit „ihm zu verbieten: so halte ich meine Schuldig- „keit zu seyn, zu berichten, daß mir seit der Zeit „noch ein Brief von ihm zu Haͤnden gekommen „ist, in welchem er mich sehr ernstlich und nach- „druͤcklich bittet, daß ich ihm erlauben moͤchte „meinen Vater, oder Sie, oder meine Onckles „in Begleichtung des Lord M. auf eine friedfer- „tige Weise zu besuchen. Und dieses ist es, woruͤ- „ber ich mir Jhre Befehle ausbitten muß. „Jch gestehe, wenn mir nicht der Brief- „Wechsel von neuen untersagt, und H annichen „so schleunig aus dem Hause geschaffet waͤre, so „wuͤrde ich desto weniger Bedencken getragen „haben zu antworten, und ihm die Antwort so „bald als moͤglich durch sie zuzuschicken, um ihm „diesen Besuch zu widerrathen, weil ich fuͤrchte, „daß etwas bey solcher Gelegenheit vorgehen „koͤnte, daran ich nicht ohne zittern gedencken „kan. „Jch kan nicht umhin Jhnen meinen Kum- „mer zu bezeugen, daß alle Strafe und alle uͤble „Nachrede auf mich kommt, da ich doch, wie ich R 4 mei- Die Geschichte „meine, manchem Ungluͤck vorgebeuget habe, „und an keinem Schuld gewesen bin. Denn „wer konte von mir fodern, daß ich die Gemuͤ- „ther dieser Herren regieren und lencken sollte? „Uber den einen habe ich zwar in der That einige „Gewalt gehabt, und ihm dennoch bisher keine „Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß ich ihm „deshalb verbunden bin. Allein wer kan sich „ruͤhmen, daß er bey dem andern etwas auszu- „richten im Stande sey? „Es thut mir in meinem Hertzen leid, daß ich „meinem Bruder so viele Schuld geben muß, ob- „gleich meine Ehre und Freyheit bisher ein Opfer „seiner Rache und seiner weitlaͤufftigen Absichten „geworden sind. Jst es mir indessen nicht ver- „goͤnnet, mich frey zu beklagen, da ich so vie- „les gelitten habe? „Da ich Jhnen diese Nachricht so freywillig „und mit einem so kindlichen Hertzen und guten „Absichten ertheile; so unterstehe ich mich zu hof- „fen, daß Sie nicht begehren werden, den Brief „selbst zu sehen. Ehre und Klugheit verbieten „mir dieses, weil die Schreib-Art gar zu hefftig „ist. Er hat nemlich (nicht durch mich, auch „nicht durch meine Hannichen ) erfahren, wie „hart mit mir umgegangen wird; und er glaubt „Ursache zu haben, sich alles dieses anzuziehen, „nachdem einige meiner Verwandten eben so hef- „tige Reden gegen ihn ausgestossen haben. „Wenn ich ihm nicht antworte, so wird er „seiner selbst nicht mehr maͤchtig seyn, und sich berech- der Clarissa. „berechtigt halten, (so wenig ich ihn auch dafuͤr „halte) sich wegen der Auffuͤhrung zu raͤchen, „uͤber die er sich so heftig beklagt. Wenn ich ihm „aber antworte, und er aus Hochachtung fuͤr „mich sich einer Rache enthaͤlt die er fuͤr recht- „maͤßig ansiehet: so bedencken Sie einmal, in „was fuͤr Schuld und Verpflichtung ich hiedurch „wenigstens nach seiner Meinung gesetzt werde. „„Wenn ich so von ihm eingenommen waͤre, „als mir Schuld gegeben wird, so wuͤrde ich Sie „nicht bitten, dieses zu bedencken. Und um „noch deutlicher zu zeigen, daß ich nicht von ihm „eingenommen bin, bitte ich Sie zu uͤberlegen, ob „nicht der Vorschlag den ich gethan habe, Zeit „Lebens unverheyrathet zu bleiben, (ein Verspre- „chen das ich heilig halten will) das allerbeste „Mittel sey, seiner mit Ehren und auf eine gu- „te Art loszuwerden. Wenn ich ihm mein „Nein! gebe, und mich doch nicht von dem an- „dern lossage, so wird er den Schluß machen, „daß ich mich entschlossen habe jenen zu nehmen, „weil ich von den meinigen gezwungen bin. „Wenn dieses nicht den erwarteten Erfolg hat, „so mag man die sonderbaren Mittel zur Hand „nehmen, die mein Bruder vorschlaͤgt, und ich „will mich meinem Schicksal mit so vieler Be- „ruhigung meines Gemuͤths unterwerffen, als „mir GOtt auf mein Gebet schencken wird. Jch „uͤberlasse alles Jhrer Klugheit, ob Sie mit mei- „nem Vater und Onckels hieruͤber zu Rathe ge- „hen wollen, oder nicht? und ob ich Herrn Lo- velace Die Geschichte „ velace antworten oder nicht antworten soll? „Soll ich ihm antworten, so bitte ich mir Jh- „ren Befehl aus, wen ich zu Bestellung des Brie- „fes gebrauchen soll. Jch aber verbleibe H ochzuehrende Frau Mutter/ Jhre ungluͤckliche aber stets gehorsame Tochter Clarissa Harlowe. Mittewochens Morgens. E ben erhalte ich Antwort. Meine Mutter hat mir zwar in dem Briefe befohlen, ihn zu verbrennen: allein da Sie ihn wohl verwahren nud niemanden sehen lassen werden, so wird ih- re Absicht eben so gut erreichet, wenn ich Jh- nen den Brief zuschicke. Er war ohne Aufschrift und ohne Unterschrift. Clarissa. „Sage nicht, daß alle Straffe und uͤble Nach- „rede auf dich faͤllt: ich muß von beyden eben „so viel uͤber mich nehmen als du, ob ich gleich „weit mehr unschuldig bin. Da du eben so hart- „naͤckig bist, als andere hitzig sind, so tadele dei- „nen Bruder nicht. Jch sehe wir haben recht „darin gehabt, daß Hannichen deine Brief- „traͤgerin waͤre. Wir sind nun in einem Stuͤcke „ruhiger nachdem sie weg ist, und du nicht mehr „(wenigstens wir dencken dieses) an Fraͤulein „ Howe ohne unsere Erlaubniß schreiben kanst. Jch der Clarissa. „Jch habe kein Mißverg nuͤgen uͤber H anni- „chens Auffuͤhrung gehabt, ob ich ihr gleich „dieses nicht sagte, als sie Abschied von mir „nahm; denn es war jemand in der Naͤhe, der „alles hoͤren konte. Jch gab ihr mit erhabener „Stimme die Warnung, sich wohl in Acht zu „nehmen, wenn sie wieder in ein Haus kaͤme in „dem unverheyrathetes Frauenzimmer waͤre, in „ihrer Auffuͤhrung untadelhaft zu seyn, und kei- „ne Briefe zu tragen. Jch steckte ihr aber zwey „Guinneas unvermerckt in die Hand; und es „gefaͤllt mir gantz wohl, daß du noch freyge- „biger gegen sie gewesen bist. „Jch weiß nicht was ich dir in Absicht auf „die Antwort schreiben soll, die dem unbaͤndi- „gen Menschen zu geben ist. Was denckst du da- „von, daß eine solche Familie als die unsrige ist „eine solche Zucht-Ruthe haben soll? Jch vor „mein Theil habe gegen niemand gestanden, daß „ich es wuͤßte, daß du mit ihm Briefe gewech- „selt hast. Allein deine Dreistigkeit ist so groß, „daß ich besorgt bin, du moͤchtest dich wol gar „auf meine Erlaubniß beruffen, und dadurch „das Mißverstaͤndniß zwischen deinem Vater „und mir noch groͤsser machen. War es nicht „eine unglaubliche Dreistigkeit, in Herrn Sol- „mes Gegenwart noch weiter von dem zu reden, „was ich schon hatte abbrechen muͤssen, als ich „noch oben bey dir war? Du warst sonst mein „Trost, und erleichtertest mir allen Kummer: „aber nun ‒ ‒ ‒ Allein ich sehe wohl, du laͤssest dich Die Geschichte „dich durch nichts bewegen, und ich will es nicht „einmal weiter versuchen hievon zu reden. Denn „jetzt bist du unter deines Vaters Hand, und „er wird sich weder etwas vorschreiben noch sich „bitten lassen. „Jch wuͤrde mich gefreuet haben, wenn ich „auch diesen Brief, so wie die uͤbrigen, haͤtte „sehen koͤnnen. Allein du schreibest, daß die „Ehre und Klugheit dieses verbieten. O Claͤr- „chen, wie kommt dir das vor? Briefe zu em- „pfangen, die Ehre und Klugheit einem Kinde „verbieten seiner Mutter zu zeigen? Jch mag „aber den Brief auch nicht sehen, wenn du ihn „mir nun gleich zeigen wolltest. Jch will um eure „Geheimnisse nicht wissen. Jch will nicht ein- „mal wissen, daß ihr Briefe gewechselt habt. „Jn Absicht auf die Antwort folge deinen eige- „nen Gedancken; allein laß ihn wissen, daß es „der letzte Brief seyn soll, den er von dir erhal- „ten werde. Schreibst du, so mag ich den „Brief nicht lesen: siegele ihn zu, und gib ihn „an Schorey. Sie ‒ ‒ ‒ dencke aber nicht, „daß ich dir erlaube zu schreiben. „Wir gedencken ihm gar keine Bedingungen „zu zugestehen, und das sollst du auch nicht thun. „Dein Vater und deine Onckels wuͤrden ohn- „moͤglich Geduld haben koͤnnen, wenn er sie be- „suchen wollte. Warum willst du dich ihm da- „durch gefaͤllig machen, daß du zu Herrn Sol- „mes Nein sagest? Wird nicht dieses Nein „seiner Hoffnung ein neues Leben geben? Und koͤn- der Clarissa. „koͤnnen wir ruhig oder sicher vor ihm seyn, so lan- „ge er noch einige Hoffnung hat? Gesetzt, dein „Bruder hat Schuld, so ist es einmal nicht zu „aͤndern, und so soll die Schwester nicht Briefe „wechseln, daruͤber der Bruder in Gefahr kom̃t. „Allein dein Vater tritt deinem Bruder bey, und „was dein Bruder gegen Lovelace hat, das „hat er auch gegen ihn, und ich auch, und deine „Onckles, und sonst jedermann. Es kommt „nicht darauf an, wer es zuerst gegen ihn gehabt „hat. „Durch deine Halsstarrigkeit hast du es mir „ohnmoͤglich gemacht, etwas fuͤr dich zu thun. „Dein Vater will selbst alle Folgen verantwor- „ten, die aus seinen Endschliessungen entste- „hen koͤnten. Du must daher kuͤnftig keine Bit- „ten an mich bringen. Jch werde mich bemuͤ- „hen nur eine Zuschauerin bey allem, was vor- „gehet, abzugeben, und wie wuͤnschte ich, ei- „ne solche Zuschauerin zu seyn, die alles dieses „nicht anginge und nicht ruͤhrete! Als ich noch „Vermoͤgen hatte, etwas zu thun, liessest du „mich dieses Vermoͤgen nicht so gebrauchen, als „ich wollte. Meine Schwester wird sich auch „in die Sache nicht weiter mengen, als nur wenn „ihr dein Vater etwas auftraͤgt. Du wirst al- „so einen harten Stand haben. Hast du etwas „zu hoffen, so ist es von deinen beyden On- „ckles, allein ich glaube, daß sie eben so unbe- „weglich sind, denn sie haben einmahl den „Grund-Satz, (ach! die Maͤnner wissen nicht was Die Geschichte „was Kinder sind: sie haben selbst keine gehabt,) „daß man ein Kind verlohren geben muͤsse, das „in Heyraths-Sachen seinen Eltern nicht folget. „Jch befehle dir, laß diesen Brief in nieman- „des Haͤnden kommen. Verbrenne ihn. Es „ist gar zu viel vom Mutter-Hertzen darin, ob- „gleich die Tochter so wenig kindlichen Gehorsam „uͤbet. Schreibe keinen neuen Brief an mich: „denn ich kan doch nichts zu deiner Erleichte- „rung thun; alles, was dazu gereichen kan, ste- „het in deiner eigenen Gewalt. Nun will ich meine betruͤbte Erzaͤhlung fortse- tzen. Sie werden glauben, daß mir dieser Brief wenig Hoffnung uͤbrig gelassen hat, unmittelbar von meinem Vater etwas zu erhalten. Jch hielt es aber dennoch fuͤr meine Schuldigkeit, an ihn zu schreiben, wenn es auch nur deswegen seyn sol- te, damit ich mir kuͤnftig nicht vorzuwerfen haͤt- te, daß ein Mittel zu meiner Aussoͤhnung ver- saͤumet waͤre. Jch schrieb demnach also an ihn: „Jch unterstuͤnde mich nicht meinem Vater zu „widersprechen, ich baͤte nur um Erbarmen und „Verschonen in diesem eintzigen Stuͤcke, von wel- „chem alle meine jetzige und vielleicht meine kuͤnf- „tige Gluͤckseeligkeit abhinge. Jch ersuche ihn, „daß er sein Kind nicht wegen einer unuͤberwind- „lichen Abneigung verstossen moͤge; und daß er „mich nicht wegen gewisser sehr entfernten Ab- „sichten, die noch auf manche ungewisse Faͤlle „ankaͤmen, aufopfern wolte. Jch beklage mich dar- uͤber, der Clarissa. „uͤber, daß es mir schmertzlich sey von seiner Ge- „genwart ausgeschlossen und auf meine Stube „verbannet zu seyn. Jch verspreche in allen uͤbri- „gen Dingen, dieses eintzige ausgenommen, ei- „nen gantz blinden Gehorsam und voͤllige Ver- „leugnung meines Willens. Jch wiederhole „mein voriges Anerbieten, unverheyrathet zu „bleiben, und frage ihn, ob ich ihm in mei- „nem gantzen Leben je Anlaß gegeben habe, an „der Wahrheit meiner Worte zu zweiffeln? Jch „bitte um Erlaubniß, wieder vor ihn und vor „meine Mutter zu kommen, und meinen Wan- „del unter ihrer eigenen Aufsicht zu fuͤhren: und „es sey dieses desto noͤthiger, weil ich mit Grun- „de glaubte, daß Schlingen fuͤr mich gelegt „waͤren, und daß auch Laͤsterungen und Luͤgen „nicht gesparet wuͤrden, um Worte von mir „herauszulocken, die man wider mich gebrau- „chen koͤnne, da es mir ohnmoͤglich gemacht „sey, mich zu verantworten. Den Schluß „mache ich mit dem Ausdruck: ich hoffete, es „werde meinem Bruder nicht gelingen, einem „ungluͤcklichen Kinde seinen Vater zu rauben. Hier folgt die grausame Antwort, die ich ohne Aufschrifft und unversiegelt aus Elisa- beths Haͤnden annehmen mußte. Sie uͤber- gab mir das Blat mit solchen Geberden, als wenn ihr der Jnhalt nicht unbekant waͤre. Mitte- Die Geschichte Mittewochens. „ J ch schreibe zwar, verkehrtes Gemuͤth, allein „ich schreibe mit alle dem Unwillen, den deine „Halsstarrigkeit verdienet. Es ist eine unerhoͤrte „Frechheit, die ich nicht unbemerckt und unge- „ahndet lassen kan, um Vergebung zu bitten, „wenn man noch den Vorsatz hat in seinem Un- „gehorsam zu beharren. Du trotzest mir, und „kraͤnckest meine eigene Rechte. Deine Schmaͤ- „hungen gegen einen Bruder, der die Crone un- „serer Familie ist, verdienen unser aller schaͤrfste „Ahndung. Jch mercke es, wie wenig du nach „aller Bluts-Freundschaft fragest: und ob ich „gleich die Ursache wohl errathen kan, so ist mir „doch der Gedancke, der mir bey dieser Betrach- „tung aufsteigen muß, unertraͤglich. Deine „Auffuͤhrung gegen eine allzuguͤtige Mutter ‒ ‒ „Doch ich habe keine Geduld mehr zu schreiben. „Bleibe von mir verbannet, als ein ungehor- „sames Kind, bis du deine Pflicht lernest. Un- „danckbares Maͤdchen, dein Brief wirfft mir „in der That vor, daß ich sonst auf eine unver- „staͤndige Weise guͤtig gegen dich gewesen bin. „Schreibe nicht weiter an mich, bis du dich „besser besonnen haben wirst, und bis du weißt, „daß du Gehorsam schuldig bist, deinem mit Recht erzuͤrntem Vater. Mit diesem empfindlichen Briefe erhielt ich zu- gleich noch einen von meiner Mutter ohne Siegel und der Clarissa. und ohne Aufschrifft. Diejenigen, die sich so viel Muͤhe geben ein Buͤndniß der gantzen Familie gegen mich zu stifften, noͤthigten sie ohne Zweifel, ein Zeugniß wider ihr armes Kind zu geben. Es ist dieser Brief weiter nichts als eine Widerholung einiger harten Worte, die zwischen meiner Mutter und mir vorgefallen sind: da ich Jhnen nun hievon schon Nachricht gegeben habe, so brauche ich von dem Jnhalt des Briefes nichts zu melden, als nur dieses, daß sie meinen Bru- der sehr lobet, und mir es verweiset, daß ich sei- ner nicht in Ehren gedencke. Der sechs und zwanzigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Donnerstags Morgens den 9. Maͤrtz J ch habe schon wieder einen Brief von Love- lace/ obgleich sein voriger noch nicht beant- wortet ist. Wie es zugehen mag, das mag GOtt wissen; er erfaͤhrt alles was in unserm Hause vorgenommen wird: meine Gefangenschaft; daß H annichen abgeschaft ist; daß mein Vater, mei- ne Onckles und mein Bruder immer mehr erbit- tert werden: und von ihren Entschliessungen weiß er beynahe mehr, als ich selbst, und fast den Augenblick, wenn sie kaum gefasset sind. Er kan diese Nachrichten ohnmoͤglich durch gute Wege bekommen. Erster Theil. S Er Die Geschichte Es ist voller Unruhe wegen dessen, was er ge- hoͤrt hat, und braucht die staͤrcksten Ausdruͤcke seine Liebe gegen mich und seine Empfindlichkeit gegen jene an den Tag zu legen. Er bittet mich „sehr, ich soll ihm auf meine Ehre versprechen, „daß ich Herrn Solmes nie nehmen will.„ Jch dencke, daß ich ihm dieses leicht versprechen kan. Er bittet ferner,„ ich moͤchte nicht glauben, daß „er sich durch Heruntersetzung anderer bey mir „einzuschmeicheln gedaͤchte: er hoffe vielmehr es „dahin zu bringen, daß er selbst einen guͤnstigern „Blick von mir verdienete. Er suche sich auch „nicht durch Furcht meine Liebe zu erwerben. „Allein er meldet, es werde die Auffuͤhrung mei- „ner Familie gegen ihn so unertraͤglich, daß er „sich seine Gedult bestaͤndig vorwerfen lassen „muͤste. So wohl der Lord M. und seine „beyden Basen, als auch alle seine uͤbrigen „Freunde thaͤten dieses. Wenn alle seine Hoff- „nung auf mich verschwinden solte, so koͤnte er „nicht zum voraus sagen, was ein verzweifel- „ter Mensch fuͤr Dinge vornehmen moͤchte. „Seine Anverwanten und insonderheit diese „beyden Frauenzimmer riethen ihm zwar den „Weg des Rechts an. Allein wie kan einer „sein Recht vor Gerichte suchen, der durch „Worte beleidiget ist, und Erlaubniß hat den „Degen zu tragen? Sie werden sehen, daß meine Mutter eben so voll Furcht ist als ich, und mir auf eine etwas krum- der Clarissa. krumme Art ihre Schorey dazu anbietet, mei- nen Brief an Herrn Lovelace zu bringen. Er schreibt sehr viel von der Hochachtung, die das Frauenzimmer in seiner Familie gegen mich hat, ob ich ihnen gleich von Person weiter nicht bekannt bin, als daß ich die Fraͤulein Patty Mantague bey Frau Knollys gesprochen habe. Es ist natuͤrlich, daß man sucht neue Freunde zu bekommen, wenn man die alten verliert. Ob ich nun gleich vielmehr wuͤnschete, von den meini- gen und von Jhnen, meine liebe Fraͤulein, fuͤr liebenswuͤrdig gehalten zu werden, als von irgend sonst jemand in der Welt; so haben doch jene Personen so viel Hochachtung bey jederman, daß man sich wuͤnschen muß, bey ihnen wohl ange- schrieben zu seyn. Koͤnnen Sie nicht auf eine verdeckte Weise durch Frau Fortescue oder durch Herrn Hickman/ welcher den Lord M. kennet, erfahren, was sie von den Umstaͤnden meiner Fa- milie dencken moͤgen, nachdem so wenige Hoff- nung uͤbrig ist, daß die Verbindung, die sie sonst gebilliget haben, jemals zu Stande kommen werde? Eine so gute Meynung kan ich von mir selbst nicht fassen, daß ich glauben solte, als wuͤnschten sie daß eꝛ bey so vielen Widꝛigkeiten und Verachtung seine voꝛigen Absichten noch beybehal- ten solte. Mir waͤre zwar nichts daran gelegen, wenn sie ihm nunmehr abriethen. Daraus, daß der Lord M. seinen Brief unterzeichnet hat; aus den Versicherungen des Herrn Lovelaces S 2 von Die Geschichte von der Hochachtung der seinigen gegen mich; und aus andern Nachrichten, scheint es fast, als wenn ich noch wohl bey ihnen stehe. Allein es wuͤrde mir doch lieb seyn, wenn ich dieses durch eine unpartheyische Person aus ihrem eigenen Munde erfahren koͤnte: insonderheit da bekannt ist, daß sie es fuͤr ein Gluͤck fuͤr andere halten, mit einer so angesehenen und reichen Familie, als die ihrige ist, verbunden zu werden, und da sie es sehr hoch empfinden, und zwar dieses billig, daß unsere Familie die Verachtung die sie gegen ihren Vetter hatte auch auf sie ausgedaͤhnet hat. Jch thue jetzt diese Frage blos aus Neugier, und ich hoffe nicht, daß mich je eine staͤrckere Ur- sache dazu dringen wird, so vielen Argwohn Sie auch auf mein Hertzklopfen werfen. Selbst als- denn, wenn weniger Einwendungen wider Herrn Lovelace zu machen waͤren, wuͤrde ich doch nur aus Neugier fragen. Jch habe seine Briefe beantwortet. Wenn er mich bey meinem Worte fasset, so werde ich noch weniger Ursache haben, mich darum zu bekuͤm- mern, was seine Anverwandten von mir dencken moͤgen, ob man gleich billig wuͤnschen soll, bey so schaͤtzbaren Personen in Achtung zu stehen. Hier folgt der Jnhalt meines Briefes. „Jch bezeuge ihm meine Verwunderung daruͤ- „ber, daß er alles so fruͤhzeitig erfaͤhrt, was hier im „Hause vorgehet. Jch gebe ihm die Versicherung, daß der Clarissa. „daß wenn er auch nicht in der Welt waͤre ich „doch nie an Solmes dencken wolte. „Jch melde ihm, daß ich es weder fuͤr ein „Zeichen seiner guten Erziehung noch seiner „Werthachtung gegen mich ansehen kan, daß „er (wie ich merckte) dem Trotz und der Ver- „achtung der meinigen eben so viel Trotz und „Verachtung entgegen setzt. So bald ich hoͤren „wuͤrde, daß er einen unter meinen Freunden „wider dessen Willen besucht, so wuͤrde ich mich „entschliessen, ihn nie wieder zu sehen, wenn „ich. es anders vermeiden koͤnte. „Jch schreibe ihm, es sey mir vergoͤnnet wor- „den, diesen Brief an ihn gelangen zu lassen, oh- „ne daß jemand den Jnhalt desselben gelesen „haͤtte: es sey aber unter der Bedingung ge- „schehen, daß es der letzte Brief seyn solte. Jch „haͤtte ihm schon mehr als einmal zu erkennen „gegeben, daß ich geneigt waͤre, unverheyrathet „zu bleiben, ehe noch Herr Solmes uͤber unsere „Schwelle getreten waͤre mich zu besuchen. „Hr. Wyerley und andere Herren haͤtten schon „lange vorhin diese meine Entschliessung gewust, „ehe er selbst in unserm Hause bekannt geworden „waͤre. Jch wuͤrde nie von ihm eine Zeile von „dergleichen Jnhalt angenommen haben, wenn „ich nicht geglaubt haͤtte, eꝛ habe sich gegen meinen „Bruder nicht niedertraͤchtig aufgefuͤhret, und „habe dem ohngeachtet von den meinigen eine „sehr unartige Auffuͤhrung ertragen muͤssen. S 3 Wenn Die Geschichte „Wenn aber auch die meinigen auf seiner Seite „gewesen waͤren, und ich haͤtte meine Neigung „zu dem unverehlichten Stande, den ich so sehr „vorziehe, uͤberwindeu koͤnnen; so wuͤrde ich doch „gegen ihn noch sehr viel einzuwenden gehabt „haben. Jch wuͤrde ihm auch dieses gewiß ge- „sagt haben, wenn ich seinen Besuch fuͤr etwas „mehr als einen ordentlichen und gewoͤhnlichen „Besuch gehalten haͤtte. Jn Betrachtung alles „dieses bitte ich ihn, daß das der letzte Brief seyn „moͤge, den er als eine Antwort auf diesen Brief „an den gewoͤhnlichen Ort bringen moͤchte, um „mich darin zu versichern, daß er sich bey mei- „ner gefasseten Entschliessung wenigstens so „lange beruhigen wolte, bis sich die Zeiten aͤn- „derten.„ Dieses letzte habe ich deswegen einfliessen las- sen, damit er nicht gantz desperat werden moͤchte. Wenn er mich aber bey meinem Worte haͤlt, so bin ich einer Qual los geworden. Jch habe Jhnen versprochen, Jhnen alle seine Briefe nebst meiner Antwort vorzulegen, und ich widerhole dieses Versprechen, und bin eben des- halb in meinen Auszuͤgen aus diesen Briefen kuͤr- tzer. Allein ich kan nicht oft genug mein Un- gluͤck bejammern, daß die Auffuͤhrung der meini- gen mich zwinget, Briefe zu beantworten die vol- ler Liebes-Erklaͤrungen und voller Hoffnung sind, und von einem Manne kommen, gegen den ich so wichtige Einwendungen habe, daß ich ihm nie die geringste Hoffnung zu geben geneigt gewesen bin. Ha- der Clarissa. Haben Sie je einen Menschen gesehen, der in seiner Hoffnung so dreiste gewesen ist? So wie die Schul-Leute oft in einem alten Schriftsteller Schoͤnheiten finden, an die er selbst niemals ge- dacht haben mag: so danckt er mir auf das ver- bindlichste fuͤr meine Guͤtigkeit und Geneigtheit, die ich ihm noch niemals zugedacht habe. Er zwingt mich oft dadurch, ihm zu erkennen zu ge- ben, daß ich von dieser Guͤtigkeit und Geneigtheit selbst nichts weiß: denn ich wuͤrde mir selbst ver- aͤchtlicher vorkommen, wenn seine Erklaͤrungen meiner Ausdruͤcke richtig waͤren. Es geht einem mit ihm, als mit einem hart- maͤuligen Pferde, da einem Hand und Arm lahm wird, wenn man es im Zuͤgel halten will. Wenn Sie seine Briefe lesen, so muͤssen Sie ja kein Ur- theil faͤllen, bis Sie meine auch gelesen haben; sonst werden Sie gewiß glauben, daß Sie in al- lem Recht haͤtten, was Sie von meinem Selbst- Betruge/ von Hertz-Pochen von Roͤthe im Gesicht bisweilen schreiben. Zu anderer Zeit be- schwert sich diese eingefleischte Contradiction dar- uͤber, daß ich gegen ihn so wenig Geneigtheit erzei- ge, und die meinigen so viel Widerwillen und Groll, als wenn er in der Schlaͤgerey mit meinem Bruder der angreiffende Theil gewesen waͤre, und alles Ungluͤck wircklich erfolget waͤre, welches haͤt- te erfolgen koͤnnen. Wenn er bey dieser Abwechselung von Klagen uͤber meine Kaltsinnigkeit, und von Frohlocken uͤber meine eingebildete Guͤtigkeit, etwan die Ab- S 4 sicht Die Geschichte sicht haben solte, daß ich gegen seinen hoͤflichen Danck widrum hoͤflich, und wegen seiner Klagen etwas gefaͤlliger werden soll; wenn nicht Fluͤch- tigkeit und Unordnung die Ursache dieses Wider- spruchs ist: so muß er so unergruͤndlich seyn, und so viel Erfahrung und Uebung in dergleichen Kuͤnsten erlanget haben, als irgend ein Mensch auf der Welt. Wuͤste ich dieses gewiß, so wol- te ich ihn noch mehr hassen als Solmes selbst. Allein genug von einem so bundscheckigten Ge- schoͤpffe. Der sieben und zwanzigste Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clarissa Harlowe. Donnerstag Abends den 9. Maͤrtz. J ch verliere alle Gedult gegen die Leute, unter denen Sie leben muͤssen. Jch weiß nicht, was ich Jhnen rathen soll. Woher wissen Sie, daß Sie darin nicht strafbar sind, da Sie obgleich zu Jhrem eigenen Schaden Anlaß geben, daß Jhres Gros-Vaters Testament unerfuͤllet bleibet? der letzte Wille eines Sterbenden soll billig heilig gehalten werden: so dencken selbst die, die durch dieses Testament zu ihrem Schaden Jhnen nach- gesetzt sind. Jch habe nichts gegen die rechten edlen Ge- dancken einzuwenden, denen Sie damals folgten. Da der Clarissa. Da aber eine so grosse Probe des kindlichen Ge- horsams unbelohnt geblieben ist: so sehe ich kei- ne Ursache, warum Sie nicht wieder in Jhre er- sten Rechte treten wollten. Jhr Gros-Vater kannte die Erb-Suͤnde der Familie wohl; und er wuste, was fuͤr ein edles und gutthaͤtiges Hertz Sie haben. Vielleicht hat er selbst (vergeben Sie mir den Einfall) in seinem Leben zu wenig gutes gethan; und wollte Jhnen deswegen Mittel geben, diesen Mangel der gan- tzen Familie zu ersetzen. Wenn ich es waͤre, so wollte ich warlich wieder in meine Rechte treten. Sie werden sagen, Sie koͤnten das nicht thun, so lange Sie in Jhres Vaters Hause sind. Hierin habe ich andere Einsichten. Koͤnnen sie schlimmer mit Jhnen umgehen, als bisher geschehen ist? Jst es nicht Jhr Recht, was Sie fordern sollen. Jhr Onckle H arlowe und der Obriste Morden sollen fuͤr die Erfuͤllung des Testaments stehen. Fodern Sie Jhr Recht von Jhrem Onckle, und schreiben Sie an den andern. Sie werden sehen, daß sich die Auffuͤhrung der Jhrigen gleich aͤndern wird. Was hat Jhr unverschaͤmter Bruder uͤber Sie zu befehlen? Wenn er mit mir zu thun haͤtte (das wolte ich wol einen Monath lang wuͤnschen, und nicht laͤnger) so solte er den Unterscheid sehen. Jch wolte mich in meinem eignen Hause aufhal- ten, und alle meine guten Absichten erfuͤllen, meine Bekanten und Nachbarn gluͤcklich zu machen. Jch wolte meinen eigenen Wagen und Pferde S 5 hal- Die Geschichte halten, und sie besuchen, wenn sie es verdieneten. Wenn aber mein Bruder und meine Schwester vornehm thaͤten, so wolte ich sie mercken lassen, daß ich ihre Schwester und nicht ihre Magd sey. Wenn sie sich nicht besserten, so wolte ich ihnen mein Thor zuschliessen, und ihnen zu verstehen geben, sie moͤchten sich untereinander die Zeit vertreiben. Das muß ich gestehen, daß das enge Hertz Jh- res Bruders und Jhrer Schwester Ursache finden muß, Jhnen uͤbel zu begegnen, wenn es sei- ner Natur gemaͤß handeln soll. Ohne an die verschmaͤhete Liebe Jhrer Schwester, und an den Geitz Jhres Bruders zu gedencken, so muß ihnen dieses schon eine grosse Kraͤnckung gewesen seyn, daß sie von einer juͤngern Schwester so sehr uͤber- troffen werden. Wie werden solche Nacht-Fa- ckeln bey einer solchen Sonne verdunckelt! und wie kan ihnen dieses ertraͤglich seyn? die Jhrigen muͤssen Sie als eine Mis-Geburt in ihrer Fami- lie ansehen, die sie bewundern aber nicht lieben koͤnnen, so sehr sind Sie ihnen aus der Art ge- schlagen. Der Unterscheid ist unermeßlich. Mit Verdruß mit Schmertzen der Augen muͤssen sie Sie ansehen. Jhre vollkommenen Vorzuͤge, die dem vollen Tage gleich sind, setzen jene in allzu- grossen Schatten. Koͤnnen wir uns denn wol daruͤber verwundern, daß jene die erste die beste Gelegenheit ergriffen haben, Sie herunter zu setzen, damit Sie ihnen etwas aͤhnlicher werden moͤchten. Glau- der Clarissa. Glauben Sie mir gewiß, es wird Jhnen noch mehr zu tragen aufgelegt werden; und je mehr Sie tragen, desto schwerer wird man die Buͤrde machen. Ueber Jhre Abneigung von dem eckelhaften Solmes kan ich mich nicht verwundern. Es ist nicht noͤthig Jhnen noch einen groͤssern Wider- willen gegen ihn beyzubringen, da er Jhnen ohne- hin unertraͤglich ist. Allein wer kan sein Pfund vergraben? mein Pfund scheint darin zu bestehen, daß ich ein eckelhaftes Gemaͤhlde machen kan. Soll ich diese meine Gabe jetzt gebrauchen? Ja ich will es thun! und zwar desto lieber, weil ich dadurch Jhre Abgeneigtheit von Solmes/ und Jhre Bestaͤndigkeit rechtfertige, welche letzte ich an einem so sanften Hertzen bewundere und immer bewundern werde. Zweymal bin ich mit ihm in Gesellschaft ge- wesen. Das eine mahl war Jhr Lovelace mit zugegen: und ich werde Jhnen nicht sagen duͤrfen, daß zwischen beyden ein himmel-weiter Unterscheid war, Jhnen, die Sie jetzt bisweilen eine so artige Neugier haben, ob es gleich weiter nichts als ei- ne blosse Neugier ist. Lovelace unterhielt nach seiner lebhaften Art die gantze Gesellschaft, und jederman muste uͤber seine Schwaͤncke lachen. Damals hatte noch niemand darauf gedacht, Sie mit diesem Unmen- schen zusammen zu schmiden. Solmes war lu- stig, und lachte hertzlich mit. Allein es war sein eigenes Gelaͤchter. Jch glaube, er hat die drey er- Die Geschichte ersten Jahre seines Lebens nichts gethan als Schreyen, und seine Muskeln sind des Heulens so gewohnt geworden, daß sie den Mund nicht zum Lachen ziehen koͤnnen. Selbst sein Laͤcheln (das Sie nie gesehen, und zum wenigsten nie ver- anlasset haben) ist seiner Gesichts-Bildung so fremde und unnatuͤrlich, daß es ihn fast kleidet, als wenn einer aus boͤsem Muthe lachet. Jch war sehr aufmercksam auf ihn, wie ich auf alle solche Wunder-Thiere zu seyn pflege: und er kam mir schon damals eckelhaft und unertraͤglich vor. Jch erinnere mich noch, daß ich recht froh war, als sein Lachen aufhoͤrte, und sein Gesicht sich wieder in die vorigen verdrieslichen Falten legte; wiewohl dieses so langsam geschahe, als wenn die Muskeln, die die Gesichts-Verzerrung veranlasset hatten, durch lauter verrostete Trieb- Federn beweget wuͤrden. Was fuͤr eine fuͤrchterliche Sache muß selbst die Liebe eines solchen Mannes seyn? Wenn ich seine Frau waͤre (was habe ich aber gesuͤndiget, daß ich mir zur Zuͤchtigung nur einen solchen moͤg- lichen Fall erdencke) so wuͤrde ich kein anderes Vergnuͤgen haben, als daß er abwesend waͤre, oder daß ich mich mit ihm zanckete. Ein me- lancholisches Frauenzimmer, das nicht leben kan ohne auf jemand zu keiffen, moͤchte mit ihm vergnuͤgt leben koͤnnen: denn jeder Anblick wuͤrde ihr Gelegenheit geben, sich uͤber ihn zu ereifern, und die Bedienten wuͤrden Ursache haben, ihren Herrn in ihrem Hertzen dafuͤr zu segnen, daß er ihr der Clarissa. ihr genugsame Ursache gaͤbe sich uͤber ihn zu aͤr- gern. Allein wie beschwerlich wuͤrde es einer Frau seyn, die nur ein wenig artig ist, wenn sie jemals sollte uͤberzeuget werden, daß sie aus Versehen ihm etwas zu Gefallen gethan haͤtte! So viel von seinem aͤusserlichen. Jn Absicht auf sein Gemuͤth sagt man von ihm, daß er auf das demuͤthigste kriechen und schmeicheln koͤnne, wo er etwas zu gewinnen hoffet; sonst aber tro- tzig und unertraͤglich sey. Sind nicht alle nieder- traͤchtige Gemuͤther so beschaffen? Wenn ihn nur eine eintzige Person beleidiget hat, so soll er des- wegen voll Verachtung und Rachgier gegen die gantze Familie seyn: und so soll er fast gegen al- le seine Anverwandten gesinnet seyn. Man hat mir gesagt, daß keiner unter ihnen so schlimm sey als er: und vielleicht ist dieses die Ursache davon, daß er sie enterben will. Meine Kytti hat von einem seiner Bedienten gehoͤrt, daß ihm alle seine Paͤchter feind sind, und daß er noch niemals einen Bedienten gehabt haͤtte, der wohl von ihm redete. Er soll recht niedertraͤchtig-argwoͤhnisch seyn, daß sie ihn be- triegen moͤchten, und darum schaft er sie bald ab. Es scheint, daß er von andern nach sich selbst urtheilet. Seine Taschen sollen immer mit Schluͤsseln an- gefuͤllet seyn. Wenn er einen Gast hat (einen Fꝛeund hat er in deꝛ Welt nicht, aus genom̃en einen aus Jhrer Familie) so muß er so lange suchen, und fragen, welches der rechte Schluͤssel zu jedem Din- Die Geschichte Dinge ist: daß unter der Zeit sein knickerisches Gast-Gebot bey nahe zu Ende seyn koͤnte. Wenn Wein vorfallen soll, so holt er ihn immer selbst: allein dieses giebt ihm wenig Muͤhe, weil er kei- nen andern Besuch hat, als den Geschaͤfte oder die aͤusserste Noth in sein Haus treiben. Denn wer nur umhin kan, der wuͤrde lieber unter frey- em Himmel bleiben, als bey ihm einkehren. Das ist der Mann, der aus eben so gewinn- suͤchtigen und poͤbelhaften Absichten ausgesucht ist, der Braͤutigam, d. i. der Herr und Tyrann von Fraͤulein Clarissa Harlowe zu werden. Vielleicht ist er nicht voͤllig so schlimm, als man ihn abmahlet. Ein allzuvortheilhaftes oder allzuschlimmes Bild, so man von dem Gemuͤthe anderer hat, pflegt selten recht aͤhnlich zu seyn: bey jenem hat oͤfters die Neigung und bey diesem der Widerwille allzuviele Nebenstriche gemacht. Als meine Mutter gegen Jhren Onckle Anton seines Geitzes gedachte, so sagte dieser: man wuͤrde ihn nach Jhrem Willen zu binden suchen. (Das wird besser mit einem Strick von Hanff, als durch die Bande der Ehe geschehen.) Jst dieses nicht ein deutliches Zeugniß, daß selbst diejenigen, die fuͤr ihn sind, schlechte Gedancken von seinem Gemuͤthe haben? und daß man wol gar daruͤber mit ihm einen Contract schliessen muß, daß er Jhnen die Nothdurft nicht soll mangeln lassen? doch genug, und mehr als genug, von einem solchen Menschen! Sie sollen ihn nicht neh- men, mein Hertz! davon bin ich hinlaͤnglich uͤber- zeuget: der Clarissa. zenget: allein ich sehe nur nicht, wie Sie es ver- meiden wollen, ihn zu nehmen, falls Sie sich nicht der Freyheit bedienen wollen, die Jhnen Jhr Gut und Eigenthum giebt. Bis hieher hatte ich geschrieben; so kam mei- ne Mutter unvermuthet herein, und wolte mei- nen Brief sehen. Jch war so albern, daß ich ihr die Beschreibung vorlaß, die ich von Herrn S olmes gemacht habe. Sie gestand, daß man sich wol einen bessern Mann wuͤnschen koͤnte, und daß er nicht sonder- lich aussaͤhe. Allein sie fragte mich, was doch bey Manns-Personen an der Schoͤnheit gelegen sey? Jch bekam einen Verweiß, daß ich Jhnen gerathen hatte, Jhren Eltern ungehorsam zu seyn. Hierauf folgte eine Predigt von dem Vor- zuge eines Mannes, der niemand etwas schuldig waͤre, und das seinige zu Rathe hielte, vor einem wilden Verschwender. Sie wissen, wie reich die- se Materie ist, es mag nun auf jemand insbe- sondere gezielt werden, oder nicht. Allein war- um zwingen uns diese allzuweise Eltern, dadurch daß sie von einigen Leuten allzuviel boͤses sagen, diese Leute zu vertheidigen? Lovelace ist kein Verschwender, und niemanden etwas schuldig. Wild genug ist er, das leugne ich nicht. So bald wir diesen Leuten Gerechtigkeit widerfahren lassen, so heißt es gleich, wir waͤren von ihnen eingenommen. Diese Beschuldigung macht uns erst neugierig/ was eine solche Person oder ihre Ver- Die Geschichte Verwandten von uns halten moͤgen, und endlich entstehet daraus eine vorzuͤgliche Neigung/ oder etwas, das einer Neigung sehr aͤhnlich ist. Meine Mutter befahl mir, die letzte Seite zu aͤndern und von neuen abzuschreiben. Allein mei- ne Mutter mag mir das vergeben; ich will mein Gemaͤhlde nicht umsonst gemacht haben: dazu wird mich nichts bewegen koͤnnen. Meine Fe- der schrieb von selbst; und alles was mir bis- her von meinen Aufsaͤtzen gefallen hat, das hat auch das Gluͤck gehabt, Jhren Beyfall zu erhalten. Die Ursache laͤßt sich leicht errathen: wir haben nur ein Hertz. Unser eintziger Unter- scheid ist, daß Sie mir ein wenig zu ernsthaft, und ich Jhnen ein wenig zu munter vorkomme. Selbst diese unsere Verschiedenheit mag wol die Ursache einer so zaͤrtlichen Liebe zwischen uns seyn, daß (nach dem Ausdruck der Frau Norris ) nichts drittes erdacht werden kan, das uns eben so zaͤrtlich liebete. Denn jede von uns hat einen kleinen Fehler, den die andere wahrnimt, und wie haben wir uns so lieb, daß wir es einander nicht uͤbel nehmen, wenn wir uns diesen Fehler vor- halten. Keine von uns beyden verlangt ihren Fehler zu verbessern. Dieses macht, daß keine Eifersucht zwischen uns entstehet, die uns erst heimlich verdrießlich, denn neidisch machen, und endlich in einen Widerwillen ausbrechen koͤnte. Wenn ich hierin recht gerathen habe, so wollen wir beyde unsere Fehler behalten: sie sind uns nuͤtzlich, und wir koͤnnen uns immer mit unserm Tempe- der Clarissa. Temperament entschuldigen. Was fuͤr ein Held oder Heldin muͤste das seyn, der seine Schoos- Suͤnde, seinen Temperaments-Fehler ausrotten koͤnte? es sey nun der Geitz, (den ich um einiger Willen nicht nennen darff) oder die allzugrosse Ernsthaftigkeit meiner besten Freundin, oder die uͤbertriebene Munterkeit der Person, die ich nicht noͤthig habe zu nennen. Jch kan Jhnen nicht verhalten, daß ich die Neugierde meiner Mutter befriedigen, und ihr einige Stellen aus Jhren Briefen zeigen mußte. Meine Mutter ist so neugierig als jemand seyn kan. Jch bin zwar verhindert worden. Jch will Jhnen aber bald melden, was zwischen mir und meiner Mutter vorgefallen ist, als sie ihr Maͤd- chen, ihren theuren Hickmann, und Lovela- ce auf einmal in den Gedancken hatte. Sie sagte: „wenn ich alles uͤberlege, so kan ich „nicht leugnen, daß ich einige Haͤrte darin finde, „wie mit der Fraͤulein Harlowe verfahren wird: „und dennoch ist es wahr, was ihre Frau Mut- „ter sagt, daß es sehr empfindlich sey, ein Kind „zu haben, das wegen seines Gehorsams gegen „seine Eltern in geringern Dingen bekant ist, „und sich nun in der wichtigsten Sache ihrem „Willen widersetzt. Jch muß beyden Theilen „ihr Recht widerfahren lassen: Es ist Schade, „daß der Braͤutigam, den die Jhrigen haben Erster Theil. T wol- Die Geschichte „wollen, nicht die Vorzuͤge hat, die ein Gemuͤth „von so zaͤrtlichen und verwehnten Geschmack an „einem Freyer suchen moͤchte. Allein der Mann „ist doch wahrhaftig besser, als ein Boͤsewicht: „ein Boͤsewicht, der sich noch dazu mit ihrem „eigenen Bruder geschlagen hat. So wuͤrden „die Eltern dencken, wenn auch dieser letzte Um- „stand nicht dazu kaͤme: und es waͤre wunderlich „wenn die Eltern es nicht besser verstehen solten, „als die Tochter.„ Freylich, dachte ich bey mir selbst, das solten sie thun, weil sie mehr Erfahrung haben: wenn nur nicht bisweilen einige kleine und schmutzige Absich- ten sie mit Vorurtheilen fuͤr einen Freyer einneh- men, da sie es ihren Toͤchtern verdencken, daß sie ihrer Meinung nach Vorurtheile zum Vortheil des andern haben: und wenn nur kein alter, krie- chender, verschimmelter Onckle Anton in den Fa- milien waͤre, der die Vorurtheile der Eltern noch staͤrcker macht, wie er es bey meiner Mutter zu machen pflegt. Der elende, kriechende Geist! der sich nicht einreden noch uͤberfuͤhren laͤst! Was hat so ein alter vermuckter Hagestoltz mit Eltern von den Pflichten der Kinder aus dem vierten Gebot zu schwatzen, da er gar keinen Begriff von den Pflichten hat, welche die Eltern hinwie- derum ihren Kindern schuldig sind? allein Jhre Frau Mutter hat durch ihre traͤge Geduld (ich kan sie mit keinem andern Namen benennen) alle drey Bruͤder verdorben. Du der Clarissa. „Du wirst aber den Unterschied sehen, mein „Kind (fuhr meine Mutter fort) wenn du be- „denckst, wie ich mit dir umgehe. Jch preise „dir einen der tugendhaftesten Maͤnner in Eng- „land an, der zugleich einer der artigsten ist (Meiner Mutter Einsichten in die Artigkeit und Auffuͤhrung einer Manns-Person gelten bey mir sehr wenig. Sie urtheilet fuͤr ihre Tochter nach eben den Regeln, nach welchen sie vor zwantzig Jahren fuͤr sich selbst geurtheilet haben wuͤrde: denn von diesem alten Schrot und Korn scheint mir Hickman zu seyn, wenn ich auf sein Gemuͤth sehe. Sie werden selbst nicht leugnen koͤnnen, daß er allzupuͤnctlich und gezwungen, und viel zu voll von Complimenten ist.) „Einen Mann (fuhr meine Mutter fort) von „guter Familie, der artige, unverschuldete und „eintraͤgliche Guͤter hat. (Eine Haupt-Betrach- tung, die meine Mutter mit gewissen andern Leuten gemein hat) „Jch bitte und flehe dich, „ihm einige Hoffnung zu geben, und ihm zum „wenigsten nicht deswegen unartiger zu begeg- „nen, weil er so folgsam gegen dich ist.„ (Das waͤre eben recht, wenn ich ihm freundlich begegnete. Er wuͤrde mir bald vertraulich be- gegnen wollen. Fremde muß man gegen die dreisten Manns-Leute thun!) „Alles dieses richtet bey dir nicht so viel aus, „daß du meinem Willen folgetest. Was wuͤrdest „du sagen, wenn dir so begegnet wuͤrde, als der „Fraͤulein Harlowe von ihrem Vater und Mut- „ter?„ T 2 Was Die Geschichte Was ich sagen wollte? antwortete ich: das ist leicht zu beantworten. Jch woll- te nichts sagen. Koͤnnen sie ein solch Be- tragen gegen ein solches Frauenzimmer fuͤr ertraͤglich halten? „Komm, meine Tochter, uͤbereile dich nicht „so. Du hast nur die eine Parthey gehoͤrt: und „aus den Stellen, die du mir vorgelesen hast, sehe „ich, daß sich noch viel von der Sache reden laͤßt. „Es sind ihre Eltern: sie muͤssen es am besten „verstehen. Fraͤulein Harlowe ist zwar ein „artiges Kind: allein sie muß etwas geredet, „oder gethan, oder sonst versehen haben, daß „ihr ihre Eltern so aufsaͤtzig geworden sind. „Du weißt selbst, wie sehr sie sonst ihr Kind „liebeten.„ Allein wie wenn sie gar nichts versehen haͤtte? Wie sehr haben alsdenn ihre Eltern Unrecht? Jch mußte hierauf von Solmesens grossen Guͤtern hoͤren, von seiner trefflichen Haushaltung: „ ein wenig zu genau sey er zwar„ (dis war ihr sanfter Ausdruck. Wie zaͤrtlich drucken sich doch die von dem Geitz aus, die das Geld uͤber- maͤßig lieben! Wiewohl in Vergleichung gegen Herrn Solmes fuͤhret sich meine Mutter wie eine Fuͤrstin auf.) „Was koͤnnen nicht verlieb- „te Vorurtheile bey jungen Frauenzimmer aus- „richten?„ Jch weiß nicht, mein Schatz, wie es zugehet, daß sich die Leute so viel Muͤhe geben, ein verlieb- tes der Clarissa. tes Paar auszufinden. Erweckt etwan eine Neugier die andre? Jch glaube, daß dieses die Ursache ist. Sie fuhr fort Herrn Lovelaces Gestalt, seine natuͤrliche Gaben, und seine durch Fleiß erwor- bene Geschicklichkeit zu ruͤhmen. Allein das Ur- theil war doch endlich das Urtheil einer Mutter, das sich eine Tochter ungern gefallen laͤst. Sie konte aber wider Jhr Anerbieten, mit ihm zu bre- chen, und unverheyrathet zu bleiben, nichts ein- wenden; wenn nur, wenn (drey oder viermal wenn, wo einmal genug gewesen waͤre) wenn man sich nur darauf verlassen koͤnte. Endlich bleibt doch der blinde Gehorsam das Ende vom Liede in meiner Mutter Reden, ich mag sagen was ich will. Die Lehre kriege ich sowol als Sie, Jch kan nicht leugnen, daß der Gehorsam gegen die Eltern eine wichtige und in Gottes Augen angenehme Pflicht eines Kindes sey: al- allein ich dancke GOtt, daß ich nicht Jhre Probe von dieser Pflicht abzulegen habe. Wir alle sind so, so lange gut, als wir keine Versuchung zum Boͤ- sen haben: das aber weiß ich, daß wenige jun- ge Frauenzimmer, die sich noch dazu selbst hel- fen koͤnnen, dasjenige ertragen wuͤrden was Sie ertragen. Jch will nicht alles schreiben, was ich in mei- nem Hertzen von dem Verfahren Jhres Vaters, Jhrer Onckels, und Jhrer uͤbrigen Anverwand- ten dencke, um Sie nicht zu beleidigen. Jch bilde T 3 mir Die Geschichte mir aber jetzt auf die Richtigkeit meiner Urtheile noch einmal so viel ein, als sonst, weil ich nie- mals einen aus Jhrer gantzen Familie habe auf- richtig lieben koͤnnen, Sie allein ausgenommen. Jch bin nicht zur Freundschaft mit diesen Leu- ten gebohren: allein gegen meine Freundin auf- richtig zu seyn erfodert meine Schuldigkeit, und wenn Fraͤulein Clarissa Harlowe dieses be- denckt, so wird sie jene freymuͤthigen Erklaͤrun- gen ihrer Anna Howe entschuldigen. Jch haͤt- te billig Jhre Frau Mutter mit ausnehmen sol- len, die alle meine Ehrerbietung und jetzt auch mein Mitleiden verdienet. Wie viel muß sie ausgestanden haben ehe sie sich dergestalt hat un- ter das Joch bringen lassen? der gute seelige Burggraf hat es sich wol nie lassen in die Ge- dancken kommen, daß sich sein Kind so wuͤrde buͤcken muͤssen, als er diese seine liebe seine eintzige Tochter an einen dem Anschein nach so artigen Herrn gab, den sie selbst gewaͤhlet hatte. Ein anderer wuͤrde Jhren Vater einen Tyrannen nennen, wenn Sie sich scheuen den Namen von ihm zu gebrauchen: und wenn Sie Jhre Frau Mutter lieben, so haben Sie nicht Ursache mit der Welt dieses Urtheils wegen zu zuͤrnen. Dem ohngeachtet habe ich weniger Mitleiden mit Jhrer Frau Mutter, wenn ich bedencke, daß sie sich zu niedrig fuͤr ihre Geburt und uͤbrigen Vor- zuͤge aufgefuͤhrt hat, es mag nun das Podagra oder was sonst will die Ursache seyn, daß Jhr Va- ter so hart und verdrießlich ist; und daß sie sol- chen der Clarissa. chen Leuten, die immer weiter greiffen (verstehen Sie nur Jhren Bruder, wenn sie nicht gern auf jemand auders dencken wollen) allzu viel nachge- geben hat, um fuͤr sich einen Frieden von kurtzer Dauer zu erhalten, der deswegen nicht werth ist, daß ihm etwas aufgeopfert wird, weil er den Ei- gensinn der uͤbrigen staͤrckete, sie selbst aber der- gestalt schwaͤchete, daß sie endlich gantz und gar unter das Joch gebracht ist, welches haͤrter ward je mehr sie es mit Gedult ertrug. Wie kan man es endlich entschuldigen, wenn sie wider ihre eigene Einsichten ein so unvergleichliches Kind verlohren giebt, daß es den eigennuͤtzigsten Ab- sichten der allergeringschaͤtzigsten Leute aufgeopfert werden soll? Allein ich fliehe von dieser Materie. Jch mag wol schon mehr davon gesagt haben, als Sie mir vergeben koͤnnen, und ich habe doch noch bey weiten nicht alle Klagen ausgeschuͤttet, die mein Hertz wider die allzugeduldige Person einzubringen hat. Herr Hickman wird diesen Abend von London zuruͤck erwartet. Jch habe ihn gebeten, sich nach Herrn Lovelaces Auffuͤhrung und Umgang in der Stadt zu erkundigen: und ich werde sehr boͤ- se auf ihn seyn, wenn er es nicht gethan hat. Erwarten Sie ja keine allzu gute Nachrichten: er ist ein Kopf voll boͤser Erfindungen, und der zu verworrenen Haͤndeln Lust hat. Mir ist dieses gantze Geschlecht sehr veraͤchtlich. Wenn doch die Manns-Leute unsere Eltern gehen liessen, und sie nicht zu unserer Plage mit guͤlde- T 4 nen Die Geschichte nen Versprechungen, mit Liebes-Erklaͤrungen, mit Entwuͤrffen vortheilhafter Ehe-Pacten, und wie sonst der praͤchtige Unverstand Namen haben mag, plagten! Wie vergnuͤgt koͤnten Sie und ich mit einander leben, und jener insgesamt la- chen! allein wir muͤssen durch Schmeicheleyen in die Schlinge gebracht werden, wie ein unbedacht- sames Voͤgelchen: einige Wochen werden wir als Printzeßinnen verehret, um auf Lebens-lang Sclavinnen zu werden. Was Sie von Sol- mes sagen, das muß ich von allen diesen Leuten sagen, daß sie mir unertraͤglich sind. Wenn aber Jhre Anverwandten, ( Freunde sollen sie in mei- nen Briefen nie wider heissen, denn sie sind des Namens unwuͤrdig) von einem solchen Kerl das Kauf-Geld annehmen, das er fuͤr Sie bietet, wenn sie zugeben, daß er alles das seinige seiner eigenen Familie auf ewig entwendet; o wie muß alsdenn ein nur mittelmaͤßig-billiges Hertz vor ihren Anschlaͤgen einen Abscheu haben! Herr Hickmann soll sich bey dem Lord M. Jhrer Frage wegen unter der Hand erkundigen. Jch kan Jhnen aber wol zum voraus melden, was er und seine Schwestern sagen werden. Wer sollte es sich nicht fuͤr eine Ehre schaͤtzen, mit Fraͤulein Clarissa Harlowe verwandt zu wer- den? Frau Fortescue hat mir sonst erzaͤhlet, daß sie insgesamt grosse Bewunderer von Jh- nen sind. Wenn mein Rath vorhin nicht deutlich genug gewesen ist, so kan ich ihn mit einem Worte oh- ne der Clarissa. ne Umschweif ausdrucken: er besteht in weiter nichts, als in widernehmen. Wenn Sie ihr Gut nur wiedernehmen, so wird sich das uͤbrige von selbst geben. Wir haben hier Nachricht, daß so wohl Frau Norton als Jhre Base Hervey fuͤr den blinden Gehorsam ist. Jch wollte mich von Hertzen mit ihr zancken, wenn sie das verdauen kan, daß die Bemuͤhung und der Fleiß so sie auf Jhre Erzie- hung gewandt hat, und Jhre eigene vortrefflichen Natur-Gaben und uͤbrigen Vorzuͤge, verschwen- det, und einem so unwuͤrdigen Menschen als Solmes ist Preis gegeben werden sollen. Sie moͤgen vielleicht glauben, daß ich hiedurch die gu- te Frau bey Jhnen herunter zu setzen suche: und Sie haben nicht gantz unrecht hierin. Denn ich liebe Frau Norton (wie mich duͤnckt) etwas weniger, als ich thun wuͤrde, wenn Jhre Liebe gegen sie nicht allzu groß und mercklich waͤre, und ich mit voͤlliger Gewißheit glauben koͤnte, daß Sie mich mehr liebten, als sie. Jhre Frau Mutter sagt Jhnen zum voraus, daß Sie viel auszustehen haben werden, und daß Sie jetzt unter Jhres Vaters Zucht sind? (Das sind Worte, die mir schon eine Person veraͤcht- lich machen koͤnnen, welche sich ihrer bedinet.) Daß sie Jhnen nicht weiter helffen kann? daß was Sie gutes zu erwarten haben von Jhren Onckles zu erwarten ist? Jch hoffe, mein Schatz, Sie werden zu diesen unverstaͤndigen Ausdruͤcken die Anmerckung hinzu schreiben: nachdem ich T 5 mei- Die Geschichte meine Onckles nicht mehr sprechen darff. Jst es moͤglich, daß eine solche Gemahlin, eine solche Schwester, eine solche Mutter, nichts bey den Jhrigen ausrichten kan? Wer will denn, (wie Sie selbst gesagt haben) heyrathen, wenn es zu aͤndern stehet? Jch mercke, daß mein Zorn von neuen aufwachet. Nehmen Sie Jhr Gut wieder, mein Schatz: mehr will ich nicht schrei- ben, um Sie nicht zu betruͤben, da ich Jhnen doch nicht helfen kan. Nur dieses noch! ich bin Jhre wahrhafftig ergebene Freundin und Dienerin Anna Howe. Der acht und zwantzigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe/ Freytags den 10. Maͤrtz. S ie werden mir vergoͤnnen, ein paar Stellen Jhres neulichen angenehmen Briefes zu ahnden, die mir sehr empfindlich sind. So niedergeschlagen ich auch bin, so kan ich Jhnen doch nicht verheelen, daß ich auf Sie sehr ungehalten bin, weil Sie die meinigen allzuheftig tadeln, sonderlich meinen Vater; und weil Sie so gar meines Gros-Vaters in der Erde nicht scho- nen. Selbst Jhre Frau Mutter kan Jhrem scharffen Tadel nicht entgehen. Man kan sich zwar der Clarissa. zwar bisweilen selbst nicht enthalten, von denen frey zu reden und zu schreiben, die man liebet, wenn einem der Schmertz allzu sehr zu Hertzen dringet: allein man will doch nicht, daß sich an- dere eben die Freyheiten heraus nehmen. Sie koͤnnen sich auch so starck ausdrucken, wenn Sie uͤber jemand misvergnuͤgt sind, daß ich mich selbst anklagen muß, so bald ich bey kuͤhlen Blute aus Jhren allzustrengen Briefen sehe, wie wenig ich der meinigen geschonet haben muͤsse. Erlauben Sie mir, daß ich mich nach Befinden der Um- staͤnde bey Jhnen uͤber die meinigen beklage: su- chen Sie aber durch einen guten Rath, den ich, von niemand besser als von Jhnen erhalten kan, mein aufgebrachtes Gemuͤth zu besaͤnftigen; da Sie wissen, wie viel ihr Rath und Zurede bey mir vermoͤgen. Jch kan zwar nicht leugnen, daß es mir lieb ist, daß Sie wegen der Verachtung die Herr Solmes von mir verdienet mit mir einerley Meinung sind: allein ich muß doch sagen, daß er nicht voͤllig ein solches Ungeheuer ist, als Sie aus ihm machen. Jch verstehe dieses von seiner Gestalt: denn von seinem Gemuͤth haben Sie nach allen dem, was ich gehoͤrt habe, ein sehr aͤhnliches und richtiges Bild gemacht. Allein Sie haben eine solche Gabe, eckelhafte Bilder zu mahlen, und so viel Lebhaftigkeit: daß Jhre Be- schreibungen oͤfters daruͤber die Wahrscheinlichkeit verlieren. Kurtz, ich weiß, daß Sie bisweilen mit dem Zweck die Feder ergreiffen, alles zu schrei- Die Geschichte schreiben, was Jhnen Jhre lebhafte Erfindungs- Kraft eingiebt, wenn es gleich nicht voͤllig mit der Sache uͤbereinstimmet. Man koͤnnte zwar erwarten, daß ich weniger hievon sagen sollte, weil Sie aus Liebe zu mir auf jenen ungehalten sind. Sollten wir uns aber nicht billig bestreben, so von uns und allem dem was uns betrifft zu urtheilen, als wir mit Recht glauben koͤnnen, daß andere von uns und von unsern Handlun- gen urtheilen werden? Was Jhren Rath anlangt, das meinige wider zu nehmen, so bin ich einmal vest entschlossen, kei- nen Proceß mit meinem Vater anzufangen, es mag auch daraus kommen, was da will. Jch werde Jhnen vielleicht zu anderer Zeit eine voll- staͤndigere Antwort auf diese Jhre Gedancken ge- ben koͤnnen: jetzt will ich blos die Anmerckung machen, daß Herr Lovelace es schwerlich der Muͤhe werth achten wuͤrde, sich um mich zu be- werben, wenn er diese meine Entschliessung wuͤßte. So viel auch die Manns-Personen schmeicheln, so haben sie doch immer ihre Absich- ten auf dasjenige gerichtet, was ihnen bestaͤndig bleibt. Sie thun recht daran. Es muͤste einem die Liebe sehr thoͤricht vorkommen, wenn man am Ende wider zuruͤcksaͤhe, und sie haͤtte Leute, die zum Ueberfluß geboren sind, in Duͤrfftigkeit ge- setzt, und ein erhabenes Gemuͤth in die Umstaͤnde gebracht, daß es anderer Gnade leben muͤste. Sie haben einen sehr artigen Einfall; daß der Unterscheid unserer Gemuͤther macht, daß wir uns der Clarissa. uns desto mehr lieben. Jch bekenne es, daß ich hierauf sonst nicht gedacht haͤtte: und es kan doch wohl etwas daran seyn. Jch will dieses nicht ausmachen, aber so viel versichern, daß ich Sie um eines jeden Verweises willen, den Sie mir geben, desto mehr lieben will, sobald sich nur die erste Hitze abgekuͤhlt haben wird. Verschonen Sie meiner demnach nie, wenn Sie Unarthen an mir bemercken. Jch liebe Jhre an- genehme Satyre: und Sie wissen daß ich dieses immer gethan habe. Wenn ich gleich Jhrer Meinung nach allzu ernsthaft bin, so habe ich Sie doch noch nie fuͤr allzu leichtsinnig gehalten, wie Sie es auszudruͤcken belieben. Eine der er- sten Bedingungen unserer Freundschaft war, daß wir einander unsere Meinung frey entdecken sollten, ohne deswegen auf einander ungehalten zu werden: und ohne diese Bedingung kan kei- ne Freundschaft bestehen. Jch wuste schon zum voraus, daß Jhre Frau Mutter von einem Kinde blinden Gehorsam verlangen wuͤrde. Jch bedaure, daß ich in sol- chen Umstaͤnden bin, in denen mir der Gehorsam unmoͤglich faͤllt; wie meine Frau Norton sagt, daß es meine Schuldigkeit sey, zu gehorchen, wenn ich koͤnte. Sie sind gluͤcklich, da Sie nichts zu uͤberwinden haben, als Jhre angeneh- me aber sondernbaren Einfaͤlle, um die Bitte Jhrer Frau Mutter zu erfuͤllen, und Herrn Hickmann zu waͤhlen. Wie vergnuͤgt wollte ich seyn, wenn mir mit so vieler Gelindigkeit be- gegnet Die Geschichte gegnet wuͤrde. Jch wuͤrde schamroth werden, wenn meine Mutter sagte, daß sie mich baͤte und flehete, und doch alles vergeblich, einem Herrn, wie Herr Hickman ist, gegen den ich nichts ein- wenden koͤnte, einige Hoffnung zu machen. Jch schaͤme mich selbst, meine liebe Fraͤu- lein, wenn Jhre Frau Mutter in Absicht auf mich gegen Sie saget: was koͤnnen nicht verliebte Vorurtheile bey jungem Frauenzimmer ausrichten? dieses ruͤhret mich desto mehr weil Sie so fertig sind, durch Jhre Ueberredun- gen dergleichen Vorurtheile bey mir zu erwecken und zu staͤrcken. Es waͤre mir zu verdencken, wenn ich vor Jhnen die geheimste Neigung, die ich bey mir entdecke, geheim halten wollte: und ich muß gestehen, daß dieser Mensch, dieser Lovelace mir gut genug anstehen wuͤrde, wenn er solche gute Eigenschaften an sich haͤtte, als Herr Hickman, ja wenn nur einige Hoffnung zu seiner Besserung uͤbrig waͤre. Aber das Wort, Liebe/ so kurtz es ist, klinget doch gar zu starck und lang in meinen Ohren. Jndessen finde ich, daß ich durch die gewaltsameu Gegen- Mittel der Meinigen Schritt vor Schritt so weit getrieben werden koͤnte, daß ich endlich etwas bey mir fuͤhlte, ‒ ‒ ich weiß nicht wie ich es nennen soll: eine Zuneigung unter gewissen Be- dingungen? das Wort Liebe bedeutet zwar in gewissen Faͤllen eine sehr rechtmaͤßige und liebens- wuͤrdige Sache, wenn es von den Pflichten un- ter Menschen, und so gar von unserer Pflicht ge- gen der Clarissa. gen das allerhoͤchste Wesen gebraucht wird. Man kan in solchem Verstande die Liebe etwas goͤttliches nennen. Allein in diesem besondern, engen, eigennuͤtzigen Verstande hat es fuͤr meine Ohren einen unertraͤglichen Klang. Schreiben Sie deswegen in andern Stuͤcken so frey als Sie wollen, so werde ich Sie um Jhrer Vertraulich- keit willen nur desto mehr lieben: allein wegen der Ehre unseres Geschlechts wuͤnschete ich, daß nur diese Beschuldigung Jhrer Feder oder Jhren Lippen nicht so leicht entfahren moͤchte, wenn ich auch nicht die beschuldigte Person waͤre. Denn das audere Geschlecht wuͤrde daruͤber doppelt frohlocken koͤnnen, daß ein Frauenzimmer von Jhrer Artigkeit, ein Frauenzimmer, das alle Manns-Personen so hertzlich verachtet, als Sie haben wollen, daß man es von Jhnen glauben soll, an einer Freundin verliebte Zuneigung mit einem kleinen Hohn-Gelaͤchter entdecket. Jch koͤn t e noch mehr Anmerckungen uͤber den Jnhalt Jhrer beyden letzten Briefe machen, wenn mein Gemuͤth etwas freyer waͤre. Zu diesen we- nigen war ich allzu sehr gereitzt, und ich konte mich nicht enthalten, die Dinge etwas zu ahn- den, die mich dazu reitzten. Jch werde Sie in dem naͤchsten Briefe von dem weiteren Betragen der meinigen benachrich- tigen. Der Die Geschichte Der neun und zwantzigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Sonnabends den 11. Maͤrtz. J ch habe von meinem Bruder und von mei- ner Schwester so empflndliche Complimen- te bekommen, und so offenhertzige Versprechun- gen dessen, was ich von ihnen zu erwarten habe, wenn ich nicht nachgeben werde, (und dieses alles hat noch dazu die Elisabeth Barnes mit ihrer gewoͤhnlichen Grobheit an mich bestellen muͤssen) daß ich fuͤr noͤthig hielt, etwas freyer mit ihnen zu sprechen, ehe ich mich an meine Onckles, dem von meiner Mutter gegebenen Winck gemaͤß, wendete. Jch habe es aber auf eine solche Weise gethan, daß Sie dadurch grossen Vortheil uͤber mich und Gelegenheit mich zu tadeln erhalten wer- den, wenn Sie eben so davon urtheilen wollen, als Sie uͤber den Jnhalt eines Theils meiner vorigen Briefe geurtheilet haben. Kurtz, Sie werden sa- gen, daß ich sehr verliebt bin, wenn nicht die Ursa- chen die mich bewogen haben, meine Schreibart in Absicht auf Herrn Lovelace zu aͤndern, Jh- nen ein bessere Meinung von mir beybringen. Denn ich habe geglaubt, es sey am besten, diese Leute bey ihren fuͤnf Augen zu lassen; und da sie es einmal behaupten wollen, daß ich eine vorzuͤgliche Neigung gegen Herrn Lovelace habe, ihnen Ursache zu diesem Verdacht zu geben. Die- der Clarissa. Dieses sind kuͤrtzlich die Ursachen meiner ver- aͤnderten Schreib-Art. Erstlich; der wichtigste Bewegungs-Grund, den sie mir vorgelegt haben, war dieser: ich gestuͤnde selbst/ daß mein Hertz ftey und ungebunden waͤre. Da sie nun hieraus schliessen, daß ich keinen andern Freyer, der mir besser gefaͤllt, verleugnen darf, so kommt ihnen meine Auffuͤhrung eigensinnig und hartnaͤckig vor; und sie glauben, daß meine Abneigung ge- gen Herrn Solmes uͤberwunden werden koͤnne, und muͤsse, weil ich billig meinem Vater gehor- chen, und die Absichten und Ehre meiner Fa- mile befoͤrdern helfen soll. Zum andern; ob sie gleich diese Schluͤsse ma- chen, um mich zum Stilleschweigen zu bringen, so scheinen sie mir doch keinen Glauben beyzumes- sen, sondern begegnen mir so hart und so schim- pflich, als wenn ich mich in einen Laquaien mei- nes Vaters verliebt haͤtte. Es hat mir also nichts genutzet, daß ich bereit gewesen bin, unter einer gewissen Bedingung gaͤntzlich von Herrn Lo- velace abzulassen. Ferner, so glaube ich nicht, daß mein Bruder eine gegruͤndete Ursache hat, ihn zu hassen. Seine unordentliche Neig n ng gegen unser Ge- schlecht wird unter seinen Lastern immer oben an gesetzt, und ich muß davon bestaͤndig hoͤren, ich leugne auch nicht, daß dieses ein grosser Fehler an ihm sey: kommt es aber aus Liebe zu mir, daß meinem Bruder dieses Laster des Herrn Lovelace Erster Theil. U uner Die Geschichte unertraͤglich ist? Nein gewiß nicht! Sein gan- tzes Betragen zeiget deutlich, daß er mich als eine Person ansiehet, die ihm im Wege stehet. Die Gerechtigkeit selbst giebt mir einen Beruf, fuͤr einen Mann zu reden, den mein Bruder ge- nug gereitzt hat, und der dennoch nicht alles ge- than hat, was er thun konte, und was mein Bruder gethan haben wuͤrde. Jch glaube des- wegen, es wuͤrde nicht schlimm seyn, ihnen ein kleines Schrecken einzujagen, und sie mercken zu lassen, daß die bisher angewandten Mittel ihrem Endzweck gerade zuwider waͤren. Jst es endlich wol eine grosse Schmeicheley oder ein Lob fuͤr Herrn Lovelace/ wenn ich geste- he, daß ich ihn dem Menschen vorziehe, mit dem sie mich bisher geschrecket haben. Fraͤulein Howe (dachte ich) tadelt mich deswegen, daß ich mich andern allzusehr zu Fuͤssen werfe, und mir durch meine Gedult mehr Beleidigungen von meinem Bruder zuziehe. Jch will mir jetzt diese werthe Freundin zum Muster vorstellen; und um aller vorhin erwaͤhnten Ursachen willen es versuchen, ob ich etwas dadurch gewinnen werde, wenn ich ein wenig von ihrem Muth annehme, es mag mich auch so sonderbar kleiden als es will. So dachte ich, und schrieb folgendermassen an meinen Bruder, und an meine Schwester. Mein Brief an meinen Bruder. Da mir so begegnet wird, wie mir bisher be- gegnet ist, und da ihr grossentheils, wo nicht ein- der Clarissa. eintzig und allein Ursache daran seyd: so muͤßt ihr mir erlauben, daß ich euch meine Meynung frey entdecke. Jch verlange nicht, etwas euch unangenehmes zu schreiben, allein ich werde auf- richtig und offenhertzig gegen euch seyn muͤssen. Die Sache selbst erfodert dieses. Vergoͤnnet mir zufoͤrderst, euch zu melden, daß ich eure Schwester und nicht eure Dienst- Magd bin. Es schickt sich deswegen eben so wenig fuͤr mich, die bittern und schimpflichen Complimente, die ihr mir bey einer Gelegenheit sagen lasset, dabey ihr nichts zu befehlen habt, zu ertragen und ungeahndet zu lassen; als es sich fuͤr euch schickt, euch dergleichen zu unterfangen. Setzet den Fall, daß ich den Mann heyrathe- te, der euch misfallig ist, und daß ich keinen hoͤflichen und liebreichen Gemahl an ihm haͤtte: werdet ihr dadurch berechtiget, ein unhoͤflicher und liebloser Bruder zu seyn? Warum wolt ihr mir dieses Ungluͤck zum voraus empfinden lassen, wenn es ja mein Schicksaal ist, daß ich es kuͤnftig empfinden soll? Gewiß der Mann muͤste ein Unmensch seyn, der seiner Frau schlim- mer begegnen koͤnte, als ihr seit einiger Zeit eurer Schwester begegnet habt. Befraget euch selbst, ob ihr euch wuͤrdet unter- standen haben, eurer Schwester Arabella das zu bieten, wenn ihr die Person, welche ihr has- set, angestanden haͤtte? Jch wolte euch sonst wol den Rath geben, euer Betragen nicht darnach ein- zurichten, was ihr meynt, das ich leiden kan, U 2 son- Die Geschichte sondern was billig ist mir aufgelegt zu wer- den. Wie wuͤrdet ihr es empfinden, wenn ihr einen Bruder haͤttet, und er wolte in eben dem Falle so mit euch umgehen, als ihr mit mir? Koͤnt ihr euch noch der Laconischen Antwort erinnern, die ihr meinem Vater gabt, als er euch die Fraͤulein D'Oily vorschlug? Jch kan sie nicht leiden! waren eure Worte; und diese Antwort ward damals fuͤr zulaͤnglich gehalten. Jhr muͤst genugsam wissen, daß mir der Ur- heber meines schimpflichen Ungluͤcks nicht un- bekant seyn kan. Jch darf mich nur erinnern, wie guͤtig sonst mein Vater gegen mich gewesen ist, und mir erlaubet hat, andere Partheyen aus- zuschlagen. Jch werde wol rathen koͤnnen, von wem es herkommt, daß man eine gemeinschaftli- che Sache daraus macht, mir einen Freyer auf- zudringen, gegen dessen Person und Sitten mehr einzuwenden ist, als gegen irgend einen der Herren, deren Antrag ich habe verbitten duͤrfen. Jch verlange die beyden Leute nicht mit ein- ander zu vergleichen: und in der That ist auch keine Vergleichung moͤglich. Der gantze Unter- scheid, der dem einen zum Nachtheil gereicht, be- trifft nur einen eintzigen Punct. Dieser ist zwar wichtig genug: allein fuͤr wen ist er am wichtig- sten? Jch dencke doch, fuͤr mich! (wenn ich an- ders Lust zu ihm haͤtte) und nicht fuͤr euch. Jndessen solt ihr finden, daß ich diesem Herrn eben so voͤllig entsagen will, als dem andern, wenn der Clarissa. wenn ihr nur nicht durch eure sonderbare Klug- heit ihn und mich naͤher verbindet, und uns durch ein gemeinschaftliches Leiden zwinget, es mit einander zu halten. Jch habe schon einen Vor- schlag dieses Jnhals gethan. Jch hoffe nicht, daß ihr mir neue Ursache geben werdet, zu glau- ben, daß ihr die Annehmung meines Vorschlages hintertrieben habt. Es ist betruͤbt, daß ich an euch einen Bruder, aber nicht einen Freund habe: ohngeachtet ich mir nicht bewust bin, euch in einigem Stuͤcke be- leidiget zu haben. Jhr werdet euch vielleicht nicht so weit herab- lassen, daß ihr einer albernen Schwester von eurer bisherigen Auffuͤhrung Rede und Antwort gebet. Wenn ich aber um eur selbst und um meines Geschlechts willen keine Hoͤflichkeir von euch erwarten darf: so werde ich doch Gerech- tigkeit und Billigkeit fodern duͤrfen. Der vornehmste Zweck, deswegen ein junger Cavallier die Universitaͤt beziehet, ist dieser, daß er soll richtig dencken und seine Affecten im Zaum halten lernen. Jch hoffe, mein Bruder, ihr wer- det nicht wollen, daß wer uns beyde kennet, das Urtheil faͤllen soll, als haͤtte ich das zweyte Stuͤck, das ich vorhin erwaͤhnte, bey der Neh-Nadel besser gelernt, als ihr auf der Universitaͤt. Es thut mir wahrhaftig leid, daß ich oft habe von andern hoͤren muͤssen, daß eure ungestuͤmen Affe- cten fuͤr eure Erziehung und Stand eine schlechte Ehre seyn sollen. U 3 Jch Die Geschichte Jch hoffe, ihr werdet mir die Freyheit verge- ben, die ich mir gegen euch nehme. Jhr habt mich dazu gezwungen, und ihr habt euch viel groͤssere Freyheiten gegen mich erlaubt, ohne Ursache dazu zu haben. Wenn ihr ja ungehalten seyn wolt, so seyd es nicht auf die Folgen eurer Handlungen, sondern auf eure Handlungen selbst, welche die Ursachen dieser Folgen sind. Alsdenn wird euch eine genaue Pruͤfung eurer selbst lehren, das zu unterlassen, was die Ursache hiezu gewesen ist, und mein Bruder wird einer der allerartigsten jungen Herren werden. Jch gebe euch diesen Winck aus einer aufrich- tigen schwesterlichen Liebe, so lieblos ihr euch auch bisher gegen mich aufgefuͤhrt habt, und nicht aus einer naseweisen Tadelsucht, die ihr mir bisher bestaͤndig habt Schuld geben wollen. Erlaubt mir, eure nun vielleicht widerkehrende Liebe anzuruffen, mein eintziger Bruder/ und gebt mir Ursache, euch auch einen mitleidigen Freund von mir zu nennen. Denn ich bin, und will ewig seyn Eure liebreiche und ergebenste Schwester Cl. Harlowe. Hier folgt meines Bruders Antwort. An Fraͤulein Clarissa Harlowe. Jch weiß, daß kein Ende eures albernen Schreibens seyn wird, wenn ich mich nicht uͤber- winde, an euch zu schreiben. Jch thue es also: allein der Clarissa allein ich will mich mit einem so naseweisen Maͤd- chen, das mir prediget und Fragen zur Beant- wortung vorlegt, in keinen schrifftlichen Streit einlassen, sondern euch nur verbieten, mich ferner mit eurem wohlgeschriebenen artigen Unverstande zu quaͤlen. Jch weiß gar nicht, wozu der Witz den Frauens-Leuten nutzt, als dazu, daß sie sich erheben, und andere neben sich verachten. Jhr, Fraͤulein Naseweis/ seyd dadurch uͤber Pflicht und Gehorsam hinaus gekommen, und wolt weder Rath noch Befehl von euren Eltern und von andern Leuten annehmen. Fahret nur so fort, man wird euch desto mehr zu kraͤncken suchen: das wird der gantze Nutzen davon seyn. Kind. Jch werde dieses zu thun suchen, wenn ich anders kan, so lange ihr den abscheulichen Lovelace liebet, den eure gantze Familie mit Recht hasset. Aus eurem Briefe sehen wir deut- lich, was wir vorhin nicht ohne Ursache befuͤrch- tet haben, daß sich eur unbesonnenes Hertz von ihm mehr als zu sehr hat fesseln lassen. Allein je staͤrcker ihr gefesselt seyd, desto mehr Gewalt muß man anwenden die Fesseln zu zerreissen, da- mit ein solches abgefallenes Kind gebunden ist. Seyd versichert, daß wir es daran nicht werden ermangeln lassen. Ohngeachtet eurer muͤrrischen und gehaͤßigen Predigten solt ihr doch an mir einen Freund und einen Bruder haben, wenn ihr nicht beydes selbst verschertzet. Wenn ihr aber Lovelacen zu heyrathen gedenckt, so bitte ich euch, haltet fuͤr keins von beyden Jacob Harlowe. Nun Die Geschichte Nun will ich Jhnen auch die Abschrifft des Briefes an meine Schwester, nebst ihrer unar- tigen Antwort mittheilen. Womit habe ich euch beleidiget, liebe Schwe- ster, daß ihr mit einem so harten Hertzen nicht allein meinen Vater sondern auch meine Mutter noch mehr gegen mich aufzubringen sucht, anstatt daß ihr euch bemuͤhen soltet, sie zu besaͤnftigen? Jch wuͤrde dieses gewiß thun, wenn ihr euch in meinen ungluͤcklichen Umstaͤnden befinden soltet. Stellet euch nur an meine Stelle, liebe Arabella; stellet es euch vor, daß man euch zwingen wolte, Herrn Lovelace zu heyrathen, gegen den ihr einen Widerwillen gefasset habt; wuͤrde euch die- ser Befehl nicht ungemein hart scheinen? Und gewiß eur Widerwillen gegen Herrn Lovelace kan ohnmoͤglich groͤsser seyn, als meiner gegen Herrn Solmes ist. Liebe und Abneigung ste- hen ja nicht bey uns: wir koͤnnen sie bey uns nicht erwecken und nicht daͤmpfen. Vielleicht haͤlt es mein Bruder fuͤr ein Zeichen eines maͤnnlichen Gemuͤths, nichts von den sanf- tern Gemuͤths-Bewegungen zu wissen. Er hat sich selbst in unserer Gegenwart geruͤhmet, daß er noch niemals eine besondere Liebe zu einer Per- son empfunden habe: und er wird sie auch wol kuͤnftig nicht empfinden, weil ihn andere Nei- gungen staͤrcker beherrschen, und sein erster Ver- such zu lieben schlecht ablief. Da er noch von Universiaͤten raucht, und kaum unter dem Hoff- meister der Clarissa. meister zu stehen ausgehoͤrt hat; so mag er Lust haben, selbst den Hoffmeister uͤber unser Geschlecht zu spielen, das in Sitten und Art zu dencken gaͤntzlich von ihm verschieden ist. Denn was sind nach seiner Erzehlung die Collegia auf der Universitaͤt anders, als Stuffen der Tyranney, da die aͤltern Studenten die Tyrannen der neuange- kommenen, und die Hoffmeister wieder die Tyran- nen uͤber diese sind? Es ist nicht so sehr zu ver- wundern, daß er bey einem solchen allzu maͤnn- lichen Geiste sich bemuͤhet, eine arme Schwester zu unterdruͤcken und uͤber sie zu herrschen, sonder- lich wenn ihn der Groll gegen jemand und seine eigennuͤtzigen Absichten (die ihr selbst sonst an ihm getadelt habt) dazu antreiben. Allein daß es eine Schwester nicht mit ihrer Schwester haͤlt, sondern mit ihm Parthey macht, um Vater und Mutter ihr abgeneigt zu machen, und zwar dieses in einer Sache in der es sonst die Frauens-Leute mit einander zu halten pflegen: das ist gewiß nicht artig von euch gehandelt. Jch erinnere mich der Zeit noch wohl, in der man an Herrn Lovelaces Besserung gar nicht verzweifelte, und es fuͤr keine vergebene’ oder tadelhafte Bemuͤhung hielt an ihm zu arbeiten, um einen so klugen Mann wieder auf den Weg der Ehre und Tugend zu bringen. Jch verlange die Probe nicht selbst zu machen: Jch muß aber dem ohngeachtet bekennen, daß, wenn ich auch sonst keine Neigung gegen ihn haͤtte, die schim- pflichen Zwangs-Mittel, die fuͤr einen Solmes U 5 ange- Die Geschichte angewandt werden, eine Neigung gegen ihn bey mir erwecken koͤnten. Legt einmal auf eine Stunde alle Vorurtheile bey Seite, und stellet zwischen den beyden Leuten in Absicht auf Geburt, Erziehung, Verstand, Auffuͤhrung, Ansehen, und ihr gantzes Betragen eine Vergleichung an; und faͤllet euer Urtheil von beyden. Dem ohngeachtet will ich bey meiner so oft gegebenen Erklaͤrung bleiben, und den un- verheyratheten Stand erwaͤhlen, wenn man da- mit zufrieden ist. Jch kan ohnmoͤglich in solchem Mißverstaͤnd- niß mit den meinigen leben: ich wolte sie mir gern alle zu Freunden machen, wenn ich nur koͤnte. Wuͤrde es aber nicht unrecht, wuͤrde es nicht schimpflich seyn, einen Mann zu nehmen, der mir unertraͤglich ist. Da ich sonst nie ge- wohnt gewesen bin, mich dem Willen meines Vaters zu widersetzen, sondern im Gehorsam meine Freude gesucht habe: so koͤnt ihr eben daraus abnehmen, wie starck meine Abneigung gegen diesen Mann seyn muß, die mich zwinget, mich seiner auf eine Art zu erwehren, welche mit so vielen unangenehmen Folgẽ fuͤr mich verknuͤpft ist. Habt denn, liebe Arabelle/ meine Schwester, meine Freundin, meine Gesellschafft, meine Rathgeberin in meinen ehemaligen gluͤcklichern Umstaͤnden, habt einiges Mitleiden, und macht durch eure Vorbitte wiedrum gemeinschafftliche Sache, mit Eurer stets ergebenen Clarissa Harlowe. der Clarissa. Die Antwort auf diesen Brief. Jhr moͤget es nach eurer Weisheit fuͤr artig oder fuͤr unartig erklaͤren, so will ich doch meine Meynung von euch und von eurer Auffuͤhrung in Absicht auf Herrn L ovelace frey schreiben. Jhr seyd ein verliebtes albernes Maͤdchen bey aller eurer Weisheit. Das beweiset eur Brief in mehr denn zwantzig Stellen. Niemand glaubt euch, wenn ihr das alte Lied anstimmet, daß ihr unverheyrathet bleiben wolt. Das ist nur eine Ausflucht, die ihr erfindet, um eurer Pflicht und dem Gehorsam gegen Eltern aus dem Wege zu gehen, die so guͤtig gegen euch gewesen sind, als Eltern in der Welt seyn koͤnnen. Nun geniessen sie den Danck fuͤr ihre Guͤtigkeit. Wir alle haben ehemals geglaubt, daß ihr ein sanftes und liebreiches Hertz haͤttet. Aber woher kam es? Niemand hatte euch widerspro- chen, alles ging nach eurem Kopf. So bald ihr aber erfahret, daß man sich euren Wuͤnschen wi- dersetzt, wenn ihr euch an einen liederlichen Kerl hengen wolt, so zeiget ihr euch in eurer wahren Gestald. Der Vorwand ist: ihr koͤnt keine Liebe zu Herrn S olmes fassen. Schwester, Schwester, ich muß euch die Ursache entdecken: Herr Lovelace hat eur verliebtes Hertz gefesselt, ein Boͤsewicht, den wir alle mit Recht hassen, und an dessen Haͤnden noch eures Bruders Blut klebet. Den Kerl wolt ihr zu einem Verwanten von uns machen. Woltet ihr doch das wol thun? Jch Die Geschichte Jch verliere alle Gedult, daß ihr es nur als moͤglich ansehen koͤnt, daß ein solcher Kerl mir gefallen koͤnte. Was das anlanget, daß ihr meynet, es sey ihm ehemals in unserm Hause eine Hoffnung gegeben worden; so war dieses vorher, ehe wir ihn kannten. Allein der Beweiß, der uns uͤberzeugt hat, solte auch billig einige Kraft bey euch haben, und wuͤrde sie gehabt haben, wenn ihr nicht ein albernes und unbedaͤchtliches Maͤdchen waͤret, welches jedermann bey dieser Gelegenheit siehet. Wie gelaͤuffig ist euch die Feder, wenn ihr den liederlichen Menschen erhebet! Geburt, Erzie- hung, Ansehen, Verstand, Auffuͤhrung, Mine, Vermoͤgen, alles wird heraus gestrichen: und das allzu vollstaͤndige Register seiner Vollkom̃en- heiten muß noch dadurch vermehret werden, daß ihr einer Sache mehr als einen Namen gebt. Was fuͤr eine Kette von verliebten Lobes-Erhe- bungen! Und doch wolt ihr unverheyrathet blei- ben! Ja das kan ich glauben! Da so viel einge- bildete Vollkommenheiten eures verliebten Rit- ters vor euren verblendeten Augen herum schwer- men! Nicht mehr hievon! Allein laßt euch die gute Meynung von eurem eigenem Verstande nicht dahin bringen, daß ihr alle andere Leute fuͤr Narren haltet; und meynt nicht, daß wir alle nach eurer Pfeiffe tantzen werden, wenn ihr einen klaͤglichen Ton anstimmet. Jhr habt Erlaubniß, so oft an mich zu schrei- ben, als es euch belieben wird. Dis soll die letzte der Clarissa. letzte Antwort und die letzte Nachricht von Em- pfang eurer Briefe seyn, die ihr in dieser Materie und Umstaͤnden erhalten werdet von Arabella H arlowe. Jch hatte schon Briefe an meine beyden Onck- les fertig. Meines Onckles Harlowe Diener begegnete mir in dem Garten, und ich gab ihm beyde, um sie zu bestellen. Wenn ich aus der Antwort meines Bruders und meiner Schwester auf sie schliessen soll, so werde ich von ihnen nicht viel troͤstliches zu erwarten haben. Allein ich werde mir die ungluͤcklichen Folgen der Sache de- sto weniger Schuld geben durfen, wenn ich vor- hin alle moͤgliche Mittel versuche. Sie sollen beyde Briefe in Abschrifft zu sehen bekommen, wenn ich erst weiß, was sie ausgerichtet haben, falls sie anders einiger Antwort gewuͤrdigt werden. Der dreyßigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe/ an Fraͤulein Howe. Sonntag Abends den 12. Maͤrtz. D er Mensch, der Lovelace macht mir vielen Kummer. Seine Dreistigkeit und Ueber- eilung ist sehr groß. Er ist diesen Nachmittag in unserer Kirche gewesen, vermuthlich, um mich zu Die Geschichte zu sehen. Wenn er das gehoffet hat, so muß ihm dieses mahl sein Spion ausgeblieben seyn. Schorey war in der Kirche, und ihr meistes Augenmerck war auf seine hochmuͤthige Geberden gerichtet gewesen, als er sich aus seinem Stuhl nach dem Stuhl umsahe, in dem wir zu sitzen pfle- gen. Mein Vater, meine beyden Onckles, mei- ne Mutter und Schwester waren gegenwaͤrtig. Zum Gluͤck war mein Bruder nicht in der Kirche. Sie kamen voller Unruhe nach Hause. Die gan- tze Versammlung hatte auf niemand als auf ihn gesehen; denn dieses war das erstemal nach der ungluͤcklichen Schlaͤgerey, daß er unsere Kirche besuchte. Wozu kan er doch gekommen seyn? Wolte er trotzen, und gleichsam durch seine Geberden die Meinigen herausfodern, wie Schorey sagt, und wie es andere aus seinen Geberden geschlos- sen haben? Kam er um meinet willen, und mey- nete er, daß er durch eine solche Auffuͤhrung gegen meine Verwanten mir einen Dienst thaͤte? Er weiß wie groß ihr Haß gegen ihn ist: und er wird sich keine Muͤhe geben, diesen Haß zu besaͤnftigen, wenn es auch moͤglich waͤre. Wir haben beyde sonst von seinem Hochmuth mit einander geredet/ und Sie haben ihm dieses Laster im Schertz empfindlich genug vorgewor- fen: allein an statt sich zu entschuldigen hat er es ihnen frey gestanden, gerade als wenn dieses Ge- staͤndniß genug waͤre. Jch der Clarissa. Jch glaubte immer sein Stoltz sey kein solcher Fehler, aus dem ein Schertz gemacht werden koͤnte. Bey Leuten von Stande und Mittein ist der Stoltz ein allzu thoͤrichtes und baͤurisches Laster. Wenn sie Ehre verdienen so werden sie sie gewiß haben auch ohne daß sie die Welt darum mahnen. Wer durch seine hochmuͤthige Geber- den und Betragen Ehrerbietung zu erlangeu sucht, der scheint ein Mistrauen in seine Verdienste zu setzen, und zu gestehen, daß seine uͤbrigen Hand- lungen ihm keine Ehrerbietung erwerben werden. Ueber den vornehmen Stand und Rang moͤgen die hochmuͤthig seyn, denen diese Vorzuͤge neu sind: sie werden aber dadurch bey andern ver- aͤchtlich werden, und die Nachrede von Bauren- Stoltz hoͤren muͤssen, damit sie sich ihres Gluͤckes nicht allzusehr uͤberheben. Jst es zu entschuldigen, daß dieser Herr hoch- muͤthig und vornehm thun will, der es desto we- niger noͤthig haͤtte, weil er noch so viel Artigkeit in Gestalt und Bildung hat, und so viel gelernt haben soll. Seine eigenen Gesichts-Zuͤge be- straffen ihn. Wie sehr ist er ohne Entschuldi- gung! Was macht ihn stoltz? gewiß nicht seine guten Thaten, auf die man allein sich mit Recht etwas einbilden kan. Sind es seine aͤussern Vorzuͤge? Muͤssen nicht andere von den innern Vorzuͤgen einer Person schlechte Gedancken be- kommen, die ihren Hochmuth auf eine Sache von so kurtzer Dauer gruͤndet? Einige Leute moͤ- gen vielleicht in Sorgen stehen, daß andere auf sie Die Geschichte sie mit Fuͤssen treten wuͤrden, wenn sie sich nicht bruͤsteten. Eine niedertraͤchtige und gemeine Beysorge! Denn wer eine solche Meynug von sich hat, der trit sich selbst mit Fuͤssen. Allein Lovelace koͤnte versichert seyn, daß Bescheiden- heit und Demuth ihn recht zieren wuͤrde. Er hat Gemuͤths-Gaben: allein diese, und die Artigkeit seiner Person, sind Schlingen gewesen, dadurch er sich hat fangen lassen. Man siehet daraus, daß wenn seine Maͤngel und Vorzuͤge gegen einander abgewogen werden solten, der Ausschlag sehr auf die Seite der ersteren fallen wuͤrde. Wenn sich meine Freunde noch laͤnger auf mei- ne Vorsichtigkeit verlassen haͤtten, die sie mir nicht absprechen, und darauf sie sich zu Anfang verliessen, so glaubte ich, daß ich Herrn Lovelace ausgemercket haben wuͤrde. Jch wuͤrde alsdenn eben so fertig gewesen seyn, ihm den Korb zu ge- ben, als andern, und als ich jetzt entschlossen bin, Herrn Solmes niemals zu nehmen. Wenn die meinigen mein Hertz nur kenneten! Es wird ge- wiß ehe entzwey brechen, als mich zu etwas verlei- ten, das fuͤr mich, fuͤr mein Geschlecht oder fuͤr meine Familie ein Flecken seyn koͤnte. Nehmen Sie mir nicht uͤbel, daß ich in meinen Briefen gleichsam soliloquia mache. Wie bin ich von einem Gedancken auf den andern gera- then! Allein die Veranlassung dazu ist mir in allzu frischem Gedaͤchtniß. Unten ist alles in Bewegung. Scho- der Clarissa. Schorey saget, Herr Lovelace habe bestaͤn- dig meiner Mutter Augen gewahret, und sich ge- gen sie gebeuget: sie haͤtte ihm auch gedanckt. Er hat sonst meine Mutter immer bewundert. Jch glaube, sie wuͤrde ihn auch nicht hassen, wenn es ihr nicht befohlen waͤre, und wenn sie die Schlaͤ- gerey nicht entruͤstet haͤtte. Der D. Lewin war in der Kirche. Als er sahe was alle Leute sahen, nemlich daß unsere Fa- milie uͤber Herrn Lovelaces Gegenwart sich so unruhig bezeigete, war er so guͤtig, sich mit ihm in ein Gespraͤch einzulassen, und ihn aufzuhalten bis sie sich in die Kutschen gesetzt hatten. Es scheint, daß mein Vater alle Tage hitziger gegen mich wird, und meine Onckles gleichfalls. Diesen Morgen haben sie meine Briefe bekom- men. Wenn sie mich einer Antwort wuͤrdigen, so wird sie (ich befuͤrchte es) zeigen, daß Herr Love- lace sehr zur Unzeit in die Kirche gekommen ist. Auf meine Mutter moͤgen sie auch (wie ich hoͤre) ungehalten seyn, weil sie Hn. Lovelace gedanckt hat. Was fuͤr ein Widersacher auch so gar von der Welt-uͤblichen Hoͤflichkeit ist der Haß! obgleich durch die Hoͤflichkeit der mehr Ehre erlanget, der sie erzeiget, als dem sie erzeiget wird. Es sagen nunmehr alle meine Freunde, sie saͤhen nur Einen Weg vor sich, aller Unruhe und allem Pochen des Menschen ein Ende zu machen. Jch soll also dar- unter leiden. Was richtet der unvorsichtige Mensch doch aus? Gewinnen seine Sachen ein besseres Ansehen, als vorhin? Erster Theil. X Jch Die Geschichte Jch fuͤrchte sehr, daß seine Gespenst-maͤßige Erscheinung eine Bedeutung hat, und der Vor- bote einer noch groͤssern Uebereilung ist. Wenn er in unser Haus kommt, (wie er mich denn sehr bittet ihm das zu erlauben) so fuͤrchte ich, daß Mord und Todschlag daraus entstehet. Wenn ein solches Ungluͤck nicht anders vermieden werden kan, so wollte ich mich lieber lebendig begraben lassen. Es wird jetzt grosser Rath gehalten. Jch glau- be daß meine Briefe in Erwaͤgung gezogen wer- den. Es ist dieses schon heute fruͤh geschehen, und das war eben die Veranlassung, daß meine Onck- les in unsere Kirche kamen. Jch will Jhnen, wie ich neulich versprach, die Abschriften dieser Briefe schicken, so bald ich sehe, ob ich ihnen auch die Ant- wort darauf uͤbersenden kan. Dieser mein jetzi- ger Brief ist nicht geschrieben, um Jhnen Nach- richten zu geben, sondern er ist blos die Wirckung meiner Furcht, und meines Unwillens gegen den, der mir so viel Furcht verursachet hat. Sechs Zeilen waͤren schon genug gewesen, Jhnen alles zu melden, was ich zur Sache gehoͤriges geschrieben habe. Cl. H. S iehe den sechs und dreißigsten B rief/ in welchem Herr Lovelaces eigene Er- zaͤhlung der Ursachen zu finden ist/ die ihn bewogen haben in die Kirche zu kommen. Der der Clarissa. Der ein und dreyßigste Brief von Hrn. Lovelace an Juncker Johann Belford. Montags den 31. Maͤrtz. U msonst umsonst quaͤlst du mich mit deinen Bruͤdern, Diese Herren richteten ihre vertrauten Briefe nach der Roͤmischen Schreibart ein: und nahmen sich einander keine Freyheit vor uͤbel, wenn sie in diese Schreibart eingekleidet war. daß ich nach L ondon reisen soll: so lange ich noch ungewiß bin, ob ich diese stoltze Schoͤne besiegen werde. Alles was ich bis- her ausgerichtet habe, kan ich mir nicht zuschrei- ben, sondern eintzig und allein ihrer Vorsorge fuͤr die Sicherheit mir verhaßter und mit Recht ver- haßter Leute. Du befiehlst; ich soll dir schreiben, ob ich kom- men will? Das kan ich thun. Jch kan mit einem Unterthanen und ohne Unterthanen kom- men. Meine Erzaͤhlung soll dir das Raͤthsel er- klaͤren. Der boshafte Bruder meiner Schoͤnen hat ei- nen andern Freyer auf die Bahn gebracht: das habe ich dir schon bey Herrn Hall erzaͤhlet. Es ist der allerschlechteste, wenn man auf Gestalt und ei- gene Vorzuͤge siehet: allein seine Versprechungen machen ihn zum fuͤrchterlichsten Gegner, den ich bisher gehabt habe. Keine X 2 Die Geschichte Keine Seele der Harlowischen Familie hat seinen Verheissungen widerstehen koͤnnen. Keine Seele! was sage ich? Gerade als wenn jemand aus dieser Familie, meine Goͤttin aus genommen, eine Seele hatte! Sie widersteht ihnen allen, und wird deswegen eingesperret, und auf andere Wei- se hart gehalten. Ein finsterer Vater, von unuͤber- windlichem Eigensinn, thut dieses auf Anstifften eines aufgeblasenen und eigennuͤtzigen Bruders. Du kennest die Leute: ich will das Papier durch eine solche Beschreibung nicht besudeln. Was fuͤr eine verworrene Sache, die zu lieben, deren Vater, deren Bruder, deren Onckels, de- ren Familie ich ewig verachten muß? Und, (der Teufel!) die Liebe waͤchst mit ihrer ‒ ‒ Verach- tung? ‒ ‒ Hochmuth? ‒ ‒ Uebermuth einer ange- beteten Abgoͤttin? Nein! so kan ich es nicht nen- nen. Blos ihre Tugend ist es, die mir meine Wuͤnsche so schwer macht. Jch werde dafuͤr ge- straft, daß ich kein schleichender Suͤnder, kein Heuchler bin; daß ich weniger fuͤr meinen guten Namen besorat gewesen bin, und der Laͤsterung er- laubt habe, ihren Mund gegen mich zu oͤffnen. Jst es aber einem solchen, als ich bin, noͤthig ein Heuch- ler zu werden? mir, der ich alle Bitten erhielt, die ich je gethan habe? Der ich niemals Furcht erweckte, ohne daß man eine herrschende Liebe dabey gewahr werden konte? Der Poet hat Recht: Die Tugend ist ein Spiel/ der S chau- Platz ist die Welt. Kunst ists/ und nicht Natur/ was sie fuͤr Tugend haͤlt. Allein der Clarissa. Allein es scheinet, daß ich diese Kunst nachma- chen muß, wenn ich dieses unvergleichliche Kind gewinnen will. Warum aber soll ich sie nach- machen? Kan ich mich nicht in der That bessern? Jch habe nur ein eintziges Laster. Habe ich meh- rere, Kerl? du kennest mein Hertz, wenn es ein Mensch auf der Welt kennet: du kennest es, wenn ich mich anders selbst kenne. Allein mein Hertz ist ein verfluchter Betruͤger: es hat seinen H errn oft betrogen. S einen Herrn! Jetzt bin ich nicht Herr von meinem Hertzen. Jch habe von dem Augenblick an aufgehoͤrt, Herr daruͤber zu seyn, da ich diesen Engel gesehen habe; ohngeachtet ich vor- hin schon so viel von ihr gehoͤrt hatte, daß es schien, die Reuigkeit und das Unerwartete wuͤr- de mich nicht ruͤhren koͤnnen. Denn was muͤste das fuͤr ein Gemuͤth seyn, das die Tugend nicht bey andern anbetet, wenn es gleich selbst nicht tugend- haft ist? Du weist, daß ich mich nur aus Verwech- selung der Personen an eine, die Arabelle hieß, machte: der verworrene Kopf, der alte Onckle, war Schuld daran. Jch kam eben von Reisen, und er solte mir den Zugang zu einer Goͤttin ver- schaffen: allein er fuͤhrte mich zu einem sehr sterb- lichen Bilde. Mein Frauenzimmer, war so guͤ- tig und so bereitwillig, daß ich nicht wenig Muͤhe hatte, mich vor ihrem Ja zu bewahren, ohne es mit der Familie gantz zu verderben, die mir meine Goͤttin geben sollte. Jch habe damit geprahlt, daß ich sonst ver- liebt gewesen bin. Jch meinte es selbst, daß das Liebe waͤre. Jch hatte kaum angefangen mich X 3 zu Die Geschichte zu fuͤhlen: die Hochgeborne Hure nahm mich da- mals ein, deren Untreu ich an allen Frauenzim- mern raͤchen will, die ich in meine Macht be- komme. Meine Nemesis ist schon in mehr als einem Lande wenigstens durch eine Hecatombe solcher Opfer verehret worden. Wenn ich aber uͤberdencke, was ich damals war, und was ich jetzt bin, so muß ich bekennen, daß ich vorhin nie verliebt gewesen bin. Was war denn das, fragst du mich, daß ich fast von Verstande kam, als ich mich von jener betrogen fand? Wohlan, ich will es dir sagen, so gut ich es mich erinnern kan. Es war ‒ ‒ ja was? ich kan kaum sagen was es war. Mich duͤnckt, es war ein heftiger Trieb zur Neuigkeit. Die verworrenen Poeten, die in ihren Beschrei- bungen Gottheit und Menschheit zusammen setzen, hatten eben so viel Theil daran, als das Frauen- zimmer: sie feureten meine Einbildungs-Kraft an, und ich wollte durchaus der Schoͤpfer einer Goͤttin werden. Jch muste die Fluͤgel probieren, die mir kaum gewachsen waren, und mich in Son- net, Elegy, Madrigal und so weiter versuchen. Jch muste eben so wohl meine Cynthia, meine S tella, meine S acharissa haben, als der beste unter ihnen: ich muste meinen Cupido mit Pfei- len, mit Flammen, und der Teufel weiß womit noch mehr bewafnen. Jch muste die Schoͤnheit schaf- fen, und ihr befehlen da zu seyn, wo sie sonst nie- mand finden konte. Wie oft war ich verlegen, die Goͤttin zu finden, die meine Lieder anbeten soll- der Clarissa. solten, wenn meine neu erschaffene Goͤttin guͤtiger gegen mich war, als ich mir in meinem Klage-Lie- de, das an Felsen gerichtet seyn muß, mercken laffen durfte. Es war noch eine andere Art der Eitelkeit die Ursache meiner Liebe. Jch fand, daß ich uͤberhaupt bey dem Frauenzimmer wohl gelitten war: und es kam mir vor, als sey es eine artige Tyranney, wie sie sonst das Frauenzimmer uͤber uns zu uͤben pflegt, wenn ich eine vor andern hervorzoͤge, um zehn andere neidisch und eifersuͤchtig zu machen. Jch kan dir sagen, daß es nicht ohne Wuͤrckung blieb: manches Auge habe ich mit eifersuͤchtigen Flammen gefuͤllet; manche Backen habe ich gefaͤr- bet: manche Schoͤne ward von der andern mit dem Fechtel geschlagen: es folgte auch wohl eine lose und beissende Anmerckung, daß sie mit einem wilden jungen Menschen allein gewesen war, weil nicht beyde zugleich mit ihm allein seyn konten. Mit einem Wort, mehr Hochmuth war es als Liebe, was mich zwang eine so wunderliche Trost- Reise vorzunehmen, als ich die vornehme Betrie- gerin verlohren geben muste. Jch meynte, sie liebte mich zum wenigsten eben so sehr als ich sie liebete: und ich war so von mir eingenommen, daß ich meinte, sie koͤnte mich nicht weniger lieben. Meine Freunde waren mit meiner Wahl zufrie- den: sie wolten mich gern gefesselt sehen. Denn sie traueten mir schon fruͤhzeitig in Absicht auf das an- dere Geschlecht nicht viel gutes zu. Sie sahen, daß das tantzende, das singende, das musicalische X 4 Frauen- Die Geschichte Frauenzimmer Vergnuͤgen an meiner Gesellschaft fand: denn wer tantzte, wer sung, wer spielte bes- ser als dein Freund? (Jch habe jetzt eben Lust, Wind zu machen.) Jch kan kein solcher Heuchler seyn, daß ich das an mir nicht erkennen solte, was ein jeder er- kennet. Das ist eine niedertraͤchtige Heucheley, dadurch man Ruhm zu stehlen sucht! Es ist mir veraͤchtlich, sich das auf eine gezwungene Weise abzusprechen, was man besitzt, und dem Lobe gleich- sam Netze zu stellen! Soll sich aber meine Eitel- keit blos bey den aͤussern Vorzuͤgen aufhalten? bey der Gestalt, bey der Freundlichkeit und Muth, so das Gesicht verspricht? Diese sind es, die wir uns selbst geben und uns selbst lehren Meines Verstandes wegen ruͤhme ich mich nicht. Viel- leicht antwortest du: ich haͤtte es auch richt Ursa- che. Das kan wahr seyn: wenn ich aber auch einige Vorzuͤge des Verstandes haͤtte, so ist das nicht mein eigenes von mir erworbenes Gut. Was ist es aber anders, als sich mit der Kraͤhe in fremden Federn bruͤsten, wenn man uͤberdas stoltz wird, davon uns der Misbrauch zugerechnet, der rechte Gebrauch aber nicht als ein Verdienst ange- rechnet werden kan. Allein um wieder auf meine schoͤne Betruͤgerin zu kommen, so war es mir unertraͤglich, daß das erste Frauenzimmer, welches mich mit seidenen Fesseln gefesselt hatte, (nicht mit eisernen, wie meine jetzigen sind) mir einen Cornet vorziehen solte: und als der Vogel einmal weggeflogen war, der Clarissa. war, hielt ich ihn theurer, als da ich ihn noch in dem Bauer hatte, und ihn sehen konte so oft ich wollte. Nun aber bin ich in der That verliebt. Jch kan an sonst nichts dencken, als an meine goͤttliche Clarissa Harlowe. Harlowe! wie bleibt mir das verhaßte Wort im Halse stecken! Jch muß sie umtauffen, und ihr den Namen der Liebe geben. Liebe heist im Englischen Love, welches der Anfang des Namens Lovelace ist. CLARJSSA! O Dein Schall bezaubert unser Ohr. Man fuͤhlt die Zaͤrtlichkeit mit welcher Kinder schertzen. Ein unverfaͤlschtes Blut/ wie das in jungen Hertzen/ Schlaͤgt in der Maͤnner Brust. Haͤttest du je gedacht, daß ich, der ich sonst zum hoͤchsten glaubte daß meine Gegenliebe eben so groß seyn koͤnte als die Liebe der Schoͤnen; daß ich, der ich um dieses goͤttlichen Kindes wil- len mir es gar habe in den Sinn kommen lassen, das Leben in Fesseln dem Leben der Ehre vorzuziehen: daß ich auch dem Otway diese all- zuzaͤrtlichen Zeilen jemals abborgen wuͤrde. Jch muß mich selbst schelten. Dryden schreibt: Ein anders Feuer ist die Lieb in andern Seelen: Der X 5 Die Geschichte Der laͤchelt bey dem Schmertz/ der ras’t bey ihrem Quaͤlen. Jn einer sanften Brust gleicht ihre stille Gluth Dem Weyrauch des Altars darauf wir Goͤtter ehren. Ein brausendes Gemuͤth/ ein Sturm- gebaͤhrend Blut Fuͤhlt sie den Flammen gleich/ die einen Wald verzehren/ Wenn aus dem heilgen Hayn ein Sturm- Wind Wuͤsten macht. Es traͤgt sie der Orcan/ und zwischen dicken Eichen Braus’t eine See von Feur. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ S o braust die Liebe auch in stuͤrmerischer Brust/ Mit Hochmuth steigt sie auf/ mit Rache schlaͤgt sie Flammen: Der Leydenschaften Wind blaͤßt in die wilde Lust: S toltz/ Frevel/ Eifersucht stuͤrmt eine Gluth zulammen Die keine Loͤschung kennt/ Jch finde, daß ich die ersten Zeilen uͤberschlagen muß, und daß die letzten meiner ungestuͤmen Seele aͤhnlicher sind. Mit Rache schlaͤgt sie Flam- men: das soll bey mir wahr werden. Denn kanst du glauben, daß ich so viele Beschimpfungen ver- schmerzen wolte, wenn es nicht des wegen geschaͤhe, weil der Clarissa. weil ich hoffe, daß diese tumme Familie mit ver- einigten Kraͤfften fuͤr mich arbeitet? Kanst du dir einbilden, daß ich mir so wollte trotzen und drohen lassen, und zwar von Leuten, die sich fuͤrchten wann sie mich sehen, und noch dazu von diesem Vieh vom Bruder, dem ich das Leben schenckte, weil es nicht so viel werth war, daß ich es ihm ohne meinen Schimpf haͤtte nehmen koͤnnen; weñ nicht daduꝛch mein Hochmuth gekitzelt wuͤrde, daß ich ihn durch seinen eigenen Spion brauchen kan, wozu ich will, daß ich seine Leidenschaften anfeuren und abkuͤhlen kan, wie es zu meinem Endzweck erfodert wird, indem ich seinem zweymal-bestochenen Vertrau- ten erlaube, so viel Boͤses von mir zu sagen, daß er sich bey ihm voͤllig einschmeichelt, damit ich Ge- legenheit bekomme den uͤberklugen Schelm nach meiner Pfeiffe tantzend zu machen? Dieses macht, daß der Hochmuth bey mir die Rachgier uͤberwieget. Durch diese Machine, die ich oft genug schmiere, damit sie im Stande bleibt, kan ich die Marionetten in Bewegung setzen. Der alte Schiff-Knecht der Onckle, ist blos mein Abgesandter an die Koͤnigin Annabella Howe, durch den ich sie bewege, daß sie nm ihrer Prin- zeßin Tochter ein gutes Exempel zu geben es mit der Harlowischen Familie haͤlt, und die Rechte mit verfechten hilft, ohne die ich, (sie moͤgen Recht oder Unrecht seyn) nichts ausrichten koͤnte. Du fragst, was meine Absichten hiebey sind? ‒‒‒ Daß meine Geliebte sonst keinen Schutz als bey meiner Familie finden moͤge! denn wenn ich ihre Die Geschichte ihre Familie kenne, so muß sie entweder fliehen, oder den Mann nehmen, den sie hasset. Dieses wird sie zu der meinigen machen, ihrer gantzen Fa- milie und ihrem eigenen unbeweglichen Hertzen zum Trotz, wenn ich nur meine Anstalten recht ma- che, und mir die Meinigen in den Stuͤcken zu Huͤl- fe kommen, darin es noͤthig ist. Sie muß ohne Bedingung die Meinige werden, ohne daß ich Besserung verspreche, vielleicht auch ohne daß ich noͤthig habe, sie lange zu belagern. Sie soll noch zur Heuchlerin werden, und sich stellen als wenn sie zweifelte, daß sie meiner werth waͤre; und noch ungewiß seyn, ob ‒ ‒ denn soll die gantze schelmi- sche Familie mir zu Fuͤssen fallen: ich will ihnen gebieterisch vorschreiben, und ihr schmutziger vor- nehmer Bruder soll noch auf dem Fuß-Schemel meines Throns knien. Alle meine Furcht entstehet daher, daß ich nur noch so wenig Antheil an dem Herzen dieser unver- gleichlichen frostigen Schoͤnheit erlanget habe. So roth gefaͤrbte, so artige Gesichts-Zuͤge! so helle Augen! so ausnehmend schoͤn gebildete Glieder! ei- ne so bluͤhende Gesundheit und Jugend! ein so be- lebter Blick! und dennoch ein so verwahrtes und unuͤberwindliches Hertz! Wie ist das moͤglich? sonderlich da ich dieses Herz zu erobern suche, der ich sonst immer so gluͤcklich gewesen bin. Warlich es giebt Leute, und ich selbst habe einige davon gespro- chen, die sich erinnern koͤnnen, daß diese Goͤttin gebohren ist: ihre Frau Norton! ruͤhmt sich noch, sie in der ersten Kindheit gewartet und nach- her der Clarissa. her erzogen zu haben. Es kan also durch glaub- wuͤrdige Zeugen bewiesen werden, daß sie nicht vom Himmel kam, und nicht gleich ein Engel ge- wesen ist. Wie kommt es denn, daß sie so un- uͤberwindlich, so unerforschlich ist? Hier steckt der Jrrthum, den sie sich nicht will be- nehmen lassen. Sie glaubt, daß der Mensch, den sie ihren Vater nennet, (an der Mutter waͤre nichts auszusetzen, wenn sie ihn nicht genommen haͤtte,) daß die Leute, die sie Onckels nennet, daß der Kerl, den sie ihren Bruder nennet, daß das arme veraͤcht- liche Gemaͤchte, das sie ihre Schwester nennet, in der That ihr Vater, ihre Onckels, ihr Bruder und ihre Schwester sind, und daß sie ihnen Gehorsam, Ehrerbietung oder Liebe schuldig ist, sie moͤgen auch mit ihr umgehen, wie sie wollen. Poͤbelhafte Ban- de! Lauter Aberglauben, der sich noch von der Wie- ge herschreibet! Denn wenn nicht die Natur ihr diese Anverwandten zur ungluͤcklichen Stunde ge- geben haͤtte, oder wenn sie selbst ihre Freunde haͤtte waͤhlen koͤnnen, so frage ich dich, ob wohl einer von diesen Leuten mit ihr verwandt seyn wuͤrde? Wie empoͤret sich mein Hertz, wenn ich daran dencke, daß sie solche Leute mir vorziehen kan, son- derlich nachdem sie weiß, daß mir von ihnen Unrecht geschehen ist! Sie weiß, daß eine solche Verbindung eine Ehre fuͤr die gantze Familie seyn muͤste, sich selbst allein ausgenommen: denn ihr ist jedermann Verehrung schuldig, und ein fuͤrst- liches Geschlecht wuͤrde durch sie geehret werden. Und wie sehr wird sich mein Hertz empoͤren, wenn ich Die Geschichte ich finde, daß sie nur einen Augenblick zweifelhaft ist, (wie sehr man auch immer mit Zwangs-Mit- teln, in sie dringet) ob sie mich dem vorziehen will, von dem sie nicht leugnet, daß sie ihn hasset! Doch nein! sie kan ohnmoͤglich so niedertraͤchtig han- deln, und die Freundschaft der Jhrigen so theuer erkauffen. Sie kan ohnmoͤglich eine Handlung vornehmen, dadurch boshafte Anschlaͤge gerecht- fertiget werden: Anschlaͤge, die der Eigennutz auf ihre Unkosten gemacht hat, den sie doch an andern verachtet, und mich hier verachten muß, damit man sie nicht fuͤr eine Harlowe halten moͤge. Aus diesem Geschmier ohne Zusammenhang wirst du leicht mercken, daß ich noch so bald nicht kommen werde. Denn ich muß erst eine Versiche- rung von meiner Geliebten haben, daß ich nicht einem solchen Kerl, als S olmes ist, aufgeopfert werden soll. Wehe dem artigen Kinde, wenn es je gezwungen wird, sich unter meine Herrschaft zu begeben, (denn daß sie es willig thun werde hoffe ich nicht einmal) und sie alsdenn noch eine Schwierigkeit macht, mich deshalb ausser Zwei- fel zu stellen. Meine Ketten werden mir dadurch empfindli- cher, weil ich nicht sehe, daß ihre Kaltsinnigkeit ge- gen mich daher ruͤhret, daß sie irgend einen andern vorzuͤglich liebet. Allein nim̃ dich in Acht, unver- gleichliches Kind, nim̃ dich in Acht, du edelstes Ge- muͤth, das ich bisher bey einem Frauenzimmer ge- funden habe. Wie erniedrigest du dich, daß du es deinen Verwanten erlaubest, aus Haß und Bosheit gegen der Clarissa. gegen mich einen solchen Mit-Buhler aufzustel- len. Du wirst sagen, daß ich unsinnig bin. Jch glaube es selbst. Jch will verdammet seyn/ wenn ich mein Kind nicht liebe. Wie koͤnte ich sonst die Beschimpfungen ihrer unversoͤhnlichen Familie ertragen? Wie koͤnte ich sonst als ein Dieb, nicht um ihres hochmuͤthigen Vaters Haus, nein um seinen Thier-Garten und Garten-Mauer herumschleichen? und doch noch eine halbe Viertel-Stunde von ihr entfernt seyn, ohne Hoffnung nur ihren Schatten zu erblicken? Wie koͤnte ich sonst so vergnuͤgt seyn, und mei- ne Muͤhe fuͤr reichlich belohnt halten, wenn ich vier fuͤnf oder sechs Mitternaͤchte durch unwegsame Ge- genden herumgestreift bin, und Donen und Hecken uͤberstiegen habe, und endlich einige kalte Zeilen finde? Zeilen deren Jnhalt ich schon zum voraus weiß, nemlich, daß sie den veraͤchtlichsten Ab- schaum ihrer veraͤchtlichen Famile hoͤher schaͤtzt als mich, und gar nicht schreiben wuͤrde, wenn es nicht geschaͤhe, um mich zu ermahnen, daß ich feindseelige Beschimpfungen erdulden soll, durch deren Erduldung ich aufhoͤre ein Kerl zu seyn. Dabey muß ich, um in der Naͤhe zu seyn, in ei- ner verwuͤnschten Bierschencke wohnen, und mich so auskleiden, daß die Nachbarn glauben, ich haͤtte mich ordentlich da eingemiethet. Die Bewirthung ist ohngefaͤhr so gut, als ich sie auf meiner Reise durch Westphalen genossen habe. Das beste ist noch, daß nicht ihre Verachtung oder Herrschsucht son- Die Geschichte sondern ein Zwang der sie selbst druͤcket mich hie- zu zwinget. Welcher Ritter muß in der Romaine mehr aus- stehen? Das nehme ich aus, wenn ihm der herrschsuͤchtige Muthwille befiehlt mit Riesen oder mit Drachen zu kaͤmpfen! Guͤter, und Geschlecht, und Stand, und Ehre die kuͤnftig auf mich erbet, habe ich auf meiner Seite: und soll so einen Mit- Buhler haben? Muß ich nicht ein verdorbener Liebes-Kruͤppel seyn, daß ich solche Schwierigkei- ten finde, und solche Verachtung erdulden muß? Bey meiner Seele, ich schaͤme mich vor mir selbst: ich der ich meineydig bin, und ein aͤlteres Geluͤbde breche, wenn ich einem Frauenzimmer meine Ge- luͤbde halte! Allein wie kan ich sagen, daß ich mich schaͤme? Jst es nicht eine Ehre, dieses Wunder zu lieben, gegen das ein jeder der es siehet, entweder Liebe, oder Ehrfurcht, oder beydes zugleich empfinden muß? Dryden sagt: Man kan den aͤchten Grund der L iebe niemals zeigen. Das Liebenswuͤrdige ist nicht der Zuͤgen eigen Die man bewundert. Nein! nur der ver- liebten Hertz S chafft ihren Grund aus nichts. Cowley haͤlt die Schoͤnheit fuͤr ein Hirn-Ge- spenst, und untersteht sich sie also anzureden: O der Clarissa. O Schoͤnheit/ Affe aller Thoren/ Die du die Mode traͤgst/ so ein Phan- tast erdacht/ Und jede Kleidung waͤhlst/ die jedes Land erkohren; Hier weiß als wie der Tag/dort schwartz als wie die Nacht; Bald scheckigt/und bald braun/hier gelb, und da mit Farben Geschminckt/ hier glatt und weich/ dort voll gemahlter Narben; Du S chmeichlerin/ die blos auf unser Urtheil schielt/ Du fluͤchtig Nichts/ das niemand fuͤhlt. Haͤtten aber beyde in unserer Zeit gelebt, und mei- ne Clarissa gesehen, so wuͤrden sie ihren Jrrthum gestanden haben. Gestalt, Gemuͤth, Auffuͤhrung, alles zusam̃en genom̃en, wuͤrden sie gezwungen ha- ben, dem allgemeinen Urtheil der Welt beyzutreten. Wie manche S choͤne hab’ ich nicht Entzuͤcket angestarrt! wenn Doris rei- tzend spricht, Wenn Liebe/Ton und Kunst ihr Wort zum Liede machen/ S o fesselte sie oft mein aufmercksames Ohr/ Daß ich bey ihrem S chertz/ bey dein gewuͤrtzten Lachen/ Der Arbeit und des Ernstes Zeit verlohr. Wie mancher Vorzug schoͤner Kinder/ Hat mir vorhin mein Hertz entwandt: Bey jeder/ die ich recht gekannt. Erster Theil. Y Ver- Die Geschichte Verlarvte doch die Tugend nur den Suͤnder: Und was die Welt Untadlich nennt/ wird doch durch ei- nen Fleck verstellt. An ihr/ an ihr/ dem Wunder der Natur/ Dem edelsten geschaffner Dinge/ Durch das ich mich entfuͤhrt zum H im- mel aufwaͤrts schwinge/ Entdeckt man keines Fehlers Spur: Jn ihrer Art steht sie nur eintzeln da. Du fragst mich, ob ich nicht bald ein neues Spiel anfangen will? und ob sich ein so allgemeiner Lieb- haber so lange mit einer begnuͤgen lassen kan? ‒ ‒ ‒ Du must diese angenehme Schoͤne nicht kennen, daß du mir eine solche Frage vorlegen kanst: oder du must dir einbilden, mich besser zu kennen als du mich in der That kennest. Alles was man sich bey dem andern Geschlecht vortrefliches vorstellen kan. Die Reitze/ die vom H immel stammen/ Find’ ich in Jhr vereint beysammen/ Jn Jhr nur/ der mein H ertz ein ewig Denckmahl weyht. Jch kan an keine andere gedencken, ehe ich nicht durch den vertraulichen Umgang des Ehe-Bettes, oder durch einen Umgang der mich eben so genau mit ihr bekannt macht, ausgefunden habe, daß sie nicht voͤllig ein Engel sey. Ueber dieses findet ein solches Gemuͤth, als das meiuige ist, bey diesem Liebes- der Clarissa. Liebes-Handel noch ausser der Liebe so viel reitzen- des. Welch ein weites Feld fuͤr Erfindungen, fuͤr Kunst-Stuͤcke, fuͤr alles was man unter dem Wort Intrigue verstehet, (und du weissest, daß ich mich in dieses Wort verliebt habe) habe ich vor mir? Dencke an das Ende, das meine Arbeit be- lohnen soll; mit einem solchen Maͤdchen davon zu gehen! alle ihre wachsamen und unversoͤhnlichen Anverwandten blind zu machen! und dabey einen solchen Verstand, als ich noch bey keinem Frauen- zimmer gefunden habe, zu uͤberlistigen! Was ist das fuͤr ein Sieg! Was fuͤr ein Sieg uͤber das gantze Geschlecht! Endlich eine solche Ragier zu kuͤhlen, die ich jetzt nur aus Absichten verbergen muß, damit sie dereinst desto heftiger ausbrechen koͤnne! Kanst du glauben, daß es moͤglich ist, daß ein Gedancke bey mir aufsteiget, der nicht auf sie gerichtet und ihr nicht ergeben ist? Den Augenblick bekomme ich Nachrichten, die deine Gegenwart noͤthig zu machen scheinen. Hal- te dich fertig, auf meinen ersten Befehl dich einzu- stellen. Belton/Mowbray und Tourville moͤgen sich auch in Bereitschaft setzen. Jch habe grosse Lust, ein Stuͤck zu erdencken, den jungen Jacob Harlowe auf Reisen zu schicken, daß er bessere Sitten lernt: niemals hat es ein ungezogener Dorff-Juncker noͤthiger gehabt. Zu erdencken/ sage ich? Es ist schon erdacht, es ist schon fertig: wenn ich es nur in das Werck richten koͤnte, ohne Y 2 daß Die Geschichte daß der Argwohn auf mich fiele. Das ist aber mein vester Entschluß: Kan ich seine Schwester nicht haben, so will ich ihn haben. Doch dieses ausgesetzte so scheint jetzt die be- ste Gelegenheit zu seyn, etwas recht ruͤhmwuͤr- diges Boͤses vorzunehmen. Vor einiger Zeit ward eine Bande gegen mich gemacht: von nun an werden die Onckles und der Bruder stets zwey Bedienten um sich haben, anstatt daß sie vorhin Einen hatten; und diese Bedienten sollen doppelt bewafnet seyn wenn ihre Herren den Fuß aus dem Hause setzen. Dis ist ein Zeichen ihrer unver- soͤhnlichen Feindschaft gegen mich, und ihrer un- zertrennlichen Freundschaft mit Solmes. Der widerholte Befehl, diese kriegerische Ruͤ- stung anzulegen, ist dem zuzuschreiben, daß ich ge- stern, in ihrer Kirche gewesen bin: einem Orte, der sich am besten schickte, den Anfang zur Aussoͤhnung zu machen, wenn die Leute Christen waͤren, und bey ihrem Gebet einige Gedancken haͤtten. Jch hoffete, daß man mich ersuchen oder mir zum we- nigsten erlauben wuͤrde, den alten muͤrrischen Jun- cker nach Hause zu begleiten, damit ich meine Goͤttin einmal zu sehen bekommen moͤchte: denn ich dachte, man wuͤrde sich nicht unterstehen, gegen mich unhoͤflich zu seyn. Allein es schien, daß sie alle so bald ich in die Kirche trat mit Schrecken er- fuͤllet wurden, und sie konten dieses Schrecken we- der uͤberwinden noch verbergen. Jn ihrem Gesichte konte ich lesen, daß sie einen traurigen Ausgang er- warteten: und der solte auch gewiß erfolget seyn, wenn der Clarissa. wenn ich nur von der Gewogenheit der Tochter einiger massen versichert gewesen waͤre. Und doch verlange ich kein Haar auf ihren tummen Koͤpfen zu kruͤmmen. Jhr alle solt euren Befehl schrifftlich erhalten, wenn ich euch noͤthig habe. Es wird aber kaum mehr noͤthig seyn, als daß ihr eur Gesicht in mei- ner Gesellschaft zeiget. Vier Kerls, die so ausse- hen, hat noch niemand beysam̃en gehabt: Mow- bray so brav und so kriegerisch: Belton so dreiste und so finnicht: Tourville so huͤbsch und so kin- disch: und du so rauh und wild, und dem ersten Anblick nach ein Wagehals. Wenn ich eur An- fuͤhrer bin, wer wird nicht vor uns erzittern, wenn er auch gleich auf Feindseligkeiten ausgehet? Was fuͤr ein Hertz muͤste der haben? sonderlich wenn jeder unter uns einen oder ein Paar Be- dienten bey sich hat, die er vor vielen Jahren we- gen ihrer Gleichheit mit ihm gewaͤhlt hat? Jch habe denn geschrieben, weil du es haben woltest: von Etwas und voͤn Nichts/ von dem Dinge und Undinge; von Rache die ich liebe, von Liebe die ich hasse, weil sie uͤber mich herr- schet, und der Teufel weiß wovon sonst noch: denn wenn ich meinen Brief durchblaͤttere muß ich mich wundern, daß er so lang gerathen ist. Du magst ihn durchlesen: ich moͤchte es nicht thun wenn ich einen guͤldenen Berg verdienen koͤnte. Allein du hast versprochen zufrieden zu seyn, wenn ich nur schreibe, es mag auch so liederlich ge- schrieben seyn als es will. Y 3 So Die Geschichte So laß dir es denn gefallen zu lesen. Dis ist mein Befehl: nicht um des schreibenden, nicht um des geschriebenen willen, sondern um dein Wort zu halten. Mit Koͤniglich-grosmuͤthiger Gnade (denn bin ich nicht in der grossen Sache, die wir ausfuͤhren wollen, eur Koͤnig oder Kayser?) bleibe ich dir gewogen, und wuͤnsche dir von Hertzen Lebe wohl. Der zwey und dreyßigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe/ Dienstags den 14. Maͤrtz J ch uͤberschicke Jhnen die Abschrifft meiner Briefe an meine Onckles/ nebst ihrer Ant- wort. Die letzten bitte ich mir das naͤchste mahl wider zuruͤck zu schicken. Anmerckungen moͤgen Sie selbst daruͤber machen: ich will keine machen. An Juncker Johann Harlowe. Sonnabends den 11. Maͤrtz. Erlauben Sie mir, mein zweyter Vater, (ein Name, den Sie mich in meinen begluͤckten Um- staͤnden selbst gelehrt haben) erlauben Sie mir, Sie um Jhre Vorsprache bey meinem Vater an- zuflehen, daß er einen Befehl aufheben moͤge, der mir alle freye Wahl raubet, und mich auf meine Lebens-Zeit ungluͤcklich macht. Jch der Clarissa. Jch sage nochmals: auf meine Lebens-Zeit. Jst das eine Kleinigkeit, darin ich etwan nach- geben kan? Soll ich nicht meine Lebens-Zeit mit dem Menschen zubringen? Will es ein anderer an meiner Stelle thun! Jst es denn unbillig, wenn ich ein Wort dazu sagen will, ob ich mit ihm ver- gnuͤgt leben kan oder nicht? Wenn ich bey ihm misvergnuͤgt bin, kan ich es wol jemand klagen, ohne unverstaͤndig zu han- deln? Und bey wem wuͤrde ich gegen einen Mann Huͤlfe suchen koͤnnen, ohne mich selbst tiefer in das Ungluͤck zu stuͤrtzen? Wuͤrde nicht die unuͤberwind- liche Abneigung, die ich bisher gegen ihn oͤffentlich bezeuget habe, alle Haͤrte rechtfertigen, mit der er mir begegnen koͤnte, so bald ich die seinige waͤre, wenn ich mich ihm gleich zu Fuͤssen wuͤrfe. Und solte ich je die seinige werden, so muͤste es gewiß aus Furcht und nicht aus Liebe geschehen. Jch widerhole es nochmals: es ist dis nicht eine Kleinigkeit, darin ich nachgeben kan. Es betrifft meine gantze Lebens-Zeit. Warum soll ich mein gantzes Leben ungluͤcklich zubringen? War- um soll ich alles Trostes beraubt werden, den ein- tzigen ausgenommen, den mir die Hoffnung ge- ben wuͤrde, daß mein elendes Leben nicht lange waͤhren koͤnte? Der Ehestand ist ein so heiliges, ein so unwie- derrufliches Buͤndniß, daß einer jungen Person mit Recht eine Furcht ankommen muß, wenn sie auch bey besserer Hoffnung ernsthaft daran gedencket. Das Eigenthum eines Fremden werden: in eine frem- Die Geschichte fremde Familie eingepfropft werden: den Namen sogar veraͤndern, und dadurch ein Zeugniß ablegen, daß sie das vollkommene Eigenthum des Mannes sey: diesem fremden Vater, Mutter und jedermañ, wie er Namen haben mag, vorziehen muͤssen: sich bequemen, seine Grillen ihren eigenen Einsichten vorzuziehen, oder mit ihm in bestaͤndigem Zanck leben, so oft sie handeln will, als haͤtte sie einen freyen Willen, und dabey den Vorwurf hoͤren, daß sie ein vor dem Altar-gethanes Geluͤbde breche: an keinen Ort ohne seinen Willen gehen: keine Bekandtschaft machen, und die aͤlteste und beste Freundschaft aufgeben, wie er es haben will, es mag ihr vernuͤnftig oder unvernuͤnftig vorkom- men: das sind in der That harte Forderungen. Jst es billig, daß ein Frauenzimmer dergleichen Bedingungen einem andern zu Liebe eingehet, als dem sie selbst ihr williges Ja-Wort giebt? Wenn Sie das billig nennen koͤnnen, wie ungluͤcklich ist denn eine solche Person? wie muͤhselig muß ihr Leben seyn, wenn es anders noch des Namens des Lebens werth ist? Jch wuͤnschte, daß ich Jhnen insgesamt ge- horchen koͤnte. Wie vergnuͤgt wuͤrde ich daruͤber seyn! Einer von meinen besten Freunden gab die Regel: erst zu Heyrathen: die Liebe wuͤrde sich hernach schon finden. Ein fuͤrchterlicher und widersinnischer Rath! Wo anfaͤnglich noch so viel Liebe und Zaͤrtlichkeit ist, koͤnnen tausend Dinge dazwischen kommen, die diesen Stand so beschwerlich machen, daß es kaum zu ertragen ist. Allein Der Clarissa. Allein wie unertraͤglich muß er seyn, wenn der Mann nicht glauben darf, daß ihn die Frau liebe, sondern gar Ursache hat das Gegentheil zu glau- ben, weill sie ihm einen andern Freyer vorgezogen haben wuͤrde, wenn sie selbst haͤtte waͤhlen duͤrfen. Was fuͤr Zweifel, was fuͤr Verdacht, was fuͤr vorgefaste Meynungen muͤssen den Ehestand un- gluͤcklich machen, der also angefangen wird? Wie uͤbel wird jeder Blick, jede noch so unschuldige Handlung gedeutet werden? Und durch alles die- ses wird der andere Theil noch kaltsinniger wer- den, und es sich weniger angelegen seyn lassen, sich gefaͤllig zu erzeigen. Nichts als die Furcht wird verhuͤten, daß nicht aller aͤusserlicher Wohl- stand, der billig eine Frucht der Liebe seyn solte, aus den Augen gesetzt wird. Ueberlegen Sie dieses ernstlich, mein lieber On- ckle, und stellen Sie es meinem Vater so nach- druͤcklich vor, als die Sache es erfodert: so nach- druͤcklich als es sich fuͤr ein Frauenzimmer von mei- nen Jahren, und das so wenig Erfahrung hat, nicht schickt, es vorzustellen. Wenden Sie alle Kraͤfte an, Jhre arme Base zu retten, damit sie nicht ein so langes und anhaltendes Elend zu er- tragen gezwungen werde. Jch habe mich erboten, zu versprechen, daß ich gantz und gar nicht heyrathen will, wenn man mir nur diese Freyheit zugestehet. Wie schimpflich ist es fuͤr mich, von aller Gesellschaft ausgeschlos- sen, und von meinen Eltern verbannet zu seyn, und von Jhnen und meinem andern lieben Onckle Y 5 so Die Geschichte so geringschaͤtzig gehalten zu werden? ja so gar von dem oͤffentlichen Gottes-Dienst abgesondert zu werden, der doch ein Mittel meiner Besserung seyn wuͤrde, wenn ich bisher meine Pflicht ver- gessen haͤtte? koͤnnen Sie glauben, daß dieses die Mittel sind, ein freyes und erhabenes Hertz zu lencken? Muß ich nicht hiedurch mehr verhaͤrtet als uͤberzeuget werden? Es ist mir unertraͤglich, unter solchen Beschimpfungen zu leben, da selbst die Bedienten, denen ich noch vor kurtzen zu befeh- len hatte, sich kaum unterstehen mit mir zu reden, da mein eigenes Cammer-Maͤdchen mit Unwillen und wegen allerhand versteckter und zweydeutiger Beschuldigungen aus dem Hause geschaft, und meiner Schwester Cammer-Maͤdchen an ihrer Stelle uͤber mich gesetzt ist. Die Sache kan zu weit getrieben werden: und es kan noch allen die Reue ankommen, daß sie mit dazu geholfen haben. Jst es mir erlaubt, einen Vorschlag zu thun? ‒ ‒ Gesetzt, ich soll bewacht, eingesperret, verbannet seyn; koͤnte nicht alles dieses lieber in Jhrem Hau- se geschehen? Alsdenn wuͤrden sich die Adelichen in der Nachbarschaft weniger verwundern, daß eine Person, von der sie sonst so guͤtige Gedancken hatten, nicht in der Kirche erscheinet, und keinen Besuch annimt. Jch hoffe, daß hiergegen keine Enwendung ge- macht werden kan. Als ich noch gluͤcklich war pflegten Sie mich gern in ihren Hause zu bewir- then. Wollen Sie mir nicht in meinem Ungluͤck in eben diesem Hause eine Zuflucht verstatten, bis die der Clarissa. die schwartze Wolcke voruͤber gehet? Jch will nicht uͤber die Schwelle treten, wenn Sie es mir verbieten; ich will niemand ohne Jhrer Er- laubniß sprechen; wenn Sie mir nur zusagen, daß Sie Herrn Solmes nicht erlauben wollen, mich in Jhr Haus zu verfolgen. Wuͤrcken Sie mir nur diese Wohlthat aus, wenn es unmoͤglich ist, etwas mehreres, nemlich eine voͤllige Aussoͤhnung zu erhalten. Jch gebe indessen diese Hoffnung noch nicht verlohren, wenn Sie ein Vorwort fuͤr mich einlegen wollen. Hiedurch werden Sie die Wohlthat und die Guͤ- tigkeit ungemein erhoͤhen, dadurch Sie sich bis- her verpflichtet haben, und alsdenn unendlich ver- pflichten werden, Jhre gehorsamste und ergebenste Base Cl. Harlowe. Die Antwort. Liebste Fraͤulein Base/ Sonntag Abends Es thut mir leid, daß ich Jhnen eine Bitte ab- schlagen muß. Es muß aber geschehen: denn Sie duͤrfen nicht erwarten, daß Sie und wir in eben dem Verhaͤltniß gegen einander stehen wer- den, darin wir bisher gestanden haben, wenn Sie sich nicht entschliessen, uns in einer Sache gefaͤllig zu seyn, die wir schon auf unsere Ehre versprochen haben, ehe wir uns eines so eigensinnigen Wider- spruchs vermuthen seyn konten. Kurtz wir halten jetzt alle vest zusammen, und sind ein Phalanx in Schlacht-Ordmmg. Sie sind Die Geschichte sind so belesen, daß Sie alles verstehen und wissen, das eintzige ausgenommen, was sie bil- lig wissen solten. Sie werden folglich aus mei- nem Ausdruck leicht mercken, daß Sie uns durch Ueberredungen, durch Bitten, und Widerspaͤn- stigkeit nicht von einander trennen koͤnnen. Wir haben uns entschlossen, daß wir entweder alle wollen beweglich seyn, oder daß es keiner seyn soll, einer wird ohne den andern nicht nachge- ben. Sie wissen Jhr Schicksaal, und es ist weiter nichts uͤbrig, als daß Sie sich darunter bequemen. Sie muͤssen wissen, daß der Gehorsam alsdenn keine Tugend ist, wenn man Gefaͤlligkeiten durch Gefaͤlligkeiten erkauft. Wenn Sie aber Jhre Neigung verleugnen, so ist dieses ein gefaͤlliger Gehorsam, der unsern Danck verdienet. Was Jhren Vorschlag anbetrift, so muß ich Jhnen melden, daß Sie nicht in mein Haus kom- men koͤnnen, obgleich dieses eine Bitte ist, von der ich nie gedacht haͤtte, daß ich Sie Jhnen wuͤrde abschlagen muͤssen. Denn wenn Sie auch Jhr Wort hielten, niemand ohne unsere Bewilligung zu sprechen, so koͤnten Sie doch an jemand schrei- ben, und von ihm Briefe empfangen. Man weiß allzuwohl, daß Sie das thun koͤnnen, und daß auch das wircklich geschehen ist, was moͤg- lich war. Dessen schaͤmen wir uns, und betruͤ- ben uns daruͤber. Sie erbiethen sich unverheyrathet zu bleiben. Wir aber wuͤnschen Sie verheyrathet zu sehen. Weil der Clarissa. Weil Sie aber den Menschen nicht kriegen koͤn- nen, der Jhr Hertz eingenommen hat, so glaube ich wohl, daß Sie den auch nicht haben wollen, den wir Jhnen vorschlagen. Wir wissen, daß Sie mit ihm auf eine oder die andere Art Briefe wech- seln, oder wenigstens gewechselt haben, so lange Sie es thun konten: er trotzt uns, und das wuͤr- de er nicht thun, wenn er nicht zu unserm grossen Verdruß Jhrer Zuneigung versichert zu seyn glaubte: wir wollen ihm deswegen seine Hoff- nung zu Schanden machen, und lieber uͤber ihn triumphiren, als daß er uͤber uns ein Sieges-Lied singen solte. Das sage ich Jhnen ein fuͤr allemal. Erwarten Sie demnach nicht, daß ich Jhr Fuͤr- sprecher werde. Jch werde es nicht thun, das ist genug geschrieben von Jhrem unwilligen Onckle/ Johann Harlowe. P. S. Jch beziehe mich auf meines Bruders Brief. An Juncker Anton Harlowe. Hochgeehrtester Onckle/ Sonnabends den 11. Maͤrtz. Da Sie Herrn S olmes gewuͤrdiget haben, ihn mir auf eine so besondere und nachdruͤckliche Art anzupreisen, und Jhn sogar unter die Zahl Jh- rer auserlesensten Freunde zu rechnen, fuͤr den Sie gleichfals von mir Freundschaft und Zuneigung erwarten: so muß ich Sie um Gedult bitten, wenn Die Geschichte wenn ich mich unterstehe unter vielen Dingen, die ich gegen ihn einzuwenden habe, einige wenige auszusuchen, und sie Jhnen zu ernstlicher Ueberle- gung anheim zu geben, nachdem er mich durch seine Anwerbung (wenu ich ja das Wort ge- brauchen soll) hiezu zwinget. Man beschuldiget mich, daß ich von einem an- dern eingenommen bin. Jch bitte, erinnern Sie sich doch, daß diesem andern vor meiues Bruders Zuruͤckku s Schottland Hoffnung gegeben, und mir i ringsten nicht verboten ward, seinen Besuch anzunehmen. Jst es mir denn so sehr zu verdencken, wenn ich einen Freund, den ich ein Jahr gekannt habe, einer vor zwey Monathen er- langten Bekanntschaft vorziehe? Jch will nicht hoffen, daß jemand ist, der unter beyden in Absicht auf das Herkommen, Erziehung, oder persoͤnli- che Eigenschaften eine Vergleichung fuͤr moͤglich haͤlt. Jch will mich blos unterstehen Sie zu sra- gen, ob jemals an den andern gedacht seyn wuͤr- de, wenn er sich nicht zu solchen Bedingungen er- boten haͤtte, die ich auf beyden Seiten fuͤr unrecht- maͤßig halte, auf seiner sie anzutragen, und auf meiner sie anzunehmen, und von denen ich gewiß glaube, daß sich mein Vater nie wuͤrde unterstan- den haben, sie von ihm zu begehren, wenn er sie nicht selbst zuerst auf die Bahn gebracht haͤtte! Es scheint, man wirft dem einen Fehler vor. Jst aber der andere frey von Fehlern? Die Haupt- Beschuldigung gegen Herrn Lovelace ist eine la- sterhafte Liebe, und es ist wahr, es ist dieses eine sehr der Clarissa. sehr grosse Beschuldigung: allein ist nicht bey dem andern ein eben so lasterhafter Haß die Haupt-Un- tugend? Jst nicht seine Liebe ebenfals ein Laster? wenn es anders noch wahr bleibt, daß die Liebe des Geldes eine Wurtzel alles Uebels ist. Wenn ich nun aber von einem andern einge- nommen bin, was hat denn Herr Solmes fuͤr Hoffnung? Warum soll er noch weiter anhalten? Was muß ich von einem Manne gedencken, der mich wieder meinen Willen in seine Gewalt zu be- kommen sucht? Jst es nicht etwas ungereimtes, daß mich meine Freunde zwingen wollen, einen zu nehmen, den ich nicht lieben kan, und sich doch nicht ausreden lassen wollen, daß ein anderer Mann mit mir bekannt sey, den ich liebe. So wie mir begegnet wird, muß ich entweder jetzt oder niemals den Mund aufthun, und von dem Hertzen wegsprechen. Jch will alles die Mu- sterung paßiren lassen, worauf Herr Solmes hoffen kan. Meynet er, daß der Schimpf, den ich um seinetwillen erdulde, ihn miꝛ beliebteꝛ macht? Meynet er, meine Hochachtung dadurch zu erlan- gen, daß meine Onckles verdrießlich gegen mich sind, daß mein Bruder mir veraͤchtlich begegnet, daß meine Schwester unfreundlich ist, daß mir verboten ist Besuch zu geben oder anzunehmen, ja so gar mit meiner besten Freundin Briefe zu wechseln, ob sie gleich eine Person meines Ge- schlechts ist, gegen deren Verstand u. Auffuͤhrung sich nichts einwendẽ laͤst, daß ich eingesperret u. be- schimpfet weꝛde, daß man sogaꝛ oͤffentlich voꝛgiebt, es Die Geschichte es geschehe dieses mich zu kraͤncken und mich muͤr- be zu machen; daß mir die Haushaltung genom- men ist, die ich mit desto groͤsserem Vergnuͤgen verwaltete, weil ich meiner Mutter dadurch die Muͤhe erleichterte; daß man mich aus meiner Ordnung bringt, da mir die Zeit so lange waͤh- ret, und ich weder Lust noch Erlaubniß habe mich mit demjenigen zu beschaͤftigen womit ich sonst meine haͤusliche Arbeit zu wuͤrtzen und auf eine an- genehme Weise zu verwechseln pflegte? Sind diese Mittel unentbehrlich, um mich so zu erniedri- gen, daß ich eine Frau dieses Mannes werden koͤn- ne? Auf andere Mittel kan er sich unmoͤglich ver- lassen: wenn er aber diese Mittel fuͤr hinlaͤnglich haͤlt, so muß er wissen, daß er ein wohlgeartetes und williges Gemuͤth von einem knechtischen und niedertraͤchtigen Hertzen noch nicht un- terscheiden kan. Jch bitte Sie, uͤberlegen Sie die angebohrnen Eigenschaften seines und meines Hertzens. Was hat er an sich, dadurch er meine Hochachtung zu gewinnen hoffet? Mein allerliebster Onckle, wenn ich ja gezwungen werden soll, einen Mann zu neh- men, den ich selbst nicht waͤhlen wuͤrde, so muͤste es doch ein solcher seyn, der lesen und schreiben, und von dem ich etwas lernen kan! Was muß das fuͤr eine Ehre geben, wenn der Mann weiter nichts gelernt hat, als zu befehlen, und selbst den Unterricht noch noͤthig hat, den er zu geben im Stande seyn solte? Es der Clarissa. Es kan Hochmuth bey mir seyn; mein bischen Belesenheit kan vielleicht machen, daß ich mir zu viel einbilde: es kan seyn, daß mich das stoltz macht, daß ich ein wenig schreiben kan, wie ich mir seit einiger Zeit habe muͤssen vorwerfen lassen. Allein desto ungeschickter ist der Vorschlag, einen solchen Mann zu nehmen. Je besser die Meinung ist, die ich von mir selbst habe, desto geringere Ge- dancken muß ich von ihm haben, und desto weniger schicken wir uns vor einander. Jch kan es nicht verhehlen; ich habe immer ge- glaubt, daß mich meine Anverwandten hoͤher schaͤtzten. Mein Bruder gab sonst vor, daß er aus Werth-Achtung gegen mich es dahin gebracht haͤtte, daß Herr Lovelace mit seinem Gesuch abgewiesen waͤre. Kan das wahr seyn, wenn man mich durch einen solchen Mann, als Herr Solmes ist, zu beschimpfen gedencket? Was die vortheilhafte Ehestiftung und die schoͤ- nen Verschreibungen anlangt, so hoffe ich, daß ich Jhren Unwillen nicht vermehren werde, wenn ich das frey heraus bekenne, was alle ohnedem fuͤr mei- ne Meinung halten muͤssen, die mich kennen, und was ich mir schon von einigen habe vorruͤcken las- sen muͤssen, nemlich, daß ich solche Bewegungs- Gruͤnde von Hertzen verachte. Mein liebster On- ckle, was kan doch eine Person nach Verschrei- bungen fragen, die so viel eigenes besitzet, als sie sich nur wuͤnschen kan? und die als eine ledige Person schon mehr hat, als sie aller Vermuthung nach im verehlichten Stande unter ihrer eigenen Erster Theil. Z Hand Die Geschichte Hand haben wird? deren Ausgaben und deren Begierden gemaͤßiget sind; und die, wenn sie ja etwas uͤberfluͤßiges haͤtte, es nicht beylegen und ohne Gebrauch lassen, sondern den Nothduͤrftigen mittheilen wuͤrde? Wenn demnach solche kleine poͤbelhafte Absichten auch alsdenn von so weniger Kraft bey mir sind, wenn sie meinen eigenen Vor- theil betreffen: kan denn wohl die entfernte und ungewisse Absicht, unsere Familie zu bereichern, (und zwar die Familie, die einen solchen Bruder zum Stamm-Vater haben wird,) einige Wir- ckung bey mir haben? Mein Bruder hat selbst so wenig Achtung fuͤr das Beste seiner Familie gehabt, daß er lieber sein Leben wagen wollte, (ein Leben das der gantzen Familie billig theuer seyn muß, weil er der eintzige Stammhalter ist) als die Leidenschaften uͤberwin- den, die er sich nie zu uͤberwinden unterstehet, und die (wenn ich es sagen darf) von seinen Eltern mehr verzaͤrtelt sind, als es ihm und andern nuͤtz- lich ist. Hat denn wohl dieser Bruder entweder durch seine uͤbrige Auffuͤhrung oder durch seine Achtung fuͤr unsere Familie, es um mich verdienet, daß ich meine zeitliche und wol gar meine ewige Gluͤckseligkeit ihm aufopfern soll, um einen win- digten Vorschlag zur Wircklichkeit zu bringen, von dem ich mich unterstehen will, deutlich zu er- weisen, daß er, wo nicht albern doch hoͤchst unge- wiß ist, und sich auf lauter zum voraus gesetzte un- wahrscheinliche Dinge grundet. Jch der Clarissa. Jch fuͤrchte, daß Sie mich wegen meiner Hitze schelten werden; allein erfordert es nicht die Sa- che, daß ich hitzig schreiben muß? Es scheinet, das ich blos durch meine allzugrosse Maͤßigung bey Gebung einer abschlaͤgigen Antwort andern Ge- legenheit und Muth gegeben habe, so weit zu ge- hen, als sie gegangen sind. Sie muͤssen uͤber die- ses einem durch so viele Beschimpfungen aufge- brachten und erbitterten Gemuͤthe etwas zu gute halten, da ich diese Beschimpfungen nicht verdient habe, wenn ich anders mein Hertz kenne. Allein was schreibe ich so vieles, um mich des- wegen zu entschuldigen, daß man mich beschuldi- get, ich sey von Herr Lovelacen eingenommen, nachdem ich mich gegen meine Mutter erklaͤret ha- be, und mich hiemit abermals gegen Sie erklaͤre, daß wenn man mir nur keinen Mann und inson- derheit diesen Solmes nicht aufdringet, ich hin- wiederum auf das heiligste versprechen will, weder Lovelacen noch irgend einen andern ohne ihren Willen zu nehmen? d. i. keinen zu nehmen, ohne die Einwilligung von Vater, Mutter, Onckels/ und meinem Vetter Morden zu haben, weil diesem von meinem Grosvater aufgetragen ist, die Erfuͤl- lung seiner letzten Guͤtigkeit gegen mich zu besorgen. Von meinem Bruder kan ich in der That nicht sa- gen, daß er sich bisher so bruͤderlich gegen mich auf- gefuͤhrt hat, daß er mehr von mir erwarten koͤnnte, als die gemeine Hoͤflichkeit: und wenn wir von der reden solten, so moͤchte er sehr in meiner Schuld seyn. Nehmen Sie mir den Gedancken nicht un- guͤtig. Z 2 Viel- Die Geschichte Vielleicht habe ich mich in Absicht auf meine Abneigung von Herrn Solmes bisher nicht so deutlich erklaͤret, daß man hat mercken koͤnnen, daß keine Zuneigung zu einem andern die Ursache dieser Abneigung sey. Jch erklaͤre mich also hiemit, daß ich ihn nicht nehmen wollte, wenn auch kein solcher Mensch als Lovelace in der Welt waͤre. Es ist noͤthig, daß ich in einem meiner Briefe an meine werthesten Angehoͤrigen dieses so deutlich schreibe, daß niemand mehr einen Zweifel daran haben koͤnne: und gegen wen kan ich eine so offen- hertzige Erklaͤrung mit mehrerem Recht und mit groͤsserer Zuversicht thun, als gegen einen Herrn, der sich die groͤsseste Ehre daraus machet, in allen Worten und Handlungen eine Aufrichtigkeit ohne viele Umschweiffe blicken zu lassen, und gerade zu- zugehen? Um eben dieser Ursache willen darf ich auch eini- ge Einwendungen, die ich gegen ihn habe, Jhnen desto deutlicher und umstaͤndlicher melden. Herr S olmes scheinet mir (ich koͤnte wohl sa- gen, er scheint jedermann) ein sehr kleines und nie- dertraͤchtiges Hertz zu haben, und dabey wenig Verstand zu besitzen. Er hat gar nichts artiges und angenehmes an sich, und ist in seinen Sitten eben so rauh als er aussiehet: er ist nicht allein genau, sondern auch geitzig, und ob er gleich gros- ses Vermoͤgen besitzet, so genießt er es doch nicht, und hat kein solches Hertz, das sich anderer Noth und Elend kan jammern lassen. Muß nicht sei- ne Schwester ein ungluͤckliches und kuͤmmerliches Leben der Clarissa. Leben fuͤhren, welches er ihr durch einen kleinen Theil dessen, was er uͤbrig hat, leicht versuͤssen koͤn- te? Er kan es mit geduldigen Augen und ohne sich zu schaͤmen ansehen, daß sein alter Onckle, der Bruder seiner leiblichen Mutter, fremden fuͤr den nothduͤrftigen Unterhalt dancken muß, den ihm ein halb dutzend gutthaͤtige Familien zufliessen las- sen. Sie kennen mein offenes, mein bewegliches und mitleydiges Hertz. Wie ungluͤcklich wuͤrde ich seyn, wenn der karge Wille eines solchen Men- schen, der an niemand als an sich selbst denckt, mein Gesetz seyn sollte? Er ist einmal in einem folchen engen Circkel der Freundschaft und Men- schen-Liebe gerathen, aus welchem ihn sein teufli- scher Geitz eben so wenig schreiten laͤßt, als ein Be- schwerer aus seinem Zauber-Crayse treten darf: und er wuͤrde eben so wenig zulassen, daß ich diese Graͤntzen uͤbertraͤte. Solte ein solcher Mensch wol wissen, was Liebe ist? Meines Grosvaters Gut mag er vielleicht lie- ben, welches (wie er andern Leuten gesagt hat) ihm so bequem lieget, daß er einige seiner Guͤter doppelt wuͤrde nutzen koͤnnen, wenn er es dazu haͤt- te. Er hat nicht einmal seinem Geitz so viel wi- derstehen koͤnnen, daß er mir dieses nicht mit der vergnuͤgten Mine solte zu verstehen gegeben haben, die ein niedertraͤchtiges Hertz auf der Stirne zu mahlen pflegt, weñ es an seinen Eigennutz gedenkt, und den schon fuͤꝛ einen hinlaͤnglichen Bewegungs- Grund ansiehet, daß ihm andere seine Bitte ge- waͤhren sollen. Dieses Gut, und die Ehre die Z 3 ein Die Geschichte ein finsterer gemeiner und poͤbelhafter Mensch von einer solchen Verbindung zu erwarten haͤtte, moͤ- gen vielleicht machen, daß er glaubt, er koͤnne lie- ben, und sich endlich einbildet, er liebe in der That. Allein zum hoͤchsten wird es doch nur eine Liebe vom zweyten Range seyn. Der Reichthum ist und bleibt doch sein hoͤchstes Gut. Ein Knicker vermachte ihm den Reichthum, weil er glaubte, daß er ihm gleich waͤre: und ich wuͤrde entweder das angenehmste Vergnuͤgen in meinem Leben ab- schweren und so niedertraͤchtig werden muͤssen, als er ist, oder ich wuͤrde mein Ungluͤck nicht uͤbersehen koͤnnen. Vergeben Sie es mir, daß ich so nach- druͤcklich schreibe. Wenn ein verhaßter Mensch mehr geruͤhmt wird als er verdienet, so fuͤhlt man auch einen Trieb, mehr von ihm herauszusagen, als man sonst gethan haben wuͤrde. Entschuldi- gen Sie mich damit, daß er mir mit solcher Ge- walt aufgedrungen wird, und ich keine Freyheit zu waͤhlen behalten soll. Jch mag in meinem Urtheil etwas zu hart seyn, oder nicht, so ist es doch ohnmoͤglich, daß ich ihn in der Verhaͤltniß gegen mich ertragen kan, in der man mir ihn aufdringen will, so lange ich dieses Urtheil fuͤr richtig halte. Wenn man aber auch erweisen koͤnte, daß er zehnmal besser waͤre, als ich ihn hier abgeschildert habe, und ihn mir in der That vorstelle: so wuͤrde er mir dennoch zehnmal so eckelhaft seyn, als irgend ein anderer Mensch in der Welt, den ich bisher gesehen habe. Jch bitte Sie deswegen; werden Sie ein Fuͤrsprecher fuͤr der Clarissa. fuͤr Jhres Bruders Kind, und wuͤrcken Sie aus, daß ich nicht das Opfer eines mir so eckelhaften Mannes werde. Sie und mein anderer Onckle koͤnnen viel bey meinem Vater ausrichten, wenn Sie nur so guͤtig seyn wollen. Glauben Sie, das es nicht ein Ei- gensinn ist, sondern ein natuͤrlicher ein unuͤber- windlicher Widerwille. Denn so oft ich aus Ge- horsam gegen meinen Vater mit mir selbst habe streiten und mich uͤberreden wollen, Folge zu lei- sten, so hat sich mein gantzes Hertz empoͤret, und ich habe einen Widerwillen gegen mich selbst dar- uͤber empfunden, daß ich mir einen Menschen, der nicht das geringste Gute an sich hat, als ertraͤglich vorzustellen gesucht habe: einen Menschen, der ohnmoͤglich bey seiner Anwerbung beharren koͤn- te, nachdem er meine Abneigung wuͤste, wenn er etwas maͤnnliches oder etwas adliches in seinem Gemuͤth haͤtte. Wenn Sie einsehen, daß der Jnhalt dieses Briefes nicht unvernuͤnftig ist, so bitte ich Sie um Jhr guͤtiges Vorwort: wo nicht, so bin ich hoͤchst-ungluͤcklich. Es ist indessen meine Schul- digkeit gewesen, so zu schreiben, daß Herr Sol- mes wissen koͤnte, woran er sey. Entschuldigen Sie diesen meinen verdrießlichen Brief, und goͤnnen Sie ihm, daß er etwas aus- richtet: so werden Sie ewig verbinden, Jhre gehorsamste und ergebenste Base Clarissa Harlowe. Z 4 Herrn Die Geschichte H errn Anton H arlowes Antwort. Meine Base Claͤrchen/ Es wuͤrde besser gewesen seyn, wenn Sie nicht an uns, an keinen von nns beyden geschrieben haͤt- ten. Jnsonderheit haͤtten Sie wohl gethan, wenn Sie nie die Feder angesetzt haͤtten, an mich in ei- ner solchen Sache zu schreiben. Nach dem Aus- spruch des weisen Mannes scheint der zwar Recht zu haben/ der seine Sache zuerst an- bringt; allein sein Naͤchster kommt auch/ und untersucht ihn. Jch will jetzt Jhr Naͤch- ster seyn, und den Grund und Boden Jhres Her- tzens untersuchen: ich will untersuchen, ob Jhr Brief Jhnen von Hertzen gehe. Jch weiß wol, was ich mir fuͤr eine Arbeit aufbuͤrde, weil Sie wegen Jhrer fertigen Feder bekant sind. Allein es waͤre schlimm, wenn einer der die Rechte der Eltern vertheidigen will, und der vor die Wohl- sart und Ehre seiner Familie besorgt ist, nicht al- les das zu Boden schlagen koͤnte, was eine rebelli- sche Tochter (wie ungern schreibe ich das von Fraͤulein Clarissa H arlowe! vorbringen kan, ihren Eigensinn zu entschuldigen. Erklaͤren Sie sich nicht deutlich genug, daß Sie den Menschen vorziehen, den wir alle hassen, und der uns eben so sehr haßt? Jst das nicht das Wi- derspiel von dem, was Sie ihrer Mutter gesagt haben? Wie mahlen sie einen braven rechtschaf- nen Cavallier ab? Jch wundere mich, daß Sie sich der Clarissa. sich unterstehen, so frey von einem Herrn zu schrei- ben, den wir alle werth schaͤtzen. Allein vielleicht geschiehet es eben deshalb, damit es uns verdriessen soll. Wie fangen Sie Jhren Brief an? weil H err Solmes mein guter Freund ist/ so wollen Sie desto freyer auf ihn losziehen. Das ist die klare Meinung, Fraͤulein. Jch bin so tumm nicht, daß ich das nicht mercken sollte. ‒ ‒ Ein of- fenbarer und beruͤchtigter Huren-Hengst soll ei- nem Manne vorgezogen werden, der das Geld liebet! das schickt sich schlecht fuͤr eine so artige Fraͤulein, als ich Sie bisher angesehen habe. Was meynen Sie, wer thut andern am meisten Unrecht: ein Verschwender, oder ein sparsamer Mann? Der eine legt sein eignes Geld bey; der andere verpras- set fremder Leute Vermoͤgen. Allein Jhr Lieb- ling ist ein rechter Ertz-Boͤsewicht: und suͤndiget auf anderer Leute Rechnung. Der Teufel muß euch Maͤdchens allen im Her- tzen stecken. Gott vergebe mir meine schwere Suͤn- de! Das beste und artigste Maͤdchen verliebt sich immer am ersten in einen H ‒ ‒ ‒ Jch glaube, ich darf das Wort nicht noch einmal schreiben: denn manche schaͤmt sich vor dem Namen des Lasters, und verliebt sich doch in den Lasterhaften. Jch wuͤrde nicht so lange unveꝛheyrathet geblieben seyn, wenn ich nicht eine solche Menge von widerspre- chenden und mit einander streitenden Leidenschaf- ten bey euch allen gefunden haͤtte. Jhr seyd alle Z 5 Muͤcken- Die Geschichte Muͤcken- S aͤuger und Cameel- S chlucker/ wie euch die heilige Schrift nennet. Wie wunderliche Namen kan der Eigensinn den Dingen geben! Ein kluger Mann, der nie- mand gern betriegen will, muß geitzig heissen. Ein verflugter Galgen-Schwengel wird umgetauft, und ein braver Mañ, ein artiger Herr genañt. Jch glaube gewiß, daß Lovelace nicht so viel aus Jhnen machen wuͤrde, als er jetzt den Schein haben will, wenn nicht zwey Ursachen zum Grun- de laͤgen. Und was fuͤr Ursachen? Zum ersten, er thut es uns zum Trotz: zum andern, er weiß daß Sie eigene Mittel haben, die nicht von Jhren El- tern herkommen. Jch wuͤnschte, daß Jhr lieber seliger Grosvater das, was er Jhnen vermacht hat, nicht so voͤllig Jhrer Gewalt uͤberlassen haͤt- te. Allein er dachte nicht daran, daß seine liebe Enckelin sich allen Jhren Freunden so widersetzen wuͤrde als bisher geschehen ist. Was kan sich aber Herr Solmes fuͤr Hoffnung machen, wenn Sie von einem andern eingenommen sind? Das will bald gut werden! Sind Sie das, die so redet, Claͤrchen? Kan er sich denn keine Hoffnung darauf ma- chen, daß Jhnen Vater, Mutter, und Onckels zu ihm rathen? Nein! gar keine Hoffnung, wie es scheint. Das ist brav. Jch haͤtte gedacht, die- ses waͤre genug gewesen, von einem gehorsamen Kinde das Jawort zu erhalten. Wir gingen so weit, weil wir uns auf Jhren Gehorsam ver- liessen: und nun laͤßt sich die Sache nicht mehr aͤn- der Clarissa. aͤndern. Denn wir wollen uns in unsere Hoff- nung nicht betrogen sehen; und unsern Freund eben so wenig als uns. Wenn Jhr Gut ihm wohl gelegen ist, so ist ja das kein Ungluͤck. Jst das ein Beweiß, naseweises Kind, daß er Sie nicht lieb hat. Sollte der nicht etwas Vermoͤgen mit Jhnen bekommen, der so wenig von Jhnen zu erwarten hat? Mercken Sie das! Allein ist nicht dieses Gut in gewisser massen unser Gut? Haben wir nicht alle ein naͤhe- res Recht dazu, wenn es auf das Recht ankom- men solte? War es nicht blos die Guͤtigkeit eines alten abgelebten Mannes (GOtt habe ihn selig!) dadurch dieses Gut vor uns vorbey gegangen und an Sie gekommen ist? Wohlan! duͤrfen wir denn nicht ein Wort dazu sagen, wer es erheyra- then soll? Koͤnnen Sie es uͤber das Hertz bringen, daß es ein liederlicher Kerl, der uns allen feind ist, auf den Hin ‒ ‒ ‒ haͤngen soll? Jch soll das erwaͤ- gen, was Sie schreiben. Erwaͤge dieses, Maͤd- chen! so wird sich finden, daß wir mehr Recht zu sprechen haben, als Sie dencken. Die Haͤrte, (wie Sie es nennen) damit Jhnen begegnet ist, haben Sie sich selbst zu dancken. So bald Sie nur wollen, wird alles harte ein Ende ha- ben. Das ruͤhrt mich also nicht, was Sie davon schreiben. Sie sind nicht eher eingesperret und von Jhren Eltern verbannet worden, als bis man alle Mittel in der Guͤte versucht hatte. Mercken Sie das! Herr Solmes ist an Jhrem Ungehor- sam unschuldig. Mercken Sie das auch! Aus Die Geschichte Aus Besuch und Gegen-Besuch haben Sie sonst nicht viel gemacht. Die Namen werden nur genannt, um das Register der Leiden groͤsser zu machen. Der Schimpf ist uns eben so schmertz- lich als Jhnen. So ein artiges junges Kind! dessen wir uns sonst immer zu ruͤhmen pflegten! Und alles dieses stehet blos bey Jhnen, ob Sie es aͤndern wollen oder nicht! Allein ihr Hertz empoͤrt sich, wenn Sie sich uͤberreden wollen, Jhren El- tern zu gehorchen. Die Beschreibung ist artig: ist sie nicht? Mehr als zu wahr, wenn Sie so fort- fahren. Jch weiß aber, daß Sie ihn lieben koͤn- ten, wenn Sie nur wollten. Jch haͤtte fast Lust, Jhnen zu befehlen, daß Sie ihn hassen sollten: vielleicht wuͤrde er Jhnen denn besser gefallen. Denn ich habe bey Jhrem Geschlechte immer ei- nen solchen widersinnischen Trieb gefunden, als man ihn in den Romainen beschrieben findet. Das ist Essen und Trincken und Kleidung des Frauen- Volcks, wenn sie das thun und lieben koͤnnen, was sie nicht thun und nicht lieben sollen. Jch bin voͤllig einerley Meynung mit Jhrem Bruder, daß Maͤdchens Witz genug aber nicht wahren Verstand und Beurtheilungskraft genug zum Buͤcher Lesen und zum Schreiben haben. Sie stellen es sich als moͤglich vor, daß Sie hochmuͤ- thig und eingebildet seyn moͤchten: daß sind Sie in der That, weil Jhnen dieser Herr so veraͤchtlich vorkommt. Er kan so gut lesen und schreiben, als die meisten Edelleute. Wer hat Jhnen gesagt, daß Herr Solmes nicht lesen und nicht schreiben koͤnte? der Clarissa. koͤnte? Allein Sie wollen einen Mann haben, von dem Sie etwas lernen koͤnnen! Jch wuͤnschte, daß Sie Jhre Pflicht eben so gut kennen moͤchten, als es scheint, daß Sie Jhre Geschicklichkeit ken- nen. Das ist die Sache die Sie lernen muͤssen, und folglich wird Herr S olmes noch etwas ha- ben, darin er Sie unterrichten kan. Jch mag ihm Jhren Brief nicht zeigen, ob das gleich Jhre Absicht zu seyn scheinet: denn ich fuͤrchte, er moͤch- te dadurch bewogen werden, ein allzustrenger Lehr- Meister gegen Sie zu seyn, wenn Sie erst die sei- nige sind. Allein ich dencke jetzt daran: Sie sind fertiger in der Feder als er. Eine desto nuͤtzlichere Frau wer- den Sie fuͤr ihn seyn. Denn wo findet er eine so gute Haushaͤlterin, als Sie sind? Sie koͤnnen ihm alle Rechnungen fuͤhren, daß er keinen Haus- halter braucht. Jch kan Jhnen sagen, daß dieses ein grosser Vortheil in der Haushaltung ist: denn oft sind die Haushaͤlter schlimme Kerls, und wis- sen um alle Umstaͤnde ihres Herrn, wenn er selbst nicht weiß, wo er recht zu Hause ist: ich weiß, daß ihnen mancher sein eigenes Geld hat verzinsen muͤs- sen. Jch weiß nicht, warum eine brave Frau vor dergleichen Arbeit zu vornehm seyn solte. Es ist doch besser, als halbe Tage im Bette zu liegen; niedliches Essen aussuchen, und in Charten spielen bis in die spaͤte Nacht; und sich zu allen nuͤtzlichen Geschaͤften in der Haushaltung unbrauchbar ma- chen; wie es jetzt die Mode bey euch Weibs-Leu- ten ist. Der Hencker hole euch alle davor! Das sage Die Geschichte sage ich von Hertzen. Das beste ist, daß ich (GOtt sey Danck) Junggesellẽ geblieben bin. ‒ ‒ ‒ Dieses ist ein Geschaͤfte, dazu Sie sich unvergleich- lich schicken. Es ist Jhnen empfindlich, daß Jh- nen die Haushaltung genommen ist: wohlan Fraͤulein, so werden Sie in Herꝛn Solmes Hau- se Jhnen selbst und Jhren Kindern zum Besten ei- ne nuͤtzliche Arbeit haben, wenn Sie Rechnung fuͤhren. Bey dem andern moͤchten Sie zwar auch wol Rechnungen zu fuͤhren haben, von dem was er zum Teufel gehen laͤst, was er borget, was er schul- dig ist, und nie zu bezahlen gedencket. Kommen Sie nur meine liebe Base: Sie kennen die Welt noch nicht. Ein Mann ist ein Mann: mit einem artigen Mann koͤnnen Sie viel kostbare gute Freunde bekommen, die Jhnen aufessen helfen was da ist. Wenn ich handeln solte, so kauffte ich Herrn Solmes, und ich hoffe Sie werden eben so klug seyn. Allein Herr S olmes ist nicht artig genug: er ist nicht nach Jhrem zaͤrtlichen Geschmack; weil er sich nicht wie ein Stutzer kleidet, und einen nicht durch den nichts-bedeutenden Unsinn von Com- plimenten ermuͤdet, der eben das Gift fuͤr das Frauenzimmer ist. Er hat aber Verstand: das kan ich sagen. Uns gefallen keines Mannes Re- den besser als seine: allein Sie fliehen so vor ihm, daß er bisher noch nicht Gelegenheit gehabt hat, Jhnen in seinen Reden zu gefallen. Ein verlieb- ter Mensch sieht immer wie ein Schaaf aus, son- derlich wenn seine Liebe verachtet wird, und wenn man der Clarissa. man ihm so begegnet, als Sie Herrn S olmes das letzte mahl begegneten. Was seine Schwester anlanget, so hat sich die wider seinen Willen und Warnung an einen Kerl gehangen; so wie Sie auch Lust haben zu thun. Er hat ihr zum voraus gesagt, was sie von ihm zu gewarten haͤtte, wenn sie die Heyrath thaͤte. Er haͤlt sein Wort, und das muß ein ehrlicher Mann thun. Wer gewarnt ist, und doch suͤn- digt, der muß dafuͤr buͤssen. Nehmen Sie sich in Acht, daß es Jhnen nicht auch so gehet. Mer- cken Sie sich das. Sein Onckle hat es um ihn nicht verdient, daß er ihm Wohlthaten erzeigen solte: denn er haͤtte ihn gern ausgestochen; und den alten Ritter Oli- ver dahin vermocht, daß er ihm den Reichthum vermachen moͤchte, den er immer Willens gewesen war, Herrn S olmes zu vermachen, und ihn in dieser Hoffnung hatte aufwachsen lassen. Wer allzubald vergiebt, dem geben andere etwas zu vergeben: das ist die kluge Regel Jhres lieben Vaters. Es wuͤrden nicht so viel eigensinnige Toͤchter in der Welt seyn, wenn diese Regel fleißi- ger beobachtet wuͤrde. Die Strafe ist eine Wohl- that fuͤr den Suͤnder! und Belohnungen gehoͤren fuͤr niemanden, als fuͤr den, der sie verdienet. Jene muͤssen scharf und schwer seyn, wenn die Suͤnde muthwillig begangen ist. Jch komme auf seine Liebe zu Jhnen. Davon hat er bisher groͤssere Proben gegeben, als Sie es durch Jhre neuliche Auffuͤhrung gegen ihn ver- dient Die Geschichte dient haben das kan ich Jhnen nicht verhalten. Das ist sein Ungluͤck: und es kan kuͤnfftig auch Jhr Ungluͤck seyn. Auch ein Wort von seiner Sparsamkeit, die Sie mit dem gottlosen Beynamen, teuffelisch, belegen: ein freyer Ausdruck, der sich in ihren Mund nicht allzuwohl schicket. Sie haben unter allen Menschen in der Welt die wenigste Ursache, ihm dieses Laster vorzuwerffen, da er aus eigener Bewegniß alles was er in der Welt hat Jhnen zu- zuwenden gedencket: ein deutlicher Beweis, daß er Sie mehr liebet, als das Geld, wie sehr er auch immer das Geld lieben mag. Damit Sie aber desto weniger Einwendungen machen koͤnnen, so wollen wir ihm Bedingungen vorschreiben, wie Sie es verlangen, und es mit in die Ehestifftung ruͤcken, daß er Jhnen viertheiljaͤhrig ein ansehnli- ches aussetzen solle, damit Sie nach eigenem Be- lieben schalten und walten koͤnnen. Das ist Jhnen schon vorhin gesagt worden; und ich habe es der Frau H owe, der rechtschaffenen ehrwuͤrdigen Ma- trone, in Gegenwart ihrer hochmuͤthigen Tochter erzaͤhlt, damit Sie es auch durch die wieder erfah- ren moͤchten. Um den Vorwurf von sich abzulehnen, als wenn Sie von Herrn Lovelace eingenommen waͤren, erbieten Sie sich, ihn nie ohne unsere Bewilligung zu nehmen. Was heist das anders, als: Sie wol- len noch im̃er fortfahren, auf unsere Einwilligung zu hoffen, und uns so lange quaͤlen, bis mir sie endlich geben, um der Qual los zu seyn? Er wird auch bestaͤndig fortfahren zu hoffen, so lange der Clarissa. ge Sie unverheyrathet bleiben; und wir muͤßen immer den Verdruß haben, wie wir ihn bisher gehabt haben, daß Sie uns plagen, wir aber Sie immer bewachen und huͤten muͤssen, und daß er uns dabey drohet und trotzet. Dencke nur an den vorigen Sonntag, Maͤdchen! Was fuͤr Ungluͤck haͤtte entstehen koͤnnen, wenn dein Bruder mit ihm zusammen gekommen waͤre? ‒ ‒ Mit einem solchen Kopf, als Lovelace hat, werden Sie auch nicht so auskommen koͤnnen, als mit Herrn Solmes. Dieser wird vor Jhnen zittern, und vor dem an- dern muͤssen Sie beben. Mercken Sie sich das. Sie werden sich bey ihm weder zu rathen noch zu helffen wissen. Wenn zwischen Jhnen und Herrn Solmes einiges Mißverstaͤndniß entstehen sollte, so wuͤrden wir alle uns der Sache annehmen, und ohne Zweiffel im Stande seyn, etwas auszurich- ten: aber bey dem andern wuͤrde es heißen, wer die Wahl hat der mag auch die Qual haben: niemand wuͤrde Lust haben, ein Wort fuͤr Sie zu reden, und niemand wuͤrde es sich nur unter- stehen duͤꝛfen. Lassen Sie sich nicht durch eine Furcht vor dem Eye-Zanck und Haus-Kriegen schuͤch- tern machen. Die Flitter Woche waͤhret heut zu Tage nicht lange: und, so viel ich weiß, hat noch niemand Anspruch auf die Speck-Seite gemacht, obgleich andere vorgeben, daß es einmahl gesche- hen sey. Der Ehe-Stand ist ein Zanck-Leben, die Che-Leute moͤgen sich einander selbst gewaͤhlt haben, oder nicht. Unter uns drey Bruͤdern hat nur einer das Hertz gehabt, zu heyrathen: und Erster Theil. A a was Die Geschichte was meinen Sie war die Ursache? Wir wurden durch anderer Schaden klug. Verachten Sie das Geld nicht so sehr. Sie koͤnnen in die Umstaͤnde kommen, daß Sie es hoͤ- her achten lernen. Dis ist noch etwas, das Sie ler- nen koͤnnen, und Herr Solmes wird nach dem Begriff, den Sie von ihm haben, sehr geschickt seyn, es Sie zu lehren. Jhre Hitze kann ich in der That nicht loben, ich kann Sie auch nicht durch die Beschimpfungen entschuldigen, die Sie sich selbst zugezogen haben. Wenn ich sie fuͤr unverschuldet hielte, so wollte ich Jhr Fuͤrsprecher werden: allein ich habe immer die Meinung gehabt, das Kinder keine Einwendun- gen gegen den Willen ihrer Eltern machen muͤßen. Als Jhnen Jhr seel. Gros-Vater sein Gut ver- machte, ob er gleich drey lebendige Soͤhne hinter. ließ, und Jhr aͤlterer Bruder und aͤltere Schwester noch vor Jhnen waren, so ließen wir uns es alle ge- fallen. Und warum das? Weil es unsers Vaters Wille war. Folgen Sie unserem Exempel. Wenn Sie das nicht thun wollen, so haben Sie bey de- nen am wenigsten Entschuldigung, die Jhnen mit so gutem Exempel vorgegangen sind. Mercken Sie sich das, meine Base. Von Jhrem Bruder reden Sie gar zu veraͤcht- lich: und in Jhrem Brieffe an ihn so wohl als an Jhre Schwester brauchen Sie zu wenig Respect. Er ist Jhr Bruder, und um ein Drittheil aͤlter als Sie; und noch dazu eine Manns-Person. Wenn Sie so viel aus einer Bekantschaft, die ein Jahr alt der Clarissa. alt ist, machen, so seyn Sie so guͤtig, und verges- sen nicht, was Sie einem Bruder schuldig sind, der nach uns dreyen das Haupt der Familie ist, und der den Nahmen des Geschlechts erhalten soll. Auf Jhrem Gehorsahm beruhet jetzt die Ausfuͤh- rung des besten und gewuͤnschtesten Vorschlages der jemahls zum Aufnehmen und zur Ehre einer Familie, der Sie das Leben zu dancken haben, haͤt- te erdacht werden koͤnnen. Und wird nicht dir Ehre Jhrer Familie Jhre eigene Ehre seyn? Wenn Sie nicht der Meinung sind, so sind Sie nicht werth von einer solchen Familie zu seyn. Sie sol- len den gantzen Entwurff unserer Anschlaͤge und Verabredungen sehen, wenn Sie versprechen wol- len (Sie moͤgen Recht haben oder nicht) ihn oh- ne Vorurtheil zu lesen. Wenn Sie nicht durch den andern Menschen bethoͤret sind, so bin ich ge- wiß, daß dieser Entwurff Jhren Beyfall erhalten wird: wenn aber jenes ist, so wird Herr Solmes bey Jhnen nichts ausrichten, wenn er auch ein En- gel vom Himmel waͤre; denn der Teuffel ist die Lie- be, und die Liebe ist der Teuffel, wenn sie euch Maͤdchens einmahl in den Kopf kommt. Jch habe Exempel genug davon gesehen. Wenn auch kein solcher Mensch als Lo- velace in der Welt waͤre, so wollen Sie doch Herrn Solmes nicht nehmen. Fraͤulein! ‒ ‒ Das ist artig geredet! Wir mercken es, wie sehr Jhr Gemuͤth erbittert ist. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie von nicht wollen reden, daß die, welche uͤber Sie zu befehlen haben, sagen: Sie A a 2 sollen Die Geschichte sollen ihn nehmen. Jch bin einer davon. Mercken Sie das. Und wenn es sich fuͤr Sie schicket, von dem Hertzen wegzureden, Fraͤu- lein, so will es sich fuͤr uns nicht schicken, unsere Meinung auf dem Hertzen zu behalten. Die Bruͤhe die sich zu der Gans schickt, die schickt sich auch zum Gansert. Ueberlegen Sie das. Meiner geringen Einsicht nach hat Herr Sol- mes ein maͤnnliches und ein adliches Hertz: und ich wollte Jhnen deshalb den Rath geben, ihn nicht zu reitzen. Sein Mitleyden mit Jhnen ist eben so groß, als seine Liebe zu Jhnen. Er sagt, er wolle Sie durch die That von seiner Liebe uͤber- zeigen, weil Sie ihm die Gelegenheit abschneiden, es durch Worte zu thun. Er jetzt alle seine Hoff- nung auf Jhr edles Hertz, das ihm kuͤnftig seine jetzige Muͤhe und Kummer vergelten werde. Wir hoffen, daß er sich in seiner Hoffnung nicht betrie- gen werde: und wir bestaͤrcken ihn darin. Hie- durch bekommt er immer von neuem Muth. Sei- ne Bestaͤndigkeit haben Sie also eigentlich Jhren Eltern und Onckles zu dancken: und dieses wird die zweyte Probe Jhres Gehorsahms seyn. Mercken Sie nicht, daß Sie uns alle und selbst Jhre Eltern schelten, wenn Sie sich verlauten lassen, Sie koͤnnten die Verschreibungen, die Jh- nen angeboten werden nicht mit gutem Gewissen annehmen? Ueber eine solche Dreistigkeit von Jh- nen wuͤrden wir uns sonst gewundert haben: jetzt aber wundern wir uns nicht mehr daruͤber. Es der Clarissa. Es sind noch viele andere anstoͤßige Stellen in Jhrem sehr frey geschriebenen Brieffe: wir muͤs- sen sie aus Jhrem erbitternten Gemuͤth herlei- ten. Jch freue mich, daß Jhnen das Wort einge- fallen ist, sonst wuͤrde ich keinen Nahmen zu der Sache haben finden koͤnnen. Jch wuͤrde gewiß keine Urfache gehabt haben, einen gelindern Nah- men dafuͤr zu suchen. Jch habe sie noch hertzlich lieb. Ob Sie gleich meines Bruders Tochter sind, so scheue ich mich doch nicht zu sagen, daß Sie die schoͤnste Fraͤulein sind, die ich jemahls gesehen habe. Allein auf mein Gewissen! ich glaube, Sie sollten Jhren Eltern geborchen, und mir und meinem Bruder Hans gefaͤllig seyn: denn Sie wissen wohl, daß uns nichts als ihr Bestes am Hertzen liegt; Jhr Bestes, so wie es mit unserem Besten und mit un- serer Ehre bestehen kann. Was muͤssen wir von einem solchen Gliede der Familie dencken, daß das gemeine Beste nicht befoͤrdern helffen will? und das zwischen den Gliedern Partheyen und Streit anzurichten sucht? GOtt behuͤt uns in Gnaden! sage ich dazu. Sie sehen, daß ich fuͤr das gemei- ne Beste bin. Was kann ich fuͤr Vortheil davon haben, es gehe auch wie es gehe? Brauche ich oder verlange ich von jemand etwas fuͤr mich? Oder thut es mein Bruder Hans? Ach aber Sie koͤnnen keine Liebe zu Herrn Solmes fassen! Jch antworte: Sie wissen selbst A a 3 nicht Die Geschichte nicht, was Sie koͤnnen oder nicht koͤnnen. Sie zwingen sich nur dazu ihm abgeneigt zu werden. Sie erlauben es Jhrem Hertzen, (daß ich nie fuͤr so trotzig angesehen haͤtte) daß es sich empoͤren darff. Versuchen Sie es einmahl, und treiben Sie Jhr Hertz zuruͤck, so oft es sich empoͤret, (wie wir es im See-Gefechte und in Schlachten auf dem vesten Lande machen muͤssen, und unser Schif-Volck und Soldaten mit uns, wenn wir nicht dem Feinde zur Beute werden wollen) so werden Sie es bald uͤber- winden. Thun Sie das, weil es Jhre Schuldig- keit ist: dafuͤr halten wir es zum wenigsten, was Sie auch dazu dencken moͤgen. Wessen Gedan- cken sollen nun mehr gelten? Sie moͤgen mehr Witz haben, als wir: wenn Sie aber auch mehr Verstand und Einsicht haͤtten, so muͤßten einige unter uns vergeblich dreyßig oder viertzig Jahr laͤnger die Welt gesehen haben als Sie. Jch habe eben so einen langen Brieff geschrie- ben, als Sie. Jch mag wohl nicht eine so artige und lebhaffte Schreib-Art haben, als meine Fraͤu- lein Base; allein die Sache selbst, und was gruͤnd- liches gesagt werden kann, habe ich auf meiner Sei- ten; und Sie werden mir eine große Gefaͤlligkeit erzeigen, wenn Sie durch Jhr Nachgeben zeigen, daß Sie dieses auch glauben. Wollen Sie das nicht thun, so muͤßen Sie nicht erwarten, daß ich Jhr Vorsprecher werden, oder Jhr Freund blei- ben soll, so hertzlich ich Sie auch liebe. Es wird mir alsdenn leyd thun, daß ich bin Jhr Onckle Donnerstags fruͤh um 2. Uhr. Anton Harlowe. P. S. der Clarissa. P. S. Sie muͤssen nicht mehr an mich schreiben, es waͤre denn, daß Sie sich bequemen wollten. Doch ich brauche Jhnen das Schreiben nicht zu verbiethen: denn ich bin gewiß, daß Sie meinen Brieff nicht beantworten koͤnnen. Jch habe fast Tag und Nacht vom Sontag Morgen an bis jetzt geschrieben, nur die Kirch Zeit, und die Zeit ande- rer eben so noͤthigen Verrichtungen ausgenom- men. Dis ist der letzte Brieff, den Sie erhal- ten werden. von A. H. Der Drey und Dreyßigste Brief. von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Donnerstags den 16. Maͤrtz N achdem meine Bitten bey meinen Anverwan- ten so wenig ausgerichtet haben, so habe ich etwas unternommen, daruͤber Sie sich verwunden wer en. Jch habe an Herrn Solmes selbst ge- schrieben: ich habe auch schon eine Antwort von ihm. Er muß sich gewiß dabey haben helfen las- sen: denn ich habe einen Brieff von ihm gesehen, darin die Ausdruͤcke eben so schlecht waren, als die Orthographie. Die Aufschrifft aber ist gewiß von ihm, denn er pflegt viel Umstaͤnde und Com- plimente zu machen. Jch will noch einen Brieff beylegen, den mir mein Bruder bey Gelegenheit A a 4 mei- Die Geschichte meines Brieffes an Solmes zugesandt hat. Jch meinte es waͤre moͤglich, den Menschen muthloß zu machen, daß er die Sache liegen ließe und ver- lohren gaͤbe: als denn wuͤrden alle meine Wuͤnsche erfuͤllet seyn. Es verlohnet sich der Muͤhe, es zum wenigsten zu versuchen. Sie werden aber sehen, daß alle Mittel vergeblich sind Mein Bruder hat sich auf allen Seiten allzuwohl vorgesehen. An Juncker Roger Solmes. Mein Herr Mittewochens den 15. Maͤrtz Sie werden sich daruͤber verwundern, daß Sie einen Brieff von mir erhalten; und noch dazu ei- nen Brieff von einem so ungewoͤhnlichen Jnhalt. Allein die Nothwendigkeit der Sache wird mich entschuldigen, (wo nicht nach Jhrem doch nach meinem Urtheil) darum will ich meinen Brieff nicht mit einer weitlaͤuffigen Schutz-Schrifft an- fangen. Als Sie zuerst in meines Vaters Hause bekannt wurden, fanden Sie mich in den gluͤcklichsten und vergnuͤgtesten Umstaͤnden von der Welt. Meine lieben und guͤtigen Eltern liebeten mich zaͤrtlich, und freueten sich daruͤber, daß mich zwey vaͤterlich- gesinnete Onckles mit ihrer Gewogenheit, und fast alle Fremde mit ihrer Hochachtung beehrten. Allein wie sehr ist dieses Lust-Spiel zum Trauer- Spiel geworden! Sie beliebten ein guͤnstiges Auge auf mich zu werfen: Sie eroͤffneten dieses meinen Ereunden, und diese billigten Jhre Vorfchlaͤge oh- ne der Clarissa. ne mich daruͤber zu hoͤren; gleich als waͤre meine eigene Wahl und das kuͤnftige Vergnuͤgen meines Lebens nur eine Kleinigkeit. Diejenigen, die ein Recht hatten in allen billigen Dingen Gehorsahm von mir zu erwarten, drungen auf einen unum- schraͤnckten und blinden Gehorsahm. Jch war so ungluͤcklich, andere Gedancken zu hegen als sie: fast gleich zu Anfang zeigte sich schon die Verschie- denheit unserer Gedancken. Jch bat sie, in einer Sache die meine eigene kuͤnftige Wohlfahrth anbe- trifft mit mir Geduld zu haben: allein es war al- les umsonst. Hierauf sagte ich Jhnen selbst mei- ne Meinung in das Gesicht, weil ich glaubte, daß mich die Aufrichtigkeit hiezu verbaͤnde. Jch sagte Jhnen sogar, daß mein Hertz schon vergeben sey. Allein zu meinem Leydwesen und Verwunderung blieben Sie bey Jhrer Anfoderung, und bleiben noch dabey. Die Folgen hievon sind fuͤr mich so betruͤbt ge- wesen, daß ich sie nicht widerhohlen mag. Sie haben einen so freyen Zutritt in unserem Hause, daß sie Jhnen mehr als zu bekannt seyn muͤssen: mehr als zu bekannt, so wohl in Absicht auf meine Ehre, als auf den Begriff, den ich mir daher von Jhrem Gemuͤthe machen muß. Jch muß mir dergleichen Dinge gefallen lassen, als ich vorhin nie gewohnt gewesen bin zu ertragen, und auch jetzt nicht zu verdienen meine. Die harte und unmoͤgliche Be- dingung, unter welcher ich die Gunst der Meini- gen wider erhalten soll, ist, daß ich die eintzige A a 5 Person Die Geschichte Person, die ich unter allen andern am wenigsten lieben kann, allen andern vorziehen soll. Da ich so geaͤngstiget und ungluͤcklich gemacht werde, und zwar das alles um Jhrent willen, und wegen Jhrer grausamen Bestaͤndigkeit, so schrei- be ich an Sie, um von Jhnen die Gemuͤths-Ruhe wider zu fodern, die Sie mir geraubet haben: um die Liebe so vieler werthen Freunde mir von Jhnen auszubitten, der Sie mich verlustig machen: und (falls Sie anders ein so edles Hertz haben, als man bey einer Manns-Person und bey einem Ca- vallier erwarten sollte) um Sie zu beschweren, daß Sie von einem Gesuch abstehen, das mit so uner- traͤglichen Folgen gegen die, welche Sie zu lieben vorgeben, verknuͤpft gewesen ist. Wenn Sie mich in der That werth schaͤtzen, wie mich meine Freunde bereden wollen, und Sie selbst vorgeben, so muß es doch eine sehr eigennuͤ- zige Werthschaͤtzung seyn: eine Werthschaͤtzung die mich zu keiner Danckbarkeit verpflichten kann, weil sie fuͤr mich die ungluͤcklichsten Wuͤrckungen hat. Um Jhrer und nicht um meinetwillen moͤ- gen Sie mich werth schaͤtzen: und selbst in dieser Absicht irren Sie sich. Denn wird ein kluger Mann wuͤnschen, eine solche Person zu heyrathen, die kein Hertz zu vergeben hat? Die ihn nicht lie- ben kann? Die eine schlimme Frau werden muß? Und wie grausam ist es, ein arm es Kind, das gern eine gute Frau werden wollte, dazu zwingen, daß sie eine schlimme Frau werden muß? Wenn der Clarissa. Wenn ich mich in meinem Urtheil nicht betriege, so sind unsere Neigungen sehr verschieden. Ein je- des anderes Frauenzimmer wird Sie gluͤcklicher machen koͤnnen als ich. Das was ich Jhrentwe- gen leyde, und die Hartnaͤckigkeit (nach dem Aus- spruch meiner Freunde) damit ich dieses leyden er- trage, koͤnnten Sie schon hievon uͤberzeugen; wenu ich auch nicht im Stande waͤre, eine so gegruͤnde- te Ursache meiner wunderlich scheinenden Auffuͤh- rung anzugeben, als diese ist, daß ich mich nicht entschliessen kann einen Mann zu nehmen, fuͤr den ich keine Werth-Achtung habe. Wenn Sie aber nicht so viel edles in Jhrem Gemuͤth haben, daß Sie aus Liebe zu mir von Jhrem Gesuch ablassen koͤnnen: so beschwoͤre ich Sie, aus Liebe zu sich selbst und um Jhrer kuͤnfti- gen Ruhe und Wohlfarth willen dieses zu thun, und ihre Liebe auf eine Person zu richten, die es wuͤrdiger ist. Denn warum wollten Sie verlan- gen, mich ungluͤcklich zu machen, ohne doch selbst gluͤcklich zu werden? Sie werden hiedurch das Jhrige zu meiner Aussoͤhnung mit meinen Anver- wandten beytragen: und wenn die zu Stande kommt, so werden Sie mich in eben so gluͤcklichen Umstaͤnden verlassen, als Sie mich gefunden haben. Sie brauchen nur zu sagen: Sie saͤhen keine Hoffnung mich zu gewinnen: wie Sie es viel- leicht aus Hoͤflichkeit auszudruͤcken belieben wer- den; (und in der That kann auch keine gewissere Wahrheit seyn, als diese) Sie wollten deswegen nicht weiter an mich gedencken, sondern sich nach einer andern Parthey umsehen. Wenn Die Geschichte Wenn Sie diese Bitte erfuͤllen, so werden Sie mich Jhnen durch eine so edle Grosmuth unend- lich verbinden, und ich werde mit den heissesten Wuͤnschen fuͤr ihre Wohlfahrth seyn. Jhre gehorsamste Dienerin Cl. Harlowe. An Fraͤulein Clarissa Harlowe. demuͤthigst zu uͤberreichen. Allerliebste Fraͤulein, Donnerstags den 16t. n Maͤrtz. Jhr Brieff hat bey mir eine gantz andere Wir- ckung gehabt, als Jhre Absicht dabey war. Er hat mich zwiefach von der Vortreflichkeit Jhres Hertzens und von der Ehre uͤberzeugt, die ich davon haben wuͤrde, wenn ich Sie dereinst die Meinige nennen duͤrffte. Nennen Sie dieses Eigennutz, Eigenliebe, oder wie Sie sonst wollen, so muß ich doch bey meiner Bitte beharren: und wie gluͤck- lich wuͤrde ich seyn, wenn meine Geduld, meine Unterthaͤnigkeit und meine Bestaͤndigkeit endlich alle Schwuͤrigkeiten uͤberwindet. Da ihre lieben Eltern und Onckles und Jhre uͤbrigen Anverwanten voͤllig beschlossen haben, daß Sie mit ihrem Willen Herrn Lovelace nie bekommen sollen; und da mir niemand ausser ihm (wie ich glaube) im Wege stehet: so will ich mit Geduld den Ausgang der Sache abwarten. Ver- geben Sie mir was ich schreibe, liebste Fraͤulein: ich der Clarissa. ich wuͤrde mich eher bewegen lassen, einem alles mein Vermoͤgen als ein Zeichen meiner Edelmuͤ- thigkeit zu schencken, wenn er ohne dasselbe nicht gluͤcklich seyn kaͤnnte; als daß ich einen viel un- schaͤtzbarern Schatz sollte fahren lassen, um die Gluͤckseeligkeit eines andern zu befoͤrdern, und es ihm leichter zu machen, daß er mich um denselben bringen koͤnnte. Vergeben Sie mir, meine liebe Fraͤulein, daß ich mich gezwungen sehe, bestaͤndig zu bleiben, ob es mir gleich sehr leyd thut, das Sie um meinet- willen leyden muͤssen, wie Sie es wenigstens an- sehen. Jch habe nie vorhin ein Frauenzimmer gesehen, das ich lieben konnte. So lange also noch einige Hoffnung ist, und so lange Sie an kei- nen gluͤcklichen Freyer versaget sind, werde und muß ich stets bleiben, Jhr treuer und gehorsahmster Bewunderer Roger Solmes. Juncker Jacob H arlowes Schreiben an Fraͤulein Clarissa Harlowe. Donnerstags den 16. Maͤrtz. Was fuͤr ein artiger Einfall von Euch ist das, einen Brieff an Herrn Solmes zu schreiben, und von ihm zu begehren, daß er seine Anspruͤche an Euch aufgeben moͤge. Unter allen Romanesquen Schwuͤngen, die Eure Lust immer gewesen sind, ist dieses der hoͤchste und sonderbahrste. Jch will der Dinge nicht gedencken, die uns alle gegen Euch entzuͤn- Die Geschichte entzuͤnden, nehmlich daß Jhr euch so guͤnstig und geneigt gegen den Boͤsewicht erklaͤret, und mir und eurer Schwester und Onckles so grob begegnet, von denen aber der eine zur Verantwortung ge- kommen ist. Allein wie koͤnnt Jhr dasjenige Be- tragen Eurer Freunde, daruͤber Jhr so bittere Kla- gen fuͤhret, dem Herrn Solmes Schuld geben? Jhr wisset ja, kleines Naͤrrichen, daß eur verliebtes Hertz, so von L ovelacen eingenommen ist, Euch alle diese unangenehmen Dinge zuziehet; die ge- wiß nicht unterblieben seyn wuͤrden, wenn gleich Herr Solmes Euch nie die Ehre gethan haͤtte, an Euch zu dencken. Da ihr hievon selbst uͤberzeuget seyn muͤsset, so uͤberlegt einmahl, artige witzige Fraͤulein, (wenn Euch anders die Liebe noch Ruhe laͤßt, etwas zu uͤberlegen) wie artig das lassen muß, wenn Jhr mit uns allen scheltet, und Herrn Solmes so hefftig beschuldiget als Jhr koͤnnt. Wie gut schickt es sich fuͤr Euch, Eure vorige Gluͤckseeligkeit von ihm wider zu fodern; wie Jhr es zu nennen beliebet? Denn ein blosses Wort ist das Wort Gluͤck see- ligkeit in Eurem Munde. Wenn Jhr unsere Liebe fuͤr eine Gluͤckseeligkeit hieltet, so wuͤrdet Jhr sie Euch selbst wider geben, da dieses in Eurer Macht stehet. Schreibt deswegen nur halb so nach- druͤcklich, Fraͤulein Naseweiß, wo es so schlecht angebracht ist. Seyd versichert, Jhr moͤget Herrn Solmes bekommen oder nicht, so sollt Jhr doch nie Eur Hertz-Blaͤttchen, den liederlichen Love- lace, haben, wenn Eltern, wenn Onckles, wenn ich der Clarissa. ich, wenn wir alle es noch hindern koͤnnen. Nein, mein gefallener Engel. Jhr sollt Eure Eltern nicht durch einen solchen Sohn, und mich nicht durch einen solchen Bruder, als Lovelace der Ertz- Boͤsewicht seyn wuͤrde, beschimpfen. Beruhiget also lieber Eur Hertz, und lasset alle Gedancken von ihm fahren, wenn Jhr Vergebung, Versoͤh- nung und Werthachtung von einem eintzigen un- ter uns, und insonderheit von demjenigen erwar- ten wollet, der sich jetzt noch nennet Euren Bruder Jacob Harlowe. P. S. Jch weiß, was Jhr fuͤr eine Fertigkeit im Schreiben habt. Wenn Jhr mir eine Antwort zuschickt, so sollt Jhr sie unerbrochen wider bekom- men, denn in einer so deutlichen Sache verlange ich nicht Streit-Schrifften mit Euch verkehrten Maͤdchen zu wechseln. Jch wollte Euch nur Ein vor allemahl wegen Herrn Solmes beßer beleh- ren: dem ich es im uͤbrigen sehr verdencke, daß er sich um Euch Muͤhe giebt. Der vier und dreyßigste Brieff. von Herrn Lovelace an Herrn Johann Belford Freytags den 17. Maͤrtz. J ch erhalte mit großem Veꝛgnuͤgen die baldigen u. froͤlichen Versicherungen eurer Pflichtmaͤs- sigen Die Geschichte sigen Treue und Liebe. Gib meinen besten Freun- den, deren Nahmen ich in dem vorigen Brieffe schrieb, hievon Nachricht. Jch wollte, daß du zu mir kaͤmest, so bald es dir moͤglich seyn wird: ich glaube nicht, daß ich der uͤbrigen so bald benoͤthigt seyn werde. Sie koͤnnen aber wol nach dem Gute des Lord M. rei- sen. Jch will mich auch dort einfinden, nicht so wohl sie zu empfangen, als nur den Lord M. zu beruhigen und ihn zu versichern, daß kein neuer Streich vor ist, der ihm zum zweyten mahl Muͤhe und Ungelegenheit machen koͤnnte. Du selbst mußt bestaͤndig um mich seyn: nicht zu meiner Sicherheit, denn die gantze Familie kann weiter nichts als prahlen. Sie bellen nur, wenn sie nicht zu nahe sind. Jch verlange es blos von dir zu meinem Vergnuͤgen, damit du durch deine Belesenheit und durch die kraͤftigsten Stel- len der schoͤnsten Lateinischen und Englischen Schriftsteller mein vor Liebe krantzes Hertz wider erpuicken moͤgest. Es waͤre mir am besten, wenn du in deinem atten Corporals Rock zu mir kaͤmest, und deinen Diener ohne Montur mitbraͤchtest. Er koͤnnte etwas freyer mit dir umgehen, und fuͤr einen weit- laͤufftigen Anverwanten ausgegeben werden, fuͤr den du oben d. i. zu London. sorgen wolltest. Jch meine nicht im Himmel: eine so falsche Auslegung wirst du nicht machen. Du wirst mich in einer kleinen Bier- der Clarissa. Bier-Schencke, die die Leute ein Wirths-Haus nennen, antreffen. Das Zeichen ist zum weissen Hirsch. Dieser Hirsch ist sehr verwundet, doch nur durch das Wetter. Es liegt in einem arm- seeligen Dorfe eine gute Meile von Harlowe- Burg. Jedermann kennet Harlowe-Burg: denn es ist seit kurtzer Zeit, so wie Versailles, beynahe aus einem Mist-Hauffen entstanden, und wer ein wenig bey Jahren ist, kann sich des vorigen Zustandes noch erinnern. Jnsonderheit pflegen es alle Nothduͤrftige zu kennen; doch nur seit einigen Jahren, seitdem sich ein gewisser En- gel unter den Soͤhnen und Toͤchtern der Men- schen hat blicken lassen. Die Leute in dem weissen Hirsch sind arm, aber ehrlich. Jch habe es ihnen in den Kopf gesetzt, daß ich von grossem Stande bin, und mich ver- kleidet habe: nun laͤßt sich ihre Ehrfurcht und Demuth gar nicht einschraͤncken. Es ist eine klei- ne freundliche Tochter im Hause, die vor sechs Ta- gen siebenzehn Jahr alt ward: ich nenne sie nur mein Rosen-Knoͤspchen. Sie hat keine Mut- teram Leben: Die Gros-Mutter, eine reinliche alte Frau, so gut als je eine auf dem Lande gewe- sen ist, hat mich gebeten Mitleyden mit dem armen Maͤdchen zu haben, und es nicht zu verfuͤhren. Sie hat mich auf der rechten Seite angegriffen. Manches kleinen schelmischen Maͤdchens wuͤrde ich geschont haben, wenn mein Vermoͤgen es zu verfuͤhren erkannt, und ich fruͤh genug um Barm- hertzigkeit gebeten waͤre. Mein Wahlspruch soll Erster Theil. B b immer Die Geschichte immer das Depellare superbas seyn, wenn ich mich wider in eine neue Liebe einlassen kann. Unterdessen daß ich Wind und Wetter uͤber meinem Kopfe brausen lasse, und um die Mauren und Forsten von Harlowe-Burg herum schlei- che, wirst du dir manches Vergnuͤgen mit dem kleinen unschuldigen Maͤdchen machen koͤnnen. Sie hat eine unschuldige Einfalt an sich, die dir sehr wohl gefallen wird: sie ist lauter Demuth, lauter Dienstfertigkeit, lauter Unschuld; und sie gefaͤllt mir wegen dieser Eigenschaften und sel bst wegen ihrer Unschuld wohl. Du wirst in ihrem Gemuͤth alles das entdecken koͤnnen, was das vornehme Frauenzimmer verstecken lernt, und eben durch diese Kunst gezwungen und unange- nehm wird. Allein ich warne dich zum voraus, daß du dich nicht unterstehst zu thun, was ich selbst fuͤr die gan- tze Welt nicht thun wollte, nehmlich, mein Ro- sen-Knoͤspchen abzubrechen. Sie ist die eintzige schoͤne Blume, die in zehn Jahren in dieser gan- tzen Gegend gewachsen ist, und in den kuͤnftigen zehn Jahren wachsen wird. Denn ich habe alle verwelckte und alle sprossende Rosen genau ange- sehen, da ich vor langer Weile oft nicht weiß, was ich anfangen soll. Jch bin lange Zeit nicht so tugendhaft gewesen: ich kann wol sagen, seit dem ich inseribi rt bin. Es ist mir auch zu rathen, daß ich tugendhaft bin. Mein Aufenthalt koͤnnte auf eine oder andere Weise ausgekundschaftet werden; und man koͤn- te der Clarissa. te glauben, daß mein Rosen-Knoͤspchen der Ma- gnet waͤre, der mich hieher zoͤge. Wenn mir so liebenswuͤrdige und einfaͤltige Leute ein gutes Zeugniß geben, so kann ich dadurch ein anderes Hertz gewinnen: auf das Zeugniß der Groß- Mutter kann man immer einen Eyd ablegen; und der Vater ist ein guter ehrlicher Mann, der keine andere Freude hat als sein Rosen-Knoͤspchen. Schone mir deshalb dieses Rosen-Knoͤspchen: ich werde dich oft allein lassen muͤssen. Beobach- te in Absicht auf mein Rosen-Knoͤspchen das Ge- setz, von dem ich nie abgewichen bin, ohne daß es mir eine lange Reue gekostet hat: nehmlich, kein Maͤdchen ungluͤcklich zu machen, das sich auf nichts als auf ihre Unschuld und Ehrlichkeit ver- lassen kann; und das sich durch Vermoͤgen vor dem Spott boshafterer Gemuͤther und vor der aͤussersten Armuth nicht in Sicherheit setzen kann. Ein solches Maͤdchen wird sich nur heimlich graͤ- men, und um den Laͤsterungen der Welt zu ent- fliehen aus einer verbotenen Quelle trincken, oder das Strumpf-Band zu Huͤlffe nehmen; welchen Entschluß vermuthlich die ungluͤckliche und ver- lassene Liebe zuerst unter den Menschen bekannt gemacht hat. Mein Rosen-Knoͤspchen wird dei- ner Geschicklich keit in der Verfuͤhrung nicht Trotz bieten: sie wird sich nicht auf ihre eigene Staͤrcke verlassen, noch auf dich ein wachsahmes und arg- woͤhnisches Auge werfen, dadurch du am meisten gereitzet werden wuͤrdest, alle deine Arglistigkeit an ihr zu zeigen. Ohne an die Gefahr zu dencken, B b 2 wird Die Geschichte wird dieses Lamm seinen Hals kaum vor deinem Messer zuruͤck ziehen. Allein werde ja an mei- nem Lamm nicht zum Schlaͤchter. Werde es um so viel weniger um der Ursache willen, die ich Dir jetzt melden will. Jhr artiges Hertz empfindet etwas von Liebe: ihre sanfte Brust schwillt von Etwas, dem sie noch keinen Nahmen zu geben weiß. Jch belaurete sie ein- mahl, als sie einem jungen Tischer, dessen Mut- ter eine Witwe in der Nachbarschaft ist, bestaͤn- dig nachsahe, der nach ihrer Redens-Art in dem kleinen weissen Hause uͤber den Weg wohnt. Es scheint ein artiger junger Mensch zu seyn, ohn- gefaͤhr drey Jahr aͤlter als sie. Da sie beyde Spiel-Cameraden gewesen sind, er bis in das achtzehnte und sie bis in das fuͤnfzehnte Jahr, so muͤssen sie jetzt desto fremder thun, obgleich in ih- ren Hertzen der Grund zu einer viel naͤhern Be- kantschaft lieget, als sie jemahls gehabt haben. Denn ich habe bald gemerckt, daß sie sich von bey- den Seiten lieben. Jch sahe von ihm immer ei- nen Kratz-Fuß und Buͤckling, so bald er sein arti- ges Kind gewahr ward, und er kehrte sich oft um, ihrem Auge, das seinem Ruͤcken nachfolgete, ei- nen Blick zu geben. Wenn ein krummer Gang ihn verhinderte sie zu sehen, so beugete er den gan- tzen Leib herum, und nahm den Huth desto ehrer- bietiger ab. Sie beantwortete dieses, ohne mich zu sehen, weil ich mich hinter ihr verborgen hatte, mit einem tieffen Knix, und mit einem Seufzer, den er nicht hoͤren konnte. Du gluͤcklicher Schelm! der Clarissa. Schelm! dachte ich bey mir selbst, und machte mich davon. Mein Rosen-Knoͤspchen trat bald so froͤlich in das Haus herein, als wenn es mit dem stummen Ansehen schon vergnuͤgt waͤre, und nichts weiter wuͤnschete. Jch habe ihr kleines Hertzchen erforschet; sie hat mich zu ihrem Vertrauten erwaͤhlt. Sie ge- steht mir, sie moͤchte Haͤnschen Bartons recht gern leyden: und Haͤnschen Bartons haͤtte ihr auch gesagt, er moͤchte kein Maͤdchen so gern ley- den, als sie. Allein es sey nicht daran zu dencken. ‒ ‒ ‒ Warum denn nicht daran zu dencken? fragte ich. ‒ ‒ Ach, sie wuͤste es nicht: und mit dem Worte kam ein Seufzer. Der junge Barton haͤtte eine alte Base, die wollte ihm hundert Pfund schen- cken, wenn er ausgelernt haͤtte. Jhr Vater aber koͤnnte ihr weiter nichts mitgeben, als einige Klei- nigkeiten von Hausgeraͤthe zur Ausstattung. Haͤnschens Mutter sagte zwar, sie wuͤßte keine huͤbschere und artigere Frau fuͤr Haͤnschen. Aber (ein neuer Seufzer) was hilft das sagen? Jch wollte nicht, daß Haͤnschen um meinetwillen un- gluͤcklich und duͤrftig wuͤrde. Das wuͤrde mir anch nichts nuͤtzen. Was wollte ich darum geben, daß ich ein so aufrichtiges und unschuldiges Hertz haͤtte als mein Rosen-Knoͤspchen und ihr Haͤnschen? Bey meiner Seele, mein Engel bekehrt mich noch, wenn uns nicht der unversoͤhnliche Unverstand der thoͤrichten Familie beyde ungluͤcklich macht. Jch glaube, ich habe selbst von Natur ein ver- B b 3 wor- Die Geschichte worrenes und gefaͤhrliches Hertz. Dann und wann steigt ein guter Gedancke darin auf, allein er stirbt bald wider. Die Liebe zur Intrigue, und ein Kopf der an hoͤsen Erfindungen reich ist, toͤdtet ihn. Das Gluͤck hat mich in Umstaͤnde gesetzt, die mir Muth machen, Streiche zu spielen; und die gute Gesundheit traͤgt auch das ihrige dazu bey- Doch was soll ich den Schelm bemaͤnteln! Jch waͤre ein Ertz-Schelm geworden, wenn ich auch zum Pfluge gebohren waͤre. Der Teuffel steckt in den Frauens Leuten. Sie sind ewige Verfuͤhrerinnen. Wer ist jemahls wi- der tugendhaft geworden, nachdem er einmahl gesuͤndiget hat? Wir Frey-Geister suchen die Tugend gleichsahm auszurotten, und verschwoͤ- ren uns gegen sie: allein was ist das Ziel unserer Wuͤnsche in Absicht auf das Frauenzimmer oh- ne Tugend? Die Vorbereitungen und die Hof- nung sind fast unser gantzes Vergnuͤgen: das Zuruͤckdencken an unsern Sieg kann auch ver- gnuͤgen wenn das Hertz schon verhaͤrtet ist, und keins Empfindung von vergangenen Uebelthaten bat. Allein der Genuß selbst ist ein fluͤchtiges nichts. Und dieses ist doch der Endzweck, ohne den sich unsere Natur nicht befriedigen laͤßt. Du siehest, was fuͤr ernsthaffte Gedancken ein unschuldiges Kind bey mir erwecken kann. Jch freue mich, wenn ich mercke, daß meine Besserung noch nicht unmoͤglich ist: allein ich glaube, ich werde bessere Gesellschaft suchen muͤssen, als ich bisher gehabt habe. Wir der Clarissa. Wir verderben und verhaͤrten einer den an- dern. Werde deswegen nicht betruͤbt, Junge. Jch werde Zeit genug haben, es dir und deinen Bruͤdern so fruͤh zum voraus zu sagen, wenn ich mich beßeru will, daß ihr einen andern Anfuͤhrer waͤhlen koͤnnt. Und wen wird die Wahl anders treffen, als dich? Es ist meine Regel, ein gutes Werck zu thun, und gleichsahm ein Opfer zu bringen, wenn ich mir einer Ausschweiffung bewust bin, die unter die Tod-Suͤnden gehoͤren kann. Da ich nun jetzt ziemlich in Schuld von dieser Art bin, so habe ich mich entschloßen, das unschuldige Paar gluͤcklich zu machen, und noch andere hundert Pfund zu den hundert Pfund des jungen Bartons hinzu zu thun, ehe ich diese Gegend verlaße. Gluͤcklich und nach Wunsch hoffe ich sie zu verlassen: oder es wird schwer halten, daß mich die Rachgier nicht verleiten sollte noch einmahl so viel Ungluͤck anzurichten: aber kein Ungluͤck fuͤr mein Rosen- Knoͤspchen. Darum, Darum, noch ein halb Dutzend Darum verschone ja mein Rosen- Knoͤspchen. Jch werde gestoͤrt. Jch schreibe bald einen an- dern Brief; und ich will beyde zugleich schicken. Der fuͤnf und dreyßigste Brief von Herrn Lovelaee an Herrn Johann Belford. D urch meinen aufmercksahmen Spion erfahre ich alles, was sowohl mein unvergleichliches B b 4 Kind Die Geschichte Kind als ihre Anverwanten vornehmen. Er ist meinem Hertzen eine Labung, wenn ich mir vor- stelle, wie die Onckles und der Bruder mit dem Schelm so freundschaftlich umgehen, und ihn in alle ihre Geheimnuͤsse sehen lassen, und er handelt doch in allen Stuͤcken nur nach meiner Vor- schrift. Jch habe ihm inzwischen bey Verlust seines woͤchentlichen Soldes und aller meiner Gunst, befohlen, mit aller moͤglichen Sorgfalt zu verhuͤten, daß weder meine Schoͤne noch irgend ein auderer in der Familie einigen Verdacht auf ihn werfen moͤge. Er soll zwar auf die Gaͤnge meiner Goͤttin Acht geben, allein blos um andere Bedienten abzuhalten, daß sie ihr nicht nachspuͤ- ren: er soll sich aber selbst nicht vor ihr sehen lassen. Er hat dem Bruder erzaͤhlen muͤssen: das liebe Kind habe ihn bestechen wollen, (ob es gleich nie daran gedacht hat) einen Brief (den es nie ge- schrieben hat) an die Fraͤulein Howe zu bringen. Er vermuthe, es wuͤrde auch einer an mich einge- schlossen gewesen seyn. Er haͤtte es ihr aber abge- schlagen, und baͤte, sie moͤchten sich nichts davon gegen die Fraͤulein mercken lassen. Diese Nach- richt brachte ihm einen gantzen halben Gulden und sehr viel Lob zu wege. Es erfolgete darauf ein Befehl an alle Bedienten, sehr wach sahm zu seyn, damit die Fraͤulein nicht auf ein oder andere Wei- se den Brief bestellen moͤchte. Nach Verlauf ei- ner Stunde ward ihm befohlen, ihr in den Weg zu kommen, und es ihr abzubitten, daß er vorhin den Brief nicht haͤtte bestellen wollen: nebst dem Aner- der Clarissa. Anerbieten, ihn zu uͤberbringen. Fuͤr ihn wird wol das rathsamste seyn, vorzugeben, sie haͤtte ihm nunmehr auch den Brieff nicht anvertrauen wollen. Kannst du mercken, wie viele Endzwecke ich durch dieses eintzige Mittel erreiche? Die Fraͤulein behaͤlt dadurch, ohne die Ursa- che zu wissen, die Freyheit allein in dem Garten herum zu gehen. Des Lehmanns Erzaͤhlung bestaͤrckt die Jhrigen in der Meinung, daß sie nun keine Briefe mehr wechseln koͤnne, nachdem sie ihr Cammer-Maͤdchen abgeschaft haben: denn sonst wuͤrde sie es nicht gewagt haben, diesen Be- dienten zu bestechen, der keiner von ihren Ver- trauten ist: sie kann demnach ihren Brief-Wech- sel mit mir und der Fraͤulein Howe ohne einigen Verdacht fortsetzen. Vielleicht bekomme ich auch durch eben dieses Mittel eine Gelegenheit, mich mit ihr zu unterre- den. Jch dencke jetzt eben darauf, wie ich mir ei- ne solche Gelegenheit machen will, sie mag es bil- ligen oder nicht, nachdem ich durch meinen Spion, der alle andere Bedienten abhalten kann erfahren habe, daß sie alle Morgen und Abends nach einem abgelegenen Holtz-Behaͤlt- niß unter dem Vorwand gehet, einige Bantami- sche Huͤner von ihres Gros Vatters Zucht, an denen sie noch sehr viel Vergnuͤgen findet, und ei- niges andere artige Feder-Vieh zu sehen und zu suͤttern. Jch weiß alle ihre Tritte und Schritte an diesem Orte: und es kommt mir vor, daß hier B b 5 ihr Die Geschichte ihr Post-Contoir an die Fraͤulein Howe ist, nachdem sie mir gestanden hat, daß sie mit dieser Briefe wechsele. Diese Unterredung soll sie hoffentlich dazu bringen, mir diese Freyheit noch mehrmahls zu gestatten. Denn wenn sie gegen den Ort unse- rer ersten Zusammenkunft eine Einwendung hat, so kann ich ihr in dem schattigten Theil des Gar- tens, der nach Hollaͤndischen Geschmack angelegt ist, aufwarten, so bald sie es befiehlt; denn der vorhin erwaͤhnte Lehmann hat mir Gelegenheit verschaft, mir zwey Schluͤssel zu der Garten-Thuͤr machen zu lassen, die nach dem unrichtigen Waͤldchen fuͤhrt, in dem es, wie die Leute meinen, spuͤckt, weil sich einer vor zwantzig Jahren darinn erhenckt hat. Den einen Schluͤssel habe ich ihm aus gewissen Absichten zuruͤck gegeben. Er hat mir versprochen auf meinen ersten Winck die Thuͤr inwendig aufzuriegeln. Jch habe ihm aber zum voraus auf meine Eh- re versprechen muͤssen, daß ich mich dieses Ein- gangs in den Garten nicht zum Schaden meiner Feinde bedienen will. Denn er sagt: er haͤtte sei- ne Herrschaft lieb; und wenn er mich nicht fuͤr ei- nen ehrliebenden Herrn hielte, und glaubte, daß eine Verbindung mit mir seiner Herrschaft eine Ehre seyn wuͤrde, und daß sie es selbst dafuͤr hal- ten wuͤrde, wenn nur erst die Vorurtheile bey Seite gelegt waͤren: so wollte er die Welt nicht nehmen, um das zu thun was er jetzt thaͤte. Jch habe nie einen Schelm gekannt, der nicht seine der Clarissa. seine Ausflucht haͤtte. Was fuͤr eine Ehre fuͤr die Ehrlichkeit, daß ein jeder ehrlich seyn will, wenn er gleich weiß, daß er denselben Augenblick Wege gehet, die ihn vor der gantzen Welt und vor seinem eigenen Gewissen zum Schelm ma- chen werden! Was kann aber die tumme Familie fuͤr Ursa- chen haben, mich zu solchen Mitteln zu zwingen? Jch kann es nicht begreiffen. Liebe und Rache uͤberwerfen sich bey mir: und bald ist diese bald jene der andern uͤberlegen. Wenn meine Liebe ungluͤcklich ist, so wird das mein eintziger Trost seyn, daß ich meine Rache kuͤhlen kann: und wahrlich sie soll ihnen empfindlich genug seyn, wenn ich auch mein Vaterland hernach auf ewig raͤumen muͤßte. Jch will meinem unvergleichlichen Kinde un- vermuthet in den Weg kommen: zweymahl ha- be ich es vergeblich zu thun gesucht. Jch werde alsdenn sehen, was ich zu hoffen habe: wenn ich mercke, daß ich nichts bey ihr ausrichten kann, so haͤtte ich wohl Lust sie zu entfuͤhren. Das waͤre eine Entfuͤhrung, die wuͤrdig ist von dem Jupiter begangen zu seyn. Allein alles was ich bey diesem ersten Besuch vornehme, soll sanft seyn: alle meine Bitten an sie demuͤthig und ehrerbietig. Blos ihre Hand soll einen Druck von meinen Lippen empfinden; von meinen bebenden Lippen; denn sie sollen, und ich weiß sie werden von selbst beben. Meine Seufzer sollen so sanfte und gelassen seyn, als die Seufzer Die Geschichte Seufzer meines Rosen-Knoͤspchens. Durch mei- ne demuͤthige Unterthaͤnigkeit will ich ihr ein Zu- trauen zu mir machen. Die Abgelegenheit des Ortes will ich mir gar nicht zu Nutze machen; denn mein eintziger Zweck ist, ihr die Furcht vor mir zu benehmen, und zu machen, daß sie sich kuͤnstig auf mein Wort und auf meine Ehrlich- keit verlaͤßt. Jch will mich nur sehr wenig uͤber ihre Anverwante beklagen, und denen gar nicht drohen die mir drohen: allein so wie Drydens Loͤwe, damit ich meine schoͤne Beute desto gewis- ser bekommen moͤge, oder (wo das nicht geschie- het) meinen Muth desto mehr kuͤhlen koͤnne. Sein Hertz ist groß genug den Unmuth zu verheelen, Da, wo die Rache schweigt, da tobt sie in der Seelen, Die Brust durchgluͤht der Zorn, wenn nie der Mund gedroht: Dem edlen Loͤwen gleich der in verstell- tem Schlummer Am Wege ruhig liegt, wenn er verhalt- nen Kummer Auf volle Rache spart, und seines Jaͤ- gers Tod Jm Traum schon schaͤumend schmeckt. Er laͤst die Maͤnen sincken Und haͤlt sein Bruͤllen an, bis sich sein Feind genaht. Begierig auf den Raub und durstig Blut zu trincken, Erwacht der Clarissa. Erwacht sein Grimm: er bruͤllt: sein Bruͤllen ist die That: Erhitzt, berauscht von Muth, von sei- nes Moͤrders Strafe Durchstreicht er unversehrt ein wehrlos Volck der Schaafe, Sein Koͤniglicher Zorn kuͤhlt sich an edlerm Blut. Der sechs und dreyßigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Vonnabend Abends den 18. Maͤrtz. J ch bin vor Schrecken außer mir; und ich kann noch nicht wieder zu Athem kommen. Die Ursache ist diese. Jch ging unter dem ge- woͤhnlichen Vorwand hinunter und hoffte etwas von Jhnen zu finden. Es that mir Leyd, daß ich mich betrogen sehen mußte; und als ich aus dem Holtz-Stall zuruͤck ging so hoͤrte ich ein Geraͤusch, als wenn jemand hinter dem Holtz versteckt waͤ- re. Jch wunderte mich ungemein, als jemand hinter dem Holtze hervor kam. Ach! dachte ich so gleich: das ist die Frucht des verbotenen Brief- wechsels. So bald ich ihn sahe, bat er mich, ich moͤchte mich nicht erschrecken. Als er naͤher kam so er- oͤffnete sich ein Ueberrock von einem Pferde- Knecht: und wer meinen Sie, wer steckte darin, als Herr Lovelace? Jch wollte ruffen, sobald ich sahe, Die Geschichte sahe, daß es eine Manns-Person war, und abermahls als ich sahe wer es war. Allein ich hat- te keine Stimme. Wenn ich mich nicht an ei- nen alten Staͤnder gehalten haͤtte, so wuͤrde ich zu Boden gesuncken seyn. Sie wissen daß ich ihm bisher nicht erlaubt ha- be, mir so nahe zu kommen, oder frey und be- kannt gegen mich zu thun. Dencken Sie nun selbst, wie groß mein Schrecken gewesen seyn muͤße, als ich wieder zu mir selbst kam, und mir alles was ich von jederman in unserm Hause ge- gen ihn gehoͤrt hatte beyfiel. Jch wuste, daß ich es mit einem Menschen zu thun haͤtte, der alles wagen koͤnnte, und ich war in einem vom Hause entfernten Ort bey ihm, der nahe bey einem ab- gelegenem Fuß-Steige war. Allein er war so ehrerbietig, daß alle diese Furcht sehr bald ver- schwand, und die Furcht entdeckt und von mei- nem Bruder uͤberfallen zu werden an deren Stel- le kam. Jch konnte leicht zum voraus sehen, was die Folgen hievon seyn wuͤrden, wenn auch kein weiteres Ungluͤck daraus entstuͤnde: nehmlich, daß man mich beschuldigen wuͤrde, als haͤtte ich Herrn Lovelace an den Ort hin beschieden, das man mich noch enger einschraͤnckte, meinen Briefwechsel mit Jhnen voͤllig hinderte, und An- laß naͤhme noch schaͤrffere Zwangs-Mittel gegen mich zu gebrauchen. Diese Gedancken machten mich sehr misvergnuͤgt uͤber ihn, daß er sich un- terstand mir auf eine so ungebetene Weise seine Aufwartung aufzudringen. So der Clarissa. So bald ich wider reden konnte, gab ich ihm meinen Unwillen sehr nachdruͤcklich zu erkennen. Jch sagte: er schiene sich wenig darum zu bekuͤm- mern, ob er alle die Meinigen gegen mich auf- braͤchte, wenn er nur seine ungestuͤmen Begierden erfuͤllen koͤnnte. Jch verlangte, er moͤchte mich den Augenblick verlaßen. Jch wollte hierauf ei- lig weglauffen: er warff sich aber in den Weg und vor meine Fuͤße nieder, und bat mich nur ei- nen Augenblick zu warten: er habe sich dieser Ue- bereilung, wenn ich es ja so nehmen wollte, schul- dig gemacht, um eine noch viel schaͤndlichere Ue- bereilung nicht zu begehen. ‒ ‒ Denn, es kurtz zu sagen, er koͤnnte die Beschimpfungen nicht laͤnger verschmertzen, die er von meiner Familie fast alle Stunden erlitte, wenn er fuͤrchten muͤßte, so wenig Antheil an meinem Hertzen zu haben, und vor sich saͤhe, daß er zum Lohn seiner Gedult mich endlich auf ewig verlieren, und daruͤber verspot- tet und laͤcherlich werden wuͤrde. Sie wißen, wle beugsahm seine Knie sind: daß Sie so gar im Spaß gesagt haben: er thue klug daran, wenn er oft in Kleinigkeiten etwas verse- he, damit er seine gelencken Glieder zu zeigen Gelegenheit habe. Er fuhr fort davon zu reden, daß er fuͤrchtete: ein so artiges und gefaͤlliges Gemuͤth als ich haͤt- te, und gegen alle (nur ihn ausgenommen) be- wiese, wuͤrde sich doch endlich uͤberwinden las- sen, den Mann zu nehmen, den man mir aus Boßheit und Rachgier geben wollte: aus Rach- gier gegen mich, wegen des Testaments meines Groß- Die Geschichte Groß-Vaters; und aus Rachgier gegen ihn, weil er dem das Leben geschenckt haͤtte, der ihm das Leben haͤtte nehmen wollen, und der ihm ietzt eine Hoffnung rauben wollte, die er hoͤher als das Leben schaͤtzte. Er wiße wohl, daß mich der Ge- horsahm gegen meine Eltern, darin ich andern ein Muster waͤre, geneigt machte, gegen andere meine Pflicht zu erfuͤllen, wenn sie gleich ihrer Pflicht gegen mich vergaͤßen. Jch antwortete ihm: er koͤnnte vest versichert seyn, daß die Meinigen durch Haͤrte ihren Zweck bey mir nicht erreichen wuͤrden. Ob ich gleich von gantzem Hertzen und aufrichtig gesonnen waͤre, lieber unverheyrathet zu bleiben; und ob ich gleich heilig versprechen koͤnnte; wenn ich ja heyrathen sollte, und sie mir nur meine Freyheit ließen, daß ich alsdenn die Person nie waͤhlen wolle, die ih- nen misfaͤllig waͤre ‒ ‒ Er fiel mir in die Rede: ich wuͤrde ihm verge- ben! er koͤnnte seinen grossen Kummer nicht ver- heelen, wenn er nach so vielen Proben seiner Lie- be und recht folgsahmen Ergebenheit ‒ ‒ ‒ Mit Erlaubniß, daß ich ihnen wider in die Re- de falle! (sagte ich) warum behaupten sie nicht mit deutlichern Worten, daß ich ihnen sehr ver- pflichtet bin? Warum sagen sie nicht eben so nachdruͤcklich, als sie es jetzt zu verstehen gaben, daß ich ihnen fuͤr ihre Bestaͤndigkeit, daruͤber ich mit allen den Meinigen zerfallen bin, sehr vielen Danck schuldig bin, und daß es fuͤr eine Undanck- barkeit anzusehen sey, wenn ich diese Bestaͤndig- keit nicht nach ihrem Wunsch belohne? Er der Clarissa. Er antwortete: er wuͤrde sich nie eine Wuͤr- digkeit als in Vergleichung anderer, die meiner noch unwuͤrdiger waͤren, anmassen. Er glaubte nicht, daß ein Mensch auf der Welt wuͤrdig sey, mich zu besitzen. Allein unter dieser Einschraͤn- ckung muͤßte ich ihm verzeyhen, daß er auf etwas mehr Gewogenheit gehoffet haͤtte, wenn er solche Mit-Buhler haͤtte, als Symmes, Wyerley, und ein so nichtswuͤrdiges Ungeziefer als Sol- mes, den ich selbst abgewiesen haͤtte. Jch redete von seiner Bestaͤndigkeit, und saͤhe sie als die Ur- sache meines Ungluͤcks an. Es sey ihm zwar ohnmoͤglich, nicht bestaͤndig zu seyn: indessen koͤnnte ich gewiß glauben, daß wenn er auch nicht in der Welt waͤre, ich dennoch eben so sehr mit meinen Anverwanten wuͤrde zerfallen seyn. Er naͤhme sich die Freyheit zu sagen, daß einige Ge- wogenheit gegen ihn mein Ungluͤck nicht vergroͤs- sern, sondern vielmehr der sicherste Ausgang aus demselben seyn wuͤrde. Sie haͤtten es einmahl so weit getrieben, (wie sehr fuͤrchte ich, daß dieses nichts als die Wahrheit ist) daß ich ihnen nicht anders gefaͤllig seyn koͤnte, als wenn ich mich Sol- mesen aufopferte, Sie wuͤsten uͤber dieses gar zu wohl, was fuͤr ein Unterscheid zwischen ihm und Solmes sey. Jenen hoffeten sie bey der Nase herumzufuͤhren; und er wuͤrde vermuthlich im Stande seyn, mich zu verthey digen, wenn mir Un- recht geschehe: nicht zu gedencken, daß ihm die Geburt eine viel bessere Hoffuung gaͤbe, einen hoͤ- Erster Theil. C c hern Die Geschichte hern Rang zu erlangen, als sich mein Bruder machen koͤnnte, wenn er Schloͤsser in die Lufft bauete. Wie weiß der Mann alle unsere Thorheiten so genau? Jch wundere mich noch mehr, wie er dar- auf gekommen ist, mich an diesem Orte zu suchen. Jch war sehr unruhig, und wollte nicht laͤnger bleiben, sonderlich deswegen, weil die Nacht an- brach. Jch konnte aber nicht von ihm loskom- men, bis ich noch mehr von seinem Anliegen ge- hoͤrt hatte. Weil er hoffete, daß ich mich noch endlich be- wegen lassen wuͤrde, ihn zu dem gluͤcklichsten Men- schen unter der Sonnen zu machen: so koͤnnte ich ihm eine solche Sorgfalt fuͤr meinen guten Nah- men zutrauen, daß er eben so wenig etwas anra- then wuͤrde, das auch nur einen Schatten auf mei- ne Ehre werffen koͤnnte, wenn es ihm gleich noch so vortheilhaft waͤre, als ich einem solchen Rath folgen wuͤrde. Da ich nicht Erlaubniß erhalten koͤnnte, unverheyrathet zu bleiben, so moͤchte ich selbst bedencken, ob ich mehr als einen Weg vor mir sehe, mich von einem Zwange zu retten, der meinen Neigungen so sehr zuwider sey? Mein Va- ter saͤhe alles Nachgeben fuͤr eine Verletzung seiner Rechte an: meine beyden Onckles haͤtten eben die Art zu dencken als er: mein Bruder und meine Schwester braͤchten einander nur noch mehr ge- gen mich auf: Solmesens Vorschlaͤge bezauber- ten jedermann: die Mutter der Fraͤulein Howe mache beynahe gemeinschaftliche Sache mit den Mei- der Clarissa. Meinigen, damit ihre Tochter ein gutes Exem- pel an mir haben solle. Er fragte mich hierauf ob ich einen Brief von der Frau Lawrance annehmen wollte, wann sie bey dieser Gelegenheit an mich schriebe. Frau Satleir haͤtte kuͤrtzlich ihr eintziges Kind verloh- ren, und bekuͤmmerte sich fast nicht mehr um diese Welt, als nur daß sie ihn gern verheyrathet sehen moͤchte, und zwar am allerliebsten mit mir. Es ist in der That vieles von dem wahr, was der Mann sagte. Jch darff doch dieses an Sie schreiben, ohne daß Sie mich von neuem beschul- digen, daß ich vor Liebe roth wuͤrde oder das H ertz mir schluͤge? Jch antwortete ihm dem ohn- geachtet: ob ich gleich viel Ehrerbietung gegen das vornehme Frauenzimmer damit er verwant waͤre, und insonderheit gegen seine beyden Tanten haͤtte; so wuͤrde ich doch wissentlich keinen Brief anzu- nehmen wuͤnschen, der auf eine Absicht zielete, die ich nicht befoͤrdern helfen wollte. So viel ich auch leyden muͤßte, so ziemete es sich doch fuͤr mich, al- les zu dulden, alles zu hoffen, und alles moͤgliche zu versuchen. Wenn mein Vater saͤhe, wie stand- haft ich waͤre, und daß ich lieber sterben als Herrn Solmes nehmen wollte; so wuͤrde er vielleicht nachgeben. ‒ ‒ ‒ Er unterbrach meine Rede, und stellete mir die Unwahrscheinlichkeit meiner Hoffnung vor, die mir selbst in die Augen fallen muͤßte, wenn ich auf die Handlungen der Meinigen Acht gaͤbe. Er erzaͤhlte diese nach der Reihe: daß sie Frau Howe gegen C c 2 mich Die Geschichte mich eingenommen haͤtten, zu der ich haͤtte fliehen koͤnnen, wenn es auf das aͤusserste gekommen waͤ- re: daß mein Bruder meinem Vater bestaͤndig in den Ohren laͤge; der Obriste Morden wuͤrde bald ankommen, und wuͤrde darauf dringen, daß ich nach dem Jnhalt des grosvaͤterlichen Testa- ments von meinem Gut Besitz naͤhme, dadurch ich in den Stand kommen wuͤrde, frey und un- gebunden zu handeln: meine schimpfliche Gefan- genschaft: daß sie mein Cammer-Maͤdchen so ploͤtzlich abgeschaft, und meiner Schwester Cam- mer- Maͤdchen uͤber mich gesetzt haͤtten: daß sie meine Mutter vermocht haͤtten, wider ihre eigene Einsicht Parthey mit ihnen zu machen: alles die- ses waͤre ein Sonnen-klarer Beweiß, daß ihnen nichts zu ungereimt und hart vorkommen wuͤr- de, wenn es nur ein Mittel zu ihrem Endzweck waͤre: und eben hieruͤber sey er so unruhig. Er fragte mich: ob ich mich erinnern koͤnnte, daß mein Vater jemahls von einer gefasseten Entschliessung wider abgegangen waͤre? insonder- heit wenn er haͤtte glauben koͤnnen, daß seine Rech- te dadurch verletzt wuͤrden? Seine Bekanntschaft mit unserer Familie setzte ihn in den Stand, einige Beyspiele davon zu geben, daß mein Vater eine so unumschraͤnckte Herrschaft uͤbete, als kaum in fuͤrstlichen Haͤusern gewoͤhnlich waͤre: (alleine sie moͤchten mir vielleicht zu empfindlich seyn) eine Herrschaft die meine unvergleichliche Mutter all zu sehr fuͤhlete. Er der Clarissa. Er wollte noch weiter in gleichem Ton fortfah- ren; ich sagte ihm aber auf eine empfindliche Art: ich koͤnnte nicht zugeben, daß mein Vater in mei- ner Gegenwart durchgezogen wuͤrde. Ob ich gleich seine Haͤrte nicht verdienet haͤtte, so waͤre sie doch keine hinlaͤngliche Ursache fuͤr mich, mich von mei- ner kindlichen Pflicht loszureissen. Er sagte: er haͤtte gar nicht Lust etwas vor- zubringen, das so ausgelegt werden koͤnnte. Denn ob ihm gleich so begegnet waͤre, daß er sich eini- germassen fuͤr berechtiget halten koͤnnte, auch seine Anmerckungen uͤber die Auffuͤhrung der Meinigen zu machen: so wuͤßte er doch wohl, wie unertraͤg- lich es mir seyn wuͤrde, wenn er sich diese Freyheit herausnehmen wollte. Es wuͤrde ihm zwar schwer, sich so zu buͤcken, und bey solchen Beschimpfungen stumm zu bleiben, da man bey ihm eben sowohl als bey andern der Jugend und der Hitze der Ley- denschaften etwas zu gute halten koͤnnte, und er sich sonst stets eine Ehre daraus gemacht haͤtte, seine Meinung frey heraus zu sagen Dem ohnge- achtet wollte er aus Hochachtung gegen mich sich nicht unterstehen etwas an meinem Vater zu ta- deln, als nur solche Handlungen, die niemand leugnete, und uͤber deren Richtigkeit man gar nicht streiten koͤnnte. Jch koͤnnte also mit Recht nicht unwillig werden, wenn er diesen Schluß machte: wenn mein Vater sich so gegen eine Gemahlin be- traͤgt, die gegen seine eingebildeten Rechte, in die er sich so sehr verliebt hat, keine Einwendung macht: was hat denn eine Tochter zu hoffen, die seinen C c 3 Be- Die Geschichte Befehl nicht erfuͤllen will, den er doch mit gantzer Macht durchzutreiben und zu behaupten gesinnet ist? wenn ihn noch dazu ein Vortheil und Ver- groͤsserung der gantzen Familie unbeweglicher macht? wenn ein ungegruͤndeter Groll und Ab- neigung des Vaters, wenn die Rachgier und ei- gennuͤtzigen Absichten meines Bruders und meiner Schwester, meine Umstaͤnde noch schwerer ma- chen? wenn meine Verbannung mich verhindert meine Sache nicht muͤndlich vorzustellen, und um Gelindigkeit und Verschonen zu bitten? Wie ungluͤcklich ist es fuͤr mich, mein Schatz, daß diese Anmerckungen nebst dem daraus gezoge- nen Schlusse nur allzurichtig sind? Er sagte alles dieses auf eine viel sanftere Weise, und mit viel groͤsserer Ehrerbietigkeit gegen meine Familie, als man von einem Herrn haͤtte vermuthen koͤnnen, der von den Meinigen auf das aͤusserste gere itzt ist, und den jedermann fuͤr heftig und ungestuͤm haͤlt. Sie werden mich abermahls fragen: ob mir das Hertz nicht klopfet? wenn ich daraus, daß er aus Liebe zu mir seine Hitze baͤndigen kann, den Schluß mache, daß Bewegungs-Gruͤnde von seiner jetzi- gen und kuͤnfftigen Wohlfahrt hergenom̃en etwas bey ihm ausrichten wuͤrden, wenn es moͤglich waͤ- re, daß sich meine Freunde mit ihm aussoͤhneten. Er stellete mir vor: die gantze Welt wuͤßte es, daß ich auf eine so schimpfliche Weise eingesper- ret sey. Mein Bruder und meine Schwester truͤ- gen nicht die geringste Scheu, mich uͤberall als eine verzaͤrtelte Tochter abzumahlen, die alle Liebe der ihrigen der Clarissa. ihrigen durch vorsaͤtzlichen Ungehorsahm belohne. Jndessen gaͤben mir alle, die mich nur kenneten, Recht, und billigten meine Abneigung von einem Manne, von dem jedermann glaubte, daß er mei- ner auf keine Weise werth seyn koͤnnte, und daß er sich beßer fuͤr meine Schwester als fuͤr mich schickte So ungluͤcklich er auch darin waͤre, daß er meine Gewogenheit bisher nicht habe erlangen koͤnnen, so verschenckte mich doch die Sage der Leu- te an ihn. Selbst seine Feinde haͤtten nicht mehr als eine Einwendung gegen ihn; denn gegen sein Her- kommen und Vermoͤgen sey nichts zu erinnern; die Person die er kuͤnfftig in der Welt spielen und der Rang den er hoffentlich erhalten koͤnnte, sey einer von den allervornehmsten. Er haͤtte es naͤchst GOtt meinem Beyspiel zu dancken, daß diese eintzi- ge Einwendung bald gantz wegfallen wuͤrde. Er haͤtte seine Vergehungen erkannt, und waͤre seines bisherigen Lebens von Hertzen muͤde, ob dieses gleich so arg nicht waͤre, als es Bosheit und Neyd abzumahlen suchten. Allein er wollte hievon nichts mehr sagen, denn er wollte sich lieber durch Werck und That, als durch Geluͤbde meine gute Meinung erwerben. Er lobte hierauf meine Gestalt, versi- cherte mich aber, daß ihn mein Gemuͤth noch viel mehr gefesselt haͤtte; wie er denn immer die Tugend hoch geschaͤtzt haͤtte, ob er gleich selbst nicht tugend- haft gewesen sey. Er muͤßte frey gestehen, ehe er mich habe kennen lernen, habe er nie eine Person gefunden, deren Treflichkeiten sein ungluͤckliches Vorurtheil gegen den Ehestand uͤberwunden haͤt- C c 4 ten, Die Geschichte ten, welches Vorurtheil bisher gemacht haͤtte, daß er gegen alle Wuͤnsche und Ermahnungen seiner Anverwanten unbeweglich gewesen sey. Sie sehen, mein Schatz, daß er kein Bedencken traͤgt, eben so von sich zu reden, als seine Feinde von ihm reden. Seine Offenhertzigkeit in der- gleichen Umstaͤnden macht in der That, daß ich seinen uͤbrigen Versicherungen desto eher Glauben beymessen kann. Jch daͤchte, daß ich einen Heuch- ler bald entdecken wollte, und ihn insonderheit, der sich sonst so viel Freyheiten in seinem Leben und Wandel vergoͤnnet hat. Jch wuͤrde grossen Ver- dacht auf ihn werfen, wenn er vorgaͤbe, daß er auf einmahl andere Einsichten bekommen und sich in diesen Jahren so gleich geaͤndert haͤtte: denn ich glaube nicht, daß sich boͤse Gewohnheiten so bald ablegen lassen. Sie haben oͤfters mit mir die An- merckung gemacht, daß er seine Meinung frey heraus zu sagen pflegt, wenn es gleich bisweilen etwas unhoͤflich lassen sollte; und daß sein Betra- gen gegen meine Familie ein Beweiß ist, daß er sich nie aus Absichten auf eine niedertraͤchtige Weise herunterlassen und demuͤthigen kan. Jst es nicht Schade, daß so viel Gutes durch andere Laster er- sticket und beflecket wird! Wir haben gehoͤrt, daß sein Kopf besser seyn soll, als sein Hertz: koͤñen Sie aber wol glauben, daß Herr Lovelace ein boͤ- ses Hertz hat? Sollte nicht in dem Blut der Menschen etwas eigenes stecken, so wie in dem Blut, der Thiere? Gegen niemand in seiner gantzen Familie ist etwas einzuwenden, ihn allein ausgenommen: das Frauenzim- mer, der Clarissa. mer, mit dem er verwandt ist, hat den groͤßesten Ruhm eines tugendhaften und erhabenen Ge- muͤths. Jedoch ich werde mich des Vorwurfs schuldig machen, denn ich zu vermeiden suche. Al- lein wie strenge, wie uͤbertrieben stren ge scheint es zu seyn, wenn Sie mich deswegen zur Rechen- schaft fodern, weil ich jemanden Gerechtigkeit wi- derfahren lasse, und zu seiner Entschuldigung die Schluͤsse mache, die ein jeder wuͤrde gelten lassen, wenn ich sie fuͤr den unbekanntesten und fremde- sten Menschen machte? Er bat mich abermahls, einen Brief von der Frau Lawrance anzunehmen, wenn sie mir eine Zuflucht in ihrem Hause anboͤte. Leute von Stande pflegten eben sowohl eine gewisse An- staͤndigkeit zu beobachten, als sehr tugendhafte Personen: wiewohl in der That der Stand dem man gemaͤß lebe so viel sey als Tugend, und Tugend eben so viel als Stand; Stand und Tu- gend waͤren nur verschiedene Nahmen einer Sa- che, und desto weniger sey es zu verwundern, wenn beyde eine Anstaͤndigkeit der Handlungen erfoder- ten: (wie kommt der Mensch zu so richtigen Begrif- fen) sonst wuͤrde seine Base an mich geschrieben ha- ben. Allein sie wuͤnschte zum voraus versichert zu seyn, daß ihr Anerbieten von mir wol aufgenom- men werden wuͤrde, da es meinen Anverwanten sehr misfaͤllig seyn moͤchte, und sie blos durch mei- ne harten Bedraͤngnissen, die ich jetzt litte, und die ich kuͤnftig noch haͤrter zu leyden haben wuͤrde be- wogen wuͤrde, mir eine Zuflucht anzubieten. C c 5 Jch Die Geschichte Jch antwortete ihm: ich sey zwar der Frau Elisabeth Lawrance fuͤr ein so guͤtiges Anerbie- ten ungemein verbunden, wenn es von ihr selbst herkaͤme: allein ich saͤhe die Folgen allzuwohl ein. Es moͤchte vielleicht den Schein eines Hochmuths geben, wenn ich Argwohn schoͤpfte, daß er einen so starcken und dringenden Bewegungs Grund nur deswegen auf die Bahn gebracht haͤtte, damit ich zu tief verwickelt und um meine Freyheit gebracht werden moͤchte. Allein ich wuͤrde mich selbst durch Koͤnigliche Titel nicht blenden lassen. Tugend gaͤlte bey mir eben so viel als vornehmer Stand: und der ungemeine Ruhm, den sich diese vorneh- me Frauenzimmer selbst erworben haͤtten, machte bey mir einen viel tiefferen Eindruck, als dieses, daß sie Halb-Schwestern des Lord M. und Toͤch- ter eines Grafen waͤren. Wenn meine Freunde ihm eben so guͤnstig gewesen waͤren, als er sie ab- geneigt faͤnde, so wuͤrde ich mich deswegen nicht besser gegen ihn erklaͤret haben, wenn er weiter keine Verdienste gehabt haͤtte, als daß er mit die- sen vornehmen Personen verwant sey. Jn sol- chem Fall wuͤrde vielmehr eben die Ursache, um welcher willen ich sie bewunderte, eine Einwen- dung gegen ihren Verwanten gewesen seyn. Jch bezeugte ihm hierauf, wie leyd es mir thaͤte, daß ich in einen Brief-Wechsel mit ihm hineinge- zogen waͤre, nachdem mir insonderheit dieser Brief- wechsel untersaget waͤre. Der eintzige mir angeneh- me Gebrauch, den ich von diesem unerwarteten und ungebetenen Besuch machen koͤnnte, sey dieser, ihm der Clarissa. ihm zu sagen, daß ich von nun an diesen Brief- wechsel aufheben muͤßte. Jch hoffete nicht, daß er mich durch Drohungen gegen meine Anverwan- ten zwingen wollte, ihn fortzusetzen. Es war noch helle genug, daß ich sehen konnte, wie ernsthaft sein Gesichte bey dieser Antwort ward. Er waͤre (antwortete er) so sehr vor meine freye Wahl, und wuͤnschte sich so sehr meine ungezwun- gene Zuneigung zu erlangen, daß er sich selbst has- sen wuͤrde, wenn er bey sich eine Absicht merckte, mir durch solche Mittel eine Furcht einzujagen. Er hielte es fuͤr allzu niedertraͤchtig fuͤr sich, dem Sol- mes in Anwenduug einiger Zwangs-Mittel gleich zu werden. Allein zwey Dinge waͤren doch in Er- waͤgung zu zi ehen. Erstlich: die ausgelassenen und unbesonnenen Reden, die man gegen ihn fuͤh- rete; die Spionen die man auf ihn hielte, von denen er einen zu ertappen das Gluͤck gehabt haͤt- te; die schimpfliche Art, damit meine Anverwan- ten seiner Familie begegneten; was ich selbst zu ley- den haͤtte, und zwar blos aus offenbahrem Haß der Meinigen gegen ihn; denn sonst wuͤrde er sich nicht unterstehen, sich ohne meinen Befehl zu meinem Vertheydiger aufzuwerfen: (wie kuͤnstlich beugete er vor, daß ich ihn nicht konnte ablauffen lassen!) alle diese Beleydigungen verpflichteten ihn, sich zu raͤchen. Er uͤberliesse es mir selbst, ob er, wenn er noch einiges Hertz haͤtte, dergleichen ungeahndet koͤnnte hingehen lassen, wo er es nicht um meinet willen verschmertzete? Jch moͤchte zum andern uͤberlegen, ob bey meinen Umstaͤnden, da ich ge- fangen Die Geschichte fangen gehalten wuͤrde, und die Meinigen ent- schlossen waͤren mich ehestens zu zwingen, daß ich einem nichtswuͤrdigen Manne meine Hand vor dem Altar geben sollte, ich moͤchte wollen oder nicht, ob bey solchen Umstaͤnden noch Zeit zu ver- saͤumen sey? und ob ich nicht bald auf die Mit- tel dencken muͤßte, mich zu retten, wenn es auf das aͤusserste kommen sollte? Dadurch daß ich zu sei- ner Base fluͤchtete, wuͤrde ich ja noch nicht noth- wendig die seinige, wenn ich hernachmahls in seiner Auffuͤhrung etwas bemerckte, das mir ei- nen billigen Zweifel gegen ihn machen koͤnnte. Allein (fragte ich ihn) was wird die Welt den- cken? was wird sie mir fuͤr eine Entschliessung andichten, wenn ich mich in den Schutz ihrer Anverwanten begebe? Er fragte mich hinwiederum: ob die Welt jetzt etwas weniger daͤchte, als daß ich von den Mei- nigen so eingeschraͤnckt wuͤrde, um mich abzuhal- ten, daß ich diese Entschliessung nicht in das Werck richten moͤchte? Sie muͤssen uͤberlegen, Fraͤulein, daß Sie hierin keine Wahl mehr haben und be- dencken, wer daran Schuld ist, daß Sie nicht mehr waͤhlen koͤnnen. Sie sind in der Gewalt solcher Leu- te ( Eltern wolte ich nicht gern sagen) die voͤllig entschlossen sind, Jhnen keine Wahl zu lassen. Mein gantzer Vorschlag laͤufft bloß da hinaus, daß Sie auf alle Faͤlle eine solche Zuflucht annehmen, aber nicht ehe gebrauchen sollen, bis alle andere Mit- tel vergeblich angewandt sind, sich ohne diese Zuflucht zu helffen. ‒ ‒ Erlauben Sie mir, noch der Clarissa. noch Eins zu sagen. Wenn der Brieffwechsel, auf den ich meine gantze Hoffnung gruͤnde, zu ei- ner so gefaͤhrlichen Zeit abgebrochen wird; und wenn Sie sich nicht zum voraus auf alle Faͤlle in Sicherheit setzen wollen: so sehe ich zum voraus, daß Sie sich dem Ungluͤck Preiß geben wollen. Fuͤr mich allein, nicht fuͤr Sie, wird es ein Ungluͤck seyn. Und denn! ‒ ‒ (er stieß sich mit zusammen- gefaßter Faust hiebey vor die Stirne.) Wie soll ich den Gedancken verdauen? denn werden Sie ein Eigenthum des Solmesens werden? Aber bey allem was heilig ist, er, und ihr Bruder, und Jhre Onckles sollen die Freude nicht haben. Jch will verdammet seyn, wenn sie diesen Sieg er- langen sollen. Seine Hefftigkeit setzte mich in Schrecken. Jch ward so empfindlich uͤber seine Drohungen, daß ich von ihm gehen und ihn allein lassen wollte. Al- lein er warff sich wieder zu meinen Fuͤssen: verlassen Sie mich nicht so, liebste Fraͤulein, verlassen Sie mich nicht ohne Hoffnung. Jch knie nicht aus Reue uͤber das, was ich in einem gewissen uner- traͤglichen Fall angelobt habe. Jch gelobe es aber- mahls zu ihren Fuͤssen. (Er wiederhohlte ordent- lich sein Geluͤbde.) Allein dencken Sie nicht, daß es eine Drohung ist, und daß ich Sie durch Furcht zur Liebe zu zwingen suche. Wenn Sie Jhr Hertz geneigt finden (fuhr er fort, und stund dabey auf) Jhrem Vatter oder vielmehr Jhrem Bruder zu gehorchen und Herrn Solmes zuͤnehmen so will ich zwar meinen und meiner Familie Schimpf an denen Die Geschichte denen raͤchen, die mich beschimpft haben: allein ich wollte, wo moͤglich, mir selbst das Hertz aus dem Leibe reissen, wenn es sich noch einen Augenblick bedaͤchte, von einem Frauenzimmer das so waͤh- len koͤnnte auf ewig abzulassen. Jch sagte ihm, er naͤhme jetzt eine sehr hohe Sprache an. Er koͤnnte versichert seyn, daß ich Herrn Solmes nie nehmen wuͤrde, allein dieses sagte ich nicht aus Gefaͤlligkeit gegen ihn. Jch haͤt- te mich schon eben so gegen meine Verwanten mit dem Zusatz erklaͤret, daß dieses mein vester Ent- schluß seyn wuͤrde, wenn auch kein Lovelace in der Welt waͤre. Wollen Sie mir versprechen (antwortete er hierauf) daß Sie mich noch ferner mit Jhrem Briefwechsel beehren wollen? Jch kann mich ohn- moͤglich darein schicken, daß, da ich eben einen staͤrckern Beweiß Jhrer Guͤtigkeit gegen mich zu erbitten hoffe, ich den eintzigen Beweiß, den ich je davon gehabt habe, verlieren soll. Jch sagte: er moͤchte sich durch die Rachgier gegen meine Familie nicht uͤbereilen lassen: so wollte ich wenigstens einige Zeit, bis ich das En- de der Sachen saͤhe, einen Briefwechsel fortsetzen, den mein Hertz verdammete. ‒ ‒ ‒ Und meins mich auch (fiel mir der dreiste Mensch in die Rede) daß ich das dulde, was ich dulde. Denn nicht Sie setzen mich in die Noth- wendigkeit, es zu dulden; sonst wollte ich das und tausendmahl mehr mit Freuden erdulden: son- dern Leute ‒ ‒ ‒ Hier hielt er ein. Jch der Clarissa. Jch sagte: er haͤtte alles dieses niemand als sich selbst zu dancken, weil er sich durch seine Leichtsin- nigkeit selbst einen Vorwurf gemacht haͤtte. Es waͤre nicht mehr als billig, daß man von einem Menschen uͤbel redete, der selbst nicht besorgt waͤre, seinen guten Nahmen zu erhalten. Er wollte sich rechtfertigen; allein ich sagte ihm, ich wuͤrde seiner eigenen Vorschrift folgen, und ihn nicht nach seinen Worten sondern nach seinen Wercken beurtheilen. Er antwortete: wenn seine Feinde nicht so viel Gewalt in Haͤnden haͤtten, und so unbe- weglich waͤren; wenn sie nicht, bereits so harte Zwangs-Mittel gebraucht haͤtten, aus denen man schliessen muͤßte, daß sie alles wagen wollten; wenn sie mir die Erlaubniß geben wollten, selbst zu waͤhlen, oder unverheyrathet zu bleiben: so wollte er gern eine Probe-Zeit von einem Jahr und noch laͤnger aushalten. Allein er wuͤßte ge- wiß, daß ein eintziger Monath entweder alle Ab- sichten der Meinigen erfuͤllen oder zernichten wuͤrde. Jch wuͤrde selbst am besten wissen, ob ich einige Hoffnung haͤtte, daß mein Vater nach- geben wuͤrde. Er glaubte nicht, daß ich die ge- ringste haͤtte. Jch sagte: ich wollte alle Mittel versuchen, die mir der Gehorsahm und die Liebe der Meinigen gegen mich uͤbrig liessen, ehe ich einen fremden Schutz suchte. Wenn alle Mittel fruchtlos waͤ- ren, so wollte ich mich des Gutes, das mir so viel Neyd Die Geschichte Neyd erweckte, begeben: und ich wuͤßte gewiß, daß dieses Mittel seine Wirckung haben wuͤrde. Jch bin es zufrieden! ich will erwarten (ant- wortete er) was dieses Mittel fuͤr Wuͤrckung ha- ben wird. Jch habe schon oft gesagt, daß ich nicht verlange, daß Sie sich in einen fremden Schutz begeben, wenn nicht die aͤusserste Noth Sie dazu dringet. Mein allerliebstes Hertz (hiebey ergriff er meine Hand, und druͤckte sie an seine Lippen) wenn Sie sich durch Aufopferung Jhres Gutes loskauf- fen koͤnnen, so begeben Sie sich dessen, und werden Sie nur mein. Von gantzem Hertzen will ich Jh- ren Verzicht alsdenn rechts-kraͤftig machen helfen. War das nicht artig geredet, mein Schatz? Al- lein was reden die Manns-Leute nicht, um sich unser Vertrauen zu erwerben, und sich unsers Hertzens zu bemeistern? Jch versuchte einigemahl wegzugehen, und es ward so finster, daß ich nicht ohne Sorge war. Seine Auffuͤhrung war nicht Schuld daran Jch habe in der That eine viel bessere Meinung von ihm: denn er hat nicht allein Ehrerbietung sondern auch Ehrfurcht gegen mich blicken lassen, so lange unsere Unterredung daurete. Er brach zwar ein- mahl in hefftige Worte aus, wenn Solmes sei- nen Zweck erhalten sollte. Allein er setzte eine solche Bedingung zum voraus, bey der man ei- nen Verliebten am ersten entschuldigen kann, wenn er seinen Unwillen nicht verbergen kann. Er brachte nur das, was er sagte, so vor, daß ich es nicht ungeahndet lassen konnte. Bey der Clarissa. Bey dem Abschied empfohl er sich zwar sehr nachdruͤcklich, aber auch sehr demuͤthig, meiner Ge- wogenheit. Er wollte mir keine Bedingungen vor- schreiben: er gab mir aber doch zu verstehen, daß er mich wol noch einmahl zu sprechen wuͤnschte. Jch verbot ihm aber schlechterdings, mich jemahls wieder an diesem Orte aufzusuchen. Jch kann vor Jhnen mit Recht nichts verber- gen, was in meinem Hertzen vorgehet: und Jh- nen muß ich bekeunen; daß die Gruͤnde die er an- fuͤhret, (nehmlich die schimpfliche Art, damit mir meine Freunde begegnen) mich sehr besorgt machen, daß ich entweder die seinige, oder das Eigenthum des andern werden muß. Soll eins von beyden seyn, so hoffe ich, Sie werden mich nicht tadeln, wenn ich sage, welchen von beyden ich waͤhlen will. Sie haben sich schon daruͤber erklaͤrt, wen ich nicht waͤhlen muͤsse. Allein, mein Schatz, wie viel besser waͤre es, wenn ich unverheyrathet bleiben koͤnnte! Jch hoffe noch auf den Seegen, daß es mir erlaubt seyn werde, diese Wahl zu treffen. Jch kam unbemerckt wider in das Haus. Die Furcht aber die ich hatte, daß ich moͤchte entdeckt werden, hatte mich so verunruhiget, daß ich mei- nen Brief auf eine verworrene Weise anfing, als ich um seines Zuspruchs willen Ursache gehabt haͤtte. Jch nehme das aus, daß mich sein erster Anblick bestuͤrtzt machte: denn damahls war es ein grosses Gluͤck, daß ich nicht an dem abgelegenen Orte, und da ich mich bey ihm allein befand, in Ohnmacht fiel. Erster Theil. D d Jch Die Geschichte Jch habe eins zu melden vergessen. Jch hielt ihm seine Auffuͤhrung vom vergangenen Sonntage in der Kirche vor. Er versicherte mir aber auf das heiligste, daß ich unrecht berichtet sey. Er haͤtte gar nicht erwartet, mich in der Kirche zu se- hen: hingegen gehoffet, eine gute Gelegenheit zu finden, mit meinem Vater zu sprechen zu kommen, und ihn nach Hause zu begleiten. Allein der red- liche D. Levin haͤtte ihm abgerathen, einen der Meinigen anzureden; und ihm vorgestellet, in mas fuͤr Bewegung und Aufruhr unser gantzer Kirch- stuhl bey seinem Eintritt in die Kirche gerathen waͤre. Er koͤnnte versichern, daß er mit Willen keine hochmuͤthige Gebaͤrde angenommen haͤtte; blos der Widerwille der Meinigen, der leyder un- uͤberwindlich waͤre, haͤtte in seinem Gesichte lesen koͤnnen, was der gantzen Gemeinde unsichtbar ge- wesen waͤre. Als er sich vor meiner Mutter ge- neiget haͤtte, so haͤtte er es gegen alle zu thun ge- meint, die in dem Stuhl waren, und nicht blos gegen meine Mutter, die er sonst aufrichtig hoch- schaͤtzte. Wenn ich ihm glauben darf, (und ist es wohl wahrscheinlich, daß er mit dem Zweck in die Kir- che gekommen ist, meiner Familie Trotz zu bieten, und doch noch auf Gewogenheit von mir hoffen sollte?) so kann man sehen, wie verkehrt uns der Haß die Handlungen unsers Naͤchsten vorstellet. Allein warum erzehlt auch Schorey die Sache zu seinem Nachtheil? Vielleicht auf Befehl? Er berief sich gegen mich auf das Zeugniß des D. Le- vins der Clarissa. vins. Seine gantze Unterredung mit ihm habe blos davon gehandelt, daß er versuchen wollte, in dem Angesicht der gantzen Gemeinde den Anfang der Aussoͤhnung mit den Meinjgen zu machen: dagegen aber dieser Geistliche ihm abgerathen ha- be, oͤffentlich einen solchen Versuch zu thun, so lange er nicht wuͤßte, wie es aufgenommen werden wuͤrde. Allein ich habe keine Gelegenheit, diesen rechtschaffenen Mann zu sprechen, oder irgend sonst jemand, der mir in meinen verworrenen Um- staͤnden einen guten Rath geben koͤnnte. Wuͤrde aber wol jemand in der Welt der schul- dig ist schuldig befunden werden, wenn jeder Be- klagte seine Geschichte selbst erzaͤhlen, und einigen Glauben finden sollte? Jch habe einen sehr langen Brief geschrieben. Wenn man von einer Unterredung eine so um- staͤndliche Nachricht geben soll, als Sie verlangen, so ist es ohnmoͤglich, sich kurtz zu fassen. Jch setze nur noch die Versicherung hinzu, daß ich bin und immer seyn werde, Dero ergebenste und getreue Freundin und Dienerin Cl. Harlowe. Seyn Sie so guͤtig, und erinnern sich, daß Jhr letzter Brief den 9ten dieses geschrieben war. D d 2 Der Die Geschichte Der sieben und dreyßigste Brieff. von Fraͤulein H owe an Fraͤulein Clarissa Harlowe. Sonnstags den 19. Maͤrtz. J ch bitte um Verzeihung, daß ich meine liebste Freundin gezwungen habe, mich an der Zeit zu erinnern, da ich meinen letzten Brief geschrieben habe. Jch wuͤnschte so viele Nachrichten von Jh- rer verstaͤndigen Auffuͤhrung in der verworrensten Sache vor mir zu haben, ais moͤglich waͤre; indem ich gewiß glaubte, daß um diese Zeit der eine oder der andere Theil schon wuͤrde nachgegeben haben: damit ich meine Anmerckungen und mein Urtheil auf einen vesten Grund bauen koͤnnte. Was kann ich auch schreiben, das ich nicht schon geschrieben habe? Sie wissen selbst, daß mir weiter nichts gegeben ist, als auf Jhre unverstaͤndigen Verfolger zu schelten. Allein das betruͤbt Sie. Jch habe Jhnen gerathen, Jhr Gut in Besitz zu nehmen: das wollen Sie nicht thun. Sie koͤnnen ohnmoͤg- lich daran dencken, eine Beute des Solmes zu werden: und Lovelace ist vest entschlossen, Sie als die seinige zu haben, andere moͤgen dazu sagen was sie wollen. Jch glaube, Sie koͤnnen es nicht aͤndern, einen von beyden zu nehmen. Wir wollen erwarten, was fuͤr einen Schritt beyde Theile nun thun werden. Wenn Lovelace sei- ne eigenen Handlungen erzaͤhlt, wenn er sich so untadelhaft bey seinem ungebetenen Zuspruch im Holtz der Clarissa. Holtz-Stall auffuͤhret, wenn er mit einer so lobens- wuͤrdigen Absicht in die Kirche gehet: wer kann denn etwas an ihn auszusetzen finden? Gottlose Leute sind es, daß sie sich gegen ein so unschuldi- ges Blut verschwoͤren, und aus Einem Munde ge- gen ihn luͤgen. Jedoch, wie ich schon gesagt habe wir wollen abwarten, was fuͤr einen Schritt beyde Theile nun thun werden, und wie Sie sich dabey verhalten: alsdenn werden wir mehr Licht in der Sache bekommen. Was das anlanget, daß Sie den Anfang ge- macht haben, sich gegen ihre Onckles und Geschwi- ster anders als vorhin zu erklaͤren, nachdem diese doch ein fuͤr allemahl Jhnen Schuld geben wolten, daß Sie in Herrn Lovelacen verliebt waͤren, und nur schaͤrffere Pfeile gegen Sie daraus drech- selten, wenn Sie es leugneten: so haben Sie hier- in das gethan, was ich auch wuͤrde gethan haben. Jch selbst wuͤrde ihnen Stoff zum Argwohn gege- ben haben, um zu sehen, was dieses ausrichtete. Wenn aber ‒ ‒ wenn aber ‒ ‒! Sie muͤssen mir hier ein wenig zu gute halten. Sie selbst fanden es noͤthig, eine kleine Schutz-Schrift an mich vor- an zu schicken, ehe Sie mir von diesen Briefen Nachricht gaben. Und so lange, bis Sie gegen Jhre Freundin, an deren Ergebenheit Sie nicht zweiffeln koͤnnen, so deutlich als eine Freundin re- den, werde ich Sie ein wenig plagen muͤssen. Meine Feder mag demnach nur schreiben; weil sie Lust zu schreiben hat. D d 3 Wenn Die Geschichte Wenn also eine Ursache, die Sie nicht Lust ge- habt haben mir zu melden, diese veraͤnderten Er- klaͤrungen vergroͤssert haben sollte: so wachen Sie uͤber sich selbst, wie ich Jhnen schon ehemahls ge- rathen habe) und mercken Sie genau, wie die Ur- sache einer solchen Veraͤnderung nach und nach entstehet. Denn warum sollte sie sich unbemerckt von Jhnen in Jhr Hertz stehlen duͤrfen? Wenn jemand eine starcke Verkaͤltung, ein Fluß-Fieber bekommt, so setzt er sich nieder, und denckt nach, wie es anfing, und wie er es bekom- men hat. Wenn er das erst weiß, so ist er ver- gnuͤgt, und laͤßt dem Fieber seine Zeit, und nimmt etwas zu schwitzen ein, oder sonst eine Quacksalbe- rey, um es wider los zu werden, wenn es ihm all- zu beschwerlich ist. Ehe also die Kranckheit, die Sie wissen und nicht wissen, so hefftig wird, daß Sie suchen muͤssen sie zu vertreiben, bemercken Sie nach meinem Rath, wie sich diese Kranckheit an- faͤngt. Denn ich weiß so gewiß zum voraus, als ich dis schreibe, daß die unverstaͤndige Haͤrte der Jhrigen, und sein einnehmendes artiges Wesen, es noch so weit bey Jhnen bringen, und fuͤr Love- lacen alles ausrichten wird, wenn er nicht unver- staͤndiger ist, als ich ihn ansehe. Doch dis auf die Seite gesetzt. Wenn es ent- weder Herr Lovelace oder Herr Solmes seyn soll, so kann kein Streit uͤber die Wahl seyn. Wenn aber alles wahr ist, was erzaͤhlet wird, so wollte ich den schlechtesten unter Jhren vorigen Freyern dem besten unter diesen beyden vorziehen, so der Clarissa. so wenig sie auch Jhrer werth sind. Allein wer kann werth seyn, die Fraͤulein Clarissa Harlowe zu besitzen. Jch wuͤnsche nur, daß Sie mir nicht vorwer- fen moͤgen, daß meine Briefe immer einerley ent- halten. Jch wuͤrde mir dieses selbst verdencken, (sonderlich nachdem ich mich unterstehe, mir ein- zubilden, daß meine Beschuldigung gegen Sie aus- ser allem Zweifel richtig ist, und ich wol funfzig Stellen zum Beweiß aus Jhren Briefen anfuͤhren koͤnnte, wenn ein Beweiß gefuͤhrt werden muͤßte) wenn Sie nur freymuͤthig gestehen wollten, daß ‒ ‒ Gestehen? werden Sie sagen. Wie? Meine Anna Howe wird ja nicht glauben, daß ich wuͤrcklich verliebt bin. Nein gewiß nicht! Wie kann ein solcher Ge- dancke in Jhrer Anna Howe aufsteigen? Liebe ist zwar ein kleines Wort, allein es begreifft gar zu viel unter sich. Wohlan wie sollen wir es denn nennen. Sie haben mich eine beßere Redens- Art gelehrt, die dem Schalle nach nicht so viel unter sich zu begreiffen scheint, und doch in der That eben das sagt: eine bedungene Neigung. Das ist es! O mein Hertz! Wenn ich nicht allzu wohl wuͤßte, wie sehr Sie die gezwungene Sproͤ- digkeit einiger Frauenzimmer verachten. Doch Sie stnd zu jung und zu liebenswuͤrdig, als daß Sie gezwungen sproͤde seyn koͤnnten. Jch will mich so harter Nahmen enthalten; und Jhnen nur die Sache wiederhohlen, die ich Jh- nen schon vorhin geschrieben habe. Jch glaube, daß Die Geschichte daß ich recht habe misvergnuͤgt uͤber Sie zu seyn, wenn Sie mir in Jhren Briefen einige Geheim- nisse ihres Hertzens zu verheelen suchen. Wenn Sie mir deutlich und ohne Umschweiff melden wollten, wie viel Antheil Lovelace an Jhrem Hertzen hat oder nicht hat, so wuͤrde ich Jhnen besser als jetzt rathen koͤnnen, was Sie thun sollen. Sie sind so beruͤhmt deswegen, daß Sie kuͤnftige Dinge vorher sehen koͤnnen, daß kein Frauenzimmer einen staͤrckern Anspruch auf die Gabe der Weissagung (wenn ich es so nennen duͤrffte) machen kann, als Sie. Sollten Sie denn nicht in Jhrem Hertzen uͤberlegt haben, wie gluͤcklich oder ungluͤcklich Sie bey ihm seyn wuͤr- den, wenn Sie die seinige werden sollten? Ohne Zweiffel haben Sie dieses auch in Absicht auf Herrn Solmes gethan: daher kommt eben Jhr Widerwille gegen den einen, und Jhre bedungene Neigung zu dem andern. Wollen Sie mir nun er- oͤffnen, wie er Jhnen auf der besten und schlim- mesten Seite vorgekommen ist? was fuͤr Ursachen Sie finden, ihn zu waͤhlen oder zu verwersen? Wir wollen alsdenn beydes gegen einander waͤgen, um zu sehen, auf welche Seite sich der Ausschlag kuͤnftig lencken moͤchte, oder schon jetzt lenckt. Nichts gerin- geres als die Anvertrauung der geheimsten Rath- schluͤsse Jhres Hertzens, wird meine Liebe und meine Freundschaft gegen Sie befriedigen koͤnnen. Sie werden sich nicht scheuen, sich selbst ein Geheimniß von dieser Art anzuvertrauen: wenn Sie sich aber selbst nicht trauen sollten, so koͤnnten Sie freylich mit der Clarissa. mit groͤsserm Recht einen Zweifel in meine Ver- schwiegenheit setzen. Sie werden aber keins von beyden Nahmen haben wollen, und ich hoffe auch nicht, daß Sie Ursache zu einem solchem Mis- trauen haben. Belieben Sie sich zu erinnern, daß so oft ich eine solche Art von Spaß in meine Briefe habe einfliessen lassen, dadurch Sie wie es scheint ver- unruhigt sind, ohngeachtet Jhre Umstaͤnde einer Freundin die das groͤsseste Mitleyden mit Jhnen hat ernsthaft zu seyn befehlen; ich nicht uͤber die- jenigen Stellen Jhrer Briefe gespaasset habe, in denen Sie sich vielleicht aus Verschen so deutlich erklaͤren, (werden Sie hieruͤber nicht abermahls unruhig) daß fast kein Zweiffel uͤbrig zu bleiben scheint, sondern uͤber die Stellen, in denen Sie zuruͤck halten wollen; wenn Sie z E. bekannten Dingen neue Nahmen geben, oder von Neugier, von bedungener Zuneigung, von Vorsichtigkeit bey einer Leydenschaft die jedermann unvorsichtig macht, reden wollen. Jch sehe alles dieses fuͤr einen offenbahren Bruch des heiligen Bandes der Freundschaft an, die wir uns einander zugesagt haben. Eriñern Sie sich, daß ich Jhnen meine Schwaͤ- che nicht einen Augenblick verheelen konnte. Sie befragten mich: und ich gestand Jhnen aufrichtig, daß ich gegen meinen Liebhaber keine andere Ein- wendung haͤtte, als die, so mein Hochmuth mach- te: denn es schien mir zu veraͤchtlich zu seyn, daß ein lebendiger Mensch es in seiner Gewalt haben sollte, mich einen Augenblick unruhig zu machen. D d 5 Mein Die Geschichte Mein Liebhaber hatte nicht eben die Eigenschaften, die der Jhrige hat: ich muͤßte also meine Unbe- dachtsamkeit eben so sehr und noch mehr anklagen, als die Macht die er uͤber mein Hertz hatte. Allein Jhre Macht uͤber mein Hertz war staͤrcker. Denn Sie redeten mir zuerst meine Neugier aus dem Sinn; und als meine Zuneigung aufhoͤrte un- bedungen zu seyn, so schlug mir auch das Hertz nicht mehr seinetwegen. Jch bitte Sie nun (mit Jhrem Worte) nach- dem ich gestanden habe, daß mein Liebhaber nicht so artig aussahe als Jhrer, so lassen Sie mich, und die Fraͤulein. Biddulph, Lloyd, und Cam- pion Jhre Meinung daruͤber vernehmen, in wie fern ein Frauenzimmer auf die Gestalt der Manns- Person zu sehen habe. Allein dencken Sie dabey an sich selbst. Mercken Sie sich das! wie Jhr Onckle Anton saget. Jnsonderheit beantworten Sie diese Frage auf den Fall, wenn sich die Manns- Person etwas auf ihre Gestalt einbildet, weil man doch von den innerlichen Vorzuͤgen einer Person schlechte Gedancken hegen muß, die ihren Hochmuth auf eine Sache von so kur- tzer Dauer gruͤndet, wie Sie mich selbst belehrt haben. Sie, unser liebenswuͤrdiges Muster, haben bey der angenehmsten Bildung des Leibes und Gesichts nichts von diesem Hochmuth; und haben deswegen ohne sich selbst zu beschaͤmen be- haupten koͤnnen, daß er nicht einmahl an einem Frauenzimmer zu entschuldigen sey. Wir der Clarissa. Wir haben uͤber der vorhin erwaͤhnten Frage bey der letzten Zusammenkunft einen scharfen Streit gehabt; und die Fraͤulein Lloyd verlangte, daß ich Sie um Jhre Meinung, die wir immer fuͤr eine Entscheidung zu halten pflegten, befragen moͤchte Jch will nicht hoffen, daß Sie so mit wich- tigern Sorgen uͤberhaͤuft sind, daß Sie entweder keine Zeit oder keine Lust uͤbrig behalten, diese Ar- beit aus Gefaͤlligkeit gegen eine Freundin zu uͤber- nehmen. Sie wissen, wie sehr wir Jhren Aus- spruch uͤber dergleichen Fragen zu bewundern pfle- gen, der immer etwas unerwartetes und etwas Lehr-reiches zu enthalten pflegt. Sagen Sie uns doch auch Jhre Meinung daruͤber, warum Jhr Anbeter sein von der Natur schon genug geschmuͤck- tes Ansehen noch auf allerley Art zu schmuͤcken sucht, und es doch so klug anfaͤngt, daß ihn nie- mand fuͤr einen Stutzer ausgeben kan? Jch wuͤn- sche, daß diese Frage nebst der Jhnen aufgegebe- nen Arbeit Jhnen zum Vergnuͤgen und nicht zur Beschwerde gereichen mag. Eine eintzige Sache, sie mag so wichtig seyn als sie will, wird doch nie Jhr gantzes Gemuͤth beschaͤftigen. Wenn ich Jh- nen aber auch Beschwerde verursachen sollte, so er- innern Sie sich, wie oft Sie mir eine Grobheit vergeben haben, und sagen Sie einmahl im Un- willen: es ist ein abgeschmacktes Maͤdchen; und ich habe sie doch lieb, sie bleibt doch meine Anna Howe. Der Die Geschichte Der acht und dreyssigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Montags den 20sten Maͤrtz. J hr letzter Brief ruͤhrt mich so sehr, daß ich alles andere hinten ansetzen muß, um ihn zu beantworten. Es soll dieses Stuͤck vor Stuͤck und mit aller der Offenhertzigkeit geschehen, die unsere Freundschaft erfodert. Jch muß danckbahr erkennen, daß Sie mit mir so grosmuͤthig umgegangen sind, als es Jhre Na- tur mit sich bringt, wenn Sie bey funfzig Stellen, in denen ich unleugbare Proben meiner Hochach- tung gegen Herrn Lovelace gegeben habe, mei- ner blos deswegen geschonet haben, weil ich offen- hertzig gewesen bin. Was meinen Sie aber: sollte wol ein Mensch auf der Welt so lasterhaft seyn, mit dem ein zwei- felhaftes Gemuͤth nicht einmahl besser als das an- dere mahl zu Frieden seyn muͤßte? Und ist es nicht billig, daß man sich um solche Zeit seinen Einsich- ten gemaͤß ausdruͤckt? Jch muß doch dem, der sich um mich bewirbt, eben die Gerechtigkeit widerfah- ren lassen, die ich dem schuldig bin, der sich nicht um mich bekuͤmmert. Mir kommt es so tyrannisch, so niedertraͤchtig vor, einem der sonst keine Geringschaͤ- tzung verdient deswegen schlimmer zu begegnen, weil er uns hoch schaͤtzt, daß ich nicht Lust habe, mich durch eine solche Auffuͤhrung herunter zu setzen. Ob der Clarissa. Ob nun gleich meine Meinung allein diese ist, nicht ungerecht gegen ihn zu seyn so glaube ich doch gern, daß Leute, die seine Absichten wissen, hier- aus schliessen werden, daß ich ihm besonders geneigt bm. Jch muß dieses insonderheit befuͤrchten, wenn eine scharssichtige Zuschauerin ehemahls selbst eine Ruͤhrung empfunden hat, und gern daruͤber froh- locken wollte, daß ihre Freundin eben so wenig rein von dieser Kranckheit sey als sie. Erhabenen Ge- muͤthern, die eifersuͤchtig auf ihre Vorzuͤge sind, (welches an und vor sich keine Unvollkommenheit ist, wenn die Eifersucht auf wahre Vorzuͤge gerich- tet ist) solchen Gemuͤthern, sage ich, muß man es nicht verargen, wenn sich ein gewisser edler Neid bey ihnen reget. Wenn dieser Gedancke eine kleine Rache uͤber, so ist es doch blos eine Rache in dem allergelinde- sten Verstande. Jch liebe Jhre Munterkeit, wie ich Jhnen schon oft gesagt habe. wenn man gleich nicht gantz unempfindlich dabey ist, so wird doch ein wohlgeartetes Gemuͤth nichts als Danckbar- keit in sich herrschen laßen, so oft es gleichsahm mehr Zuͤge von dem warnenden Freunde als von den spottenden Zuschauer in den Gesicht oder in der Schreib-Art seines Tadlers gewahr wird. Es wird dahinaus lauffen, daß ich vielleicht noch bey diesem Brieffe den Schmertz von Jhren sanften Schlaͤgen empfinde, hingegen in dem folgenden Brieffe und zeit Lebens Jhnen dafuͤr dancke, daß Sie mich errinnert haben. Auf Die Geschichte Auf diese Art werden Sie mich entschuldigen, wenn Sie im Anfange und vielleicht in dem Fortgange meines Briefes einige Empfindlichkeit gewahr werden. Sie erinnern mich oͤfters durch Jhr, das ist durch das beste Exempel, daß ich Jhrer in meinen Urtheilen nicht schonen soll. Jch bin mir nicht bewust, etwas von diesem Manne geschrieben zu haben, das nicht mehr zu seinem Nachtheil als zu seinem Lobe gereichte. Er hat solche Eigenschaften, daß ich mich selbst fuͤr tadelhaft halten und zur Rechenschaft fodern wuͤr- de, wenn ich anders geschrieben haͤtte. Wenn Sie andere Gedancken haben, so verlange ich nicht, daß Sie eben den Beweiß fuͤhren sollen, wie Sie es nennen. Jch werde vielmehr glauben, daß meine Auffuͤhrung zum wenigsten einen boͤsen Schein hat, und ich werde mich zu bessern suchen. Allein das versichere ich Jhnen, daß ich nie den Vorsatz gehabt habe, zuruͤck zu halten, wenn gleich meine Worte eine andere Erklaͤrung leyden moͤch- ten. Jch habe jedes mahl geschrieben, was mir mein Hertz eingab. Wenn ich haͤtte zuruͤck hal- ten wollen, oder wenn ich Ursache hiezu gehabt haͤtte; so wuͤrde ich Jhnen vielleicht keine Gelegen- heit gegeben haben, uͤber meine Neugier in Absicht auf die Meinung der seinigen von mir, uͤber meine bedungene Zuneigung und dergleichẽ Redens-Arten, Betrachtungen anzustellen. Was ich durch jenen Ausdruͤck sagen wollte, das habe ich Jhnen damahls alles rein gestanden; Jch beziehe mich auf meinen damahligen Brieff: und bey der Clarissa. bey dem zweiten Ausdruck mag ich vielleicht auf das gedacht haben, was sich fuͤr eine Person von meinem Geschlecht und Character alsdenn schicket, wenn man ihr die Liebe als einen Ungehorsahm und folglich als ein Laster anrechnet, und der Mann, den sie sonst lieben koͤnnte sich eine Freye Lebens- Art hat geluͤsten lassen. Jch hoffe Sie werden mir nicht uͤbel deuten, daß ich mich bemuͤhet habe, fuͤr dieienige gehalten zu werden, die ich billig seyn soll; waͤre es auch nur deswegen geschehen, damit ich Jhre Wohlgewogenheit nicht verschertzen moͤchte. Damit ich aber in der That beweise, daß ich nicht zuruͤck halte ‒ ‒ ‒ Allein, mein Schatz, ich muß hier abbrechen. Der neun und dreyssigste Brief von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. Montags den 20sten Maͤrtz. D ieser Brieff wird mich entschuldigen, daß ich meine Antwort auf Jhren gestrigen Brieff so unvermuthet abbrechen mußte. Jch werde die besagte Antwort Jhnen nicht eher geendiget zu- schicken koͤnnen als morgen oder uͤbermorgen, weil ich noch viel auf Jhre Frage zu schreiben habe; Jetzt will ich Jhnen von einem abermahligen Ver- such der Meinigen, mich durch Frau Norton auf Die Geschichte auf andere Gedancken zu bringen, Nachricht geben. Es schien, daß sie gestern ersucht war, diesen Tag in unserm Hause zu seyn, um die Meinung meiner Freunde recht zu fassen, und alsdenn zu versuchen, was sie bey mir ausrichten koͤnnte. Sie mochten zum wenigsten diesen Nutzen davon hof- fen, daß ich in den Augen der Frau Norton alle Entschuldigung verlieren wuͤrde, und daß sie die Vorstellungen, die sie bisweilen meiner Mutter zu meinem Besten gethan haͤtte, fuͤr uͤberfluͤßig und unverdient ansehen moͤchte. Meine Erklaͤrung daß mein Hertz ungebunden sey, ward von Jhnen als ein Beweiß meiner Hartnaͤckigkeit und meines Eigensinnges ge- braucht Denn, hieß es, nichts anders als ein blos- ser Eigensinn koͤnnte mich antreiben, mich ihrem Willen zu widersetzen, wenn ich keine besondere Zuneigung zu einem andern haͤtte. Nun ich ihnen diesen Beweiß zu nichte zu machen suche, und ih- nen Anlaß gegeben habe zu glauben, daß ich eine Neigung auf einen andern geworfen habe; so sind sie entschlossen, der Sache ein baldiges Ende zu machen. Jn dieser Absicht ward die gute Frau zu mir geschickt, gegen die ich (wie den Meinigen wohl bekannt ist) eine kindliche Liebe und Ehrfurcht habe. Als sie der Einladung zu folge in unser Haus kam, fand sie meinen Vater, Mutter, Bruder, Schwester, und meine beyden Onckles nebst Frau H ervey beysammen. Mein der Clarissa. Mein Bruder gab ihr Nachricht von dem, was vorgegangen war, seit dem sie mich zuletzt hatte sprechen duͤrfen: insonderheit von meinen Brie- f e darin ich, nach seiner Auslegung, meine Liebe zu Lovelacen gestand; von dem Jnhalt ihrer Ant- wort darauf, und von dem Entschluß den sie ge- fasset haͤtten. Hierauf redete meine Mutter. Den Jnhalt erzaͤhlte mir die gute Frau folgender massen: Nachdem sie davon geredet hatte, wie viel mir zu gute gehalten sey, daß ich einige Partheyen haͤt- te ausschlagen duͤrfen; wie viel Muͤhe sie sich ge- geben haͤtte, mich zu uͤbereden, daß ich doch unter sechs mahlen einmahl aus Gefaͤlligkeit gegen mei- ne gantze Familie Ja sagen moͤchte; und wie unbe- weglich ich gewesen waͤre: so setzte meine liebe Mut- ter hinzu: haͤtten sie jemahls geglaubt, Frau Nor- ton, daß meine, daß ihre Claͤrchen sich gegen den Willen so guͤtiger Eltern so verhaͤrten koͤnnte? Sehen sie zu, was sie bey ihr ausrichten koͤnnen. Die Sache ist schon so weit gekommen, daß wir unserer Seiten nicht wider zuruͤck gehen koͤnnen. Jhr Vater zweifelte an ihrem Gehorsahm nicht, und brachte deswegen alles mit Herrn Solmes in Richtigkeit. Dencken sie doch, so eine vortheil- hafte Ehestiftung! und so vortheilhafte Bedin- gungen fuͤr die gantze Familie! Kurtz, sie hat jetzt ei- ne Gelegenheit, uns alle durch diese Gefaͤlligkeit zu erfreuen und zu verpflichten. Hr. Solmes weiß, daß sie tugendhaft und verstaͤndig ist, und er hoffet sie jetzt durch seine Geduld und kuͤnftig dadurch, Erster Theil. E e daß Die Geschichte daß er ihr wohl begegnet, zur Danckbarkeit und endlich zur Liebe zu bewegen. Er will deswegen alles vergangene uͤbersehen. ( Alles uͤbersehen! mein Schatz. Herr Solmes soll alles uͤbersehen! Das ist ein ar- tiger Ausdruck.) Sie sind doch uͤberzeuget, Frau Norton, daß es die Pflicht eines Kindes ist, sich in grossen so wohl als kleinen Dingen dem Willen seiner El- tern zu unterwerfen. Versuchen sie es, ob sie etwas bey ihr ausrichten koͤnnen. Jch kann nichts ausrichten: ihr Vater auch nicht: ihre Onckles eben so wenig: ob es gleich ihr eigenes Bestes seyn wird, wenn sie sich gefaͤllig gegen uns erweiset. Denn in solchem Falle ist ihr grosvaͤterliches Gut kaum die Haͤlfte von dem, was wir ihr bey Leben und Sterben zugedacht haben. Wenn noch je- mand etwas bey ihr ausrichten kann, so sind sie es: und ich hoffe, daß sie sich Muͤhe geben wer- den, es zu thun. Sie fragte: ob ihr erlaubt waͤre, ihnen einige Einwendungen zu machen, ehe sie zu mir hin- auf ginge? Mein hochmuͤthiger Bruder antwortete ihr: sie waͤre gefodert, mich zu uͤberzeugen, und nicht sie. Und das, gute Frau, (bey ihm heißt sie immer, gute Frau ) koͤnnen sie ihr nur sagen. Die Sa- chen sind so weit gediehen, daß an keine Aende- rung zu gedencken ist. Jhre Einwendungen koͤn- nen jetzt eben so wenig mehr gehoͤrt werden, als meiner Schwester Einwendungen. Seyn der Clarissa. Seyn sie versichert (sagte mein Vater mit einer zornigen Stimme) daß wir uns von ihr nicht eintreiben lassen wollen. Wir verlangen uns nicht laͤcherlich zu machen, und das Ansehen zu haben, als koͤnnten wir einer Tochter nicht befehlen. Kurtz ein verfluchter Boͤsewicht, der bey nahe den eintzigen Sohn ermordet haͤtte, soll uns keine Tochter abtrotzen. Sie wuͤrde also kluͤger thun, wenn sie so Gehorsahm leistete, daß man es ihr Danck wissen koͤnnte: denn Gehorsahm muß und soll sie leisten, wenn ich das Leben behalte, ob sie sich gleich einbildet, daß meines Vaters unbedachtsa- me Guͤtigkeit sie in den Stand setzet ihres Vaters nicht noͤthig zu haben. Wahrlich seit der Zeit ist sie das Kind nicht mehr, das sie vorhin war. Ein un- gerechtes Vermaͤchtniß! und wie es das Ansehen hat, so wird auch schlechter Seegen darauf ru- hen. Wenn sie den liederlichen Lovelace heyra- thet, so soll sie uͤber einen jeden Gulden mit mir einen Proceß zu fuͤhren haben. Sagen sie ihr das: und bedeuten sie ihr, daß das Testament umge- stossen werden kan und soll. Meine Onckles pflichteten ihm mit eben so vieler Hitze bey. Mein Bruder, meine Schwester waren beyde ungemein hitzig. Meine Base Hervey sagte: es waͤre kein Stuͤck, darin es so heilsahm sey, daß sich Kinder nach dem Willen der Eltern richteten, als in Heyraths-Sachen. Es sey sehr billig, daß ich meinen Eltern etwas zu Gefallen thaͤte. E e 2 Die Die Geschichte Die brave Frau kam zu mir herauf, nachdem sie genug in der Schule der Meinigen unterrich- tet war, was sie sagen sollte. Sie erzaͤhlte mir alles was vorgegangen war, und drang sehr in mich, daß ich gehorchen sollte. Sie richtete ihre Sache so gut aus, daß ich in der That mehr als jemahls glaubte, sie waͤre einer Meinung mit jenen gewor- den. Als sie aber sahe, daß meine Abneigung un- uͤberwindlich war, so bedaurte sie mit mir, daß die Meinigen so unbeweglich auf ihrem Vorsatz beharreten. Sie suchte darauf Gewißheit zu erlan- gen, ob es mein aufrichtiger Ernst sey, daß ich un- verheyrathet bleiben wollte, wenn ich Sosmesen durch dieses Versprechen abkauffen koͤnnte. Als ich ihr das versichert hatte, so sahe sie ein, daß ein solches Anerbieten, welches Lovelacen eben so vollkommen alle Hoffnung wuͤrde benommen haben, Annehmens-wuͤrdig sey. Sie wollte so gar hinunter gehen, und gleichsahm Buͤrge fuͤr die Aufrichtigkeit meiner Erklaͤrung werden, ob ich ihr gleich sagte, daß ich diesen Antrag fchon mehr als einmahl vergeblich gethan haͤtte. Sie ging hinunter, kam aber bald mit Thraͤnen zuruͤck, weil sie uͤber ihr Gewerbe hart angelassen war. Es hieß: sie haͤtten Recht auf den Gehor- sahm zu dringen, den sie foderten, und nicht den ich anzubieten Lust haͤtte. Mein Vorschlag sey nut ein Kunstgriff, damit ich Zeit gewinnen woll- te: sie waͤren mit keiner andern Bedingung zu- frieden, als daß ich Herrn Solmes heyrathete: sie haͤtten mir dieses schon vorhin gesagt: und sie der Clarissa. sie koͤnnten nicht ruhig seyn, bis es geschehen waͤ- re, denn sie wuͤßten allzuwohl, wie sehr Lovelace mein Hertz gefesselt haͤtte. Jch haͤtte es beynahe ohne Umschweif in meinen Briefen an meine Onckles und an meine Geschwister gestanden, ob ich gleich so unartig gewesen waͤre gegen meine Mutter eine andere Sprache zu fuͤhren. Jch ver- liesse mich auf ihre Guͤtigkeit, und ich wuͤßte gar zu wohl, was ich bey ihnen ausrichten koͤnnte: Sie wuͤrden mir auch nicht verboten haben, zu ihnen zu kommen, und mit ihnen zu sprechen, wenn sie sich nicht allzuwohl bewußt waͤren, daß sie mehr Liebe fuͤr mich haͤtten, als ich fuͤr sie. Sie wollten ein- mahl vor allemahl Gehorsahm haben, oder ich soll- te nie mit ihnen ausgesoͤhnet werden, es moͤchte auch daraus entstehen, was da wollte. Mein Bruder entbloͤdete sich nicht der rechtschaff- nen Frau ins Gesichte zu sagen sie verhaͤrtete mich nur durch ihr unverstaͤndiges nichts bedeutendes Winseln. Bey allen Frauens-Leuten fuͤnde man eine gewisse Unart, einen Hochmuth aus der Tra- goedie, der solche junge Maͤdchens die an Ro- mainen ihre Lust haͤtten, geschickt machte, alles zu unternehmen, wenn sie nur bey jemand Mitley- den faͤnden. Alter und Gemuͤth waͤren bey mir zum Liebes-Fieber geneigt: Und meine Betruͤb- niß, davon sie so viel redete, wuͤrde mir das Hertz nicht abstossen. Eher moͤgte meiner guͤtigen, meiner allzuguͤtigen Mutter das Hertz dabey bre- chen. Sie moͤgte indeß so gut seyn, und noch- mahl zu mir heraufgehn: wenn sie alsdenn auch E e 3 nichts Die Geschichte nichts ausrichtete, so wuͤrde er Argwohn schoͤpfen, daß der verhaßte Mann ein Mittel gefunden haͤt- te, sie selbst zu gewinnen. Es verwiesen ihm alle diese unverdiente Be- schuldigung, daruͤber die gute Frau von Hertzen betruͤbt war, er setzte indessen noch hinzu, und niemand widersprach ihm darin: wenn sie bey ih- rem suͤssen Kinde nichts ausrichten koͤnnte, so wuͤrde es am besten seyn, daß sie wieder nach Hause gienge, und zu Hause bliebe, bis sie ge- ruffen wuͤrde: sie koͤnnte alsdenn ihr suͤsses Kind, unter der Zucht seines Vaters lassen. (es scheint sie muß mich aus Liebe so genannt haben.) Jch glaube nicht, daß ein so unverschaͤmter und so unbarmhertziger Bruder, als meiner, zu finden ist. So viel Verleugnung wird von mir erwar- tet! So viel Hochmuth und Grobheit gegen eine so brave und verstaͤndige Frau wird an ihm uͤber- sehen und entschuldigt. Sie antwortete ihm: so laͤcherlich er es auch vorstellen moͤgte, daß sie mich ein suͤsses Kind genannt haͤtte, so koͤnnte sie doch wohl sagen, daß kein Frauenzimmer dieses Nahmens wuͤrdiger waͤre. Sie haͤtte immer gefunden, daß man durch sanfte Mittel alles bey mir ausrichten koͤnnte, selbst alsdenn, wenn ich von anderer Einsicht und Meinung waͤre. Meine Base H ervey sagte hierauf: es sey werth das weiter zu uͤberlegen, was Frau Nor- ron gesagt haͤtte: es sey ihr selbst bisweilen ein Zweifel aufgestiegen, ob man zu Anfang die Mit- tel der Clarissa. tel bey mir versucht haͤtte, die bey edlen Gemuͤ- thern etwas ausrichten koͤnnten, wenn ihre Nei- gungen und der Wille ihrer Freunde mit ein- ander streiten. So wohl mein Bruder als meine Schwester widersprachen ihr hierin, und beriefen sich auf meine Mutter, ob sie mir nicht so gelinde begeg- net waͤre, als schwerlich eine Mutter thun wuͤrde? Meine Mutter sagte: sie von ihrer Seite haͤt- te es an gelinden Vorstellungen nicht ermangeln lassen: allein sie muͤßte es bekennen, und haͤtte es oft bekannt, daß sie mit der Art unmoͤglich zufrie- den seyn koͤnnte, damit man mich empfangen, und mir Herrn Solmes Antrag kund gethan haͤtte, als ich von der Fraͤulein Howe zuruͤck gekommen waͤre. Jch haͤtte damahls nicht die geringste Ge- legenheit gehabt ihn kennen zu lernen, und man haͤtte mir gar keine Freyheit zu waͤhlen ge- lassen. Sie war bald zum Stillschweigen gebracht; durch wen? das werden Sie selbst errathen koͤn- nen. Mein Kind, Mein Kind ‒‒‒ du hast immer eine Entschuldigung fuͤr das wiederspaͤnstige Maͤdchen. Erinnere dich, wie sie dir, wie sie mir begegnet ist; Erinnere dich, daß der Kerl, dem wir alle mit Recht feind sind, laͤngst von seinem Verlangen wuͤrde abgestanden haben, wenn sie ihm nicht Hoffnung gemacht, und sich gegen uns halsstarrig bewiesen haͤtte. Frau Norton (sagte er mit Unwillen zu ihr) gehen sie noch einmahl hinauf, und E e 4 wenn Die Geschichte wenn sie dencken, daß durch Gelindigkeit etwas kann ausgerichtet werden, so trage ich ihnen auf gelinde zu seyn. Wenn aber alles vergeblich ist, so gebrauchen sie diese Entschuldigung nicht weiter. Ach meine liebe Norton, sagte meine Mutter, versuchen sie was sie bey ihr ausrichten koͤnnen. Jch will mit meiner Schwester hinauf gehen, und wir wollen sie an unserer Hand hinunter fuͤhren, den Seegen ihres Vaters zu empfangen, und von allen ihren Anverwanten umarmet zu werden, wenn sie sich will erweichen lassen. Wir wollen sie alsdenn wegen ihrer angewandten Muͤhe dop- pelt lieb haben. Sie kam zu mir herauf, und erzaͤhlte mir alles dieses mit Thraͤnen. Allein ich sagte ihr, sie koͤnn- te aus unserer vorigen Unterredung schon schliessen, daß es mir unmoͤglich waͤre, die Absichten zu er- fuͤllen, die blos von meinem Bruder herkaͤmen, und gegen die ich eine so grosse Abneigung haͤtte. Sie druͤckte mich fest an ihre muͤtterliche Brust, und sagte: ich verlasse sie liebste Fraͤulein, ich verlasse sie, weil ich muß. Jch bitte sie nur, uͤbereilen sie sich nicht, und nehmen sie nichts vor, das sich fuͤr ein so artiges Gemuͤth nicht schickt. Wenn alles wahr ist, was die Leute sagen, so kann Herr Love- lace ihrer in Ewigkeit nicht werth seyn. Jst es ihnen moͤglich nachzugeben, so bedencken sie, daß es ihre Schuldigkeit ist. Jch gestehe es, daß man nicht so mit ihnen umgehet, wie man mit einem edlen Gemuͤth umgehen muß. Allein bedencken sie daß ihr Gehorsahm aufhoͤren wuͤrde Gehorsahm zu der Clarissa. zu seyn, wenn sie nichts dabey verleugneten. Be- dencken sie auch, was man von einer so ausseror- dentlichen Person, als sie sind, erwartet. Beden- cken sie, daß es jetzt bey ihnen stehet, ob Trennung oder Eintracht in ihrer Familie seyn soll. Wenn es ihnen schon itzt unangenehm ist, sich zwingen zu lassen, so wird doch ihre Klugheit und eine reiffe Uberlegung der Sachen sie in den Stand setzen, alle vorgefaßte Meinungen gegen den einen, und alle allzuguͤtigen Vorurtheile fuͤr den andern zu uͤberwinden. Sie werden ihre gantze Familie hierdurch verpflichten: dieses wird nicht allein ein sehr verdienstliches Werck seyn, sondern ihnen auch selbst in wenig Monathen zu eben so vie lem Vergnuͤgen, als Ehre gereichen. Ueberlegen sie, meine liebe Mutter Norton, (sagte ich) uͤberlegen sie, daß es nicht eine Kleinig- keit von kurtzer Dauer ist, die man von mir fodert: sondern daß es auf meine gantze Lebens-Zeit an- koͤmmt. Ueberlegen sie, daß alles dieses nur die Anstalten eines herrschsuͤchtigen Bruders sind, nach welchem sich alle richten. Ueberlegen sie, daß ich so bereit bin, ihnen eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen, wenn sie damit zufrieden waͤren, daß ich unverhey- rathet bliebe, und meinen Brief-Wechsel mit dem- jenigen, den sie hassen, weil ihn mein Bruder hasset, abbraͤche. Jch uͤberlege das alles, meine liebste Fraͤulein. Allein uͤberlegen sie auch ausser dem, was ich schon gesagt habe, daß wenn sie ihrem eigenen Willen fol- gen, und sich dem Willen ihrer Eltern widersetzen, E e 5 und Die Geschichte und es ungluͤcklich ablauffen sollte, sie alles des Trostes beraubet seyn werden den die haben, die ihren Eltern gefolget sind, und es nicht so getrof- fen haben, als sie es wuͤnschen moͤchten. Jch muß gehen, (sagte sie nochmahls, und mit Thraͤnen) damit ihr Bruder nicht vorgiebt, ich verhaͤrte sie durch mein nichtsbedeutendes Win- seln. Es ist in der That hart, wenn den Einfaͤllen des einen Kindes so viel nachgesehen und auf die Neigung des andern gar nicht geachtet wird. Al- lein ich widerhole es: wenn sie nachgeben koͤnnen, so ist es ihre Schuldigkeit nachzugeben: denn ihr Herr Vater hat einmahl ihres Bruders Willen durch seinen Befehl bekraͤftiget, und ihn zu seinem eigenen Willen gemacht. Herr Lovelace ist nicht der Mann, der ihre Wahl mehr rechtfertigen wird, als die Abneigung der Jhrigen. Man siehet gar zu deutlich, daß ihr Bruder die Absicht hat, sie um die Liebe der Jhrigen, und insonderheit ihrer Onckles zu bringen: eben deswegen sollten sie nachgeben, um seine niedertraͤchtigen Absichten zu zernichten. Jch will fuͤr sie beten, das ist alles was ich thun kann. Jch muß jetzt hinunter gehen, und erzaͤhlen, daß sie sich entschlossen haben, Herrn Solmes nicht zu nehmen. Soll ich es thun? Ue- berlegen sie es Fraͤulein: soll ich? Ja! gantz gewiß! sie sollen. Allein das ver- sichere ich ihnen, daß ich nie etwas vornehmen werde, das sie bewegen koͤnnte, sich des Antheils, den sie an meiner Erziehung gehabt haben, zu schaͤmen. Jch will alles geduldig leiden, nur das nicht der Clarissa. nicht, wenn man meine Hand mit Gewalt einem Manne geben will, der nie einigen Antheil an mei- nem Hertzen haben kann. Jch will suchen sie alle durch Geduld, Gehorsahm und Demuth zu uͤber- winden. Allein ich will lieber den Tod in seiner allertraurigsten Gestalt waͤhlen, als den Mann. Jch fuͤrchte mich, Fraͤulein, eine so gesetzte und unumstoͤßliche Antwort hinunter zu bringen. Sie werden mich nicht mit Geduld anhoͤren koͤnnen. Jch will ihnen einen Gedancken zuruͤck lassen, und ich bitte sie, daß sie ihn stets in ihrem Gemuͤth behalten wollen: Die Vorsicht GOttes hat Per- sonen von ausserordentlichen Gaben und Verstan- de, (wie sie besitzen) in der Welt ausgestreuet, daß sie durch ihr Vorbild die Religion und die Tugend unter dem grossen Hauffen der Menschen beliebt machen und ehren sollen. Wie groß muß die Ver- suͤndigung seyn, wenn solche Personen wissentlich und vorsaͤtzlich fehlen! wie sehr muß sie den GOtt betruͤben, der ihnen so ausserordentliche Gaben verliehen hat! was fuͤr ein Verlust ist dieses fuͤr die Welt! und was fuͤr eine Wunde empfaͤngt dadurch die Tugend selbst! Jch hoffe, daß die- ses nie von Fraͤulein Clarissa Harlowe gesagt werden soll. Jch konnte nicht anders als durch Thraͤnen antworten: und da sie wegging, kam es mir vor, als haͤtte sie die groͤsseste Haͤlfte meines Her- tzens mit sich genommen. Jch horchte, wie sie unten empfangen wuͤr- de. Jch hatte nichts befuͤrchtet, das nicht ge- schahe. Will Die Geschichte Will sie Herrn Solmes nehmen, oder will sie nicht? keine winselnde Umschreibungen und Umsschweiffe, Frau Norton! Will sie ihren El- tern gehorchen, oder will sie nicht? (Sie wer- den leicht errathen wer dieses sagte.) Dieses Wort schnitt alles ab was sie sich vor- genoemmen hatte zu sagen. Wenn ich es denn kurtz sagen soll: die Fraͤulein will lieber sterben, als ‒ ‒ einen andern als Lovelacen heyrathen! (schrie mein Bruder dazwischen) das das ist ihre sanfftmuͤthige Tochter! das ist das suͤsse Kind von Frau Norton! Wohlan, gute Frau, sie kann nur wieder nach Hause gehen. Jch habe Befehl ihnen zu verbieten, daß sie einen Monathlang nicht den geringsten Brieff-Wechsel, oder was dem gleich ist, mit dem verkehrten Maͤdchen haben sol- len, so lieb es ihnen ist, mit der gantzen Familie und mit allen Gliedern derselben wohl zu stehen. Er sagte dieses, ohne daß jemand ihm einredete, und wieß ihr darauf die Thuͤr; Jch zweiffele nicht, daß er nicht sollte alle veraͤchtlichen und empfindli- chen Geberden angenom̃en haben, damit ein hoch- muͤthiger Reicher den armen und geringen betruͤ- ben kan, wenn er das Ungluͤck hat ihm zu misfallen. Jch bin demnach des Raths dieser so klugen und gewissenhafften Frau beraubet, wenn ich des, sen auch noch so sehr benoͤthigt seyn sollte. Jch glaube zwar, daß ich ihre Brieffe an Sie mit einschliessen duͤrffte, und daß Sie ihr eben die- se Erlaubniß geben wuͤrden. Allein wenn es ihr auch der Clarissa. auch nur um sie aus zufragen vorgehalten werden sollte, daß sie Briefe mit mir wechselt, so bin ich gewiß versichert, daß sie sich um aller Welt Guͤter willen durch keine Unwahrheit, ja nicht einmahl durch eine zweydeutige Rede wuͤrde heraushelfen wollen. Wenn sie es aber gestuͤnde, so haͤtte sie ge- wiß die Gunst meiner Mutter auf ewig verschertzt. Jch habe in meiner letzten schweren Kranckheit meine Mutter zu dem Versprechen bewogen, wenn ich sterben sollte, ehe ich selbst etwas zum Be- sten der redlichen Frau thun koͤnnte, sie in solche Umstaͤnde zu setzen, daß sie nicht Mangel leyden duͤrfte, wenn sie aus Abnahme des Gesichts oder wegen Kranckheit sich nicht mehr mit der Nadel naͤhren koͤnnte. Was fuͤr Mittel werden nun zunaͤchst erdacht werden? ‒‒ Werden sie nicht nachgeben, wenn sie uͤberzeugt werden, daß blos ein allzutieff gewur- zelter Wiederwille ein sonst beugsahmes Gemuͤth unbeweglich macht? Leben Sie wohl, mein Schatz! Leben Sie gluͤck- lich. An Jhrem Gluͤcke mangelt nichts, als daß Sie sich Jhres Gluͤcks nicht voͤllig zu gebrauchen wissen. Cl. Harlowe. Der viertzigste Brieff. von Fraͤulein Clarissa H arlowe an Fraͤulein H owe. (Eine Fortsetzung des 38sten Briefes.) Es Die Geschichte E s kommt mir kein Schlaaf in die Augen, und ob es gleich jetzt Mitternacht ist, so will ich doch den Brieff fortsetzen, den ich so un- vermuthet abbrechen muste, um den Befehl, den Sie nebst den Fraͤuleins L loyd Campion und Biddulph mir gegeben haben, so gut zu erfuͤl- len, als es meine Zerstreuung zulaͤßt. Um die schwere Beschuldigung zu widerlegen, daß ich gegen eine so werthe Freundin versteckt seyn soll bekenne ich, was ich schon mehr als einmahl bekant habe, daß meine verworrene Umstaͤnde wol verursachen koͤnnen, daß mir Herr Lovelace er- traͤglich vorkommt: alleine keine andere als die ge- meldete Ursache liegt zum Grunde. Haͤtten ihm die Meinigen einen Mann entgegen gesetzt, der Verstand, Tugend, und ein edles Hertz haͤtte, der Ehre bey seinem Vermoͤgen gehabt haͤtte, und so viel Zaͤrtlichkeit und Mitleyden mit der Noth an- derer, daß ich haͤtte hoffen koͤnnen, meine Gefaͤl- ligkeiten mit Danckbarkeit belohnt zu sehen: haͤtten sie, sage ich ihm einen solchen Mann mit eben dem Ernst als Solmesen entgegen gesetzt: so wuͤrden sie, (wo ich mich kenne) jetzt nicht Ursa- che haben, sich uͤber meinen Eigensinn zu beschwe- ren, das aͤusserliche Ansehen des Mannes moͤchte auch noch so schlecht gewesen seyn. Denn ich glaube, daß ein Frauenzimmer auf das Hertz sei- nes Freyers sehen muͤsse, weil ihr dieses allein ge- gruͤndete Hoffnung geben kann, daß sie in allen Umstaͤnden vergnuͤgt mit ihm leben werde. Jch der Clarissa. Jch bekenne indessen gegen Sie, daß, seit dem ich so verfolget und geaͤnstiget bin, es mir bis- weilen hat schwer fallen wollen, die Abneigung gegen Herrn Lovelace wegen seiner uͤbeln Ei- genschaften die ich mir wuͤnschte, zu behalten, wenn ich auf seine mittelmaͤßig guten Eigenschaf- ten gedacht habe. Sie meinen, daß ich mir seine gute und seine schlimme Seite schon auf dem Fall, wenn ich die seinige werden solte, vorgestellet haben muͤsse. Jch gestehe es, daß ich dieses gethan habe: und auf den Befehl meiner besten Freundin will ich melden, was dabey in meinem Gemuͤth vorgegangen ist. Zuerst kommt seine gute Seite, und alle die Betrachtungen, die zu seinem Vortheil gereichen. Als er den ersten Zutrit in unserm Hause be- kam, ward er deswegen gelobet, weil er gewisse Laster nicht an sich hat. Er ist kein Spieler: kein Pferde-Wetter: kein Jaͤger von Handwerck: kein Trunckenbold. Fran Hervey hatte uns im Vertrauen von diesem letzten Laster einen solchen Begriff gemacht, daß wir davon viel unange- nehme Folgen besorgeten, die eine Frau am mei- sten treffen: und die gesunde Vernunft lehrete uns, daß man bey einer zu treffenden Wahl ge- wiß hauptsaͤchlich auf die Tugend der Maͤßigkeit zu sehen haͤtte, da aus der Trunckenheit taͤg- lich so vieles Ungluͤck entstehet. Jch erinnere mich noch, daß meine Schwester diesen vortheilhaften Umstand von grosser Wichtigkeit zu seyn glaubte, so lange sie noch auf ihn hoffete. Nie- Die Geschichte Niemand hat ihn je fuͤr einen Knicker gehalten: niemand hat ihm das Lob der Freygebigkeit abge- sprochen. So genau man sich auch um seine Um- staͤnde bekuͤmmerte, so kam doch nicht heraus, daß er ein Verschwender sey. Sein Hochmuth, der in so fern loͤblich ist, bewahrte ihn vor diesen La- stern. Wenn er sich vergangen hatte, so ließ er sich uͤberzeugen, und gestand seinen Fehler. Er machte aus goͤttlichen Wahrheiten kein Gespoͤtte, wie der armseelige Wyerley, der zu glauben schien, daß der Witz darin bestuͤnde, w en n man etwas vor- bringen koͤnnte, daruͤber sich ein ernsthaftes Ge- muͤth entsetzen muͤßte. Gegen seine Auffuͤhrung in unserm Hause war nichts einzuwenden: man konnte sagen, daß er recht zuͤchtig sey. Seine uͤbri- ge Auffuͤhrung mochte beschaffen seyn, wie sie wollte; so sahe man doch, daß er durch gute Gesellschaft gebessert werden koͤnnte, und daß er in boͤser Gesellschaft mehr der Verfuͤhrte als der Verfuͤhrer seyn muͤsse. Eine noch neue Geschichte, was nehmlich am vorigen Sonnabend vorge- gangen ist, hat mir in Absicht auf seine untadel- hafte und recht maͤnnliche Auffuͤhrung einen noch viel bessern Begriff von ihm beygebracht. Jn Absicht auf das Herkommen und Geburt hat er den Vorzug vor allen denen, die fuͤr mich in Vorschlag gebracht sind, wenn man ihn nach seiner eigenen Regel, die Jhnen so wohl gefiel, be- urtheilen soll: wer von wahrhaftig hohem Herkom̃en sey, und Verstand habe, der mache so wenig Geraͤusch mit seinem Stande, als der Clarissa. als er mit den Handschuhen: (ein ihm eigener Ausdruck, den er auf die ungezwungenste Weise vorzubringen pflegt) hingegen die reichen Erd- Schwaͤmme die hoch gewachsen, waͤren an dem Bauren-Stoltz bald zu kennen. Wenn wir ihn hiernach beurtheilen sollen, so werden wir das ihm guͤnstige Urtheil faͤllen muͤssen, daß er weiß, was fuͤr eine Auffuͤhrung Leuten von Stande geziemet, er mag nach seiner Einsicht handeln oder nicht. Jndessen bestehet schon die halbe Besserung in Erlangung richtiger Einsichten. Das Vermoͤgen, das er wircklich besitzt, ist ar- tig; und was er noch zu erwarten hat, das ist sehr groß und ansehnlich. Hievon braucht also weiter nichts gesagt zu werden. Einige wenden gegen ihn ein: er wuͤrde ohn- moͤglich ein liebreicher und zaͤrtlicher Ehemann seyn koͤnnen. Fuͤr diejenigen schickt es sich schlecht, ei- ne solche Einwendung zu machen, die mir einen Menschen wie Solmes auf gewaltsahme Art aufdringen wollen. Allein nun muß ich Jhnen auch melden, was mir fuͤr eine Antwort gegen diese Einwendung beygefallen ist: denn Sie muͤs- sen sich erinnern, daß ich noch bey dem Theil seiner Eigenschaften bin, die zu seinem Lobe oder Ent- schuldigung gereichen. Es wird grossentheils auf seine Frau ankom- men, was sie fuͤr Zeit bey ihm hat. Sie muß viel- leicht es versprechen und halten, daß ihr Wille ei- nem Manne, der so wenig gewohnt ist, sich einre- den zu lassen, unterworffen seyn soll, und sie muß Erster Theil. F f suchen Die Geschichte suchen ihm gefaͤllig zu seyn. Allein wo ist ein Ehemann, der das nicht fodert? sonderlich, wenn er sich nicht schmeicheln kann, daß ihn die Frau in dem unverheyratheten Stande geliebet und allen uͤbrigen Freyern vorgezogen hat. Wie viel leich- ter muß ihr aber seyn, einem Mann den sie selbst gewaͤhlt hat, wenn er auch mannigmahl un- billige Dinge fodern sollte, Gehorsahm zu leisten, als einem solchen, den sie gewiß nicht wuͤrde ge- nommen haben, wenn sie es haͤtte aͤndern koͤnnen? Manns-Leute haben das Trauungs-Formular aufgesetzt, und den Gehorsahm als eine Pflicht der Frauens-Leute mit hinein geruͤckt. Mich duͤnckt daher, wenn eine Frau verstaͤndig handeln will, so muß sie ihre Pflichten nicht uͤbertreten, es mag ihr auch dieses Stuͤck derselben so laͤcherlich und unge- reimt vorkommen als es will: damit es dem Man- ne, der doch in seiner eigenen Sache Richter ist, nicht einfallen moͤge, andere Pflichten auch auf die leichte Schulter zu nehmen, an denen ihr mehr ge- legen ist. Jn der That aber glaube ich, daß uns kein vor dem Altar gethanes Geluͤbde geringe scheinen muß. Was muͤßte das aber fuͤr ein Unmensch seyn, der einer Frau hart begegnen koͤnnte, die nach die- sen Grundsaͤtzen handelt? Wird Lovelaces Frau die eintzige ungluͤckliche Person in der Welt seyn, der er undanckbahr und unhoͤflich begegnen kann? Man leugnet nicht, daß er ein braver Mann sey, der Hertz im Leibe hat: wo ist aber ein Mann der beydes Hertz und Verstand gehabt hat, gantz boͤse und der Clarissa. und lasterhaft gewesen? Wie unentbehrlich aber die Zaͤrtlichkeit unseres Geschlechts und die Art wie wir erzogen werden, uns einen muthigen Be- schuͤtzer und eine edelmuͤthige Gesellschaft macht, dadurch wir aufgerichtet und nicht niedergeschla- gen werden, kann man unter andern daraus sehen, daß wir schon von Natur in diesen Character ver- liebt sind, wenn wir ihn bey Manns-Personen antreffen. Werde ich zu befuͤrchten haben, daß er mich auf meine Stube einsperret? daß er mir den Um- gang und den Briefwechsel mit meinen besten Freundinnen untersaget? daß er mir die Haushal- tung nimmt, wenn ich nichts darin versehen habe? daß er eine Magd uͤber mich setzt, und ihr erlaubt mich zu kraͤncken. Da er selbst keine Schwester hat, wird er etwa den Fraͤuleins Montague erlauben, uͤber mich mit harter Hand zu herrschen? oder wer- den diese eine solche Erlaubniß annehmen und ge- brauchen? das darf ich alles nicht befuͤrchten. Jch werde deswegen oft heimlich unwillig uͤber meine grausahmen Freunde, daß sie mich in Versuchung fuͤhren, mir eine Erfahrung von dem Unterscheid ihrer und seiner Auffuͤhrung gegen mich zu wuͤn- schen. Jch finde endlich in meinem Hertzen ein gehei- mes Vergnuͤgen, das sich daruͤber regen wuͤrde, wenn ich einen solchen Mann wider auf den Weg der Tugend bringen koͤnnte; und wenn ich dadurch, daß ich die Seinige wuͤrde, ein Neben-Mittel zu seiner Errettung und zur Verhuͤtung so vieles Un- gluͤcks wuͤrde, das sonst von einem so dreisten und F f 2 alles Die Geschichte alles wagenden Menschen zu befuͤrchten ist. So oft ich ihn auf dieser guten Seiten angese- hen, und bedacht habe, daß ein verstaͤndiger Mann seinen Jrrthum eher einsehen wird, als ein ande- rer; so muß ich ihnen gestehen, daß ich grosse Versuchung gehabt habe, das zu thun, wovon man mich auf eine so gewalsahme Weise abhaͤlt. Alle Herrschaft uͤber mein Gemuͤth, welche man fuͤr die Haupt-Tugend angesehen hat, die ich in so jungen Jahren besaͤsse, ist kaum hinlaͤnglich ge- wesen, mich zuruͤck zu halten. Die Liebe seiner Anverwanten gegen mich, un- ter denen keiner ist gegen den etwas einzuwenden waͤre, ihn allein ausgenommen, hat viel dazu beygetragen, den Ausschlag auf die gute Seite zu lencken. Allein nun folget auch die schlimme Seite, und alles das was in meinem Gemuͤth gegen ihn streitet. Wenn ich das Verbot meiner Eltern bedencke, das liederliche Ansehen, das es vor der Welt haben wuͤrde, wenn meine Wahl ihn traͤffe; die Unwahrscheinlichkeit, daß jemahls die Wiedrig- keit auf hoͤren wird, die durch die Schlaͤgerey staͤr- cker geworden ist, und noch taͤglich durch meines Bruders Kunst zunimmt; die Nothwendigkeit, auf ewig mit den Meinigen im Streit zu leben, und zu ihm zu fluͤchten und ihn fast auf die Art zu nehmen, als wenn ich diese Verbindung fuͤr eine Wohlthat und Gluͤck anzusehen haͤtte; seinen Wi- derwillen gegen uns, der eben so starck ist, als der Widerwille der Meinigen gegen ihn; den Haß der seine und unsere Familie um seinet willen trennet; sei- der Clarissa. seinen uͤblen Charackter in Absicht auf unser Ge- schlecht, welcher macht, daß ich den Gedancken, mich mit ihm zu verbinden, schon vor eine grosse Befle- ckung des Gemuͤts halten muß; seine Jugend und ungebrochenen Kopf und Leydenschaften, seine Heftigkeit, die doch nicht ohne List ist, und wie ich fuͤrchte auch nicht ohne Rachgier; die Gefahr, daß ein solcher Mann mir andere Grundsaͤtze beybrin- gen koͤnnte, dadurch ich meine ewige Wohlfarth verschertzen wuͤrde: den wenigen Eingang den die Ermahnungen seiner tugendhaften Basen und ei- nes Onckles bey ihm haben, ob er gleich von ihnen so viel zu gewarten hat: daß alle seine mittelmaͤßig- guten Eigenschaften Fruͤchte des Hochmuths und nicht der Tugend sind; daß er zwar nichts gegen die Sitten-Lehre saget, und kuͤnftige Belohnun- gen und Straffen glaubet, dabey aber so handelt, als wenn er jene verschmaͤhete, und diesen trotzen wollte; daß diese freye Lebens-Art sehr leicht auf seine Nach kommen fortgepflantzet werden kan; und endlich, daß ich, da ich alles dieses weiß, weniger Entschuldigung haben werde, als eine andere, die es nicht weiß, weil eine wissentliche Vergehung im- mer weit straffbarer ist, als eine Unwissenheits- Suͤnde: wenn ich alles dieses uͤberlege, so finde ich mich gezwungen Sie zu beschwoͤren, daß Sie fuͤr mich und mit mir beten sollen, daß ich nicht moͤge getrieben werden, aus Verzweiffelung einen Schritt zu thun, den ich vor meinem eigenen Ge- wissen nicht entschuldigen koͤnnte. Denn auf dessen Ausspruch kommt es hauptsaͤchlich an: das Ur- F f 3 theil Die Geschichte theil der Welt kann auch mit in Betrachtung gezogen werden, allein es bleibt nur eine Ne- ben-Betrachtung. Jch habe ihm zum Ruhm nachgesagt, daß er seine Fehler gern erkennet. Allein ich habe ost von diesem Lobe einen grossen Abzug machen muͤs- sen, weil ich befuͤrchte, daß diese Bereitwilligkeit und Ausrichtigkeit aus zweyen Quellen herzuleiten ist, die ihm zu schlechtem Ruhm gereichen. Viel- leicht haben seine Untugenden sich der Herrschaft uͤber ihn so bemeistert, daß er sich nicht mehr unter- steht, sie zu bestreiten: vielleicht giebt er auch aus Verschlagenheit einen Theil seines guten Nah- mens verlohren, um den andern Theil dadurch zu retten, weil er auch den nicht verdienet. Denn durch Erkaͤnntniß seiner Fehler kann er mancher Nach- rede den Mund verstopfen, die er zu beantworten nicht im Stande ist; und er erhaͤlt dadurch den Ruhm der Aufrichtigkeit, weil er keinen andern Ruhm erhalten kann. Vielleicht kaͤme noch mehr Boͤses von ihm heraus, wenn er auf Beweiß drin- gen wolte. Dieses ist zwar ein sehr stenger und ta- delsuͤchtiger Verdacht: allein es kann nicht alles falsch seyn, was seine feinde von ihm sagen. Jch will bald weiter fort fahren. Wir haben ihn oft fuͤr einen Menschen von munterm Verstande allein ohne viel Nachdencken und tieffe Absichten angesehen: allein zu anderer Zeit kam er uns so unergruͤndlich vor, als irgend ein Mensch von der Welt seyn kann. Wenn wir bey der Clarissa. bey dem einen Besuch glaubten ihn gantz ausge- forschet zu haben, so mußten wir das naͤchstemahl unsere Muͤhe fuͤr verlohren ansehen. Dieses gehoͤrt gewiß mit zu seiner schwartzen Seite. Sie sind in der Haupt-Sache in sofern auf seiner Seite gewe- sen, daß Sie eine allzugrosse Freymuͤthigkeit fuͤr seinen Haupt-Fehler ausgegeben haben, nebst ei- ner allzugrossen Nachlaͤßigkeit seinen guten Nah- men zu erhalten, und einer Leichtsinnigkeit, die ihn verhindert versteckt zu seyn. Sie glaubten, daß sein Hertz um die Zeit gut sey, wenn er etwas gu- tes redet: alleine seine Leichtsinnigkeit und Veraͤn- derlichkeit haͤtten den Grund in seiner Leibes-Be- schaffenheit und guten Gesundheit, und in einer Seele, die sich zu so einem Leibe unvergleichlich schickte und vollkommen mit ihm zufrieden sey. Sie machten hieraus den Schluß, wenn nur diese Ue- bereinstimmung des Leibes und der Seelen eine gute Richtung bekommen koͤnnte, d. i. wenn seine Lebhaftigkeit nur durch die Sitten-Lehre einge- schraͤnckt wuͤrde; so wuͤrde man in seiner Ge- sellschaft das Leben vergnuͤgt zubringen koͤnnen. Jch habe oft geantwortet, und ich bin noch jetzt der Meinung, daß er nicht das gute H ertz hat, das er haben sollte: und wenn ihm dieses mangelt, so mangelt ihm alles. Fehler, die bloß Jrrthuͤ- mer des K opfes sind, koͤnnen gebessert werden: allein wer kann ein bessers Hertz geben, weñ es dar- an fehlet? Bloß eine solche goͤttliche Gnade, die ei- nem Wunderwercke sehr nahe kommt, kann ein boͤses Hertz aͤndern. Sollte man nicht billig vor dem F f 4 Manne Die Geschichte Manne fliehen, den man nur in einem solchem Verdacht haben muß? Wie uͤbel, wie unver- antwortlich handeln Eltern, wenn sie ein Kind zwingen, bessere Gedancken von einem Manne zu fassen, den es sonst kaum fuͤr mittelmaͤßig angesehen haben wuͤrde, damit es eine unertraͤg- lichere Parthey vermeyden moͤge! Jch habe gesagt, daß ich ihn fuͤr rachgierig an- sehe. Es ist mir in der That oft der Gedancke beygefallen, das vielleicht seine Bestaͤndigkeit in der Zuneigung zu mir dadurch vermehrt worden sey, weil er findet, daß dieses den Meinigen sehr verdruͤßlich ist. Von der Zeit an, da er dieses gemerckt hat, ist er viel eyfriger geworden, ohne sich um die Gunst der Meinigen zu bewerben, denen er vielmehr Trotz bietet. Er will zwar, daß ich hieraus schliessen soll, daß er keine gewinnsuͤch- tigen Absichten habe: denn das kann er nicht ver- langen, daß ich es fuͤr ein Zeichen seiner Wohlge- zogenheit ansehen soll. Zu jenem giebt ihm das einen Vorwand, daß er wohl weiß, daß die Mei- nigen im Stande sind eine demuͤthige Hoͤflichkeit genugsahm zu belohnen. Es ist wahr, er sagt mit gutem Grunde, daß die allerdemuͤthigste Unter- werffung von den Meinigen nicht angenomen wer- den wuͤrde: (und wenn dieses nicht waͤre, so waͤre es mir auch nicht moͤglich, mit ihm Geduld zu ha- ben) er erbietet sich auch um meinetwillen dazu, daß er eine Aussoͤhnung suchen wollte, wenn ich glaub- te daß er etwas erhalten koͤnnte. Sein Betragen in der Kirche scheint mir nicht voͤllig untadelhaft zu der Clarissa. zu seyn: wenn gleich seine Absicht demuͤthig genug war, so muß er doch in Gebeerden hochmuͤthig ge- wesen seyn, sonst wuͤrde es Schorey, die seine Wiedersacherin nicht ist, ihm nicht Schuld gege- ben haben. Jch glaube nicht, daß er das menschliche Hertz und die Sitten-Lehre so gut verstehet, als einige von ihm glauben. Erinnern Sie sich noch wohl, wie ihn die gewoͤhnliche Anmerckung in Verwunde- rung setzte, die er aus einem jeden Sitten-Leh- rer haͤtte lernen koͤnnen; als er sich auf eine dro- hende Weise uͤber die uͤbeln Nachreden beklagte, die man gegen ihn aussprengete. Jch sagte ihm damahls: „wenn er unschuldig waͤre, so koͤnnte er „diese Nachrede verachten: waͤre er aber schuldig, „so wuͤrde er durch die Rache nicht unschuldig „werden. Der Degen koͤnnte nicht als ein „Schwamm gebraucht werden. Es stuͤnde bey „ihm selbst, durch Verbesserung des Fehler s , den „ihm ein Feind Schuld gaͤbe, den Feind als einen „Freund zu gebrauchen, und zwar wider dessen „Willen, welches eben die edelste Rache sey. „Denn sein Feind wuͤnschte wahrhaftig nicht, „daß er von den Fehlern rein seyn sollte, die er an „ihm tadele.„ Er antwortete: der Vorsatz seines Feindes sey schon eine Wunde fuͤr ihn. Und ich fragte ihn: „wie das seyn koͤnnte? Der blosse Vorsatz ohne „Nachsatz koͤnne ja nicht verwunden! Sein Feind „halte den Degen gleichsahm in der Hand, er „aber richte ihn auf die Brust! Ob er Ursache „haͤtte uͤber den boͤsen Wille n seines Feindes bis F f 5 „auf Die Geschichte „auf den Tod zu zuͤrnen, wenn ihm dieser boͤse „Wille Lebens-lang nuͤtzlich seyn koͤnnte?„ Wie kan der so viel nuͤtzliche Belesenheit haben, als man man von ihm saget, der sich uͤber so ge- meine Regeln der Sitten-Lehrer verwundert? Es kann nicht fehlen, er flndet ein Vergnuͤgen in der Rache, ob er gleich die Rachgier an andern tadelt. Er ist nicht der eintzige, der das Laster an andern in seiner schwarzen Gestalt siehet, das er bey sich fuͤr keinen Fehler achtet. Um dieser Ursachen und um dieses Ausschlages willen schrieb ich ehe mahls, daß ich um aller Welt willen in ihn nicht verliebt seyn moͤchte. Jch uͤber- schritt vielleicht schon die Gebote der Klugheit, als ich gleichsahm mit ihnen handeln, und mir ei- ne bedungene Neigung zu ihm vergoͤnnen woll- te, daruͤber Sie sich so sehr lustig gemacht haben. Mich duͤnckt ich hoͤre schon, daß Sie antwor- ten: was dient alles dieses zur Sache? Diß sind die Gruͤnde auf beyden Seiten: bin ich aber ver- liebt, so bleibe ich ihrer ohngeachtet verliebt. Mit der Liebe ist es eben so als mit der Schwermuth: je weniger man die Ursachen davon angeben kann, desto tieffere Wurtzel hat sie geschlagen. Sie wer- den mich also von neuen ermahnen, keine Geheim- nisse zu machen, sondern frey heraus zu beichten. Wenn Sie es denn einmahl haben wollen, so gestehe ich, daß er mir ohngeachtet aller seiner uͤber- wiegenden Fehler dennoch besser gefaͤllt, als ich ge- dacht hatte, daß er mir jemahls gefallen wuͤrde; und vielleicht besser, als mir ein Mann der so viel Fehler der Clarissa. Fehler an sich hat billig gefallen sollte. Jch halte es fuͤr moͤglich, daß meine Verfolger mich dahin bringen, daß er mir kuͤnftig noch besser gefaͤllt: sonderlich nachdem ich mich unserer letztern Unter- redung zu seinem Vortheil erinnern kann, und ich von der andern Seite taͤglich neue Proben der Tyranney erfahre. Mit einem Wort, ich will es frey gestehen, (weil Sie doch nichts was ich sage fuͤr gar zu deutlich und offenhertzig halten koͤnnen) daß ich ihn jetzt allen Manns-Personen, die ich je- mahls gesehen habe, vorziehen wuͤrde, wenn ich ihn nur fuͤr tugendhaft halten koͤnnte. Das ist denn doch nur eine bedungene Nei- gung! werden Sie sagen. Jch hoffe auch nicht, daß meine Neigung weiter gehet. Jch bin noch nie verliebt gewesen, darum werden Sie besser als ich entscheiden koͤnnen, ob ich jetzt verliebt zu nen- nen sey. Bin ich aber jetzt verliebt, so scheint mir die Liebe nicht eine so unuͤberwindliche Macht zu haben, als man ihr gemeiniglich zuschreibet; oder man muß ihr erst mehr Freyheit gelassen haben als ich, wenn sie unuͤberwindlich wird. Denn ich weiß gewiß, daß ich mich von dem einen Freyer, um den andern zugleich los zu werden, los sagen koͤnnte, ohne daß mir das Hertz ein eintziges- mahl dabey schlagen sollte. Allein den Schertz bey Seite gesetzt: haͤtten ja meine ungluͤcklichen und bedraͤngtẽ Umstaͤnde mich zu einer Neigung gegen Lovelacen getrieben oder verleitet, und waͤre aus dieser Neigung eud- lich gar eine Liebe geworden: so haͤtten Sie doch Jhre Die Geschichte Jhre ungluͤckliche Freundin durch Jhren losen Schertz uͤber eine so empfindliche Sache nicht so aͤngstigen sollen, als Sie gethan haben; Sie, de- ren Hertz empfindet was Zaͤrtlichkeit und Freund- schaft ist, die Sie so hohe Begriffe von der Ehre unseres Geschlechtes haben, und die Noth Jhrer Freunde als Jhre eigene Noth ansehen. Haͤtten Sie das wohl thun sollen? Da ich mich nicht einmahl verstecken wollte, und mich nicht huͤte, wol funfzig Stellen in meine Briefe einfliessen zu lassen, die mich verrathen? Es wuͤrde Jhrer Art mehr gemaͤß gewesen seyn, mich muͤndlich durch Jhren freundschaftlichen Spott zu aͤngsti- gen, wenn die Gefahr und Bedraͤngniß schon uͤberstanden gewesen waͤren, und ich meine ge- zwungene Sproͤdigkeit noch nachher haͤtte an- nehmen wollen. Allein dergleichen jetzt zu schrei- ben, und (wie ich Sie im Geiste sehe) mit einem tadelnden Auge voll Hohn gelaͤchter zu schreiben, scheint mir in der That nicht allzu artig zu seyn, sonderlich wenn es von einer so artigen Fraͤulein in einer so empfindlichen Sache geschiehet. Jch schreibe dieses nicht um mein selbst willen, denn ich liebe Jhren Schertz, sondern um Jhres eige- nen edlen Hertzens willen. Jch lege die Feder hier nieder, und bitte Sie, auch etwas im Lesen einzuhalten, und das erst zu uͤberdencken, was ich geschrieben habe. Nunmehr bin ich im Stande, die Feder wider zu ergreiffen, und Jhnen meine Meinung auf die Frage zu geben, wie viel unser Geschlecht bey ei- ner der Clarissa. ner zu treffenden Wahl auf das aͤussere und auf die Gestalt sehen muͤsse. Jch will die Frage erst uͤberhaupt, und denn insonderheit in Absicht auf Herrn Lovelacen beantworten. Sie werden hier- aus abnehmen koͤnnen, ob meine Freunde Recht oder Unrecht haben, wenn sie mir ein Vorurtheil zum Vortheil des einen und zum Nachtheil des andern vorwerfen, welches sich auf die Gestalt der beyden Freyer gruͤndet. Allein die Anmerckung muß voran gehen: wenn die Meinigen selbst Lo- velacen und Solmesen mit einander vergleichen, so finden sie allzustarcken Grund zu glauben, daß die Gestalt beyder einen Eindruck bey mir machen koͤnnte: und hieraus schliessen sie, daß sie wuͤrcklich einen Eindruck gemacht habe. Es erhaͤlt zum wenigsten die Wahl eines Frau- enzimmers den Beyfall der meisten Leute, und ge- reicht dem Frauenzimmer zur Ehre, wenn sich bey der gewaͤhlten Manns-Person auch eine angeneh- me Gestalt findet. Die Gestalt giebt uns ein gu- tes Vorurtheil von dem Jnneren der Person, das man richtig zu befinden wuͤnschet: und wenn die- ses Vorurtheil bekraͤftiget wird, so freuen wir uns, daß unser Urtheil richtig gewesen ist, und die Per- son gefaͤllt uns eben deswegen desto besser, weil sie unserer Geschicklichkeit, in dem Gesichte das Ge- muͤth zu lesen, zum Ruhm gereicht. Dem ohnge- achtet habe ich mir die Regel gemacht, auf allzu schoͤne Gesichter beyder Geschlechter einen Ver- dacht zu werfen: und ich habe mich nicht leicht in die- ser Regel betrogen, insonderheit bey dem andern Ge- schlecht, Die Geschichte schlecht, welches am meisten Ursache hat, seinen Ruhm nicht in der Gestalt sondern in den Vorzuͤ- gen des Gemuͤths zu setzen. Denn was unser Ge- schlecht anbetrifft, so wird die Welt ein schoͤnes Frauenzimmer doch immer entschuldigen, wenn es sich durch das Lob der Welt zur Eitelkeit und zum Hochmuth verleiten laͤßt, und weniger bekuͤmmert ist, die dauerhafteren Vorzuͤge des Gemuͤths zu erlangen. Denn, ich weiß nicht wie es zugehet, eine schoͤne Thoͤrin gefaͤllt uns doch in allem was sie thut und redet wohl. Wer wollte einer solchen artigen kleinen Thoͤrin ihre kurtze Zeit des Vergnuͤgens verderben! Jhr Sommer, indem sie wie ein Butter-Vogel pran- get, laͤufft doch mehr als zu bald zum Ende, und es folgt darauf ihr Winter, indem sie durch Al- ter und Runtzeln ungestalt wird, und es empfindet, daß sie ihren edelsten Theil nicht geschmuͤcket hat. Alsdenn wird ihr der Spiegel ein unertraͤglicher Tadler werden; und wenn sie weiter nichts ist als eine alte Frau, so wird sie alle Verachtungen, die einem bey diesem Nahmen einfallen, auszuste- hen haben. Bey einem verstaͤndigen Frauenzim- mer hingegen, das Tugend, Klugheit und nuͤtzli- che Erfahrung in die spaͤtern Jahre des Lebens mitnimmt, trit eine wahrhafte Ehrfurcht an die Stelle der Bewunderung, die es vorhin genossen hatte, und ersetzt allen Verlust uͤberfluͤßig. Wie weibisch laͤßt es fuͤr eine Manns-Person, wenn sie sich etwas auf ihre Gestalt einbildet? Wenn ein solcher Mensch Gemuͤths-Gaben hat, so pflegt der Clarissa. pflegt er sich doch mit Sachen, die den Verstand angehen nicht sehr zu beschaͤstigen. Das aͤusser- liche raubt ihm alle seine Sorgfalt und Aufmerck- samkeit; sein Nachdencken wird blos zu Erfindun- gen angewandt, die aͤussere Gestalt zu schmuͤcken, oder vielleicht in der That sie laͤcherlich zu machen. Alles was er thut, das thut er um sein selbst wil- len: alles was er bewundert, das ist er selbst: so oft auch die Schau-Buͤhne den Stutzer laͤcherlich abzubilden und dadurch zu bessern sucht, so pflegen solche Leute sich doch gemeiniglich durch diese Thor- heit zu erniedrigen, und werden dadurch bey dem einen Geschlecht veraͤchtlich, und bey dem andern der Zeit-Vertreib, wenn es sich uͤber sie lustig macht. So geht es gemeiniglich mit den geputzten arti- gen Mannsleuten; darum widerhohle ich mein Urtheil, daß die blosse Gestalt der Mannsleute ein Bewegungs-Grund der Zuneigung zu ihnen sey, dessen sich ein Frauenzimmer billig schaͤmen soll. Wenn aber ein Mann ausser dem guten Ansehen auch so viel gelernt hat, und so viel andere Vor- zuͤge besitzt, daß er auch bey schlechterem Ansehen dadurch geehret werden wuͤrde: so ist die Gestalt ein Neben-Vorzug. Er verdient alsdenn in der That Hochachtung, wenn er kein allzu grosser An- beter von sich selbst ist, und Tugend besitzet. Herr Lovelace hat in der That einen guten Geschmack, und weiß, so viel ich mercken kann, von allem was zu den schoͤnen Wissenschaften gehoͤrt wohl zu urtheilen. Ob er aber gleich einen Spaß uͤber sich selbst machen, und dadurch seine Einbil- dung Die Geschichte dung gluͤcklich genug verbergen kann; so bildet er sich doch auf seine Gestalt, Geschicklich keit und selbst auf seine Kleidung nicht wenig ein; wiewohl er die letztere so ungezwungen zu waͤhlen weiß, daß er fast gar nicht darauf zu dencken scheint. Was aber jene anlangt, so wuͤrde ich es mir nicht ver- geben koͤnnen, wenn ich durch meine Bewunde- rung veranlassete, daß er sich in den Dingennoch besser gefiele, aus denen er jetzt allzu viel zu machen scheint. Darff ich Sie nun fragen: ob ich Jhre Erwar- tung erfuͤllet habe? Jst es noch nicht geschehen, so will ich Sie voͤllig zu vergnuͤgen suchen, wenn ich aufgeraͤumter seyn werde. Denn mich duͤnckt, daß alle meine Gedancken etwas schweres und lah- mes haben, daß meine Schreib-Art kriechend ist, und alle Lebhaftigkeit der Einbildungs-Kraft ver- schwindet. Jch habe kaum die Lust, noch etwas zu schreiben, als nur dieses, daß alles was ich noch bin und habe meiner lieben Fraͤulein H owe zu Diensten stehet. Cl, H arlowe P. S. Die unverschaͤmte Elisabeth hat mich von neuen dadurch aufgebracht, daß sie mir fol- genden Ausdruck des eckelhaften Solmes erzaͤhle- „te: er waͤre wegen des sproͤden Maͤdchens ausser „Sorgen, und es sollte ihm dieser Sieg nicht viel „Muͤhe kosten. Wenn ich ihm zum voraus noch „so abgeneigt waͤre, so koͤnnte er sich doch auf „meine Tugend verlassen, und es sollte ihm eine „rechte Freude seyn zu sehen, wie es so artig „lassen der Clarissa. „lassen wuͤrde, wenn ich es nach und nach naͤ- „hern Kauff gaͤbe. (Der abscheuliche Kerl) Der „alte Ritter Oliver haͤtte die Welt vollkommen „gekannt, und haͤtte immer gesagt, Furcht „sey ein beßeres Mittel als die Liebe eine Frau zu „Beobachtung ihrer Schuldigkeit anzuhalten. „Er wollte inzwischen bey einer so artigen Per- „son zum wenigsten einige Wochen lang versuchen „was die Liebe ausrichten wuͤrde. Denn er „wollte das nicht gern glauben, was der alte „Herr zu sagen pflegte, daß die Liebe mehr schlim- „me als gute Weiber machte. Was duͤnckt Jhnen zu einem solchen Men- schen? Der noch dazu die Spruͤche des alten Fein- des aller Frauenzimmer des Ritter Olivers fuͤr goͤttlich haͤlt. Der ein und viertzigste Brief. von Fraͤultin Clarissa H arlowe an Fraͤulein Howe. Dienstags den 21ten Maͤrtz W ie gern wuͤrde sich meine Mutter guͤtig gegen mich erzeigen, wenn es ihr nur erlaubt waͤre. Jch bin gewiß verstchert, daß alle meine jetzigen Verfolgungen wegfallen wuͤrden, wenn man gegen sie die Achtung bewiese, die ihr schoͤner Verstand verdient. Jch weiß nicht ob ich es ihr, oder ihrer Erster Theil. G g Schwe- Die Geschichte Schwester oder beyden beymessen soll, daß die Guͤ- te nochmahls bey mir versucht ist. Diesen mor- gen uͤberbrachte mir Schorey folgenden guͤtigen Brief. Mein liebes Kind, So muß ich dich noch nennen. Denn du bist mir nicht allein lieb, sondern auch theuer, ich mag das Wort nehmen in welchem Verstande ich will. Wir haben einige Reden uͤberlegt, die der Frau Norton gestern entfallen sind, als haͤtten wir uns nicht genugsahm zu dir herabgelassen, und waͤren dir nicht so guͤtig und freundlich als sonst begegnet, da wir dir den Antrag des Herrn Solmes eroͤfne- ten. Sollten wir auch dieses nicht gethan haben, so gereicht es nicht zu deiner Entschuldigung, da du deine Pflicht vergessen und dich dem Willen deines Vaters in einer Sache, darin er nicht mehr mit Ehren zuruͤckgehen konnte, widersetzt hast. Al- lein es kann noch alles wider gut werden. Auf deinen Willen kommt jetzt unsere gantze Gluͤcksee- ligkeit und Ruhe an. Dein Vater giebt mir die Erlaubniß, dir zu melden, daß alles vergangene so vergessen werden soll, als waͤre es nie geschehen, wenn du von nun an seine Hoffnung in Gehorsahm erfuͤllest. Allein ich soll dir auch schreiben, daß dir dieses jetzt zum letz- ten mahl angeboten wird. Du wirst dich erinnern, daß ich dir schon vor- hin gesagt habe, daß Proben von den reichsten Stoffen verschrieben sind. Diese sind angekom- men; und dein Vater will haben, daß ich sie dir schi- der Clarissa. schicken soll, damit du sehen moͤgest, wie vest er sei- nen Entschluß gefasset hat. Jch wollte wuͤnschen, daß ich nicht noͤthig gehabt haͤtte, sie mit diesem Briefe zu uͤbersenden. Doch daran liegt so viel nicht. Jch kann dir nicht verhalten, daß ich nicht mehr glaube, daß man sich so sehr an deine Zaͤrtlich- keit kehren muͤsse, als ich mir sonst eingebildet habe. Diese Proben sind von der neuesten Mode und von den reichsteu Zeugen, die zu finden waren, so wie sie sich fuͤr unsern Stand und Mittel schicken, und zu dem was wir dir noch uͤber dein Gros-vaͤ- terliches Gut, und uͤber die Vortheile die dir Herr Solmes bewilliget, von deinem vaͤterlichen mit- zugeben gedencken. Dein Vater hat dir Stoffen zu sechs vollstaͤn- digen Anzuͤgen zugedacht, davon drey voͤllig verar- beitet werden sollen. Du hast noch einen gantz neuen Anzug Kleider, und einen den du nicht mehr als zweymahl wirst getragen haben, wo ich mich recht erinnere. Weil der gantz neue Anzug auch von reichen Stoffen ist, so steht dir frey, ob du den unter die sechs Kleidungen rechnen wilst. Jn sol- chem Falle wird dir dein Vater an dessen Stelle sechs hundert Rthlr. schencken. Herr Solmes gedenckt dich mit Juwelen zu be- schencken: da du aber noch deine und deiner Gros- Mutter Juwelen hast, so steht es abermahls bey dir, ob du sie von neuen nach der Mode se- tzen lassen und gebrauchen willst. Alsdenn will dir Herr Solmes an ihrer Stelle eine betraͤchtli- che Summe Geldes geben, die voͤllig dein eigen G g 2 seyn Die Gschichte seyn soll, ohne das was er dir jaͤhrlich unter dem Nahmen der Spiel-Gelder bewilliget hat. Du siehest hieraus, wie wenigen Grund deine Einwen- dungen gegen sein Gemuͤth haben, welches du dir doch auch schlimmer vorstellest, als es in der That ist: denn du wirst so wenig seiner Gnade leben duͤrfen, daß ich die Einrichtung die wir gemacht haben selbst nicht billigen wuͤrde, wenn ich mich nicht darauf verliesse, daß du verstaͤndig bist, und es nicht misbrauchen wirst. Jch habe zu Anfang und nachher groͤssere Mittel in die Familie gebracht, als Herr Solmes mit dir bekommen wird: allein du weissest, daß mir bey weiten nicht so viel Spiel- Gelder ausgesetzt sind, als wir von Herrn Solmes fuͤr dich erhalten haben. Wenn man nach eigener Wahl heyrathet, so pflegt man sich am wenigsten zum voraus zu bedingen. Es sollte mir indessen leyd thun, wenn du aus Liebe zu uns allen deine Abneigung nicht uͤberwinden koͤnntest. Wundere dich nicht, Claͤrchen, daß ich so deutlich und ohne alle Umschweiffe von dieser Sa- che schreibe. Deine Auffuͤhrung hat mich bisher gehindert, von diesen Dingen ausfuͤhrlicher mit dir zu sprechen. Du kannst aber doch keinen Zweifel mehr haben, was geschehen werde oder solle, nach- dem ich dir muͤndlich so viel gesagt, und deine On- ckles sich schrifftlich gegen dich erklaͤrt haben. Ent- weder, mein Kind, der Gehorsahm gegen uns muß wegfallen, oder du mußt von deinen Ein- faͤllen abstehen. Daß wir das erstere zugeben sollen, wirst du doch nicht erwarten: wir aber ha- ben der Clarissa. ben alle Ursachen in der Welt, zu erwarten, daß das letztere geschehe. Du weißt, daß ich es dir mehr als einmahl gesagt habe: du mußt dich ent- weder entschließen, Herrn Solmes zu nehmen, oder du mußt aufhoͤren, unser Kind zu seyn. Die Ehestifftung kannst du zu sehen bekommen, so bald es dir selbst beliebet. Wir glauben, daß es nicht moͤglich ist, Einwendungen dagegen zu er- dencken. Es sind noch einige Bedingungen zum Vortheil unserer Familie eingeruͤckt, die zu An- fang nicht in der Ehestifftung gestanden haben, als meine Schwester mit dir davon geredet hat: Be- dingungen, die wir uns nicht wuͤrden unterstanden haben zu fodern. Wenn du im Durchlesen findest, daß eine Veraͤnderung noͤthig seyn moͤchte, so soll sie gemacht werden. Mein liebes Kind, schicke doch heute oder morgen zu mir, oder hohle lieber selbst die Ehestiftung bey mir ab. Du mußt dich nicht wundern, daß die Hochzeit bald angesetzt ist: nachdem jemand sich in unserer Kirche hat blicken laßen, und allerhand Dinge vorgiebt, dadurch wir in große Unruhe und Sorge gesetzt sind; und diese unsere Unruhe von Tage zu Tage zunehmen muß, so lange du unver- heyrathet bleibest. Wir haben auf heute uͤber vierzehn Tage die Hochzeit anzusetzen gedacht, wenn du keine Einwendung dagegen hast, die ich billi- gen kann. Wenn du dich in der Hauptsache so entschliessest, als wir es wuͤnschen, so soll es uns auf eine Woche nicht ankommen. G g 3 Dein Die Geschichte Dein aͤnsserliches kann zwar verursachen, daß einigen diese Parthey zu ungleich und zu schlecht vorkommt. Allein ich hoffe, daß du nicht in deine eigene Gestalt verliebt seyn wirst: ich wuͤrde mich sonst weniger daruͤber wundern, wenn man sagt, daß die Gestalt eines andern Mannes dich einge- nommen habe; so wenig auch sonst bey einer gluͤcklichen Heyrarh auf die Gestalt ankommt. So muͤssen wir Eltern davon urtheilen. Wir ha- ben unsere beyden Toͤchter gleich lieb: warum soll- te denn Claͤrchen eine Parthey fuͤr sich fuͤr zu schlecht ansehen, die fuͤr Arabellen nach ihrem o- der nach unserm Urtheil nicht zu schlecht gewesen seyn wuͤrde, wenn die Anwerbung an sie gekom- men waͤre? Du wirst dieses verstehen, ohne daß ich mich deutlicher erklaͤren darf. Melde uns demnach, daß du unsern Wunsch als ein gehorsahmes Kind erfuͤllen willst. Deine Gefangenschaft soll sogleich zum Ende seyn: alle deine vorige Halsstarrigkeit und Ungehorsahm soll vergeben und abgethan seyn; und du wirst uns von neuen durch dich gluͤcklich machen, einer wird uͤber den andern froͤlich seyn. Du darfst in solchem Fall nur gerade zu deinem Vater und zu mir in deines Vaters Studier-Stube herunter kommen, um uns deine Meinung von den Proben zu sagen, und unsere Vergebung und Seegen zu empfangen. Komm, sey ein gutes Kind, meine Claͤrchen, wie du sonst immer gewesen bist. Ungeachtet mich dein voriges Betragen haͤtte abschrecken koͤnnen, u. ungeachtet dessen, daß jemand meint es sey nichts bey der Clarissa. bey dir auszurichten; so habe ich es doch noch ein- mahl gewaget, fuͤr dich gut zu sagen. Mache mei- ne Hoffnung nicht zu Schanden mein liebes Kind. Jch habe versprochen niemahls widerum Mittle- rin zwischen deinem Vater und dir zu werden, wenn dieser Versuch fruchtlos ablauffet. Jch er- warte dich unten, meine Liebe: und dein Vater er- wartet dich auch. Allein laß ihn nicht in einer Mine mercken, daß du ungern Gehorsahm leistest. Wenn du kommst, so will ich dich mit so vieler Freude an meine muͤtterliche Brust druͤcken, als ich noch niemahls empfunden habe. Du glaubst nicht, was ich in den vergangenen Wochen habe aus- stehen muͤssen, und du wirst es auch nicht glauben koͤnnen, bis du selbst in meine Umstaͤnde kommst, und weißt wie einer liebreichen Mutter zu Muthe ist, die Nacht und Tag dafuͤr betet und sich darum bemuͤhet, den Frieden und die Einigkeit ihres Hau- ses zu erhalten, wenn ihn andere haͤrtere Gemuͤ- ther stoͤren. Du weißt die Bedingungen. Nahe dich uns nicht, wenn du ungehorsahm bleiben willst. Doch das kannst du nicht seyn, wenn du diesen Brief liesest. Wenn du so gleich kommst, und mit einer so froͤhlichen Gebeerde, in der ein gehorsahmes Hertz abgemahlet ist, (denn du weißt, daß du mir gesagt hast dein Hertz sey ungebunden) so will ich dir die zaͤrtlichsten Proben davon geben, daß ich bin Deine wahrhaͤftig liebreiche Mutter G g 3 Sie Die Geschichte Sie koͤnnen dencken, wie sehr mich dieser Brief ruͤhren musste, dessen fuͤrchterlicher Jnhalt mir so liebreich an das Hertz geleget ward. Setzen Sie sich einmahl an meine Stelle. Jch dachte mit Schmertzen bey mir selbst: warum soll ich einen so beschwerlichen Kampf zwischen der Unmoͤglichkeit diesen Befehl zu erfuͤllen, und zwischen so guͤtigen, so herabgelasienen, so beweglichen Worten einer Mutter, erfahren. Jch glaube, ich haͤtte mich gern lassen vor den Altar fuͤhren, wenn ich nur zum voraus versichert seyn koͤnnte, daß ich vor dem Al- tar sterben wuͤrde, ehe die Trauung vollzogen waͤ- re, und dem Solmes ein Recht uͤber mich gege- ben haͤtte. Allein wenn ich daran dencke, daß ich mit einem Manne mein Leben zubringen soll, und fuͤr einen Mann leben soll, der mir unleydlich ist! wie hart ist das! Wie kann man die Pracht der Kleider fuͤr einen Bewegungs-Grund halten, dadurch ich geruͤhret werden soll? da ich immer geglaubt habe, daß ei- ne rechtschaffene Frau ihren Leib in keiner andern Absicht mit Kleidern schmuͤcken muͤsse, als ihrem Manne zu gefallen, und seine Wahl bey andern die sie sehen zu rechtfertigen; und daß sie sich dabey huͤten soll, nicht anderer Augen auf sich zu ziehen. Muͤssen nicht selbst diese reichen Stoffe meinen Un- muth veremehren? Wer kann ohne Misvergnuͤgen darauf dencken, sich zu putzen um Herrn Solme- sens werth zu seyn? Es war mir ohnmoͤglich auf die vorgeschriebene Bedingung hinunter zu gehen. Koͤnnen Sie es fuͤr der Clarissa. fuͤr moͤglich halten? Wenn ich haͤtte schreiben wol- len, und wenn mein Brief wuͤrdig geachtet waͤre gelesen zu werden; so frage ich, was konnte ich schreiben, das Eingang finden koͤnnte, und das ich nicht schon vergeblich geschrieben haͤtte? Jch gieng in der Stube auf und nieder, und warf die Pro- ben mit Unmuth hin. Bald gieng ich in mein Closet, und bald wieder heraus, bald warf ich mich auf das Canapee, denn auf diesen bald auf einen andern Stuhl, und ging von einem Fenster zum andern. Jch wußte nicht was ich anfangen sollte, und da ich in solcher Verwirrung den Brief nochmahls las, kam Elisabeth und erinnerte mich auf Befehl, daß meine Eltern auf mich in meines Vaters Studier-Stube warteten. Jch antwortete: sagt meiner Mutter wieder, ich baͤte mir die Ehre aus, ihr entweder hier, oder wo sie es sonst befehlen wuͤrde, auf einen Augenblick allein aufzuwarten. Jch horchete oben an der Treppe, was erfolgete. Jch hoͤrete meinen Vater mit einer zornigen Stim- me rufen: da siehst du es, mein Kind! Alle deine Herablassung ist jetzt eben so uͤbel angewandt, als vorhin deine Guͤtigkeit. Du beschuldigest deinen Sohn, daß er allzu heftig sey, wie du es nennest: (dieses zu hoͤren gereichte mir noch zu einem heim- lichen Vergnuͤgen) allein du siehst, daß auf ande- re Weise nichts bey ihr auszurichten ist. Du sollst sie nicht allein sprechen. Darf das verwegene Maͤd- chen darum eine Einwendung machen, nicht zu kommen, weil ich mit dabey bin? G g 5 Meine Die Geschichte Meine Mutter sagte darauf zu Elisabeth: ant- wortet ihr, sie wuͤßte schon unter welchen Bedin- gungen sie zu uns kommen duͤrfte. Unter andern Bedingungen verlangte ich sie nicht zu sprechen. Sie brachte mir diese Antwort. Jch wollte Schreiben. Allein ich zitterte so, daß ich nicht schrei- ben konnte: und wenn auch meine Finger haͤtten schreiben koͤnnen, so wußte ich doch nicht, was ich schreiben sollte. Endlich brachte mir Elisabeth folgende Zeilen von meinem Vater. Ungehorsame und unartige Clarissa, Jch sehe daß du durch keine Herablassung zu bewegen bist. Deine Mutter soll und ich will dich nicht sprechen. Mache dich aber dem ohnge- achtet bereit, Gehorsahm zu leisten. Du weißt unsern Willen. Dein Onckle Anton, dein Bru- der und deine Schwester, und deine Vertraute die Norton, sollen dabey seyn, wenn du in der Ca- pelle auf Antons Gute und in der Stille getrauet wirst. Wenn Herr Solmes dich zu uns beglei- tet, und du in einer Gemuͤths-Fassung bist, wie wir sie wuͤnschen, so vergeben wir das vielleicht sie- ner Frau, was wir unserer unartigen Tochter nie- mahls vergeben koͤnnen. Da alles in der Stille geschehen soll, so kann fuͤr Kleidung und andere Nothwendigkeiten nachher gesorget werden. Ma- che dich also fertig, im Anfang der kuͤnftigen Wo- che nach meines Bruders Gut zu reisen. Wir wollen dich nicht sehen, bis alles vorbey ist: und wir haben deswegen eine kuͤrtzere Zeit angesetzt, damit der Clarissa. damit deine wohlverdiente Gefangenschaft, u. un- sere Unruhe die uns ein widerspaͤnstiges Kind macht nicht lange mehr waͤhren moͤge. Jch will keine Einwendungen anhoͤren: keine Briefe mehr anneh- men: von keinen Klagen wissen. Du sollst auch von mir weiter nichts hoͤren, bis du den Nahmen traͤgst, den du tragen sollst. Das schreibt dir, Dein erzuͤrnter Vater. Wenn es bey dieser Entschliessung bleibt, so werde ich meinen Vater gar nicht wider zu sehen bekommen. Denn ich will nimmer des Solme- sens Frau werden. Jch will sterben ehe es ge- schiehet. Dienstag Abends. Er, der Solmes, kam nach unserm Hause, als ich kaum meines Vaters Brief erhalten hatte: und ließ sich bey mir melden. Jch muß mich wun- dern, daß erso zuversichtlich ist. Jch antworte- te der Elisabeth: er mag vorher ein verlohrnes Kind bey Vater und Mutter wider aussoͤhnen: hernach kann ich vielleicht anhoͤren, was er zu sagen hat. So lange mich aber die Meinigen um seinet- wihen nicht sprechen wollen, so lange will ich ihn auch nicht sprechen, wenn er sein Gewerbe anzu- bringen hat. Elisabeth sagte: ich will nicht hoffen, Fraͤu- lein, daß ich das unten ausrichten soll. Er ist bey ihren Eltern. Jch: Die Gschichte Jch: ich bin aufs aͤusserste getrieben. Jch kann nichts haͤrteres mehr zu gewarten haben. Jch will ihn nicht sprechen. Mit dieser Antwort gieng sie hinunter. Es schien, sie stellete sich, als wollte sie nicht gern aus- richten, was ich gesagt hatte: es ward ihr darauf befohlen, nichts zu verheelen; und sie gab ihnen meine Antwort auf das vollstaͤndigste und nach- druͤcklichste. Wie fieng mein Vater an zu donnern! Es schien, daß sie alle in seiner Studir-Stube bey- sammen waren. Mein Bruder rieth, man sollte mich gleich aus dem Hause jagen, und mich Lo- velacen und meinem Schicksaal uͤberlassen. Mei- ne Mutter legte ein guͤtiges Wort fuͤr mich ein: ich konnte aber nicht verstehen, was es war: nur hoͤrte ich diese Antwort darauf: mein Kind, eine Frau von deinem Verstande kann nichts uner- traͤglicheres sagen, als dis. Cin ungehorsohmes Kind eben so zu lieben, als wenn es gehorsahm waͤ- re! Wer kann dabey Lust bekommen, gehorsahm zu seyn? Habe ich sie nicht sonst eben so lieb ge- habt, als du? und warum habe ich mich geaͤndert? Ach wenn doch Frauens-Leute einen Unterscheid zu machen wuͤßten! Eine liebreiche Mutter wird im- mer eine hartnaͤckige Tochter haben. Sie verwieß es der Elisabeth, (wie das Maͤd- chen selbst gestand) daß sie meine Antwort so voll- staͤndig wider gesagt haͤtte. Allein mein Vater sagte, sie waͤre dafuͤr zu loben. Sie der Clarissa. Sie sagt, er haͤtte im heftisten Zorn zu mir herauf kommen wollen, als er gehoͤret haͤtte, daß ich Herrn Solmes nicht sprechen wollte. Allein mein Bruder und meine Schwester haͤtten ihn vermocht, es nicht zu thun. Jch wuͤnschte, daß er es gethan, ja daß er mich umgebracht haͤtte, wenn es ohne Versuͤndigung von seiner Seiten haͤtte geschehen koͤnnen. Herr Solmes ließ es sich gefallen, (ich bin ihm sehr verbunden!) fuͤr mich zu bitten. Alles ist in Unruhe. Jch kann das Ende nicht uͤbersehen. Jch bin des Lebens uͤberdruͤßig. So gluͤcklich vor einigen Wochen, und jetzt so ungluͤck- lich! ‒ ‒ ‒ Meine Mutter hat mit Recht gesagt, daß ich einen harten Stand haben wuͤrde. P. S. Mein Bruder und meine Schwester ha- ben sich das einfaͤltige ungezogene Maͤdchen aus- gebeten; und verlangen, daß ich ihrer Zucht soll uͤbergeben werden. Mein Vater hat es schon be- williget, allein nicht meine Mutter: was fuͤr Grau- samkeit aber habe ich von ihrem Neid, Eifersucht und Bosheit zu gewarten, wenn sie diese Bitte erhalten! Jch werde es bald mercken koͤnnen, wenn sie ihnen soll zugestanden werden. Meine Base Dorothea Hervey hat mir dieses schristlich gesteckt, und das Zettelchen unweit von dem Holtz- Stalle hingelegt. Das liebe Kind will mich gern sprechen? allein es ist ihr untersagt, mich anders als Frau Solmes oder als Herr Solmes Braut zu sprechen. Die Bestaͤndigkeit und Unbeweg- lichkeit Die Geschichte lichkeit der Meinigen soll mir wahrhaftig zum Vorbilde dienen. Der zwey und viertzigste Brief. von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein Howe. J ch habe mit meiner Schwester einen heftigen Wortwechsel gehabt, und mich beynahe mit ihr gescholten. Haͤtten Sie wol geglaubt, daß ich schelten koͤnnte? Als ich Herrn Solmes den Be- such abschlug, so ward sie zu mir geschickt, oder vielmehr auf mich losgelassen. Denn es geschahe ohne einige Absicht, die Sache zu bessern. Jch sehe schon, daß ich mit allgemeiner Einwilligung meines Bruders und meiner Schwester Zuͤcht- ling werden soll. Jch will nicht uͤbergehen, was sie mir sagte, das von einigem Gewicht haͤtte seyn koͤnnen. Da ich mir Jhr Urtheil uͤber meine Handlungen, die ich Jhnen melde, ausbitte, so wuͤrde es ein Zeichen einer schlimmen Sache seyn, wenn ich meinen Richter zu betruͤgen suchte. Sie stellete mir zuerst die Ge fahr vor, in der ich gewesen seyn wuͤrde, wenn mein Vater zu mir herauf gekommen waͤre. Herr Solmes haͤtte ihn unter andern abgehalten, es nicht zu thun. Sie gab der rechtschaffenen Frau Norton auch einen Stich, und gab zu verstehen, daß sie mich zu ver- der Clarissa. verhaͤrten schiene. Sie suchte mich daruͤber laͤcher- lich zu machen, daß ich mich ihrer Meinung nach in Herrn Lovelacen verliebt haͤtte. Sie wunder- te sich, daß die witzige, die kluge, die gehorsah- me die gott ‒ ‒ ‒ see ‒ ‒ ‒ lige Claͤrchen, (das letzte Beywort konnte sie so spoͤttisch ziehen) sich in einen so liederlichen Boͤsewicht so sterblich verliebt haͤt- te, daß ihre Eltern sie einsperren muͤßten, damit sie nicht mit ihm davon gienge. Jch darff euch doch wol fragen, Schwester, wie ihr jetzt eure Eintheilung der Stunden des Tages beobachtet? wie viel Stunden unter vier und zwantzigen ihr naͤ- het? wie viel ihr GOtt widmet? wie viel ihr zum Brieff-Schreiben anwendet? und wie viele zu der Liebe? Jch fuͤrchte ich fuͤrchte, mein kleines liebes Ding, die Liebe st bey dir wie Aharons Stab, und verschlinget das uͤbrige alles. Jst es nicht so? sagt es mir doch. Jch antwortete: es sey fuͤr mich eine doppelte Kraͤnckung daß ich einem Manne, dem ich kei- nen Danck schuldig seyn wollte, meine Sicherheit vor dem Zorn meines Vaters zu dancken haͤtte. Jch suchte hierauf die ehrliche Frau Norton zu entschuldigen; und das that ich mit solchem Eifer, als ihre Verdienste es erforderten. Mit gleicher Hefftigkeit beantwortete ich ihre ungeziemenden Schmaͤhungen, damit sie mich in Absicht auf Herrn Lsvelace belegte. Was die Eintheilung meiner Stunden anlangt, so sagte ich, es wuͤrde sich beßer fuͤr sie geschickt haben, mit einer ungluͤckli- chen Schwester Mittleiden zu haben, als uͤber sie zu Die Geschichte zu frohlocken, insonderheit da ich ein grosses Theil meines Ungluͤcks ihren schlaafflosen Naͤchten zu- zuschreiben haͤtte. Ueber diesen Stich ward sie aus der Maaßen verdrießlich und unwillig. Sie erinnerte mich, ich sollte bedencken, wie guͤtig die Meinigen und mei- ne Mutter insonderheit mir begegnet haͤtten, ehe es auf das aͤusserste gekommen waͤre Jch haͤtte ein solches Gemuͤth gezeiget, als man nie bey mir ge- sucht haͤtte. Wenn sie mich fuͤr eine solche Fechte- rin gehalten haͤtten, so wuͤrde es niem and gewaget haben, sich mit mir einzulassen. Nun waͤre es aber einmahl fuͤr allemahl so weit gekommen, daß man nicht wider zuruͤck koͤnnte. Es sey jetzt bloß ein Streit des Gehorsahms und des Eigenwil- lens uͤber die Frage, ob der Eltern Willen den Einfaͤllen einer hartnaͤckigen Tochter vor oder nach- gehen sollte. Jch muͤßte biegen oder brechen. Das ist das Ende vom Liede, mein Kind. Jch sagte: Jch wuͤnschte, daß die Sache mir er- laubte munter zu seyn, und ihre lustigen Reden mit eben so lustigen Reden zu beantworten. Wenn Herr Solmes allen und ihr insonderheit so wohl gefiele, so daͤchte ich, er koͤnnte ja eben so gut mein Bruder als mein Mann werden! O GOtt! Kind! das ist wol so munter geschertzt, als ich immer habe schertzen koͤnnen. Nun fange ich an, gute Hoffnung von dir zu haben. Kannst du dencken, daß ich meiner Schwester einen so de- muͤthigen Anbeter rauben will? Haͤtte er sich zu- erst um mich beworben, so waͤre noch etwas von der der Clarissa. der Sache zu reden: aber das zu nehmen, was meine juͤngere Schwester nicht haben will! Nein mein Kind! nein! so weit ist es noch nicht mit mir gekommen. Das waͤre eben so viel, als ei- nem andern, den du wol kennest, einen Zugang zu deinem Hertzen lassen, dem wir gern die Thuͤr verriegeln wollten. Kurtz (hier veraͤnderten sie Stimme und Gesicht) waͤre ich so geneigt gewe- sen, als sonst jemand, mich dem liederlichsten Menschen in gantz England in die Arme zu wer- fen der seinen Anspruch an mich mit meines Bru- ders Blut haͤtte unterzeichnen wollen; so haͤtte meine Familie Recht gehabt, zusammen zu tre- ten, und mich aus den Klauen eines solchen Bu- ben zu retten; denn haͤtten sie eilen koͤnnen, so sehr sie gewollt haͤtten, mich an einen braven Hrn. der sich eben zur rechten gelegenen Stunde ge- zeigt haͤtte, zu geben. Es ist alles zum Ende Claͤr- chen: richte dich darnach. Verdiente das nicht eine beissende Antwort. Jch wollte gern, daß Sie ja sagten, damit ich mei- ne Antwort entschuldigen koͤnnte! Jch sagte: ach fuͤr meine arme Schwester! ‒ ‒ Der Mensch ist doch nicht immer so liederlich gewesen. Wie wahr finde ich das Sprichwort: ver- schmaͤhete Liebe bringt bittern Haß! Jch dachte fast sie wuͤrde mich schlagen. Jch suhr aber fort zu reden: ich habe oft von der Le- bens-Gefahr meines Bruders, und von meines Bruders Moͤrder hoͤren muͤssen. Darf ich nicht auch frev heraus reden, da man mit mir so wenig Erster Theil. H h Um- Die Geschichte Umstaͤnde macht? Suchte er nicht selbst dem an- dern das Leben zu nehmen, wenn er es nur haͤtte thun koͤnnen? Wuͤrde er ihm wol das Leben ge- schenckt haben, wenn es in seiner Macht gestan- den haͤtte? Der angreisfende Theil hat kein Recht sich zu beschweren. Von eurer rechten ge- legenen Stunde ein Wort! Wenn doch nur der Himmel gewollt haͤtte, daß sich jemand fuͤr eine andere Person zur rechten gelegenen Stunde ge- zeiget haͤtte! Jch bin nicht Schuld daran, Ara- belle, wenn die Freyer nicht zur rechten gelegenen Stunde kommen wollen. Haͤtten Sie mehr Muth beweisen koͤnnen, als ich bewieß? Jch fuͤrchtete mich schon, daß sie mich ihre Hand wuͤrde fuͤhlen lassen: denn sie hielt sie in die Hoͤhe, und kam so auf mich zu. Die Bos- heit machte sie stumm; und sie lief die Treppe halb herunter, und denn wieder herauf. Jhr er- stes Wort, als sie wider sprechen konnte, war: GOtt verleyhe mir Geduld. Unten! (sagte ich) Jhr seht Arabelle, wie ungedultig ihr uͤber die Antwort werdet, die ihr mir abgenoͤthigt habt. Wollt ihr mir so aufrich- tig vergeben, und mich wider eine Schwester an euch finden lassen, als es mir leyd thut, wenn ihr mit einigem Recht dencket, daß meine Ant- wort sich fuͤr keine Schwester schickte? Sie stuͤrmete nur heftiger auf mich zu, weil sie meine Gelassenheit fuͤr einen Spott ansahe. Sie sagte, sie wollte allen im Hause erzaͤhlen, wie ich des gottlosen Lovelaces Parthey wider meinen Bruder genommen haͤtte. Jch der Clarissa. Jch antwortete: ich wuͤnschte, daß ich die Ent- schuldigung fuͤr mich gebrauchen koͤnnte, die sie haͤtte. Mein Zorn, und nicht das was ich gesagt haͤtte, sey strafbar. Jch glaubte, sie haͤtte noch eine Absicht, deswegen sie mich besuchte, die sie mir aber noch nicht gesagt haͤtte. Sie sollte mir nur sagen, ob sie etwas auszurichten haͤtte, darein ich willigen koͤnnte, und dadurch meine eintzige Schwester widerum meine Freundin werden koͤnnte. Als sie vorhin meine Sanftmuth laͤcherlich zu machen suchte, antwortete ich ihr, ob ich mich gleich nach dem Ruhm der Sanftmuth und De- muth bestrebte, so verlangte ich doch nicht fuͤr niedertraͤchtig und kriechend angesehen zu wer- den. Sie erinnerte mich dessen jetzt wider auf ei- ne spoͤttische Weise. Jch sagte: ihr Spaaß sey mir zwar angeneh- mer, als wenn ich sie zornig sehen muͤßte; allein ich wuͤnschte doch den eigentlichen Endzweck ih- res Besuchs zu wissen, der bisher noch so wenig freundschaftlich zu seyn schiene. Sie verlangte in aller Nahmen zu wissen, ob ich nachgeben wollte, oder nicht? Ein Wort fuͤr zehn! meine Anverwanten brauchen gegen ein so unartiges Maͤdchen nicht unendliche Geduld zu haben. Jch sagte: so viel wollte ich thun: ich wollte gaͤntzlich mit demjenigen brechen, gegen den sie alle einen so gesetzten Widerwillen haͤtten; allein unter der Bedingung, daß mir weder Solmes H h 2 noch Die Geschichte noch irgend ein anderer Befehls-Weise aufge- drungen wuͤrde. Sie fragte mich: ob das mehr waͤre, als wozu ich mich schon vorhin erboten haͤtte? Jch laͤutete immer eine Klocke, und ginge doch keinen Schritt weiter. Wenn ich nur wuͤßte (erwiderte ich) was ich fuͤr andere Vorschlaͤge thun koͤnnte, die ihnen an- genehm waͤren, und mich von einem mir so eckel- haften Liebhaber erloͤsen koͤnnten, so wollte ich sie thun. Jch haͤtte mich freylich schon vorhin er- klaͤrt, niemahls wider meines Vaters Willen zu heyrathen. ‒ ‒ ‒ Sie unterbrach mich: das geschaͤhe alles des- wegen, weil ich mich auf mein kuͤnstliches Win- seln verliesse, und meine Eltern dahin zu bringen hoffte, wohin ich sie haben wollte. Ein schlechtes Verlassen! sagte ich. Jhr wis- set wohl, wer meine Hoffnung mir zu Wasser machen wuͤrde. ‒ ‒ ‒ Du wuͤrdest sie (fuhr sie fort) vermuthlich nach deiner Pfeiffe tantzend gemacht haben, und mei- nen Onckle Harlowe und Frau Hervey gleich- fals, wenn dir nicht verboten waͤre, sie zu sprechen. Allein das hat dich gehindert, dein Hockus Po- ckus zu machen. So gebt ihr mir doch endlich zu verstehen, Schwester, (sagte ich) wem ich es zu dancken ha- be, daß Vater und Mutter und jedermann so hart mit mir verfaͤhret. Allein ihr stellet doch alle diese Leute sehr schwach und unverstaͤndig vor. Wenn der Clarissa. Wenn unbekannte Leute uns reden hoͤrten, so wuͤrden sie entweder glauben daß ich sehr listig oder daß ihr sehr hoͤhnisch seyd. Listig genug seyd ihr, (fiel sie mir mit Unwillen in die Rede) eins der allerlistigsten Geschoͤpfe das ich je gesehen habe. Und hierauf folgete die niedertraͤchtige, die einer Schwester so unanstaͤn- dige Beschuldigung: ich bezauberte fast jeder- mann durch mein schmeichlendes Wesen. Wo ich hinkaͤme, da gaͤlten andere Leute nichts, son- dern muͤsten als Nullen da stehen. Wie oft habe ich und eur Bruder geredet, und jedermann hoͤr- te uns zu, bis ihr mit eurem bezaubernden sanf- ten Stoltz und aufgeblasener Demuth herein tratet. Denn stopften uns andere den Mund, in- dem sie der Fraͤulein Claͤrchen Meinung verneh- men wollten? oder wir musten uns selbst den Mund stopfen, wenn wir nicht mit den Waͤnden reden wollten. Sie hoͤrte auf zu reden, und erhohlte sich wider. Es schien als wolte sie nur neuen Athem schoͤpfen. Fahrt doch fort, liebe Arabelle: sagte ich. Das will ich auch thun. Habt ihr nicht euren Gros-Vater bezaubert. Konnte ihm etwas ge- fallen, daß ihr nicht thatet oder sagtet? Wie hing er an eurer guͤldenen Zunge, an euren goͤttlichen Reden, bis der alte verliebte Geck euch wider ei- nen Schmatz geben konnte! Und was sagtet ihr, das wir nicht auch haͤtten sagen koͤnnen? Was thatet ihr, daß wir nicht auch gern wuͤrden gethan haben! Allein, warum geschahe das alles? Die H h 3 Wir- Die Geschichte Wirckung zeigte es: als das Testament geoͤffnet ward, da sahe man, wozu eure suͤsse Schmeicheley ihn vermocht hatte. Da vermachte er alles Ver- moͤgen, das er selbst erworben hatte, nicht seinen Soͤynen, sondern seines Sohnes Kinde, dem juͤngsten Kinde, so gar einer Tochter. Alle Ge- Gemaͤhlde der Familie gingen auch vor seinen Soͤhnen vorbey, und kamen an euch, weil ihr da- mit spielen konntet, und sie mit euren schmutzigen Haͤnden abwuschet und reinigtet, ohne in ihre Fuß-Tapfen zu treten. Das viele Silber-Ge- schirr, das noch von dem dritten Geschlecht her ist, durfte auch nicht umgegossen werden, weil sein theures Kind sich nach seinem alt-modischen Ge- schmack zu richten und es zu bewundern wuste, um es alles selbst zu bekommen. Diese Reden waren allzuniedertraͤchtig, als daß sie mich haͤtten zum Unwillen reitzen koͤnnen. Jch sagte nur: o meine arme Schwester, es ist ein Ungluͤck, daß ihr Kunst und Natur nicht unter- scheiden koͤnnt oder wollt. Wenn ich andern ha- be gefaͤllig seyn koͤnnen, so schaͤtzte ich dieses schon fuͤr ein Gluͤck, und dachte auf keine weitere Beloh- nung. Mein Hertz verachtet die Absichten, die ihr mir andichtet. Jch wuͤnschte von gantzem Hertzen, daß mich mein Gros-Vater andern nicht vorgezogen haͤtte. Er sahe zum voraus, daß mein Bruder in und ausser unserer Familie reichlich duͤrfte versorgt werden: er verlangte, daß mein Vater euch desto mehr zuwenden moͤchte: und es ist kein Zweissel, daß nicht beydes geschehen sollte. Jhr der Clarissa. Jhr wisset ja wohl, daß das Gut, das mir mein Gros-Vater vermachte, bey weiten nicht die Helf- te seines wircklichen Vermoͤgens betrug. Was ist alles das, Claͤrchen, antwortete sie, in Vergleichung eines Gutes, das euch gleich zu voͤl- ligem Besitz vermacht ward, und zwar mit solchen Worten die euch anderer Leute gute Meinung in einem viel hoͤhern Grad erwurben, als ihr sie ver- dienetet? Das ist eben, wie ich fuͤrchte, die Quelle mei- nes Ungluͤcks. Darum beneydet ihr mich Arabel- le. Habe ich mich aber des wircklichen Besitzes die- ses Guts nicht auf die allerbeste Weise begeben? ‒ Ja! (fiel sie mir in die Rede) Eben fuͤr diese al- lerbeste Weise, muß ich euch feind seyn. Kleine betruͤgerische Hexe! durch eure allerbeste Weise, die voller List und Absichten ist, wuͤrde niemand haben hindurch sehen koͤnnen, wenn man nicht oh- ne auf eure Schmeicheleyen zu achten, auf deut- liche Erklaͤrung gedrungen haͤtte. Darum muste man euch nicht gestatten, eure winselnden Kuͤnste zu gebrauchen, und um eure Mutter wie eine Schlange herum zu kriechen, die euch nichts ab- schlagen konnte, worauf einmahl eur kleines ei- gensinniges Hertz bestand. Mein eigensinniges Hertz? Arabelle. Ja eur eigensinniges Hertz. Habt ihr jemahls in einer Sache nachgegeben? Wustet ihr nlcht die Kunst, eure Eltern glaubend zu machen, daß alles billig waͤre, was ihr fodertet, obgleich mir und meinem Bruder Bitten abgeschlagen wurden, die nicht von groͤsserer Wichtigkeit waren. Jch Die Geschichte Jch erinnere mich nicht, Arabelle, jemahls et- was unbilliges gefodert zu haben. Jch habe selten fuͤr mich sondern meistentheils fuͤr andere gebeten. Jch mußte hieruͤber tadelsuͤchtig heißen. Alles das, wovon ihr redet, Arabelle, sind alte Sachen. Jch kann jetzt nicht auf alle Thorheiten meiner Kinder-Jahre zuruͤckgehen. Jch habe nie gedacht, daß eur Widerwille gegen mich, der seit kurtzen ausgebrochen ist, schon so alt waͤre. Jch war wider tadelsuͤchtig. So eine muͤrri- sche empfindliche Sanfftmuth! Solche allerbe- ste Weise! Solche gifftige Worte! Claͤrchen, Claͤrchen, Claͤrchen, du bist immer ein doppel- sichtiges Maͤdchen gewesen. Niemand hat mir ein zwiefaches Gesicht zuge- schrieben, als ich alles das meinige der Gewalt meines Vaters uͤbergab, und meine wenigen Ta- schen-Gelder nach wie vor fuͤr eine Guͤtigkeit von ihm ansahe und aus seiner Hand ohne einen Gro- schen Zulage zu verlangen annahm. Ja, du listiges Ding! das war auch einer von deinen Streichen. Brachtest du nicht dadurch deinen allzu guͤtigen Vater dahin, und konntest du nicht zum voraus sehen, daß du ihn dahin brin- gen wuͤrdest, daß er sich erklaͤrte; er wolle zur Be- lohnung dieses ihm angenehmen Gehorsahms die Einkuͤnffte des Gutes zu eurem kuͤnfftigen Ge- brauch beylegen, und weiter nichts als eur Haus- halter seyn, und ihr solltet von ihm noch alles zu geniessen haben, was ihr vorhin genoßen hattet? Das war wider einer von euren Griffen. Alle eure der Clarissa. eure Ausschweiffungen kosteten euch nichts: eur Vater mußte das Geld dazu hergeben. Meine Ausschweiffungen? Arabelle! Hat mir mein Vater jemahls etwas gegeben, das er euch nicht auch gegeben hat? Ja Claͤrchen; ich habe freylich durch euch mehr bekommen, als ich mit gutem Gewißen von meinem Vater haͤtte fodern koͤnnen. Jch habe aber doch noch etwas davon das ich aufweisen kann. Was habt ihr? Was koͤnnt ihr aufwei- sen. Sollten es wol fuͤnfzig Stuͤcke seyn? Jch glaube es nicht! Nein! nicht so viel! Jch glaube es euch gern! Eure Mutter Nor- ton ‒ ‒ aber Mum! mum! mum! Gemeines Gemuͤth! die redliche Frau ist zwar in armseeligen Umstaͤnden, sie hat aber gewiß ein erhabenes Hertz: ein viel vornehmeres Hertz, als die, welche sie einer Niedertraͤchtigkeit beschuldi- gen wollen, dazu sie nicht aufgelegt ist. Was habt ihr mit dem vielen Gelde angefan- gen, das euch von Kindheit an zum Vertaͤndeln gegeben ist? Last mich doch auch etwas davon wissen. (Sie wollte recht listig aussehen.) Hat, hat, hat, Lovelace, hat euer Schelm es auf Zin- sen ausgeliehen? Wenn mich doch meine Schwester nicht zwin- gen wollte, fuͤr sie roth zu werden! Es ist auf Zin- sen ausgethan! ‒ ‒ Jch hoffe es wird mir Zinsen uͤber Zinsen bringen: bessere Zinsen, als wenn es der Rost in meinem Kasten verzehrte, wie ibr es machet! H h 5 Jch Die Geschichte Jch verstehe euch, was ihr sagen wollt. Wenn ihr eine Manns-Person waͤret, so glaubte ich, daß ihr die Graffschafft gewinnen wolltet. Diejenigen, welche gern zu Gliedern des Unter- Hauses als abgeordnete der Graffschafften erwaͤhlt wer- den wollen, suchen sich durch Freygebigkeit unter dem Volck eine Parthey zu machen. Es ist freylich etwas angenehmes fuͤr euch, wenn euch jedermann seegnet so oft ihr in die Kirche fahret, und wenn aller Augen auf niemanden als auf euch gerichtet sind. Jhr prediget auf den Daͤ- chern. Jhr versteckt wahrhaftig eur Licht nicht unter den Scheffel. Allein koͤmmt es euch nicht hart vor, daß ihr jetzt gehindert werdet, es des Sonntages vor den Leuten leuchten zu lassen? und daß ihr eure Liebe nicht zeigen koͤnnt? Das sind in der That sehr empfindliche Reden von euch, Arabelle, da ihr so vielen Antheil an meiner Gefangenschafft habt. Fahrt aber nur fort: ihr werdet euch bald aus dem Athem geredet haben. Jch will mir nicht wuͤnschen, daß ich im Stande seyn moͤge, gleiches mit gleichem zu ver- gelten. Arme Arabelle! (Jch glaube, daß ich hierbey veraͤchtlicher gelachet haben mag, als es sich fuͤr eine Schwester schickt.) Keine veraͤchtliche Gebeerden! (sagte sie mit ei- ner erhabenern Stimme) Nichts von arme Ara- belle! keine solche Reden, damit sich die juͤngere Schwester uͤber die aͤltere hinweg setzt! Wohlan denn: reiche Arabelle! (mit einem tieffen Knix) das wird euch doch beßer gefallen. Der der Clarissa. Der Nahme schickt sich auch beßer zu den Schaͤ- tzen, deren ihr euch ruͤhmet. Seht Claͤrchen (mit aufgehobener Hand sag- te sie dieses) wenn ihr nicht etwas niedertraͤchti- ger und kriechender bey eurer Sanfftmuth und Demuth werdet; wenn ihr eurer aͤltern Schwe- ster nicht werdet Ehrerbietung erweisen; so sollt ihr erfahren ‒ ‒ ‒ Was denn? doch nicht dieses, daß ihr mir schlimmer als bisher geschehen ist begegnen wollt? das waͤre wol nicht moͤglich: ihr muͤßtet denn eu- re aufgehabene Hand auf mich herab fallen lassen. Das wuͤrde sich aber so wenig fuͤr euch schicken, es zu thun, als fuͤr mich, es zu leyden. Fromme, sanfftmuͤthige Seele! ‒ ‒ Allein ihr habt vorhin von Vorschlaͤgen geredet. Es wer- den sich alle wundern, daß ich so lange bey euch bleibe. Sie werden meinen, daß etwas gutes aus- zurichten stehe. Das Eßen wird gleich fertig seyn. Hiebey wollte mir eine Thraͤne entfallen, und ich sagte mit Seufzen: wie gluͤcklich bin ich sonst des Abends gewesen, da ich noch die Tisch-Ge- spraͤche aller meiner lieben Anverwanten anhoͤren konnte! Mein Seufzer zog mir nichts als Verachtung zu. Arabelle hat ein unempfindliches und fuͤhl- loses Hertz. Sie ist nicht im Stande das groͤsse- ste Vergnuͤgen dieses Lebens zu geniessen, allein ihre Haͤrtigkeit erspart ihr auch manchen Kum- mer. Allein ich fuͤr mein Theil wollte um dieses Kummers willen mich des Vergnuͤgens nicht gern Die Geschichte gern beraubet sehen, welches das Gefuͤhl der Menschen-Liebe mit sich bringt. Als ich mich von ihr wandte, fragte sich mich, ob sie unten sagen sollte, daß ich mich bequemen wuͤrde. Jhr moͤget sagen, daß ich mich zu allem beque- men will, was sie fodern, wenn ich nur von Herrn Solmes erloͤset werde. Jst das alles, was ihr jetzt verlanget, Schlei- cherin? (Was fuͤr Worte hat meine Schwe- ster.) Wird aber nicht der andere Feuer und Flammen speyen, und gantz erschrecklich bruͤllen, wenn ihm seine gewisse Beute aus den Klauen gerissen wird. Jch muß euch auf eure Weise reden lassen, sonst werden wir uns einander nie verstehen koͤn- nen. Jch will nach seinem Bruͤllen (mit euch zu reden) nicht viel fragen. Jch will ihm versprechen, daß wenn ich ja einen andern heyrathe, es nicht geschehen soll, so lange er unverheurathet ist. Wenn er damit nicht zufrieden seyn will, so wird er es seyn muͤssen, und ich will genugsahme Ver- sicherung davon geben, daß ich weder Briefe mit ihm wechseln noch ihn sprechen will. Dieses wird doch genug seyn. Allein ich hoffe, ihr werdet nichts gegen einen blos hoͤflichen Umgang mit Herrn Solmes als einem guten Freunde eures Vaters einzuwenden haben. Nein! Es muß mir frey stehen, mich zu entfer- nen, wenn er kommt. Jch will mit dem einen so wenig der Clarissa. wenig Umgang haben, als mit dem andern Brie- fe wechseln. Herr Lovelace wuͤrde alsdenn glau- ben, ich haͤtte mit ihm gebrochen, um Herrn Sol- mes zu nehmen; und er koͤnnte hiedurch zu uͤber- eilten Handlungen bewogen werden. So soll der gottlose Mensch so viel Macht uͤber euch haben, daß ihr eures Vaters Freunden in unserm Hause nicht hoͤflich begegnen wollt, um ihn nicht zu erzuͤrnen? Wenn ich das unten vor- stelle, so bitte ich euch, was erwartet ihr fuͤr Folgen davon? Alles oder Nichts erwarte ich davon; nach- dem es von euch vorgestellet wird. Seyd so gut Arabelle, und unterstuͤtzt es durch euren Rath. Setzet noch dazu, daß ich entschlossen bin, alles was ich nach dem gros-vaͤterlichen Testament ha- be, meinem Vater, oder meinen Onckles oder selbst meinem Bruder auf die beste und rechts- kraͤftigste Weise die moͤglich seyn wird zu uͤber- machen, damit es ihnen zu einer Sicherheit die- nen koͤnne, daß ich jenes Versprechen erfuͤllen werde. Da ich von meinem Vater nicht das ge- ringste zu erwarten haben kann, wenn ich das Versprechen breche, so wird hieraus folgen, daß ich das aͤrmste Kind seyn wuͤrde, sobald ich wider seinen Willen zu heyrathen gedaͤchte, das zu neh- men ohnmoͤglich jemand Lust haben kann. So schlimm mir auch mein Bruder begegnet ist, so will ich doch in der Stille auf seine Schottlaͤndi- schen Guͤter ziehen, und seine Haushaͤlterin seyn, nachdem ich sehe, daß man meiner hier nicht mehr noͤthig Die Geschichte noͤthig hat, wenn er nur verspricht, nicht schlim- mer mit mir umzugehen als er mit einer gemiethe- ten Haushaͤlterin thun wuͤrde. Oder ich will nach Florentz zu meinem Vetter Morden reisen, wenn er noch so lange in Jtalien bleibt. Wenn ich zu dem einen von beyden reise, so kann nur vor- gegeben werden, daß ich zu dem andern gereiset bin, oder daß ich mich an dem Ende der Welt aufhalte. Jch frage nichts darnach, was man von mir sagt. Darf ich euch fragen, Kind, ob ihr mir euren artigen Vorschlag schriftlich geben wollt. Ja! von Hertzen gern. Jch ging nach meinem Closet, und schrieb das, was ich vorhin gesagt hat- te nebst ein paar Zeilen an meinen Bruder, darm ich meine Bekuͤmmerniß bezeugte, daß ich ihn be- leydiget haͤtte, und ihn bat, er moͤchte meinem Vorschlage durch seinen Beyfall das noͤthige Ge- wicht geben. Jch hielte es fuͤr allzu klein, Kuͤnste und Ausfluͤchte zu gebrauchen: er moͤchte selbst den Aufsatz machen, durch dessen Unterschrift ich mich zu allem vorhin gemeldeten verbindlich ma- chen sollte. Was an der Kraft Rechtens fehlete, daß sollte mein unbeweglicher Vorsatz ersetzen. Er koͤnnte mehr als irgend ein anderer dazu bey- tragen, daß ich wider mit meinen Eltern ausge- soͤhnet wuͤrde, und ich wuͤrde ihm unendlich ver- pflichtet seyn, wenn er so viel bruͤderliche Liebe fuͤr mich haͤtte, mir diesen grossen Liebes-Dienst zu erzeigen. Was meinen Sie, wie wandte meine Schwe- ster der Clarissa. ster ihre Zeit unterdessen an, daß ich schrieb? Sie spielte gantz gelassen auf meinem Fluͤgel, und sang die Melodey dazu, um mir zu zeigen, wie wenig sie sich um mich bekuͤmmerte. Als ich mich ihr mit dem geschriebenen Blat nahete, stund meine grausame Schwester mit ei- ner leichtsinnigen Mine auf. Wie? Kind! habt ihr schon geschrieben? Wahrlich ihr habt schon geschrieben! Wie fertig seyd ihr doch in der Fe- der! Darf ich es denn wol lesen? Wenn es euch beliebt, Arabelle. Sie laaß es, und zwang sich zu einem ausge- lassenen Gelaͤchter: wie kann man doch auch die klugen Voͤgel fangen! Mercktet ihr denn nicht, daß ich nur geschertzt habe? Und ihr wolltet mir anmuthen seyn, daß ich diesen artigen zierlich ge- schriebenen Unsinn mit hinunter naͤhme. Macht nicht Arabelle, daß ich mich uͤber eine Auffuͤhrung verwundern muß, die sich so schlecht fuͤr eine Schwester schickt. Jch hoffe, ihr stellet euch nur so. Jn dergleichen Schertz kann doch kein Witz stecken. Was fuͤr Unverstand! Claͤrchen. Wie natuͤr- lich ist es doch den Leuten, wenn sie einmahl ihr Hertz auf etwas gerichtet haben, daß sie glauben, jedermann muͤsse die Sache mit ihren Augen an- sehen. Jch frage euch, mein Kind, was wird aus dem Gehorsahm werden, den eur Vater von euch fodern kann? Wer giebt hier nach? der Vater oder das Kind? Wie reimt sich dieser Vorschlag zu den Vorschlaͤgen, daruͤber eur Vater schon mit Herrn Solmes eins geworden ist? Was haben wir Die Geschichte wir fuͤr Sicherheit, daß eur Boͤsewicht euch nicht bis an das Ende der Welt nach folgen wird. Jch bitte dich nim es zuruͤck, und lege es auf dein ver- liebtes Hertz. Glaube niemahls, daß ich mich dir zu Gefallen daruͤber auslachen lassen will, daß ich mich durch dein nichts bedeutendes Winseln ha- be einnehmen lassen. Jch kenne dich besser, Schaͤtzgen. Sie schlug noch ein hoͤhnisches Ge- laͤchter auf, warf meinen Aufsatz auf den Tisch; und ging mit den Worten weg: Verachtung fuͤr Verachtung. Das ist die Bezahlung fuͤr euer: arme Arabelle. Jch siegelte dem ohngeachtet das zu, was ich geschrieben hatte, und schickte es mit ein paar Zei- len an meinen Bruder. Jch meldete ihm in so gelinden Worten als moͤglich war das Betragen meiner Schwester, dadurch ich gezwungen war, es an ihn zu schicken, aus Furcht, daß sie mich et- wan in der Hitze nicht recht verstanden haͤtte, und meinem Aufsatz eine schlimmere Gestalt geben moͤchte, als er verdient. Dieses ist die Antwort, die ich erhielt, als ich mich eben zu Bette legen wollte: denn die Leydenschaften ließen ihm keine Ruhe bis an den andern Morgen. An Fraͤulein Clarissa Harlowe. Jch wundere mich, daß ihr euch unterstehet an mich zu schreiben, auf den ihr alle eure weiblichen Pfeile zu verschiessen pflegt. Jch kann laͤnger kei- ne Gedult mit euch haben, da ihr euch untersteht, mich in einer Schlaͤgerey fuͤr den angreiffen- den Theil auszugeben, zu der ich blos aus Liebe zu der Clarissa. zu euch und aus Vorsorge fuͤr eure Ehre ge- zwungen ward. Jhr habt eure Zuneigung gegen einen Boͤse- wicht so deutlich gestanden, daß alle eure An- verwanten euch billig auf ewig entsagen sollten. Jch fuͤr mein Theil werde keiner Frauens-Person etwas glauben, was sie verspricht, und doch vor- giebt, daß es wider ihre Neigung sey, Das eintzige Mittel eur Verderben zu verhuͤten ist, wenn man es euch unmoͤglich macht, in euer Ungluͤck zu ren- nen. Jch wollte nicht an euch schreiben, allein eure allzu guͤtige Schwester hat mich dazu vermocht. Jhr wollt nach Schottland reisen: diese Gnaden- Zeit ist nun versaͤumet. Jch wollte auch nicht ra- then, daß man euch nach Florentz schicken sollte, um es bey dem Vetter anzufangen, wo ihr es bey dem Gros-Vater gelassen habt. Der brave Herr koͤnnte auch leicht um euret willen in einen un- gluͤcklichen Streit verwickelt werden, und er wuͤr- de alsdenn der angreiffende Theil heissen muͤssen. Jhr habt euch in seine Umstaͤnde gesetzt, daß ihr selbst den Vorschlag thun muͤßt, euch vor eu- rem Boͤsewicht zu verbergen, und durch Huͤlffe der Unwahrheit vor ihm verborgen zu bleiben. Auf solche Weise ist eure Gefangenschaft das groͤsseste Gluͤck, das euch haͤtte begegnen koͤnnen. Die Auffuͤhrung eures Helden in der Kirche, da er sich nach euch umsahe, ist ein genugsames Anzei- gen, wie viel Vermoͤgen er uͤber euch hat, wenn ihr es auch nicht auf eine so schimpfliche Weise gestanden haͤttet. Erster Theil. J i Ein- Die Geschichte Einmahl fuͤr allemahl, wenn ich meine Absicht nicht zur Ehre der Familie durchtreiben kann, so will ich mich nach Schottland begeben, und keinen den. Meinigen jemahls wider sehen. Jacob Harlowe. Das ist ein Bruder! das ist ein recht kindliches Hertz gegen Vater, Mutter und Onckles. Allein er sieht, wie viel aus ihm gemacht wird, und er weiß sich auch darnach zu halten, und aus einem hohen Ton zu reden. Der drey und viertzigste Brief. von Fraͤulein Clarissa H arlowe an Fraͤulein Howe. Mittewochens fruͤh um 9 Uhr. F rau Hervey ’hat die vergangene Nacht hier geschlafen, und ist eben von mir weggegan- gen. Sie kam mit meiner Schwest er zu mir; denn man wollte ihr nicht trauen, wenn sie nicht unter den Augen einer so uͤbelgesinneten Zeugin waͤre. Als sie in die Stube trat, sagte ich ihr: ich sehe diesen Besuch fuͤr eine sehr grosse Guͤtigkeit gegen eine arme Gefangene an. Jch kuͤßte ihr die Haͤnde, und sie mir den Mund, mit den Wor- ten: wie thun sie so fremde gegen eine Mutter- Schwester, die sie so zaͤrtlich liebet? Sie der Clarissa. Sie gestand: daß sie um des Friedens der gan- tzen Familie willen mir eine ernstliche Vorstellung zu thun haͤtte. Es kaͤme ihr unmoͤglich vor, daß ich, die ich sonst so viel angenehmes in Gemuͤth und Auffuͤhrung haͤtte, in einer Sache die meinem Vater und allen meinen Freunden am Hertzen laͤge so unbeweglich seyn sollte, wenn ich nicht glaubte, daß mir zu hart begegnet sey. Meine Mutter so wohl als sie wollten gern meine Entschliessung fuͤr weiter nichts als fuͤr eine Folge der allzusten- gen Art ansehen, damit mir meiner Eltern Wille zu Anfang kund gemacht waͤre, oder fuͤr eine Folge der Einbildung, daß mein Bruder zuerst an Herrn Solmesens Antrag mehr Antheil gehabt haͤtte, als mein Vater oder meine uͤbrigen Verwanten! Jch sahe wohl, daß sie mir gern eine Entschuldigung an Hand gegeben haͤtte, damit ich mit guter Art zuruͤck kommen koͤnnte. Meine schwester brum- mete indessen allerhand Melodeyen, und eroͤffnete bald dieses bald jenes Buch, ohne etwas zu sagen. Nachdem sie mich zu bedeuten gesucht hatte, daß alle meine Widersetzung nichts helfen wuͤrde, weil mein Vater einmahl sein Wort von sich gegeben haͤtte, so machte sie den Beschluß mit Ermahnun- gen zum Gehorsahm, die vielleicht nicht so nach- druͤcklich gewesen seyn wuͤrdē, wenn meine Schwe- ster nicht dabey gewesen waͤre. Wenn ich Jhnen alles melden wollte, was auf beyden Seiten vor- gefallen ist, so wuͤrde ich eben das widerhohlen muͤssen, was ich schon oft genug geschrieben habe: J i 2 ich Die Geschichte ich will Jhnen also nur das berichten, was ei- niger massen neu scheinen kann. Als sie mich, wie sie es nannte, unbeweglich fand, sagte sie: wenn ich weder Herrn Solmes noch Herrn Lovelace haben sollte, und doch hey- rathen muͤßte um meine Freunde zu beruhigen, so kaͤme es ihr nicht uͤbel vor, auf Herrn Wyerley zu dencken: was ich denn zu Herrn Wyerley sagte? Ja Claͤrchen, (fing meine Schwester an) was sagt ihr zu Herrn Wyerley? Jch sahe den Fallstrick bald. Man wollte mich uͤberzeugen, daß ich eine unbedungene Zu- neigung zu Herrn Lovelace haͤtte. Da nun Herr Wyerley uͤberall von seiner Hochachtung und bey nahe Ehrfurcht gegen mich redet, und gegen seine Person und Gemuͤth viel weniger als gegen Solmes einzuwenden ist; so wollte ich mir dieses zu Nutze machen, und versuchen, ob man wol Herrn Solmes mit seinen vortheilhasten Bedin- gungen abweisen wuͤrde, da es ohnmoͤglich ist, gleiche Bedingungen von Wyerley zu erhalten? Jch verlangte deswegen eine Erklaͤrung, ob ich von Herrn Solmes erloͤset werden koͤnte, wenn meine Antwort fuͤr Herrn Wyerley ausfiele? Denn ich waͤre diesem nicht so abgeneigt als jenem. Sie antwortete: es sey ihr nicht aufgetragen, diesen Vorschlag zu thun. Sie wuͤßte nur so viel, daß mein Vater und meine Mutter nicht ruhig seyn wuͤrden, bis Herrn L ovelaces Hoffnung gaͤntzlich zernichtet waͤre. Ein der Clarissa. Ein listiges Thier! sagte meine Schwester. Daraus, daß sie ihr Wort mit zu der Frage gege- ben hatte, merckte ich eben, daß es eine Schlinge fuͤr mich seyn sollte. Jch sagte darauf: legen sie mir doch keine Fragen vor, Frau Base, die zu nichts anders dienen koͤnnen, als meines Bruders Absichten zu befoͤrdern. Jst aber einige Hofnung ein Ende mei- ner Truͤbsaal zu sehen, ohne daß mir dieser eckel- haffte Mensch aufgedrungen wird? kann das nicht angenommen werden, wozu ich mich erboten habe? Jch daͤchte es muͤßte angenommen werden. Wie Claͤrchen? Halten sie sich von ihrer Pflicht gegen ihre Eltern frey, wenn keine solche Hofnung ist? Ja! (sagte meine Schwester) ich glaube ge- wiß, daß es Claͤrchens Absicht ist, wo nicht zu Lovelacen zu fliehen, doch ihr Gut in ihre Haͤnde zu bekommen, und sich daselbst in aller der uneingeschraͤnckten Freyheit aufzuhalten, auf die sie alle ihre Hoffnung setzt. Du lieber GOtt! wie werdet ihr da eur Licht leuchten lassen! Jhr werdet gewiß eure Mutter Norton, eur Orackel bey euch, und die Thuͤren mit Armen besetzt ha- ben, und euch mit niedertraͤchtigem Hochmuth mit den Lumpen-Hunden gemein machen. Durch eure prahlerische Freygebigkeit werdet ihr allem vor- nehmen Frauenzimmer in der Nachbarschaft einen Vorwurff machen, wenn sie euch nicht nachfolgen. Unterdessen daß die Armen ausser Hause euch ei- nen guten Nahmen machen, wird euch L ovelace J i 3 im Die Geschichte im Hause einen Schand-Fleck anhaͤngen: und was ihr mit der einen Hand bauet, werdet ihr mit der andern niederreissen. O was fuͤr vortrefliche An- schlaͤge! Allein kleiner Fluͤchtling ich, kann euch sa- gen, daß eures Vaters Wille, der am Leben ist, den Willen des verstorbenen Gros-Vaters um- stossen wird: und das Gut wird so angewandt wer- den, wie es mein seel. Gros-Vater ohne Zweifel gewollt haben wuͤrde, wann er eine solche Veraͤn- derung an seinem theuren Kinde erlebt haͤtte. Mit einem Wort, es soll in eure Haͤnde nicht kom- men, bis mein Vater siehet, daß ihr verstaͤndig ge- nug seyd es wohl zu gebrauchen, oder bis ihr gehor- sahmes Kind es ihm durch den Weg des Rechtens abtrotzen koͤnnt. Fy! Fraͤulein H arlowe! das schickt sich nicht g e gen eure Schwester! sagte Frau Hervey. Nein! Frau Base, ich bitte, stoͤren sie sie nicht. Jch habe noch mehr von ihr ertragen. Entweder ihr eigener Neid, oder meine Oberen denen ich mich unterwerfen muß, haben ihr aufgetragen, uͤbel mit mir umzugehen. Was hinderte mich, wenn ich mein Gut wider haben wollte? Jch weiß mein Recht; allein ich dencke nicht daran, mich deßen zu bedienen. Jch bitte sie, sagen sie meinem Vater; es moͤgen die Folgen fuͤr mich noch so schlimm seyn, er mag mich aus dem Hause stossen, (und das waͤre mir allerdings lieber, als mich so eingesperret und verspottet zu sehen) und solte ich auch bis auf die aͤusserste Armuth herunterkommen; so will ich keine Mittel zu leben suchen, die seinem Willen zu wider sind. Nein der Clarissa. Nein Kind, (antwortete sie) wenn sie heyra- then, so muͤßen sie in diesem Stuͤcke thun, was ihr Mann haben will. Jst Herr Levelace ihr Mann, so wird er sich freuen, wenn er der Fa- milie einen Verdruß anthun kan. Wenn er gegen sie die Hochachtung in der That haͤtte, die er vorgiebt, so wuͤrde er gewiß nicht so trotzig ge- gen die Jhrigen seyn. Er ist wegen seiner Rach- gier bekannt: wenn ich Fraͤulein Harlowe waͤre, so wuͤrde ich fuͤrchten, daß er an mir die Rache uͤben wollte, die er der Familie drohet, ob ich ihn gleich selbst nicht beleydiget haͤtte. Wenn Herr Lovelace Rache drohet, so thut er es, weil man ihm drohet. Nicht jedermann ist geschickt Unrecht zu ertragen, wie ich seit eini- ger Zeit habe thun muͤßen. (Wie konnte man bey diesen Worten den Grim̃ in dem Gesicht meiner Schwester lesen!) An Herrn L ovelace (fuhr ich fort) wuͤrde gar nicht mehr gedacht werden, wenn man besser mit mir umginge. Meine Schwester sagte etwas mit grosser Hef- tigkeit: ich hoͤrte aber nicht, was es war, weil ich gern wollte gehoͤrt werden, und deswegen laut sagete: wuste man denn nicht schon von Herr Lovelacen daß er ein wilder Mensch waͤre, als er den ersten Zutrit in unser Haus bekam? Allein damahls redete man vom wilden Hafer Jm Englischen gebraucht man die Redens-Art: wilden Hafer saͤen von einem Menschen der sehr aus- geschweift ist, und sich hernach bessert. und schwar- Die Geschichte schwartzen Ochsen: und die Ehe nebst einer klugen Frau sollten Wunder thun. Allein, Schwester, ich sehe wohl, daß ich schon zu viel geredet habe. Du gottlose Tadlerin! (sagte sie) Woher kam es, daß ich einen Abscheu vor ihm bekam, als von den Proben seiner Liederlichkeit, die bey euch auch einen Eindruck gemacht haben sollten, wenn ihr nur halb so fromm waͤret, als ihr vorgebet? Proben? (sagte ich) Schwester. Jch habe nicht gemeint, daß ihr Proben davon gehabt haͤttet. Jhr muͤßt es selbst am besten wissen. (War das nicht allzu spoͤttisch geredet?) Claͤrchen! ‒ ‒ tausend Pfund wollte ich dir gern geben, wenn du mir alles sagen wolltest, was jetzt in deinem bittern tadelsuͤchtigen Hertzen ist? Vor viel weniger Geld koͤnnt ihr das zu erfah- ren kriegen, ohne daß ich mich fuͤrchten darf, daß ihr mir schlimmer begegnen werdet, als gesche- hen ist. Fraͤuleins es thut mir leyd, daß ihr beyde so hitzig werdet. Sie wissen, Claͤrchen, daß sie nicht so wuͤrden eingesperret seyn, wenn ihre Mutter durch Guͤte oder ihr Vater durch Ernst etwas haͤtte ausrichten koͤnnen. Wenn ein Theil nachgeben soll, wie koͤnnen sie erwarten, daß es von jener Seiten geschehen soll? Wenn mein Dortbchen, die nicht den hundertsten Theil von ihrem Verstande hat, sich meinem Willen in einer so wichtigen Sache so gerade zu widersetzen woll- te, so wuͤrde ich es ihr gewiß sehr uͤbel nehmen. Jch der Clarissa. Jch glaͤube dis kaum, Frau Base. Wenn die Fraͤulein Hervey eben einen solchen Bruder, und eben eine solche Schwester haͤtte: (ihr koͤnnt mich immerhin ansehen, Arabelle! ) und wenn beyde ihren Eltern eben so in den Ohren laͤgen, als meine Geschwister: so moͤchten sie vielleicht eben so mit ihr umgehen, als jetzt mit mir um- gegangen wird. Wenn sie den Freyer der ihr angetragen wuͤrde, mit eben so grossem Recht hassete, als ich Solmesen, (und einen Frey-Geist, einen Schelm eben so liebete, als ihr L ovelacen, schriee meine Schwe- ster dazwischen) so koͤnnte sie es verbitten, in der Sache nicht Gehorsahm zu leisten. Wenn sie aber dieses thaͤte, und dabey die staͤrcksten und kraͤftigsten Versicherungen gaͤbe, nie ohne ihren Willen zu heyrathen, so bin ich gewiß versichert, daß ihr Vater und ihre Mutter vergnuͤgt seyn, und sie zu nichts zwingen wuͤrden. Meine Schwester hob beyde Haͤnde auf, und sagte: nun kriegen Vatter und Mutter auch ihr Theil. Wenn ich aber wuͤßte, (sagte meine Base) daß sie einen liederlichen Menschen liebte, und nur Zeit gewinnen wollte, um mich so lange zu ermuͤden, daß ich auch Ja sagen sollte ‒ ‒ ‒ Jch bitte um Vergebung, daß ich ihnen in die Rede falle. Wenn nun Fraͤulein Hervey ihr Ja nicht erhalten koͤnnte, was wuͤrde weiter darans werden? J i 5 Es Die Geschichte Es ist wahr, Kind! allein sie sollte es auch nie erhalten. So wuͤrde es auch nie geschehen, Frau Base. Daran zweiffele ich noch, Claͤrchen. Wenn sie aber daran zweifeln, meinen sie denn, daß durch Gefangenschaft, und harte Begegnung einer Uebereilung vorgebeugt werden kann? Mein Kind, sie machen mich fast durch ihre Reden besorgt, als koͤnnte man sich nicht auf sie verlassen, nachdem wir einmahl wissen, wohin ihre Neigung geht. Diese Besorgniß scheint entstanden zu seyn, ehe ich dergleichen Reden gefuͤhrt, oder die geringste Gelegenheit dazu gegeben habe. Woher kaͤme sonst meine schimpfliche Gefangenschaft? Alles ! ;, was ich bisher habe erdulden muͤssen, scheint nur die Absicht zu haben, mich dadurch zu schrecken, da man wußte, daß ich allzu guten Grund zu meiner Verweigerung hatte, und ist nicht einem in mich gesetzten Mistrauen zuzuschreiben. Denn um die Zeit, da sich mein Leyden anfing, hatte ich noch nicht die geringste Gelegenheit zum Mißtrauen ge- geben; und es sollte auch noch keine Ursache dazu vorhanden seyn, wenn man sich auf meine Vor- sichtigkeit haͤtte verlassen wollen. Meine Frau Base bedachte sich ein wenig was sie sagen wollte; darauf sprach sie: allein beden- cken sie was fuͤr Verwirrung sie in ihrer Familie verewigen werden, wenn sie den verhaßten Love- lace heyrathen. Und der Clarissa. Und bedencken sie (antwortete ich) wie ich mein Elend verewigen werde, wenn ich den verhaßten Solmes heyrathe. Manches Maͤdchen hat nie geglaubt, daß es ei- nen Mann lieben koͤnnte, bey dem es nachher sehr giuͤcklich gewesen ist. Sehr wenig Frauenzimmer bleiben bey ihrer ersten Liebe. Vielleicht kommt es daher, daß man so wenige gluͤckliche Ehen siehet. Allein sehr selten machen solche Personen den er- sten Eindruck bey einem Frauenzimmer, zu denen man ihnen rathen kann. Jch fuͤrchte das auch, Frau Base. Jch habe ei- ne sehr schlechte Meinung von dem ersten Eindruck. Allein ich habe schon oft gesagt, daß mein gantzes Verlangen darauf gehet, unverheyrathet zu bleibẽ. Das kann aber in der That nicht geschehen, Fraͤulein. So lange sie nicht verheyrathet und vor Herrn L ovelacen voͤllig gesichert sind, koͤnnen ihre Eltern keine ruhige Stunde haben. Jch hoͤre, sie haben gar den Vorschlag, ihm Bedingungen zu bewilligen, (so weit soll es zwischen ihnen beyden gekommen seyn) daß sie keinen andern heyrathen wollen, wenn sie ihn nicht kriegen. Jch bekenne es frey, ich weis kein besseres Mit- tel, auf beyden Seiten Ungluͤck zu vermeiden. Wenn ich von ihm abgehe, so ist kein anderer in der Welt, gegen den ich eine Zuneigung fassen kann. Jch wolte indessen alle meine zeitlichen Guͤter da- fuͤr geben, daß er eine andere Person heyrathete. Das ist meine wahre Meinung, ob ihr gleich so un- glaͤubig dazu laͤchelt, Arabelle! Es Die Geschichte Es kan seyn Claͤrchen. Jch will abẽr doch laͤcheln. Wenn sie von ihm abgehen? (sagte meine Base) So sehe ich doch woran wir sind. Jch will hinunter gehen: soll ich ihnen nachfolgen, Fraͤulein Harlowe? Jch will ihren Herrn Va- ter zu bewegen suchen, daß meine Schwester selbst herauf kommen darf. Vielleicht gedeyhet die Sache alsdenn zu einem besseren Ende. Meine Schwester sagte: seyn sie gewiß versi- chert, es wird nichts daraus kommen, als daß sie und meine Mutter beyderseits mit verschiedenem Erfolg weinen: meine Mutter wird besaͤnftigt und mit einem zerbrochenen Hertzen herunter kommen; und ihr liebes Kind wird sich nur mehr verhaͤrten, weil es seiner Mutter Hertz hat verun- ruhigen koͤnnen. Das war eben die Ursache, deswegen das Maͤdchen auf seine Stube ver- bannet ist. Sie redete noch mehr dergleichen, als sie die Treppe hinunter ging. Der vier und viertzigste Brief. von Fraͤulein Clarissa Harlowe an Fraͤulein H owe. M ein Hertz schlug mir vor Hoffnung und Furcht, daß ich meine Mutter sehen sollte, und vor Bekuͤmmerniß, daß ich ihr so viel Un- ruhe verursachet hatte. Beydes war uͤberfluͤßig: sie durfte der Clarissa. durfte nicht kommen. Meine Base hatte allein die Guͤtigkeit unter Aufsicht meiner Schwester zuruͤck zu kommen: sie fassete mich bey der Hand, und befahl mir, mich bey ihr nieder zu setzen. Sie sagte: sie kaͤme noch einmahl aus einer vielleicht allzugrossen Dienstfertigkeit, denn sie thaͤte es wider den Rath meines Vaters. Allein sie fuͤrchtete sich allzu sehr vor den Folgen, die meine Widerspenstigkeit nach sich ziehen koͤnnte. Hierauf erzaͤhlte sie mir, was meine Freunde von mir erwarteten; wie reich Herr Solmes sey; daß er in der That dreymahl so viel im Ver- moͤgen haͤtte, als er bisher geschaͤtzt waͤre; von Herrn Lovelaces uͤbler Nachrede, und der Feind- schaft der gantzen Familie gegen ihn. Alles dieses stellte sie mir nachdruͤcklich vor, allein nicht nach- druͤcklicher, als es mir meine Mutter schon vor- hin vorgestellet hatte. Meine Mutter mußte ihr nicht alles erzaͤhlt haben, was zwischen ihr und mir vorgegangen war: sonst wuͤrde meine Base nicht manche Sachen wiederholt haben, die ihre Schwester schon vorhin staͤrcker und dennoch fruchtlos vorgestellet hatte. Sie hielt mir vor: mein Vater wuͤrde sich dar- uͤber graͤmen, daß es schiene, als koͤnnte er seiner Tochter nicht befehlen, und zwar in einer Sache, die seiner Einsicht nach zu ihrem Besten gereichte: einer Tochter, von der er immer so viel gehalten haͤtte. Liebste, liebste Fraͤulein (beschloß sie) ich bitte sie um meinet willen, um ihrent willen, um hundert anderer Ursachen willen, uͤberwinden sie Die Geschichte sie ihre Abneigung, und lassen sie ihre Vorurtheile fahren. Machen sie uns alle nochmahls gluͤcklich und vergnuͤgt. Jch wollte wol vor ihnen nieder- knien. Ja! ich will wircklich vor ihnen nieder- knien. Hierauf fiel sie wircklich vor mir nieder, und ich vor ihr, indem ich sie bat, nicht zu knien. Jch umpfieng sie mit meinen Armen, und wusch ihren Busen mit Thraͤnen. Stehen sie auf meine liebe Frau Base (sagte ich) stehen sie auf. Sie ver- wunden mein Hertz durch ihre Herablassung und Guͤtigkeit allzu sehr. So versprechen sie mir denn, liebste Claͤrchen, daß sie alle ihre Anverwanten erfreuen wollen. Jch bitte sie, thun sie es, wenn sie uns lieb haben. Wie kann ich etwas versprechen, dafuͤr ich lie- ber in den Tod gehen will? So sagen sie mir denn, ob sie es uͤberlegen wol- len? Wollen sie sich selbst die Gruͤnde vorhalten? Geben sie uns nur einige Hofnung! Laßen sie mich nicht so vergeblich bitten. (Denn sie knieete noch, und ich knieete ihr gegen uͤber.) Wie uͤbel bin ich dran! Wenn ich nur zweif- feln koͤnnte, so wolte ich bald uͤberwinden. Was meine Freunde fuͤr einen Bewegungs-Grund an- sehen, das gilt bey mir gantz und gar nicht. Wie oft muß ich einerley Sache wiederhohlen. Lassen sie mich doch unverheyrathet bleiben! Kann ich denn mein Leben nicht unverheyrathet zubringen? Schicken sie mich nach Schottland, nach Florentz, wohin sie wollen: Jch habe den Vorschlag schon gethan der Clarissa. gethan. Schicken sie mich als eine Leibeigene nach West-Jndien, ich will mir alles gefallen lassen. Allein ich kann nicht, ich kann gar nicht daran dencken, einem Mann, der mir unertraͤglich ist, eine ewige Treue und Liebe zu versprechen. Sie stand auf, und sagte: wohlan, ich sehe, ich kann sie nicht bewegen, uns zu erfreuen. Ara- belle bestrafte abermahls meinen vermeinten Ei- gensinn mit aufgehobenen Haͤnden. Was kann ich thun, allerliebste Frau Her- vey? Was kann ich thun? Wenn ich zu etwas Hofnung machen wolte, das ich nicht erfuͤllen kann, so wollte ich sagen, daß ich mich auf ihren guͤtigen Rath bedenken wollte. Allein ich will lieber fuͤr halsstarrig als fuͤr falsch angesehen werden. Jst denn also keine Mittel-Straße uͤbrig. Kann nichts erdacht werden? will man keine andere Be- dingung annehmen, als die, daß ich einen heyra- then soll, der mir desto unangenehmer ist, weil die Bedingungen, die er anbietet, ungerecht sind? Meine Schwester sagte: wen straft ihr nun? uͤberlegt das! Legt meine Worte nicht nachtheilig aus, Ara- belle. Es mag vielleicht nicht ein jeder diese Be- dingungen von eben der Seite ansehen. Bey ei- nem ungerechten Geschencke sind eigentlich die strafbar die es geben und die es annehmen. So lange es mir ungerecht vorkommt, so lange wuͤrde ich keine Entschuldigung haben, wenn ich es an- nehme. Allein warum will ich mir den Fall nur als Die Geschichte als moͤglich vorstellen? Mein Hertz empoͤret sich gegen den Mann, wann ich ihn auch von der besten Seite ansehe. Welcher Vater ausser mei- nem wird eine Chestiftung machen, wenn er keine Zuneigung hoffen kann? ja wenn aus dem Ge- gentheil gar kein Geheimniß gemacht wird, ohne daß nur ein Schatten einer Veraͤnderung zu spuͤ- ren ist. Allein wenn ich auf den Grund der Sa- che sehe, so thut das alles mein Vater nicht. O mein grausamer Bruder! der macht, daß man Gewaltthaͤtigkeiten gegen mich gebraucht, unter denen er nicht die geringste Gedult behalten wuͤr- de, wenn er an meiner Stelle waͤre. Meine Schwester sagte: Frau Hervey sie se- hen das Maͤdchen wird in seinen Gedancken im- mer groͤsser. Es scheut keinen Menschen mehr. Jch bitte sie, geben sie ihr doch zu verstehen, was sie zu erwarten hat. Es ist nichts bey ihr aus- zurichten. Jch bitte sie, machen sie ihr doch ihr Urtheil bekant. Meine Base ging weinend an das Fenster, und hatte meine Schwester an der Hand. Sie sagte zwar sanfte, allein doch so, daß ich alle Worte ver- nehmen konnten zu ihr: ich kann nicht, Fraͤulein Harlowe: ich kann es gewiß nicht thun. Das was man ihr zumuthet ist sehr hart. Sie ist doch ein unvergleichliches Kind. Es ist Schade, daß es schon so weit gekommen ist: allein man muß Herrn Solmes sagen, daß er ablaͤßt. Meine Schwester wisperte ihr so laut sie konn- te in die Ohren haben sie sich auch durch die kleine Syrene der Clarissa. Syrene einnehmen lassen? Meine Mutter hat wohl gethan, daß sie nicht mitgekommen ist. Jch glaube fast, daß sich mein Vater von ihr wuͤrde haben herum lencken lassen, wenn der erste Zorn voruͤber gewesen waͤre. Niemand kann etwas bey ihr ausrichten, als mein Bruder allein. Der weiß wie er es angreiffen soll. Dencken sie ja nicht darauf (sagte meine Base noch mit leiser Stimme) daß ihr Bruder herauf kommen soll. Er kann sich gar zu wenig halten. Jch sehe bey ihr keine Hartnaͤckigkeit, keine Unart. Wenn ihr Bruder herauf kommt, so mag ich fuͤr die Folgen nicht stehen; denn ich dachte ohnehin ein paar mahl, daß sie ohnmaͤchtig merden wuͤrde. Ach Frau Base, sie hat ein hartes Hertz. Sie sahen, daß sie auch durch ihr Knien nichts bey ihr ausrichten konnten. Meine Schwester ließ sie darauf allein am Fen- ster stehen, wo sie in Gedancken blieb, und uns den Ruͤcken zukehrte. Hievon nahm meine Schwe- ster Anlaß, mich noch empfindlicher auszuspotten. Denn sie hohlte aus meinem Closet die Proben, die meine Mutter geschickt hatte, und legte sie auf dem Stuhl neben mir auseinander, hielt sie dar- auf nach der Reihe auf ihren Ermel und Schul- ter, und sagte mit einer angenommenen Gelassen- heit, und so daß es Frau Hervey nicht hoͤren konn- te: Das, Claͤrchen, ist eine artige Probe, allein jene sieht recht allerliebst aus. Jch wollte euch ra- then, das Braut-Kleid davon zu waͤhlen. Wenn ich an eurer Stelle waͤre, so sollte dieses mein Abend-Kleid am Hochzeit-Tage seyn. Hievon Erster Theil. K k sollte Die Geschichte sollte der zweyte Anzug kleiner seyn. Wolt ihr nicht anordnen mein Hertz, daß eurer Gros-Mut- ter Juwelen umgesetzt und aufgeputzt werden? oder wollt ihr lieber in den neuen Juwelen erschei- nen, die euch Herr Solmes zugedacht hat? Er redet von zwey bis drey tausend Pfund, die auf Geschencke gehen sollen. Alle mein Wunder, wie kostbar werdet ihr angeputzet seyn! Was? sagt ihr nichts, suͤsser Schatz der Mutter Norton? Noch immer stille? Allein wollt ihr euch nicht lie- ber in Sammet kleiden? das wuͤrde in einer Kir- che auf dem Lande ein grosses Aufsehen machen; und einen Monath lang wird es noch wegen des Wetters angehen. Karmesin-roth sollte huͤbsch lassen. Ey! bey so einer schoͤnen Farbe, als ihr habt, sollte es treflich stehen. Was fuͤr eine artige Roͤthe wuͤrde es euch geben! Huchey! (ans Spott, weil ich eben seufzete, daß ich so mit mir spielen lassen muste) Und ihr seufzt, Hertzchen? Aber wie! was denckt ihr zu schwartzen Sammet? weil es doch eine oͤffentliche Hochzeit ist. Schwartzer Sammet! ‒ ‒ und so ein schoͤn Gesicht, mit so hel- len Augen, die wie die Sonne im April durch eine Regenwolcke scheinen! Sagt euch das nicht Lo- velace auch, daß ihr schoͤne Augen habt? Wie liebenswuͤrdig werdet ihr emander vorkommen! Noch immer stumm? Aber die Spitzen, Claͤrchen- Sie wollte noch weiter reden, wenn nicht Frau Hervey auf uns zugegangen waͤre, da sie noch im Gehen die Augen abwischete. Was sagt ihr euch einander ins Ohr, Fraͤuleins! (fing sie an.) Sie sehen so vergnuͤgt und ruhig zu ihrer geheimen Un der Clarissa. Unterredung aus, Fraͤulein Harlowe, daß ich Hofnung habe gute Botschaft hinunter zu bringẽ. Jch sage ihr nur meine Meinung von den Pro- ben. Sie hat mich zwar nicht gefragt: allein aus ihrem Stillschweigen mercke ich doch, daß sie mei- ner Meinung ist. O Arabelle! Wenn es doch Lovelacen nie eingefallen waͤre, euch bey eurem Worte zu fassen. Jhr haͤttet alsdenn in eurer eigenen Sache eure Einsicht gebrauchen koͤnnen: und ich so wohl als ihr, wir beyde waͤren gluͤcklich gewesen. War ich daran Schuld Arabelle, daß es anders ging? (Wie verdrießlich ward sie hierbey!) Es ist nicht artig an euch, daß ihr so gern empfindliche Reden austheilet, und sie doch so ungern wider einnehmet Die arme Arabelle ließ sich so weit herunter, Schimpf-Woͤrter gegen mich zu gebrauchen. Ey Schwester (fuhr ich fort) ihr werdet so un- gebalten, als wenn meine Worte noch in einem andern Verstande wahr waͤren, als darin ich sie vielleicht gebraucht haben moͤchte. Mein Wunsch war aufrichtig. Um unser beyder willen, und um unserer Familie willen wuͤnschte ich dieses. Was habe ich denn Boͤses gesaget! Gebt mir nicht Ur- sache zum Argwohn, daß ich jetzt die wahre Ursa- che eures unanstaͤndigen Betragens gegen mich getroffen habe; eines Betragens zwischen Schwe- stern, dazu ich bisher keinen Grund habe finden koͤnnen. Fy! Fy! Fraͤulein Claͤrchen! sagte meine Ba- se. Meine Schwester ward immer wuͤthender. Es ist besser (sagte ich) verspottet zu werden, K k 2 als Die Geschichte als andere zu verspotten. Allein ich bitte euch, Arabelle, haltet euch den Spiegel einmahl vor, und sehet, wie schlecht euch die Kleidung anstehet, die ihr mir so unbarmhertzig anlegen wollt. Fy! Fy! Fraͤulein Claͤrchen; sagte meine Ba- se noch einmahl. Sie wuͤrden auch zu meiner Schwester Fy! ge- sagt haben, wenn sie ihren unertraͤglichen Spott uͤber mich mit angehoͤrt haͤtten. Lassen sie uns gehen! (sagte meine Schwester) Sie mag von ihrem eigenen Gifft schwellen bis sie berstet. Sie findet mich auf dem Sinne, daß die- ses das letzte mahl ist, daß ich ihr nahe komme. Jch antwortete: es ist so leicht euch mit euren eigenen Waffen zu uͤberwinden, wenn ich nieder- traͤchtig genug seyn wollte, eurem boͤsen Exempel zu folgen, daß ich mich wundere, daß ihr mich rei- tzet. Weil ihr aber doch hinunter gehen wollt, Arabelle, (denn sie ging nach der Thuͤr zu) so ver- gebt mir vorher: ich will euch auch vergeben. Jhr habt gedoppelte Ursache dieses zu thun: weil ihr aͤlter seyd als ich, und weil ihr mich in meinem Unguͤck so muthwillig betruͤbt habet. Seyd ihr gluͤcklich! das wuͤnsche ich, wenn mein Gluͤck gleich verschertzt seyn sollte. Habt nie die Haͤlfte von meinem Leyden auszustehen! Es sey eur Trost, daß ihr keine Schwester habt, die euch vergelten kann, was ihr mir gethan habt. Und so seegne euch GOtt. O du bist ein ‒ ‒ Sie sagte nicht was ich waͤre, sondern flog weg. Jch fiel vor meiner Base nieder, und umfassete ihre der Clarissa. ihre Knie: erlauben sie mir, sagte ich, sie noch ei- nen Augenblick aufzuhalten. Jch will nichts von meiner armen Schwester sagen; sie straft sich selbst. Jch will mich nur bey ihnen fuͤr so viele Guͤ- tigkeit und Herablassung bedancken. Jch bitte sie nur, das nicht fuͤr eine Hartnaͤckigkeit anzusehen, daß ich mich von einer so zaͤrtlichen und liebrei- chen Base nicht habe bewegen lassen: und mir al- les zu vergeben, was ich in Worten und That in ihrer Gegenwart versehen habe. Es ist gewiß nicht aus Haß gegen die arme Arabelle hergekom- men. Jch unterstehe mich zu sagen, daß weder sie, noch mein Bruder, noch selbst mein Vater das Hertz kennen, welches sie blutend machen. Jch sahe zu meiner Aufrichtung, was fuͤr gute Wuͤrckungen es fuͤr mich hatte, daß meine Schwester weggegangen war. Stehen sie auf, mein edles Gemuͤthe! mein liebes Kind! Knien sie nicht vor mir! (Das waren ihre guͤtigen Aus- druͤcke.) Behalten sie das bey sich, was ich ihnen jetzt sagen werde. Jch bewundere sie mehr, als ich es mit Worten ausdruͤcken kann. Wenn sie sich enthalten koͤnnen, ihr Gut wider zu fodern, und wenn sie sich entschliessen koͤnnen, L ovelacen nicht zu nehmen, so sind sie das groͤsseste Wunder, das ich in ihren Jahren gesehen habe. Jch muß jetzt ihrer Schwester nacheilen. Dis sind meine letz- ten Worte an sie: schicken sie sich in ihres Vaters Willen, wenn es moͤglich ist. Was fuͤr ein lo- benswuͤrdiger Gehorsahm wuͤrde dieses seyn? Be- ten sie zu GOtt, daß er ihnen Gnade dazu gebe. Sie wissen vielleicht nicht, was geschehen kann. Sie wollte gehen. K k 3 Nur Die Geschichte Nur noch ein eintziges Wort, meine liebste Frau Base. Reden sie alles was sie koͤnnen zum Be- sten der armen Frau Norton. Jhre zeitliche Umstaͤnde sind schlecht: wenn sie kranck wuͤrde, so wuͤrde sie nicht ohne meiner Mutter Huͤlfe leben koͤnnen. Jch habe keine Mittel ihr zu helffen, denn ich will ehe der Nothdurft entbehren, als mein Recht gerichtlich behaupten. Jch versiche- re Jhnen, sie hat so viel zu mir gesagt, mich zu uͤberreden, daß ich meines Vaters Willen fol- gen moͤchte, daß ihre Gruͤnde ein grosses dazu beygetragen haben, mich von Erwaͤhlung der aͤus- sersten Mittel abzuhalten, zu denen ich nur wuͤn- sche nicht zuletzt gezwungen zu werden. Und den- noch berauben sie mich ihres guten Raths, und hegen von einer so vortreflichen Frau niedertraͤch- tige Gedancken. Jch freue mich, daß ich dieses von ihnen hoͤre. Jch nehme noch diesen, noch diesen Kuß, noch diesen Kuß von ihnen weg, allerliebstes Kind: (so nannte sie mich beynahe alle Augenblicke, und kuͤssete und umarmete mich auf das liebreichste.) GOtt schuͤtze und leite sie. Allein sie muͤssen sich unterwerfen: sie muͤssen wahrhaftig. Ein Tag in diesem Monath ist alles woruͤber sie noch eine freye Wahl haben. Jch glaube, daß dieses das Urtheil war, wel- ches meine Schwester sie noͤthigen wollte auszu- sprechen. Es war aber nicht schlimmer, als das was schon vorhin uͤber mich ausgesprochen war. Sie sprach diese letzten Worte lauter als die vorigen, und setzte hinzu: bedenckell sie Fraͤulein, daß der Clarissa. daß es ihre Schuldigkeit ist, Gehorsahm zu leisten. Hiemit ging sie hinunter, und verließ mich mit ei- nem gekraͤnckten Hertzen und uͤberfließenden Au- gen. Selbst die Widerhohlung dieser Geschichte kraͤnckt mich von neuen. Jch kann vor Thraͤnen nicht mehr schreiben, die mir die Augen so verdun- ckeln, daß ich alles durch Wolcken sehe- Mittwochens um 5. Uhr. Jch will noch ein paar Zeilen hinzu thun. Un- ten an der Treppe ward Frau Hervey von meiner Schwester empfangen, die sich einzubilden schien, daß sie lange nach ihr bey mir geblieben waͤre Sie hatte ihre letzte Ermahnung zum Gehorsahm ge- hoͤrt; und lobete sie davor: predigte aber noch mit dem Ausdruck wider mich: haben sie je so viel ver- kehr ten Eigensinn erlebt? Haͤtten sie dencken koͤn- nen daß das hinter Claͤrchen, hinter ihrer Claͤr- chen steckte? Wer soll nachgeben? Sie oder ihr Vater? Es war gantz recht, daß sie ihr dieses sagten. Meine Base gab ihr eine Antwort, und es schien, als wollte sie ihr Mitleyden bezeugen. Jch konnte aber nur den Ton und nicht die Worte hoͤren. So eine wunderliche Bestaͤndigkeit bey so un- billigen Forderungen! Allein mein Bruder und meine Schwester stellen alles, was ich thue und rede auf der schlimmen Seite vor: und ich habe keine Gelegenheit mich zu verantworten. Meine Schwester sagt: niemand wuͤrde sich mit mir gewagt haben, wenn sie mich fuͤr eine solche K k 4 Fech- Die Geschichte Fechterin gehalten haͤtten. Nun sie nicht wis- sen, wie sie meine Widersetzung mit meiner uͤbri- gen Gemuͤths-Art reimen sollen, so scheint es, daß sie mich durch Veraͤnderung der angewandten Mittel endlich zu ermuͤden suchen. Mein Bru- der, wie Sie sehen, ist vest entschlossen, die Sache durchzutreiben, oder Harlowe-Burg auf ewig zu verlassen. Mein Vater muß also entweder ei- nen Sohn verlieren, oder eine Tochter bezwingen; und zwar die unartigste und undanckbarste, die Eltern jemahls gehabt haben. Auf der Seite stellt er die Sache vor: und verspricht mich zu zwingen, wenn man seinem Rath folget. Man wird es noch weiter versuchen, davon bin ich uͤberfuͤhrt. Allein wer kann rathen, auf welches Mittel sie nun fallen werden? Jch schicke mit diesem Brieffe die Antwart auf ihr Schreiben vom Sonntage, die ich den Mon- tag angefangen und noch nicht geendiget habe. Sie ist zum Abschreiben zu lang: ich habe jetzt kei- ne Zeit darzu. Jch bin in einigen Stellen sehr frey mit Jhnen umgegangen: es gefaͤllt mir selbst nicht alles was ich geschrieben habe, ich will es aber doch stehen lassen. Mein Hertz ist nicht frey genug, Brieffe zu schreiben. Seyn Sie nicht ungehalten auf mich. Wenn Sie ein paar Stel- len entschuldigen koͤnnen, so kommt es blos da- her, weil sie geschrieben sind, von Jhrer Clarissa Harlowe. Ende des ersten Theils.