Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung . Von Rudolph Jhering, geheimen Justizrath und ordentlichem Professor der Rechtswissenschaft in Gießen. Dritter Theil . Erste Abtheilung. Leipzig , Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel 1865. Vorrede . D as Erscheinen der gegenwärtigen ersten Abtheilung des dritten Bandes hat sich ungleich länger hinausgeschoben, als ich ursprünglich gerechnet hatte. Die Schuld davon liegt weniger an mir, als an der Aufgabe. Ich habe in den sechs Jahren, die seit der Veröffentlichung der zweiten Abtheilung des zweiten Bandes verflossen sind, die Arbeiten für den dritten Band nie auf längere Zeit unterbrochen, aber wer eine Vorstellung von der Art der Arbeit hat, wird wissen, daß sie nicht rasch aus der Stelle schreiten kann. Wie oft hat ein vermeintlicher Schritt vor- wärts mich um zwei Schritte zurückgebracht, wie oft eine neu auftauchende Frage, eine neue Seite, die ich der Sache hinterher noch abgewann, mich zu einem unfreiwilligen Stillstand von mehreren Monaten verdammt, wie häufig habe ich mich ent- schließen müssen mit einem Abschnitt, mit dem ich bereits fertig geworden zu sein glaubte, ganz von neuem zu beginnen! Es ist das einmal der Fluch, der von derartigen Unternehmungen, wie die meinige es ist, unzertrennlich ist, und der mich, wenn mein Werk mir nicht zu sehr ans Herz gewachsen wäre, mehr als ein Vorrede . Mal hätte in Versuchung bringen können, es gänzlich aufzu- geben. Ich glaube die Art meiner Aufgabe nicht besser bezeich- nen zu können, als damit, daß sie nie zum Abschluß zu bringen ist. Bei Arbeiten anderer Art gibt es doch einen gewissen Punkt, bei dem der Verfasser sich sagen kann, daß er mit aller Anstren- gung nicht mehr im Stande ist, die Sache wesentlich zu fördern, daß er seine Kraft daran vollständig erschöpft hat, kurz einen subjectiven Abschluß und Ruhepunkt. Bei der meinigen ist der- selbe fast nie eingetreten, es ist kaum eine Parthie meines Buchs, bei der ich nicht auch jetzt noch von neuem anfangen möchte zu ändern und zu bessern, kaum eine, bei der nicht die Ausführung hinter dem Bilde, in dem sie mir vor der Seele schwebte, zurück- geblieben ist, und empfindlicher, als alle Ausstellungen, welche die Kritik mir machen kann, ist für mich das Gefühl, daß mein Werk dem Maßstab, den ich in mir selber trage, nicht entspricht — ein Gefühl, das mich jetzt, wo ich ein neues Stück meines Werks der Oeffentlichkeit übergebe, in verstärktem Maße überfällt, und dessen ich nur durch den nothgedrungenen Trost Herr werde, daß es einmal nur wenig auserwählten Naturen beschieden ist, etwas wirklich Vollkommnes zu Tage zu fördern. Aber die Er- fahrung hat mich belehrt, daß ich, wo ich dem Triebe zu feilen und zu bessern zu sehr nachgab, nur zu oft statt zu bessern ledig- lich änderte, wohl gar verschlechterte; anstatt aus der Stelle zu kommen, mich nutzlos im Kreise herumdrehte. Um mich gegen diese Gefahr zu schützen, die meinem Buch das Schicksal des Gewebes der Penelope bereitet haben würde, habe ich noth- gedrungen auch bei diesem Bande den frühern Weg einge- schlagen, das Manuscript stückweis der Druckerei zu übergeben, und werde denselben auch für die Zukunft beibehalten müssen. Vorrede . Ich bemerke dies nur darum, weil die Benutzung dieses Weges einen Uebelstand zur Folge gehabt hat, der dem aufmerksamen Leser nicht entgangen sein würde. Während des dreijährigen Zeitraums, der über dem Druck der gegenwärtigen Abtheilung verstrichen ist, hat sich der Grundriß und Plan des Ganzen, das Fachwerk der Paragraphen, nach dem ich mich bei Ausarbeitung des Einzelnen richtete, nicht unwesentlich verändert, und ich glaubte die Möglichkeit einer Verbesserung desselben nicht aus dem Grunde von der Hand weisen zu sollen, weil ich auf den bereits abgezogenen Bogen eine andere Anordnung angekündigt hatte. So stimmen z. B. die §§. 54 und 55 nicht mit der Uebersicht auf S. 16, und manche Verweisungen auf spätere Paragraphen nicht mit letztern selbst, die B. 2 S. 8 ange- kündigte Theorie des Willens hat sich zu einer Theorie der Rechte erweitert, wie überhaupt der dort mitgetheilte Aufriß des ganzen zweiten Systems wesentlich modificirt worden ist. Ich glaube der Nachsicht des Lesers für wichtigere Dinge zu be- dürfen, als daß ich sie für diese rein äußerlichen Unregelmäßig- keiten in Anspruch nehmen möchte. Jener successive Druck des Buchs hat auch noch die Folge gehabt, daß er mich verhindert hat, das Zusammentreffen der eignen Ansicht mit Ansichten An- derer, die erst nach dem Druck der betreffenden Bogen meines Buchs veröffentlicht wurden, zu constatiren, wie dies z. B. mit der von mir S. 207 entwickelten Idee über die act. receptitia der Fall ist, die ihrem wesentlichen Kern nach inzwischen auch von Goldschmidt , Handbuch des Handelsrechts, B. 1 §. 37 Note 3 (vorher schon in einem Abdruck des §. 37 in Nr. 16 der deutschen Gerichtszeitung vom 20. April dieses Jahres) ausgesprochen worden ist. Vorrede . Mit der zweiten Abtheilung dieses Bandes wird das zweite System und damit das wichtigste und umfänglichste Stück meines ganzen Werks beschlossen sein. Das dritte System wird un- gleich kürzer ausfallen, ich glaube dafür nur einen Band von der Stärke des zweiten nöthig zu haben — ein scheinbares Miß- verhältniß, dessen Erklärung und Rechtfertigung zur Zeit noch verfrüht sein würde. Gießen , den 6. November 1864. Inhalt des dritten Theils. Erste Abtheilung . Zusammenhang mit dem Früheren . B. 2 Abth. 2 (§. 37—41). A. Das Wesen der Technik im Allgemeinen . B. Die Technik des ältern Rechts . (1) Die Jurisprudenz (§. 42). (2) Haften des Rechts an der Aeußerlichkeit (§. 43—47). B. 3. Abth. 1. (3) Die juristische Kunst (§. 48—58). I. Die Analytik des Rechts. II. Die juristische Oekonomie. Die juristische Kunst . §. 48. Gegensatz des folgenden Abschnittes zum vorhergehenden — Die spe- cifisch-juristische Kunst — ihr Antheil an der ursprünglichen Bildung des Rechts — ihr Charakter. S. 1—11. I. Die Analytik des Rechts . §. 49—55. §. 49. Uebersicht. S. 12—16. A. Der Proceß . 1. Analytischer Mechanismus desselben . §. 50. Relativ frühe Entwicklung des Processes — Antheil des analytischen Gedankens an der Organisation des altrömischen Processes — Der Zersetzungszwang des Actionensystems — Fixirung des Moments der Litis-Contestation — Idee der processualischen Cäsur. S. 16—27. Inhalt des dritten Theils. 2. Die Actionen processualische Reagentien . §. 51. Casuistische Erläuterung — Unzulässigkeit der Klagencumulation — Das Gesetz der Scheidung der Klagen — Auffindung desselben auf inductivem Wege — Individualitätsmoment des Eigenthums, der Obligation und des Erbrechts — casuistische Erprobung des Gesetzes. S. 27—48. 3. Die Vertheidigung . §. 52. Aelteres und neueres System derselben — Vertheidigung in Form der Negation (Formulirung der Klage in jus und in factum ) — Spiel- raum derselben im Vergleich zur Exception — Möglichkeit der Gel- tendmachung eines Gegenanspruches in processualisch unsichtbarer Form (Rechtssätze mit Exceptionszweck) und in processualisch sicht- barer Form (Klage mit Vorbehalt des gegnerischen Rechts — Sub- stituirung einer andern Klagformel im Interesse des Beklagten — Doppelklage) — Vertheidigung in Form der Klage — die processua- lische Strafklage und die leges imperfectae — Gesammturtheil über den analytischen Mechanismus des alten Processes. S. 48—125. B. Das Rechtsgeschäft . §. 53. Correspondenzverhältniß in der Structur des Processes und Rechts- geschäfts — Der Grundsatz der Einfachheit des Rechtsverhältnisses — Der Gedanke der Concentration des Rechtsgeschäfts: Simul- taneität des Akts, des Thatbestandes und der Wirkungen (Bedingung und dies ). S. 125—168). C. Die abstracte Analyse . 1. Grundsatzderelementaren Einfachheit der Rechtskörper . §. 54. Gegensatz des ältern und neuern Rechts — zusammengesetzte und ein- fache Rechtskörper — Maßstab der Einfachheit — juristische Gestal- tung des Obligationselements in nicht-obligatorischen Verhältnissen (analytische Composition der alten reivindicatio ) — Prüfung der Rechte vom analytischen Standpunkt — Gedanke der Einseitigkeit der Rechtsverhältnisse. S. 169—194. 2. Analytische Vereinfachung des Thatbestandes . §. 55. Vereinfachung des Thatbestandes im Interesse des Beweises — Aus- scheidung lösbarer Elemente in Form selbständiger Begriffe und Ver- hältnisse — die abstracte Eigenthumsübertragung (doppelte Beurthei- lung desselben Aktes vom Standpunkt des Eigenthums und der Obli- gation aus) — die abstracte Obligation (die act. receptitia ) — der abstracte Rechtsträger (die juristische Person) — Anwendung des Inhalt des dritten Theils. Grundsatzes in den Verhältnissen des öffentlichen und des Privatrechts — System der politischen Vitiösität — Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. S. 195—228. II. Die juristische Oekonomie . 1. Bestreitung der Bedürfnisse auf einfachem Wege . §. 56. Das Gesetz der Sparsamkeit — Die Kunst sich zu behelfen — Der einfache und künstliche Weg — Exemplification des erstern an einer Reihe von Beispielen. S. 229—247. 2. Die Schleichwege des Lebens . §. 57. Die Verwendung der Rechtsverhältnisse im Leben — Mißbrauch der Familienverhältnisse — Mittel zur Vereitelung der erbrechtlichen Be- schränkungen. S. 247—260. 3. Die künstlichen Mittel . §. 58. Die Constructionshandlungen — Die Scheingeschäfte — Die coemptio fiduciae causa — Theorie der Scheingeschäfte — Dogmatische Selb- ständigkeit derselben — Adoption zum Zweck der transitio ad plebem und adoptio regia — Die Fictionen. S. 260—292. Zweiter Abschnitt . Die Rechte . (Correspondirt dem ersten Abschnitt: allgemeine Charakteristik des Rechts- systems §. 23—58.) Der Abschnitt zerfällt in zwei Unterabschnitte: A. Allgemeine Theorie der Rechte . B. Die einzelnen Rechte . Allgemeine Theorie der Rechte . Die Rechte des ältern Privatrechts . §. 59. Historischer Charakter der Grundbegriffe des ältern Rechts — ihre Veränderlichkeit — Die wahren Quellen derselben — Ueberschätzung des logischen Elements im Recht. S. 293—306. Inhalt des dritten Theils. I. Begriff des Rechts . 1. Das substantielle Moment des Rechts . §. 60. Unzulänglichkeit des Willens- und Machtbegriffs für die Definition des Rechts — Das substantielle Moment des Rechtsbegriffs und die damit gegebenen Begriffe: Nutzen, Gut, Werth, Interesse — Die praktische Verwirklichung des Rechts: der Genuß. Die verschiedenen Formen des Genusses. Die Dispositionsbefugniß ein Wahlrecht in Bezug auf die Genußformen. S. 307—327. 2. Das formale Moment des Rechts . §. 61. Der Selbstschutz der Interessen oder die Klage — Die Gränze dieses Schutzes — Klagmechanismus und Recht der Destinatäre im Ver- hältniß der Corporationen und Stiftungen — Rechtsverhältnisse an res religiosae und publicae (Recht des Gemeingebrauchs) — Gegen- satz des Individual- und Gemeinrechts — Der Besitz und die bonae fidei possessio. S. 327—342. Die juristische Kunst. Gegensatz des folgenden Abschnittes zum vorhergehenden — Die specifisch-juristische Kunst — ihr Antheil an der ursprünglichen Bildung des Rechts — ihr Charakter. XLVIII. Schon eine geraume Zeit verweilt unsere Darstel- lung auf dem Gebiete der älteren Jurisprudenz, und wäre es wahr, was Manche lehren, daß der Beruf der Jurisprudenz in dem Interpretiren der Gesetze bestehe, so könnte unseres Bleibens hier nicht lange mehr sein, denn diesen Zweig der juristischen Thätigkeit haben wir bereits (§. 44) kennen lernen, und was wäre sonst noch viel übrig? Allein so paradox es klingt: der Haupttheil unserer Aufgabe, das Schwierigste ist noch zurück, und erst von jetzt an können wir behaupten uns im Centrum der römischen Jurisprudenz zu befinden, während wir uns bisher bloß in den Außenwerken umher getrieben haben. Zwar eine Reihe interessanter Erscheinungen haben wir auch dort angetrof- fen, Züge, die namentlich für den physiognomischen Ausdruck des ältern Rechts im Gegensatz des neuern höchst charakteristisch sind, allein dieselben gehören nicht sowohl der Jurisprudenz , als der Zeit an, sie waren nichts als die Reflexe, in denen die damalige Culturstufe innerhalb der Jurisprudenz sich abspie- gelte, und sie wiederholen sich darum auch auf den andern Ge- bieten des geistigen Lebens. Interpretiren und Formeln aufsetzen mußte der Pontifex auch außerhalb des eigentlich juristischen Gebietes, eine specifisch- juristische Kunst übte er damit nicht aus, und der Geist, in dem er es that, jene früher nachgewiesene Abhängigkeit vom Wort, Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 1 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. kam eben so wenig auf Rechnung der Jurisprudenz, sondern auf die der Zeit. Dies ändert sich von nun an gänzlich. Unsere Darstellung versetzt uns jetzt in die innerste Werkstätte der Jurisprudenz und verschafft uns die Gelegenheit, sie in ihrem geheimsten Wirken und Schaffen zu belauschen. Die Aufgaben und Interessen, die es hier gilt, die Mittel, mit denen sie gelöst werden, die Opera- tionen und Kunstgriffe, die hier zur Anwendung gelangen, kurz der ganze Gedanken-Apparat, den wir hier wahrnehmen, ist ausschließlich juristischer Art, es ist die specifisch-juristische Kunst, welche wir im folgenden bei ihrem Werk: der technischen Ge- staltung des älteren Rechts, zu beobachten haben werden. Die von uns vorausgeschickte allgemeine Theorie der Technik (§. 38 bis 41) macht es eben so möglich als nöthig uns streng auf das positive Material, welches das ältere Recht uns bietet, zu be- schränken. Die heutzutage herrschende Lehre datirt das Auftreten der Jurisprudenz in der Geschichte erst aus einer verhältnißmäßig späten Zeit. Eine lange Periode der rein naiven und gewohn- heitsrechtlichen Existenz des Rechts war ihr zufolge vorausge- gangen, und geraume Zeit bereits war der Gesetzgeber thätig gewesen, bevor die Jurisprudenz sich von ihrem Lager erhob. Um noch an der Grundlegung des Rechts sich zu betheiligen, dazu kam sie viel zu spät, denn die Fundamentalbegriffe des Rechts waren längst fertig und fest geworden, der Ablagerungs- und Erstarrungsproceß des Rechts im Ganzen und Großen be- reits vollzogen; was ihr zu thun übrig blieb, war mithin nur ein Nachhelfen und Nachbessern im Kleinen und Einzelnen, das Poliren und Feilen. Diese Ansicht habe auch ich früher getheilt, eine fortgesetzte Beschäftigung mit dem ältern römischen Recht hat mich jedoch überzeugt, daß dieselbe ein reines Phantasie- Product ist, dem die Geschichte keinerlei Unterstützung gewährt — der Traum von einem goldnen Zeitalter des Rechts, in dem die Menschen, ohne zu suchen, das Richtige getroffen hätten, in Juristische Kunst — frühes Alter derselben. §. 48. dem die Rechtsbegriffe noch ohne Zuthun des Menschen am Baum der Erkenntniß gewachsen seien, von dem er nur nöthig gehabt hätte sie zu pflücken, oder von dem sie ihm gar von selbst in den Schooß gefallen seien. Die positive Behauptung, die ich dieser Lehre entgegenstelle, ist die: daß die Geschichte des Rechts mit einem eisernen Zeitalter begonnen hat, mit dem harten Ringen und Arbeiten des menschlichen Verstandes, daß Absicht, Reflexion, Bewußtsein, Berechnung bereits bei der Bildung des Rechts thätig gewesen, daß die juristische Kunst schon an der Wiege desselben gestanden hat . So wenig uns heutzutage die Begriffe von selbst zufallen, sondern mit Mühe und Anstrengung gewonnen werden müssen, so und nicht anders ist es auch in jener historischen Epoche der Fall gewesen, wo die Grundbegriffe des Rechts sich gebildet ha- ben, und die Meinung, als ob die Völker in ihrer Kindheit den Begriff des Eigenthums, der Obligation u. s. w. nicht nöthig gehabt hätten zu suchen und auszubilden, sondern ihn fertig vorgefunden hätten, ist um nichts besser, als daß sie ihre Häuser, Pflugschaaren u. s. w. aus den Händen der Natur er- halten hätten. Wie sie wegen letzterer Jahrhunderte lang haben denken, arbei- ten und in Versuchen sich abmühen müssen, eben so und in noch viel höherem Grade wegen jener, und in Rom wenigstens muß eine lange Zeit des Tastens und Suchens, des Schwankens und der Unsicherheit vorhergegangen sein, bevor diese Begriffe jene knappen, festen Formen angenommen haben, die sie schon bei ihrem ersten historischen Auftreten an sich tragen. Einer je längern Prüfung ich diese Begriffe unterworfen habe, um so festeren Fuß hat die Ueberzeugung bei mir gefaßt, daß sie sg. Kunstproducte sind, und zwar Producte einer Kunst, die uns die höchste Bewunderung abnöthigen muß. Wer die Jurisprudenz mit der juristischen Schriftstellerei iden- tificirt und sie daher von dem ersten Buch an, das da geschrie- ben ist, datirt, für den freilich fällt diese Kunst weit zurück vor 1* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. die Zeiten der Jurisprudenz und hat auf den Namen der letzte- ren keinen Anspruch. Allein wer wie ich das Kriterium der Ju- risprudenz in etwas anderem erblickt, als im Bücher schreiben, wer sie setzt in juristisches Denken , der wird jener Kunst diesen Namen nicht vorenthalten, denn von einem juristischen Denken legen die Begriffe und Formeln, die sie uns überlie- fert hat, in einer Weise Zeugniß ab, wie ganze Wagenladungen von Büchern es für so manche schreiblustige Zeitalter nicht könn- ten. Dies Denken geht nur nicht, wie bei uns, in die Breite und ist uns nur nicht in seiner ursprünglich flüssigen Gestalt, sondern objectivirt und comprimirt auf kleinsten Raum, d. h. in Gestalt eines Rechtsbegriffs erhalten, und darum wird es von so Vielen übersehen, wie man ja auch im gewöhnlichen Leben sich oft nicht bewußt ist, daß die einfachsten Geräthschaften, Kunstgriffe u. s. w. Resultate eines oft über Jahrhunderte sich ausdehnenden menschlichen Denkprocesses sind. Wenn man aber mit uns jene Niederschläge des ältesten römisch-juristischen Denkens, wie wir die Grundbegriffe des rö- mischen Rechts nennen dürfen, einer Analyse unterwirft, das in ihnen objectivirte Denken wiederum in Fluß versetzt, so erstaunt man wahrhaft über die geistige Kraft und Arbeit, von der sie Zeugniß ablegen, über die Fruchtbarkeit und Einfachheit der Gedanken und die Consequenz und Energie der Durchführung — Eigenschaften, welche die Idee, daß die unmittelbare Volksüber- zeugung, das naive, nicht reflectirende Denken dies hervorge- bracht habe, geradezu zu einer Abgeschmacktheit stempeln, — und man sieht eine reiche Gedankenwelt sich aufthun, von der freilich die bisherige Rechtsgeschichtsschreibung, der die werthlosen Na- men von Juristen schwerer wogen, als juristische Gedanken, eben so wenig eine Vorstellung hatte, wie der Ungebildete von der Welt, die in Form der Versteinerungen das Innere der Erde uns auf- bewahrt. Wie das Auge des Paläontologen in diesen Verstei- nerungen den steinernen Bericht über die Geschichte unserer Erd- rinde erblickt, wie sie ihm Vorgänge und Umwälzungen aus Jurist. Kunst — Antheil an der Schöpfungsgeschichte des Rechts. §. 48. einer Periode, früher als alle Geschichte, verkünden, so gehört auch nur die rechte Kunst des historischen Lesens dazu, um in dem ältesten Begriffsmaterial des römischen Rechts eine juri- stische Schöpfungsgeschichte desselben verzeichnet zu fin- den, einen Bericht über das, was bei der ursprünglichen Bil- dung seiner Grundbegriffe geschehen ist, wie mit dem Willen und dem sittlichen Gefühl auch der Verstand und die juristische Kunst zu Rathe gesessen, was die ältesten Bildner des römischen Rechts beabsichtigt, erstrebt, gewollt. Es wäre Vermessenheit bestimmen zu wollen, was bei der Gestaltung der Begriffe auf Rechnung der juristischen Kunst, was auf Rechnung der übrigen rechtsbildenden Factoren zu setzen, z. B. wie sich der Antheil, den jene einerseits und der Macht- und Freiheitstrieb andererseits am römischen Eigenthumsbe- griffe genommen haben, auf beide vertheilt, allein daß diese Kunst an allen Rechtsbegriffen ihren Antheil und zwar ihren großen Antheil hatte, das steht mit unverkennbaren Zügen in jenem Bericht verzeichnet, ja es lassen sich gewisse, bei ihnen allen wiederkehrende technische Grundgedanken nachweisen, die ihnen ein ganz bestimmtes juristisches Gepräge aufdrücken und uns in Stand setzen, einen Typus der Structur aufzu- stellen, der sich bei ihnen wiederholt, während er bei den Insti- tuten, die erst dem neuern Recht ihren Ursprung verdanken, sich verläugnet. Um darin ein Werk der naiven, nicht reflectirenden Volksanschauung zu erblicken, während die Absicht, Berech- nung, Planmäßigkeit aus allem hervorleuchtet, müßte man ge- radezu die Augen schließen — eben so gut könnte man glauben, daß die Construction der Dampfmaschine durch Zufall gefunden worden sei. Wie die Darstellung des Einzelnen später genauer nachweisen wird, entfernt sich die Structur einzelner dieser In- stitute in dem Maße von der natürlichen Gestalt, die sie im Le- ben an sich tragen und in der mithin auch die natürliche Auffas- sung des Volks sie sich vorzustellen pflegt, daß man geradezu von einem Widerspruch gegen dieselbe reden kann. So bringt z. B. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. das ältere Recht den Kauf in Form zweier einseitiger Stipula- tionen, gibt also das für die ökonomische Würdigung des Kaufs ganz entscheidende Moment der Zweiseitigkeit, an der die un- befangene Betrachtung sich stets halten wird, der juristischen Form nach völlig auf — ein Gedanke durch und durch juristi- scher Art, der wenn auch nicht dem Kopf eines „Juristen von Fach,“ doch jedenfalls juristischem Denken seinen Ursprung verdankt. Vor allem aber tritt jener Zug der Künstlichkeit und Absichtlichkeit im ältern Proceß hervor, den wir eben darum einer genauern Betrachtung würdigen müssen, ja jene vermeint- liche Naivität und Natürlichkeit der Urperiode schlägt hier in dem Maße in ihr gerades Gegentheil um, daß unser heutiger Proceß ungleich weniger den Eindruck des Gemachten, Berech- neten, Künstlichen macht, als der jener Kindheitszeit. Fort also mit jenem Wahn, daß es eine Zeit gegeben — und verlege man sie auch noch so weit zurück —, wo das Recht, wie eine schöne Blume des Feldes wild aufgewachsen auf dem gesegneten Boden des nationalen Rechtsgefühls, der pflegen- den Hand des Menschen nicht bedurft hätte! Die Reflexion und Absicht hätten dasselbe freilich nie schaffen können, so we- nig wie es der Gärtner bei der Blume kann, allein, was sie können und von jeher gethan haben, ist: es pflegen, begießen, beschneiden. Der Antheil, den die menschliche „ That “ an der Entwicklung des Rechts hat und nach der sittlichen Weltordnung einmal haben soll, beginnt bereits in der frühsten Periode, und die heutzutage so verbreitete Ansicht der historischen Schule, welche wie überall so vor allem dort ein reines „Werden“ annimmt, kann es nur darum, weil sie die Hand nicht mehr sieht, welche „ gehandelt “ — das Handeln von der Ferne gesehen erscheint als Werden! Die berechtigte Auflehnung gegen eine frühere Rich- tung, welche das „Machen“ als einzige, wenn nicht ausschließ- liche Form der Rechtserzeugung betrachtete und der Widerwille gegen den flachen Rationalismus der Aufklärungsperiode hat die historische Schule ihrerseits in das andere Extrem getrieben, Jurist. Kunst — primitiver Typus derselben. §. 48. das „Thun“ ist in ihren Augen fast mit einem Makel behaf- tet, jedenfalls bildet das „Werden“ d. h. die gewohnheitsrecht- liche, unbewußte Bildung des Rechts ihr Ideal. Sie reprä- sentirt auf dem Gebiet unserer Wissenschaft ganz dieselbe Er- scheinung, wie die romantische Schule auf dem der Literatur, allein wie letztere mit ihrer poetischen Auffassung vom Mittel- alter bereits seit geraumer Zeit einer prosaischen, aber wahren Auffassung gewichen ist, so möchte es an der Zeit sein, der Poesie der „unmittelbaren Rechtserzeugung,“ des „organischen Wachsthums“ und wie sonst die bestechenden Ausdrücke für eine und dieselbe Sache heißen, die Prosa der Geschichte entgegen- zuhalten, und eben weil dies regelmäßig unterlassen wird, habe ich hier nicht umhin gekonnt es zu thun. Also Berechnung und Absicht haben am Bau des römischen Rechts und zwar bereits an dem der Fundamente mitgewirkt — die juristische Kunst ist so alt wie das römische Recht selber . Aber zwischen ihrem ersten Auftreten und ihrer Blüthezeit liegt, wie ein langer Raum, so auch ein großer Fortschritt und zwar nicht etwa ein Fortschritt des Grades , sondern der Art . Andere Zeiten andere Aufgaben, andere Aufgaben andere Mittel und Wege zur Lösung! Die Methode der spätern Jurisprudenz in die alte Zeit hinein verlegt wäre hier ebenso am unrechten Orte gewesen, als die der letzteren in jene, denn jede von ihnen war berechnet auf das eigenthümliche Problem, das sie zu lösen hatte. Das Problem der alten Zeit aber bestand darin, die Fun- damente zum Bau zu legen. Strenge Ordnung, mathematische Genauigkeit waren die Eigenschaften, die es hier galt; die Richt- schnur, das Winkelmaß und das Senkblei sind die architektoni- schen Symbole dieser Periode, gerade Linien, scharfe Winkel und Ecken die Formen, über die sie sich nicht hinauserhebt. Aber eben weil sie sich streng auf ihre Aufgabe beschränkt und diese im vollsten Umfange gelöst hat, konnte die spätere Jurisprudenz, fortbauend auf dem festen Fundamente, das jene gelegt, sich den höhern Aufgaben widmen, die an sie ergingen, der Ordnung Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. und Regelmäßigkeit die Freiheit und Schönheit hinzufügen und ihre Linien, statt nach der Richtschnur, in den kühnsten Wendun- gen und Verschlingungen sich bewegen lassen, ohne Unordnung zu befürchten. Versuchen wir es, das Bild der alten juristischen Kunst etwas genauer zu entwerfen; die speciellere Darstellung der folgenden Paragraphen wird demselben Farben und Leben geben. Von den verschiedenen Seiten und Operationen der juristi- schen Technik, die wir bei unserer allgemeinen Schilderung der- selben (§. 38) aufgeführt haben, finden wir bei diesem ihrem ersten Auftreten nur zwei in nachweisbarer, aber um so ausge- prägterer Gestalt vor: die juristische Analyse und die juristische Oekonomie (a. a. O. S. 345). Daß gerade sie historisch zuerst auftreten, hat in ihnen selbst ihren tieferen Grund (§. 49 u. 55), die Gestalt aber, in der sie es thun, ist bestimmt theils durch die Zeit , in die diese Thatsache fällt, theils durch ein für die Ent- wicklung einer jeden Kunst geltendes Gesetz. Wie nach unsern frühern Untersuchungen (§. 43—48) die Zeit allem, was die ältere Jurisprudenz schuf, ihren Stempel aufdrückte, nämlich den der Aeußerlichkeit, so auch ihrer Technik. Diesen Charakter trägt zu- nächst und vor allem ihre Analyse; unsere heutige Jurisprudenz und auch die spätere römische, soweit das ererbte Recht nicht im Wege steht, scheidet auf innerlichem, begrifflichem Wege, aber das alte Recht scheidet äußerlich , d. h. es hält nicht, wie wir, die Begriffe, wo sie in einem einzelnen Fall zusammen auftre- ten, innerlich auseinander, sondern es macht ihr äußeres Zusammentreffen unmöglich, indem es sie zwingt einfach aufzu- treten. Dies geschieht einmal durch die Theorie der Rechtsge- schäfte (§. 53): jedes Rechtsgeschäft ist nur für einen recht- lichen Zweck bestimmt, und sodann durch die Organisation des processualischen Verfahrens (§. 50, 51): jeder Proceß behandelt nur einen einzigen Anspruch, und weder von Seiten des Klä- gers, noch des Beklagten dürfen Gesichtspunkte eingemischt werden, die sich nicht unmittelbar auf diesen Anspruch beziehen. Jurist. Kunst — primitiver Typus derselben. §. 48. Die Analyse, die in unserem heutigen Rechte lediglich den Cha- rakter einer dem Richter obliegenden Operation hat, ist im ältern Rechte durch einen eignen äußern analytischen Appa- rat garantirt. Die juristische Oekonomie oder die Kunst durch geschickte Verwendung des vorhandenen Materials den Bedürf- nissen des Lebens gerecht zu werden bethätigt jenen Charakter der Aeußerlichkeit vorzugsweise in den Scheingeschäften . Das Gesetz, das ich oben im Sinne hatte, lautet folgender- maßen: Der Weg zur Freiheit in der Kunst geht durch die Unfreiheit . Der unerläßliche Anfang der Kunst sowohl für die Individuen wie für die Völker ist die strenge, sklavische Anwendung der Regel, nur Der wird Herr der Regel, der vor- her ihr Sklav gewesen. Was dem Meister als lebendiges Ge- setz seiner gesammten künstlerischen Anschauung sich innerlich assimilirt hat, das steht dem Lehrling noch als mechanisches Gebot äußerlich gegenüber, dem er sich blindlings und ohne eigene Prüfung zu unterwerfen hat. Das Verhältniß innerer Unfreiheit prägt sich in allen seinen Leistungen aus und drückt denselben einen ganz bestimmten Typus auf, der überall die Anfangsstufen der Kunst kennzeichnet, den der Tyrannei der Regel: der Steifheit, Trockenheit, Pedanterie, aber zugleich strenger Regelmäßigkeit und Ordnung. Das Gesagte trifft auch für die juristische Kunst zu, auch sie hat, um zur geistigen Freiheit zu gelangen, das Stadium der Unfreiheit zurücklegen müssen und sie trägt in demselben ganz jenen Typus der Anfangsstufe der Kunst an sich, den wir so eben geschildert haben, auf der einen Seite: musterhafte Ord- nung und Einfachheit, mathematische Regelmäßigkeit und Ge- nauigkeit, unerbittliche Consequenz; auf der andern die Kehr- seite dieser Vorzüge: Starrheit, Umständlichkeit, Schwerfällig- keit, Pedanterie, ein gewisses steifes, schulmeisterliches Wesen. Um einen gegebenen Punkt zu erreichen, geht die ältere Ju- risprudenz, wenn irgend ein Stein im Wege liegt, sicherlich nicht geradeaus, sondern sie sucht auf einem Umwege, in einem Zick- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. zack das Ziel zu erreichen. Es genügt ihr nicht bloß das Rich- tige zu treffen, sondern sie sucht auch zugleich äußerlich zu ver- sinnlichen oder anzudeuten, daß es das Richtige ist, sie dedu- cirt, so zu sagen, indem sie operirt . Es ist nicht gerade schwer, die lächerlichen Seiten dieses Bildes herauszukehren, wie Cicero bewiesen hat, allein ver- dienstlicher ist es, sich durch dieselben nicht in seinem Urtheile irre führen zu lassen, was aus dem Grunde doppelt leicht ist, weil einmal der ganze Eindruck der alten Jurisprudenz, ihr nüchterner, spießbürgerlicher, altväterischer Charakter durchaus nichts Gewinnendes hat, und sodann, weil ihre Leistungen mehr versteckter Art sind, wenigstens für uns, die wir uns einmal ge- wöhnt haben, die Grundbegriffe des römischen Rechts als eine ursprüngliche Mitgift der römischen Rechtsanschauung zu be- trachten. Wenn jene Eigenschaften, die wir so eben hervor- gehoben haben, allerdings bei einer „schönen“ Kunst, deren We- sen die Poesie ist, übel am Platze sind, so sind sie es darum nicht auch bei unserer juristischen, deren Wesen die nüchterne, dürre Prosa ist, und am wenigsten in einer Epoche derselben, in der noch das Senkblei und Winkelmaß regierten. Dem sklavischen Cultus der Regel, der selbst vor der Gefahr des Lächerlichen nicht zurückbebenden Consequenz und Strenge der Methode ver- dankt das römische Recht jene Vorzüge, die durch alles, was die spätere Jurisprudenz geleistet, um nichts an ihrem Glanz verlieren, ich meine die wunderbare Klarheit und Durchsichtigkeit seiner ganzen Architektonik, die Deutlichkeit und Schärfe der Grundlinien und Grundformen und die krystallartig-scharfe Ab- gränzung und fast mathematische Gegensätzlichkeit der einzelnen Begriffe. Das alte Recht ist in einer Weise schulgerecht ange- legt, daß man glauben möchte, es habe dem praktischen Leben überall nicht angehört, sei vielmehr rein zu didaktischen Zwecken — als eine Art Schulrecht — entworfen worden: eine Vor- stellung, an der wenigstens so viel wahr ist, daß nirgends die Schule dem Leben gegenüber eine solche Macht gewesen und ein Jurist. Kunst — primitiver Typus derselben. §. 48. solches schulmeisterliches Regiment geführt hat, als im alten Rom (B. 2 S. 429). Wer ein Auge hat für die mancherlei Züge und Andeutungen, aus denen die Strenge dieser Zucht bis zur Evidenz hervorgeht — und nicht bloß das Recht selbst bietet deren in Menge dar, sondern es stimmt dazu auch die Tradition über den Druck, den die Jurisprudenz in alter Zeit ausgeübt habe, sowie die Stellung des Juristen im Leben — wer, sage ich dafür ein Auge hat, dem muß der Glaube, als sei das unter strengster Aufsicht und Zucht groß gewordene römische Recht wild aufgewachsen, einen nahezu kindlichen Ein- druck machen. Unter den oben namhaft gemachten zwei Richtungen der juristischen Kunst nimmt die analytische entschieden die erste Stelle ein, und wir werden darum mit ihr beginnen. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. I. Die Analytik des Rechts. Jurisconsulti … quod positum in una cogni- tione est, id in infinita dispertiuntur. Cicero de leg. II c. 19. XLIX. Die mosaische Schöpfungsgeschichte läßt die Erschaf- fung der Welt ihren Anfang nehmen mit dem Scheiden : im Anfang schied Gott Himmel und Erde, Festes und Flüssiges, Licht und Finsterniß. In derselben Weise beginnt auch die ju- ristische Schöpfungsgeschichte des römischen Rechts; ihre er- sten Tage gehören ebenfalls dem Werk der Zersetzung. Dies ist nicht Zufall, es hätte die juristische Kunst nicht etwa auch an einem andern Punkt ansetzen können, sondern, wenn überall, so mußte sie hier beginnen. Nicht etwa darum, weil jede Ent- wicklung mit Scheidung beginnt, sondern weil sie sich auf dem Wege der Zersetzung erst in Besitz der einfachen Bestandtheile des Rechts zu setzen hatte, mit denen sie später operiren sollte (§. 39) — es mußte das Alphabet gefunden sein, bevor man ans Lesen und Schreiben denken konnte! Im richtigen Gefühl von der Unerläßlichkeit dieser Aufgabe wirft sich daher der jugendliche Geist mit aller Macht auf das Scheiden. Je gedankenärmer er im übrigen ist, um so höhern Werth gewinnt für ihn ein Gedanke, der seine erste Errungen- schaft und lange Zeit hindurch seinen ganzen geistigen Reichthum bildet, an dem er zuerst zum Gefühl seiner selbst und seiner Kunst gelangt. Seine ganze Thätigkeit geht daher im wesentlichen auf in der Verwerthung dieses einen Gedanken, seine Kunst ist Scheidekunst — das bestimmt die Bedeutung und den Werth dieser ersten Periode und unterscheidet dieselbe von den Zeiten Die Analytik der älteste Zweig der jur. Kunst. §. 49. der entwickelten Rechtswissenschaft. Was für letztere nur ein einzelner und nicht gerade sehr hervorstechender Zweig der Be- rufsarbeit ist, bildet dort den einzigen . Eben aus diesem Grunde ist es mir richtig erschienen, die Darstellung der analy- tischen Methode für den ganzen Verlauf meines Werks auf die gegenwärtige Stelle zu verweisen. Denn hier, wo sie, so zu sagen, aus dem Boden hervorschießt, wird sie nicht bloß zuerst in der Geschichte sichtbar , sondern sie treibt auch in dieser Nähe am Boden die meisten Früchte und Triebe; der ungleich dürftigern Früchte wegen, die sie noch in der Krone d. h. im dritten System trägt, speciell auf sie zurückzukommen, wäre ohne alles Interesse; soweit dieselben für uns brauchbar sind, wollen wir sie hier mit benutzen. Nur in einer Beziehung werde ich im dritten System der analytischen Methode gedenken, nämlich was die Veränderung anbetrifft, die in der äußern Form mit ihr vorgegangen ist. Für unser obiges Urtheil über den analytischen Charakter der alten Kunst ist es weder nöthig noch möglich, Aeußerungen römischer Juristen in Bezug zu nehmen; das ältere Recht setzt uns in Stand, uns unser Urtheil selber zu bilden. Dagegen gewährt uns Cicero in dem als Motto über diesem Paragraphen benutz- ten Ausspruch eine beachtenswerthe Bestätigung desselben. Die- ser Ausspruch, insoweit er einen Tadel gegen die Jurispru- denz begründen sollte, nur ein Beweis für die juristische Urtheils- losigkeit seines Urhebers, enthält doch als faktische Wahrneh- mung, nämlich als Zeugniß über den Eindruck, den die juristi- sche Literatur auf Cicero gemacht hatte, eins der interessantesten Urtheile über die alte Jurisprudenz, das unsere heutige Rechts- historie sich hätte um keinen Preis entgehen lassen dürfen und das ich eben, um es einmal zu Ehren zu bringen, als Motto für diesen ganzen Abschnitt benutzt habe. „Was auf einem Be- griff beruht, zerspalten die Juristen in unzählige Stücke.“ Der Vorwurf war zwar zunächst gegen die Zeitgenossen Cicero’s ge- richtet, allein er glitt von ihnen um einige Jahrhunderte zurück Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. auf ihre Vorgänger, denn die bei weitem meisten Eintheilungen und Begriffsspaltungen, welche in den Schriften der ersteren vorkommen, stammten aus alter Zeit und gehörten nicht sowohl der Schule, als dem Recht an, sie waren, wie z. B. vorzugs- weise die Klagen (§. 51), praktische Potenzen , nicht theo- retische Ideen. Was aber Cicero’n hier als Gebrechen der juri- stischen Wissenschaft seiner Zeit erschien, war nichts, als der analytisch-juristische Geist des römischen Rechts , und nur indem er die totale Verschiedenheit des Gesichtspunktes, von dem der Philosoph und von dem der Jurist sich bei seiner Begriffszersetzung leiten zu lassen hat, übersah, konnte er dahin gelangen, der Jurisprudenz zum Vorwurf anzurechnen, was das Lebensgesetz des Rechts ausmacht und ihr zur ewigen, unver- gänglichen Ehre gereicht. Berechtigt wäre der Tadel nur dann gewesen, wenn die Jurisprudenz bei ihren Eintheilungen den praktischen Zweck außer Augen gelassen und sich von einer sol- chen formal-dialektischen Scheidewuth hätte hinreißen lassen, wie sie in Zeiten wissenschaftlicher Impotenz als Zerrbild wah- ren Denkens wohl aufzutreten pflegt. Das alte Recht, welches uns sonst ein so reiches Material für die Zeichnung der analy- tischen Methode an die Hand gibt, bietet für diesen Vorwurf auch nicht den geringsten Anhalt dar, im Gegentheil alle seine Begriffe, so fein gespalten sie auch sein mögen, finden in einem praktischen Motiv ihre Rechtfertigung, wie dies der Verlauf der Darstellung lehren wird (§. 51). Daß gerade Cicero’s Zeitgenossen in der angegebenen Richtung viel gethan, haben wir allen Grund zu bezweifeln. Zwar der Stoff hatte sich zu ihrer Zeit mehr angehäuft, als einige Jahrhunderte vorher, allein sie selber hatten gewiß nur das wenigste dazu gethan, denn zu ihrer Zeit war bereits der Umschwung eingetreten, wel- cher, indem er der Wissenschaft andere Ziele, Ideen und Wege eröffnete, der ausschließlichen oder auch nur vorherrschenden Richtung der wissenschaftlichen Kräfte auf die Analyse ein Ende machte. Gerade die sonstige Gedankenarmuth und Beschränkt- Höhenpunkt der alten analyt. Kunst. §. 49. heit des älteren Rechts hat, wie schon bemerkt, dem Flor der analytischen Kunst großen Vorschub geleistet und wohl nie in der Geschichte hat letztere selbst sich zu einer solchen Höhe der Vir- tuosität erhoben und das Problem der Zersetzung des Rechts nicht bloß so meisterhaft gelöst , sondern auch so anschaulich gezeigt , als im alten römischen Recht. Namentlich diese letz- tere Thatsache: das anschauliche Zeigen kann ich nicht genug hervorheben. Es lassen sich Aufgaben vollkommen richtig lösen, aber ohne daß ein Dritter in Stand gesetzt würde den Weg zu erkennen, auf dem dies geschehen, und anderseits gibt es eine Art der Lösung, bei der jeder Schritt zum Ziele gewissermaßen vor den Augen der Zuschauer geschieht, das gewonnene Re- sultat das Mittel, wodurch es gewonnen, noch mit sich führt. In der letztern Weise löst im älteren Recht die analytische Me- thode ihre Aufgabe. Wie unter einem durchsichtigen Glase das Innere einer Maschine, so arbeitet sie unter unsern Augen, gleich als ob der Mechanismus eigens zum Schulunterricht ver- fertigt worden wäre (ich erinnere an die Bemerkung auf S. 10); was anderwärts bloß auf dem Wege des innerlichen Denkens vor sich geht, geschieht hier in Form einer sichtbaren äußerlichen Einrichtung — im alten Proceß sieht man das Rechtsverhältniß, so zu sagen, unter das Schneidewerk gerathen, wodurch es zer- setzt werden soll. Eben wegen dieser Sichtbarkeit der Procedur will ich meine Darstellung mit dem Proceß beginnen. Dieselbe würde sonst eigentlich folgenden Gang zu nehmen haben. Sie müßte zuerst nachweisen, wie die Rechtsbegriffe geschieden sind, und dann erst, wie das praktische Leben mit ihnen operirt. Allein aus dem angegebenen Grunde schlage ich den entgegen- gesetzten Weg ein, bei dem ich zuerst I. Die concrete Analyse schildern will d. h. die analytische Behandlung des concreten Rechtsverhältnisses A. im Processe , und zwar 1. analytischer Mechanismus des Processes im all- gemeinen (§. 50); Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. 2. der Angriff, die Klage (§. 51); 3. die Vertheidigung (§. 52); B. im Rechtsgeschäft (§. 53); sodann zweitens II. die abstracte Analyse oder die Zersetzung innerhalb der juristischen Begriffswelt , und zwar 1. das Alphabet des ältern Rechts (§. 54) und 2. die analytischen Grundgedanken (§. 55). A. Der Proceß. 1. Analytischer Mechanismus desselben. Relativ frühe Entwicklung des Processes — Antheil des analyti- schen Gedankens an der Organisation des altrömischen Processes — Der Zersetzungszwang des Actionensystems — Fixirung des Moments der Litis-Contestation — Idee der processualischen Cäsur. Illud enim video in hoc foro fieri … separan- tur actiones et de eo agimus, et de eo nobiscum agitur. Non confunditur formula, si qui apud me pecuniam deposuerit, idem mihi postea furtum fe- cerit et ego cum illo furti agam et ille mecum de- positi … Lex legi non miscetur, utraque sua via it, depositum habet actionem propriam tam me- hercule quam furtum. Seneca de benef. VI 5. 6. L. Wozu bedarf der Civil-Proceß eines „Mechanismus“? Was hat die Gesetzgebung nöthig über das processualische Ver- fahren Bestimmungen zu erlassen? Offenbar können dieselben doch nicht den Zweck haben, die Auffindung der Wahrheit zu erschweren, sondern sie zu fördern, indem sie den zweckmäßig- sten Weg dafür festsetzen; warum aber die Partheien zwin- gen , diesen Weg einzuschlagen, da ihr eignes Interesse von selbst sie dazu veranlassen wird? So scheint der Proceß d. i. der durch gesetzliche Vorschriften geregelte Gang der Verhandlung und Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten nur ein Ausfluß der poli- zeilichen Bevormundungstheorie zu sein. A. Der Proceß. Nothwendigkeit der Proceßordnung. §. 50. Es würde Jemand nicht viele Processe zu führen brauchen, um sich von der Irrigkeit dieser Ansicht zu überzeugen. Rechts- pflege und gesetzliche Ordnung des processuali- schen Verfahrens ist gleichbedeutend , denn Freiheit des Verfahrens heißt Freiheit richterlicher Willkür und Parthei- lichkeit, Freiheit der Chikane und der Verschleppung des Pro- cesses. Freilich: wäre das Suchen nach Wahrheit auf Seiten der Partheien ein ebenso uninteressirtes, wie es auf Seiten des Richters sein soll , das Recht brauchte sie dabei in keiner Weise zu beschränken, allein dem Interesse an der Ermittlung der Wahr- heit auf der einen Seite steht auf der andern das gerade entge- gengesetzte gegenüber, auf beiden Seiten reicht das Interesse an der Wahrheit nur so weit als das Interesse , und eben dieser Umstand allein schon würde eine Ordnung des Processes nöthig machen, der sonstigen Rücksichten, die wir hier nicht nam- haft machen wollen, zu geschweigen. Der Proceß also ist eine Nothwendigkeit . Wie bei fast allen Institutionen die Vortheile, die sie gewähren, mit gewissen Nachtheilen erkauft werden müssen, so auch beim Proceß, und gerade er läßt sich die letzteren recht theuer, bei fehlerhafter Organisation sogar unerträglich hoch bezahlen. Es ist ein Leich- tes, eine Beschreibung vom Proceß zu entwerfen, welche ihn dem Unkundigen im abschreckendsten Licht erscheinen läßt, und zwar ohne im Mindesten zu übertreiben. Oder wäre es Ueber- treibung, wenn wir ihn so definirten: der Proceß ist eine Ein- richtung, welche die Schwierigkeiten der Rechtsverfolgung häuft und vermehrt, indem sie zu den materiellen Fragen noch die for- mellen hinzufügt, — welche den Richter in der Ermittlung der Wahrheit beschränkt und hemmt und ihn nicht selten zwingt, ge- gen seine Ueberzeugung ein Urtheil zu fällen, — welche die Widerstandskraft des Unrechts gegen das Recht erhöht und in ihren Formvorschriften Netze und Fußangeln ausstellt, in denen sich oft die gerechteste Sache fängt? Alles dies ist wahr, ja in dem Maße, daß es nicht eine besonders fehlerhafte Organisation Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 2 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. des Processes voraussetzt, sondern in der Idee des Processes selbst gelegen ist, aber eben dieser Umstand beweist mehr als alles andere, wie unschätzbar die Vortheile des Processes sein müssen, daß man einen solchen Preis von jeher nicht zu hoch gefunden hat. Es würde nur einer eben so getreuen Zeichnung des entgegengesetzten Zustandes bedürfen, den freilich die Phan- tasie erst ausmalen müßte — denn die Geschichte kennt ihn nicht — um dies Jedem begreiflich erscheinen zu lassen. Im Anfang ihrer Geschichte werden die Völker diese Erfah- rung von der Nothwendigkeit des Processes theuer haben bezah- len müssen, aber diese Erfahrung gehört jedenfalls zu den früh- sten, die sie überhaupt gemacht haben, denn der Proceß selbst gehört zu den frühst entwickelten Rechtsin- stitutionen . Zu einer Zeit, da die materiellen Rechtsbegriffe erst in sehr schwachen Umrissen für uns sichtbar werden, begegnet uns der Proceß bereits in ausgebildeter und präcisirter Gestalt und bildet einen der ältesten Gegenstände der Gesetzgebung (B. 2 S. 669). Wie sehr ändert sich dies später! Wie unbe- deutend werden hier die processualischen Gesetze gegenüber den materiellen, welche enorme Fortschritte macht das materielle Recht, wie geringe das Proceßrecht! Woher dies alles? Daß der Proceß im Anfang der Ge- schichte sich in dem Maße in den Vordergrund drängt, erklärt sich sehr einfach. Der Proceß ist eine Einrichtung, die unbestrit- ten der Reflexion und Berechnung ihren Ursprung verdankt, denn wer auch noch so sehr der Ansicht huldigt (S. 4), daß die Völker ihre Rechtsbegriffe mit auf die Welt gebracht ha- ben, für den Proceß wird auch Er nicht umhin können zu- zugeben, daß sie ihn machen , erst suchen und probiren muß- ten, bis sie das Richtige fanden. Daher gehören wiederum Proceßreformen zu den ältesten in der ganzen Rechtsge- schichte, sie bezeichnen eben noch jene Periode des Suchens; darum aber auch werden sie späterhin im Vergleich zu den Aen- derungen des materiellen Rechts so selten, denn wenn das Rich- A. Der Proceß. Seine Präponderanz in d. Kindheit d. Rechts. §. 50. tige im Proceß einmal gefunden, bedarf es des Suchens nicht mehr, und Aenderungen in der Volksanschauung, im Leben u. s. w. üben auf den Proceß, bei dem es sich nicht um sittliche Ideen, sondern lediglich um Zweckmäßigkeit handelt, einen ungleich geringeren Einfluß aus, als auf die Institute des ma- teriellen Rechts. Ohne die Rückwirkung der politischen Verän- derungen auf die Gerichts verfassung hätte der Formularpro- ceß in Rom sich noch Jahrhunderte halten können. Die Präponderanz des Processes in der Kindheitsperiode des Rechts äußert sich in einem Doppelten; zunächst in der Ausbildung des Processes selbst. Letzteres findet wiederum nach einer zwiefachen Seite hin Statt, einmal nämlich in for- meller Beziehung: die reiche und detaillirte Ausbildung der pro- cessualischen Formen , und sodann in materieller: die Strenge der zur Anwendung gelangenden Grundsätze . In beiderlei Beziehung darf man behaupten, daß der Proceß in jener Pe- riode sich ungleich mehr geltend, mehr fühlbar machte, als heutzutage. Jene Zeit scheint in ihrer rohen Kraft für die Rei- bung des Processes (worunter ich jene unvermeidlichen Uebel- stände des Processes verstehe, die ich oben angedeutet habe) weniger empfindliche Nerven besessen zu haben, als wir — je- denfalls ist diese Reibung heutzutage eine geringere, die Proceß- Maschine, wie alle Maschinen, eine vollkommnere geworden, als damals. Die Präponderanz des Processes bethätigt sich zweitens auch am materiellen Rechte, nämlich durch die Einwirkung, die er auf alle diejenigen Parthien desselben ausübt, die, wenn ich so sagen darf, nach der Proceß-Seite hin liegen. Was darunter zu verstehen, darüber s. B. 2 S. 668 und die folgen- den beiden §§. Von einer solchen Einwirkung läßt sich heutzutage kaum sprechen, in jener Zeit hingegen ist sie eine höchst beträchtliche, und jene dem Proceß zugekehrten Institute oder Seiten des materiellen Rechts, beleuchtet und erwärmt von demselben Licht der Intelligenz, 2* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. das zuerst über den Proceß sich ausbreitet, haben in ihrer Ent- wicklung einen entschiedenen Vorsprung gewonnen vor denjeni- gen, die, wenn ich im Bilde bleiben darf, nach der Schattenseite hin gelegen sind. Es knüpft sich hieran eine eigenthümliche Erscheinung für das spätere Recht: der Proceß verändert sich, aber die durch ihn her- vorgerufenen und auf ihn berechneten Sätze des materiellen Rechts erhalten sich noch eine Zeit lang durch die Macht der Tra- dition, so wie die Spitzen der Berge noch eine Zeit lang beleuch- tet bleiben, nachdem die Sonne bereits untergegangen ist. Wer diese eigenthümliche Bewandniß nicht kennt, kann durch diese Erscheinung leicht irre geführt werden und müht sich vergebens ab, die Lichtquelle zu entdecken. Statt aller andern Beispiele verweise ich auf die Erklärung des Satzes: impensae neces- sariae dotem ipso jure minuunt in §. 52. Die Gestaltung des processualischen Verfahrens ist eine reine Frage der Zweckmäßigkeit oder der legislativen Politik. Daraus, daß der Zweck des Processes in einer Analyse des Rechtsver- hältnisses besteht, das Ent -scheiden regelmäßig durch Schei- den geschieht, folgt noch keineswegs, daß der Gedanke der Ana- lyse auf jene Gestaltung einen bestimmenden Einfluß hätte aus- üben müssen, der Mechanismus des Processes selbst ein analy- tischer sein müßte. Unser heutiger Proceß z. B. läßt in seiner Structur den analytischen Zweck gar nicht hervortreten, letzterer vollzieht sich vielmehr, ohne durch eine äußere Einrichtung des Verfahrens unterstützt oder garantirt zu werden, lediglich durch die subjective Denkthätigkeit des Richters . Das verwickeltste Rechtsverhältniß kann sich ihm nahen, ein ganzer Knäuel von Ansprüchen diesseits und jenseits, und er hat den Knäuel zu ent- wirren, indem er die einzelnen Fäden sondert. Der Besitz der Rechtskenntniß, deren der Staat sich heutzutage in der Person seiner Richter versichert, gewährt die Garantie oder soll sie wenig- stens gewähren, daß er dazu im Stande ist; ist er es aber nicht, so zwingt der Proceß ihn nicht zum Scheiden, und nichts hindert A. Der Proceß. Processualischer Zersetzungszwang. §. 50. ihn, das Verschiedenartigste durcheinander zu werfen und wilde Verwirrung zu stiften. Kann denn der Proceß ihn zum Scheiden zwingen? — höre ich fragen; wenn es eine solche processualische Scheide-Maschine gäbe, die dem Richter das Zersetzen abnähme oder auch nur er- leichterte, würden wir uns dieselbe entgehen lassen? Vielleicht doch — — vielleicht ist uns nur der Preis zu theuer! Jene Maschine nämlich ist in der That von den Römern er- funden worden und Jahrhunderte lang in Gebrauch gewesen. Sie beruht auf dem oben in unserm Motto von Seneca in Be- zug auf die Gegenforderungen des Beklagten ausgesprochenen Gedanken, daß in je einem Proceß nur über je einen Anspruch verhandelt werden kann, daß also, wo ein Verhältniß mehre Ansprüche in sich schließt, dasselbe in ebenso viele separate Kla- gen und Processe aufgelöst werden muß, als solcher Ansprüche vorhanden sind, nicht aber, wie es in unserm heutigen Recht möglich ist, als solches in seiner Totalität in einem einzigen Proceß zum Gegenstand richterlicher Untersuchung gemacht wer- den kann — die römische Proceßmaschinerie ist nur auf einfache, nicht auf zusammengesetzte Körper eingerichtet. Das Scheiden erfolgt nicht, wie bei uns, in , sondern außer und vor dem Proceß, nicht durch den Richter , sondern durch den Kläger . Das Zer setzen geschieht durch Aus setzen, das Scheiden durch Aus scheiden. Die Nöthigung zu dieser vorprocessualischen Aus- scheidung liegt im römischen Actionen-System . Keine Sache kann anders vor den Richter gelangen, als in Gestalt einer der vorhandenen Actionen . Letztere aber waren nicht etwa wie die Stipulation, bloße Einkleidungsformen für jeden beliebigen concreten Inhalt, dem sie sich elastisch angeschmiegt hätten, son- dern sie waren starre, unabänderliche Typen, verschieden nach Art und Natur des Anspruchs und nur passend für einen In- halt, der ganz genau die Größe und das Maß hatte — das eiserne Rüstzeug für das processualische Turnier, das nur dem bequem saß, dem auch nicht ein Zoll fehlte. Eine Klage ohne Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. diese Form war eine Unmöglichkeit — es gab keine Klage schlechthin, sondern nur eine bestimmte Zahl von Actionen (B. 2 S. 674) — da aber jede Actio nur der processualische Ausdruck für einen abstract erfaßten einfachen Anspruch war (§. 51), so folgte daraus mit Nothwendigkeit, daß jeder con- crete Anspruch, der in derselben Platz gefunden, eben damit sich als einfachen documentirt hatte. Jede Klage war eine Frage an den Richter ( judex im römi- schen Sinn), und zwar, wie oben bemerkt, eine einzige ; so viele Fragen man also an ihn richten wollte, so vieler Processe bedurfte es. Die Frage war gestellt, nicht wie die des heutigen Beweisinterlokuts auf einzelne Thatsachen, sondern auf die Existenz des Anspruchs ; Im Formularproceß: formula in jus concepta: rem actoris esse, jus esse eundi, — dare oportere u. s. w. Gaj. IV 41, 45. Die actiones in factum conceptae (ib. §. 46) sind späten Ursprungs, s. drittes System. eine weitere Auflösung der Frage nach Art der Fragstellung an unsere heutigen Geschwor- nen fand in Rom nicht Statt. Die Fassung der Frage war ur- sprünglich die einer Suggestivfrage d. h. eine solche, daß der Richter sie mit Ja und Nein beantworten konnte und mußte (intentio certa) , die Urtheilsform war ihm gewissermaßen schon in der Klage vorgezeichnet, so daß er sie nur positiv oder negativ wieder zu geben brauchte ( sacramentum justum — injustum esse, rem actoris esse, non esse u. s. w.). Darin liegt, daß auch der Geldbetrag des Anspruchs, wo nämlich die Condem- nation auf Geld und nicht auf die Sache selbst ging, in der Klage genannt werden mußte; denselben völlig unbestimmt zu lassen ( intentio incerta ) und mit einem bloßen: quidquid N. N. ob eam rem Ao. Ao. dare facere oportet zu begehren, wider- stritt durchaus dem ursprünglichen processualischen Fragesystem und wäre namentlich mit der Urtheilsform im Sacramentspro- ceß absolut unverträglich gewesen. Dem Bisherigen nach werden wir behaupten dürfen: die A. Der Proceß. Processualischer Zersetzungszwang. §. 50. Anforderung einer Zersetzung des Rechtsverhältnisses, die bei uns lediglich als ein bloßes Sollen an den Richter ergeht, war im römischen Proceß eine in die Anstalt verlegte processua- lische Nothwendigkeit ; die Römer haben es verstanden, einen processualischen Mechanismus mit Zersetzungszwang zu erfinden. Diesen Zwang üben die Actionen allerdings zwar zunächst nur gegen den Kläger aus, allein der ganze Zweck der Einrichtung wäre vereitelt worden, wenn dasselbe Gesetz, das für den Kläger galt: ein Proceß eine Frage , nicht auch für den Beklagten gegolten hätte. Von welcher Seite ungehörige Fragen in den Proceß eingemischt werden, ist, wenn einmal diese Einmischung für bedenklich erkannt ist, vollkommen gleichgültig, und dem Beklagten geschieht damit, daß er in seiner Vertheidigung lediglich auf die vom Kläger angeregte Frage beschränkt und mit seinen selbständigen Gegenansprüchen auf ein besonderes Verfahren verwiesen wird, eben so wenig ein Unrecht, wie dem Kläger, wenn ihm ein Gleiches rücksichtlich derjenigen Klagen geschieht, die ihm zur Verfolgung seines Zweckes sonst noch zu Gebote stehen. So wie die richterliche Un- tersuchung, so wird auch die Vertheidigung des Beklagten durch die Klage streng fixirt, beide können nicht nach der Seite aus- schweifen, nicht einräumen und ein „Aber“ hinzufügen, sondern beide haben nur die Wahl zwischen einem kategorischen Ja oder Nein. Die bisherige Schilderung der analytischen Structur des römischen Processes hat nur in allgemeinen Umrissen gezeich- net, was die folgenden beiden Paragraphen genauer ausführen und beweisen sollen. Der Grund, warum letzteres nicht schon an dieser Stelle geschieht, besteht darin, daß die Analytik des römischen Processes mit dem Bisherigen noch keineswegs er- schöpft ist, des Totaleindrucks wegen aber eine zusammenhän- gende, durch keine ausführlichen Detailuntersuchungen unter- brochene Darstellung derselben wünschenswerth war. Erst am Schlusse unserer ganzen Untersuchung wird es am Platz sein, Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. uns die Frage vom Werth der römischen Einrichtung und ihrer etwaigen Brauchbarkeit für unser heutiges Recht aufzuwerfen. Der Gedanke der Fixirung der richterlichen Aufmerksamkeit auf einen einzigen Punkt, dem das System der römischen Klagen seinen Ursprung verdankt, erweist sich auch nach einer andern Rich- tung hin für den römischen Proceß höchst fruchtbar, nämlich in Bezug auf die Beachtung, die der Richter dem Verhalten des Streitgegenstandes während des Processes angedeihen zu lassen hat. Wenn der Streitgegenstand während des Processes sich verändert z. B. abnimmt, zunimmt, untergeht, wenn er im Preise steigt, sinkt oder dem Besitzer abhanden kommt, so wirft sich die Frage auf, wie soll die richterliche Beurtheilung sich dazu ver- halten? Hat sie Akt davon zu nehmen, so kann dies, wie wenn bei einer sonstigen Untersuchung das Object während derselben sich bewegt, recht störend in den Gang des Processes eingreifen, die ganze bisherige Disposition des Processes verrücken, ganz neue Verhandlungen und gar ein Wiederaufnehmen bereits er- ledigter Punkte nöthig machen. Das neuere römische Recht hat sich nun durch diese Gefahr nicht abhalten lassen, der Stimme der Billigkeit, welche eine Berücksichtigung dieser Veränderungen fordert, Gehör zu geben, allein das ältere Recht hat auch hier, wie so oft, die Interessen der Ordnung höher gestellt, als die der Billigkeit, es erklärt alle jene Veränderungen für einflußlos und verweist den Richter einzig und allein auf den Moment, in dem der Proceß vor ihm beginnt, d. h. den der Litiscontestation, was die an ihn gerichtete Frage formell dadurch ausdrückt, daß sie auf das Präsens: esse, oportere, also auf den Moment lautet, wo sie an ihn ergeht. So wie die Sachlage in diesem Moment beschaf- fen war, soll sie die Grundlage des ganzen Verfahrens bilden; der Richter stellt sich im Moment des Urtheils nicht auf den letztern Standpunkt, indem er den ganzen Verlauf des Processes rückwärts verfolgt also auch die Veränderungen des Streitgegenstandes A. Der Proceß. Analytische Structur desselben. §. 50. während desselben wahrnimmt, sondern auf den der Litisconte- station, ohne von da aus den Blick weder vorwärts noch rück- wärts zu wenden. Diese letztere Behandlungsweise enthält aber- mals einen Anwendungsfall der analytischen Methode, was auf den ersten Blick nicht so einleuchtend ist. Wie die Actio dem Rechtsverhältniß, verfährt sie dem Thatbestande der Klage ge- genüber; beide nämlich scheiden aus einem Ganzen ein Stück aus: jene aus einem Gedanken -Ganzen, diese aus einem Zeit -Ganzen, jene den Thatbestand der Klage, diese den flüchti- gen Moment. Wie bei einem Lichtbilde wird derselbe aufgefan- gen und fixirt, und wie immerhin auch der Gegenstand selbst sich ändere, der Richter hält sich lediglich an den fixirten Moment, an das Bild. So setzt sich in dieser Ausscheidung der Ausschei- dungsproceß, der mit der Klage beginnt, nur fort, denn von dem Thatbestande der Klage, den letztere aus dem Gesammtrechtsver- hältniß der Partheien ausgesondert hat, sondert jene wiederum einen einzelnen Daseinsmoment aus — eine punktualisirende Be- handlungsweise, die das ältere Recht, wie wir an anderer Stelle zeigen werden, auch bei dem Rechtsgeschäft streng festhält, wäh- rend das neuere in beiden Anwendungsfällen den Zeit raum an Stelle des Zeit punktes setzt. In ungleich höherem Grade als bei dem Streit gegen- stande ist diese Fixirung beim Streit selbst erforderlich. Wir können uns auch hier zwei Möglichkeiten denken: die eine, welche den Streit bis zum Moment des Urtheils im Zustande der Flüs- sigkeit, des Fluctuirens verharren läßt, die andere, welche ihn schon vorher in feste Formen zwingt, ihn stückweise, so zu sagen, erstarren läßt. Bei jener Behandlungsweise würde alles, was bis zum Urtheil geschähe, noch rechtzeitig geschehen — während des Processes, könnte man sagen, geschehe nichts, sondern es bereite sich bloß ein künftiges Geschehen vor, es häufe und sammle sich bloß das Material zum Urtheil; in welchen Mo- ment des Processes die einzelnen Behauptungen und Beweise fielen, wäre gleichgültig, Nachträge und Berichtigungen wären Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. bis zum Schluß verstattet, der Schluß selber aber würde nicht auf einem innern Abschluß des Streites, sondern auf reinem Belieben des Richters beruhen. Es genügt, sich diese Behand- lungsweise zu vergegenwärtigen, um sie als eine unmögliche zu erkennen. Sie würde den „Streit“ ( lis ) zu einem „Gezänke“ ( jurgium ) herabwürdigen, der Welle gleich auf- und abwogend, aber ohne aus der Stelle zu kommen. Ein neues, vielleicht bloß aus Chikane bisher unterlassenes Vorbringen von Seiten der Parthei, die Erkenntniß des Richters, daß der Proceß bis- her in einer verkehrten Richtung geführt worden sei, würde ihn, nachdem er schon beim Ende angelangt schien, zu seinen Anfän- gen zurückwerfen. Darum bedarf es einer bestimmten Ordnung für den Pro- ceß, einer Disciplinirung des Streites, welche, indem sie einer- seits die Partheien beschränkt, ihnen andererseits gegen richter- liche Willkür und Partheilichkeit und die Chikane der Gegen- parthei, welche in der Regellosigkeit des Verfahrens das sicherste Versteck besitzen, Schutz gewährt. Diese Disciplin des Streits besteht darin, daß dem Proceß ein bestimmter Gang vorgezeichnet und dem entsprechend allem, was zu geschehen hat, eine bestimmte Stelle und Zeit gesetzt wird, wovon die Ausschließung versäum- ter Handlungen nur die nothwendige Folge ist. Hier kömmt der Proceß, wie sein Name ( procedere ) es bekundet, wirklich aus der Stelle und ist gegen die Gefahr gesichert, einen bereits zurückgelegten Weg zum zweiten Mal machen zu müssen, oder in einem spätern Stadium, wie man es ausgedrückt hat, zu sei- nen Anfängen zurückverschlagen zu werden. Welche Gemeinschaft aber hat diese Behandlungsweise mit der analytischen Methode? Sie entlehnt derselben wenigstens eine Idee, nämlich die der Zerlegung des Processes in gewisse Stadien, von denen jedes seine eigenthümliche Bedeu- tung und Wirkung hat, und das Resultat des vorausgehen- den die Basis des folgenden wird — die Methode der stück- A. Der Proceß. Analytische Structur desselben. §. 50. weisen Erledigung der Aufgabe. Ich will diese Einrichtung als die der processualischen Cäsur bezeichnen. Der römische Proceß hat von jeher drei Cäsuren gehabt, die erste : das Stadium der Vorbereitungshandlungen und der Feststellung des Streitpunktes, endend mit der Litiscontestation (Verfahren in jure ), die zweite : das Stadium der Verhand- lung vor dem Richter ( judex im römischen Sinn), endend mit dem Endurtheil (Verfahren in judicio ); die dritte : das Sta- dium der Execution. Jedes dieser drei Stadien erfaßt und be- handelt den Anspruch in einer andern Gestalt, das erste : in seiner ursprünglichen, außerprocessualischen, das zweite : in der, die er durch die Litiscontestation, das dritte : in der, die er durch das Urtheil gewonnen hat. Bei der Obligation brin- gen die römischen Juristen den gestaltenden Einfluß, den der Proceß auf sie ausübt, unter den Gesichtspunkt der Consumtion und Novation und drücken dies in dem Satz aus: ante litem contestatam dare debitorem oportere, post litem contestatam condemnari oportere, post condemnationem judicatum facere oportere . Gaj. III, §. 180. Wir wenden uns jetzt der Aufgabe zu, die wir oben ausge- setzt haben, der genaueren Ausführung des analytischen Cha- rakters der römischen Actionen. 2. Die Actionen processualische Reagentien. Casuistische Erläuterung — Unzulässigkeit der Klagencumula- tion — Das Gesetz der Scheidung der Klagen — Auffindung des- selben auf inductivem Wege — Individualitätsmoment des Ei- genthums, der Obligation und des Erbrechts — casuistische Erprobung des Gesetzes. LI. In der Theorie wie in der Praxis spielen die römischen Klagen zwar dem Namen nach eine große Rolle, allein wenn Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. diese Namen sich wieder beleben würden zu dem, was sie einst waren, sie würden hier wie dort wahrscheinlich mit Protest zu- rückgewiesen werden. Wer würde heutzutage auf die Idee kom- men, ein ihm gestohlenes Fuhrwerk vom dritten Besitzer in der Weise zurückzufordern, wie es das römische Recht verlangt d. h. jedes Pferd und den Wagen und die einzeln darauf befindlich gewesenen Sachen sämmtlich mit besondern Reivindicationen und gar, wenn der Besitzer einen Bestandtheil des Wagens mit dem seinigen verbunden gehabt hätte, erst noch mit einer actio ad ex- hibendum? Wie viele Praktiker würden gegen eine solche Idee schon dadurch geschützt sein, daß sie sich derselben gar nicht bewußt sind! Ist doch selbst die Theorie bei ihrer Schilde- rung römischer Klagen oft recht unrömisch in die Irre ge- gangen; eine Servitutenklage z. B., die zugleich auf Aner- kennung der Servitut, Schadensersatz und Caution für zukünf- tige Störungen gerichtet ist, So z. B. Puchta §. 191 ( act. confess. ) §. 172 ( act. negatoria ). würde kein römischer Jurist als ächt anerkennen, darin vielmehr nur einen Bastard römischer und moderner Ideen erblicken. Soll ich derselben des Contra- stes wegen einmal ächt römische entgegenstellen? Es hat Jemand auf seinem Lande den Lauf des Regenwassers zum Nachtheil sei- nes Nachbarn unbefugter Weise geändert; wie kömmt letzterer zu seinem Recht? Der Jurist Paulus gibt uns darauf Ant- wort: L. 14 §. 2—4 de aq. pl. (39. 3). es bedarf vier Klagen! Der einen ( act. aquae pluviae arcendae ), um die getroffene Anlage rückgängig zu machen, einer zweiten ( interd. quod vi aut clam ), um Schadensersatz für die bisher erlittenen Nachtheile zu erwirken, einer dritten (Klage aus der dem Beklagten aufzuerlegenden cautio damni infecti ) für die zukünftigen Aenderungen nach dem Urtheil, und endlich wegen der im Lauf des Processes etwa getroffenen Aen- derung einer eignen zweiten act. aq. pl. arc. Im Fall der Veräußerung des Grundstücks von Seiten des Thäters sogar noch einer fünften Klage, L. 3 §. 2 de alien. jud. (4. 7). A. Der Proceß. Die Actionen. Beispiele. §. 51. Dieses eine Beispiel wird mehr, als lange Ausführungen es vermöchten, dem Leser eine Anschauung von dem analytischen Charakter der römischen Klagen gegeben haben. Nicht um den Eindruck desselben zu verstärken, sondern weil ich derselben für die Folge als Material bedürftig bin, will ich noch eine Reihe anderer Beispiele hinzufügen. Es ist dabei nicht außer Acht zu lassen, daß die streng ana- lytische Structur mancher Klagen im neueren Recht nicht selten verwischt worden ist, indem dieselben auf Zwecke ausgedehnt wor- den sind, welche im früheren Recht entweder überall nicht verfolg- bar waren oder nur in Form von besondern Klagen. Daß die Klagen, welche gegen den Besitzer als solchen gehen, auch gegen den angestellt werden können, welcher den Besitz doloser Weise aufgegeben hat, ist bekanntlich ein Satz des neuern Rechts, aber auch wenn äußere Zeugnisse uns dies nicht ausdrücklich melde- ten, würden innere Gründe uns zu dieser Annahme nöthigen, denn dieses Umschlagen einer reipersecutorischen Klage in eine pönale Diesen Charakter einer Pönalklage nimmt nämlich die reipersecuto- rische hier an, arg. L. 7 de alien. jud. (4. 7) cf. L. 4 §. ult. L. 5, 6 ibid. L. 42 L. 52 de R. V. (6. 1). enthält vom Standpunkt des ältern Rechts aus eine Unmöglichkeit. Letzteres hält die beiden Klagen in dem Maße streng auseinander, daß es selbst bei Delicten, wo aus dem- selben Factum zwei Klagen entspringen, z. B. beim Diebstahl ( act. furti und condictio furtiva ) keine Vermischung derselben vornimmt — die act. mixta ist für das ältere Recht eine techni- sche Mißgeburt, ein Verstoß gegen die Elementarbegriffe seiner Technik. Zwar die durch das Edict eingeführte actio vi hono- rum raptorum vereinigt beide Functionen, allein daß diese Ver- einigung sich erst in späterer Zeit vollzogen hat, wird dem, der das Quellenmaterial Ich hebe von demselben nur Gaj. IV 8, L. 1 vi bon. (57. 8) cf. L. 2 §. 26 ib. hervor. einer Prüfung unterwerfen will, nicht verborgen bleiben. Der Schutz gegen dolose Veräußerungen Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. bei den gegen den Besitzer als solchen gerichteten Klagen, der im neuern Recht ein Stück der Klage selbst geworden ist, und der dem ältesten Rechte gänzlich fehlte, ist historisch zuerst durch den Prätor eingeführt worden in Form eines besonderen unvollkomm- neren Rechtsmittels ( act. in factum propter alienationem ju- dicii mutandi causa factam ). In diesem Fall ist uns zufälligerweise die Kunde über die Umgestaltung der Klage erhalten; in wie vielen Fällen, wo letztere sich auf dem innerlichen Wege einer freieren Interpreta- tion vollzog, So z. B. kann der Servitutberechtigte die Duldung nöthiger Repa- raturen des Weges nach der Ansicht der klassischen Juristen durch die act. confess. erzwingen, L. 4 §. 5 si serv. (8. 5), während das Edict dafür ein eignes Interdict für nöthig gehalten hatte, bei dem der Beweissatz nicht etwa leichter, sondern strenger, als bei jener Klage gewesen war (Beweis des Rechts und der Ausübung) L. 3 §. 11. 16 L. 4 de itin. (43. 19). mag sie uns verloren sein! Es wird daher ge- rathen sein, nicht jede Klage in der Form, wie sie uns im neuern Recht erhalten ist, ohne weiteres dem ältern Recht zu überwei- sen, vielmehr nach Maßgabe der folgenden Untersuchung Kritik zu üben. Dem obigen Beispiel der act. pluv. arc. schließt sich am nächsten an eine Reihe von Fällen, in denen es sich um Aner- kennung eines gestörten sachenrechtlichen Verhältnisses (Besitz, Eigenthum, Servitut) handelt. Auch hier geht die Klage nicht auf Ersatz des durch die Störung angerichteten Schadens, Interd. uti possidetis: arg. L. 3 de interd. (43. 1), L. 8 §. 4 de prec. (43. 26), L. 3 §. 11 uti poss. (43. 17). Daß für die „vergangene Zeit Schadensersatz geleistet werden muß“ versteht sich nach Savigny Recht des Besitzes (§. 39) beim Interd. utrubi von selbst, beim uti poss. (§. 38) beruft er sich auf die letztere Stelle, welche lediglich von dem quanti interest possessionem retinere d. h. dem Interesse des gegenwärtigen Besitzes spricht — so wenig ist selbst den Koryphäen unserer Wissenschaft das richtige Verständniß des römischen Klagensystems aufgegangen! — Rücksichtlich der reivindicatio wird schwerlich Jemand, der eine Idee von der Bedeutung rö- mischer Klagformeln hat, glauben, daß eine Klage mit der Intention: rem meam esse auf Schadensersatz für die Vergangenheit hätte gerichtet werden A. Der Proceß. Die Actionen. Beispiele. §. 51. sondern lediglich auf Anerkennung, welche aber die thatsächliche Restitution der Sache zu ihrer nothwendigen Folge hat, sowie vom Moment der Litiscontestation an auf die Früchte, unter welchem Ausdruck die spiritualisirende Auffassung einer spätern Zeit auch das Interesse verstand (B. 2 S. 459). Daß die rei- vindicatio auch auf die in der Vergangenheit gezogenen Früchte gerichtet werden kann, halte ich für einen Satz des neuern Rechts. Einem bösgläubigen Besitzer gegenüber, in dessen Per- son die Aneignung der Früchte ein furtum nec manifestum in sich schloß, Aus dem Gesichtspunkte des furtum erklärt sich die bekannte Be- stimmung der XII Tafeln, daß der Beklagte im Fall seines Unterliegens (ohne Rücksicht auf bona oder mala fides ) die doppelten Früchte zurückgeben muß. Festus: vindiciae . Anerkennung des obigen Gesichtspunktes im neuern Recht: L. 15 de usur. (22. 1). wäre der Vindikant ein Thor gewesen, wenn er dieselben zum einfachen Betrage mit der Hauptklage, anstatt zum doppelten Betrage mit einer besondern Diebstahlsklage, beige- trieben hätte; daß er aber, auch wenn er es gewollt hätte, weder ihm, noch dem gutgläubigen Besitzer gegenüber dazu berechtigt war, soll an anderer Stelle nachgewiesen werden. Bei Gelegenheit der Untersuchung über das Eigenthum an res nec mancipi . Der Rei- vindicatio haben wir schon oben (S. 28) die beiden Beispiele können. Daß der Beklagte die Sache verletzt hatte, war für die reivind. völlig gleichgültig und Gegenstand einer persönlichen Klage ( act. leg. Aqui- liae ); nur seine Handlungen während des Processes fielen vermöge der Proceßobligation unter den Bereich der reivindic. und zwar mit genauer Fest- haltung des zutreffenden Gesichtspunktes (s. L. 27 §. 2 de R. V. 6. 1). Für die act. conf. und negat. gilt ganz dasselbe; keine einzige der Stellen, welche man für das Gegentheil anführt, entscheidet den allein relevanten Punkt, mit welcher Klage der unzweifelhafte Anspruch auf Schadensersatz geltend gemacht werden kann, die Ausdrücke fructus und quod interest (z. B. servitute non prohiberi, nicht prohibitum esse ) beziehen sich aber auf die Zeit des Processes. Für jenen Zweck waren das interd. quod vi aut clam und die act. leg. Aquiliae (L. 27 §. 7—11, §. 25, 26, 31, 33 ad leg. Aq. 9. 2) beziehungsweise die cautio damni infecti und operis novi nun- ciatio bestimmt. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. entlehnt, mit denen wir diesen Paragraphen begannen. Bedingt und gewährt durch die äußere Selbständigkeit der zu vindiciren- den Sache, setzte sie einerseits, wenn letztere mit einer fremden verbunden war, deren Trennung voraus, ohne daß sie selbst die- selbe hätte erzwingen können, wozu es vielmehr einer eigenen act. ad exhibendum bedurfte, und andererseits war sie beim Vorhandensein mehrer selbständiger Objecte auf jedes beson- ders zu richten L 3 §. 1 de R. V. (6. 1). Armamenta navis singula erunt vin- dicanda (L. 56 ibid.), und (mit Andeutung des in dieser Hinsicht obwaltenden Unterschiedes zwischen persönlichen Klagen und der reivind.) L. 2 §. 26 vi bonor. rapt. (47. 8) … singnlae res . Ueber die Behandlung der Heerde s. u. d. h. es galt der Satz: so viel Gegen- stände, so viel Vindicationen . Das Obligationenrecht möge uns außer dem obigen Bei- spiel der Zerlegung des durch ein Delict begründeten Anspruchs in die reipersecutorische und Pönal-Klage noch zwei andere lie- fern. Kein Richter würde heutzutage daran Anstoß nehmen, wenn die Klage des einen Gesellschafters gegen den andern nach Auflösung der Gesellschaft neben sonstigen Anträgen auch den auf Theilung der gemeinschaftlichen Gegenstände enthielte; einem römischen Richter hätte eine solche Klage gar nicht zukommen können, es hätte zweier Klagen bedurft: der act. pro socio und communi dividundo . L. 43 pro socio (17. 2). Aehnlich im Erbrecht das Verhältniß der hered. pet. partiaria und act. fam. ercisc. L. 7 si pars her. (5. 4). Das Darlehn als Realcontract hat nach römischem Recht lediglich das Kapital zum Gegenstande, das Zinsversprechen bildet einen besondern Vertrag für sich (Stipu- lation); daraus folgt, daß es für beide, insofern sie nicht durch eine gemeinsame Stipulation in eine Obligation verwandelt wurden, ebenfalls zweier Klagen bedurfte. Ueber die praktische Bedeutung der im Bisherigen durch Bei- spiel sattsam erläuterten Spaltung der Klagen werde ich kurz hinweggehen dürfen. Der Leser weiß bereits: jede solche Klage A. Der Proceß. Unzulässigkeit der Klagencumulation. §. 51. bedeutete einen besondern Proceß , nicht also, wie bei uns, bloß ein materielles Klagerecht. Die Unterscheidung der vor- handenen Klagen im einzelnen Fall hat auch für uns ein hohes Interesse, aber regelmäßig nur das der richtigen materiellen Classification und Beurtheilung des Anspruchs, nicht aber ein processualisches, denn unser heutiger Proceß verstattet die Cumu- lation mehrer Klagen in einem Proceß. Während er sie nun selbst da zuläßt, wo die mehren Klagen in gar keinem innern oder äußern Nexus stehen, z. B. wo sie sich auf völlig verschie- dene Gründe stützen und völlig verschiedene Zwecke verfolgen, schließt der römische Proceß die Cumulation selbst da aus, wo zwischen den mehren Klagen die engste Verwandtschaft besteht. Er behandelt die Klagen nicht wie wir, bloß als materiell recht- liche Begriffe, als Klagrechte, sondern als processualische Individuen , die auch da, wo sie mit andern zusammentreffen, ihre Individualität behaupten und bethätigen. Mit dieser Behauptung steht die herrschende Lehre in Wider- spruch, welche eine Klagencumulation schon nach römischem Recht für zulässig erklärt. Die Stellen, auf die sie sich beruft, sprechen zum Theil von der gleich zeitigen Anstellung mehrer Klagen und Ueberweisung derselben an einen und denselben Richter, allein so wenig wie heutzutage die gleichzeitige Erhe- bung mehrer Klagen vor einem und demselben Richter, wenn sie durch ebensoviel verschiedene Akte erfolgt, als Klagen vor- handen sind, unter den Gesichtspunkt der Cumulation fällt, ebensowenig im römischen Proceß. Die verschiedenen Klagen schmolzen hier wegen der bloßen Identität des Richters und der Partheien nicht zu einem Proceß zusammen, Wenn Plank Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten S. 67 sich im ent- gegengesetzten Sinn ausdrückt, so ist das nur eine Verschiedenheit des Aus- drucks , denn er selbst erkennt S. 69 an, „daß die Verbindung an der juri- stischen Beurtheilung jedes einzelnen Rechtsstreites nichts ändere, vielmehr nur factisch gewisse Vortheile gewähre.“ sondern jede Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 3 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. blieb für sich, hatte ihre besondere formula Quintilian. Inst. orat. III, 10. privata quoque judicia saepe unum judicem habere multis et diversis formulis solent . Wie hätte auch wohl die gemeinsame Formel für den Fall der L. 1 §. 4 quod leg. (43. 3), auf die man sich u. a. beruft, die Verbindung der hered. pet. und des interd. quod legatorum, lauten sollen! und war mit- hin durch einen besondern Wenn Plank a. a. O. S. 90 den Richter in „ einem Urtheile über sämmtliche Ansprüche entscheiden“ läßt, so ist dies für den Formular- proceß nicht richtig, denn so viele formulae so viele Urtheile; durch die bloße zeitliche Aneinanderreihung der mehren Urtheile schmolzen sie nicht zu einem zusammen. Urtheilsspruch zu erledigen. Gegen eine derartige gleichzeitige Verhandlung mehrer Klagen vor demselben Richter hatte das römische Recht so wenig etwas zu erinnern, daß es dieselbe in späterer Zeit sogar auf indirectem Wege zu erzwingen suchte. Das „später“ folgt aus der Form, in der es geschah: der exceptio litis dividuae. Gaj. IV, 122. — Beispiele einer solchen Vereinigung mehrer Streitigkeiten unter einem Richter aus den Quellen bei Plank S. 67 Note 3. Um eine wirkliche Klagencumu- lation zuzulassen, d. h. die mehren Klagen in eine Formel zu bringen, hätten die Römer ihr ganzes Klagensystem und die Theorie der Formeln aufgeben müssen. In dem Legisactionen- proceß, wenigstens für die ursprünglich alleinige Form des pro- cessualischen Verfahrens, die durch sacramentum, stellten sich der Klagencumulation noch ganz specielle Gründe entgegen. Zu- nächst nämlich das fiskalische Interesse. Jede Streitsache brachte dem betreffenden Fond (B. 1 S. 265) ein sacramentum ein, Klagencumulation hätte hier also so viel geheißen, als denselben in seiner Einnahme verkürzen, mehre Processe um den Preis eines sacramentum führen. Sodann die Proceßform. Der Streit wurde formell um das sacramentum geführt, und der Rich- terspruch lautete auf sacramentum justum und injustum esse (B. 1 S. 158). Wie hätte nun wohl das Urtheil lauten sollen, wenn bei der Verbindung mehrer Proceßsachen zu einem Pro- ceß der Richter in der einen dem Kläger, in der andern dem Be- A. Der Proceß. Unzulässigkeit der Klagencumulation. §. 51. klagten den Sieg hätte zuerkennen wollen? Hier konnte weder das sacramentum der einen, noch das der andern Parthei für ganz verwirkt oder für ganz rückfällig erklärt werden, es hätte also nichts erübrigt, als das sacramentum zu theilen! — eine Idee, zu der sich schwerlich Jemand bekennen wird. Wenn ich so eben die Möglichkeit der Klagencumulation auch für das neuere römische Recht in Abrede gestellt habe, so darf ich doch nicht verschweigen, daß unsere Quellen drei unläug- bare Fälle des Gegentheils enthalten; sie erlauben nämlich, eine einzige act. familiae erciscundae in Anwendung auf mehre denselben Partheien gemeinschaftliche Erbschaften, eine einzige act. pro socio für mehre unter ihnen bestehende Societäten und eine act. emti für einen vom Erblasser und einen vom Erben mit derselben Person über dieselbe Sache abgeschlossenen Kauf- contract. L. 25 §. 3, 4 fam. erc. (10. 2) — L. 52 §. 14 pro soc. (17. 2); auch wenn man diese Stelle nicht von mehren über verschiedene Objecte ab- geschlossenen Societäten, sondern von einer und derselben, bei einem Todesfall erneuerten Societät verstehen will, bleibt die Schwierigkeit gleich groß, denn die Erneuerung enthält jedes Mal einen neuen Abschluß. — L. 10 de act. emti (19. 1). In L. 1 de quib. reb. (11. 2) erblicke ich keinen hierher ge- hörigen Fall, denn unter den „eosdem“ verstehe ich andere Personen, als die „plures“ . Der Umstand, daß alle diese Fälle Obligations- verhältnisse derselben Art zum Gegenstand haben, während sich für die Cumulation verschiedener Klagen, z. B. einer act. venditi und locati kein Beispiel beibringen läßt, ist sicherlich kein rein zufälliger; er erklärt jedenfalls die formelle Möglich- keit einer solchen Cumulation, indem es dazu in diesen Fällen keiner Aenderung der gewöhnlichen formula der act. pro socio u. s. w., keiner besonders construirten Doppel-Formel bedurfte, und diese Leichtigkeit einer Abweichung von der ältern Regel mag in einer Zeit, da, wie im dritten System zu zeigen ist, der Sinn für die scharfen Formen und die Plastik des alten Processes bedeutend im Abnehmen war, den Ausschlag gegeben 3* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. haben, während in allen andern Fällen die formelle Schwierig- keit ein unübersteigliches Hinderniß entgegen setzte. So hat die bereits vielfach von uns erprobte conservirende Macht der Form (B. 2 S. 543) sich auch hier wieder ein Mal bethätigt. Ohne das Formelnwesen wäre unsere heutige Klagencumulation statt bei uns, wahrscheinlich schon in Rom zur Welt gekommen! Wir wenden uns jetzt der ebenso schwierigen, wie wichtigen Frage zu: durch welchen Gesichtspunkt hat das römische Recht sich bei der Scheidung und Abgränzung der Klagen leiten lassen? Ich meine nicht den Zweck , den es damit verfolgte, der ist uns bereits bekannt (S. 21), sondern die Rücksicht, durch die es bestimmt wurde, das Gebiet der einzelnen Klage gerade so weit und nicht weiter abzugränzen. — Aber hat es überhaupt eine bestimmte Rücksicht, ein Gesetz dabei verfolgt? Wäre es nicht der Fall, so würden wir bloß von einer analytischen Tendenz des ältern Rechts sprechen dürfen, bei der wir über das Einzelne keine Rechenschaft zu geben brauchten, dasselbe vielmehr als Werk individueller Beliebung dahin gestellt sein lassen dürften, während wir im umgekehrten Fall die Verpflichtung überneh- men, über das Einzelne Rede und Antwort zu stehen. Wir brauchen vor dieser Verpflichtung nicht zurück zu schrecken; ein solches Gesetz existirt und läßt sich bis in das Einzelnste hin- ein verfolgen. Wir sind in der Lage, die Erwägungen, die vor Jahrtausenden die ersten und ältesten Bildner des römischen Rechts bei Abgränzung der Klagen geleitet haben, den Einschnitt im einzelnen Fall gerade da zu machen, wo sie es gethan, noch heute nachzuweisen, den Bildungsproceß des römischen Klagen- systems vor unserm Auge zu reproduciren. Nicht ein vages Gefühl von dem Werth der analytischen Me- thode war es, das sie dabei trieb; sie wußten genau das Warum und Bis-wie-weit , und den praktischen Zweck des Scheidens A. Der Proceß. Zweck und Gränze der Klagzersetzung. §. 51. fest im Auge haltend, waren sie gesichert gegen die Gefahr einer Ausartung ihrer Thätigkeit in unfruchtbare Begriffsspalterei, gegen jenen Abweg, auf dem das Scheiden Selbstzweck und Krankheit wird. Von dieser Verirrung, welche zu Zeiten wissenschaftlicher Oede und Dürre das schöpferische Denken ersetzt und carikirt, gilt was Quintilian Quintil. Inst. orat. IV, 5 §. 25 … quae natura singularia sunt secant, nec tam plura faciunt quam minora; deinde quum fecerunt mille particulas, in eandem incidunt obscuritatem, contra quam partitio in- venta est . treffend sagt: sie spaltet selbst das, was seiner Natur nach einfach ist, und indem sie nicht sowohl scheidet, als zerstückelt, bewirkt sie durch ihre Unterscheidungen gerade das, was sie abwehren will: Dunkelheit . Es bedarf nur eines Blickes auf das ältere Recht, um sich zu überzeugen, daß es sich von dieser Verirrung völlig frei gehalten hat. Wäre es ihm darum zu thun gewesen, möglichst kleine Klagen zu schaffen, es hätte wie bei der Vindication der mehren Pferde (S. 28), so auch bei dem Kauf derselben eben so viele Klagen geben können, als Objecte vorhanden sind; oder da es für die Stipulation den Satz aufstellt: tot stipulationes, quot res, d. h. wenn eine Stipulation mehre Gegenstände umfaßt, so ist es so gut, als ob über jeden derselben eine besondere Stipulation abgeschlossen wäre, so hätte es diesem Satze, dessen hauptsächliche, wenn nicht ausschließliche praktische Bedeutung in der Klagenconsum- tion und der exc. rei judicatae liegt, auch die Tragweite ein- räumen können, daß über jeden der mehren Gegenstände beson- ders hätte geklagt werden müssen ; kurz soweit für den Klä- ger die Möglichkeit einer Theilung der Klage reichte, hätte es dieselbe zur Nothwendigkeit erheben müssen. Eine solche Zersetzung des Klagstoffs hätte in der That mit dem Ausdruck Quintilians den Namen der Zerstücklung verdient; weit entfernt einem praktischen Interesse zu dienen, hätte sie demselben viel- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. mehr in einer Weise widerstrebt, die sie selbst zur Unmöglichkeit stempeln mußte. L. 29 pr. de V. O. (45. 1) .. nam per singulos — denarios singulas esse stipulationes — absurdum est . Verfolgen wir diesen Weg weiter, so führt er uns von selbst zum Ziel. Warum wäre es sinnlos gewesen, die zehn Gegen- stände der Stipulation durch zehn besondere Klagen verfolgen zu lassen? Weil der Richter in den zehn Processen immer eine und dieselbe Frage hätte behandeln, immer auf einen und denselben Klaggrund, mit dem sämmtliche Klagen stehen und fallen, hätte zurückkommen müssen. Keine derselben weicht von der andern auch nur im mindesten ab; was sie haben, haben sie sämmtlich gemein, und ob der Richter bloß eine von ihnen oder alle zehn auf ein Mal entscheidet, die Mühe ist ganz dieselbe. Vom Standpunkte des Richters aus — und der soll ja für die Frage von der Scheidung der maßgebende sein — bedarf es hier nur einer Untersuchung, das heißt aber m. a. W.: es liegt hier eine Klage, ein Anspruch vor. Ganz anders bei der Vindication einer Mehrheit von Ge- genständen. Die Untersuchung muß hier auf jeden einzelnen Gegenstand allein gerichtet werden, Bei einer Heerde, die als solche bisher bereits existirt d. h., wenn ich so sagen darf, eine landwirthschaftliche, sich stets selbst erhaltende Größe und Einheit gebildet hat (also nicht z. B. bei hundert Schafen, die ein Metz- ger auf dem Markt zusammen gekauft hat), läßt das römische Recht eine Vindication zu. Es heißt nur einen andern Ausdruck gebrauchen, wenn man sagt: die Heerde bilde einen Gegenstand ( universitas ); erklärt ist damit gar nichts, namentlich nicht, warum dieselbe Behandlungsweise nicht auch bei andern Sachen-Complexen z. B. einer Bibliothek eintritt. Die Er- klärung liegt m. E. in dem eigenthümlichen Verhältniß der Ergänzung der Heerde aus sich selbst, welches nach Grundsätzen über den Fruchterwerb für Eigenthümer und gutgläubigen Besitzer Eigenthum bewirkt und präsumtiv alle Stücke der Heerde ergreift, für die nicht das Gegentheil nachgewiesen wird. Die Vindication der Heerde stimmt also mit dem Grundsatz: eine Frage eine Klage , denn der Richter hat bei ihr trotz der Mehrheit der Gegen- stände doch bloß eine und dieselbe Frage zu entscheiden. Dies schließt nicht aus, denn aus dem Eigenthum A. Der Proceß. Individualitätsmoment des Eigenthums. §. 51. an dem einen folgt nicht das an dem andern — es liegen so viel selbständige Fragen als Gegenstände vor, und um dem Richter Gelegenheit zu geben, über jede einzelne besonders zu antworten, bedarf es der Form der separaten Klage; ohne diese Form hätte er dies nicht gekonnt, vielmehr über sämmtliche gleich- lautend entweder mit Ja oder Nein antworten müssen. Bei der Obligation bestimmt sich demnach die Mehrfältig- keit des Verhältnisses nach dem Entstehungsgrunde , bei dem Eigenthum nach dem Gegenstande ; dort gilt der Satz: so viel obligatorische Thatsachen so viel persön- liche Klagen , Die Gleichartigkeit des Zwecks kann dieselben in der Ausübung be- schränken (Concurrenz der Klagen), allein zur Entstehung kommen sie alle. hier: so viel Gegenstände so viel Vindicationen . Der Umfang, in dem der Eigenthums- begriff sich im einzelnen Fall bethätigt und erschöpft, ist durch die Natur, d. i. durch die Sache selbst, vorgezeichnet; Recht und Gegenstand fallen, wie auch der Sprachgebrauch, welcher die Sache statt des Rechts nennt, andeutet, in dem Maße zusam- men, daß jenes hinter diesem weder zurückbleiben, noch über denselben hinausgehen kann, d. h. an einer Sache sind nicht zwei Eigenthumsverhältnisse möglich ( Einheit der Sache Einheit des Rechts — Lehre von der Accession) und an zwei Sachen nicht ein Eigenthum ( Mehrheit der Sache Mehrheit des Eigenthums ). Bei der Obligation hinge- gen bestimmt lediglich der subjective Wille den Umfang des ein- zelnen Rechtsverhältnisses. Ob die Stipulation auf 100 oder 1000 lauten, der Kaufcontract einen oder zehn Gegenstände um- daß hinzugekommene fremde Schaafe hinterher von ihrem Eigenthümer vin- dicirt werden könnten, L. 30 §. 2 de usuc. (41. 3) L. 1 §. 3 de R. V. (6. 1); es tritt dasselbe Verhältniß ein, wie rücksichtlich der Vindication einer zusam- mengesetzten Sache, z. B. eines Hauses, welches als Ganzes vindicirt werden kann, obschon einzelne Bestandtheile anderen Personen gehören. Ein anderes Beispiel außer der Heerde bietet der Bienenschwarm L. 5 §. 2, 4 de A. R. D. (41. 1), nicht dagegen ein Viergespann oder ein Waarenlager. arg. L. 79 pr. de leg. III. (3. 1). Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. fassen soll, hängt vom Belieben der Partheien ab; die Obligation ist so zu sagen ein leerer Beutel von unbegränzter Elasticität, in den sie beliebig viel oder wenig hineinpacken, den sie zuschnüren können, wann und wo sie wollen. Ob sie nun, um im Bilde zu bleiben, für mehre Gegenstände einen oder mehre Beutel nehmen wollen, ist ihre Sache, aber jedes Zuschnüren ( contrahere ) be- deutet einen Beutel, jeder Beutel eine Obligation, folglich eine Klage. Denn während die Entscheidung der allein relevanten Frage, ob der Beutel richtig geschnürt und gebunden ist, über ihn und seinen ganzen Inhalt entscheidet, die Frage also für sämmtliche darin enthaltene Gegenstände eine und dieselbe ist, muß sie für jede andere zwischen diesen Partheien abgeschlossene Obligation jedes Mal von neuem aufgeworfen werden, denn daraus, daß das eine Mal gültig contrahirt ist, folgt dasselbe nicht auch für ein anderes Mal, und diese mehren Fragen in denselben Pro- ceß zusammenwerfen, hätte für den römischen Proceß geheißen: dem Richter die selbständige Beantwortung jeder einzelnen un- möglich machen, ihn zwingen, sie entweder sämmtlich zu be- jahen oder sämmtlich zu verneinen. Der eben ausgesprochene ziemlich einfache Grundsatz kann in der Anwendung zu Schwierigkeiten führen, denn das Ver- hältniß gestaltet sich nicht immer so einfach, wie hier angenom- men, vielmehr nimmt es nicht selten den täuschenden Schein an, als ob bloß ein einziger Obligationsgrund vorliege, wäh- rend das Recht doch mehre Obligationen, und umgekehrt als ob mehre Obligationsgründe vorliegen, während doch das Recht nur eine Obligation annimmt. Ersteres tritt ein, wenn z. B. Jemand mit dem Abschluß eines Pachtcontracts zugleich einen Kaufcontract verbindet. In Wirklichkeit sind hier zwei selbstän- dige obligatorische Thatsachen vorhanden, welche nur der Kürze wegen — eine Kürze, die im ältern Recht entschieden unstatt- haft war (§. 53) — in einen äußern Akt zusammengezogen werden. Ein anderes Beispiel bietet das obige (S. 29) der reipersequutorischen und Pönal-Klage. Beide werden durch A. Der Proceß. Individualitätsmoment der Obligation. §. 51. einen und denselben äußern Akt: das Delict, ins Leben gerufen, allein der obligatorische Grund beider ist verschieden, bei der einen, der Pönal-Klage, besteht er in dem Delict, bei der an- dern hingegen in der durch das Delict bewirkten Vermögens- veränderung, zu der sich das Delict selbst bloß als äußere Ver- anlassung verhält, und welche, wie sie ohne Delict vorkom- men, so auch umgekehrt bei letzterem fehlen kann. Trotz dieser Verschiedenheit des Gesichtspunktes, der ihnen beiden zu Grunde liegt, wäre ein Grund zur Aufstellung zweier Klagen, wenn beide nur im übrigen ganz denselben Weg gehen würden, hier eben so wenig vorhanden gewesen, wie z. B. bei der act. pro socio, mandati, tutelae rücksichtlich der verschiedenen Posten, welche sie umfassen können (Herausgabe der erhobenen Gelder, Schadens- ersatz für culpa u. a.), und von denen im einzelnen Fall der eine Posten ohne den andern vorkommen kann. Allein diese letzteren Posten gehen, wenn sie vorhanden sind, stets dieselben Wege, erleiden dieselben Schicksale, jene beiden Ansprüche dagegen sind nicht aneinander gekettet, der eine erlischt mit dem Tode des Schuldigen, der andere wird auf seine Erben transmittirt, der eine verjährt unter Umständen schon in einem Jahre, der andere nach früherem Recht gar nicht, nach späterem erst in längerer Zeit. Hatte man einmal für beide Ansprüche solche Verschieden- heiten statuirt, so verstand sich in der correcten Sprache des älte- ren Rechts die Bezeichnung derselben als zweier Klagen von selbst, denn wie hätte der Richter mit Ja oder Nein antworten sollen, wenn er sich überzeugt hätte, daß der Anspruch auf die Strafe bereits verjährt war, der reipersequutorische dagegen noch nicht. Das spätere Recht freilich fand nichts Anstößiges darin, eine Delictsklage in ihrer Richtung auf die Strafe mit dem Tod oder Ablauf der Verjährungsfrist untergehen, in Richtung auf die Sache aber fortdauern zu lassen, Quatenus ad heredes pervenit L. 19 quod metus (4. 2) L. 17 §. 1 L. 26 de dolo (4. 3) L. 23 §. 8 ad leg. Aq. (9. 2) u. a. — eine Erscheinung, die Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. zu den oben S. 29 charakterisirten gehört, und in der ein Jurist der guten alten Zeit einen nicht geringeren Verstoß gegen die Elementarbegriffe seiner Kunst gefunden haben würde, als ein musikalischer Purist des vorigen Jahrhunderts in Quintengängen und so vielen musikalischen Freiheiten, welche die neuern Musiker sich herausnehmen. Man könnte mir den Einwand machen, warum das ältere Recht nicht wenigstens da, wo jene beiden Ansprüche zufälligerweise ganz zusammenfielen, verstattet habe, sie in einer Klage geltend zu machen. Als Antwort diene: erstens daß die Frage: ob sie zusammenfallen, erst im Proceß selbst festgestellt werden kann, und sodann, daß, wenn man die Scheidung der Klagen von dem zufälligen Zusammen- oder Auseinanderfallen hätte abhängig machen wollen, der Zweck und Grundgedanke des Klagensystems vereitelt worden wäre; denn derselbe besteht ja gerade darin, daß da, wo im ein- zelnen Falle mehre Ansprüche zusammentreffen, das strenge Aus- einanderhalten der materiellen Gesichtspunkte durch proces- sualische Scheidung derselben gesichert werden soll. Ein anderes Beispiel möge dies unterstützen. Bekanntlich ist ein Miteigenthum ohne Societät und eine Societät ohne Mit- eigenthum möglich, oder in der Sprache der Klagen aus- gedrückt: es gibt außer der act. pro socio noch eine act. com- muni dividundo. Wenn nun beide Rechtsverhältnisse in den- selben Personen zusammentreffen, begründet durch einen und denselben Akt der Eingehung der Societät, so könnte man glau- ben, daß eine Klage dafür ausreiche. Allein angenommen, man hätte sich dafür entschieden, so wäre man, wenn der eine von beiden Miteigenthümern seinen Antheil veräußert hätte, sofort wieder in die Nothwendigkeit versetzt worden, zwei Kla- gen zuzulassen, denn der Anspruch auf Theilung (die act. comm. div. ) geht activ und passiv auf den Singularsuccessor über, während Recht und Verbindlichkeit aus dem Societätsvertrag (die act. pro socio ) bei dem Gesellschafter verbleibt. Jeder die- ser beiden Ansprüche geht seine eignen Wege und hat seine eigne A. Der Proceß. Individualitätsmoment der Obligation. §. 51. Natur; der eine hat activ und passiv zu seinen Trägern spe- cifisch bestimmte, der andere abstract bestimmte Subjecte (die jedesmaligen Eigenthümer). Jene Gemeinsamkeit der Entstehung beschränkt sich aber auch hier wiederum bloß auf den äußern Akt , in dem zufälligerweise zwei völlig selbständige und verschiedenartige Obligationsgründe zur Existenz gelangen, der Societätsvertrag und die bei Gelegenheit desselben vor- genommene Mittheilung des Eigenthums. Dem so eben betrachteten Fall steht gegenüber Einheit der Obligation bei scheinbarer Mehrheit der Obligationsgründe. Alle Delicte, die der Vormund, Mandatar in Sachen der Ge- schäftsführung sich hat zu Schulden kommen lassen, werden mit einer Klage verfolgt, während doch sonst der Grundsatz gilt: so viel Delicte so viel Klagen . Worauf beruht die Abweichung von unserm Grundsatz? Sie ist gar keine, denn das Mandats- oder Vormundschaftsverhältniß begründet einen neuen, weiten Pflichtenkreis, dem gegenüber jene Delicte als Verletzung der contractlichen Verbindlichkeit erscheinen. Die ein- zelnen Ansprüche, die aus diesem Verhältniß sich ergeben, bilden mithin nicht besondere Forderungen , sondern nur einzelne Posten L. 10. §. 1 de appell. (49. 1) .. cum una actione ageretur, quae plures species in se haberet, pluribus summis sit condemnatus. L. 1 §. 1 quae sent. (49. 8) .. ex illa specie 30 .. ex illa 25. der act. mandati, tutelae — welche die Klagformel mit der Collectivbezeichnung ( quidquid ob eam rem dare facere oportet ) auch formell zur Einheit zusammenfaßte, und der Richter sämmtlich von dem einen Standpunkt des Mandats- und Vormundschaftsverhältnisses aus zu würdigen hatte. Diesen Fällen schließen sich einige andere von ähnlicher Be- wandniß an, so z. B. die Klage des Banquiers auf Auszahlung seines Saldos Gaj. IV, 64, 68. d. h. des schließlichen Guthabens aus seiner, eine Reihe der verschiedenartigsten Einnahme- und Ausgabe- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. posten umfassenden Abrechnung. L. 6 §. 3 de edendo (2. 13) … dandi, accipiendi, credendi, obli- gandi, solvendi sui causa negotiationem. Wie beim Mandatsver- hältniß, so lassen sich auch hier die sämmtlichen einzelnen Rechts- geschäfte unter den einen Gesichtspunkt der fremden Vermö- gensverwaltung bringen. Ob es nicht von der andern Seite eine ähnliche Klage gab, dar- über schweigen unsere Quellen. Jedenfalls konnte der Committent von dem Banquier Abrechnung verlangen ( L. 4 pr. de edendo 2. 13), welche sich natürlich über sämmtliche Posten von beiden Seiten erstreckte ( L. 6 §. 3 ibid. ). In der Anerkennung des daraus für ihn sich ergebenden Ueberschusses ließ sich ein constitutum finden ( L. 26 de const. pec. 13. 5), womit vielleicht die in L. 2 §. 2 Cod. de const. pec. (4. 18) erwähnte besondere Usance bei Argentarien zusammenhängt. Befremden erregen kann im ersten Moment die Bestimmung des römischen Rechts, daß der Prä- legatar das ihm hinterlassene Legat mit der act. fam. ercisc. einklagen soll, Gaj. II §. 219, L. 17 §. 2 de leg. I (30). indem diese Klage ja nur die Erbt heile zum Gegenstande hat, für Legate aber eine eigne Klage besteht. Allein das Prälegat enthält nach Auffassung der Römer nur eine Ver- fügung über die Realtheilung der Erbmasse und fällt mithin unter die Erbtheilungsklage. Auf der Gränze zwischen Kriminal- und Civilproceß liegt der Repetundenproceß, der ähnlich wie die Klage aus der Tutel, die gesammte Verwaltung des Beamten und alle daraus für seine früheren Amtseingesessenen sich er- gebenden Ansprüche zum Gegenstande hat. Quintilian I. O. III, 10 §. 1 bezeichnet ihn als causa conjuncta im Gegensatz zur simplex, weil er „plures controversiae ejusdem gene- ris“ in sich schließe. Die bisherige Ausführung hat den Gesichtspunkt, den wir oben (S. 39) für die Obligation aufgestellt haben, gegen schein- bare Abweichungen in Schutz nehmen sollen, und wir dürfen jetzt nach dieser Abschweifung unsern Weg weiter fortsetzen. Alles was oben (S. 40) von der Obligation gesagt ist, gilt auch für das Erbrecht. Wie jene, ist auch die Erbschaft eine leere, elastische Form, welche beliebig viel und wenig in sich auf- A. Der Proceß. Individualitätsmoment des Erbrechts. §. 51. nehmen kann; die Klage verhält sich auch bei ihr gegen die Mehrheit der Gegenstände vollkommen indifferent. Nam cum hereditatem peto, et corpora et actiones omnes, quae in hereditate sunt, videntur in petitionem deduci. L. 7 §. 5 de exc. rei jud. (44. 2) . Die Klage erstreckt sich daher auch auf die Früchte, ohne daß es hier der Erwähnung derselben bedurfte, L. 13 §. 7 L. 20 §. 2, 16 de her. pet. (5. 3), denn „fructus hereditatem augent L. 40 §. 1 ibid. hereditas et augmentum recipit et deminutionem“ L. 20 §. 3 ibid. L. 178 §. 1 de V. S. (50. 16) — ein Satz, der im Formularprocesse für den Kläger dieselbe Bedeutung hatte, wie der in §. 52 zu betrachtende, daß das Pekulium durch die Gegenforderungen des Herrn ipso jure vermindert werde, für den Beklagten . Das In- dividualitäts- und Identitätsmoment , welches bei dem Eigenthum in der Sache , bei der Obligation in dem Ent- stehungsgrunde liegt, beruht hier auf der Delation: so viel Delationen so viel Klagen ; L. 8 de her. pet. (4. 3.) Eine weitere Ausführung ist hier eben so wenig am Orte, wie die Verfolgung des Zusammenhanges, in dem unser Thema mit der Lehre von der exc. rei jud. steht. Zum Beweise der Behaup- tung im Text diene statt aller andern Gründe die in jure cessio der heredi- tas legitima, bei der offenbar in der Cessions- (und folglich auch in der Vin- dications-) Formel die hereditas als „ legitima “ bezeichnet, also der Delegationsgrund angegeben gewesen sein muß, denn man hätte sonst die- sen Cessionsfall von dem der hered. testam. nicht unterscheiden können, was doch wegen der sehr verschiedenen Folgen wichtig war. denn die Delation begründet, auch wenn Erbschaft, Prätendent und Beklagter die- selben sind, eine neue Frage, indem daraus, daß ersterer nicht im Testament oder in keinem gültigen eingesetzt ist, noch nichts für sein Intestaterbrecht geschlossen werden kann, ihm aber anderer- seits nicht zugemuthet werden kann, unbestimmt ohne Detaillirung der causa schlechthin sein „Erbrecht“ zur Verhandlung zu stellen; denn die Verschiedenheit des Delationsgrundes ist beim Erb- recht nicht etwa, wie beim Eigenthum, eine bloße Verschiedenheit des Grundes des Rechts, sondern des Rechts selbst, sie gibt ihm möglicherweise z. B. wegen der im Testament angeordneten Vermächtnisse oder abweichend von der Intestaterbfolgeordnung Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. bestimmten Erbtheile einen völlig verschiedenen Inhalt; der Delationsgrund individualisirt das Erbrecht . Es kann nicht in unserer Absicht liegen, den Gesichtspunkt, den wir bisher bei einigen der wichtigsten Verhältnisse des Rechts, dem Eigenthum, Erbrecht und der Obligation erprobt haben, durch das ganze Recht und bis ins kleinste Detail durchzufüh- ren. Ich will jedoch nicht unterlassen, dies Thema der allgemeinen Auf- merksamkeit zu empfehlen; eine eingehende Bearbeitung desselben, namentlich in Verbindung mit der Lehre von der Identität der Streitsachen bei der exc. rei judicatae, muß eine höchst lohnende Ausbeute gewähren. Dagegen wollen wir dies noch thun bei einigen der Bei- spiele, mit denen wir oben unsere Darstellung eingeleitet haben. Als Preisstück der processualischen Zersetzung haben wir dort (S. 28) die act. aquae pluviae arcendae nebst den sie beglei- tenden Klagen genannt. Die Analytik des Verhältnisses, aus dem sie hervorgehen, führt zu folgenden Erwägungen. Wenn das Werk, durch das Jemand den Lauf des Regenwassers ge- ändert hat, für den Nachbar bloß mit einer einmaligen Be- schädigung verbunden gewesen ist, ohne eine Wiederholung der- selben in Aussicht zu stellen, so wäre das Verlangen einer Be- seitigung des Werks ein völlig ungerechtfertigtes, der Anspruch des Verletzten wird sich hier mithin auf Schadensersatzleistung mittelst der geeigneten Klagen (Note 10 a. E.) beschränken müs- sen, ein Anspruch, der activ und passiv an die ursprünglichen Personen gebunden ist, auf die Käufer der beiderseitigen Grund- stücke aber, welche den Schaden weder erlitten, noch zugefügt haben, nicht übergeht. Ganz anders, wenn jenes Werk den Nachbarn dauernd in widerrechtlicher Weise beeinträchtigt. Si aqua pluvia noceti . e. nocere poterit B. 2 S. 486 Note 631. Diese Rechtsverletzung läßt sich nicht durch einmaligen Schadens- ersatz, sondern nur durch Wegnahme des Werks beseitigen, und der Anspruch kann nicht, wie der obige, activ und passiv auf die ursprünglichen Personen beschränkt, muß vielmehr auch auf deren Singularsuccessoren erstreckt werden, denn jenes hieße A. Der Proceß. Exemplification des Grundsatzes. §. 51. das Interesse des Grundstücks dem Zufall Preis geben — ein Wechsel des Eigenthümers, z. B. durch Verkauf auf der einen, durch Legat auf der andern Seite, und das Grundstück wäre für ewige Zeiten hülflos! Wenn man aber den Anspruch einmal in dieser Richtung anerkannt hat, so kann man ihn mit dem so eben betrachteten nicht in eine Klage spannen, denn das hieße sie beide zwingen, stets denselben Weg zu gehen, während doch ihre Wege auseinander gehen. Eben so wenig konnte man den Anspruch in die Form der act. negatoria oder confessoria weisen und so die ganze act. aq. pl. arc. entbehrlich machen. Er- stere paßte nicht, weil der Beklagte keinen Eingriff in des Klä- gers Eigenthum vorgenommen hatte, letztere nicht, weil es sich hierbei nicht um eine Servitut, sondern eine gesetzliche Vorschrift handelte, und zugleich bedurfte es der Formel der in personam actio, weil der Beklagte zu einem Thun angehalten werden sollte, was durch eine in rem actio sich nicht erreichen ließ. Die Nothwendigkeit einer eigenen act. aq. pl. arc. wegen neuer , während der Dauer des Processes errichteter Werke er- klärt sich von selbst, denn daraus, daß das Werk, worüber in diesem Proceß gestritten wird, unstatthaft ist, folgt nichts für das neue, und wenn man diese völlig neue Frage in den schwebenden Proceß hätte werfen wollen, so hätte man dasselbe auch mit einem neuen Kaufcontract oder Diebstahl gegenüber einer anhängigen act. emti oder furti thun können! Was endlich die vierte dort genannte Klage betrifft, so hört die Macht des Richters mit dem Urtheil auf, für alles, was später geschieht, bedarf es also einer neuen Klage. Die Nothwendigkeit einer Trennung der act. negatoria und confessoria von der Schadensersatzklage (Note 10) ergibt sich aus dem Bisherigen zur Genüge: die eine geht gegen den jedesmaligen Besitzer, die andere gegen den Thäter. Die Trennung der act. ad exhibendum von der reivindica- tio hat, soweit ich sehe, mehr einen doctrinären, als praktischen Grund gehabt. Beide Klagen gehen gegen den Inhaber als Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. solchen und haben dasselbe Fundament, ich wüßte daher keinen andern Grund ihrer Scheidung anzugeben, als das für die letz- tere Klage geltende Requisit der äußern selbständigen Existenz der Sache, welches durch das vorschriftmäßige Bringen und Ergreifen der Sache vor Gericht zur processualischen Noth- wendigkeit gestempelt war, und welches durch die reivind. selbst nicht beschafft werden konnte, indem sie den Beklagten nicht zu einem Thun verpflichtete, ohne dessen Erlaubniß aber anderer- seits der Kläger die Trennung nicht vornehmen durfte. 3. Die Vertheidigung. Aelteres und neueres System derselben. — Vertheidigung in Form der Negation (Formulirung der Klage in jus und in factum ). — Spielraum derselben im Vergleich zur Exception. — Möglich- keit der Geltendmachung eines Gegenanspruches in processualisch unsichtbarer Form (Rechtssätze mit Exceptionszweck) und in pro- cessualisch sichtbarer Form (Klage mit Vorbehalt des gegnerischen Rechts. — Substituirung einer andern Klagformel im Interesse des Beklagten — Doppelklage.) — Vertheidigung in Form der Klage — die processualische Strafklage und die leges imper- fectae — Gesammturtheil über den analytischen Mechanismus des alten Processes. Nec omnino ita ut nunc usus erat illis temporibus exceptionum. Gaj. IV. 108. LII. Sollte der Grundsatz: ein Proceß eine Frage, seinen Zweck erreichen, so mußte er, wie bereits oben (S. 23) bemerkt, für beide Theile gelten. Was half es, der in der Häufung der Fragen liegenden Gefahr der Anschwellung des Processes und der daraus sich ergebenden Verwirrung und Verschleppung desselben von der einen Seite vorbeugen, wenn sie von der andern Seite und gerade von der, von welcher sie am ersten zu besorgen ist, freien Zutritt hatte? Den Kläger hält schon sein eigenes Interesse ab, diese Gefahr heraufzubeschwören, oder sollte ihn wenigstens abhalten, das Interesse des Beklagten aber A. Der Proceß. Die Vertheidigung. — Organisation derselben. §. 52. ist das gerade entgegengesetzte, jede Frage, die er in den Proceß hineinspielt, ist ein Hinderniß, das dem Kläger die Erreichung des Ziels erschwert und verzögert. Aber andererseits wie kann man ihn in der Wahl und Zahl seiner Vertheidigungsmittel beschränken? Die Lage der beiden Partheien ist ja eine völlig ungleiche. Der Kläger hat die Ini- tiative, er kann den Zeitpunkt bestimmen, wann er klagen will, seinen Angriff lange vorbereiten, seine Beweise vorher sammeln, und abgewiesen mit dieser Klage zu einer neuen greifen. Von alle dem gilt das gerade Gegentheil für den Beklagten. Ihn der Beschränkung unterwerfen, die bei dem Kläger vollkommen gerechtfertigt ist — heißt das nicht, in geradem Gegensatz zu dem, was die natürliche Gestalt des Verhältnisses mit sich bringt, der Klage ein Uebergewicht über die Vertheidigung geben? So scheint es, allein dies ist nur Schein. Es handelt sich nämlich nicht um eine materielle Beschränkung des Beklagten in dem Gebrauch seiner Vertheidigungsmittel, sondern lediglich um die Form dieses Gebrauchs. Diese kann nämlich eine doppelte sein. Die einfache und natürliche Form besteht in der Benutzung der Vertheidigungsmittel der Klage gegenüber ; hier wird die Klage durch die Vertheidigung, selbst wenn letztere uoch so frivol ist, in ihrem Lauf aufgehalten, bis über Beide entschieden werden kann. Die zweite, künstlichere Form ist die der Widerklage oder Nachklage ; hier wird die Untersuchung der Vertheidigungs- gründe einem eignen vom Beklagten zu erhebenden Proceß über- wiesen, der Lauf der Klage also dadurch nicht unterbrochen, die Vertheidigung nimmt hier mithin die Gestalt einer Klage auf Wiedererlangung dessen an, was der Beklagte dem Kläger auf Grund der Condemnation im ersten Proceß hat entrichten müssen. Das neuere römische Recht gibt dem Beklagten für die meisten Vertheidigungsgründe die Wahl, ob er sie in der einen oder andern Form geltend machen will, z. B. exceptio und actio quod metus causa, exc. rei venditae et traditae und act. emti wegen Eviction, exc. non numeratae pec. und die einige weist es aus- Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 4 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. schließlich in die erste, z. B. Einrede der Verjährung, Retentionseinrede wegen der Im- pensen bei der Reivind. andere ausschließlich in die zweite Form. z. B. die Einrede des Eigenthums gegenüber einer possessorischen Klage, die Einrede der Compensation und Retention beim Depositum. Letztere hat etwas höchst Befremdendes. Warum gewährt man dem Beklagten ein Mittel, das man ihm einmal zugedacht hat, nicht zur rechten Zeit , warum versetzt man ihn erst in die Lage zahlen zu müssen, damit er sodann das Gezahlte hinter- her zurückfordere? Würden die Beklagten sich immer nur wirk- lich begründeter Einwendungen bedienen, so hätte ein solches Verfahren allerdings keinen Sinn, allein es findet seine volle Rechtfertigung in der unbegränzten Möglichkeit des Gegentheils jener Voraussetzung. Diese Möglichkeit nämlich setzt den Be- klagten in Stand, den Proceß, der bei der Klarheit und Zweifel- losigkeit des klägerischen Rechts sonst sofort beendet sein würde, durch lauter erdichtete Einwendungen in die Länge zu ziehen und sich während der Zeit auf Kosten des Klägers im Genuß des Rechts zu behaupten, ein Nachtheil, für den seine endliche Verurtheilung in den gesammten Schadensersatz dem andern Theile in der Regel nur einen unausreichenden Ersatz gewährt. Wie diesem Uebelstande abhelfen? Das ist die Bestimmung der obigen zweiten Form der Vertheidigung. Ueber einen sekundären Nutzen derselben, nämlich den Einfluß, den sie auf die Verringerung des Streitmaterials äußert, s. Ende des §. Ohne dem Beklag- ten das absolut nothwendige Maß der Vertheidigung zu ver- kümmern, schneidet sie ihm alle Einreden ab, welche die ange- deutete Gefahr herbeiführen können. Rasch gelangt hier der Kläger in den Genuß seines Rechts, und der Aufschub, den die Ausführung der Einreden verursacht, kann ihm völlig gleichgül- tig sein, denn derselbe gereicht nicht ihm , sondern dem jetzigen condictio des Schuldscheins, Retentionseinrede und act. contraria, except. doli wegen mangelnder causa und die Condictionen, Compensation und klag- weise Geltendmachung der Forderung. A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Process. Gerechtigkeit. §. 52. Kläger zum Nachtheil. Es beruht demnach jene Einrichtung auf einer Ausgleichung der Verschiedenheit der Partheirollen, der Theilung der Vortheile des mit dem Beklagtenverhältniß verbundenen Besitzes zwischen beiden streitführenden Theilen. Eben in der möglichst raschen Gewinnung dieser Vortheile liegt für den jedesmaligen Kläger der wirksamste Sporn zur Beschleu- nigung des Processes, und so paradox es klingt, man darf mit Sicherheit behaupten, daß eine solche Zerlegung eines Processes in zwei den Streit vereinfacht und abkürzt, anstatt ihn zu ver- längern und zu vervielfachen; denn vor der Benutzung völlig nichtiger Einwendungen in Form der Nachklage bebt doch gar Mancher zurück, der es in Form der Einrede damit versucht hätte. Es liegt auf der Hand, daß die Anwendung dieses Mittels, wenn die berechtigte Rücksicht auf den Kläger nicht in ein Unrecht gegen den Beklagten ausarten soll, an ganz bestimmte Voraus- setzungen geknüpft werden muß. In dieser Hinsicht das Richtige zu treffen, nach beiden Seiten das Extrem zu vermeiden und die feine Mittellinie aufzusuchen, die beiden Partheien gegenüber der Idee der processualischen Gerechtigkeit Genüge lei- stet, das ist die Aufgabe. Es ist nicht dieses Orts, dieses schwie- rige legislative Problem, für das weder die Jurisprudenz noch die Gesetzgebung überall das richtige Verständniß bethätigt hat, eingehender zu behandeln, allein zur richtigen Beurtheilung des älteren römischen Processes ist wenigstens ein Bewußtsein davon, daß es existirt, und eine gewisse Anschauung von der Art seiner concreten Gestaltung erforderlich; ein weiteres ist mit den fol- genden Bemerkungen nicht beabsichtigt. Bei einer Klage aus einem zweiseitigen Geschäft, wel- ches für beide Theile Rechte und Verbindlichkeiten begründet, kann der Umstand, daß der Kläger seinen Anspruch sofort klar stellt, unmöglich die Wirkung nach sich ziehen, daß der Beklagte mit seinen Gegenansprüchen aus demselben Geschäft, soweit er sie nicht ebenfalls sofort zu erweisen im Stande ist, in die Form der Widerklage ( „ad separatum“ ) verwiesen werde. Denn Anspruch 4* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. und Gegenanspruch stehen hier im engsten Zusammenhange, im Verhältniß gegenseitiger Abhängigkeit, und der Aufenthalt, den der Beklagte veranlaßt, gleicht nur den Vorsprung aus, den der Kläger dadurch vor ihm voraus hat, daß er vor dem Proceß thun konnte, was der Beklagte während desselben thun muß. So hat es denn auch das römische Recht von jeher, seitdem die zweiseitigen Geschäfte als solche klagbar wurden, gehalten. Eine ganz andere Behandlungsweise aber trat in dem Fall ein, wenn die Partheien ihr Geschäft in die Form von zwei einseitigen Ver- trägen (Stipulationen) kleideten, wie sie vor dem angegebenen Zeitpunkt es mußten , nachher aber es noch stets konnten und sehr häufig thaten. Hier stand jeder Anspruch für sich, und es entsprach nur dem Willen beider Partheien, daß der eine in seiner gerichtlichen Geltendmachung durch den andern nicht ge- hemmt werden sollte; hätten sie das Gegentheil gewollt, so hätten sie dies auf dem Wege der bedingten Fassung beider Sti- pulationen erreichen können. Das neuere römische Recht hat auch hier aus Gründen, auf die ich erst am Ende des Para- graphen eingehen kann, die Form der exceptionsweisen Geltendmachung der Gegenforderung zugelassen, so daß also — und dies verdient sicherlich keine Billigung — das Recht den Partheien die Möglichkeit, ihrem Verhältniß die angegebene Form zu geben geradezu abschneidet. Was im Bisherigen von ursprünglich zweiseitigen Geschäften gesagt ist, gilt natürlich in um so höherem Maße von ursprünglich einseitigen, und ich kann es auch hier wiederum nicht für eine glückliche Aenderung halten, wenn das neuere Recht alle Gründe, mit denen der Beklagte im Wege der Klage ihre Wirksam- keit beseitigen kann, auch in Form der Einrede zuläßt und das ganz allgemeine Princip aufstellt: wer eine Klage habe, dem sei auch eine Einrede zu gewähren. L. 156 §. 1 de R. J. (50. 17) cui damus actiones, eidem et ex- ceptionem competere multo magis quis dixerit. Der Satz erleidet jedoch Die bedenklichste Anwendung, A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Einreden in Klagform. §. 52. die das neuere Recht von diesem Satz macht, ist die unbeschränkte Zulassung der Compensationseinrede, und ich glaube nicht zu viel zu thun, wenn ich diesen scheinbaren Triumph der Billig- keit gegenüber dem strengen Recht „Aequitas compensationis“ L. 18 pr. de comp. (16. 2). geradezu als einen schweren Verstoß gegen die Idee der processualischen Gerechtigkeit bezeichne und darin nur eine Erscheinung wieder finde, die ich im dritten System mit manchen Belegen hoffe begründen zu können, nämlich die Abschwächung des gesunden, energischen Rechtsgefühls der alten Zeit. Nur bei einer Materie hat auch das neuere Recht sich von diesem Fehler gänzlich frei gehalten, nämlich beim Besitz . Wo es sich um Klagen handelt, die den Besitz zur Grundlage haben, ist jede Einrede, welche sich auf das Recht bezieht, aus- geschlossen, Eine einzige Ausnahme s. in Note 33. und diesem Gedanken hat das neuere Recht im Erbrecht sogar eine erweiterte Anwendung gegeben. Bonorum possessio, remedium ex lege ultima Codicis de edicto divi Hadriani tollendo, interdictum quod legatorum. Unser heutiges Recht hat den Fehler des spätern römischen zum großen Theil wieder gut gemacht, theils nämlich dadurch, daß es dem Verkehr durch die an gewisse Urkunden (Wechsel und instrumenta guarentigiata ) geknüpfte privilegirte Proceßart sowohl bei zweiseitigen als einseitigen Geschäften innerhalb ge- wisser Gränzen die Erlangung der obigen Vortheile in Aussicht stellt, theils dadurch, daß es von dem Gedanken des Besitzes den ausgedehntesten Gebrauch macht (Quasibesitz). So scheinbar verschieden diese beiden Verhältnisse sind, so ist es doch dasselbe legislative Motiv, das ihre Gestalt bestimmt; bei beiden ist es nämlich der obige Zweck, die Vortheile der Beklagtenrolle in an- gemessener Weise zwischen beiden Partheien zu vertheilen, das Uebergewicht der Vertheidigung über die Klage auszugleichen. manche Beschränkungen im Einzelnen; außer Note 37 s. z. B. L. 1 pr. §. 4 6 si cui plus (35. 3), der zufolge der Erbe das Legat vorläufig gegen Cau- tion unverkürzt auszuzahlen hat, wenn die Ermittelung der ihm gebührenden quarta Falcidia mit Weiterungen verbunden ist. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Die bisherige Ausführung hat uns gezeigt, daß die unbe- gränzte Zulassung des Vertheidigungsmaterials in Form der Defensive, weit entfernt durch die Idee der Gerechtigkeit geboten zu sein, umgekehrt mit den Anforderungen der wahren, äch- ten Gerechtigkeit, welche sich nicht allein nach dem bemißt, was sie gibt, sondern auch nach dem, wann sie es gibt, unter Umständen in schneidenden Widerspruch treten kann, und dieses Unrecht zu erkennen und zu beseitigen — darein setze ich die Idee und Bestimmung der processualischen Gerechtigkeit . Ob mehr das Gefühl oder die Vorstellung von ihr es war, was die ältere Jurisprudenz bei der Gestaltung des Processes leitete, oder mehr die Rücksicht auf die durch Häufung der Fragen be- drohte Einfachheit und Uebersichtlichkeit des Processes, also ein Gesichtspunkt der legislativen Politik, darüber wäre es müßig zu rechten; genug! der ältere Proceß gibt beiden Gedanken ihr volles Recht. Es liegt die Frage nahe, nach welchen Rücksichten die Ver- theilung des Vertheidigungsmaterials unter die beiden Formen erfolgt sein mag, warum der eine Einwand in die einer Negation oder exceptio, der andere in die einer Gegenklage gebracht worden ist. Um diese Frage zu beantworten, müßte die Geschichte uns tiefere Blicke in die innere Entwickelung des römischen Rechts, vor allem des Condictionensystems verstattet haben, als sie es in Wirklichkeit gethan. Manches ist dabei unzweifelhaft rein histo- risch. So z. B. glaube ich, daß der Begriff einer Aufhebung der Rechte „ipso jure“ und die Zahl der einzelnen Fälle im Laufe der Zeit in ähnlicher Weise etwas Feststehendes und historisch Ab- geschlossenes geworden ist, wie der Begriff und die Zahl der con- tractus und delicta. Gründe, denen erst das spätere Recht eine aufhebende Wirkung zugestand, wurden daher schon darum in die Form der Klage getrieben, weil ihnen die der Negation (s. u.) verschlossen war, die der exceptio aber, selbst wenn sie damals bereits existirte, wenigstens solange noch die ursprünglichen An- schauungen nicht ganz abhanden gekommen waren, ungleich A. Der Proceß. Die Vertheidigung im alten Proceß. §. 52. mehr gegen sich hatte, als die der Klage. Erst durch die Form der Klage hindurch arbeiteten sie sich zu der der Exception hinauf — ein Punkt, auf den ich am Schluß des Paragraphen zurück- kommen werde. Die folgende Darstellung beschränkt sich nicht auf die älteste Form des römischen Processes. Es ist nicht blos die Dürftigkeit unserer Kenntniß über den Legisactionenproceß, die uns zwingt, unsern Blick auf den Formular-Proceß zu erweitern, sondern es ist die Gleichheit des hier zur Betrachtung stehenden, sie beide gleichmäßig beherrschenden Grundgedankens. Beide sind gebaut auf den Grundsatz der Einen Frage, aber während der eine, soviel wir wissen, denselben nie verläugnet hat, und auch der an- dere in der ersten Periode seines Bestehens an diesem seinem Fundament sicherlich nicht gerüttelt hat, weist er in einer spätern Phase seiner Entwicklung zwei Bildungen auf, die eine entschie- dene Abweichung von jenem Grundsatz enthalten. Beide sind prätorischen Ursprungs, die eine eine eigenthümliche Form der Klage: die actio in factum, die andere die exceptio. Bei der ersten war die Abweichung keine nothwendige und durchgehende, sie konnte unter Umständen auf einen Fragepunkt gestellt werden, aber regelmäßig enthielt sie zwei; bei der andern da- gegen war diese Abweichung durch ihre Form selbst mit Nothwen- digkeit gegeben, sie fügte stets zu der im Interesse des Klägers gestellten Frage eine zweite im Interesse des Beklagten hinzu. Nach dem Zweck unserer Aufgabe, welcher auf die Schilde- rung des ursprünglichen Grundbaus des römischen Processes gerichtet ist, scheiden wir daher diese beiden Bildungen von dem Kreis unserer Betrachtung aus, soweit sie nicht etwa dazu dienen können, durch ihren Gegensatz das Verständniß zu fördern. Wir verfolgen jetzt die Vertheidigung in den beiden oben an- gegebenen Richtungen und zwar zuerst in der defensiven Richtung. Hier nimmt sie den Charakter einer Negation der Klage an. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. 1. Vertheidigung in Form der Negation . Dieselbe Alternative rücksichtlich der Beantwortung der durch die Klage gestellten Frage, welche dem Richter gestellt ist, daß er nämlich entweder schlechthin bejahen oder schlechthin verneinen muß, gilt auch für den Beklagten. Auch ihm ist nur die Wahl gelassen zwischen einem kategorischen Ja oder Nein , ohne das ausweichende „ Aber “ der exceptio. Dem Ja folgt die Verurthei- lung, dem Nein der Proceß. Ist mithin die Behauptung des Klägers so gefaßt, daß der Beklagte sie nur bedingt oder theil- weise einräumen kann, so bleibt ihm, wenn er seinem Recht nichts vergeben will, nichts übrig, als sie schlechthin in Abrede zu stellen und ebenso dem Richter, wenn er sich nicht überzeugt, daß sie ihrem ganzen Umfang nach begründet ist, nichts übrig, als den Kläger schlechthin abzuweisen. Die kleinste Abweichung von der Wahrheit zu eignen Gunsten begründet mithin für den Kläger den Verlust des ganzen Processes; die Strafe der plus petitio war eine nothwendige Consequenz der obigen Alternative oder, was dasselbe, der intentio certa. Wo der Anspruch des Klägers sich in seiner schließlichen Gestalt auf eine Geldsumme reducirte, und man ihm billigerweise nicht zumuthen konnte, die- selbe mit Gefahr der plus petitio selber anzusetzen, wußte man in verschiedener Weise zu helfen, theils nämlich durch vorherige Schätzung in Form eines praejudicium, wovon unten ein Bei- spiel folgen wird, theils durch nachherige ( arbitrium litis aesti- mandae ), theils auf andere Weise. So nämlich bei den Delictsklagen, z. B. bei der act. leg. Aquiliae, indem man dem Kläger für den Ansatz der Geldsumme ( „ tantum aes dare domino damnas esto“, Worte der lex Aquilia L. 2 pr. ad leg. Aq. 9. 2), wo sie erforderlich war ( L. 25 §. 2 ibid. ), einen so weiten Spielraum gewährte (Werth des letzten Jahres bez. Monats), daß er es sich selbst zuzu- schreiben hatte, wenn er eine plus petitio beging. Die act. furti lautete bloß auf „pro fure damnum decidere oportere“ Gaj. IV. 37, 45, womit die bei jedem „ dare oportere“ erforderliche Angabe einer bestimmten Sache oder Summe umgangen war. A. Der Proceß. Die Vertheidigung in Form der Negation. §. 52. Der Umfang der Negation bestimmte sich nach dem der Be- hauptung; je nachdem letztere enger oder weiter gefaßt, war damit auch jener ein engerer oder weiterer Spielraum angewiesen. Es ergab sich daraus die Nothwendigkeit, die Klage soweit zu fassen, daß dem Beklagten der nöthige Raum zu seiner Vertheidigung offen blieb. Hätte man also z. B. die Klagformel so formulirt, daß „Klä- ger dem Beklagten 100 geliehen habe“, so hätte der Beklagte mit dem Einwande, daß „er sie zurückgezahlt “, in demselben Proceß gar nicht gehört werden können, weil darin eine neue po- sitive Behauptung gelegen hätte. Man mußte folglich die Klag- formel so einrichten, daß sie beide Behauptungen in sich aufnehmen konnte, und dies geschah dadurch, daß man sie auf das „ Schul- digsein “ stellte. Diese Fassung ließ von Seiten des Klägers als Affirmative des Schuldigseins die Behauptung zu, daß er die 100 gegeben , von Seiten des Beklagten als Negative des Schuldigseins die, daß er sie zurückgezahlt habe. Alle Klagformeln mußten mithin, wenn sonst der Grundsatz der Ne- gation durchführbar sein sollte, auf die gegenwärtige Exi- stenz des Rechtes lauten — und in der That ist dies die Form aller altrömischen Klagen Mithin im Infinitiv des Präsens. Die in rem actiones sind mit Andeutung der absoluten Natur des ihnen zu Grunde liegenden Rechts (B. 2 S. 511) auf ein esse gestellt (rem, hereditatem meam esse, jus eundi mihi esse, tibi non esse), die actiones in personam mit derselben fei- nen Andeutung der ihnen zu Grunde liegenden Verpflichtung der Person (B. 2 S. 512) auf oportere (dare, pro fure damnum decidere oportere) . —, sie sind sämmtlich, wie die römischen Juristen es ausdrücken, „ in jus conceptae “. Den Gegensatz zu ihnen bilden die vorhin erwähnten actiones in factum conceptae des prätorischen Rechts. Der Begriff „jus“ war ein historisch abgeschlossener; als jus im concreten Sinn bezeichnete die correcte Sprache des Processes nur ein sol- ches, welches dem jus im abstracten Sinn, dem jus civile , ent- sprach, der Prätor konnte sich mithin für die von ihm eingeführten Klagen nicht der Ausdrücke bedienen, in denen man sich ge- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. wöhnt hatte die Bezeichnung eines jus zu erblicken (Note 44), es erübrigte ihm folglich nur die Fassung, welche wir oben zurück- gewiesen haben, die der „actiones in factum“ . Die Formel lau- tete auf die Thatsache (factum) , auf welche der Anspruch des Klägers sich gründete, und zwar, da diese Thatsache regelmäßig der Vergangenheit angehört, im Gegensatz zu dem Infinitiv Präsentis des Civilrechts im Infinitiv perfecti. z. B. A. A. apud N. N. mensam deposuisse — convenisse inter A. A. et N. N., ut res pignoris nomine obligata esset — patronum in jus vocatum esse , Gaj. IV. 46, 47. Nur wo die Klage von einer gegenwärtigen Thatsache abhing, z. B. beim interd. uti possidetis vom gegenwärtigen Besitz, ward natürlich das Präsens gebraucht: possidetis . Um hier nun den Beklagten, welcher die angegebene Entstehung des kläge- rischen Anspruchs zwar einräumte, aber die spätere Aufhebung desselben behauptete, Raum zu dieser Behauptung zu geben, mußte natürlich der Formel ein darauf gerichteter Zusatz als zweites Glied einverleibt werden. Die actiones in factum waren daher in der Regel zweigliedrig , sie enthielten zwei Fragen: eine im Interesse des Klägers — das Klagfundament — eine im Interesse des Beklagten, bald als negative Beschränkung des Klagfundaments, bald als exceptio gefaßt. Beispiel der ersten Form: .. rem deposuisse (positiver Theil des Klagfundaments) eamque dolo malo Ni Ni Ao Ao redditam non esse (ne- gativer Theil). Beispiel beider Formen bei der act. hypothecaria: (Note 45) … obligata esset ( positiver Theil) eamque pecuniam solutam non esse neque eo nomine satisdatum esse neque per A. A. stetisse, quominus sol- veretur (nach Bachofen Pfandrecht I. S. 49 — negativer Theil) si non voluntate creditoris veniit ( exceptio , L. 8 §. 9 quib. mod. pig. 20. 6). Einige For- meln waren bloß eingliederig ; hier steckte das nöthige Ver- theidigungsmaterial schon im positiven Klagfundament. z. B. .. patronum contra edictum … in jus vocatum esse Gaj. IV. 46, in dem contra edictum steckte der Stoff zur Vertheidigung (z. B. L. 11 de in jus 2. 4), ebenso bei den possessorischen Interdicten .. possidetis nec vi nec clam nec precario alter ab altero (L. 1 pr. uti poss. 43. 17). Wenn ich den so eben entwickelten Gegensatz in der Fassung A. Der Proceß. Die Vertheidigung in Form der Negation. §. 52. der Klagen erst hier bei Gelegenheit der Vertheidigung behandelt habe, so geschah es, weil er erst hier für uns von Be- deutung ward. Seine Bedeutung ist übrigens keineswegs auf den hier in Frage stehenden Gesichtspunkt der Form der Verthei- digung beschränkt, und es möge mir erlaubt sein, darüber noch einige Worte hinzuzufügen. Wer sich auf den Standpunkt des römischen Formalismus stellt und von ihm aus, wie man es ja muß, den Gegensatz be- urtheilt, dem bietet er, so äußerlich er scheint, doch reichen Stoff zur Betrachtung. Daß sich in ihm der Gegensatz der verschiede- nen Zeiten, denen er angehört, klar abspiegelt, wird keines aus- führlichen Nachweises bedürfen. Die actio in jus concepta ist eins jener formalistischen Kunstproducte, die den fein entwickelten Formensinn der alten Jurisprudenz kennzeichnen; ihr gegenüber macht die act. in factum den Eindruck des Rohen, Form- losen. Nicht bloß darum, weil jene in einem Satz erreicht, wozu diese mehrere nöthig hat, sondern vor allem darum, weil jene die Condemnation dadurch, daß sie dieselbe an die Voraus- setzung der Existenz eines Rechts knüpft, innerlich motivirt, während letztere sie rein äußerlich an das Vorhandensein gewisser Thatsachen knüpft. Aus bloßen Thatsachen aber folgt nie die Nothwendigkeit der Verurtheilung — das Mittelglied: das Recht fehlt. Bei jener Fassung ist diese Nothwendigkeit eine innere , die sich von selbst versteht — denn wo ein Recht vor- handen ist, da muß es auch realisirt werden — bei dieser eine äußerliche, die sich der Form nach lediglich auf positive Anord- nung stützt. Sodann faßt jene wiederum die Bestandtheile des Thatbestandes zur Einheit des Begriffs zusammen, schließt ihn also innerlich ab, während diese sie als loses, äußerlich zu- sammengefügtes Aggregat neben einander stellt. Dieser Unter- schied ist aber von der äußersten Wichtigkeit — an ihn knüpft sich ein Stück römischer Jurisprudenz. Wer ein „Recht“ angeben soll, muß über dessen Natur mit sich im Reinen sein, wer bloße Thatsachen für sich anzuführen braucht, kann sich dem entziehen. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. In der formula in jus concepta lag also eine Nöthigung zur Klarheit über die systematische Natur der Rechte; wer aus irgend einer lex eine legis actio fabriciren wollte, mußte sich die Frage beantworten, ob die intentio auf esse oder oportere gestellt wer- den müsse, m. a. W., ob der Anspruch ein absoluter oder rela- tiver sei. Hätte dagegen die Form der actio in factum ausge- reicht, so hätte er diese Frage ebenso umgehen können, wie das z. B. bei der act. hypothecaria geschehen ist und vielleicht würde uns dann auch über ein Recht des alten Civilrechts der- selbe Streit geblüht haben, wie heutzutage der über die Natur des Pfandrechts. Die harmlose Unentschiedenheit ihres civilisti- schen Selbst, die so manche Rechte modernen Ursprungs bei un- sern heutigen formlosen Klagen — man kann sie nicht einmal actiones in factum nennen — Jahrhunderte lang genossen haben und zum Theil noch genießen, wäre bei der römischen actio in jus concepta völlig unmöglich gewesen, die Reallasten z. B. hätten mit dem ersten Schritt, den sie in den römischen Proceß hinein thun wollten, sich entscheiden müssen: ob actio in rem oder actio in personam. Die Sprache der actio in jus concepta ist die des Juristen, die der actio in factum kann jeder Laie reden! — wohl dem Rechte, das früh jene Sprache zu lernen gezwungen gewesen ist! Der Gedanke der processualischen Bezeichnung der Rechtsbe- griffe, der das Wesen der act. in jus concepta bildet, hätte der Tod der Jurisprudenz werden können. Es hing nur von dem Maß ab, in dem das materielle Recht in der Klage zur Erschei- nung kommen mußte, um den Zwang zur wissenschaftlichen Klarheit in ein Hemmniß jedes Fortschrittes, die Bestimmtheit in Versteinerung zu verwandeln; denn alles, was einmal in der Formel der legis actio Platz gefunden, war so gut wie unabän- derlich. Hätten also die alten Juristen diese Formel in demselben Stil concipirt, in dem man zu andern Zeiten die Klagformulare und Geschäftsformulare abgefaßt hat, also z. B. in die Formel der revindic. die Eigenthumserwerbungsarten aufgenommen, A. Der Proceß. Die Vertheidigung in Form der Negation. §. 52. so wäre es um jede freie Bewegung im Innern der Institute ge- schehen gewesen — die Erstarrung an der Oberfläche würde sich auch auf die Tiefe erstreckt haben. Es bewährt sich darin wie- derum so recht der Takt der alten Jurisprudenz, daß sie den Rechtsbegriff in der Klage zwar fixirte , aber ohne ihn zu fes- seln (B. 2 S. 666 flg.). Untersuchen wir den Spielraum, den die actio in jus con- cepta der Vertheidigung vergönnte. Von vornherein hat die Meinung sehr viel für sich, daß der- selbe ein sehr enger gewesen sei. Denn wenn der Beklagte ledig- lich auf Negation angewiesen ist, so ist ja die Berufung auf alle solche Gründe und Verhältnisse ausgeschlossen, welche nicht direct eine Nichtexistenz des klägerischen Anspruchs involviren; in dem Fall siegt der Eigenthümer gegen den Usufructuar, denn die Berufung auf den Nießbrauch enthält keine Negation des Eigenthums, der Erbe siegt gegen den Eigenthümer, denn der Einwand des Eigenthums enthält keine Negation der Be- hauptung, daß der Kläger Erbe sei und die Sache zur Masse gehöre. Gegenüber diesem engen Spielraum der Vertheidigung würde das Gebiet, das die exceptio ihr eröffnet hat, ein unver- gleichlich weites sein. Hier kann der Beklagte, frei von jeglicher Beschränkung, den Anspruch des Klägers in jeder gedenk- baren Weise bekämpfen: er kann ihn in seiner abstracten juri- stischen Existenz bestehen lassen und dennoch wegen der Mängel, die ihm anhaften, sich seiner Ausübung widersetzen — er kann dem Anspruch einen Gegenanspruch gegenüber stellen und ihn damit zurückschlagen, ja die verschiedenartigsten Rechte, wie z. B. Eigen- thum und Obligation (exc. rei creditae et traditae) können in dieser Form sich einander gegenüber gestellt werden. Diese ganze Ansicht von der vermeintlichen Enge des ältern und der Weite des neuern Vertheidigungssystems beruht jedoch auf bloßem Schein. Freilich der Gründe , auf welche der Beklagte hier seinen Antrag auf Befreiung stützen konnte, ist eine ungleich größere Zahl geworden, als dort; Haussöhne, Frauenzimmer ge- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. nossen noch nicht den Schutz des Sc. Macedonianum und Velleja- num, dem Betrogenen und Gezwungenen gab noch keine exceptio doli und metus Hülfe. Allein darauf die Ansicht zu bauen, daß der processualische Mechanismus diesen Schutz ausgeschlos- sen habe, wäre sehr irrig. Hätte man sonst für die materielle Nothwendigkeit dieser Befreiungsgründe sich entschieden, die Form würde keine Schwierigkeit gemacht haben, man hätte sie unter die einer Negation des klägerischen Rechts gebracht, d. h. als Nichtigkeitsgründe behandelt. Daß das spätere Recht dies nicht that, davon ist der Grund schon oben (S. 54) an- gegeben. Das beste Mittel, um diesen Irrthum von der vermeintlichen großen Differenz des Spielraums der Negations- und Exceptions- Vertheidigung zu widerlegen besteht darin, den beiderseitigen Spielraum mit einander zu vergleichen. Die Exception wird uns als ein Mittel bezeichnet, welches die Condemnation bald völlig ausschließt, bald bloß verringert . L. 22 pr. de exc. (44. 1). Ueber die verringernde Kraft der exc. s. H. Dernburg , Die Compensation S. 218 flg. Daß auch die Negation unbeschadet der Grundsätze von der plus petitio dieser doppelten Wirkung fähig war, wird der Verlauf der Darstellung lehren (Note 56, 66, 71, 76). Das Fundament oder der Stoff der Exception kann drei- facher Art sein; zu allen drei Arten liefert die Negation Seiten- stücke. Die erste Art ist die Behauptung der Mangelhaftigkeit der Entstehungsweise des klägerischen Anspruchs, Beispiele bieten die oben genannten Fälle der exc. Sc. Macedon., Vellej., me- tus, doli. Dieser ersten Grundform der exc.: der ursprünglichen Mangelhaftigkeit , entspricht im System der Negation die ursprüngliche Nichtigkeit ; Beispiele gewähren alle Gründe, welche „ ipso jure “ das Zustandekommen eines Rechtsge- schäfts ausschließen: Fehler in der Form , z. B. Präterition A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Negation u. Exception. §. 52. eines suus im Testament, Mangel der Handlungsfähigkeit, z. B. Verträge eines Wahnsinnigen, Unmündigen, Ertheilung der tutoris auctoritas in rem suam, u. a. Die zweite Grundform der exc. betrifft die später einge- tretene Mangelhaftigkeit des klägerischen Anspruchs, sie umfaßt alle Ereignisse, Vorgänge im Leben desselben, welche, ohne dieses selber aufzuheben, doch die fernere Wirksamkeit desselben hemmen — Gebrechen und Fehler, die das ursprüng- lich gesunde dem von Anfang an siechen Recht völlig gleich stellen. Diesen Gründen correspondiren im System der Negation die, welche das Recht hinterher „ ipso jure “ aufheben; der Ent- kräftung entspricht die Vernichtung . Beispiele gewähren für jene : die Verjährung der Klage, der formlose Erlaß (pactum de non petendo), für diese : Untergang des klägerischen Eigen- thums durch Usucapion von Seiten des Beklagten, der formelle Erlaß ( acceptilatio ) u. a. Während diese beiden ersten Grundformen der exc. der in- nern Mangelhaftigkeit des klägerischen Rechts ihren Stoff ent- nehmen, entlehnt die dritte ihn dem Verhältniß dieses Rechts zu einem selbständigen Recht des Beklagten , sie repräsentirt uns den Conflicht zweier Ansprüche, welche sich in ihrer Verwirk- lichung hemmen oder paralysiren, so z. B. zweier Obligationen (Compensations-, Retentions-Einrede), des Eigenthums und der Obligation (exc. rei vend. et traditae). Daß das Negations- system auch für diese Form ein Seitenstück zu liefern im Stande sein soll, möchte man im ersten Moment bezweifeln, denn wie kann der Beklagte, wenn er lediglich auf Negation des klägerischen Anspruchs angewiesen ist, demselben einen positiven Gegenanspruch gegenüberstellen? Antwort: er kann es nur in Form der Negation — dem Conflict beider Ansprüche muß also die Gestalt gegeben werden, daß der eine den andern von vornherein ausschließt oder hinterher vernichtet . Wie die römischen Juristen es ver- standen haben, durch eine höchst geschickte Benutzung dieser schein- bar so ungelenken Form einen Grad praktischer Brauchbarkeit zu Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. sichern, der dem der exceptio gleich kömmt — das zu zeigen ist die wesentliche Aufgabe des gegenwärtigen Paragraphen. Der Weg, den sie zu dem Zwecke einschlagen, ist ein doppel- ter; theils der des materiellen Rechts, theils der des Processes. Dort wird die Berufung des Beklagten auf sein Gegenrecht le- diglich durch Sätze des materiellen Rechts ermöglicht, ohne daß das Gegenrecht im geringsten processualisch (d. h. in der Klagformel oder im Urtheil) sichtbar würde; der Beklagte negirt einfach die Existenz des klägerischen Rechts und begründet vor dem Richter seine Negation mit dem Nachweis des eigenen Rechts. Der zweite Weg besteht darin, daß der Klage mit Rück- sicht auf den beabsichtigten Einwand des Beklagten eine ganz besondere Fassung gegeben wird, welche es ermöglicht, denselben in Form der Negation der Klage gegenüber zu stellen; hier wird das Recht des Beklagten processualisch sichtbar . Für gewisse Verhältnisse reichte auch dieser Weg nicht aus, und hier schlug man den ein, den Streit über die beiderseitigen Rechte als zwei Klagen zu einem einzigen Doppelproceß (judicium duplex) zusammen zu fassen. Berufung des Beklagten auf einen selbständigen Anspruch. 1. Der Weg des materiellen Rechts . Das Gesetz der Scheidung und selbständigen Entwicklung der einzelnen Theile, welches das Gesetz einer jeden Entwicklung überhaupt ist, bethätigt sich auch an dem Verhältniß des mate- riellen Rechts und Processes. Ursprünglich ganz zusammenge- wachsen und unlöslich an einander gekettet, gehen beide im Laufe der Zeit immer weiter auseinander, ihre eigenthümlichen Pro- bleme verfolgend und ihren eigenthümlichen Lebensgesetzen ge- horchend. So wird das Band zwischen ihnen ein immer lockereres, das Verhältniß ein rein äußerliches. Die processualischen Einrich- tungen bilden ausschließlich die Form des Verfahrens aus, ohne A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenansprüche in Negationsform. §. 52. zur Unterstützung derselben eine besondere Gestaltung des mate- riellen Rechts in Anspruch zu nehmen, und das materielle Recht widmet sich seinen Aufgaben, ohne des Processes dabei zu ge- denken, ja es kömmt endlich der Zeitpunkt, wo man sogar vor der Idee nicht mehr zurückschrickt, eine ganz neue Proceßordnung einzuführen, den Proceß der wesentlichsten Umgestaltung zu unter- ziehen, ohne am materiellen Recht zu rütteln, und umgekehrt letzteres in eine völlig neue Form zu bringen, ohne den Proceß im mindesten zu alteriren. Von einem solchen Standpunkt der Entwicklung aus, wie es der unserer heutigen Zeit ist, läuft man nur zu sehr Gefahr, das ursprüngliche Verhältniß zwischen bei- den Theilen zu verkennen und im Licht der eignen Zustände zu beurtheilen, und es bedarf erst eines künstlichen Sich-Einlebens in die Vergangenheit und ihre eigenthümlichen Zustände, um die Erscheinungen, die sie uns aufweist, wirklich zu verstehen. Zu dieser Betrachtung haben mir die Rechtssätze Veranlassung gegeben, deren Bedeutung ich im Folgenden zu ermitteln versuchen werde. Sie gehören sämmtlich dem materiellen Recht an, und doch ist ihre Bedeutung eine rein processualische . Ein processualischer Zweck nämlich, die Ermöglichung der Vertheidi- gung des Beklagten in Form der Negation, hat ihnen das Leben gegeben, aber die spätere Entwickelung des Processes hat den Boden, auf dem sie gewachsen waren, und der ihre eigenthümliche Gestalt bedingte, überfluthet, ohne sie selbst mit hinwegzuschwem- men, und so ragen sie als Ueberbleibsel einer frühern Epoche in eine Zeit hinein, die für ähnliche Zwecke andere Formen zur An- wendung brachte, lediglich gehalten durch die Macht der Tradition und ganz geeignet, den Unkundigen irre zu führen (S. 20). Die römischen Juristen erwähnen öfter die Regel, daß weder ein Kauf oder Miethcontract, noch eine Verpfändung, ein Pre- carium oder Depositum der eigenen Sache möglich sei. L. 45 pr. de R. J. (50. 17). Neque pignus neque depositum neque precarium neque emtio neque locatio rei suae consistere potest. L. 21 de usuc. (41. 3), L. 31 §. 1 Dep. (16. 3) u. a. Für Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 5 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. einige dieser Contracte begreift sich dies auch vom Standpunkt des materiellen Rechts aus, für andere aber schlechterdings nicht, denn warum sollte z. B. der Usufructuar dem Eigenthümer der Sache dieselbe nicht vermiethen, der Pfandgläubiger dem Ver- pfänder die zum Faustpfand übergebene Sache nicht zum Pre- carium Puchta , welcher diese Möglichkeit annimmt und darauf seine ganze Ansicht von dem interd. Salvianum gründet (Instit. §. 251 Note b ), hat die obige Regel übersehen, sonst hätte er vielleicht nicht in der Möglichkeit , sondern der Unmöglichkeit des interd. de precario den Grund zur Ein- führung jenes Interdicts erblickt. überlassen dürfen? Auch rücksichtlich des Kaufs möchte ich dieselbe Frage aufwerfen, und in der That haben die spätern Juristen sie nicht bloß rücksichtlich seiner bejaht, sondern über- haupt die Regel in einer Weise eingeschränkt, die sie mit dem Interesse des materiellen Rechts mehr in Einklang setzt, als sie es ihrer Fassung nach ursprünglich gewesen sein kann. S. namentlich L. 34 §. 4 de cont. emt. (18. 1) und L. 28 de acq. poss. (41. 2). Was war nun denn der ursprüngliche Sinn und Zweck der Regel? Die Antwort sollen uns zwei Fälle geben! Angenom- men, es hätte ein Vermiether zu einer Zeit, als man im Formu- larproceß noch keine Exceptionen zuließ, auf Rückgabe der ver- mietheten Sache und auf Zahlung des Miethzinses geklagt, der Miether aber inzwischen in Erfahrung gebracht, daß die Sache die seinige sei; sollte und konnte man ihn mit diesem Einwand hören? Die Juristen waren der Ansicht, daß dies in dem Fall der Billigkeit entspreche, wenn er bereits zur Zeit des Abschlusses des Contracts Eigenthümer gewesen sei. Warum man den Einwand auf diesen Fall beschränkte, wird sich aus der Theorie des Rechtsgeschäfts (§. 53) ergeben, von legislativ politischen Gründen ganz zu geschweigen. Aber in welcher Form sollte man diesen Einwand zulassen? In seiner nackten Gestalt als Berufung auf das eigene Eigenthum war er un- möglich, denn in dem Proceß über die Obligation kann nicht von der andern Seite die Eigenthumsfrage eingemischt A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenansprüche in Negationsform. §. 52. werden. Die Aufstellung der obigen Regel enthält die Lösung: der Beklagte richtet seinen Widerspruch formell gegen die Existenz der Obligation und begründet denselben vor dem Richter mit dem Beweise seines Eigenthums. Processualisch wird letzteres also weder in der Klage , noch im Urtheil sichtbar. Aber wie kann der Richter über das Dasein des Eigenthums erkennen, da er zu dem Zweck des Vindicationsverfahrens bedarf? Wäre die letztere Annahme wahr, so hätte die Sache erst an den Prätor zurückgewiesen werden müssen (B. 2 S. 600), und in den an- hängigen Proceß wäre ein anderer eingeschoben worden — eine processualische Monstrosität, zu der kein Jurist die Hand geboten hätte. Wie half man sich in dem Fall? Durch das (B. 2 S. 85) bereits gelegentlich erwähnte Mittel der sponsio praejudicialis. Die Eigenthumsfrage trat hier als Präjudicialfrage für das Urtheil auf, der Richter war mithin nicht bloß berechtigt, son- dern verpflichtet, den Partheien die Eingehung einer sponsio praejudicialis über jene Frage aufzuerlegen. Gaj. IV. §. 93: Si homo, quo de agitur, ex jure Quiritium meus est, sestertios XXV nummos dare spondes? — Hier stellte also der Be- sitzer der Sache eine in rem actio an (so wird sie bezeichnet von Gaj. IV, 91), abermals einer von den vielen Fällen des „unus casus“ der Institutio- nen (§. 2 I. de act. 4. 6). Der Proceß büßte damit den Charakter einer in personam actio in keiner Weise ein, denn jene sponsio hatte trotz ihres Zweckes doch der Form nach ebenfalls eine Obligation zum Gegenstande. Möglicherweise erfolgte die Erledigung des Präjudicialpunktes bereits vor der Constituirung des Judiciums über die persönliche Klage, so daß je nach Ausfall des Vorverfahrens das Haupt- verfahren entweder unterblieb oder zu Stande kam. Ein Gegenstück zu diesem Conflict des Eigenthums mit der Obligation liefert der des Eigenthums mit dem Be- sitz . Obschon der Einwand des Eigenthums den Besitzesklagen gegenüber regelmäßig unzulässig ist, so macht doch vermöge der obigen Regel das interdictum de precario eine Ausnahme da- 5* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. von, S. außer der L. 45 in Note 49 die L. 4 §. 3 L. 6 §. 4 de precar. 43. 26). eben weil ihm gegenüber dieser Einwand unter den Ge- sichtspunkt einer Negation des Klagfundaments fällt. Dagegen ist auch beim interd. de precario die Berufung auf die Obligation (das Versprechen des Klägers, dem Beklagten den Besitz eine Zeitlang zu lassen) ausgeschlossen L. 12 pr. de prec. (43. 26), schwerlich je- doch aus dem Grunde, den Celsus hier angibt, denn warum sollte abgesehen von dem in dem Besitz proceß gelegenen Hinderniß ein solcher Vertrag nicht gültig sein? Im Fall der L. 15 §. 3 ibid., wo die Rückforderungsklage auf das Versprechen des Beklagten gegründet, d. h. eine actio in per- sonam war, wäre schwerlich von irgend einem Juristen die entgegengesetzte Berufung des Betheiligten auf das Versprechen des Klägers zurückgewiesen worden. Beim interd. de precario, wo der Anspruch des Klägers nicht auf eine Obligation , sondern auf den Besitz gestützt wird, würde ein Einwand obligatorischer Art den Charakter des Besitzprocesses alterirt haben. Wir betrachten jetzt einen Conflictsfall von eigenthümlichem Interesse: den der Obligation mit der Obligation . Die beiden Formen, in denen derselbe im neuern Recht mög- lich ist, sind bekanntlich die der Compensation und Reten- tion , beide regelmäßig in Gestalt einer exceptio . In dieser Form war ein solcher Conflict natürlich im ältern Proceß un- möglich, er hätte ja zu dem Zwecke den Grundsatz der einen Frage verläugnen müssen. Aber in anderer Form sind beide der Sache nach bereits dem ältern Proceß bekannt, und eine der Formen, in denen er sie ermöglicht, soll jetzt mitgetheilt wer- den; die zweite wird später folgen. Es schien den alten Juristen billig, daß der Ehemann, wenn er nach Auflösung der Ehe die Dos herauszugeben habe, wegen der von ihm aufgewandten nothwendigen Auslagen einen Abzug machen dürfe. Aber wie diesen Anspruch in der Klagfor- mel ausdrücken? Als selbständiger Anspruch durfte er aus dem angegebenen Grunde nicht auftreten. Wie also? Es ward der Sache die Wendung gegeben, daß die Forderung der Frau um den Betrag der Gegenforderung sich vermindert habe. Bei dieser Einkleidung kam letztere positiv als solche im A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenansprüche in Negationsform. §. 52. Proceß gar nicht zum Vorschein, sie wirkte nur negativ als Subtractionsfactor — man spürte sie nur. Das ist die Bedeutung des Satzes, daß die nothwendigen Auslagen die Dos ipso jure vermindern. Impensae necessariae dotem ipso jure minuunt ; L. 5 §. 2 de pact. dot. (22. 4), L. 5 de imp. (25. 1), L. 1 §. 4 L. 2 §. 1 L. 5 de dot. prael. (33. 4). Die Erklärung, die man sonst von dieser Regel gibt (z. B. Dernburg Compensation S. 116), ist nicht sowohl eine Erklä- rung, als eine andere Fassung der Regel. Wäre dieses Abzugsrecht erst in späterer Zeit zugelassen worden, als die Ex- ceptionen sich bereits völlig eingebürgert hatten, so würde es schwerlich in diese , sondern wahrscheinlich in dieselbe Form ge- bracht worden sein, die das Abzugsrecht des Mannes wegen der nützlichen Verwendungen an sich trägt, L. 7 §. 4 de imp. (25. 1) .. utiles non quidem ipso jure minuunt dotem. nämlich in die des Retentionsrechts (exc. doli). Die Verschiedenheit der Form beider kommt meiner Ansicht nach lediglich auf Rechnung der Ver- schiedenheit ihrer Entstehungszeit und der zu derselben herrschenden Proceßsysteme; Materiell ist die eine Form so wirksam, wie die andere, die einzig denkbare Differenz hätte sich an die cond. indebiti knüpfen können, allein die meisten römischen Juristen stellten sie auch hier einander gleich, L. 5 §. 2 de imp. dot. (25. 1); die Auffassung auch der ersten Form als eines Retentions- rechts hätte sich nicht deutlicher dokumentiren können ( arg. L. 51 de cond. ind. 12. 6) und wird auch durch die mit der „ aequitas “ motivirte Mei- nungsverschiedenheit von Marcellus und Ulpian um nichts abgeschwächt. vom praktischen Standpunkte aus könnte man beide als Anwendungsfälle des Retentionsrechts bezeichnen, wie dies die römischen Juristen in der That auch gethan haben. Daß Justinian in §. 37 I. de act. (4. 6) dies thut („retentio con- cessa“) , soll nicht schwer in die Wagschale fallen, s. aber Ulp. VI, 9. 14 (retentio propter impensas), L. 56 §. 3 de J. D. (23. 3) .. retineatur und die vorige Note; ähnlich beim Pekulium (s. u.), für welches die L. 30 pr. de act. emt. (19. 1) das „ipso jure minutum esse peculium“ und „retentionem habiturum“ ebenfalls identificirt. Das Genauere über die Art und Weise, wie jener Abzug formell in der Klagformel vermittelt wurde, ist uns nicht erhalten. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Zur Zeit, als die Klagen mit einer intentio incerta (S. 22) aufgekommen waren, hatte die Sache gar keine Schwierigkeit, die Frau klagte mit der act. rei uxoriae auf „quantum aequius melius sit dari“; in dem „quantum“ steckt bereits die Hindeu- tung auf die Verringerung der Dos durch die Gegenforderung. Allein zur Zeit, als noch das Princip der intentio certa existirte, und als es noch keine eigentliche Dotalklage gab, die Dos viel- mehr nur auf Grund der über ihre Rückgabe abgeschlossenen Stipulationen (cautiones rei uxoriae) zurückgefordert werden konnte, A. Gellius N. A. IV, 3 datirt dieselben von der Ehescheidung des Carvilius Ruga (523 d. St.); Hasse , das Güterrecht der Ehegatten nach R. R. B. 1 S. 214, 216; zu dieser Zeit aber stand meiner Ansicht nach das Princip der intentio certa noch in vollster Blüthe. mußte die Klage nicht unbestimmt auf ein „quantum“, sondern auf das ganze bestimmte Dotalobject und mithin, wenn letzteres in Geld bestand, auf Geld gerichtet werden. Hier hätte also die Frau, wenn sie sich nicht einer plus-petitio und damit der Gefahr des Verlustes des ganzen Processes aussetzen wollte, die Gegenforderung des Mannes auf Heller und Pfennig genau in Abzug bringen müssen. Allein wie durfte man ihr dies zumuthen? Wie konnte sie den Betrag der Gegenforderung von sich selbst wissen oder dem Manne ohne Beweis glauben? Die Analogie des Argentarius (s. u.), der die Gegenforderung ganz genau kennen konnte und mußte, läßt sich eben aus dem Grunde nicht heran- ziehen. Ich glaube nun eine Auskunft auf diese Frage in der von Gajus Gaj. IV, 44: praejudicialibus formulis, qualis est, qua quaeri- tur … quanta dos sit . Die Erklärung, die O. Bülow de praejudic. form. (Breslau 1859) gibt, befriedigt mich nicht. mitgetheilten Präjudicialklage über den Betrag der Dos zu finden. Einen verständigen Grund für die Noth- wendigkeit dieser Präjudicialklage soll man noch erst angeben. In das System der intentio incerta paßt sie absolut nicht, denn hier steht ja der Ermittelung und Feststellung des Betrags der Dos in dem Dotalproceß selber nichts im Wege, sie weist also mit Nothwendigkeit auf das System der intentio certa hin. A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenansprüche in Negationsform. §. 52. Wie will man sie aber hier einfügen? Etwa so: die Frau hätte, sei es sofort nach Bestellung und Auszahlung der Dos, sei es später zu irgend einem beliebigen Zeitpunkt den Betrag der Dos richterlich feststellen lassen können? Aber wozu das? Konnte die Frau bei Gelegenheit der Präjudicialklage den Betrag nachwei- sen, und dies mußte sie ja, um den Richter zu überzeugen, so konnte sie es auch bei Gelegenheit der Dotalklage. Wozu also dieser anticipirte Beweis, für den der ältere Proceß sonst gar keine Parallele darbietet? Und wenn er für den Dotalanspruch möglich war, warum nicht auch für jede andere Forderung? Kurz, jene Präjudicialklage hat gar keinen Sinn, wenn man sie ledig- lich auf die Forderung der Klägerin bezieht. Dagegen gewinnt sie eine ungeahnte Bedeutung, sowie man sie mit der Gegenfor- derung des Beklagten in Beziehung setzt; denn daß letztere einen Gegenstand des Streits unter den Partheien abgeben konnte, und zwar nicht bloß die Frage über den Betrag der Verwen- dungen, sondern auch die über ihren Charakter als nothwen- diger Auslagen L. 15 de imp. (25. 1) … non tam facile in universum definiri possunt. liegt ebensosehr auf der Hand, als daß man der Frau nicht zumuthen konnte, diese Frage in Form des ge- wöhnlichen Processes mit Gefahr der plus-petitio zur Entschei- dung zu bringen, ganz abgesehen von dem Fall, wenn beide Partheien in Frieden und ohne Proceß auseinander kommen woll- ten. Ebenso wenn es sich z. B. bei Gelegenheit der Collation der Dos um deren Höhe handelte L. 1 §. 5 de dot. coll. (37. 7) … impensarum necessariarum fit detractio. Daß die Formel der Klage, wenn Gajus sie sonst rich- tig mittheilt, nicht direct auf die Höhe der Impensen, sondern auf die der Dos lautete, wird als Gegengrund nicht angeführt werden dürfen; denn der Sache nach steckte in der einen Frage zugleich die andere, Ebenso wird bei dem Streit über den Betrag der Quarta Falcidia die Frage nicht direct auf diesen Betrag, sondern auf den des Nachlasses ge- richtet (s. u.). und wir sind nicht in der Lage zu bestim- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. men, ob nicht mit der weitern Fassung noch andere Zwecke sich verbanden. Wenn der arbiter den Betrag der Verwendungen ermittelt hatte, so konnte die Klägerin, bevor er erkannte: quanta sit dos , die Aus- lagen ersetzen und auf diese Weise sich die unverkürzte Restitution der ur- sprünglichen Dotalobjecte sichern, arg. L. 56 §. 3 de J. D. (23. 3) v. nisi impensa reddatur . Diese Vermuthung wird durch einen zweiten Conflictsfall in hohem Grade unterstützt, nämlich durch die Art, wie man bei dem Abzug und der zu dem Zwecke nöthigen Berechnung der Quarta Falcidia verfuhr. Aehnlich wie von der Dos heißt es von den Legaten, daß sie durch das Falcidische Gesetz bis zu der dem Erben zuständigen Quart „ipso jure“ vermindert würden. L. 73 §. 5 ad leg. Falc. (35. 2) .. pro rata portione per legem ipso jure minuuntur . L. 1 §. 5 quod legat. (43. 3). Auch hier handelte es sich um ein Abzugsrecht, Daher auch bei beiden dieselben Ausdrücke: deducere und de- ductio s. z. B. L. 15, 16 de imp. (25. 1) .. ex dote deduci .. ex dote deductionem. L. 80 pr. ad leg. Falc. (35. 2) Ulp. XXV, 14 .. quarta deducta; detrahere L. 1 §. 5de dot. coll. (37. 7), L. 73 §. 5 ad leg. Falc. (35. 2) . Ebenso bei dem Pekulium (s. u.) L. 11 §. 7 de pec. (15. 1) .. deducere … detrahere . auch hier aber erhob sich im älteren Recht dieselbe Schwierigkeit der processuali- schen Gestaltung dieses Abzugsrechts. Da nämlich bei einer Ueberbürdung der Erbschaft mit Vermächtnissen letztere sich „ipso jure“ um ebenso viel verringerten, als die Quart des Erben betrug, so lag in der Einklagung derselben zum ganzen Betrage eine plus-petitio; wollte der Legatar sich dagegen wah- ren, so mußte er die Quart selber abziehen. Aber wie konnte er es? wie konnte man von ihm verlangen, L. 76 §. 1 de R. V. (6. 1) .. justam enim habet ignorantiam legatarius .. quotam partem vindicare debeat. daß er den Stand des Nachlasses so genau kenne oder in Erfahrung bringe? Der Erbe selber war vielleicht noch nicht einmal in der Lage, darüber genaue Auskunft zu geben, oder er verweigerte sie in böser Absicht. A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenansprüche in Negationsform. §. 52. Es gab hier verschiedene Mittel, Die Vindicatio mit deductio (s. u.); sodann bei untheilbaren Gegen- ständen der in L. 80 §. 1 ad leg. Falc. (35. 2) und L. 5 §. 1 de doli exc . (44. 4) angegebene Weg; außerdem s. oben Note 39. von denen ich des Zu- sammenhangs wegen zunächst nur der Präjudicialklage gedenke. Es ward den Partheien ein Arbiter L. 1 §. 6 si cui plus (35. 3) .. arbiter dari solet ad ineundam quantitatem bonorum . So erklärt sich L. 76 §. 1 de R. V. (6. 1) .. prop- ter incertam detractionem ex legatis, quae vix apud judicem (d. h. nicht im judicium, sondern im prae -judicium) examinatur . bestellt, welcher den Stand des Vermögens zu ermitteln hatte; sein Ausspruch gab dem Legatar das Mittel an die Hand, die Quart selber zu be- rechnen und dem entsprechend seinen Anspruch herabzusetzen. Der Satz, daß der Anspruch des Klägers sich ipso jure um die Gegenforderung des Beklagten vermindere, oder, wie wir ihn fortan bezeichnen wollen, das Retentions- und Compen- sationsrecht in seiner ältesten Gestalt , wiederholt sich drittens auch beim Pekulium . Bekanntlich statuirt das römische Recht Naturalobligationen zwischen dem Hausherrn und den ihm untergebenen Personen. Wenn nun letztere sich im Besitz eines Pekuliums befinden, und der Herr auf Zahlung ihrer Schulden aus diesem ihrem Sondervermögen ( actio de peculio ) oder auf gesammte Ueberlassung desselben aus einem Legat oder einem andern Grunde in Anspruch genommen wird, so ist ihm verstattet, seine Forderungen in Abzug zu bringen. Auch hier aber wird die Gegenforderung nicht als solche dem Anspruch des Klägers gegenüber gestellt, sondern sie wirkt wiederum nur ne- gativ: als Subtractionsfactor ; wie die Dos sich um soviel vermindert, als die nothwendigen Impensen, so das Pekulium um soviel, als die Forderungen des Herrn betragen. L. 30 pr. de act. emt. (19. 1) .. ipso jure .. minutum esse pe- culium, L. 11 §. 7 de pec. (15. 1) .. non est in peculio, quod domino debetur, L. 9 §. 2 ibid. peculium deducto, quod domino debetur, compu- tandum esse . Auf diese juristische Verminderung, Vermehrung und Auf- hebung ist der Ausspruch in L. 40 pr. de pec. (15. 1): peculium nascitur, War die an- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. gestellte Klage eine persönliche, so war die Sache ziemlich einfach. Der Kläger gab lediglich den Betrag seiner Forderung an, ohne daß ihm ein gleiches rücksichtlich der Höhe des Pekuliums obgelegen hätte; L. 30 pr. de pec. (15. 1) .. intenditur enim recte, etiamsi nihil sit in peculio. er stellte vielmehr seinen Antrag nur unbe- stimmt auf Zahlung „bis zum Betrag des Pekuliums“, es be- durfte mithin nicht, wie bei der Dos, erst eines Präjudicialver- fahrens über diesen Betrag, sondern dieser Punkt erledigte sich von selbst bei Gelegenheit der Condemnation. Ungleich schwieri- ger aber stand die Sache, wenn die angestellte Klage eine dingliche war, also z. B. wenn der verstorbene Herr des Sklaven das Pekulium ihm selber oder irgend einem Andern in Vindications- form legirt hatte. Der Legatar konnte hier seine Klage nicht auf den Betrag oder den Werth des Pekuliums im Ganzen rich- ten, sondern er mußte die einzelnen Sachen vindiciren, L. 56 de R. V. (6. 1) .. singulas res .. petet. und von Sachen lassen sich Schulden nicht abziehen, denn Eigenthum und Obligation sind irrationale Größen. L. 5 pr. de imp. (25. 1) .. etenim absurdum est, deminutionem corporis fieri propter pecuniam. Der Behauptung des Klägers „die Sachen sind mein “ konnte der Beklagte nicht entgegensetzen „ich habe eine Forderung “, son- dern sein Forderungsrecht mußte, wenn sonst das Abzugsrecht nicht verloren gehen sollte, in diesem Fall in eine Eigenthums- quote umschlagen, das Recht auf einen Werth sich zum Recht an der Substanz verdichten. Dieser Gegensatz ist in der in den vorigen Noten citirten Stelle von Ulpian sehr klar erfaßt. Damit waren Minuend und Subtrahend in gleichartige Größen verwandelt, und in demselben Verhältniß, wie sich der Betrag der Forderung des Beklagten erescit, decrescit, moritur zu beziehen. Das Gegenstück s. oben Note 32. Die Herbeiziehung des Begriffs der universitas juris ( Dernburg Compen- sation S. 119—129) ist zur Erklärung unserer Regel meiner Ansicht nach weder nöthig, noch ausreichend. A. Der Proceß. Vertheidigung. Gegenansprüche in Negationsform. §. 52. zum Gesammtwerth des Pekuliums verhielt, bekam er Miteigen- thum an jeder einzelnen Sache; das Recht des Klägers war also auch hier „ ipso jure vermindert“, auch hier trat das Recht des Beklagten ihm entgegen in Form der (partiellen) Negation . Es wird jetzt klar sein, was es heißt, wenn die römischen Juristen sagen: „ singula corpora pro rata deminui debebunt“ (L. 6 pr. de pec. leg. 33. 8) oder „si crediderit, id ipso jure detrahi et corpora singula per hoc aes alienum deminui“ (L. 8 pr. ibid.) . Derselbe Ge- sichtspunkt kehrt aus demselben Grunde bei der Quarta Falcidia wieder, L. 1 §. 5 quod leg. (43. 3) .. ipso jure remanet, et si corporaliter res in so- lidum translatae sunt und arg. L. 76 §. 1 de R. V. (6. 1), L. 8 §. 1 Comm. div. (10. 3) . Hätte die Frau die Dos statt mit einer persönlichen Klage mit einer Vindication zurückfordern müssen, so würde Ulpians Ausfüh- rung in L. 5 pr. de imp. (25. 1) gerade entgegengesetzt gelautet haben. Damit ergab sich aber für den Kläger wiederum derselbe Noth- stand, wie oben für die Frau bei der Dos: er soll, wenn er sich nicht der Gefahr der plus-petitio aussetzen will, seine Klage nur auf das richten, was übrig bleibt, nachdem der Theil des Be- klagten abgezogen ist, und doch kann er ihn nicht abziehen, weil er ihn nicht kennt. Wie hier helfen? Hier wäre ein Präjudicial- verfahren ganz am Platz gewesen, und ob das frühere Recht sich dessen nicht wirklich bedient hat, bleibe dahin gestellt. Die römischen Juristen nennen uns zwei andere Mittel, die act. com- muni dividundo und die vindicatio incertae partis; L. 8 §. 1 Comm. div. (10. 3); es wird hier auch der Fall des Ab- zugs der Quarta Falcidia genannt, und er kehrt wieder in der L. 76 §. 1 de R. V. (6. 1) . ob schon der ältere Proceß beide Klagen in Richtung auf einen unbestimm- ten Theil zugelassen habe, möchte ich bezweifeln. Für die reiv. bedarf dieser Zweifel keiner Rechtfertigung, für die act. comm. div. stütze ich ihn darauf, daß nach dem Separationssystem der Kla- gen im alten Proceß (§. 51) diese Klage nicht zugleich eine Function haben konnte, für die es eine eigne Klage: die reivindicatio gab, nämlich das Eigenthum der Partheien festzustellen, s. darüber die Analogie der act. fam. ercisc. L. 1 §. 2 si pars her. (5. 4) .. aut si controversiam sibi non fa- ciunt hereditatis, familiae erciscundae . Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Das Gemeinsame der Fälle, welche wir bisher betrachtet haben, besteht darin, daß der Beklagte dem Kläger einen selb- ständigen Anspruch gegenüber stellt, ohne daß derselbe processua- lisch im Mindesten sichtbar wird und ohne daß es zu dem Zweck erst eines besondern Zuschnitts der Klagformel bedürfte. Die Rücksicht auf das dem Beklagten zustehende Recht kann zwar in einigen dieser Fälle dem Kläger Veranlassung geben, die Form der processualischen Verfolgung des eigenen Rechts etwas zu modificiren, allein er thut dies wohl gemerkt nur im eigenen Interesse; für den Beklagten, um nämlich ihm die Möglichkeit jenes Einwandes zu verschaffen, ist es nicht nöthig. Denn dieser Einwand hält sich ganz innerhalb der Gränzen der Negation, in- dem durch einen von der Jurisprudenz aufgestellten Rechtssatz dem Recht des Beklagten die Wirkung beigelegt ist, das des Klä- gers ganz oder zum Theil ipso jure auszuschließen, — und so wenig es sonst für Gründe, welche dieselbe Wirkung äußern, z. B. den Einwand der Zahlung eines besondern Vermerks in der Klagformel bedarf, ebenso wenig für jenen Einwand. Der Weg, den die Juristen hier eingeschlagen haben, der einer Appretur des materiellen Rechts zu Gunsten processualischer Zwecke oder, wenn ich so sagen darf, einer in einen Rechtssatz versteckten Einrede wiederholt sich noch in manchen andern Fällen, die nicht unter unsern Gesichtspunkt der Geltendmachung eines Gegenanspruchs fallen. Wer dafür ein Auge hat, wird in man- chen Sätzen des materiellen Rechts diesen, ich möchte sagen, processualischen Zug nicht verkennen können. Wenn man hört: das Darlehn erfordere Eigenthumsübergang, L. 2 §. 4 de R. Cr. (12. 1) In mutui datione oportet dominum esse dantem. wer sollte im ersten Moment nicht glauben, daß der Kläger, wie jedes an- dere Erforderniß, so auch dieses, wenn es ihm bestritten wurde, beweisen müsse? Bei einigem Nachdenken wird man nicht um- hin können, dies für widersinnig zu erklären. Aber welchen Sinn A. Der Proceß. Vertheidigung — Accommodation der Klage. §. 52. hat denn die Aufstellung jenes Requisits? Ich antworte: um dem Beklagten für den Fall, daß ihm der Darlehnsgegenstand evincirt worden war, eine Einrede zu verschaffen; Ich habe den Satz früher schon von einer andern Seite berührt. S. B. 2 S. 351, ebenso das zweite Beispiel im Text, daselbst S. 350. ohne jenen Satz hätte er den Einwand nur in Form der exceptio, d. h. im älteren Recht gar nicht vorschützen können — der Satz enthielt also in Form eines absoluten, positiven Erfordernisses des Thatbestandes den Stoff zu einer eventuellen Einrede. Die- selbe Auffassung verbinde ich mit dem Erforderniß des Eigen- thums des Testators am Object des Vindicationslegats. Gaj. II, 196. Ulp. XXIV, 7. Den Beweis dieses Erfordernisses dem Legatar aufbürden hätte ge- heißen, den Erfolg des Legats in den meisten Fällen geradezu vereiteln und rücksichtlich des Beweises das natürliche Verhält- niß zwischen Erben und Legatar völlig verkehren, denn wenn Beweismittel über das Eigenthum des Erblassers überhaupt exi- stirten, so befanden sie sich im Besitz des Erben, nicht des Lega- tars; welche Stirn hätte dazu gehört, von letzterem den Eigen- thumsbeweis zu verlangen! Quintil. I. O. IV. 2 §. 6: satis est dixisse: … legatum peto ex testamento ; diversae partis expositio est, cur ea non de- beantur. Auch in diesem Erforderniß muß mithin eine versteckte Einrede für den Erben gelegen haben. Welcher Art (ob z. B. folgende: „der Testator hat sich versehen und aus Irrthum eine ihm anvertraute fremde oder meine des Erben Sache als die seinige legirt“), darüber will ich mich nicht entscheiden. 2. Der processualische Weg . Der bisher geschilderte Weg war nicht überall anwendbar, er paßte nur für solche Fälle eines Zusammentreffens verschiede- ner Rechte, bei denen beide sich gegenseitig ganz oder theilweise vernichten. Dagegen war er völlig ungeeignet für alle Fälle eines friedlichen Nebeneinanderbestehens. Mit dem Eigen- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. thum des Klägers verträgt sich ein Nießbrauch in der Person des Beklagten , mit dem Miteigenthum des Einen dasselbe Rechtsverhältniß auf Seiten des Andern. Wenn man hier, wie es ja gar nicht zu umgehen war, dem Beklagten die Berufung auf sein Recht verstatten wollte, wie konnte dies geschehen, ohne den Grundsatz der einen Frage zu verletzen? Das Recht des Einen läßt sich hier ja nicht unter den Gesichtspunkt einer Ne- gation des gegnerischen bringen. Die römischen Juristen haben auch diese Aufgabe trefflich zu lösen verstanden. Der Weg, den sie einschlagen, besteht in der entsprechenden Anpassung der Klage für die Zwecke dieser bestimm- ten in Aussicht genommenen Vertheidigung; der Kläger wird gezwungen, seinen eignen Anspruch in einer Weise zu formuliren, daß der des Beklagten ihm gegenüber unter den Gesichtspunkt der Negation fällt: die Klage kömmt der Vertheidigung auf halbem Wege entgegen. Für gewisse Zwecke reicht dieser Weg nicht aus, und hier tritt dann — sollen wir sagen mit Verläug- nung des Grundsatzes der Negation oder des Grundsatzes, daß zwei Klagen nicht zu einem Proceß verbunden werden dürfen? — ein Proceß mit positiven Behauptungen beider Partheien: die Doppelklage auf. Es ergeben sich daraus für die folgende Betrachtung drei pro- cessualische Formen, nämlich: 1) Klage mit Vorbehalt des gegnerischen Rechts ; 2) Substituirung einer Klagformel im Interesse des Beklagten an Stelle der vom Kläger ge- wählten ; 3) Doppelklage . 1. Klage mit Vorbehalt des gegnerischen Rechts . Zwei Anwendungsfälle derselben sind jedem Kenner der rö- mischen Rechtsgeschichte aus Gajus Gaj. IV, 64—68. zur Genüge bekannt, es A. Der Proceß. Vertheidigung — Klage mit Vorbehalt. §. 52. sind dies die beiden Klagen des argentarius Sie ist oben S. 43 bereits erwähnt. und des honorum emtor; jener wird gezwungen , wie Gajus sich ausdrückt, ( cogitur ) cum compensatione agere, dieser ( jubetur ) cum deductione agere . Wie die Compensation des spätern Rechts an diese Form anknüpft ( Paulus S. R. II. 5 §. 3 .. compensare ac deducere debes, L. 4 L. 18 §. 1 L. 21 de comp. 16. 2) gehört nicht mehr hierher. Die zweite Klage ist zwar prätorischen Ursprungs, allein ihr Zuschnitt ist ganz im Geist des ältern Processes. Das Unterscheidende dieser beiden Fälle ist für uns hier ohne Werth und findet sich bei Gajus klar aus- einander gesetzt, dagegen ist das, worin sie übereinstimmen, näm- lich die Art, wie sie es erreichen, daß die Gegenforderung des Beklagten zu ihrem Recht gelangt, von um so höherm Interesse für uns. Es geschieht dies in derselben Weise, wie in unsern obigen Beispielen der Dos und des Pekuliums, nämlich durch Subtraction , nur daß letztere, die dort processualisch nicht als solche sichtbar, sondern nur in ihrer Wirkung fühlbar ward, hier in der Klagformel offen zu Tage tritt. Der Kläger fordert in derselben nämlich: „so viel, als ihm nach Abzug der Gegen- forderung des Beklagten zukommt“. Der Argentarius aber muß dabei die Gegenforderung und sein Saldo bis auf Heller und Pfennig genau angeben; versieht er sich darin, so verliert er den ganzen Proceß. Von ihm kann man mit Fug und Recht die ex- acteste Genauigkeit verlangen, denn Buch- und Rechnung-führen ist ja sein Geschäft, und dafür wird er bezahlt. In dem andern Fall hingegen ist der Kläger in den meisten Fällen gar nicht in der Lage, den Betrag der Gegenforderung zu kennen, und darum wird ihm auch die Angabe desselben gar nicht zugemuthet, die Ermitt- lung und Feststellung desselben vielmehr dem Processe überlassen. Hier wie dort erstreckt sich die processualische Verhandlung auch auf die Gegenforderung, allein nur in ihrer Eigenschaft als ein die Höhe der klägerischen Forderung bestimmendes Moment. Wie L. 21 de comp. (16. 2) sich ausdrückt: ab initio minus ab eo petitur . Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Die beiden von Gajus mitgetheilten Fälle waren schwerlich die einzigen, in denen diese eigenthümliche Art der Klagfassung zur Anwendung kam. Zwar für die persönlichen Klagen, also den Conflict der Forderung mit der Gegenforderung, habe ich keinen Grund zu dieser Behauptung, Ob in Vat. fr. §. 108 .. deductis quintis singulorum libe- rorum nomine repetere posse eine Klage mit deductio gemeint ist, wozu Ulp. VI, 4: quintis relictis .. stimmen würde, wird sich schwer entschei- den lassen. wohl aber für die dingliche Klage, namentlich den Conflict des Eigenthums mit dem Nieß- brauch. Setzen wir den Fall, es hätte Jemand in seinem Testa- ment seiner Wittwe den Nießbrauch, einer andern Person aber das Eigenthum an seinem Hause vermacht, die Gültigkeit dieses letzteren Legats aber wäre in Frage gekommen, und der Berech- tigte wollte die Frage zur gerichtlichen Entscheidung bringen. Wie gegen jede andere Person, so stand ihm auch gegen die Wittwe die reivindicatio zu, allein während er jener gegenüber nicht nöthig hatte in seiner Klage des Umstandes zu gedenken, daß ihm der Nießbrauch entzogen sei, so konnte er es dieser Beklag- ten gegenüber nicht umgehen, denn in ihr stand ihm ja gerade die Person gegenüber, welcher der Nießbrauch gehörte. Mochte er den- selben anerkennen oder bestreiten — kurz so wie ihm das Mittel, sein Eigenthum , so mußte ihr das Mittel geboten werden, ihren Nießbrauch zur Anerkennung zu bringen. Dafür bot sich aber ein ganz einfaches Mittel dar, nämlich die Form der reivind . mit dem Zusatz deducto usufructu . Diese Formel ist in Anwendung auf die freiwillige Gerichtsbarkeit bezeugt, Die Formeln der mancipatio und in jure cessio mit deductio wer- den Vat. fr. §. 50 mitgetheilt. Von ihnen ist namentlich die der in jure ces- sio als einer nachgebildeten Vindicatio (B. 2 S. 579) besonders wichtig: ajo hunc fundum meum esse deducto usufructu . Statt „deducto“ kommen ähnlich wie bei den nothwendigen Impensen der Dos (Note 67) auch re- tento (Vat. fr. §. 313) detracto (L. 36 §. 1 L. 54 de usufr. 7. 1, L. 19 de usu leg. 33. 2) vor, bei Gaj. II, 33 beide Ausdrücke: detrahere und deducere neben einander. und bei der Ueber- A. Der Proceß. Vertheidigung. Formelzwang. §. 52. einstimmung zwischen den Formeln der freiwilligen und streitigen Gerichtsbarkeit (B. 2 S. 647), bei der nothwendigen Deckung, die auch rücksichtlich der Bezeichnung des Umfangs des Rechts bei Gelegenheit der Bestellung und der Geltendmachung des Rechts Statt finden mußte, würde schon von vornherein die größte Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, daß die Formel der in jure cessio deducto usufructu sich bei der reivindicatio wiederholt habe. Diese Wahrscheinlichkeit wird fast zur Gewißheit, wenn man einerseits das unläugbare praktische Bedürfniß einer solchen Klag- formel und andererseits die von Gajus bezeugten beiden Fälle einer persönlichen Klage mit ähnlichem Vorbehalt in Anschlag bringt. Man wende mir nicht die exceptio rei ususfructus nomine tra- ditae (L. 7 pr. usufr. quemadm. 7. 9) ein, denn diese exc. läßt sich ähn- lich wie die exc. rei venditae et traditae auf den Fall beziehen, daß das intendirte Recht nicht wirklich bestellt, sondern die Sache nur zu dem Zweck übergeben war (daher „traditae“ ), kurz auf den ususfructus traditus, der „ipso jure“ nicht als bestehend galt. Ob sich mit der Zeit nicht noch andere Fälle einer solchen Klage mit deductio werden entdecken lassen, darüber wäre es voreilig jetzt schon abzusprechen; Gehört nicht L. 2 de R. V. (6. 1) hierher: at „detracto alieno“ nihilominus gregem vindicaturus sit ? Der Zusatz: in restitutionem non veniunt aliena capita scheint ebenfalls dafür zu sprechen. uns kann es genügen, daß wir diese Klage als eine bestimmte Klagspecies erkannt haben. 2. Substitution der Klagformel . Schon bei der so eben betrachteten Form findet, wie wir ge- sehen (S. 79 Note 86), ein Zwang gegen den Kläger Statt; er wird gezwungen den Vorbehalt zu Gunsten des Beklagten in die Klage aufzunehmen. Dieser Zwang kehrt in verstärktem Maße bei unserer gegenwärtigen Form wieder, er richtet sich aber nicht dahin, daß der Kläger sich eine einzelne Modification der Formel gefallen lasse, sondern daß er die von ihm beabsichtigte Klagfor- Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 6 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. mel völlig aufgebe und statt deren eine andere wähle, die dem Beklagten für die Verfolgung des von ihm in Anspruch genom- menen Rechts den nöthigen Spielraum verstattet. Die Klage kömmt hier der Vertheidigung nicht mehr bloß auf halbem Wege entgegen, sondern sie läßt sich ganz zu ihr hinab. Dieser Klagezwang ist ein nothwendiges Complement des alten Processes, für den Beklagten ebenso unentbehrlich, wie für den Kläger in gewissen Fällen (S. 70—72) die Präjudicial- klage; beide Einrichtungen geben den Partheien erst das nöthige Maß der freien Bewegung zurück, das ihnen sonst durch die Enge der Proceßformen entzogen sein würde. Ueberzeugen wir uns davon an dem früher gesetzten Fall eines Rechtsstreits zwischen Eigenthümer und Usufructuar. An- genommen der Eigenthümer hätte einfach gegen letzteren die Vin- dication angestellt, der Beklagte aber sich auf sein ihm vom Kläger bestrittenes Recht berufen. Wäre hier dem Richter die gewöhn- liche Frage im Vindicationsproceß gestellt worden: si paret rem actoris esse, so hätte er den Beklagten mit der Behauptung sei- nes Nießbrauchs gar nicht hören dürfen, denn dieselbe enthält keine Negation des Eigenthums, selbst nicht eine partielle : „der Nießbrauch — lautet die Regel — ist kein Theil des Eigen- thums“. L. 25 pr. de V. S. (50. 16). Recte dicimus eum fundum totum nostrum esse, etiam cum ususfructus alienus est, quia ususfructus non dominii pars, sed servitutis sit ut via et iter, nec falso dici to- tum meum esse cujus non potest ulla pars dici alterius esse. Andererseits aber konnte man doch auch den Ein- wand des Beklagten nicht in die Formel aufnehmen, denn Eigen- thum und Nießbrauch sind ebenso irrationale Größen, und folglich in derselben Formel ebenso unverträglich mit einander, wie Eigen- thum und Forderung (Note 74). Man half sich hier in der Weise, daß man eine Formel componirte, die gewissermaßen die Mitte zwischen den Rechten beider Partheien hielt, beiden sowohl die Behauptung des eignen als die Bestreitung des gegnerischen A. Der Proceß. Vertheidigung. Formelzwang. §. 52. Rechts verstattete. Es ergibt sich daraus, daß es vom Standpunkt des reinen römi- schen Rechts aus nicht richtig ist, wenn man im vermeintlichen Gegensatz zu der durch die reivindic . aufzuhebenden totalen Verletzung des Eigenthums die Voraussetzung der act. neg. in eine partielle Verletzung desselben setzt; der Usufructuar im Text verletzt das Eigenthum gewiß nicht minder total , als jeder andere Besitzer. Es ist dies die act. negatoria . Der Kläger behauptet dem Beklagten gegenüber: jus tibi non esse me invito utendi fruendi; als Negation dieser Behauptung ist damit dem Beklagten die Entgegnung freigestellt: jus mihi esse te invito utendi fruendi . Wenn der Usufructuar oder allgemein gesprochen der Servitutberech- tigte sich zur Klage genöthigt sieht ( act. contraria L. 8 pr. si serv. 8. 5 oder confessoria ), so dreht sich das Verhältniß zwischen beiden Formeln um, der Kläger bedient sich der positiven, der Beklagte der negativen Fassung. Nur bei den negativen Servituten, die dem Servitutberechtigten das Recht geben, dem Gegner eine bestimmte Art der Benutzung seines Eigenthums z. B. das Höherbauen zu untersagen, kann der Kläger, statt seine Klage positiv auf sein jus prohibendi zu stellen ( act. prohibitoria ), sie auch negatorisch fassen; was diese Doppelfassung nothwendig machte, und an welche Voraussetzung sie ge- knüpft war, ist zur Zeit noch nicht ermittelt. Der Grundsatz der Negation ist demnach vollkommen aufrecht erhalten, und nur die Anwen- dung hat etwas Ueberraschendes, weil dadurch die logische Form der Behauptungen beider Partheien sich geradezu umkehrt, dem Beklagten die positive, dem Kläger die negative Form in den Mund gelegt wird. Die Behauptung des klägerischen Eigen- thums ist etwas versteckt, sie liegt in dem: me invito , H. Witte in der Zeitschr. für Civilr. und Proceß. Neue Folge. B. 13 S. 386. denn nur der wahre Eigenthümer hat das Recht, dem angeblichen Usufructuar die fernere Benutzung der Sache zu untersagen. Dieser Zusatz war daher höchst wesentlich, denn ohne ihn hätte jeder Nichteigenthümer mit demselben Erfolg wie der Eigenthü- mer gegen den Usufructuar die act. negatoria erheben, d. h. ihm jeder Zeit die Alternative stellen können, entweder sein Recht zu 6* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. beweisen oder die Aberkennung desselben zu gewärtigen. Der Zusatz ist für den Ususfructus bezeugt durch Ulpian in L. 5 pr. si ususfr. (7. 6) , für andere Servituten durch manche Stellen z. B. L. 4 §. 7 L. 6 pr. si serv. (8. 5), L. 17 Comm. praed. (8. 4), L. 15 de O. N. N. (39. 1) . Wenn er anderwärts von den römischen Juristen ausgelassen wird und darnach auch in §. 2 I. de act. (4. 6), so wird wohl Niemand darüber in Zweifel sein können, wo die genauere Fassung zu suchen ist. Theophilus IV 6 §. 2 ersetzte ihn durch das Pronomen possessivum: aedibus meis , per agrum meum , das er ganz verkehrter Weise (s. u.) auch für die act. confess . ge- braucht. Die Besiliken ( XVI, 6, 5 ) lassen ihn bei Uebertragung der L. 5 cit. aus, dagegen wird er von Stephanus in dem von Zachariä von Lingen- thal (Zeitschr. für gesch. R. W. XII S. 260 flg.) mitgetheilten Scholium sehr betont: „indem der Kläger sich jener Formel bedient, heißt es hier, gibt er sich damit als Eigenthümer zu erkennen“. In eigenthümlicher Weise construirt Keller (Röm. Civilproc. §. 15) die Formel der act. negatoria für den Legis-Actionen-Proceß „nego tibi jus esse (eundi) utendi fruendi fundo Corneliano“ — ihr zufolge hätte auch der Nichteigenthümer des fun- dus Corn. die Klage mit Erfolg anstellen können, denn das Erforderniß des Eigenthums ist in dieser Formel mit Nichts angedeutet! Den entgegen- gesetzten Fehler begeht Rudorff (R. Rechts-G. II. S. 132) bei seiner Re- construction der Formel der act. confessoria im L.-A.-Proceß „ajo mihi jus esse utendi fruendi fundo tuo “ — diese Klage hätte bloß gegen den Eigenthümer des dienenden Grundstücks gerichtet werden dürfen, und der Klä- ger hätte das Eigenthum des Beklagten beweisen müssen — — zwei neue Bei- träge für mein früher (B. 2 S. 679) ausgesprochenes Urtheil über das Miß- liche einer Reconstruction römischer Formeln. Da- gegen war er bei der act. confessoria nicht erforderlich, Wohlgemerkt: dem Usufructuar. Dagegen war der Zusatz in dem Fall, wenn Jemand confessorisch die Nichtexistenz einer von dem Gegner in Anspruch genommenen negativen Servitut behauptete (z. B. jus mihi esse altius tollere ) nicht zu entbehren; denn angenommen der Kläger schuldete zwar nicht dem Beklagten, wohl aber einem Andern die Servitut, so hätte er durch absolute Behauptung ihrer Nichtexistenz zu viel behauptet, also den Proceß verlieren müssen. Der Zusatz „te invito“ gab der Behauptung die erforderliche Relativität L. 4 §. 7 16 pr. si serv. (8. 5) . Auch wenn der Gegner confessorisch klagen wollte, durfte er nicht fehlen, denn sonst hätte der Beklagte ihn nicht in seine Verneinung aufnehmen dürfen, da Klage und Negation gleichlautend sein mußten L. 17 Comm. praed. (8. 4) . Wo aber diese Relativität bereits im Inhalt der Servitut lag (z. B. zu gehen über dieses Grundstück) bedurfte es dieses Zusatzes weder bei der act. confess. denn A. Der Proceß. Vertheidigung. Formelzwang. §. 52. diese Klage kann nicht bloß gegen den Eigenthümer, sondern gegen jeden angestellt werden. Das bisher Gesagte litt auf die Prädialservituten keine An- wendung, da sie nicht mit dem Besitz der Sache verbunden sind; ihnen gegenüber war die reivindicatio gar nicht denkbar, der Eigenthümer vielmehr von vornherein auf die act. negatoria angewiesen. Dagegen würden die Innehaber eines Faustpfan- des, einer Superficies oder Emphyteusis, wenn schon das ältere Recht diese Verhältnisse als jura in re gekannt hätte, nur in derselben Weise sich auf ihr Recht haben berufen können und folglich auch bei klagweiser Verfolgung dasselbe mittelst einer act. confessoria haben verfolgen müssen , denn beides bedingte sich gegenseitig. L. 8 §. 5 si serv. (8. 5) verb. ergo per contrarium agi po- terit: jus esse . Eben daraus, daß dies nicht der Fall, der Einwand hier nicht die Form der Negation, sondern der Excep- tion an sich trägt, geht hervor, daß diese Rechte spätern Ur- sprungs sind. Ein anderes Beispiel des Klagezwangs bietet das Verhältniß des Erben dar, der gegen die Besitzer erbschaftlicher Gegenstände auf Herausgabe derselben dringt. Es stehen ihm zu dem Zweck zwei Mittel zu Gebote: die reivindicatio und hereditatis petitio; aber welches von beiden zu wählen ist, darüber entscheidet nicht sein Wille, sondern das Vertheidigungssystem des Beklagten. Setzt letzterer nämlich der Behauptung des klägerischen Eigen- thums die des eignen Erbrechts entgegen, so wird der Kläger angehalten, seinen Anspruch in Form der hereditatis petitio zu verfolgen, um dadurch dem Beklagten die Möglichkeit zu ge- währen, seinen Einwand in die Gestalt einer Negation der Klage zu bringen. In dem entgegengesetzten Fall, wenn der Kläger Erbrecht , der Beklagte Eigenthum beansprucht, muß jener noch bei der negatoria, s. z. B. L. 9 pr. L. 11, 12, 13, 14 §. 1 ibid., jedoch findet er sich auch hier s. z. B. L. 17 pr. §. 1 ibid. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. zur reivindicatio greifen. Hier hat der Kläger einen ungleich schwierigeren Beweis zu führen; zu dem seines Erbrechts gesellt sich nämlich noch der des Eigenthums seines Erblassers hinzu. Um zu constatiren, worauf der Be- klagte seine Vertheidigung stützen will, wird er bei Beginn des Processes gefragt, wie er besitze. Antwortet er: „ als Erbe “ oder verweigert er die Auskunft, oder schützt er einen Eigen- thumstitel vor, dessen Unwahrheit oder Nichtigkeit der Kläger sich darzuthun getraut, Dies folgt aus L. 13 §. 1 de hered. pet. (5. 3): omnibus titulis hic pro possessore haeret etc. so wird die her. pet. gegen ihn ange- stellt, entgegengesetzten Falls kommt es zur reivindicatio . L. 16 §. 7 ibid. Eine besonders interessante Gestalt nimmt das Verhältniß an, wenn Obligation und Erbrecht in Conflict mit einander gerathen. Dies ist dann der Fall, wenn einer der erbschaftlichen Schuldner der gegen ihn erhobenen persönlichen Klage die Behauptung des eignen Erbrechts entgegenstellen will. Auch hier muß der Kläger, um ihm dies zu ermöglichen, zur hered. pe- titio greifen, L. 13 §. 15 L. 42 de her. pet. (5. 3), L. 10 i. f. si pars her. (5. 4) . Ganz schlagend ist namentlich die zweite Stelle: si debitor heredi- tarius non ideo nolit solvere, quod se dicat heredem , sed quod neget aut dubitet, an hereditas pertineat ad eum, qui petit hereditatem, non tenetur petitione hereditatis . und zwar wird der Sache die Wendung ge- geben, daß der Beklagte, wenn auch kein Stück, so doch ein Recht (die Forderung) als Erbprätendent in Besitz genommen habe ( juris possessor ). Wie sehr die Form dieser Klage durch die Rücksicht auf die Vertheidigung des Beklagten bestimmt ist, geht aus den Stellen der Note 102 hervor, denen zufolge der Proceß dann nicht in die Form der Erbschaftsklage gewiesen werden soll, wenn der Beklagte, ohne sich selbst ein Erbrecht an- zumaßen, bloß das des Klägers bestreitet. Die bisher entwickelte Idee des Klagzwangs muß gefaßt dar- auf sein auf Widerspruch zu stoßen, namentlich bei allen denen, A. Der Proceß. Vertheidigung. Formelzwang. §. 52. welche glauben, der Legis-Actionen-Proceß habe sofort mit dem Aussprechen der Formel der Legis Actio begonnen. Es kann kaum etwas Verkehrteres geben, als eine solche Vorstellung! In derselben Weise wie im Formularproceß ging auch im Legis-Actionenproceß eine längere formlose Verhandlung, worin beide Partheien den Stand der Sache erzählten, der formellen Constituirung und Fixirung der Streitsache in Gestalt der Legis Actio voraus. Für die reivindicatio ergibt sich dies aus dem Formular derselben, in welchem der Kläger rücksichtlich der Causa seines angeblichen Eigenthums auf vorangegangene Aeußerungen Bezug nimmt, Gaj. IV. 16 .. meum esse ajo secundum suam causam, sicut dixi , ebenso Val. Prob. de notis ant. §. 4. Wer von der Genauigkeit der römischen Klagformeln die geringste Vorstellung hat, wird wohl darüber nicht in Zweifel sein, einmal: daß dieser Zusatz kein müssiger ist, und zweitens, daß er sich nicht auf das bezieht, was der Kläger jetzt sagt, indem er die Formel ausspricht (wie von Manchen angenommen wird), sondern auf das, was er vorher gesagt hat. Diese von mir bereits B. 2 Note 795 angedeutete Ansicht ist inzwischen auch von Puntschart der Proceß der Virginia. Wien 1860 angenommen. Warum aber in der Formel die causa anstatt angegeben zu wer- den bloß in Bezug genommen wird, darüber wage ich keine Vermuthung. und der Proceß der Virginia gewährt uns dafür ein interessantes Beispiel. Das Erste, womit dieser Pro- ceß beginnt, ist die Erzählung des Vindicanten, daß und warum die Virginia ihm gehöre, Liv. III. c. 44. und erst nach längerer Verhandlung von beiden Seiten Liv. III. 46. kommt es zur eigentlichen solennen Vin- dication. Ein anderer der Ertheilung der Vindicien entnommener Grund wird unten vorkommen. Für die persönliche Klage ist uns zwar ein solcher positiver Anhaltspunkt nicht gegeben, allein es ist kein Grund abzusehen, warum die vorangehende formlose Verhandlung bei ihr leichter hätte entbehrt werden können, als bei der Vindi- cation. Bedurfte es ja nicht selten erst einer interrogatio in jure, um Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Für den Formularproceß ist die Sache außer Zweifel, Wenn es dafür einer einzelnen Stelle bedürfte, so diene dazu: Ci- cero orat. part. c. 28: Atque etiam ante judicium de constituendo ipso judicio solet esse contentio, quum aut sitne actio illi qui agit aut jamne sit aut num jam esse desierit aut illane lege , hisve verbis sit actio quaeritur. und ich brauche wohl nicht erst auszuführen, daß und warum man von ihm auf die frühere Form des Processes schließen darf. Eine größere Berechtigung gestehe ich einem andern Einwurf zu, Wer auf solche Aeußerungen überhaupt ein Gewicht legt, könnte die von Cicero pro Caec. c. 3 §. 8: praetor is, qui judicia dat, nunquam petitori praestituit, qua actione illum uti velit gegen mich benutzen; ich finde nicht nöthig dagegen etwas zu bemerken. nämlich dem, daß die Stellung, die der Prätor im ältern Proceß einnahm (B. 2 S. 665), zu jenem selbständigen Eingrei- fen, wie meine Ansicht es ihm zumuthet, nicht passe. Allein verdient dieses Eingreifen in Wirklichkeit den Namen eines selb- ständigen, ist dem Belieben und individuellen Ermessen des Prä- tors hier etwa ein größerer Spielraum geöffnet, als bei irgend einer andern Procedur des Processes? Wenn der Beklagte der reivindicatio den Einwand des Nießbrauchs oder Erbrechts ent- gegensetzt, so ist es für den Prätor ein ebensolches Muß , daß er statt des Vindicationsprocesses die Negatorienklage oder den Erbschaftsproceß einleitet, als daß er im Vindicationsproceß dem Scheinkampf Einhalt gebietet oder die Vindicien ertheilt, und wenn ich der Sache den Ausdruck gegeben habe: der Kläger werde gezwungen So drückt auch Gajus sich bei der Klage des Argentarius und Bono- rum emptor aus, s. oben S. 79. sich einer andern Klagformel zu bedie- nen, so ist dieser Zwang wiederum kein anderer, als wenn der Kläger sich im Formularproceß die exceptio gefallen lassen muß. In dem einen wie in dem andern Falle handelt es sich nicht um eine Beschränkung des Klägers in der Wahl der Klage — in überhaupt zu bestimmen, ob und welche Klage anzustellen war; s. z. B. L. 23 §. 10 ad leg. Aq. (9. 2). A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52. diesem Sinn hat die Stelle in Note 109 vollkommen Recht — sondern umgekehrt um Nichtbeschränkung des Beklagten in der Benutzung seiner Vertheidigungsmittel. Nur wer noch an dem obigen Irrthum hängt, als sei der Kläger sofort vor dem Prätor mit einer legis actio aufgetreten, die, einmal gesprochen, sich natürlich hinterher nicht mehr ändern ließ, wird meine An- sicht für unmöglich erklären müssen; allein ich meinerseits gebe jenen Vorwurf der Unmöglichkeit zurück und glaube, daß es sich gerade bei der gegenwärtigen Frage so recht schlagend zeigt, wie das ganze alte Proceßsystem nur möglich war, wenn wir anneh- men, daß die solenne Fixirung der Klage in Form der legis actio das Resultat vorausgegangener Verhandlungen war, bei denen sich herausgestellt hatte, was streitig, was zugegeben war — kein einseitiger Akt, sondern eine zweiseitige Feststellung des eigentlichen Streitpunktes. 3. Die Doppelklage . Diese Klagform bezeichnet in unsern Augen den höchsten Elevationspunkt des alten Processes oder richtiger den Punkt, wo er über sich selbst, über den Grundsatz der einen Frage und der bloßen Negation hinausgeht. Das neuere Recht nennt uns zwei Klassen von Doppelklagen: die Theilungsklagen und die interd. retinendae possessionis L. 10 fin. reg. (10. 1), L. 2 §. 1 Comm. div. (10. 2) — L. 37 §. 1 de O. et A. (41. 1), L. 2 pr. de interd. (43. 1). und setzt das Eigenthümliche darein, daß jeder von beiden Thei- len die Rolle des Klägers und Beklagten in sich vereinige. L. 10 cit. L. 44 §. 4 fam. erc. (10. 2) und Gaj. IV. 160. Wenn Gajus sich außerdem noch so ausdrückt: par utriusque litigatoris in his conditio est nec quisquam praecipue reus vel actor intelligitur, so ist dies ganz geeignet, den einfachen, klaren Gesichtspunkt zu verwischen und der An- sicht Raum zu geben, als greife der Gegensatz der Partheirollen bei diesen Klagen gar nicht Platz (eine ähnliche Aeußerung von ihm s. in L. 13 de jud. 5. 1), während der Gegensatz umgekehrt verdoppelt ist. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Schärfer kann man diese Eigenthümlichkeit so ausdrücken, daß zwei denselben Gegenstand, dasselbe Verhältniß betreffende Pro- cesse unter denselben Partheien und mit Kreuzung der Parthei- stellung zu einem Proceß vereinigt sind, daher judicium duplex oder actio mixta . Jeder von beiden Theilen ist rücksichtlich dessen, was er begehrt, Kläger, rücksichtlich dessen, was von ihm begehrt wird, Beklagter. L. 15 §. 1 de procur. (3. 3), L. 4 pr. de tut. (26. 1). Im ältern Proceß gehörte zur Klasse dieser Klagen auch die Vindication, wenigstens wenn sonst das angegebene Kriterium, daß jeder der streitenden Theile mit einer positiven Behauptung, einem selbständigen Anspruch auftritt, richtig ist. Während näm- lich den Regeln des gewöhnlichen Processes gemäß der Beklagte der Behauptung des Klägers „daß die Sache sein sei“ nur die „daß sie nicht sein sei“ hätte entgegenstellen dürfen, lautete die Erwiderung in Wirklichkeit positiv „daß sie dem Beklagten ge- höre“. Gaj. IV. 16. Daran hält auch Cic. pro Murena c. 12 bei seinem Abkürzungsvorschlag fest, denn er legt dem Beklagten nicht die nackte Nega- tion: tuus non est, sondern den positiven Widerspruch: immo meus est in den Mund. Allerdings lag auch in der letzten Behauptung eine Negation des klägerischen Eigenthums, allein eine Bestreitung in positiver Gestalt, eine Behauptung, die nicht schon, wie bei den beiden bisher betrachteten Klagformen in der Klage selbst vorgesehen war. Während der Richter bei allen andern Processen ( judicia simplicia ) nur auf Existenz oder Nichtexistenz des kläge- rischen Anspruchs erkennen konnte, ward er durch diese Form der Doppelklage in Stand gesetzt, in derselben Weise auch über den des Beklagten seinen Ausspruch zu thun. Daß damit die Möglichkeit, beide Fragen negativ zu beantworten, abgeschnitten gewesen sei, wäre von vornherein kaum zu glauben, denn un- möglich konnte man dem Richter zumuthen, wenn er sich über- zeugte, daß keiner von beiden Eigenthümer war, das Gegen- theil zu erklären; es wird unten für einen speciellen Anwendungs- A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52. fall der Vindication die hier in Frage gestellte Möglichkeit der negativen Beantwortung beider Fragen aus den Quellen nach- gewiesen werden, und ich zweifle nicht im Mindesten daran, daß sie für die reivindicatio schlechthin bestanden hat, daß also der Richter, anstatt positiv zu erklären rem rei videri, negativ er- kennen durfte: rem actoris non videri. Der Beklagte hatte in dem Fall sein sacramentum nicht verwirkt, denn er hatte den Proceß gewonnen, wenngleich der Richter seinem posi- tiven Antrag nicht entsprochen hatte; anders Wetzell Röm. Vindications- proceß S. 45. Ob die Vindicien ihm oder dem Kläger ertheilt waren, war sowohl hierfür wie für die ganze Partheistellung und den Beweis meiner Ueberzeugung nach ohne allen Einfluß; eben darum werden die Vindicien erst ertheilt, nachdem vindic . und contravindic . vorgenommen sind und damit das Partheiverhältniß und die Beweislast fixirt ist. Der Kläger mußte mit- hin, wenn ihm die Vindicien ertheilt waren, den Besitz selbst dann heraus- geben, wenn der Richter bloß ihn abgewiesen hatte, ohne dem Beklagten das Eigenthum zuzuerkennen. Wohin würde auch das Gegentheil geführt haben! Durch die Absprechung der Vindicien hätte der Prätor den besitzenden Eigen- thümer in die Lage bringen können, jedem Nichteigenthümer gegenüber sein Eigenthum beweisen zu müssen! Es war eine ganz richtige Erfassung des Verhältnisses, wenn man dem Beklagten, der hier in Wirklichkeit als Kläger auftrat, bei der solennen Einleitung des Processes auch ganz dieselben Handlungen auferlegte, die der Kläger zu vollziehen hatte. Wie dieser so hat auch er zu vindiciren ( contravindicare ), Gaj. I. 135, II. 24. Der Ausdruck kommt bei der Schilderung der Sache selbst IV. 16 nicht vor. so wird auch er nach der causa seines Eigenthums gefragt, so ruft auch er ihn aufs Grundstück hinaus, Cicero pro Murena c. 12. so werden beide gleichmäßig vom Prätor zur Ruhe verwiesen, so kann letzterer dem einen oder andern von ihnen die Vindicien geben — kurz dieselbe Duplicität, die in modernerer Form im interdictum uti possi- detis wiederkehrt, findet sich bereits im ältesten Vindicationspro- ceß aufs vollständigste durchgeführt. Was mag nun zu dieser eigenthümlichen Gestaltung des Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Vindicationsprocesses Veranlassung gegeben haben? Daß es die Rücksicht auf die Vertheidigung des Beklagten gewesen, wird von vornherein vermuthet werden dürfen. Man verstatte mir zum Zweck der Beantwortung dieser Frage zunächst von dem einfache- ren Verhältniß der Vindication von Sachen abzusehen und einen complicirteren Anwendungsfall ins Auge zu fassen. Im römischen Leben konnten die Fälle nicht selten sein, daß die verschiedenen hausherrlichen Gewalten mit einander in Con- flict geriethen, z. B. an demselben Individuum von der einen Seite väterliche oder herrschaftliche Gewalt, von der andern Manus oder Mancipium in Anspruch genommen ward. Da nun wenn nicht alle, so doch die meisten dieser Gewaltverhältnisse durch eine Vindication geltend gemacht werden konnten, Für die Sklaverei bedarf es keiner Bemerkung; für das Mancipium folgt es aus der Formel seiner Begründung ( Gaj. I. 119: hunc ego hominem ex jure Quiritium meum esse ajo I. 123), wenn man sonst an die Correspon- denz zwischen den Formeln der Begründung und gerichtlichen Verfolgung des Rechts (B. 2 S. 647) glaubt; für die väterliche Gewalt Gaj. I. 134 vindicat filium suum esse L. 1 §. 2 de R. V. (6. 1). Für die Manus dagegen scheint das Gegentheil aus Gaj. I. 123 i. f. zu folgen; worauf die Behauptung des Gegentheils bei Andern z. B. von Scheurl Institutionen §. 157 sich stützt, vermag ich nicht zu bestimmen. die Vindication aber ein judicium duplex war, so wird man zur Annahme berechtigt sein, daß nicht bloß dann, wenn beide Par- theien sich ein und dasselbe, sondern auch wenn sie sich ein ver- schiedenes Gewaltverhältniß anmaßten, z. B. der Kläger, wie im Proceß der Virginia, die Tochter eines Andern für seine Sklavin ausgab, die beiderseitigen Ansprüche in einem und demselben Proceß zur Verhandlung gelangen konnten. Hätte man hier den Grundsatz: ein Proceß eine Frage festhalten wollen, so hätte es zweier Processe bedurft, um den Status dieser Per- son processualisch festzustellen, in dem ersten wäre bloß entschie- den, daß sie nicht Sklavin des Einen, in dem zweiten, daß sie Tochter des Andern sei, und zur Ermöglichung dieses zweiten A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52. Processes hätte es einer ganz besondern Procedur bedurft, ent- weder nämlich hätte der Vater einen Kläger aufstellen müssen, welcher die Tochter als die eigne in Anspruch nahm und ihm da- durch Gelegenheit gab, seinerseits in Form der contravindicatio dasselbe Verhältniß für sich in Anspruch zu nehmen, oder er hätte, indem er künstlich für einen Beklagten sorgte, der ihm die Tochter vorenthielt, als Kläger mit jener Behauptung auftreten müssen. Kurzum jeder andere Weg als der angenommene mußte sich als unbrauchbar erweisen. Haben wir hierin das Richtige getroffen, so ergibt sich dar- aus, daß die positive Behauptung, die man einer solchen Klage entgegensetzen durfte, eine verschiedenartige sein konnte, so z. B. in dem obigen Fall der Virginia die , welche ihr Verlobter in Wirklichkeit aufstellte Virginiam liberam esse, sodann die , die der Vater, wenn er anwesend gewesen, hätte entgegensetzen kön- nen: filiam suam esse ex jure Quiritium; Diese doppelte Möglichkeit nahm App. Claudius im Proceß der Vir- ginia zum Vorwand, um im ersten Termin ( Liv. III. 45) die vindiciae secun- dum libertatem zu verweigern. Die Vertheidiger des Mädchens, sagt er, hät- ten selbst zugestanden, daß es sich hier um einen Conflict zwischen herrschaftlicher und väterlicher Gewalt handle ( Liv. III. c. 45), auf den Fall aber beziehe sich die Bestimmung der XII Tafeln nicht, hier habe vielmehr (wenn der Va- ter nicht da sei) der Herr Anspruch auf die Vindicien. Eben darum suchte er das Erscheinen des Vaters um jeden Preis zu verhindern, und erst als dieser wider Erwarten erschien und damit seinen ganzen Plan vereitelte, ließ er sich zu einem Act offener Ungesetzlichkeit verleiten. Neben dem für den Vater in Aussicht genommenen Proceß über die Frage: väterliche Gewalt oder Skla- verei war bereits ein anderer über die Frage: Sklaverei oder Freiheit in der Person des Icilius instruirt ( Liv. III. 46 — ita vindicatur Virginia ), aber auf diesen Proceß war Appius vorbereitet, auf ihn seine ganze Ausflucht berechnet. Anders erklärt Puntschart (Note 102) die Sache. in einem andern Fall hätte der Kläger vielleicht noch die Behauptung gewärtigen müssen, daß das Mädchen Sklavin des Beklagten sei oder sich in seinem Mancipium befinde. Im Bisherigen liegt zugleich die Erklärung dafür, warum die Behauptung der Freiheit in die Form einer Vindication , nicht eines Präjudiciums gebracht Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. werden mußte ( asserere in libertatem — vindex libertatis ), denn nur mittelst dieser Form konnte sie der Vindication eines angeblichen Sklaven gegenüber als contravindicatio auf- treten. Der Widerspruch in Form der bloßen Negation hätte nämlich nicht lauten können, daß dies Individuum frei sei, sondern nur: daß es nicht Sklave dieses Klägers sei. So erklärt sich auch das „praejudicium“ an aliquis libertus sit Gaj. IV. 44. Das Patronat begründete so wenig wie die Vormundschaft ein „suum esse“; entgegengesetzten Falls hätte es der contravindicatio be- durft (wenigstens wenn das Urtheil zu Gunsten des Beklagten nicht negativ, sondern positiv auf: ingenuum esse hätte lauten sollen), dann aber wäre auch ein vindex (ingenuitatis!) nöthig gewesen. In strenger Durchführung der Idee eines Doppelprocesses konnte das Urtheil dreifach lauten: entweder nämlich dem An- trag des Klägers gemäß ( servum esse ) oder dem des Beklagten oder seines Vinder gemäß ( liberum esse ) Anders Rudorff R. R. G. II. 131; aber die L. 27 §. 1 de lib. caus . (40. 12) dient mir gerade als Argument für meine Ansicht, indem sie bloß im Fall des Ausbleibens des Klägers den Richter anweist negativ zu er- kennen: servum illius non videri, also damit für den entgegengesetzten Fall die Möglichkeit des Ausspruchs: liberum videri voraussetzt. Letztere wird übrigens in L. 4 §. 27 Cod. de lib. caus . (7. 16) ausdrücklich anerkannt. oder endlich ab- weisend für beide Theile, wenn nämlich keiner von ihnen seine Behauptung bewiesen hatte, also z. B. das Individuum, um das der Proceß sich drehte, sich zwar nicht als Sklave des Klä- gers, aber doch als Sklave erwiesen hatte: hier lautete der Spruch auf: servum Titii non videri . Eines doppelten Aus- spruchs des Richters bedurfte es in allen drei Fällen nicht, und eben darin bethätigte sich formell die Einheit des Doppelpro- cesses; wären es zwei gesonderte Processe gewesen, so hätte der Richter zwei besondere Sentenzen erlassen müssen; die Dop- pelheit äußerte sich bloß in den Behauptungen der Partheien, die Einheit im Streitgegenstande und im Urtheil . Das bisher geschilderte Interesse der Möglichkeit einer selb- ständigen Intention für den Beklagten, oder gebrauchen wir A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52. dafür im Gegensatz zur Negation den Ausdruck der Contra- vindication , war auch für die Vindication von Sachen und Erbschaften vorhanden. Auch rücksichtlich ihrer war es, wie auf der Hand liegt, für den Beklagten nicht gleichgültig, ob der Rich- ter bloß erkennen durfte, daß der Vindicant nicht Eigenthümer oder Erbe sei, oder aber positiv daß es der Beklagte sei. Man denke z. B. an den Fall, daß zwei Erbprätendenten miteinander im Streit liegen, von denen der eine auf Grund eines Testa- ments, der andere wegen angeblicher Nichtigkeit des Testaments auf Grund seines Intestaterbrechts, den Nachlaß in Anspruch nimmt, jeder aber sich in Besitz von Nachlaßgegenständen gesetzt hat. Soll hier etwa der eine, nachdem er im ersten Proceß als Beklagter die Gültigkeit des Testaments nachgewiesen hat, als Kläger auftreten, um den gelieferten Nachweis noch einmal zu führen? Einen Fall der contravindicatio im justinianischen Recht s. L. 8 §. 13 de inoff. test. (5. 2) .. in modum contradictionis querelam inducat, quemadmodum ageret si non possideret, sed peteret . Wie hier die contravindicatio contradictio , so wird in L. 27 §. 2 de lib. caus . (40. 12) der Contravindicant Contradictor genannt — das vindicare hatte sich zu einem dicere abgeschwächt. So alt wie die Begriffe des Miteigenthums und des Mit- erbrechts sind begreiflicherweise auch die Klagen, mit denen sie geltend gemacht werden, nämlich die Theil-Vindication der Sache und der Erbschaft Daß das Edict eine neuere Form dafür aufgestellt hat ( L. 1 pr. si pars 5. 4), steht dem nicht im Wege. und die Theilungsklagen ( act. communi dividundo und familiae erciscundae ). Es wirft sich nun die Frage auf, ob in derselben Weise wie die vindicatio so auch die contravindicatio auf einen Theil habe gerichtet werden kön- nen, nicht zwar auf einen körperlichen Theil Bei der her. pet . natürlich auch nicht auf einzelne Sachen aus dem Nachlaß, das wäre eine Cumulation der her. pet . und reivind . gewesen. Daß übrigens die contravindic . auch bei ihr Statt fand, ergibt sich daraus, — denn bei Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. beweglichen Sachen hätte die Trennung des Theiles erst durch die act. ad exhibendum vorbereitet werden müssen, bei unbe- weglichen Sachen ist der Theil ein besonderes Ganze für sich, L. 6 §. 1 Comm. utr. (8. 4) .. non est pars fundi, sed fundus L. 25 §. 1 de V. S . (50. 16). sondern auf einen intellektuellen Theil, auf eine Quote des vom Kläger in Anspruch genommenen Rechts. Ich finde kein Bedenken diese Frage zu bejahen, das Bedürfniß einer solchen partiellen contravindic . war ganz dasselbe, wie das einer to- talen, ja wo möglich noch höher, und da sie juristisch kein Ein- wand , sondern eine eigne Klage war, so war kein Grund vor- handen, sie anders zu behandeln, als jede andere. Das Interesse derselben liegt auf der Hand. Wenn zwei Personen das Mit- eigenthum oder Miterbrecht, das jede von ihnen in Anspruch nimmt, sich gegenseitig bestreiten, so hätte es ohne contravindi- catio für die Entscheidung dieses Streits im ältern Recht zweier Processe bedurft, denn in jedem hätte der Richter nur über den Antrag des Klägers erkennen dürfen; die contravind . machte es möglich, die Anträge beider Partheien zuzulassen. Die Du- plicität der Theilungs klagen findet mithin in der der Eigen- thums- und Erbschaftsklage ihr Vorbild und Seitenstück, und in dieser Anwendung war sie wiederum völlig unentbehrlich. Wenn der Kläger seine Klage aufs Ganze gerichtet hatte, so bot die Möglichkeit einer contravind . des Theils für den Be- klagten ein ungleich geringeres Interesse, denn um die Abweisung der Klage — und zwar zum ganzen Betrage Die Folge der plus-petitio, Gaj. IV. 54. — zu bewir- ken, dazu reichte schon der Beweis eines ihm zustehenden Theil- rechts aus. Dagegen bezweifle ich nicht, daß der Beklagte auch in diesem Fall mit der contravindic . seines Theils zugelassen wurde, da es doch immer einen Unterschied machte, ob bloß der Kläger ihm gegenüber abgewiesen oder er umgekehrt ihm als daß sie eine vindicatio war. Gaj. IV. 16, 17. S. auch L. 1 §. 2 si pars (5. 4) .. petere debebunt . A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52. Theilberechtigter anerkannt ward. Umgekehrt muß es auch frei gestanden haben, der vindic . eines Theils die contravindic . des Ganzen gegenüber zu stellen. Daß die contravind . bei der act. confess . und negat . weder nöthig, noch möglich war, Wenn Rudorff R. R. G. II. S. 131 auch bei ihnen von einer contravindic . spricht, so beruht das auf einem Verkennen des eigenthümlichen Wesens derselben; offenbar meint er, daß der Widerspruch des Beklagten bei in rem actiones schlechthin contravindicatio genannt worden sei, während doch nur die positive Gegenbehauptung, nicht die bloße Negation auf diesen Namen Anspruch hatte. wird sich aus dem Bisherigen zur Genüge ergeben. Bei beiden Klagen reichte zur Vertheidigung des Beklagten die Umkehrung der klägerischen Behauptung, also die bloße Negation, vollkommen aus. Nur in einem Fall ver- hielt es sich anders, nämlich wenn zwei Personen sich über einen Ususfructus stritten, sei es über den ganzen oder über einen Theil; ob die Römer hier die Austragung des Streits in einem Verfahren, wie es das natürlichste war, zugelassen, und ob sie die positive Behauptung des Beklagten hier contravindicatio ge- nannt haben, darüber wage ich eine Ansicht nicht zu äußern. Möglicherweise hatte die contravind . außer der im Bisheri- gen nachgewiesenen Bedeutung noch eine andere. Bildete sie nämlich, wie es nach der Darstellung von Gajus den Anschein gewinnt, einen unerläßlichen Bestandtheil des Verfahrens, war also der Beklagte stets genöthigt zu contravindiciren, so ergab sich daraus für ihn die Alternative, entweder sich selbst das Ei- genthum anzumaßen, beziehungsweise sich durch den angeblichen Eigenthümer, auf dessen Namen er besaß, vertreten zu lassen, oder aber die Sache herauszugeben, und diese Annahme wird durch die Analogie der in jure cessio unterstützt. Gaj. II. 24: praetor interrogat eum, qui cedit, an contra vin- dicet; quo negante aut tacente tunc ei, qui vindicaverit, eam rem ad- dicit . Eine befriedigende Erklärung erhält dieser Contravindicationszwang jedoch erst durch das für beide Theile bestehende Requisit der Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 7 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Angabe der „causa“ . Bei dem Gewicht, das jedes Wort einer römischen Klagformel hat, und bei dem unverkennbaren Werth, den die causa in den Augen beider Partheien haben mußte, indem sie sogar den Gegenstand einer eignen Frage von Seiten des Klägers an den Beklagten bildete, kann ich mich nicht entschließen, darin mit so Manchen eine werthlose Ausschmückung der Formel zu erblicken. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß die causa hier wie überall beim Eigenthum den Erwerbungsgrund dessel- ben bedeutet. Dafür erblicke ich eine Unterstützung in dem Be- richt von Livius über den Proceß der Virginia (Note 119), in welchem der Kläger in der That die causa seines Eigenthums vor der solennen Vindication ganz speciell anführt, so wie in der noch für das neuere Recht bestehenden Möglichkeit einer vindicatio „expressa oder adjecta causa.“ L. 11 §. 2 L. 14 §. 2 de exc. rei jud . (44. 2). Die L. 1 §. 3 de R. V . (6. 1), wie immerhin sie auch zu verstehen sein mag, kann jenen kla- ren Stellen nichts von ihrer Beweiskraft entziehen. Warum die Angabe der causa, wenn sie einmal nöthig war, nicht in der Formel selbst erfolgte, falls letzteres sonst richtig (Note 102), darüber will ich mich nicht in Vermuthungen er- gehen, dagegen mögen mir einige Worte vergönnt sein über die Gründe, die eine solche Gestaltung der Klage motiviren konnten, und die meiner Ansicht nach in dem Institut der Vindicienerthei- lung und dem Mangel der act. Publiciana zu suchen sind. Nichts hinderte den Beklagten, der sich selbst nicht für den Eigenthümer hielt, sich dennoch dafür auszugeben und einen er- dichteten Erwerbungsgrund vorzuschützen. Allein zunächst war doch der Preis der Lüge, um den er sich vorläufig noch in dem Besitz behaupten konnte, kein solcher, den Jeder gern zahlte, die Lage des Beklagten war also von vornherein schon eine ungün- stigere, als heutzutage, wo er einfach mit Nichtwissen oder Läug- nen auskommen kann. Sodann aber fiel sicherlich schon bei der Vindicienertheilung der verschiedene Charakter der beiderseitigen A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52. Aussagen schwer ins Gewicht. Der Lügner wird auch in Rom regelmäßig von einem Unbekannten, Durchreisenden u. s. w. gekauft haben, der ehrliche Mann gab seinen Autor mit Namen an und brachte ihn vielleicht gleich mit, oder er erschien mit sei- nen Nachbarn, die den Ochsen als den seinigen sofort recognos- cirten. Schreckte dann trotzdem der Beklagte vor dem Proceß nicht zurück, so kam es zur solennen Einleitung desselben, und der Prätor wußte, wem er die Vindicien zu ertheilen hatte. Eben so wägte aber auch der Richter, der bekanntlich in Rom an eine strenge Beweistheorie nicht gebunden war, sicherlich das Maß der Glaubwürdigkeit beider causae gegeneinander ab, und wenn es dem Kläger gelungen war, den Beklagten in seinem eignen Lügengewebe zu verstricken, so mochte auch, um in der Sprache des heutigen Processes zu reden, ein halber Beweis seiner eignen causa die Wirkung eines ganzen ausüben, der Nachweis, daß Er gekauft, der Beklagte aber die Sache gestoh- len, den Richter über das Bedenken hinweghelfen, ob denn auch der Autor des Klägers und dessen Autoren wirkliches Eigenthum gehabt hätten. Mit andern Worten also: die reivind . wird schon im älteren Proceß nicht selten die Wirkung der Publiciana act. gehabt haben. Um sie zu haben, um das relative Ver- hältniß beider Partheien zur Sache zu constatiren, mußten aber beide ihre causae angeben. Als jene Klage eingeführt ward, und der Gedanke der Relativität im Eigenthumsrecht damit eine mehr gesicherte und geregelte Form der Verwirklichung erhielt, als das subjective Gefühl des Richters sie ihm gewährte, fiel der eine Grund hinweg, der die Angabe der causa nöthig machte, mit dem Abkommen der Vindicien der zweite, und so mag es seine Erklärung finden, daß der neuere Proceß jenen Gedanken des ältern Rechts völlig aufgab. Der Besitzer ist nicht gezwungen, seinen Titel anzugeben L. 12 Cod. Theod. de fide test . (11. 39) oder den Theil, zu dem er besitzt L. 73 pr. de reiv . (6. 1). Die Nothwendigkeit der 7* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. contravindicatio, sei es auch in modernisirter Form, würde fort- an keinen Sinn mehr gehabt haben; ohne causa war sie werthlos . Wie man nun auch über diesen Versuch, ihre Nothwen- digkeit innerlich zu erklären, denken möge, für unsern gegen- wärtigen Zweck reicht vollkommen ihre Möglichkeit aus, und nach dieser Seite hin dürfen wir nicht anstehen, sie als ein un- entbehrliches Complement des altrömischen Processes, als eine Einrichtung zu bezeichnen, welche gerade dadurch, daß sie sich von dem Grundsatz der einen Frage lossagte, beweist, wie auch hier wiederum die alten Juristen die Interessen des Lebens höher achteten, als eine auf Kosten derselben erkaufte ungesunde Con- sequenz. Aber die Art, wie sie es thaten, wie sie auch hier trotz der gebotenen Abweichung von jenem Grundsatz die Einheit des Processes zu retten verstanden und dem Richter es ermöglich- ten mit einem Spruch den Proceß zu entscheiden, ist wiederum ein sprechendes Zeugniß der Geschicklichkeit, mit der sie die Pro- ceßformen zu handhaben wußten. Fassen wir das Gesammtresultat unserer ganzen bisherigen Untersuchung über die Möglichkeit eines Conflicts der Rechte beider Partheien in demselben Proceß in wenig Worte zusam- men, so glaube ich als solches den oben S. 63 versprochenen Nachweis bezeichnen zu dürfen, daß das Negationssystem auch in dieser Richtung den Vergleich mit dem Exceptionssystem nicht zu scheuen hat. Was ihm an Elasticität und Weite abging, er- setzten die alten Juristen durch Geschicklichkeit. Die Proben, die wir dafür beigebracht haben — und wie wenige mögen es sein im Vergleich zu denen, die uns vorenthalten sind — werden das Urtheil rechtfertigen, daß die alten Juristen den Proceß vollkom- men beherrschten , d. h. daß die Proceßformen für sie kein Hinderniß bildeten, Zwecke, die sie einmal processualisch erreichen wollten , auch wirklich zu erreichen, und daß mithin der Grund, warum so manche Befreiungsgründe des Beklagten die Form der exceptio an sich tragen, d. i. erst der späteren Zeit ihre Ein- A. Der Proceß. Vertheidigung — Doppelklage. §. 52. führung verdanken, nicht darin gefunden werden darf, daß die ältere Zeit sie nicht hätte zulassen können , sondern darin, daß sie dieselben nicht zulassen wollte . Wenn der Prätor für sie eine ganz neue Form die der exceptio wählte, so geschah es nicht, weil die alte nicht mehr ausgereicht und die neuere einen höhern Grad der Brauchbarkeit besessen hätte, sondern weil er sich für den Zweck der Vertheidigung ebensowenig ihrer bedienen durfte, wie für den Zweck der Klage der civilrechtlichen Form derselben; die Befreiung „ipso jure “ und die actio in jus con- cepta waren civilrechtliche Begriffe. Nur in einer Beziehung behauptet allerdings die exc . einen größern Grad der Brauchbarkeit, aber es war eine solche, die das ältere Recht verschmähte und verschmähen mußte (§. 55). Die Wirkung der Negation ist stets eine absolute , d. h. sie negirt das Dasein des vom Kläger in Anspruch genommenen Rechts schlechthin , gleichgültig welcher Art dies Recht ist, ob relativer oder absoluter. Die exc . aber kann die Wirksamkeit des Rechts nicht bloß absolut, sondern auch relativ d. h. bloß dem Be- klagten gegenüber bestreiten, und zwar selbst bei der Obligation, wovon die Einreden des Correalschuldners aus einem absolut oder relativ ( in rem, in personam ) gefaßten formlosen Nachlaß- vertrag ein Beispiel gewähren. Die exceptio schließt mithin die Möglichkeit in sich, daß in einem und demselben Proceß der absolute und relative Gesichtspunkt sich kreuzen, daß z. B. der Käufer der Vindication des Verkäufers gegenüber zwar das Eigenthum zugibt , aber der Consequenz desselben rücksicht- lich seiner durch Berufung auf den Kaufcontract ausweicht. In Form der Negation wäre dies nicht möglich gewesen, denn das Eigenthum läßt sich nicht relativ negiren, der Käufer konnte mithin im alten Proceß seinen Anspruch nur in Form der persönlichen Klage ( act. auctoritatis ) verfolgen. Allein daß auch hier wiederum das ältere Recht nicht wegen der Unbeholfenheit der processualischen Form eine Vertheidigung ausschloß, die es im übrigen für zulässig gehalten hätte, geht Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. daraus hervor, daß es bei der Berufung des Beklagten auf einen ihm zustehenden Nießbrauch, die ja in der That ebenfalls nur ein relatives Hinderniß geltend macht, welches lediglich in der Person dieses Beklagten besteht, die dafür erforderliche Form sehr wohl zu finden wußte. Der Grund, warum es in andern Fällen dies nicht that, kann also nur darin gefunden wer- den, daß es jene Kreuzung absoluter und relativer Elemente in einem Proceß im allgemeinen für bedenklich hielt, und wir wer- den später (§. 55) Gelegenheit finden, die Gründe davon ein- zusehen. Der Beklagte, der mit seinem relativen Recht in die Form der Klage gewiesen war, stand sich darum nicht schlechter, ja in dem obigen Fall sogar besser, denn die act. auctoritatis brachte ihm das Doppelte ein. Schließlich möge noch das Gesammtergebniß unserer Detail- untersuchungen tabellarisch veranschaulicht werden. A. Der Proceß. Vertheidigung in Negationsform. §. 52. Conflict von Rechten beider Partheien. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. 2. Vertheidigung in Form der Klage . Stellen wir zunächst den Begriff derselben fest. Von einer Vertheidigung in Form der Klage kann nur da ge- redet werden, wo der ganze Zweck der Klage gleich dem der restit. in int . aufgeht in der Beseitigung des gegnerischen Anspruchs, die eine Klage, so zu sagen, bloß die Form ist, in der das Recht seine Mißbilligung über die andere ausspricht. Zu diesen Klagen zählen z. B. die Condictionen wegen mangelnden Grundes, die act. quod met. causa . Dagegen gehören gar nicht hierher alle Klagen aus zweiseitigen Geschäften, durch welche jeder Theil den ihm zustehenden Anspruch verfolgt, z. B. der Käufer den auf die Sache, der Verkäufer den auf den Kaufpreis, denn jeder die- ser Ansprüche ist seiner selbst wegen da, nicht um den gegneri- schen zu vernichten, und der Umstand, daß er der Klage des Gegners gegenüber in Form der Einrede (durch Retention) ver- folgt werden kann, schwächt diesen seinen Charakter um nichts ab. Dort haben wir eine Klage mit dem Zweck der Einrede , hier eine Einrede mit dem Zweck der Klage — ein Gesichts- punkt, der für die richtige Beurtheilung beider, insbesondere was die Frage von der Verjährbarkeit betrifft, von maßgebendem Ein- fluß ist. Von jenen Klagen mit ausschließlich defensivem Zweck kennt das römische Recht zwei Klassen: die eine eine Schöpfung des älteren und nicht in das neuere übergegangen, die andere, wenn vielleicht auch in einzelnen Anwendungsfällen bereits dem früheren bekannt, doch erst im neuern völlig entwickelt. Eben aus diesem Grunde hat letztere für uns hier nur einen unterge- ordneten Werth, und nur im Interesse der schärferen Abgränzung beider Klassen wollen wir später auf sie einen Blick werfen, wäh- rend die erstere den eigentlichen Gegenstand unserer Aufgabe bildet. Als man im Lauf der Jahrhunderte in Rom sich genöthigt sah, die Autonomie der Privaten, wie sie in den XII Tafeln an- A . Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. erkannt war und bis dahin unangetastet bestanden hatte, in manchen Fällen zu beschränken, z. B. dem Testator ein Maß vorzuschreiben, über das hinaus er keine Legate anordnen dürfe, oder gewisse Contracte zu untersagen, schlug man dabei in ächt römischer Weise (B. 2 S. 72, S. 495 u. a. St.) nicht den Weg ein, der uns heutzutage ich will nicht sagen: als der natür- liche, sondern als der einzig denkbare erscheint, nämlich den des gesetzlichen Verbots bei Strafe der Nichtigkeit ( lex perfecta ), sondern man bediente sich eines Umweges, indem man das Ge- schäft in seiner abstracten juristischen Gültigkeit unangetastet ließ, aber den, der dasselbe zu verwirklichen versuchte, bestrafte ( lex minus quam perfecta ). Ulp. fr. Prooem. §. 2. Minus quam perfecta lex est quae vetat aliquid fieri et si factum sit non rescindit, sed poenam injungit ei, qui contra legem fecit, qualis est Furia testamentaria, quae plus quam mille asses legati nomine mortisve causa prohibet capere praeter exceptas per- sonas et adversus eum, qui plus ceperit, quadrupli poenam constituit . Diesen Weg verfolgte man mit der Consequenz, daß man ohne Anstand aus dem Geschäft eine Klage gewährte, den Rich- ter mithin anwies, den Beklagten zu verurtheilen. Allein der Sieg kam dem Kläger theuer zu stehen, denn was er erhalten, mußte er dem Beklagten vierfach zurückgeben! Die Klage, die hier dem Beklagten gegeben ward, ist die, welche wir im Folgen- den zu untersuchen haben. Die regelmäßige Als solche wird sie wenigstens bei Plautus Persa I . 2, 18: ubi quadruplator (s. u.) quoipiam injexit manum vorausgesetzt. Gaj. IV . 22, 23 erwähnt drei Fälle, den der lex Furia testamentaria , der lex Furia de sponsu und der lex Marcia . Form derselben scheint die der legis actio durch manus injectio gewesen zu sein. Daß sie auf die Strafe des Vierfachen ging, wird für die lex Furia testamentaria und die lex Marcia de usuris ausdrücklich bezeugt, Ersteres durch Ulp. fragm. Prooem . §. 2, letzteres durch Cato de re rust. Prooem .. foeneratorem quadrupli. Pseudo-Ascon. (Orelli p. und prägt Zweites Buch. Erster Abschn. III . Die Technik. A . Die Analytik. sich, wie unten gezeigt werden wird, auch in dem „quadruplator“ aus. Als Handlung, worauf die Strafe gesetzt war, wird bald das „exigere“, bald das „capere“ bezeichnet; Gaj. II. 225 capere .. IV. 22 .. exegisset 23 .. exegissent .. cepisset. Ulp. a. a. O. capere . dürfte man den ersten Ausdruck zur Noth ausschließlich auf das gerichtliche Beitreiben beziehen, so läßt doch der letztere Ausdruck dies nicht zu und beweist, daß im Sinne des Gesetzes da, wo er gebraucht ward, auch die bloße Annahme des Geschuldeten als Gesetz- übertretung gelten sollte — eine Bestimmung, der wir unten versuchen werden den Schein des Unwahrscheinlichen und Wider- sinnigen zu nehmen. Die Bestimmung der Klage liegt auf der Hand. Sie soll indirect dasselbe bewirken, was die exceptio direct bewirkt: dem Gläubiger die Ausübung seines Rechts unmöglich, die Klage zu einem Noli me tangere machen, und man wird zu- gestehen müssen, daß das Mittel zu dem Zwecke gut gewählt war — nur ein Thor hätte das Einfache begehren können, was er vierfach zurückzahlen mußte — und es begreift sich vollkommen, daß man bei ungenauer Redeweise sich so ausdrücken konnte, als habe das Gesetz nicht sowohl die Klage, als das Geschäft selbst, auf welches sie sich stützte, verboten. Der fortgeschrittenen und in conservativer Beziehung minder empfindlich gewordenen Anschauungsweise der späteren Zeit widerstrebte die Absonderlichkeit der Form; die übrigens in der Geschichte sich gar nicht selten wiederholt, so z. B. in dem öffentlichen Leben der Römer (Sulla legte in dieser Weise das Intercessionsrecht der Tribunen lahm) und im kanonischen Recht. Wer eidlich Zinsen versprochen, wird vom geistlichen Gericht gezwungen , sie zu entrich- ten, aber hinterher wird der Empfänger gezwungen sie zurückzugeben. c. 6 X. de jurej . (2. 24) — eine lex minus quam perfecta des kanonischen Rechts. an die Stelle des 110) in Verbindung mit Gaj. IV. 23 adversus foeneratores. Pseudo- Asconius fügt noch den Fall des Svielverlustes ( aleae ) hinzu. A . Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. indirecten Zwanges trat, wie in so manchen Fällen der di- recte durch Exception . Daß die Exception in der That späteren Ursprungs ist, als jene Klage, dafür glaube ich mich auf Gaj. IV . 108 nicht einmal zu beziehen zu brauchen; wer dies nicht sofort sieht (B. I S. 73 unten), mit dem läßt sich gar nicht streiten. Ihrer juristischen Natur nach wird unsere Klage zu den Strafklagen zu stellen sein, und zwar möchte ich ihr zur Un- terscheidung von andern den Zusatz einer processualischen geben. Ihr Zweck ist nämlich ein rein processualischer, reiner Exceptionszweck: Verhinderung der Ausübung eines Klagrechts . Das Delict, das sie strafen soll, läßt sich nach Analogie der Nichtachtung einer exceptio L . 2 §. 5 de dol. exc. (44. 4) dolo facit, quicunque id, quod quaqua exceptione elidi potest, petit L. 1 §. 1 L. 8 pr. ib.: dolo facit, qui petit quod redditurus est . als processua- lischer dolus bezeichnen, denn dolus, fraus ist es, eine Klage anzustellen, die das Gesetz mißbilligt. Eine indirecte Andeutung in der lex Falcidia (im unverkennbaren Hinblick auf die lex Furia): eam pecuniam sine fraude sua capere li- ceto, L. 1 pr. ad leg. Falc . (35. 2). Rudorff benutzt zur Erklärung der Strafe des Vierfachen den Gesichtspunkt des Diebstahls, so nämlich für die lex Marcia (s. u.) Röm. R. G. I . S. 46 Note 7 und für die lex Furia testa- mentaria S. 56 („als einen offenbaren Diebstahl an der Familie “ — ? —). Will man hier überhaupt nach einem Gesichtspunkt suchen, um die Strafe des Vierfachen zu erklären, so bietet sich wohl am ungezwungensten der dar, daß die Römer das Vierfache als Strafe der offenbaren , das Zweifache als Strafe der verborgenen, versteckten Widersetzlichkeit gegen das Gesetz betrachteten. In gewissen Verhältnissen nahm die Klage eine ganz eigen- thümliche Gestalt an. Die Erwägung nämlich, daß der Schuld- ner möglicherweise aus Scheu vor der Rache des Gläubigers Anstand nehmen mochte, sich ihrer zu bedienen, veranlaßte den Gesetzgeber, ihre abschreckende Wirkung für den Gläubiger da- durch zu erhöhen, daß er sie für den Fall, wenn der zunächst Be- rechtigte keinen Gebrauch von ihr machen wollte, jedem, der Lust hatte, verhieß, m. a. W. daß er sie zu einer Popularklage er- Zweites Buch. Erster Abschn. III . Die Technik. A . Die Analytik. hob. Das prätorische Edict nahm diesen Gedanken für einige Fälle auf, so z. B. für die act. sepulcri violati , welche zunächst dem Betheiligten und nach ihm Jedem, der Lust hat, versprochen wird L. 3 pr. §. 12 de sep. viol . (47. 12), ebenso L. 5 §. 5 de his qui effud . (9. 3). Hiermit hängt vielleicht auch die exc. quasi popularis der lex Cincia (Vat. fr. §. 266) zusammen. Jetzt erst war der Zweck des Gesetzes vollständig er- reicht! Was half es dem Gläubiger, wenn auch die Abhängig- keit, in die er den Schuldner zu versetzen gewußt hatte, ihn seiner vergewisserte? Jeder andere konnte ihm das Loos be- reiten, welches das Gesetz ihm zugedacht hatte; es war eine Prämie darauf gesetzt, ihn zur Verantwortung zu ziehen. Damit war also der Schuldner gewissermaßen unter öffentlichen Schutz gestellt — in der That ein eben so ingeniöses, als wirksames Mittel, den Druck, den der Gläubiger auf ihn ausübte, zu para- lysiren. Daß das Motiv, welches regelmäßig zur Anstellung einer solchen Klage bestimmte, nicht auf jenen Zweck gerichtet war, den übrigens Plautus in der Note 132 citirten Stelle ausdrücklich anerkennt: nam publicae rei causa quicunque id facit magis, quam sui quaesti … eum civem et fidelem esse et bonum . daß der Kläger sehr häufig, weit entfernt bei Anstellung der Klage das Interesse des Schuldners zu verfolgen, sich lediglich durch die Aussicht auf den von der öffentlichen Moral für nichts weniger als ehrenhaft bezeichneten eigenen Erwerb leiten ließ, that der Wirksamkeit des Mittels nicht im Mindesten Abbruch. Gerade im Gegentheil, daß das Gesetz das Motiv so niedrig ge- griffen, daß es nicht, wie in so manchen andern ähnlichen Fällen, z. B. der postulatio suspecti tutoris an ein sittliches Motiv, die Theilnahme für einen Hülflosen, sondern an die schnödeste Art der Erwerbsucht appellirt hatte, gerade dieser Umstand sicherte der Einrichtung den gewünschten Erfolg, denn es rief in ihrem Dienste die ganze Betriebsamkeit, Rührigkeit, Rücksichts- losigkeit auf, über die der Eigennutz gebietet, wenn er das Gefühl der Scham verloren hat. Wer sich einmal zu dem ver- achteten Gewerbe eines Quadruplator Der Quadruplator bemächtigt sich eines fremden Processes ( Liv. III . herabgelassen hatte, A . Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. mußte, um Stoff zu haben, durch Ausspähen und Nachspüren sich ihn selber suchen, um mit Erfolg Denunciant zu sein, Spion sein, und in der That ward das Gewerbe mit einer Ener- gie betrieben, daß die Gesetzgebung sich genöthigt sah, gegen das Uebel, das sie selbst mit jener Einrichtung ins Leben gerufen hatte, in anderer Weise Abhülfe zu gewähren, und durch An- drohung schwerer Strafen Rudorff R. R. G. II . S. 457 flg. dafür Sorge zu tragen, daß die Gier der Quadruplatoren sich nicht unterschiedlos gegen Schul- dige und Unschuldige kehrte. Das im Bisherigen entworfene Bild unserer Strafklage be- ruht auf einer Zusammensetzung einzelner Züge, welche die Quellen uns bei Gelegenheit der verschiedenen Fälle aufbewahrt haben, bei dem einen diesen, bei dem andern jenen; die Mit- theilung dieser einzelnen Fälle wird uns Gelegenheit geben, die obige Darstellung quellenmäßig zu begründen. Die einzelnen Fälle sind folgende: 1. Die lex Furia testamentaria . B. 2 S. 61. Die Stellen sind bereits im Bisherigen mitgetheilt. Das Einzige, was für diesen Fall noch Hervorhebung verdient, ist die Frage: was konnte den Gesetzgeber, wenn er einmal für die Legate oder sonstige mortis causa capiones ein Maß von 1000 As festsetzen wollte, veranlassen, nicht bloß die gerichtliche Beitreibung, son- 72 .. interceptor litis alienae ) er hat seinen Namen von der poena quadrupli , die das Gesetz für manche Fälle verhängt hat ( Festus sub Qua- druplatores .. ut eas res persequerentur, quarum ex legibus qua- drupli erat actio ); es sind dies also Fälle, wo zunächst der Betheiligte eine Klage hatte, z. B. auf Rückgabe gezahlter ungesetzlicher Zinsen. ( Pseudo- Ascon. [Orelli 110] .. pecuniae gravioribus usuris feueratae , auf Rück- gabe deutet auch Seneca de benef. VII. 25: beneficiorum suorum qua- druplatores ). Von der Quarta pars bei crimina publica (Tac. Ann. IV. 20 Pseudo-Ascon . a. a. O.) kann der Name quadruplatores nicht her- stammen ; daß er aber auch hier in Uebung war, ist bekannt. Ebenso wird er in den Fällen gebraucht worden sein, wo die act. popularis nicht auf ein quadruplum , sondern auf eine bestimmte Summe gerichtet war, s. z. B. L. 3 §. 12 cf. L. 3 pr. de sep. viol . (47. 12). Zweites Buch. Erster Abschn. III . Die Technik. A . Die Analytik. dern sogar die Annahme (das „capere“ Daß dies der Ausdruck des Gesetzes war, dafür sprechen nicht bloß die directen Zeugnisse von Gajus und Ulpian, sondern auch das indirecte der lex Falcidia (Note 137). ) des Hinterlasse- nen zu untersagen? Genügte es nicht vollkommen, ihm die Klage zu entziehen? Die Frage muß verneint werden. Mit der Klage würde das Gesetz bloß den rechtlichen Zwang zur Auszahlung der Legate beseitigt haben, nicht den moralischen und socialen , den die Achtung vor dem Willen des Testators und die Rücksichten auf die Legatare und das Urtheil der Welt dem Erben auferlegte. Wollte es diese Einflüsse paralysiren, so blieb nichts übrig, als dem Honorirten die Annahme des Legats bei Strafe zu untersagen . Besonders nöthig war dies für eine Form der letztwilligen Zuwen- dung, das s. g. conditionis implendae causa datum („wenn A dem B 10000 As gibt, soll er mein Erbe sein“). Hier hatte der Honorirte weder eine Klage, noch bedurfte er derselben, denn der dem Erben auferlegte indirecte Zwang genügte vollkommen. Wollte er hier nicht dem Gesetz verfallen, so mußte er das Anerbieten der Zahlung der ganzen Summe (zu dem der Erbe, um die Bedingung zu erfüllen, genöthigt war) zurückweisen und sich mit 1000 As begnügen; die Bedingung galt trotzdem als erfüllt, s. B. 2 S. 176. Ein Seitenstück aus unsern Tagen wird dies erläutern. Neuere Gesetzgebungen haben mit Recht den Satz des kanonischen Rechts, daß der promissorische Eid den Rechtsgeschäften, denen er hinzugefügt werde, eine rechtliche Erzwingbarkeit verleihe, aufgehoben. Allein damit ist die gefährliche Tauglichkeit dieses Mittels für Geschäfte, die das Gesetz verhindern will, z. B. das Nehmen wucherischer Zinsen, nur um ein Geringes abgeschwächt, denn der gewissen- hafte Mensch erfüllt auch den rechtlich unverbindlichen Eid. Wie dem begegnen und damit dem Mißbrauch des Eides steuern? Die Antwort ertheilen einige andere Gesetzgebungen, indem sie dem Gläubiger bei Strafe verbieten, sich einen Eid schwören zu lassen — also ganz derselbe Weg, den die lex Furia einzu- schlagen für nöthig hielt! Ob die lex Furia die Klage aufs Vierfache auch als Popu- A . Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. larklage gegeben habe, muß dahingestellt bleiben, es läßt sich aber nicht verkennen, daß sie erst dadurch ihren Zweck vollstän- dig erreicht haben würde. 2. Die lex Furia de sponsu gebietet dem Gläubiger, der mehre Bürgen In Form der sponsio oder fidepromissio Gaj. III . 121. Für fide- jussores galt weder diese, noch die bei Gajus erwähnte zweite Bestimmung der lex Furia . Wenn man nicht annehmen will, daß das Gesetz selbst eine Hinterthür offen gelassen, um seinen ganzen Zweck zu vereiteln, so drängt dies zu der Vermuthung, daß diese jüngste Form der Verbürgung damals noch nicht existirte, und daß vielleicht gerade die lex Furia sie ins Leben gerufen hat. Auf demselben Wege, auf dem man im Verkehr den unbequemen Rechts- sätzen über Legate durch die fidei -commissa entging, mochte man es denen der lex Furia gegenüber durch die fide -jussio zu thun versuchen, nämlich auf dem einer rein auf das Gewissen, die Ehrbarkeit (die fides ) gestellten Er- wartung. So wie jene Form später klagbar ward, so auch diese, und so wie auf jene die Bestimmungen der Legate ausgedehnt wurden, so auf diese durch die epistola Divi Hadriani das benefic. divisionis ; ob auch die andere Be- stimmung der lex Furia (jedenfalls erst nach Gajus), hängt davon ab, ob L. 25 de stip. ser . (45. 3) interpolirt ist. angenommen hat, die Klage zwischen ihnen zu theilen, und gibt im Uebertretungsfall dem Bürgen, der mehr als seinen Theil hat zahlen müssen, eine manus injectio auf Rückforderung des Ueberschusses; ob aufs Vierfache, hat Gajus, dem wir allein die Kunde dieses Gesetzes verdanken, nicht be- merkt, woraus aber ein Schluß auf das Gegentheil umsoweniger berechtigt ist, als Gajus auch bei dem vorhergehenden Gesetz, bei dem doch die Strafe des Vierfachen anderweit bezeugt ist, die- selbe nicht erwähnt. Daß beide Gesetze verschiedene gewesen seien, wie man ge- wöhnlich annimmt, S. z. B. Rudorff R. R. G. I . S. 51, 57, welcher ohne aus- reichenden Grund das eine Gesetz dem fünften, das andere dem sechsten Jahr- hundert zuweist. ist nirgends gesagt, und die Bezeichnung als lex Furia „de sponsu“ und „lestamentaria“ gewährt da- für keinen Beweis, da die römischen Juristen bekanntlich sehr oft verschiedene Kapitel eines und desselben Gesetzes als verschiedene Zweites Buch. Erster Abschn. III . Die Technik. A . Die Analytik. leges bezeichnen. Und zwar bekanntlich auch bei Gesetzen aus älterer Zeit, z. B. der lex Licinia Sextia . Nichts steht im Wege, das letztere Verhält- niß auch hier anzunehmen, und dies vorausgesetzt, würde das ganze Gesetz in ein unerwartetes Licht treten. Der Zweck des- selben würde dann nämlich in der quantitativen Herabsetzung gewisser Ansprüche bestanden haben, nämlich des aus einem Vermächtniß auf 1000 As, des aus einer Gesammt-Bürgschaft auf den Viriltheil So würde es sich vielleicht auch erklären, wie man dazu kam, in beiden Fällen den Zusatz pro judicato zu machen, ungeachtet das Gesetz nur bei Gelegenheit des einen dazu Anlaß gab, Gaj. IV . 23. — beides in der damaligen Form statt durch exceptio durch Widerklage. Im neuern Recht tritt an die Stelle dieser Form: beim Legat das ipso jure minui der lex Falcidia (Note 66), bei der fidejussio die exceptio divisionis (Note 146). Vielleicht schlossen sich dem noch einige andere uns nicht überlieferte Fälle an. 3. Das Gesetz über verbotene Glücksspiele , über welches wir nichts weiter wissen, als daß es die Strafe des Vierfachen festsetzte. Pseudo-Ascon. (Orelli p . 110), bei Plautus Miles glor. II , 2, 9 als lex talaria erwähnt. 4. Die lex Marcia de usuris reddendis . Wenn Gajus Gaj. IV . 23; die übrigen Stellen s. Note 133. bei der Erwähnung dieses Gesetzes von Zinsen schlechthin, nicht von ungesetzlichen Zinsen spricht, so läßt sich dies aufrecht erhalten durch Bezugnahme auf die lex Genucia , welche bekanntlich das Zinsennehmen gänzlich verboten hatte. In welcher Weise sie es gethan haben mag, läßt sich nach unsern bisherigen Ausführungen errathen; sie that es in der Form ihrer Zeit, in der einer lex minus quam perfecta , indem sie auf die Uebertretung die Strafe des Vierfachen setzte. Ob sie aber das Nehmen oder bloß das Einklagen der Zinsen verbot, darüber wird sich wohl nichts Sicheres ermitteln lassen, und nicht minder wird das Verhältniß der lex Marcia zur lex Genucia nur Gegen- A . Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. stand von Muthmaßungen sein können. Möglich, daß jenes Gesetz bloß die Form der Rückforderungsklage betraf und an Stelle der bisherigen, durch die lex Genucia angeordneten, die manus injectio setzte; möglich, daß es auch materiell eine Aen- derung traf und an Stelle des Verbots des Einklagens das des Nehmens setzte. Kurzum es ist außer Zweifel, daß die älteste Form der Repression des Zinswuchers in der Klage aufs Vierfache bestand, und daß dieselbe zugleich als Popularklage gegeben ward. Eine interessante Bestätigung des Gesagten hat uns Ap- pian App. de bello civili I. c . 54. in seiner Erzählung der Ermordung des Prätor Asellio aufbewahrt. Zur Zeit der Bürgerkriege sahen sich manche Schuld- ner außer Stand, die Zinsen zu zahlen, und einige von ihnen flüchteten sich hinter das Verbot der lex Genucia , welches obschon gewohnheitsrechtlich längst außer Anwendung gekommen, doch gesetzlich nie aufgehoben war, und drohten ihren Gläubigern mit der Strafe des Gesetzes. Dadurch nicht abgeschreckt erhoben letztere Klage, und der Prätor, nachdem er vergeblich einen Güteversuch gemacht hatte, bestellte ihnen Richter, aber — und dies ward die Ursache seiner Ermordung — „ wechselsweis “ (κατ’ ἀλλήλων), d. h. er gewährte neben der den Gläubigern zugestandenen Klage auf die Zinsen ganz nach Art der geistlichen Gerichtshöfe des Mittelalters (Note 135) zugleich den Schuld- nern die im Gesetz verheißene manus injectio (pura) aufs Vier- fache. Es ergibt sich also daraus, daß die letztere Klage nicht an die Voraussetzung einer erfolgreichen Einklagung der For- derung d. h. der in Folge der Verurtheilung geleisteten Zah- lung, sondern an die Erhebung der Klage geknüpft war, das bloße Klagen im Sinne des Gesetzes als „exigere“ galt. Beide Processe liefen demnach parallel, sie wurden gleichzeitig instruirt, und, angenommen daß für beide derselbe Richter be- stellt worden war, auch gleichzeitig entschieden So denkt offenbar auch Plautus Persa I . 2, 18 sich die Sache — ein Um- Jhering, Geist d. röm. Rechts. III . 8 Zweites Buch. Erster Abschn. III . Die Technik. A . Die Analytik. stand, der die von mir behauptete Exceptionsbestimmung unserer Strafklage in ein helles Licht setzt. 5. Die lex Plaetoria über den Schutz der Min- derjährigen . Den materiellen Inhalt des Gesetzes genau zu bestimmen ist hier nicht unsere Aufgabe, Ich lasse es also dahin gestellt, ob das Gesetz einzelne Geschäfte (das „credere“ bei Plaut. Pseudol. I . 3, 96, das „stipulari“ bei Priscian. Gr. Inst. VIII. 4, XVIII . 19) oder wenn auch nicht schlechthin das Contra- hiren, so doch die Uebervortheilung der Minderjährigen beim Contrahiren verboten hat. uns interessirt nur die Form , in der es seinen Zweck zu erreichen suchte. Dieselbe ist hier weniger erkennbar, als in den vorhergehenden Fällen (wovon der Grund in der jüngern Form, durch die später der Prätor den Zweck des Gesetzes auf directem Wege zu realisiren suchte, der restit. in integrum gelegen sein mag), allein durch Combination verschiedener einzelner Spuren kann man sie den- noch, wie ich glaube, bis zu einem gewissen Grade der Wahr- scheinlichkeit reconstruiren. Wer Minderjährige bei Abschluß von Contracten übervor- theilt hat, den trifft außer der an die Verurtheilung sich reihen- den Infamie ein Vermögensnachtheil, welcher mit der Klage aus dem Gesetz ( judicium legis Plaetoriae ) verfolgt wird und schwerlich bloß in der Restitution des einfachen Betrages bestan- den haben wird. Plautus (vorige Note) credere metuunt omnes . Die Klage wird zunächst dem Minderjäh- rigen selbst gewährt und zwar noch ein Jahr lang nach erreichter Volljährigkeit, Das „tempus legitimum “ der L. 19 de minor (4. 4); der Aus- druck weist, wie die aetas „legitima“ , auf die Bestimmung einer lex hin. sodann aber auch jedem, der Lust hat, Ich schließe dies aus Cic. de nat. deor. III. 30 judicium publi- cum rei privatae lege Plaetoria . Daß unter diesem Ausdruck kein Crimi- nalverfahren zu verstehen ist, darüber sollte der lex Julia munic. (tab. Heracl.) ob erst dann, wenn sie für den Minderjährigen verjährt ist, oder, bei dem Gesetzvorschlag, den er den Saturio machen läßt. Ubi quadruplator quoipiam injexit manum, tantidem ille illi rursus injiciat manum, ut aequa parti (pacti?) prodeant ad trisviros (ed. Ritschel). A . Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. wie in den Fällen der Note 139, schon vorher, wenn der Min- derjährige sich ihrer nicht bedienen will, muß dahin gestellt blei- ben. Wenn irgendwo, so war gerade bei diesem Verhältniß die Schärfung der Klage durch Erhebung derselben zu einer Popu- larklage ganz am Platz, die Schutzklage der Minderjährigen gegen betrügerische Contrahenten ward damit nur derselben Aus- zeichnung theilhaftig, deren die zum Schutz der Unmündigen gegen ungetreue Vormünder eingeführte postulatio suspecti tu- toris von jeher genoß L. 1 §. 6 de susp. tut. (26. 10) §. 3 I. de susp. tut. (1. 26) .. quasi publicam esse hanc accusationem hoc est omnibus patere . — beide Klassen von Personen waren unter öffentlichen Schutz gestellt. Auf diese Klage beschränkte sich meiner Ansicht nach der Schutz des prätorischen Rechts, und er reichte auch hier, wie in allen oben angeführten Fällen, vollkommen aus, eine rein defensive Hülfe (durch Nichtigkeit oder Einrede) überflüssig zu machen. Erst als mit dem Formularproceß die Exceptionen aufkamen, und die Anschauung sich Bahn brach, daß man dem, der eine Klage habe, um so mehr eine Exception geben müsse (Note 39), mochte man davon auch bei der lex Plaetoria Anwendung machen und dem Minderjährigen eine Einrede gewähren. Nach Ansicht mancher Juristen Die Idee ist zuerst von Savigny Zeitschr. für gesch. R. W. B. 10 S. 248 ausgesprochen und hat sodann nur zu bereitwillige Aufnahme gefun- den, s. z. B. auch bei Keller Röm. Civilpr. §. 36, und Rudorff R. R. G. II . S. 94. reicht aber diese Einrede bereits in die Zeit des Legis-Actionen-Processes zurück; der Minderjährige hätte also durch Berufung auf das Gesetz die Klage vereiteln können. Als Form für diesen Einwand hat man sich, da das Zeugniß gegenüber, welche in c. 8 dieses judicium an das über die Injurien und den Dolus anreiht und erst später die Condemnation in einem judicium publicum erwähnt, ein Zweifel nicht möglich sein, und es ist Savigny , Zts. für gesch. R. W. B. 10 S. 243 leichter gefallen, ihn zu erheben, als zu begründen. Daß aber der Ausdruck actio publica auch für eine act. popularis vorkömmt, zeigen L. 30 §. 3 de jurej. (12. 2) cf. L. 1 de popul. act . (47. 23) und die Stellen der folgenden Note. 8* Zweites Buch. Erster Abschn. III . Die Technik. A . Die Analytik. von Gajus (s. das Motto dieses §) die eigentliche exceptio für das ältere Verfahren ausschließt, die einer „proceßhindernden Sponsion“ gedacht. Es wäre, meint man, über die Frage, ob eine Uebertretung des Gesetzes vorliege, eine Präjudicialsponsion (B. 2 S. 85) abgeschlossen, sodann darüber ein Richter bestellt und im Fall der Bejahung der Frage die Klage gegen den Min- derjährigen versagt worden. Wenn ich diese Ansicht einer ge- nauern Prüfung unterziehe, so geschieht es weniger dieses ein- zelnen Falles wegen, als weil man die Behauptung aufgestellt hat, daß der ältere Proceß sich überhaupt dieses Mittels bedient habe, um das Exceptionsbedürfniß zu befriedigen. Meiner Ansicht nach ist diese ganze Idee völlig unhaltbar. Als einziger Anhaltspunkt muß ihr eine Stelle von Plautus Plautus Rudens V. 3, 24, 25: cedo quicum habeam judicem „ni dolo malo instipulatus sis nive etiam dum siem quinque et viginti natus annos“ . dienen, in der ein Minderjähriger an die Erfüllung einer eid- lichen Zusage Von v. 16 an ist fast in jedem Verse von dem Eide die Rede, und v. 21 wird der Pontifex als der erwähnt, welcher über die Gültigkeit des Eides zu entscheiden habe. gemahnt, sich mit dem Zusatz, daß „er nicht be- trogen oder minderjährig sei“, einen Richter gefallen lassen will. Aus dieser Beschränkung , die im Sinne des Processes eine exceptio zu nennen sein würde, macht nun jene Ansicht den Inhalt einer sponsio , ohne daran Anstoß zu nehmen, daß letztere unter dieser Voraussetzung nicht wie eine exceptio mit ni oder nisi , sondern mit si hätte gefaßt werden müssen, Beispiele bei Gajus IV . 93, 165. und daß die Cumulation zweier Fragen ( dolus und Minderjährigkeit) in einer sponsio den Richter in die Unmöglichkeit versetzt haben würde, die eine zu bejahen und die andere zu verneinen. An- genommen aber ein Prätor wäre auf die Idee verfallen, eine Frage, die erst zur Sprache kommen konnte, wenn der Anspruch des Klägers sich als ergründet erwies, der Verhandlung des A . Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. letzteren voran zuschicken und damit ein Gesetz der logischen Ordnung zu übertreten, das die Römer sonst so unverbrüchlich beobachten (B. 2 S. 641, 642) — in welcher Form hätte er von dem Resultat der Voruntersuchung Gebrauch machen können? Da er an der Formel der legis actio nicht rütteln durfte, so wäre ihm nichts übrig geblieben, als die Klage zu versagen — ein Mittel, das in meinen Augen einer Aufhebung des ganzen Legis- Actionen-Processes gleichgekommen wäre (B. 2 S. 665 flg.), und dessen Statthaftigkeit doch wohl durch eine andere Autorität, als die des Plautus bezeugt sein müßte! Läßt es sich annehmen, daß Plautus in einem Fall, in dem es sich bloß um die Beurtheilung der Gültigkeit eines Eides durch einen Schiedsrichter handelte, die Analogie des ge- richtlichen Verfahrens vor Augen gehabt hat, so gewährt die Stelle das wichtige Ergebniß, daß es zu seiner Zeit wirkliche Exceptionen gegeben hat, der Formularproceß wenn auch in be- schränkter Ausdehnung mithin bereits eingeführt gewesen sein muß, und diese Annahme, der die Verbindung zweier Einreden bekannt- lich kein Hinderniß entgegensetzt, findet in der Form der Fassung ( ni und nive mit dem Conjunctiv) keine unbedeutende Unterstützung. Mit den bisher erörterten Fällen ist meines Wissens das Ma- terial, das die Quellen uns darbieten, erschöpft, Eine act. popularis mit manus injectio aufs Vierfache gegen eine Buhlerin, „quae adversum legem (accepit) a plurimis pecuniam“ bei Plaut. Truc. IV . 2, 47—49 geht über unsern Gesichtspunkt (S. 106) hinaus. und ich will den Eindruck desselben durch leere Vermuthungen über andere mögliche Fälle und Fragen, für deren Beantwortung es an posi- tiven Anhaltspunkten fehlt, nicht abschwächen. So möge denn auch die Frage nur angeregt, nicht beantwortet werden, ob nicht die eventuelle Strafe des Vierfachen bei der prätorischen actio quod metus causa mit der Idee des älteren Rechts zusammenhängt, daß der Strafe des Vierfachen verfällt, wer einen an sich bestehenden, aber vom Gesetz gemißbilligten Anspruch geltend zu machen sucht und damit sich offen gegen das Gesetz auflehnt (s. Note 138). Zweites Buch. Erster Abschn. III . Die Technik. A . Die Analytik. Die zweite der oben (S. 104) genannten beiden Klassen von Defensionsklagen soll, wie bereits bemerkt, hier nur so weit erör- tert werden, um sie von der so eben betrachteten zu unterscheiden. Ihre Aehnlichkeit liegt in dem angegebenen Moment des Defensionszweckes, ihre Verschiedenheit darin, einmal daß dieser Zweck nicht ihre ausschließliche Bestimmung bildet, ihr Ge- biet und ihre Function erstreckt sich vielmehr ungleich weiter, und sodann daß sie auch in jener Richtung die exceptio nicht in der Weise ersetzt und überflüssig macht, wie es die Strafklage that. Dem Kläger, der sich der Rücksicht auf sie entschlägt, droht keine Strafe, die einzige Folge die ihn trifft, ist die Verpflichtung zur Zurückgabe — eine Folge, derentwegen er nicht vor An- stellung der Klage zurückzuschrecken braucht, um so weniger, da es immer noch fraglich bleibt, ob der Beklagte sich der Klage wirklich bedienen wird. In allen den Fällen, in denen sie Statt findet, gibt das neuere Recht dem Beklagten eine exceptio (Note 39), die Klage ist daher in dieser Richtung d. h. als Surrogat für die exceptio überflüssig geworden. Ein Gleiches aber läßt sich für das ältere Recht, insoweit es diese Klagen kannte, nicht behaupten, und wenn man sonst nicht von der Voraussetzung ausgeht, die ich nicht theilen kann, daß alle jene Klagen (z. B. auch die Con- dictionen) erst der späteren Zeit des Formularprocesses angehö- ren, so gelangt man zu dem Schluß, daß der ältere Proceß, so lange er noch an dem Grundsatz: ein Proceß eine Frage fest- hielt und die Exceptionen ausschloß, denselben Zweck, für den das neuere den Weg der Klage und der Einrede öffnet, lediglich in Form der Klage verfolgt hat. Dieser Weg entspricht ganz dem, was wir im übrigen vom älteren Recht wissen, und zwar nicht etwa bloß insofern, als er im Vergleich zu dem kürzeren Wege der exceptio ein Umweg, letzterer aber historisch überall der frühere ist, Nicht selten stellt man sich das Verhältniß beider Rechtsmittel zu sondern auch insofern, als er in vielen Fällen A . Der Proceß. Vertheidigung in Form der Klage. §. 52. durch die Idee der strengen processualischen Gerechtigkeit, durch die das ältere Recht sich in so hohem Maße leiten ließ (S. 51 flg.), entschieden geboten ist. Die Tendenz des späteren Rechts, den einen Weg mehr und mehr durch den andern zu ersetzen, gereicht, wie ich schon früher bemerkte, demselben keineswegs zur Ehre, und Justinian oder seine Gehülfen haben ihre vermeintliche Ueberlegenheit über die ältere Jurisprudenz in sehr zweifelhafter Weise documentirt, wenn sie, befangen von dem Eindruck der Weitläuftigkeit, den dieser Mechanismus auf sie ausübte, dem ältern Recht den Vorwurf machen: L. 2 Cod. de const. pec. (4. 18) .... secundum antiquam re- ceptitiam actionem res exigebatur, etiam si quid non fuerat debitum, cum satis absurdum et tam nostris temporibus quam justis legibus con- trarium sit permittere per actionem receptitiam res indebitas consequi et iterum multas proponere condictiones, quae et pecunias indebitas et promissiones corrumpi et restitui definiunt . es habe in widersinniger und höchst unzweckmäßiger Weise durch die eine Klage genom- men, was es mit der andern gegeben. — Jeder Jurist aus der alten Zeit würde dem Tadler die Augen haben öffnen können! Ueberschauen wir jetzt den gesammten Inhalt dieses Paragra- phen, so wird der Ausspruch des Gajus, den wir an die Spitze desselben gesetzt haben: „ nec omnino ita, ut nunc, usus erat illis temporibus exceptionum“, nicht bloß in dem Sinn seine Erklärung gefunden haben, daß das alte Recht keine eigentlichen Exceptionen gekannt, sondern auch in dem , daß es an Stelle derselben etwas anderes besessen habe, mit dem es ebenso weit gereicht ist, wie das neuere mit den Exceptionen. einander gerade entgegengesetzt vor, indem man, mit falschem Schluß von der Stelle in Note 39, in der act . das stärkere, in der except . das schwächere Rechtsmittel erblickt, allein ich gebe mich der Hoffnung hin, daß meine bis- herigen Ausführungen über den Mechanismus des altrömischen Processes den Nachweis geliefert haben, daß von seinem Standpunkt aus eine Anfechtung auf dem Wege der Klage ungleich früher möglich war, als auf dem der Ein- rede. Derselben Ansicht ist auch Bähr Anerkennung S. 94 Note 6. Jahr- bücher für Dogmat. II . S. 376, 378. Zweites Buch. Erster Abschn. III . Die Technik. A . Die Analytik. Wir haben das Ziel, das wir uns früher gesteckt, und das uns von §. 50 an beschäftigt hat: den analytischen Mechanis- mus des alten Processes zur Anschauung zu bringen, erreicht, und es wird jetzt an der Zeit sein, uns über den Werth und Un- werth der ganzen Einrichtung zu verständigen. Der erste Eindruck, den sie gewiß in jedem Unbefangenen hervorrufen wird, ist der der Bewunderung über die außerordent- liche Kunst, die sich in ihr ausprägt. Vom Standpunkt der ju- ristischen Aesthetik (B. 2 S. 405 flg.) aus betrachtet erscheint sie als ein Kunstwerk, dem ich nichts, was die Geschichte des Processes sonst bietet, an die Seite zu setzen wüßte, und dem gegenüber namentlich der heutige Proceß sehr in den Schatten tritt — ein Kunstwerk, bei dem die höchste Einfachheit des Grundgedankens sich paart mit der bewundernswürdigsten Consequenz seiner Durch- führung und einer in Auffindung der richtigen Mittel unerschöpf- lichen Erfindungskraft, die äußerste Feinheit der Detailarbeit mit der größten Solidität und der klarsten Durchsichtigkeit seiner gan- zen Anlage — kurz eine durch ihre Einfachheit wie ihre Kunst gleich ingeniöse Maschine! Aber was kümmert uns der Kunstwerth beim Proceß, wird man mir einwenden, welchen Werth hat alle Kunst, wo es nur auf einfache Brauchbarkeit und Zweckmäßigkeit ankömmt? Hier wird die Kunst zur Künstelei. Und ist nicht die Rücksicht der Zweck- mäßigkeit und Bequemlichkeit durch die Weitläuftigkeiten, Um- wege, Wiederholungen, zu denen der alte Proceß nöthigt, entschie- den hintenan gesetzt? Der Weg, auf den Er die Streitsache weist, gleicht dem Geleise der Eisenbahn, es sind eiserne Schienen, in denen die Bewegung unabänderlich in der vorgeschriebenen Rich- tung sich vorwärts bewegen muß. Keine Abweichung zur Seite, kein Anhalten! Auch an Punkten, wo die eine oder andere Par- thei ein Ausschlag gebendes Streitmaterial aufnehmen könnte, schießt der Zug unaufhaltsam vorbei, und es bedarf, nachdem er am Ziele angelangt ist, einer neuen Fahrt, neuer Kosten, neuen Zeitverlustes, um das Versäumte nachzuholen. A. Der Proceß. Gesammturtheil. §. 52. Gewiß! das sind die Nachtheile der Einrichtung; aber es frägt sich nur, ob sie nicht, wie bei der Eisenbahn, durch die Vortheile überwogen werden — oder richtiger gesagt: im alten Rom wurden ; denn wir müssen sie nicht messen mit dem Maße der heutigen, sondern der altrömischen Zeit. Wo, wie heutzu- tage, die Führung eines Processes mit großen Kosten verbunden ist, fällt der Kostenpunkt allerdings schwer ins Gewicht, und die Rücksicht der Kostenersparniß scheint dafür zu sprechen, das ge- sammte Streitmaterial mit einem Male abzuthun. Plank Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten S. 70, 90; über die von ihm gleichmäßig betonte Rücksicht auf Zeitersparniß s. u. Allein ich möchte auch hier die Frage aufwerfen: wird das Maß der Arbeit, nach dem sich doch die Kosten bestimmen, geringer, wenn dieselben Rechtsfragen gemeinschaftlich, als wenn sie isolirt be- handelt werden? Ich behaupte: es wird größer, denn je mehr Fragen sich häufen, um so mehr steigt die Schwierigkeit; zu der Arbeit, die jede einzelne erfordert, gesellt sich noch die, sie alle aus- einander zu halten; wer zehn Gegenstände mit leichter Mühe hin- ter einander zu heben vermag, erliegt unter der Last, wenn er sie mit einem Male heben soll. Dazu gesellt sich noch ein anderer Gesichtspunkt. Wo der Häufung des Streitmaterials keine Gränze gesetzt ist, wird, wie die tägliche Erfahrung unseres Pro- cesses lehrt, neben den Gründen und Gesichtspunkten, von denen die Parthei sich allein den Sieg verspricht, noch eine Masse an- derer völlig nichtiger und haltloser zusammengetragen, Einreden des Zwangs, Betrugs, Irrthums u. s. w., an die die Parthei selber nicht glaubt, gleich als gelte es, die Gelegenheit zu be- nutzen, um kostenfrei auch Ballast zu befördern. Aber der Ballast wiegt eben so schwer, und kostet eben so viel, als das Werth- object! Wie sehr würde manche Parthei sich besinnen, von diesem Material Gebrauch zu machen, wenn dies nicht mehr in einem und demselben, sondern, wie im alten Rom, nur in Form ver- schiedener Processe möglich wäre! Wie wenige von allen jenen Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Einreden, über die täglich auf Kosten der Partheien viel hin und her gestritten wird, würden als Klagen zum Vorschein kommen! Der Mechanismus, den der altrömische Proceß besaß, und den auch der heutige für manche Verhältnisse in Anwendung bringt, verringert mithin die Kosten, anstatt sie zu erhöhen , denn er schneidet eine Menge werthlosen Streitmaterials von vorn- herein ab. Um den vermeintlichen Vortheil der Kostenersparniß erkaufen wir heutzutage Processe, die einem Lastwagen gleich das ganze Material von möglichen und unmöglichen Klagen und Ein- reden beider Partheien in sich aufnehmen müssen, und mühsam sich aus der Stelle schleppend und stets in Gefahr, die Ladung durch Unordnung und Verwirrung zu beschädigen, nicht selten erst am Ziele anlangen, nachdem Richter, Rechtsbeistände und Par- theien die Uebersicht, Geduld und das Leben verloren haben. Der Kostenpunkt fiel übrigens für den alten Proceß, von den Proceßkosten der legis actio sacramento abgesehen, wenig ins Gewicht; die Kunst des Juristen ging damals noch nicht nach Brod — was aber dieser Umstand für das Proceßwesen zu be- deuten hat, darauf brauche ich hier nicht wieder zurückzukommen (s. B. 2 S. 444). Neben dem Kostenpunkt bildet der durch den Proceß veran- laßte Zeitverlust eine wichtige Rücksicht. Wo der Proceß vor- zugsweise auf dem Papiere spielt, möchte auch hier aus den eben entwickelten Gründen die Bilanz sich mehr zu Gunsten des pro- cessualischen Isolirungs- als des Cumulirungs-Princips neigen. Ganz anders aber, wo er auf mündliche Verhandlung und folg- lich persönliches Erscheinen der interessirten Personen gebaut ist. Hier ist die Behauptung Planks (Note 167) ganz begründet, „daß getrennte Rechtsstreitigkeiten doppeltes Kommen und doppelte Termine veranlassen“. Aber der Werth der Zeit ist nicht überall derselbe; daß Zeit Geld ist, gilt nur für Personen, welche arbeiten , denn nur Arbeit ist Geld. Für den, der arbeitet, ist die Frage von dem durch den Proceß veranlaßten Zeitaufwand nicht eine Frage der bloßen Bequemlichkeit, sondern des mate- A. Der Proceß. Gesammturtheil. §. 52. riellen Verlustes, und es wird daher begreiflich, daß die Ent- wicklung der Industrie, des Handels, kurz der Arbeit nicht um- hin gekonnt hat, einen ganz bestimmenden Einfluß auf die Proceßorganisation auszuüben. So tritt an die Stelle des eige- nen Erscheinens der Parthei die Vertretung durch Sachwalter, welche in einem einzigen Termin die Geschäfte von vielen Par- theien versehen, so an die der Mündlichkeit und des persönlichen Erscheinens vor Gericht die Schriftlichkeit. Diese Rücksichten waren jedoch nicht maßgebend in einem Ge- meinwesen, wie im alten Rom, wo von der ländlichen Arbeit abge- sehen nur die Zeit des Sklaven Geld war, und auch die ländliche Arbeit dem freien Bauern Zeit genug übrig ließ, bei seinem Markt- gange nach Rom zugleich seine Rechtsstreitigkeiten zu versehen. Das Interesse einer durch veränderte Proceßorganisation zu er- reichenden Zeitersparniß, das Gewicht der Frage, ob Kläger und Beklagter in Form eines oder zweier und mehrerer Processe ihren Streit austragen müssen, würde hier kaum verstanden worden sein. Aber das Verständniß drängte sich unabweisbar auf, als das Staatsgebiet von Jahr zu Jahr sich ausdehnte, und die Entfer- nungen wuchsen. Dieser Umstand der für das gesammte Recht, soweit es mit dem persönlichen Erscheinen zusammenhängt, einen so fühlbaren Einfluß geäußert hat (B. 2 S. 689 flg.), mußte in Verbindung mit dem in gleichem Schritt mit der Cultur steigenden Werth der Zeit und dem Hang zu Bequemlichkeit auch eine ent- sprechende Veränderung der Proceßorganisation zur Folge haben. Jetzt war es nicht mehr gleichgültig, ob jeder selbst kommen mußte oder einen Stellvertreter schicken durfte, ob er seine Sache mittelst Exceptionen in einem Proceß erledigen konnte, oder nach alter Weise mittelst eines besondern Processes. Ob das spätere römische Recht dieser Rücksicht aber nicht auf Kosten anderer nicht minder gewichtiger Interessen einen ungebührlichen Einfluß vergönnt hat, das ist eine Frage, auf die ich mir die Antwort für das dritte System vorbehalte. So schrumpfen also die scheinbaren Gebrechen des alten Pro- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. cesses vom Standpunkt der damaligen Zeit fast auf Nichts zu- sammen, und wenn einmal der Werth einer Einrichtung sich nach dem Verhältniß ihrer Vortheile und Nachtheile bestimmt, so wird das Urtheil über den Werth des altrömischen Processes — nicht seinen Kunstwerth (S. 120), sondern seinen praktischen Werth für das römische Leben — nicht zweifelhaft sein können. Die genaue Sonderung der verschiedenen Seiten des Rechts- verhältnisses, der Ansprüche und Gegenansprüche, die größtmög- lichste Beschränkung und zugleich die schärfste Präcisirung der Streitfrage, die Fixirung der richterlichen Aufmerksamkeit auf den wesentlichen Punkt, bis zur Unmöglichkeit des Abirrens, die Einfachheit, Raschheit und Sicherheit der Proceßmaschinerie — das sind die Eigenschaften, die den praktischen Werth des altrömi- schen Processes bestimmen und ihn für immer nicht bloß zu einem höchst anziehenden Gegenstand historischer Untersuchung, sondern zugleich zu einer überaus werthvollen Quelle der Belehrung stem- peln. Aber freilich wenn irgendwo der Satz gegolten hat: jus ci- vile vigilantibus scriptum est, L. 24 i. f. quae in fraud. (42. 8). so war es im alten Proceß. Zum ungefährlichen Spiel, zum bequemen Sich gehen lassen war die Maschine nicht eingerichtet. So geringe Anforderungen sie an den Richter stellte, dem die Frage zur Beantwortung überwiesen war, so hohe an den Magistrat und die Partheien. Wenn sie sich versahen, wenn die Parthei rechtzeitig eines Umstandes zu geden- ken vergaß, der auf die Wahl der Klagformel von Einfluß hätte werden können, oder wenn eine Fragstellung gewählt ward, die dem Stande der Sache nicht adäquat war, kurz wenn der Proceß bei der Instruction vor dem Magistrat, welcher den Schwerpunkt des ganzen Verfahrens bildete, durch ungeschickte Hände in eine verkehrte Bahn geleitet ward — dann allerdings rollte er unauf- haltsam fort, und das kleinste Versehen rächte sich durch den Ver- lust der ganzen Sache. Aber das ist einmal ein Fehler, wenn man ihn so nennen will, der von der Idee des Processes un- B. Das Rechtsgeschäft. Analysirbarkeit desselben. §. 53. zertrennlich ist, und der in unserm heutigen Proceß nicht minder wiederkehrt, als im spätern Formularproceß (B. 2 S. 663, 664). Gleichwohl genügte er, um die Beschreitung des Rechtswegs ohne einen erfahrenen Führer zu einem höchst mißlichen Unter- nehmen, m. a. W. den Juristen unentbehrlich zu machen. Darüber habe ich mich §. 42 ausgesprochen. Daß seine Hülfe gern gewährt ward, schloß nicht aus, daß nicht der Laie den Druck dieser Nothwendigkeit empfand, und wenn sich die Sage bilden konnte, die Juristen hätten in alter Zeit aus dem Recht ein Geheimniß gemacht, so wird dies jedem, der mir bisher gefolgt ist, vollkommen begreiflich erscheinen — die alten Proceßformeln und ihr Gebrauch waren für den Laien ein eben solches Geheimniß, wie Logarithmentafeln für einen Bauern. Wer den hohen Einfluß zu würdigen weiß, den knappe, strenge Formen auf die innere Entwicklung des Rechts ausüben, für den wird es weder einer Ausführung, noch Rechtfertigung bedürfen, wenn ich schließlich mein Urtheil über die historische Bedeutung des altrömischen Processes für die Gesammtent- wickelung des römischen Rechts in den Satz zusammen- fasse: was für den Geist der Körper, das war für die Analytik der Begriffe die des Processes — ohne den altrömischen Proceß gäbe es muthmaßlich kein heutiges römisches Recht . B. Das Rechtsgeschäft. Correspondenzverhältniß in der Structur des Processes und Rechts- geschäfts — Der Grundsatz der Einfachheit des Rechtsverhältnisses — Der Gedanke der Concentration des Rechtsgeschäfts: Simul- taneität des Akts, des Thatbestandes und der Wirkungen (Bedin- gung und dies ). LIII. Das Rechtsgeschäft ist die Form, in welcher der sub- jective Wille innerhalb der ihm vom Recht angewiesenen Schran- ken seine rechtschöpferische Thätigkeit entfaltet. Nur insoweit er Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. diese Gränzen innehält, schafft er wirklich; darüber hinaus bleibt sein Handeln entweder jeder Wirkung beraubt, ist ein lee- rer, nichtiger Akt, oder die Wirkung kehrt sich als negative gegen ihn, nämlich als Verpflichtung, das Geschehene ungeschehen zu machen (Strafe, Schadensersatz), jenes , wenn der Wille sich mit einem Rechtsbegriff, dieses , wenn er sich mit einem Verbot in Widerspruch befindet — über den Rechtsbegriff hinaus gibt es kein rechtliches Können , über das Verbot hinaus kein Dürfen . Bezeichnen demnach die Rechtsbegriffe das Maß und den Umfang des Könnens, so gewähren sie damit zugleich die Mittel zur analytischen Bestimmung desselben: die Analyse des Rechts- geschäfts beruht auf der der Begriffe. Nur dadurch, daß das Rechtsgeschäft auf vorhandene Begriffe zurückgeführt werden kann, gewinnt es rechtlichen Bestand, denn, was nicht abstract möglich ist, kann auch nicht concret wirklich werden. Das Gebiet des Möglichen aber fällt zusammen mit der Summe der anerkannten Rechtsbegriffe. Die Voraussetzung für das rechtliche Han- deln ist eben eine ganz andere, als für das factische ; letzteres ist erlaubt, wenn es nicht verboten ist. Aber diese bloß nega- tive und abstracte Voraussetzung der Abwesenheit eines Verbots ist für das Rechtsgeschäft, dessen Wirksamkeit eben nicht wie die des factischen Handelns auf einem körperlichen Druck, sondern auf geistiger Kraft beruht, nicht ausreichend, sondern seine Vor- aussetzung ist wesentlich positiver Art. Beruht die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts auf seiner Reducir- barkeit auf bekannte Begriffe, seiner analytischen Löslichkeit, ver- sagt m. a. W. der Jurist die Anerkennung jedem Rechtsgeschäft, das er sich nicht denken kann (B. 2 S. 402), so scheint damit der Verkehr in höchst bedenklicher Weise von dem „Denken“ des Juristen in Abhängigkeit gesetzt worden zu sein. Das Bedürfniß und die Erfindungskraft des Verkehrs reichen stets weiter, als das juristische Denken; wie kann man sie letzterem unterordnen? Die Antwort lautet, daß wo in der That zwischen beiden ein Wider- B. Das Rechtsgeschäft. Analysirbarkeit desselben. §. 53. spruch besteht, und nicht etwa die Jurisprudenz durch geschickte Benutzung des vorhandenen Materials denselben zu vermitteln vermag, wovon uns die juristische Oekonomie des alten Rechts (§. 56) Beispiele in reicher Menge bringen wird, daß da, sage ich, die Jurisprudenz sich dem Drange des praktischen Lebens fügt und ihren geistigen Horizont um so viel erweitert, als das Bedürfniß des Verkehrs gebietet (B. 2 S. 403). Die ersten Regungen, Ansätze und Versuche zur Einführung des Neuen mögen immerhin an dem Widerstande der Jurisprudenz scheitern, dem fortgesetzten Andrängen hält er nicht Stand. Das Erforderniß der analytischen Löslichkeit des Rechtsge- schäfts enthält keine Beschränkung in Bezug auf die Zahl und Art der zu einem und demselben Rechtsgeschäft zu combinirenden Begriffe. Die verschiedenartigsten Rechtsverhältnisse lassen sich mithin, insofern keine besondern Formvorschriften für sie aufgestellt sind, durch einen und denselben Akt ins Leben rufen, so daß also z. B. Uebertragung des Eigenthums, Nämlich selbst ohne äußern Akt der Tradition durch denselben Vertrag , der die sämmtlichen übrigen Verhältnisse begründet ( traditio brevi manu und constitutum possessorium ). Wer für Servituten Tradition verlangt, denke an die Bestellung derselben durch deductio. Bestellung von Servituten und Hypotheken, Begründung von Obligationsver- hältnissen, Cession von Forderungen, Aufgabe von Rechten aller Art zu einem einzigen Rechtsgeschäft zusammenfaßt werden dürfen. Aber ist ein solches Rechtsgeschäft in der That wohl ein einziges? Legt man den obigen Gesichtspunkt, daß die Analytik der Rechtsgeschäfte und folglich ihre Individualität in den Rechts begriffen ruht, zu Grunde, so wird man die Frage ver- neinen und vielmehr sagen müssen: es liegen hier so viel Rechts- geschäfte als Rechts verhältnisse vor, jene werden zwar sämmtlich durch einen und denselben äußern Akt vollzogen, allein dies schließt für sie die Möglichkeit und Nothwendigkeit einer Unterscheidung ebensowenig aus, wie die Verbindung mehrerer Klagen zu einer einzigen Klagschrift — es gibt einfache und Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. combinirte Rechtsgeschäfte, der Begriff der Cumulation der Klagen findet sein Seitenstück an der der Rechtsge- schäfte . Die historische Entwickelung beider im römischen Recht hat nicht gleichen Schritt gehalten. Während noch die neuere Juris- prudenz im Ganzen und Großen an dem hergebrachten Verbot der Klagen cumulation festhält (S. 35), hat sie dagegen für das Rechtsgeschäft, insoweit sie freie Hand hatte d. h. für die formlosen Verträge und Akte des neuern Rechts, dem Gedanken der Cumulation keinen Widerstand entgegengesetzt, und es unter- liegt für mich keinem Zweifel, daß sie an dem von mir aufgestellten Fall durchaus keinen Anstoß genommen haben würde. Diese Ver- schiedenheit hängt damit zusammen, daß die Strenge der Disciplin nicht bloß dem Proceß nöthiger ist, als dem Leben, sondern auch für ihn sich leichter erzwingen läßt. Mit dem Verschwinden der meisten römischen Geschäftsformen im justinianeischen und heu- tigen Recht hat das Gebiet jenes Gedankens noch beträchtlich an Ausdehnung gewonnen, und es sind fast nur das Testament und die modernen Formen des Handels- und Seerechts, welche sich ihm entziehen. Mit welchen Augen die altrömische Jurisprudenz ihn betrach- ten mußte, werden wir nicht erst zu sagen haben. Eine Juris- prudenz, die den Grundsatz der analytischen Einfachheit, den Gedanken, daß das, was begrifflich eins ist, sich auch bei seinem äußern Auftreten in concreter Gestalt als solches erweisen müsse, bei der Organisation des processualischen Verfahrens mit solcher eisernen Consequenz zur Geltung gebracht hatte, wäre auf halbem Wege stehen geblieben, wenn sie sich bei der Gestaltung des Rechtsgeschäfts seiner hätte entschlagen wollen. Wenn man einmal dem Proceß die Einrichtung gab, daß nur ein einfaches Rechtsverhältniß Zutritt zu ihm finden konnte, was lag näher, als den Zersetzungszwang (S. 21) rückwärts über den Proceß hinaus soweit zurückzuerstrecken, als man es in der Hand hatte, d. h. also bis zur Begründung des Rechtsverhältnisses durch B. Das Rechtsgeschäft. Correspondenz mit dem Proceß. §. 53. Rechtsgeschäft? Was im Proceß sich scheiden mußte, warum sollte es im Rechtsgeschäft vereint sein? Erst wenn letzteres demselben Gesetz der Analyse unterworfen war, das für jenen galt, war dem Keim der Unordnung und Verwirrung, die jede Vermischung verschiedener Rechtsverhältnisse in sich schließt, gründlich vorgebeugt. Rechtsbegriff (ich verstehe darunter den des selbständigen Rechtskörpers, B. 2 S. 372), Rechts- geschäft und Klage bildeten unter dieser Voraussetzung eine fortlaufende Linie, oder richtiger drei sich streng aneinander an- schließende und sich deckende Größen: die dialektische Fortbewe- gung eines und desselben Gedankens. In der That hat die ältere Jurisprudenz diesen höchst ein- fachen und nicht minder fruchtbaren und genialen Gedanken mit ihrer bekannten Energie erfaßt und verwirklicht. Rücksichtlich der Klage ist dies früher nachgewiesen, rücksichtlich des Rechtsge- schäfts soll es an dieser Stelle geschehen. Die Congruenz zwischen der Klage und dem Rechtsgeschäft beschränkt sich aber keineswegs auf diese ihre gemeinsame Ueber- einstimmung mit dem Begriff, den sie verwirklichen, so daß sie unter sich nur gleich wären, weil sie mit einem Dritten gleich sind, sondern sie erstreckt sich auch auf das, worin sie durch den Begriff nicht weiter beeinflußt werden, das rein Mechanische ihrer Structur. Schon bei einer andern Gelegenheit nämlich in Bezug auf das Formelwesen (B. 2 S. 646) ist das Correspon- denzverhältniß zwischen der Begründung und gerichtlichen Gel- tendmachung des Rechts von uns nachgewiesen worden. Die- ses wiederholt sich nun bei der gegenwärtigen Gelegenheit in einer Weise, daß man über die Absicht und Planmäßigkeit des- selben gar nicht im Zweifel sein kann. Die Verwandtschaft der analytischen Structur des Processes und des Rechtsgeschäfts do- cumentirt nicht bloß die Gemeinsamkeit ihrer beiderseitigen Ab- stammung von denselben Meistern, sondern ungleich mehr als das: die Gemeinsamkeit ihrer Bestimmung — beide sind ge- genseitig aufeinander berechnet , es besteht zwischen ihnen kein Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 9 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. bloßer Parallelismus, sondern ein Correspondenzver- hältniß . Die Erkenntniß dieses Verhältnisses ist für die Reproduction der Theorie des alten Rechtsgeschäfts von maßgebendem Ein- fluß. Denn wenn auch einerseits unser Quellenmaterial voll- kommen ausreicht, um uns diese Ueberzeugung selbst zu gewäh- ren, so kann und muß doch andererseits sie selber wieder dazu dienen, jenes zu ergänzen und zu vervollständigen. Sie vor Allem wird es sein, welche uns bei der Scheidung dessen, was von der Theorie des Rechtsgeschäfts der alten, und was der neuen Zeit angehört, leiten muß. In der Darstellung der römi- schen Juristen liegt beides ungeschieden nebeneinander: bei die- sem Verhältniß die Einschärfung einer Regel, die bei jenem hintangesetzt wird, bei demselben Institut Strenge in der einen und Nachgiebigkeit in der andern Richtung. Nur innere Krite- rien, die Erkenntniß des Gegensatzes der älteren und neueren Methode, können hier einen Anhaltspunkt liefern, um künstlich diese Verschlingung von Rechtssätzen, die ganz verschiedenen Epochen der Jurisprudenz entstammen, zu lösen und für diesen Zweck vermag uns gerade jene Uebereinstimmung in der Struc- tur des Processes und Rechtsgeschäfts wichtige Dienste zu leisten. Die zwei Grundgedanken der processualischen Analytik be- standen, wie früher gezeigt, in dem durch das Actionensystem gesicherten Grundsatz der Einfachheit des Rechtsverhältnisses (§. 51), oder negativ ausgedrückt: in dem der Unzulässigkeit der Klagencumulation und in der Concentrirung der gesamm- ten processualischen Action auf den Moment der Litiscontestation (S. 25). Ueberzeugen wir uns, daß beide Grundgedanken mit den eigenthümlichen Modificationen, die die besondere Natur des Rechtsgeschäfts bedingte, in der Structur des letztern sich wie- derholen. B. Das Rechtsgeschäft. Einfachheit des Rechtsverhältnisses. §. 53. 1. Grundsatz der Einfachheit des Rechts- verhältnisses . Wenn ich früher die Actio in formeller und materieller Bezie- hung als Individuum bezeichnet habe (B. 2 S. 673 u. oben S. 33), so darf ich denselben Ausdruck auch auf das Rechtsge- schäft anwenden. Das Individualitätsmoment beider beruhte auf dem Recht, das sie zum Gegenstande hatten; derselbe Grund- satz, den wir für den Proceß nachgewiesen haben: so viel An- sprüche so viel Klagen , gilt auch für das Rechtsgeschäft: so viel Ansprüche so viel Rechtsgeschäfte . Wenn dem in der That so war, so muß nicht bloß die Cu- mulation ungleichartiger Geschäfte, z. B. der Eigenthums- übertragung und der Begründung von Servituten und Obliga- tionen, sondern auch die gleichartiger Geschäfte wie z. B. der Uebertragung mehrerer Sachen oder der Bestellung meh- rerer Servituten durch einen Mancipationsakt ausge- schlossen gewesen sein. Untersuchen wir, ob dies wirklich der Fall war. Das neuere römische Recht kennt gewisse Verhältnisse, bei denen die zwei Grundelemente des ganzen Rechts, welche sonst so weit auseinander gehen, das dingliche und obligatorische, sich zu einer systematischen Einheit verbinden, nämlich das pignus, die superficies und die emphyteusis. Beide Seiten dieser Ver- hältnisse, die dingliche (das jus in re ) und die obligatorische (der Contract) werden hier durch einen und denselben Akt ins Leben gerufen, können es wenigstens. So das neuere Recht; ganz anders aber das ältere . Das Verhältniß, bei dem ihm be- reits dasselbe Problem, jene Verbindung beider Elemente tech- nisch zu gestalten, entgegentrat, war der Ususfructus . Wie löste es dasselbe? Nicht in der Weise, daß es beide zur Einheit zusammenschmolz, sondern so, daß es sie, wie sie im Begriff in- 9* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. nerlich geschieden sind, so auch im Rechts geschäft äußerlich aus- einanderhielt, d. h. daß es für jedes derselben einen besondern Akt erforderte, für das jus in re nämlich den dinglichen der in jure cessio, für das Obligationsverhältniß den obligatorischen der Stipulation ( cautio usufructuaria ). Man wende nicht ein, daß die Verbindung des dinglichen und obligatorischen Elements beim Ususfructus eine minder innige sei, als bei den drei andern Verhältnissen. Das obligatorische Band ist dem einen Verhält- niß ganz eben so nothwendig und unentbehrlich wie dem an- dern. L. 6 pr. ut in poss. (36. 4), L. 1 L. 4 Cod. de usufr. (3. 33), L. 7 Cod. ut in poss. (6. 54). R. Elvers die römische Servitutenlehre. S. 554 ff. Die Verschiedenheit ihrer Structur läßt sich mithin nur auf technische Gründe zurückführen, und sie ist um so be- zeichnender für die Methode der alten Jurisprudenz, als ja das Verhältniß selber in seiner natürlichen ökonomischen Gestalt sich als Einheit darstellt. Diese unsere Deutung müßte freilich in Nichts zerfallen, wenn sich anderweitige Beispiele einer simultanen Begründung ding- licher und obligatorischer Ansprüche aus dem älteren Recht er- bringen ließen, und in der That scheint der bekannte, bereits oft erwähnte (B. 2 S. 151, 557 u. a.) Satz der XII Tafeln über die verbindende Kraft der bei Gelegenheit der Mancipation ver- lautbarten Bestimmungen ein solches Beispiel zu gewähren. Die einzige quellenmäßig bezeugte obligatorische Wir- kung, welche sich an die Mancipation knüpft, besteht in der actio auctoritatis, der Klage aufs Doppelte im Falle der Entwährung. Wäre diese Klage nun in Wahrheit eine Wirkung der Manci- pation als solcher, so müßte sie letztere überall begleiten. Dies ist aber keineswegs der Fall. Dieselbe war vielmehr bedingt durch zwei der Mancipation völlig fremde Voraussetzungen, nämlich die: daß die Mancipation in Folge eines Kaufcontracts er- folgt und die: daß der Kaufpreis bezahlt war. Demnach bil- B. Das Rechtsgeschäft. Einfachheit des Rechtsverhältnisses. §. 53. dete die Mancipation für sie nicht den Grund , sondern bloß eine ihrer Voraussetzungen , und so wenig man die Usu- capion darum, weil sie unter ihren Voraussetzungen ein obliga- torisches Geschäft ( titulus ) zählt, als Wirkung der Obligation bezeichnen darf, eben so wenig die obige Klage als Wirkung der Mancipation . Am richtigsten dürfte man in ihr wohl eine qua- lificirte Diebstahlsklage erblicken. Der Verkäufer hat durch das Geschäft den Käufer um den Kaufpreis gebracht, ein furtum nec manifestum an ihm begangen und haftet in Folge davon aufs Doppelte. So erklärt sich auch, daß das Doppelte als nothwendige, un- abänderliche Folge der Eviction bezeichnet wird, während wenn der Ver- trag als Grundlage gegolten hätte, nicht abzusehen wäre, warum die Par- theien durch Vereinbarung den Betrag der Evictionsleistung nicht hätten erhöhen oder verringern können. — In welchem Lichte mir die Idee erscheinen muß, den Anspruch auf Evictionsleistung wegen einer mancipirten und tradir- ten res mancipi als einen Fall einer per aes et libram begründeten Schuld aufzufassen ( Huschke : Gajus, Beiträge u. s. w. S. 100) und wie ich demnach über das: secundum „ mancipium “, das dieser Schriftsteller statt des früher von ihm beliebten „ lege mancipii “ in den Text von Gaj. III. 174 aufgenommen hat, denke, brauche ich nicht erst zu bemerken. Wie wenig die Worte der XII Tafeln über die Mancipation, wenn sie wirklich einen obligatorischen Sinn ge- habt hätten, von den römischen Juristen in diesem Sinn verstan- den worden sind, Welcher Sinn für sie außerdem noch erübrigte, habe ich B. 2 S. 574 bereits angegeben; an Beispielen ähnlicher restrictiver Interpretationen fehlt es bekanntlich dem ältern Recht nicht, s. B. 2 S. 482 flg. geht schlagend daraus hervor, daß sie dem Vertrag der fiducia die Aufnahme in die Mancipationsformel versagten und ihn in die Form eines selbständigen, ursprünglich klaglosen Nebenvertrags, ich möchte sagen eines geheimen Ar- tikels (B. 2 S. 557), wiesen. Hätte er in jener Formel Platz finden können, so würde er, wie alle andern obligatorischen Akte des alten Rechts eine actio stricti juris erzeugt haben, während die aus ihm entspringende Klage in Wirklichkeit eine act. bonae fidei war, eine Klage, die an dem harten Stamm der mancipatio Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. eben so wenig gewachsen sein kann, wie eine Rose an einem Eich- baum. Bei Gelegenheit der Frage von dem Alter der actiones bonae fidei werde ich darauf zurückkommen. — Das Argument, das man aus L. 48 de pact. (2. 14) Gajus ad legem XII tabul . entnehmen könnte, wird keiner Widerlegung bedürfen. Eine interessante Parallele zu der fiducia und damit zugleich einen neuen Beleg für unsere Ansicht gewährt die Form, in der die Jurisprudenz die dem Sklaven bei seiner Freilassung vertrags- mäßig auferlegte Verpflichtung zu Dienstleistungen ( operarum obligatio ) brachte. Wenn man erwägt, daß diese Auflage bei dem Akte der Freilassung und vor der Obrigkeit erfolgte, Und zwar, wie es scheint, zum Zweck einer im Interesse beider Theile angeordneten Mitwirkung des Magistrats arg. L. 47 de oper. lib. (38. 1) .. Praetorem nonpati , Cic. ad Attic. VII, 2 a. E. . in eo, qui eadem liber non juraret. so wird man den Grund, warum sie nicht als Modus in die Formel der Manumission aufgenommen ward, sondern sich gleich der fiducia mit der Form eines mehr in das Gewissen ( fides ) geschobenen Neben- vertrages (Eid) begnügen mußte, abermals nur in unserm obigen Princip erblicken können: daß ein und derselbe Akt nicht zwei systematisch verschiedene Wirkungen (Freiheit und Obligation) hervorzubringen vermag . Demnach nehme ich keinen Anstand, den Satz aufzustellen, daß kein Akt des älteren Rechts zugleich dingliche und obligato- rische Wirkung hervorbrachte, der scharfe Gegensatz, der im älte- ren Recht zwischen den Begriffen eines dinglichen und obli- gatorischen Rechts besteht, sich vielmehr auch auf die Begründung derselben durch Rechtsgeschäft erstreckte. Wie Eigenthum und Obligation, so sind auch Eigenthum und Servitut systematisch verschieden; es müßte mithin unserem Princip zufolge eine Cumulation beider zu einem Rechtsgeschäft unstatthaft gewesen sein. Dem scheint jedoch die Möglichkeit der Deductio von Servituten bei Gelegenheit einer solennen Eigen- B. Das Rechtsgeschäft. Einfachheit des Rechtsverhältnisses. §. 53. thumsübertragung zu widersprechen. Gaj. II, 33. Vat. fragm. §. 47, 50, 51 und oben Note 89; Dirksen Vermischte Schriften I. S. 110. In Wirklichkeit aber verwandelt sich dieser Schein des Widerspruchs gerade in eine Unterstützung unserer Ansicht, denn die Form, in der jene Ser- vitutbestellung erfolgte, bestätigt unsern Grundsatz gerade durch die Art, wie sie ihm ausweicht . Es wird nämlich der Sache die Gestalt gegeben, als ob bloß eine Eigenthumsübertragung vor sich gehe, nämlich an einem mit der vom Mancipanten gewünsch- ten Servitut belasteten Grundstück. Nicht also ist der Hergang so zu denken, als ob der Mancipant erst Eigenthum übertrüge und sodann der Empfänger, auf Grund des so eben erworbenen Eigen- thums die Servitut bestellte — dann würden in der That juristisch zwei Rechtsgeschäfte vorliegen — sondern der Mancipant behält von dem, was er überträgt, etwas zurück, er zieht etwas ab ( deducit ) — eine Wendung im Geist der analytischen Methode, zu welcher der Proceß in dem „cum deductione und compensa- tione agere“ (S. 79) ein Seitenstück darbietet, und deren ma- terielle Statthaftigkeit die alten Juristen auf die oben in Be- zug genommenen Worte der XII Tafeln über die Mancipation stützen konnten. So wenig wie die Klage des Argentarius juri- stisch zwei Forderungen, so wenig hatte jener Akt zwei dingliche Rechte zum Gegenstande; das vorbehaltene Recht erschien hier, wie bei der Subtraction, mit dem Minuszeichen versehen, nicht wie bei der Addition mit dem Pluszeichen . In conse- quenter Durchführung dieses Gesichtspunktes mußte es verstattet sein, auch mehrere Servituten vorzubehalten z. B. den Nieß- brauch, eine Weggerechtigkeit u. a., während ein Gleiches meiner Meinung nach bei selbständiger Bestellung der Servituten schlechthin ausgeschlossen war, — wo die Einheit bloß auf dem Minuendus beruht, ist die Mehrheit der Subtrahenden gleichgültig. Hätte das ältere Recht bereits die übrigen jura in re gekannt, so würde es rücksichtlich ihrer sich sicherlich ganz des- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. selben Mittels bedient haben, und den Grund, daß dasselbe bei letztern nicht erwähnt wird, vermag ich daher nicht in einer syste- matischen Verschiedenheit derselben von den Servituten, sondern nur in rein historischen Verhältnissen zu erblicken. Wie Dirksen a. a. O. S. 119 es thut. Das Gegenstück zu dem eben besprochenen Fall liefert die Bestellung von Prädialservituten zu Gunsten des Erwerbers. Der bisherige Eigenthümer führt unter den dem zu übertragen- den Grundstücke zustehenden Servituten auch diejenige auf, welche er auf das von ihm zurückbehaltene Grundstück übernehmen will, es erscheint also auch hier wiederum die Servitutbestellung nicht als besonderes Rechtsgeschäft, sondern als eine Modalität der Eigenthumsübertragung. Während das praedium in jenem Fall als serviens , wird es in diesem als dominans über- geben. L. 3 L. 6 pr. L. 7 pr. Comm. praed. (8. 4). Daß ich, was hier von der traditio gesagt wird, auf die beiden Geschäftsformen im Texte be- ziehe, wird keiner Rechtfertigung bedürfen. So weit das höchst dürftige Material, welches unsere Quellen uns meines Wissens für die Frage von der Cumulation mehrerer ungleichartiger Rechtsgeschäfte darbieten. Es verbleibt uns jetzt noch die Frage von der Möglichkeit gleichartiger Rechts- geschäfte. Halten wir uns hier an die drei Grundformen des römischen Geschäftslebens (§. 46) die mancipatio, in jure cessio und sti- pulatio, so darf zunächst für die in jure cessio, wenn sonst der Schluß von der Vindication auf sie ein berechtigter ist, die Un- zulässigkeit einer solchen Cumulation unbedenklich behauptet wer- den. Konnte man nicht mehrere Gegenstände mit einem Male vindiciren, so konnte man sie auch nicht durch Scheinvindication mit einem Male vor Gericht abtreten ; dem Satz: so viel Gegenstände, so viel Vindicationen (S. 32), muß der entsprochen haben: so viel Gegenstände, so viel Akte der in jure cessio. So weit, wie das ausschließliche B. Das Rechtsgeschäft. Einfachheit des Rechtsverhältnisses. §. 53. Gebiet der in jure cessio (B. 2 S. 585) wird sich mithin auch der Grundsatz der Unzulässigkeit der Cumulation der dadurch zu bewerkstelligenden Geschäfte erstreckt haben, so daß also z. B. die Emancipation mehrerer Kinder oder die Freilassung mehrerer Sklaven durch einen Akt ausgeschlossen gewesen sein wird. Für die mancipatio hat jener Schluß von der rei vindicatio keine Geltung, und von ihr ist wenigstens in einer Anwendung, nämlich hinsichtlich der Eigenthumsübertragung, die Möglichkeit einer Cumulation ausdrücklich bezeugt. Von beweglichen res mancipi, sagt Ulpian ( Fragm. XIX, 6), lassen sich mit einem Male so viele mancipiren, als man mit der Hand fassen kann, von unbeweglichen so viel, als man Lust hat. Daß dieser Rechts- satz bereits dem älteren Recht bekannt gewesen, muß ich mir erlauben zu bezweifeln. Ich will dem Umstande, daß Gajus bei seiner Darstellung der mancipatio (I, 119—122) Nichts von ihm zu melden weiß, keine allzuhohe Beweiskraft beilegen, ob- gleich er doch immer mit ins Gewicht fällt; allein wer mir bisher gefolgt ist und eine Anschauung gewonnen hat von dem analyti- schen Geiste, der die ganze alte Jurisprudenz beseelt, von der Strenge und Folgerichtigkeit ihrer Methode, der wird, wie ich glaube, nicht anstehen, meinen Zweifel zu theilen. Man könnte mir den Einwand machen, daß die Beschränkung der Mancipa- tion auf einen einzigen Gegenstand in gewissen Anwendungsfällen z. B. bei der Uebertragung einer Heerde mit zu großen prakti- schen Unzuträglichkeiten verbunden gewesen sei. Allein abgesehen davon, daß sich für diesen Zweck die in jure cessio darbot (nach dem Vorbild der Vindication einer Heerde S. 38), so dürfte die Unbequemlichkeit nicht allzu hoch anzuschlagen sein, indem mit Hülfe einiger Sklaven, die bekanntlich der Mancipation fähig waren, Gaj. II, 87. auch die stattlichste Heerde sich stückweis in einigen Stunden mancipiren ließ. Die Stipulation kann den verschiedenartigsten Obliga- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. tions-Stoff: ein Geben, Thun und Unterlassen in beliebiger Häufung und Mischung in sich aufnehmen, es steht also nichts im Wege, die mannigfaltigsten materiellen Verträge: das Darlehn, den Kauf- und Miethcontract, die Societät u. s. w. zusammen in eine einzige Stipulation zu werfen. Daß dies be- reits im alten Recht so gewesen, muß ich mir ebenfalls erlauben in Zweifel zu ziehen. Nicht etwa bloß auf die abstracten Schlußworte der Stipulation: spondesne spondeo legte die alte Zeit das entscheidende Gewicht, so daß die Verschiedenheit des Inhalts gar nicht weiter in Betracht gekommen wäre, son- dern jene Worte hatten ursprünglich für die Stipulation keine geringere und höhere Bedeutung, als die: ajo .. esse für die in jure cessio und mancipatio, d. h. sie kennzeichneten das Ge- schäft der Gattung , nicht aber der Art nach, das eigentliche Individualitätsmoment aller dieser Geschäfte aber beruhte auf dem Gegenstand , dem Inhalt , und so wenig man auf den Grund hin die in jure cessio einer körperlichen Sache, hereditas, servitus, tutela hätte verbinden dürfen, weil das Schema ajo .. esse bei allen dasselbe war, ebenso wenig meiner Ansicht nach auf denselben Grund hin mehrere juristisch verschiedene Obli- gationsstoffe zu einer Obligation. Eine stipulatio emti, ven- diti, locati, conducti Die ursprüngliche Form des Kauf- und Miethcontracts, s. den folgenden Abschnitt. erschien den alten Juristen sicherlich nicht minder als juristisches Individuum, als nur irgend eines der so eben genannten Geschäfte, Das Individualitätsmoment fand in gewissen Schlagworten seinen formellen Ausdruck, ohne den schwerlich ein alter Jurist den bestimmten Con- tract angenommen haben würde, so z. B. die stipulatio emti in den Worten habere recte licere (vergl. die Beispiele bei Varro de re rust. II. 2, 3, 4), die stipul. conducti in den Worten: frui licere (Stellen bei Dirksen Manuale unter frui ). und unsere heutige Vorstel- lung, welche in der Stipulation nicht so sehr eine abstracte Ge- schäftsform, als einen mit den sachlich charakterisirten Verträgen B. Das Rechtsgeschäft. Einfachheit des Rechtsverhältnisses. §. 53. des Obligationenrechts auf eine Linie zu stellenden Contract erblickt, ist meiner Ansicht nach, obschon durch die spätere Ent- wickelung des Obligationenrechts bis zu einem gewissen Grade unterstützt, doch für das ältere Recht entschieden unrichtig (B. 2 S. 585, 586). Für alle Verträge gab es in alter Zeit bestimmte Formulare, und obgleich der Gebrauch derselben frei war, wie schon aus der Erwähnung mehrerer Formulare für ein und dasselbe Geschäft hervorgeht, Varro de re rust. II. 2, 5. so hielt doch der Verkehr aus gutem Grunde (B. 2 S. 312—315 flg.) die Bahnen inne, die ihm in den verschiedenen Formularen übereinstimmend vorgezeich- net waren, und gerade dieser Umstand, die Gewöhnung an den Gedanken, daß es für jedes Geschäft eines besondern Formulars bedürfe, wird den, ich möchte sagen, doctrinären Einfall, verschie- denartige Geschäfte und Formulare zu einem einzigen Stipula- tions-Ganzen zu verbinden, in alter Zeit gar nicht haben auf- kommen lassen. Und wozu auch? Um das spondesne spondeo statt zehn Mal ein Mal auszusprechen! Und um dieses Vortheils willen hätte man die Elementarbegriffe der juristischen Methode verläugnen und sich in die Lage versetzen sollen, aus dieser einen Stipulation auch eine einzige Klage (S. 40) zu geben?! Nur ein einziges Geschäft gab es, bei dem unser Grundsatz der Einfachheit nicht zur Anwendung kam und kommen konnte: das Testament . Dasselbe war jedoch nicht sowohl ein ein- ziges Rechtsgeschäft, als ein ganzer Complex von Rechtsge- schäften: nämlich Erbeseinsetzungen, Vermächtnissen, Freilassun- gen, Vormundschafts-Ernennungen. Alle diese Verfügungen, im übrigen von höchst verschiedenem juristischem Charakter, trafen nur darin zusammen, daß sie sämmtlich auf die Voraus- setzung des Todes des Erblassers gebaut waren. Es würde daher sehr verkehrt sein, das Testament mit einem einzelnen Rechtsgeschäft unter Lebenden in Parallele zu bringen; der rich- tige Gegensatz ist vielmehr der: auf der einen Seite das Testa- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. ment als Inbegriff sämmtlicher letztwilliger Rechtsge- schäfte, auf der andern Seite die Gesammtsumme aller denk- baren Rechtsgeschäfte unter Lebenden . Das Eigenthümliche der letztwilligen Autonomie im Gegensatz zu der unter Lebenden besteht nämlich darin, daß während letztere sich nur in einzel- nen Akten darstellt, nicht aber zu einem einzigen Gesammtakt sich zusammenzufassen vermag, jene umgekehrt nur in der letztern Form zur Ausübung gelangt — ein Grundsatz, den das neuere römische Recht zwar mittelst der Codicille zum Theil verlassen, dagegen für den wesentlichen Inhalt des Testaments: die Erbes- ernennung unverändert beibehalten hat. So repräsentirt uns also das Testament gewissermaßen die eine Hälfte der gesammten Autonomie des Subjects und verhält sich zu den bisher betrach- teten Rechtsgeschäften unter Lebenden ungefähr ebenso, wie die Erbschaft zu den einzelnen Vermögensrechten, und wir dürfen es mit Anspielung auf die Ausdrücke Universal- und Singularsuc- cession etwa als Universal geschäft im Gegensatz zum Sin- gular geschäft bezeichnen. Was die Römer veranlaßt hat, im Gegensatz zu dem für letzteres geltenden Grundsatz der Tren- nung für die letztwilligen Geschäfte umgekehrt den Grundsatz der Concentration aufzustellen, ist nicht schwer abzusehen. Zunächst bietet sich ein historischer Grund dar, nämlich die ur- sprüngliche Form der Testamentserrichtung in der Volksversamm- lung. Ich habe mich früher (B. 1 S. 138) für die Idee aus- gesprochen, daß das Volk die Testamente nicht bloß einfach zu vernehmen hatte, sondern daß es sie prüfen und mithin auch ver- werfen durfte, und ich bin in der Lage, den dort benutzten Grün- den noch einige andere auf die gegenwärtige Veranlassung bezüg- liche von erheblichem Gewicht hinzufügen zu können. Sollte dem Volke ein wirkliches Urtheil ermöglicht werden, so mußte der Testator ihm den ganzen von ihm entworfenen Plan der Be- erbung mittheilen; nur in diesem Gesammtzusammenhange ließen die einzelnen Bestimmungen sich wahrhaft prüfen und be- urtheilen, abgerissen von ihm als einzelne Modificationen der im B. Das Rechtsgeschäft. Einfachheit des Rechtsverhältnisses. §. 53. übrigen eintretenden, dem Volke nicht weiter bekannt gemachten Intestaterbfolge aber eben so wenig, als ein einzelner Paragraph eines Contracts ohne Einsicht des ganzen Documents. Welche Garantie aber gab es, daß der Testator wirklich den ganzen Plan vorlegte und nicht etwa bloß die Bestimmungen, welche aus dem Grunde der Sanction von Seiten des Volks bedurften, weil sie eine Abweichung vom Gesetz enthielten, im übrigen aber sich der Aussicht getröstete, daß die Intestaterbfolge zur Anwendung kommen würde? Antwort: daß man ihm diese Aussicht abschnitt m. a. W. durch den Satz: nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest. Dieser Satz, über dessen Bedeutung in unserer Literatur so viel völlig Ungesundes und Abentheuer- liches zu Tage gefördert ist, enthält meiner Ansicht nach ein so unentbehrliches Complement des alten testamentum in comitiis calatis, daß er unter ähnlichen Verhältnissen sofort und unab- weisbar wieder in Geltung treten würde. Ohne ihn hätte jeder Testator das Volk hintergehen und seine Zustimmung zu Anord- nungen erschleichen können, die dasselbe bei Vorlegung des ge- sammten Successionsplans nie gebilligt haben würde, mittelst seiner war dafür gesorgt, daß ein Testator, der das Volk betrügen wollte, sich selber betrog und sich in seinen eignen Schlingen fing. Aber noch einen andern Ausweg gab es, den man ihm versperren mußte. Angenommen, seine Absicht ging darauf, einen seiner Söhne zu enterben, er wagte aber nicht, weil er sich der Schwäche seiner Gründe bewußt war und darum die Verwerfung des gan- zen Testaments fürchten mußte, dem Volk die Sache vorzutragen. Hier hätte jener Satz eine gefährliche Anwendung erlangt, der Testator brauchte nur den Sohn gar nicht zu erwähnen, weder einsetzen, noch enterben, so war letzterer durch den Satz, welcher im Fall des Testaments die Intestaterbfolge ausschloß, beseitigt, der Testator hatte seinen Zweck erreicht und das Volk aber- mals hintergangen. Damit haben wir die Erklärung eines an- dern Satzes des altrömischen Erbrechts, nämlich daß der Testator seine sui entweder instituiren oder exherediren muß, nicht aber Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. präteriren darf; thut er es dennoch, verheimlicht er also dem Volk das Dasein derselben, so fällt der beabsichtigte Schlag auf ihn selbst zurück, sein Testament wird je nach Umständen ganz oder zum Theil (accrescere) nichtig — dieselbe Wirkung mithin, die das spätere Recht für das Erschleichen kaiserlicher Rescripte vorschreibt. L. 2 Cod. si contra jus (I, 22) .... in tacendi fraude. Auch dieser Satz war vom Standpunkt der Ver- hältnisse aus, für die er berechnet war, so nothwendig, daß er meiner Ueberzeugung nach bei gleichen Verhältnissen überall wie- der zum Vorschein kommen müßte; wenn er auch nach Wegfall derselben seine Existenz fristete, so hängt dies damit zusammen, daß er die einzige Handhabe bot, um einem Kinde, das ent- weder zur Zeit des Testaments noch nicht geboren oder aber vom Vater fälschlich für todt geglaubt wurde, den Zugang zum väterlichen Nachlaß zu verschaffen. In welcher Verbindung die für Söhne geltende Unstatthaftigkeit einer exheredatio inter ceteros mit dem obigen Gesichtspunkt steht, werde ich nicht nö- thig haben auszuführen. Unser Resultat läßt sich demnach in den einen Satz zusam- menfassen: der Testator soll dem Volk nichts Wesentliches ver- schweigen, er soll, um mich einer vulgären Ausdrucksweise zu bedienen, mit der Sprache heraus! Der im Bisherigen entwickelte historische Grund für die Universalität oder die attractive Kraft des Testaments verlor mit Einführung des Mancipationstestaments seine Bedeutung. Wenn gleichwohl die römische Jurisprudenz noch geraume Zeit an diesem Gedanken festhielt, so vermag ich die Ursache davon nicht lediglich in dem Conservativismus der Römer zu erblicken — hat ja selbst unser heutiges Recht ihn in der Gestalt, die er im spätern römischen angenommen hat, nämlich in seiner Beschränkung auf die Erbese insetzung adoptirt. Vielmehr müssen praktische Mo- tive hinzugekommen sein, und sie bieten sich ungesucht dar in der aus einer Zersplitterung der einzelnen letztwilligen Akte leicht sich B. Das Rechtsgeschäft. Concentration des Rechtsgeschäfts. §. 53. ergebenden Verwirrung und Unsicherheit in dem Bestreben, den Testator durch die Simultaneität sämmtlicher letztwilliger Ver- fügungen zur Klarheit und Einheit zu zwingen. II. Der Gedanke der Concentration des Rechts- geschäfts . Die glückliche Idee der Concentrirung des Processes auf den Moment der Litis-Contestation findet an dem alten Rechtsge- schäft ihr Seitenstück. Wie der ganze Proceß sich um diesen einen Punkt dreht (S. 25 flg.), und der Richter bei der Beurtheilung des Streitverhältnisses weder frühere, noch spätere Ereignisse ins Auge zu fassen hat, so ist auch für alle Fragen, welche sich auf die Voraussetzungen und Wirkungen des Rechtsgeschäfts be- ziehen, der Moment seiner Vornahme zum Normalpunkt gemacht. Auf diesen einen Punkt wird daher der ganze Thatbestand des Rechtsgeschäfts concentrirt, es versteinert sich in gleicher Weise, wie das Streitverhältniß, in der Gestalt die es in diesem Mo- ment an sich trägt, unempfänglich für alle Einwirkungen der Zu- kunft oder Nachwirkungen der Vergangenheit, ganz auf sich und seinen in ihm selbst zu Tage liegenden Inhalt beschlossen. Drei Momente sind es, auf denen der gesammte Bestand des Rechtsgeschäfts beruht: der Akt der Handlung , seine Vor- aussetzungen (der Thatbestand) und seine Wirkungen . Untersuchen wir, wie der Gedanke der Concentration sich bei ihnen bethätigt. 1. Requisit der Einheit der Handlung . Der Akt der Handlung muß ein einiger sein, er darf nicht gespalten, getheilt werden. Aber wer wird, kann man fragen, auch wohl auf die Idee kommen, eine Handlung, die er in einem Moment vornehmen kann, zu theilen, den Anfang eines Satzes jetzt, das Ende nach einer Stunde auszusprechen? Ge- wiß! bei Rechtsgeschäften, welche in einem bloß momentanen Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Handeln einer einzigen Person bestehen, braucht die Einheit des Akts nicht erst vorgeschrieben zu werden, sie macht sich fac- tisch von selbst, denn es fehlt an jeder Versuchung zum Gegen- theil. Ganz anders aber bei Rechtsgeschäften, welche, wie das mündliche Testament, regelmäßig eine längere Dauer in Anspruch nehmen oder ein Handeln mehrerer Personen erfordern, wie z. B. die Verträge. Bei ihnen hat das Recht, wenn es einmal die Einheit des Akts beachtet wissen will, auch allen Grund sie ausdrücklich zu fordern. Unsere Quellen erwähnen dieses Re- quisit zwar nur für das Testament, die Stipulation und die tutoris auctoritas, Für das Testament : L. 21 §. 3 qui test. (28. 1): uno con- textu actus, für die Stipulation : L. 137 pr. de V. O. (45. 1) con- tinuus actus (B. 2 S. 582), für die tut. auctor. §. 2 I. de auct. tut. (1. 21) statim in ipso negotio. allein es unterliegt mir nicht dem gering- sten Zweifel, daß dasselbe für sämmtliche Geschäfte des älte- ren Rechts gegolten hat. Für die mancipatio (und mithin auch das nexum ) und die in jure cessio erblicke ich eine indirecte Bestätigung desselben in dem Erforderniß der Gegenwart der Partheien. Für das Obligationenrecht hängt die Richtigkeit dieser Behauptung von dem an späterer Stelle zu erbringenden Be- weise ab, daß die formlosen Verträge ihre Klagbarkeit erst dem neuern Recht verdanken. Mit dem nackten Aussprechen dieses Grundsatzes ist aber wenig gewonnen; einen wirklichen Werth kann er vielmehr nur dadurch gewinnen, daß wir uns seiner Consequenzen, sowie der Bedingungen seiner praktischen Durchführbarkeit bewußt werden, und das erreichen wir am ersten, wenn wir des Gegensatzes wegen einen Blick auf das spätere Recht werfen. Bei allen Rechtsgeschäften, welche ein Handeln mehrerer Personen erfordern, ist die Einheit des Akts (ich abstrahire da- bei von der erst unsern Tagen angehörigen Telegraphie) bedingt durch die Anwesenheit derselben an demselben Ort — Einheit der Zeit ist Einheit des Raums , Trennung im Raum ge- B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53. trenntes Handeln. Will das Recht den Grundsatz der Einheit des Akts, so muß es zugleich den der Einheit des Raums auf- stellen. Letzteres ist aber nur da durchführbar, wo der Raum, auf dem der Verkehr sich bewegt, ein engbegränzter ist, so daß die Contrahenten ohne beträchtlichen Zeitverlust und große Un- bequemlichkeiten sich zu einander verfügen können, es wird aber unmöglich, sobald der Verkehr eine so beträchtliche geographische Ausdehnung gewonnen hat, daß die handelnden Personen nicht selten durch Meere und ganze Länder geschieden sind. So stellt sich also der Grundsatz der Einheit der Zeit und des Raumes dar als wesentlich bedingt durch den geographischen Umfang der Handels- und Verkehrsbewegung, und es wird jetzt nicht minder begreiflich erscheinen, daß das ältere Rom bei seinem kleinen Stadtgebiet jenen Grundsatz aufstellen und durchführen, als daß das spätere Rom sich von ihm lossagen mußte. Das alte Rechtsgeschäft und das alte Staatsgebiet standen in engster Beziehung; als letzteres sich mehr und mehr erweiterte, mußte das Rechts- geschäft ihm nach, es hatte in seiner Weise sich ebenso von der Schranke des Raumes frei zu machen, wie dies der Handel in der seinigen gethan hatte. Die althergebrachten Geschäfte des Civilrechts waren aber bereits zu sehr erstarrt, um dem entspre- chend ihre ganze Structur ändern zu können; was ihnen abge- rungen wurde, bestand nur in einzelnen Concessionen, die ich, weil sie durch ihren Gegensatz das alte Recht zu erläutern ver- mögen, schon an dieser Stelle mittheilen will. Eine principielle Anerkennung hingegen fand jene Forderung bei den Verträgen des jus gentium, die uns ja das eigentliche Handelsrecht des römischen internationalen Verkehrs darstellen, und es gehört zu ihrer Signatur im Gegensatz zu denen des eigentlichen jus civile, daß sie den Gedanken der Emancipation vom Raum verwirklicht haben. Ihre Betrachtung liegt jenseits der Gränzen unserer Aufgabe, da ihre Entwickelung zu selbständi- gen, der Stipulation zu ihrer Klagbarkeit nicht mehr bedürftigen Contracten der dritten Periode anheimfällt. Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 10 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Wenn mehrere Miteigenthümer eine Prädial-Servitut erwer- ben oder bestellen wollten, so mußten sie dies nach älterm Recht gemeinsam mittelst eines Aktes thun; nach neuerm können sie einzeln handeln. L. 11 de S. P. R. (8. 3), L. 18 Comm. praed. (8. 4); über das folgende Beispiel im Text s. L. 8 §. 2 de opt. leg. (33. 5). Sämmtliche Einzeln-Akte bleiben aber so lange suspendirt, bis der letzte noch fehlende hin- zugekommen ist, und das römische Recht verlangt daher die Fortdauer der Vor- aussetzungen in der Person der Handelnden bis zu diesem Moment, so daß also z. B. im erstern Fall der Tod oder die Veräußerung das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts hindert. Ganz dasselbe nimmt das römische Recht für alle noch in der Entstehung begriffenen Rechtsverhältnisse an, wie ich an einem an- dern Ort nachweisen will. Eine andere denkbare Gestaltung der Sache ist die, daß das Verhältniß nicht bloß stückweis begründet werden darf, sondern daß es auch stückweis fest wird; unser Handelsgesetzbuch hat sie, und wie ich glaube, aus gutem Grunde, für den Abschluß der Verträge unter Abwesenden adoptirt, dem römischen Recht ist sie fremd. Wenn mehrere Legatare gemeinschaftlich ein Wahlrecht auszuüben haben, so verstattet das neuere Recht jedem die abgesonderte Vornahme; daß das ältere sich dazu nicht ver- standen haben kann, bedarf nicht der Bemerkung. Die Correal- obligation begründet zwischen den verschiedenen Theilnehmern ein und dasselbe Obligationsverhältniß, consequenterweise erforderte daher die alte Jurisprudenz Begründung desselben durch einen einzigen Akt, So mit Bezugnahme auf pr. I. de duob. reis (3. 16) und L. 12 pr. D. ibid. (45. 2): Ribbentrop Correalobl. S. 112 (das neuere Recht S. 114 das.) und Schrader ad §. 3 I. de fidejuss. (3. 20), welcher noch auf Plautus Trinummus V. 2, 39 verweist. das neuere Recht hingegen verstattet getrenntes Handeln. Das ältere Recht verlangt, daß die Testamentszeugen gleichzeitig fungiren, das prätorische verstattet die Vornahme des einzigen Akts, von dem es die Bonor. poss. secundum tabulas abhängig macht (Versiegeln) für jeden abgesondert — eine Be- hauptung, deren Beweis ich mir freilich für das dritte System vorbehalten muß. Der Tutor eines Unmündigen muß seine autoritas sofort ertheilen, also gegenwärtig sein, der Curator eines Minderjährigen kann seine Einwilligung vorher oder nach- B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53. her erklären, also abwesend sein — eine Verschiedenheit, deren Grund ich nicht in der verschiedenen Auffassung des Wesens der tutoris auctoritas und des consensus curatoris, sondern lediglich darin erblicke, daß erstere dem älteren, letzterer dem neuern Recht angehört. Der Grundsatz der Einheit der Handlung erlitt meiner Ansicht nach noch eine andere Anwendung, die unserer heutigen Vorstel- lung ziemlich fern liegt. Sie bestand darin, daß alle Nach- träge zum Rechtsgeschäft ausgeschlossen waren. Der alten Jurisprudenz erschienen diese Nebenschößlinge des Rechtsge- schäfts als etwas nicht zu Duldendes, sie verlangte, daß alles, was mit dem Rechtsgeschäft gelten wolle, auch mit ihm ent- standen sein, in ihm stecken müsse. Ihrer Theorie nach ver- mochte das Rechtsgeschäft nur ein Doppeltes: das Verhältniß, das es zum Gegenstand hat, begründen oder aufheben, nicht aber es modificiren ; wer letzteres beabsichtigt, muß dies in der Weise bewerkstelligen, daß er das Verhältniß ganz neu begründet, L. 21 §. 1 Qui test. (28.1) Si quid post factum testamentum mutari placuit, omnia ex integro facienda sunt. z. B. die Obligation novirt — die alte Jurisprudenz duldet kein Flicken . Wie die lebenden Wesen den Körper, den sie bei der Geburt mit auf die Welt bringen, bis an ihr Ende beibehalten, so auch die Rechtsverhältnisse. Daß darin eine Anwendung des Grundsatzes der Einheit der Handlung liegt, wird keines Nachweises bedürfen. Jeder Nach- trag enthält ein vergessenes Stück Handeln, die Totalität des Handelns, die sich sonst in dem einen Akt des Rechtsgeschäfts concentrirt, zersplittert und zerstreut sich, wenn man Nachträge zuläßt, in einzelne Akte und Zeitmomente, dieses Stück des Rechtsverhältnisses entsteht in diesem, jenes in jenem Moment — die Einheit der Zeit ist preisgegeben. Auch nach dieser Richtung hin hat die neuere Jurisprudenz sich bis zu einem gewissen Grade von dem Grundsatz der Einheit der Handlung losgesagt, wie folgende Fälle zeigen werden. 10* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Nach älterm Recht mußte der Testator des unbedeutendsten Nachtrages wegen das ganze Testament von neuem machen, das neuere überhebt ihn dieser Mühe, indem es ihm zu dem Zweck die Form des Fideicommisses und Codicills zur Verfügung stellt. Der Fortschritt, den die Idee des Codicills für die Geschichte des römischen Erbrechts bezeichnet, besteht nicht in der Einführung der Formlosigkeit — das war im Gegentheil eine Verschlechte- rung, und das spätere Recht ist mit gutem Grunde zur Form zurückgekehrt — sondern in der theilweisen Losreißung von dem Grundsatz der Concentrirung des letzten Willens zu einem Akt (S. 40), kurz in der Ermöglichung eines Singulargeschäfts auf dem Gebiet des Erbrechts. Nach Abschluß des Vertrages werden die Partheien noch über einige Abänderungen einig: welche Kraft haben dieselben? Nach älterm Recht gar keine, denn wenn einmal die Worte der Stipulation gesprochen sind, so ist letztere für immer fixirt, und es hätte, um jene Bestimmungen nachzutragen, eines neuen Stipulationsaktes bedurft. Nach neuerm dagegen muß man unterscheiden, ob sie sofort d. h. im unmittelbaren Anschluß an den Akt, oder ob sie erst später getroffen sind. Im ersten Fall fügen sie sich noch als integrirende Bestandtheile dem Rechtsgeschäft sel- ber ein und zwar sowohl bei den bonae fidei Contracten als der Stipulation, Für jene L. 7 §. 5 de pact. (2. 14) .. ex continenti .. in in- gressu contractus. L. 72 de cont. emt. (18. 1), für diese L. 40 de R. Cr. (12. 1). im letztern Fall haben sie eine positive (d. h. Klage erzeugende) Wirkung nur dann, wenn sie sich unter den Gesichtspunkt eines neuen Contractsabschlusses bringen lassen, sonst d. h. also in ihrer Gestalt als Zusätze haben sie nur eine negative (Exceptions-) Wirkung. L. 72 cit. L. 7 §. 6 de pact. L. 13 Cod. ibid. (2. 4) L. 44 §. 2 de O. et A. (44. 7). Die Exceptions form zeigt, daß der Zusatz kein Stück des ursprünglichen Vertrages wird, ihm vielmehr als etwas Selbstän- diges äußerlich gegenüber tritt. Zu dem Gedanken einer B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53. positiven Kraft des Nachtrages wollte selbst die spätere Juris- prudenz trotz ihrer sonstigen Freiheit von den Traditionen der alten Methode Eine solche Frage, wie die von Pomponius und Ulpian in L. 7 §. 6 cit.: si igitur in totum (abiri ab emtione) potest, cur non et pars ejus pactione mutari potest? wäre im Munde eines alten Juristen undenkbar ge- wesen. sich nicht verstehen — sicherlich nicht darum, weil derselbe ihrem juristischen Auffassungsvermögen als et- was Unmögliches erschienen wäre (wie etwa die Idee eines Nach - zeugens), sondern weil sie eine solche Zersplitterung für praktisch bedenklich hielt. Den einzigen mir bekannten Ausnahmsfall ent- hält die act. de pecunia constituta des prätorischen Edicts; die Ausnahme bestand aber nicht darin, daß das Constitutum die ursprüngliche Schuld selbst modificirt hätte — unter dieser Vor- aussetzung hätte es verstattet sein müssen, den Inhalt des Con- stitutums mit der ursprünglichen Contractsklage geltend zu machen — sondern darin, daß hier eine Accession zum Haupt- vertrag als selbständiger Verpflichtungsgrund anerkannt ward. Das Constitutum bietet uns demnach ein Seitenstück zu dem Co- dicill; beide überheben der Mühe, eines einzelnen Zusatzes we- gen das ganze Geschäft von neuem vorzunehmen. Daß die ältere Jurisprudenz, selbst wenn sie den Begriff der Exception gekannt hätte, den Zusatz-Verträgen nicht einmal die Wirkung einer Ex- ception hätte zugestehen können, bedarf nicht erst der Bemerkung; denn was hätte dies anders geheißen, als den Grundsatz der Einheit der Handlung verläugnen? Zwei Rechtsgeschäfte scheint aber dennoch das ältere Recht gekannt zu haben, welche unserm Princip der Einheit des Akts spotteten: die Emancipation und Adoption. Beide erforderten nämlich statt eines einzigen Akts bei Söhnen sechs oder sieben, bei Töchtern und Enkeln zwei Akte, die wiederum durch einen längern Zwischenraum getrennt sein konnten. Womit es zusam- men hing, daß beide Geschäfte durch dreimaligen oder einmaligen Verkauf vorbereitet werden mußten, ist an früherer Stelle (B. 2 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. S. 190, 484) angegeben. Daß der Zustand des Mancipiums, durch den die Personen hindurch mußten, längere Zeit dauern konnte (B. 2 S. 558, 559), steht unserer Regel nicht entgegen; die Akte , welche ihn begründeten und wiederum aufho- ben , waren gewöhnliche Rechtsgeschäfte. So gilt demnach der Grundsatz der Einheit der Handlung für das ältere Recht ganz ausnahmslos — ein zerstückeltes Handeln, bestehe es darin, daß mehrere Personen, die gemein- sam ein Verhältniß zu errichten haben, abgesondert die einzelnen Akte vornehmen, oder darin, daß die Handelnden dem Rechts- geschäft spätere Zusätze hinzufügen — ein solches Handeln hat für das ältere Recht gar keine Wirkung. 2. Präsenz des Thatbestandes . Zu dem Akt der Handlung gesellen sich noch verschiedene Er- fordernisse hinzu, welche theils die persönliche Fähigkeit des Han- delnden, theils den Gegenstand und den Inhalt des Rechtsge- schäfts, theils gewisse durch den Zweck desselben gebotene Vor- aussetzungen betreffen. In welchem Moment müssen dieselben vorhanden sein? Darauf ertheilt das ältere Recht die Antwort: im Moment der Handlung, und man möchte glauben, daß eine andere Antwort kaum möglich sei, denn wie könnte das Dasein jener Voraussetzungen in einem früheren oder späteren Moment ihren Mangel im Moment der Handlung ersetzen, da letztere erst durch sie ihre Bedeutung und Wirksamkeit erlangt? Wie kann man schießen mit vergangenem oder zukünftigem Pulver? Wenn die alten römischen Juristen sich durch diesen Schein logischer Nothwendigkeit haben bestechen lassen, so sind wenigstens die spätern durch den Fortschritt des Verkehrs und den Drang der Verhältnisse gezwungen worden, sich des Vorurtheils zu entschlagen und sich bewußt zu werden, daß ein Handeln in Er- wartung und unter Voraussetzung des künftigen Eintritts der Erfordernisse, oder gebrauchen wir dafür den Ausdruck: anti- cipirtes Handeln durchaus nichts Widersinniges hat. Die B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53. auf die äußerste Spitze getriebene Ausnutzung des Realcredits im spätern römischen Verkehr und die damit gleichen Schritt haltende civilistische Nachgiebigkeit der römischen Jurisprudenz brachte es bis zu dem Punkt, daß man den Akt der Verpfän- dung vornehmen konnte zu einer Zeit, wo noch alle und jede Voraussetzungen zum Pfandrecht fehlten: die Forderung, der Gegenstand, das Eigenthum des Verpfänders an demselben — ein nackter, abstracter Akt, ein Futteral ohne Inhalt, ein Rechts- geschäft „in blanco“! Vergleicht man den Entstehungsproceß eines solchen erst spä- ter substantiirten Rechtsgeschäfts mit dem eines von Anfang an in sich fertigen, so besteht die Verschiedenheit darin, daß derselbe sich bei jenem über einen ganzen Zei traum hinzieht, bei diesem in einen Zei tpunkt fällt, daß dort die einzelnen Erfordernisse hinter einander, hier neben einander auftreten — ein Gegen- satz, den wir passend als successive und simultane Ent- stehungsweise bezeichnen können. Es liegt auf der Hand, daß derselbe von eingreifender Be- deutung ist. Verstattet man einmal die Anticipation des Rechtsgeschäfts, so drängt die Consequenz mit Nothwendigkeit auch zur Zulassung der Ratihabition und Convalescenz desselben. Denn wenn einmal das Gesetz der Gleichzeitigkeit in der Richtung aufgegeben ist, daß der Wille dem sonstigen That- bestand des Rechtsgeschäfts voraneilen kann ( Anticipation ), warum sollte er ihm nicht umgekehrt auch nachfolgen können ( Ratihabition ), und wenn das Rechtsgeschäft durch aus- drückliche Willenserklärung in dem einen und andern Fall nach- reifen kann, warum nicht auch ohne solche Erklärung durch bloßes objectives Eintreten seines Thatbestandes ( Convales- cenz )? Alle diese drei Begriffe sind aufs Engste mit einander verwandt; sie beruhen sämmtlich auf dem Gedanken der succes- siven Entstehungsweise. Solche langgestreckte Rechtsgeschäfte, wie sie bei dieser Ent- stehungsweise zu Tage treten, wären dem älteren Recht wahr- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. scheinlich als civilistische Mißgeburten erschienen. Das alte Rechtsgeschäft hat ein bloß punktuelles Dasein, die Minute oder Sekunde, in die es fällt, entscheidet bei ihm über Sein und Nichtsein; von der Zeit hat es nichts zu hoffen und nichts zu fürchten; was ihm fehlt, kann die Zukunft ihm nicht geben, was es einmal hat, ihm nicht entziehen, es ist von vornherein absolut fest und unabänderlich. Nur zwei Ausnahmen läßt das ältere Recht zu: das Testament und die bedingte Obligation (s. u.); beide erwarten die Entscheidung über ihre Existenz erst von der Zukunft, befinden sich also bis dahin im Zustande des Werdens (der Pendenz ). Wir wenden uns zunächst der Regel zu. Sie wird in unsern Quellen in einer doppelten Fassung an- erkannt, in der positiven : über die Existenz des Rechtsgeschäfts entscheide die Zeit des Abschlusses, Für die Stipulation : L. 26 de stip. serv. (45. 3): ex prae- senti vires accipit. L. 78 pr. de V. O. (45. 1): id tempus spectatur, quo contrahimus. L. 83 §. 5 L. 137 §. 6 ibid., L. 144 §. 1 de R. J. (50. 17); für Vermächtnisse die regula Catoniana L. 1 pr. de reg. cat. (34. 7), L. 41 §. 2 de leg. II. (31). Neueres Recht: L. 5 ibid. reg. caton. ad novas leges non pertinet; für letztwillige Bestimmungen überhaupt L. 201 de R. J. (50. 17) .. si initium sine vitio ceperint. in der negativen : was von Anfang an ungültig sei, könne durch spätere Ereignisse nicht zu Kräften kommen. L. 210 de R. J. (50. 17) .. ex postfacto convalescere non potest. L. 41 §. 2 de leg. I. (30). Außer diesen allgemeinen Aussprüchen enthalten unsere Quellen noch eine Reihe einzelner Anwendungs- fälle, welche der folgenden Darstellung zur Grundlage dienen. Die erste Voraussetzung der Gültigkeit einer jeden Hand- lung ist die persönliche Fähigkeit der handelnden Personen, und auf dieses Requisit hält auch noch das neuere Recht so streng, daß es die Umgehung desselben sei es in Form der Anticipation sei es in der der Ratihabition oder der Convalescenz fast aus- nahmslos verwirft. Wo der Schein des Gegentheils besteht, verbirgt sich regelmäßig Eine eigenthümliche Gestalt nahm dieses Erforderniß beim Testament an, insofern es nämlich nicht auf die B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53. dabei thätigen Personen: den Testator und die Zeugen be- schränkt, sondern auch auf die honorirten Personen, gleich als ob dieselben dabei ebenfalls wenigstens geistig in Thätigkeit träten, erweitert ward. Eine Consequenz davon war, daß sie selbst nicht auf den Fall der künftigen Fähigkeit bedacht werden konnten — ein Gesichtspunkt, aus dem sich auch die Unzulässig- keit der Einsetzung von postumi erklärt. Neueres Recht: Einsetzung der postumi und unfähiger Personen auf den Fall der Fähigkeit L. 62 pr. de her. inst. (28. 5), L. 51 pr. de leg. II. (31) . Die persönliche Fähigkeit, sowohl die Rechts- als Hand- lungsfähigkeit, braucht nur im Moment der Handlung vor- handen zu sein, L. 2 qui test. (28. 1) .. ejus temporis, quo testamentum facit. der spätere Wegfall derselben ist für das Rechts geschäft , welches als Akt keine Dauer hat, völlig gleichgültig; inwieweit das Rechts verhältniß dadurch be- troffen werden kann, gehört nicht hierher. Daß und warum bei pendenten Rechtsgeschäften die Fortdauer der persönlichen Rechtsfähigkeit erforderlich ist, kann erst unten entwickelt werden. Die zweite Voraussetzung des Rechtsgeschäfts ist die juri- stische Möglichkeit seines Inhalts . Die neuere Jurisprudenz läßt in manchen Fällen Verträge auf den Fall der künftigen Möglichkeit zu, z. B. L. 61 de cont. emt. (18. 1), L. 31 L. 98 de V. O. (45. 1), L. 41 §. 2 de leg. II. (31), L. 98 de cond. (35. 1), s. jedoch L. 34 §. 2 de cont. emt. (18. 1), L. 83 §. 5 de V. O. (45. 1) . von der ältern haben wir kein Beispiel. Die dritte Voraussetzung ist das Vorhandensein der con- creten Verhältnisse, durch welche die Wirksamkeit der Disposition bedingt ist, z. B. des Eigenthums, wenn es sich um eine Ver- fügung handelt, die nur der Eigenthümer mit Erfolg treffen kann, der Erbschaft, wenn sie angetreten oder ausgeschlagen wer- den soll. Gerade nach dieser Seite hin hat das neuere Recht sich unter dem Gewand der Convalescenz oder Ratihabition eine neue, formlose Wiederholung des Rechtsgeschäfts, s. z. B. L. 1 §. 1 de leg. III. (33), L. 65 §. 1 de R. N. (23. 2), s. jedoch L. 7 §. 18 de pact. (2. 14) . Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. weit von den Traditionen der alten Theorie entfernt, wie die folgende Darstellung zeigen wird. „ Was man selber nicht hat, kann man auch nicht auf einen Andern übertragen “ — folglich, fügt das ältere Recht hinzu, auch nicht vorher, bevor man es hat, allein das neuere setzt sich über diese vermeintliche Consequenz hinweg. L. 4 §. 6 de off. proc. (1. 16) .. est enim perquam absurdum, antequam ipse jurisdictionem nanciscatur … alii eam mandare, quam non habet, gleichwohl läßt der Jurist die eventuelle Uebertragung der Juris- diction zu. Andere Beispiele: die Verpfändung zukünftiger Sachen, die Ces- sion betagter ( L. 43 Mand. 17. 1) und bedingter ( L. 73 §. 1 ad leg. Falc. 35. 2) Forderungen. „ Was man nicht hat, kann man nicht aufgeben “ — folglich, sagt das ältere Recht, auch keine Erbschaft ausschla- gen, bevor sie deferirt ist L. 18 de acq. her. (29. 2). Is potest repudiare, qui et acqui- rere potest. In allgemeiner Fassung: L. 174 §. 1 de R. J. (50. 17): quod quis si velit, habere non potest, id repudiare non potest. — ein Schluß, den unser heutiger Erbverzicht widerlegt. „ Was Einem nicht angeboten, kann man auch nicht annehmen “ — folglich, sagt das ältere Recht, keine Erbschaft, bevor sie deferirt ist, die Bonorum possessio läßt sich nach neuerm Recht schon vorher ( intra alienam vicem ) agnos- ciren. Dispositionen, welche zu ihrer Wirksamkeit das Eigenthum voraussetzen, z. B. die Freilassung des Sklaven, L. 20 qui man. (40. 9); Convalescenz nach neuerm Recht in dem Fall der L. 20 § 1 de cond. inst. (28. 7) . das Vin- dicationslegat, Bei fungiblen Sachen genügte das Eigenthum im Moment des Todes, bei nicht fungiblen mußte es außerdem im Moment der Testaments- errichtung vorhanden sein. Gaj. II. 196. erfordern dasselbe im Moment ihrer Vor- nahme. Consequenterweise mußte die ältere Jurisprudenz dasselbe auch für die Obligation annehmen, wo sie den Gegenstand oder die Voraussetzung eines Rechtsgeschäfts bildet. Die neuere dagegen läßt hier eine Anticipation zu, so z. B. die Novation, B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53. Delegation, Acceptilation einer bedingten , die Verbürgung für eine zukünftige Schuld. Novation L. 8 §. 1 de novat. (46. 2), s. jedoch L. 41 de cond. (35. 1), Delegation L. 8 §. 2 ibid., Acceptilation L. 12 de ace. (46. 4), Bürgschaft in Form der fidejussio §. 3 I. de fidej. (3. 20), L. 6 §. 2 de fidej. (46. 1), Constitutum L. 19 pr. de pec. const. (13. 5) . An letzterer würde das alte Recht ganz besonders Anstoß ge- nommen haben, Daß eine Verbürgung für eine zukünftige Schuld in Form der sponsio und fidepromissio nicht möglich gewesen, nimmt auch Schrader ad §. 3 I. cit. an. Ueber den im Texte geltend gemachten Gesichtspunkt der Accessionsqualität s. Gaj. III. 119 „accedere“. denn es erblickt in der Bürgschaft ein Ac- cessorium der Hauptschuld; daß aber das Accessorium der Haupt- sache vorangehen sollte, ist dem Geist des ältern Rechts völlig zuwider. Einen Beleg gewährt der Satz, daß der testirende Vater das Pu- pillartestament nach dem seinigen errichten muß; dieses ist das „principale“, jenes die „sequela“, die secundae tabulae L. 2 §. 2 pr. de vulg. subst. (28. 6), §. 5 I. ibid. (2. 16), der Testator darf also nicht „convertere ordi- nem scripturae“ L. 2 §. 4 cit. S. auch B. 2 S. 642 Nr. 4. Das vierte Erforderniß eines jeden Rechtsgeschäfts ist die Angabe des concreten Willens inhalts , also die des Gegen- standes, der Summe, des Rechts der gegenüberstehenden Per- son. Daß auch diese Momente ins Ungewisse gestellt werden können, lehrt ein Blick auf das spätere und (rücksichtlich der Per- sonen) auf das heutige Recht. Der Testator legirt „so viel, als der Legatar den Gesetzen nach von der Masse bekommen kann“, L. 51 pr. de leg. II. (31) . der Promittent verspricht „so viel, als das Urtheil erkennen oder als ein Anderer schuldig werden werde“. L. 9 Jud. solv. (46. 7), L. 55 de fidej. (46. 1), L. 89 de V. O. (45. 1), L. 8 §. 2 de novat. (46. 2) . Der Arrogator eines Un- mündigen verheißt dessen Nachlaß, im Fall derselbe während der Unmündigkeit versterben sollte, „denen, welchen er gebührt“, Ueber den Kunstgriff, den die Juristen dabei anwendeten, an anderer Stelle. der Auslobende heutzutage den Lohn „dem, der die Leistung vor- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. nimmt“, der Wechsel wird indossirt ohne Angabe des Indossatars ( in blanco ) — kurz dieser Gedanke der Erstreckung des Rechtsge- schäfts auf unbestimmte Verhältnisse und Personen hat im spä- tern römischen und im heutigen Recht eine sehr weite Ausdehnung erhalten. Daß das ältere Recht ihm keinen Zutritt gewähren konnte und gewährt hat, braucht nicht erst gesagt zu werden. Beispiele der entgegengesetzten Behandlungsweise: L. 20 pr. de test. tut. (26. 2), L. 6 §. 1 quod cuj. (3. 4) cf. L. 3 de proc. (3. 3) . Daß der cognitor ursprünglich unbestimmt und generell hätte ernannt werden kön- nen ( Keller Civilpr. §. 52), halte ich für völlig unmöglich. Es war ein Gedanke, dem die Jurisprudenz ohne die größte Ge- fahr für die Ordnung und Festigkeit des Rechts sich erst hingeben durfte, als sie, im sichern Besitz der technischen Meisterschaft, der engen Formen und strengen Regeln entrathen konnte, durch welche die ältere sich die technische Beherrschung des Rechts hatte sichern müssen. Daß jene völlig elastische, nach allen Seiten hin offene Structur des Rechtsgeschäfts eine große Gefahr in sich schließt, wer sähe das nicht? Von der höchsten Freiheit bis zur Unge- bundenheit und Anarchie ist auch hier nur ein Schritt, und es war ein richtiges Gefühl, welches die alte Jurisprudenz leitete, hier, wie so oft, der größern Sicherheit des Rechts vor der größern Bequemlichkeit den Vorzug zu geben. Oder war jene etwa zu theuer erkauft? Waren die knappen Formen, in die man das Rechtsgeschäft wies, vielleicht zu eng, verkümmerten sie dem Verkehr das nöthige Maß der freien Be- wegung? Die folgende Betrachtung soll uns Antwort auf diese Frage geben. Kein Verkehr, und wäre er noch so niedrig entwickelt, vermag sich ausschließlich auf die Verhältnisse in der Gegenwart zu be- schränken; schon die einfachsten Bedürfnisse treiben den Menschen in die Zukunft , und das Recht muß ihm die Formen gewäh- ren, um sich die Zukunft zu sichern. Wer könnte, wenn er für den Bau eines Hauses einer Servitut bedarf, warten, bis das Haus gebaut ist, oder wenn er über ein halbes Jahr eine Wohnung B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53. nöthig hat, bis dahin den Miethcontract aufschieben? Daraus ergibt sich die Nothwendigkeit des dies . Allein der dies reicht nicht aus. Die Dispositionen für die Zukunft hängen in ihrer Zweckmäßigkeit und Nothwendigkeit oft noch von zukünftigen Verhältnissen ab; dürfte man sie nur schlechthin treffen, so müßte man in manchen Fällen sich ihrer zunächst gänzlich enthal- ten. Darauf beruht das Verkehrsbedürfniß der Bedingung . Erst sie verleiht der Idee der rechtlichen Beherrschung der Zukunft ihre volle Verwirklichung, indem sie das Mittel ge- währt, Combinationen, Berechnungen, Erwartungen, kurz das bloß Mögliche mit derselben Sicherheit, als wäre es bereits wirklich , in den Kreis unserer Operationen zu ziehen — sie emancipirt von der Schranke der Gegenwart und ermöglicht es, die Zukunft von sich, ohne sich von ihr abhängig zu machen . Die im Text entwickelte Bedeutung der Bedingung ist von den rö- mischen Juristen mit gewohntem Takt vollkommen richtig erfaßt, indem sie das Moment des Zukünftigen in die Definition der Bedingung aufnehmen und als Kriterium der ächten Bedingung den Zustand der Pendenz d. h. des Werdens bezeichnen; ein bedingtes Geschäft ist ihnen ein werdendes , aber ein solches, welches die gesetzlichen Bedingungen seines Werdens bereits vollständig in sich trägt und nur ein seinem abstracten Thatbestand fremdes, aber für den concreten Entschluß wesentliches Moment zu über- winden hat. Für den Verkehr unter Lebenden verweist das ältere Recht jenen Gedanken der freien Disposition über die Zukunft aus- schließlich in die Form der bedingten und betagten Obligation , für das Testament realisirt es ihn theils durch den Grundsatz der freien Widerruflichkeit desselben, theils durch Zulassung des dies und der conditio. Alle Rechtsgeschäfte unter Lebenden mit Ausnahme der Obli- gation sind auf die Gegenwart beschränkt; der zunächst für die Klagformen des alten Processes und die in jure cessio ausge- sprochene Satz: daß sie sämmtlich auf die Gegenwart lauten, Vat. fr. §. 49 nulla legis actio prodita est de futuro. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. gilt auch für die Formeln der Rechtsgeschäfte. Darin liegt also die Ausschließung sowohl des dies als der conditio. Von der Bedingung kennt das alte Recht nur eine Art: die Suspensivbedingung ; die Resolutivbedingung ist ganz jungen Datums. Sie verstößt nämlich gegen den Grundsatz der Einfachheit des Rechtsgeschäfts (S. 131), denn in ihrer ursprünglichen Gestalt war sie nichts als eine dem Hauptgeschäft hinzugefügte, auf Rückgabe gerichtete Neben- obligation unter einer Suspensivbedingung, ihre Betrachtung fällt daher dem dritten System anheim. Wenn es jene nun ausschließlich auf die Obligation beschränkt, Die Vat. fr. §. 329 erwähnen als Fälle der Unzulässigkeit der Hin- zufügung einer Bedingung: die Bestellung eines cognitor, die mancipatio, acceptilatio (L. 4. de accept. 46. 4) und expensilatio; zu ihnen fügt L. 77 de R. J. (50. 17) hinzu: die hereditatis aditio, servi optio und datio tutoris (L. 6 §. 1 de tut. 26. 1) und L. 8 de auct. (26. 8) die tutoris auctoritas. Ueber die in jure cessio s. Note 208; die manumissio vindicta braucht nicht erst erwähnt zu werden. den Verkehr also überall, wo der Entschluß zu irgend einem Geschäft noch von zukünftigen Um- ständen abhängt, auf die indirecte Anticipirung desselben in Form des bedingten Versprechens verweist, so dürfen wir diesem Gedanken den Ausdruck geben: das ältere Recht proklamirt für alle Geschäfte den Grundsatz der Reife . Wie sie im Moment ihrer Vornahme reif sein sollen rücksichtlich des Thatbestan- des , so auch rücksichtlich des Entschlusses ; wo zu letzterem etwas fehlt, soll man mit der Vornahme des Geschäfts selbst noch warten und sich vorläufig mit der Form, die das Recht für diesen Zweck in Bereitschaft hat: der Obligation, begnügen. Für gewisse Geschäfte ist aber auch der Gebrauch dieses Mittels ausgeschlossen, sie dulden also weder die directe, noch die indirecte Anticipation. So zunächst für alle Rechtsgeschäfte des Familienrechts . Zur Eingehung einer Ehe soll man sich nicht im voraus verpflichten (daher sind die Sponsalien rechtlich unverbindlich), eben so wenig zur Aufhebung derselben. Dasselbe gilt von der Emancipation, Adoption und Arrogation. Alle B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53. diese Akte haben nach Ansicht des Rechts nur Werth, wenn sie im Moment ihrer Vornahme frei gewollt werden. Ganz dasselbe nimmt das römische Recht auch für die beiden erbrechtlichen Akte: die Errichtung des Testaments und die Antretung der Erbschaft (B. 2 S. 230) an, und es beschränkt sich demnach die Möglichkeit der Benutzung der Obligation (mit und ohne Zusatz von dies und conditio ) als eines Sicherungsmittels der demnächstigen Vor- nahme des Rechtsgeschäfts oder um es mit einem Wort auszu- drücken: der indirecten Anticipirung (obligatorischen Disconti- rung) des Rechtsgeschäfts lediglich auf den vermögensrecht- lichen Verkehr unter Lebenden . Werfen wir jetzt die Frage auf, ob die alte Jurisprudenz da- mit das Richtige getroffen, so möchte es schwer sein, dies in Ab- rede zu stellen. Allerdings würde es für den Betheiligten un- gleich vortheilhafter sein, wenn er sich das künftige Recht anstatt auf obligatorischem auf dinglichem Wege zusichern lassen könnte d. h. mit der Wirkung, daß dasselbe mit Eintritt des Tages oder der Bedingung von selbst ihm anfiele. Und in der That hat das spätere römische Recht diesen Weg eingeschlagen, theils nämlich beim Eigenthum durch Zulassung der bedingten Tradition — hier ankert das Verhältniß aber doch noch mit dem Erforderniß des gegenwärtigen Eigenthums des Bestellers und dem äußern Akt der Besitzübertragung in dem festen Grunde der Gegenwart; theils durch Zulassung der Verpfändung zukünftiger Sachen — hier treibt es, so zu sagen, ohne allen Halt und ohne feste Richtung auf hoher See umher. Diese letztere Form wäre der bloßen juristischen Idee nach die vollkommenste, aber vom ökonomischen, legislativ-politischen Standpunkte aus ruft sie die gewichtigsten Bedenken wach, und der Umstand, daß unsere mo- dernen Gesetzgebungen über das Hypothekenwesen mit Aufstel- lung des Grundsatzes der Specialität sich zum großen Theil wiederum von ihr losgesagt haben, kann uns lehren, daß sie dem wirklichen Interesse des Verkehrs eher widerspricht, als för- derlich ist. Durch die Idee der privatrechtlichen Autonomie Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. (B. 2 §. 33) ist sie keineswegs geboten. Wie ließe sich auch der Anspruch rechtfertigen bei Verhältnissen, die ganz auf die Zukunft gestellt sind, derselben Sicherheit theilhaftig zu werden, die das Recht für diejenigen bietet, welche auf dem realen Boden der Ge- genwart ruhen, worauf die Berechtigung sich gründen, statt der gegenwärtigen Person des Versprechenden bereits die künftigen Verhältnisse, bevor sie noch existiren, in Bande zu schlagen? So kann ich also mein Gesammturtheil nur dahin abgeben, daß die alte Jurisprudenz im Wesentlichen das völlig Richtige traf, wenn sie die Dispositionen über künftige Verhältnisse in die Form der bedingten und betagten Obligation verwies. Vom Standpunkt der Technik aus knüpft sich an die bedingte Obligation ein eigenthümliches Interesse, nämlich das einer Er- scheinung, zu der uns das alte Recht sonst kein Gegenstück dar- bietet: der successiven Entstehung des Rechtsgeschäfts. Denn während die betagte Obligation bereits sofort zur Existenz ge- langt, und der Tag nur ihre Erfüllung hinausschiebt (s. u.), befindet sich die bedingte bis zum Eintritt der Bedingung in dem Zustand des Werdens , der Bildung — ein Zustand, den das Recht (ich möchte fast sagen: ähnlich wie beim nasciturus !) durch das Verbot aller störenden Eingriffe in den ruhigen Ver- lauf des Entwicklungsprocesses in Schutz nimmt. Die bekannte Regel der L. 161 de R. J. (50. 17) . Wie beim nasciturus von der Conception bis zur Geburt zieht sich hier der Entstehungsproceß des Rechtsgeschäfts von dem Akt seiner Vor- nahme bis zum Eintritt der Bedingung hin, er füllt einen Zeit- raum , keinen bloßen Zei tpunkt . Consequenterweise verlangen daher die römischen Juristen, daß die Erfordernisse der Mög- lichkeit der Entstehung des Rechtsgeschäfts von Anfang bis zu Ende fortdauern müssen z. B. die Existenz der verkauften Sache; ihr Untergang hebt den Vertrag auf, L. 8 pr. de peric. (18. 6) . Dagegen ist die Willensänderung — ein Satz, zu dem uns sofort das Testament eine Parallele liefern wird. Und nicht minder kann B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53. ich es nur consequent finden, wenn sie das Rechtsgeschäft vom Tage seiner Conception datiren; dies ist nämlich die Bedeu- tung der rückwirkenden Kraft der Bedingung (B.2 S.396). Denn der Akt der Handlung ist an jenem Tage vorgenommen, und alle Elemente seines Thatbestandes lagen damals bereits vor. Darum eben findet die rückwirkende Kraft bei den bedingten Be- stimmungen des Testaments keine Anwendung. War dies nicht der Fall, so verschiebt sich wiederum ganz consequent das Datum der Entstehung des Rechtsgeschäfts auf den Tag, wo das letzte noch fehlende Requisit eintritt. So auch bei der Theilung der Handlung, s.z. B. L. ult. Comm. pr. (8. 4) . Daß die römischen Juristen den Gesichtspunkt der rückwirkenden Kraft der Bedingung, ganz abgesehen von theoretischen Gründen, praktisch gar nicht entbehren konnten, sollte nicht Gegenstand des Zweifels sein. Ich verweise auf folgende Fälle: Die Bedingung tritt erst nach dem Tode des Promittenten oder Promissars ein — ohne die rückwirkende Kraft wäre die Entstehung der Obligation unmöglich gewesen: L. un. Cod. Ut ac- tiones (4. 11) .. ab heredibus non incipere actiones, und hätte das Schuldverhältniß gar nicht zur Erbmasse gehört. — Die Bedingung tritt erst ein, nachdem der Sohn oder Sklave, die sich bedingt hatten versprechen lassen, von der Gewalt befreit sind: L. 18 de R. J. (50. 17) L. 78 pr. de V. O. (45. 1) L. 40 de stip. serv. (45. 3) oder nachdem der Promittent oder Promissar aus dem Societätsverhältniß geschieden ist L. 27 pro soc. (17. 2) . Dasselbe Bedürfniß, das die Obligationen im Verein mit dem dies und der conditio für Rechtsgeschäfte unter Lebenden zu be- friedigen bestimmt sind, wiederholt sich in verstärktem Maße für die letztwilligen Dispositionen. Denn während jene Geschäfte sich gleichmäßig in der Gegenwart und Zukunft bewegen, ist das Gebiet der letzteren ausschließlich die Zukunft, die Zeit nach dem Tode des Testators. Eben darum ist das Testament stets und nothwendig das, was die Obligation nur dadurch, daß sie die Bedingung aufnimmt, sein kann : ein schwebendes, unfertiges Geschäft. Um dem Testator die völlig freie Herrschaft über die des Handelnden unschädlich, denn der Wille hat sich mit und in dem Moment des Rechtsgeschäfts erschöpft. Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 11 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Zukunft zu sichern, ist dem Testament gerade die Eigenschaft beige- legt, welche die Rechtsgeschäfte unter Lebenden vernichten würde: die absolute Widerruflichkeit. Gewährt sie dem Testator die Macht über das Stück der Zukunft, das er selbst noch erlebt, so verschafft die Bedingung und der dies ihm die Macht über die Zeit nach seinem Tode. In welche Gränzen letztere eingeschlossen ist, hat für den vorliegenden Zweck kein Interesse. Aus dem Zustand der Pendenz, in welchem das Testament im Ganzen sowohl wie alle seine einzelnen Bestimmungen sich bis zu ihrer Realisirung befinden, folgt in gleicher Weise wie bei der Obligation, daß diejenigen Requisite, welche sich nicht mit dem Akt der Testamentserrichtung erschöpfen, (Fähigkeit der zugezo- genen Zeugen und factisches Willensvermögen des Testators Note 53,) sondern in dauernder Beziehung zu dem Zweck des Testaments stehen, ( testamenti factio des Testators und der ein- gesetzten Personen,) auch nachher fortdauern müssen. Und zwar die des Testators unausgesetzt bis zu seinem Tode, denn das Testa- ment repräsentirt nicht einen Willens akt von ihm, sondern ein fortdauerndes Wollen , dieses Wollen aber hört auf, nicht bloß wenn dies in der gehörigen Form erklärt wird, sondern auch wenn der Testator die Fähigkeit rechtlich zu wollen ( testamenti factio ) einbüßt. §. 4. 6 I. quib. mod. (2. 17) L. 6 §. 5 de inj. (28. 3) . Etwas anders wird die testamenti factio der honorirten Personen bestimmt, eben weil ihre Stellung zum Testament eine andere ist. Sie wird nämlich zuerst verlangt in dem Moment, wo der Testator in Beziehung zu ihnen tritt, in dem der Testamentserrichtung. Von da an aber hört ihre Be- ziehung zum Testament bis zum Moment der Delation auf, und folgeweise ist der Besitz oder Mangel der testamenti factio wäh- rend dieser Zeit unschädlich. L. 59 §. 4 de her. inst. (28. 5) §. 4 I. de her. qual. (2. 19) L. 52 de leg. II. (31) . Von der Delation an aber muß sie natürlich bis zum Moment der Acquisition fortdauern. §. 4 I. cit. B. Das Rechtsgeschäft. Concentration desselben. §. 53. Die bisherige Ausführung über die bedingte Obligation und das Testament läßt unsere obige Regel (S. 150 fl.), derzufolge der ganze Thatbestand des Rechtsgeschäfts im Moment seiner Vornahme vorhanden sein muß, unangetastet, dagegen hat sie allerdings gezeigt, daß der Schluß, den wir auf sie gebaut ha- ben, nämlich der, daß das Rechtsgeschäft in jenem Moment so- fort entweder existiren oder nicht existiren müsse, ein Zustand der Unentschiedenheit oder des Werdens aber nicht möglich sei, einer Einschränkung bedarf. Wie wenig aber diese beiden Fälle, in denen ausnahmsweise der Richter statt des Zeit punktes einen Zeit raum ins Auge zu fassen hat, geeignet sind, unsere Lehre von der Bedeutung des Zeit punktes im älteren Rechte (der „punktualisirenden Methode“ S. 25) zu erschüttern, dafür möge es mir noch verstattet sein, zwei Erscheinungen in Bezug zu neh- men, von denen die eine noch in das Gebiet des Rechtsgeschäfts hineinreicht, die andere aber wenigstens an dasselbe anstreift. Wenn der Testator eine Capitis deminutio erleidet, später- hin aber die dadurch verlorene Rechtsstellung wiedererlangt, so bleibt das Testament gleichwohl nach Civilrecht ungültig ( irri- tum ); ebenso wenn ihm ein Kind geboren wird, das im Testa- ment nicht berücksichtigt war, aber vor ihm stirbt ( ruptum ). In beiden Fällen — und da zeigt sich wiederum der principielle Ge- gensatz in der Methode und Auffassung — hält das prätorische Recht das Testament in Form der Bon. Poss. secundum tabulas aufrecht. Der Gegensatz beider Behandlungsweisen reducirt sich vom Standpunkt der Technik aus auf den bisher von uns ent- wickelten. Das alte Civilrecht beschränkt sich in der Würdi- gung jener Ereignisse lediglich auf den Moment ihres Eintritts, die Nachgeschichte derselben kommt nicht in Betracht. Ulpian bezeichnet dies in L. 12 pr. de inj. (28. 3) als juris scru- pulositas nimiaque subtilitas. Das prätorische Recht hingegen verfolgt dieselben bis zum Moment des Todes. Das zweite Beispiel bietet die Usucapion. Das 11* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. römische Recht erfordert die bona fides nur im Moment des Beginns derselben ( in initio ), das kanonische während der gan- zen Dauer ( continua ), der Einfluß der Besitzunterbrechung er- schöpft sich nach römischem Recht in und mit dem Moment, d. h. es ist gleichgültig, ob sie sofort wieder aufgehoben wird oder fortdauert, neuere Rechte knüpfen den nachtheiligen Einfluß die- ses Usucapionshindernisses an seine Dauer (B. 2 Note 592). 3. Simultaneität der Wirkungen . Wenn der Thatbestand des Rechtsgeschäfts vorliegt, so exi- stirt es, und daß es existirt, äußert es dadurch, daß es wirkt — ein Aufschub der Existenz oder der Wirkungen des Rechtsge- schäfts enthält demgemäß eine logische Unmöglichkeit. Freilich auf die Ausübung des erlangten Rechts kann der Berechtigte vorerst noch verzichten, er kann die Sache , von der er durch Mancipation oder Tradition das Eigenthum erlangt hat, vorläufig im Besitz des Gebers lassen, allein daß ungeachtet der Vornahme jener Akte das Eigenthum selbst nicht auf ihn übergehen soll, das kann kein Vertrag festsetzen, denn das würde den Willen mit sich selber in Widerspruch setzen. Wo dieser Er- folg dennoch beabsichtigt ist, d. h. wo bis zu einem bestimmten Zeitpunkt der Eine, und von da an der Andere das Eigenthum haben soll, müssen die Partheien die Form der Obligation wäh- len — eine Eigenthumsbestellung ex die, ein der Zeit nach im voraus hinter einander geschichtetes Eigenthum mehrerer Perso- nen ist eine Unmöglichkeit. So das römische Recht; wenigstens glaube ich im Geiste des- selben die Sache so auffassen zu dürfen. Ob sich nicht dennoch eine andere Auffassungsweise denken ließe, darüber brauche ich nach meiner obigen Ausführung (S. 59) über die abstracte Denkbarkeit einer Anticipation dinglicher Rechtsgeschäfte mich nicht weiter zu äußern. Daß aber der Eigenthumsbegriff durch diese Zerstückelung und Zertheilung in seinem innersten Grunde B. Das Rechtsgeschäft. Simultaneität der Wirkungen. §. 53. erschüttert werden würde, daß also, wenn wir mit den positiv gegebenen Größen und nicht mit bloß denkbaren operiren wollen, die oben behauptete juristisch -logische Unmöglichkeit voll- kommen begründet ist, wird nicht bestritten werden. Der Satz, den ich so eben für das Eigenthum aufgestellt habe, gilt für sämmtliche Rechtsbegriffe. Ein leerer Zwischenraum zwischen dem Rechtsgeschäft und der Entstehung des Rechts ist eben so unmöglich, wie eine Trennung von Ursache und Wirkung, oder eine Geburt, bei der das Leben erst nach einiger Zeit be- ginnen soll. Bei allen Rechtsgeschäften Dies erkennt Paulus auch für den Ususfructus an, Vat. fr. §. 49; L. 4 de usufr. (7. 1) muß also interpolirt sein. Dagegen war der Richter im Theilungsproceß daran eben so wenig gebunden, wie der Erblasser L. 16 §. 2 fam. erc. (10. 2), während dies nicht für die Bestellung des Tutors von Seiten der Obrigkeit galt L. 77 de R. J. (50. 17) §. 3 I. Qui test. (1. 14) . unter Lebenden ist demgemäß die Vertagung der Existenz des Rechts ( dies ex quo ) Die Unzulässigkeit des dies ad quem hat meiner Ansicht nach mit der Theorie des Rechtsgeschäfts nichts zu schaffen, sie kann vielmehr nur aus der Theorie der Rechte befriedigend erklärt werden. unmöglich. Davon macht auch die Obligation keine Aus- nahme; sie entsteht bekanntlich sofort, auch wenn die Erfül- lung bis zu einem bestimmten Termin hinaus geschoben ist. L. 46 pr. de V. O. (45. 1) .. praesens obligatio est, in diem autem dilata solutio Nur beim Testament begründet auch hier wiederum der Ge- sichtspunkt, daß es die Zukunft zu seinem Gebiet hat, insofern eine Abweichung, als der Testator, wenn auch nicht die Erbes- einsetzung, so doch das Legat an einen beliebigen Zeitpunkt knüpfen kann. Die Vertagung der bloßen Ausübung des factischen Genusses des Rechts würde mit dem obigen Princip nicht unverträglich sein, und hätte die ältere Jurisprudenz die Ausübung als etwas Rechtliches aufgefaßt, so würde ihr die Form der deductio das Mittel dargeboten haben, jenen Zweck zu erreichen. Allein die Regel von der Unzulässigkeit des dies ex quo wird für das ältere Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Recht ganz allgemein ausgesprochen, gilt mithin auch in dieser Richtung. So bewährt sich demnach der Gesichtspunkt der Concentra- tion auch für die Wirkungen des Rechtsgeschäfts, es gilt für sie dasselbe Gesetz der Gleichzeitigkeit, wie für die Voraussetzun- gen desselben. Alle Momente des Rechtsgeschäfts: der äußere Akt der Handlung, der Thatbestand, die Existenz und die Wirk- samkeit desselben fallen mithin in den einen Fokus zusammen, das gesammte Rechtsgeschäft ist ein einziges untheilbares Ganze. Diese Untheilbarkeit läßt sich noch für einen andern Satz der Theorie des alten Rechtsgeschäfts verwenden, nämlich für den der Unzulässigkeit der Stellvertretung . Der Ausspruch der L. 123 pr. de R. J. (50. 17): nemo alieno nomine lege agere potest galt auch für die Rechtsgeschäfte; auch in dieser Richtung wiederholte sich die Gleichheit der Structur des Processes und des Rechtsgeschäfts. Die wahre, ächte Stellvertretung beruht auf einer Trennung der Ursache und Wirkung beim Rechtsgeschäft; die Ursache: die Handlung fällt auf die Person des Stellvertreters, die Wirkung: das Recht auf die des Repräsentirten, sie schließt also eine künstliche Spaltung dessen in sich, was bei der natürlichen Gestalt des Verhältnisses eins ist. Diesen Gedanken der nothwendigen Einheit der Ursache und Wir- kung in derselben Person deutet auch die bekannte L. 11 de O. et A. (44. 3) an: quaecunque gerimus, cum ex nostro contractu originem trahunt (Ursache) nisi ex nostra persona obligationis initium sumant (Wirkung) inanem actum nostrum efficiunt. Ich bin zwar nicht gemeint, in einem formal tech- nischen Gedanken den letzten Grund der Ausschließung der Stellvertretung zu erblicken, allein gleichwohl ist es höchst beach- tenswerth, daß auch dieses Stück der Theorie des alten Rechts- geschäfts sich einem Gesichtspunkt fügt, den wir im übrigen für die ganze Structur des alten Rechtsgeschäfts bewährt gefunden haben. B. Das Rechtsgeschäft. Simultaneität der Wirkungen. §. 53. Dieser Satz, daß das Rechtsgeschäft in der Person des Han- delnden seine Wirkungen äußern müsse, gilt auch in Bezug auf das Verhältniß des Erblassers zum Erben. Die letztwilligen Verpflichtungen, die jener diesem auferlegt, entstehen erst in der Person des letztern, dagegen die durch Rechtsgeschäft unter Leben- den begründeten Verpflichtungen und Forderungen müssen ihren Ursprung umgekehrt noch in der Person des Erblassers nehmen, lassen sich also nicht auf die Zeit nach seinem Tode stellen. Gaj. III. 100 … inelegans visum est, ex heredis persona in- cipere obligationem. L. 36 §. 1 ad leg. Aq. (9. 2) . Wie diese Regel später durch ein pactum de non petendo in personam und eine darauf gegründete exceptio umgangen werden konnte ( L. 33 de pact. 2. 14 L. 10 de pact. dot. 23. 4) und aus diesem Grunde ganz verständigerweise von Justinian in der L. un. Cod. Ut actiones (4. 11) aufgehoben ward, gehört nicht mehr hierher. Hiermit ist das Ziel, das wir uns gesteckt haben, erreicht, und es ist jetzt an der Zeit, die einzelnen zerstreuten Züge, die uns theils die gegenwärtige, theils frühere Darstellungen, wie namentlich die über den Formalismus, zu dem Bilde des alten Rechtsgeschäfts geliefert haben, zu einem Totalein- druck zusammen zu fassen. Wie alles, was aus den Händen der alten Jurisprudenz hervorgegangen ist, so trägt auch das Rechtsgeschäft den Charakter schärfst ausgeprägter Individuali- tät. Das ist keine bloße Willensmasse, die das souveräne Be- lieben der Partheien zusammen gegossen hat, und die erst der Kunst des Richters harrt, um geschieden zu werden: Kauf, Miethe, Eigenthum, Servituten, Pfandrecht, Verzicht u. s. w. in einem Gemenge durcheinander, sondern das sind Indivi- duen , wie die alten Actionen, äußerlich und innerlich , genau begränzt nach Seiten des Inhalts, den sie aufnehmen dürfen, unfähig etwas anderes zuzulassen, als was ihr Begriff ihnen verstattet. Mit dem Moment, mit dem sie ins Dasein tre- ten, fertig und vollendet, schließen sie sich eben so streng gegen die Vergangenheit wie die Zukunft ab; gegen jene , indem sie Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. alles, was diesseits von ihnen liegt, durch die Form , die das Rechtsgeschäft von der Vorverhandlung scheidet, für immer ab- schütteln und sich ganz auf sich selbst und das, was in ihnen zu Tage tritt, beschränken — offensichtlich gegen die Zukunft , indem sie in dem Moment ihres Auftretens auch sofort in allen ihren Theilen erstarren und unabänderlich werden, keine spätern Zusätze und Nachträge dulden, keine Unentschiedenheit und Un- bestimmtheit, keine Frage, die ihre Lösung erst von der Zu- kunft zu erwarten hätte, keinen Aufschub der Wirkung, son- dern ganz, wie sie sind, gestellt auf den sichern, realen Boden der Gegenwart, und sofort ihre Kraft bethätigend. Das die Structur und Physiognomie des alten Rechtsge- schäfts! Gewiß ein würdiges Seitenstück zur alten Actio, beide würdig der Bezeichnung von Individuen und plastischen Gestalten . Derselbe Zug juristischer Disciplin geht durch beide hindurch — jener Zug, an den fast jedes Bruchstück des alten Rechts uns erinnert. Ob diese Disciplin auf diesem Gebiet des Rechts schwerer vom Leben empfunden, ob die knappen Formen und streng abgemessenen Bahnen, in die sie den Verkehr zwang, die freie Regung und Bewegung desselben mehr gehindert, als die entsprechenden Einrichtungen des Processes — nun, das glaube ich nach dem, was ich über diese Frage bei Gelegenheit des letztern und an andern Stellen (B. 2 S. 442, 530) bemerkt habe, billig dem Urtheil des Lesers überlassen zu dürfen. C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. C. Die abstracte Analyse. 1. Grundsatz der elementaren Einfachheit der Rechtskörper. Gegensatz des ältern und neuern Rechts — zusammengesetzte und einfache Rechtskörper — Maßstab der Einfachheit — juristische Gestaltung des Obligationselements in nicht-obligatorischen Ver- hältnissen (analytische Composition der alten rei vindicatio ) — Prüfung der Rechte vom analytischen Standpunkt — Gedanke der Einseitigkeit der Rechtsverhältnisse. Nihil admixtum, nihil concretum, nihil copulatum, nihil coagmentatum, nihil duplex. Cic. Tusc. disp. I. c. 29. LIV. Die bisher behandelte concrete Analyse hatte die Rechts verhältnisse zum Gegenstande, sie hat uns gezeigt, wie bei der Begründung und gerichtlichen Geltendmachung der- selben, d. i. wie im Mechanismus des Rechtsgeschäftes und Pro- cesses der Gedanke der Zersetzung zur Geltung gelangte. Die folgende Untersuchung beschäftigt sich mit den Rechts begrif- fen, sie soll ermitteln, welchen Antheil der Gedanke der Zer- setzung an der Bildung des abstracten Rechts, an der Stru- ctur der materiellen Rechtsbegriffe gehabt hat. Einer richtigen logischen Anordnung zufolge, scheint es, hätte diese letztere Un- tersuchung der ersten vorangehen sollen, denn vorher müssen die Begriffe doch erst da sein, bevor sie angewandt werden können. Allein dies ist nur in der Idee wahr; in der Wirklichkeit bilden sich die Rechtsbegriffe und die Formen ihrer Anwendung, das materielle Recht, der Proceß und das Rechtsgeschäft, nicht eins nach dem andern aus, sondern gleichzeitig, wie die verschiedenen Theile des menschlichen Körpers. Der Grund, der jene Anord- nung empfahl, hängt mit dem eigenthümlichen Verhältniß zu- sammen, welches in der Jugendperiode des Rechts zwischen dem materiellen Recht und Proceß obwaltet (S. 18 fl.). Während in der abstracten Periode des Rechts, in der wir uns heute be- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. finden, die Begriffe des materiellen Rechts sich bis zu einem gewissen Grade ganz für sich allein behandeln lassen — ich möchte hinzufügen: gar zu oft selbst über diesen Grad hinaus es werden! —, Proceß und materielles Recht sich hier fast fremd gegenüber stehen, sind diese beiden Theile auf jener Entwicke- lungsstufe des Rechts in dem Maße verbunden und verwach- sen, daß die meisten Begriffe des materiellen Rechts überhaupt nur, wenn ich so sagen darf, existiren als processualische Be- griffe: die Forderung als actio in personam, das Nexum als manus injectio, gewisse andere Ansprüche als pignoris capio u. s. w. Macht diese innige Verbindung einerseits eine streng durchgeführte Trennung beider Seiten geradezu zur Unmöglich- keit — was ich für diesen ganzen Abschnitt wohl zu beherzigen bitte — so hat sie andererseits für mich zu Gunsten der von mir befolgten Anordnung den Ausschlag gegeben. Es gesellte sich noch ein anderer Umstand hinzu. Die Schwierigkeiten einer jeden Darstellung steigern sich in demselben Maße, in dem sie vom Aeußern ins Innere vordringt. Im Proceß, im Rechtsgeschäft spielt der Gedanke der Zersetzung noch auf der Oberfläche, es ist eine Maschinerie, ein äußerer Mechanismus, den man sehen, selbst ein blödes Auge sehen kann, dagegen im materiellen Rechte zieht er sich ins Innere zurück, dem bloßen Auge nicht mehr sichtbar, und nur auf künstlichem, mühsamem Wege durch Schlüsse und Abstractionen dem Kundigen erreichbar. Diese Steigerung der Schwierigkeiten in der Darlegung des analytischen Elements ist übrigens keineswegs mit einer Steige- rung seiner selbst verbunden. Im Gegentheil kann man sagen: der Einfluß dieses Elements verringert sich mit dem Fortschreiten vom Aeußerlichen zum Innerlichen immer mehr; er gipfelt im Pro- ceß und Rechtsgeschäft, im materiellen Recht schwächt er sich ab. Ganz erklärlich! Der Mechanismus des Processes und Rechtsgeschäftes ist etwas rein Formales, bei ihm hat ein for- meller Gedanke, wie es der der Zersetzung ist, völlig freies Spiel, dagegen auf dem Gebiete des materiellen Rechts gesellen C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. sich ihm als gestaltende Faktoren Gedanken anderer, materieller Art hinzu, mit denen er sich in die Herrschaft zu theilen hat. Während daher bei jenen beiden der Gesichtspunkt der Analyse ausreichte, um das specifisch juristische Interesse derselben, soweit es nicht schon früher berührt ward (§. 44—47), vollständig zu erschöpfen, so daß wir also fortan in diesem System uns mit ihnen nicht mehr werden zu beschäftigen haben, ist dies für die Begriffe des materiellen Rechts keineswegs der Fall, wir wer- den vielmehr genöthigt sein, auf sie später noch ausführlich zu- rückzukommen (Theorie der Rechte). Aber hat denn jener Gedanke überhaupt einen Antheil an der Bildung der Begriffe? Was hat die Analyse gemein mit dem Eigenthum, der väterlichen Gewalt, dem Erbrecht? Was hätte die Jurisprudenz an diesen Begriffen, die sie ihrer Sub- stanz nach fertig aus den Händen des Lebens überkam, noch zersetzen können? Was ihr erübrigte, war Nichts, als die rea- len Thatsachen und Verhältnisse der Sitte und des Verkehrs in die Form des Begriffs zu bringen. In gewissem Sinn kann man zwar auch diese Thätigkeit eine analytische und jeden Be- griff ein Zersetzungsproduct nennen, insofern nämlich die Bil- dung der Begriffe darauf beruht, daß der denkende Geist aus der flüssigen Gedankensubstanz einen Stoff nach dem andern herausgreift, ihn abgränzt und abscheidet und zur Selbständigkeit des individuellen logischen Seins erhebt. Aber in diesem Sinn ist die Analyse, die hier zur Frage steht, nicht gemeint, in die- sem Sinn ist sie eine allgemeine logische, keine specifisch-juristi- sche Operation. Der so eben aufgeworfene Zweifel wurzelt in einer An- schauung, die, ohne je wissenschaftlich begründet, in Frage ge- stellt oder überhaupt nur einmal bestimmt ausgesprochen zu sein, doch als stillschweigendes Axiom allgemein verbreitet ist. Ich fasse sie in die Formel zusammen: die Rechtsbegriffe sind keine Kunst -, sondern Natur producte. Bei der Theorie der Rechte werde ich Gelegenheit finden, näher auf sie einzugehen und sie Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. vollständig zu widerlegen; rücksichtlich des uns hier zunächst interessirenden Gesichtspunktes wird letzteres bereits im Folgen- den geschehen. Die Begriffe des ältern Rechts sind nicht ein- fache Formulirungen der Verhältnisse, wie sie thatsächlich im Leben vorkamen, sondern sie sind nach den Gesetzen der Analyse in eine specifisch-juristische, dem naiven Denken des Laien fremde Form gebracht — ihre Structur verdanken sie nicht den rea- len Motiven, Zwecken, Impulsen des Lebens, sondern der Kunst. Zwei Richtungen sind es, in denen sich diese Kunst in der analytischen Gestaltung der Rechtsbegriffe thätig erwiesen, zwei Gesetze, durch die sie dieselbe vermittelt hat. Das eine bezeichne ich als Gesetz der elementaren Einfachheit der Rechts- körper, das zweite als Gesetz der analytischen Ver- einfachung des Thatbestandes (§. 55). Beide kenn- zeichnen sich sofort als ächt-juristische Ideen, als Producte der Reflexion und eigenthümliche Kunstgriffe, beide reichen offenbar in jene Zeit hinauf, wo von einer Jurisprudenz im spätern Sinn noch keine Rede war, sie gehören zu dem ältesten Stück römischer Jurisprudenz, das uns überliefert ist. In ihren Nach- wirkungen, in den Instituten, in denen sie einmal fixirt waren, erhielten sie sich allerdings noch bis in die spätere Zeit hinein, nicht aber als productive Principien — die positiv neuen Bil- dungen des spätern Rechts athmen einen andern Charakter, sind in einem ganz andern Styl angelegt. Eben darum weise ich beide ausschließlich dem ältern Recht zu, dem die Ehre ihrer Erfin- dung gebührt, ohne im dritten System auf sie nochmals zurück- zukommen. Das erste Gesetz, das der elementaren Einfachheit der Rechts- körper, dem ich mich jetzt zuwende, beschränkt sich auf die struc- tuelle Gestaltung der von mir früher (B. 2. S. 372) so ge- nannten selbständigen oder concreten Rechtskörper, d. h. der- jenigen, welche im Gegensatz zu den abstracten, die nur in und C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. an andern vorkommen, sich selbständig verwirklichen, zu concre- ten Rechtsverhältnissen gestalten können, wie z. B. die Obliga- tion, das Eigenthum. Eine Vergleichung derjenigen dieser Be- griffe, die dem neuern Recht ihren Ursprung verdanken, mit denen des ältern führt zu dem überraschenden Resultat, daß erstere fast ausnahmslos aus zwei systematisch verschiedenen Be- griffen zusammengesetzt sind, während letztere nicht bloß kein ein- ziges derartiges Beispiel aufzuweisen haben, sondern vielmehr in allen Fällen, wo der natürliche Thatbestand des Verhältnisses einen Zwang dazu in sich zu schließen scheint, demselben in einer Weise ausweichen, die über die Absichtlichkeit dieser Wendung und das ihm zu Grunde liegende Motiv keinen Zweifel aufkom- men läßt. Die erstere Behauptung möge durch eine tabellarische Uebersicht, bei der ich auch Beispiele aus dem heutigen Recht aufgenommen habe, veranschaulicht werden. Es verbinden sich zur Einheit des Rechtsbegriffes: Der obligatorische Anspruch geht eo ipso mit dem Erwerb des Ei- genthums auf ihn über. Kann hier noch nicht entwickelt werden. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Der Erwerber der beiden ersten Rechte succedirt zugleich in die Obligation. Die fiducia zum pfandrechtlichen Zweck war kein Pfandrecht, sondern Eigenthumsübertragung mit klaglosem Vorbehalt der Einlösung. Wenn nun das ältere Recht, wie sofort gezeigt werden soll, kein einziges derartiges Beispiel darbietet, so könnte dies mög- licherweise darin seinen Grund haben, daß es der älteren Zeit an der Substanz dafür gefehlt habe. Man könnte meinen, jene complicirten Bildungen seien das Kennzeichen und das Product einer höhern Stufe der wirthschaftlichen Entwicklung, die ein- fachen Verhältnisse der frühern Zeit hätten auch nothwendiger- weise in einfachen Begriffen ihren Ausdruck gefunden. Diese Vorstellung ist eine irrige, sie widerlegt sich einfach durch den Hinweis auf solche Verhältnisse des ältern Rechts, die das Ma- terial zu einer derartigen Begriffsbildung in sich schlossen, und die Art und Form ihrer juristischen Gestaltung. Letztere besteht nicht, wie im neuern Recht, in einer Verschmelzung der hetero- genen Elemente zur Einheit des Begriffs, sondern in einem äußer- lichen Nebeneinanderstellen der verschiedenen einfachen Begriffe, in einem separaten, successiven Operiren mit jedem einzelnen von ihnen. Das ganze Verhältniß wird stückweise errichtet, es ist nicht Ein juristisches Ganze, sondern eine Combination von verschie- denen, ökonomisch zwar durch den gemeinsamen Zweck ver- bundenen und um ihn als ihren Mittelpunkt gravitirenden, juristisch aber völlig selbständigen Begriffen. Das Gesetz selbst, welches hier zur Anwendung gelangt, ist klar: die ältere Jurisprudenz duldet nur einfache, keine zusam- mengesetzten Körper. Aber was heißt: einfache und zusammen- gesetzte Körper, nach welchem Maßstabe bestimmte die Jurispru- C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. denz den Begriff der Einfachheit? Die Antwort lautet: nicht darnach, ob ein Verhältniß des Lebens seinem Zweck, seiner Be- stimmung nach ein für sich abgeschlossenes Ganze bildete ( öko- nomische Einheit), sondern darnach, ob dasselbe mit Hülfe der von ihr angenommenen juristischen Grundbegriffe sich noch wei- ter zerlegen ließ. Der Maßstab war also kein absoluter, son- dern ein relativer, ein historischer, aber gleichwohl ein ganz be- stimmter. Zusammengesetzt war ein Verhältniß, das einen Be- griff, der als solcher im Leben vorkommen konnte, als Element seiner Substanz in sich schloß. Darum war z. B. der Kaufcontract ein zusammengesetzter Körper, denn die ein- fachste Form, in der die Obligation im Leben vorkömmt, ist die einseitige Obligation, der Kaufcontract aber erzeugt zwei Obligationen, er läßt sich also auflösen in zwei einseitige. Soll unsere Behauptung richtig sein, so muß mithin das ältere Recht keine zweiseitigen Obligationen gekannt haben. Die einfachste Form des Rechtsverhältnisses, wie es z. B. im Eigenthum zu Tage tritt, ist die des einseitigen Rechts, d. h. des Rechts ohne alle Verpflichtung. Soll unser obiger Satz aufrecht bestehen, so darf die ältere Jurisprudenz keine mit Pflichten gemischte Rechte geduldet haben, so dürfen die verschiedenen Rechte nie zur Einheit eines dritten selbständigen Rechts verschmolzen wor- den sein. Untersuchen wir, ob unser Grundsatz die Probe besteht. Ich wende mich zu dem Zweck zuerst einer Erscheinung zu, die meines Erachtens mehr als irgend eine andere den Leser sofort auf die Höhe der Aufgabe hebt und ihm das innerste Geheimniß der Analytik des alten Rechts erschließt. Der Gedanke der Verpflichtung beschränkt seine Herr- schaft keineswegs auf dasjenige Gebiet, in dem er seinen eigent- lichen Sitz hat und seine feste Ausprägung und Verkörpe- rung gefunden hat: das Obligationenrecht; als unsichtbares, individuell nicht ausgeprägtes, unkörperliches Element durch- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. dringt er die ganze Rechtswelt, alle Verhältnisse belebend und erhaltend, gleich dem Sauerstoff der atmosphärischen Luft. Nicht das ist mit dieser Behauptung gemeint, daß es auf allen Gebie- ten des Rechts Obligationen gibt, wie z. B. auf dem des Fa- milienrechts die Dotations-, Alimentations-verbindlichkeit, die Dotalklage, auf dem des Erbrechts die Vermächtnißobligation — hier tritt der Gedanke der Verpflichtung in seiner specifischen, im Obligationenrecht ausgeprägten Form auf: in der einer mit einer actio in personam zu verfolgenden obligatio. Sondern gemeint ist, daß er auch in nicht -obligatorischen Rechtsverhält- nissen als bloßer Obligations stoff anwesend sein kann, ohne die Form der Obligation anzunehmen. Es gibt kaum einen der Obligation antagonistischeren Rechtsbegriff, als den der in rem actio, und doch in welchem Maße sind manche in rem actiones des neuern Rechts mit obligatorischem Element versetzt! Die moderne reivind. ist fast mehr obligatorischer, als dinglicher Art, wie dies die unten folgende Analyse derselben darthun wird, und doch wird sie in dieser Beziehung noch überboten durch die hereditatis petitio . Aeußerlich aber wird bei beiden das obliga- torische Element gar nicht sichtbar, es ist nur vorhanden in Form von Regeln und Grundsätzen obligatorischer Art — der Unkun- dige, der das Dasein des Stoffs nur nach der äußern Form be- urtheilt, und dem das Auge fehlt, um die Elemente zu erkennen, auch wenn sie noch so bunt gemischt sind, merkt von jenem Stoff Nichts und glaubt daher in den beiden Klagen reine dingliche Klagen zu besitzen. Diese Versetzung nicht-obligatorischer Verhältnisse mit obli- gatorischen Elementen steigert sich in eben dem Maße, wie sie selber im Lauf der Zeit sich vervollkommnen — der Grad der Vollkom- menheit eines Rechts bemißt sich nach seiner Sättigung mit die- sem Stoff. Im entwickelten Recht führt der Gedanke der Obli- gation das Regiment, es gibt keinen Fleck, keinen noch so ver- borgenen Winkel, wohin diese flüchtige Substanz nicht dränge. Es muß dem dritten System vorbehalten bleiben, diese That- C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. sache des Nähern zu begründen, an der gegenwärtigen Stelle gilt es nur festzustellen, in welcher Form das ältere Recht diesen accessorischen Obligationsstoff zur Wirksamkeit gebracht hat. Wenn es in gleicher Weise geschehen ist, wie im spätern Recht, so ist unser Grundsatz der elementaren Einfachheit der Rechtskörper nicht begründet, denn unter dieser Voraussetzung würde dasselbe zusammengesetzte Rechtskörper gekannt haben. Soll unser Grundsatz wahr sein, so muß das ältere Recht entweder bei jenen Verhältnissen die Beihülfe der obligatorischen Principien völlig verschmäht haben — und dies war unmöglich und ist nicht der Fall, wenn gleich das Maß, in dem es sich derselben bediente, ungleich geringer war, als im spätern Recht —; oder aber es muß dieser Stoff in die ihm adäquate Form der Obli- gation gebracht d. h. also neben dem Verhältniß, um dessen obligatorischen Ausbau es sich handelte, besondere, ihrem Zweck nach, um letzteres als um ihren Mittelpunkt graviti- rende, juristisch aber völlig selbständige Obligatio- nen geschaffen haben. Und so verhält es sich in der That. Wo das alte Recht in irgend einem Verhältniß, sei es in, sei es außer dem Proceß der Verpflichtung zu einem Thun bedarf, da bringt es dieselbe regelmäßig in die Form einer eigenen durch einen besondern Akt zwischen beiden Partheien ins Leben geru- fenen Obligation; unsere moderne Idee, daß das Verhältniß als solches eine obligatorische Kraft in sich schließt, ist ihm völlig fremd, selbst für den Proceß. Was heutzutage die nothwen- dige Folge irgend eines processualischen Aktes ist, sich für un- sere Auffassung aus dem Getriebe des Verfahrens mit Noth- wendigkeit ergibt, wird im alten Proceß erst durch eine (indirect erzwungene) Obligation von der betreffenden Parthei speciell und ausdrücklich übernommen, letztere ist nur verpflichtet, wenn sie sich verpflichtet hat, aber es wird dafür gesorgt, daß sie sich verpflichten muß. Es liegt nicht in meiner Absicht, diese für die Signatur des ältern Rechts so höchst bezeichnende Erscheinung in ihrer ganzen Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 12 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Ausdehnung zu verfolgen, es genügt, sie an einigen Haupt- fällen klar zu machen. Unter ihnen nimmt die erste Stelle ein die Behandlung des obligatorischen Elements in der alten reivindicatio . In der Reinheit ihrer Idee bildet die reivind. den schärfsten Gegensatz zur actio in personam und zur Obligation, „non personam obligat, sed rem persequitur“, L. 2 Cod. si unus (8. 32). wie es noch in spätere Zeit von ihr heißt, wo freilich diese Bezeichnung ihre Wahrheit be- reits zum größten Theil eingebüßt hatte, d. h. sie verfolgt ledig- lich die Sache ( agitur in rem ), sie folgt ihr, wohin sie gelangt, und begehrt Nichts von ihr, als was sie selber ohne vermittelnde Thätigkeit des Beklagten zu gewähren vermag, die Sache haf- tet, die Sache leistet, die Person des Beklagten hat nur die Be- deutung, daß sie zwischen den Kläger und das Object seines Anspruches in die Mitte tritt und durch den Proceß erst hinweg- geschoben werden muß. Diese ursprüngliche Idee der reivind. ist freilich im neuern Recht bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die moderne reivind. ist durch und durch mit obligatorischen Elementen versetzt, ja man könnte sagen: sie ist eine persönliche Klage geworden, die nur, was sie ja mit manchen actiones in personam (s. g. in rem scriptae ) theilt, passiv durch den Besitz bestimmt wird. Ihr obli- gatorischer Charakter bethätigt sich nach drei Seiten: sie um- faßt obligatorische Ansprüche aus der Zeit vor Beginn des Pro- cesses, aus der Zeit während des Processes und solche, die erst mit Beendigung des Processes entstehen. In der ersten Richtung kann sie für den Kläger zwei, für den Beklagten einen Anspruch verfolgen, für jenen nämlich den wegen dolus praeteritus und den wegen der Früchte, für diesen den wegen der Impensen. Will man sie in Richtung auf den erstgenannten klä- gerischen Anspruch beim rechten Namen nennen, so muß man sagen: sie übt hier die Function einer Pönalklage, einer etwas C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. modificirten Modificirt: insofern sie die Existenz des Eigenthums im Mo- ment der Klage voraussetzt und keinen Beweis des Schadens erfordert. Die pönale Natur bewährt sich darin, daß sie passiv vom Uebergang auf die Er- ben ausgeschlossen ist. L. 52 de R. V. (6. 1). act. de dolo aus. In Richtung auf den zwei- ten Anspruch des Klägers hält sie sich innerhalb der reinen Vin- dicationsidee nur da, wo sie die von einem malae fidei posses- sor gezogenen und bei ihm noch vorhandenen Früchte verfolgt, — denn an ihnen hat Kläger das Eigenthum —, in den bei- den andern möglichen Fällen dagegen, wenn nämlich diese Früchte nicht mehr vorhanden, oder wenn der Beklagte bonae fidei pos- sessor ist, schlägt sie in eine condictio um, denn hier hat sie nicht Eigenthum in der Person des Klägers, sondern Bereiche- rung aus dessen Vermögen in der Person des Beklagten, also ein obligatorisches Motiv, zu ihrem Fundamente. Für die m. f. p. spricht die L. 15 de usuris (22. 1) ausdrücklich die- sen Gesichtspunkt aus: qui prius percepti quasi malae fidei possessori condicuntur, ebenso L. 3 Cod. si cond. (4. 9) .. de extantibus fructi- bus vindicatione, de consumtis vero condictione conventus L. 18 de exc. (44. 1), für den b. f. p. folgt es daraus, daß er als solcher Eigenthum an den Früchten erwirbt. Für den Anspruch des Beklagten auf Ersatz der Impensen bedarf die obige Behauptung keiner Bemerkung, er stützt sich ebenfalls auf Bereicherung. Während des Processes äußert sich die obligatorische Kraft der reivind. darin, daß sie den Beklagten zur diligentia und in gewissem Grade zur Prästation des Zufalls verpflichtet, am Ende desselben darin, daß auch sie, ganz wie die act. in perso- nam, mit einer Geldcondemnation, also einer Verpflichtung endet. Von alle dem kennt die reivind. in ihrer ursprünglichen Ge- stalt Nichts. Zunächst nicht die Haftung wegen dolus praeteri- tus, was weiterer Begründung nicht bedürfen wird (S. 29). Sodann nicht den Anspruch wegen der Früchte, was in meinen Augen wenigstens keinem Zweifel unterliegt. Die von einem 12* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. b. f. p. gezogenen Früchte fielen in sein Eigenthum, konn- ten also, selbst wenn dies sonst möglich gewesen wäre, Was ich verneine, denn die Früchte (jedenfalls die eines Grund- stücks, nach Ansicht der Prokulejaner auch die der Thiere: Gaj. II. 15, nur die Sklavenkinder nicht: L. 27 pr. de her. pet. 5. 3, daher besondere Vin- dication derselben: L. 10 de usur. 22. 1) gehörten zu den res nec man- cipi, letztere aber bildeten keinen Gegenstand der alten vindicatio ex jure Quiritium, was an anderer Stelle nachzuweisen ist. von ihm jedenfalls nicht vindicirt werden. Ebenso wenig die vom m. f. p. bereits consumirten, denn das zu vindicirende Ob- ject muß noch existiren, schon darum weil es mit vor Gericht gebracht werden muß. Diese beiden Kategorieen von Früchten hätten also nur mit der Formel der persönlichen Klage: dare oportere d. h. selbständig und unabhängig von der reivind. verfolgt werden können; denn daß die Combination des dare oportere und rem meam esse zu einer Klage nach Grund- sätzen des ältern Processes eine Unmöglichkeit, ein Unding war, wird nach den Ausführungen des §. 51 keiner Bemerkung be- dürfen. Bleiben also nur die beim m f. p. noch in Natur existiren- den Früchte. Hätten sie vindicirt werden sollen, so hätten sie es nach dem Grundprincip des ältern Processes einzeln müssen (S. 38), Arg. L. 10 de usur. (22. 1). eine Idee, zu deren Widerlegung ich kein Wort für nöthig halte. Die wirkliche Gestalt der Klage ist bereits S. 31 angegeben, es war die Diebstahlsklage. S. außer den Note 232 citirten Stellen, welche bloß die condictio nennen, die auf die beim furtum nec manifestum Statt findende Strafe des duplum hinweisende L. 1 Cod. Theod. de usur. rei jud. (4. 19) .. ex prisci juris formulis .. malae fidei possessores in duplum con- veniuntur. Daß der Gegenanspruch des Beklagten auf Ersatz seiner Impensen der spätern Zeit angehört, lehrt schon die Form seiner Geltendmachung ( exceptio doli ), und der enge Zusammenhang, in dem er mit dem so eben erwähnten Anspruch des Klägers steht, gibt ein neues Argument für das relativ späte Alter des C Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. letztern. So lange dem b. f. p. die Impensen nicht vergütet wurden, durfte man ihn ohne die größte Unbilligkeit nicht zur Herausgabe der vorhandenen Früchte nöthigen. Die Aenderung des einen Satzes schloß nothwendigerweise die des andern in sich. An die Stelle der rohen Aufrechnung in Bausch und Bo- gen zwischen Früchten und Impensen trat jetzt der Fuß einer ge- naueren Abrechnung nach beiden Seiten, denn derselbe Grund, auf den der eine Theil seinen Anspruch stützte, der der Berei- cherung, bot auch dem Gegner das Fundament zu dem seinigen. Beide Ansprüche sind Ausflüsse desselben Gedankens: der Ueber- tragung der dem Obligationenrecht angehörigen Idee der Be- reicherung auf die Eigenthumsklage. Daß der Besitzer während des Vindicationsprocesses, wenn ich so sagen darf, unter die Zucht des Obligationenrechts gestellt werden mußte, konnte auch im ältern Recht nicht zweifel- haft sein. Die Art, wie dies geschah, bezeugt wiederum die Strenge, mit der die alte Jurisprudenz an ihren technischen Ge- setzen festhielt, denn sie ließ diese Obligation nicht einfach aus der reiv. herauswachsen, noch auch im Urtheil sichtbar werden, sondern sie schlug denselben Weg ein, wie bei dem usus fructus, d. h. den der Begründung eines selbständigen Obligationsver- hältnisses neben dem dinglichen Recht. Um die Verpflichtung zur Herausgabe der vom Besitzer (einerlei ob b. f. p. oder m. f. p. ) während des Processes gezogenen Früchte zu begründen, dazu reichte schon der Gesichtspunkt des Diebstahls ( furtum nec mani- festum ) vollkommen aus, mochte man nun in der Erlangung der Vindicien von Seiten des unterliegenden Theils ( „si vin- diciam falsam tulit“ ) Worte der XII Tafeln bei Festus s. v. Vindiciae: si vindiciam falsam tulit, si velit is .. (Cujacius: rei sive litis, Müller: stlitis et vindiciarum Prae) .. tor arbitros III dato eorum arbitrio … (Müller: possessor, reus) fructus duplione damnum decidito. ein furtum ( possessionis ) des Grundstücks Gellius XI. 18 §. 13 .. fundi quoque et aedium fieri furtum L. 1 §. 3 de furt. (47. 2) furtum … possessionisve. oder ein furtum (rei) der Früchte erblicken; Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. jedenfalls geht daraus, daß wegen dieser Früchte nach beendig- tem Hauptproceß Denn bevor nicht das Haupturtheil gesprochen, ließ sich nicht von einem: vindiciam falsam tulisse reden. ein besonderes Schätzungsgericht von drei Sachverständigen ( tres arbitri ) bestellt wurde, soviel hervor, daß dieser Posten nicht der Cognition des Richters in der Hauptsache unterlag, und sowohl die Strafe des Doppelten als die beim Diebstahl technischen Worte „damnum decidere“ deuten auf das furtum nec manifestum hin. Gegen positive Beschädigungen der Sache von Seiten des Besitzers wäre der Gegner zwar durch andere Delictsklagen ge- schützt gewesen, z. B. durch die act. arborum furtim caesarum. Ebenso im spä- tern Recht: L. 27 §. 2 de R. V. (6. 1) … act. legis Aquiliae durat. nicht aber gegen Deteriorationen durch Un- terlassen. In dieser Richtung bedurfte es daher jedenfalls der Begründung eines besondern Obligationsverhältnisses. Sie erfolgte durch Bestellung von Bürgen ( praedes litis et vindicia- rum ), welche dafür aufzukommen hatten, daß der Besitzer die Sache in ordnungsmäßigem Stand halte und dem Urtheil Folge leiste; Auf ersteres beschränkt ihre Haftung Pseudo-Asc. (Orelli p. 191): ne interea possessionem deteriorem faciat, tecta dissipet, excidat arbo- res et culta deserat, während Gajus IV. 16, 94 sie „litis et vindiciarum i. e. rei et fructuum“ wegen haften läßt. Ueber die Natur dieser Verbind- lichkeit wird besser an anderer Stelle zu handeln sein. wer sie nicht stellen konnte, hatte auf die Vindicien keinen Anspruch. Die Realisirung dieses Obligationsanspruchs geschah separat in einem besondern, ausschließlich gegen den Bürgen (der Beklagte war juristisch gar nicht verpflichtet) ge- richteten Verfahren, hatte also mit der reivind. Nichts gemein. Die Beendigung des Processes durch Urtheil und Exe- cution blieb ebenfalls dem Charakter der rein dinglichen Klage treu. Im neuern Recht haben beide die Form der persönlichen Klage angenommen. Die Verurtheilung erfolgt bei der petitoria formula auf Geld, also auf ein dare (nicht auf rem ejus esse ) — eine Veränderung, die durch die vielerlei obligatorischen Zu- C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. sätze, welche die Klage aufgenommen hatte, unabweisbar ge- worden war. Daß das Urtheil im ältern Vindicationsproceß nicht auf Geld lauten konnte, wird keiner Bemerkung bedürfen, der Richter durfte nur so sprechen, wie die Formel ihm vorge- zeichnet hatte, also im Sacramentsproceß auf sacramentum justum esse (B. 1 S. 158). Bei der sponsio praejudicialis auf sponsionis summam dari oportere Gaj. IV. 93. Auch daß hinterher in einem besondern Nachverfahren das zuerkannte Eigenthum in eine Geldschuld verwandelt worden sei, so daß also der alte Pro- ceß gleich dem spätern seinem schließlichen Verlauf nach mit einer Obligation geendet hätte, muß ich entschieden bestreiten. Das für den Legisactionenproceß erwähnte arbitrium liti aestimandae Val. Probus de notis antiq. §. 4. findet bei den persönlichen Klagen, bei denen ursprünglich die Condemnation auf die Sache selbst, nicht auf Geld lautete, Gaj. IV. 48. seine ausreichende Erklärung. Der arbiter konnte nur schätzen, nicht condemniren, d. h. keine Obliga- tion begründen, sondern nur den Betrag einer bereits vor- handenen feststellen, in der Person des Beklagten bestand aber rücksichtlich des Vindicationsobjectes selber keine Ver- pflichtung. Nur rücksichtlich der obigen obligatorischen Ne- benansprüche wegen der Früchte und wegen Deterioration oder Vernichtung der Sache konnte, eben weil es sich hier lediglich um den Betrag obligatorischer Ansprüche handelte, ein sol- ches Schätzungsverfahren eintreten und ausreichen. Aber, wird man mir einwenden, das Urtheil im Vindica- tionsproceß muß doch jedenfalls eine Verpflichtung des Beklag- ten zur Herausgabe der Sache begründet haben. Eine Ver- pflichtung in dem unbestimmten Sinn des Wortes, in dem man auch wohl von einer Verpflichtung spricht, die Gesetze und An- ordnungen der Obrigkeit zu befolgen, allerdings, aber keine Ver- pflichtung im juristisch-technischen Sinn: keine obligatio. Die Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. alte reivind. ging selbst nicht einmal im Moment ihrer Ver- wirklichung durch den Begriff der Obligation hindurch, denn der Beklagte hat die Sache nicht zu geben, sondern der Kläger nimmt sie sich, L. 57 pr. de evict. (21. 2) .. ante ablatam vel abductam rem L. 67 ibid. das Dulden von Seiten des Beklagten ist Nichts als das Unterlassen der Auflehnung gegen die Rechts- ordnung und die Obrigkeit. L. 6 §. 1 si quis jus (2. 3). Auch wenn der Beklagte nach dem Urtheil gestorben wäre, hätte die Execution keinen Auf- schub zu erleiden brauchen, zum besten Beweise, daß jenes Dulden kein Handeln war, denn Handeln setzt eine Person voraus. So wenig es eines Gebens bedurft hätte, wenn der Beklagte von vornherein einen Widerstand überall nicht ent- gegengesetzt hätte, sondern wie hier der Kläger nach erfolgter addictio des Prätors Gaj. II. 24 (in jure cessio). einfach den vor Gericht gebrachten Gegenstand mit sich hinweggenommen hätte, Ebenso wenn durch Ertheilung der Vindicien der Besitz von dem Einen auf den Andern übertragen worden war. Liv. III. 48: I Lictor, sub- move turbam et da viam domino ad prehendendum mancipium. ganz ebenso stand die Sache, wenn dieser Widerstand durch das Urtheil ge- brochen war. Als Resultat unserer bisherigen Ausführungen werden wir den Satz aussprechen dürfen: die reivind. des neuern Rechts ist ein Conglomerat verschiedener um das Eigenthum sich drehen- der Ansprüche, dinglicher und persönlicher, nicht sowohl eine einzelne Klage, als ein ganzer Complex von Klagen, kurz in analytischer Hinsicht ein Compositum. Die reivind. des ältern Rechts dagegen bleibt dem Gesichtspunkt eines Verfahrens ge- gen die Sache von Anfang bis zu Ende treu; ihrer ursprüng- lichen Richtung und Voraussetzung nach lediglich durch die Sache bestimmt, nimmt sie Nichts in sich auf, was über das rein Sachliche hinausginge und die Person träfe, sie entsteht C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. und endet im Gebiet des reinen Sachenrechts , die admini- kulirenden obligatorischen Ansprüche, deren sie bedarf, schlagen, wie sie es nach unserem Gesetz der Analyse sollen, die Bahn der act. in personam ein. Die alte reivind. ist also ein analy- tisch einfacher Körper, denn sie schließt keinen Bestandtheil in sich, der anderwärts als selbständiger Rechtsbegriff vorkommt. Das so eben erörterte Beispiel hat vor den beiden, die ich jetzt erwähnen will, den Vorzug voraus, daß es unzweifelhaft in die früheste Zeit der römischen Rechtsentwicklung hinaufreicht — denn daß wir in der alten reivind. eines der ältesten römischen Rechtsgebilde besitzen, darüber wird unter Kundigen wohl kein Zweifel obwalten. Die zwei andern Beispiele: der ususfructus und die cautio damni infecti gehören in ihrer jetzigen Form wahrscheinlich einer jüngern Epoche, Was die spätere Zeit in Form der cautio (mit eigner Verpflich- tung des Caventen) vermittelt, hat die ältere, wie es scheint, in Form der Einständer (um den unzutreffenden Ausdruck: Bürgen zu vermeiden) der vades, praedes ( ohne eigne Verpflichtung des Bestellers) erreicht, s. Theo- rie der Rechte. aber immerhin noch dem Zeitalter der strengen Handhabung der alttechnischen Grund- sätze an. Ueber die Structur des Ususfructus habe ich bereits S. 131, 132 das Nöthige gesagt, die dort angestellte Verglei- chung desselben mit der Superficies und Emphyteusis kann Nie- manden über den Gegensatz der Methode des ältern und neuern Rechts im Unklaren lassen. Ueber das zweite Beispiel werden wenig Worte genügen. Es ist der einzige Fall, in dem das ältere Recht den Schutz des Grundeigenthums in die Form einer eigentlichen obligatio bringt. Warum? Warum genügte nicht, wie bei der act. aquae pluviae arcendae, eine durch das Gesetz aufgestellte actio in personam? Oder wenn es in jenem Fall der Begründung einer obligatio durch besondern Vertrag be- durfte, warum nicht auch in letzterem Fall? Die Antwort lautet: weil es sich in jenem Verhältniß um Zahlung von Geld, d. i. um eine obligatorische Leistung handelte, was bei der act. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. pluv. arc., ad exhibendum nicht der Fall war, denn das arcere, restituere, exhibere ist im Sinn des alten Obliga- tionsbegriffs keine obligatorische Leistung. Eine Delictsklage war nicht möglich, weil ein Delict eine positive Thätigkeit vor- aussetzt, nicht durch ein rein negatives Verhalten, wie es das Unterlassen von Reparaturen ist, begangen werden kann. In Gemäßheit unseres obigen Gesetzes blieb daher Nichts übrig, als diese mit dem Eigenthum verbundene, aus ihm herauswachsende Obligation, in derselben Weise, wie es mit den accessorischen Obligationen bei der reivind. und dem ususfructus geschah, in die ihr zukommende specifische Form zu bringen, d. h. den Imploraten zur ausdrücklichen Uebernahme der Ersatzverbind- lichkeit indirect zu zwingen. Die bisherige Ausführung sollte den Grundsatz der ele- mentaren Einfachheit der Rechtskörper zunächst nur in einer seiner lehrreichsten Anwendungen veranschaulichen. Um denselben aber als allgemeines, ausnahmsloses Gesetz aufstellen zu dürfen, dazu bedarf es noch eines Weitern: einer Prüfung sämmtlicher Rechte des ältern Systems unter diesem Gesichts- punkt. Soll letzterer die Probe bestehen, so darf sich unter ihrer Zahl kein einziges befinden, welches aus zwei systematisch ein- fachen Elementen aus Recht und Recht oder aus Recht und Verpflichtung gemischt ist, es muß vielmehr, wo irgend ein Ver- hältniß seiner Natur nach ein solches Zusammenwirken meh- rerer Elemente mit sich bringt, der so eben geschilderte Weg separater Nebeneinanderstellung eingeschlagen worden sein. Nach solchen Mischbegriffen wird man nun, wie bereits be- merkt, im älteren Recht vergebens suchen. Nicht darin aber hat dies seinen Grund, weil es der ältern Zeit an der Substanz da- für, an den Verhältnissen selber gefehlt hätte, denn wenn auch manche der obigen Beispiele einer höhern Stufe wirthschaftlicher Entwicklung angehören, so kannte doch auch die ältere Zeit Fälle C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. genug, in denen sie, wenn sie es sonst gewollt hätte, eine solche Verschmelzung zweier Begriffe zur Einheit hätte eintreten lassen können. Der Weg, den sie in diesen Fällen einschlägt, ist aber ein ganz anderer, nämlich der der äußerlichen Combination, oder soll ich sagen: der Addition der beiden Begriffe. Beide werden einzeln für sich durch ein besonderes Rechtsgeschäft in Wirksam- keit gesetzt und gehen in dieser ihrer Wirksamkeit völlig selbstän- dig neben einander, ohne sich gegenseitig zu bedingen oder zu modificiren. Ich will dies jetzt an einigen Beispielen nachwei- sen, welche die Verbindung der Obligation mit der reivindi- catio, dem Grundeigenthum und dem ususfructus betreffen. Von den zwei angedeuteten Richtungen, in denen sich unser Grundsatz zu bewähren hat, bietet die erste: die Combination zweier Rechte zur Einheit des Begriffs mir keinen Anlaß zur weitern Entwicklung mehr dar. Ich muß abwarten, ob meine Behauptung nach dieser Seite hin auf Widerspruch stößt. Die Einwendungen, die ich zur Zeit absehe, sind zu unstichhaltig, als daß ich sie vorbringen und widerlegen möchte. So z. B. die Prädialservitut sei mit dem Eigenthum verbunden. Antwort: darauf be- ruht eben ihr Begriff, eine einfachere Form für sie ist gar nicht denkbar. Die- selbe Antwort auf den Einwand: die hereditas übertrage Rechte aller Art; die hausherrliche Gewalt gewähre die Macht über die Person und zugleich alles, was dieselbe erwerbe. Das Einzige, was ich etwa noch hervorheben könnte, ist der Contrast, in den sich das neuere Recht dadurch zum älteren gesetzt hat, daß es zur Verfolgung eines und desselben Anspruches dem Kläger eine in rem und in personam actio verstattet, so z. B. dem Legatar aus dem Legat, der Ehefrau wegen der Dos. Es gehörte der völlige Bruch mit den technischen Ueberlieferungen der alten Jurispru- denz dazu, um diese Idee zu Tage zu fördern. Im alten Recht waren die beiden Klagen, wie bei allen Verhältnissen, so auch beim Legat streng geschieden, das Vindicationslegat ward aus- schließlich mit der einen, das Damnationslegat ausschließlich mit der andern geltend gemacht, eine Combination beider Kla- gen, bez. beider Legatsformen zu einer Doppelform wäre einem Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Juristen der alten Schule als eine Ungeheuerlichkeit erschienen, Eigenthum und Obligation, in rem actio und in personam actio waren streng geschiedene und incompatible Körper. Zur weitern Untersuchung verbleibt uns also nur die zweite angedeutete Möglichkeit: die Combination von Recht und Ge- genrecht oder Pflicht zur Einheit des Begriffes. Das ältere Recht erkennt diese Möglichkeit nicht an, alle ihm bekannten Rechtsverhältnisse sind wesentlich einseitiger Art , sie ge- währen lediglich dem Berechtigten ein Recht , für ein Gegen- recht, für eine Pflicht haben sie keinen Raum. Dieser Gesichtspunkt der Einseitigkeit ist bereits vor mir von Stahl ausgesprochen worden. Philosophie des Rechts. Aufl. 2 B. 2 S. 392 fl. (Anhang über den Werth des römischen Privatrechts). Ohne das Verdienst dieses Mannes, dessen tiefen, ins Innere der Dinge dringenden Blick Niemand so anerkennen kann, wie ich, zu schmälern, darf ich doch behaupten, daß seine Ausführungen Manches zu wünschen übrig lassen. Um von Einzelnheiten völlig zu schweigen, so kann ich ihm jedenfalls, was die Bedeutung anbetrifft, die er diesem Gesichtspunkt beilegt, in keiner Weise beistimmen. Weder darin, daß in diesem einzigen Gedanken das eigenthümliche Wesen des römischen Rechts beschlossen liegen solle, was für das neuere nicht zutrifft, für das ältere aber viel zu eng ist, noch darin, daß derselbe in der ethischen Lebensanschauung der Römer seinen Grund gehabt haben soll. Ohne die Mitwirkung dieser letzteren Quelle zu verkennen, glaube ich doch schon durch meine bisheri- gen Beispiele den wesentlichen Antheil, den die Technik an jener Erscheinung hatte, zur Genüge dargethan zu haben. Was Stahl irre geführt, darüber habe ich mich schon bei Gelegenheit des allgemeinen Wesens der Analyse (B. 2 S. 378, 79) des Wei- tern ausgesprochen, und es kann hier genügen darauf einfach Bezug zu nehmen. Das Verhältniß des Mannes zu seiner Frau hat im neuesten Recht den Charakter eines gegenseitigen angenommen, ebenso C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. das des Vormundes zu seinem Mündel, und dasselbe kann man bis zu einem gewissen Grade auch von der väterlichen Gewalt sagen, insofern auch sie dem Vater Pflichten (z. B. die Alimen- tationspflicht) auferlegt. Ganz anders im ältern Recht. Denn wie diese Verhältnisse im Leben und durch die Sitte immerhin auch thatsächlich gestaltet sein mochten, juristisch waren sie sämmtlich einseitige Machtverhältnisse, die einen Gegenanspruch des Untergebenen nicht zuließen. Für die Kinder bedarf dies keiner Bemerkung, für die Ehefrau in der manus könnte man höchstens eine Ausnahme rücksichtlich der Dos statuiren. Allein nach der richtigen Ansicht Ich freue mich dieser Anficht, auf die ich von einer andern Seite gekommen war, jetzt bei Bechmann , Das röm. Dotalrecht. Erste Abth. Erlangen 1863. S. 105 zu begegnen, der zuerst der herrschenden Auffassung, als ob die Dos zwischen Mann und Frau ursprünglich ein obligatorisches Verhältniß begründet habe, entgegengetreten ist. hatte die Frau, wie überhaupt kei- nen Anspruch gegen den Mann, so auch nicht rücksichtlich der Dos, es wäre ein Anspruch des Mannes gegen sich selber gewe- sen. Die Vormundschaft in ihrer ursprünglichen Gestalt von den Römern ausdrücklich als „Machtverhältniß“ definirt, „Jus ac potestas in capite libero“ Cic. de invent. II. 50, L. 26 pr. de tut. (25. 1). ge- hörte in der ältern Zeit zur Zahl der Pflichtverhältnisse ( offi- cia ), Gell. V. 13. die zwar eine höchst innige, durch Infamie geschützte, sittliche Verpflichtung, aber keine juristische Verbindlichkeit begründeten. Unterschlagung erzeugte hier, wie überall, die Diebstahlsklage aufs Doppelte ( act. rationibus distrahendis ), der Gedanke eines obligatorischen Anspruches des Pupillen ge- gen den Vormund auf treue und sorgfältige Führung seines Amtes, m. a. W.: das judicium tutelae war dem ältern Recht fremd. S. die Geschichte der Verhältnisse der bona fides in der Theorie der Rechte. Das Eigenthum ließ sich durch Servituten beschränken, Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. und der Eigenthümer selber konnte sich persönlich verpflichten, allein mit dem Eigenthum als solchem (d. h. so, daß sie auf den Nachfolger übergegangen wäre) ließ sich eine Obligation nicht verbinden. Durch den Satz: servitus in faciendo con- sistere nequit war dafür gesorgt, daß die Servitut nicht in das Gebiet der Obligation hinübergriff. Die Last, die sie dem Eigenthümer auferlegte, fiel nicht unter den Gesichtspunkt einer Verbindlichkeit, sie bestand fort, auch wenn gar kein Eigenthü- mer, oder ein handlungsunfähiger da war, zum besten Beweise, daß das rein negative Verhalten von seiner Seite kein Handeln in sich schloß. Darum erfolgte ihre Geltendmachung auch nicht mit einer act. in personam, sondern einer act. in rem. Ueber die Structur des ususfructus ist bereits das Nöthige gesagt. Am ergiebigsten für unsere Betrachtung ist das Obligationen- recht. Bei weitem die meisten Verhältnisse des obligatorischen Verkehrs sind zweiseitiger Art, und es wird Niemand daran zweifeln, daß auch sie bereits dem altrömischen Leben bekannt gewesen sind. Um so lehrreicher ist daher die Thatsache, daß alle Obligationsformen, welche mit Sicherheit auf das ältere Recht zurückzuführen sind, wesentlich einseitiger Art sind, nämlich das Nexum, das Darlehn, der Literalcontract und die Stipulation. Unter den zweiseitigen Verträgen des spätern Rechts gibt es keinen, den die Römer dem jus civile zuzählten, sie gehören sämmtlich dem jus gentium an, das heißt aber m. a. W.: der Gedanke der Gegenseitigkeit ist kein ursprünglicher Gedanke des römischen Civilrechts, das specifisch Römische ist die Einseitigkeit . Es wird nicht der Angabe bedürfen, wie die Römer mit die- sem Grundsatz der Einseitigkeit auszureichen vermochten — sie lösten das zweiseitige Verhältniß in zwei einseitige Stipulatio- nen auf (z. B. stipulationes emti venditi, locati conducti ). Das Nähere in der Geschichte der Obligation. Wollte der Promittent sicher gehen, daß der Gegner die Einsei- C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. tigkeit seines Anspruches nicht mißbrauche d. h. denselben nicht geltend mache, bevor er seinerseits erfüllt hatte, so fügte er sei- nem Versprechen eine darauf gerichtete Bedingung hinzu ( centum dare spondes, si equum dederim? equum dare spondes, si centum dederim? ). Ebenso wenig werden wir darüber ein Wort zu verlieren haben, daß der Grund dieser Manipulation nicht mit Stahl in der Beschränktheit der ethischen, der Verbin- dung der Pflicht mit dem Recht widerstrebenden Auffassung der Römer, sondern in den Zweckmäßigkeitsgründen zu suchen ist, denen die Analytik des Rechts überhaupt ihren Ursprung ver- dankt. Die einseitige Obligation ist nicht bloß die einfachste Obligationsform im analytischen Sinn, sondern auch im prak- tischen Sinn, d. h. die am leichtesten zu handhabende (§. 55). Jahrhunderte lang hindurch hatten die Römer keine andere Obligation gekannt, als die einseitige, Jahrhunderte lang hatten sie sich daran gewöhnt die substantiell zweiseitigen Geschäfte des Lebens, wie Kauf, Miethe, Societät in die Form von zwei ein- seitigen Verträgen zu bringen, in ihnen juristisch nicht einen einzigen, sondern zwei Contracte zu erblicken. Aenderte sich dies nun mit einem Mal, als das Erforderniß der besondern Form dieser Verträge: die Stipulationsform hinwegfiel, sahen sie diese Geschäfte jetzt mit völlig andern Augen an? Jene Aende- rung in der Form schloß dies keineswegs in sich, die Frage nach der juristischen Structur des Geschäfts war von der Formfrage völlig unabhängig, und ein solcher totaler Umschwung in der ganzen Vorstellungs- und Auffassungsweise ohne zwingende Gründe würde durchaus der Weise der römischen Juristen, dem Continuitätsgesetz der römischen Rechtsentwickelung widerspro- chen haben. Und er ist auch nicht erfolgt. An die Stelle der stipulatio emti und venditi, locati und conducti trat nicht ein solches zweiseitiges Geschäft, wie wir Neuern es uns unter dem Kauf- und Miethcontract vorzustellen pflegen, sondern die emtio und venditio, die locatio und conductio; m. a. W. jene beiden Geschäfte behielten ihre alte Structur bei, sie blieben Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. was sie waren: zwei einseitige über einander geschobene Ge- schäfte. Darum ist es nicht Zufall, nicht eine bloße Reminiscenz an die ehemalige Structur derselben, daß die Römer zu deren Bezeichnung stets den Doppelnamen: emtio venditio, locatio conductio gebrauchen, sondern es prägt sich darin das wahre Wesen, die juristische Structur dieser Geschäfte auch vom Stand- punkt des neuern Rechts aus. Erst in unserer Zeit hat die rich- tige Erkenntniß davon zu tagen begonnen, Brandis , Zeitschr. f. Civilr. u. Proc. B. 7 S. 138 fl. Dern- burg , Compensation S. 70 ff. aber es fehlt noch viel, daß man überall mit den Irrthümern, die die bisher herr- schende Auffassung mit Nothwendigkeit in ihrem Gefolge haben mußte, aufgeräumt hätte. So z. B. in der Lehre von dem Irrthum, für welche Savigny System B. 3 S. 294 die Behauptung aufstellt, daß auch der Verkäufer we- gen Irrthums des Käufers von seiner Verbindlichkeit frei werde. Bei der Ehe würde dies richtig sein, denn eine Ehe kann nicht für den einen Theil nichtig, für den andern gültig sein, die Eingehung der Ehe enthält einen wirk- lich zweiseitigen Vertrag, bei dem die Wirkungen für beide Theile sich gegen- seitig bedingen. Dies gilt aber für den Kauf und Miethcontract nicht, eben weil beide nur ein Compositum von zwei Verträgen sind, es kann eine emtio ohne venditio, eine venditio ohne emtio geben. Die weitere Ausführung würde uns hier zu sehr ins dogmatische Detail führen. Auch für diejenigen wesentlich oder zufällig zweiseitigen Ge- schäfte, welche die Römer mit einem Namen bezeichneten, wie z. B. die societas, das mandatum u. a. wiederholt sich derselbe Mechanismus, dieselben können für den einen Theil von vorn- herein ungültig, für den andern gültig sein, für den einen fort- dauern, für den andern nicht. Bei diesem partiellen Bestehen nimmt der nicht zur juristischen Existenz gelangte Gegenanspruch des andern Theils den Charakter einer Bedingung der Rea- lisirung des gegnerischen Anspruchs an — eine Art der indirecten Verpflichtung des Gegners, auf welche die römischen Juristen den Ausdruck: obligatio naturalis ausgedehnt haben. Das Verhältniß ist aber in Wirklichkeit kein anderes, als bei der C. Die abstracte Analyse. Einfachheit der Rechtskörper. §. 54. oben angegebenen bedingten stipulatio emti, aus der es sich historisch entwickelt hat. Ein Pupill, der mittelst der stipulatio emti „spondesne equum dare, si centum dederim?“ sich das ohne Tutor gekaufte Pferd hatte versprechen lassen und da- für seinerseits: centum dare, si equum dederis spondirt hatte, haftete auf den Kaufpreis nicht anders, als wenn er einfach den Kaufcontract abgeschlossen hatte — wollte er das Pferd, so mußte er die Bedingung erfüllen. In unserem heutigen Recht sind zur Zahl der zweiseitigen Verträge noch die s. g. Innominatcontracte hinzugekommen, d. h. sie können zweiseitig sein, brauchen es aber nicht (selbst der Tauschcontract nicht); die Möglichkeit, daß nach Absicht der Contrahenten bloß der eine Theil verpflichtet sein solle, wenn der andere geleistet habe, nicht aber letzterer, ist auch im heutigen Recht nicht hinweggefallen. in ihrer reinen römischen Gestalt gehören sie bekanntlich zur Zahl der einseitigen — ein neuer Beleg für die Ausdehnung, in welcher der Gedanke der Einseitigkeit noch das neuere Obliga- tionenrecht beherrscht, für die Zähigkeit, mit der noch die spätere Zeit an diesem alt- und ächtrömischen Gedanken festhielt. Das Erbrecht bot diesem Gesichtspunkt nur bei dem Legat Raum, denn die Erbschaft schließt mit Nothwendigkeit den Uebergang von Rechten und Verbindlichkeiten in sich, darauf beruht ja der Begriff der Universalsuccession. Es hieße das wahre Verhältniß mehr verdecken, als aufklären, wollte man es dadurch mit unserem Gesichtspunkt in Uebereinstimmung bringen, daß man sagte: der Erbe überkomme nicht unmittelbar die einzelnen Rechte und Verbindlichkeiten, sondern das ideale Object der hereditas, die Persönlichkeit des Erblassers, er werde also lediglich berechtigt . Beim Legat dagegen ist unser Gesichtspunkt wiederum streng durchgeführt. Das Legat so wie das ihm correspondi- rende Geschäft unter Lebenden: die Schenkung, sind nach älterer Auffassung rein einseitige Zuwendungen, mit deren Begriff Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 13 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. die Auflage einer Verpflichtung Die Auflage eines modus fiel nicht unter den Gesichtspunkt einer Verpflichtung; erst das neuere Recht hat in paralleler Entwickelung mit dem bei den Innominatcontracten Statt gefundenen Fortschritt von der condictio ob causam datorum zur act. praescriptis verbis auch bei jenen beiden lucrativen Geschäften die indirect verpflichtende Kraft des modus zur directen gesteigert. nicht vereinbar ist; einem Legatar konnte kein Legat, dem Donatar keine Obligation auferlegt werden. Im neuern Recht ist beides möglich gewor- den, beim Legat dadurch, daß der Legatar mit einem Fideicom- miß belastet werden kann, bei der Schenkung durch die directe Erzwingbarkeit des Modus. Ist die ältere Jurisprudenz, wie so eben angenommen, wirklich von dem Satz ausgegangen, daß liberale Zuwendungen sich nicht mit obligatorischen Auflagen verbinden lassen, so wird sie es auch nicht geduldet haben, daß der Vater bei der Eman- cipation des Sohnes oder der Herr bei Freilassung des Sklaven sich etwas ausbedang. Rücksichtlich des ersteren Falles wird Nie- mand daran zweifeln, rücksichtlich des letzteren möchte es daraus hervorgehen, daß zu dem Zweck der Eid benutzt ward ( jurata operarum promissio ), was darauf zu deuten scheint, daß man den Zweck ursprünglich in juristischer Form nicht zu erreichen vermochte. Hiermit habe ich meine Uebersicht geschlossen, und wenn ich sonst kein Verhältniß übergangen, Auf das öffentliche Recht, das Stahl a. a. O. ebenfalls in den Kreis seiner Betrachtung gezogen hat, lasse ich mich hier nicht ein. so glaube ich das Resultat derselben in den Satz zusammenfassen zu dürfen: das ältere Recht kannte kein Verhältniß, welches aus Recht und Verbind- lichkeit gemischt ist. Gesellen wir dazu unsern frühern Satz: ebensowenig kannte dasselbe eins, welches zwei systematisch ver- schiedene Rechte zur Einheit des Begriffs zusammenfaßte, so möchte damit der an die Spitze dieses Paragraphen gestellte Ge- sichtspunkt der elementaren Einfachheit der Rechtskörper seine Erläuterung und Rechtfertigung gefunden haben. C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. 2. Analytische Vereinfachung des Thatbestandes. Vereinfachung des Thatbestandes im Interesse des Beweises — Ausscheidung lösbarer Elemente in Form selbständiger Begriffe und Verhältnisse — die abstracte Eigenthumsübertragung (dop- pelte Beurtheilung desselben Aktes vom Standpunkt des Eigen- thums und der Obligation aus) — die abstracte Obligation (die act. receptitia ) — der abstracte Rechtskörper (die juristische Per- son) — Anwendung des Grundsatzes in den Verhältnissen des öffentlichen und des Privatrechts — System der politischen Vitiö- sität — Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. Denique sit quodvis simplex duntaxat et unum. Hor. ep. ad Pisones. v. 23. L V. Die erfolgreiche Geltendmachung der Rechte hängt ab von dem Beweis ihres Thatbestandes, d. h. des Inbegriffs der Voraussetzungen, an welche das Gesetz die Entstehung derselben geknüpft hat. Der Beweis ist der Preis, um den die Rechte processualisch zu haben sind; je höher dieser Preis, d. h. je um- ständlicher, schwieriger der Beweis, um so mehr verringert sich der praktische Werth der Rechte, denn letzterer bestimmt sich, wie bei allen Dingen, nicht bloß nach ihrem Inhalt, nicht nach ihrer Brauchbarkeit an sich, sondern zugleich darnach, welcher Aufwand von Zeit, Mühe und Kosten erforderlich ist, um sich derselben zu versichern. Möglichste Erleichterung des Beweises ist daher eine der wichtigsten Rücksichten, die der Gesetzgeber und die Wissenschaft bei der Gestaltung des Rechts zu nehmen ha- ben; ein Beitrag zur Lösung dieser Aufgabe wiegt für den Verkehr mehr, als die feinste innere Ausbildung und Zuspitzung der Rechtsbegriffe — die kostbarsten Güter sind werthlos, wenn die Kosten ihrer Erlangung den Gewinn verschlingen. So einleuchtend diese Wahrheit ist, so viel fehlt doch, daß sie überall von der modernen Gesetzgebung und Wissenschaft in gebührender Weise berücksichtigt worden wäre, und man kann geradezu behaupten, daß der Fortschritt in Bezug auf die innere 13* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Seite des Rechts mit einem Rückschritt in Bezug auf jene äußere, praktische Seite desselben verbunden gewesen ist. Unser heutiges Recht steht in dieser Beziehung weit unter dem reinen römischen — eine Behauptung, die ich hier ebenso wenig weiter ausführen darf, als ich nöthig haben werde, die ziemlich nahe liegenden Gründe anzudeuten, in denen diese Erscheinung ihre Erklärung findet. Die glückliche Lösung des obigen Problems hängt ab theils von einem allgemeinen Moment: der zweckmäßigen Gestal- tung des Beweisverfahrens und der Beweislehre überhaupt, — theils von einem besondern , der Theorie der einzelnen Rechte angehörigen Moment: dem richtigen Zuschnitt ihres Thatbestandes (B. 2 S. 347—352). Je complicirter, umfäng- licher der Thatbestand, je unbestimmter, vager die Erfordernisse, aus denen er zusammengesetzt ist, um so umständlicher, schwie- riger der Beweis. Jedes dieser Erfordernisse leistet dem Gegner den Dienst einer offenen Schanze, die er durch bloßes Läugnen in Besitz nehmen kann, und aus der der Angreifende ihn erst mit vieler Mühe vertreiben muß. Durch ungeschickte Formuli- rung des Thatbestandes kann daher die Verfolgung der Rechte in bedenklichster Weise erschwert, durch geschickte in höchst wirk- samer Weise erleichtert werden. Wer unser Recht unter diesem Gesichtspunkt prüfen will, wird eine reiche Ausbeute finden, reich genug, um eine höchst interessante und lehrreiche Abhand- lung über die Kunst der zweckmäßigen Gestaltung des Thatbe- standes zu schreiben. Daß sie es bisher nicht ist, gehört zur Signatur unserer modernen Rechtswissenschaft. Ueberschlage ich im Geist die verschiedenen Hülfsmittel und Kunstgriffe, welche das römische Recht zum Zweck der Verein- fachung des Thatbestandes in Anwendung gebracht hat, so sind vorzugsweise zwei unter ihnen von principieller Bedeutung: die Veräußerlichung des Thatbestandes, d. h. die Substitui- rung äußerer Kriterien und Erfordernisse an Stelle der innern — davon ist bereits B. 2 S. 348 fl. gehandelt — und die C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. analytische Vereinfachung desselben — davon ist hier zu reden. Das Wesen dieser letztern Operation besteht darin, daß von den zu irgend einem Verhältniß erforderlichen Momenten gewisse vom Thatbestand desselben ausgeschieden und in die Form besonderer selbständig wirkender Begriffe und Rechtsmittel ge- bracht werden. Die Gestalt, die das Rechtsverhältniß schließ- lich erhält, ist also nicht das Werk einer einzigen, sondern zweier Kräfte, von denen die eine sich in dieser, die andere in jener Richtung bewegt; die eine setzt und schafft, die andere be- schränkt, negirt, ergänzt — ein Zusammenwirken von Kräften nach Art des Parallelogramms der Kräfte, bei dem jede Kraft in einer besonderen Richtung thätig ist und die Gesammtwirkung in der Diagonale Statt findet. Man sieht, es ist dasselbe Verfahren, wie das im vorigen Paragraphen geschilderte, und in einigen Fällen, z. B. bei der abstracten Obligation, trifft es sogar ganz zusammen. Aber Zweck und Motiv ist in beiden Verhältnissen ein verschiedenes. Daß z. B. eine wegen mangelhafter Causa ungültige Eigen- thumsübertragung mit einer besondern Klage angefochten wer- den muß, daß ein im Widerspruch mit den Auspicien erlassenes Gesetz bis zu seiner Aufhebung gültig blieb — das hat mit dem Grundsatz der elementaren Einfachheit der Rechtsbegriffe Nichts gemein. Die Idee der analytischen Vereinfachung des Thatbestandes beschränkte sich keineswegs auf das Privatrecht, ihre interessan- teste, jedenfalls aber ihre wichtigste Anwendung fand sie auf dem Gebiete des geistlichen und öffentlichen Rechts, und es wird, um ein vollständiges Verständniß von ihr zu erlangen, nöthig sein, sie auch in der letztern Richtung zu verfolgen. Wir begin- nen mit dem Privatrecht. Der Beweis eines auf derivativem Wege, d. i. durch Suc- cession erlangten Eigenthums erfordert zweierlei: den des Eigen- thums des Autors und den der Succession (Universal- und Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Singularsuccession). Ist die Sache durch mehrere Hände hin- durchgegangen, so vervielfacht sich der zweite Beweis in dem- selben Maße, als Successionsfälle Statt gefunden haben. Der erste ist stets nur dadurch zu erbringen, daß in der Person des nähern oder entfernteren Vorgängers eine Entstehung des Eigen- thums auf originärem Wege dargethan wird. In der ersten Beziehung genügt es nicht, nachzuweisen, daß der Eine dem Andern die Sache tradirt habe — denn die Tradition als solche überträgt bloß Besitz — es muß vielmehr dargethan werden, daß sie zum Zweck der Eigenthums übertragung erfolgt ist, also das Geschäft, aus dem sich dies ergibt, angegeben und bewiesen werden und, wenn dasselbe ein Kaufcontract war, außerdem noch die Zahlung oder Creditirung des Kaufpreises, die bei diesem Geschäft bekanntlich die Voraussetzung des Eigen- thumsübergangs bildet. Welche Schwierigkeit des Beweises! Ist es dem Beweisführer auch gelungen, alle die früheren Inne- haber bis zum originären Eigenthümer: dem Fabrikanten, Pro- ducenten, Occupanten, Usucapienten, ausfindig zu machen und das Successionsverhältniß zu constatiren, so hat er bei jedem erst noch zu ermitteln, wie hoch der Kaufpreis sich belief, und ob er bezahlt oder creditirt worden ist. Ein einziges mangelndes Glied in dieser Kette, und die ganze Kette ist unterbrochen. So hat also der Beweisführer die Sache bei allen ihren Irrfahrten und Sprüngen zu begleiten, ihren Lauf rückwärts bis zum ersten Ausgangspunkt zu verfolgen, kurz ihre ganze Geschichte zu schreiben. Welche Anforderung! Wer gäbe nicht häufig lieber sie selber Preis, als sich dieser Mühe zu unter- ziehen. Dazu gesellt sich noch ein anderer erschwerender Um- stand. Steht einmal die Eigenthumsübertragung in Abhängig- keit von dem Geschäft, dessen Ausführung sie enthält, so muß nothwendigerweise ein Ungültigkeitsgrund, der letzteres betrifft, z. B. Betrug, Zwang, Irrthum, seinen Einfluß auch auf sie erstrecken, d. h. so lange nicht die Usucapion diesen Mangel in C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. der Person irgend eines Innehabers geheilt hat, bis in die ent- ferntesten Hände hinein nachwirken. Welche unpraktische Gestalt des Eigenthums, welcher Auf- wand von Mühe und Kosten, und wie oft würde es trotzdem über der langen Schleppe, die es nach sich zöge, zu Fall kom- men. Es ist nicht dieses Orts zu zeigen, welche verschiedenen Mittel das römische Recht in Anwendung gebracht hat, um jenen Schwierigkeiten zu begegnen. Usucapion, act. Publiciana, interd. utrubi, Erforderniß der An- gabe der causa von Seiten des Beklagten (S. 99) im ältern Vindications- proceß. Wir beschränken uns auf ein einziges, aber allerdings sehr ausgiebiges: die analytische Aus- scheidung des Causalmoments bei der Eigenthumsübertragung, und zwar lassen wir dabei die Tradition ganz außer Acht aus Gründen, die seiner Zeit erhellen werden, S. die Theorie der Rechte, wo der Nachweis versucht werden wird, daß das Vindications eigenthum, von dem hier allein die Rede ist ( do- minium ex jure Quiritium ) ursprünglich auf res mancipi beschränkt war. Die Structur der Tradition, die ihre Kraft als Eigenthumsübertra- gungsform für res nec mancipi erst im neuern Recht erhalten hat, weicht von der der mancipatio und in jure cessio nicht unerheblich ab. so daß also nur die mancipatio und in jure cessio zur Betrachtung übrig bleiben. Das juristische Wesen beider Geschäfte läßt sich mit dem Be- griff der abstracten Eigenthumsübertragung wiedergeben — einer Eigenthumsübertragung, die von ihrem Causalmoment sich frei gemacht, abstrahirt hat. Das Causalmoment hat eine große Aehnlichkeit mit dem Motiv, unterscheidet sich aber wesent- lich von demselben. Das Motiv ist etwas für die juristische Charakteristik des Geschäftes völlig Unwesentliches. Ob Je- mand kauft weil er die Sache nöthig hat oder weil er dem Ver- käufer einen Verdienst zuwenden will, ob er schenkt aus Eitel- keit oder aus Wohlwollen, ist völlig gleichgültig, der Kaufcon- tract, die Schenkung als solche ist eine juristisch völlig verständ- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. liche Thatsache, welche die Frage nach dem Warum in einem Juristen gar nicht hervorruft. Ganz anders bei der Eigenthums- übertragung. Der Zweck oder Grund, dessentwegen sie erfolgt, ist nicht bloßes Motiv, etwas in der subjectiven Innerlichkeit Beschlossenes, was jede Parthei für sich behalten kann, sondern es ist ein Element des Geschäfts selbst, über das beide Partheien einverstanden sind, eine gemeinsame Voraussetzung desselben, ein Moment, welches diesem Akt erst seinen specifischen ver- mögensrechtlichen Charakter als Zahlung, Schenkung, Zweck- gabe u. s. w. aufdrückt, kurz ein zur vollständigen juristischen Charakteristik dieses Akts völlig unentbehrliches Merkmal. Wird uns dieses Moment vorenthalten oder richtiger zur separaten Untersuchung zurückgewiesen, so fehlt uns etwas zum vollen Verständniß des Akts, auf die Frage: Warum? gibt er uns keine Antwort, unser Urtheil über ihn kann daher nur ein einseitiges sein. Eben diese Einseitigkeit ist aber der Zweck dieser ganzen Manipulation, die Eigenthumsübertragung soll lediglich dar- nach beurtheilt werden, ob unter und neben all dem andern, was die Partheien sonst noch wollten, auch die Eigenthumsübertra- gung beabsichtigt war, m. a. W. nach dem Dasein des abstracten Eigenthumsübertragungswillens. Jene beiden Akte stellen uns demnach den Eigenthumswillen dar in seiner absoluten Isoli- rung, in seiner vollständigen auf dem Wege der juristischen Ana- lyse beschafften Reinigung von allem obligatorischen Beiwerk — um sie zu beurtheilen, braucht man Nichts vom Obligationen- recht zu verstehen! — sie sind Vorgänge , die sich ausschließ- lich auf dem Gebiete der Eigenthumstheorie bewegen: reine Eigenthumserwerbungsarten . Das hohe Alter der mancipatio beweist, daß die Römer sich schon früh zu jener Höhe der Abstraction aufgeschwungen haben, von der sie Zeugniß ablegt. Der Form nach hält die manci- patio noch an dem Gedanken der Nothwendigkeit des Causal- moments bei der Eigenthumsübertragung fest, denn sie motivirt dieselbe mittelst eines von der andern Seite sofort erfüllten C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. Scheinkaufs ( eaque mihi emta est hoc aere aeneaque libra ) — eine Erscheinung, die sich bei der abstracten Obligation, dem nexum und dem Literalcontract und bei unserem Wechsel in der Valutaclausel („Valuta erhalten“) wiederholt. So legt also die Mancipatio gewissermaßen durch ihre eigne Form das Geständ- niß ihrer Künstlichkeit ab, indem sie das Moment, von dem sie sich thatsächlich losreißt, ausdrücklich als berechtigtes anerkennt. In der in jure cessio ist selbst diese rein äußerliche Remi- niscenz an das Causalmoment überwunden, sie ist auch der Form nach, was sie der Sache nach ist: ein reiner Eigenthumsübertra- gungsakt, und bekundet auch dadurch ihr relativ jüngeres Alter (B. 2 S. 579). Der Umstand, daß sie auch auf res nec man- cipi, seitdem an ihnen ein dominium ex jure Quiritium zuge- lassen war, Anwendung fand, gab das Mittel an die Hand, das die traditio versagte, um nämlich auch bei ihnen eine ab- stracte Eigenthumsübertragung vorzunehmen. Ein zur Erklärung der Thatsache, daß man sich bei res nec man- cipi statt der bequemeren Tradition der Abtretung vor Gericht bediente, nicht unwichtiger Umstand. Fragen wir nun, worin der praktische Nutzen der Ausschei- dung des Causalmoments bei jenen beiden Geschäften bestanden habe, so traf derselbe zunächst die Vereinfachung des Beweises bei der reivindicatio . Der Kläger war der Mühe überhoben, den Geschäften nachzuforschen, vermittelst deren die Sache aus der einen Hand in die andere gegangen war, und auch dem Be- klagten waren alle Einwendungen, die er der etwaigen Ungül- tigkeit derselben hätte entnehmen können, abgeschnitten, m. a. W. das Causalmoment der Eigenthumsübertragung bildete kein Streitmaterial für die reivind., weder für den Hauptbeweis, noch für den indirecten Gegenbeweis. Der zweite Vortheil lag in Folgendem. Die Form, in der das Causalmoment seine Verwendung fand, war die einer auf die beiden, unmittelbar durch das betreffende Geschäft in Ver- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. bindung gesetzten Personen beschränkten d. h. persönlichen Klage (der Contracts-Klage oder der Condictionen wegen mangelhaf- ter oder nicht erfolgter causa ). War also das Eigenthum über- tragen worden z. B. unter einer Voraussetzung, die von An- fang nicht vorhanden gewesen oder späterhin nicht eingetreten war, so gewährte dieser Umstand zwar dem Geber eine con- dictio ob causam datorum, um damit den erfolgten Eigen- thumsübergang wieder rückgängig zu machen, aber wohl zu be- achten: nur gegen den Empfänger — das Eigenthum selber ward dadurch nicht berührt, es ging frei aus der einen Hand in die andere. Dieser Mechanismus, den das spätere Recht im Wesentlichen auch für die Eigenthumsübertragung durch Tradi- tion beibehalten hat, ist vielleicht einer der glücklichsten Gedan- ken des römischen Rechts, jedenfalls einer der festesten Anker für die Sicherheit des Eigenthums. Man würde sich irren, wenn man die Gestalt der Sache als etwas sich von selbst Verstehen- des betrachten wollte; das spätere Recht lehrt das Gegentheil. Letzteres hat nämlich in einigen Ausnahmsfällen den entgegen- gesetzten Weg eingeschlagen, so z. B. bei der act. quod metus causa, bei der restitutio in integrum der Minderjährigen, L. 13 §. 1 de minor. (4. 4) .. adversus rei possessorem, licet cum eo non sit contractum. L. 14 ibid. — L. 9 pr. ibid. L. 1 Cod. si adv. vend. (2. 29). ( Nicht bei der rest. majorum, wie man aus L. 30 §. 1 ex q. c. maj. [4. 6] abnehmen will.) — L. 58 de re jud. (42. 1). bei der Resolutivbedingung, wenigstens in gewissen Verhältnis- sen. Dazu würden sich auch manche Fälle der reivind. utilis gesellen, wenn die herrschende Lehre richtig wäre. In meinen Augen ist die Resolutiv- bedingung in ihrer modernen Gestalt vom legislativen Standpunkt aus einer der verwerflichsten Rechtsmechanismen, die es gibt; die Form, die ihr ge- bührt, und die sie stets hätte behalten sollen, ist die des persönlichen An- spruchs (Contractsklage oder cond. causa data causa non secuta ). In ihrer modern-römischen Gestalt schließt sie eine große Gefahr für das Eigenthum und eine ergiebige Quelle bedenklichster Verwirrung in sich. Hier behält das Eigenthum sein Muttermal, so zu sagen, stets bei, der angeborne Fehler ist ein Todeskeim, der, C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. wie spät und wo er sich auch entfaltet, dem Eigenthum den Un- tergang bereitet und so den Unschuldigen , den spätesten Nachmann mit in die Verwickelung und den Schaden hin- einzieht. Solche dem Eigenthum noch in die fernste Hand nachschlei- chende Rückforderungs- und Anfechtungsklagen, — man möchte sie als Siechthum des Eigenthums, als Eigenthumskrankheiten bezeichnen! — waren dem ältern Recht völlig fremd, und in meinen Augen steht es dadurch nur um so höher. Das altrömi- sche Eigenthum ist gesund und kräftig, wie alle Institute des ältern Rechts, und gegen alle Ansteckung gesichert. All der An- steckungsstoff, der ihm auf seinem Wege und bei seiner Berüh- rung mit der Obligation gefährlich werden könnte, entweicht in die Form der persönlichen Klagen, alles Unreine, alle Schlacken läßt es bei den zwei sich unmittelbar gegenüberstehenden Personen zurück und wandelt unversehrt und intact von einer Hand in die andere. Den Condictionen wegen Mangels in der causa, die ihm das Causalmoment abnehmen, verdankt das Eigenthum seine Reinheit, Sicherheit und freie Beweglichkeit. Diese Selbständigkeit der Eigenthumsfrage verläugnete sich selbst für das Verhältniß der unmittelbar gegenüberstehenden Partheien nicht, d. h. auch in dem zwischen ihnen beiden ob- schwebenden Vindicationsproceß war das Material für die Con- dictionen völlig ausgeschieden, was nach §. 52 keiner weitern Ausführung bedürfen wird. Aber gleichzeitig mit dem einen Proceß konnte der andere instruirt, möglicherweise derselbe Rich- ter dafür bestellt werden. In beiden Processen handelte es sich um denselben äußern Akt, aber der Standpunkt der Betrachtung und der juristische Charakter des Aktes selbst war hier und dort ein völlig verschiedener. Diese letztere Bemerkung über den Doppelcharakter eines und desselben Aktes vom Standpunkt des Eigenthums und des Obligationenrechts aus kann nicht genug betont werden, sie trifft in demselben Umfange, wie für das alt- römische, auch für unser heutiges Recht zu. Jedes Geben — und Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. dasselbe gilt von jeder Vermögenszuwendung (z. B. der Bestellung einer Servitut, der Cession, Novation u. s. w.) — fällt unter einen doppelten Gesichtspunkt und ist daher von dem, der genau sprechen will, auch mit verschiedenen Namen zu bezeichnen. Der- selbe Akt, der in der einen Richtung den Namen: mancipatio, traditio an sich trägt, heißt in der andern solutio, indebiti so- lutio, donatio, mutuum u. s. w. In der einen Richtung kann er bestehen, in der andern nicht, derselbe Richter, der den Akt als gültige Eigenthumsübertragung anerkannt und geschützt hat, kann ihn als ungültige solutio rescindiren d. h. die Verpflich- tung zur Rückübertragung des Eigenthums aussprechen (nicht das Eigenthum selber aberkennen). Der Gedanke der Ausscheidung des Causalmoments, den wir so eben für das Eigenthum entwickelt haben, wiederholte sich auch für das alte Obligationenrecht; die abstracte Eigenthums- übertragung fand in der abstracten Obligation ihr wür- diges Seitenstück. Auch sie war ein Kunstproduct, kein Mensch versprach ein „dare oportere“, ohne sich darüber klar zu sein, ob er dies that, um zu schenken, zu noviren, eine Gegen- leistung hervorzurufen u. s. w., und auch bei ihr fiel dieser Grund oder Zweck des Versprechens nicht unter den Gesichts- punkt eines bloßen Motivs, sondern unter den oben entwickelten Begriff des Causalmoments d. h. eines zum vollen Verständniß des Verhältnisses absolut unentbehrlichen Elements. Die Aus- scheidung desselben hat daher bei ihr ganz dieselbe Bedeutung, wie bei der Eigenthumsübertragung; indem sie die Fäden, mit denen das Verhältniß am Boden festhängt, löst, hebt sie dasselbe auf eine künstliche Höhe abstracter Existenz und verweist das Zurück- gebliebene in die Form besonderer Klagen. Bei der Obligation ist dies Verfahren noch um einen Grad künstlicher, als beim Eigenthum. Bei letzterem sind die beiden Elemente, die sich trennen, substantiell verschiedener Art: Eigen- thum und Obligation, bei der Obligation ist es eine und die- selbe Substanz. In welchem Maße übrigens auch bei ihr diese C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. Trennung indicirt ist und durch die Macht der Dinge gefordert wird, lehrt der Umstand, daß die abstracte Obligation zu allen Zeiten und auf allen Stufen der Rechtsentwicklung wiederkehrt, im ältesten Rom wie im Mittelalter und in der Gegenwart, trotz des Widerstandes, den Gesetzgebung und Theorie — meiner Ueberzeugung nach aus unzureichenden Gründen — ihr nicht selten entgegengesetzt haben. z. B. Justinian (Note 166). Ein Beispiel aus neuester Zeit bietet der Begriff der Anerkennung, dessen Ausbreitung und Einbürgerung in un- serer Praxis schwerlich durch theoretische Bedenken aufgehalten werden wird. Ich werde nicht nöthig haben, das was oben (S. 201 ) über den praktischen Nutzen dieser Operation beim Eigenthum gesagt ist, in specieller Anwendung auf die Obligation zu wiederholen. Nur eine Bemerkung kann ich nicht unterdrücken. Es könnte nämlich scheinen, als ob der dort hervorgehobene zweite Vortheil auf die Obligation keine Anwendung fände, indem letztere sich nicht gleich dem Eigen- thum, um mich so auszudrücken, auf die Wanderschaft bege- ben kann, vielmehr stets auf die ursprünglich sich gegenüber- stehenden Personen beschränkt bleiben müßte. Diese Vorstel- lung ist eine irrige. Das Gegentheil lehrt nicht bloß unser mo- derner Wechsel, dessen Circulationsfähigkeit der des Eigenthums Nichts nachgibt, sondern auch die römische Obligation bei Ge- legenheit der Delegation. Wie das Causalmoment des Eigen- thums mit seinen rechtlichen Wirkungen bei dem Uebergang in zweite Hand in dem Verhältniß des Gebers und Empfängers, so bleibt in gleichem Fall das des Wechsels in dem des Ausstellers und Nehmers, das der durch Delegation übertragenen Obliga- tion in dem des Deleganten und Delegaten zurück — Eigen- thum, Wechsel, Obligation gehen frei und rein in die zweite Hand über! Ueber die Delegation s. L. 12 de novat. (46. 2) .. Sed si per ignorantiam promiserit creditori, nulla quidem exceptione adversus creditorem uti poterit, quia ille suum recepit, sed is qui delegavit, tene- tur condictione caet. L. 19 ibid. Doli exceptio quae poterat deleganti Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Die Formen, in denen der Begriff der abstracten Obligation im römischen Recht sich verwirklicht hat, sind das Nexum, der Literalcontract, die Stipulation und eine vierte problematische Form. Die beiden ersten correspondiren der mancipatio, sie tragen das Causalmoment, das sie der Sache nach ausgeschie- den, als Form element noch in sich, indem sie nämlich die Ver- pflichtung des Schuldners durch die Fiction eines Darlehns mo- tiviren. Im Nexum geschieht dies nach Art der mancipatio in plastischer Weise mittelst scheinbaren Zuwägens des Geldes, im Literalcontract hat sich die Imitation des Darlehns nach Art der Valutaclausel beim Wechsel zu einer bloßen schriftlichen Beur- kundung desselben in den Hausbüchern ( acceptum und expen- sum ferre ) abgeschwächt. Erst in der Stipulation erreicht die abstracte Obligation die Höhe, die die abstracte Eigenthums- übertragung in der in jure cessio erreicht hat, d. h. auch die rein nominelle Anknüpfung an das ihr unterliegende Geschäft ist verschwunden — ein Fortschritt in der Form, wie bei unserm Wechsel der durch die deutsche Wechselordnung stillschweigend angeordnete Wegfall der Valutaclausel. Nur bei der Aufhe- bung der Stipulationsschuld durch acceptilatio repetirt der obige Gedanke, von dem die Stipulation selber sich bereits frei gemacht hat; Frage und Antwort lauten nicht auf dare non oportere, sondern gleich dem heutigen Schulderlaß mittelst Quittirung auf „acceptum habere“. Zu den bisher genannten Formen der abstracten Obligation, von denen die beiden ersten im neuern Recht völlig verschwun- den, die dritte aber, wenn auch äußerlich beibehalten, doch durch Zulassung des Causalmoments in Form der exceptio doli ihren opponi, cessat in persona creditoris, cui quis delegatus est, idemque est in ceteris similibus exceptionibus. L. 78 §. 5 de J. D. (23. 3). Die neueren Juristen ließen eine Ausnahme zu, die sich aber auch beim Eigenthum wiederholt , nämlich wenn der Uebergang in die zweite Hand auf Grund einer Schenkung erfolgt war. Vergl. L. 7 pr. de doli exc. (44. 4) mit L. 4 §. 29 ibid. C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. ursprünglichen Charakter gänzlich eingebüßt hat, zu ihnen ge- sellte sich im neuern Recht oder richtiger es löste sie völlig ab eine andere, über die wir aber allerdings wenig wissen. Aus der Constitution, in der Justinian die actio receptitia für den ge- wöhnlichen Verkehr außer Anwendung setzte und sie passiv auf Banquiers und Kaufleute beschränkte, geht so viel mit aller Sicherheit hervor, daß die Idee der abstracten Obligation in ihr zur vollsten Verwirklichung gelangt war, denn das, was er ihr zum Vorwurf macht, daß nämlich der Schuldner, trotz der Ein- wendungen und Gegenansprüche, die ihm zu Gebote standen, vorläufig habe zahlen und, um zu seinem Recht zu kommen, den Weg der Klage habe einschlagen müssen, Die entscheidenden Worte der L. 2 Cod. de const. pec. (4. 18) sind bereits S. 119 in der Note mitgetheilt. Das einzige Zeugniß außer dieser Constitution hat uns Theophilus IV. 6 §. 8 erhalten. gerade das enthält das charakteristische Merkmal der abstracten Obligation. Das Aufkommen dieser jüngsten Form liefert einen abermaligen Be- weis für die Unentbehrlichkeit der abstracten Obligation. Sei- ner bisherigen Formen theils schlechthin, theils durch gänzliche Abschwächung derselben beraubt, schuf der Gedanke der abstracten Obligation sich eine neue, bis Justinian auch diese dem allge- meinen Gebrauch verschloß und damit den modernen Verkehr nöthigte, im Wechsel abermals eine andere an die Stelle zu setzen. Welcher Art jene Form war, ob bloß mündlich oder auch schriftlich, Theophilus l. c.: τϱαπεζίτου ἀντιφωνήσαντος (constituente) L. 2 §. 2 Cod. cit. indefense (ohne Vertheidigung d. h. mit Aufgebung aller Einreden, schlechthin, abstract) constituerint. und ob nicht auch sie vielleicht die Valutaclausel enthielt, wie man aus dem Namen der Klage: actio recepti- tia entnehmen möchte, Nach Analogie der Dos receptitia . Recipere kömmt bei nicht- juristischen Schriftstellern theils allein ( in se, ad se oder recipere schlecht- hin), theils in Verbindung mit promitto, polliceor, dico, spondeo gar nicht selten für Uebernahme einer Verpflichtung vor (vorzugsweise einer fremden, so auch in L. 8 §. 1 ad SC. Vell. 16. 1, jedoch auch für originäre Verpflich- darüber wollen wir uns gern aller Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Hypothesen enthalten. Dagegen kann ich mir nicht versagen, über das ökonomische Motiv und die praktische Bestimmung dieser eigenthümlichen Obligationsart eine Vermuthung zu äußern. Das Bedürfniß, das im Mittelalter den Wechsel hervorrief: die Beschaffung von auswärtigen Geldzahlungen in der Landesmünze mußte sich in der Zeit des Welthandels auch in Rom fühlbar machen. Verschiedenheit des Wechselcurses nach Verschiedenheit der Plätze: L. 3 de eo, quod certo (13. 4) und überhaupt die act. arbitraria de eo quod certo loco. Die Verbindungen, welche die Publikanen, die Banquiers der römischen Welt, auf allen Plätzen der Erde unterhielten, boten zu dem Zweck ein vielleicht noch bequeme- res und zuverlässigeres Mittel, als die der Campsadoren des Mittelalters. So vermittelte z. B. Attikus für den Cicero die Uebermachung der Summe, die letzterer seinem in Athen stu- direnden Sohn zugedacht hatte; das Geld ward in Rom ein- gezahlt und in Athen in Landesmünze ausgezahlt. Cic. ad Att. XV. 15, 4 Cures, ut permutetur Athenas, quod sit in annuum sumptum ei. Scilicet Eros numerabit. Daß die praktischen Römer für diesen Zweck auch das richtige Mittel ge- funden haben werden, d. h. eine Form, die nicht bloß dem Ein- zahler des Geldes, sondern auch dem Destinatär ein Klagerecht verschaffte, darüber bin ich wenigstens nicht zweifelhaft. Ohne nun andere mögliche Formen abzuweisen, wie z. B. die chiro- grafa und syngrafa der Peregrinen, Gaj. III. 134: quod genus proprium peregrinorum est. so möchte ich die Ver- muthung aufstellen, daß die act. receptitia in dem angegebenen Zweck oder sagen wir geradezu in den Bedürfnissen des römi- schen Wechselverkehrs ihre eigentliche Entstehung und Bestim- mung gefunden habe. So würde es sich erklären, daß Justi- tung, z. B. Cic. ad fam. V. 8, 5 u. a. St.) auch substantivisch: receptum et promissum. Plaut. mil. glor. II. 2, 74. Terent. Heaut. V. 5, 12. Liv. XXXIII. 13 i. f. Cic. ad fam. XI. 1, 4. XIII. 10, 3. XIII. 17, 50. ad Att. XIII. 1, 2. Cic. Phil. II. 32, 79. V. 18, 51. Ein technischer Aus- druck scheint es nie gewesen zu sein. C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. nian, um unsern Vergleich mit dem Wechsel weiter fortzuführen, die passive Wechselfähigkeit auf diejenigen Personen beschränkte, welche durch ihr Geschäft und ihre Verbindungen die geeigneten Vermittler des Wechselverkehrs waren: Geldwechsler ( argenti distractores ) und Handelsleute ( alii negotiatores ). So ferner die Erscheinung, daß gerade in diesem Verhältniß, für welches die strenge Durchführung des Begriffs der abstracten Obliga- tion allerdings eine Lebensfrage ist, eine Strenge sich zu erhal- ten vermochte, die das römische Recht für den gewöhnlichen Ver- kehr verworfen hatte. Der formelle Charakter der Klage ( solen- nibus verbis composita ) und ihr an die Valutaclausel erinnern- der Name erhöht die Aehnlichkeit mit unserem modernen Wechsel. In unserer heutigen Sprache ausgedrückt würde darnach der Inhalt der justinianischen Verfügung sich dahin angeben lassen: die passive Wechselfähigkeit ist auf Wechsler und Kaufleute be- schränkt, die Schuldverschreibungen des gewöhnlichen Lebens sollen nicht in die Form von Wechseln gebracht werden. Die beiden bisher betrachteten Verhältnisse: die abstracte Eigenthumsübertragung und die abstracte Obligation enthalten die Hauptfälle, in denen der Gedanke der analytischen Verein- fachung des Thatbestandes im ältern Recht zur Verwirklichung gelangt, aber keineswegs die einzigen. Es möge mir erlaubt sein, noch einen dritten Fall hervorzuheben, bei dem die Be- ziehung zu unserem Gesichtspunkt ungleich versteckter ist. In Verhältnissen gemeinschaftlicher Berechtigung und Ver- pflichtung wird die Verfolgung der Rechte und Verbindlichkeiten in eben dem Maße erschwert, als die Zahl der Interessenten wächst, doppelt wenn gar der Kreis dieser Personen dem bestän- digen Wechsel ausgesetzt, oder das Theilverhältniß, in dem sie an den Rechten und Pflichten participiren, ein unsicheres, schwan- kendes ist. Für sie selber zwar, wenn sie klagend auftreten wol- len, ist die Schwierigkeit nicht so erheblich, theils weil sie selber ihr inneres Verhältniß kennen, theils weil sie sich durch einen gemeinsamen Stellvertreter vertreten lassen können. Anders aber Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 14 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. für den Dritten, der sie belangen will. Für ihn, den außen Stehenden, ist es ungleich mühsamer und oft geradezu unmög- lich, das Theilverhältniß, das er ja bei jedem Beklagten in der Klage angeben muß, zu ermitteln, und der beste, unzweifelhafteste Anspruch würde, wenn dieser Schwierigkeit nicht abzuhelfen wäre, nur zu oft Gefahr laufen Schiffbruch zu leiden. Die Richtung, in der die Abhülfe zu suchen, ist durch die Sache selber in dem Maße vorgezeichnet, daß der Verkehr überall unter den verschiedensten Verhältnissen und zu den verschiedensten Zei- ten jener Schwierigkeit in derselben Weise begegnet ist. Das Mittel besteht einfach in einer Anwendung unseres obigen Ge- sichtspunktes, nämlich in der Ausscheidung eben jener unbeque- men Frage: wie das der Gesammtgemeinschaft an sich zustehende Recht oder die auf ihr lastende Verbindlichkeit im Innern der- selben sich unter die Mitglieder vertheile? kurz in der Aus- scheidung der innern Seite des Verhältnisses und der Beschrän- kung auf die äußere Seite, d. h. der Frage von der Existenz des Anspruchs zwischen der Gemeinschaft auf der einen und dem Dritten auf der andern Seite. Technisch wird diese Ausschei- dung der subjectiven Seite des Verhältnisses dadurch vermittelt, daß ein künstlicher Träger desselben geschaffen wird, der nach außen als Subject desselben figurirt. In Wirklichkeit ist er nichts als ein Figurant, ein bloßer Mechanismus, um in bequemer Weise die Beziehungen der Gemeinschaft nach außen hin zu vermitteln; nach innen hin ist nicht Er der Berechtigte, son- dern die Gemeinschaftsinteressenten, die hinter ihm stehen, und denen er bloß als Leitapparat dient. Nach außen hin aber nimmt er durchaus die Stellung des wirklich Berechtigten und Ver- pflichteten ein, Er ist es, der klagt und beklagt wird, der die Rechtsgeschäfte abschließt und ausführt. Seine Stellung ist also keineswegs die eines gewöhnlichen Bevollmächtigten, da- mit würden die obigen Schwierigkeiten nicht umgangen, denn der Bevollmächtigte, der nicht das eigne, sondern das Recht sei- ner Mandanten geltend macht, wird durch den ihm obliegenden C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. Nachweis seiner Vollmacht stets auf das innere Theilhaberver- hältniß zurückgeworfen, ganz abgesehen von der prekären, durch Tod und Widerruf jeder Zeit löslichen Natur dieser Form. Wirklich abgeschnitten werden diese Schwierigkeiten nur dadurch, daß man diese Mittelsperson nach außen hin zum Subject des Rechts stempelt. Diese Figur des Rechtsträgers wiederholt sich theils zu dem angegebenen, theils zu andern Zwecken fast überall. Man denke z. B. an den Lehnsträger bei der Gesammtbelehnung. Das Interesse, das sie der juristischen Betrachtung darbietet, ist mit dem Gesichtspunkt, unter dem wir sie hier zu betrachten haben, keineswegs erschöpft; Das Weitere s. in der Theorie der Rechte bei Gelegenheit des Ver- hältnisses des Rechts zum Interesse. an dieser Stelle haben wir uns auf letzteren zu beschränken. Die Form, in der der Rechtsträger in Anwendung auf den obigen Zweck im altrömischen Recht auftritt, ist eine doppelte. Die eine besteht darin, daß jeder Theilhaber nach außen hin die Rolle des Rechtsträgers auf sich nimmt, was nur bei obli- gatorischen Verhältnissen möglich ist, indem nur die Obliga- tion sich activ und passiv beliebig in solidum vervielfachen läßt. Dies war, wie es scheint, die eigentliche Bestimmung der Cor- realobligation . Die mehreren Gemeinschaftsinteressenten schlossen den Contract in solidum ab, im Fall einer Stipulation promittirte und stipulirte Jeder ( correi stipulandi, promittendi ) oder sie bedienten sich zu dem Zweck eines gemeinsamen Skla- ven. activ : L. 29 de stip. serv. (45. 3); passiv , indem sie ihm einen Auftrag ertheilten ( act. quod jussu ) oder bei einem Handelsgeschäft ihn als institor bestellten. So ward Jeder von ihnen Schuldner und Gläubiger, und wie auch ihr Verhältniß im Innern beschaffen war oder sich im Lauf der Zeit gestalten mochte, für das Verhältniß nach außen hin verschlug dies Nichts. An diese im Verkehr vorge- fundene Gewohnheit knüpfte der Prätor bei Aufstellung der 14* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. act. institoria und exercitoria an, indem er diese Klagen gegen jeden Gesellschafter in solidum gab. Die geschilderte Form reichte bei einer kleinen Zahl der Theil- nehmer aus, bei ganzen Gemeinden, bei Corporationen, bei den Gesellschaften der Publikanen enthielt sie eine Unmöglichkeit. Hier bedurfte es einer andern Form, und dies ist die bekannte der juristischen Person. In welcher Gestalt sich die Römer die- sen Begriff juristisch gedacht haben, ob bereits in jener ganz abstracten, über das Praktische des Verhältnisses so leicht irre führenden Weise, die uns heutzutage zur zweiten Natur gewor- den ist, mag hier dahin gestellt bleiben; für unsern Zweck ge- nügt es, die beiden Momente zu constatiren, in denen das eigent- lich praktische Wesen dieses Begriffs beschlossen liegt, das über jener rein doctrinären Frage nur zu oft übersehen wird. Das ist aber in meinen Augen erstens der Satz, daß nach innen hin die einzelnen Mitglieder der juristischen Person die Berech- tigten sind — eine Behauptung, die ich zwar erst an anderer Stelle rationell begründen kann, für die aber hier schon die bloße Verweisung auf die Publikanenvereine, von denen schwer- lich Jemand das Gegentheil annehmen wird, einen ausreichen- den Beweis liefern möchte. Zweitens die Thatsache, daß nach außen hin nicht die einzelnen Mitglieder nach Maßgabe ihres Antheilverhältnisses als Subjecte des Rechts auftreten, sondern die als Trägerin aller Theilrechte, als Inbegriff aller berechtigten Personen gedachte Gesammtheit. Der hier zur An- wendung gelangende Mechanismus ist demnach technisch ganz derselbe, wie in dem obigen Verhältniß; hier wie dort ein künst- licher Rechtsträger, nur daß der eine leibliche, der andere bloß begriffliche Existenz hat. Entkleidet man das Verhältniß von dieser seiner Form, so bleibt als realer Kern übrig: Geltend- machung der Ansprüche im Namen derer, „die es angeht“ ( ad quos pertinet ) — wer die sind, braucht nicht gesagt zu werden, das ist eine ausschließlich innere Frage, die die Mitglieder unter sich ausmachen, in derselben Weise, wie bei der Correalobligation. C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. So reducirt sich demnach der Kunstgriff, der bei der juristi- schen Person zur Anwendung gelangt, auf denselben Gedanken, wie bei der abstracten Eigenthumsübertragung und Obliga- tion: Vereinfachung des Thatbestandes auf analytischem Wege, durch Ausscheidung eines zum vollen Bestande des Verhält- nisses gehörigen Moments. Alle drei Begriffe sind nichts als Kunstproducte, Mechanismen zum Zweck der Erleichterung der Rechtsverfolgung. Was die juristischen Personen im übrigen sind, geht uns hier, wo es sich bloß um ihre Structur vom Standpunkt der juristischen Technik aus handelt, Nichts an. Die Frage vom Thatbestande ist keine ausschließlich privat- rechtliche, sie wiederholt sich wie für alle Theile des Rechts, so auch für das öffentliche. Wie das Rechtsgeschäft, so ist auch das Gesetz, wie die Handlungen der Privatpersonen, so sind auch die der öffentlichen Behörden an gewisse Bedingungen ge- knüpft, deren Nichtdasein ihre verpflichtende Kraft ausschließt. Um so viel höher die Sicherheit und Ordnung der öffentlichen Verhältnisse, das Interesse der gesammten Rechtsordnung über den Verhältnissen des Privatlebens steht, um so viel höher die Bedeutung, welche die richtige Lösung der Frage für das Staats- recht hat, gegenüber der, die ihr für das Privatrecht zukommt. Sind die Erfordernisse, an welche der Thatbestand der politi- schen Akte und Einrichtungen geknüpft ist, nicht der Art, daß sich ihr Dasein oder Nichtdasein auf den ersten Blick erkennen läßt, fordern sie den Zweifel heraus, setzen sie eine Untersu- chung voraus, so schließt dies die größte Gefahr für die bürger- liche Gesellschaft, eine Quelle von Versuchungen und Gewissens- conflicten und vor allem einen Fluch für den seiner Stellung nach am meisten dadurch betroffenen Richter in sich. Die richtige Gestaltung des Thatbestandes für diese Verhältnisse ist daher Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. eine politische Lebensfrage ersten Ranges. Untersuchen wir, wie das altrömische Staatsrecht dies Problem gelöst hat. Wir knüpfen an einen bekannten historischen Fall an. Clo- dius hatte während seines Tribunats den Cicero in die Verban- nung getrieben und dessen Haus consecrirt, beides in den dafür vorgeschriebenen Formen. Nachdem Cicero durch Volksbeschluß zurückgerufen war, bemühte er sich diese Consecration rückgängig zu machen, indem er vor dem Pontificalcollegium, welches dar- über zu entscheiden hatte, die Nichtigkeit dieses Akts auszuführen versuchte. Der Weg, den er dabei einschlug, war folgender. Clodius, ein geborener Patricier, hatte sich, um das nur den Plebejern zugängliche Tribunat zu erlangen, von einem Plebejer arrogiren und sodann wieder emancipiren lassen. Cicero bestreitet nun die Gültigkeit dieses Akts aus verschiedenen Gründen. An dem Tage, wo die lex curiata über diese Arrogation erlassen, seien Himmelsbeobachtungen angestellt ( servatum de coelo ) — ein Hinderniß für das agere cum populo —, das Altersver- hältniß zwischen Clodius und dem Adoptivvater sei nicht das im Pontificalrecht vorgeschriebene gewesen u. s. w. Nachdem er dadurch die Nichtigkeit der Arrogation dargethan zu haben glaubt, schließt er weiter: war letztere nicht gültig, so ist Clo- dius nicht Plebejer, folglich auch nicht Volkstribun geworden, war er letzteres nicht, so sind alle Akte, die er in dieser Eigen- schaft vorgenommen, mithin auch die durch ihn vollzogene Con- secration nichtig. Cic. de domo. Kurz zusammengefaßt findet sich die obige De- duction wiederholt in seiner Rede de provinciis consularibus XIX. 45. Die stillschweigende Voraussetzung, auf der diese ganze De- duction beruht, ist eine doppelte, erstens : jeder Verstoß gegen das geistliche oder weltliche Recht begründet Nichtigkeit des Akts; zweitens : diese Nichtigkeit theilt sich allem mit, was auf Grundlage dieses Akts fernerhin vorgenommen wird. Es läßt sich nicht läugnen, daß diese Betrachtungsweise, die C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. man als System der absoluten politischen Nichtigkeit bezeichnen könnte, einen gewissen doctrinären Schein hat, na- mentlich der zweite Satz, denn wie kann sich — möchte man sa- gen — Leben entwickeln aus einem todten Keim? Anderer- seits aber liegt es auf der Hand, daß sie mit dem Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit völlig unverträglich ist, und es bedarf nicht der Bemerkung, daß die Römer am wenig- sten das Volk waren, um die realen Zwecke und Anforderungen des Lebens dem Streben nach theoretischer Correctheit zu opfern. Und nicht einmal das letztere Lob läßt sich jenem System nach- rühmen; der Schein logischer Nothwendigkeit, mit dem es sich umgibt, ist leerer Schein, wie denn überhaupt alles praktisch Verkehrte und Unbrauchbare nie das theoretisch Richtige sein kann. Der Weg, den das altrömische Staatsrecht eingeschlagen hat, ist in der That ein ganz anderer — ein eben so einfacher, wie logisch untadelhafter und praktisch richtiger. Das geistliche Recht, das Fas, stellte bekanntlich für die Vor- nahme aller Akte des öffentlichen Lebens eine Menge von Erfor- dernissen auf: sie sollten nur vollzogen werden an gewissen Ta- gen, nur, wenn die Auspicien günstig ausgefallen, wenn keine drohenden Himmelserscheinungen vorgekommen u. s. w. Wer würde nicht erwarten, daß wenn irgendwo, so gerade bei diesen mit der Weihe göttlicher Sanction bekleideten Vorschriften die Nichtbeachtung Nichtigkeit nach sich gezogen hätte? Aber auch das göttliche Gebot fügte sich in Rom den Rücksichten der prakti- schen Zweckmäßigkeit! Ein Augur oder im Felde der Pullarius hatte sich bei Einholung der Zeichen ein Versehen zu Schulden kommen lassen oder gar absichtlich, um den Akt nicht zu verhin- dern, die Wahrheit entstellt, der Beamte, der ihn zugezogen, wußte dies, nahm aber gleichwohl den beabsichtigten Akt vor. War derselbe nichtig? Nein! Die Beobachtung der Auspicien ist Sache des Augurn, seine Verpflichtung ist es dabei nach den Gesetzen seiner Kunst zu verfahren, handelt er denselben Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. zuwider, so ladet er die Schuld auf sein Haupt und leidet Strafe, wenn er unvorsätzlich gehandelt, ein piaculum (Varro de L. L. VI. 30), sonst außer der Strafe des Himmels ( Liv. X. 40) die nota censoria (Cic. de divin. I. 16, 19), die auch die politischen Beamten in ähnlichen Fällen traf ( Gell. XIV. 7, 8), und sicherlich noch sonstige Strafe, die wenig- stens für weltliche Beamte bei Verletzung dieser Vorschriften bezeugt ist, Cic. de div. II. 33, Val. Max I. 4, 3. aber den Magistrat kümmert dies nicht, er hält sich einfach an den Ausspruch des Technikers, ohne denselben einer weitern Prüfung zu unterziehen, dazu hat er weder das Recht, Cic. Phil. II. 35, 88: ementita auspicia, quibus tamen parere necesse erat. noch die Pflicht. Liv. X. 40 .. si quid falsi nuntiat, in semet ipsum reli- gionem recipit , mihi quidem tripudium nuntiatum , populo Ro- mano exercituique egregium auspicium est; nicht entgegen Liv. XLI. 18 a. E. Das Erforderniß günstiger Auspicien redu- cirt sich also juristisch lediglich auf die Verkündigung dersel- ben. Nicht aber, als ob die Römer das Wort an die Stelle der Sache gesetzt hätten So Danz sacraler Schutz S. 238. Schwegler Röm. Gesch. I. S. 772 Note 1 erblickt darin einen eigenthümlichen Grundsatz der etrus- cisch-römischen Disciplin. — mit welchem Grunde hätte dies geschehen können? — sondern weil der Magistrat, der dem Au- gurn die Prüfung der Auspicien übertragen hatte, das Urtheil desselben ebenso zu respectiren hatte, wie der Prätor, der den judex bestellt hatte, das des letztern. Mit andern Worten: das Erforderniß der richtigen Beobachtung der Auspicien ist in die Form einer dem Augurn auferlegten Verpflichtung gebracht, es ist keine Anforderung für den Akt , durch den er das Dasein günstiger Auspicien constatirt, sondern eine Anforderung an seine Person . Ein Prätor hatte an einem dies nefastus eine legis actio vornehmen lassen; war dieselbe nichtig? Die Beobachtung der richtigen Zeiten und Tage war eins der Grundgesetze des heili- gen Rechts, aber diese Vorschrift bestand nicht für die Partheien, C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. denen man die genaue Kenntniß und Beobachtung des Kalen- ders nicht zumuthen konnte, Darum fand das Erforderniß bei der legis actio per pignoris ca- pionem keine Anwendung, indem diese eine Mitwirkung des Prätors überall nicht erforderte. sondern lediglich für den Ma- gistrat! Alle Stellen, die davon handeln, drücken sich in dieser Weise aus; z. B. Varro de L. L. VI. 29, 30. VII. 53: Praetoribus licet fari, Praetorem nefas fari. Ovid. Fasti I. 51: Praetor verba libera habet . Auf diesen nicht selten verkannten Punkt (z. B. Puchta : „Tage, an denen eine legis act. nicht möglich war“) habe ich bereits B. 2 S. 695 aufmerk- sam gemacht, s. jetzt auch O. E. Hartmann Der Ordo Judiciorum. S. 16. Eine Nichtbeachtung derselben begründete also zwar von seiner Seite eine Pflichtverletzung und zog Strafe für ihn nach sich, aber auf den Akt erstreckten sich die Wirkungen seiner Pflichtverletzung ebensowenig als die der Verletzung der Obli- gation von Seiten eines Verkäufers, der die Sache zwei Mal verkauft, auf die Tradition — der Akt war gültig. Varro l. c. si .. quem manumisit, ille nihilo minus est liber, sed vitio. Die Vitiosität hatte hier aber sicherlich nicht die Folge, wie im öffentlichen Recht (s. u.) d. h. die der Rescission des Akts; das hätte sich mit dem Grundsatz, daß eine einmal ertheilte Freiheit nicht zurückgenommen wer- den kann, nicht vertragen, und würde namentlich auch für die Legis Actionen in keiner Weise gepaßt haben. Die beiden bisher betrachteten Verhältnisse lassen bereits den Weg, den das ältere Recht zur Lösung des obigen Problems eingeschlagen hat, mit ziemlicher Deutlichkeit erkennen, aber zu der Ueberzeugung, daß wir es hier mit einem vollständig ausgebil- deten, durchdachten politischen System zu thun haben, gelangen wir erst, wenn wir noch zwei andere Verhältnisse von ungleich höherer politischer Tragweite: die Wahl der Magistrate und den Erlaß der Gesetze zur Vergleichung heranziehen. Das erste dieser beiden Verhältnisse ist ganz besonders ge- eignet, jenes System ins hellste Licht zu setzen, theils wegen des relativ reichen bis in die ältesten Zeiten hinaufreichenden Quel- lenmaterials, das uns dafür zu Gebote steht, theils weil uns in Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. specieller Anwendung auf diesen Fall ein Satz aufbewahrt ist, der die Formulirung des ganzen Systems enthält. Dieser Satz lautet: magistratus vitio creatus nihilo secius magistratus. Varro de L. L. VI. 30. Mit diesem der Auguraldisciplin angehörigen Ausdruck vi- tium Unverarbeitetes Quellenmaterial für diesen Begriff bei Brissonius de voc. ac form. I. c. 205. Der Ausdruck ruft unwillkührlich die Parallele mit dem vitium possessionis hervor, und wer dieselbe bei der folgenden Dar- stellung im Text vor Augen behalten will, wird sich überzeugen, daß der Be- griff in beiden Richtungen ganz derselbe ist — man könnte in der obigen For- mel den Ausdruck magistratus mit possessor vertauschen — nämlich der der Relativität des Fehlers, ein schlagender Beleg für die wunderbar scharfe und in die frühste Zeit hinaufreichende Terminologie der Römer. Wie der possessor injustus zu jedem Dritten steht, so der magistratus vitiosus zum Volk, wie jener zum justus, so dieser zum Senat. ist das System selbst in einer so prägnanten Weise charakterisirt, daß wir darnach dasselbe als System der politi- schen Vitiosität bezeichnen werden. Mit der Wahl der Magistrate verhielt es sich nun kurz ge- sagt folgendermaßen. Alle Erfordernisse, die für dieselbe aufge- stellt sind, sei es durch Gesetze oder durch Gewohnheitsrecht, seien sie positiver oder negativer Art, sind in die Form von An- forderungen an den die Wahlcomitien leitenden Magistrat gebracht. Er ist für ihre Beobachtung verantwortlich, und sein Amtseid und die Aussicht auf die nach Niederlegung seines Amts ihn treffende Anklage und Strafe bürgen für die Erfül- lung seiner Pflicht. Aber wagt er es darauf, setzt er sich über jene Vorschriften hinweg, indem er beim Schluß der Comitien Jemand als gewählt proklamirt ( renuntiatio ), dessen Wahl er als ungültig hätte zurückweisen sollen, so ist der Verkündete, wenn die Zeit zum Antritt seines Amts gekommen, Magistrat, und Niemand darf ihm den amtlichen Gehorsam vorenthalten, denn wenn auch „vitio creatus“, so ist er doch „nihilo secius magistratus“. Nur die höchste Oberaufsichtsbehörde: der Se- nat kann ihn, sei es aus eigner oder fremder Anregung, nach- C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. dem das Vitium in richtiger Form (z. B. durch Ausspruch des Augurncollegiums) constatirt ist, removiren, und zwar geschieht dies nicht etwa durch Nichtigkeitserklärung seiner Wahl — da- mit wären alle seine Amtshandlungen ebenfalls für nichtig er- klärt Vergleiche dagegen die Erwägungen, die Ulpian in L. 3 de off. praet. (1. 14) geltend macht. Nach Marquardt in Becker’s Handbuch der römischen Alterth. IV. S. 349 wären „mit dem Abtreten des Magistrats vom Amt alle von ihm vollzogenen Verfügungen und unter seinem Vorsitz gegebenen Gesetze für ungültig erklärt worden“. Warum nicht auch die Se- natsbeschlüsse, an denen er mitgewirkt, die judicia publica, privata u. s. w.? Die Stellen, auf die er sich beruft, enthalten von einem solchen praktisch ge- radezu unmöglichen Satz nicht das Geringste. — sondern indem er genöthigt wird, sein Amt nieder zu legen ( se abdicare magistratu ). Cic. de nat. deor. II. 4, 11: augures ad senatum, senatus: ut abdicarent consules; abdicaverunt. id. de legib. II. 12, 13; II. 35. Liv. IV. 7. V. 17. VIII. 15; 23. XXII. 33. Indem man ihn damit noch im Moment des Scheidens als legitimen Träger des Amts anerkannte, rettete man seine Vergangenheit, schnitt den unheilvollen Einfluß, den jeder Zweifel an der Gültigkeit seiner Amtshandlungen oder gar die Hinfälligkeit derselben hätte aus- üben müssen, in bestimmtester Weise ab. Ich muß sogar bestrei- ten, daß der Senat auf Grund der Vitiosität seiner Wahl auch nur eine einzige seiner Amtshandlungen hätte rescindiren kön- nen, damit wäre er mit sich selber in Widerspruch gerathen, denn unter dieser Voraussetzung hätte er sie sämmtlich cassiren müssen. Wollte er einzelne herausgreifen, so mußten Ungültig- keitsgründe vorgebracht werden, die sich speciell auf sie bezo- gen, z. B. Cic. Phil. XIII. 3: leges refixistis, pervim et contra auspicia latas decrevistis. In diesem Sinn dürfte die diesen Worten vorausgehende allgemeine Wendung: acta Antonii rescidistis zu beschrän- ken sein. Cic. de domo 15, 40. 16, 41. die sich aber, wenn’s Noth that, leicht sanden. Man wird zugestehen, daß die bisher geschilderte Gestaltung des Verhältnisses eine ungemein glückliche war, sie vereinigt in sich die höchste Einfachheit mit der größten Klarheit und Sicher- Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. heit. Es ist ein interessanter Beweis für das hohe Alter fester staatsrechtlicher Grundsätze in Rom und zugleich für den con- servativen Sinn der Römer, daß die ältesten und jüngsten Ge- setze aus der Republik sich auf dem von uns bezeichneten Wege begegnen. Dieselbe Form, in die die leges Valeriae (305) das Verbot der Wahl eines magistratus sine provocatione bringen, nämlich die einer (in diesem Fall durch Todesstrafe verschärften) Instruction an den die Wahlcomitien leitenden Magistrat, Liv. III. 55: ne quis ullum magistratum sine provocatione crearet ; qui creasset, eum jus fasque esset occidi. Eine Uebertretung dieser Vorschrift mußte kenntlich werden an der Formulirung der Rogations-, vielleicht auch der Renuntiationsformel. Das dicere dictatorem fiel dem Wortlaut nach nicht unter das Gesetz. dieselbe Form wiederholt sich noch in der lex Julia municipalis (709). S. die Kapitel 5—10 dieses Gesetzes. Wer die juristische Sprache der Römer einigermaßen kennt, weiß, daß mit dieser Form alles oben Ausgeführte impli- cirt ist, daß also die Uebertretung nicht Nichtigkeit, sondern bloß Strafe nach sich zog, oder um den Gegensatz mit einem römi- schen Kunstausdruck zu bezeichnen, daß jene Gesetze nicht leges perfectae, sondern minus quam perfectae waren. Ulp. Fr. Prooem. §. 2. Der Kai- serzeit kamen die staatsrechtlichen Traditionen der Republik sehr bald abhanden. Schon im ersten Jahrhundert nehmen die Ge- setze über die Wahl der Beamten Bestimmungen auf, die man in denen der Republik vergebens suchen würde, z. B. die Tabula Malacitana c. 61 de patrono cooptando. Nach- dem hier zuerst die althergebrachte Form benutzt ist ( a, ne quis cooptato etc. b, qui .. cooptaverit, .. dare damnas esto ) folgt der moderne Zusatz: is, qui .. cooptatus erit, ne magis ob eam rem patronus muni- cipum municipii Flavi Malacitani esto . und in dem Zeitalter der klassischen Juristen war die Erinnerung an die staatsrechtliche Doctrin der Republik bereits in dem Maße ver- schwunden, daß zwei dieser Juristen sich abmühen mußten, eine Entscheidung, die ihre Vorgänger zur Zeit der Republik einfach C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. auf den Satz: magistratus vitio creatus nihilo secius magi- stratus gestützt hätten, als eine zweifelhafte und fragliche erst noch mit allerhand Gründen zu motiviren. Sie betraf die Frage von der Gültigkeit der Amtshandlungen des Prätor Barbarius Philippus, von dem erst hinterher bekannt geworden war, daß er ein entlaufener Sklave gewesen war. In der späteren Kaiserzeit ist begreiflicherweise noch viel weniger ein Anknüpfen an die alte Theorie zu gewärtigen. S. den Titel des Codex Theod. XV. 14 de infirmandis his quae sub tyrannis aut barbaris gesta sunt. Bei der untergeordneten Bedeutung, welche der Gegenstand für meine Zwecke hat, muß ich es mir versagen, den obigen für die richtige Auffassung der römischen Magistratur höchst frucht- baren Gesichtspunkt ausführlicher zu verfolgen. Aber in einer Richtung möge man mir dies wenigstens verstatten. Wer den eben geschilderten Mechanismus in juristisch präg- nanter Weise ausdrücken wollte, durfte in Hinblick darauf, daß das durch die Abstimmung des Volks herbeigeführte Resultat der Wahl erst durch die Renuntiation von Seiten des Vorsitzen- den seinen formellen, bindenden Abschluß erhielt, diesen letzten Akt als den entscheidenden bezeichnen und geradezu sagen: der Vorsitzende creire den Magistrat. Diese in den Quellen nicht selten vorkommende Wendung hat die Ansicht hervorgeru- fen, Rubino Untersuchungen über römische Verf. S. 13 fl. als ob die Magistratur nicht in der Souveränität des Volks, sondern in sich selber gewurzelt habe, nicht durch den Willen des Volks vergeben und besetzt worden sei, sondern sich durch und aus sich selber fortgepflanzt habe, wonach das Wahl- recht des Volks sich staatsrechtlich auf ein bloßes Präsentations- oder Petitionsrecht reducirt haben würde. Man kann zuge- stehen, daß hie und da die Beamten factisch sich in dieser Weise gerirten; — in der Zeit des Umsturzes ging dies sogar soweit, daß zwei ohne allen vorhergegangenen Wahlact sich selber re- nuntiirten. Liv. epit. Lib. 80. Allein dem Geist der Verfassung widersprach das Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. meiner Ansicht nach in eben dem Maße, als wenn heutigen Tags der Landesherr ein mit den Ständen vereinbartes Gesetz nicht verkünden wollte. Gesetz wird es erst durch Verkündigung von seiner Seite, aber daraus folgt keineswegs, daß dieselbe lediglich seinem Ermessen und Belieben anheimgestellt ist — er ist ver- pflichtet , sie vorzunehmen. In derselben Weise war der römische Magistrat verpflichtet, das Wahlergebniß, insofern dasselbe nicht rechtlich z. B. Liv. XXIV. 8. Val. Max III. 8, 3. Der Umstand, daß die Wahlgrundsätze zum Theil auf dem Usus beruhten und an Unbestimmtheit lit- ten ( Liv. XXXIX. 39 u. a.), gab dem Widerstand gewiß nicht selten den Schein formeller Berechtigung. zu bemängeln war, zu respectiren und zu verkün- den. Daß er thatsächlich sich dieser Pflicht entziehen konnte, und daß es an Beispielen nicht fehlt, wo dies zum Heil des Staats geschah, sollte über seine Stellung nicht irre führen. Hatte doch auch der Augur es in der Hand, die wirklich beobachteten Au- spicien zu unterschlagen, erlangte der Wille der Götter doch auch nur durch seine Nuntiation und nur in der Gestalt, wie er sie vorgenommen, seine bindende Kraft. Wie aber er gleich- wohl nichts war als Organ und Verkündiger des göttlichen Willens, so war es auch der Beamte in Bezug auf den Willen des Volks — auch wenn sie sich thatsächlich zu Herren dessel- ben machten, waren sie doch staatsrechtlich Diener desselben. Das bisher entwickelte System erreichte seinen Culmina- tionspunkt bei der Frage von der Gültigkeit der Gesetze. Das in gehöriger Form Dieselbe muß jedenfalls in mündlicher Verkündigung der Annahme bestanden haben. verkündete Gesetz ist Gesetz, auch wenn es an noch so vielen Fehlern leidet. Möge es also z. B. durch Zwang oder Gewalt durchgesetzt, z. B. Livius epit. lib. 69. Cic. Phil. XIII. 3: per vim et contra auspicia latas decrevistis. möge es gegen die Auspi- cien Cic. Phil. III. 5, 9. id. de harusp. resp. XXIII. 48 Augures oder mit Vernachlässigung der üblichen Vorbereitungs- C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. formen Lex Caecilia Didia über die promulgatio trinûm nundinûm. Cic. de domo XVI. 41 Decrevit senatus, M. Drusi legibus, quae contra legem Caeciliam et Didiam latae essent, populum non teneri. erlassen sein — so lange der Senat nicht die Aufhe- bung desselben verfügt hat, ist es für Jedermann verbindlich. Die Aufhebung erfolgte in derselben Weise, wie die der fehler- haften Wahl des Magistrats, d. h. das Gesetz ward nicht für nichtig erklärt, sondern es ward aufgehoben , Cic. de leg. II. 12, 31: legem, si non jure rogata est, tol- lere . Was „tollere“ involvirt, wird jeder Jurist wissen. S. auch die vorige Note: non teneri (d. h. von jetzt an) und vitio lata, Note 301. m. a. W. dieser Akt hatte keine rückwirkende Kraft, sondern er wirkte erst von jetzt an, alle Verfügungen, Maßregeln, Urtheile u. s. w., die auf Grund des Gesetzes getroffen und gesprochen waren, blieben demnach gültig; der Schuldige ward zur Verantwortung gezogen. Von besondrem Interesse ist die Frage von der Gültigkeit der im materiellen Sinn verfassungswidrigen Gesetze d. h. derjenigen, durch welche ein Fundamentalgrundsatz der römischen Verfassung sei es schlechthin aufgehoben, sei es bloß im einzel- nen Fall verletzt worden war. Dürfte man der Auctorität des Cicero trauen, der aber gerade für die vorliegende Frage ein mehr als bedenklicher Gewährsmann ist (s. u.), so würde ein solches Gesetz gar keine Kraft gehabt haben. Cic. pro Caec. 33. de republ. III. 22. Wie sehr eine solche Gestaltung des Verhältnisses, welche jeden Bürger zum Richter über die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze machte, mit dem ganzen bisher geschilderten System in Widerspruch gestan- den, wie sehr sie alle die Gefahren heraufbeschworen haben würde, denen das alte Staatsrecht im übrigen in so planmä- ßiger und umsichtiger Weise zu begegnen bemüht war — dar- über würde jedes Wort ein verlorenes sein. Aber andererseits interrogabat, quae ita lata essent, rectene lata essent. Illi vitio lata esse dicebant. Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. gab es doch Gesetze und Einrichtungen, die durch das Fas und Jus den Charakter unverletzlicher, unantastbarer Normen erhal- ten hatten, so z. B. die mit der Plebs vereinbarten leges sacra- tae? Unstreitig! Allein auch hier bewährt sich wiederum der feine Sinn für die Correctheit der juristischen Form. Ein Ge- setz, das sich nicht aufheben ließe, selbst wenn es noch so sehr mit dem Stempel göttlicher Weihe versehen wäre, ist in den Augen der Römer ein Unding. Das spätere Gesetz hebt das frühere auf — das hatten schon die XII Tafeln bestimmt. Liv. VII. 17, IX. 33, 34. Die beabsichtigte Unantastbarkeit des Gesetzes ward daher nicht in der Weise vermittelt, daß man seine Aufhebung für unmög- lich erklärt hätte, sondern daß man sie bloß verbot , Cic. ad Att. III. 22 .. eam abrogari non oporteat und die Formel in Note 311. Diese Strafandrohung (die sanctio legis im prägnan- ten Sinn) war eine gewöhnliche Schlußclausel aller Gesetze, Cicero daselbst: neque enim ulla est, quae non ipsa se saepiat difficultate abrogationis. und zwar mittelst Androhung von Strafen, Unter den Begriff des „contra oder adversus eas facere “ (Cic. pro Balbo 14, Festus s. v. sacratae) fiel auch und zwar ganz vorzugsweise der Antrag auf Aufhebung des Gesetzes, s. die Formel in der Note 302: „ contra alias leges ejus legis ergo (des neuen Gesetzes wegen d. h. um es durchzusetzen) factum sit“. die sich bei den leges sacratae bis zur sacratio capitis et familiae steigerten. Die im Gesetz vorgesehene Strafe traf den, der einen Antrag auf Auf- hebung desselben gestellt hatte, selbst dann, wenn das Volk sei- nen Antrag angenommen hatte, denn die Stellung desselben fiel noch unter die Herrschaft des alten Gesetzes, das neue wirkte erst von dem Moment, wo es erlassen war. Um sich gegen diese Gefahr zu sichern, fügte der Antragsteller dem Gesetzentwurf eine Clausel hinzu, durch die ihm Straflosigkeit zugesichert ward. Caput tralatitium de impunitate si quid contra alias leges ejus legis ergo factum sit. Cic. ad Att. III. 22. Aber dies Mittel war kein völlig sicheres. Lehnte das Volk den Antrag ab, so war damit auch die Indemnitäts- C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. clausel verworfen, und die erste Lebensäußerung des leichtfertig angetasteten Gesetzes bestand in der Strafe, mit der es das At- tentat auf sein Bestehen an dem Schuldigen rächte. So war es also nichts weniger als ein gefahrloses Unternehmen, an den bestehenden Gesetzen und Einrichtungen zu rütteln; wenigstens wer seiner Sache nicht völlig sicher war — und die Sicherheit war nicht bloß durch die Stimmung des Volks, sondern auch durch die der zur Intercession berechtigten Beamten oder der die Auspicien in der Gewalt habenden Augurn, durch zufällige Störungen u. s. w. bedingt —, kurz wer nicht auf alle die vie- len Voraussetzungen zählen konnte, von deren Eintritt die defi- nitive Annahme seines Gesetzentwurfes abhing, der spielte ein gewagtes Spiel, ein Spiel, das ihn möglicherweise um Leib und Leben und sein ganzes Vermögen bringen konnte. Es war die Ministerverantwortlichkeit des römischen Alterthums, Bekanntlich konnten die Gesetzvorschläge nur von den Innehabern der höchsten Staatsämter gestellt werden. Mit der römischen Ministerver- antwortlichkeit hatte es übrigens etwas mehr auf sich, als mit der heutigen; um den obigen Preis könnten wir uns das römische System schon gefallen lassen, Kopf und Vermögen wiegt den Meisten schwerer, als das Gewissen. der Schutz gegen Verfassungsveränderungen. Daß die Aufhebung der Gesetze, wenn die Zeit dazu gekommen war, nicht ausge- schlossen war, bedarf nicht der Bemerkung. Cicero l. c. Sed vides nunquam esse observatas sanctiones earum legum, quae abrogarentur (ist wohl zu emendiren: abrogari vetentur? ). Eine andere Clausel zu demselben Zweck war die, daß der Antrag nur inso- weit gestellt sein solle, als dies gesetzlich erlaubt sei — eine Clausel, die Sinn hatte, wo es zweifelhaft, nicht aber, wo es klar war, daß der Antrag gegen die Strafsanction eines früheren Gesetzes verstieß. Nach Cicero a. a. O. wäre sie zuerst in dem von ihm berichteten Gesetzentwurf vorgekommen; er widerlegt sich jedoch selber in pro Caecina c. 33: adscripsisse Sullam in eandem legem: si quid jus non esset rogari, ejus ea lege nihilum rogatum. An der a. Stelle theilt er Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 15 Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Ueberschaut man die bisher von mir angeführten Fälle, so wird Jeder mein obiges Urtheil, daß wir es hier mit einem wohldurchdachten, ausgebildeten System zu thun haben, ge- rechtfertigt finden, und man wird es mir gern ersparen, dasselbe noch weiter in seine Einzelheiten zu verfolgen. z. B. in Bezug auf die Gültigkeit der Senatsbeschlüsse, s. z. B. Gellius XIV. 7 §. 7, 8. Der Grund- gedanke desselben besteht darin, daß die Erfordernisse aller öffent- lichen Akte und Maßregeln in zwei Classen gebracht werden. Zur allgemeinen Bezeichnung dieses Gegensatzes dienen die Aus- drücke: necesse est auf der einen und oportet, opus, fas est oder non est auf der andern Seite, s. z. B. Macrob. Sat. I. 16 §. 25: praefari necesse est, quos nominari atro die non oportet . Varro de L. L. VI. 30 nefas fari .. necesse enim aliquo eorum uti verbo, Cic. ad fam. I. 9 §. 25: legem curiatam consuli ferri opus esse, necesse non esse. Die der einen Classe bilden die constitutiven Momente des Akts; soweit ich beurtheilen kann, sind sie lediglich formeller Art, die Vornahme des Akts muß von Seiten der competenten Be- hörde und in der dafür vorgeschriebenen Form erfolgt sein. Alle Erfordernisse, die das Sachliche des Akts betreffen, sind der zweiten Classe zugewiesen, d. h. sie tragen die schwächere Form von Geboten, Verboten, kurz von Vorschriften an sich, die ledig- lich an den gerichtet sind, der den Akt vornimmt. Die Garantie ihrer Beobachtung beruht auf seiner Pflichttreue, seinem Amts- eid, der angedrohten Strafe; setzt er sich darüber hinweg, so ist der Akt an sich gültig. Die Garantie für die Erfordernisse der ersten Classe beruht auf der Nichtigkeit des Akts. Sie sind sol- die vollständige Formel mit: Si quid in hac rogatione scriptum est, quod per leges plebisvescita promulgare, abrogare, derogare, obrogare sine fraude sua non liceat , non licuerit, quodve ei qui promulgarit etc. ob eam rem poenae multaeve sit, E. H. L. N. R. (ejus hac lege nihil rogatur). Bei Val. Prob. de notis ant. §. 3 kömmt eine etwas andere Fassung vor: si quid sacri sancti est, quod non jure sit roga- tum, ejus hac lege nihil rogatur, s. auch Cic. pro Balbo 14. C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55. cher Art, daß Jeder sie beurtheilen kann, man hört und man sieht sie; Zweifel sind nicht möglich, die Anordnung der Nich- tigkeit hat hier nicht den geringsten Anstand. Ein Wahlcandi- dat, der von allen Centurien gewählt, aber nicht renuntiirt war, galt nicht als Magistrat, dagegen mochten, wenn die Renun- tiation erfolgt war, alle gedenkbaren Verstöße gegen das geist- liche und weltliche Recht bei seiner Wahl zusammengetroffen sein — er war und blieb Magistrat, bis er auf Befehl des Se- nats sich dieser seiner Würde begeben hatte. Wer von der im Bisherigen gewonnenen Grundlage des positiven römischen Staatsrechts aus die Deduction von Cicero, die den Ausgangspunkt unserer Untersuchung gebildet hat (S. 214), einer Beurtheilung unterziehen will, wird darüber kaum ein anderes Urtheil fällen können, als daß sie eine Kette von lauter Unrichtigkeiten enthält, und sich nicht darüber wun- dern können, daß sie, wie er selber die Naivität hat einzuge- stehen, Cic. de domo c. 16, 42. vor den Augen der im Staatsrecht besser unterrichte- ten im Uebrigen ganz mit ihm sympathisirenden Autoritäten keine Gnade gefunden hatte. Mochten die Pontifices bei der Arro- gation des Clodius alle Regeln ihres Rechts außer Acht gelassen haben, daraus folgte im Mindesten nicht der Schluß, den Ci- cero zieht, daß sie nichtig war; Cic. de domo 14, 38 .. contra omne pontificium jus factam pro nihilo esse habendam . die Beobachtung jener Re- geln war Sache der Pflichterfüllung der Pontifices. Mochten an jenem Tage Himmelsbeobachtungen angestellt sein, die lex curiata über die Adoption ward dadurch vitiös, aber nicht nich- tig. Mochte endlich Clodius ebenfalls in vitiöser Weise Ple- bejer und Volkstribun geworden sein, die Akte, die er in der letzten Eigenschaft vorgenommen hatte, waren und blieben gültig. Werfen wir jetzt einen Blick zurück auf den Gedanken der analytischen Vereinfachung des Thatbestandes, so wird es nicht 15* Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik. überflüssig sein zu zeigen, daß das bisher geschilderte politische System nur eine Anwendung dieses Gedankens enthält. Der- selbe Mechanismus, den das Privatrecht bei der mancipatio, in jure cessio und den abstracten Obligationen zur Anwendung bringt, wiederholt sich beim Gesetz, bei der Wahl der Magi- strate und allen Amtsverrichtungen der politischen und geistlichen Gewalten: der Gesammtbestand des Verhältnisses spaltet sich in zwei Theile, ein Theil bleibt zurück als absolut wesentlich, als Thatbestand — er beschränkt sich bei jenen politischen Akten, so zu sagen, auf die abstracte That, auf das nackte Wort, die einfache Verkündigung — der andere aber scheidet aus und nimmt die Form der Verpflichtung an, im Privatrecht die der Obligation , im Staatsrecht die einer durch Gesetz, Ge- wohnheitsrecht und religiöse Satzung normirten Amtspflicht und wird damit des nachtheiligen Einflusses auf das Verhält- niß selber beraubt. Was die mangelhafte oder fehlende causa bei dem Eigenthum und der abstracten Obligation, das ist das Vitium bei den öffentlich rechtlichen Verhältnissen. Die Con- dictionen wegen mangelhafter causa repräsentiren für das Pri- vatrecht dieselbe Erscheinung, wie die Rescission der Gesetze, Wahlen und Handlungen der Magistrate durch den Senat für das öffentliche Recht; indem das Gesetz die Befugniß zur An- fechtung auf eine bestimmte Person beschränkt, schützt es das Verhältniß gegen die Gefahr, bei jedem Versuch seiner Lebens- äußerung von Jedermann in Frage gestellt und gelähmt zu wer- den — kurz das Verhältniß verdankt seine Gesundheit und Kraft der Ausscheidung des Krankheitsstoffes : des Causalmoments und des Vitiums. II. Die juristische Oekonomie. 1. Bestreitung der Bedürfnisse auf einfachem Wege. Das Gesetz der Sparsamkeit — Die Kunst sich zu behelfen — Der einfache und künstliche Weg — Exemplification des erstern an einer Reihe von Beispielen. LVI. Das Gesetz der logischen Sparsamkeit ist eins der Fundamentalgesetze der juristischen Technik (B. 2 S. 344), gleichmäßig geltend für alle Epochen der Jurisprudenz; die Ver- schiedenheit der Entwicklungsstufe, die sie einnimmt, bestimmt nur die Art und die Formen, in denen sie es zur Anwendung bringt. In anderer Weise handhabt der Meister, in anderer der Anfänger die Regeln der Kunst, jener mit der Freiheit, welche die Frucht der Sicherheit, dieser mit der Unfreiheit, welche die Be- gleiterin der Unsicherheit ist; der Weg zur Freiheit in der Kunst geht durch die Schule d. h. durch eine Periode sklavischer Unter- ordnung unter die Regel (S. 8, 9) hindurch. Davon haben wir in dem vorhergehenden Abschnitt über die Analyse, insbesondere in ihrer Anwendung auf den Proceß und das Rechtsgeschäft reichliche Gelegenheit gehabt uns zu überzeugen, einen neuen Beitrag wird uns die folgende Ausführung geben. Das Gesetz der Sparsamkeit, um das der Zweig der alt- juristischen Kunst, dem wir fortan uns zuwenden, sich dreht, lautet einfach: was die Jurisprudenz mit den gegebenen Mit- teln und Begriffen zu Wege bringen kann, dafür soll sie keine besondern benutzen. In unserer heutigen Wissenschaft vollzieht Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. sich diese Regel in einer so wenig auffälligen, kaum sichtbaren Weise, so sehr auf rein negativem Wege durch bloße Unterlassung eines Verstoßes gegen sie, daß man sich ihrer Wahrnehmung leicht verschließen kann. Ein Blick auf die altrömische Jurisprudenz dagegen muß das Dasein und die hohe Bedeutung derselben sofort zum Bewußtsein bringen. Denn die Anstrengungen, die letztere macht, um ihr nachzukommen, sind so gewaltsam, die Mittel, die sie anwendet, so künstlich und verzwickt, die Wege, die sie einschlägt, so gewunden und weitläufig, daß Niemand, der überhaupt das Bedürfniß fühlt, sich über die äußern Er- scheinungen Rechenschaft zu geben, unaufmerksam an ihnen vor- übergehen kann, sie leiten ihn mit Nothwendigkeit auf die richtige Spur. Die Erscheinungen nun, die durch dies Bestreben, die vor- handenen Mittel bis zum äußersten Grad ihrer Verwendbarkeit auszunutzen, hervorgerufen sind, fasse ich zusammen unter den Gesichtspunkt der juristischen Oekonomie oder der Kunst sich mit dem Gegebenen zu behelfen. Die Kunst sich zu behelfen ist das Erbtheil der Armen, im Haushalt des Reichen gedeiht sie nicht. Unsere heutige Wissen- schaft genügt dem Gesetz der Sparsamkeit schon, indem sie nicht verschwendet , d. h. nichts Ueberflüssiges postulirt, Nichts, was sie auf andere Weise auf dem Wege der Combination und Deduction gewinnen kann, sie hat aber nicht nöthig, sich etwas Nothwendiges zu versagen. Wenn also das Leben ihr neue Verhältnisse zuführt, wie z. B. die Inhaberpapiere, die Aus- lobungen, die sie mit den bisherigen römisch-rechtlichen Be- griffen nicht genügend construiren kann, so darf sie sich der An- forderung, die zu dem Zweck nöthigen Begriffe aufzustellen, nicht entziehen. Denn die gereifte Wissenschaft muß die Kraft besitzen, sich des Neuen in seiner wahren, ureignen Gestalt zu bemächtigen, und soll daher jene Nothbehelfe, mittelst deren die Jurisprudenz der Kindheitszeit dieser Aufgabe auszuweichen wußte, verschmähen. Bestreitung der Bedürfnisse auf einfachem Wege. §. 56. Für letztere dagegen sind diese Nothbehelfe eine durch ihre Entwicklungsstufe gegebene Nothwendigkeit, und sie wiederholen sich darum auch überall, in besonders ausgeprägter Gestalt im englischen Recht. Für sie ist die Kunst sich mit wenigem zu be- helfen eine Lebensfrage; unter der Masse des Materials würde sie zu Grunde gehen. Die Herrschaft über den Stoff kann sie sich nur dadurch sichern, daß sie die Ordnung, in die sie ihn einmal gebracht hat, ängstlich hütet, an den Grundlagen und For- men, auf denen diese Ordnung beruht, nicht leichtsinnig rüttelt. Ein neuer Gedanke, der Aufnahme begehrt, ist ihr daher nicht, wie uns, ein willkommner Gast, sie erblickt in ihm nicht mit uns eine werthvolle Erweiterung des Wissens, sondern einen unbequemen Eindringling, der den Bestand der bisherigen Ord- nung in Frage stellt. Gezwungen ihn zuzulassen, thut sie dies in einer Weise, die diesen Bestand möglichst wenig alterirt, sie bereitet für ihn, wenn ich so sagen darf, kein besonderes Bett, wo er sich frei strecken und rühren kann, sondern sie bringt ihn unter, wo es eben am besten geht. Dies Bestreben, die neuen Gedanken oder sagen wir besser: die neuen Zwecke und Bedürfnisse, die der Fortschritt der Bil- dung und die Entwicklung des Verkehrs mit sich bringen, mög- lichst mit den gegebenen Mitteln zu bestreiten, führte noth- wendigerweise in manchen Fällen zu einer höchst gewaltsamen Spannung, um nicht zu sagen: Verrenkung des vorhandenen Rechts. Das schlagendste Beispiel dafür liefert das testamentum per aes et libram, bei dem die mancipatio in ihrer ursprüng- lichen Gestalt fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt ist. Es gibt kaum größere Gegensätze im ganzen Recht, als den Begriff des Kaufs und der Eigenthumsübertragung auf der einen und den des Testaments und der Universalsuccession auf der andern Seite. Nicht immer aber bedurfte es für den angegebenen Zweck so künstlicher Mittel, nicht selten reichten auch ganz einfache aus. Der römische Scharfsinn war in Entdeckung derselben ungemein erfinderisch und hat in dieser Richtung Probestücke zu Tage ge- Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. fördert, die durch ihre Feinheit und geniale Einfachheit über- raschen — glückliche Würfe des juristischen Genies, die uns heutzutage noch als Muster dienen können. Für das richtige Verständniß des ältern Rechts ist die Kennt- niß der juristischen Oekonomie von nicht geringerer Erheblichkeit, als die der juristischen Analyse. An der Bildung und Gestaltung der juristischen Seite des ältern Rechts haben beide den gleichen Antheil. Dagegen liegt allerdings der geistige Höhepunkt, zu dem sich die juristische Kunst in diesem zweiten Zweige erhebt, tiefer, als bei dem ersten. Nicht etwa, als ob sie hier hinter ihrer Aufgabe zurückgeblieben wäre; aber die Aufgabe selber verstattete ihr nicht denselben Spielraum zur Entfaltung geistiger Kraft, nicht jene Versenkung in das Feinste und Tiefste der Begriffswelt, zu der das Problem der Zersetzung Anlaß bot. Die Leistungen, die sie hier aufzuweisen hat, bestehen mehr in Lösung von Aufgaben , als in Lösung einer Aufgabe. Von der Analyse waren wir im Stande eine Theorie zu entwerfen d. h. ein System von Regeln aufzustellen, die in einem obersten Gesichtspunkt ihren letzten Grund hatten und unter sich in engster Wechselwirkung standen. Das ist uns bei der juristischen Oekonomie nicht möglich. Für diese logische Durchbildung eines Princips, diese Dialektik des Gedankens, der von Regel zu Regel fortschreitend das ganze Recht umspannt und beherrscht, bot sie eben keinen Raum. Unsere Darstellung nimmt dadurch einen wesentlich andern Charakter an, sie hat sich zu bescheiden, eine Reihe von Fällen und Verhältnissen namhaft zu machen, an denen unser obiger Gesichtspunkt wahrnehmbar wird. Das Maß, in dem dies zu geschehen hat, ist rein Sache des durch die Rücksicht der Zweckmäßigkeit geleiteten subjectiven Ermessens. Ich werde so viel Material heranziehen, als nöthig ist, um auch dem minder Kundigen ein anschauliches Bild jener Methode zu gewähren und ihn damit in Stand zu setzen, die Anwendung auf andere Fälle selber zu machen. Dabei werde ich mich derselben Freiheit bedienen, wie bei früheren Gelegenheiten, Bestreitung der Bedürfnisse auf einfachem Wege. §. 56. indem ich meine Beispiele nicht bloß dem ältern, sondern auch dem neuern Recht entlehne. Ueber die Benutzung und Gruppirung des historischen Materials entscheidet in meinen Augen nicht der Umstand ob das Einzelne , sondern ob das Princip nach der einen oder andern Epoche gravitirt. Daß aber die hier zu schildernde Kunst der juristischen Verwendung ihre richtige Stelle in der Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts nur im alten System findet, indem sie ihm nicht bloß ihrem Ursprung, sondern auch ihrer Blüthezeit nach angehört, darüber wird der Verfolg der Darstellung hoffentlich keine Zweifel übrig lassen. Nur ein einziger Gesichtspunkt hat sich mir dargeboten, um die Masse des Materials wenigstens in zwei größere Gruppen zu vertheilen. Es ist der oben angedeutete der Einfachheit oder Künstlichkeit der aufgebotenen Mittel. Aber auch er hat nur einen relativen Werth, indem der Maßstab darüber: was künst- lich, was einfach sei, ein ziemlich schwankender ist, ein Uebelstand, der übrigens hier, wo es sich nicht um begriffliche Scheidung, sondern lediglich um die Gruppirung des Stoffs handelt, gar nicht ins Gewicht fällt. Einfach nenne ich diejenige Verwen- dung eines Rechtssatzes oder Rechtsinstituts, die dieselben einem Zwecke dienstbar macht, für den sie zwar ihrer Intention nach nicht bestimmt sind, der ihnen aber doch nicht widerstrebt. Künstliche Mittel nenne ich diejenigen, bei denen die Rechts- sätze und Rechtsinstitute Dienste leisten sollen, die über ihr natür- liches Leistungsvermögen, ihren Sinn und Zweck hinausgehen, bei denen ihnen also zu dem Ende Gewalt angethan werden muß. Die fiduciarische Eigenthumsübertragung an den Stell- vertreter (s. unten Note 327) als Surrogat der dem ältern Recht fehlenden directen Stellvertretung war ein einfaches Mittel, denn dem Begriff der Eigenthumsübertragung geschah, indem sie einem solchen Zweck dienen mußte, keine Gewalt. Die Verwendung der Ehe dagegen lediglich zu dem Zweck, der Frau andere Tutoren oder die Befreiung von den sacris zu ver- schaffen (§. 58), war ein künstliches Mittel, denn eine der- Zweites Buch. Erster Abschn. III. B . Die juristische Oekonomie. artige Verwendung der Ehe widerstreitet ihrem innersten Wesen, sie wird hier zum reinen Scheinakt herabgewürdigt. Diese letztere Art der Benutzung, die ich als Spannung der Begriffe, For- men u. s. w. des Rechts bezeichne, setzte daher stets eine Con- nivenz in der rechtlichen Beurtheilung voraus, wie dies die nähere Betrachtung dieser Mittel (§. 58) des Weitern ergeben wird. Ich wende mich jetzt der ersten Gruppe von Mitteln zu. Im Interesse ihres wahren Verständnisses halte ich es für förderlich, den Zweck, soweit dies möglich, mit heutigen Namen zu be- zeichnen und ihn dadurch unserer heutigen Anschauungsweise näher zu rücken. Ich denke mir den Zweck als eine einem alt- römischen Juristen gestellte Aufgabe; überzeugen wir uns, wie ihm mit den Mitteln, die das vorhandene Recht ihm darbot, die Lösung derselben gelang. 1. Testamentsexecutoren . Der Zweck dieses modernen Instituts ist bekanntlich ein dop- pelter: einmal dem Erben die mit der Regulirung des Nach- laßwesens verbundenen Mühen und Lasten abzunehmen — ein Zweck, der bei den Grundsätzen des ältern Rechts über die Stell- vertretung für die Römer noch eine höhere Wichtigkeit hatte, als für uns — und sodann die Ausführung der testamentarischen Anordnungen dadurch zu sichern, daß sie aus den Händen des an ihrer mangelhaften oder verzögerten Ausführung interessirten Erben in die einer uninteressirten Person gelegt wird. Das römische Mittel für diesen Zweck war: Einsetzung des Testamentsexecutors zum Erben mit der Verpflichtung, den Netto- ertrag der Erbschaft nach Abzug einer entsprechenden Remune- ration für seine Mühe der eigentlich gewünschten Person zu restituiren. So lange die Höhe der Legate keiner Beschränkung unterworfen war, ließ sich diese Verpflichtung in Form des Legats bewerkstelligen, sei es in der Weise, daß der Erblasser selber den Nettoertrag der Erbschaft zu Geld anschlug und diesen Betrag legirte oder, da dies oft zur Zeit der Testamentserrichtung noch Bestreitung der Bedürfnisse auf einfachem Wege. §. 56. nicht möglich war, in Form des legatum partitionis, bei dem ihm, wie wir nicht anders wissen, die Anordnung des Theil- verhältnisses völlig frei stand, Ulp. XXIV. 25 .. dimidia pars .. Potest autem et alia pars velut tertia vel quarta legari . Daß Ulpian keine Theile über die Hälfte nennt, ist wohl nur Zufall. also auch eine solche, wobei der eingesetzte Erbe gerade nur so viel erhielt, als ihm für seine Mühwaltung zugedacht war. Seitdem die Legate rück- sichtlich ihres Betrages einer gesetzlichen Beschränkung unter- worfen waren, mußte man sich anderer Mittel bedienen, nämlich entweder der Einsetzung des Erben unter einer Bedingung ( Titius, si Maevio centum millia dederit oder promiserit oder juraverit se ei daturum, heres esto ) oder des Universalfidei- commisses ( deducta re oder summa ), letzteres freilich, bevor es klagbar geworden war, ein trügerisches, ganz von der Treue und Zuverlässigkeit des Erben abhängiges Mittel. Es begreift sich jetzt, was die Römer zu dem scheinbaren Widerspruch veranlassen konnte, dem Eingesetzten mit der einen Hand die Erbschaft zu geben, mit der andern sie ihm zu entziehen. Die Absicht war gar nicht darauf gerichtet, ihm die Erbschaft , sondern ledig- lich die Stellung eines Rechtsträgers S. oben S. 211 u. unten in der Theorie der Rechte. einzuräumen. Sollten diese Mittel bei Kindern in der Gewalt angewandt werden, was namentlich im Fall ihrer Unmündigkeit ganz an- gemessen sein konnte, so bedurfte es zu diesem Zweck erst noch einer Exheredation derselben, — eine Anwendung der Exheredation, die den Unkundigen leicht irre führen kann. Allein so wenig wie die obige Erbeseinsetzung den Zweck der effectiven Zu- wendung des Nachlasses, so wenig hatte diese Enterbung den der effectiven Entziehung desselben, sie war weit entfernt ein Akt der Lieblosigkeit zu sein, umgekehrt eine durch die umsichtigste, wohlwollendste Fürsorge dictirte Maßregel. L. 18 de lib. exh. (28. 2) .. ut eis consulant ut puta impuberibus . Daß die sacra gleichwohl auf die Kinder übergingen, dafür hatten die Ponti- fices gesorgt. Cic. de leg. II 20, 21. Zweites Buch. Erster Abschn. III. B . Die juristische Oekonomie. 2. Uebertragbarkeit des testamentarischen Erbrechts . Der Testator wünscht den Erben in die Lage zu versetzen, daß er je nach Gutbefinden die Erbschaft auf einen Andern über- tragen oder sie selber antreten kann; wie hat er es anzufangen? Nicht in der Weise, daß er dies direct verfügt, die römischen Juristen ließen eine solche Uebertragung nur bei der hereditas legitima, nicht auch bei der testamentarischen Erbschaft zu. Ulp. XIX . 14. Der Grund dieser Verschiedenheit mag darin liegen, daß dem Testator, wenn er dem Erben die obige Befugniß einräumen wollte , der im Text bezeichnete Weg offen stand, die Nichteinschlagung desselben mithin in den meisten Fällen als Beweis der entgegengesetzten Absicht gelten konnte. Vielmehr in der Weise, daß er einen Sklaven der beabsichtigten Person oder, da dieser sterben kann, der Sicherheit wegen sämmt- liche Sklaven derselben sei es neben sei es hintereinander zu Erben einsetzt. Nach seinem Tode hat dann der Eigenthümer des Sklaven die Wahl, ob er die Erbschaft durch letztern an- treten lassen oder sie auf einen Andern übertragen will. Zu dem Zweck muß er diesem den Sklaven mancipiren und zwar für den Fall, daß er letzteren zurückhaben will, unter Hinzufügung eines darauf zielenden Fiduciarvertrages. Gai. II 189. L. 58 Sol. matr. (24. 3) … reddendus est … servus .. ea conditione, ut, cum jussu ejus adierit, rursum marito re- tradatur. L. 1 §. 14 de succ. ed . (38. 9). Vermöge dieses Mittels konnte die Erbschaft als Speculationsobject von einer Hand in die andere wandeln, L. 2 §. 9 de B. P. (37. 11) .. si per multos dominos transierit servus … novissimo dabimus B. P . Auf diese Weise erhält er ganz wie im obigen Fall den Nettowerth der Erbschaft und wird selbst von den sacris frei; der Käufer bekommt für seine Mühwaltung eine Provision oder berechnet sie sich implicite im Kaufpreis. Die obige Erklärung des praktischen Zwecks der Einsetzung der Sklaven, die ich bei Frühern nicht gefunden (selbst nicht in der ausführlichen Darstellung von Mühlenbruch in Glücks Pandekten B. 39 S. 211—229) Bestreitung der Bedürfnisse auf einfachem Wege. §. 56. 3. Erstreckung des Erbrechts auf die Erben des Eingesetzten . Wenn der Eingesetzte den Anfall der Erbschaft nicht erlebt, so ist dieselbe für seine Erben verloren. Nun kann es aber der Wille des Testators sein, diesen Verlust abzuwenden. Wie ist dies zu erreichen? Auf directem Wege ebenfalls nicht. Der Testator kann allerdings dem Eingesetzten andere Personen sub- stituiren, also auch dessen jetzige nächste Intestaterben, allein die jetzigen sind nicht immer auch die zukünftigen, eine Sub- stitution der „zukünftigen Erben desselben“ aber als zur Zeit noch ungewisser Personen ( personae incertae ) ist unstatthaft. Die Antwort auf die obige Frage wird der Leser sich nunmehr selber geben. Der Testator setzt wiederum die Sklaven der beabsichtigten Person zu Erben ein; wenn letztere stirbt, so geht mit ihrer Erb- schaft auch das Eigenthum der Sklaven und damit die seinige auf diejenigen Personen über, die zu jener berufen sind. 4. Versprechen an unbestimmte Personen . Nach römischem Recht ist ein Versprechen an eine unbestimmte Person (z. B. der Restitution des Vermögens des arrogirten Unmündigen an seine „demnächstigen“ Erben, oder einer Prämie an „den, der die Sache wiederbringt“) ebenso wenig juristisch wirksam, als die Erbeinsetzung unbestimmter Personen, gleich- wohl bot aber das römische Leben zur Leistung derartiger Ver- sprechungen manche Veranlassung dar. Außer dem Fall im Text namentlich bei der Auslobung, die auch in Rom in ihrer thatsächlichen Gestalt bekannt war, s. z. B. Petron. Sat. c. 97, Apulej. Met. VI (ed. Bip. p . 123). Das so eben er- wähnte erste Beispiel lehrt uns, wie man sich hier half, ohne einen der obersten Grundsätze des Obligationenrechts Preis zu ist von mir bereits früher im ersten Heft der Jahrbücher für die Dog- matik u. s. w. S. 49 Note (1856) und damit gleichzeitig von Köppen die Erbschaft, S. 93 Note 7 (1856) aufgestellt worden. Zweites Buch. Erster Abschn. III. B . Die juristische Oekonomie. geben. Der Arrogator, dem die Arrogation des Unmündigen nur gegen Uebernahme der Verpflichtung, das Vermögen des- selben, wenn er während der Unmündigkeit versterben sollte, dem „demnächstigen“ Intestaterben desselben herauszugeben, verstattet wird, verspricht diese Herausgabe dem servus publicus d. i. der Commune, also einer bereits jetzt bestimmten Person. L. 18, 19 de adopt. (1. 7), L. 2 Cod. ibid . (8. 48), im justinia- nischen Recht der persona publica d. i. dem Magistrat oder Notar §. 3 I. ibid. (L. 11) cf. L. 32 Cod. de episc. (1. 3) Schrader ad §. 3 I. cit . Daran knüpfte die Doctrin des Mittelalters die Benutzung des Notars für ähnliche Zwecke an, Buchka Stellvertretung bei Verträgen S. 125, 133, 138, 140, 145 und anderwärts. Bei Eintritt der Bedingung cedirt letztere ihre Klage den betreffen- den Personen oder stellt sie selber an und gibt das Empfangene heraus. Ohne Zustimmung jener Personen durfte dem servus publicus nicht geleistet werden. L. 19 de comp . (16. 2). Einen ähnlichen Weg schlug man in solchen Verhältnissen ein, wo zwar die Personen selber bestimmt, die Zahl derselben aber zu groß war, um in der Person jedes Einzelnen das Forderungsverhältniß zu begründen. So z. B. im Fall der L. 4 §. 9 de fid. lib. (40. 5) … convenire creditores unumque creare, cui caveatur omnium nomine . 4. Stellvertretung . Das Bedürfniß sich bei rechtlichen Handlungen durch Andere vertreten zu lassen ist von einem einigermaßen entwickelten Ver- kehr gar nicht zu trennen. Wenn gleichwohl das römische Recht sich, wie es scheint, erst verhältnißmäßig spät zu den Formen erhoben hat, in denen dies Bedürfniß in der klassischen Zeit be- friedigt erscheint, so hat dies nur darin seinen Grund, daß es sich bereits von Altersher in Besitz zweier Formen befand, die sich auch noch im neuen Recht erhalten haben. Die eine war die Benutzung der hausunterthänigen Personen für den ange- gebenen Zweck, sie stützte sich auf den Satz, daß alles, was diese Bestreitung der Bedürfnisse auf einfachem Wege. §. 56. Personen erwerben, dem Gewaltinhaber zufällt. Vor allem waren es die Sklaven, deren man sich zu dem Ende in ausge- dehntester Weise bediente, und dieser ihr juristischer Beruf gehört wesentlich mit zur vollständigen Charakteristik der Stellung, die sie im Leben einnahmen. In welchem Maße die Römer sich daran gewöhnt hatten, in ihnen bloße Instrumente zum Abschluß von Rechtsgeschäften zu erblicken, geht schlagend daraus hervor, daß die Juristen dem Tutor, in einem Fall, wo die gänzliche Unreife des Mündels die Möglichkeit einer Stipulation und damit die der Bestellung der cautio rem pupilli salvam fore an ihn selber ausschloß, daß sie also dem Tutor hier anriethen, demselben einen Sklaven zu kaufen, der für seinen Herrn das Geschäft vornehme. War dies der mangelnden Mittel wegen nicht möglich, so ward wiederum der servus publicus oder auch die Obrigkeit herangezogen. L. 2—4 Rem pup. (46. 6) L. 1 §. 15 de mag. conv . (27. 8). Diese Form litt jedoch an einem Mangel, sie erstreckte sich nicht auf die processualische Stellvertretung. Diesem Mangel half die zweite Form ab, ohne jedoch auf diesen Zweck beschränkt zu sein. Sie bestand darin, daß der Beauftragte das Geschäft in eignem Namen abschloß und hinterher die Wirkungen des- selben auf den Mandanten übertrug. Wo die Vornahme des gewünschten Aktes an Voraussetzungen geknüpft war, die sich nur in der Person des Mandanten, nicht in seiner eignen vor- fanden, mußten dieselben erst auf ihn übertragen werden, so z. B. das Eigenthum des Grundstücks, dem er eine Servitut erwerben oder an dem er sie bestellen sollte. L. 4 §. 3 de alien. jud. (4. 7) .. dominio in eos (procuratores) plerumque ex justa causa translato (im Sinn der im justinianischen Recht ausschließlich geltenden Traditionstheorie interpolirt). Zu einem solchen Hin- und Herübertragen des Grundstücks bot gerade die Servitutentheorie mehrfache Veranlassung, so z. B. im Fall der L. 15 §. 7 de usufr . (7. 1) (darüber Jahrbücher für Dogmatik u. s. w. I . S. 34) und in dem der Vat. fr . §. 51. Auch für die Freilassung eines Sklaven konnte ein solcher Umweg Dieser Weg Zweites Buch. Erster Abschn. III. B . Die juristische Oekonomie. war namentlich geboten im Proceß. Um hier einen Andern an die eigne Stelle zu setzen blieb in alter Zeit nichts übrig, als das Verhältniß, welches den Gegenstand des Streites bildete, auf ihn fiduciarisch zu übertragen, also bei Eigenthums- und Servitutenstreitigkeiten das Grundstück. Selbst bei einem Streit über eins der Gewaltverhältnisse war dieser Weg nicht ausgeschlossen, man mancipirte den Sklaven, das Kind, die Frau, ohne daß dieselben darum das Haus zu verlassen brauchten, und der jetzige Innehaber der Gewalt über sie führte in dieser Eigenschaft den Proceß, dessen Verhandlung und Entscheidung sich auch in dieser Gestalt lediglich um das Recht des Autors drehte. Ich kann mir denken, daß ein Mann, der auf längere Zeit sich von seinem Hause entfernen mußte, ebenfalls diesen Weg einschlug, um den Seinigen, denen der Zutritt zu Gericht versperrt war, für die Zeit seiner Abwesenheit einen Vertreter zu sichern. Nur bei der Erbschaft und der Forderung war aus bekannten Gründen eine solche Uebertragung ausgeschlossen. Wie bei der ersteren der Testator gleichwohl es erreichen konnte, dem eingesetzten Erben die Last, selber die Processe zu führen, zu ersparen und sie auf andere Schultern zu legen, ist oben mit- getheilt. Für die Forderungsverhältnisse blieb nichts anderes übrig, als sofort bei Begründung derselben den eventuellen Stellvertreter als Mitgläubiger ( adstipulator ) oder als Mit- schuldner ( adpromissor ) heranzuziehen, Mit Recht erblickt man in diesem Stellvertretungszweck das ur- sprüngliche historische Motiv der adpromissio und adstipulatio . Puchta Cursus der Institutionen II . §. 156 Note c, III . §. 277 Note z ( Rudorff ). Brinz kritische Blätter Nr. IV . S. 19—22. wenn nicht etwa der Gegner selber die Hand zur Novation der streitigen Forderung bot. Dagegen ließ sich die Acceptilation durch Mittelspersonen nöthig werden, so z. B. um des Falles der Verhinderung des Herrn am Er- scheinen in Rom zu geschweigen, in dem der L. 14 de man. (40. 1) .. dubi- tationis tollendae causa ab agnato (curatore furiosi) tradendum servum, ut ab eo, cui traditus esset, manumittatur, Octavenus ait . Bestreitung der Bedürfnisse auf einfachem Wege. §. 56. sehr leicht bewerkstelligen, dadurch nämlich, daß sie die Forderung zunächst in eigner Person erwarben und dann erließen. L. 13 §. 10 de accept. — (46. 4) .. nam et in absentium persona hoc remedio uti solemus: stipulamur ab aliquo id novandi causa, quod nobis absens debet, et ita accepto liberamus a quo stipulati sumus; ita fiet, ut absens novatione, praesens acceptilatione liberetur . Desselben Umwegs hat sich nach dieser Stelle der Vormund zu bedienen, wenn eine Forderung oder Schuld seines Pflegbefohlenen durch Acceptilation getilgt werden soll. 5. Erstreckung des Urtheils auf die Zukunft . Das Urtheil des Richters kann nicht bedingt und nicht auf die Zukunft lauten, L. 35 de jud. (5. 1) Non quemadmodum fidejussoris obligatio in pendenti potest esse vel in futurum concipi, ita judicium in pendenti potest esse vel de his rebus, quae postea in obligationem adventurae sunt . also auch keinen zur Zeit noch nicht existenten Anspruch für den Fall seiner demnächstigen Existenz eventuell vorbehalten, der Kläger, der ihn gleichwohl vorher geltend macht, verliert ihn, denn der spätern Erhebung der Klage steht die exc. rei judicatae entgegen. Dieser Grundsatz konnte in manchen Verhältnissen höchst drückend werden. Ich setze z. B. den Fall der act. pro socio, die der Gesellschafter schon sofort nach aufgehobener Societät genöthigt ist zu erheben, während noch bedingte Forderungs- oder Schuldverhältnisse schweben. Wie hier helfen? Der Richter legt den streitenden Theilen auf, sich gegenseitig die demnächstige active und passive Theilhaberschaft an den zur Zeit noch schwebenden Schuldverhältnissen zuzusichern, aus dieser cautio entsteht ein neuer, selbständiger Anspruch, dem seiner Zeit, wenn die Bedingung desselben in Erfüllung ge- gangen, die exc. rei judicatae nicht im Wege steht. L. 27, 38 pro soc . (17. 2). In derselben Weise half man sich überall, wo es wegen schwebender Verhältnisse, deren Berücksichtigung man dem Kläger billiger- weise nicht zumuthen konnte, eines eventuellen Urtheils bedurft hätte. Man beendete den Proceß in gewöhnlicher Weise durch Jhering, Geist d. röm. Rechts. III . 16 Zweites Buch. Erster Abschn. III. B . Die juristische Oekonomie. Condemnation oder Absolution, aber sorgte dafür, daß das Fundament für eine eventuelle zukünftige Klage gelegt wurde. L. 41 de jud. (3. 1) L. 63 §. 4 pro soc. (17. 2) L. 47 §. 2 de pec. (15. 1) L. 9 §. 5 quod met. (4. 2) (doli repromissio) L. 19 de O. N. N. (39. 1) L. un. §. 7 Cod. de re ux . (5. 13) u. a. 6. Indirecte Erzwingung der Natural- restitution im Proceß . Das Urtheil im Formularproceß muß bekanntlich immer auf Geld lauten, es faßt die beiden Erkenntnisse, zu denen es im Legisactionenproceß kommen konnte : die Verurtheilung auf die Sache und die im Fall der Unmöglichkeit ihrer Leistung eintretende Abschätzung derselben ( arbitrium litis aesti- mandae ) So Keller Röm. Civilpr. §. 16, mit dem ich übereinstimme. in ein einziges zusammen. Das wäre ein ent- schiedener Rückschritt gewesen, wenn man nicht Sorge dafür ge- tragen hätte, dem Kläger in allen solchen Fällen, wo die Sache nicht bloß als Werthobject für ihn in Betracht kam, sondern ein individuelles, specifisches Interesse für ihn hatte, den An- spruch auf Naturalrestitution, den der ältere Proceß ihm in directer Weise zuerkannte, wenigstens in indirecter Weise zu sichern. Man vermittelte dies, ohne das Princip der Geld- condemnation aufzugeben, in der Art, daß der Richter ange- wiesen ward, nachdem er sich von dem Recht des Klägers über- zeugt hatte, dem Beklagten die Naturalrestitution aufzuerlegen ( arbitrium de re restituenda, Klagen mit formula arbitraria ). Diese Auflage war freilich nicht direct erzwingbar, allein es war dafür gesorgt, daß der Beklagte gleichwohl ihr nachkommen mußte, denn that er es nicht, so ward der Kläger zur eidlichen Erhärtung seines Interesses ( juramentum in litem ) zugelassen, und da ihm ursprünglich in Bezug auf den Höhenansatz desselben gar keine Gränze gezogen war, indem das Mittel zugleich die Bestimmung der Strafe für den Gegner hatte, so war es ganz Bestreitung der Bedürfnisse auf einfachem Wege. §. 56. in seine Hand gegeben, den trotzigen Beklagten aufs empfind- lichste zu züchtigen, ihn möglicherweise an den Bettelstab zu bringen. 7. Indirecte Erzwingung eines facere . Die Obligation des ältern Rechts hat die Sache d. h. das dare zu ihrem Grunde und zu ihrem Zweck oder Gegen- stand , Diese Ansicht, die in dem Abschnitt über die Rechte des ältern Systems näher ausgeführt werden soll, ist bereits B. 2 S. 466 angedeutet. ein facere kann nicht wirksam versprochen werden. Andererseits ist aber doch für einen einigermaßen entwickelten Verkehr die juristische Erzwingbarkeit eines versprochenen facere ein unabweisbares Bedürfniß. Der Weg, auf dem der ältere Verkehr dasselbe befriedigte, ist ganz derselbe, wie in dem vorher- gehenden Fall: der der indirecten Erzwingung. Der Pro- mittent verspricht für den Fall, daß er die zugesicherte Hand- lung nicht vornimmt, eine Geldsumme, hoch genug gegriffen, um den gewünschten Zwang auf ihn auszuüben (Conventionalpön). 8. Uebertragbarkeit der Forderungen . Die Obligation ist nach römischer Auffassung unlöslich mit der Person des Gläubigers und Schuldners verknüpft, ein Wechsel der Personen, wie er bei der Delegation Statt findet, ist Aufhebung der bisherigen Obligation und Errichtung einer neuen. Der Umstand, daß die active Delegation Einwilligung und Mitwirkung des Schuldners voraussetzte, machte die Be- nutzung dieser Form für den Zweck der Uebertragung der Ob- ligation zu einer höchst lästigen und unsicheren, es bedurfte für den regen Handels- und Geldverkehr der spätern Zeit einer andern Form, die nicht an diese Voraussetzung gebunden war. Dies ist bekanntlich die Cession . Die Form, in der sie das Problem der Uebertragung der Obligation löste, ohne mit dem einmal adoptirten obigen Dogma in Widerspruch zu gerathen, 16* Zweites Buch. Erster Abschn. III. B . Die juristische Oekonomie. bestand in der Verwendung der zu jener Zeit bereits zugelassenen processualischen Stellvertretung. Dem Cessionar ward die Voll- macht zur Anstellung der Klage ( mandatum ad agendum ) er- theilt, er führte den Proceß wie ein gewöhnlicher Proceßprocu- rator, nur daß er das Beigetriebene für sich selber behielt ( procurator in rem suam ). 9. Indirecte Zweiseitigkeit der einseitigen Obligationen . Das ältere Recht kennt nur einseitige Obligationen (S. 190 fl.), aber die Bedingung bot das Mittel, ihnen den Erfolg zweiseitiger zu verschaffen. Wünschten z. B. die Con- trahenten bei einem Kaufcontract, der nach altem Recht in die Form zweier einseitiger Stipulationen gekleidet werden mußte, sich gegen die daraus resultirende Gefahr, daß der eine Theil auf Erfüllung klage, ohne seinerseits bereits geleistet zu haben, zu sichern oder m. a. W. den Erfolg des zweiseitigen Vertrages, daß die Leistung nur Zug um Zug geschehe, herbeizuführen, so nahm jeder in sein Versprechen die entsprechende Bedingung auf ( spondesne centum dare, si equum dederim, equum dare, si centum dederim ). Ebenso verfuhr der Testator, der dem Legatar, was in directer Weise nicht zu beschaffen war (S. 194), eine Leistung an einen Andern auferlegen wollte ( heres damnas esto Maevio centum dare, si Maevius Titio equum dederit ). Die Bedingung hat für das ältere Recht die historische Bedeutung eines Surrogats für die mangelnde Zweiseitigkeit . Doch genug der Beispiele! Die bisher mitgetheilten werden zur Genüge erwiesen haben, wie sehr die römischen Juristen es verstanden, durch geschickte Benutzung der vorhandenen Mittel die Anforderungen, die das Leben an sie richtete, zu befriedigen. Es war nicht ihre Weise, ein gerechtfertigtes Verlangen achsel- zuckend damit abzuweisen, daß die Theorie demselben wider- strebe, sie hielten es vielmehr für eine wesentliche Seite ihres Berufes, selber die Mittel auszudenken, wie der Noth abzu- Bestreitung der Bedürfnisse auf einfachem Wege. §. 56. helfen, selber dem Verkehr die Wege zu bahnen, die eine ver- änderte Strömung desselben nöthig machte, kurz ihre Kunst war zugleich eine praktische Rechtsheuristik, Cautelarjuris- prudenz im weitesten Sinne des Worts. Und zwar bildete diese Seite ihrer Kunst nicht etwa einen besondern Zweig für sich, sondern ein untrennbares, allgegenwärtiges Element der Theorie selber, d. h. auch bei ihren rein theoretischen Unter- suchungen stellen die römischen Juristen sich nie auf den Stand- punkt einer mit rein wissenschaftlicher Unbefangenheit sich hin- gebenden naturhistorischen Betrachtung der Rechtswelt, sondern sie halten stets die praktische Bestimmung der Rechts- sätze und Begriffe, das Zweckmoment fest im Auge, geben daher auch hier überall die Mittel und Wege an, um den Ver- legenheiten, die aus der strengen Durchführung der Theoreme sich für das Leben ergeben können, zu entgehen, S. z. B. Note 320, 324—327, 329, und viele sonstige Stellen der Pandekten. während wir heutzutage dasselbe nur zu oft ruhig in der Sackgasse stecken lassen, in die es durch unsere Schuld gerathen ist. Der Umstand, daß unser heutiges Recht die Ausbildung dieser heuristischen Ge- schicklichkeit in ungleich geringerem Maße beansprucht und för- dert, als das altrömische, indem es der rechtlichen Bewegung von vornherein einen weit größeren Spielraum öffnet, als letz- teres, dieser Umstand hat zur Folge gehabt, daß wir für die Pro- ben, die das römische Recht von jener Geschicklichkeit ablegt, ein ungleich geringeres Wahrnehmungsvermögen besitzen, als wir es sonst haben müßten. An wie manchen dahin einschlagenden be- deutungsvollen Erscheinungen gehen wir unachtsam, gedankenlos vorüber, wenn nicht ein römischer Jurist uns auf Sinn und Zweck derselben aufmerksam macht. Um anderer Beispiele zu geschweigen (s. z. B. Note 321) so beruhigen wir uns z. B. dabei, daß die Tra- dition einer res mancipi kein Eigenthum übertrug, auf die Frage aber: was denn die Partheien veranlassen konnte, die Sache, anstatt Zweites Buch. Erster Abschn. III. B . Die juristische Oekonomie. zu mancipiren, zu tradiren, bleiben wir die Antwort schuldig oder geben eine solche, die unmöglich befriedigen kann, wie z. B. daß sie sich die Weitläuftigkeit der Mancipation hätten ersparen wollen — als wenn fünf Zeugen und eine Wagschaale in Rom schwer zu haben gewesen wären! — oder daß die Mancipation nur unter Gegenwärtigen hätte beschafft werden können — als ob dem Sklaven oder Stellvertreter des Abwesenden nicht eben so gut hätte mancipirt, als tradirt werden können. Nein! Die Tradition hatte hier einen ganz verständigen, praktischen Grund, so war sie z. B., um nur eins anzuführen, für die res mancipi die einzige Form unseres heutigen s. g. pactum reservati dominii und pactum displicentiae . Ein anderes Beispiel bietet die Verbindung des Vorkaufsrechts und des Anspruchs auf Alienationsgebühr Dieselbe war bereits vor Justinian üblich, L. 3 Cod. de jure emph. (4. 66) quod usque ad praesens tempus praestari cognovimus, Justinian hat nur ihren Betrag auf 1/50 fixirt. (s. g. quinquagesima ) bei der Emphy- teusis — in meinen Augen eins der feinsten Probestücke römischer Cautelarjurisprudenz aus der spätern Zeit! Ich weiß nicht, ob bereits ein Anderer den Sinn und Zweck dieser Verbindung an- gegeben hat, in den gangbaren Darstellungen ist dies wenigstens nicht der Fall. Und doch ist er so wenig schwer zu finden. Beide Rechte stützen und sichern sich gegenseitig. Bestände das eine ohne das andere, so würde der Emphyteuta es in seiner Hand haben, den Herrn zu betrügen, beim Vorkaufsrecht nämlich, in- dem er den ihm gebotenen Kaufpreis fälschlich so hoch angäbe, daß der Herr von der Ausübung desselben abgeschreckt würde, bei der Alienationsgebühr, indem er, um sie zu verringern, um- gekehrt den erhaltenen Kaufpreis beträchtlich geringer angäbe. Die Verbindung beider Rechte aber bewirkt, daß er sich nicht nach der einen Seite von der Wahrheit entfernen kann, ohne sich nach der andern hin zu gefährden. Gibt er das ihm gemachte Gebot zu niedrig an, so fängt er sich im Vorkaufsrecht, gibt er Die Schleichwege des Lebens. §. 57. es, um letzterem zu entgehen, zu hoch an, so fängt er sich in der Alienationsgebühr, kurz es ist eine Doppelschraube, eine juristische Zwickmühle! Ein würdiges Seitenstück dazu aus älterer Zeit ist die fructus licitatio beim interdictum uti possidetis, erinnernd an den Salomonischen Richter- spruch, nämlich ein Probirstein, eine Sonde zur Entdeckung des wahren Be- rechtigten. Der provisorische Besitz während des Processes wird zwischen beiden Partheien versteigert, der wirkliche Besitzer hat es also in seiner Hand den Preis so hoch zu treiben, daß der Nichtberechtigte von Sinnen sein müßte ihn zu überbieten oder wenn er es dennoch thut, ihm den größten Gefallen damit erweist. Wie unvollkommen erscheint dagegen unser heutiges Sum- mariissimum! 2. Die Schleichwege des Lebens. Die Verwendung der Rechtsverhältnisse im Leben — Mißbrauch der Familienverhältnisse — Mittel zur Vereitelung der erbrecht- lichen Beschränkungen. LVII . Meinem Plane gemäß sollte jetzt die Betrachtung der künstlichen Mittel folgen (S. 233), ich schiebe hier jedoch eine Ausführung ein, die, obschon sie nicht unmittelbar die Jurisprudenz betrifft, dennoch mittelbar für unsere Zwecke von Interesse ist. Dieselbe Kunst, die in den Händen der Jurisprudenz dazu diente, das Recht zu fördern und zu vervollkommnen, erwies sich auch geschäftig, dasselbe zu umgehen und zu untergraben. Den Umwegen, die erstere einschlug, um erlaubte Zwecke zu er- reichen, correspondiren die Schleichwege, deren das Leben sich be- diente, um unerlaubte Zwecke zu verfolgen. Mochten letztere von Juristen oder Nichtjuristen aufgefunden worden sein, jeden- falls bilden sie kein Stück der römischen Jurisprudenz , denn die Wissenschaft lehrt die Wege des Rechts, nicht die des Un- rechts. Sie würden daher ganz außerhalb der Gränzen unserer Aufgabe fallen, wenn nicht ein doppelter Grund uns nöthigte, Zweites Buch. Erster Abschn. III. B . Die juristische Oekonomie. auch ihnen einen Blick zuzuwerfen. Einmal nämlich die That- sache, daß manche von ihnen im Laufe der Zeit als Schein- geschäfte , d. h. als vom Recht und von der Jurisprudenz adoptirte Geschäftsformen (§. 58) eine gewohnheitsrecht- liche Geltung erlangten, und sodann der Umstand, daß sie, in- dem sie das Recht und die Jurisprudenz in die Lage versetzten, ihnen entgegenzutreten, dadurch die Veranlassung und Quelle mancher nur von diesem Gesichtspunkt aus zu erklärender Rechts- sätze wurden. Die römische Schlauheit war in der Entdeckung solcher Schleichwege ungemein erfinderisch, kaum war ihr der eine abgeschnitten, so war bald ein anderer wiederum da, kaum aus diesem Schlupfwinkel durch das Gesetz vertrieben, hatte sie sofort wiederum einen andern in Besitz genommen — ein Schau- spiel, das unwillkührlich das Bild eines in seinem Bau um- stellten und angegriffenen Fuchses hervorruft. Wem es gelänge, diesen Kampf bis in seine Einzelnheiten zu verfolgen und zu schildern, dem römischen Fuchse in alle seine gewundenen Gänge und Wege nachzuschleichen, würde damit ein fast noch leeres Blatt römischer Rechtsgeschichte beschrieben haben, das uns nothwendigerweise wichtige Aufschlüsse geben, uns den Sinn so mancher Rechtssätze enthüllen würde, die für uns, so lange wir gewohnt sind, den Zugang zu ihnen, statt unter der Erde, auf ebnem Boden oder wohl gar mit Hülfe des Luftballons Ein celebres Beispiel einer solchen Luftballonserklärung in einem Fall, in dem der Zugang allein unter der Erde zu suchen war, liefert in meinen Augen der oben S. 141 besprochene Satz: nemo pro parte testatus u. s. w. von oben zu suchen, ewige Räthsel bleiben werden. Ich hatte mir vorgenommen, an dieser Stelle das Material, das ich mir für diesen Zweck gesammelt habe, vollständig zu verwerthen, dasselbe ist jedoch so angewachsen, und der Versuch der Ver- arbeitung desselben hat mich so sehr in Einzelnheiten und ins Weite geführt, daß ich Anstand nehme, ihn hier einzufügen und mich lieber auf eine kurze Skizze beschränke. Die Schleichwege des Lebens. §. 57. Wenn ich zunächst den Gesammteindruck, mit dem meine Untersuchungen abgeschlossen haben, in ein Wort zusammen- fassen soll, so besteht er in der Ueberzeugung, daß eins der schwierigsten Probleme, die an den Gesetzgeber überhaupt her- antreten können, das ist, sein Gesetz gegen Umgehungen sicher zu stellen, und daß alle Kunst, die Er aufbietet, es zu schützen, derjenigen die das Leben anwendet, es zu untergraben, zu stürzen, zu vereiteln kaum gewachsen ist. Wer noch den Glau- ben theilt, — ein Glaube, von dem die Gesetzgeber selber nicht selten nichts weniger als frei gewesen sind — daß es einfach ge- nüge, etwas zu gebieten oder zu verbieten, um den gewünschten Erfolg zu erreichen, gleich als ob bloß die Schärfe des Schwer- tes genüge, um zu treffen und nicht auch der wuchtigste Schlag dadurch, daß der Gegner ihm ausweicht, zu einem bloßen Luft- hieb werden kann — wer also diesen Wahn noch theilt, der lese das Blatt Geschichte, das ich ihm in Folgendem aufrollen werde, um von demselben gründlich geheilt zu werden. Die Klagen über die Unerschöpflichkeit der auf die Ver- eitelung der Gesetze gerichteten List und die Erfolglosigkeit oder wenigstens den geringen Erfolg der ihr entgegengestellten gesetz- lichen Maßregeln wiederholen sich in Rom zu allen Zeiten, und würde es an ausdrücklichen Aussprüchen fehlen, z. B. Tac. Ann. VI. 16 (bei Gelegenheit der Wuchergesetze) multisque plebiscitis obviam itum fraudibus, quae toties repressae miras per artes rursum oriebantur. L. 1 pr. Cod. de cad. toll. (6. 51) multas invenientibus vias. Gaj. 1. 46 .. sunt etiam specialia SCa, quibus rescissa sunt ea quae in fraudem ejus legis (Furiae Caniniae) excogitata sunt . die fort- gesetzten Bemühungen, deren die Gesetzgebung und Jurisprudenz bedurfte, um bei einem und demselben Verhältniß eine noth- dürftige Sicherung zu bewirken, würden das beredteste Zeugniß dafür ablegen. Kein Verhältniß, das nicht einer derartigen fraudulösen Benutzung ausgesetzt gewesen wäre, nichts war heilig, weder die Ehe, noch das elterliche Verhältniß, noch die Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. Ehre, das man nicht in den Staub gezogen, um irgend einen schnöden Zweck damit zu erreichen, und ohne es zu wissen, mußte oft selbst die Obrigkeit ihre Hand dazu bieten, die Verfolgung illegaler Zwecke durch das Urtheil in einem abgekarteten Proceß zu fördern. Hier ist natürlich nicht an die in jure cessio gedacht, bei welcher der Zweck ja ein erlaubter und der Obrigkeit bekannter, sondern an solche Fälle, wo dies nicht der Fall war z. B. Anstellung einer act. famosa in der Absicht, damit der Beklagte infam und dadurch von gewissen Beschränkungen frei werde. Sueton. Tiber. c. 35: quo minus in opera scenae arenaeque edenda senatusconsulto tenerentur, famosi judicii notam sponte subi- bant; Anstellung des judicium liberale, damit der Freigelassene die Rechte des Freigebornen erhalte, L. 1, 5 de coll. deteg. (40. 16), Suet. Aug. c. 74: asserto in ingenuitatem. Den äußersten Tiefegrad erreichte dieser Unfug allerdings erst in der Zeit der sittlichen Versunkenheit und Ver- wilderung, als alle Bande der Zucht und Schaam zerrissen waren. Damals schrak die entartete Damenwelt der höheren Kreise eben- so wenig davor zurück, sich durch Anmeldung beim Aedilen unter die Zahl öffentlicher Dirnen einen Freibrief von den Unzucht- gesetzen, als die ihrer würdige männliche Jugend vor der Schande der Infamie, um sich dadurch den Zutritt zur Bühne zu er- kaufen. Ueber beides das Citat der vorigen Note von Sueton . Aber selbst die gute alte Zeit ist von dem Vor- wurf, das erste Beispiel zu einer solchen Versündigung gegeben zu haben, nicht frei zu sprechen, und die Jurisprudenz trägt daran ebenfalls einen Antheil der Schuld. Es ist dies ein für die ganze Weise der Römer und damit auch der römischen Juristen höchst bezeichnender Punkt. Ueber dem strengen Festhalten des juristischen Moments haben sie, ohne es zu wissen und wollen, das ethische preisgegeben. Die Benutzung der Ehe als bloßer Scheinehe für die Verfolgung gewisser legislativ nicht zu be- anstandender Zwecke (§. 58) mochte immerhin vom einseitigen Standpunkt juristischer Technik sich noch so sehr empfehlen, eine Jurisprudenz, die sich auf den höhern legislativ-politischen und ethischen Standpunkt gestellt hätte, würde nie ihre Zustimmung Die Schleichwege des Lebens. §. 57. dazu gegeben haben, denn selbst in Anwendung auf erlaubte Zwecke enthält eine solche Verwendung der Ehe als bloßer Form eine Versündigung gegen ihr wahres Wesen und zugleich das Signal, sich ihrer auch zu andern, minder beifallswürdigen Zwecken zu bedienen, kurz sie schlechthin als juristisches In- strument zu betrachten. Das ist überhaupt die dunkle Kehrseite jener einseitig juristischen Lebensauffassung, welche die Römer kennzeichnet und in der Technik der Juristen nur ihren höchsten Gipfelpunkt erreicht, daß sie, indem sie die vorhandenen Ver- hältnisse rein vom Standpunkt ihrer juristischen Brauchbarkeit erfaßt, sie als bloßen Apparat für beliebige Zwecke verwendet, zu jener Gleichgültigkeit gegen das wahre Wesen der Dinge, jenem formalistischen Nihilismus geführt hat, der schon früh einen Charakterzug des römischen Volkes bildet. Die Römer haben die Scheingeschäfte nicht umsonst gehabt ! Möge das römische Leben selber diese Anklage begründen, und zwar an der Art, wie es die Familienverhältnisse behandelt hat. Es ist bezeichnend, daß der Mißbrauch derselben, den ich hier im Auge habe, schon in eine Zeit hinaufreicht, wo dieselben im übrigen noch in voller, ungeschwächter Kraft bestanden. Schon Licinius Stolo war es, der um dem von ihm selbst be- antragten Gesetz zu entgehen, seine Kinder emancipirte und dafür vom Volk bestraft ward (B. 2 S. 494). Schon Publius Scipio klagte als Censor darüber, daß die Adoption benutzt werde, um sich der Vortheile, die der Besitz der Kinder gewährte, zu ver- sichern, Gell. V. 19. und Scheinadoptionen und Scheinverkäufe der Kinder ins Mancipium dienten im sechsten Jahrhundert den Mitgliedern der latinischen Gemeinden als allbetretener Weg, um das römische Bürgerrecht zu erlangen. Liv. 41, 8, dazu Adolf Schmidt , Rektoratsprogramm, Frei- burg 1856. Wer Nachkommenschaft daheim ließ, konnte nach Rom ziehen und römischer Bürger werden. Wer Kinder besaß, mancipirte sie vor seiner Uebersiedlung irgend einem Römer und ließ sie daheim; letzterer ließ sie so- Auch die Eingehung simulirter Ehen, Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. um den Nachtheilen der Ehelosigkeit zu entgehen, muß offenbar schon in alter Zeit häufig genug gewesen sein, denn der dagegen berechnete, von den Censoren auferlegte Eid, daß die Ehe in ernstlicher Absicht geschlossen sei, Liberorum quaerendorum gratia se uxorem habiturum, Gell. IV. 3; oder die Frage: ex animi tui sententia, Cic. de orat. II. 64, Gell. IV. 20. Savigny , Vermischte Schriften I. S. 84 fl. Bestrafung der Scheinehe, Val. Max. VII. 7, 4. kann jedenfalls nicht in dem zu diesem Verdacht so wenig Anlaß bietenden Fall des Carvilius Ruga zuerst zur Anwendung gelangt sein. Auch die strenge Untersuchung, die man bei der Arrogation anstellte, um einer mißbräuchlichen Anwendung zu steuern, so wie der dabei zu leistende, von Q. Mucius schwerlich erst erfundene, sondern nur besser formulirte Eid Gell. V. 19. weist darauf hin, daß rücksichtlich dieses Aktes eine solche Gefahr früh bestanden haben muß, und die ausgeprägte Gestalt, in der die Arrogation in dem bekannten Fall des Clodius als gewohnheitsrechtlich anerkannte Form zum Zweck des Uebertritts der Patricier zur Plebs zur Anwendung gelangt (§. 58), berechtigt zu dem Schluß, daß wenigstens diese Verwendung der Arrogation zu einem ihr völlig fremden Zweck im Leben bereits lange vorher Statt gefunden haben muß. Das Uebel, das diese Erscheinungen schon so früh zu Tage rief, saß tief, es lag in der rechtlichen Organisation der römischen Familienverhältnisse selber. Indem dieselben über Gebühr mit vermögensrechtlichen und persönlichen Folgen ausgestattet waren, beschworen sie selber die Gefahr des Mißbrauchs herauf. Wer kann es dem Vater verdenken, daß er seinen Sohn emancipirt, L. 26 de jure fisci (49. 14). wenn dies der einzige Weg ist, damit die Antretung der dem dann frei, und da sie dadurch römische Bürger wurden, hatte die Gemeinde ihren Anspruch an sie verloren. Wer keine Kinder besaß, fand für weniges irgend einen Proletarier, der sich von ihm lediglich zu dem Zwecke adoptiren ließ, um als „Kind“ zurückgelassen zu werden! Die Schleichwege des Lebens. §. 57. letztern deferirten mütterlichen Erbschaft ihm selber zu gute komme, dieselbe nicht in das Vermögen des Vaters und damit in die Hände der Gläubiger oder des Fiscus bringe? Wer wird es nicht billigen, daß eine Frau den Wunsch hegt, ihren Nachlaß statt den reichen Agnaten lieber ihren bedürftigen Cognaten zu- zuwenden? Das Recht selber wies sie auf eine Scheinehe hin (§. 58). Der Grund, warum in unserm heutigen Leben Emancipa- tionen, Arrogationen und Adoptionen eine so große Seltenheit bilden, während sie in Rom zur Tagesordnung gehörten, liegt lediglich darin, daß unsere heutige rechtliche Organisation der Familienverhältnisse eine gesundere geworden, und daß selbst das sekundäre Interesse derselben für eine Reihe sonstiger Verhältnisse hinweggefallen ist. z. B. für die Confiscation. Den Kindern ward ein Theil des väterlichen Vermögens gelassen, Grund genug, um eine Adoption vorzu- nehmen, L. 7 §. 2 de bonis damn. (48. 20). Ferner für das Erbrecht; wen man nicht zum Erben einsetzen konnte, den konnte man möglicherweise adop- tiren und ihm auf diese Weise die Erbschaft zuwenden. Für die Befreiung von Communallasten: L. 15 §. 3 ad Munic. (50. 1). Ich wüßte nicht, was man heutzutage Großes durch sie erreichen könnte, das nicht auch auf anderm Wege zu erzielen wäre. Der so eben geschilderte Krebsschaden der römischen Familie ward zur vollsten Blüthe gebracht durch ein Gesetz, welches gerade die Bestimmung hatte, ihr neue Kraft einzuflößen: die lex Julia und Papia Poppaea. Indem dies Gesetz, ganz im Styl des Polizeistaates des vorigen Jahrhunderts, vermögens- rechtliche Belohnungen und Strafen in Anwendung brachte, um auf die Eingehung von Ehen und die Fruchtbarkeit der Gatten hinzuwirken, vermehrte es damit nur das Gewicht der äußern Zwecke und Rücksichten, die schon bis dahin sich wie ein Blei- gewicht an die Familie geheftet und die sittliche Spontaneität ihrer Bewegung gelähmt hatten. Es ist hier nicht der Ort, die tiefe Unsittlichkeit dieses Gesetzes, das selbst der Wittwe und der Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. geschiedenen Frau nicht schonte, Ulp. XIV. Greise und Greisinnen in die Ehe trieb Ulp. XVI. 1, durch das SC. Persicianum und Claudianum aller- dings modificirt, §. 3, 4 daselbst. und das Leben manches wider Willen erzeugten Kindes arg. Ulp. XV. 2 XVI I a .. si tres (liberos) post nominum diem amiserint. und manchen Ehebruch Oder ein ähnliches Vergehen der Frau bald nach dem Tode des Mannes, arg. si post mortem viri intra decem menses uxor ex eo peperit, Ulp. I. c. auf dem Gewissen haben mag, näher zu kennzeichnen, aber die römische Natur hätte sich völlig verläugnen müssen, wenn sie nicht bei einem so empfind- lichen Eingriff allen Scharfsinn aufgeboten hätte, um dem Gesetz zu entgehen. Kaum war es erlassen, als Augustus, der Urheber desselben, bereits Veranlassung hatte, einige der eingeschlagenen Schleichwege zu verbieten. Sueton. Aug. c. 34: Cumque etiam immaturitate sponsarum et matrimoniorum crebra mutatione vim legis eludi sentiret etc. Ehescheidungen und Scheinehen waren die reiche Frucht der von ihm gesäeten Saat, L. 30 de R. N. (23. 2) Gajus ad legem Juliam et Papiam: simulatae nuptiae nullius momenti sunt. und die Künste, die man in den Testamenten aufbot, waren unerschöpf- lich; selbst die Juristen nahmen keinen Anstand, die Caducitäts- bestimmungen so viel wie möglich zu vereiteln. L. un. pr. Cod. de cad. toll. (6. 51) .. (legis Papiae) in- vidiosum vigorem, qui et ipsis prudentissimis viris displicuit, multas in- venientibus vias, per quas caducum non fieret. Den Haupttummelplatz für die auf die Umgehung der Ge- setze gerichteten Bestrebungen bildeten, wenn ich von den Ver- hältnissen des öffentlichen Rechts absehe, die Beschränkungen der Zinsen, der letztwilligen Verfügungen und der Freilassung der Sklaven. Es wird genügen, wenn ich das zweitgenannte Bei- spiel etwas genauer behandle. Das ältere Erbrecht seit Einführung des Mancipations- testaments kannte für die letztwilligen Verfügungen keine weitere Die Schleichwege des Lebens. §. 57. Beschränkung, als die sich aus dem Erforderniß der Erbfähigkeit der honorirten Person ergab. Bedacht werden konnten nur solche Personen, die das commercium hatten, also keine Peregrinen. Die erste positive Beschränkung, welche die Gesetzgebung hinzufügte, hatte die Höhe der Legate zum Gegenstand, und es erschienen darüber bekanntlich drei Gesetze mit wechselnden Bestimmungen: die lex Furia, Voconia, Falcidia. Es ist eine auffallende Erscheinung, daß während die beiden erstern in ganz vorsichtiger Weise neben dem Legat auch das „mortis causa capere“ mit nannten, Gaj. II. 224, 226. die lex Falcidia sich dessen entschlug und lediglich das Legat er- wähnte. Gaj. II. 227 und L. 1 pr. ad leg. Falc. (35. 2). Damit war, man möchte fast glauben mit Absicht, eine Hinterthür geöffnet. Wer sich dem Gesetz entziehen wollte, brauchte die Zuwendung nur in Form einer mortis causa donatio einzukleiden oder die gewünschte Leistung zur Bedingung der Erbeseinsetzung zu machen (Note 145); beides war kein Legat, fiel also nicht unter das Gesetz. Dasselbe galt von den Fideicom- missen. Daß man bei der Erhebung derselben zur Klagbarkeit es versäumte, die lex Falcidia auf sie zu übertragen, war eine Unterlassung, — ob absichtliche oder unabsichtliche, bleibe dahin gestellt — welche den praktischen Fortbestand des Gesetzes so gut wie in Frage stellte und aus dem Grunde sehr bald nach- her nachgeholt werden mußte. Ungleich unbequemer und drückender, als diese objective Schranke der Testirfreiheit, waren die subjectiven, welche die lex Voconia hinsichtlich der Weiber, die lex Furia Norbana rück- sichtlich einer gewissen Classe der Freigelassenen, vor allem aber die oben erwähnte lex Julia und Papia Poppaea hinsichtlich der Kinderlosen und Ehelosen zog, und diese subjectiven Schranken, zu denen sich noch die rücksichtlich der Peregrinen aus dem ältern Recht hinzugesellte, waren es vornehmlich, gegen welche man Jahrhunderte hindurch alle Kunst und Schlauheit aufbot. Eine Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. Menge erbrechtlicher Institute, Begriffe und Rechtssätze ver- danken diesem Bestreben und dem ihm von Seiten der Gesetz- gebung und der Jurisprudenz entgegengesetzten Widerstand ihren Ursprung. Meinem obigen Vorsatz getreu verzichte ich darauf, den Kampf bis in seine Einzelnheiten zu verfolgen, insbesondere also nachzuweisen, wie die Gesetzgebung und die Jurisprudenz den Angreifer aus einer Position nach der andern verdrängte. Es möge genügen, einfach die hauptsächlichsten Mittel zu bezeichnen, deren man sich zu dem angegebenen Zweck bediente. Daß dieselben nicht auch andern Zwecken dienen konnten, soll damit ebenso wenig behauptet werden, als daß es zu dem obigen Zwecke nicht noch andere gegeben habe. 1. Die Fideicommisse . Als das historische Motiv des Aufkommens der Singular fideicommisse führt Gajus Gaj. II. 285 .. et fere haec fuit origo fideicommissorum. ausdrücklich die Unfähigkeit der Peregrinen an. Die ersten Fälle des Universal fideicommisses, von denen wir meines Wissens Kunde haben, betrafen die durch die lex Voconia be- schränkte Erbfähigkeit der Frauenzimmer . Cic. de finib. II. 17, 18. Daran reihten sich seit der lex Julia und Papia Poppaea die Fideicommisse an Kinderlose und Ehelose . Seitdem derartige Fideicommisse untersagt, beziehungsweise ganz oder zum Theil dem Aerar oder dem Fiscus Gaj. II. 285—286 a . zugesprochen wurden, schlug man andere Wege ein, wozu auch der des Fideicommissum tacitum gehörte, d. h. man entzog dasselbe der Kunde der Obrigkeit, indem man es nicht im Testament selber anordnete, sondern der onerirten Per- son das Versprechen oder den Eid abnahm, es auszahlen zu wollen, ein Versprechen, das allerdings gleich den Fideicom- missen in alter Zeit ganz von der Zuverlässigkeit und Treue des Subjects abhing, gleichwohl aber, wie sie, in den meisten Fällen Die Schleichwege des Lebens. §. 57. seinen Zweck erreichte. Ulp. XXIV. 17. L. 103 de leg. I. L. 10 pr. L. 23 de his quae ut (34. 9) L. 3 pr. §. 3, L. 40 de J. F. (49. 14). Diese fideicommissa tacita machten der Gesetzgebung viel zu schaffen. 2. Benutzung der Bedingung für den angegebenen Zweck. Die Erbeseinsetzung oder das Legat wird an die Be- dingung geknüpft, daß die bedachte Person die gewünschte Leistung vornehme, Conditio dandi , L. 36 de m. c. don. (39. 6). verspreche oder eidlich angelobe, Letzteres ist die conditio jurisjurandi , auf deren praktisches Motiv zuerst Huschke (Zeitschr. f. Civilr. u. Proc. Bd. 14 Nr. 12) auf- merksam gemacht hat. oder es wird ihr ein Straflegat ( legatum poenae nomine relictum ) an eine fähige Person auferlegt für den Fall, daß dieselbe unterbleibe. Eine solche Anordnung fiel nicht unter den Gesichtspunkt eines Vermächtnisses, es war keine directe, sondern eine indirecte Zuwendung; der Bedachte, welcher ihr nachkam, that es ledig- lich, um die Bedingung zu erfüllen ( conditionis implendae causa datum ). 3. Einkleidung in die Form der Schuld , entweder im Testament selber ( legatum debiti ) L. 27 de prob. (22. 3) L. 37 §. 6 de leg. III. oder mittelst einer auf den Tod des Promittenten ausgestellten Stipulation. Gaj. III. 100. 4. Niederlegung der Sache oder Summe bei einer zu- verlässigen Mittelsperson mit der Bestimmung, sie nach dem Tode des Gebers der gewünschten Person einzuhändigen, L. 18 §. 2 de m. c. don. (39. 6). oder An- weisung zur Auszahlung im gleichen Fall an den Schuldner, zu mehrerer Sicherheit verstärkt durch Zuziehung des Assignatars als correus stipulandi. L. 108 de solut. (46. 3). Verschiedene andere Fälle im Titel de m. c. donat. (39. 6). 5. Einsetzung der Sklaven . L. 82 de acq. her. (29. 2). Der Erfolg derselben bestimmte sich allerdings nach der Capacität des Herrn, allein Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 17 Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. letzterer sorgte dafür, daß er ihn zeitig in die Hände eines Fähi- gen brachte. Wir haben alle Ursache anzunehmen, daß die Art, wie man den Zinsbeschränkungen zu entgehen suchte, ein würdiges Seitenstück zu den obigen Verhältnissen darbot. S. die Aeußerung von Tacitus in Note 339 und die von Livius 35, 7 berichtete sofort im Text mitzutheilende Probe. Ich habe mir die Frage aufgeworfen, ob die Art, wie man hier und in den übrigen Fällen verfuhr, sich nicht auf eine gewisse Methode zurückführen lasse, ob nicht gewisse Kunstgriffe und Manipula- tionen sich überall wiederholen, und in der That gibt es deren wenigstens zwei. Der eine besteht darin, daß man bei eigner Unfähigkeit die Handlung durch eine fähige Person vornehmen ließ. „Persona subjecta “, L. 2 §. 1 de adm. rer. (50. 8) Quod quis suo nomine exercere prohibetur, id nec per subjectam personam agere debet; auch „interposita“, L. 10 Cod. de distr. pign. (8. 28): per suppositam imaginarii emptoris personam. Jahrbücher für Dogmatik II. S. 72, 73. Ein bekanntes Beispiel einer solchen persona subjecta, nur in Anwendung auf einen andern Zweck, liefert die fiduciarische Eigenthumsüber- tragung „cum amico, quod tutius nostrae res apud eum essent“ Gaj. II. 60 beispielsweise, um eine in Aussicht stehende Confiscation zu vereiteln. Die alten Wuchergesetze galten nur für römische Bürger, nicht für die Bundesgenossen: um ihnen zu ent- gehen, schob der Gläubiger zwischen sich und den Schuldner einen Bundesgenossen als Scheinanleiher und Scheindarleiher ein. (Note 369.) Einem jungen Manne unter 20 Jahren war durch die lex Aelia Sentia die Freilassung seiner Sklaven nur aus besondern Gründen verstattet; wo sie fehlten, mancipirte er den Sklaven einem Andern, der das nöthige Alter hatte und den Akt vornahm. L. 7 §. 1 Qui et a quibus (40. 9) L. 4 de serv. exp. (18. 7). Wer wegen der lex Voconia seine Tochter nicht zu Erben einsetzen konnte, setzte einen zuverlässigen Freund ein und trug ihm die Herausgabe der Erbschaft in Form des Uni- versalfideicommisses auf. Freilassung einer unfreien Person durch einen römischen Bürger verschaffte ihr das Bürgerrecht; um letz- Die Schleichwege des Lebens. §. 57. teres zu gewinnen, ließ man sich einem römischen Bürger als Sklaven verkaufen und sodann durch ihn freilassen, Petron. Sat. 57: ipse me dedi in servitutem et malui civis Romanus esse, quam tributarius. ein Schleichweg, der zu einer gewissen Zeit eher eine Heerstraße zu nennen war, auf der Tausende von Latinern in’s römische Bür- gerrecht drangen. (Note 343.) Den zweiten der obigen Kunstgriffe, mit dem ersten theil- weise, doch nicht durchweg zusammenfallend, bildet das simulirte Geschäft, bei dem die handelnden Partheien darüber einig sind, daß der Akt, den sie äußerlich vornehmen, keine ernstliche Be- deutung für sie haben soll. Um dem Verbot der Schenkung unter Ehegatten zu entgehen, führen die Ehegatten eine Schei- dung auf, L. 64 de don. i. V. (24. 1). der, wenn die Schenkung vollzogen, nach einiger Zeit wiederum die Versöhnung folgt, oder kleiden die Schenkung in die Form eines Kaufcontractes. Manche dieser simulirten Ge- schäfte erlangten gewohnheitsrechtliche Gültigkeit und gingen da- mit in die Kategorie derjenigen Rechtsformen über, die wir im fol- genden Paragraphen betrachten wollen: der Scheingeschäfte . Die Mittel, deren sich die Gesetzgebung diesen Schleich- wegen gegenüber bediente, waren nach den Umständen verschie- den. Sie bestanden: 1. in dem Verbot der Umgehung, sei es im voraus und in allgemeiner Fassung, wie es manchen Gesetzen der spätern Zeit ausdrücklich hinzugefügt ward, z. B. lex Furia Caninia Gaj. I. 46. sei es mittelst specieller Ab- schneidung bestimmter einzelner Auswege, — eine Maßregel, die selbst solchen Gesetzen, welche mit jener Clausel versehen waren, hinterher noch folgte. z. B. bei dem oben genannten Gesetz, Gaj. ibid. 2. in der Abnahme eines auf die ernstliche Absicht ge- richteten Eides Seitens der Obrigkeit. So bei der Ehe (Note 344), bei der Freilassung des Sklaven im Fall der Note 343, und der Arrogation (Note 344). 17* Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. 3. in der Androhung einer Strafe, deren Erfolg vielfach dadurch gesichert ward, daß sie dem Angeber ganz oder zum Theil als Prämie zugesichert ward. So bei dem fideicommissum tacitum, dem Fideicommiß an Pere- grinen, der lex Marcia de usuris reddendis (S. 112), der Collusion im Fall der L. 1 de coll. deteg. (40. 16). Daß übrigens die höchsten politischen und geistlichen Ge- walten nicht selten selber sich auf ganz ähnlichen Schleichwegen betreten ließen, ist von mir bereits bei einer früheren Gelegen- heit (B. 1 S. 326, 327) nachgewiesen worden, worauf hier einfach Bezug genommen werden möge. Die dort genannten Beispiele, welche noch den Zeiten der Republik angehörten, waren mehr harmloser Art, Nothlügen, ohne schlechten Zweck; der Despotismus der Kaiser aber fügte Fälle hinzu, in denen sich die äußere Beobachtung des Gesetzes bei frevelhafter Ver- letzung seines Inhalts zu einem teuflischen Hohn gegen das Recht gestaltete. 3. Die künstlichen Mittel. Die Constructionshandlungen — Die Scheingeschäfte — Die coemptio fiduciae causa — Theorie der Scheingeschäfte — Dogmatische Selbständigkeit derselben — Adoption zum Zweck der transitio ad plebem und adoptio regia. — Die Fictionen. LVIII. Wir kehren jetzt zur römischen Jurisprudenz zurück, um den zweiten Theil der oben (S. 233) bezeichneten Aufgabe zu lösen, nämlich die künstlichen Mittel, deren sie sich für die Zwecke der juristischen Oekonomie bedient hat, einer Prüfung zu unterwerfen. Dieselben lassen sich auf drei Classen zurückführen, von denen ich zwei mit bekannten, die dritte aber nur mit einem selbst- Die künstlichen Mittel. §. 58. erfundenen Namen bezeichnen kann: die Constructions- handlungen, die Scheingeschäfte und die Fictionen . Mit dem erstgenannten Mittel hatte es folgende Bewand- niß. Nach dem bisherigen Rechte ist die Hervorbringung einer gewissen rechtlichen Wirkung lediglich Sache des freien Willens, also ausschließlich an die Handlung des Subjects geknüpft. Der Fortschritt der Entwicklung bringt es jetzt mit sich, daß sie auch unabhängig davon als nothwendige Folge irgend eines Ver- hältnisses eintrete. Wenn ein heutiger Jurist das Gesetz zu re- digiren hätte, durch welches diese Neuerung eingeführt werden sollte, so würde er über die Form seiner Fassung schwerlich in Zweifel sein, er würde einfach den Satz aussprechen, daß nicht bloß die Handlung, sondern das Verhältniß selber die Wirkung erzeuge. Damit würde aber der entgegengesetzte Satz des frühern Rechts principiell alterirt sein. Eben um dies zu vermeiden, um also die Neuerung dem bestehenden Recht formell anzuschließen, schlagen die Römer einen andern Weg ein. Sie lassen den Satz, daß nur die Handlung die Wirkung hervorbringe, stehen, aber, indem sie das Subject zur Vornahme derselben, sei es direct , sei es indirect zwingen, sorgen sie dafür, daß letztere stets da eintritt, wo sie nöthig ist. In Wirklichkeit ist hier ihr bisheriges Abhängigkeitsverhältniß vom Willen des Subjects aufgehoben, aber der Form nach ist dasselbe gerettet — die Wirkung tritt nur ein, wenn das Subject sie will, aber freilich das Subject muß wollen! Solche Handlungen nun, die lediglich im Interesse der juristischen Construction, um den bisherigen Rechtsmechanismus beizubehalten, erzwungen und vorgenommen werden, nenne ich Constructionshandlungen . Das römische Recht kennt dieselben in großer Menge, es werden einige Beispiele zur Ver- anschaulichung des Verhältnisses genügen. Das SC. Pegasianum zwang den mit einem Universal- fideicommiß belasteten Erben bei grundloser Weigerung zur An- tretung und Restitution der Erbschaft — ein reiner Scheinakt, der nicht die geringsten Wirkungen für ihn hatte, weder vortheil- Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. hafte, noch nachtheilige. Der legislative Zweck, der jenem Se- natsbeschluß vorschwebte, war Unabhängigkeit des Universal- fideicommisses vom Belieben der bloß der Form wegen vorge- schobenen Person des Erben. Für diesen Zweck wären verschie- dene Formen denkbar gewesen, die einfachste und natürlichste die: die fideicommissarische Substitution wird im Fall grundloser Weigerung des Erben in Ergänzung des muthmaßlichen Willens des Erblassers in eine directe verwandelt, d. h. der Fideicom- missar wird als eventuell eingesetzter Erbe behandelt. Die spätere römische Jurisprudenz würde vor dieser Behandlungsweise schwerlich zurückgeschreckt sein, wenigstens hat sie keinen Anstand genommen, die beiden Formen der Substitution in doppelter Weise mit einander zu vertauschen, eine ungültige directe Sub- stitution als gültige fideicommissarische aufrecht zu erhalten und umgekehrt, Die fideicommissarische gegen die directe: L. 13 §. 4 L. 14 de test. mil. (29. 1), die directe gegen die fideicommissarische: L. 76 ad SC. Treb. (36. 1) L. 15 de subst. (28. 6) L. 41 pr. de test. mil. (29. 1). zu jener Zeit war die Jurisprudenz noch nicht bis zu dieser Freiheit der Auffassungsweise vorgeschritten. Eine andere, dem technischen Standpunkt der damaligen Zeit minder fern liegende Möglichkeit wäre die gesetzliche Aufstellung der Fiction gewesen, daß die grundlose Weigerung des Erben als Antretung und Restitution der Erbschaft angesehen werden solle. Der Weg, den jenes Gesetz wirklich einschlug, hatte allerdings den Vorzug, daß er sich am engsten an das bisherige Recht an- schloß — an dem Erforderniß der Antretung der Erbschaft wird nicht das Mindeste geändert — im Uebrigen aber war er keines- wegs ein ganz glücklicher. Denn wie, wenn der Fiduciar vorher verstarb, wenn er in der Ferne war, sich absichtlich nicht betreffen ließ? Die römische Jurisprudenz wußte sich hier nicht Raths, wenigstens dauerten die Zweifel bis auf Justinian ( L. 7 §. 1 ad SC. Trebell. 6. 49) fort, und Ulpian sah, wie letzterer berichtet, keinen andern Ausweg, als den einer gesetzlichen Entscheidung. Daß der Erbe hier ein reiner Fi- gurant ist, ich möchte sagen: lediglich als Constructionsapparat Die künstlichen Mittel. §. 58. verwandt wird, um die Gültigkeit des Universalfideicommisses zu retten, wird keiner Ausführung bedürfen. Die cautio rem pupilli salvam fore verpflichtete den Tutor und seine Bürgen für alle Ansprüche aus seiner Geschäfts- führung ; enthielt er sich letzterer, so hafteten beide nicht. Das war eine Lücke. Heutzutage würden wir dieselbe einfach dadurch ausfüllen, daß wir an Stelle der „Geschäftsführung“ die „Tutel“ setzten, d. h. also das bestehende Recht principiell änderten . Anders die Römer. Der Tutor wird gezwungen, eine Admini- strationshandlung vorzunehmen, dadurch gelangt jene Caution zu Kräften. L. 4 §. 3 Rem pup. (46. 6) .. compellendus igitur erit ad administrationem propterea, ut stipulatione quoque ista possit teneri. Derselbe Weg ist von der römischen Jurisprudenz in unzäh- ligen andern Fällen eingeschlagen. Der obrigkeitliche Zwang zur Vornahme einer Handlung diente den Römern als eins der wirksamsten Mittel der juristischen Construction. Die Wendung: compellendus est a Praetore, a judice, die so oft in den Quellen wiederkehrt, ist überall der Ausdruck für ein der Freiheit des Subjects entzogenes Verhältniß, bei dem nur in Anschluß an das frühere Recht die Form der Freiheit: die Handlung, äußer- lich beibehalten wird. Seitdem man angefangen hatte, den Geschlechtsvormund in gewissen Fällen zur Ertheilung seiner Auctoritas zu zwingen , hatte man dies Erforderniß in Wirklichkeit umgangen, und es war daher ganz zutreffend, wenn Gajus eine derartige Auctoritas für einen reinen Schein- akt erklärte. Gaj. I. 190 .. in quibusdam causis dicis gratia tutor interponit auctoritatem suam, saepe etiam invitus auctor fieri a praetore cogitur. Man hätte ebenso gut den Satz aussprechen können: für die und die Geschäfte sind die Frauenzimmer fortan von der Tutel befreit; daß man es nicht that, charakterisirt eben die eigenthümliche Weise der römischen im Gegensatz zu unserer heutigen Jurisprudenz. Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. Es wäre eine dankenswerthe Aufgabe, an der Hand dieses Gedankens alle Verhältnisse des öffentlichen und Privatrechts einer Durchsicht zu unterziehen, an reicher Ausbeute würde es nicht fehlen. So z. B. im öffentlichen Recht: die lex Maenia über die Ertheilung der auctoritas patrum — ein würdiges Seitenstück zu der obigen auctoritas des Tutor — der Zwang zur Abdication des Magistrats; im Proceß: die Klage mit Vorbehalt der Compensation (S. 79: cogitur, jubetur ), der Ver- zicht auf die dem Kläger sonst noch zuständige, auf denselben Zweck gerichtete Klage (Vorläufer der exc. doli bei der Concurrenz der Klagen), L. 9 pr. de novat. (46. 2) L. 10 §. 1 de pact. (2. 14) Vorbehalt zukünftiger Ansprüche im Proceß (S. 241), Theilung der Klage Gaj. III. 122, Zwang des Procu- rators L. 8 §. 3 seq. de proc. (3. 3); im Familienrecht: Aufhebung der manus bei der Ehescheidung. Gaj. I. 137 a , Consens zur Ehe der Kinder L. 19 de R. N. (23. 2), im Obligationenrecht Cessionszwang (Vorläufer der act. utilis, L. 1 §. 13 de tut. et rat. 27. 3, L. 57 de leg. I ) und unzählige andere Fälle. Für meine Zwecke genügt es, wenn ich den Gedanken selber und dessen Bedeutung für unsern gegenwärtigen Gesichtspunkt in das richtige Licht gesetzt habe. Daß das Mittel ein künstliches war, daß mit dem gegen die Personen gerichte- ten Zwange auch den Rechtsbegriffen Zwang angeschah, wird aus dem Bisherigen erhellen. In den meisten Fällen waren diese erzwungenen Handlungen von den Scheingeschäften, denen wir uns jetzt zuwenden, wenig verschieden. Den Scheingeschäften haben wir schon bei einer frühern Gelegenheit (B. 2 S. 554 fl.) unsere Aufmerksamkeit zugewandt, der dort angelegte Gesichtspunkt des Formalismus war jedoch keineswegs ausreichend, um die Bedeutung, die ihnen für die Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts zukömmt, zu er- schöpfen. An gegenwärtiger Stelle betrachten wir sie vom Standpunkt der juristischen Technik aus als Mittel für die Zwecke der juristischen Oekonomie. Von den dort genannten zwei Arten der Scheingeschäfte: den originären und residuären schei- den daher die letztern, als jeglicher technischer Bedeutung baar, von unserer Betrachtung aus; sie sind nichts als abgestorbene Die künstlichen Mittel. §. 58. Stücke des früheren Rechts, denen nur die historische Vis inertiä ein äußerliches Scheindasein gefristet hat. Der Ausdruck: Schein- geschäft bezieht sich daher im Folgenden lediglich auf die erst- genannte Art. Das Scheingeschäft in diesem engern Sinne hat eine große Aehnlichkeit mit gewissen Scheinhandlungen des gewöhnlichen Lebens, die ich früher mit dem Ausdruck: simulirte Geschäfte bezeichnet habe. Bei der sachlichen Verschiedenheit beider sind auch verschiedene Namen nöthig — ein Bedürfniß das die Römer freilich nicht gefühlt haben, indem sie für beide dieselben Ausdrücke: imaginarius (bei Liv. 40, 8: imagines juris), simulatus, fictus, dicis causa u. a. benutzen, s. das Material bei Dirksen Manuale unter den genannten Worten. Bei beiden ist der vorgenommene Akt ein reiner Scheinakt, dem die innere Absicht nicht entspricht, aber die Scheingeschäfte sind Rechtsformen , wie alle andern, nur mit eigenthümlich zugeschnittener Form, die simulirten Geschäfte hingegen sind einzelne Handlungen, jene gehören dem Rechte an, haben eine abstracte , diese lediglich concrete Existenz. Ein fernerer Unterschied ist der, daß jedes simulirte Geschäft eine Täuschung beabsichtigt. Die wahre Gestalt des Geschäfts soll den Blicken Dritter oder der Obrigkeit entzogen werden, zu dem Ende hängt man ihm ein falsches Gewand über, z. B. der Schenkung das des Kaufs. Der Zweck dieser Täuschung kann in der Verhüllung eines rechtswidrigen Handelns bestehen, er kann aber auch lediglich dahin gehen, ein durchaus erlaubtes Geschäft vor der unberufenen Neugierde unbetheiligter Dritter sicher zu stellen. Auf eine solche Verschleierung ist es bei dem Scheingeschäft durchaus nicht abgesehen. Jeder weiß, was es bedeutet, auch die Obrigkeit, wo sie, wie z. B. bei der rö- mischen in jure cessio, ihre Hand dazu bietet. Der Zweck des Scheingeschäfts ist rein technischer Art: Erreichung eines vom Recht selber gebilligten Zweckes durch etwas gewaltsame An- wendung der vorhandenen Mittel, die Scheingeschäfte waren Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. juristische Nothlügen . Allerdings mögen manche derselben immerhin aus ursprünglich simulirten Geschäften des Lebens hervorgegangen sein. Als zuerst eine Frau auf die Idee kam, eine Scheinehe einzugehen, um einen der Zwecke zu erzielen, zu denen die coemptio fiduciae causa diente (s. u.), war dies ein simulirtes Geschäft; als die Einschlagung dieses Weges all- gemein geworden und gewohnheitsrechtliche Sanction erhalten hatte, war es ein Scheingeschäft . Aber durch diese historische Berührung beider, die sich übrigens auch nicht bei allen wieder- holt, wird ihr begrifflicher Unterschied eben so wenig alterirt, als dadurch, daß manche Gewohnheit im Laufe der Zeit zu einem Gewohnheitsrechte führt, der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen. Der Verlauf unseres Werkes hat uns bereits mannigfache Beispiele der Scheingeschäfte und damit einen Theil des Materials geliefert, dessen wir für die folgende Untersuchung benöthigt sind. Dahin gehören: die mancipatio (Bd. 2 S. 554 fl.), selbst in Anwendung auf ihren ursprünglichen Anwendungskreis: die res mancipi, ein Scheingeschäft, in An- wendung auf das Testament aber ein Scheingeschäft in zweiter Potenz (das. S. 554); die Hingabe des Hauskindes ins Man- cipium zur Vorbereitung der Emancipation und Adoption (das. S. 190); die in jure cessio (das. S. 579 fl.) und die sponsio praejudicialis (das. S. 85 und 556). Außerdem verdienen noch genannt zu werden das nexum und die nexi liberatio, d. i. die Begründung und Aufhebung einer Geldschuld durch eine solenne, vor 5 Zeugen und dem Libripens vorgenommene Scheinzahlung, Gelegentlich bereits berührt, B. 2 S. 162, 570, 645; bei der Ge- schichte des römischen Obligationsbegriffs werde ich auf sie zurückkommen. die coemptio fiduciae causa und zwei proble- matische Fälle der Scheinadoption. Die Betrachtung der letztern setze ich aus, bis uns die folgende Untersuchung einen sichern Maßstab für die Beurtheilung ihrer Scheingeschäftsnatur ver- Die künstlichen Mittel. §. 58. schafft hat, dagegen schalte ich die coemptio fiduciae causa, gerade um diesen Zweck zu fördern, an dieser Stelle ein. Dieselbe ist sicherlich eins der jüngsten Scheingeschäfte, denn die Zwecke, deretwegen die Frauenwelt Roms sich ihrer bediente: Befreiung von den sacris, Wechsel des Geschlechts- vormundes und Erlangung der Testirbefugniß weisen unver- kennbar einerseits auf die Zeiten des Verfalls der religiösen Ein- richtungen und andererseits auf die Periode der socialen Eman- cipation des weiblichen Geschlechts hin. Das Geschäft bestand aus drei Akten: 1. der coemptio fiduciae causa, wornach das ganze Geschäft seinen Namen hatte, d. h. Eingehung einer Manus-Ehe in der gewöhnlichen Form der coemptio, mit der Nebenberedung der Remancipation, — 2. der remancipatio fiduciae causa, d. h. dem Verkauf der Frau ins Mancipium mit der Nebenberedung der Freilassung — und 3. dieser Frei- lassung selber. Mit obigen drei Zwecken, und zwar zunächst mit dem ersten, der Befreiung von den sacris, hat es folgende Bewandniß. Cic. pro Murena 12. Savigny über die jurist. Behandlung der sacra privata in Verm. Schriften I S. 180 fl. (erster Abdruck: Zeitschr. f. gesch. R. W. II S. 387 fl.) Die Ehefrau übertrug, indem sie in die Manus des Mannes trat, auf ihn ihre sacra, die bei letzterem auch dann verblieben, wenn die Frau in Folge einer capitis deminutio aus diesem Verhältniß schied, mit seinem Tode aber, wir wissen nicht, ob unter- oder auf die Erben übergingen. Jedenfalls war ersteres dann der Fall, wenn der Nachlaß keinen Erben fand. Damit war in der Zeit der Frivolität, als man die sacra nur noch unter dem Gesichtspunkt einer Last betrachtete, den Frauenzimmern der Weg gewiesen, wie sie sich mit verhältnißmäßig geringen Un- kosten von dieser Last Zeit Lebens befreien konnten. Sie gewan- nen als Coemptionator einen alten Knaben, der schon mit einem Fuß im Grabe stand, und dem sie außer der Vergütung für die- Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. sen Dienst die nöthigen Mittel zur Bestreitung der sacra bis zu seinem Lebensende vorstreckten, oder der wohl gar wegen notori- scher Armuth oder Gebrechlichkeit die Erfüllung dieser Verpflich- tung einfach von sich abzulehnen im Stande war. Am billigsten kam die Frau dazu, wenn sie sich auf dem Sklavenmarkt im eigentlichen Sinne des Wortes einen solchen Lastträger kaufte ; sie ließ ihn frei und führte mit ihm als ihrem Freigelassenen, dem sie keine guten Worte und kein Geld zu geben hatte, Das civile Seitenstück zu diesem sacralen Lastträger ist der von seinem Herrn in der Absicht, um auf ihn den Schimpf des Concurses abzu- laden, zum Erben eingesetzte eigne oder zu dem Zweck ebenfalls erst gekaufte Sklave. Gaj. II. 154. die obige Farce auf. Ein Todeskandidat, wie sie ihn nöthig hatte, war für wenig Geld zu haben, die Verwendung für diese Rolle eines »senex coemptionalis« war die einzige, für die er noch zu gebrauchen war. Niemand machte der Frau Concurrenz. In dieser Weise vereinigen sich meiner Ansicht nach die „senes ad coemptiones faciendas reperti“ bei Cic. pro Murena 12 mit den als Sklaven gedachten „senes coemptionales“ bei Cic. ad fam. VII 29 und Plaut. Bacch. IV. 9, 52 — eine Vereinigung, deren Möglichkeit Savigny a. a. O. S. 181 schwerlich vorgeschwebt haben wird, als er den Gedanken, beide Arten von senes auf denselben Zweck zu beziehen, so entschieden ver- warf. Die „senes coemptionales“ sollen „alte unbrauchbare“ Sklaven ge- wesen sein, die man „in größerer Anzahl“ gekauft oder sie bei dem Kauf eines jungen mit in den Kauf gegeben habe. Es wird nicht nöthig sein, das Un- haltbare dieser mit einer völlig unerfindlichen Bedeutung von „coemptionalis“ (co — emere = zusammen kaufen) operirenden Erklärung nachzuweisen, es genüge die einfache Frage: wozu hätte Jemand solche Invaliden in größerer Anzahl kaufen sollen? Etwa um ein Spital anzulegen, sie füttern und be- graben zu lassen? Die einzige Brauchbarkeit und damit der einzige Handels- werth, den sie denkbarer Weise haben konnten, war der als senes coemptionales in dem von mir im Text entwickelten Sinn. Die diesen senes von Manchen beigelegte symbolische Bedeutung (um die mangelnde Ernstlichkeit der Ehe anzudeuten) verträgt sich als accessorischer Zweck sehr wohl damit. Die Geschlechtsvormundschaft der Agnaten hatte bekannt- lich den ausgesprochenen Zweck, dieselben zu Wächtern über das Die künstlichen Mittel. §. 58. Vermögen der Frau zu bestellen, und dadurch ihnen das Mittel zu gewähren, ihre eventuellen Erbansprüche selber zu sichern. Eine solche Einrichtung, die der Frau im Wesentlichen die Stel- lung einer Nießbraucherin anwies, hatte für die Auffassung der alten Zeit nichts Widerstrebendes, mit den freiern Ideen der spä- tern Zeit vertrug sie sich nicht. Die Form, in der letztere ihre Opposition dagegen praktisch bethätigte und die endliche Auf- hebung des Instituts unter Claudius vorbereitete, war die von Cicero Cic. pro Mur. 12 .. hi invenerunt genera tutorum, qui potestate mulierum continerentur . als eine Erfindung der Juristen bezeichnete Coemptio zum Zweck des Wechsels der Tutel. Rudorff das Recht der Vormundschaft B. 1 S. 231—234. Die Anlage derselben be- ruhte darauf, daß durch die mit der coemptio verbundene capitis deminutio die legitima tutela der Agnaten unterging, und daß der, welcher eine eines Tutors bedürftige Person aus dem Mancipium freiließ, als Quasipatron ihr Vormund ward. Die stillschweigende Voraussetzung ihrer Wirksamkeit war die nöthi- genfalls durch Zwang zu realisirende Verpflichtung der Agnaten zur Ertheilung der Auctoritas bei einer Manusehe ihrer Pfleg- befohlenen. Ob schon nach älterem Recht, darüber s. B. 2 S. 195. Die coemptio testamenti faciendi gratia macht ganz dieselbe Voraussetzung nöthig. Wel- cher Agnat würde freiwillig seine Zustimmung zu einem Akt ertheilt haben, dessen ausgesprochener Zweck es war, ihn seines Intestaterbrechts zu berauben? Zu den Fällen, wo nach Gaj. I. 190 der Geschlechtstutor saepe etiam in- vitus auctor fieri a praetore cogitur, wird auch die coemptio fiduciae causa gehört haben. Ohne diese Voraussetzung würde das Mittel, um an Stelle des unbequemen Agnaten einen gefügigen andern Vormund zu erhalten, nur dann zum Ziel geführt haben, wenn jener selber damit einverstanden gewesen wäre, für diesen Fall aber gab es eine einfachere Form: die in jure cessio der tutela legitima. Ulp. XI 6—8. Der Hergang war ganz der oben beschriebene, die Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. einzige Abweichung bestand darin, daß der Nachdruck des Ge- schäfts hier nicht auf der Person des Coemptionators, sondern auf der des Dritten ruhte, der die Frau freiließ und dadurch ihr Vormund ward. Daß die Frau sich zu dieser Rolle eine solche Persönlichkeit aussuchte, deren sie sich in allen Dingen versichert halten konnte, bedarf ebensowenig der Bemerkung, als daß schon die bloße Androhung jenes Aktes ausreichen konnte, um einen starrsinnigen Agnaten geschmeidiger zu machen oder ihn zur Cession der Tutel an die von der Frau gewünschte Person zu be- stimmen. Der Nachlaß einer Frau, die in ihrer ursprünglichen oder der angeheiratheten Familie verblieben war, fiel ihren Verwand- ten zu und konnte ihnen durch Testament nicht entzogen werden, selbst dann nicht, als mit dem Aufkommen des testamentum per aes et libram das formelle Hinderniß, das dem Testament der Frau bis dahin entgegengestanden hatte, beseitigt worden war. Dieselbe Rücksicht aber, welche dieser Beschränkung und zu- gleich der Geschlechtsvormundschaft der Agnaten zu Grunde lag: die Erhaltung des Vermögens im Mannsstamm, brachte es mit sich, einer Frau, die durch capitis deminutio aus dem Ver- bande ihrer Familie geschieden und sui juris geworden war, um- gekehrt das Recht der Testamentserrichtung einzuräumen, um ihr dadurch das Mittel zu gewähren, ihren Nachlaß an ihre ur- sprünglichen Verwandten zurückzubringen. An diesen Satz: daß eine derartige capitis deminutio der Frau das Recht der Testa- mentserrichtung verschaffe, knüpfte man an, als man auch jene dem weiblichen Geschlecht gezogene Schranke beseitigen wollte. Es kam darauf an, die Frau in ein Scheinmancipium zu bringen, um damit die Freilassung derselben zu ermöglichen. Da aber eine gewaltfreie Person sich weder selber ins Mancipium geben, noch auch durch ihre Tutoren hineingebracht werden konnte, so bedurfte es zu dem Ende des Durchganges durch eins der Ge- waltverhältnisse, mit denen das Recht des Verkaufs ins Manci- pium verbunden war, die manus oder die väterliche Gewalt, und Die künstlichen Mittel. §. 58. da wiederum eine Arrogation von Frauenzimmern, ganz abge- sehen von der Form ihrer Vornahme, aus sachlichen Gründen ausgeschlossen war, indem die Frau den Familiennamen nicht fortpflanzen konnte, so blieb die manus, d. i. die Scheinehe, allein übrig. Mittelst dieser Benutzung eines den Interessen der Verwandten ursprünglich eher günstigen als nachtheiligen Satzes zu dem gerade entgegengesetzten Zweck war der Erbrechts- zwang derselben nach dem, was oben über die Nothwendigkeit der Ertheilung der tutoris auctoritas gesagt ist, praktisch so gut wie beseitigt. Es begreift sich, daß die Agnatentutel, nachdem sie ihren ganzen Werth als Sicherungsmittel des agnatischen Erb- rechts eingebüßt hatte, schließlich durch Claudius gänzlich aufge- hoben ward; Gaj. I. 171. ein Senatusconsult unter Hadrian that dasselbe rücksichtlich der coemptio testamenti faciendi gratia. Gaj. I. 115 a . Ueber den historischen Ursprung der Scheingeschäfte ist neuerdings eine Ansicht Demelius Die Rechtsfiction in ihrer geschichtlichen und dogma- tischen Bedeutung. Weimar 1858. §. 1—4. Der Verf. stellt zwar seine An- sicht nur für die Fictionen auf, die Beispiele aber, mit denen er sie belegt, sind größtentheils Scheingeschäfte. aufgestellt, die ich nicht für richtig halte. Das Scheingeschäft soll gleich der Fiction zuerst auf dem Gebiete des religiösen Cultus und geistlichen Rechts auf- getaucht und von dort auf das des profanen Rechts übertragen sein. Die dafür beigebrachten positiven Zeugnisse beweisen ledig- lich, was wir bereits wußten und was von Niemanden mehr als von mir betont worden ist (Bd. 1 S. 326, Bd. 2 S. 424 fl.), nämlich daß, so wie die ganze Methode der Behandlung, so auch die Scheingeschäfte und Fictionen sich auf beiden Gebieten wie- derholten, in keiner Weise aber, daß dieselben auf einem der beiden Gebiete früher zum Vorschein gekommen seien, als auf dem andern. Allgemeine Gründe unterstützen das angenommene Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. Prioritätsverhältniß so wenig, daß sie eher für das Gegentheil sprechen würden. Beide, die Scheingeschäfte wie die Fictionen, sind die einer gewissen Culturepoche eigenthümlichen Formen des Fortschritts . Niemand aber wird doch wohl darüber in Zweifel sein, daß das profane Recht dem Fortschritt Dirksen , Versuche zur Kritik und Auslegung S. 7: „Nicht genug daß sich die Formeln des geistlichen Rechts vor allen andern Formularen am längsten in ihrer alterthümlichen Gestalt und Bedeutung erhalten und am wenigsten eine spätere Beimischung von fremdartigem Stoff zu erdulden gehabt hatten; dieselben scheinen auch in ihrer ersten Begründung so wie bei fort- schreitender Entwicklung nicht eben dem Einfluß äußerer Umstände ausgesetzt gewesen zu sein.“ un- gleich zugänglicher war, als das geistliche, daß also, wenn eins von beiden zuerst die Formen ausgebildet haben soll, in denen er Statt fand, dies nur das profane Recht gewesen sein kann. Es gilt von dieser Ansicht ganz dasselbe, was ich früher (Bd. 2 S. 675 fl.) von einer ganz verwandten gesagt habe, die den Ursprung der Legisactionen in dieselbe Region versetzt; beide begehen den Fehler, daß sie für eine Erscheinung von allgemein culturhistorischer Nothwendigkeit noch eine äußere, nur für Rom zutreffende Erklärung für nöthig halten. Die Scheingeschäfte und Fictionen sind ebensowenig wie die starren Formeln des Processes etwas dem römischen Rechte Eigenthümliches, sie wie- derholen sich auf einer gewissen Culturstufe überall, wofür ins- besondere die Geschichte des englischen Rechts die lehrreichsten Beispiele liefert; mit Zurücklegung derselben sterben sie mehr und mehr ab und verlieren sich endlich völlig. Diese Wahrnehmung muß die Ueberzeugung in uns her- vorrufen, daß nicht die Frage nach dem Ursprung , der äußern historischen Entstehung, sondern die nach dem Grunde der Scheingeschäfte die eigentlich entscheidende ist. Mögen immerhin manche derselben der Absicht der Umgehung unbequemer Gesetze ihren Ursprung verdanken, also aus ursprünglich simulirten Ge- schäften des Lebens hervorgegangen sein, die sich erst auf dem Die künstlichen Mittel. §. 58. langsamen Wege gewohnheitsrechtlicher Bildung zum Range rechtlich anerkannter Geschäftsformen erhoben, andere sofort als solche von der Jurisprudenz ins Leben gerufen worden sein, darauf kömmt Nichts an. In beiden Fällen wirft sich gleichmäßig die Frage auf, was die Jurisprudenz zur Billigung oder Wahl so seltsamer Formen veranlassen konnte. Von dem von uns ge- wonnenen Standpunkt aus kann die Antwort auf diese Frage nicht zweifelhaft sein. Die Scheingeschäfte waren nur eins der vielen Mittel, welche die römischen Juristen anwandten, um neu auftauchende Bedürfnisse des Lebens mit den vorhandenen Mit- teln zu befriedigen. Der Vorwurf, den Cicero, der sich auch diesen bequemen Stoff, die Jurisprudenz vor dem großen Haufen herunterzusetzen, nicht entgehen ließ — der Vorwurf also, den Cicero den Juristen macht: sie hätten mittelst der Scheingeschäfte das ältere Recht fraudulöser Weise umgangen, Cic. pro Murena 12. Dieser Vorwurf reiht sich dem Urtheil Cicero’s über das Formelwesen, die Wortinterpretation (B. 2 Note 610 u. 612) und die Fictionen (s. u.) würdig an. wird keiner ernstlichen Widerlegung bedürfen, zum Ueberfluß verweise ich auf das, was ich bereits Bd. 2 S. 492 dagegen bemerkt habe. Der einzige Punkt, der uns zu einem genaueren Eingehen Veranlassung bietet, ist der praktische Mechanismus des Schein- geschäfts. Ich habe früher die „künstlichen Mittel“ der juristischen Oekonomie als solche bezeichnet, bei denen dem Rechtsbegriff Gewalt angethan, bei denen er in widernatürlicher Weise ge- spannt werde. Bei dem Scheingeschäft besteht diese Spannung darin, daß dasselbe, um gewisse Wirkungen, auf die es abgesehen ist, zu erzielen, ein anderes Geschäft oder Verhältniß, in welchem dieselben als einzelne Momente des gesammten Inhalts, sei es als Zwecke , oder als bloße Folge und gar als Strafe ent- halten sind, in der Weise verwendet, daß es lediglich diese ein- zelne Wirkung herausgreift, die übrigen fallen läßt. Das Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 18 Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. Scheingeschäft ist ein Isolirungsapparat . Es ist derselbe Kunstgriff, den wir bereits bei so manchen der im §. 57 genannten Fälle haben kennen lernen. An die Ehe hatte die lex Julia und Papia Poppaea gewisse Vortheile geknüpft. Um dieser einen Wirkung theilhaftig zu werden, ging man eine Ehe ein, bei der beide Theile sich darüber verständigten, daß alle übrigen Wirkungen ausgeschlossen sein sollten. In derselben Weise verfährt die coemptio fiduciae causa . Wie weit jene Möglichkeit der Auslösung einer einzelnen Wirkung gerade bei ihr reichte, beweist am besten der Umstand, daß die drei Zwecke, für welche sie verwandt ward, als drei ver- schiedene Anwendungsfälle oder Arten derselben bezeichnet wer- den, woraus hervorgeht, daß jeder derselben selbständig ohne die andern erreicht werden konnte. Eine Frau mochte den Wunsch hegen, einen andern Geschlechtsvormund zu erhalten oder ein Testament zu errichten, aber sie war keineswegs gewillt, ihre sacra aufzugeben. Wären nothwendigerweise sämmtliche Wir- kungen der coemptio eingetreten, so hätte sie das eine ohne das andere gar nicht gekonnt. Das Recht legte ihr kein Hinderniß in den Weg. Der Richter, der über einen bedingten Anspruch ein Urtheil fällt, erkennt damit zugleich implicite über die Bedingung. Diesen letztern Punkt greift die sponsio praejudicialis heraus, um in Form des bedingten Geldversprechens gewisse Fragen indirect zur richterlichen Beurtheilung zu bringen. Die Wirkung des Urtheils beschränkt sich auf Feststellung dieser Fragen, der directe Inhalt desselben: die Verurtheilung auf die versprochene Summe erlangte keine Rechtskraft. Das älteste Recht kannte keine Entlassung der Kinder aus der väterlichen Gewalt. Nur wenn der Vater den Sohn drei Mal, Tochter und Enkel ein Mal ins Mancipium gegeben hatte, sollten sie für immer frei von ihm werden — eine Bestimmung, die offenbar als Strafe gemeint war. Diese Strafe ergreift die Emancipation als Zweck , indem sie, um die Befreiung des Die künstlichen Mittel. §. 58. Kindes zu vermitteln, das Kind durch das Mancipium hindurch- führt. Von den Wirkungen des Mancipiums sollte aber bloß die eine : die damit verknüpfte Möglichkeit der Freilassung ein- treten; der Fiduciar, der das Kind zu Dienstleistungen hätte zwingen wollen, würde ebensowenig rechtlichen Schutz gefunden haben, als der Sieger bei der sponsio praejudicialis, wenn er die versprochene Summe hätte einklagen wollen. In einer an- dern Richtung war freilich diese Isolirungsidee bei der Emanci- pation weniger verwerthet, als in den beiden obigen Fällen, insbesondere bei der coemptio fiduciae causa . Während bei letzterer die Frau, um die eine der drei Wirkungen zu erzielen, nicht nöthig hatte, die beiden andern mit in den Kauf zu nehmen, traten bei der Emancipation sämmtliche Wirkungen ein, selbst wenn sie über die Absicht der Partheien weit hinausgingen, wie dies regelmäßig mit dem Verlust des civilen Erbrechts der Fall gewesen sein mag. Eine Emancipation lediglich für einen speciel- len Zweck nach Art der coemptio fiduciae causa gab es nicht. Was mag Ursache gewesen sein, daß erstere hinter letzterer so weit zurückgeblieben ist? Ist es der Umstand, daß letztere aus einer Zeit stammt, wo man die Scheingeschäfte bereits mit größerer Freiheit behandelte? Mehr Wahrscheinlichkeit hat mir ein anderer Grund. Wer durch die Emancipation dem Kinde bloß die selb- ständige Stellung eines homo sui juris einräumen wollte, ohne dasselbe seines Erbrechts zu berauben, hatte im Testament das Mittel in Händen, diesen Zweck zu erreichen. In Ergänzung des muthmaßlichen Willens des Vaters gab, wenn die Be- nutzung dieses Mittels versäumt war, später der Prätor dem emancipirten Kinde eine Bonorum Possessio, die also die Un- beholfenheit der Emancipation, wenn ich so sagen darf, von außen her verbesserte, letztere auf diejenige Wirkung beschränkte, die in den bei weitem meisten Fällen die allein beabsichtigte war: die Verleihung der Stellung des pater familias . Die Spannung bei der Emancipation äußerte sich daher nicht sowohl in ihren Wirkungen , als in der Art , wie die- 18* Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. selben erzielt wurden: in der Erfassung einer Strafe als Zweck und der Verwendung des Mancipiums lediglich zur Erzeugung einer einzelnen Wirkung. Dasselbe wiederholt sich bei einigen andern Scheingeschäften. Die mancipatio, das nexum, die in jure cessio erzeugten ganz dieselben Wirkungen, wie der ernstliche Kauf, das ernstliche Darlehn in alter Form und das Urtheil im Vindicationsproceß. Das, worin jene Nach- bildungen hinter dem Original zurückblieben, lag hier lediglich in der Art, wie die Wirkungen herbeigeführt wurden, darin nämlich, daß man den Mangel der wirklichen Voraussetzungen auf künstlichem Wege durch Scheinzahlung und Scheinproceß ergänzte. Alle Scheingeschäfte, mögen sie nun an den Wir- kungen oder Voraussetzungen kürzen, kommen mithin darin überein, daß bei ihnen etwas fehlt , was dem vorbild- lichen Geschäft wesentlich ist, daß sie nicht sowohl eine An- wendung , als vielmehr eine bloße, mitunter höchst äußerliche Anknüpfung an dasselbe enthalten. Diesen Gesichtspunkt darf man bei der Beurtheilung der Scheingeschäfte nie aus den Augen lassen. In welchem Maße er ihren Urhebern selber vorgeschwebt hat, davon hat zwar die bisherige Entwicklung bereits manche Zeugnisse beigebracht, allein ich darf es nicht unterlassen, diesen Punkt in ein noch helleres Licht zu setzen. Ich habe denselben schon einmal B. 2 S. 563 berührt, allein ich glaube, ihn dort noch nicht genug betont zu haben. Ich fasse meine Ansicht in den Satz zusammen: Das Scheingeschäft ist mit dem originären historisch , nicht dog- matisch verbunden. Es ist aus letzterem hervorgegangen, aber nicht wie ein Zweig, der dauernd mit dem Stamm zusammen- hängt, sondern wie der Schößling, der selbständiges Dasein ge- wonnen hat. Oder minder bildlich gesprochen: die Theorie des originären Geschäfts ist nicht die des Scheingeschäfts, letzteres hat seine eigne, die von jener nicht selten in den wesentlichsten Die künstlichen Mittel. §. 58. Punkten abweicht und darum auch durch die Veränderungen, die mit jener vor sich gehen, nicht betroffen wird. Ob z. B. der ernstliche Verkauf der Frau ins Mancipium schon früh untersagt ward, relevirte nichts für den Scheinverkauf. Der praktische Werth des Scheingeschäfts beruhte auf der Freiheit, mit der die Juristen die Rechtssätze des originären dem Scheingeschäft adaptirten, sie änderten und ausschlossen, kurz auf seiner dog- matischen Unabhängigkeit und Selbständigkeit . Möglich, daß letztere für manche Scheingeschäfte erst nach und nach gewonnen ward, aber nicht minder gewiß, daß andere sie von vornherein mit zur Welt brachten. Das testamentum per aes et libram war ein von der mancipatio abgezweigtes Scheingeschäft. Die mancipatio gewährte ein unwiderrufliches Recht. Wer möchte glauben, daß dieser Satz jemals beim Man- cipationstestament zur Anwendung gelangt sei? Damit wäre dasselbe seiner ganzen Brauchbarkeit in den Augen der Römer beraubt worden, es hätte aufgehört zu sein, was es von jeher war: ein Testament , und wäre in eine unwiderrufliche letztwillige Verfügung, einen Erbvertrag übergegangen. Bei der wirklichen coemptio fällt dem Manne das ganze Vermögen der Frau zu, und umgekehrt beerbt sie ihn, wenn er stirbt. Wie ungeschickt wäre es gewesen, wenn man beide Sätze auf die coemptio fiduciae causa hätte übertragen wollen! Daß es nicht geschehen ist, wird uns ausdrücklich bezeugt. Ersteres: Gaj. II. 98: sive quam in manum ut uxorem re- ceperimus; letzteres: Gaj. I. 115 b , 118. Das Urtheil erzeugt nur Wirkungen unter den Partheien, so auch das Urtheil im Vindicationsproceß. Die in jure cessio dagegen reichte weiter, sie wirkte absolut, in einem speciellen Fall: bei der tutela legitima mulierum aber blieb sie umgekehrt hinter der vindi- catio zurück, ihre Wirkung erlosch mit dem Tode und der capitis deminutio des Cedenten. Ulp. XI, 7. Eine Vindication der Erbschaft Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. war erst nach der Antretung möglich, eine in jure cessio der- selben nur vor der Antretung und auch dies nur bei der here- ditas legitima . Doch genug der Belege für eine Behauptung, die Jedem, der die römischen Juristen kennt, kaum eines Beweises bedürftig erscheinen wird. So wenig wie sie sich bei der Interpretation der Gesetze blindlings dem Buchstaben gefangen gaben, unbekümmert um das praktische Resultat, das zu Tage kam (Bd. 2 S. 487), so wenig bei dem Scheingeschäfte der leidigen Consequenz. Wo dieselbe zu Resultaten führte, die, obschon durch den Zweck des Scheingeschäfts nicht gerade geboten, doch mit demselben wenig- stens nicht in Widerspruch traten, vergönnten sie ihr freien Spielraum; über diese Gränze hinaus (Bd. 2 S. 560—562) versperrten sie ihr den Weg. Eben daß die Juristen dies thaten, daß sie die Theorie des Scheingeschäfts in der Weise gestalteten, wie sie dem Zweck desselben entsprach, daß es also nicht erst Sache der Partheien war, alle unbequemen Wirkun- gen, die das originäre Geschäft in seiner wirklichen Anwendung erzeugte, auf allerhand Umwegen zu beseitigen — eben dieser Umstand enthält in meinen Augen die eigentliche Signatur des Scheingeschäfts und damit zugleich das specifische Merkmal, welches die Scheingeschäfte des Rechts von den Schleichwegen des Lebens den simulirten Geschäften unterscheidet. Wenn Th. Mommsen Röm. Forschungen Aufl. 2 S. 408 die Behauptung ausstellt , daß die Partheien „in dem einen wie in dem andern Fall ganz unter denselben Rechtssatzungen gestanden hätten, aber bei den denaturir- ten Geschäften sich auf diesem oder jenem Wege denjenigen thatsächlichen Consequenzen entzogen hätten, um derentwillen jene Satzungen aufgestellt worden seien oder daß beide Arten von Geschäften sich nicht durch die Ver- schiedenheit der Rechts folgen, sondern lediglich der thatsächlichen Folgen unterschieden hätten“, so geht aus der Limitation, die er sofort hinzufügt: „daß bei denjenigen Scheinformen, die das Recht tolerirt und weiter ent- wickelt, allmählig auch die rechtlichen Consequenzen mehr oder minder alterirt worden seien“, hervor, daß er der im Text entwickelten Auffassung nicht so fern steht, als es jenen Aeußerungen nach scheinen möchte. Auch L. Lange , der Th. Die künstlichen Mittel. §. 58. Mommsen hat das Scheingeschäft als denaturirtes be- zeichnet, und ich halte diesen Ausdruck für einen ganz treffenden. Aber die Denaturation beruhte nicht darin, worein er sie setzt, nämlich daß nur die Partheien im einzelnen Fall das Geschäft verrenkt hätten — dies hätte die Natur, den Begriff des Ge- schäfts selber in Nichts alterirt — sondern darin, daß das Recht selber es that, m. a. W. daß auf gewaltsamem Wege eine neue Geschäftsform geschaffen ward. Die bisherige Ausführung war, ganz abgesehen von dem Interesse, das sie an sich hat, auch zu dem Zweck nöthig, um ein Scheingeschäft, auf das man erst neuerdings aufmerksam ge- worden ist, dem aber von dem so eben genannten Gelehrten seine Legitimation als Scheingeschäft bestritten ist, unter die Zahl derselben aufnehmen zu können und damit einen werthvollen Beitrag für die oben entwickelte Theorie der Scheingeschäfte zu erhalten. Dies ist die arrogatio als Form des Uebertritts eines Patriciers zu den Plebejern ( transitio ad plebem ). So viel ich weiß, hat zuerst Becker , Röm. Alterth. II. S. 156 die Arregation als den einzigen und ausschließlichen Weg der transitio ad plebem bezeichnet, ohne freilich diese Ansicht näher auszuführen und zu be- gründen. Letzteres ist erst geschehen von Ludwig Lange in einem Vertrag auf der Philologenversammlung in Meißen, abgedruckt in der Zeitschr. für österr. Gymnasien 1863 S. 861 fl., gegen den Th. Mommsen seine in seiner Abh. über die röm. Patriciergeschlechter (Rhein. Museum N. F. XVI S. 358) geäußerte Ansicht, daß der Uebergang auf directem Wege durch detestatio sacrorum erfolgt sei, in einem Nachtrage zur zweiten Aufl. seiner röm. Forschungen S. 399—411 weiter zu begründen und die juristische Un- möglichkeit der Lange’ schen Auffassung zu erweisen gesucht hat. Dagegen wiederum Lange in einer eignen Schrift: Ueber die transitio ad plebem . Leipz. 1864 (kurz zusammengefaßt in dessen Röm. Alterth. B. 1. Aufl. 2. S. 122 fl.). Der Sohn des Plebejers war wiederum Plebejer. Ein Pa- tricier, der zur Plebs übertreten wollte, um damit die Fähigkeit gerade am wenigsten Veranlassung gehabt hätte, diese Ansicht seines Gegners gelten zu lassen (s. unten), spricht von einer „principiellen Unterschiedslosigkeit des ernsthaften und des Scheingeschäfts“ (S. 39, 40 der in der folgenden Note citirten Schrift.) Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. zur Bekleidung des Tribunats zu erlangen, brauchte sich also zu dem Zweck nur von einem Plebejer arrogiren oder, wenn er Haussohn war, adoptiren zu lassen, was wenn auch schwerlich in ältester, doch jedenfalls schon in der guten Zeit der Republik möglich war. Eine sich daran reihende im Voraus verabredete Emancipation verschaffte ihm, wenn er es wünschte, die Stellung eines pater familias . Der Preis, den er für den gewünschten Zweck einzusetzen hatte, war freilich kein geringer: Verlust des Patriciats, der sacra, des Namens und des Erbrechts; dies brachte die Consequenz jener Vorgänge mit sich. Aber gerade in der Höhe dieses Preises lag die Aufforderung, eine bequemere Form ausfindig zu machen. Dies war entweder in der Weise möglich, daß man eine ganz neue, eigens für diesen Zweck be- rechnete Form erfand, oder in der Weise, daß man an jenen durch das vorhandene Recht ermöglichten Umweg anknüpfend denselben nur zweckgemäßer gestaltete. Wer der bisherigen Aus- führung gefolgt ist, wird schwerlich darüber im Unklaren sein, welche von beiden Möglichkeiten der Weise der römischen Juristen mehr entsprach, und ebenso wenig wird sich, wenn sie sich den- noch für die erstere entschieden hätten, begreifen lassen, warum Jemand anstatt des ihm geöffneten directen Weges den in seiner früheren unvollkommenen Gestalt belassenen Umweg hätte ein- schlagen sollen. Bekanntlich wählte nun Clodius, als er des obigen Motivs wegen zur Plebs überzutreten beschloß, den letztern Weg; er ließ sich von einem Plebejer, dem Fontejus, arrogiren und sodann emancipiren. Ueber den Zweck dieser Maßregel konnte Niemand im Unklaren sein, ganz Rom kannte ihn und so auch die Pon- tifices, die dabei mitzuwirken hatten. Zum Ueberfluß, um die Nichternstlichkeit der Arrogation noch augenfälliger zu machen, war als Figurant ein Mann gewählt, jünger an Jahren, als der zu Arrogirende! Wenn nun gleichwohl die Pontifices ihre Beihülfe nicht versagten, so läßt das die doppelte Deutung zu: entweder die einer mit der Ernstlichkeit, mit der sie sonst die Die künstlichen Mittel. §. 58. Bedingungen der Arrogation prüften, wenig in Einklang stehen- den Connivenz bei einem, wie Mommsen selber ihn bezeich- net, „dem Wesen der Adoption widerstreitenden Willkühract “ — einer Connivenz, die ihnen durch die Wahl eines ältern Ar- rogators jedenfalls hätte erleichtert werden können —, oder aber die einer ihnen amtlich obliegenden Mitwirkung zu einem Schein- geschäft in unserm Sinn. Die Gründe, die für die letztere Deutung geltend gemacht worden sind, haben für mich ganz überzeugende Kraft. Clodius behielt seinen patricischen Namen bei und nahm nicht, wie es bei wirklichen Adoptionen üblich, den des Adoptivvaters an, ebenso verblieben ihm seine sacra und sein civiles Erbrecht Lange in der citirten Schrift S. 33—38, S. 42—48. — alles ganz erklärlich bei der zwei- ten, unerklärlich bei der ersten Annahme. Wenn die Pontifices die Wirkung der den Uebertritt zur Plebs vermittelnden Schein- arrogation lediglich auf diesen ihren einzigen Zweck beschränkten und die übrigen Wirkungen, welche über ihn hinausgingen, fallen ließen, so verfuhren sie dabei nicht anders, als, wie oben gezeigt, bei den meisten andern Scheingeschäften, und die arrogatio fiduciae causa zum Zweck der transitio ad plebem findet ins- besondere an der coemptio fiduciae causa in ihrer oben be- schriebenen Gestalt ein Seitenstück, das nichts zu wünschen übrig läßt, und das allein schon ausreicht, die Einwendungen, die vom Standpunkt der „römisch-juristischen Logik“ aus gegen jene Ansicht erhoben sind, zu entkräften. Bei den Scheingeschäften bestand die Logik des römischen Rechts meiner Auffassung nach gerade darin, daß es die unbequeme Logik ausschloß, die Logik des Zwecks über die der Mittel setzte. Von diesem Standpunkt aus erklärt es sich auch, warum in dem obigen Fall ein Mann, jünger an Jahren, als der zu Arro- girende, die Rolle des Adoptivvaters übernahm — es ließ sich kein besserer Protest gegen die Ernstlichkeit der Arrogation denken, Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. als gerade dieser. Lange a. a. O. S. 13. Eine Parallele findet er in der angeblich symbolischen Bedeutung der senes coemptionales (Note 387 a. E.). Bei der entgegengesetzten Ansicht hätte darin ein völlig nutzloser Hohn gegen das Pontificalcollegium gelegen. Zu diesem Schößling der Arrogation fügte die Kaiserzeit noch einen andern, so viel ich weiß, bisher nicht beachteten hinzu: die Adoption als Form der Ernennung des Thronfolgers. Unter den ersten Kaisern eine wirkliche Adoption, die dem Adoptirten ganz die Stellung eines Hauskindes anwies, Darnach richtete z. B. Tiberius seit seiner Adoption von Augustus seine ganze Handlungsweise ein. Sueton. Tiberius c. 15: nec quidquam postea pro patrefamilias egit etc. ward sie nach und nach eine reine Form für die angegebenen Zwecke, deren Unterschied von der ächten Adoption ein Zeugniß aus der Zeit Diocletians als einen ganz bekannten voraussetzt. Spartian. Aelius Verus c. 1 .. non testamento, ut antea solebat, neque eo modo, quo Trajanus est adoptatus, sed eo prope genere, quo nostris temporibus a vestra clementia Maximianus atque Constantius Caesares dicti sunt quasi quidam principum filii viri et designati augustae majestatis heredes. Daß es bei diesem Akt nicht auf einen Sohn im natürlich-sittlichen und juristischen Sinn abgesehen sei, ward bereits in früher Zeit von einigen der Kaiser selber betont, So z. B. Galba bei Tac. I. 15: Augustus in domo successorem quaesivit, ego in re publica, Hadrian bei Spartian. c. 4: tu patrimonii tui, non reipublicae quaeris heredem. und nachdem man sich daran gewöhnt hatte, den Akt in anderm Licht zu betrachten, kam man schwerlich mehr in Versuchung die Consequenzen der gewöhn- lichen Adoptionstheorie zu ziehen, das Vermögen des Thron- folgers dem Kaiser Sonst hätte z. B. das Vermögen des Aelius Verus, der mit Zurück- lassung eines Sohnes vor Hadrian starb, als Pekulium an letztern fallen müssen. und umgekehrt die Privaterbschaft des letztern jenem zuzusprechen. Hadrian stellte dem Antoninus Pius bei seiner Adoption die Bedingung, daß er als seinen Nach- Die künstlichen Mittel. §. 58. folger den Mark Aurel und als dessen, also als seinen Enkel, den Verus adoptire und diesem seine Tochter gebe. Ersteres geschah, gleichwohl aber wurden die beiden letztern im Leben als Brüder betrachtet (nach ihrem Tode die „Divi fratres“ ), unge- achtet juristisch genommen der eine der Vater des andern war. Verus erhielt statt der ihm von seinem Adoptiv-Urgroßvater Hadrian zugedachten Tochter seines Adoptiv-Großvaters Pius schließlich die Tochter seines Adoptivvaters oder Bruders Mark Aurel zur Braut, während dieser wiederum die Tochter seines eignen Adoptivvaters zur Frau nahm. Spart. Hadrian. c. 22. Ael. Verus c. 6. Capitol. Verus c. 3. Ant. Phil. c. 5. Juristisch war allerdings die Adoption des Schwiegersohnes dadurch möglich zu machen, daß der Vater die Tochter vorher aus der Gewalt entließ. L. 17 §. 1 de R. N. (23. 1) (nicht entgegen L. 25 i. f. de adopt. 1. 7) — ein leeres Spiel mit den Familienverhältnissen, das von den im Text genannten Personen schwerlich aufgeführt worden ist. Mark Aurel war, als er den Verus adoptirte, 18 Jahre alt, wenige Jahre älter, als letzterer. Capit. Ant. Phil. c. 5. Capitol. Ant. Pius c. 7 .. fratrem sibi parti- cipem in imperio designavit .. et quasi pater (ejus) esset et Verum eum appellavit addito Antonini nomine filiamque suam Lucillam fratri de- spondit. id. Ant. Philos. c. 5. Wer mag bei dieser Verkehrung der gewohnten Ordnung der Familie noch an wirk- liche Familienverhältnisse denken! Es waren Verabredungen rein politischer Art, bei denen die Adoption nur den Namen hergab, um die Reihe der Regierungsnachfolger zu bestimmen, ohne daß man ihr auf die Privatverhältnisse weder einen hinderlichen noch förderlichen Einfluß eingeräumt hätte. So hinterließ Ant. Pius sein Vermögen nicht seinem Adoptivsohn, sondern seiner natürlichen Tochter. Capitol. Pius c. 12. Kurz es war ein neuer Begriff: die „adoptio regia“, So bezeichnet sie Capit. Ant. Phil. c. 5. bei der daher auch die alten For- men, die früher noch beobachtet waren, bald andern Platz machten. Hadrian erfuhr seine Ernennung zum Nachfolger von Seiten des Trajan erst durch Uebersendung des Patents, als er in Spanien war. Spart. Hadr. c. 4. Ob wohl irgend einer der Juristen, wenn derselbe dort Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. umgekommen wäre, daran gedacht haben würde, das Testament, das er vorher errichtet hatte, für hinfällig zu erklären und sein Vermögen als Pekulium dem Trajan zuzusprechen? Ich möchte es bezweifeln! Im dritten Jahrhundert fiel endlich selbst die formelle Anknüpfung an die Adoption hinweg. Die Ernennung erfolgte durch Patent, welches den Titel eines Caesar verlieh, und der Akt selber wird als Verleihung des caesarianum nomen bezeichnet. So schon zur Zeit des Commodus. Capitol. Clod. Albinus c. 2: literas dederat, quibus jusserat ut Caesar esset … Alias ad te publice de successore atque honore dedi etc. Auf die Adoption wird hier nicht die leiseste Anspielung gemacht. Id. c. 3: donantem me Caesariano nomine. In dem so eben behandelten Fall besitzen wir, so viel mir bekannt, das späteste Scheingeschäft, das die Geschichte des römischen Rechts aufzuweisen hat. Die Technik der klassischen Zeit konnte derartiger künstlicher Mittel, mit denen die Juris- prudenz in ihrer Jugendzeit sich beholfen hatte, entrathen; die vorhandenen Scheingeschäfte erhielten sich noch zum Theil, aber von neuentstandenen thut die Geschichte uns keine Meldung mehr. — Die Periode der Scheingeschäfte war vorüber! Die Fictionen haben sich in neuester Zeit einer regen Be- arbeitung zu erfreuen gehabt, Kuntze, Die Obligation und die Singularsuccession (1856) S. 87—90 S. 377 fl. Köppen, Die Erbschaft (1856) S. 6—9. Ber- ger, Kritische Beiträge zur Theorie des österr. allgemeinen Privatrechts (1856) S. 71—95. Demelius, Die Rechtsfiction (1858). es will mir aber scheinen, als ob man stellenweis ihre Bedeutung nicht wenig überschätzt habe, So z. B. Kuntze, der „in diesem wundersamen Reich der Fiktionen ein dämonisches Walten“ wahrnimmt. Auch Berger sucht meines Erachtens zu viel hinter ihnen. und als ob bereits Savigny Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Aufl. 3 S. 32. mit wenig Worten Die künstlichen Mittel. §. 58. das wahre Wesen derselben erschöpft habe. „Entsteht eine neue Rechtsform, sagt er, so wird dieselbe unmittelbar an eine alte, bestehende angeknüpft, und ihr so die Bestimmtheit und Aus- bildung derselben zugewendet. Dieses ist der Begriff der Fiction, für die Entwicklung des römischen Rechts höchst wichtig und von den Neuern oft lächerlich verkannt.“ Zu dieser „lächerlichen Verkennung“ bietet die Fiction aller- dings eine gewisse Versuchung dar. Sie ist eine von den Erschei- nungen der juristischen Technik, mittelst deren man die römische Jurisprudenz vor Unkundigen leicht persifliren kann, und Cicero, den wir schon so oft auf derselben Fährte betroffen haben (Note 394) hat auch diesen Stoff zu verwerthen gesucht. In Verrem II 2, 12: Judicia hujusmodi: qui cives Romani erant, si Siculi essent, quum Siculos eorum legibus dari oporteret; qui Siculi, si cives Romani essent, die bekannte Fiction der Civität, die wir jetzt auch aus Gaj. IV 37 kennen. Wie läppisch, kann man sagen: ein rechtliches Hinderniß, dessen man nicht Herr werden kann, einfach hinwegzufingiren, den nach- theiligen Einfluß einer Emancipation zu beseitigen, indem man sie selber für nicht geschehen erklärt, die Tochter des Patrons zum Sohne, den Nichtbürger zum Bürger zu machen und sogar die keusche Diana mit Kindern zu beschenken. Ueber die Beispiele im Text s. Gaj. III 26 IV 38. Dio Cassius c. 55 i. i. Note 416 u. 425. Wie freilich Juristen durch diese neckische Form der Fiction sich täuschen lassen konnten, ist schwer zu begreifen, und doch bietet die Literar- geschichte ein eclatantes Beispiel an einem der nahmhaftesten Juristen des vorigen Jahrhunderts. Heineccius Antiq. jur. Rom. I 2 §. 24. Historia jur. Rom. I 3 §. 70. Sein Gegner in dem Streit über den Charakter des prätorischen Rechts: Richey (bez. Korte) traf mit einem Worte den Nagel auf den Kopf, wenn er die Fictionen „interpretationes extensivas“ nannte. Und doch ist die Sache so außerordentlich einfach. Man möge mir erlauben, sie durch ein Beispiel des heutigen Lebens zu ver- anschaulichen. Eine Eisenbahnverwaltung, eine Steuerbehörde Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. hat Formulare drucken lassen, in denen aus Versehen oder, weil der Artikel damals noch nicht bekannt war, eine Columne oder Rubrik für diesen Artikel fehlt. Um nicht die sämmtlichen For- mulare umdrucken zu lassen, bestimmt sie, daß der Artikel unter eine der vorhandenen Columnen untergebracht werden solle, Braunkohlen z. B. sollten als Steinkohlen gelten. Was hat der römische Prätor anders gethan, wenn er bei Ausdehnung der Klagen auf neue Verhältnisse die alten Formulare unverändert beibehielt und nur für den Richter den Vermerk hinzufügte: er solle das neue Verhältniß ganz so behandeln, als ob es das alte wäre, der Nichtbürger z. B., der die Klage anstelle, solle in Be- zug auf sie als Bürger betrachtet werden? Diesen und keinen andern Zweck hat die Fiction. Sie soll den Prätor oder die Theorie der Mühe, die alte Formulirung der Klage oder des Begriffs entsprechend zu verändern, über- heben. „Nur ein Erbe kann die hereditatis petitio anstellen“ lautete der Satz des alten Rechts. Aber das Bedürfniß drängte später dahin, auch andern Personen, z. B. dem Käufer der Concursmasse, dem Bonorum Possessor die Klage zuzugestehen. In Folge davon hätte nicht bloß die alte auf den heres oder die hereditas lautende Fassung der Klage, sondern auch die For- mulirung der obigen Regel geändert werden müssen. Letzteres war aber kein Leichtes, es hieß an Stelle des bekannten, ge- läufigen Begriffs der hereditas einen neuen allgemeinern: den der Universalsuccession aufzusuchen, ihn klar zu erfassen und zu formuliren. Sollte das Leben so lange warten, bis der Doctrin dies gelungen? Man wählte einen theoretisch minder correcten, praktisch aber eher zum Ziele führenden Weg: jene beiden Per- sonen werden als heredes angesehen, sie sind es zwar nicht, aber sie werden als solche fingirt. Auf diese Weise war das bis- herige Recht formell gerettet. Der Prätor gab nach wie vor die alte Klagformel, nur mit dem obigen Zusatz, der Lehrer des Rechts trug nach wie vor jene Regel vor und schnitt den Ein- wand des Schülers, daß doch jene Personen keine heredes seien, Die künstlichen Mittel. §. 58. in derselben Weise ab, wie der Prätor den des Richters: sie seien zwar keine, aber rücksichtlich der Klagbefugniß gölten sie als solche. „Das Testament ist der letzte Wille eines römischen Bürgers; wem diese Eigenschaft im Moment des Todes abgeht, der kann kein gültiges Testament hinterlassen.“ Das war der Satz des alten Rechts; eine Consequenz davon, daß das Testament eines Bür- gers, der in feindlicher Gefangenschaft starb, keine Gültigkeit hatte. Die lex Cornelia sah sich veranlaßt, diese Consequenz rücksichtlich der vor der Gefangenschaft errichteten Testamente aufzuheben. Sie hätte es thun können in der Weise, wie wir heutzutage es thun würden, indem sie diese Neuerung offen aus- sprach, und sie würde es vielleicht auch gethan haben, wenn nicht Juristen mit im Rath gesessen und das Interesse ihrer Disciplin dadurch gewahrt hätten, daß sie eine Wendung ersannen, die den obigen Fundamentalsatz äußerlich bestehen ließ: die bekannte fictio legis Corneliae. Das Gesetz sprach aus: es solle so an- gesehen werden, als ob der Testator bereits im Moment seiner Gefangennehmung, also noch als Freier und römischer Bürger verstorben wäre. L. 18, 22 de capt. (49. 15). Diese beiden Beispiele werden als Anhaltspunkte zur Ver- anschaulichung des eigenthümlichen Mechanismus und der tech- nischen Bestimmung der Fiction genügen. Der Zweck der Fiction besteht in der Erleichterung der Schwierigkeiten, die mit der Aufnahme und Verarbeitung neuer, mehr oder weniger einschneidender Rechtssätze verbunden sind, in der Ermöglichung, die traditionelle Lehre formell ganz in ihrer alten Gestalt zu belassen, ohne doch dem Neuen praktisch seine volle Wirksamkeit dadurch irgendwie zu verkümmern. Indem sie die Schwierigkeiten umgeht, statt sie zu lösen, charakterisirt sie sich damit allerdings als eine wissenschaftlich unvollkommene Form der Lösung der Aufgabe — sie verdient denselben Namen, Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. wie das Scheingeschäft: den einer technischen Nothlüge — aber indem sie andererseits einen leichteren, bequemeren Weg einschlägt, der praktisch ganz zu demselben Ziele führt, erleich- tert sie damit den Fortschritt, macht ihn möglich zu einer Zeit, wo es der Wissenschaft noch an der Kraft fehlen würde, die Aufgabe in ihrer vollen Gestalt zu bemeistern. Ohne die Fictionen wären manche einflußreiche Aenderungen des römischen Rechts wahrscheinlich erst in viel späterer Zeit erfolgt. Es ist leicht sagen: Fictionen seien Nothbehelfe, Krücken, deren sich die Wissenschaft nicht bedienen solle. Sobald sie ohne sie fertig wer- den kann, gewiß nicht! Aber immer besser, daß sie mit Krücken geht, als ohne Krücken ausgleitet oder sich nicht aus der Stelle wagt. Es ist daher nicht Zufall, sondern ein richtiger Instinkt, der die Wissenschaft in ihrer Jugendperiode zu dieser Krücke greifen heißt, und auch hier kann wiederum das Beispiel des englischen Rechts, das von diesem Mittel die ausgedehnteste Verwendung gemacht hat, uns belehren, daß wir es nicht mit einer specifisch römischen, sondern mit einer Einrichtung zu thun haben, die auf einer gewissen Stufe der geistigen Entwicklung mit innerer Nothwendigkeit zu Tage getrieben wird. Selbst wenn die Wissenschaft die Kinderschuhe ausgetreten hat, und die tausendjährige Uebung des Denkens in ihr endlich jene Sicher- heit und Fertigkeit des abstracten Denkens gezeitigt hat, die er- forderlich ist, um die theoretischen Grundlagen einer Lehre neu zu gestalten, kann immerhin doch als erster Ansatz zur Bewäl- tigung eines völlig neuen Gedankens — im theoretischen Nothstand — die Fiction eine gewisse Berechtigung haben. Besser Ordnung mit Fiction, als Unordnung ohne Fiction! Jede Fiction jedoch diene der Wissenschaft zugleich als Auf- forderung sich ihrer bald möglichst zu entledigen, denn mit jeder Fiction legt sie das Eingeständniß unvollkommener Lösung des Problems ab. Aber ihr zumuthen, die Fiction über Bord zu wer- fen, bevor die wirkliche Lösung gelungen, hieße den Krücken- träger auffordern, die Krücken fortzuwerfen, bevor er gehen kann. Die künstlichen Mittel. §. 58. Völlig verschieden von den Fictionen, die ich im Bisherigen im Auge gehabt habe, und die ich als historische bezeichnen möchte, sind zwei andere Verhältnisse, auf die ebenfalls der Name angewandt worden ist. War es eine Fiction, wenn die lex de arrogatione dem arrogirten Kinde die Stellung des natürlichen anwies? Sicherlich nicht, Demelius in seiner Note 413 citirten Schrift zieht diesen und alle ähnliche Fälle mit unter den Begriff der Fiction, wodurch derselbe nur ver- dunkelt werden kann. es war zwar eine Gleichstellung, aber nicht jede Gleichstellung ist eine Fiction. Oder wäre es eine Fiction, wenn ein heutiges Gesetz die Juden den Christen gleichstellt? Allerdings enthält auch die Fiction eine Gleichstel- lung — man denke an das Beispiel des bonorum emptor und bonorum possessor (S. 286) — aber das Charakteristische ist die Form, in der sie dieselbe vermittelt, und der Zweck, dessent- wegen sie dies thut. Anstatt den Rechtssatz so zu erweitern, daß das Verhältniß, auf das er ausgedehnt werden soll, darunter Platz findet, wird umgekehrt das Verhältniß in gewaltsamer Weise so gepreßt, daß es hineinpaßt, der juristischen Vorstellung wird zugemuthet, sich dasselbe in einer andern Gestalt zu denken, als die es an sich trägt, die wirkliche Erweiterung des Rechts- satzes wird verdeckt, verschleiert. In den obigen Fällen geschieht nichts dem Aehnliches. Anstatt die rechtliche Stellung, die das arrogirte Kind, die Juden einnehmen sollen, im Ein- zelnen genauer anzugeben, wird einfach auf die des natürlichen Kindes, der Christen Bezug genommen, es ist eine abgekürzte Form der Fassung der anzuwendenden Rechtsgrundsätze, eine Verweisung, aber nichts weniger als eine Fiction. Solche Verweisungen wiederholen sich überall und zu jeder Zeit sowohl in den Gesetzen als den Rechtsgeschäften der Privaten, Mit demselben Recht, mit dem Demelius Wendungen wie: decem viri eodem jure sint, quo qui optima lege (Cic. de leg. agr. II. 11) und die alte Curialformel: siremps lex res jus causaque omnibus omnium rerum esto (Val. Prob. de not. §. 3) u. a. m. hierher zieht, könnte man nicht Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 19 Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. selten bilden sie den Inhalt eines besondern Privilegiums, So in Rom z. B. das jus liberorum, welches die kinderlose Frau in Bezug auf die Capacitätsbestimmungen der Frau mit Kindern gleichstellte, die restitutio natalium, welche dem Freigelassenen die Stellung des Frei- gebornen einräumte. Ob dabei die Wendung gebraucht wird, „ ebenso, als ob sie Kinder hätte, als ob er freigeboren wäre“ ( L. 5 §. 1 de nat. rest. 40. 11), verschlägt Nichts. — eine technische Bedeutung können sie nicht in Anspruch nehmen. Für das zweite Verhältniß ist der Ausdruck: Fictionen all- gemein eingebürgert, und ich will dem Sprachgebrauch nicht entgegentreten, es genügt mir, die Verschiedenheit desselben von der oben geschilderten Function der Fiction zu constatiren. Die Existenz der juristischen Person, so lehrt man, beruht nicht auf natürlichem Dasein, sondern auf Fiction. Und in der That richtet diese Fiction an unsere Vorstellung ganz dieselbe Auf- forderung, wie die obigen: sich nämlich das thatsächliche Ver- hältniß anders zu denken, als es wirklich ist, statt der einzelnen Mitglieder der Zunft sich ein gedachtes Wesen: die Zunft, als Subject vorzustellen. Aber der Zweck der Fiction ist hier nicht Erleichterung der Anknüpfung eines neuen Rechtssatzes an das bisherige Recht, sondern Erleichterung der juristischen Vor- stellung. Die Betrachtung dieser dogmatischen Function der Fiction liegt außerhalb der Gränzen unserer gegenwärtigen Auf- gabe, sie hatte lediglich das negative Interesse für uns, den störenden Einfluß, den sie auf die richtige Erfassung der obigen historischen Function derselben ausüben konnte, fern zu halten. Kehren wir zu letzterer zurück. Die Fiction in diesem Sinn ist ein Seitenstück zum Scheingeschäft, nicht selten sogar, um einen frühern (B. 2 S. 408) Ausdruck zu wiederholen, das auch von einer Fiction sprechen, wenn ein Miether die Wohnung „zu den- selben Bedingungen, wie sein Vorgänger“ miethet — es ist eine Erleichterung für den Abschreiber, nichts weiter. Die künstlichen Mittel. §. 58. Caput mortuum desselben, hervorgegangen aus demselben Motiv und in ganz ähnlicher Weise operirend. Was das Scheingeschäft auf dem weitläuftigeren Wege der Handlung, beschafft sie auf dem einfacheren des Gedankens, beide thun dem Verhältniß, das sie ergreifen, Gewalt an, um es über das Prokrustesbett bereits vorhandener Geschäfte, Begriffe, Klagen zu spannen. Nur darin möchte ein Unterschied beider gelegen sein, daß wäh- rend das Scheingeschäft in unserm obigen Sinn vorzugsweise im römischen Verkehr, weniger im Proceß zur Erscheinung ge- langte, die Fiction gerade im Proceß die reichste Verwendung fand, welches letztere sich auch im englischen Rechte wiederholt. Der Uebergang des Legis-Actionen-Processes in den Formular- proceß scheint vorzugsweise durch sie vermittelt worden zu sein. Keller, Civilproceß §. 25 Note 298 (Aufl. 3 S. 98). Was De- melius S. 51 fl. dagegen einwendet, hat mich nicht überzeugt. Die Form, die sie in dem Processe annahm, war eine doppelte: die eines Zwischensatzes und eines Vordersatzes, im erstern Fall enthielt die Formel bloß die eine, sich überall wiederholende Be- dingung: si paret, im zweiten eine Doppelbedingung; Beispiel der ersten Art bei Gaj. IV 37: Si paret ope consilio Dionis Graeci Lucio Titio furtum factum esse paterae aureae, quam ob rem eum, si civis Romanus esset, pro fure damnum decidere opor- teret etc. Beispiel der zweiten bei Gaj. IV 34: Si A. A. Lucio Titio heres esset, tum si paret fundum, de quo agitur, ex jure Quiritium ejus esse oportere. diese letztere Form möchte ich für die ältere halten. Ueber den angeblichen historischen Ursprung der Fiction auf dem Gebiet des geistlichen Rechts habe ich mich schon oben S. 271 gelegentlich ausgesprochen. Ihr späteres Schicksal war ganz das des Scheingeschäfts, sie starb nach und nach ab, und mit dem Bedürfniß verlor sich auch das Verständniß; die vereinzelten Spuren, die Justinian noch vorfand, regten die ganze Galle seines Unmuths und seiner Entrüstung über eine so unsinnige Ver- irrung des Alterthums in ihm auf, und er rottete sie mit Stumpf 19* Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie. und Stiel aus. z. B. L. 30 Cod. de jure dot. (5. 12): ficti divortii falsa dissimulatione stirpitus eruenda. L. 8 Cod. de donat. (8. 54) L. 4 Cod. de bonis lib. (6. 4) (aus den Basiliken: L. 28 de jure patron. 49. 1) ed. Kriegel §. 21, 26: antiqua simulatio et observatio, qua fingebamus patroni filiam esse filium, sublata sit … ex machinatione quadam in veteribus libris. Ob er es verstanden haben würde, wenn einer der alten Juristen fich zu seiner Entschuldigung auf den §. 25 dieses Gesetzes: tanquam si contracta fiducia emancipatio facta fuisse videretur (wiederholt in §. 8 I. de agn. subl. 3. 2) berufen haben würde? Der Kobold der Fiction rächt sich oft bitterlich an denen, die ihn verfolgen! Was die älteste Jurisprudenz mit dem un- beholfenen Mittel des Scheingeschäfts, die mittlere mit dem schon etwas gelenkigeren der Fiction, das beschaffte die klassische in der höchsten und letzten Form: der analogen Ausdehnung. Zweiter Abschnitt. Die Rechte des ältern Privatrechts. Die Aufgabe. Historischer Charakter der Grundbegriffe des älteren Rechts — ihre Veränderlichkeit — Die wahren Quellen derselben — Ueber- schätzung des logischen Elements im Rechte. Non ergo a Praetoris edicto neque a XII tabulis, sed penitus ex intima philosophia hauriendam juris disciplinam Cie. de legib. I. Cap. 5. LIX. Die Aufgabe des ersten Abschnitts bestand darin, die- jenigen Erscheinungen, Gedanken und Gesetze darzulegen, die sich mehr oder weniger auf allen Gebieten des Rechts wieder- holten. Den Gegenstand des gegenwärtigen Abschnitts bilden die Rechte des ältern Privatrechts. Der Verlauf unserer Darstel- lung hat uns zwar bereits manche Züge zur Signatur derselben geliefert, theils Einzelheiten, theils allgemeine Ideen, allein die bisher entwickelten universellen Gesichtspunkte reichen nicht aus, um das eigenthümliche Wesen und den Gedankengehalt der Rechte zu erschöpfen, es bleibt noch ein beträchtlicher Rest zurück, dessen wir uns nur auf dem Wege einer ausschließ- lich diesem Gegenstand zugewandten Untersuchung bemächtigen können. Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Es ist ein wunderbares Ding um diesen Bestandtheil des ältern Systems. Der alte Proceß ist in der spätern Zeit spurlos untergegangen, das alte Rechtsgeschäft mit seinen Formen und strengen Grundsätzen ist verschwunden, aber über die Rechte des alten Vermögensrechts scheint der Wechsel der Dinge keine Macht gehabt zu haben; noch bis auf den heutigen Tag operiren wir mit denselben Begriffen des Eigenthums, Besitzes, der Ser- vitut, Obligation, der erbrechtlichen Universalsuccession, des Legats, die bereits vor zweitausend und mehr Jahren den alt- römischen Juristen dienten. Hat die Zeit in der That keine Ge- walt über sie, sind sie für die Ewigkeit gemacht — unvergäng- lich und unveränderlich, weil das absolut Wahre? Oder haben auch sie sich dem Wechsel der Dinge und Ansichten gefügt, ist es vielleicht nur die Gleichheit des Namens, die uns die Aende- rung der Sache selber übersehen läßt, nur dieselbe Schaale, aber mit anderem Kern? Unsere Wissenschaft ist auf diese Frage die Antwort schuldig geblieben. Zwar die Veränderungen, die mit all jenen Institu- ten im Lauf der Zeit vor sich gegangen, hat sie getreulich regi- strirt, aber ob diese Veränderungen das juristische Wesen, den Begriff der Rechte getroffen oder nicht, darüber erwartet man vergebens von ihr eine Auskunft. Und doch braucht man nur einige dieser Veränderungen ins Auge zu fassen, um sich von der Verschiedenheit des Einflusses, den sie in dieser Beziehung aus- geübt haben, zu überzeugen. Die Aufhebung der in jure cessio und mancipatio, die Erweiterung der Usucapionsfristen durch Justinian und eine Reihe anderer Veränderungen auf dem Ge- biet des Eigenthumsrechts waren für das praktische Leben und die Theorie des Eigenthums von höchster Wichtigkeit, allein der Begriff des Eigenthums oder auch nur des Eigenthums- erwerbs erlitt dadurch nicht die geringste Modification, alle diese Neuerungen trafen lediglich die legislative oder ökonomi- sche Brauchbarkeit des Instituts, nicht seine juristische Indivi- dualität. Für die Geschichte des Vormundschaftsrechts ist die Die Aufgabe — historischer Charakter der Rechtsbegriffe. §. 59. Einführung der Dativtutel ( tutor Atilianus ) ohne alles und jedes begriffliche Interesse, dagegen bezeichnet das Umschlagen der Tutel aus einem persönlichen Gewaltverhältniß ( „jus ac potestas in capite libero“ ) in ein Obligationsverhältniß einen begrifflichen Entwicklungsmoment, dem keine von allen Verän- derungen, die mit diesem Institut vor sich gegangen, sich an die Seite stellen läßt. Am lehrreichsten in dieser Beziehung ist das Erbrecht. Alle Umgestaltungen, denen die römische Testaments- form im Lauf der Zeit unterlag, namentlich die Verdrängung des Comitialtestaments durch das Mancipationstestament, die Einführung der schriftlichen d. i. geheimen Errichtungsform neben der früheren ausschließlich mündlichen, sowie der privilegir- ten Testamentsformen gaben der Testirfreiheit eine nicht hoch genug anzuschlagende Erweiterung, aber an dem Begriff des Testaments Vorausgesetzt nämlich, daß man rücksichtlich des Comitialtesta- ments die gewöhnliche Anficht theilt, der zufolge das Volk dabei nicht abzu- stimmen, sondern einfach als Zeuge zu fungiren hatte. Wer mit mir das Ge- gentheil annimmt, wird in dem Uebergang zum Mancipationstestament eine höchst wesentliche Begriffsalteration des Testaments erblicken müssen — den Umschlag des von der Befolgung der Intestaterbfolge im einzelnen Fall dis- pensirenden Gesetzes in ein gewöhnliches Rechtsgeschäft. änderten sie nicht das Geringste; letzteres blieb, was es von jeher gewesen: eine einseitige Verfügung des Erblassers über die Erbschaft. Das Codicill dagegen und der Erbvertrag des heutigen Rechts haben eine begriffliche Aende- rung der wesentlichsten Art vorgenommen, ersteres, indem es den bis dahin unbekannten Begriff des erbrechtlichen Singu- largeschäfts (S. 140), letzteres, indem es den Vertrag ins Erbrecht einführte. Von den XII Tafeln bis auf Justinian ist das Intestaterbrecht in seinen ganzen Grundlagen umgestaltet worden, aber ich möchte wissen, ob die Definition desselben auch nur um ein Wörtchen anders gefaßt werden müßte, als in ältester Zeit; der Begriff der Intestaterbfolge ist ganz der alte geblieben. Dagegen hat Justinian durch seine Verordnung über Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. die Antretung der Erbschaft unter der Rechtswohlthat des Inven- tars mit einem Federstrich die Idee der erbrechtlichen Succes- sion in einer Weise alterirt, gegen die hunderte von sonstigen Reformen nicht in Betracht kommen. Der Begriff des Erben, der (von dem besondern Recht der Soldaten abgesehen) ein Jahrtausend lang unverändert derselbe geblieben war, ist damit ein völlig anderer geworden. Für die Geschichte des Universal- fideicommisses machten in praktischer Beziehung das SC. Trebel- lianum und Pegasianum in gleicher Weise Epoche, aber für die begriffliche Entwicklung dieses Instituts hat letzteres gar keine Bedeutung, das Universalfideicommiß als selbständiger erbrecht- licher Begriff verdankt seinen Ursprung lediglich dem ersteren. Wie nun? Sind die Begriffe in Wirklichkeit noch dieselben, nachdem sie eine solche Umgestaltung erfahren haben? Und ver- ändern sie sich nicht täglich unter unsern Augen? Ist denn der Begriff der römischen Obligation heutzutage noch derselbe, wie zur Zeit der klassischen römischen Juristen? Man denke an die Papiere auf den Innehaber, die Reallasten, die Auslobungen, um sich von dem gewaltigen Umschwung zu überzeugen, der mit diesem Begriff vor sich gegangen. Und ähnliche Erscheinungen wiederholen sich auf allen Gebieten. Wer kann unsere heutigen Hypothekenbriefe und Handfesten juristisch begreifen, wenn er an dem römischen Begriff des Pfandrechts als eines Rechts an fremder Sache festhält, wie ließe sich die Uebertragung der Papiere auf den Inhaber unter den römischen Begriff der Ces- sion bringen? Kurz die juristischen Grundbegriffe verändern sich im Lauf der Zeit eben so gut, wie die Rechtssätze, und sie müssen es, denn sie sind ja keine bloßen logischen Kategorien, sondern die Concentrationsform materieller Rechtssätze, die Rechtssätze aber wechseln mit den Verhältnissen. An die Unveränderlichkeit der römischen Rechtsbegriffe zu glauben ist eine kindliche Vorstel- lung, die von einem völlig unkritischen Studium der Ge- schichte zeugt. Die Aufgabe — historischer Charakter der Rechtsbegriffe. §. 59. Was aber in die Zeit fällt, nachdem es entstanden, ist auch in die Zeit gefallen, als es entstand, m. a. W. dieselben histo- rischen Einflüsse, denen jene Grundbegriffe im Fortgang ihrer Geschichte ausgesetzt gewesen sind, werden sich bereits bei ihrer ursprünglichen Bildung thätig erwiesen haben. Der Historiker würde ihnen gegenüber seine Aufgabe verfehlen, wollte er sich einfach dabei beruhigen, daß sie gegebene Thatsachen des römi- schen Lebens seien, deren Ursprung in undurchdringliches Dunkel gehüllt sei, unmittelbare Offenbarungen, an denen das mensch- liche Denken und Wollen keinen Antheil.gehabt hätte, Producte einer geheimnißvoll schaffenden Naturkraft. Eine solche Auf- fassung, so gern sie sich den Schein der ehrfurchtsvollen Scheu vor dem „was die Geschichte bedeckt mit Nacht und Grauen“ zu geben versucht, entwürdigt den Menschen und erniedrigt das Recht. Denn das Recht ist keine Pflanze, sondern ein Stück menschlichen Denkens und Empfindens; zu den Aufzeichnungen, die es enthält, müssen das menschliche Herz und der denkende Verstand den Schlüssel liefern. Vermögen uns also jene Grund- begriffe auf die Frage nach dem: Woher und Warum? keine befriedigende Antwort zu geben, so ist all’ ihr Ansehen nur ein erschlichenes, so sind sie für uns statt eines freien Besitzthums äußerlich aufgezwungene Ketten, die dadurch, daß sie ein noch so hohes Alter für sich aufzuweisen vermögen, um Nichts von dieser Eigenschaft verlieren — man beherrscht bloß das, was man versteht. Der gegenwärtige Abschnitt soll nun den Versuch machen, die alten Rechtsbegriffe, so zu sagen, zum Sprechen zu bringen, indem er sie künstlich wiederum in Fluß versetzt, indem er sie zurückführt auf die Ursubstanz von Ideen, Anschauungen, Er- wägungen, aus denen sie hervorgegangen, die Gesetze ermittelt, nach denen sie sich zu festen Formen zusammengefügt, kurz er soll sie gewissermaßen ihren Krystallisationsproceß von neuem vor unsern Augen bestehen lassen. Ob diese Aufgabe mehr verwe- gen, als lösbar, darüber will ich Jedem seine Zweifel zu gute Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. halten, jedenfalls ist sie eine der anziehendsten und dankbarsten, denen ich im ganzen Verlauf meines Werks begegnet bin. Es hat einen Reiz für mich, dem ich Nichts an die Seite zu stellen wüßte, dem menschlichen Geist nachzuschleichen auf den dunklen Pfaden seiner vorhistorischen Thätigkeit, die verfallenen und verschütteten Schachte, die er in den Schooß der Erde getrieben, wieder zu öffnen und damit den Beweis zu liefern, daß an die- sen Stellen bereits vor Jahrtausenden rege Arbeit und umsich- tiges, planvolles Schaffen herrschte, daß diese unterirdische Welt, dieser Unterbau des gesammten Rechts nicht das Werk einer blind waltenden Naturkraft, sondern das Verdienst und die freie That des denkenden Geistes ist. Je mehr die elemen- tare Art der Arbeit und der Oberbau, der sie unserm Auge ent- zieht, den entgegengesetzten Schein hervorzurufen vermag, und je mehr es bisher versäumt worden ist, in diese Tiefen hinabzu- steigen, um so lohnender ist es, wenn es gelingt, dem mensch- lichen Geist zurückzuerobern, was sein eigen ist. Davon wird uns auch der Umstand nicht abhalten dürfen, daß die römischen Juristen selber sich bis zu diesen Tiefen nicht hinabgelassen haben, daß sie sich, um im Bilde zu bleiben, auf den Tagbau, d. i. auf die offen zu Tage liegenden praktischen Parthieen des Rechts beschränkt haben — ein Beispiel, das von uns Neueren nur zu getreulich befolgt worden ist. Es lag einmal nicht in ihrer Weise, auf dem Wege historischer oder rechtsphilosophischer Un- tersuchung bis zu den letzten Quellen des Rechts zurückzugehen oder auch nur einmal den Apparat, mit dem sie arbeiteten, ihre allgemeinen Anschauungen, ihre Methode zum Gegenstand der Betrachtung zu machen. Selbst eine Kritik des bestehenden Rechts vom legislativ-politischen Standpunkt aus sucht man bei ihnen vergebens, sie war eben in zu hohem Grade ein leben- diges Stück von ihnen selbst, als daß sie es für nöthig gefun- den hätten, sie zu Papier zu bringen. Aber für alles das, was sie verabsäumt, haben sie uns das Material gegeben, es nach- zuholen. Die Aufgabe — Antheil der juristischen Logik am Recht. §. 59. Hat denn aber unsere moderne Jurisprudenz dies nicht be- reits längst gethan? An Zeit hat es ihr doch wahrlich nicht ge- fehlt! Ich muß mir gefallen lassen der Anmaßung bezüchtigt zu werden, aber ich kann nicht anders als sagen: in dieser Rich- tung hat sie so gut wie Nichts geleistet. Es hat mich bei den Untersuchungen, die ich im Folgenden anstellen werde, kaum je das Gefühl verlassen, daß ich meinen Fuß auf völlig unbetretenes Land setzte, daß hier Lager verborgen liegen, von deren Reich- thum wir bisher kaum eine Ahnung gehabt, und von denen es mir begreiflicherweise nur beschieden sein wird, den kleinsten Theil zu heben und auch diesen sicherlich versetzt mit vielen Schlacken. Die historische Jurisprudenz hält regelmäßig ihre Aufgabe für gelöst, wenn sie das Aeußere der historischen Erscheinung ermit- telt hat; wo die Quellen aufhören, glaubt auch sie aufhören zu müssen, über das Aeußere gehen aber, wie bemerkt, die Quellen selber selten hinaus. Der Rechtsphilosophie dagegen, welche den Beruf gehabt hätte ins Innere zu dringen, ist jene Aufgabe zu historisch, und man kann jedenfalls dem Philosophen von Fach keinen Vorwurf daraus machen, daß er sich rücksichtlich des positiven und juristischen Materials auf den Juristen verläßt. Diese seine Abhängigkeit von Letzterem hat freilich für die Rechts- philosophie böse Früchte getragen, der geistige Bann, mit dem das römische Recht uns positive Juristen so leicht bestrickt, hat sich auch auf sie mit ausgedehnt, indem sie Begriffe, denen der Jurist einmal gewohnt ist, eine absolute Wahrheit zuzuschreiben, wie z. B. dem des römischen Eigenthums, in derselben Eigen- schaft gläubig aus seiner Hand entgegennahm. Diesen Bann zu brechen, das Historische, Römische, das durch Zweckmäßig- keitsrücksichten oder andere Einflüsse Bedingte in diesen Begriffen nachzuweisen und damit einen Maßstab zu gewinnen für ihren Werth, ist eine der Hauptaufgaben der folgenden Untersuchungen. Machen wir uns zunächst klar, worauf der Bann beruht. Er läßt sich mit einem Worte bezeichnen. Es ist das Blend- werk der juristischen Dialektik, welche dem Positiven den Nim- Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. bus des Logischen zu geben versteht, welche, indem sie das Vorhandene vor unserm Urtheil als vernünftig zu rechtfertigen sucht, dabei nicht den Weg einschlägt, daß sie die historische, praktische oder ethische Berechtigung desselben nachweist, sondern den, daß sie mit Hülfe von Gesichtspunkten, die erst für diesen Zweck erfunden sind, die logische Nothwendigkeit desselben darzuthun versucht. Es hat einmal etwas höchst Ver- lockendes, ja man möchte sagen es ist eine im Wesen der Juris- prudenz selber tief begründete Versuchung, daß sie den realen Mächten gegenüber, mit denen sie sich in die Schöpfung des Rechts zu theilen hat, die Autonomie des juristischen Denkens zur möglichsten Geltung zu bringen und auch das Positive zur idealen Höhe einer logischjuristischen Wahrheit zu erheben sucht. Gerade in der Gegenwart hat diese Richtung einen höchst be- denklichen Grad erreicht — bedenklich aus dem Grunde, weil diese Scheinbegründung, diese logische Selbsttäuschung von den wahren Quellen, in denen die letzten Gründe der Rechtssätze zu suchen, und damit vom wahren Verständniß des Rechts über- haupt abführt. Sollte man doch nach manchen neuern Erschei- nungen fast glauben, als sei das Recht im Wesentlichen nichts als eine Schöpfung der juristischen Dialektik, zu deren Ver- ständniß praktische Anschauungen überall nicht nöthig seien, ein Tummelplatz für die Fanatiker des Gedankens. Geblendet durch den Glanz des Logischen, der das römische Recht bedeckt und jedem, der sich ihm naht, zuerst in die Augen fällt, wird das Wahrnehmungsvermögen des Auges, wenn nicht die frische Luft des Lebens es wieder kräftigt, nur zu leicht für alles an- dere abgestumpft; statt der wirklichen Welt, in der die realen Mächte des Lebens regieren, erblickt es ausschließlich nur noch die Fata Morgana einer Welt, in der der abstracte Gedanke das Scepter führt. Da schwingt sich denn der Begriff zur Rolle des Demiurgen auf: Er hat die Welt des Rechts ge- macht, Er regiert sie. An die Stelle der realen Kräfte, welche im Schooße des Rechts walten, setzt sich die Dialektik des Be- Die Aufgabe — Antheil der juristischen Logik am Recht. §. 59. griffs; was jene geschaffen und hervorgebracht, gibt sie für ihr Werk aus, indem sie, je nachdem es positiver oder nega- tiver Art ist, das eine als logisch nothwendig , das andere als logisch unmöglich deducirt. Die Stellvertretung und die Uebertragung bei Obligationen ist ausgeschlossen, weil der Begriff der Obligation sie nicht verstattet, Puchta , Pandekten §. 273 .. „nicht in einer Singularität des römischen Rechts, sondern im Wesen der Obligationen gegründet.“ §. 280. der Erblasser kann nicht zum Theil aus dem Testament, zum Theil nach In- testaterbrecht beerbt werden, weil die testamentarische und In- testaterbfolge logisch incompatible Begriffe sind, Ueber den praktischen Grund dieses Satzes habe ich mich schon oben S. 141 ausgesprochen. die Specifi- cation muß Eigenthum geben und die bona oder mala fides darauf ohne Einfluß sein, weil der Begriff dies verlangt, und selbst der Eigenthumserwerb an der insula in flumine nata und am alveus derelictus ist durch zwingende begriffliche Gründe ins Leben gerufen. Ueber die beiden letzten Beispiele s. Puchta §. 154, 165. In Puchta zählt die oben geschilderte Richtung ihren namhaftesten Repräsen- tanten und, wenn ich nach eigner Erfahrung urtheilen darf, so hat gerade sein Beispiel auf Manche einen bestimmenden Einfluß ausgeübt. Wir dürfen hoffen, daß diese ungesunde Richtung — ich kann sie nicht anders bezeich- nen —, dieser Götzencultus des Logischen ihren Höhenpunkt bereits erreicht hat, wenigstens möchte es schwer sein, die in dieser Richtung begangenen Excesse noch zu überbieten. Dieselben haben aber doch das Gute gehabt, daß sie Jedem, der seine Augen noch nicht völlig verloren hat, dieselben ge- öffnet haben. Alle diese und ähnliche Sätze wären also bloß der Logik wegen adoptirt? Wie nun, wenn es einem neuern Gesetzgeber gefiele, gerade das Gegentheil festzusetzen? Dann würde er sich gefallen lassen müssen, daß wir ihn der „Willkür“ bezüchtigten und seine Begriffe als „monströse“ bezeichneten. Puchta a. a. O. §. 135 Note c. §. 202 Note l. Die Bestim- mung des kanonischen Rechts, die Puchta an der ersten Stelle so hart tadelt Die directe Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Stellvertretung des heutigen Rechts, die Papiere auf den Inne- haber, die Pfandrechte an eigner Sache (Handfesten, Hypothe- kenbriefe) und eine Menge anderer moderner Begriffe — sie alle also wären logische Mißbildungen? Anstatt freudig in ihnen eine Erweiterung unseres Vorstellungsvermögens zu begrüßen, sollen wir, weil unsere Logik über die Begriffe des römischen Rechts nicht hinauskann, ihnen das Stigma des Unjuristischen aufprägen, eingestehen, daß wir alles, was nicht römisch ist oder sich nicht über den römischen Leisten schlagen läßt, nicht zu begreifen vermögen, gleich als enthielte das römische Recht den für alle Zeiten gültigen Kanon des juristisch Denk- baren? Damit würden wir uns selber unser Verdammungs- urtheil sprechen. Brechen wir den Bann, mit dem der Irrwahn uns gefangen hält. Ich muß es mir versagen, bei dieser Gelegenheit nachzuweisen, wie sehr derselbe unsere ganze Anschauungsweise und unsere Methode der dogma- tischen Behandlung beherrscht. Wie selten operiren wir mit dem legislativen Zweck des Instituts, wie häufig mit einem abstracten Gesichtspunkt, der dem- selben geradezu widerstreitet. Man denke z. B. an die Klagverjährung, wo Manche mittelst des Gesichtspunktes der Nativität der Klage in einigen Fäl- len geradezu zu unverjährbaren Klagen gelangen oder die Vertheidiger der Fortdauer einer (bedingt erzwingbaren) obl. naturalis sich kaum die Frage aufwerfen, wie diese Ansicht zu dem ausgesprochenen Zweck der Klagverjäh- rung stimme. Ich selber weiß mich von diesem Vorwurf übrigens keines- wegs frei. Jener ganze Cultus des Logischen, der die Jurispru- denz zu einer Mathematik des Rechts hinaufzuschrauben ge- denkt, ist eine Verirrung und beruht auf einer Verkennung des Wesens des Rechts. Das Leben ist nicht der Begriffe, sondern („Bahn der Willkür“), weil sie zu seiner Vorstellung vom Besitz nicht paßt, setzt aber in Wirklichkeit für den Fall der Gewalt nichts anderes fest, als was das römische Recht mittelst der actio quod metus causa für den des Zwanges angeordnet hatte — und daran hat weder Puchta selber, noch irgend ein Anderer Anstoß genommen! So abhängig ist unser Maßstab über das „Willkürliche“ vom römischen Vorurtheil! Die Aufgabe — Antheil der juristischen Logik am Recht. §. 59. die Begriffe sind des Lebens wegen da. Nicht was die Logik, son- dern was das Leben, der Verkehr, das Rechtsgefühl postulirt, hat zu geschehen, möge es logisch nothwendig oder unmöglich sein. Die Römer hätten verdient in Abdera zu wohnen, wenn sie es je anders gehalten, die Interessen des Lebens der Schul- dialektik zum Opfer gebracht hätten. Aber, wird man mir einwenden, die römischen Juristen selber operiren doch nicht selten mit dem Gesichtspunkt der logischen Nothwendigkeit und Unmöglichkeit. Gewiß! Allein welche Be- wandniß hatte es damit? Für den Schulgebrauch ist es ganz bequem, statt der ausführlichen Darlegung der Verhältnisse oder der praktischen Gründe, denen ein Rechtssatz wirklich seinen Ursprung verdankt, einen Gesichtspunkt auszudenken, dem er sich als logische Consequenz unterordnet, er gewinnt damit einen ge- wissen Nimbus und prägt sich leichter dem Gedächtniß ein, und in diesem Sinn wollen wir uns derartige Deductionen der römi- schen Juristen gern gefallen lassen. Nur verlange man nicht, daß wir in den Gesichtspunkten, die sie zu dem Zweck hie und da aufstellen, den wirklichen Grund der Rechtssätze und Begriffe erblicken. Es sind Rechenpfennige, Zahlmarken — ganz geeignet für den Zweck, dem sie dienen sollen, aber nicht wirkliches Geld. Immerhin möge also Pomponius den Satz: nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest aus der natür- lichen Unvereinbarkeit der beiden Begriffe der testamentarischen und Intestaterbfolge erklären, L. 7 de R. J. (50. 17) .. earumque rerum naturaliter inter se pugna est. Beim Soldatentestament setzte man sich bekanntlich über diese naturalis pugna hinweg! nur soll uns Niemand glau- ben machen, daß ein Gesichtspunkt, der erst jenem Satz zu Liebe erfunden ist, und auf den kein Mensch verfallen würde, der den Satz selber nicht kennt, den historischen Grund desselben ent- halte. Sich bei einem solchen Gesichtspunkt beruhigen, und gar Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. alle Kunst der Dialektik und Mystik in Bewegung setzen, um ihn zu rechtfertigen, gleich als hätten die ungesunden Specula- tionen eines modernen Theoretikers im Kopfe eines alten Römers Platz finden können, heißt seinen Verstand und Glauben für ein Billiges dahingeben. So mögen immerhin andere Juristen die Specification durch den Gesichtspunkt der Herrenlosigkeit der Sache motiviren. L. 7 §. 7 de acq. dom. (41. 1.) Wer sich damit abfinden läßt, der ver- schließt sich die Einsicht in das wahre Wesen der Specification. Nicht weil die neugebildete Sache in dieser ihrer jetzigen Gestalt noch nicht da war und keinen Herrn hat, fällt sie dem Specifi- canten zu — dann müßte auch die bloße Zerstörung der Sache Eigenthum geben —, sondern weil sie aus zwei Faktoren gebil- det ist, von denen jeder einen Anspruch auf Schutz erheben kann: Stoff und Arbeit. Eine wirthschaftlich unentwickelte Zeit mag den Ausschlag für den Stoff geben, aber eine Zeit, in der Gewerbe, Handel und Industrie blühen, kann dies nicht, ohne die Interessen des Verkehrs Preis zu geben. In demselben Maße, in dem die Arbeit selber sich entwickelt, ent- wickelt sich auch das Recht der Arbeit . So möge ferner die juristische Logik uns immerhin deduci- ren: die Früchte, die der gutgläubige Besitzer auf fremdem Grund und Boden baut, müßten eigentlich dem Eigenthümer gehören. Der altrömische Bauer wußte in diesem Verhältniß den Werth und das Recht der Arbeit besser zu würdigen, er sprach das Eigenthum dem zu, der die Mühe davon gehabt hatte, und auch in späterer Zeit, als man dem natürlichen Anspruch des Grund- eigenthümers gerecht ward, wies man denselben in eine Form, in der er dem dritten Besitzer der Früchte, d. h. der Sicherheit des Verkehrs nicht gefährlich werden konnte. Wenn nun in diesem und so manchen andern Verhältnissen die Logik verlassen ist, welche Bewandniß wird es mit denjenigen Die Aufgabe — Antheil der juristischen Logik am Recht. §. 59. haben, in denen sie befolgt ist? Ich denke, in beiden Fällen ganz dieselbe, nämlich das praktische Bedürfniß oder das Rechtsgefühl hat den Ausschlag gegeben, und die Logik hat sich gefügt. So bei den Römern, so bei uns. Wäre das Bedürfniß nach Stell- vertretung im alten Rom bereits dringend genug gewesen, um die Bedenken zu überwinden, die ihr in praktischer Beziehung entgegenstehen, Auch im türkischen Recht ist die Stellvertretung aus praktischen Gründen ausgeschlossen, Nic. von Tornauw das moslemitische Recht, Seite 95. so würden dieselben Personen, die heutzutage die logische Unmöglichkeit der directen Stellvertretung deduciren, muthmaßlich die logische Nothwendigkeit derselben beweisen, und mit der angeblichen logischen Undenkbarkeit der Uebertragung von Forderungen würde es sich schwerlich anders verhalten. Kurz unsere juristische dialektische Methode ist um kein Haar besser als die von Hegel: was wirklich ist, ist nothwen- dig (vernünftig) — unsere Nothwendigkeit ist der gehorsame Schatten der Wirklichkeit; weil es uns ein Leichtes ist, ihn vorausfallen zu lassen, entsteht die Täuschung, als sei er es, der vorangehe, und dem die Wirklichkeit folgen müsse! In diesem Sinne habe ich die folgenden Untersuchungen angestellt. Ich bin davon ausgegangen, daß die letzten Quellen der römischen Rechtsbegriffe in psychologischen und praktischen, ethischen und historischen Gründen gesucht werden müssen, daß aber die juristische Intuition: die Ueberzeugung von dem unmit- telbaren logischen Dasein eines Begriffs keinem einzigen derselben das Leben gegeben habe, ja daß die juristische Dialektik selbst in der Richtung, wo sie scheinbar völliger Selbständigkeit ge- noß, nämlich wo sie die Consequenzen der gegebenen Begriffe und Principien aufzudecken hatte, sich wesentlich durch die prak- tische Angemessenheit des Resultats hat leiten lassen. Gar man- ches erscheint im Gewande einer bloßen Consequenz, was in Wirklichkeit eine selbständige Lebensberechtigung in sich trug, Thering, Geist d. röm. Rechts. III. 20 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. und was, wenn man es nicht auf dem Wege der Schlußfolge- rung hätte gewinnen können, auf unmittelbare Weise hätte be- schafft werden müssen. Der gegenwärtige Abschnitt zerfällt in zwei Abtheilungen, von denen die erste die allgemeine Theorie der Rechte zum Gegenstande hat. Sie soll die Fragen beantworten: auf welchen Momenten beruhte der Begriff des Rechts nach römi- scher Auffassung, wie dachte sich der Römer die Beziehung des Rechts zum Subject, worauf basirte er das Dasein des Rechts, wornach bemaß er die Richtung desselben u. s. w. Bei dieser ganzen Untersuchung, die ich als eine Material- kritik der römischen Rechtstheorie bezeichnen kann, werde ich mich keineswegs auf das ältere Recht beschränken, denn das Meiste von dem, was wir hier finden werden, hat auch für das neuere seine Geltung beibehalten; soweit dies nicht der Fall, werde ich im dritten System darauf zurückkommen. Dagegen habe ich es nicht für nöthig gehalten, den Stoff zu erschöpfen, es genügte ein Maß der Ausführlichkeit, welches ausreicht, den allgemei- nen Gesichtspunkten die erforderliche Deutlichkeit und Anschau- lichkeit zu geben; die Anwendung auf übergangene Verhält- nisse kann Jeder selber machen. Die zweite Abtheilung behandelt die einzelnen Rechte , aber nicht in ihrer ganzen Gestalt — das überlasse ich der Rechtsgeschichte — sondern nur insoweit, als ich glaube die herrschenden Ansichten berichtigen oder erweitern zu können, wozu mir insbesondere in Bezug auf die ursprüngliche Gestalt des Eigenthums- und Obligationenrechts Gelegenheit geboten zu sein schien. Daran wird sich eine früher ausgesetzte Unter- suchung über die angebliche Formlosigkeit der Eingehung der Ehe reihen. Dieser Theil bildet daher kein in sich abgeschlosse- nes Ganze, sondern ein Aggregat von einzelnen rechtshistori- schen Untersuchungen, deren Ergebniß mir aber für den Ge- sammtzweck meines Werks unentbehrlich ist. Allgemeine Theorie der Rechte. I. Regriff des Rechts. 1. Das substantielle Moment des Rechts. Unzulänglichkeit des Willens- und Machtbegriffs für die Defini- tion des Rechts — Das substantielle Moment des Rechtsbegriffs und die damit gegebenen Begriffe: Nutzen, Gut, Werth, Interesse — Die praktische Verwirklichung des Rechts: der Genuß. Die verschiedenen Formen des Genusses. Die Dispositionsbefugniß ein Wahlrecht in Bezug auf die Genußformen. Jus privatum, quod ad singulorum utilita- tem spectat. Ulpianus lib. I. Inst. (L. 1 §. 2 de Just. et Jure.) LX. Was ist das Recht? Man kann auf diese Frage eine ganz verschiedene Antwort ertheilen je nach dem Interesse und dem Standpunkt, für das und von dem man sie aufwirft. Dem positiven Juristen mag es genügen, wenn man ihm darauf die in den früheren Darstellungen des römischen Rechts übliche Ant- wort ertheilt: Recht ist die durch das Gesetz gewährte Möglich- keit des Zwanges (Thibaut) oder wie man denselben Gedanken sonst mit andern Ausdrücken wiedergab. „Die Befugniß selber etwas thun zu dürfen oder von einem Andern zu verlangen, daß er zu unserm Vortheil etwas thue oder unterlasse“ (Mackel- dei, Seuffert). Am kürzesten: „Befugniß zu (äußern) Handlungen (oder Unterlassungen) (Mühlenbruch), am schleppendsten: „Die auf eine gültige (!) Norm gegründete Befugniß zu einer bestimmten (!) Aeußerung (!) der freien (!) Wirksamkeit in der Außenwelt (!) (Wening-Ingenheim). Bei solchen Defi- Mit einer solchen 20* Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. Antwort, die im Grunde nur eine Beschreibung , die An- gabe der äußern Erscheinung des Rechts enthält, können wir uns aber für unsere Zwecke nicht begnügen. Die Antwort, die uns Noth thut, muß das Innere des Rechts: sein Wesen treffen, wenn sie uns sonst als Ausgangs- und Anhaltspunkt für die folgenden Untersuchungen dienen soll. Eine derartige Antwort müßte uns die Rechtsphilosophie geben. Während Kant und seine Schule über die äußere Er- scheinungsform des Rechts: den Zwang nicht hinausgekommen ist, Einleitung zu den Metaphys. Anfangsgründen der Rechtslehre: „Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten also einerlei.“ hat Hegel — und sein Einfluß ist für die neuere posi- tive Jurisprudenz bewußt oder unbewußt ein ganz entscheiden- der geworden — die Substanz des Rechts sowohl im objectiven als subjectiven Sinn in den Willen gesetzt. Damit ist für das- selbe nach beiden Seiten ein unläugbarer Fortschritt begründet, aber in der Einseitigkeit seiner Verfolgung hat das Willensmo- ment dennoch vom rechten Wege abgelenkt und nicht minder, wie der Begriff des Zwanges, mit einem reinen Formalismus des Rechtsbegriffs geendet. Die Bezeichnung des Rechts im objectiven Sinn als des „allgemeinen Willens“ gibt in formaler Beziehung das Wesen desselben in einer Weise wieder, wie sie nicht kürzer und treffender gedacht werden kann. Denn das Wesen des Rechts, was immerhin auch seine Aufgabe, sein Ziel, sein Inhalt sein möge, besteht in der Verwirklichung , die Voraussetzung dazu aber ist die Macht, das Organ und der Trä- ger der Macht aber der Wille. Erst durch ihn werden die Rechts- gedanken — die des Gesetzgebers im Gesetz, die des Volks im Gewohnheitsrecht — zu Rechtssätzen , zu wirklichem, nitionen wechselt man einen Silberthaler gegen einen Papierthaler, man ist ebensoweit wie vorher. Was ist Recht? „ Befugniß zu handeln u. s. w.“ Was ist Befugniß? „ Recht zu handeln“ — da gibt man den Papierthaler wieder zurück. Wer wechseln will, muß mir den Werth in einer andern Münzsorte darstellen, wer definiren will, den Begriff in andern Begriffen. I. Substant. Moment des Rechts. — Willensformalismus. §. 60. wahrhaftigem Recht erhoben, d. h. zu einer Macht, die das Leben gestaltet und beherrscht; ohne diese Bethätigung ihrer praktischen Kraft durch unausgesetzte constante Verwirklichung wären sie Gedanken, Ideen, Ansichten, wie alle andern, aber keine Rechtssätze. Für die dogmatische Darstellung des Rechts reicht diese Auf- fassung, welche die für jene allein wichtigen Momente des Rechts: den Charakter der Positivität und Realität treffend wiedergibt, vollkommen aus; darüber hinaus nicht. Denn es fehlt ihr an einem Princip für den Inhalt des Willens; wenn sie den Willen selber zu seinem eignen Princip erheben will, um auf diese Weise zu einer inhaltreichen Füllung desselben zu ge- langen, so artet dies in Sophistik aus. Für unsere Zwecke hat nur die Verwendung des Willensbe- griffs für die Erklärung des Rechts im subjectiven Sinn ein Interesse. Wenn letzteres nun zunächst an den „allgemeinen Willen“ in der Weise angeknüpft wird, daß der individuelle Wille nur soweit wollen könne, als er durch den allgemeinen ge- deckt ist, so ist dies vollkommen richtig. Nur soweit dies Con- gruenzverhältniß reicht, kommt die Macht, mit der jener ausge- rüstet ist, auch diesem zu gute, schlägt das objective Recht zum subjectiven Recht nieder, darüber hinaus offenbart sich die Ohn- macht des individuellen Willens, indem die Macht des allge- meinen Willens ihn zu Boden wirft. In diesem Sinn kann man also das Recht als „concrete Einheit des Staats- und Einzel- willens“ (Kierulff) bezeichnen, als ein in der Privatperson con- cret und lebendig gewordenes Stück des allgemeinen Willens. Ganz anders aber, wenn man, wie dies nach dem Vorgang Hegels mehr und mehr auch die positive Jurisprudenz zu thun angefangen hat, in ähnlicher Weise wie die Substanz des ob- jectiven Rechts in den allgemeinen, so die des subjectiven in den subjectiven Willen setzt. Dies ist nicht bloß einseitig, sondern falsch. Von der Bedeutung, die der Wille für die Begründung des Daraus, daß mein Wille sich nicht weiter erstrecken Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. kann, als der allgemeine, folgt nicht, daß letzterer sich nicht weiter erstrecken kann, als der meinige, m. a. W. daß ich nicht ein Recht haben kann, welches nicht in meinem, sondern im Willen des Gesetzes seinen Grund hat, kurz daß mein Recht sich nur soweit erstrecken könne, als mein Wille . Indem die obige Ansicht dies übersieht, gelangt sie also zu einer völligen Identificirung des subjectiven Rechts- und Wil- lensbegriffes. Endzweck alles Rechts ist das Wollen, Rechts- fähigkeit und Willensfähigkeit daher gleichbedeutend, das Recht ein abgegränztes Stück Willenssubstanz. Die abstracten Larven, die das Gesetz aufstellt, die Begriffe des Eigenthums, der Obli- gation u. s. w. werden erst dadurch concret-lebendig, daß der individuelle Wille sie ausfüllt, sie beseelt, daß er sich „in die Sache hineinlegt.“ Ueber Hegel s. die folgende Note. Ueber die gangbaren Definitionen s. die Lehrbücher der Pandekten von Arndts („Herrschaft des Willens in Ansehung eines Gegenstandes“) Sintenis („der zum Gesammtwillen er- hobene Wille einer Person“) Windscheid („ein gewisser Willensinhalt, von dem die Rechtsordnung in einem concreten Fall ausspricht, daß er allem andern Willen gegenüber zur Geltung gebracht werden dürfe“). Am conse- quentesten hat Puchta diese Auffassung verfolgt, s. z. B. dessen Pandek- ten §. 22: „Als Subjecte eines solchen in der Potenz gedachten Willens heißen die Menschen Personen … Persönlichkeit ist also die subjective Mög- lichkeit eines rechtlichen Willens , einer rechtlichen Macht .“ §. 118: „Das Recht der selbständigen Persönlichkeit .. fehlt dem Filius familias.“ Dazu die Note b : „Das Princip des alten Rechts war Unfähigkeit Vermö- gensrechte zu haben, das Princip des neuern ist Unfähigkeit über das Ver- mögen irgendwie zu disponiren. Beides bringt in Bezug auf die Persönlich- keit nahezu dieselben praktischen Resultate hervor.“ (!) Auch beim Unmundi- gen, Wahnsinnigen? — !. Dieser Auffassung zufolge ist demnach das ganze Privat- recht nichts als eine Arena für den Willen, sich darauf zu bewe- Rechts hat, wird an anderer Stelle die Rede sein, hier handelt es sich um seine Bedeutung für den Begriff, den Inhalt des Rechts, letzteres wird also als bereits erworben vorausgesetzt. I. Substant. Moment des Rechts. — Willensformalismus. §. 60. gen und zu üben, der Wille ist das Organ, durch welches der Mensch das Recht genießt, der Genuß besteht darin, daß er die Freude und Herrlichkeit der Macht empfindet, die Genugthuung hat, einen Willensakt vollzogen, z. B. eine Hypothek bestellt, eine Klage cedirt und damit sich als Rechtspersönlichkeit doku- mentirt zu haben. Hegel Rechtsphil. (Aufl. 2. S. 111) deducirt das Interesse des Vertrages dadurch: „daß es das Interesse der Vernunft sei, daß der subjec- tive Wille allgemein werde und sich zu dieser Verwirklichung erhebe.“ Daß das „Bedürfniß, das Wohlwollen, der Nutzen u. s. w. es sei, was die Menschen zu Verträgen führe“, weist er damit zurück, daß dies nur für „ihr Be- wußtsein“ gelte, d. i. ein bloßes subjectives Motiv sei, in Wirklichkeit sei es „die Vernunft an sich, nämlich die Idee des reellen, d. i. nur im Willen vorhan- denen Daseins der freien Persönlichkeit.“ Das „Wohl ist dem Rechte als solchem ein Aeußerliches“ (S. 287), „die Beförderung des Wohls ist Sache der Polizei“ (S. 288). Welch’ armseliges Ding aber um den Willen, wenn die nüchternen und niedern Regionen des Rechts das eigentliche Gebiet seiner Thätigkeit bezeichneten! Das wahre Reich des Willens, die Sphäre der schöpferisch gestaltenden Macht der Persönlichkeit fängt erst da an, wo jene aufhören; die Rechte sind nicht der Stoff , das Object, sondern die Voraus- setzung des wahren Wollens, nicht das Ziel, sondern das Mittel. Wäre das Wollen Zweck des Rechts, was sollten Rechte in Händen willenloser Personen? Sie würden hier ja ihren Zweck, ihre Bestimmung gänzlich verfehlen — eine Brille für einen Blinden! Wenn die Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit mit der Willens- fähigkeit zusammenfällt, wie verträgt es sich, daß alle Rechte der Welt (mir ist wenigstens keins bekannt, das es nicht gethan hätte) in den Kindern und Wahnsinnigen nicht bloß das rein Mensch- liche der Persönlichkeit: Leib und Leben anerkennen und schützen, sondern ihnen auch mit geringen Modificationen dieselbe Ver- mögensfähigkeit zugestehen, wie den willensfähigen Personen? Es ist eine leidige Ausflucht, die nicht Stich hält: das Gesetz respectire in ihnen die Möglichkeit künftiger Willensfähigkeit, Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. es schütze auch den Keim des Willens. Ganz abgesehen von den Fällen, wo diese Annahme auf eine reine Fiction hinaus- laufen würde, wie z. B. bei einem Kretin, einem unheilbar Wahnsinnigen, so würde jene Rücksicht auf den künftigen Eintritt der Willensfähigkeit zwar allenfalls den Schutz der nackten Per- sönlichkeit, nicht aber die Zulassung des Erwerbs concreter Ver- mögensrechte z. B. einer Erbschaft zu rechtfertigen vermögen, in der letzteren Beziehung dürfte vielmehr als äußerste Conces- sion nur die Vertagung des Erwerbs bis zur erlangten Fähigkeit eintreten können. Die einzige consequente Abweisung jenes Einwandes besteht in der Antwort: die Anerkennung von Rech- ten in den Händen willensunfähiger Personen sei lediglich Sache positiver Satzung, und in der That hat es einem neuern Rechts- philosophen nicht an dem Muth gefehlt, dieselbe zu ertheilen und damit zu constatiren, daß die Philosophie auf dem angege- benen Wege nicht dazu gelangen kann, die reale Welt zu be- greifen. Ad. Helfferich . Die Kategorien des Rechts S. 8: „Da, wo der Wille als solcher ruht, existirt kein wirkliches Recht .. und wenn das Gesetz den Rechtswillen (—?—) schon beim Kinde u. s. w. schützt, so geschieht es nicht, weil sie ein Recht darauf haben, sondern weil das Gesetz die Perso- nencapacität beliebig (—?—) bestimmen und abändern kann.“ Dahin also führt es, wenn man Recht und „Rechtswillen“ identificirt! Kinder, Wahn- finnige wären demnach eigentlich rechtlos, und wenn man sie nicht ungestraft tödten kann, was doch, wenn sie überall kein Recht , folglich auch nicht auf ihr Leben haben, erlaubt sein müßte, so beruht das bloß auf der Willkür des Gesetzgebers, der „ beliebig die Personencapacität bestimmt und abän- dert“! Nach Lassalle ist das ganze Erbrecht nichts als eine Uebertragung des Willens auf den Erben — höchst einleuchtend bei der Beerbung eines Wahnsinnigen durch ein Kind! Und doch, sollte man meinen, wäre dies so unendlich leicht. Nicht eines Künftigen, sondern eines Gegenwärtigen wegen haben jene Personen ihr Recht, nicht wegen willkürlicher Laune des Gesetzgebers, sondern in Anerkennung des Anspruchs, den jedes menschliche Wesen auf seiner Stirn trägt. Es ist ein großes Verdienst der Krauseschen Philosophie und Das Be- I. Substant. Moment des Rechts. — Willensformalismus. §. 60. dürfniß, das die thierische Natur des Menschen begründet, und dessen Befriedigung in der gesicherten Form des Rechts einer der ersten Zwecke aller fubjectiven Rechte ist, dies Bedürfniß ist bei jenen Personen in nicht minderem Grade vorhanden, als bei allen andern, und je weniger ihnen selber die Fähigkeit zusteht für die Befriedigung desselben Sorge zu tragen, um so mehr ist dies Aufgabe des Staats. Jene philosophischen Rechtsträger, deren Dasein erst mit dem Eintritt des Willensvermögens be- ginnt, sind freilich so glücklich disponirt, daß sie das Organ, mit dem der natürliche Mensch sich zuerst mit den Dingen der Außenwelt in Rapport setzt: den Magen, überall nicht besitzen, aber sie leben eben auch nicht, Denn wenn er keinen Magen hat Wie soll der Edle leben? Daß die Bedürfnisse und Interessen dieser Personen nicht auf das rein Thierische beschränkt sind, daß das Vermögen vielmehr auch bei ihnen einer Verwendung für höhere Zwecke (z. B. Er- ziehung) fähig ist, wird nicht erst der Bemerkung bedürfen. Daß die Verwendung desselben nicht durch sie erfolgt, ist gleichgül- Schule ( Ahrens, Röder ), diese Seite des Rechtsbegriffs, die ich im Fol- genden als das substantielle Moment desselben bezeichnen und weiter aus- führen werde, richtig erkannt zu haben, wogegen sie freilich die formale Seite desselben (§. 61) viel zu wenig betont. Uebrigens liegt jene Seite zu nahe, als daß sie sich der unbefangenen Betrachtung je hätte entziehen können, und schon Leibnitz (ich bin gezwungen, dies Ahrens nachzusprechen) hat sie her- vorgehoben. Stahl in seiner Rechtsphilosophie hat sich zwar von dem obigen Willensformalismus frei gehalteu, allein über einzelne Aeußerungen, die sich in dem entgegengesetzten Sinn deuten lassen, geht es bei ihm nicht hinaus, s. z. B. Aufl. 2. B. 2. S. 219: „Auch ist das Recht im subjec- tiven Sinn nicht sowohl Wille, sondern vielmehr Macht, die ein Wille (rich- tiger eine Persönlichkeit ) über andere Willen hat“ S. 221. Nur rück- sichtlich des Vermögensrechts hebt er S. 282 die Befriedigung des Bedürf- nisses als bildenden Trieb desselben hervor, ohne aber die darin gelegenen Consequenzen weder an dieser, noch späterer Stelle weiter zu verfolgen. Was er S. 283 über das römische Recht sagt, zeugt nicht von einer Beherr- schung der hier einschlagenden Begriffe. Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. tig; genug sie erfolgt für sie. Dieser letztere Umstand ist der entscheidende. Nach der obigen Ansicht, welche alles Gewicht auf das „Durch“ legt und die Bedeutung des „Für“ übersieht, würde der Vormund der Berechtigte sein, denn er nimmt die Dispositionen über das Vermögen vor, ihm allein kömmt der ideale Genuß zu gute, in den diese Ansicht den Zweck der Rechte setzt: der Hochgenuß, einen Willensakt vorzunehmen. Er sei ihm gern gegönnt, wenn nur der reale Nutzen dem Mün- del zu Theil wird! Berechtigt ist nicht, wer das Wollen , son- dern den Genuß beanspruchen kann. Ersteres läßt sich zur Noth auf einen Andern übertragen oder lahm legen, letzteres nicht, ohne daß das Recht selber in gleicher Weise dadurch betroffen wird. Subject des Rechts ist der, dem der Nutzen desselben zugedacht ist (der Destinatär ); der Schutz des Rechts hat keinen andern Zweck, als die Zuwendung dieses Nutzens an ihn zu sichern. Welche Rolle der Wille dabei spielt, werden wir unten nachweisen. Handelte es sich bei der obigen Ansicht lediglich um einen Mißgriff in der philosophischen Formulirung des Rechtsbegriffs, ich würde denselben, nachdem ich ihn, wie ich glaube, als sol- chen erwiesen habe, nicht weiter verfolgen. Aber in Wirklich- keit handelt es sich dabei um einen Gegensatz in der Auf- fassung von ganz fundamentaler Art, — um einen Irrthum, der die richtige praktische Erkenntniß des Rechts in bedenklichster Weise erschwert und trübt. Es ist hier nicht der Ort, dies aus- führlicher zu begründen — es würde zu dem Zweck eine histo- rische, weil in die Geschichte der Jurisprudenz und der Rechts- philosophie zurückgreifende Abhandlung über das durch die Idee des abstracten Willens im Recht angestiftete Unheil nöthig sein — aber das folgende Beispiel wird, wie ich hoffe, das obige Urtheil vollkommen bestätigen. Ein anderes Beispiel liefert die juristische Person. Die unnatürliche Auffassung derselben, welche das Recht der einzelnen Mitglieder (der Destina- I. Substant. Moment des Rechts. — Willensformalismus. §. 60. Liegt der Endzweck des Rechts im Wollen , so müssen alle Vereinbarungen, welche nichts Unsittliches oder Unerlaubtes enthalten, rechtlich verbindende Kraft haben, und in der That ist ja das Dogma von der abstract verpflichtenden Kraft der Ver- träge von Juristen und Rechtsphilosophen oft genug aufgestellt. Ein Vertrag also, der dem einen Theil eine Beschränkung auf- erlegt, ohne dem andern den geringsten Nutzen zu gewähren, z. B. der, daß er sein Grundstück nicht veräußern, daß er einen gewissen Beruf nicht ergreifen dürfe, würde demgemäß vollkom- men gültig sein. Daran würde selbst der Umstand, daß der Promissar nicht das leiseste Interesse an der Innehaltung des Vertrages anzugeben vermöchte, nicht das Geringste ändern. Wozu ein solches Interesse? Der Zweck des Rechts besteht ja einmal in der Willensmacht, der Herrschaft, und eine Herr- schaft über den fremden Willen übe ich aus, wenn ich ihn zu Unterlassungen und Handlungen zwingen darf, einerlei ob die- selben ein Interesse für mich haben oder nicht — jener spiri- tualistische Rechtsgenuß, bei dem die Willenstheorie es bewen- den läßt: die Freude an der reinen Macht als solcher, die Sa- tisfaction, seinen Willen durchzusetzen, wird in beiden Fällen in gleicher Weise gewährt. Wohin dies im Verkehr führen muß, leuchtet ein. Unge- hemmt und unbeschränkt kann die Saat der Unfreiheit ausge- streut werden, kann das Unkraut drückender, für den Verkehr wie für das berechtigte Individuum völlig werthloser Beschrän- kungen wuchern; unter der falschen Freiheit geht die wahre zu Grunde, und der Wille gräbt sich sein eigenes Grab. Ein sol- cher Willensformalismus, der im Mittelalter in dem Princip täre), derentwegen die juristische Persönlichkeit allein ins Leben gerufen ist, übersieht und diese Willensmaschinerie zum Subject der Rechte erhebt, wurzelt lediglich in dem obigen Willensformalismus. Wer sich über die Bedeutung des Verhältnisses der Frage: durch wen? und für wen? klar ist, wird es auch über die Bedeutung der juristischen Person sein. Ich werde im §. 61 darauf zurückkommen. Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. der schlechthin verbindlichen Kraft promissorischer Eide einen verschärften Ausdruck fand, war dem römischen Recht zu allen Zeiten völlig fremd. In sorgsamster Weise war dasselbe be- dacht, dieser Selbstvernichtung der Freiheit vorzubeugen (§. 33), und den Grund dazu legte es in der Gestaltung des Rechtsbe- griffs. Die Rechte sind nicht dazu da, um die Idee des ab- stracten „Rechtswillens“ zu verwirklichen, sondern um den In- teressen, Bedürfnissen, Zwecken des Verkehrs zu dienen. In diesem Zweck finden sie, findet der Wille sein Maß und Ziel. Verträge, die mit diesem Maßstab gemessen des Interesses ent- behren, sind nichtig, aus ihnen entsteht weder eine Servitut, Der Grundsatz und Beispiele in L. 15 de servit. (8. 1). noch eine Obligation Beispiele in L. 61 de pact. (2. 14). Nur eine Ausnahme lassen die römischen Juristen zu, die aber gerade von einem ungemein feinen Takt zeugt. Der Eigenthümer kann als solcher in der Verwendung der Sache sich durch rein individuelle Launen leiten lassen, und dasselbe verstattete man ihm bei Veräußerung der Sache rücksichtlich der Auflagen, die er dem Käufer zu machen für gut findet, gleich als ob es sich hier um Zurückbehaltung von unnützen Eigenthumsbestandtheilen handle. Für Servituten spricht diesen Grundsatz aus L. 19 de serv. (8. 1), .. quem quis vendat , für Verträge die L. 11 de relig. (11. 7) .. venierit und L. ult. Cod. de pact. int. emt. (4. 54) .. in venditionis vel alienationis contractu, wo- mit der scheinbare Widerspruch mit L. 61 cit. verschwindet. ; die Rechte gewähren nichts Unnützes, der Nutzen , nicht der Wille ist die Substanz des Rechts. Doch dies führt uns bereits auf den positiven Theil unserer Aufgabe. Es wird verstattet sein, den negativen in den Satz zusammenzufassen: der Wille ist nicht der Zweck und die bewegende Kraft der Rechte; der Willens- und Machtbegriff ist nicht im Stande, das praktische Verständniß der Rechte zu erschließen. Zwei Momente sind es, die den Begriff des Rechts consti- tuiren, ein substantielles , in dem der praktische Zweck des- I. Substant. Moment des Rechts. — Gut, Werth u. s. w. §. 60. selben liegt, nämlich der Nutzen, Vortheil, Gewinn, der durch das Recht gewährleistet werden soll, und ein formales , wel- ches sich zu jenem Zweck bloß als Mittel verhält, nämlich der Rechts schutz , die Klage . Ersteres ist der Kern, letzteres die schützende Schale des Rechts. Jenes für sich allein begründet lediglich einen thatsächlichen Zustand des Nutzens oder Genusses ( faktisches Interesse ), der jeder Zeit ohne weitere Folgen von Jedem, der dazu thatsächlich in der Lage ist, aufgehoben werden kann. L. 26 de damno inf. (39. 2) non videri damnum facere (d. i. einen Schaden im Sinn des Rechts zu erleiden ) qui eo veluti lucro, quo adhuc utebatur, prohibetur. Den Charakter der Zufälligkeit, Hinfällig- keit verliert dieser Zustand erst dadurch, daß das Gesetz ihn un- ter seinen Schutz nimmt, der Genuß oder die Aussicht auf den- selben wird dadurch ein gesicherter: ein Recht . Der Begriff des Rechts beruht also auf der rechtlichen Sicherheit des Ge- nusses , Rechte sind rechtlich geschützte Interessen . Das erste Moment, dem wir zunächst unsere Aufmerksamkeit zuwenden, stellt sich dar in folgender Vorstellungsreihe: Nu- tzen, Gut, Werth, Genuß, Interesse . Der Maßstab, nach dem das Recht diese Begriffe bemißt, ist keineswegs aus- schließlich der ökonomische: Geld und Geldeswerth; das Ver- mögen ist nicht das Einzige, das dem Menschen gesichert wer- den muß, über demselben stehen noch höhere Güter ethischer Art: die Persönlichkeit, Freiheit, Ehre, die Familienverbindung, ohne welche die äußerlichen, sichtbaren Güter gar keinen Werth haben würden. Jedes Recht des Privatrechts ist dazu da, daß es dem Men- schen irgend einen Vortheil gewähre, seine Bedürfnisse befrie- dige, seine Interessen, Zwecke fördere. Von jedem Recht ist also der Mensch der Destinatär , L. 28 §. 1 de usur. (22. 1) .. omnes fructus natura hominum causa comparavit. §. 12 I. de J. N. (1. 2). ob auch das Sub- Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. ject , hängt davon ab, wie man sich das Verhältniß bei der juristischen Person denkt (S. oben S. 209—213 u. §. 61). Der angegebene Zweck trifft bei sämmtlichen Rechten zu, mögen sie dem Vermögen- oder dem Personenrecht angehören, alle sollen mich fördern, mir einen Dienst, Nutzen, Vortheil Für das Vermögen heben die römischen Juristen dies Zweckmoment ( commodum, emolumentum Gaj. II, 255, L. 75 de J. D. 23. 3) ausdrücklich hervor: bona, quod beant .. beare est prodesse L. 49 de V. S. (50. 16) L. 83 ibid.: proprie (d. h. im ökonomischen Sinn) bona dici non possunt, quae plus incommodi quam commodi habent. Ahrens macht mit Recht auch auf den Ausspruch von Ulpian in L. 1 §. 2 de J. et J. (1. 1) aufmerksam: privatum, quod ad singulorum utilitatem spectat, sunt enim quaedam publice utilia , quaedam privatim. S. auch L. 11 ibid. gewähren, die Freiheit so gut wie das Eigenthum, die Ehe so gut wie die Forderung — „es gibt kein zweck- und nutzloses Recht; Wohl und Recht sind keine Gegensätze, sondern in noth- wendiger Beziehung zu einander“ ( Ahrens ). Ein Ding, das uns diesen Dienst zu leisten vermag, nennen wir ein Gut , die Römer beschränken den Ausdruck bekanntlich auf das Gut im ökonomischen Sinn: die Glücks güter ( bona ). Demnach bildet ein Gut den Inhalt eines jeden Rechts — eine Definition des Rechts, die nicht von dem Begriff des Guts im weitern Sinn ausgeht, ist verfehlt. An den Begriff des Guts reiht sich der des Werths und Interesses an. Der Werthbegriff enthält den Maßstab zur Bestimmung der Tauglichkeit des Guts, der Interessenbegriff erfaßt diese Wertheigenschaft in besonderer Beziehung auf die Zwecke und Verhältnisse des Subjects. Ein Recht, das an sich einen Werth hat, kann für dieses Subject ohne Interesse sein, z. B. eine Aussichtsgerechtigkeit für einen Blinden, die Berech- tigung zum Besuch eines Concerts für einen Tauben. Beide Begriffe sind wie der des Guts nicht auf das Vermögen be- I. Substant. Moment des Rechts. — Gut, Werth u. s. w. §. 60. schränkt, S. z. B. L. 14 §. 1 de serv. corr. (11. 3) .. interest nostra auimum liberorum nostrorum non corrumpi. L. 54 Mand. (17. 1) .. affectus ratione mandati agetur (auf Freilassung des Sklaven). L. 7 de ann. (33. 1) .. interest illius (auf Errichtung eines Monuments) L. 71 pr. de cond. (35. 1) interesse heredis credendum est (auf Sicherstellung der Subsistenz eines Verwandten) L. 71 de evict. (21. 2) i. f. L. 5 §. 5 de his qui (9. 3). nur hat der des Werths allerdings außerhalb die- ser Sphäre kein praktisches Interesse, denn das praktische In- teresse desselben besteht in der Möglichkeit, seine Abstufungen in Geld auszudrücken, dieser Werthmaßstab des Geldes ist aber nur anwendbar bei den Dingen, die für Geld zu haben sind — die Freiheit, das Leben, die Ehre sind inästimabel, Libertas inaestimabilis res est, L. 106 de R. J. (50. 17); L. 9 §. 2 de statul. (40. 7): libertas pecunia lui non potest. L. 3 si quadr. (9. 1) liberum corpus aestimationem non recipit. was aber das römische Recht nicht abgehalten hat, bei einer Verletzung dieser Güter das Geld als Strafmittel öfters zur Anwen- dung zu bringen. Act. injuriarum aestimatoria und die verschiedenen Strafklagen wegen Beschädigung oder Tödtung durch Menschen oder Thiere. Das Geld also ist der ökonomische Werth- und Interessen- maßstab. Denn das Geld ist die Form, in die mittelst der Operation des Kaufs alle Werthobjecte sich auflösen, und aus der sie sich wieder herstellen lassen — die Ursubstanz, in der sie alle enthalten sind. Was käuflich ist, ist schätzbar d. i. auf Geld reducirbar ( aes-timare ), was der Verkehr schätzt (bezahlt), kann auch der Richter schätzen (taxiren). Aber nicht Alles findet innerhalb des Vermögens sein Aequivalent in Geld, gewisse Gegenstände, selbst wenn sie um Geld erworben wurden, sind uns doch wegen des persönlichen Bandes, das die Gewohnheit oder die Pietät zwischen ihnen und uns gesponnen, für Geld nicht feil, es ist nicht bloß das Werthobject, der Geldwerth, was wir in ihnen schätzen, sondern das Concrete dieser bestimmten Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. Species, dieses Sachindividuum mit dieser seiner Vergangen- heit. Beispiele in L. 36 de bon. lib. (38. 2) praedia, in quibus ma- jorum sepulcra … mancipium, quod non pretio, sed affectu aestimandum. Berücksichtigung dieses Interesses im Recht: actiones arbi- trariae zum Zweck der Erlangung der bestimmten Sache statt des Geldwer- thes — Verbot der Veräußerung der Mündelgüter des bloßen Vortheils we- gen — L. 36 cit. Wie verschieden sich nun auch bei den einzelnen Rechten das Interesse bestimme, so enthält doch jedes in Thesi zugelassene Recht den Ausdruck eines vom Gesetzgeber nach dem Stand- punkt seiner Zeit für schutzfähig und für schutzbedürftig aner- kannten Interesses. Mit den Interessen wechseln daher auch die Rechte, zwischen beiden findet bis zu einem gewissen Grade ein historischer Parallelismus Statt — nicht schlechthin, weil manche Interessen ihrer Natur nach dem mechanischen Zwange des Rechts widerstreben. Für die scurrilen Witze, welche das Mittelalter in die Form von Rechten zu kleiden pflegte, fehlt uns heutzu- tage der Sinn, unser Interessenmaßstab im Recht ist ein strenge- rer geworden, obschon in dieser Beziehung immer noch genug zu thun übrig bleibt. So z. B. sollten die Klagen aus Spiel und Wetten völlig aufge- hoben werden; für den Verkehr haben diese Verträge gar kein Interesse, das gesellige Leben gehört nicht vor das Gericht, wer spielt und wettet, möge zu- sehen, mit wem er es thut. Der einzige Grund, der sich für ihre Klagbarkeit anführen läßt, ist das obige (S. 315) Dogma von der abstract verbindenden Kraft der Berträge — damit könnte man aber auch eine Klage auf den ersten Walzer begründen! Das römische Recht hat, wie bereits oben S. 316 bemerkt, diesen Gesichtspunkt des Interesses klar ausgesprochen und consequent durchgeführt, mit der Form des Rechts: der Klage ist es von jeher sehr sparsam gewesen und hat aus gutem Grunde in dieser Beziehung eher zu wenig, als zu viel gethan. Die Rechtsformen, die es aufstellt, entsprechen sämmtlich einem ernsten Zweck des Verkehrs oder einem gerecht- I. Substant. Moment des Rechts. — Interessenmaßstab. §. 60. fertigten ethischen Interesse, für Scherze, Späße, individuelle Launen und Liebhabereien bieten sie keinen Raum. Daß auch in Rom der Interessenmaßstab mit der wirth- schaftlichen, geistigen und socialen Entwicklung des Volks sich veränderte, davon legt die Rechtsgeschichte vielfach Zeugniß ab. Es möge genügen, hier ein Beispiel anzuführen, die übrigen will ich dem dritten System vorbehalten. Dasselbe betrifft die Entwicklung des Rechts der Prädialservituten; in ihr prägt sich der Fortschritt der Interessen in anschaulichster Weise aus. Die- selbe beginnt mit denjenigen Servituten, welche bereits auf der niedersten Stufe der Landwirthschaft ein Interesse haben: den Weg- und Wassergerechtigkeiten. Daß sie die ältesten Arten waren, geht daraus hervor, daß sie allein zu den res mancipi gehören. Für sie hatte der altrömi- sche Bauer ein Verständniß; den Werth einer durch eine servi- tus ne prospectui officiatur gesicherten schönen Aussicht dürfte er schwerlich hoch angeschlagen haben! Der Fortschritt der Land- wirthschaft und die Veränderung in den Verhältnissen des Wei- delandes ( ager publicus ) brachte sodann die übrigen Rustical- servituten, die Entwicklung des städtischen Lebens, das gedrängte Wohnen, der Aufschwung der Baukunst, der Luxus und die Verfeinerung des Geschmacks die Urbanalservituten zum Vor- schein. Dieser allmählige Fortschritt ist in der Art, wie die römischen Ju- risten sich über einzelne dieser Servituten äußern, noch deutlich zu erkennen, man vergleiche z. B. L. 7 de Serv. (8. 1) L. 3 de S. P. U. (8. 2) L. 1 §. 1, L. 3 pr., L. 6 §. 1, L. 9 de S. P. R. (8. 3) L. 2 Comm. praed. (8. 4). Charakteristisch für die Auffassung zu Justinians Zeit ist es, daß in den Pandekten die Urbanalservituten vor den Rusticalservituten behandelt wer- den — zugleich ein schlagender Beleg dafür, wie wenig die Reihenfolge, in der Justinians Compilatoren gewisse Materien behandeln, mit Hugo zu Schlüssen auf die historische Priorität berechtigt. Letztere verdanken ihren Ursprung nicht einer Er- weiterung des juristischen Denkens, des geistigen Blicks, sondern dem Drang der Interessen und Bedürfnisse, ihre Zulassung war eine vom Leben der Jurisprudenz abgenöthigte Concession, das Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 21 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. Zugeständniß, daß auch die Annehmlichkeit und Behaglichkeit des Wohnens ein des Rechtsschutzes würdiges Interesse sei, daß der Maßstab des unmittelbar Nützlichen, mit dem die alte Zeit die Servituten gemessen ( „servitus fundo utilis esse debet“ ) für die neuere Zeit sich als zu eng erwiesen habe. Auch für die Rusticalservituten erweiterte er sich in derselben Rich- tung, s. z. B. L. 3 pr. de aqua (43. 20) .. amoenitatis causa aqua duci potest. L. 3 pr. de S. P. R. (8. 3). Nachdem wir jetzt die Bedeutung des Interesses für das Recht in Thesi entwickelt haben, würde sich daran die Frage reihen müssen: ob dasselbe Verhältniß, welches zwischen beiden Begriffen in abstracto gilt, nämlich daß das Interesse der Zweck und die Voraussetzung des Rechts bildet, sich auch in Hypo- thesi wiederholen müsse, z. B. die bestellte Weggerechtigkeit nur dann zu Recht bestehe, wenn sie für den Berechtigten von nach- weisbarem Interesse sei. Es scheint mir jedoch passender, diese Frage zunächst auszusetzen, um vorläufig in der Entwicklung des Rechtsbegriffs weiter fortzufahren. Die Thatsache, daß das Recht dem Berechtigten die ihm zu- gedachten Dienste wirklich erweist, bezeichnen wir als Genuß des Rechts. Der Begriff der Ausübung des Rechts ist ein weiterer, er umfaßt nämlich alles das, was der Berechtigte ver- möge des Rechts vornehmen darf, dazu gehört aber außer dem Genuß auch die Behauptung und Verfolgung des Rechts im Fall seiner Verletzung. Der Genuß nimmt nach Verschiedenheit der Sache ver- schiedene Formen an, bald ist er mit dem Rechte selber, so lange es nicht verletzt ist, von selbst gegeben (z. B. Freiheit, Ehre, negative Servituten), bald setzt er ein Handeln des Berechtigten voraus, bald ist die Art desselben ganz genau vorgeschrieben und eng begränzt, bald ist dem Ermessen des Berechtigten in dieser Beziehung der weiteste Spielraum geöffnet. Dieser letztere Ge- gensatz bedarf der näheren Ausführung; ein praktisches Interesse I. Substant. Moment des Rechts. — Der Genuß. §. 60. hat er nur für das Vermögensrecht, auf das wir uns daher im Folgenden beschränken werden. Die Genußmöglichkeit, welche mir die Sache in factischer, das Eigenthum an derselben in rechtlicher Beziehung gewährt, besteht je nach Art der Sache bald lediglich in der bloßen Be- nutzung (dem uti und, wenn dieselbe eine fruchtbringende ist, dem frui ), bald lediglich in der Consumtion der Sache ( res quae usu consumuntur ), bald in beiden zusammen. Zu dieser Form des vom Eigenthümer in eigner Person vorgenommenen realen oder unmittelbaren Genusses gesellen sich noch zwei andere, bei denen der Eigenthümer den realen Genuß auf einen Andern überträgt, um dafür einen andern einzutauschen, ( ideale oder juristische Genußformen ) nämlich: 1. der Genuß des Werthes , und zwar a. der Sache , indem in Form des Vertrages ein anderes Gut für sie eingetauscht wird, sei es Geld (Kaufcon- tract), eine andere Sache (Tauschcontract im engern Sinn), oder persönliche Leistungen (Kategorie: do, ut facias der Innominatcontracte), b. des Gebrauchs , indem das uti oder frui gegen Geld ( locatio conductio, Mieth- und Pachtcontract, Super- ficies, Emphyteusis) oder sonstige Leistungen (z. B. Antichrese) zeitweise oder auf immer überlassen wird. Der im Text geltend gemachte Gesichtspunkt ist von den römischen Juristen klar erkannt, s. z. B. L. 12 §. 2 de usufr. (7. 1) .. nam et qui locat, utitur et qui vendit. L. 39 ibid. Qui pretio utitur, non minus ha- bere intelligitur, quam qui principali re utitur fruitur. L. 35 §. 1 ibid. L. 22 de her. pet. (5. 3) .. in locum hereditariae rei pretium ejus suc- cessisse. 2. die unentgeltliche Dahingabe an Individuen oder gemeinnützige Zwecke a. der Sache , in Form der Schenkung, Pollicitatio, Stif- tung, letztwilliger Zuwendungen, 21* Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. b. der Nutzungen , in Form des Commodats, Prekari- ums oder der schenkweisen Bestellung des Usus oder Ususfructus. Auch die letztere Art der Verwendung schließt einen Genuß in sich, Die römischen Juristen haben dies wiederum richtig erkannt, s. z. B. L. 12 §. 2 de usufr. cit. .. Sed et si alii precario concedat vel donet, puto eum uti. L. 54 §. 1 de furt (47. 2) .. nec movere quem de- bet quasi nihil lucri sui gratia facit (der Dieb, welcher stiehlt, um einem Andern zu schenken). Species enim lucri est ex alieno largiri et bene- ficii debitorem sibi acquirere . So auch Seneca de benef. I. c. 6. Quid est ergo beneficium? Benevola actio, tribuens gaudium capiensque tribuendo. während die rein negative Entäußerung der Sache (De- reliction) oder die Nichtausübung eines zustehenden Gebrauchs- rechts ( non-usus ) ein Verschmähen desselben enthält. Je nach Verschiedenheit der Verhältnisse, Zwecke, Lagen hat nun das Recht die Wahl dieser verschiedenen Genußformen mehr oder weniger beschränkt oder gänzlich offen gelassen. Dem voll- jährigen Eigenthümer stehen sämmtliche zu Gebote, nur in eini- gen Ausnahmsfällen ist ihm mit Rücksicht auf die einer andern Person eingeräumte Expectanz auf die Sache die unter 1 a verschlossen, so z. B. beim Dotalgrundstück, Familienfideicom- miß, ohne daß die römischen Juristen darin eine Alterirung des Eigenthumsbegriffs erblickt hätten. Beim minderjährigen Ei- genthümer ist diese Form an die Genehmigung der obervormund- schaftlichen Behörde geknüpft, dagegen die Form unter 2 a völ- lig verboten. Beim gewöhnlichen Rentenlegat steht dem Lega- tar wie bei jedem andern die freieste Transactionsbefugniß zu, dagegen beim Alimentenlegat ist er an die vom Testator ange- ordnete Genußform gebunden, wenigstens ist eine wesentliche Alterirung derselben, z. B. mittelst Zahlung einer einmaligen Abfindungssumme durch die Mitwirkung der Obrigkeit bedingt. Den äußersten Gegensatz zu dem unbeschränkten, sämmtliche Genußformen in sich vereinigenden Eigenthum bildet das Recht I. Substant. Moment des Rechts. — Genußformen. §. 60. des Gemeingebrauchs ( usus publicus ) an den öffentlichen Sa- chen. Daß es ein Recht ist, ebenso wie das im Text erwähnte Recht an res religiosae, darüber s. §. 61. Dasselbe ist beschränkt auf das reale uti in eigner Per- son. Von dieser niedersten Stufe der Genußmöglichkeit bis zu der höchsten Spitze: dem freien Eigenthum baut sich eine Scala von Abstufungen auf, bei denen bald die eine, bald die andere der obigen Formen fehlt. Die Benutzung der res religiosae ist gleich der der res publicae ausschließlich auf den Gebrauch be- schränkt, für den sie bestimmt sind, L. 12 §. 1 de relig. (11. 7) .. ne sepulcrum aliae conversatio- nis usum accipiat. aber es gesellt sich die Möglichkeit der Ueberlassung des Gebrauchs an Andere hinzu, wohl bemerkt nur des unentgeltlichen — aus res reli- giosae soll kein Geld gemacht werden. L. 2, L. 9 Cod. de relig. (3. 44) L. 14 Cod. de leg. (6. 37). In den jura in re steigert sich die Verwendungsmöglichkeit von dem uti zum frui bis zum consumere , d. h. von der niedersten Form des eignen realen Gebrauchs (Prädialservituten und persönliche Servitut des usus und der habitatio ) zu der Wahlfreiheit im Gebrauch ( usus fructus ) bis zum Recht der Consumtion, der realen im Quasi-ususfructus, der juristischen oder ökonomischen im Pfand- recht. Diese Abstufung der Genußformen, möge sie die Form be- sonderer Rechte annehmen oder, wie beim Eigenthum, innerhalb eines und desselben Rechts Platz greifen, diese Abstufung also bezeichnet einen großen Theil dessen, was man unter dem Be- griff der Dispositionsbefugniß zu verstehen pflegt. Der Angelpunkt, um den die Dispositionsbefugniß sich bewegt, ist, wenn wir von dem wenig wichtigen Fall der Dereliction absehen, die Wahl der Modalität des Genusses . Alle Rechts- geschäfte, die der Eigenthümer abschließt, sind Akte, durch die er genießt : er möge verkaufen, vertauschen, verschenken, verpach- Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. ten, vermiethen oder jura in re bestellen. Auch bei der Ver- pfändung genießt er, nämlich einen Theil des Werths oder den ganzen Werth der Sache, nur daß er sich die Einlösung vorbe- hält. Verkauf mit dem Recht des Wiederkaufs — nicht der Sache (wie bei der pfandrechtlichen Fiducia, wo Werth und Sache sich noch nicht ge- trennt hatten, ersterer nur in und mit letzterer zu realisiren war), sondern des Werths . Freiheit der Disposition ist demnach Frei- heit in der Wahl der Genußformen , Beschränkung jener Beschränkung dieser . Damit erschließt sich für den Willens- oder Machtbegriff innerhalb des Rechts Ich sage ausdrücklich: innerhalb ; die hohe Bedeutung, die der Wille für den Erwerb des Rechts hat, steht hier überall noch nicht zur Frage. ein inhaltsreicher, fruchtbarer Gesichtspunkt. Indem der Wille sich an das sub- stantielle Element des Rechts: an den Genuß anschmiegt, erhält er statt der öden, dürftigen ihm zugedachten Rolle, den Gedan- ken der Herrschaft oder Macht zu repräsentiren, die dankbare Aufgabe, überall da, wo nicht das Gesetz die Richtung und die Art und Weise, in der das Recht dem Subject dienstbar werden soll, unabänderlich festgesetzt hat, diese Direction selber zu be- stimmen, die Verwendung des Rechts den Bedürfnissen und Zwecken dieses bestimmten Subjects individuell anzupassen. Daß damit die Thätigkeit des Willens selbst innerhalb des Rechts nicht erschöpft ist, braucht nicht gesagt zu werden. Aber was ihm außerdem noch erübrigt: die Verschmähung des Rechts und die Behauptung desselben im Fall seiner Verletzung, tritt an innerer Bedeutung hinter der obigen Aufgabe weit zurück. Der Genuß ist Selbstzweck des Rechts, die Verfechtung des- selben nur Mittel zum Zweck, der Verschmähung wegen aber ist kein Recht gegeben, die Befugniß dazu könnte sogar entzogen sein, ohne daß damit der Begriff des Rechts alterirt würde (z. B. bei der Freiheit, bei dem Recht des Gemeingebrauchs), aber was dem Recht nie fehlen kann, ist der Genuß — Genuß II. Formales Moment des Rechts. §. 61. ohne Disposition bildet immer noch ein Recht, Disposition ohne Genuß nicht ! Um diesen Begriff dreht sich das ganze Leben und Dasein des Rechts, an diesen Mittelpunkt hat daher auch der Wille sich anzulehnen, wenn er zum Zweck des Ganzen mitwirken will. Was er einbüßt, in- dem er von der Höhe, auf die ihn die philosophische Formel gehoben hat, herabsteigt, gewinnt er doppelt, indem er einen praktischen Antheil an der Bewegung des Rechts erhält. Möge man dann immerhin das Recht in seiner Totalität als Macht bezeichnen, — wenn man sich nur bewußt bleibt, daß die Macht nicht der Zweck des Rechts, sondern nur die Form ist, in der das Recht seinen Zweck zu erreichen hat. 2. Das formale Moment des Rechts. Der Selbstschutz der Interessen oder die Klage — die Gränze die- ses Schutzes — Klagmechanismus und Recht der Destinatäre im Verhältniß der Corporationen und Stiftungen — Rechtsver- hältnisse an res religiosae und publicae (Recht des Gemein- gebrauchs) — Gegensatz des Individual- und Gemeinrechts — der Besitz und die bonae fidei possessio. LXI. Das zweite Moment des Rechts ist der rechtliche Schutz — Rechte sind rechtlich geschützte Interessen, Recht ist die rechtliche Sicherheit des Genusses. Nicht alle Interessen bedürfen des rechtlichen Schutzes, nicht alle sind desselben fähig . Dies übersieht die Krausesche rechtsphilosophische Schule (Note 441). Und ferner: nicht jedes Ge- setz, welches mein Interesse schützt, erzeugt für mich ein Recht. Das Gesetz, welches im Interesse gewisser Fabrikationszweige Schutzzölle einführt, kommt den Fabrikanten zu gute , es schützt sie , und dennoch gewährt es ihnen keine Rechte . Wie verträgt sich dies? Es liegt hier nur eine rechtliche Re- Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. flexwirkung vor (§. 63), ein Verhältniß, das allerdings mit dem Recht die größte Aehnlichkeit hat, aber um so sorgfäl- tiger von ihm geschieden werden muß. Der Staat erläßt das Gesetz in Wirklichkeit in seinem Interesse, welches hier freilich mit dem der Fabrikanten ebenso Hand in Hand geht, wie bei dem Legat, wodurch Jemand seiner Nichte für den Fall ihrer Verheirathung eine Dos legirt, das der Legatarin und das ihres Mannes. Sowenig wie letzterer einen rechtlichen An- spruch auf Auszahlung des Legats erhält, ebensowenig die Fa- brikanten auf Vollzug des Schutzzollgesetzes, die Anwendung desselben ist von ihrem Wollen oder Nichtwollen völlig unab- hängig, lediglich Sache der betreffenden Behörden. Ganz das- selbe gilt für die Polizei- und Criminalgesetze. Demnach kömmt zur Vervollständigung unseres Begriffs — ich halte es für nöthig daran zu erinnern, daß ich hier bloß von Privatrechten spreche — noch das Moment hinzu, daß dem Berechtigten selber der Schutz seines Interesses anvertraut ist, daß er rücksichtlich dieses Schutzes nicht von der Gnade eines Andern abhängig ist, sondern selber die Initiative ergreifen kann. Diese Initiative ist nach römischem Recht die Klage , d. h. die Anrufung des zur Gewährung dieses Schutzes ver- pflichteten Civilrichters . Sonach läßt sich also das Recht definiren als Selbstschutz des Interesses . Ob dieser Schutz in eigner Person oder durch Stellvertreter, zu denen für handlungsunfähige Personen auch die Vormünder gehören, ausgeübt wird, verschlägt nichts, denn immer wird hier die Klage erhoben im Namen des Berechtigten, und der Erfolg derselben kömmt ihm zu gute. Die Klage also ist das Kriterium der Privatrechte. Wo die Klage anfängt unausführbar zu werden, hört die Möglichkeit des civilrechtlichen Schutzes der Interessen auf, wird deren Schutz Sache der Verwaltung , unausführbar aber wird sie bei dem Punkt, wo die Bedingungen, an deren Dasein die Möglichkeit richterlicher Entscheidung geknüpft ist: die ge- II. Formales Moment des Rechts. — Gränze des Klagschutzes. §. 61. naue Begränzung der Klage nach Person, Gegenstand, Vor- aussetzungen und Wirkungen, beziehungsweise die Möglichkeit des civilprocessualischen Beweises dieser Momente, hinwegfal- len. Seneca de benef. III. 7 .. omnia fora vix sufficient. Quis erit, qui non agat, quis, cum quo non agatur? .. Quaecunque in cognitionem cadunt, comprehendi possunt et non dare infinitam licentiam judici. Der Civilrichter kann nur diejenigen Interessen schü- tzen, welche die Gestalt fester Körper an sich tragen; wo sie diese Form abstreifen und in den luftförmigen Zustand über- gehen, sich ins völlig Unbestimmte verlieren, hört seine Macht auf — man kann Wolken nicht in einen Sack oder eine Kapsel fangen, — der Richter aber muß die Sache fassen und greifen können, um sie mit Sicherheit zu beurtheilen, es gilt für ihn dasselbe, was Cicero (B. 2 S. 348) von den Gesetzen sagt: tollunt astutias, quatenus manu tenere possunt. Den vorgeschobensten Punkt, bis zu dem der Schutz der Interessen in Form der Klage sich im römischen Recht erstreckt, bezeichnen die actiones populares (B. 1 S. 186 fg.). Die In- teressen, um die es sich bei ihnen handelt, verlieren sich in der That ins Unbestimmte, Allgemeine, es sind die der Gemeinschaft des Publikums; die Handlungen, gegen welche sie Schutz ge- währen sollen, sind gemeingefährlicher Art . Nicht überall aber, wo es derartige Interessen gilt, findet eine actio popula- ris Statt, m. a. W. die letztere Klage ist kein Princip (Idee des rechtlichen Schutzes allgemeiner Interessen), sondern sie ist beschränkt auf diejenigen Fälle, wo das positive Recht sie aufge- stellt und nach Voraussetzungen und Wirkungen so genau fixirt hat, daß damit die praktische Durchführbarkeit der Klage ermög- licht und gesichert ist. Ein interessantes Beispiel s. in L. 2 §. 24 Ne quid in l. p. (43. 8) hoc interdictum (§. 20 ibid.) tantum ad vias rusticas pertinet, ad urbicas veronon , harum enim cura pertinet ad magistratus , interessant zugleich in der Beziehung, um zu veranschaulichen, wie nahe bei den obigen Interessen die Form des rechtlichen und die des administrativen Schutzes sich berühren. Die gediegene Bearbeitung, der sich die Popular- Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. Auch in dem Verhältniß der juristischen Personen, sowohl der Corporationen als milden Stiftungen handelt es sich um solche sich mehr oder weniger ins Unbestimmte und Allgemeine verlierende Interessen, und der Versuch, dieselben unter die ge- wöhnliche Form der Klage zu bringen, würde hier auf unüber- steigliche Hindernisse stoßen. In welcher Weise das römische Recht diese Aufgabe gelöst hat, ist bereits früher (S. 209—213) entwickelt worden, und es bleibt uns hier nur übrig, uns über die eigenthümliche Verschiebung, welche hier zwischen dem sub- stantiellen und formalen Element des Rechts eintritt, Rechen- schaft zu geben. Beschränken wir uns zunächst auf die Corpo- ration , bei der das natürliche Sachverhältniß durch die juristische Form verhältnißmäßig am wenigsten verdeckt wird. Niemand wird darüber im Zweifel sein, daß die einzelnen Mitglieder es sind (die gegenwärtigen und zukünftigen), denen die Rechte, mit denen die juristische Person ausgestattet ist, zu gute kommen, und daß diese Wirkung nicht eine zufällige (Reflexwirkung), sondern daß sie der Zweck des ganzen Verhältnisses ist, daß also die einzelnen Mitglieder die Destinatäre der hier in Frage kommenden Vortheile sind. Wenn nun die Rücksicht auf die Praktikabilität der Klage den a. a. O. beschriebenen Mechanis- mus ins Leben gerufen hat, daß nach außen hin nicht die einzelnen Mitglieder, sondern nur die zur künstlichen persönlichen Einheit erhobene Gesammtheit derselben die gemeinsamen Inter- essen verfolgen darf, so liegt darin zwar eine Abweichung von der gewöhnlichen Gestalt eines Privatrechts, bei der dem Quo- ten recht auch eine Quoten klage entspricht, allein es gehört die gänzliche Befangenheit im juristischen Formalismus dazu, um über dieser juristischen Form den realen Sinn und Zweck des ganzen Verhältnisses zu verkennen und den einzelnen Mitglie- klagen inzwischen durch Bruns (Zeitschr. f. Rechtsgeschichte III. S. 341 fl.) zu erfreuen gehabt haben, überhebt mich der Nothwendigkeit eines weiteren Eingehens auf dieselben. II. Formales Moment des Rechts. — Jurist. Personen. §. 61. dern alles und jedes Recht abzusprechen. Die äußerste und wahrhaft haarsträubende Consequenz, zu der es diese Auffassung gebracht hat, ist die, daß bei sämmtlichen juristischen Personen, also auch bei denen, welche reine Privatzwecke verfolgen, das Ver- mögen, insofern nicht vorher ein gültiger Beschluß über die Verwendung des- selben gefaßt sei, mit Aufhebung derselben an den Fiscus falle. Man könnte ebenso gut behaupten, daß eine Sache durch Auseinanderfallen, durch Auf- lösung in ihre einzelnen Stücke res nullius werde. Die juristische Person als solche ist völlig genußunfähig, sie hat keine Interes- sen und Zwecke, kann also auch keine Rechte haben, denn Rechte sind nur da möglich, wo sie ihre Bestimmung erreichen d. h. dem berechtigten Subject dienen können — ein Recht, das in der Person des Berechtigten nie diesen seinen Zweck zu erfüllen ver- mag, ist ein Unding, ein Widerspruch gegen die Grundidee des Rechtsbegriffs. Wo der Schein einer solchen Abnormität vor- liegt, ist dies eben bloßer Schein, hinter dem Aftersubject steckt das wahre. Entfernt man sich einmal von dieser Grundidee des Rechts, die in dem Satz, daß lediglich der Mensch der Destina- tär, das Bestimmungssubject der Rechte ist (Note 446), ihren Ausdruck findet, so findet der Unfug mit dem Personificiren gar keine Gränze mehr, und nachdem man einmal bei den Prädialservituten Grundstücke zum Rang von Personen (warum nicht auch Brauhäuser, Apotheken u. s. w. mit Realprivile- gien?) erhoben hatte, konnte es kaum noch Wunder nehmen, daß selbst die Papiere auf den Innehaber derselben Ehre theilhaftig wurden. Nein! nicht die juristische Person als solche, sondern die einzelnen Mitglieder sind die wahren Rechtssubjecte, jene ist nichts als die nach außen gekehrte eigenthümliche Erscheinungs- und Vermittlungsform ihrer rechtlichen Beziehungen zur Außen- welt, für den Verkehr im Innern hat diese Form nicht die ge- ringste Bedeutung, hier gelangt der Gesichtspunkt des Rechts der Einzelnen auch formal zur vollen Geltung; die Rechte, die verfassungsmäßig (statutenmäßig) jedem Einzelnen zustehen, Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. kann er, wenn sie ihm bestritten oder durch einen verfassungswi- drigen Majoritätsbeschluß entzogen werden, im Wege der Klage verfolgen. Das römische Recht gibt zwar den Namen der Klage nicht an, allein daß dasselbe dies Verhältniß nicht ohne Rechtsschutz gelassen haben wird, darüber kann doch verständigerweise wohl kein Zweifel obwalten, oder hätten z. B. die Mitglieder der römischen Publikanengesellschaften keinen klagbaren Anspruch auf die auf ihre Actie fallende Dividende gehabt?! Für das Recht des Gemeingebrauchs ( usus publicus ) innerhalb der juristischen Person z. B. an den zum Gemeingebrauch bestimmten Lokalitäten, Weiden, Wäldern bietet die act. popularis (s. u.) eine passende Analogie. Die durch die eigenthümliche Natur des Ver- hältnisses gebotene Ausschließung des individuellen Verfügungs- rechts, die Unterordnung des Einzelnen unter den Willen der Majorität bei verfassungsmäßigen Beschlüssen, prägt diesen Rechten zwar auch nach der innern Seite hin einen von dem Ty- pus der gewöhnlichen Rechte abweichenden Charakter auf, ent- zieht ihnen aber den Charakter von Rechten nicht. Wer dies läugnen will, muß den Nachweis führen, daß unsere Definition der Rechte als rechtlich geschützter Interessen oder als Selbst- schutz der Interessen auf einem Fehler beruht. Die hier ent- wickelte Auffassung war übrigens den Römern selber so wenig fremd, daß man sie umgekehrt als die altrömische bezeichnen kann, Bezeichnung der Corporation mit dem Namen der Einzelnen: gen- tiles, cives, municipes, socii vectigalium publicorum, publicani, coloni, decuriones, virgines vestales, sacerdotes. So wird denn auch das Ver- mögen der Corporation als das der Mitglieder bezeichnet, z. B. agri virgi- num vestalium (Hyginus ed. Lachmann gromatici veteres S. 117) pro- prietates ad colonos pertinent (Aggenus ibid. p. 80). Quorum (munici- pum) omnes facultates … locaque communia (Cic. ad fam. XIII, 11), auch von Juristen z. B. L. 41 de A. R. D. (41. 1) .. civium non esse … tuendi cives. L. 7 §. 2 Quod cuj. (3. 4) .. cum jus omnium in unum reciderit. L. 1 §. 2 ib. quod eorum commune erit. L. 11 §. 1 quod vi (43. 24) .. res eorum, und in den Gesetzen s. z. B. Tab. Malac. c. 60: praedes in commune municipum dato: pecuniam communem eorum sal- vam iis fore. Jene Ausdrücke: municipes, cives u. s. w. waren übrigens zweideutig, es konnten mit ihnen z. B. bei einem Legat auch die einzelnen wie sie denn überhaupt nur da sich wird verläugnen II. Formales Moment des Rechts. — Jurist. Personen. §. 61. können, wo der Gemeinsinn, das Gefühl, daß Jeder in dem Allgemeinen zugleich das Seinige besitzt (B. 1 S. 186—188), ebenso darnieder liegt, wie die Herrschaft der juristischen Formel blüht (S. 302, 314) — nur ein ungesunder Boden konnte die bekämpfte Theorie zur Reife bringen. Eine noch complicirtere Gestalt nimmt das obige Verhält- niß bei den Stiftungen an. Daß auch bei ihnen der Zweck und Schwerpunkt dieser ganzen Rechtsmaschinerie nicht in letzterer selbst, sondern in den natürlichen Personen liegt, denen die Stiftung zu gute kommen soll, daß die Personification derselben also nichts als eine Form der Zuwendung und Bestimmung eines Vermögens für die Zwecke und Interessen unbestimmter Personen ist, wird auch hier keiner Ausführung bedürfen. Die Armen, Kranken, Wittwen, Waisen, Kunstfreunde sind die De- stinatäre der entsprechenden Stiftungen. In der spätern römischen Zeit wurden bei einer zu ihren Gunsten beabsichtigten Stiftung nicht selten sie selber zu Erben eingesetzt, z. B. die pauperes, captivi, L. 24, 28, 49 Cod. de episc. (1. 3) L. 19 Cod. de sacr. eccl. (1. 2). Aber sind sie auch Subjecte derselben, d. h. nimmt diese ihre Berufung zu den Nutzungen derselben den Charakter eines Rechts an? Dies entscheidet sich darnach, ob sie eine Klage haben. Ist die Be- rufung in der Stiftung in einer Weise geschehen, daß die Per- son des zum Eintritt oder Genuß Berechtigten im einzelnen Fall völlig bestimmt ist, so liegt ein stiftungsmäßiger Anspruch vor, dessen klagweise Verfolgung gar keinem Anstand ausgesetzt sein kann. Wie aber, wenn dies nicht der Fall, wenn also die Auf- Individuen als solche ( demonstrationis causa ) gemeint sein. In diesem Fall ward das Legat an die sämmtlichen im Augenblick des Todes vorhande- nen Mitglieder vertheilt, im entgegengesetzten Fall fiel es an die Gemeinde, wurde „pecunia communis municipum“ im obigen Sinn. S. über diesen bisher kaum beachteten Gegensatz L. 20 de reb. dub. (34. 5) und L. 2 ibid. L. 23 de ann. (33. 1). So erklärt sich Ulp. XX §. 5: nec municipia, nec municipes, worin Savigny , System B. 2 S. 249 eine bloße Aus- drucksverschiedenheit erblicken will. Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. nahme der einzelnen Beneficiaten rein dem Ermessen der ver- waltenden Behörde überlassen ist? Hier kann von einer Klage nicht die Rede sein — es handelt sich hier um einen Akt der Administration, nicht der Justiz. Aber wenn es nun der Admi- nistration gefiele, die ganze Stiftung ihrem Zweck zu entfrem- den, die Kunstanstalt z. B. zu schließen oder bloß Künstlern den Zutritt zu verstatten — ist denn dagegen das Publikum macht- los? Ich meine damit nicht den Weg der Beschwerde bei der obersten Staatsbehörde, sondern den Weg des Rechts. In der That hat das spätere römische Recht denselben geöffnet, Justinian in der nicht glossirten const. 46 Cod. de episc. (1. 3) .. et cuicunque civium idem etiam facere licentia erit. Cum enim sit communis pietatis ratio, (gemeinnütziges Interesse) communes et populares decet etiam affectiones constitui harum rerum executionis, habituro unoquoque licentiam ex nostra hac lege movere ex lege con- dictitiam et postulare relicta impleri. es verstattet Jedem eine actio popularis auf Realisirung einer in einer letztwilligen Urkunde errichteten Stiftung. Unserer Defi- nition des Rechtsbegriffes nach würde demnach auch hier ein Recht anzunehmen sein, denn die beiden Momente: das In- teresse und der Selbstschutz desselben liegen hier vor. Daß der Kläger nicht ausschließlich sein persönliches Interesse, sondern in und mit demselben zugleich das allgemeine verfolgt, steht der Annahme eines Rechts nicht entgegen. Ganz dieselbe Erschei- nung wiederholt sich bei dem Rechtsverhältniß an res sacrae, religiosae und res publicae. Nur scheinbar wird an diesen Sachen die Möglichkeit eines Rechtsverhältnisses geläugnet, indem sie von den römischen Juri- sten zu den res extra commercium gezählt worden. Denn com- mercium ist keineswegs gleichbedeutend mit Möglichkeit eines Rechtsverhältnisses, die Bedeutung dieses Ausdrucks ist vielmehr eine ungleich engere, nämlich: rechtliche Möglichkeit Handels- object ( merx, mercari, commercium ) zu sein, verkauft werden zu können. Der Mangel dieser Eigenschaft entrückt die Sache im II. Formales Moment des Rechts. Res extra commercium. §. 61. Mindesten nicht dem Dienst des Menschen, — welche Sachen die- nen ihm z. B. mehr, als gerade die res publicae ? — sondern er beschränkt diesen Dienst lediglich auf eine der oben S. 323 aufge- führten Genußformen, nämlich auf die der Bestimmung der Sache entsprechende reale Benutzung derselben mit Ausschließung jeder andern Genußform, namentlich auch der idealen mittelst Verkau- fens oder Vermiethens, kurz auf das „uti“. Im neuesten Recht ist bei den res sacrae unter gewissen Beschrän- kungen der Verkauf zugelassen L. 21 Cod. de sacr. (1. 2) Nov. 120 c. 10. Ganz dieselbe Beschränkung wiederholt sich auch bei den Prädialservituten und der persönlichen Servitut des Usus. So wenig wie bei ihnen, so wenig schließt diese Beschränkung bei den res sacrae, religiosae und publicae die Annahme eines Rechts an der Sache aus. Bei den beiden erstgenannten Arten von Sachen kömmt dasselbe dem Eigenthum ziemlich nahe, wie dies die römischen Juristen selber ausdrücklich bemerken. L. 2 §. 2 de int. (43. 1) .. veluti proprietatis causam conti- nent. Im Codex wird das Verhältniß an den res sacrae geradezu als „pro- prietas“ bezeichnet, s. z. B. L. 3 Cod. ne rei dom. (7. 38), demgemäß die Klage auch als vindicatio s. die Ueberschrift dieses Titels und L. 21 Cod. de sacr. eccl. (1. 2); von dem Grabmal gebrauchten schon römische Juristen den Ausdruck dominus, L. 6 de sep. viol. (47. 12). L. 15 §. 5 Quod vi (43. 24). Es ist ein exklusives Recht wie die- ses und ist eben so vollständig geschützt, nur daß die Form der Klagen eine andere ist. Nicht die reivindic. L. 4 Cod. de relig. (3. 44), sondern Inter- dicte (Note 472) und actiones in factum. Für die spätere Zeit hatte dieser formelle Gegensatz seine Bedeutung verloren, hier konnte man daher die Klage geradezu als vindicatio bezeichnen. Das Recht an den res religiosae konnte sogar übertragen werden, nur nicht für Geld (S. 325), es entstand durch longi temporis praescriptio, Nach L. 6 Cod. de rel. (3. 44), nicht nach L. 4 de mort. inf. (11. 8). kurz es fehlte ihm nichts zum Recht an der Sache . Darum sprechen denn auch die Quellen nicht bloß von einem jus prohibendi des Berechtigten L. 8 §. 4 de relig. (11. 7), sondern ge- Ihm diese Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. Eigenschaft bestreiten kann nur der, welcher das Eigenthum und die ihm entwachsenen Rechte für die einzig mögliche Form die- ses Begriffs ansieht. Erkennt man diesen Irrthum als das, was er ist, Gegen diesen Irrthum habe ich mich bereits früher in zwei den Ba- seler Festungsstreit betreffenden Gutachten (1862. No. 1 Leipzig, No. 2 Ba- sel) ausgesprochen. Das Eigenthum ist nicht die einzige Form des „Ge- hörens“. Meine Haare gehören mir und, wenn sie abgeschnitten sind, fallen sie in mein Eigenthum , daraus folgt aber nicht, daß sie schon vor- her in dieser Form mir gehören müßten. So „ gehören “ auch die res publicae dem Staat und, wenn sie dem Gemeingebrauch entzogen sind, fal- len auch sie unter die Form des gewöhnlichen Eigenthums, daraus folgt aber nicht im Mindesten, daß das Gehören, das „populi, universitatis esse“ schon früher diese Form an sich tragen müsse. Auch die im Gemeingebrauch stehenden Sachen „res publicae universitatis esse creduntur“, gleichwohl aber „nullius in bonis , d. h. im Eigenthum, esse creduntur“ L. 1 pr. de R. D. (1. 2), und die res „quae communes omnium sunt“, stehen nicht im Miteigenthum . so wird man auch über die Natur des Rechts- verhältnisses an den res publicae nicht im Zweifel sein können. Dasselbe ist in keiner Weise erschöpft, wenn man es lediglich auf die rechtliche Qualität des Gegenstandes als einer dem Ver- kehr entzogenen und dem allgemeinen Gebrauch überwiesenen Sache stellt und es demgemäß bei der Lehre von Eigenschaften der Sachen erörtert, Der erste, der sich von dieser althergebrachten Sitte losgerissen hat, ist Windscheid Lehrbuch des Pandektenrechts B. 1 (1862) §. 146. Bis zur Anerkennung des von mir bereits vor dem Erscheinen dieses Werks in dem obigen ersten Gutachten postulirten Recht des Gemeingebrauchs ist auch er freilich noch nicht vorgegangen. gleich als handle es sich hier lediglich, wie bei der res nullius, um den rechtlichen Zustand einer Sache . Der Sache steht hier vielmehr eine Person gegenüber, Privatorum usibus deserviunt, L. 2 §. 2 Ne quid i. l. p. (43. 8). der sie dient, und nicht bloß zufällig, faktisch, sondern vermöge recht- radezu von einem jus sepulcri und jura sepulcrorum, L. 4 de mort. inf. (11. 8), L. 3 §. 9 de sep. viol. (47. 12), L. 4, 6, 8, 13 Cod. de rel. (3. 44), von dem „Interesse“ dessen, dem das Grabmal gehört (ad quem per- tinet) L. 3 pr. §. 8—10 cit. II. Formales Moment des Rechts. Res extra commercium. §. 61. licher Nothwendigkeit — in diesem Dienst, in dieser ihrer totalen Hingabe an den gemeinen Gebrauch ( usus publicus ) geht ihre ganze Bestimmung auf. L. 2 §. 5 cit.: publico usui destinata sunt. L. 83 §. 5 de V. O. (45. 1): usibus publicis in perpetuum relicta, §. 2 l. de inut. stip. (3. 19): usibus populi perpetuo exposita. Zu einem Recht aber gestaltet sich das Verhältniß erst dadurch, daß den Destinatären: den Staats- angehörigen, Gemeindemitgliedern — dem Fremden kommen diese Sachen bloß in Form der Reflexwirkung zu gute — eine Klage: die oben berührte act. popularis eingeräumt ist, und zwar nicht etwa bloß zur Verfolgung des allgemeinen, sondern auch des eignen Interesses (B. 1 S. 187). Daß die römische Rechtstheorie dieses Recht nicht mit registrirt hat, Obschon sie den diesem Verhältniß innewohnenden Rechtsgehalt gelegentlich anerkennt, s. z. B. L. 2 §. 2 Ne quid in l. p. (43. 8) .. tantum juris habemus ad obtinendum, quantum quilibet ex populo ad prohi- bendum habet. Bei den Byzantinern ( Schol. 30 Bas. lib. 60 tit. 4 l. 5) kommt der Ausdruck: δίκαιον δημοτικὸν ( jus populare, nicht publicum ) vor, worauf Bruns Zeitschr. f. Rechtsgesch. III. S. 392 aufmerksam macht. darf uns ebenso wenig Wunder nehmen, als abhalten das Versäumte nachzuholen — jenes nicht, weil sie dem für sie maßgebenden praktischen Interesse vollständig entsprach, indem sie sich auf die Verhältnisse des commercium beschränkte — dieses nicht, weil wir in der theoretischen Construction von ihr vollkommen unab- hängig sind. Indem wir uns dieser Freiheit bedienen, werden wir nicht umhin können, das Recht des Gemeingebrauchs unter die Zahl der Rechte an den Sachen aufzunehmen. Zu dem Ende bedarf freilich der letztere Begriff oder richtiger der Begriff des Rechts überhaupt einer Erweiterung. Derselbe spaltet sich in zwei Aeste: das Individualrecht und Ge- mein- oder Gesammtrecht . Der Charakter des ersteren be- steht in dem Moment der Ausschließlichkeit , der exclu- siven Berechtigung, womit die Möglichkeit einer Theilung des Rechts nicht im Widerspruch steht — in jeder Quote des Rechts wiederholt sich die Contraction des Rechts auf sich selbst, seine Jhering, Geist d. röm. Rechts. III. 22 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. Absperrung nach außen hin. Bei den meisten dieser Classe an- gehörigen Rechten gesellt sich noch das Moment der absoluten Herrschaft d. i. der freien Dispositionsbefugniß oder, wie ich es fasse (S. 323), der Wahl der Genußformen hinzu. Wie wenig wesentlich aber dies Moment ist, zeigen die auf den bloßen usus beschränkten Servituten und das obige Recht an res religiosae, welches ebenfalls zur Classe der Individualrechte gehört. Der Charakter der zweiten Classe beruht auf der Ab- wesenheit des exclusiven Moments, oder positiv ausgedrückt auf der ungetheilten und untheilbaren Gemeinsamkeit des Genusses. Zu den Rechten dieser Classe zählt nicht bloß das des Gemein- gebrauchs, sondern auch die oben beschriebenen, welche Jemand als Mitglied einer Corporation (Genossenschaft) oder als Desti- natär einer milden Stiftung hat. Alle diese Rechte sind geknüpft an die Zugehörigkeit zu einem gewissen Kreise von Personen, möge er weit oder eng sein, sie entstehen mit dem Eintritt, sie hören auf mit dem Austritt. Ihre Bestimmung und ihr Nutzen erschöpft sich nicht in den Interessen dieser gegenwärtigen Subjecte, sondern sie haben die Interessen der Gattung, auch der kommenden Generationen zum Gegenstande. Eben daraus ergibt sich für ihre legislative Gestaltung ein folgenreicher Ge- sichtspunkt. So wie der Staat in vormundschaftlicher Fürsorge sich der Personen, die selber ihre Rechte nicht wahren können, annimmt, so wie dem Ungebornen sein Antheil an der auf ihn gefallenen Erbschaft gesichert wird, so hat auch der Staat für die kommenden Geschlechter Fürsorge zu treffen und dafür zu wachen, daß nicht eine egoistische Gegenwart einen Raub an ihnen begehe, indem sie das auch für sie mit Bestimmte seiner Bestimmung entfremde und lediglich für ihre Zwecke verzehre. Aber andererseits hat doch das lebendige Geschlecht ein höhe- res Recht, als das noch ungeborne, die Noth des Tages einen dringlicheren Anspruch, als die Rücksicht auf die Zu- kunft, es kann Fälle geben, wo jene Consumtion oder die Ver- änderung des Bestimmungszweckes vollkommen gerechtfertigt II. Formales Moment des Rechts. Der Besitz. §. 61. ist. Beide Gesichtspunkte sind von Justinian richtig erkannt; der eine in L. 46 §. 9 Cod. de episc. (1. 3), der andere in L. 21 Cod. de sacr. eccl. (1. 2) und Nov. 120 c. 10. Diese Vermittlung zwischen den Interessen und Rechten der Generationen: zwischen dem Stiftungswillen der Ver- gangenheit , der Noth der Gegenwart und der Anwart- schaft der Zukunft ist eine Frage der höheren historischen Ge- rechtigkeit, für die nicht die Rechtsregel, sondern das Gewissen und die freie Einsicht den Ausschlag zu geben hat, — das Recht geht bei diesem Punkt in die Administration über. Die bisherige Erörterung hatte zum Zweck, unsere Definition des Rechts an einigen Verhältnissen zu erproben, bei denen man bisher das Vorhandensein eines Rechts übersehen hat. Auch bei dem Besitz ist bekanntlich die Frage, ob er zu den Rechten zu zählen, und zu welcher Classe derselben, außerordentlich streitig. Wenn die bisher entwickelte Begriffsbestimmung des Rechts richtig ist, so versteht sich die Bejahung der ersteren Frage von selbst: der Besitz ist ein rechtlich geschütztes Interesse. Die römischen Juristen erkennen das mit dem Besitz verbundene Recht nicht selten an z. B. L. 2 Uti poss. (43. 17) und L. 36 i. f. de poss. (41. 2): plus juris L. 2 §. 38 Ne q. i. l. p. (43. 8) jure possessionis fruitur L. 44 pr. de poss. (41. 2) jus possessionis non videri peremtum L. 38 §. 3 de V. O. (45. 1) .. minuitur ex jure, quod habuit. Wenn sie andererseits dagegen den Besitz als etwas Faktisches bezeichnen, so steht das damit keineswegs im Widerspruch. Das Faktum des Innehabens ist die Grundlage für das Recht des Besitzes, in derselben Weise, wie das Fak- tum der physischen Existenz des Menschen die Grundlage für das mit ihr ver- bundene Recht der Persönlichkeit. Hier wie dort geht das Recht mit dem Faktum unter, aber die Ansprüche aus einer Verletzung desselben dauern fort. Da dies Interesse aber die Sache zum Gegenstande und zwar un- mittelbar (nicht wie bei der Obligation mittelbar) zum Gegen- stande hat, so ist der Besitz zu den Rechtsverhältnissen an der Sache zu stellen. Ganz dasselbe gilt von der bonae fidei pos- 22* Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. sessio. Daß weder diese beiden Verhältnisse, noch die oben be- trachteten an den res publicae und religiosae der Aufnahme unter die Sachenrechte gewürdigt sind, hat nur darin seinen Grund, daß man ganz unkritischer Weise den Begriff des Rechts an der Sache lediglich nach dem Eigenthum und den jura in re aliena zuschnitt, gleich als erschöpften sie die rechtlichen Be- ziehungen des Menschen zur Sache, oder als seien die übrigen, weil sie hinter ihnen an Rechtsgehalt zurückstehen, nicht eben- falls rechtlich geschützte Beziehungen zur Sache. Der Besitzer und bonae fidei possessor, sagt man, weichen dem Eigenthümer. Gewiß! aber hat nicht letzterer auch dem Pfandgläubiger zu weichen, und dieser wiederum jenem, wenn derselbe die Schuld abtragen will? Gehört es zum Begriff des Rechts an der Sache, daß es keinem andern weicht? Der Besitz ist seiner ursprüng- lichen Idee nach nichts als das Eigenthum in der Defen- sive . Es wäre um das Eigenthum geschehen, wenn der Eigen- thümer, um sich im Genuß seines Rechts zu schützen, jedes Mal sein Eigenthum beweisen müßte; die Vollständigkeit des Eigenthumsschutzes postulirt vielmehr mit absoluter Nothwen- digkeit den Satz, daß schon die bloße Thatsächlichkeit des Eigenthums d. i. der Besitz respectirt und geschützt werden müsse. Die Besitzrechtsmittel repräsentiren die Defensive, die rei vindi- catio die Offensive im Eigenthum. Indem aber dieser defen- sive Schutz des Eigenthums, der nicht minder wie der offensive innerhalb seiner Sphäre ein absoluter ist d. h. gegen jeden ertheilt wird, der das Eigenthum von dieser Seite antastet, von dem Beweis des Eigenthums entbunden wird, ergibt sich daraus die nothwendige Consequenz, daß auch der besitzende Nichteigenthümer desselben theilhaftig wird — um den Eigen- thümer als Besitzer, mußte man eben den Besitzer schlechthin schützen. Damit aber gestaltete sich der Besitz zu einem selbstän- digen Rechtsverhältniß neben und außer dem Eigenthum, also zu einem Recht an der Sache . Das Charakteristische desselben läßt sich mit einem Wort bezeichnen als: eine zur Selbstän- II. Formales Moment des Rechts. Die b. f. possessio. §. 61. digkeit des Schutzes und Rechts erhobene Situation des Eigenthums . Von der b. f. possessio gilt ganz dasselbe: sie ist eine zur Selbständigkeit des Rechts erhobene Form des offensiven Schutzes des Eigenthums. Daß ihr der Charak- ter eines Rechts an der Sache zukommt, würde in einem Recht, das den Schutz und die Idee des Eigenthums lediglich in dieser minderen Form anerkannt hätte, Niemand bezweifeln, und nur dem Umstand, daß das römische Recht neben dieser schwächeren Form noch die stärkere der reivindicatio ausgebildet hat, ist es zuzu- schreiben, daß man jenes Rechtsverhältniß bisher nicht als eine Eigenthumsform anerkannt, dasselbe vielmehr im System in derselben Weise unter der actio Publiciana verschwinden läßt, wie das Rechtsverhältniß an den res publicae und religiosae unter der Lehre von den Sachen. Diese systematische Stellung und die darin sich kundgebende Auffassung würde richtig sein, wenn die Publiciana lediglich dem Eigenthümer zugedacht, also an den Beweis des Eigenthums geknüpft wäre. Da sie aber gerade dafür bestimmt ist, diesen Beweis durch einen leichteren zu ersetzen, den auch der Nichteigenthümer erbringen kann, so gestaltet sie sich ebendamit zum Schutzmittel eines selbständigen sachenrechtlichen Verhältnisses außer und neben dem Eigenthum. Möge dasselbe im Zusammenstoß mit dem Eigenthum immerhin erliegen, wie der Besitz im Zusammenstoß mit einem von ihnen beiden — so lange dieser Zusammenstoß nicht erfolgt ist, bewegen sie sich innerhalb der ihnen zugewiesenen Bahnen ganz mit der Kraft und Autorität eines Rechts. Die Voraussichtlichkeit des Unterganges beim Eintritt eines gewissen Umstandes schließt die vorherige Existenz des Rechts nicht aus. Für die praktische Jurisprudenz hat das eben Entwickelte nicht den geringsten Werth, und schwerlich würden sich die römi- schen Juristen die Mühe genommen haben, die berührten Fragen eingehender zu behandeln. Ihr Standpunkt war der unmittel- bar praktische: der der Klage (B. 2 S. 672 fl.). Wie das der Klage zu Grunde liegende Recht systematisch zu charakterisiren Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. und classificiren, kümmerte sie wenig, — hat man doch sogar behauptet, daß sie nicht einmal beim Pfandrecht die Abstraction von der Klage auf das Recht gemacht, sondern sich bei der Vor- stellung der Pfand klage beruhigt hätten. Unser heutiger Standpunkt ist aber, wie bereits an der angeführten Stelle be- merkt ward, ein anderer geworden, das Fundament unserer heutigen wissenschaftlichen Systematik bildet nicht die Klage, sondern das Recht. Aber freilich fehlt noch viel an der con- sequenten Durchführung desselben, mit dem einen Fuß stehen wir auf dem römischen, mit dem andern auf dem modernen Boden, unsere Systematik der Rechte und der Klagen schiebt sich nicht selten in wunderbarster Weise durcheinander, die in rem actiones finden bei den Rechten ihren Platz, denen sie dienen, aber die ebenfalls zum Schutz dieser Rechte bestimmten in per- sonam actiones wandern ins Obligationenrecht. Weniger um diesen Mangel aufzudecken, als um die aufgestellte Definition des Rechts gegen einige nahe liegende Einwendungen zu ver- theidigen, war ich gezwungen, die Verhältnisse, denen man sie entnehmen konnte, einer Betrachtung zu unterziehen. Eine weitere Verfolgung des Verhältnisses zwischen Recht und Klage ist an dieser Stelle weder geboten, noch thunlich.