Critik der reinen Vernunft von Immanuel Kant Professor in Koͤnigsberg. Riga , verlegts Johann Friedrich Hartknoch 1781 . Sr. Excellenz, dem Koͤnigl. Staatsminister Freiherrn von Zedlitz. Gnaͤdiger Herr. D en Wachsthum der Wissenschaften an seinem Theile befoͤrdern, heißt, an Ew. Excellenz eigenem Interesse arbeiten; denn dieses ist mit ienen, nicht blos durch den erhabenen Posten eines Beschuͤtzers, son- dern durch das viel vertrautere eines Lieb- habers und erleuchteten Kenners innigst verbunden. Deswegen bediene ich mich auch des einigen Mittels, das gewisser- massen in meinem Vermoͤgen ist, meine Dankbarkeit vor das gnaͤdige Zutrauen zu bezeigen, womit Ew. Excellenz mich beeh- beehren, als koͤnte ich zu dieser Absicht etwas beitragen. Wen das speculative Leben vergnuͤgt, dem ist, unter maͤssigen Wuͤnschen, der Beifall eines aufgeklaͤrten, guͤltigen Rich- ters eine kraͤftige Aufmunterung zu Be- muͤhungen, deren Nutze groß, obzwar ent- fernt ist, und daher von gemeinen Au- gen gaͤnzlich verkant wird. Einem Solchen und Dessen gnaͤdi- gem Augenmerke widme ich nun diese Schrift und, Seinem Schutze, alle uͤbri- a 3 ge ge Angelegenheit meiner literaͤrischen Be- stimmung und bin mit der tiefsten Ver- ehrung Ew. Excellenz Koͤnigsberg den 29 sten Merz 1781. unterthaͤniggehorsamster Diener Immanuel Kant. Vorrede . D ie menschliche Vernunft hat das besonde- re Schicksal in einer Gattung ihrer Er- kentnisse: daß sie durch Fragen belaͤstigt wird, die sie nicht a weisen kan; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kan, denn sie uͤbersteigen alles Vermoͤgen der menschlichen Vernunft. In diese Verlegenheit geraͤth sie ohne ihre Schuld. Sie faͤngt von Grundsaͤtzen an, deren Ge- brauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich und zu- gleich durch diese hinreichend bewaͤhrt ist. Mit die- sen steigt sie (wie es auch ihre Natur mit sich bringt) immer hoͤher, zu entferneteren Bedingungen. Da a 4 sie Vorrede . sie aber gewahr wird, daß auf diese Art ihr Geschaͤfte iederzeit unvollendet bleiben muͤsse, weil die Fragen niemals aufhoͤren, so sieht sie sich genoͤthigt, zu Grundsaͤtzen ihre Zuflucht zu nehmen, die allen moͤg- lichen Erfahrungsgebrauch uͤberschreiten und gleich- wol so unverdaͤchtig scheinen, daß auch die gemeine Menschenvernunft damit im Einverstaͤndnisse stehet. Dadurch aber stuͤrzt sie sich in Dunkelheit und Wider- spruͤche, aus welchen sie zwar abnehmen kan, daß irgendwo verborgene Irrthuͤmer zun Grunde liegen muͤssen, die sie aber nicht entdecken kan, weil die Grundsaͤtze, deren sie sich bedien, da sie uͤber die Graͤnze aller Erfahrung hinausgehen, keinen Probier- stein der Erfahrung mehr anerkennen. Der Kampf- platz dieser endlosen Streitigkeiten heißt nun Meta- physik . Es war eine Zeit, in welcher sie die Koͤnigin aller Wissenschaften genant wurde und, wenn man den Willen vor die That nimt, so verdiente sie, we- gen der vorzuͤglichen Wichtigkeit ihres Gegenstandes, allerdings diesen Ehrennahmen. Jezt bringt es der Modeton des Zeitalters so mit sich, ihr alle Verach- tung zu beweisen und die Matrone klagt, verstossen und verlassen, wie Hecuba : mod o maxima rerum, tot Vorrede . tot generis natisque potens — nunc trahor exul, inops — Ovid. Metam . Anfaͤnglich war ihre Herrschaft, unter der Ver- waltung der Dogmatiker, despotisch. Allein, weil die Gesetzgebung noch die Spur der alten Barbarey an sich hatte, so artete sie durch innere Kriege nach und nach in voͤllige Anarchie aus und die Sceptiker , eine Art Nomaden, die allen bestaͤndigen Anbau des Bodens verabscheuen, zertrenneten von Zeit zu Zeit die buͤrgerliche Vereinigung. Da ihrer aber zum Gluͤck nur wenige waren, so konten sie nicht hindern, daß iene sie nicht immer aufs neue, obgleich nach keinem unter sich einstimmigen Plane, wieder anzubauen ver- suchten. In neueren Zeiten schien es zwar einmal, als solte allen diesen Streitigkeiten durch eine gewisse Physiologie des menschlichen Verstandes (von dem beruͤhmten Locke ) ein Ende gemacht und die Recht- maͤssigkeit iener Anspruͤche voͤllig entschieden werden; es fand sich aber, daß, obgleich die Geburt iener vor- gegebenen Koͤnigin, aus dem Poͤbel der gemeinen Er- fahrung abgeleitet wurde und dadurch ihre Anmassung mit Recht haͤtte verdaͤchtig werden muͤssen, dennoch, weil diese Genealogie ihr in der That faͤlschlich ange- dichtet war, sie ihre Anspruͤche noch immer behaupte- a 5 te, Vorrede . te, wodurch alles wiederum in den veralteten wurm- stichigen Dogmatism und daraus in die Geringschaͤ- tzung verfiel, daraus man die Wissenschaft hatte zie- hen wollen. Jezt, nachdem alle Wege (wie man sich uͤberredet) vergeblich versucht sind, herrscht Ueber- druß und gaͤnzlicher Indifferentism , die Mutter des Chaos und der Nacht, in Wissenschaften, aber doch zugleich der Ursprung, wenigstens das Vorspiel einer nahen Umschaffung und Aufklaͤrung derselben, wenn sie durch uͤbel angebrachten Fleiß dunkel, verwirrt und unbrauchbar geworden. Es ist n em lich umsonst, Gleichguͤltigkeit in Ansehung solcher Nachforschungen erkuͤnsteln zu wollen, deren Gegenstand der menschlichen Natur nicht gleich- guͤltig seyn kan. Auch fallen iene vorgebliche In- differentisten , so sehr sie sich auch durch die Veraͤn- derung der Schulsprache in einem populaͤren Ton un- kentlich zu machen gedenken, wofern sie nur uͤberall etwas denken, in metaphysische Behauptungen unver- meidlich zuruͤck, gegen die sie doch so viel Verachtung vorgaben. Indessen ist diese Gleichguͤltigkeit, die sich mitten in dem Flor aller Wissenschaften eraͤugnet und gerade dieienige trift, auf deren Kentnisse, wenn der- gleichen zu haben waͤren, man unter allen am wenig- sten Vorrede . sten Verzicht thun wuͤrde, doch ein Phaͤnomen, das Aufmerksamkeit und Nachsinnen verdient. Sie ist offenbar die Wirkung nicht des Leichtsinns, sondern der gereiften Urtheilskraft Man hoͤrt hin und wieder Klagen uͤber Seichtigkeit der Denkungsart unserer Zeit und den Verfall gruͤndlicher Wissenschaft. Allein ich sehe nicht, daß die, deren Grund gut gelegt ist, als Mathematik, Naturlehre ꝛc. diesen Vorwurf im mindesten verdienen, sondern vielmehr den alten Ruhm der Gruͤndlichkeit behaupten, in der lezte- ren aber sogar uͤbertreffen. Eben derselbe Geist wuͤrde sich nun auch in anderen Arten von Erkentniß wirksam beweisen, waͤre nur allererst vor die Berichtigung ihrer Principien gesorgt worden. In Ermangelung dersel- ben sind Gleichguͤltigkeit und Zweifel und endlich, strenge Critik, vielmehr Beweise einer gruͤndlichen Denkungs- art. Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Critik, der sich alles unterwerfen muß. Religion, durch ihre Heiligkeit, und Gesetzgebung durch ihre Maiestaͤt, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdenn erregen sie gerechten Verdacht wider sich, und koͤnnen auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demienigen bewilligt, was ihre freie und oͤffentliche Pruͤfung hat aushalten koͤnnen. des Zeitalters, wel- ches sich nicht laͤnger durch Scheinwissen hinhalten laͤßt und eine Auffoderung an die Vernunft, das be- schwerlichste aller ihrer Geschaͤfte, nemlich das der Selbsterkentniß aufs neue zu uͤbernehmen und einen Gerichtshof einzusetzen, der sie bey ihren gerechten Anspruͤchen sichere, dagegen aber alle grundlose An- mas- Vorrede . massungen, nicht durch Machtspruͤche, sondern nach ihren ewigen und unwandelbaren Gesetzen, abfertigen koͤnne und dieser ist kein anderer als die Critik der reinen Vernunft selbst. Ich verstehe aber hierunter nicht eine Critik der Buͤcher und Systeme, sondern die des Vernunftver- moͤgens uͤberhaupt, in Ansehung aller Erkentnisse, zu denen sie, unabhaͤngig von aller Erfahrung , streben mag, mithin die Entscheidung der Moͤglichkeit oder Unmoͤglichkeit einer Metaphysik uͤberhaupt und die Bestimmung so wol der Quellen, als des Umfanges und der Graͤnzen derselben, alles aber aus Principien. Diesen Weg, den einzigen, der uͤbrig gelassen war, bin ich nun eingeschlagen und schmeichle mir, auf demselben die Abstellung aller Irrungen angetrof- fen zu haben, die bisher die Vernunft im erfahrungs- freien Gebrauche mit sich selbst entzweiet hatten. Ich bin ihren Fragen nicht dadurch etwa ausgewichen, daß ich mich mit dem Unvermoͤgen der menschlichen Ver- nunft entschuldigte; sondern ich habe sie nach Prin- cipien vollstaͤndig specificirt und, nachdem ich den Punct des Mißverstandes der Vernunft mit ihr selbst entdeckt hatte, sie zu ihrer voͤlligen Befriedigung auf- geloͤst. Vorrede . geloͤst. Zwar ist die Beantwortung iener Fragen gar nicht so ausgefallen, als dogmatischschwaͤrmende Wiß- begierde erwarten mogte; denn die koͤnte nicht anders als durch Zauberkuͤnste, darauf ich mich nicht ver- stehe, befriedigt werden. Allein, das war auch wol nicht die Absicht der Naturbestimmung unserer Ver- nunft und die Pflicht der Philosophie war: das Blend- werk, das aus Mißdeutung entsprang, aufzuheben, solte auch noch so viel gepriesener und beliebter Wahn dabey zu nichte gehen. In dieser Beschaͤftigung habe ich Ausfuͤhrlichkeit mein grosses Augenmerk seyn las- sen und ich erkuͤhne mich zu sagen, daß nicht eine ein- zige metaphysische Aufgabe seyn muͤsse, die hier nicht aufgeloͤst, oder zu deren Aufloͤsung nicht wenigstens der Schluͤssel dargereicht worden. In der That ist auch reine Vernunft eine so vollkommene Einheit: daß, wenn das Princip derselben auch nur zu einer einzigen aller der Fragen, die ihr durch ihre eigene Natur auf- gegeben sind, unzureichend waͤre, man dieses immer- hin nur wegwerfen koͤnte, weil es alsdenn auch keiner der uͤbrigen mit voͤlliger Zuverlaͤssigkeit gewachsen seyn wuͤrde. Ich glaube, indem ich dieses sage, in dem Ge- sichte des Lesers einen mit Verachtung vermischten Un- willen Vorrede . willen uͤber, dem Anscheine nach, so ruhmredige und unbescheidene Anspruͤche wahrzunehmen, und gleich- wol sind sie ohne Vergleichung gemaͤssigter, als die, eines ieden Verfassers des gemeinesten Programs, der darin etwa die einfache Natur der Seele , oder die Nothwendigkeit eines ersten Weltanfanges zu bewei- sen vorgiebt. Denn dieser macht sich anheischig, die menschliche Erkentniß uͤber alle Graͤnzen moͤglicher Er- fahrung hinaus zu erweitern, wovon ich demuͤthig ge- stehe: daß dieses mein Vermoͤgen gaͤnzlich uͤbersteige, an dessen Statt ich es lediglich mit der Vernunft selbst und ihrem reinen Denken zu thun habe, nach deren ausfuͤhrlicher Kentniß ich nicht weit um mich suchen darf, weil ich sie in mir selbst antreffe und wovon mir auch schon die gemeine Logik ein Beispiel giebt, daß sich alle ihre einfache Handlungen voͤllig und systema- tisch aufzaͤhlen lassen; nur daß hier die Frage aufge- worfen wird, wie viel ich mit derselben, wenn mir aller Stoff und Beistand der Erfahrung genommen wird, etwa auszurichten hoffen duͤrfe. So viel von der Vollstaͤndigkeit in Erreichung eines ieden, und der Ausfuͤhrlichkeit in Erreichung aller Zwecke zusammen, die nicht ein beliebiger Vor- satz, sondern die Natur der Erkentniß selbst uns auf- giebt, als der Materie unserer critischen Untersuchung. Noch Vorrede . Noch sind Gewißheit und Deutlichkeit zwey Stuͤcke, die die Form derselben betreffen, als wesentli- che Foderungen anzusehen, die man an den Verfas- ser, der sich an eine so schluͤpfriche Unternehmung wagt, mit Recht thun kan. Was nun die Gewißheit betrift, so habe ich mir selbst das Urtheil gesprochen: daß es in dieser Art von Betrachtungen auf keine Weise erlaubt sey, zu mei- nen und daß alles, was darin einer Hypothese nur aͤhnlich sieht, verbotene Waare sey, die auch nicht vor den geringsten Preiß feil stehen darf, sondern, so bald sie entdeckt wird, beschlagen werden muß. Denn das kuͤndigt eine iede Erkentniß, die a priori fest stehen soll, selbst an: daß sie vor schlechthinnothwendig ge- halten werden will, und eine Bestimmung aller reinen Erkentnisse a priori noch vielmehr, die das Richtmaaß, mithin selbst das Beispiel aller apodictischen (philoso- phischen) Gewißheit seyn soll. Ob ich nun das, wozu ich mich anheischig mache, in diesem Stuͤcke geleistet habe, das bleibt gaͤnzlich dem Urtheile des Lesers an- heim gestellt, weil es dem Verfasser nur geziemet, Gruͤnde vorzulegen, nicht aber uͤber die Wirkung der- selben bey seinen Richtern zu urtheilen. Damit aber nicht etwas unschuldigerweise an der Schwaͤchung der- selben Vorrede . selben Ursache sey, so mag es ihm wol erlaubt seyn, dieienige Stellen, die zu einigem Mißtrauen Anlaß ge- ben koͤnten, ob sie gleich nur den Nebenzweck ange- hen, selbst anzumerken, um den Einfluß, den auch nur die mindeste Bedenklichkeit des Lesers in diesem Puncte auf sein Urtheil, in Ansehung des Hauptzwecks, haben moͤchte, bey zeiten abzuhalten. Ich kenne keine Untersuchungen, die zu Ergruͤn- dung des Vermoͤgens, welches wir Verstand nennen, und zugleich zu Bestimmung der Regeln und Graͤn- zen seines Gebrauchs, wichtiger waͤren, als die, wel- che ich in dem zweiten Hauptstuͤcke der transscendenta- len Analytik, unter dem Titel der Deduction der reinen Verstandesbegriffe , angestellt habe; auch haben sie mir die meiste, aber, wie ich hoffe, nicht unvergoltene Muͤhe gekostet. Diese Betrachtung, die etwas tief angelegt ist, hat aber zwey Seiten. Die eine bezieht sich auf die Gegenstaͤnde des reinen Verstandes, und soll die obiective Guͤltigkeit seiner Begriffe a priori dar- thun und begreiflich machen; eben darum ist sie auch wesentlich zu meinen Zwecken gehoͤrig. Die andere geht darauf aus, den reinen Verstand selbst, nach seiner Moͤglichkeit und den Erkentnißkraͤften, auf de- nen er selbst beruht, mithin ihn in subiectiver Bezie- hung Vorrede . hung zu betrachten und, obgleich diese Eroͤrterung in Ansehung meines Hauptzwecks von grosser Wichtig- keit ist, so gehoͤret sie doch nicht wesentlich zu demsel- ben; weil die Hauptfrage immer bleibt, was und wie viel kan Verstand und Vernunft, frey von aller Er- fahrung, erkennen und nicht, wie ist das Vermoͤgen zu Denken selbst moͤglich? Da das leztere gleichsam eine Aufsuchung der Ursache zu einer gegebenen Wir- kung ist, und in so fern etwas einer Hypothese Aehn- liches an sich hat (ob es gleich, wie ich bey anderer Gelegenheit zeigen werde, sich in der That nicht so verhaͤlt), so scheint es, als sey hier der Fall, da ich mir die Erlaubniß nehme, zu meinen , und dem Leser also auch frey stehen muͤsse, anders zu meinen . In Betracht dessen muß ich dem Leser mit der Erinnerung zuvorkommen: daß, im Fall meine subiective De- duction nicht die ganze Ueberzeugung, die ich erwarte, bey ihm gewirkt haͤtte, doch die obiective, um die es mir hier vornemlich zu thun ist, ihre ganze Staͤrke be- komme, wozu allenfals dasienige, was Seite 92 bis 93 gesagt wird, allein hinreichend seyn kan. Was endlich die Deutlichkeit betrift, so hat der Leser ein Recht, zuerst die discursive (logische) Deut- lichkeit, durch Begriffe , denn aber auch eine in- b tuiti- Vorrede . tuitive (aͤsthetische) Deutlichkeit , durch Anschau- ungen , d. i. Beispiele oder andere Erlaͤuterungen, in concreto zu fodern. Vor die erste habe ich hinrei- chend gesorgt. Das betraf das Wesen meines Vor- habens, war aber auch die zufaͤllige Ursache, daß ich der zweiten, obzwar nicht so strengen, aber doch bil- ligen Foderung nicht habe Gnuͤge leisten koͤnnen. Ich bin fast bestaͤndig im Fortgange meiner Arbeit unschlies- sig gewesen, wie ich es hiemit halten solte. Beispiele und Erlaͤuterungen schienen mir immer noͤthig und flossen daher auch wirklich im ersten Entwurfe an ih- ren Stellen gehoͤrig ein. Ich sahe aber die Groͤsse meiner Aufgabe und die Menge der Gegenstaͤnde, womit ich es zu thun haben wuͤrde, gar bald ein und, da ich gewahr ward, daß diese ganz allein, im trocke- nen, blos scholastischen Vortrage, das Werk schon gnug ausdehnen wuͤrden, so fand ich es unrathsam, es durch Beispiele und Erlaͤuterungen, die nur in po- pulaͤrer Absicht nothwendig sind, noch mehr anzu- schwellen, zumal diese Arbeit keinesweges dem popu- laͤren Gebrauche angemessen werden koͤnte und die ei- gentliche Kenner der Wissenschaft diese Erleichterung nicht so noͤthig haben, ob sie zwar iederzeit angenehm ist, hier aber sogar etwas zweckwidriges nach sich zie- hen konte. Abt Terrasson sagt zwar: wenn man die Vorrede . die Groͤsse eines Buchs nicht nach der Zahl der Blaͤt- ter, sondern nach der Zeit mißt, die man noͤthig hat, es zu verstehen, so koͤnne man von manchem Buche sagen: daß es viel kuͤrzer seyn wuͤrde, wenn es nicht so kurz waͤre . Anderer Seits aber, wenn man auf die Faßlichkeit eines weitlaͤuftigen, dennoch aber in einem Princip zusammenhaͤngenden Ganzen speculativer Erkentniß seine Absicht richtet, koͤnte man mit eben so gutem Rechte sagen: manches Buch waͤre viel deutlicher geworden, wenn es nicht so gar deutlich haͤtte werden sollen . Denn die Huͤlfs- mittel der Deutlichkeit fehlen zwar in Theilen , zer- streuen aber oͤfters im Ganzen, indem sie den Leser nicht schnell gnug zu Ueberschauung des Ganzen ge- langen lassen und durch alle ihre helle Farben gleichwol die Articulation, oder den Gliederbau des Systems verkleben und unkentlich machen, auf den es doch, um uͤber die Einheit und Tuͤchtigkeit desselben urtheilen zu koͤnnen, am meisten ankomt. Es kan, wie mich duͤnkt, dem Leser zu nicht ge- ringer Anlockung dienen, seine Bemuͤhung mit der des Verfassers, zu vereinigen, wenn er die Aussicht hat, ein grosses und wichtiges Werk, nach dem vorgelegten Entwurfe, ganz und doch dauerhaft zu vollfuͤhren. b 2 Nun Vorrede . Nun ist Metaphysik, nach den Begriffen, die wir hier davon geben werden, die einzige aller Wissen- schaften, die sich eine solche Vollendung und zwar in kurzer Zeit, und mit nur weniger, aber vereinigter Bemuͤhung, versprechen darf, so daß nichts vor die Nachkommenschaft uͤbrig bleibt, als in der didacti- schen Manier alles nach ihren Absichten einzurichten, ohne darum den Inhalt im mindesten vermehren zu koͤnnen. Denn es ist nichts als das Inventarium aller unserer Besitze durch reine Vernunft , syste- matisch geordnet. Es kan uns hier nichts entgehen, weil, was Vernunft gaͤnzlich aus sich selbst hervor- bringt, sich nicht verstecken kan, sondern selbst durch Vernunft ans Licht gebracht wird, sobald man nur das gemeinschaftliche Princip desselben entdeckt hat. Die vollkommene Einheit dieser Art Erkentnisse, und zwar aus lauter reinen Begriffen, ohne daß irgend etwas von Erfahrung, oder auch nur besondere An- schauung, die zur bestimten Erfahrung leiten solte, auf sie einigen Einfluß haben kan, sie zu erweitern und zu vermehren, machen diese unbedingte Vollstaͤn- digkeit nicht allein thunlich, sondern auch nothwendig. Tecum habita et noris, quam sit tibi curta supellex. Pers iu s . Ein Vorrede . Ein solches System der reinen (speculativen) Vernunft hoffe ich unter dem Titel: Metaphysik der Natur , selbst zu liefern, welches, bey noch nicht der Haͤlfte der Weitlaͤuftigkeit, dennoch ungleich reicheren Inhalt haben soll, als hier die Critik, die zuvoͤrderst die Quellen und Bedingungen ihrer Moͤglichkeit dar- legen mußte, und einen ganz verwachsenen Boden zu reinigen und zu ebenen noͤthig hatte. Hier erwarte ich an meinem Leser die Gedult und Unpartheylichkeit eines Richters , dort aber die Willfaͤhrigkeit und den Beistand eines Mithelfers ; denn, so vollstaͤndig auch alle Principien zu dem System in der Critik vorge- tragen sind, so gehoͤrt zur Ausfuͤhrlichkeit des Systems selbst doch noch, daß es auch an keinen abgeleiteten Begriffen mangele, die man a priori nicht in Ueber- schlag bringen kan, sondern die nach und nach aufge- sucht werden muͤssen, imgleichen, da dort die ganze Synthesis der Begriffe erschoͤpft wurde, so wird uͤber- dem hier gefodert, daß eben dasselbe auch in Anse- hung der Analysis geschehe, welches alles leicht und mehr Unterhaltung als Arbeit ist. Ich habe nur noch Einiges in Ansehung des Drucks anzumerken. Da der Anfang desselben etwas verspaͤtet war, so konte ich nur etwa die Haͤlfte der b 3 Aus- Vorrede . Aushaͤngebogen zu sehen bekommen, in denen ich zwar einige, den Sinn aber nicht verwirrende, Druckfehler antreffe, ausser demienigen, der S. 379. Zeile 4 von unten vorkomt, da specifisch an statt sceptisch gele- sen werden muß. Die Antinomie der reinen Ver- nunft, von Seite 425 bis 461, ist so, nach Art einer Tafel, angestellt, daß alles, was zur Thesis gehoͤrt, auf der linken, was aber zur Antithesis gehoͤrt, auf der rechten Seite immer fortlaͤuft, welches ich dar- um so anordnete, damit Satz und Gegensatz desto leichter mit einander verglichen werden koͤnte. Inhalt Inhalt . Einleitung. Seite 1 I. Transseendentale Elementarlehre . 17 Erster Theil. Transscendentale Aesthetik. 19 1. Abschnitt. Vom Raume. 22 2. ‒ ‒ ‒ Von der Zeit. 30 Zweiter Theil. Transscendentale Logik. 50 1. Abtheilung. Transscendentale Analytik in zwey Buͤchern und deren verschiedenen Hauptstuͤcken und Abschnitten. 64 2. Abtheilung. Transscendentale Dialectik in zwey Buͤchern und deren verschiedenen Hauptstuͤcken und Abschnitten. 293 II. Trans- Inhalt . Seite II. Transscendentale Methodenlehre . 705 1. Hauptstuͤck. Die Disciplin der reinen Vernunft. 708 2. 〃〃〃 Der Canon der reinen Vernunft. 795 3. 〃〃〃 Die Architectonik der reinen Ver- nunft. 832 4. 〃〃〃 Die Geschichte der reinen Vernunft. 852 Einlei- Einleitung . I. Idee der Transscendental-Philosophie. E rfahrung ist ohne Zweifel das erste Product, welches unser Verstand hervorbringt, indem er den rohen Stoff sinnlicher Empfindungen bearbeitet. Sie ist eben dadurch die erste Belehrung, und im Fortgange so unerschoͤpflich an neuem Unterricht, daß das zusammengekettete Leben aller kuͤnftigen Zeugungen an neuen Kentnissen, die auf diesem Boden gesammlet werden koͤnnen, niemals Mangel haben wird. Gleich- wohl ist sie bey weitem nicht das einzige Feld, darinn sich unser Verstand einschraͤnken laͤßt. Sie sagt uns zwar, was da sey, aber nicht, daß es nothwendiger Weise, so und nicht anders, seyn muͤsse. Eben darum giebt sie u n s auch keine wahre Allgemeinheit, und die Vernunft, welche nach dieser Art von Erkentnissen so begierig ist, A wird Einleitung . wird durch sie mehr gereizt, als befriediget. Solche allgemeine Crkentnisse nun, die zugleich den Character der innern Nothwendigkeit haben, muͤssen, von der Er- fahrung unabhaͤngig, vor sich selbst klar und gewis seyn; man nennt sie daher Erkentnisse a priori : da im Gegen- theil das, was lediglich von der Erfahrung erborgt ist, wie man sich ausdruͤkt, nur a posteriori, oder empirisch erkannt wird. Nun zeigt es sich, welches uͤberaus merkwuͤrdig ist, daß selbst unter unsere Erfahrungen sich Erkentnisse men- gen, die ihren Ursprung a priori haben muͤssen, und die vielleicht nur dazu dienen, um unsern Vorstellungen der Sinne Zusammenhang zu verschaffen. Denn, wenn man aus den ersteren auch alles wegschaft, was den Sin- nen angehoͤrt, so bleiben dennoch gewisse urspruͤngliche Begriffe und aus ihnen erzeugte Urtheile uͤbrig, die gaͤnzlich a priori, unabhaͤngig von der Erfahrung ent- standen seyn muͤssen, weil sie machen, daß man von den Gegenstaͤnden, die den Sinnen erscheinen, mehr sagen kan, wenigstens es sagen zu koͤnnen glaubt, als bloße Erfahrung lehren wuͤrde, und daß Behauptungen wah- re Allgemeinheit und strenge Nothwendigkeit enthalten, dergleichen die blos empirische Erkentniß nicht liefern kan. Was aber noch weit mehr sagen will, ist dieses, daß gewisse Erkentnisse so gar das Feld aller moͤglichen Er- fah- Einleitung . fahrungen verlassen, und durch Begriffe, denen uͤberall kein entsprechender Gegenstand in der Erfahrung gege- ben werden kan, den Umfang unserer Urtheile uͤber alle Grenzen derselben zu erweitern den Anschein haben. Und gerade in diesen lezteren Erkentnissen, welche uͤber die Sinnenwelt hinausgehen, wo Erfahrung gar keinen Leitfaden noch Berichtigung geben kan, liegen die Nachforschungen unsrer Vernunft, die wir der Wichtig- keit nach vor weit vorzuͤglicher, und ihre Endabsicht vor viel erhabener halten, als alles, was der Verstand im Felde der Erscheinungen lernen kan, wobey wir, sogar auf die Gefahr zu irren, eher alles wagen, als daß wir so angelegene Untersuchungen aus irgend einem Grunde der Bedenklichkeit, oder aus Geringschaͤtzung und Gleichguͤltigkeit aufgeben sollten. Nun scheint es zwar natuͤrlich, daß, so bald man den Boden der Erfahrung verlassen hat, man doch nicht mit Erkentnissen, die man besizt, ohne zu wissen woher, und auf den Credit der Grundsaͤtze, deren Ursprung man nicht kennt, so fort ein Gebaͤude errichten werde, ohne der Grundlegung desselben durch sorgfaͤltige Untersuchungen vorher versichert zu seyn, daß man also die Frage vor- laͤngst werde aufgeworfen haben, wie denn der Verstand zu allen diesen Erkentnissen a priori kommen koͤnne, und welchen Umfang, Guͤltigkeit und Werth sie haben moͤgen. A 2 In Einleitung . In der That ist auch nichts natuͤrlicher, wenn man un- ter diesem Wort das versteht, was billiger und vernuͤnf- tiger Weise geschehen sollte; versteht man aber darunter das, was gewoͤhnlicher Maaßen geschieht, so ist hinwie- derum nichts natuͤrlicher und begreiflicher, als daß diese Untersuchung lange Zeit unterbleiben mußte. Denn ein Theil dieser Erkentnisse, die mathematische, ist im alten Besitze der Zuverlaͤßigkeit, und giebt dadurch eine guͤnstige Erwartung auch vor andere, ob diese gleich von ganz verschiedener Natur seyn moͤgen. Uederdem , wenn man uͤber den Kreis der Erfahrung hinaus ist, so ist man sicher, durch Erfahrung nicht widersprochen zu werden. Der Reiz, seine Erkentnisse zu erweitern, ist so groß, daß man nur durch einen klaren Widerspruch, auf den man stoͤßt, in seinem Fortschritt aufgehalten wer- den kan. Dieser aber kan vermieden werden, wenn man seine Erdichtungen behutsam macht, ohne daß sie deswegen weniger E r dichtungen bleiben. Die Mathe- matik giebt uns ein glaͤnzendes Beyspiel, wie weit wir es unabhaͤngig von der Erfahrung in der Erkentniß a priori bringen koͤnnen. Nun beschaͤftigt sie sich zwar mit Ge- genstaͤnden und Erkentnissen, blos so weit als sich solche in der Anschauung darstellen lassen. Aber dieser Um- stand wird leicht uͤbersehen, weil gedachte Anschauung selbst a priori gegeben werden kan, mithin von einem blossen reinen Begriff kaum unterschieden wird. Durch einen solchen Beweis von der Macht der Vernunft auf- gemun- Einleitung . gemuntert, sieht der Trieb zur Erweiterung keine Gren- zen. Die leichte Taube, indem sie im freyen Fluge die Luft theilt, deren Widerstand sie fuͤhlt, koͤnte die Vor- stellung fassen, daß es ihr im Luftleeren Raum noch viel besser gelingen werde. Eben so verließ Plato die Sin- nenwelt, weil sie dem Verstande so vielfaͤltige Hinder- nisse legt, und wagte sich ienseit derselben auf den Fluͤ- geln der Ideen, in den leeren Raum des reinen Ver- standes. Er bemerkte nicht, daß er durch seine Bemuͤ- hungen keinen Weg gewoͤnne, denn er hatte keinen Wie- derhalt, gleichsam zur Unterlage, worauf er sich steifen, und woran er seine Kraͤfte anwenden konte, um den Ver- stand von der Stelle zu bringen. Es ist aber ein gewoͤhn- liches Schicksal der menschlichen Vernunft in der Specula- tion ihr Gebaͤude so fruͤh, wie moͤglich, fertig zu machen, und hintennach allererst zu untersuchen, ob auch der Grund dazu gut geleget sey. Alsdenn aber werden allerley Be- schoͤnigungen herbey gesucht, um uns wegen dessen Tuͤch- tigkeit zu troͤsten, oder eine solche spaͤte und gefaͤhrliche Pruͤfung abzuweisen. Was uns aber waͤhrend dem Bauen von aller Besorgniß und Verdacht frey haͤlt, und mit scheinbarer Gruͤndlichkeit schmeichelt, ist dieses. Ein gros- ser Theil, und vielleicht der groͤßte, von dem Geschaͤfte unserer Vernunft besteht in Zergliederungen der Begriffe, die wir schon von Gegenstaͤnden haben. Dieses liefert uns eine Menge von Erkentnissen, die, ob sie gleich nichts weiter als Aufklaͤrungen oder Erlaͤuterungen desienigen A 3 sind, Einleitung . sind, was in unsern Begriffen, (wiewohl noch auf verworr- ne Art) schon gedacht worden, doch wenigstens der Form nach neuen Einsichten gleich geschaͤtzet werden, wie- wohl sie der Materie oder dem Inhalte nach die Begriffe, die wir haben, nicht erweitern, sondern nur aus einan- der setzen. Da dieses Verfahren nun eine wirkliche Er- kentniß a priori giebt, die einen sichern und nuͤzlichen Fort- gang hat, so erschleicht die Vernunft, ohne es selbst zu merken, unter dieser Vorspiegelung Behauptungen von ganz anderer Art, wo die Vernunft zu gegebenen Begrif- fen a priori ganz fremde hinzu thut, ohne daß man weiß, wie sie dazu gelange, und ohne sich diese Frage auch nur in die Gedanken kommen zu lassen. Ich will daher gleich anfangs von dem Unterschiede dieser zwiefachen Erkentniß- art handeln. Von dem Unterschiede analytischer und synthetischer Urtheile. In allen Urtheilen, worinnen das Verhaͤltniß eines Subjects zum Praͤdicat gedacht wird, (wenn ich nur die beiahende erwege: denn auf die verneinende ist die An- wendung leicht) ist dieses Verhaͤltniß auf zweierley Art moͤglich. Entweder das Praͤdicat B gehoͤret zum Subiect A als etwas, was in diesem Begriffe A (versteckter Weise) enthalten ist; oder B liegt ganz ausser dem Begriff A , ob es zwar mit demselben in Verknuͤpfung steht. Im ersten Fall nenne ich das Urtheil analytisch, im andern synthe- tisch. Einleitung . tisch. Analytische Urtheile (die beiahende) sind also dieie- nige, in welchen die Verknuͤpfung des Praͤdicats mit dem Subiect durch Identitaͤt, dieienige aber, in denen diese Verknuͤpfung ohne Identitaͤt gedacht wird, sollen synthe- tische Urtheile heissen. Die erstere koͤnte man auch Er- laͤuterungs- die andere Erweiterungs-Urtheile heissen, weil iene durch das Praͤdicat nichts zum Begriff des Subiects hinzuthun, sondern diesen nur durch Zergliederung in seine Theilbegriffe zerfaͤllen, die in selbigen schon, (obschon verworren) gedacht waren: dahingegen die leztere zu dem Begriffe des Subiects ein Praͤdicat hinzuthun, wel- ches in ienem gar nicht gedacht war, und durch keine Zer- gliederung desselben haͤtte koͤnnen herausgezogen werden, z. B. wenn ich sage: alle Koͤrper sind ausgedehnt, so ist dies ein analytisch Urtheil. Denn ich darf nicht aus dem Begriffe, den ich mit dem Wort Koͤrper verbinde, hinaus- gehen, um die Ausdehnung als mit demselben verknuͤpft zu finden, sondern ienen Begriff nur zergliedern, d. i. des Mannigfaltigen, welches ich jederzeit in ihm denke, nur bewust werden, um dieses Praͤdicat darin anzutreffen; es ist also ein analytisches Urtheil. Dagegen, wenn ich sage: alle Koͤrper sind schwer, so ist das Praͤdicat etwas ganz anders, als das, was ich in dem blossen Begriff eines Koͤrpers uͤberhaupt denke. Die Hinzufuͤgung eines solchen Praͤdicats giebt also ein synthetisch Urtheil. Nun ist hieraus klar: 1) daß durch analytische Ur- theile unsere Erkentniß gar nicht erweitert werde, sondern A 4 der Einleitung . der Begriff, den ich schon habe, aus einander gesezt, und mir selbst verstaͤndlich gemacht werde. 2) daß bey synthe- tischen Urtheilen ich ausser dem Begriffe des Subiects noch etwas anderes ( X ) haben muͤsse, worauf sich der Ver- stand stuͤzt, um ein Praͤdicat, das in ienem Begriffe nicht liegt, doch als dazu gehoͤrig zu erkennen. Bey empirischen oder Erfahrungsurtheilen hat es hiemit gar keine Schwierigkeit. Denn dieses X ist die vollstaͤndige Erfahrung von dem Gegenstande, den ich durch einen Begriff A denke, welcher nur einen Theil dieser Er- fahrung ausmacht. Denn ob ich schon in dem Begriff eines Koͤrpers uͤberhaupt das Praͤdicat der Schwere gar nicht einschliesse, so bezeichnet er doch die vollstaͤndige Er- fahrung durch einen Theil derselben, zu welchem also ich noch andere Theile eben derselben Erfahrung, als zu dem ersteren gehoͤrig, hinzufuͤgen kan. Ich kan den Begriff des Koͤrpers vorher analytisch durch die Merkmale der Aus- dehnung, der Undurchdringlichkeit, der Gestalt ꝛc. die alle in diesem Begriff gedacht werden, erkennen. Nun erweitere ich aber meine Erkentniß, und, indem ich auf die Erfahrung zuruͤck sehe, von welcher ich diesen Begriff des Koͤrpers abgezogen hatte, so finde ich mit obigen Merk- malen auch die Schwere iederzeit verknuͤpft. Es ist also die Erfahrung ienes X , was ausser dem Begriffe A liegt, und worauf sich die Moͤglichkeit der Synthesis des Praͤ- dicats der Schwere B mit dem Begriffe A gruͤndet. Aber Einleitung . Aber bey syntheti sch en Urtheilen a priori fehlt dieses Huͤlfsmittel ganz und gar. Wenn ich ausser dem Begriffe A hinaus gehen soll, um einen andern B , als damit verbunden zu erkennen, was ist das, worauf ich mich stuͤtze, und wodurch die Synthesis moͤglich wird, da ich hier den Vortheil nicht habe, mich im Felde der Er- fahrung darnach umzusehen. Man nehme den Satz: „Alles, was geschieht, hat seine Ursache.“ In dem Begriff von Etwas, das geschieht, denke ich zwar ein Daseyn, vor welchem eine Zeit vorhergehet ꝛc. und daraus lassen sich analytische Urtheile ziehen. Aber der Begriff einer Ursache zeigt Etwas von dem, was geschieht, verschie- denes an, und ist in dieser lezteren Vorstellung gar nicht mit enthalten. Wie komme ich denn dazu, von dem, was uͤberhaupt geschiehet, etwas davon ganz verschiedenes zu sagen, und den Begriff der Ursachen, ob zwar in ienen nicht enthalten, dennoch, als dazu gehoͤrig, zu erkennen. Was ist hier das X , worauf sich der Verstand stuͤzt, wenn er ausser dem Begriff von A ein demselben fremdes Praͤ- dicat aufzufinden glaubt, das gleichwohl damit verknuͤpft sey. Erfahrung kan es nicht seyn, weil der angefuͤhrte Grundsaz nicht allein mit groͤsserer Allgemeinheit, als die Erfahrung verschaffen kan, sondern auch mit dem Aus- druck der Nothwendigkeit, mithin gaͤnzlich a priori und aus blossen Begriffen diese zweyte Vorstellungen zu der ersteren hinzufuͤgt. Nun beruhet auf solchen synthetischen d. i. Erweiterungs-Grundsaͤtzen die ganze Endabsicht unse- A 5 rer Einleitung . rer speculativen Erkentniß a priori; denn die analytischen sind zwar hoͤchst wichtig und noͤthig, aber nur um zu der- ienigen Deutlichkeit der Begriffe zu gelangen, die zu einer sicheren und ausgebreiteten Synthesis, als zu einem wirklich neuen Anbau, erforderlich ist. Es liegt also hier ein gewisses Geheimniß verborgen Waͤre es einem von den Alten eingefallen, auch nur diese Frage aufzuwerfen, so wuͤrde diese allein allen Sy- stemen der reinen Vernunft bis auf unsere Zeit maͤchtig widerstanden haben, und haͤtte so viele eitele Versuche erspahrt, die, ohne zu wissen, womit man eigentlich zu thun hat, blindlings unternommen worden. , dessen Aufschluß allein den Fortschritt in dem grenzenlosen Felde der reinen Verstandeserkentniß sicher und zuverlaͤßig machen kan: nemlich mit gehoͤriger Allgemeinheit den Grund der Moͤglichkeit synthetischer Urtheile a priori auf- zudecken, die Bedingungen, die eine jede Art derselben moͤglich machen, einzusehen, und diese ganze Erkentniß (die ihre eigene Gattung ausmacht) in einem System nach ihren urspruͤnglichen Quellen, Abtheilungen, Umfang und Grenzen, nicht durch einen fluͤchtigen Umkreis zu bezeich- nen, sondern vollstaͤndig und zu iedem Gebrauch hinrei- chend zu bestimmen. So viel vorlaͤufig von dem Eigen- thuͤmlichen, was die synthetischen Urtheile an sich haben. Aus diesem allen ergiebt sich nun die Idee einer be- sondern Wissenschaft, die zur Critik der reinen Vernunft die- Einleitung . dienen koͤnne. Es heißt aber iede Erkentniß rein, die mit nichts Fremdartigen vermischt ist. Besonders aber wird eine Erkentniß schlechthin rein genannt, in die sich uͤberhaupt keine Erfahrung oder Empfindung einmischt, welche mithin voͤllig a priori moͤglich ist. Nun ist Ver- nunft das Vermoͤgen, welches die Principien der Erkent- niß a priori an die Hand giebt. Daher ist reine Vernunft dieienige, welche die Principien etwas schlechthin a priori zu erkennen, enthaͤlt. Ein Organon der reinen Vernunft wuͤrde ein Inbegriff derienigen Principien seyn, nach de- nen alle reine Erkentnisse a priori koͤnnen erworben und wirklich zu Stande gebracht werden. Die ausfuͤhrliche Anwendung eines solchen Organon wuͤrde ein System der reinen Vernunft verschaffen. Da dieses aber sehr viel verlangt ist, und es noch dahin steht, ob auch uͤberhaupt eine solche Erweiterung unserer Erkentniß, und in welchen Faͤllen sie moͤglich sey; so koͤnnen wir eine Wissenschaft der blossen Beurtheilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen, als die Propaͤdevtick zum System der rei- nen Vernunft ansehen. Eine solche wuͤrde nicht eine Doctrin, sondern nur Critik der reinen Vernunft heissen muͤssen, und ihr Nutze wuͤrde wirklich nur negativ seyn, nicht zur Erweiterung, sondern nur zur Laͤuterung unserer Vernunft dienen, und sie von Irrthuͤmern frey halten, welches schon sehr viel gewonnen ist. Ich nenne alle Er- kentniß transscendental, die sich nicht so wohl mit Gegen- staͤnden, sondern mit unsern Begriffen a priori von Gegen- staͤn- Einleitung . staͤnden uͤberhaupt beschaͤftigt. Ein System solcher Be- griffe wuͤrde Transscendental-Philosophie heißen. Diese ist aber wiederum vor den Anfang zu viel. Denn weil eine solche Wissenschaft so wol die analytische Erkentniß, als die synthetische a priori vollstaͤndig enthalten muͤßte, so ist sie, in so fern es unsre Absicht betrift, von zu wei- tem Umfange, indem wir die Analysis nur so weit treiben duͤrfen, als sie unentbehrlich noͤthig ist, um die Principien der Synthesis a priori, als warum es uns nur zu thun ist, in ihrem ganzen Umfange einzusehen. Diese Unter- suchung, die wir eigentlich nicht Doctrin, sondern nur transcendentale Critik nennen koͤnnen, weil sie nicht die Erweiterung der Erkentnisse selbst, sondern nur die Be- richtigung derselben zur Absicht hat, und den Probierstein des Werths oder Unwerths aller Erkentnisse a priori abge- ben soll, ist das, womit wir uns iezt beschaͤftigen. Eine solche Critik ist demnach eine Vorbereitung, wo moͤglich, zu einem Organon, und, wenn dieses nicht gelingen sollte, wenigstens zu einem Canon derselben, nach welchen allen- falls dereinst das vollstaͤndige System der Philosophie der reinen Vernunft, es mag nun in Erweiterung oder blosser Begrenzung ihrer Erkentniß bestehen, so wol analytisch, als synthetisch dargestellt werden koͤnnte. Denn daß die- ses moͤglich sey, ia daß ein solches System von nicht gar grossem Umfange seyn koͤnne, um zu hoffen, es ganz zu vollenden, laͤßt sich schon zum voraus daraus ermessen, daß hier nicht die Natur der Dinge, welche unerschoͤpflich ist, Einleitung . ist, sondern der Verstand, der uͤber die Natur der Dinge urtheilt, und auch dieser wiederum nur in Ansehung sei- ner Erkentniß a priori den Gegenstand ausmacht, dessen Vorrath, weil wir ihn doch nicht auswaͤrtig suchen duͤr- fen, uns nicht verborgen bleiben kan, und allem Vermu- then nach klein genug ist, um vollstaͤndig aufgenommen, nach seinem Werthe oder Unwerthe beurtheilt und unter richtige Schaͤtzung gebracht zu werden. II. Eintheilung der Transscendental- Philosophie. Die Transscendental-Philosophie ist hier nur eine Idee, wozu die Critik der reinen Vernunft den ganzen Plan architektonisch d. i. aus Principien entwerfen soll, mit voͤlliger Gewaͤrleistung der Vollstaͤndigkeit und Sicher- heit aller Stuͤcke, die dieses Gebaͤude ausmacht. Daß diese Critik nicht schon selbst Transscendental-Philosophie heißt, beruhet lediglich darauf, daß sie, um ein vollstaͤn- dig System zu seyn, auch eine ausfuͤhrliche Analysis der ganzen menschlichen Erkentniß a priori enthalten muͤßte. Nun muß zwar unsre Critik allerdings auch eine vollstaͤn- dige Herzehlung aller Stammbegriffe, welche die gedachte reine Erkentniß ausmachen, vor Augen legen. Allein der ausfuͤhrlichen Analysis dieser Begriffe selbst, wie auch der vollstaͤndigen Recension der daraus abgeleiteten, enthaͤlt sie sich billig, theils weil diese Zergliederung nicht zweck- maͤßig Einleitung . maͤßig waͤre, indem sie die Bedenklichkeit nicht hat, wel- che bey der Synthesis angetroffen wird, um deren willen eigentlich die ganze Critik da ist, theils, weil es der Ein- heit des Plans zuwider waͤre, sich mit der Verantwortung der Vollstaͤndigkeit einer solchen Analysis und Ableitung zu befassen, deren man in Ansehung seiner Absicht doch uͤberhoben seyn konte. Diese Vollstaͤndigkeit der Zerglie- derung so wohl, als der Ableitung aus den kuͤnftig zu liefernden Begriffen a priori, ist indessen leicht zu ergaͤn- zen, wenn sie nur allererst als ausfuͤhrliche Principien der Synthesis da sind, und ihnen in Ansehung dieser wesent- lichen Absicht nichts ermangelt. Zur Critik der reinen Vernunft gehoͤrt demnach alles, was die Transscendental-Philosophie ausmacht, und sie ist die vollstaͤndige Idee der Transscendental-Philosophie, aber diese Wissenschaft noch nicht selbst, weil sie in der Analysis nur so weit geht, als es zur vollstaͤndigen Beur- theilung der synthetischen Erkentniß a priori erforder- lich ist. Das vornehmste Augenmerk bey der Eintheilung einer solchen Wissenschaft ist: daß gar keine Begriffe hin- einkommen muͤssen, die irgend etwas Empirisches in sich enthalten, oder daß die Erkentnis a priori voͤllig rein sey. Daher, ob zwar die obersten Grundsaͤtze der Moralitaͤt, und die Grundbegriffe derselben, Erkentnisse a priori sind, so Einleitung . so gehoͤren sie doch nicht in die Transscendental-Philoso- phie, weil die Begriffe der Lust und Unlust, der Begier- den und Neigungen, der Willkuͤhr ꝛc. die insgesammt em- pirischen Ursprunges sind, dabey vorausgesetzt werden muͤßten. Daher ist die Transscendental-Philosophie eine Weltweisheit der reinen blos speculativen Vernunft. Denn alles Praktische, so fern es Bewegungsgruͤnde ent- haͤlt, bezieht sich auf Gefuͤhle, welche zu empirischen Er- kentnißquellen gehoͤren. Wenn man nun die Eintheilung dieser Wissenschaft aus dem allgemeinen Gesichtspuncte eines Systems uͤber- haupt anstellen will, so muß die, welche wir iezt vortra- gen, erstlich eine Elementar-Lehre, zweitens eine Metho- den-Lehre der reinen Vernunft enthalten. Jeder dieser Haupttheile wuͤrde seine Unterabtheilung haben, deren Gruͤnde sich gleichwohl hier noch nicht vortragen lassen. Nur so viel scheint zur Einleitung oder Vorerinnerung noͤ- thig zu seyn, daß es zwey Staͤmme der menschlichen Er- kentniß gebe, die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekanten Wurzel entspringen, nemlich, Sinn- lichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegen- staͤnde gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden. Sofern nun die Sinnlichkeit Vorstellungenen a priori ent- halten sollte, welche die Bedingungen ausmachen, unter der uns Gegenstaͤnde gegeben werden, so wuͤrde sie zur Transscendental-Philosophie gehoͤren. Die transscen- den- Einleitung . dentale Sinnenlehre wuͤrde zum ersten Theile der Elemen- tarwissenschaft gehoͤren muͤssen, weil die Bedingungen, worunter allein die Gegenstaͤnde der menschlichen Erkent- niß gegeben werden, denienigen vorgehen, unter welchen selbige gedacht werden. Cri- Critik der reinen Vernunft. I. Transscendentale Elementarlehre . B Der Transscendentalen Elementarlehre Erster Theil . Die Transscendentale Aesthetik. A uf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkentniß auf Gegenstaͤnde beziehen mag, so ist doch dieienige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzwekt, die Anschauung. Diese findet aber nur statt, so fern uns der Gegenstand gegeben wird; dieses aber ist wiederum nur dadurch moͤglich, daß er das Gemuͤth auf gewisse Weise afficire. Die Faͤhigkeit, (Receptivitaͤt) Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenstaͤnden afficirt werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Vermit- telst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstaͤnde gegeben, und sie allein liefert uns Anschauungen, durch den Ver- stand aber werden sie gedacht, und von ihm entspringen Begriffe. Alles Denken aber muß sich, es sey gerade zu ( directe ) oder im Umschweife ( indirecte ) zulezt auf An- schauungen, mithin, bey uns, auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben wer- den kan. Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungs- faͤhigkeit, so fern wir von demselben afficirt werden, ist B 2 Em- Elementarlehre I. Theil. Empfindung. Dieienige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, heißt empi- risch. Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung, heißt Erscheinung. In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfin- dung correspondirt, die Materie derselben, dasienige aber, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhaͤltnissen geordnet, angeschauet wird, nenne ich die Form der Erscheinung. Da das, worinnen sich die Empfindungen allein ordnen, und in gewisse Form ge- stellet werden koͤnnen, nicht selbst wiederum Empfindung seyn kan, so ist uns zwar die Materie aller Erscheinung nur a posteriori gegeben, die Form derselben aber muß zu ihnen insgesamt im Gemuͤthe a priori bereit liegen, und dahero abgesondert von aller Empfindung koͤnnen betrach- tet werden. Ich nenne alle Vorstellungen rein (im transscen- dentalen Verstande) in denen nichts, was zur Empfindung gehoͤrt, angetroffen wird. Demnach wird die reine Form sinnlicher Anschauungen uͤberhaupt im Gemuͤthe a priori angetroffen werden, worinnen alles Mannigfaltige der Er- scheinungen in gewissen Verhaͤltnissen angeschauet wird. Diese reine Form der Sinnlichkeit wird auch selber reine Anschauung heissen. So, wenn ich von der Vorstellung eines Koͤrpers das, was der Verstand davon denkt, als Substanz, Kraft, Theilbarkeit, ꝛc. imgleichen, was davon zur Empfindung gehoͤrt, als Undurchdringlichkeit, Haͤrte, Far- Die Transscendentale Aesthetik. Farbe ꝛc. absondere, so bleibt mir aus dieser empirischen Anschauung noch etwas uͤbrig, nemlich Ausdehnung und Gestalt. Diese gehoͤren zur reinen Anschauung, die a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung, als eine blosse Form der Sinnlichkeit im Gemuͤthe statt findet. Eine Wissenschaft von allen Principien der Sinnlich- keit a priori nenne ich die transscendentale Aesthetik. Die Deutschen sind die einzige, welche sich iezt des Worts Aesthetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andre Critik des Geschmacks heissen. Es liegt hier eine verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortrefliche Ana- lyst Baumgarten faßte, die critische Beurtheilung des Schoͤnen unter Vernunftprincipien zu bringen, und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben. Allein diese Bemuͤhung ist vergeblich. Denn gedachte Regeln, oder Criterien sind ihren Quellen. nach blos empirisch, und koͤnnen also niemals zu Gesetzen a priori dienen, wor- nach sich unser Geschmacksurtheil richten muͤßte, vielmehr macht das letztere den eigentlichen Probierstein der Richtig- keit der ersteren aus. Um deswillen ist es rathsam, diese Benennung wiederum eingehen zu lassen, und sie derie- nigen Lehre aufzubehalten, die wahre Wissenschaft ist, wodurch man auch der Sprache und dem Sinne der Al- ten naͤher treten wuͤrde, bey denen die Eintheilung der Erkentniß in ἀιϑητὰ καὶ νόητα sehr beruͤhmt war. Es muß also eine solche Wissenschaft geben, die den ersten Theil der transscendentalen Elementar-Lehre ausmacht, im Gegensatz mit derienigen, welche die Principien des reinen Denkens enthaͤlt, und transscendentale Logik genannt wird. B 3 In Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. In der transcendentalen Aesthetik also werden wir zuerst die Sinnlichkeit isoliren, dadurch, daß wir alles absondern, was der Verstand durch seine Begriffe dabey denkt, damit nichts als empirische Anschauung uͤbrig bleibe. Zweitens werden wir von dieser noch alles, was zur Em- pfindung gehoͤrt, abtrennen, damit nichts als reine An- schauung und die blosse Form der Erscheinungen uͤbrig bleibe, welches das einzige ist, das die Sinnlichkeit a priori liefern kan. Bey dieser Untersuchung wird sich finden, daß es zwey reine Formen sinnlicher Anschauung, als Principien der Erkentniß a priori gebe, nemlich, Raum und Zeit, mit deren Erwegung wir uns jezt beschaͤftigen werden. Der Transscendentalen Aesthetik Erster Abschnitt. Von dem Raume . V ermittelst des aͤusseren Sinnes, (einer Eigenschaft unsres Gemuͤths) stellen wir uns Gegenstaͤnde als ausser uns, und diese insgesamt im Raume vor. Dar- innen ist ihre Gestalt, Groͤße und Verhaͤltniß gegen ein- ander bestimmt, oder bestimmbar. Der innere Sinn, ver- mittelst dessen das Gemuͤth sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschauet, giebt zwar keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Obiect, allein es ist doch eine be- stimmte I. Abschnitt. Von dem Raume. stimmte Form, unter der die Anschauung ihres innern Zustandes allein moͤglich ist, so, daß alles, was zu den innern Bestimmungen gehoͤrt, in Verhaͤltnissen der Zeit vorgestellt wird. Aeusserlich kan die Zeit nicht angeschaut werden, so wenig wie der Raum, als etwas in uns. Was sind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Wesen? Sind es zwar nur Bestimmungen, oder auch Verhaͤltnisse der Dinge, aber doch solche, welche ihnen auch an sich zukommen wuͤrden, wenn sie auch nicht angeschaut wuͤr- den, oder sind sie solche, die nur an der Form der An- schauung allein haften, und mithin an der subiectiven Be- schaffenheit unseres Gemuͤths, ohne welche diese Praͤdicate gar keinem Dinge beygeleget werden koͤnnen? Um uns hieruͤber zu belehren, wollen wir zuerst den Raum be- trachten. 1) der Raum ist kein empirischer Begriff, der von aͤusseren Erfahrungen abgezogen worden. Denn damit ge- wisse Empfindungen auf etwas ausser mich bezogen wer- den, (d. i. auf etwas in einem andern Orte des Raumes,) als darinnen ich mich befinde,) imgleichen damit ich sie als ausser einander, mithin nicht blos verschieden, sondern als in verschiedenen Orten vorstellen koͤnne, dazu muß die Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen. Dem- nach kan die Vorstellung des Raumes nicht aus den Ver- haͤltnissen der aͤussern Erscheinung durch Erfahrung er- borgt seyn, sondern diese aͤussere Erfahrung ist selbst nur durch gedachte Vorstellung allererst moͤglich. B 4 2) Der Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. 2) Der Raum ist eine nothwendige Vorstellung, a priori, die allen aͤusseren Anschauungen zum Grunde liegt. Man kan sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sey, ob man sich gleich ganz wohl denken kan, daß keine Gegenstaͤnde darin angetroffen werden. Er wir d also als die Bedingung der Moͤglichkeit der Erscheinungen, und nicht als eine von ihnen abhaͤngende Bestimmung an- gesehen, und ist eine Vorstellung a priori, die nothwendi- ger Weise aͤusseren Erscheinungen zum Grunde liegt. 3) Auf diese Nothwendigkeit a priori gruͤndet sich die apodictische Gewißheit aller geometrischen Grundsaͤtze, und die Moͤglichkeit ihrer Constructionen a priori . Waͤre nemlich diese Vorstellung des Raums ein a posteriori er- worbener Begriff, der aus der allgemeinen aͤusseren Er- fahrung geschoͤpft waͤre, so wuͤrden die ersten Grundsaͤtze der mathematischen Bestimmung nichts als Wahrnehmun- gen seyn. Sie haͤtten also alle Zufaͤlligkeit der Wahrneh- mung, und es waͤre eben nicht nothwendig, daß zwischen zween Puncten nur eine gerade Linie sey, sondern die Erfahrung wuͤrde es so iederzeit lehren. Was von der Erfahrung entlehnt ist, hat auch nur comparative Allge- meinheit, nemlich durch Induction. Man wuͤrde also nur sagen koͤnnen, so viel zur Zeit noch bemerkt worden, ist kein Raum gefunden worden, der mehr als drey Ab- messungen haͤtte. 4) Der Raum ist kein discursiver, oder, wie man sagt, allgemeiner Begriff von Verhaͤltnissen der Dinge uͤber- I. Abschnitt. Von dem Raume. uͤberhaupt, sondern eine reine Anschauung. Denn erstlich kan man sich nur einen einigen Raum vorstellen, und wenn man von vielen Raͤumen redet, so verstehet man darunter nur Theile eines und desselben alleinigen Raumes. Diese Theile koͤnnen auch nicht vor dem einigen allbefassenden Raume gleichsam als dessen Bestandtheile, (daraus seine Zusammensetzung moͤglich sey) vorhergehen, sondern nur in ihm gedacht werden. Er ist wesentlich einig, das Man- nigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Raͤumen uͤberhaupt beruht lediglich auf Einschraͤnkungen. Hieraus folgt, daß in Ansehung seiner eine Anschauung a priori, (die nicht empirisch ist) allen Begriffen von den- selben zum Grunde liege. So werden auch alle geome- trische Grundsaͤtze, z. E. daß in einem Triangel zwey Sei- ten zusammen groͤßer seyn, als die dritte, niemals aus allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, sondern aus der Anschauung und zwar a priori mit apodictischer Ge- wißheit abgeleitet. 5) Der Raum wird als eine unendliche Groͤße ge- geben vorgestellt. Ein allgemeiner Begriff vom Raum (der so wohl in dem Fusse, als einer Elle gemein ist,) kan in Ansehung der Groͤsse nichts bestimmen. Waͤre es nicht die Grenzenlosigkeit im Fortgange der Anschauung, so wuͤrde kein Begriff von Verhaͤltnissen ein Principium der Unendlichkeit derselben bey sich fuͤhren. B 5 Schluͤsse Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. Schluͤsse aus obigen Begriffen. a) Der Raum stellet gar keine Eigenschaft irgend einiger Dinge an sich, oder sie in ihrem Verhaͤltniß auf einander vo r, d. i. keine Bestimmung derselben, die an Ge- genstaͤnden selbst haftete, und welche bliebe, wenn man auch von allen subiectiven Bedingungen der Anschauung abstrahirte. Denn weder absolute, noch relative Bestim- mungen koͤnnen vor dem Daseyn der Dinge, welchen sie zukommen, mithin nicht a priori angeschaut werden. b) Der Raum ist nichts anders, als nur die Form aller Erscheinungen aͤusserer Sinne, d. i. die subiective Be- dingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns aͤussere An- schauung moͤglich ist. Weil nun die Receptivitaͤt des Sub- iects, von Gegenstaͤnden afficirt zu werden, nothwendi- ger Weise vor allen Anschauungen dieser Obiecte vorhergeht, laͤßt sich verstehen, wie die Form aller Erscheinungen vor allen wirklichen Wahrnehmungen, mithin a priori im Gemuͤthe gegeben seyn koͤnne, und wie sie als eine reine Anschauung, in der alle Gegenstaͤnde bestimmt werden muͤssen, Principien der Verhaͤltnisse derselben vor aller Erfahrung enthalten koͤnne. Wir koͤnnen demnach nur aus dem Standpuncte eines Menschen vom Raum von ausgedehnten Wesen ꝛc. reden. Gehen wir von der subiectiven Bedingung ab, unter wel- cher wir allein aͤussere Anschauung bekommen koͤnnen, so wie wir nemlich von den Gegenstaͤnden afficirt werden moͤgen, so bedeutet die Vorstellung vom Raume gar nichts. Dieses I. Abschnitt. Von dem Raume. Dieses Praͤdicat wird den Dingen nur in so fern beyge- legt, als sie uns erscheinen, d. i. Gegenstaͤnde der Sinn- lichkeit sind. Die bestaͤndige Form dieser Receptivitaͤt, welche wir Sinnlichkeit nennen, ist eine nothwendige Be- dingung aller Verhaͤltnisse, darinnen Gegenstaͤnde als aus- ser uns, angeschauet werden, und, wenn man von die- sen Gegenstaͤnden abstrahirt, eine reine Anschauung, wel- che den Namen Raum fuͤhret. Weil wir die besonderen Bedingungen der Sinnlichkeit nicht zu Bedingungen der Moͤglichkeit der Sachen, sondern nur ihrer Erscheinungen machen koͤnnen, so koͤnnen wir wol sagen, daß der Raum alle Dinge befasse, die uns aͤusserlich erscheinen moͤgen, aber nicht alle Dinge an sich selbst, sie moͤgen nun ange- schaut werden oder nicht, oder auch von welchem Subiect man wolle. Denn wir koͤnnen von den Anschauungen an- derer denkenden Wesen gar nicht urtheilen, ob sie an die nemlichen Bedingungen gebunden seyn, welche unsere An- schauung einschraͤnken, und vor uns allgemein guͤltig seyn. Wenn wir die Einschraͤnkung eines Urtheils zum Begriff des Subiects hinzufuͤgen, so gilt das Urtheil alsdenn unbedingt. Der Satz: Alle Dinge sind neben einander im Raum, gilt nur unter der Einschraͤnkung, wenn diese Dinge als Gegenstaͤnde unserer sinnlichen Anschauung genommen werden. Fuͤge ich hier die Bedingung zum Begriffe; und sage: Alle Dinge, als aͤussere Erscheinungen, sind neben einander im Raum, so gilt diese Regel allgemein und ohne Einschraͤnkung. Unsere Eroͤrterungen lehren demnach die Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. die Realitaͤt (d. i. die obiective Guͤltigkeit) des Raumes in Ansehung alles dessen, was aͤusserlich als Gegenstand uns vorkommen kann, aber zugleich die Idealitaͤt des Raums in Ansehung der Dinge, wenn sie durch die Vernunft an sich selbst erwogen werden, d. i. ohne Ruͤcksicht auf die Be- schaffenheit unserer Sinnlichkeit zu nehmen. Wir behaup- ten also die empirische Realitaͤt des Raumes (in Anse- hung aller moͤglichen aͤusseren Erfahrung) ob zwar zugleich die transscendentale Idealitaͤt desselben, d. i. daß er Nichts sey, so bald wir die Bedingung der Moͤglichkeit aller Er- fahrung weglassen, und ihn als etwas, was den Dingen an sich selbst zum Grunde liegt, annehmen. Es giebt aber auch ausser dem Raum keine andere subiective und auf etwas aͤusseres bezogene Vorstellung, die a priori obiectiv heissen koͤnte. Daher diese subiective Bedingung aller aͤusseren Erscheinungen mit keiner andern kan verglichen werden. Der Wohlgeschmack eines Weines gehoͤrt nicht zu den obiectiven Bestimmungen des Weines, mithin eines Obiects so gar als Erscheinung betrachtet, sondern zu der besondern Beschaffenheit des Sinnes an dem Subiecte, was ihn genießt. Die Farben sind nicht Be- schaffenheiten der Koͤrper, deren Anschauung sie anhaͤngen, sondern auch nur Modificationen des Sinnes des Gesichts, welches vom Lichte auf gewisse Weise afficirt wird. Da- gegen gehoͤrt der Raum, als Bedingung ausserer Obiecte, nothwendiger Weise zur Erscheinung oder Anschauung der- selben. Geschmack und Farben sind gar nicht nothwendige Be- I. Abschnitt. Von dem Raume. Bedingungen, unter welchen die Gegenstaͤnde allein vor uns Obiecte der Sinne werden koͤnnen. Sie sind nur als zufaͤllig beygefuͤgte Wirkungen der besondern Organi- sation mit der Erscheinung verbunden. Daher sind sie auch keine Vorstellungen a priori, sondern auf Empfin- dung, der Wohlgeschmack aber so gar auf Gefuͤhl (der Lust und Unlust) als einer Wuͤrkung der Empfindung gegruͤndet. Auch kan niemand a priori weder eine Vor- stellung einer Farbe, noch irgend eines Geschmacks haben: der Raum aber betrift nur die reine Form der Anschauung, schließt also gar keine Empfindung (nichts empirisches) in sich, und alle Arten und Bestimmungen des Raumes koͤn- nen und muͤssen so gar a priori vorgestellt werden koͤnnen, wenn Begriffe der Gestalten so wol, als Verhaͤltnisse ent- stehen sollen. Durch denselben ist es allein moͤglich, daß Dinge vor uns aͤussere Gegenstaͤnde seyn. Die Absicht dieser Anmerkung geht nur dahin, zu verhuͤten: daß man die behauptete Idealitaͤt des Raumes nicht durch bey weitem unzulaͤngliche Beyspiele zu erlaͤutern sich einfallen lasse, da nemlich etwa Farben, Geschmack ꝛc. mit Recht nicht als Beschaffenheiten der Dinge, sondern blos als Veraͤnderungen unseres Subiects, die so gar bey verschiedenen Menschen verschieden seyn koͤnnen, betrach- tet werden. Denn in diesem Falle gilt das, was ur- spruͤnglich selbst nur Erscheinung ist, z. B. eine Rose, im empirischen Verstande vor ein Ding an sich selbst, welches doch Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. doch iedem Auge in Ansehung der Farbe anders erschei- nen kan. Dagegen ist der transscendentale Begriff der Erscheinungen im Raume eine critische Erinnerung, daß uͤberhaupt nichts, was im Raume angeschaut wird, eine Sache an sich, noch daß der Raum eine Form der Dinge sey, die ihnen etwa an sich selbst eigen waͤre, sondern daß uns die Gegenstaͤnde an sich gar nicht bekant seyn, und, was wir aͤussere Gegenstaͤnde nennen, nichts anders als blosse Vorstellungen unserer Sinnlichkeit seyn, deren Form der Raum ist, deren wahres Correlatum aber, d. i. das Ding an sich selbst, dadurch gar nicht erkant wird, noch erkant werden kan, nach welchem aber auch in der Erfah- rung niemals gefragt wird. Der Transscendentalen Aesthetik Zweiter Abschnitt. Von der Zeit . I. D ie Zeit ist kein empirischer Begriff, der irgend von einer Erfahrung abgezogen worden. Denn das Zu- gleichseyn oder Aufeinanderfolgen wuͤrde selbst nicht in die Wahrnehmung kommen, wenn die Vorstellung der Zeit nicht a priori zum Grunde laͤge. Nur unter deren Boraus- setzung kan man sich vorstellen: daß einiges zu einer und derselben Zeit (zugleich) oder in verschiedenen Zeiten (nach einander) sey. 2) Die II. Abschnitt. Von der Zeit. 2) Die Zeit ist eine nothwendige Vorstellung, die al- len Anschauungen zum Grunde liegt. Man kan in An- sehung der Erscheinungen uͤberhaupt die Zeit selbsten nicht aufheben, ob man zwar ganz wol die Erscheinungen aus der Zeit wegnehmen kan. Die Zeit ist also a priori ge- geben. In ihr allein ist alle Wirklichkeit der Erscheinun- gen moͤglich. Diese koͤnnen insgesamt wegfallen, aber sie selbst, als die allgemeine Bedingung ihrer Moͤglichkeit,) kan nicht aufgehoben werden. 3) Auf diese Nothwendigkeit a priori gruͤndet sich auch die Moͤglichkeit apodictischer Grundsaͤtze von den Ver- haͤltnissen der Zeit, oder Axiomen von der Zeit uͤberhaupt. Sie hat nur eine Dimension: verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern nach einander (so wie verschiedene Raͤume nicht nach einander, sondern zugleich seyn.) Diese Grund- saͤtze koͤnnen aus der Erfahrung nicht gezogen werden, denn diese wuͤrde weder strenge Allgemeinheit, noch apodictische Gewißheit geben. Wir wuͤrden nur sagen koͤnnen: so lehrt es die gemeine Wahrnehmung, nicht aber, so muß es sich verhalten. Diese Grundsaͤtze gelten als Regeln, unter denen uͤberhaupt Erfahrungen moͤglich sind und be- lehren uns vor derselben, und nicht durch dieselbe. 4) Die Zeit ist kein discursiver, oder, wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, sondern eine reine Form der sinnlichen Anschauung. Verschiedene Zeiten sind nur Theile eben Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. eben derselben Zeit. Die Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden kan, ist aber An- schauung. Auch wuͤrde sich der Satz, daß verschiedene Zei- ten nicht zugleich seyn koͤnnen, aus einem allgemeinen Be- griff nicht herleiten lassen. Der Satz ist synthetisch, und kan aus Begriffen allein nicht entspringen. Er ist also in der Anschauung und Vorstellung der Zeit unmittelbar enthalten. 5) Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß alle bestimmte Groͤsse der Zeit nur durch Einschraͤnkungen ei- ner einigen zum Grunde liegenden Zeit moͤglich sey. Daher muß die urspruͤngliche Vorstellung Zeit, als uneingeschraͤnkt gegeben seyn. Wovon aber die Theile selbst, und iede Groͤße eines Gegenstandes nur durch Einschraͤnkung be- stimmt vorgestellt werden koͤnnen, da muß die ganze Vor- stellung nicht durch Begriffe gegeben seyn, (denn da gehen die Theilvorstellungen vorher) sondern es muß ihre un- mittelbare Anschauung zum Grunde liegen. Schluͤsse aus diesen Begriffen. a) Die Zeit ist nicht etwas, was vor sich selbst be- stuͤnde, oder denen Dingen als obiective Bestimmung an- hinge, mithin uͤbrig bliebe, wenn man von allen sub- iectiven Bedingungen der Anschauung derselben abstrahirt: denn im ersten Fall wuͤrde sie etwas seyn, was ohne wirk- lichen Gegenstand dennoch wirklich waͤre. Was aber das zweite II. Abschnitt. Von der Zeit. zweite betrift, so koͤnte sie als eine den Dingen selbst an- hangende Bestimmung oder Ordnung nicht vor den Ge- genstaͤnden, als ihre Bedingung vorhergehen, und a priori durch synthetische Saͤtze erkant und angeschaut werden. Diese letztere findet dagegen sehr wohl statt, wenn die Zeit nichts als die subiective Bedingung ist, unter der alle An- schauungen in uns statt finden koͤnnen. Denn da kan diese Form der innern Anschauung vor den Gegenstaͤnden, mithin a priori vorgestellt werden. b) Die Zeit ist nichts anders, als die Form des in- nern Sinnes, d. i. des Anschauens unserer selbst und unsers innern Zustandes. Denn die Zeit kan keine Bestimmung aͤusserer Erscheinungen seyn; Sie gehoͤret weder zu einer Gestalt, oder Lage ꝛc. dagegen bestimmt sie das Verhaͤlt- niß der Vorstellungen in unserm innern Zustande. Und, eben weil diese innre Anschauung keine Gestalt giebt, suchen wir auch diesen Mangel durch Analogien zu ersetzen, und stellen die Zeitfolge durch eine ins unendliche fortgehende Linie vor, in welcher das Mannigfaltige eine Reihe aus- macht, die nur von einer Dimension ist, und schliessen aus den Eigenschaften dieser Linie auf alle Eigenschaften der Zeit, ausser dem einigen, daß die Theile der erstern zugleich, die der letztern aber iederzeit nach einander sind. Hieraus erhellet auch, daß die Vorstellung der Zeit selbst Anschauung sey, weil alle ihre Verhaͤltnisse sich an einer aͤussern Anschauung ausdruͤcken lassen. C c) Die Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. c) Die Zeit ist die formale Bedingung a priori aller Erscheinungen uͤberhaupt. Der Raum, als die reine Form aller aͤusseren Anschauung ist als Bedingung a prio- ri blos auf aͤussere Erscheinungen eingeschraͤnkt. Dagegen weil alle Vorstellungen, sie moͤgen nun aͤussere Dinge zum Gegenstande haben, oder nicht, doch an sich selbst, als Be- stimmungen des Gemuͤths, zum innern Zustande gehoͤren: dieser innere Zustand aber, unter der formalen Bedingung der innern Anschauung, mithin der Zeit gehoͤret, so ist die Zeit eine Bedingung a priori von aller Erscheinung uͤber- haupt, und zwar die unmittelbare Bedingung der inneren (unserer Seelen) und eben dadurch mittelbar auch der aͤussern Erscheinungen. Wenn ich a priori sagen kan: alle aͤussere Erscheinungen sind im Raume, und nach den Verhaͤltnissen des Raumes a priori bestimmt, so kan ich aus dem Prin- cip des innern Sinnes ganz allgemein sagen: alle Erschei- nungen uͤberhaupt, d. i. alle Gegenstaͤnde der Sinne, sind in der Zeit, und stehen nothwendiger Weise in Ver- haͤltnissen der Zeit. Wenn wir von unsrer Art, uns selbst innerlich an- zuschauen, und vermittelst dieser Anschauung auch alle aͤus- sere Anschauungen in der Vorstellungs- Kraft zu befassen, abstrahiren, und mithin die Gegenstaͤnde nehmen, so wie sie an sich selbst seyn moͤgen, so ist die Zeit Nichts. Sie ist nur von obiectiver Guͤltigkeit in Ansehung der Er- scheinungen, weil dieses schon Dinge sind, die wir als Ge- genstaͤnde unsrer Sinne annehmen, aber sie ist nicht mehr ob- II Abschnitt. Von der Zeit. obiectiv, wenn man von der Sinnlichkeit unsrer Anschau- ung, mithin derienigen Vorstellungsart, welche uns ei- genthuͤmlich ist, abstrahirt, und von Dingen uͤberhaupt redet. Die Zeit ist also lediglich eine subiective Bedingung unserer (menschlichen) Anschauung, (welche iederzeit sinn- lich ist, d. i. so fern wir von Gegenstaͤnden afficirt werden) und an sich, ausser dem Subiecte, nichts. Nichts desto weniger ist sie in Ansehung aller Erscheinungen, mithin auch aller Dinge, die uns in der Erfahrung vorkommen koͤnnen, nothwendiger Weise obiectiv. Wir koͤnnen nicht sagen: alle Dinge sind in der Zeit, weil bey dem Begriff der Dinge uͤberhaupt von aller Art der Anschauung der- selben abstrahirt wird, diese aber die eigentliche Bedingung ist, unter der die Zeit in die Vorstellung der Gegenstaͤnde gehoͤrt. Wird nun die Bedingung zum Begriffe hinzuge- fuͤgt, und es heißt: alle Dinge, als Erscheinungen (Ge- genstaͤnde der sinnlichen Anschauung) sind in der Zeit, so hat der Grundsatz seine gute obiective Richtigkeit und All- gemeinheit a priori . Unsere Behauptungen lehren demnach empirische Realitaͤt der Zeit, d. i. obiective Guͤltigkeit in Ansehung aller Gegenstaͤnde, die iemals unsern Sinnen gegeben wer- den moͤgen. Und da unsere Anschauung iederzeit sinnlich ist, so kan uns in der Erfahrung niemals ein Gegenstand gegeben werden, der nicht unter die Bedingung der Zeit gehoͤrete. Dagegen streiten wir der Zeit allen Anspruch auf absolute Realitaͤt, da sie nemlich, auch ohne auf die C 2 Form Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. Form unserer sinnlichen Anschauung Ruͤcksicht zu nehmen, schlechthin den Dingen als Bedingung oder Eigenschaft anhinge. Solche Eigenschaften, die den Dingen an sich zukommen, koͤnnen uns durch die Sinne auch niemals ge- geben werden. Hierin besteht also die transscendentale Idealitaͤt der Zeit, nach welcher sie, wenn man von den subiectiven Bedingungen der sinnlichen Anschauung abstra- hirt, gar nichts ist, und den Gegenstaͤnden an sich selbst (ohne ihr Verhaͤltniß auf unsere Anschauung) weder sub- sistirend noch inhaͤrirend beygezaͤhlt werden kan. Doch ist diese Idealitaͤt, eben so wenig wie die des Raumes, mit den Subreptionen der Empfindungen in Vergleichung zu stellen, weil man doch dabey von der Erscheinung selbst, der diese Praͤdicate inhaͤriren, voraussezt, daß sie ob- iective Realitaͤt habe, die hier gaͤnzlich wegfaͤllt, ausser, so fern sie blos empirisch ist, d. i. den Gegenstand selbst blos als Erscheinung ansieht: wovon die obige Anmerkung des ersteren Abschnitts nachzusehen ist. Erlaͤuterung. Wider diese Theorie, welche der Zeit empirische Rea- litaͤt zugestehet, aber die absolute und transscendentale streitet, habe ich von einsehenden Maͤnnern einen Einwurf so einstimmig vernommen, daß ich daraus abnehme, er muͤsse sich natuͤrlicher Weise bey iedem Leser, dem diese Betrachtungen ungewohnt sind, vorfinden. Er lautet so: Veraͤnderungen sind wirklich (dies beweiset der Wechsel unse- II. Abschnitt. Von der Zeit. unserer eigenen Vorstellungen, wenn man gleich alle aͤus- sere Erscheinungen, samt deren Veraͤnderungen leugnen wollte). Nun sind Veraͤnderungen nur in der Zeit moͤg- lich, folglich ist die Zeit etwas wirkliches. Die Beant- wortung hat keine Schwierigkeit. Ich gebe das ganze Argument zu. Die Zeit ist allerdings etwas Wirkliches, nemlich die wirkliche Form der innern Anschauung. Sie hat also subiective Realitaͤt in Ansehung der innern Er- fahrung, d. i. ich habe wirklich die Vorstellung von der Zeit und meiner Bestimmungen in ihr. Sie ist also wirklich nicht als Obiect, sondern als die Vorstellungsart meiner Selbst als Obiets anzusehen. Wenn aber ich selbst, oder ein an- der Wesen mich, ohne diese Bedingung der Sinnlichkeit, an- schauen koͤnte, so wuͤrden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns iezt als Veraͤnderungen vorstellen, eine Erkentniß geben, in welcher die Vorstellung der Zeit, mithin auch der Veraͤnderung gar nicht vorkaͤme. Es bleibt also ihre empirische Realitaͤt als Bedingung aller unsrer Erfahrungen. Nur die absolute Realitaͤt kan ihr nach dem oben angefuͤhrten nicht zugestanden werden. Sie ist nichts, als die Form unsrer inneren Anschauung. Ich kan zwar sagen: meine Vorstellungen folgen einander; aber das heißt nur, wir sind uns ihrer, als in einer Zeitfolge, d. i. nach der Form des innern Sinnes be- wußt. Die Zeit ist darum nicht etwas an sich selbst, auch keine den Dingen obiectiv anhaͤngende Bestimmung. Wenn man von ihr die besondere Bedingung unserer Sinnlichkeit wegnimmt, so verschwin- det auch der Begriff der Zeit, und sie haͤngt nicht an den C 3 Gegen- Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. Gegenstaͤnden selbst, sondern blos am Subiecte, welches sie anschauet. Die Ursache aber, weswegen dieser Einwurff so ein- stimmig gemacht wird, und zwar von denen, die gleichwol gegen die Lehre von der Idealitaͤt des Raumes nichts Ein- leuchtendes einzuwenden wissen, ist diese. Die absolute Realitaͤt des Raumes hoffeten sie nicht apodictisch darthun zu koͤnnen, weil ihnen der Idealismus entgegen steht, nach welchem die Wirklichkeit aͤusserer Gegenstaͤnde keines strengen Beweises faͤhig ist: Dagegen die des Gegenstandes unserer innern Sinnen (meiner selbst und meines Zustan- des) unmittelbar durchs Bewußtseyn klar ist. Jene kon- ten ein blosser Schein seyn, dieser aber ist, ihrer Meinung nach, unleugbar etwas wirkliches. Sie bedachten aber nicht, daß beyde, ohne daß man ihre Wirklichkeit als Vorstellungen bestreiten darf, gleichwol nur zur Erschei- nung gehoͤren, welche iederzeit zwey Seiten hat, die eine, da das Obiect an sich selbst betrachtet wird, (unangesehen der Art, dasselbe anzuschauen, dessen Beschaffenheit aber eben darum iederzeit problematisch bleibt) die andere, da auf die Form der Anschauung dieses Gegenstandes gesehen wird, welche nicht in dem Gegenstande an sich selbst, son- dern im Subiecte, dem derselbe erscheint, gesucht werden muß, gleichwohl aber der Erscheinung dieses Gegenstandes wirklich und nothwendig zukommt. Zeit und Raum sind demnach zwey Erkenntnißquellen, aus denen a priori verschiedene synthetische Erkenntnisse ge- II. Abschnitt. Von der Zeit. geschoͤpft werden koͤnnen, wie vornemlich die reine Mathe- matik in Ansehung der Erkentnisse vom Raume und dessen Verhaͤltnissen ein glaͤnzendes Beyspiel giebt. Sie sind nem- lich beyde zusammen genommen reine Formen aller sinnli- chen Anschauung, und machen dadurch synthetische Saͤtze a priori moͤglich. Aber diese Erkentnißquellen a priori bestimmen sich eben dadurch (daß sie blos Bedingungen der Sinnlichkeit seyn) ihre Grenzen, nemlich, daß sie blos auf Gegenstaͤnde gehen, so fern sie als Erscheinungen betrachtet werden, nicht aber Dinge an sich selbst darstel- len. Jene allein sind das Feld ihrer Guͤltigkeit, woraus wenn man hinausgehet, weiter kein obiectiver Gebrauch derselben statt findet. Diese Realitaͤt des Raumes und der Zeit laͤßt uͤbrigens die Sicherheit der Erfahrungser- kentniß unangetastet: denn wir sind derselben eben so ge- wiß, ob diese Formen den Dingen an sich selbst, oder nur unsrer Anschauung dieser Dinge nothwendiger Weise anhaͤngen. Dagegen die, so die absolute Realitaͤt des Raumes und der Zeit behaupten, sie moͤgen sie nun als subsistirend, oder nur inhaͤrirend annehmen, mit den Principien der Erfahrung selbst uneinig seyn muͤssen. Denn, entschliessen sie sich zum ersteren (welches gemeiniglich die Parthey der mathematischen Naturforscher ist,) so muͤssen sie zwey ewige und unendliche vor sich bestehende Undinge, (Raum und Zeit) annehmen, welche da sind, (ohne daß doch etwas Wirkliches ist), nur um alles wirkliche in sich zu befassen. Nehmen sie die zweite Parthey (von C 4 der Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. der einige metaphysische Naturlehrer sind,) und Raum und Zeit gelten ihnen als von der Erfahrung abstrahirte, obzwar in der Absonderung verworren vorgestellte Ver- haͤltnisse der Erscheinungen (neben oder nach einander) so muͤssen sie den mathematischen Lehren a priori in An- sehung wirklicher Dinge (z. E. im Raume) ihre Guͤltigkeit, wenigstens die apodictische Gewißheit streiten, indem diese a posteriori gar nicht statt findet, und die Begriffe a priori von Raum und Zeit dieser Meinung nach, nur Ge- schoͤpfe der Einbildungskraft sind, deren Quell wirklich in der Erfahrung gesucht werden muß, aus deren abstrahir- ten Verhaͤltnissen die Einbildung etwas gemacht hat, was zwar das Allgemeine derselben enthaͤlt, aber ohne die Re- strictionen, welche die Natur mit denselben verknuͤpft hat, nicht statt finden kan. Die erstere gewinnen so viel, daß sie vor die mathematische Behauptungen sich das Feld der Erscheinungen frey machen: Dagegen verwirren sie sich sehr durch eben diese Bedingungen, wenn der Verstand uͤber dieses Feld hinausgehen will. Die zweite gewinnen zwar in Ansehung des lezteren, nemlich, daß die Vorstel- lungen von Raum und Zeit ihnen nicht in den Weg kom- men, wenn sie von Gegenstaͤnden nicht als Erscheinungen, sondern blos im Verhaͤltniß auf den Verstand urtheilen wollen; koͤnnen aber weder von der Moͤglichkeit mathema- tischer Erkentnisse a priori (indem ihnen eine wahre und obiectiv guͤltige Anschauung a priori fehlt) Grund ange- ben, noch die Erfahrungssaͤtze mit ienen Behauptungen in noth- II. Abschnitt. Von der Zeit. nothwendige Einstimmung bringen. In unserer Theorie, von der wahren Beschaffenheit dieser zwey urspruͤnglichen Formen der Sinnlichkeit, ist beyden Schwierigkeiten ab- geholfen. Daß schluͤßlich die transscendentale Aesthetik nicht mehr, als diese zwey Elemente, nemlich Raum und Zeit enthalten koͤnne, ist daraus klar, weil alle andre zur Sinnlichkeit gehoͤrige Begriffe, selbst der der Bewegung, welcher beyde Stuͤcke vereinigt, etwas Empirisches vor- aussetzen. Denn diese sezt die Wahrnehmung von etwas beweglichen voraus. Im Raum, an sich selbst betrachtet, ist aber nichts bewegliches: Daher das bewegliche Etwas seyn muß, was im Raume nur durch Erfahrung ge- funden wird, mithin ein empirisches Datum. Eben so kan die transscendentale Aesthetik nicht den Begriff der Veraͤnderung unter ihre Data a priori zehlen: denn die Zeit selbst veraͤndert sich nicht sondern etwas, das in der Zeit ist. Also wird dazu die Wahrnehmung von irgend einem Daseyn, und der Succeßion seiner Bestimmungen, mithin Erfahrung erfordert. Allgemeine Anmerkungen zur Transscendentalen Aesthetik. Zuerst wird es noͤthig seyn, uns so deutlich, als moͤglich, zu erklaͤren, was in Ansehung der Grundbeschaf- C 5 fen- Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. fenheit der sinnlichen Erkentniß uͤberhaupt unsre Meinung sey, um aller Misdeutung derselben vorzubeugen. Wir haben also sagen wollen: daß alle unsre An- schauung nichts als die Vorstellung von Erscheinung sey: daß die Dinge, die wir anschauen, nicht das an sich selbst sind, wofuͤr wir sie anschauen, noch ihre Verhaͤltnisse so an sich selbst beschaffen sind, als sie uns erscheinen, und daß, wenn wir unser Subiect oder auch nur die subiective Beschaffenheit der Sinne uͤberhaupt aufheben, alle die Beschaffenheit, alle Verhaͤltnisse der Obiecte im Raum und Zeit, ia selbst Raum und Zeit verschwinden wuͤrden, und als Erscheinungen nicht an sich selbst, sondern nur in uns existiren koͤnnen. Was es vor eine Bewandniß mit den Gegenstaͤnden an sich und abgesondert von aller dieser Receptivitaͤt unserer Sinnlichkeit haben moͤge, bleibt uns gaͤnzlich unbekant. Wir kennen nichts, als unsere Art, sie wahrzunehmen, die uns eigenthuͤmlich ist, die auch nicht nothwendig iedem Wesen, ob zwar iedem Menschen zu- kommen muß. Mit dieser haben wir es lediglich zu thun. Raum und Zeit sind die reine Formen derselben, Empfin- dung uͤberhaupt die Materie. Jene koͤnnen wir allein a priori d. i. vor aller wirklichen Wahrnehmung erkennen, und sie heisset darum reine Anschauung; diese aber ist das in unserm Erkentniß, was da macht, daß sie Erkentniß a posteriori d. i. empirische Anschauung heißt. Jene haͤngen unsrer Sinnlichkeit schlechthin nothwendig an, welcher Art auch unsere Empfindungen seyn moͤgen; diese koͤn- II. Abschnitt. Von der Zeit. koͤnnen sehr verschieden seyn. Wenn wir diese unsre An- schauung auch zum hoͤchsten Grade der Deutlichkeit brin- gen koͤnten, so wuͤrden wir dadurch der Beschaffenheit der Gegenstaͤnde an sich selbst nicht naͤher kommen. Denn wir wuͤrden auf allen Fall doch nur unsre Art der Anschau- ung d. i. unsere Sinnlichkeit vollstaͤndig erkennen, und diese immer nur unter den, dem Subiect urspruͤnglich an- haͤngenden Bedingungen, von Raum und Zeit; was die Gegenstaͤnde an sich selbst seyn moͤgen, wuͤrde uns durch die aͤufgeklaͤrteste Erkentniß der Erscheinung derselben, die uns allein gegeben ist, doch niemals bekant werden. Daß daher unsere ganze Sinnlichkeit nichts als die verworrene Vorstellung der Dinge sey, welche lediglich das enthaͤlt, was ihnen an sich selbst zukoͤmmt, aber nur un- ter einer Zusammenhaͤufung von Merkmalen und Theil- vorstellungen, die wir nicht mit Bewußtseyn auseinander setzen, ist eine Verfaͤlschung des Begriffs von Sinnlichkeit und von Erscheinnng , welche die ganze Lehre derselben un- nuͤtz und leer macht. Der Unterschied einer undeutlichen von der deutlichen Vorstellung ist blos logisch, und betrist nicht den Inhalt. Ohne Zweifel enthaͤlt der Begriff von Recht, dessen sich der gesunde Verstand bedient, eben dasselbe, was die subtileste Speculation aus ihm entwickeln kan, nur daß im gemeinen und practischen Gebrauche man sich dieser mannigfaltigen Vorstellungen in diesen Gedanken, nicht bewußt ist. Darum kan man nicht sagen, daß der gemeine Begriff sinnlich sey, und eine blosse Erscheinung ent- Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. enthalte, denn das Recht kan gar nicht erscheinen, son- dern sein Begriff liegt im Verstande, und stellet eine Be- schaffenheit, ( die moralische) der Handlungen vor, die ihnen an sich selbst zukommt. Dagegen enthaͤlt die Vor- stellung eines Coͤrpers in der Anschauung gar nichts, was einem Gegenstande an sich selbst zukommen koͤnte, sondern blos die Erscheinung von Etwas, und die Art, wie wir dadurch afficirt werden, und diese Receptivitaͤt unserer Erkentnißfaͤhigkeit heißt Sinnlichkeit, und bleibt von der Erkentniß des Gegenstandes an sich selbst, ob man iene (die Erscheinung) gleich bis auf den Grund durchschauen moͤchte, dennoch himmelweit unterschieden. Die Leibniz-wolfische Philosophie hat daher allen Untersuchungen uͤber die Natur und den Ursprung unserer Erkentnisse einen ganz unrechten Gesichtspunct angewiesen, indem sie den Unterschied der Sinnlichkeit vom Intellectuellen blos als logisch betrachtete, da er offenbar transscendental ist, und nicht blos die Form der Deutlichkeit oder Undeut- lichkeit, sondern den Ursprung und den Inhalt derselben betrift, so daß wir durch die erstere die Beschaffenheit der Dinge an sich selbst nicht blos undeutlich, sondern gar nicht erkennen, und, so bald wir unsre subiective Beschaf- fenheit wegnehmen, das vorgestellte Obiect mit den Ei- genschaften, die ihm die sinnliche Anschauung beylegte, uͤberall nirgend anzutreffen ist, noch angetroffen werden kan, indem eben diese subiective Beschaffenheit die Form desselben, als Erscheinung bestimmt. Wir II. Abschnitt. Von der Zeit. Wir unterscheiden sonst wohl unter Erscheinungen, das, was der Anschauung derselben wesentlich anhaͤngt, und vor ieden menschlichen Sinn uͤberhaupt gilt, von dem- ienigen, was derselben nur zufaͤlliger Weise zukommt, in- dem es nicht auf die Beziehung der Sinnlichkeit uͤberhaupt, sondern nur auf eine besondre Stellung oder Organisation dieses oder ienes Sinnes guͤltig ist. Und da nennt man die erstere Erkentniß eine solche, die den Gegenstand an sich selbst vorstellt, die zweite aber nur die Erscheinung desselben. Dieser Unterschied ist aber nur empirisch. Bleibt man dabey stehen, (wie es gemeiniglich geschieht,) und sieht iene empirische Anschauung nicht wiederum (wie es geschehen sollte) als blosse Erscheinung an, so daß dar- in gar nichts, was irgend eine Sache an sich selbst angin- ge, anzutreffen ist, so ist unser transscendentale Unterschied verloren, und wir glauben alsdenn doch, Dinge an sich zu erkennen, ob wir es gleich uͤberall (in der Sinnenwelt) selbst bis zu der tiefsten Erforschung ihrer Gegenstaͤnde mit nichts, als Erscheinungen zu thun haben. So werden wir zwar den Regenbogen eine blosse Erscheinung bey einem Sonnregen nennen, diesen Regen aber die Sache an sich selbst, welches auch richtig ist, so fern wir den letztern Begriff nur physisch verstehen, als das, was in der allgemeinen Erfahrung unter allen verschiedenen Lagen zu den Sinnen, doch in der Anschauung so und nicht an- ders bestimmt ist. Nehmen wir aber dieses Empirische uͤberhaupt, und fragen, ohne uns an die Einstimmung dessel- Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. desselben mit iedem Menschensinne zu kehren, ob auch dieses einen Gegenstand an sich selbst (nicht die Regentropfen, denn die sind denn schon, als Erscheinungen empirische Obiecte) vorstelle, so ist die Frage von der Beziehung der Vorstel- lung auf den Gegenstand transscendental, und nicht allein diese Tropfen sind blosse Erscheinungen, sondern selbst ihre runde Gestalt, ia so gar der Raum, in welchem sie fal- len, sind nichts an sich selbst, sondern blosse Modificatio- nen, oder Grundlagen unserer sinnlichen Anschauung, das transscendentale Obiect aber bleibt uns unbekant. Die zweite wichtige Angelegenheit unserer transcen- dentalen Aesthetik ist, daß sie nicht blos als scheinbare Hy- pothese einige Gunst erwerbe, sondern so gewiß und un- gezweifelt sey, als iemals von einer Theorie gefordert wer- den kan, die zum Organon dienen soll. Um diese Gewis- heit voͤllig einleuchtend zu machen, wollen wir irgend einen Fall waͤhlen, woran dessen Guͤltigkeit augenscheinlich wer- den kan. Setzet demnach Raum und Zeit seyen an sich selbst obiectiv und Bedingungen der Moͤglichkeit der Dinge an sich selbst, so zeigt sich erstlich: daß von beyden a priori apodictische und synthetische Saͤtze in großer Zahl vornem- lich vom Raum vorkommen, welchen wir darum vorzuͤg- lich hier zum Beyspiel untersuchen wollen. Da die Saͤtze der Geometrie synthetisch a priori, und mit apodictischer Gewis- II. Abschnitt. Von der Zeit. Gewisheit erkant werden, so frage ich: woher nehmt ihr dergleichen Saͤtze, und worauf stuͤtzt sich unser Verstand, um zu dergleichen schlechthin nothwendigen und allgemein guͤltigen Wahrheiten zu gelangen. Es ist kein anderer Weg, als durch Begriffe oder durch Anschauungen; beydes aber, als solche, die entweder a priori oder a posteriori gegeben sind. Die letztere, naͤmlich empirische Begriffe, im- gleichen das, worauf sie sich gruͤnden, die empirische An- schauung, koͤnnen keinen synthetischen Satz geben, als nur einen solchen, der auch blos empirisch d. i. ein Er- fahrungssatz ist, mithin niemals Nothwendigkeit und abso- lute Allgemeinheit enthalten kan, dergleichen doch das Characteristische aller Saͤtze der Geometrie ist. Was aber das erstere und einzige Mittel seyn wuͤrde, nemlich durch blosse Begriffe oder durch Anschauungen a priori zu der- gleichen Erkentnissen zu gelangen, so ist klar, daß aus blossen Begriffen gar keine synthetische Erkentniß, sondern lediglich analytische erlangt werden kan. Nehmet nur den Satz: daß durch zwey gerade Linien sich gar kein Raum einschliessen lasse, mithin keine Figur moͤglich sey, und ver- sucht ihn, aus dem Begriff von geraden Linien und der Zahl zwey abzuleiten, oder auch, daß aus dreyen geraden Linien eine Figur moͤglich sey, und versucht es eben so, blos aus diesen Begriffen. Alle eure Bemuͤhung ist ver- geblich, und ihr seht euch genoͤthiget, zur Anschauung eure Zuflucht zu nehmen, wie es die Geometrie auch iederzeit thut. Ihr gebt euch also einen Gegenstand in der An- schau- Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik. schauung; von welcher Art aber ist diese, ist es eine reine Anschauung a priori oder eine empirische? Waͤre das letzte, so koͤnte niemals ein allgemein guͤltiger, noch weni- ger ein apodictischer Satz daraus werden: denn Erfahrung kan dergleichen niemals liefern. Ihr muͤßt also euren Gegenstand a priori in der Anschauung geben, und auf diesen euren synthetischen Satz gruͤnden. Laͤge nun in euch nicht ein Vermoͤgen, a priori anzuschauen, waͤre die- se subiective Bedingung der Form nach nicht zugleich die allgemeine Bedingung a priori, unter der allein das Ob- iect dieser (aͤusseren) Anschauung selbst moͤglich ist, waͤre der Gegenstand (der Triangel) etwas an sich selbst ohne Beziehung auf euer Subiect, wie koͤntet ihr sagen, daß was in euren subiectiven Bedingungen einen Triangel zu con- struiren nothwendig liegt, auch dem Triangel an sich selbst nothwendig zukommen muͤsse; denn ihr koͤntet doch zu euren Begriffen (von drey Linien) nichts neues (die Figur) hin- zufuͤgen, welches darum nothwendig an dem Gegenstande angetroffen werden muͤßte, da dieser vor eurer Erkentniß, und nicht durch dieselbe gegeben ist. Waͤre also nicht der Raum (und so auch die Zeit) eine bloße Form eurer An- schauung, welche Bedingungen a priori enthaͤlt, unter denen allein Dinge vor euch aͤussere Gegenstaͤnde seyn koͤn- nen, die ohne diese subiective Bedingungen an sich nichts sind, so koͤntet ihr a priori ganz und gar nichts uͤber aͤus- sere Obiecte synthetisch ausmachen. Es ist also ungezwei- felt gewiß, und nicht blos moͤglich, oder auch wahrschein- lich, II. Abschnitt. Von der Zeit. lich, daß Raum und Zeit, als die nothwendige Bedin- gungen aller (aͤussern und innern) Erfahrung, blos sub- iective Bedingungen aller unsrer Anschauung sind, im Ver- haͤltniß auf welche daher alle Gegenstaͤnde blosse Erschei- nungen und nicht vor sich in dieser Art gegebene Dinge sind, von denen sich auch um deswillen, was die Form derselben betrift, vieles a priori sagen laͤßt, niemals aber das Mindeste von dem Dinge an sich selbst, das diesen Er- scheinungen zum Grunde liegen mag. D Der Elementarlehre. II. Th. Transsc. Logik. Der Transscendentalen Elementarlehre Zweyter Theil. Die transscendentale Logik . Einleitung. Idee einer transscendentalen Logik. I. Von der Logik uͤberhaupt. U nsre Erkentniß entspringt aus zwey Grundquellen des Gemuͤths, deren die erste ist, die Vorstellungen zu empfangen, (die Receptivitaͤt der Eindruͤcke) die zweite, das Vermoͤgen, durch diese Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen: (Spontaneitaͤt der Begriffe); durch die erstere wird uns ein Gegenstand gegeben, durch die zweyte wird dieser, im Verhaͤltniß auf iene Vorstellung (als blosse Be- stimmung des Gemuͤths) gedacht. Anschauung und Be- griffe machen also die Elemente aller unsrer Erkentniß aus, so daß weder Begriffe, ohne ihnen auf einige Art correspon- dirende Anschauung, noch Anschauung, ohne Begriffe, ein Erkentniß abgeben kan. Beyde sind entweder rein, oder empirisch. Empirisch, wenn Empfindung, (die die wirk- liche Gegenwart des Gegenstandes voraussezt) darinn ent- halten ist: rein aber, wenn der Vorstellung keine Empfin- dung beygemischt ist. Man kan die leztere die Materie der sinnlichen Erkentniß nennen. Daher enthaͤlt reine Anschauung lediglich die Form, unter welcher etwas ange- schaut Einleitung . schaut wird, und reiner Begriff allein die Form des Denkens eines Gegenstandes uͤberhaupt. Nur allein reine Auschauun- gen oder Begriffe sind a priori moͤglich, empirische nur a posteriori . Wollen wir die Receptivitaͤt unseres Gemuͤths, Vor- stellungen zu empfangen, so fern es auf irgend eine Weise afficirt wird, Sinnlichkeit nennen, so ist dagegen das Ver- moͤgen, Vorstellungen selbst hervorzubringen, oder die Spon - taneitaͤt des Erkentnisses, der Verstand . Unsre Natur bringt es so mit sich, daß die Anschauung niemals an- ders als sinnlich seyn kan, d. i. nur die Art enthaͤlt, wie wir von Gegenstaͤnden afficirt werden. Dagegen ist das Vermoͤgen, den Gegenstand sinnlicher Anschauung zu den- ken, der Verstand. Keine dieser Eigenschaften ist der andern vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit wuͤrde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe, sind blind. Daher ist es eben so nothwen- dig, seine Begriffe sinnlich zu machen, (d. i. ihnen den Ge- genstand in der Anschauung beyzufuͤgen), als seine An- schauungen sich verstaͤndlich zu machen,) d. i. sie unter Be- griffe zu bringen). Beyde Vermoͤgen, oder Faͤhigkeiten, koͤnnen auch ihre Funetionen nicht vertauschen. Der Ver- stand vermag nichts anzuschauen, und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kan Er- kentniß entspringen. Deswegen darf man aber doch nicht ihren Antheil vermischen, sondern man hat große Ursache, D 2 iedes Elementarlehre. II. Th. Transsc. Logik. iedes von dem andern sorgfaͤltig abzusondern, und zu un- terscheiden. Daher unterscheiden wir die Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit uͤberhaupt, d. i. Aesthetik, von der Wissenschaft der Verstandesregeln uͤberhaupt, d. i. der Logik. Die Logik kan nun wiederum in zwiefacher Absicht unternommen werden, entweder als Logik des allgemeinen, oder des besondern Verstandesgebrauchs. Die erste ent- haͤlt die schlechthin nothwendige Regeln des Denkens, ohne welche gar kein Gebrauch des Verstandes statt findet, und geht also auf diesen, unangesehen der Verschiedenheit der Gegenstaͤnde, auf welche er gerichtet seyn mag. Die Logik des besondern Verstandesgebrauchs enthaͤlt die Re- geln, uͤber eine gewisse Art von Gegenstaͤnden richtig zu denken. Jene kan man die Elementarlogik nennen, die- se aber das Organon dieser oder iener Wissenschaft. Die leztere wird mehrentheils in den Schulen als Propaͤdevtik der Wissenschaften vorangeschikt, ob sie zwar, nach dem Gange der menschlichen Vernunft, das spaͤteste ist, wozu sie allererst gelangt, wenn die Wissenschaft schon lange fer- tig ist, und nur die lezte Hand zu ihrer Berichtigung und Vollkommenheit bedarf. Denn man muß die Gegenstaͤnde schon in ziemlich hohem Grade kennen, wenn man die Re- geln angeben will, wie sich eine Wissenschaft von ihnen zu Stande bringen lasse. Die allgemeine Logik ist nun entweder die reine, oder die angewandte Logik. In der ersteren abstrahiren wir von Einleitung . von allen empirischen Bedingungen, unter denen unser Verstand ausgeuͤbet wird, z. B. vom Einfluß der Sinne, vom Spiele der Einbildung, den Gesetzen des Gedaͤcht- nisses, der Macht der Gewohnheit, der Neigung ꝛc. mit- hin auch den Quellen der Vorurtheile, ia gar uͤberhaupt von allen Ursachen, daraus uns gewisse Erkentnisse ent- springen, oder unterschoben werden moͤgen, weil sie blos den Verstand unter gewissen Umstaͤnden seiner Anwendung betreffen, und, um diese zu kennen, Erfahrung erfordert wird. Eine allgemeine, aber reine Logik hat es also mit lauter Principien a priori zu thun, und ist ein Canon des Verstandes und der Vernunft, aber nur in An- sehung des Formalen ihres Gebrauchs, der Inhalt mag seyn, welcher er wolle, (empirisch oder transscendental.) Eine allgemeine Logik heißt aber alsdenn angewandt, wenn sie auf die Regeln des Gebrauchs des Verstan- des unter den subiectiven empirischen Bedingungen, die uns die Psychologie lehrt, gerichtet ist. Sie hat al- so empirische Principien, ob sie zwar in so fern allge- mein ist, daß sie auf den Verstandesgebrauch ohne Unter- schied der Gegenstaͤnde geht. Um deswillen ist sie auch weder ein Canon des Verstandes uͤberhaupt, noch ein Or- ganon besondrer Wissenschaften, sondern lediglich ein Ca- tharcticon des gemeinen Verstandes. In der allgemeinen Logik muß also der Theil, der die reine Vernunftlehre ausmachen soll, von demienigen gaͤnz- lich abgesondert werden, welcher die angewandte (obzwar D 3 noch Elementarlehre. II. Th. Transsc. Logik. noch immer allgemeine) Logik ausmacht. Der erstere ist eigentlich nur allein Wissenschaft, obzwar kurz und trocken, und wie es die schulgerechte Darstellung einer Elementar- Lehre des Verstandes erfordert. In dieser muͤssen also die Logiker iederzeit zwey Regeln vor Augen haben. 1) Als allgemeine Logik abstrahirt sie von allem In- halt der Verstandeserkentniß, und der Verschiedenheit ih- rer Gegenstaͤnde, und hat mit nichts, als der blossen Form des Denkens zu thun. 2) Als reine Logik hat sie keine empirische Princi- pien, mithin schoͤpft sie nichts, (wie man sich bisweilen uͤberredet hat) aus der Psychologie, die also auf den Ca- non des Verstandes gar keinen Einfluß hat. Sie ist eine demonstrirte Doctrin, und alles muß in ihr voͤllig a priori gewiß seyn. Was ich die angewandte Logik nenne, (wider die ge- meine Bedeutung dieses Worts, nach der sie gewisse Exer- citien, dazu die reine Logik die Regel giebt, enthalten soll) so ist sie eine Vorstellung des Verstandes und der Regeln seines nothwendigen Gebrauchs in concreto, nemlich un- ter den zufaͤlligen Bedingungen des Subiects, die diesen Gebrauch hindern oder befoͤrdern koͤnnen, und die insge- samt nur empirisch gegeben werden. Sie handelt von der Aufmerksamkeit, deren Hinderniß und Folgen, dem Ur- sprunge des Irrthums, dem Zustande des Zweifels, des Scrupels, der Ueberzeugung u. s. w. und zu ihr verhaͤlt sich die allgemeine und reine Logik, wie die reine Moral, wel- che Einleitung . che blos die nothwendige sittliche Gesetze eines freyen Wil- lens uͤberhaupt enthaͤlt, zu der eigentlichen Tugendlehre, welche diese Gesetze unter den Hindernissen der Gefuͤhle, Neigungen und Leidenschaften, denen die Menschen mehr oder weniger unterworfen sind, erwaͤgt, und welche nie- mals eine wahre und demonstrirte Wissenschaft abgeben kan, weil sie eben sowol als iene angewandte Logik empi- rische und psychologische Principien bedarf. II. Von der Transscendentalen Logik . Die allgemeine Logik abstrahirt, wie wir gewiesen, von allem Inhalt der Erkentniß, d. i. von aller Beziehung derselben auf das Obiect und betrachtet nur die logische Form im Verhaͤltnisse der Erkentnisse auf einander, d. i. die Form des Denkens uͤberhaupt. Weil es nun aber so wol reine, als empirische Anschauungen giebt, (wie die trans- scendentale Aesthetik darthut), so koͤnte auch wol ein Un- terschied zwischen reinem und empirischem Denken der Gegenstaͤnde angetroffen werden. In diesem Falle wuͤrde es eine Logik geben, in der man nicht von allem Inhalt der Erkentniß abstrahirte; denn dieienige, welche blos die Regeln des reinen Denkens eines Gegenstandes enthiel- te, wuͤrde alle dieienige Erkentnisse ausschliessen, welche von empirischem Inhalte waͤren. Sie wuͤrde auch auf den Ursprung unserer Erkentnisse von Gegenstaͤnden gehen, D 4 so Elementarlehre. II. Th. Transsc. Logik. so fern er nicht den Gegenstaͤnden zugeschrieben werden kan; dahingegen die allgemeine Logik mit diesem Ursprunge der Erkentniß nichts zu thun hat, sondern die Vorstellun- gen, sie moͤgen uranfaͤnglich a priori in uns selbst, oder nur empirisch gegeben seyn, blos nach den Gesetzen betrachtet, nach welchen der Verstand sie im Verhaͤltniß gegen einander braucht, wenn er denkt und also nur von der Verstandes- form handelt, die den Vorstellungen verschaft werden kan, woher sie auch sonst entsprungen seyn moͤgen. Und hier mache ich eine Anmerkung, die ihren Ein- fluß auf alle nachfolgende Betrachtungen erstreckt, und die man wol vor Augen haben muß, nemlich: daß nicht eine iede Erkentniß a priori, sondern nur die, dadurch wir er- kennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder moͤglich seyn, transscendental (d. i. die Moͤglichkeit der Erkentniß oder der Gebrauch derselben a priori ) heissen muͤsse. Daher ist weder der Raum, noch irgend eine geo- metrische Bestimmung desselben a priori eine transscenden- tale Vorstellung, sondern nur die Erkentniß, daß diese Vorstellungen gar nicht empirischen Ursprungs seyn, und die Moͤglichkeit, wie sie sich gleichwol a priori auf Ge- genstaͤnde der Erfahrung beziehen koͤnne, kan trans- scendental heissen. Imgleichen wuͤrde der Gebrauch des Raumes von Gegenstaͤnden uͤberhaupt auch trans- scendental seyn: aber ist er lediglich auf Gegenstaͤn- de der Sinne eingeschraͤnkt, so heißt er empirisch. Der Unter- Einleitung . Unterschied des transscendentalen und empirischen gehoͤrt also nur zur Critik der Erkentnisse, und betrift nicht die Beziehung derselben auf ihren Gegenstand. In der Erwartung also, daß es vielleicht Begriffe geben koͤnne, die sich a priori auf Gegenstaͤnde beziehen moͤgen, nicht als reine oder sinnliche Anschauungen, son- dern blos als Handlungen des reinen Denkens, die mit- hin Begriffe, aber weder empirischen noch aͤsthetischen Ur- prungs sind, so machen wir uns zum voraus die Idee von einer Wissenschaft des reinen Verstandes und Vernunft- erkentnisses, dadurch wir Gegenstaͤnde voͤllig a priori denken. Eine solche Wissenschaft, welche den Ursprung, den Umfang und die obiective Guͤltigkeit solcher Erkentnisse bestimmete, wuͤrde transscendentale Logik heissen muͤssen, weil sie es blos mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft zu thun hat, aber lediglich, so fern sie auf Ge- genstaͤnde a priori bezogen wird, und nicht, wie die allge- meine Logik, auf die empirische so wol, als reine Ver- nunfterkentnisse ohne Unterschied. III. Von der Eintheilung der allgemeinen Logik in Analytik und Dialectik . Die alte und beruͤhmte Frage, womit man die Logi- ker in die Enge zu treiben vermeinte, und sie dahin zu bringen suchte, daß sie sich entweder auf einer elenden Dialele mußten betreffen lassen, oder ihre Unwissenheit, D 5 mit- Elementarlehre. II. Th. Transc. Logik. mithin die Eitelkeit ihrer ganzen Kunst bekennen solten, ist diese: Was ist Wahrheit? Die Nahmenerklaͤrung der Wahrheit, daß sie nemlich die Uebereinstimmung der Er- kentniß mit ihrem Gegenstande sey, wird hier geschenkt, und vorausgesezt; man verlangt aber zu wissen, welches das allgemeine und sichere Criterium der Wahrheit einer ieden Erkentniß sey. Es ist schon ein großer und noͤthiger Veweis der Klugheit oder Einsicht, zu wissen, was man vernuͤnftiger Weise fragen solle. Denn wenn die Frage an sich unge- reimt ist, und unnoͤthige Antworten verlangt, so hat sie, ausser der Beschaͤmung dessen, der sie auswirft, bisweilen noch den Nachtheil, den unbehutsamen Anhoͤrer derselben zu ungereimten Antworten zu verleiten, und den belachens- werthen Anblick zu geben, daß einer (wie die Alten sagten) den Bock melkt, der andre ein Sieb unterhaͤlt. Wenn Wahrheit in der Uebereinstimmung einer Er- kentniß mit ihrem Gegenstande besteht, so muß dadurch dieser Gegenstand von andern unterschieden werden; denn eine Erkentniß ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstande, worauf sie bezogen wird, nicht uͤbereinstimmt, ob sie gleich etwas enthaͤlt, was wol von andern Gegenstaͤnden gelten koͤnte. Nun wuͤrde ein allgemeines Criterium der Wahrheit dasienige seyn, welches von allen Erkentnissen, ohne Unterschied ihrer Gegenstaͤnde, guͤltig waͤre. Es ist aber klar, daß, da man bey demselben von allem Inhalt der Erkentniß (Beziehung auf ihr Obiect) abstrahirt, und Wahr- Einleitung . Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht, es ganz unmoͤglich und ungereimt sey, nach einem Merkmale der Wahrheit dieses Inhalts der Erkentnisse zu fragen, und daß also ein hinreichendes, und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmoͤglich angegeben werden koͤnne. Da wir oben schon den Inhalt einer Erkentniß die Materie dersel- ben genant haben, so wird man sagen muͤssen: von der Wahrheit der Erkentnis der Materie nach laͤßt sich kein allge- meines Kennzeichen verlangen, weil es in sich selbst wider- sprechend ist. Was aber das Erkentniß der blossen Form nach (mit Beyseitesetzung alles Inhalts) betrift, so ist eben so klar: daß eine Logik, so fern sie die allgemeine und nothwendige Regeln des Verstandes vortraͤgt, eben in diesen Regeln Criterien der Wahrheit darlegen muͤsse. Denn, was diesen widerspricht, ist falsch, weil der Verstand dabey seinen allgemeinen Regeln des Denkens, mithin sich selbst wider- streitet. Diese Criterien aber betreffen nur die Form der Wahrheit, d. i. des Denkens uͤberhaupt und sind so fern ganz richtig, aber nicht hinreichend. Denn obgleich eine Erkentniß der logischen Form voͤllig gemaͤß seyn moͤchte, d. i. sich selbst nicht widerspraͤche, so kan sie doch noch im- mer dem Gegenstande widersprechen. Also ist das blos logische Criterium der Wahrheit, nemlich die Uebereinstim- mung einer Erkentniß mit den allgemeinen und formalen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft zwar die condi- tio sine qua non, mithin die negative Bedingung aller Wahr- Elementarlehre. II. Th. Transsc. Logik. Wahrheit: weiter aber kan die Logik nicht gehen, und den Irrthum, der nicht die Form, sondern den Inhalt trift, kan die Logik durch keinen Probierstein entdecken. Die allgemeine Logik loͤset nun das ganze formale Geschaͤfte des Verstandes und der Vernunft in seine Ele- mente auf, und stellet sie als Principien aller logischen Be- urtheilung unserer Erkentniß dar. Dieser Theil der Lo- gik kan daher Analytik heissen, und ist eben darum der, wenigstens negative Probierstein der Wahrheit, indem man zuvoͤrderst alle Erkentniß, ihrer Form nach, an diesen Regeln pruͤfen und schaͤtzen muß, ehe man sie selbst ihrem Inhalt nach untersucht, um auszumachen, ob sie in An- sehung des Gegenstandes positive Wahrheit enthalten. Weil aber die blosse Form des Erkentnisses, so sehr sie auch mit logischen Gesetzen uͤbereinstimmen mag, noch lange nicht hinreicht, materielle (obiective) Wahrheit dem Erkentnisse darum auszumachen, so kan sich Niemand blos mit der Logik wagen, uͤber Gegenstaͤnde zu urtheilen, und irgend etwas zu behaupten, ohne von ihnen vorher gegruͤndete Erkundigung ausser der Logik eingezogen zu haben, um hernach blos die Benutzung und die Verknuͤpfung derselben in einem zusammenhangenden Ganzen nach logischen Ge- setzen zu versuchen, noch besser aber, sie lediglich darnach zu pruͤfen. Gleichwol liegt so etwas verleitendes in dem Besitze einer so scheinbarer Kunst, allen unseren Erkentnissen die Form des Verstandes zu geben, ob man gleich in Ansehung des Inhalts derselben noch sehr leer und arm Einleitung . arm seyn mag, daß iene allgemeine Logik, die blos ein Canon zur Beurtheilung ist, gleichsam wie ein Organon zur wirklichen Hervorbringung wenigstens dem Blendwerk von obiectiven Behauptungen gebraucht, und mithin in der That dadurch gemisbraucht worden. Die allgemeine Logik nun als vermeintes Organon, heißt Dialectik . So verschieden auch die Bedeutung ist, in der die Alten dieser Benennung einer Wissenschaft oder Kunst sich bedienten, so kan man doch aus dem wirklichen Gebrauche derselben sicher abnehmen, daß sie bey ihnen nichts an- ders war, als die Logik des Scheins. Eine sophistische Kunst, seiner Unwissenheit, ia auch seinen vorsetzlichen Blendwerken den Anstrich der Wahrheit zu geben, daß man die Methode der Gruͤndlichkeit, welche die Logik uͤber- haupt verschreibt, nachahmete, und ihre Topik zu Beschoͤ- nigung iedes leeren Vorgebens benutzte. Nun kan man es als eine sichere und brauchbare Warnung anmerken: daß die allgemeine Logik, als Organon betrachtet, ieder- zeit eine Logik des Scheins, d. i. dialectisch sey. Denn da sie uns gar nichts uͤber den Inhalt der Erkentniß lehret, sondern nur blos die formale Bedingungen der Ueberein- stimmung mit dem Verstande, welche uͤbrigens in Ansehung der Gegenstaͤnde gaͤnzlich gleichguͤltig seyn; so muß die Zu- muthung, sich derselben als eines Werkzeugs (Organon) zu gebrauchen, um seine Kentnisse, wenigstens dem Vor- geben nach, auszubreiten und zu erweitern, auf nichts als Geschwaͤtzigkeit hinauslaufen, alles, was man will, mit eini- Elementarlehre. II. Th. Transsc. Logik. einigem Schein zu behaupten, oder auch nach Belieben anzufechten. Eine solche Unterweisung ist der Wuͤrde der Philo- sophie auf keine Weise gemaͤß. Um deswillen hat man diese Benennung der Dialectik lieber, als eine Critik des dialectischen Scheins der Logik beygezaͤhlt, und als eine solche wollen wir sie auch hier verstanden wissen. IV. Von der Eintheilung der transsc. Logik in die Transscendentale Analytik und Dialectik. In einer transscendentalen Logik isoliren wir den Ver- stand, (so wie oben in der transsc. Aesthetik die Sinnlich- keit) und heben blos den Theil des Denkens aus unserm Erkentnisse heraus, der lediglich seinen Ursprung in dem Verstande hat. Der Gebrauch dieser reinen Erkentniß aber beruhet darauf, als ihrer Bedingung: daß uns Ge- genstaͤnde in der Anschauung gegeben seyn, worauf iene angewandt werden koͤnnen. Denn ohne Anschauung fehlt es aller unserer Erkentniß an Obiecten, und sie bleibt als- denn voͤllig leer. Der Theil der transsc. Logik also, der die Elemente der reinen Verstandeserkentniß vortraͤgt, und die Principien, ohne welche uͤberall kein Gegenstand gedacht werden kan, ist die transscendentale Analytik, und zugleich eine Logik der Wahrheit. Denn ihr kan keine Erkentniß widersprechen, ohne daß sie zugleich allen In- halt Einleitung . halt verloͤre, d. i. alle Beziehung auf irgend ein Obiect mithin alle Wahrheit. Weil es aber sehr anlockend und verleitend ist, sich dieser reinen Verstandeserkentnisse und Grundsaͤtze allein, und selbst uͤber die Grenzen der Erfah- rung hinaus zu bedienen, welche doch einzig und allein uns die Materie (Obiecte) an die Hand geben kan, wor- auf iene reine Verstandesbegriffe angewandt werden koͤn- nen: so geraͤth der Verstand in Gefahr, durch leere Ver- nuͤnfteleyen von den blossen formalen Principien des rei- nen Verstandes einen materialen Gebrauch zu machen, und uͤber Gegenstaͤnde ohne Unterschied zu urtheilen, die uns doch nicht gegeben sind, ia vielleicht auf keinerley Wei- se gegeben werden koͤnnen. Da sie also eigentlich nur ein Canon der Beurtheilung des empirischen Gebrauchs seyn sollte, so wird sie gemisbraucht, wenn man sie als das Organon eines allgemeinen und unbeschraͤnkten Gebrauchs gelten laͤßt, und sich mit dem reinen Verstande allein wagt, synthetisch uͤber Gegenstaͤnde uͤberhaupt zu urtheilen, zu behaupten, und zu entscheiden. Also wuͤrde der Gebrauch des reinen Verstandes alsdenn dialectisch seyn. Der zweyte Theil der transscendentalen Logik muß also eine Critik die- ses dialectischen Scheines seyn, und heißt, transscenden- tale Dialectik, nicht als eine Kunst, dergleichen Schein dogmatisch zu erregen, (eine leider sehr gangbare Kunst man- nigfaltiger metaphysischer Gauckelwerke) sondern als eine Critik des Verstandes und der Vernunft in Ansehung ihres hy- perphysischen Gebrauchs, um den falschen Schein ihrer grund- Elementarlehre. II. Th. I. Abth. Transsc. Analytik. grundlosen Anmassungen aufzudecken, und ihre Anspruͤche auf Erfindung und Erweiterung, die sie blos durch trans- scendentale Grundsaͤtze zu erreichen vermeinet, zur blossen Beurtheilung und Verwahrung des reinen Verstandes vor sophistischen Blendwerke herabzusetzen. Der Transcendentalen Logik Erste Abtheilung. Die Transscendentale Analytik. D iese Analytik ist die Zergliederung unseres gesamten Erkentnisses a priori in die Elemente der reinen Ver- standeserkentniß. Es kommt hiebey auf folgende Stuͤcke an. 1. Daß die Begriffe reine und nicht empirische Be- griffe seyn. 2. daß sie nicht zur Anschauung und zur Sinnlichkeit, sondern zum Denken und Verstande gehoͤren. 3. Daß sie Elementarbegriffe seyn und von den abgeleiteten, oder daraus zusammengesetzten, wol unterschieden wer- den. 4. Daß ihre Tafel vollstaͤndig sey, und sie das ganze Feld des reinen Verstandes gaͤnzlich ausfuͤllen. Nun kan diese Vollstaͤndigkeit einer Wissenschaft nicht auf den Ueber- schlag, eines blos durch Versuche zu Stande gebrachten Aggregats, mit Zuverlaͤßigkeit angenommen werden; da- her ist sie nur vermittelst einer Idee des Ganzen der Ver- standeserkentniß a priori und die daraus bestimmte Abthei- lung der Begriffe, welche sie ausmachen, mithin nur durch ihren I. Buch. Die Analytik der Begriffe. ihren Zusammenhang in einem System moͤglich Der rei- ne Verstand sondert sich nicht allein von allem empirischen, sondern so gar von aller Sinnlichkeit voͤllig aus. Er ist also eine vor sich selbst bestaͤndige, sich selbst gnugsame, und durch keine aͤusserlich hinzukommende Zusaͤtze zu vermehren- der Einheit. Daher wird der Inbegriff seiner Erkentniß ein unter einer Idee zu befassendes und zu bestimmendes System ausmachen, dessen Vollstaͤndigkeit und Articulation zugleich einen Probierstein der Richtigkeit und Aechtheit aller hineinpassenden Erkentnißstuͤcke abgeben kan. Es besteht aber dieser ganze Theil der transscend. Logik aus zwey Buͤchern, deren das eine die Begriffe, das andere die Grundsaͤtze des reinen Verstandes enthaͤlt. Der Transscendentalen Analytik Erstes Buch. Die Analytik der Begriffe. I ch verstehe unter der Analytik der Begriffe nicht die Analysis derselben, oder das gewoͤhnliche Verfah- ren in philosophischen Untersuchungen, Begriffe, die sich darbieten, ihrem Inhalte nach zu zergliedern und zur Deutlichkeit zu bringen, sondern die noch wenig versuchte Zergliederung des Verstandesvermoͤgens selbst, um die Moͤglichkeit der Begriffe a priori dadurch zu erforschen, E daß Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptst. daß wir sie im Verstande allein, als ihrem Geburtsorte, aufsuchen und dessen reinen Gebrauch uͤberhaupt analysiren; denn dieses ist das eigenthuͤmliche Geschaͤfte einer Trans- scendental-Philosophie; das uͤbrige ist die logische Behand- lung der Begriffe in der Philosophie uͤberhaupt. Wir werden also die reine Begriffe bis zu ihren ersten Keimen und An- lagen im menschlichen Verstande verfolgen, in denen sie vorbereitet liegen, bis sie endlich bey Gelegenheit der Er- fahrung entwickelt und durch eben denselben Verstand, von denen ihnen anhaͤngenden empirischen Bedingungen be- freyet, in ihrer Lauterkeit dargestellt werden. Der Analytik der Begriffe Erstes Hauptstuͤck. Von dem Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe. W enn man ein Erkentnißvermoͤgen ins Spiel sezt, so thun sich, nach den mancherley Anlaͤssen, verschiedene Begriffe hervor, die dieses Vermoͤgen kennbar machen und sich in einem mehr, oder weniger ausfuͤhrlichen Aufsatz sammeln lassen, nachdem die Beobachtung derselben laͤnge- re Zeit, oder mit groͤsserer Scharfsichtigkeit angestellt wor- den. Wo diese Untersuchung werde vollendet seyn, laͤßt sich, nach diesem gleichsam mechanischen Verfahren, nie- mals mit Sicherheit bestimmen. Auch entdecken sich die Be- I. Absch. Vom log. Verst. Geb. uͤberhaupr. Begriffe, die man nur so bey Gelegenheit auffindet, in keiner Ordnung und systematischen Einheit, sondern werden zulezt nur nach Aehnlichkeiten gepaart und nach der Groͤsse ihres Inhalts, von den einfachen an, zu den mehr zu- sammengesezten, in Reihen gestellt, die nichts weniger als systematisch, obgleich auf gewisse Weise methodisch zu Stande gebracht werden. Die Transscendental-Philosophie hat den Vortheil, aber auch die Verbindlichkeit, ihre Begriffe nach einem Princip aufzusuchen; weil sie aus dem Verstande, als absoluter Einheit, rein und unvermischt entspringen und daher selbst nach einem Begriffe oder Idee, unter sich zu- sammenhaͤngen muͤssen. Ein solcher Zusammenhang aber giebt eine Regel an die Hand, nach welcher iedem reinen Verstandesbegriff seine Stelle und allen insgesamt ihre Vollstaͤndigkeit a priori bestimt werden kan, welches alles sonst vom Belieben, oder dem Zufall abhaͤngen wuͤrde. Des Transscendentalen Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe Erster Abschnitt. Von dem logischen Verstandesgebrauche uͤberhaupt. D er Verstand wurde oben blos negativ erklaͤrt: durch ein nichtsinnliches Erkentnißvermoͤgen. Nun koͤn- nen wir, unabhaͤngig von der Sinnlichkeit, keiner Anschau- E 2 ung Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptst. ung theilhaftig werden. Also ist der Verstand kein Ver- moͤgen der Anschauung. Es giebt aber, ausser der Anschau- ung, keine andere Art zu erkennen, als durch Begriffe. Also ist die Erkentniß eines ieden, wenigstens des mensch- lichen Verstandes, eine Erkentniß durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern discursiv. Alle Anschauungen, als sinn- lich, beruhen auf Affectionen, die Begriffe also auf Fun- ctionen. Ich verstehe aber unter Function, die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer ge- meinschaftlichen zu ordnen. Begriffe gruͤnden sich also auf der Spontaneitaͤt des Denkens, wie sinnliche Anschauun- gen auf der Receptivitaͤt der Eindruͤcke. Von diesen Be- griffen kan nun der Verstand keinen andern Gebrauch ma- chen, als daß er dadurch urtheilt. Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, als blos die An- schauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegen- stand unmittelbar, sondern auf irgend eine andre Vorstel- lung von demselben, (sie sey Anschauung oder selbst schon Begriff), bezogen. Das Urtheil ist also die mittelbare Erkentniß eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung ei- ner Vorstellung desselben. In iedem Urtheil ist ein Be- griff, der vor viele gilt, und unter diesem Vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche leztere denn auf den Ge- genstand unmittelbar bezogen wird. So bezieht z. B. in dem Urtheile: alle Coͤrper sind veraͤnderlich, der Begriff des Theilbaren auf verschiedene andre Begriffe; unter diesen aber wird er hier besonders auf den Begriff des Coͤrpers bezo- I. Absch. Vom log. Verstd. Geb. uͤberhaupt. bezogen; dieser aber auf gewisse uns vorkommende Er- scheinungen. Also werden diese Gegenstaͤnde durch den Begriff der Theilbarkeit mittelbar vorgestellt. Alle Urtheile sind demnach Functionen der Einheit unter unsern Vor- stellungen, da nemlich statt einer unmittelbaren Vorstellung eine hoͤhere, die diese und mehrere unter sich begreift, zur Erkentniß des Gegenstandes gebraucht, und viel moͤgliche Erkentnisse dadurch in einer zusammengezogen werden. Wir koͤnnen aber alle Handlungen des Verstandes auf Ur- theile zuruͤckfuͤhren, so daß der Verstand uͤberhaupt als ein Vermoͤgen zu urtheilen vorgestellt werden kan. Denn er ist nach dem obigen ein Vermoͤgen zu denken. Denken ist das Erkentniß durch Begriffe. Begriffe aber beziehen sich, als Praͤdicate moͤglicher Urtheile, auf irgend eine Vorstellung von einem noch unbestimten Gegenstande. So bedeutet der Begriff des Coͤrpers Etwas, z. B. Metall, was durch ienen Begriff erkant werden kan. Er ist also nur dadurch Begriff, daß unter ihm andere Vorstel- lungen enthalten sind, vermittelst deren er sich auf Ge- genstaͤnde beziehen kan. Er ist also das Praͤdicat zu einem moͤglichen Urtheile, z. B. ein iedes Metall ist ein Coͤrper. Die Functionen des Verstandes koͤnnen also insgesamt ge- sunden werden, wenn man die Functionen der Einheit in den Urtheilen vollstaͤndig darstellen kan. Daß dies aber sich ganz wol bewerkstelligen lasse, wird der folgen- de Abschnitt vor Augen stellen. E 3 Des Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptst. Des Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe Zweiter Abschnitt. Von der logischen Function des Verstandes in Urtheilen. W enn wir von allem Inhalte eines Urtheils uͤberhaupt abstrahiren, und nur auf die blosse Verstandesform darinn acht geben, so finden wir, daß die Function des Denkens in demselben unter vier Titel gebracht werden koͤnne, deren ieder drey Momente unter sich enthaͤlt. Sie koͤnnen fuͤglich in folgender Tafel vorgestellt werden. 1. Quantitaͤt der Urtheile Allgemeine Besondere Einzelne 2. Qualitaͤt Beiahende Verneinende Unendliche 3. Relation Categorische Hypothetische Disiunctive 4. Modalitaͤt. Problematische Assertorische Apodictische. Da diese Eintheilung in einigen, obgleich nicht we- sentlichen Stuͤcken, von der gewohnten Technik der Logiker abzu- II. Absch. Von der log. Function in Urtheilen. abzuweichen scheint, so werden folgende Verwahrungen wider den besorglichen Misverstand nicht unnoͤthig seyn. 1. Die Logiker sagen mit Recht, daß man beym Ge- brauch der Urtheile in Vernunftschluͤssen die einzelne Ur- theile gleich den allgemeinen behandeln koͤnne. Denn eben darum, weil sie gar keinen Umfang haben, kan das Praͤ- dicat derselben nicht blos auf einiges dessen, was unter dem Begriff des Subiects enthalten ist, gezogen, von ei- nigem aber ausgenommen werden. Es gilt also von ienem Begriffe ohne Ausnahme, gleich als wenn derselbe ein ge- meinguͤltiger Begriff waͤre, der einen Umfang haͤtte, von dessen ganzer Bedeutung das Praͤdicat gelte. Vergleichen wir dagegen ein einzelnes Urtheil mit einem gemeinguͤltigen, blos als Erkentniß, der Groͤsse nach, so verhaͤlt sie sich zu diesem, wie Einheit zur Unendlichkeit, und ist also an sich selbst davon wesentlich unterschieden. Also, wenn ich ein einzelnes Urtheil ( iudicium singulare ), nicht blos nach seiner innern Guͤltigkeit, sondern auch, als Erkent- niß uͤberhaupt, nach der Groͤsse, die es in Vergleichung mit andern Erkentnissen hat, schaͤtze, so ist es allerdings von gemeinguͤltigen Urtheilen ( iudicia communia ) un- terschieden, und verdient in einer vollstaͤndigen Tafel der Momente des Denkens uͤberhaupt (obzwar freilich nicht in der, blos auf den Gebrauch der Urtheile untereinander einge- schraͤnkten Logik) eine besondere Stelle. 2. Eben so muͤssen in einer transsendentalen Logik unendliche Urtheile von beiahenden noch unterschieden E 4 wer- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptst. werden, wenn sie gleich in der allgemeinen Logik ienen mit Recht beygezaͤhlt sind, und kein besonderes Glied der Eintheilung ausmachen. Diese nemlich abstrahirt von allem Inhalt des Praͤdicats (ob es gleich verneinend ist) und sieht nur darauf, ob dasselbe dem Subiect beygelegt, oder ihm entgegen gesezt werde. Jene aber betrachtet das Urtheil auch nach dem Werthe oder Inhalt dieser logischen Beiahung vermittelst eines blos verneinenden Praͤdicats, und was diese in Ansehung des gesamten Erkentnisses fuͤr einen Gewinn verschaft. Haͤtte ich von der Seele gesagt, sie ist nicht sterblich, so haͤtte ich durch ein verneinendes Urtheil wenigstens einen Irrthum abgehalten. Nun habe ich durch den Satz: die Seele ist nicht sterblich, zwar der logischen Form nach wirklich beiahet, indem ich die Seele in den unbeschraͤnkten Umfang der Nichtsterbenden Wesen setze. Weil nun von dem ganzen Umfange moͤg- licher Wesen das Sterbliche einen Theil enthaͤlt, das Nicht- sterbliche aber den andern, so ist durch meinen Satz nichts anders gesagt, als daß die Seele eine von der unendli- chen Menge Dinge sey, die uͤbrig bleiben, wenn ich das sterbliche insgesamt wegnehme. Dadurch aber wird nur die unendliche Sphaͤre alles Moͤglichen in so weit beschraͤnkt, daß das Sterbliche davon abgetrent, und in dem uͤbri- gen Raum ihres Umfangs die Seele gesezt wird. Dieser Raum bleibt aber bey dieser Ausnahme noch immer un- endlich, und koͤnnen noch mehrere Theile desselben wegge- nommen werden, ohne daß darum der Begriff von der Seele II. Abschn. Von der log. Function in Urtheilen. Seele im mindesten waͤchst, und beiahend bestimt wird. Diese unendliche Urtheile also in Ansehung des logischen Umfanges sind wirklich blos beschraͤnkend in Ansehung des Inhalts der Erkentnis uͤberhaupt, und in so fern muͤssen sie in der transscendentalen Tafel aller Momente des Den- kens in den Urtheilen nicht uͤbergangen werden, weil die hierbey ausgeuͤbte Function des Verstandes vielleicht in dem Felde seiner reinen Erkentniß a priori wichtig seyn kan. 3. Alle Verhaͤltnisse des Denkens in Urtheilen sind d ie a) des Praͤdicats zum Subiect b) des Grundes zur Folge c) der eingetheilten Erkentniß und der gesamleten Glieder der Eintheilung unter einander. In der ersteren Art der Urtheile sind nur zwey Begriffe, in der zweyten zweene Urtheile, in der dritten mehrere Urtheile im Ver- haͤltniß gegen einander betrachtet. Der hypothetische Satz: wenn eine vollkommene Gerechtigkeit da ist, so wird der beharrlich boͤse bestraft, enthaͤlt eigentlich das Verhaͤlt- niß zweyer Saͤtze: Es ist eine vollkommene Gerechtigkeit da, und der beharrlich boͤse wird bestraft. Ob beyde die- ser Saͤtze an sich wahr seyn, bleibt hier unausgemacht. Es ist nur die Consequenz, die durch dieses Urtheil gedacht wird. Endlich enthaͤlt das disiunctive Urtheil ein Verhaͤltniß zweener, oder mehreren Saͤtze gegen einander, aber nicht der Abfolge, sondern der logischen Entgegensetzung, so fern die Sphaͤre des einen die des andern ausschließt, aber doch zugleich der Gemeinschaft, in so fern sie zusammen die Sphaͤre der eigentlichen Erkentniß ausfuͤllen, also ein E 5 Ver- Elemental. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptst. Verhaͤltniß der Theile der Sphaͤre eines Erkentnisses, da die Sphaͤre eines ieden Theils ein Ergaͤnzungsstuͤck der Sphaͤre des andern zu dem ganzen Inbegriff der einge- theilten Erkentniß ist, z. E. die Welt ist entweder durch einen blinden Zufall da, oder durch innre Nothwendigkeit, oder durch eine aͤussere Ursache. Jeder dieser Saͤtze nimmt einen Theil der Sphaͤre des moͤglichen Erkentnisses uͤber das Daseyn einer Welt uͤberhaupt ein, alle zusammen die ganze Sphaͤre. Das Erkentniß aus einer dieser Sphaͤren wegnehmen, heißt, sie in eine der uͤbrigen setzen, und da- gegen sie in eine Sphaͤre setzen, heist, sie aus den uͤbrigen wegnehmen. Es ist also in einem disiunctiven Urtheile eine gewisse Gemeinschaft der Erkentnisse, die darin besteht, daß sie sich wechselseitig einander ausschliessen, aber dadurch doch im Ganzen die wahre Erkentniß bestimmen, indem sie zusam- mengenommen den ganzen Inhalt einer einzigen gegebenen Erkentniß ausmachen. Und dieses ist es auch nur, was ich des folgenden wegen hiebey anzumerken noͤthig finde. 4. Die Modalitaͤt der Urtheile ist eine ganz beson- dere Funktion derselben, die das Unterscheidende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalte des Urtheils beytraͤgt, (denn au sser Groͤsse, Qualitaͤt und Verhaͤltniß ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urtheils ausmachte) sondern nur den Werth der Copula in Beziehung auf das Denken uͤber- haupt angeht. Problematische Urtheile sind solche, wo man das Beiahen, oder Verneinen als blos moͤglich (be- liebig) annimt. Assertorische, da es als wirklich (wahr) be- II. Abschn. Von der log. Function in Urtheilen. betrachtet wird. Apodictische, in denen man es als noth- wendig ansieht Gleich, als wenn das Denken im ersten Fall eine Fun- ction des Verstandes , im zweyten der Urtheilskraft, im dritten der Vernunft waͤre . Eine Bemerkung, die erst in der Folge ihre Aufklaͤrung erwartet. . So sind die beyden Urtheile, deren Verhaͤltniß das hypothetische Urtheil ausmacht, ( antec. und consequ. ) imgleichen in deren Wechselwirkung das Dis- iunctive besteht, (Glieder der Eintheilung) insgesamt nur problematisch. In dem obigen Beyspiel wird der Satz: es ist eine vollkommene Gerechtigkeit da, nicht assertorisch ge- sagt, sondern nur als ein beliebiges Urtheil, wovon es moͤglich ist, daß iemand es annehme, gedacht, und nur die Consequenz ist assertorisch. Daher koͤnnen solche Ur- theile auch offenbar falsch seyn, und doch, problematisch genommen, Bedingungen der Erkentniß der Wahrheit seyn. So ist das Urtheil: die Welt ist durch blinden Zufall da, in dem disiunctiven Urtheil nur von proble- matischer Bedeutung, nemlich, daß iemand diesen Satz etwa auf einen Augenblick annehmen moͤge, und dient doch, (wie die Verzeichnung des falschen Weges, unter der Zahl aller derer, die man nehmen kan,) den wahren zu finden. Der problematische Satz ist also derienige, der nur logi- sche Moͤglichkeit, (die nicht obiectiv ist) ausdruckt, d. i. eine freye Wahl einen solchen Satz gelten zu lassen, eine blos willkuͤhrliche Aufnehmung desselben in den Verstand. Der assertorische sagt von logischer Wirklichkeit oder Wahr- heit, wie etwa in einem hypothetischen Vernunftschluß das Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptst. das Antecedens im Obersatze problematisch, im Untersatze assertorisch vorkomt, und zeigt an, daß der Satz mit dem Verstande nach dessen Gesetzen schon verbunden sey, der apodictische Satz denkt sich den assertorischen durch die- se Gesetze des Verstandes selbst bestimt, und daher a priori behauptend, und druͤckt auf solche Weise logische Nothwendigkeit aus. Weil nun hier alles sich gradweise dem Verstande einverleibt, so daß man zuvor etwas pro- blematisch urtheilt, darauf auch wohl es assertorisch als wahr annimt, endlich als unzertrennlich mit dem Ver- stande verbunden, d. i. als nothwendig und apodictisch be- hauptet, so kan man diese drey Functionen der Modalitaͤt auch so viel Momente des Denkens uͤberhaupt nennen. Des Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe Dritter Abschnitt . Von den reinen Verstandesbegriffen oder Categorien. D ie allgemeine Logik abstrahirt, wie mehrmalen schon gesagt worden, von allem Inhalt der Erkentniß, und erwartet, daß ihr anderwerts, woher es auch sey, Vorstellungen gegeben werden, um diese zuerst in Begriffe zu verwandeln, welches analytisch zugehet. Dagegen hat die transscendentale Logik ein Mannigfaltiges der Sinnlich- keit a priori vor sich liegen, welches die transscendentale Aesthe- III. Absch. Von den reinen Verstbegr. oder Categ. Aesthetik ihr darbietet, um zu den reinen Verstandesbe- griffen einen Stoff zu geben, ohne den sie ohne allen In- halt, mithin voͤllig leer seyn wuͤrde. Raum und Zeit ent- halten nun ein Mannigfaltiges der reinen Anschauung a priori, gehoͤren aber gleichwohl zu den Bedingungen der Receptivitaͤt unseres Gemuͤths, unter denen es allein Vorstellungen von Gegenstaͤnden empfangen kan, die mit- hin auch den Begriff derselben iederzeit afficiren muͤssen. Allein die Spontaneitaͤt unseres Denkens erfordert es, daß dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegan- gen, aufgenommen, und verbunden werde, um daraus eine Erkentniß zu machen. Diese Handlung nenne ich Synthesis. Ich verstehe aber unter Synthesis in der allgemein- sten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzuthun, und ihre Mannigfaltigkeit in ei- ner Erkentniß zu begreifen. Eine solche Synthesis ist rein, wenn das Mannigfaltige nicht empirisch, sondern a priori gegeben ist (wie das im Raum und der Zeit.). Vor aller Analysis unserer Vorstellungen muͤssen diese zuvor gege- ben seyn, und es koͤnnen keine Begriffe dem Inhalte nach analytisch entspringen. Die Synthesis eines Mannigfal- tigen aber (es sey empirisch oder a priori gegeben) bringt zuerst eine Erkentniß hervor, die zwar anfaͤnglich noch roh und verworren seyn kan, und also der Analysis bedarf; allein die Synthesis ist doch dasienige, was eigentlich die Elemente zu Erkentnissen sammlet, und zu einem gewissen In- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptst. Inhalte vereinigt; sie ist also das erste, worauf wir acht zu geben haben, wenn wir uͤber den ersten Ursprung un- serer Erkentniß urtheilen wollen. Die Synthesis uͤberhaupt ist, wie wir kuͤnftig sehen werden, die blosse Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Function der Seele, ohne die wir uͤberall gar keine Erkentniß haben wuͤrden, der wir uns aber selten nur einmal bewust sind. Allein, die- se Synthesis auf Begriffe zu bringen, das ist eine Fun- ction, die dem Verstande zukomt, und wodurch er uns allererst die Erkentniß in eigentlicher Bedeutung verschaffet. Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, giebt nun den reinen Verstandesbegriff. Ich verstehe aber un- ter dieser Synthesis dieienige, welche auf einem Grunde der synthetischen Einheit a priori beruht: so ist unser Zaͤhlen, (vornemlich ist es in groͤsseren Zahlen merklicher) eine Synthesis nach Begriffen , weil sie nach einem ge- meinschaftlichen Grunde der Einheit geschieht (z. E. der Decadik). Unter diesem Begriffe wird also die Einheit in der Synthesis des Mannigfaltigen nothwendig. Analytisch werden verschiedene Vorstellungen unter einen Begriff gebracht, (ein Geschaͤfte, wovon die allge- meine Logik handelt.) Aber nicht die Vorstellungen, son- dern die reine Synthesis der Vorstellungen auf Begriffe zu bringen, lehrt die transsc. Logik. Das erste, was uns, zum Behuf der Erkentniß aller Gegenstaͤnde a priori gege- ben seyn muß, ist das Mannigfaltige der reinen Anschau- ung; III. Absch. Von den reinen Verstbegr. oder Categ. ung; die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die Ein- bildungskraft ist das zweyte, giebt aber noch keine Er- kentniß. Die Begriffe, welche dieser reinen Synthesis Einheit geben, und lediglich in der Vorstellung dieser noth- wendigen synthetischen Einheit bestehen, thun das dritte zum Erkentnisse eines vorkommenden Gegenstandes, und beruhen auf dem Verstande. Dieselbe Function, welche den verschiedenen Vorstel- lungen in einem Urtheile Einheit giebt, die giebt auch der blossen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrukt, der reine Verstandesbegriff heißt. Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselbe Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit, die logi- sche Form eines Urtheils zu Stande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung uͤberhaupt, in seine Vorstellungen einen transscendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandes- begriffe heissen, die a priori auf Obiecte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kan. Auf solche Weise entspringen gerade so viel reine Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstaͤnde der Anschauung uͤberhaupt gehen, als es in der vorigen Ta- fel logische Functionen in allen moͤglichen Urtheilen gab: denn der Verstand ist durch gedachte Functionen voͤllig erschoͤpft, und sein Vermoͤgen dadurch gaͤnzlich ausgemes- sen. Wir wollen diese Begriffe, nach dem Aristoteles, Cate- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptst. Categorien nennen, indem unsre Absicht uranfaͤnglich mit der Seinigen zwar einerley ist, ob sie sich gleich davon in der Ausfuͤhrung gar sehr entfernet. Tafel der Categorien. 1. Der Quantitaͤt Einheit Vielheit Allheit 2. Der Qualitaͤt Realitaͤt Negation Limitation 3. Der Relation. der Inhaͤrenz und Subsistenz (sub- stantia et accidens) der Causalitaͤt und Dependenz (Ur- sache und Wirkung) der Gemeinschaft (Wechselwirkung zwischen dem Handeln- den und Leidenden). 4. Der Modalitaͤt. Moͤglichkeit — Unmoͤglichkeit Daseyn — Nichtseyn Nothwendigkeit — Zufaͤlligkeit. Dieses ist nun die Verzeichnung aller urspruͤnglich rei- nen Begriffe der Synthesis, die der Verstand a priori in sich enthaͤlt, und um deren willen er auch nur ein reiner Verstand ist; indem er durch sie allein etwas bey dem Man- nigfaltigen der Anschauung verstehen, d. i. ein Obiect derselben denken kan. Diese Eintheilung ist systematisch aus einem gemeinschaftlichen Princip, naͤmlich dem Ver- III. Absch. Von den reinen Verst. Begr. oder Categ. Vermoͤgen zu urtheilen, (welches eben so viel ist, als das Vermoͤgen zu denken) erzeugt, und nicht rhapsodistisch, aus einer auf gut Gluͤck unternommenen Aufsuchung rei- ner Begriffe entstanden, deren Vollzaͤhligkeit man niemals gewiß seyn kan, da sie nur durch Induction geschlossen wird, ohne zu gedenken, daß man noch auf die leztere Art nie- mals einsieht, warum denn grade diese und nicht andre Begriffe, dem reinen Verstande beywohnen. Es war ein, eines scharfsinnigen Mannes wuͤrdiger Anschlag des Ari- stoteles, diese Grundbegriffe aufzusuchen. Da er aber kein Principium hatte, so rafte er sie auf, wie sie ihm auf- stießen, und trieb deren zuerst zehn auf, die er Categorien (Praͤdicamente) nannte. In der Folge glaubte er noch ihrer fuͤnfe aufgefunden zu haben, die er unter dem Na- men der Postpraͤdicamente hinzufuͤgte. Allein seine Tafel blieb noch immer mangelhaft. Ausserdem finden sich auch einige modi der reinen Sinnlichkeit darunter ( quando, vbi, sirus, imgleichen prius, simul ) auch ein empirischer, ( mo- tus ) die in dieses Stammregister des Verstandes gar nicht gehoͤren, oder es sind auch die abgeleitete Begriffe mit un- ter die Urbegriffe gezaͤhlt, ( actio, passio ) und an eini- gen der leztern fehlt es gaͤnzlich. Um der leztern willen ist also noch zu bemerken: daß die Categorien, als die wahren Stammbegriffe des rei- nen Verstandes, auch ihre eben so reine abgeleitete Be- griffe haben, die in einem vollstaͤndigen System der Trans- scendental- Philosophie keinesweges uͤbergangen werden F koͤnnen, Elementl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptst. koͤnnen, mit deren blosser Erwaͤhnung aber ich in einem blos critischen Versuch zufrieden seyn kan. Es sey mir erlaubt, diese reine, aber abgeleitete Ver- standesbegriffe die Praͤdicabilien des reinen Verstandes (im Gegensatz der Praͤdicamente) zu nennen. Wenn man die urspruͤngliche und primitive Begriffe hat, so lassen sich die abgeleitete und subalterne leicht hinzufuͤgen, und der Stamm- baum des reinen Verstandes voͤllig ausmahlen. Da es wir hier nicht um die Vollstaͤndigkeit des Systems, son- dern nur der Principien zu einem System zu thun ist, so verspahre ich diese Ergaͤnzung auf eine andere Beschaͤfti- gung. Man kan aber diese Absicht ziemlich erreichen, wenn man die Ontologische Lehrbuͤcher zur Hand nimt, und z. B. der Categorie der Causalitaͤt, die Praͤdicabilien der Kraft, der Handlung, des Leidens, der der Gemein- schaft, die der Gegenwart, des Widerstandes, den Praͤdi- camenten der Modalitaͤt, die des Entstehens, Vergehens, der Veraͤnderung u. s. w. unterordnet. Die Categorien mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder auch unter einander verbunden, geben eine grosse Menge abgeleiteter Begriffe a priori, die zu bemerken, und wo moͤglich, bis zur Vollstaͤndigkeit zu verzeichnen, eine nuͤtzliche und nicht unangenehme, hier aber entbehrliche Bemuͤhung seyn wuͤrde. Der Definitionen dieser Categorien uͤberhebe ich mir in dieser Abhandlung geflissentlich, ob ich gleich im Besitz derselben seyn moͤchte. Ich werde diese Begriffe in der Folge III. Abschn. Von den reinen Verst. Begr. oder Categ. Folge bis auf den Grad zergliedern, welcher in Beziehung auf die Methodenlehre, die ich bearbeite, hinreichend ist. In einem System der reinen Vernunft wuͤrde man sie mit Recht von mir fordern koͤnnen: aber hier wuͤrden sie nur den Hauptpunct der Untersuchung aus den Augen brin- gen, indem sie Zweifel und Angriffe erregten, die man, ohne der wesentlichen Absicht etwas zu entziehen, gar wol auf eine andre Beschaͤftigung verweisen kan. In- dessen leuchtet doch aus dem wenigen, was ich hievon an- gefuͤhrt habe, deutlich hervor, daß ein vollstaͤndiges Woͤr- terbuch mit allen dazu erforderlichen Erklaͤrungen nicht allein moͤglich, sondern auch leicht sey zu Stande zu brin- gen. Die Faͤcher sind einmal da; es ist nur noͤthig, sie auszufuͤllen, und eine systematische Topik, wie die gegen- waͤrtige, laͤßt nicht leicht die Stelle verfehlen, dahin ein ieder Begriff eigenthuͤmlich gehoͤrt, und zugleich dieienige leicht bemerken, die noch leer ist. F 2 De Elementarl. II. Th. Abth. I. Buch. II. Hauptst. Der Transscendentalen Analytik Zweites Hauptstuͤck. Von der Deduction der reinen Verstandesbegriffe. Erster Abschnitt. Von den Principien einer Transscendent. Deduction uͤberhaupt . D ie Rechtslehrer, wenn sie von Befugnissen und An- massungen reden, unterscheiden in einem Rechtshan- del die Frage uͤber das, was Rechtens ist, ( quid iuris ) von der, die die Thatsache angeht, ( quid facti ) und in- dem sie von beyden Beweis fordern, so nennen sie den er- stern, der die Befugniß, oder auch den Rechtsanspruch darthun soll, die Deduction Wir bedienen uns einer Menge empirischer Begriffe ohne iemandes Widerrede, und halten uns auch ohne Deduction berechtigt, ihnen einen Sinn und eingebildete Bedeutung zuzueignen, weil wir iederzeit die Erfahrung bey Hand haben, ihre obiective Realitaͤt zu beweisen. Es giebt indessen auch usurpirte Be- griffe, wie etwa Gluͤck, Schicksal, die zwar mit fast all- gemeiner Nachsicht herumlaufen, aber doch bisweilen durch die Frage: quid iuris, in Anspruch genommen werden, da man alsdenn, wegen der Deduction derselben in nicht geringe Verlegenheit geraͤth, indem man keinen deutlichen Rechts- I. Absch. Von den Princip. einer Transsc. Deduct. Rechtsgrund weder aus der Erfahrung, noch der Vernunft anfuͤhren kan , dadurch die Befugniß seines Gebrauchs deutlich wuͤrde. Unter den mancherley Begriffen aber, die das sehr vermischte Gewebe der menschlichen Erkentniß ausmachen, giebt es einige, die auch zum reinen Gebrauch a priori (voͤllig unabhaͤngig ron aller Erfahrung) bestimt sind, und dieser ihre Befugniß bedarf iederzeit einer Deduction; weil zu der Rechtmaͤßigkeit eines solchen Gebrauchs Beweise aus der Erfahrung nicht hinreichend sind, man aber doch wis- sen muß, wie diese Begriffe sich auf Obiecte beziehen koͤn- nen, die sie doch aus keiner Erfahrung hernehmen. Ich nenne daher die Erklaͤrung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstaͤnde beziehen koͤnnen, die transsc. Deduction derselben, und unterscheide sie von der empi- rischen Deduction, welche die Art anzeigt, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion uͤber dieselbe erworben wor- den, und daher nicht die Rechtmaͤßigkeit, sondern das Factum betrift, wodurch der Besitz entsprungen. Wir haben iezt schon zweierley Begriffe von ganz ver- schiedener Art, die doch darin mit einander uͤbereinkommen, daß sie beyderseits voͤllig a priori sich auf Gegenstaͤnde be- ziehen, nemlich, die Begriffe des Raumes und der Zeit, als Formen der Sinnlichkeit, und die Categorien, als Begriffe des Verstandes. Von ihnen eine empirische De- duction versuchen wollen, wuͤrde ganz vergebliche Arbeit seyn; weil eben darin das Unterscheidende ihrer Natur F 3 liegt, Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. liegt, daß sie sich auf ihre Gegenstaͤnde beziehen, ohne et- was zu deren Vorstellung aus der Erfahrung entlehnt zu haben. Wenn also eine Deduction derselben noͤthig ist, so wird sie iederzeit transscendental seyn muͤssen. Indessen kan man von diesen Begriffen, wie von allem Erkentniß, wo nicht das Principium ihrer Moͤglich- keit, doch die Gelegenheitsursachen ihrer Erzeugung in der Erfahrung aufsuchen, wo alsdenn die Eindruͤcke der Sin- ne den ersten Anlaß geben, die ganze Erkentnißkraft in Ansehung ihrer zu eroͤfnen, und Erfahrung zu Stande zu bringen, die zwey sehr ungleichartige Elemente enthaͤlt, nemlich, eine Materie zur Erkentniß aus den Sinnen, und eine gewisse Form, sie zu ordnen, aus dem innern Quell des reinen Anschauens und Denkens, die, bey Ge- legenheit der ersteren, zuerst in Ausuͤbung gebracht wer- den, und Begriffe hervorbringen. Ein solches Nach- spuͤhren der ersten Bestrebungen unserer Erkentnißkraft, um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeinen Be- griffen zu steigen, hat ohne Zweifel seinen grossen Nutzen, und man hat es dem beruͤhmten Locke zu verdanken, daß er dazu zuerst den Weg eroͤfnet hat. Allein eine Deduction der reinen Begriffe a priori komt dadurch niemals zu Stande, denn sie liegt ganz und gar nicht auf diesem We- ge, weil in Ansehung ihres kuͤnftigen Gebrauchs, der von der Erfahrung gaͤnzlich unabhaͤngig seyn soll, sie einen ganz andern Geburtsbrief, als den der Abstammung von Er- fahrungen, muͤssen aufzuzeigen haben. Diese versuchte physi- I. Absch. Von den Princip. einer Transsc. Deduct. physiologische Ableitung, die eigentlich gar nicht Deduction heissen kan, weil sie eine quæstio facti betrift, will ich daher die Erklaͤrung des Besitzes einer reinen Erkentniß nennen. Es ist also klar, daß von diesen allein es eine transscend. Deduction und keinesweges eine empirische ge- ben koͤnne, und daß leztere in Ansehung der reinen Be- griffe a priori, nichts als eitele Versuche sind, womit sich nur derienige beschaͤftigen kan, welcher die ganz eigen- thuͤmliche Natur dieser Erkentnisse nicht begriffen hat. Ob nun aber gleich die einzige Art einer moͤglichen Deduction der reinen Erkentniß a priori, nemlich die auf dem transscendentalen Wege eingeraͤumet wird, so erhellet dadurch doch eben nicht, daß sie so unumgaͤnglich nothwen- dig sey. Wir haben oben die Begriffe des Raumes und der Zeit, vermittelst einer transscendentalen Deduction zu ihren Quellen verfolgt, und ihre obiective Guͤltigkeit a priori erklaͤrt und bestimt. Gleichwol geht die Geometrie ihren sichern Schritt durch lauter Erkentnisse a priori, ohne daß sie sich, wegen der reinen und gesetzmaͤßigen Ab- kunft ihres Grundbegriffs vom Raume, von der Philoso- phie einen Beglaubigungsschein erbitten darf. Allein der Gebrauch dieses Begriffs geht in dieser Wissenschaft auch nur auf die aͤussere Sinnenwelt, von welcher der Raum die reine Form ihrer Anschauung ist, in welcher also alle geometrische Ertentniß , weil sie sich auf Anschauung a priori gruͤndet, unmittelbare Evidenz hat, und die Ge- genstaͤnde durch die Erkentniß selbst, a priori (der Form F 4 nach) Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Haupst. nach) in der Anschauung, gegeben werden. Dagegen faͤngt mit den reinen Verstandesbegriffen die unumgaͤng- liche Beduͤrfniß an, nicht allein von ihnen selbst, sondern auch vom Raum die transscendentale Deduction zu suchen, weil, da sie von Gegenstaͤnden nicht durch Praͤdicate der Anschauung und der Sinnlichkeit, sondern des reinen Den- kens a priori redet, sie sich auf Gegenstaͤnde ohne alle Be- dingungen der Sinnlichkeit allgemein beziehen, und die, da sie nicht auf Erfahrung gegruͤndet sind, auch in der Anschauung a priori kein Obiect vorzeigen koͤnnen, wor- auf sie vor aller Erfahrung ihre Synthesis gruͤndeten, und daher nicht allein wegen der obiectiven Guͤltigkeit und Schranken ihres Gebrauchs Verdacht erregen, sondern auch ienen Begriff des Raumes zweydeutig machen, da- durch, daß sie ihn uͤber die Bedingungen der sinnlichen Anschauung zu gebrauchen geneigt sind, weshalb auch oben von ihm eine transscendent. Deduction von noͤthen war. So muß denn der Leser von der unumgaͤnglichen Nothwen- digkeit einer solchen transsc. Deduction, ehe er einen einzigen Schritt im Felde der reinen Vernunft gethan hat, uͤberzeugt werden; weil er sonst blind verfaͤhrt, und, nachdem er mannigfaltig umher geirrt hat, doch wieder zu der Un- wissenheit zuruͤck kehren muß, von der er ausgegangen war. Er muß aber auch die unvermeidliche Schwierigkeit zum voraus deutlich einsehen, damit er nicht uͤber Dunkelheit klage, wo die Sache selbst tief eingehuͤllt ist, oder uͤber der Wegraͤumung der Hindernisse zu fruͤh verdrossen wer- den, I. Absch. Von den Princip. einer Transsc. Deduct. den, weil es darauf ankomt, entweder alle Anspruͤche zu Einsichten der reinen Vernunft, als das beliebteste Feld, nemlich dasienige uͤber die Grenzen aller moͤglichen Erfah- rung hinaus, voͤllig aufzugeben oder diese critische Un- tersuchung zur Vollkommenheit zu bringen. Wir haben oben an den Begriffen des Raumes und der Zeit mit leichter Muͤhe begreiflich machen koͤnnen, wie diese als Erkentnisse a priori sich gleichwol auf Gegenstaͤn- de nothwendig beziehen muͤssen, und eine synthetische Er- kentniß derselben, unabhaͤngig von aller Erfahrung, moͤg- lich macheten. Denn da nur vermittelst solcher reinen For- men der Sinnlichkeit uns ein Gegenstand erscheinen, d. i. ein Obiect der empirischen Anschauung seyn kan, so sind Raum und Zeit reine Anschauungen, welche die Bedingung der Moͤglichkeit der Gegenstaͤnde als Erscheinungen a priori enthalten, und die Synthesis in denselben hat obiective Guͤltigkeit. Die Categorien des Verstandes dagegen stellen uns gar nicht die Bedingungen vor, unter denen Gegenstaͤnde in der Anschauung gegeben werden, mithin koͤnnen uns al- lerdings Gegenstaͤnde erscheinen, ohne daß sie sich nothwen- dig auf Functionen des Verstandes beziehen muͤssen, und dieser also die Bedingungen derselben a priori enthielte. Daher zeigt sich hier eine Schwierigkeit, die wir im Felde der Sinnlichkeit nicht antrafen, wie nemlich subiective Bedingungen des Denkens sollten obiective Guͤltigkeit haben, d. i. Bedingungen der Moͤglichkeit aller Erkentniß F 5 der Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. der Gegenstaͤnde abgeben: denn ohne Functionen des Ver- standes koͤnnen allerdings Erscheinungen in der Anschauung gegeben werden. Ich nehme z. V. den Begriff der Ursache, welcher eine besondere Art der Synthesis bedeutet, da auf et- was A was ganz verschiedenes B nach einer Regel gesezt wird. Es ist a priori nicht klar, warum Erscheinungen etwas dergleichen enthalten sollten, (denn Erfahrungen kan man nicht zum Beweise anfuͤhren, weil die obiective Guͤltigkeit dieses Begriffs a priori muß dargethan werden koͤnnen) und es ist daher a priori zweifelhaft, ob ein solcher Be- griff nicht etwa gar leer sey und uͤberall unter den Erschei- nungen keinen Gegenstand antreffe. Denn daß Gegen- staͤnde der sinnlichen Anschauung denen im Gemuͤth a priori liegenden formalen Bedingungen der Sinnlichkeit gemaͤß seyn muͤssen, ist daraus klar, weil sie sonst nicht Gegen- staͤnde vor uns seyn wuͤrden; daß sie aber auch uͤberdem den Bedingungen, deren der Verstand zur synthetischen Einsicht des Denkens bedarf, gemaͤß seyn muͤssen, davon ist die Schlußfolge nicht so leicht einzusehen. Denn es koͤn- ten wol allenfals Erscheinungen so beschaffen seyn, daß der Verstand sie den Bedingungen seiner Einheit gar nicht gemaͤß faͤnde, und alles so in Verwirrung laͤge, daß z. B. in der Reihenfolge der Erscheinungen sich nichts dar- boͤte, was eine Regel der Synthesis an die Hand gaͤbe, und also dem Begriffe der Ursache und Wirkung entspraͤche, so daß dieser Begriff also ganz leer, nichtig und ohne Be- deutung waͤre. Erscheinungen wuͤrden nichts destoweniger unse- I. Absch. Von den Princip. einer Transsc. Deduct. unserer Anschauung Gegenstaͤnde darbiethen, denn die An- schauung bedarf der Functionen des Denkens auf keine Weise. Gedaͤchte man sich von der Muͤhsamkeit dieser Unter- suchungen dadurch loszuwickeln, daß man sagte: Die Erfahrung boͤte unablaͤßig Beyspiele einer solchen Regel- maͤßigkeit der Erscheinungen dar, die genugsam Anlaß ge- ben, den Begriff der Ursache davon abzusondern, und da- durch zugleich die obiective Guͤltigkeit eines solchen Begriffs zu bewaͤhren, so bemerkt man nicht, daß auf diese Weise der Begriff der Ursache gar nicht entspringen kan, sondern daß er entweder voͤllig a priori im Verstande muͤsse ge- gruͤndet seyn, oder als ein blosses Hirngespinst gaͤnzlich aufgegeben werden muͤsse. Denn dieser Begriff erfordert durchaus, daß etwas A von der Art sey, daß ein anderes B daraus nothwendig und nach einer schlechthin allge- meinen Regel folge. Erscheinungen geben gar wol Faͤlle an die Hand, aus denen eine Regel moͤglich ist, nach der etwas gewoͤhnlicher massen geschieht, aber niemals, daß der Erfolg nothwendig sey: daher der Synthesis der Ur- sache und Wirkung auch eine Dignitaͤt anhaͤngt, die man gar nicht empirisch ausdruͤcken kan, nemlich, daß die Wirkung nicht blos zu der Ursache hinzu komme, sondern durch dieselbe gesezt sey, und aus ihr erfolge. Die stren- ge Allgemeinheit der Regel ist auch gar keine Eigenschaft empirischer Regeln, die durch Induction keine andere als com- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. comparative Allgemeinheit, d. i. ausgebreitete Brauchbar- keit bekommen koͤnnen. Nun wuͤrde sich aber der Gebrauch der reinen Verstaͤndesbegriffe gaͤnzlich aͤndern, wenn man sie nur als empirische Producte behandeln wollte. Uebergang zur Transsc. Deduction der Categorien. Es sind nur zwey Faͤlle moͤglich, unter denen syntheti- sche Vorstellung und ihre Gegenstaͤnde zusammentreffen, sich auf einander nothwendiger Weise beziehen, und gleich- sam einander begegnen koͤnnen. Entweder wenn der Ge- genstand die Vorstellung, oder diese den Gegenstand allein moͤglich macht. Ist das erstere, so ist diese Beziehung nur empirisch, und die Vorstellung ist niemals a priori moͤglich. Und dies ist der Fall mit Erscheinung, in An- sehung dessen, was an ihnen zur Empfindung gehoͤrt. Ist aber das zweyte, weil Vorstellung an sich selbst (denn von dessen Caussalitaͤt, vermittelst des Willens, ist hier gar nicht die Rede,) ihren Gegenstand dem Daseyn nach nicht her- vorbringt, so ist doch die Vorstellung in Ansehung des Ge- genstandes alsdenn a priori bestimmend, wenn durch sie allein es moͤglich ist, etwas als einen Gegenstand zu erkennen. Es sind aber zwey Bedingungen, unter denen allein die Erkentniß eines Gegenstandes moͤglich ist, erstlich, Anschauung, dadurch derselbe, aber nur als Erscheinung, gegeben wird: zweytens, Begriff, dadurch ein Gegen- stand I. Absch. Von den Princip. einer Transsc. Deduct. stand gedacht wird, der dieser Anschauung entspricht. Es ist aber aus dem obigen klar, daß die erste Bedingung, nemlich die, unter der allein Gegenstaͤnde angeschaut wer- den koͤnnen, in der That den Obiecten der Form nach a priori im Gemuͤth zum Grunde liegen. Mit dieser for- malen Bedingung der Sinnlichkeit stimmen also alle Er- scheinungen nothwendig uͤberein, weil sie nur durch die- selbe erscheinen, d. i. empirisch angeschauet und gegeben wer- den koͤnnen. Nun fraͤgt es sich, ob nicht auch Begriffe a priori vorausgehen, als Bedingungen, unter denen allein etwas, wenn gleich nicht angeschauet, dennoch als Gegenstand uͤberhaupt gedacht wird, denn alsdenn ist alle empirische Erkentniß der Gegenstaͤnde solchen Begriffen nothwendi- ger Weise gemaͤß, weil, ohne deren Voraussetzung, nichts als Obiect der Erfahrung moͤglich ist. Nun enthaͤlt aber alle Erfahrung ausser der Anschauung der Sinne, wodurch etwas gegeben wird, noch einen Begriff von einem Ge- genstande, der in der Anschauung gegeben wird, oder er- scheint: demnach werden Begriffe von Gegenstaͤnden uͤber- haupt, als Bedingungen a priori aller Erfahrungserkent- niß zum Grunde liegen: folglich wird die obiective Guͤl- tigkeit der Categorien, als Begriffe a priori, darauf be- ruhen, daß durch sie allein Erfahrung, (der Form des Denkens nach) moͤglich sey. Denn alsdenn beziehen sie sich nothwendiger Weise und a priori auf Gegenstaͤnde der Erfahrung, weil nur vermittelst ihrer uͤberhaupt irgend ein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kan. Die Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. Die transsc. Deduction aller Begriffe a priori hat also ein Principium, worauf die ganze Nachforschung ge- richtet werden muß, nemlich dieses: daß sie als Bedingun- gen a priori der Moͤglichkeit der Erfahrungen erkant wer- den muͤssen (es sey der Anschauung, die in ihr angetrof- fen wird, oder des Denkens). Begriffe, die den obiecti- ven Grund der Moͤglichkeit der Erfahrung abgeben, sind eben darum nothwendig. Die Entwickelung der Er- fahrung aber, worinn sie angetroffen werden, ist nicht ihre Deduction, (sondern Illustration) weil sie dabey doch nur zufaͤllig seyn wuͤrden. Ohne diese urspruͤngliche Beziehung auf moͤgliche Erfahrung, in welcher alle Gegenstaͤnde der Erkentniß vorkommen, wuͤrde die Beziehung derselben auf irgend ein Obiect gar nicht begriffen werden koͤnnen. Es sind aber drey urspruͤngliche Quellen, (Faͤhigkei- ten oder Vermoͤgen der Seele) die die Bedingungen der Moͤglichkeit aller Erfahrung enthalten, und selbst aus kei- nem andern Vermoͤgen des Gemuͤths abgeleitet werden koͤnnen, nemlich, Sinn, Einbildungskraft, und Apper- ception. Darauf gruͤndet sich 1) die Synopsis des Man- nigfaltigen a priori durch den Sinn; 2) die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft: endlich 3) die Einheit dieser Synthesis durch urspruͤngliche Ap- perception. Alle diese Vermoͤgen haben, ausser dem em- pirischen Gebrauch, noch einen transsc., der lediglich auf die Form geht, und a priori moͤglich ist. Von diesem haben wir in Ansehung der Sinne oben im ersten Theile geredet, II. Absch. Princip. der Moͤglichkeit der Erfahr. geredet, die zwey andre aber wollen wir ietzt ihrer Natur nach einzusehen trachten. Der Deduction der reinen Verstandesbegriffe Zweiter Abschnitt . Von den Gruͤnden a priori zur Moͤglichkeit der Erfahrung. D aß ein Begriff voͤllig a priori erzeugt werden, und sich auf einen Gegenstand beziehen solle, obgleich er weder selbst in den Begriff moͤglicher Erfahrung gehoͤ- ret, noch aus Elementen einer moͤglichen Erfahrung be- steht, ist gaͤnzlich widersprechend und unmoͤglich. Denn er wuͤrde alsdenn keinen Inhalt haben, darum, weil ihm keine Anschauung correspondirte, indem Anschauungen uͤber- haupt, wodurch uns Gegenstaͤnde gegeben werden koͤnnen, das Feld, oder den gesamten Gegenstand moͤglicher Er- fahrung ausmachen. Ein Begriff a priori, der sich nicht auf diese bezoͤge, wuͤrde nur die logische Form zu einem Begriff, aber nicht der Begriff selbst seyn, wodurch etwas gedacht wuͤrde. Wenn es also reine Begriffe a priori giebt, so koͤn- nen diese zwar freilich nichts Empirisches enthalten: sie muͤssen aber gleichwol lauter Bedingungen a priori zu ei- ner moͤglichen Erfahrung seyn, als worauf allein ihre ob- iective Realitaͤt beruhen kan. Will man daher wissen, wie reine Verstandesbegriffe moͤglich seyn, so muß man untersuchen, welches die Be- din- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. dingungen a priori seyn, worauf die Moͤglichkeit der Er- fahrung ankomt, und die ihr zum Grunde liegen, wenn man gleich von allem Empirischen der Erscheinungen ab- strahiret. Ein Begriff, der diese formale und obiective Bedingung der Erfahrung allgemein und zureichend aus- druͤckt, wuͤrde ein reiner Verstandesbegriff heissen. Habe ich einmal reine Verstandesbegriffe, so kan ich auch wohl Gegenstaͤnde erdenken, die vielleicht unmoͤglich, vielleicht zwar an sich moͤglich, aber in keiner Erfahrung gegeben werden koͤnnen, indem in der Verknuͤpfung iener Begriffe etwas weggelassen seyn kan, was doch zur Bedingung einer moͤglichen Erfahrung nothwendig gehoͤret, (Begriff eines Geistes) oder etwa reine Verstandesbegriffe weiter aus- gedehnet werden, als Erfahrung fassen kan (Begriff von Gott). Die Elemente aber zu allen Erkentnissen a priori selbst zu willkuͤhrlichen und ungereimten Erdichtungen koͤn- nen zwar nicht von der Erfahrung entlehnt seyn, (denn sonst waͤren sie nicht Erkentnisse a priori ) sie muͤssen aber iederzeit die reine Bedingungen a priori einer moͤglichen Erfahrung und eines Gegenstandes derselben enthalten, denn sonst wuͤrde nicht allein durch sie gar nichts gedacht werden, sondern sie selber wuͤrden ohne Data auch nicht einmal im Denken entstehen koͤnnen. Diese Begriffe nun, welche a priori das reine Den- ken bey ieder Erfahrung enthalten, finden wir an den Categorien, und es ist schon eine hinreichende Deduction derselben, und Rechtfertigung ihrer obiectiven Guͤltigkeit, wenn II. Absch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. wenn wir beweisen koͤnnen: daß vermittelst ihrer allein ein Gegenstand gedacht werden kan. Weil aber in einem solchen Gedanken mehr als das einzige Vermoͤgen zu den- ken, nemlich der Verstand beschaͤftiget ist, und dieser selbst, als ein Erkentnißvermoͤgen, das sich auf Obiecte beziehen soll, eben so wol einer Erlaͤuterung, wegen der Moͤglich- keit dieser Beziehung, bedarf: so muͤssen wir die subiective Quellen, welche die Grundlage a priori zu der Moͤglich- keit der Erfahrung ausmachen, nicht nach ihrer empiri- schen, sondern transscendentalen Beschaffenheit zuvor er- wegen. Wenn eine iede einzelne Vorstellung der andern ganz fremd, gleichsam isolirt, und von dieser getrent waͤre, so wuͤrde niemals so etwas, als Erkentniß ist, entspringen, welche ein Ganzes verglichener und verknuͤpfter Vorstel- lungen ist. Wenn ich also dem Sinne deswegen, weil er in seiner Anschauung Mannigfaltigkeit enthaͤlt, eine Sy- nopsis beylege, so correspondirt dieser iederzeit eine Syn- thesis und die Receptivitaͤt kan nur mit Spontaneitaͤt verbunden Erkentnisse moͤglich machen. Diese ist nun der Grund einer dreyfachen Synthesis, die nothwendiger Wei- se in allem Erkentniß vorkommt: nemlich, der Appre- hension der Vorstellungen, als Modificationen des Gemuͤths in der Anschauung, der Reproduction derselben in der Ein- bildung und, ihrer Recognition im Begriffe. Diese ge- ben nun eine Leitung auf drey subiective Erkentnißquellen, welche selbst den Verstand und, durch diesen, alle Er- G fah- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. fahrung, als ein empirisches Product des Verstandes moͤg- lich machen. Vorlaͤufige Erinnerung. Die Deduction der Categorien ist mit so viel Schwie- rigkeiten verbunden, und noͤthigt, so tief in die erste Gruͤn- de der Moͤglichkeit unsrer Erkentniß uͤberhaupt einzudrin- gen, daß ich, um die Weitlaͤuftigkeit einer vollstaͤndigen Theorie zu vermeiden, und dennoch, bey einer so noth- wendigen Untersuchung, nichts zu versaͤumen, es rathsa- mer gefunden habe, durch folgende vier Nummern den Leser mehr vorzubereiten, als zu unterrichten; und im naͤchstfolgenden dritten Abschnitte, die Eroͤrterung dieser Elemente des Verstandes allererst systematisch vorzustellen. Um deswillen wird sich der Leser bis dahin die Dunkelheit nicht abwendig machen lassen, die auf einem Wege, der noch ganz unbetreten ist, anfaͤnglich unvermeidlich ist, sich aber, wie ich hoffe, in gedachtem Abschnitte zur vollstaͤn- digen Einsicht aufklaͤren soll. 1. Von der Synthesis der Apprehension in der Anschauung. Unsere Vorstellungen moͤgen entspringen, woher sie wollen, ob sie durch den Einfluß aͤusserer Dinge, oder durch innere Ursachen gewirkt seyn, sie moͤgen a priori, oder empirisch als Erscheinungen entstanden seyn; so gehoͤren sie II. Absch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. sie doch als Modificationen des Gemuͤths zum innern Sinn, und als solche sind alle unsere Erkentnisse zulezt doch der formalen Bedingung des innern Sinnes, nemlich der Zeit unterworfen, als in welcher sie insgesamt geordnet, ver- knuͤpft und in Verhaͤltnisse gebracht werden muͤssen. Die- ses ist eine allgemeine Anmerkung, die man bey dem fol- genden durchaus zum Grunde legen muß. Jede Anschauung enthaͤlt ein Mannigfaltiges in sich, welches doch nicht als ein solches vorgestellt werden wuͤrde, wenn das Gemuͤth nicht die Zeit, in der Folge der Eindruͤcke auf einander unterschiede: denn als in einem Augenblik ent- halten, kan iede Vorstellung niemals etwas anderes, als absolute Einheit seyn. Damit nun aus diesem Mannig- faltigen Einheit der Anschauung werde, (wie etwa in der Vorstellung des Raumes) so ist erstlich das Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und denn die Zusammennehmung des- selben nothwendig, welche Handlung ich die Synthe- sis der Apprehension nenne, weil sie gerade zu auf die Anschauung gerichtet ist, die zwar ein Mannigfaltiges dar- bietet, dieses aber als ein solches, und zwar in einer Vor- stellung enthalten, niemals ohne eine dabey vorkommende Synthesis bewirken kan. Diese Synthesis der Apprehension muß nun auch a priori, d. i. in Ansehung der Vorstellungen, die nicht em- pirisch seyn, ausgeuͤbet werden. Denn ohne sie wuͤrden wir weder die Vorstellungen des Raumes, noch der Zeit a priori haben koͤnnen: da diese nur durch die G 2 Syn- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. Synthesis des Mannigfaltigen, welches die Sinnlichkeit in ihrer urspruͤnglichen Receptivitaͤt darbietet, erzeugt werden koͤnnen. Also haben wir eine reine Synthesis der Apprehension. 2. Von der Synthesis der Reproduction in der Einbildung. Es ist zwar ein blos empirisches Gesetz, nach wel- chem Vorstellungen, die sich oft gefolgt oder begleitet ha- ben, mit einander endlich vergesellschaften, und dadurch in eine Verknuͤpfung setzen, nach welcher, auch ohne die Gegenwart des Gegenstandes, eine dieser Vorstellungen einen Uebergang des Gemuͤths zu der andern, nach einer bestaͤndigen Regel, hervorbringt. Dieses Gesetz der Re- production sezt aber voraus: daß die Erscheinungen selbst wirklich einer solchen Regel unterworfen seyn, und daß in dem Mannigfaltigen ihrer Vorstellungen eine, gewissen Regeln gemaͤsse, Begleitung, oder Folge statt finde; denn ohne das wuͤrde unsere empirische Einbildungskraft nie- mals etwas ihrem Vermoͤgen gemaͤsses zu thun bekommen, also, wie ein todtes und uns selbst unbekantes Vermoͤgen im inneren des Gemuͤths verborgen bleiben. Wuͤrde der Zinnober bald roth, bald schwarz, bald leicht, bald schwer seyn, ein Mensch bald in diese, bald in iene thieri- sche Gestalt veraͤndert werden, am laͤngsten Tage bald das Land II. Absch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. Land mit Fruͤchten, bald mit Eis und Schnee bedeckt seyn, so koͤnte meine empirische Einbildungskraft nicht einmal Gelegenheit bekommen, bey der Vorstellung der rothen Farbe den schweren Zinnober in die Gedanken zu bekom- men, oder wuͤrde ein gewisses Wort bald diesem, bald ie- nem Dinge beygeleget, oder auch eben dasselbe Ding bald so bald anders benant, ohne daß hierin eine gewisse Re- gel, der die Erscheinungen schon von selbst unterworfen sind, herrschete, so koͤnte keine empirische Synthesis der Repro- duction statt finden. Es muß also etwas seyn, was selbst diese Repro- duction der Erscheinungen moͤglich macht, dadurch, daß es der Grund a priori einer nothwendigen synthetischen Ein- heit derselben ist. Hierauf aber komt man bald, wenn man sich besinnt, das Erscheinungen nicht Dinge an sich selbst, sondern das blosse Spiel unserer Vorstellungen sind, die am Ende auf Bestimmungen des inneren Sinnes aus- laufen. Wenn wir nun darthun koͤnnen, daß selbst un- sere reineste Anschauungen a priori keine Erkentniß ver- schaffen, ausser, so fern sie eine solche Verbindung des Mannigfaltigen enthalten, die eine durchgaͤngige Syn- thesis der Reproduction moͤglich macht, so ist diese Syn- thesis der Einbildungskraft auch vor aller Erfahrung auf Principien a priori gegruͤndet, und man muß eine reine transscendentale Synthesis derselben annehmen, die selbst der Moͤglichkeit aller Erfahrung, (als welche die Repro- G 3 duci- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. ducibilitaͤt der Erscheinungen nothwendig voraussezt) zum Grunde liegt. Nun ist offenbar, daß, wenn ich eine Linie in Gedanken ziehe, oder die Zeit von einem Mittag zum andern denken, oder auch nur eine gewisse Zahl mir vorstellen will, ich erstlich nothwendig eine dieser mannigfaltigen Vorstel- lungen nach der andern in Gedanken fassen muͤsse. Wuͤr- de ich aber die vorhergehende (die erste Theile der Linie, die vorhergehende Theile der Zeit, oder die nach einander vorgestellte Einheiten) immer aus den Gedanken verlieren und sie nicht reproduciren, indem ich zu den folgenden fortgehe, so wuͤrde niemals eine ganze Vorstellung, und keiner aller vorgenanten Gedanken, ia gar nicht einmal die reineste und erste Grundvorstellungen von Raum und Zeit entspringen koͤnnen. Die Synthesis der Apprehension ist also mit der Synthesis der Reproduction unzertrenlich verbunden. Und da iene den transscendentalen Grund der Moͤglichkeit aller Erkentnisse uͤberhaupt (nicht blos der empirischen, sondern auch der reinen a priori ) ausmacht, so gehoͤrt die reproductive Synthesis der Einbildungskraft zu den transscendentalen Handlungen des Gemuͤths und in Ruͤck- sicht auf dieselbe, wollen wir dieses Vermoͤgen auch das transscendentale Vermoͤgen der Einbildungskraft nennen. 3. Von II. Absch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. 3. Von der Synthesis der Recognition im Begriffe. Ohne Bewustseyn, daß das, was wir denken, eben dasselbe sey, was wir einen Augenblick zuvor dachten, wuͤrde alle Reproduction in der Reihe der Vorstellun- gen vergeblich seyn. Denn es waͤre eine neue Vorstel- lung im ietzigen Zustande, die zu dem Actus, wodurch sie nach und nach hat erzeugt werden sollen, gar nicht gehoͤ- rete, und das Mannigfaltige derselben wuͤrde immer kein Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelte, die ihm nur das Bewustseyn verschaffen kan. Vergesse ich im Zaͤhlen: daß die Einheiten, die mir iezt vor Sinnen schweben, nach und nach zu einander von mir hinzugethan worden sind, so wuͤrde ich die Erzeugung der Menge, durch diese successive Hinzuthuung von Einem zu Einem, mithin auch nicht die Zahl erkennen; denn dieser Begriff be- steht lediglich in dem Bewustseyn dieser Einheit der Syn- thesis. Das Wort Begriff koͤnte uns schon von selbst zu dieser Bemerkung Anleitung geben. Denn dieses eine Bewustseyn ist es, was das Mannigfaltige, nach und nach Angeschaute, und denn auch Reproducirte, in eine Vor- stellung vereinigt. Dieses Bewustseyn kan oft nur schwach seyn, so daß wir es nur in der Wirkung, nicht aber in dem Actus selbst, d. i. unmittelbar mit der Erzeugung G 4 der Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II Hauptst. der Vorstellung verknuͤpfen: aber unerachtet dieser Unter- schiede, muß doch immer ein Bewustseyn angetroffen wer- den, wenn ihm gleich die hervorstechende Klarheit man- gelt, un ohne dasselbe sind Begriffe, und mit ihnen Erkentniß von Gegenstaͤnden ganz unmoͤglich. Und hier ist es denn nothwendig, sich daruͤber ver- staͤndlich zu machen, was man denn unter dem Ausdruck eines Gegenstandes der Vorstellungen meine. Wir haben oben gesagt: daß Erscheinungen selbst nichts als sinnliche Vorstellungen sind, die an sich, in eben derselben Art, nicht als Gegenstaͤnde (ausser der Vorstellungskraft) muͤssen an- gesehen werden. Was versteht man denn, wenn man von einem der Erkenntniß correspondirenden, mithin auch davon unterschiedenen Gegenstande redet? Es ist leicht einzusehen, daß dieser Gegenstand nur als etwas uͤberhaupt = X muͤsse gedacht werden, weil wir ausser unserer Er- kentniß doch nichts haben, welches wir dieser Erkentniß als correspondirend gegen uͤber setzen koͤnten. Wir finden aber, daß unser Gedanke von der Be- ziehung aller Erkentniß auf ihren Gegenstand etwas von Nothwendigkeit bey sich fuͤhre, da nemlich dieser als dasie- nige angesehen wird, was dawider ist, daß unsere Er- kentnisse nicht aufs Gerathewohl, oder beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimt seyn, weil, indem sie sich auf einen Gegenstand beziehen sollen, sie auch nothwen- diger Weise in Beziehung auf diesen unter einander uͤber- ein- II. Absch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. einstimmen, d. i. dieienige Einheit haben muͤssen, welche den Begriff von einem Gegenstande ausmacht. Es ist aber klar, daß, da wir es nur mit dem Man- nigfaltigen unserer Vorstellungen zu thun haben, und ienes X , was ihnen correspondirt (der Gegenstand), weil er et- was von allen unsern Vorstellungen unterschiedenes seyn soll, vor uns nichts ist, die Einheit, welche der Gegenstand nothwendig macht, nichts anders seyn koͤnne, als die for- male Einheit des Bewustseyns in der Synthesis des Man- nigfaltigen der Vorstellungen. Alsdenn sagen wir: wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in dem Mannigfalti- gen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben. Diese ist aber unmoͤglich, wenn die Anschauung nicht durch eine solche Function der Synthesis nach einer Regel hat hervorgebracht werden koͤnnen, welche die Reproduction des Mannigfaltigen a priori nothwendig und einen Be- griff, in welchem dieses sich vereinigt, moͤglich macht. So denken wir uns einen Triangel als Gegenstand, indem wir uns der Zusammensetzung von drey geraden Linien nach einer Regel bewust sind, nach welcher eine solche Anschau- ung iederzeit dargestelt werden kan. Diese Einheit der Regel bestimt nun alles Mannigfaltige, und schraͤnkt es auf Bedingungen ein, welche die Einheit der Apperception moͤglich machen, und der Begriff dieser Einheit ist die Vor- stellung vom Gegenstande = X , den ich durch die gedach- te Praͤdicate eines Triangels denke. G 5 Alles Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. Alles Erkentniß erfordert einen Begriff, dieser mag nun so unvollkommen, oder so dunkel seyn, wie er wolle: dieser aber ist seiner Form nach iederzeit etwas Allgemeines, und was zur Regel dient. So dient der Begriff vom Coͤr- per nach der Einheit des Mannigfaltigen, welches durch ihn gedacht wird, unserer Erkentniß aͤusserer Erscheinun- gen zur Regel. Eine Regel der Anschauungen kan er aber nur dadurch seyn: daß er bey gegebenen Erscheinungen die nothwendige Reproduction des Mannigfaltigen derselben, mithin die synthetische Einheit in ihrem Bewustseyn, vor- stellt. So macht der Begriff des Coͤrpers, bey der Wahrnehmung von Etwas ausser uns, die Vorstellung der Ausdehnung, und mit ihr die der Undurchdringlichkeit, der Gestalt ꝛc. nothwendig. Aller Nothwendigkeit liegt iederzeit eine transscenden- tale Bedingung zum Grunde. Also muß ein transscendentaler Grund der Einheit des Bewustseyns, in der Synthesis des Mannigfaltigen aller unserer Anschauungen, mithin auch, der Begriffe der Obiecte uͤberhaupt, folglich auch aller Gegenstaͤnde der Erfahrung, angetroffen werden, ohne welchen es unmoͤglich waͤre, zu unsern Anschauungen ir- gend einen Gegenstand zu denken: denn dieser ist nichts mehr, als das Etwas, davon der Begriff eine solche Noth- wendig der Synthesis ausdrukt. Diese urspruͤngliche und transscendentale Bedingung ist nun keine andere, als die transscendentale Appercep- tion. II. Absch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. tion. Das Bewustseyn seiner selbst, nach den Bestim- mungen unseres Zustandes, bey der innern Wahrnehmung ist blos empirisch, iederzeit wandelbar, es kan kein stehen- des oder bleibendes Selbst in diesem Flusse innrer Erschei- nungen geben, und wird gewoͤhnlich der innre Sinn ge- nant, oder die empirische Apperception. Das was nothwendig als numerisch identisch vorgestellt werden soll, kan nicht als ein solches durch empirische Data gedacht wer- den. Es muß eine Bedingung seyn, die vor aller Er- fahrung vorhergeht, und diese selbst moͤglich macht, wel- che eine solche transscendentale Voraussetzung geltend ma- chen soll. Nun koͤnnen keine Erkentnisse in uns statt finden, keine Verknuͤpfung und Einheit derselben unter einander, ohne dieienige Einheit des Bewustseyns, welche vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht, und, worauf in Be- ziehung, alle Vorstellung von Gegenstaͤnden allein moͤglich ist. Dieses reine urspruͤngliche, unwandelbare Bewust- seyn will ich nun die transscendentale Apperception nen- nen. Daß sie diesen Namen verdiene, erhellet schon dar- aus: daß selbst die reineste obiective Einheit, nemlich die der Begriffe a priori (Raum und Zeit) nur durch Bezie- hung der Anschauungen auf sie moͤglich seyn. Die nu- merische Einheit dieser Apperception liegt also a priori allen Begriffen eben so wol zum Grunde, als die Man- nigfaltigkeit des Raumes und der Zeit den Anschauungen der Sinnlichkeit. Eben Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. Eben diese transscendentale Einheit der Apperception macht aber aus allen moͤglichen Erscheinungen, die im- mer in einer Erfahrung beysammen seyn koͤnnen, einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen. Denn diese Einheit des Bewustseyns waͤre unmoͤglich, wenn nicht das Gemuͤth in der Erkentniß des Mannigfal- tigen sich der Identitaͤt der Function bewust werden koͤnte, wodurch sie dasselbe synthetisch in einer Erkentniß verbin- det. Also ist das urspruͤngliche und nothwendige Bewust- seyn der Identitaͤt seiner selbst zugleich ein Bewustseyn ei- ner eben so nothwendigen Einheit der Synthesis aller Er- scheinungen nach Begriffen, d. i. nach Regeln, die sie nicht allein nothwendig reproducibel machen, sondern da- durch auch ihrer Anschauung einen Gegenstand bestim- men, d. i. den Begriff von Etwas, darin sie nothwen- dig zusammenhaͤngen: denn das Gemuͤth konte sich un- moͤglich die Identitaͤt seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen und zwar a priori denken, wenn es nicht die Identitaͤt seiner Handlung vor Augen haͤtte, wel- che alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) ei- ner transscendentalen Einheit unterwirst, und ihren Zu- sammenhang nach Regeln a priori zuerst moͤglich macht. Nunmehro werden wir auch unsere Begriffe von einem Gegenstande uͤberhaupt richtiger bestimmen koͤnnen. Alle Vorstellungen haben, als Vorstellungen, ihren Gegenstand, und koͤnnen selbst wiederum Gegenstaͤnde anderer Vorstel- lungen seyn. Erscheinungen sind die einzigen Gegenstaͤn- de, II. Absch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. de, die uns unmittelbar gegeben werden koͤnnen, und das, was sich darin unmittelbar auf den Gegenstand bezieht, heißt Anschauung. Nun sind aber diese Erscheinungen nicht Dinge an sich selbst, sondern selbst nur Vorstellun- gen, die wiederum ihren Gegenstand haben, der also von uns nicht mehr angeschaut werden kan, und daher der nichtempirische, d. i. transscendentale Gegenstand = X genant werden mag. Der reine Begriff von diesem transscendentalen Ge- genstande, (der wirklich bey allen unsern Erkentnissen im- mer einerley = X ist,) ist das, was in allen unsern em- pirischen Begriffen uͤberhaupt Beziehung auf einen Ge- genstand, d. i. obiective Realitaͤt verschaffen kan. Dieser Begriff kan nun gar keine bestimte Anschauung enthal- ten, und wird also nichts anders, als dieienige Einheit betreffen, die in einem Mannigfaltigen der Erkentniß an- getroffen werden muß, so fern es in Beziehung auf einen Gegenstand steht. Diese Beziehung aber ist nichts an- ders, als die nothwendige Einheit des Bewustseyns, mit- hin auch der Synthesis des Mannigfaltigen durch gemein- schaftliche Function des Gemuͤths, es in einer Vorstellung zu verbinden. Da nun diese Einheit als a priori noth- wendig angesehen werden muß, (weil die Erkentniß sonst ohne Gegenstand seyn wuͤrde) so wird die Beziehung auf einen transscendentalen Gegenstand d. i. die obiective Rea- litaͤt unserer empirischen Erkentniß, auf dem transscenden- talen Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. talen Gesetze beruhen, daß alle Erscheinungen, so fern uns dadurch Gegenstaͤnde gegeben werden sollen, unter Regeln a priori der synthetischen Einheit derselben stehen muͤssen, nach welchen ihr Verhaͤltniß in der empirischen Anschaung allein moͤglich ist, d. i. daß sie eben sowol in der Erfahrung unter Bedingungen der nothwendigen Ein- heit der Apperception, als in der blossen Anschauung unter den formalen Bedingungen des Raumes und der Zeit ste- hen muͤssen, ia daß durch iene iede Erkentniß allererst moͤglich werde. 4. Vorlaͤufige Erklaͤrung der Moͤglichkeit der Categorien, als Erkentnissen a priori . Es ist nur eine Erfahrung, in welcher alle Wahrneh- mungen als im durchgaͤngigen und gesetzmaͤßigen Zusam- menhange vorgestellet werden: eben so, wie nur ein Raum und Zeit ist, in welcher alle Formen der Erscheinung und alles Verhaͤltniß des Seyns oder Nichtseyns statt finden. Wenn man von verschiedenen Erfahrungen spricht, so sind es nur so viel Wahrnehmungen, so fern solche zu einer und derselben allgemeinen Erfahrung gehoͤren. Die durchgaͤngi- ge und synthetische Einheit der Wahrnehmungen macht nem- lich gerade die Form der Erfahrung aus und sie ist nichts anders, als die synthetische Einheit der Erscheinungen nach Begriffen. Ein- II. Absch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. Einheit der Synthesis nach empirischen Begriffen wuͤrde ganz zufaͤllig seyn und, gruͤndeten diese sich nicht auf einen transscendentalen Grund der Einheit, so wuͤrde es moͤglich seyn, daß ein Gewuͤhle von Erscheinungen un- sere Seele anfuͤllete, ohne daß doch daraus iemals Erfah- rung werden koͤnte. Alsdenn fiele aber auch alle Bezie- hung der Erkentniß auf Gegenstaͤnde weg, weil ihr die Verknuͤpfung nach allgemeinen und nothwendigen Gesetzen mangelte, mithin wuͤrde sie zwar gedankenlose Anschauung, aber niemals Erkentniß, also fuͤr uns so viel als gar nichts seyn. Die Bedingungen a priori einer moͤglichen Erfah- rung uͤberhaupt sind zugleich Bedingungen der Moͤglichkeit der Gegenstaͤnde der Erfahrung. Nun behaupte ich: die eben angefuͤhrte Categorien sind nichts anders, als die Bedingungen des Denkens in einer moͤglichen Erfah- rung, so wie Raum und Zeit die Bedingungen der An- schauung zu eben derselben enthalten. Also sind iene auch Grundbegriffe, Obiecte uͤberhaupt zu den Erscheinungen zu denken, und haben also a priori obiective Guͤltigkeit; welches dasienige war, was wir eigentlich wissen wollten. Die Moͤglichkeit aber, ia so gar die Nothwendigkeit dieser Categorien beruhet auf der Beziehung, welche die gesamte Sinnlichkeit, und mit ihr auch alle moͤgliche Er- scheinungen, auf die urspruͤngliche Apperception haben, in welcher alles nothwendig den Bedingungen der durch- gaͤngigen Einheit des Selbstbewustseyns gemaͤß seyn, d. i. unter Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. unter allgemeinen Functionen der Synthesis stehen muß, nemlich der Synthesis nach Begriffen, als worin die Ap- perception allein ihre durchgaͤngige und nothwendige Iden- titaͤt a priori beweisen kan. So ist der Begriff einer Ursache nichts anders, als eine Synthesis (dessen, was in der Zeitreihe folgt, mit andern Erscheinungen,) nach Begriffen, und ohne dergleichen Einheit, die ihre Regel a priori hat, und die Erscheinungen sich unterwirft, wuͤr- de durchgaͤngige und allgemeine, mithin nothwendige Ein- heit des Bewustseyns, in dem Mannigfaltigen der War- nehmungen, nicht angetroffen werden. Diese wuͤrden aber alsdenn auch zu keiner Erfahrung gehoͤren, folglich ohne Obiect, und nichts als ein blindes Spiel der Vorstel- lungen, d. i. weniger, als ein Traum seyn. Alle Versuche, iene reine Verstandesbegriffe von der Erfahrung abzuleiten, und ihnen einen blos empirischen Ursprung zuzuschreiben, sind also ganz eitel und vergeb- lich. Ich will davon nichts erwehnen, daß z. E. der Be- griff einer Ursache den Zug von Nothwendigkeit bey sich fuͤhrt, welche gar keine Erfahrung geben kan, die uns zwar lehrt: daß auf eine Erscheinung gewoͤhnlicher Maas- sen etwas Andres folge, aber nicht, daß es nothwendig darauf folgen muͤsse, noch daß a priori und ganz allge- mein daraus als einer Bedingung auf die Folge koͤnne ge- schlossen werden. Aber iene empirische Regel der Asso- ciation, die man doch durchgaͤngig annehmen muß, wenn man sagt: daß alles in der Reihenfolge der Begeben- heiten II. Absch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. heiten dermassen unter Regeln stehe, daß niemals etwas geschieht, vor welchem nicht etwas vorhergehe, darauf es iederzeit folge: dieses, als ein Gesetz der Natur, w or- auf beruht es, frage ich? und wie ist selbst diese Associa- tion moͤglich? Der Grund der Moͤglichkeit der Association des Mannigfaltigen, so fern es im Obiecte liegt, heißt die Affinitaͤt des Mannigfaltigen. Ich frage also, wie macht ihr euch die durchgaͤngige Affinitaͤt der Erscheinungen, (da- durch sie unter bestaͤndigen Gesetzen stehen, und darunter gehoͤren muͤssen.) begreiflich? Nach meinen Grundsaͤtzen ist sie sehr wol begreiflich. Alle moͤgliche Erscheinungen gehoͤren, als Vorstellungen, zu dem ganzen moͤglichen Selbstbewustseyn. Von diesem aber, als einer transscendentalen Vorstellung, ist die nu- merische Identitaͤt unzertrenlich, und a priori gewiß, weil nichts in das Erkentniß kommen kan, ohne vermittelst die- ser urspruͤnglichen Apperception. Da nun diese Identitaͤt nothwendig in der Synthesis alles Mannigfaltigen der Er- scheinungen, so fern sie empirische Erkentniß werden soll, hinein kommen muß, so sind die Erscheinungen Bedingun- gen a priori unterworfen, welchen ihre Synthesis (der Apprehension) durchgaͤngig gemaͤs seyn muß. Nun heißt aber die Vorstellung einer allgemeinen Bedingung, nach welcher ein gewisses Mannigfaltige, (mithin auf einerley Art) gesezt werden kan, eine Regel, und wenn es so gesezt werden muß, ein Gesetz. Also stehen alle Erschei- nungen in einer durchgaͤngigen Verknuͤpfung nach noth- H wen- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. wendigen Gesetzen, und mithin in einer transscendentalen Affinitaͤt, woraus die empirische die blosse Folge ist. Daß die Natur sich nach unserm subiectiven Grunde der Apperception richten, ia gar davon in Ansehung ihrer Gesetzmaͤssigkeit abhangen solle, lautet wol sehr wi- dersinnisch und befremdlich. Bedenket man aber, daß diese Natur an sich nichts als ein Inbegriff von Erschei- nungen, mithin kein Ding an sich, sondern blos eine Men- ge von Vorstellungen des Gemuͤths sey, so wird man sich nicht wundern, sie blos in dem Radicalvermoͤgen aller unsrer Erkentniß, nemlich der transscendentalen Apper- ception, in derienigen Einheit zu sehen, um deren willen allein sie Obiect aller moͤglichen Erfahrung, d. i. Natur heissen kan; und daß wir auch eben darum diese Einheit a priori, mithin auch als nothwendig erkennen koͤnnen, wel- ches wir wol muͤsten unterwegens lassen, waͤre sie unabhaͤngig von den ersten Quellen unseres Denkens an sich gegeben. Denn da wuͤste ich nicht, wo wir die synthetische Saͤtze einer solchen allgemeinen Natureinheit hernehmen sollten, weil man sie auf solchen Fall von den Gegenstaͤnden der Natur selbst entlehnen muͤßte. Da dieses aber nur empi- risch geschehen koͤnte: so wuͤrde daraus keine andere, als blos zufaͤllige Einheit gezogen werden koͤnnen, die aber bey weitem an den nothwendigen Zusammenhang nicht reicht, den man meint, wenn man Natur nennt Der III. Absch. Vom Verh. d. Verst. zu Gegenst. ꝛc. Der Deduction der reinen Verstandesbegriffe Dritter Abschnitt . Von dem Verhaͤltnisse des Verstandes zu Gegenstaͤnden uͤberhaupt und der Moͤglichkeit diese a priori zu erkennen. W as wir im vorigen Abschnitte abgesondert und einzeln vortrugen, wollen wir iezt vereinigt und im Zu- sammenhange vorstellen. Es sind drey subiective Erkent- nißquellen, worauf die Moͤglichkeit einer Erfahrung uͤber- haupt, und Erkentniß der Gegenstaͤnde derselben beruht: Sinn, Einbildungskraft und Apperception; iede der- seiben kan als empirisch, nemlich in der Anwendung auf gegebene Erscheinungen betrachtet werden, alle aber sind auch Elemente oder Grundlagen a priori, welche selbst diesen empirischen Gebrauch moͤglich machen. Der Sinn stellt die Erscheinungen empirisch in der Wahrnehmung vor, die Einbildungskraft in der Association (und Reproduction), die Apperception in dem empirischen Bewustseyn der Iden- titaͤt dieser reproductiven Vorstellungen mit den Erschei- nungen, dadurch sie gegeben waren, mithin in der Re- cognition. Es liegt aber der saͤmtlichen Wahrnehmung die reine Anschauung (in Ansehung ihrer als Vorstellung die Form der inneren Anschauung, die Zeit,) der Association die H 2 rei- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. reine Synthesis der Einbildungskraft, und dem empiri- schen Bewustseyn die reine Apperception, d. i. die durch- gaͤngige Identitaͤt seiner selbst bey allen moͤglichen Vorstel- lungen, a priori zum Grunde. Wollen wir nun den innern Grund dieser Verknuͤp- fung der Vorstellungen bis auf denienigen Punct verfolgen, in welchem sie alle zusammenlaufen muͤssen, um darin allererst Einheit der Erkentniß zu einer moͤglichen Erfah- rung zu bekommen, so muͤssen wir von der reinen Apper- ception anfangen. Alle Anschauungen sind vor uns nichts, und gehen uns nicht im mindesten etwas an, wenn sie nicht ins Bewustseyn aufgenommen werden koͤnnen, sie moͤgen nun direct oder indirect, darauf einfliessen, und nur durch dieses allein ist Erkentniß moͤglich. Wir sind uns a priori der durchgaͤngigen Identitaͤt unserer selbst in Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkentniß iemals gehoͤren koͤnnen, bewust, als einer nothwendigen Bedingung der Moͤglichkeit aller Vorstellungen, (weil diese in mir doch nur dadurch etwas vorstellen, daß sie mit allem andern zu einem Bewustseyn gehoͤren, mithin darin wenigstens muͤssen verknuͤpft werden koͤnnen). Dies Princip steht a priori fest, und kan das transscendentale Princip der Einheit alles Mannigfaltigen unserer Vor- stellungen (mithin auch in der Anschauung), heissen. Nun ist die Einheit des Mannigfaltigen in einem Subiect s ynthetisch: also giebt die reine Apperception ein Princi- pium III. Absch. Vom Verh. d. Verft. zu Gegenst. ꝛc. pium der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in aller moͤglichen Anschauung an die Hand. Man gebe auf diesen Satz wol acht, der von grosser Wichtigkeit ist. Alle Vorstellungen haben eine nothwen- dige Beziehung auf ein moͤgliches empirisches Bewust- seyn: denn haͤtten sie dieses nicht, und waͤre es gaͤnzlich unmoͤglich, sich ihrer bewust zu werden; so wuͤrde das so viel sagen, sie existirten gar nicht. Alles empirische Bewust- seyn hat aber eine nothwendige Beziehung auf ein trans- scendentales (vor aller besondern Erfahrung vorhergehen- des) Bewustseyn, nemlich das Bewustseyn meiner Selbst, als die urspruͤngliche Apperception. Es ist also schlecht- hin nothwendig, daß in meinem Erkentnisse alles Be- wustseyn zu einem Bewustseyn (meiner Selbst) gehoͤre. Hier ist nun eine synthetische Einheit des Mannigfal- tigen, (Bewustseyns) die a priori erkant wird, und ge- rade so den Grund zu synthetischen Saͤtzen a priori, die das reine Denken betreffen, als Raum und Zeit zu sol- chen Saͤtzen, die die Form der blossen Anschauung an- gehen, abgiebt. Der synthetische Satz: daß alles ver- schiedene empirische Bewustseyn in einem einigen Selbst- bewustseyn verbunden seyn muͤsse, ist der schlechthin erste und synthetische Grundsatz unseres Denkens uͤberhaupt. Es ist aber nicht aus der Acht zu lassen, daß die blosse Vor- stellung Ich in Beziehung auf alle andere (deren collec- tive Einheit sie moͤglich macht) das transsendentale Be- wustseyn sey. Diese Vorstellung mag nun klar (empiri- sches Bewustseyn) oder dunkel seyn, daran liegt hier nichts, i a nicht einmal an der Wirklichkeit desselben; sondern die Moͤglichkeit der logischen Form alles Erkentnisses beru- het nothwendig auf dem Verhaͤltniß zu dieser Appercep- tion als einem Vermoͤgen. H 3 Diese Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. Diese synthetische Einheit sezt aber eine Synthesis vor- aus, oder schließt sie ein, und soll iene a priori nothwendig seyn, so muß leztere auch eine Synthesis a priori seyn. Al- so beziehet sich die transsc. Einheit der Apperception auf die reine Synthesis der Einbildungskraft, als eine Bedingung a priori der Moͤglichkeit aller Zusammensetzung des Man- nigfaltigen in einer Erkentniß. Es kan aber nur die pro- ductive Synthesis der Einbildungskraft a priori statt finden; denn die reproductive beruht auf Bedingungen der Erfahrung. Also ist das Principium der nothwendigen Einheit der reinen (productiven) Synthesis der Einbildungs- kraft vor der Apperception der Grund der Moͤglichkeit aller Erkentniß, besonders der Erfahrung. Nun nennen wir die Synthesis des Mannigsaltigen in der Einbildungskraft transscendental, wenn ohne Un- terschied der Anschauungen sie auf nichts, als blos auf die Verbindung des Mannigfaltigen a priori geht, und die Einheit dieser Synthesis heißt transscendental, wenn sie in Beziehung auf die urspruͤngliche Einheit der Apper- ception, als a priori nothwendig vorgestellt wird. Da diese leztere nun der Moͤglichkeit aller Erkentnisse zum Grunde liegt, so ist die transscendentale Einheit der Syn- thesis der Einbildungskraft die reine Form aller moͤglichen Erkentniß, durch welche mithin alle Gegenstaͤnde moͤglicher Erfahrung a priori vergestellt werden muͤssen. Die III. Absch. Vom Verh. d. Verst. zu Gegenst. ꝛc. Die Einheit der Apperception in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft ist der Verstand, und eben dieselbe Einheit, beziehungsweise auf die trans- scendentale Synthesis der Einbildungskraft, der reine Verstand. Also sind im Verstande reine Erkentnisse a priori, welche die nothwendige Einheit der reinen Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung aller moͤg- lichen Erscheinungen, enthalten. Dieses sind aber die Categorien, d. i. reine Verstandesbegriffe, folglich ent- haͤlt die empirische Erkentnißkraft des Menschen nothwen- dig einen Verstand, der sich auf alle Gegenstaͤnde der Sinne, obgleich nur vermittelst der Anschauung, und der Synthe- sis derselben durch Einbildungskraft bezieht, unter wel- chen also alle Erscheinungen, als Data zu einer moͤglichen Erfahrung stehen. Da nun diese Beziehung der Er- scheinungen auf moͤgliche Erfahrung ebenfals nothwendig ist, (weil wir ohne diese gar keine Erkentniß durch sie be- kommen wuͤrden, und sie uns mithin gar nichts angingen) so folgt, daß der reine Verstand, vermittelst der Catego- rien, ein formales und synthetisches Principium aller Er- fahrungen sey, und die Erscheinungen eine nothwendige Beziehung auf den Verstand haben. Jezt wollen wir den nothwendigen Zusammenhang des Verstandes mit den Erscheinungen vermittelst der Cate- gorien dadurch vor Augen legen, daß wir von unten auf, nemlich dem Empirischen anfangen. Das erste, was uns H 4 gege- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Haupst. gegeben wird, ist Erscheinung, welche, wenn sie mit Be- wustseyn verbunden ist, Wahrnehmung heißt, (ohne das Verhaͤltniß zu einem, wenigstens moͤglichen Bewustseyn, wuͤrde Erscheinung vor uns niemals ein Gegenstand der Erkentniß werden koͤnnen, und also vor uns nichts seyn, und weil sie an sich selbst keine obiective Realitaͤt hat, und nur im Erkentnisse existirt, uͤberall nichts seyn.) Weil aber iede Erscheinung ein Mannigfaltiges enthaͤlt, mithin verschiedene Wahrnehmungen im Gemuͤthe an sich zerstreuet und einzeln angetroffen werden, so ist eine Verbindung derselben noͤthig, welche sie in dem Sinne selbst nicht ha- ben koͤnnen. Es ist also in uns ein thaͤtiges Vermoͤgen der Synthesis dieses Mannigfaltigen, welches wir Einbildungs- kraft nennen und deren unmittelbar an den Wahrneh- mungen ausgeuͤbte Handlung ich Apprehension nenne Daß die Einbildungskraft ein nothwendiges Ingredienz der Wahrnehmung selbst sey, daran hat wol noch kein Psychologe gedacht. Das komt daher, weil man dieses Vermoͤgen theils nur auf Reproductionen einschraͤnkte, theils, weil man glaubte, die Sinne lieferten uns nicht allein Eindruͤcke, sondern sezten solche auch so gar zusam- men, und braͤchten Bilder der Gegenstaͤnde zuwege, wozu ohne Zweifel ausser der Empfaͤnglichkeit der Eindruͤcke, noch etwas mehr, nemlich eine Function der Synthesis derselben erfordert wird. . Die Einbildungskraft soll nemlich das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild bringen; vorher muß sie also die Eindruͤcke in ihre Thaͤtigkeit aufnehmen, d. i. apprehendi- ren. Es III. Absch. Vom Verh. d. Verst. zu Gegenst. ꝛc. Es ist aber klar, daß selbst diese Apprehension des Mannigfaltigen allein noch kein Bild und keinen Zusam- menhang der Eindruͤcke hervorbringen wuͤrde, wenn nicht ein subiectiver Grund da waͤre, eine Wahrnehmung, von welcher das Gemuͤth zu einer andern uͤbergegangen, zu den nachfolgenden heruͤber zu rufen, und so ganze Reihen derselben darzustellen, d. i. ein reproductives Vermoͤgen der Einbildungskraft, welches denn auch nur empirisch ist. Weil aber, wenn Vorstellungen, so wie sie zusammen gerathen, einander ohne Unterschied reproducirten, wieder- um kein bestimmter Zusammenhang derselben, sondern blos regellose Haufen derselben, mithin gar kein Erkent- niß entspringen wuͤrde; so muß die Reproduction dersel- ben eine Regel haben, nach welcher eine Vorstellung viel- mehr mit dieser, als einer andern in der Einbildungskraft in Verbindung tritt. Diesen subiectiven und empirischen Grund der Reproduction nach Regeln nent man die As- sociation der Vorstellungen. Wuͤrde nun aber diese Einheit der Association nicht auch einen obiectiven Grund haben, so daß es unmoͤglich waͤre, daß Erscheinungen von der Einbildungskraft anders apprehendirt wuͤrden, als unter der Bedingung einer moͤg- lichen synthetischen Einheit dieser Apprehension, so wuͤrde es auch etwas ganz zufaͤlliges seyn, daß sich Erscheinun- gen in einen Zusammenhang der menschlichen Erkentnisse schickten. Denn, ob wir gleich das Vermoͤgen haͤtten, Wahrnehmungen zu associiren; so bliebe es doch an sich H 5 ganz Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. ganz unbestimt und zufaͤllig, ob sie auch associabel waͤren; und in dem Falle, daß sie es nicht waͤren, so wuͤrde eine Menge Wahrnehmungen, und auch wohl eine ganze Sinn- lichkeit moͤglich seyn, in welcher viel empirisches Bewust- seyn in meinem Gemuͤth anzutreffen waͤre, aber getrent, und ohne daß es zu einem Bewustseyn meiner selbst ge- hoͤrete, welches aber unmoͤglich ist. Denn nur dadurch, daß ich alle Wahrnehmungen zu einem Bewustseyn (der urspruͤnglichen Apperception) zehle, kan ich bey allen Wahr- nehmungen sagen: daß ich mir ihrer bewust sey. Es muß also ein obiectiver, d. i. vor allen empirischen Gese- tzen der Einbildungskraft a priori einzusehender Grund seyn, worauf die Moͤglichkeit, ia sogar die Nothwendig- keit eines durch alle Erscheinungen sich erstreckenden Ge- setzes beruht, sie nemlich durchgaͤngig als solche Data der Sinne anzusehen, welche an sich associabel, und allgemei- nen Regeln einer durchgaͤngigen Verknuͤpfung in der Re- production unterworfen seyn. Diesen obiectiven Grund aller Association der Erscheinungen nenne ich die Affinitaͤt derselben. Diesen koͤnnen wir aber nirgends anders, als in dem Grundsatze von der Einheit der Apperception, in Ansehung aller Erkentnisse, die mir angehoͤren sollen, an- treffen. Nach diesem muͤssen durchaus alle Erscheinungen, so ins Gemuͤth kommen, oder apprehendirt werden, daß sie zur Einheit der Apperception zusammenstimmen, wel- ches, ohne synthetische Einheit in ihrer Verknuͤpfung, die mithin auch obiectiv nothwendig ist, unmoͤglich seyn wuͤrde. Die III. Absch. Vom Verh. d. Verst. zu Gegenst. ꝛc. Die obiective Einheit alles (empirischen) Bewust- seyns in einem Bewustseyn (der urspruͤnglichen Appercep- tion) ist also die nothwendige Bedingung so gar aller moͤg- lichen Wahrnehmung, und die Affinitaͤt aller Erscheinun- gen (nahe oder entfernte) ist eine nothwendige Folge einer Synthesis in der Einbildungskraft, die a priori auf Re- geln gegruͤndet ist. Die Einbildungskraft ist also auch ein Vermoͤgen einer Synthesis a priori, weswegen wir ihr den Namen der productiven Einbildungskraft geben, und, so fern sie in Ansehung alles Mannigfaltigen der Erscheinung nichts weiter, als die nothwendige Einheit in der Synthesis der- selben zu ihrer Absicht hat, kan diese die transscendentale Function der Einbildungskraft genant werden. Es ist da- her zwar befremdlich, allein aus dem bisherigen doch ein- leuchtend, daß nur vermittelst dieser transscendentalen Function der Einbildungskraft, sogar die Affinitaͤt der Erscheinungen, mit ihr die Association und durch diese end- lich die Reproduction nach Gesetzen, folglich die Erfah- rung selbst moͤglich werde: weil ohne sie gar keine Be- griffe von Gegenstaͤnden in eine Erfahrung zusammenflies- sen wuͤrden. Denn das stehende und bleibende Ich (der reinen Apperception) macht das Correlatum aller unserer Vor- stellungen aus, so fern es blos moͤglich ist, sich ihrer bewust zu werden, und alles Bewustseyn gehoͤrt eben so wol zu einer allbefassenden reinen Apperception, wie alle sinnliche Anschau- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. Anschauung als Vorstellung zu einer reinen innern Anschau- ung, nemlich der Zeit. Diese Apperception ist es nun, welche zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Function intellectuel zu machen. Denn an sich selbst ist die Synthesis der Einbildungskraf , obgleich a priori ausgeuͤbt, dennoch iederzeit sinnlich, weil sie das Mannig- faltige nur so verbindet, wie es in der Anschauung er- scheint, z. B. die Gestalt eines Triangels. Durch das Verhaͤltniß des Mannigfaltigen aber zur Einheit der Ap- perception werden Begriffe, welche dem Verstande ange- hoͤren, aber nur vermittelst der Einbildungskraft in Be- ziehung auf die sinnliche Anschauung zu Stande kommen koͤnnen. Wir haben also eine reine Einbildungskraft, als ein Grundvermoͤgen der menschlichen Seele, das aller Erkent- niß a priori zum Grunde liegt. Vermittelst deren brin- gen wir das Mannigfaltige der Anschauung einerseits, und mit der Bedingung der nothwendigen Einheit der rei- nen Apperception andererseits in Verbindung. Beyde aͤusserste Enden, nemlich Sinnlichkeit und Verstand, muͤssen vermittelst dieser transscendentalen Function der Einbil- dungskraft nothwendig zusammenhaͤngen; weil iene sonst zwar Erscheinungen, aber keine Gegenstaͤnde eines empi- rischen Erkentnisses, mithin keine Erfahrung geben wuͤr- den. Die wirkliche Erfahrung, welche aus der Apprehen- sion, der Association, (der Reproduction,) endlich der Re- cognition der Erscheinungen besteht, enthaͤlt in der letzte- ren III. Absch Vom Verh. d. Verst. zu Gegenst. ꝛc. ren und hoͤchsten (der blos empirischen Elemente der Er- fahrung) Begriffe, welche die formale Einheit der Erfah- rung, und mit ihr alle obiective Guͤltigkeit (Wahrheit) der empirischen Erkentniß moͤglich machen. Diese Gruͤnde der Recognition des Mannigfaltigen, so fern sie blos die Form einer Erfahrung uͤberhaupt angehen, sind nun iene Categorien. Auf ihnen gruͤndet sich also alle formale Einheit in der Synthesis der Einbildungskraft, und ver- mittelst dieser auch alles empirischen Gebrauchs derselben (in der Recognition, Reproduction, Association, Appre- hension) bis herunter zu den Erscheinungen, weil diese, nur vermittelst iener Elemente der Erkentniß und uͤber- haupt unserm Bewustseyn, mithin uns selbst angehoͤren koͤnnen. Die Ordnung und Regelmaͤßigkeit also an den Er- scheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und wuͤrden sie auch nicht darin finden koͤnnen, haͤtten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemuͤths ur- spruͤnglich hineingelegt. Denn diese Natureinheit soll eine nothwendige, d. i. a priori gewisse Einheit der Verknuͤp- fung der Erscheinungen seyn. Wie sollten wir aber wol a priori eine synthetische Einheit auf die Bahn bringen koͤnnen, waͤren nicht in den urspruͤnglichen Erkentnißquel- len unseres Gemuͤths subiective Gruͤnde solcher Einheit a priori enthalten, und waͤren diese subiective Bedingun- gen nicht zugleich obiectiv guͤltig, indem sie die Gruͤnde der Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. der Moͤglichkeit seyn, uͤberhaupt ein Obiect in der Erfah- rung zu erkennen. Wir haben den Verstand oben auf mancherley Wei- se erklaͤrt: durch eine Spontaneitaͤt der Erkentniß, (im Gegensatz der Receptivitaͤt der Sinnlichkeit) durch ein Ver- moͤgen zu denken, oder auch ein Vermoͤgen der Begriffe, oder auch der Urtheile, welche Erklaͤrungen, wenn man sie beym lichten besieht, auf eins hinauslaufen. Jezt koͤnnen wir ihn als das Vermoͤgen der Regeln characte- risiren. Dieses Kennzeichen ist fruchtbarer und tritt dem Wesen desselben naͤher. Sinnlichkeit giebt uns Formen, (der Anschauung) der Verstand aber Regeln. Dieser ist iederzeit geschaͤftig, die Erscheinungen in der Absicht durch- zuspaͤhen, um an ihnen irgend eine Regel aufzufinden. Regeln, so fern sie obiectiv sind, (mithin der Erkentniß des Gegenstandes nothwendig anhaͤngen) heissen Gesetze. Ob wir gleich durch Erfahrung viel Gesetze lernen, so sind diese doch nur besondere Bestimmungen noch hoͤherer Ge- setze, unter denen die hoͤchsten, (unter welchen andere alle stehen) a priori aus dem Verstande selbst herkommen, und nicht von der Erfahrung entlehnt sind, sondern viel- mehr den Erscheinungen ihre Gesetzmaͤßigkeit verschaffen, und eben dadurch Erfahrung moͤglich machen muͤssen. Es ist also der Verstand nicht blos ein Vermoͤgen, durch Ver- gleichung der Erscheinungen sich Regeln zu machen: er ist selbst die Gesetzgebung vor die Natur, d. i. ohne Verstand wuͤrde es uͤberall nicht Natur, d. i. synthetische Einheit des III. Absch. Vom Verh. d. Verst. zu Gegenst. ꝛc. des Mannigfaltigen der Erscheinungen nach Regeln geben: denn Erscheinungen koͤnnen, als solche, nicht ausser uns statt finden, sondern existiren nur in unsrer Sinnlichkeit. Diese aber, als Gegenstand der Erkentniß in einer Erfah- rung, mit allem, was sie enthalten mag, ist nur in der Einheit der Apperception moͤglich. Die Einheit der Ap- perception aber ist der transscendentale Grund der noth- wendigen Gesetzmaͤßigkeit aller Erscheinungen in einer Er- fahrung. Eben dieselbe Einheit der Apperception in An- sehung eines Mannigfaltigen von Vorstellungen (es nem- lich aus einer einzigen zu bestimmen) ist die Regel, und das Vermoͤgen dieser Regeln der Verstand. Alle Erschei- nungen liegen also als moͤgliche Erfahrungen eben so a prio- ri im Verstande, und erhalten ihre formale Moͤglichkeit von ihm, wie sie als blosse Anschauungen in der Sinnlichkeit liegen, und durch dieselbe der Form nach, allein moͤglich sind. So uͤbertrieben, so widersinnisch es also auch lau- tet, zu sagen: der Verstand ist selbst der Quell der Ge- setze der Natur, und mithin der formalen Einheit der Na- tur, so richtig, und dem Gegenstande, nemlich der Er- fahrung angemessen ist gleichwol eine solche Behauptung. Zwar koͤnnen empirische Gesetze, als solche, ihren Ursprung keinesweges vom reinen Verstande herleiten, so wenig als die unermeßliche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen aus der reinen Form der sinnlichen Anschauung hinlaͤnglich be- griffen werden kan. Aber alle empirische Gesetze sind nur beson- Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptst. besondere Bestimmungen der reinen Gesetze des Verstandes, unter welchen und nach deren Norm iene allererst moͤglich sind, und die Erscheinungen eine gesetzliche Form anneh- men, so wie auch alle Erscheinungen, unerachtet der Ver- schiedenheit ihrer empirischen Form, dennoch iederzeit den Bedingungen der reinen Form der Sinnlichkeit gemaͤß seyn muͤssen. Der reine Verstand ist also in den Categorien das Gesetz der synthetischen Einheit aller Erscheinungen, und macht dadurch Erfahrung ihrer Form nach allererst und urspruͤnglich moͤglich. Mehr aber hatten wir in der transsc. Deduction der Categorien nicht zu leisten, als dieses Ver- haͤltniß des Verstandes zur Sinnlichkeit, und vermittelst derselben zu allen Gegenstaͤnden der Erfahrung, mithin die obiective Guͤltigkeit seiner reinen Begriffe a priori be- greiflich zu machen, und dadurch ihren Ursprung und Wahr- heit fest zusetzen Summarische Vorstellung der Richtigkeit und einzigen Moͤglichkeit dieser Deduction der reinen Verstandesbegriffe. W aͤren die Gegenstaͤnde, womit unsre Erkentniß zu thun hat, Dinge an sich selbst, so wuͤrden wir von diesen gar keine Begriffe a priori haben koͤnnen. Denn woher sollten wir sie nehmen? Nehmen wir sie vom Obiect (ohne hier noch einmal zu untersuchen, wie dieses III. Absch. Vom Verh. d. Verst. zu Gegenst. ꝛc. dieses uns bekant werden koͤnte) so waͤren unsere Begriffe blos empirisch, und keine Begriffe a priori . Nehmen wir sie aus uns selbst, so kan das, was blos in uns ist, die Beschaffenheit eines von unsern Vorstellungen unter- schiedenen Gegenstandes nicht bestimmen, d. i. ein Grund seyn, warum es ein Ding geben solle, dem so etwas, als wir in Gedanken haben, zukomme, und nicht vielmehr alle diese Vorstellung leer sey. Dagegen, wenn wir es uͤberall nur mit Erscheinungen zu thun haben, so ist es nicht allein moͤglich, sondern auch nothwendig, daß gewisse Begriffe a priori vor der empirischen Erkentniß der Gegen- staͤnde vorhergehen. Denn als Erscheinungen machen sie einen Gegenstand aus, der blos in uns ist, weil eine blosse Modification unserer Sinnlichkeit ausser uns gar nicht an- getroffen wird. Nun druͤkt selbst diese Vorstellung: daß alle diese Erscheinungen, mithin alle Gegenstaͤnde, womit wir uns beschaͤftigen koͤnnen, insgesamt in mir, d. i. Be- stimmungen meines identischen Selbst sind, eine durchgaͤn- gige Einheit derselben in einer und derselben Apperception als nothwendig aus. In dieser Einheit des moͤglichen Be- wustseyns aber besteht auch die Form aller Erkentniß der Gegenstaͤnde, (wodurch das Mannigfaltige, als zu Einem Obiect gehoͤrig, gedacht wird). Also geht die Art, wie das Mannigfaltige der sinnlichen Vorstellung (Anschauung) zu einem Bewustseyn gehoͤrt, vor aller Erkentniß des Ge- genstandes, als die intellectuelle Form derselben, vorher, und macht selbst eine formale Erkentniß aller Gegenstaͤnde I a priori Elementl. II. Th. I. Abth. II. Buch. a priori uͤberhaupt aus, so fern sie gedacht werden (Ca- tegorien.) Die Synthesis derselben durch die reine Ein- bildungskraft, die Einheit aller Vorstellungen in Beziehung auf die urspruͤngliche Apperception, gehen aller empirischen Erkentniß vor. Reine Verstandesbegriffe sind also nur darum a priori moͤglich, ia gar, in Beziehung auf Erfah- rung, nothwendig, weil unser Erkentniß mit nichts, als Erscheinungen zu thun hat, deren Moͤglichkeit in uns selbst liegt, deren Verknuͤpfung und Einheit (in der Vorstellung eines Gegenstandes) blos in uns angetroffen wird, mithin vor aller Erfahrung vorherge- hen, und diese der Form nach auch allererst moͤglich ma- chen muß. Und aus diesem Grunde, dem einzigmoͤgli- chen unter allen, ist denn auch unsere Deduction der Cate- gorien gefuͤhret worden. Der Transscendentalen Analytik Zweytes Buch. Die Analytik der Grundsaͤtze. D ie allgemeine Logik ist uͤber einem Grundrisse erbauet, der ganz genau mit der Eintheilung der oberen Erkentnißvermoͤgen zusammen trift. Diese sind: Ver- stand, Urtheilskraft und Vernunft . Jene Doctrin handelt daher in ihrer Analytik von Begriffen, Urthei- l en und Schluͤssen , gerade den Functionen und der Ord- nung Die Analytik der Grundsaͤtze. nung iener Gemuͤthskraͤfte gemaͤß, die man unter der weit- laͤuftigen Benennung des Verstandes uͤberhaupt begreift. Da gedachte blos formale Logik von allem Inhalte der Erkentniß (ob sie rein oder empirisch sey) abstrahirt und sich blos mit der Form des Denkens (der discursiven Erkentniß) uͤberhaupt beschaͤftigt: so kan sie in ihrem ana- lytischen Theile auch den Canon vor die Vernunft mit be- fassen, deren Form ihre sichere Vorschrift hat, die, ohne die besondere Natur der dabey gebrauchten Erkentniß in Betracht zu ziehen, a priori, durch blosse Zergliederung der Vernunfthandlungen in ihre Momente eingesehen wer- den kan. Die transscendentale Logik, da sie auf einen bestim- ten Inhalt, nemlich blos der reinen Erkentnisse a priori, eingeschraͤnkt ist, kan es ihr in dieser Eintheilung nicht nach- thun. Denn es zeigt sich: daß der transscendentale Ge- brauch der Vernunft gar nicht obiectiv guͤltig sey, mit- hin nicht zur Logik der Wahrheit, d. i. der Analytik ge- hoͤre, sondern, als eine Logik des Scheins, einen be- sondern Theil des scholastischen Lehrgebaͤudes, unter dem Namen der transscendentalen Dialectik, erfodere. Verstand und Urtheilskraft haben demnach ihren Canon des obiectiv guͤltigen, mithin wahren Gebrauchs, in der transscendentalen Logik, und gehoͤren also in ihren analytischen Theil. Allein Vernunft in ihren Versuchen, uͤber Gegenstaͤnde a priori etwas auszumachen, und das Er- kentniß uͤber die Grenzen moͤglicher Erfahrung zu erweitern, I 2 ist Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. ist ganz und gar dialectisch und ihre Scheinbehauptungen schicken sich durchaus nicht in einen Canon, dergleichen doch die Analytik enthalten soll. Die Analytik der Grundsaͤtze wird demnach ledig- lich ein Canon vor die Urtheilskraft seyn, der sie lehrt, die Verstandesbegriffe, welche die Bedingung zu Regeln a priori enthalten, auf Erscheinungen anzuwenden. Aus dieser Ursache werde ich, indem ich die eigentlichen Grund- saͤtze des Verstandes zum Thema nehme, mich der Be- nennung einer Doctrin der Urtheilskraft bedienen, wo- durch dieses Geschaͤfte genauer bezeichnet wird. Einleitung. Von der Transscendentalen Urtheilskraft uͤberhaupt . W enn der Verstand uͤberhaupt als das Vermoͤgen der Regeln erklaͤrt wird, so ist Urtheilskraft das Vermoͤ- gen unter Regeln zu subsumiren, d. i. zu unterscheiden, ob et- was unter einer gegebenen Regel ( casus datae legis ) ste- he, oder nicht. Die allgemeine Logik enthaͤlt gar keine Vorschriften vor die Urtheilskraft, und kan sie auch nicht enthalten. Denn da sie von allem Inhalte der Erkent- niß abstrahirt; so bleibt ihr nichts uͤbrig, als das Ge- schaͤfte, die blosse Form der Erkentniß in Begriffen, Ur- theile Einleitung . theilen und Schluͤssen analytisch aus einander zu setzen, und dadurch formale Regeln alles Verstandesgebrauchs zu Stande zu bringen. Wollte sie nun allgemein zeigen, wie man unter diese Regeln subsumiren, d. i. unterscheiden sollte, ob etwas darunter stehe oder nicht, so koͤnte dieses nicht anders, als wieder durch eine Regel geschehen. Die- se aber erfordert eben darum, weil sie eine Regel ist, aufs neue eine Unterweisung der Urtheilskraft, und so zeigt sich, daß zwar der Verstand einer Belehrung und Ausruͤstung durch Regeln faͤhig, Urtheilskraft aber ein besonderes Ta- lent sey, welches gar nicht belehrt, sondern nur geuͤbt seyn will. Daher ist diese auch das Specifische des so ge- nanten Mutterwitzes, dessen Mangel keine Schule ersetzen kan, weil, ob diese gleich einem eingeschraͤnkten Verstande Regeln vollauf, von fremder Einsicht entlehnt, darreichen und gleichsam einpfropfen kan; so muß doch das Vermoͤ- gen, sich ihrer richtig zu bedienen, dem Lehrlinge selbst ange- hoͤren, und keine Regel, die man ihm in dieser Absicht vorschreiben moͤchte, ist, in Ermangelung einer solchen Na- turgabe, vor Mißbrauch sicher. Der Mangel an Urtheilskraft ist eigentlich das, was man Dumheit nent, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelsen . Ein stumpfer oder eingeschraͤnkter Kopf, dem es an nichts, als an gehoͤrigem Grade des Verstan- des und eigenen Begriffen desselben mangelt, ist durch Erlernung sehr wol, so gar bis zur Gelehrsamkeit, aus- zuruͤsten. Da es aber gemeiniglich alsdenn auch an ie- nem Ein Arzt daher, ein I 3 Rich- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Richter, oder ein Staatskundiger kan viel schoͤne patholo- gische, iuristische oder politische Regeln im Kopfe haben, in dem Grade, daß er selbst darin ein gruͤndlicher Lehrer werden kan, und wird dennoch in der Anwendung der- selben leicht verstossen, entweder, weil es ihm an natuͤrli- cher Urtheilskraft (obgleich nicht am Verstande) man- gelt, und er zwar das Allgemeine in abstracto einsehen, ob ein Fall in concreto darunter gehoͤre, nicht unterschei- den kan, oder auch darum, weil er nicht genug durch Beyspiele und wirkliche Geschaͤfte zu diesem Urtheile ab- gerichtet worden. Dieses ist auch der einige und grosse Nutzen der Beyspiele: daß sie die Urtheilskraft schaͤrfen. Denn was die Richtigkeit und Praͤcision der Verstandes- einsicht betrift, so thun sie derselben vielmehr gemeiniglich einigen Abbruch, weil sie nur selten die Bedingung der Regel adaͤquat erfuͤllen, (als casus in terminis ) und uͤber- dem dieienige Anstrengung des Verstandes oftmals schwaͤ- chen, Regeln im Allgemeinen, und unabhaͤngig von den besonderen Umstaͤnden der Erfahrung, nach ihrer Zulaͤng- lichkeit, einzusehen, und sie daher zulezt mehr wie For- meln, als Grundsaͤtze zu gebrauchen angewoͤhnen. So sind Beyspiele der Gaͤngelwagen der Urtheilskraft, welchen derienige, dem es am natuͤrlichen Talent desselben man- gelt, niemals entbehren kan. Ob nem (der secunda Petri ) zu fehlen pflegt, so ist es nichts ungewoͤhnliches, sehr gelehrte Maͤnner anzutreffen, die, im Gebrauche ihrer Wissenschaft, ienen nie zu bessernden Mangel haͤufig blicken lassen. Einleitung . Ob nun aber gleich die allgemeine Logik der Urtheilskraft keine Vorschriften geben kan, so ist es doch mit der transscen- dentalen ganz anders bewandt, so gar daß es scheint, die leztere habe es zu ihrem eigentlichen Geschaͤfte, die Ur- theilskraft im Gebrauch des reinen Verstandes, durch be- stimte Regeln zu berichtigen und zu sichern. Denn, um dem Verstande im Felde reiner Erkentnisse a priori Erwei- terung zu verschaffen, mithin als Doctrin scheint Philoso- phie gar nicht noͤthig, oder vielmehr uͤbel angebracht zu seyn, weil man nach allen bisherigen Versuchen, damit doch wenig oder gar kein Land gewonnen hat, sondern als Critik, um die Fehltritte der Urtheilskraft ( lapsus iudicii ) im Gebrauch der wenigen reinen Verstandesbegrif- fe, die wir haben, zu verhuͤten, dazu (obgleich der Nutzen alsdenn nur negativ ist) wird Philosophie mit ihrer gan- zen Scharfsinnigkeit und Pruͤfungskunst aufgeboten. Es hat aber die Transscendental-Philosophie das Eigenthuͤmliche: daß sie ausser der Regel (oder vielmehr der allgemeinen Bedingung zu Regeln), die in dem reinen Begriffe des Verstandes gegeben wird, zugleich a priori den Fall anzeigen kan, worauf sie angewandt werden sollen. Die Ursache von dem Vorzuge, den sie in diesem Stuͤcke vor allen andern belehrenden Wissenschaften hat, (ausser der Mathematik) liegt eben darin: daß sie von Begriffen handelt, die sich auf ihre Gegenstaͤnde a priori beziehen sollen, mithin kan ihre obiective Guͤltigkeit nicht a poste- I 4 riori Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. riori dargethan werden; denn das wuͤrde iene Dignitaͤt der- selben ganz unberuͤhrt lassen, sondern sie muß zugleich die Be- dingungen, unter welchen Gegenstaͤnde in Uebereinstimmung mit ienen Begriffen gegeben werden koͤnnen, in allgemei- nen aber hinreichenden Kennzeichen darlegen, widrigenfals sie ohne allen Inhalt, mithin blosse logische Formen und nicht reine Verstandesbegriffe seyn wuͤrden. Diese transscendentale Doctrin der Urtheils- kraft wird nun zwey Hauptstuͤcke enthalten: das erste, welches von der sinnlichen Bedingung handelt, unter wel- cher reine Verstandesbegriffe allein gebraucht werden koͤn- nen, d. i. von dem Schematismus des reinen Verstandes; das zweyte aber von denen synthetischen Urtheilen, wel- che aus reinen Verstandesbegriffen, unter diesen Bedingun- gen a priori herfliessen, und allen uͤbrigen Erkentnissen a priori zum Grunde liegen, d. i. von den Grundsaͤtzen des reinen Verstandes. Der I. Hauptst. Von d. Schemat. d. r. Verst. Begr. Der Transscendentalen Doctrin der Urtheilskraft (oder Analytik der Grundsaͤtze) Erstes Hauptstuͤck. Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe. I n allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff muß die Vorstellung des ersteren mit der lez- tern gleichartig seyn, d. i. der Begriff muß dasienige ent- halten, was in dem darunter zu subsumirenden Gegenstande vorgestellt wird, denn das bedeutet eben der Ausdruck: ein Gegenstand sey unter einem Begriffe enthalten. So hat der empirische Begriff eines Tellers mit dem reinen geometrischen eines Cirkels Gleichartigkeit, indem die Run- dung, die in dem ersteren gedacht wird, sich im lezteren anschauen laͤßt. Nun sind aber reine Verstandesbegriffe, in Verglei- chung mit empirischen (ia uͤberhaupt sinnlichen) Anschauun- gen, ganz ungleichartig und koͤnnen niemals in irgend einer Anschauung angetroffen werden. Wie ist nun die Subsumtion der lezteren unter die erste, mithin die An- wendung der Categorie auf Erscheinungen moͤglich, da doch niemand sagen wird: diese, z. B. die Caussalitaͤt, koͤnne auch durch Sinne angeschauet werden und sey in der I 5 Er- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. I. Hauptst. Erscheinung enthalten? Diese so natuͤrliche und erhebliche Frage ist nun eigentlich die Ursache, welche eine transscen- dentale Doctrin der Urtheilskraft nothwendig macht, um nemlich die Moͤglichkeit zu zeigen: wie reine Verstan- desbegriffe auf Erscheinungen uͤberhaupt angewandt wer- den koͤnnen. In allen anderen Wissenschaften, wo die Begriffe, durch die der Gegenstand allgemein gedacht wird, von denen, die diesen in concreto vorstellen, wie er gegeben wird, nicht so unterschieden und heterogen sind, ist es unnoͤthig, wegen der Anwendung des ersteren auf den lezten besondere Eroͤrterung zu geben. Nun ist klar: daß es ein Drittes geben muͤsse, was einerseits mit der Categorie, andererseits mit der Erschei- nung in Gleichartigkeit stehen muß, und die Anwendung der ersteren auf die lezte moͤglich macht. Diese vermit- telnde Vorstellung muß rein (ohne alles Empirische) und doch einerseits intellectuel, andererseits sinnlich seyn. Eine solche ist das transscendentale Schema. Der Verstandesbegriff enthaͤlt reine synthetische Ein- heit des Mannigfaltigen uͤberhaupt. Die Zeit, als die for- male Bedingung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes, mithin der Verknuͤpfung aller Vorstellungen, enthaͤlt ein Mannigfaltiges a priori in der reinen Anschauung. Nun ist eine transscendentale Zeitbestimmung mit der Categorie (die die Einheit derselben ausmacht) sofern gleichartig, als sie allgemein ist und auf einer Regel a priori beruht. Sie ist aber andererseits mit der Erscheinung so fern gleich- Von dem Schematismus d. r. Verst. Begr. gleichartig, als die Zeit in ieder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten ist. Daher wird eine An- wendung der Categorie auf Erscheinungen moͤglich seyn, vermittelst der transscendentalen Zeitbestimmung, welche, als das Schema der Verstandesbegriffe, die Subsumtion der lezteren unter die erste vermittelt. Nach demienigen, was in der Deduction der Catego- rien gezeigt worden, wird hoffentlich niemand im Zweifel stehen, sich uͤber die Frage zu entschliessen: ob diese reine Verstandesbegriffe von blos empirischem oder auch von transscendentalem Gebrauche seyn, d. i. ob sie lediglich, als Bedingungen einer moͤglichen Erfahrung sich a priori auf Erscheinungen beziehen, oder ob sie, als Bedingungen der Moͤglichkeit der Dinge uͤberhaupt, auf Gegenstaͤnde an sich selbst (ohne einige Restriction auf unsre Sinnlich- keit) erstreckt werden koͤnnen. Denn da haben wir gese- hen; daß Begriffe ganz unmoͤglich seyn, noch irgend ei- nige Bedeutung haben koͤnnen, wo nicht, entweder ihnen selbst, oder wenigstens den Elementen, daraus sie beste- hen, ein Gegenstand gegeben ist, mithin auf Dinge an sich, (ohne Ruͤcksicht, ob, und wie sie uns gegeben wer- den moͤgen) gar nicht gehen koͤnnen: daß ferner die ein- zige Art, wie uns Gegenstaͤnde gegeben werden, die Mo- dification unserer Sinnlichkeit sey, endlich, daß reine Be- griffe a priori, ausser der Function des Verstandes in der Categorie, noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit (nament- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. I. Hauptst. (namentlich des innern Sinnes) a priori enthalten muͤssen, welche die allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Categorie allein auf irgend einen Gegenstand angewandt werden kan. Wir wollen diese formale und reine Bedin- gung der Sinnlichkeit, auf welche der Verstandesbegriff in seinem Gebrauch restringirt ist, das Schema dieses Ver- standesbegriffs, und das Verfahren des Verstandes mit diesen Schematen den Schematismus des reinen Ver- standes nennen. Das Schema ist an sich selbst iederzeit nur ein Pro- duct der Einbildungskraft; aber indem die Synthesis der lezteren keine einzelne Anschauung, sondern die Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit allein zur Absicht hat, so ist das Schema doch vom Bilde zu unterscheiden. So, wenn ich fuͤnf Puncte hinter einander setze, . . . . . ist dieses ein Bild von der Zahl fuͤnf. Dagegen, wenn ich eine Zahl uͤberhaupt nur denke, die nun fuͤnf oder hun- dert seyn kan, so ist dieses Denken mehr die Vorstellung einer Methode, einem gewissen Begriffe gemaͤß eine Menge (z. E. Tausend) in einem Bilde vorzustellen, als dieses Bild selbst, welches ich im leztern Falle schwerlich wuͤrde uͤbersehen und mit dem Begriff vergleichen koͤnnen. Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem Begriffe. In der That liegen unsern reinen sinnlichen Begrif- fen nicht Bilder der Gegenstaͤnde, sondern Schemate zum Grunde Von dem Schematismus d. r. Verst. Begr. Grunde. Dem Begriffe von einem Triangel uͤberhaupt wuͤrde gar kein Bild desselben iemals adaͤquat seyn. Denn es wuͤrde die Allgemeinheit des Begriffs nicht erreichen, welche macht, daß dieser vor alle, recht- oder schiefwink- lichte ꝛc. gilt, sondern immer nur auf einen Theil dieser Sphaͤre eingeschraͤnkt seyn. Das Schema des Triangels kan niemals anderswo als in Gedanken existiren, und be- deutet eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung reiner Gestalten im Raume. Noch vielweniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben iemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich iederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungs- kraft, als eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemaͤß einem gewissen allgemeinen Begriffe. Der Begriff vom Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher meine Ein- bildungskraft die Gestalt eiues vierfuͤssigen Thieres allge- mein verzeichnen kan, ohne auf irgend eine einzige beson- dere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein iedes moͤgliche Bild, was ich in concreto darstellen kan, eingeschraͤnkt zu seyn. Dieser Schematismus unseres Ver- standes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer blossen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der mensch- lichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwer- lich iemals abrathen, und sie unverdeckt vor Augen legen werden. So viel koͤnnen wir nur sagen: das Bild ist ein Product des empirischen Vermoͤgens der productiven Ein- bildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figu- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. I. Hauptst. Figuren im Raume) ein Product und gleichsam ein Mo- nogram der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wornach die Bilder allererst moͤglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema, wel- ches sie bezeichnen, verknuͤpft werden muͤssen, und an sich demselben nicht voͤllig congruiren. Dagegen ist das Sche- ma eines reinen Verstandesbegriffs etwas, was in gar kein Bild gebracht werden kan, sondern ist nur die reine Syn- thesis, gemaͤß einer Regel der Einheit nach Begriffen uͤber- haupt, die die Categorie ausdruͤkt, und ist ein transscen- dentales Product der Einbildungskraft, welches die Bestim- mung des inneren Sinnes uͤberhaupt, nach Bedingungen ihrer Form, (der Zeit) in Ansehung aller Vorstellungen, betrift, so fern diese der Einheit der Apperception gemaͤß a priori in einem Begriff zusammenhaͤngen sollten. Ohne uns nun bey einer trockenen und langweiligen Zergliederung dessen, was zu transscendentalen Schematen reiner Verstandesbegriffe uͤberhaupt erfordert wird, auf- zuhalten, wollen wir sie lieber nach der Ordnung der Cate- gorien und in Verknuͤpfung mit diesen darstellen. Das reine Bild aller Groͤssen ( quantorum ) vor dem aͤussern Sinne, ist der Raum, aller Gegenstaͤnde der Sinne aber uͤberhaupt, die Zeit. Das reine Schema der Groͤsse aber ( quantitatis ) als eines Begriffs des Verstan- des, ist die Zahl , welche eine Vorstellung ist, die die suc- cessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zu- sammenbefaßt. Also ist die Zahl nichts anders, als die Ein- Von dem Schematismus d. r. Verst. Begr. Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleicharti- gen Anschauung uͤberhaupt, dadurch, daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge. Realitaͤt ist im reinen Verstandesbegriffe das, was einer Empfindung uͤberhaupt correspondirt; dasienige also, dessen Begriff an sich selbst ein Seyn (in der Zeit) anzeigt. Negation, dessen Begriff ein Nichtseyn (in der Zeit) vor- stellt. Die Entgegensetzung beider geschieht also in dem Unterschiede derselben Zeit, als einer erfuͤlleten, oder leeren Zeit. Da die Zeit nur die Form der Anschauung, mit- hin der Gegenstaͤnde, als Erscheinungen ist, so ist das, was an diesen der Empfindung entspricht, die transscen- dentale Materie aller Gegenstaͤnde, als Dinge an sich (die Sachheit, Realitaͤt.) Nun hat iede Empfindung einen Grad oder Groͤsse, wodurch sie dieselbe Zeit, d. i. den inn- ren Sinn in Ansehung derselben Vorstellung eines Gegen- standes, mehr oder weniger erfuͤllen kan, bis sie in Nichts ( = o = negatio ) aufhoͤrt. Daher ist ein Verhaͤltniß und Zusammenhang, oder vielmehr ein Uebergang von Realitaͤt zur Negation, welcher iede Realitaͤt, als ein Quan- tum vorstellig macht, und das Schema einer Realitaͤt, als der Quantitaͤt von Etwas, so fern es die Zeit erfuͤllt, ist eben diese continuirliche und gleichfoͤrmige Erzeugung der- selben in der Zeit, indem man von der Empfindung, die einen gewissen Grad hat, in der Zeit bis zum Verschwin- den derselben hinabgeht. oder von der Negation zu der Groͤsse derselben allmaͤhlig aufsteigt. Das Elementarl. II. Th. Abth. II. Buch. I. Hauptst. Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, d. i. die Vorstellung desselben, als eines Substratum der empirischen Zeitbestimmung uͤber- haupt, welches also bleibt, indem alles andre wechselt. (Die Zeit verlaͤuft sich nicht, sondern in ihr verlaͤuft sich das Daseyn des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar und bleibend ist, correspondirt in der Erschei- nung das Unwandelbare im Daseyn, d. i. die Substanz, und blos an ihr kan die Folge und das Zugleichseyn der Erscheinungen der Zeit nach bestimmet werden). Das Schema der Ursache und der Caussalitaͤt eines Dinges uͤberhaupt ist das Reale, worauf, wenn es nach Belieben gesezt wird, iederzeit etwas anderes folgt. Es besteht also in der Succession des Mannigfaltigen, in so fern sie einer Regel unterworfen ist. Das Schema der Gemeinschaft (Wechselwirkung), oder der wechselseitigen Caussalitaͤt der Substanzen in An- sehung ihrer Accidenzen, ist das Zugleichseyn der Bestim- mungen der Einen, mit denen der Anderen, nach einer allgemeinen Regel. Das Schema der Moͤglichkeit ist die Zusammenstim- mung der Synthesis verschiedener Vorstellungen mit den Bedingungen der Zeit uͤberhaupt, (z. B. da das entgegen- gesezte in einem Dinge nicht zugleich, sondern nur nach einander seyn kan), also die Bestimmung der Vorstellung eines Dinges zu irgend einer Zeit. Das Von dem Schematismus der Categorien. Das Schema der Wirklichkeit ist das Daseyn in einer bestimten Zeit. Das Schema der Nothwendigkeit das Daseyn eines Gegenstandes zu aller Zeit. Man siehet nun aus allem diesem, daß das Schema einer ieden Categorie, als das der Groͤsse, die Erzeugung (Synthesis) der Zeit selbst, in der successiven Apprehen- sion eines Gegenstandes, das Schema der Qualitaͤt die Synthesis der Empfindung (Wahrnehmung) mit der Vorstellung der Zeit, oder die Erfuͤllung der Zeit, das der Relation das Verhaͤltniß der Wahrnehmungen unter ein- ander zu aller Zeit (d. i. nach einer Regel der Zeitbestim- mung); endlich das Schema der Modalitaͤt und ihrer Cate- gorien, die Zeit selbst, als das Correlatum der Bestim- mung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehoͤre, enthalte und vorstellig mache. Die Schemate sind daher nichts als Zeitbestimmungen a priori nach Regeln, und diese gehen nach der Ordnung der Categorien, auf die Zeitreihe , den Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich den Zeitinbegriff in Ansehung aller moͤglichen Gegenstaͤnde. Hieraus erhellet nun, daß der Schematismus des Verstandes durch die transscendentale Synthesis der Ein- bildungskraft auf nichts anders, als die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung in dem innern Sinne, und so indirect auf die Einheit der Apperception, als Fun- ction, welche dem innern Sinn (einer Receptivitaͤt) cor- respondirt, hinauslaufe. Also sind die Schemate der rei- K nen Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. I. Hauptst. nen Verstandesbegriffe die wahre und einzige Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Obiecte, mithin Bedeutung zu verschaffen, und die Categorien sind daher am Ende von keinem andern, als einem moͤglichen empirischen Gebrau- che, indem sie blos dazu dienen, durch Gruͤnde einer a priori nothwendigen Einheit (wegen der nothwendigen Vereinigung alles Bewustseyns in einer urspruͤnglichen Ap- perception) Erscheinungen allgemeinen Regeln der Syn- thesis zu unterwerfen, und sie dadurch zur durchgaͤngigen Verknuͤpfung in einer Erfahrung schicklich zu machen. In dem Ganzen aller moͤglichen Erfahrung liegen aber alle unsere Erkentnisse, und in der allgemeinen Bezie- hung auf dieselbe besteht die transscendentale Wahrheit, die vor aller empirischen vorhergeht, und sie moͤglich macht. Es faͤllt aber doch auch in die Augen: daß, obgleich die Schemate der Sinnlichkeit die Categorien allererst rea- lisiren, sie doch selbige gleichwol auch restringiren, d. i. auf Bedingungen einschraͤnken, die ausser dem Verstande liegen (nemlich in der Sinnlichkeit). Daher ist das Sche- ma eigentlich nur das Phaͤnomenon, oder der sinnliche Be- griff eines Gegenstandes, in Uebereinstimmung mit der Categorie. ( numerus est quantitas phaenomenon, sen- satio realitas phaenomenon, constans et perdurabile re- rum substantia phaenomenon — — æternitas, neces- sitas , phaenomena etc. ) Wenn wir nun eine restringi- rende Bedingung weglassen; so amplificiren wir, wie es scheint, Vom Schematismus der Categorien. scheint, den vorher eingeschraͤnkten Begriff; so sollten die Categorien in ihrer reinen Bedeutung, ohne alle Bedin- gungen der Sinnlichkeit, von Dingen uͤberhaupt gelten, wie sie sind, anstatt, daß ihre Schemate sie nur vor- stellen, wie sie erscheinen, iene also eine von allen Sche- maten unabhaͤngige und viel weiter erstreckte Bedeutung haben. In der That bleibt den reinen Verstandesbe- griffen allerdings, auch nach Absonderung aller sinnlichen Bedingung, eine, aber nur logische Bedeutung der blossen Einheit der Vorstellungen, denen aber kein Gegenstand, mithin auch keine Bedeutung gegeben wird, die einen Begriff vom Obiect abgeben koͤnte. So wuͤrde z. B. Substanz, wenn man die sinnliche Bestimmung der Be- harrlichkeit wegliesse, nichts weiter als ein Etwas bedeu- ten, das als Subiect, (ohne ein Praͤdicat von etwas an- deren zu seyn) gedacht werden kan. Aus dieser Vorstel- lung kan ich nun nichts machen, indem sie mir gar nicht anzeigt, welche Bestimmungen das Ding hat, welches als ein solches erste Subiect gelten soll. Also sind die Cate- gorien, ohne Schemate, nur Functionen des Verstandes zu Begriffen, stellen aber keinen Gegenstand vor. Diese Bedeutung kommt ihnen von der Sinnlichkeit, die den Verstand realisirt, indem sie ihn zugleich restringirt. K 2 Der Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Der Transscendentalen Doctrin der Urtheilskraft (oder Analytik der Grundsaͤtze) Zweites Hauptstuͤck . System aller Grundsaͤtze des reinen Verstandes . W ir haben in dem vorigen Hauptstuͤcke die transseen- dentale Urtheilskraft nur nach den allgemeinen Be- dingungen erwogen, unter denen sie allein die reine Ver- standesbegriffe zu synthetischen Urtheilen zu brauchen be- fugt ist. Jezt ist unser Geschaͤfte: die Urtheile, die der Verstand unter dieser critischen Vorsicht wirklich a priori zu Stande bringt, in systematischer Verbindung darzu- stellen, wozu uns ohne Zweifel unsere Tafel der Catego- rien die natuͤrliche und sichere Leitung geben muß. Denn diese sind es eben, deren Beziehung auf moͤgliche Erfah- rung alle reine Verstandeserkentniß a priori ausmachen muß, und deren Verhaͤltniß zur Sinnlichkeit uͤberhaupt um deswillen alle transscendentale Grundsaͤtze des Ver- standesgebrauchs vollstaͤndig und in einem System darle- gen wird. Grundsaͤtze a priori fuͤhren diesen Namen nicht blos deswegen, weil sie die Gruͤnde anderer Urtheile in sich enthalten, sondern auch weil sie selbst nicht in hoͤhern und allgemeinern Erkentnissen gegruͤndet sind. Diese Eigen- schaft uͤberhebt sie doch nicht allemal eines Beweises. Denn System aller Grunds. des reinen Verst. Denn obgleich dieser nicht weiter obiectiv gefuͤhrt werden koͤnte, sondern vielmehr alle Erkentniß seines Obiects zum Grunde liegt, so hindert dies doch nicht, daß nicht ein Beweis, aus den subiectiven Quellen der Moͤglichkeit einer Erkentniß des Gegenstandes uͤberhaupt, zu schaffen moͤglich, ia auch noͤthig waͤre, weil der Satz sonst gleich- wol den groͤßten Verdacht einer blos erschlichenen Behaup- tung auf sich haben wuͤrde. Zweitens werden wir uns blos auf dieienigen Grund- saͤtze, die sich auf die Categorien beziehen, einschraͤnken. Die Principien der transscendentalen Aesthetik, nach wel- chen Raum und Zeit die Bedingungen der Moͤglichkeit aller Dinge als Erscheinungen sind, imgleichen die Restri- ction dieser Grundsaͤtze: daß sie nemlich nicht auf Dinge an sich selbst bezogen werden koͤnnen, gehoͤren also nicht in unser abgestochenes Feld der Untersuchung. Eben so machen die mathematischen Grundsaͤtze keinen Theil dieses Systems aus, weil sie nur aus der Anschauung, aber nicht aus dem reinen Verstandesbegriffe gezogen sind; doch wird die Moͤglichkeit derselben, weil sie gleichwol synthe- tische Urtheile a priori seyn, hier nothwendig Platz finden, zwar nicht, um ihre Richtigkeit und apodictische Gewis- heit zu beweisen, welches sie gar nicht noͤthig haben, son- dern nur die Moͤglichkeit solcher evidenten Erkentnisse a priori begreiflich zu machen und zu deduciren. Wir werden aber auch von dem Grundsatze analyti- scher Urtheile reden muͤssen, und dieses zwar im Gegen- K 3 satz Elementarl. II. Th I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. satz mit der synthetischen, als mit welchen wir uns eigentlich beschaͤftigen, weil eben diese Gegenstellung die Theorie der lezteren von allem Mißverstande befreyet, und sie in ihrer eigenthuͤmlichen Natur deutlich vor Augen leget. Das System der Grundsaͤtze des reinen Verstandes Erster Abschnitt. Von dem obersten Grundsatze aller Analytischen Urtheile . V on welchem Inhalt auch unsere Erkentniß sey, und wie sie sich auf das Obiect beziehen mag, so ist doch die allgemeine, obzwar nur negative Bedingung aller unserer Urtheile uͤberhaupt, daß sie sich nicht selbst widersprechen; widrigenfals diese Urtheile an sich selbst (auch ohne Ruͤcksicht aufs Obiect) nichts sind. Wenn aber auch gleich in unserm Urtheile kein Widerspruch ist, so kan es demohngeachtet doch Begriffe so verbinden, wie es der Gegenstand nicht mit sich bringt, oder auch, ohne daß uns irgend ein Grund weder a priori noch a poste- riori gegeben ist, welcher ein solches Urtheil berechtigte, und so kan ein Urtheil bey allem dem, daß es von allem innern Widerspruche frey ist, doch entweder falsch oder grundlos seyn. Der I. Absch. Vom obersten Grunds. analyt. Urtheile. Der Satz nun: Keinem Dinge komt ein Praͤdicat zu, welches ihm widerspricht, heißt der Satz des Widerspruchs, und ist ein allgemeines, obzwar blos negatives Criterium al- ler Wahrheit, gehoͤrt aber auch darum blos in die Logik, weil er von Erkentnissen, blos als Erkentnissen uͤberhaupt, unangesehen ihres Inhalts gilt, und sagt: daß der Wi- derspruch sie gaͤnzlich vernichte und aufhebe. Man kan aber doch von demselben auch einen po- sitiven Gebrauch machen, d. i. nicht blos, um Falschheit und Irrthum (so fern er auf dem Widerspruch beruhet) zu verbannen, sondern auch Wahrheit zu erkennen. Denn, wenn das Urtheil analytisch ist, es mag nun verneinend oder beiahend seyn, so muß dessen Wahrheit iederzeit nach dem Satze des Widerspruchs hinreichend koͤnnen erkant werden. Denn von dem, was in der Erkentniß des Ob- iects schon als Begriff liegt und gedacht wird, wird das Widerspiel iederzeit richtig verneinet, der Begriff selber aber nothwendig von ihm beiahet werden muͤssen, dar- um, weil das Gegentheil desselben dem Obiecte wider- sprechen wuͤrde. Daher muͤssen wir auch den Satz des Widerspruchs, als das allgemeine und voͤllig hinreichende Principium aller analytischen Erkentniß gelten lassen; aber weiter geht auch sein Ansehen und Brauchbarkeit nicht, als eines hinreichenden Criterium der Wahrheit. Denn daß ihm gar keine Erkentniß zuwider seyn koͤnne, ohne sich selbst zu vernichten, das macht diesen Satz wol zur conditio K 4 sine Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. sine qua non, aber nicht zum Bestimmungsgrunde der Wahrheit unserer Erkentniß. Da wir es nun eigentlich nur mit dem synthetischen Theile unserer Erkentniß zu thun haben, so werden wir zwar iederzeit bedacht seyn, diesem unverletzlichen Grundsatz niemals zu wider zu han- deln, von ihm aber, in Ansehung der Wahrheit von der- gleichen Art der Erkentniß, niemals einigen Aufschluß ge- waͤrtigen koͤnnen. Es ist aber doch eine Formel dieses beruͤhmten, ob- zwar von allem Inhalt entbloͤßten und blos formalen Grundsatzes, die eine Synthesis enthaͤlt, welche aus Un- vorsichtigkeit und ganz unnoͤthiger Weise in ihr gemischt worden. Sie heißt: Es ist unmoͤglich, daß etwas zu- gleich sey und nicht sey. Ausser dem, daß hier die apo- dictische Gewißheit (durch das Wort unmoͤglich) uͤber- fluͤßiger Weise angehengt worden, die sich doch von selbst aus dem Satz muß verstehen lassen, so ist der Satz durch die Bedingung der Zeit afficirt, und sagt gleichsam: Ein Ding = A , welches etwas = B ist, kan nicht zu gleicher Zeit non B seyn, aber es kan gar wol beydes ( B so wol, als non B ) nach einander seyn. z. B. Ein Mensch, der iung ist, kan nicht zugleich alt seyn, eben derselbe kan aber sehr wohl zu einer Zeit iung, zur andern nicht iung, d. i. alt seyn. Nun muß der Satz des Wider- spruchs, als ein blos logischer Grundsatz, seine Ausspruͤ- che gar nicht auf die Zeitverhaͤltnisse einschraͤnken, daher ist I. Absch. Vom obersten Grunds. analyt. Urtheile ist eine solche Formel der Absicht desselben ganz zu wider. Der Mißverstand komt blos daher: daß man ein Praͤdicat eines Dinges zuvoͤrderst von dem Begriff desselben abson- dert, und nachher sein Gegentheil mit diesem Praͤdicate verknuͤpft, welches niemals einen Widerspruch mit dem Sub- iecte, sondern nur mit dessen Praͤdicate, welches mit ienem syn- thetisch verbunden worden, abgiebt, und zwar nur denn, wenn das erste und zweyte Praͤdicat zu gleicher Zeit gesezt werden. Sage ich, ein Mensch, der ungelehrt ist, ist nicht gelehrt, so muß die Bedingung: zugleich dabey stehen; denn der, so zu einer Zeit ungelehrt ist, kan zu einer andern gar wol gelehrt seyn. Sage ich aber, kein ungelehrter Mensch ist gelehrt, so ist der Satz analytisch, weil das Merkmal (der Ungelahrtheit) nunmehr den Begriff des Subiects mit aus- macht, und alsdenn erhellet der verneinende Satz unmittel- bar aus dem Satze des Widerspruchs, ohne daß die Be- dingung: zugleich hinzu kommen darf. Dieses ist denn auch die Ursache, weswegen ich oben die Formel desselben so veraͤndert habe, daß die Natur eines analytischen Satzes dadurch deutlich ausgedruckt wird. K 5 Das Elementarl. II. Th. I. Abth. II Buch. II. Hauptst. Des Systems der Grundsaͤtze des reinen Verstandes Zweiter Abschnitt. Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urtheile. D ie Erklaͤrung der Moͤglichkeit synthetischer Urtheile, ist eine Aufgabe, mit der die allgemeine Logik gar nichts zu schaffen hat, die auch so gar ihren Namen nicht einmal kennen darf. Sie ist aber in einer transscenden- talen Logik das wichtigste Geschaͤfte unter allen, und sogar das einzige, wenn von der Moͤglichkeit synthetischer Urtheile a priori die Rede ist, imgleichen den Bedingungen und dem Umfange ihrer Guͤltigkeit. Denn nach Vollendung desselben, kan sie ihrem Zwecke, nemlich den Umfang und die Grenzen des reinen Verstandes zu bestimmen, vollkom- men ein Gnuͤge thun. Im analytischen Urtheile bleibe ich bey dem gegebe- nen Begriffe, um etwas von ihm auszumachen. Soll es beiahend seyn, so lege ich diesem Begriffe nur dasienige bey, was in ihm schon gedacht war; soll es verneinend seyn, so schliesse ich nur das Gegentheil desselben von ihm aus. In synthetischen Urtheilen aber soll ich aus dem ge- gebenen Begriff hinausgehen, um etwas ganz anderes, als in ihm gedacht war, mit demselben in Verhaͤltniß zu betrachten, welches daher niemals, weder ein Verhaͤltniß der Identitaͤt, noch des Widerspruchs ist, und wobey dem Ur- II. Absch. Vom obersten Grunds. synthet. Urth. Urtheile an ihm selbst weder die Wahrheit, noch der Irr- thum angesehen werden kan. Also zugegeben: daß man aus einem gegebenen Be- griffe hinausgehen muͤsse, um ihn mit einem andern syn- thetisch zu vergleichen; so ist ein Drittes noͤthig, worin allein die Synthesis zweener Begriffe entstehen kan. Was ist nun aber dieses Dritte, als das Medium aller synthe- tischen Urtheile? Es ist nur ein Inbegriff, darin alle unsre Vorstellungen enthalten sind, nemlich der innre Sinn, und die Form desselben a priori, die Zeit. Die Synthesis der Vorstellungen beruht auf der Einbildungs- kraft, die synthetische Einheit derselben aber (die zum Ur- theile erforderlich ist) auf der Einheit der Apperception. Hierin wird also die Moͤglichkeit synthetischer Urtheile, und da alle drey die Quellen zu Vorstellungen a priori ent- halten, auch die Moͤglichkeit reiner synthetischer Urtheile zu suchen seyn, ia sie werden so gar aus diesen Gruͤnden nothwendig seyn, wenn eine Erkentniß von Gegenstaͤnden zu Stande kommen soll, die lediglich auf der Synthesis der Vorstellungen beruht. Wenn eine Erkentniß obiective Realitaͤt haben, d. i. sich auf einen Gegenstand beziehen, und in demselben Be- deutung und Sinn haben soll, so muß der Gegenstand auf irgend eine Art gegeben werden koͤnnen. Ohne das sind die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in der That aber durch dieses Denken nichts erkant, sondern blos mit Vorstellungen gespielt. Einen Gegenstand geben, wenn Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. wenn dieses nicht wiederum nur mittelbar gemeint seyn soll, sondern unmittelbar in der Anschauung darstellen, ist nichts anders, als dessen Vorstellung auf Erfahrung (es sey wirkliche oder doch moͤgliche) beziehen. Selbst der Raum und die Zeit, so rein diese Begriffe auch von allem Empirischen sind, und so gewiß es auch ist, daß sie voͤllig a priori im Gemuͤthe vorgestellt werden, wuͤrden doch ohne obiective Guͤltigkeit und ohne Sinn und Bedeutung seyn, wenn ihr nothwendiger Gebrauch an den Gegen- staͤnden der Erfahrung nicht gezeigt wuͤrde, ia ihre Vor- stellung ist ein blosses Schema, das sich immer auf die re- productive Einbildungskraft bezieht, welche die Gegenstaͤn- de der Erfahrung herbey ruft, ohne die sie keine Bedeu- tung haben wuͤrden; und so ist es mit allen Begriffen ohne Unterschied. Die Moͤglichkeit der Erfahrung ist also das, was al- len unsern Erkentnissen a priori obiective Realitaͤt giebt. Nun beruht Erfahrung auf der synthetischen Einheit der Er- scheinungen, d. i. auf einer Synthesis nach Begriffen vom Gegenstande der Erscheinungen uͤberhaupt, ohne welche sie nicht einmal Erkentniß, sondern eine Rhapsodie von Wahr- nehmungen seyn wuͤrde, die sich in keinen Context nach Regeln eines durchgaͤngig verknuͤpften (moͤglichen) Be- wustseyns, mithin auch nicht zur transscendentalen und nothwendigen Einheit der Apperception zusammen schicken wuͤrden. Die Erfahrung hat also Principien ihrer Form a priori zum Grunde liegen, nemlich allgemeine Regeln der II. Absch. Vom obersten Grunds. synthet. Urtheile. der Einheit in der Synthesis der Erscheinungen, deren obiective Realitaͤt, als nothwendige Bedingungen, iederzeit in der Erfahrung, ia so gar ihrer Moͤglichkeit gewiesen werden kan. Ausser dieser Beziehung aber sind syntheti- sche Saͤtze a priori gaͤnzlich unmoͤglich, weil sie kein Drit- tes, nemlich reinen Gegenstand haben, an dem die synthe- tische Einheit ihrer Begriffe obiective Realitaͤt darthun koͤnte. Ob wir daher gleich vom Raume uͤberhaupt, oder den Gestalten, welche die productive Einbildungskraft in ihm verzeichnet, so vieles a priori in synthetischen Urtheilen erkennen, so, daß wir wirklich hiezu gar keiner Erfahrung beduͤrfen, so wuͤrde doch dieses Erkentniß gar nichts, son- dern die Beschaͤftigung mit einem blossen Hirngespinst seyn, waͤre der Raum nicht, als Bedingung der Erscheinungen, welche den Stoff zur aͤusseren Erfahrung ausmachen, an- zusehen: daher sich iene reine synthetische Urtheile, ob- zwar nur mittelbar, auf moͤgliche Erfahrung, oder viel- mehr auf dieser ihre Moͤglichkeit selbst beziehen, und dar- auf allein die obiective Guͤltigkeit ihrer Synthesis gruͤnden. Da also Erfahrung, als empirische Synthesis, in ihrer Moͤglichkeit die einzige Erkentnißart ist, welche aller andern Synthesis Realitaͤt giebt, so hat diese als Erkent- niß a priori auch nur dadurch Wahrheit, (Einstimmung mit dem Obiect), daß sie nichts weiter enthaͤlt, als was zur Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. zur synthetischen Einheit der Erfahrung uͤberhaupt noth- wendig ist. Das oberste Principium aller synthetischen Urtheile ist also: ein ieder Gegenstand steht unter den nothwendi- gen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannig- faltigen der Anschauung in einer moͤglichen Erfahrung. Auf solche Weise sind synthetische Urtheile a priori moͤglich, wenn wir die formale Bedingungen der Anschau- ung a priori, die Synthesis der Einbildungskraft und die nothwendige Einheit derselben in einer transscendentalen Apperception auf ein moͤgliches Erfahrungserkentniß uͤber- haupt beziehen, und sagen: die Bedingungen der Moͤg- lichkeit der Erfahrung uͤberhaupt sind zugleich Bedingun- gen der Moͤglichkeit der Gegenstaͤnde der Erfahrung, und haben darum obiective Guͤltigkeit in einem syntheti- schen Urtheile a priori . Des Systems der Grundsaͤtze des reinen Verstandes Dritter Abschnitt . Systematische Vorstellung aller synthetischen Grundsaͤtze desselben. D aß uͤberhaupt irgend wo Grundsaͤtze statt finden, das ist lediglich dem reinen Verstande zuzuschreiben, der nicht allein das Vermoͤgen der Regeln ist, in Ansehung dessen, was geschieht, sondern selbst der Quell der Grund- saͤtze, III. Absch. Vom obersten Grunds. synthet Urth. saͤtze, nach welchem alles, (was uns nur als Gegen- stand vorkommen kan) nothwendig unter Regeln stehet, weil, ohne solche, den Erscheinungen niemals Erkentniß eines ihnen correspondirenden Gegenstandes zukommen koͤnte. Selbst Naturgesetze, wenn sie als Grundsaͤtze des empirischen Verstandesgebrauchs betrachtet werden, fuͤhren zugleich einen Ausdruck der Nothwendigkeit, mithin we- nigstens die Vermuthung einer Bestimmung aus Gruͤnden, die a priori, und vor aller Erfahrung guͤltig seyn, bey sich. Aber ohne Unterschied stehen alle Gesetze der Natur unter hoͤheren Grundsaͤtzen des Verstandes, indem sie diese nur auf besondere Faͤlle der Erscheinung anwenden. Diese allein geben also den Begriff, der die Bedingung und gleich- sam den Exponenten zu einer Regel uͤberhaupt enthaͤlt. Erfahrung aber giebt den Fall, der unter der Regel steht. Daß man blos empir. Grundsaͤtze vor Grundsaͤtze des reinen Verstandes, oder auch umgekehrt ansehe, deshalb kan wol eigentlich keine Gefahr seyn; denn die Nothwendig- keit nach Begriffen, welche die leztere auszeichnet, und deren Mangel in iedem empirischen Satze, so allgemein er auch gel- ten mag, leicht wahrgenommen wird, kan diese Verwech- selung leicht verhuͤten. Es giebt aber reine Grundsaͤtze a priori, die ich gleichwol doch nicht dem reinen Verstan- de eigenthuͤmlich beymessen moͤchte, darum, weil sie nicht aus reinen Begriffen, sondern aus reinen Anschauungen (obgleich vermittelst des Verstandes) gezogen sind; Ver- stand Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. stand ist aber das Vermoͤgen der Begriffe. Die Mathe- matik hat dergleichen, aber ihre Anwendung auf Erfah- rung, mithin ihre obiective Guͤltigkeit, ia die Moͤglichkeit solcher synthetischer Erkentniß a priori (die Deduction derselben) beruht doch immer auf dem reinen Verstande. Daher werde ich unter meine Grundsaͤtze die der Mathematik nicht mitzaͤhlen, aber wol dieienige, worauf sich dieser ihre Moͤglichkeit und obiective Guͤltigkeit a priori gruͤndet, und die mithin als Principium dieser Grundsaͤtze anzusehen seyn, und von Begriffen zur Anschauung, nicht aber von der Anschauung zu Begriffen ausgehen. In der Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf moͤgliche Erfahrung ist der Gebrauch ihrer Synthesis ent- weder mathematisch, oder dynamisch: denn sie geht theils blos auf die Anschauung, theils auf das Daseyn einer Erscheinung uͤberhaupt. Die Bedingungen a priori der Anschauung sind aber in Ansehung einer moͤglichen Erfah- rung durchaus nothwendig, die des Daseyns der Obiecte einer moͤglichen empirischen Anschauung an sich nur zufaͤllig. Daher werden die Grundsaͤtze des mathematischen Gebrauchs unbedingt nothwendig, d. i. apodictisch lauten, die aber des dynamischen Gebrauchs werden zwar auch den Charac- ter einer Nothwendigkeit a priori, aber nur unter der Be- dingung des empirischen Denkens in einer Erfahrung, mit- hin nur mittelbar und indirect bey sich fuͤhren, folglich die- ienige unmittelbare Evidenz nicht enthalten, (obzwar ihrer auf Erfahrung allgemein bezogenen Gewißheit unbeschadet) die III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. die ienen eigen ist. Doch dies wird sich beym Schlusse dieses Syftems von Grundsaͤtzen besser beurtheilen lassen. Die Tafel der Categorien giebt uns die ganz natuͤrli- che Anweisung zur Tafel der Grundsaͤtze, weil diese doch nichts anders, als Regeln des obiectiven Gebrauchs der ersteren sind. Alle Grundsaͤtze des reinen Verstandes sind demnach 1. Axiomen der Anschauung 2. Anticipationen der Wahrnehmung 3. Analogien der Erfahrung 4. Postulate des empirischen Denkens uͤberhaupt. Diese Benennungen habe ich mit Vorsicht gewaͤhlt, um die Unterschiede in Ansehung der Evidenz und der Aus- uͤbung dieser Grundsaͤtze nicht unbemerkt zu lassen. Es wird sich aber bald zeigen: daß, was so wol die Evidenz, als die Bestimmung der Erscheinungen a priori, nach den Categorien der Groͤsse und der Qualitaͤt (wenn man le- diglich auf die Form der lezteren acht hat) betrift, die L Grund- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Haupst. Grundsaͤtze derselben sich darin von denen zweyen uͤbrigen nahmhaft unterscheiden; indem iene einer intuitiven, diese aber einer blos discursiven, obzwar beyderseits einer voͤlligen Gewißheit faͤhig sind. Ich werde daher iene die mathe- matische, diese die dynamische Grundsaͤtze nennen. Man wird aber wol bemerken: daß ich hier eben so wenig die Grundsaͤtze der Mathematik in einem Falle, als die Grundsaͤtze der allgemeinen (physischen) Dynamik im an- dern, sondern nur die des reinen Verstandes im Verhaͤlt- niß auf den innern Sinn (ohne Unterschied der darin ge- gebenen Vorstellungen) vor Augen habe, dadurch denn iene insgesamt ihre Moͤglichkeit bekommen. Ich benenne sie also mehr in Betracht der Anwendung, als um ihres In- halts willen, und gehe nun zur Erwaͤgung derselben in der nemlichen Ordnung, wie sie in der Tafel vorgestellt werden. 1. Von den Axiomen der Anschauung. Grundsatz des reinen Verstandes: Alle Erschei- nungen sind ihrer Anschauung nach extensive Groͤssen. Eine extensive Groͤsse nenne ich dieienige, in welcher die Vorstellung der Theile die Vorstellung des Ganzen moͤg- lich macht, (und also nothwendig vor dieser vorhergeht). Ich kan mir keine Linie, so klein sie auch sey, vorstellen, ohne sie in Gedanken zuziehen, d. i. von einem Puncte alle Thei- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Theile nach und nach zu erzeugen, und dadurch allererst diese Anschauung zu verzeichnen. Eben so ist es auch mit ieder auch der kleinsten Zeit bewandt. Ich denke mir darin nur den successiven Fortgang von einem Augenblick zum andern, wo durch alle Zeittheile und deren Hinzuthun endlich eine bestimte Zeitgroͤsse erzeugt wird. Da die blosse Anschauung an allen Erscheinungen entweder der Raum, oder die Zeit ist, so ist iede Erscheinung als An- schauung eine extensive Groͤsse, indem sie nur durch suc- cessive Synthesis (von Theil zu Theil) in der Apprehen- sion erkant werden kan. Alle Erscheinungen werden dem- nach schon als Aggregate (Menge vorhergegebener Theile) angeschaut, welches eben nicht der Fall bey ieder Art Groͤssen, sondern nur derer ist, die uns extensiv als solche vorgestellt und apprehendirt werden. Auf diese successive Synthesis der productiven Ein- bildungskraft, in der Erzeugung der Gestalten, gruͤndet sich die Mathematik der Ausdehnung (Geometrie) mit ihren Axiomen, welche die Bedingungen der sinnlichen Anschauung a priori ausdruͤcken, unter denen allein das Schema eines reinen Begriffs der aͤusseren Erscheinung zu Stande kommen kan, z. E. zwischen zwey Puncten ist nur eine gerade Linie moͤglich; zwey gerade Linien schliessen kei- nen Raum ein ꝛc. Dies sind die Axiomen, welche eigent- lich nur Groͤssen ( quanta ) als solche betreffen. Was aber die Groͤße, ( quantitas ) d. i. die Antwort auf die Frage: wie groß etwas sey? betrift, so giebt es L 2 in Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. in Ansehung derselben, obgleich verschiedene dieser Saͤtze synthetisch und unmittelbar gewiß ( indemonstrabilia ) seyn, dennoch im eigentlichen Verstande keine Axiomen. Denn daß gleiches zu gleichem hinzugethan, oder von die- sem abgezogen, ein gleiches gebe, sind analytische Saͤtze, indem ich mir der Identitaͤt der einen Groͤssenerzeugung mit der andern unmittelbar bewust bin; Axiomen aber sol- len synthetische Saͤtze a priori seyn. Dagegen sind die evidente Saͤtze der Zahlverhaͤltniß zwar allerdings synthe- tisch, aber nicht allgemein, wie die der Geometrie, und eben um deswillen auch nicht Axiomen, sondern koͤnnen Zahlformeln genant werden. Daß 7 + 5 = 12 sey, ist kein analytischer Satz. Denn ich denke weder in der Vorstellung von 7, noch von 5, noch in der Vorstellung von der Zusammensetzung beyder die Zahl 12, (daß ich diese in der Addition beyder denken solle, davon ist hier nicht die Rede; denn bey dem analytischen Satze ist nur die Frage, ob ich das Praͤdicat wirklich in der Vorstellung des Subiects denke). Ob er aber gleich synthetisch ist, so ist er doch nur ein einzelner Satz. So fern hier blos auf die Synthesis des gleichartigen (der Einheiten) gese- hen wird, so kan die Synthesis hier nur auf eine einzige Art geschehen, wiewol der Gebrauch dieser Zahlen nach- her allgemein ist. Wenn ich sage: durch drey Linien, de- ren zwey zusammengenommen groͤsser sind, als die dritte, laͤßt sich ein Triangel zeichnen; so habe ich hier die blosse Function der productiven Einbildungskraft, welche die Linien III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Linien groͤsser und kleiner ziehen, imgleichen nach allerley beliebigen Winkeln kan zusammenstossen lassen. Dage- gen ist die Zahl 7 nur auf eine einzige Art moͤglich, und auch die Zahl 12, die durch die Synthesis der ersteren mit 5 erzeugt wird. Dergleichen Saͤtze muß man also nicht Axiomen, (denn sonst gaͤbe es deren unendliche) son- dern Zahlformeln nennen. Dieser transscendentale Grundsatz der Mathematik der Erscheinungen giebt unserem Erkentniß a priori grosse Erweiterung. Denn er ist es allein, welcher die reine Mathematik in ihrer ganzen Praͤcision auf Gegenstaͤnde der Erfahrung anwendbar macht, welches ohne diesen Grund- satz nicht so von selbst erhellen moͤchte, ia auch manchen Widerspruch veranlasset hat. Erscheinungen sind keine Dinge an sich selbst. Die empirische Anschauung ist nur durch die reine (des Raumes und der Zeit) moͤglich; was also die Geometrie von dieser sagt, gilt auch ohne Wider- rede von iener, und die Ausfluͤchte, als wenn Gegenstaͤnde der Sinne nicht den Regeln der Construction im Raume (z. E. der unendlichen Theilbarkeit der Linien oder Winkel) gemaͤß seyn duͤrfe, muß wegfallen. Denn dadurch spricht man dem Raume und mit ihm zugleich aller Mathematik obiective Guͤltigkeit ab, und weis nicht mehr, warum, und wie weit sie auf Erscheinungen anzuwenden sey. Die Synthesis der Raͤume und Zeiten, als der wesentlichen Form aller Anschauung, ist das, was zugleich die Appre- L 3 hen- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. hension der Erscheinung, mithin iede aͤussere Erfahrung, folglich auch alle Erkentniß der Gegenstaͤnde derselben, moͤg- lich macht, und was die Mathematik im reinen Gebrauch von iener beweiset, das gilt auch nothwendig von dieser. Alle Einwuͤrfe dawider sind nur Chikanen einer falsch be- lehrten Vernunft, die irriger Weise die Gegenstaͤnde der Sinne von der formalen Bedingung unserer Sinnlichkeit loszumachen gedenkt, und sie, obgleich sie blos Erscheinun- gen sind, als Gegenstaͤnde an sich selbst, dem Verstande gegeben, vorstellt, in welchem Falle freilich von ihnen a priori gar nichts, mithin auch nicht durch reine Begriffe vom Raume, synthetisch erkant werden koͤnte und die Wissenschaft, die diese bestimt, nemlich die Geometrie selbst nicht moͤglich seyn wuͤrde. 2. Die Anticipationen der Wahrnehmung. Der Grundsatz, welcher alle Wahrnehmungen, als solche, anticipirt, heißt so: In allen Erscheinungen hat die Empfindung, und das Reale, welches ihr an dem Ge- genstande entspricht, ( realitas phaenomenon ) eine inten- sive Groͤsse, d. i. einen Grad. Man kan alle Erkentniß, wodurch ich dasienige, was zur empirischen Erkentniß gehoͤrt, a priori erkennen und bestimmen kan, eine Anticipation nennen, und ohne Zweifel ist das die Bedeutung, in welcher Epicur seinen Aus- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Ausdruck προληψις brauchte. Da aber an den Erschei- nungen etwas ist, was niemals a priori erkant wird, und welches daher auch den eigentlichen Unterschied des empi- rischen von dem Erkentniß a priori ausmacht, nemlich die Empfindung, (als Materie der Wahrnehmung) so folgt, daß diese es eigentlich sey, was gar nicht anticipirt wer- den kan. Dagegen wuͤrden wir die reine Bestimmungen im Raume und der Zeit, sowol in Ansehung der Gestalt, als Groͤsse, Anticipationen der Erscheinungen nennen koͤn- nen, weil sie dasienige a priori vorstellen, was immer a posteriori in der Erfahrung gegeben werden mag. Ge- sezt aber, es finde sich doch etwas, was sich an ieder Em- pfindung, als Empfindung uͤberhaupt, (ohne, daß eine besondere gegeben seyn mag,) a priori erkennen laͤßt; so wuͤrde dieses im ausnehmenden Verstande Anticipation ge- nant zu werden verdienen, weil es befremdlich scheint, der Erfahrung in demienigen vorzugreifen, was gerade die Materie derselben angeht, die man nur aus ihr schoͤpfen kan. Und so verhaͤlt es sich hier wirklich. Die Apprehension, blos vermittelst der Empfindung, erfuͤllet nur einen Augenblick, (wenn ich nemlich nicht die Succession vieler Empfindungen in Betracht ziehe). Als etwas in der Erscheinung, dessen Apprehension keine successive Synthesis ist, die von Theilen zur ganzen Vor- stellung fortgeht, hat sie also keine extensive Groͤsse: der Mangel der Empfindung in demselben Augenblicke wuͤrde L 4 die- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. diesen, als leer, vorstellen, mithin = 0. Was nun in der empirischen Anschauung der Empfindung correspondirt, ist Realitaͤt ( realitas phaenomenon ) was dem Mangel derselben entspricht, Negation = 0. Nun ist aber iede Empfindung einer Verringerung faͤhig, so daß sie abneh- men, und so allmaͤhlig verschwinden kan. Daher ist zwi- schen Realitaͤt in der Erscheinung und Negation ein conti- nuirlicher Zusammenhang vieler moͤglichen Zwischenempfin- dungen, deren Unterschied von einander immer kleiner ist, als der Unterschied zwischen der gegebenen und dem Zero, oder der gaͤnzlichen Negation, d. i. das Reale in der Er- scheinung hat iederzeit eine Groͤsse, welche aber nicht in der Apprehension angetroffen wird, indem diese vermittelst der blossen Empfindung in einem Augenblicke, und nicht durch successive Synthesis vieler Empfindungen geschieht, und also nicht von den Theilen zum Ganzen geht; es hat also zwar eine Groͤsse, aber keine extensive. Nun nenne ich dieienige Groͤsse, die nur als Einheit apprehendirt wird, und in welcher die Vielheit nur durch Annaͤherung zur Negation = 0 vorgestellt werden kan, die intensive Groͤsse. Also hat iede Realitaͤt in der Er- scheinung intensive Groͤsse, d. i. einen Grad. Wenn man diese Realitaͤt als Ursache, (es sey der Empfindung oder anderer Realitaͤt in der Erscheinung, z. B. einer Veraͤnde- rung) betrachtet; so nent man den Grad der Realitaͤt als Ursache, ein Moment, z. B. das Moment der Schwe- re, III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. re, und zwar darum, weil der Grad nur die Groͤsse be- zeichnet, deren Apprehension nicht successiv, sondern au- genblicklich ist. Dieses beruͤhre ich aber hier nur beylaͤufig, denn mit der Caussalitaͤt habe ich vor iezt noch nicht zu thun. So hat demnach iede Empfindung, mithin auch iede Realitaͤt in der Erscheinung, so klein sie auch seyn mag, einen Grad, d. i. eine intensive Groͤsse, die noch immer vermindert werden kan, und zwischen Realitaͤt und Nega- tion ist ein continuirlicher Zusammenhang moͤglicher Rea- litaͤten, und moͤglicher kleinerer Wahrnehmungen. Eine iede Farbe z. E. die rothe hat einen Grad, der, so klein er auch seyn mag, niemals der kleinste ist, und so ist es mit der Waͤrme, dem Moment der Schwere ꝛc. uͤberall bewandt. Die Eigenschaft der Groͤssen, nach welcher an ihnen kein Theil der kleinstmoͤgliche (kein Theil einfach) ist, heißt die Continuitaͤt derselben. Raum und Zeit sind quanta continua, weil kein Theil derselben gegeben werden kan, ohne ihn zwischen Grenzen (Puncten und Augenblicken) einzuschliessen, mithin nur so, daß dieser Theil selbst wie- derum ein Raum, oder eine Zeit ist. Der Raum besteht also nur aus Raͤumen, die Zeit aus Zeiten. Puncte und Augenblicke sind nur Grenzen, d. i. blosse Stellen ihrer Einschraͤnkung, Stellen aber setzen iederzeit iene Anschau- ungen, die sie beschraͤnken, oder bestimmen sollen, vor- aus, und aus blossen Stellen, als aus Bestandtheilen, die L 5 noch Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. noch vor dem Raume oder der Zeit gegeben werden koͤnten, kan weder Raum noch Zeit zusammen gesezt werden. Dergleichen Groͤssen kan man auch fliessende nennen, weil die Synthesis (der productiven Einbildungskraft) in ihrer Er- zeugung ein Fortgang in der Zeit ist, deren Continuitaͤt man besonders durch den Ausdruck des Fliessens (Verflies- sens) zu bezeichnen pflegt. Alle Erscheinungen uͤberhaupt sind demnach continuir- liche Groͤssen, sowol ihrer Anschauung nach, als extensive, oder der blossen Wahrnehmung (Empfindung und mithin Realitaͤt) nach, als intensive Groͤssen. Wenn die Synthesis des Mannigfaltigen der Erscheinung unterbro- chen ist, so ist dieses ein Aggregat von vielen Erscheinun- gen, und nicht eigentlich Erscheinung als ein Quantum, welches nicht durch die blosse Fortsetzung der productiven Synthesis einer gewissen Art, sondern durch Wiederholung einer immer aufhoͤrenden Synthesis erzeugt wird. Wenn ich 13 Thaler ein Geldquantum nenne, so benenne ich es so fern richtig, als ich darunter den Gehalt von einer Mark fein Silber verstehe, welche aber allerdings eine continuirliche Groͤsse ist, in welcher kein Theil der kleineste ist, sondern ieder Theil ein Geldstuͤck ausmachen koͤnte, wel- che immer Materie zu noch kleineren enthielte. Wenn ich aber unter iener Benennung 13 runde Thaler verste- he, als so viel Muͤnzen, (ihr Silbergehalt mag seyn, welcher er wolle), so benenne ich es unschicklich durch ein Quantum von Thalern, sondern muß es ein Aggregat, d. i. III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. d. i. eine Zahl Geldstuͤcke nennen. Da nun bey aller Zahl doch Einheit zum Grunde liegen muß, so ist die Erschei- nung als Einheit, ein Quantum, und als ein solches ieder- zeit ein Continuum. Wenn nun alle Erscheinungen, sowol extensiv, als intensiv betrachtet, continuirliche Groͤssen sind; so wuͤrde der Satz: daß auch alle Veraͤnderung (Uebergang eines Dinges aus einem Zustande in den andern) continuirlich seyn, leicht und mit mathematischer Evidenz hier bewiesen werden koͤnnen, wenn nicht die Caussalitaͤt einer Veraͤnde- rung uͤberhaupt ganz ausserhalb den Grenzen einer Trans- scendental-Philosophie laͤge, und empirische Principien vor- aussezte. Denn daß eine Ursache moͤglich sey, welche den Zustand der Dinge veraͤndere, d. i. sie zum Ge- gentheil eines gewissen gegebenen Zustandes bestimme, da- von giebt uns der Verstand a priori gar keine Eroͤfnung, nicht blos deswegen, weil er die Moͤglichkeit davon gar nicht einsieht, (denn diese Einsicht fehlt uns in mehreren Erkentnissen a priori ) sondern, weil die Veraͤnderlich- keit nur gewisse Bestimmungen der Erscheinungen trift, welche die Erfahrung allein lehren kan, indessen daß ihre Ursache in dem Unveraͤnderlichen anzutreffen ist. Da wir aber hier nichts vor uns haben, dessen wir uns be- dienen koͤnnen, als die reinen Grundbegriffe aller moͤgli- chen Erfahrung, unter welchen durchaus nichts Empiri- sches seyn muß, so koͤnnen wir, ohne die Einheit des Systems zu verletzen, der allgemeinen Naturwissenschaft, wel- Elementarl. II. Th. Abth. II. Buch. II. Hauptst. welche auf gewisse Grunderfahrungen gebauet ist, nicht vor- greifen. Gleichwol mangelt es uns nicht an Beweisthuͤmern des grossen Einflusses, den dieser unser Grundsatz hat, Wahrnehmungen zu anticipiren, und so gar deren Man- gel so fern zu ergaͤnzen, daß er allen falschen Schluͤssen, die daraus gezogen werden moͤchten, den Riegel vorschiebt. Wenn alle Realitaͤt in der Wahrnehmung einen Grad hat, zwischen dem und der Negation eine unend- liche Stufenfolge immer minderer Grade statt findet, und gleichwol ein ieder Sinn einen bestimten Grad der Re- ceptivitaͤt der Empfindungen haben muß, so ist keine Wahr- nehmung, mithin auch keine Erfahrung moͤglich, die einen gaͤnzlichen Mangel alles Realen in der Erscheinung, es sey unmittelbar oder mittelbar, (durch welchen Umschweif im Schluͤssen, als man immer wolle) bewiese, d. i. es kan aus der Erfahrung niemals ein Beweis vom leeren Raume oder einer leeren Zeit gezogen werden. Denn der gaͤnz- liche Mangel des Realen in der sinnlichen Anschauung kan erstlich selbst nicht wahrgenommen werden, zweytens kan er aus keiner einzigen Erscheinung und dem Unterschiede des Grades ihrer Realitaͤt gefolgert, oder darf auch zur Erklaͤrung derselben niemals angenommen werden. Denn wenn auch die ganze Anschauung eines bestimten Rau- mes oder Zeit durch und durch real, d. i. kein Theil der- selben leer ist; so muß es doch, weil iede Realitaͤt ihren Grad hat, der, bey unveraͤnderter extensiven Groͤsse der Er- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Erscheinung bis zum Nichts (dem leeren) durch unendli- che Stufen abnehmen kan, unendlich verschiedene Grade, mit welchen Raum oder Zeit erfuͤllet seyn, geben, und die intensive Groͤsse in verschiedenen Erscheinungen kleiner oder groͤsser seyn koͤnnen, obschon die extensive Groͤsse der Anschauung gleich ist. Wir wollen ein Beyspiel davon geben. Beynahe alle Naturlehrer, da sie einen grossen Unterschied der Quantitaͤt der Materie von verschiedener Art unter gleichem Volumen (theils durch das Moment der Schweere, oder des Gewichts, theils durch das Moment des Widerstandes gegen andere bewegter Materien) wahrnehmen, schließen daraus einstimmig: dieses Volumen (extensive Groͤsse der Erscheinung) muͤsse in allen Materien, ob zwar in ver- schiedenem Maaße leer seyn. Wer haͤtte aber von diesen groͤßtentheils mathematischen und mechanischen Naturfor- schern sich wol iemals einfallen lassen, daß sie diesen ih- ren Schluß lediglich auf eine metaphysische Voraussetzung, welche sie doch so sehr zu vermeiden vorgeben, gruͤndeten, indem sie annehmen, daß das Reale im Raume, (ich mag es hier nicht Undurchdringlichkeit oder Gewicht nen- nen, weil dieses empirische Begriffe sind,) allerwerts einerley sey, und sich nur der extensiven Groͤsse, d. i. der Menge nach unterscheiden koͤnne. Dieser Voraussetzung, dazu sie keinen Grund in der Erfahrung haben konten, und die also blos metaphysisch ist, setze ich einen transscen- den- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. dentalen Beweis entgegen, der zwar den Unterschied in der Erfuͤllung der Raͤume nicht erklaͤren soll, aber doch die vermeinte Nothwendigkeit iener Voraussetzung, gedach- ten Unterschied nicht anders, wie durch anzunehmende leere Raͤume erklaͤren zu koͤnnen, voͤllig aufhebt, und das Ver- dienst hat, den Verstand wenigstens in Freyheit zu verse- tzen, sich diese Verschiedenheit auch auf andere Art zu den- ken, wenn die Naturerklaͤrung hiezu irgend eine Hypothese nothwendig machen sollte. Denn da sehen wir, daß, ob- schon gleiche Raͤume von verschiedenen Materien vollkom- men erfuͤllt seyn moͤgen, so, daß in keinem von beyden ein Punct ist, in welchem nicht ihre Gegenwart anzutref- fen waͤre, so habe doch iedes Reale bey derselben Quali- taͤt ihren Grad (des Widerstandes oder des Wiegens) wel- cher ohne Verminderung der extensiven Groͤsse oder Menge ins Unendliche kleiner seyn kan, ehe sie in das leere uͤber- geht, und verschwindet. So kan eine Ausspannung, die einen Raum erfuͤllt z. B. Waͤrme, und auf gleiche Weise iede andere Realitaͤt (in der Erscheinung) ohne im min- desten den kleinsten Theil dieses Raumes leer zu lassen, in ihren Graden ins unendliche abnehmen, und nichts desto weniger den Raum mit diesen kleinern Graden eben sowol erfuͤllen, als eine andere Erscheinung mit groͤsseren. Meine Absicht ist hier keinesweges, zu be- haupten: daß dieses wirklich mit der Verschiedenheit der Materien, ihrer specifischen Schwere nach, so bewandt sey, sondern nur aus einem Grundsatze des reinen Verstandes dar III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. darzuthun: daß die Natur unserer Wahrnehmungen eine solche Erklaͤrungsart moͤglich mache, und daß man faͤlsch- lich das Reale der Erscheinung dem Grade nach, als gleich, und nur der Aggregation und deren extensiven Groͤsse nach, als verschieden annehme, und dieses so gar vorgeblicher massen, durch einen Grundsatz des Verstandes a priori behaupte. Es hat gleichwol diese Anticipation der Wahrneh- mung etwas vor einen der transscendentalen gewohnten und dadurch behutsam gewordenen Nachforscher, immer etwas Auffallendes an sich, und erregt daruͤber einiges Be- denken, daß der Verstand einen dergleichen synthetischen Satz, als der von dem Grad alles Realen in den Erschei- nungen ist, und mithin der Moͤglichkeit des innern Unter- schiedes der Empfindung selbst, wenn man von ihrer em- pirischen Qualitaͤt abstrahirt, und es ist also noch eine der Aufloͤsung nicht unwuͤrdige Frage: wie der Verstand hier- in synthetisch uͤber Erscheinungen a priori aussprechen, und diese so gar in demienigen, was eigentlich, und blos empirisch ist, nemlich die Empfindung angeht, anticipi- ren koͤnne. Die Qualitaͤt der Empfindung ist iederzeit bloß em- pirisch, und kan a priori gar nicht vorgestellet werden, (z. B. Farben, Geschmack ꝛc.). Aber das Reale, was den Empfindungen uͤberhaupt correspondirt, im Gegensatz mit der Negation = 0 stellet nur Etwas vor, dessen Be- griff an sich ein Seyn enthaͤlt, und bedeutet nichts als die Syn- Elementl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Synthesis in einem empirischen Bewustseyn uͤberhaupt. In dem innern Sinn nemlich kan das empirische Be- wustseyn von 0 bis zu iedem groͤssern Grade erhoͤhet wer- den, so daß eben dieselbe extensive Groͤsse der Anschauung (z. B. erleuchtete Flaͤche) so grosse Empfindung erregt, als ein Aggregat von vielem andern (minder erleuchteten) zusammen. Man kan also von der extensiven Groͤsse der Erscheinung gaͤnzlich abstrahiren, und sich doch an der blossen Empfindung in einem Moment eine Synthesis der gleichfoͤrmigen Steigerung von 0 bis zu dem gegebenen empirischen Bewustsey n vorstellen. Alle Empfindungen werden daher, als solche, zwar nur a priori gegeben, aber die Eigenschaft derselben, daß sie einen Grad haben, kan a priori erkant werden. Es ist merkwuͤr- dig, daß wir an Groͤssen uͤberhaupt a priori nur eine einzige Qualitaͤt, nemlich die Continuitaͤt, an aller Qualitaͤt aber (dem Realen der Erscheinungen) nichts weiter a priori, als die intensive Quantitaͤt derselben, nemlich, daß sie einen Grad haben, erkennen koͤnnen, alles uͤbrige bleibt der Erfahrung uͤberlassen. 3. Die Analogien der Erfahrung. Der allgemeine Grundsatz derselben ist: Alle Er- scheinungen stehen, ihrem Daseyn nach, a priori unter Regeln III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Regeln der Bestimmung ihres Verhaͤltnisses unter einander in einer Zeit. Die drey modi der Zeit sind Beharrlichkeit, Folge und Zugleichseyn. Daher werden drey Regeln aller Zeit- verhaͤltnisse der Erscheinungen, wornach ieder ihr Daseyn in Ansehung der Einheit aller Zeit bestimt werden kan, vor aller Erfahrung vorangehen, und diese allererst moͤglich machen. Der allgemeine Grundsatz aller dreyen Analogien beruht auf der nothwendigen Einheit der Apperception, in Ansehung alles moͤglichen empirischen Bewustseyns, (der Wahrnehmung), zu ieder Zeit, folglich, da iene a priori zum Grunde liegt, auf der synthetischen Einheit aller Er- scheinungen nach ihrem Verhaͤltnisse in der Zeit. Denn die urspruͤngliche Apperception bezieht sich auf den innern Sinn, (den Inbegriff aller Vorstellungen) und zwar a priori auf die Form desselben, d. i. das Verhaͤltniß des mannigfaltigen empirischen Bewustseyns in der Zeit. In der urspruͤnglichen Apperception soll nun alle dieses Mannigfal- tige, seinen Zeitverhaͤltnissen nach, vereinigt werden; denn dieses sagt die transscendentale Einheit derselben a priori, unter welcher alles steht, was zu meinem (d. i. meinem einigen) Erkentnisse gehoͤren soll, mithin ein Gegenstand vor mich werden kan. Diese synthetische Einheit in dem Zeitverhaͤltnisse aller Wahrnehmungen, welche a priori bestimt ist, ist also das Gesetz: daß alle empirische Zeit- bestimmungen unter Regeln der allgemeinen Zeitbestim- M mung Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. mung stehen muͤssen, und die Analogien der Erfahrung, von denen wir iezt handeln wollen, muͤssen dergleichen Regeln seyn. Diese Grundsaͤtze haben das besondere an sich, daß sie nicht die Erscheinungen, und die Synthesis ihrer em- pirischen Anschauung, sondern blos das Daseyn , und ihr Verhaͤltniß unter einander, in Ansehung dieses ihres Da- seyns erwaͤgen. Nun kan die Art, wie etwas in der Er- scheinung apprehendirt wird, a priori dergestalt bestimt seyn, daß die Regel ihrer Synthesis zugleich diese Anschau- ung a priori in iedem vorliegenden empirischen Beyspiele geben: d. i. sie daraus zu Stande bringen kan. Allein das Daseyn der Erscheinungen kan a priori nicht erkant werden, und, ob wir gleich auf diesem Wege dahin ge- langen koͤnten, auf irgend ein Daseyn zu schliessen, so wuͤrden wir dieses doch nicht bestimt erkennen, d. i. das, wodurch seine empirische Anschauung sich von andern un- terschiede, anticipiren koͤnnen. Die vorigen zwey Grundsaͤtze, welche ich die mathe- matische nante, in Betracht dessen, daß sie die Mathema- tik auf Erscheinungen anzuwenden berechtigten, gingen auf Erscheinungen ihrer blossen Moͤglichkeit nach, und lehrten, wie sie so wol ihrer Anschauung, als dem Realen ihrer Wahrnehmung nach, nach Regeln einer mathematischen Synthesis erzeugt werden koͤnten; daher so wol bey der einen, als bey der andern die Zahlgroͤssen, und, mit ih- nen, die Bestimmung der Erscheinung als Groͤsse, gebraucht wer- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. werden koͤnnen. So werde ich z. B. den Grad der Em- pfindungen des Sonnenlichts aus etwa 200000 Erleuch- tungen durch den Mond zusammensetzen und a priori be- stimt geben, d. i. construiren koͤnnen. Daher koͤnnen wir die erstere Grundsaͤtze constitutive nennen. Ganz anders muß es mit denen bewandt seyn, die das Daseyn der Erscheinungen a priori unter Regeln brin- gen sollen. Denn, da dieses sich nicht construiren laͤßt, so werden sie nur auf das Verhaͤltniß des Daseyns gehen, und keine andre als blos regulative Principien ab- geben koͤnnen. Da ist also weder an Axiomen, noch an Anticipationen zu denken, sondern, wenn uns eine Wahr- nehmung in einem Zeitverhaͤltnisse gegen andere (obzwar unbestimte) gegeben ist; so wird a priori nicht gesagt werden koͤnnen: welche andere und wie grosse Wahrneh- mung, sondern, wie sie dem Daseyn nach, in diesem modo der Zeit, mit iener nothwendig verbunden sey. In der Philosophie bedeuten Analogien etwas sehr Verschiedenes von demienigen, was sie in der Mathematik vorstellen. In dieser sind es Formeln, welche die Gleichheit zweener Groͤssenverhaͤltnisse aussagen, und iederzeit constitutiv, so, daß, wenn zwey Glieder der Proportion gegeben sind, auch das Dritte dadurch gegeben wird, d. i. construirt werden kan. In der Philosophie aber ist die Analogie nicht die Gleichheit zweener quantitativen, sondern qua- litativen Verhaͤltnisse, wo ich aus drey gegebenen Gliedern M 2 nur Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. nur das Verhaͤltniß zu einem vierten, nicht aber dieses vierte Glied selbst erkennen, und a priori geben kan, wol aber eine Regel habe, es in der Erfahrung zu suchen, und ein Merkmal, es in derselben aufzufinden. Eine Analogie der Erfahrung wird also nur eine Regel seyn, nach welcher aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung (nicht wie Wahrnehmung selbst, als empirische Anschau- ung uͤberhaupt) entspringen soll, und als Grundsatz von den Gegenstaͤnden (der Erscheinungen) nicht constitutiv, sondern blos regulativ gelten. Eben dasselbe aber wird auch von den Postulaten des empirischen Denkens uͤber- haupt, welche die Synthesis der blossen Anschauung, (der Form der Erscheinung) der Wahrnehmung, (der Materie derselben) und der Erfahrung (des Verhaͤltnisses dieser Wahrnehmungen) zusammen betreffen, gelten, nemlich, daß sie nur regulative Grundsaͤtze sind, und sich von den mathematischen, die constitutiv sind, zwar nicht in der Gewißheit, welche in beyden a priori feststehet, aber doch in der Art der Evidenz, d. i. dem Intuitiven derselben, (mithin auch der Demonstration) unter- scheiden. Was aber bey allen synthetischen Grundsaͤtzen erin- nert ward, und hier vorzuͤglich angemerkt werden muß, ist dieses: daß diese Analogien nicht als Grundsaͤtze des transscendentalen, sondern blos des empirischen Verstan- desgebrauchs, ihre alleinige Bedeutung und Guͤltigkeit ha- ben, III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. ben, mithin auch nur als solche bewiesen werden koͤnnen, daß folglich die Erscheinungen nicht unter die Categorien schlechthin, sondern nur unter ihre Schemate subsumiret werden muͤssen. Denn waͤren die Gegenstaͤnde, auf welche diese Grundsaͤtze bezogen werden sollen, Dinge an sich selbst; so waͤre es ganz unmoͤglich, etwas von ihnen a priori synthetisch zu erkennen. Nun sind es nichts als Erscheinungen, deren vollstaͤndige Erkentniß, auf die alle Grundsaͤtze a priori zulezt doch immer auslauffen muͤssen, lediglich die moͤgliche Erfahrung ist, folglich koͤnnen iene nichts, als blos die Bedingungen der Einheit des empiri- schen Erkentnisses in der Synthesis der Erscheinungen, zum Ziele haben; diese aber wird nur allein in dem Schema des reinen Verstandesbegriffs gedacht, von deren Einheit, als einer Synthesis uͤberhaupt, die Categorie, die durch keine sinnliche Bedingung restringirte Function enthaͤlt. Wir werden also durch diese Grundsaͤtze, die Erscheinungen nur nach einer Analogie, mit der logischen und allgemeinen Ein- heit der Begriffe, zusammen zu setzen berechtigt werden, und daher uns in dem Grundsatze selbst zwar der Categorie bedienen, in der Ausfuͤhrung aber (der Anwendung auf Erscheinungen) das Schema derselben, als den Schluͤssel ihres Gebrauchs an dessen Stelle, oder iener vielmehr, als restringirende Bedingung, unter dem Namen einer Formel des ersteren, zur Seite setzen. M 3 A. Er- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. A. Erste Analogie . Grundsatz der Beharrlichkeit. Alle Erscheinungen enthalten das Beharrliche (Sub- stanz) als den Gegenstand selbst, und das Wandelbare, als dessen blosse Bestimmung, d. i. eine Art, wie der Ge- genstand existirt. Beweis dieser ersten Analogie. Alle Erscheinungen sind in der Zeit. Diese kan auf zweyfache Weise das Verhaͤltniß im Daseyn derselben be- stimmen, entweder so fern sie nach einander oder zu- gleich seyn. In Betracht der ersteren, wird die Zeit, als Zeitreihe, in Ansehung der zweyten als Zeitumfang be- trachtet. Unsere Apprehension des Mannigfaltigen der Erschei- nung ist iederzeit succeßiv, und ist also immer wechselnd. Wir koͤnnen also dadurch allein niemals bestimmen, ob dieses Mannigfaltige, als Gegenstand der Erfahrung, zu- gleich sey, oder nach einander folge, wo an ihr nicht et- was zum Grunde liegt, was iederzeit ist, d. i. etwas Bleibendes und Beharrliches, von welchem aller Wechsel und Zugleichseyn nichts, als so viel Arten ( modi der Zeit) seyn, wie das Beharrliche existirt. Nur in dem Beharrli- chen sind also Zeitverhaͤltnisse moͤglich, (denn Simultanei- taͤt und Succeßion sind die einzige Verhaͤltnisse in der Zeit), d. i. III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. d. i. das Beharrliche ist das Substratum der empirischen Vorstellung der Zeit selbst, an welchem alle Zeitbestimmung allein moͤglich ist. Die Beharrlichkeit druͤkt uͤberhaupt die Zeit, als das bestaͤndige Correlatum alles Daseyns der Er- scheinungen, alles Wechsels und aller Begleitung, aus. Denn der Wechsel trift die Zeit selbst nicht, sondern nur die Erscheinungen in der Zeit, (so wie das Zugleichseyn nicht ein modus der Zeit selbst ist, als in welcher gar keine Theile zugleich, sondern alle nach einander seyn). Wollte man der Zeit selbst eine Folge nach einander bey- legen, so muͤßte man noch eine andere Zeit denken, in welcher diese Folge moͤglich waͤre. Durch das Beharrli- che allein bekoͤmt das Daseyn in verschiedenen Theilen der Zeitreihe nach einander eine Groͤsse, die man Dauer nent. Denn in der blossen Folge allein ist das Daseyn immer verschwindend und anhebend, und hat niemals die mindeste Groͤsse. Ohne dieses Beharrliche ist also kein Zeit- verhaͤltniß. Nun kan die Zeit an sich selbst nicht wahrge- nommen werden; mithin ist dieses Beharrliche an den Er- scheinungen das Substratum aller Zeitbestimmung, folg- lich auch die Bedingung der Moͤglichkeit aller synthetischen Einheit der Wahrnehmungen, d. i. der Erfahrung, und an diesem Beharrlichen kan alles Daseyn, und aller Wechsel in der Zeit nur als ein modus der Existenz dessen, was bleibt, und beharrt, angesehen werden. Also ist in allen Erscheinungen das Beharrliche der Gegenstand selbst, d. i. die Substanz ( phænomenon ), alles aber, was wech- M 4 selt, Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. selt, oder wechseln kan, gehoͤrt nur zu der Art, wie die- se Substanz oder Substanzen existiren, mithin zu ihren Bestimmungen. Ich finde, daß zu allen Zeiten nicht blos der Philosoph, sondern selbst der gemeine Verstand diese Beharrlichkeit, als ein Substratum alles Wechsels der Erscheinungen, vor- ausgesezt haben, und auch iederzeit als ungezweifelt an- nehmen werden, nur daß der Philosoph sich hieruͤber et- was bestimter ausdruͤkt, indem er sagt: bey allen Veraͤn- derungen in der Welt bleibt die Substanz, und nur die Accidenzen wechseln. Ich treffe aber von diesem so synthetischen Satze nirgends auch nur den Versuch von ei- nem Beweise, ia er steht auch nur selten, wie es ihm doch gebuͤhrt, an der Spitze der reinen und voͤllig a priori be- stehenden Gesetze der Natur. In der That ist der Satz: daß die Substanz beharrlich sey, tavtologisch. Denn blos diese Beharrlichkeit ist der Grund, warum wir auf die Erscheinung die Categorie der Substanz anwenden, und man haͤtte beweisen muͤssen: daß in allen Erscheinungen etwas Beharrliches sey, an welchem das Wandelbare nichts als Bestimmung seines Daseyns ist. Da aber ein sol- cher Beweis niemals dogmatisch, d. i. aus Begriffen ge- fuͤhrt werden kan, weil er einen synthetischen Satz a priori betrift, und man niemals daran dachte, daß dergleichen Saͤtze nur in Beziehung auf moͤgliche Erfahrung guͤltig seyn, mithin auch nur durch eine Deduction der Moͤglich- keit III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. keit der leztern bewiesen werden koͤnnen; so ist kein Wun- der, wenn er zwar bey aller Erfahrung zum Grunde gelegt (weil man dessen Beduͤrfniß bey der empirischen Erkentniß fuͤhlt), niemals aber bewiesen worden ist. Ein Philosoph wurde gefragt: wie viel wiegt der Rauch? Er antwortete: ziehe von dem Gewichte des ver- branten Holzes das Gewicht der uͤbrigbleibenden Asche ab, so hast du das Gewicht des Rauchs. Er sezte also als un- widersprechlich voraus: daß, selbst im Feuer, die Ma- terie (Substanz) nicht vergehe, sondern nur die Form der- selben eine Abaͤnderung erleide. Eben so war der Satz: aus nichts wird nichts, nur ein anderer Folgesatz aus dem Grundsatze der Beharrlichkeit, oder vielmehr des immer- waͤhrenden Daseyns des eigentlichen Subiects an den Er- scheinungen. Denn, wenn dasienige an der Erscheinung, was man Substanz nennen will, das eigentliche Substra- tum aller Zeitbestimmung seyn soll, so muß so wol alles Daseyn in der vergangenen, als das der kuͤnftigen Zeit, daran einzig und allein bestimt werden koͤnnen. Daher koͤnnen wir einer Erscheinung nur darum den Namen Sub- stanz geben, weil wir ihr Daseyn zu aller Zeit voraussetzen, welches durch das Wort Beharrlichkeit nicht einmal wol ausgedruckt wird, indem dieses mehr auf kuͤnftige Zeit geht. Indessen ist die innre Nothwendigkeit zu beharren, doch unzertrenlich mit der Nothwendigkeit, immer gewe- sen zu seyn, verbunden, und der Ausdruck mag also blei- M 5 ben. Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. ben. Gigni de nihilo nihil, in nihilum nil posse re- verti, waren zwey Saͤtze, welche die Alten unzertrent verknuͤpften, und die man aus Mißverstand iezt bisweilen trent, weil man sich vorstellt, daß sie Dinge an sich selbst angehen, und der erstere der Abhaͤngigkeit der Welt von einer obersten Ursache (auch so gar ihrer Substanz nach) entgegen seyn duͤrfte, welche Besorgniß unnoͤthig ist, in- dem hier nur von Erscheinungen im Felde der Erfahrung die Rede ist, deren Einheit niemals moͤglich seyn wuͤrde, wenn wir neue Dinge (der Substanz nach) wollten entste- hen lassen. Denn alsdenn fiele dasienige weg, welches die Einheit der Zeit allein vorstellen kan, nemlich, die Iden- titaͤt des Substratum, als woran aller Wechsel allein durchgaͤngige Einheit hat. Diese Beharrlichkeit ist indes doch weiter nichts, als die Art, uns das Daseyn der Dinge (in der Erscheinung) vorzustellen. Die Bestimmungen einer Substanz, die nichts an- ders sind, als besondere Arten derselben, zu existiren, heissen Accidenzen. Sie sind iederzeit real, weil sie das Daseyn der Substanz betreffen, (Negationen sind nur Be- stimmungen, die das Nichtseyn von etwas an der Sub- stanz ausdruͤcken). Wenn man nun diesem Realen an der Substanz ein besonderes Daseyn beygelegt, (z. E. der Be- wegung, als einem Accidenz der Materie) so nent man dieses Daseyn die Inhaͤrenz, zum Unterschiede vom Da- seyn der Substanz, die man Subsistenz nennt. Allein hier- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. hieraus entspringen viel Mißdeutungen, und es ist genauer und richtiger geredt, wenn man das Accidenz nur durch die Art, wie das Daseyn einer Substanz positiv bestimt ist, bezeichnet. Indessen ist es doch, vermoͤge der Bedingun- gen des logischen Gebrauchs unseres Verstandes, unver- meidlich, dasienige, was im Daseyn einer Substanz wech- seln kan, indessen, daß die Substanz bleibt, gleichsam ab- zusondern, und in Verhaͤltniß auf das eigentliche Beharr- liche und Radicale zu betrachten; daher denn auch diese Categorie unter dem Titel der Verhaͤltnisse steht, mehr, als die Bedingung derselben, als daß sie selbst ein Ver- haͤltniß enthielte. Auf dieser Beharrlichkeit gruͤndet sich nun auch die Berichtigung des Begriffs von Veraͤnderung. Entstehen und Vergehen sind nicht Veraͤnderungen desienigen, was entsteht oder vergeht. Veraͤnderung ist eine Art zu existi- ren, welche auf eine andere Art zu existiren eben desselben Gegenstandes erfolget. Daher ist alles, was sich veraͤn- dert, bleibend, und nur sein Zustand wechselt. Da dieser Wechsel also nur die Bestimmungen trift, die auf- hoͤren oder auch anheben koͤnnen; so koͤnnen wir, in ei- nem etwas paradox scheinenden Ausdruck sagen: nur das Beharrliche (die Substanz) wird veraͤndert, das Wandel- bare erleidet keine Veraͤnderung, sondern einen Wechsel , da einige Bestimmungen aufhoͤren, und andre anheben. Ver- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Veraͤnderung kan daher nur an Substanzen wahrge- nommen werden, und das Entstehen oder Vergehen, schlechthin, ohne daß es blos eine Bestimmung des Beharr- lichen betreffe, kan gar keine moͤgliche Wahrnehmung seyn, weil eben dieses Beharrliche die Vorstellung von dem Ueber- gange aus einem Zustande in den andern, und von Nicht- seyn, zum Seyn, moͤglich macht, die also nur als wechselnde Bestimmungen dessen, was bleibt, empirisch erkant wer- den koͤnnen. Nehmet an, daß etwas schlechthin anfange zu seyn; so muͤßt ihr einen Zeitpunct haben, indem es nicht war. Woran wollt ihr aber diesen heften, wenn nicht an demienigen, was schon da ist? Denn eine leere Zeit, die vorherginge, ist kein Gegenstand der Wahrneh- mung; knuͤpft ihr dieses Entstehen aber an Dinge, die vorher waren, und bis zu dem, was entsteht, fort- dauren, so war das leztere nur eine Bestimmung des er- steren, als des Beharrlichen. Eben so ist es auch mit dem Vergehen: denn dieses sezt die empirische Vorstellung einer Zeit voraus, da eine Erscheinung nicht mehr ist. Substanzen (in der Erscheinung) sind die Substra- te aller Zeitbestimmungen. Das Entstehen einiger, und das Vergehen anderer derselbenwuͤrde selbst die einzige Bedin- gung der empirischen Einheit der Zeit aufheben, und die Erscheinungen wuͤrden sich alsdenn auf zweyerley Zeit be- ziehen, in denen neben einander das Daseyn verfloͤsse, welches ungereimt ist. Denn es ist nur eine Zeit, in wel- III. Absch. Systematische Vorstellung aller ꝛc. welcher alle verschiedene Zeiten nicht zugleich, sondern nach einander gesezt werden muͤssen. So ist demnach die Beharrlichkeit eine nothwendige Bedingung, unter welcher allein Erscheinungen, als Din- ge oder Gegenstaͤnde, in einer moͤglichen Erfahrung bestim- bar sind. Was aber das empirische Criterium dieser noth- wendigen Beharrlichkeit und mit ihr der Substanzialitaͤt der Erscheinungen sey, davon wird uns die Folge Gele- genheit geben, das Noͤthige anzumerken. B. Zweyte Analogie . Grundsatz der Erzeugung. Alles, was geschieht (anhebt zu seyn) sezt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt. Beweis. Die Apprehension des Mannigfaltigen der Erschei- nung ist iederzeit succeßiv. Die Vorstellungen der Theile folgen auf einander. Ob sie sich auch im Gegenstande folgen, ist ein zweyter Punct der Reflexion, der in der ersteren nicht enthalten ist. Nun kan man zwar alles, und so gar iede Vorstellung, so fern man sich ihrer bewust ist, Obiect nennen; allein was dieses Wort bey Erschei- nungen zu bedeuten habe, nicht, in so fern sie (als Vor- stellun- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. stellungen) Obiecte sind, sondern nur ein Obiect bezeichnen, ist von tieferer Untersuchung. So fern sie, nur als Vorstellun- gen zugleich Gegenstaͤnde des Bewustseyns sind, so sind sie von der Apprehension, d. i. der Aufnahme in die Synthesis der Einbildungskraft, gar nicht unterschieden, und man muß also sagen: das Mannigfaltige der Erscheinungen wird im Gemuͤth iederzeit successiv erzeugt. Waͤren Erscheinun- gen Dinge an sich selbst, so wuͤrde kein Mensch aus der Succession der Vorstellungen von ihrem Mannigfaltigen ermessen koͤnnen, wie dieses in dem Obiect verbunden sey. Denn wir haben es doch nur mit unsern Vorstellungen zu thun, wie Dinge an sich selbst, (ohne Ruͤcksicht auf Vor- stellungen, dadurch sie uns afficiren) seyn moͤgen, ist gaͤnz- lich ausser unsrer Erkentnißsphaͤre. Ob nun gleich die Erscheinungen nicht Dinge an sich selbst, und gleichwol doch das einzige sind, was uns zur Erkentniß gegeben werden kan, so soll ich anzeigen, was dem Mannigfalti- gen an den Erscheinungen selbst vor eine Verbindung in der Zeit zukomme, indessen, daß die Vorstellung desselben in der Apprehension iederzeit successiv ist. So ist z. E. die Apprehension des Mannigfaltigen in der Erscheinung eines Hauses, das vor mir steht, successiv. Nun ist die Fra- ge: ob das Mannigfaltige dieses Hauses selbst auch in sich successiv sey, welches freilich niemand zugeben wird. Nun ist aber, so bald ich meine Begriffe von einem Gegenstan- de bis zur transscendentalen Bedeutung steigere, das Haus gar kein Ding an sich selbst, sondern nur eine Erscheinung, d. i. III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. d. i. Vorstellung, dessen transscendentaler Gegenstand un- bekant ist; was verstehe ich also unter der Frage: wie das Mannigfaltige in der Erscheinung selbst (die doch nichts an sich selbst ist) verbunden seyn moͤge? Hier wird das, was in der successiven Apprehension liegt, als Vorstellung, die Erscheinung aber, die mir gegeben ist, ohnerachtet sie nichts weiter, als ein Inbegriff dieser Vorstellungen ist, als der Gegenstand derselben betrachtet, mit welchem mein Begriff, den ich aus den Vorstellungen der Appre- hension ziehe, zusammen stimmen soll. Man siehet bald, daß, weil Uebereinstimmung der Erkentniß mit dem Ob- iect Wahrheit ist, hier nur nach den formalen Bedingun- gen der empirischen Wahrheit gefragt werden kan, und Erscheinung, im Gegenverhaͤltniß mit den Vorstellungen der Apprehension, nur dadurch als das davon unterschie- dene Obiect derselben koͤnne vorgestellt werden, wenn sie unter einer Regel steht, welche sie von ieder andern Ap- prehension unterscheidet, und eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen nothwendig macht. Dasienige an der Erscheinung, was die Bedingung dieser nothwendi- gen Regel der Apprehension enthaͤlt, ist das Obiect. Nun laßt uns zu unsrer Aufgabe fortgehen. Daß etwas geschehe, d. i. etwas, oder ein Zustand werde, der vorher nicht war, kan nicht empirisch wahrgenommen wer- den, wo nicht eine Erscheinung vorhergeht, welche diesen Zustand nicht in sich enthaͤlt; denn eine Wirklichkeit, die auf Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. auf eine leere Zeit folge, mithin ein Entstehen, vor dem kein Zustand der Dinge vorhergeht, kan eben so wenig, als die leere Zeit selbst apprehendirt werden. Jede Ap- prehension einer Begebenheit ist also eine Wahrnehmung, welche auf eine andere folgt. Weil dieses aber bey aller Synthesis der Apprehension so beschaffen ist, wie ich oben an der Erscheinung eines Hauses gezeigt habe, so unter- scheidet sie sich dadurch noch nicht von andern. Allein ich bemerke auch: daß, wenn ich an einer Erscheinung, wel- che ein Geschehen enthaͤlt, den vorhergehenden Zustand der Wahrnehmung A , den folgenden aber B , nenne, daß B auf A in der Apprehension nur folgen, die Wahrnehmung A aber auf B nicht folgen, sonden nur vorhergehen kan. Ich sehe z. B. ein Schiff den Strom hinab treiben. Mei- ne Wahrnehmung seiner Stelle unterhalb, folgt auf die Wahrnehmung der Stelle desselben oberhalb dem Laufe des Flusses, und es ist unmoͤglich, daß in der Apprehension dieser Erscheinung das Schiff zuerst unterhalb, nachher aber oberhalb des Stromes wahrgenommen werden sollte. Die Ordnung in der Folge der Wahrnehmungen in der Apprehension ist hier also bestimt, und an dieselbe ist die leztere gebunden. In dem vorigen Beyspiele von einem Hause konten meine Wahrnehmungen in der Apprehension von der Spitze desselben anfangen, und beym Boden endi- gen, aber auch von unten anfangen, und oben endigen, imgleichen rechts oder links das Mannigfaltige der empiri- schen Anschauung apprehendiren. In der Reihe dieser Wahr- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Wahrnehmungen war also keine bestimte Ordnung, welche es nothwendig machte, wenn ich in der Apprehension an- fangen muͤßte, um das Mannigfaltige empirisch zu verbin- den. Diese Regel aber ist bey der Wahrnehmung von dem, was geschieht, iederzeit anzutreffen, und sie macht die Ordnung der einander folgenden Wahrnehmungen (in der Apprehension dieser Erscheinung) nothwendig. Ich werde also, in unserm Fall, die subiective Folge der Apprehension von der obiectiven Folge der Erscheinun- gen ableiten muͤssen, weil iene sonst gaͤnzlich unbestimt ist, und keine Erscheinung von der andern unterscheidet. Jene allein beweiset nichts von der Verknuͤpfung des Mannig- faltigen am Obiect, weil sie ganz beliebig ist. Diese also wird in der Ordnung des Mannigfaltigen der Erscheinung bestehen, nach welcher die Apprehension des einen (was geschieht) auf die des andern (das vorhergeht) nach ei- ner Regel folgt. Nur dadurch kan ich von der Erschei- nung selbst, und nicht blos von meiner Apprehension be- rechtigt seyn, zu sagen: daß in iener eine Folge anzutref- fen sey, welches so viel bedeutet, als daß ich die Appre- hension nicht anders anstellen koͤnne, als gerade in dieser Folge. Nach einer solchen Regel also muß in dem, was uͤberhaupt vor einer Begebenheit vorhergeht, die Bedin- gung zu einer Regel liegen, nach welcher iederzeit und nothwendiger Weise diese Begebenheit folgt; umgekehrt aber kan ich nicht von der Begebenheit zuruͤckgehen, und N das- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. dasienige bestimmen (durch Apprehension), was vorher- geht. Denn von dem folgenden Zeitpunct geht keine Er- scheinung zu dem vorigen zuruͤck, aber beziehet sich doch auf irgend einen vorigen; von einer gegebenen Zeit ist dagegen der Fortgang auf die bestimte folgende nothwen- dig. Daher, weil es doch etwas ist, was folgt, so muß ich es nothwendig auf etwas anderes uͤberhaupt beziehen, was vorhergeht, und worauf es nach einer Regel, d. i. noth- wendiger Weise folgt, so daß die Begebenheit als das be- dingte, auf irgend eine Bedingung sichere Anweisung giebt, diese aber die Begebenheit bestimt. Man setze, es gehe vor einer Begebenheit nichts vorher, worauf dieselbe nach einer Regel folgen muͤßte, so waͤre alle Folge der Wahrnehmung nur lediglich in der Apprehension, d. i. blos subiectiv, aber dadurch gar nicht obiectiv bestimt, welches eigentlich das Vorhergehende, und welches das Nachfolgende der Wahrnehmungen seyn muͤßte. Wir wuͤrden auf solche Weise nur ein Spiel der Vorstellungen haben, das sich auf gar kein Obiect bezoͤge, d. i. es wuͤrde durch unsre Wahrnehmung eine Erscheinung von ieder andern, dem Zeitverhaͤltnisse nach, gar nicht un- terschieden werden; weil die Succession im Apprehendiren allerwerts einerley, und also nichts in der Erscheinung ist, was sie bestimt, so daß dadurch eine gewisse Folge als ob- iectiv nothwendig gemacht wird. Ich werde also nicht sagen: daß in der Erscheinung zwey Zustaͤnde auf einander fol- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. folgen, sondern nur: daß eine Apprehension auf die an- dre folgt, welches blos etwas Subiectives ist, und kein Obiect bestimt, mithin gar nicht vor Erkentniß irgend eines Gegenstandes (selbst nicht in der Erscheinung) gelten kan. Wenn wir also erfahren, daß etwas geschiehet, so setzen wir dabey iederzeit voraus, daß irgend etwas vor- ausgehe, worauf es nach einer Regel folgt. Denn ohne dieses wuͤrde ich nicht von dem Obiect sagen: daß es folge, weil die blosse Folge in meiner Apprehension, wenn sie nicht durch eine Regel in Beziehung auf ein vorhergehen- des bestimt ist, keine Folge im Obiecte berechtiget. Also geschieht es immer in Ruͤcksicht auf eine Regel, nach wel- cher die Erscheinungen in ihrer Folge, d. i. so wie sie gesche- hen, durch den vorigen Zustand bestimt sind, daß ich meine subiective Synthesis (der Apprehension) obiectiv mache, und, nur lediglich unter dieser Voraussetzung allein, ist selbst die Erfahrung von etwas, was geschieht, moͤglich. Zwar scheint es, als widerspreche dieses allen Be- merkungen, die man iederzeit uͤber den Gang unseres Ver- standesgebrauchs gemacht hat, nach welchen wir nur aller- erst durch die wahrgenommenen und verglichenen uͤberein- stimmenden Folgen vieler Begebenheiten auf vorhergehende Erscheinungen, eine Regel zu entdecken, geleitet worden, der gemaͤß gewisse Begebenheiten auf gewisse Erscheinun- gen iederzeit folgen, und dadurch zuerst veranlaßt wor- den, uns den Begriff von Ursache zu machen. Auf sol- N 2 chen Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. chen Fuß wuͤrde dieser Begriff blos empirisch seyn, und die Regel, die er verschaft, daß alles, was geschieht, eine Ursache habe, wuͤrde eben so zufaͤllig seyn, als die Erfah- rung selbst: seine Allgemeinheit und Nothwendigkeit waͤ- ren alsdenn nur angedichtet, und haͤtten keine wahre all- gemeine Guͤltigkeit, weil sie nicht a priori, sondern nur auf Induction gegruͤndet waͤren. Es gehet aber hiemit so, wie mit andern reinen Vorstellungen a priori, (z. B. Raum und Zeit) die wir darum allein aus der Erfahrung als klare Begriffe herausziehen koͤnnen, weil wir sie in die Erfahrung gelegt hatten, und diese daher durch iene aller- erst zu Stande brachten. Freilich ist die logische Klarheit dieser Vorstellung einer, die Reihe der Begebenheiten, be- stimmenden Regel, als eines Begriffs von Ursache, nur alsdenn moͤglich, wenn wir davon in der Erfahrung Ge- brauch gemacht haben, aber eine Ruͤcksicht auf dieselbe, als Bedingung der synthetischen Einheit der Erscheinungen in der Zeit, war doch der Grund der Erfahrung selbst, und ging also a priori vor ihr vorher. Es komt also darauf an, im Beyspiele zu zeigen, daß wir niemals selbst in der Erfahrung die Folge (einer Be- gebenheit, da etwas geschieht, was vorher nicht war) dem Obiect beylegen, und sie von der subiectiven unserer Ap- prehension unterscheiden, als wenn eine Regel zum Grunde liegt, die uns noͤthig, diese Ordnung der Wahrnehmungen vielmehr, als eine andere zu beobachten, ia daß diese Noͤ- thi- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. thigung es eigentlich sey, was die Vorstellung einer Suc- cession im Obiect allererst moͤglich macht. Wir haben Vorstellungen in uns, deren wir uns auch bewust werden koͤnnen. Dieses Bewustseyn aber mag so weit erstreckt, und so genau oder puͤnctlich seyn, als man wolle, so bleiben es doch nur immer Vorstellungen, d. i. innre Bestimmungen unseres Gemuͤths in diesem oder ienem Zeitverhaͤltnisse. Wie kommen wir nun dazu: daß wir diesen Vorstellungen ein Obiect setzen, oder uͤber ihre subiective Realitaͤt, als Modificationen, ihnen noch, ich weis nicht, was vor eine, obiective beylegen. Obiective Bedeutung kan nicht in der Beziehung auf eine andre Vor- stellung (von dem, was man vom Gegenstande nennen wollte) bestehen, denn sonst erneuret sich die Frage, wie geht diese Vorstellung wiederum aus sich selbst heraus, und bekomt obiective Bedeutung noch uͤber die subiective, welche ihr, als Bestimmung des Gemuͤthszustandes, eigen ist? Wenn wir untersuchen, was denn die Beziehung auf einen Gegenstand unseren Vorstellungen vor eine neue Beschaffenheit gebe, und welches die Dignitaͤt sey, die sie dadurch erhalten, so finden wir, daß sie nichts weiter thue, als die Verbindung der Vorstellungen auf eine ge- wisse Art nothwendig zu machen, und sie einer Regel zu unterwerfen; daß umgekehrt nur dadurch, daß eine gewis- se Ordnung in dem Zeitverhaͤltnisse unserer Vorstellungen nothwendig ist, ihnen obiective Bedeutung ertheilet wird. N 3 In Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. In der Synthesis der Erscheinungen folgt das Man- nigfaltige der Vorstellungen iederzeit nach einander. Hier- durch wird nun gar kein Obiect vorgestellt; weil durch die- se Folge, die allen Apprehensionen gemein ist, nichts vom andern unterschieden wird. So bald ich aber wahrnehme, oder voraus annehme, daß in dieser Folge eine Bezie- hung auf den vorhergehenden Zustand sey, aus welchem die Vorstellung nach einer Regel folgt; so stellet sich Et- was vor, als Begebenheit, oder was da geschieht, d. i. ich erkenne einen Gegenstand, den ich in der Zeit auf eine gewisse bestimte Stelle setzen muß, die ihm, nach dem vorhergehenden Zustande nicht anders ertheilt werden kan. Wenn ich also wahrnehme, daß etwas geschieht, so ist in dieser Vorstellung erstlich enthalten: daß etwas vorher- gehe, weil eben in Beziehung auf dieses die Erscheinung ihre Zeitverhaͤltniß bekomt, nemlich, nach einer vorher- gehenden Zeit, in der sie nicht war, zu existiren. Aber ihre bestimte Zeitstelle in diesem Verhaͤltnisse kan sie nur dadurch bekommen, daß im vorhergehenden Zustande et- was vorausgesezt wird, worauf es iederzeit, d. i. nach einer Regel folgt; woraus sich denn ergiebt, daß ich erstlich nicht die Reihe umkehren, und das, was geschieht, dem- ienigen voransetzen kan, worauf es folgt: zweitens daß, wenn der Zustand, der vorhergeht, gesezt wird, diese be- stimte Begebenheit unausbleiblich und nothwendig folge. Dadurch geschieht es: daß eine Ordnung unter unsern Vorstellungen wird, in welcher das gegenwaͤrtige (so fern es III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. es geworden) auf irgend einen vorhergehenden Zustand Anweisung giebt, als ein, ob zwar noch unbestimtes Cor- relatum dieser Eraͤugniß, die gegeben ist, welches sich aber auf diese, als seine Folge, bestimmend bezieht, und sie nothwendig mit sich in der Zeitreihe verknuͤpfet. Wenn es nun ein nothwendiges Gesetz unserer Sinn- lichkeit, mithin eine formale Bedingung aller Wahrneh- mungen ist: daß die vorige Zeit die folgende nothwendig bestimmt; (indem ich zur folgenden nicht anders gelangen kan, als durch die vorhergehende), so ist es auch ein un- entbehrliches Gesetz der empirischen Vorstellung der Zeit- reihe, daß die Erscheinungen der vergangenen Zeit iedes Daseyn in der folgenden bestimmen, und daß diese, als Begebenheiten, nicht statt finden, als so fern iene ihnen ihr Daseyn in der Zeit bestimmen, d. i. nach einer Regel fest- setzen. Denn nur an den Erscheinungen koͤnnen wir diese Continuitaͤt im Zusammenhange der Zeiten empi- risch erkennen. Zu aller Erfahrung und deren Moͤglichkeit gehoͤrt Verstand, und das erste, was er dazu thut, ist nicht: daß er die Vorstellung der Gegenstaͤnde deutlich macht, son- dern daß er die Vorstellung eines Gegenstandes uͤberhaupt moͤglich macht. Dieses geschiehet nun dadurch, daß er die Zeitordnung auf die Erscheinungen und deren Daseyn uͤbertraͤgt, indem er ieder derselben als Folge eine, in An- sehung der vorhergehenden Erscheinungen, a priori be- stimte Stelle in der Zeit zuerkent, ohne welche sie nicht N 4 mit Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. mit der Zeit selbst, die allen ihren Theilen a priori ihre Stelle bestimt, uͤbereinkommen wuͤrde. Diese Bestim- mung der Stelle kan nun nicht von dem Verhaͤltniß der Erscheinungen gegen die absolute Zeit entlehnt werden, (denn die ist kein Gegenstand der Wahrnehmung) sondern umgekehrt, die Erscheinungen muͤssen einander ihre Stel- len in der Zeit selbst bestimmen, und dieselbe in der Zeit- ordnung nothwendig machen, d. i. dasienige, was da folgt, oder geschieht, muß nach einer allgemeinen Regel auf das, was im vorigen Zustande enthalten war, folgen, woraus eine Reihe der Erscheinungen wird, die vermittelst des Verstandes eben dieselbige Ordnung und stetigen Zusam- menhang in der Reihe moͤglicher Wahrnehmungen hervor- bringt, und nothwendig macht, als sie in der Form der innern Anschauung, (der Zeit) darin alle Wahrnehmun- gen ihre Stelle haben muͤsten, a priori angetroffen wird. Daß also etwas geschieht, ist eine Wahrnehmung, die zu einer moͤglichen Erfahrung gehoͤret, die dadurch wirklich wird, wenn ich die Erscheinung, ihrer Stelle nach, in der Zeit, als bestimt, mithin als ein Obiect an- sehe, welches nach einer Regel im Zusammenhange der Wahrnehmungen iederzeit gefunden werden kan. Diese Regel aber, etwas der Zeitfolge nach zu bestimmen, ist: daß in dem, was vorhergeht, die Bedingung anzutreffen sey, unter welcher die Begebenheit iederzeit (d. i. noth- wendiger Weise) folgt. Also ist der Satz vom zureichen- den III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. den Grunde, der Grund moͤglicher Erfahrung, nemlich der obiectiven Erkentniß der Erscheinungen, in Ansehung des Verhaͤltnisses derselben, in Reihenfolge der Zeit. Der Beweisgrund dieses Satzes aber beruht lediglich auf folgenden Momenten. Zu aller empirischen Erkent- niß gehoͤrt die Synthesis des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft, die iederzeit successiv ist, d. i. die Vor- stellungen folgen in ihr iederzeit auf einander. Die Folge aber ist in der Einbildungskraft der Ordnung nach (was vorgehen und was folgen muͤsse) gar nicht bestimt, und die Reihe der einen der folgenden Vorstellungen kan eben sowol ruͤckwerts als vorwerts genommen werden. Ist aber diese Synthesis eine Synthesis der Apprehension (des Mannigfaltigen einer gegebenen Erscheinung), so ist die Ordnung im Obiect bestimt, oder, genauer zu reden, es ist darin eine Ordnung der successiven Synthesis, die ein Obiect bestimt, nach welcher etwas nothwendig vorausge- hen, und wenn dieses gesezt ist, das andre nothwendig fol- gen muͤsse. Soll also meine Wahrnehmung die Erkentniß einer Begebenheit enthalten, da nemlich etwas wirklich ge- schieht, so muß sie ein empirisch Urtheil seyn, in welchem man sich denkt, daß die Folge bestimt sey, d. i. daß sie eine andere Erscheinung der Zeit nach voraussetze, wor- auf sie nothwendig, oder nach einer Regel folgt. Widri- genfals, wenn ich das vorhergehende setze, und die Bege- benheit folgte nicht darauf nothwendig, so wuͤrde ich sie nur fuͤr ein subiectives Spiel meiner Einbildungen halten N 5 muͤs- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. muͤssen, und stellete ich mir darunter doch etwas obiectives vor, sie einen blossen Traum nennen. Also ist das Ver- haͤltniß der Erscheinungen, (als moͤglicher Wahrnehmun- gen) nach welchem das Nachfolgende (was geschieht) durch etwas vorhergehendes seinem Daseyn nach nothwendig, und nach einer Regel in der Zeit bestimt ist, mithin das Ver- haͤltniß der Ursache zur Wirkung die Bedingung der obiecti- ven Guͤltigkeit unserer empirischen Urtheile, in Ansehung der Reihe der Wahrnehmungen, mithin der empirischen Wahrheit derselben, und also der Erfahrung. Der Grund- satz des Caussalverhaͤltnisses in der Folge der Erscheinun- gen gilt daher auch vor allen Gegenstaͤnden der Erfahrung, (unter den Bedingungen der Succeßion) weil er selbst der Grund der Moͤglichkeit einer solchen Erfahrung ist. Hier aͤussert sich aber noch eine Bedenklichkeit, die gehoben werden muß. Der Satz der Caussalverknuͤpfung unter den Erscheinungen ist in unsrer Formel auf die Reihenfolge dersel- ben eingeschraͤnkt, da es sich doch bey dem Gebrauch desselben findet, daß er auch auf ihre Begleitung passe, und Ursache und Wirkung zugleich seyn koͤnne. Es ist z. B. Waͤrme im Zimmer, die nicht in freyer Luft angetroffen wird. Ich sehe mich nach der Ursache um, und finde einen ge- heizten Ofen. Nun ist dieser, als Ursache, mit seiner Wirkung, der Stubenwaͤrme, zugleich; also ist hier keine Reihenfolge, der Zeit nach, zwischen Ursache und Wirkung, sondern sie sind zugleich, und das Gesetz gilt doch. Der groͤßte III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. groͤßte Theil der wirkenden Ursache in der Ratur ist mit ihren Wirkungen zugleich, und die Zeitfolge der lezteren wird nur dadurch veranlaßt, daß die Ursache ihre ganze Wirkung nicht in einem Augenblick verrichten kan. Aber in dem Augenblicke, da sie zuerst entsteht, ist sie mit der Caus- salitaͤt ihrer Ursache iederzeit zugleich, weil, wenn iene einen Augenblick vorher aufgehoͤret haͤtte, zu seyn, diese gar nicht entstanden waͤre. Hier muß man wohl bemerken: daß es auf die Ordnung der Zeit, und nicht den Ablauf derselben angesehen sey: das Verhaͤltniß bleibt, wenn gleich keine Zeit verlaufen ist. Die Zeit zwischen der Caussalitaͤt der Ursache, und deren unmittelbaren Wirkung kan verschwindend, (sie also zugleich) seyn, aber das Verhaͤltniß der einen zur andern bleibt doch immer, der Zeit nach, bestimbar. Wenn ich eine Kugel, die auf ei- nem ausgestopften Kuͤssen liegt, und ein Gruͤbchen darin druͤckt, als Ursache betrachte, so ist sie mit der Wirkung zugleich. Allein ich unterscheide doch beide durch das Zeit- verhaͤltniß der dynamischen Verknuͤpfung beider. Denn wenn ich die Kugel auf das Kuͤssen lege; so folgt auf die vorige glatte Gestalt desselben das Gruͤbchen; hat aber das Kuͤssen (ich weiß nicht woher) ein Gruͤbchen, so folgt darauf nicht eine bleyerne Kugel. Demnach ist die Zeitfolge allerdings das einzige em- pirische Criterium der Wirkung, in Beziehung auf die Caussalitaͤt der Ursache, die vorhergeht. Das Glas ist die Elementarl. II. Th. Abth. II. Buch. II. Hauptst. die Ursache von dem Steigen des Wassers uͤber seine Hori- zontalflaͤche, obgleich beide Erscheinungen zugleich seyn. Denn so bald ich dieses aus einem groͤsseren Gefaͤß mit dem Glase schoͤpfe, so erfolgt etwas, nemlich die Veraͤnderung des Horizontalstandes, den es dort hatte, in einen conca- ven, den es im Glase annimt. Diese Caussalitaͤt fuͤhrt auf den Begriff der Hand- lung, diese auf den Begriff der Kraft, und dadurch auf den Begriff der Substanz. Da ich mein critisches Vorhaben, welches lediglich auf die Quellen der synthetischen Erkentniß a priori geht, nicht mit Zergliederungen bemengen will, die blos die Erlaͤuterung (nicht Erweiterung) der Begriffe angehen, so uͤberlasse ich die umstaͤndliche Eroͤrterung derselben einem kuͤnftigen System der reinen Vernunft: wie wol man eine solche Analysis im reichen Maasse, auch schon in den bisher bekanten Lehrbuͤchern dieser Art, an- trift. Allein das empirische Criterium einer Substanz, so fern sie sich nicht durch die Beharrlichkeit der Erscheinung, sondern besser und leichter durch Handlung zu offenbaren scheint, kan ich nicht unberuͤhrt lassen. Wo Handlung, mithin Thaͤtigkeit und Kraft ist, da ist auch Substanz, und in dieser allein muß der Sitz iener fruchtbaren Quelle der Erscheinungen gesucht werden. Das ist ganz gut gesagt: aber, wenn man sich daruͤber erklaͤ- ren soll, was man unter Substanz verstehe, und dabey den fehlerhaften Cirkel vermeiden will, so ist es nicht so leicht III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. leicht verantwortet. Wie will man aus der Handlung so gleich auf die Beharrlichkeit des Handelnden schliessen, welches doch ein so wesentliches und eigenthuͤmliches Kenn- zeichen der Substanz ( phœnomenon ) ist? Allein, nach unserm vorigen, hat die Aufloͤsung der Frage doch keine solche Schwierigkeit, ob sie gleich nach der gemeinen Art, (blos analytisch mit seinen Begriffen zu verfahren), ganz unaufloͤßlich seyn wuͤrde. Handlung bedeutet schon das Verhaͤltniß des Subiects der Caussalitaͤt zur Wirkung. Weil nun alle Wirkung in dem besteht, was da geschieht, mithin im Wandelbaren, was die Zeit der Succeßion nach bezeichnet; so ist das lezte Subiect desselben das Be- harrliche, als das Substratum alles Wechselnden, d. i. die Substanz. Denn nach dem Grundsatze der Caussalitaͤt sind Handlungen immer der erste Grund von allem Wechsel der Erscheinungen, und koͤnnen also nicht in einem Subiect liegen, was selbst wechselt, weil sonst andere Handlungen und ein anderes Subiect, welches diesen Wechsel bestimmete, erforderlich waͤren. Kraft dessen beweiset nun Handlung, als ein hinreichendes empirisches Criterium, die Substanzialitaͤt, ohne daß ich die Beharrlichkeit desselben durch verglichene Wahrnehmungen allererst zu suchen noͤthig haͤtte, welches auch auf diesem Wege mit der Ausfuͤhrlichkeit nicht geschehen koͤnte, die zu d er Groͤsse und strengen Allgemeinguͤltigkeit des Begriffs erforderlich ist. Denn daß das erste Subiect der Caussalitaͤt alles Entstehens und Vergehens selbst nicht (im Felde der Erscheinungen) entstehen und vergehen koͤnne, ist Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. ist ein sicherer Schluß, der auf empirische Nothwendigkeit und Beharrlichkeit im Daseyn, mithin auf den Begriff einer Substanz als Erscheinung, auslauft. Wenn etwas geschieht, so ist das blosse Entstehen, ohne Ruͤcksicht auf das, was da entsteht, schon an sich selbst ein Gegenstand der Untersuchung. Der Uebergang aus dem Nichtseyn eines Zustandes in diesen Zustand, gesezt, daß dieser auch keine Qualitaͤt in der Erscheinung enthielte, ist schon allein noͤthig zu untersuchen. Dieses Entstehen trift, wie in der Nummer A gezeigt worden, nicht die Substanz (denn die entsteht nicht), sondern ihren Zustand. Es ist also blos Veraͤnderung, und nicht Ursprung aus Nichts. Wenn dieser Ursprung als Wirkung von einer fremden Ursache angesehen wird, so heißt er Schoͤpfung, welche als Begebenheit unter den Erscheinungen nicht zu- gelassen werden kan, indem ihre Moͤglichkeit allein schon die Einheit der Erfahrung aufheben wuͤrde, obzwar, wenn ich alle Dinge nicht als Phoͤnomene, sondern als Dinge an sich betrachte, und als Gegenstaͤnde des blossen Verstandes, sie, obschon sie Substanzen sind, dennoch wie abhaͤngig ihrem Daseyn nach von fremder Ursache angesehen werden koͤnnen, welches aber alsdenn ganz andere Wortbedeutun- gen nach sich ziehen, und auf Erscheinungen, als moͤgli- che Gegenstaͤnde der Erfahrung, nicht passen wuͤrde. Wie nun uͤberhaupt etwas veraͤndert werden koͤnne, wie es moͤglich ist: daß auf einen Zustand in einem Zeit- puncte III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. puncte ein entgegengesezter im andern folgen koͤnne, davon haben wir a priori nicht den mindesten Begriff. Hierzu wird die Kentniß wirklicher Kraͤfte erfordert, welche nur empirisch gegeben werden kan, z. B. der bewegenden Kraͤfte, oder, welches einerley ist, gewisser succeßiven Erscheinun- gen, (als Bewegungen) welche solche Kraͤfte anzeigen. Aber die Form einer ieden Veraͤnderung, die Bedingung, unter welcher sie, als ein Entstehen eines andern Zustan- des, allein vorgehen kan, (der Inhalt derselben, d. i. der Zustand, der veraͤndert wird, mag seyn, welcher er wolle) mithin die Succeßion der Zustaͤnde selbst (das Ge- schehene) kan doch nach dem Gesetze der Caussalitaͤt und den Bedingungen der Zeit a priori erwogen werden. Man merke wol: daß ich nicht von der Veraͤnderung gewisser Relationen uͤberhaupt, sondern von Veraͤnderung des Zustandes rede. Daher, wenn ein Coͤrper sich gleich- foͤrmig bewegt, so veraͤndert er seinen Zustand (der Be- wegung) gar nicht, aber wol, wenn seine Bewegung zu- oder abnimt. Wenn eine Substanz aus einem Zustande a in einen andern b uͤbergeht, so ist der Zeitpunct des zweiten vom Zeitpuncte des ersteren Zustandes unterschieden, und folgt demselben. Eben so ist auch der zweite Zustand als Rea- litaͤt (in der Erscheinung) vom ersteren, darin diese nicht war, wie b vom Zero unterschieden, d. i. wenn der Zu- stand b sich auch von dem Zustande a nur der Groͤße nach unterschiede, so ist die Veraͤnderung ein Entstehen von b—a, Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. b—a , welches im vorigen Zustande nicht war, und in Ansehung dessen er = 0 ist. Es fraͤgt sich also: wie ein Ding aus einem Zustan- de = a in einen andern = b uͤbergehe. Zwischen zween Augenblicken ist immer eine Zeit, und zwischen zwey Zu- staͤnden in denselben immer ein Unterschied, der eine Groͤsse hat, (denn alle Theile der Erscheinungen sind immer wieder- um Groͤssen). Also geschieht ieder Uebergang aus einem Zustande in den andern in einer Zeit, die zwischen zween Augenblicken enthalten ist, deren der erste den Zustand bestimt, aus welchem das Ding herausgeht, der zweite den, in welchen es gelangt. Beide also sind Grenzen der Zeit einer Veraͤnderung, mithin des Zwischenzustan- des zwischen beiden Zustanden, und gehoͤren als solche mit zu der ganzen Veraͤnderung. Nun hat iede Veraͤnderung eine Ursache, welche in der ganzen Zeit, in welcher iene vorgeht, ihre Caussalitaͤt beweiset. Also bringt diese Ur- sache ihre Veraͤnderung nicht ploͤzlich (auf einmal oder in einem Augenblicke) hervor, sondern in einer Zeit, so, daß, wie die Zeit von Anfangsaugenblicke a bis zu ihrer Vollendung in b waͤchst, auch die Groͤsse der Realitaͤt ( b—a ) durch alle kleinere Grade, die zwischen dem ersten und lezten enthalten sind, erzeugt wird. Alle Veraͤnde- rung ist also nur durch eine continuirliche Handlung der Caussalitaͤt moͤglich, welche, so fern sie gleichfoͤrmig ist, ein Moment heißt. Aus diesen Momenten besteht nicht die III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. die Veraͤnderung, sondern wird dadurch erzeugt als ihre Wirkung. Das ist nun das Gesetz der Continuitaͤt aller Veraͤn- derung, dessen Grund dieser ist: daß weder die- Zeit, noch auch die Erscheinung in der Zeit, aus Theilen besteht, die die kleinesten sind, und daß doch der Zustand des Dinges bey seiner Veraͤnderung durch alle diese Theile, als Ele- mente, zu seinem zweiten Zustande uͤbergehe. Es ist kein Unterschied des Realen in der Erscheinung, so wie kein Unterschied in der Groͤsse der Zeiten, der kleineste, und so erwaͤchst der neue Zustand der Realitaͤt von dem ersten an, darin diese nicht war, durch alle unendliche Grade derselben, deren Unterschiede von einander insge- samt kleiner seyn, als der zwischen o und a . Welchen Nutzen dieser Satz in der Naturforschung haben moͤge, das geht uns hier nichts an. Aber, wie ein solcher Satz, der Zunsre Erkentniß der Natur so zu erweitern scheint, voͤllig a priori moͤglich sey, das erfor- dert gar sehr unsere Pruͤfung, wenn gleich der Augenschein beweiset, daß er wirklich und richtig sey, und man also der Frage, wie er moͤglich gewesen, uͤberhoben zu seyn glauben moͤchte. Denn es giebt so mancherley ungegruͤn- dete Anmaßungen der Erweiterung unserer Erkentniß durch reine Vernunft: daß es zum allgemeinen Grundsatz ange- nommen werden muß, deshalb durchaus mistrauisch zu seyn, und ohne Documente, die eine gruͤndliche Deduction O ver- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. verschaffen koͤnnen, selbst auf den klaͤresten dogmatischen Beweis nichts dergleichen zu glauben und anzunehmen. Aller Zuwachs des empirischen Erkentnisses, und ie- der Fortschritt der Wahrnehmung ist nichts, als eine Er- weiterung der Bestimmung des innern Sinnes, d. i. ein Fortgang in der Zeit, die Gegenstaͤnde moͤgen seyn, welche sie wollen, Erscheinungen, oder reine Anschauungen. Die- ser Fortgang in der Zeit bestimt alles, und ist an sich selbst durch nichts weiter bestimt, d. i. die Theile desselben sind nur in der Zeit, und durch die Synthesis derselben, sie aber nicht vor ihr gegeben: Um deswillen ist ein ieder Uebergang in der Wahrnehmung zu etwas, was in der Zeit folgt, eine Bestimmung der Zeit durch die Erzeugung dieser Wahrnehmung, und da iene, immer und in allen ihren Theilen, eine Groͤsse ist, die Erzeugung einer Wahr- nehmung als einer Groͤsse durch alle Grade, deren keiner der kleinste ist, von dem Zero an, bis zu ihrem bestimten Grad. Hieraus erhellet nun die Moͤglichkeit, ein Gesetz der Veraͤnderungen, ihrer Form nach, a priori zu erken- nen. Wir anticipiren nur unsere eigene Apprehension, deren formale Bedingung, da sie uns vor aller gegebenen Erscheinung selbst beywohnt, allerdings a priori muß er- kant werden koͤnnen. So ist demnach, eben so, wie die Zeit die sinnliche Bedingung a priori von der Moͤglichkeit eines continuirli- chen Fortganges des Existirenden zu dem folgenden enthaͤlt, der Verstand, vermittelst der Einheit der Apperception, die III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. die Bedingung a priori der Moͤglichkeit einer continuirli- chen Bestimmung aller Stellen vor die Erscheinungen in dieser Zeit, durch die Reihe von Ursachen und Wirkun- gen, deren die erstere der leztern ihr Daseyn unausbleiblich nach sich ziehen, und dadurch die empirische Erkentniß der Zeitverhaͤltnisse vor iede Zeit (allgemein) mithin obiectiv guͤltig machen. C. Dritte Analogie. Grundsatz der Gemeinschaft . Alle Substanzen, sofern sie zugleich seyn, stehen in durchgaͤngiger Gemeinschaft, (d. i. Wechselwirkung unter einander). Beweis. Dinge sind zugleich, so fern sie in einer und dersel- ben Zeit existiren. Woran erkent man aber: daß sie in einer und derselben Zeit sind? Wenn die Ordnung in der Synthesis der Apprehension dieses Mannigfaltigen, gleichguͤltig ist, d. i. von A , durch B , C , D auf E , oder auch umgekehrt von E zu A gehen kan. Denn, waͤre sie in der Zeit nach einander (in der Ordnung, die von A anhebt, und in E endigt) so ist es unmoͤglich, die Appre- hension in der Wahrnehmung von E anzuheben, und ruͤck- werts zu A fortzugehen, weil A zur vergangenen Zeit ge- hoͤrt, und also kein Gegenstand der Apprehension mehr seyn kan. O 2 Neh- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Nehmet nun an: in einer Mannigfaltigkeit von Substanzen als Erscheinungen waͤre iede derselben voͤllig isolirt, d. i. keine wirkte in die andere, und empfaͤnge von dieser wechselseitig Einfluͤsse, so sage ich: daß das Zugleichseyn derselben kein Gegenstand einer moͤglichen Wahrnehmung seyn wuͤrde, und daß das Daseyn der ei- nen, durch keinen Weg der empirischen Synthesis, auf das Daseyn der andern fuͤhren koͤnte. Denn, wenn ihr euch gedenkt, sie waͤren durch einen voͤllig leeren Raum ge- trent, so wuͤrde die Wahrnehmung, die von der einen zur andern in der Zeit fortgeht, zwar dieser ihr Daseyn, vermittelst einer folgenden Wahrnehmung bestimmen, aber nicht unterscheiden koͤnnen, ob die Erscheinung obiectiv auf die erstere folge, oder mit iener vielmehr zugleich sey. Es muß also noch ausser dem blossen Daseyn et- was seyn, wodurch A dem B seine Stelle in der Zeit bestimt, und umgekehrt auch wiederum B dem A , weil nur unter dieser Bedingung gedachte Substanzen, als zu- gleich existirend, empirisch, vorgestellt werden koͤnnen. Nun bestimt nur dasienige dem andern seine Stelle in der Zeit, was die Ursache von ihm, oder seinen Bestimmun- gen ist. Also muß iede Substanz, (da sie nur in Anse- hung ihrer Bestimmungen Folge seyn kan) die Caussalitaͤt gewisser Bestimmungen in der andern, und zugleich die Wirkungen von der Caussalitaͤt der andern in sich enthal- ten, d. i. sie muͤssen in dynamischer Gemeinschaft (unmit- telbar III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. telbar oder mittelbar) stehen, wenn das Zugleichseyn in irgend einer moͤglichen Erfahrung erkant werden soll. Nun ist aber alles dasienige, in Ansehung der Gegenstaͤnde der Erfahrung nothwendig, ohne welches die Erfahrung von diesen Gegenstaͤnden selbst unmoͤglich seyn wuͤrde. Also ist es allen Substanzen in der Erscheinung, sofern sie zu- gleich seyn, nothwendig in durchgaͤngiger Gemeinschaft der Wechselwirkung unter einander zu stehen. Das Wort Gemeinschaft ist in unserer Sprache zwei- deutig, und kan so viel, als communio, aber auch als commercium bedeuten. Wir bedienen uns hier desselben im leztern Sinn, als einer dynamischen Gemeinschaft, oh- ne welche selbst die locale ( communio spatii ) niemals empirisch erkant werden koͤnte. Unseren Erfahrungen ist es leicht anzumerken, daß nur die continuirlichen Einfluͤsse in allen Stellen des Raumes unsern Sinn von einem Ge- genstande zum andern leiten koͤnnen, daß das Licht, wel- ches zwischen unserm Auge, und den Weltkoͤrpern spielt, eine mittelbare Gemeinschaft zwischen uns und diesen be- wirken, und dadurch das Zugleichseyn der lezteren bewei- sen, daß wir keinen Ort empirisch veraͤndern (diese Ver- aͤnderung wahrnehmen) koͤnnen, ohne daß uns allerwerts Materie die Wahrnehmung unserer Stelle moͤglich mache, und diese nur vermittelst ihres wechselseitigen Einflusses ihr Zugleichseyn, und dadurch, bis zu den entlegensten Gegen- staͤnden, die Coexistenz derselben (obzwar nur mittelbar) darthun kan. Ohne Gemeinschaft ist iede Wahrnehmung O 3 (der Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. (der Erscheinung im Raume) von der andern abgebrochen, und die Kette empirischer Vorstellungen, d. i. Erfahrung, wuͤrde bey einem neuen Obiect ganz von vorne anfangen, ohne daß die vorige damit im geringsten zusammenhaͤngen, oder im Zeitverhaͤltnisse stehen koͤnte. Den leeren Raum will ich hiedurch gar nicht widerlegen: denn der mag im- mer seyn, wohin Wahrnehmungen gar nicht reichen, und also keine empirische Erkentniß des Zugleichseyns statt fin- det; er ist aber alsdann vor alle unsere moͤgliche Erfah- rung gar kein Obiect. Zur Erlaͤuterung kan folgendes dienen. In unserm Gemuͤthe muͤssen alle Erscheinungen, als in einer moͤglichen Erfahrung enthalten, in Gemeinschaft ( communio ) der Apperception stehen, und so fern die Gegenstaͤnde als zu- gleichexistirend verknuͤpft vorgestellt werden sollen, so muͤs- sen sie ihre Stelle in einer Zeit wechselseitig bestimmen, und dadurch ein Ganzes ausmachen. Soll diese subiective Gemeinschaft auf einem obiectiven Grunde beruhen, oder auf Erscheinungen, als Substanzen bezogen werden, so muß die Wahrnehmung der einen, als Grund, die Wahr- nehmung der andern, und so umgekehrt, moͤglich machen, damit die Succeßion, die iederzeit in den Wahrnehmun- gen, als Apprehensionen ist, nicht den Obiecten beyge- legt werde, sondern diese, als zugleichexistirend vorgestellt werden koͤnnen. Dieses ist aber ein wechselseitiger Einfluß, d. i. eine reale Gemeinschaft ( commercium ) der Sub- stanzen, ohne welche also das empirische Verhaͤltniß des Zu- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Zugleichseyns nicht in der Erfahrung statt finden koͤnte. Durch dieses Commercium machen die Erscheinungen, so fern sie ausser einander, und doch in Verknuͤpfung stehen, ein zusammengeseztes aus (compositum reale) und der- gleichen Composita werden auf mancherley Art moͤglich. Die drey dynamische Verhaͤltnisse, daraus alle uͤbrige ent- springen, sind daher das der Inhaͤrenz, der Consequenz und der Composition. Dies sind denn also die drey Analogien der Erfah- rung. Sie sind nichts anders, als Grundsaͤtze der Bestim- mung des Daseyns der Erscheinungen in der Zeit, nach allen drey modis derselben, dem Verhaͤltnisse zu der Zeit selbst, als einer Groͤsse (die Groͤsse des Daseyns, d. i. die Dauer), dem Verhaͤltnisse in der Zeit, als einer Reihe (nach einander), endlich auch in ihr, als einem Inbegriff alles Daseyns, (zugleich). Diese Einheit der Zeitbestim- mung ist durch und durch dynamisch, d. i. die Zeit wird nicht als dasienige angesehen, worin die Erfahrung un- mittelbar iedem Daseyn seine Stelle bestimte, welches un- moͤglich ist, weil die absolute Zeit kein Gegenstand der Wahrnehmung ist, womit Erscheinungen koͤnten zusam- mengehalten werden; sondern die Regel des Verstandes, durch welche allein das Daseyn der Erscheinungen synthe- tische Einheit nach Zeitverhaͤltnissen bekommen kan, be- stimt ieder derselben ihre Stelle in der Zeit, mithin a priori, und guͤltig vor alle und iede Zeit. O 4 Unter Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Unter Natur (im empirischen Verstande) verstehen wir den Zusammenhang der Erscheinungen ihrem Daseyn nach, nach nothwendigen Regeln, d. i. nach Gesetzen. Es sind also gewisse Gesetze, und zwar a priori, welche aller- erst eine Natur moͤglich machen; die empirische koͤnnen nur vermittelst der Erfahrung, und zwar zufolge iener ur- spruͤnglichen Gesetze, nach welchen selbst Erfahrung aller- erst moͤglich wird, statt finden, und gefunden werden. Unsere Analogien stellen also eigentlich die Natureinheit im Zusammenhange aller Erscheinungen unter gewissen Expo- nenten dar, welche nichts anders ausdruͤcken, als das Ver- haͤltniß der Zeit (so fern sie alles Daseyn in sich begreift) zur Einheit der Apperception, die nur in der Synthesis nach Regeln statt finden kan. Zusammen sagen sie also: alle Erscheinungen liegen in einer Natur, und muͤssen dar- in liegen, weil ohne diese Einheit a priori keine Einheit der Erfahrung, mithin auch keine Bestimmung der Ge- genstaͤnde in derselben moͤglich waͤre. Ueber die Beweisart aber, deren wir uns bey diesen transscendentalen Naturgesetzen bedient haben, und die Eigenthuͤmlichkeit derselben, ist eine Anmerkung zu machen, die zugleich als Vorschrift vor ieden andern Versuch, in- tellectuelle und zugleich synthetische Saͤtze a priori zu bewei- sen, sehr wichtig seyn muß. Haͤtten wir diese Analogien dogmatisch, d. i. aus Begriffen, beweisen wollen: daß nemlich alles, was existirt, nur in dem angetroffen werde, was beharrlich ist, daß iede Begebenheit etwas im vorigen Zu- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Zustande voraussetze, worauf es nach einer Regel folgt, endlich, in dem Mannigfaltigen, das zugleich ist, die Zu- staͤnde in Beziehung auf einander nach einer Regel zugleich seyn, (in Gemeinschaft stehen) so waͤre alle Bemuͤhung gaͤnzlich vergeblich gewesen. Denn man kan von einem Gegenstande und dessen Daseyn auf das Daseyn des an- dern, oder seine Art zu existiren, durch blosse Begriffe die- ser Dinge gar nicht kommen, man mag dieselbe zergliedern wie man wolle. Was blieb uns nun uͤbrig? Die Moͤg- lichkeit der Erfahrung, als einer Erkentniß, darin uns alle Gegenstaͤnde zuletzt muͤssen gegeben werden koͤnnen, wenn ihre Vorstellung vor uns obiective Realitaͤt haben soll. In diesem Dritten nun, dessen wesentliche Form in der synthetischen Einheit der Apperception aller Erscheinun- gen besteht, fanden wir Bedingungen a priori der durch- gaͤngigen und nothwendigen Zeitbestimmung alles Daseyns in der Erscheinung, ohne welche selbst die empirische Zeit- bestimmung unmoͤglich seyn wuͤrde, und fanden Regeln der synthetischen Einheit a priori, vermittelst deren wir die Erfahrung anticipiren konten. In Ermangelung die- ser Methode, und bey dem Wahne, synthetische Saͤtze, welche der Erfahrungsgebrauch des Verstandes, als seine Principien empfiehlt, dogmatisch beweisen zu wollen, ist es denn geschehen, daß von dem Satze des zureichenden Grundes so oft, aber immer vergeblich, ein Beweis ist versucht worden. An die beide uͤbrige Analogien hat niemand gedacht; ob man sich ihrer gleich immer still- O 5 schwei- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Haupst. schweigend bediente Die Einheit des Weltganzen, in welchem alle Erschei- nungen verknuͤpft seyn sollen, ist offenbar eine blosse Fol- gerung des in geheim angenommenen Grundsatzes der Gemeinschaft aller Substanzen, die zugleich seyn: denn, waͤren sie isolirt, so wuͤrden sie nicht als Theile ein Gan- zes ausmachen, und waͤre ihre Verknuͤpfung (Wechselwir- kung des Mannigfaltigen) nicht schon um des Zugleich- seyns willen nothwendig, so koͤnte man aus diesem, als einem blos idealen Verhaͤltniß, auf iene, als ein reales, nicht schliessen. Wiewol wir an seinem Ort gezeigt ha- ben: daß die Gemeinschaft eigentlich der Grund der Moͤg- lichkeit einer empirischen Erkentniß, der Coexistenz sey, und daß man also eigentlich nur aus dieser auf iene, als ihre Bedingung, zuruͤck schliesse. , weil der Leitfaden der Categorien fehlte, der allein iede Luͤcke des Verstandes, sowol in Be- griffen, als Grundsaͤtzen, entdecken, und merklich machen kan. 4. Die Postulate des empirischen Denkens uͤberhaupt. 1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfah- rung (der Anschauung und den Begriffen nach) uͤberein- komt, ist moͤglich. 2. Was mit den materialen Bedingungen der Er- fahrung (der Empfindung) zusammenhaͤngt, ist wirklich. 3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimt ist, ist (existirt) nothwendig. Erlaͤu- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Erlaͤuterung . Die Categorien der Modalitaͤt haben das besondere an sich: daß sie den Begriff, dem sie als Praͤdicate beyge- fuͤget werden, als Bestimmung des Obiects nicht im min- desten vermehren, sondern nur das Verhaͤltniß zum Erkent- nißvermoͤgen ausdruͤcken. Wenn der Begriff eines Dinges schon ganz vollstaͤndig ist, so kan ich doch noch von die- sem Gegenstande fragen, ob er blos moͤglich, oder auch wirklich, oder, wenn er das leztere ist, ob er gar auch nothwendig sey? Hiedurch werden keine Bestimmungen mehr im Obiecte selbst gedacht, sondern es fraͤgt sich nur, wie es sich, (samt allen seinen Bestimmungen) zum Ver- stande und dessen empirischen Gebrauche, zur empirischen Urtheilskraft, und zur Vernunft (in ihrer Anwendung auf Erfahrung) verhalte? Eben um deswillen sind auch die Grundsaͤtze der Mo- dalitaͤt nichts weiter, als Erklaͤrungen der Begriffe der Moͤglichkeit, Wirklichkeit und Nothwendigkeit in ihrem empirischen Gebrauche, und hiemit zugleich Restrictionen aller Categorien auf den blos empirischen Gebrauch, oh- ne den transscendentalen zuzulassen und zu erlauben. Denn, wenn diese nicht eine blos logische Bedeutung haben, und die Form des Denkens analytisch ausdruͤcken sollen, son- dern Dinge und deren Moͤglichkeit, Wirklichkeit oder Nothwendigkeit betreffen sollen, so muͤssen sie auf die moͤg- liche Erfahrung und deren synthetische Einheit gehen, in welcher allein Gegenstaͤnde der Erkentniß gegeben werden. Das Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Das Postulat der Moͤglichkeit der Dinge fordert also, daß der Begriff derselben mit den formalen Bedin- gungen einer Erfahrung uͤberhaupt zusammenstimme. Die- se, nemlich die obiective Form der Erfahrung uͤberhaupt, enthaͤlt aber alle Synthesis, welche zur Erkentniß der Obiecte erfordert wird. Ein Begriff, der eine Synthe- sis in sich faßt, ist vor leer zu halten, und bezieht sich auf keinen Gegenstand, wenn diese Synthesis nicht zur Erfahrung gehoͤrt, entweder, als von ihr erborgt, und denn heißt er ein empirischer Begriff, oder als eine solche, auf der, als Bedingung a priori, Erfahrung uͤberhaupt, (die Form derselben) beruht, und denn ist es ein reiner Begriff, der dennoch zur Erfahrung gehoͤrt, weil sein Obiect nur in dieser angetroffen werden kan. Denn wo will man den Character der Moͤglichkeit eines Gegenstan- des, der durch einen synthetischen Begriff a priori gedacht worden, hernehmen, wenn es nicht von der Synthesis geschieht, welche die Form der empirischen Erkentniß der Obiecte ausmacht. Daß in einem solchen Begriffe kein Widerspruch enthalten seyn muͤsse, ist zwar eine nothwen- dige logische Bedingung; aber zur obiectiven Realitaͤt des Begriffs, d. i. der Moͤglichkeit eines solchen Gegenstandes, als durch den Begriff gedacht wird, bey weitem nicht ge- nug. So ist in dem Begriffe einer Figur, die in zwey geraden Linien eingeschlossen ist, kein Widerspruch, denn die Begriffe von zwey geraden Linien und deren Zusam- menstossung, enthalten keine Verneinung einer Figur; son- dern III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. dern die Unmoͤglichkeit beruht nicht auf dem Begriffe an sich, selbst, sondern der Construction desselben im Raume, d. i. den Bedingungen des Raumes und der Bestimmung desselben, diese haben aber wiederum ihre obiective Realitaͤt, d. i. sie gehen auf moͤgliche Dinge, weil sie die Form der Erfahrung uͤberhaupt a priori in sich enthalten. Und nun wollen wir den ausgebreiteten Nutzen und Einfluß dieses Postulats der Moͤglichkeit vor Augen legen. Wenn ich mir ein Ding vorstelle, das beharrlich ist, so, daß alles, was da wechselt, blos zu seinem Zustande gehoͤrt, so kan ich niemals aus einem solchen Begriffe allein erken- nen: daß ein dergleichen Ding moͤglich sey. Oder, ich stelle mir etwas vor, welches so beschaffen seyn soll, daß, wenn es gesezt wird, iederzeit und unausbleiblich etwas Anderes darauf erfolgt, so mag dieses allerdings ohne Wi- derspruch so gedacht werden koͤnnen; ob aber dergleichen Eigenschaft (als Caussalitaͤt) an irgend einem moͤglichen Dinge angetroffen werde, kan dadurch nicht geurtheilt werden. Endlich kan ich mir verschiedene Dinge (Sub- stanzen) vorstellen, die so beschaffen sind, daß der Zustand des einen eine Folge im Zustande des andern nach sich zieht, und so wechselsweise, aber, ob dergleichen Verhaͤlt- niß irgend Dingen zukommen koͤnne, kan aus diesen Be- griffen, welche eine blos willkuͤhrliche Synthesis enthalten, gar nicht abgenommen werden. Nur daran also, daß die- se Begriffe die Verhaͤltnisse der Wahrnehmungen in ieder Erfahrung a priori ausdruͤcken, erkent man ihre obiective Reali- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Realitaͤt, d. i. ihre transscendentale Wahrheit, und zwar freilich unabhaͤngig von der Erfahrung, aber doch nicht unabhaͤngig von aller Beziehung auf die Form einer Erfah- rung uͤberhaupt, und die synthetische Einheit, in der allein Gegenstaͤnde empirisch koͤnnen erkant werden. Wenn man sich aber gar neue Begriffe von Substanzen, von Kraͤften, von Wechselwirkungen, aus dem Stoffe, den uns die Wahrnehmung darbietet, machen wollte, ohne von der Erfahrung selbst das Beyspiel ihrer Verknuͤpfung zu entlehnen; so wuͤrde man in lauter Hirngespinste gera- then, deren Moͤglichkeit ganz und gar kein Kennzeichen vor sich hat, weil man bey ihnen nicht Erfahrung zur Lehrerin an- nimt, noch diese Begriffe von ihr entlehnt. Dergleichen gedich- tete Begriffe koͤnnen den Character ihrer Moͤglichkeit nicht so, wie die Categorien, a priori, als Bedingungen, von denen alle Erfahrung abhaͤngt, sondern nur a posteriori, als solche, die durch die Erfahrung selbst gegeben werden, bekommen, und ihre Moͤglichkeit muß entweder a poste- riori und empirisch, oder sie kan gar nicht erkant werden. Eine Substanz, welche beharrlich im Raume gegenwaͤrtig waͤre, doch ohne ihn zu erfuͤllen, (wie dasienige Mittel- ding zwischen Materie und denkenden Wesen, welches ei- nige haben einfuͤhren wollen) oder eine besondere Grund- kraft unseres Gemuͤths, das Kuͤnftige zum voraus anzu- schauen (nicht etwa blos zu folgern), oder endlich ein Ver- moͤgen desselben, mit andern Menschen in Gemeinschaft der Gedanken zu stehen (so entfernt sie auch seyn moͤgen), das III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. das sind Begriffe, deren Moͤglichkeit ganz grundlos ist, weil sie nicht auf Erfahrung und deren bekante Gesetze ge- gruͤndet werden kan, und ohne sie eine willkuͤhrliche Ge- dankenverbindung ist die, ob sie zwar keinen Widerspruch enthaͤlt, doch keinen Anspruch auf obiective Realitaͤt, mit- hin auf die Moͤglichkeit eines solchen Gegenstandes, als man sich hier denken will, machen kan. Was Realitaͤt betrift, so verbietet es sich wol von selbst, sich eine solche in concreto zu denken, ohne die Erfahrung zu Huͤlfe zu nehmen; weil sie nur auf Empfindung, als Materie der Erfahrung, gehen kan, und nicht die Form des Verhaͤlt- nisses betrift, mit der man allenfals in Erdichtungen spie- len koͤnte. Aber ich lasse alles vorbey, dessen Moͤglichkeit nur aus der Wirklichkeit in der Erfahrung kan abgenommen werden, und erwege hier nur die Moͤglichkeit der Dinge durch Begriffe a priori, von denen ich fortfahre zu be- haupten: daß sie niemals aus solchen Begriffen vor sich allein, sondern iederzeit nur als formale und obiective Be- dingungen einer Erfahrung uͤberhaupt statt finden koͤnnen. Es hat zwar den Anschein, als wenn die Moͤglich- keit eines Triangels aus seinem Begriffe an sich selbst koͤn- ne erkant werden (von der Erfahrung ist er gewiß unab- haͤngig); denn in der That koͤnnen wir ihm gaͤnzlich a priori einen Gegenstand geben, d. i. ihn construiren. Weil dieses aber nur die Form von einem Gegenstande ist, so wuͤrde er doch immer nur ein Product der Einbildung blei- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. bleiben, von dessen Gegenstand die Moͤglichkeit noch zweifel- haft bliebe, als wozu noch etwas mehr erfordert wird, nem- lich daß eine solche Figur unter lauter Bedingungen, auf denen alle Gegenstaͤnde der Erfahrung beruhen, gedacht sey. Daß nun der Raum eine formale Bedingung a prio- ri von aͤusseren Erfahrungen ist, daß eben dieselbe bilden- de Synthesis, wodurch wir in der Einbildungskraft einen Triangel construiren, mit derienigen gaͤnzlich einerley sey, welche wir in der Apprehension einer Erscheinung ausuͤben, um uns davon einen Erfahrungsbegriff zu machen, das ist es allein, was mit diesem Begriffe die Vorstellung von der Moͤglichkeit eines solchen Dinges verknuͤpft. Und so ist die Moͤglichkeit continuirlicher Groͤssen, ia so gar der Groͤssen uͤberhaupt, weil die Begriffe davon insgesamt synthetisch sind, niemals aus den Begriffen selbst, sondern aus ihnen, als formalen Bedingungen, der Bestimmung der Gegenstaͤnde in der Erfahrung uͤberhaupt allererst klar, und wo sollte man auch Gegenstaͤnde suchen wollen, die den Begriffen correspondirten, waͤre es nicht in der Erfahrung, durch die uns allein Gegenstaͤnde gegeben werden, wie wol wir, ohne eben Erfahrung selbst voran zuschicken, blos in Be- ziehung auf die formale Bedingungen, unter welchen in ihr uͤberhaupt etwas als Gegenstand bestimt wird, mithin voͤllig a priori, aber doch nur in Beziehung auf sie, und innerhalb ihren Grenzen, die Moͤglichkeit der Dinge er- kennen und characterisiren koͤnnen. Das III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erken- nen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung, de- ren man sich bewust ist, zwar nicht eben unmittelbar, von dem Gegenstande selbst, dessen Daseyn erkant werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgend einer wirk- lichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknuͤpfung in einer Erfahrung uͤber- haupt darlegen. In dem blossen Begriffe eines Dinges kan gar kein Character seines Daseyns angetroffen werden. Denn ob derselbe gleich noch so vollstaͤndig sey, daß nicht das min- deste ermangele, um ein Ding mit allen seinen innern Be- stimmungen zu denken, so hat das Daseyn mit allem die- sen doch gar nichts zu thun, sondern nur mit der Frage: ob ein solches Ding uns gegeben sey, so, daß die Wahr- nehmung desselben vor dem Begriffe allenfals vorhergehen koͤnne. Denn, daß der Begriff vor der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet dessen blosse Moͤglichkeit, die Wahr- nehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergiebt, ist der einzige Character der Wirklichkeit. Man kan aber auch vor der Wahrnehmung des Dinges, und also com- parative a priori das Daseyn desselben erkennen, wenn es nur mit einigen Wahrnehmungen, nach den Grundsaͤtzen der empirischen Verknuͤpfung derselben (den Analogien) zusammenhaͤngt. Denn alsdenn haͤngt doch das Daseyn des Dinges mit unsern Wahrnehmungen in einer moͤglichen P Erfah- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Erfahrung zusammen, und wir koͤnnen nach dem Leitfaden iener Analogien, von unserer wirklichen Wahrnehmung zu dem Dinge in der Reihe moͤglicher Wahrnehmungen gelangen. So erkennen wir das Daseyn einer alle Coͤrper durchdringenden magnetischen Materie aus der Wahrneh- mung des gezogenen Eisenfeiligs, obzwar eine unmittelba- re Wahrnehmung dieses Stoffs uns nach der Beschaffen- heit unserer Organen unmoͤglich ist. Denn uͤberhaupt wuͤrden wir, nach Gesetzen der Sinnlichkeit und dem Con- text unserer Wahrnehmungen, in einer Erfahrung auch auf die unmittelbare empirische Anschauung derselben stossen, wenn unsere Sinnen feiner waͤren, deren Grobheit die Form moͤglicher Erfahrung uͤberhaupt nichts angeht. Wo also Wahrnehmung und deren Anhang nach empirischen Gesetzen hinreicht, dahin reicht auch unsere Erkentniß vom Daseyn der Dinge. Fangen wir nicht von Erfahrung an, oder gehen wir nicht nach Gesetzen des empirischen Zusammenhanges der Erscheinungen fort, so machen wir uns vergeblich Staat, das Daseyn irgend eines Dinges errathen oder erforschen zu wollen. Was endlich das dritte Postulat betrift, so geht es auf die materiale Nothwendigkeit im Daseyn, und nicht die blos formale und logische in Verknuͤpfung der Begriffe. Da nun keine Existenz der Gegenstaͤnde der Sinne voͤllig a priori erkant werden kan, aber doch compara- tive a priori relativisch auf ein anderes schon gegebenes Da- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Daseyn, gleichwol aber auch alsdenn nur auf dieienige Existenz kommen kan, die irgendwo in dem Zusammen- hange der Erfahrung, davon die gegebene Wahrnehmung ein Theil ist, enthalten seyn muß: so kan die Nothwen- digkeit der Existenz, niemals aus Begriffen, sondern ie- derzeit nur aus der Verknuͤpfung mit demienigen, was wahrgenommen wird, nach allgemeinen Gesetzen der Er- fahrung erkant werden koͤnnen. Da ist nun kein Daseyn, was unter der Bedingung anderer gegebener Erscheinungen, als nothwendig erkant werden koͤnte, als das Daseyn der Wirkungen aus gegebenen Ursachen nach Gesetzen der Caus- salitaͤt. Also ist es nicht das Daseyn der Dinge, (Sub- stanzen) sondern ihres Zustandes, wovon wir allein die Nothwendigkeit erkennen koͤnnen, und zwar aus anderen Zustaͤnden, die in der Wahrnehmung gegeben sind, nach empirischen Gesetzen der Caussalitaͤt. Hieraus folgt: daß das Criterium der Nothwendigkeit lediglich in dem Ge- setze der moͤglichen Erfahrung liege: daß alles, was ge- schieht, durch ihre Ursache in der Erscheinung a priori bestimt sey. Daher erkennen wir nur die Nothwendigkeit der Wirkungen in der Natur, deren Ursachen uns gege- ben sind, und das Merkmal der Nothwendigkeit im Da- seyn reicht nicht weiter, als das Feld moͤglicher Erfahrung, und selbst in diesem gilt es nicht von der Existenz der Din- ge, als Substanzen, weil diese niemals, als empirische Wirkungen, oder etwas, das geschieht, und entsteht, koͤnnen angesehen werden. Die Nothwendigkeit betrift P 2 also Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. also nur die Verhaͤltnisse der Erscheinungen nach dem dy- namischen Gesetze der Caussalitaͤt, und die darauf sich gruͤn- dende Moͤglichkeit, aus irgend einem gegebenen Daseyn (einer Ursache) a priori auf ein anderes Daseyn (der Wirkung) zu schliessen. Alles, was geschieht, ist hypo- thetisch nothwendig, das ist ein Grundsatz, welcher die Veraͤnderung in der Welt einem Gesetze unterwirft, d. i. einer Regel des nothwendigen Daseyns, ohne welche gar nicht einmal Natur statt finden wuͤrde. Daher ist der Satz: nichts geschieht durch ein blindes Ohngefaͤhr, ( in mundo non datur casus ) ein Naturgesetz a priori, im- gleichen keine Nothwendigkeit in der Natur ist blinde, son- dern bedingte, mithin verstaͤndliche Nothwendigkeit ( non datur fatum ), beide sind solche Gesetze, durch welche das Spiel der Veraͤnderungen einer Natur der Dinge (als Erscheinungen) unterworfen wird, oder, welches einerley ist, der Einheit des Verstandes, in welchem sie allein zu einer Erfahrung, als der synthetischen Einheit der Er- scheinungen, gehoͤren koͤnnen. Diese beide Grundsaͤtze ge- hoͤren zu den dynamischen. Der erstere ist eigentlich eine Folge des Grundsatzes von der Caussalitaͤt (unter den Ana- logien der Erfahrung). Der zweite gehoͤrt zu den Grund- saͤtzen der Modalitaͤt, welche zu der Caussalbestimmung noch den Begriff der Nothwendigkeit, die aber unter einer Regel des Verstandes steht, hinzu thut. Das Princip der Continuitaͤt verbot in der Reihe der Erscheinungen (Veraͤnderungen) allen Absprung; ( in mundo non datur saltus III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. saltus ) aber auch in dem Inbegriff aller empirischen An- schauungen im Raume alle Luͤcke oder Kluft zwischen zwey Erscheinungen ( non datur hiatus ); denn so kan man den Satz ausdruͤcken: daß in die Erfahrung nichts hinein kommen kan, was ein vacuum bewiese, oder auch nur als einen Theil der empirischen Synthesis zuliesse. Denn was das leere betrift, welches man sich ausserhalb dem Felde moͤglicher Erfahrung (der Welt) denken mag, so gehoͤrt dieses nicht vor die Gerichtsbarkeit des blossen Ver- standes, welcher nur uͤber die Fragen entscheidet, die die Nutzung gegebener Erscheinungen zur empirischen Erkent- niß betreffen, und ist eine Aufgabe vor die idealische Ver- nunft, die noch uͤber die Spaͤhre einer moͤglichen Erfah- rung hinausgeht, und von dem urtheilen will, was diese selbst umgiebt und begraͤnzet, muß daher in der transscen- dentalen Dialectik erwogen werden. Diese vier Saͤtze ( in mundo non datur hiatus, non datur saltus, non datur casus, non datur fatum, ) koͤnten wir leicht, so wie alle Grundsaͤtze transscendentalen Ursprungs, nach ihrer Ordnung, gemaͤß der Ordnung der Categorien vorstellig machen, und iedem seine Stelle beweisen, allein der schon geuͤbte Leser wird dieses von selbst thun, oder den Leitfaden dazu leicht entdecken. Sie vereinigen sich aber alle ledig- lich dahin, um in der empirischen Synthesis nichts zuzu- lassen, was dem Verstande und dem continuirlichen Zu- sammenhange aller Erscheinungen, d. i. der Einheit seiner Begriffe, Abbruch oder Eintrag thun koͤnte. Denn er ist P 3 es Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. es allein, worin die Einheit der Erfahrung, in der alle Wahrnehmungen ihre Stelle haben muͤssen, moͤglich wird. Ob das Feld der Moͤglichkeit groͤsser sey, als das Feld, was alles Wirkliche enthaͤlt, dieses aber wiederum groͤsser, als die Menge desienigen, was nothwendig ist, das sind artige Fragen, und zwar von synthetischer Aufloͤsung, die aber auch nur der Gerichtsbarkeit der Vernunft anheim fallen; denn sie wollen ungefehr so viel sagen, als, ob alle Dinge, als Erscheinungen, insgesamt in den Inbegriff und den Context einer einzigen Erfahrung gehoͤren, von der iede gegebene Wahrnehmung ein Theil ist, der also mit keinen andern Erscheinungen koͤnne ver- bunden werden, oder ob meine Wahrnehmungen zu mehr wie einer moͤglichen Erfahrung (in ihrem allgemeinen Zu- sammenhange) gehoͤren koͤnnen. Der Verstand giebt a priori der Erfahrung uͤberhaupt nur die Regel, nach den subiectiven und formalen Bedingungen, so wol der Sinnlichkeit als der Apperception, welche sie allein moͤg- lich machen, Andere Formen der Anschauung, (als Raum und Zeit), imgleichen andere Formen des Verstandes (als die discursive des Denkens, oder der Erkentniß durch Be- griffe,) ob sie gleich moͤglich waͤren, koͤnnen wir uns doch auf keinerley Weise erdenken und faßlich machen, aber, wenn wir es auch koͤnten, so wuͤrden sie doch nicht zur Erfahrung, als dem einzigen Erkentniß gehoͤren, worin uns Gegenstaͤnde gegeben werden. Ob andere Wahrneh- mun- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. mungen, als uͤberhaupt, zu unserer gesamten moͤglichen Er- fahrung gehoͤren, und also ein ganz anderes Feld der Ma- terie noch statt finden koͤnne, kan der Verstand nicht ent- scheiden, er hat es nur mit der Synthesis dessen zu thun, was gegeben ist. Sonst ist die Armseligkeit unserer ge- woͤhnlichen Schluͤsse, wodurch wir ein grosses Reich der Moͤglichkeit heraus bringen, davon alles Wirkliche (aller Gegenstand der Erfahrung) nur ein kleiner Theil sey, sehr in die Augen fallend. Alles wirkliche ist moͤglich; hieraus folgt natuͤrlicher Weise, nach den logischen Regeln der Umkehrung, der blos particulare Satz: einiges Moͤg- liche ist wirklich, welches denn so viel zu bedeuten scheint, als: es ist vieles moͤglich, was nicht wirklich ist. Zwar hat es den Anschein, als koͤnne man auch gerade zu die Zahl des Moͤglichen uͤber die des Wirklichen dadurch hin- aussetzen, weil zu iener noch etwas hinzukommen muß, um diese auszumachen. Allein dieses Hinzukommen zum Moͤglichen kenne ich nicht. Denn was uͤber dasselbe noch zugesezt werden sollte, waͤre unmoͤglich. Es kan nur zu meinem Verstande etwas uͤber die Zusammenstimmung mit den formalen Bedingungen der Erfahrung, nemlich, die Verknuͤpfung mit irgend einer Wahrnehmung hinzukommen; was aber mit dieser nach empirischen Gesetzen verknuͤpft ist, ist wirklich, ob es gleich unmittelbar nicht wahrge- nommen wird. Daß aber im durchgaͤngigen Zusammen- hange mit dem, was mir in der Wahrnehmung gegeben ist, eine andere Reihe von Erscheinungen, mithin mehr P 4 wie Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. wie eine einzige alles befassende Erfahrung moͤglich sey, laͤßt sich aus dem, was gegeben ist, nicht schliessen, und, ohne daß irgend etwas gegeben ist, noch viel weniger; weil ohne Stoff sich uͤberall nichts denken laͤßt. Was unter Bedingungen, die selbst blos moͤglich sind, allein moͤglich ist, ist es nicht in aller Absicht. In dieser aber wird die Frage genommen, wenn man wissen will, ob die Moͤglichkeit der Dinge sich weiter erstrecke, als Erfahrung reichen kan. Ich habe dieser Fragen nur Erwaͤhnung gethan, um keine Luͤcke in demienigen zu lassen, was, der gemeinen Meinung nach, zu den Verstandesbegriffen gehoͤrt. In der That ist aber die absolute Moͤglichkeit (die in aller Ab- sicht guͤltig ist) kein blosser Verstandesbegriff, und kan auf keinerley Weise von empirischem Gebrauche seyn, sondern er gehoͤrt allein der Vernunft zu, die uͤber allen moͤglichen empirischen Verstandesgebrauch hinausgeht. Daher haben wir uns hiebey mit einer blos critischen Anmerkung be- gnuͤgen muͤssen, uͤbrigens aber die Sache bis zum weiteren kuͤnftigen Verfahren in der Dunkelheit gelassen. Da ich eben diese vierte Nummer, und, mit ihr, zu- gleich das System aller Grundsaͤtze des reinen Verstandes schliessen will, so muß ich noch Grund angeben, warum ich die Principien der Modalitaͤt gerade Postulate genant habe. Ich will diesen Ausdruck hier nicht in der Bedeu- tung nehmen, welche ihm einige neuere philosophische Ver- III. Absch. Systemat. Vorstellung aller ꝛc. Verfasser, wider den Sinn der Mathematiker, denen er doch eigentlich angehoͤrt, gegeben haben, nemlich: daß Postuliren so viel heissen solle, als einen Satz vor unmit- telbar gewiß, ohne Rechtfertigung, oder Beweis ausge- ben; denn, wenn wir das bey synthetischen Saͤtzen, so evident sie auch seyn moͤgen, einraͤumen sollten, daß man sie ohne Deduction, auf das Ansehen ihres eigenen Aus- spruchs, dem unbedingten Beyfalle aufheften duͤrfe, so ist alle Critik des Verstandes verloren, und, da es an dreusten Anmassungen nicht fehlt, deren sich auch der ge- meine Glaube, (der aber kein Creditiv ist) nicht weigert; so wird unser Verstand iedem Wahne offen stehen, ohne daß er seinen Beyfall denen Ausspruͤchen versagen kan, die, obgleich unrechtmaͤßig, doch in eben demselben To- ne der Zuversicht, als wirkliche Axiomen eingelassen zu werden verlangen. Wenn also zu dem Begriffe eines Dinges eine Bestimmung a priori synthetisch hinzukomt, so muß von einem solchen Satze, wo nicht ein Beweis, doch wenigstens eine Deduction der Rechtmaͤßigkeit seiner Behauptung unnachlaßlich hinzugefuͤgt werden. Die Grundsaͤtze der Modalitaͤt sind aber nicht ob- iectivsynthetisch, weil die Praͤdicate der Moͤglichkeit, Wirk- lichkeit und Nothwendigkeit den Begriff, von dem sie ge- sagt werden, nicht im mindesten vermehren, dadurch daß sie der Vorstellung des Gegenstandes noch etwas hinzusezten. Da sie aber gleichwol doch immer synthetisch seyn, so sind P 5 sie Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst. sie es nur subiectiv, d. i. sie fuͤgen zu dem Begriffe eines Dinges, (realen) von dem sie sonst nichts sagen, die Er- kentnißkraft hinzu, worin er entspringt und seinen Sitz hat, so, daß, wenn er blos im Verstande mit den for- malen Bedingungen der Erfahrung in Verknuͤpfung ist, sein Gegenstand moͤglich heißt, ist er mit der Wahrnehmung (Empfindung, als Materie der Sinne) im Zusammenhange, und durch dieselbe vermittelst des Verstandes bestimt, so ist das Obiect wirklich; ist er durch den Zusammenhang der Wahrnehmungen nach Begriffen bestimt, so heißt der Gegenstand nothwendig. Die Grundsaͤtze der Modalitaͤt also sagen von einem Begriffe nichts anders, als die Hand- lung des Erkentnißvermoͤgens, dadurch er erzeugt wird. Nun heißt ein Postulat in der Mathematik der practische Satz, der nichts als die Synthesis enshaͤlt , wodurch wir einen Gegenstand uns zuerst geben, und dessen Begriff er- zeugen, z. B. mit einer gegebenen Linie, aus einem gege- benen Punet auf einer Ebene einen Cirkel zu beschreiben, und ein dergleichen Satz kan darum nicht bewiesen wer- den, weil das Verfahren, was er fordert, gerade das ist, wodurch wir den Begriff von einer solchen Figur zuerst erzeugen. So koͤnnen wir demnach mit eben demselben Rechte die Grundsaͤtze der Modalitaͤt postuliren, weil sie ihren Begriff von Dingen uͤberhaupt nicht vermehren, Durch die Wirklichkeit eines Dinges, setze ich freilich mehr, als die Moͤglichkeit, aber nicht in dem Dinge; denn son- III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch. ꝛc. sondern nur die Art anzeigen, wie er uͤberhaupt mit der Erkentnißkraft verbunden wird. Der Transscendent. Doctrin der Urtheilskraft (Analytik der Grundsaͤtze) Drittes Hauptstuͤck . Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstaͤnde uͤberhaupt in Phænomena und Noümena . W ir haben iezt das Land des reinen Verstandes nicht allein durchreiset, und ieden Theil davon sorgfaͤl- tig in Augenschein genommen, sondern es auch durchmes- sen, und iedem Dinge auf demselben seine Stelle be- stimt. Dieses Land aber ist eine Insel, und durch die Natur selbst in unveraͤnderliche Graͤnzen eingeschlossen. Es ist das Land der Wahrheit (ein reizender Nahme), umge- ben von einem weiten und stuͤrmischen Oceane, dem eigent- lichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank, und manches bald wegschmelzende Eis neue Laͤnder luͤgt, und indem denn das kan niemals mehr in der Wirklichkeit enthalten, als was in dessen vollstaͤndiger Moͤglichkeit enthalten war. Sondern da die Moͤglichkeit blos eine Position des Dinges in Beziehung auf den Verstand (dessen em- pirischen Gebrauch) war, so ist die Wirklichkeit zugleich eine Verknuͤpfung desselben mit der Wahrnehmung. Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. indem es den auf Entdeckungen herumschwaͤrmenden See- fahrer unaufhoͤrlich mit leeren Hoffnungen taͤuscht, ihn in Abentheuer verflicht, von denen er niemals ablassen, und sie doch auch niemals zu Ende bringen kan. Ehe wir uns aber auf dieses Meer wagen, um es nach allen Breiten zu durchsuchen, und gewiß zu werden, ob etwas in ihnen zu hoffen sey, so wird es nuͤtzlich seyn, zuvor noch einen Blick auf die Carte des Landes zu werfen, das wir eben verlas- sen wollen, und erstlich zu fragen, ob wir mit dem, was es in sich enthaͤlt, nicht allenfalls zufrieden seyn koͤnten, oder auch aus Noth zufrieden seyn muͤssen, wenn es sonst uͤberall keinen Boden giebt, auf dem wir uns anbauen koͤn- ten, zweitens, unter welchem Titel wir denn selbst dieses Land besitzen, und uns wider alle feindselige Anspruͤche ge- sichert halten koͤnnen. Obschon wir diese Fragen in dem Lauf der Analytik schon hinreichend beantwortet haben, so kan doch ein summarischer Ueberschlag ihrer Aufloͤsungen die Ueberzeugung dadurch verstaͤrken, daß er die Momente derselben in einem Punct vereinigt. Wir haben nemlich gesehen: daß alles, was der Verstand aus sich selbst schoͤpft, ohne es von der Erfah- rung zu borgen, das habe er dennoch zu keinem andern Behuf, als lediglich zum Erfahrungsgebrauch. Die Grundsaͤtze des reinen Verstandes, sie moͤgen nun a priori constitutiv seyn, (wie die mathematischen) oder blos regu- lativ (wie die dynamischen) enthalten nichts als gleichsam nur III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch. ꝛc. nur das reine Schema zur moͤglichen Erfahrung; denn diese hat ihre Einheit nur von der synthetischen Einheit, welche der Verstand der Synthesis der Einbildungskraft in Be- ziehung auf die Apperception urspruͤnglich und von selbst ertheilt, und auf welche die Erscheinungen, als data zu einem moͤglichen Erkentnisse, schon a priori in Beziehung und Einstimmung stehen muͤssen. Ob nun aber gleich diese Verstandesregeln nicht allein a priori wahr sind, son- dern so gar der Quell aller Wahrheit, d. i. der Ueberein- stimmung unserer Erkentniß mit Obiecten, dadurch, daß sie den Grund der Moͤglichkeit der Erfahrung, als des In- begriffes aller Erkentniß, darin uns Obiecte gegeben wer- den moͤgen, in sich enthalten, so scheint es uns doch nicht genug, sich blos dasienige vortragen zu lassen, was wahr ist, sondern, was man zu wissen begehrt. Wenn wir also durch diese critische Untersuchung nichts mehreres lernen, als was wir im blos empirischen Gebrauche des Verstandes, auch ohne so subtile Nachforschung, von selbst wol wuͤrden ausgeuͤbt haben, so scheint es, sey der Vortheil, den man aus ihr zieht, den Aufwand und die Zuruͤstung nicht werth. Nun kan man zwar hierauf antworten: daß kein Vorwitz der Erweiterung unserer Erkentniß nachtheiliger sey, als der, so den Nutzen iederzeit zum vorauswissen will, ehe man sich auf Nachforschungen einlaͤßt, und ehe man noch sich den mindesten Begriff von diesem Nutzen machen koͤnte, wenn derselbe auch vor Augen gestellt wuͤrde. Allein es giebt doch einen Vortheil, der auch dem schwuͤrigsten und unlu- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. unlustigsten Lehrlinge solcher transscendentalen Nachfor- schung begreiflich, und zugleich angelegen gemacht werden kan, nemlich dieser: daß der blos mit seinem empirischen Gebrauche beschaͤftigte Verstand, der uͤber die Quellen sei- ner eigenen Erkentniß nicht nachsinnt, zwar sehr gut fort- kommen, eines aber gar nicht leisten koͤnne, nemlich, sich selbst die Graͤnzen seines Gebrauchs zu bestimmen, und zu wissen, was innerhalb oder ausserhalb seiner ganzen Sphaͤ- re liegen mag; denn dazu werden eben die tiefen Untersu- chungen erfordert, die wir angestellt haben. Kan er aber nicht unterscheiden, ob gewisse Fragen in seinem Horizonte liegen, oder nicht, so ist er niemals seiner Anspruͤche und seines Besitzes sicher, sondern darf sich nur auf vielfaͤltige beschaͤmende Zurechtweisungen Rechnung machen, wenn er die Graͤnzen seines Gebiets (wie es unvermeidlich ist) unaufhoͤrlich uͤberschreitet, und sich in Wahn und Blend- werke verirrt. Daß also der Verstand von allen seinen Grundsaͤtzen a priori, ia von allen seinen Begriffen keinen andern als empirischen, niemals aber einen transscendentalen Ge- brauch machen koͤnne, ist ein Satz, der, wenn er mit Ueberzeugung erkant werden kan, in wichtige Folgen hin- aussieht. Der transscendentale Gebrauch eines Begriffs in irgend einem Grundsatze ist dieser: daß er auf Dinge uͤberhaupt und an sich selbst, der empirische aber, wenn er blos auf Erscheinungen, d. i. Gegenstaͤnde einer moͤg- lichen III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch. ꝛc. lichen Erfahrung , bezogen wird. Daß aber uͤberall nur der leztere statt finden koͤnne, ersiehet man daraus. Zu iedem Begriff wird erstlich die logische Form eines Begriffs (des Denkens) uͤberhaupt, und denn zweitens auch die Moͤglichkeit, ihm einen Gegenstand zu geben, darauf er sich beziehe, erfordert. Ohne diesen leztern hat er keinen Sinn, und ist voͤllig leer an Inhalt, ob er gleich noch immer die logische Function enthalten mag, aus etwani- gen datis einen Begriff zu machen. Nun kan der Gegen- stand einem Begriffe nicht anders gegeben werden, als in der Anschauung, und, wenn eine reine Anschauung noch vor dem Gegenstande a priori moͤglich ist, so kan doch auch diese selbst ihren Gegenstand, mithin die obiective Guͤltigkeit, nur durch die empirische Anschauung bekom- men, wovon sie die blosse Form ist. Also beziehen sich alle Begriffe und mit ihnen alle Grundsaͤtze, so sehr sie auch a priori moͤglich seyn moͤgen, dennoch auf empirische Anschauungen, d. i. auf data zur moͤglichen Erfahrung. Ohne dieses haben sie gar keine obiective Guͤltigkeit, son- dern sind ein blosses Spiel, es sey der Einbildungskraft, oder des Verstandes, respective mit ihren Vorstellungen. Man nehme nur die Begriffe der Mathematik zum Bey- spiele, und zwar erstlich in ihren reinen Anschauungen. Der Raum hat drey Abmessungen, zwischen zwey Puncten kan nur eine gerade Linie seyn ꝛc. Obgleich alle diese Grundsaͤtze, und die Vorstellung des Gegenstandes, wo- mit sich iene Wissenschaft beschaͤftigt, voͤllig a priori im Ge- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Gemuͤth erzeugt werden, so wuͤrden sie doch gar nichts be- deuten, koͤnten wir nicht immer an Erscheinungen (em- pirischen Gegenstaͤnden) ihre Bedeutung darlegen. Da- her erfordert man auch, einen abgesonderten Begriff sinnlich zu machen, d. i. das ihm correspondirende Ob- iect in der Anschauung darzulegen, weil, ohne dieses, der Begriff, (wie man sagt) ohne Sinn, d. i. ohne Bedeu- tung bleiben wuͤrde. Die Mathematik erfuͤllt diese For- derung durch die Construction der Gestalt, welche eine den Sinnen gegenwaͤrtige (obzwar a priori zu Stande gebrach- te) Erscheinung ist. Der Begriff der Groͤsse sucht in eben der Wissenschaft seine Haltung und Sinn in der Zahl, die- se aber an den Fingern, den Corallen des Rechenbrets, oder den Strichen und Puncten, die vor Augen gestellt werden. Der Begriff bleibt immer a priori erzeugt, samt den syn- thetischen Grundsaͤtzen oder Formeln aus solchen Begriffen; aber der Gebrauch derselben, und Beziehung auf angeb- liche Gegenstaͤnde kan am Ende doch nirgend, als in der Erfahrung gesucht werden, deren Moͤglichkeit (der Form nach) iene a priori enthalten. Daß dieses aber auch der Fall mit allen Categorien, und den daraus gesponnenen Grundsaͤtzen sey, erhellet auch daraus: daß wir so gar keine einzige derselben defi- niren koͤnnen, ohne uns so fort zu Bedingungen der Sinn- lichkeit, mithin der Form der Erscheinungen, herabzulas- sen, als auf welche, als ihre einzige Gegenstaͤnde, sie folg- lich III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch. ꝛc. lich eingeschraͤnkt seyn muͤssen, weil, wenn man diese Be- dingung wegnimt, alle Bedeutung, d. i. Beziehung aufs Obiect, wegfaͤllt, und man durch kein Beyspiel sich selbst faßlich machen kan, was unter dergleichen Begriffe denn eigentlich vor ein Ding gemeint sey. Oben, bey Darstel- lung der Tafel der Categorien, uͤberhoben wir uns der Definitionen einer ieden derselben dadurch: daß unsere Absicht, die lediglich auf den synthetischen Gebrauch der- selben geht, sie nicht noͤthig mache, und man sich mit un- noͤthigen Unternehmungen keiner Verantwortung aussetzen muͤsse, deren man uͤberhoben seyn kan. Das war keine Ausrede, sondern eine nicht unerhebliche Klugheitsregel, sich nicht so fort aus definiren zu wagen, und Voll- staͤndigkeit oder Praͤcision in der Bestimmung des Begriffs zu versuchen oder vorzugeben, wenn man mit irgend einem oder andern Merkmale desselben auslangen kan, ohne eben dazu eine vollstaͤndige Herzehlung aller derselben, die den ganzen Begriff ausmachen, zu beduͤrfen. Jezt aber zeigt sich: daß der Grund dieser Vorsicht noch tiefer liege, nem- lich, daß wir sie nicht definiren konten, wenn wir auch wollten Ich verstehe hier die Realdefinition, welche nicht blos dem Nahmen einer Sache andere und verstaͤndlichere Woͤrter unterlegt, sondern die, so ein klares Merkmal, daran der Gegenstand ( definitum ) iederzeit sicher erkant werden kan, und den erklaͤrten Begriff zur Anwendung brauch- bar macht, in sich enthaͤlt. Die Realerklaͤrung wuͤrde also , sondern, wenn man alle Bedingungen der Sinn- lich- Q Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. lichkeit wegschaft, die sie als Begriffe eines moͤglichen em- pirischen Gebrauchs auszeichnen, und sie vor Begriffe von Dingen uͤberhaupt (mithin vom transscendentalen Gebrauch) nehmen, bey ihnen gar nichts weiter zu thun sey, als die logische Function in Urtheilen, als die Bedingung der Moͤg- lichkeit der Sachen selbst anzusehen, ohne doch im minde- sten anzeigen zu koͤnnen, wo sie denn ihre Anwendung und ihr Obiect, mithin wie sie im reinen Verstande ohne Sinn- lichkeit irgend eine Bedeutung und obiective Guͤltigkeit ha- ben koͤnne. Den Begriff der Groͤsse uͤberhaupt kan nie- mand erklaͤren, als etwa so: daß sie die Bestimmung ei- nes Dinges sey, dadurch, wie vielmal Eines in ihm gesezt ist, gedacht werden kan. Allein dieses Wievielmal gruͤndet sich auf die succeßive Wiederholung, mithin auf die Zeit und die Synthesis (des gleichartigen) in dersel- ben. Realitaͤt kan man im Gegensatze mit der Nega- tion nur alsdenn erklaͤren, wenn man sich eine Zeit, (als den Inbegriff von allem Seyn) gedenkt, die entweder womit erfuͤllet, oder leer ist Lasse ich die Beharrlichkeit (welche ein Daseyn zu aller Zeit ist) weg, so bleibt mir zum Begriffe der Substanz nichts uͤbrig, als die logische Vorstellung vom Subiect, welche ich dadurch zu realisiren ver- meine: daß ich mir Etwas vorstelle, welches blos als Subiect (ohne also dieienige seyn, welche nicht blos einen Begriff, son- dern zugleich die obiective Realitaͤt desselben deutlich macht. Die mathematische Erklaͤrungen, welche den Ge- genstand, dem Begriffe gemaͤß, in der Anschauung dar- stellen, sind von der letzteren Art. III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch. ꝛc. (ohne wovon ein Praͤdicat zu seyn) statt finden kan. Aber nicht allein, daß ich gar keine Bedingungen weis, unter welchen denn dieser logische Vorzug irgend einem Dinge eigen seyn werde: so ist auch gar nichts weiter daraus zu machen, und nicht die mindeste Folgerung zu ziehen, weil dadurch gar kein Obiects des Gebrauchs dieses Begriffs bestimt wird, und man also gar nicht weis, ob dieser uͤber- all irgend etwas bedeute. Vom Begriffe der Ursache wuͤr- de ich, (wenn ich die Zeit weglasse, in der etwas auf et- was anderem nach einer Regel folgt) in der reinen Cate- gorie nichts weiter finden, als daß es so etwas sey, woraus sich auf das Daseyn eines andern schliessen laͤßt, und es wuͤrde dadurch nicht allein Ursache und Wirkung gar nicht von einander unterschieden werden koͤnnen, sondern weil dieses Schliessenkoͤnnen, doch bald Bedingungen erfordert, von denen ich nichts weis, so wuͤrde der Begriff gar keine Bestimmung haben, wie er auf irgend ein Obiect passe. Der vermeinte Grundsatz: alles Zufaͤllige hat eine Ursa- che, tritt zwar ziemlich gravitaͤtisch auf, als habe er seine eigene Wuͤrde in sich selbst. Allein frage ich: was versteht ihr unter zufaͤllig, und ihr antwortet, dessen Nichtseyn moͤglich ist, so moͤchte ich gern wissen, woran ihr diese Moͤglichkeit des Nichtseyn erkennen wollt, wenn ihr euch nicht in der Reihe der Erscheinungen eine Succession und in dieser ein Daseyn, welches auf das Nichtseyn folgt, (oder umgekehrt), mithin einen Wechsel vorstellt; denn, daß das Nichtseyn eines Dinges sich selbst nicht wieder- Q 2 spre- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. spreche, ist eine lahme Berufung auf eine logische Bedin- gung, die zwar zum Begriffe nothwendig, aber zur rea- len Moͤglichkeit bey weitem nicht hinreichend ist; wie ich denn eine iede existirende Substanz in Gedanken aufheben kan, ohne mir selbst zu widersprechen, daraus aber auf die obiective Zufaͤlligkeit derselben in ihrem Daseyn, d. i. die Moͤglichkeit seines Nichtseyns an sich selbst, gar nicht schlies- sen kan. Was dem Begriff der Gemeinschaft betrift, so ist leicht zu ermessen: daß, da die reine Categorien der Substanz so wol, als Caussalitaͤt keine, das Obiect bestimmende, Er- klaͤrung zulassen, die wechselseitige Caussalitaͤt in der Be- ziehung der Substanzen auf einander ( commercium ) eben so wenig derselben faͤhig sey. Moͤglichkeit, Daseyn und Nothwendigkeit hat noch niemand anders als durch offen- bare Tavtologie erklaͤren koͤnnen, wenn man ihre Defini- tion lediglich aus dem reinen Verstande schoͤpfen wollte. Denn das Blendwerk, die logische Moͤglichkeit des Be- griffs (da er sich selbst nicht widerspricht) der transscen- dentalen Moͤglichkeit der Dinge, (da dem Begriff ein Ge- genstand correspondirt) zu unterschieben, kan nur Unver- suchte hintergehen und zufrieden stellen. Es hat etwas befremdliches und so gar widersinni- sches an sich, daß ein Begriff seyn soll, dem doch eine Bedeutung zukommen muß, der aber keiner Erklaͤrung faͤhig waͤre. Allein hier hat es mit den Categorien diese besondere Bewandniß: daß sie nur vermittelst der allge- meinen sinnlichen Bedingung eine bestimte Bedeutung und III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch. ꝛc. und Beziehung auf irgend einen Gegenstand haben koͤnnen, diese Bedingung aber aus der reinen Categorie weggelassen worden, da diese denn nichts, als die logische Function enthalten kan, das Mannigfaltige unter einen Begriff zu bringen. Aus dieser Function d. i. der Form des Begriffs allein kan aber gar nichts erkant und unterschieden werden, welches Obiect darunter gehoͤre, weil eben von der sinnli- chen Bedingung, unter der uͤberhaupt Gegenstaͤnde unter sie gehoͤren koͤnnen, abstrahirt worden. Daher beduͤrfen die Categorien, noch uͤber den reinen Verstandesbegriff, Bestim- mungen ihrer Anwendung auf Sinnlichkeit uͤberhaupt (Sche- ma) und sind ohne diese keine Begriffe, wodurch ein Gegen- stand erkant, und von andern unterschieden wuͤrde, sondern nur so viel Arten, einen Gegenstand zu moͤglichen Anschauun- gen zu denken, und ihm nach irgend einer Function des Verstandes seine Bedeutung (unter noch erforderlichen Be- dingungen) zu geben, d. i. ihn zu definiren: selbst koͤn- nen sie also nicht definirt werden. Die logische Functio- nen der Urtheile uͤberhaupt: Einheit und Vielheit, Beia- hung und Verneinung, Subiect und Praͤdicat koͤnnen, ohne einen Cirkel zu begehen, nicht definirt werden, weil die Definition doch selbst ein Urtheil seyn, und also diese Fun- ctionen schon enthalten muͤßte. Die reine Categorien sind aber nichts anders als Vorstellungen der Dinge uͤberhaupt, so fern das Mannigfaltige ihrer Anschauung durch eine oder andere dieser logischen Functionen gedacht werden muß: Groͤsse ist die Bestimmung, welche nur durch ein Urtheil, das Q 3 Quan- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Quantitaͤt hat, ( iudicium commune ) Realitaͤt, dieienige, die nur durch ein beiahend Urtheil gedacht werden kan, Sub- stanz, was, in Beziehung auf die Anschauung, das lezte Subiect aller anderen Bestimmungen seyn muß. Was das nun aber vor Dinge seyn, in Ansehung deren man sich dieser Function vielmehr als einer andern bedienen muͤsse, bleibt hiebey ganz unbestimt: mithin haben die Cate- gorien ohne die Bedingung der sinnlichen Anschauung, dazu sie die Synthesis enthalten, gar keine Beziehung auf irgend ein bestimtes Obiect, koͤnnen also keines definiren, und haben folglich an sich selbst keine Guͤltigkeit obiectiver Be- griffe. Hieraus fließt nun unwidersprechlich: daß die reine Verstandesbegriffe niemals von transscendentalem, sondern iederzeit nur von empirischem Gebrauche seyn koͤnnen, und daß die Grundsaͤtze des reinen Verstandes nur in Bezie- hung auf die allgemeine Bedingungen einer moͤglichen Er- fahrung, auf Gegenstaͤnde der Sinne, niemals aber auf Dinge uͤberhaupt, (ohne Ruͤcksicht auf die Art zu nehmen, wie wir sie anschauen moͤgen), bezogen werden koͤnnen. Die transscendentale Analytik hat demnach dieses wichtige Resultat: daß der Verstand a priori niemals mehr leisten koͤnne, als die Form einer moͤglichen Erfahrung uͤberhaupt zu anticipiren, und, da das- ienige, was nicht Erscheinung ist, kein Gegenstand der Erfahrung seyn kan: daß er die Schranken der Sinnlichkeit, innerhalb denen uns allein Gegenstaͤnde ge- geben III. Haupst. Von dem Grunde d. Untersch. geben werden, niemals uͤberschreiten koͤnne. Seine Grund- saͤtze sind blos Principien der Exposition der Erscheinun- gen, und der stolze Nahme einer Ontologie, welche sich anmaßt, von Dingen uͤberhaupt synthetische Erkentnisse a priori in einer systematischen Doctrin zu geben (z. E. den Grundsatz der Caussalitaͤt) muß dem bescheidenen, ei- ner blossen Analytik des reinen Verstandes, Platz machen. Das Denken ist die Handlung, gegebene Anschauung auf einen Gegenstand zu beziehen. Ist die Art dieser An- schauung auf keinerley Weise gegeben, so ist der Gegen- stand blos transscendental, und der Verstandesbegriff hat keinen andern, als transscendentalen Gebrauch, nemlich die Einheit des Denkens eines Mannigfaltigen uͤberhaupt. Durch eine reine Categorie nun, in welcher von aller Be- dingung der sinnlichen Anschauung, als der einzigen, die uns moͤglich ist, abstrahirt wird, wird also kein Obiect bestimt, sondern nur das Denken eines Obiects uͤberhaupt, nach verschiedenen modis, ausgedruͤkt. Nun gehoͤrt zum Gebrauche eines Begriffs noch eine Function der Urtheils- kraft, worauf ein Gegenstand unter ihm subsumirt wird, mithin die wenigstens formale Bedingung, unter der etwas in der Anschauung gegeben werden kan. Fehlt diese Be- dingung der Urtheilskraft, (Schema) so faͤllt alle Sub- sumtion weg; denn es wird nichts gegeben, was unter den Begriff subsumirt werden koͤnne. Der blos transscen- dentale Gebrauch also der Categorien ist in der That gar kein Gebrauch, und hat keinen bestimten, oder auch nur Q 4 der Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. der Form nach, bestimbaren Gegenstand. Hieraus folgt, daß die reine Categorie auch zu keinem synthetischen Grund- satze a priori zulange, und daß die Grundsaͤtze des reinen Verstandes nur von empirischem, niemals aber von trans- scendentalem Gebrauche sind, uͤber das Feld moͤglicher Er- fahrung hinaus aber, es uͤberall keine synthetische Grund- saͤtze a priori geben koͤnne. Es kan daher rathsam seyn, sich also auszudruͤcken: die reine Categorien, ohne formale Bedingungen der Sinn- lichkeit, haben blos transscendentale Bedeutung, sind aber von keinem transsendentalen Gebrauch, weil dieser an sich selbst unmoͤglich ist, indem ihnen alle Bedingungen irgend eines Gebrauchs (in Urtheilen) abgehen, nemlich die formale Bedingungen der Subsumtion irgend eines angeb- lichen Gegenstandes unter diese Begriffe. Da sie also (als blos reine Categorien) nicht von empirischem Gebrauche seyn sollen, und von transscendentalen nicht seyn koͤnnen, so sind sie von gar keinem Gebrauche, wenn man sie von aller Sinnlichkeit absondert, d. i. sie koͤnnen auf gar keinen angeblichen Gegenstand angewandt werden; viel- mehr sind sie blos die reine Form des Verstandesgebrauchs in Ansehung der Gegenstaͤude uͤberhaupt und des Denkens, ohne doch durch sie allein irgend ein Obiect denken oder bestimmen zu koͤnnen. Erscheinungen, so fern sie als Gegenstaͤnde nach der Einheit der Categorien gedacht werden, heissen Phæno- mena . III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch. ꝛc. mena . Wenn ich aber Dinge annehme, die blos Gegen- staͤnde des Verstandes sind, und gleichwol, als solche, ei- ner Anschauung, obgleich nicht der sinnlichen (als coram intuitu intellectuali ) gegeben werden koͤnnen; so wuͤrden dergleichen Dinge Noümena (intelligibilia) heissen. Nun sollte man denken, daß der durch die transsc. Aesthetik eingeschraͤnkte Begriff der Erscheinungen schon von selbst die obiective Realitaͤt der Noümenorum an die Hand gebe, und die Eintheilung der Gegenstaͤnde in Phæ- nomena und Noümena, mithin auch der Welt, in eine Sinnen und eine Verstandeswelt ( mundus sensibilis \& intelligibilis ) berechtige, und zwar so: daß der Unter- schied hier nicht blos die logische Form der undeutlichen oder deutlichen Erkentniß eines und desselben Dinges, son- dern die Verschiedenheit treffe, wie sie unserer Erkentniß urspruͤnglich gegeben werden koͤnnen, und nach welcher sie an sich selbst, der Gattung nach, von einander unter- schieden seyn. Denn wenn uns die Sinne etwas blos vor- stellen, wie es erscheint, so muß dieses Etwas doch auch an sich selbst ein Ding, und ein Gegenstand einer nicht sinnlichen Anschauung, d. i. des Verstandes seyn, d. i. es muß eine Erkentniß moͤglich seyn, darin keine Sinn- lichkeit angetroffen wird, und welche allein schlechthin ob- iective Realitaͤt hat, dadurch uns nemlich Gegenstaͤnde vorgestellt werden, wie sie sind; da hingegen im empiri- schen Gebrauche unseres Verstandes Dinge nur erkant Q 5 wer- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. werden, wie sie erscheinen. Also wuͤrde es, ausser dem empirischen Gebrauch der Categorien (welcher auf sinnliche Bedingungen eingeschraͤnkt ist) noch einen reinen und doch obiectivguͤltigen geben, und wir koͤnten nicht behaupten, was wir bisher vorgegeben haben: daß unsere reine Ver- standeserkentnisse uͤberall nichts weiter waͤren, als Princi- pien der Exposition der Erscheinung, die auch a priori nicht weiter, als auf die formale Moͤglichkeit der Erfah- rung gingen, denn hier staͤnde ein ganz anderes Feld vor uns offen, gleichsam eine Welt im Geiste gedacht, (viel- leicht auch gar angeschaut) die nicht minder, ia noch weit edler unsern reinen Verstand beschaͤftigen koͤnte. Alle unsere Vorstellungen werden in der That durch den Verstand auf irgend ein Obiect bezogen, und, da Er- scheinungen nichts als Vorstellungen sind, so bezieht sie der Verstand auf ein Etwas, als den Gegenstand der sinnlichen Anschauung: aber dieses Etwas ist in so fern nur das transscendentale Obiect. Dieses bedeutet aber ein Etwas = x , wovon wir gar nichts wissen, noch uͤberhaupt, (nach der ietzigen Einrichtung unseres Verstandes) wissen koͤnnen, sondern, welches nur als ein Correlatum der Einheit der Apperception zur Einheit des Mannigfaltigen in der sinnlichen Anschauung dienen kan, vermittelst deren der Verstand dasselbe in den Begriff eines Gegenstandes ver- einigt. Dieses transscendentale Obiect laͤßt sich gar nicht von den sinnlichen Datis absondern, weil alsdenn nichts uͤbrig III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch. uͤbrig bleibt, wodurch es gedacht wuͤrde. Es ist also kein Gegenstand der Erkentniß an sich selbst, sondern nur die Vorstellung der Erscheinungen, unter dem Begriffe eines Gegenstandes uͤberhaupt, der durch das Mannigfaltige derselben bestimbar ist. Eben um deswillen stellen nun auch die Categorien kein besonderes, dem Verstande allein gegebenes Obiect vor, sondern dienen nur dazu, das transscendentale Obiect (den Begriff von etwas uͤberhaupt) durch das, was in der Sinnlichkeit gegeben wird, zu bestimmen, um dadurch Erscheinungen unter Begriffen von Gegenstaͤnden empirisch zu erkennen. Was aber die Ursache betrift, weswegen man, durch das Substratum der Sinnlichkeit noch nicht befriedigt, den Phænomenis noch Noümena zugegeben hat, die nur der reine Verstand denken kan, so beruhet sie lediglich darauf. Die Sinnlichkeit, und ihr Feld, nemlich das der Erschei- nungen, wird selbst durch den Verstand dahin eingeschraͤnkt: daß sie nicht auf Dinge an sich selbst, sondern nur auf die Art gehe, wie uns, vermoͤge unserer subiectiven Beschaf- fenheit, Dinge erscheinen. Dies war das Resultat der ganzen transscendentalen Aesthetik, und es folgt auch na- tuͤrlicher Weise aus dem Begriffe einer Erscheinung uͤber- haupt: daß ihr etwas entsprechen muͤsse, was an sich nicht Erscheinung ist, weil Erscheinung nichts vor sich selbst, und ausser unserer Vorstellungsart seyn kan, mithin, wo nicht ein Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. ein bestaͤndiger Cirkel herauskommen soll, das Wort Er- scheinung schon eine Beziehnung auf Etwas anzeigt, des- sen unmittelbare Vorstellung zwar sinnlich ist, was aber an sich selbst, auch ohne diese Beschaffenheit unserer Sinn- lichkeit, (worauf sich die Form unserer Anschauung gruͤn- det), Etwas, d. i. ein von der Sinnlichkeit unabhaͤngi- ger Gegenstand seyn muß. Hieraus entspringt nun der Begriff von einem Noümenon, der aber gar nicht positiv, und eine be- stimte Erkentniß von irgend einem Dinge, sondern nur das Denken von Etwas uͤberhaupt bedeutet, bey wel- chem ich von aller Form der sinnlichen Anschauung ab- strahire. Damit aber ein Noumenon einen wahren, von allen Phaͤnomenen zu unterscheidenden Gegenstand bedeute, so ist es nicht genug: daß ich meinen Gedan- ken von allen Bedingungen sinnlicher Anschauung befreye, ich muß noch uͤberdem Grund dazu haben, eine andere Art der Anschauung, als diese sinnliche ist, anzu- nehmen, unter der ein solcher Gegenstand gegeben wer- den koͤnne; denn sonst ist mein Gedanke doch leer, obzwar ohne Widerspruch. Wir haben zwar oben nicht beweisen koͤnnen: daß die sinnliche Anschauung die einzige moͤgliche Anschauung uͤberhaupt, sondern daß sie es nur vor uns sey, wir konten aber auch nicht beweisen: daß noch eine andere Art der Anschauung moͤglich sey, und, obgleich unser Denken von iener Sinnlichkeit abstrahiren kan, so bleibt doch die Frage, ob es alsdenn nicht eine blosse Form eines III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch ꝛc. eines Begriffs sey, und ob bey dieser Abtrennung uͤberall ein Obiect uͤbrig bleibe. Das Obiect, worauf ich die Erscheinung uͤberhaupt beziehe, ist der transscendentale Gegenstand, d. i. der gaͤnzlich unbestimte Gedanke von Etwas uͤberhaupt. Die- ser kan nicht das Noumenon heissen; denn ich weis von ihm nicht, was er an sich selbst sey, und habe gar keinen Begriff von ihm, als blos von dem Gegenstande einer sinnlichen Anschauung uͤberhaupt, der also vor alle Erschei- nungen einerley ist. Ich kan ihn durch keine Categorien denken; denn diese gilt von der empirischen Anschauung, um sie unter einen Begriff vom Gegenstande uͤberhaupt zu bringen. Ein reiner Gebrauch der Categorie ist zwar moͤglich, d. i. ohne Widerspruch, aber hat gar keine ob- iective Guͤltigkeit, weil sie auf keine Anschauung geht, die dadurch Einheit des Obiects bekommen sollte; denn die Categorie ist doch eine blosse Function des Denkens, wo- durch mir kein Gegenstand gegeben, sondern nur, was in der Anschauung gegeben werden mag, gedacht wird. Wenn ich alles Denken (durch Categorien) aus ei- ner empirischen Erkentniß wegnehme, so bleibt gar keine Erkentniß irgend eines Gegenstandes uͤbrig; denn durch blosse Anschauung wird gar nichts gedacht, und, daß die- se Affection der Sinnlichkeit in mir ist, macht gar keine Beziehung von dergleichen Vorstellung auf irgend ein Ob- iect aus. Lasse ich aber hingegen alle Anschauung weg, so Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. so bleibt doch noch die Form des Denkens, d. i. die Art, dem Mannigfaltigen einer moͤglichen Anschauung einen Gegenstand zu bestimmen. Daher erstrecken sich die Ca- tegorien so fern weiter, als die sinnliche Anschauung, weil sie Obiecte uͤberhaupt denken, ohne noch auf die besondere Art (der Sinnlichkeit) zu sehen, in der sie gegeben wer- den moͤgen. Sie bestimmen aber dadurch nicht eine groͤs- sere Sphaͤre von Gegenstaͤnden, weil, daß solche gegeben werden koͤnnen, man nicht annehmen kan, ohne daß man eine andere, als sinnliche Art der Anschauung als moͤglich voraussezt, wozu wir aber keinesweges berechtigt sind. Ich nenne einen Begriff problematisch: der keinen Widerspruch enthaͤlt, der auch als eine Begraͤnzung gege- bener Begriffe mit andern Erkentnissen zusammenhaͤngt, dessen obiective Realitaͤt aber auf keine Weise erkant wer- den kan. Der Begriff eines Noumenon, d. i. eines Dinges, welches gar nicht als Gegenstand der Sinne, son- dern, als ein Ding an sich selbst, (lediglich durch einen reinen Verstand) gedacht werden soll, ist gar nicht wi- dersprechend; denn man kan von der Sinnlichkeit doch nicht behaupten, daß sie die einzige moͤgliche Art der Anschau- ung sey. Ferner ist dieser Begriff nothwendig, um die sinnliche Anschauung nicht bis uͤber die Dinge an sich selbst auszudehnen, und also, um die obiective Guͤltigkeit der sinnlichen Erkentniß einzuschraͤnken, (denn das uͤbrige, wor- III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch. ꝛc. worauf iene nicht reicht, heissen eben darum Noumena, damit man dadurch anzeige, iene Erkentnisse koͤnnen ihr Gebiet nicht uͤber alles, was der Verstand denkt, erstre- cken.) Am Ende aber ist doch die Moͤglichkeit solcher Noümenorum gar nicht einzusehen, und der Umfang ausser der Sphaͤre der Erscheinungen ist (vor uns) leer, d. i. wir haben einen Verstand, der sich problematisch weiter erstreckt, als iene, aber keine Anschauung, ia auch nicht einmal den Begriff von einer moͤglichen An- schauung, wodurch uns ausser dem Felde der Sinnlichkeit Gegenstaͤnde gegeben, und der Verstand uͤber dieselbe hin- aus assertorisch gebraucht werden koͤnne. Der Begriff eines Noumenon ist also blos ein Graͤnzbegriff, um die Anmassung der Sinnlichkeit einzuschraͤnken, und also nur von negativem Gebrauche. Er ist aber gleichwol nicht willkuͤhrlich erdichtet, sondern haͤngt mit der Einschraͤn- kung der Sinnlichkeit zusammen, ohne doch etwas Posi- tives ausser dem Umfange derselben setzen zu koͤnnen. Die Eintheilung der Gegenstaͤnde in Phænomena und Noümena, und der Welt in eine Sinnen- und Ver- standeswelt kan daher gar nicht zugelassen werden, ob- gleich Begriffe allerdings die Eintheilung in sinnliche und intellectuelle zulassen; denn man kan den lezteren keinen Gegenstand bestimmen, und sie also auch nicht vor obiectiv- guͤltig ausgeben. Wenn man von den Sinnen abgeht, wie will man begreiflich machen, daß unsere Categorien, (wel- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. (welche die einzige uͤbrig bleibende Begriffe vor Noumena seyn wuͤrden) noch uͤberall etwas bedeuten, da zu ihrer Beziehung auf irgend einen Gegenstand, noch etwas mehr, als blos die Einheit des Denkens, nemlich, uͤberdem eine moͤgliche Anschauung gegeben seyn muß, darauf iene an- gewandt werden koͤnnen? Der Begriff eines Noümeni, blos problematisch genommen, bleibt demungeachtet nicht allein zulaͤßig, sondern, auch als ein die Sinnlichkeit in Schranken setzender Begriff, unvermeidlich. Aber alsdenn ist das nicht ein besonderer intelligibeler Gegenstand vor unsern Verstand, sondern ein Verstand, vor den es gehoͤ- rete, ist selbst ein Problema, nemlich, nicht discursiv durch Categorien, sondern intuitiv in einer nichtsinnlichen Anschauung seinen Gegenstand zu erkennen, als von wel- chem wir uns nicht die geringste Vorstellung seiner Moͤg- lichkeit machen koͤnnen. Unser Verstand bekomt nun auf diese Weise eine negative Erweiterung, d. i. er wird nicht durch die Sinnlichkeit eingeschraͤnkt, sondern schraͤnkt vielmehr dieselbe ein, dadurch, daß er Dinge an sich selbst (nicht als Erscheinungen betrachtet) Noümena nent. Aber er sezt sich auch so fort selbst Graͤnzen, sie durch kei- ne Categorien zu erkennen, mithin sie nur unter dem Nah- men eines unbekanten Etwas zu denken. Ich finde indessen in den Schriften der Neueren einen ganz andern Gebrauch der Ausdruͤcke eines mundi sensibilis und intelligibilis, der von dem Sinne der Al- ten III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch. ꝛc. ten ganz abweicht, und wobey es freylich keine Schwierig- keit hat, aber auch nichts, als leere Wortkraͤmerey an- getroffen wird. Nach demselben hat es einigen beliebt, den Inbegriff der Erscheinungen, so fern er angeschaut wird, die Sinnenwelt, so fern aber der Zusammenhang derselben nach allgemeinen Verstandesgesetzen gedacht wird, die Verstandeswelt zu nennen. Die theoretische Astronomie, welche die blosse Beobachtung des bestirnten Himmels vor- traͤgt, wuͤrde die erstere, die contemplative dagegen, (etwa nach dem copernicanischen Weltsystem, oder gar nach Newtons Gravitationsgesetzen erklaͤrt) die zweite, nem- lich eine intelligibele Welt vorstellig machen. Aber eine solche Wortverdrehung ist eine blosse sophistische Ausflucht, um einer beschwerlichen Frage auszuweichen, dadurch, daß man ihren Sinn zu seiner Gemaͤchlichkeit herabstimt. In Ansehung der Erscheinungen laͤßt sich allerdings Verstand und Vernunft brauchen, aber es fraͤgt sich, ob diese auch noch einigen Gebrauch haben, wenn der Gegenstand nicht Erscheinung ( Noümenon ) ist, und in diesem Sinne nimt man ihn, wenn er an sich als blos intelligibel, d. i. dem Verstande allein, und gar nicht den Sinnen gegeben, ge- dacht wird. Es ist also die Frage: ob ausser ienem em- pirischen Gebrauche des Verstandes (selbst in der Newto- nischen Vorstellung des Weltbaues) noch ein transscenden- taler moͤglich sey, der auf das Noumenon als einen Ge- genstand gehe, welche Frage wir verneinend beantwortet haben. R Wenn Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Wenn wir denn also sagen: die Sinne stellen uns die Gegenstaͤnde vor, wie sie erscheinen, der Ver- stand aber, wie sie sind, so ist das leztere nicht in trans- scendentaler, sondern blos empirischer Bedeutung zu neh- men, nemlich, wie sie als Gegenstaͤnde der Erfahrung, im durchgaͤngigen Zusammenhange der Erscheinun- gen, muͤssen vorgestellt werden, und nicht nach dem, was sie, ausser der Beziehung auf moͤgliche Erfahrung, und folglich auf Sinne uͤberhaupt, mithin als Gegenstaͤnde des reinen Verstandes seyn moͤgen. Denn dieses wird uns immer unbekant bleiben, so gar, daß es auch unbekant bleibt, ob eine solche transscendentale (ausserordentliche) Erkentniß uͤberall moͤglich sey, zum wenigsten als eine solche, die unter unseren gewoͤhnlichen Categorien steht. Ver- stand und Sinnlichkeit koͤnnen bey uns nur in Verbin- dung Gegenstaͤnde bestimmen. Wenn wir sie trennen, so haben wir Anschauungen ohne Begriffe, oder Begriffe ohne Anschauungen, in beiden Faͤllen aber Vorstellungen, die wir auf keinen bestimten Gegenstand beziehen koͤnnen. Wenn iemand noch Bedenken traͤgt, auf alle diese Eroͤrterungen, dem blos transscendentalen Gebrauche der Categorien zu entsagen, so mache er einen Versuch von ihnen in irgend einer synthetischen Behauptung. Denn eine analytische bringt den Verstand nicht weiter, und da er nur mit dem beschaͤftigt ist, was in dem Begriffe schon gedacht wird, so laͤßt er es unausgemacht, ob dieser an sich selbst auf Gegenstaͤnde Beziehung habe, oder nur die Ein- heit III. Hauptst. Von dem Grunde d. Untersch. ꝛc. heit des Denkens uͤberhaupt bedeute, (welche von der Art, wie ein Gegenstand gegeben werden mag, voͤllig abstrahirt), es ist ihm genug zu wissen, was in seinem Begriffe liegt; worauf der Begriff selber gehen moͤge, ist ihm gleichguͤltig. Er versuche es demnach mit irgend einem synthetischen und vermeintlich transscendentalen Grundsatze, als: alles, was da ist, existirt als Substanz, oder eine derselben anhaͤngende Bestimmung: alles Zufaͤllige existirt als Wir- kung eines andern Dinges nemlich seiner Ursache, u s. w. Nun frage ich: woher will er diese synthetische Saͤtze nehmen, da die Begriffe nicht beziehungsweise auf moͤg- liche Erfahrung, sondern von Dingen an sich selbst, ( Noümena ) gelten sollen? Wo ist hier das Dritte, wel- ches iederzeit zu einem synthetischen Satze erfordert wird, um in demselben Begriffe, die gar keine logische (analyti- sche) Verwandtschaft haben, mit einander zu verknuͤpfen? Er wird seinen Satz niemals beweisen, ia was noch mehr ist, sich nicht einmal wegen der Moͤglichkeit einer solchen reinen Behauptung rechtfertigen koͤnnen, ohne auf den empirischen Verstandesgebrauch Ruͤcksicht zu nehmen, und dadurch dem reinen und sinnenfreyen Urtheile voͤllig zu ent- sagen. So ist denn der Begriff reiner blos intelligibeler Gegenstaͤnde gaͤnzlich leer von allen Grundsaͤtzen ihrer An- wendung, weil man keine Art ersinnen kan, wie sie gege- ben werden sollten, und der problematische Gedanke, der doch einen Platz vor sie offen laͤßt, dient nur, wie ein leerer Raum, die empirische Grundsaͤtze einzuschraͤnken, R 2 ohne Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. ohne doch irgend ein anderes Obiect der Erkentniß, ausser der Sphaͤre der lezteren, in sich zu enthalten und aufzu- weisen. Anhang. Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe durch die Verwechselung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transscendentalen. D ie Ueberlegung ( reflexio ) hat es nicht mit den Ge- genstaͤnden selbst zu thun, um gerade zu von ihnen Begriffe zu bekommen, sondern ist der Zustand des Ge- muͤths, in welchem wir uns zuerst dazu anschicken, um die subiective Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu Begriffen gelangen koͤnnen. Sie ist das Bewustseyn des Verhaͤltnisses gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkentnißquellen, durch welches al- lein ihr Verhaͤltniß unter einander richtig bestimt werden kan. Die erste Frage vor aller weitern Behandlung un- serer Vorstellung ist die: in welchem Erkentnißvermoͤgen gehoͤren sie zusammen? Ist es der Verstand, oder sind es die Sinne, vor denen sie verknuͤpft, oder verglichen wer- den? Manches Urtheil wird aus Gewohnheit angenom- men, oder durch Neigung geknuͤpft; weil aber keine Ueber- legung vorhergeht, oder wenigstens critisch darauf folgt, so Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. so gilt es vor ein solches, das im Verstande seinen Ur- sprung erhalten hat. Nicht alle Urtheile beduͤrfen einer Untersuchung, d. i. einer Aufmerksamkeit auf die Gruͤnde der Wahrheit; denn, wenn sie unmittelbar gewiß sind: z. B. zwischen zwey Puncten kan nur eine gerade Linie seyn, so laͤßt sich von ihnen kein noch naͤheres Merkmal der Wahrheit, als das sie selbst ausdruͤcken, anzeigen. Aber alle Urtheile, ia alle Vergleichungen beduͤrfen einer Ueber- legung, d. i. einer Unterscheidung der Erkentnißkraft, wo- zu die gegebene Begriffe gehoͤren. Die Handlung, da- durch ich die Vergleichung der Vorstellungen uͤberhaupt mit der Erkentnißkraft zusammenhalte, darin sie angestellt wird, und wodurch ich unterscheide, ob sie als gehoͤrig zum rei- nen Verstande oder zur sinnlichen Anschauung unter einan- der verglichen werden, nenne ich die transsc. Ueberlegung. Das Verhaͤltniß aber, in welchem die Begriffe in einem Gemuͤthszustande zu einander gehoͤren koͤnnen, sind die der Einerleyheit und Verschiedenheit, der Einstimmung und des Widerstreits, des Inneren und des Aeusseren, endlich des bestimbaren und der Bestimmung (Mate- rie und Form). Die richtige Bestimmung dieses Verhaͤlt- nisses beruhet darauf, in welcher Erkentnißkraft sie sub- iectiv zu einander gehoͤren, ob in der Sinnlichkeit oder dem Verstande. Denn der Unterschied der letzteren macht einen grossen Unterschied in der Art, wie man sich die er- sten denken solle. R 3 Vor Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Vor allen obiectiven Urtheilen vergleichen wir die Begriffe, um auf die Einerleyheit (vieler Vorstellungen unter einem Begriffe) zum Behuf der allgemeinen Urtheile, oder der Verschiedenheit derselben, zu Erzeugung beson- derer, auf die Einstimmung, daraus beiahende, und den Widerstreit, daraus verneinende Urtheile werden koͤnnen, u. s. w. Aus diesem Grunde sollten wir, wie es scheint, die angefuͤhrte Begriffe Vergleichungsbegriffe nen- nen, ( conceptus comparationis ). Weil aber, wenn es nicht auf die logische Form, sondern auf den Inhalt der Begriffe ankoͤmt, d. i. ob die Dinge selbst einerley oder verschieden, einstimmig oder im Widerstreit sind, ꝛc die Din- ge aber ein zwiefaches Verhaͤltniß zu unserer Erkentniß- kraft, nemlich zur Sinnlichkeit und zum Verstande haben koͤnnen, auf diese Stelle aber, darin sie gehoͤren, die Art ankoͤmt, wie sie zu einander gehoͤren sollen: so wird die transscendentale Reflexion, d. i. das Verhaͤltniß gegebener Vorstellungen zu einer oder der anderen Erkentnißart, ihr Verhaͤltniß unter einander allein bestimmen koͤnnen, und ob die Dinge einerley oder verschieden, einstimmig oder wi- derstreitend seyn ꝛc., wird nicht so fort aus den Begriffen selbst durch blosse Vergleichung, ( comparatio ) sondern allererst durch die Unterscheidung der Erkentnißart, wozu sie gehoͤren, vermittelst einer transscendentalen Ueberle- gung ( reflexio ) ausgemacht werden koͤnnen. Man koͤnte also zwar sagen: daß die logische Reflexion eine blosse Comparation sey, denn bey ihr wird von der Erkentniß- kraft Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. kraft, wozu die gegebene Vorstellungen gehoͤren, gaͤnzlich abstrahirt, und sie sind also so fern ihrem Sitze nach, im Gemuͤthe, als gleichartig zu behandeln, die transscen- dentale Reflexion aber (welche auf die Gegenstaͤnde selbst geht) enthaͤlt den Grund der Moͤglichkeit der obiectiven Comparation der Vorstellungen unter einander, und ist also von der lezteren gar sehr verschieden, weil die Erkent- nißkraft, dazu sie gehoͤren, nicht eben dieselbe ist. Diese transscendentale Ueberlegung ist eine Pflicht, von der sich niemand lossagen kan, wenn er a priori etwas uͤber Dinge urtheilen will. Wir wollen sie iezt zur Hand nehmen, und werden daraus vor die Bestimmung des eigentlichen Geschaͤfts des Verstandes nicht wenig Licht ziehen. 1. Einerleyheit und Verschiedenheit. Wenn uns ein Gegenstand mehrmalen, iedesmal aber mit eben densel- ben innern Bestimmungen, ( qualitas et quantitas ) dar- gestellet wird, so ist derselbe, wenn er als Gegenstand des reinen Verstandes gilt, immer eben derselbe, und nicht viel, sondern nur ein Ding ( numerica identitas ); ist er aber Erscheinung, so koͤmt es auf die Vergleichung der Begriffe gar nicht an, sondern, so sehr auch in Ansehung derselben alles einerley seyn mag, ist doch die Verschie - denheit der Oerter dieser Erscheinung zu gleicher Zeit ein genugsamer Grund der numerischen Verschiedenheit des Gegenstandes (der Sinne) selbst. So kan man bey zwey Tropfen Wasser von aller innern Verschiedenheit (der R 4 Qua- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Qualitaͤt und Quantitaͤt) voͤllig abstrahiren, und es ist genug, daß sie in verschiedenen Oertern zugleich angeschaut werden, um sie vor numerisch verschieden zu halten. Leib- nitz nahm die Erscheinungen als Dinge an sich selbst, mit- hin vor intelligibilia, d. i. Gegenstaͤnde des reinen Ver- standes, (ob er gleich, wegen der Verworrenheit ihrer Vor- stellungen, dieselben mit dem Nahmen der Phaͤnomene be- legte) und da konte sein Satz des Nichtzuunterscheiden- den ( principium identitatis indiscernibilium ) aller- dings nicht gestritten werden; da sie aber Gegenstaͤnde der Sinnlichkeit sind, und der Verstand in Ansehung ih- rer nicht von reinem, sondern blos empirischem Gebrauche ist, so wird die Vielheit und numerische Verschiedenheit schon durch den Raum selbst, als die Bedingung der aͤus- seren Erscheinungen angegeben. Denn ein Theil des Raums, ob er zwar einem andern voͤllig aͤhnlich und gleich seyn mag, ist doch ausser ihm, und eben dadurch ein vom ersteren verschiedener Theil, der zu ihm hinzukomt, um einen groͤsseren Raum auszumachen, und dieses muß da- her von allem, was in den mancherley Stellen des Raums zugleich ist, gelten, so sehr es sich sonsten auch aͤhnlich und gleich seyn mag. 2. Einstimmung und Widerstreit. Wenn Reali- taͤt nur durch den reinen Verstand vorgestellt wird, ( reali- tas noümenon ), so laͤßt sich zwischen den Realitaͤten kein Widerstreit denken, d. i. ein solches Verhaͤltniß, da sie in einem Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. einem Subiect verbunden einander ihre Folgen aufheben, und 3 — 3 = 0 sey. Dagegen kan das Reale in der Erscheinung ( realitas phænomenon ) unter einander allerdings im Widerstreit seyn, und vereint in demselben Subiect, eines die Folge des andern ganz oder zum Theil vernichten, wie zwey bewegende Kraͤfte in derselben gera- den Linie, so fern sie einen Punct in entgegengesezter Rich- tung, entweder ziehen, oder druͤcken, oder auch ein Ver- gnuͤgen, was dem Schmerze die Wage haͤlt. 3. Das Innere und Aeussere. An einem Gegen- stande des reinen Verstandes ist nur dasienige innerlich, welches gar keine Beziehung (dem Daseyn nach) auf ir- gend etwas von ihm verschiedenes hat. Dagegen sind die innere Bestimmungen einer substantia phænomenon im Raume nichts als Verhaͤltnisse, und sie selbst ganz und gar ein Inbegriff von lauter Relationen. Die Substanz im Raume kennen wir nur durch Kraͤfte, die in demselben wirksam sind, entweder andere dahin zu treiben (Anzie- hung), oder vom Eindringen in ihn abzuhalten (Zuruͤckstos- sung und Undurchdringlichkeit); andere Eigenschaften kennen wir nicht, die den Begriff von der Substanz, die im Raum erscheint, und die wir Materie nennen, aus- machen. Als Obiect des reinen Verstandes muß iede Substanz dagegen innere Bestimmungen und Kraͤfte ha- ben, die auf die innere Realitaͤt gehen. Allein was kan ich mir vor innere Accidenzen denken, als dieienigen, so R 5 mein Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. mein innerer Sinn mir darbietet, nemlich das entweder, was selbst ein Denken, oder mit diesem analogisch ist. Daher machte Leibnitz aus allen Substanzen, weil er sie sich als Noümena vorstellete, selbst aus den Bestandthei- len der Materie, nachdem er ihnen alles, was aͤussere Re- lation bedeuten mag, mithin auch die Zusammensetzung, in Gedanken, genommen hatte, einfache Subiecte mit Vorstellungskraͤften begabt, mit einem Worte, Monaden. 4. Materie und Form. Dieses sind zwey Begriffe, welche aller andern Reflexion zum Grunde gelegt werden, so sehr sind sie mit iedem Gebrauch des Verstandes un- zertrenlich verbunden. Der erstere bedeutet das bestim- bare uͤberhaupt, der zweite dessen Bestimmung, (beides in transscendentalem Verstande, da man von allem Unter- schiede dessen, was gegeben wird, und der Art, wie es bestimt wird, abstrahirt). Die Logiker nanten ehedem das Allgemeine die Materie, den specifischen Unterschied aber die Form. In iedem Urtheile kan man die gegebene Begriffe logische Materie (zum Urtheile), das Verhaͤltniß derselben (vermittelst der Copula) die Form des Urtheils nennen. In iedem Wesen sind die Bestandstuͤcke desselben ( essentialia ) die Materie, die Art, wie sie in einem Din- ge verknuͤpft sind, die wesentliche Form. Auch wurde in Ansehung der Dinge uͤberhaupt unbegraͤnzte Realitaͤt, als die Materie aller Moͤglichkeit, Einschraͤnkung derselben aber (Negation) als dieienige Form angesehen, wodurch sich Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. sich ein Ding vom andern nach transsc. Begriffen unter- scheidet. Der Verstand nemlich verlangt zuerst, daß et- was gegeben sey, (wenigstens im Begriffe) um es auf ge- wisse Art bestimmen zu koͤnnen. Daher geht im Begriffe des reinen Verstandes die Materie der Form vor, und Leibnitz nahm um deswillen zuerst Dinge an (Monaden) und innerlich eine Vorstellungskraft derselben, um darnach das aͤussere Verhaͤltniß derselben und die Gemeinschaft ih- rer Zustaͤnde, (nemlich der Vorstellungen) darauf zu gruͤn- den. Daher waren Raum und Zeit, iener nur durch das Verhaͤltniß der Substanzen, diese durch die Verknuͤpfung der Bestimmungen derselben unter einander, als Gruͤnde und Folgen, moͤglich. So wuͤrde es auch in der That seyn muͤssen, wenn der reine Verstand unmittelbar auf Gegenstaͤnde bezogen werden koͤnte und wenn Raum und Zeit Bestimmungen der Dinge an sich selbst waͤren. Sind es aber nur sinnliche Anschauungen, in denen wir alle Gegenstaͤnde lediglich als Erscheinungen bestimmen, so geht die Form der Anschauung (als eine subiective Be- schaffenheit der Sinnlichkeit) vor aller Materie, (den Em- pfindungen), mithin Raum und Zeit vor allen Erschei- nungen und allen datis der Erfahrung vorher, und macht diese vielmehr allererst moͤglich. Der Intellectualphilosoph konte es nicht leiden: daß die Form vor den Dingen selbst vorhergehen, und dieser ihre Moͤglichkeit bestimmen sollte; eine ganz richtige Censur, wenn er annahm, daß wir die Dinge anschauen, wie sie sind, (obgleich mit verworrener Vor- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Vorstellung). Da aber die sinnliche Anschauung eine ganz besondere subiective Bedingung ist, welche aller Wahrneh- mung a priori zum Grunde liegt, und deren Form ur- spruͤnglich ist; so ist die Form vor sich allein gegeben, und weit gefehlt, daß die Materie (oder die Dinge selbst, wel- che erschienen) zum Grunde liegen sollten (wie man nach blossen Begriffen urtheilen muͤßte) so sezt die Moͤglichkeit derselben vielmehr eine formale Anschauung (Zeit und Raum) als gegeben voraus. Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe. Man erlaube mir, die Stelle, welche wir einem Begriffe entweder in der Sinnlichkeit, oder im reinen Ver- stande ertheilen, den transscendentalen Ort zu nennen. Auf solche Weise waͤre die Beurtheilung dieser Stelle, die iedem Begriffe nach Verschiedenheit seines Gebrauchs zu- koͤmt, und die Anweisung nach Regeln, diesen Ort allen Begriffen zu bestimmen, die transscendentale Topik; eine Lehre, die vor Erschleichungen des reinen Verstandes und daraus entspringenden Blendwerken gruͤndlich bewahren wuͤrde, indem sie iederzeit unterschiede, welcher Erkent- nißkraft die Begriffe eigentlich angehoͤren. Man kan einen ieden Begriff, einen ieden Titel, darunter viele Er- kentnisse gehoͤren, einen logischen Ort nennen. Hierauf gruͤndet sich die logische Topik des Aristoteles, deren sich Schullehrer und Redner bedienen konten, um unter ge- wis- Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. wissen Titeln des Denkens nachzusehen, was sich am besten vor seine vorliegende Materie schikte, und daruͤber, mit einem Schein von Gruͤndlichkeit, zu vernuͤnfteln, oder wortreich zu schwatzen. Die transscendentale Topik enthaͤlt dagegen nicht mehr, als die angefuͤhrte vier Titel aller Vergleichung und Unterscheidung, die sich dadurch von Categorien unterschei- den, daß durch iene nicht der Gegenstand, nach demieni- gen, was seinen Begriff ausmacht, (Groͤsse, Realitaͤt) sondern nur die Vergleichung der Vorstellungen, welche vor dem Begriffe von Dingen vorhergeht, in aller ihrer Mannigfaltigkeit dargestellt wird. Diese Vergleichung aber bedarf zuvoͤrderst einer Ueberlegung, d. i. einer Be- stimmung desienigen Orts, wo die Vorstellungen der Din- ge, die verglichen werden, hingehoͤren, ob sie der reine Verstand denkt, oder die Sinnlichkeit in der Erscheinung giebt. Die Begriffe koͤnnen logisch verglichen werden, ohne sich darum zu bekuͤmmern, wohin ihre Obiecte gehoͤren, ob als Noumena vor den Verstand, oder als Phaͤnomena vor die Sinnlichkeit. Wenn wir aber mit diesen Begrif- fen zu den Gegenstaͤnden gehen wollen, so ist zuvoͤrderst transscendentale Ueberlegung noͤthig, vor welche Erkent- nißkraft sie Gegenstaͤnde seyn sollen, ob vor den reinen Verstand, oder die Sinnlichkeit. Ohne diese Ueberlegung mache ich einen sehr unsicheren Gebrauch von diesen Be- griffen, und es entspringen vermeinte synthetische Grund- saͤtze Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. saͤtze, welche die critische Vernunft nicht anerkennen kan, und die sich lediglich auf einer transscendentalen Amphibo- lie, d. i. einer Verwechselung des reinen Verstandesobiects mit der Erscheinung gruͤnden. In Ermangelung einer solchen transscendentalen Topik, und mithin durch die Amphibolie der Reflexionsbegriffe hintergangen, errichtete der beruͤhmte Leibnitz ein intellec- tuelles System der Welt, oder glaubte vielmehr der Dinge innere Beschaffenheit zu erkennen, indem er alle Gegenstaͤnde nur mit dem Verstande und den abgesonder- ten formalen Begriffen seines Denkens verglich. Unsere Tafel der Reflexionsbegriffe schaft uns den unerwarteten Vortheil, das Unterscheidende seines Lehrbegriffs in allen seinen Theilen, und zugleich den leitenden Grund dieser eigenthuͤmlichen Denkungsart vor Augen zulegen, der auf nichts, als einem Mißverstande beruhete. Er ver- glich alle Dinge blos durch Begriffe mit einander, und fand, wie natuͤrlich, keine andere Verschiedenheiten, als die, durch welche der Verstand seine reine Begriffe von einander unterscheidet. Die Bedingungen der sinnlichen Anschauung, die ihre eigene Unterschiede bey sich fuͤhren, sahe er nicht vor urspruͤnglich an; denn die Sinnlichkeit war ihm nur eine verworrene Vorstellungsart, und kein besonderer Quell der Vorstellungen: Erscheinung war ihm die Vorstellung des Dinges an sich selbst, obgleich von der Erkentniß durch den Verstand, der logischen Form nach, Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. nach, unterschieden, da nemlich iene, bey ihrem gewoͤhn- lichen Mangel der Zergliederung, eine gewisse Vermischung von Nebenvorstellungen in den Begriff des Dinges zieht, die der Verstand davon abzusondern weiß. Mit einem Worte: Leibnitz intellectuirte die Erscheinungen, so wie Locke die Verstandesbegriffe, nach seinem System der Noogonie , (wenn es mir erlaubt ist, mich dieser Aus- druͤcke zu bedienen) insgesamt sensificirt, d. i. vor nichts, als empirische, aber abgesonderte Reflexionsbegriffe ausge- geben hatte. Anstatt im Verstande und der Sinnlichkeit zwey ganz verschiedene Quellen von Vorstellungen zu suchen, die aber nur in Verknuͤpfung obiectivguͤltig von Dingen ur- theilen koͤnten, hielte sich ein ieder dieser grossen Maͤnner nur an eine von beiden, die sich ihrer Meinung nach un- mittelbar auf Dinge an sich selbst bezoͤge, indessen, daß die andere nichts that, als die Vorstellungen der ersteren zu verwirren oder zu ordnen. Leibnitz verglich demnach die Gegenstaͤnde der Sinne als Dinge uͤberhaupt blos im Verstande unter einander, Erstlich, so fern sie von diesem als einerley oder verschie- den geurtheilt werden sollen. Da er also lediglich ihre Begriffe, und nicht ihre Stelle in der Anschauung, darin die Gegenstaͤnde allein gegeben werden koͤnnen, vor Augen hatte, und den transscendentalen Ort dieser Begriffe, (ob das Obiect unter Erscheinungen, oder unter Dinge an sich selbst zu zehlen sey,) gaͤnzlich aus der Acht ließ, so konte es Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. es nicht anders ausfallen, als daß er seinen Grundsatz des Nichtzuunterscheidenden, der blos von Begriffen der Dinge uͤberhaupt gilt, auch auf die Gegenstaͤnde der Sinne ( mundus phænomenon ) ausdehnete, und der Naturer- kentniß dadurch keine geringe Erweiterung verschaft zu haben glaubte. Freilich: wenn ich einen Tropfen Was- ser als ein Ding an sich selbst nach allen seinen innern Be- stimmungen kenne, so kan ich keinen derselben von dem andern vor verschieden gelten lassen, wenn der ganze Begriff desselben mit ihm einerley ist. Ist er aber Erscheinung im Raume, so hat er seinen Ort, nicht blos im Verstande (unter Begriffen,) sondern in der sinnlichen aͤusseren An- schauung (im Raume) und da sind die physische Oerter, in Ansehung der inneren Bestimmungen der Dinge, ganz gleichguͤltig, und ein Ort = b kan ein Ding, welches ei- nem andern in dem Orte = a , voͤllig aͤhnlich und gleich ist, eben so wol aufnehmen, als wenn es von diesem noch so sehr innerlich verschieden waͤre. Die Verschiedenheit der Oerter macht die Vielheit und Unterscheidung der Ge- genstaͤnde, als Erscheinungen, ohne weitere Bedingun- gen, schon vor sich nicht allein moͤglich, sondern auch noth- wendig. Also ist ienes scheinbare Gesetz kein Gesetz der Natur. Es ist lediglich eine analytische Regel oder Ver- gleichung der Dinge durch blosse Begriffe. Zweitens: der Grundsatz: daß Realitaͤten, (als blosse Beiahungen) einander niemals logisch widerstreiten, ist Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. ist ein ganz wahrer Satz, von dem Verhaͤltnisse der Be- griffe, bedeutet aber, weder in Ansehung der Natur, noch uͤberall in Ansehung irgend eines Dinges an sich selbst (von diesem haben wir gar keinen Begriff) das mindeste. Denn der reale Widerstreit findet allerwerts statt, wo A — B = 0 ist, d. i. wo eine Realitaͤt mit der andern, in einem Sub- iect verbunden, eine die Wirkung der andern aufhebt, welches alle Hindernisse und Gegenwirkungen in der Na- tur unaufhoͤrlich vor Augen legen, die gleichwol, da sie auf Kraͤften beruhen, realitates phænomena genant wer- den muͤssen. Die allgemeine Mechanik kan so gar die em- pirische Bedingung dieses Widerstreits in einer Regel a priori angeben, indem sie auf die Entgegensetzung der Richtungen sieht: eine Bedingung, von welcher der transscend. Begriff der Realitaͤt gar nichts weiß. Obzwar Herr von Leibnitz diesen Satz nicht eben mit dem Pomp eines neuen Grundsatzes ankuͤndigte, so bediente er sich doch desselben zu neuen Behauptungen, und seine Nach- folger trugen ihn ausdruͤcklich in ihre Leibnitzwolfianische Lehrgebaͤude ein. Nach diesem Grundsatze sind z. E. alle Uebel nichts als Folgen von den Schranken der Geschoͤpfe, d. i. Negationen, weil diese das einzige Widerstreitende der Realitaͤt seyn, (in dem blossen Begriffe eines Dinges uͤber- haupt, ist es auch wirklich so, aber nicht in den Dingen als Erscheinungen). Imgleichen finden die Anhaͤnger des- selben es nicht allein moͤglich, sondern auch natuͤrlich, alle Realitaͤt, ohne irgend einen besorglichen Widerstreit, in S einem Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang einem Wesen zu vereinigen, weil sie keinen andern, als den des Widerspruchs (durch den der Begriff eines Dinges selbst aufgehoben wird), nicht aber den des wechselseitigen Ab- bruchs kennen, da ein Realgrund die Wirkung des andern aufhebt, und dazu wir nur in der Sinnlichkeit die Be- dingungen antreffen, uns einen solchen vorzustellen. Drittens: die Leibnitzische Monadologie hat gar kei- nen andern Grund, als daß dieser Philosoph den Unter- schied des Inneren und Aeusseren blos im Verhaͤltniß auf den Verstand vorstellete. Die Substanzen uͤberhaupt muͤs- sen etwas Inneres haben, was also von allen aͤusseren Verhaͤltnissen, folglich auch der Zusammensetzung frey ist. Das Einfache ist also die Grundlage des Inneren der Dinge an sich selbst. Das Innere aber ihres Zustandes kan auch nicht in Ort, Gestalt, Beruͤhrung oder Bewe- gung, (welche Bestimmungen alle aͤussere Verhaͤltnisse sind,) bestehen, und wir koͤnnen daher den Substanzen keinen andern innern Zustand, als denienigen, wodurch wir unsern Sinn selbst innerlich bestimmen, nemlich, den Zustand der Vorstellungen, beylegen. So wurden denn die Monaden fertig, welche den Grundstoff des ganzen Universum ausmachen sollen, deren thaͤtige Kraft aber nur in Vorstellungen besteht, wodurch sie eigentlich blos in sich selbst wirksam sind. Eben darum mußte aber auch sein Principium der moͤgli- chen Gemeinschaft der Substanzen unter einander eine vor- her- Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. herbestimte Harmonie, und konte kein physischer Einfluß seyn. Denn weil alles nur innerlich, d. i. mit seinen Vorstel- lungen beschaͤftigt ist, so konte der Zustand der Vorstellungen der einen mit dem der andern Substanz in ganz und gar keiner wirksamen Verbindung stehen, sondern es mußte irgend eine dritte, und in alle insgesamt einfliessende Ursache, ihre Zustaͤnde einander correspondirend machen, zwar nicht eben durch gelegentlichen, und in iedem einzelnen Falle beson- ders angebrachten Beystand, ( Systema assistentiæ ) son- dern durch die Einheit der Idee einer vor alle guͤltigen Ur- sache, in welcher sie insgesamt ihr Daseyn und Beharr- lichkeit, mithin auch wechselseitige Correspondenz unter ein- ander nach allgemeinen Gesetzen bekommen muͤssen. Viertens: der beruͤhmte Lehrbegriff desselben von Zeit und Raum, darin er diese Formen der Sinnlichkeit intellectuirte, war lediglich aus eben derselben Taͤuschung der transscendentalen Reflexion entsprungen. Wenn ich mir durch den blossen Verstand aͤussere Verhaͤltnisse der Dinge vorstellen will, so kan dieses nur vermittelst eines Begriffs ihrer wechselseitigen Wirkung geschehen, und soll ich einen Zustand eben desselben Dinges mit einem andern Zustande verknuͤpfen, so kan dieses nur in der Ordnung der Gruͤnde und Folgen geschehen. So dachte sich also Leibnitz den Raum als eine gewisse Ordnung in der Ge- meinschaft der Substanzen, und die Zeit als die dynamische Folge ihrer Zustaͤnde. Das Eigenthuͤmliche aber, und von S 2 Din- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch Anhang. Dingen Unabhaͤngige, was beide an sich zu haben scheinen, schrieb er der Verworrenheit dieser Begriffe zu, welche machte, daß dasienige, was eine blosse Form dynami- scher Verhaͤltnisse ist, vor eine eigene vor sich beste- hende, und vor den Dingen selbst vorhergehende Anschau- ung gehalten wird. Also waren Raum und Zeit die in- telligibele Form der Verknuͤpfung der Dinge (Substanzen und ihrer Zustaͤnde) an sich selbst. Die Dinge aber wa- ren intelligibele Substanzen ( substantiæ Noümena. ) Gleichwol wollte er diese Begriffe vor Erscheinungen geltend machen, weil er der Sinnlichkeit keine eigene Art der An- schauung zugestand, sondern alle, selbst die empirische Vorstellung der Gegenstaͤnde, im Verstande suchte, und den Sinnen nichts als das veraͤchtliche Geschaͤfte ließ, die Vorstellungen des ersteren zu verwirren und zu verun- stalten. Wenn wir aber auch von Dingen an sich selbst etwas durch den reinen Verstand synthetisch sagen koͤnten, (welches gleichwol unmoͤglich ist) so wuͤrde dieses doch gar nicht auf Erscheinungen, welche nicht Dinge an sich selbst vorstellen, gezogen werden koͤnnen. Ich werde also in diesem lezteren Falle in der transscendentalen Ueberlegung meine Begriffe iederzeit nur unter den Bedingungen der Sinnlich- keit vergleichen muͤssen, und so werden Raum und Zeit nicht Bestimmungen der Dinge an sich, sondern der Er- scheinungen seyn: was die Dinge an sich seyn moͤgen, weiß ich Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. ich nicht, und brauche es auch nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders, als in der Erscheinung vor- kommen kan. So verfahre ich auch mit den uͤbrigen Reflexionsbe- griffen. Die Materie ist substantia phænomenon . Was ihr innerlich zukomme, suche ich in allen Theilen des Rau- mes, den sie einnimt, und in allen Wirkungen, die sie ausuͤbt, und die freilich nur immer Erscheinungen aͤusserer Sinne seyn koͤnnen. Ich habe also zwar nichts Schlecht- hin - sondern lauter Comparativinnerliches, das selber wiederum aus aͤusseren Verhaͤltnissen besteht. Allein, das schlechthin, dem reinen Verstande nach, Innerliche der Materie ist auch eine blosse Grille; denn diese ist uͤberall kein Gegenstand vor den reinen Verstand, das transscen- dentale Obiect aber, welches der Grund dieser Erscheinung seyn mag, die wir Materie nennen, ist ein blosses Etwas, wovon wir nicht einmal verstehen wuͤrden, was es sey, wenn es uns auch iemand sagen koͤnte. Denn wir koͤn- nen nichts verstehen, als was ein unsern Worten Corre- spondirendes in der Anschauung mit sich fuͤhret. Wenn die Klagen: Wir sehen das Innere der Dinge gar nicht ein, so viel bedeuten sollen, als wir begreifen nicht durch den reinen Verstand, was die Dinge, die uns er- scheinen, an sich seyn moͤgen, so sind sie ganz unbillig und unvernuͤnftig; denn sie wollen, daß man ohne Sinnen doch Dinge erkennen, mithin anschauen koͤnne, folglich, daß wir ein von dem menschlichen nicht blos dem Grade, S 3 son- Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. sondern so gar der Anschauung und Art nach, gaͤnzlich unterschiedenes Erkentnißvermoͤgen haben, also nicht Men- schen, sondern Wesen seyn sollen, von denen wir selbst nicht angeben koͤnnen, ob sie einmal moͤglich, vielweniger wie sie beschaffen seyn. Ins Innre der Natur dringt Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen, und man kan nicht wissen, wie weit dieses mit der Zeit gehen werde. Jene transscendentale Fragen aber, die uͤber die Natur hinausgehen, wuͤrden wir bey allem dem doch nie- mals beantworten koͤnnen, wenn uns auch die ganze Na- tur aufgedekt waͤre, und es uns nicht einmal gegeben ist, unser eigenes Gemuͤth mit einer andern Anschauung, als die unseres inneren Sinnes zu beobachten. Denn in dem- selben liegt das Geheimniß des Ursprungs unserer Sinn- lichkeit. Ihre Beziehung auf ein Obiect und was der transscendentale Grund dieser Einheit sey, liegt ohne Zweifel zu tief verborgen, als daß wir, die wir so gar uns selbst nur durch innern Sinn, mithin als Erscheinung kennen, ein so unschickliches Werkzeug unserer Nachfor- schung dazu brauchen koͤnten, etwas anderes, als immer wiederum Erscheinungen, aufzufinden, deren nichtsinnliche Ursache wir doch gern erforschen wollten. Was diese Critik der Schluͤsse, aus den blossen Hand- lungen der Reflexion, uͤberaus nuͤtzlich macht, ist: daß sie die Nichtigkeit aller Schluͤsse uͤber Gegenstaͤnde, die man lediglich im Verstande mit einander vergleicht, deut- lich darthut, und dasienige zugleich bestaͤtigt, was wir haupt- Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. hauptsaͤchlich eingeschaͤrft haben: daß, obgleich Erscheinun- gen nicht als Dinge an sich selbst unter den Obiecten des reinen Verstandes mit begriffen seyn, sie doch die einzige sind, an denen unsere Erkentniß obiective Realitaͤt haben kan, nemlich, wo den Begriffen Anschauung entspricht. Wenn wir blos logisch reflectiren, so vergleichen wir lediglich unsere Begriffe unter einander im Verstande, ob beide eben dasselbe enthalten, ob sie sich widersprechen oder nicht, ob etwas in dem Begriffe innerlich enthalten sey, oder zu ihm hinzukomme, und welcher von beiden gegeben, welcher aber nur als eine Art, den gegebenen zu denken, gelten soll. Wende ich aber diese Begriffe auf einen Ge- genstand uͤberhaupt (im transsc. Verstande) an, ohne diesen weiter zu bestimmen, ob er ein Gegenstand der sinnlichen oder intellectuellen Anschauung sey, so zeigen sich so fort Einschraͤnkungen (nicht aus diesem Begriffe hinauszuge- hen), welche allen empirischen Gebrauch derselben verkeh- ren, und eben dadurch beweisen: daß die Vorstellung eines Gegenstandes, als Dinges uͤberhaupt, nicht etwa blos un- zureichend, sondern ohne sinnliche Bestimmung derselben, und, unabhaͤngig von empirischer Bedingung, in sich selbst widerstreitend sey, daß man also entweder von allem Gegenstande abstrahiren (in der Logik) oder, wenn man einen annimt, ihn unter Bedingungen der sinnlichen An- schauung denken muͤsse, mithin das intelligibele eine ganz sondere Anschauung, die wir nicht haben, erfordern wuͤr- de, und in Ermangelung derselben vor uns nichts sey, da- S 4 gegen Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. gegen aber auch die Erscheinungen nicht Gegenstaͤnde an sich selbst seyn koͤnnen. Denn, wenn ich mir blos Dinge uͤberhaupt denke, so kan freilich die Verschiedenheit der aͤusseren Verhaͤltnisse nicht eine Verschiedenheit der Sachen selbst ausmachen, sondern sezt diese vielmehr voraus, und, wenn der Begriff von dem einen, innerlich von dem des andern gar nicht unterschieden ist, so setze ich nur ein und dasselbe Ding in verschiedene Verhaͤltnisse. Ferner, durch Hinzukunft einer blossen Beiahung (Rea- litaͤt) zur andern, wird ia das Positive vermehrt, und ihm nichts entzogen, oder aufgehoben, daher kan das Reale in Dingen uͤberhaupt einander nicht widerstreiten, u. s. w. Die Begriffe der Reflexion haben, wie wir gezeigt haben, durch eine gewisse Mißdeutung einen solchen Ein- fluß auf den Verstandesgebrauch, daß sie sogar einen der scharfsichtigsten unter allen Philosophen zu einem vermein- ten System intellectueller Erkentniß, welches seine Gegen- staͤnde ohne Dazukunft der Sinne zu bestimmen unter- nimt, zu verleiten im Stande gewesen. Eben um des- willen ist die Entwickelung der taͤuschenden Ursache der Am- phibolie dieser Begriffe, in Veranlassung falscher Grund- saͤtze von grossem Nutzen, die Graͤnzen des Verstandes zuverlaͤßig zu bestimmen und zu sichern. Man muß zwar sagen: was einem Begriff allge- mein zukomt, oder widerspricht, das komt auch zu, oder wider- Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. widerspricht allem besondern was unter ienem Begriff enthalten ist; ( dictum de Omni et Nullo ) es waͤre aber ungereimt, diesen logischen Grundsatz dahin zu veraͤndern, daß er so lautete: was in einem allgemeinen Begriffe nicht enthalten ist, daß ist auch in den besonderen nicht enthal- ten, die unter demselben stehen; denn diese sind eben darum besondere Begriffe, weil sie mehr in sich enthalten, als im allgemeinen gedacht wird. Nun ist doch wirklich auf diesen lezteren Grundsatz, das ganze intellectuelle System Leibni- tzens erbauet: es faͤllt also zugleich mit demselben, samt al- ler aus ihm entspringenden Zweideutigkeit im Verstandes- gebrauche. Der Satz des Nichtzuunterscheidenden gruͤndete sich eigentlich auf der Voraussetzung: daß, wenn in dem Be- griffe von einem Dinge uͤberhaupt eine gewisse Unterschei- dung nicht angetroffen wird, so sey sie auch nicht in den Dingen selbst anzutreffen, folglich seyn alle Dinge voͤllig einerley ( numero eadem ) die sich nicht schon in ihrem Begriffe (der Qualitaͤt oder Quantitaͤt nach) von einan- der unterscheiden. Weil aber bey dem blossen Begriffe von irgend einem Dinge von manchen nothwendigen Be- dingungen einer Anschauung abstrahirt worden, so wird, durch eine sonderbare Uebereilung, das, wovon abstrahirt wird, davor genommen, daß es uͤberall nicht anzutreffen sey, und dem Dinge nichts eingeraͤumt, als was in sei- nem Begriffe enthalten ist. S 5 Der Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Der Begriff von einem Cubicfusse Raum, ich mag mir diesen denken, wo und wie oft ich wolle, ist an sich voͤllig einerley. Allein zwey Cubicfuͤsse sind im Raume dennoch blos durch ihre Oerter unterschieden, ( numero diuersa ) diese sind Bedingungen der Anschauung, worin das Ob- iect dieses Begriffs gegeben wird, die nicht zum Begriffe, aber doch zur ganzen Sinnlichkeit gehoͤren. Gleicherge- stalt ist in dem Begriffe von einem Dinge kar kein Wider- streit, wenn nichts verneinendes mit einem beiahenden verbunden worden, und blos beiahende Begriffe koͤnnen, in Verbindung, gar keine Aufhebung bewirken. Allein in der sinnlichen Anschauung, darin Realitaͤt (z. B. Be- wegung) gegeben wird, finden sich Bedingungen (entge- gengesezte Richtungen), von denen im Begriffe der Bewe- gung uͤberhaupt abstrahirt war, die einen Widerstreit, der freilich nicht logisch ist, nemlich aus lauter Positivem ein Zero = o moͤglich machen, und man konte nicht sagen: daß darum alle Realitaͤt unter einander Einstimmung sey, weil unter ihren Begriffen kein Widerstreit angetroffen wird Wollte man sich hier der gewoͤhnlichen Ausflucht bedie- nen: daß wenigstens realitates Noümena einander nicht entgegen wirken koͤnnen, so muͤßte man doch ein Bey- spiel von dergleichen reiner und sinnenfreier Realitaͤt an- fuͤhren, damit man verstaͤnde, ob eine solche uͤberhaupt etwas oder gar nichts vorstelle. Aber es kan kein Bey- spiel woher anders, als aus der Erfahrung genommen wer- . Nach blossen Begriffen ist das Innere das Sub- stra- Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. stratum aller Verhaͤltniß oder aͤusseren Bestimmungen. Wenn ich also von allen Bedingungen der Anschauung ab- strahire, und mich lediglich an den Begriff von einem Dinge uͤberhaupt halte, so kan ich von allem aͤusseren Verhaͤltniß abstrahiren, und es muß dennoch ein Begriff von dem uͤbrig bleiben, das gar kein Verhaͤltniß, sondern blos innere Bestimmungen bedeutet. Da scheint es nun, es folge daraus: in iedem Dinge (Substanz) sey etwas, was schlechthin innerlich ist, und allen aͤusseren Bestim- mungen vorgeht, indem es sie allererst moͤglich macht, mit- hin sey dieses Substratum so etwas, das keine aͤussere Verhaͤltnisse mehr in sich enthaͤlt, folglich einfach: (denn die koͤrperliche Dinge sind doch immer nur Verhaͤltnisse, wenigstens der Theile ausser einander) und weil wir keine schlechthin innere Bestimmungen kennen, als die durch un- sern innern Sinn, so sey dieses Substratum nicht allein Einfach, sondern auch (nach der Analogie mit unserem innern Sinn) durch Vorstellungen bestimt, d. i. alle Din- ge waͤren eigentlich Monaden, oder mit Vorstellungen begabte einfache Wesen. Dieses wuͤrde auch alles seine Richtigkeit haben, gehoͤrete nicht etwas mehr, als der Be- griff von einem Dinge uͤberhaupt, zu den Bedingungen, unter werden, die niemals mehr, als Phaenomena darbietet, und so bedeutet dieser Satz nichts weiter, als daß der Begriff, der lauter Beiahungen enthaͤlt, nichts vernei- nendes enthalte, ein Satz, an dem wir niemals gezwei- felt haben. Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. unter denen allein uns Gegenstaͤnde der aͤusseren Anschau- ung gegeben werden koͤnnen, und von denen der reine Be- griff abstrahirt. Denn da zeigt sich: daß eine beharrliche Erscheinung im Raume (undurchdringliche Ausdehnung) lauter Verhaͤltnisse, und gar nichts schlechthin Innerliches enthalten, und dennoch das erste Substratum aller aͤusseren Wahrnehmung seyn koͤnne. Durch blosse Begriffe kan ich freilich ohne etwas Innerem nichts Aeusseres denken, eben darum, weil Verhaͤltnißbegriffe doch schlechthin gegebene Dinge voraussetzen, und ohne diese nicht moͤglich seyn. Aber, da in der Anschauung etwas enthalten ist, was im blossen Begriffe von einem Dinge uͤberhaupt gar nicht liegt, und die- ses das Substratum, welches durch blosse Begriffe gar nicht erkant werden wuͤrde, an die Hand giebt, nemlich, ein Raum, der, mit allem, was er enthaͤlt, aus lauter formalen, oder auch realen Verhaͤltnissen besteht, so kan ich nicht sagen: weil, ohne ein Schlechthininneres, kein Ding durch blosse Begriffe vorgestellet werden kan, so sey auch in den Dingen selbst, die unter diesen Begriffen enthalten seyn, und ihrer Anschauung nichts Aeusseres, dem nicht etwas Schlechthin innerliches zum Grunde laͤge. Denn, wenn wir von allen Bedingungen der Anschauung abstrahirt haben, so bleibt uns freilich im blossen Begriffe nichts uͤbrig, als das Innre uͤberhaupt, und das Verhaͤlt- niß desselben unter einander, wodurch allein das Aeussere moͤglich ist. Diese Nothwendigkeit aber, die sich allein auf Abstraction gruͤndet, findet nicht bey den Dingen statt, so fern Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. so fern sie in der Anschauung mit solchen Bestimmungen gegeben werden, die blosse Verhaͤltnisse ausdruͤcken, ohne etwas Inneres zum Grunde zu haben, darum, weil sie nicht Dinge an sich selbst, sondern lediglich Erscheinungen sind. Was wir auch nur an der Materie kennen, sind lauter Verhaͤltnisse, (das, was wir innre Bestimmungen derselben nennen, ist nur comparativ innerlich), aber es sind darunter selbststaͤndige und beharrliche, dadurch uns ein bestimter Gegenstand gegeben wird. Daß ich, wenn ich von diesen Verhaͤltnissen abstrahire, gar nichts weiter zu denken habe, hebt den Begriff von einem Dinge, als Erscheinung nicht auf, auch nicht den Begriff von einem Gegenstande in abstracto, wol aber alle Moͤglichkeit eines solchen, der nach blossen Begriffen bestimbar ist, d. i. eines Noumenon. Freilich macht es stutzig, zu hoͤren, daß ein Ding ganz und gar aus Verhaͤltnissen bestehen solle, aber ein solches Ding, ist auch blosse Erscheinung, und kan gar nicht durch reine Categorien gedacht werden; es besteht selbst in dem blossen Verhaͤltnisse von Etwas uͤberhaupt zu den Sinnen. Eben so kan man die Verhaͤltnisse der Dinge in abstracto, wenn man es mit blossen Begriffen anfaͤngt, wol nicht anders denken, als daß eines die Ursache von Bestimmungen in dem andern sey; denn das ist unser Verstandesbegriff von Verhaͤltnissen selbst. Allein, da wir alsdenn von aller Anschauung abstrahiren, so faͤllt eine ganze Art, wie das Mannigfaltige einander seinen Ort bestimmen kan, nemlich, die Form der Sinnlichkeit (der Raum) Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Raum) weg, der doch vor aller empirischen Caussalitaͤt vorhergeht. Wenn wir unter blos intelligibelen Gegenstaͤnden die- ienigen Dinge verstehen, die durch reine Categorien, ohne alles Schema der Sinnlichkeit, gedacht werden, so sind dergleichen unmoͤglich. Denn die Bedingung des obiecti- ven Gebrauchs aller unserer Verstandesbegriffe ist blos die Art unserer sinnlichen Anschauung, wodurch uns Gegen- staͤnde gegeben werden, und, wenn wir von der lezteren abstrahiren, so haben die erstere gar keine Beziehung auf irgend ein Obiect. Ja wenn man auch eine andere Art der Anschauung, als diese unsere sinnliche ist, annehmen wollte, so wuͤrden doch unsere Functionen zu denken in Ansehung derselben von gar keiner Bedeutung seyn. Ver- stehen wir darunter nur Gegenstaͤnde einer nichtsinnlichen Anschauung, von denen unsere Categorien zwar freilich nicht gelten, und von denen wir also gar keine Erkentniß (weder Anschauung, noch Begriff) iemals haben koͤnnen, so muͤssen Noümena in dieser blos negativen Bedeutung allerdings zugelassen werden: da sie denn nichts anders sagen, als: daß unsere Art der Anschauung nicht auf alle Dinge, sondern blos auf Gegenstaͤnde unserer Sinne geht, folglich ihre obiective Guͤltigkeit begraͤnzt ist, und mithin vor irgend eine andere Art Anschauung, und also auch vor Dinge als Obiecte derselben, Platz uͤbrig bleibt. Aber alsdenn ist der Begriff eines Noümenon problematisch, d. i. die Vorstellung eines Dinges, von dem wir weder sagen Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. sagen koͤnnen, daß es moͤglich, noch daß es unmoͤglich sey, indem wir gar keine Art der Anschauung, als unsere sinn- liche kennen, und keine Art der Begriffe, als die Cate- gorien, keine von beiden aber einem aussersinnlichen Gegen- stande angemessen ist. Wir koͤnnen daher das Feld der Gegenstaͤnde unseres Denkens uͤber die Bedingungen unse- rer Sinnlichkeit darum noch nicht positiv erweitern, und ausser den Erscheinungen noch Gegenstaͤnde des reinen Den- kens, d. i. Noümena annehmen, weil iene keine anzuge- bende positive Bedeutung haben. Denn man muß von den Categorien eingestehen: daß sie allein noch nicht zur Erkentniß der Dinge an sich selbst zureichen, und ohne die data der Sinnlichkeit blos subiective Formen der Verstan- deseinheit, aber ohne Gegenstand, seyn wuͤrden. Das Denken ist zwar an sich kein Product der Sinne, und so fern durch sie auch nicht eingeschraͤnkt, aber darum nicht so fort von eigenem und reinem Gebrauche, ohne Beytritt der Sinnlichkeit, weil es alsdenn ohne Obiect ist. Man kan auch das Noumenon nicht ein solches Obiect nennen; denn dieses bedeutet eben den problematischen Begriff von einem Gegenstande vor eine ganz andere Anschauung und einen ganz anderen Verstand, als der unsrige, der mithin selbst ein Problem ist. Der Begriff des Noumenon ist also nicht der Begriff von einem Obiect, sondern die unver- meidlich mit der Einschraͤnkung unserer Sinnlichkeit zu- sammenhaͤngende Aufgabe, ob es nicht von iener ihrer Anschauung ganz entbundene Gegenstaͤnde geben moͤge, welche Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. welche Frage nur unbestimt beantwortet werden kan, nem- lich: daß, weil die sinnliche Anschauung nicht auf alle Din- ge ohne Unterschied geht, vor mehr und andere Gegen- staͤnde Platz uͤbrig bleibe, sie also nicht schlechthin abgelaͤug- net, in Ermangelung eines bestimten Begriffs aber, (da keine Categorie dazu tauglich ist) auch nicht als Gegenstaͤn- de vor unsern Verstand behauptet werden koͤnnen. Der Verstand begraͤnzt demnach die Sinnlichkeit, oh- ne darum sein eigenes Feld zu erweitern, und, indem er iene warnet, daß sie sich nicht anmasse, auf Dinge an sich selbst zu gehen, sondern lediglich auf Erscheinungen, so denkt er sich einen Gegenstand an sich selbst, aber nur als transscendentales Obiect, das die Ursache der Erscheinung (mithin selbst nicht Erscheinung) ist, und weder als Groͤsse, noch als Realitaͤt, noch als Substanz ꝛc. gedacht werden kan, (weil diese Begriffe immer sinnliche Formen, erfor- dern, in denen sie einen Gegenstand bestimmen) wovon also voͤllig unbekant ist, ob es in uns, oder auch ausser uns anzutreffen sey, ob es mit der Sinnlichkeit zugleich aufgehoben werden, oder, wenn wir iene wegnehmen, noch uͤbrig bleiben wuͤrde. Wollen wir dieses Obiect Nou- menon nennen, darum, weil die Vorstellung von ihm nicht sinnlich ist, so steht dieses uns frey. Da wir aber keine von unseren Verstandesbegriffen darauf anwenden koͤnnen, so bleibt diese Vorstellung doch vor uns leer, und dient zu nichts, als die Graͤnzen unserer sinnlichen Erkentniß zu bezeich- Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. bezeichnen, und einen Raum uͤbrig zu lassen, den wir weder durch moͤgliche Erfahrung, noch durch den reinen Verstand ausfuͤllen koͤnnen. Die Critik dieses reinen Verstandes erlaubt es also nicht, sich ein neues Feld von Gegenstaͤnden, ausser de- nen, die ihm als Erscheinungen vorkommen koͤnnen, zu schaffen, und in intelligibele Welten, so gar nicht einmal in ihren Begriff auszuschweifen. Der Fehler, welcher hiezu auf die allerscheinbarste Art verleitet, und allerdings entschuldigt, obgleich nicht gerechtfertigt werden kan, liegt darin: daß der Gebrauch des Verstandes, wider seine Bestimmung, transscendental gemacht, und die Gegenstaͤn- de, d. i. moͤgliche Anschauungen, sich nach Begriffen, nicht aber Begriffe sich nach moͤglichen Anschauungen (als auf denen allein ihre obiective Guͤltigkeit beruht) richten muͤs- sen. Die Ursache hievon aber ist wiederum: daß die Ap- perception, und, mit ihr, das Denken vor aller moͤgli- chen bestimten Anordnung der Vorstellungen vorhergeht. Wir denken also Etwas uͤberhaupt, und bestimmen es ei- nerseits sinnlich, allein unterscheiden doch den allgemeinen und in abstracto vorgestellten Gegenstand von dieser Art ihn anzuschauen; da bleibt uns nun eine Art, ihn blos durch Denken zu bestimmen, uͤbrig, welche zwar eine blos- se logische Form ohne Inhalt ist, uns aber dennoch eine Art zu seyn scheint, wie das Obiect an sich existire ( Noü- menon ), ohne auf die Anschauung zu sehen, welche auf unsere Sinne eingeschraͤnkt ist. T Ehe Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Ehe wir die transscendentale Analytik verlassen, muͤssen wir noch etwas hinzufuͤgen, was, obgleich an sich von nicht sonderlicher Erheblichkeit, dennoch zur Vollstaͤn- digkeit des Systems erforderlich scheinen duͤrfte. Der hoͤchste Begriff, von dem man eine Transscendentalphiloso- phie anzufangen pflegt, ist gemeiniglich die Eintheilung in das Moͤgliche und Unmoͤgliche. Da aber alle Einthei- lung einen eingetheilten Begriff voraussezt, so muß noch ein hoͤherer angegeben werden, und dieser ist der Be- griff von einem Gegenstande uͤberhaupt (problematisch ge- nommen, und unausgemacht, ob er Etwas oder Nichts sey.) Weil die Categorien die einzige Begriffe sind, die sich auf Gegenstaͤnde uͤberhaupt beziehen, so wird die Un- terscheidung eines Gegenstandes, ob er Etwas, oder Nichts sey, nach der Ordnung und Anweisung der Categorien fortgehen. 1) Den Begriffen von Allem, Vielen und Einem ist der, so alles aufhebt; d. i. Keines entgegen gesezt, und so ist der Gegenstand eines Begriffs, dem gar keine anzugebende Anschauung correspondirt, = Nichts, d. i. ein Begriff ohne Gegenstand, wie die Noümena, die nicht unter die Moͤglichkeiten gezehlt werden koͤnnen, obgleich auch darum nicht vor un- moͤglich ausgegeben werden muͤssen, ( ens rationis ) oder wie etwa gewisse neue Grundkraͤfte, die man sich Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. sich denkt, zwar ohne Widerspruch, aber auch ohne Beyspiel aus der Erfahrung gedacht worden, und also nicht unter die Moͤglichkeiten gezehlt werden muͤssen. 2) Realitaͤt ist Etwas, Negation ist Nichts, nemlich, ein Begriff von dem Mangel eines Gegenstandes, wie der Schatten, die Kaͤlte ( nihil privativum ). 3) Die blosse Form der Anschauung, ohne Substanz, ist an sich kein Gegenstand, sondern die blos formale Bedingung desselben, (als Erscheinung) wie der rei- ne Raum, und die reine Zeit ( ens imaginarium ) die zwar Etwas sind, als Formen anzuschauen, aber selbst keine Gegenstaͤnde sind, die angeschauet werden. 4) Der Gegenstand eines Begriffs, der sich selbst wi- derspricht, ist Nichts, weil der Begriff nichts ist, das Unmoͤgliche, wie etwa die geradlinigte Figur von zwey Seiten ( nihil negativum ). Die Tafel dieser Eintheilung des Begriffs von Nichts (denn die dieser gleichlaufende Eintheilung des Etwas folgt von selber) wuͤrde daher so angelegt werden muͤssen: T 2 Nichts Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Nichts als 1 Leerer Begriff ohne Gegenstand ens rationis 2. Leerer Gegenstand eines Begriffs nihil privativum 3. Leere Anschauung ohne Gegenstand ens imaginarium 4. Leerer Gegenstand ohne Begriff nihil negativum . Man siehet: daß das Gedankending ( n. 1.) von dem Undinge ( n. 4.) dadurch unterschieden werde, daß ienes nicht unter die Moͤglichkeiten gezehlt werden darf, weil es blos Erdichtung (obzwar nicht widersprechende) ist, dieses aber der Moͤglichkeit entgegen gesezt ist, indem der Begriff so. gar sich selbst aufhebt. Beide sind aber leere Begriffe. Dagegen sind das nihil privativum ( n. 2.) und ens imaginarium ( n. 3.) leere Data zu Begriffen. Wenn das Licht nicht den Sinnen gegeben worden, so kan man sich auch keine Finsterniß, und, wenn nicht ausge- dehnte Wesen wahrgenommen worden, keinen Raum vor- stellen. Die Negation so wol, als die blosse Form der Anschauung, sind, ohne ein Reales, keine Obiecte. Der Einleitung . Der Transscendentalen Logik Zweite Abtheilung. Die Transscendentale Dyalectik. Einleitung . I. Vom transscendentalen Schein. W ir haben oben die Dialectik uͤberhaupt eine Logik des Scheins genant. Das bedeutet nicht, sie sey eine Lehre der Wahrscheinlichkeit; denn diese ist Wahr- heit, aber durch unzureichende Gruͤnde erkant, deren Er- kentniß also zwar mangelhaft, aber darum doch nicht truͤglich ist, und mithin von dem analytischen Theile der Logik nicht getrent werden muß. Noch weniger duͤrfen Erscheinung und Schein vor einerley gehalten werden. Denn Wahrheit oder Schein sind nicht im Gegenstande, so fern er angeschaut wird, sondern im Urtheile uͤber den- selben, so fern er gedacht wird. Man kan also zwar richtig sagen: daß die Sinne nicht irren, aber nicht darum, weil sie iederzeit richtig urtheilen, sondern weil sie gar nicht ur- theilen. Daher sind Wahrheit so wol als Irrthum, mit- hin auch der Schein, als die Verleitung zum lezteren, nur im Urtheile, d. i. nur in dem Verhaͤltnisse des Gegenstan- des zu unserm Verstande anzutreffen. In einem Erkent- niß, das mit den Verstandesgesetzen durchgaͤngig zusam- T 3 men- Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transsc. Dyal. menstimt, ist kein Irrthum. In einer Vorstellung der Sinne ist (weil sie gar kein Urtheil enthaͤlt) auch kein Irr- thum. Keine Kraft der Natur kan aber von selbst von ihren eigenen Gesetzen abweichen. Daher wuͤrden weder der Verstand, vor sich allein (ohne Einfluß einer andern Ursache) noch die Sinne, vor sich, irren; der erstere darum nicht, weil, wenn er blos nach seinen Gesetzen han- delt, die Wirkung (das Urtheil) mit diesen Gesetzen noth- wendig uͤbereinstimmen muß. In ber Uebereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes besteht aber das formale aller Wahrheit. In den Sinnen ist gar kein Urtheil, we- der ein wahres noch falsches. Weil wir nun ausser diesen beiden Erkentnißquellen keine andere haben, so folgt: daß der Irrthum nur durch den unbemerkten Ein- fluß der Sinnlichkeit auf den Verstand, bewirkt werde, wodurch es geschieht: daß subiective Gruͤnde des Urtheils mit den obiectiven zusammenfliessen, und diese von ihrer Bestimmung abweichend machen, Die Sinnlichkeit, dem Verstande untergelegt, als das Obiect, worauf dieser seine Function anwendet, ist der Quell realer Erkentnisse. Eben dieselbe aber, so fern sie auf die Verstandeshandlung selbst einfließt, und ihn zum Urtheilen bestimt, ist der Grund des Irrthums. so wie ein bewegter Coͤrper zwar vor sich iederzeit die gerade Linie in derselben Richtung halten wuͤrde, die aber, wenn eine andere Kraft nach einer anderen Richtung zugleich auf ihn einfließt, in krumlinigte Bewegung ausschlaͤgt. Um die eigenthuͤm- liche Einleitung . liche Handlung des Verstandes von der Kraft, die sich mit einmengt, zu unterscheiden, wird es daher noͤthig seyn, das irrige Urtheil als die Diagonale zwischen zwey Kraͤften anzusehen, die das Urtheil nach zwey verschiedenen Rich- tungen bestimmen, die gleichsam einen Winkel einschliessen, und iene zusammengesezte Wirkung in die einfache des Ver- standes und der Sinnlichkeit aufzuloͤsen, welches in reinen Urtheilen a priori durch transscendentale Ueberlegung ge- schehen muß, wodurch (wie schon angezeigt worden) ieder Vorstellung ihre Stelle in der ihr angemessenen Erkentniß- kraft angewiesen, mithin auch der Einfluß der lezteren auf iene unterschieden wird. Unser Geschaͤfte ist hier nicht vom empirischen Scheine (z. B. dem optischen) zu handeln, der sich bey dem empi- rischen Gebrauche sonst richtiger Verstandesregeln vorfindet und durch welchen die Urtheilskraft, durch den Einfluß der Einbildung verleitet wird, sondern wir haben es mit dem transscendentalen Scheine allein zu thun, der auf Grund- saͤtze einfließt, deren Gebrauch nicht einmal auf Erfahrung angelegt ist, als in welchem Falle wir doch wenigstens ei- nen Probierstein ihrer Richtigkeit haben wuͤrden, sondern der uns selbst, wider alle Warnungen der Critik, gaͤnzlich uͤber den empirischen Gebrauch der Categorien wegfuͤhrt und uns mit dem Blendwerke einer Erweiterung des rei- nen Verstandes hinhaͤlt. Wir wollen die Grundsaͤtze, deren Anwendung sich ganz und gar in den Schranken T 4 moͤg- Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transsc. Dyal. moͤglicher Erfahrung haͤlt, immanente, dieienige aber, welche diese Graͤnzen uͤberfliegen sollen, transscendente Grundsaͤtze nennen. Ich verstehe aber unter diesen nicht den transscendentalen Gebrauch oder Mißbrauch der Ca- tegorien, welcher ein blosser Fehler, der nicht gehoͤrig durch Critik gezuͤgelten Urtheilskraft ist, die auf die Graͤn- ze des Bodens, worauf allein dem reinen Verstande sein Spiel erlaubt ist, nicht genug Acht hat; sondern wirkliche Grundsaͤtze, die uns zumuthen, alle iene Graͤnzpfaͤhle nie- derzureissen und sich einen ganz neuen Boden, der uͤberall keine Demarcation erkent, anzumassen. Daher sind transscendental und transscendent nicht einerley. Die Grundsaͤtze des reinen Verstandes, die wir oben vortrugen, sollen blos von empirischem und nicht von transscendenta- lem, d. i. uͤber die Erfahrungsgraͤnze hinausreichendem Gebrauche seyn. Ein Grundsatz aber, der diese Schran- ken wegnimt, ia gar gebietet, sie zu uͤberschreiten, heißt transscendent. Kan unsere Critik dahin gelangen, den Schein dieser angemaßten Grundsaͤtze aufzudecken, so wer- den iene Grundsaͤtze des blos empirischen Gebrauchs, im Gegensatz mit den leztern, immanente Grundsaͤtze des reinen Verstandes genant werden koͤnnen. Der logische Schein, der in der blossen Nachahmung der Vernunftform besteht, (der Schein der Trugschluͤsse) entspringt lediglich aus einem Mangel der Achtsamkeit auf die logische Regel. So bald daher diese auf den vorlie- gen- Einleitung . genden Fall geschaͤrft wird, so verschwindet er gaͤnzlich. Der transscendentale Schein dagegen hoͤrt gleichwol nicht auf, ob man ihn schon aufgedekt und seine Nichtigkeit durch die transscendentale Critik deutlich eingesehen hat. (z. B. der Schein in dem Satze: die Welt muß der Zeit nach einen Anfang haben). Die Ursache hievon ist diese: daß in unserer Vernunft (subiectiv als ein menschliches Erkentnißvermoͤgen betrachtet) Grundregeln und Maxi- men ihres Gebrauchs liegen, welche gaͤnzlich das Ansehen obiectiver Grundsaͤtze haben und wodurch es geschieht, daß die subiective Nothwendigkeit einer gewissen Verknuͤpfung unserer Begriffe, zu Gunsten des Verstandes, vor eine obiective Nothwendigkeit, der Bestimmung der Dinge an sich selbst, gehalten wird. Eine Illusion, die gar nicht zu vermeiden ist, so wenig als wir es vermeiden koͤnnen, daß uns das Meer in der Mitte nicht hoͤher scheine, wie an dem Ufer, weil wir iene durch hoͤhere Lichtstrahlen als die- se sehen, oder, noch mehr, so wenig selbst der Astronom verhindern kan, daß ihm der Mond im Aufgange nicht groͤsser scheine, ob er gleich durch diesen Schein nicht be- trogen wird. Die transscendentale Dialectik wird also sich damit begnuͤgen, den Schein transscendenter Urtheile aufzudecken, und zugleich zu verhuͤten, daß er nicht betriege; daß er aber auch (wie der logische Schein) so gar verschwinde und ein Schein zu seyn aufhoͤre, das kan sie niemals be- T 5 werk- Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transsc. Dial. werkstelligen. Denn wir haben es mit einer natuͤrlichen und unvermeidlichen Illusion zu thun, die selbst auf sub- iectiven Grundsaͤtzen beruht, und sie als obiective unter- schiebt, anstatt, daß die logische Dialectik in Aufloͤsung der Trugschluͤsse es nur mit einem Fehler, in Befolgung der Grundsaͤtze, oder mit einem gekuͤnstelten Scheine, in Nachahmung derselben, zu thun hat. Es giebt also eine natuͤrliche und unvermeidliche Dialectik der reinen Ver- nunft, nicht eine, in die sich etwa ein Stuͤmper, durch Mangel an Kentnissen, selbst verwickelt, oder die irgend ein Sophist, um vernuͤnftige Leute zu verwirren, kuͤnstlich ersonnen hat, sondern die der menschlichen Vernunft un- hintertreiblich anhaͤngt, und selbst, nachdem wir ihr Blendwerk aufgedekt haben, dennoch nicht aufhoͤren wird, ihr vorzugaukeln und sie unablaͤssig in augenblickliche Ver- irrungen zu stossen, die iederzeit gehoben zu werden be- duͤrfen. II. Von der reinen Vernunft als dem Sitze des transscendentalen Scheins. A. Von der Vernunft uͤberhaupt. Alle unsere Erkentniß hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verstande und endigt bey der Vernunft, uͤber welche nichts hoͤheres in uns angetroffen wird, den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und unter die hoͤchste Ein- heit Einleitung . heit des Denkens zu bringen. Da ich ietzt von dieser ober- sten Erkentnißkraft eine Erklaͤrung geben soll, so finde ich mich in einiger Verlegenheit. Es giebt von ihr, wie von dem Verstande, einen blos formalen, d. i. logischen Gebrauch, da die Vernunft von allem Inhalte der Erkentniß abstra- hirt, aber auch einen realen, da sie selbst den Ursprung gewisser Begriffe und Grundsaͤtze enthaͤlt, die sie weder von den Sinnen, noch vom Verstande entlehnt. Das erstere Vermoͤgen ist nun freilich vorlaͤngst von den Logikern durch das Vermoͤgen mittelbar zu schliessen (zum Unter- schiede von den unmittelbaren Schluͤssen, consequentiis immediatis ) erklaͤrt worden, das zweite aber, welches selbst Begriffe erzeugt, wird dadurch noch nicht eingesehen. Da nun hier eine Eintheilung der Vernunft in ein logisches und transscendentales Vermoͤgen vorkomt, so muß ein hoͤherer Begriff von dieser Erkentnißquelle gesucht werden, welcher beide Begriffe unter sich befaßt, indessen wir nach der Analogie mit den Verstandesbegriffen erwarten koͤnnen: daß der logische Begriff zugleich den Schluͤssel zum trans- scendentalen, und die Tafel der Functionen der ersteren zugleich die Stammleiter der Vernunftbegriffe an die Hand geben werde. Wir erklaͤreten, im erstern Theile unserer transscen- dentalen Logik, den Verstand durch das Vermoͤgen der Regeln, hier unterscheiden wir die Vernunft von demsel- ben dadurch, daß wir sie das Vermoͤgen der Principien nennen wollen. Der Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transc. Dial. Der Ausdruck eines Princips ist zweydeutig und be- deutet gemeiniglich nur ein Erkentniß, das als Princip gebraucht werden kan, ob es zwar an sich selbst und sei- nem eigenen Ursprunge nach kein Principium ist. Ein ieder allgemeiner Satz, er mag auch so gar aus Erfahrung (durch Induction) hergenommen seyn, kan zum Ober- satz in einem Vernunftschlusse dienen; er ist darum aber nicht selbst ein Principium. Die mathematische Axiomen (z. B. zwischen zwey Puncten kan nur eine gerade Linie seyn) sind sogar allgemeine Erkentnisse a priori, und werden daher mit Recht, relativisch auf die Faͤlle, die unter ihnen subsumirt werden koͤnnen, Principien genant. Aber ich kan darum doch nicht sagen: daß ich diese Eigen- schaft der geraden Linien, uͤberhaupt und an sich, aus Principien erkenne, sondern nur in der reinen Anschauung. Ich wuͤrde daher Erkentniß aus Principien dieienige nennen, da ich das besondre im allgemeinen durch Begriffe erkenne. So ist denn ein ieder Vernunftschluß eine Form der Ableitung einer Erkentniß aus einem Princip. Denn der Obersatz giebt iederzeit einen Begriff, der da macht, daß alles, was unter der Bedingung desselben subsumirt wird, aus ihm nach einem Princip erkant wird. Da nun iede allgemeine Erkentniß zum Obersatze in einem Vernunftschlusse dienen kan, und der Verstand dergleichen allgemeine Saͤtze a priori darbietet, so koͤnnen diese denn auch, in Ansehung ihres moͤglichen Gebrauchs, Principien genant werden. Be- Einleitung . Betrachten wir aber diese Grundsaͤtze des reinen Ver- standes an sich selbst ihrem Ursprunge nach, so sind sie nichts weniger als Erkentnisse aus Begriffen. Denn sie wuͤrden auch nicht einmal a priori moͤglich seyn, wenn wir nicht die reine Anschauung, (in der Mathematik) oder Bedingungen einer moͤglichen Erfahrung uͤberhaupt her- bey zoͤgen. Daß alles, was geschieht, eine Ursache habe, kan gar nicht aus dem Begriffe dessen, was uͤberhaupt geschieht, geschlossen werden; vielmehr zeigt der Grundsatz, wie man allererst von dem was geschieht, einen bestimten Erfahrungsbegriff bekommen koͤnne. Synthetische Erkentnisse aus Begriffen kan der Ver- stand also gar nicht verschaffen, und diese sind es eigent- lich, welche ich schlechthin Principien nenne: indessen, daß alle allgemeine Saͤtze uͤberhaupt comparative Principien heissen koͤnnen. Es ist ein alter Wunsch, der, wer weis wie spaͤt, vielleicht einmal in Erfuͤllung gehen wird: daß man doch einmal, statt der endlosen Mannigfaltigkeit buͤrgerlicher Ge- setze, ihre Principien aufsuchen moͤge; denn darin kan al- lein das Geheimniß bestehen, die Gesetzgebung, wie man sagt, zu simplificiren. Aber die Gesetze sind hier auch nur Einschraͤnkungen unsrer Freyheit auf Bedingungen, unter denen sie durchgaͤngig mit sich selbst zusammenstimt, mit- hin gehen sie auf etwas, was gaͤnzlich unser eigen Werk ist, und wovon wir durch iene Begriffe selbst die Ursache seyn koͤnnen. Wie aber Gegenstaͤnde an sich selbst, wie die Elmentarl. II. Th. I. Abth. Die transsc. Dial. die Natur der Dinge unter Principien stehe und nach blos- sen Begriffen bestimt werden solle, ist, wo nicht etwas un- moͤgliches, wenigstens doch sehr widersinnisches in seiner Forderung. Es mag aber hiemit bewandt seyn, wie es wolle, (denn daruͤber haben wir die Untersuchung noch vor uns) so erhellet wenigstens daraus: daß Erkentniß aus Principien (an sich selbst) ganz etwas anders sey, als blosse Verstandeserkentniß, die zwar auch andern Er- kentnissen in der Form eines Princips, vorgehen kan, an sich selbst aber (so fern sie synthetisch ist) nicht auf blossem Denken beruht, noch ein Allgemeines nach Begriffen in sich enthaͤlt. Der Verstand mag ein Vermoͤgen der Einheit der Erscheinungen vermittelst der Regeln seyn, so ist die Ver- nunft das Vermoͤgen der Einheit der Verstandesregeln un- ter Principien. Sie geht also niemals zunaͤchst auf Er- fahrung, oder auf irgend einen Gegenstand, sondern auf den Verstand, um den mannigfaltigen Erkentnissen dessel- ben Einheit a priori durch Begriffe zu geben, welche Vernunfteinheit heissen mag, und von ganz anderer Art ist, als sie von dem Verstande geleistet werden kan. Das ist der allgemeine Begriff von dem Vernunft- vermoͤgen, so weit er, bey gaͤnzlichem Mangel an Beyspielen (als die erst in der Folge gegeben werden sollen), hat be- greiflich gemacht werden koͤnnen. B. Vom Einleitung . B. Vom logischen Gebrauche der Vernunft. Man macht einen Unterschied zwischen dem, was un- mittelbar erkant, und dem, was nur geschlossen wird. Daß in einer Figur, die durch drey gerade Linien begraͤnzt ist, drey Winkel sind, wird unmittelbar erkant, daß die: se Winkel aber zusammen zween rechten gleich sind, ist nur geschlossen. Weil wir des Schliessens bestaͤndig beduͤr- fen und es dadurch endlich ganz gewohnt werden, so be- merken wir zuletzt diesen Unterschied nicht mehr, und hal- ten oft, wie bey dem sogenannten Betruge der Sinne, et- was vor unmittelbar wahrgenommen, was wir doch nur ge- schlossen haben. Bey iedem Schlusse ist ein Satz, der zum Grunde liegt, ein andrer, nemlich die Folgerung die aus ienem gezogen wird, endlich die Schlußfolge (Consequenz), nach welcher die Wahrheit des lezteren unausbleiblich mit der Wahrheit des ersteren verknuͤpft ist. Liegt das ge- schlossene Urtheil schon so in dem ersten, daß es ohne Ver- mittelung einer dritten Vorstellung daraus abgeleitet wer- den kan, so heißt der Schluß unmittelbar (consequentia immediata); ich moͤchte ihn lieber den Verstandesschluß nennen. Ist aber, ausser der zum Grunde gelegten Er- kentniß, noch ein anderes Urtheil noͤthig, um die Folge zu bewirken, so heißt der Schluß ein Vernunftschluß. In dem Satze: alle Menschen sind sterblich, liegen schon die Saͤtze: einige Menschen sind sterblich, oder: einige Sterb- liche sind Menschen, oder: nichts, was unsterblich ist, ist ein Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transsc. Dial. ein Mensch, und diese sind also unmittelbare Folgerungen aus dem Ersteren. Dagegen liegt der Satz: alle Gelehrte sind sterblich, nicht in dem untergelegten Urtheile (denn der Begriff der Gelehrten komt in ihm gar nicht vor) und er kan nur vermittelst eines Zwischenurtheils aus diesem gefolgert werden. In iedem Vernunftschlusse denke ich zuerst eine Re- gel ( maior ) durch den Verstand. Zweitens subsumire ich ein Erkentniß unter die Bedingung der Regel ( minor ) vermittelst der Urtheilskraft. Endlich bestimme ich mein Erkentniß durch das Praͤdicat der Regel ( conclusio ) mit- hin a priori durch die Vernunft. Das Verhaͤltniß also, welches der Obersatz, als die Regel, zwischen einer Er- kentniß und ihrer Bedingung vorstellt, macht die verschie- dene Arten der Vernunftschluͤsse aus. Sie sind also gera- de dreyfach, so wie alle Urtheile uͤberhaupt, so fern sie sich in der Art unterscheiden, wie sie das Verhaͤltniß des Erkentnisses im Verstande ausdruͤcken, nemlich: catego- rische oder hypothetische oder disiunktive Vernunft- schluͤsse. Wenn, wie mehrentheils geschieht, die Conclusion als ein Urtheil aufgegeben worden, um zu sehen, ob es nicht aus schon gegebenen Urtheilen, durch die nemlich ein ganz anderer Gegendstand gedacht wird, fließe: so suche ich im Verstande die Assertion dieses Schlußsatzes auf, ob sie sich nicht in demselben unter gewissen Bedingungen nach einer allgemeinen Regel vorfinde. Finde ich nun eine solche Einleitung . solche Bedingung und laͤßt sich das Obiect des Schlußsatzes unter der gegebenen Bedingung subsumiren, so ist dieser aus der Regel, die auch vor andere Gegenstaͤnde der Erkentniß gilt, gefolgert. Man sieht daraus: daß die Vernunft im Schließen die grosse Mannigfaltigkeit der Er- kentniß des Verstandes auf die kleinste Zahl der Principien (allgemeiner Bedingungen) zu bringen und dadurch die hoͤchste Einheit derselben zu bewirken suche. C. Von dem reinen Gebrauche der Vernunft. Kan man die Vernunft isoliren und ist sie alsdenn noch ein eigener Quell von Begriffen und Urtheilen, die lediglich aus ihr entspringen, und dadurch sie sich auf Ge- genstaͤnde bezieht, oder ist sie ein blos subalternes Ver- moͤgen, gegebenen Erkentnissen eine gewisse Form zu ge- ben, welche logisch heißt, und wodurch die Verstandeser- kentnisse nur einander und niedrige Regeln andern hoͤhern (deren Bedingung die Bedingung der ersteren in ihrer Sphaͤre befaßt) untergeordnet werden, so viel sich durch die Vergleichung derselben will bewerkstelligen lassen? Dies ist die Frage, mit der wir uns iezt nur vorlaͤufig be- schaͤftigen. In der That ist Mannigfaltigkeit der Regeln und Einheit der Principien eine Forderung der Vernunft, um den Verstand mit sich selbst in durchgaͤngigen Zusammen- hang zu bringen, so wie der Verstand das Mannigfaltige der Anschauung unter Begriffe und dadurch iene in Ver- U knuͤp- Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transsc. Dial. knuͤpfung bringt. Aber ein solcher Grundsatz schreibt den Obiecten kein Gesetz vor, und enthaͤlt nicht den Grund der Moͤglichkeit, sie als solche uͤberhaupt zu erkennen und zu bestimmen, sondern ist blos ein subiectives Gesetz der Haushaltung mit dem Vorrathe unseres Verstandes, durch Vergleichung seiner Begriffe, den allgemeinen Gebrauch derselben auf die kleinstmoͤgliche Zahl derselben zu brin- gen, ohne daß man deswegen von den Gegenstaͤnden selbst eine solche Einhelligkeit, die der Gemaͤchlichkeit und Aus- breitung unseres Verstandes Vorschub thue, zu fordern, und iener Maxime zugleich obiective Guͤltigkeit zu geben, berechtiget waͤre. Mit einem Worte, die Frage ist: ob Vernunft an sich, d. i. die reine Vernunft a priori syn- thetische Grundsaͤtze und Regeln enthalte, und worin diese Principien bestehen moͤgen? Das formale und logische Verfahren derselben in Vernunftschluͤssen giebt uns hieruͤber schon hinreichende Anleitung, auf welchem Grunde das transscendentale Prin- cipium derselben in der synthetischen Erkentniß durch reine Vernunft beruhen werde. Erstlich geht der Vernunftschluß nicht auf Anschau- ungen, um dieselbe unter Regeln zu bringen (wie der Verstand mit seinen Categorien), sondern auf Begriffe und Urtheile. Wenn also reine Vernunft auch auf Gegenstaͤn- de geht, so hat sie doch darauf und deren Anschauung keine unmittelbare Beziehung, sondern nur auf den Ver- stand und dessen Urtheile, welche sich zunaͤchst an die Sinne und Einleitung . und deren Anschauung wenden, um diesen ihren Gegenstand zu bestimmen. Vernunfteinheit ist also nicht Einheit einer moͤglichen Erfahrung, sondern von dieser als der Verstan- deseinheit, wesentlich unterschieden. Daß alles, was ge- schieht, eine Ursache habe, ist gar kein durch Vernunft erkanter und vorgeschriebener Grundsatz. Er macht die Einheit der Erfahrung moͤglich und entlehnt nichts von der Vernunft, welche, ohne diese Beziehung auf moͤgliche Erfahrung, aus blossen Begriffen, keine solche syn- thetische Einheit haͤtte gebieten koͤnnen. Zweitens sucht die Vernunft in ihrem logischen Ge- brauche die allgemeine Bedingung ihres Urtheils (des Schlußsatzes) und der Vernunftschluß ist selbst nichts an- ders als ein Urtheil, vermittelst der Subsumtion seiner Bedingung unter eine allgemeine Regel (Obersatz). Da nun diese Regel wiederum eben demselben Versuche der Vernunft ausgesetzt ist, und dadurch die Bedingung der Bedingung (vermittelst eines Prosyllogismus) gesucht wer- den muß, so lange es angeht, so siehet man wol, der eigenthuͤmliche Grundsatz der Vernunft uͤberhaupt (im lo- gischen Gebrauche) sey: zu dem bedingten Erkentnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird. Diese logische Maxime kan aber nicht anders ein Principium der reinen Vernunft werden, als dadurch, daß man annimt: wenn das Bedingte gegeben ist, so sey auch die ganze Reihe einander untergeordneten Bedingun- U 2 gen Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transsc. Dial. gen, die mithin selbst unbedingt ist, gegeben, (d. i. in dem Gegenstande und seiner Verknuͤpfung enthalten). Ein solcher Grundsatz der reinen Vernunft ist aber offenbar synthetisch; denn das Bedingte Bezieht sich ana- lytisch zwar auf irgend eine Bedingung, aber nicht aufs Unbedingte. Es muͤssen aus demselben auch verschiedene synthetische Saͤtze entspringen, wovon der reine Verstand nichts weiß, als der nur mit Gegenstaͤnden einer moͤgli- chen Erfahrung zu thun hat, deren Erkentniß und Syn- thesis iederzeit bedingt ist. Das Unbedingte aber, wenn es wirklich statt hat, kan besonders erwogen werden, nach allen den Bestimmungen, die es von iedem Bedingten un- terscheiden, und muß dadurch Stoff zu manchen syntheti- schen Saͤtzen a priori geben. Die aus diesem obersten Princip der reinen Vernunft entspringende Grundsaͤtze werden aber in Ansehung aller Erscheinungen transscendent seyn, d. i. es wird kein ihm adaͤquater empirischer Gebrauch von demselben iemals ge- macht werden koͤnnen. Er wird sich also von allen Grund- saͤtzen des Verstandes, (deren Gebrauch voͤllig immanent ist, indem sie nur die Moͤglichkeit der Erfahrung zu ihrem Thema haben), gaͤnzlich unterscheiden. Ob nun iener Grundsatz: daß sich die Reihe der Bedingungen (in der Synthesis der Erscheinungen, oder auch des Denkens der Dinge uͤberhaupt), bis zum Unbedingten erstrecke, seine obiective Richtigkeit habe, oder nicht, welche Folge- rungen daraus auf den empirischen Verstandesgebrauch fließen Einleitung . fließen, oder ob es vielmehr uͤberall keinen dergleichen ob- iectivguͤltigen Vernunftsatz gebe, sondern eine blos logische Vorschrift, sich im Aufsteigen zu immer hoͤheren Bedin- gungen, der Vollstaͤndigkeit derselben zu naͤheren und da- durch die hoͤchste uns moͤgliche Vernunfteinheit in unsere Erkentniß zu bringen, ob, sage ich, dieses Beduͤrfniß der Vernunft durch einen Mißverstand vor einen transscenden- talen Grundsatz der reinen Vernunft gehalten worden, der eine solche unbeschraͤnkte Vollstaͤndigkeit uͤbereilter Weise von der Reihe der Bedingungen in den Gegenstaͤnden selbst postulirt, was aber auch in diesem Falle vor Mißdeutun- gen und Verblendungen in die Vernunftschluͤsse, deren Obersatz aus reiner Vernunft genommen worden, (und der vielleicht mehr Petition als Postulat ist) und die von der Erfahrung aufwaͤrts zu ihren Bedingungen steigen, einschleichen moͤgen: das wird unser Geschaͤfte in der transscendentalen Dialectik seyn, welche wir iezt aus ihren Ouellen , die tief in der menschlichen Vernunft verborgen sind, entwickeln wollen. Wir werden sie in zwey Haupt- stuͤcke theilen, deren erstere von den transscendenten Be- griffen der reinen Vernunft, der zweite von transscenden- ten und dialectischen Vernunftschluͤssen derselben han- deln soll. U 3 Der Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Der Transscendentalen Dialectik Erstes Buch. Von den Begriffen der reinen Vernunft. W as es auch mit der Moͤglichkeit der Begriffe aus rei- ner Vernunft vor eine Bewandniß haben mag: so sind sie doch nicht blos reflectirte, sondern geschlossene Be- griffe. Verstandesbegriffe werden auch a priori vor der Erfahrung und zum Behuf derselben gedacht, aber sie enthalten nichts weiter, als die Einheit der Reflexion uͤber die Erscheinungen, in so fern sie nothwendig zu einem moͤglichen empirischen Bewußtseyn gehoͤren sollen. Durch sie allein wird Erkentniß und Bestimmung eines Gegen- standes moͤglich. Sie geben also zuerst Stoff zum Schlies- sen und vor ihnen gehen keine Begriffe a priori von Ge- genstaͤnden vorher, aus denen sie koͤnten geschlossen wer- den. Dagegen gruͤndet sich ihre obiective Realitaͤt doch lediglich darauf: daß, weil sie die intellectuelle Form aller Erfahrung ausmachen, ihre Anwendung iederzeit in der Erfahrung muß gezeigt werden koͤnnen. Die Benennung eines Vernunftbegriffs aber zeigt schon vorlaͤufig: daß er sich nicht innerhalb der Erfahrung wolle beschraͤnken lassen, weil er eine Erkentniß betrift, von der iede empirische nur ein Theil ist, (vielleicht das Ganze der Von den Begriffen der reinen Vernunft. der moͤglichen Erfahrung oder ihrer empirischen Synthe- sis) bis dahin zwar keine wirkliche Erfahrung iemals voͤl- lig zureicht, aber doch iederzeit dazu gehoͤrig ist. Ver- nunftbegriffe dienen zum Begreiffen, wie Verstandesbe- griffe zum Verstehen (der Wahrnehmungen). Wenn sie das Unbedingte enthalten, so betreffen sie etwas, worunter alle Erfahrung gehoͤrt, welches selbst aber niemals ein Ge- genstand der Erfahrung ist: Etwas, worauf die Vernunft in ihren Schluͤssen aus der Erfahrung fuͤhrt und wornach sie den Grad ihres empirischen Gebrauchs schaͤtzet und ab- misset, niemals aber ein Glied der empirischen Synthesis ausmacht. Haben dergleichen Begriffe, dessen ungeachtet, obiective Guͤltigkeit, so koͤnnen sie conceptus ratiocinati (nichtig geschlossene Begriffe) heissen; wo nicht, so sind sie wenigstens durch einen Schein des Schliessens erschlichen und moͤgen conceptus ratiocinantes (vernuͤnftelnde Be- griffe) genant werden. Da dieses aber allererst in dem Hauptstuͤcke von den dialectischen Schluͤssen der reinen Ver- nunft ausgemacht werden kan, so koͤnnen wir darauf noch nicht Ruͤcksicht nehmen, sondern werden vorlaͤufig, so wie wir die reine Verstandesbegriffe Categorien nanten, die Begriffe der reinen Vernunft mit einem neuen Na- men belegen und sie transscendentale Ideen nennen, diese Benennung aber iezt erlaͤutern und rechtfertigen. U 4 Des Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Des Ersten Buchs der transscendentalen Dialectik Erster Abschnitt. Von den Ideen uͤberhaupt . B ey dem grossen Reichthum unserer Sprachen findet sich doch oft der denkende Kopf wegen des Aus- drucks verlegen, der seinem Begriffe genau anpaßt, und in dessen Ermangelung, er weder andern, noch so gar sich selbst recht verstaͤndlich werden kan. Neue Woͤrter zu schmieden, ist eine Anmassung zum Gesetzgeben in Spra- chen, die selten gelingt, und, ehe man zu diesem verzwei- felten Mittel schreitet, ist es rathsam, sich in einer todten und gelehrten Sprache umzusehen, ob sich daselbst nicht dieser Begriff samt seinem angemessenen Ausdrucke vorfin- de, und wenn der alte Gebrauch desselben durch Unbehut- samkeit ihrer Urheber auch etwas schwankend geworden waͤre, so ist es doch besser, die Bedeutung, die ihm vor- zuͤglich eigen war, zu bevestigen, (sollte es auch zweifel- haft bleiben, ob man damals genau eben dieselbe im Sinne gehabt habe) als sein Geschaͤfte nur dadurch zu verderben, daß man sich unverstaͤndlich machte. Um deswillen, wenn sich etwa zu einem gewissen Be- griffe, nur ein einziges Wort vorfaͤnde, das in schon einge- fuͤhrter Bedeutung diesem Begriffe genau anpaßt, dessen Unter- I. Abschnitt. Von den Ideen uͤberhaupt. Unterscheidung von andern verwandten Begriffen von gros- ser Wichtigkeit ist, so ist es rathsam, damit nicht ver- schwenderisch umzugehen, oder es blos zur Abwechselung, synonimisch statt anderer zu gebrauchen, sondern ihm seine eigenthuͤmliche Bedeutung sorgfaͤltig aufzubehalten; weil es sonst leichtlich geschieht: daß, nachdem der Ausdruck die Aufmerksamkeit nicht besonders beschaͤftigt, sondern sich unter dem Haufen anderer von sehr abweichender Be- deutung verliert, auch der Gedanke verlohren gehe, den er allein haͤtte aufbehalten koͤnnen. Plato bediente sich des Ausdrucks Idee so: daß man wol sieht, er habe darunter etwas verstanden, was nicht allein niemals von den Sinnen entlehnt wird, sondern welches so gar die Begriffe des Verstandes, mit denen sich Aristoteles beschaͤftigte, weit uͤbersteigt, indem in der Er- fahrung niemals etwas damit Congruirendes angetroffen wird. Die Ideen sind bey ihm Urbilder der Dinge selbst, und nicht blos Schluͤssel zu moͤglichen Erfahrungen, wie die Categorien. Nach seiner Meinung flossen sie aus der hoͤch- sten Vernunft aus, von da sie der menschlichen zu Theil geworden, die sich aber iezt nicht mehr in ihrem urspruͤng- lichen Zustande befindet, sondern mit Muͤhe die alte, iezt sehr verdunkelte Ideen, durch Erinnerung (die Philoso- phie heißt) zuruͤkruffen muß. Ich will mich hier in keine litterarische Untersuchung einlassen, um den Sinn auszu- machen, den der erhabene Philosoph mit seinem Ausdrucke U 5 ver- Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. verband. Ich merke nur an: daß es gar nichts ungewoͤhn- liches sey, so wol im gemeinen Gespraͤche, als in Schrif- ten, durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein Verfasser uͤber seinen Gegenstand aͤussert, ihn so gar besser zu verstehen, als er sich selbst verstand, indem er seinen Begriff nicht genugsam bestimte, und dadurch bisweilen seiner eigenen Absicht entgegen redete, oder auch dachte. Plato bemerkte sehr wol, daß unsere Erkentnißkraft ein weit hoͤheres Beduͤrfniß fuͤhle, als blos Erscheinungen nach synthetischer Einheit buchstabiren, um sie als Erfah- rung lesen zu koͤnnen, und daß unsere Vernunft natuͤrli- cher Weise sich zu Erkentnissen aufschwinge, die viel wei- ter gehen, als daß irgend ein Gegenstand, den Erfahrung geben kan, iemals mit ihnen congruiren koͤnne, die aber nichtsdestoweniger ihre Realitaͤt haben und keinesweges blosse Hirngespinste seyn. Plato fand seine Ideen vorzuͤglich in allem was prac- tisch ist, Er dehnte seinen Begriff freilich auch auf speculative Erkentnisse aus, wenn sie nur rein und voͤllig a priori gegeben waren, so gar uͤber die Mathematik, ob diese gleich ihren Gegenstand nirgend anders, als in der moͤgli- chen Erfahrung hat. Hierin kan ich ihm nun nicht fol- gen, so wenig als in der mystischen Deduction dieser Ideen, oder den Uebertreibungen, dadurch er sie gleichsam hypo- stasirte; wiewol die hohe Sprache, deren er sich in die- sem Felde bediente, einer milderen und der Natur der Dinge angemessenen Auslegung ganz wol faͤhig ist. d. i. auf Freiheit beruht, welche ihrer Seits unter I. Abschnitt. Von den Ideen uͤberhaupt. unter Erkentnissen steht, die ein eigenthuͤmliches Product der Vernunft sind. Wer die Begriffe der Tugend aus Erfahrung schoͤpfen wollte, wer das, was nur allenfalls als Beyspiel zur unvollkommenen Erlaͤuterung dienen kan, als Muster zum Erkentnißquell machen wollte (wie es wirklich viele gethan haben,) der wuͤrde aus der Tu- gend ein nach Zeit und Umstaͤnden wandelbares, zu keiner Regel brauchbares zweideutiges Unding machen. Dage- gen wird ein ieder inne: daß, wenn ihm iemand als Mu- ster der Tugend vorgestellt wird, er doch immer das wah- re Original blos in seinem eigenen Kopfe habe, womit er dieses angebliche Muster vergleicht, und es blos darnach schaͤzt. Dieses ist aber die Idee der Tugend, in Ansehung deren alle moͤgliche Gegenstaͤnde der Erfahrung zwar als Beyspiele (Beweise der Thunlichkeit desienigen im gewissen Grade, was der Begriff der Vernunft heischt), aber nicht als Urbilder Dienste thun. Daß niemals ein Mensch dem- ienigen adaͤquat handeln werde, was die reine Idee der Tugend enthaͤlt, beweiset gar nicht etwas Chimaͤrisches in diesem Gedanken. Denn es ist gleichwol alles Urtheil, uͤber den moralischen Werth oder Unwerth, nur vermit- telst dieser Idee moͤglich; mithin liegt sie ieder Annaͤhe- rung zur moralischen Vollkommenheit nothwendig zum Grunde, so weit auch die, ihrem Grade nach nicht zu be- stimmende Hindernisse in der menschlichen Natur uns da- von entfernt halten moͤgen. Die Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Die platonische Republik ist, als ein vermeintlich auffallendes Beyspiel von ertraͤumter Vollkommenheit, die nur im Gehirn des muͤßigen Denkers ihren Sitz haben kan, zum Sprichwort geworden, und Brucker findet es laͤcherlich: daß der Philosoph behauptete, niemals wuͤrde ein Fuͤrst wol regieren, wenn er nicht der Ideen theilhaf- tig waͤre. Allein man wuͤrde besser thun, diesem Gedan- ken mehr nachzugehen und ihn, (wo der vortrefliche Mann uns ohne Huͤlfe laͤßt) durch neue Bemuͤhungen in Licht zu stellen, als ihn, unter dem sehr elenden und schaͤdli- chen Vorwande der Unthunlichkeit, als unnuͤtz bey Seite zu stellen. Eine Verfassung von der groͤßten menschlichen Freiheit nach Gesetzen, welche machen: daß iedes Frei- heit mit der andern ihrer zusammen bestehen kan, (nicht von der groͤssesten Gluͤckseligkeit, denn diese wird schon von selbst folgen) ist doch wenigstens eine nothwen- dige Idee, die man nicht blos im ersten Entwurfe einer Staa t sverfassung, sondern auch bey allen Gesetzen zum Grunde legen muß, und wobey man anfaͤnglich von den gegenwaͤrtigen Hindernissen abstrahiren muß, die vielleicht nicht sowol aus der menschlichen Natur unvermeidlich ent- springen moͤgen, als vielmehr aus der Vernachlaͤssigung der aͤchten Ideen bey der Gesetzgebung. Denn nichts kan schaͤdlicheres und eines Philosophen unwuͤrdigeres ge- funden werden, als die poͤbelhafte Berufung auf vorgeb- lich widerstreitende Erfahrung, die doch gar nicht existiren wuͤrde, wenn iene Anstalten zu rechter Zeit nach den Ideen getrof- I. Abschnitt. Von den Ideen uͤberhaupt. getroffen wuͤrden, und an deren statt nicht rohe Begriffe, eben darum, weil sie aus Erfahrung geschoͤpft worden, alle gute Absicht vereitelt haͤtten. Je uͤbereinstimmender die Gesetzgebung und Regierung mit dieser Idee eingerichtet waren, desto seltener wuͤrden allerdings die Strafen werden, und da ist es denn ganz vernuͤnftig, (wie Plato behauptet) daß bey einer vollkommenen Anordnung derselben, gar kei- ne dergleichen noͤthig seyn wuͤrden. Ob nun gleich das lez- tere niemals zu Stande kommen mag, so ist die Idee doch ganz richtig, welche dieser Maximum zum Urbilde aufstellt, um nach demselben die gesetzliche Verfassung der Menschen der moͤglich groͤßten Vollkommenheit immer naͤher zu brin- gen. Denn welches der hoͤchste Grad seyn mag, bey wel- chem die Menschheit stehen bleiben muͤsse, und wie groß al- so die Kluft, die zwischen der Idee und ihrer Ausfuͤhrung nothwendig uͤbrig bleibt, seyn moͤge, das kan und soll niemand bestimmen, eben darum, weil es Freiheit ist, welche iede angegebene Graͤnze uͤbersteigen kan. Aber nicht blos in demienigen, wobey die menschli- che Vernunft wahrhafte Caussalitaͤt zeigt und wo Ideen wirkende Ursachen (der Handlungen und ihrer Gegenstaͤn- de) werden, nemlich in Sittlichen, sondern auch in An- sehung der Natur selbst, sieht Plato mit Recht deutliche Beweise ihres Ursprungs aus Ideen. Ein Gewaͤchs, ein Thier, die regelmaͤßige Anordnung des Weltbaues (ver- muthlich also auch die ganze Naturordnung) zeigen deutlich, daß Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. daß sie nur nach Ideen moͤglich seyn, daß zwar kein ein- zelnes Geschoͤpf, unter den einzelnen Bedingungen seines Daseyns, mit der Idee des Vollkommensten seiner Art congruire, (so wenig wie der Mensch mit der Idee der Menschheit, die er so gar selbst als das Urbild seiner Handlungen in seiner Seele traͤgt,) daß gleichwol iene Ideen im hoͤchsten Verstande einzeln, unveraͤnderlich, durchgaͤngig bestimt und die urspruͤngliche Ursachen der Dinge sind, und nur das Ganze ihrer Verbindung im Weltall einzig und allein iener Idee voͤllig adaͤquat sey. Wenn man das Uebertriebene des Ausdrucks absondert, so ist der Geistesschwung des Philosophen, von der copeylichen Betrachtung des Physischen der Weltordnung zu der archi- tectonischen Verknuͤpfung derselben nach Zwecken, d. i. nach Ideen, hinaufzusteigen, eine Bemuͤhung, die Achtung und Nachfolge verdient, in Ansehung desienigen aber, was die Principien der Sittlichkeit, der Gesetzgebung und der Religion betrift, wo die Ideen die Erfahrung selbst (des Guten) allererst moͤglich machen, obzwar niemals darin voͤllig ausgedruͤckt werden koͤnnen, ein ganz eigenthuͤmli- ches Verdienst, welches man nur darum nicht erkent, weil man es durch eben die empirische Regeln beurtheilt, deren Guͤltigkeit, als Principien, eben durch sie hat aufgehoben werden sollen. Denn in Betracht der Natur giebt uns Erfahrung die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit; in Ansehung der sittlichen Gesetze aber ist Er- fahrung (leider!) die Mutter des Scheins, und es ist hoͤchst I. Abschnitt. Von den Ideen uͤberhaupt. hoͤchst verwerflich, die Gesetze uͤber das, was ich thun soll, von demienigen herzunehmen, oder dadurch einschraͤnken zu wollen, was gethan wird. Statt aller dieser Betrachtungen, deren gehoͤrige Ausfuͤhrung in der That die eigenthuͤmliche Wuͤrde der Philosophie ausmacht, beschaͤftigen wir uns iezt mit einer nicht so glaͤnzenden, aber doch auch nicht verdienstlosen Ar- beit, nemlich: den Boden zu ienen maiestaͤtischen sittlichen Gebaͤuden eben und baufest zu machen, in welchem sich allerley Maulwurfsgaͤnge einer vergeblich, aber mit guter Zuversicht auf Schaͤtze grabenden Vernunft, vorfinden und die ienes Bauwerk unsicher machen. Der transscendentale Gebrauch der reinen Vernunft, ihre Principien und Ideen sind es also, welche genau zu kennen uns iezt obliegt, um den Einfluß der reinen Vernunft und den Werth derselben gehoͤrig bestimmen und schaͤtzen zu koͤnnen. Doch ehe ich diese vorlaͤufige Einleitung bey Seite lege, ersuche ich die- ienige, denen Philosophie am Hertzen liegt, (welches mehr gesagt ist als man gemeiniglich antrift) wenn sie sich durch dieses und das Nachfolgende, uͤberzeugt finden sollten, den Ausdruck Idee seiner urspruͤnglichen Bedeutung nach in Schutz zu nehmen, da mit er nicht fernerhin unter die uͤbrige Ausdruͤcke, womit gewoͤhnlich allerley Vorstellungs- arten in sorgloser Unordnung bezeichnet werden, gerathe und die Wissenschaft dabey einbuͤsse. Fehlt es uns doch nicht an Benennungen, die ieder Vorstellungsart gehoͤrig angemessen sind, ohne daß wir noͤthig haben, in das Eigen- thum Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. thum einer anderen einzugreiffen. Hier ist eine Stufen- leiter derselben. Die Gattung ist Vorstellung uͤber- haupt, ( repræsentatio ). Unter ihr steht die Vorstellung mit Bewustseyn ( perceptio ). Eine Perception, die sich lediglich auf das Subiect, als die Modification sei- nes Zustandes bezieht, ist Empfindung, ( sensatio ) ei- ne obiective Perception ist Erkentniß ( cognitio ). Die- se ist entweder Anschauung oder Begriff ( intuitus vel conceptus ). Jene bezieht sich unmittelbar auf den Ge- genstand und ist einzeln, dieser mittelbar, vermittelst ei- nes Merkmals, was mehrerern Dingen gemein seyn kan. Der Begriff ist entweder ein empirischer oder reiner Be- griff, und der reine Begriff, so fern er lediglich im Ver- stande seinen Ursprung hat (nicht im reinen Bilde der Sinnlichkeit) heißt Notio . Ein Begriff aus Notionen, der die Moͤglichkeit der Erfahrung uͤbersteigt, ist die Idee, oder der Vernunftbegriff. Dem, der sich einmal an diese Unterscheidung gewoͤhnt hat, muß es unertraͤglich fallen, die Vorstellung der rothen Farbe Idee nennen zu hoͤren. Sie ist nicht einmal Notion (Verstandes- begriff) zu nennen. Des II. Absch. Von den transscendent. Ideen. Des Ersten Buchs der transscendentalen Dialectik Zweiter Abschnitt. Von den transscendentalen Ideen. D ie transscendentale Analytik gab uns ein Beyspiel, wie die blosse logische Form unserer Erkentniß den Ursprung von reinen Begriffen a priori enthalten koͤnne, welche vor aller Erfahrung Gegenstaͤnde vorstellen, oder vielmehr die synthetische Einheit anzeigen, welche allein eine empirische Erkentniß von Gegenstaͤnden moͤglich macht. Die Form der Urtheile (in einen Begriff von der Syn- thesis der Anschauungen verwandelt) brachte Categorien hervor, welche allen Verstandesgebrauch in der Erfahrung leiten. Eben so koͤnnen wir erwarten: daß die Form der Vernunftschluͤsse, wenn man sie auf die synthetische Ein- heit der Anschauungen, nach Maaßgebung der Categorien anwendet, den Ursprung besonderer Begriffe a priori ent- halten werde, welche wir reine Vernunftbegriffe, oder transscendentale Ideen nennen koͤnnen, und die den Verstandesgebrauch im Ganzen der gesamten Erfahrung nach Principien bestimmen werden. Die Function der Vernunft bey ihren Schluͤssen be- stand in der Allgemeinheit der Erkentniß nach Begriffen, und der Vernunftschluß selbst ist ein Urtheil, welches a X prio- Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. priori in dem ganzen Umfange seiner Bedingung bestimt wird. Den Satz: Caius ist sterblich, koͤnte ich auch blos durch den Verstand, aus der Erfahrung schoͤpfen. Allein ich suche einen Begriff, der die Bedingung enthaͤlt, un- ter welcher das Praͤdicat (Assertion uͤberhaupt) dieses Ur- theils gegeben wird, (d. i. hier den Begriff des Menschen) und nachdem ich unter diese Bedingung, in ihrem ganzen Umfange genommen, (alle Menschen sind sterblich) sub- sumirt habe: so bestimme ich darnach. die Erkentniß mei- nes Gegenstandes (Caius ist sterblich). Demnach restringiren wir in der Conclusion eines Vernunftschlusses ein Praͤdicat auf einen gewissen Gegen- stand, nachdem wir es vorher in dem Obersatz in seinem ganzen Umfange unter einer gewissen Bedingung gedacht haben, diese vollendete Groͤsse des Umfanges, in Beziehung auf eine solche Bedingung, heißt die Allgemeinheit ( Vni- versalitas ). Dieser entspricht in der Synthesis der An- schauungen die Allheit ( Vniversitas ) oder Totalitaͤt der Bedingungen. Also ist der transscendentale Vernunftbe- griff kein anderer, als der von der Totalitaͤt der Bedin- gungen zu einem gegebenen bedingten. Da nun das Un- bedingte allein die Totalitaͤt der Bedingungen moͤglich macht und umgekehrt die Totalitaͤt der Bedingungen ieder- zeit selbst unbedingt ist: so kan ein reiner Vernunftbegriff uͤberhaupt durch den Begriff des Unbedingten, so fern er einen Grund der Synthesis des Bedingten enthaͤlt, er- klaͤrt werden. So II. Absch. Von den transscendent. Ideen. So viel Arten des Verhaͤltnisses es nun giebt, die der Verstand vermittelst der Categorien sich vorstellt, so vielerley reine Vernunftbegriffe wird es auch geben, und es wird also erstlich ein Unbedingtes der categorischen Syn- thesis in einem Subiect, zweitens der hypothetischen Synthesis der Glieder einer Reihe, drittens der disiun- ctiven Synthesis der Theile in einem System zu suchen seyn. Es giebt nemlich eben so viel Arten von Vernunft- schluͤssen, deren iede durch Prosyllogismen zum Unbedingten fortschreitet, die eine zum Subiect, welches selbst nicht mehr Praͤdicat ist, die andre zur Voraussetzung, die nichts weiter voraussezt, und die dritte zu einem Aggregat der Glieder der Eintheilung, zu welchen nichts weiter erfor- derlich ist, um die Eintheilung eines Begriffs zu vollenden. Daher sind die reine Vernunftbegriffe von der Totalitaͤt in der Synthesis der Bedingungen wenigstens als Aufga- ben, um die Einheit des Verstandes, wo moͤglich, bis zum Unbedingten fortzusetzen, nothwendig und in der Na- tur der menschlichen Vernunft gegruͤndet, es mag auch uͤbrigens diesen transscendentalen Begriffen an einem ih- nen angemessenen Gebrauch in concreto fehlen und sie mithin keinen andern Nutzen haben, als den Verstand in die Richtung zu bringen, darin sein Gebrauch, indem er aufs aͤusserste erweitert, zugleich mit sich selbst durchge- hend einstimmig gemacht wird. X 2 In- Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Indem wir aber hier von der Totalitaͤt der Bedin- gungen und dem Unbedingten, als dem gemeinschaftlichen Titel aller Vernunftbegriffe reden, so stoßen wir wiederum auf einen Ausdruck, den wir nicht entbehren und gleich- wol, nach einer ihm durch langen Mißbrauch anhaͤngen- den Zweideutigkeit, nicht sicher brauchen koͤnnen. Das Wort absolut ist eines von den wenigen Woͤrtern, die in ihrer uranfaͤnglichen Bedeutung einem Begriffe angemessen worden, welchem nach der Hand gar kein anderes Wort eben derselben Sprache genau anpaßt, und dessen Ver- lust, oder welches eben so viel ist, sein schwankender Ge- brauch daher auch den Verlust des Begriffs selbst nach sich ziehen muß, und zwar eines Begriffs, der, weil er die Vernunft gar sehr beschaͤftigt, ohne großen Nachtheil aller transscendentalen Beurtheilungen nicht entbehrt wer- den kan. Das Wort absolut wird iezt oͤfters gebraucht, um blos anzuzeigen: daß etwas von einer Sache an sich selbst betrachtet und also innerlich gelte. In dieser Be- deutung wuͤrde absolutmoͤglich das bedeuten, was an sich selbst ( interne ) moͤglich ist, welches in der That das we- nigste ist, was man von einem Gegenstande sagen kan. Dagegen wird es auch bisweilen gebraucht, um anzuzeigen, daß etwas in aller Beziehung (uneingeschraͤnkt) guͤltig ist, (z. B. die absolute Herrschaft) und absolutmoͤglich wuͤrde in dieser Bedeutung dasienige bedeuten, was in aller Ab- sicht in aller Beziehung moͤglich ist, welches wiederum das meiste ist, was ich uͤber die Moͤglichkeit eines Din- ges II. Absch. Von den transscendent. Ideen. ges sagen kan. Nun treffen zwar diese Bedeutungen mannigmahl zusammen. So ist z. E. was innerlich un- moͤglich ist, auch in aller Beziehung, mithin absolut unmoͤg- lich. Aber in den meisten Faͤllen sind sie unendlich weit auseinander, und ich kan auf keine Weise schliessen: daß, weil etwas an sich selbst moͤglich ist, es darum auch in aller Beziehung, mithin absolut moͤglich sey. Ja von der absoluten Nothwendigkeit werde ich in der Folge zei- gen, daß sie keinesweges in allen Faͤllen von der innern abhaͤnge, und also mit dieser nicht als gleichbedeutend an- gesehen werden muͤsse. Dessen Gegentheil innerlich un- moͤglich ist, dessen Gegentheil ist freilich auch in aller Ab- sicht unmoͤglich, mithin ist es selbst absolut nothwendig, aber ich kan nicht umgekehrt schliessen, was absolut noth- wendig ist, dessen Gegentheil ist innerlich unmoͤglich, d. i. die absolute Rothwendigkeit der Dinge ist eine innere Noth- wendigkeit; denn diese innere Nothwendigkeit ist in gewis- sen Faͤllen ein ganz leerer Ausdruck, mit welchem wir nicht den mindesten Begriff verbinden koͤnnen; dagegen der, von der Nothwendigkeit eines Dinges in aller Beziehung, (auf alles Moͤgliche) ganz besondere Bestimmungen bey sich fuͤhrt. Weil nun der Verlust eines Begriffs von gros- ser Anwendung in der speculativen Weltweisheit dem Phi- losophen niemals gleichguͤltig seyn kan, so hoffe ich, es werde ihm die Bestimmung und sorgfaͤltige Aufbewahrung des Ausdrucks, an dem der Begriff haͤngt, auch nicht gleichguͤltig seyn. X 3 In Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. In dieser erweiterten Bedeutung werde ich mich denn des Worts: absolut, bedienen und es dem blos com- parativ- oder in besonderer Ruͤcksicht guͤltigen entgegense- tzen; denn dieses leztere ist auf Bedingungen restringirt, ienes aber gilt ohne Restriction. Nun geht der transscendentale Vernunftbegriff ieder- zeit nur auf die absolute Totalitaͤt in der Synthesis der Bedingungen und endigt niemals, als bey dem schlecht- hin - d. i. in ieder Beziehung Unbedingten. Denn die reine Vernunft uͤberlaͤßt alles dem Verstande, der sich zu- naͤchst auf die Gegenstaͤnde der Anschauung oder vielmehr deren Synthesis in der Einbildungskraft bezieht. Jene behaͤlt sich allein die absolute Totalitaͤt im Gebrauche der Verstandesbegriffe vor, und sucht die synthetische Einheit, welche in der Categorie gedacht wird, bis zum Schlecht- hinunbedingten hinauszufuͤhren. Man kan daher diese die Vernunfteinheit der Erscheinungen, so wie iene, wel- che die Categorie ausdruͤckt, Verstandeseinheit nennen. So bezieht sich demnach die Vernunft nur auf den Ver- standesgebrauch und zwar nicht, so fern dieser den Grund moͤglicher Erfahrung enthaͤlt, (denn die absolute Totali- taͤt der Bedingungen ist kein in einer Erfahrung brauch- barer Begriff, weil keine Erfahrung unbedingt ist) son- dern um ihm die Richtung auf eine gewisse Einheit vorzu- schreiben, von der der Verstand keinen Begriff hat und die darauf hinaus geht, alle Verstandeshandlungen, in Anse- II. Absch. Von den transscendent. Ideen. Ansehung eines ieden Gegenstandes, in ein absolutes Ganze zusammen zu fassen. Daher ist der obiective Ge- brauch der reinen Vernunftbegriffe iederzeit transscendent, indessen daß der, von den reinen Verstandesbegriffen, sei- ner Natur nach iederzeit immanent seyn muß, indem er sich blos auf moͤgliche Erfahrung einschraͤnkt. Ich verstehe unter der Idee einen nothwendigen Vernunftbegriff, dem kein congruirender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kan. Also sind unfere iezt erwogene reine Vernunftbegriffe transscendentale Ideen. Sie sind Begriffe der reinen Vernunft; denn sie betrach- ten alles Erfahrungserkentniß als bestimt durch eine abso- lute Totalitaͤt der Bedingungen. Sie sind nicht willkuͤr- lich erdichtet, sondern durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, und beziehen sich daher nothwendiger Weise auf den ganzen Verstandesgebrauch. Sie sind endlich transscendent und uͤbersteigen die Graͤnze aller Erfah- rung, in welcher also niemals ein Gegenstand vorkommen kan, der der transscendentalen Idee adaͤquat waͤre. Wenn man eine Idee nent; so sagt man, dem Obiect nach, (als von einem Gegenstande des reinen Verstandes) sehr viel, dem Subiecte nach aber (d. i. in Ansehung seiner Wirk- lichkeit unter empirischer Bedingung) eben darum sehr wenig, weil sie, als der Begriff eines Maximum, in concreto niemals congruent kan gegeben werden. Weil nun das leztere im blos speculativen Gebrauch der Ver- X 4 nunft Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. nunft eigentlich die ganze Absicht ist, und die Annaͤherung zu einem Begriffe, der aber in der Ausuͤbung doch nie- mals erreicht wird, eben so viel ist, als ob der Begriff ganz und gar verfehler wuͤrde, so heißt es von einem der- gleichen Begriffe: er ist nur eine Idee. So wuͤrde man sagen koͤnnen: das absolute Ganze aller Erscheinungen ist nur eine Idee , denn, da wir dergleichen niemals im Bilde entwerfen koͤnnen, so bleibt es ein Problem ohne alle Aufloͤsung. Dagegen, weil es im practischen Ge- brauch des Verstandes ganz allein um die Ausuͤbung nach Regeln zu thun ist, so kan die Idee der practischen Ver- nunft iederzeit wirklich, ob zwar nur zum Theil, in con- creto gegeben werden, ia sie ist die unentbehrliche Bedin- gung iedes practischen Gebrauchs der Vernunft. Ihre Ausuͤbung ist iederzeit begraͤnzt und mangelhaft, aber un- ter nicht bestimbaren Graͤnzen, also iederzeit unter dem Einflusse des Begriffs einer absoluten Vollstaͤndigkeit. Dem- nach ist die practische Idee iederzeit hoͤchst fruchtbar und in Ansehung der wirklichen Handlungen unumgaͤnglich noth- wendig. In ihr hat die reine Vernunft sogar Caussalitaͤt, das wirklich hervorzubringen, was ihr Begriff enthaͤlt, da- her kan man von der Weisheit nicht gleichsam geringschaͤ- tzig sagen: sie ist nur eine Idee , sondern eben darum, weil sie die Idee von der nothwendigen Einheit aller moͤg- lichen Zwecke ist, so muß sie allem Practischen als ur- sprungliche, zum wenigsten einschraͤnkende, Bedingung zur Regel dienen. Ob II. Absch. Von den transscendent. Ideen. Ob wir nun gleich von den transscendentalen Ver- nunftbegriffen sagen muͤssen: sie sind nur Ideen , so werden wir sie doch keinesweges vor uͤberfluͤßig und nichtig anzuse- hen haben. Denn wenn schon dadurch kein Obiect be- stimt werden kan, so koͤnnen sie doch im Grunde und un- bemerkt dem Verstande zum Canon seines ausgebreiteten und einhelligen Gebrauchs dienen, dadurch er zwar keinen Gegenstand mehr erkent, als er nach seinen Begriffen er- kennen wuͤrde, aber doch in dieser Erkentniß besser und weiter geleitet wird. Zu geschweigen: daß sie vielleicht von den Naturbegriffen zu den practischen einen Uebergang moͤglich machen, und den moralischen Ideen selbst auf solche Art Haltung und Zusammenhang mit den speculati- ven Erkentnissen der Vernunft verschaffen koͤnnen. Ueber alles dieses muß man den Aufschluß in dem Verfolg er- warten. Unserer Absicht gemaͤß setzen wir aber hier die practi- sche Ideen bey Seite und betrachten daher die Vernunft nur im speculativen, und in diesem noch enger, nemlich nur im transscendentalen Gebrauch. Hier muͤssen wir nun denselben Weg einschlagen, den wir oben bey der De- duction der Categorien nahmen, nemlich die logische Form der Vernunfterkentniß erwaͤgen, und sehen, ob nicht etwa die Vernunft dadurch auch ein Quell von Begriffen werde, Obiecte an sich selbst, als synthetisch a priori bestimt, in Ansehung einer oder der andern Function der Vernunft, anzusehen. X 5 Ver- Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Vernunft, als Vermoͤgen einer gewissen logischen Form der Erkentniß betrachtet, ist das Vermoͤgen zu schlies- sen, d. i. mittelbar (durch die Subsumtion der Bedingung eines moͤglichen Urtheils unter die Bedingung eines gegebe- nen) zu urtheilen. Das gegebene Urtheil ist die allge- meine Regel (Obersatz, Maior ). Die Subsumtion der Bedingung eines andern moͤglichen Urtheils unter die Be- dingung der Regel ist der Untersatz ( Minor ), das wirkliche Urtheil, welches die Assertion der Regel in dem subsu- mirten Falle aussagt, ist der Schlußsatz ( Conclusio ). Die Regel nemlich sagt etwas allgemein unter einer gewis- sen Bedingung. Nun findet in einem vorkommenden Falle die Bedingung der Regel statt. Also wird das, was unter iener Bedingung allgemein galt, auch in dem vor- kommenden Falle (der diese Bedingung bey sich fuͤhrt) als guͤltig angesehen. Man siehet leicht, daß die Ver- nunft durch Verstandeshandlungen, welche eine Reihe von Bedingungen ausmachen, zu einem Erkentnisse gelange. Wenn ich zu dem Satze: alle Coͤrper sind veraͤnderlich, nur dadurch gelange, daß ich von dem entfernetern Erkentniß, (worin der Begriff des Coͤrpers noch nicht vorkomt, der aber doch davon die Bedingung enthaͤlt) anfange: alles zusammengesezte ist veraͤnderlich, von diesem zu einem naͤheren gehe, der unter der Bedingung des ersteren steht: die Coͤrper sind zusammengesezt, und von diesem allererst zu einem dritten, der nunmehr das entfernte Erkentniß (veraͤnderlich) mit der vorliegenden verknuͤpft: folglich sind II. Absch. Von den transscendent. Ideen. sind die Coͤrper veraͤnderlich, so bin ich durch eine Reihe von Bedingungen (Praͤmissen) zu einer Erkentniß (Con- clusion) gelanget. Nun laͤßt sich eine iede Reihe, deren Exponent (des categorischen oder hypothetischen Urtheils) gegeben ist, fortsetzen, mithin fuͤhrt eben dieselbe Vernunft- handlung zur ratiocinatio polysyllogistica, welches eine Reihe von Schluͤssen ist, die entweder auf die Seite der Bedingungen ( per prosyllogismos ), oder des Beding- ten ( per episyllogismos ), in unbestimmte Weiten fort- gesetzet werden kan. Man wird aber bald inne: daß die Kette, oder Reihe der Prosyllogismen, d. i. der gefolgerten Erkentnisse auf der Seite der Gruͤnde, oder der Bedingungen zu einem gegebenen Erkentniß, mit andern Worten: die aufsteigen- de Reihe der Vernunftschluͤsse sich gegen das Vernunft- vermoͤgen doch anders verhalten muͤsse, als die absteigen- de Reihe, d. i. der Fortgang der Vernunft auf der Seite des Bedingten durch Episyllogismen. Denn, da im erste- ren Falle das Erkentniß ( conclusio ) nur als bedingt ge- geben ist: so kan man zu demselben vermittelst der Ver- nunft nicht anders gelangen, als wenigstens unter der Voraussetzung: daß alle Glieder der Reihe auf der Seite der Bedingungen gegeben sind, (Totalitaͤt in der Reihe der Praͤmissen) weil nur unter deren Voraussetzung das vor- liegende Urtheil a priori moͤglich ist; dagegen auf der Seite des Bedingten, oder der Folgerungen, nur eine werden- de Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. de und nicht schon ganz vorausgesezte oder gegebene Reihe, mithin nur ein potentialer Fortgang gedacht wird. Da- her wenn eine Erkentniß als bedingt angesehen wird, so ist die Vernunft genoͤthigt, die Reihe der Bedingungen in aufsteigender Linie als vollendet und ihrer Totalitaͤt nach gegeben anzusehen. Wenn aber eben dieselbe Erkentniß zugleich als Bedingung anderer Erkentnisse angesehen wird, die unter einander eine Reihe von Folgerungen in absteigender Linie ausmachen, so kan die Vernunft ganz gleichguͤltig seyn, wie weit dieser Fortgang sich a parte posteriori erstrecke, und ob gar uͤberall Totalitaͤt dieser Reihe moͤglich sey; weil sie einer dergleichen Reihe zu der vor ihr liegenden Conclusion nicht bedarf, indem diese durch ihre Gruͤnde a parte priori schon hinreichend bestimt und gesichert ist. Es mag nun seyn: daß auf der Seite der Bedingungen die Reihe der Praͤmissen ein Erstes habe, als oberste Bedingung oder nicht, und also a parte priori ohne Graͤnzen, so muß sie doch Totalitaͤt der Bedingung enthalten, gesetzt, daß wir niemals dahin gelangen koͤn- ten, sie zu fassen, und die ganze Reihe muß unbedingt wahr seyn, wenn das Bedingte, welches als eine daraus entspringende Folgerung angesehen wird, als wahr gelten soll. Dieses ist eine Foderung der Vernunft, die ihr Er- kentniß als a priori bestimt und als nothwendig ankuͤndigt, entweder an sich selbst, und denn bedarf es keiner Gruͤnde, oder, wenn es abgeleitet ist, als ein Glied einer Reihe von Gruͤnden, die selbst unbedingter Weise wahr ist. Des III. Absch. System der transscendent. Ideen. Des Ersten Buchs der transscendentalen Dialectik Dritter Abschnitt. System der transscendentalen Ideen. W ir haben es hier nicht mit einer logischen Dialectik zu thun, welche von allem Inhalte der Erkent- niß abstrahirt und lediglich den falschen Schein in der Form der Vernunftschluͤsse aufdekt, sondern mit einer transscendentalen, welche, voͤllig a priori, den Ursprung gewisser Erkentnisse aus reiner Vernunft und geschlossener Begriffe, deren Gegenstand empirisch gar nicht gegeben werden kan, die also gaͤnzlich ausser dem Vermoͤgen des reinen Verstandes liegen, enthalten soll. Wir haben aus der natuͤrlichen Beziehung, die der transscendentale Ge- brauch unserer Erkentniß, sowol in Schluͤssen, als Urthei- len, auf den logischen haben muß, abgenommen: daß es nur drey Arten von Dialectischen Schluͤssen geben werde, die sich auf die dreyerley Schlußarten beziehen, durch wel- che Vernunft aus Principien zu Erkentnissen gelangen kan, und daß in allem ihr Geschaͤfte sey, von der bedingten Synthesis, an die der Verstand iederzeit gebunden bleibt, zur unbedingten aufzusteigen, die er niemals erreichen kan. Nun ist das allgemeine aller Beziehung, die unsere Vorstellungen haben koͤnnen, 1) die Beziehung aufs Sub- iect, 2) die Beziehung auf Obiecte und zwar, entweder erst- Elmentarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. erstlich als Erscheinungen, oder als Gegenstaͤnde des Den- kens uͤberhaupt. Wenn man diese Untereintheilung mit der oberen verbindet, so ist alles Verhaͤltniß der Vorstellun- gen, davon wir uns entweder einen Begriff, oder Idee machen koͤnnen, dreyfach: 1. das Verhaͤltniß zum Subiect, 2. zum Mannigfaltigen des Obiects in der Erscheinung, 3. zu allen Dingen uͤberhaupt. Nun haben es alle reine Begriffe uͤberhaupt mit der synthetischen Einheit der Vorstellungen, Begriffe der rei- nen Vernunft (transscendentale Ideen) aber mit der un- bedingten synthetischen Einheit aller Bedingungen uͤberhaupt zu thun. Folglich werden alle transscendentale Ideen sich unter drey Classen bringen lassen, davon die erste die ab- solute (unbedingte) Einheit des denkenden Subiects, die zweite die absolute Einheit der Reihe der Bedin- gungen der Erscheinung, die dritte die absolute Einheit der Bedingung aller Gegenstaͤnde des Denkens uͤber- haupt enthaͤlt. Das denkende Subiect ist der Gegenstand der Psy- chologie, der Inbegriff aller Erscheinungen (die Welt) der Gegenstand der Cosmologie und das Ding, welches die oberste Bedingung der Moͤglichkeit von allem, was gedacht werden kan, enthaͤlt, (das Wesen aller Wesen) der Ge- genstand der Theologie. Also giebt die reine Vernunft die Idee zu einer transscendentalen Seelenlehre ( psycho- logia rationalis ), zu einer transscendentalen Weltwissen- schaft ( cosmologia rationalis ), endlich auch zu einer trans- scen- III. Absch. System der transscendent. Ideen. scendentalen Gotteserkentniß ( Theologia transscenden- talis ) an die Hand. Der blosse Entwurf so gar zu einer sowol als der andern dieser Wissenschaften, schreibt sich gar nicht von dem Verstande her, selbst, wenn er gleich mit dem hoͤchsten logischen Gebrauche der Vernunft, d. i. allen erdenklichen Schluͤssen verbunden waͤre, um von ei- nem Gegenstande desselben (Erscheinung) zu allen anderen bis in die entlegenste Glieder der empirischen Synthesis fortzuschreiten, sondern ist lediglich ein reines und aͤchtes Product, oder Problem, der reinen Vernunft. Was unter diesen drey Titeln aller transscendentalen Ideen vor modi der reinen Vernunftbegriffe stehen, wird in dem folgenden Hauptstuͤcke vollstaͤndig dargelegt wer- den. Sie laufen am Faden der Categorien fort. Denn die reine Vernunft bezieht sich niemals gerade zu auf Ge- genstaͤnde, sondern auf die Verstandesbegriffe von denselben. Eben so wird sich auch nur in der voͤlligen Ausfuͤhrung deutlich machen lassen, wie die Vernunft lediglich durch den synthetischen Gebrauch eben derselben Function, deren sie sich zum categorischen Vernunftschlusse bedient, nothwendi- ger Weise auf den Begriff der absoluten Einheit des den- kenden Subiects kommen muͤsse, wie das logische Ver- fahren in hypothetischen die Idee vom Schlechthinunbeding- ten in einer Reihe gegebener Bedingungen, endlich die blosse Form des disiunctiven Vernunftschlusses den hoͤchsten Ver- nunftbegriff von einem Wesen aller Wesen nothwendiger Weise Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Weise nach sich ziehen muͤsse, ein Gedanke der, beym er- sten Anblick, aͤusserst paradox zu seyn scheint. Von diesen transscendentalen Ideen ist eigentlich kei- ne obiective Deduction moͤglich, so wie wir sie von den Categorien liefern konten. Denn in der That haben sie keine Beziehung auf irgend ein Obiect, was ihnen congru- ent gegeben werden koͤnte, eben darum, weil sie nur Ideen sind. Aber eine subiective Ableitung derselben aus der Natur unserer Vernunft konten wir unternehmen und die ist im gegenwaͤrtigen Hauptstuͤcke auch geleistet worden. Man sieht leicht: daß die reine Vernunft nichts an- ders zur Absicht habe, als die absolute Totalitaͤt der Syn- thesis auf der Seite der Bedingungen (es sey der In- haͤrenz, oder der Dependenz, oder der Concurrenz) und daß sie mit der absoluten Vollstaͤndigkeit von Seiten des Bedingten nichts zu schaffen habe. Denn nur allein ie- ner bedarf sie, um die ganze Reihe der Bedingungen vor- auszusetzen, und sie dadurch dem Verstande a priori zu geben. Ist aber eine vollstaͤndig (und unbedingt) gege- bene Bedingung einmal da, so bedarf es nicht mehr eines Vernunftbegriffs in Ansehung der Fortsetzung der Reihe; denn der Verstand thut ieden Schritt abwerts, von der Bedingung zum Bedingten, von selber. Auf solche Wei- se dienen die transscendentale Ideen nur zum Aufsteigen in der Reihe der Bedingungen, bis zum Unbedingten, d. i. zu den Principien. In Ansehung des Hinabgehens zum Be- III. Absch. System der transscendent. Ideen. Bedingten aber, giebt es zwar einen weit erstrekten logischen Gebrauch, den unsere Vernunft von den Verstandesgese- tzen macht, aber gar keinen transscendentalen, und, wenn wir uns von der absoluten Totalitaͤt einer solchen Synthe- sis (des progressus ) eine Idee machen, z. B. von der ganzen Reihe aller kuͤnftigen Weltveraͤnderungen, so ist dieses ein Gedankending ( ens rationis ), welches nur will- kuͤhrlich gedacht, und nicht durch die Vernunft nothwen- dig vorausgesezt wird. Denn zur Moͤglichkeit des Be- dingten wird zwar die Totalitaͤt seiner Bedingungen, aber nicht seiner Folgen vorausgesezt. Folglich ist ein solcher Begriff keine transscendentale Idee, mit der wir es doch hier lediglich zu thun haben. Zulezt wird man auch gewahr: daß unter den trans- scendentalen Ideen selbst ein gewisser Zusammenhang und Einheit hervorleuchte, und daß die reine Vernunft, vermit- telst ihrer, alle ihre Erkentnisse in ein System bringe. Von der Erkentniß seiner selbst (der Seele) zur Welterkentniß, und, vermittelst dieser, zum Urwesen fortzugehen ist ein so natuͤrlicher Fortschritt, daß er dem logischen Fortgange der Vernunft, von den Praͤmissen zum Schlußsatze aͤhn- lich scheint. Ob nun hier wirklich eine Verwandschaft von der Art, als zwischen dem logischen und transscenden- talen Verfahren, in geheim zum Grunde liege, ist auch eine von den Fragen, deren Beantwortung man in dem Verfolg dieser Untersuchungen allererst erwarten muß. Y Wir Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Wir haben vorlaͤufig unsern Zweck schon erreicht: da wir die transscendentale Begriffe der Vernunft, die sich sonst gewoͤhnlich in der Theorie der Philosophen unter andere mischen, ohne daß diese sie einmal von Verstandesbegriffen gehoͤrig unterscheiden, aus dieser zweideutigen Lage haben herausziehen, ihren Ursprung, und dadurch zugleich ihre bestimte Zahl, uͤber die es gar keine mehr geben kan, an- geben und sie in einem systematischen Zusammenhange ha- ben vorstellen koͤnnen, wodurch ein besonderes Feld vor die reine Vernunft abgestekt und eingeschraͤnkt wird. Der Transscendentalen Dialectik Zweites Buch. Von den dialectischen Schluͤssen der reinen Vernunft . M an kan sagen: der Gegenstand einer blossen trans- scendentalen Idee sey etwas, wovon man keinen Begriff hat, obgleich diese Idee ganz nothwendig in der Vernunft nach ihren urspruͤnglichen Gesetzen erzeugt wor- den. Denn in der That ist auch von einem Gegenstande, der der Foderung der Vernunft adaͤquat seyn soll, kein Verstandesbegriff moͤglich, d. i. ein solcher, welcher in einer moͤglichen Erfahrung gezeigt und anschaulich gemacht wer- Von den dialect. Schluͤssen d. r. Vernunft. werden kan. Besser wuͤrde man sich doch, und mit we- niger Gefahr des Mißverstaͤndnisses ausdruͤcken, wenn man sagte: daß wir vom Obiect, welches einer Idee correspon- dirt, keine Kentniß, obzwar einen problematischen Begriff haben koͤnnen. Nun beruhet wenigstens die transscendentale (sub- iective) Realitaͤt der reinen Vernunftbegriffe darauf: daß wir durch einen nothwendigen Vernunftschluß auf solche Ideen gebracht werden. Also wird es Vernunftschluͤsse geben, die keine empirische Praͤmissen enthalten und ver- mittelst deren wir von etwas, das wir kennen, auf et- was anderes schliessen, wovon wir doch keinen Begriff ha- ben und dem wir gleichwol, durch einen unvermeidlichen Schein, obiective Realitaͤt geben. Dergleichen Schluͤsse sind in Ansehung ihres Resultats also eher vernuͤnftelnde, als Vernunftschluͤsse zu nennen; wiewol sie, ihrer Ver- anlassung wegen, wol den lezteren Namen fuͤhren koͤnnen, weil sie doch nicht erdichtet, oder zufaͤllig entstanden, son- dern aus der Natur der Vernunft entsprungen sind. Es sind Sophisticationen, nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst, von denen selbst der Weiseste unter allen Menschen sich nicht losmachen, und vielleicht zwar nach vieler Bemuͤhung den Irrthum verhuͤten, den Schein aber, der ihn unaufhoͤrlich zwakt und aͤfft, niemals voͤl- lig los werden kan. Dieser dialectischen Vernunftschluͤsse giebt es also nur dreierley Arten, so vielfach, als die Ideen sind, auf Y 2 die Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. die ihre Schlußsaͤtze auslaufen. In dem Vernunftschlusse der ersten Classe schliesse ich von dem transscendentalen Begriffe des Subiects, der nichts Mannigfaltiges enthaͤlt, auf die absolute Einheit dieses Subiects selber, von wel- chem ich auf diese Weise gar keinen Begriff habe. Die- sen dialectischen Schluß werde ich den transscendentalen Paralogismus nennen. Die zweite Classe der vernuͤnf- telnden Schluͤsse ist auf den transscendentalen Begriff der absoluten Totalitaͤt, der Reihe der Bedingungen zu einer gegebenen Erscheinung uͤberhaupt, angelegt und ich schliesse daraus, daß ich von der unbedingten synthetischen Ein- heit der Reihe auf einer Seite, iederzeit einen sich selbst wider- sprechenden Begriff habe, auf die Richtigkeit der entgegen- stehenden Einheit, wovon ich gleichwol auch keinen Begriff hade. Den Zustand der Vernunft bey diesen dialectischen Schluͤssen, werde ich die Antinomie der reinen Vernunft nennen. Endlich schliesse ich, nach der dritten Art ver- nuͤnftelnder Schluͤsse, von der Totalitaͤt der Bedingungen, Gegenstaͤnde uͤberhaupt, so fern sie mir gegeben werden koͤnnen, zu denken, auf die absolute synthetische Einheit aller Bedingungen der Moͤglichkeit der Dinge uͤberhaupt, d. i. von Dingen, die ich nach ihrem blossen transscenden- talen Begriff nicht kenne, auf ein Wesen aller Wesen, wel- ches ich durch einen transscendenten Begriff noch weniger kenne und von dessen unbedingter Nothwendigkeit ich mir kei- nen Begriff machen kann. Diesen dialectischen Vernunft- schluß werde ich das Ideal der reinen Vernunft nennen. Der I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Des Zweiten Buchs der transscendentalen Dialectik Erstes Hauptstuͤck. Von den Paralogismen der reinen Vernunft. D er logische Paralogismus besteht in der Falschheit ei- nes Vernunftschlusses der Form nach, sein Inhalt mag uͤbrigens seyn, welcher er wolle. Ein transscenden- taler Paralogismus aber hat einen transscendentalen Grund: der Form nach falsch zu schliessen. Auf solche Weise wird ein dergleichen Fehlschluß in der Natur der Menschenvernunft seinen Grund haben und eine unvermeid- liche, obzwar nicht unaufloͤsliche Illusion bey sich fuͤhren. Jezt kommen wir auf einen Begriff, der oben, in der allgemeinen Liste der transscendentalen Begriffe, nicht verzeichnet worden, und dennoch dazu gezehlt werden muß, ohne doch darum iene Tafel im mindesten zu veraͤndern und vor mangelhaft zu erklaͤren. Dieses ist der Begriff, oder, wenn man lieber will, das Urtheil: Ich denke. Man sieht aber leicht: daß er das Vehikel aller Begriffe uͤberhaupt und mithin auch der transscendentalen sey und also unter diesen iederzeit mit begriffen werde, und daher eben sowol transscendental sey, aber keinen besondern Ti- tel haben koͤnne, weil er nur dazu dient, alles Denken, als zum Bewustseyn gehoͤrig, aufzufuͤhren. Indessen, so Y 3 rein Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. rein er auch vom Empirischen (dem Eindrucke der Sinne) ist, so dient er doch dazu, zweierley Gegenstaͤnde aus der Natur unserer Vorstellungskraft zu unterscheiden. Ich, als denkend, bin ein Gegenstand des innern Sinnes und heisse Seele. Dasienige, was ein Gegenstand aͤusserer Sinne ist, heißt Coͤrper. Demnach bedeutet der Ausdruck: Ich, als ein denkend Wesen, schon den Gegenstand der Psychologie, welche die rationale Seelenlehre heissen kan, wenn ich von der Seele nichts weiter zu wissen verlange, als was unab- haͤngig von aller Erfahrung (welche mich naͤher und in concreto bestimt) aus diesem Begriffe Ich, so fern er bey allem Denken vorkomt, geschlossen werden kan. Die rationale Seelenlehre ist nun wirklich ein Un- terfangen von dieser Art, denn wenn das mindeste Empi- rische meines Denkens, irgend eine besondere Wahrneh- mung meines inneren Zustandes, noch unter die Erkent- nißgruͤnde dieser Wissenschaft gemischt wuͤrde, so waͤre sie nicht mehr rationale, sondern empirische Seelenlehre. Wir haben also schon eine angebliche Wissenschaft vor uns, welche auf dem einzigen Satze: Ich denke, erbaut worden und deren Grund oder Ungrund wir hier ganz schicklich, und der Natur einer Transscendentalphilosophie gemaͤß, untersuchen koͤnnen. Man darf sich daran nicht stossen daß ich doch an diesem Satze, der die Wahrnehmung sei- ner Selbst ausdruͤkt, eine innere Erfahrung habe, und mithin die rationale Seelenlehre, welche darauf erbauet wird, I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. wird, niemals rein, sondern zum Theil auf ein empiri- sches Principium gegruͤndet sey. Denn diese innere Wahr- nehmung ist nichts weiter, als die blosse Apperception: Ich denke, welche sogar alle transscendentale Begriffe moͤglich macht, in welchen es heißt: Ich denke die Sub- stanz, die Ursache ꝛc. Denn innere Erfahrung uͤberhaupt und deren Moͤglichkeit, oder Wahrnehmung uͤberhaupt und deren Verhaͤltniß zu anderer Wahrnehmung, ohne das irgend ein besonderer Unterschied derselben und Be- stimmung empirisch gegeben ist, kan nicht als empirische Erkentniß, sondern muß als Erkentniß des Empirischen uͤberhaupt angesehen werden, und gehoͤrt zur Untersuchung der Moͤglichkeit einer ieden Erfahrung, welche allerdings transscendental ist. Das mindeste Obiect der Wahrneh- mung (z. B. nur Lust oder Unlust), welche zu der allge- meinen Vorstellung des Selbstbewustseyns hinzu kaͤme, wuͤrde die rationale Psychologie sogleich in eine empirische verwandeln. Ich denke, ist also der alleinige Text der rationalen Psychologie, aus welchem sie ihre ganze Weisheit auswi- ckeln soll. Man sieht leicht: daß dieser Gedanke, wenn er auf einen Gegenstand (mich selbst) bezogen werden soll, nichts anders, als transscendentale Praͤdicate desselben enthalten koͤnne; weil das mindeste empirische Praͤdicat die rationale Reinigkeit und Unabhaͤngigkeit der Wissenschaft von aller Erfahrung, verderben wuͤrde. Y 4 Wir Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Wir werden aber hier blos dem Leitfaden der Cate- gorien zu folgen haben, nur, da hier zuerst ein Ding, Ich, als denkend Wesen, gegeben worden, so werden wir zwar die obige Ordnung der Categorien unter einander, wie sie in ihrer Tafel vorgestellet ist, nicht veraͤndern, aber doch, hier von der Categorie der Substanz anfangen, dadurch ein Ding an sich selbst vorgestellet wird, und so ihrer Reihe ruͤckwerts nachgehen. Die Topik der rationalen Seelen- lehre, woraus alles uͤbrige, was sie nur enthalten mag, abgeleitet werden muß, ist demnach folgende: 1. Die Seele ist Substanz 2. Ihrer Qualitaͤt nach Einfach 3. Den verschiedenen Zeiten nach, in welchen sie da ist, numerisch-identisch, d. i. Einheit (nicht Vielheit.) 4. Im Verhaͤltnisse zu moͤglichen Gegenstaͤnden im Raume Der Leser, der aus diesen Ausdruͤcken, in ihrer trans- scendentalen Abgezogenheit, nicht so leicht den psychologi- schen Sinn der s elben und warum das leztere Attribut der Seele zur Categorie der Existenz gehoͤre, errathen wird, wird sie in dem folgenden hinreichend erklaͤrt und gerecht- fer- . Aus I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Aus diesen Elementen entspringen alle Begriffe der reinen Seelenlehre, lediglich durch die Zusammensetzung, ohne im mindesten ein anderes Principium zu erkennen. Diese Substanz, blos als Gegenstand des inneren Sinnes, giebt den Begriff der Immaterialitaͤt, als einfache Sub- stanz, der Incorruptibilitaͤt, die Identitaͤt derselben, als intellectueller Substanz, giebt die Personalitaͤt, alle diese drey Stuͤcke zusammen die Spiritualitaͤt, das Verhaͤlt- niß zu den Gegenstaͤnden im Raume giebt das Commer- cium mit Coͤrpern, mithin stellet sie die denkende Sub- stanz, als das Principium des Lebens in der Materie, d. i. sie als Seele ( anima ) und als den Grund der Anima- litaͤt vor, diese durch die Spiritualitaͤt eingeschraͤnkt, Im- mortalitaͤt. Hierauf beziehen sich nun vier Paralogismen einer transscendentalen Seelenlehre, welche faͤlschlich vor eine Wissenschaft der reinen Vernunft, von der Natur unse- res denkenden Wesens, gehalten wird. Zum Grunde der- selben koͤnnen wird aber nichts anderes legen, als die ein- fache und vor sich selbst an Inhalt gaͤnzlich leere Vorstel- Y 5 lung fertigt finden. Uebrigens habe ich wegen der lateinischen Ausdruͤcke, die statt der gleichbedeutenden deutschen, wi- der den Geschmack der guten Schreibart, eingeflossen sind, sowol bey diesem Abschnitte, als auch in Ansehung des ganzen Werks, zur Entschuldigung anzufuͤhren: daß ich lieber etwas der Zierlichkeit der Sprache habe entzie- hen, als den Schulgebrauch durch die mindeste Unver- staͤndlichkeit erschweren wollen. Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. lung: Ich , von der man nicht einmal sagen kan: daß sie ein Begriff sey, sondern ein blosses Bewustseyn, das alle Begriffe begleitet. Durch dieses Ich, oder Er, oder Es (das Ding) welches denket, wird nun nichts weiter, als ein transscendentales Subiect der Gedanken vorgestellt = X , welches nur durch die Gedanken, die seine Praͤdi- cate sind, erkant wird und wovon wir, abgesondert, nie- mals den mindesten Begriff haben koͤnnen, um welches wir uns daher in einem bestaͤndigen Cirkel herumdrehen, indem wir uns seiner Vorstellung iederzeit schon bedienen muͤssen, um irgend etwas von ihm zu urtheilen; eine Un- bequemlichkeit, die davon nicht zu trennen ist, weil das Bewustseyn an sich nicht sowol eine Vorstellung ist, die ein besonderes Obiect unterscheidet, sondern eine Form dersel- ben uͤberhaupt, so fern sie Erkentniß genant werden soll; denn von der allein kan ich sagen, daß ich dadurch irgend etwas denke. Es muß aber gleich anfangs befremdlich scheinen: daß die Bedingung, unter der ich uͤberhaupt denke und die mithin blos eine Beschaffenheit meines Subiects ist, zugleich vor alles, was denkt, guͤltig seyn solle, und daß wir auf einen empirisch scheinenden Satz ein apodictisches und allgemeines Urtheil zu gruͤnden uns anmassen koͤnnen, nemlich: daß alles, was denkt, so beschaffen sey, als der Ausspruch des Selbstbewustseyns es an mir aussagt. Die Ursache aber hievon liegt darin: daß wir den Dingen a priori alle die Eigenschaften nothwendig beilegen muͤssen, die I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. die die Bedingungen ausmachen, unter welchen wir sie al- lein denken. Nun kan ich von einem denkenden Wesen durch keine aͤussere Erfahrung, sondern blos durch das Selbstbewustseyn die mindeste Vorstellung haben. Also sind dergleichen Gegenstaͤnde nichts weiter, als die Ueber- tragung dieses meines Bewustseyns auf andere Dinge, wel- che nur dadurch als denkende Wesen vorgestellet werden. Der Satz: Ich denke, wird aber hiebey nur problema- tisch genommen; nicht so fern er eine Wahrnehmung von einem Daseyn enthalten mag (das cartesianische cogito; ergo sum ), sondern seiner bloßen Moͤglichkeit nach, um zu sehen, welche Eigenschaften aus diesem so einfachen Satze auf das Subiect desselben (es mag dergleichen nun existiren oder nicht) fliessen moͤgen. Laͤge unserer reinen Vernunfterkentniß von denken- den Wesen uͤberhaupt mehr, als das cogito zum Grunde, wuͤrden wir die Beobachtungen, uͤber das Spiel unserer Gedanken und die daraus zu schoͤpfende Naturgesetze des denkenden Selbst, auch zu Huͤlfe nehmen: so wuͤrde eine empirische Psychologie entspringen, welche eine Art der Physiologie des inneren Sinnes seyn wuͤrde und vielleicht die Erscheinungen desselben zu erklaͤren, niemals aber dazu dienen koͤnte, solche Eigenschaften, die gar nicht zur moͤg- lichen Erfahrung gehoͤren (als die des Einfachen) zu er- oͤfnen, noch von denkenden Wesen uͤberhaupt etwas, das ihre Natur betrift, apodictisch zu lehren; sie waͤre also keine rationale Psychologie. Da Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Da nun der Satz: Ich denke (problematisch ge- nommen), die Form eines ieden Verstandesurtheils uͤber- haupt enthaͤlt und alle Categorien als ihr Vehikel, beglei- tet, so ist klar: daß die Schluͤsse aus demselben einen blos transscendentalen Gebrauch des Verstandes enthalten koͤnnen, welcher alle Beimischung der Erfahrung ausschlaͤgt, und an dessen Fortgang wir, nach dem, was wir oben gezeigt haben, uns schon zum voraus keinen vortheilhaften Be- griff machen koͤnnen. Wir wollen ihn also durch alle Praͤ- dicamente der reinen Seelenlehre mit einem critischen Auge verfolgen. Erster Paralogism der Substantialitaͤt. Dasienige, dessen Vorstellung das absolute Subiect unserer Urtheile ist und daher nicht als Bestimmung eines andern Dinges gebraucht werden kan, ist Substanz . Ich, als ein denkend Wesen, bin das absolute Sub- iect aller meiner moͤglichen Urtheile, und diese Vorstellung von Mir selbst kan nicht zum Praͤdicat irgend eines andern Dinges gebraucht werden. Also bin ich, als denkend Wesen (Seele), Substanz . Critik des ersten Paralogism der reinen Psychologie. Wir haben in dem analytischen Theile der transscen- dentalen Logik gezeigt: daß reine Categorien (und unter diesen auch die der Substanz) an sich selbst gar keine ob- iective Bedeutung haben, wo ihnen nicht eine Anschauung unter- I. Haupt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. untergelegt ist, auf deren Mannigfaltiges sie, als Functio- nen der synthetischen Einheit, angewandt werden koͤnnen. Ohne das sind sie lediglich Functionen eines Urtheils ohne Inhalt. Von iedem Dinge uͤberhaupt kan ich sagen, es sey Substanz, so fern ich es von blossen Praͤdicaten und Bestimmungen der Dinge unterscheide. Nun ist in allem unserem Denken das Ich das Subiect, dem Gedanken nur als Bestimmungen inhaͤriren, und dieses Ich kan nicht als die Bestimmung eines anderen Dinges gebraucht wer- den. Also muß iedermann Sich selbst nothwendiger Weise als die Substanz, das Denken aber nur als Accidenzen sei- nes Daseyns und Bestimmungen seines Zustandes ansehen. Was soll ich aber nun von diesem Begriffe einer Substanz vor einen Gebrauch machen. Daß ich, als ein denkend Wesen, vor mich selbst fortdaure, natuͤrlicher Weise weder entstehe noch vergehe, das kan ich daraus keinesweges schliessen und dazu allein kan mir doch der Be- griff der Substantialitaͤt meines denkenden Subiects nutzen, ohne welches ich ihn gar wol entbehren koͤnte. Es fehlt so viel, daß man diese Eigenschaften aus der blossen reinen Categorie einer Substanz schließen koͤnte, daß wir vielmehr die Beharrlichkeit eines gegebenen Gegen- standes aus der Erfahrung zum Grunde legen muͤssen, wenn wir auf ihn den empirischbrauchbaren Begriff von einer Substanz anwenden wollen. Nun haben wir aber bey unserem Satze keine Erfahrung zum Grunde gelegt, sondern lediglich aus dem Begriffe der Beziehung, den alles Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. alles Denken, auf das Ich, als das gemeinschaftliche Subiect, hat, dem es inhaͤrirt, geschlossen. Wir wuͤrden auch, wenn wir es gleich darauf anlegten, durch keine sichere Beobachtung eine solche Beharrlichkeit darthun koͤnnen. Denn das Ich ist zwar in allen Gedanken; es ist aber mit dieser Vor- stellung nicht die mindeste Anschauung verbunden, die es von anderen Gegenstaͤnden der Anschauung unterschiede. Man kan also zwar wahrnehmen, daß diese Vorstellung bey allem Denken immer wiederum vorkoͤmt, nicht aber, daß es eine stehende und bleibende Anschauung sey, worin die Gedanken (als wandelbar) wechselten. Hieraus folgt: daß der erste Vernunftschluß der transscendentalen Psychologie uns nur eine vermeintliche neue Einsicht aufhefte, indem er das bestaͤndige logische Subiect des Denkens, vor die Erkentniß des realen Sub- iects der Inhaͤrenz ausgiebt, von welchem wir nicht die mindeste Kentniß haben, noch haben koͤnnen, weil das Bewustseyn das einzige ist, was alle Vorstellungen zu Ge- danken macht, und worin mithin alle unsere Wahrneh- mungen, als dem transscendentalen Subiecte, muͤssen an- getroffen werden, und wir, ausser dieser logischen Bedeu- tung des Ich, keine Kentniß von dem Subiecte an sich selbst haben, was diesem, so wie allen Gedanken, als Substra- tum zum Grunde liegt. Indessen kan man den Satz: die Seele ist Substanz, gar wol gelten lassen, wenn man sich nur bescheidet: daß unser dieser Begriff nicht im min- desten weiter fuͤhre, oder irgend eine von den gewoͤhnli- chen I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. chen Folgerungen der vernuͤnftelnden Seelenlehre, als z. B. die immerwaͤhrende Dauer derselben bey allen Ver- aͤnderungen und selbst dem Tode des Menschen lehren koͤn- ne, daß er also nur eine Substanz in der Idee, aber nicht in der Realitaͤt bezeichne. Zweiter Paralogism der Simplicitaͤt. Dasienige Ding, dessen Handlung niemals als die Concurrenz vieler handelnden Dinge angesehen werden kan, ist einfach . Nun ist die Seele, oder das denkende Ich, ein solches: Also ꝛc. Critik des zweiten Paralogisms der transscendentalen Psychologie. Dies ist der Achilles aller dialectischen Schluͤsse der reinen Seelenlehre, nicht etwa blos ein sophistisches Spiel, welches ein Dogmatiker erkuͤnstelt, um seinen Behauptun- gen einen fluͤchtigen Schein zu geben, sondern ein Schluß, der sogar die schaͤrfste Pruͤfung und die groͤßte Bedenklich- keit des Nachforschens auszuhalten scheint. Hier ist er. Eine iede zusammengesezte Substanz ist ein Aggregat vieler, und die Handlung eines Zusammengesezten, oder das, was ihm, als einem solchen, inhaͤrirt, ist ein Ag- gregat vieler Handlungen oder Accidenzen, welche unter der Menge der Substanzen vertheilt sind. Nun ist zwar eine Wirkung, die aus der Concurrenz vieler handelnden Sub- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Substanzen entspringt, moͤglich, wenn diese Wirkung blos aͤusserlich ist (wie z. B. die Bewegung eines Coͤrpers die vereinigte Bewegung aller seiner Theile ist). Allein mit Gedanken, als innerlich zu einem denkenden Wesen gehoͤ- rigen Accidenzen, ist es anders beschaffen. Denn, setzet, das Zusammengesezte daͤchte: so wuͤrde ein ieder Theil desselben einen Theil des Gedanken, alle aber zusammen- genommen allererst den ganzen Gedanken enthalten. Nun ist dieses aber widersprechend. Denn, weil die Vorstel- lungen, die unter verschiedenen Wesen vertheilt sind, (z. B. die einzelne Woͤrter eines Verses) niemals einen gan- zen Gedanken (einen Vers) ausmachen: so kan der Gedan- ke nicht einem Zusammengesezten, als einem solchen, inhaͤ- riren. Er ist also nur in einer Substanz moͤglich, die nicht ein Aggregat von vielen, mithin schlechterdings ein- fach ist Es ist sehr leicht, diesem Beweise die gewoͤhnliche schulge- rechte Abgemessenheit der Einkleidung zu geben. Allein es ist zu meinem Zwecke schon hinreichend, den blossen Beweißgrund, allenfalls auf populaͤre Art, vor Augen zu legen. . Der so genante neruus probandi dieses Arguments liegt in dem Satze: daß viele Vorstellungen in der abso- luten Einheit des denkenden Subiects enthalten seyn muͤs- sen, um einen Gedanken auszumachen. Diesen Satz aber kan niemand aus Begriffen beweisen. Denn, wie wollte er es wol anfangen, um dieses zu leisten? Der Satz: I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Satz: Ein Gedanke kan nur die Wirkung der absoluten Einheit des denkenden Wesens seyn, kan nicht als analy- tisch behandelt werden. Denn die Einheit des Gedanken, der aus vielen Vorstellungen besteht, ist collectiv und kan sich, den blossen Begriffen nach, eben sowol auf die col- lective Einheit der daran mitwirkenden Substanzen bezie- hen, (wie die Bewegung eines Coͤrpers die zusammenge- sezte Bewegung aller Theile desselben ist) als auf die abso- lute Einheit des Subiects. Nach der Regel der Identitaͤt kan also die Nothwendigkeit der Voraussetzung einer ein- fachen Substanz, bey einem zusammengesezten Gedanken, nicht eingesehen werden. Daß aber eben derselbe Satz synthetisch und voͤllig a priori aus lauter Begriffen erkant werden solle, das wird sich niemand zu verantworten ge- trauen, der den Grund der Moͤglichkeit synthetischer Saͤtze a priori, so wie wir ihn oben dargelegt haben, einsieht. Nun ist es aber auch unmoͤglich, diese nothwendige Einheit des Subiects, als die Bedingung der Moͤglichkeit eines ieden Gedankens, aus der Erfahrung abzuleiten. Denn diese giebt keine Nothwendigkeit zu erkennen, ge- schweige, daß der Begriff der absoluten Einheit weit uͤber ihre Sphaͤre ist. Woher nehmen wir denn diesen Satz, worauf sich der ganze psychologische Vernunftschluß stuͤtzet? Es ist offenbar: daß, wenn man sich ein denkend Wesen vorstellen will, man sich selbst an seine Stelle setzen, und also dem Obiecte, welches man erwaͤgen wollte, sein eigenes Subiect unterschieben muͤsse, (welches in keiner Z ande- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. anderen Art der Nachforschung der Fall ist) und daß wir nur darum absolute Einheit des Subiects zu einem Ge- danken erfodern, weil sonst nicht gesagt werden koͤnte: Ich denke (das Mannigfaltige in einer Vorstellung). Denn obgleich das Ganze des Gedanken getheilt und unter viele Subiecte vertheilt werden koͤnte, so kan doch das subiective Ich nicht getheilt und vertheilt werden, und dieses setzen wir doch bey allem Denken voraus. Also bleibt eben so hier, wie in dem vorigen Para- logism, der formale Satz der Apperception: Ich denke, der ganze Grund, auf welchen die rationale Psychologie die Erweiterung ihrer Erkentnisse wagt, welcher Satz zwar freilich keine Erfahrung ist, sondern die Form der Apperception, die ieder Erfahrung anhaͤngt und ihr vor- geht, gleichwol aber nur immer in Ansehung einer moͤg- lichen Erkentniß uͤberhaupt, als blos subiective Bedin- gung derselben, angesehen werden muß, die wir mit Un- recht zur Bedingung der Moͤglichkeit einer Erkentniß der Gegenstaͤnde, nemlich zu einem Begriffe vom denkenden Wesen uͤberhaupt machen, weil wir dieses uns nicht vor- stellen koͤnnen, ohne uns selbst mit der Formel unseres Bewustseyns an die Stelle iedes andern intelligenten We- sens zu setzen. Aber die Einfachheit meiner selbst (als Seele) wird auch wirklich nicht aus dem Satze: Ich denke, geschlos- sen, sondern der erstere liegt schon in iedem Gedanken selbst. Der Satz: Ich bin einfach, muß als ein unmit- tel I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. telbarer Ausdruck der Apperception angesehen werden, so wie der vermeintliche cartesianische Schluß, cogito, ergo sum , in der That tavtologisch ist, indem das cogito (sum cogitans) die Wirklichkeit unmittelbar aussagt. Ich bin einfach , bedeutet aber nichts mehr, als daß diese Vorstellung: Ich , nicht die mindeste Mannigfaltigkeit in sich fasse, und daß sie absolute (obzwar blos logische) Ein- heit sey. Also ist der so beruͤhmte psychologische Beweis ledi- glich auf der untheilbaren Einheit einer Vorstellung, die nur das Verbum in Ansehung einer Person dirigirt, ge- gruͤndet. Es ist aber offenbar: daß das Subiect der Inhaͤrenz durch das dem Gedanken angehaͤngte Ich nur transscendental bezeichnet werde, ohne die mindeste Eigen- schaft desselben zu bemerken, oder uͤberhaupt etwas von ihm zu kennen, oder zu wissen. Es bedeutet ein Etwas uͤber- haupt (transscendentales Subiect), dessen Vorstellung al- lerdings einfach seyn muß, eben darum, weil man gar nichts an ihm bestimt, wie denn gewiß nichts einfacher vorgestellt werden kan, als durch den Begriff von einem blossen Etwas. Die Einfachheit aber der Vorstellung von einem Subiect ist darum nicht eine Erkentniß von der Einfachheit des Subiects selbst, denn von dessen Eigen- schaften wird gaͤnzlich abstrahirt, wenn es lediglich durch den an Inhalt gaͤnzlich leeren Ausdruck Ich, (welchen ich auf iedes denkende Subiect anwenden kan), bezeichnet wird. Z 2 So Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. So viel ist gewiß: daß ich mir durch das Ich ieder- zeit eine absolute, aber logische Einheit des Subiects (Ein- fachheit) gedenke, aber nicht, daß ich dadurch die wirk- liche Einfachheit meines Subiects erkenne. So wie der Satz: ich bin Substanz, nichts als die reine Categorie be- deutete, von der ich in concreto keinen Gebrauch (empi- rischen) machen kan: so ist es mir auch erlaubt zu sagen: Ich bin eine einfache Substanz, d. i. deren Vorstellung niemals eine Synthesis des Mannigfaltigen enthaͤlt; aber dieser Begriff, oder auch dieser Satz, lehret uns nicht das mindeste in Ansehung meiner selbst als eines Gegenstandes der Erfahrung, weil der Begriff der Substanz selbst nur als Function der Synthesis, ohne unterlegte Anschauung, mithin ohne Obiect gebraucht wird, und nur von der Be- dingung unserer Erkentniß, aber nicht von irgend einem anzugebenden Gegenstande gilt. Wir wollen uͤber die ver- meintliche Brauchbarkeit dieses Satzes einen Versuch an- stellen. Jederman muß gestehen: daß die Behauptung von der einfachen Natur der Seele nur so fern von einigem Werthe sey, als ich dadurch dieses Subiect von aller Ma- terie zu unterscheiden und sie folglich von der Hinfaͤlligkeit ausnehmen kan, der diese iederzeit unterworfen ist. Auf diesen Gebrauch ist obiger Satz auch ganz eigentlich ange- legt, daher er auch mehrentheils so ausgedruͤckt wird: die Seele ist nicht koͤrperlich. Wenn ich nun zeigen kan: daß, ob I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. ob man gleich diesem Cardinalsatze der rationalen Seelen- lehre, in der reinen Bedeutung eines blossen Vernunftur- theils, (aus reinen Categorien), alle obiective Guͤltigkeit einraͤumt, (alles, was denkt, ist einfache Substanz), den- noch nicht der mindeste Gebrauch von diesem Satze, in Ansehung der Ungleichartigkeit, oder Verwandschaft der- selben mit der Materie, gemacht werden koͤnne: so wird dieses eben so viel seyn, als ob ich diese vermeintliche psy- chologische Einsicht in das Feld blosser Ideen verwiesen haͤt- te, denen es an Realitaͤt des obiectiven Gebrauchs man- gelt. Wir haben in der transscendentalen Aesthetik unlaͤug- bar bewiesen: daß Coͤrper blosse Erscheinungen unseres aͤusseren Sinnes, und nicht Dinge an sich selbst sind. Die- sem gemaͤß koͤnnen wir mit Recht sagen: daß unser den- kendes Subiect nicht koͤrperlich sey, das heißt: daß, da es als Gegenstand des inneren Sinnes von uns vorgestellet wird, es, in so fern als es denkt, kein Gegenstand aͤus- serer Sinne, d. i. keine Erscheinung im Raume seyn koͤn- ne. Dieses will nun so viel sagen: es koͤnnen uns nie- mals unter aͤusseren Erscheinungen denkende Wesen, als solche, vorkommen, oder, wir koͤnnen ihre Gedanken, ihr Bewustseyn, ihre Begierden ꝛc nicht aͤusserlich an- schauen; denn dieses gehoͤrt alles vor den innern Sinn. In der That scheint dieses Argument auch das natuͤrliche und populaͤre, worauf selbst der gemeinste Verstand von Z 3 ie- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. ieher gefallen zu seyn scheint, und dadurch schon sehr fruͤh Seelen, als von den Coͤrpern ganz unterschiedene Wesen, zu betrachten angefangen hat. Ob nun aber gleich die Ausdehnung, die Undurch- dringlichkeit, Zusammenhang und Bewegung, kurz alles, was uns aͤussere Sinne nur liefern koͤnnen, nicht Gedan- ken, Gefuͤhl, Neigung oder Entschliessung seyn, oder sol- che enthalten werden, als die uͤberall keine Gegenstaͤnde aͤusserer Anschauung sind, so koͤnte doch wol dasienige Et- was, welches den aͤusseren Erscheinungen zum Grunde liegt, was unseren Sinn so afficirt, daß er die Vorstellun- gen von Raum, Materie, Gestalt ꝛc bekomt, dieses Et- was, als Noumenon (oder besser, als transscendentaler Gegenstand) betrachtet, koͤnte doch auch zugleich das Sub- iect der Gedanken seyn, wiewol wir durch die Art, wie unser aͤussere Sinn dadurch afficirt wird, keine Anschau- ung von Vorstellungen, Willen ꝛc, sondern blos vom Raum und dessen Bestimmungen bekommen. Dieses Et- was aber ist nicht ausgedehnt, nicht undurchdringlich, nicht zusammengesezt, weil alle diese Praͤdicate nur die Sinnlichkeit und deren Anschauung angehen, so fern wir von dergleichen (uns uͤbrigens unbekanten) Obiecten affi- cirt werden. Diese Ausdruͤcke aber geben gar nicht zu erkennen, was vor ein Gegenstand es sey, sondern nur: daß ihm, als einem solchen, der ohne Beziehung auf aͤus- sere Sinne an sich selbst betrachtet wird, diese Praͤdicate aͤusse- I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. aͤusserer Erscheinungen nicht beygelegt werden koͤnnen. Allein die Praͤdicate des innern Sinnes, Vorstellungen und Denken, widersprechen ihm nicht. Demnach ist selbst durch die eingeraͤumte Einfachheit der Natur die menschliche Seele von der Materie, wenn man sie (wie man soll) blos als Erscheinung betrachtet, in Ansehung des Substrati derselben gar nicht hinreichend unterschieden. Waͤre Materie ein Ding an sich selbst, so wuͤrde sie als ein zusammengeseztes Wesen von der Seele, als einem einfachen, sich ganz und gar unterscheiden. Nun ist sie aber blos aͤussere Erscheinung, deren Substratum durch gar keine anzugebende Praͤdicate erkant wird; mithin kan ich von diesem wol annehmen, daß es an sich einfach sey, ob es zwar in der Art, wie es unsere Sinne afficirt, in uns die Anschauung des Ausgedehnten und mithin Zusam- mengesezten hervorbringt, und daß also der Substanz, der in Ansehung unseres aͤusseren Sinnes Ausdehnung zukomt, an sich selbst Gedanken beywohnen, die durch ihren eige- nen inneren Sinn mit Bewustseyn vorgestellt werden koͤn- nen. Auf solche Weise wuͤrde eben dasselbe, was in einer Beziehung koͤrperlich heißt, in einer andern zugleich ein den- kend Wesen seyn, dessen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die Zeichen derselben in der Erscheinung, anschauen koͤnnen. Dadurch wuͤrde der Ausdruck wegfallen, daß nur Seelen (als besondere Arten von Substanzen) denken; es wuͤrde vielmehr wie gewoͤhnlich heissen, daß Menschen Z 4 den- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. denken, d. i. eben dasselbe was, als aͤussere Erscheinung, ausgedehnt ist, innerlich (an sich selbst) ein Subiect sey, was nicht zusammengesezt, sondern einfach ist und denkt. Aber, ohne dergleichen Hypothesen zu erlauben, kan man allgemein bemerken: daß, wenn ich unter Seele ein denkend Wesen an sich selbst verstehe, die Frage an sich schon unschicklich sey: ob sie nemlich mit der Materie (die gar kein Ding an sich selbst, sondern nur eine Art Vorstel- lungen in uns ist) von gleicher Art sey, oder nicht; denn das versteht sich schon von selbst, daß ein Ding an sich selbst von anderer Natur sey, als die Bestimmungen, die blos seinen Zustand ausmachen. Vergleichen wir aber das denkende Ich nicht mit der Materie, sondern mit dem Intelligibelen, welches der aͤusseren Erscheinung, die wir Materie nennen, zum Grunde liegt: so koͤnnen wir, weil wir vom lezteren gar nichts wissen, auch nicht sagen: daß die Seele sich von diesem irgend worin innerlich unterscheide. So ist demnach das einfache Bewustseyn keine Kent- niß der einfachen Natur unseres Subiects, in so fern, als dieses dadurch von der Materie, als einem zusammenge- sezten Wesen, unterschieden werden soll. Wenn dieser Begriff aber dazu nicht taugt, ihn in dem einzigen Falle, da er brauchbar ist, nemlich in der Vergleichung meiner Selbst mit Gegenstaͤnden aͤusserer Erfahrung, das Eigenthuͤmliche und Unterscheidende seiner Natur zu bestimmen, so mag man immer zu wissen vorge- ben: I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. ben: das denkende Ich , die Seele, (ein Nahme vor den transscendentalen Gegenstand des inneren Sinnes) sey ein- fach; dieser Ausdruck hat deshalb doch gar keinen auf wirkliche Gegenstaͤnde sich erstreckenden Gebrauch und kan daher unsere Erkentniß nicht im mindesten erweitern. So faͤllt demnach die ganze rationale Psychologie mit ihrer Hauptstuͤtze, und wir koͤnnen so wenig hier, wie sonst iemals, hoffen, durch blosse Begriffe, (noch weniger aber durch die blosse subiective Form aller unserer Begriffe, das Bewustseyn,) ohne Beziehung auf moͤgliche Erfahrung, Einsichten auszubreiten, zumalen, da selbst der Fundamentalbegriff einer einfachen Natur von der Art ist, daß er uͤberall in keiner Erfahrung angetroffen werden kan, und es mithin gar keinen Weg giebt, zu dem- selben, als einem obiectivguͤltigen Begriffe, zu gelangen. Dritter Paralogism der Personalitaͤt. Was sich der numerischen Identitaͤt seiner Selbst in verschiedenen Zeiten bewust ist, ist so fern eine Person: Nun ist die Seele ꝛc . Also ist sie eine Person. Critik des dritten Paralogisms der transscendentalen Psychologie. Wenn ich die numerische Identitaͤt eines aͤusseren Gegenstandes durch Erfahrung erkennen will, so werde ich Z 5 auf Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. auf das Beharrliche derienigen Erscheinung, worauf, als Subiect, sich alles Uebrige als Bestimmung bezieht, Acht ha- ben und die Identitaͤt von ienem in der Zeit, da dieses wechselt, bemerken. Nun aber bin ich ein Gegenstand des innern Sinnes und alle Zeit ist blos die Form des innern Sinnes. Folglich beziehe ich alle und iede meiner succeßi- ven Bestimmungen auf das numerischidentische Selbst, in aller Zeit, d. i. in der Form der inneren Anschauung meiner selbst. Auf diesen Fuß muͤßte die Persoͤnlichkeit der Seele nicht einmal als geschlossen, sondern als ein voͤllig iden- tischer Satz des Selbstbewustseyns in der Zeit angesehen werden, und das ist auch die Ursache, weswegen er a priori gilt. Denn er sagt wirklich nichts mehr, als in der gan- zen Zeit, darin ich mir meiner bewust bin, bin ich mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehoͤrig, bewust, und es ist einerley, ob ich sage: diese ganze Zeit ist in Mir, als individueller Einheit, oder ich bin, mit numerischer Identitaͤt, in aller dieser Zeit befindlich. Die Identitaͤt der Person ist also in meinem eigenen Bewustseyn unausbleiblich anzutreffen. Wenn ich mich aber aus dem Gesichtspunkte eines andern (als Gegen- stand seiner aͤusseren Anschauung) betrachte, so erwaͤgt dieser aͤussere Beobachter mich allererst in der Zeit , denn in der Apperception ist die Zeit eigentlich nur in mir vor- gestellt. Er wird also aus dem Ich, welches alle Vorstel- lungen zu aller Zeit in meinem Bewustseyn, und zwar mit I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. mit voͤlliger Identitaͤt, begleitet, ob er es gleich einraͤumt, doch noch nicht auf die obiective Beharrlichkeit meiner Selbst schliessen. Denn da alsdenn die Zeit, in welche der Beobachter mich setzet, nicht dieienige ist, die in mei- ner eigenen, sondern die in seiner Sinnlichkeit angetroffen wird, so ist die Identitaͤt, di e mit meinem Bewustseyn nothwendig verbunden ist, nicht darum mit dem seinigen, d. i. mit der aͤusseren Anschauung meines Subiects ver- bunden. Es ist also die Identitaͤt des Bewustseyns Meiner selbst in verschiedenen Zeiten nur eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusammenhanges, beweiset aber gar nicht die numerische Identitaͤt, meines Subiects in welchem, ohnerachtet der logischen Identitaͤt des Ich, doch ein solcher Wechsel vorgegangen seyn kan, der es nicht er- laubt, die Identitaͤt desselben beyzubehalten; obzwar ihm immer noch das gleichlautende Ich zuzutheilen, welches in iedem andern Zustande, selbst der Umwandelung des Subiects, doch immer den Gedanken des vorhergehenden Subiects aufbehalten und so auch dem folgenden uͤberlie- fern koͤnte. Eine elastische Kugel, die auf eine gleiche in gerader Richtung stoͤßt, theilt dieser ihre ganze Bewegung, mit- hin ihren ganzen Zustand (wenn man blos auf die Stel- len im Raume sieht) mit. Nehmet nun, nach der Ana- logie mit dergleichen Coͤrpern, Substanzen an, deren die eine der andern Vorstellungen, samt deren Bewustseyn ein- Wenn Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Wenn gleich der Satz einiger alten Schulen: daß alles fliessend und nichts in der Welt beharrlich und bleibend sey, nicht statt finden kan, sobald man Substanzen an- nimt, so ist er doch nicht durch die Einheit des Selbstbe- wustseyns widerlegt. Denn wir selbst koͤnnen aus unserem Bewustseyn daruͤber nicht urtheilen, ob wir als Seele be- harrlich sind, oder nicht, weil wir zu unserem identischen Selbst nur dasienige zehlen, dessen wir uns bewust seyn, und so allerdings nothwendig urtheilen muͤssen: daß wir in der ganzen Zeit, deren wir uns bewust seyn, eben die- selbe sind. In dem Standpuncte eines Fremden aber koͤnnen wir dieses darum noch nicht vor guͤltig erklaͤren, weil, da wir an der Seele keine beharrliche Erscheinung antreffen, als nur die Vorstellung Ich, welche sie alle begleitet und verknuͤpft, so koͤnnen wir niemals ausma- chen, ob dieses Ich (ein blosser Gedanke) nicht eben sowol fliesse, als die uͤbrige Gedanken, die dadurch an einander gekettet werden. Es einfloͤssete, so wird sich eine ganze Reihe derselben denken lassen, deren die erste ihren Zustand, samt dessen Bewust- seyn, der zweiten, diese ihren eigenen Zustand, samt dem der vorigen Substanz, der dritten und diese eben so die Zustaͤnde aller vorigen, samt ihrem eigenen und deren Bewustseyn, mittheilete. Die lezte Substanz wuͤrde also aller Zustaͤnde der vor ihr veraͤnderten Substanzen sich als ihrer eigenen bewust seyn, weil iene zusamt dem Bewustseyn in sie uͤbertragen worden, und dem unerach- tet, wuͤrde sie doch nicht eben dieselbe Person in allen diesen Zustaͤnden gewesen seyn. I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Es ist aber merkwuͤrdig, daß die Persoͤnlichkeit und deren Voraussetzung, die Beharrlichkeit, mithin die Sub- stanzialitaͤt der Seele iezt allererst bewiesen werden muß. Denn koͤnten wir diese voraussetzen, so wuͤrde zwar dar- aus noch nicht die Fortdauer des Bewustseyns, aber doch die Moͤglichkeit eines fortwaͤhrenden Bewustseyns in einem bleibenden Subiect folgen, welches zu der Persoͤnlichkeit schon hinreichend ist, die dadurch, daß ihre Wirkung et- wa eine Zeit hindurch unterbrochen wird, selbst nicht so fort aufhoͤrt. Aber diese Beharrlichkeit ist uns vor der numerischen Identitaͤt unserer Selbst, die wir aus der identischen Apperception folgeren, durch nichts gegeben, sondern wird daraus allererst gefolgert, (und auf diese muͤßte, wenn es recht zugienge, allererst der Begriff der Substanz folgen, der allein empirisch brauchbar ist). Da nun diese Identitaͤt der Person aus der Identitaͤt des Ich, in dem Bewustseyn aller Zeit, darin ich mich erkenne, keinesweges folgt: so hat auch oben die Substanzialitaͤt der Seele darauf nicht gegruͤndet werden koͤnnen. Indessen kan, so wie der Begriff der Substanz und des Einfachen, eben so auch der Begriff der Persoͤnlichkeit (so fern er blos transscendental ist, d. i. Einheit des Sub- iects, das uns uͤbrigens unbekant ist, in dessen Bestimmun- gen aber eine durchgaͤngige Verknuͤpfung durch Appercep- tion ist) bleiben, und so fern ist dieser Begriff auch zum pra- ctischen Gebrauche noͤthig und hinreichend, aber auf ihn, als Elmentarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. als Erweiterung unserer Selbsterkentniß durch reine Ver- nunft, welche uns eine ununterbrochene Fortdauer des Sub- iects aus dem blossen Begriffe des identischen Selbst vorspiegelt, koͤnnen wir nimmermehr Staat machen, da dieser Begriff sich immer um sich selbst herumdreht, und uns in Ansehung keiner einzigen Frage, welche auf syn- thetische Erkentniß angelegt ist, weiter bringt. Was Ma- terie vor ein Ding an sich selbst (transscendentales Obiect) sey, ist uns zwar gaͤnzlich unbekant; gleichwol kan doch die Beharrlichkeit derselben als Erscheinung, dieweil sie als etwas aͤusserliches vorgestellet wird, beobachtet werden. Da ich aber, wenn ich das blosse Ich bey dem Wechsel aller Vorstellungen beobachten will, kein ander Correlatum mei- ner Vergleichungen habe, als wiederum Mich selbst, mit den allgemeinen Bedingungen meines Bewustseyns, so kan ich keine andere als tavtologische Beantwortungen auf alle Fragen geben, indem ich nemlich meinen Begriff und des- sen Einheit den Eigenschaften, die mir selbst als Obiect zukommen, unterschiebe, und das voraussetze, was man zu wissen verlangte. Der vierte Paralogism der Idealitaͤt. (des aͤusseren Verhaͤltnisses). Dasienige, auf dessen Daseyn, nur als einer Ursache zu gegebenen Wahrnehmungen, geschlossen werden kan, hat eine nur zweifelhafte Existenz: Nun I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Nun sind alle aͤussere Erscheinungen von der Art: daß ihr Daseyn nicht unmittelbar wahrgenommen, sondern auf sie, als die Ursache gegebener Wahrnehmungen, allein geschlossen werden kan: Also ist das Daseyn aller Gegenstaͤnde aͤusserer Sin- ne zweifelhaft. Diese Ungewißheit nenne ich die Idea- litaͤt aͤusserer Erscheinungen und die Lehre dieser Idealitaͤt heißt der Idealism, in Vergleichung mit welchem die Behauptung einer moͤglichen Gewißheit von Gegenstaͤnden aͤusserer Sinne, der Dualism genent wird. Critik des vierten Paralogisms der transscendentalen Psychologie. Zuerst wollen wir die Praͤmissen der Pruͤfung unter- werfen. Wir koͤnnen mit Recht behaupten, daß nur dasienige, was in uns selbst ist, unmittelbar wahrgenom- men werden koͤnne, und daß meine eigene Existenz allein der Gegenstand einer blossen Wahrnehmung seyn koͤnne. Also ist das Daseyn eines wirklichen Gegenstandes ausser mir (wenn dieses Wort in intellectueller Bedeutung ge- nommen wird) niemals gerade zu in der Wahrnehmung gegeben, sondern kan nur zu dieser, welche eine Modifica- tion des inneren Sinnes ist, als aͤussere Ursache derselben hinzu gedacht und mithin geschlossen werden. Daher auch Cartesius mit Recht alle Wahrnehmung in der eng- sten Bedeutung auf den Satz einschraͤnkte: Ich (als ein den- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. denkend Wesen) bin. Es ist nemlich klar: daß, da das aͤussere nicht in mir ist, ich es nicht in meiner Apperception, mithin auch in keiner Wahrnehmung, welche eigentlich nur die Bestimmung der Apperception ist, antreffen koͤnne. Ich kan also aͤussere Dinge eigentlich nicht wahrneh- men, sondern nur aus meiner inneren Wahrnehmung auf ihr Daseyn schließen, indem ich diese als die Wirkung an- sehe, wozu Etwas aͤusseres die naͤchste Ursache ist. Nun ist aber der Schluß von einer gegebenen Wirkung auf eine bestimte Ursache iederzeit unsicher; weil die Wirkung aus mehr als einer Ursache entsprungen seyn kan. Demnach b l eibt es in der Beziehung der Wahrnehmung auf ihre Ur- sache iederzeit zweifelhaft: ob diese innerlich, oder aͤus- serlich sey, ob also alle sogenante aͤussere Wahrnehmungen nicht ein blosses Spiel unseres innern Sinnes seyn, oder ob sie sich auf aͤussere wirkliche Gegenstaͤnde, als ihre Ur- sache beziehen. Wenigstens ist das Daseyn der lezteren nur geschlossen, und laͤuft die Gefahr aller Schluͤsse, da hingegen der Gegenstand des inneren Sinnes (Ich selbst mit allen meinen Vorstellungen) unmittelbar wahrgenom- men wird, und die Existenz desselben gar keinen Zweifel leidet. Unter einem Idealisten muß man also nicht denie- nigen verstehen, der das Daseyn aͤusserer Gegenstaͤnde der Sinne laͤugnet, sondern der nur nicht einraͤumt: daß es durch unmittelbare Wahrnehmung erkant werde, daraus aber I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. aber schließt, daß wir ihrer Wirklichkeit durch alle moͤg- liche Erfahrung niemals voͤllig gewiß werden koͤnnen. Ehe ich nun unseren Paralogismus seinem truͤglichen Scheine nach darstelle, muß ich zuvor bemerken, daß man nothwendig einen zweifachen Idealism unterscheiden muͤsse, den transscendentalen und den empirischen. Ich verstehe aber unter dem transscendentalen Idealism aller Erschei- nungen den Lehrbegriff, nach welchem wir sie insgesamt als blosse Vorstellungen, und nicht als Dinge an sich selbst, ansehen, und dem gemaͤß Zeit und Raum nur sinnliche Formen unserer Anschauung, nicht aber vor sich gegebene Bestimmungen, oder Bedingungen der Obiecte, als Dinge an sich selbst sind. Diesem Idealism ist ein transscenden- taler Realism entgegengesezt, der Zeit und Raum als etwas an sich (unabhaͤngig von unserer Sinnlichkeit) ge- gebenes ansieht. Der transscendentale Realist stellet sich also aͤussere Erscheinungen (wenn man ihre Wirklichkeit einraͤumt) als Dinge an sich selbst vor, die unabhaͤngig von uns und unserer Sinnlichkeit existiren, also auch nach reinen Verstandesbegriffen ausser uns waͤren. Dieser transscendentale Realist ist es eigentlich, welcher nachher den empirischen Idealisten spielt, und nachdem er faͤlsch- lich von Gegenstaͤnden der Sinne vorausgesezt hat, daß, wenn sie aͤussere seyn sollen, sie an sich selbst auch ohne Sinne ihre Existenz haben muͤßten, in diesem Gesichts- puncte alle unsere Vorstellungen der Sinne unzureichend findet, die Wirklichkeit derselben gewiß zu machen. A a Der Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Der transscendentale Idealist kan hingegen ein em- pirischer Realist, mithin, wie man ihn nent, ein Dua- list seyn, d. i. die Existenz der Materie einraͤumen, ohne aus dem blossen Selbstbewustseyn hinauszugehen, und et- was mehr, als die Gewißheit der Vorstellungen in mir, mithin das cogito, ergo sum, anzunehmen. Denn weil er diese Materie und sogar deren innere Moͤglichkeit blos vor Erscheinung gelten laͤßt, die, von unserer Sinnlichkeit abgetrent, nichts ist: so ist sie bey ihm nur eine Art Vor- stellungen (Anschauung), welche aͤusserlich heissen, nicht, als ob sie sich auf an sich selbst aͤussere Gegenstaͤnde bezoͤ- gen, sondern weil sie Wahrnehmungen auf den Raum be- ziehen, in welchem alles ausser einander, er selbst der Raum aber in uns ist. Vor diesen transscendentalen Idealism haben wir uns nun schon im Anfange erklaͤrt. Also faͤllt bey unserem Lehrbegriff alle Bedenklichkeit weg, das Daseyn der Ma- terie eben so auf das Zeugniß unseres blossen Selbstbe- wustseyns anzunehmen und dadurch vor bewiesen zu er- klaͤren, wie das Daseyn meiner selbst als eines denkenden Wesens. Denn ich bin mir doch meiner Vorstellungen bewust; also existiren diese und ich selbst, der ich diese Vor- stellungen habe. Nun sind aber aͤussere Gegenstaͤnde (die Coͤrper) blos Erscheinungen, mithin auch nichts anders, als eine Art meiner Vorstellungen, deren Gegenstaͤnde nur durch diese Vorstellungen etwas sind, von ihnen ab- gesondert aber nichts seyn. Also existiren eben sowol aͤus- sere I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. sere Dinge, als ich Selbst existire, und zwar beide auf das unmittelbare Zeugniß meines Selbstbewußtseyns, nur mit dem Unterschiede: daß die Vorstellung meiner Selbst, als des denkenden Subiects, blos auf den innern, die Vor- stellungen aber, welche ausgedehnte Wesen bezeichnen, auch auf den aͤussern Sinn bezogen werden. Ich habe in Ab- sicht auf die Wirklichkeit aͤusserer Gegenstaͤnde eben so we- nig noͤthig zu schliessen, als in Ansehung der Wirklichkeit des Gegenstandes meines innern Sinnes, (meiner Gedan- ken), denn sie sind beiderseitig nichts als Vorstellungen, deren unmittelbare Wahrnehmung (Bewustseyn) zugleich ein genugsamer Beweis ihrer Wirklichkeit ist. Also ist der transscendentale Idealist ein empirischer Realist und gestehet der Materie, als Erscheinung, eine Wirklichkeit zu, die nicht geschlossen werden darf, sondern unmittelbar wahrgenommen wird. Dagegen komt der transscendentale Realismus nothwendig in Verlegenheit, und sieht sich genoͤthigt, dem empirischen Idealismus Platz einzuraͤumen, weil er die Gegenstaͤnde aͤusserer Sinne vor Etwas von den Sinnen selbst unterschiedenes, und blosse Erscheinungen vor selbststaͤndige Wesen ansieht, die sich ausser uns befinden; da denn freilich, bey unserem be- sten Bewustseyn unserer Vorstellung von diesen Dingen, noch lange nicht gewiß ist, daß, wenn die Vorstellung existirt, auch der ihr correspondirende Gegenstand existire; dahin- gegen in unserem System diese aͤussere Dinge, die Materie nemlich, in allen ihren Gestalten und Veraͤnderungen, A a 2 nichts Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. nichts als blosse Erscheinungen, d. i. Vorstellungen in uns sind, deren Wirklichkeit wir uns unmittelbar bewust werden. Da nun, so viel ich weis, alle dem empirischen Idealismus anhaͤngende Psychologen transscendentale Rea- listen seyn, so haben sie freilich ganz consequent verfah- ren, dem empirischen Idealism grosse Wichtigkeit zuzuge- stehen, als einem von den Problemen, daraus die mensch- liche Vernunft sich schwerlich zu helfen wisse. Denn in der That, wenn man aͤussere Erscheinungen als Vorstellun- gen ansieht, die von ihren Gegenstaͤnden, als an sich aus- ser uns befindlichen Dingen, in uns gewirkt werden, so ist nicht abzusehen, wie man dieser ihr Daseyn anders, als durch den Schluß von der Wirkung auf die Ursache, erkennen koͤnne, bey welchem es immer zweifelhaft blei- ben muß, ob die leztere in uns, oder ausser uns sey. Nun kan man zwar einraͤumen: daß von unseren aͤusseren An- schauungen etwas, was im transscendentalen Verstande ausser uns seyn mag, die Ursache sey, aber dieses ist nicht der Gegenstand, den wir unter den Vorstellungen der Materie und koͤrperlicher Dinge verstehen; denn diese sind lediglich Erscheinungen, d. i. blosse Vorstellungsarten, die sich iederzeit nur in uns befinden, und deren Wirklich- keit auf dem unmittelbaren Bewustseyn eben so, wie das Bewustseyn meiner eigenen Gedanken beruht. Der trans- scendentale Gegenstand ist, sowol in Ansehung der inne- ren als aͤusseren Anschauung, gleich unbekant. Von ihm aber I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. aber ist auch nicht die Rede, sondern von dem empirischen, welcher alsdenn ein aͤusserer heißt, wenn er im Raume, und ein innerer Gegenstand, wenn er lediglich im Zeit- verhaͤltnisse vorgestellet wird; Raum aber und Zeit sind beide nur in uns anzutreffen. Weil indessen der Ausdruck: ausser uns, eine nicht zu vermeidende Zweideutigkeit bey sich fuͤhrt, indem er bald etwas bedeutet, was als Ding an sich selbst von uns unterschieden existirt, bald was blos zur aͤusseren Erschei- nung gehoͤrt, so wollen wir, um diesen Begriff in der lezteren Bedeutung, als in welcher eigentlich die psycholo- gische Frage, wegen der Realitaͤt unserer aͤusseren An- schauung, genommen wird, ausser Unsicherheit zu setzen, empirisch aͤusserliche Gegenstaͤnde dadurch von denen, die so im transscendentalen Sinne heissen moͤchten, unterschei- den, daß wir sie gerade zu Dinge nennen, die im Rau- me anzutreffen sind. Raum und Zeit sind zwar Vorstellungen a priori, welche uns als Formen unserer sinnlichen Anschauung bey- wohnen, ehe noch ein wirklicher Gegenstand unseren Sinn durch Empfindung bestimt hat, um ihn unter ienen sinn- lichen Verhaͤltnissen vorzustellen. Allein dieses Materielle oder Reale, dieses Etwas, was im Raume angeschaut wer- den soll, sezt nothwendig Wahrnehmung voraus, und kan unabhaͤngig von dieser, welche die Wirklichkeit von Etwas im Raume anzeigt, durch keine Einbildungskraft gedich- tet und hervorgebracht werden. Empfindung ist also das- A a 3 ienige Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. ienige, was eine Wirklichkeit im Raume und der Zeit be- zeichnet, nachdem sie auf die eine, oder die andere Art der sinnlichen Anschauung bezogen wird. Ist Empfindung einmal gegeben, (welche, wenn sie auf einen Gegenstand uͤberhaupt, ohne diesen zu bestimmen, angewandt wird, Wahrnehmung heißt,) so kan durch die Mannigfaltigkeit derselben mancher Gegenstand in der Einbildung gedichtet werden, der ausser der Einbildung im Raume oder der Zeit keine empirische Stelle hat. Dieses ist ungezweifelt gewiß, man mag nun die Empfindungen, Lust und Schmerz, oder auch der aͤusseren, als Farben, Waͤrme ꝛc. nehmen, so ist Wahrnehmung dasienige, wodurch der Stoff, um Gegenstaͤnde der sinnlichen Anschauung zu denken, zuerst gegeben werden muß. Diese Wahrnehmung stellet also, (damit wir diesmal nur bey aͤusseren Anschauungen bleiben) etwas Wirkliches im Raume vor. Denn erstlich ist Wahrnehmung die Vorstellung einer Wirklichkeit, so wie Raum die Vorstellung einer blossen Moͤglichkeit des Beysammenseyns. Zweitens wird diese Wirklichkeit vor dem aͤusseren Sinn, d. i. im Raume vorgestellt. Drit- tens ist der Raum selbst nichts anders, als blosse Vorstel- lung, mithin kan in ihm nur das als wirklich gelten, was in ihm vorgestellet Man muß diesen paradoxen, aber richtigen Satz wol merken: daß im Raume nichts sey, als was in ihm vor- gestellet wird. Denn der Raum ist selbst nichts anders, als Vorstellung, folglich was in ihm ist, muß in der Vor- wird, und umgekehrt, was in ihm gege- I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. gegeben, d. i. durch Wahrnehmung vorgestellet wird, ist in ihm auch wirklich; denn waͤre es in ihm nicht wirklich, d. i. unmittelbar durch empirische Anschauung gegeben, so koͤnte es auch nicht erdichtet werden, weil man das Reale der Anschauungen gar nicht a priori erdenken kan. Alle aͤussere Wahrnehmung also beweiset unmittel- bar etwas wirkliches im Raume, oder ist vielmehr das Wirkliche selbst und in so fern ist also der empirische Rea- lismus ausser Zweifel, d. i. es correspondirt unseren aͤusse- ren Anschauungen etwas Wirkliches im Raume. Freilich ist der Raum selbst, mit allen seinen Erscheinungen, als Vorstellungen, nur in mir, aber in diesem Raume ist doch gleichwol das Reale, oder der Stoff aller Gegenstaͤnde aͤusserer Anschauung, wirklich und unabhaͤngig von aller Erdichtung gegeben, und es ist auch unmoͤglich: daß in diesem Raume irgend etwas ausser uns (im transscen- dentalen Sinne) gegeben werden sollte, weil der Raum selbst ausser unserer Sinnlichkeit nichts ist. Also kan der strengste Idealist nicht verlangen, man solle beweisen: daß unserer Wahrnehmung der Gegenstand ausser uns A a 4 (in Vorstellung enthalten seyn, und im Raume ist gar nichts, ausser, so fern es in ihm wirklich vorgestellet wird. Ein Satz, der allerdings befremdlich klingen muß: daß eine Sache nur in der Vorstellung von ihr existiren koͤnne, der aber hier das anstoͤßige verliert, weil die Sachen, mit denen wir es zu thun haben, nicht Dinge an sich, sondern nur Erscheinungen, d. i. Vorstellungen sind. Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. (in stricter Bedeutung) entspreche. Denn wenn es der- gleichen gaͤbe, so wuͤrde es doch nicht als ausser uns vor- gestellet und angeschauet werden koͤnnen, weil dieses den Raum voraussezt, und die Wirklichkeit im Raume, als einer blossen Vorstellung, nichts anders als die Wahr- nehmung selbst ist. Das Reale aͤusserer Erscheinungen ist also wirklich nur in der Wahrnehmung und kan auf keine andere Weise wirklich seyn. Aus Wahrnehmungen kan nun, entweder durch ein blosses Spiel der Einbildung, oder auch vermittelst der Erfahrung, Erkentniß der Gegenstaͤnde erzeugt werden. Und da koͤnnen allerdings truͤgliche Vorstellungen entsprin- gen, denen die Gegenstaͤnde nicht entsprechen und wobey die Taͤuschung bald einem Blendwerke der Einbildung, (im Traume) bald einem Fehltritte der Urtheilskraft (beym sogenanten Betruge der Sinne) beyzumessen ist. Um nun hierin dem falschen Scheine zu entgehen, verfaͤhrt man nach der Regel: Was mit einer Wahrnehmung nach empirischen Gesetzen zusammenhaͤngt, ist wirklich. Allein diese Taͤuschung sowol, als die Verwahrung wi- der dieselbe, trift eben sowol den Idealism als den Dua- lism, indem es dabey nur um die Form der Erfahrung zu thun ist. Den empirischen Idealismus, als eine fal- sche Bedenklichkeit wegen der obiectiven Realitaͤt unserer aͤusseren Wahrnehmungen, zu widerlegen, ist schon hin- reichend: daß aͤussere Wahrnehmung eine Wirklichkeit im Rau- I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Raume unmittelbar beweise, welcher Raum, ob er zwar an sich nur blosse Form der Vorstellungen ist, den- noch in Ansehung aller aͤusseren Erscheinungen (die auch nichts anders als blosse Vorstellungen sind) obiective Rea- litaͤt hat; imgleichen: daß ohne Wahrnehmung selbst die Erdichtung und der Traum nicht moͤglich seyn, unsere aͤussere Sinne also, den datis nach, woraus Erfahrung entspringen kan, ihre wirkliche correspondirende Gegen- staͤnde im Raume haben. Der dogmatische Idealist wuͤrde derienige seyn, der das Daseyn der Materie laͤugnet, der sceptische, der sie bezweifelt, weil er sie vor unerweislich haͤlt. Der erstere kan es nur darum seyn, weil er in der Moͤglich- keit einer Materie uͤberhaupt Widerspruͤche zu finden glaubt und mit diesem haben wir es iezt noch nicht zu thun. Der folgende Abschnitt von dialectischen Schluͤssen, der die Ver- nunft in ihrem inneren Streite in Ansehung der Begriffe, die sich von der Moͤglichkeit dessen, was in den Zusam- menhang der Erfahrung gehoͤrt, vorstellt, wird auch die- ser Schwierigkeit abhelfen. Der sceptische Idealist aber, der blos den Grund unserer Behauptung ansicht und un- sere Ueberredung von dem Daseyn der Materie, die wir auf unmittelbare Wahrnehmung zu gruͤnden glauben, vor unzureichend erklaͤrt, ist so fern ein Wohlthaͤter der mensch- lichen Vernunft, als er uns noͤthigt, selbst bey dem klein- sten Schritte der gemeinen Erfahrung, die Augen wol A a 5 auf- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. aufzuthun, und, was wir vielleicht nur erschleichen, nicht sogleich als wolerworben in unseren Besitz aufzunehmen. Der Nutzen, den diese idealistische Einwuͤrfe hier schaffen, faͤllt iezt klar in die Augen. Sie treiben uns mit Gewalt dahin, wenn wir uns nicht in unseren gemeinsten Behaup- tungen verwickeln wollen, alle Wahrnehmungen, sie moͤ- gen nun innere, oder aͤussere heissen, blos als ein Bewust- seyn dessen, was unserer Sinnlichkeit anhaͤngt und die aͤussere Gegenstaͤnde derselben nicht vor Dinge an sich selbst, sondern nur vor Vorstellungen anzusehen, deren wir uns, wie ieder anderen Vorstellung, unmittelbar bewust werden koͤnnen, die aber darum aͤussere heissen, weil sie demieni- gen Sinne anhaͤngen, den wir den aͤusseren Sinn nennen, dessen Anschauung der Raum ist, der aber doch selbst nichts anders, als eine innere Vorstellungsart ist, in wel- cher sich gewisse Wahrnehmungen mit einander verknuͤpfen. Wenn wir aͤussere Gegenstaͤnde vor Dinge an sich gelten las- sen, so ist schlechthin, unmoͤglich zu begreifen, wie wir zur Er- kentniß ihrer Wirklichkeit ausser uns kommen sollten, in- dem wir uns blos auf die Vorstellung stuͤtzen, die in uns ist. Denn man kan doch ausser sich nicht empfinden, son- dern nur in sich selbst, und das ganze Selbstbewustseyn liefert daher nichts, als lediglich unsere eigene Bestim- mungen. Also noͤthigt uns der sceptische Idealism, die ein- zige Zuflucht, die uns uͤbrig bleibt, nemlich zu der Ideali- taͤt aller Erscheinungen zu ergreifen, welche wir in der transscendentalen Aesthetik unabhaͤngig von diesen Folgen, die I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. die wir damals nicht voraussehen konten, dargethan ha- ben. Fraͤgt man nun: ob denn diesem zu Folge der Dualism allein in der Seelenlehre statt finde, so ist die Antwort: Allerdings! aber nur im empirischen Verstan- de, d. i. in dem Zusammenhange der Erfahrung ist wirk- lich Materie, als Substanz in der Erscheinung, dem aͤus- seren Sinne, so wie das denkende Ich, gleichfals als Sub- stanz in der Erscheinung, vor dem inneren Sinne gege- ben und nach den Regeln, welche diese Categorie in den Zusammenhang unserer aͤusserer sowol als innerer Wahr- nehmungen zu einer Erfahrung hineinbringt, muͤssen auch beiderseits Erscheinungen unter sich verknuͤpft werden. Wollte man aber den Begriff des Dualismus, wie es gewoͤhnlich geschieht, erweitern und ihn im transscenden- talen Verstande nehmen, so haͤtten weder er, noch der ihm entgegengesezte Pnevmatismus einer Seits, oder der Materialismus anderer Seits, nicht den mindesten Grund, indem man alsdenn die Bestimmung seiner Be- griffe verfehlete, und die Verschiedenheit der Vorstellungs- art von Gegenstaͤnden, die uns nach dem, was sie an sich sind, unbekant bleiben, vor eine Verschiedenheit dieser Dinge selbst haͤlt. Ich, durch den innern Sinn in der Zeit vorgestellt, und Gegenstaͤnde im Raume, ausser mir, sind zwar sceptisch ganz unterschiedene Erscheinungen, aber da- durch werden sie nicht als verschiedene Dinge gedacht. Das transscendentale Obiect, welches den aͤusseren Erschei- nungen, imgleichen das, was der innern Anschauung zum Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. zum Grunde liegt, ist weder Materie, noch ein denkend Wesen an sich selbst, sondern ein uns unbekanter Grund der Erscheinungen, die den empirischen Begriff von der ersten sowol als zweiten Art an die Hand geben. Wenn wir also, wie uns denn die gegenwaͤrti- ge Critik augenscheinlich dazu noͤthigt, der oben festgesez- ten Regel treu bleiben, unsere Fragen nicht weiter zu trei- ben, als nur so weit moͤgliche Erfahrung uns das Obie c t derselben an die Hand geben kan: so werden wir es uns nicht einmal einfallen lassen, uͤber die Gegenstaͤnde unserer Sinne nach demienigen, was sie an sich selbst, d. i. ohne alle Beziehung auf die Sinne seyn moͤgen, Erkundigung anzustellen. Wenn aber der Psycholog Erscheinungen vor Dinge an sich selbst nimt, so mag er als Materialist einzig und allein Materie, oder als Spiritualist blos denkende Wesen (nemlich nach der Form unsers innern Sinnes) oder als Dualist beide, als vor sich existirende Dinge, in seinen Lehrbegriff aufnehmen, so ist er doch immer durch Mißverstand hingehalten uͤber die Art zu vernuͤnfteln, wie dasienige an sich selbst existiren moͤge, was doch kein Ding an sich, sondern nur die Erscheinung eines Dinges uͤber- haupt ist. Be- I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Betrachtung uͤber die Summe der reinen Seelenlehre, zu Folge diesen Paralogismen. Wenn wir die Seelenlehre, als die Physiologie der in- neren Sinnes, mit der Coͤrperlehre, als einer Physiolo- gie der Gegenstaͤnde aͤusserer Sinne vergleichen: so finden wir, ausser dem, daß in beiden vieles empirisch erkant werden kan, doch diesen merkwuͤrdigen Unterschied, daß in der lezteren Wissenschaft doch vieles a priori, aus dem blossen Begriffe eines ausgedehnten undurchdringlichen Wesens, in der ersteren aber, aus dem Begriffe eines denkenden Wesens, gar nichts a priori synthetisch erkant werden kan. Die Ursache ist diese. Obgleich beides Er- scheinungen sind, so hat doch die Erscheinung vor dem aͤusseren Sinne etwas Stehendes, oder Bleibendes, wel- ches ein, den wandelbaren Bestimmungen zum Grunde liegendes Substratum und mithin einen synthetischen Be- griff, nemlich den vom Raume und einer Erscheinung in demselben, an die Hand giebt, anstatt daß die Zeit, wel- che die einzige Form unserer innern Anschauung ist, nichts Bleibendes hat, mithin nur den Wechsel der Bestimmun- gen, nicht aber den bestimbaren Gegenstand zu erkennen giebt. Denn, in dem was wir Seele nennen, ist alles im continuirlichen Flusse und nichts Bleibendes, ausser etwa (wenn man es durchaus will) das darum so einfache Ich, weil diese Vorstellung keinen Inhalt, mithin kein Man- nigfaltiges hat, weswegen sie auch scheint ein einfaches Obiect Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Obiect vorzustellen, oder besser gesagt, zu bezeichnen. Die- ses Ich muͤßte eine Anschauung seyn, welche, da sie beim Denken uͤberhaupt (vor aller Erfahrung) vorausgesezt wuͤrde, als Anschauung a priori synthetische Saͤtze lieferte, wenn es moͤglich seyn sollte, eine reine Vernunfterkentniß von der Natur eines denkenden Wesens uͤberhaupt zu Stan- de zu bringen. Allein dieses Ich ist so wenig Anschauung, als Begriff von irgend einem Gegenstande, sondern die blosse Form des Bewustseyns, welches beiderley Vorstel- lungen begleiten, und sie dadurch zu Erkentnissen erheben kan, so fern nemlich dazu noch irgend etwas anders in der Anschauung gegeben wird, welches zu einer Vorstel- lung von einem Gegenstande Stoff darreichet. Also faͤllt die ganze rationale Psychologie, als eine, alle Kraͤfte der menschlichen Vernunft uͤbersteigende Wissenschaft, und es bleibt uns nichts uͤbrig, als unsere Seele an dem Leitfa- den der Erfahrung zu studiren und uns in den Schranken der Fragen zu halten, die nicht weiter gehen, als moͤgli- che innere Erfahrung ihren Inhalt darlegen kan. Ob sie nun aber gleich als erweiternde Erkentniß keinen Nutzen hat, sondern als solche aus lauter Paralo- gismen zusammengesezt ist, so kan man ihr doch, wenn sie vor nichts mehr, als eine critische Behandlung unserer dialectischer Schluͤsse und zwar der gemeinen und natuͤrli- chen Vernunft, gelten soll, einen wichtigen negativen Nutzen nicht absprechen. Wozu I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Wozu haben wir wol eine blos auf reine Vernunftprin- cipien gegruͤndete Seelenlehre noͤthig? Ohne Zweifel vorzuͤglich in der Absicht, um unser denkendes Selbst wi- der die Gefahr des Materialismus zu sichern. Dieses leistet aber der Vernunftbegriff von unserem denkenden Selbst, den wir gegeben haben. Denn weit gefehlt, daß nach demselben einige Furcht uͤbrig bliebe, daß, wenn man die Materie wegnaͤhme, dadurch alles Denken und selbst die Existenz denkender Wesen aufgehoben werden wuͤrde, so wird vielmehr klar gezeigt: daß, wenn ich das denken- de Subiect wegnehme, die ganze Coͤrperwelt wegfallen muß, als die nichts ist, als die Erscheinung in der Sinn- lichkeit unseres Subiects und eine Art Vorstellungen desselben. Dadurch erkenne ich zwar freilich dieses denkende Selbst seinen Eigenschaften nach nicht besser, noch kan ich seine Beharrlichkeit, ia selbst nicht einmal die Unabhaͤngig- keit seiner Existenz, von dem etwanigen transscendentalen Substratum aͤusserer Erscheinungen einsehen, denn dieses ist mir, eben sowol als ienes, unbekant. Weil es aber gleichwol moͤglich ist, daß ich anders woher, als aus blos speculativen Gruͤnden Ursache hernaͤhme, eine selbststaͤndige und bey allem moͤglichen Wechsel meines Zustandes beharr- liche Existenz meiner denkenden Natur zu hoffen, so ist da- durch schon viel gewonnen, bey dem freien Gestaͤndniß meiner eigenen Unwissenheit, dennoch die dogmatische An- griffe eines speculativen Gegners abtreiben zu koͤnnen, und ihm Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. ihm zu zeigen: daß er niemals mehr von der Natur mei- nes Subiects wissen koͤnne, um meinen Erwartungen die Moͤglichkeit abzusprechen, als ich, um mich an ihnen zu halten. Auf diesen transscendentalen Schein unserer psycho- logischen Begriffe gruͤnden sich denn noch drey dialectische Fragen, welche das eigentliche Ziel der rationalen Psycholo- gie ausmachen, und nirgend anders, als durch obige Untersuchungen entschieden werden koͤnnen: nemlich 1) von der Moͤglichkeit der Gemeinschaft der Seele mit einem or- ganischen Coͤrper, d. i. der Animalitaͤt und dem Zustande der Seele im Leben des Menschen, 2) vom Anfange die- ser Gemeinschaft, d. i. der Seele in und vor der Geburth des Menschen, 3) dem Ende dieser Gemeinschaft, d. i. der Seele im und nach dem Tode des Menschen (Frage wegen der Unsterblichkeit). Ich behaupte nun: daß alle Schwierigkeiten, die man bey diesen Fragen vorzufinden glaubet, und mit de- nen, als dogmatischen Einwuͤrfen, man sich das Ansehen einer tieferen Einsicht in die Natur der Dinge, als der gemeine Verstand wol haben kan, zu geben sucht, auf einem blossen Blendwerke beruhe, nach welchem man das, was blos in Gedanken existirt, hypostasirt, und in eben derselben Qualitaͤt, als einen wirklichen Gegenstand aus- serhalb dem denkenden Subiecte annimt, nemlich Aus- dehnung, die nichts als Erscheinung ist, vor eine, auch ohne unsere Sinnlichkeit, subsistirende Eigenschaft aͤusse- rer I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. rer Dinge, und Bewegung vor deren Wirkung, welche auch ausser unseren Sinnen an sich wirklich vorgeht, zu hal- ten. Denn die Materie, deren Gemeinschaft mit der Seele so grosses Bedenken erregt, ist nichts anders als eine blosse Form, oder eine gewisse Vorstellungsart eines unbekanten Gegenstandes, durch dieienige Anschauung, welche man den aͤusseren Sinn nent. Es mag also wol etwas ausser uns seyn, dem diese Erscheinung, welche wir Materie nennen, correspondirt; aber, in derselben Qualitaͤt als Erscheinung ist es nicht ausser uns, sondern lediglich als ein Gedanke in uns, wie wol dieser Gedanke durch genanten Sinn, es als ausser uns befindlich vor- stellt. Materie bedeutet also nicht eine von dem Gegen- stande des inneren Sinnes (Seele) so ganz unterschiedene und heterogene Art von Substanzen, sondern nur die Un- gleichartigkeit der Erscheinungen von Gegenstaͤnden (die uns an sich selbst unbekant sind) deren Vorstellungen wir aͤussere nennen, in Vergleichung mit denen, die wir zum inneren Sinne zaͤhlen, ob sie gleich eben sowol blos zum denkenden Subiecte, als alle uͤbrige Gedanken, gehoͤren, nur daß sie dieses Taͤuschende an sich haben: daß, da sie Gegenstaͤnde im Raume vorstellen, sich gleichsam von der Seele abloͤsen und ausser ihr zu schweben scheinen, da doch selbst der Raum, darin sie angeschauet werden, nichts als eine Vorstellung ist, deren Gegenbild in derselben Qua- litaͤt aͤusser der Seele gar nicht angetroffen werden kan. Nun ist die Frage nicht mehr: von der Gemeinschaft der B b Seele Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Seele mit anderen bekanten und fremdartigen Substanzen ausser uns, sondern blos von der Verknuͤpfung der Vor- stellungen des inneren Sinnes mit den Modificationen un- serer aͤusseren Sinnlichkeit, und wie diese unter einander nach bestaͤndigen Gesetzen verknuͤpft seyn moͤgen, so daß sie in einer Erfahrung zusammenhaͤngen. So lange wir innere und aͤussere Erscheinungen, als blosse Vorstellungen in der Erfahrung, mit einander zu- sammen halten, so finden wir nichts widersinnisches und welches die Gemeinschaft beider Art Sinne befremdlich machte. Sobald wir aber die aͤussere Erscheinungen hypo- stasiren, sie nicht mehr als Vorstellungen, sondern in der- selben Qualitaͤt, wie sie in uns sind, auch als ausser uns vor sich bestehende Dinge , ihre Handlungen aber, die sie als Erscheinungen gegen einander im Verhaͤltniß zeigen, auf unser denkendes Subiects beziehen, so haben wir einen Character der wirkenden Ursachen ausser uns, der sich mit ihren Wirkungen in uns nicht zusammen reimen will, weil iener sich blos auf aͤussere Sinne, diese aber auf den innern Sinn beziehen, welche, ob sie zwar in einem Subiecte vereinigt, dennoch hoͤchst ungleichartig sind. Da haben wir denn keine andere aͤussere Wirkun- gen, als Veraͤnderungen des Orts, und keine Kraͤfte, als blos Bestrebungen, welche auf Verhaͤltnisse im Raume, als ihre Wirkungen, auslaufen. In uns aber sind die Wirkungen Gedanken, unter denen kein Verhaͤltniß des Orts I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Orts, Bewegung, Gestalt, oder Raumesbestimmung uͤber- haupt statt findet, und wir verliehren den Leitfaden der Ursachen gaͤnzlich an den Wirkungen, die sich davon in dem inneren Sinne zeigen sollten. Aber wir sollten be- denken: daß nicht die Coͤrper Gegenstaͤnde an sich sind, die uns gegenwaͤrtig seyn, sondern eine bloße Erscheinung, wer weis, welches unbekanten Gegenstandes, daß die Be- wegung nicht die Wirkung dieser unbekanten Ursache, son- dern blos die Erscheinung ihres Einflusses auf unsere Sinne sey, daß folglich beide nicht Etwas ausser uns, sondern blos Vorstellungen in uns seyn, mithin daß nicht die Be- wegung der Materie in uns Vorstellungen wirke, sondern daß sie selbst (mithin auch die Materie, die sich dadurch kennbar macht) blosse Vorstellung sey, und endlich die ganze selbstgemachte Schwierigkeit darauf hinauslaufe: wie und durch welche Ursache die Vorstellungen unserer Sinnlich- keit so untereinander in Verbindung stehen, daß dieienige, welche wir aͤussere Anschauungen nennen, nach empiri- schen Gesetzen, als Gegenstaͤnde ausser uns, vorgestellet wer- den koͤnnen, welche Frage nun ganz und gar nicht die ver- meinte Schwierigkeit enthaͤlt, den Ursprung der Vorstel- lungen von ausser uns befindlichen ganz fremdartigen wir- kenden Ursachen zu erklaͤren, indem wir die Erscheinungen einer unbekanten Ursache vor die Ursache ausser uns neh- men, welches nichts als Verwirrung veranlassen kan. In Urtheilen, in denen eine durch lange Gewohnheit einge- wurzelte Mißdeutung vorkomt, ist es unmoͤglich, die Be- B b 2 richti- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. richtigung so fort zu derienigen Faßlichkeit zu bringen, wel- che in anderen Faͤllen gefoͤrdert werden kan, wo keine der- gleichen unvermeidliche Illusion den Begriff verwirrt. Da- her wird diese unsere Befreiung der Vernunft von sophi- stischen Theorien schwerlich schon die Deutlichkeit haben, die ihr zur voͤlligen Befriedigung noͤthig ist. Ich glaube diese auf folgende Weise befoͤrdern zu koͤnnen. Alle Einwuͤrfe koͤnnen in dogmatische, critische und sceptische eingetheilt werden. Der dogmatische Ein- wurf ist, der wider einen Satz, der critische, der wider den Beweis eines Satzes gerichtet ist. Der erstere be- darf einer Einsicht in die Beschaffenheit der Natur des Gegenstandes, um das Gegentheil von demienigen behaup- ten zu koͤnnen, was der Satz von diesem Gegenstande vor- giebt, er ist daher selbst dogmatisch und giebt vor, die Beschaffenheit, von der die Rede ist, besser zu kennen, als der Gegentheil. Der critische Einwurf, weil er den Satz in seinem Werthe oder Unwerthe unangetastet laͤßt, und nur den Beweis anficht, bedarf gar nicht den Gegen- stand besser zu kennen, oder sich einer besseren Kentniß desselben anzumassen; er zeigt nur, daß die Behauptung grundlos, nicht, daß sie unrichtig sey. Der sceptische stellet Satz und Gegensatz wechselseitig gegen einander, als Einwuͤrfe von gleicher Erheblichkeit, einen ieden derselben wechselsweise als Dogma und den andern als dessen Ein- wurf, ist also auf zwey entgegengesezten Seiten dem Schei- I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Scheine nach dogmatisch, um alles Urtheil uͤber den Ge- genstand gaͤnzlich zu vernichten. Der dogmatische also so wol, als sceptische Einwurf, muͤssen beide so viel Einsicht ihres Gegenstandes vorgeben, als noͤthig ist, etwas von ihm beiahend oder verneinend zu behaupten. Der criti- sche ist allein von der Art, daß, indem er blos zeigt, man nehme zum Behuf seiner Behauptung etwas an, was nich- tig und blos eingebildet ist, die Theorie stuͤrzt, dadurch, daß sie ihr die angemaßte Grundlage entzieht, ohne sonst et- was uͤber die Beschaffenheit des Gegenstandes ausmachen zu wollen. Nun sind wir nach den gemeinen Begriffen unserer Vernunft in Ansehung der Gemeinschaft, darin unser denkendes Subiect mit den Dingen ausser uns steht, dog- matisch und sehen diese als wahrhafte unabhaͤngig von uns bestehende Gegenstaͤnde an, nach einem gewissen trans- scendentalen Dualism, der iene aͤussere Erscheinungen nicht als Vorstellungen zum Subiecte zehlt, sondern sie, so wie sinnliche Anschauung sie uns liefert, ausser uns als Ob- iecte versezt und sie von dem denkenden Subiecte gaͤnzlich abtrent. Diese Subreption ist nun die Grundlage aller Theorien uͤber die Gemeinschaft zwischen Seele und Coͤrper, und es wird niemals gefragt: ob denn diese obiective Rea- litaͤt der Erscheinungen so ganz richtig sey, sondern diese wird als zugestanden vorausgesezt und nur uͤber die Art vernuͤnftelt, wie sie erklaͤrt und begriffen werden muͤsse. B b 3 Die Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Die gewoͤhnliche drey hieruͤber erdachte und wirklich einzig moͤgliche Systeme sind die, des physischen Einflusses, der vorher bestimten Harmonie und der uͤbernatuͤrlichen Assistenz. Die zwey leztere Erklaͤrungsarten der Gemeinschaft der Seele mit der Materie sind auf Einwuͤrfe gegen die erstere, welche die Vorstellung des gemeinen Verstandes ist, gegruͤndet, daß nemlich dasienige, was als Materie erscheint, durch seinen unmittelbaren Einfluß nicht die Ur- sache von Vorstellungen, als einer ganz heterogenen Art von Wirkungen, seyn koͤnne. Sie koͤnnen aber alsdenn mit dem, was sie unter dem Gegenstande aͤusserer Sinne ver- stehen, nicht den Begriff einer Materie verbinden, welche nichts als Erscheinung, mithin schon an sich selbst blosse Vorstellung, die durch irgend welche aͤussere Gegenstaͤnde gewirkt worden, denn sonst wuͤrden sie sagen: daß die Vorstellungen aͤusserer Gegenstaͤnde (die Erscheinungen) nicht aͤussere Ursachen der Vorstellungen in unserem Gemuͤ- the seyn koͤnnen, welches ein ganz sinnleerer Einwurf seyn wuͤrde, weil es niemanden einfallen wird, das, was er einmal als blosse Vorstellung anerkant hat, vor eine aͤus- sere Ursache zu halten. Sie muͤssen also nach unseren Grundsaͤtzen ihre Theorie darauf richten: daß dasienige, was der wahre (transscendentale) Gegenstand unserer aͤusseren Sinne ist, nicht die Ursache derienigen Vorstel- lungen (Erscheinungen) seyn koͤnne, die wir unter dem Nahmen I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Nahmen Materie verstehen. Da nun niemand mit Grunde vorgeben kan, etwas von der transscendentalen Ursache unserer Vorstellungen aͤusserer Sinne zu kennen, so ist ihre Behauptung ganz grundlos. Wollten aber die vermeinte Ver- besserer der Lehre vom physischen Einflusse, nach der gemeinen Vorstellungsart eines transscendentalen Dualism, die Ma- terie, als solche, vor ein Ding an sich selbst (und nicht als blosse Erscheinung eines unbekanten Dinges) ansehen und ihren Einwurf dahin richten, zu zeigen: daß ein sol- cher aͤusserer Gegenstand, welcher keine andere Caussalitaͤt als die der Bewegungen an sich zeigt, nimmermehr die wirkende Ursache von Vorstellungen seyn koͤnne, sondern daß sich ein drittes Wesen deshalb ins Mittel schlagen muͤs- se, um, wo nicht Wechselwirkung, doch wenigstens Cor- respondenz und Harmonie zwischen beiden zu stiften: so wuͤrden sie ihre Widerlegung davon anfangen, das πρῶ- τον ψεῦδος des physischen Einflusses in ihrem Dualismus anzunehmen, und also durch ihren Einwurf nicht sowol den natuͤrlichen Einfluß, sondern ihre eigene dualistische Voraussetzung widerlegen. Denn alle Schwierigkeiten, welche die Verbindung der denkenden Natur mit der Ma- terie treffen, entspringen ohne Ausnahme lediglich aus iener erschlichenen dualistischen Vorstellung: daß Materie, als solche, nicht Erscheinung, d. i. blosse Vorstellung des Gemuͤths, der ein unbekanter Gegenstand entspricht, son- dern der Gegenstand an sich selbst sey, so wie er ausser uns und unabhaͤngig von aller Sinnlichkeit existirt. B b 4 Es Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Es kan also wider den gemein angenommenen phy- sischen Einfluß kein dogmatischer Einwurf gemacht werden. Denn nimt der Gegner an: daß Materie und ihre Bewe- gung blosse Erscheinungen und also selbst nur Vorstellun- gen seyn, so kan er nur darin die Schwierigkeit setzen: daß der unbekante Gegenstand unserer Sinnlichkeit nicht die Ursache der Vorstellungen in uns seyn koͤnne, welches aber vorzugeben ihn nicht das mindeste berechtigt, weil niemand von einem unbekanten Gegenstande ausmachen kan, was er thun oder nicht thun koͤnne. Er muß aber, nach unseren obigen Beweisen, diesen transscendentalen Idea- lism nothwendig einraͤumen, wofern er nicht offenbar Vorstellungen hypostasiren und sie, als wahre Dinge, aus- ser sich versetzen will. Gleichwol kan wider die gemeine Lehrmeinung des physischen Einflusses ein gegruͤndeter critischer Einwurf gemacht werden. Eine solche vorgegebene Gemeinschaft zwischen zween Arten von Substanzen, der denkenden und der ausgedehnten, legt einen groben Dualism zum Grun- de und macht die leztere, die doch nichts als blosse Vor- stellungen des denkenden Subiects sind, zu Dingen, die vor sich bestehen. Also kan der mißverstandene physische Ein- fluß dadurch voͤllig vereitelt werden, daß man den Beweis- grund desselben als nichtig und erschlichen aufdekt. Die beruͤchtigte Frage, wegen der Gemeinschaft des Denkenden und Ausgedehnten, wuͤrde also, wenn man al- les I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. les Eingebildete absondert, lediglich darauf hinauslaufen: wie in einem denkenden Subiect uͤberhaupt, aͤussere An- schauung, nemlich die des Raumes (einer Erfuͤllung desselben Gestalt und Bewegung) moͤglich sey. Auf diese Frage aber ist es keinem Menschen moͤglich eine Antwort zu finden, und man kan diese Luͤcke unseres Wissens niemals ausfuͤllen, sondern nur dadurch bezeichnen, daß man die aͤussere Er- scheinungen einem transscendentalen Gegenstande zuschreibt, welcher die Ursache dieser Art Vorstellungen ist, den wir aber gar nicht kennen, noch iemals einigen Begriff von ihm bekommen werden. In allen Aufgaben, die im Fel- de der Erfahrung vorkommen moͤgen, behandeln wir iene Erscheinungen als Gegenstaͤnde an sich selbst, ohne uns um den ersten Grund ihrer Moͤglich k eit (als Erscheinungen) zu bekuͤmmern. Gehen wir aber uͤber deren Graͤnze hinaus, so wird der Begriff eines transscendentalen Gegenst andes nothwendig. Von diesen Erinnerungen, uͤber die Gemeinschaft zwi- schen dem denkenden und den ausgedehnten Wesen, ist die Entscheidung aller Streitigkeiten oder Einwuͤrfe, welche den Zustand der denkenden Natur vor dieser Gemeinschaft (dem Leben), oder nach aufgehobener solchen Gemeinschaft (im Tode) betreffen, eine unmittelbare Folge. Die Mei- nung, daß das denkende Subiect vor aller Gemeinschaft mit Coͤrpern habe denken koͤnnen, wuͤrde sich so ausdruͤcken: daß vor dem Anfange dieser Art der Sinnlichkeit, wodurch uns B b 5 etwas Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. etwas im Raume erscheint, dieselbe transscendentale Ge- genstaͤnde, welche im gegenwaͤrtigen Zustande als Coͤrper erscheinen, auf ganz andere Art haben angeschaut werden koͤnnen. Die Meinung aber, daß die Seele, nach Auf- hebung aller Gemeinschaft mit der koͤrperlichen Welt, noch fortfahren koͤnne zu denken, wuͤrde sich in dieser Form ankuͤn- digen: daß, wenn die Art der Sinnlichkeit, wodurch uns transscendentale und vor iezt ganz unbekante Gegenstaͤnde als materielle Welt erscheinen, aufhoͤren sollte: so sey dar- um noch nicht alle Anschauung derselben aufgehoben und es sey ganz wol moͤglich, daß eben dieselbe unbekante Ge- genstaͤnde fortfuͤhren, obzwar freilich nicht mehr in der Qualitaͤt der Coͤrper, von dem denkenden Subiect erkant zu werden. Nun kan zwar niemand den mindesten Grund zu einer solchen Behauptung aus speculativen Principien anfuͤhren, ia nicht einmal die Moͤglichkeit davon darthun, sondern nur voraussetzen; aber eben so wenig kan auch iemand irgend einen guͤltigen dogmatischen Einwurf dage- gen machen. Denn, wer er auch sey, so weiß er eben so wenig von der absoluten und inneren Ursache aͤusserer und koͤrper- licher Erscheinungen, wie ich, oder iemand anders. Er kan also auch nicht mit Grunde vorgeben, zu wissen, wor- auf die Wirklichkeit der aͤusseren Erscheinungen im ietzigen Zustande (im Leben) beruhe, mithin auch nicht: daß die Bedingung aller aͤusseren Anschauung, oder auch das den- kende I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. kende Subiect selbst, nach demselben (im Tode) aufhoͤren werde. So ist denn also aller Streit uͤber die Natur unse- res denkenden Wesens und der Verknuͤpfung desselben mit der Coͤrperwelt lediglich eine Folge davon, daß man in Ansehung dessen, wovon man nichts weiß, die Luͤcke durch Paralogismen der Vernunft ausfuͤllt, da man seine Ge- danken zu Sachen macht und sie hypostasirt, woraus ein- gebildete Wissenschaft, sowol in Ansehung dessen, der beia- hend, als dessen, der verneinend behauptet, entspringt, indem ein ieder entweder von Gegenstaͤnden etwas zu wis- sen vermeint, davon kein Mensch einigen Begriff hat, oder seine eigene Vorstellungen zu Gegenstaͤnden macht, und sich so in einem ewigen Zirkel von Zweideutigkeiten und Widerspruͤchen herum drehet. Nichts, als die Nuͤchtern- heit einer strengen, aber gerechten Critik, kan von diesem dogmatischen Blendwerke, der so viele durch eingebildete Gluͤckseligkeit, unter Theorien und Systemen, hinhaͤlt, befreien, und alle unsere speculative Anspruͤche blos auf das Feld moͤglicher Erfahrung einschraͤnken, nicht etwa durch schaalen Spott uͤber so oft fehlgeschlagene Versuche, oder fromme Seufzer uͤber die Schranken unserer Vernunft, sondern vermittelst einer nach sicheren Grundsaͤtzen vollzo- genen Graͤnzbestimmung derselben, welche ihr nihil ulte- rius mit groͤssester Zuverlaͤßigkeit an die herculische Saͤu- len heftet, die die Natur selbst aufgestellet hat, um die Fahrt unserer Vernunft nur so weit, als die stetig fort- laufen- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. laufende Kuͤsten der Erfahrung reichen, fortzusetzen, die wir nicht verlassen koͤnnen, ohne uns auf einen uferlosen Ocean zu wagen, der uns unter immer truͤglichen Aus- sichten, am Ende noͤthigt, alle beschwerliche und langwie- rige Bemuͤhung, als hoffnungslos aufzugeben. Wir sind noch eine deutliche und allgemeine Eroͤrte- rung des transscendentalen und doch natuͤrlichen Scheins in den Paralogismen der reinen Vernunft, imgleichen die Rechtfertigung der systematischen und der Tafel der Cate- gorien parallel laufenden Anordnungen derselben, bisher schuldig geblieben. Wir haͤtten sie im Anfange dieses Ab- schnitts nicht uͤbernehmen koͤnnen, ohne in Gefahr der Dunkelheit zu gerathen, oder uns unschicklicher Weise selbst vorzugreifen. Jezt wollen wir diese Obliegenheit zu er- fuͤllen suchen. Man kan allen Schein darin setzen: daß die sub- iective Bedingung des Denkens vor die Erkentniß des Ob- iects gehalten wird. Ferner haben wir in der Einleitung in die transscendentale Dialectik gezeigt: daß reine Ver- nunft sich lediglich mit der Totalitaͤt der Synthesis der Be- dingungen, zu einem gegebenen Bedingten, beschaͤftige. Da nun der dialectische Schein der reinen Vernunft kein empirischer Schein seyn kan, der sich beym bestimten em- pirischen Erkentnisse vorfindet: so wird er das Allgemeine der Bedingungen des Denkens betreffen, und es wird nur drey I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. drey Faͤlle des dialectischen Gebrauchs der reinen Vernunft geben, 1. Die Synthesis der Bedingungen eines Gedankens uͤberhaupt, 2. Die Synthesis der Bedingungen des empirischen Denkens. 3. Die Synthesis der Bedingungen des reinen Denkens. In allen diesen dreien Faͤllen beschaͤftigt sich die rei- ne Vernunft blos mit der absoluten Totalitaͤt dieser Syn- thesis, d. i. mit derienigen Bedingung, die selbst unbedingt ist. Auf diese Eintheilung gruͤndet sich auch der dreifache transscendentale Schein, der zu drey Abschnitten der Dia- lectik Anlaß giebt, und zu eben so viel scheinbaren Wissen- schaften aus reiner Vernunft, der transscendentalen Psy- chologie, Cosmologie und Theologie, die Idee an die Hand giebt. Wir haben es hier nur mit der ersteren zu thun. Weil wir beym Denken uͤberhaupt von aller Bezie- hung des Gedanken auf irgend ein Obiect (es sey der Sinne oder des reinen Verstandes) abstrahiren: so ist die Synthesis der Bedingungen eines Gedanken uͤberhaupt ( no. 1 ) gar nicht obiectiv, sondern blos eine Synthesis des Gedanken mit dem Subiect, die aber faͤlschlich vor eine synthetische Vorstellung eines Obiects gehalten wird. Es folgt aber auch hieraus: daß der dialectische Schluß auf die Vedingung alles Denke n s uͤberhaupt, die selbst unbedingt ist, nicht einen Fehler im Inhalte begehe, (denn er abstrahirt von allem Inhalte oder Obiecte) son- dern Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. dern, daß er allein in der Form fehle und Paralogism genant werden muͤsse. Weil ferner die einzige Bedingung, die alles Den- ken begleitet, das Ich, in dem allgemeinen Satze Ich denke, ist, so hat die Vernunft es mit dieser Bedingung, so fern sie selbst unbedingt ist, zu thun. Sie ist aber nur die formale Bedingung, nemlich die logische Einheit eines ieden Gedanken, bey dem ich von allem Gegenstan- de abstrahire, und wird gleichwol als ein Gegenstand, den ich denke, nemlich: Ich selbst und die unbedingte Einheit desselben vorgestellet. Wenn mir iemand uͤberhaupt die Frage aufwuͤrfe: von welcher Beschaffenheit ist ein Ding, welches denkt? so weis ich darauf a priori nicht das mindeste zu antwor- ten, weil die Antwort synthetisch seyn soll (denn eine ana- lytische erklaͤrt vielleicht wol das Denken, aber giebt keine erweiterte Erkentniß von demienigen, worauf dieses Den- ken seiner Moͤglichkeit nach beruht. Zu ieder syntheti- schen Aufloͤsung aber wird Anschauung erfordert, die in der so allgemeinen Aufgabe gaͤnzlich weg- gelassen worden. Eben so kan niemand die Fra- ge in ihrer Allgemeinheit beantworten: was wol das vor ein Ding seyn muͤsse, welches beweglich ist? Denn die undurchdringliche Ausdehnung (Materie) ist alsdenn nicht gegeben. Ob ich nun zwar allgemein auf iene Frage keine Antwort weis: so scheint es mir doch, daß ich sie im ein- zelnen Falle, in dem Satze, der das Selbstbewustseyn aus- druͤckt: I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. druͤckt: Ich denke, geben koͤnne. Denn dieses Ich ist das erste Subiect, d. i. Substanz, es ist einfach ꝛc. Dieses muͤßten aber alsdenn lauter Erfahrungssaͤtze seyn, die gleich- wol ohne eine allgemeine Regel, welche die Bedingungen der Moͤglichkeit zu denken uͤberhaupt und a priori aus- sagte, keine dergleichen Praͤdicate (welche nicht empirisch seyn) enthalten koͤnte. Auf solche Weise wird mir meine anfaͤnglich so scheinbare Einsicht, uͤber der Natur eines denkenden Wesens, und zwar aus lauter Begriffen zu ur- theilen, verdaͤchtig, ob ich gleich den Fehler derselben noch nicht entdekt habe. Allein, das weitere Nachforschen hinter den Ursprung dieser Attribute, die ich Mir, als einem denkenden Wesen uͤberhaupt, beylege, kann diesen Fehler aufdecken. Sie sind nichts mehr als reine Categorien, wodurch ich nie- mals einen bestimten Gegenstand, sondern nur die Einheit der Vorstellungen, um einen Gegenstand derselben zu be- stimmen, denke. Ohne eine zum Grunde liegende An- schauung kan die Categorie allein mir keinen Begriff von einem Gegenstande verschaffen; denn nur durch Anschau- ung wird der Gegenstand gegeben, der hernach der Cate- gorie gemaͤß gedacht wird. Wenn ich ein Ding vor eine Substanz in der Erscheinung erklaͤre, so muͤssen mir vor- her Praͤdicate seiner Anschauung gegeben seyn, an denen ich das Beharrliche vom Wandelbaren und das Substra- tum (Ding selbst) von demienigen, was ihm blos anhaͤngt, unter- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. unterscheide. Wenn ich ein Ding einfach in der Erschei- nung nenne, so verstehe ich darunter, daß die Anschau- ung desselben zwar ein Theil der Erscheinung sey, selbst aber nicht getheilt werden koͤnne u. s. w. Ist aber etwas nur vor einfach im Begriffe und nicht in der Erscheinung erkant, so habe ich dadurch wirklich gar keine Erkentniß von dem Gegenstande, sondern nur von meinem Begriffe, den ich mir von Etwas uͤberhaupt mache, das keiner ei- gentlichen Anschauung faͤhig ist. Ich sage nur, daß ich etwas ganz einfach denke, weil ich wirklich nichts weiter, als blos, daß es Etwas sey, zu sagen weiß. Nun ist die blosse Apperception (Ich) Substanz im Begriffe, einfach im Begriffe ꝛc. und so haben alle iene psychologische Lehrsaͤtze ihre unstreitige Richtigkeit. Gleich- wol wird dadurch doch dasienige keinesweges von der Seele erkant, was man eigentlich wissen will, denn alle diese Praͤ- dicate gelten gar nicht von der Anschauung, und koͤnnen daher auch keine Folgen haben, die auf Gegenstaͤnde der Erfahrung angewandt wuͤrden, mithin sind sie voͤllig leer. Denn iener Begriff der Substanz lehret mich nicht: daß die Seele vor sich selbst fortdaure, nicht, daß sie von den aͤus- seren Anschauungen ein Theil sey, der selbst nicht mehr getheilt werden koͤnne, und der also durch keine Veraͤnde- rungen der Natur entstehen, oder vergehen koͤnne; lau- ter Eigenschaften, die mir die Seele im Zusammenhange der Erfahrung kenbar machen, und, in Ansehung ihres Ursprungs und kuͤnftigen Zustandes, Eroͤfnung geben koͤn- ten I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. ten. Wenn ich nun aber durch blosse Categorie sage: die Seele ist eine einfache Substanz, so ist klar, daß da der nakte Verstandesbegriff von Substanz nichts weiter ent- haͤlt, als daß ein Ding, als Subiect an sich, ohne wie- derum Praͤdicat von einem andern zu seyn, vorgestellt werden solle, daraus nichts von Beharrlichkeit folge, und das Attribut des Einfachen diese Beharrlichkeit gewiß nicht hinzusetzen koͤnne, mithin man dadurch uͤber das, was die Seele bey den Weltveraͤnderungen treffen koͤnne, nicht im mindesten unterrichtet werde. Wuͤrde man uns sagen koͤnnen, sie ist ein einfacher Theil der Materie, so wuͤr- den wir von dieser, aus dem, was Erfahrung von ihr lehrt, die Beharrlichkeit und, mit der einfachen Natur zu- sammen, die Unzerstoͤhrlichkeit derselben ableiten koͤnnen. Davon sagr uns aber der Begriff des Ich, in dem psycho- logischen Grundsatze (Ich denke), nicht ein Wort. Daß aber das Wesen, welches in uns denkt, durch reine Categorien und zwar dieienige, welche die absolute Einheit unter iedem Titel derselben ausdruͤcken, sich selbst zu erkennen vermeine, ruͤhrt daher. Die Apperception ist selbst der Grund der Moͤglichkeit der Categorien, welche ihrer Seits nichts anders vorstellen, als die Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung, so fern dasselbe in der Apperception Einheit hat. Daher ist das Selbstbewust- seyn uͤberhaupt die Vorstellung desienigen, was die Be- dingung aller Einheit, und doch selbst unbedingt ist. Man kan daher von dem denkenden Ich, (Seele) das sich als C c Sub- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Substanz, einfach, numerisch identisch in aller Zeit, und das Correlatum alles Daseyns, aus welchem alles andere Daseyn geschlossen werden muß, sagen: daß es nicht so- wol sich selbst durch die Categorien, sondern die Cate- gorien , und durch sie alle Gegenstaͤnde, in der absoluten Einheit der Apperception, mithin durch sich selbst erkent. Nun ist zwar sehr einleuchtend: daß ich dasienige, was ich voraussetzen muß, um uͤberhaupt ein Obiect zu erken- nen, nicht selbst als Obiect erkennen koͤnne, und daß das be- stimmende Selbst, (das Denken) von dem bestimbaren Selbst (dem denkenden Subiect), wie Erkentniß vom Gegenstan- de unterschieden sey. Gleichwol ist nichts natuͤrlicher und verfuͤhrerischer, als der Schein, die Einheit in der Syn- thesis der Gedanken vor eine wahrgenommene Einheit im Subiecte dieser Gedanken zu halten. Man koͤnte ihn die Subreption des hypostasirten Bewustseyns ( apperceptio- nes substantiatae ) nennen. Wenn man den Paralogism in den dialectischen Ver- nunftschluͤssen der rationalen Seelenlehre, so fern sie gleich- wol richtige Praͤmissen haben, logisch betiteln will: so kan er vor ein sophisma figurae dictionis gelten, in welchem der Obersatz von der Categorie, in Ansehung ihrer Bedin- gung, einen blos transscendentalen Gebrauch, der Unter- satz aber und der Schlußsatz in Ansehung der Seele, die unter diese Bedingung subsumirt worden, von eben der Categorie einen empirischen Gebrauch macht. So ist z. B. der I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. der Begriff der Substanz in dem Paralogismus der Sim- plicitaͤt ein reiner intellectueller Begriff, der ohne Bedin- gungen der sinnlichen Anschauung blos von transscenden- talen, d. i. von gar keinem Gebrauch ist. Im Untersatze aber ist eben derselbe Begriff auf den Gegenstand aller in- neren Erfahrung angewandt, ohne doch die Bedingung seiner Anwendung in concreto, nemlich die Beharrlich- keit desselben, voraus festzusetzen und zum Grunde zu le- gen, und daher ein empirischer, obzwar hier unzulaͤssiger Gebrauch davon gemacht worden. Um endlich den systematischen Zusammenhang aller dieser dialectischen Behauptungen, in einer vernuͤnfteln- den Seelenlehre, in einem Zusammenhange der reinen Vernunft, mithin die Vollstaͤndigkeit derselben zu zeigen, so merke man: daß die Apperception durch alle Classen der Categorien, aber nur auf dieienige Verstandesbegriffe durchgefuͤhrt werde, welche in ieder derselben den uͤbrigen zum Grunde der Einheit in einer moͤglichen Wahrnehmung liegen, folglich: Subsistenz, Realitaͤt, Einheit (nicht Vielheit) und Existenz, nur daß die Vernunft sie hier alle als Bedingungen der Moͤglichkeit eines denkenden We- sens, die selbst unbedingt sind, vorstellt. Also erkent die Seele an sich selbst C c 2 Die Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. 1. Die unbedingte Einheit des Verhaͤltnisses d. i. sich selbst, nicht als inhaͤrirend, sondern subsistirend 2. Die unbedingte Einheit der Qualitaͤt d. i. nicht als reales Ganze, sondern einfach Wie das Einfache hier wiederum der Categorie der Rea- litaͤt entspreche, kan ich iezt noch nicht zeigen, sondern wird im folgenden Hauptstuͤcke, bey Gelegenheit eines andern Vernunftgebrauchs eben desselben Begriffs, ge- wiesen werden. 3. Die unbedingte Einheit bey der Vielheit in der Zeit, d. i. nicht in verschiedenen Zeiten numerisch verschieden, sondern als Eines und eben dasselbe Subiect 4. Die unbedingte Einheit des Daseyns im Raume, d. i. nicht als das Bewustseyn mehrerer Dinge ausser ihr, sondern nur des Daseyns ihrer selbst, anderer Dinge aber, blos als ihrer Vorstellungen. Ver- II. Hauptst. Die Antinomie d. r. Vernunft. Vernunft ist das Vermoͤgen der Principien. Die Behauptungen der reinen Psychologie enthalten nicht em- pirische Praͤdicate von der Seele, sondern solche, die, wenn sie statt finden, den Gegenstand an sich selbst unab- haͤngig von der Erfahrung, mithin durch blosse Vernunft bestimmen sollen. Sie muͤßten also billig auf Principien und allgemeine Begriffe von denkenden Naturen uͤberhaupt gegruͤndet seyn. An dessen Statt findet sich: daß die einzelne Vorstellung, Ich bin, sie insgesamt regirt, welche eben darum, weil sie die reine Formel aller meiner Er- fahrung (unbestimt) ausdruͤckt, sich wie ein allgemeiner Satz, ocr vor alle denkende Wesen gelte, ankuͤndigt, und, da er gleichwol in aller Absicht einzeln ist, den Schein einer absoluten Einheit der Bedingungen des Denkens uͤberhaupt bey sich fuͤhrt, und dadurch sich weiter aus- breitet, als moͤgliche Erfahrung reichen koͤnte. Der Transscendentalen Dialectik Zweites Buch. Zweites Hauptstuͤck. Die Antinomie der reinen Vernunft. W ir haben in der Einleitung zu diesem Theile unseres Werks gezeigt: daß aller transscendentale Schein der reinen Vernunft auf dialectischen Schluͤssen beruhe, de- ren Schema die Logik in den drey formalen Arten der Ver- C c 3 nunft- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. nunftschluͤsse uͤberhaupt an die Hand giebt, so wie etwa die Categorien ihr logisches Schema in den vier Functio- nen aller Urtheile antreffen. Die erste Art dieser ver- nuͤnftelnden Schluͤsse gieng auf die unbedingte Einheit der subiectiven Bedingungen aller Vorstellungen uͤberhaupt (des Subiects oder der Seele), in Correspondenz mit den categorischen Vernunftschluͤssen, deren Obersatz, als Prin- cip, die Beziehung eines Praͤdicats auf ein Subiect aus- sagt. Die zweite Art des dialectischen Arguments wird also, nach der Analogie mit hypothetischen Vernunft- schluͤssen, die unbedingte Einheit der obiectiven Bedingun- gen in der Erscheinung zu ihrem Inhalte machen, so wie die dritte Art, die im folgenden Hauptstuͤcke vorkommen wird, die unbedingte Einheit der obiectiven Bedingungen der Moͤglichkeit der Gegenstaͤnde uͤberhaupt zum Thema hat. Es ist aber merkwuͤrdig: daß der transscendentale Paralogism einen blos einseitigen Schein, in Ansehung der Idee von dem Subiecte unseres Denkens, bewirkte, und zur Behauptung des Gegentheils sich nicht der min- deste Schein aus Vernunftbegriffen vorfinden will. Der Vortheil ist gaͤnzlich auf der Seite des Pnevmatismus, ob- gleich dieser den Erbfehler nicht verlaͤugnen kan, bey allem ihm guͤnstigen Schein in der Feuerprobe der Critik sich in lauter Dunst aufzuloͤsen. Ganz anders faͤllt es aus, wenn wir die Vernunft auf die obiective Synthesis der Erscheinungen anwenden, wo II. Hauptst. Die Antinomie d. r. Vernunft. wo sie ihr Principium der unbedingten Einheit zwar mit vielem Scheine geltend zu machen denkt, sich aber bald in solche Widerspruͤche verwickelt, daß sie genoͤthigt wird, in cosmologischer Absicht, von ihrer Foderung abzustehen. Hier zeigt sich nemlich ein neues Phaͤnomen der menschlichen Vernunft, nemlich: eine ganz natuͤrliche An- tithetik, auf die keiner zu gruͤbeln und kuͤnstlich Schlingen zu legen braucht, sondern in welche die Vernunft von selbst und zwar unvermeidlich geraͤth, und dadurch zwar vor den Schlummer einer eingebildeten Ueberzeugung, den ein blos einseitiger Schein hervorbringt, verwahrt, aber zugleich in Versuchung gebracht wird, sich entweder einer sceptischen Hoffnungslosigkeit zu uͤberlassen, oder einen dog- matischen Trotz anzunehmen und den Kopf steif auf gewisse Behauptungen zu setzen, ohne den Gruͤnden des Gegen- theils Gehoͤr und Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Beides ist der Tod einer gesunden Philosophie, wiewol iener allenfals noch die Euthanasie der reinen Vernunft genant werden koͤnte. Ehe wir die Auftritte des Zwiespalts und der Zer- ruͤttungen sehen lassen, welche dieser Widerstreit der Ge- setze (Antinomie) der reinen Vernunft veranlaßt, wollen wir gewisse Eroͤrterungen geben, welche die Methode er- laͤutern und rechtfertigen koͤnnen, deren wir uns in Be- handlung unseres Gegenstandes bedienen. Ich nenne alle transscendentale Ideen, so fern sie die absolute Totalitaͤt in der Synthesis der Erscheinungen betreffen, Weltbegriffe , C c 4 theils Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. theils wegen eben dieser unbedingten Totalitaͤt, worauf auch der Begriff des Weltganzen beruht, der selbst nur eine Idee ist, theils weil sie lediglich auf die Synthesis der Erscheinungen, mithin die empirische gehen, dahin- gegen die absolute Totalitaͤt, in der Synthesis der Bedin- gungen aller moͤglichen Dinge uͤberhaupt, ein Ideal der reinen Vernunft veranlassen wird, welches von dem Welt- begriffe gaͤnzlich unterschieden ist, ob es gleich darauf in Beziehung steht. Daher, so wie die Paralogismen der reinen Vernunft den Grund zu einer dialectischen Psycho- logie legten, so wird die Antinomie der reinen Vernunft die transscendentale Grundsaͤtze einer vermeinten reinen (rationalen) Cosmologie vor Augen stellen, nicht, um sie guͤltig zu finden und sich zuzueignen, sondern, wie es auch schon die Benennung von einem Widerstreit der Vernunft anzeigt, um sie als eine Idee, die sich mit Erscheinungen nicht vereinbaren laͤßt, in ihrem blendenden aber falschen Scheine darzustellen. Der Antinomie der reinen Vernunft Erster Abschnitt. System der cosmologischen Ideen. U m nun diese Ideen nach einem Princip mit systemati- scher Praͤcision aufzehlen zu koͤnnen, muͤssen wir Erstlich bemerken: daß nur der Verstand es seyn, aus welchem reine und transscendentale Begriffe entspringen koͤn- I. Absch. System der cosmologischen Ideen. koͤnnen, daß die Vernunft eigentlich gar keinen Begriff er- zeuge, sondern allenfals nur den Verstandesbegriff, von den unvermeidlichen Einschraͤnkungen einer moͤglichen Er- fahrung, frey mache, und ihn also uͤber die Graͤnzen des Empirischen, doch aber in Verknuͤpfung mit demselben, zu erweitern suche. Dieses geschieht dadurch: daß sie zu einem gegebenen Bedingten auf der Seite der Bedingun- gen (unter denen der Verstand alle Erscheinungen der syn- thetischen Einheit unterwirft) absolute Totalitaͤt fodert, und dadurch die Categorie zur transscendentalen Idee macht, um der empirischen Synthesis, durch die Fortsetzung der- selben bis zum Unbedingten, (welches niemals in der Er- fahrung, sondern nur in der Idee angetroffen wird) abso- lute Vollstaͤndigkeit zu geben. Die Vernunft fodert die- ses nach dem Grundsatze: wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Summe der Bedingungen, mithin das schlechthin Unbedingte gegeben, wodurch ienes allein moͤglich war. Also werden erstlich die trans- scendentale Ideen eigentlich nichts, als bis zum Unbedingten erweiterte Categorien seyn, und iene werden sich in eine Tafel bringen lassen, die nach den Titeln der lezteren ange- ordnet ist. Zweitens aber werden doch auch nicht alle Categorien dazu taugen, sondern nur dieienige, in welchen die Synthesis eine Reihe ausmacht, und zwar der einan- der untergeordneten (nicht beygeordneten) Bedingungen zu einem Bedingten. Die absolute Totalitaͤt wird von der Vernunft nur so fern gefodert, als sie die aufsteigende C c 5 Reihe Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an- geht, mithin nicht, wenn von der absteigenden Linie der Folgen, noch auch von dem Aggregat coordinirter Bedin- gungen zu diesen Folgen, die Rede ist. Denn Bedingun- gen sind in Ansehung des gegebenen Bedingten schon vor- ausgefezt und mit diesem auch als gegeben anzusehen, an- statt daß, da die Folgen ihre Bedingungen nicht moͤglich machen, sondern vielmehr voraussetzen, man im Fortgan- ge zu den Folgen (oder im Absteigen von der gegebenen Bedingung zu dem Bedingten) unbekuͤmmert seyn kan, ob die Reihe aufhoͤre oder nicht, und uͤberhaupt die Frage, wegen ihrer Totalitaͤt, gar keine Voraussetzung der Ver- nunft ist. So denkt man sich nothwendig eine bis auf den ge- gebenen Augenblick voͤllig abgelaufene Zeit, auch als gege- ben, (wenn gleich nicht durch uns bestimbar). Was aber die kuͤnftige betrift, da sie die Bedingung nicht ist, zu der Gegenwart zu gelangen, so ist es, um diese zu begreiffen, ganz gleichguͤltig, wie wir es mit der kuͤnftigen Zeit halten wollen, ob man sie irgendwo aufhoͤren, oder ins Unend- liche laufen lassen will. Es sey die Reihe m, n, o, wor- in n als bedingt in Ansehung m, aber zugleich als Be- dingung von o gegeben ist, die Reihe gehe aufwerts von dem bedingten n zu m ( l, k, i ꝛc.) imgleichen abwerts von der Bedingung n zum bedingten o ( p, q, r ꝛc.) so muß ich die erstere Reihe voraussetzen, um n als gegeben anzusehen, und n ist nach der Vernunft (der Totalitaͤt der Bedingungen) nur I. Absch. System der cosmologischen Ideen. nur vermittelst iener Reihe moͤglich, seine Moͤglichkeit be- ruht aber nicht auf der folgenden Reihe o, p, q, r, die da- her auch nicht als gegeben, sondern nur als dabilis ange- sehen werden koͤnne. Ich will die Synthesis einer Reihe auf der Seite der Bedingungen, also von derienigen an, welche die naͤch- ste zur gegebenen Erscheinung ist, und so zu den entfernte- ren Bedingungen, die regressive, dieienige aber, die auf der Seite des Bedingten, von der naͤchsten Folge zu den entfernetern, fortgeht, die progressive Synthesis nennen. Die erstere geht in antecedentia, die zweite in consequen- tia . Die cosmologische Ideen also beschaͤftigen sich mit der Totalitaͤt der regressiven Synthesis und gehen in ante- cedentia, nicht in consequentia . Wenn dieses leztere ge- schieht, so ist es ein willkuͤhrliches und nicht nothwendiges Problem der reinen Vernunft, weil wir zur vollstaͤndigen Begreiflichkeit dessen, was in der Erscheinung gegeben ist, wol der Gruͤnde, nicht aber der Folgen beduͤrfen. Um nun nach der Tafel der Categorien die Tafel der Ideen einzurichten, so nehmen wir zuerst die zwey ur- spruͤngliche quanta aller unserer Anschauung, Zeit und Raum. Die Zeit ist an sich selbst eine Reihe (und die formale Bedingung aller Reihen) und daher sind in ihr, in Ansehung einer gegebenen Gegenwart, die anteceden- tia als Bedingungen (das Vergangene) von den consequen- tibus (dem Kuͤnftigen) a priori zu unterscheiden. Folg- lich Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. lich geht die transscendentale Idee, der absoluten Totali- taͤt der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Be- dingten, nur auf alle vergangene Zeit. Es wird nach der Idee der Vernunft die ganze verlaufene Zeit als Be- dingung des gegebenen Augenblicks nothwendig als gege- ben gedacht. Was aber den Raum betrift, so ist in ihm an sich selbst kein Unterschied des Progressus vom Regres- sus, weil er ein Aggregat , aber keine Reihe ausmacht, indem seine Theile insgesamt zugleich seyn. Den gegen- waͤrtigen Zeitpunct konte ich in Ansehung der vergangenen Zeit nur als bedingt, niemals aber als Bedingung dersel- ben, ansehen, weil dieser Augenblick nur durch die ver- flossene Zeit (oder vielmehr durch das Verfliessen der vor- hergehenden Zeit) allererst entspringt. Aber da die Theile des Raumes einander nicht untergeordnet, sondern bey- geordnet sind, so ist ein Theil nicht die Bedingung der Moͤglichkeit des andern, und er macht nicht, so wie die Zeit, an sich selbst eine Reihe aus. Allein die Syn- thesis der mannigfaltigen Theile des Raumes, wodurch wir ihn apprehendiren, ist doch successiv, geschieht also in der Zeit und enthaͤlt eine Reihe. Und da in dieser Reihe der aggregirten Raͤume (z. B. der Fuͤsse in einer Ruthe) von einem gegebenen an, die weiter hinzugedach- te immer die Bedingung von der Graͤnze der vorigen seyn, so ist das Messen eines Raumes auch als eine Syn- thesis einer Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten anzusehen, nur daß die Seite der Bedingun- gen, I. Absch. System der cosmologischen Ideen. gen, von der Seite nach welcher das Bedingte hinliegt an sich selbst nicht unterschieden ist, folglich regressus und progressus im Raume einerley zu seyn scheint. Weil in- dessen ein Theil des Raums nicht durch den andern gege- ben, sondern nur begraͤnzt wird, so muͤssen wir ieden be- graͤnzten Raum in so fern auch als bedingt ansehen, der einen andern Raum als die Bedingung seiner Graͤnze voraus- sezt, und so fortan. In Ansehung der Begraͤnzung ist also der Fortgang im Raume auch ein Regressus, und die transscendentale Idee der absoluten Totalitaͤt der Synthe- sis in der Reihe der Bedingungen, trift auch den Raum, und ich kan eben sowol nach der absoluten Totalitaͤt der Erscheinung im Raume, als der, in der verflossenen Zeit fragen. Ob aber uͤberall darauf auch eine Antwort moͤg- lich sey, wird sich kuͤnftig bestimmen lassen. Zweitens, so ist die Realitaͤt im Raume, d. i. die Materie, ein Bedingtes, dessen innere Bedingungen seine Theile, und die Theile der Theile die entfernte Bedingun- gen sind, so daß hier eine regressive Synthesis statt findet, deren absolute Totalitaͤt die Vernunft fodert, welche nicht anders als durch eine vollendete Theilung, dadurch die Realitaͤt der Materie entweder in Nichts oder doch in das, was nicht mehr Materie ist, nemlich das Einfache, ver- schwindet, statt finden kan. Folglich ist hier auch eine Rethe von Bedingungen und ein Fortschritt zum Unbedingten. Drittens, was die Categorien des realen Verhaͤlt- nisses unter den Erscheinungen anlangt, so schickt sich die Cate- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Categorie der Substanz mit ihren Accidenzen nicht zu einer transscendentalen Idee, d. i. die Vernunft hat keinen Grund, in Ansehung ihrer, regressiv auf Bedingungen zu gehen. Denn Accidenzen sind (so fern sie einer einigen Substanz inhaͤriren) einander coordinirt, und machen keine Reihe aus. In Ansehung der Substanz aber sind sie derselben eigentlich nicht subordinirt, sondern die Art zu existiren der Substanz selber. Was hiebey noch schei- nen koͤnte eine Idee der transscendentalen Vernunft zu seyn, waͤre der Begriff von Substantiale. Allein, da dieses nichts Anderes bedeutet, als den Begriff vom Ge- genstande uͤberhaupt, welcher subsistirt, so fern man an ihm blos das transscendentale Subiect ohne alle Praͤdicate denkt, hier aber nur die Rede vom Unbedingten in der Reihe der Erscheinungen ist, so ist klar: daß das Substan- tiale kein Glied in derselben ausmachen koͤnne. Eben das- selbe gilt auch von Substanzen in Gemeinschaft, welche blosse Aggregate sind, und keinen Exponenten einer Reihe haben, indem sie nicht einander als Bedingungen ihrer Moͤglichkeit subordinirt sind, welches man wol von den Raͤumen sagen konte, deren Graͤnze niemals an sich, son- dern immer durch einen andern Raum bestimt war. Es bleibt also nur die Categorie der Caussalitaͤt uͤbrig, welche eine Reihe der Ursachen zu einer gegebenen Wirkung dar- bietet, in welcher man von der lezteren als dem Bedingten, zu ienen, als Bedingungen, aufsteigen und der Vernunft- frage antworten kan. Vier- I. Absch. System der cosmologischen Ideen. Viertens, die Begriffe des Moͤglichen, Wirklichen und Nothwendigen fuͤhren auf keine Reihe, ausser nur, so fern das Zufaͤllige im Daseyn iederzeit als bedingt ange- sehen werden muß, und nach der Regel des Verstandes auf eine Bedingung weiset, darunter es nothwendig ist, diese auf eine hoͤhere Bedingung zu weisen, bis die Ver- nunft nur in der Totalitaͤt dieser Reihe die unbedingte Nothwendigkeit antrift. Es sind demnach nicht mehr, als vier cosmologische Ideen, nach den vier Titeln der Categorien, wenn man dieienige aushebt, welche eine Reihe in der Synthesis des Mannigfaltigen nothwendig bey sich fuͤhren. 1. Die absolute Vollstaͤndigkeit der Zusammensetzung des gegebenen Ganzen aller Erscheinungen 2. Die absolute Vollstaͤndigkeit der Theilung eines gegebenen Ganzen in der Erscheinung 3. Die absolute Vollstaͤndigkeit der Entstehung einer Erscheinung uͤberhaupt 4. Die absolute Vollstaͤndigkeit der Abhaͤngigkeit des Daseyns des Veraͤnderlichen in der Erscheinung. Zuerst Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Zuerst ist hiebey anzumerken: daß die Idee der ab- soluten Totalitaͤt nichts anders, als die Exposition der Er- scheinungen betreffe, mithin nicht den reinen Verstandes- begriff von einem Ganzen der Dinge uͤberhaupt. Es wer- den hier also Erscheinungen als gegeben betrachtet, und die Vernunft fodert die absolute Vollstaͤndigkeit der Bedin- gungen ihrer Moͤglichkeit, so fern diese eine Reihe aus- machen, mithin eine schlechthin (d. i. in aller Absicht) vollstaͤndige Synthesis, wodurch die Erscheinung nach Verstandesgesetzen exponirt werden koͤnne. Zweitens ist es eigentlich nur das Unbedingte, was die Vernunft, in dieser, reihenweise, und zwar regressiv fortgesezten Synthesis der Bedingungen, sucht, gleichsam die Vollstaͤndigkeit in der Reihe der Praͤmissen, die zusam- men weiter keine andere voraussetzen. Dieses Unbedingte ist nun iederzeit in der absoluten Totalitaͤt der Reihe , wenn man sie sich in der Einbildung vorstellt, enthalten. Allein diese schlechthin vollendete Synthesis ist wiederum nur eine Idee; denn man kan, wenigstens zum voraus, nicht wissen, ob eine solche bey Erscheinungen auch moͤglich sey. Wenn man sich alles durch blosse reine Verstandes- begriffe, ohne Bedingungen der sinnlichen Anschauung, vorstellt, so kan man geradezu sagen: daß zu einem gege- benen Bedingten auch die ganze Reihe einander subordi- nirter Bedingungen gegeben sey; denn ienes ist allein durch diese gegeben. Allein bey Erscheinungen ist eine besondere Einschraͤnkung der Art, wie Bedingungen gegeben werden, anzu- I. Absch. System der cosmologischen Ideen. anzutreffen, nemlich durch die successive Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung, die im Regressus voll- staͤndig seyn soll. Ob diese Vollstaͤndigkeit nun sinnlich moͤglich sey, ist noch ein Problem. Allein die Idee die- ser Vollstaͤndigkeit liegt doch in der Vernunft, unangese- hen der Moͤglichkeit, oder Unmoͤglichkeit, ihr adaͤquat empirische Begriffe zu verknuͤpfen. Also, da in der abso- luten Totalitaͤt der regressiven Synthesis des Mannigfal- tigen in der Erscheinung (nach Anleitung der Categorien, die sie, als eine Reihe von Bedingungen zu einem gegebe- nen Bedingten, vorstellen) das Unbedingte nothwendig enthalten ist, man mag auch unausgemacht lassen, ob und wie diese Totalitaͤt zu Stande zu bringen sey: so nimt die Vernunft hier den Weg, von der Idee der Totalitaͤt auszugehen, ob sie gleich eigentlich das Unbedingte , es sey der ganzen Reihe, oder eines Theils derselben, zur Endabsicht hat. Dieses Unbedingte kan man sich nun gedenken, ent- weder als blos in der ganzen Reihe bestehend, in der also alle Glieder ohne Ausnahme bedingt und nur das Ganze derselben schlechthin unbedingt waͤre, und denn heißt der Regressus unendlich: oder das absolut Unbedingte ist nur ein Theil der Reihe, dem die uͤbrige Glieder derselben un- tergeordnet sind, er selbst aber unter keiner anderen Be- dingung steht Das absolute Ganze der Reihe von Bedingungen zu einem . In dem ersteren Falle ist die Reihe D d a parte Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. a parte priori ohne Graͤnzen (ohne Anfang), d. i. unend- lich, und gleichwol ganz gegeben, der Regressus in ihr aber ist niemals vollendet, und kan nur potentialiter un- endlich genant werden. Im zweiten Falle giebt es ein Erstes der Reihe, welches in Ansehung der verflossenen Zeit der Weltanfang , in Ansehung des Raums die Welt- graͤnze, in Ansehung der Theile, eines in seinen Graͤnzen gegebenen Ganzen, das Einfache , in Ansehung der Ursa- chen die absolute Selbstthaͤtigkeit (Freiheit), in Anse- hung des Daseyns veraͤnderlicher Dinge die absolute Na- turnothwendigkeit heißt. Wir haben zwey Ausdruͤcke: Welt und Natur , welche bisweilen in einander laufen. Das erste bedeutet das mathematische Ganze aller Erscheinungen und die To- talitaͤt ihrer Synthesis, im Grossen, sowol als im kleinen, d. i. sowol in dem Fortschritt derselben durch Zusammen- setzung, als durch Theilung. Eben dieselbe Welt wird aber Natur Natur, adiectiue (formaliter) genommen, bedeutet den Zusammenhang der Bestimmungen eines Dinges, nach einem genant, so fern sie als ein dynamisches Ganze einem gegebenen Bedingten ist iederzeit unbedingt; weil ausser ihr keine Bedingungen mehr sind, in Ansehung deren es bedingt seyn koͤnte. Allein dieses absolute Gan- ze einer solchen Reihe ist nur eine Idee, oder vielmehr ein problematischer Begriff, dessen Moͤglichkeit untersucht werde muß, und zwar in Beziehung auf die Art, wie das Unbedingte, als die eigentliche transscendentale Idee, worauf es ankomt, darin enthalten seyn mag. I. Absch. System der cosmologischen Ideen. Ganze betrachtet wird, und man nicht auf die Aggrega- tion im Raume oder der Zeit, um sie als eine Groͤsse zu Stande zu bringen, sondern auf die Einheit im Daseyn der Erscheinungen siehet. Da heißt nun die Bedingung von dem, was geschieht, die Ursache, und die unbedingte Caussalitaͤt der Ursache in der Erscheinung, die Freiheit, die bedingte dagegen heißt im engeren Verstande, Natur- ursache. Das Bedingte im Daseyn uͤberhaupt, heißt zu- faͤllig, und das Unbedingte nothwendig. Die unbedingte Nothwendigkeit der Erscheinungen kan Naturnothwen- digkeit heissen. Die Ideen, mit denen wir uns iezt beschaͤftigen, ha- be ich oben cosmologische Ideen genant, theils darum, weil unter Welt der Inbegriff aller Erscheinungen verstan- den wird, und unsere Ideen auch nur auf das Unbedingte unter den Erscheinungen gerichtet sind, theils auch, weil das Wort Welt, im transscendentalen Verstande, die ab- solute Totalitaͤt des Inbegriffs existirender Dinge bedeutet, und wir auf die Vollstaͤndigkeit der Synthesis (wiewol D d 2 nur einem innern Princip der Caussalitaͤt. Dagegen versteht man unter Natur, substantiue (materialiter) , den In- begriff der Erscheinungen, so fern diese, vermoͤge eines innern Princips der Caussalitaͤt, durchgaͤngig zusammen- haͤngen. Im ersteren Verstande spricht man von der Natur der fluͤssigen Materie, des Feuers ꝛc. und bedient sich dieses Worts nur adiectiue; dagegen wenn man von den Dingen der Natur redet, so hat man ein bestehendes Ganze in Gedanken. Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. nur eigentlich im Regressus zu den Bedingungen) allein unser Augenmerk richten. In Betracht dessen, daß uͤber- dem diese Ideen insgesamt transscendent sind, und, ob sie zwar das Obiect, nemlich Erscheinungen, der Art nach nicht uͤberschreiten, sondern es lediglich mit der Sinnen- welt (nicht mit Noümenis ) zu thun haben, dennoch die Synthesis bis auf einen Grad, der alle moͤgliche Erfah- rung uͤbersteigt, treiben, so kan man sie insgesamt meiner Meinung nach ganz schicklich Weltbegriffe nennen. In Ansehung des Unterschiedes des Mathematisch- und des Dynamischunbedingten, worauf der Regressus abzielt, wuͤrde ich doch die zwey Erstere in engerer Bedeutung, Weltbegriffe (der Welt im Grossen und Kleinen), die zwey uͤbrigen aber transscendente Naturbegriffe nennen. Diese Unterscheidung ist voriezt noch nicht von sonderlicher Erheblichkeit, sie kan aber im Fortgange wichtiger werden. Der Antinomie der reinen Vernunft Zweiter Abschnitt. Antithetik der reinen Vernunft . W enn Thetik ein ieder Inbegriff dogmatischer Lehren ist, so verstehe ich unter Antithetik nicht dogma- tische Behauptungen des Gegentheils, sondern den Wider- streit der dem Scheine nach dogmatischen Erkentnisse, ( thesin cum antithesi ) ohne daß man einer vor der andern einen vorzuͤglichen Anspruch auf Beifall beilegt. Die II. Absch. Die Antithetik der reinen Vernunft. Die Antithetik beschaͤftigt sich also gar nicht mit einseiti- gen Behauptungen, sondern betrachtet allgemeine Erkent- nisse der Vernunft nur nach dem Widerstreite derselben unter einander und den Ursachen desselben. Die trans- scendentale Antithetik ist eine Untersuchung uͤber die Anti- nomie der reinen Vernunft, die Ursachen und das Resultat derselben. Wenn wir unsere Vernunft nicht blos, zum Gebrauch der Verstandesgrundsaͤtze, auf Gegenstaͤnde der Erfahrung verwenden, sondern iene uͤber die Graͤnze der lezteren hinaus, auszudehnen wagen, so entspringen ver- nuͤnftelnde Lehrsaͤtze, die in der Erfahrung weder Bestaͤ- tigung hoffen, noch Widerlegung fuͤrchten duͤrfen, und deren ieder nicht allein an sich selbst ohne Widerspruch ist, sondern so gar in der Natur der Vernunft Bedingungen seiner Nothwendigkeit antrift, nur daß ungluͤcklicher Weise der Gegensatz eben so guͤltige und nothwendige Gruͤnde der Behauptung auf seiner Seite hat. Die Fragen, welche bey einer solchen Dialectik der reinen Vernunft sich natuͤrlich darbieten, sind also 1. Bey welchen Saͤtzen denn eigentlich die reine Vernunft einer Antinomie unausbleiblich unterworfen sey. 2. Auf wel- chen Ursachen diese Antinomie beruhe. 3. Ob und auf welche Art dennoch der Vernunft unter diesem Wider- spruch ein Weg zur Gewißheit offen bleibe. Ein dialectischer Lehrsatz der reinen Vernunft muß demnach dieses, ihn von allen sophistischen Saͤtzen unter- D d 3 schei- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. scheidendes an sich haben, daß er nicht eine willkuͤhrliche Frage betrift, die man nur in gewisser beliebiger Absicht aufwirft, sondern eine solche, auf die iede menschliche Vernunft in ihrem Fortgange nothwendig stossen muß, und zweitens: daß er, mit seinem Gegensatze, nicht blos einen gekuͤnstelten Schein, der, wenn man ihn einsieht, sogleich verschwindet, sondern einen natuͤrlichen und unver- meidlichen Schein bey sich fuͤhre, der selbst, wenn man nicht mehr durch ihn hintergangen wird, noch immer taͤuscht, obschon nicht betruͤgt, und also zwar unschaͤdlich gemacht, aber niemals vertilgt werden kann. Eine solche dialectische Lehre wird sich nicht auf die Verstandeseinheit in Erfahrungsbegriffen, sondern auf die Vernunfteinheit in blossen Ideen beziehen, deren Bedin- gungen, da sie erstlich, als Synthesis nach Regeln, dem Verstande und doch zugleich, als absolute Einheit dersel- ben, der Vernunft congruiren soll, wenn sie der Vernunft- einheit adaͤquat ist, vor den Verstand zu groß, und, wenn sie dem Verstande angemessen, vor die Vernunft zu klein seyn wird; woraus denn ein Widerstreit entspringen muß, der nicht vermieden werden kan, man mag es anfangen, wie man will. Diese vernuͤnftelnde Behauptungen eroͤfnen also einen dialectischen Kampfplatz, wo ieder Theil die Oberhand be- haͤlt, der die Erlaubniß hat, den Angriff zu thun, und der- ieni- II. Absch. Die Antithetik der reinen Vernunft. ienige gewiß unterliegt, der sich blos vertheidigungsweise zu fuͤhren genoͤthigt ist. Daher auch ruͤstige Ritter, sie moͤgen sich vor die gute oder schlimme Sache verbuͤrgen, sicher sind, den Siegeskranz davon zu tragen, wenn sie nur davor sorgen: daß sie den lezten Angriff zu thun das Vorrecht haben, und nicht verbunden sind, einen neuen Anfall des Gegners auszuhalten. Man kan sich leicht vor- stellen: daß dieser Tummelplatz von ieher oft genug be- treten worden, daß viel Siege von beiden Seiten erfochten, vor den lezten aber, der die Sache entschied, iederzeit so gesorgt worden sey, daß der Verfechter der guten Sache den Platz allein behielte, dadurch, daß seinem Gegner verboten wurde, fernerhin Waffen in die Haͤnde zu neh- men. Als unpartheyische Kampfrichter muͤssen wir es ganz bey Seite setzen, ob es die gute oder die schlimme Sache sey, um welche die Streitende fechten, und sie ihre Sache erst unter sich ausmachen lassen. Vielleicht daß, nachdem sie einander mehr ermuͤdet als geschadet haben, sie die Nichtigkeit ihres Streithandels von selbst einsehen und als gute Freunde auseinander gehen. Diese Methode, einem Streite der Behauptungen zuzusehen, oder vielmehr ihn selbst zu veranlassen, nicht, um endlich zum Vortheile des einen oder des andern Theils zu entscheiden, sondern, um zu untersuchen, ob der Ge- genstand desselben nicht vielleicht ein blosses Blendwerk sey, wornach ieder vergeblich haschet und bey welchem er D d 4 nichts Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. nichts gewinnen kan, wenn ihm gleich gar nicht wider- standen wuͤrde, dieses Verfahren, sage ich, kan man die sceptische Methode nennen. Sie ist vom Scepticismus gaͤnzlich unterschieden, einem Grundsatze einer kunstmaͤssi- gen und scientifischen Unwissenheit, welcher die Grundla- gen aller Erkentniß untergraͤbt, um, wo moͤglich, uͤber- all keine Zuverlaͤssigkeit und Sicherheit derselben uͤbrig zu lassen. Denn die sceptische Methode geht auf Gewißheit, dadurch, daß sie in einem solchen, auf beiden Seiten red- lichgemeinten und mit Verstande gefuͤhrten Streite, den Punct des Mißverstaͤndnisses zu entdecken sucht, um, wie weise Gesetzgeber thun, aus der Verlegenheit der Richter bey Rechtshaͤndeln vor sich selbst Belehrung, von dem Mangelhaften und nicht genau Bestimten in ihren Gesetzen, zu ziehen. Die Antinomie, die sich in der Anwendung der Gesetze offenbaret, ist bey unserer eingeschraͤnkten Weis- heit der beste Pruͤfungsversuch der Nomothetik, um der Vernunft, die in abstracter Speculation ihre Fehltritte nicht leicht gewahr wird, dadurch auf die Momente in Bestimmung ihrer Grundsaͤtze aufmerksam zu machen. Diese sceptische Methode ist aber nur der Transscen- dentalphilosophie allein wesentlich eigen, und kan allenfals in iedem anderen Felde der Untersuchungen, nur in diesem nicht, entbehrt werden. In der Mathematik wuͤrde ihr Gebrauch ungereimt seyn; weil sich in ihr keine falsche Behauptungen verbergen und unsichtbar machen koͤnnen, indem II. Absch. Die Antithetik der reinen Vernunft. indem die Beweise iederzeit an dem Faden der reinen An- schauung, und zwar durch iederzeit evidente Synthesis fortgehen muͤssen. In der Experimentalphilosophie kan wol ein Zweifel des Aufschubs nuͤtzlich seyn, allein es ist doch wenigstens kein Mißverstand moͤglich, der nicht leicht gehoben werden koͤnte, und in der Erfahrung muͤssen doch endlich die lezte Mittel der Entscheidung des Zwistes liegen, sie moͤgen nun fruͤh oder spaͤt aufgefunden werden. Die Moral kan ihre Grundsaͤtze insgesamt auch in concreto zusamt den practischen Folgen, wenigstens in moͤglichen Erfahrungen geben, und dadurch den Mißverstand der Abstraction vermeiden. Dagegen sind die transscenden- tale Behauptungen, welche selbst uͤber das Feld aller moͤg- lichen Erfahrungen hinaus sich erweiternde Einsichten an- massen, weder in dem Falle, daß ihre abstracte Synthe- sis in irgend einer Anschauung a priori koͤnte gegeben, noch so beschaffen, daß der Mißverstand vermittelst irgend einer Erfahrung entdekt werden koͤnte. Die transscendentale Vernunft also verstattet keinen anderen Probierstein, als den Versuch der Vereinigung ihrer Behauptungen unter sich selbst, und mithin zuvor des freien und ungehin- derten Wettstreits derselben unter einander und diesen wol- len wir aniezt anstellen Die Antinomien folgen einander nach der Ordnung der oben angefuͤhrten transscendentalen Ideen. . D d 5 Die Die Antinomie Erster Widerstreit Thesis. Die Welt hat einen Anfang in der Zeit und ist dem Raum nach auch in Graͤnzen eingeschlossen. Beweis. Denn man nehme an, die Welt habe der Zeit nach keinen Anfang: so ist bis zu iedem gegebenen Zeitpuncte eine Ewigkeit abgelaufen, und mithin eine unendliche Rei- he auf einander folgenden Zustaͤnde der Dinge in der Welt verflossen. Nun besteht aber eben darin die Unendlichkeit einer Reihe: daß sie durch successive Synthesis niemals vollendet seyn kan. Also ist eine unendliche verflossene Weltreihe unmoͤglich, mithin ein Anfang der Welt, eine nothwendige Bedingung ihres Daseyns, welches zuerst zu beweisen war. In Ansehung des zweiten nehme man wiederum das Gegentheil an: so wird die Welt ein unendliches gegebenes Ganze von zugleich existirenden Dingen seyn. Nun koͤn- nen wir die Groͤsse eines Quanti, welches nicht innerhalb gewissen Graͤnzen ieder Anschauung gegeben wird, Wir koͤnnen ein unbestimtes Quantum als ein Ganzes anschauen, wenn es in Graͤnzen eingeschlossen ist, ohne die Totalitaͤt desselben durch Messung, d. i. die successive Syn- auf keine der reinen Vernunft. der transscendentalen Ideen. Antithesis. Die Welt hat keinen Anfang und keine Graͤnzen im Raume, sondern ist, sowol in Ansehung der Zeit als des Raums, unendlich. Beweis. Denn man setze: sie habe einen Anfang. Da der Anfang ein Daseyn ist, wovor eine Zeit vorhergeht, darin das Ding nicht ist, so muß eine Zeit vorhergegangen seyn, darin die Welt nicht war, d. i. eine leere Zeit. Nun ist aber in einer leeren Zeit kein Entstehen irgend eines Din- ges moͤglich; weil kein Theil einer solchen Zeit vor einem anderen irgend eine unterscheidende Bedingung des Da- seyns, vor die des Nichtseyns an sich hat (man mag an- nehmen, daß sie von sich selbst, oder durch eine andere Ur- sache entstehe). Also kan zwar in der Welt manche Reihe der Dinge anfangen, die Welt selber aber kan keinen An- fang haben, und ist also in Ansehung der vergangenen Zeit, unendlich. Was das zweite betrift, so nehme man zuvoͤrderst das Gegentheil an: daß nemlich die Welt dem Raume nach endlich und begraͤnzt ist, so befindet sie sich in einem leeren Raum, der nicht begraͤnzt ist. Es wuͤrde also nicht allein ein Verhaͤltniß der Dinge im Raum, sondern auch der Dinge zum Raume angetroffen werden. Da nun die Welt ein absolutes Ganze ist, ausser welchem kein Gegen- keine andere Art, als nur durch die Synthesis der Theile, und die Totalitaͤt eines solchen Quanti nur durch die voll- endete Synthesis, oder durch wiederholte Hinzusetzung der Einheit zu sich selbst, gedenken Der Begriff der Totalitaͤt ist in diesem Falle nichts an- deres, als die Vorstellung der vollendeten Synthesis sei- ner Theile, weil, da wir nicht von der Anschauung des Ganzen (als welche in diesem Falle unmoͤglich ist) den Be- griff abziehen koͤnnen, wir diesen nur durch die Syn- thesis der Theile, bis zur Vollendung des Unendlichen, wenigstens in der Idee fassen koͤnnen. . Demnach um sich die Welt, die alle Raͤume erfuͤllt, als ein Ganzes zu denken, muͤßte die successive Synthesis der Theile einer unendlichen Welt als vollendet angesehen, d. i. eine unendliche Zeit muͤßte, in der Durchzehlung aller coexistirenden Dinge, als abgelaufen angesehen werden, welches unmoͤglich ist. Demnach kan ein unendliches Aggregat wirklicher Dinge, nicht als ein gegebenes Ganze, mithin auch nicht als zu- gleich gegeben, angesehen werden. Eine Welt ist folglich, der Ausdehnung im Raume nach nicht unendlich, son- dern in ihren Graͤnzen eingeschlossen; welches das zweite war. An- Synthesis seiner Theile, construiren zu duͤrfen. Denn die Graͤnzen bestimmen schon die Vollstaͤndigkeit, indem sie alles Mehrere abschneiden. Gegenstand der Anschauung, und mithin kein Correlatum der Welt, angetroffen wird, womit dieselbe im Verhaͤlt- niß stehe, so wuͤrde das Verhaͤltniß der Welt zum leeren Raum ein Verhaͤltniß derselben zu keinem Gegenstande seyn. Ein dergleichen Verhaͤltniß aber, mithin auch die Begraͤnzung der Welt durch den leeren Raum, ist nichts; also ist die Welt, dem Raume nach, gar nicht begraͤnzt, d. i. sie ist in Ansehung der Ausdehnung unendlich Der Raum ist blos die Form der aͤusseren Anschauung (formale Anschauung), aber kein wirklicher Gegenstand, der aͤusserlich angeschauet werden kan. Der Raum, vor al- len Dingen, die ihn bestimmen (erfuͤllen oder begraͤnzen), oder die vielmehr eine, seiner Form gemaͤsse empirische Anschauung geben, ist, unter dem Nahmen des abso- luten Naumes, nichts Anderes, als die blosse Moͤglich- keit aͤusserer Erscheinungen, so fern sie entweder an sich existiren, oder zu gegebenen Erscheinungen noch hinzu kommen koͤnnen. Die empirische Anschauung ist also nicht zusammengesezt aus Erscheinungen und dem Raume (der Wahrnehmung und der leeren Anschauung). Eines ist nicht des andern Correlatum der Synthesis, sondern nur in einer und derselben empirischen Anschauung ver- bunden, als Materie und Form derselben. Will man eine dieser zween Stuͤcke ausser der anderen setzen (Raum ausserhalb allen Erscheinungen) so entstehen daraus aller- ley leere Bestimmungen der aͤusseren Anschauung, die doch nicht moͤgliche Wahrnehmungen sind. z. B. Bewegung, oder Ruhe der Welt im unendlichen leeren Raum, eine Bestimmung des Verhaͤltnisses beider untereinander, wel- che niemals wahrgenommen werden kan, und also auch das Praͤdicat eines blossen Gedankendinges ist. . II. An- Anmerkung zur ersten Antinomie. I. zur Thesis Ich habe bey diesen einander widerstreitenden Argu- menten nicht Blendwercke gesucht, um etwa (wie man sagt) einen Advocatenbeweis zu fuͤhren, welcher sich der Unbehutsamkeit des Gegners zu seinem Vortheile bedient, und seine Berufung auf ein mißverstanden Gesetz gerne gelten laͤßt, um seine eigene unrechtmaͤssige Anspruͤche auf die Widerlegung desselben zu bauen. Jeder dieser Bewei- se ist aus der Sache Natur gezogen und der Vortheil bey Seite gesezt worden, den uns die Fehlschluͤsse der Dog- matiker von beiden Theilen geben koͤnten. Ich haͤtte die Thesis auch dadurch dem Scheine nach beweisen koͤnnen: daß ich von der Unendlichkeit einer gege- benen Groͤsse, nach der Gewohnheit der Dogmatiker, ei- nen fehlerhaften Begriff voran geschikt haͤtte. Unend- lich ist eine Groͤsse, uͤber die keine groͤssere (d. i. uͤber die darin enthaltene Menge einer gegebenen Einheit) moͤglich ist. Nun ist keine Menge die groͤsseste, weil noch immer eine, oder mehrere Einheiten hinzugethan werden koͤnnen. Also ist eine unendliche gegebene Groͤsse, mithin auch eine, (der verflossenen Reihe sowol, als der Ausdehnung nach) unendliche Welt unmoͤglich: sie ist also beiderseitig begraͤnzt. So haͤtte ich meinen Beweis fuͤhren koͤnnen: allein dieser Begriff stimt nicht mit dem, was man unter einem unend- lichen Ganzen versteht. Es wird dadurch nicht vorgestellt, wie groß es sey, mithin ist sein Begriff auch nicht der Begriff eines Maximum, sondern es wird dadurch nur sein II. Anmerkung zur Antithesis. Der Beweis vor die Unendlichkeit der gegebenen Weltreihe und des Weltinbegriffs beruht darauf: daß im entgegengesetzten Falle, eine leere Zeit, imgleichen ein leerer Raum, die Weltgraͤnze ausmachen muͤßte. Nun ist mir nicht unbekant, daß wider diese Consequenz Aus- fluͤchte gesucht werden, indem man vorgiebt: es sey eine Graͤnze der Welt, der Zeit und dem Raume nach, ganz wol moͤglich, ohne daß man eben eine absolute Zeit vor der Welt Anfang, oder einen absoluten, ausser der wirk- lichen Welt ausgebreiteten Raum annehmen duͤrfe, wel- ches unmoͤglich ist. Ich bin mit dem lezteren Theile die- ser Meinung der Philosophen aus der Leibnitzischen Schule ganz wol zufrieden. Der Raum ist blos die Form der aͤusseren Anschauung, aber kein wirklicher Gegenstand, der aͤusserlich angeschauet werden kan, und kein Correlatum der Erscheinungen, sondern die Form der Erscheinungen selbst. Der Raum also kan absolut (vor sich allein) nicht als etwas Bestimmendes in dem Daseyn der Dinge vorkom- men, weil er gar kein Gegenstand ist, sondern nur die Form moͤglicher Gegenstaͤnde. Dinge also, als Erschei- nungen, bestimmen wol den Raum, d. i. unter allen moͤg- lichen Praͤdicaten desselben, (Groͤsse und Verhaͤltniß) ma- chen sie es, daß diese oder iene zur Wirklichkeit gehoͤren; aber umgekehrt kan der Raum, als etwas, welches vor sich besteht, die Wirklichkeit der Dinge in Ansehung der Groͤsse oder Gestalt nicht bestimmen, weil er an sich selbst nichts wirkliches ist. Es kan also wol ein Raum (er sey voll oder leer Man bemerkt leicht, daß hiedurch gesagt werden wolle: der leere Raum, so fern er durch Erscheinungen begraͤnzt wird, durch Erscheinungen begraͤnzt, Erschei- nun- sein Verhaͤltniß zu einer beliebig anzunehmenden Einheit, in Ansehung deren dasselbe groͤsser ist als alle Zahl, ge- dacht. Nachdem die Einheit nun groͤsser oder kleiner an- genommen wird, wuͤrde das Unendliche groͤsser oder klei- ner seyn, allein die Unendlichkeit, da sie blos in dem Ver- haͤltnisse zu dieser gegebenen Einheit besteht, wuͤrde immer dieselbe bleiben, obgleich freilich die absolute Groͤsse des Ganzen dadurch gar nicht erkant wuͤrde, davon auch hier nicht die Rede ist. Der wahre (transscendentale) Begriff der Unendlich- keit ist: daß die successive Synthesis der Einheit in Durchmes- sung eines Quantum niemals vollendet seyn kan Dieses enthaͤlt dadurch eine Menge (von gegebener Ein- heit) die groͤsser ist als alle Zahl, welches der mathema- tische Begriff des Unendlichen ist. . Hier- aus folgt ganz sicher: daß eine Ewigkeit wirklicher auf ein- ander folgenden Zustaͤnde bis zu einem gegebenen (dem ge- genwaͤrtigen) Zeitpuncte nicht verflossen seyn kan, die Welt also einen Anfang haben muͤsse. In Ansehung des zweiten Theils der Thesis faͤllt die Schwie- rigkeit, von einer unendlichen und doch abgelaufenen Reihe, zwar weg; denn das Mannigfaltige einer der Ausdehnung nach, unendlichen Welt ist zugleich gegeben. Allein, um die Totalitaͤt einer solchen Menge zu denken, da wir uns nicht auf Graͤnzen berufen koͤnnen, welche diese Totalitaͤt von selbst in der Anschauung ausmachen, muͤssen wir von unserem Begriffe Rechenschaft geben, der in solchem Falle nicht vom Ganzen zu der bestimten Menge der Theile gehen kan, sondern die Moͤglichkeit eines Ganzen durch die suc- cessive Synthesis der Theile darthun muß. Da diese Synthesis nun eine nie zu vollendende Reihe ausmachen muͤßte: so kan man sich nicht vor ihr, und mithin auch nicht durch sie, eine Totalitaͤt denken. Denn der Begriff der Totalitaͤt selbst ist in diesem Falle die Vorstellung einer vollendeten Synthesis der Theile, und diese Vollendung, mithin auch der Begriff derselben ist unmoͤglich. Der nungen aber koͤnnen nicht durch einen leeren Raum ausser denselben begraͤnzt werden. Eben dieses gilt auch von der Zeit. Alles dieses nun zugegeben, so ist gleichwol un- streitig: daß man diese zwey Undinge, den leeren Raum ausser und die leere Zeit vor der Welt, durchaus anneh- men muͤsse, wenn man eine Weltgraͤnze, es sey dem Rau- me oder der Zeit nach, annimt. Denn was den Ausweg betrift, durch den man der Consequenz auszuweichen sucht, nach welcher wir sagen: daß, wenn die Welt (der Zeit und dem Raum nach) Graͤnzen hat, das unendliche Leere das Daseyn wirklicher Dinge ihrer Groͤsse nach bestimmen muͤsse, so besteht er in geheim nur darin: daß man statt einer Sinnenwelt sich, wer weiß welche, intelligibele Welt gedenkt, und, statt des ersten Anfanges, (ein Daseyn, vor welchem eine Zeit des Nichtseyns vorhergeht) sich uͤberhaupt ein Daseyn denkt, welches keine andere Bedingung in der Welt vor- aussezt, statt der Graͤnze der Ausdehnung, Schranken des Weltganzen denkt, und dadurch der Zeit und dem Raume aus dem Wege geht. Es ist hier aber nur von dem mundus phænomenon die Rede und von dessen Groͤsse, bey dem man von gedachten Bedingungen der Sinnlichkeit keinesweges abstrahiren kan, ohne das Wesen desselben aufzuheben. Die Sinnenwelt, wenn sie begraͤnzt ist, liegt nothwendig in dem unendlichen Leeren. Will man dieses, und mithin den Raum uͤberhaupt als Bedingung der Moͤglichkeit der Erscheinungen a priori weglassen, so faͤllt die ganze Sinnenwelt weg. In unserer Aufgabe ist uns diese allein gegeben. Der mundus intelligibilis ist nichts als der allgemeine Begriff einer Welt uͤberhaupt, in welchem man von allen Bedingungen der Anschauung der- selben abstrahirt, und in Ansehung dessen folglich gar kein synthetischer Satz, weder beiahend noch verneinend moͤg- lich ist. Der wird, mithin derienige innerhalb der Welt, wider- spreche, wenigstens nicht den transscendentalen Principien, und koͤnnen also in Ansehung dieser eingeraͤumt (obgleich darum seine Moͤglichkeit nicht so fort behauptet) werden. E e Der Antinomie zweiter Widerstreit Thesis. Eine iede zusammengesezte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Theilen, und es existiret uͤberall nichts als das Einfache, oder das, was aus diesem zusammenge- sezt ist. Beweis. Denn nehmet an: die zusammengesezte Substanzen bestaͤnden nicht aus einfachen Theilen, so wuͤrde, wenn alle Zusammensetzung in Gedanken aufgehoben wuͤrde, kein zusammengesezter Theil, und (da es keine einfache Theile giebt) auch kein einfacher, mithin gar nichts uͤbrig blei- ben, folglich keine Substanz seyn gegeben worden. Ent- weder also laͤßt sich unmoͤglich alle Zusammensetzung in Gedanken aufheben, oder es muß nach deren Aufhebung Etwas, ohne alle Zusammensetzung bestehendes, d. i. das Einfache, uͤbrig bleiben. Im ersteren Falle aber wuͤrde das Zusammengesezte wiederum nicht aus Substanzen be- stehen (weil bey diesen die Zusammensetzung nur eine zu- faͤllige Relation der Substanzen ist, ohne welche diese, als vor sich beharrliche Wesen, bestehen muͤssen). Da nun die der reinen Vernunft der transscendentalen Ideen. Antithesis. Kein zusammengesezte Ding in der Welt besteht aus einfachen Theilen und es existirt uͤberall nichts Einfa- ches in derselben. Beweis. Setzet: ein zusammengeseztes Ding (als Substanz) bestehe aus einfachen Theilen. Weil alles aͤussere Ver- haͤltniß, mithin auch alle Zusammensetzung aus Substan- zen nur im Raume moͤglich ist: so muß, aus so viel Thei- len das Zusammengesezte besteht, aus eben so viel Theilen auch der Raum bestehen, den es einnimt. Nun besteht der Raum nicht aus einfachen Theilen, sondern aus Raͤu- men. Also muß ieder Theil des Zusammengesezten einen Raum einnehmen. Die schlechthin ersten Theile aber alles Zusammengesezten sind einfach. Also nimt das Einfache einen Raum ein. Da nun alles Reale, was einen Raum einnimt, ein ausserhalb einander befindliches Mannigfal- tige in sich fasset, mithin zusammengesezt ist, und zwar als ein reales Zusammengesezte, nicht aus Accidenzen, (denn die koͤnnen nicht ohne Substanz ausser einander seyn), mit- hin aus Substanzen, so wuͤrde das Einfache ein substan- zielles Zusammengesezte seyn, welches sich widerspricht. Der zweite Satz der Antithesis, daß in der Welt gar nichts Einfaches existire, soll hier nur so viel bedeu- E e 2 ten dieser Fall der Voraussetzung widerspricht, so bleibt nur der zweite uͤbrig: daß nemlich das substanzielle Zusam- mengesezte in der Welt aus einfachen Theilen bestehe. Hieraus folgt unmittelbar: daß die Dinge der Welt insgesamt einfache Wesen sind, daß die Zusammensetzung nur ein aͤusserer Zustand derselben sey, und daß, wenn wir die Elementarsubstanzen gleich niemals voͤllig aus die- sem Zustande der Verbindung setzen und isoliren koͤnnen, doch die Vernunft sie als die erste Subiecte aller Composi- tion und mithin, vor derselben, als einfache Wesen den- ken muͤsse. An ten als: Es koͤnne das Daseyn des schlechthin Einfachen aus keiner Erfahrung oder Wahrnehmung, weder aͤusse- ren noch inneren, dargethan werden, und das schlechthin Einfache sey also eine blosse Idee, deren obiective Realitaͤt niemals in irgend einer moͤglichen Erfahrung kan darge- than werden, mithin in der Exposition der Erscheinungen ohne alle Anwendung und Gegenstand. Denn wir wollen annehmen, es ließe sich vor diese transscendentale Idee ein Gegenstand der Erfahrung finden: so muͤßte die em- pirische Anschauung irgend eines Gegenstandes als eine sol- che erkant werden, welche schlechthin kein Mannigfal- tiges ausserhalb einander, und zur Einheit verbunden, enthaͤlt. Da nun von dem Nichtbewustseyn eines Man- nigfaltigen auf die gaͤnzliche Unmoͤglichkeit ein solches in irgend einer Anschauung desselben Obiects, kein Schluß gilt, dieses leztere aber zur absoluten Simplicitaͤt durch- aus noͤthig ist, so folgt: daß diese aus keiner Wahrneh- mung, welche sie auch sey, koͤnne geschlossen werden. Da also etwas als ein schlechthin einfaches Obiect niemals in irgend einer moͤglichen Erfahrung kan gegeben werden, die Sinnenwelt aber, als der Inbegriff aller moͤglichen Erfahrungen angesehen werden muß: so ist uͤberall in ihr nichts Einfaches gegeben. Dieser zweite Satz der Antithesis geht viel weiter als der erste, der das Einfache nur von der Anschauung des Zusammengesezten verbant, dahingegen dieser es aus der ganzen Natur wegschaft, daher er auch nicht aus dem Begriffe eines gegebenen Gegenstandes der aͤusseren Anschau- ung (des Zusammengesezten), sondern aus dem Verhaͤlt- niß desselben zu einer moͤglichen Erfahrung uͤberhaupt hat bewiesen werden koͤnnen. E e 3 II. An- Anmerkung zur zweiten Antinomie. I. zur Thesis. Wenn ich von einem Ganzen rede, welches noth- wendig aus einfachen Theilen besteht, so verstehe ich dar- unter nur ein substanzielles Ganze, als das eigentliche Compositum, d. i. dieienige zufaͤllige Einheit des Mannig- faltigen, welches abgesondert (wenigstens in Gedanken) gegeben, in eine wechselseitige Verbindung gesezt wird, und dadurch Eines ausmacht. Den Raum solte man ei- gentlich nicht Compositum, sondern Totum nennen, weil die Theile desselben nur im Ganzen und nicht das Ganze durch die Theile moͤglich ist. Er wuͤrde allenfalls ein Compositum ideale, aber nicht reale heissen koͤnnen. Doch dieses ist nur Subtilitaͤt. Da der Raum kein Zusammen- geseztes aus Substanzen (nicht einmal aus realen Acci- denzen) ist, so muß, wenn ich alle Zusammensetzung in ihm aufhebe, nichts, auch nicht einmal der Punct uͤbrig bleiben; denn dieser ist nur als die Graͤnze eines Raumes, (mithin eines Zusammengesezten) moͤglich. Raum und Zeit II. Anmerkung zur Antithesis . Wider diesen Satz einer unendlichen Theilung der Materie, dessen Beweisgrund blos mathematisch ist, wer- den von den Monadisten Einwuͤrfe vorgebracht, welche sich dadurch schon verdaͤchtig machen: daß sie die klaͤreste mathematische Beweise nicht vor Einsichten in die Beschaf- fenheit des Raumes, so fern er in der That die formale Bedingung der Moͤglichkeit aller Materie ist, wollen gelten lassen, sondern sie nur als Schluͤsse aus abstracten aber willkuͤhrlichen Begriffen ansehen, die auf wirkliche Dinge nicht bezogen werden koͤnten. Gleich als wenn es auch nur moͤglich waͤre, eine andere Art der Anschauung zu erdenken, als die in der urspruͤnglichen Anschauung des Raumes gegeben wird, und die Bestimmungen desselben a priori nicht zugleich alles dasienige betraͤfen, was da- durch allein moͤglich ist, daß es diesen Raum erfuͤllet. Wenn man ihnen Gehoͤr giebt: so muͤßte man, ausser dem mathematischen Puncte, der einfach, aber kein Theil, son- dern blos die Graͤnze eines Raums ist, sich noch physische Puncte denken, die zwar auch einfach sind, aber den Vor- zug haben, als Theile des Raums, durch ihre blosse Ag- gregation denselben zu erfuͤllen. Ohne nun hier die gemei- ne und klare Widerlegungen dieser Ungereimtheit, die man in Menge antrift, zu wiederhohlen, wie es denn gaͤnzlich umsonst ist, durch blos discursive Begriffe die Evidenz der Mathematik weg vernuͤnfteln zu wollen, so bemerke ich nur: daß, wenn die Philosophie hier mit der Mathematik E e 4 chica- Zeit bestehen also nicht aus einfachen Theilen. Was nur zum Zustande einer Substanz gehoͤret, ob es gleich eine Groͤsse hat, (z. B. die Veraͤnderung), besteht auch nicht aus dem Einfachen, d. i. ein gewisser Grad der Veraͤnde- rung entsteht nicht durch einen Anwachs vieler einfachen Veraͤnderungen. Unser Schluß vom Zusammengesezten auf das Einfache gilt nur von vor sich selbst bestehenden Dingen. Accidenzen aber des Zustandes bestehen nicht vor sich selbst. Man kan also den Beweis vor die Noth- wendigkeit des Einfachen, als dem Bestandtheile alles Sub- stanziellen-Zusammengesezten, und dadurch uͤberhaupt sei- ne Sache leichtlich dadurch verderben, wenn man ihn zu weit ausdehnt und ihn vor alles Zusammengesezte ohne Unterschied geltend machen will, wie es wirklich mehrmah- len schon geschehen ist. Ich rede uͤbrigens hier nur von dem Einfachen, so fern es nothwendig im Zusammengesezten gegeben ist, in- dem dieses darin, als in seine Bestandtheile aufgeloͤset werden kan. Die eigentliche Bedeutung des Wortes Mo- nas chicanirt, es darum geschehe, weil sie vergißt: daß es in dieser Frage nur um Erscheinungen und deren Bedingung zu thun sey. Hier ist es aber nicht genug, zum reinen Verstandesbegriffe des Zusammengesezten den Begriff des Einfachen, sondern zur Anschauung des Zusammengesez- ten (der Materie) die Anschauung des Einfachen zu fin- den, und dieses ist nach Gesetzen der Sinnlichkeit, mithin auch bey Gegenstaͤnden der Sinne gaͤnzlich unmoͤglich. Es mag also von einem Ganzen aus Substanzen, welches blos durch den reinen Verstand gedacht wird, immer gel- ten: daß wir vor aller Zusammensetzung desselben, das Einfache haben muͤssen, so gilt dieses doch nicht vom to- tum substantiale phaenomenon, welches, als empiri- sche Anschauung im Raume, die nothwendige Eigentschaft bey sich fuͤhrt: daß kein Theil desselben einfach ist, dar- um, weil kein Theil des Raumes einfach ist. Indessen sind die Monadisten fein genug gewesen, dieser Schwierig- keit dadurch ausweichen zu wollen: daß sie nicht den Raum als eine Bedingung der Moͤglichkeit der Gegenstaͤnde aͤusse- rer Anschauung (Coͤrper), sondern diese, und das dyna- mische Verhaͤltniß der Substanzen uͤberhaupt, als die Be- dingung der Moͤglichkeit des Raumes voraussetzen. Nun haben wir von Coͤrpern nur als Erscheinungen einen Be- griff, als solche aber setzen sie den Raum als die Bedin- gung der Moͤglichkeit aller aͤusseren Erscheinung nothwen- dig voraus, und die Ausflucht ist also vergeblich, wie sie denn auch oben in der transscendentalen Aesthetik hinrei- chend ist abgeschnitten worden. Waͤren sie Dinge an sich selbst, so wuͤrde der Beweis der Monadisten allerdings gelten. E e 5 Die nas (nach Leibnitzens Gebrauch) solte wol nur auf das Einfache gehen, welches unmittelbar als einfache Sub- stanz gegeben ist (z. B. im Selbstbewustseyn) und nicht als Element des Zusammengesezten, welches man besser den Atomus nennen koͤnte. Und da ich nur in Ansehung des Zusammengesezten die einfache Substanzen, als deren Ele- mente, beweisen will, so koͤnte ich die Antithese der zwei- ten Antinomie, die transscendentale Atomistik nennen. Weil aber dieses Wort schon vorlaͤngst zur Bezeichnung einer besondern Erklaͤrungsart coͤrperlicher Erscheinungen ( molecularum ) gebraucht worden, und also empirische Begriffe voraussezt, so mag er der dialectische Grundsatz der Monadologie heissen. Der Die zweite dialectische Behauptung hat das beson- dere an sich: daß sie eine dogmatische Behauptung wider sich hat, die unter allen vernuͤnftelnden die einzige ist, wel- che sich unternimt, an einem Gegenstande der Erfahrung die Wirklichkeit dessen, was wir oben blos zu transscen- dentalen Ideen rechneten, nemlich die absolute Simplicitaͤt der Substanz, augenscheinlich zu beweisen: nemlich daß der Gegenstand des inneren Sinnes, das Ich, was da denkt, eine schlechthin einfache Substanz sey. Ohne mich hier- auf iezt einzulassen, (da es oben ausfuͤhrlicher erwogen ist) so bemerke ich nur: daß wenn etwas blos als Gegen- stand gedacht wird, ohne irgend eine synthetische Bestim- mung seiner Anschauung hinzu zu setzen, (wie denn dieses durch die ganz nackte Vorstellung: Ich, geschieht) so koͤnne freilich nichts Mannigfaltiges und keine Zusammen- setzung in einer solchen Vorstellung wahrgenommen wer- den. Da uͤberdem die Praͤdicate, wodurch ich diesen Gegenstand denke, blos Anschauungen des inneren Sinnes seyn, so kan darin auch nichts vorkommen, welches ein Mannigfaltiges ausserhalb einander, mithin reale Zusam- mensetzung bewiese. Es bringt also nur das Selbstbe- wustseyn es so mit sich, daß, weil das Subiect, welches denkt, zugleich sein eigen Obiect ist, es sich selber nicht theilen kan (obgleich die ihm inhaͤrirende Bestimmungen); denn in Ansehung seiner Selbst ist ieder Gegenstand abso- lute Einheit. Nichts destoweniger, wenn dieses Subiect aͤusserlich, als ein Gegenstand der Anschauung, betrachtet wird, so wuͤrde es doch wol Zusammensetzung in der Er- scheinung an sich zeigen. So muß es aber iederzeit be- trachtet werden, wenn man wissen will, ob in ihm ein Mannigfaltiges ausserhalb einander sey oder nicht. Der Der Antinomie Dritter Widerstreit Thesis. Die Caussalitaͤt nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt ins- gesamt abgeleitet werden koͤnnen. Es ist noch eine Caus- salitaͤt durch Freiheit zu Erklaͤrung derselben anzumehmen nothwendig. Beweis. Man nehme an: es gebe keine andere Caussalitaͤt, als nach Gesetzen der Natur, so sezt alles, was geschieht, einen vorigen Zustand voraus, auf den es unausbleiblich nach einer Regel folgt. Nun muß aber der vorige Zustand selbst etwas seyn, was geschehen ist (in der Zeit gewor- den, da es vorher nicht war), weil, wenn es iederzeit gewesen waͤre, seine Folge auch nicht allererst entstanden, sondern immer gewesen seyn wuͤrde. Also ist die Caussa- litaͤt der Ursache, durch welche etwas geschieht, selbst et- was Geschehenes, welches nach dem Gesetze der Natur wiederum einen vorigen Zustand und dessen Caussalitaͤt, dieser aber eben so einen noch aͤlteren voraussezt u. s. w. Wenn also alles nach blossen Gesetzen der Natur geschieht, so giebt es iederzeit nur einen subalternen, niemals aber einen der reinen Vernunft der transscendentalen Ideen. Antithesis. Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt ge- schieht lediglich nach Gesetzen der Natur: Beweis. Setzet: es gebe eine Freiheit im transscendentalen Verstande, als eine besondere Art von Caussalitaͤt, nach welcher die Begebenheiten der Welt erfolgen koͤnten, nem- lich ein Vermoͤgen einen Zustand, mithin, auch eine Reihe von Folgen desselben schlechthin anzufangen, so wird nicht allein eine Reihe durch diese Spontaneitaͤt, sondern die Bestimmung dieser Spontaneitaͤt selbst zur Hervorbrin- nung der Reihe, d. i. die Caussalitaͤt wird schlechthin an- fangen, so daß nichts vorhergeht, wodurch diese gesche- hende Handlung nach bestaͤndigen Gesetzen bestimt sey. Es sezt aber ein ieder Anfang zu handeln einen Zustand der noch nicht handelnden Ursache voraus, und ein dynamisch erster Anfang der Handlung, einen Zustand, der mit dem vorhergehenden eben derselben Ursache gar keinen Zusam- menhang der Caussalitaͤt hat, d. i. auf keine Weise dar- aus erfolgt. Also ist die transscendentale Freiheit dem Caussalgesetze entgegen und eine solche Verbindung der suc- cessiven einen ersten Anfang und also uͤberhaupt keine Vollstaͤndigkeit der Reihe auf der Seite der von einander abstammenden Ursachen. Nun besteht aber eben darin das Gesetz der Natur: daß ohne hinreichend a priori bestimte Ursache nichts ge- schehe. Also widerspricht der Satz, als wenn alle Caus- salitaͤt nur nach Naturgesetzen moͤglich sey, sich selbst in seiner unbeschraͤnkten Allgemeinheit, und diese kan also nicht als die einzige angenommen werden. Diesemnach muß eine Caussalitaͤt angenommen wer- den, durch welche etwas geschieht, ohne daß die Ursache davon noch weiter, durch eine andere vorhergehende Ur- sache, nach nothwendigen Gesetzen bestimt sey, d. i. eine absolute Spontaneitaͤt der Ursachen, eine Reihe von Er- scheinungen, die nach Naturgesetzen laͤuft, von selbst an- zufangen, mithin transscendentale Freiheit, ohne welche selbst im Laufe der Natur die Reihenfolge der Erscheinun- gen auf der Seite der Ursachen niemals vollstaͤndig ist. An- cessiven Zustaͤnde wirkender Ursachen, nach welcher keine Einheit der Erfahrung moͤglich ist, die also auch in keiner Erfahrung angetroffen wird, mithin ein leeres Gedan- kending. Wir haben also nichts als Natur , in welcher wir den Zusammenhang und Ordnung der Weltbegebenheiten suchen muͤssen. Die Freiheit (Unabhaͤngigkeit) von den Gesetzen der Natur, ist zwar eine Befreiung vom Zwange , aber auch vom Leitfaden aller Regeln. Denn man kan nicht sagen: daß, an statt der Gesetze der Natur, Gesetze der Frei- heit in die Caussalitat des Weltlaufs eintreten, weil, wenn diese nach Gesetzen bestimt waͤre, so waͤre sie nicht Freiheit, sondern selbst nichts anders als Natur. Natur also und transscendentale Freiheit unterscheiden sich wie Gesetzmaͤs- sigkeit und Gesetzlosigkeit, davon iene zwar den Verstand mit der Schwierigkeit belaͤstigt, die Abstammung der Be- gebenheiten in der Reihe der Ursachen immer hoͤher hinauf zu suchen, weil die Caussalitaͤt an ihnen iederzeit bedingt ist, aber zur Schadloshaltung durchgaͤngige und gesetzmaͤs- sige Einheit der Erfahrung verspricht, dahingegen das Blendwerk von Freiheit zwar dem forschenden Verstande in der Kette der Ursachen Ruhe verheißt, indem sie ihn zu einer unbedingten Caussalitaͤt fuͤhret, die von selbst zu handeln anhebt, die aber, da sie selbst blind ist, den Leit- faden der Regeln abreißt, an welchem allein eine durch- gaͤngig zusammenhaͤngende Erfahrung moͤglich ist. II. An- Anmerkung zur dritten Antinomie I. zur Thesis. Die transscendentale Idee der Freiheit macht zwar bey weitem nicht den ganzen Inhalt des psychologischen Begriffs dieses Nahmens aus, welcher grossen Theils em- pirisch ist, sondern nur den der absoluten Spontaneitaͤt der Handlung, als den eigentlichen Grund der Imputabi- litaͤt derselben, ist aber dennoch der eigentliche Stein des Anstosses vor die Philosophie, welche unuͤberwindliche Schwierigkeiten findet, dergleichen Art von unbedingter Caussalitaͤt einzuraͤumen. Dasienige also in der Frage uͤber die Freiheit des Willens, was die speculative Ver- nunft von ieher in so grosse Verlegenheit gesezt hat, ist ei- gentlich nur transscendental und gehet lediglich darauf: ob ein Vermoͤgen angenommen werden muͤsse, eine Reihe von successiven Dingen oder Zustaͤnden von selbst anzu- fangen. Wie ein solches moͤglich sey, ist nicht eben so nothwendig beantworten zu koͤnnen, da wir uns eben so wol bey der Caussalitaͤt nach Naturgesetzen damit begnuͤ- gen muͤssen, a priori zu erkennen, daß eine solche vorausge- sezt werden muͤsse, ob wir gleich die Moͤglichkeit, wie durch ein gewisses Daseyn das Daseyn eines andern gesezt werde, auf keine Weise begreifen, und uns desfalls le- diglich an die Erfahrung halten muͤssen. Nun haben wir diese Nothwendigkeit eines ersten Anfangs einer Reihe von Erscheinungen aus Freiheit, zwar nur eigentlich in so fern dargethan, als zur Begreiflichkeit eines Ursprungs der Welt erfoderlich ist, indessen daß man alle nachfol- gende Zustaͤnde vor eine Abfolge nach blossen Naturgesetzen nehmen II. Anmerkung zur Antithesis . Der Vertheidiger der Allvermoͤgenheit der Natur (transscendentale Physiocratie), im Widerspiel mit der Lehre von der Freiheit, wuͤrde seinen Satz, gegen die vernuͤnftelnde Schluͤsse der lezteren, auf folgende Art be- haupten. Wenn ihr kein mathematisch Erstes der Zeit nach in der Welt annehmt, so habt ihr auch nicht noͤthig, ein dynamisch Erstes der Caussalitaͤt nach zu suchen. Wer hat euch geheissen, einen schlechthin ersten Zustand der Welt, und mithin einen absoluten Anfang der nach und nach ablaufenden Reihe der Erscheinungen zu erdenken, und, damit ihr eurer Einbildung einen Ru- hepunct verschaffen moͤget, der unumschraͤnkten Natur Graͤnzen zu setzen. Da die Substanzen in der Welt ie- derzeit gewesen sind, wenigstens die Einheit der Erfahrung eine solche Voraussetzung nothwendig macht, so hat es keine Schwierigkeit auch anzunehmen: daß der Wechsel ihrer Zustaͤnde, d. i. eine Reihe ihrer Veraͤnderungen ie- derzeit gewesen sey, und mithin kein erster Anfang, we- der mathematisch, noch dynamisch, gesucht werden duͤrfe. Die Moͤglichkeit einer solchen unendlichen Abstammung, ohne ein erstes Glied, in Ansehung dessen alles uͤbrige blos nachfolgend ist, laͤßt sich, seiner Moͤglichkeit nach, nicht begreiflich machen. Aber wenn ihr diese Naturraͤth- sel darum wegwerfen wollt, so werdet ihr euch genoͤthigt sehen, viel synthetische Grundbeschaffenheiten zu verwer- fen, (Grundkraͤfte) die ihr eben so wenig begreifen koͤnt, F f und nehmen kan. Weil aber dadurch doch einmal das Ver- moͤgen, eine Reihe in der Zeit ganz von selbst anzufangen, bewiesen (obzwar nicht eingesehen) ist, so ist es uns nunmehr auch erlaubt, mitten im Laufe der Welt verschiedene Reihen, der Caussalitaͤt nach, von selbst anfangen zu lassen, und den Substanzen derselben ein Vermoͤgen beizulegen, aus Frei- heit zu handeln. Man lasse sich aber hiebey nicht durch einen Mißverstand aufhalten: daß, da nemlich eine suc- cessive Reihe in der Welt nur einen comparativ ersten An- fang haben kan, indem doch immer ein Zustand der Din- ge in der Welt vorhergeht, etwa kein absolut erster An- fang der Reihen waͤhrend dem Weltlaufe moͤglich sey. Denn wir reden hier nicht vom absolutersten Anfange der Zeit nach, sondern der Caussalitaͤt nach. Wenn ich iezt (zum Beispiel) voͤllig frey, und ohne den nothwendig be- stimmenden Einfluß der Naturursachen von meinem Stuhle aufstehe, so faͤngt in dieser Begebenheit, samt deren na- tuͤrlichen Folgen ins Unendliche, eine neue Reihe schlecht- hin an, obgleich der Zeit nach diese Begebenheit nur die Fortsetzung einer vorhergehenden Reihe ist. Denn diese Entschliessung und That liegt gar nicht in der Abfolge blos- ser Naturwirkungen, und ist nicht eine blosse Fortsetzung derselben, sondern die bestimmende Naturursachen hoͤren oberhalb derselben, in Ansehung dieser Eraͤugniß, ganz auf, die zwar auf iene folgt, aber daraus nicht erfolgt und daher zwar nicht der Zeit nach, aber doch in Ansehung der Caussalitaͤt, ein schlechthin erster Anfang einer Reihe von Erscheinungen genant werden muß. Die Bestaͤtigung von der Beduͤrfniß der Vernunft, in der Reihe der Naturursachen sich auf einen ersten An- fang aus Freiheit zu berufen, leuchtet daran sehr klar in die Augen: daß (die epicurische Schule ausgenommen) alle Philosophen des Alterthums sich gedrungen sahen, zur Erklaͤrung der Weltbewegungen einen ersten Beweger anzunehmen, d. i. eine freihandelnde Ursache, welche die- se Reihe von Zustaͤnden zuerst und von selbst anfieng. Denn aus blosser Natur unterfingen sie sich nicht, einen ersten Anfang begreiflich zu machen. Die und selbst die Moͤglichkeit einer Veraͤnderung uͤberhaupt muß euch anstoͤssig werden. Denn, wenn ihr nicht durch Erfahrung faͤndet, daß sie wirklich ist, so wuͤrdet ihr nie- mals a priori ersinnen koͤnnen, wie eine solche unaufhoͤr- liche Folge von Seyn und Nichtseyn moͤglich sey. Wenn auch indessen allenfalls ein transscendentales Vermoͤgen der Freiheit nachgegeben wird, um die Welt- veraͤnderungen anzufangen, so wuͤrde dieses Vermoͤgen doch wenigstens nur ausserhalb der Welt seyn muͤssen, (wie- wol es immer eine kuͤhne Anmassung bleibt, ausserhalb dem Inbegriffe aller moͤglichen Anschauungen, noch einen Ge- genstand anzunehmen, der in keiner moͤglichen Wahrneh- mung gegeben werden kan). Allein, in der Welt selbst, den Substanzen ein solches Vermoͤgen beyzumessen, kan nimmer- mehr erlaubt seyn, weil alsdenn der Zusammenhang nach all- gemeinen Gesetzen sich einander nothwendig bestimmender Erscheinungen, den man Natur nent, und mit ihm das Merk- mal empirischer Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum unterscheidet, groͤßtentheils verschwinden wuͤrde. Denn es laͤßt sich neben einem solchen gesetzlosen Vermoͤgen der Freiheit, kaum mehr Natur denken; weil die Gesetze der lezteren durch die Einfluͤsse der ersteren, unaufhoͤrlich abgeaͤndert, und das Spiel der Erscheinungen, welches nach der blossen Natur regelmaͤssig und gleichfoͤrmig seyn wuͤrde, dadurch verwirret und unzusammenhaͤngend ge- macht wird. F f 2 Der Antinomie vierter Widerstreit Thesis. Zu der Welt gehoͤrt etwas, das, entweder als ihr Theil, oder ihre Ursache, ein schlechthin nothwendig Wesen ist. Beweis. Die Sinnenwelt, als das Ganze aller Erscheinun- gen, enthaͤlt zugleich eine Reihe von Veraͤnderungen. Denn, ohne diese, wuͤrde selbst die Vorstellung der Zeitreihe, als einer Bedingung der Moͤglichkeit der Sin- nenwelt, uns nicht gegeben seyn Die Zeit geht zwar als formale Bedingung der Moͤg- lichkeit der Veraͤnderungen vor dieser obiectiv vorher, allein subiectiv, und in der Wirklichkeit des Bewustseyns, ist diese Vorstellung doch nur, so wie iede andere, durch Veranlassung der Wahrnehmungen gegeben. . Eine iede Veraͤnde- rung aber steht unter ihrer Bedingung, die der Zeit nach vorher geht und unter welcher sie nothwendig ist. Nun sezt ein iedes Bedingte, das gegeben ist, in Ansehung seiner Existenz, eine vollstaͤndige Reihe von Bedingungen bis zum Schlechthinunbedingten voraus, welches allein abso- lutnothwendig ist. Also muß etwas Absolutnothwendiges existiren, wenn eine Veraͤnderung als seine Folge existirt. Dieses Nothwendige aber gehoͤret selber zur Sinnenwelt. Denn setzet, es sey ausser derselben: so wuͤrde von ihm die Reihe der Weltveraͤnderungen ihren Anfang ableiten, ohne daß der reinen Vernunft der transscendentalen Ideen. Antithesis. Es existirt uͤberall kein schlechthinnothwendiges Wesen, weder in der Welt, noch ausser der Welt, als ihre Ursache. Beweis. Setzet: die Welt selber, oder in ihr, sey ein noth- wendiges Wesen, so wuͤrde in der Reihe ihrer Veraͤnde- rungen, entweder ein Anfang seyn, der unbedingtnoth- wendig, mithin ohne Ursache waͤre, welches dem dynami- schen Gesetze der Bestimmung aller Erscheinungen in der Zeit widerstreitet, oder die Reihe selbst waͤre ohne allen Anfang, und, obgleich in allen ihren Theilen zufaͤllig und bedingt, im Ganzen dennoch schlechthinnothwendig und unbedingt, welches sich selbst widerspricht; weil das Daseyn einer Menge nicht nothwendig seyn kan, wenn kein einziger Theil derselben ein an sich nothwendiges Daseyn besizt. Setzet dagegen: es gebe eine schlechthin nothwendige Weltursache ausser der Welt, so wuͤrde dieselbe als das F f 3 oberste daß doch diese nothwendige Ursache selbst zur Sinnenwelt gehoͤrete. Nun ist dieses unmoͤglich. Denn, da der An- fang einer Zeitreihe nur durch dasienige, was der Zeit nach vorhergeht, bestimt werden kan: so muß die oberste Bedingung des Anfangs einer Reihe von Veraͤnderungen in der Zeit existiren, da diese noch nicht war, (denn der Anfang ist ein Daseyn, vor welchem eine Zeit vorhergeht, darin das Ding, welches anfaͤngt, noch nicht war). Also gehoͤret die Caussalitaͤt der nothwendigen Ursache der Veraͤn- derungen, mithin auch die Ursache selbst, zu der Zeit, mithin zur Erscheinung (an welcher die Zeit allein als deren Form moͤglich ist), folglich kan sie von der Sinnenwelt, als dem Inbegriff aller Erscheinungen, nicht abgesondert gedacht werden. Also ist in der Welt selbst etwas Schlechthinnoth- wendiges enthalten (es mag nun dieses die ganze Welt- reihe selbst, oder ein Theil derselben seyn). An- oberste Glied in der Reihe der Ursachen der Weltveraͤnde- rungen, das Daseyn der lezteren und ihre Reihe zuerft anfangen Das Wort: Anfangen, wird in zwiefacher Bedeutung genommen. Die erste ist activ , da die Ursache eine Reihe von Zustaͤnden als ihre Wirkung anfaͤngt ( infit ). Die zweite passiv, da die Caussalitaͤt in der Ursache selbst anhebt ( fit ). Ich schliesse hier aus der ersteren auf die lezte. . Nun muͤßte sie aber alsdenn auch anfan- gen zu handeln und ihre Caussalitaͤt wuͤrde in die Zeit, eben darum aber in den Inbegriff der Erscheinungen, d. i. in die Welt gehoͤren, folglich sie selbst, die Ursache, nicht ausser der Welt seyn, welches der Voraussetzung wider- spricht. Also ist weder in der Welt, noch ausser derselben (aber mit ihr in Caussalverbindung) irgend ein schlechthin nothwendiges Wesen. II. An- F f 4 Anmerkung zur vierten Antinomie I. zur Thesis. Um das Daseyn eines nothwendigen Wesens zu bewei- sen, liegt mir hier ob, kein anderes als cosmologisches Ar- gument zu brauchen, welches nemlich von dem Bedingten in der Erscheinung zum Unbedingten im Begriffe aufsteigt, indem man dieses als die nothwendige Bedingung der ab- soluten Totalitaͤt der Reihe ansieht. Den Beweis, aus der blossen Idee eines obersten aller Wesen uͤberhaupt, zu ver- suchen, gehoͤrt zu einem andern Princip der Vernunft, und ein solcher wird daher besonders vorkommen muͤssen. Der reine cosmologische Beweis kan nun das Da- seyn eines nothwendigen Wesens nicht anders darthun, als daß er es zugleich unausgemacht lasse, ob dasselbe die Welt selbst, oder ein von ihr unterschiedenes Ding sey. Denn, um das leztere auszumitteln, dazu werden Grund- saͤtze erfordert, die nicht mehr cosmologisch sind, und nicht in der Reihe der Erscheinungen fortgehen, sondern Begriffe von zufaͤlligen Wesen uͤberhaupt, (so fern sie blos als Ge- genstaͤnde des Verstandes erwogen werden) und ein Prin- cip, solche mit einem nothwendigen Wesen, durch blosse Begriffe, zu verknuͤpfen, welches alles vor eine transscen- dente Philosophie gehoͤrt, vor welche hier noch nicht der Platz ist. Wenn man aber einmal den Beweis cosmologisch an- faͤngt, indem man die Reihe von Erscheinungen, und den Regressus in derselben nach empirischen Gesetzen der Caus- salitaͤt, zum Grunde legt: so kan man nachher davo n nicht abspringen und auf etwas uͤbergehen, was gar nicht in die Reihe als ein Glied gehoͤrt. Denn in eben dersel- ben II. Anmerkung zur Antithesis . Wenn man, beim Aufsteigen in der Reihe der Er- scheinungen, wider das Daseyn einer schlechthin noth- wendigen obersten Ursache, Schwierigkeiten anzutreffen vermeint, so muͤssen sich diese auch nicht auf blosse Begriffe vom nothwendigen Daseyn eines Dinges uͤberhaupt gruͤn- den und mithin nicht ontologisch seyn, sondern sich aus der Caussalverbindung mit einer Reihe von Erscheinungen, um zu derselben eine Bedingung anzunehmen, die selbst unbedingt ist, hervor finden, folglich cosmologisch und nach empirischen Gesetzen gefolgert seyn. Es muß sich nemlich zeigen, daß das Aufsteigen in der Reihe der Ursa- chen (in der Sinnenwelt) niemals bey einer empirischun- bedingten Bedingung endigen koͤnne, und daß das cosmo- logische Argument aus der Zufaͤlligkeit der Weltzustaͤnde, laut ihren Veraͤnderungen, wider die Annehmung einer ersten, und die Reihe schlechthin zuerst anhebenden Ursa- che ausfalle. F f 5 Es ben Bedeutung muß etwas als Bedingung angesehen wer- den, in welcher die Relation des Bedingten zu seiner Be- dingung in der Reihe genommen wurde, die auf diese hoͤchste Bedingung in continuirlichem Fortschritte fuͤhren sollte. Ist nun dieses Verhaͤltniß sinnlich und gehoͤrt zum moͤglichen empirischen Verstandesgebrauch, so kan die oberste Bedingung oder Ursache nur nach Gesetzen der Sinn- lichkeit, mithin nur als zur Zeitreihe gehoͤrig den Regres- sus beschliessen, und das nothwendige Wesen muß als das oberste Glied der Weltreihe angesehen werden. Gleichwol hat man sich die Freiheit genommen, ei- nen solchen Absprung (μεταβασις ἐις ἀλλο γενος) zu thun. Man schloß nemlich aus den Veraͤnderungen in der Welt auf die empirische Zufaͤlligkeit, d. i. die Abhaͤngig- keit derselben von empirischbestimmenden Ursachen und be- kam eine aufsteigende Reihe empirischer Bedingungen, wel- ches auch ganz Recht war. Da man aber hierin keinen ersten Anfang und kein oberstes Glied finden konte, so gieng man ploͤtzlich vom empirischen Begriff der Zufaͤllig- keit ab und nahm die reine Categorie, welche alsdenn eine blos intelligibele Reihe veranlaßte, deren Vollstaͤndigkeit auf dem Daseyn einer schlechthinnothwendigen Ursache be- ruhete, die nunmehr, da sie an keine sinnliche Bedingun- gen gebunden war, auch von der Zeitbedingung, ihre Caussalitaͤt selbst anzufangen, befreiet wurde. Dieses Verfah- ren ist aber ganz widerrechtlich, wie man aus folgenden schliessen kan. Zufaͤllig, im reinen Sinne der Categorie, ist das, dessen contradictorisches Gegentheil moͤglich ist. Nun kan man aus der empirischen Zufaͤlligkeit auf iene intelligibele gar nicht schliessen. Was veraͤndert wird, dessen Gegen- theil Es zeiget sich aber in dieser Antinomie ein seltsamer Contrast: daß nemlich aus eben demselben Beweisgrunde, woraus in der Thesis das Daseyn eines Urwesens geschlos- sen wurde, in der Antithesis das Nichtseyn desselben, und zwar mit derselben Schaͤrfe, geschlossen wird. Erst hieß es: es ist ein nothwendiges Wesen, weil die ganze ver- gangene Zeit die Reihe aller Bedingungen und hiemit also auch das Unbedingte (Nothwendige) in sich faßt; Nun heißt es: es ist kein nothwendiges Wesen, eben darum, weil die ganze verflossene Zeit die Reihe aller Bedingungen (die mithin insgesamt wiederum bedingt seyn) in sich faßt. Die Ursache hievon ist diese. Das erste Argument siehet nur auf die absolute Totalitaͤt der Reihe der Bedingungen, deren eine die andere in der Zeit bestimt, und bekomt dadurch ein Unbedingtes und Nothwendiges. Das zweite zieht dagegen die Zufaͤlligkeit alles dessen, was in der Zeitreihe bestimt ist, in Betrachtung, (weil vor iedem eine Zeit vorhergeht, darin die Bedingung selbst wiederum als be- dingt bestimt seyn muß) wodurch denn alles Unbedingte, und theil (seines Zustandes) ist zu einer andern Zeit wirklich, mithin auch moͤglich, mithin ist dieses nicht das contradi- ctorische Gegentheil des vorigen Zustandes, wozu erfodert wird, daß in derselben Zeit, da der vorige Zustand war, an die Stelle desselben sein Gegentheil haͤtte seyn koͤnnen, welches aus der Veraͤnderung gar nicht geschlossen werden kan. Ein Coͤrper, der in Bewegung war = A , koͤmt in Ruhe = non A . Daraus nun, daß ein entgegenge- sezter Zustand vom Zustande A auf diesen folgt, kan gar nicht geschlossen werden, daß das contradictorische Gegen- theil von A moͤglich, mithin A zufaͤllig sey; denn dazu wuͤrde erfordert werden, daß in derselben Zeit, da die Bewegung war, anstatt derselben die Ruhe habe seyn koͤnnen. Nun wissen wir nichts weiter, als daß die Ruhe in der folgenden Zeit wirklich, mithin auch moͤglich war. Bewegung aber zu einer Zeit, und Ruhe zu einer anderen Zeit sind einan- der nicht contradictorisch entgegengesezt. Also beweiset die Succession entgegengesezter Bestimmungen, d. i. die Ver- aͤnderung, keinesweges die Zufaͤlligkeit nach Begriffen des reinen Verstandes, und kan also auch nicht auf das Da- seyn eines nothwendigen Wesens nach reinen Verstandes- begriffen, fuͤhren. Die Veraͤnderung beweiset nur die empirische Zufaͤlligkeit, d. i. daß der neue Zustand vor sich selbst, ohne eine Ursache, die zur vorigen Zeit gehoͤrt, gar nicht haͤtte statt finden koͤnnen, zu Folge dem Gesetze der Caussalitaͤt. Diese Ursache, und wenn sie auch als schlechthin nothwendig angenommen wird, muß auf diese Art doch in der Zeit angetroffen werden, und zur Reihe der Erscheinungen gehoͤren. Der und alle absolute Nothwendigkeit, gaͤnzlich wegfaͤllt. In- dessen ist die Schlußart in beiden, selbst der gemeinen Menschenvernunft ganz angemessen, welche mehrmalen in den Fall geraͤth, sich mit sich selbst zu entzweien, nach- dem sie ihren Gegenstand aus zwey verschiedenen Stand- puncten erwaͤgt. Herr von Mairan hielt den Streit zweier beruͤhmter Astronomen, der aus einer aͤhnlichen Schwierigkeit uͤber die Wahl des Standpuncts entsprang, vor ein gnugsam merkwuͤrdiges Phaͤnomen, um daruͤber eine besondere Abhandlung abzufassen. Der eine schloß nemlich so: der Mond drehet sich um seine Achse, dar- um, weil er der Erde bestaͤndig dieselbe Seite zukehrt, der andere: der Mond drehet sich nicht um seine Achse, eben darum, weil er der Erde bestaͤndig dieselbe Seite zu- kehrt. Beide Schluͤsse waren richtig, nachdem man den Standpunct nahm, aus dem man die Mondsbewegung beobachten wollte. Dei Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Der Antinomie der reinen Vernunft Dritter Abschnitt. Von dem Interesse der Vernunft bey diesem ihrem Widerstreite. D a haben wir nun das ganze dialectische Spiel der cos- mologischen Ideen, die es gar nicht verstatten, daß ihnen ein congruirender Gegenstand in irgend einer moͤg- lichen Erfahrung gegeben werde, ia nicht einmal, daß die Vernunft sie einstimmig mit allgemeinen Erfahrungsgese- tzen denke, die gleichwol doch nicht willkuͤhrlich erdacht sind, sondern auf welche die Vernunft im continuirlichen Fort- gange der empirischen Synthesis nothwendig gefuͤhrt wird, wenn sie das, was nach Regeln der Erfahrung iederzeit nur bedingt bestimt werden kan, von aller Bedingung be- freien und in seiner unbedingten Totalitaͤt fassen will. Diese vernuͤnftelnde Behauptungen sind so viel Versuche, vier natuͤrliche und unvermeidliche Problemen der Ver- nunft aufzuloͤsen, deren es also nur gerade so viel, nicht mehr auch nicht weniger, geben kan, weil es nicht mehr Reihen synthetischer Voraussetzungen giebt, welche die empirische Synthesis a priori begraͤnzen. Wir haben die glaͤnzende Anmassungen, der ihr Ge- biete uͤber alle Graͤnzen der Erfahrung erweiternden Ver- nunft, nur in trokenen Formeln, welche blos den Grund ihrer III. Absch. Von dem Interesse der Vernunft. ꝛc. ihrer rechtlichen Anspruͤche enthalten, vorgestellt und, wie es einer Transscendental-Philosophie geziemt, diese von allem Empirischen entkleidet, obgleich die ganze Pracht der Vernunftbehauptungen nur in Verbindung mi t demselben hervorleuchten kan. In dieser Anwendung aber, und der fortschreitenden Erweiterung des Vernunftgebrauchs, indem sie von dem Felde der Erfahrungen anhebt, und sich bis zu diesen erhabenen Ideen almaͤhlig hinaufschwingt, zeigt die Philosophie eine Wuͤrde, welche, wenn sie ihre Anmassungen nur behaupten koͤnte, den Werth aller ande- ren menschlichen Wissenschaft weit unter sich lassen wuͤrde, indem sie die Grundlage zu unseren groͤssesten Erwartungen und Aussichten auf die lezten Zwecke, in welchen alle Ver- nunftbemuͤhungen sich endlich vereinigen muͤssen, verheißt. Die Fragen: ob die Welt einen Anfang und irgend eine Graͤnze ihrer Ausdehnung im Raume habe, ob es irgend- wo und vielleicht in meinem denkenden Selbst eine untheil- bare und unzerstoͤrliche Einheit, oder nichts als das Theil- bare und Vergaͤngliche gebe, ob ich in meinen Handlungen frey, oder, wie andere Wesen, an dem Faden der Natur und des Schicksals geleitet sey, ob es endlich eine oberste Weltursache gebe, oder die Naturdinge und deren Ord- nung den lezten Gegenstand ausmachen, bey dem wir in allen unseren Betrachtungen stehen bleiben muͤssen: das sind Fragen, um deren Aufloͤsung der Mathematiker gerne seine ganze Wissenschaft dahin gaͤbe; denn diese kan ihm doch in Ansehung der hoͤchsten und angelegensten Zwecke der Mensch- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Menschheit keine Befriedigung verschaffen. Selbst die eigentliche Wuͤrde der Mathematik (dieses Stolzes der menschlichen Vernunft) beruhet darauf: daß, da sie der Vernunft die Leitung giebt, die Natur im Grossen sowol als im Kleinen in ihrer Ordnung und Regelmaͤßigkeit, im- gleichen in der bewundernswuͤrdigen Einheit der sie bewe- genden Kraͤfte, weit uͤber alle Erwartung der auf gemeine Erfahrung bauenden Philosophie einzusehen, sie dadurch selbst zu dem uͤber alle Erfahrung erweiterten Gebrauch der Vernunft, Anlaß und Aufmunterung giebt, imgleichen die damit beschaͤftigte Weltweisheit mit den vortreflichsten Materialien versorgt, ihre Nachforschung, so viel deren Beschaffenheit es erlaubt, durch angemessene Anschauungen zu unterstuͤtzen. Ungluͤcklicher Weise vor die Speculation (vielleicht aber zum Gluͤck vor die practische Bestimmung des Men- schen) siehet sich die Vernunft, mitten unter ihren groͤs- sesten Erwartungen, in einem Gedraͤnge von Gruͤnden und Gegengruͤnden so befangen, daß, da es sowol ihrer Ehre, als auch sogar ihrer Sicherheit wegen nicht thun- lich ist, sich zuruͤck zu ziehen, und diesem Zwist als einem blossen Spielgefechte gleichguͤltig zuzusehen, noch weniger schlechthin Friede zu gebieten, weil der Gegenstand des Streits sehr interessirt, ihr nichts weiter uͤbrig bleibt, als uͤber den Ursprung dieser Veruneinigung der Vernunft mit sich selbst nachzusinnen, ob nicht etwa ein blosser Miß- verstand daran Schuld sey, nach dessen Eroͤrterung zwar bei- III. Absch. Von dem Interesse der Vernunft. ꝛc. beider Seits stolze Anspruͤche vielleicht wegfallen, aber davor ein dauerhaft ruhiges Regiment der Vernunft uͤber Verstand und Sinne seinen Anfang nehmen wuͤrde. Wir wollen voriezt diese gruͤndliche Eroͤrterung noch etwas aussetzen, und zuvor in Erwegung ziehen: auf wel- che Seite wir uns wol am liebsten schlagen moͤchten, wenn wir etwa genoͤthigt wuͤrden, Parthey zu nehmen. Da wir in diesem Falle, nicht den logischen Probierstein der Wahr- heit, sondern blos unser Interesse befragen, so wird eine solche Untersuchung, ob sie gleich in Ansehung des stritti- gen Rechts beider Theile nichts ausmacht, dennoch den Nutzen haben, es begreiflich zu machen: warum die Theil- nehmer an diesem Streite sich lieber auf die eine Seite, als auf die andere geschlagen haben, ohne daß eben eine vorzuͤgliche Einsicht des Gegenstandes daran Ursache ge- wesen, imgleichen noch andere Nebendinge zu erklaͤren, z. B. die zelotische Hitze des einen und die kalte Behaup- tung des andern Theils, warum sie gerne der einen Par- they freudigen Beifall zuiauchzen, und wider die andere zum voraus, unversoͤhnlich eingenommen sind. Es ist aber etwas, das bey dieser vorlaͤufigen Be- urtheilung den Gesichtspunct bestimt, aus dem sie allein mit gehoͤriger Gruͤndlichkeit angestellet werden kan, und dieses ist die Vergleichung der Principien, von denen beide Theile ausgehen. Man bemerkt unter den Behauptun- gen der Antithesis, eine vollkommene Gleichfoͤrmigkeit der Denkungsart und voͤllige Einheit der Maxime, nemlich G g ein Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. ein Principium des reinen Empirismus, nicht allein in Erklaͤrung der Erscheinungen in der Welt, sondern auch in Aufloͤsung der transscendentalen Ideen, vom Weltall selbst. Dagegen legen die Behauptungen der Thesis, aus- ser der empirischen Erklaͤrungsart innerhalb der Reihe der Erscheinungen, noch intellectuelle Anfaͤnge zum Grunde, und die Maxime ist so fern nicht einfach. Ich will sie aber, von ihrem wesentlichen Unterscheidungsmerkmal, den Dogmatism der reinen Vernunft nennen. Auf der Seite also des Dogmatismus, in Bestim- mung der cosmologischen Vernunftideen, oder der Thesis, zeiget sich zuerst ein gewisses practisches Interesse, woran ieder wolgesinte, wenn er sich auf seinen wahren Vortheil ver- steht, herzlich Theil nimt. Daß die Welt einen Anfang habe, daß mein denkendes Selbst einfacher und daher un- verweslicher Natur, daß dieses zugleich in seinen willkuͤr- lichen Handlungen frey und uͤber den Naturzwang erho- ben sey, und daß endlich die ganze Ordnung der Dinge, welche die Welt ausmachen, von einem Urwesen abstam- me, von welchem alles seine Einheit und zweckmaͤssige Verknuͤpfung entlehnt, das sind so viel Grundsteine der Moral und Religion. Die Antithesis raubt uns alle diese Stuͤtzen, oder scheint wenigstens sie uns zu rauben. Zweitens aͤussert sich auch ein speculatives Inter- esse der Vernunft auf dieser Seite. Denn, wenn man die transscendentale Ideen auf solche Art annimt und ge- braucht, III. Absch. Von dem Interesse der Vernunft ꝛc. braucht, so kan man voͤllig a priori die ganze Kette der Bedingungen fassen, und die Ableitung des Bedingten be- greifen, indem man vom Unbedingten anfaͤngt, welches die Antithesis nicht leistet, die dadurch sich sehr uͤbel em- pfielt, daß sie auf die Frage, wegen der Bedingungen ih- rer Synthesis, keine Antwort geben kan, die nicht ohne Ende immer weiter zu fragen uͤbrig liesse. Nach ihr muß man von einem gegebenen Anfaͤnge zu einem noch hoͤheren aufsteigen, ieder Theil fuͤhrt auf einen noch kleineren Theil, iede Begebenheit hat immer noch eine andere Begebenheit als Ursache uͤber sich, und die Bedingungen des Daseyns uͤberhaupt stuͤtzen sich immer wiederum auf andere, ohne iemals in einem selbststaͤndigen Dinge als Urwesen unbe- dingte Haltung und Stuͤtze zu bekommen. Drittens hat diese Seite auch den Vorzug der Popularitaͤt, der gewiß nicht den kleinesten Theil seiner Empfehlung ausmacht. Der gemeine Verstand findet in den Ideen des unbedingten Anfangs aller Synthesis nicht die mindeste Schwierigkeit, da er ohnedem mehr gewohnt ist, zu den Folgen abwerts zu gehen, als zu den Gruͤnden hinaufzusteigen, und hat in den Begriffen des absolut Er- sten (uͤber dessen Moͤglichkeit er nicht gruͤbelt) eine Ge- maͤchlichkeit und zugleich einen festen Punct, um die Leit- schnur seiner Schritte daran zu knuͤpfen, da er hingegen an dem rastlosen Aufsteigen vom Bedingten zur Bedingung, iederzeit mit einem Fuße in der Luft, gar keinen Wolge- fallen finden kan. G g 2 Auf Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Auf der Seite des Empirismus in Bestimmung der cosmologischen Ideen, oder der Antithesis findet sich erstlich, kein solches practisches Interesse aus reinen Principien der Vernunft, als Moral und Re- ligion bey sich fuͤhren. Vielmehr scheinet der blosse Em- pirism beiden alle Kraft und Einfluß zu benehmen. Wenn es kein von der Welt unterschiedenes Urwesen giebt, wenn die Welt ohne Anfang und also auch ohne Urheber, unser Wille nicht frey und die Seele von gleicher Theilbarkeit und Verweslichkeit mit der Materie ist, so verliehren auch die moralische Ideen und Grundsaͤtze alle Guͤltigkeit, und fallen mit den transscendentalen Ideen, welche ihre theo- retische Stuͤtze ausmachten. Dagegen bietet aber der Empirism dem specula- tiven Interesse der Vernunft Vortheile an, die sehr an- lockend seyn und dieienige weit uͤbertreffen, die der dog- matische Lehrer der Vernunftideen versprechen mag. Nach ienem ist der Verstand iederzeit auf seinem eigenthuͤmlichen Boden, nemlich dem Felde von lauter moͤglichen Erfah- rungen, deren Gesetze er nachspuͤhren und vermittelst der- selben er seine sichere und faßliche Erkentniß ohne Ende erweitern kan. Hier kan und soll er den Gegenstand, so wol an sich selbst, als in seinen Verhaͤltnissen, der An- schauung darstellen, oder doch in Begriffen, deren Bild in gegebenen aͤhnlichen Anschauungen klar und deutlich vorgelegt werden kan. Nicht allein, daß er nicht noͤthig hat, diese Kette der Naturordnung zu verlassen, um sich an III. Absch. Von dem Interesse der Vernunft ꝛc. an Ideen zu haͤngen, deren Gegenstaͤnde er nicht kent, weil sie als Gedankendinge niemals gegeben werden koͤnnen, sondern es ist ihm nicht einmal erlaubt, sein Geschaͤfte zu verlassen und unter dem Vorwande, es sey nunmehr zu Ende gebracht, in das Gebiete der idealisirenden Vernunft und zu transscendenten Begriffen uͤber zu gehen, wo er nicht weiter noͤthig hat zu beobachten und den Naturgese- tzen gemaͤß zu forschen, sondern nur zu denken und zu dichten, sicher, daß er nicht durch Thatsachen der Natur widerlegt werden koͤnne, weil er an ihr Zeugniß eben nicht gebunden ist, sondern sie vorbeigehen, oder sie so gar selbst einem hoͤheren Ansehen, nemlich dem der reinen Vernunft, unterordnen darf. Der Empirist wird es daher niemals erlauben, ir- gend eine Epoche der Natur vor die schlechthinerste an- zunehmen, oder irgend eine Graͤnze seiner Aussicht in den Umfang derselben als die aͤusserste anzusehen, noch von den Gegenstaͤnden der Natur, die er durch Beobachtung und Mathematik aufloͤsen und in der Anschauung synthe- tisch bestimmen kan, (dem Ausgedehnten) zu denen uͤber- zugehen, die weder Sinn, noch Einbildungskraft iemals in concreto darstellen kan (dem Einfachen), noch einraͤu- men: daß man selbst in der Natur ein Vermoͤgen, un- abhaͤngig von Gesetzen der Natur zu wirken, (Freiheit), zum Grunde lege und dadurch d em Verstande sein Ge- schaͤfte schmaͤlere, an dem Leitfaden nothwendiger Regeln dem Entstehen der Erscheinungen nachzuspuͤhren, noch G g 3 end- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. endlich zugeben: daß man irgend wozu die Ursache ausser- halb der Natur suche, (Urwesen) weil wir nichts weiter, als diese kennen, indem sie es allein ist, welche uns Ge- genstaͤnde darbietet, und von ihren Gesetzen unterrichten kan. Zwar, wenn der empirische Philosoph mit seiner Antithese keine andere Absicht hat: als den Vorwitz und die Vermessenheit, der ihre wahre Bestimmung verken- nenden Vernunft, niederzuschlagen, welche mit Einsicht und Wissen groß thut, da wo eigentlich Einsicht und Wissen aufhoͤren, und das, was man in Ansehung des practischen Interesse gelten laͤßt, vor eine Befoͤrderung des speculativen Interesse ausgeben will, um, wo es ihrer Gemaͤchlichkeit zutraͤglich ist, den Faden physischer Unter- suchungen abzureissen, und mit einem Vorgeben von Er- weiterung der Erkentniß, ihn an transscendentale Ideen zu knuͤpfen, durch die man eigentlich nur erkent, daß man nichts wisse, wenn, sage ich, der Empirist sich hie- mit begnuͤgete, so wuͤrde sein Grundsatz eine Maxime der Maͤssigung in Anspruͤchen, der Bescheidenheit in Behaup- tungen und zugleich der groͤssest moͤglichen Erweiterung un- seres Verstandes, durch den eigentlich uns vorgesezten Leh- rer, nemlich die Erfahrung, seyn. Denn, in solchem Falle, wuͤrden uns intellectuelle Voraussetzungen und Glaube, zum Beh uf unserer practischen Angelegenheit nicht genommen werden, nur koͤnte man sie nicht unter dem Titel und dem Pompe von Wissenschaft und Vernunft- ein- III. Absch. Von dem Interesse der Vernunft ꝛc. einsicht auftreten lassen; weil das eigentliche speculative Wissen uͤberall keinen anderen Gegenstand, als den der Erfahrung treffen kan und, wenn man ihre Graͤnze uͤber- schreitet, die Synthesis, welche neue und von iener unab- haͤngige Erkentnisse versucht, kein Substratum der An- schauung hat, an welchem sie ausgeuͤbt werden koͤnte. So aber, wenn der Empirismus in Ansehung der Ideen (wie es mehrentheils geschieht) selbst dogmatisch wird und dasienige dreust verneinet, was uͤber der Sphaͤ- re seiner anschauenden Erkentnisse ist, so faͤllt er selbst in den Fehler der Unbescheidenheit, der hier um desto tadel- hafter ist, weil dadurch dem practischen Interesse der Ver- nunft ein unersetzlicher Nachtheil verursachet wird. Dies ist der Gegensatz des Epicureisms Es ist indessen noch die Frage, ob Epicur diese Grund- saͤtze als obiective Behauptungen iemals vorgetragen ha- be? Wenn sie etwa weiter nichts, als Maximen des speculativen Gebrauchs der Vernunft waren, so zeigte er daran einen aͤchteren philosophischen Geist, als irgend einer der Weltweisen des Alterthums: daß man in Er- klaͤrung der Erscheinungen so zu Werke gehen muͤsse, als ob das Feld der Untersuchung durch keine Graͤnze oder Anfang der Welt abgeschnitten sey, den Stoff der Welt so annehmen, wie er seyn muß, wenn wir von ihm durch Erfahrung belehrt werden wollen, daß keine andere Er- zeugung der Begebenheiten, als wie sie durch unveraͤn- derliche Naturgesetze bestimt werden, und endlich keine von der Weit unterschiedene Ursache muͤsse gebraucht wer- den, gegen den Platonism. G g 4 Ein Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Ein ieder von beiden sagt mehr als er weiß, doch so: daß der erstere das Wissen, obzwar zum Nachtheile des Practischen aufmuntert und befoͤrdert, der zweite zwar zum Practischen vortrefliche Principien an die Hand giebt, aber eben dadurch in Ansehung alles dessen, worin uns allein ein speculatives Wissen vergoͤnnet ist, der Ver- nunft erlaubt, idealischen Erklaͤrungen der Naturerschei- nungen nachzuhaͤngen und daruͤber die physische Nachfor- schung zu verabsaͤumen. Was endlich das dritte Moment, worauf bey der vorlaͤufigen Wahl zwischen beiden strittigen Theilen gese- hen werden kan, anlangt: so ist es uͤberaus befremdlich, daß der Empirismus aller Popularitaͤt gaͤnzlich zuwider ist, ob man gleich glauben sollte, der gemeine Verstand werde einen Entwurf begierig aufnehmen, der ihn durch nichts als Erfahrungserkentnisse und deren vernunftmaͤßigen Zu- sammenhang zu befriedigen verspricht, an statt daß die transscendentale Dogmatik ihn noͤthigt, zu Begriffen hin- aufzusteigen, welche die Einsicht und das Vernunftvermoͤ- gen der im Denken geuͤbtesten Koͤpfe weit uͤbersteigen. Aber den, sind noch iezt sehr richtige aber wenig beobachtete Grundsaͤtze, die speculative Philosophie zu erweitern, so wie auch die Principien der Moral, unabhaͤngig von fremden Huͤlfsquellen auszufinden, ohne daß darum der- ienige, welcher verlangt, iene dogmatische Saͤtze, so lange als wir mit der blossen Speculation beschaͤftigt sind, zu ignoriren, darum beschuldigt werden darf, er wolle sie laͤugnen. III. Absch. Von dem Interesse der Vernunft ꝛc. Aber eben dieses ist sein Bewegungsgrund. Denn er be- findet sich alsdenn in einem Zustande, in welchem sich auch der Gelehrteste uͤber ihn nichts herausnehmen kan. Wenn er wenig oder nichts davon versteht, so kan sich doch auch niemand ruͤhmen, viel Mehr davon zu verstehen und, ob er gleich hieruͤber nicht so schulgerecht, als andere sprechen kan, so kan er doch daruͤber unendlich mehr vernuͤnfteln, weil er unter lauter Ideen herumwandelt, uͤber die man eben darum am beredtsten ist, weil man davon nichts weiß; anstatt, daß er uͤber der Nachforschung der Natur ganz verstummen und seine Unwissenheit gestehen muͤßte. Gemaͤchlichkeit und Eitelkeit also sind schon eine starke Em- pfehlung dieser Grundsaͤtze. Ueberdem, ob es gleich einem Philosophen sehr schwer wird, etwas als Grundsatz anzu- nehmen, ohne deshalb sich selbst Rechenschaft geben zu koͤn- nen, noch weniger Begriffe, deren obiective Realitaͤt nicht eingesehen werden kan, einzufuͤhren: so ist doch dem ge- meinen Verstande nichts gewoͤhnlicher. Er will etwas haben, womit er zuversichtlich anfangen koͤnne. Die Schwierigkeit, eine solche Voraussetzung selbst zu begrei- fen, beunruhigt ihn nicht, weil sie ihm, (der nicht weiß, was Begreiffen heißt,) niemals in den Sinn komt, und er haͤlt das vor bekant, was ihm durch oͤfteren Gebrauch gelaͤufig ist. Zulezt aber verschwindet alles speculative In- teresse bey ihm vor dem practischen, und er bildet sich ein, das einzusehen und zu wissen, was anzunehmen oder zu glauben, ihn seine Besorgnisse oder Hoffnungen antreiben. G g 5 So Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. So ist der Empirismus der transscendental-idealisirenden Vernunft aller Popularitaͤt gaͤnzlich beraubt und, so viel Nachtheiliges wider die oberste practische Grundsaͤtze sie auch enthalten mag, so ist doch gar nicht zu besorgen: daß sie die Graͤnzen der Schule iemals uͤberschreiten und im gemeinen Wesen ein, nur einiger massen betraͤchtliches, An- sehen und einige Gunst bey der grossen Menge erwerben werde. Die menschliche Vernunft ist ihrer Natur nach archi- tectonisch, d. i. sie betrachtet alle Erkentnisse, als gehoͤrig zu einem moͤglichen System, und verstattet daher auch nur solche Principien, die eine vorhabende Erkentniß we- nigstens nicht unfaͤhig machen, in irgend einem System mit anderen zusammen zu stehen. Die Saͤtze der Anti- thesis sind aber von der Art: daß sie die Vollendung eines Gebaͤudes von Erkentnissen gaͤnzlich unmoͤglich machen. Nach ihnen giebt es uͤber einen Zustand der Welt immer einen noch aͤlteren, in iedem Theile immer noch andere wiederum theilbare, vor ieder Begebenheit eine andere, die wiederum eben so wol anderweitig erzeugt war, und im Daseyn uͤberhaupt alles immer nur bedingt, ohne ir- gend ein unbedingtes und erstes Daseyn anzuerkennen. Da also die Antithesis nirgend ein Erstes einraͤumt und keinen Anfang, der schlechthin zum Grunde des Baues dienen koͤnte, so ist ein vollstaͤndiges Gebaͤude der Erkent- niß, bey dergleichen Voraussetzungen, gaͤnzlich unmoͤglich. Daher III. Absch. Von dem Interesse der Vernunft ꝛc. Daher fuͤhrt das architectonische Interesse der Vernunft (welches nicht empirische, sondern reine Vernunfteinheit a priori fodert) eine natuͤrliche Empfehlung vor die Be- hauptungen der Thesis bey sich. Koͤnte sich aber ein Mensch von allem Interesse los- sagen, und die Behauptungen der Vernunft, gleichguͤltig gegen alle Folgen, blos nach dem Gehalte ihrer Gruͤnde in Betrachtung ziehen: so wuͤrde ein solcher, gesezt daß er keinen Ausweg wuͤßte, anders aus dem Gedraͤnge zu kommen, als daß er sich zu einer, oder andern der stritti- gen Lehren bekennete, in einem unaufhoͤrlich schwankenden Zustande seyn. Heute wuͤrde es ihm uͤberzeugend vorkom- men: der menschliche Wille sey frey; Morgen, wenn er die unaufloͤsliche Naturkette in Betrachtung zoͤge, wuͤr- de er davor halten: die Freiheit sey nichts als Selbsttaͤu- schung und alles sey blos Natur . Wenn es nun aber zum Thun und Handeln kaͤme, so wuͤrde dieses Spiel der blos speculativen Vernunft, wie Schattenbilder eines Traums, verschwinden und er wuͤrde seine Principien blos nach dem practischen Interesse waͤhlen. Weil es aber doch einem nachdenkenden und forschenden Wesen anstaͤndig ist, gewisse Zeiten lediglich der Pruͤfung seiner eigenen Ver- nunft zu widmen, hiebey aber alle Partheylichkeit gaͤnzlich auszuziehen, und so seine Bemerkungen anderen zur Be- urtheilung oͤffentlich mitzutheilen: so kan es niemanden verargt, noch weniger verwehrt werden, die Saͤtze und Gegen- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Gegensaͤtze, so wie sie sich, durch keine Drohung geschreckt, vor Geschworenen von seinem eigenen Stande (nemlich dem Stande schwacher Menschen) vertheidigen koͤnnen, auftreten zu lassen. Der Antinomie der reinen Vernunft Vierter Abschnitt. Von den Transscendentalen Aufgaben der reinen Vernunft, in so fern sie schlechterdings muͤssen aufgeloͤset werden koͤnnen. A lle Aufgaben aufloͤsen und alle Fragen beantworten zu wollen, wuͤrde eine unverschaͤmte Großsprecherey und ein so ausschweifender Eigenduͤnkel seyn, daß man dadurch sich sofort um alles Zutrauen bringen muͤßte. Gleichwol giebt es Wissenschaften, deren Natur es so mit sich bringt, daß eine iede darin vorkommende Frage, aus dem was man weiß, schlechthin beantwortlich seyn muß, weil die Antwort aus denselben Quellen entspringen muß, daraus die Frage entspringt, und wo es keinesweges er- laubt ist, unvermeidliche Unwissenheit vorzuschuͤtzen, son- dern die Aufloͤsung gefodert werden kan. Was in allen moͤglichen Faͤllen Recht oder Unrecht sey, muß man der Regel nach wissen koͤnnen, weil es unsere Verbindlichkeit betrift und wir zu dem, was wir nicht wissen koͤnnen, auch keine Verbindlichkeit haben. In der Erklaͤrung der Er- IV. Absch. Von der Aufloͤsung aller Aufgaben ꝛc. Erscheinungen der Natur muß uns indessen vieles unge- wiß und manche Frage unaufloͤslich bleiben, weil das, was wir von der Natur wissen, zu dem, was wir erklaͤren sollen, bey weitem nicht in allen Faͤllen zureichend ist. Es fraͤgt sich nun: ob in der Transscendentalphilosophie irgend eine Frage, die ein der Vernunft vorgelegtes Ob- iect betrift, durch eben diese reine Vernunft unbeantwort- lich sey und ob man sich ihrer entscheidenden Beantwortung dadurch mit Recht entziehen koͤnne, daß man’es, als schlecht- hin ungewiß (aus allen dem, was wir erkennen koͤnnen) demienigen beyzaͤhlt, wovon wir zwar so viel Begriff haben, um eine Frage aufzuwerfen, es uns aber gaͤnzlich an Mitteln oder am Vermoͤgen fehlt, sie iemals zu beant- worten. Ich behaupte nun, daß die Transscendentalphiloso- phie unter allem speculativen Erkentniß dieses Eigenthuͤm- liche habe: daß gar keine Frage, welche einen der reinen Vernunft gegebenen Gegenstand betrift, vor eben dieselbe menschliche Vernunft unaufloͤslich sey und daß kein Vor- schuͤtzen einer unvermeidlichen Unwissenheit und unergruͤnd- licher Tiefe der Aufgabe von der Verbindlichkeit frey spre- chen koͤnne, sie gruͤndlich und vollstaͤndig zu beantworten; weil eben derselbe Begriff, der uns in den Stand sezt zu fragen, durchaus uns auch tuͤchtig machen muß, auf diese Frage zu antworten, indem der Gegenstand ausser dem Begriffe gar nicht angetroffen wird (wie bey Recht und Unrecht). Es Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Es sind aber in der Transscendentalphilosophie keine andere, als nur die cosmologische Fragen, in Ansehung deren man mit Recht eine genugthuende Antwort, die die Beschaffenheit des Gegenstandes betrift, fodern kan, ohne daß dem Philosophen erlaubt ist, sich derselben da- durch zu entziehen, daß er undurchdringliche Dunkelheit vorschuͤtzt, und diese Fragen koͤnnen nur cosmologische Ideen betreffen. Denn der Gegenstand muß empirisch gegeben seyn und die Frage geht nur auf die Angemessen- heit desselben mit einer Idee. Ist der Gegenstand trans- scendental und also selbst unbekant, z. B. ob das Etwas, dessen Erscheinung (in uns selbst) das Denken ist (Seele) ein an sich einfaches Wesen sey, ob es eine Ursache aller Dinge insgesamt gebe. die schlechthin nothwendig ist u. s. w., so sollen wir zu unserer Idee einen Gegenstand suchen, von welchem wir gestehen koͤnnen, daß er uns unbekant, aber deswegen doch nicht unmoͤglich sey Man kan zwar auf die Frage, was ein transscenden- taler Gegenstand vor eine Beschaffenheit habe, keine Ant- wort geben, nemlich was er sey, aber wol daß die Fra- ge selbst nichts sey, darum, weil kein Gegenstand dersel- ben gegeben worden. Daher sind alle Fragen der trans- scendentalen Seelenlehre auch beantwortlich und wirklich beantwortet; denn sie betreffen das transsc. Subiect aller in- neren Erscheinungen, welches selbst nicht Erscheinung ist und also nicht als Gegenstand gegeben ist, und worauf keine der Categorien (auf welche doch eigentlich die Frage ge- stellt . Die cosmo- logi- IV. Absch. Von der Aufloͤsung aller Aufgaben ꝛc. logische Ideen haben allein das Eigenthuͤmliche an sich, daß sie ihren Gegenstand und die zu dessen Begriff erfoderliche empirische Synthesis, als gegeben voraussetzen koͤnnen und die Frage, die aus ihnen entspringt, betrift nur den Fortgang dieser Synthesis, so fern er absolute Totalitaͤt enthalten soll, welche leztere nichts Empirisches mehr ist, indem sie in keiner Erfahrung gegeben werden kan. Da nun hier lediglich von einem Dinge als Gegenstande einer moͤglichen Erfahrung und nicht als einer Sache an sich selbst die Rede ist, so kan die Beantwortung der trans- scendenten cosmologischen Frage, ausser der Idee sonst nir- gend liegen, denn sie betrift keinen Gegenstand an sich selbst, und in Ansehung der moͤglichen Erfahrung so wird nicht nach demienigen gefragt, was in concreto in irgend einer Erfahrung gegeben werden kan, sondern was in der Idee liegt, der sich die empirische Synthesis blos naͤhern soll: also muß sie aus der Idee allein aufgeloͤset werden koͤnnen; denn diese ist ein blosses Geschoͤpf der Vernunft, welche also die Verantwortung nicht von sich abweisen und auf den unbekanten Gegenstand schieben kan. Es stellt ist) Bedingungen ihrer Anwendung antreffen. Also ist hier der Fall, da der gemeine Ausdruck gilt: daß keine Antwort auch eine Antwort sey, nemlich daß eine Frage nach der Beschaffenheit desienigen Etwas, was durch kein bestimtes Praͤdicat gedacht werden kan, weil es gaͤnzlich ausser der Sphaͤre der Gegenstaͤnde gesezt wird, die uns gegeben werden koͤnnen, gaͤnzlich nichtig und leer sey. Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Es ist nicht so ausserordentlich, als es anfangs scheint: daß eine Wissenschaft in Ansehung aller in ihren Inbegriff gehoͤrigen Fragen ( quæstiones domesticæ ) lauter gewisse Aufloͤsungen fodern und erwarten koͤnne, ob sie gleich zur Zeit noch vielleicht nicht gefunden sind. Ausser der Trans- scendentalphilosophie giebt es noch zwey reine Vernunftwis- senschaften, eine, blos speculativen, die andere practischen Inhalts: reine Mathematik und reine Moral . Hat man wol iemals gehoͤrt: daß, gleichsam wegen einer nothwendigen Unwissenheit der Bedingungen, es vor un- gewiß sey ausgegeben worden, welches Verhaͤltniß der Durchmesser zum Kreise ganz genau in Rational- oder Ir- rationalzahlen habe. Da es durch erstere gar nicht con- gruent gegeben werden kan, durch die zweite aber noch nicht gefunden ist, so urtheilte man: daß wenigstens die Unmoͤglichkeit solcher Aufloͤsung mit Gewißheit erkant wer- den koͤnne und Lambert gab einen Beweis davon. In den allgemeinen Principien der Sitten kan nichts Ungewisses seyn, weil die Saͤtze entweder ganz und gar nichtig und sinnleer sind, oder blos aus unseren Vernunftbegriffen fliessen muͤssen. Dagegen giebt es in der Naturkunde eine Unendlichkeit von Vermuthungen, in Ansehung deren niemals Gewißheit erwartet werden kan, weil die Natur- erscheinungen Gegenstaͤnde sind, die uns unabhaͤngig von un- seren Begriffen gegeben werden, zu denen also der Schluͤssel nicht in uns und unserem reinen Denken, sondern ausser uns liegt und eben darum in vielen Faͤllen nicht aufgefunden, mit- IV. Absch. Von der Aufloͤsung der Aufgaben ꝛc. mithin kein sicherer Aufschluß erwartet werden kan. Ich rechne die Fragen der transscendentalen Analytik, welche die Deduction unserer reinen Erkentniß betreffen, nicht hieher, weil wir iezt nur von der Gewißheit der Urtheile in Ansehung der Gegenstaͤnde und nicht in Ansehung des Ursprungs unserer Begriffe selbst handeln. Wir werden also der Verbindlichkeit einer wenigstens critischen Aufloͤsung der vorgelegten Vernunftfragen dadurch nicht ausweichen koͤnnen: daß wir uͤber die enge Schran- ken unserer Vernunft Klagen erheben, und mit dem Schei- ne einer demuthsvollen Selbsterkentniß, bekennen: es sey uͤber unsere Vernunft, auszumachen, ob die Welt von Ewigkeit her sey, oder einen Anfang habe; ob der Welt- raum ins Unendliche mit Wesen erfuͤllet, oder innerhalb gewissen Graͤnzen eingeschlossen sey; ob irgend in der Welt etwas einfach sey, oder ob alles ins Unendliche getheilt werden muͤsse; ob es eine Erzeugung und Hervorbringung aus Freiheit gebe, oder ob alles an der Kette der Natur- ordnung haͤnge; endlich ob es irgend ein gaͤnzlich unbedingt und an sich nothwendiges Wesen gebe, oder ob alles seinem Daseyn nach bedingt und mithin aͤusserlich abhaͤngend und an sich zufaͤllig sey. Denn alle diese Fragen betreffen ei- nen Gegenstand, der nirgend anders, als in unseren Ge- danken gegeben werden kan, nemlich die schlechthin unbe- dingte Totalitaͤt der Synthesis der Erscheinungen. Wenn wir daruͤber aus unseren eigenen Begriffen nichts gewisses H h sagen Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. sagen und ausmachen koͤnnen, so duͤrfen wir nicht die Schuld auf die Sache schieben, die sich uns verbirgt; denn es kan uns dergleichen Sache (weil sie ausser unserer Idee nirgends angetroffen wird) gar nicht gegeben werden, sondern wir muͤssen die Ursache in unserer Idee selbst su- chen, welche ein Problem ist, das keine Aufloͤsung verstat- tet und wovon wir doch hartnaͤckigt annehmen, als entspreche ihr ein wirklicher Gegenstand. Eine deutlich Darlegung der Dialectik, die in unserem Begriffe selbst liegt, wuͤrde uns bald zur voͤlligen Gewißheit bringen, von dem, was wir in Ansehung einer solchen Frage zu urtheilen haben. Man kan eurem Vorwande der Ungewißheit in Anse- hung dieser Probleme zuerst diese Frage entgegensetzen, die ihr wenigstens deutlich beantworten muͤsset: Woher kommen euch die Ideen, deren Aufloͤsung euch hier in solche Schwierigkeit verwickelt? Sind es etwa Erscheinungen, deren Erklaͤrung ihr beduͤrft und wovon ihr, zufolge dieser Ideen, nur die Principien, oder die Regel ihrer Exposition zu suchen habt? Nehmet an, die Natur sey ganz vor euch aufge- dekt; euren Sinnen, und dem Bewustseyn alles dessen, was eurer Anschauung vorgelegt ist, sey nichts verborgen: so werdet ihr doch durch keine einzige Erfahrung den Ge- genstand eurer Ideen in concreto erkennen koͤnnen (denn es wird, ausser dieser vollstaͤndigen Anschauung, noch eine vollendete Synthesis und das Bewustseyn ihrer absoluten Tota- IV. Absch. Von der Aufloͤsung der Aufgaben ꝛc. Totalitaͤt erfodert, welches durch gar kein empirisches Er- kentniß moͤglich ist), mithin kan eure Frage keinesweges zur Erklaͤrung von irgend einer vorkommenden Erscheinung nothwendig und also gleichsam durch den Gegenstand selbst aufgegeben seyn. Denn der Gegenstand kan euch niemals vorkommen, weil er durch keine moͤgliche Erfahrung gege- ben werden kan. Ihr bleibt mit allen moͤglichen Wahr- nehmungen immer unter Bedingungen, es sey im Rau- me, oder in der Zeit, befangen und komt an nichts Unbe- dingtes, um auszumachen, ob dieses Unbedingte in einem absoluten Anfange der Synthesis, oder einer absoluten To- talitaͤt der Reihe, ohne allen Anfang, zu setzen sey. Das All aber in empirischer Bedeutung ist iederzeit nur comparativ. Das absolute All der Groͤsse (das Weltall), der Theilung, der Abstammung, der Bedingung des Daseyns uͤberhaupt, mit allen Fragen: ob es durch endliche, oder ins unend- liche fortzusetzende Synthesis zu Stande zu bringen sey, gehet keine moͤgliche Erfahrung etwas an. Ihr wuͤrdet z. B. die Erscheinungen eines Coͤrpers nicht im mindesten besser, oder auch nur anders erklaͤren koͤnnen, ob ihr an- nehmet, er bestehe aus einfachen, oder durchgehends im- mer aus zusammengesezten Theilen; denn es kan euch kei- ne einfache Erscheinung und eben so wenig auch eine un- endliche Zusammensetzung, iemals vorkommen. Die Er- scheinungen verlangen nur erklaͤrt zu werden, so weit ihre Erklaͤrungsbedingungen in der Wahrnehmung gegeben sind, alles aber, was iemals an ihnen gegeben werden mag, in H h 2 einem Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. einem absoluten Ganzen zusammengenommen, ist selbst eine Wahrnehmung. Dieses All aber ist es eigentlich, dessen Erklaͤrung in den transscendentalen Vernunftaufgaben ge- fodert wird. Da also selbst die Aufloͤsung dieser Aufgaben niemals in der Erfahrung vorkommen kan, so koͤnnet ihr nicht sagen: daß es ungewiß sey, was hieruͤber dem Gegen- stande beyzulegen sey. Denn euer Gegenstand ist blos in eu- rem Gehirne und kan ausser demselben gar nicht gegeben werden, daher ihr nur davor zu sorgen habt, mit euch selbst einig zu werden und die Amphibolie zu verhuͤten, die eure Idee zu einer vermeintlichen Vorstellung eines empirisch Gegebenen und also auch nach Erfahrungsgese- tzen zu erkennenden Obiects macht. Die dogmatische Aufloͤsung ist also nicht etwa ungewiß, sondern unmoͤg- lich. Die critische aber, welche voͤllig gewiß seyn kan, betrachtet die Frage gar nicht obiectiv, sondern nach dem Fundamente der Erkentniß, worauf sie gegruͤndet ist. Der V. Absch. Sceptische Vorstellung aller cosmol. ꝛc. Der Antinomie der reinen Vernunft Fuͤnfter Abschnitt. Sceptische Vorstellung der cosmologischen Fragen durch alle vier transscendentale Ideen . W ir wuͤrden von der Foderung gern abstehen, unsere Fragen dogmatisch beantwortet zu sehen, wenn wir schon zum voraus begriffen: die Antwort moͤchte ausfallen, wie sie wolte, so wuͤrde sie unsere Unwissenheit nur noch vermehren und uns aus einer Unbegreiflichkeit in eine andere, aus einer Dunkelheit in eine noch groͤssere und vielleicht gar in Widerspruͤche stuͤrzen. Wenn unsere Frage blos auf Beiahung oder Berneinung gestellt ist, so ist es kluͤglich gehandelt, die vermuthliche Gruͤnde der Beantwortung vor der Hand dahin gestellt seyn zu lassen und zuvoͤrderst in Erwaͤgung zu ziehen, was man denn gewinnen wuͤrde, wenn die Antwort auf die eine und was, wenn sie auf der Gegenseite ausfiele. Trift es sich nun: daß in beiden Faͤllen lauter Sinnleeres (Nonsens) her- auskoͤmt, so haben wir eine gegruͤndete Auffoderung unsere Frage selbst critisch zu untersuchen, und zu sehen: ob sie nicht selbst auf einer grundlosen Voraussetzung beruhe und mir einer Idee spiele, die ihre Falschheit, besser in der Anwendung und durch ihre Folgen, als in der abgeson- derten Vorstellung verraͤth. Das ist der grosse Nutzen, H h 3 den Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. den die sceptische Art hat, die Fragen zu behandeln, welche reine Vernunft an reine Vernunft thut, und wodurch man eines grossen dogmatischen Wustes mit wenig Aufwand uͤberhoben seyn kan, um an dessen Statt eine nuͤchterne Cri- tik zu setzen, die, als ein wahres Catarcticon, den Wahn zusamt seinem Gefolge, der Vielwisserey, gluͤcklich abfuͤh- ren wird. Wenn ich demnach von einer cosmologischen Idee zum voraus einsehen koͤnte, daß, auf welche Seite des Unbedingten der regressiven Synthesis der Erscheinungen sie sich auch schluͤge, so wuͤrde sie doch vor einen ieden Verstandesbegriff entweder zu groß oder zu klein seyn, so wuͤrde ich begreifen: daß, da iene doch es nur mit einem Gegenstande der Erfahrung zu thun hat, welche einem moͤglichen Verstandesbegriffe angemessen seyn soll, sie ganz leer und ohne Bedeutung seyn muͤsse, weil ihr der Gegen- stand nicht anpaßt, ich mag ihn derselben bequemen, wie ich will. Und dieses ist wirklich der Fall mit allen Welt- begriffen, welche auch, eben um deswillen, die Vernunft, so lange sie ihnen anhaͤngt, in eine unvermeidliche Anti- nomie verwickeln. Denn nehmt Erstlich an: die Welt habe keinen Anfang, so ist sie vor euren Begriff zu groß; denn dieser, welcher in einem successiven Regressus besteht, kan die ganze ver- flossene Ewigkeit niemals erreichen. Setzet: sie habe einen Anfang, so ist sie wiederum vor euren Verstandes- begriff, in dem nothwendigen empirischen Regressus zu klein. V. Absch. Sceptische Vorstellung aller cosmol. ꝛc. klein. Denn, weil der Anfang noch immer eine Zeit, die vorhergeht, voraussezt, so ist er noch nicht unbedingt, und das Gesetz des empirischen Gebrauchs des Verstandes legt es euch auf, noch nach einer hoͤheren Zeitbedingung zu fragen, und die Welt ist also offenbar vor dieses Gesetz zu klein. Eben so ist es mit der doppelten Beantwortung der Frage, wegen der Weltgroͤsse, dem Raum nach, bewandt. Denn ist sie unendlich und unbegraͤnzt, so ist sie vor al- len moͤglichen empirischen Begriff zu groß. Ist sie end- lich und begraͤnzt, so fragt ihr mit Recht noch, was be- stimt diese Graͤnze? Der leere Raum ist nicht ein vor sich bestehendes Correlatum der Dinge und kan keine Bedin- gung seyn, bey der ihr stehen bleiben koͤnnet, noch viel weniger eine empirische Bedingung, die einen Theil einer moͤglichen Erfahrung ausmachte (denn wer kan eine Er- fahrung vom Schlechthinleeren haben). Zur absoluten Totalitaͤt aber der empirischen Synthesis wird iederzeit er- fodert, daß das Unbedingte ein Erfahrungsbegriff sey. Al- so ist eine begraͤnzte Welt vor euren Begriff zu klein. Zweitens, besteht iede Erscheinung im Raume (Ma- terie) aus unendlich viel Theilen, so ist der Regressus der Theilung vor euren Begriff iederzeit zu groß, und soll die Theilung des Raumes irgend bey einem Gliede derselben (dem Einfachen) aufhoͤren , so ist er vor die Idee des Un- bedingten zu klein. Denn dieses Glied laͤßt noch immer H h 4 einen Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. einen Regressus zu mehreren in ihm enthaltenen Theilen uͤbrig. Drittens, nehmet ihr an: in allem, was in der Welt geschieht, sey nichts, als Erfolg nach Gesetzen der Natur , so ist die Caussalitaͤt der Ursache immer wiederum etwas, das geschieht, und euren Regressus zu noch hoͤhe- rer Ursache, mithin die Verlaͤngerung der Reihe von Be- dingungen a parte priori ohne Aufhoͤren nothwendig macht. Die blosse wirkende Natur ist also vor allen euren Begriff, in der Synthesis der Weltbegebenheiten, zu groß. Waͤhlt ihr, hin und wieder, von selbst gewirkte Begebenheiten, mithin Erzeugung aus Freiheit: so ver- folgt euch das Warum nach einem unvermeidlichen Natur- gesetze, und noͤthigt euch, uͤber diesen Punct nach dem Caus- salgesetze der Erfahrung hinaus zu gehen, und ihr findet, daß dergleichen Totalitaͤt der Verknuͤpfung vor euren noth- wendigen empirischen Begriff zu klein ist. Viertens . Wenn ihr ein schlechthin nothwendi- ges Wesen (es sey die Welt selbst oder Etwas in der Welt oder die Weltursache) annehmt: so sezt ihr es in eine, von iedem gegebenen Zeitpunct unendlich entfernte Zeit; weil es sonst von einem anderen und aͤlteren Daseyn ab- haͤngend seyn wuͤrde. Alsdenn ist aber diese Existenz vor euren empirischen Begriff unzugaͤnglich und zu groß, als daß ihr iemals durch irgend einen fortgesetzten Regressus dazu gelangen koͤntet. Ist V. Absch. Seeptische Vorstellung aller cosmol. ꝛc. Ist aber, eurer Meinung nach, alles, was zur Welt (es sey als Bedingt oder als Bedingung) gehoͤret, zu- faͤllig: so ist iede euch gegebene Existenz vor euren Begriff zu klein. Denn sie noͤthigt euch, euch noch immer nach ei- ner andern Existenz umzusehen, von der sie abhaͤngig ist. Wir haben in allen diesen Faͤllen gesagt: daß die Weltidee vor den empirischen Regressus, mithin ieden moͤglichen Verstandesbegriff entweder zu groß, oder auch vor denselben zu klein sey. Warum haben wir uns nicht umgekehrt ausgedruͤckt und gesagt: daß, im ersteren Falle, der empirische Begriff vor die Idee iederzeit zu klein, im zweiten aber zu groß sey und mithin gleichsam die Schuld auf dem empirischen Regressus hafte, an statt, daß wir die cosmologische Idee anklageten, daß sie im Zuviel oder Zuwenig von ihrem Zwecke, nemlich der moͤglichen Erfah- rung abwich? Der Grund war dieser. Moͤgliche Erfah- rung ist das, was unseren Begriffen allein Realitaͤt geben kan; ohne das ist aller Begriff nur Idee, ohne Wahrheit und Beziehung auf einen Gegenstand. Daher war der moͤgliche empirische Begriff das Richtmaas, wornach die Idee beurtheilt werden mußte, ob sie blosse Idee und Ge- dankending sey, oder in der Welt ihren Gegenstand antref- fe. Denn man sagt nur von demienigen, daß es verhaͤlt- nißweise auf etwas anderes zu groß oder zu klein sey, was nur um dieses lezteren willen angenommen wird, und dar- nach eingerichtet seyn muß. Zu dem Spielwerke der al- H h 5 ten Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. ten dialectischen Schulen gehoͤrete auch diese Frage: wenn eine Kugel nicht durch ein Loch geht, was soll man sagen: Ist die Kugel zu groß, oder das Loch zu klein? In die- sem Falle ist es gleichguͤltig, wie ihr euch ausdruͤcken wollt; denn ihr wißt nicht, welches von beiden um des anderen willen da ist. Dagegen werdet ihr nicht sagen: der Mann ist vor sein Kleid zu lang, sondern das Kleid ist vor den Mann zu kurz. Wir sind also wenigstens auf den gegruͤndeten Ver- dacht gebracht: daß die cosmologische Ideen, und, mit ihnen alle unter einander in Streit gesezte vernuͤnftelnde Behauptungen, vielleicht einen leeren und blos eingebilde- ten Begriff, von der Art, wie uns der Gegenstand dieser Ideen gegeben wird, zum Grunde liegen haben, und dieser Verdacht kan uns schon auf die rechte Spur fuͤhren, das Blendwerk zu entdecken, was uns so lange irre gefuͤhrt hat. Der Antinomie der reinen Vernunft Sechster Abschnitt. Der transscendentale Idealism, als der Schluͤssel zu Aufloͤsung der cosmologischen Dialectik. W ir haben in der transscendentalen Aesthetik hinrei- chend bewiesen: daß alles, was im Raume oder der Zeit angeschauet wird, mithin alle Gegenstaͤnde einer uns moͤglichen Erfahrung, nichts als Erscheinungen, d. i. blosse VI. Absch. Schluͤssel der Aufloͤsung der cosmol. ꝛc. blosse Vorstellungen sind, die, so wie sie vorgestellt werden, als ausgedehnte Wesen, oder Reihen von Veraͤnderungen, ausser unseren Gedanken keine an sich gegruͤndete Existenz haben. Diesen Lehrbegriff nenne ich den transscenden- talen Idealism. Der Realist in transscendentaler Be- deutung macht aus diesen Modificationen unserer Sinnlich- keit an sich subsistirende Dinge, und daher blosse Vor- ftellungen zu Sachen an sich selbst. Man wuͤrde uns Unrecht thun, wenn man uns den schon laͤngst so verschrieenen empirischen Idealismus zumu- then wolte, der, indem er die eigene Wirklichkeit des Rau- mes annimt, das Daseyn der ausgedehnten Wesen in den- selben laͤugnet, wenigstens zweifelhaft findet, und zwischen Traum und Wahrheit in diesem Stuͤcke keinen genugsam erweislichen Unterschied einraͤumet. Was die Erschei- nungen des innern Sinnes in der Zeit betrift, an denen, als wirklichen Dingen, findet er keine Schwierigkeit, ia er behauptet so gar: daß diese innere Erfahrung das wirk- liche Daseyn ihres Obiects (an sich selbst), (mit aller die- ser Zeitbestimmung), einzig und allein hinreichend be- weise. Unser transscendentale Idealism erlaubt es dagegen: daß die Gegenstaͤnde aͤusserer Anschauung, eben so wie sie im Raume angeschauet werden, auch wirklich seyn, und in der Zeit alle Veraͤnderungen, so wie sie der innere Sinn vorstellt. Denn, da der Raum schon eine Form derienigen Anschauung ist, die wir die aͤussere nennen, und Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. und, ohne Gegenstaͤnde in demselben, es gar keine empi- rische Vorstellung geben wuͤrde: so koͤnnen und muͤssen wir darin ausgedehnte Wesen als wirklich annehmen, und eben so ist es auch mit der Zeit. Jener Raum selber aber, samt dieser Zeit und, zugleich mit beiden, alle Erschei- nungen, sind doch an sich selbst keine Dinge, sondern nichts als Vorstellungen und koͤnnen gar nicht ausser unse- rem Gemuͤth existiren, und selbst ist die innere und finn- liche Anschauung unseres Gemuͤths, (als Gegenstandes des Bewustseyns), dessen Bestimmung durch die Succession verschiedener Zustaͤnde in der Zeit vorgestellt wird, auch nicht das eigentliche Selbst, so wie es an sich existirt, oder das transscendentale Subiect, sondern nur eine Erschei- nung, die der Sinnlichkeit dieses uns unbekanten Wesens gegeben worden. Das Daseyn dieser inneren Erscheinung, als eines so an sich existirenden Dinges, kan nicht einge- raͤumet werden, weil ihre Bedingung die Zeit ist, welche keine Bestimmung irgend eines Dinges an sich selbst seyn kan. In dem Raume aber und der Zeit ist die empirische Wahrheit der Erscheinungen genugsam gesichert, und von der Verwandschaft mit dem Traume hinreichend unterschie- den, wenn beide nach empirischen Gesetzen in einer Erfah- rung richtig und durchgaͤngig zusammen haͤngen. Es sind demnach die Gegenstaͤnde der Erfahrung niemals an sich selbst, sondern nur in der Erfahrung ge- geben und existiren ausser derselben gar nicht. Daß es Ein- VI. Absch. Schluͤssel der Aufloͤsung der cosmol. ꝛc. Einwohner im Monde geben koͤnne, ob sie gleich kein Mensch iemals wahrgenommen hat, muß allerdings eingeraͤumet werden, aber es bedeutet nur so viel: daß wir in dem moͤglichen Fortschritt der Erfahrung auf sie treffen koͤnten; denn alles ist wirklich, was mit einer Wahrnehmung nach Gesetzen des empirischen Fortgangs in einem Context stehet. Sie sind also alsdenn wirklich, wenn sie mit meinem wirk- lichen Bewustseyn in einem empirischen Zusammenhange stehen, ob sie gleich darum nicht an sich, d. i. ausser die- sem Fortschritt der Erfahrung wirklich sind. Uns ist wirklich nichts gegeben, als die Wahrneh- mung und der empirische Fortschritt von dieser, zu andern moͤglichen Wahrnehmungen. Denn an sich selbst sind die Erscheinungen, als blosse Vorstellungen, nur in der Wahr- nehmung wirklich, die in der That nichts anders ist, als die Wirklichkeit einer empirischen Vorstellung, d. i. Erschei- nung. Vor der Wahrnehmung eine Erscheinung ein wirk- liches Ding nennen, bedeutet entweder, daß wir im Fort- gange der Erfahrung auf eine solche Wahrnehmung treffen muͤssen, oder es hat gar keine Bedeutung. Denn, daß sie an sich selbst, ohne Beziehung auf unsere Sinne und moͤgliche Erfahrung, existire, koͤnte allerdings gesagt werden, wenn von einem Dinge an sich selbst die Rede waͤre. Es ist aber blos von einer Erscheinung im Raume und der Zeit, die beides keine Bestimmungen der Dinge an sich selbst, sondern nur unserer Sinnlichkeit sind, die Rede; daher das, was in ihnen ist, (Erscheinungen) nicht Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. nicht an sich Etwas, sondern blosse Vorstellungen sind, die, wenn sie nicht in uns, (in der Wahrnehmung) gege- ben sind, uͤberall nirgend angetroffen werden. Das sinnliche Anschauungsvermoͤgen ist eigentlich nur eine Receptivitaͤt, auf gewisse Weise mit Vorstellun- gen afficirt zu werden, deren Verhaͤltniß zu einander eine reine Anschauung des Raumes und der Zeit ist, (lauter Formen unserer Sinnlichkeit) und welche, so fern sie in diesem Verhaͤltnisse (dem Raume und der Zeit) nach Ge- setzen der Einheit der Erfahrung verknuͤpft und bestimbar sind, Gegenstaͤnde heissen. Die nichtsinnliche Ursache dieser Vorstellungen ist uns gaͤnzlich unbekant, und diese koͤnnen wir daher nicht als Obiect anschauen; denn der- gleichen Gegenstand wuͤrde weder im Raume, noch der Zeit (als blossen Bedingungen der sinnlichen Vorstellung) vorgestellt werden muͤssen, ohne welche Bedingungen wir uns gar keine Anschauung denken koͤnnen. Indessen koͤn- nen wir die blos intelligibele Ursache der Erscheinungen uͤberhaupt, das transscendentale Obiect nennen, blos, da- mit wir etwas haben, was der Sinnlichkeit als einer Re- ceptivitaͤt correspondirt. Diesem transscendentalen Obiect koͤnnen wir allen Umfang und Zusammenhang unserer moͤglichen Wahrnehmungen zuschreiben und sagen: daß es vor aller Erfahrung an sich selbst gegeben sey. Die Erscheinungen aber sind, ihm gemaͤß, nicht an sich, son- dern nur in dieser Erfahrung gegeben, weil sie blosse Vor- stellungen sind, die nur als Wahrnehmungen einen wirk- lichen VI. Absch. Schluͤssel der Aufloͤsung der cosmol. ꝛc. lichen Gegenstand bedeuten, wenn nemlich diese Wahrneh- mung mit allen andern nach den Regeln der Erfahrungs- einheit zusammen haͤngt. So kan man sagen: die wirk- liche Dinge der vergangenen Zeit sind in dem transscen- dentalen Gegenstande der Erfahrung gegeben; sie sind aber vor mich nur Gegenstaͤnde und in der vergangenen Zeit wirklich, so fern als ich mir vorstelle: daß eine regressi- ve Reihe moͤglicher Wahrnehmungen, (es sey am Leitfa- den der Geschichte, oder an den Fußstapfen der Ursachen und Wirkungen), nach empirischen Gesetzen, mit einem Worte, der Weltlauf auf eine verflossene Zeitreihe, als Bedingung der gegenwaͤrtigen Zeit fuͤhret, welche alsdenn doch nur in dem Zusammenhange einer moͤglichen Erfahrung und nicht an sich selbst als wirklich vorgestellt wird, so, daß alle von undenklicher Zeit her vor meinem Daseyn ver- flossene Begebenheiten doch nichts anders bedeuten, als die Moͤglichkeit der Verlaͤngerung der Kette der Erfahrung, von der gegenwaͤrtigen Wahrnehmung an, aufwerts zu den Bedingungen, welche diese der Zeit nach bestimmen. Wenn ich mir demnach alle existirende Gegenstaͤnde der Sinne in aller Zeit und allen Raͤumen insgesamt vor- stelle: so setze ich solche nicht vor der Erfahrung in beide hinein, sondern diese Vorstellung ist nichts anders, als der Gedanke von einer moͤglichen Erfahrung, in ihrer ab- soluten Vollstaͤndigkeit. In ihr allein sind iene Gegenstaͤn- de (welche nichts als blosse Vorstellungen sind) gegeben. Daß Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Daß man aber sagt: sie existiren vor aller meiner Erfah- rung, bedeutet nur: daß sie in dem Theile der Erfahrung. zu welchem ich, von der Wahrnehmung anhebend, al- l ererst fortschreiten muß, anzutreffen sind. Die Ursache der empirischen Bedingungen dieses Fortschritts, mithin auf welche Glieder, oder auch, wie weit ich auf derglei- chen im Regressus treffen koͤnne, ist transscendental und mir daher nothwendig unbekant. Aber um diese ist es auch nicht zu thun, sondern nur um die Regel des Fort- schritts der Erfahrung, in der mir die Gegenstaͤnde, nem- lich Erscheinungen gegeben werden. Es ist auch im Aus- gange ganz einerley, ob ich sage: ich koͤnne im empiri- schen Fortgange im Raume auf Sterne treffen, die hun- dertmal weiter entfernt sind, als die aͤussersten, die ich sehe: oder ob ich sage, es sind vielleicht deren im Weltraume anzutreffen, wenn sie gleich niemals ein Mensch wahrge- nommen hat, oder wahrnehmen wird; denn, wenn sie gleich als Dinge an sich selbst, ohne Beziehung auf moͤg- liche Erfahrung, uͤberhaupt gegeben waͤren: so sind sie doch vor mich nichts, mithin keine Gegenstaͤnde, als so fern sie in der Reihe des empirischen Regressus enthalten seyn. Nur in anderweitiger Beziehung, wenn eben diese Erscheinungen zur cosmologischen Idee von einem absolu- ten Ganzen gebraucht werden sollen und, wenn es also um eine Frage zu thun ist, die uͤber die Graͤnzen moͤgli- cher Erfahrung hinausgeht, ist die Unterscheidung der Art, wie man die Wirklichkeit gedachter Gegenstaͤnde der Sinne nimt, VII. Absch. Critische Entscheidung des cosmol. ꝛc. nimt, von Erheblichkeit, um einem truͤglichen Wahne vorzubeugen, welcher aus der Mißdeutung unserer eigenen Erfahrungsbegriffe unvermeidlich entspringen muß. Der Antinomie der reinen Vernunft Siebenter Abschnitt. Critische Entscheidung des cosmologischen Streits der Vernunft mit sich selbst. D ie ganze Antinomie der reinen Vernunft beruht auf dem dialectischen Argumente: Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Reihe aller Bedingungen desselben gegeben: Nun sind uns Gegenstaͤnde der Sinne als bedingt gegeben, folglich ꝛc. Durch diesen Vernunft- schluß, dessen Obersatz so natuͤrlich und einleuchtend scheint, werden nun, nach Verschiedenheit der Bedingungen (in der Synthesis der Erscheinungen), so fern sie eine Reihe ausmachen, eben so viel cosmologische Ideen eingefuͤhrt, welche die absolute Totalitaͤt dieser Reihen postuliren und eben dadurch die Vernunft unvermeidlich in Widerstreit mit sich selbst versetzen Ehe wir aber das Truͤgliche dieses vernuͤnftelnden Arguments aufdecken, muͤssen wir uns durch Berichtigung und Bestimmung gewisser darin vorkom- menden Begriffe dazu in Stand setzen. Zuerst ist folgender Satz klar und ungezweifelt ge- wiß: daß, wenn das Bedingte gegeben ist, uns eben da- I i durch Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. durch ein Regressus in der Reihe aller Bedingungen zu demselben aufgegeben sey; denn dieses bringt schon der Begriff des Bedingten so mit sich: daß dadurch etwas auf eine Bedingung und, wenn diese wiederum bedingt ist, auf eine entferntere Bedingung und so durch alle Glieder der Reihe bezogen wird. Dieser Satz ist also analytisch und erhebt sich uͤber alle Furcht vor eine transscendentale Critik. Er ist ein logisches Postulat der Vernunft: dieie- nige Verknuͤpfung eines Begriffs mit seinen Bedingungen durch den Verstand zu verfolgen und so weit als moͤglich fortzusetzen, die schon dem Begriffe selbst anhaͤngt. Ferner: wenn das Bedingte so wol, als seine Be- dingung, Dinge an sich selbst sind, so ist, wenn das Erstere gegeben worden, nicht blos der Regressus zu dem Zweiten aufgegeben, sondern dieses ist dadurch wirklich schon mit gegeben und, weil dieses von allen Gliedern der Reihe gilt: so ist die vollstaͤndige Reihe der Bedingungen, mit- hin auch das Unbedingte dadurch zugleich gegeben, oder vielmehr vorausgesezt, daß das Bedingte, welches nur durch iene Reihe moͤglich war, gegeben ist. Hier ist die Synthesis des Bedingten mit seiner Bedingung eine Syn- thesis des blossen Verstandes, welcher die Dinge vorstellt, wie sie sind , ohne darauf zu achten, ob, und wie wir zur Kentniß derselben gelangen koͤnnen. Dagegen wenn ich es mit Erscheinungen zu thun habe, die, als blosse Vorstellungen, gar nicht gegeben sind, wenn ich nicht zu ihre VII. Absch. Critische Entscheidung des cosmol. ꝛc. ihrer Kentniß (d. i. zu ihnen selbst, denn sie sind nichts, als empirische Kentnisse) gelange, so kan ich nicht in eben der Bedeutung sagen: wenn das Bedingte gegeben ist, so sind auch alle Bedingungen (als Erscheinungen) zu demselben gegeben, und kan mithin auf die absolute Totalitaͤt der Reihe derselben keinesweges schliessen. Denn die Erscheinungen sind, in der Apprehension, selber nichts anders, als eine empirische Synthesis (im Raume und der Zeit) und sind also nur in dieser gegeben. Nun folgt es gar nicht: daß, wenn das Bedingte (in der Er- scheinung) gegeben ist, auch die Synthesis, die seine em- pirische Bedingung ausmacht, dadurch mit gegeben und vorausgesezt sey, sondern diese findet allererst im Regres- sus, und niemals ohne denselben, statt. Aber das kan man wol in einem solchen Falle sagen: daß ein Regressus zu den Bedingungen, d. i. eine fortgesezte empirische Syn- thesis auf dieser Seite geboten oder aufgegeben sey, und daß es nicht an Bedingungen fehlen koͤnne, die durch die- sen Regressus gegeben werden. Hieraus erhellet: daß der Obersatz des cosmologi- schen Vernunftschlusses das Bedingte in transscendentaler Bedeutung einer reinen Categorie, der Untersatz aber in empirischer Bedeutung eines auf blosse Erscheinungen an- gewandten Verstandesbegriffs nehmen, folglich derienige dialectische Betrug darin angetroffen werde, den man So- phisma figurae dictionis nent. Dieses Betrug ist aber I i 2 nicht Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. nicht erkuͤnstelt, sondern eine ganz natuͤrliche Taͤuschung der gemeinen Vernunft. Denn durch dieselbe setzen wir (im Obersatze) die Bedingungen und ihre Reihe, gleich- sam unbesehen , voraus, wenn etwas als Bedingt gegeben ist, weil dieses nichts anders, als die logische Foderung ist, vollstaͤndige Praͤmissen zu einem gegebenen Schlußsatze an- zunehmen, und da ist in der Verknuͤpfung des Bedingten mit seiner Bedingung keine Zeitordnung anzutreffen; sie werden an sich, als zugleich gegeben, vorausgesezt. Fer- ner ist es eben so natuͤrlich (im Untersatze) Erscheinungen als Dinge an sich und eben sowol dem blossen Verstande gegebene Gegenstaͤnde anzusehen, wie es im Obersatze ge- schah, da ich von allen Bedingungen der Anschauung, unter denen allein Gegenstaͤnde gegeben werden koͤnnen, ab- strahirte. Nun hatten wir aber hiebey einen merkwuͤrdi- gen Unterschied zwischen den Begriffen uͤbersehen. Die Synthesis des Bedingten mit seiner Bedingung und die ganze Reihe der lezteren (im Obersatze) fuͤhrte gar nichts von Einschraͤnkung durch die Zeit und keinen Begriff der Succeßion bey sich. Dagegen ist die empirische Synthesis und die Reihe der Bedingungen in der Erscheinung, (die im Untersatze subsumirt wird), nothwendig successiv und nur in der Zeit nach einander gegeben; folglich konte ich die absolute Totalitaͤt der Synthesis und der dadurch vor- gestellten Reihe hier nicht eben so wol, als dort voraus- setzen, weil dort alle Glieder der Reihe an sich (ohne Zeit- bedingung) gegeben sind, hier aber nur durch den succes- siven VII. Absch. Critische Entscheidung des cosmol. ꝛc siven Regressus moͤglich sind, der nur dadurch gegeben ist, daß man ihn wirklich vollfuͤhrt. Nach der Ueberweisung eines solchen Fehltritts, des gemeinschaftlich zum Grunde (der cosmologischen Behaup- tungen) gelegten Arguments, koͤnnen beide streitende Theile mit Recht, als solche, die ihre Foderung auf keinen gruͤnd- lichen Titel gruͤnden, abgewiesen werden. Dadurch aber ist ihr Zwist noch nicht in so fern geendigt, daß sie uͤber- fuͤhrt worden waͤren, sie, oder einer von beiden, haͤtte in der Sache selbst, die er behauptet, (im Schlußsatze) Unrecht, wenn er sie gleich nicht auf tuͤchtige Beweisgruͤn- de zu bauen wußte. Es scheinet doch nichts klaͤrer, als daß von zween, deren der eine behauptet: die Welt hat einen Anfang, der andere: die Welt hat keinen An- fang, sondern sie ist von Ewigkeit her, doch einer Recht haben muͤsse. Ist aber dieses: so ist es, weil die Klar- heit auf beiden Seiten gleich ist, doch unmoͤglich, iemals auszumitteln, auf welcher Seite das Recht sey und der Streit dauert nach wie vor, wenn die Partheyen gleich bey dem Gerichtshofe der Vernunft zur Ruhe verwiesen worden. Es bleibt also kein Mittel uͤbrig, den Streit gruͤndlich und zur Zufriedenheit beider Theile zu endigen, als daß, da sie einander doch so schoͤn widerlegen koͤnnen, endlich uͤberfuͤhrt werden, daß sie um Nichts streiten, und ein gewisser transscendentaler Schein ihnen da eine Wirk- lichkeit vorgemahlt habe, wo keine anzutreffen ist. Die- I i 3 sen Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. sen Weg der Beilegung eines nicht abzuurtheilenden Streits wollen wir iezt einschlagen. Der eleatische Zeno , ein subtiler Dialectiker ist schon vom Plato als ein muthwilliger Sophist daruͤber sehr getadelt worden, daß er, um seine Kunst zu zeigen, einer- ley Satz durch scheinbare Argumente zu beweisen und bald darauf durch andere eben so starke wieder umzustuͤrzen suchte. Er behauptete: Gott (vermuthlich war es bey ihm nichts als die Welt) sey weder endlich, noch unend- lich, er sey weder in Bewegung, noch in Ruhe, sey keinem an- dern Dinge weder aͤhnlich, noch unaͤhnlich. Es schien denen, die ihn hieruͤber beurtheilten, er habe zwey einander wider- sprechende Saͤtze gaͤnzlich ablaͤugnen wollen, welches un- gereimt ist. Allein ich finde nicht: daß ihm dieses mit Recht zur Last gelegt werden koͤnne. Den ersteren dieser Saͤtze werde ich bald naͤher beleuchten. Was die uͤbrige betrift, wenn er unter dem Worte: Gott, das Univer- sum verstand, so mußte er allerdings sagen: daß dieses we- der in seinem Orte beharrlich gegenwaͤrtig (in Ruhe) sey, noch denselben veraͤndere (sich bewege), weil alle Oerter nur im Univers, dieses selbst also in keinem Orte ist. Wenn das Weltall alles, was existirt, in sich faßt, so ist es auch so fern keinem andern Dinge, weder aͤhnlich, noch unaͤhnlich, weil es ausser ihm kein anderes Ding giebt, mit dem es koͤnte verglichen werden. Wenn zwey ein- VII. Absch. Critische Entscheidung des cosmol. ꝛc. einander entgegengesezte Urtheile eine unstatthafte Bedin- gung voraussetzen, so fallen sie, unerachtet ihres Wider- streits (der gleichwol kein eigentlicher Widerspruch ist), alle beide weg, weil die Bedingung wegfaͤllt, unter der allein ieder dieser Saͤtze gelten solte. Wenn iemand sagte: ein ieder Coͤrper riecht entwe- der gut, oder er riecht nicht gut, so findet ein Drittes statt, nemlich: daß er gar nicht rieche, (ausdufte) und so koͤn- nen beide widerstreitende Saͤtze falsch seyn. Sage ich, er ist entweder wolriechend, oder er ist nicht wolriechend: ( vel suaueolens vel non suaueolens ) so sind beide Ur- theile einander contradictorisch entgegengesezt und nur der erste ist falsch, sein contradictorisches Gegentheil aber, nemlich einige Coͤrper sind nicht wolriechend, befaßt auch die Coͤrper in sich, die gar nicht riechen. In der vori- gen Entgegenstellung ( per disparata ) blieb die zufaͤllige Bedingung des Begriffs der Coͤrper (der Geruch) noch bey dem widerstreitenden Urtheile, und wurde durch dieses also nicht mit aufgehoben, daher war das leztere nicht das contradictorische Gegentheil des ersteren. Sage ich demnach: die Welt ist dem Raume nach entweder unendlich, oder sie ist nicht unendlich ( non est infinitus ), so muß, wenn der erstere Satz falsch ist, sein contradictorisches Gegentheil: die Welt ist nicht unendlich, wahr seyn. Dadurch wuͤrde ich nur eine unendliche Welt aufheben ohne eine andere, nemlich die endliche, zu setzen. I i 4 Hiesse Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Hiesse es aber: die Welt ist entweder unendlich, oder end- lich (nichtunendlich) so koͤnten beide falsch seyn. Denn ich sehe alsdenn die Welt, als an sich selbst, ihrer Groͤsse nach bestimt an, indem ich in dem Gegensatz nicht blos die Unendlichkeit aufhebe und, mit ihr, vielleicht ihre ganze abgesonderte Existenz, sondern eine Bestimmung zur Welt, als einem an sich selbst wirklichen Dinge, hinzusetze, welches eben so wol fasch seyn kan, wenn nemlich die Welt gar nicht als ein Ding an sich , mithin auch nicht ihrer Groͤsse nach, weder als unendlich, noch als endlich gegeben seyn solte. Man erlaube mir: daß ich derglei- chen Entgegensetzung die dialectische, die des Widerspruchs aber, die analytische Opposition nennen darf. Also koͤnnen von zwey dialectisch einander entgegengesezten Ur- theilen alle beide falsch seyn, darum, weil eines dem an- dern nicht blos widerspricht, sondern etwas mehr sagt, als zum Widerspruche erfoderlich ist. Wenn man die zwey Saͤtze: die Welt ist der Groͤsse nach unendlich, die Welt ist ihrer Groͤsse nach endlich, als einander contradictorisch entgegengesetzte ansieht, so nimt man an, daß die Welt (die ganze Reihe der Erscheinun- gen) ein Ding an sich selbst sey. Denn sie bleibt, ich mag den unendlichen oder endlichen Regressus in der Reihe ihrer Erscheinungen aufheben. Nehme ich aber diese Vor- aussetzung, oder diesen transscendentalen Schein weg, und laͤugne, daß sie ein Ding an sich selbst sey, so verwandelt sich VII. Absch. Critische Entscheidung des cosmol. ꝛc. sich der contradictorische Widerstreit beider Behauptungen in einen blos dialectischen und die Welt, weil sie gar nicht an sich (unabhaͤngig von der regressiven Reihe meiner Vor- stellungen) existirt: so existirt sie, weder als ein an sich unendliches, noch als ein an sich endliches Ganze. Sie ist nur im empirischen Regressus der Reihe der Erscheinun- gen und vor sich selbst gar nicht anzutreffen. Daher, wenn diese iederzeit bedingt ist, so ist sie niemals ganz ge- geben, und die Welt ist also kein unbedingtes Ganze, exi- stirt also auch nicht als ein solches, weder mit unendlicher, noch endlicher Groͤsse. Was hier von der ersten cosmologischen Idee, nem- lich der absoluten Totalitaͤt der Groͤsse in der Erscheinung gesagt worden, gilt auch von allen uͤbrigen. Die Reihe der Bedingungen ist nur in der regressiven Synthesis selbst, nicht aber an sich in der Erscheinung, als einem eigenen, vor allem Regressus gegebenen Dinge, anzutreffen. Da- her werde ich auch sagen muͤssen: die Menge der Theile in einer gegebenen Erscheinung ist an sich weder endlich, noch unendlich, weil Erscheinung nichts an sich selbst existi- rendes ist, und die Theile allererst durch den Regressus der decomponirenden Synthesis, und in demselben, gegeben werden, welcher Regressus niemals schlechthin ganz, we- der als endlich, noch als unendlich gegeben ist. Eben das gilt von der Reihe der uͤber einander geordneten Ursachen, oder der bedingten bis zur unbedingt nothwendigen Exi- I i 5 stenz, Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. stenz, welche niemals weder an sich ihrer Totalitaͤt nach als endlich, noch als unendlich angesehen werden kan, weil sie als Reihe subordinirter Vorstellungen, nur im dynami- schen Regressus besteht, vor demselben aber und, als vor sich bestehende Reihe von Dingen, an sich selbst gar nicht existiren kan. So wird demnach die Antinomie der reinen Ver- nunft bey ihren cosmologischen Ideen gehoben, dadurch, daß gezeigt wird: sie sey blos dialectisch und ein Wider- streit eines Scheins, der daher entspringt, daß man die Idee der absoluten Totalitaͤt, welche nur als eine Bedin- gung der Dinge an sich selbst gilt, auf Erscheinungen ange- wandt hat, die nur in der Vorstellung und, wenn sie eine Reihe ausmachen, im successiven Regressus, sonst aber gar nicht existiren. Man kan aber auch umgekehrt aus dieser Antinomie einen wahren, zwar nicht dogmatischen, aber doch critischen und doctrinalen Nutzen ziehen: nemlich die transscendentale Idealitaͤt der Erscheinungen dadurch indirect zu beweisen, wenn iemand etwa an dem directen Beweise in der transscendentalen Aesthetik nicht genug haͤtte. Der Beweis wuͤrde in diesem Dilemma bestehen. Wenn die Welt ein an sich existirendes Ganze ist: so ist sie entweder endlich, oder unendlich; Nun ist das erstere sowol als das zweite falsch (laut den oben angefuͤhrten Beweisen der Antithesis, einer und der Thesis anderer Seits). Also ist es auch falsch, daß die Welt (der In- begriff aller Erscheinungen) ein an sich existirendes Ganze sey. VII. Absch. Critische Entscheidung des cosmol. ꝛc. sey. Woraus denn folgt: daß Erscheinungen uͤberhaupt ausser unseren Vorstellungen nichts sind, welches wir eben durch die transscendentale Idealitaͤt derselben sagen wolten. Diese Anmerkung ist von Wichtigkeit. Man siehet daraus: daß die obige Beweise der vierfachen Antinomie nicht Blendwerke, sondern gruͤndlich waren, unter der Vor- aussetzung nemlich: daß Erscheinungen oder eine Sinnen- welt, die sie insgesamt in sich begreift, Dinge an sich selbst waͤren. Der Widerstreit der daraus gezogenen Saͤtze ent- dekt aber: daß in der Voraussetzung eine Falschheit liege, und bringt uns dadurch zu einer Entdeckung der wahren Beschaffenheit der Dinge, als Gegenstaͤnde der Sinne. Die transscendentale Dialectik thut also keinesweges dem Scep- ticism einigen Vorschub, wol aber der sceptischen Metho- de, welche an ihr ein Beispiel ihres grossen Nutzens auf- weisen kan, wenn man die Argumente der Vernunft in ihrer groͤßten Freiheit gegen einander auftreten laͤßt, die, ob sie gleich zuletzt nicht dasienige, was man suchte, den- noch iederzeit etwas Nuͤzliches und zur Berichtigung un- serer Urtheile dienliches, liefern werden. Der Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Der Antinomie der reinen Vernunft Achter Abschnitt. Regulatives Princip der reinen Vernunft in Ansehung der cosmologischen Ideen. D a durch den cosmologischen Grundsatz der Totalitaͤt kein Maximum der Reihe von Bedingungen in einer Sinnenwelt, als einem Dinge an sich selbst, gegeben wird, sondern blos im Regressus derselben aufgegeben werden kan, so behaͤlt der gedachte Grundsatz der reinen Vernunft, in seiner dergestalt berichtigten Bedeutung, annoch seine gute Guͤltigkeit, zwar nicht als Axiom, die Totalitaͤt im Obiect als wirklich zu denken, sondern als ein Problem vor den Verstand, also vor das Subiect, um, der Voll- staͤndigkeit in der Idee gemaͤß, den Regressus in der Rei- he der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an- zustellen und fortzusetzen. Denn in der Sinnlichkeit, d. i. im Raume und der Zeit, ist iede Bedingung, zu der wir in der Exposition gegebener Erscheinungen gelangen koͤn- nen, wiederum bedingt; weil diese keine Gegenstaͤnde an sich selbst sind, an denen allenfalls das Schlechthinunbeding- te statt finden koͤnte, sondern blos empirische Vorstellun- gen, die iederzeit in der Anschauung ihre Bedingung fin- den muͤssen, welche sie dem Raume oder der Zeit nach be- stimt. Der Grundsatz der Vernunft also ist eigentlich nur eine Regel , welche in der Reihe der Bedingungen gegebe- ner VIII. Absch. Regulatives Princip d. r. Vernunft ꝛc. ner Erscheinungen einen Regressus gebietet, dem es nie- mals erlaubt ist, bey einem Schlechthinunbedingten stehen zu bleiben. Er ist also kein Principium der Moͤglichkeit der Erfahrung und der empirischen Erkentniß der Gegen- staͤnde der Sinne, mithin kein Grundsatz des Verstandes; denn iede Erfahrung ist in ihren Graͤnzen (der gegebenen Anschauung gemaͤß) eingeschlossen, auch kein constitutives Princip der Vernunft, den Begriff der Sinnenwelt uͤber alle moͤgliche Erfahrung zu erweitern, sondern ein Grund- satz der groͤßtmoͤglichen Fortsetzung und Erweiterung der Erfahrung, nach welchem keine empirische Graͤnze vor ab- solute Graͤnze gelten muß, also ein Principium der Ver- nunft, welches, als Regel , postulirt, was von uns im Regressus geschehen soll, und nicht anticipirt, was im Obiecte vor allem Regressus an sich gegeben ist. Daher nenne ich es ein regulatives Princip der Vernunft, da hin- gegen der Grundsatz der absoluten Totalitaͤt der Reihe der Bedingungen, als im Obiecte (den Erscheinungen) an sich selbst gegeben, ein constitutives cosmologisches Prin- cip seyn wuͤrde, dessen Nichtigkeit ich eben durch diese Unterscheidung habe anzeigen und dadurch verhindern wol- len: daß man nicht, wie sonst unvermeidlich geschieht, (durch transscendentale Subreption) einer Idee, welche blos zur Regel dient, obiective Realitaͤt beymesse. Um nun den Sinn dieser Regel der reinen Vernunft gehoͤrig zu bestimmen, so ist zuvoͤrderst zu bemerken: daß sie Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst sie nicht sagen koͤnne, was das Obiect sey, sondern wie der empirische Regressus anzustellen sey, um zu dem vollstaͤndigen Begriffe des Obiects zu gelangen. Denn faͤnde das erstere statt, so wuͤrde sie ein constitutives Prin- cipium seyn, dergleichen aus reiner Vernunft niemals moͤg- lich ist. Man kan also damit keinesweges die Absicht ha- ben, zu sagen: die Reihe der Bedingungen zu einem gege- benen Bedingten sey an sich endlich, oder unendlich; denn dadurch wuͤrde eine blosse Idee der absoluten Totali- taͤt, die lediglich in ihr selbst geschaffen ist, einen Gegen- stand denken, der in keiner Erfahrung gegeben werden kan, indem einer Reihe von Erscheinungen eine, von der empi- rischen Synthesis unabhaͤngige, obiective Realitaͤt ertheilet wuͤrde. Die Vernunftidee wird also nur der regressiven Synthesis in der Reihe der Bedingungen eine Regel vor- schreiben, nach welcher sie vom Bedingten, vermittelst al- ler einander untergeordneten Bedingungen, zum Unbeding- ten fortgeht, obgleich dieses niemals erreicht wird. Denn das Schlechthinunbedingte wird in der Erfahrung gar nicht angetroffen. Zu diesem Ende ist nun erstlich die Synthesis einer Reihe, so fern sie niemals vollstaͤndig ist, genau zu bestim- men. Man bedient sich in dieser Absicht gewoͤhnlich zweer Ausdruͤcke, die darin etwas unterscheiden sollen, ohne daß man doch den Grund dieser Unterscheidung recht anzuge- ben weiß. Die Mathematiker sprechen lediglich von ei- nem Progressus in infinitum . Die Forscher der Begriffe (Philo- VIII. Absch. Regulatives Princip d. r. Vernunft ꝛc. (Philosophen) wollen an dessen statt nur den Ausdruck von einem progressus in indefinitum geltenlassen. Ohne mich bey der Pruͤfung der Bedenklichkeit, die diesen eine solche Unterscheidung angerathen hat, und dem guten oder fruchtlosen Gebrauch derselben aufzuhalten, will ich diese Begriffe in Beziehung auf meine Absicht genau zu be- stimmen suchen. Von einer geraden Linie kan man mit Recht sagen, sie koͤnne ins Unendliche verlaͤngert werden, und hier wuͤrde die Unterscheidung des Unendlichen und des unbestimbar weiten Fortgangs ( progressus in indefinitum ) eine leere Subtilitaͤt seyn. Denn, ob gleich, wenn es heißt: ziehet eine Linie fort, es freilich richtiger lautet, wenn man hin- zu sezt, in indefinitum , als wenn es heißt, in infinitum; weil das erstere nicht mehr bedeutet als: verlaͤngert sie, so weit ihr wollet, das zweite aber: ihr sollt niemals aufhoͤren sie zu verlaͤngern (welches hiebey eben nicht die Absicht ist), so ist doch, wenn nur vom koͤnnen die Rede ist, der erstere Ausdruck ganz richtig; denn ihr koͤnt sie ins Unendliche immer groͤsser machen. Und so verhaͤlt es sich auch in allen Faͤllen, wo man nur vom Progressus, d. i. dem Fortgange von der Bedingung zum Bedingten, spricht; dieser moͤgliche Fortgang geht in der Reihe der Erscheinungen ins Unendliche. Von einem Elternpaar koͤnt ihr in absteigender Linie der Zeugung ohne Ende fort- gehen und euch auch ganz wol denken, daß sie wirklich in Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. in der Welt so fortgehe. Denn hier bedarf die Vernunft niemals absolute Totalitaͤt der Reihe, weil sie solche nicht als Bedingung und wie gegeben ( datum ) vorausgesezt, sondern nur als was Bedingtes, das nur angeblich ( dabile ) ist, und ohne Ende hinzugesezt wird. Ganz anders ist es mit der Aufgabe bewandt: wie weit sich der Regressus, der von dem gegebenen Beding- ten zu den Bedingungen in einer Reihe aufsteigt, erstrecke, ob ich sagen koͤnne: er sey ein Ruͤckgang ins Unendliche, oder nur ein unbestimmbar weit ( in indefinitum ) sich erstreckender Ruͤckgang und ob ich also von den ieztleben- den Menschen, in der Reihe ihrer Voreltern, ins Unend- liche aufwerts steigen koͤnne, oder ob nur gesagt werden koͤnne: daß, so weit ich auch zuruͤckgegangen bin, niemals ein empirischer Grund angetroffen werde, die Reihe ir- gendwo vor begraͤnzt zu halten, so daß ich berechtigt und zugleich verbunden bin, zu iedem der Urvaͤter noch fernerhin seinen Vorfahren aufzusuchen, ob gleich eben nicht voraus- zusetzen. Ich sage demnach: wenn das Ganze in der empiri- schen Anschauung gegeben worden, so geht der Regressus in der Reihe seiner inneren Bedingungen ins Unendliche; ist aber nur ein Glied der Reihe gegeben, von welchem der Regressus zur absoluten Totalitaͤt allererst fortgehen soll: so findet nur ein Ruͤckgang in unbestimte Weite ( in inde- VIII. Absch. Regulatives Princip. d. r. Vernunft ꝛc. indefinitum ) statt. So muß von der Theilung einer zwischen ihren Graͤnzen gegebenen Materie (eines Coͤrpers) gesagt werden: sie gehe ins Unendliche. Denn diese Ma- terie ist ganz, folglich mit allen ihren moͤglichen Theilen, in der empirischen Anschauung gegeben. Da nun die Be- dingung dieses Ganzen sein Theil und die Bedingung die- ses Theils der Theil vom Theile u. s. w. ist, und in die- sem Regressus der Decomposition niemals ein Unbedingtes (untheilbares) Glied dieser Reihe von Bedingungen ange- troffen wird, so ist nicht allein nirgend ein empirischer Grund, in der Theilung aufzuhoͤren, sondern die fernere Glieder der fortzusetzenden Theilung sind selbst vor dieser weitergehenden Theilung empirisch gegeben, d. i. die Theilung geht ins Unendliche. Dagegen ist die Reihe der Voreltern zu einem gegebenen Menschen in keiner moͤgli- chen Erfahrung, in ihrer absoluten Totalitaͤt, gegeben, der Regressus aber geht doch von iedem Gliede dieser Zeu- gung zu einem hoͤhern, so, daß keine empirische Graͤnze anzutreffen ist, die ein Glied, als schlechthin unbedingt, darstellete. Da aber gleichwol auch die Glieder, die hie- zu die Bedingung abgeben koͤnten, nicht in der empirischen Anschauung des Ganzen schon vor dem Regressus liegen : so geht dieser nicht ins Unendliche (der Theilung des gege- benen), sondern in unbestimbare Weite, der Aufsuchung mehrerer Glieder zu den gegebenen, die wiederum iederzeit nur bedingt gegeben sind. K k In Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. In keinem von beiden Faͤllen, sowol dem regressus in infinitum , als dem in indefinitum , wird die Reihe der Bedingungen als unendlich im Obiect gegeben angese- hen. Es sind nicht Dinge, die an sich selbst, sondern nur Erscheinungen, die, als Bedingungen von einander, nur im Regressus selbst gegeben werden. Also ist die Frage nicht mehr: wie groß diese Reihe der Bedingungen an sich selbst sey, ob endlich oder unendlich, denn sie ist nichts an sich selbst, sondern: wie wir den empirischen Regres- sus anstellen und wie weit wir ihn fortsetzen sollen. Und da ist denn ein nahmhafter Unterschied in Ansehung der Regel dieses Fortschritts. Wenn das Ganze empirisch ge- geben worden, so ist es moͤglich, ins Unendliche in der Reihe seiner inneren Bedingungen zuruͤck zu gehen. Ist ienes aber nicht gegeben, sondern soll durch empirischen Regressus allererst gegeben werden, so kan ich nur sagen: es ist ins Unendliche moͤglich zu noch hoͤheren Bedingun- gen der Reihe fortzugehen. Im ersteren Falle konte ich sagen: es sind immer mehr Glieder da und empirisch ge- geben, als ich durch den Regressus (der Decomposition) erreiche; im zweiten aber: ich kan im Regressus noch im- mer weiter gehen, weil kein Glied als schlechthin unbedingt empirisch gegeben ist, und also noch immer ein hoͤheres Glied als moͤglich und mithin die Nachfrage nach demsel- ben als nothwendig zulaͤßt. Dort war es nothwendig, mehr Glieder der Reihe anzutreffen, hier aber ist es im- mer nothwendig, nach mehreren zu fragen, weil keine Erfah IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Erfahrung absolute begraͤnzt. Denn ihr habt entweder keine Wahrnehmung, die euren empirischen Regressus schlechthin begraͤnzt, und denn muͤßt ihr euren Regressus nicht vor vollendet halten, oder habt eine solche eure Rei- he begraͤnzende Wahrnehmung, so kan diese nicht ein Theil eurer zuruͤckgelegten Reihe seyn (weil das, was begraͤnzt, von dem, was dadurch begraͤnzt wird, unterschieden seyn muß) und ihr muͤßt also euren Regressus auch zu dieser Be- dingung weiter fortsetzen, und so fortan. Der folgende Abschnitt wird diese Bemerkungen durch ihre Anwendung, in ihr gehoͤriges Licht setzen. Der Antinomie der reinen Vernunft Neunter Abschnitt. Von dem Empirischen Gebrauche des regulativen Princip’s der Vernunft, in Ansehung aller cosmologischen Ideen . D a es, wie wir mehrmalen gezeigt haben, keinen transscendentalen Gebrauch, so wenig von reinen Verstandes- als Vernunftbegriffen giebt, da die absolute Totalitaͤt der Reihen der Bedingungen in der Sinnenwelt sich lediglich auf einen transscendentalen Gebrauch der Vernunft fusset, welche diese unbedingte Vollstaͤndigkeit von demienigen fodert, was sie als Ding an sich selbst K k 2 vor Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. voraussezt, da die Sinnenwelt aber dergleichen nicht ent- haͤlt: so kan die Rede niemals mehr von der absoluten Groͤsse der Reihen in derselben seyn, ob sie begraͤnzt, oder an sich unbegraͤnzt seyn moͤgen, sondern nur, wie weit wir im empirischen Regressus, bey Zuruͤckfuͤhrung der Er- fahrung auf ihre Bedingungen, zuruͤckgehen sollen, um nach der Regel der Vernunft bey keiner andern, als dem Gegenstande angemessenen Beantwortung der Fragen der- s elben stehen zu bleiben. Es ist also nur die Guͤltigkeit des Vernunftprin- cip’s, als einer Regel der Fortsetzung und Groͤsse einer moͤglichen Erfahrung, die uns allein uͤbrig bleibt, nachdem sei- ne Unguͤltigkeit, als eines constitutiven Grundsatzes der Er- scheinungen an sich selbst, hinlaͤnglich dargethan worden. Auch wird, wenn wir iene ungezweifelt vor Augen legen koͤnnen, der Streit der Vernunft mit sich selbst voͤllig geendigt, indem nicht allein durch critische Aufloͤsung der Schein, der sie mit sich entzweiete, aufgehoben worden, sondern an dessen Statt der Sinn, in welchem sie mit sich selbst zusammenstimt und dessen Mißdeutung allein den Streit veranlaßte, aufgeschlossen und ein sonst dialectischer Grundsatz in einen doctrinalen verwandelt wird. In der That, wenn dieser, seiner subiectiven Bedeutung nach, den groͤßtmoͤglichen Verstandesgebrauch in der Erfahrung den Gegenstaͤnden derselben angemessen zu bestimmen, be- waͤhret werden kan: so ist es gerade eben so viel, als ob er IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. er wie ein Axiom (welches aus reiner Vernunft unmoͤg- lich ist) die Gegenstaͤnde an sich selbst a priori bestimme- te; denn auch dieses koͤnte in Ansehung der Obiecte der Erfahrung keinen groͤsseren Einfluß auf die Erweiterung und Berichtigung unserer Erkentniß haben, als daß es sich in dem ausgebreitetsten Erfahrungsgebrauche unseres Verstandes thaͤtig bewiese. I. Aufloͤsung der cosmologischen Idee, von der Totalitaͤt der Zusammensetzung der Erscheinungen von einem Weltganzen. So wol hier, als bey den uͤbrigen cosmologischen Fragen ist der Grund des regulativen Princip’s der Ver- nunft der Satz: daß im empirischen Regressus keine Er- fahrung von einer absoluten Graͤnze, mithin von keiner Bedingung, als einer solchen, die empirisch schlechthin un- bedingt sey, angetroffen werden koͤnne. Der Grund da- von aber ist: daß eine dergleichen Erfahrung eine Begraͤn- zung der Erscheinungen durch Nichts, oder das Leere, dar- auf der fortgefuͤhrte Regressus vermittelst einer Wahrneh- mung stoßen koͤnte, in sich enthalten muͤßte, welches un- moͤglich ist. Dieser Satz nun, der eben so viel sagt, als: daß ich im empirischen Regressus iederzeit nur zu einer Beding un K k 3 gelan- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. gelange, die selbst wiederum als empirisch bedingt angese- hen werden muß, enthaͤlt die Regel in terminis : daß so weit ich auch damit in der aufsteigenden Reihe gekommen seyn moͤge, ich iederzeit nach einem hoͤheren Gliede der Reihe fragen muͤsse, es mag mir dieses nun durch Erfah- rung bekant werden, oder nicht. Nun ist zur Aufloͤsung der ersten cosmologischen Auf- gabe nichts weiter noͤthig, als noch auszumachen: ob in dem Regressus zu der unbedingten Groͤsse des Weltganzen (der Zeit und dem Raume nach) dieses niemals begraͤnzte Aufsteigen ein Ruͤckgang ins Unendliche heissen koͤnne, oder nur ein unbestimbar fortgesezter Regressus ( in in- definitum ). Die blosse allgemeine Vorstellung der Reihe aller vergangenen Weltzustaͤnde, imgleichen der Dinge, welche im Weltraume zugleich sind, ist selbst nichts anders, als ein moͤglicher empirischer Regressus, den ich mir, obzwar noch unbestimt, denke, und wodurch der Begriff einer sol- chen Reihe von Bedingungen zu der gegebenen Wahrneh- mung allein entstehen kan Diese Weltreihe kan also auch weder groͤsser, noch klei- ner seyn, als der moͤgliche empirische Regressus, auf dem allein ihr Begriff beruht. Und da dieser kein be- stimtes Unendliche, eben so wenig aber auch ein bestimt- endliches (schlechthinbegraͤnztes) geben kan: so ist dar- aus klar, daß wir die Weltgroͤsse weder als endlich, noch unendlich annehmen koͤnnen, weil der Regressus (dadurch iene vorgestellt wird) keines von beiden zulaͤßt. . Nun habe ich das Welt- ganze IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. ganze iederzeit nur im Begriffe, keinesweges aber (als Ganzes) in der Anschauung. Also kan ich nicht von fei- ner Groͤsse auf die Groͤsse des Regressus schliessen, und die- se iener gemaͤß bestimmen, sondern ich muß mir allererst einen Begriff von der Weltgroͤsse durch die Groͤsse des em- pirischen Regressus machen. Von diesem aber weis ich niemals etwas mehr, als daß ich von iedem gegebenen Gliede der Reihe von Bedingungen immer noch zu einem hoͤheren (entfernteren) Gliede empirisch fortgehen muͤsse. Also ist dadurch die Groͤsse des Ganzen der Erscheinungen gar nicht schlechthin bestimt, mithin kan man auch nicht sagen: daß dieser Regressus ins Unendliche gehe, weil dieses die Glieder, dahin der Regressus noch nicht gelan- get ist, anticipiren und ihre Menge so groß vorstellen wuͤr- de, daß keine empirische Synthesis dazu gelangen kan, folglich die Weltgroͤsse vor dem Regressus (wenn gleich nur negativ) bestimmen wuͤrde, welches unmoͤglich ist. Denn diese ist mir durch keine Anschauung, (ihrer Totali- taͤt nach) mithin auch ihre Groͤsse vor dem Regressus gar nicht gegeben. Demnach koͤnnen wir von der Weltgroͤsse an sich gar nichts sagen, auch nicht einmal, daß in ihr ein regressus in infinitum statt finde, sondern muͤssen nur nach der Regel, die den empirischen Regressus in ihr be- stimt, den Begriff von ihrer Groͤsse suchen. Diese Regel aber sagt nichts mehr, als daß, so weit wir auch in der Reihe der empirischen Bedingungen gekommen seyn moͤ- gen, wir nirgend eine absolute Graͤnze annehmen sollen, K k 4 son- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. sondern iede Erscheinung als bedingt, einer andern, als ihrer Bedingung unterordnen, zu dieser also ferner fort- schreiten muͤssen, welches der regressus in indefinitum ist, der, weil er keine Groͤsse im Obiect bestimt, von dem in infinitum deutlich genug zu unterscheiden ist. Ich kan demnach nicht sagen: die Welt ist der ver- gangenen Zeit, oder dem Raume nach unendlich. Denn dergleichen Begriff von Groͤsse, als einer gegebenen Unend- lichkeit, ist empirisch, mithin auch in Ansehung der Welt, als eines Gegenstandes der Sinne, schlechterdings un- moͤglich. Ich werde auch nicht sagen: der Regressus von einer gegebenen Wahrnehmung an, zu allen dem, was diese im Raume so wol, als der vergangenen Zeit in einer Reihe begraͤnzt, geht ins Unendliche ; denn die- ses sezt die unendliche Weltgroͤsse voraus; auch nicht: sie ist endlich ; denn die absolute Graͤnze ist gleichfals em- pirisch unmoͤglich. Demnach werde ich nichts von dem ganzen Gegenstande der Erfahrung (der Sinnenwelt), son- dern nur von der Regel, nach welcher Erfahrung ihrem Gegenstande angemessen, angestellt und fortgesezt werden soll, sagen koͤnnen. Auf die cosmologische Frage also, wegen der Welt- groͤsse, ist die erste und negative Antwort: die Welt hat keinen ersten Anfang der Zeit und keine aͤusserste Graͤnze dem Raume nach. Denn im entgegengesezten Falle wuͤrde sie durch die leere Zeit einer, und durch den leeren Raum, anderer Seits, IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Seits, begraͤnzt seyn. Da sie nun, als Erscheinung, kei- nes von beiden an sich selbst seyn kan, denn Erscheinung ist kein Ding an sich selbst, so muͤßte eine Wahrnehmung der Begraͤnzung durch schlechthin leere Zeit, oder leeren Raum, moͤglich seyn, durch welche diese Weltenden in einer moͤglichen Erfahrung gegeben waͤren. Eine solche Erfah- rung aber, als voͤllig leer an Inhalt, ist unmoͤglich. Also ist eine absolute Weltgraͤnze empirisch, mithin auch schlech- terdings unmoͤglich Man wird bemerken: daß der Beweis hier auf ganz andere Art gefuͤhrt worden, als der dogmatische, oben in der Antithesis der ersten Antinomie. Daselbst hatten wir die Sinnenwelt, nach der gemeinen und dogmati- schen Vorstellungsart, vor ein Ding, was an sich selbst, vor allem Regressus, seiner Totalitaͤt nach gegeben war, gelten lassen, und hatten ihr, wenn sie nicht alle Zeit und alle Raͤume einnaͤhme, uͤberhaupt irgend eine be- stimte Stelle in beiden abgesprochen. Daher war die Folgerung auch anders, als hier, nemlich es wurde auf die wirkliche Unendlichkeit derselben geschlossen. . Hieraus folgt denn zugleich die beiahende Antwort: der Regressus in der Reihe der Welterscheinungen, als eine Bestimmung der Weltgroͤsse, geht in indefinitum, welches eben so viel sagt, als: die Sinnenwelt hat keine absolute Groͤsse, sondern der empirische Regressus (wo- durch sie auf der Seite ihrer Bedingungen allein gegeben werden kan) hat seine Regel, nemlich von einem ieden Gliede der Reihe, als einem Bedingten, iederzeit zu einem noch entfernetern (es fey durch eigene Erfahrung, oder K k 5 den Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. den Leitfaden der Geschichte, oder die Kette der Wirkun- gen und ihrer Ursachen) fortzuschreiten, und sich der Er- weiterung des moͤglichen empirischen Gebrauchs seines Verstandes nirgend zu uͤberheben, welches denn auch das eigentliche und einzige Geschaͤfte der Vernunft bey ihren Principien ist. Ein bestimter empirischer Regressus, der in einer ge- wissen Art von Erscheinungen ohne Aufhoͤren fortginge, wird hiedurch nicht vorgeschrieben, z. B. daß man von einem lebenden Menschen immer in einer Reihe von Vor- eltern aufwerts steigen muͤsse, ohne ein erstes Paar zu er- warten, oder in der Reihe der Weltcoͤrper ohne eine aͤus- serste Sonne zuzulassen, sondern es wird nur der Fort- schritt von Erscheinungen zu Erscheinungen geboten, sol- ten diese auch keine wirkliche Wahrnehmung (wenn sie dem Grade nach vor unser Bewustseyn zu schwach ist, um Erfahrung zu werden) abgeben, weil sie dem ungeachtet doch zur moͤglichen Erfahrung gehoͤren. Aller Anfang ist in der Zeit und alle Graͤnze des Ausgedehnten im Raume. Raum und Zeit aber sind nur in der Sinnenwelt. Mithin sind nur Erscheinungen in der Welt bedingterweise, die Welt aber selbst weder bedingt, noch auf unbedingte Art begraͤnzt. Eben um deswillen, und da die Welt niemals ganz, und selbst die Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten nicht, als Weltreihe, ganz gegeben werden kan, ist der Begriff von der Weltgroͤsse nur durch den Re- gressus IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. gressus und nicht vor demselben in einer collectiven An- schauung, gegeben. Jener besteht aber immer nur im Bestimmen der Groͤsse, und giebt also keinen bestimten Begriff, also auch keinen Begriff von einer Groͤsse, die in Ansehung eines gewissen Maasses unendlich waͤre, geht also nicht ins Unendliche (gleichsam gegebene), sondern in unbestimte Weite, um eine Groͤsse (der Erfahrung) zu geben, die allererst durch diesen Regressus wirklich wird. II. Aufloͤsung der cosmologischen Idee, von der Totalitaͤt der Theilung eines gegebenen Ganzen in der Anschauung. Wenn ich ein Ganzes, das in der Anschauung ge- geben ist, theile, so gehe ich von einem Bedingten zu den Bedingungen seiner Moͤglichkeit. Die Theilung der Theile ( subdiuisio oder decompositio ) ist ein Regressus in der Reihe dieser Bedingungen. Die absolute Totalitaͤt dieser Reihe wuͤrde nur alsdenn gegeben seyn, wenn der Regres- sus bis zu einfachen Theilen gelangen koͤnte. Sind aber alle Theile in einer continuirlichfortgehenden Decomposi- tion immer wiederum theilbar, so geht die Theilung, d. i. der Regressus, von dem Bedingten zu seinen Bedingun- gen in infinitum; weil die Bedingungen (die Theile) in dem Bedingten selbst enthalten sind und, da dieses in einer zwi- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. zwischen seinen Graͤnzen eingeschlossenen Anschauung ganz gegeben ist, insgesamt auch mit gegeben sind. Der Re- gressus darf also nicht blos ein Ruͤckgang in indefinitum genant werden, wie es die vorige cosmologische Idee allein erlaubete, da ich vom Bedingten zu seinen Bedingungen, die, ausser demselben, mithin nicht dadurch zugleich mit gegeben waren, sondern die im empirischen Regressus al- lererst hinzu kamen, fortgehen solte. Diesem ungeach- tet ist es doch keinesweges erlaubt, von einem solchen Ganzen, das ins Unendliche theilbar ist, zu sagen: es be- stehe aus unendlich viel Theilen . Denn obgleich alle Theile in der Anschauung des Ganzen enthalten sind, so ist doch darin nicht die ganze Theilung enthalten, welche nur in der fortgehenden Decomposition, oder dem Regres- sus selbst besteht, der die Reihe allererst wirklich macht. Da dieser Regressus nun unendlich ist, so sind zwar alle Glieder (Theile), zu denen er gelangt, in dem gegebenen Ganzen als Aggregate enthalten, aber nicht die ganze Reihe der Theilung , welche successivunendlich und nie- mals ganz ist, folglich keine unendliche Menge, und keine Zusammennehmung derselben in einem Ganzen darstellen kan. Diese allgemeine Erinnerung laͤßt sich zuerst sehr leicht auf den Raum anwenden. Ein ieder in seinen Graͤnzen angeschauter Raum ist ein solches Ganze, dessen Theile bey aller Decomposition immer wiederum Raͤume sind, und ist daher ins Unendliche theilbar. Hier IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Hieraus folgt auch ganz natuͤrlich die zweite An- wendung, auf eine in ihren Graͤnzen eingeschlossene aͤussere Erscheinung (Coͤrper). Die Theilbarkeit desselben gruͤndet sich auf die Theilbarkeit des Raumes, der die Moͤglich- keit des Coͤrpers, als eines ausgedehnten Ganzen, aus- macht. Dieser ist also ins Unendliche theilbar, ohne doch darum aus unendlich viel Theilen zu bestehen. Es scheinet zwar: daß, da ein Coͤrper als Substanz im Raume vorgestellet werden muß, er, was das Gesetz der Theilbarkeit des Raumes betrift, hierin von diesem unterschieden seyn werde: denn man kan es allenfalls wol zugeben: daß die Decomposition im lezteren niemals alle Zusammensetzung wegschaffen koͤnne, indem alsdenn so gar aller Raum, der sonst nichts Selbststaͤndiges hat, aufhoͤ- ren wuͤrde (welches unmoͤglich ist); allein daß, wenn alle Zusammensetzung der Materie in Gedanken aufgehoben wuͤr- de, gar nichts uͤbrig bleiben solle, scheint sich nicht mit dem Begriffe einer Substanz vereinigen zu lassen, die ei- gentlich das Subiect aller Zusammensetzung seyn solte, und in ihren Elementen uͤbrig bleiben muͤßte, wenn gleich die Verknuͤpfung derselben im Raume, dadurch sie einen Coͤr- per ausmachen, aufgehoben waͤre. Allein mit dem, was in der Erscheinung Substanz heißt, ist es nicht so be- wandt, als man es wol von einem Dinge an sich selbst durch reinen Verstandesbegriff denken wuͤrde. Jenes ist nicht absolutes Subiect, sondern beharrliches Bild der Sinn- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Sinnlichkeit und nichts als Anschauung, in der uͤberall nichts Unbedingtes angetroffen wird. Ob nun aber gleich diese Regel des Fortschritts ins Unendliche bey der Subdivision einer Erscheinung, als ei- ner blossen Erfuͤllung des Raumes, ohne allen Zweifel statt findet: so kan sie doch nicht gelten, wenn wir sie auch auf die Menge der auf gewisse Weise in dem gegebenen Ganzen schon abgesonderten Theile, dadurch diese ein quantum discretum ausmachen, erstrecken wollen. An- nehmen: daß in iedem gegliederten (organisirten) Ganzen ein ieder Theil wiederum gegliedert sey, und daß man auf solche Art, bey Zerlegung der Theile ins Unendliche, immer neue Kunsttheile antreffe, mit einem Worte, daß das Ganze ins Unendliche gegliedert sey, will sich gar nicht denken lassen, obzwar wol, daß die Theile der Materie, bey ihrer Decomposition ins Unendliche, gegliedert werden koͤnten. Denn die Unendlichkeit der Theilung einer gegebe- nen Erscheinung im Raume gruͤndet sich allein darauf: daß durch diese blos die Theilbarkeit, d. i. eine an sich schlechthin unbestimte Menge von Theilen gegeben ist, die Theile selbst aber nur durch die Subdivision gegeben und bestimmet werden, kurz daß das Ganze nicht an sich selbst schon eingetheilt ist. Daher die Theilung eine Menge in demselben bestimmen kan, die so weit geht, als man im Regressus der Theilung fortschreiten will. Dagegen wird bey einem ins Unendliche gegliederten organischen Coͤrper das IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. das Ganze eben durch diesen Begriff schon als eingetheilt vorgestellt, und eine an sich selbst bestimte, aber unendliche Menge der Theile, vor allem Regressus der Theilung, in ihm angetroffen, wodurch man sich selbst widerspricht; indem diese unendliche Einwickelung als eine niemals zu vollendende Reihe (unendlich) und gleichwol doch in einer Zusammennehmung als vollendet, angesehen wird. Die unendliche Theilung bezeichnet nur die Erscheinung als quantum continuum und ist von der Erfuͤllung des Rau- mes unzertrenlich; weil eben in derselben der Grund der unendlichen Theilbarkeit liegt. So bald aber etwas als quantum discretum angenommen wird: so ist die Menge der Einheiten darin bestimt; daher auch iederzeit einer Zahl gleich. Wie weit also die Organisirung in einem ge- gliederten Coͤrper gehen moͤge, kan nur die Erfahrung aus- machen, und wenn sie gleich mit Gewißheit zu keinem un- organischen Theile gelangte, so muͤssen solche doch wenig- stens in der moͤglichen Erfahrung liegen. Aber wie weit sich die transscendentale Theilung einer Erscheinung uͤber- haupt erstrecke, ist gar keine Sache der Erfahrung, son- dern ein Principium der Vernunft, den empirischen Re- gressus, in der Decomposition des Ausgedehnten, der Natur dieser Erscheinung gemaͤß, niemals vor schlechthin vollendet zu halten. Schluß- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Schlußanmerkung zur Aufloͤsung der Mathematischtransscendentalen, und Vorerinnerung zur Aufloͤsung der dynamisch-transscendentalen Ideen. Als wir die Antinomie der reinen Vernunft durch alle transscendentale Ideen in einer Tafel vorstelleten, da wir den Grund dieses Widerstreits und das einzige Mittel, ihn zu heben, anzeigten, welches darin bestand, daß beide entgegengesezte Behauptungen vor falsch erklaͤrt wurden: so haben wir allenthalben die Bedingungen, als zu ihrem Bedingten nach Verhaͤltnissen des Raumes und der Zeit gehoͤrig, vorgestellt, welches die gewoͤhnliche Voraussetzung des gemeinen Menschenverstandes ist, worauf denn auch iener Widerstreit gaͤnzlich beruhete. In dieser Ruͤcksicht waren auch alle dialectische Vorstellungen der Totalitaͤt, in der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Beding- ten, durch und durch von gleicher Art. Es war immer eine Reihe, in welcher die Bedingung mit dem Bedingten, als Glieder derselben, verknuͤpft und dadurch gleichartig waren, da denn der Regressus niemals vollendet gedacht, oder, wenn dieses geschehen solte, ein an sich bedingtes Glied faͤlschlich als ein erstes, mithin als unbedingt ange- nommen werden muͤßte. Es wuͤrde also zwar nicht aller- werts das Obiect, d. i. das Bedingte, aber doch die Rei- he IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. he der Bedingungen zu demselben, blos ihrer Groͤsse nach er- wogen, und da bestand die Schwierigkeit, die durch kei- nen Vergleich, sondern durch gaͤnzliche Abschneidung des Knotens allein gehoben werden konte, darin, daß die Ver- nunft es dem Verstande entweder zu lang oder zu kurz, machte, so, daß dieser ihrer Idee niemals gleich kom- men konte. Wir haben aber hiebey einen wesentlichen Unter- schied uͤbersehen, der unter den Obiecten, d. i. den Ver- standesbegriffen herrscht, welche die Vernunft zu Ideen zu erheben trachtet, da nemlich, nach unserer obigen Ta- fel der Categorien, zwey derselben mathematische, die zwey uͤbrige aber eine dynamische Synthesis der Erschei- nungen bedeuten. Bis hieher konte dieses auch gar wol geschehen, indem, so wie wir in der allgemeinen Vorstel- lung aller transscendentalen Ideen immer nur unter Be- dingungen in der Erscheinung blieben, eben so auch in den zween mathematisch transscendentalen keinen andern Gegenstand , als den in der Erscheinung hatten. Jezt aber, da wir zu dynamischen Begriffen des Verstandes, so fern sie der Vernunftidee anpassen sollen, fortgehen, wird iene Unterscheidung wichtig und eroͤfnet uns eine ganz neue Aussicht in Ansehung des Streithandels, dar- in die Vernunft verflochten ist und welcher, da er vorher, als auf beiderseitige falsche Voraussetzungen gebauet, abge- wiesen worden, iezt da vielleicht in der dynamischen An- L l tino- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. tinomie eine solche Voraussetzung statt findet, die mit der Praͤtension der Vernunft zusammen bestehen kan, aus diesem Gesichtspuncte und, da der Richter den Mangel der Rechtsgruͤnde, die man beiderseits verkant hatte, er- gaͤnzt, zu beider Theile Genugth uu ng verglichen werden kan, welches sich bey dem Streite in der mathematischen Antinomie nicht thun lies. Die Reihen der Bedingungen sind freilich in so fern alle gleichartig, als man lediglich auf die Erstreckung der- selben sieht: ob sie der Idee angemessen sind, oder ob diese vor iene zu groß, oder zu klein seyn. Allein der Verstandesbegriff, der diesen Ideen zum Grunde liegt, enthaͤlt entweder lediglich eine Synthesis des Gleicharti- gen , (welches bey ieder Groͤsse, in der Zusammensetzung, sowol als Theilung derselben, vorausgesezt wird), oder auch des Ungleichartigen , welches in der dynamischen Synthesis, der Caussalverbindung so wol, als der des Noth- wendigen mit dem Zufaͤlligen, wenigstens zugelassen wer- den kan. Daher komt es: daß in der mathematischen Ver- knuͤpfung der Reihen der Erscheinungen keine andere, als sinnliche Bedingung hinein kommen kan, d. i. eine solche, die selbst ein Theil der Reihe ist, da hingegen die dynami- sche Reihe sinnlicher Bedingungen doch noch eine ungleich- artige Bedingung zulaͤßt, die nicht ein Theil der Reihe, sondern, als blos intelligibel, ausser der Reihe lieg t, wo- durch IX. Absch. Vomempir. Gebrauche des regul. ꝛc. durch denn der Vernunft ein Gnuͤge gethan und das Un- bedingte den Erscheinungen vorgesezt wird, ohne die Reihe der lezteren, als iederzeit bedingt, dadurch zu verwirren und, den Verstandesgrundsaͤtzen zuwider, abzubrechen. Dadurch nun, daß die dynamische Ideen eine Be- dingung der Erscheinungen ausser der Reihe derselben, d. i. eine solche, die selbst nicht Erscheinung ist, zulassen, geschieht etwas, was von dem Erfolg der Antinomie gaͤnz- lich unterschieden ist. Diese nemlich verursachte: daß beide dialectischen Gegenbehauptungen vor falsch erklaͤrt werden mußten. Dagegen das Durchgaͤngigbedingte der dynamischen Reihen, welches von ihnen als Erschei- nungen unzertrenlich ist, mit der zwar empirischunbeding- ten, aber auch nichtsinnlichen Bedingung verknuͤpft, dem Verstande einer Seits und der Vernunft anderer Seits Denn der Verstand erlaubt unter Erscheinungen keine Bedingung, die selbst empirisch unbedingt waͤre. Liesse sich aber eine intelligibele Bedingung , die also nicht in die Reihe der Erscheinungen, als ein Glied, mit gehoͤre- te, zu einem Bedingten (in der Erscheinung) gedenken, ohne doch dadurch die Reihe empirischer Bedingungen im mindesten zu unterbrechen: so koͤnte eine solche als em- pirischunbedingt zugelassen werden, so daß dadurch dem empirischen continuirlichen Regressus nirgend Abbruch geschaͤhe. Gnuͤge leisten und, indem die dialectische Argu- mente, welche unbedingte Totalitaͤt in blossen Erscheinun- gen auf eine oder andere Art suchten, wegfallen, dagegen die L l 2 Ver- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Vernunftsaͤtze in der, auf solche Weise berichtigten Be- deutung, alle beide wahr seyn koͤnnen; welches bey den cosmologischen Ideen, die blos mathematischunbedingte Einheit betreffen, niemals statt finden kan, weil bey ih- nen keine Bedingung der Reihe der Erscheinungen ange- troffen wird, als die auch selbst Erscheinung ist und als solche mit ein Glied der Reihe ausmacht. III. Aufloͤsung der cosmologischen Ideen, von der Totalitaͤt der Ableitung der Weltbegebenheiten aus ihren Ursachen . Man kan sich nur zweierley Caussalitaͤt in Ansehung dessen, was geschieht, denken, entweder nach der Natur, oder aus Freiheit . Die erste ist die Verknuͤpfung eines Zustandes mit einem vorigen in der Sinnenwelt, worauf iener nach einer Regel folgt. Da nun die Caussalitaͤt der Erscheinungen auf Zeitbedingungen beruht, und der vorige Zustand, wenn er iederzeit gewesen waͤre, auch keine Wirkung, die allererst in der Zeit entspringt, her- vorgebracht haͤtte: so ist die Caussalitaͤt der Ursache dessen, was geschieht, oder entsteht, auch entstanden und bedarf nach dem Verstandesgrundsatze selbst wiederum eine Ursache. Dage- IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Dagegen verstehe ich unter Freiheit, im cosmolo- gischen Verstande, das Vermoͤgen, einen Zustand von selbst anzufangen, deren Caussalitaͤt also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimte. Die Freiheit ist in die- ser Bedeutung eine reine transscendentale Idee, die erstlich nichts von der Erfahrung entlehntes enthaͤlt, zweitens deren Gegenstand auch in keiner Erfahrung bestimt gege- ben werden kan, weil es ein allgemeines Gesetz, selbst der Moͤglichkeit aller Erfahrung ist: daß alles, was geschieht, eine Ursache, mithin auch die Caussalitaͤt der Ursache, die selbst geschehen, oder entstanden, wiederum eine Ursache haben muͤsse; wodurch denn das ganze Feld der Erfahrung, so weit es sich erstrecken mag, in einen Inbegriff blosser Natur verwandelt wird. Da aber auf solche Weise keine absolute Totalitaͤt der Bedingungen im Caussalverhaͤltnisse heraus zu bekommen ist, so schaft sich die Vernunft die Idee von einer Spontaneitaͤt, die von selbst anheben koͤn- ne zu handeln, ohne daß eine andere Ursache vorange- schickt werden duͤrfe, sie wiederum nach dem Gesetze der Caussalverknuͤpfung zur Handlung zu bestimmen. Es ist uͤberaus merkwuͤrdig: daß auf diese trans- scendentale Idee der Freiheit sich der practische Begriff derselben gruͤnde, und iene in dieser das eigentliche Mo- ment der Schwierigkeiten ausmache, welche die Frage uͤber ihre Moͤglichkeit von ieher umgeben haben. Die L l 3 Frei- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Freiheit im practischen Verstande ist die Unabhaͤngigkeit der Willkuͤhr von der Noͤthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit. Denn eine Willkuͤhr ist sinnlich , so fern sie pathologisch , (durch Bewegursachen der Sinnlichkeit) afficirt ist; sie heißt thierisch ( arbitrium brutum ), wenn sie pathologisch necessitirt werden kan. Die menschliche Willkuͤhr ist zwar ein arbitrium sensitiuum , aber nicht brutum , sondern liberum , weil Sinnlichkeit ihre Hand- lung nicht nothwendig macht, sondern dem Menschen ein Vermoͤgen beiwohnt, sich unabhaͤngig von der Noͤthigung durch sinnliche Antriebe von selbst zu bestimmen. Man siehet leicht: daß, wenn alle Caussalitaͤt in der Sinnenwelt blos Natur waͤre, so wuͤrde iede Bege- benheit durch eine andere in der Zeit nach nothwendigen Gesetzen bestimt seyn und mithin, da die Erscheinungen, so fern sie die Willkuͤhr bestimmen, iede Handlung als ihren natuͤrlichen Erfolg nothwendig machen muͤßten: so wuͤrde die Aushebung der transscendentalen Freiheit zu- gleich alle practische Freiheit vertilgen. Denn diese sezt voraus: daß, obgleich etwas nicht geschehen ist, es doch habe geschehen sollen und seine Ursache in der Erscheinung also nicht so bestimmend war, daß nicht in unserer Willkuͤhr eine Caussalitaͤt liege, unabhaͤngig von ienen Naturursa- chen und selbst wider ihre Gewalt und Einfluß etwas her- vorzubringen, was in der Zeitordnung nach empirischen Gesetzen bestimt ist, mithin eine Reihe von Begebenhei- ten ganz von selbst anzufangen. Es IX. Absch. Vom empir. Gebrauche desregul. ꝛc. Es geschieht also hier, was uͤberhaupt in dem Wi- derstreit einer sich uͤber die Graͤnzen moͤglicher Erfahrung hinauswagenden Vernunft angetroffen wird, daß die Auf- gebe eigentlich nicht physiologisch , sondern transscendental ist. Daher die Frage von der Moͤglichkeit der Freiheit die Psychologie zwar anficht, aber, da sie auf dialectischen Argumenten der blos reinen Vernunft beruht, samt ihrer Aufloͤsung lediglich die Transscendentalphilosophie beschaͤf- tigen muß. Um nun diese, welche eine befriedigende Ant- wort hieruͤber nicht ablehnen kan, dazu in Stand zu se- tzen, muß ich zuvoͤrderst ihr Verfahren bey dieser Aufgabe durch eine Bemerkung naͤher zu bestimmen suchen. Wenn Erscheinungen Dinge an sich selbst waͤren, mithin Raum und Zeit Formen des Daseyns der Dinge an sich selbst: so wuͤrden die Bedingungen mit dem Be- dingten iederzeit als Glieder zu einer und derselben Reihe gehoͤren und daraus auch in gegenwaͤrtigem Falle die An- tinomie entspringen, die allen transscendentalen Ideen ge- mein ist: daß diese Reihe unvermeidlich vor den Verstand zu groß, oder zu klein ausfallen muͤßte. Die dynamische Vernunftbegriffe aber, mit denen wir uns in dieser und der folgenden Nummer beschaͤftigen, haben dieses beson- dere: daß, da sie es nicht mit einem Gegenstande, als Groͤsse betrachtet, sondern nur mit seinem Daseyn zu thun ha- ben, man auch von der Groͤsse der Reihe der Bedingun- gen abstrahiren kan, und es bey ihnen blos auf das dy- L l 4 nami- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. namische Verhaͤltniß der Bedingung zum Bedingten ankomt, so, daß wir in der Frage uͤber Natur und Freiheit schon die Schwierigkeit antreffen, ob Freiheit uͤberall nur moͤglich sey und ob, wenn sie es ist, sie mit der Allgemeinheit des Naturgesetzes der Caussalitaͤt zusammen bestehen koͤnne, mithin ob es ein richtigdisiunctiver Satz sey: daß eine iede Wirkung in der Welt entweder aus Natur, oder aus Freiheit entspringen muͤsse, oder ob nicht vielmehr beides in verschiedener Beziehung bey einer und derselben Bege- benheit zugleich statt finden koͤnne. Die Richtigkeit ienes Grundsatzes, von dem durchgaͤngigen Zusammenhange aller Begebenheiten der Sinnenwelt, nach unwandelba- ren Naturgesetzen, steht schon als ein Grundsatz der trans- scendentalen Analytik fest und leidet keinen Abbruch. Es ist also nur die Frage: ob dem ungeachtet in Ansehung eben derselben Wirkung, die nach der Natur bestimt ist, auch Freiheit statt finden koͤnne, oder diese durch iene un- verletzliche Regel voͤllig ausgeschlossen sey. Und hier zeigt die zwar gemeine, aber betruͤgliche Voraussetzung der ab- soluten Realitaͤt der Erscheinungen, so gleich ihren nach- theiligen Einfluß, die Vernunft zu verwirren. Denn sind Erscheinungen Dinge an sich selbst: so ist Freiheit nicht zu retten. Alsdenn ist Natur die vollstaͤndige und an sich hinreichend bestimmende Ursache ieder Begebenheit und die Bedingung derselben ist iederzeit nur in der Reihe der Erscheinungen enthalten, die samt ihrer Wirkung, un- ter dem Naturgesetze nothwendig sind. Wenn dagegen Er- IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Erscheinungen vor nichts mehr gelten, als sie in der That sind, nemlich nicht vor Dinge an sich, sondern blosse Vor- stellungen, die nach empirischen Gesetzen zusammenhaͤngen, so muͤssen sie selbst noch Gruͤnde haben, die nicht Erschei- nungen sind. Eine solche intelligibele Ursache aber wird in Ansehung ihrer Caussalitaͤt nicht durch Erscheinungen bestimt, obzwar ihre Wirkungen erscheinen, und so durch andere Erscheinungen bestimt werden koͤnnen. Sie ist al- so samt ihrer Caussalitaͤt ausser der Reihe; dagegen ihre Wirkungen in der Reihe der empirischen Bedingungen an- getroffen werden. Die Wirkung kan also in Ansehung ih- rer intelligibelen Ursache als frey und doch zugleich in An- sehung der Erscheinungen, als Erfolg aus denselben nach der Nothwendigkeit der Natur angesehen werden; eine Unterscheidung, die, wenn sie im Allgemeinen und ganz abstract vorgetragen wird, aͤusserst subtil und dunkel schei- nen muß, die sich aber in der Anwendung aufklaͤren wird. Hier habe ich nur die Anmerkung machen wollen: daß, da der durchgaͤngige Zusammenhang aller Erscheinungen, in einem Context der Natur, ein unnachlaßliches Gesetz ist, dieses alle Freiheit nothwendig umstuͤrzen muͤßte, wenn man der Realitaͤt der Erscheinungen hartnaͤckigt an- haͤngen wolte. Daher auch dieienige, welche hierin der gemeinen Meinung folgen, niemals dahin haben gelangen koͤnnen, Natur und Freiheit mit einander zu vereinigen. L l 5 Moͤg- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Moͤglichkeit der Caussalitaͤt durch Freiheit , in Vereinigung mit dem allgemeinen Gesetze der Naturnothwendigkeit . Ich nenne dasienige an einem Gegenstande der Sin- ne, was selbst nicht Erscheinung ist, intelligibel. Wenn demnach dasienige, was in der Sinnenwelt als Erschei- nung angesehen werden muß, an sich selbst auch ein Ver- moͤgen hat, welches kein Gegenstand der sinnlichen An- schauung ist, wodurch es aber doch die Ursache von Er- scheinungen seyn kan: so kan man die Caussalitaͤt dieses Wesens auf zwey Seiten betrachten, als intelligibel nach ihrer Handlung, als eines Dinges an sich selbst, und als sensibel , nach den Wirkungen derselben, als einer Er- scheinung in der Sinnenwelt. Wir wuͤrden uns demnach von dem Vermoͤgen eines solchen Subiects einen empiri- schen, imgleichen auch einen intellectuellen Begriff seiner Caussalitaͤt machen, welche bey einer und derselben Wir- kung zusammen statt finden. Eine solche doppelte Seite, das Vermoͤgen eines Gegenstandes der Sinne sich zu den- ken, widerspricht keinem von den Begriffen, die wir uns von Erscheinungen und von einer moͤglichen Erfahrung zu machen haben. Denn, da diesen, weil sie an sich keine Dinge sind, ein transscendentaler Gegenstand zum Grunde liegen muß, der sie als blosse Vorstellungen bestimt, so hindert nichts, daß wir diesem transscendentalen Gegen- stande, IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. stande, ausser der Eigenschaft, dadurch er erscheint, nicht auch eine Caussalitaͤt beilegen solten, die nicht Erschei- nung ist, obgleich ihre Wirkung dennoch in der Erschei- nung angetroffen wird. Es muß aber eine iede wirkende Ur- sache einen Character haben, d. i. ein Gesetz ihrer Caus- salitaͤt, ohne welches sie gar nicht Ursache seyn wuͤrde. Und da wuͤrden wir an einem Subiecte der Sinnenwelt erstlich einen empirischen Character haben, wodurch seine Handlungen, als Erscheinungen, durch und durch mit anderen Erscheinungen nach bestaͤndigen Naturgesetzen im Zusammenhange staͤnden und von ihnen, als ihren Bedin- gungen, abgeleitet werden koͤnten und also, mit diesen in Verbindung, Glieder einer einzigen Reihe der Naturord- nung ausmachten. Zweitens wuͤrde man ihm noch einen intelligibelen Character einraͤumen muͤssen, dadurch es zwar die Ursache iener Handlungen als Erscheinungen ist, der aber selbst unter keinen Bedingungen der Sinnlichkeit steht und selbst nicht Erscheinung ist. Man koͤnte auch den ersteren den Character eines solchen Dinges in der Er- scheinung, den zweiten den Character des Dinges an sich selbst nennen. Dieses handelnde Subiect wuͤrde nun, nach seinem intelligibelen Character, unter keinen Zeitbedingungen ste- hen, denn die Zeit ist nur die Bedingung der Erscheinun- gen, nicht aber der Dinge an sich selbst. In ihm wuͤrde keine Handlung entstehen, oder vergehen, mithin wuͤrde es Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. es auch nicht dem Gesetze aller Zeitbestimmung, alles Ver- aͤnderlichen, unterworfen seyn: daß alles, was geschieht, in den Erscheinungen (des vorigen Zustandes) seine Ur- sache antreffe. Mit einem Worte, die Caussalitaͤt dessel- ben, so fern sie intellectuel ist, staͤnde gar nicht in der Rei- he empirischer Bedingungen, welche die Begebenheit in der Sinnenwelt nothwendig machen. Dieser intelligibele Cha- racter koͤnte zwar niemals unmittelbar gekant werden, weil wir nichts wahrnehmen koͤnnen, als so fern es er- scheint, aber er wuͤrde doch dem empirischen Character ge- maͤß gedacht werden muͤssen, so wie wir uͤberhaupt einen transscendentalen Gegenstand den Erscheinungen in Ge- danken zum Grunde legen muͤssen, ob wir zwar von ihm, was er an sich selbst sey, nichts wissen. Nach seinem empirischen Character wuͤrde also die- ses Subiect, als Erscheinung, allen Gesetzen der Bestim- mung nach, der Caussalverbindung unterworfen seyn und es waͤre so fern nichts, als ein Theil der Sinnenwelt, des- sen Wirkungen, so wie iede andere Erscheinung, aus der Natur unausbleiblich abfloͤssen. So wie aͤussere Erschei- nungen in dasselbe einfloͤssen, wie sein empirischer Chara- cter, d. i. das Gesetz seiner Caussalitaͤt, durch Erfahrung erkant waͤre, muͤßten sich alle seine Handlungen nach Na- turgesetzen erklaͤren lassen und alle Requisite zu einer voll- kommenen und nothwendigen Bestimmung derselben muͤßten in einer moͤglichen Erfahrung angetroffen werden. Nach IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Nach dem intelligibelen Character desselben aber (ob wir zwar davon nichts als blos den allgemeinen Begriff desselben haben koͤnnen) wuͤrde dasselbe Subiect dennoch von allem Einflusse der Sinnlichkeit und Bestimmung durch Erscheinungen frey gesprochen werden muͤssen, und, da in ihm, so fern es Noumenon ist, nichts geschieht , kei- ne Veraͤnderung, welche dynamische Zeitbestimmung er- heischt, mithin keine Verknuͤpfung mit Erscheinungen als Ursachen angetroffen wird, so wuͤrde dieses thaͤtige We- sen, so fern in seinen Handlungen von aller Naturnothwen- digkeit, als die lediglich in der Sinnenwelt angetroffen wird, unabhaͤngig und frey seyn. Man wuͤrde von ihm ganz richtig sagen: daß es seine Wirkungen in der Sin- nenwelt von selbst anfange, ohne daß die Handlung in ihm selbst anfaͤngt und dieses wuͤrde guͤltig seyn, ohne daß die Wirkungen in der Sinnenwelt darum von selbst anfangen duͤrfen, weil sie in derselben iederzeit durch empirische Be- dingungen in der vorigen Zeit, aber doch nur vermittelst des empirischen Characters (der blos die Erscheinung des intelligibelen ist) vorher bestimt seyn, und nur als eine Fortsetzung der Reihe der Naturursachen moͤglich sind. So wuͤrde denn Freiheit und Natur, iedes in seiner voll- staͤndigen Bedeutung, bey eben denselben Handlungen, nachdem man sie mit ihrer intelligibelen, oder sensibelen Ursache vergleicht, zugleich und ohne allen Widerstreit an- getroffen werden. Erlaͤu- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Erlaͤuterung der cosmologischen Idee einer Freiheit in Verbindung mit der allgemeinen Naturnothwendigkeit . Ich habe gut gefunden, zuerst den Schattenriß der Aufloͤsung unseres transscendentalen Problems zu entwer- fen, damit man den Gang der Vernunft in Aufloͤsung des- selben dadurch besser uͤbersehen moͤge. Jezt wollen wir die Momente ihrer Entscheidung, auf die es eigentlich an- koͤmt, aus einander setzen und iedes besonders in Erwaͤ- gung ziehen. Das Naturgesetz: daß alles, was geschieht, eine Ursache habe, daß die Caussalitaͤt dieser Ursache, d. i. die Handlung , da sie in der Zeit vorhergeht und in Be- tracht einer Wirkung, die da entstanden, selbst nicht immer gewesen seyn kan, sondern geschehen seyn muß, auch ihre Ursache unter den Erscheinungen habe, dadurch sie bestimt wird und daß folglich alle Begebenheiten in einer Natur- ordnung empirisch bestimt sind, dieses Gesetz, durch wel- ches Erscheinungen allererst eine Natur ausmachen und Gegenstaͤnde einer Erfahrung abgeben koͤnnen, ist ein Ver- standesgesetz, von welchem es unter keinem Vorwande er- laubt ist abzugehen, oder irgend eine Erscheinung davon aus- zunehmen; weil man sie sonst ausserhalb aller moͤglichen Er- fahrung setzen, dadurch aber von allen Gegenstaͤnden moͤg- licher IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. licher Erfahrung unterscheiden und sie zum blossen Gedan- kendinge und einem Hirngespinst machen wuͤrde. Ob es aber gleich hiebey lediglich nach einer Kette von Ursachen aussieht, die im Regressus zu ihren Bedin- gungen gar keine absolute Totalitaͤt verstattet, so haͤlt uns diese Bedenklichkeit doch gar nicht auf; denn sie ist schon in der allgemeinen Beurtheilung der Antino- mie der Vernunft, wenn sie in der Reihe der Erscheinun- gen aufs Unbedingte ausgeht, gehoben worden. Wenn wir der Taͤuschung des transscendentalen Realismus nach- geben wollen: so bleibt weder Natur, noch Freiheit uͤbrig. Hier ist nur die Frage: ob, wenn man in der ganzen Rei- he aller Begebenheiten lauter Naturnothwendigkeit aner- kent, es doch moͤglich sey, eben dieselbe, die einer Seits blosse Naturwirkung ist, doch anderer Seits als Wirkung aus Freiheit anzusehen, oder ob zwischen diesen zween Ar- ten von Caussalitaͤt ein gerader Widerspruch angetroffen werde. Unter den Ursachen in der Erscheinung kan sicherlich nichts seyn, welches eine Reihe schlechthin und von selbst anfangen koͤnte. Jede Handlung, als Erscheinung, so fern sie eine Begebenheit hervorbringt, ist selbst Begeben- heit, oder Eraͤugniß, welche einen andern Zustand voraus- sezt, darin die Ursache angetroffen werde und so ist alles, was geschieht, nur eine Fortsetzung der Reihe und kein Anfang, der sich von selbst zutruͤge, in derselben moͤglich. Also Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Also sind alle Handlungen der Naturursachen in der Zeit- folge selbst wiederum Wirkungen, die ihre Ursachen eben so wol in der Zeitreihe voraussetzen. Eine urspruͤngliche Handlung, wodurch etwas geschieht, was vorher nicht war, ist von der Caussalverknuͤpfung der Erscheinungen nicht zu erwarten. Ist es denn aber auch nothwendig: daß, wenn die Wirkungen Erscheinungen sind, die Caussalitaͤt ihrer Ursache, die (nemlich Ursache) selbst auch Erscheinung ist, lediglich empirisch seyn muͤsse und ist es nicht vielmehr moͤglich: daß, obgleich zu ieder Wirkung in der Erscheinung eine Ver- knuͤpfung mit ihrer Ursache, nach Gesetzen der empirischen Caussalitaͤt, allerdings erfodert wird, dennoch diese empiri- sche Caussalitaͤt selbst, ohne ihren Zusammenhang mit den Naturursachen im mindesten zu unterbrechen, doch einer Wir- kung einer nichtempirischen, sondern intelligibelen Caussali- taͤt seyn koͤnne, d. i. einer, in Ansehung der Erscheinungen, urspruͤnglichen Handlung einer Ursache, die also in so fern nicht Erscheinung, sondern diesem Vermoͤgen nach intelli- gibel ist, ob sie gleich uͤbrigens gaͤnzlich, als ein Glied der Naturkette, mit zu der Sinnenwelt gezaͤhlt werden muß. Wir beduͤrfen des Satzes der Caussalitaͤt der Erschei- nungen unter einander, um von Naturbegebenheiten Natur- bedingungen, d. i. Ursachen in der Erscheinung, zu suchen und angeben zu koͤnnen. Wenn dieses eingeraͤumt und durch keine Ausnahme geschwaͤcht wird, so hat der Ver- stand, der bey seinem empirischen Gebrauche in allen Er- aͤugnissen IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. aͤugnissen nichts als Natur sieht und dazu auch berechtigt ist, alles, was er fodern kan, und die physische Erklaͤrun- gen gehen ihren ungehinderten Gang fort. Nun thut ihm das nicht den mindesten Abbruch, gesezt daß es uͤbrigens auch blos erdichtet seyn solte, wenn man annimt: daß un- ter den Naturursachen es auch welche gebe, die ein Ver- moͤgen haben, welches nur intelligibel ist, indem die Be- stimmung desselben zur Handlung niemals auf empirischen Bedingungen, sondern auf blossen Gruͤnden des Verstan- des beruht, so doch, daß die Handlung in der Erschei- nung von dieser Ursache allen Gesetzen der empirischen Caussalitaͤt gemaͤß sey. Denn auf diese Art wuͤrde das handelnde Subiect, als caussa phaenomenon , mit der Natur in unzertrenter Abhaͤngigkeit aller ihrer Handlun- gen verkettet seyn und nur das phaenomenon dieses Sub- iects (mit aller Caussalitaͤt desselben in der Erscheinung) wuͤrde gewisse Bedingungen enthalten, die, wenn man von dem empirischen Gegenstande zu dem transscenden- talen aufsteigen will, als blos intelligibel muͤßten angese- hen werden. Denn wenn wir nur in dem, was unter den Erscheinungen die Ursache seyn mag, der Naturregel folgen: so koͤnnen wir daruͤber unbekuͤmmert seyn, was in dem transscendentalen Subiect, welches uns empirisch unbekant ist, vor ein Grund von diesen Erscheinungen und deren Zusammenhange gedacht werde. Dieser intelligibe- le Grund ficht gar nicht die empirische Fragen an, son- dern betrift etwa blos das Denken im reinen Verstande M m und, Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. und, obgleich die Wirkungen dieses Denkens und Handeins des reinen Verstandes in den Erscheinungen angetroffen werden, so muͤssen diese doch nichts desto minder aus ih- rer Ursache in der Erscheinung nach Naturgesetzen vollkom- men erklaͤrt werden koͤnnen, indem man den blos empiri- schen Character derselben, als den obersten Erklaͤrungs- grund, befolgt, und den intelligibelen Character, der die transscendentale Ursache von ienem ist, gaͤnzlich als unbe- kant vorbey geht, ausser so fern er nur durch den empiri- schen, als das sinnliche Zeichen desselben angegeben wird. Laßt uns dieses auf Erfahrung anwenden. Der Mensch ist eine von den Erscheinungen der Sinnenwelt, und in so fern auch eine der Naturursachen, deren Caussalitaͤt un- ter empirischen Gesetzen stehen muß. Als eine solche muß er demnach auch einen empirischen Character haben, so wie alle andere Naturdinge. Wir bemerken denselben durch Kraͤfte und Vermoͤgen, die er in seinen Wirkungen aͤussert. Bey der leblosen, oder blos thierischbelebten Natur, finden wir keinen Grund, irgend ein Vermoͤgen uns anders, als blos sinnlich bedingt zu denken. Allein der Mensch, der die ganze Natur sonst lediglich nur durch Sinne kent, erkent sich selbst auch durch blosse Appercep- tion und zwar in Handlungen und inneren Bestimmungen, die er gar nicht zum Eindrucke der Sinne zaͤhlen kan, und ist sich selbst freilich eines Theils Phaͤnomen, anderen Theils aber, nemlich in Ansehung gewisser Vermoͤgen, ein blos intelligibeler Gegenstand, weil die Handlung desselben gar IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. gar nicht zur Receptivitaͤt der Sinnlichkeit gezaͤhlt werden kan. Wir nennen diese Vermoͤgen Verstand und Ver- nunft, vornemlich wird die leztere ganz eigentlich und vor- zuͤglicher Weise von allen empirischbedingten Kraͤften unter- schieden, da sie ihre Gegenstaͤnde blos nach Ideen erwaͤgt und den Verstand darnach bestimt, der denn von seinen (zwar auch reinen) Begriffen einen empirischen Gebrauch macht. Daß diese Vernunft nun Caussalitaͤt habe, wenig- stens wir uns eine dergleichen an ihr vorstellen, ist aus den Imperativen klar, welche wir in allem Practischen den ausuͤbenden Kraͤften als Regeln aufgeben. Das Sollen druͤckt eine Art von Nothwendigkeit und Verknuͤp- fung mit Gruͤnden aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkomt. Der Verstand kan von dieser nur erken- nen, was da ist, oder gewesen ist, oder seyn wird. Es ist unmoͤglich, daß etwas darin anders seyn soll, als es in allen diesen Zeitverhaͤltnissen in der That ist, ia das Sollen, wenn man blos den Lauf der Natur vor Augen hat, hat ganz und gar keine Bedeutung. Wir koͤnnen gar nicht fragen: was in der Natur geschehen soll, eben so wenig, als: was vor Eigenschaften ein Cirkel haben soll, sondern was darin geschieht, oder welche Eigenschaf- ten der leztere hat. Dieses Sollen nun druͤkt eine moͤgliche Handlung aus, davon der Grund nichts anders, als ein blosser Be- griff, ist; dahingegen von einer blossen Naturhandlung der M m 2 Grund Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Grund iederzeit eine Erscheinung seyn muß. Nun muß die Handlung allerdings unter Naturbedingungen moͤglich seyn, wenn auf sie das Sollen gerichtet ist; aber diese Naturbedingungen betreffen nicht die Bestimmung der Willkuͤhr selbst, sondern nur die Wirkung und den Erfolg derselben in der Erscheinung. Es moͤgen noch so viel Na- turgruͤnde seyn, die mich zum Wollen antreiben, noch so viel sinnliche Anreitze, so koͤnnen sie nicht das Sollen her- vorbringen; sondern nur ein noch lange nicht nothwen- diges, sondern iederzeit bedingtes Wollen, dem dagegen das Sollen, das die Vernunft ausspricht, Maas und Ziel, ia Verbot und Ansehen entgegen sezt. Es mag ein Gegenstand der blossen Sinnlichkeit (das Angenehme) oder auch der reinen Vernunft (das Gute) seyn: so giebt die Vernunft nicht demienigen Grunde, der empirisch gegeben ist, nach, und folgt nicht der Ordnung der Dinge, so wie sie sich in der Erscheinung darstellen, sondern macht sich mit voͤlliger Spontaneitaͤt eine eigene Ordnung nach Ideen, in die sie die empirische Bedingungen hinein paßt, und nach denen sie so gar Handlungen vor nothwendig er- klaͤrt, die doch nicht geschehen sind und vielleicht nicht geschehen werden, von allen aber gleichwol voraussezt, daß die Vernunft in Beziehung auf sie Caussalitaͤt haben koͤnne; denn, ohne das, wuͤrde sie nicht von ihren Ideen Wirkungen in der Erfahrung erwarten. Nun laßt uns hiebey stehen bleiben und es wenig- stens als Moͤglich annehmen: die Vernunft habe wirklich Caus- IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Caussalitaͤt in Ansehung der Erscheinungen: so muß sie, so sehr sie auch Vernunft ist, dennoch einen empirischen Cha- racter von sich zeigen, weil iede Ursach eine Regel voraus- sezt, darnach gewisse Erscheinungen als Wirkungen folgen, und iede Regel eine Gleichfoͤrmigkeit der Wirkungen erfo- dert, die den Begriff der Ursache (als eines Vermoͤgens) gruͤndet, welchen wir, so fern er aus blossen Erscheinun- gen erhellen muß, seinen empirischen Character heissen koͤnnen, der bestaͤndig ist, indessen die Wirkungen, nach Verschiedenheit der begleitenden und zum Theil einschraͤn- kenden Bedingungen, in veraͤnderlichen Gestalten er- scheinen. So hat denn ieder Mensch einen empirischen Cha- racter seiner Willkuͤhr, welcher nichts anders ist, als eine gewisse Caussalitaͤt seiner Vernunft, so fern diese an ihren Wirkungen in der Erscheinung eine Regel zeigt, darnach man die Vernunftgruͤnde und die Handlungen derselben nach ihrer Art und ihren Graden abnehmen, und die subiective Principien seiner Willkuͤhr beurtheilen kan. Weil dieser empirische Character selbst aus den Erscheinun- gen als Wirkung und aus der Regel derselben, welche Erfahrung an die Hand giebt, gezogen werden muß: so sind alle Handlungen des Menschen in der Erscheinung aus seinem empirischen Character und den mitwirkenden anderen Ursachen nach der Ordnung der Natur bestimt und, wenn wir alle Erscheinungen seiner Willkuͤhr bis auf M m 3 den Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. den Grund erforschen koͤnten, so wuͤrde es keine einzige menschliche Handlung geben, die wir nicht mit Gewisheit vorhersagen und aus ihren vorhergehenden Bedingungen als nothwendig erkennen koͤnten. In Ansehung dieses em- pirischen Characters giebt es also keine Freiheit und nach diesem koͤnnen wir doch allein den Menschen betrachten, wenn wir lediglich beobachten und, wie es in der Anthro- pologie geschieht, von seinen Handlungen die bewegende Ursachen physiologisch erforschen wollen. Wenn wir aber eben dieselbe Handlungen in Be- ziehung auf die Vernunft erwaͤgen und zwar nicht die speculative, um iene ihrem Ursprunge nach zu erklaͤren, sondern ganz allein, so fern Vernunft die Ursache ist, sie selbst zu erzeugen, mit einem Worte, vergleichen wir sie mit dieser in practischer Absicht: so finden wir eine ganz andere Regel und Ordnung, als die Naturordnung ist. Denn da solte vielleicht alles das nicht geschehen seyn, was doch nach dem Naturlaufe geschehen ist und nach sei- nen empirischen Gruͤnden unausbleiblich geschehen mußte. Bisweilen aber finden wir, oder glauben wenigstens zu fin- den: daß die Ideen der Vernunft wirklich Caussalitaͤt in Ansehung der Handlungen des Menschen, als Erscheinun- gen, bewiesen haben, und daß sie darum geschehen sind, nicht weil sie durch empirische Ursachen, nein, sondern weil sie durch Gruͤnde der Vernunft bestimt waren. Gesezt IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Gesezt nun, man koͤnte sagen: die Vernunft habe Caussalitaͤt in Ansehung der Erscheinung; koͤnte da wohl die Handlung derselben frey heissen, da sie im empirischen Character derselben (der Sinnesart) ganz genau bestimt und nothwendig ist. Dieser ist wiederum im intelligibelen Character (der Denkungsart) bestimt. Die leztere kennen wir aber nicht, sondern bezeichnen sie durch Erscheinungen, welche eigentlich nur die Sinnesart (empirischen Character) un- mittelbar zu erkennen geben Die eigentliche Moralitaͤt der Handlungen (Verdienst und Schuld) bleibt uns daher, selbst die, unseres eigenen Verhaltens, gaͤnzlich verborgen. Unsere Zurechnungen koͤnnen nur auf den empirischen Character bezogen wer- den. Wie viel aber davon reine Wirkung der Freiheit, wie viel der blossen Natur und dem unverschuldeten Feh- ler des Temperaments, oder dessen gluͤcklicher Beschaffen- heit (merito fortunae) zuzuschreiben sey, kan niemand ergruͤnden, und daher auch nicht nach voͤlliger Gerechtig- keit richten. . Die Handlung nun, so fern sie der Denkungsart, als ihrer Ursache, beizumessen ist, er- folgt dennoch daraus gar nicht nach empirischen Gesetzen, d. i. so, daß die Bedingungen der reinen Vernunft, son- dern nur so, daß deren Wirkungen in der Erscheinung des inneren Sinnes vorhergehen. Die reine Vernunft, als ein blos intelligibeles Vermoͤgen, ist der Zeitform, und mithin auch den Bedingungen der Zeitfolge, nicht unter- worfen. Die Caussalitaͤt der Vernunft im intelligibelen Character entsteht nicht, oder hebt nicht etwa zu einer gewissen Zeit an, um eine Wirkung hervorzubringen. Denn M m 4 sonst Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. sonst wuͤrde sie selbst dem Naturgesetz der Erscheinungen, so fern es Caussalreihen der Zeit nach bestimt, unterwor- fen seyn, und die Caussalitaͤt waͤre alsdenn Natur, und nicht Freiheit. Also werden wir sagen koͤnnen: wenn Vernunft Caussalitaͤt in Ansehung der Erscheinungen ha- ben kan: so ist sie ein Vermoͤgen, durch welches die sinn- liche Bedingung einer empirischen Reihe von Wirkungen zuerst anfaͤngt. Denn die Bedingung, die in der Ver- nunft liegt, ist nicht sinnlich und faͤngt also selbst nicht an. Demnach findet alsdenn dasienige statt, was wir in allen empirischen Reihen vermißten: daß die Bedin- gung einer successiven Reihe von Begebenheiten selbst em- pirischunbedingt seyn konte. Denn hier ist die Bedingung ausser der Reihe der Erscheinungen (im Intelligibelen) und mithin keiner sinnlichen Bedingung und keiner Zeitbestim- mung durch vorhergehende Ursache unterworfen. Gleichwol gehoͤrt doch eben dieselbe Ursache in einer andern Beziehung auch zur Reihe der Erscheinungen. Der Mensch ist selbst Erscheinung. Seine Willkuͤhr hat einen empirischen Character, der die (empirische) Ursache aller seiner Handlungen ist. Es ist keine der Bedingungen, die den Menschen diesem Character gemaͤß bestimmen, welche nicht in der Reihe der Naturwirkungen enthalten waͤ- re und dem Gesetze derselben gehorchte, nach welchem gar keine empirischunbedingte Caussalitaͤt von dem, was in der Zeit geschieht, angetroffen wird. Daher kan keine gege- bene Handlung (weil sie nur als Erscheinung wahrgenom- men IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. men werden kan) schlechthin von selbst anfangen. Aber von der Vernunft kan man nicht sagen: daß vor demieni- gen Zustande, darin sie die Willkuͤhr bestimt, ein anderer vorhergehe, darin dieser Zustand selbst bestimt wird. Denn da Vernunft selbst keine Erscheinung und gar keinen Bedin- gungen der Sinnlichkeit unterworfen ist, so findet in ihr, selbst in Betreff ihrer Caussalitaͤt, keine Zeitfolge statt und auf sie kan also das dynamische Gesetz der Natur, was die Zeitfolge nach Regeln bestimt, nicht angewandt werden. Die Vernunft ist also die beharrliche Bedingung al- ler willkuͤhrlichen Handlungen, unter denen der Mensch erscheint. Jede derselben ist im empirischen Character des Menschen vorher bestimt, ehe noch als sie geschieht. In Ansehung des intelligibelen Characters, wovon iener nur das sinnliche Schema ist, gilt kein Vorher , oder Nachher und iede Handlung, unangesehen des Zeitverhaͤltnisses, darin sie mit anderen Erscheinungen steht, ist die unmit- telbare Wirkung des intelligibelen Characters der reinen Vernunft, welche mithin frey handelt, ohne in der Kette der Naturursachen, durch aͤussere oder innere, aber der Zeit nach vorhergehende Gruͤnde, dynamisch bestimt zu seyn, und diese ihre Freiheit kan man nicht allein nega- tiv, als Unabhaͤngigkeit von empirischen Bedingungen an- sehen, (denn dadurch wuͤrde das Vernunftvermoͤgen auf- hoͤren, eine Ursache der Erscheinungen zu seyn), sondern M m 5 auch Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. auch positiv, durch ein Vermoͤgen bezeichnen, eine Reihe von Begebenheiten von selbst anzufangen, so, daß in ihr selbst nichts anfaͤngt, sondern sie, als unbedingte Bedin- gung ieder willkuͤhrlichen Handlung, uͤber sich keine der Zeit nach vorhergehende Bedingungen verstattet, indessen daß doch ihre Wirkung in der Reihe der Erscheinungen anfaͤngt, aber darin niemals einen schlechthin ersten An- fang ausmachen kan. Um das regulative Princip der Vernunft durch ein Beispiel aus dem empirischen Gebrauch desselben zu erlaͤu- tern, nicht um es zu bestaͤtigen, (denn dergleichen Be- weise sind zu transscendentalen Behauptungen untauglich), so nehme man eine willkuͤhrliche Handlung, z. E. eine bos- hafte Luͤge, durch die ein Mensch eine gewisse Verwirrung in die Gesellschaft gebracht hat, und die man zuerst ihren Bewegursachen nach, woraus sie entstanden, untersucht und darauf beurtheilt, wie sie samt ihren Folgen ihm zu- gerechnet werden koͤnnen. In der ersten Absicht geht man seinen empirischen Character bis zu den Quellen desselben durch, die man in der schlechten Erziehung, uͤbler Gesell- schaft, zum Theil auch in der Boͤsartigkeit, eines vor Beschaͤmung unempfindlichen Naturels, aufsucht, zum Theil auf den Leichtsinn und Unbesonnenheit schiebt; wo- bey man denn die veranlassende Gelegenheitsursachen nicht aus der Acht laͤßt. In allem diesem verfaͤhrt man, wie uͤberhaupt in Untersuchung der Reihe bestimmender Ursachen zu einer gegebenen Naturwirkung. Ob man nun gleich die IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. die Handlung dadurch bestimt zu seyn glaubt: so tadelt man nichts destoweniger den Thaͤter und zwar nicht we- gen seines ungluͤcklichen Naturels, nicht wegen der auf ihn einfliessenden Umstaͤnde, ia so gar nicht wegen seines vorhergefuͤhrten Lebenswandels, denn man sezt voraus, man koͤnne es gaͤnzlich bey Seite setzen, wie dieser beschaf- fen gewesen, und die verflossene Reihe von Bedingungen als ungeschehen, diese That aber als gaͤnzlich unbedingt in Anschung des vorigen Zustandes ansehen, als ob der Thaͤter damit eine Reihe von Folgen ganz von selbst an- hebe. Dieser Tadel gruͤndet sich auf ein Gesetz der Ver- nunft, wobey man diese als eine Ursache ansieht, welche das Verhalten des Menschen, unangesehen aller genanten empirischen Bedingungen, anders habe bestimmen koͤnnen und sollen. Und zwar siehet man die Caussalitaͤt der Vernunft nicht etwa blos wie Concurrenz, sondern an sich selbst als vollstaͤndig an, wenn gleich die sinnliche Trieb- federn gar nicht davor, sondern wol gar dawider waͤren; die Handlung wird seinem intelligibelen Character beyge- messen, er hat iezt, in dem Augenblicke, da er luͤgt, gaͤnz- lich Schuld; mithin war die Vernunft, unerachtet aller empirischen Bedingungen der That, voͤllig frey und ihrer Unterlassung ist diese gaͤnzlich beizumessen. Man siehet diesem zurechnenden Urtheile es leicht an: daß man dabey in Gedanken habe, die Vernunft werde durch alle iene Sinnlichkeit gar nicht afficirt, sie veraͤndere sich nicht (wenn gleich ihre Erscheinungen, nem- lich Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. lich die Art, wie sie sich in ihren Wirkungen zeigt, ver- aͤndern), in ihr gehe kein Zustand vorher, der den fol- genden bestimme, mithin sie gehoͤre gar nicht in die Reihe der sinnlichen Bedingungen, welche die Erscheinungen nach Naturgesetzen nothwendig machen. Sie, die Vernunft, ist allen Handlungen des Menschen in allen Zeitumstaͤnden gegenwaͤrtig und einerley, selbst aber ist sie nicht in der Zeit und geraͤth etwa in einen neuen Zustand, darin sie vorher nicht war; sie ist bestimmend, aber nicht bestim- bar in Ansehung desselben. Daher kan man nicht fragen: warum hat sich nicht die Vernunft anders bestimt, son- dern nur: warum hat sie die Erscheinungen durch ihre Caussalitaͤt nicht anders bestimt. Darauf aber ist keine Antwort moͤglich. Denn ein anderer intelligibeler Character wuͤrde einen andern empirischen gegeben ha- ben und, wenn wir sagen: daß unerachtet seines ganzen, bis dahin gefuͤhrten, Lebenswandels, der Thaͤter die Luͤge doch haͤtte unterlassen koͤnnen, so bedeutet dieses nur: daß sie unmittelbar unter der Macht der Vernunft stehe, und die Vernunft in ihrer Caussalitaͤt keinen Bedingungen der Erscheinung und des Zeitlaufs unterworfen ist, der Unterschied der Zeit auch, zwar einen Hauptunterschied der Erscheinungen respective gegen einander, da diese aber keine Sachen, mithin auch nicht Ursachen an sich selbst sind, keinen Unterschied der Handlung in Beziehung auf die Vernunft machen koͤnne. Wir IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Wir koͤnnen also mit der Beurtheilung freier Hand- lungen, in Ansehung ihrer Caussalitaͤt, nur bis an die intelligibele Ursache, aber nicht uͤber dieselbe hinaus kom- men, wir koͤnnen erkennen, daß sie frey, d. i. von der Sinnlichkeit unabhaͤngig bestimt und, auf solche Art, die sinnlichunbedingte Bedingung der Erscheinungen seyn koͤn- ne. Warum aber der intelligibele Character gerade diese Erscheinungen und diesen empirischen Character unter vor- liegenden Umstaͤnden gebe, das uͤberschreitet so weit alles Vermoͤgen unserer Vernunft es zu beantworten, ia alle Befugniß derselben nur zu fragen, als ob man fruͤge: woher der transscendentale Gegenstand unserer aͤusseren sinnlichen Anschauung gerade nur Anschauung im Raume und nicht irgend eine andere giebt. Allein die Aufgabe, die wir aufzuloͤsen hatten, verbindet uns hiezu gar nicht, denn sie war nur diese: ob Freiheit der Naturnothwendig- keit in einer und derselben Handlung widerstreite und die- ses haben wir hinreichend beantwortet, da wir zeigten: daß, da bey iener eine Beziehung auf eine ganz andere Art von Bedingungen moͤglich ist, als bey dieser, das Gesetz der lezteren die erstere nicht afficire, mithin beide von einander unabhaͤngig und durch einander ungestoͤrt statt finden koͤnnen. Man muß wol bemerken: daß wir hiedurch nicht die Wirklichkeit der Freiheit als einer der Vermoͤgen, welche Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. welche die Ursache von den Erscheinungen unserer Sinnen- welt enthalten, haben darthun wollen. Denn ausser, daß dieses gar keine transscendentale Betrachtung, die blos mit Begriffen zu thun hat, gewesen seyn wuͤrde: so koͤnte es auch nicht gelingen, indem wir aus der Erfahrung niemals auf etwas, was gar nicht nach Erfahrungsgesetzen gedacht werden muß, schliessen koͤnnen. Ferner haben wir auch gar nicht einmal die Moͤglichkeit der Freiheit beweisen wollen; denn dieses waͤre auch nicht gelungen, weil wir uͤberhaupt von keinem Realgrunde und keiner Caussalitaͤt, aus blossen Begriffen a priori, die Moͤglich- keit erkennen koͤnnen. Die Freiheit wird hier nur als transscendentale Idee behandelt, wodurch die Vernunft die Reihe der Bedingungen in der Erscheinung durch das Sinnlichunbedingte schlechthin anzuheben denkt, dabey sich aber in eine Antinomie mit ihren eigenen Gesetzen, welche sie dem empirischen Gebrauche des Verstandes vorschreibt, verwikelt. Daß nun diese Antinomie auf einem blossen Scheine beruhe und, daß Natur der Caussalitaͤt aus Frei- heit wenigstens nicht widerstreite, das war das einzige, was wir leisten konten und woran es uns auch einzig und allein gelegen war. IV. Auf- IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. IV. Aufloͤsung der cosmologischen Idee, von der Totalitaͤt der Abhaͤngigkeit der Erscheinungen, ihrem Daseyn nach uͤberhaupt . In der vorigen Nummer betrachteten wir die Ver- aͤnderungen der Sinnenwelt in ihrer dynamischen Reihe, da eine iede unter einer andern, als ihrer Ursache, steht. Jezt dient uns diese Reihe der Zustaͤnde nur zur Leitung, um zu einem Daseyn zu gelangen, das die hoͤchste Bedin- gung alles Veraͤnderlichen seyn koͤnne, nemlich dem noth- wendigen Wesen . Es ist hier nicht um die unbedingte Caussalitaͤt, sondern die unbedingte Existenz der Substanz selbst zu thun. Also ist die Reihe, welche wir vor uns haben, eigentlich nur die, von Begriffen und nicht von Anschauungen, in so fern die eine die Bedingung der an- dern ist. Man siehet aber leicht: daß, da alles in dem In- begriffe der Erscheinungen veraͤnderlich, mithin im Daseyn bedingt ist, es uͤberall in der Reihe des abhaͤngigen Da- seyns kein unbedingtes Glied geben koͤnne, dessen Existenz schlechthin nothwendig waͤre, und daß also, wenn Er- scheinungen Dinge an sich selbst waͤren, eben darum aber ihre Bedingung mit dem Bedingten iederzeit zu einer und derselben Reihe der Anschauungen gehoͤrete, ein nothwendi- ges Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. ges Wesen, als Bedingung des Daseyns der Erscheinun- gen der Sinnenwelt, niemals statt finden koͤnte. Es hat aber der dynamische Regressus dieses Eigen- thuͤmliche und Unterscheidende von dem mathematischen an sich: daß, da dieser es eigentlich nur mit der Zusammen- setzung der Theile zu einem Ganzen, oder der Zerfaͤllung eines Ganzen in seine Theile, zu thun hat, die Bedingun- gen dieser Reihe immer als Theile derselben, mithin als gleichartig, folglich als Erscheinungen angesehen werden muͤssen, an statt daß in ienem Regressus, da es nicht um die Moͤglichkeit eines unbedingten Ganzen aus gegebenen Theilen, oder eines unbedingten Theils zu einem gegebe- nen Ganzen, sondern um die Ableitung eines Zustandes von seiner Ursache, oder des zufaͤlligen Daseyns der Sub- stanz selbst von der nothwendigen zu thun ist, die Bedin- gung nicht eben nothwendig mit dem Bedingten eine em- pirische Reihe ausmachen duͤrfe. Also bleibt uns, bey der vor uns liegenden scheinba- ren Antinomie, noch ein Ausweg offen: da nemlich alle beide einander widerstreitende Saͤtze in verschiedener Be- ziehung zugleich wahr seyn koͤnnen, so, daß alle Dinge der Sinnenwelt durchaus zufaͤllig sind, mithin auch immer nur empirischbedingte Existenz haben, gleichwol von der ganzen Reihe, auch eine nichtempirische Bedingung, d. i. ein unbedingtnothwendiges Wesen statt finde. Denn die- ses wuͤrde, als intelligibele Bedingung, gar nicht zur Reihe als ein Glied derselben (nicht einmal als das oberste Glied) gehoͤ- IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. gehoͤren, und auch kein Glied der Reihe empirischunbedingt machen, sondern die ganze Sinnenwelt, in ihrem durch alle Glieder gehenden empirischbedingten Daseyn, lassen. Darin wuͤrde sich also diese Art, ein unbedingtes Daseyn den Erscheinungen zum Grunde zu legen, von der empi- rischunbedingten Caussalitaͤt (der Freiheit), im vorigen Artikel, unterscheiden: daß, bey der Freiheit, das Ding selbst, als Ursache (Substantia phænomenon) , dennoch in der Reihe der Bedingungen gehoͤrete und nur seine Caussalitaͤt als intelligibel gedacht wurde, hier aber das nothwendige Wesen ganz ausser der Reihe der Sinnen- welt (als ens extramundanum) und blos intelligibel ge- dacht werden muͤßte, wodurch allein es verhuͤtet werden kann: daß es nicht selbst dem Gesetze der Zufaͤlligkeit und Abhaͤngigkeit aller Erscheinungen unterworfen werde. Das regulative Princip der Vernunft ist also in Ansehung dieser unserer Aufgabe: daß alles in der Sin- nenwelt empirischbedingte Existenz habe, und daß es uͤber- all in ihr, in Ansehung keiner Eigenschaft eine unbedingte Nothwendigkeit gebe: daß kein Glied der Reihe von Be- dingungen sey, davon man nicht immer die empirische Be- dingung in einer moͤglichen Erfahrung erwarten und, so weit man kan, suchen muͤsse und nichts uns berechtige, irgend ein Daseyn von einer Bedingung ausserhalb der empirischen Reihe abzuleiten, oder auch es als in der Reihe selbst vor schlechterdings unabhaͤngig und selbststaͤndig zu halten, gleichwol aber dadurch gar nicht in Abrede zu ziehen, N n daß Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. daß nicht die ganze Reihe in irgend einem intelligi- belen Wesen, (welches darum von aller empirischen Be- dingung frey ist und vielmehr den Grund der Moͤglichkeit aller dieser Erscheinungen enthaͤlt), gegruͤndet seyn koͤnne. Es ist aber hiebey gar nicht die Meinung, das un- bedingtnothwendige Daseyn eines Wesens zu beweisen, oder auch nur die Moͤglichkeit einer blos intelligibelen Bedingung der Existenz der Erscheinungen der Sinnen- welt hierauf zu gruͤnden, sondern nur eben so, wie wir die Vernunft einschraͤnken, daß sie nicht den Faden der empirischen Bedingungen verlasse, und sich in transscen- dente und keiner Darstellung in concreto faͤhige Erklaͤ- rungsgruͤnde verlaufe, also auch, anderer Seits, das Ge- setz des blos empirischen Verstandesgebrauchs dahin einzu- schraͤnken: daß es nicht uͤber die Moͤglichkeit der Din- ge uͤberhaupt entscheide und das Intelligibele, ob es gleich von uns zur Erklaͤrung der Erscheinungen nicht zu ge- brauchen ist, darum nicht vor unmoͤglich erklaͤre. Es wird also dadurch nur gezeigt: daß die durchgaͤngige Zu- faͤlligkeit aller Naturdinge und aller ihrer (empirischen) Bedingungen, ganz wol mit der willkuͤhrlichen Voraus- setzung einer nothwendigen, ob zwar blos intelligibelen Bedingung zusammen bestehen koͤnne, also kein wahrer Widerspruch zwischen diesen Behauptungen anzutreffen sey, mithin sie beiderseits wahr seyn koͤnnen. Es mag immer ein solches schlechthinnothwendiges Verstandeswe- sen an sich unmoͤglich seyn, so kan dieses doch aus der allge- IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. allgemeinen Zufaͤlligkeit und Abhaͤngigkeit alles dessen, was zur Sinnenwelt gehoͤrt, imgleichen aus dem Princip: bey keinem einzigen Gliede derselben, so fern es zufaͤllig ist, aufzuhoͤren und sich auf eine Ursache ausser der Welt zu be- rufen, keinesweges geschlossen werden. Die Vernunft geht ihren Gang im empirischen und ihren besondern Gang im transscendentalen Gebrauche. Die Sinnenwelt enthaͤlt nichts als Erscheinungen, diese aber sind blosse Vorstellungen, die immer wiederum sinnlich bedingt sind und, da wir hier niemals Dinge an sich selbst zu unseren Gegenstaͤnden haben, so ist nicht zu verwundern: daß wir niemals berechtigt seyn, von einem Gliede der empirischen Reihen, welches es auch sey, einen Sprung ausser dem Zusammenhange der Sinnlich- keit zu thun, gleich als wenn es Dinge an sich selbst waͤ- ren, die ausser ihrem transscendentalen Grunde existireten und die man verlassen koͤnte, um die Ursache ihres Da- seyns ausser ihnen zu suchen; welches bey zufaͤlligen Din- gen allerdings endlich geschehen muͤßte, aber nicht bey blossen Vorstellungen von Dingen, deren Zufaͤlligkeit selbst nur Phaͤnomen ist und auf keinen andern Regressus, als denienigen, der die Phaͤnomena bestimt, d. i. der empi- risch ist, fuͤhren kan. Sich aber einen intelligibelen Grund der Erscheinungen, d. i. der Sinnenwelt, und denselben befreit von der Zufaͤlligkeit der lezteren, denken, ist we- der dem uneingeschraͤnkten empirischen Regressus in der Reihe der Erscheinungen, noch der durchgaͤngigen Zufaͤl- N n 2 lig- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. ligkeit derselben entgegen. Das ist aber auch das Einzige, was wir zu Hebung der scheinbaren Antinomie, zu leisten hatten, und was sich nur auf diese Weise thun ließ. Denn ist die iedesmalige Bedingung zu iedem Bedingten (dem Daseyn nach) sinnlich und eben darum zur Reihe gehoͤ- rig, so ist sie selbst wiederum bedingt (wie die Antithesis der vierten Antinomie es ausweiset). Es mußte also ent- weder ein Widerstreit mit der Vernunft, die das Unbe- dingte fodert, bleiben, oder dieses ausser der Reihe in dem Intelligibelen gesezt werden, dessen Nothwendigkeit keine empirische Bedingung erfodert, noch verstattet, und also, respective auf Erscheinungen, unbedingt nothwendig ist. Der empirische Gebrauch der Vernunft (in Anse- hung der Bedingungen des Daseyns in der Sinnenwelt) wird durch die Einraͤumung eines blos intelligibelen We- sens nicht afficirt, sondern geht nach dem Princip der durchgaͤngigen Zufaͤlligkeit, von empirischen Bedingungen zu hoͤheren, die immer eben sowol empirisch seyn. Eben so wenig schließt aber auch dieser regulative Grundsatz die Annehmung einer intelligibelen Ursache, die nicht in der Reihe ist, aus, wenn es um den reinen Gebrauch der Vernunft (in Ansehung der Zwecke) zu thun ist. Denn da bedeutet iene nur den, vor uns blos transscendentalen und unbekanten Grund der Moͤglichkeit der sinnlichen Rei- he uͤberhaupt, dessen, von allen Bedingungen der lezteren unabhaͤngiges und, in Ansehung dieser, unbedingtnothwen- diges IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. diges Daseyn der unbegraͤnzten Zufaͤlligkeit der ersteren, und darum auch, dem nirgend geendigten Regressus in der Reihe empirischer Bedingungen gar nicht entgegen ist. Schlußanmerkung zur ganzen Antinomie der reinen Vernunft. So lange wir mit unseren Vernunftbegriffen blos die Totalitaͤt der Bedingungen in der Sinnenwelt und, was in Ansehung ihrer der Vernunft zu Diensten geschehen kan, zum Gegenstande haben: so sind unsere Ideen zwar trans- scendental, aber doch cosmologisch. So bald wir aber das Unbedingte (um das es doch eigentlich zu thun ist) in demienigen setzen, was ganz ausserhalb der Sinnenwelt, mithin ausser aller moͤglichen Erfahrung ist, so werden die Ideen transscendent; sie dienen nicht blos zur Vollendung des empirischen Vernunftgebrauchs (der immer eine nie auszufuͤhrende, aber dennoch zu befolgende Idee bleibt), sondern sie trennen sich davon gaͤnzlich und machen sich selbst Gegenstaͤnde, deren Stoff nicht aus Erfahrung ge- nommen, deren obiective Realitaͤt auch nicht auf der Voll- endung der empirischen Reihe, sondern auf reinen Be- griffen a priori beruht. Dergleichen transscendente Ideen haben einen blos intelligibelen Gegenstand, welchen als ein transscendentales Obiect, von dem man uͤbrigens nichts weis, zuzulassen, es allerdings erlaubt ist, wozu aber, um es, als ein, durch seine unterscheidende und in- nere Praͤdicate bestimbares Ding zu denken, wir weder N n 3 Gruͤn- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. Gruͤnde der Moͤglichkeit (als unabhaͤngig von allen Er- fahrungsbegriffen), noch die mindeste Rechtfertigung, ei- nen solchen Gegenstand anzunehmen, auf unserer Seite haben und welches daher ein blosses Gedankending ist. Gleichwol dringt uns, unter allen cosmologischen Ideen, dieienige, so die vierte Antinomie veranlaßte, diesen Schritt zu wagen. Denn das in sich selbst ganz und gar nicht ge- gruͤndete, sondern stets bedingte Daseyn der Erscheinun- gen, fodert uns auf: uns nach etwas, von allen Erschei- nungen Unterschiedenem, mithin einem intelligibelen Ge- genstande umzusehen, bey welchem diese Zufaͤlligkeit auf- hoͤre. Weil aber, wenn wir uns einmal die Erlaubniß genommen haben, ausser dem Felde der gesamten Sinnlich- keit eine vor sich bestehende Wirklichkeit anzunehmen, Erscheinungen nur als zufaͤllige Vorstellungsarten intelligi- beler Gegenstaͤnde, von solchen Wesen, die selbst Intelli- genzen sind, anzusehen: so bleibt uns nichts anders uͤbrig, als die Analogie, nach der wir die Erfahrungsbegriffe nu- tzen, um uns von intelligibelen Dingen, von denen wir an sich nicht die mindeste Kentniß haben, doch irgend eini- gen Begriff zu machen. Weil wir das Zufaͤllige nicht an- ders als durch Erfahrung kennen lernen, hier aber von Dingen, die gar nicht Gegenstaͤnde der Erfahrung seyn sollen, die Rede ist, so werden wir ihre Kentniß aus dem, was an sich nothwendig ist, aus reinen Begriffen von Dingen uͤberhaupt, ableiten muͤssen. Daher noͤthigt uns der erste Schritt, den wir ausser der Sinnenwelt thun, unsere IX. Absch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. unsere neue Kentnisse von der Untersuchung des schlechthin- nothwendigen Wesens anzufangen, und von den Begriffen desselben die Begriffe von allen Dingen, so fern sie blos in- telligibel sind, abzuleiten, und diesen Versuch wollen wir in dem folgenden Hauptstuͤcke anstellen. Des Zweiten Buchs der transscendentalen Dialectik Drittes Hauptstuͤck . Das Ideal der reinen Vernunft. Erster Abschnitt. Von dem Ideal uͤberhaupt. W ir haben oben gesehen: daß durch reine Verstan- desbegriffe, ohne alle Bedingungen der Sinnlich- keit, gar keine Gegenstaͤnde koͤnnen vorgestellet werden, weil die Bedingungen der obiectiven Realitaͤt derselben fehlen und nichts, als die blosse Form des Denkens, in ihnen angetroffen wird. Gleichwol koͤnnen sie in concreto dargestellet werden, wenn man sie auf Erscheinungen an- wendet; denn an ihnen haben sie eigentlich den Stoff zum Erfahrungsbegriffe, der nichts als ein Verstandesbegriff in concreto ist. Ideen aber sind noch weiter von der obiectiven Realitaͤt entfernt, als Categorien ; denn es kan keine Erscheinung gefunden werden, an der sie sich in concreto vorstellen ließen. Sie enthalten eine gewisse N n 4 Voll- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Vollstaͤndigkeit, zu welcher keine moͤgliche empirische Er- kentniß zulangt, und die Vernunft hat dabey nur eine systematische Einheit im Sinne, welcher sie die empirisch- moͤgliche Einheit zu naͤhern sucht, ohne sie iemals voͤllig zu erreichen. Aber noch weiter, als die Idee, scheint dasienige von der obiectiven Realitaͤt entfernt zu seyn, was ich das Ideal nenne, und worunter ich die Idee, nicht blos in concreto, sondern in indiuiduo, d. i. als ein einzel- nes, durch die Idee allein bestimbares, oder gar bestim- tes Ding, verstehe. Die Menschheit in ihrer ganzen Vollkommenheit, enthaͤlt nicht allein die Erweiterung aller zu dieser Natur gehoͤrigen wesentlichen Eigenschaften, welche unseren Be- griff von derselben ausmachen, bis zur vollstaͤndigen Con- gruenz mit ihren Zwecken, welches unsere Idee der voll- kommenen Menschheit seyn wuͤrde, sondern auch alles, was ausser diesem Begriffe zu der durchgaͤngigen Bestim- mung der Idee gehoͤret; denn von allen entgegengesezten Praͤdicaten kan sich doch nur ein einziges zu der Idee des vollkommensten Menschen schicken. Was uns ein Ideal ist, war dem Plato eine Idee des goͤttlichen Ver- standes, ein einzelner Gegenstand in der reinen Anschau- ung desselben, das Vollkommenste einer ieden Art moͤgli- cher Wesen und der Urgrund aller Nachbilder in der Er- scheinung. Ohne I. Absch. Von dem Ideal uͤberhaupt. Ohne uns aber so weit zu versteigen, muͤssen wir gestehen: daß die menschliche Vernunft nicht allein Ideen, sondern auch Ideale enthalte, die zwar nicht, wie die pla- tonische, schoͤpferische, aber doch practische Kraft (als regulative Principien) haben, und der Moͤglichkeit der Vollkommenheit gewisser Handlungen zum Grunde liegen. Moralische Begriffe sind nicht gaͤnzlich reine Vernunftbe- griffe, weil ihnen etwas Empirisches (Lust oder Unlust) zum Grunde liegt. Gleichwol koͤnnen sie in Ansehung des Princips, wodurch die Vernunft der an sich gesetzlosen Freiheit Schranken sezt, (also wenn man blos auf ihre Form Acht hat) gar wol zum Beispiele reiner Vernunft- begriffe dienen. Tugend und, mit ihr, menschliche Weis- heit in ihrer ganzen Reinigkeit, sind Ideen. Aber der Weise (des Stoikers) ist ein Ideal, d. i. ein Mensch der blos in Gedanken existirt, der aber mit der Idee der Weisheit voͤllig congruiret. So wie die Idee die Regel giebt, so dient das Ideal in solchem Falle zum Urbilde der durchgaͤngigen Bestimmung des Nachbildes und wir haben kein anderes Richtmaaß unserer Handlungen, als das Ver- halten dieses goͤttlichen Menschen in uns, womit wir uns vergleichen, beurtheilen und dadurch uns bessern, ob- gleich es niemals erreichen koͤnnen. Diese Ideale, ob man ihnen gleich nicht obiective Realitaͤt (Existenz) zuge- stehen moͤchte, sind doch um deswillen nicht vor Hirnge- spinste anzusehen, sondern geben ein unentbehrliches Richt- maaß der Vernunft ab, die des Begriffs von dem, was N n 5 in Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. in seiner Art ganz vollstaͤndig ist, bedarf, um darnach den Grad und die Maͤngel des Unvollstaͤndigen zu schaͤtzen und abzumessen. Das Ideal aber in einem Beispiele, d. i. in der Erscheinung, realisiren wollen, wie etwa den Weisen in einem Roman, ist unthunlich und hat uͤberdem etwas widersinnisches und wenig erbauliches an sich, indem die natuͤrliche Schranken, welche der Vollstaͤndigkeit in der Idee continuirlich Abbruch thun, alle Illusion in sol- chem Versuche unmoͤglich und dadurch das Gute, das in der Idee liegt, selbst verdaͤchtig und einer blossen Erdich- tung aͤhnlich machen. So ist es mit dem Ideale der Vernunft bewandt, welches iederzeit auf bestimten Begriffen beruhen und zur Regel und Urbilde, es sey der Befolgung, oder Beurthei- lung, dienen muß. Ganz anders verhaͤlt es sich mit de- nen Geschoͤpfen der Einbildungskraft, daruͤber sich nie- mand erklaͤren und einen verstaͤndlichen Begriff geben kan, gleichsam Monogrammen, die nur einzelne, obzwar nach keiner angeblichen Regel bestimte Zuͤge sind, welche mehr eine im Mittel verschiedener Erfahrungen gleichsam schwe- bende Zeichnung, als ein bestimtes Bild ausmachen, der- gleichen Mahler und Physiognomen in ihrem Kopfe zu ha- ben vorgeben und die ein nicht mitzutheilendes Schatten- bild ihrer Producte oder auch Veurtheilungen seyn sollen. Sie koͤnnen, obzwar nur uneigentlich, Ideale der Sinn- lichkeit genant werden, weil sie das nicht erreichbare Muster moͤglicher empirischer Anschauungen seyn sollen und gleich- wol II. Absch. Vom transscend. Ideale. wol keine der Erklaͤrung und Pruͤfung faͤhige Regel ab- geben. Die Absicht der Vernunft mit ihrem Ideale ist da- gegen die durchgaͤngige Bestimmung nach Regeln a priori ; daher sie sich einen Gegenstand denkt, der nach Principien durchgaͤngig bestimbar seyn soll, obgleich dazu die hinrei- chende Bedingungen in der Erfahrung mangeln und der Begriff selbst also transscendent ist. Des dritten Hauptstuͤcks Zweiter Abschnitt. Von dem Transscendentalen Ideal (Prototypon transscendentale) . E in ieder Begriff ist in Ansehung dessen, was in ihm selbst nicht enthalten ist, unbestimt und steht unter dem Grundsatze der Bestimbarkeit : daß nur eines, von ieden zween einander contradictorisch-entgegengesezten Praͤdicaten, ihm zukommen koͤnne, welcher auf dem Satze des Widerspruchs beruht und daher ein blos logisch Prin- cip ist, das von allem Inhalte der Erkentniß abstrahirt und nichts, als die logische Form derselben vor Augen hat. Ein iedes Ding aber, seiner Moͤglichkeit nach, steht noch unter dem Grundsatze der durchgaͤngigen Bestimmung, nach welchem ihm von allen moͤglichen Praͤdicaten der Dinge, Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Dinge , so fern sie mit ihren Gegentheilen verglichen wer- den, eines zukommen muß. Dieses beruht nicht blos auf dem Satze des Widerspruchs; denn es betrachtet ausser dem Verhaͤltniß zweier einander widerstreitenden Praͤdicate, iedes Ding noch im Verhaͤltniß auf die gesamte Moͤglich- keit, als den Inbegriff aller Praͤdicate der Dinge uͤber- haupt und, indem es solche als Bedingung a priori vor- aussezt, so stellt es ein iedes Ding so vor, wie es von dem Antheil, den es an iener gesamten Moͤglichkeit hat, seine ei- gene Moͤglichkeit ableite Es wird also durch diesen Grundsatz iedes Ding auf ein gemeinschaftliches Correlatum, nemlich, die gesamte Moͤglichkeit, bezogen, welche, wenn sie (d. i. der Stoff zu allen moͤglichen Praͤdicaten) in der Idee eines einzi- gen Dinges angetroffen wuͤrde, eine Affinitaͤt alles Moͤg- lichen durch die Identitaͤt des Grundes der durchgaͤngigen Bestimmung desselben beweisen wuͤrde. Die Bestimbar- keit eines ieden Begriffs ist der Allgemeinheit (Vniuersalitas) des Grundsatzes der Ausschliessung ei- nes Mittleren zwischen zween entgegengesezten Praͤdica- ten, die Bestimmung aber eines Dinges der Allheit (Vniversitas) oder dem Inbegriffe aller moͤglichen Praͤ- dicate untergeordnet. . Das Principium der durch- gaͤngigen Bestimmung betrift also den Inhalt und nicht blos die logische Form. Es ist der Grundsatz der Synthe- sis aller Praͤdicate, die den vollstaͤndigen Begriff von ei- nem Dinge machen sollen und nicht blos der analytischen Vorstellung, durch eines zweier entgegengesezten Praͤdicate, und enthaͤlt eine transscendentale Voraussetzung, nemlich die II. Absch. Vom transscend. Ideale. die der Materie zu aller Moͤglichkeit, welche a priori die Data zur besonderen Moͤglichkeit iedes Dinges enthal- ten soll. Der Satz: alles Existirende ist durchgaͤngig be- stimt, bedeutet nicht allein, daß von iedem Paare einander entgegengesezten gegebenen, sondern auch von allen moͤg- lichen Praͤdicaten ihm immer eines zukomme; es werden durch diesen Satz nicht blos Praͤdicate unter einander lo- gisch, sondern das Ding selbst, mit dem Inbegriffe aller moͤglichen Praͤdicate, transscendental verglichen. Er will so viel sagen, als: um ein Ding vollstaͤndig zu erkennen, muß man alles Moͤgliche erkennen, und es dadurch, es sey beiahend oder verneinend, bestimmen. Die durch- gaͤngige Bestimmung ist folglich ein Begriff, den wir niemals in concreto seiner Totalitaͤt nach darstellen koͤnnen und gruͤndet sich also auf einer Idee, welche lediglich in der Vernunft ihren Sitz hat, die dem Verstande die Re- gel seines vollstaͤndigen Gebrauchs vorschreibt. Ob nun zwar diese Idee von dem Inbegriffe aller Moͤglichkeit, so fern er als Bedingung der durchgaͤn- gigen Bestimmung eines ieden Dinges zum Grunde liegt, in Ansehung der Praͤdicate, die denselben ausmachen moͤ- gen, selbst noch unbestimt ist, und wir dadurch nichts wei- ter, als einen Inbegriff aller moͤglichen Praͤdicate uͤberhaupt denken, so finden wir doch bey naͤherer Untersuchung, daß diese Idee, als Urbegriff, eine Menge von Praͤdicaten ausstosse, die als abgeleitet durch andere schon gegeben seyn Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. seyn, oder neben einander nicht stehen koͤnnen, und daß sie sich bis zu einem durchgaͤngig a priori bestimten Be- griffe laͤutere und dadurch der Begriff von einem einzel- nen Gegenstande werde, der durch die blosse Idee durch- gaͤngig bestimt ist, mithin ein Ideal der reinen Vernunft genant werden muß. Wenn wir alle moͤgliche Praͤdicate nicht blos logisch, sondern transscendental, d. i. nach ihrem Inhalte, der an ihnen a priori gedacht werden kan, erwegen, so fin- den wir: daß durch einige derselben ein Seyn, durch an- dere ein blosses Nichtseyn vorgestellet wird. Die logische Verneinung, die lediglich durch das Woͤrtchen: Nicht, angezeigt wird, haͤngt eigentlich niemals einem Begriffe, sondern nur dem Verhaͤltnisse desselben zu einem andern im Urtheile an, und kan also dazu bey weitem nicht hin- reichend seyn, einen Begriff in Ansehung seines Inhalts zu bezeichnen. Der Ausdruck: Nichtsterblich, kan gar nicht zu erkennen geben, daß dadurch ein blosses Nichtseyn am Gegenstande vorgestellet werde, sondern laͤßt allen Inhalt unberuͤhrt. Eine transscendentale Verneinung bedeutet dagegen das Nichtseyn an sich selbst, dem die transscen- dentale Beiahung entgegen gesezt wird, welche ein Etwas ist, dessen Begriff an sich selbst schon ein Seyn ausdruͤkt, und daher Realitaͤt (Sachheit) genant wird, weil durch sie allein und so weit sie reichet, Gegenstaͤnde Etwas (Dinge) sind, die entgegenstehende Negation hingegen einen II. Absch. Vom transscend. Ideal. einen blossen Mangel bedeutet und, wo diese allein gedacht wird, die Aufhebung alles Dinges vorgestellt wird. Nun kan sich niemand eine Verneinung bestimt den- ken, ohne daß er die entgegengesezte Beiahung zum Grun- de liegen habe. Der Blindgebohrne kan sich nicht die mindeste Vorstellung von Finsterniß machen, weil er kei- ne vom Lichte hat; der Wilde nicht von der Armuth, weil er den Wolstand nicht kent Die Beobachtungen und Berechnuugen der Sternkun- diger haben uns viel bewundernswuͤrdiges gelehrt, aber das Wichtigste ist wol, daß sie uns den Abgrund der Un- wissenheit aufgedekt haben, den die menschliche Ver- nunft, ohne diese Kentnisse, sich niemals so groß haͤtte vorstellen koͤnnen, und woruͤber das Nachdenken eine grosse Veraͤnderung in der Bestimmung der Endabsichten unseres Vernunftgebrauchs hervorbringen muß. . Der Unwissende hat kei- nen Begriff von seiner Unwissenheit, weil er keinen von der Wissenschaft hat, u. s. w. Es sind also auch alle Be- griffe der Negationen abgeleitet, und die Realitaͤten ent- halten die Data und so zu sagen die Materie, oder den transscendentalen Inhalt, zu der Moͤglichkeit und durch- gaͤngigen Bestimmung aller Dinge. Wenn also der durchgaͤngigen Bestimmung in un- serer Vernunft ein transscendentales Substratum zum Grunde gelegt wird, welches gleichsam den ganzen Vor- rath des Stoffes, daher alle moͤgliche Praͤdicate der Dinge genommen werden koͤnnen, enthaͤlt, so ist dieses Substratum nichts anders, als die Idee von einem All der Rea- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Realitaͤt (omnitudo realitatis) . Alle wahre Verneinun- gen sind alsdenn nichts als Schranken , welches sie nicht genant werden koͤnten, wenn nicht das Unbeschraͤnkte (das All) zum Grunde laͤge. Es ist aber auch durch diesen Allbesitz der Realitaͤt der Begriff eines Dinges an sich selbst, als durchgaͤngig bestimt, vorgestellt und der Begriff eines entis realissimi ist der Begriff eines einzelnen Wesens, weil von allen moͤglichen entgegengesezten Praͤdicaten eines, nemlich das, was zum Seyn schlechthin gehoͤrt, in seiner Bestimmung angetroffen wird. Also ist es ein transscendentales Ideal, welches der durchgaͤngigen Bestimmung, die nothwendig bey allem, was existirt, angetroffen wird, zum Grunde liegt, und die oberste und vollstaͤndige materiale Bedin- dung seiner Moͤglichkeit ausmacht, auf welcher alles Den- ken der Gegenstaͤnde uͤberhaupt ihrem Inhalte nach zu- ruͤckgefuͤhrt werden muß. Es ist aber auch das einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft faͤhig ist; weil nur in diesem einzigen Falle ein an sich allgemeiner Begriff von einem Dinge durch sich selbst durchgaͤngig be- stimt, und als die Vorstellung von einem Individuum er- kant wird. Die logische Bestimmung eines Begriffs durch die Vernunft beruht auf einem disiunctiven Vernunftschlusse, in welchem der Obersatz eine logische Eintheilung (die Theilung der Sphaͤre eines allgemeinen Begriffs) enthaͤlt, der Untersatz diese Sphaͤre bis auf einen Theil einschraͤnkt und II. Absch. Vom transscend. Ideale. und der Schlußsatz den Begriff durch diesen bestimt. Der allgemeine Begriff einer Realitaͤt uͤberhaupt kan a priori nicht eingetheilt werden, weil man ohne Erfahrung keine bestimte Arten von Realitaͤt kent, die unter iener Gattung enthalten waͤren. Also ist der transscendentale Obersatz der durchgaͤngigen Bestimmung aller Dinge nichts anders, als die Vorstellung des Inbegriffs aller Realitaͤt, nicht blos ein Begriff, der alle Praͤdicate ihrem transscendentalen Inhalte nach unter sich , sondern der sie in sich begreift und die durchgaͤngige Bestimmung eines ieden Dinges beruht auf der Einschraͤnkung dieses All der Realitaͤt, indem Eini- ges derselben dem Dinge beigelegt, das uͤbrige aber aus- geschlossen wird, welches mit dem Entweder- oder des dis- iunctiven Obersatzes und der Bestimmung des Gegenstan- des, durch eins der Glieder dieser Theilung im Untersatze, uͤbereinkomt. Demnach ist der Gebrauch der Vernunft, durch den sie das transscendentale Ideal zum Grunde ihrer Bestimmung aller moͤglichen Dinge legt, demienigen ana- logisch, nach welchem sie in disiunctiven Vernunftschluͤssen verfaͤhrt, welches der Satz war, den ich oben zum Grun- de der systematischen Eintheilung aller transscendentalen Ideen legte, nach welchem sie den drey Arten von Ver- nunftschluͤssen parallel und correspondirend erzeugt werden. Es versteht sich von selbst, daß die Vernunft zu die- ser ihrer Absicht, nemlich sich lediglich die nothwendige durchgaͤngige Bestimmung der Dinge vorzustellen, nicht O o die Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. die Existenz eines solchen Wesens, das dem Ideale gemaͤß ist, sondern nur die Idee desselben voraussetze, um von einer unbedingten Totalitaͤt der durchgaͤngigen Bestimmung die bedingte, d. i. die des Eingeschraͤnkten abzuleiten. Das Ideal ist ihr also das Urbild (Prototypon) aller Dinge, welche insgesamt, als mangelhafte Copeyen (ectypa) , den Stoff zu ihrer Moͤglichkeit daher nehmen und, indem sie demselben mehr oder weniger nahe kommen, dennoch iederzeit unendlich weit daran fehlen, es zu erreichen. So wird denn alle Moͤglichkeit der Dinge (der Syn- thesis des Mannigfaltigen ihrem Inhalte nach) als abge- leitet und nur allein die, desienigen, was alle Realitaͤt in sich schließt, als urspruͤnglich angesehen. Denn alle Verneinungen, (welche doch die einzige Praͤdicate sind, wodurch sich alles andere vom realesten Wesen unterschei- den laͤßt) sind blosse Einschraͤnkungen einer groͤsseren und endlich der hoͤchsten Realitaͤt, mithin setzen sie diese vor- aus und sind dem Inhalte nach von ihr blos abgeleitet. Alle Mannigfaltigkeit der Dinge ist nur eine eben so viel- faͤltige Art, den Begriff der hoͤchsten Realitaͤt, der ihr gemeinschaftlich Substratum ist, einzuschraͤnken, so wie alle Figuren nur als verschiedene Arten, den unendlichen Raum einzuschraͤnken, moͤglich seyn. Daher wird der blos in der Vernunft befindliche Gegenstand ihres Ideals auch das Urwesen (ens originarium) , so fern es keines uͤber sich hat, das hoͤchste Wesen (ens summum) und, so fern alles, als bedingt, unter ihm steht, das Wesen al- ler II. Abschn. Vom transscend. Ideale. ler Wesen (ens entium) genant. Alles dieses aber bedeutet nicht das obiective Verhaͤltniß eines wirklichen Gegenstandes zu andern Dingen, sondern der Idee zu Begriffen und laͤßt uns wegen der Existenz eines Wesens von so ausnehmendem Vorzuge in voͤlliger Unwissenheit. Weil man auch nicht sagen kan: daß ein Urwesen aus viel abgeleiteten Wesen bestehe, indem ein iedes der- selben ienes voraussezt, mithin es nicht ausmachen kan, so wird das Ideal des Urwesens auch als einfach gedacht werden muͤssen. Die Ableitung aller anderen Moͤglichkeit von diesem Urwesen wird daher, genau zu reden, auch nicht als eine Einschraͤnkung seiner hoͤchsten Realitaͤt und gleichsam als eine Theilung derselben angesehen werden koͤnnen; denn alsdenn wuͤrde das Urwesen als ein blosses Aggregat von abgeleiteten Wesen angesehen werden, welches nach dem vorigen unmoͤglich ist, ob wir es gleich anfaͤnglich im ersten rohen Schattenrisse so vorstelleten. Vielmehr wuͤr- de der Moͤglichkeit aller Dinge die hoͤchste Realitaͤt als ein Grund und nichts als Inbegriff zum Grunde liegen und die Mannigfaltigkeit der ersteren nicht auf der Einschraͤn- kung des Urwesens selbst, sondern seiner vollstaͤndigen Folge beruhen, zu welcher denn auch unsere ganze Sinn- lichkeit, samt aller Realitaͤt in der Erscheinung, gehoͤren wuͤrde, die zu der Idee des hoͤchsten Wesens, als ein Ingredienz, nicht gehoͤren kan. O o 2 Wenn Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Wenn wir nun dieser unserer Idee, indem wir sie hypostasiren, so ferner nachgehen, so werden wir das Ur- wesen durch den blossen Begriff der hoͤchsten Realitaͤt als ein einiges, einfaches, allgenugsames, ewiges ꝛc. mit einem Worte, es in seiner unbedingten Vollstaͤndigkeit durch alle Praͤdicamente bestimmen koͤnnen. Der Begriff eines solchen Wesens ist der von Gott in transscendentalem Verstande gedacht, und so ist das Ideal der reinen Ver- nunf t der Gegenstand einer transscendentalen Theologie , so wie ich es auch oben angefuͤhrt habe. Indessen wuͤrde dieser Gebrauch der transscendenta- len Idee doch schon die Graͤnzen ihrer Bestimmung und Zulaͤssigkeit uͤberschreiten. Denn die Vernunft legte sie nur, als den Begriff von aller Realitaͤt, der durchgaͤn- gigen Bestimmung der Dinge uͤberhaupt zum Grunde, ohne zu verlangen, daß alle diese Realitaͤt obiectiv gege- ben sey und selbst ein Ding ausmache. Dieses leztere ist eine blosse Erdichtung, durch welche wir das Mannigfal- tige unserer Idee in einem Ideale, als einem besonderen Wesen, zusammenfassen und realisiren, wozu wir keine Befugniß haben, so gar nicht einmal die Moͤglichkeit einer solchen Hypothese geradezu anzunehmen, wie denn auch alle Folgerungen, die aus einem solchen Ideale abfliessen, die durchgaͤngige Bestimmung der Dinge uͤberhaupt, als zu deren Behuf die Idee allein noͤthig war, nichts ange- hen, und darauf nicht den mindesten Einfluß haben. Es II. Abschn. Vom transscend. Ideale. Es ist nicht genug, das Verfahren unserer Vernunft und ihre Dialectik zu beschreiben, man muß auch die Quellen derselben zu entdecken suchen, um diesen Schein selbst, wie ein Phaͤnomen des Verstandes, erklaͤren zu koͤnnen; denn das Ideal, wovon wir reden, ist auf einer natuͤrlichen und nicht blos willkuͤhrlichen Idee gegruͤndet. Daher frage ich: wie komt die Vernunft dazu, alle Moͤg- lichkeit der Dinge als abgeleitet von einer einzigen, die zum Grunde liegt, nemlich der der hoͤchsten Realitaͤt, an- zusehen, und diese sodann, als in einem besondern Ur- wesen enthalten, vorauszusetzen? Die Antwort bietet sich aus den Verhandlungen der transscendentalen Analytik von selbst dar. Die Moͤg- lichkeit der Gegenstaͤnde der Sinne ist ein Verhaͤltniß der- selben zu unserm Denken, worin etwas (nemlich die empirische Form) a priori gedacht werden kan, dasienige aber, was die Materie ausmacht, die Realitaͤt in der Erscheinung, (was der Empfindung entspricht) gegeben seyn muß, ohne welches es auch gar nicht gedacht und mithin seine Moͤglichkeit nicht vorgestellet werden koͤnte. Nun kan ein Gegenstand der Sinne nur durchgaͤngig be- stimt werden, wenn er mit allen Praͤdicaten der Erschei- nung verglichen und durch dieselbe beiahend, oder ver- neinend vorgestellet wird. Weil aber darin dasienige, was das Ding selbst (in der Erscheinung) ausmacht, nem- lich das Reale gegeben seyn muß, ohne welches es auch gar nicht gedacht werden koͤnte, dasienige aber, worin O o 3 das Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. das Reale aller Erscheinungen gegeben ist, die einige allbefas- sende Erfahrung ist, so muß die Materie zur Moͤglichkeit aller Gegenstaͤnde der Sinne, als in einem Inbegriffe ge- geben, vorausgesezt werden, auf dessen Einschraͤnkung allein alle Moͤglichkeit empirischer Gegenstaͤnde, ihr Unterschied von einander und ihre durchgaͤngige Bestimmung, beru- hen kan. Nun koͤnnen uns in der That keine andere Gegenstaͤnde, als die der Sinne und nirgend, als in dem Context einer moͤglichen Erfahrung gegeben werden, folg- lich ist nichts vor uns ein Gegenstand, wenn es nicht den Inbegriff aller empirischen Realitaͤt als Bedingung seiner Moͤglichkeit voraussezt. Nach einer natuͤrlichen Illusion sehen wir nun das vor einen Grundsatz an, der von allen Dingen uͤberhaupt gelten muͤsse, welcher eigent- lich nur von denen gilt, die als Gegenstaͤnde unserer Sin- nen gegeben werden. Folglich werden wir das empirische Princip unserer Begriffe der Moͤglichkeit der Dinge, als Erscheinungen, durch Weglassung dieser Einschraͤnkung, vor ein transscendentales Princip der Moͤglichkeit der Dinge uͤberhaupt halten. Daß wir aber hernach diese Idee vom Inbegriffe aller Realitaͤt hypostasiren, komt daher: weil wir die distri- butive Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes in die collective Einheit eines Erfahrungsganzen, dia- lectisch verwandeln, und an diesem Ganzen der Erschei- nung uns ein einzelnes Ding denken, was alle empirische Realitaͤt in sich enthaͤlt, welches denn, vermittelst der schon II. Abschn. Vom transscend. Ideale. schon gedachten transscendentalen Subreption, mit dem Begriffe eines Dinges verwechselt wird, was an der Spitze der Moͤglichkeit aller Dinge steht, zu deren durch- gaͤngiger Bestimmung es die reale Bedingungen hergiebt Dieses Ideal des allerrealesten Wesens wird also, ob es zwar eine blosse Vorstellung ist, zuerst realisirt, d. i. zum Obiect gemacht, darauf hypostasirt, endlich, durch einen natuͤrlichen Fortschritt der Vernunft zur Vollen- dung der Einheit, so gar personificirt, wie wir bald an- fuͤhren werden; weil die regulative Einheit der Erfah- rung nicht auf den Erscheinungen selbst (der Sinnlich- keit allein), sondern auf der Verknuͤpfung ihres Man- nigfaltigen durch den Verstand (in einer Apperception) beruht, mithin die Einheit der hoͤchsten Realitaͤt und die durchgaͤngige Bestimbarkeit (Moͤglichkeit) aller Dinge in einem hoͤchsten Verstande, mithin in einer Intelligenz zu liegen scheint. . Des dritten Hauptstuͤcks Dritter Abschnitt. Von den Beweisgruͤnden der speculativen Vernunft, auf das Daseyn eines hoͤchsten Wesens zu schliessen. U ngeachtet dieser dringenden Beduͤrfniß der Vernunft, etwas vorauszusetzen, was dem Verstande zu der durchgaͤngigen Bestimmung seiner Begriffe vollstaͤndig zum Grunde liegen koͤnne, so bemerkt sie doch das Idealische und blos Gedichtete einer solchen Voraussetzung viel zu leicht, als daß sie dadurch allein uͤberredet werden solte, ein O o 4 blosses Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. blosses Selbstgeschoͤpf ihres Denkens so fort vor ein wirk- liches Wesen anzunehmen, wenn sie nicht wodurch anders gedrungen wuͤrde, irgendwo ihren Ruhestand, in dem Regressus vom Bedingten, das gegeben ist, zum Unbeding- ten zu suchen, das zwar an sich und seinem blossen Begriff noch nicht als wirklich gegeben ist, welches aber allein die Reihe der zu ihren Gruͤnden hinausgefuͤhrten Bedingun- gen vollenden kan. Dieses ist nun der natuͤrliche Gang, den iede menschliche Vernunft, selbst die gemeineste nimt, obgleich nicht eine iede in demselben aushaͤlt. Sie faͤngt nicht von Begriffen, sondern von der gemeinen Erfahrung an, und legt also etwas Existirendes zum Grunde. Die- ser Boden aber sinkt, wenn er nicht auf dem unbewegli- chen Felsen des Absolutnothwendigen ruhet. Dieser sel- ber aber schwebt ohne Stuͤtze, wenn noch ausser und unter ihm leerer Raum ist, und er nicht selbst alles er- fuͤllet und dadurch keinen Platz zum Warum mehr uͤbrig laͤßt, d. i. der Realitaͤt nach unendlich ist. Wenn etwas, was es auch sey, existirt, so muß auch eingeraͤumt werden, daß irgend etwas nothwendi- gerweise existire. Denn das Zufaͤllige existirt nur unter der Bedingung eines anderen, als seiner Ursache und von dieser gilt der Schluß fernerhin, bis zu einer Ursache, die nicht zufaͤllig und eben darum ohne Bedingung nothwen- digerweise da ist. Das ist das Argument, worauf die Vernunft ihren Fortschritt zum Urwesen gruͤndet. Nun III. Absch. Von den Beweisen des Daseyns ꝛc. Nun sieht sich die Vernunft nach dem Begriffe ei- nes Wesens um, das sich zu einem solchen Vorzuge der Existenz, als die unbedingte Nothwendigkeit, schicke, nicht so wol, um alsdenn von dem Begriffe desselben a priori auf sein Daseyn zu schliessen (denn getrauete sie sich dieses, so duͤrfte sie uͤberhaupt nur unter blossen Begriffen forschen und haͤtte nicht noͤthig, ein gegebenes Daseyn zum Grunde zu legen), sondern nur um unter allen Begriffen moͤglicher Dinge denienigen zu finden, der nichts der absoluten Nothwen- digkeit widerstreitendes in sich hat. Denn, daß doch irgend etwas schlechthin nothwendig existiren muͤsse, haͤlt sie nach dem ersteren Schlusse schon vor ausgemacht. Wenn sie nun alles wegschaffen kan, was sich mit dieser Nothwen- digkeit nicht vertraͤgt, ausser einem, so ist dieses das schlechthinnothwendige Wesen, man mag nun die Noth- wendigkeit desselben begreiffen, d. i. aus seinem Begriffe allein ableiten koͤnnen, oder nicht. Nun scheint dasienige, dessen Begriff zu allem War- um das Darum in sich enthaͤlt, das in keinem Stuͤcke und in keiner Absicht defect ist, welches allerwerts als Bedin- gung hinreicht, eben darum das zur absoluten Nothwen- digkeit schickliche Wesen zu seyn, weil es, bey dem Selbst- besitz aller Bedingungen zu allem Moͤglichen, selbst kei- ner Bedingung bedarf, ia derselben nicht einmal faͤ- hig ist, folglich, wenigstens in einem Stuͤcke, dem Begriffe der unbedingten Nothwendigkeit ein Guͤnge thut, darin es kein anderer Begriff ihm gleich O o 5 thun Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. thun kan, der, weil er mangelhaft und der Ergaͤn- zung beduͤrftig ist, kein solches Merkmal der Unabhaͤngig- keit von allen ferneren Bedingungen an sich zeigt. Es ist wahr, daß hieraus noch nicht sicher gefolgert werden koͤn- ne: daß, was nicht die hoͤchste und in aller Absicht voll- staͤndige Bedingung in sich enthaͤlt, darum selbst seiner Existenz nach bedingt seyn muͤsse; aber es hat denn doch das einzige Merkzeichen des Unbedingten Daseyns nicht an sich, dessen die Vernunft maͤchtig ist, um durch einen Begriff a priori irgend ein Wesen als unbedingt zu er- kennen. Der Begriff eines Wesens von der hoͤchsten Realitaͤt wuͤrde sich also unter allen Begriffen moͤglicher Dinge zu dem Begriffe eines unbedingtnothwendigen Wesens am be- sten schicken und, wenn er diesem auch nicht voͤllig gnug thut, so haben wir doch keine Wahl, sondern sehen uns genoͤthigt, uns an ihn zu halten, weil wir die Existenz eines nothwendigen Wesens nicht in den Wind schlagen duͤrfen; geben wir sie aber zu, doch in dem ganzen Felde der Moͤglichkeit nichts finden koͤnnen, was auf einen solchen Vorzug im Daseyn einen gegruͤndetern Anspruch machen koͤnte. So ist also der natuͤrliche Gang der menschlichen Vernunft beschaffen. Zuerst uͤberzeugt sie sich vom Da- seyn irgend eines nothwendigen Wesens. In diesem er- kennet sie eine unbedingte Existenz. Nun sucht sie den Begriff des Unabhaͤngigen von aller Bedingung und findet ihn III. Abschn. Von den Beweisen des Daseyns ꝛc. ihn in dem, was selbst die zureichende Bedingung zu al- lem anderen ist, d. i. in demienigen, was alle Realitaͤt enthaͤlt. Das All aber ohne Schranken ist absolute Ein- heit und fuͤhrt den Begriff eines einigen, nemlich des hoͤch- sten Wesens bey sich und so schließt sie, daß das hoͤchste Wesen, als Urgrund aller Dinge, schlechthin nothwendi- ger Weise da sey. Diesem Begriffe kan eine gewisse Gruͤndlichkeit nicht gestritten werden, wenn von Entschliessungen die Rede ist, nemlich, wenn einmal das Daseyn irgend eines noth- wendigen Wesens zugegeben wird und man darin uͤberein- komt, daß man seine Parthey ergreiffen muͤsse, worin man dasselbe setzen wolle; denn alsdenn kan man nicht schicklicher waͤhlen, oder man hat vielmehr keine Wahl, sondern ist genoͤthigt, der absoluten Einheit der vollstaͤndi- gen Realitaͤt, als dem Urquelle der Moͤglichkeit, seine Stimme zu geben. Wenn uns aber nichts treibt, uns zu entschliessen und wir lieber diese ganze Sache dahin gestellet seyn liessen, bis wir durch das volle Gewicht der Beweis- gruͤnde zum Beifalle gezwungen wuͤrden, d. i. wenn es blos um Beurtheilung zu thun ist, wie viel wir von die- ser Aufgabe wissen und was wir uns nur zu wissen schmei- cheln: dann erscheint obiger Schluß bey weitem nicht in so vortheilhafter Gestalt und bedarf Gunst, um den Mangel seiner Rechtsanspruͤche zu ersetzen. Denn, wenn wir alles so gut seyn lassen, wie es hier vor uns liegt, daß nemlich erstlich von irgend einer gege- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. gegebenen Existenz (allenfals auch blos meiner eigenen) ein richtiger Schluß auf die Existenz eines unbedingtnothwen- digen Wesens statt finde, zweitens: daß ich ein Wesen, welches alle Realitaͤt, mithin auch alle Bedingung enthaͤlt, als schlechthin unbedingt ansehen muͤsse, folglich der Be- griff des Dinges, welches sich zur absoluten Nothwendig- keit schickt, hiedurch gefunden sey: so kan daraus doch gar nicht geschlossen werden, daß der Begriff eines einge- schraͤnkten Wesens, das nicht die hoͤchste Realitaͤt hat, darum der absoluten Nothwendigkeit widerspreche. Denn, ob ich gleich in seinem Begriffe nicht das Unbedingte an- treffe, was das All der Bedingungen schon bey sich fuͤhrt, so kan daraus doch gar nicht gefolgert werden, daß sein Da- seyn eben darum bedingt seyn muͤsse; so wie ich in einem hypothetischen Vernunftschlusse nicht sagen kan: wo eine gewisse Bedingung (nemlich hier der Vollstaͤndigkeit nach Begriffen) nicht ist, da ist auch das Bedingte nicht. Es wird uns vielmehr unbenommen bleiben, alle uͤbrige ein- geschraͤnkte Wesen eben so wol vor unbedingt nothwendig gelten zu lassen, ob wir gleich ihre Nothwendigkeit aus dem allgemeinen Begriffe, den wir von ihnen haben, nicht schliessen koͤnnen. Auf diese Weise aber haͤtte dieses Argu- ment uns nicht den mindesten Begriff ven Eigenschaften eines nothwendigen Wesens verschaft und uͤberall gar nichts geleistet. Gleichwol bleibt diesem Argumente eine gewisse Wich- tigkeit und ein Ansehen, das ihm, wegen dieser obiectiven Unzu- III. Absch. Von den Beweisen des Daseyns ꝛc. Unzulaͤnglichkeit, noch nicht so fort genommen werden kan. Denn setzet: es gebe Verbindlichkeiten, die in der Idee der Vernunft ganz richtig, aber ohne alle Realitaͤt der Anwendung auf uns selbst, d. i. ohne Triebfedern seyn wuͤrden, wo nicht ein hoͤchstes Wesen vorausgesezt wuͤrde, das den practischen Gesetzen Wirkung und Nachdruck ge- ben koͤnte: so wuͤrden wir auch eine Verbindlichkeit haben, den Begriffen zu folgen, die, wenn sie gleich nicht obiectiv zulaͤnglich seyn moͤchten, doch nach dem Maasse unserer Vernunft uͤberwiegend sind und in Vergleichung mit denen wir doch nichts Besseres und Ueberfuͤhrenderes erkennen. Die Pflicht zu waͤhlen wuͤrde hier die Unschließigkeit der Speculation durch einen practischen Zusatz aus dem Gleich- gewichte bringen, ia die Vernunft wuͤrde bey ihr selbst, als dem nachsehendesten Richter, keine Rechtfertigung fin- den, wenn sie unter dringenden Bewegursachen, obzwar nur mangelhafter Einsicht, diesen Gruͤnden ihres Urtheils, uͤber die wir doch wenigstens keine bessere kennen, nicht gefolgt waͤre. Dieses Argument, ob es gleich in der That transscenden- tal ist, indem es auf der inneren Unzulaͤnglichkeit des Zufaͤlli- gen beruht, ist doch so einfaͤltig und natuͤrlich, daß es dem gemeinesten Menschensinne angemessen ist, so bald dieser nur einmal darauf gefuͤhrt wird. Man sieht Dinge sich ver- aͤndern, entstehen und vergehen; sie muͤssen also, oder wenigstens ihr Zustand, eine Ursache haben. Von ieder Ursache aber, die iemals in der Erfahrung gegeben wer- den Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. den mag, laͤßt sie eben dieses wiederum fragen. Wohin sollen wir nun die oberste Caussalitaͤt billiger verlegen, als dahin, wo auch die hoͤchste Caussalitaͤt ist, d. i. in dasie- nige Wesen, was zu der moͤglichen Wirkung die Zulaͤng- lichkeit in sich selbst urspruͤnglich enthaͤlt, dessen Be- griff auch durch den einzigen Zug einer allbefassenden Voll- kommenheit sehr leicht zu Stande komt. Diese hoͤchste Ursache halten wir denn vor schlechthin nothwendig, weil wir es schlechterdings nothwendig finden, bis zu ihr hin- aufzusteigen und keinen Grund, uͤber sie noch weiter hin- aus zu gehen. Daher sehen wir bey allen Voͤlkern durch ihre blindeste Vielgoͤtterey doch einige Funken des Mono- theismus durchschimmern, wozu nicht Nachdenken und tiefe Speculation, sondern nur ein nach und nach verstaͤndlich gewordener natuͤrlicher Gang des gemeinen Verstandes ge- fuͤhrt hat. Es sind nur drey Beweisarten vom Daseyn Gottes aus speculativer Vernunft moͤglich. Alle Wege, die man in dieser Absicht einschlagen mag, fangen entweder von der bestimten Erfahrung und der dadurch erkanten besonderen Beschaffenheit unse- rer Sinnenwelt an, und steigen von ihr nach Gesetzen der Caussalitaͤt bis zur hoͤchsten Ursache ausser der Welt hinauf- oder sie legen nur unbestimte Erfahrung , d. i. irgend ein Daseyn empirisch zum Grunde, oder sie abstrahiren end- lich von aller Erfahrung und schliessen gaͤnzlich a priori aus blossen Begriffen auf das Daseyn einer hoͤchsten Ur- sache. III. Absch. Von den Beweisen des Daseyns ꝛc. sache. Der erste Beweis ist der physicotheologische , der zweite der cosmologische , der dritte der ontologische Be- weis. Mehr giebt es ihrer nicht und mehr kann es auch nicht geben. Ich werde darthun: daß die Vernunft, auf dem einen Wege (dem empirischen) so wenig als auf dem an- deren, (dem transscendentalen) etwas ausrichte und daß sie vergeblich ihre Fluͤgel ausspanne, um uͤber die Sinnen- welt durch die blosse Macht der Speculation hinaus zu kommen. Was aber die Ordnung betrift, in welcher die- se Beweisarten der Pruͤfung vorgelegt werden muͤssen, so wird sie gerade die umgekehrte von derienigen seyn, welche die sich nach und nach erweiternde Vernunft nimt und in der wir sie auch zuerst gestellt haben. Denn es wird sich zeigen: daß, obgleich Erfahrung den ersten Anlaß dazu giebt, dennoch blos der transscendentale Begriff die Vernunft in dieser ihrer Bestrebung leite und in allen solchen Versuchen das Ziel ausstecke, das sie sich vorgesezt hat. Ich werde also von der Pruͤfung des transscenden- talen Beweises anfangen und nachher sehen, was der Zu- satz des Empirischen zur Vergroͤsserung seiner Beweiskraft thun koͤnne. Des Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Des dritten Hauptstuͤcks Vierter Abschnitt. Von der Unmoͤglichkeit eines ontologischen Beweises vom Daseyn Gottes. M an siehet aus dem bisherigen leicht: daß der Begriff eines absolutnothwendigen Wesens ein reiner Ver- nunftbegriff, d. i. eine blosse Idee sey, deren obiective Realitaͤt dadurch, daß die Vernunft ihrer bedarf, noch lange nicht bewiesen ist, welche auch nur auf eine gewisse, obzwar unerreichbare Vollstaͤndigkeit Anweisung giebt und eigentlich mehr dazu dient, den Verstand zu begraͤnzen, als ihn auf neue Gegenstaͤnde zu erweitern. Es findet sich hier nun das Befremdliche und Widersinnische, daß der Schluß, von einem gegebenen Daseyn uͤberhaupt auf ir- gend ein schlechthinnothwendiges Daseyn, dringend und richtig zu seyn scheint und wir gleichwol alle Bedingungen des Verstandes, sich einen Begriff von einer solchen Noth- wendigkeit zu machen, gaͤnzlich wider uns haben. Man hat zu aller Zeit von dem absolutnothwendi- gen Wesen geredet und sich nicht so wol Muͤhe gegeben, zu verstehen: ob und wie man sich ein Ding von dieser Art auch nur denken koͤnne, als vielmehr dessen Daseyn zu be- weisen. Nun ist zwar eine Nahmenerklaͤrung von diesem Begriffe ganz leicht, daß es nemlich so etwas sey, dessen Nichtseyn unmoͤglich ist, aber man wird hiedurch um nichts kluͤger, IV. Absch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweises ꝛc. kluͤger, in Ansehung der Bedingungen, die es unmoͤglich machen, das Nichtseyn eines Dinges als schlechterdings undenklich anzusehen und die eigentlich dasienige sind, was man wissen will, nemlich, ob wir uns durch diesen Be- griff uͤberall etwas denken, oder nicht. Denn alle Be- dingungen, die der Verstand iederzeit bedarf, um etwas als nothwendig anzusehen, vermittelst des Worts: Unbe- dingt, wegwerfen, macht mir noch lange nicht verstaͤnd- lich, ob ich alsdenn durch einen Begriff eines Unbedingt- nothwendigen noch etwas, oder vielleicht gar nichts denke. Noch mehr: diesen auf das blosse Gerathewol ge- wagten und endlich ganz gelaͤufig gewordenen Begriff hat man noch dazu durch eine Menge Beispiele zu erklaͤren ge- glaubt, so, daß alle weitere Nachfrage wegen seiner Ver- staͤndlichkeit ganz unnoͤthig geschienen. Ein ieder Satz der Geometrie, z. B. daß ein Triangel drey Winkel habe, ist schlechthin nothwendig und so redete man von einem Gegenstande, der ganz ausserhalb der Sphaͤre unseres Ver- standes liegt, als ob man ganz wol verstaͤnde, was man mit dem Begriffe von ihm sagen wolle. Alle vorgegebene Beispiele sind ohne Ausnahme nur von Urtheilen, aber nicht von Dingen und deren Da- seyn hergenommen. Die unbedingte Nothwendigkeit der Urtheile aber ist nicht eine absolute Nothwendigkeit der Sachen. Denn die absolute Nothwendigkeit des Urtheils ist nur eine bedingte Nothwendigkeit der Sache, oder des P p Praͤdi- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Praͤdicats im Urtheile. Der vorige Satz sagte nicht: daß drey Winkel schlechterdings nothwendig seyn, sondern, un- ter der Bedingung, daß ein Triangel da ist, (gegeben ist) sind auch drey Winkel (in ihm) nothwendiger Weise da. Gleichwol hat diese logische Nothwendigkeit eine so grosse Macht ihrer Illusion bewiesen: daß, indem man sich einen Be- griff a priori von einem Dinge gemacht hatte, der so gestellet war, daß man seiner Meinung nach das Daseyn mit in seinen Umfang begriff, man daraus glaubete sicher schliessen zu koͤnnen, daß, weil dem Obiect dieses Begriffs das Daseyn nothwendig zukomt, d. i. unter der Bedingung, daß ich dieses Ding als gegeben (existirend) setze, auch sein Daseyn nothwendig (nach der Regel der Identitaͤt) gesezt werde und dieses Wesen daher selbst schlechterdings- nothwendig sey, weil sein Daseyn in einem nach Belieben angenommenen Begriffe und unter der Bedingung, daß ich den Gegenstand desselben setze, mit gedacht wird. Wenn ich das Praͤdicat in einem identischen Urtheile aufhebe und behalte das Subiect, so entspringt ein Wi- derspruch und daher sage ich: ienes komt diesem nothwen- diger Weise zu. Hebe ich aber das Subiect zusamt dem Praͤdicate auf, so entspringt kein Widerspruch; denn es ist nichts mehr, welchem widersprochen werden koͤnte. Einen Triangel setzen und doch die drey Winkel desselben aufheben, ist widersprechend, aber den Triangel samt sei- nen drey Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch. Gerade eben so ist es mit dem Begriffe eines absolutnothwendigen Wesens IV. Absch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweises ꝛc. Wesens bewandt. Wenn ihr das Daseyn desselben auf- hebt, so hebt ihr das Ding selbst mit allen seinen Praͤdi- caten auf, wo soll alsdenn der Widerspruch herkommen? Aeusserlich ist nichts dem widersprochen wuͤrde; denn das Ding soll nicht aͤusserlich nothwendig seyn, innerlich auch nichts, denn ihr habt, durch Aufhebung des Dinges selbst, alles Innere zugleich aufgehoben. Gott ist allmaͤchtig; das ist ein nothwendiges Urtheil. Die Allmacht kan nicht aufgehoben werden, wenn ihr eine Gottheit, d. i. ein unendlich Wesen, sezt, mit dessen Begriff iener indetisch ist. Wenn ihr aber sagt: Gott ist nicht, so ist weder die Allmacht, noch irgend ein anderes seiner Praͤdicate ge- geben, denn sie sind alle zusamt dem Subiecte aufgehoben und es zeigt sich in diesem Gedanken nicht der mindeste Widerspruch. Ihr habt also gesehen: daß, wenn ich das Praͤdi- cat eines Urtheils zusamt dem Subiecte aufhebe, niemals ein innerer Widerspruch entspringen koͤnne, das Praͤdicat mag auch seyn, welches es wolle. Nun bleibt euch keine Ausflucht uͤbrig, als ihr muͤßt sagen: es giebt Subiecte, die gar nicht aufgehoben werden koͤnnen, die also bleiben muͤssen. Das wuͤrde aber eben so viel sagen, als: es giebt schlechterdingsnothwendige Subiecte, eine Voraus- setzung, an deren Richtigkeit ich eben gezweifelt habe und deren Moͤglichkeit ihr mir zeigen woltet. Denn ich kan mir nicht den geringsten Begriff von einem Dinge machen, welches, wenn es mit allen seinen Praͤdicaten aufgehoben P p 2 wuͤrde, Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. wuͤrde, einen Widerspruch zuruͤck liesse und ohne den Wi- derspruch habe ich, durch blosse reine Begriffe a priori, kein Merkmal der Unmoͤglichkeit. Wider alle diese allgemeine Schluͤsse, (deren sich kein Mensch weigern kan) fodert ihr mich durch einen Fall auf, den ihr, als einen Beweis durch die That, aufstellet: daß es doch einen und zwar nur diesen einen Begriff gebe, da das Nichtseyn oder das Aufheben seines Gegenstandes in sich selbst widersprechend sey, und dieses ist der Begriff des allerrealesten Wesens. Es hat, sagt ihr, alle Reali- taͤt und ihr seyd berechtigt, ein solches Wesen als moͤglich anzunehmen, (welches ich voriezt einwillige, obgleich der sich nicht widersprechende Begriff noch lange nicht die Moͤglichkeit des Gegenstandes beweiset Der Begriff ist allemal moͤglich, wenn er sich nicht wi- derspricht. Das ist das logische Merkmal der Moͤglichkeit und dadurch wird sein Gegenstand vom ni h i l negatiuum unterschieden. Allein er kan nichts destoweniger ein leerer Begriff seyn, wenn die obiective Realitaͤt der Synthesis, dadurch der Begriff erzeugt wird, nicht besonders dar- gethan wird, welches aber iederzeit, wie oben gezeigt worden, auf Principien moͤglicher Erfahrung und nicht auf dem Grundsatze der Analysis (dem Satze des Wi- derspruchs) beruht. Das ist eine Warnung, von der Moͤglichkeit der Begriffe (logische) nicht so fort auf die Moͤglichkeit der Dinge (reale) zu schliessen. . Nun ist unter aller Realitaͤt auch das Daseyn mit begriffen: Also liegt das Daseyn in dem Begriffe von einem Moͤglichen. Wird die- IV. Absch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweises ꝛc. dieses Ding nun aufgehoben, so wird die innere Moͤg- lichkeit des Dinges aufgehoben, welches widersprechend ist. Ich antworte: Ihr habt schon einen Widerspruch begangen, wenn ihr in den Begriff eines Dinges, wel- ches ihr lediglich seiner Moͤglichkeit nach denken woltet, es sey unter welchem versteckten Namen, schon den Begriff seiner Existenz hinein brachtet. Raͤumet man euch dieses ein, so habt ihr dem Scheine nach gewonnen Spiel, in der That aber nichts gesagt; denn ihr habt eine blosse Tavtologie begangen. Ich frage euch, ist der Satz: dieses oder ienes Ding (welches ich euch als moͤglich ein- raͤume, es mag seyn, welches es wolle) existirt, ist, sage ich, dieser Satz ein analytischer oder synthetischer Satz? Wenn er das erstere ist, so thut ihr durch das Daseyn des Dinges zu eurem Gedanken von dem Dinge nichts hinzu, aber alsdenn muͤßte entweder der Gedanke, der in euch ist, das Ding selber seyn, oder ihr habt ein Daseyn, als zur Moͤglichkeit gehoͤrig, vorausgesezt und alsdenn das Da- seyn dem Vorgeben nach aus der inneren Moͤglichkeit ge- schlossen, welches nichts, als eine elende Tavtologie ist. Das Wort: Realitaͤt, welches im Begriffe des Dinges an- ders klingt, als Existenz im Begriffe des Praͤdicats, macht es nicht aus. Denn, wenn ihr auch alles Setzen (unbestimt was ihr sezt) Realitaͤt nent, so habt ihr das Ding schon mit allen seinen Praͤdicaten im Begriffe des Subiects ge- sezt und als wirklich angenommen und im Praͤdicate wie- P p 3 derholt Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. derholt ihr es nur. Gesteht ihr dagegen, wie es billiger maassen ieder Vernuͤnftige gestehen muß, daß ein ieder Existenzialsatz synthetisch sey, wie wollet ihr denn behaup- ten, daß das Praͤdicat der Existenz sich ohne Widerspruch nicht aufheben lasse, da dieser Vorzug nur den analytischen, als deren Character eben darauf beruht, eigenthuͤmlich zu- komt. Ich wuͤrde zwar hoffen, diese gruͤblerische Arguta- tion, ohne allen Umschweif, durch eine genaue Bestim- mung des Begriffs der Existenz, zu nichte zu machen, wenn ich nicht gefunden haͤtte: daß die Illusion, in Verwechse- lung eines logischen Praͤdicats mit einem realen, (d. i. der Bestimmung eines Dinges) beinahe alle Belehrung aus- schlage. Zum logischen Praͤdicate kan alles dienen, was man will, so gar das Subiect kan von sich selbst praͤdicirt werden; denn die Logik abstrahirt von allem Inhalte. Aber die Bestimmung ist ein Praͤdicat, welches uͤber den Be- griff des Subiects hinzukomt und ihn vergroͤssert. Sie muß also nicht in ihm schon enthalten seyn. Seyn ist offenbar kein reales Praͤdicat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen koͤnne. Es ist blos die Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. Im logischen Gebrauche ist es lediglich die Copula eines Urtheils. Der Satz: Gott ist allmaͤchtig , enthaͤlt zwey Begriffe, die ihre Obiecte haben: Gott und Allmacht; das Woͤrtchen: ist, ist nicht noch ein Praͤdicat oben ein, son- dern IV. Absch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweises ꝛc. dern nur das, was das Praͤdicat beziehungsweise aufs Subiect sezt. Nehme ich nun das Subiect (Gott) mit allen seinen Praͤdicaten (worunter auch die Allmacht gehoͤ- ret) zusammen, und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott, so setze ich kein neues Praͤdicat zum Begriffe von Gott, son- dern nur das Subiect an sich selbst mit allen seinen Praͤdi- caten und zwar den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff . Beide muͤssen genau einerley enthalten und es kan daher zu dem Begriffe, der blos die Moͤglichkeit aus- druͤckt, darum, daß ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben (durch den Ausdruck: er ist) denke, nichts weiter hinzukommen. Und so enthaͤlt das Wirkliche nichts mehr als das blos Moͤgliche. Hundert wirkliche Thaler enthal- ten nicht das Mindeste mehr, als hundert moͤgliche. Denn, da diese den Begriff, iene aber den Gegenstand und dessen Position an sich selbst bedeuten, so wuͤrde, im Fall dieser mehr enthielte als iener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenstand ausdruͤcken und also auch nicht der angemesse- ne Begriff von ihm seyn. Aber in meinem Vermoͤgens- zustande ist mehr bey hundert wirklichen Thalern, als bey dem blossen Begriffe derselben, (d. i. ihrer Moͤglichkeit). Denn der Gegenstand ist bey der Wirklichkeit nicht blos in meinem Begriffe analytisch enthalten, sondern komt zu meinem Begriffe (der eine Bestimmung meines Zustandes ist) synthetisch hinzu, ohne daß durch dieses Seyn ausser- halb meinem Begriffe, diese gedachte hundert Thaler selbst im mindesten vermehrt werden. P p 4 Wenn Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Praͤdicate ich will, (selbst in der durchgaͤngigen Bestim- mung) denke, so komt dadurch, daß ich noch hinzusetze, dieses Ding ist, nicht das mindeste zu dem Dinge hinzu. Denn sonst wuͤrde nicht eben dasselbe, sondern mehr existiren, als ich im Begriffe gedacht hatte und ich koͤnte nicht sagen: daß gerade der Gegenstand meines Begriffs existire. Denke ich mir auch so gar in einem Dinge alle Realitaͤt ausser einer; so komt dadurch, daß ich sage, ein solches mangel- hafte Ding existirt, die fehlende Realitaͤt nicht hinzu, son- dern es existirt gerade mit demselben Mangel behaftet, als ich es gedacht habe, sonst wuͤrde etwas Anderes, als ich dachte, existiren. Denke ich mir nun ein Wesen als die hoͤchste Realitaͤt (ohne Mangel), so bleibt noch immer die Frage: ob es existire, oder nicht. Denn, obgleich an meinem Begriffe, von dem moͤglichen realen Inhalte eines Dinges uͤberhaupt, nichts fehlt, so fehlt doch noch etwas an dem Verhaͤltnisse zu meinem ganzen Zustande des Denkens, nem- lich: daß die Erkentniß ienes Obiects auch a posteriori moͤglich sey. Und hier zeiget sich auch die Ursache der hie- bey obwaltenden Schwierigkeit. Waͤre von einem Gegen- stande der Sinne die Rede, so wuͤrde ich die Existenz des Dinges mit dem blossen Begriffe des Dinges nicht verwech- seln koͤnnen. Denn durch den Begriff wird der Gegen- stand nur mit den allgemeinen Bedingungen einer moͤgli- chen empirischen Erkentniß uͤberhaupt als einstimmig, durch die Existenz aber als in dem Context der gesamten Erfah- rung IV. Absch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweises ꝛc. rung enthalten gedacht; da denn durch die Verknuͤpfung mit dem Inhalte der gesamten Erfahrung der Begriff vom Gegenstande nicht im mindesten vermehrt wird, unser Denken aber durch denselben eine moͤgliche Wahrnehmung mehr bekomt. Wollen wir dagegen die Existenz durch die reine Categorie allein denken, so ist kein Wunder, daß wir kein Merkmal angeben koͤnnen, sie von der blossen Moͤglichkeit zu unterscheiden. Unser Begriff von einem Gegenstande mag also ent- halten, was und wie viel er wolle, so muͤssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu ertheilen. Bey Gegenstaͤnden der Sinne geschieht dieses durch den Zusam- menhang mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen; aber vor Obiecte des reinen Denkens in ganz und gar kein Mittel, ihr Daseyn zu erkennen, weil es gaͤnzlich a priori erkant werden muͤßte, unser Bewust- seyn aller Existenz aber, (es sey durch Wahrnehmung un- mittelbar, oder durch Schluͤsse, die etwas mit der Wahr- nehmung verknuͤpfen,) gehoͤret ganz und gar zur Einheit der Erfahrung und eine Existenz ausser diesem Felde kan zwar nicht schlechterdings vor unmoͤglich erklaͤrt werden, sie ist aber eine Voraussetzung, die wir durch nichts recht- fertigen koͤnnen. Der Begriff eines hoͤchsten Wesens ist eine in man- cher Absicht sehr nuͤtzliche Idee, sie ist aber eben darum, weil sie blos Idee ist, ganz unfaͤhig, um vermittelst ihrer allein unsere Erkentniß in Ansehung dessen, was existirt, P p 5 zu Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. zu erweitern. Sie vermag nicht einmal so viel, daß sie uns in Ansehung der Moͤglichkeit eines Mehreren belehrete. Das analytische Merkmal der Moͤglichkeit, das darin besteht, daß blosse Positionen (Realitaͤten) keinen Widerspruch er- zeugen, kan ihm zwar nicht gestritten werden; weil aber die Verknuͤpfung aller realen Eigenschaften in einem Din- ge eine Synthesis ist, uͤber deren Moͤglichkeit wir a priori nicht urtheilen koͤnnen, weil uns die Realitaͤten specifisch nicht gegeben sind und, wenn dieses auch geschaͤhe, uͤber- all gar kein Urtheil darin statt findet, weil das Merkmal der Moͤglichkeit synthetischer Erkentnisse immer nur in der Erfahrung gesucht werden muß, zu welcher aber der Ge- genstand einer Idee nicht gehoͤren kan, so hat der beruͤhm- te Leibnitz bey weitem das nicht geleistet, wessen er sich schmeichelte, nemlich eines so erhabenen idealischen Wesens Moͤglichkeit a priori einsehen zu wollen. Es ist also an dem so beruͤhmten ontologischen (car- tesianischen) Beweise, vom Daseyn eines hoͤchsten Wesens aus Begriffen, alle Muͤhe und Arbeit verloren und ein Mensch moͤchte wol eben so wenig aus blossen Ideen an Einsichten reicher werden, als ein Kaufmann an Vermoͤ- gen, wenn er, um seinen Zustand zu verbessern, seinem Cassenbestande einige Nullen anhaͤngen wolte. Des V. Absch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweises ꝛc. Des dritten Hauptstuͤcks Fuͤnfter Abschnitt. Von der Unmoͤglichkeit eines cosmologischen Beweises vom Daseyn Gottes. E s war etwas ganz Unnatuͤrliches und eine blosse Neue- rung des Schulwitzes, aus einer ganz willkuͤhrlich entworfenen Idee das Daseyn des ihr entsprechenden Ge- ge n standes selbst ausklauben zu wollen. In der That wuͤrde man es nie auf diesem Wege versucht haben, waͤre nicht die Beduͤrfniß unserer Vernunft, zur Existenz uͤberhaupt irgend etwas Nothwendiges (bey dem man im Aufsteigen stehen bleiden koͤnne) anzunehmen, vorhergegangen und, waͤre nicht die Vernunft, da diese Nothwendigkeit unbe- dingt und a priori gewiß seyn muß, gezwungen worden, einen Begriff zu suchen, der, wo moͤglich, einer solchen Foderung ein Gnuͤge thaͤte, und ein Daseyn voͤllig a priori zu erkennen gaͤbe. Diesen glaubte man nun in der Idee eines allerrealesten Wesens zu finden, und so wurde diese nur zur bestimteren Kentniß desienigen, wovon man schon anderweitig uͤberzeugt oder uͤberredet war, es muͤsse existi- ren, nemlich des nothwendigen Wesens gebraucht. In- des verheelete man diesen natuͤrlichen Gang der Vernunft, und, anstatt bey diesem Begriffe zu endigen, versuchte man von ihm anzufangen, um die Nothwendigkeit des Daseyns aus ihm abzuleiten, die er doch nur zu ergaͤnzen bestim Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. bestimt war. Hieraus entsprang nun der verungluͤckte on- tologische Beweis, der weder vor den natuͤrlichen und ge- sunden Verstand, noch vor die schulgerechte Pruͤfung et- was genugthuendes bey sich fuͤhret. Der cosmologische Beweis, den wir iezt untersu- chen wollen, behaͤlt die Verknuͤpfung der absoluten Noth- wendigkeit mit der hoͤchsten Realitaͤt bey, aber, anstatt, wie der vorige, von der hoͤchsten Realitaͤt auf die Nothwendig- keit im Daseyn zu schliessen, schließt er vielmehr von der, zum voraus gegebenen unbedingten Nothwendigkeit irgend eines Wesens, auf dessen unbegraͤnzte Realitaͤt, und bringt so fern alles wenigstens in das Gleiß einer, ich weiß nicht ob vernuͤnftigen, oder vernuͤnftelnden, wenigstens natuͤr- lichen Schlußart, welche nicht allein vor den gemeinen, son- dern auch den speculativen Verstand die meiste Ueberredung bey sich fuͤhrt, wie sie denn auch sichtbarlich zu allen Be- weisen der natuͤrlichen Theologie die erste Grundlinien zieht, denen man iederzeit nachgegangen ist und ferner nachgehen wird, man mag sie nun durch noch so viel Laubwerk und Schnoͤrkel verzieren und verstecken, als man immer will. Diesen Beweis, den Leibnitz auch den a contingentia mundi nante, wollen wir iezt vor Augen stellen und der Pruͤfung unterwerfen. Er lautet also: Wenn etwas existirt, so muß auch ein schlechterdingsnothwendiges Wesen existiren. Nun existire, zum mindesten, ich selbst: also existirt ein abso- lutnothwendiges Wesen. Der Untersatz enthaͤlt eine Er- fah- V. Absch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweises ꝛc. fahrung, der Obersatz die Schlußfolge aus einer Erfah- rung uͤberhaupt auf das Daseyn des Nothwendigen Diese Schlußfolge ist zu bekant, als daß es noͤthig waͤre, sie hier weitlaͤuftig vorzutragen. Sie beruht auf dem vermeintlich transscendentalen Naturgesetz der Caussalitaͤt: daß alles Zufaͤllige seine Ursache habe, die, wenn sie wie- derum zufaͤllig ist, eben sowol eine Ursache haben muß, bis die Reihe der einander untergeordneten Ursachen sich bey einer schlechthinnothwendigen Ursache endigen muß, ohne welche sie keine Vollstaͤndigkeit haben wuͤrde. . Also hebt der Beweis eigentlich von der Erfahrung an, mithin ist er nicht gaͤnzlich a priori gefuͤhrt, oder ontolo- gisch, und weil der Gegenstand aller moͤglichen Erfahrung Welt heißt, so wird er darum der cosmologische Beweis genant. Da er auch von aller besondern Eigenschaft der Gegenstaͤnde der Erfahrung, dadurch sich diese Welt von ieder moͤglichen unterscheiden mag, abstrahirt: so wird er schon in seiner Benennung auch vom physicotheologi- schen Beweise unterschieden, welcher Beobachtungen der besonderen Beschaffenheit dieser unserer Sinnenwelt zu Beweisgruͤnden braucht. Nun schließt der Beweis weiter: das nothwendige Wesen kan nur auf eine einzige Art, d. i. in Ansehung aller moͤglichen entgegengesezten Praͤdicate nur durch eines derselben bestimt werden, folglich muß es durch seinen Begriff durchgaͤngig bestimt seyn. Nun ist nur ein ein- ziger Begriff von einem Dinge moͤglich, der dasselbe a priori durchgaͤngig bestimt, nemlich der des entis realis- simi : Also ist der Begriff des allerrealesten Wesens der einzi- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. einzige, dadurch ein nothwendiges Wesen gedacht werden kan, d. i. es existirt ein hoͤchstes Wesen nothwendiger Weise. In diesem cosmologischen Argumente kommen so viel vernuͤnftelnde Grundsaͤtze zusammen, daß die specu- lative Vernunft hier alle ihre dialectische Kunst aufgeboten zu haben scheint, um den groͤßtmoͤglichen transscendenta- len Schein zu Stande zu bringen. Wir wollen ihre Pruͤ- fung indessen eine Weile bey Seite setzen, um nur eine List derselben offenbar zu machen, mit welcher sie ein altes Argument in verkleideter Gestalt vor ein neues aufstellt und sich auf zweier Zeugen Einstimmung beruft, nemlich einem reinen Vernunftzeugen und einem anderen von em- pirischer Beglaubigung, d a es doch nur der erstere allein ist, welcher blos seinen Anzug und Stimme veraͤndert, um vor einen zweiten gehalten zu werden. Um seinen Grund recht sicher zu legen, fusset sich dieser Beweis auf Erfahrung und giebt sich dadurch das Ansehen, als sey er vom ontologischen Beweise unterschieden, der auf lauter reine Begriffe a priori sein ganzes Vertrauen sezt. Die- ser Erfahrung aber bedient sich der cosmologische Beweis nur, um einen einzigen Schritt zu thun, nemlich zum Daseyn eines nothwendigen Wesens uͤberhaupt. Was dieses vor Eigenschaften habe, kan der empirische Beweis- grund nicht lehren, sondern da nimt die Vernunft gaͤnz- lich von ihm Abschied und forscht hinter lauter Begriffen: was nemlich ein absolutnothwendiges Wesen uͤberhaupt vor V. Absch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweises ꝛc. vor Eigenschaften haben muͤsse, d. i. welches unter allen moͤglichen Dingen die erforderliche Bedingungen (requi- sita) zu einer absoluten Nothwendigkeit in sich enthalte. Nun glaubt sie im Begriffe eines allerrealesten Wesens einzig und allein diese Requisite anzutreffen, und schließt sodann: das ist das schlechterdingsnothwendige Wesen. Es ist aber klar: daß man hiebey voraussezt, der Be- griff eines Wesens von der hoͤchsten Realitaͤt thue dem Begriffe der absoluten Nothwendigkeit im Daseyn voͤllig gnug, d. i. es lasse sich aus iener auf diese schliessen, ein Satz, den das ontologische Argument behauptete, welches man also im cosmologischen Beweise annimt und zum Grunde legt, da man es doch hatte vermeiden wollen. Denn die absolute Nothwendigkeit ist ein Daseyn aus blossen Begriffen. Sage ich nun: der Begriff des entis realissimi ist ein solcher Begriff und zwar der einzige, der zu dem nothwendigen Daseyn passend und ihm adaͤquat ist, so muß ich auch einraͤumen, daß aus ihm das leztere geschlossen werden koͤnne. Es ist also eigentlich nur der ontologische Beweis aus lauter Begriffen, der in dem so- genanten cosmologischen alle Beweiskraft enthaͤlt, und die angebliche Erfahrung ist ganz muͤssig, vielleicht, um uns nur auf den Begriff der absoluten Nothwendigkeit zu fuͤh- ren, nicht aber um diese an irgend einem bestimten Dinge darzuthun. Denn sobald wir dieses zur Absicht haben, muͤssen wir so fort alle Erfahrung verlassen, und unter reinen Begriffen suchen, welcher von ihnen wol die Be- din- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. dingungen der Moͤglichkeit eines absolutnothwendigen We- sens enthalte. Ist aber auf solche Weise nur die Moͤg- lichkeit eines solchen Wesens eingesehen, so ist auch sein Daseyn dargethan; denn es heißt so viel, als: unter allem Moͤglichen ist Eines, das absolute Nothwendigkeit bey sich fuͤhrt, d. i. dieses Wesen existirt schlechterdingsnoth- wendig. Alle Blendwerke im Schliessen entdecken sich am leich- testen, wenn man sie auf schulgerechte Art vor Augen stellt Hier ist eine solche Darstellung. Wenn der Satz richtig ist: ein iedes schlechthinnoth- wendiges Wesen ist zugleich das allerrealeste Wesen (als welches der neruus probandi des cosmologischen Bewei- ses ist), so muß er sich, wie alle beiahende Urtheile, we- nigstens per accidens umkehren lassen; also einige aller- realeste Wesen sind zugleich schlechthinnothwendige We- sen. Nun ist aber ein ens realissimum von einem anderen in keinem Stuͤcke unterschieden und, was also von einigen unter diesem Begriffe enthaltenen gilt, das gilt auch von allen . Mithin werde ich (in diesem Falle) auch schlecht- hin umkehren koͤnnen, d. i. ein iedes allerrealeste Wesen ist ein nothwendiges Wesen. Weil nun dieser Satz blos aus seinen Begriffen a priori bestimt ist: so muß der blosse Begriff des realesten Wesens auch die absolute Nothwen- digkeit desselben bey sich fuͤhren, welches eben der ontolo- gische Beweis behauptete und der cosmologische nicht an- erken- V. Absch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweises ꝛc. erkennen wolte, gleichwol aber seinen Schluͤssen, obzwar verstekter Weise, unterlegte. So ist denn der zweite Weg, den die speculative Vernunft nimt, um das Daseyn des hoͤchsten Wesens zu beweisen, nicht allein mit dem ersten gleich truͤglich, son- dern hat noch dieses tadelhafte an sich, daß er eine igno- ratio elenchi begeht, indem er uns verheißt, einen neuen Fußsteig zu fuͤhren, aber, nach einem kleinen Umschweif, uns wiederum auf den alten zuruͤck bringt, den wir seinet- wegen verlassen hatten. Ich habe kurz vorher gesagt: daß in diesem cosmo- logischen Argumente sich ein ganzes Nest von dialectischen Anmassungen verborgen halte, welches die transscenden- tale Critik leicht entdecken und zerstoͤhren kan. Ich will sie iezt nur anfuͤhren und es dem schon geuͤbten Leser uͤber- lassen, den truͤglichen Grundsaͤtzen weiter nachzuforschen und sie aufzuheben. Da befindet sich denn z. B. 1. der transscendentale Grundsatz: vom Zufaͤlligen auf eine Ursache zu schliessen, welcher nur in der Sinnenwelt von Bedeutung ist, ausser- halb derselben aber auch nicht einmal einen Sinn hat. Denn der blos intellectuelle Begriff des Zufaͤlligen kan gar keinen synthetischen Satz, wie den der Caussalitaͤt, her- vorbringen, und der Grundsatz der lezteren hat gar keine Bedeutung und kein Merkmal seines Gebrauchs, als nur in der Sinnenwelt; hier aber solte er gerade dazu dienen, um uͤber die Sinnenwelt hinaus zu kommen. 2. Der Q q Schluß, Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Schluß, von der Unmoͤglichkeit einer unendlichen Reihe uͤber einander gegebenen Ursachen in der Sinnenwelt auf eine erste Ursache zu schliessen, wozu uns die Principien des Vernunftgebrauchs selbst in der Erfahrung nicht be- rechtigen, vielweniger diesen Grundsatz uͤber dieselbe (wo- hin diese Kette gar nicht verlaͤngert werden kan) ausdeh- nen koͤnnen. 3. Die falsche Selbstbefriedigung der Ver- nunft, in Ansehung der Vollendung dieser Reihe, da- durch: daß man endlich alle Bedingung, ohne welche doch kein Begriff einer Nothwendigkeit statt finden kan, weg- schaft und, da man alsdenn nichts weiter begreifen kan, dieses vor eine Vollendung seines Begriffs annimt. 4. Die Verwechselung der logischen Moͤglichkeit eines Begriffs von aller vereinigten Realitaͤt (ohne inneren Widerspruch) mit der transscendentalen, welche ein Principium der Thun- lichkeit einer solchen Synthesis bedarf, das aber wiederum nur auf das Feld moͤglicher Erfahrungen gehen kan, u. s. w. Das Kunststuͤck des cosmologischen Beweises zielet blos darauf ab, um dem Beweise des Daseyns eines nothwendigen Wesens a priori durch blosse Begriffe aus- zuweichen, der ontologisch gefuͤhrt werden muͤßte, wozu wir uns aber gaͤnzlich unvermoͤgend fuͤhlen. In dieser Absicht schliessen wir aus einem zum Grunde gelegten wirk- lichen Daseyn (einer Erfahrung uͤberhaupt), so gut es sich will thun lassen, auf irgend eine schlechterdingsnoth- wendige Bedingung desselben. Wir haben alsdenn dieser ihre Moͤglichkeit nicht noͤthig zu erklaͤren. Denn, wenn bewie- V. Absch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweises ꝛc. bewiesen ist, daß sie da sey, so ist die Frage wegen ihrer Moͤglichkeit ganz unnoͤthig. Wollen wir nun dieses noth- wendige Wesen nach seiner Beschaffenheit naͤher bestimmen, so suchen wir nicht dasienige, was hinreichend ist, aus seinem Begriffe die Nothwendigkeit des Daseyns zu be- greifen, denn koͤnten wir dieses, so haͤtten wir keine em- pirische Voraussetzung noͤthig; nein, wir suchen nur die negative Bedingung, (conditio sine qua non) , ohne welche ein Wesen nicht absolutnothwendig seyn wuͤrde. Nun wuͤrde das in aller anderen Art von Schluͤssen, aus einer gegebenen Folge auf ihren Grund, wol angehen; es trift sich aber hier ungluͤcklicher Weise, daß die Be- dingung, die man zur absoluten Nothwendigkeit fodert, nur in einem einzigen Wesen angetroffen werden kan, welches daher in seinem Begriffe alles, was zur absoluten Nothwendigkeit erfoderlich ist, enthalten muͤßte, und also einen Schluß a priori auf dieselbe moͤglich macht, d. i. ich muͤßte auch umgekehrt schliessen koͤnnen: welchem Din- ge dieser Begriff (der hoͤchsten Realitaͤt) zukomt, das ist schlechterdings nothwendig und, kan ich so nicht schliessen, (wie ich denn dieses gestehen muß, wenn ich den ontolo- gischen Beweis vermeiden will), so bin ich auch auf mei- nem neuen Wege verungluͤckt und befinde mich wiederum da, von wo ich ausging. Der Begriff des hoͤchsten We- sens thut wol allen Fragen a priori ein Gnuͤge, die we- gen der inneren Bestimmungen eines Dinges koͤnnen auf- geworfen werden, und ist darum auch ein Ideal ohne Q q 2 Gleichen, Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Gleichen, weil der allgemeine Begriff dasselbe zugleich als ein Individuum unter allen moͤglichen Dingen auszeich- net. Er thut aber der Frage wegen seines eigenen Da- seyns gar kein Gnuͤge, als warum es doch eigentlich nur zu thun war, und man konte auf die Erkundigung dessen, der das Daseyn eines nothwendigen Wesens annahm und nur wissen wolte, welches denn unter allen Dingen davor angesehen werden muͤsse, nicht antworten: Dies hier ist das nothwendige Wesen. Es mag wol erlaubt seyn, das Daseyn eines Wesens von der hoͤchsten Zulaͤnglichkeit, als Ursache zu allen moͤg- lichen Wirkungen, anzunehmen, um der Vernunft die Einheit der Erklaͤrungsgruͤnde, welche sie sucht, zu er- leichteren. Allein, sich so viel herauszunehmen: daß man so gar sage: ein solches Wesen existirt nothwendig, ist nicht mehr die bescheidene Aeusserung einer erlaubten Hy- pothese, sondern die dreuste Anmassung einer apodictischen Gewißheit; denn, was man als schlechthinnothwendig zu erkennen vorgiebt, davon muß auch die Erkentniß abso- lute Nothwendigkeit bey sich fuͤhren. Die ganze Aufgabe des transscendentalen Ideals komt darauf an: entweder zu der absoluten Nothwendig- keit einen Begriff, oder zu dem Begriffe von irgend einem Dinge die absolute Nothwendigkeit desselben zu finden. Kan man das eine, so muß man auch das andere koͤnnen; denn als schlechthinnothwendig erkent die Vernunft nur dasie- nige, was aus seinem Begriffe nothwendig ist. Aber bei- des V. Absch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweises ꝛc. des uͤbersteigt gaͤnzlich alle aͤusserste Bestrebungen, unse- ren Verstand uͤber diesen Punct zu befriedigen, aber auch alle Versuche, ihn wegen dieses seines Unvermoͤgens zu be- ruhigen. Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir, als den lezten Traͤger aller Dinge, so unentbehrlich beduͤrfen, ist der wahre Abgrund vor die menschliche Vernunft. Selbst die Ewigkeit, so schauderhafterhaben sie auch ein Haller schildern mag, macht lange den schwindelichten Eindruck nicht auf das Gemuͤth; denn sie mißt nur die Dauer der Dinge, aber traͤgt sie nicht. Man kan sich des Gedan- ken nicht erwehren, man kan ihn aber auch nicht ertra- gen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das Hoͤch- ste unter allen moͤglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, ausser mir ist nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter uns und die groͤßte Vollkommenheit, wie die kleinste, schwebt ohne Haltung blos vor der speculativen Vernunft, der es nichts kostes , die eine so wie die andere, ohne die mindeste Hinderniß verschwinden zu lassen. Viele Kraͤfte der Natur, die ihr Daseyn durch ge- wisse Wirkungen aͤussern, bleiben vor uns unerforschlich; denn wir koͤnnen ihnen durch Beobachtung nicht weit ge- nug nachspuͤhren. Das den Erscheinungen zum Grunde liegende transscendentale Obiect und, mit demselben der Grund, warum unsere Sinnlichkeit diese vielmehr als an- Q q 3 dere Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. dere oberste Bedingungen habe, sind und bleiben vor uns unerforschlich, obzwar die Sache selbst uͤbrigens gegeben, aber nur nicht eingesehen ist. Ein Ideal der reinen Ver- nunft kan aber nicht unerforschlich heissen, weil es weiter keine Beglaubigung seiner Realitaͤt aufzuweisen hat, als die Beduͤrfniß der Vernunft, vermittelst desselben alle syn- thetische Einheit zu vollenden. Da es also nicht einmal als denkbarer Gegenstand gegeben ist, so ist es auch nicht als ein solcher unerforschlich, vielmehr muß er, als blosse Idee, in der Natur der Vernunft seinen Sitz und seine Aufloͤsung finden und also erforscht werden koͤnnen; denn eben darin besteht Vernunft: daß wir von allen unseren Begriffen, Meinungen und Behauptungen, es sey aus obiectiven, oder, wenn sie ein blosser Schein sind, aus subiectiven Gruͤnden Rechenschaft geben koͤnnen. Entdeckung und Erklaͤrung des dialectischen Scheins in allen transscendentalen Beweisen vom Daseyn eines nothwendigen Wesens. Beide bisher gefuͤhrte Beweise waren transscenden- tal, d. i. unabhaͤngig von empirischen Principien versucht. Denn, obgleich der cosmologische eine Erfahrung uͤberhaupt zum Grunde legt, so ist er doch nicht aus irgend einer be- sonderen Beschaffenheit derselben, sondern aus reinen Vernunftprincipien, in Beziehung auf eine durchs empiri- che Bewustseyn uͤberhaupt gegebene Existenz, gefuͤhret und V. Absch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweises ꝛc. und verlaͤßt so gar diese Anleitung, um sich auf lauter reine Begriffe zu stuͤtzen. Was ist nun in diesen trans- scendentalen Beweisen die Ursache des dialectischen, aber natuͤrlichen Scheins, welcher die Begriffe der Nothwendig- keit und hoͤchsten Realitaͤt verknuͤpft und dasienige, was doch nur Idee seyn kan, realisirt und hypostasirt? Was ist die Ursache der Unvermeidlichkeit, etwas als an sich nothwendig unter den existirenden Dingen anzunehmen, und doch zugleich von dem Daseyn eines solchen Wesens als einem Abgrunde zuruͤckzubeben, und wie faͤngt man es an, daß sich die Vernunft hieruͤber selbst verstehe und aus dem schwankenden Zustande eines schuͤchternen und immer wiederum zuruͤckgenommenen Beifalls, zur ruhi- gen Einsicht gelange? Es ist etwas uͤberaus Merkwuͤrdiges: daß, wenn man voraussezt, etwas existire, man der Folgerung nicht Umgang haben kann: daß auch irgend etwas nothwendi- gerweise existire. Auf diesem ganz natuͤrlichen (obzwar darum noch nicht sicheren) Schlusse beruhete das cosmo- logische Argument. Dagegen mag ich einen Begriff von einem Dinge annehmen, welchen ich will, so finde ich, daß sein Daseyn niemals von mir als schlechterdings nothwen- dig vorgestellt werden koͤnne, und daß mich nichts hindere, es mag existiren was da wolle, das Nichtseyn desselben zu denken, mithin ich zwar zu dem Existirenden uͤberhaupt etwas Nothwendiges annehmen muͤsse, kein einziges Ding aber selbst, als an sich nothwendig, denken koͤnne: Das Q q 4 heißt: Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. heißt: ich kan das Zuruͤckgehen zu den Bedingungen des Existirens niemals vollenden, ohne ein nothwendig Wesen anzunehmen, ich kan aber von demselben niemals an- fangen . Wenn ich zu existirenden Dingen uͤberhaupt etwas Nothwendiges denken muß, kein Ding aber an sich selbst als nothwendig zu denken befugt bin, so folgt daraus un- vermeidlich: daß Nothwendigkeit und Zufaͤlligkeit nicht die Dinge selbst angehen und treffen muͤsse, weil sonst ein Widerspruch vorgehen wuͤrde, mithin keiner dieser beiden Grundsaͤtze obiectiv sey, sondern sie allenfalls nur sub- iective Principien der Vernunft seyn koͤnnen, nemlich einer Seits zu allem, was als existirend gegeben ist, etwas zu suchen, das nothwendig ist, d. i. niemals anderswo, als bey einer a priori vollendeten Erklaͤrung aufzuhoͤren, an- derer Seits aber auch diese Vollendung niemals zu hoffen, d. i. nichts Empirisches als unbedingt anzunehmen, und sich dadurch fernerer Ableitung zu uͤberheben. In sol- cher Bedeutung koͤnnen beide Grundsaͤtze als blos hevri- stisch und regulativ, die nichts, als das formale Interesse der Vernunft besorgen, ganz wol bey einander bestehen. Denn der eine sagt, ihr sollt so uͤber die Natur philo- sophiren, als ob es zu allem, was zur Existenz gehoͤrt, einen nothwendigen ersten Grund gebe, lediglich um sy- stematische Einheit in euer Erkentniß zu bringen, indem ihr einer solchen Idee, nemlich einem eingebildeten ober- sten Grunde, nachgeht: der andere aber warnet euch, keine ein- V. Absch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweises ꝛc. einzige Bestimmung, die die Existenz der Dinge betrift, vor einen solchen obersten Grund, d. i. als absolutnothwen- dig anzunehmen, sondern euch noch immer den Weg zur ferneren Ableitung offen zu erhalten und sie daher iederzeit noch als bedingt zu behandeln. Wenn aber vor uns alles, was an den Dingen wahrgenommen wird, als bedingtnoth- wendig betrachtet werden muß: so kan auch kein Ding (das empirisch gegeben seyn mag) als absolutnothwendig angesehen werden. Es folgt aber hieraus: daß ihr das Absolutnothwen- dige ausserhalb der Welt annehmen muͤßt; weil es nur zu einem Princip der groͤßtmoͤglichen Einheit der Erschei- nungen, als deren oberster Grund, dienen soll und ihr in der Welt niemals dahin gelangen koͤnt, weil die zweite Regel euch gebietet, alle empirische Ursachen der Einheit iederzeit als abgeleitet anzusehen. Die Philosophen des Alterthums sahen alle Form der Natur als zufaͤllig, die Materie aber, nach dem Urtheile der gemeinen Vernunft, als urspruͤnglich und nothwendig an. Wuͤrden sie aber die Materie nicht als Substratum der Erscheinungen respectiv, sondern an sich selbst ihrem Daseyn nach betrachtet haben, so waͤre die Idee der abso- luten Nothwendigkeit so gleich verschwunden. Denn es ist nichts, was die Vernunft an dieses Daseyn schlecht- hin bindet, sondern sie kan solches, iederzeit und ohne Widerstreit, in Gedanken aufheben; in Gedan- ken aber lag auch allein die absolute Nothwendigkeit. Q q 5 Es Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Es mußte also bey dieser Ueberredung ein ge- wisses regulative Princip zum Grunde liegen. In der That ist auch Ausdehnung und Undurchdringlichkeit (die zusammen den Begriff von Materie ausmachen) das oberste empirische Principium der Einheit der Erscheinun- gen und hat, so fern als es empirisch unbedingt ist, eine Eigenschaft des regulativen Princips an sich. Gleichwol, da iede Bestimmung der Materie, welche das Reale der- selben ausmacht, mithin auch die Undurchdringlichkeit, ei- ne Wirkung (Handlung) ist, die ihre Ursache haben muß und daher immer noch abgeleitet ist, so schickt sich die Materie doch nicht zur Idee eines nothwendigen Wesens, als eines Princips aller abgeleiteten Einheit; weil iede ihrer realen Eigenschaften, als abgeleitet, nur bedingt nothwendig ist und also an sich aufgehoben werden kan, hiemit aber das ganze Daseyn der Materie aufgehoben wer- den wuͤrde, wenn dieses aber nicht geschaͤhe, wir den hoͤch- sten Grund der Einheit empirisch erreicht haben wuͤrden, welches durch das zweite regulative Princip verboten wird, so folgt: daß die Materie, und uͤberhaupt, was zur Welt gehoͤrig ist, zu der Idee eines nothwendigen Urwesens, als eines blossen Princips der groͤßten empirischen Einheit, nicht schicklich sey, sondern daß es ausserhalb der Welt gesezt werden muͤsse, da wir denn die Erscheinungen der Welt und ihr Daseyn immer getrost von anderen ableiten koͤnnen, als ob es kein nothwendig Wesen gaͤbe und dennoch zu der Bollstaͤndigkeit der Ableitung unaufhoͤrlich streben koͤn- nen: V. Absch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweises ꝛc. nen, als ob ein solches, als ein oberster Grund, voraus- gesezt waͤre. Das Ideal des hoͤchsten Wesens ist nach diesen Be- trachtungen nichts anders, als ein regulatives Princip der Vernunft, alle Verbindung in der Welt so anzusehen, als ob sie aus einer allgnugsamen nothwendigen Ursache entspraͤnge, um darauf die Regel einer systematischen und nach allgemeinen Gesetzen nothwendigen Einheit in der Erk l aͤrung derselben zu gruͤnden und ist nicht eine Behaup- tung einer an sich nothwendigen Existenz. Es ist aber zugleich unvermeidlich, sich, vermittelst einer transscen- dentalen Subreption, dieses formale Princip als constitu- tiv vorzustellen und sich diese Einheit hypostatisch zu den- ken. Denn, so wie der Raum, weil er alle Gestalten, die lediglich verschiedene Einschraͤnkungen desselben sind, urspruͤnglich moͤglich macht, ob er gleich nur ein Princi- pium der Sinnlichkeit ist, dennoch eben darum vor ein schlechterdings nothwendiges vor sich bestehendes Etwas und einen a priori an sich selbst gegebenen Gegenstand ge- halten wird, so geht es auch ganz natuͤrlich zu: daß, da die systematische Einheit der Natur auf keinerley Weise zum Princip des empirischen Gebrauchs unserer Vernunft auf- gestellet werden kan, als so fern wir die Idee eines aller- realesten Wesens, als der obersten Ursache, zum Grunde legen, diese Idee dadurch als ein wirklicher Gegenstand und dieser wiederum, weil er die oberste Bedingung ist, als nothwendig vorgestellet, mithin ein regulatives Prin- cip Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. cip in ein constitutives verwandelt werde, welche Unter- schiebung sich dadurch offenbart: daß, wenn ich nun die- ses oberste Wesen, welches respectiv auf die Welt schlecht- hin (unbedingt) nothwendig war, als Ding vor sich be- trachte, diese Nothwendigkeit keines Begriffs faͤhig ist, und also nur als formale Bedingung des Denkens, nicht aber als materiale und hypostatische Bedingung des Da- seyns, in meiner Vernunft anzutreffen gewesen seyn muͤsse. Des dritten Hauptstuͤcks Sechster Abschnitt. Von der Unmoͤglichkeit des physicotheologischen Beweises. W enn denn weder der Begriff von Dingen uͤberhaupt, noch die Erfahrung von irgend einem Daseyn uͤberhaupt, das, was gefodert wird, leisten kan, so bleibt noch ein Mittel uͤbrig, zu versuchen, ob nicht eine bestim- te Erfahrung, mithin die, der Dinge der gegenwaͤrtigen Welt, ihre Beschaffenheit und Anordnung einen Beweis- grund abgebe, der uns sicher zur Ueberzeugung von dem Daseyn eines hoͤchsten Wesens verhelfen koͤnne. Einen solchen Beweis wuͤrden wir den physicotheologischen nen- nen. Solte dieser auch unmoͤglich seyn: so ist uͤberall kein gnugthuender Beweis aus blos speculativer Vernunft vor das Daseyn eines Wesens, welches unserer transscen- dentalen Idee entspraͤche, moͤglich. Man VI. Absch. Unmoͤglichkeit eines physicotheolog. ꝛc. Man wird nach allen obigen Bemerkungen bald ein- sehen, daß der Bescheid auf diese Nachfrage ganz leicht und buͤndig erwartet werden koͤnne. Denn, wie kan ie- mals Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemes- sen seyn solte? Darin besteht eben das Eigenthuͤmliche der lezteren, daß ihr niemals irgend eine Erfahrung congrui- ren koͤnne. Die transscendentale Idee von einem noth- wendigen allgnugsamen Urwesen ist so uͤberschwenglich groß, so hoch uͤber alles Empirische, das iederzeit bedingt ist, erhaben, daß man theils niemals Stoff genug in der Er- fahrung auftreiben kan, um einen solchen Begriff zu fuͤl- len, theils immer unter dem Bedingten herumtappt und stets vergeblich nach dem Unbedingten, wovon uns kein Gesetz irgend einer empirischen Synthesis ein Beispiel, oder dazu die mindeste Leitung giebt, suchen werden. Wuͤrde das hoͤchste Wesen in dieser Kette der Bedin- gungen stehen, so wuͤrde es selbst ein Glied der Reihe derselben seyn und, eben so, wie die niedere Glieder, de- nen es vorgesezt ist, noch fernere Untersuchung wegen sei- nes noch hoͤheren Grundes erfodern. Will man es dage- gen von dieser Kette trennen und, als ein blos intelligi- beles Wesen, nicht in der Reihe der Naturursachen mit be- greifen: welche Bruͤcke kan die Vernunft alsdenn wol schla- gen, um zu demselben zu gelangen? Da alle Gesetze des Ueberganges von Wirkungen zu Ursachen, ia alle Synthe- sis und Erweiterung unserer Erkentniß uͤberhaupt auf nichts anderes, als moͤgliche Erfahrung, mithin blos auf Gegen- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Gegenstaͤnde der Sinnenwelt gestellt seyn und nur in Anse- hung ihrer eine Bedeutung haben koͤnnen. Die gegenwaͤrtige Welt eroͤfnet uns einen so uner- meßlichen Schauplatz von Mannigfaltigkeit, Ordnung, Zweckmaͤssigkeit und Schoͤnheit, man mag diese nun in der Unendlichkeit des Raumes, oder in der unbegraͤnzten Theilung desselben verfolgen, daß selbst nach den Kentnissen, welche unser schwache Verstand davon hat erwerben koͤn- nen, alle Sprache, uͤber so viele und unabsehlichgrosse Wunder, ihren Nachdruck, alle Zahlen ihre Kraft zu messen und selbst unsere Gedanken alle Begraͤnzung ver- missen, so, daß sich unser Urtheil vom Ganzen in ein sprach- loses, aber desto beredteres Erstaunen aufloͤsen muß. Aller- werts sehen wir eine Kette der Wirkungen und Ursachen, von Zwecken und den Mitteln, Regelmaͤssigkeit im Ent- stehen oder Vergehen, und, indem nichts von selbst in den Zustand getreten ist, darin es sich befindet, so weiset er immer weiter hin nach einem anderen Dinge, als seiner Ursache, welche gerade eben dieselbe weitere Nachfrage nothwendig macht, so, daß auf solche Weise das ganze All im Abgrunde des Nichts versinken muͤßte, naͤhme man nicht etwas an, das ausserhalb diesem unendlichen Zufaͤlli- gen, vor sich selbst urspruͤnglich und unabhaͤngig bestehend, dasselbe hielte und, als die Ursache seines Ursprungs, ihm zugieich seine Fortdauer sicherte. Diese hoͤchste Ursache (in Ansehung aller Dinge der Welt) wie groß soll man sie sich denken? Die Welt kennen wir nicht ihrem ganzen In- halte VI. Absch. Unmoͤglichkeit eines physicotheolog. ꝛc. halte nach, noch weniger wissen wir ihre Groͤsse durch die Vergleichung mit allem, was moͤglich ist, zu schaͤtzen. Was hindert uns aber, daß, da wir einmal in Absicht auf Caus- salitaͤt ein aͤusserstes und oberstes Wesen beduͤrfen, es nicht zugleich dem Grade der Vollkommenheit nach uͤber alles andere Moͤgliche setzen solten, welches wir leicht, obzwar freilich nur durch den zarten Umriß eines abstracten Be- griffs, bewerkstelligen koͤnnen, wenn wir uns in ihm, als einer einigen Substanz, alle moͤgliche Vollkommenheit ver- einigt vorstellen, welcher Begriff der Foderung unserer Vernunft in der Erspahrung der Principien guͤnstig, in sich selbst keinen Widerspruͤchen unterworfen und selbst der Erweiterung des Vernunftgebrauchs mitten in der Erfah- rung, durch die Leitung, welche eine solche Idee auf Ord- nung und Zweckmaͤssigkeit giebt, zutraͤglich, nirgend aber einer Erfahrung auf entschiedene Art zuwider ist. Dieser Beweis verdient iederzeit mit Achtung ge- nant zu werden. Er ist der aͤlteste, klaͤreste und der ge- meinen Menschenvernunft am meisten angemessene. Er belebt das Studium der Natur, so wie er selbst von die- sem sein Daseyn hat und dadurch immer neue Kraft be- komt. Er bringt Zwecke und Absichten dahin, wo sie un- sere Beobachtung nicht von selbst entdekt haͤtte und erwei- terr unsere Naturkentnisse durch den Leitfaden einer beson- deren Einheit, deren Princip ausser der Natur ist. Diese Kentnisse wirken aber wieder auf ihre Ursache, nemlich die veran- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. veranlassende Idee zuruͤck und vermehren den Glauben an einen hoͤchsten Urheber bis zu einer unwiderstehlichen Ueber- zeugung. Es wuͤrde daher nicht allein trostlos, sondern auch ganz umsonst seyn, dem Ansehen dieses Beweises etwas entziehen zu wollen. Die Vernunft, die durch so maͤch- tige und unter ihren Haͤnden immer wachsende, obzwar nur empirische Beweisgruͤnde, unablaͤssig gehoben wird, kan durch keine Zweifel subtiler abgezogener Speculation so niedergedruͤkt werden, daß sie nicht aus ieder gruͤbleri- schen Unentschlossenheit, gleich als aus einem Traume, durch einen Blick, den sie auf die Wunder der Natur und der Maiestaͤt des Weltbaues wirft, gerissen werden solte, um sich von Groͤsse zu Groͤsse bis zur allerhoͤchsten, vom Be- dingten zur Bedingung, bis zum obersten und unbeding- ten Urheber zu erheben. Ob wir aber gleich wider die Vernunftmaͤssigkeit und Nuͤtzlichkeit dieses Verfahrens nichts einzuwenden, sondern es vielmehr zu empfehlen und aufzumuntern haben, so koͤnnen wir darum doch die Anspruͤche nicht billigen, wel- che diese Beweisart auf apodictische Gewißheit und auf einen, gar keiner Gunst, oder fremder Unterstuͤtzung be- duͤrftigen Beifall machen moͤchte und es kan der guten Sa- che keinesweges schaden, die dogmatische Sprache eines hohnsprechenden Vernuͤnftlers auf den Ton der Maͤssigung und Bescheidenheit, eines zur Beruhigung hinreichenden, obgleich eben nicht unbedingte Unterwerfung gebietenden Glau- VI. Absch. Unmoͤglichkeit eines physicotheolog. ꝛc. Glaubens, herabzustimmen. Ich behaupte demnach: daß der physicotheologische Beweis das Daseyn eines hoͤchsten Wesens niemals allein darthun koͤnne, sondern es iederzeit dem ontologischen (welchem er nur zur Introduction dient), uͤberlassen muͤsse, diesen Mangel zu ergaͤnzen, mithin die- ser immer noch den einzigmoͤglichen Beweisgrund (wo- fern uͤberall nur ein speculativer Beweis statt findet), ent- halte, den keine menschliche Vernunft vorbey gehen kan. Die Hauptmomente des gedachten physischtheologi- schen Beweises sind folgende: 1. In der Welt finden sich allerwerts deutliche Zeichen einer Anordnung nach bestim- ter Absicht, mit grosser Weisheit ausgefuͤhrt und in einem Ganzen, von unbeschreiblicher Mannigfaltigkeit des In- halts so wol, als auch unbegraͤnzter Groͤsse des Umfangs; 2. Denen Dingen der Welt ist diese zweckmaͤssige Anord- nung ganz fremd und haͤngt ihnen nur zufaͤllig an, d. i. die Natur verschiedener Dinge konte von selbst, durch so vie- lerley sich vereinigende Mittel, zu bestimten Endabsichten nicht zusammen stimmen, waͤren sie nicht durch ein anord- nendes vernuͤnftiges Princip, nach zum Grunde liegenden Ideen, dazu ganz eigentlich gewaͤhlt und angelegt worden. 3. Es existirt also eine erhabene und weise Ursache (oder mehrere), die nicht blos, als blindwirkende allvermoͤgende Natur, durch Fruchtbarkeit, sondern, als Intelligenz, durch Freiheit die Ursache der Welt seyn muß. 4. Die Einheit derselben laͤ ßt sich aus der Einheit der wechselsei- tigen Beziehung der Theile der Welt, als Glieder von ei- R r nem Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. nem kuͤnstlichen Bauwerk, an demienigen, wohin unsere Beobachtung reicht, mit Gewißheit, weiter hin aber, nach allen Grundsaͤtzen der Analogie, mit Wahrscheinlich- keit schliessen. Ohne hier mit der natuͤrlichen Vernunft uͤber ihren Schluß zu chicaniren, da sie aus der Analogie einiger Na- turproducte mit demienigen, was menschliche Kunst hervor- bringt, wenn sie der Natur Gewalt thut und sie noͤthigt, nicht nach ihren Zwecken zu verfahren, sondern sich in die unsrige zu schmiegen, (der Aehnlichkeit derselben mit Haͤu- sern, Schiffen, Uhren) schließt, es werde eben eine solche Caussalitaͤt, nemlich Verstand und Wille, bey ihr zum Grunde liegen, wenn sie die innere Moͤglichkeit der freiwirken- den Natur (die alle Kunst und vielleicht selbst so gar die Vernunft zuerst moͤglich macht), noch von einer anderen, obgleich uͤbermenschlichen Kunst ableitet, welche Schlußart vielleicht die schaͤrfste transsc. Critik nicht aushalten duͤrfte, muß man doch gestehen, daß, wenn wir einmal eine Ursache nennen sollen, wir hier nicht sicherer, als nach der Analogie mit dergleichen zweckmaͤssigen Erzeugungen, die die einzige sind, wovon uns die Ursachen und Wirkungsart voͤllig bekant sind, verfahren koͤnnen. Die Vernunft wuͤrde es bey sich selbst nicht verantworten koͤnnen, wenn sie von der Caussalitaͤt, die sie kent, zu dunkeln und unerweislichen Erklaͤrungs- gruͤnden, die sie nicht kent, uͤbergehen wolte. Nach diesem Schlusse muͤßte die undeckmaͤssigkeit und Wolgereimtheit so vieler Naturanstalten blos die Zufaͤllig- keit VI. Absch. Unmoͤglichkeit eines physicotheolog. ꝛc. keit der Form, aber nicht der Materie, d. i. der Substanz in der Welt beweisen; denn zu dem lezteren wuͤrde noch erfodert werden, daß bewiesen werden koͤnte: die Dinge der Welt waͤren an sich selbst zu dergleichen Ordnung und Einstimmung, nach allgemeinen Gesetzen, untauglich, wenn sie nicht, selbst ihrer Substanz nach, das Product einer hoͤchsten Weisheit waͤren, wozu aber ganz andere Beweisgruͤnde, als die von der Analogie mit menschlicher Kunst, erfodert werden wuͤrden. Der Beweis koͤnte also hoͤchftens einen Weltbaumeister, der durch die Tauglichkeit des Stoffs, den er bearbeitet, immer sehr eingeschraͤnkt waͤre, aber nicht einen Weltschoͤpfer, dessen Idee alles unterworfen ist, darthun, welches zu der grossen Absicht, die man vor Augen hat, nemlich ein allgnugsames Urwe- sen zu beweisen, bey weitem nicht hinreichend ist. Woll- ten wir die Zufaͤlligkeit der Materie selbst beweisen, so muͤßten wir zu einem transscendentalen Argumente unsere Zuflucht nehmen, welches aber hier eben hat vermieden werden sollen. Der Schluß gehet also von der in der Welt so durch- gaͤngig beobachtenden Ordnung und Zweckmaͤssigkeit, als einer durchaus zufaͤlligen Einrichtung, auf das Daseyn einer ihr proportionirten Ursache. Der Begriff dieser Ur- sache aber muß uns etwas ganz Bestimtes von ihr zu er- kennen geben und er kan also kein anderer seyn, als der von einem Wesen, das alle Macht, Weisheit ꝛc. mit einem Worte, alle Vollkommenheit, als ein allgnugsames We- R r 2 sen, Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. sen, besizt. Denn die Praͤdicate von sehr grosser, von erstaunlicher, von unermeßlicher Macht und Treflichkeit geben gar keinen bestimten Begriff und sagen eigentlich nicht, was das Ding an sich selbst sey, sondern sind nur Verhaͤltnißvorstellungen von der Groͤsse des Gegenstandes, den der Beobachter (der Welt) mit sich selbst und seiner Fassungskraft vergleicht und die gleich hochpreisend ausfal- len, man mag den Gegenstand vergroͤssern, oder das be- obachtende Subiect in Verhaͤltniß auf ihn kleiner machen. Wo es auf Groͤsse (der Vollkommenheit) eines Dinges uͤberhaupt ankomt, da giebt es keinen bestimten Begriff, als der, so die ganze moͤgliche Vollkommenheit begreift, und nur das All (omnitudo) der Realitaͤt ist im Begriffe durchgaͤngig bestimt. Nun will ich nicht hoffen, daß sich iemand unterwin- den solte, das Verhaͤltniß der von ihm beobachteten Welt- groͤsse (nach Umfang so wol als Inhalt) zur Allmacht, der Weltordnung zur hoͤchsten Weisheit, der Welteinheit zur absoluten Einheit des Urhebers ꝛc einzusehen. Also kan die Physicotheologie keinen bestimten Begriff von der ober- sten Weltursache geben und daher zu einem Princip der Theologie, welche wiederum die Grundlage der Religion ausmachen soll, nicht hinreichend seyn. Der Schritt zu der absoluten Totalitaͤt ist durch den empirischen Weg ganz und gar unmoͤglich. Nun thut man ihn doch aber im physischtheologischen Beweise. Wel- ches VI. Absch. Unmoͤglichkeit eines physicotheolog. ꝛc. ches Mittels bedient man sich also wol, uͤber eine so weite Kluft zu kommen? Nachdem man bis zur Bewunderung der Groͤsse der Weisheit, der Macht ꝛc des Welturhebers gelanget ist und nicht weiter kommen kan, so verlaͤßt man auf ein- mal dieses durch empirische Beweisgruͤnde gefuͤhrte Argu- ment und geht zu der, gleich anfangs aus der Ordnung und Zweckmaͤssigkeit der Welt geschlossenen Zufaͤlligkeit dersel- ben. Von dieser Zufaͤlligkeit allein geht man nun, le- diglich durch transscendentale Begriffe, zum Daseyn eines Schlechthinnothwendigen und von dem Begriffe der abso- luten Nothwendigkeit der ersten Ursache auf den durch- gaͤngig bestimten, oder bestimmenden Begriff desselben, nemlich einer allbefassenden Realitaͤt. Also blieb der physischtheologische Beweis in seiner Unternehmung stecken, sprang in dieser Verlegenheit ploͤtzlich zu dem cosmologi- schen Beweise uͤber und, da dieser nur ein versteckter onto- logischer Beweis ist, so vollfuͤhrte er seine Absicht wirklich blos durch reine Vernunft, ob er gleich anfaͤnglich alle Ver- wandschaft mit dieser abgeleugnet und alles auf einleuch- tende Beweise aus Erfahrung ausgesezt hatte. Die Physicotheologen haben also gar nicht Ursache gegen die transscendentale Beweisart so sproͤde zu thun und auf sie mit dem Eigenduͤnkel hellsehender Naturkenner, als auf das Spinnengewebe finsterer Gruͤbler, herabzusehen. Denn, wenn sie sich nur selbst pruͤfen wolten, so wuͤrden sie finden: daß, nachdem sie eine gute Strecke auf dem R r 3 Boden Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Boden der Natur und Erfahrung fortgegangen sind und sich gleichwol immer noch eben so weit von dem Gegenstan- de sehen, der ihrer Vernunft entgegen scheint, sie ploͤtzlich diesen Boden verlassen und ins Reich blosser Moͤglichkeiten uͤbergehen, wo sie auf den Fluͤgeln der Ideen demienigen nahe zu kommen hoffen, was sich aller ihrer empirischen Nachsuchung entzogen hatte. Nachdem sie endlich durch einen so maͤchtigen Sprung festen Fuß gefaßt zu haben vermeinen, so verbreiten sie den nunmehr bestimten Be- griff (in dessen Besitz sie, ohne zu wissen wie, gekommen sind), uͤber das ganze Feld der Schoͤpfung und erlaͤutern das Ideal, welches lediglich ein Product der reinen Ver- nunft war, obzwar kuͤmmerlich gnug und weit unter der Wuͤrde seines Gegenstandes, durch Erfahrung, ohne doch gestehen zu wollen, daß sie zu dieser Kentniß oder Vor- aussetzung durch einen anderen Fußsteig, als den der Er- fahrung, gelanget sind. So liegt demnach dem physicotheologischen Beweise der cosmologische, diesem aber der ontologische Beweis. vom Daseyn eines einigen Urwesens als hoͤchsten Wesens, zum Grunde und, da ausser diesen dreien Wegen keiner mehr der speculativen Vernunft offen ist: so ist der onto- logische Beweis, aus lauter reinen Vernunftbegriffen, der einzige moͤgliche, wenn uͤberall nur ein Beweis, von ei- nem so weit uͤber allen empirischen Verstandesgebrauch er- habenen Satze, moͤglich ist. Des VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. Des dritten Hauptstuͤcks Siebenter Abschnitt. Critik aller Theologie aus speculativen Principien der Vernunft. W enn ich unter Theologie die Erkentniß des Urwesens verstehe, so ist sie entweder die aus blosser Ver- nunft (theologia rationalis) oder aus Offenbahrung (reve- lata) . Die erstere denkt sich nun ihren Gegenstand entwe- der blos durch reine Vernunft, vermittelst lanter trans- scendentaler Begriffe, (ens originarium, realissimum, ens entium und heißt die transscendentale Theologie, oder durch einen Begriff, den sie aus der Ratur (unserer Seele) entlehnt, als die hoͤchste Intelligenz und muͤßte die natuͤrliche Theologie heissen. Der, so allein eine trans- scendentale Theologie einraͤumt, wird Deist, der, so auch eine natuͤrliche Theologie annimt, Theist genant. Der erstere giebt zu, daß wir allenfals das Daseyn eines Ur- wesens durch blosse Vernunft erkennen koͤnnen, aber unser Begriff von ihm blos transscendental sey, nemlich nur als von einem Wesen, das alle Realitaͤt hat, die man aber nicht naͤher bestimmen kan. Der zweite behauptet, die Vernunft sey im Stande, den Gegenstand nach der Ana- logie mit der Natur naͤher zu bestimmen, nemlich: als ein Wesen, das durch Verstand und Freiheit den Urgrund aller anderen Dinge in sich enthalte. Jener stellet sich also unter demselben blos eine Weltursache, (ob durch die R r 4 Noth- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Nothwendigkeit seiner Natur, oder durch Freiheit, bleibt unentschieden), diesen einen Welturheber vor. Die transscendentale Theologie ist entweder dieienige, welche das Daseyn des Urwesens von einer Erfahrung uͤber- haupt (ohne uͤber die Welt, wozu sie gehoͤret, etwas naͤ- her zu bestimmen), abzuleiten gedenkt und heißt Cosmo- theologie , oder glaubt durch blosse Begriffe, ohne Beihuͤlfe der mindesten Erfahrung, sein Daseyn zu erkennen und wird Ontotheologie genant. Die natuͤrliche Theologie schließt auf die Eigen- schaften und das Daseyn eines Welturhebers, aus der Beschaffenheit, der Ordnung und Einheit, die in dieser Welt angetroffen wird, in welcher zweierley Caussalitaͤt und deren Regel angenommen werden muß, nemlich Na- tur und Freiheit. Daher steigt sie von dieser Welt zur hoͤchsten Intelligenz auf, entweder als dem Princip aller natuͤrlichen, oder aller sittlichen Ordnung und Vollkom- menheit. Im ersteren Falle heißt sie Physicotheologie , im lezten Moraltheologie Nicht theologische Moral; denn die enthaͤlt sittliche Ge- setze, welche das Daseyn eines hoͤchsten Weltregierers voraussetzen, dahingegen die Moraltheologie eine Ueber- zeugung vom Daseyn eines hoͤchsten Wesens ist, welche auf sittliche Gesetze gegruͤndet ist. . Da man unter dem Begriffe von Gott nicht etwa blos eine blindwirkende ewige Natur, als die Wurzel der Dinge, sondern ein hoͤchstes Wesen, das durch Verstand und VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. und Freiheit der Urheber der Dinge seyn soll, zu ver- stehen gewohnt ist, und auch dieser Begriff allein uns in- teressirt, so koͤnte man, nach der Strenge, dem Deisten allen Glauben an Gott absprechen und ihm lediglich die Behauptung eines Urwesens, oder obersten Ursache uͤbrig lassen. Indessen, da niemand darum, weil er etwas sich nicht zu behaupten getraut, beschuldigt werden darf, er wolle es gar laͤugnen, so ist es gelinder und billiger zu sagen: der Deist glaube einen Gott , der Theist aber einen lebendigen Gott (summam intelligentiam) . Jezt wollen wir die moͤgliche Quellen aller dieser Versuche der Vernunft aufsuchen. Ich begnuͤge mich hier, die theoretische Erkentniß durch eine solche zu erklaͤren, wodurch ich erkenne, was da ist, die practische aber, dadurch ich mir vorstelle, was da seyn soll. Diesemnach ist der theoretische Gebrauch der Vernunft derienige, durch den ich a priori (als noth- wendig) erkenne, daß etwas sey, der practische aber, durch den a priori erkant wird, was geschehen solle. Wenn nun entweder, daß etwas sey, oder geschehen solle, un- gezweifelt gewiß, aber doch nur bedingt ist: so kan doch entweder eine gewisse bestimte Bedingung dazu schlechthin nothwendig seyn, oder sie kan nur als beliebig und zufaͤl- lig vorausgesezt werden. Im ersteren Falle wird die Be- dingung postulirt, (per thesin) im zweiten supponirt, (per hypothesin) . Da es practische Gesetze giebt, die schlechthin nothwendig sind (die moralische), so muß, R r 5 wenn Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. wenn diese irgend ein Daseyn, als die Bedingung der Moͤglichkeit ihrer verbindenden Kraft, nothwendig vor- aussetzen, dieses Daseyn postulirt werden, darum, weil das Bedingte, von welchem der Schluß auf diese bestimte Bedingung geht, selbst a priori als schlechterdingsnoth- wendig erkant wird. Wir werden kuͤnftig von den mo- ralischen Gesetzen zeigen: daß sie das Daseyn eines hoͤch- sten Wesens nicht blos voraussetzen, sondern auch, da sie in anderweitiger Betrachtung schlechterdings nothwendig sind, es mit Recht, aber freilich nur practisch, postuli- ren; iezt setzen wir diese Schlußart noch bey Seite. Da, wenn blos von dem, was da ist (nicht, was seyn soll), die Rede ist, das Bedingte, welches uns in der Er- fahrung gegeben wird, iederzeit auch als zufaͤllig gedacht wird, so kan die zu ihm gehoͤrige Bedingung daraus nicht als schle ch thinnothwendig erkant werden, sondern dient nur als eine respectivnothwendige, oder vielmehr noͤthige, an sich selbst aber und a priori willkuͤhrliche Voraussetzung zum Vernunfterkentniß des Bedingten. Soll also die ab- solute Nothwendigkeit eines Dinges im theoretischen Er- kentnisse erkant werden, so koͤnte dieses allein aus Begrif- fen a priori geschehen, niemals aber als einer Ursache, in Beziehung auf ein Daseyn, das durch Erfahrung ge- geben ist. Eine theoretische Erkentniß ist speculativ, wenn sie auf einen Gegenstand, oder solche Begriffe von einem Gegen- stande, geht, zu welchem man in keiner Erfahrung ge- langen VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. langen kan. Sie wird der Naturerkentniß entgegenge- sezt, welche auf keine andere Gegenstaͤnde oder Praͤdicate derselben geht, als die in einer moͤglichen Erfahrung ge- geben werden koͤnnen. Der Grundsatz: von dem, was geschieht, (dem empirischzufaͤlligen) als Wirkung, auf eine Ursache zu schliessen, ist ein Princip der Naturerkentniß, aber nicht der speculativen. Denn, wenn man von ihm, als einem Grundsatze, der die Bedingung moͤglicher Erfahrung uͤberhaupt enthaͤlt, abstrahirt und, indem man alles Em- pirische weglaͤßt, ihm vom Zufaͤlligen uͤberhaupt aussagen will, so bleibt nicht die mindeste Rechtfertigung eines sol- chen synthetischen Satzes uͤbrig, um daraus zu ersehen, wie ich von etwas, was da ist, zu etwas davon ganz Ver- schiedenem (genant Ursache) uͤbergehen koͤnne; ia der Be- griff einer Ursache verliert eben so, wie des Zufaͤlligen, in solchem blos speculativen Gebrauche, alle Bedeutung, de- ren obiective Realitaͤt sich in concreto begreiflich machen lasse. Wenn man nun vom Daseyn der Dinge in der Welt auf ihre Ursache schließt: so gehoͤrt dieses nicht zum na- tuͤrlichen , sondern zum speculativen Vernunftgebrauch; weil iener nicht die Dinge selbst (Substanzen), sondern nur das, was geschieht, also ihre Zustaͤnde , als empi- risch zufaͤllig, auf irgend eine Ursache bezieht; daß die Substanz selbst (die Materie) dem Daseyn nach zufaͤllig sey, wuͤrde ein blos speculatives Vernunfterkentniß seyn muͤssen. Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. muͤssen. Wenn aber auch nur von der Form der Welt, der Art ihrer Verbindung und dem Wechsel derselben die Rede waͤre, ich wolte aber daraus auf eine Ursache schlies- sen, die von der Welt gaͤnzlich unterschieden ist, so wuͤrde dieses wiederum ein Urtheil der blos speculativen Vernunft seyn; weil der Gegenstand hier gar kein Obiect einer moͤg- lichen Erfahrung ist. Aber alsdenn wuͤrde der Grundsatz der Caussalitaͤt, der nur innerhalb dem Felde der Erfah- rungen gilt und ausser demselben ohne Gebrauch, ia selbst ohne Bedeutung ist, von seiner Bestimmung gaͤnzlich ab- gebracht. Ich behaupte nun: daß alle Versuche eines blos speculativen Gebrauchs der Vernunft in Ansehung der Theologie gaͤnzlich fruchtlos und ihrer inneren Beschaffen- heit nach null und nichtig sind, daß aber die Principien ihres Naturgebrauchs ganz und gar auf keine Theologie fuͤhren, folglich, wenn man nicht moralische Gesetze zum Grunde legt, oder zum Leitfaden braucht, es uͤberall keine Theologie der Vernunft geben koͤnne. Denn alle synthe- tische Grundsaͤtze des Verstandes sind von immanentem Gebrauch: zu der Erkentniß eines hoͤchsten Wesens aber wird ein transscendenter Gebrauch derselben erfodert, wozu unser Verstand gar nicht ausgeruͤstet ist. Soll das empirischguͤltige Gesetz der Caussalitaͤt zu dem Urwesen fuͤhren, so muͤßte dieses in die Kette der Gegenstaͤnde der Erfahrung mit gehoͤren, alsdenn waͤre es aber, wie alle Erscheinungen, selbst wiederum bedingt. Erlaubte man aber VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. aber auch den Sprung uͤber die Graͤnze der Erfahrung hinaus, vermittelst des dynamischen Gesetzes der Bezie- hung der Wirkungen auf ihre Ursachen: welchen Begriff kan uns dieses Verfahren verschaffen? bey weitem keinen Begriff von einem hoͤchsten Wesen, weil uns Erfahrung niemals die groͤßte aller moͤglichen Wirkungen (als welche das Zeugniß von ihrer Ursache ablegen soll), darreicht. Soll es uns erlaubt seyn, blos, um in unserer Vernunft nichts Leeres uͤbrig zu lassen, diesen Mangel der voͤlligen Bestimmung durch eine blosse Idee der hoͤchsten Vollkom- menheit und urspruͤnglichen Nothwendigkeit auszufuͤllen: so kan dieses zwar aus Gunst eingeraͤumt, aber nicht aus dem Rechte eines unwiderstehlichen Beweises gefodert wer- den. Der physischtheologische Beweis koͤnte also vielleicht wol anderen Beweisen (wenn solche zu haben sind) Nach- druck geben, indem er Speculation mit Anschauung ver- knuͤpft: vor sich selbst aber bereitet er mehr den Verstand zur theologischen Erkentniß vor und giebt ihm dazu eine gerade und natuͤrliche Richtung, als daß er allein das Geschaͤfte vollenden koͤnte. Man sieht also hieraus wol: daß transscendentale Fragen nur transscendentale Antworten, d. i. aus lauter Begriffen a priori ohne die mindeste empirische Beimi- schung erlauben. Die Frage ist hier aber offenbar syn- thetisch und verlangt eine Erweiterung unserer Erkentniß uͤber alle Graͤnzen der Erfahrung hinaus, nemlich zu dem Daseyn eines Wesens, was unserer blossen Idee entspre- chen Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. chen soll, der niemals irgend eine Erfahrung gleich kom- men kan. Nun ist, nach unseren obigen Beweisen, alle synthetische Erkentnis a priori nur dadurch moͤglich, daß sie die formale Bedingungen einer moͤglichen Erfahrung ausdruͤckt, und alle Grundsaͤtze sind also nur von imma- nenter Guͤltigkeit, d. i. sie beziehen sich lediglich auf Ge- genstaͤnde empirischer Erkentniß, oder Erscheinungen. Also wird auch durch transscendentales Verfahren in Ab- sicht auf die Theologie einer blos speculativen Vernunft nichts ausgerichtet. Wolte man aber lieber alle obige Beweise der Ana- lytik in Zweifel ziehen, als sich die Ueberredung von dem Gewichte der so lange gebrauchten Beweisgruͤnde rauben lassen, so kan man sich doch nicht weigern, der Auffode- rung ein Gnuͤge zu thun, wenn ich verlange: man solle sich wenigstens daruͤber rechtfertigen, wie und vermittelst welcher Erleuchtung man sich denn getraue, alle moͤgliche Erfahrung durch die Macht blosser Ideen zu uͤberfliegen. Mit neuen Beweisen, oder ausgebesserter Arbeit alter Be- weise, wuͤrde ich bitten, mich zu verschonen. Denn, ob man zwar hierin eben nicht viel zu waͤhlen hat, indem endlich doch alle blos speculative Beweise auf einen einzi- gen, nemlich den ontologischen hinauslaufen und ich also eben nicht fuͤrchten darf, sonderlich durch die Fruchtbarkeit der dogmatischen Verfechter iener sinnenfreien Vernunft belaͤstigt zu werden, obgleich ich uͤberdem auch, ohne mich darum sehr streitbar zu duͤnken, die Ausfoderung nicht VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. nicht ausschlagen will, in iedem Versuche dieser Art den Fehlschluß aufzudecken und dadurch seine Anmassung zu vereiteln: so wird daher doch die Hoffnung besseren Gluͤcks bey denen, welche einmal dogmatischer Ueberredungen ge- wohnt seyn, niemals voͤllig aufgehoben und ich halte mich daher an der einzigen billigen Foderung, daß man sich allgemein und aus der Natur des menschlichen Verstandes, samt allen uͤbrigen Erkentnißquellen, daruͤber rechtfertige, wie man es anfangen wolle, sein Erkentniß ganz und gar a priori zu erweitern und bis dahin zu erstrecken, wo kei- ne moͤgliche Erfahrung und mithin kein Mittel hinreicht, irgend einem von uns selbst ausgedachten Begriffe seine obiective Realitaͤt zu versichern. Wie der Verstand auch zu diesem Begriffe gelanget seyn mag, so kan doch das Daseyn des Gegenstandes desselben nicht analytisch in dem- selben gefunden werden, weil eben darin die Erkentniß der Existenz des Obiects besteht, daß dieses ausser dem Gedanken an sich selbst gesezt ist. Es ist aber gaͤnzlich unmoͤglich, aus einem Begriffe von selbst hinaus zu ge- hen und, ohne daß man der empirischen Verknuͤpfung folgt, (wodurch aber iederzeit nur Erscheinungen gegeben werden), zu Entdeckung neuer Gegenstaͤnde und uͤber- schwenglicher Wesen zu gelangen. Ob aber gleich die Vernunft in ihrem blos specula- tiven Gebrauche zu dieser so grossen Absicht bey weitem nicht zulaͤnglich ist, nemlich zum Daseyn eines obersten Wesens zu gelangen, so hat sie doch darin sehr grossen Nutzen, Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Nutzen, die Erkentniß desselben, im Fall sie anders wo- her geschoͤpft werden koͤnte, zu berichtigen, mit sich selbst und ieder intelligibelen Absicht einstimmig zu machen, und von allem, was dem Begriffe eines Urwesens zuwider seyn moͤchte, und aller Beimischung empirischer Einschraͤn- kungen zu reinigen. Die transscendentale Theologie bleibt demnach, al- ler ihrer Unzulaͤnglichkeit ungeachtet, dennoch von wichti- gem negativen Gebrauche und ist eine bestaͤndige Censur unserer Vernunft, wenn sie blos mit reinen Ideen zu thun hat, die eben darum kein anderes, als transscendenta- les Richtmaaß zulassen. Denn, wenn einmal, in ander- weitiger, vielleicht practischer Beziehung, die Voraus- setzung eines hoͤchsten und allgnugsamen Wesens, als ober- ster Intelligenz, ihre Guͤltigkeit ohne Widerrede behaup- tete: so waͤre es von der groͤßten Wichtigkeit, diesen Be- griff auf seiner transscendentalen Seite, als den Begriff eines nothwendigen und allerrealesten Wesens, genau zu bestimmen und, was der hoͤchsten Realitaͤt zuwider ist, was zur blossen Erscheinung (dem Antropomorphism im weiteren Verstande) gehoͤrt, wegzuschaffen und zugleich alle entgegengesezte Behauptungen, sie moͤgen nun athei- stisch, oder deistisch, oder anthropomorphistisch seyn, aus dem Wege zu raͤumen, welches in einer solchen critischen Behandlung sehr leicht ist, indem dieselben Gruͤnde, durch welche das Unvermoͤgen der menschlichen Vernunft, in An- sehung der Behauptung des Daseyns eines dergleichen Wesens, VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. Wesens, vor Augen gelegt wird, nothwendig auch zurei- chen, um die Untauglichkeit einer ieden Gegenbehauptung zu beweisen. Denn, wo will iemand durch reine Specu- lation der Vernunft die Einsicht hernehmen: daß es kein hoͤchstes Wesen, als Urgrund von Allem, gebe, oder daß ihm keine von den Eigenschaften zukomme, welche wir, ihren Folgen nach, als analogisch mit den dynamischen Realitaͤten eines denkenden Wesens, uns vorstellen, oder daß sie, in dem lezteren Falle auch allen Einschraͤnkungen unterworfen seyn muͤßten, welche die Sinnlichkeit den Intelligenzen, die wir durch Erfahrung kennen, unver- meidlich auferlegt. Das hoͤchste Wesen bleibt also vor den blos specula- tiven Gebrauch der Vernunft ein blosses, aber doch fehler- freies Ideal , ein Begriff, welcher die ganze menschliche Erkentniß schließt und kroͤnet, dessen obiective Realitaͤt auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch nicht wider- legt werden kan und, wenn es eine Moraltheologie geben solte, die diesen Mangel ergaͤnzen kan, so beweiset als- denn die vorher nur problematische transscendentale Theo- logie ihre Unentbehrlichkeit, durch Bestimmung ihres Be- griffs und unaufhoͤrliche Censur einer durch Sinnlich- keit oft genug getaͤuschten und mit ihren eigenen Ideen nicht immer einstimmigen Vernunft. Die Nothwendig- keit, die Unendlichkeit, die Einheit, das Daseyn ausser der Welt (nicht als Weltseele), die Ewigkeit, ohne Be- dingungen der Zeit, die Allgegenwart, ohne Bedingungen S s des Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. des Raumes, die Allmacht ꝛc sind lauter transscendentale Praͤdicate und daher kan der gereinigte Begriff derselben, den eine iede Theologie so sehr noͤthig hat, blos aus der transscendentalen gezogen werden. Anhang zur transscendentalen Dialectik . Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft . D er Ausgang aller dialectischen Versuche der reinen Vernunft bestaͤtigt nicht allein, was wir schon in der trans- scendentalen Analytik bewiesen, nemlich, daß alle unsere Schluͤsse, die uns uͤber das Feld moͤglicher Erfahrung hin- ausfuͤhren wollen, truͤglich und grundlos seyn, sondern er lehrt uns zugleich dieses besondere: daß die menschliche Vernunft dabey einen natuͤrlichen Hang habe, diese Graͤn- ze zu uͤberschreiten, daß transscendentale Ideen ihr eben so natuͤrlich seyn, als dem Verstande die Categorien, ob- gleich mit dem Unterschiede, daß, so wie die leztere zur Wahrheit, d. i. der Uebereinstimmung unserer Begriffe mit dem Obiecte fuͤhren, die erstere einen blossen, aber un- widerstehlichen Schein bewirken, dessen Taͤuschung man kaum durch die schaͤrf;ste Critik abhalten kan. Alles, was in der Natur unserer Kraͤfte gegruͤndet ist, muß zweckmaͤssig und mit dem richtigen Gebrauche derselben einstimmig seyn, wenn wir nur einen gewissen Miß- VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. Mißverstand verhuͤten und die eigentliche Richtung dersel- ben ausfindig machen koͤnnen. Also werden die transscen- dentale Ideen allem Vermuthen nach ihren guten und folglich immanenten Gebrauch haben, obgleich, wenn ihre Bedeutung verkant und sie vor Begriffe von wirkli- chen Dingen genommen werden, sie transscendent in der Anwendung und eben darum truͤglich seyn koͤnnen. Denn nicht die Idee an sich selbst, sondern blos ihr Gebrauch kan, entweder in Ansehung der gesamten moͤglichen Er- fahrung, uͤberfliegend (transscendent), oder einheimisch (immanent) seyn, nachdem man sie entweder gerade zu auf einen ihr vermeintlich entsprechenden Gegenstand, oder nur auf den Verstandesgebrauch uͤberhaupt in Ansehung der Gegenstaͤnde, mit welchen er zu thun hat, richtet und alle Fehler der Subreption sind iederzeit einem Man- gel der Urtheilskraft, niemals aber dem Verstande oder der Vernunft zuzuschreiben. Die Vernunft bezieht sich niemals gerade zu auf ei- nen Gegenstand, sondern lediglich auf den Verstand und vermittelst desselben auf ihren eigenen empirischen Gebrauch, schaft also keine Begriffe (von Obiecten), sondern ordnet sie nur und giebt ihnen dieienige Einheit, welche sie in ihrer groͤßtmoͤglichen Ausbreitung haben koͤnnen, d. i. in Beziehung auf die Totalitaͤt der Reihen, als auf welche der Verstand gar nicht sieht, sondern nur auf dieienige Verknuͤpfung, dadurch allerwerts Reihen der Bedingungen nach Begriffen zu Stande kommen . Die Vernunft hat S s 2 also Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. also eigentlich nur den Verstand und dessen zweckmaͤssige Anstellung zum Gegenstande und, wie dieser das Mannig- faltige im Obiect durch Begriffe vereinigt, so vereinigt iene ihrer Seits das Mannigfaltige der Begriffe durch Ideen, indem sie eine gewisse collective Einheit zum Ziele der Verstandeshandlungen sezt, welche sonst nur mit der distributiven Einheit beschaͤftigt sind. Ich behaupte demnach: die transscendentale Ideen seyn niemals von constitutivem Gebrauche, so, daß dadurch Begriffe gewisser Gegenstaͤnde gegeben wuͤrden und in dem Falle, daß man sie so versteht, so sind es blos vernuͤnf- telnde (dialectische) Begriffe. Dagegen aber haben sie einen vortreflichen und unentbehrlichnothwendigen regula- tiven Gebrauch, nemlich den Verstand zu einem gewissen Ziele zu richten, in Aussicht auf welches die Richtungsli- nien aller seiner Regeln in einen Punct zusammen laufen, der, ob er zwar nur eine Idee (focus imaginarius) , d. i. ein Punct ist, aus welchem die Verstandesbegriffe wirklich nicht ausgehen, indem er ganz ausserhalb den Graͤnzen moͤglicher Erfahrung liegt, dennoch dazu dient, ihnen die groͤßte Einheit neben der groͤßten Ausbreitung zu verschaffen. Nun entspringt uns zwar hieraus die Taͤuschung, als wenn diese Richtungslinien von einem Gegenstande selbst, der ausser dem Felde empirischmoͤglicher Erkentniß laͤge, aus- geschlossen waͤren (so wie die Obiecte hinter der Spiegel- flaͤche gesehen werden), allein diese Illusion (welche man doch hindern kan, daß sie nicht betriegt) ist gleichwol un- ent- VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. entbehrlich nothwendig, wenn wir ausser den Gegenstaͤn- den, die uns vor Augen sind, auch dieienige zugleich se- hen wollen, die weit davon uns im Ruͤcken liegen, d. i. wenn wir, in unserem Falle, den Verstand uͤber iede ge- gebene Erfahrung (dem Theile der gesamten moͤglichen Erfahrung) hinaus, mithin auch zur groͤßtmoͤglichen und aͤussersten Erweiterung abrichten wollen. Uebersehen wir unsere Verstandeserkentnisse in ihrem ganzen Umfange, so finden wir, daß dasienige, was Ver- nunft ganz eigenthuͤmlich daruͤber verfuͤgt und zu Stande zu bringen sucht, das Systematische der Erkentniß sey, d. i. der Zusammenhang derselben aus einem Princip. Diese Vernunfteinheit sezt iederzeit eine Idee voraus, nemlich die von der Fom eines Ganzen der Erkentniß, wel- ches von der bestimten Erkentniß der Theile vorhergeht und die Bedingungen enthaͤlt, iedem Theile seine Stelle und Verhaͤltniß zu den uͤbrigen a priori zu bestimmen. Diese Idee postulirt demnach vollstaͤndige Einheit der Verstan- deserkentniß, wodurch diese nicht blos ein zufaͤlliges Ag- gregat, sondern ein nach nothwendigen Gesetzen zusam- menhangendes System wird. Man kan eigentlich nicht sagen: daß diese Idee ein Begriff vom Obiecte sey, son- dern von der durchgaͤngigen Einheit dieser Begriffe, so fern dieselbe dem Verstande zur Regel dient. Dergleichen Vernunftbegriffe werden nicht aus der Natur geschoͤpft, vielmehr befragen wir die Natur nach diesen Ideen und halten unsere Erkentniß vor mangelhaft, so lange sie S s 3 den- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. denselben nicht adaͤquat ist. Man gesteht: daß sich schwerlich reine Erde, reines Wasser, reine Luft ꝛc . finde. Gleichwol hat man die Begriffe davon doch noͤthig (die also, was die voͤllige Reinigkeit betrift, nur in der Vernunft ihren Ursprung haben), um den Antheil, den iede dieser Naturursachen an der Erscheinung hat, gehoͤ- rig zu bestimmen und so bringt man alle Materien auf die Erden (gleichsam die blosse Last), Salze und brennliche Wesen (als die Kraft), endlich auf Wasser und Luft als Vehikeln (gleichsam Maschinen, vermittelst deren die vorige wirken), um, nach der Idee eines Mechanismus, die chemische Wirkungen der Materien unter einander zu erklaͤren. Denn, wiewol man sich nicht wirklich so ausdruͤckt, so ist doch ein solcher Einfluß der Vernunft auf die Ein- theilungen der Naturforscher sehr leicht zu entdecken. Wenn die Vernunft ein Vermoͤgen ist, das Beson- dere aus dem Allgemeinen abzuleiten, so ist entweder das Allgemeine schon an sich gewiß und gegeben, und alsdenn erfodert es nur Urtheilskraft zur Subsumtion und das Besondere wird dadurch nothwendig bestimt. Dieses will ich den apodictischen Gebrauch der Vernunft nennen. Oder das Allgemeine wird nur problematisch angenommen und ist eine blosse Idee, das Besondere ist gewiß, aber die Allgemeinheit der Regel zu dieser Folge ist noch ein Pro- blem, so werden mehrere besondere Faͤlle, die insgesamt gewiß seyn, an der Regel versucht, ob sie daraus fliessen und in diesem Falle, wenn es den Anschein hat, daß alle anzu- VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. anzugebende besondere Faͤlle daraus abfolgen, wird auf die Allgemeinheit der Regel, aus dieser aber nachher auf alle Faͤlle, die auch an sich nicht gegeben sind, geschlossen. Diesen will ich den hypothetischen Gebrauch der Vernunft nennen. Der hypothetische Gebrauch der Vernunft aus zum Grunde gelegten Ideen, als problematischer Begriffe, ist ei- gentlich nicht constitutiv, nemlich nicht so beschaffen, daß dadurch, wenn man nach aller Strenge urtheilen will, die Wahrheit der allgemeinen Regel, die als Hypothese ange- nommen worden, folge; denn, wie will man alle moͤgliche Folgen wissen, die, indem sie aus demselben angenommenen Grundsatze folgen, seine Allgemeinheit beweisen, sondern er ist nur regulativ, um dadurch, so weit als es moͤglich ist, Einheit in die besondere Erkentnisse zu bringen und die Regel dadurch der Allgemeinheit zu naͤheren. Der hypothetische Vernunftgebrauch geht also auf die systematische Einheit der Verstandeserkentnisse, diese aber ist der Probierstein der Wahrheit der Regeln. Umgekehrt ist die systematische Einheit (als blosse Idee) lediglich nur proiectirte Einheit, die man an sich nicht als gegeben, sondern nur als Problem ansehen muß, welche aber dazu dient, zu dem Mannigfaltigen und besonderen Verstandesgebrauche ein Principium zu finden und diesen dadurch auch uͤber die Faͤlle, die nicht gegeben sind, zu leiten und zusammenhaͤngend zu machen. S s 4 Man Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Man siehet aber hieraus nur: daß die systematische oder Vernunfteinheit der mannigfaltigen Verstandeserkent- niß ein logisches Princip sey, um, da wo der Verstand allein nicht zu Regeln hinlangt, ihm durch Ideen fortzu- helfen und zugleich der Verschiedenheit seiner Regeln Ein- helligkeit unter einem Princip (systematische) und dadurch Zusammenhang zu verschaffen, so weit als es sich thun laͤßt. Ob aber die Beschaffenheit der Gegenstaͤnde, oder die Na- tur des Verstandes, der sie als solche erkent, an sich zur systematischen Einheit bestimt sey und ob man diese a priori, auch ohne Ruͤcksicht auf ein solches Interesse der Vernunft in gewisser Maasse postuliren und also sagen koͤnne: alle moͤgliche Verstandeserkentnisse (darunter die empirische) haben Vernunfteinheit und stehen unter gemeinschaftlichen Principien, woraus sie, unerachtet ihrer Verschiedenheit, abgeleitet werden koͤnnen, das wuͤrde ein transscendenta- ler Grundsatz der Vernunft seyn, welcher die systematische Einheit nicht blos subiectiv- und logisch als Methode, sondern obiectivnothwendig machen wuͤrde. Wir wollen dieses durch einen Fall des Vernunftge- brauchs erlaͤutern. Unter die verschiedene Arten von Ein- heit nach Begriffen des Verstandes gehoͤret auch die der Caussalitaͤt einer Substanz, welche Kraft genant wird. Die verschiedene Erscheinungen eben derselben Substanz zeigen beym ersten Anblicke so viel Ungleichartigkeit, daß man daher anfaͤnglich beynahe so vielerley Kraͤfte derselben annehmen muß, als Wirkungen sich hervorthun, wie in dem VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. dem menschlichen Gemuͤthe die Empfindung, Bewustseyn, Einbildung, Erinnerung, Witz, Unterscheidungskraft, Lust, Begierde u. s. w. Anfaͤnglich gebietet eine logische Maxime diese anscheinende Verschiedenheit so viel als moͤg- lich dadurch zu verringeren, daß man durch Vergleichung die versteckte Identitaͤt entdecke und nachsehe, ob nicht Einbildung, mit Bewustseyn verbunden, Erinnerung, Witz, Unterscheidungskraft, vielleicht gar Verstand und Vernunft sey. Die Idee einer Grundkraft, von wel- cher aber die Logik gar nicht ausmittelt, ob es dergleichen gebe, ist wenigstens das Problem einer systematischen Vor- stellung der Mannigfaltigkeit von Kraͤften. Das logische Vernunftprincip erfodert diese Einheit, so weit als moͤg- lich zu Stande zu bringen und, ie mehr die Erscheinungen der einen und anderen Kraft unter sich identisch gefunden werden, desto wahrscheinlicher wird es, daß sie nichts, als verschiedene Aeusserungen einer und derselben Kraft seyn, welche (comparativ) ihre Grundkraft heissen kan. Eben so verfaͤhrt man mit den uͤbrigen. Die comparativen Grundkraͤfte muͤssen wiederum unter einander verglichen werden, um sie dadurch, daß man ihre Einhelligkeit entdeckt, einer einzigen raticalen, d. i. absoluten Grundkraft nahe zu bringen. Diese Ver- nunfteinheit aber ist blos hypothetisch. Man behauptet nicht, daß eine solche in der That angetroffen werden muͤsse, sondern, daß man sie zu Gunsten der Vernunft, nemlich zu Errichtung gewisser Principien, vor die mancherley Regeln, S s 5 die Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. die die Erfahrung an die Hand geben mag, suchen und, wo es sich thun laͤßt, auf solche Weise systematische Ein- heit ins Erkentniß bringen muͤsse. Es zeigt sich aber, wenn man auf den transscen- dentalen Gebrauch des Verstandes Acht hat, daß diese Idee einer Grundkraft uͤberhaupt, nicht blos als Problem zum hypothetischen Gebrauche bestimt sey, sondern obiec- tive Realitaͤt vorgebe, dadurch die systematische Einheit der mancherley Kraͤfte einer Substanz postuliret und ein apodictisches Vernunftprincip errichtet wird. Denn, ohne daß wir einmal die Einhelligkeit der mancherley Kraͤfte ver- sucht haben, ia selbst wenn es uns nach allen Versuchen mißlingt, sie zu entdecken, setzen wir doch voraus: es wer- de eine solche anzutreffen seyn und dieses nicht allein, wie in dem angefuͤhrten Falle, wegen der Einheit der Sub- stanz, sondern, wo so gar viele, obzwar in gewissem Grade gleichartige, angetroffen werden, wie an der Materie uͤber- haupt, sezt die Vernunft systematische Einheit mannigfal- tiger Kraͤfte voraus, da besondere Naturgesetze unter all- gemeineren stehen und die Ersparung der Principien nicht blos ein oͤkonomischer Grundsatz der Vernunft, sondern inneres Gesetz der Natur wird. In der That ist auch nicht abzusehen, wie ein logi- sches Princip der Vernunfteinheit der Regeln statt finden koͤnne, wenn nicht ein transscendentales vorausgesezt wuͤr- de, durch welches eine solche systematische Einheit, als den Obiecten selbst anhaͤngend, a priori als nothwendig ange- VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. angenommen wird. Denn mit welcher Befugniß kan die Vernunft im logischen Gebrauche verlangen, die Mannig- faltigkeit der Kraͤfte, welche uns die Natur zu erkennen giebt, als eine blos versteckte Einheit zu behandeln und sie aus irgend einer Grundkraft, so viel an ihr ist, abzuleiten, wenn es ihr frey staͤnde zuzugeben, daß es eben so wol moͤglich sey, alle Kraͤfte waͤren ungleichartig, und die sy- stematische Einheit ihrer Ableitung der Natur nicht gemaͤß: denn alsdenn wuͤrde sie gerade wider ihre Bestimmung verfahren, indem sie sich eine Idee zum Ziele sezte, die der Ratureinrichtung ganz widerspraͤche. Auch kan man nicht sagen: sie habe zuvor von der zufaͤlligen Beschaffen- heit der Natur diese Einheit nach Principien der Vernunft abgenommen. Denn das Gesetz der Vernunft, sie zu suchen, ist nothwendig, weil wir ohne dasselbe gar keine Vernunft, ohne diese aber keinen zusammenhangenden Ver- standesgebrauch und, in dessen Ermangelung, kein zurei- chendes Merkmal empirischer Wahrheit haben wuͤrden und, wir also in Ansehung des lezteren die systematische Einheit der Natur durchaus als obiectivguͤltig und nothwendig voraussetzen muͤssen. Wir finden diese transscendentale Voraussetzung auch auf eine bewundernswuͤrdige Weise in den Grundsaͤtzen der Philosophen versteckt, wiewol sie solche darin nicht immer erkant, oder sich selbst gestanden haben. Daß alle Mannigfaltigkeiten einzelner Dinge die Identitaͤt der Art nicht ausschließen, daß die mancherley Arten nur als ver- schie- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. schiedentliche Bestimmungen von wenigen Gattungen , die- se aber von noch hoͤheren Geschlechtern ꝛc. behandelt wer- den muͤssen, daß also eine gewisse systematische Einheit al- ler moͤglichen empirschen Begriffe , so fern sie von hoͤheren und allgemeineren abgeleitet werden koͤnnen, gesucht wer- den muͤsse, ist eine Schulregel oder logisches Princip, ohne welches kein Gebrauch der Vernunft statt faͤnde, weil wir nur so fern vom Allgemeinen aufs besondere schliessen koͤn- nen, als allgemeine Eigenschaften der Dinge zum Grunde gelegt werden, unter denen die besondere stehen. Daß aber auch in der Natur eine solche Einhelligkeit angetroffen werde, setzen die Philosophen in der bekanten Schulregel voraus: daß man die Anfaͤnge (Principien) nicht ohne Noth vervielfaͤltigen muͤsse (entia praeter ne- cessitatem non esse multiplicanda) . Dadurch wird ge- sagt: daß die Natur der Dinge selbst zur Vernunft- einheit Stoff darbiete und die anscheinende unendliche Verschiedenheit duͤrfe uns nicht abhalten, hinter ihr Ein- heit der Grundeigenschaften zu vermuthen, von welchen die Mannigfaltigkeit nur durch mehrere Bestimmung abge- leitet werden kan. Dieser Einheit, ob sie gleich eine blosse Idee ist, ist man zu allen Zeiten so eifrig nachgegangen, daß man eher Ursache gefunden, die Begierde nach ihr zu maͤßigen, als sie aufzumuntern. Es war schon viel: daß die Scheidekuͤnstler alle Salze auf zwey Hauptgattungen, saure und laugenhafte, zuruͤckfuͤhren konten, sie versu- chen so gar auch diesen Unterschied bles als eine Varietaͤt, oder VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. oder verschiedene Aeusserung eines und desselben Grund- stoffs, anzusehen. Die mancherley Arten von Erden (den Stoff der Steine und sogar der Metalle) hat man noch und nach auf drey, endlich auf zwey, zu bringen gesucht; allein damit noch nicht zufrieden, koͤnnen sie sich des Ge- dankens nicht entschlagen, hinter diesen Varietaͤten den- noch eine einzige Gattung, ia wol gar, zu diesen und den Salzen, ein gemeinschaftliches Princip zu vermuthen. Man moͤchte vielleicht glauben, dieses sey ein blos oͤkono- mischer Handgriff der Vernunft, um sich so viel als moͤg- lich Muͤhe zu ersparen und ein hypothetischer Versuch, der, wenn er gelingt, dem vorausgesezten Erklaͤrungsgrunde eben durch diese Einheit Wahrscheinlichkeit giebt. Allein eine solche selbstsuͤchtige Absicht ist sehr leicht von der Idee zu unterscheiden, nach welcher iedermann voraussezt: diese Vernunfteinheit sey der Natur selbst angemessen, und daß die Vernunft hier nicht bettele, sondern gebiete, obgleich ohne die Graͤnzen dieser Einheit bestimmen zu koͤnnen. Waͤre unter den Erscheinungen, die sich uns darbie- ten, eine so grosse Verschiedenheit, ich will nicht sagen der Form (denn darin moͤgen sie einander aͤhnlich seyn), son- dern dem Inhalte, d. i. der Mannigfaltigkeit existirender Wesen nach, daß auch der allerschaͤrfste menschliche Ver- stand durch Vergleichung der einen mit der anderen nicht die mindeste Aehnlichkeit ausfuͤndig machen koͤnte (ein Fall, der sich wol denken laͤßt), so wuͤrde das logische Gesetz der Gattungen ganz und gar nicht statt finden, und es wuͤrde selbst Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. selbst kein Begriff von Gattung, oder irgend ein allgemei- ner Begriff, ia so gar kein Verstand statt finden, als der es lediglich mit solchen zu thun hat. Das logische Prin- cip der Gattungen sezt also ein transscendentales voraus, wenn es auf Natur (darunter ich hier nur Gegenstaͤnde, die uns gegeben werden, verstehe) angewandt werden soll. Nach demselben wird in dem Mannigfaltigen einer moͤgli- chen Erfahrung nothwendig Gleichartigkeit vorausgesezt, (ob wir gleich ihren Grad a priori nicht bestimmen koͤn- nen), weil ohne dieselbe keine empirische Begriffe, mithin keine Erfahrung moͤglich waͤre. Dem logischen Princip der Gattungen, welches Identitaͤt postulirt, steht ein anderes, nemlich das der Ar- ten entgegen, welches Mannigfaltigkeit und Verschieden- heiten der Dinge, unerachtet ihrer Uebereinstimmung un- ter derselben Gattung, bedarf und es dem Verstande zur Vorschrift macht, auf diese nicht weniger als auf iene auf- merksam zu seyn. Dieser Grundsatz (der Scharfsinnig- keit, oder des Unterscheidungsvermoͤgens) schraͤnkt den Leichtsinn des ersteren (des Witzes) sehr ein und die Ver- nunft zeigt hier ein doppeltes einander widerstreitendes Interesse, einerseits das Interesse des Umfanges (der Allgemeinheit) in Ansehung der Gattungen, andererseits des Inhalts (der Bestimtheit), in Absicht auf die Man- nigfaltigkeit der Arten, weil der Verstand im ersteren Falle zwar viel unter seinen Begriffen im zweiten aber desto mehr in denselben denkt. Auch aͤussert sich dieses an VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. an der sehr verschiedenen Denkungsart der Naturforscher, deren einige (die vorzuͤglich speculativ sind), der Ungleich- artigkeit gleichsam feind, immer auf die Einheit der Gat- tung hinaussehen, die andere (vorzuͤglich empirische Koͤpfe) die Natur unaufhoͤrlich in so viel Mannigfaltigkeit zu spalten suchen, daß man beinahe die Hoffnung aufge- ben muͤßte, ihre Erscheinungen nach allgemeinen Prin- cipien zu beurtheilen. Dieser lezteren Denkungsart liegt offenbar auch ein logisches Princip zum Grunde, welches die systematische Vollstaͤndigkeit aller Erkentnisse zur Absicht hat, wenn ich, von der Gattung anhebend, zu dem Mannigfaltigen, das darunter enthalten seyn mag, herabsteige, und auf solche Weise dem System Ausbreitung, wie im ersteren Falle, da ich zur Gattung aufsteige, Einfalt zu verschaffen suche. Denn aus der Sphaͤre des Begriffs, der eine Gattung be- zeichnet, ist eben so wenig, wie aus dem Raume, den Materie einnehmen kan, zu ersehen, wie weit die Theilung derselben gehen koͤnne. Daher iede Gattung verschiedene Arten , diese aber verschiedene Unterarten erfodert und, da keine der lezteren statt findet, die nicht immer wieder- um eine Sphaͤre (Umfang als conceptus communis) haͤtte, so verlangt die Vernunft in ihrer ganzen Erweite- rung, daß keine Art als die unterste an sich selbst angese- hen werde, weil, da sie doch immer ein Begriff ist, der nur das, was verschiedenen Dingen gemein ist, in sich ent- haͤlt, dieser nicht durchgaͤngig bestimt, mithin auch nicht zu- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. zunaͤchst auf ein Individuum bezogen seyn koͤnne, folglich iederzeit andere Begriffe, d. i. Unterarten unter sich ent- halten muͤsse. Dieses Gesetz der Specification koͤnte so ausgedruͤckt werden: entium varietates non temere esse minuendas . Man sieht aber leicht: daß auch dieses logische Ge- setz ohne Sinn und Anwendung seyn wuͤrde, laͤge nicht ein transscendentales Gesetz der Specification zum Grun- de, welches zwar freilich nicht von den Dingen, die un- sere Gegenstaͤnde werden koͤnnen, eine wirkliche Unendlich- keit in Ansehung der Verschiedenheiten fodert, denn dazu giebt das logische Princip, als welches lediglich die Unbe- stimtheit der logischen Sphaͤre in Ansehung der moͤglichen Eintheilung behauptet, keinen Anlaß, aber dennoch dem Verstande auferlegt, unter ieder Art, die uns vorkomt, Unterarten und zu ieder Verschiedenheit kleinere Verschie- denheiten zu suchen. Denn wuͤrde es keine niedere Be- griffe geben, so gaͤbe es auch keine hoͤhere. Nun erkent der Verstand alles nur durch Begriffe: folglich, so weit er in der Eintheilung reicht, niemals durch blosse Anschauung, sondern immer wiederum durch niedere Begriffe. Die Erkentniß der Erscheinungen in ihrer durchgaͤngigen Be- stimmung (welche nur durch Verstand moͤglich ist) fodert eine unaufhoͤrlich fortzusetzende Specification seiner Be- griffe und einen Fortgang zu immer noch bleibenden Ver- schiedenheiten, wovon in dem Begriffe der Art, und noch mehr, dem der Gattung, abstrahirt worden. Auch VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. Auch kan dieses Gesetz der Specification nicht von der Erfahrung entlehnt seyn; denn diese kan keine so weit gehende Eroͤfnungen geben. Die empirische Specification bleibt in der Unterscheidung des Mannigfaltigen bald ste- hen, wenn sie nicht durch das schon vorhergehende trans- scendentate Gesetz der Specification, als einem Princip der Vernunft, geleitet worden, solche zu suchen und sie noch immer zu vermuthen, wenn sie sich gleich nicht den Sinnen offenbaret. Daß absorbirende Erden nach ver- schiedener Art (Kalk- und muriatische Erden) seyn, be- durfte zur Entdeckung eine zuvorkommende Regel der Vernunft, welche dem Verstande es zur Aufgabe machte, die Verschiedenheit zu suchen, indem sie die Natur so reich- haltig voraussetzte, sie zu vermuthen. Denn wir haben eben sowol nur unter Voraussetzung der Verschiedenhei- ten in der Natur Verstand, als unter der Bedingung, daß ihre Obiecte Gleichartigkeit an sich haben, weil eben die Mannigfaltigkeit desienigen, was unter einem Begriff zusammengefaßt werden kan, den Gebrauch dieses Begriffs und die Beschaͤftigung des Verstandes ausmacht. Die Vernunft bereitet also dem Verstande sein Feld 1. durch ein Princip der Gleichartigkeit des Man- nigfaltigen unter hoͤheren Gattungen, 2. durch einen Grundsatz der Varietaͤt des Gleichartigen unter niederen Arten; und um die systematische Einheit zu vollenden, fuͤgt sie 3. noch ein Gesetz der Affinitaͤt aller Begriffe hinzu, welches einen continuirlichen Uebergang von einer ieden T t Art Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Art zu ieder anderen durch stufenartiges Wachsthum der Verschiedenheit gebietet. Wir koͤnnen sie die Principien der Homogenitaͤt, der Specification und der Conti- nuitaͤt der Formen nennen. Das leztere entspringt da- durch: daß man die zwey erstere vereinigt, nachdem man, sowol im Aufsteigen zu hoͤheren Gattungen, als im Her- absteigen zu niederen Arten, den systematischen Zusammen- hang in der Idee vollendet hat; denn alsdenn sind alle Mannigfaltigkeiten unter einander verwandt, weil sie ins- gesamt durch alle Grade der erweiterten Bestimmung von einer einzigen obersten Gattung abstammen. Man kan sich die systematische Einheit unter den drey logischen Principien auf folgende Art sinnlich machen. Man kan einen ieden Begriff als einen Punct ansehen, der, als der Standpunct eines Zuschauers, seinen Horizont hat, d. i. eine Menge von Dingen, die aus demselben koͤn- nen vorgestellet und gleichsam uͤberschauet werden. Inner- halb diesem Horizonte muß eine Menge von Puncten ins Unendliche angegeben werden koͤnnen, deren ieder wieder- um seinen engeren Gesichtskreis hat, d. i. iede Art ent- haͤlt Unterarten, nach dem Princip der Specification und der logische Horizont besteht nur aus kleineren Horizonten (Unterarten), nicht aber aus Puncten, die keinen Umfang haben (Individuen). Aber zu verschiedenen Horizonten, d. i. Gattungen, die aus eben so viel Begriffen bestimt werden, laͤßt sich ein gemeinschaftlicher Horizont, daraus man sie insgesamt als aus einem Mittelpuncte uͤberschauet, gezo- VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. gezogen denken, welcher die hoͤhere Gattung ist, bis end- lich die hoͤchste Gattung der allgemeine und wahre Hori- zont ist, der aus dem Standpuncte des hoͤchsten Be- griffs bestimt wird und alle Mannigfaltigkeit, als Gat- tungen, Arten und Unterarten unter sich befaßt. Zu diesem hoͤchsten Standpuncte fuͤhrt mich das Ge- setz der Homogenitaͤt, zu allen niedrigen und deren groͤßten Varietaͤt das Gesetz der Specification. Da aber auf sol- che Weise in dem ganzen Umfange aller moͤglichen Begriffe nichts leeres ist, und ausser demselben nichts angetroffen werden kan, so entspringt aus der Voraussetzung ienes allgemeinen Gesichtskreises und der durchgaͤngigen Einthei- lung desselben der Grundsatz: non datur vacuum for- marum, d. i. es giebt nicht verschiedene urspruͤngliche und erste Gattungen, die gleichsam isolirt und von einander (durch einen leeren Zwischenraum) getrennet waͤren, son- dern alle mannigfaltige Gattungen sind nur Abtheilungen einer einzigen obersten und allgemeinen Gattung und aus diesem Grundsatze, dessen unmittelbare Folge datur conti- nuum formarum, d. i. alle Verschiedenheiten der Arten graͤnzen an einander und erlauben keinen Uebergang zu ein- ander durch einen Sprung, sondern nur durch alle kleinere Grade des Unterschiedes, dadurch man von einer zu der anderen gelangen kan, mit einem Worte, es giebt keine Arten oder Unterarten, die einander (im Begriffe der Ver- nunft) die naͤchsten waͤren, sondern es sind noch immer Zwischenarten moͤglich, deren Unterschied von der ersten T t 2 und Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. und zweiten kleiner ist, als dieser ihr Unterschied von ein- ander. Das erste Gesetz also verhuͤtet die Ausschweifung in die Mannigfaltigkeit verschiedener urspruͤnglichen Gattun- gen und empfiehlt die Gleichartigkeit, das zweite schraͤnkt dagegen diese Neigung zur Einhelligkeit wiederum ein und gebietet Unterscheidung der Unterarten, bevor man sich mit seinem allgemeinen Begriffe zu den Individuen wende. Das dritte vereinigt iene beide, indem sie bey der hoͤchsten Mannigfaltigkeit dennoch die Gleichartigkeit durch den stu- fenartigen Uebergang von einer Species zur anderen vor- schreibt, welches eine Art von Verwandschaft der verschie- denen Zweige anzeigt, in so fern sie insgesamt aus einem Stamme entsprossen sind. Dieses logische Gesetz des continui specierum (for- marum logicarum) sezt aber ein transscendentales vor- aus, (lex continui in natura) , ohne welches der Ge- brauch des Verstandes durch iene Vorschrift nur irre gelei- tet werden wuͤrde, indem sie vielleicht einen der Natur gerade entgegengesezten Weg nehmen wuͤrde. Es muß also dieses Gesetz auf reinen transscendentalen und nicht empirischen Gruͤnden beruhen. Denn in dem lezteren Falle wuͤrde es spaͤter kommen, als die Systeme; es hat aber eigentlich das Systematische der Naturerkentniß zuerst hervorgebracht. Es sind hinter diesen Gesetzen auch nicht etwa Absichten auf eine, mit ihnen, als blossen Versuchen, anzustellende Probe verborgen, obwol freilich dieser Zu- sam VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. sammenhang, wo er zutrift, einen maͤchtigen Grund ab- giebt, die hypothetischausgedachte Einheit vor gegruͤndet zu halten und sie also auch in dieser Absicht ihren Nutzen haben, sondern man sieht es ihnen deutlich an: daß sie die Sparsamkeit der Grundursachen, die Mannigfaltigkeit der Wirkungen und eine daherruͤhrende Verwandschaft der Glieder der Natur an sich selbst vor vernunftmaͤßig und der Natur angemessen urtheilen und diese Grundsaͤtze also direct und nicht blos als Handgriffe der Methode ihre Empfehlung bey sich fuͤhren. Man siehet aber leicht: daß diese Continuitaͤt der Formen eine blosse Idee sey, der ein congruirender Ge- genstand in der Erfahrung gar nicht aufgewiesen werden kan, nicht allein um deswillen, weil die Species in der Natur wirklich abgetheilt sind, und daher an sich ein quan- tum discretum ausmachen muͤssen und, wenn der stufen- artige Fortgang in der Verwandschaft derselben continuir- lich waͤre, sie auch eine wahre Unendlichkeit der Zwischen- glieder, die innerhalb zweer gegebenen Arten laͤgen, ent- halten muͤßte, welches unmoͤglich ist: sondern auch, weil wir von diesem Gesetz gar keinen bestimten empirischen Gebrauch machen koͤnnen, indem dadurch nicht das gering- ste Merkmal der Affinitaͤt angezeigt wird, nach welchem und wie weit wir die Gradfolge ihrer Verschiedenheit zu suchen, sondern nichts weiter, als eine allgemeine Anzeige, daß wir sie zu suchen haben. T t 3 Wenn Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Wenn wir die iezt angefuͤhrte Principien ihrer Ord- nung nach versetzen, um sie dem Erfahrungsgebrauch gemaͤß zu stellen, so wuͤrden die Principien der systema- tischen Einheit etwa so stehen: Mannigfaltigkeit, Ver- wandschaft und Einheit , iede derselben aber als Ideen im hoͤchsten Grade ihrer Vollstaͤndigkeit genommen. Die Vernunft sezt die Verstandeserkentnisse voraus, die zunaͤchst auf Erfahrung angewandt werden, und sucht ihre Ein- heit nach Ideen, die viel weiter geht, als Erfahrung reichen kan. Die Verwandschaft des Mannigfaltigen, unbeschadet seiner Verschiedenheit, unter einem Princip der Einheit, betrift nicht blos die Dinge, sondern weit mehr noch, die blosse Eigenschaften und Kraͤfte der Dinge. Daher, wenn uns z. B. durch eine (noch nicht voͤllig be- richtigte) Erfahrung der Lauf der Planeten als Kreisfoͤr- mig gegeben ist und wir finden Verschiedenheiten, so ver- muthen wir sie in demienigen, was den Cirkel nach einem bestaͤndigen Gesetze durch alle unendliche Zwischengrade, zu einer dieser abweichenden Umlaͤufe abaͤndern kan, d. i. die Bewegungen der Planeten, die nicht Cirkel sind, wer- den etwa dessen Eigenschaften mehr oder weniger nahe kommen und fallen auf die Ellipse. Die Cometen zeigen eine noch groͤssere Verschiedenheit ihrer Bahnen, da sie (so weit Beobachtung reicht) nicht einmal im Kreise zuruͤck- kehren, allein wir rathen auf einen parabolischen Lauf, der doch mit der Ellipsis verwandt ist und, wenn die lan- ge Achse der lezteren sehr weit gestreckt ist, in allen unseren Beob- VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. Beobachtungen von ihr nicht unterschieden werden kan. So kommen wir, nach Anleitung iener Principien, auf Ein- heit der Gattungen dieser Bahnen in ihrer Gestalt, da- durch aber weiter auf Einheit der Ursache aller Gesetze ihrer Bewegung (die Gravitation), von da wir nachher unsere Eroberungen ausdehnen und auch alle Varietaͤten und scheinbare Abweichungen von ienen Regeln aus dem- selben Princip zu erklaͤren suchen, endlich gar mehr hinzu- fuͤgen, als Erfahrung iemals bestaͤtigen kan, nemlich, uns nach den Regeln der Verwandschaft selbst hyperbolische Cometenbahnen zu denken, in welcher diese Coͤrper ganz und gar unsere Sonnenwelt verlassen und, indem sie von Sonne zu Sonne gehen, die entfernteren Theile eines vor uns unbegraͤnzten Weltsystems, das durch eine und die- selbe bewegende Kraft zusammenhaͤngt, in ihrem Laufe vereinigen. Was bey diesen Principien merkwuͤrdig ist, und uns auch allein beschaͤftigt, ist dieses: daß sie transscendental zu seyn scheinen und, ob sie gleich blosse Ideen zur Befol- gung des empirischen Gebrauchs der Vernunft enthalten, denen der leztere nur gleichsam asymptotisch, d. i. blos an- naͤhernd folgen kan, ohne sie iemals zu erreichen, sie gleich- wol, als synthetische Saͤtze a priori, obiective aber unbe- stimte Guͤltigkeit haben und zur Regel moͤglicher Erfahrung dienen, auch wirklich in Bearbeitung derselben, als hevri- stische Grundsaͤtze, mit gutem Gluͤcke gebraucht werden, ohne daß man doch eine transscendentale Deduction der- T t 4 selben Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. selben zu Stande bringen kan, welches, wie oben bewie- sen worden, in Ansehung der Ideen iederzeit unmoͤglich ist. Wir haben in der transscendentalen Analytik unter den Grundsaͤtzen des Verstandes die dynamische, als blos re- gulative Principien der Anschauung, von den mathema- tischen, die in Ansehung der lezteren constitutiv sind, un- terschieden. Diesem ungeachtet sind gedachte dynamische Gesetze allerdings constitutiv in Ansehung der Erfahrung , indem sie die Begriffe, ohne welche keine Erfahrung statt findet, a priori moͤglich machen. Principien der reinen Vernunft koͤnnen dagegen nicht einmal in Ansehung der empirischen Begriffe constitutiv seyn, weil ihnen kein cor- respondirendes Schema der Sinnlichkeit gegeben werden kan und sie also keinen Gegenstand in concreto haben koͤn- nen. Wenn ich nun von einem solchen empirischen Ge- brauch derselben, als constitutiver Grundsaͤtze, abgehe, wie will ich ihnen dennoch einen regulativen Gebrauch und mit demselben einige obiective Guͤltigkeit sichern und was kan derselbe vor Bedeutung haben? Der Verstand macht vor die Vernunft eben so einen Gegenstand aus, als die Sinnlichkeit vor den Verstand. Die Einheit aller moͤglichen empirischen Verstandeshandlun- gen systematisch zu machen, ist ein Geschaͤfte der Vernunft, so wie der Verstand das Mannigfaltige der Erscheinungen durch Begriffe verknuͤpft und unter empirische Gesetze bringt. Die Verstandeshandlungen aber, ohne Schemate der Sinnlichkeit, sind unbestimt; eben so ist die Ver - nunft - VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. nunfteinheit auch in Ansehung der Bedingungen, unter denen, und des Grades, wie weit, der Verstand seine Begriffe systematisch verbinden soll, an sich selbst unbe- stimt . Allein, obgleich vor die durchgaͤngige systematische Einheit aller Verstandesbegriffe kein Schema in der An- schauung ausfuͤndig gemacht werden kan, so kan und muß doch ein Analogon eines solchen Schema gegeben werden, welches die Idee des Maximum der Abtheilung und der Vereinigung der Verstandeserkentniß in einem Princip ist. Denn das Groͤsseste und Absolutvollstaͤndige laͤßt sich bestimt gedenken, weil alle restringirende Bedingungen, welche un- bestimte Mannigfaltigkeit geben, weggelassen werden. Al- so ist die Idee der Vernunft ein Analogon von einem Sche- ma der Sinnlichkeit, aber mit dem Unterschiede, daß die Anwendung der Verstandesbegriffe auf das Schema der Vernunft nicht eben so eine Erkentniß des Gegenstandes selbst ist (wie bey der Anwendung der Categorien auf ihre sinnliche Schemate), sondern nur eine Regel oder Princip der systematischen Einheit alles Verstandesgebrauchs. Da nun ieder Grundsatz, der dem Verstande durchgaͤngige Einheit seines Gebrauchs a priori festsezt, auch, obzwar nur indirect, von dem Gegenstande der Erfahrung gilt: so werden die Grundsaͤtze der reinen Vernunft auch in An- sehung dieses lezteren obiective Realitaͤt haben, allein nicht um etwas an ihnen zu bestimmen, sondern nur um das Verfahren anzuzeigen, nach welchem der empirische und bestimte Erfahrungsgebrauch des Verstandes mit sich selbst T t 5 durch- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. durchgaͤngig zusammenstimmend werden kan, dadurch, daß er mit dem Princip der durchgaͤngigen Einheit, so viel als moͤglich , in Zusammenhang gebracht und davon ab- geleiter wird. Ich nenne alle subiective Grundsaͤtze, die nicht von der Beschaffenheit des Obiects, sondern dem Interesse der Vernunft, in Ansehung einer gewissen moͤglichen Voll- kommenheit der Erkentniß dieses Obiects, hergenommen sind, Maximen der Vernunft. So giebt es Maximen der speculativen Vernunft, die lediglich auf dem speculati- ven Interesse derselben beruhen, ob es zwar scheinen mag, sie waͤren obiective Principien. Wenn blos regulative Grundsaͤtze als constitutiv be- trachtet werden, so koͤnnen sie als obiective Principien wi- derstreitend seyn; betrachtet man sie aber blos als Maxi- men so ist kein wahrer Widerstreit, sondern blos ein verschiedenes Interesse der Vernunft, welches die Tren- nung der Denkungsart verursacht. In der That hat die Vernunft nur ein einiges Interesse und der Streit ihrer Maximen ist nur eine Verschiedenheit und wechselseitige Einschraͤnkung der Methoden, diesem Interesse ein Gnuͤge zu thun. Auf solche Weise vermag bey diesem Vernuͤnftler mehr das Interesse der Mannigfaltigkeit (nach dem Prin- cip der Specification), bey ienem aber das Interesse der Einheit (nach dem Princip der Aggregation). Ein ieder der- VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. derselben glaubt sein Urtheil aus der Einsicht des Obiects zu haben und gruͤndet es doch lediglich auf der groͤsseren oder kleineren Anhaͤnglichkeit an einen von beiden Grund- saͤtzen, deren keine auf obiectiven Gruͤnden beruht, sondern nur auf dem Vernunftinteresse, und die daher besser Maxi- men als Principien genant werden koͤnten. Wenn ich einsehende Maͤnner mit einander wegen der Characteristik der Menschen, der Thiere oder Pflanzen, ia selbst der Coͤrper des Mineralreichs im Streite sehe, da die einen z. B. besondere und in der Abstammung gegruͤndete Volks- charactere, oder auch entschiedene und erbliche Unterschie- de der Familien, Racen u. s. w. annehmen, andere dage- gen ihren Sinn darauf setzen, daß die Natur in diesem Stuͤcke ganz und gar einerley Anlagen gemacht habe und aller Unterschied nur auf aͤusseren Zufaͤlligkeiten beruhe, so darf ich nur die Beschaffenheit des Gegenstandes in Betrachtung ziehen, um zu begreifen, daß er vor beide viel zu tief verborgen liege, als daß sie aus Einsicht in die Natur des Obiects sprechen koͤnten. Es ist nichts an- deres, als das zwiefache Interesse der Vernunft, davon dieser Theil das eine, iener das andere zu Herzen nimt, oder auch affectirt, mithin die Verschiedenheit der Maxi- men der Naturmannigfaltigkeit, oder der Natureinheit, welche sich gar wol vereinigen lassen, aber so lange sie vor obiective Einsichten gehalten werden, nicht allein Streit, sondern auch Hindernisse veranlassen, welche die Wahr- heit lange aufhalten, bis ein Mittel gefunden wird, das strit- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. strittige Interesse zu vereinigen und die Vernunft hieruͤber zufrieden zu stellen. Eben so ist es mit der Behauptung, oder Anfech- tung des so berufenen, von Leibnitz in Gang gebrachten und durch Bonnet treflich aufgestutzten Gesetzes der conti- nuirlichen Stufenleiter der Geschoͤpfe bewandt, welche nichts als eine Befolgung des auf dem Interesse der Ver- nunft beruhenden Grundsatzes der Affinitaͤt ist; denn Beob- achtung und Einsicht in die Einrichtung der Natur konte es gar nicht als obiective Behauptung an die Hand geben. Die Sprossen einer solchen Leiter, so wie sie uns Erfah- rung angeben kan, stehen viel zu weit aus einander und unsere vermeintlichkleine Unterschiede sind gemeiniglich in der Natur selbst so weite Kluͤfte, daß auf solche Beobach- tungen (vornemlich bey einer grossen Mannigfaltigkeit von Dingen, da es immer leicht seyn muß, gewisse Aehnlich- keiten und Annaͤherungen zu finden), als Absichten der Natur gar nichts zu rechnen ist. Dagegen ist die Metho- de, nach einem solchen Princip Ordnung in der Natur auf- zusuchen, und die Maxime, eine solche, obzwar unbestimt wo, oder wie weit, in einer Natur uͤberhaupt als gegruͤn- det anzusehen, allerdings ein rechtmaͤssiges und trefliches regulatives Princip der Vernunft, welches aber, als ein solches, viel weiter geht, als daß Erfahrung oder Beobach- tung ihr gleich kommen koͤnte, doch ohne etwas zu bestim- men, sondern ihr nur zur systematischen Einheit den Weg vorzuzeichnen. Von VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. Von der Endabsicht der natuͤrlichen Dialectik der menschlichen Vernunft. Die Ideen der reinen Vernunft koͤnnen nimmermehr an sich selbst dialectisch seyn, sondern ihr blosser Mißbrauch muß es allein machen, daß uns von ihnen ein truͤglicher Schein entspringt; denn sie sind uns durch die Natur un- serer Vernunft aufgegeben und dieser oberste Gerichtshof aller Rechte und Anspruͤche unserer Speculation kan un- moͤglich selbst urspruͤngliche Taͤuschungen und Blendwerke enthalten. Vermuthlich werden sie also ihre gute und zweckmaͤssige Bestimmung in der Naturanlage unserer Ver- nunft haben. Der Poͤbel der Vernuͤnftler schreit aber, wie gewoͤhnlich, uͤber Ungereimtheit und Widerspruͤche und schmaͤhet auf die Regierung, in deren innerste Plane er nicht zu dringen vermag, deren wohlthaͤtigen Einfluͤssen er auch selbst seine Erhaltung und so gar die Cultur ver- danken solte, die ihn in den Stand sezt, sie zu tadeln und zu verurtheilen. Man kan sich eines Begriffs a priori mit keiner Sicherheit bedienen, ohne seine transscendentale Deduction zu Stande gebracht zu haben. Die Ideen der reinen Vernunft verstatten zwar keine Deduction von der Art, als die Ca- tegorien; sollen sie aber im mindesten einige, wenn auch nur unbestimte, obiective Guͤltigkeit haben und nicht blos leere Gedankendinge (entia rationis ratiocinanus) vorstellen, so Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. so muß durchaus eine Deduction derselben moͤglich seyn, gesezt, daß sie auch von derienigen weit abwiche, die man mit den Categorien vornehmen kan. Das ist die Vollendung des critischen Geschaͤftes der reinen Vernunft und dieses wollen wir iezt uͤbernehmen. Es ist ein grosser Unterschied, ob etwas meiner Ver- nunft als ein Gegenstand schlechthin, oder nur als ein Gegenstand in der Idee gegeben wird. In dem er- steren Falle gehen meine Begriffe dahin, den Gegenstand zu bestimmen, im zweiten ist es wirklich nur ein Schema, dem direct kein Gegenstand, auch nicht einmal hypothe- tisch zugegeben wird, sondern welches nur dazu dient, um andere Gegenstaͤnde, vermittelst der Beziehung auf diese Idee, nach ihrer systematischen Einheit, mithin indirect uns vorzustellen. So sage ich, der Begriff einer hoͤchsten Intelligenz ist eine blosse Idee, d. i. seine obiective Reali- taͤt soll nicht darin bestehen, daß er sich gerade zu auf ei- nen Gegenstand bezieht (denn in solcher Bedeutung wuͤr- den wir seine obiective Guͤltigkeit nicht rechtfertigen koͤn- nen), sondern er ist nur ein, nach Bedingungen der groͤßten Vernunfteinheit geordnetes Schema, von dem Begriffe eines Dinges uͤberhaupt, welches nur dazu dient, um die groͤßte systematische Einheit im empirischen Gebrauche un- serer Vernunft zu erhalten, in dem man den Gegenstand der Erfahrung gleichsam von dem eingebildeten Gegenstan- de dieser Idee, als seinem Grunde, oder Ursache, ablei- tet. Alsdenn heißt es z. B. die Dinge der Welt muͤssen so VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. so betrachtet werden, als ob sie von einer hoͤchsten Intelli- genz ihr Daseyn haͤtten. Auf solche Weise ist die Idee ei- gentlich nur ein hevristischer und nicht ostensiver Begriff und zeigt an, nicht wie ein Gegenstand beschaffen ist, son- dern wie wir, unter der Leitung desselben, die Beschaffen- heit und Verknuͤpfung der Gegenstaͤnde der Erfahrung uͤberhaupt suchen sollen. Wenn man nun zeigen kan, daß ob- gleich die dreierley transscendentale Ideen (die psychologi- sche, cosmologische, und theologische ) direct auf keinen ihnen correspondirenden Gegenstand und dessen Bestim- mung bezogen werden, dennoch alle Regeln des empiri- schen Gebrauchs der Vernunft unter Voraussetzung eines solchen Gegenstandes in der Idee auf systematische Ein- heit fuͤhren und die Erfahrungserkentniß iederzeit erweitern, niemals aber derselben zuwider seyn koͤnnen: so ist es eine nothwendige Maxime der Vernunft, nach dergleichen Ideen zu verfahren. Und dieses ist die transscendentale Deduction aller Ideen der speculativen Vernunft, nicht als constitutiver Principien der Erweiterung unserer Er- kentniß uͤber mehr Gegenstaͤnde, als Erfahrung geben kan, sondern als regulativer Principien der systematischen Einheit des Mannigfaltigen der empirischen Erkentniß uͤber- haupt, welche dadurch in ihren eigenen Graͤnzen mehr an- gebauet und berichtigt wird, als es ohne solche Ideen durch den blossen Gebrauch der Verstandesgrundsaͤtze gesche- hen koͤnte. Ich Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Ich will dieses deutlicher machen. Wir wollen den genanten Ideen als Principien zu Folge erstlich (in der Psychologie) alle Erscheinungen, Handlungen und Em- pfaͤnglichkeit unseres Gemuͤths an dem Leitfaden der inne- ren Erfahrung so verknuͤpfen, als ob dasselbe eine einfache Substanz waͤre, die, mit persoͤnlicher Identitaͤt, beharr- lich (wenigstens im Leben) existirt, indessen daß ihre Zu- staͤnde, zu welcher die des Coͤrpers nur als aͤussere Bedin- gungen gehoͤren, continuirlich wechseln. Wir muͤssen zweitens (in der Cosmologie) die Bedingungen, der inne- ren sowol als der aͤusseren Naturerscheinungen, in einer solchen nirgend zu vollendenden Untersuchung verfolgen, als ob dieselbe an sich unendlich und ohne ein erstes oder oberstes Glied sey, obgleich wir darum, ausserhalb allen Erscheinungen, die blos intelligibele erste Gruͤnde dersel- ben nicht laͤugnen, aber sie doch niemals in den Zusam- menhang der Naturerklaͤrungen bringen duͤrfen, weil wir sie gar nicht kennen. Endlich und drittens muͤssen wir (in An- sehung der Theologie) alles, was nur immer in den Zusam- menhang der moͤglichen Erfahrung gehoͤren mag, so betrach- ten, als ob diese eine absolute, aber durch und durch abhaͤn- gige und immer noch innerhalb der Sinnenwelt bedingte Einheit ausmache, doch aber zugleich, als ob der Inbegriff aller Erscheinungen (die Sinnenwelt selbst) einen einzigen obersten und allgnugsamen Grund ausser ihrem Umfange ha- be, nemlich eine, gleichsam selbstaͤndige, urspruͤngliche und schoͤpferische Vernunft, in Beziehung auf welche wir allen empi- VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. empirischen Gebrauch unserer Vernunft in seiner groͤßten Erweiterung so richten, als ob die Gegenstaͤnde selbst aus ienem Urbilde aller Vernunft entsprungen waͤren, das heißt: nicht von einer einfachen denkenden Substanz die innere Erscheinungen der Seele, sondern nach der Idee eines ein- fachen Wesens iene von einander ableiten; nicht von einer hoͤchsten Intelligenz die Weltordnung und systematische Einheit derselben ableiten, sondern von der Idee einer hoͤchstweisen Ursache die Regel hernehmen, nach welcher die Vernunft bey der Verknuͤpfung der Ursachen und Wirkun- gen in der Welt zu ihrer eigenen Befriedigung am besten zu brauchen sey. Nun ist nicht das Mindeste, was uns hindert, diese Ideen auch als obiectiv und hypostatisch anzunehmen, ausser allein die cosmologische, wo die Vernunft auf eine Antinomie stoͤßt, wenn sie solche zu Stande bringen will (die psychologische und theologische enthalten dergleichen gar nicht). Denn, ein Widerspruch ist in ihnen nicht, wie solte uns daher iemand ihre obiective Realitaͤt streiten koͤn- nen, da er von ihrer Moͤglichkeit eben so wenig weis, um sie zu verneinen, als wir, um sie zu beiahen. Gleichwol ists, um etwas anzunehmen, noch nicht gnug, daß keine positive Hinderniß dawider ist, und es kan uns nicht er- laubt seyn, Gedankenwesen, welche alle unsere Begriffe uͤbersteigen, obgleich keinem widersprechen, auf den blossen Credit der, ihr Geschaͤfte gern vollendenden speculativen Vernunft, als wirkliche und bestimte Gegenstaͤnde einzu- U u fuͤh- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. fuͤhren. Also sollen sie an sich selbst nicht angenommen werden, sondern nur ihre Realitaͤt, als eines Schema des regulativen Princips der systematischen Einheit aller Naturerkentniß, gelten, mithin sollen sie nur als Analoga von wirklichen Dingen , aber nicht als solche an sich selbst zum Grunde gelegt werden. Wir heben von dem Ge- genstande der Idee die Bedingungen auf, welche unseren Verstandesbegriff einschraͤnken, die aber es auch allein moͤg- lich machen, daß wir von irgend einem Dinge einen be- stimten Begriff haben koͤnnen. Und nun denken wir uns ein Etwas, wovon wir, was es an sich selbst sey, gar keinen Begriff haben, aber wovon wir uns doch ein Ver- haͤltniß zu dem Inbegriffe der Erscheinungen denken, das demienigen analogisch ist, welches die Erscheinungen unter einander haben. Wenn wir demnach solche idealische Wesen anneh- men, so erweiteren wir eigentlich nicht unsere Erkentniß uͤber die Obiecte moͤglicher Erfahrung, sondern nur die empirische Einheit der lezteren, durch die systematische Ein- heit, wozu uns die Idee das Schema giebt, welche mit- hin nicht als constitutives, sondern blos als regulatives Princip gilt. Denn, daß wir ein der Idee correspondi- rendes Ding, ein Etwas, oder wirkliches Wesen setzen, dadurch ist nicht gesagt: wir wolten unsere Erkentniß der Dinge mit transscendenten Begriffen erweitern; denn die- ses Wesen wird nur in der Idee und nicht an sich selbst zum Grunde gelegt, mithin nur um die systematische Ein- heit VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. heit auszudruͤcken, die uns zur Richtschnur des empirischen Gebrauchs der Vernunft dienen soll, ohne doch etwas daruͤber auszumachen, was der Grund dieser Einheit, oder die innere Eigenschaft eines solchen Wesens sey, auf wel- chem, als Ursache, sie beruhe. So ist der transscendentale und einzige bestimte Be- griff, den uns die blos speculative Vernunft von Gott giebt, im genauesten Verstande deistisch, d. i. die Ver- nunft giebt nicht einmal die obiective Guͤltigkeit eines sol- chen Begriffs, sondern nur die Idee von Etwas an die Hand, worauf alle empirische Realitaͤt ihre hoͤchste und nothwendige Einheit gruͤndet und welches wir uns nicht anders, als nach der Analogie einer wirklichen Substanz, welche nach Vernunftgesetzen die Ursache aller Dinge sey, denken koͤnnen, wofern wir es ia unternehmen, es uͤber- all als einen besonderen Gegenstand zu denken und nicht lieber, mit der blossen Idee des regulativen Princips der Vernunft zufrieden, die Vollendung aller Bedingungen des Denkens, als uͤberschwenglich vor den menschlichen Ver- stand, bey Seite setzen wollen, welches aber mit der Absicht einer vollkommenen systematischen Einheit in unserem Er- kentniß, der wenigstens die Vernunft keine Schranken sezt, nicht zusammen bestehen kan. Daher geschiehts nun, daß, wenn ich ein goͤttliches Wesen annehme, ich zwar, weder von der inneren Moͤg- lichkeit seiner hoͤchsten Vollkommenheit, noch der Noth- wendigkeit seines Daseyns, den mindesten Begriff habe, U u 2 aber Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. aber alsdenn doch allen anderen Fragen, die das Zufaͤllige betreffen, ein Gnuͤge thun kan und der Vernunft die voll- kommenste Befriedigung in Ansehung der nachzuforschen- den groͤßten Einheit in ihrem empirischen Gebrauche, aber nicht in Ansehung dieser Voraussetzung selbst, verschaffen kan, welches beweiset: daß ihr speculatives Interesse und nicht ihre Einsicht sie berechtige, von einem Puncte, der so weit uͤber ihrer Sphaͤre liegt, auszugehen, um daraus ihre Gegenstaͤnde in einem vollstaͤndigen Ganzen zu be- trachten. Hier zeigt sich nun ein Unterschied der Denkungsart, bey einer und derselben Voraussetzung, der ziemlich subtil, aber gleichwol in der Transscendentalphilosophie von gros- ser Wichtigkeit ist. Ich kan gnusamen Grund haben, etwas relativ anzunehmen, (suppositio relativa) , ohne doch befugt zu seyn, es schlechthin anzunehmen (supposi- tio absoluta) . Diese Unterscheidung trift zu, wenn es blos um ein regulatives Princip zu thun ist, wovon wir zwar die Nothwendigkeit an sich selbst, aber nicht den Quell derselben erkennen und dazu wir einen obersten Grund blos in der Absicht annehmen, um desto bestimter die All- gemeinheit des Princips zu denken, als z. B. wenn ich mir ein Wesen als existirend denke, das einer blossen und zwar transscendentalen Idee correspondirt. Denn, da kan ich das Daseyn dieses Dinges niemals an sich selbst annehmen, weil keine Begriffe, dadurch ich mir irgend einen VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. einen Gegenstand bestimt denken kan, dazu gelangen und die Bedingungen der obiectiven Guͤltigkeit meiner Begriffe durch die Idee selbst ausgeschlossen seyn. Die Begriffe der Realitaͤt, der Substanz, der Caussalitaͤt selbst, die der Nothwendigkeit im Daseyn, haben, ausser dem Gebrauche, da sie die empirische Erkentniß eines Gegenstandes moͤglich ma- chen, gar keine Bedeutung, die irgend ein Obiect bestim- mete. Sie koͤnnen also zwar zu Erklaͤrung der Moͤglich- keit der Dinge in der Sinnenwelt, aber nicht der Moͤg- lichkeit eines Weltganzen selbst gebraucht werden, weil dieser Erklaͤrungsgrund ausserhalb der Welt und mithin kein Gegenstand einer moͤglichen Erfahrung seyn muͤßte. Nun kan ich gleichwol ein solches unbegreifliches Wesen, den Gegenstand einer blossen Idee, relativ auf die Sinnen- welt, obgleich nicht an sich selbst, annehmen. Denn, wenn dem groͤßtmoͤglichen empirischen Gebrauche meiner Vernunft eine Idee (der systematischvollstaͤndigen Einheit, von der ich bald bestimter reden werde) zum Grunde liegt, die an sich selbst niemals adaͤquat in der Erfahrung kan dargestellet werden, ob sie gleich, um die empirische Einheit dem hoͤchstmoͤglichen Grade zu naͤhern, unumgaͤnglich noth- wendig ist, so werde ich nicht allein befugt, sondern auch genoͤthigt seyn, diese Idee zu realisiren, d. i. ihr einen wirklichen Gegenstand zu setzen, aber nur als ein Etwas uͤberhaupt, das ich an sich selbst gar nicht kenne und dem ich nur, als einem Grunde iener systematischen Einheit, in Beziehung auf diese leztere solche Eigenschaften gebe, U u 3 als Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. als den Verstandesbegriffen im empirischen Gebrauche ana- logisch sind. Ich werde mir also nach der Analogie der Realitaͤten in der Welt, der Substanzen, der Caussalitaͤt und der Nothwendigkeit, ein Wesen denken, das alles dieses in der hoͤchsten Vollkommenheit besizt und, indem diese Idee blos auf meiner Vernunft beruht, dieses Wesen als selbststaͤndige Vernunft, was durch Ideen der groͤß- ten Harmonie und Einheit, Ursache vom Weltganzen ist, denken koͤnnen, so daß ich alle, die Idee einschraͤnkende, Bedingungen weglasse, lediglich um, unter dem Schutze eines solchen Urgrundes, systematische Einheit des Man- nigfaltigen im Weltganzen und, vermittelst derselben, den groͤßtmoͤglichen empirischen Vernunftgebrauch moͤglich zu machen, indem ich alle Verbindungen so ansehe, als ob sie Anordnungen einer hoͤchsten Vernunft waͤren, von der die unsrige ein schwaches Nachbild ist. Ich denke mir alsdenn dieses hoͤchste Wesen durch lauter Begriffe, die eigentlich nur in der Sinnenwelt ihre Anwendung haben, da ich aber auch iene transscendentale Voraussetzung zu keinem anderen als relativen Gebrauch habe, nemlich, daß sie das Substratum der groͤßtmoͤglichen Erfahrungseinheit abgeben solle, so darf ich ein Wesen, das ich von der Welt unterscheide, ganz wol durch Eigenschaften denken, die lediglich zur Sinnenwelt gehoͤren. Denn ich verlange keinesweges und bin auch nicht befugt, es zu verlangen, diesen Gegenstand meiner Idee, nach dem, was er an sich seyn mag, zu erkennen; denn dazu habe ich keine Be- griffe VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. griffe und selbst die Begriffe von Realitaͤt, Substanz, Caussalitaͤt, ia so gar der Nothwendigkeit im Daseyn ver- lieren alle Bedeutung und sind leere Titel zu Begriffen, ohne allen Inhalt, wenn ich mich ausser dem Felde der Sinne damit hinauswage. Ich denke mir nur die Rela- tion eines mir an sich ganz unbekanten Wesens zur groͤßten systematischen Einheit des Weltganzen, lediglich um es zum Schema des regulativen Princips des groͤßtmoͤglichen em- pirischen Gebrauchs meiner Vernunft zu machen. Werfen wir unseren Blick nun auf den transscen- dentalen Gegenstand unserer Idee, so sehen wir : daß wir seine Wirklichkeit nach den Begriffen von Realitaͤt, Sub- stanz, Caussalitaͤt ꝛc an sich selbst nicht voraussetzen koͤn- nen, weil diese Begriffe auf etwas, das von der Sinnen- welt ganz unterschieden ist, nicht die mindeste Anwendung haben. Also ist die Supposition der Vernunft von einem hoͤchsten Wesen, als oberster Ursache, blos relativ, zum Behuf der systematischen Einheit der Sinnenwelt gedacht und ein blosses Etwas in der Idee, wovon wir, was es an sich sey, keinen Begriff haben. Hiedurch erklaͤrt sich auch: woher wir zwar in Beziehung auf das, was existi- rend den Sinnen gegeben ist, der Idee eines an sich nothwen- digen Urwesens beduͤrfen, niemals aber von diesem und seiner absoluten Nothwendigkeit den mindesten Begriff haben koͤnnen. Nunmehr koͤnnen wir das Resultat der ganzen trans- scendentalen Dialectik deutlich vor Augen stellen und die U u 4 End- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Endabsicht der Ideen der reinen Vernunft, die nur durch Mißverstand und Unbehutsamkeit dialectisch werden, ge- nau bestimmen. Die reine Vernunft ist in der That mit nichts, als sich selbst beschaͤftigt und kan auch kein ande- res Geschaͤfte haben, weil ihr nicht die Gegenstaͤnde zur Einheit des Erfahrungsbegriffs, sondern die Verstandeser- kentnisse zur Einheit des Vernunftbegriffs, d. i. des Zu- sammenhanges in einem Princip gegeben werden. Die Vernunfteinheit ist die Einheit des Systems, und diese systematische Einheit dient der Vernunft nicht obiectiv zu einem Grundsatze, um sie uͤber die Gegenstaͤnde, sondern subiectiv als Maxime, um sie uͤber alles moͤgliche empiri- sche Erkentniß der Gegenstaͤnde zu verbreiten. Gleichwol befoͤrdert der systematische Zusammenhang, den die Ver- nunft dem empirischen Verstandesgebrauche geben kan, nicht allein dessen Ausbreitung, sondern bewaͤhrt auch zu- gleich die Richtigkeit desselben und das Principium einer solchen systematischen Einheit ist auch obiectiv, aber auf unbestimte Art (principium vagum) nicht als constituti- ves Princip, um etwas in Ansehung seines directen Ge- genstandes zu bestimmen, sondern um, als blos regula- tiver Grundsatz und Maxime, den empirischen Gebrauch der Vernunft durch Eroͤfnung neuer Wege, die der Ver- stand nicht kent, ins Unendliche (Unbestimte) zu befoͤrdern und zu befestigen, ohne dabey iemals den Gesetzen des empirischen Gebrauchs im Mindesten zuwider zu seyn. Die VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. Die Vernunft kan aber diese systematische Einheit nicht anders denken, als daß sie ihrer Idee zugleich einen Gegenstand giebt, der aber durch keine Erfahrung gegeben werden kan, denn Erfahrung giebt niemals ein Beispiel vollkommener systematischer Einheit. Dieses Vernunftwe- sen (ens rationis ratiocinatæ) ist nun zwar eine blosse Idee und wird also nicht schlechthin und an sich selbst als etwas Wirkliches angenommen, sondern nur problematisch zum Grunde gelegt (weil wir es durch keine Verstandes- begriffe erreichen koͤnnen), um alle Verknuͤpfung der Dinge der Sinnenwelt so anzusehen, als ob sie in diesem Ver- nunftwesen ihren Grund haͤtten, lediglich aber in der Ab- sicht, um darauf die systematische Einheit zu gruͤnden, die der Vernunft unentbehrlich, der empirischen Verstandeserkent- niß aber auf alle Weise befoͤrderlich und ihr gleichwol nie- mals hinderlich seyn kan. Man verkennet sogleich die Bedeutung dieser Idee, wenn man sie vor die Behauptung, oder auch nur die Voraussetzung einer wirklichen Sache haͤlt, welcher man den Grund der systematischen Weltverfassung zuzuschreiben gedaͤchte; vielmehr laͤßt man es gaͤnzlich unausgemacht, was der, unseren Begriffen sich entziehende Grund dersel- ben an sich vor Beschaffenheit habe und setzet sich nur eine Idee zum Gesichtspuncte, aus welchem einzig und allein man iene, der Vernunft so wesentliche und dem Verstan- de so heilsame, Einheit verbreiten kan, mit einem Worte: U u 5 dieses Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. dieses transsendentale Ding ist blos das Schema ienes re- gulativen Princips, wodurch die Vernunft, so viel an ihr ist, systematische Einheit uͤber alle Erfahrung verbreitet. Das erste Obiect einer solchen Idee bin ich selbst, blos als denkende Natur (Seele) betrachtet. Will ich die Eigenschaften, mit denen ein denkend Wesen an sich existirt, aufsuchen, so muß ich die Erfahrung befragen und selbst von allen Categorien kan ich keine auf diesen Gegen- stand anwenden, als in so fern das Schema derselben in der sinnlichen Anschauung gegeben ist. Hiemit gelange ich aber niemals zu einer systematischen Einheit aller Erschei- nungen des inneren Sinnes. Satt des Erfahrungsbegriffs also (von dem, was die Seele wirklich ist), der uns nicht weit fuͤhren kan, nimt die Vernunft den Begriff der em- pirischen Einheit alles Denkens und macht dadurch, daß sie diese Einheit unbedingt und urspruͤnglich denkt, aus demselben einen Vernunftbegriff (Idee) von einer einfa- chen Substanz, die an sich selbst unwandelbar (persoͤn- lich identisch), mit andern wirklichen Dingen ausser ihr in Gemeinschaft stehe, mit einem Worte: von einer ein- fachen selbststaͤndigen Intelligenz. Hiebey aber hat sie nichts anders vor Augen, als Principien der systematischen Einheit in Erklaͤrung der Erscheinungen der Seele, nem- lich: alle Bestimmungen, als in einem einigen Subiecte, alle Kraͤfte, so viel moͤglich, als abgeleitet von einer einigen Grundkraft, allen Wechsel, als gehoͤrig zu den Zustaͤnden eines VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. eines und desselben beharrlichen Wesens zu betrachten, und alle Erscheinungen im Raume, als von den Handlungen des Denkens ganz unterschieden vorzustellen. Jene Ein- fachheit der Substanz ꝛc. solte nur das Schema zu diesem regulativen Princip seyn und wird nicht vorausgesezt, als sey sie der wirkliche Grund der Seeleneigenschaften. Denn diese koͤnnen auch auf ganz anderen Gruͤnden beruhen, die wir gar nicht kennen, wie wir denn die Seele auch durch diese angenommene Praͤdicate eigentlich nicht an sich selbst erkennen koͤnten, wenn wir sie gleich von ihr schlechthin wolten gelten lassen, indem sie eine blosse Idee ausmachen, die in concreto gar nicht vorgestellet werden kan. Aus einer solchen psychologischen Idee kan nun nichts anders als Vortheil entspringen, wenn man sich nur huͤtet, sie vor etwas mehr als blosse Idee, d. i. blos relativisch auf den systematischen Vernunftsgebrauch in Ansehung der Er- scheinungen unserer Seele, gelten zu lassen. Denn, da mengen sich keine empirische Gesetze koͤrperlicher Erschei- nungen, die ganz von anderer Art seyn, in die Erklaͤrun- gen dessen, was blos vor den inneren Sinn gehoͤret, da werden keine windige Hypothesen, von Erzeugung, Zer- stoͤhrung und Palingenesie der Seelen ꝛc. zugelassen, also die Betrachtung dieses Gegenstandes des inneren Sinnes ganz rein und unvermengt mit ungleichartigen Eigenschaf- ten angestellet, uͤberdem die Vernunftuntersuchung darauf gerichtet, die Erklaͤrungsgruͤnde in diesem Subiecte, so weit es moͤglich ist, auf ein einziges Princip hinaus zu fuͤh- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. fuͤhren, welches alles durch ein solches Schema, als ob es ein wirkliches Wesen waͤre, am besten, ia so gar einzig und allein, bewirkt wird. Die psychologische Idee kan auch nichts anders als das Schema eines regulativen Be- griffs bedeuten. Denn wolte ich auch nur fragen: ob die Seele nicht an sich geistiger Natur sey, so haͤtte diese Frage gar keinen Sinn. Denn durch einen solchen Be- griff nehme ich nicht blos die koͤrperliche Natur, sondern uͤberhaupt alle Natur weg, d. i. alle Praͤdicate irgend ei- ner moͤglichen Erfahrung, mithin alle Bedingungen zu einem solchen Begriffe einen Gegenstand zu denken, als welches doch einzig und allein es macht, daß man sagt, er habe einen Sinn. Die zweite regulative Idee der blos speculativen Ver- nunft ist der Weltbegriff uͤberhaupt. Denn Natur ist ei- gentlich nur das einzige gegebene Obiect, in Ansehung dessen die Vernunft regulative Principien bedarf. Diese Natur ist zwiefach, entweder die denkende, oder die koͤr- perliche Natur. Allein zu der lezteren, um sie ihrer inne- ren Moͤglichkeit nach zu denken, d. i. die Anwendung der Categorien auf dieselbe zu bestimmen, beduͤrfen wir keiner Idee, d. i. einer die Erfahrung uͤbersteigenden Vorstellung; es ist auch keine in Ansehung derselben moͤglich, weil wir darin blos durch sinnliche Anschauung geleitet werden und nicht, wie in dem psychologischen Grundbegriffe (Ich), welcher eine gewisse Form des Denkens, nemlich die Ein- heit desselben, a priori enthaͤlt. Also bleibt uns vor die reine VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. reine Vernunft nichts uͤbrig, als Natur uͤberhaupt, und die Vollstaͤndigkeit der Bedingungen in derselben nach ir- gend einem Princip. Die absolute Totalitaͤt der Reihen dieser Bedingungen, in der Ableitung ihrer Glieder, ist eine Idee, die zwar im empirischen Gebrauche der Ver- nunft niemals voͤllig zu Stande kommen kan, aber doch zur Regel dient, wie wir in Ansehung derselben verfah- ren sollen, nemlich in der Erklaͤrung gegebener Erscheinun- gen (im Zuruͤckgehen oder Aufsteigen) so, als ob die Rei- he an sich unendlich waͤre, d. i. in indefinitum, aber wo die Vernunft selbst als bestimmende Ursache betrachtet wird (in der Freiheit), also bey practischen Principien, als ob wir nicht ein Obiect der Sinne, sondern des rei- nen Verstandes vor uns haͤtten, wo die Bedingungen nicht mehr in der Reihe der Erscheinungen, sondern ausser der- selben gesezt werden koͤnnen und die Reihe der Zustaͤnde angesehen werden kan, als ob sie schlechthin (durch eine intelligibele Ursache) angefangen wuͤrde, welches alles beweiset: daß die cosmologische Ideen nichts als regula- tive Principien und weit davon entfernt sind, gleichsam constitutiv, eine wirkliche Totalitaͤt solcher Reihen zu setzen. Das uͤbrige kan man an seinem Orte unter der Antinomie der reinen Vernunft suchen. Die dritte Idee der reinen Vernunft, welche eine blos relative Supposition eines Wesens enthaͤlt, als der einigen und allgnugsamen Ursache aller cosmologischen Reihen, ist der Vernunftbegriff von Gott . Den Gegenstand die- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. dieser Idee, haben wir nicht den mindesten Grund, schlecht- hin anzunehmen (an sich zu supponiren); denn was kan uns wol dazu vermoͤgen, oder auch nur berechtigen, ein Wesen von der hoͤchsten Vollkommenheit, und als seiner Natur nach schlechthin nothwendig, aus dessen blossem Begriffe an sich selbst zu glauben, oder zu behaupten, waͤre es nicht die Welt, in Beziehung auf welche diese Supposition allein nothwendig seyn kan, und da zeigt es sich klar: daß die Idee desselben, so wie alle speculative Ideen, nichts weiter sagen wolle, als daß die Vernunft ge- biete, alle Verknuͤpfung der Welt nach Principien einer systematischen Einheit zu betrachten, mithin als ob sie ins- gesamt aus einem einzigen allbefassenden Wesen, als ober- ster und allgnugsamer Ursache, entsprungen waͤren. Hier- aus ist klar: daß die Vernunft hiebey nichts als ihre eige- ne formale Regel in Erweiterung ihres empirischen Ge- brauchs zur Absicht haben koͤnne, niemals aber eine Er- weiterung uͤber alle Graͤnzen des empirischen Gebrauchs , folglich unter dieser Idee kein constitutives Princip ihres auf moͤgliche Erfahrung gerichteten Gebrauchs verborgen liege. Die hoͤchste formale Einheit, welche allein auf Ver- nunftbegriffen beruht, ist die zweckmaͤssige Einheit der Dinge, und das speculative Interesse der Vernunft macht es nothwendig, alle Anordnung in der Welt so anzusehen, als ob sie aus der Absicht einer allerhoͤchsten Vernunft ent- sprossen waͤre. Ein solches Princip eroͤfnet nemlich unserer auf VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. auf das Feld der Erfahrungen angewandten Vernunft ganz neue Aussichten nach telologischen Gesetzen die Dinge der Welt zu verknuͤpfen, und dadurch zu der groͤßten systema- tischen Einheit derselben zu gelangen. Die Voraussetzung einer obersten Intelligenz, als der alleinigen Ursache des Weltganzen, aber freilich blos in der Idee, kan also ie- derzeit der Vernunft nutzen und dabey doch niemals schaden. Denn, wenn wir in Ansehung der Figur der Erde (der runden doch etwas abgeptatteten Der Vortheil, den eine kugelichte Erdgestalt schaft, ist be- kant gnug; aber wenige wissen: daß ihre Abplattung, als eines Sphaͤroids, es allein verhindert, daß nicht die Hervorragungen des festen Landes, oder auch kleinerer, vielleicht durch Erdbeben aufgeworfener Berge, die Achse der Erde continuirlich und in nicht eben langer Zeit an- sehnlich verruͤcke, waͤre nicht die Aufschwellung der Erde unter der Linie ein so gewaltiger Berg, den der Schwung iedes andern Berges niemals merklich aus seiner Lage in Ansehung der Achse bringen kan. Und doch erklaͤrt man diese weise Anstalt ohne Bedenken aus dem Gleichgewicht der ehmals fluͤssigen Erdmasse. , der Gebirge und Meere ꝛc. lauter weise Absichten eines Urhebers zum voraus anneh- men, so koͤnnen wir auf diesem Wege eine Menge von Entdeckungen machen. Bleiben wir nur bey dieser Vor- aussetzung, als einem blos regulativen Princip, so kan selbst der Irrthum uns nicht schaden. Denn es kan allen- falls daraus nichts weiter folgen, als daß, wo wir einen teleologischen Zusammenhang (nexus finalis) erwarteten, ein blos mechanischer oder physischer (nexus effectiuus) ange- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. angetroffen werde, wodurch wir, in einem solchen Falle, nur eine Einheit mehr vermissen, aber nicht die Vernunft- einheit in ihrem empirischen Gebrauche verderben. Aber so gar dieser Querstrich kan das Gesetz selbst in allgemei- ner und teleologischer Absicht uͤberhaupt nicht treffen. Denn, ob zwar ein Zergliederer eines Irrthumes uͤberfuͤhrt werden kan, wenn er irgend ein Gliedmaas eines thierischen Coͤr- pers auf einen Zweck bezieht, von welchem man deutlich zeigen kan, daß er daraus nicht erfolge: so ist es doch gaͤnzlich unmoͤglich, in einem Falle zu beweisen, daß eine Natureinrichtung, es mag seyn welche da wolle, ganz und gar keinen Zweck habe. Daher erweitert auch die Physiologie (der Aerzte) ihre sehr eingeschraͤnkte empiri- sche Kentniß von den Zwecken des Gliederbaues eines or- ganischen Coͤrpers durch einen Grundsatz, welchen blos reine Vernunft eingab, so weit, daß man darin ganz dreust und zugleich mit aller Verstaͤndigen Einstimmung annimt, es habe alles an dem Thiere seinen Nutzen und gute Absicht, welche Voraussetzung, wenn sie constitutiv seyn solte, viel weiter geht, als uns bisherige Beobach- tung berechtigen kan, woraus denn zu ersehen ist: daß sie nichts als ein regulatives Princip der Vernunft sey, um zur hoͤchsten systematischen Einheit, vermittelst der Idee der zweckmaͤssigen Caussalitaͤt der obersten Weltursache und, als ob diese, als hoͤchste Intelligenz nach der weisesten Ab- sicht die Ursache von allem sey, zu gelangen. Gehen VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. Gehen wir aber von dieser Restriction der Idee auf den blos regulativen Gebrauch ab, so wird die Vernunft auf so mancherley Weise irre gefuͤhrt, indem sie alsdenn den Boden der Erfahrung, der doch die Merkzeichen ih- res Ganges enthalten muß, verlaͤßt, und sich uͤber densel- ben zu dem Unbegreiflichen und unerforschlichen hinwagt, uͤber dessen Hoͤhe sie nothwendig schwindlicht wird, weil sie sich aus dem Standpuncte desselben von allem mit der Erfahrung stimmigen Gebrauch gaͤnzlich abgeschnitten sieht. Der erste Fehler, der daraus entspringt, daß man die Idee eines hoͤchsten Wesens nicht blos regulativ, son- dern (welches der Natur einer Idee zuwider ist) constitu- tiv braucht, ist die faule Vernunft (ignaua ratio So nanten die alten Dialectiker einen Trugschluß, der so lautete: Wenn es dein Schicksal mit sich bringt, du solst von dieser Krankheit genesen, so wird es geschehen, du magst einen Arzt brauchen, oder nicht. Cicero sagt: daß diese Art zu schliessen ihren Nahmen daher habe, daß, wenn man ihr folgt, gar kein Gebrauch der Vernunft im Leben uͤbrig bleibe. Dieses ist die Ursache, warum ich das sophistische Argument der reinen Vernunft mit demselben Nahmen belege. . Man kan ieden Grundsatz so nennen, welcher macht, daß man seine Naturuntersuchung, wo es auch sey, vor schlecht- X x Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. schlechthin vollendet ansieht und die Vernunft sich also zur Ruhe begiebt, als ob sie ihr Geschaͤfte voͤllig ausgerich- tet habe. Daher selbst die psychologische Idee, wenn sie als ein constitutives Princip vor die Erklaͤrung der Er- scheinungen unserer Seele, und hernach gar, zur Erwei- terung unserer Erkentniß dieses Subiects, noch uͤber alle Erfahrung hinaus (ihren Zustand nach dem Tode) ge- braucht wird, es der Vernunft zwar sehr bequem macht, aber auch allen Naturgebrauch derselben nach der Leitung der Erfahrungen ganz verdirbt und zu Grunde richtet. So erklaͤrt der dogmatische Spiritualist die durch allen Wechsel der Zustaͤnde unveraͤndert bestehende Einheit der Person aus der Einheit der denkenden Substanz, die er in dem Ich unmittelbar wahrzunehmen glaubt, das Interesse, was wir an Dingen nehmen, die sich allererst nach unserem Tode zutragen sollen, aus dem Bewustseyn der immateriellen Natur unseres denkenden Subiects ꝛc. und uͤberhebt sich aller Naturuntersuchung der Ursache dieser unserer inneren Erscheinungen aus physischen Erklaͤrungs- gruͤnden, indem er gleichsam durch den Machtspruch einer transscendenten Vernunft die immanente Erkentnißquel- len der Erfahrung, zum Behuf seiner Gemaͤchlichkeit, aber mit Einbusse aller Einsicht, vorbey geht. Noch deutlicher faͤllt diese nachtheilige Folge bey dem Dogmatism unserer Idee von einer hoͤchsten Intelligenz und dem darauf faͤlsch- lich gegruͤndeten theologischen System der Natur (Physico- theo- VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. theologie) in die Augen. Denn da dienen alle sich in der Natur zeigende, oft nur von uns selbst dazu gemachte Zwecke dazu, es uns in der Erforschung der Ursachen recht bequem zu machen, nemlich, anstatt sie in den allgemeinen Gesetzen des Mechanismus der Materie zu suchen, sich ge- radezu auf den unerforschlichen Rathschluß der hoͤchsten Weisheit zu berufen, und die Vernunftbemuͤhung alsdenn vor vollendet anzusehen, wenn man sich ihres Gebrauchs uͤberhebt, der doch nirgend einen Leitfaden findet, als wo ihn uns die Ordnung der Natur und die Reihe der Ver- aͤnderungen, nach ihren inneren und allgemeinern Gese- tzen, an die Hand giebt. Dieser Fehler kan vermieden werden, wenn wir nicht blos einige Naturstuͤcke, als z. B. die Vertheilung des festen Landes, das Bauwerk desselben und die Beschaffenheit und Lage der Gebirge, oder wol gar nur die Organisation im Gewaͤchs- und Thierreiche aus dem Gesichtspuncte der Zwecke betrachten, sondern diese systematische Einheit der Natur, in Beziehung auf die Idee einer hoͤchsten Intelligenz, ganz allgemein ma- chen. Denn alsdenn legen wir eine Zweckmaͤssigkeit nach allgemeinen Gesetzen der Natur zum Grunde, von denen keine besondere Einrichtung ausgenommen, sondern nur mehr oder weniger kentlich vor uns ausgezeichnet worden, und haben ein regulatives Princip der systematischen Ein- heit einer teleologischen Verknuͤpfung, die wir aber nicht zum voraus bestimmen, sondern nur in Erwartung dersel- X x 2 ben Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. ben die physischmechanische Verknuͤpfung nach allgemeinen Gesetzen verfolgen duͤrfen. Denn so allein kan das Prin- cip der zweckmaͤssigen Einheit den Vernunftgebrauch in Ansehung der Erfahrung iederzeit erweitern, ohne ihm in irgend einem Falle Abbruch zu thun. Der zweite Fehler, der aus der Mißdeutung des ge- dachten Princips der systematischen Einheit entspringt, ist der der verkehrten Vernunft (peruersa ratio, ὕςερον πρότερον rationis). Die Idee der systematischen Einheit solte nur dazu dienen, um als regulatives Princip sie in der Verbindung der Dinge nach allgemeinen Naturgese- tzen zu suchen und, so weit sich etwas davon auf dem em- pirischen Wege antreffen laͤßt, um so viel auch zu glau- ben, daß man sich der Vollstaͤndigkeit ihres Gebrauchs genaͤhert habe, ob man sie freilich niemals erreichen wird. Anstatt dessen kehrt man die Sache um und faͤngt davon an, daß man die Wirklichkeit eines Princips der zweckmaͤssigen Einheit als hypostatisch zum Grunde legt, den Begriff einer solchen hoͤchsten Intelligenz, weil er an sich gaͤnzlich unerforschlich ist, anthropomorphistisch bestimt und denn der Natur Zwecke, gewaltsam und dictatorisch, aufdringt, anstatt sie, wie billig, auf dem Wege der physischen Nach- forschung zu suchen, so daß nicht allein Teleologie, die blos dazu dienen solte, um die Natureinheit nach allgemeinen Gesetzen zu ergaͤnzen, nun vielmehr dahin wirkt, sie auf- zuhe- VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. zuheben, sondern die Vernunft sich noch dazu selbst um ihren Zweck bringt, nemlich das Daseyn einer solchen intelligenten obersten Ursache, nach diesem, aus der Na- tur zu beweisen. Denn, wenn man nicht die hoͤchste Zweck- maͤssigkeit in der Natur a priori, d. i. als zum Wesen der- selben gehoͤrig, voraussetzen kan, wie will man denn an- gewiesen seyn, sie zu suchen und auf der Stufenleiter der- selben sich der hoͤchsten Vollkommenheit eines Urhebers, als einer schlechterdingsnothwendigen, mithin a priori erkenbaren Vollkommenheit, zu naͤhern. Das regulative Princip verlangt die systematische Einheit als Naturein- heit, welche nicht blos empirisch erkant, sondern a priori, obzwar noch unbestimt, vorausgesezt wird, schlechter- dings, mithin als aus dem Wesen der Dinge folgend, vor- auszusetzen. Lege ich aber zuvor ein hoͤchstes ordnendes Wesen zum Grunde, so wird die Natureinheit in der That aufgehoben. Denn sie ist der Natur der Dinge ganz fremde und zufaͤllig und kan auch nicht aus allgemeinen Gesetzen derselben erkant werden. Daher entspringt ein fehlerhafter Cirkel im beweisen, da man das voraussezt, was eigentlich hat bewiesen werden sollen. Das regulative Princip der systematischen Einheit der Natur vor ein constitutives zu nehmen und, was nur in der Idee zum Grunde des einhelligen Gebrauchs der Vernunft gelegt wird, als Ursache hypostatisch vorausse- X x 3 tzen, Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. tzen, heißt nur die Vernunft verwirren. Die Naturfor- schung geht ihren Gang ganz allein an der Kette der Na- turursachen nach allgemeinen Gesetzen derselben, zwar nach der Idee eines Urhebers, aber nicht um die Zweck- maͤssigkeit, der sie allerwerts nachgeht, von demselben ab- zuleiten, sondern sein Daseyn aus dieser Zweckmaͤssigkeit, die in den Wesen der Naturdinge gesucht wird, wo moͤg- lich auch in den Wesen aller Dinge uͤberhaupt, mithin als schlechthin nothwendig zu erkennen. Das leztere mag nun gelingen oder nicht, so bleibt die Idee immer richtig und eben sowol auch deren Gebrauch, wenn er auf die Bedingungen eines blos regulativen Princips restringirt worden. Vollstaͤndige zweckmaͤssige Einheit ist Vollkommenheit (schlechthin betrachtet). Wenn wir diese nicht in dem Wesen der Dinge, welche den ganzen Gegenstand der Er- fahrung, d. i. aller unserer obiectivguͤltigen Erkentniß, aus machen, mithin in allgemeinen und nothwendigen Natur- gesetzen finden, wie wollen wir daraus gerade auf die Idee einer hoͤchsten und schlechthin nothwendigen Vollkommen- heit eines Urwesens schliessen, welches der Ursprung aller Caussalitaͤt ist. Die groͤßte systematische, folglich auch die zweckmaͤssige Einheit ist die Schule und selbst die Grund- lage der Moͤglichkeit des groͤßten Gebrauchs der Menschen- vernunft. Die Idee derselben ist also mit dem Wesen unse- VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. unserer Vernunft unzertrenlich verbunden. Eben die- selbe Idee ist also vor uns gesetzgebend und so ist es sehr natuͤrlich, eine ihr correspondirende gesetzgebende Vernunft (intellectus archetypus) anzunehmen, von der alle syste- matische Einheit der Natur, als dem Gegenstande unserer Vernunft, abzuleiten sey. Wir haben bey Gelegenheit der Antinomie der rei- nen Vernunft gesagt: daß alle Fragen, welche die reine Vernunft aufwirft, schlechterdings beantwortlich seyn muͤs- sen, und daß die Entschuldigung mit den Schranken un- serer Erkentniß, die in vielen Naturfragen eben so unver- meidlich, als billig ist, hier nicht gestattet werden koͤnne, weil uns hier nicht von der Natur der Dinge, sondern allein durch die Natur der Vernunft und lediglich uͤber ihre innere Einrichtung, die Fragen vorgelegt werden. Jezt koͤnnen wir diese dem ersten Anscheine nach kuͤhne Behauptung in Ansehung der zween Fragen, wobey die reine Vernunft ihr groͤßtes Interesse hat, bestaͤtigen und dadurch unsere Betrachtung uͤber die Dialectik derselben zur gaͤnzlichen Vollendung bringen. Fraͤgt man denn also (in Absicht auf eine transscen- dentale Theologie Dasienige, was ich schon vorher von der psychologischen Idee und deren eigentlichen Bestimmung, als Princip’s zum erstlich: ob es etwas von der Welt X x 4 Unter- Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. Unterschiedenes gebe, was den Grund der Weltordnung und ihres Zusammenhanges nach allgemeinen Gesetzen ent- halte, so ist die Antwort: ohne Zweifel . Denn die Welt ist eine Summe von Erscheinungen, es muß also ir- gend ein transscendentaler, d. i. blos dem reinen Verstan- de denkbarer Grund derselben seyn. Ist zweitens die Frage: ob dieses We s en Substanz, von der groͤßten Rea- litaͤt, nothwendig ꝛc sey: so antworte ich: daß diese Fra- ge gar keine Bedeutung habe . Denn alle Categorien, durch welche ich mir einen Begriff von einem solchen Ge- genstande zu machen versuche, sind von keinem anderen, als empirischen Gebrauche und haben gar keinen Sinn, wenn sie nicht auf Obiecte moͤglicher Erfahrung, d. i. auf die Sinnenwelt angewandt werden. Ausser diesem Felde sind sie blos Titel zu Begriffen, die man einraͤumen, da- durch man aber auch nichts verstehen kan. Ist endlich Drittens die Frage: ob wir nicht wenigstens dieses von der Welt unterschiedene Wesen nach einer Analogie mit den Gegenstaͤnden der Erfahrung denken duͤrfen? so ist die Antwort: allerdings, aber nur als Gegenstand in der Idee zum blos regulativen Vernunftgebrauch, gesagt habe, uͤberhebt mich der Weitlaͤuftigkeit, die transscendentale Illusion , nach der iene systematische Einheit aller Man- nigfaltigkeit des inneren Sinnes hypostatisch vorgestellt wird, noch besonders zu eroͤrtern. Das Verfahren hie- bey ist demienigen sehr aͤhnlich, welches die Critik in An- sehung des theologischen Ideals beobachtet. VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. Idee und nicht in der Realitaͤt, nemlich nur, so fern er ein uns unbekantes Substratum der systematischen Einheit, Ordnung und Zweckmaͤssigkeit der Welteinrichtung ist, wel- che sich die Vernunft zum regulativen Princip ihrer Natur- forschung machen muß. Noch mehr, wir koͤnnen in dieser Idee gewisse Anthropomorphismen, die dem gedachten re- gulativen Princip befoͤrderlich seyn, ungescheut und ungeta- delt erlauben. Denn es ist immer nur eine Idee, die gar nicht direct auf ein von der Welt unterschiedenes Wesen, sondern auf das regulative Princip der systematischen Ein- heit der Welt, aber nur vermittelst eines Schema dersel- ben, nemlich einer obersten Intelligenz, die nach weisen Absichten Urheber derselben sey, bezogen wird. Was die- ser Urgrund der Welteinheit an sich selbst sey, hat dadurch nicht gedacht werden sollen, sondern wie wir ihn, oder vielmehr seine Idee, relativ auf den systematischen Gebrauch der Vernunft in Ansehung der Dinge der Welt, brau- chen sollen. Auf solche Weise aber koͤnnen wir doch (wird man fortfahren zu fragen) einen einigen weisen und allgewalti- gen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und nicht allein dies, sondern wir muͤssen einen solchen vor- aussetzen. Aber alsdenn erweitern wir doch unsere Er- kentniß uͤber das Feld moͤglicher Erfahrung? Keineswe- ges. Denn wir haben nur ein Etwas vorausgesezt, wo- X x 5 von Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. von wir gar keinen Begriff haben, was es an sich selbst sey (einen blos transscendentalen Gegenstand), aber, in Beziehung auf die systematische und zweckmaͤssige Ordnung des Weltbaues, welche wir, wenn wir die Natur studiren, voraussetzen muͤssen, haben wir ienes uns unbekante We- sen nur nach der Analogie mit einer Intelligenz (ein em- pirischer Begriff) gedacht, d. i. es in Ansehung der Zwecke und der Vollkommenheit, die sich auf demselben gruͤnden, gerade mit denen Eigenschaften begabt, die nach den Be- dingungen unserer Vernunft den Grund einer solchen syste- matischen Einheit enthalten koͤnnen. Diese Idee ist also respectiv auf den Weltgebrauch unserer Vernunft ganz gegruͤndet. Wolten wir ihr aber schlechthin obiective Guͤltigkeit ertheilen, so wuͤrden wir vergessen: daß es le- diglich ein Wesen in der Idee sey, das wir denken und, in- dem wir alsdenn von einem durch die Weltbetrachtung gar nicht bestimbaren Grunde anfingen, wuͤrden wir dadurch ausser Stand gesezt, dieses Princip dem empirischen Ver- nunftgebrauch angemessen anzuwenden. Aber (wird man ferner fragen) auf solche Weise kan ich doch von dem Begriffe und der Vorausfetzung eines hoͤchsten Wesens in der vernuͤnftigen Weltbetrachtung Ge- brauch machen? Ja, dazu war auch eigentlich diese Idee von der Vernunft zum Grunde gelegt. Allein darf ich nun zweckaͤhnliche Anordnungen als Absichten ansehen, indem ich VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. ich sie vom goͤttlichen Willen, obzwar vermittelst besonde- rer dazu in der Welt darauf gestellten Anlagen, ableite? Ja, das koͤnt ihr auch thun, aber so, daß es euch gleich viel gelten muß, ob iemand sage, die goͤttliche Weisheit hat alles so zu seinen obersten Zwecken geordnet, oder die Idee der hoͤchsten Weisheit ist ein regulativ in der Nach- forschung der Natur und ein Princip der systematischen und zweckmaͤssigen Einheit derselben nach allgemeinen Naturge- setzen, auch selbst da, wo wir iene nicht gewahr werden, d. i. es muß euch da, wo ihr sie wahrnehmt, voͤllig einer- ley seyn, zu sagen: Gott hat es weislich so gewolt, oder die Natur hat es also weislich geordnet. Denn die groͤßte systematische und zweckmaͤssige Einheit, welche eure Ver- nunft aller Naturforschung als regulatives Princip zum Grunde zu legen verlangte, war eben das, was euch be- rechtigte, die Idee einer hoͤchsten Intelligenz als ein Sche- ma des regulativen Princips zum Grunde zu legen und, so viel ihr nun, nach demselben, Zweckmaͤssigkeit in der Welt antreft, so viel habt ihr Bestaͤtigung der Rechtmaͤs- sigkeit eurer Idee; da aber gedachtes Princip nichts anders zur Absicht hatte, als nothwendige und groͤßtmoͤgliche Natureinheit zu suchen, so werden wir diese zwar, so weit als wir sie erreichen, der Idee eines hoͤchsten Wesens zu dan- ken haben, koͤnnen aber die allgemeine Gesetze der Natur, als in Absicht auf welche die Idee nur zum Grunde gelegt wurde, ohne mit uns selbst in Widerspruch zu gerathen, nicht Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. nicht vorbey gehen, um diese Zweckmaͤssigkeit der Natur als zufaͤllig und hyperphysisch ihrem Ursprunge nach anzu- sehen, weil wir nicht berechtigt waren, ein Wesen uͤber die Natur von den gedachten Eigenschaften anzunehmen, sondern nur die Idee desselben zum Grunde zu legen, um nach der Analogie einer Caussalbestimmung der Erscheinun- gen als systematisch unter einander verknuͤpft anzusehen. Eben daher sind wir auch berechtigt, die Weltursa- che in der Idee nicht allein nach einem subtileren Anthro- pomorphism (ohne welchen sich gar nichts von ihm denken lassen wuͤrde), nemlich als ein Wesen, was Verstand, Wolgefallen und Mißfallen, imgleichen eine demselben ge- maͤsse Begierde und Willen hat ꝛc. zu denken, sondern dem- selben unendliche Vollkommenheit beyzulegen, die also die- ienige weit uͤbersteigt, dazu wir durch empirische Kentniß der Weltordnung berechtigt seyn koͤnnen. Denn das re- gulative Gesetz der systematischen Einheit will: daß wir die Natur so studiren sollen, als ob allenthalben ins Un- endliche systematische und zweckmaͤssige Einheit, bey der groͤßtmoͤglichen Mannigfaltigkeit, angetroffen wuͤrde. Denn, wiewol wir nur wenig von dieser Weltvollkommenheit aus- spaͤhen, oder erreichen werden, so gehoͤrt es doch zur Ge- setzgebung unserer Vernunft, sie allerwerts zu suchen und zu vermuthen und es muß uns iederzeit vortheilhaft seyn, niemals aber kan es nachtheilig werden, nach diesem Prin- cip VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. cip die Naturbetrachtung anzustellen. Es ist aber, unter dieser Vorstellung, der zum Grunde gelegten Idee eines hoͤchsten Urhebers, auch klar: daß ich nicht das Daseyn und die Kentniß eines solchen Wesens, sondern nur die Idee desselben zum Grunde lege und also eigentlich nichts von diesem Wesen, sondern blos von der Idee desselben, d. i. von der Natur der Dinge der Welt, nach einer solchen Idee, ableite. Auch scheint ein gewisses, obzwar unent- wickeltes Bewustseyn, des aͤchten Gebrauchs dieses unse- ren Vernunftbegriffs, die bescheidene und billige Sprache der Philosophen aller Zeiten veranlaßt zu haben, da sie von der Weisheit und Vorsorge der Natur und der goͤtt- lichen Weisheit, als gleichbedeutenden Ausdruͤcken, reden, ia den ersteren Ausdruck, so lange es um blos speculative Vernunft zu thun ist, vorziehen, weil er die Anmassung einer groͤsseren Behauptung, als die ist, wozu wir befugt seyn, zuruͤck haͤlt und zugleich die Vernunft auf ihr eigen- thuͤmliches Feld, die Natur, zuruͤck weiset. So enthaͤlt die reine Vernunft, die uns Anfangs nichts Geringeres, als Erweiterung der Kentnisse uͤber alle Graͤnzen der Erfahrung, zu versprechen schiene, wenn wir sie recht verstehen, nichts als regulative Principien, die zwar groͤssere Einheit gebieten, als der empirische Ver- standesgebrauch erreichen kan, aber eben dadurch, daß sie das Ziel der Annaͤherung desselben so weit hinaus ruͤcken, die Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. die Zusammenstimmung desselben mit sich selbst durch sy- stematische Einheit zum hoͤchsten Grade bringen, wenn man sie aber mißversteht und sie vor constitutive Princi- pien transscendenter Erkentnisse haͤlt, durch einen zwar glaͤnzenden, aber truͤglichen Schein, Ueberredung und ein- gebildetes Wissen, hiemit aber ewige Widerspruͤche und Streitigkeiten hervorbringen. So faͤngt denn alle menschliche Erkentniß mit An- schauungen an, geht von da zu Begriffen und endigt mit Ideen. Ob sie zwar in Ansehung aller dreyen Elemente Erkentnißquellen a priori hat, die beym ersten Anblicke die Graͤnzen aller Erfahrung zu verschmaͤhen scheinen, so uͤber- zeugt doch eine vollendete Critik, daß alle Vernunft im speculativen Gebrauche mit diesen Elementen niemals uͤber das Feld moͤglicher Erfahrung hinaus kommen koͤnne, und daß die eigentliche Bestimmung dieses obersten Erkent- nißvermoͤgens sey, sich aller Methoden und der Grundsaͤtze derselben nur zu bedienen, um der Natur nach allen moͤg- lichen Principien der Einheit, worunter die der Zwecke die vornehmste ist, bis in ihr Innerstes nachzugehen, nie- mals aber ihre Graͤnze zu uͤberfliegen, ausserhalb welcher vor uns nichts als leerer Raum ist. Zwar hat uns die critische Untersuchung aller Saͤtze, welche unsere Erkent- niß VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. niß uͤber die wirkliche Erfahrung hinaus erweitern koͤnnen, in der transscendentalen Analytik hinreichend uͤberzeugt: daß sie niemals zu etwas mehr, als einer moͤglichen Er- fahrung leiten koͤnnen und, wenn man nicht selbst gegen die klaͤreste oder abstracte und allgemeine Lehrsaͤtze miß- trauisch waͤre, wenn nicht reitzende und scheinbare Aus- sichten uns locketen, den Zwang der ersteren abzuwerfen, so haͤtten wir allerdings der muͤhsamen Abhoͤrung aller dia- lectischen Zeugen, die eine transscendente Vernunft zum Behuf ihrer Anmassungen auftreten laͤßt, uͤberhoben seyn koͤnnen; denn wir wußten es schon zum voraus mit voͤlli- ger Gewißheit: daß alles Vorgeben derselben zwar vielleicht ehrlich gemeint, aber schlechterdings nichtig seyn muͤsse, weil es eine Kundschaft betraf, die kein Mensch iemals bekommen kan. Allein, weil doch des Redens kein Ende wird, wenn man nicht hinter die wahre Ursache des Scheins komt, wodurch selbst der Vernuͤnftigste hintergangen wer- den kan und die Aufloͤsung aller unserer transscendenten Erkentniß in ihre Elemente (als ein Studium unserer in- neren Natur) an sich selbst keinen geringen Werth hat, dem Philosophen aber so gar Pflicht ist, so war es nicht allein noͤthig, diese ganze, obzwar eitele Bearbeitung der speculativen Vernunft bis zu ihren ersten Quellen ausfuͤhr- lich nachzusuchen, sondern, da der dialectische Schein hier nicht allein dem Urtheile nach taͤuschend, sondern auch dem Interesse nach, das man hier am Urtheile nimt, an- lockend Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. lockend und iederzeit natuͤrlich ist und so in alle Zukunft bleiben wird, so war es rathsam, gleichsam die Acten die- ses Processes ausfuͤhrlich abzufassen und sie im Archive der menschlichen Vernunft, zu Verhuͤtung kuͤnftiger Ir- rungen aͤhnlicher Art, nieder zu legen. II. Trans- II. Transscendentale Methodenlehre . Y y W enn ich den Inbegriff aller Erkentniß der reinen und speculativen Vernunft wie ein Gebaͤude anse- he, dazu wir wenigstens die Idee in uns haben, so kan ich sagen, wir haben in der transscendentalen Elementar- lehre den Bauzeug uͤberschlagen und bestimt, zu welchem Gebaͤude, von welcher Hoͤhe und Festigkeit er zulange. Freilich fand es sich: daß, ob wir zwar einen Thurm im Sinne hatten, der bis an den Himmel reichen solte, der Vorrath der Materialien doch nur zu einem Wohnhause zureichte, welches zu unseren Geschaͤften auf der Ebene der Erfahrung gerade geraͤumig und hoch gnug war, sie zu uͤbersehen, daß aber iene kuͤhne Unternehmung aus Mangel an Stoff fehlschlagen mußte, ohne einmal auf die Sprachverwirrung zu rechnen, welche die Arbeiter uͤber den Plan unvermeidlich entzweien und sie in alle Welt zer- streuen mußte, um sich, ein ieder nach seinem Entwurfe, besonders anzubauen. Jezt ist es uns nicht so wol um die Materialien, als vielmehr um den Plan zu thun und, indem wir gewarnet sind, es nicht auf einen beliebigen blinden Entwurf, der vielleicht unser ganzes Vermoͤgen uͤbersteigen koͤnte, zu wagen, gleichwol doch von der Er- richtung eines festen Wohnsitzes nicht wol abstehen koͤn- nen, den Anschlag zu einem Gebaͤude in Verhaͤltniß auf den Vorrath, der uns gegeben und zu gleich unserem Beduͤrfniß angemessen ist, zu machen. Ich verstehe also unter der transscendentalen Metho- denlehre, die Bestimmung der formalen Bedingungen eines Y y 2 voll- Methodenlehre I. Hauptstuͤck vollstaͤndigen Systems der reinen Vernunft. Wir werden es in dieser Absicht mit einer Disciplin, einem Canon, einer Architectonik, endlich einer Geschichte der reinen Vernunft zu thun haben und dasienige in transscendentaler Absicht leisten, was, unter dem Nahmen einer practischen Logik, in Ansehung des Gebrauchs des Verstandes uͤber- haupt in den Schulen gesucht, aber schlecht geleistet wird; weil, da die allgemeine Logik auf keine besondere Art der Verstandeserkentniß (z. B. nicht auf die reine), auch nicht auf gewisse Gegenstaͤnde eingeschraͤnkt ist, sie, ohne Kent- nisse aus anderen Wissenschaften zu borgen, nichts mehr thun kan, als Titel zu moͤglichen Methoden und techni- sche Ausdruͤcke, deren man sich in Ansehung des Systema- tischen in allerley Wissenschaften bedient, vorzutragen, die den Lehrling zum voraus mit Nahmen bekant machen, de- ren Bedeutung und Gebrauch er kuͤnftig allererst soll ken- nen lernen. Der Transscendentalen Methodenlehre Erstes Hauptstuͤck . Die Disciplin der reinen Vernunft. D ie negativen Urtheile, die es nicht blos der logischen Form, sondern auch dem Inhalte nach sind, stehen bey der Wißbegierde der Menschen in keiner sonderlichen Achtung; man sieht sie wol gar als neidische Feinde unse- res unablaͤssig zur Erweiterung strebenden Erkentnißtriebes an Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. an und es bedarf beinahe einer Apologie, um ihnen nur Duldung und noch mehr, um ihnen Gunst und Hochschaͤ- tzung zu verschaffen. Man kan zwar logisch alle Saͤtze, die man will, negativ ausdruͤcken, in Ansehung des Inhalts aber unse- rer Erkentniß uͤberhaupt, ob sie durch ein Urtheil er- weitert, oder beschraͤnkt wird, haben die verneinende das eigenthuͤmliche Geschaͤfte, lediglich den Irrthum abzuhal- ten . Daher auch negative Saͤtze, welche eine falsche Er- kentniß abhalten sollen, wo doch niemals ein Irrthum moͤglich ist, zwar sehr wahr, aber doch leer, d. i. ihrem Zwecke gar nicht angemessen und eben darum oft laͤcherlich seyn. Wie der Satz ienes Schulredners: daß Alexander, ohne Kriegsheer, keine Laͤnder haͤtte erobern koͤnnen. Wo aber die Schranken unserer moͤglichen Erkent- niß sehr enge, der Anreitz zum Urtheilen groß, der Schein, der sich darbietet, sehr betruͤglich und der Nachtheil aus dem Irrthum erheblich ist, da hat das Negative der Un- terweisung, welches blos dazu dient, um uns vor Irr- thuͤmer zu verwahren, noch mehr Wichtigkeit, als man- che positive Belehrung, dadurch unser Erkentniß Zuwachs bekommen koͤnte. Man nennet den Zwang, wodurch der bestaͤndige Hang von gewissen Regeln abzuweichen, ein- geschraͤnkt und endlich vertilget wird, die Disciplin . Sie ist von der Cultur unterschieden, welche blos eine Fer- tigkeit verschaffen soll, ohne eine andere, schon vorhande- ne, dagegen aufzuheben. Zu der Bildung eines Talents, Y y 3 wel- Methodenlehre I. Hauptstuͤck. welches schon vor sich selbst einen Antrieb zur Aeusserung hat, wird also die Disciplin einen negativen, Ich weiß wol: daß man in der Schulsprache den Nahmen der Disciplin mit dem der Unterweisung gleichgeltend zu brauchen pflegt. Allein, es giebt dagegen so viele andere Faͤlle, da der erstere Ausdruck, als Zucht , von dem zweiten, als Belehrung , sorgfaͤltig unterschieden wird, und die Natur der Dinge erheischt es auch selbst, vor diesen Unterschied die einzige schickliche Ausdruͤcke aufzu- bewahren, daß ich wuͤnsche, man moͤge niemals erlauben, ienes Wort in anderer als negativer Bedeutung zu brauchen. die Cultur aber und Doctrin einen positiven Beitrag leisten. Daß das Temperament, imgleichen daß Talente, die sich gern eine freie und uneingeschraͤnkte Bewegung erlauben, (als Einbildungskraft und Witz), in mancher Absicht einer Disciplin beduͤrfen, wird iederman leicht zuge- ben. Daß aber die Vernunft, der es eigentlich obliegt, allen anderen Bestrebungen ihre Disciplin vorzuschreiben, selbst noch eine solche noͤthig habe, das mag allerdings be- fremdlich scheinen, und in der That ist sie auch einer sol- chen Demuͤthigung eben darum bisher entgangen, weil, bey der Feierlichkeit und dem gruͤndlichen Anstande, wo- mit sie auftritt, niemand auf den Verdacht eines leicht- sinnigen Spiels, mit Einbildungen statt Begriffen, und Worten statt Sachen, leichtlich gerathen konte. Es bedarf keiner Critik der Vernunft im empirischen Gebrauche, weil ihre Grundsaͤtze am Probierstein der Er- fahrung Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. fahrung einer continuirlichen Pruͤfung unterworfen werden, imgleichen auch nicht in der Mathematik, wo ihre Begriffe an der reinen Anschauung so fort in concreto dargestellet werden muͤssen, und iedes Ungegruͤndete und Willkuͤhrli- che dadurch alsbald offenbar wird. Wo aber weder em- pirische noch reine Anschauung die Vernunft in einem sicht- baren Gleise halten, nemlich in ihrem transscendentalen Gebrauche, nach blossen Begriffen, da bedarf sie so gar sehr einer Disciplin, die ihren Hang zur Erweiterung, uͤber die enge Graͤnzen moͤglicher Erfahrung, baͤn- dige, und sie von Ausschweifung und Irrthum abhalte, daß auch die ganze Philosophie der reinen Vernunft blos mit diesem negativen Nutzen zu thun hat. Einzelnen Verirrungen kan durch Censur und den Ursachen dersel- ben durch Critik abgeholfen werden. Wo aber, wie in der reinen Vernunft, ein ganzes System von Taͤuschungen und Blendwerken angetroffen wird, die unter sich wol ver- bunden und unter gemeinschaftlichen Principien vereinigt sind, da scheint eine ganz eigene und zwar negative Gesetz- gebung erforderlich zu seyn, welche unter dem Nahmen ei- ner Disciplin aus der Natur der Vernunft und der Ge- genstaͤnde ihres reinen Gebrauchs gleichsam ein System der Vorsicht und Selbstpruͤfung errichte, vor welchem kein falscher vernuͤnftelnder Schein bestehen kan, sondern sich sofort, unerachtet aller Gruͤnde seiner Beschoͤnigung, verra- then muß. Y y 4 Es Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. Es ist aber wol zu merken: daß ich in diesem zwei- ten Hauptheile der transscendentalen Critik die Disciplin der reinen Vernunft nicht auf den Inhalt, sondern blos auf die Methode der Erkentniß aus reiner Vernunft richte. Das erstere ist schon in der Elementarlehre geschehen. Es hat aber der Vernunftgebrauch so viel Aehnliches, auf wel- chen Gegenstand er auch angewandt werden mag, und ist doch, so fern er transscendental seyn soll, zugleich von allem anderen so wesentlich unterschieden, daß, ohne die warnende Negativlehre einer besonders darauf gestellten Disciplin, die Irrthuͤmer nicht zu verhuͤten sind, die aus einer unschicklichen Befolgung solcher Methoden, die zwar sonst der Vernunft, aber nur nicht hier wol anpassen, nothwendig entspringen muͤssen. Des ersten Hauptstuͤcks Erster Abschnitt. Die Disciplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche . D ie Mathematik giebt das glaͤnzendste Beispiel, einer sich ohne Beihuͤlfe der Erfahrung, von selbst gluͤck- lich erweiternden reinen Vernunft. Beispiele sind an- steckend, vornemlich vor dasselbe Vermoͤgen, welches sich natuͤrlicherweise schmeichelt, eben dasselbe Gluͤck in anderen Faͤllen zu haben, welches ihm in einem Falle zu Theil worden. Daher hofft reine Vernunft im transscendentalen Ge- Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. Gebrauche sich eben so gluͤcklich und gruͤndlich erweitern zu koͤnnen, als es ihr im mathematischen gelungen ist, wenn sie vornemlich dieselbe Methode dort anwendet, die hier von so augenscheinlichem Nutzen gewesen ist. Es liegt uns also viel daran, zu wissen: ob die Methode, zur apo- dictischen Gewißheit zu gelangen, die man in der lezteren Wissenschaft mathematisch nent, mit derienigen einerley sey, womit man eben dieselbe Gewißheit in der Philoso- phie sucht, und die daselbst dogmatisch genant werden muͤßte. Die philosophische Erkentniß ist die Vernunfter- kentniß aus Begriffen , die mathematische aus der Con- struction der Begriffe. Einen Begriff aber construiren heißt: die ihm correspondirende Anschauung a priori dar- stellen. Zur Construction eines Begriffs wird also eine nicht empirische Anschauung erfordert, die folglich, als Anschauung, ein einzelnes Obiect ist, aber nichts desto- weniger als die Construction eines Begriffs (einer allge- meinen Vorstellung), Allgemeinguͤltigkeit vor alle moͤgliche Anschauungen, die unter denselben Begriff gehoͤren, in der Vorstellung ausdruͤcken muß. So construire ich einen Triangel, indem ich den, diesem Begriffe entsprechenden Gegenstand, entweder durch blosse Einbildung, in der rei- nen, oder nach derselben auch auf dem Papier, in der empirischen Anschauung, beide male aber voͤllig a priori, ohne das Muster dazu aus irgend einer Erfahrung geborgt zu haben, darstelle. Die einzelne hingezeichnete Figur ist Y y 5 empi- Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. empirisch, und dient gleichwol den Begriff, unbeschadet seiner Allgemeinheit, auszudruͤcken, weil bey dieser empi- rischen Anschauung, immer nur auf die Handlung der Construction des Begriffs , welchem viele Bestimmungen, z. E. der Groͤsse, der Seiten und der Winkel, ganz gleich- guͤltig sind, gesehen und also von diesen Verschiedenheiten, die den Begriff des Triangels nicht veraͤndern, abstrahirt wird. Die philosophische Erkentniß betrachtet also das Be- sondere nur im Allgemeinen, die mathematische das All- gemeine im Besonderen, ia gar im Einzelnen, gleichwol doch a priori und vermittelst der Vernunft, so daß, wie dieses Einzelne unter gewissen allgemeinen Bedingungen der Construction bestimt ist, eben so der Gegenstand des Begriffs, dem dieses Einzelne nur als sein Schema corre- spondirt, allgemein bestimt gedacht werden muß. In dieser Form besteht also der wesentliche Unter- schied dieser beiden Arten der Vernunfterkentniß, und be- ruhet nicht auf dem Unterschiede ihrer Materie, oder Ge- genstaͤnde. Dieienige, welche Philosophie von Mathema- tik dadurch zu unterscheiden vermeineten, daß sie von iener sagten, sie habe blos die Qualitaͤt , diese aber nur die Quantitaͤt zum Obiect, haben die Wirkung vor die Ur- sache genommen. Die Form der mathematischen Erkent- niß ist die Ursache, daß diese lediglich auf Quanta gehen kan. Denn nur der Begriff von Groͤssen laͤßt sich con- struiren, d. i. a priori in der Anschauung darlegen, Qua- litaͤ- Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. l itaͤten aber lassen sich in keiner anderen, als empirischen Anschauung darstellen. Daher kan eine Vernunfterkent- niß derselben nur durch Begriffe moͤglich seyn. So kan niemand eine dem Begriff der Realitaͤt correspondirende Anschauung anders woher, als aus der Erfahrung neh- men, niemals aber a priori aus sich selbst und vor dem empirischen Bewustseyn derselben theilhaftig werden. Die conische Gestalt wird man ohne alle empirische Beihuͤlfe, blos nach dem Begriffe, anschauend machen koͤnnen, aber die Farbe dieses Kegels, wird in einer oder anderer Erfah- rung zuvor gegeben seyn muͤssen. Den Begriff einer Ur- sache uͤberhaupt kan ich auf keine Weise in der Anschauung darstellen, als an einem Beispiele, das mir Erfahrung an die Hand giebt, u. s. w. Uebrigens handelt die Phi- losophie eben sowol von Groͤssen, als die Mathematik, z. B. von der Totalitaͤt, der Unendlichkeit u. s. w. Die Mathematik beschaͤftiget sich auch mit dem Unterschiede der Linien und Flaͤchen, als Raͤumen, von verschiedener Quali- taͤt, mit der Continuitaͤt der Ausdehnung, als einer Qua- litaͤt derselben. Aber, obgleich sie in solchen Faͤllen, einen gemeinschaftlichen Gegenstand haben, so ist die Art, ihn durch die Vernunft zu behandeln, doch ganz anders in der philosophischen, als mathematischen Betrachtung. Jene haͤlt sich blos an allgemeinen Begriffen, diese kan mit dem blossen Begriffe nichts ausrichten, sondern eilt sogleich zur Anschauung, in welcher sie den Begriff in concreto be- trachtet, aber doch nicht empirisch, sondern blos in einer sol- Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. solchen, die sie a priori darstellet, d. i. construiret hat, und in welcher dasienige, was aus den allgemeinen Be- dingungen der Construction folgt, auch von dem Obiecte des construirten Begriffs allgemein gelten muß. Man gebe einem Philosophen den Begriff eines Trian- gels und lasse ihn nach seiner Art ausfuͤndig machen, wie sich wol die Summe seiner Winkel zum rechten verhalten moͤge. Er hat nun nichts als den Begriff von einer Figur, die in drey geraden Linien eingeschlossen ist, und an ihr den Begriff von eben so viel Winkeln. Nun mag er diesem Begriffe nachdenken, so lange er will, er wird nichts Neues heraus bringen. Er kan den Begriff der geraden Linie, oder eines Winkels, oder der Zahl drey zergliedern und deutlich machen, aber nicht auf andere Eigenschaften kommen, die in diesen Begriffen gar nicht liegen. Allein der Geometer nehme diese Frage vor. Er faͤngt sofort da- von an, einen Triangel zu construiren. Weil er weis, daß zwey rechte Winkel zusammen gerade so viel austra- gen, als alle beruͤhrende Winkel, die aus einem Puncte auf einer graden Linie gezogen werden koͤnnen, zusammen, so verlaͤngert er eine Seite seines Triangels und bekomt zwey beruͤhrende Winkel, die zweien rechten zusammen gleich seyn. Nun theilet er den aͤusseren von diesen Win- keln, indem er eine Linie mit der gegenuͤberstehenden Seite des Triangels parallel zieht, und sieht, daß hier ein aͤus- serer beruͤhrender Winkel entspringe, der einem inneren gleich ist, u. s. w. Er gelangt auf solche Weise durch eine Kette Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. Kette von Schluͤssen, immer von der Anschauung geleitet, zur voͤllig einleuchtenden und zugleich allgemeinen Aufloͤsung der Frage. Die Mathematik aber construiret nicht blos Groͤssen, (Quanta), wie in der Geometrie, sondern auch die blosse Groͤsse (Quantitatem) , wie in der Buchstabenrechnung, wobey sie von der Beschaffenheit des Gegenstandes, der nach einem solchen Groͤssenbegriff gedacht werden soll, gaͤnz- lich abstrahirt. Sie waͤhlt sich alsdenn eine gewisse Be- zeichnung aller Constructionen von Groͤssen uͤberhaupt (Zah- len, als der Addition, Subtraction u. s. w.), Ausziehung der Wurzel und, nachdem sie den allgemeinen Begriff der Groͤssen nach den verschiedenen Verhaͤltnissen derselben auch bezeichnet hat, so stellet sie alle Behandlung, die durch die Groͤsse erzeugt und veraͤndert wird, nach gewis- sen allgemeinen Regeln in der Anschauung dar: wo eine Groͤsse durch die andere dividiret werden soll, sezt sie bei- der ihre Charactere nach der bezeichnenden Form der Di- vision zusammen u. s. w. und gelangt also vermittelst einer symbolischen Construction eben so gut, wie die Geometrie nach einer ostensiven oder geometrischen (der Gegenstaͤnde selbst) dahin, wohin die discursive Erkentniß vermittelst blosser Begriffe niemals gelangen koͤnte. Was mag die Ursache dieser so verschiedenen Lage seyn, darin sich zwey Vernunftkuͤnstler befinden, deren der eine seinen Weg nach Begriffen, der andere nach An- schauungen nimt, die er a priori den Begriffen gemaͤß dar- stellet. Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. stellet. Nach den oben vorgetragenen transscendentalen Grundlehren ist diese Ursache klar. Es komt hier nicht auf analytische Saͤtze an, die durch blosse Zergliederung der Begriffe erzeugt werden koͤnnen, (hierin wuͤrde der Philo- soph ohne Zweifel den Vortheil uͤber seinen Nebenbuhler haben), sondern auf synthetische und zwar solche, die a priori sollen erkant werden. Denn ich soll nicht auf das- ienige sehen, was ich in meinem Begriffe vom Triangel wirklich denke, (dieses ist nichts weiter, als die blosse Defi- nition), vielmehr soll ich uͤber ihn zu Eigenschaften, die in diesem Begriffe nicht liegen, aber doch zu ihm gehoͤren, hinausgehen. Nun ist dieses nicht anders moͤglich, als daß ich meinen Gegenstand nach den Bedingungen, ent- weder der empirischen Anschauung, oder der reinen An- schauung bestimme. Das erstere wuͤrde nur einen empi- rischen Satz (durch Messen seiner Winckel), der keine All- gemeinheit, noch weniger Nothwendigkeit enthielte, ab- geben und von dergleichen ist gar nicht die Rede. Das zweite Verfahren aber ist die mathematische und zwar hier die geometrische Construction, vermittelst deren ich in einer reinen Anschauung, eben so, wie in der empirischen, das Mannigfaltige, was zu dem Schema eines Triangels uͤber- haupt, mithin zu seinem Begriffe gehoͤret, hinzusetze, wo- durch allerdings allgemeine synthetische Saͤtze werden muͤssen. Ich wuͤrde also umsonst uͤber den Triangel philoso- phiren, d. i. discursiv nachdenken, ohne dadurch im min- desten Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. desten weiter zu kommen, als auf die blosse Definition, von der ich aber billig anfangen muͤßte. Es giebt zwar eine transscendentale Synthesis aus lauter Begriffen, die wiederum allein dem Philosophen gelingt, die aber nie- mals mehr als ein Ding uͤberhaupt betrift, unter welchen Bedingungen dessen Wahrnehmung zur moͤglichen Erfah- rung gehoͤren koͤnne. Aber in den mathematischen Aufga- ben ist hievon und uͤberhaupt von der Existenz gar nicht die Frage, sondern von den Eigenschaften der Gegenstaͤnde an sich selbst, lediglich so fern diese mit dem Begriffe der- selben verbunden sind. Wir haben in dem angefuͤhrten Beispiele nur deut- lich zu machen gesucht, welcher grosse Unterschied zwischen dem discursiven Vernunftgebrauch nach Begriffen und dem intuitiven durch die Construction der Begriffe anzutreffen sey. Nun fraͤgts sich natuͤrlicher Weise, was die Ursache sey, die einen solchen zwiefachen Vernunftgebrauch noth- wendig macht, und an welchen Bedingungen man erken- nen koͤnne, ob nur der erste, oder auch der zweite statt finde. Alle unsere Erkentniß bezieht sich doch zulezt auf moͤgliche Anschauungen: denn durch diese allein wird ein Gegenstand gegeben. Nun enthaͤlt ein Begriff a priori (ein nicht empirischer Begriff) entweder schon eine reine Anschauung in sich, und alsdenn kan er construirt wer- den, oder nichts, als die Synthesis moͤglicher Anschauun- gen, die a priori nicht gegeben sind, und alsdenn kan man wol Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. wol zwar durch ihn synthetisch und a priori urtheilen, aber nur discursiv, nach Begriffen, niemals aber intui- tiv durch die Construction des Begriffes. Nun ist von aller Anschauung keine a priori gege- ben, als die blosse Form der Erscheinungen, Raum und Zeit und ein Begriff von diesen, als Quantis, laͤßt sich ent- weder zugleich mit der Qualitaͤt derselben (ihre Gestalt), oder auch blos ihre Quantitaͤt (die blosse Synthesis des Gleichartigmannigfaltigen) durch Zahl a priori in der An- schauung darstellen, d. i. construiren. Die Materie aber der Erscheinungen, wodurch uns Dinge im Raume und der Zeit gegeben werden, kan nur in der Wahrnehmung, mithin a posteriori vorgestellet werden. Der einzige Be- griff, der a priori diesen empirischen Gehalt der Erschei- nungen vorstellt, ist der Begriff des Dinges uͤberhaupt, und die synthetische Erkentniß von demselben a priori kan nichts weiter, als die blosse Regel der Synthesis desieni- gen, was die Wahrnehmung a posteriori geben mag, nie- mals aber die Anschauung des realen Gegenstandes a priori liefern, weil diese nothwendig empirisch seyn muß. Synthetische Saͤtze, die auf Dinge uͤberhaupt, de- ren Anschauung sich a priori gar nicht geben laͤßt, gehen, sind transscendental. Demnach lassen sich transscenden- tale Saͤtze niemals durch Construction der Begriffe, son- dern nur nach Begriffen a priori geben. Sie enthalten blos die Regel, nach der eine gewisse synthetische Einheit desienigen, was nicht a priori anschaulich vorgestellt wer- den Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. den kan, (der Wahrnehmungen), empirisch gesucht wer- den soll. Sie koͤnnen aber keinen einzigen ihrer Begriffe a priori in irgend einem Falle darstellen, sondern thun dieses nur a posteriori, vermittelst der Erfahrung, die nach ienen synthetischen Grundsaͤtzen allererst moͤglich wird. Wenn man von einem Begriffe synthetisch urtheilen soll, so muß man aus diesem Begriffe hinausgehen, und zwar zur Anschauung, in welcher er gegeben ist. Denn bliebe man bey dem stehen, was im Begriffe enthalten ist, so waͤre das Urtheil blos analytisch und eine Erklaͤ- rung des Gedanken, nach demienigen, was wirklich in ihm enthalten ist. Ich kan aber von dem Begriffe zu der ihm correspondirenden reinen, oder empirischen Anschauung ge- hen, um ihn in derselben in concreto zu erwaͤgen und, was dem Gegenstande desselben zukomt, a priori oder a posteriori zu erkennen. Das erstere ist die rationale und mathematische Erkentniß durch die Construction des Be- griffs, das zweite die blosse empirische (mechanische) Er- kentniß, die niemals nothwendige und apodictische Saͤtze geben kan. So koͤnte ich meinen empirischen Begriff vom Golde zergliedern, ohne dadurch etwas weiter zu gewin- nen, als alles, was ich bey diesem Worte wirklich denke, herzaͤhlen zu koͤnnen, wodurch in meinem Erkentniß zwar eine logische Verbesserung vorgeht, aber keine Vermehrung oder Zusatz erworben wird. Ich nehme aber die Mate- rie, welche unter diesem Nahmen vorkomt, und stelle mit ihr Wahrnehmungen an, welche mir verschiedene synthe- Z z tische, Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. tische, aber empirische Saͤtze an die Hand geben werden. Den mathematischen Begriff eines Triangels wuͤrde ich con- struiren, d. i. a priori in der Anschauung geben und auf diesem Wege eine synthetische, aber rationale Erkentniß bekommen. Aber, wenn mir der transscendentale Be- griff einer Realitaͤt, Substanz, Kraft ꝛc. gegeben ist, so bezeichnet er weder eine empirische, noch reine Anschauung, sondern lediglich die Synthesis der empirischen Anschauun- gen (die also a priori nicht gegeben werden koͤnnen), und es kan also aus ihm, weil die Synthesis nicht a priori zu der Anschauung, die ihm correspondirt, hinausgehen kan, auch kein bestimmender synthetischer Satz, sondern nur ein Grundsatz der Synthesis Vermittelst des Begriffs der Ursache gehe ich wirklich aus dem empirischen Begriffe von einer Begebenheit (da etwas geschieht) heraus, aber nicht zu der Anschauung, die den Begriff der Ursache in concreto darstellt, sondern zu den Zeitbedingungen uͤberhaupt, die in der Erfahrung dem Begriffe der Ursache gemaͤß gefunden werden moͤch- ten. Ich verfahre also blos nach Begriffen und kan nicht durch Construction der Begriffe verfahren, weil der Be- griff eine Regel der Synthesis der Wahrnehmungen ist, die keine reine Anschauungen sind, und sich also a priori nicht geben lassen. moͤglicher empirischer An- schauungen entspringen. Also ist ein transscendentaler Satz ein synthetisches Vernunfterkentniß nach blossen Be- griffen und mithin discursiv, indem dadurch alle syntheti- sche Einheit der empirischen Erkentniß allererst moͤglich, keine Anschauung aber dadurch a priori gegeben wird. So Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. So giebt es denn einen doppelten Vernunftgebrauch, der, unerachtet der Allgemeinheit der Erkentniß und ihrer Erzeugung a priori, welche sie gemein haben, dennoch im Fortgange sehr verschieden ist, und zwar darum, weil in der Erscheinung, als wodurch uns alle Gegenstaͤnde gegeben werden, zwey Stuͤcke sind: die Form der Anschauung (Raum und Zeit), die voͤllig a priori erkant und bestimt werden kan, und die Materie (das Physische) oder der Sehalt, welcher ein Etwas be- deutet, das im Raume und der Zeit angetroffen wird, mithin ein Daseyn enthaͤlt und der Empfindung correspon- dirt. In Ansehung des lezteren, welches niemals anders auf bestimte Art, als empirisch gegeben werden kan, koͤn- nen wir nichts a priori haben, als unbestimte Begriffe der Synthesis moͤglicher Empfindungen, so fern sie zur Einheit der Apperception (in einer moͤglichen Erfahrung) gehoͤren. In Ansehung der erstern koͤnnen wir unsere Be- griffe in der Anschauung a priori bestimmen, indem wir uns im Raume und der Zeit die Gegenstaͤnde selbst durch gleichfoͤrmige Synthesis schaffen, indem wir sie blos als Quanta betrachten. Jener heißt der Vernunftgebrauch nach Begriffen, indem wir nichts weiter thun koͤnnen, als Erscheinungen dem realen Inhalte nach unter Begriffe zu bringen, welche darauf nicht anders als empirisch, d. i. a posteriori, (aber ienen Begriffen als Regeln einer em- pirischen Synthesis gemaͤß) koͤnnen bestimt werden; die- ser ist der Vernunftgebrauch durch Construction der Be- Z z 2 griffe, Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. griffe, indem diese, da sie schon auf eine Anschauung a priori gehen, auch eben darum a priori und ohne alle em- pirische data in der reinen Anschauung bestimt gegeben wer- den koͤnnen. Alles, was da ist(ein Ding im Raum oder der Zeit) zu erwaͤgen, ob und wie fern es ein Quantum ist oder nicht, daß ein Daseyn in demselben oder Mangel vorgestellt werden muͤsse, wie fern dieses Etwas (welches Raum oder Zeit erfuͤllt), ein erstes Substratum, oder blosse Bestimmung sey, eine Beziehung seines Daseyns auf etwas Anderes, als Ursache, oder Wirkung habe, und endlich isolirt oder in wech- selseitiger Abhaͤngigkeit mit andern in Ansehung des Daseyns stehe, die Moͤglichkeit dieses Daseyns, die Wirklichkeit und Nothwendigkeit, oder die Gegentheile derselben zu erwaͤ- gen: dieses alles gehoͤret zum Vernunfterkentniß aus Begriffen, welches philosophisch genant wird. Aber im Raume eine Anschauung a priori zu bestimmen (Gestalt), die Zeit zu theilen (Tauer), oder blos das Allgemeine der Synthesis von einem und demselben in der Zeit und dem Raume und die daraus entspringende Groͤsse einer Anschauung uͤberhaupt (Zahl) zu erkennen, das ist ein Vernunftgeschaͤfte durch Construction der Begriffe und heißt mathematisch . Das grosse Gluͤck, welches die Vernunft vermittelst der Mathematik macht, bringt ganz natuͤrlicher Weise die Vermuthung zu Wege: daß es, wo nicht ihr selbst, doch ihrer Methode auch ausser dem Felde der Groͤssen, ge- lingen werde, indem sie alle ihre Begriffe auf Anschauun- gen Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. gen bringt, die sie a priori geben kan und wodurch sie, so zu reden, Meister uͤber die Natur wird: da hingegen reine Philosophie mit discursiven Begriffen a priori in der Natur herum pfuscht, ohne die Realitaͤt derselben a priori anschauend und eben dadurch beglaubigt machen zu koͤn- nen. Auch scheint es den Meistern in dieser Kunst an die- ser Zuversicht zu sich selbst und dem gemeinen Wesen an grossen Erwartungen von ihrer Geschicklichkeit, wenn sie sich einmal hiemit befassen solten, gar nicht zu fehlen. Denn da sie kaum iemals uͤber ihre Mathematik philosophirt haben, (ein schweres Geschaͤfte), so komt ihnen der speci- fische Unterschied des einen Vernunftgebrauchs von dem an- dern gar nicht in Sinn und Gedanken. Gangbare und empirisch gebrauchte Regeln, die sie von der gemeinen Vernunft borgen, gelten ihnen denn statt Axiomen. Wo ihnen die Begriffe von Raum und Zeit, womit sie sich (als den einzigen urspruͤnglichen Quantis) beschaͤftigen, herkommen moͤgen, daran ist ihnen gar nichts gelegen und eben so scheint es ihnen unnuͤtz zu seyn, den Ursprung rei- ner Verstandesbegriffe und hiemit auch den Umfang ihrer Guͤltigkeit zu erforschen, sondern nur sich ihrer zu bedie- nen. In allem diesen thun sie ganz recht, wenn sie nur ihre angewiesene Graͤnze, nemlich die der Natur nicht uͤberschreiten. So aber gerathen sie unvermerkt, von dem Felde der Sinnlichkeit, auf den unsicheren Boden reiner und selbst transscendentaler Begriffe, wo der Grund (in- stabilis tellus, innabilis unda) ihnen weder zu stehen, Z z 3 noch Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. noch zu schwimmen erlaubt und sich nur fluͤchtige Schritte thun lassen, von denen die Zeit nicht die mindeste Spur aufbehaͤlt, da hingegen ihr Gang in der Mathematik eine Heeresstrasse macht, welche noch die spaͤteste Nachkommen- schaft mit Zuversicht betreten kan. Da wir es uns zur Pflicht gemacht haben, die Graͤnzen der reinen Vernunft im transscendentalen Ge- brauche genau und mit Gewißheit zu bestimmen, diese Art der Bestrebung aber das besondere an sich hat, uner- achtet der nachdruͤklichsten und klaͤresten Warnungen, sich noch immer durch Hofnung hinhalten zu lassen, ehe man den Anschlag gaͤnzlich aufgiebt, uͤber Graͤnzen der Erfah- rungen hinaus in die reitzende Gegenden des Intellectuel- len zu gelangen: so ist es nothwendig, noch gleichsam den lezten Anker einer phantasiereichen Hoffnung wegzunehmen und zu zeigen, daß die Befolgung der mathematischen Methode in dieser Art Erkentniß nicht den mindesten Vor- theil schaffen koͤnne, es muͤßte denn der seyn, die Bloͤssen ihrer selbst desto deutlicher aufzudecken, daß Meßkunst und Philosophie zwey ganz verschiedene Dinge seyn, ob sie sich zwar in der Naturwissenschaft einander die Hand bieten, mithin das Verfahren des einen niemals von dem andern nachgeahmt werden koͤnne. Die Gruͤndlichkeit der Mathematik beruht auf De- finitionen, Axiomen, Demonstrationen. Ich werde mich damit begnuͤgen, zu zeigen: daß keines dieser Stuͤcke in dem Sinne, darin sie der Mathematiker nimt, von der Phi- Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. Philosophie koͤnne geleistet, noch nachgeahmet werden. Daß der Meßkuͤnstler, nach seiner Methode, in der Philosophie nichts als Kartengebaͤude zu Stande bringe, der Philosoph nach der seinigen in dem Antheil der Mathematik nur ein Geschwaͤtz erregen koͤnne, wiewol eben darin Philosophie besteht, seine Graͤnzen zu kennen, und selbst der Mathema- tiker, wenn das Talent desselben nicht etwa schon von der Natur begraͤnzt und auf sein Fach eingeschraͤnkt ist, die Warnungen der Philosophie nicht ausschlagen, noch sich uͤber sie wegsetzen kan. 1. Von den Definitionen. Definiren soll, wie es der Ausdruck selbst giebt, eigentlich nur so viel bedeuten, als, den ausfuͤhrlichen Begriff eines Dinges innerhalb seinen Graͤnzen urspruͤnglich darstellen Ausfuͤhrlichkeit bedeutet die Klarheit und Zulaͤnglichkeit der Merkmale, Graͤnzen die Praͤcision, daß deren nicht mehr sind, als zum ausfuͤhrlichen Begriffe gehoͤren, ur- spruͤnglich aber, daß diese Graͤnzbestimmung nicht irgend woher abgeleitet sey und also noch eines Beweises beduͤrfe, welches die vermeintliche Erklaͤrung unfaͤhig machen wuͤr- de, an der Spitze aller Urtheile uͤber einen Gegenstand zu stehen. . Nach einer solchen Foderung kan ein empirischer Begriff gar nicht definirt, sondern nur explicirt werden. Denn, da wir an ihm nur einige Merkmale von einer gewissen Art Ge- genstaͤnde der Sinne haben, so ist es niemals sicher, ob man unter dem Worte, der denselben Gegenstand bezeich- net, nicht einmal mehr, das andere mal weniger Merk- Z z 4 male Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. male desselben denke. So kan der eine im Begriffe vom Golde sich ausser dem Gewichte, der Farbe, der Zaͤhigkeit, noch die Eigenschaft, daß es nicht rostet, denken, der an- dere davon vielleicht nichts wissen. Man bedient sich ge- wisser Merkmale nur so lange, als sie zum Unterscheiden hinreichend seyn; neue Bemerkungen dagegen nehmen welche weg und setzen einige hinzu, der Begriff steht also niemals zwischen sicheren Graͤnzen. Und wozu solte es auch dienen, einen solchen Begriff zu definiren, da, wenn z. B. von dem Wasser und dessen Eigenschaften die Rede ist, man sich bey dem nicht aufhalten wird, was man bey dem Worte Wasser denkt, sondern zu Versuchen schreitet und das Wort, mit den wenigen Merkmalen, die ihm anhaͤngen, nur eine Bezeichnung und nicht einen Begriff der Sache ausmachen soll, mithin die angebliche Defini- tion nichts anders als Wortbestimmung ist. Zweitens kan auch, genau zu reden, kein a priori gegebener Begriff de- finirt werden, z. B. Substanz, Ursache, Recht, Billig- keit ꝛc. Denn ich kan niemals sicher seyn: daß die deut- liche Vorstellung eines (noch verworren) gegebenen Begriffs ausfuͤhrlich entwickelt worden, als wenn ich weis, daß dieselbe dem Gegenstande adaͤquat sey. Da der Begriff desselben aber, so wie er gegeben ist, viel dunkele Vor- stellungen enthalten kan, die wir in der Zergliederung uͤbergehen, ob wir sie zwar in der Anwendung iederzeit brauchen: so ist die Ausfuͤhrlichkeit der Zergliederung mei- nes Begriffs immer zweifelhaft und kan nur durch viel- faͤltig Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. faͤltig zutreffende Beispiele vermuthlich, niemals aber apo- dictisch gewiß gemacht werden. Anstatt des Ausdrucks: Definition, wuͤrde ich lieber den der Exposition brauchen, der immer noch behutsam bleibt und bey dem der Critiker sie auf einen gewissen Grad gelten lassen und doch wegen der Ausfuͤhrlichkeit noch Bedenken tragen kan. Da also weder empirisch- noch a priori gegebene Begriffe definirt werden koͤnnen, so bleiben keine andere als willkuͤhrlich- gedachte uͤbrig, an denen man dieses Kunststuͤck versuchen kan. Meinen Begriff kan ich in solchem Falle iederzeit definiren; denn ich muß doch wissen, was ich habe den- ken wollen, da ich ihn selbst vorsezlich gemacht habe, und er mir weder durch die Natur des Verstandes, noch durch die Erfahrung gegeben worden, aber ich kan nicht sagen, daß ich dadurch einen wahren Gegenstand definirt habe. Denn, wenn der Begriff auf empirischen Bedingungen be- ruht, z. B. eine Schiffsuhr, so wird der Gegenstand und dessen Moͤglichkeit durch diesen willkuͤhrlichen Begriff noch nicht gegeben, ich weis daraus nicht einmal, ob er uͤberall einen Gegenstand habe, und meine Erklaͤrung kan besser eine Declaration (meines Proiects) als Definition eines Gegenstandes heissen. Also blieben keine andere Begriffe uͤbrig, die zum definiren t au gen, als solche, die eine will- kuͤhrliche Synthesis enthalten, welche a priori construirt werden kan, mithin hat nur die Mathematik Definitio- nen. Denn, den Gegenstand, den sie denkt, stellt sie auch a priori in der Anschauung dar und dieser kan sicher nicht Z z 5 mehr Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. mehr noch weniger enthalten, als der Begriff, weil durch die Erklaͤrung der Begriff von dem Gegenstande urspruͤng- lich, d. i. ohne die Erklaͤrung irgend wovon abzuleiten, gegeben wurde. Die deutsche Sprache hat vor die Aus- druͤcke der Exposition, Explication, Declaration und Definition nichts mehr, als das eine Wort: Erklaͤrung, und daher muͤssen wir schon von der Strenge der Foderung, da wir nemlich den philosophischen Erklaͤrungen den Ehren- nahmen der Definition verweigerten, etwas ablassen und wollen diese ganze Anmerkung darauf einschraͤnken: daß philosophische Definitionen nur als Expositionen gegebener, mathematische aber als Constructionen urspruͤnglich gemach- ter Begriffe, iene nur analytisch durch Zergliederung (de- ren Vollstaͤndigkeit nicht apodictisch gewiß ist), diese syn- thetisch zu Stande gebracht werden, und also den Begriff selbst machen , dagegen die erstere ihn nur erklaͤren. Hier- aus folgt a) daß man es in der Philosophie der Mathema- tik nicht so nachthun muͤsse, die Definitionen voran zu schicken, als nur etwa zum blossen Versuche. Denn, da sie Zergliederungen gegebener Begriffe seyn, so gehen diese Begriffe, obzwar nur noch verworren, voran und die un- vollstaͤndige Exposition geht vor der vollstaͤndigen, so, daß wir aus einigen Merkmalen, die wir aus einer noch un- vollendeten Zergliederung gezogen haben, manches vorher schliessen koͤnnen, ehe wir zur vollstaͤndigen Exposition, d. i. der Definition gelangt sind, mit einem Worte, daß in der Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. der Philosophie die Definition, als abgemessene Deutlich- keit, das Werk eher schliessen, als anfangen muͤsse Die Philosophie wimmelt von fehlerhaften Definitionen, vornehmlich solchen, die zwar wirklich Elemente zur De- finition, aber noch nicht vollstaͤndig enthalten. Wuͤrde man nun eher gar nichts mit einem Begriffe anfangen koͤnnen, als bis man ihn definirt haͤtte, so wuͤrde es gar schlecht mit allem Philosophiren stehen. Da aber, so weit die Elemente (der Zergliederung) reichen, immer ein guter und sicherer Gebrauch davon zu machen ist, so koͤn- nen auch mangelhafte Definitionen, d. i. Saͤtze, die ei- gentlich noch nicht Definitionen, aber uͤbrigens wahr und also Annaͤherungen zu ihnen sind, sehr nuͤtzlich ge- braucht werden. In der Mathematik gehoͤret die Defi- nition ad esse, in der Philosophie ad melius esse . Es ist schoͤn, aber oft sehr schwer, dazu zu gelangen. Noch suchen die Juristen eine Definition zu ihrem Begriffe von Recht. . Da- gegen haben wir in der Mathematik gar keinen Begriff vor der Definition, als durch welche der Begriff allererst gegeben wird, sie muß also und kan auch iederzeit davon anfangen. b) Mathematische Definitionen koͤnnen niemals ir- ren. Denn, weil der Begriff durch die Definition zuerst gegeben wird, so enthaͤlt er gerade nur das, was die De- finition durch ihn gedacht haben will. Aber, obgleich den: Inhalte nach nichts Unrichtiges darin vorkommen kan, so kan doch bisweilen, obzwar nur selten, in der Form (der Einkleidung) gefehlt werden, nemlich in Ansehung der Praͤcision. So hat die gemeine Erklaͤrung der Kreislinie: daß sie eine krumme Linie sey, deren alle Puncte von einem eini- Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. einigen (dem Mittelpuncte) gleich weit abstehen, den Feh- ler, daß die Bestimmung krumm unnoͤthiger Weise einge- flossen ist. Denn es muß einen besonderen Lehrsatz ge- ben, der aus der Definition gefolgert wird und leicht be- wiesen werden kan: daß eine iede Linie, deren alle Puncte von einem einigen gleich weit abstehen, krumm, (kein Theil von ihr gerade) sey. Analytische Definitionen koͤnnen dagegen auf vielfaͤltige Art irren, entweder, indem sie Merkmale hineinbringen, die wirklich nicht im Begriffe lagen, oder an der Ausfuͤhrlichkeit ermangeln, die das wesentliche einer Definition ausmacht, weil man der Voll- staͤndigkeit seiner Zergliederung nicht so voͤllig gewiß seyn kan. Um deswillen laͤßt sich die Methode der Mathematik im Definiren in der Philosophie nicht nachahmen. 2. Von den Axiomen . Diese sind synthetische Grundsaͤtze a priori, so fern sie unmittelbar gewiß seyn. Nun laͤßt sich nicht ein Begriff mit dem anderen synthe- tisch und doch unmittelbar verbinden, weil, damit wir uͤber einen Begriff hinausgehen koͤnnen, ein drittes ver- mittelnde Erkentniß noͤthig ist. Da nun Philosophie, blos die Vernunfterkentniß nach Begriffen ist, so wird in ihr kein Grundsatz anzutreffen seyn, der den Nahmen eines Axioms verdiene. Die Mathematik dagegen ist der Axio- men faͤhig, weil sie vermittelst der Construction der Be- griffe in der Anschauung des Gegenstandes die Praͤdicate desselben a priori und unmittelbar verknuͤpfen kan, Z. B. daß drey Puncte iederzeit in einer Ebene liegen. Dage- gen Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. gen kan ein synthetischer Grundsatz blos aus Begriffen niemals unmittelbar gewiß seyn, z. B. der Satz: alles was geschieht hat seine Ursache, da ich mich nach einem dritten herumsehen muß, nemlich der Bedingung der Zeit- bestimmung in einer Erfahrung und nicht direct unmittel- bar aus den Begriffen allein einen solchen Grundsatz er- kennen konte. Discursive Grundsaͤtze sind also ganz etwas anderes, als intuitive, d. i. Axiomen. Jene erfodern iederzeit noch eine Deduction, deren die leztere ganz und gar entbehren koͤnnen und, da diese eben um desselben Grundes wegen evident sind, welches die philosophische Grundsaͤtze, bey aller ihrer Gewißheit, doch niemals vor- geben koͤnnen, so fehlt unendlich viel daran: daß irgend ein synthetischer Satz der reinen und transscendentalen Vernunft so augenscheinlich sey (wie man sich trotzig aus- zudruͤcken pflegt), als der Satz: daß zweymal zwey vier geben. Ich habe zwar in der Analytik, bey der Tafel der Grundsaͤtze des reinen Verstandes, auch gewisser Axio- men der Anschauung gedacht, allein der daselbst angefuͤhr- te Grundsatz war selbst kein Axiom, sondern diente nur dazu, das Principium der Moͤglichkeit der Axiomen uͤber- haupt anzugeben, und selbst nur ein Grundsatz aus Be- griffen. Denn so gar die Moͤglichkeit der Mathematik muß in der Transscendentalphilosophie gezeigt werden. Die Philosophie hat also keine Axiomen und darf niemals ihre Grundsaͤtze a priori so schlechthin gebieten, sondern muß sich Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. sich dazu bequemen, ihre Befugniß wegen derselben durch gruͤndliche Deduction zu rechtfertigen. 3. Von den Demonstrationen . Nur ein apodicti- scher Beweis, so fern er intuitiv ist, kan Demonstration heissen. Erfahrung lehrt uns wol, was da sey, aber nicht, daß es gar nicht anders seyn koͤnne. Daher koͤnnen em- pirische Beweisgruͤnde keinen apodictischen Beweis verschaf- fen. Aus Begriffen a priori (im discursiven Erkentnisse) kan aber niemals anschauende Gewißheit, d. i. Evidenz ent- springen, so sehr auch sonst das Urtheil apodictisch gewiß seyn mag. Nur die Mathematik enthaͤlt also Demonstra- tionen, weil sie nicht aus Begriffen, sondern der Constru- ction derselben, d. i. der Anschauung, die, den Begriffen entsprechend a priori gegeben werden kan, ihr Erkentniß ableitet. Selbst das Verfahren der Algeber mit ihren Gleichungen, aus denen sie durch Reduction die Wahrheit zusamt dem Beweise hervorbringt, ist zwar keine geome- trische, aber doch characteristische Construction, in welcher man an den Zeichen die Begriffe, vornemlich von dem Verhaͤltnisse der Groͤssen, in der Anschauung darlegt und, ohne einmal auf das hevristische zu sehen, alle Schluͤsse vor Fehlern dadurch sichert, daß ieder derselben vor Augen gestellt wird. Da hingegen das philosophische Erkentniß dieses Vortheils entbehren muß, indem es das Allgemeine iederzeit in abstracto (durch Begriffe) betrachten muß, indessen daß Mathematik das Allgemeine in concreto (in der einzelnen Anschauung) und doch durch reine Vorstel- lung Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. lung a priori erwaͤgen kan, wobey ieder Fehltritt sichtbar wird. Ich moͤchte die erstere daher lieber acroamatische (discursive) Beweise nennen, weil sie sich nur durch lau- ter Worte (den Gegenstand in Gedanken) fuͤhren lassen, als Demonstrationen , welche, wie der Ausdruck es schon anzeigt, in der Anschauung des Gegenstandes fortgehen. Aus allem diesem folgt nun: daß es sich vor die Natur der Philosophie gar nicht schicke, vornemlich im Felde der reinen Vernunft, mit einem dogmatischen Gange zu strotzen und sich mit den Titeln und Baͤndern der Ma- thematik auszuschmuͤcken, in deren Orden sie doch nicht ge- hoͤret, ob sie zwar auf schwesterliche Vereinigung mit der- selben zu hoffen alle Ursache hat. Jene sind eitele An- massungen, die niemals gelingen koͤnnen, vielmehr ihre Absicht ruͤckgaͤngig machen muͤssen, die Blendwerke einer ihre Graͤnzen verkennenden Vernunft zu entdecken und, ver- mittelst hinreichender Aufklaͤrung unserer Begriffe, den Ei- genduͤnkel der Speculation auf das bescheidene, aber gruͤnd- liche Selbsterkentniß zuruͤckzufuͤhren. Die Vernunft wird also in ihren transscendentalen Versuchen nicht so zuver- sichtlich vor sich hinsehen koͤnnen, gleich als wenn der Weg, den sie zuruͤckgelegt hat, so ganz gerade zum Ziele fuͤhre und auf ihre zum Grunde gelegte Praͤmissen nicht so muthig rechnen koͤnnen, daß es nicht noͤthig waͤre, oͤfters zuruͤck zu sehen und Acht zu haben, ob sich nicht etwa im Fort- gange der Schluͤsse Fehler entdecken, die in den Principien uͤber- Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch. uͤbersehen worden und es noͤthig machen, sie entweder mehr zu bestimmen, oder ganz abzuaͤndern. Ich theile alle apodictische Saͤtze (sie moͤgen nun er- weislich oder auch unmittelbar gewiß seyn) in Dogmata und Mathemata ein. Ein directsynthetischer Satz aus Begriffen ist ein Dogma , dagegen ein dergleichen Satz, durch Construction der Begriffe, ist ein Mathema . Ana- lytische Urtheile lehren uns eigentlich nichts mehr vom Ge- genstande, als was der Begriff, den wir von ihm haben, schon in sich enthaͤlt, weil sie die Erkentniß uͤber den Be- griff des Subiects nicht erweitern, sondern diesen nur er- laͤutern. Sie koͤnnen daher nicht fuͤglich Dogmen heissen (welches Wort man vielleicht durch Lehrspruͤche uͤbersetzen koͤnte). Aber unter den gedachten zweien Arten syntheti- scher Saͤtze a priori koͤnnen, nach dem gewoͤhnlichen Rede- gebrauch, nur die, zum philosophischen Erkentnisse gehoͤ- rige diesen Nahmen fuͤhren, und man wuͤrde schwerlich die Saͤtze der Rechenkunst, oder Geometrie Dogmata nen- nen. Also bestaͤtigt dieser Gebrauch die Erklaͤrung, die wir gaben, daß nur Urtheile aus Begriffen und nicht die, aus der Construction der Begriffe, dogmatisch heissen koͤnnen. Nun enthaͤlt die ganze reine Vernunft in ihrem blos speculativen Gebrauche nicht ein einziges directsynthe- tisches Urtheil aus Begriffen. Denn durch Ideen ist sie, wie wir gezeigt haben, gar keiner synthetischer Urtheile, die obiective Guͤltigkeit haͤtten, faͤhig; durch Verstandes- begriffe Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. begriffe aber errichtet sie zwar sichere Grundsaͤtze, aber gar nicht direct aus Begriffen , sondern immer nur indirect durch Beziehung dieser Begriffe auf etwas ganz zufaͤlliges, nemlich moͤgliche Erfahrung ; da sie denn, wenn diese (etwas als Gegenstand moͤglicher Erfahrungen) voraus- gesezt wird, allerdings apodictisch gewiß seyn, an sich selbst aber (direct) a priori gar nicht einmal erkant werden koͤnnen. So kan niemand den Satz: alles was geschieht hat seine Ursache, aus diesen gegebenen Begriffen allein gruͤndlich einsehen. Daher ist er kein Dogma, ob er gleich in einem anderen Gesichtspuncte, nemlich dem einzigen Felde seines moͤglichen Gebrauchs, d. i. der Erfahrung, ganz wol und apodictisch bewiesen werden kan. Er heißt aber Grundsatz und nicht Lehrsatz, ob er gleich bewiesen werden muß, darum, weil er die besondere Eigenschaft hat, daß er seinen Beweisgrund, nemlich Erfahrung, selbst zuerst moͤglich macht und bey dieser immer vorausgesezt werden muß. Giebt es nun im speculativen Gebrauche der reinen Vernunft auch dem Inhalte nach gar keine Dogmate, so ist alle dogmatische Methode , sie mag nun dem Mathema- tiker abgeborgt seyn, oder eine eigenthuͤmliche Manier werden sollen, vor sich unschicklich. Denn sie verbirgt nur die Fehler und Irrthuͤmer und taͤuscht die Philosophie, deren eigentliche Absicht ist, alle Schritte der Vernunft in ihrem klaͤresten Lichte sehen zu lassen. Gleichwol kan die Methode immer systematisch seyn. Denn unsere Vernunft A a a (sub- Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. (subiectiv) ist selbst ein System, aber in ihrem reinen Ge- brauche, vermittelst blosser Begriffe, nur ein System der Nachforschung nach Grundsaͤtzen der Einheit, zu welcher Erfahrung allein den Stoff hergeben kan. Von der ei- genthuͤmlichen Methode einer Transscendentalphilosophie laͤßt sich aber hier nichts sagen, da wir es nur mit einer Critik unserer Vermoͤgensumstaͤnde zu thun haben, ob wir uͤberall bauen und wie hoch wir wol unser Gebaͤude, aus dem Stoffe, den wir haben, (den reinen Begriffen a priori) , auffuͤhren koͤnnen. Des ersten Hauptstuͤcks Zweiter Abschnitt. Die Disciplin der reinen Vernunft in Ansehung ihres polemischen Gebrauchs. D ie Vernunft muß sich in allen ihren Unternehmungen der Critik unterwerfen und kan der Freiheit dersel- ben durch kein Verbot Abbruch thun, ohne sich selbst zu schaden und einen ihr nachtheiligen Verdacht auf sich zu ziehen. Da ist nun nichts so wichtig, in Ansehung des Nutzens, nichts so heilig, daß sich dieser pruͤfenden und musternden Durchsuchung, die kein Ansehen der Person kent, entziehen duͤrfte. Auf dieser Freiheit beruht so gar die Existenz der Vernunft, die kein dictatorisches Ansehen hat, sondern deren Ausspruch iederzeit nichts als die Ein- stimmung freier Buͤrger ist, deren ieglicher seine Bedenk- lich Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. lichkeiten, ia so gar sein veto, ohne Zuruͤckhalten muß aͤussern koͤnnen. Ob nun aber gleich die Vernunft sich der Critik nie- mals verweigern kan, so hot sie doch nicht iederzeit Ursa- che, sie zu scheuen. Aber die reine Vernunft in ihrem dog- matischen (nicht mathematischen) Gebrauche ist sich nicht so sehr der genauesten Beobachtung ihrer obersten Gesetze bewust, daß sie nicht mit Bloͤdigkeit, ia mit gaͤnzlicher Able- gung alles angemaßten dogmatischen Ansehens, vor dem critischen Auge einer hoͤheren und richterlichen Vernunft erscheinen muͤßte. Ganz anders ist es bewandt, wenn sie es nicht mit der Censur des Richters, sondern den Anspruͤchen ihres Mitbuͤrgers zu thun hat und sich dagegen blos vertheidi- gen soll. Denn, da diese eben sowol dogmatisch seyn wol- len, obzwar im Verneinen, als iene im Beiahen: so findet eine Rechtfertigung κατ’ ἀνϑρωπον statt, die wider alle Beeintraͤchtigung sichert und einen titulirten Besitz verschaft, der keine fremde Anmassungen scheuen darf, ob er gleich selbst κατ’ αληϑειαν nicht hinreichend bewiesen werden kan. Unter dem polemischen Gebrauche der reinen Ver- nunft verstehe ich nun die Vertheidigung ihrer Saͤtze ge- gen die dogmatische Verneinungen derselben. Hier komt es nun nicht darauf an, ob ihre Behauptungen nicht viel- leicht auch falsch seyn moͤchten, sondern nur, daß niemand das Gegentheil iemals mit apodictischer Gewißheit (ia auch A a a 2 nur Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. nur mit groͤsserem Scheine) behaupten koͤnne. Denn wir sind alsdenn doch nicht bittweise in unserem Besitz, wenn wir einen, obzwar nicht hinreichenden Titel derselben vor uns haben und es voͤllig gewiß ist, daß niemand die Un- rechtmaͤssigkeit dieses Besitzes iemals beweisen koͤnne. Es ist etwas Bekuͤmmerndes und Niederschlagendes: daß es uͤberhaupt eine Antithetik der reinen Vernunft ge- ben, und diese, die doch den obersten Gerichtshof uͤber alle Streitigkeiten vorstellt, mit sich selbst in Streit gera- then soll. Zwar hatten wir oben eine solche scheinbare Antithetik derselben vor uns, aber es zeigte sich, daß sie auf einem Mißverstande beruhete, da man nemlich, dem gemeinen Vorurtheile gemaͤß, Erscheinungen vor Sachen an sich selbst nahm und denn eine absolute Vollstaͤndigkeit ihrer Synthesis, auf eine oder andere Art (die aber auf beiderley Art gleich unmoͤglich war), verlangte, welches aber von Erscheinungen gar nicht erwartet werden kan. Es war also damals kein wirklicher Widerspruch der Vernunft mit ihr selbst bey den Saͤtzen: die Reihe an sich gegebener Erscheinungen hat einen absolutersten An- fang und: diese Reihe ist schlechthin und an sich selbst ohne allen Anfang; denn beide Saͤtze bestehen gar wol zusammen, weil Erscheinungen nach ihrem Daseyn (als Erscheinungen) an sich selbst gar nichts, d. i. etwas wider- sprechendes sind und also deren Voraussetzung natuͤrlicher Weise widersprechende Folgerungen nach sich ziehen muß. Ein Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. Ein solcher Mißverstand kan aber nicht vorgewandt und dadurch der Streit der Vernunft beygelegt werden, wenn etwa theistisch behauptet wuͤrde: es ist ein hoͤchstes Wesen und dagegen atheistisch: es ist kein hoͤchstes We- sen , oder, in der Psychologie: alles was da denkt, ist von absoluter beharrlicher Einheit und also von aller ver- gaͤnglichen materiellen Einheit unterschieden, welchem ein anderer entgegensezte: die Seele ist nicht immaterielle Ein- heit und kan von der Vergaͤnglichkeit nicht ausgenommen werden. Denn der Gegenstand der Frage ist hier von al- lem fremdartigen, das seiner Natur widerspricht, frey und der Verstand hat es nur mit Sachen an sich selbst und nicht mit Erscheinungen zu thun. Es wuͤrde also hier freilich ein wahrer Widerstreit anzutreffen seyn, wenn nur die reine Vernunft auf der verneinenden Seite etwas zu sagen haͤtte, was dem Grunde einer Behauptung nahe kaͤme; denn was die Critik der Beweisgruͤnde des Dogma- tischbeiahenden betrift, die kan man ihm sehr wol ein- raͤumen, ohne darum diese Saͤtze aufzugeben, die doch wenigstens das Interesse der Vernunft vor sich haben, dar- auf sich der Gegner gar nicht berufen kan. Ich bin zwar nicht der Meinung, welche vortrefliche und nachdenkende Maͤnner (z. B. Sulzer) so oft geaͤus- sert haben, da sie die Schwaͤche der bisherigen Beweise fuͤhlten: daß man hoffen koͤnne, man werde dereinst noch evidente Demonstrationen der zween Cardinalsaͤtze unserer reinen Vernunft: es ist ein Gott, es ist ein kuͤnftiges Le- A a a 3 ben Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. ben, erfinden. Vielmehr bin ich gewiß, daß dieses nie- mals geschehen werde. Denn, wo will die Vernunft den Grund zu solchen synthetischen Behauptungen, die sich nicht auf Gegenstaͤnde der Erfahrung und deren innerer Moͤglichkeit beziehen, hernehmen? Aber es ist auch apo- dictisch gewiß, daß niemals irgend ein Mensch auftreten werde, der das Gegentheil mit dem mindesten Scheine, geschweige dogmatisch behaupten koͤnne. Denn, weil er dieses doch blos durch reine Vernunft darthun koͤnte, so muͤßte er es unternehmen, zu beweisen: daß ein hoͤchstes Wesen, daß das in uns denkende Subiect, als reine In- telligenz, unmoͤglich sey. Wo will er aber die Kentnisse hernehmen, die ihn, von Dingen uͤber alle moͤgliche Er- fahrung hinaus so synthetisch zu urtheilen, berechtigten. Wir koͤnnen also daruͤber ganz unbekuͤmmert seyn: daß uns iemand das Gegentheil einstens beweisen werde, daß wir darum eben nicht noͤthig haben, auf schulgerechte Be- weise zu sinnen, sondern immerhin dieienige Saͤtze anneh- men koͤnnen, welche mit dem speculativen Interesse unse- rer Vernunft im empirischen Gebrauch ganz wol zusam- menhaͤngen und uͤberdem, es mit dem practischen Inter- esse zu vereinigen die einzige Mittel sind. Vor den Gegner (der hier nicht blos als Critiker betrachtet werden muß), haben wir unser non liquet in Bereitschaft, wel- ches ihn unfehlbar verwirren muß, indessen daß wir die Retorsion desselben auf uns nicht weigeren, indem wir die subiective Maxime der Vernunft bestaͤndig im Ruͤckhalte haben, Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. haben, die dem Gegner nothwendig fehlt und, unter de- ren Schutz, wir alle seine Luftstreiche mit Ruhe und Gleich- guͤltigkeit ansehen koͤnnen. Auf solche Weise giebt es eigentlich gar keine Anti- thetik der reinen Vernunft. Denn der einzige Kampfplatz vor sie wuͤrde auf dem Felde der reinen Theologie und Psy- chologie zu suchen seyn; dieser Boden aber traͤgt keinen Kaͤmpfer in seiner ganzen Ruͤstung und mit Waffen, die zu fuͤrchten waͤren. Er kan nur mit Spott oder Grosspre- cherey auftreten, welches als ein Kinderspiel belacht wer- den kan. Das ist eine troͤstende Bemerkung, die der Vernunft wieder Muth giebt, denn, worauf wolte sie sich sonst verlassen, wenn sie, die allein alle Irrungen abzu- thun berufen ist, in sich selbst zerruͤttet waͤre, ohne Frie- den und ruhigen Besitz hoffen zu koͤnnen? Alles, was die Natur selbst anordnet, ist zu irgend einer Absicht gut. Selbst Gifte dienen dazu, andere Gif- te, welche sich in unseren eigenen Saͤften erzeugen, zu uͤberwaͤltigen und duͤrfen daher in einer vollstaͤndigen Sam- lung von Heilmitteln (Officin) nicht fehlen. Die Ein- wuͤrfe, wider die Ueberredungen und den Eigenduͤnkel un- serer blos speculativen Vernunft, sind selbst durch die Natur dieser Vernunft aufgegeben und muͤssen also ihre gute Bestimmung und Absicht haben, die man nicht in den Wind sch l agen muß. Wozu hat uns die Vorsehung manche Gegenstaͤnde, ob sie gleich mit unserem hoͤchsten Interesse zusammenhaͤngen, so hoch gestellt, daß uns fast A a a 4 nur Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. nur vergoͤnnet ist, sie in einer undeutlichen und von uns selbst bezweifelten Wahrnehmung anzutreffen, dadurch ausspaͤhende Blicke mehr gereizt, als befriedigt werden. Ob es nuͤtzlich sey, in Ansehung solcher Aussichten dreuste Bestimmungen zu wagen, ist wenigstens zweifelhaft, viel- leicht gar schaͤdlich. Allemal aber und ohne allen Zweifel ist es nuͤtzlich, die forschende sowol, als pruͤfende Ver- nunft in voͤllige Freiheit zu versetzen, damit sie ungehin- dert ihr eigen Interesse besorgen koͤnne, welches eben so wol befoͤrdert wird, dadurch, daß sie ihren Einsichten Schranken sezt, als daß sie solche erweitert und welches allemal leidet, wenn sich fremde Haͤnde einmengen, um sie wider ihren natuͤrlichen Gang nach erzwungenen Ab- sichten zu lenken. Lasset demnach euren Gegner nur Vernunft sagen und bekaͤmpfet ihn blos mit Waffen der Vernunft . Uebri- gens seyd wegen der guten Sache (des practischen Inter- esse) ausser Sorgen, denn die komt im blos speculativen Streite niemals mit ins Spiel. Der Streit entdeckt als- denn nichts, als eine gewisse Antinomie der Vernunft, die, da sie auf ihrer Natur beruhet, nothwendig angehoͤrt und gepruͤft werden muß. Er cultivirt dieselbe durch Betrach- tung ihres Gegenstandes auf zweien Seiten und berichtigt ihr Urtheil dadurch, daß er solches einschraͤnkt. Das, was hiebey strittig wird, ist nicht die Sache, sondern der Ton . Denn es bleibt euch noch genug uͤbrig, um die vor der schaͤrfsten Vernunft gerechtfertigte Sprache eines festen Glau- Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. Glaubens zu sprechen, wenn ihr gleich die des Wissens habt aufgeben muͤssen. Wenn man den kaltbluͤtigen, zum Gleichgewichte des Urtheils eigentlich geschaffenen David Hume fragen solte: was bewog euch, durch muͤhsam ergruͤbelte Be- denklichkeiten, die vor den Menschen so troͤstliche und nuͤtz- liche Ueberredung, daß ihre Vernunfteinsicht zur Behaup- tung und dem bestimten Begriff eines hoͤchsten Wesens zu- lange, zu untergraben? so wuͤrde er antworten: nichts, als die Absicht, die Vernunft in ihrer Selbsterkentniß wei- ter zu bringen und zugleich ein gewisser Unwille uͤber den Zwang, den man der Vernunft anthun will, indem man mit ihr groß thut und sie zugleich hindert, ein freimuͤthi- ges Gestaͤndniß ihrer Schwaͤchen abzulegen, die ihr bey der Pruͤfung ihrer Selbst offenbar werden. Fragt ihr dagegen den, den Grundsaͤtzen des empirischen Vernunft- gebrauchs allein ergebenen, und aller transscendenten Spe- culation abgeneigten Priestley, was er vor Bewegungs- gruͤnde gehabt habe, unserer Seele Freiheit und Unsterb- lichkeit (die Hoffnung des kuͤnftigen Lebens ist bey ihm nur die Erwartung eines Wunders der Wiedererweckung), zwey solche Grundpfeiler aller Religion niederzureissen, er, der selbst ein frommer und eifriger Lehrer der Religion ist, so wuͤrde er nichts anders antworten koͤnnen, als: das In- teresse der Vernunft, welche dadurch verliert, daß man gewisse Gegenstaͤnde den Gesetzen der materiellen Natur, den einzigen, die wir genau kennen und bestimmen koͤnnen, A a a 5 entzie- Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. entziehen will. Es wuͤrde unbillig scheinen, den lezteren, der seine paradoxe Behauptung mit der Religionsabsicht zu vereinigen weiß, zu verschreien und einem woldenken- den Manne wehe zu thun, weil er sich nicht zurechte fin- den kan, so bald er sich aus dem Felde der Naturlehre verlohren hatte. Aber diese Gunst muß dem nicht minder gutgesinnten und seinem sittlichen Character nach untadel- haften Hume eben so wol zu Statten kommen, der seine abgezogene Speculation darum nicht verlassen kan, weil er mit Recht davor haͤlt, daß ihr Gegenstand ganz ausser- halb den Graͤnzen der Naturwissenschaft im Felde reiner Ideen liege. Was ist nun hiebey zu thun, vornemlich in Anse- hung der Gefahr, die daraus dem gemeinen Besten zu drohen scheinet? Nichts ist natuͤrlicher, nichts billiger, als die Entschliessung, die ihr deshalb zu nehmen habt. Laßt diese Leute nur machen; wenn sie Talent, wenn sie tiefe und neue Nachforschung, mit einem Worte, wenn sie nur Vernunft zeigen, so gewint iederzeit die Vernunft. Wenn ihr andere Mittel ergreift, als die einer zwangslosen Ver- nunft, wenn ihr uͤber Hochverrath schreiet, das gemeine Wesen, das sich auf so subtile Bearbeitungen gar nicht versteht, gleichsam als zum Feuerloͤschen zusammen ruft, so macht ihr euch laͤcherlich. Denn es ist die Rede gar nicht davon, was dem gemeinen Besten hierunter vortheil- haft, oder nachtheilig sey, sondern nur, wie weit die Ver- nunft es wol in ihrer von allem Interesse abstrahirenden Specu- Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. Speculation bringen koͤnne und, ob man auf diese uͤber- haupt etwas rechnen, oder sie lieber gegen das Practi- sche gar aufgeben muͤsse. Anstatt also mit dem Schwerdte darein zu schlagen, so sehet vielmehr von dem sicheren Sitze der Critik diesem Streite geruhig zu, der vor die Kaͤmpfende muͤhsam, vor euch unterhaltend und bey einem, gewiß unblutigen Ausgange, vor eure Einsichten ersprieß- lich ausfallen muß. Denn es ist sehr was Ungereimtes, von der Vernunft Aufklaͤrung zu erwarten und ihr doch vorher vorzuschreiben, auf welche Seite sie nothwendig ausfallen muͤsse. Ueberdem wird Vernunft schon von selbst durch Vernunft so wol gebaͤndigt und in Schranken gehal- ten, daß ihr gar nicht noͤthig habt, Schaarwachen aufzu- bieten, um demienigen Theile, dessen besorgliche Ober- macht euch gefaͤhrlich scheint, buͤrgerlichen Widerstand entgegen zu setzen. In dieser Dialectik giebts keinen Sieg, uͤber den ihr besorgt zu seyn Ursache haͤttet. Auch bedarf die Vernunft gar sehr eines solchen Streits und es waͤre zu wuͤnschen, daß er eher und mit uneingeschraͤnkter oͤffentlicher Erlaubniß waͤre gefuͤhrt wor- den. Denn um desto fruͤher waͤre eine reife Critik zu Stande gekommen, bey deren Erscheinung alle diese Streit- haͤndel von selbst wegfallen muͤssen, indem die Streitende ihre Verblendung und Vorurtheile, welche sie veruneinigt haben, einsehen lernen. Es giebt eine gewisse Unlauterkeit in der menschli- chen Natur, die am Ende doch, wie alles, was von der Natur Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. Natur komt, eine Anlage zu guten Zwecken enthalten muß, nemlich eine Neigung, seine wahre Gesinnungen zu verhee- len und gewisse angenommene, die man vor gut und ruͤhm- lich haͤlt, zur Schau zu tragen. Ganz gewiß haben die Menschen durch diesen Hang, so wol sich zu verheelen, als auch einen ihnen vortheilhaften Schein anzunehmen, sich nicht blos civilisirt, sondern nach und nach, in gewisser Maasse, moralisirt, weil keiner durch die Schmincke der Anstaͤndigkeit, Ehrbarkeit und Sittsamkeit durchdringen konte, also an vermeintlich aͤchten Beispielen des Guten, die er um sich sahe, eine Schule der Besserung vor sich selbst fand. Allein diese Anlage, sich besser zu stellen, als man ist und Gesinnungen zu aͤussern, die man nicht hat, dient nur gleichsam provisorisch dazu, um den Menschen aus der Rohigkeit zu bringen und ihn zuerst wenigstens die Manier des Guten, das er kent, annehmen zu lassen; denn nachher, wenn die aͤchte Grundsaͤtze einmal entwickelt und in die Denkungsart uͤbergegangen sind, so muß iene Falschheit nach und nach kraͤftig bekaͤmpft werden, weil sie sonst das Herz verdirbt und gute Gesinnungen, unter dem Wucherkraute des schoͤnen Scheins, nicht aufkom- men laͤßt. Es thut mir leid, eben dieselbe Unlauterkeit, Ver- stellung und Heucheley so gar in den Aeusserungen der spe- culativen Denkungsart wahrzunehmen, worin doch Men- schen, das Gestaͤndniß ihrer Gedanken billiger Maassen offen und unverholen zu entdecken, weit weniger Hindernisse und gar Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. gar keinen Vortheil haben. Denn was kan den Einsichten nachtheiliger seyn, als so gar blosse Gedanken verfaͤlscht einander mitzutheilen, Zweifel, die wir wider unsere ei- gene Behauptungen fuͤhlen, zu verheelen, oder Beweis- gruͤnden, die uns selbst nicht gnug thun, einen Anstrich von Evidenz zu geben. So lange indessen blos die Pri- vateitelkeit diese geheime Raͤnke anstiftet (welches in specu- lativen Urtheilen, die kein besonderes Interesse haben und nicht leicht einer apodictischen Gewißheit faͤhig sind, ge- meiniglich der Fall ist), so widersteht denn doch die Eitelkeit anderer mit oͤffentlicher Genehmigung und die Sachen kommen zulezt dahin, wo die lauterste Gesinnung und Aufrichtigkeit, obgleich weit fruͤher, sie gebracht haben wuͤrde. Wo aber das gemeine Wesen davor haͤlt: daß spitzfindige Vernuͤnftler mit nichts minderem umgehen, als die Grundveste der oͤffentlichen Wolfahrt wankend zu ma- chen, da scheint es nicht allein der Klugheit gemaͤß, son- dern auch erlaubt und wol gar ruͤhmlich, der guten Sache eher durch Scheingruͤnde zu Huͤlfe zu kommen, als den vermeintlichen Gegnern derselben auch nur den Vortheil zu lassen, unseren Ton zur Maͤssigung einer blos practischen Ueberzeugung herabzustimmen, und uns zu noͤthigen, den Mangel der speculativen und apodictischen Gewißheit zu gestehen. Indessen solte ich denken: daß sich mit der Ab- sicht, eine gute Sache zu behaupten, in der Welt wol nichts uͤbler, als Hinterlist, Verstellung und Betrug ver- einigen lasse. Daß es in der Abwiegung der Vernunft- gruͤn- Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. gruͤnde einer blossen Speculation alles ehrlich zugehen muͤsse, ist wol das Wenigste, was man fodern kan. Koͤnte man aber auch nur auf dieses Wenige sicher rechnen, so waͤre der Streit der speculativen Vernunft uͤber die wichtigen Fragen von Gott, der Unsterblichkeit (der Seele) und der Freiheit, entweder laͤngst entschieden, oder wuͤrde sehr bald zu Ende gebracht werden. So steht oͤfters die Lau- terkeit der Gesinnung im umgekehrten Verhaͤltnisse der Gut- artigkeit der Sache selbst und diese hat vielleicht mehr auf- richtige und redliche Gegner, als Vertheidiger. Ich setze also Leser voraus, die keine gerechte Sache mit Unrecht vertheidigt wissen wollen. In Ansehung de- ren ist es nun entschieden, daß, nach unseren Grundsaͤtzen der Critik, wenn man nicht auf dasienige sieht, was ge- schieht, sondern was billig geschehen sollte, es eigentlich gar keine Polemik der reinen Vernunft geben muͤsse. Denn wie koͤnnen zwey Personen einen Streit uͤber eine Sache fuͤhren, deren Realitaͤt keiner von beiden in einer wirkli- chen, oder auch nur moͤglichen Erfahrung darstellen kan, uͤber deren Idee er allein bruͤtet, um aus ihr etwas mehr als Idee, nemlich, die Wirklichkeit des Gegenstandes selbst heraus zu bringen? Durch welches Mittel wollen sie aus dem Streite heraus kommen, da keiner von beiden seine Sache geradezu begreiflich und gewiß machen, sondern nur die seines Gegners angreifen und widerlegen kan? Denn dieses ist das Schicksal aller Behauptungen der rei- nen Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. nen Vernunft: daß, da sie uͤber die Bedingungen aller moͤglichen Erfahrung hinausgehen, ausserhalb welchen kein Document der Wahrheit irgendwo angetroffen wird, sich aber gleichwol der Verstandesgesetze, die blos zum em- pirischen Gebrauch bestimt sind, ohne die sich aber kein Schritt im synthetischen Denken thun laͤßt, bedienen muͤs- sen, sie dem Gegner iederzeit Bloͤssen geben und sich ge- genseitig die Bloͤsse ihres Gegners zu Nutzen machen koͤnnen. Man kan die Critik der reinen Vernunft als den wahren Gerichtshof vor alle Streitigkeiten derselben anse- hen; denn sie ist in die leztere, als welche auf Obiecte unmittelbar gehen, nicht mit verwickelt, sondern ist dazu gesezt, die Rechtsame der Vernunft uͤberhaupt nach den Grundsaͤtzen ihrer ersten Institution zu bestimmen und zu beurtheilen. Ohne dieselbe ist die Vernunft gleichsam im Stande der Natur und kan ihre Behauptungen und Anspruͤche nicht anders geltend machen, oder sichern, als durch Krieg. Die Critik dagegen, welche alle Entscheidungen aus den Grundregeln ihrer eigenen Einsetzung hernimt, deren An- sehen keiner bezweifeln kan, verschaft uns die Ruhe eines gesezlichen Zustandes, in welchem wir unsere Streitigkeit nicht anders fuͤhren sollen, als durch Proceß. Was die Haͤndel in dem ersten Zustande endigt, ist ein Sieg , dessen sich beide Theile ruͤhmen, auf den mehrentheils ein nur unsicherer Friede folgt, den die Obrigkeit stiftet, welche sich ins Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. ins Mittel legt, im zweiten aber die Sentenz, die, weil sie hier die Quelle der Streitigkeiten selbst trift, einen ewi- gen Frieden gewaͤhren muß. Auch noͤthigen die endlosen Streitigkeiten einer blos dogmatischen Vernunft, endlich in irgend einer Critik dieser Vernunft, selbst und einer Gesetz- gebung, die sich auf sie gruͤndet, Ruhe zu suchen; so wie Hobbes behauptet: der Stand der Natur sey ein Stand des Unrechts und der Gewaltthaͤtigkeit und man muͤsse ihn nothwendig verlassen, um sich dem gesetzlichen Zwange zu unterwerfen, der allein unsere Freiheit dahin einschraͤnkt, daß sie mit iedes anderen Freiheit und eben dadurch mit dem gemeinen Besten zusammen bestehen koͤnne. Zu dieser Freiheit gehoͤrt denn auch die, seine Ge- danken, seine Zweifel, die man sich nicht selbst aufloͤsen kan, oͤffentlich zur Beurtheilung auszustellen, ohne dar- uͤber vor einen unruhigen und gefaͤhrlichen Buͤrger ver- schrieen zu werden. Dies liegt schon in dem urspruͤngli- chen Rechte der menschlichen Vernunft, welche keinen an- deren Richter erkent, als selbst wiederum die allgemeine Menschenvernunft, worin ein ieder seine Stimme hat und, da von dieser alle Besserung, deren unser Zustand faͤhig ist, herkommen muß: so ist ein solches Recht heilig, und darf nicht geschmaͤlert werden. Auch ist es sehr unweise, gewisse gewagte Behauptungen oder vermessene Angriffe, auf die, welche schon die Beistimmung des groͤßten und besten Theils des gemeinen Wesens auf ihrer Seite haben, vor gefaͤhrlich auszuschreien: denn das heißt, ihnen eine Wich- Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. Wichtigkeit geben, die sie gar nicht haben solten. Wenn ich hoͤre: daß ein nicht gemeiner Kopf die Freiheit des menschlichen Willen, die Hoffnung eines kuͤnftigen Lebens, und das Daseyn Gottes wegdemonstrirt haben solle, so bin ich begierig, das Buch zu lesen, denn ich erwarte von seinem Talent, daß er meine Einsichten weiter bringen werde. Das weis ich schon zum voraus voͤllig gewiß: daß er nichts von allem diesem wird geleistet haben, nicht dar- um, weil ich etwa schon im Besitze unbezwinglicher Be- weise dieser wichtigen Saͤtze zu seyn glaubete, sondern weil mich die transscendentale Critik, die mir den ganzen Vorrath unserer reinen Vernunft aufdeckte, voͤllig uͤber- zeugt hat, daß, so wie sie zu beiahenden Behauptungen in diesem Felde ganz unzulaͤnglich ist, so wenig und noch weniger werde sie wissen, um uͤber diese Fragen etwas verneinend behaupten zu koͤnnen. Denn, wo will der angebliche Freigeist seine Kentniß hernehmen, daß es z. B. kein hoͤchstes Wesen gebe. Dieser Satz liegt ausserhalb dem Felde moͤglicher Erfahrung, und darum auch ausser den Graͤnzen aller menschlichen Einsicht. Den dogmatischen Vertheidiger der guten Sache gegen diesen Feind wuͤrde ich gar nicht lesen, weil ich zum voraus weis: daß er nur darum die Scheingruͤnde des anderen angreifen werde, um seinen eigenen Eingang zu verschaffen, uͤber dem ein alltaͤgiger Schein doch nicht so viel Stoff zu neuen Bemer- kungen giebt, als ein befremdlicher und sinnreich ausge- dachter. Hingegen wuͤrde der, nach seiner Art, auch dog- B b b mati- Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. matische Religionsgegner, meiner Critik gewuͤnschte Be- schaͤftigung und Anlaß zu mehrerer Berichtigung ihrer Grundsaͤtze geben, ohne daß seinetwegen im mindesten et- was zu befuͤrchten waͤre. Aber die Jugend, welche dem academischen Unter- richte anvertrauet ist, soll doch wenigstens vor dergleichen Schriften gewarnet, und von der fruͤhen Kentniß so ge- faͤhrlicher Saͤtze abgehalten werden, ehe ihre Urtheilskraft gereift, oder vielmehr die Lehre, welche man in ihnen gruͤnden will, fest gewurzelt ist, um aller Ueberredung zum Gegentheil, woher sie auch kommen moͤge, kraͤftig zu widerstehen? Muͤßte es bey dem dogmatischen Verfahren in Sa- chen der reinen Vernunft bleiben und die Abfertigung der Gegner eigentlich polemisch, d. i. so beschaffen seyn, daß man sich ins Gefechte einliesse, und mit Beweisgruͤnden zu entgegengesezten Behauptungen bewaffnete, so waͤre frei- lich nichts rathsamer vor der Hand, aber zugleich nichts eiteler und fruchtloser auf die Dauer, als die Vernunft der Jugend eine zeitlang unter Vormundschaft zu setzen, und wenigstens so lange vor Verfuͤhrung zu bewahren. Wenn aber in der Folge entweder Neugierde, oder der Mo- deton des Zeitalters ihr dergleichen Schriften in die Haͤnde spielen: wird alsdenn iene iugendliche Ueberredung noch Stich halten? Derienige, der nichts als dogmatische Waffen mitbringt, um den Angriffen seines Gegners zu widerstehen und die verborgene Dialectik, die nicht minder in Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. in seinem eigenen Busen, als in dem des Gegentheils liegt, nicht zu entwickeln weis, sieht Scheingruͤnde, die den Vor- zug der Neuigkeit haben, gegen Scheingruͤnde, welche der- gleichen nicht mehr haben, sondern vielmehr den Verdacht einer mißbrauchten Leichtglaͤubigkeit der Jugend erregen, auftreten. Er glaubt nicht besser zeigen zu koͤnnen, daß er der Kinderzucht entwachsen sey, als wenn er sich uͤber iene wolgemeinte Warnungen wegsezt und, dogmatisch gewohnt, trinkt er das Gift, das seine Grundsaͤtze dog- matisch verdirbt, in langen Zuͤgen in sich. Gerade das Gegentheil von dem, was man hier an- raͤth, muß in der academischen Unterweisung geschehen, aber freilich nur unter der Voraussetzung eines gruͤndlichen Unterrichts in der Critik der reinen Vernunft. Denn, um die Principien derselben so fruͤh als moͤglich in Ausuͤbung zu bringen und ihre Zulaͤnglichkeit, bey dem groͤßten dia- lectischen Scheine, zu zeigen, ist es durchaus noͤthig, die vor den Dogmatiker so furchtbare Angriffe wider seine, obzwar noch schwache, aber durch Critik aufgeklaͤrte Ver- nunft zu richten und ihn den Versuch machen zu lassen, die grundlose Behauptungen des Gegners Stuͤck vor Stuͤck an ienen Grundsaͤtzen zu pruͤfen. Es kan ihm gar nicht schwer werden, sie in lauter Dunst aufzuloͤsen, und so fuͤhlt er fruͤhzeitig seine eigene Kraft, sich wider dergleichen schaͤd- liche Blendwerke, die vor ihn zulezt allen Schein verlieh- ren muͤssen, voͤllig zu sichern. Ob nun zwar eben dieselbe B b b 2 Strei- Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. Streiche, die das Gebaͤude des Feindes niederschlagen, auch seinem eigenen speculativen Bauwerke, wenn er etwa der- gleichen zu errichten gedaͤchte, eben so verderblich seyn muͤssen: so ist er daruͤber doch gaͤnzlich unbekuͤmmert, in- dem er es gar nicht bedarf, darinnen zu wohnen, sondern noch eine Aussicht in das practische Feld vor sich hat, wo er mit Grunde einen festeren Boden hoffen kan, um dar- auf sein vernuͤnftiges und heilsames System zu errichten. So giebts demnach keine eigentliche Polemik im Fel- de der reinen Vernunft. Beide Theile sind Luftfechter, die sich mit ihrem Schatten herumbalgen, denn sie gehen uͤber die Natur hinaus, wo vor ihre dogmatische Griffe nichts vorhanden ist, was sich fassen und halten liesse. Sie ha- ben gut kaͤmpfen; die Schatten, die sie zerhauen, wach- sen, wie die Helden in Valhalla in einem Augenblicke wie- derum zusammen, um sich aufs neue in unblutigen Kaͤm- pfen belustigen zu koͤnnen. Es giebt aber auch keinen zulaͤssigen sceptischen Ge- brauch der reinen Vernunft, welchen man den Grundsatz der Neutralitaͤt bey allen ihren Streitigkeiten nennen koͤnte. Die Vernunft wider sich selbst zu verhetzen, ihr auf beiden Seiten Waffen zu reichen und alsdenn ihrem hitzigsten Gefechte ruhig und spoͤttisch zuzusehen, sieht aus einem dogmatischen Gesichtspuncte nicht wol aus, sondern hat das Ansehen einer schadenfrohen und haͤmischen Ge- muͤthsart an sich. Wenn man indessen die unbezwingliche Verblendung und das Großthun der Vernuͤnftler, die sich durch Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. durch keine Critik will maͤssigen lassen, ansieht, so ist doch wirklich kein anderer Rath, als der Großsprecherey auf einer Seite, eine andere, welche auf eben dieselbe Rechte fusset, entgegen zu setzen, damit die Vernunft durch den Widerstand eines Feindes wenigstens nur stutzig gemacht werde, um in ihre Anmassungen einigen Zweifel zu setzen, und der Critik Gehoͤr zu geben. Allein es bey diesen Zweifeln gaͤnzlich bewenden zu lassen und es darauf aus- zusetzen, die Ueberzeugung und das Gestaͤndniß seiner Un- wissenheit, nicht blos als ein Heilmittel wider den dogma- tischen Eigenduͤnkel, sondern zugleich als die Art, den Streit der Vernunft mit sich selbst zu beendigen, empfeh- len zu wollen, ist ein ganz vergeblicher Anschlag und kan keinesweges dazu tauglich seyn, der Vernunft einen Ru- hestand zu verschaffen, sondern ist hoͤchstens nur ein Mit- tel, sie aus ihrem suͤssen dogmatischen Traume zu erwecken, um ihren Zustand in sorgfaͤltigere Pruͤfung zu ziehen. Da indessen diese sceptische Manier, sich aus einem verdrieß- lichen Handel der Vernunft zu ziehen, gleichsam der kurze Weg zu seyn scheint, zu einer beharrlichen philosophischen Ru- he zu gelangen, wenigstens die Heeresstrasse, welche dieienige gern einschlagen, die sich in einer spoͤttischen Verachtung aller Nachforschungen dieser Art ein philosophisches Anse- hen zu geben meinen, so finde ich es noͤthig, diese Den- kungsart in ihrem eigenthuͤmlichen Lichte darzustellen. B b b 3 Von Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. Von der Unmoͤglichkeit einer sceptischen Befriedigung der mit sich selbst veruneinigten reinen Vernunft . Das Bewußtseyn meiner Unwissenheit, (wenn diese nicht zugleich als nothwendig erkant wird) statt, daß sie meine Untersuchungen endigen solte, ist vielmehr die ei- gentliche Ursache, sie zu erwecken. Alle Unwissenheit ist entweder die der Sachen, oder der Bestimmung und Graͤn- zen meiner Erkentniß. Wenn die Unwissenheit nun zufaͤl- lig ist, so muß sie mich antreiben, im ersteren Falle den Sachen (Gegenstaͤnden) dogmatisch, im zweiten den Graͤnzen meiner moͤglichen Erkentniß critisch nachzuforschen. Daß aber meine Unwissenheit schlechthin nothwendig sey, und mich daher von aller weiteren Nachforschung frei- spreche, laͤßt sich nicht empirisch, aus Beobachtung, son- dern allein critisch, durch Ergruͤndung der ersten Quellen unserer Erkentniß ausmachen. Also kan die Graͤnzbestim- mung unserer Vernunft nur nach Gruͤnden a priori ge- schehen, die Einschraͤnkung derselben aber, welche eine, obgleich nur unbestimte Erkentniß einer nie voͤllig zu heben- den Unwissenheit ist, kan auch a posteriori, durch das, was uns bey allem Wissen immer noch zu wissen uͤbrig bleibt, erkant werden. Jene, durch Critik der Vernunft selbst allein moͤgliche Erkentniß seiner Unwissenheit ist also Wis- senschaft, diese ist nichts als Wahrnehmung , von der man Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. man nicht sagen kan, wie weit der Schluß aus selbiger reichen moͤge. Wenn ich mir die Erdflaͤche (dem sinnli- chen Scheine gemaͤß), als einen Teller vorstelle, so kan ich nicht wissen, wie weit sie sich erstrecke. Aber das lehrt mich die Erfahrung: daß, wohin ich nur komme, ich im- mer einen Raum um mich sehe, dahin ich weiter fortge- hen koͤnte, mithin erkenne ich Schranken meiner iedes- mal wirklichen Erdkunde, aber nicht die Graͤnzen aller moͤglichen Erdbeschreibung. Bin ich aber doch soweit ge- kommen, zu wissen: daß die Erde eine Kugel und ihre Flaͤche eine Kugelflaͤche sey, so kan ich auch aus einem kleinen Theil derselben, z. B. der Groͤsse eines Grades, den Durchmesser und, durch diesen, die voͤllige Begraͤn- zung der Erde, d. i. ihre Oberflaͤche bestimt und, nach Principien a priori erkennen und, ob ich gleich in Anse- hung der Gegenstaͤnde, die diese Flaͤche enthalten mag, unwissend bin, so bin ich es doch nicht in Ansehung des Umfanges, der sie enthaͤlt, der Groͤsse und Schranken derselben. Der Inbegriff aller moͤglichen Gegenstaͤnde vor un- sere Erkentniß scheint uns eine ebene Flaͤche zu seyn, die ihren scheinbaren Horizont hat, nemlich das, was den ganzen Umfang derselben befasset und von uns der Ver- nunftbegriff der unbedingten Totalitaͤt genant worden. Empirisch denselben zu erreichen, ist unmoͤglich, und nach einem gewissen Princip ihn a priori zu bestimmen, dazu sind alle Versuche vergeblich gewesen. Indessen gehen doch B b b 4 alle Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. alle Fragen unserer reinen Vernunft auf das, was ausser- halb diesem Horizonte, oder allenfalls auch in seiner Graͤnzlinie liegen moͤge. Der beruͤhmte David Hume war einer dieser Geo- graphen der menschlichen Vernunft, welcher iene Fragen insgesamt dadurch hinreichend abgefertigt zu haben vermein- te, daß er sie ausserhalb den Horizont derselben verwies, den er doch nicht bestimmen konte. Er hielte sich vornemlich bey dem Grundsatze der Caussalitaͤt auf und bemerkte von ihm ganz richtig: daß man seine Wahrheit (ia nicht ein- mal die obiective Guͤltigkeit des Begriffs einer wirkenden Ursache uͤberhaupt) auf gar keine Einsicht, d. i. Erkent- niß a priori fusse, daß daher auch nicht im mindesten die Nothwendigkeit dieses Gesetzes, sondern eine blosse allge- meine Brauchbarkeit desselben in dem Laufe der Erfahrung und eine daher entspringende subiective Nothwendigkeit, die er Gewohnheit nent, sein ganzes Ansehen ausmache. Aus dem Unvermoͤgen unserer Vernunft nun, von diesem Grundsatze einen uͤber alle Erfahrung hinausgehenden Ge- brauch zu machen, schloß er die Nichtigkeit aller Anmassun- gen der Vernunft uͤberhaupt uͤber das Empirische hinaus zu gehen. Man kan ein Verfahren dieser Art, die Facta der Vernunft der Pruͤfung und, nach Befinden, dem Tadel zu unterwerfen, die Censur der Vernunft nennen. Es ist ausser Zweifel: daß diese Censur unausbleiblich auf Zwei- fel gegen allen transscendenten Gebrauch der Grundsaͤtze fuͤhre. Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. fuͤhre. Allein dies ist nur der zweite Schritt, der noch lange nicht das Werk vollendet. Der erste Schritt in Sa- chen der reinen Vernunft, der das Kindesalter derselben auszeichnet, ist dogmatisch . Der eben genante zweite Schritt ist sceptisch und zeigt von Vorsichtigkeit, der durch Erfahrung gewitzigten Urtheilskraft. Nun ist aber noch ein dritter Schritt noͤthig, der nur der gereiften und maͤn- niglichen Urtheilskraft, welche feste und ihrer Allgemein- heit nach bewaͤhrte Maximen zum Grunde hat, nemlich nicht die Facta der Vernunft, sondern die Vernunft selbst, nach ihrem ganzen Vermoͤgen und Tauglichkeit zu reinen Erkentnissen a priori, der Schaͤtzung zu unterwerfen, wel- ches nicht die Censur, sondern Critik der Vernunft ist, wodurch nicht blos Schranken, sondern die bestimte Graͤnzen derselben, nicht blos Unwissenheit an einem oder anderen Theil, sondern in Ansehung aller moͤglichen Fra- gen von einer gewissen Art und zwar nicht etwa nur ver- muthet, sondern aus Principien bewiesen wird. So ist der Scepticism ein Ruheplatz vor die menschliche Vernunft, da sie sich uͤber ihre dogmatische Wanderung besinnen und den Entwurf von der Gegend machen kan, wo sie sich be- findet, um ihren Weg fernerhin mit mehrerer Sicherheit waͤhlen zu koͤnnen, aber nicht ein Wohnplatz zum bestaͤn- digen Aufenthalte; denn dieser kan nur in einer voͤlligen Gewißheit angetroffen werden, es sey nun der Erkentniß der Gegenstaͤnde selbst, oder der Graͤnzen, innerhalb de- B b b 5 nen Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. nen alle unsere Erkentniß von Gegenstaͤnden eingeschlos- sen ist. Unsere Vernunft ist nicht etwa eine unbestimbarweit ausgebreitete Ebene, deren Schranken man nur so uͤber- haupt erkent, sondern muß vielmehr mit einer Sphaͤre verglichen werden, deren Halbmesser sich aus der Kruͤm- mung des Bogens auf ihrer Oberflaͤche (der Natur syntheti- scher Saͤtze a priori) finden, daraus aber auch der Inhalt und die Begraͤnzung derselben mit Sicherheit angeben laͤßt. Ausser dieser Sphaͤre (Feld der Erfahrung) ist nichts vor ihr Obiect, ia selbst Fragen uͤber dergleichen vermeintliche Gegenstaͤnde betreffen nur subiective Princi- pien einer durchgaͤngigen Bestimmung der Verhaͤltnisse, welche unter den Verstandes Begriffen innerhalb dieser Sphaͤ- re vorkommen koͤnnen. Wir sind wirklich im Besitz synthetischer Erkentniß a priori, wie dieses die Verstandesgrundsaͤtze, welche die Erfahrung anticipiren, darthun. Kan iemand nun die Moͤglichkeit derselben sich gar nicht begreiflich machen, so mag er zwar anfangs zweifeln, ob sie uns auch wirklich a priori beiwohnen, er kan dieses aber noch nicht vor eine Unmoͤglichkeit derselben, durch blosse Kraͤfte des Verstan- des, und alle Schritte, die die Vernunft nach der Richt- schnur derselben thut, vor nichtig ausgeben. Er kan nur sagen: wenn wir ihren Ursprung und Aechtheit einsaͤhen, so wuͤrden wir den Umfang und die Graͤnzen unserer Ver- nunft bestimmen koͤnnen; ehe aber dieses geschehen ist, sind Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. sind alle Behauptungen der lezten blindlings gewagt. Und auf solche Weise waͤre ein durchgaͤngiger Zweifel an alle dogmatische Philosophie, die ohne Critik der Vernunft selbst ihren Gang geht, ganz wol gegruͤndet; allein darum koͤnte doch der Vernunft nicht ein solcher Fortgang, wenn er durch bessere Grundlegung vorbereitet und gesichert wuͤr- de, gaͤnzlich abgesprochen werden. Denn, einmal liegen alle Begriffe, ia alle Fragen, welche uns die reine Ver- nunft vorlegt, nicht etwa in der Erfahrung, sondern selbst wiederum nur in der Vernunft und muͤssen daher koͤn- nen aufgeloͤset und ihrer Guͤltigkeit oder Nichtigkeit nach begriffen werden koͤnnen. Wir sind auch nicht berechtigt, diese Aufgaben, als laͤge ihre Aufloͤsung wirklich in der Natur der Dinge, doch unter dem Vorwande unseres Un- vermoͤgens abzuweisen und uns ihrer weiteren Nachfor- schung zu weigern, da die Vernunft in ihrem Schoße allein diese Ideen selbst erzeugt hat, von deren Guͤltigkeit oder dialectischen Scheine sie also Rechenschaft zu geben gehalten ist. Alles sceptische Polemisiren ist eigentlich nur wider den Dogmatiker gekehrt, der, ohne ein Mißtrauen auf seine urspruͤngliche obiective Principien zu setzen, d. i. ohne Critik gravitaͤtisch seinen Gang fortsezt, blos um ihm das Concept zu verruͤcken und zur Selbsterkentniß zu brin- gen. An sich macht sie in Ansehung dessen, was wir wis- sen und was wir dagegen nicht wissen koͤnnen, ganz und gar nichts aus. Alle fehlgeschlagene dogmatische Versuche der Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. der Vernunft sind Facta, die der Censur zu unterwerfen im- mer nuͤtzlich ist. Dieses aber kan nichts uͤber die Erwartun- gen der Vernunft entscheiden, einen besseren Erfolg ihrer kuͤnftigen Bemuͤhungen zu hoffen und darauf Anspruͤche zu machen; die blosse Censur kan also die Streitigkeit uͤber die Rechtsame der menschlichen Vernunft niemals zu Ende bringen. Da Hume, vielleicht der geistreichste unter allen Sceptikern und ohne Widerrede der vorzuͤglichste in Anse- hung des Einflusses ist, den das sceptische Verfahren auf die Erweckung einer gruͤndlichen Vernunftpruͤfung haben kan, so verlohnt es wol der Muͤhe, den Gang seiner Schluͤsse und die Verirrungen eines einsehenden und schaͤtz- baren Mannes, die doch auf der Spur der Wahrheit an- gefangen haben, so weit es zu meiner Absicht schicklich ist, vorstellig zu machen. Hume hatte es vielleicht in Gedanken, wiewol er es niemals voͤllig entwickelte: daß wir in Urtheilen von gewisser Art, uͤber unseren Begriff vom Gegenstande hin- aus gehen. Ich habe diese Art von Urtheilen synthetisch genant. Wie ich aus meinem Begriffe, den ich bis da- hin habe, vermittelst der Erfahrung hinausgehen koͤnne, ist keiner Bedenklichkeit unterworfen. Erfahrung ist selbst eine solche Synthesis der Wahrnehmungen, welche mei- nen Begriff, den ich vermittelst einer Wahrnehmung habe, durch andere hinzukommende vermehrt. Allein wir glau- ben auch a priori aus unserem Begriffe hinausgehen und unser Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. unser Erkentniß erweitern zu koͤnnen. Dieses versuchen wir entweder durch den reinen Verstand, in Ansehung des- ienigen, was wenigstens ein Obiect der Erfahrung seyn kan, oder sogar durch reine Vernunft, in Ansehung sol- cher Eigenschaften der Dinge, oder auch wol des Daseyns solcher Gegenstaͤnde, die in der Erfahrung niemals vor- kommen koͤnnen. Unser Sceptiker unterschied diese beide Arten der Urtheile nicht, wie er es doch haͤtte thun sollen und hielt geradezu diese Vermehrung der Begriffe aus sich selbst und, so zu sagen, die Selbstgebaͤhrung unseres Verstandes (samt der Vernunft), ohne durch Erfahrung geschwaͤngert zu seyn, vor unmoͤglich, mithin alle ver- meintliche Principien derselben a priori vor eingebildet und fand, daß sie nichts als eine, aus Erfahrung und de- ren Gesetzen entspringende Gewohnheit, mithin blos empi- rische, d. i. an sich zufaͤllige Regeln seyn, denen wir eine vermeinte Nothwendigkeit und Allgemeinheit beimessen. Er bezog sich aber zu Behauptung dieses befremdlichen Satzes auf den allgemein anerkanten Grundsatz, von dem Verhaͤltniß der Ursache zur Wirkung. Denn da uns kein Verstandesvermoͤgen von dem Begriffe eines Dinges zu dem Daseyn von etwas anderem, was dadurch allgemein und nothwendig gegeben sey, fuͤhren kan: so glaubte er daraus folgern zu koͤnnen, daß wir ohne Erfahrung nichts haben, was unsern Begriff vermehren und uns zu einem solchen a priori sich selbst erweiternden Urtheile berechtigen koͤnte. Daß das Sonnenlicht, welches das Wachs beleuchtet, es zu- Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. zugleich schmelze, indessen es den Ton haͤrtet, koͤnne kein Verstand aus Begriffen, die wir vorher von diesen Dingen hatten, errathen, viel weniger gesetzmaͤssig schliessen und nur Erfahrung koͤnne uns ein solches Gesetz lehren. Dagegen haben wir in der transscendentalen Logik gesehen: daß, ob wir zwar niemals unmittelbar uͤber den Inhalt des Be- griffs, der uns gegeben ist, hinausgehen koͤnnen, wir doch voͤllig a priori, aber in Beziehung auf ein drittes, nemlich moͤgliche Erfahrung, also doch a priori, das Ge- setz der Verknuͤpfung mit andern Dingen erkennen koͤnnen. Wenn also vorher festgewesenes Wachs schmilzt, so kan ich a priori erkennen, daß etwas voraus gegangen seyn muͤsse, (z. B. Sonnenwaͤrme) worauf dieses nach einem bestaͤndigen Gesetze gefolgt ist, ob ich zwar, ohne Erfah- rung, aus der Wirkung weder die Ursache, noch aus der Ursache die Wirkung, a priori und ohne Belehrung der Erfahrung bestimt erkennen koͤnte. Er schloß also faͤlsch- lich aus der Zufaͤlligkeit unserer Bestimmung nach dem Gesetze, auf die Zufaͤlligkeit des Gesetzes selbst und das Herausgehen aus dem Begriffe eines Dinges auf moͤgliche Erfahrung (welche a priori geschieht und die obiective Realitaͤt desselben ausmacht), verwechselte er mit der Syn- thesis der Gegenstaͤnde wirklicher Erfahrung, welche frei- lich iederzeit empirisch ist; dadurch machte er aber aus einem Princip der Affinitaͤt, welches im Verstande seinen Sitz hat, und nothwendige Verknuͤpfung aussagt, eine Regel der Association, die blos in der nachbildenden Ein- bil- Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. bildungskraft angetroffen wird, und nur zufaͤllige, gar nicht obiective Verbindungen darstellen kan. Die sceptische Verirrungen aber dieses sonst aͤusserst scharfsinnigen Mannes entsprangen vornemlich aus einem Mangel, den er doch mit allen Dogmatikern gemein hat- te, nemlich, daß er nicht alle Arten der Synthesis des Ver- standes a priori systematisch uͤbersah. Denn da wuͤrde er, ohne der uͤbrigen hier Erwaͤhnung zu thun z. B. den Grundsatz der Beharrlichkeit als einen solchen gefunden haben, der eben sowol, als der der Caussalitaͤt, die Er- fahrung anticipirt. Dadurch wuͤrde er auch dem a priori sich erweiternden Verstande und der reinen Vernunft be- stimte Graͤnzen haben vorzeichnen koͤnnen. Da er aber unseren Verstand nur einschraͤnkt, ohne ihn zu begraͤnzen und zwar ein allgemeines Mißtrauen, aber keine bestimte Kentniß der uns unvermeidlichen Unwissenheit zu Stande bringt, da er einige Grundsaͤtze des Verstandes unter Cen- sur bringt, ohne diesen Verstand in Ansehung seines gan- zen Vermoͤgens auf die Probierwage der Critik zu bringen und, indem er ihm dasienige abspricht, was er wirklich nicht leisten kan, weiter geht und ihm alles Vermoͤgen, sich a priori zu erweitern, streitet, unerachtet er dieses ganze Vermoͤgen nicht zur Schaͤtzung gezogen, so wiederfaͤhrt ihm das, was iederzeit den Scepticism niederschlaͤgt, nem- lich, daß er selbst bezweifelt wird, indem seine Einwuͤrfe nur auf Factis , welche zufaͤllig sind, nicht aber auf Prin- cipien Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. cipien beruhen, die eine nothwendige Entsagung auf das Recht dogmatischer Behauptungen bewirken koͤnten. Da er auch zwischen den gegruͤndeten Anspruͤchen des Verstandes und den dialectischen Anmassungen der Ver- nunft, wider welche doch hauptsaͤchlich seine Angriffe gerich- tet sind, keinen Unterschied kent: so fuͤhlt die Vernunft, de- ren ganz eigenthuͤmlicher Schwung hiebey nicht im min- desten gestoͤhret, sondern nur gehindert worden, den Raum zu ihrer Ausbreitung nicht verschlossen und kan von ihren Versuchen, unerachtet sie hie oder da gezwackt wird, niemals gaͤnzlich abgebracht werden. Denn wider An- griffe ruͤstet man sich zur Gegenwehr und sezt noch um desto steifer seinen Kopf drauf, um seine Foderungen durch- zusetzen. Ein voͤlliger Ueberschlag aber seines ganzen Ver- moͤgens und die daraus entspringende Ueberzeugung der Gewißheit eines kleinen Besitzes, bey der Eitelkeit hoͤhe- rer Anspruͤche, hebt allen Streit auf und bewegt, sich in einem eingeschraͤnkten, aber unstrittigen Eigenthume fried- fertig zu begnuͤgen. Wider den uncritischen Dogmatiker, der die Sphaͤre seines Verstandes nicht gemessen, mithin die Graͤnzen sei- ner moͤglichen Erkentniß nicht nach Principien bestimt hat, der also nicht schon zum voraus weis, wie viel er kan, son- dern es durch blosse Versuche ausfindig zu machen denkt, sind diese sceptische Angriffe nicht allein gefaͤhrlich, son- dern ihm so gar verderblich. Denn, wenn er auf einer einzigen Behauptung betroffen wird, die er nicht rechtferti- gen, Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. gen, deren Schein er aber auch nicht aus Principien ent- wickeln kan, so faͤllt der Verdacht auf alle, so uͤberredend sie auch sonst immer seyn moͤgen. Und so ist der Sceptiker der Zuchtmeister des dogma- tischen Vernuͤnftlers auf eine gesunde Critik des Verstandes und der Vernunft selbst. Wenn er dahin gelanget ist, so hat er weiter keine Anfechtung zu fuͤrchten; denn er unter- scheidet alsdenn seinen Besitz von dem, was gaͤnzlich ausser- halb demselben liegt, worauf er keine Anspruͤche macht und daruͤber auch nicht in Streitigkeiten verwickelt werden kan. So ist das sceptische Verfahren zwar an sich selbst vor die Vernunftfragen nicht befriedigend, aber doch voruͤbend, um ihre Vorsichtigkeit zu erwecken und auf gruͤndliche Mittel zu weisen, die sie in ihren rechtmaͤssigen Besitzen sichern koͤnnen. Des ersten Hauptstuͤcks Dritter Abschnitt. Die Disciplin der reinen Vernunft in Ansehung der Hypothesen. W eil wir denn durch Critik unserer Vernunft end- lich so viel wissen: daß wir in ihrem reinen und speculativen Gebrauche in der That gar nichts wissen koͤn- nen, solte sie nicht ein desto weiteres Feld zu Hypothesen eroͤfnen, da es wenigstens vergoͤnnet ist, zu dichten und zu meinen, wenn gleich nicht zu behaupten? C c c Wo Methodenlehre I. Hauptst. III. Absch. Wo nicht etwa Einbildungskraft schwaͤrmen, son- dern, unter der strengen Aufsicht der Vernunft, dichten soll, so muß immer vorher etwas voͤllig gewiß und nicht erdichtet, oder blosse Meinung seyn, und das ist die Moͤg- lichkeit des Gegenstandes selbst. Alsdenn ist es wol er- laubt, wegen der Wirklichkeit desselben, zur Meinung seine Zuflucht zu nehmen, die aber, um nicht grundlos zu seyn, mit dem, was wirklich gegeben und folglich ge- wiß ist, als Erklaͤrungsgrund in Verknuͤpfung gebracht werden muß und alsdenn Hypothese heißt. Da wir uns nun von der Moͤglichkeit der dynamischen Verknuͤpfung a priori nicht den mindesten Begriff machen koͤnnen und die Categorie des reinen Verstandes nicht dazu dient, dergleichen zu erdenken, sondern nur, wo sie in der Erfahrung angetroffen wird, zu verstehen: so koͤnnen wir nicht einen einzigen Gegenstand, nach einer neuen und em- pirisch nicht anzugebenden Beschaffenheit, diesen Catego- rien gemaͤß, urspruͤnglich aussinnen und sie einer erlaubten Hypothese zum Grunde legen; denn dieses hiesse, der Ver- nunft leere Hirngespinste, statt der Begriffe von Sachen, unterzulegen. So ist es nicht erlaubt, sich irgend neue urspruͤngliche Kraͤfte zu erdenken, z. B. einen Verstand, der vermoͤgend sey, seinen Gegenstand ohne Sinne anzu- schauen, oder eine Anziehungskraft ohne alle Beruͤhrung, oder eine neue Art Substanzen, z. B. die ohne Undurchdring- lichkeit im Raume gegenwaͤrtig waͤre, folglich auch keine Gemeinschaft der Substanzen, die von aller derienigen un- ter- Die Disciplin d. r. Vernunft in Hypothesen. terschieden ist, welche Erfahrung an die Hand giebt: keine Gegenwart anders, als im Raume, keine Dauer, als blos in der Zeit. Mit einem Worte: es ist unserer Vernunft nur moͤglich, die Bedingungen moͤglicher Erfahrung, als Bedingungen der Moͤglichkeit der Sachen zu brauchen, kei- nesweges aber, ganz unabhaͤngig von diesen, sich selbst welche gleichsam zu schaffen, weil dergleichen Begriffe, obzwar ohne Widerspruch, dennoch auch ohne Gegenstand seyn wuͤrden. Die Vernunftbegriffe sind, wie gesagt, blosse Ideen und haben freilich keinen Gegenstand in irgend einer Er- fahrung, aber bezeichnen darum doch nicht gedichtete und zugleich dabey vor moͤglich angenommene Gegenstaͤnde. Sie sind blos problematisch gedacht, um, in Beziehung auf sie, (als hevristische Fictionen) regulative Principien des systematischen Verstandesgebrauchs im Felde der Erfah- rung zu gruͤnden. Geht man davon ab, so sind es blosse Gedankendinge, deren Moͤglichkeit nicht erweislich ist, und die daher auch nicht der Erklaͤrung wirklicher Erscheinun- gen durch eine Hypothese zum Grunde gelegt werden koͤn- nen. Die Seele sich als einfach denken , ist ganz wol er- laubt, um, nach dieser Idee , eine vollstaͤndige und noth- wendige Einheit aller Gemuͤthskraͤfte, ob man sie gleich nicht in concreto einsehen kan, zum Princip unserer Beur- theilung ihrer inneren Erscheinungen zu legen. Aber die Seele als einfache Substanz anzunehmen, (ein transscen- denter Begriff) waͤre ein Satz, der nicht allein unerweis- C c c 2 lich Methodenlehre I. Hauptst. III. Absch. lich, (wie es mehrere physische Hypothesen sind) sondern auch ganz willkuͤrlich und blindlings gewagt seyn wuͤrde, weil das Einfache in ganz und gar keiner Erfahrung vor- kommen kan und, wenn man unter Substanz hier das be- harrliche Obiect der sinnlichen Anschauung versteht, die Moͤglichkeit einer einfachen Erscheinung gar nicht einzu- sehen ist. Blos intelligibele Wesen, oder blos intelligibele Eigenschaften der Dinge der Sinnenwelt, lassen sich mit keiner gegruͤndeten Befugniß der Vernunft als Meinung annehmen, obzwar (weil man von ihrer Moͤglichkeit oder Unmoͤglichkeit keine Begriffe hat) auch, durch keine ver- meinte bessere Einsicht, dogmatisch ableugnen. Zur Erklaͤrung gegebener Erscheinungen koͤnnen keine andere Dinge und Erklaͤrungsgruͤnde, als die, so nach schon bekanten Gesetzen der Erscheinungen, mit den gege- benen in Verknuͤpfung gesezt worden, angefuͤhrt werden. Eine transscendentale Hypothese, bey der eine blosse Idee der Vernunft zur Erklaͤrung der Naturdinge gebraucht wuͤrde, wuͤrde daher gar keine Erklaͤrung seyn, indem das, was man aus bekanten empirischen Principien nicht hinreichend versteht, durch etwas erklaͤrt werden wuͤrde, davon man gar nichts versteht. Auch wuͤrde das Princip einer solchen Hypothese eigentlich nur zur Befriedigung der Vernunft und nicht zur Befoͤrderung des Verstandesge- brauchs in Ansehung der Gegenstaͤnde dienen. Ordnung und Zweckmaͤssigkeit in der Natur muß wiederum aus Na- turgruͤnden und nach Naturgesetzen erklaͤrt werden und hier Die Disciplin d. r. Vernunft in Hypothesen. hier sind selbst die wildesten Hypothesen, wenn sie nur physisch sind, ertraͤglicher, als eine hyperphysische, d. i. die Berufung auf einen goͤttlichen Urheber, den man zu diesem Behuf voraussezt. Denn das waͤre ein Princip der faulen Vernunft, (ignaua ratio) alle Ursachen, deren obiective Realitaͤt, wenigstens der Moͤglichkeit nach, man noch durch fortgesezte Erfahrung kan kennen lernen, auf einmal vorbey zu gehen, um sich in einer blossen Idee, die der Vernunft sehr bequem ist, zu ruhen. Was aber die absolute Totalitaͤt des Erklaͤrungsgrundes in der Reihe der- selben betrift, so kan das keine Hinderniß in Ansehung der Weltobiecte machen, weil, da diese nichts als Erschei- nungen sind, an ihnen niemals etwas Vollendetes in der Synthesis der Reihen von Bedingungen gehoffet werden kan. Transscendentale Hypothesen des speculativen Ge- brauchs der Vernunft und eine Freiheit, zu Ersetzung des Mangels an physischen Erklaͤrungsgruͤnden, sich allenfals hyperphysischer zu bedienen, kan gar nicht gestattet wer- den, theils, weil die Vernunft dadurch gar nicht weiter gebracht wird, sondern vielmehr den ganzen Fortgang ih- res Gebrauchs abschneidet, theils weil diese Licenz sie zulezt um alle Fruͤchte der Bearbeitung ihres eigenthuͤmlichen Bodens, nemlich der Erfahrung bringen muͤßte. Denn, wenn uns die Naturerklaͤrung hie oder da schwer wird, so haben wir bestaͤndig einen transscendenten Erklaͤrungs- grund bey der Hand, der uns iener Untersuchung uͤberhebt, C c c 3 und Methodenlehre I. Hauptst. III. Absch. und unsere Nachforschung schließt nicht durch Einsicht, son- dern durch gaͤnzliche Unbegreiflichkeit eines Princips, wel- ches so schon zum voraus ausgedacht war, daß es den Be- griff des Absolutersten enthalten mußte. Das zweite erfoderliche Stuͤck zur Annehmungswuͤr- digkeit einer Hypothese ist die Zulaͤnglichkeit derselben, um daraus a priori die Folgen, welche gegeben sind, zu be- stimmen. Wenn man zu diesem Zwecke huͤlfleistende Hypo- thesen herbey zu rufen genoͤthigt ist, so geben sie den Ver- dacht einer blossen Erdichtung, weil iede derselben an sich dieselbe Rechtfertigung bedarf, welche der zum Grunde gelegte Gedanke noͤthig hatte und daher keinen tuͤchtigen Zeugen abgeben kan. Wenn, unter Voraussetzung einer unbeschraͤnktvollkommenen Ursache, zwar an Erklaͤrungs- gruͤnden aller Zweckmaͤssigkeit, Ordnung und Groͤsse, die sich in der Welt finden, kein Mangel ist, so bedarf iene doch, bey denen, wenigstens nach unseren Begriffen, sich zeigenden Abweichungen und Uebeln, noch neuer Hypothe- sen, um gegen diese, als Einwuͤrfe, gerettet zu werden. Wenn die einfache Selbststaͤndigkeit der menschlichen Seele, die zum Grunde ihrer Erscheinungen gelegt worden, durch die Schwierigkeiten ihrer, den Abaͤnderungen einer Ma- terie (dem Wachsthum und Abnahme) aͤhnlichen Phaͤno- mene angefochten wird, so muͤssen neue Hypothesen zu Huͤlfe gerufen werden, die zwar nicht ohne Schein, aber doch ohne alle Beglaubigung sind, ausser derienigen, wel- che Die Disciplin d. r. Vernunft in Hypothesen. che ihnen die zum Hauptgrunde angenommene Meinung giebt, der sie gleichwol das Wort reden sollen. Wenn die hier zum Beispiele angefuͤhrte Vernunft- behauptungen (unkoͤrperliche Einheit der Seele und Da- seyn eines hoͤchsten Wesens) nicht als Hypothesen, sondern a priori bewiesene Dogmate gelten sollen, so ist alsdenn von ihnen gar nicht die Rede. In solchem Falle aber sehe man sich ia vor: daß der Beweis die apodictische Ge- wißheit einer Demonstration habe. Denn die Wirklichkeit solcher Ideen blos wahrscheinlich machen zu wollen, ist ein ungereimter Vorsatz, eben so, als wenn man einen Satz der Geometrie blos wahrscheinlich zu beweisen gedaͤchte. Die von aller Erfahrung abgesonderte Vernunft kan alles nur a priori und als nothwendig oder gar nicht erkennen; daher ist ihr Urtheil niemals Meinung, sondern entweder Enthaltung von allem Urtheile, oder apodictische Gewiß- heit. Meinungen und wahrscheinliche Urtheile von dem, was Dingen zukomt, koͤnnen nur als Erklaͤrungsgruͤnde dessen, was wirklich gegeben ist, oder Folgen nach empi- rischen Gesetzen von dem, was als wirklich zum Grunde liegt, mithin nur in der Reihe der Gegenstaͤnde der Er- fahrung vorkommen. Ausser diesem Felde ist Meinen so viel, als mit Gedanken spielen, es muͤßte denn seyn, daß man von einem unsicheren Wege des Urtheils blos die Meinung haͤtte, vielleicht auf ihm die Wahrheit zu finden. C c c 4 Ob Methodenlehre I. Hauptst. III. Absch. Ob aber gleich bey blos speculativen Fragen der reinen Vernunft keine Hypothesen statt finden, um Saͤtze darauf zu gruͤnden, so sind sie dennoch ganz zulaͤssig, um sie allenfals nur zu vertheidigen, d. i. zwar nicht im dog- matischen, aber doch im polemischen Gebrauche. Ich ver- stehe aber unter Vertheidigung nicht die Vermehrung der Beweisgruͤnde seiner Behauptung, sondern die blosse Ver- eitelung der Scheineinsichten des Gegners, welche unserem behaupteten Satze Abbruch thun sollen. Nun haben aber alle synthetische Saͤtze aus reiner Vernunft das Eigen- thuͤmliche an sich: daß, wenn der, welcher die Realitaͤt gewisser Ideen behauptet, gleich niemals so viel weis, um diesen seinen Satz gewiß zu machen, auf der andern Seite der Gegner eben so wenig wissen kan, um das Widerspiel zu behaupten. Diese Gleichheit des Looses der menschli- chen Vernunft, beguͤnstigt nun zwar im speculativen Er- kentnisse keinen von beiden und da ist auch der rechte Kampf- platz nimmer beizulegender Fehden. Es wird sich aber in der Folge zeigen, daß doch, in Ansehung des practischen Gebrauchs , die Vernunft ein Recht habe, etwas anzu- nehmen, was sie auf keine Weise im Felde der blossen Speculation, ohne hinreichende Beweisgruͤnde, voraus- zusetzen befugt waͤre; weil alle solche Voraussetzungen der Vollkommenheit der Speculation Abbruch thun, um welche sich aber das practische Interesse gar nicht bekuͤmmert. Dort ist sie also im Besitze, dessen Rechtmaͤssigkeit sie nicht beweisen darf, und wovon sie in der That den Beweis auch nicht Die Disciplin d. r. Vernunft in Hypothesen. nicht fuͤhren koͤnte. Der Gegner soll also beweisen. Da dieser aber eben so wenig etwas von dem bezweifelten Ge- genstande weis, um dessen Nichtseyn darzuthun, als der erstere, der dessen Wirklichkeit behauptet: so zeigt sich hier ein Vortheil auf der Seite desienigen, der etwas als practischnothwendige Voraussetzung behauptet (melior est conditio possidentis) . Es steht ihm nemlich frey, sich gleichsam aus Nothwehr eben derselben Mittel vor seine gute Sache, als der Gegner wider dieselbe, d. i. der Hy- pothesen zu bedienen, die gar nicht dazu dienen sollen, um den Beweis derselben zu verstaͤrken, sondern nur zu zei- gen, daß der Gegner viel zu wenig von dem Gegenstande des Streits verstehe, als daß er sich eines Vortheils der speculativen Einsicht in Ansehung unserer schmeicheln koͤnne. Hypothesen sind also im Felde der reinen Vernunft nur als Kriegswaffen erlaubt, nicht um darauf ein Recht zu gruͤnden, sondern nur es zu vertheidigen. Den Geg- ner aber muͤssen wir hier iederzeit in uns selbst suchen. Denn speculative Vernunft in ihrem transscendentalen Gebrauche ist an sich dialectisch. Die Einwuͤrfe, die zu fuͤrchten seyn moͤchten, liegen in uns selbst. Wir muͤssen sie, gleich alten, aber niemals veriaͤhrenden Anspruͤchen, her- vorsuchen, um einen ewigen Frieden auf deren Vernichti- gung zu gruͤnden. Aeussere Ruhe ist nur scheinbar. Der Keim der Anfechtungen, der in der Natur der Menschen- vernunft liegt, muß ausgerottet werden; wie koͤnnen wir C c c 5 ihn Methodenlehre I. Hauptst. III. Absch. ihn aber ausrotten, wenn wir ihm nicht Freiheit, ia selbst Nahrung geben, Kraut auszuschiessen, um sich dadurch zu entdecken, und es nachher mit der Wurtzel zu vertilgen. Sinnet demnach selbst auf Einwuͤrfe, auf die noch kein Geg- ner gefallen ist und leihet ihm so gar Waffen, oder raͤumt ihm den guͤnstigsten Platz ein, den er sich nur wuͤn- schen kan. Es ist hiebey gar nichts zu fuͤrchten, wol aber zu hoffen, nemlich, daß ihr euch einen in alle Zukunft nie- mals mehr anzufechtenden Besitz verschaffen werdet. Zu eurer vollstaͤndigen Ruͤstung gehoͤren nun auch die Hypothesen der reinen Vernunft, welche, obzwar nur bleierne Waffen, (weil sie durch kein Erfahrungsgesetz ge- staͤhlt sind), dennoch immer so viel vermoͤgen, als die, deren sich irgend ein Gegner wider euch bedienen mag. Wenn euch also, wider die (in irgend einer anderen nicht speculativen Ruͤcksicht) angenommene immaterielle und kei- ner koͤrperlichen Umwandlung unterworfene Natur der Seele, die Schwierigkeit aufstoͤßt: daß gleichwol die Erfah- rung so wol die Erhebung, als Zerruͤttung unserer Geistes- kraͤfte blos als verschiedene Modification unserer Organen zu beweisen scheine, so koͤnt ihr die Kraft dieses Beweises dadurch schwaͤchen: daß ihr annehmt, unser Koͤrper sey nichts, als die Fundamentalerscheinung, worauf, als Be- dingung, sich in dem ietzigen Zustande (im Leben) das ganze Vermoͤgen der Sinnlichkeit und hiemit alles Denken bezieht. Die Trennung vom Coͤrper sey das Ende dieses sinnlichen Gebrauchs eurer Erkentnißkraft und der Anfang des Die Disciplin d. r. Vernunft in Hypothesen. des intellectuellen. Der Coͤrper waͤre also nicht die Ursa- che des Denkens, fondern eine blos restringirende Bedin- gung desselben, mithin zwar als Befoͤrderung des sinnli- chen und animalischen, aber desto mehr auch als Hin- derniß des reinen und spirituellen Lebens anzusehen, und die Abhaͤngigkeit des ersteren von der koͤrperlichen Be- schaffenheit bewiese nichts vor die Abhaͤngigkeit des gan- zen Lebens, von dem Zustande unserer Organen. Ihr koͤnt aber noch weiter gehen und wol gar neue, entwe- der nicht aufgeworfene, oder nicht weit genug getriebene Zweifel ausfindig machen. Die Zufaͤlligkeit der Zeugungen, die bey Menschen, so wie beim vernunftlosen Geschoͤpfe, von der Gelegenheit, uͤberdem aber auch oft vom Unterhalte, von der Regierung, deren Launen und Einfaͤllen, oft so gar vom Laster abhaͤngt, macht eine grosse Schwierigkeit wider die Meinung, der auf Ewigkeiten sich erstreckenden Fortdauer eines Geschoͤpfs, dessen Leben unter so unerheblichen und unserer Freiheit so ganz und gar uͤberlassenen Umstaͤnden zuerst angefangen hat. Was die Fortdauer der ganzen Gattung (hier auf Erden) betrift, so hat diese Schwierigkeit in Ansehung der- selben wenig auf sich, weil der Zufall im Einzelnen nichts desto weniger einer Regel im Ganzen unterworfen ist; aber in Ansehung eines ieden Individuum eine so maͤchtige Wir- kung von so geringsuͤgigen Ursachen zu erwarten, scheint allerdings bedenklich. Hiewider koͤnt ihr aber eine transscen- dentale Hypothese aufbieten: daß alles Leben eigentlich nur intelli- Methodenlehre I. Hauptst. III. Absch. intelligibel sey, den Zeitveraͤnderungen gar nicht unter- worfen und weder durch Geburt angefangen habe, noch durch den Tod geendigt werde. Daß dieses Leben nichts als eine blosse Erscheinung, d. i. eine sinnliche Vorstellung von dem reinen geistigen Leben und die ganze Sinnenwelt ein blosses Bild sey, welches unserer iezigen Erkentnißart vor- schwebt und, wie ein Traum, an sich keine obiective Rea- litaͤt habe: daß, wenn wir die Sachen und uns selbst an- schauen sollen, wie sie sind, wir uns in einer Welt geisti- ger Naturen sehen wuͤrden, mit welcher unsere einzig- wahre Gemeinschaft weder durch Geburt angefangen habe, noch durch den Leibestod (als blosse Erscheinungen) auf- hoͤren werde, u. s. w. Ob wir nun gleich von allem diesem, was wir hier wider den Angriff hypothetisch vorschuͤtzen, nicht das Min- deste wissen, noch im Ernste behaupten, sondern alles nicht einmal Vernunftidee, sondern blos zur Gegenwehr aus- gedachter Begriff ist, so verfahren wir doch hiebey ganz vernunftmaͤssig, indem wir dem Gegner, welcher alle Moͤg- lichkeit erschoͤpft zu haben meint, indem er den Mangel ihrer empirischen Bedingungen vor einen Beweis der gaͤnzlichen Unmoͤglichkeit, des von uns Geglaubten, faͤlsch- lich ausgiebt, nur zeigen: daß er eben so wenig durch blos- se Erfahrungsgesetze das ganze Feld moͤglicher Dinge an sich selbst umspannen, als wir ausserhalb der Erfahrung vor unsere Vernunft irgend etwas auf gegruͤndete Art er- werben koͤnnen. Der solche hypothetische Gegenmittel wi- der Die Disciplin d. r. Vernunft in Hypothesen. der die Anmassungen des dreustverneinenden Gegners vorkehrt, muß nicht davor gehalten werden, als wolle er sie sich als seine wahre Meinungen eigen machen. Er ver- laͤßt sie, sobald er den dogmatischen Eigenduͤnkel des Geg- ners abgefertigt hat. Denn so bescheiden und gemaͤssigt es auch anzusehen ist, wenn iemand sich in Ansehung frem- der Behauptungen blos weigernd und verneinend verhaͤlt, so ist doch iederzeit, sobald er diese seine Einwuͤrfe als Be- weise des Gegentheils geltend machen will, der Anspruch nicht weniger stolz und eingebildet, als ob er die beiahende Parthey und deren Behauptung ergriffen haͤtte. Man siehet also hieraus: daß im speculativen Ge- brauche der Vernunft Hypothesen keine Guͤltigkeit, als Meinungen an sich selbst, sondern nur relativ auf entge- gengesezte transscendente Anmassungen haben. Denn die Ausdehnung der Principien moͤglicher Erfahrung auf die Moͤglichkeit der Dinge uͤberhaupt ist eben so wol trans- scendent, als die Behauptung der obiectiven Realitaͤt sol- cher Begriffe, welche ihre Gegenstaͤnde nirgend, als aus- serhalb der Graͤnze aller moͤglichen Erfahrung finden koͤn- nen. Was reine Vernunft assertorisch urtheilt, muß (wie alles, was Vernunft erkent) nothwendig seyn, oder es ist gar nichts. Demnach enthaͤlt sie in der That gar keine Meinungen. Die gedachte Hypothesen aber sind nur pro- blematische Urtheile, die wenigstens nicht widerlegt, ob- gleich freilich durch nichts bewiesen werden koͤnnen, und sind Methodenlehre I. Hauptst. IV. Absch. sind also keine Privatmeinungen, koͤnnen aber doch nicht fuͤglich (selbst zur inneren Beruhigung) gegen sich regende Scrupel entbehrt werden. In dieser Qualitaͤt aber muß man sie erhalten und ia sorgfaͤltig verhuͤten, daß sie nicht, gleich als an sich selbst beglaubigt und von einiger abso- luten Guͤltigkeit, auftreten und die Vernunft unter Er- dichtungen und Blendwerken ersaͤufen. Des ersten Hauptstuͤcks Vierter Abschnitt. Die Disciplin der reinen Vernunft in Ansehung ihrer Beweise. D ie Beweise transscendentaler und synthetischer Saͤtze haben das Eigenthuͤmliche, unter allen Beweisen einer synthetischen Erkentniß a priori an sich; daß die Vernunft bey ienen vermittelst seiner Begriffe sich nicht geradezu an den Gegenstand wenden darf, sondern zuvor die obiective Guͤltigkeit der Begriffe und die Moͤglichkeit der Synthesis derselben a priori darthun muß. Die- ses ist nicht etwa blos eine noͤthige Regel der Behutsam- keit, sondern betrift das Wesen und die Moͤglichkeit der Beweise selbst. Wenn ich uͤber den Begriff von einem Gegenstande a priori hinausgehen soll, so ist dieses, ohne einen besonderen und ausserhalb diesem Begriffe befindli- chen Leitfaden, unmoͤglich. In der Mathematik ist es die Anschauung a priori, die meine Synthesis leitet und da koͤnnen alle Schluͤsse unmittelbar an der reinen Anschau- ung Die Disciplin d. r. Vernunft in Beweisen. ung gefuͤhrt werden. Im transscendentalen Erkentniß, so lange es blos mit Begriffen des Verstandes zu thun hat, ist diese Richtschnur die moͤgliche Erfahrung. Der Beweis zeigt nemlich nicht: daß der gegebene Begriff (z. B. von dem, was geschieht) geradezu auf einen anderen Begriff (dem einer Ursache) fuͤhre; denn dergleichen Uebergang waͤre ein Sprung, der sich gar nicht verantworten liesse, sondern er zeigt: daß die Erfahrung selbst, mithin das Obiect der Erfahrung, ohne eine solche Verknuͤpfung un- moͤglich waͤre. Also mußte der Beweis zugleich die Moͤg- lichkeit anzeigen, synthetisch und a priori zu einer gewis- sen Erkentniß von Dingen zu gelangen, die in dem Be- griffe von ihnen nicht enthalten war. Ohne diese Auf- merksamkeit laufen die Beweise wie Wasser, welche ihre Ufer durchbrechen, wild und querfeld ein, dahin, wo der Hang der verborgenen Association sie zufaͤlliger Weise her- leitet. Der Schein der Ueberzeugung, welcher auf sub- iectiven Ursachen der Association beruht und vor die Ein- sicht einer natuͤrlichen Affinitaͤt gehalten wird, kan der Bedenklichkeit gar nicht die Wage halten, die sich billiger maassen uͤber dergleichen gewagte Schritte einfinden muß. Daher sind auch alle Versuche, den Satz des zureichenden Grundes zu beweisen, nach dem allgemeinen Gestaͤndnisse der Kenner, vergeblich gewesen und, ehe die transscen- dentale Critik auftrat, hat man lieber, da man diesen Grundsatz doch nicht verlassen konte, sich trotzig auf den gesunden Menschenverstand berufen, (eine Zuslucht, die ieder- Methodenlehre I. Hauptst. IV. Absch. iederzeit beweiset, daß die Sache der Vernunft verzweifelt ist), als neue dogmatische Beweise versuchen wollen. Ist aber der Satz, uͤber den ein Beweis gefuͤhrt werden soll, eine Behauptung der reinen Vernunft und will ich so gar vermittelst blosser Ideen uͤber meine Erfah- rungsbegriffe hinausgehen, so muͤßte derselbe noch viel- mehr die Rechtfertigung eines solchen Schrittes der Syn- thesis (wenn er anders moͤglich waͤre) als eine nothwen- dige Bedingung seiner Beweiskraft in sich enthalten. So scheinbar daher auch der vermeintliche Beweis der einfa- chen Natur unserer denkenden Substanz aus der Einheit der Apperception seyn mag, so steht ihm doch die Bedenk- lichkeit unabweislich entgegen: daß, da die absolute Ein- fachheit doch kein Begriff ist, der unmittelbar auf eine Wahrnehmung bezogen werden kan, sondern als Idee blos geschlossen werden muß, gar nicht einzusehen ist, wie mich das blosse Bewustseyn, welches in allem Denken ent- halten ist, oder wenigstens seyn kan, ob es zwar so fern eine einfache Vorstellung ist, zu dem Bewustseyn und der Kentniß eines Dinges uͤberfuͤhren solle, in welchem das Denken allein enthalten seyn kan. Denn, wenn ich mir die Kraft meines Koͤrpers in Bewegung vorstelle, so ist er so fern vor mich absolute Einheit und meine Vorstellung von ihm ist einfach, daher kan ich diese auch durch die Bewegung eines Puncts ausdruͤcken, weil sein Volumen hiebey nichts thut und, ohne Verminderung der Kraft, so klein, wie man will, und also auch als in einem Punct befind- Die Disciplin d. r. Vernunft in Beweisen. befindlich gedacht werden kan. Hieraus werde ich aber doch nicht schliessen: daß, wenn mir nichts, wie die be- wegende Kraft eines Coͤrpers, gegeben ist, der Coͤrper als einfache Substanz gedacht werden koͤnne, darum, weil seine Vorstellung von aller Groͤsse des Raumesinhalts ab- strahirt und also einfach ist. Hiedurch nun, daß das Einfache in der Abstraction vom Einfachen im Obiect ganz unterschieden ist und daß das Ich, welches im ersteren Verstande gar keine Mannigfaltigkeit in sich faßt, im zwei- ten, da es die Seele selbst bedeutet, ein sehr complexer Be- griff seyn kan, nemlich sehr vieles unter sich zu enthalten und zu bezeichnen, entdecke ich einen Paralogism. Allein, um diesen vorher zu ahnden, (denn, ohne eine solche vor- laͤufige Vermuthung, wuͤrde man gar keinen Verdacht ge- gen den Beweis fassen) ist durchaus noͤthig, ein immer- waͤhrendes Criterium der Moͤglichkeit solcher synthetischen Saͤtze, die mehr beweisen sollen, als Erfahrung geben kan, bey Hand zu haben, welches darin besteht: daß der Be- weis nicht geradezu auf das verlangte Praͤdicat, sondern nur vermittelst eines Princips der Moͤglichkeit, unseren ge- gebenen Begriff a priori bis zu Ideen zu erweitern und diese zu realisiren, gefuͤhrt werde. Wenn diese Behut- samkeit immer gebraucht wird, wenn man, ehe der Be- weis noch versucht wird, zuvor weislich bey sich zu Rathe geht, wie und mit welchem Grunde der Hoffnung man wol eine solche Erweiterung durch reine Vernunft erwarten koͤnne und woher man, in dergleichen Falle, diese Einsich- D d d ten, Methodenlehre I. Hauptst. IV. Absch. ten, die nicht aus Begriffen entwickelt und auch nicht in Beziehung auf moͤgliche Erfahrung anticipirt werden koͤn- nen, denn hernehmen wolle: so kan man sich viel schwere und dennoch fruchtlose Bemuͤhungen ersparen, indem man der Vernunft nichts zumuthet, was offenbar uͤber ihr Ver- moͤgen geht, oder vielmehr sie, die, bey Anwandlungen ihrer speculativen Erweiterungssucht, sich nicht gerne ein- schraͤnken laͤßt, der Disciplin der Enthaltsamkeit un- terwirft. Die erste Regel ist also diese: keine transscendentale Beweise zu versuchen, ohne zuvor uͤberlegt und sich des- fals gerechtfertigt zu haben, woher man die Grundsaͤtze nehmen wolle, auf welche man sie zu errichten gedenkt und mit welchem Rechte man von ihnen den guten Erfolg der Schluͤsse erwarten koͤnne. Sind es Grundsaͤtze des Ver- standes (z. B. der Caussalitaͤt), so ist es umsonst, vermit- telst ihrer, zu Ideen der reinen Vernunft zu gelangen; denn iene gelten nur vor Gegenstaͤnde moͤglicher Erfahrung. Sollen es Grundsaͤtze aus reiner Vernunft seyn, so ist wiederum alle Muͤhe umsonst. Denn die Vernunft hat deren zwar, aber als obiective Grundsaͤtze sind sie insge- samt dialectisch und koͤnnen allenfals nur wie regulative Principien des systematischzusammenhangenden Erfahrungs- gebrauchs guͤltig seyn. Sind aber dergleichen angebliche Beweise schon vorhanden: so setzet der truͤglichen Ueber- zeugung das non liquet eurer gereiften Urtheilskraft ent- gegen Die Disciplin d. r. Vernunft in Beweisen. gegen und, ob ihr gleich das Blendwerk derselben noch nicht durchdringen koͤnt, so habt ihr doch voͤlliges Recht, die Deduction der darin gebrauchten Grundsaͤtze zu verlan- gen, welche, wenn sie aus blosser Vernunft entsprungen seyn sollen, euch niemals geschaffet werden kan. Und so habt ihr nicht einmal noͤthig, euch mit der Entwickelung und Widerlegung eines ieden grundlosen Scheins zu be- fassen, sondern koͤnt alle an Kunstgriffen unerschoͤpfliche Dialectik am Gerichtshofe einer critischen Vernunft, welche Gesetze verlangt, in ganzen Haufen auf einmal abweisen. Die zweite Eigenthuͤmlichkeit transscendentaler Be- weise ist diese: daß zu iedem transscendentalen Satze nur ein einziger Beweis gefunden werden koͤnne. Soll ich nicht aus Begriffen, sondern aus der Anschauung, die einem Begriffe correspondirt, es sey nun eine reine Anschau- ung, wie in der Mathematik, oder empirische, wie in der Naturwissenschaft, schliessen: so giebt mir die zum Grunde gelegte Anschauung mannigfaltigen Stoff zu syn- thetischen Saͤtzen, welchen ich auf mehr wie eine Art ver- knuͤpfen und, indem ich von mehr wie einem Puncte aus- gehen darf, durch verschiedene Wege zu demselben Satze gelangen kan. Nun geht aber ein ieder transscendentaler Satz blos von einem Begriffe aus und sagt die synthetische Bedin- gung der Moͤglichkeit des Gegenstandes nach diesem Be- griffe. Der Beweisgrund kan also nur ein einziger seyn, weil ausser diesem Begriffe nichts weiter ist, wodurch der D d d 2 Ge- Methodenlehre I. Hauptst. IV. Absch. Gegenstand bestimt werden koͤnte, der Beweis also nichts weiter, als die Bestimmung eines Gegenstandes uͤberhaupt nach diesem Begriffe, der auch nur ein einziger ist, enthalten kan. Wir hatten z. B. in der transscendentalen Analytik den Grundsatz: alles was geschieht, hat eine Ursache, aus der einzigen Bedingung der obiectiven Moͤglichkeit eines Begriffs, von dem, was uͤberhaupt geschieht, gezogen: daß die Bestimmung einer Begebenheit in der Zeit, mit- hin diese (Begebenheit) als zur Erfahrung gehoͤrig, ohne unter einer solchen dynamischen Regel zu stehen, unmoͤg- lich waͤre. Dieses ist nun auch der einzigmoͤgliche Beweis- grund; denn dadurch nur, daß dem Begriffe vermittilst des Gesetzes der Caussalitaͤt ein Gegenstand bestimt wird, hat die vorgestellte Begebenheit obiective Guͤltigkeit, d. i. Wahrheit. Man hat zwar noch andere Beweise von die- sem Grundsatze z. B. aus der Zufaͤlligkeit versucht; allein, wenn dieser beim Lichten betrachtet wird, so kan man kein Kennzeichen der Zufaͤlligkeit auffinden, als das geschehen, d. i. das Daseyn, vor welchem ein Nichtseyn des Gegen- standes vorher geht und komt also immer wiederum auf den nemlichen Beweisgrund zuruͤck. Wenn der Satz be- wiesen werden soll: alles, was denkt, ist einfach, so haͤlt man sich nicht bey dem Mannigfaltigen des Denkens auf, sondern beharret blos bey dem Begriffe des Ich, welcher einfach ist und worauf alles Denken bezogen wird. Eben so ist es mit dem transscendentalen Beweise vom Daseyn Gottes bewandt, welcher lediglich auf der Reciprocabili- taͤt Die Disciplin d. r. Vernunft in Beweisen. taͤt der Begriffe vom realesten und nothwendigen Wesen beruht und nirgend anders gesucht werden kan. Durch diese warnende Anmerkung wird die Critik der Vernunftbehauptungen sehr ins kleine gebracht. Wo Vernunft ihr Geschaͤfte durch blosse Begriffe treibt, da ist nur ein einziger Beweis moͤglich, wo uͤberall nur irgend einer moͤglich ist. Daher, wenn man schon den Dogma- tiker mit zehn Beweisen auftreten sieht, da kan man sicher glauben, daß er gar keinen habe. Denn haͤtte er einen, der (wie es in Sachen der reinen Vernunft seyn muß) apodictisch bewiese, wozu beduͤrfte er der uͤbrigen. Seine Absicht ist nur, wie die von ienem Parlementsadvocaten: das eine Argument ist vor diesen, das andere vor ienen, nemlich, um sich die Schwaͤche seiner Richter zu Nutze zu machen, die, ohne sich tief einzulassen und, um von dem Geschaͤfte bald loszukommen, das Erstebeste, was ihnen eben auffaͤlt, ergreifen und darnach entscheiden. Die dritte eigenthuͤmliche Regel der reinen Vernunft, wenn sie in Ansehung transscendentaler Beweise einer Dis- ciplin unterworfen wird, ist: daß ihre Beweise niemals apogogisch , sondern iederzeit oftensiv seyn muͤssen. Der directe oder ostensive Beweis ist in aller Art der Erkent- niß derienige, welcher mit der Ueberzeugung von der Wahr- heit, zugleich Einsicht in die Quellen derselben verbindet, der apogogische dagegen kan zwar Gewißheit, aber nicht Begreiflichkeit der Wahrheit in Ansehung des Zusammen- hanges mit den Gruͤnden ihrer Moͤglichkeit hervorbringen. D d d 3 Daher Methodenlehre I. Hauptst. IV. Absch. Daher sind die leztere mehr eine Nothhuͤlfe, als ein Ver- fahren, welches allen Absichten der Vernunft ein Gnuͤge thut. Doch haben diese einen Vorzug der Evidenz vor den directen Beweisen, darin: daß der Widerspruch alle- mal mehr Klarheit in der Vorstellung bey sich fuͤhrt, als die beste Verknuͤpfung und sich dadurch dem anschaulichen einer Demonstration mehr naͤhert. Die eigentliche Ursache des Gebrauchs apogogischer Beweise in verschiedenen Wissenschaften ist wol diese. Wenn die Gruͤnde von denen eine gewisse Erkentniß abgeleitet werden soll, zu mannigfaltig oder zu tief verborgen liegen: so versucht man, ob sie nicht durch die Folgen zu erreichen sey. Nun waͤre der modus ponens, auf die Wahrheit einer Erkentniß aus der Wahrheit ihrer Folgen zu schlies- sen, nur alsdenn erlaubt, wenn alle moͤgliche Folgen daraus wahr sind; denn alsdenn ist zu diesem nur ein ein- ziger Grund moͤglich, der also auch der wahre ist. Die- ses Verfahren aber ist unthunlich, weil es uͤber unsere Kraͤfte geht, alle moͤgliche Folgen von irgend einem ange- nommenen Satze einzusehen; doch bedient man sich dieser Art zu schliessen, obzwar freilich mit einer gewissen Nach- sicht, wenn es darum zu thun ist, um etwas blos als Hypothese zu beweisen, indem man den Schluß nach der Analogie einraͤumt: daß, wenn so viele Folgen, als man nur immer versucht hat, mit einem angenommenen Grun- de wol zusammenstimmen, alle uͤbrige moͤgliche auch dar- auf einstimmen werden. Um deswillen kan durch diesen Weg Die Disciplin d. r. Vernunft in Beweisen. Weg niemals eine Hypothese in demonstrirte Wahrheit ver- wandelt werden. Der modus tollens der Vernunftschluͤsse, die von den Folgen auf die Gruͤnde schliessen, beweiset nicht allein ganz strenge, sondern auch uͤberaus leicht. Denn, wenn auch nur eine einzige falsche Folge aus einem Satze gezogen werden kan, so ist dieser Satz falsch. An- statt nun die ganze Reihe der Gruͤnde in einem ostensiven Beweise durchzulaufen, die auf die Wahrheit einer Er- kentniß, vermittelst der vollstaͤndigen Einsicht in ihre Moͤg- lichkeit, fuͤhren kan, darf man nur unter denen aus dem Gegentheil derselben fliessende Folgen eine einzige falsch finden, so ist dieses Gegentheil auch falsch, mithin die Erkentniß, welche man zu beweisen hatte, wahr. Die apogogische Beweisart kan aber nur in denen Wissenschaften erlaubt seyn, wo es unmoͤglich ist, das Subiective unserer Vorstellungen dem Obiectiven, nem- lich der Erkentniß desienigen, was am Gegenstande ist, zu unterschieben . Wo dieses leztere aber herrschend ist, da muß es sich haͤufig zutragen, daß das Gegentheil eines gewissen Satzes entweder blos den subiectiven Bedingun- gen des Denkens widerspricht, aber nicht dem Gegenstande, oder daß beide Saͤtze nur unter einer subiectiven Bedin- gung, die, faͤlschlich vor obiectiv gehalten, einander wider- sprechen und da die Bedingung falsch ist, alle beide falsch seyn koͤnnen, ohne daß von der Falschheit des einen auf die Wahrheit des andern geschlossen werden kan. D d d 4 In Methodenlehre I. Hauptst. IV. Absch. In der Mathematik ist diese Subreption unmoͤglich; daher haben sie daselbst auch ihren eigentlichen Platz. In der Naturwissenschaft, weil sich daselbst alles auf empiri- sche Anschauungen gruͤndet, kan iene Erschleichung durch viel verglichene Beobachtungen zwar mehrentheils verhuͤ- tet werden; aber diese Beweisart ist daselbst doch mehren- theils unerheblich. Aber die transscendentalen Versuche der reinen Vernunft werden insgesamt innerhalb dem ei- gentlichen Medium des dialectischen Scheins angestellt, d. i. des Subiectiven, welches sich der Vernunft in ihren Praͤ- missen als obiectiv anbietet, oder gar aufdringt. Hier nun kan es, was synthetische Saͤtze betrift, gar nicht er- laubt werden, seine Behauptungen dadurch zu rechtferti- gen, daß man das Gegentheil widerlegt. Denn, entweder diese Widerlegung ist nichts anders, als die blosse Vorstel- lung des Widerstreits der entgegengesezten Meinung, mit den subiectiven Bedingungen der Begreiflichkeit durch un- sere Vernunft, welches gar nichts dazu thut, um die Sache selbst darum zu verwerfen, (so wie z. B. die unbedingte Nothwendigkeit im Daseyn eines Wesens schlechterdings von uns nicht begriffen werden kan, und sich daher subie- ctiv iedem speculativen Beweise eines nothwendigen ober- sten Wesens mit Recht, der Moͤglichkeit eines solchen Ur- wesens aber an sich selbst mit Unrecht widersezt), oder beide, sowol der behauptende, als der verneinende Theil, legen, durch den transscendentalen Schein betrogen, einen unmoͤglichen Begriff vom Gegenstande zum Grunde und da Die Disciplin d. r. Vernunft in Beweisen da gilt die Regel: non entis nulla sunt praedicata, d. i. sowol was man beiahend, als was man verneinend von dem Gegenstande behauptete, ist beides unrichtig und man kan nicht apogogisch durch die Widerlegung des Ge- gentheils zur Erkentniß der Wahrheit gelangen. So wie zum Beispiel, wenn vorausgesezt wird: daß die Sinnen- welt an sich selbst ihrer Totalitaͤt nach gegeben sey, so ist es falsch, daß sie entweder unendlich dem Raume nach, oder endlich und begraͤnzt seyn muͤsse, darum, weil beides falsch ist. Denn Erscheinungen (als blosse Vorstellungen), die doch an sich selbst (als Obiecte) gegeben waͤren, sind etwas Unmoͤgliches und die Unendlichkeit dieses eingebilde- ten Ganzen wuͤrde zwar unbedingt seyn, widerspraͤche aber (weil alles an Erscheinungen bedingt ist) der unbe- dingten Groͤssenbestimmung, die doch im Begriffe voraus- gesezt wird. Die apogogische Beweisart ist auch das eigentliche Blendwerk, womit die Bewunderer der Gruͤndlichkeit un- serer dogmatischen Vernuͤnftler iederzeit hingehalten wor- den: sie ist gleichsam der Champion, der die Ehre und das unstreitige Recht seiner genommenen Parthey dadurch beweisen will, daß er sich mit iederman zu raufen anhei- schig macht, der es bezweifeln wolte, obgleich durch solche Großsprecherey nichts in der Sache, sondern nur der re- spectiven Staͤrke der Gegner ausgemacht wird, und zwar auch nur auf der Seite desienigen, der sich angreifend verhaͤlt. Die Zuschauer, indem sie sehen, daß ein ieder D d d 5 in Methodenlehre I. Hauptst. IV. Absch. ꝛc. in seiner Reihe bald Sieger ist, bald unterliegt, nehmen oftmals daraus Anlaß, das Obiect des Streits selbst sceptisch zu bezweifeln. Aber sie haben nicht Ursache dazu und es ist gnug, ihnen zuzurufen: non defensoribus istis tem- pus eger . Ein ieder muß seine Sache vermittelst eines, durch transscendentale Deduction der Beweisgruͤnde ge- fuͤhrten rechtlichen Beweises, d. i. direct fuͤhren, damit man sehe, was seine Vernunftanspruͤche vor sich selbst anzu- fuͤhren haben. Denn fusset sich sein Gegner auf subiective Gruͤnde, so ist er freilich leicht zu widerlegen, aber ohne Vortheil vor den Dogmatiker, der gemeiniglich eben so den subiectiven Ursachen des Urtheils anhaͤngt und gleicher- gestalt von seinem Gegner in die Enge getrieben werden kan. Verfahren aber be i de Theile blos direct, so wer- den sie entweder die Schwierigkeit, ia Unmoͤglichkeit, den Titel ihrer Behauptungen auszufinden, von selbst bemerken, und sich zulezt nur auf Veriaͤhrung berufen koͤnnen, oder die Critik wird den dogmatischen Schein leicht entdecken und die reine Vernunft noͤthigen, ihre zu hoch getriebene Anmassungen im speculativen Gebrauch aufzugeben und sich innerhalb die Graͤnzen ihres eigenthuͤmlichen Bodens, nemlich practischer Grundsaͤtze, zuruͤck zu ziehen. Der Der Transscendentalen Methodenlehre Zweites Hauptstuͤck . Der Canon der reinen Vernunft. E s ist demuͤthigend vor die menschliche Vernunft, daß sie in ihrem reinen Gebrauche nichts ausrichtet, und so gar noch einer Disciplin bedarf, um ihre Ausschwei- fungen zu baͤndigen und die Blendwerke, die ihr daher kommen, zu verhuͤten. Allein anderer Seits erhebt es sie wiederum und giebt ihr ein Zutrauen zu sich selbst, daß sie diese Disciplin selbst ausuͤben kan und muß, ohne eine andere Censur uͤber sich zu gestatten, imgleichen, daß die Graͤnzen, die sie ihrem speculativen Gebrauche zu setzen genoͤthigt ist, zugleich die vernuͤnftelnde Anmassungen iedes Gegners einschraͤnken und mithin alles, was ihr noch von ihren vorher uͤbertriebenen Foderungen uͤbrig bleiben moͤch- te, gegen alle Angriffe sicher stellen koͤnne. Der groͤßte und vielleicht einzige Nutze aller Philosophie der reinen Ver- nunft ist also wol nur negativ; da sie nemlich nicht, als Organon, zur Erweiterung, sondern, als Disciplin, zur Graͤnzbestimmung dient und, anstatt Wahrheit zu entde- cken, nur das stille Verdienst hat, Irrthuͤmer zu ver- huͤten. Indessen muß es doch irgendwo einen Quell von po- sitiven Erkentnissen geben, welche ins Gebiete der reinen Vernunft gehoͤren und die vielleicht nur durch Mißverstand zu Methodenlehre II. Hauptst. zu Irrthuͤmern Anlaß geben, in der That aber das Ziel der Beeiferung der Vernunft ausmachen. Denn welcher Ursache solte sonst wol die nicht zu daͤmpfende Begierde, durchaus uͤber die Graͤnze der Erfahrung hinaus irgend- wo festen Fuß zu fassen, zuzuschreiben seyn. Sie ahndet Gegenstaͤnde, die ein grosses Interesse vor sie bey sich fuͤh- ren. Sie tritt den Weg der blossen Speculation an, um sich ihnen zu naͤheren; aber diese fliehen vor sie. Ver- muthlich wird auf dem einzigen Wege, der ihr noch uͤbrig ist, nemlich dem des practischen Gebrauchs, besseres Gluͤck vor sie zu hoffen seyn. Ich verstehe unter einem Canon den Inbegriff der Grundsaͤtze a priori des richtigen Gebrauchs gewisser Er- kentnißvermoͤgen uͤberhaupt. So ist die allgemeine Logik in ihrem analytischen Theile ein Canon vor Verstand und Vernunft uͤberhaupt, aber nur der Form nach, denn sie abstrahirt von allem Inhalte. So war die transscenden- tale Analytik der Canon des reinen Verstandes ; denn der ist allein wahrer synthetischer Erkentnisse a priori faͤhig. Wo aber kein richtiger Gebrauch einer Erkentnißkraft moͤg- lich ist, da giebt es keinen Canon. Nun ist alle syntheti- sche Erkentniß der reinen Vernunft in ihrem speculativen Gebrauche, nach allen bisher gefuͤhrten Beweisen, gaͤnz- lich unmoͤglich. Also giebt es gar keinen Canon des spe- culativen Gebrauchs derselben (denn dieser ist durch und durch dialectisch), sondern alle transscendentale Logik ist in dieser Absicht nichts als Disciplin. Folglich, wenn es uͤberall Der Canon der reinen Vernunft. uͤberall einen richtigen Gebrauch der reinen Vernunft giebt, in welchem Fall es auch einen Canon derselben geben muß, so wird dieser nicht den speculativen, sondern den practischen Vernunftgebrauch betreffen, den wir also iezt untersuchen wollen. Des Canons der reinen Vernunft Erster Abschnitt. Von dem lezten Zwecke des reinen Gebrauchs unserer Vernunft. D ie Vernunft wird durch einen Hang ihrer Natur ge- trieben, uͤber den Erfahrungsgebrauch hinaus zu gehen, sich in einem reinen Gebrauche und vermittelst blosser Ideen zu den aͤussersten Graͤnzen aller Erkentniß hinaus zu wagen und nur allererst in der Vollendung ih- res Kreises, in einem vor sich bestehenden systematischen Ganzen, Ruhe zu finden. Ist nun diese Bestrebung blos auf ihr speculatives, oder vielmehr einzig und allein auf ihr practisches Interesse gegruͤndet? Ich will das Gluͤck, welches die reine Vernunft in speculativer Absicht macht, iezt bey Seite setzen und frage nur nach denen Aufgaben, deren Aufloͤsung ihren lezten Zweck ausmacht, sie mag diesen nun erreichen oder nicht, und in Ansehung dessen alle andere blos den Werth der Mit- tel haben. Diese hoͤchste Zwecke werden, nach der Natur der Methodenlehre II. Hauptst. I. Absch. der Vernunft, wiederum Einheit haben muͤssen, um das- ienige Interesse der Menschheit, welches keinem hoͤheren untergeordnet ist, vereinigt zu befoͤrdern. Die Endabsicht, worauf die Speculation der Ver- nunft im transscendentalen Gebrauche zulezt hinauslaͤuft, betrift drey Gegenstaͤnde: die Freiheit des Willens, die Unsterblichkeit der Seele, und das Daseyn Gottes. In Ansehung aller dreien ist blos das speculative Interesse der Vernunft nur sehr gering, und in Absicht auf dasselbe wuͤrde wol schwerlich eine ermuͤdende, mit unaufhoͤrlichen Hindernis- sen ringende Arbeit transsc. Nachforschung, uͤbernommen wer- den, weil man von allen Entdeckungen, die hieruͤber zu machen seyn moͤchten, doch keinen Gebrauch machen kan, der in concreto, d. i. in der Naturforschung, seinen Nu- tzen bewiese. Der Wille mag auch frey seyn, so kan die- ses doch nur die intelligibele Ursache unseres Wollens an- gehen. Denn, was die Phaͤnomene der Aeusserungen des- selben, d. i. die Handlungen betrift, so muͤssen wir, nach einer unverletzlichen Grundmaxime, ohne welche wir keine Vernunft in empirischem Gebrauche ausuͤben koͤnnen, sie niemals anders als alle uͤbrige Erscheinungen der Natur, nemlich nach unwandelbaren Gesetzen derselben erklaͤren. Es mag zweitens auch die geistige Natur der Seele (und mit derselben ihre Unsterblichkeit) eingesehen werden koͤn- nen, so kan darauf doch, weder in Ansehung der Erschei- nungen dieses Lebens, als einen Erklaͤrungsgrund, noch auf Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft. auf die besondere Beschaffenheit des kuͤnftigen Zustandes Rechnung gemacht werden, weil unser Begriff einer unkoͤr- perlichen Natur blos negativ ist und unsere Erkentniß nicht im mindesten erweitert, noch einigen tauglichen Stoff zu Folgerungen darbietet, als etwa zu solchen, die nur vor Erdichtungen gelten koͤnnen, die aber von der Philosophie nicht gestattet werden. Wenn auch drittens das Daseyn einer hoͤchsten Intelligenz bewiesen waͤre: so wuͤrden wir uns zwar daraus das Zweckmaͤssige in der Welteinrichtung und Ordnung im Allgemeinen begreiflich machen, keines- weges aber befugt seyn, irgend eine besondere Anstalt und Ordnung daraus abzuleiten, oder, wo sie nicht wahrge- nommen wird, darauf kuͤhnlich zu schliessen, indem es eine nothwendige Regel des speculativen Gebrauchs der Vernunft ist, Naturursachen nicht vorbey zu gehen und das, wovon wir uns durch Erfahrung belehren koͤnnen, aufzugeben, um etwas, was wir kennen, von demienigen abzuleiten, was alle unsere Kentniß gaͤnzlich uͤbersteigt. Mit einem Worte, diese drey Saͤtze bleiben vor die specula- tive Vernunft iederzeit transscendent und haben gar keinen immanenten, d. i. vor Gegenstaͤnde der Erfahrung zulaͤs- sigen, mithin vor uns auf einige Art nuͤzlichen Gebrauch, sondern sind an sich betrachtet ganz muͤssige und dabey noch aͤusserst schwere Anstrengungen unserer Vernunft. Wenn demnach diese drey Cardinalsaͤtze uns zum Wissen gar nicht noͤthig seyn und uns gleichwol durch unsere Vernunft dringend empfohlen werden: so wird ihre Wich- Methodenlehre II. Hauptst. I. Absch. Wichtigkeit wol eigentlich nur das Practische angehen muͤssen. Practisch ist alles, was durch Freiheit moͤglich ist. Wenn die Bedingungen der Ausuͤbung unserer freien Will- kuͤhr aber empirisch sind, so kan die Vernunft dabey kei- nen anderen als regulativen Gebrauch haben, und nur die Einheit empirischer Gesetze zu bewirken dienen, wie z. B. in der Lehre der Klugheit, die Vereinigung aller Zwecke, die uns von unseren Neigungen aufgegeben sind, in den einigen, die Gluͤckseligkeit und die Zusammenstimmung der Mittel, um dazu zu gelangen, das ganze Geschaͤfte der Vernunft ausmacht, die um deswillen keine andere als pragmatische Gesetze des freien Verhaltens, zu Erreichung der uns von den Sinnen empfohlenen Zwecke, und also keine reine Gesetze, voͤllig a priori bestimt, liefern kan. Dagegen wuͤrden reine practische Gesetze deren Zweck durch die Vernunft voͤllig a priori gegeben ist und die nicht empi- rischbedingt, sondern schlechthin gebieten, Producte der rei- nen Vernunft seyn. Dergleichen aber sind die moralische Gesetze, mithin gehoͤren diese allein zum practischen Gebrau- che der reinen Vernunft, und erlauben einen Canon. Die ganze Zuruͤstung also der Vernunft, in der Be- arbeitung, die man reine Philosophie nennen kan, ist in der That nur auf die drey gedachte Probleme gerichtet. Diese selber aber haben wiederum ihre entferntere Absicht, nemlich, was zu thun sey, wenn der Wille frey, wenn ein Gott und eine kuͤnftige Welt ist. Da dieses nun unser Ver- Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft. Verhalten in Beziehung auf den hoͤchsten Zweck betrift, so ist die lezte Absicht der weislich uns versorgenden Natur, bey der Einrichtung unserer Vernunft, eigentlich nur aufs Moralische gestellet. Es ist aber Behutsamkeit noͤthig, um, da wir un- ser Augenmerk auf einen Gegenstand werfen, der der trans- scendentalen Philosophie fremd Alle practische Begriffe gehen auf Gegenstaͤnde des Wol- gefallens, oder Mißfallens, d. i. der Lust und Unlust, mithin, wenigstens indirect, auf Gegenstaͤnde unseres Ge- fuͤhls. Da dieses aber keine Vorstellungskraft der Dinge ist, sondern ausser der gesamten Erkentnißkraft liegt, so gehoͤren die Elemente unserer Urtheile, so fern sie sich auf Lust oder Unlust beziehen, mithin der practischen, nicht in den Inbegriff der Transscendentalphilosophie, welche lediglich mit reinen Erkentnissen a priori zu thun hat. ist, nicht in Episoden auszuschweifen und die Einheit des Systems zu verletzen, anderer Seits auch, um, indem man von seinem neuen Stoffe zu wenig sagt, es an Deutlichkeit oder Ueberzeu- gung nicht fehlen zu lassen. Ich hoffe beides dadurch zu leisten, daß ich mich so nahe als moͤglich am Transscenden- talen halte und das, was etwa hiebey psychologisch, d. i. empirisch seyn moͤchte, gaͤnzlich bey Seite setze. Und da ist denn zuerst anzumerken: daß ich mich voriezt des Begriffs der Freiheit nur im practischen Ver- stande bedienen werde und den, in transscendentaler Be- deutung, welcher nicht als ein Erklaͤrungsgrund der Er- schei- E e e Methodenlehre II. Hauptst. I. Absch. scheinungen empirisch vorausgesezt werden kan, sondern selbst ein Problem vor die Vernunft ist, hier, als oben abgethan, bey Seite setze. Eine Willkuͤhr nemlich ist blos thierisch (arbitrium brutum), die nicht anders als durch sinnliche Antriebe, d. i. pathologisch bestimt werden kan. Dieienige aber, welche unabhaͤngig von sinnlichen Antrieben, mithin durch Bewegursachen, welche nur von der Vernunft vorgestellet werden, bestimmet werden kan, heißt die freie Willkuͤhr (arbitrium liberum) und alles, was mit dieser, es sey als Grund, oder Folge zusammen- haͤngt, wird Practisch genant. Die practische Freiheit kan durch Erfahrung bewiesen werden. Denn, nicht blos das, was reitzt, d. i. die Sinne unmittelbar afficirt, be- stimt die menschliche Willkuͤhr, sondern wir haben ein Vermoͤgen durch Vorstellungen von dem, was selbst auf entfernete Art nuͤtzlich oder schaͤdlich ist, die Eindruͤcke auf unser sinnliches Begehrungsvermoͤgen zu uͤberwinden; die- se Ueberlegungen aber von dem, was in Ansehung unseres ganzen Zustandes begehrungswerth, d. i. gut und nuͤtzlich ist, beruhen auf der Vernunft. Diese giebt daher auch Gesetze, welche Imperativen, d. i. obiective Gesetze der Freiheit seyn und welche sagen, was geschehen soll, ob es gleich vielleicht nie geschieht und sich darin von Natur- gesetzen, die nur von dem handeln, was geschieht, unter- scheiden, weshalb sie auch practische Gesetze genant werden. Ob Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft. Ob aber die Vernunft selbst in diesen Handlungen, dadurch sie Gesetze vorschreibt, nicht wiederum durch an- derweitige Einfluͤsse bestimt sey und das, was in Absicht auf sinnliche Antriebe Freiheit leist, in Ansehung hoͤherer und entfernetern wirkenden Ursachen nicht wiederum Na- tur seyn moͤge, das geht uns im Practischen, da wir nur die Vernunft um die Vorschrift des Verhaltens zunaͤchst befragen, nichts an, sondern ist eine blos speculative Fra- ge, die wir, so lange als unsere Absicht aufs Thun oder Lassen gerichtet ist, bey Seite setzen koͤnnen. Wir erkennen also die practische Freiheit durch Erfahrung, als eine von den Naturursachen, nemlich eine Caussalitaͤt der Vernunft in Bestimmung des Willens, indessen daß die transscen- dentale Freiheit, eine Unabhaͤngigkeit dieser Vernunft selbst (in Ansehung ihrer Caussalitaͤt, eine Reihe von Erscheinun- gen anzufangen) von allen bestimmenden Ursachen der Sin- nenwelt fodert und so fern dem Naturgesetze, mithin aller moͤglichen Erfahrung zuwider zu seyn scheint und also ein Problem bleibt. Allein vor die Vernunft im practischen Gebrauche gehoͤrt dieses Problem nicht, also haben wir es in einem Canon der reinen Vernunft nur mit zwey Fragen zu thun, die das practische Interesse der reinen Vernunft angehen und in Ansehung deren ein Canon ihres Gebrauchs moͤglich seyn muß, nemlich: ist ein Gott? ist ein kuͤnfti- ges Leben? Die Frage wegen der transscendentalen Frei- heit betrift blos das speculative Wissen, welche wir als ganz gleichguͤltig bey Seite setzen koͤnnen, wenn es um das E e e 2 Practi- Methodenlehre II. Haupst. II. Absch. Practische zu thun ist, und woruͤber in der Antinomie der reinen Vernunft schon hinreichende Eroͤrterung zu fin- den ist. Des Canons der reinen Vernunft Zweiter Abschnitt. Von dem Ideal des hoͤchsten Guts als einem Bestimmungsgrunde des lezten Zwecks der reinen Vernunft. D ie Vernunft fuͤhrete uns in ihrem speculativen Ge- brauche durch das Feld der Erfahrungen und, weil daselbst vor sie niemals voͤllige Befriedigung anzutreffen ist, von da zu speculativen Ideen, die uns aber am Ende wiederum auf Erfahrung zuruͤck fuͤhreten und also ihre Ab- sicht auf eine zwar nuͤtzliche, aber unserer Erwartung gar nicht gemaͤsse Art erfuͤlleten. Nun bleibt uns noch ein Versuch uͤbrig: ob nemlich auch reine Vernunft im practi- schen Gebrauche anzutreffen sey, ob sie in demselben zu den Ideen fuͤhre, welche die hoͤchsten Zwecke der reinen Ver- nunft, die wir eben angefuͤhrt haben, erreichen und diese also aus dem Gesichtspuncte ihres practischen Interesse nicht dasienige gewaͤhren koͤnne, was sie uns in Ansehung des speculativen ganz und gar abschlaͤgt. Alles Interesse meiner Vernunft (das speculative so wol, als das practische) vereinigt sich in folgenden drey Fragen: 1. Was Vom Ideal des hoͤchsten Guts. 1. Was kan ich wissen? 2. Was soll ich thun? 3. Was darf ich hoffen? Die erste Frage ist blos speculativ. Wir haben (wie ich mir schmeichele) alle moͤgliche Beantwortungen derselben erschoͤpft und endlich dieienige gefunden, mit welcher sich die Vernunft zwar befriedigen muß und, wenn sie nicht aufs Practische sieht, auch Ursache hat, zufrieden zu seyn, sind aber von den zwey grossen Zwecken, worauf diese gan- ze Bestrebung der reinen Vernunft eigentlich gerichtet war, eben so weit entfernet geblieben, als ob wir uns aus Ge- maͤchlichkeit dieser Arbeit gleich anfangs verweigert haͤtten. Wenn es also um Wissen zu thun ist, so ist wenigstens so viel sicher und ausgemacht, daß uns dieses, in Ansehung iener zwey Aufgaben, niemals zu Theil werden koͤnne. Die zweite Frage ist blos practisch. Sie kan als eine solche zwar der reinen Vernunft angehoͤren, ist aber als- denn doch nicht transsendental, sondern moralisch, mithin kan sie unsere Critik an sich selbst nicht beschaͤftigen. Die dritte Frage, nemlich: wenn ich nun thue, was ich soll, was darf ich alsdenn hoffen? ist practisch und theoretisch zugleich, so, daß das Practische nur als ein Leit- faden zu Beantwortung der theoretischen und, wenn diese hoch geht, speculativen Frage fuͤhret. Denn alles Hoffen geht auf Gluͤckseligkeit und ist in Absicht auf das Practi- sche und das Sittengesetz eben dasselbe, was das Wissen und das Naturgesetz in Ansehung der theoretischen Erkentniß E e e 3 der Methodenlehre II. Hauptst. II. Absch. der Dinge ist. Jenes laͤuft zulezt auf den Schluß hinaus: daß etwas sey (was den lezten moͤglichen Zweck bestimt), weil etwas geschehen soll; dieses, daß etwas sey (was als oberste Ursache wirkt), weil etwas geschieht . Gluͤckseligkeit ist die Befriedigung aller unserer Nei- gungen, (so wol extensive, der Mannigfaltigkeit dersel- ben, als intensive, dem Grade, als auch protensive, der Dauer nach). Das practische Gesetz aus dem Be- wegungsgrunde der Gluͤckseligkeit nenne ich pragmatisch, (Klugheitsregel) dasienige aber, wofern ein solches ist, das zum Bewegungsgrunde nichts anderes hat, als die Wuͤrdigkeit, gluͤcklich zu seyn, moralisch (Sittengesetz). Das erstere raͤth, was zu thun sey, wenn wir der Gluͤck- seligkeit wollen theilhaftig, das zweite gebietet, wie wir uns verhalten sollen, um nur der Gluͤckseligkeit wuͤrdig zu werden. Das erstere gruͤndet sich auf empirische Prin- cipien; denn anders, wie vermittelst der Erfahrung, kan ich weder wissen, welche Neigungen da sind, die befrie- digt werden wollen, noch welches die Naturursachen sind, die ihre Befriedigung bewirken koͤnnen. Das zweite ab- strahirt von Neigungen und Naturmitteln, sie zu befrie- digen und betrachtet nur die Freiheit eines vernuͤnftigen Wesens uͤberhaupt und die nothwendige Bedingungen, un- ter denen sie allein mit der Austheilung der Gluͤckseligkeit nach Principien zusammenstimt, und kan also wenigstens auf blossen Ideen der reinen Vernunft beruhen und a priori erkant werden. Ich Vom Ideal des hoͤchsten Guts. Ich nehme an : daß es wirklich reine moralische Ge- setze gebe, die voͤllig a priori (ohne Ruͤcksicht auf empi- rische Bewegungsgruͤnde, d. i. Gluͤckseligkeit) das Thun und Lassen, d. i. den Gebrauch der Freyheit eines vernuͤnf- tigen Wesens uͤberhaupt, bestimmen und daß diese Gesetze Schlechterdings (nicht blos hypothetisch unter Vorausse- tzung anderer empirischen Zwecke) gebieten und also in aller Absicht nothwendig seyn. Diesen Satz kan ich mit Recht voraussetzen, nicht allein, indem ich mich auf die Beweise der aufgeklaͤrtesten Moralisten, sondern auf das sittliche Urtheil eines ieden Menschen berufe, wenn er sich ein dergleichen Gesetz deutlich denken will. Die reine Vernunft enthaͤlt also, zwar nicht in ih- rem speculativen, aber doch in einem gewissen practischen, nemlich dem moralischen Gebrauche, Principien der Moͤg- lichkeit der Erfahrung, nemlich solcher Handlungen, die den sittlichen Vorschriften gemaͤß in der Geschichte des Menschen anzutreffen seyn koͤnten . Denn, da sie gebie- tet, daß solche geschehen sollen, so muͤssen sie auch gesche- hen koͤnnen und es muß also eine besondere Art von syste- matischer Einheit, nemlich die moralische, moͤglich seyn, indessen daß die systematische Natureinheit nach specula- tiven Principien der Vernunft nicht bewiesen werden konte, weil die Vernunft zwar in Ansehung der Freiheit uͤberhaupt, aber nicht in Ansehung der gesamten Natur Caussalitaͤt hat und moralische Vernunftprincipien zwar freie Handlungen, aber nicht Naturgesetze hervorbringen E e e 4 koͤn- Methodenlehre II. Hauptst. II. Absch. koͤnnen. Demnach haben die Principien der reinen Ver- nunft in ihrem practischen, namentlich aber, dem morali- schen Gebrauche, obiective Realitaͤt. Ich nenne die Welt, so fern sie allen sittlichen Ge- setzen gemaͤß waͤre, (wie sie es denn, nach der Freiheit der vernuͤnftigen Wesen, seyn kan und, nach den noth- wendigen Gesetzen der Sittlichkeit, seyn soll ) eine mora- lische Welt . Diese wird so fern blos als intelligibele Welt gedacht, weil darin von allen Bedingungen (Zwe- cken) und selbst von allen Hindernissen der Moralitaͤt in derselben (Schwaͤche, oder Unlauterkeit der menschlichen Natur) abstrahirt wird. So fern ist sie also eine blosse, aber doch practische Idee, die wirklich ihren Einfluß auf die Sinnenwelt haben kan und soll, um sie dieser Idee so viel als moͤglich gemaͤß zu machen. Die Idee einer mo- ralischen Welt hat daher obiective Realitaͤt, nicht als wenn sie auf einen Gegenstand einer intelligibelen Anschauung ginge (dergleichen wir uns gar nicht denken koͤnnen), son- dern auf die Sinnenwelt, aber als einen Gegenstand der reinen Vernunft in ihrem practischen Gebrauche und ein corpus mysticum der vernuͤnftigen Wesen in ihr, so fern deren freie Willkuͤhr unter moralischen Gesetzen sowol mit sich selbst, als mit iedes anderen Freiheit durchgaͤngige systematische Einheit an sich hat. Das war die Beantwortung der ersten von denen zwey Fragen der reinen Vernunft, die das practische In- teresse betrafen: Thue das, wodurch du wuͤrdig wirst , gluͤck- Vom Ideal des hoͤchsten Guts. gluͤcklich zu seyn . Die zweite fraͤgt nun: wie, wenn ich mich nun so verhalte, daß ich der Gluͤckseligkeit nicht un- wuͤrdig sey, darf ich auch hoffen, ihrer dadurch theilhaftig werden zu koͤnnen? Es komt bey der Beantwortung der- selben darauf an, ob die Principien der reinen Vernunft, welche a priori das Gesetz vorschreiben, auch diese Hoff- nung nothwendigerweise damit verknuͤpfen. Ich sage demnach: daß eben sowol, als die mora- lische Principien nach der Vernunft in ihrem practischen Gebrauche nothwendig seyn, eben so nothwendig sey es auch nach der Vernunft, in ihrem theoretischen anzuneh- men, daß iederman die Gluͤckseligkeit in demselben Maasse zu hoffen Ursache habe, als er sich derselben in seinem Verhalten wuͤrdig gemacht hat und daß also das System der Sittlichkeit mit dem der Gluͤckseligkeit unzertrenlich, aber nur in der Idee der reinen Vernunft verbunden sey. Nun laͤßt sich in einer intelligibelen, d. i. der moralischen Welt, in deren Begriff wir von allen Hinder- nissen der Sittlichkeit (der Neigungen) abstrahiren, ein solches System der mit der Moralitaͤt verbundenen pro- portionirten Gluͤckseligkeit auch als nothwendig denken, weil die durch sittliche Gesetze theils bewegte, theils re- stringirte Freiheit, selbst die Ursache der allgemeinen Gluͤck- seligkeit, die vernuͤnftige Wesen also selbst, unter der Lei- tung solcher Principien, Urheber ihres eigenen und zu- gleich anderer dauerhaften Wolfarth seyn wuͤrden. Aber dieses System der sich selbst lohnenden Moralitaͤt ist nur E e e 5 eine Methodenlehre II. Hauptst. II. Absch. eine Idee, deren Ausfuͤhrung auf der Bedingung beruht, daß iederman thue, was er soll, d. i. alle Handlungen vernuͤnftiger Wesen so geschehen, als ob sie aus einem obersten Willen, der alle Privatwillkuͤhr in sich, oder un- ter sich befaßt, entspraͤngen. Da aber die Verbindlich- keit aus dem moralischen Gesetze vor iedes besonderen Ge- brauch der Freiheit guͤltig bleibt, wenn gleich andere die- sem Gesetze sich nicht gemaͤß verhielten, so ist weder aus der Natur der Dinge der Welt, noch der Caussalitaͤt der Handlungen selbst und ihrem Verhaͤltnisse zur Sittlichkeit bestimt, wie sich ihre Folgen zur Gluͤckseligkeit verhalten werden, und die angefuͤhrte nothwendige Verknuͤpfung der Hoffnung, gluͤcklich zu seyn, mit dem unablaͤssigen Be- streben, sich der Gluͤckseligkeit wuͤrdig zu machen, kan durch die Vernunft nicht erkant werden, wenn man blos Natur zum Grunde legt, sondern darf nur gehofft werden, wenn eine hoͤchste Vernunft, die nach morali- schen Gesetzen gebietet, zugleich als Ursache der Natur zum Grunde gelegt wird. Ich nenne die Idee einer solchen Intelligenz, in wel- cher der moralischvollkommenste Wille, mit der hoͤchsten Seligkeit verbunden, die Ursache aller Gluͤckseligkeit in der Welt ist, so fern sie mit der Sittlichkeit (als der Wuͤr- digkeit gluͤcklich zu seyn) in genauem Verhaͤltnisse steht, das Ideal des hoͤchsten Guts . Also kan die reine Ver- nunft nur in dem Ideal des hoͤchsten urspruͤnglichen Guts den Grund der practischnothwendigen Verknuͤpfung beider Ele- Vom Ideal des hoͤchsten Guts. Elemente des hoͤchsten abgeleiteten Guts, nemlich, einer intelligibelen, d. i. moralischen Welt antreffen. Da wir uns nun nothwendiger Weise durch die Vernunft, als zu einer solchen Welt gehoͤrig, vorstellen muͤssen, obgleich die Sinne uns nichts als eine Welt von Erscheinungen dar- stellen, so werden wir iene als eine Folge unseres Verhal- tens in der Sinnenwelt, da uns diese eine solche Verknuͤp- fung nicht darbietet, als eine vor uns kuͤnftige Welt an- nehmen muͤssen. Gott also und ein kuͤnftiges Leben, sind zwey von der Verbindlichkeit, die uns reine Vernunft auf- erlegt, nach Principien eben derselben Vernunft nicht zu trennende Voraussetzungen. Die Sittlichkeit an sich selbst macht ein System aus, aber nicht die Gluͤckseligkeit, ausser, so fern sie der Mora- litaͤt genau angemessen ausgetheilet ist. Dieses aber ist nur moͤglich in der intelligibelen Welt, unter einem wei- sen Urheber und Regierer. Einen solchen, samt dem Le- ben in einer solchen Welt, die wir als eine kuͤnftige anse- hen muͤssen, sieht sich die Vernunft genoͤthigt, anzuneh- men, oder die moralische Gesetze als leere Hirngespinste anzusehen, weil der nothwendige Erfolg derselben, den dieselbe Vernunft mit ihnen verknuͤpft, ohne iene Voraus- setzung wegfallen muͤßte. Daher auch iederman die mo- ralische Gesetze als Gebote ansieht, welches sie aber nicht seyn koͤnten, wenn sie nicht a priori angemessene Folgen mit ihrer Regel verknuͤpften und also Verheissungen und Drohungen bey sich fuͤhrten. Dieses koͤnnen sie aber auch Methodenlehre II. Hauptst. II. Absch. auch nicht thun, wo sie nicht in einem nothwendigen We- sen, als dem hoͤchsten Gut liegen, welches eine solche zweck- maͤssige Einheit allein moͤglich machen kan. Leibnitz nante die Welt, so fern man darin nur auf die vernuͤnftige Wesen und ihren Zusammenhang nach mo- ralischen Gesetzen unter der Regierung des hoͤchsten Guts Acht hat, das Reich der Gnaden und unterschied es vom Reiche der Natur , da sie zwar unter moralischen Gese- tzen stehen, aber keine andere Erfolge ihres Verhaltens erwarten, als nach dem Laufe der Natur unserer Sinnen- welt. Sich also im Reiche der Gnaden zu sehen, wo alle Gluͤckseligkeit auf uns wartet, ausser so fern wir unsern Antheil an derselben durch die Unwuͤrdigkeit, gluͤcklich zu seyn, nicht selbst einschraͤnken, ist eine practisch nothwendige Idee der Vernunft. Practische Gesetze, so fern sie zugleich subiective Gruͤnde der Handlungen, d. i. subiective Grundsaͤtze wer- den, heissen Maximen . Die Beurtheilung der Sitt- lichkeit, ihrer Reinigkeit und Folgen nach, geschieht nach Ideen, die Befolgung ihrer Gesetze nach Maximen . Es ist nothwendig, daß unser ganzer Lebenswandel sittlichen Maximen untergeordnet werde; es ist aber zu- gleich unmoͤglich, daß dieses geschehe, wenn die Vernunft nicht mit dem moralischen Gesetze, welches eine blosse Idee ist, eine wirkende Ursache verknuͤpft, welche dem Verhal- ten nach demselben einen unseren hoͤchsten Zwecken genau entsprechenden Ausgang, es sey in diesem, oder einem an- deren Vom Ideal des hoͤchsten Guts. deren Leben, bestimt. Ohne also einen Gott und eine vor uns iezt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt, sind die herr- liche Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstaͤnde des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vor- satzes und der Ausuͤbung, weil sie nicht den ganzen Zweck, der einem ieden vernuͤnftigen Wesen natuͤrlich und durch eben dieselbe reine Vernunft a priori bestimt und noth- wendig ist, erfuͤllen. Gluͤckseligkeit allein ist vor unsere Vernunft bey wei- tem nicht das vollstaͤndige Gut. Sie billigt solche nicht, (so sehr als auch Neigung dieselbe wuͤnschen mag) wofern sie nicht mit der Wuͤrdigkeit, gluͤcklich zu seyn, d. i. dem sittlichen Wolverhalten vereinigt ist. Sittlichkeit allein und, mit ihr, die blosse Wuͤrdigkeit, gluͤcklich zu seyn, ist aber auch noch lange nicht das vollstaͤndige Gut. Um dieses zu vollenden, muß der, so sich als der Gluͤckseligkeit nicht unwerth verhalten hatte, hoffen koͤnnen, ihrer theil- haftig zu werden. Selbst die von aller Privatabsicht freie Vernunft, wenn sie, ohne dabey ein eigenes Interesse in Betracht zu ziehen, sich in die Stelle eines Wesens sezte, das alle Gluͤckseligkeit andern auszutheilen haͤtte, kan nicht anders urtheilen; denn in der practischen Idee sind beide Stuͤcke wesentlich verbunden, obzwar so, daß die moralische Gesinnung, als Bedingung, den Antheil an Gluͤckseligkeit und nicht umgekehrt, die Aussicht auf Gluͤck- seligkeit die moralische Gesinnung zuerst moͤglich mache. Denn im lezteren Falle waͤre sie nicht moralisch und also auch Methodenlehre II. Hauptst. II. Absch. auch nicht der ganzen Gluͤckseligkeit wuͤrdig, die vor der Vernunft keine andere Einschraͤnkung erkent, als die, wel- che von unserem eigenen unsittlichen Verhalten herruͤhrt. Gluͤckseligkeit also, in dem genauen Ebenmaasse mit der Sittlichkeit der vernuͤnftigen Wesen, dadurch sie der- selben wuͤrdig seyn, macht allein das hoͤchste Gut einer Welt aus, darin wir uns nach den Vorschriften der rei- nen aber practischen Vernunft durchaus versetzen muͤssen und welche freilich nur eine intelligibele Welt ist, da die Sinnenwelt uns von der Natur der Dinge dergleichen syste- matische Einheit der Zwecke nicht verheißt, deren Realitaͤt auch auf nichts anders gegruͤndet werden kan, als auf die Voraussetzung eines hoͤchsten urspruͤnglichen Guts, da selbststaͤndige Vernunft, mit aller Zulaͤnglichkeit einer ober- sten Ursache ausgeruͤstet, nach der vollkommensten Zweck- maͤssigkeit die allgemeine, obgleich in der Sinnenwelt uns sehr verborgene Ordnung der Dinge gruͤndet, erhaͤlt und vollfuͤhret. Diese Moraltheologie hat nun den eigenthuͤmlichen Vorzug vor der speculativen: daß sie unausbleiblich auf den Begriff eines einigen, allervollkommensten und ver- nuͤnftigen Urwesens fuͤhret, worauf uns speculative Theo- logie nicht einmal aus obiectiven Gruͤnden hinweiset, ge- schweige uns davon uͤberzeugen konte. Denn, wir finden weder in der transscendentalen, noch natuͤrlichen Theolo- gie, so weit uns auch Vernunft darin fuͤhren mag, eini- gen bedeutenden Grund, nur ein einiges Wesen anzuneh- men, Vom Ideal des hoͤchsten Guts. men, welches wir allen Naturursachen vorsetzen und von dem wir zugleich diese in allen Stuͤcken abhaͤngend zu machen, hin- reichende Ursache haͤtten. Dagegen, wenn wir aus dem Gesichtspuncte der sittlichen Einheit, als einem nothwen- digen Weltgesetze, die Ursache erwaͤgen, die diesem allein den angemessenen Effect, mithin auch vor uns verbindende Kraft geben kan, so muß es ein einiger oberster Wille seyn, der alle diese Gesetze in sich befaßt. Denn, wie wolten wir unter verschiedenen Willen vollkommene Einheit der Zwecke finden? Dieser Wille muß allgewaltig seyn, damit die gan- ze Natur und deren Beziehung auf Sittlichkeit in der Welt ihm unterworfen sey, allwissend, damit er das Innerste der Gesinnungen und deren moralischen Werth erkenne, allgegenwaͤrtig, damit er unmittelbar allem Beduͤrfnisse, welche das hoͤchste Weltbeste erfodert, nahe sey, ewig, damit in keiner Zeit diese Uebereinstimmung der Natur und Freiheit ermangele, u. s. w. Aber diese systematische Einheit der Zwecke in die- ser Welt der Intelligenzen, welche, obzwar, als blosse Natur, nur Sinnenwelt, als ein System der Freiheit aber, intelligibele, d. i. moralische Welt (regnum gra- tiae) genant werden kan, fuͤhret unausbleiblich auch auf die zweckmaͤssige Einheit aller Dinge, die dieses grosse Ganze ausmachen, nach allgemeinen Naturgesetzen, so wie die erstere nach allgemeinen und nothwendigen Sitten- gesetzen und vereinigt die practische Vernunft mit der spe- culativen. Die Welt muß als aus einer Idee entsprungen vor- Methodenlehre II. Hauptst. II. Absch. vorgestellet werden, wenn sie mit demienigen Vernunftge- brauch, ohne welchen wir uns selbst der Vernunft unwuͤr- dig halten wuͤrden, nemlich dem moralischen, als welcher durchaus auf der Idee des hoͤchsten Guts beruht, zusam- menstimmen soll. Dadurch bekomt alle Naturforschung eine Richtung nach der Form eines Systems der Zwecke und wird in ihrer hoͤchsten Ausbreitung Physicotheologie. Diese aber, da sie doch von sittlicher Ordnung, als einer in dem Wesen der Freiheit gegruͤndeten und nicht durch aͤussere Gebote zufaͤllig gestifteten Einheit anhob, bringt die Zweckmaͤssigkeit der Natur auf Gruͤnde, die a priori mit der inneren Moͤglichkeit der Dinge unzertrenlich verknuͤpft seyn muͤssen und dadurch auf eine transscendentale Theo- logie, die sich das Ideal der hoͤchsten ontologischen Voll- kommenheit zu einem Princip der systematischen Einheit nimt, welches nach allgemeinen und nothwendigen Natur- gesetzen alle Dinge verknuͤpft, weil sie alle in der absolu- ten Nothwendigkeit eines einigen Urwesens ihren Ursprung haben. Was koͤnnen wir vor einen Gebrauch von unserem Verstande machen, selbst in Ansehung der Erfahrung, wenn wir uns nicht Zwecke vorsetzen? Die hoͤchste Zwecke aber sind die der Moralitaͤt und diese kan uns nur reine Vernunft zu erkennen geben. Mit diesen nun versehen und an dem Leitfaden derselben koͤnnen wir von der Kent- niß der Natur selbst keinen zweckmaͤssigen Gebrauch in An- sehung der Erkentniß machen, wo die Natur nicht selbst zweck- Vom Ideal des hoͤchsten Guts. zweckmaͤssige Einheit hingelegt hat; denn ohne diese haͤt- ten wir so gar selbst keine Vernunft, weil wir keine Schule vor dieselbe haben wuͤrden und keine Cultur durch Gegen- staͤnde, welche den Stoff zu solchen Begriffen darboͤten. Jene zweckmaͤssige Einheit ist aber nothwendig und in dem Wesen der Willkuͤhr selbst gegruͤndet, diese also, welche die Bedingung der Anwendung derselben in concreto ent- haͤlt, muß es auch seyn, und so wuͤrde die transscenden- tale Steigerung unserer Vernunfterkentniß nicht die Ursache, sondern blos die Wirkung von der practischen Zweckmaͤssig- keit seyn, die uns die reine Vernunft auferlegt. Wir finden daher auch in der Geschichte der menschli- chen Vernunft: daß, ehe die moralische Begriffe gnugsam gereinigt, bestimt und die systematische Einheit der Zwecke nach denselben und zwar aus nothwendigen Principien ein- gesehen waren, die Kentniß der Natur und selbst ein an- sehnlicher Grad der Cultur der Vernunft in manchen an- deren Wissenschaften, theils nur rohe und umherschweifen- de Begriffe von der Gottheit hervorbringen konte, theils eine zu bewundernde Gleichguͤltigkeit uͤberhaupt in Anse- hung dieser Frage uͤbrig ließ. Eine groͤssere Bearbeitung sittlicher Ideen, die durch das aͤusserstreine Sittengesetz un- serer Religion nothwendig gemacht wurde, schaͤrfte die Vernunft auf den Gegenstand, durch das Interesse, was sie an demselben zu nehmen noͤthigte und, ohne daß weder erweiterte Naturkentnisse, noch richtige und zuverlaͤssige transscendentale Einsichten (dergleichen zu aller Zeit ge- F f f mangelt Methodenlehre II. Hauptst. II. Absch. mangelt haben), dazu beitrugen, brachten sie einen Begriff vom goͤttlichen Wesen zu Stande, den wir iezt vor den richtigen halten, nicht, weil uns specutative Vernunft von dessen Richtigkeit uͤberzeugt, sondern, weil er mit den mo- ralischen Vernunftprincipien vollkommen zusammen stimt. Und so hat am Ende doch immer nur reine Vernunft, aber nur in ihrem practischen Gebrauche, das Verdienst ein Erkentniß, das die blosse Speculation nur waͤhnen, aber nicht geltend machen kan, an unser hoͤchstes Inter- esse zu knuͤpfen und dadurch zwar nicht zu einem demon- strirten Dogma, aber doch zu einer schlechterdingsnothwen- digen Voraussetzung bey ihren wesentlichsten Zwecken zu machen. Wenn aber practische Vernunft nun diesen hohen Punct erreicht hat, nemlich den Begriff eines einigen Ur- wesens, als des hoͤchsten Guts, so darf sie sich gar nicht unterwinden, gleich als haͤtte sie sich uͤber alle empirische Bedingungen seiner Anwendung erhoben und zur unmit- telbaren Kentniß neuer Gegenstaͤnde empor geschwungen, um von diesem Begriffe auszugehen und die moralische Gesetze selbst von ihm abzuleiten. Denn diese waren es eben, deren innere practische Nothwendigkeit uns zu der Voraussetzung einer selbststaͤndigen Ursache, oder eines weisen Weltregierers fuͤhrete, um ienen Gesetzen Effect zu geben und daher koͤnnen wir sie nicht nach diesem wie- derum als zufaͤllig und vom blossen Willen abgeleitet an- sehen, insonderheit von einem solchen Willen, von dem wir Vom Ideal des hoͤchsten Guts. wir gar keinen Begriff haben wuͤrden, wenn wir ihn nicht ie- nen Gesetzen gemaͤß gebildet haͤtten. Wir werden, so weit practische Vernunft uns zu fuͤhren das Recht hat, Hand- lungen nicht darum vor verbindlich halten, weil sie Ge- bote Gottes sind, sondern sie als goͤttliche Gebote ansehen, darum, weil wir dazu innerlich verbindlich seyn. Wir werden die Freiheit, unter der zweckmaͤssigen Einheit nach Principien der Vernunft, studiren, und nur so fern glau- ben, dem goͤttlichen Willen gemaͤß zu seyn, als wir das Sittengesetz, welches uns die Vernunft aus der Natur der Handlungen selbst lehrt, heilig halten, ihm dadurch allein zu dienen glauben, daß wir das Weltbeste an uns und an an- dern befoͤrdern. Die Moraltheologie ist also nur von im- manentem Gebrauche, nemlich unsere Bestimmung hier in der Welt zu erfuͤllen, indem wir in das System aller Zwecke passen und nicht schwaͤrmerisch, oder wol gar fre- velhaft den Leitfaden einer moralischgesetzgebenden Ver- nunft im guten Lebenswandel zu verlassen, um ihn unmit- telbar an die Idee des hoͤchsten Wesens zu knuͤpfen, wel- ches einen transscendenten Gebrauch geben wuͤrde, aber eben so, wie der, der blossen Speculation, die lezte Zwecke der Vernunft verkehren und vereiteln muß. F f f 2 Des Methodenlehre II. Hauptst. III. Absch. Des Canons der reinen Vernunft Dritter Abschnitt. Vom Meinen, Wissen und Glauben. D as Vorwahrhalten ist eine Begebenheit in unserem Verstande, die auf obiectiven Gruͤnden beruhen mag, aber auch subiective Ursachen im Gemuͤthe dessen, der da urtheilt, erfodert. Wenn es vor iederman guͤltig ist, so fern er nur Vernunft hat, so ist der Grund dessel- ben obiectiv hinreichend und das Vorwahrhalten heißt als- denn Ueberzeugung . Hat es nur in der besonderen Be- schaffenheit des Subiect seinen Grund, so wird es Ueber- redung genant. Ueberredung ist ein blosser Schein, weil der Grund des Urtheils, welcher lediglich im Subiecte liegt, vor ob- iectiv gehalten wird. Daher hat ein solches Urtheil auch nur Privatguͤltigkeit und das Vorwahrhalten laͤßt sich nicht mittheilen. Wahrheit aber beruht auf der Uebereinstim- mung mit dem Obiecte, in Ansehung dessen folglich die Urtheile eines ieden Verstandes einstimmig seyn muͤssen (consentientia uni tertio, consentiunt inter se) . Der Probierstein des Vorwahrhaltens, ob es Ueberzeugung oder blosse Ueberredung sey, ist also, aͤusserlich, die Moͤglich- keit, dasselbe mitzutheilen und das Vorwahrhalten vor iedes Menschen Vernunft guͤltig zu befinden; denn alsdenn ist wenigstens eine Vermuthung, der Grund der Einstim- mung Vom Meinen, Wissen und Glauben. mung aller Urtheile, unerachtet der Verschiedenheit der Subiecte unter einander, werde auf dem gemeinschaftli- chen Grunde, nemlich dem Obiecte beruhen, mit welchem sie daher alle zusammenstimmen und dadurch die Wahr- heit des Urtheils beweisen werden. Ueberredung demnach kan von der Ueberzeugung sub- iectiv zwar nicht unterschieden werden, wenn das Sub- iect das Vorwahrhalten, blos als Erscheinung seines eige- nen Gemuͤths, vor Augen hat; der Versuch aber, den man mit den Gruͤnden desselben, die vor uns guͤltig sind, an anderer Verstand macht, ob sie auf fremde Vernunft eben dieselbe Wirkung thun, als auf die unsrige, ist doch ein, obzwar nur subiectives Mittel, zwar nicht Ueberzeugung zu bewirken, aber doch die blosse Privatguͤltigkeit des Ur- theils, d. i. etwas in ihm, was blosse Ueberredung ist, zu entdecken. Kan man uͤberdem die subiective Ursachen des Ur- theils, welche wir vor obiective Gruͤnde desselben nehmen, entwickeln und mithin das truͤgliche Vorwahrhalten als eine Begebenheit in unserem Gemuͤthe erklaͤren, ohne dazu die Beschaffenheit des Obiects noͤthig zu haben, so entbloͤssen wir den Schein und werden dadurch nicht mehr hintergan- gen, obgleich immer noch in gewissem Grade versucht, wenn die subiective Ursache des Scheins unserer Natur anhaͤngt. Ich kan nichts behaupten, d. i. als ein vor ieder- man nothwendig guͤltiges Urtheil aussprechen, als was F f f 3 Ueber- Methodenlehre II. Hauptst. III. Absch. Ueberzeugung wirkt. Ueberredung kan ich vor mich behal- ten, wenn ich mich dabey wol befinde, kan sie aber und soll sie ausser mir nicht geltend machen wollen. Das Vorwahrhalten, oder die subiective Guͤltigkeit des Urtheils, in Beziehung auf die Ueberzeugung, (welche zugleich obiectiv gilt), hat folgende drey Stufen: Mei- nen, Glauben und Wissen. Meinen ist ein mit Be- wustseyn so wol subiectiv, als obiectiv unzureichendes Vorwahrhalten. Ist das leztere nur subiectiv zureichend und wird zugleich vor obiectiv unzureichend gehalten, so heißt es Glauben. Endlich heißt das, so wol subiectiv als obiectiv zureichende Vorwahrhalten das Wissen . Die subiective Zulaͤnglichkeit heißt Ueberzeugung (vor mich selbst), die obiective, Gewißheit (vor iederman). Ich werde mich bey der Erlaͤuterung so faßlicher Begriffe nicht aufhalten. Ich darf mich niemals unterwinden, zu Meinen, ohne wenigstens etwas zu wissen, vermittelst dessen das an sich blos problematische Urtheil eine Verknuͤpfung mit Wahrheit bekomt, die, ob sie gleich nicht vollstaͤndig, doch mehr als willkuͤhrliche Erdichtung ist. Das Gesetz einer solchen Verknuͤpfung muß uͤberdem gewiß seyn. Denn, wenn ich in Ansehung dessen auch nichts als Meinung ha- be, so ist alles nur Spiel der Einbildung, ohne die min- deste Beziehung auf Wahrheit. In Urtheilen aus reiner Vernunft ist es gar nicht erlaubt, zu meinen. Denn, weil sie nicht auf Erfahrungsgruͤnde gestuͤzt werden, son- Vom Meinen, Wissen und Glauben. sondern alles a priori erkant werden soll, wo alles noth- wendig ist, so erfodert das Princip der Verknuͤpfung All- gemeinheit und Nothwendigkeit, mithin voͤllige Gewiß- heit, widrigenfals gar keine Leitung auf Wahrheit ange- troffen wird. Daher ist es ungereimt, in der reinen Ma- thematik zu meinen, man muß wissen, oder sich alles Urtheilens enthalten. Eben so ist es mit den Grundsaͤtzen der Sittlichkeit bewandt, da man nicht auf blosse Mei- nung, daß etwas erlaubt sey, eine Handlung wagen darf, sondern dieses wissen muß. Im transscendentalen Gebrauche der Vernunft ist dagegen Meinen freilich zu wenig, aber Wissen auch zu viel. In blos speculativer Absicht koͤnnen wir also hier gar nicht urtheilen; weil subiective Gruͤnde des Vorwahr- haltens, wie die, so das Glauben bewirken koͤnnen, bey speculativen Fragen keinen Beifall verdienen, da sie sich frey von aller empirischen Beihuͤlfe nicht halten, noch in gleichem Maasse andern mittheilen lassen. Es kan aber uͤberall blos in practischer Beziehung das theoretisch unzureichende Vorwahrhalten Glauben ge- nant werden. Diese practische Absicht ist nun entweder die der Geschicklichkeit, oder der Sittlichkeit, die erste zu beliebigen und zufaͤlligen, die zweite aber zu schlechthin nothwendigen Zwecken. Wenn einmal ein Zweck vorgesezt ist, so sind die Bedingungen der Erreichung desselben hypothetischnothwen- dig. Diese Nothwendigkeit ist subiectiv, aber doch nur F f f 4 com- Methodenlehre II. Hauptst. III. Absch. comparativ zureichend, wenn ich gar keine andere Bedin- gungen weis, unter denen der Zweck zu erreichen waͤre; aber sie ist schlechthin und vor iederman zureichend, wenn ich gewiß weis: daß niemand andere Bedingungen ken- nen koͤnne, die auf den vorgesezten Zweck fuͤhren. Im ersten Falle ist meine Voraussetzung und das Vorwahrhalten gewisser Bedingungen ein blos zufaͤlliger, im zweiten Falle aber ein nothwendiger Glaube. Der Arzt muß bey einem Kranken, der in Gefahr ist, etwas thun, kent aber die Krankheit nicht. Er sieht auf die Erscheinungen und urtheilt, weil er nichts besseres weiß, es sey die Schwind- sucht. Sein Glaube ist selbst in seinem eigenen Urtheile blos zufaͤllig, ein anderer moͤchte es vielleicht besser tref- fen. Ich nenne dergleichen zufaͤlligen Glauben, der aber dem wirklichen Gebrauche der Mittel zu gewissen Handlun- gen zum Grunde liegt, den pragmatischen Glauben . Der gewoͤhnliche Probierstein: ob etwas blosse Ueber- redung, oder wenigstens subiective Ueberzeugung, d. i. fe- stes Glauben sey, was iemand behauptet, ist das Wet- ten . Oefters spricht iemand seine Saͤtze mit so zuver- sichtlichem und unlenkbarem Trotze aus, daß er alle Besorg- niß des Irrthums gaͤnzlich abgelegt zu haben scheint. Eine Wette macht ihn stutzig. Bisweilen zeigt sich: daß er zwar Ueberredung genug, die auf einen Ducaten an Werth ge- schaͤzt werden kan, aber nicht auf zehn, besitze. Denn, den ersten wagt er noch wol, aber bey zehnen wird er aller- Vom Meinen, Wissen und Glauben. allererst inne, was er vorher nicht bemerkte, daß es nemlich doch wol moͤglich sey, er habe sich geirrt. Wenn man sich in Gedanken vorstellt: man solle worauf das Gluͤck des ganzen Lebens verwetten, so schwindet unser trium- phirendes Urtheil gar sehr, wir werden uͤberaus schuͤchtern und entdecken so allererst, daß unser Glaube so weit nicht zulange. So hat der pragmatische Glaube nur einen Grad, der nach Verschiedenheit des Interesse, das da- bey im Spiele ist, groß oder auch klein seyn kan. Weil aber, ob wir gleich in Beziehung auf ein Ob- iect gar nichts unternehmen koͤnnen, also das Vorwahr- halten blos theoretisch ist, wir doch in vielen Faͤllen eine Unternehmung in Gedanken fassen und uns einbilden koͤn- nen, zu welcher wir hinreichende Gruͤnde zu haben ver- meinen, wenn es ein Mittel gaͤbe, die Gewißheit der Sa- che auszumachen, so giebt es in blos theoretischen Urthei- len ein Analogon von practischen , auf deren Vorwahr- haltung das Wort Glauben paßt, und den wir den do- ctrinalen Glauben nennen koͤnnen. Wenn es moͤglich waͤ- re, durch irgend eine Erfahrung auszumachen, so moͤchte ich wol alles das Meinige darauf verwetten: daß es we- nigstens in irgend einem von den Planeten, die wir sehen, Einwohner gebe. Daher sage ich, ist es nicht blos Mei- nung, sondern ein starker Glaube (auf dessen Richtigkeit ich schon viele Vortheile des Lebens wagen wuͤrde), daß es auch Bewohner anderer Welten gebe. F f f 5 Nun Methodenlehre II. Hauptst. III. Absch. Nun muͤssen wir gestehen: daß die Lehre vom Da- seyn Gottes zum doctrinalen Glauben gehoͤre. Denn, ob ich gleich in Ansehung der theoretischen Weltkentniß nichts zu verfuͤgen habe, was diesen Gedanken, als Bedingung meiner Erklaͤrungen der Erscheinungen der Welt, noth- wendig voraussetze, sondern vielmehr verbunden bin, mei- ner Vernunft mich so zu bedienen, als ob alles blos Na- tur sey, so ist doch die zweckmaͤssige Einheit eine so grosse Bedingung der Anwendung der Vernunft auf Natur, daß ich, da mir uͤberdem Erfahrung reichlich davon Beispiele darbietet, sie gar nicht vorbey gehen kan. Zu dieser Ein- heit aber kenne ich keine andere Bedingung, die sie mir zum Leitfaden der Naturforschung machte, als wenn ich voraussetze: daß eine hoͤchste Intelligenz alles nach den weisesten Zwecken so geordnet habe. Folglich ist es eine Bedingung einer zwar zufaͤlligen, aber doch nicht uner- heblichen Absicht, nemlich, um eine Leitung in der Nachfor- schung der Natur zu haben, einen weisen Welturheber vorauszusetzen. Der Ausgang meiner Versuche bestaͤtigt auch so oft die Brauchbarkeit dieser Voraussetzung und nichts kan auf entscheidende Art dawider angefuͤhrt werden; daß ich viel zu wenig sage, wenn ich mein Vorwahrhalten blos ein Meinen nennen wolte, sondern es kan selbst in diesem theoretischen Verhaͤltnisse gesagt werden: daß ich festiglich einen Gott glaube, aber alsdenn ist dieser Glau- be in strenger Bedeutung dennoch nicht practisch, sondern muß ein doctrinaler Glaube genant werden, den die Theo- Vom Meinen, Wissen und Glauben. Theologie der Natur (Physicotheologie) nothwendig aller- werts bewirken muß. In Ansehung eben derselben Weis- heit, in Ruͤcksicht auf die vortrefliche Ausstattung der menschlichen Natur und die derselben so schlecht angemesse- ne Kuͤrze des Lebens, kan eben so wol gnugsamer Grund zu einem doctrinalen Glauben des kuͤnftigen Lebens der menschlichen Seele angetroffen werden. Der Ausdruck des Glaubens ist in solchen Faͤllen ein Ausdruck der Bescheidenheit in obiectiver Absicht, aber doch zugleich der Festigkeit des Zutrauens in subiectiver. Wenn ich das blos theoretische Vorwahrhalten hier auch nur Hypothese nennen wolte, die ich anzunehmen berech- tigt waͤre, so wuͤrde ich mich dadurch schon anheischig ma- chen, mehr, von der Beschaffenheit einer Weltursache und einer andern Welt, Begriff zu haben, als ich wirk- lich aufzeigen kan; denn was ich auch nur als Hypothese annehme, davon muß ich wenigstens seinen Eigenschaften nach so viel kennen: daß ich nicht seinen Begriff , son- dern nur sein Daseyn erdichten darf. Das Wort Glau- ben aber geht nur auf die Leitung, die mir eine Idee giebt und den subiectiven Einfluß auf die Befoͤrderung meiner Vernunfthandlungen, die mich an derselben festhaͤlt, ob ich gleich von ihr nicht im Stande bin, in speculativer Ab- sicht Rechenschaft zu geben. Aber der blos doctrinale Glaube hat etwas wan- ckendes in sich; man wird oft durch Schwierigkeiten, die sich in der Speculation vorfinden, aus demselben gesezt, ob Methodenlehre II. Hauptst. III. Absch. ob man zwar unausbleiblich dazu immer wiederum zu- ruͤckkehrt. Ganz anders ist es mit dem moralischen Glauben bewandt. Denn da ist es schlechterdings nothwendig: daß etwas geschehen muß, nemlich, daß ich dem sittlichen Ge- setze in allen Stuͤcken Folge leiste. Der Zweck ist hier unumgaͤnglich festgestellt und es ist nur eine einzige Bedin- gung nach aller meiner Einsicht moͤglich, unter welcher dieser Zweck mit allen gesamten Zwecken zusammenhaͤngt und dadurch practische Guͤltigkeit habe, nemlich, daß ein Gott und eine kuͤnftige Welt sey: ich weis auch ganz ge- wiß, daß niemand andere Bedingungen kenne, die auf dieselbe Einheit der Zwecke unter dem moralischen Gesetze fuͤhre. Da aber also die sittliche Vorschrift zugleich meine Maxime ist (wie denn die Vernunft gebietet, daß sie es seyn soll), so werde ich unausbleiblich ein Daseyn Gottes und ein kuͤnftiges Leben glauben und bin sicher: daß diesen Glauben nichts wanckend machen koͤnne, weil dadurch meine sittliche Grundsaͤtze selbst umgestuͤrzt werden wuͤrden, denen ich nicht entsagen kan, ohne in meinen eigenen Au- gen verabscheuungswuͤrdig zu seyn. Auf solche Weise bleibt uns nach Vereitelung aller ehrsuͤchtigen Absichten einer, uͤber die Graͤnzen aller Erfah- rung hinaus, herumschweifenden Vernunft noch genug uͤbrig: daß wir damit in practischer Absicht zufrieden zu seyn Ursache haben. Zwar wird freilich sich niemand ruͤh- men koͤnnen: er wisse, daß ein Gott und daß ein kuͤnftig Leben Vom Meinen, Wissen und Glauben. Leben sey; denn, wenn er das weis, so ist er gerade der Mann, den ich laͤngst gesucht habe. Alles Wissen, (wenn es einen Gegenstand der blossen Vernunft betrift) kan man mittheilen, und ich wuͤrde also auch hoffen koͤnnen, durch seine Belehrung mein Wissen in so bewundrungswuͤrdigem Maasse ausgedehnt zu sehen. Nein, die Ueberzeugung ist nicht logische, sondern moralische Gewißheit und, da sie auf sub- iectiven Gruͤnden (der moralischen Gesinnung) beruht, so muß ich nicht einmal sagen: es ist moralisch gewiß, daß ein Gott sey ꝛc. sondern, ich bin moralischgewiß ꝛc. Das heißt: der Glaube an einen Gott und eine andere Welt ist mit meiner moralischen Gesinnung so verwebt, daß, so wenig ich Gefahr laufe, die erstere einzubuͤssen, eben so wenig be- sorge ich, daß mir der zweite iemals entrissen werden koͤnne. Das einzige Bedenkliche, das sich hiebey findet, ist, daß sich dieser Vernunftglaube auf die Voraussetzung mo- ralischer Gesinnungen gruͤndet. Gehn wir davon ab und nehmen einen, der in Ansehung sittlicher Gesetze gaͤnzlich gleichguͤltig waͤre, so wird die Frage, welche die Vernunft aufwirft, blos eine Aufgabe vor die Speculation und kan alsdenn zwar noch mit starken Gruͤnden aus der Analogie, aber nicht mit solchen, denen sich die hartnaͤckigste Zwei- felsucht ergeben muͤßte, unterstuͤzt werden Das menschliche Gemuͤth nimt (so wie ich glaube, daß es bey iedem vernuͤnftigen Wesen nothwendig geschieht) ein . Es ist aber kein Methodenlehre II. Hauptst. III. Absch. kein Mensch bey diesen Fragen frey von allem Interesse. Denn, ob er gleich von dem moralischen, durch den Man- gel guter Gesinnungen, getrent seyn moͤchte: so bleibt doch auch in diesem Falle genug uͤbrig, um zu machen, daß er ein goͤttliches Daseyn und eine Zukunft fuͤrchte . Denn hiezu wird nicht mehr erfodert, als daß er wenig- stens keine Gewißheit vorschuͤtzen koͤnne, daß kein sol- ches Wesen und kein kuͤnftig Leben anzutreffen sey, wozu, weil es durch blosse Vernunft, mithin apodictisch bewiesen werden muͤßte, er die Unmoͤglichkeit von beiden darzuthun haben wuͤrde, welches gewiß kein vernuͤnftiger Mensch uͤbernehmen kan. Das wuͤrde ein negativer Glaube seyn, der zwar nicht Moralitaͤt und gute Gesinnungen, aber doch das Analogon derselben bewirken, nemlich den Aus- bruch der Boͤsen maͤchtig zuruͤckhalten koͤnte. Ist das aber alles, wird man sagen, was reine Vernunft ausrichtet, indem sie uͤber die Graͤnzen der Er- fahrung hinaus Aussichten eroͤfnet? nichts mehr, als zwey Glaubensartikel? so viel haͤtte auch wol der gemeine Ver- stand, ein natuͤrliches Interesse an der Moralitaͤt, ob es gleich nicht ungetheilt und practisch uͤberwiegend ist. Befestigt und vergroͤssert dieses Interesse und ihr werdet die Ver- nunft sehr gelehrig und selbst aufgeklaͤrter finden, um mit dem practischen auch das speculative Interesse zu ver- einigen. Sorget ihr aber nicht davor: daß ihr vorher, wenigstens auf dem halben Wege, gute Menschen macht, so werdet ihr auch niemals aus ihnen aufrichtigglaͤubige Menschen machen! Vom Meinen, Wissen und Glauben. stand, ohne daruͤber den Philosophen zu Rathe zu ziehen, ausrichten koͤnnen! Ich will hier nicht das Verdienst ruͤhmen, das Phi- losophie durch die muͤhsame Bestrebung ihrer Critik um die menschliche Vernunft habe, gesezt, es solte auch beim Aus- gange blos negativ befunden werden; denn davon wird in dem folgenden Abschnitte noch etwas vorkommen. Aber verlangt ihr denn: daß ein Erkentniß, welches alle Men- schen angeht, den gemeinen Verstand uͤbersteigen und euch nur von Philosophen entdekt werden solle? Eben das, was ihr tadelt, ist die beste Bestaͤtigung von der Richtigkeit der bisherigen Behauptungen, da es das, was man anfangs nicht vorher sehen konte, entdekt, nemlich, daß die Natur, in dem, was Menschen ohne Unterschied angelegen ist, keiner partheyischen Austheilung ihrer Gaben zu beschuldigen sey und die hoͤchste Philosophie in Ansehung der wesentlichen Zwecke der menschlichen Natur, es nicht weiter bringen koͤnne, als die Leitung, welche sie auch dem gemeinsten Verstande hat angedeien lassen. Der Methodenlehre III. Hauptst. Der Transscendentalen Methodenlehre Drittes Hauptstuͤck . Die Architectonik der reinen Vernunft. I ch verstehe unter einer Architectonik die Kunst der Systeme. Weil die systematische Einheit dasienige ist, was gemeine Erkentniß allererst zur Wissenschaft, d. i. aus einem blossen Aggregat derselben ein System macht, so ist Architectonik: die Lehre des scientifischen in unserer Erkentniß uͤberhaupt und sie gehoͤrt also nothwendig zur Methodenlehre. Unter der Regierung der Vernunft duͤrfen unsere Er- kentnisse uͤberhaupt keine Rhapsodie, sondern sie muͤssen ein System ausmachen, in welchem sie allein die wesent- lichen Zwecke derselben unterstuͤtzen und befoͤrdern koͤnnen. Ich verstehe aber unter einem Systeme die Einheit der mannigfaltigen Erkentnisse unter einer Idee. Diese ist der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, so fern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen so wol, als die Stelle der Theile unter einander, a priori bestimt wird. Der scientifische Vernunftbegriff enthaͤlt also den Zweck und die Form des Ganzen, das mit demselben con- gruirt. Die Einheit des Zwecks, worauf sich alle Theile und in der Idee desselben auch untereinander beziehen, macht, daß ein ieder Theil bey der Kentniß der uͤbrigen vermißt wer- Die Architectonik der reinen Vernunft. werden kan und keine zufaͤllige Hinzusetzung, oder unbestim- te Groͤsse der Vollkommenheit, die nicht ihre a priori be- stimte Graͤnzen habe, statt findet. Das Ganze ist also gegliedert (articulatio) und nicht gehaͤuft (coacervatio) ; es kan zwar innerlich (per intus susceptionem), aber nicht aͤusserlich (per appositionem) wachsen, wie ein thierischer Coͤrper, dessen Wachsthum kein Glied hinzusezt, sondern, ohne Veraͤnderung der Proportion, ein iedes zu seinen Zwecken staͤrker und tuͤchtiger macht. Die Idee bedarf zur Ausfuͤhrung ein Schema, d. i. eine a priori aus dem Princip des Zwecks bestimte wesent- liche Mannigfaltigkeit und Ordnung der Theile. Das Schema, welches nicht nach einer Idee, d. i. aus dem Hauptzwecke der Vernunft, sondern empirisch, nach zu- faͤllig sich darbietenden Absichten (deren Menge man nicht voraus wissen kan), entworfen wird, giebt technische, das- ienige aber, was nur zu Folge einer Idee entspringt (wo die Vernunft die Zwecke a priori aufgiebt und nicht em- pirisch erwartet), gruͤndet architectonische Einheit. Nicht technisch, wegen der Aehnlichkeit des Mannigfaltigen, oder des zufaͤlligen Gebrauchs der Erkentniß in concreto zu allerley beliebigen aͤusseren Zwecken, sondern architecto- nisch, um der Verwandschaft willen und der Ableitung von einem einigen obersten und inneren Zwecke, der das Ganze allererst moͤglich macht, kan dasienige entspringen, was wir Wissenschaft nennen, dessen Schema den Umriß (monogramma) und die Eintheilung des Ganzen in Glie- G g g der, Methodenlehre III. Hauptst. der, der Idee gemaͤß, d. i. a priori enthalten und dieses von allen anderen sicher und nach Principien unterschei- den muß. Niemand versucht es, eine Wissenschaft zu Stande zu bringen, ohne daß ihm eine Idee zum Grunde liege. Allein, in der Ausarbeitung derselben entspricht das Sche- ma, ia so gar die Definition, die er gleich zu Anfange von seiner Wissenschaft giebt, sehr selten seiner Idee; denn diese liegt, wie ein Keim, in der Vernunft, in welchem alle Theile noch sehr eingewickelt und kaum der microscopi- schen Beobachtung kennbar, verborgen liegen. Um des- willen muß man Wissenschaften, weil sie doch alle aus dem Gesichtspuncte eines gewissen allgemeinen Interesse ausgedacht werden, nicht nach der Beschreibung, die der Urheber derselben davon giebt, sondern nach der Idee, welche man aus der natuͤrlichen Einheit der Theile, die er zusammengebracht hat, in der Vernunft selbst gegruͤndet findet, erklaͤren und bestimmen. Denn da wird sich fin- den: daß der Urheber und oft noch seine spaͤteste Nachfol- ger um eine Idee herumirren, die sie sich selbst nicht haben deutlich machen und daher den eigenthuͤmlichen Inhalt, die Articulation (systematische Einheit) und Graͤnzen der Wissenschaft nicht bestimmen koͤnnen. Es ist schlimm: daß nur allererst, nachdem wir lange Zeit, nach Anweisung einer in uns versteckt liegenden Idee, rhapsodistisch viele dahin sich beziehende Erkentnisse, als Bauzeug, gesammelt, ia gar lange Zeiten hindurch sie tech Die Architectonik der reinen Vernunft. technisch zusammengesezt haben, es uns denn allererst moͤg- lich ist, die Idee in hellerem Lichte zu erblicken und ein Ganzes nach den Zwecken der Vernunft architectonisch zu entwerfen. Die Systeme scheinen, wie Gewuͤrme, durch eine generatio equivoca, aus dem blossen Zusammenfluß von aufgesammelten Begriffen, anfangs verstuͤmmelt, mit der Zeit vollstaͤndig, gebildet worden zu seyn, ob sie gleich alle insgesamt ihr Schema, als den urspruͤnglichen Keim, in der sich blos auswickelnden Vernunft hatten und darum, nicht allein ein iedes vor sich nach einer Idee gegliedert, sondern noch dazu alle unter einander in einem System menschlicher Erkentniß wiederum als Glieder eines Gan- zen zweckmaͤssig vereinigt seyn und eine Architectonik alles menschlichen Wissens erlauben, die ieziger Zeit, da schon so viel Stoff gesammelt ist, oder aus Ruinen eingefallener alter Gebaͤude genommen werden kan, nicht allein moͤg- lich, sondern nicht einmal so gar schwer seyn wuͤrde. Wir begnuͤgen uns hier mit der Vollendung unseres Geschaͤftes, nemlich, lediglich die Architectonik aller Erkentniß aus rei- ner Vernunft zu entwerfen und fangen nur von dem Puncte an, wo sich die allgemeine Wurzel unserer Erkent- nißkraft theilt und zwey Staͤmme auswirft, deren einer Vernunft ist. Ich verstehe hier aber unter Vernunft das ganze obere Erkentnißvermoͤgen und setze also das ra- tionale dem empirischen entgegen. Wenn ich von allem Inhalte der Erkentniß, obie- ctiv betrachtet, abstrahire, so ist alles Erkentniß, subie- G g g 2 ctiv Methodenlehre III. Hauptst. ctiv, entweder historisch oder rational. Die historische Erkentniß ist cognitio ex datis, die rationale aber cogni- tio ex principiis . Eine Erkentniß mag urspruͤnglich ge- geben seyn, woher sie wolle, so ist sie doch bey dem, der sie besizt, historisch, wenn er nur in dem Grade und so viel erkent, als ihm anderwerts gegeben worden, es mag dieses ihm nun durch unmittelbare Erfahrung oder Erzaͤhlung, oder auch Belehrung (allgemeiner Erkentnisse) gegeben seyn. Daher hat der, welcher ein System der Philosophie z. B. das wolfische , eigentlich gelernt hat, ob er gleich alle Grundsaͤtze, Erklaͤrungen und Beweise, zu- samt der Eintheilung des ganzen Lehrgebaͤudes im Kopf haͤtte und alles an den Fingern abzaͤhlen koͤnte, doch keine andere als vollstaͤndige historische Erkentniß der wolfischen Philosophie; er weis und urtheilt nur so viel, als ihm ge- geben war. Streitet ihm eine Definition, so weis er nicht, wo er eine andere hernehmen soll. Er bildete sich nach fremder Vernunft, aber das nachbildende Vermoͤgen ist nicht das erzeugende, d. i. das Erkentniß entsprang bey ihm nicht aus Vernunft und, ob es gleich, obiectiv, aller- dings ein Vernunfterkentniß war, so ist es doch, subie- ctiv blos historisch. Er hat gut gefaßt und behalten, d. i. gelernet und ist ein Gipsabdruck von einem lebenden Menschen. Vernunfterkentnisse, die es obiectiv sind, (d. i. zu anfangs nur aus der eigenen Vernunft des Men- schen entspringen koͤnnen) duͤrfen nur denn allein auch sub- iectiv diesen Nahmen fuͤhren, wenn sie aus allgemeinen Quel- Die Architectonik der reinen Vernunft. Quellen der Vernunft, woraus auch die Critik, ia selbst die Verwerfung des Gelerneten entspringen kan, d. i. aus Principien geschoͤpft worden. Alle Vernunfterkentniß ist nun entweder die aus Begriffen, oder aus der Construction der Begriffe, die erstere heißt philosophisch, die zweite mathematisch. Von dem inneren Unterschiede beider habe ich schon im ersten Hauptstuͤcke gehandelt. Ein Erkentniß demnach kan ob- iectiv philosophisch seyn und ist doch subiectiv historisch, wie bey den meisten Lehrlingen und bey allen, die uͤber die Schule niemals hinaussehen und zeitlebens Lehrlinge blei- ben. Es ist aber doch sonderbar: daß das mathematische Erkentniß, so wie man es erlernet hat, doch auch subiectiv vor Vernunfterkentniß gelten kan, und ein solcher Unter- schied bey ihr nicht so, wie bey dem philosophischen statt findet. Die Ursache ist, weil die Erkentnißquellen, aus denen der Lehrer allein schoͤpfen kan, nirgend anders als in den wesentlichen und aͤchten Principien der Vernunft liegen und mithin von dem Lehrlinge nirgend anders her- genommen, noch etwa gestritten werden koͤnnen, und die- ses zwar darum, weil der Gebrauch der Vernunft hier nur in concreto, obzwar dennoch a priori, nemlich an der reinen und, eben deswegen, fehlerfreien Anschauung geschieht und alle Taͤuschung und Irrthum ausschließt. Man kan also unter allen Vernunftwissenschaften (a priori) nur allein Mathematik, niemals aber Philosophie (es sey denn historisch), sondern, was die Vernunft betrift, hoͤch- stens nur philosophiren lernen. G g g 3 Das Methodenlehre III. Hauptst. Das System aller philosophischen Erkentniß ist nun Philosophie . Man muß sie obiectiv nehmen, wenn man darunter das Urbild der Beurtheilung aller Versuche zu philosophiren versteht, welche iede subiective Philoso- phie zu beurtheilen dienen soll, deren Gebaͤude oft so man- nigfaltig und so veraͤnderlich ist. Auf diese Weise ist Philosophie eine blosse Idee von einer moͤglichen Wissen- schaft, die nirgend in concreto gegeben ist, welcher man sich aber auf mancherley Wegen zu naͤhern sucht, so lan- ge, bis der einzige, sehr durch Sinnlichkeit verwachsene Fußsteig entdeckt wird, und das bisher verfehlte Nachbild, so weit als es Menschen vergoͤnnet ist, dem Urbilde gleich zu machen gelinget. Bis dahin kan man keine Philoso- phie lernen; denn, wo ist sie, wer hat sie im Besitze und woran laͤßt sie sich erkennen? Man kan nur philosophi- ren lernen, d. i. das Talent der Vernunft in der Befol- gung ihrer allgemeinen Principien an gewissen vorhande- nen Versuchen uͤben, doch immer mit Vorbehalt des Rechts der Vernunft, iene selbst in ihren Quellen zu un- tersuchen und zu bestaͤtigen, oder zu verwerfen. Bis dahin ist aber der Begriff von Philosophie nur ein Schulbegriff, nemlich von einem System der Erkent- niß, die nur als Wissenschaft gesucht wird, ohne etwas mehr als die systematische Einheit dieses Wissens, mithin die logische Vollkommenheit der Erkentniß zum Zwecke zu haben. Es giebt aber noch einen Weltbegriff, (concep- tus cosmicus) der dieser Benennung iederzeit zum Grunde gelegen hat, vornemlich, wenn man ihn gleich- sam Die Architectonik der reinen Vernunft. sam personificirte und in dem Ideal des Philosophen sich als ein Urbild vorstellte. In dieser Absicht ist Philoso- phie die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkentniß auf die wesentliche Zwecke der menschlichen Vernunft (teleo- logia rationis humanae) und der Philosoph ist nicht ein Vernunftkuͤnstler, sondern der Gesezgeber der menschlichen Vernunft. In solcher Bedeutung waͤre es sehr ruhmre- dig, sich selbst einen Philosoph zu nennen und sich anzu- massen, dem Urbilde, das nur in der Idee liegt, gleich- gekommen zu seyn. Der Mathematiker, der Naturkuͤndiger, der Logi- ker sind, so vortreflich die erstere auch uͤberhaupt im Ver- nunfterkentnisse, die zweite besonders im philosophischen Erkentnisse Fortgang haben moͤgen, doch nur Vernunft- kuͤnstler. Es giebt noch einen Lehrer im Ideal, der alle diese ansezt, sie als Werkzeuge nuzt, um die wesentliche Zwecke der menschlichen Vernunft zu befoͤrdern. Diesen allein muͤßten wir den Philosoph nennen; aber, da er selbst doch nirgend, die Idee aber seiner Gesezgebung allenthal- ben in ieder Menschenvernunft angetroffen wird, so wollen wir uns lediglich an der lezteren halten und naͤher bestim- men, was Philosophie, nach diesem Weltbegriffe Weltbegriff heißt hier derienige, der das betrift, was iederman nothwendig interessirt; mithin bestimme ich die Absicht einer Wissenschaft nach Schulbegriffen , wenn sie nur als eine von den Geschicklichkeiten, zu gewissen beliebigen Zwecken angesehen wird. , vor G g g 4 syste- Methodenlehre III. Hauptst. systematische Einheit aus dem Standpuncte der Zwecke vorschreibe. Wesentliche Zwecke sind darum noch nicht die hoͤch- sten, deren (bey vollkommener systematischer Einheit der Vernunft) nur ein einziger seyn kan. Daher sind sie ent- weder der Endzweck, oder subalterne Zwecke, die zu ienem als Mittel nothwendig gehoͤren. Der erstere ist kein an- derer, als di e ganze Bestimmung des Menschen und die Philosophie uͤb er dieselbe heißt Moral. Um dieses Vor- zugs willen, den die Moralphilosophie vor aller anderen Vernunftbewerbung hat, verstand man auch bey den Alten unter dem Nahmen des Philosophen iederzeit zugleich und vorzuͤglich den Moralist und selbst macht der aͤussere Schein der Selbstbeherrschung durch Vernunft, daß man iemanden noch iezt, bey seinem eingeschraͤnkten Wissen, nach einer gewissen Analogie, Philosoph nent. Die Gesezgebung der menschlichen Vernunft (Phi- losophie) h a t nun zwey Gegenstaͤnde: Natur und Freiheit und enthaͤlt also sowol das Naturgesetz, als auch das Sit- tengesetz, anfangs in zwey besondern, zulezt aber in einem einzigen philosophischen System. Die Philosophie der Natur geht auf alles, was da ist, die der Sitten nur auf das, was da seyn soll. Alle Philosophie aber ist entweder Erkentniß aus rei- ner Vernunft, oder Vernunfterkentniß aus empirischen Principien. Die erstere heißt reine, die zweite empirische Philosophie. Die Die Architectonik der reinen Vernunft. Die Philosophie der reinen Vernunft ist nun entwe- der Propaͤdevtik (Voruͤbung), welche das Vermoͤgen der Vernunft in Ansehung aller reinen Erkentniß a priori un- tersucht und heißt Critik, oder zweitens das System der reinen Vernunft (Wissenschaft), die ganze (wahre sowol als scheinbare) philosophische Erkentniß aus reiner Ver- nunft im systematischen Zusammenhange, und heißt Me- taphysik ; wiewol dieser Nahme auch der ganzen reinen Philosophie mit Inbegriff der Critik gegeben werden kan, um, sowol die Untersuchung alles dessen, was iemals a priori erkant werden kan, als auch die Darstellung desie- nigen, was ein System reiner philosophischen Erkentnisse dieser Art ausmacht, von allem empirischen aber, imglei- chen dem mathematischen Vernunftgebrauche unterschieden ist, zusammen zu fassen. Die Metaphysik theilet sich in die, des speculativen und practischen Gebrauchs der reinen Vernunft und ist also entweder Metaphysik der Natur , oder Metaphysik der Sitten. Jene enthaͤlt alle reine Vernunftprincipien aus blossen Begriffen (mithin mit Ausschliessung der Mathe- matik) von dem theoretischen Erkentnisse aller Dinge, die- se die Principien, welche das Thun und Lassen a priori bestimmen und nothwendig machen. Nun ist die Morali- taͤt die einzige Gesetzmaͤssigkeit der Handlungen, die voͤllig a priori aus Principien abgeleitet werden kan. Daher ist die Metaphysik der Sitten eigentlich die reine Moral, in welcher keine Anthropologie (keine empirische Bedin- G g g 5 gung) Methodenlehre III. Hauptst. gung) zum Grunde gelegt wird. Die Metaphysik der speculativen Vernunft ist nun das, was man im engeren Verstande Metaphysik zu nennen pflegt; so fern aber reine Sittenlehre doch gleichwol zu dem besonderen Stamme menschlicher und zwar philosophischer Erkentniß aus reiner Vernunft gehoͤret, so wollen wir ihr iene Benennung er- halten, obgleich wir sie, als zu unserm Zwecke iezt nicht gehoͤrig, hier bey Seite setzen. Es ist von der aͤussersten Erheblichkeit, Erkentnisse, die ihrer Gattung und Ursprunge nach von andern unter- schieden sind, zu isoliren und sorgfaͤltig zu verhuͤten, daß sie nicht mit andern, mit welchen sie im Gebrauche gewoͤhnlich verbunden sind, in ein Gemische zusammen- fliessen. Was Chemiker beim Scheiden der Materien, was Mathematiker in ihrer reinen Groͤssenlehre thun, das liegt noch weit mehr dem Philosophen ob, damit er den Antheil, den eine besondere Art der Erkentniß am her- umschweifenden Verstandesgebrauch hat, ihren eigenen Werth und Einfluß sicher bestimmen koͤnne. Daher hat die menschliche Vernunft seitdem, daß sie gedacht, oder vielmehr nachgedacht hat, niemals einer Metaphysik ent- behren, aber gleichwol sie nicht, genugsam gelaͤutert von allem Fremdartigen, darstellen koͤnnen. Die Idee einer solchen Wissenschaft ist eben so alt, als speculative Men- schenvernunft und welche Vernunft speculirt nicht, es mag nun auf scholastische, oder populaͤre Art geschehen? Man muß indessen gestehen: daß die Unterscheidung der zwey Ele- Die Architectonik der reinen Vernunft. Elemente unserer Erkentniß, deren die eine voͤllig a priori in unserer Gewalt sind, die andere nur a posteriori aus der Erfahrung genommen werden koͤnnen, selbst bey Den- kern von Gewerbe, nur sehr undeutlich blieb, und daher niemals die Graͤnzbestimmung einer besondern Art von Erkentniß, mithin nicht die aͤchte Idee einer Wissenschaft, die so lange und so sehr die menschliche Vernunft beschaͤf- tigt hat, zu Stande bringen konte. Wenn man sagte: Metaphysik ist die Wissenschaft von den ersten Principien der menschlichen Erkentniß, so bemerkte man dadurch nicht eine ganz besondere Art, sondern nur einen Rang in Anse- hung der Allgemeinheit, dadurch sie also vom Empirischen nicht kentlich unterschieden werden konte; denn auch un- ter empirischen Principien sind einige allgemeiner, und darum hoͤher als andere und, in der Reihe einer solchen Unterordnung, (da man das, was voͤllig a priori, von dem, was nur a posteriori erkant wird, nicht unterschei- det), wo soll man den Abschnitt machen, der den ersten Theil und die oberste Glieder von dem lezten und den un- tergeordneten unterschiede? Was wuͤrde man dazu sagen, wenn die Zeitrechnung die Epochen der Welt nur so be- zeichnen koͤnte, daß sie sie in die erste Jahrhunderte und in die darauf folgende eintheilete. Gehoͤret das fuͤnfte, das zehnte ꝛc. Jahrhundert auch zu den ersten? wuͤrde man fra- gen; eben so frage ich: gehoͤrt der Begriff des Ausge- dehnten zur Metaphysik? ihr antwortet, ia! ey, aber auch der des Coͤrpers? ia! und der des fluͤssigen Coͤrpers? ihr wer- Methodenlehre III. Hauptst. werdet stutzig, denn, wenn es so weiter fortgeht, so wird alles in die Metaphysik gehoͤren. Hieraus sieht man: daß der blosse Grad der Unterordnung (das Besondere unter dem Allgemeinen) keine Graͤnzen einer Wissenschaft bestimmen koͤnne, sondern in unserem Falle die gaͤnzliche Ungleich- artigkeit und Verschiedenheit des Ursprungs. Was aber die Grundidee der Metaphysik noch auf einer anderen Seite ver- dunkelte, war, daß sie als Erkentniß a priori mit der Ma- thematik eine gewisse Gleichartigkeit zeigt, die zwar, was den Ursprung a priori betrift, sie einander verwandt, was aber die Erkentnißart aus Begriffen bey iener, in Verglei- chung mit der Art, blos durch Construction der Begriffe a priori zu urtheilen, bey dieser, mithin den Unterschied einer philosophischen Erkentniß von der mathematischen an- langt, so zeigt sich eine so entschiedene Ungleichartigkeit, die man zwar iederzeit gleichsam fuͤhlete, niemals aber auf deutliche Criterien bringen konte. Dadurch ist es nun geschehen, daß, da Philosophen selbst in der Entwickelung der Idee ihrer Wissenschaft fehleten, die Bearbeitung der- selben keinen bestimten Zweck und keine sichere Richtschnur haben konte und sie, bey einem so willkuͤhrlich gemachten Entwurfe, unwissend in dem Wege, den sie zu nehmen haͤt- ten, und iederzeit unter sich streitig, uͤber die Entdeckun- gen, die ein ieder auf dem seinigen gemacht haben wolte, ihre Wissenschaft zuerst bey andern und endlich sogar bey sich selbst in Verachtung brachten. Alle Die Architectonik der reinen Vernunft. Alle reine Erkentniß a priori macht also, vermoͤ- ge dem besondern Erkentnißvermoͤgen, darin es allein sei- nen Sitz haben kan, eine besondere Einheit aus und Me- taphysik ist dieienige Philosophie, welche iene Erkentniß in dieser systematischen Einheit darstellen soll. Der specu- lative Theil derselben, der sich diesen Nahmen vorzuͤglich zugeeignet hat, nemlich die, welche wir Metaphysik der Natur nennen und alles, so fern es ist, (nicht das, was seyn soll) aus Begriffen a priori erwaͤgt, wird nun auf fol- gende Art eingetheilt. Die im engeren Verstande so genante Metaphysik be- steht aus der Transscendentalphilosophie und der Physiolo- gie der reinen Vernunft. Die erstere betrachtet nur den Ver- stand und Vernunft selbst in einem System aller Begriffe und Grundsaͤtze, die sich auf Gegenstaͤnde uͤberhaupt bezie- hen, ohne Obiecte anzunehmen, die gegeben waͤren ( On- tologia ), die zweite betrachtet Natur, d. i. den Inbegriff gegebener Gegenstaͤnde, (sie moͤgen nun den Sinnen, oder, wenn man will, einer andern Art von Anschauung ge- geben seyn), und ist also Physiologie (obgleich nur ratio- nalis ). Nun ist aber der Gebrauch der Vernunft in die- ser rationalen Naturbetrachtung entweder physisch, oder hyperphysisch, oder besser, entweder immanent oder trans- scendent. Der erstere geht auf die Natur, so weit als ihre Erkentniß in der Erfahrung ( in concreto ) kan an- gewandt werden, der zweite auf dieienige Verknuͤpfung der Gegenstaͤnde der Erfahrung welche alle Erfahrung uͤber- steigt. Methodenlehre III. Hauptst. steigt. Diese transscendente Physiologie hat daher ent- weder eine innere Verknuͤpfung, oder aͤussere, die aber beide uͤber moͤgliche Erfahrung hinaus gehen, zu ihrem Gegenstande; iene ist die Physiologie der gesamten Natur, d. i. die transscendentale Welterkentniß, diese des Zu- sammenhanges der gesamten Natur mit einem Wesen uͤber der Natur, d. i. die transscendentale Gotteserkentniß. Die immanente Physiologie betrachtet dagegen Na- tur, als den Inbegriff aller Gegenstaͤnde der Sinne, mit- hin, so wie sie uns gegeben ist, aber nur nach Bedingun- gen a priori, unter denen sie uns uͤberhaupt gegeben wer- den kan. Es sind aber nur zweierley Gegenstaͤnde der- selben. 1. Die der aͤusseren Sinne, mithin, der Inbegriff derselben, die koͤrperliche Natur. 2. Der Gegenstand des inneren Sinnes, die Seele, und, nach den Grund- begriffen derselben uͤberhaupt, die denkende Natur. Die Metaphysik der koͤrperlichen Natur heißt Physik , aber, weil sie nur die Principien ihrer Erkentniß a priori enthal- ten soll, rationale Physik . Die Metaphysik der denken- den Natur heißt Psychologie und, aus der eben angefuͤhr- ten Ursache, ist hier nur die rationale Erkentniß dersel- ben zu verstehen. Demnach besteht das ganze System der Metaphysik aus vier Haupttheilen. 1. Der Ontologie. 2. Der ratio- nalen Physiologie. 3. Der rationalen Cosmologie. 4. Der rationalen Theologie. Der zweite Theil, nemlich die Naturlehre der reinen Vernunft, enthaͤlt zwey Abtheilun- gen Die Architectonik der reinen Vernunft. gen, die physica rationalis Man denke ia nicht: daß ich hierunter dasienige ver- stehe, was man gemeiniglich physica generalis nent, und mehr Mathematik, als Philosophie der Natur ist. Denn die Metaphysik der Natur sondert sich gaͤnzlich von der Mathematik ab, hat auch bey weitem nicht so viel erwei- ternde Einsichten anzubieten, als diese, ist aber doch sehr wichtig, in Ansehung der Critik des auf die Natur anzu- wendenden reinen Verstandeserkentnisses uͤberhaupt; in Ermangelung deren selbst Mathematiker, indem sie ge- wissen gemeinen, in der That doch metaphysischen Be- griffen anhaͤngen, die Naturlehre unvermerkt mit Hypo- thesen belaͤstigt haben, welche bey einer Critik dieser Prin- cipien verschwinden, ohne dadurch doch dem Gebrauche der Mathematik in diesem Felde (der ganz unentbehrlich ist) im mindesten Abbruch zu thun. und psychologia ratio- nalis . Die urspruͤngliche Idee einer Philosophie der reinen Vernunft schreibt diese Abtheilung selbst vor; sie ist also architectonisch, ihren wesentlichen Zwecken gemaͤß und nicht blos technisch, nach zufaͤllig wahrgenommenen Ver- wandschaften und gleichsam auf gut Gluͤck angestellt, eben darum aber auch unwandelbar und legislatorisch. Es fin- den sich aber hiebey einige Puncte, die Bedenklichkeit er- regen und die Ueberzeugung von der Gesetzmaͤssigkeit der- selben schwaͤchen koͤnten. Zuerst, wie kan ich eine Erkentniß a priori, mithin Metaphysik, von Gegenstaͤnden erwarten: so fern sie un- seren Sinnen, mithin a posteriori gegeben seyn und, wie ist es moͤglich, nach Principien a priori, die Natur der Din- ge Methodenlehre III. Hauptst. ge zu erkennen und zu einer rationalen Physiologie zu ge- langen? Die Antwort ist: wir nehmen aus der Erfah- rung nichts weiter, als was noͤthig ist, uns ein Obiect, theils des aͤusseren, theils des inneren Sinnes zu geben. Jenes geschieht durch den blossen Begriff Materie, (undurch- dringliche leblose Ausdehnung) dieses durch den Begriff eines denkenden Wesens (in der empirischen inneren Vor- stellung: Ich denke). Uebrigens muͤsten wir in der gan- zen Metaphysik dieser Gegenstaͤnde, uns aller empirischen Principien gaͤnzlich enthalten, die uͤber den Begriff, noch irgend eine Erfahrung hinzusetzen moͤchten, um etwas uͤber diese Gegenstaͤnde daraus zu urtheilen. Zweitens: wo bleibt denn die empirische Psycho- logie, welche von ieher ihren Platz in der Metaphysik be- hauptet hat und von welcher man in unseren Zeiten so gar grosse Dinge zu Aufklaͤrung derselben erwartet hat, nach- dem man die Hoffnung aufgab, etwas taugliches a priori auszurichten? Ich antworte: sie komt dahin, wo die eigentliche (empirische) Naturlehre hingestellt werden muß, nemlich auf die Seite der angewandten Philosophie, zu welcher die reine Philosophie die Principien a priori ent- haͤlt, die also mit iener zwar verbunden, aber nicht vermischt werden muß. Also muß empirische Psychologie aus der Metaphysik gaͤnzlich verbannet seyn, und ist schon durch die Idee derselben davon gaͤnzlich ausgeschlossen. Gleichwol wird man ihr nach dem Schulgebrauch doch noch immer (obzwar nur als Episode) ein Plaͤtzchen darin ver- Die Architectonik der reinen Vernunft. verstatten muͤssen und zwar aus oͤconomischen Bewegursa- chen, weil sie noch nicht so reich ist, daß sie allein ein Stu- dium ausmachen und doch zu wichtig, als daß man sie ganz ausstossen, oder anderwerts anheften solte, wo sie noch weniger Verwandschaft als in der Metaphysik antref- fen duͤrfte. Es ist also blos ein so lange aufgenommener Fremdling, dem man auf einige Zeit einen Aufenthalt vergoͤnt, bis er in einer ausfuͤhrlichen Anthropologie (dem Pendant zu der empirischen Naturlehre) seine eigene Be- hausung wird beziehen koͤnnen. Das ist also die allgemeine Idee der Metaphysik, welche, da man ihr anfaͤnglich mehr zumuthete, als billiger- weise verlangt werden kan und sich eine zeitlang mit ange- nehmen Erwartungen ergoͤtzte, zulezt in allgemeine Ver- achtung gefallen ist da man sich in seiner Hoffnung betro- gen fand. Aus dem ganzen Verlauf unserer Critik wird man sich hinlaͤnglich uͤberzeugt haben: daß, wenn gleich Metaphysik nicht die Grundveste der Religion seyn kan, so muͤsse sie doch iederzeit als die Schutzwehr derselben ste- hen bleiben und daß die menschliche Vernunft, welche schon durch die Richtung ihrer Natur dialectisch ist, einer solchen Wissenschaft niemals entbehren koͤnne, die sie zuͤgelt und, durch ein scientifisches und voͤllig einleuchtendes Selbster- kentniß, die Verwuͤstungen abhaͤlt, welche eine gesetzlose speculative Vernunft sonst ganz unfehlbar, in Moral sowol als Religion, anrichten wuͤrde. Man kan also sicher seyn, so sproͤde, oder geringschaͤtzend auch dieienige thun, die H h h eine Methodenlehre III. Hauptst. eine Wissenschaft nicht nach ihrer Natur, sondern allein aus ihren zufaͤlligen Wirkungen zu beurtheilen wissen, man wer- de iederzeit zu ihr, wie zu einer mit uns entzweiten Ge- liebten zuruͤckkehren, weil die Vernunft, da es hier we- sentliche Zwecke betrift, rastlos, entweder auf gruͤndliche Einsicht oder Zerstoͤhrung schon vorhandener guten Einsich- ten arbeiten muß. Metaphysik also, sowol der Natur, als der Sitten, vornemlich die Critik der sich auf eigenen Fluͤgeln wagen- den Vernunft, welche voruͤbend (propaͤdevtisch) vorher- geht, machen eigentlich allein dasienige aus, was wir im aͤchten Verstande Philosophie nennen koͤnnen. Diese be- zieht alles auf Weisheit, aber durch den Weg der Wissen- schaft, den einzigen, der, wenn er einmal gebahnt ist, nie- mals verwaͤchst und keine Verirrungen verstattet. Ma- thematik, Naturwissenschaft, selbst die empirische Kent- niß des Menschen, haben einen hohen Werth als Mit- tel, groͤßtentheils zu zufaͤlligen, am Ende aber doch zu nothwendigen und wesentlichen Zwecken der Menschheit, aber alsdenn nur durch Vermittelung einer Vernunft- erkentniß aus blossen Begriffen, die, man mag sie be- nennen wie man will, eigentlich nichts als Metaphy- sik ist. Eben deswegen ist Metaphysik auch die Vollendung aller Cultur der menschlichen Vernunft, die unentbehr- lich Die Architectonik der reinen Vernunft. lich ist, wenn man gleich ihren Einfluß, als Wissenschaft, auf gewisse bestimte Zwecke bey Seite sezt. Denn sie be- trachtet die Vernunft nach ihren Elementen und obersten Maximen, die selbst der Moͤglichkeit einiger Wissenschaf- ten und dem Gebrauche aller, zum Grunde liegen muͤssen. Daß sie, als blosse Speculation, mehr dazu dient, Irr- thuͤmer abzuhalten, als Erkentniß zu erweitern, thut ih- rem Werthe keinen Abbruch, sondern giebt ihr vielmehr Wuͤrde und Ansehen durch das Censoramt, welches die allgemeine Ordnung und Eintracht, ia den Wolstand des wissenschaftlichen gemeinen Wesens sichert und dessen mu- thige und fruchtbare Bearbeitungen abhaͤlt, sich nicht von dem Hauptzwecke, der allgemeinen Gluͤckseligkeit, zu ent- fernen. H h Der Methodenlehre IV. Hauptst. Der Transscendentalen Methodenlehre Viertes Hauptstuͤck . Die Geschichte der reinen Vernunft. D ieser Titel steht nur hier, um eine Stelle zu bezeich- nen, die im System uͤbrig bleibt und kuͤnftig aus- gefuͤllet werden muß. Ich begnuͤge mich, aus einem blos transscendentalen Gesichtspuncte, nemlich der Natur der reinen Vernunft, einen fluͤchtigen Blick auf das Ganze der bisherigen Bearbeitungen derselben zu werfen, welches freilich meinem Auge zwar Gebaͤude, aber nur in Ruinen vorstellt. Es ist merkwuͤrdig gnug, ob es gleich natuͤrlicher Weise nicht anders zugehen konte, daß die Menschen im Kindesalter der Philosophie davon anfiengen, wo wir iezt lieber endigen moͤgten, nemlich, zuerst die Erkentniß Gottes und Hoffnung, oder wol gar die Beschaffenheit einer andern Welt zu studiren. Was auch die alte Gebraͤuche, die noch von dem rohen Zustande der Voͤlker uͤbrig waren, vor grobe Religionsbegriffe eingefuͤhrt haben mochten, so hinderte dieses doch nicht den aufgeklaͤrtern Theil, sich freien Nachforschungen uͤber diesen Gegenstand zu widmen und man sahe leicht ein, daß es keine gruͤndliche und zu- verlaͤssigere Art geben koͤnne, der unsichtbaren Macht, die die Welt regiert, zu gefallen, um wenigstens in einer andern Welt Die Geschichte der reinen Vernunft. Welt gluͤcklich zu seyn, als den guten Lebenswandel. Da- her waren Theologie und Moral, die zwey Triebfedern, oder besser, Beziehungspuncte zu allen abgezogenen Ver- nunftforschungen, denen man sich nachher iederzeit gewid- met hat. Die erstere war indessen eigentlich das, was die blos speculative Vernunft nach und nach in das Geschaͤfte zog, welches in der Folge unter dem Nahmen der Meta- physik so beruͤhmt geworden. Ich will iezt die Zeiten nicht unterscheiden, auf wel- che diese oder iene Veraͤnderung der Metaphysik traf, son- dern nur die Verschiedenheit der Idee, welche die haupt- saͤchlichste Revolutionen veranlaßte, in einem fluͤchtigen Abrisse darstellen. Und da finde ich eine dreifache Absicht, in welcher die nahmhafteste Veraͤnderungen auf dieser Buͤh- ne des Streits gestiftet worden. 1. In Ansehung des Gegenstandes aller unserer Vernunfterkentnisse, waren einige blos Sensual - andere blos Intellectualphilosophen. Epikur kan der vornehm- ste Philosoph der Sinnlichkeit, Plato des Intellectuellen genant werden. Dieser Unterschied der Schulen aber, so subtil er auch ist, hatte schon in den fruͤhesten Zeiten an- gefangen und hat sich lange ununterbrochen erhalten. Die von der ersteren behaupteten: in den Gegenstaͤnden der Sinne sey allein Wirklichkeit, alles uͤbrige sey Einbildung; die von der zweiten sagten dagegen: in den Sinnen ist H h h 3 nichts Methodenlehre IV. Hauptst. nichts als Schein, nur der Verstand erkent das Wahre. Darum stritten aber die ersteren den Verstandesbegriffen doch eben nicht Realitaͤt ab, sie war aber bey ihnen nur logisch, bey denen andern aber mystisch. Jene raͤume- ten intellectuelle Begriffe ein, aber nahmen blos sensibele Gegenstaͤnde an. Diese verlangten, daß die wahren Ge- genstaͤnde blos intelligibel waͤren und behaupteten eine An- schauung durch den, von keinen Sinnen begleiteten und ihrer Meinung nach nur verwirreten reinen Verstand. 2. In Ansehung des Ursprungs reiner Vernunft- erkentnisse, ob sie aus der Erfahrung abgeleitet, oder, unabhaͤngig von ihr, in der Vernunft ihre Quelle haben. Aristoteles kan als das Haupt der Empiristen, Plato aber der Noologisten angesehen werden. Locke der in neueren Zeiten dem ersteren und Leibnitz, der dem lezteren (obzwar in einer gnugsamen Entfernung von dessen mystischem Sy- steme) folgete, haben es gleichwol in diesem Streite noch zu keiner Entscheidung bringen koͤnnen. Wenigstens ver- fuhr Epikur seiner Seits viel consequenter nach seinem Sensualsystem (denn er ging mit seinen Schluͤssen niemals uͤber die Graͤnze der Erfahrung hinaus), als Aristoteles und Locke, (vornehmlich aber der leztere,) der, nach dem er alle Begriffe und Grundsaͤtze von der Erfahrung abgeleitet hat- te, so weit im Gebrauche derselben geht, daß er behaup- tet: man koͤnne das Daseyn Gottes und die Unsterblichkeit der Seele (obzwar beide Gegenstaͤnde ganz ausser den Graͤn- zen Die Geschichte der reinen Vernunft. zen moͤglicher Erfahrung liegen), eben so evident beweisen, als irgend einen mathematischen Lehrsatz. 3. In Ansehung der Methode. Wenn man et- was Methode nennen soll, so muß es ein Verfahren nach Grundsaͤtzen seyn. Nun kan man die iezt in diesem Fache der Nachforschung herrschende Methode in die naturalisti- sche und scientifische eintheilen. Der Naturalist der rei- nen Vernunft nimt es sich zum Grundsatze: daß durch ge- meine Vernunft ohne Wissenschaft (welche er die gesunde Vernunft nent), sich in Ansehung der erhabensten Fragen, die die Aufgabe der Metaphysik ausmachen, mehr ausrich- ten lasse, als durch Speculation. Er behauptet also: daß man die Groͤsse und Weite des Mondes sicherer nach dem Augenmaasse, als durch mathematische Umschweife bestimmen koͤnne. Es ist blosse Misologie auf Grundsaͤtze gebracht und, welches das ungereimteste ist, die Vernach- laͤssigung aller kuͤnstlichen Mittel als eine eigene Methode angeruͤhmt, seine, Erkentniß zu erweitern. Denn was die Naturalisten aus Mangel mehrer Einsicht betrift, so kan man ihnen mit Grunde nichts zur Last legen. Sie folgen der gemeinen Vernunft, ohne sich ihrer Unwissen- heit als einer Methode zu ruͤhmen, die das Geheimniß enthalten solle, die Wahrheit aus Democrits tiefen Brun- nen heraus zu hohlen. Quod sapio satis est mihi, non ego curo, esse quod Arcesilas aerumnosique Solones, Pers. ist ihr Wahlspruch, bey dem sie vergnuͤgt und beifalls- wuͤrdig Methodenlehre IV. Hauptst. Die Gesch. ꝛc. wuͤrdig leben koͤnnen, ohne sich um die Wissenschaft zu bekuͤmmern, noch deren Geschaͤfte zu verwirren. Was nun die Beobachter einer scientifischen Metho- de betrift, so haben sie hier die Wahl, entweder dogma- tisch oder sceptisch, in allen Faͤllen aber doch die Verbind- lichkeit, systematisch zu verfahren. Wenn ich hier in Ansehung der ersteren den beruͤhmten Wolf, bey der zweiten David Hume nenne, so kan ich die uͤbrige, mei- ner ietzigen Absicht nach, ungenant lassen. Der critische Weg ist allein noch offen. Wenn der Leser diesen in meiner Gesellschaft durchzuwandern Gefaͤlligkeit und Ge- dult gehabt hat, so mag er iezt urtheilen, ob nicht, wenn es ihm beliebt, das Seinige dazu beizutragen, um diesen Fußsteig zur Heeresstrasse zu machen, dasienige, was viele Jahrhunderte nicht leisten konten, noch vor Ablauf des gegenwaͤrtigen erreicht werden moͤge: nemlich, die menschliche Vernunft in dem, was ihre Wißbegierde ieder- zeit, bisher aber vergeblich beschaͤftigt hat, zur voͤlligen Befriedigung zu bringen.