Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Von Leopold Ranke. Fünfter Band. Berlin, 1843. Bei Duncker und Humblot. Inhalt . Seite Neuntes Buch. Zeiten des Interims . Erstes Capitel. Reichstag zu Augsburg 1547, 48. 3 Angelegenheit des Conciliums 3 Entzweiung zwischen Kaiser und Papst 10. Weltliche Einrichtungen im Reiche 16 Absicht den schwaͤbischen Bund zu erneuern 16. Landfriede, Kammergericht, Reichsanschlaͤge 20. Burgundischer Vertrag 24. Reichskriegscasse 29. Belehnungen 32. Rechtsentscheidungen 34. Das Interim 36 Zweites Capitel. Einfuͤhrung des Interims in Deutschland 56 Veraͤnderung der Stadtraͤthe 61. Uͤberwaͤlti- gung von Costnitz 63. Leipziger Interim 83. Drittes Capitel. Stellung und Politik Carls V 1549 — 1551 90 Verhandlungen mit Rom 113 Reichstag zu Augsburg 1550 117. Successionsentwurf 119 Die Protestanten in Trient 128 Saͤchsische und wuͤrtenbergische Confession 130. Viertes Capitel. Elemente des Widerstandes in den großen Maͤchten 142 Seekrieg im Mittelmeer 143 Erneuerung des Kriegs in Ungarn 152 Inhalt . Seite Fortgang der Reformation in England 158 Heinrich II und die Farnesen 171 Fuͤnftes Capitel. Elemente des Widerstandes in Deutschland 177 Belagerung von Magdeburg 179. Kirchliche Gewaltsamkeiten in Augsburg 188. Beleidi- gung der Reichsfuͤrsten 190. Gefangenschaft des Landgrafen Philipp 194. Deutsch-oͤstrei- chisches und brandenburgisch-preußisches In- teresse 202. Zusammenkunft zwischen Churf. Moritz und Markgraf Hans 207. Sechstes Capitel. Kriegszug des Churfuͤrsten Moritz wider Carl V 1552 210 Erste Entwuͤrfe 210. Moritz 221. Unter- handlung mit Frankreich 224. Kriegszug gegen Carl V 231. Aufloͤsung des Conciliums 246. Zehntes Buch. Epoche des Religionsfriedens . Erstes Capitel. Verhandlungen zu Linz und zu Passau 253 Vertrag zu Passau 277. Entlassung Johann Friedrichs 279. Ruͤckkehr des Landgrafen Phi- lipp 283. Zweites Capitel. Franzoͤsisch-osmanischer Krieg 1552, 1553 285 Belagerung von Metz 287. Feldzug in Un- garn 291. Italien 294. Drittes Capitel. Der Krieg zwischen Markgraf Albrecht und Churfuͤrst Moritz im Jahr 1553 299 Carl V in Verbindung mit Albrecht 303. Er- neuerung des Successionsentwurfs 306. Hei- delberger Bund 310. Verbindung zwischen Moritz, Heinrich von Braunschweig und Koͤ- Inhalt . Seite nig Ferdinand gegen Albrecht 311. Stellung und Natur Albrechts 315. Moritz in neuem Bunde mit Frankreich 321. Schlacht bei Sie- vershausen 325. Viertes Capitel. Allmaͤhlige Beruhigung der deutschen Territorien 330 Eintritt Churfuͤrst Augusts von Sachsen 330. Friede zwischen August und Albrecht 333. Er- neuerung der Erbverbruͤderung zwischen Bran- denburg, Sachsen und Hessen 333. Zutritt Fer- dinands zum Heidelberger Bund 334. Heinrich von Braunschweig gegen Albrecht 335. Aus- gang Markgraf Albrechts 344. Beilegung ter- ritorialer Streitigkeiten in Deutschland 347. Fuͤnftes Capitel. Reichstag zu Augsburg 1555 352 Berathungen uͤber den Religionsfrieden 356 Geistlicher Vorbehalt 370. Berathungen uͤber Friede und Recht 373 Executionsordnung, Kreisverfassung 373. Neue Kammergerichtsordnung 379. Beschlußnahme 383 Sechstes Capitel. Abdankung Carls V 393 Verbindung des Kaisers mit England unter Ma- ria 393. Uͤbertragung der Erblande auf Phi- lipp 403, Unterhandlungen wegen der Uͤber- tragung des Kaiserthums 411 ff. Anfang der selbstaͤndigen Regierung Ferdinands 413. Chur- fuͤrstenversammlung zu Frankfurt 415. Chur- verein von 1558 418. Letzte Tage Carls V 423. Siebentes Capitel. Fortgang und innerer Zu- stand des Protestantismus 427 Einwirkung des Protestantismus auf die Reichs- verfassung 430. Reformation der Rheinpfalz, Badens 432. Concessionen in Baiern und Oͤst- reich 433. Inhalt . Seite Grundzuͤge der protestantischen Kirchenverfassung 435 Theologische Streitigkeiten 443 Flacius 446. Major und Osiander 448. Cal- vin 451. Maͤngel der Verfassung 459. Un- erledigte Fragen 462. Achtes Capitel. Entwickelung der Literatur 465 Neuntes Buch. Zeiten des Interims. Ranke D. Gesch. V. 1 Erstes Capitel . Reichstag zu Augsburg 1547, 48. Angelegenheit des Conciliums. Siege werden bald erfochten: ihre Erfolge zu befesti- gen, das ist schwer. Für Carl V war mit dem Siege über die schmalkal- dischen Stände nur erst die Hälfte der Arbeit gethan: wollte er die Gedanken ausführen, von denen er beseelt war, so stand ihm noch ein Gang mit seinem eignen Verbündeten bevor. Wir wissen schon, wie wenig ihm die Art und Weise genug that, in der das Concilium unter dem Einfluß des Papstes verfuhr: jene Festsetzung der streitigen Lehrpuncte in einem Sinne welcher die Protestanten abstoßen mußte, die er herbeizubringen gedachte; noch mehr die Translation der Ver- sammlung, zu der man geschritten war, so bald nur von der so oft versprochenen Reform ein wenig ernstlicher die Rede seyn sollte. Keinen Augenblick hatte er diese Dinge aus den Augen verloren. Er hat wohl gesagt, im Laufe des Krie- ges habe er mehr an Rom und an das Concilium gedacht als an den Krieg selber. Noch war er nicht gesonnen, we- der diese Verlegung sich gefallen zu lassen, oder auch nur die publicirten Artikel anzuerkennen. 1* Neuntes Buch. Erstes Capitel . In Bologna wagte man doch wirklich nicht, zu con- ciliaren Handlungen zu schreiten: Mendoza an den Kaiser 26 Mai. Ha sido necesario ha- blar a Farnesio, para que alli (a Bologna) no hiziesse algun acto, y asegurarme primero con la palabra del papa diziendo que de otra maniera yo haria el protesto. man begnügte sich mit vorläufigen Besprechungen. Wie die beiden Häupter dort einwirkten, davon ist ein Beispiel, daß als eine solenne Session für die Mitte Sep- tember angekündigt war und der Papst sich Ende August aus Rom erhob, um ihr durch seine Gegenwart so größeres An- sehn zu geben, — er versäumte nicht vorher die Gestirne um die glückliche Stunde zu befragen, — der kaiserliche Gesandte ihm nacheilte und ihn durch Drohungen dahin brachte, daß die Sitzung nur in Form einer Congregation gehalten ward. Mendoza an den Kaiser 27 Aug., 2 Sept., 10 Sept. So recht römisch kam es dem Kaiser vor, daß der päpst- liche Gesandte, der ihn in Bamberg traf, ihn zu überreden suchte, seine siegreichen Waffen nun gegen England zu wen- den. Er antwortete, er wolle nicht aufs neue den Haupt- mann eines Mannes machen, der ihn in der Mitte der letz- ten Unternehmung verlassen habe. Der Nuntius erinnerte ihn mit officieller Frömmigkeit an seine Pflichten gegen die Religion. Der Kaiser entgegnete, er wünsche nur, daß An- dere ihre Pflicht in dieser Beziehung so gut erfüllen möchten wie er die seine. Bericht von Sfondrato. Pallavicini X, iii . Blieb er aber dabei, die Sache des Conciliums in sei- nem Sinne durchzusetzen, so fand er dafür eine mächtige Unterstützung in dem Übergewicht das er jetzt in Deutsch- land erworben. Reichstag zu Augsburg 1547. Concilium . Am ersten September eröffnete er den Reichstag zu Augsburg, mit einer Proposition, in der er zunächst die geist- lichen Angelegenheiten da wieder aufnahm, wo sie vor zwei Jahren abgebrochen worden: aber unter ganz andern Um- ständen und mit einer ohne Vergleich größern Aussicht, seine Meinung durchzusetzen. Die protestantische Corporation, welche früher nicht al- lein nach ihrer eignen Meinung, sondern auch vermöge der ihnen gewordenen Zugeständnisse eine gesetzliche Stellung ein- nahm und an der exclusiv protestantischen Idee festhielt, war nicht mehr; der Kaiser verbat sich überhaupt abgesonderte Zusammenkünfte und Berathungen. Alle die in des Kaisers Frieden gekommen, hatten sich mehr oder minder ohne Rück- halt zum Gehorsam in dieser Hinsicht verpflichtet. Jene pro- testantische Mehrheit, die sich zuletzt im Churfürstenrathe zu bilden begonnen, war durch die Catastrophe des Erzbischof Hermann von Cölln vollkommen beseitigt. Die geistlichen Fürsten, die ihre Erhaltung hauptsächlich dem Kaiser ver- dankten, hiengen ihm mit doppelter Ergebenheit an. Unter diesen Umständen konnte die Beschlußnahme des Reichstags, als nun der Kaiser aufs neue die Anerkennung des tridentinischen Conciliums forderte, auf keine besondere Schwierigkeit stoßen. Der Fürstenrath, der abermal die Initiative ergriff, er- klärte, der wahre Weg die Spaltung in der Religion zu heben sey eben der, die Erörterung einem freien gemeinen Concil heimzustellen, „immaßen das allbereit zu Trient an- gefangen worden.“ Diesem Gutachten stimmten die geist- lichen Churfürsten beinahe wörtlich bei. Unter den Schriften welche Sastrow in die Haͤnde bekom- Nicht so entschie- Neuntes Buch. Erstes Capitel . den war die Äußerung der weltlichen Mitglieder dieses Col- legiums; aber sie widersprachen wenigstens nicht: sie er- kannten an, daß die streitige Religion auf ein gemein frei christlich Concilium remittirt werden sollte, es möge nun zu Trient gehalten werden oder an einem andern Orte deutscher Nation. Die Städte hatten ein abweichendes Gutachten vor- bereitet, aber durch die Vorstellung des kaiserlichen Rathes Dr Hase ließen sie sich bewegen davon abzustehn. Hierauf konnte der Kaiser dem Papst erklären: was er mit so viel Arbeit und Eifer herbeizuführen gesucht, das sey nun ge- schehen: Churfürsten, geistliche, weltliche Fürsten so wie die Städte haben sich dem nach Trient ausgeschriebenen und daselbst begonnenen Concilium unterworfen. Instructione al C l de Trento 9 Nov. 1547. Lo substan- tial sara avisar a S. S d con quanto trabajo y cuidado nostro se ha procurado que todos los estados de la Germania, assi electo- res principes ecclesiasticos y seglares como las cibdades, se so- mettiessen (como han hecho) al concilio ya inditto e celebrado y que se celebre en Trento. Nun enthielt aber dieser Beschluß im damaligen Augen- blick nicht mehr einfach die Thatsache der Unterwerfung, son- dern zugleich — denn absichtlich ward auf die Bezeichnung des Ortes viel Nachdruck gelegt — eine Erklärung gegen die Translation der Kirchenversammlung. Schon gleich in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft hatten die geistlichen Fürsten den Papst einmüthig um die Zurückverlegung er- sucht. Dieses Begehren ward jetzt durch den allgemeinen Beschluß der Stände gewaltig verstärkt. Und dabei blieben sie nicht stehen. Hatte der Kaiser men und seiner Lebensbeschreibung einverleibt hat, fehlt das erste Gut- achten des Churfuͤrstenrathes. Das was voransteht ( II, 112) ist der Zeit nach spaͤter als das ihm folgende fuͤrstliche. Reichstag zu Augsburg 1547. Concilium . die Publication der zu Trient gefaßten Beschlüsse gemißbil- ligt, so traten ihm auch darin die Stände bei. Die Für- sten, denen jene Festsetzungen wenigstens amtlich noch nicht mitgetheilt worden, forderten, wenn in den streitigen Arti- keln bereits etwas beschlossen sey, so müsse das doch aufs neue vorgenommen und vor allem erst die Erklärung der Protestirenden darüber gehört werden. „Ob auch im vhall von etlichen streitigen Artikeln im Con- cilio zu Triendt geredt oder beschlossen worden waͤre, welches doch nit vor Augen, das dennoch nichtsdesteminder dieselbigen Artikel wiederum fuͤr hand genommen und die protestirenden genugsamlich darauf ver- hort und von inen gute rechenschaft irer lere und glauben vernom- men werde.“ Jene dogmatischen Bestimmungen, auf welchen später die Rechtgläubigkeit der katholischen Kirche zu beruhen geschienen, wollte fürs Erste so wenig das Reich wie der Kaiser anerkennen. Es ver- steht sich, daß die protestantisch-gesinnten Mitglieder beider Räthe hierin noch eifriger waren. Die weltlichen Churfür- sten forderten ausdrücklich die Reassumtion der schon be- schlossenen Artikel: sie fügten hinzu, nur nach der Norm der göttlichen Schrift würden dieselben zu entscheiden seyn. Die Stimmung zeigte sich überhaupt ganz entschieden. Verge- bens trug Leonhard Eck darauf an, daß man, um weiter- gehende Fragen abzuschneiden, den Papst als Vorsitzer des Conciliums bezeichnen solle: die Zeiten seines Einflusses und Übergewichts waren vorbei; in dem Rathschlag des Für- stenrathes findet sich nichts hievon. Dagegen lautet das Gutachten der weltlichen Churfürsten dahin, daß der Papst die Mitglieder des Conciliums aller Pflichten, mit denen sie ihm verwandt seyen, erledigen, und dem Concilium unter- Neuntes Buch. Erstes Capitel . worfen seyn solle: eine Reformation an Haupt und Glie- dern brachten sie aufs neue in Anregung. Und noch leb- hafter drückten sich die Städte aus. Die Entscheidung über die streitigen Artikel dürfe mit nichten Sr Hoheit dem Papst (das Wort Heiligkeit vermieden sie) und den Anhängern desselben überlassen, sie müsse frommen, gelehrten, gottesfürch- tigen und von allen Ständen dazu auserwählten Perso- nen, die von jeder Verpflichtung befreit worden, anheim- gestellt werden. Staͤdtisches Gutachten bei Sastrow 143. Auf Forderungen dieser Art konnte und mochte Carl V nun zwar in diesem Augenblicke nicht eingehn. Auf keinen Fall aber war ihm ein Bestreben zuwider, das auf eine Er- höhung der kaiserlichen Gewalt und eine Einschränkung der- jenigen zielte, mit der er alle seine Tage zu kämpfen gehabt und so eben wieder in heftige Irrungen verwickelt war. Am Reichstag verlautete das Wort, daß der Kaiser Präsident des Conciliums seyn müsse, nicht der Papst. In den Reichs- beschlüssen war von keinem Vorbehalt päpstlicher Einwilli- gung die Rede; Wie sich Sfondrato beschwert, Pallav. X, vi , 121. der Kaiser versprach in seinem eignen Na- men, daß das Concilium in Trient gehalten, und die ganze Tractation — er bediente sich hiebei der Ausdrücke, die die weltlichen Churfürsten gebraucht und die auf die ältesten Schlüsse in dieser Sache zurückwiesen — gottselig, christlich, nach göttlicher und der alten Väter heiliger Lehre und Schrift vorgenommen und zu Ende geführt werden solle. Die wei- tern Anträge der Churfürsten verwarf er doch nicht geradezu: er bat nur auch in dieser Hinsicht um das volle Vertrauen der Stände. Reichstag zu Augsburg 1547. Concilium . Hatte der Papst die Zeit des Krieges benutzen können, um das Concil auf seine Weise zu leiten, so machte der Er- folg der Waffen es wieder dem Kaiser möglich, sich dieser Direction mit größtem Nachdruck zu widersetzen. Am 9ten November fertigte er den Cardinal von Trient, Christoph Madrucci, noch Rom ab, um die Zurückverlegung des Conciliums, auf welche er bisher so standhaft gedrun- gen, nun auch im Namen des Reiches zu fordern. Der Kaiser erwähnte in der Instruction, daß er die Anträge welche zum Nachtheil der päpstlichen Autorität ge- macht worden, nicht angenommen; er versicherte ausdrück- lich, daß das Concilium im Fall einer Vacanz dem Wahl- recht der Cardinäle keinen Eintrag thun solle: aber da jetzt das heilige Werk geschehen, daß sich das Reich dem Con- cilium einfach unterwerfe, so möge nun auch der Papst die Umstände, die so günstig seyen wie man sie niemals hätte hoffen dürfen, benutzen und das Concilium nach Trient zu- rückführen: para dia certo e señalado con el mas breve termine que ser pudiere. (Worte der Instruction.) damit werde er seine Pflicht gegen Gott und seine Würde erfüllen. Was würde wohl geschehen seyn, wenn die beiden Ober- häupter sich verstanden, eine ernstliche Verbesserung der au- genscheinlichen Mängel vorgenommen und dann mit verein- ten Kräften und ungetheilter Autorität auf die Herstellung der alten Kirchenformen hingearbeitet hätten? Würden sie bei einiger Nachhaltigkeit des Verfahrens damit nicht wirk- lich haben durchdringen können? Es war ein großes Schicksal, daß in dem entschei- Neuntes Buch. Erstes Capitel . denden Augenblicke die Erbitterung zwischen beiden größer war als je. Paul III fürchtete nichts mehr als die Übermacht eines neu emporkommenden Kaiserthums. So auffallend es auf allgemeinem Standpunct aussieht, daß er im Frühjahr 1547 dem Vorfechter des Protestantismus eher den Sieg wünschte, so gewiß ist es doch: mit Freuden vernahm er die Nach- richt von jenem Rochlitzer Ereigniß; der Hof gab zu erken- nen, wie sehr er wünschte den Kaiser in Ungelegenheiten ver- wickelt zu sehen. Dem König Franz ließ man von Rom aus noch wissen, er könne nichts Nützlicheres thun, als Die- jenigen unterstützen, von denen dem Kaiser Widerstand ge- leistet werde; mit dem Nachfolger desselben, Heinrich II , trat der alte Papst sofort in die engste Verbindung: er brachte die Vermählung seines Enkels Horatio mit einer natürlichen Tochter des neuen Königs zu Stande. Hierauf war von einer dem Kaiser entgegenzusetzenden Ligue zwischen Frankreich, Ve- nedig und dem Papst unaufhörlich die Rede. Alle Gegner des Kaisers und seiner Partei sahen in dem Papst und sei- nem Hause ihre natürlichen Häupter. Pier Luigi Farnese, der Sohn des Papstes, hatte an allen Bewegungen gegen den Kaiser einen mehr oder minder zu Tage liegenden Antheil. Welch ein Schlag ohne Gleichen war es da, daß eben dieser Pier Luigi am 10ten September 1547 in Piacenza ermordet ward. Er hatte daselbst im Sinne der italienischen Tyrannen alter Schule regiert, die Vorrechte der Edelleute aufgeho- ben, die Bauern diesen zwar gleichgestellt, aber dann mit harten Frohnden belastet, eine Menge Gesetze gegeben, die Entzweiung zwischen Kaiser und Papst . nur darauf berechnet schienen, diejenigen zu strafen welche sie übertreten würden und ihre Güter zu confisciren, was dann ohne Weiteres geschah. So eben baute er sich ein Schloß, zu welchem er geweihte Plätze eingezogen, Häuser von Witwen und Waisen niedergerissen; man sagte wohl, er werde die Angesehensten seines Gebietes dahin einladen und es mit ihrem Blute dem Satan weihen. So zog er denn auch das Schicksal der alten Tyrannen über sich herein. Eine Verschwörung bildete sich, der er erlag. Details aus einer merkwuͤrdigen Vertheidigungsschrift der Verschwornen. Supplica delli conti Agostino Landi, Giov. An- gosciola, Alessandro e Camillo fratelli de Pallavicini, — nella quale allegano le cagioni che gli indussero a conspirar contra P. L. Farnese. (Inform. politt. IV.) Wie die Dinge der Welt einmal standen, so griff diese Ermordung mit allen großen Ereignissen zusammen. Der kaiserliche Befehlshaber in Mailand, Ferrante Gon- zaga, der längst mit Mißvergnügen wahrgenommen daß Pier Luigi französische Soldaten nach Piacenza kommen lassen, säumte keinen Augenblick, diese Stadt jetzt im Namen des Reiches, das seine Ansprüche daran niemals aufgegeben, in Besitz zu nehmen. Man glaubte allgemein, er habe das Unternehmen der Verschwornen gekannt und sey damit ein- verstanden gewesen. Der florentinische Gesandte versichert es mit Bestimmtheit; V. Eccel. puo esser certa che D. Ferrante sapeva quel che s’ordinava a Piacenza. er meint annehmen zu dürfen daß auch Granvella darum gewußt habe. Wir finden Nachrichten, nach welchen der Kaiser befragt worden, sich anfangs ge- sträubt und endlich eingewilligt hatte. Avvertimenti al D a di Terranuova: Inf. politt. XII. Neuntes Buch. Erstes Capitel . Es ist nicht zu beschreiben, in welche Stimmung von Haß und verhaltener Wuth der Papst hiedurch gerieth. Don Diego Mendoza berichtet, er habe gesagt, wenn man ihm Piacenza nicht wiedergebe, so werde er sich helfen so gut er könne, und sollte er die Hölle zu Hülfe rufen. „que hara lo que pudiere y se ajutara con el diablo.“ (Mendoza 20 Sept) Mendoza ist überzeugt, ein Bund mit Frankreich sey dem Abschluß nahe, man denke den Herzog von Guise zum Kö- nig von Neapel zu machen. Ein Wort des Cardinal Far- nese, der heilige Vater werde sich mit Jemand verbinden, von dem man es nicht denke, deutet er auf das Vorhaben eines Bundes mit dem Sultan. Dem Gesandten dagegen gieng der Gedanke durch den Kopf, sich im Namen des Kaisers der Engelsburg zu bemächtigen: wäre nur der Ver- dacht nicht so wachsam gewesen. Diese weltliche Entzweiung machte nun den in den geist- lichen Geschäften eingetretenen Bruch vollends unheilbar. Der Papst sah in den Anträgen, die der Cardinal Ma- drucci brachte, doch nichts als eine neue Feindseligkeit: er wußte sehr wohl, daß die Forderung der Zurückverlegung noch keineswegs das letzte Wort des Kaisers enthielt. Dazu aber, diese Forderung geradehin zurückzuweisen, war jedoch seine Stellung auch nicht angethan. Wie der Kaiser, so mußte auch er maaßhaltend, mit der nöthigen Rechtfertigung vor der Welt erscheinen. Zuerst legte er die Sache einer Deputation von Car- dinälen vor. Deren Urtheil war, daß Kaiser und Reich es nicht übel deuten könne, wenn S. Heil. in der wichtigen Entzweiung zwischen Kaiser und Papst . Angelegenheit die in Bologna versammelten Prälaten selbst zu Rathe ziehe. Sehr besonders: dieselbe Versammlung, deren Berech- tigung der Kaiser leugnete, wurde aufgefordert, sich über die Anträge zu äußern die er gegen sie machte. Und diese lehnte nun nicht mit dürren Worten ab, nach Trient zurückzugehn, aber sie machte Bedingungen die eben so gut waren wie eine vollkommen abschlägliche Antwort. Vor allem sollten die in Trient zurückgebliebenen Prälaten nach Bologna kommen und sich mit ihr vereinigen; dann wollte sie im Voraus wissen, ob die deutsche Nation sich dem Con- cil dergestalt unterwerfe, daß sie die in Trient beschlossenen und bereits bekannt gemachten Decrete über die Glaubensfra- gen anerkenne, solche niemals in Zweifel zu ziehen sich ver- pflichte; ferner ob der Kaiser nicht etwa die bisher beobach- teten conciliaren Formen abzuändern gedenke; ob es der Mehrheit des Conciliums frei stehn werde, über neue Trans- lation oder Beendigung definitiv zu beschließen. Schreiben des Cardinal de Monte an den Papst, Bologna 20 Dec. 1547. Am 19ten war die Congregation gehalten, in wel- cher die Beschluͤsse gefaßt worden sind. Eine Antwort die den Forderungen der deutschen Na- tion und den Absichten des Kaisers schlechthin entgegenlief. Der Papst händigte sie dem kaiserlichen Bevollmächtigten als seine eigne ein; dieser erkannte, daß hier weiter nichts aus- zurichten sey, und trat seine Rückreise an. Vedendo il C le che con tutto il negotio che si è pos- suto fare non s’havea altra resolutione, pigliò da S. S à licentia. (Rel. del C l di Trento.) Dem Kaiser konnte dieß wohl nicht unerwartet kommen; Neuntes Buch. Erstes Capitel . er war entschlossen es nicht zu dulden, sondern die alte Dro- hung einer feierlichen Protestation endlich zu vollführen. Auf die förmlichste Art von der Welt kam es zum Bruch zwischen beiden Gewalten. Am 16ten Januar 1548 erschienen die kaiserlichen Pro- curatoren, zwei Spanier, Licentiat Vargas und Doctor Ve- lasco, in der Versammlung der Prälaten zu Bologna. „Wir sind hier,“ begann der Licentiat, „im Namen unsers Herrn, des römischen Kaisers, um einen Act auszuführen den ihr längst erwartet. Ihr seht wohl welch ein Unglück der Welt bevorsteht, wenn ihr hartnäckig auf einer Meinung behar- ren wollt, die ihr einmal, ohne die gehörige Vorsicht, er- griffen habt.“ — „Auch ich bin hier,“ entgegnete der Le- gat Monte, „im Namen Sr Heiligkeit, des unzweifelhaf- ten Nachfolgers Petri, Stellvertreters Jesu Christi, und hier sind diese heiligsten Väter, die das Concilium unter Einwir- kung des heiligen Geistes fortsetzen wollen, nachdem es recht- mäßig, aus Gründen die sie selber gebilligt haben, von Trient verlegt ist. Wir bitten Seine Majestät, ihre Meinung zu ändern und uns ihren Schutz zu gewähren, denn man weiß, wie schwere Strafen sich Diejenigen zuziehen, die ein Concilium stören, wie hoch auch die Würde seyn möge mit der sie bekleidet sind.“ Nachdem hierauf die kaiserliche Vollmacht vorgewiesen war — das Original auf Pergament, von dem ausdrücklich bemerkt wird, es sey darin nichts ausgestrichen oder radirt gewesen, mit dem kaiserlichen Insiegel, Datirt Augsburg 27 Aug., man sieht vorlaͤufig. — verlas Velasco die Protestation, in welcher der Kaiser aus den öfter erwähn- ten Gründen, die er noch einmal zusammenfaßte, die un- Entzweiung zwischen Kaiser und Papst . verzügliche Rückkehr der versammelten Prälaten nach Trient forderte. Würden sie sich, was er nicht hoffe, dazu nicht ent- schließen, so protestire er hiemit, daß die Translation un- rechtmäßig und sammt allem was darauf folge, null und nichtig sey. Ihnen die sich Legaten nennen, und den hier versammelten, größtentheils von dem Winke des Papstes ab- hängigen Bischöfen, könne unmöglich das Recht zustehn, in Sachen des Glaubens und der Reformation der Sitten der christlichen Welt Gesetze vorzuschreiben, am wenigsten für eine ihnen nicht eigentlich bekannte Provinz; die Antwort welche sie und S. Heiligkeit dem Kaiser gegeben, sey unangemessen, voll von Unwahrheiten, nichts als Täuschung. Er selbst, der Kaiser, müsse sich der vom Papst vernachläßigten Kirche an- nehmen, und alles thun was nach Recht und Gesetz, nach altem Herkommen und der öffentlichen Meinung der Welt ihm zukomme, kraft seines Amtes als Kaiser und als König. Der Legat erwiederte, von dem was er gethan, wolle er Gott Rechenschaft geben, dulden aber könne er nicht, daß die weltliche Gewalt sich anmaße ein Concilium zu be- herrschen. Wir sehen: er hielt an seinem Begriffe von der Un- abhängigkeit der geistlichen Gewalt fest, und ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Andern aber war doch nicht wohl zu Muthe. Der Secretär des Conciliums schließt seinen Be- richt hierüber mit dem Gebet, daß dieser Tag nicht der Anfang des größten Schismas in der Kirche Gottes seyn möge. Actenstuͤcke bei Rainaldus Tom. XXI, p. 373. Die Protestation ist eigentlich eine geistliche Kriegserklä- rung. Der Kaiser war gesonnen, die Feindseligkeit die er auf Neuntes Buch. Erstes Capitel . diesem Gebiete begann, so ernstlich auszuführen wie jemals eine andre. Die vornehmste Maaßregel die er hiezu ergriff, ist aber so durchaus reichs-oberhauptlich und bildet ein so wesentli- ches Stück seiner Reichsverwaltung, daß wir wohl am be- sten thun, diese zuvörderst in ihren nächsten weltlichen Be- ziehungen ins Auge zu fassen. Weltliche Einrichtungen im Reiche. Wir berührten oben, welche Plane höchst umfassender Art den Kaiser durchflogen, als er den Krieg unternahm. Wollte er aber das Reich einmal erblich machen, wie er dachte, so mußte er es vor allem regieren: er mußte sich in dem Vereine autonomer selbständiger Mächte die ihn um- gaben, ein Übergewicht verschaffen, durch welches sie genöthigt wurden, dem Antriebe zu folgen den er ihnen geben wollte. Es ist sehr merkwürdig, daß er dieß anfangs weniger auf dem Wege der Verfassung als durch einen Bund zu thun beabsichtigte. In den ersten Jahren seiner Regierung hatte er em- pfunden, welch ein Moment der Macht in dem schwäbischen Bunde lag: so wie jetzt sein Glück wieder besser wurde, faßte er den Gedanken denselben zu erneuern und zu erweitern, und unaufhörlich finden wir ihn seitdem dahin arbeiten. Den Capitulationen der oberländischen Stände wurden Ausdrücke einverleibt, an welche man später die Anmuthung knüpfen konnte, in einen Bund dieser Art zu treten. Dem Herzog Ulrich sagten die kaiserlichen Abgeordneten, Im Fe- Absicht den schwaͤbischen Bund zu erneuern . bruar 1547 dachte Carl in Person eine Versammlung in Frankfurt zu halten um denselben zu Stande zu bringen; wir finden seine Abgeordneten Caspar von Kaltenthal und Hein- rich Hase jenen Franken durchreisen, diesen die schwäbische Ritterschaft versammeln, um dazu vorzubereiten. Relation was Caspar v. Kaltentall mit den Stennden des frenkischen Krays der Hilff und des tags zu Ulm ausgericht. (Arch. zu Berlin.) So lange jedoch mächtige Feinde im Felde standen, ließ sich hievon we- nig Erfolg erwarten. Erst Ende Mai, nachdem der säch- sische Krieg glücklich beendigt worden, eröffnete sich wirklich ein Bundestag zu Ulm, an welchem der Bischof von Augs- burg und Markgraf Johann von Cüstrin, dieser eigentlich an Statt König Ferdinands, der noch in Böhmen beschäftigt war, als kaiserliche Commissarien auftraten, die alte Bun- desformel vorlegten und zur Annahme derselben einluden. Actenstuͤcke im Berl. Archiv. (Vgl. den Anhang.) Bei weitem mächtiger aber wäre dieser Bund gewor- den als der frühere. Er sollte das ganze Reich umfassen, die einzige zugelassene Einung bilden, mit Bundesrichtern ver- sehen seyn, um jede innere Streitsache ohne viele Weitläuf- tigkeiten zu Ende zu bringen; der Landfriede sollte darin auf das ernstlichste gehandhabt, jeder Vergewaltigte namentlich vor allen Dingen wieder in seinen Besitz hergestellt, dann erst seine Sache untersucht werden. Die Reichsverfassung war mit Förmlichkeiten überladen; bei dem Eintritt in die ver- schiedenen Collegien ward schon jedes Mitglied vom Gefühl sein Beitritt wuͤrde der Heilbronner Abkunft gemaͤß seyn. Sattler III, 258. Ranke D. Gesch. V. 2 Neuntes Buch. Erstes Capitel . seiner Selbständigkeit erfüllt; Heimbringen, Protestiren war fast herkömmlich geworden: — in einem Bunde dagegen, welcher die Voraussetzung freiwilliger Theilnahme für sich hatte, waren die Beschlüsse einmüthiger, durchgreifender; we- nigstens der schwäbische hatte kein Heimbringen gestattet; den Schlüssen der Bundesräthe zu folgen war ein jeder verpflichtet. Es liegt am Tage, wie da das Übergewicht der Macht sich bei weitem eher durchsetzen konnte als im Reiche; der Kaiser, der mit den östreichischen und niederländischen Land- schaften beizutreten gedachte, würde den Bund ohne Zweifel beherrscht haben. Die herkömmliche Autorität des Reichs- oberhauptes würde durch die Bundesgewalt zu doppelter Ener- gie gelangt seyn. Eben darum mußte aber dieser Entwurf doch auch den größten Widerspruch hervorrufen. Die Städte bemerkten mit Schrecken, daß sie fortan an allen Kriegen des Hauses Östreich in obern und nie- dern Landen würden Theil nehmen müssen; schon die Unko- sten der Zusammenkünfte würden ihnen lästig fallen, die un- aufhörlichen Hülfleistungen aber sie zu Grunde richten; ihr Gewerbe nach den benachbarten Ländern, wie England und Frankreich, würde sie doppelter Gefahr aussetzen. Instruction von Ulm. „Dieweil menigklich unverporgen, woͤl- chermaßen der Kays. und Kon. Mt Erb und andere lender taglichs von frembden Potentaten angefochten werden;“ ‒ ‒ Ks. Mt sey von den Staͤnden zu bitten „von diesem Iren beschwerlichen Vorhaben allergnedigst abzusteen.“ Die Räthe der Fürsten überlegten, daß sogar die Ter- ritorialhoheit dadurch in Gefahr gerathen dürfte. Bischöfe, Grafen und Herrn würden sich von der Regierung des Für- Absicht den schwaͤbischen Bund zu erneuern . sten absondern, dessen Schutz ihnen nicht mehr nöthig sey, sobald aller Schutz vom Bunde ausgehe. Churfürst Moritz erinnerte, die Erbeinung der Häuser Hessen, Brandenburg und Sachsen, durch welche die Kaiser oftmals genöthigt worden mit deren Rathe zu handeln, werde nicht mehr bestehn; Aus dem Concept zu einem undatirten, jedoch fruͤheren Schrei- ben Joachims an Moritz: „Weil — wie E. Chf. Gn. erachten, dieser bund hier diesen landen wenig nutzlich oder furtreglich, sondern allein zu untreglichen kosten gereichen wolt, ‒ ‒ bittet Chf. freundlich, s. Chf. Gn. wolten die Unterrede und damals Ir Chf. Gn. Anzeigen ingedenk seyn, sich in diese Buͤndniß nit bereden lassen, noch dieselb annemen, ‒ ‒ mit ferrer einfuͤrung das unser alte beschworne Erbeini- gung dadurch abgethan werden wolt.“ das sächsische Recht, um deswillen man von der Appellation befreit sey, und viele andere Privilegien würden bedroht werden. Rethe zu Torgau an den Churfuͤrsten zu Sachsen. (Dresd Archiv.) Wilhelm von Baiern, der wieder in sehr katholischem Eifer war, fand eine Verbindung mit protestantischen Für- sten auch darum unthunlich, weil man dann genöthigt wer- den könnte dem Reformationswesen zuzusehen. Es war schon von schlechter Vorbedeutung, daß der Kai- ser in Ulm nicht vorwärts kam und die Verhandlung über den Bund an den Reichstag ziehn mußte. Hier ließ er sie aller- dings nicht sogleich fallen: der vorgelegte Entwurf ward von den beiden höhern Collegien begutachtet, ein Schriftwechsel auf die herkömmliche Weise darüber eingeleitet: wohlverstanden jedoch, mit dem Vorbehalt der Unverbindlichkeit; endlich ward, nach langer Weigerung der Churfürsten, ein gemein- schaftlicher Ausschuß darüber niedergesetzt; — so weit kön- nen wir die Sache verfolgen: — wie nun aber der Ausschuß 2* Neuntes Buch. Erstes Capitel . zusammentreten soll, wo dann jeder weitere Schritt eine wirk- liche Verpflichtung in sich geschlossen haben würde, hören die Acten auf darüber zu berichten; Im Protocoll des Churfuͤrstenrathes kann man die Sache bis zum 31 Jan. verfolgen; im Schererschen Auszug bei Fels heißt es: „aber es ist letzlich alle solche Handlung in ihr selbst ersitzen und den Staͤtten ferner nichts deshalb vorbracht.“ (Fels I, 211.) die Städte selbst sind verwundert, daß man davon nichts weiter an sie bringt: Alles ward rückgängig. Es wirkte wohl zusammen, daß die Fürsten eine un- überwindliche Abneigung an den Tag legten, und der Kaiser dagegen die Aussicht fassen durfte, zu einigen der für ihn bedeutendsten Zwecke, die er bei dem Entwurf hatte, in den Formen des Reichstags zu gelangen. In seiner Proposition hatte er außer den religiösen An- gelegenheiten auch die übrigen herkömmlichen Gegenstände der Reichsberathung, Landfrieden, Kammergericht, Anschläge, zur Sprache gebracht. Schon bei den beiden ersten gelang es ihm, das reli- giöse und reichsoberhauptliche Interesse, worauf es ihm vor allem ankam, bestens wahrzunehmen. Als Verletzungen des Landfriedens wurden jetzt auch die Beraubungen der Geistlichen ausdrücklich bezeichnet: ne- ben Schlössern, Städten, Dörfern, die Niemand angreifen dürfe, erscheinen zum ersten Mal auch Kirchen, Klöster, Clau- sen, die Jurisdictionen ganz im Allgemeinen. Die Churfürsten hatten vorgeschlagen, die Versammlun- gen herrnlosen Kriegsvolks ohne Ausnahme zu verbieten: Kaiser und Fürsten beliebten, daß sie nur dann zerstreut wer- Weltliche Geschaͤfte des Reichstags von 1547. den sollten, wenn sie nicht vielleicht eine Erlaubniß des Kai- sers und Königs nachweisen könnten. In den Acten findet sich undatirt der Entwurf der Churfuͤr- sten und die Antwort des Fuͤrstenraths, die Eingabe an den Kaiser. Nachdem jene Besorgnisse gehoben waren, welche der Bundesentwurf erweckt hatte, zeigte sich überhaupt eine sehr enge Verbindung des Kaisers mit dem Fürstenrathe. Die Fürsten drangen darauf, daß fortan wie früher sämmtliche Mitglieder des Kammergerichts dem katholischen Glauben angehören sollten. Der Kaiser gab es ihnen nach. Dagegen forderte der Kaiser, daß ihm für dieß Mal die Besetzung des Kammergerichts allein anheimgestellt würde. Er brachte dabei die alten Gerechtsame des Kaiserthums, das Gericht am Hofe zu halten, in Erinnerung. Die Für- sten gaben es nach. Hierauf schritt man zur Abfassung einer neuen Kam- mergerichtsordnung. Harpprecht hat die meisten zwischen Kaiser und Staͤnden gewechselten Schriften mitgetheilt. Von denen die er vermißte, fin- den sich mehrere in den von mir benutzten Archiven, namentlich dem Zwei alte Beisitzer, Dr Visch und Dr Braun, sahen die bisherigen Constitutionen durch, brach- ten sie in Ordnung und stellten, wo sie Mängel und Lücken bemerkten, ihre eigenen Vorschläge auf. Mit aller Weitläuf- tigkeit welche legislativen Arbeiten ständischer Versammlun- gen eigen ist, verfuhr man bei der Berathung. Zuerst gieng ein ständischer Ausschuß Artikel für Artikel durch wo- bei er denn besonders die neuen Vorschläge in Betracht zog, über welche er seine Bemerkungen machte. So revi- dirt gelangte der Entwurf an die beiden Collegien der Für- sten und der Churfürsten, wo er ebenfalls von Anfang bis Neuntes Buch. Erstes Capitel . Ende durchgesprochen ward. Die Collegien setzten sich als- dann mit dem Kaiser in Verbindung, der nun auch seine Bemerkungen machte, worüber man hin und her schrieb, bis man sich endlich vereinigte. Die Weitschichtigkeit dieses Ver- fahrens hinderte jedoch nicht, die vorwaltenden Interessen, na- mentlich der Fürsten, die der Kaiser jetzt gewähren ließ, im Auge zu behalten. Bei der Bestimmung, wie die Präsentation in Zukunft vorgenommen werden sollte, ward des Antheils der Grafen, Prälaten und Herrn nur noch in Einem Kreise gedacht. Gern hätten die Städte an der Berathung einer Sache Theil genommen, von der, wie sie sagten, ihr Genesen und Ver- derben abhänge: sie blieben aber davon ausgeschlossen. Berliner: z. B. Bedenken, welche Articul aus der Cammergerichts- ordnung in den Landfrieden gezogen und gesetzt werden sollen, 14 Dec. 1547; — Bedenken uͤber den ersten Theil der Kammergerichtsord- nung 14 Januar 1548; — des Ausschuß Relation uͤber das ander Theil der Kammergerichtsordnung. „Darin haben berurte Docto- res aus allen des Reichs Abscheiden und Constitutionen, desgleichen aus dem Landfrieden so auf diesen itzigen Reichstag ‒ ‒ gebessert ‒ ‒ alle vhelle und sachen, darin dem kays. Kammergericht Gerichtszwang zugestellt und gegeben, zu hauf getragen und verfaßt; dieselbigen vhelle und sachen, das mehrer theil mit iren umbstenden und zugehorungen, derwegen sie jederzeit den Abscheiden einverleibt, so vil von notten, in die Ordnung gezogen.“ — Sie haben diesen Theil in zwei Ab- theilungen gesondert, 1) personen und sachen dem reich ane mittel, 2) personen und sachen dem reich nit ane mittel untterworffen. „Wel- chen zweien Stuͤcken die deputirten Doctores hin und wider new Ad- dition und zusetz, und volgends dem darzu verordenten Ausschuß re- lation, warumb solche newe zusetz von inen fuͤr nuͤtzlich eracht, be- richt gethan haben. Demnach hat der Ausschuß nit umbgehn sollen oder wollen, ein jeden punct nach dem andern an die hand zu neh- men, was darin befund den alten Abscheiden gemeß, keine enderung zu thun, so viel aber bei der Deputirten neuen zusetzen vom Aus- schuß semmtl. fuͤr annehmlich geacht, solches ist mit B signiret.“ (Die Zusaͤtze der Deputirten selbst mit A. ) Weltliche Geschaͤfte des Reichstags von 1547. Überhaupt erfreuten sich die Städte an diesem Reichstag keiner besondern Berücksichtigung. Auf ihre Klage, daß der Landfriede die Straßen noch immer nicht sichere, das Ge- leite keinen Schutz gewähre, obgleich man gezwungen sey sich dasselbe zu verschaffen, auf ihre Bitte, die Obrigkeiten für jede Gewaltthat die in ihrem Gebiete geschehe verantwort- lich zu machen, nahm der Kaiser in seiner Resolution auch nicht mit einer Silbe Rücksicht. Schreiben des Frankfurter Gesandten Daniel zum Jungen 17 April. (Fr. A.) Und nicht besser gieng es ihnen, als nun die Reichs- anschläge zur Berathung kamen. Die Fürsten bewilligten dem römischen König zur Bewahrung seiner Grenzen gegen die Türken 50000 G.; bei der Vertheilung derselben legten sie den Anschlag von Costnitz zu Grunde, gegen welchen die Städte immer protestirt hatten. Diese versäumten nicht zu bemerken, daß dergestalt fast die Hälfte der ganzen Summe auf sie falle. Sie gaben an, von einigen unter ihnen fordere man fast so viel Mannschaft, als sie Bürger hätten, von andern nicht viel weniger Geld, als ihr ganzes Einkommen betrage. König Ferdinand erwiederte, ihre Klage möge ge- gründet seyn, aber von dem Fürstenrath lasse sich nun ein- mal keine Abänderung des gefaßten Beschlusses erwarten: er gebe den ehrbaren Städten zu bedenken, daß ihnen ihrer Gewerbe halber noch mehr an einer Bewahrung der Gren- zen liegen müsse als den Fürsten. Im Grunde eine sehr natürliche Folge der Ereignisse. Die Städte waren immer in der Opposition gewesen; der Fürstenrath hatte sich dem Prinzip das den Sieg behaup- Neuntes Buch. Erstes Capitel . tete am nächsten gehalten. Das wirkte in den Festsetzun- gen des Reichstags nach. Überdieß kamen eben bei diesen Berathungen ein paar Angelegenheiten zur Sprache, in denen der Kaiser der Gunst der Fürsten bedurfte, und die ihm höchlich am Herzen lagen. Von allen die wichtigste war eine nähere Verbindung der Niederlande mit dem Reiche, wie schon der Bundesent- wurf dahin gezielt hatte. Da es mit diesem nicht gelungen war, so suchte man nun auf dem gewohnten Wege zum Ziele zu kommen. Königin Maria erinnerte den Kaiser die Gele- genheit nicht zu versäumen, er könne nie eine bessere finden. Instruction pour Messire Viglius de Zuichem de ce qu’il aura a faire en la presente diete imperiale de Augsbourg a l’en- droit des affaires des pays pardeça. „L’occasion pour radresser les dits affaires est a present meilleur qu’elle ne fut oncque pour le bon et heureux succès de S. Mé imp le .“ (Arch zu Bruͤssel.) Nun dürfte man aber nicht glauben, die Absicht der niederländischen Regierung sey gewesen, die reichsständischen Rechte und Pflichten schlechthin zu theilen: nichts würde ihr leichter geworden seyn. Schon unter Maximilian, der die zu seiner Zeit verei- nigten Niederlande als den burgundischen Kreis bezeichnete, suchte das Kammergericht dieselben seiner Jurisdiction zu unterwerfen und sie zu den Reichsanschlägen herbeizuziehen. Seitdem hatte das Haus Burgund auch Utrecht und Gel- dern, die zu dem westphälischen Kreise gehörten, erwor- ben: weder das Kammergericht noch die Versammlungen des Kreises hatten sich dadurch abhalten lassen, diese Länder nach ihrem bisherigen Verhältniß zu behandeln. Allein von den Nie- Burgundischer Vertrag . derlanden hatte man ebenfalls von jeher sowohl gegen das Eine wie gegen das Andre remonstrirt; im Jahr 1542 war die Sache am Reichstag in aller Ausführlichkeit ver- handelt worden Auch jetzt, obwohl im Besitz einer Reichs- gewalt wie sie seit Jahrhunderten keiner seiner Vorfahren gehabt, setzte sich der Kaiser dagegen. Er bemerkte, die Er- richtung des burgundischen Kreises sey niemals zur Wirk- samkeit gelangt: über Menschen Gedenken sey daselbst von keinem Proceß des Kammergerichts die Rede gewesen: das- selbe aber sey von Geldern und Utrecht zu sagen: nach dem Bericht der Stände von Geldern seyen die Reichsan- schläge von ihnen niemals gefordert, geschweige denn gelei- stet worden; die Landschaft des Stifts Utrecht habe sich ge- weigert die Auslagen wiederzuerstatten, welche Königin Maria bei der letzten Türkensteuer für sie gemacht habe. Ich möchte nicht behaupten, daß dieß nun auch die Überzeugung des Kaisers und seiner Räthe gewesen sey: der- jenige kaiserliche Rath wenigstens, der diese Sache in Augs- burg bearbeitete, Viglius van Zuichem, sagte später den Hol- ländern, als sie Miene machten eine zu Gunsten des Rei- ches geforderte Anlage zu verweigern, nach altem Recht wür- den sie verpflichtet seyn zehnmal soviel beizutragen. Das Interesse der niederländischen Regierung war, et- was für sich zu seyn, die Einwirkungen des Reiches so we- nig wie möglich zu empfinden und doch den Schutz dessel- ben zu genießen. In einer Instruction der Königin Maria heißt es, zur Sicherheit der Niederlande sey es wünschenswerth, ein Of- fensiv- und Defensiv-Bündniß derselben mit dem Reich zu Neuntes Buch. Erstes Capitel . schließen, ohne sie doch darum in ihren Freiheiten zu beein- trächtigen und sie dem Reiche zu unterwerfen. A été advisé de trouver quelque expedient et bon moien, pour l’asseurance dudit pays, de les allier avec led. empire tant par ligue offensive que defensive envers et contre tous, moyen- nant que l’on le pourroit faire sans prejudicier lesd. pays et leurs libertés et priviléges et sans les assujettir and. empire. Der Kaiser hoffte dieß dem Wesen nach zu erreichen, indem er sich endlich bereit erklärte, mit seinen Erbniederlan- den in den Reichshülfen immer mit einer bestimmten Summe aufzukommen, wogegen man jedoch dieselben sämmtlich in Einem Kreise begreifen und in ihren Exemtionen von den Reichsgerichten bestätigen müsse. Die Dinge lagen so, daß die Stände dieß dem Kai- ser bei weitem mehr als dem Reiche vortheilhafte Begeh- ren dennoch nicht ablehnten. Sie forderten ihn zunächst auf, die Lande die er in Einen Kreis zu vereinigen gedenke, namentlich zu bezeichnen, und anzugeben was er von denselben leisten wolle und da- gegen vom Reich erwarte. In seiner Antwort am 14ten Mai zählt nun der Kai- ser seine gesammten Erbniederlande auf: — die vormals fran- zösischen, Flandern und Artois, so gut wie die neu erworbe- nen, Utrecht Overissel Gröningen Geldern Zütphen selbst Ma- siricht, schließt er ein; das Reich soll sich verbinden, sie wie andre seiner Glieder zu vertheidigen, ohne ihnen darum ihre Exemtionen zu entreißen; dafür will er den Anschlag eines Churfürsten zwiefach zahlen. Die Stände waren nicht sogleich mit ihm einverstan- den: sie bezweifelten die Gültigkeit jener Exemtionen, sie hiel- Burgundischer Vertrag . ten einen dreifachen Anschlag für billiger. Aber der Kaiser blieb bei seinen Behauptungen: sogar die Freiheit des lo- tharingischen Reiches, die auf seine Vorfahren und demnach auf ihn fortgeerbt sey, brachte er in Erinnerung; „So seint auch sonst der mehrertheil der niderlandt in dem lottringischen reich, so dem lottario zwuschen Frankreich und Germa- nien gelegen, fuͤr ein sonder reich in der Theilung Caroli Magni enikel zugetheilt worden, und erbsweiß auff ir keys. Mt und deren vorfaren von denselbigen herkommen, welches eine sondere Provinz, welches von allen Jurisdictionen und Appellationen je und allwegen uͤber unverdechtliche Zeit frei und exemt gewesen.“ — — was den Anschlag betrifft, so bemerkte er daß die Niederlande schon an sich für die Bewachung ihrer für das ganze Reich so wichtigen Grenzen sorgen müßten: ein Mehreres lasse sich von ihnen nicht erlangen. Churfürsten und Fürsten erklärten hierauf, es sey nicht ihre Meinung, sich mit kaiserlicher Majestät in Disputation einzulassen, und nahmen den Vorschlag an. So kam der burgundische Vertrag zu Stande, der am 26sten Juni vollzogen worden ist. Der Kaiser gelangte durch denselben zu allen seinen Absichten. Daß seine Erblande als ein einziger Kreis betrachtet wurden, beförderte die Regierungseinheit, nach welcher er über- haupt trachtete, und befreite ihn von dem fremdartigen Ein- fluß benachbarter Kreisversammlungen. Es hatte für sein Haus den größten Werth, daß Flandern und Artois, über welche Frankreich noch immer die Oberherrlichkeit in Anspruch nahm, so oft es auch darauf Verzicht geleistet, als Theile des Reichs betrachtet, in desselben Schutz und Schirm auf- genommen wurden. Der zwiefache Anschlag eines Churfür- sten war dafür gewiß kein zu hoher Preis, da die meisten Neuntes Buch. Erstes Capitel . europäischen Kriege ohnehin die Niederlande betrafen, und die Feindseligkeit gegen die Türken, die einzige auf die es noch außerdem ankam, ein anderes dynastisches Interesse dar- bot. Man trug Sorge jeden weiteren Anspruch zu besei- tigen. Würde z. B. der Reichstag einmal einen gemeinen Pfennig einzubringen beschließen, dann sollten, so ward fest- gesetzt, die Niederlande, statt den Beschluß ausführen, nichts weiter als eine Summe zahlen derjenigen gleich, welche diese Auflage in zwei Churfürstenthümern am Rheine einbringe. In dem Berliner Archiv finden sich außer den Acten uͤber die Anschlaͤge folgende Stuͤcke in Bezug auf Burgund. 1) Kaiser- liche Resolution uf der Chf. FF. und Stend Bedenken der Anschleg halben des burgundischen Kreises, 28 Maͤrz; 2) der Churfuͤrsten, Fuͤrsten und Stende Antwort, 12 April; 3) Kaiserl. Mt andere Re- solvirung, 27 April; 4) der Staͤnde Antwort, o. D.; 5) Kais. Mt Replic, 14 Maji; 6) Antwort der Staͤnde 20 Mai, falsch bezeich- net als vom 20 Juni; 7) Neue kais. Erklaͤrung 28 Mai; 8) Notel des Buͤndnisses 23 Juni. Übrigens ward die innere Unabhängigkeit der Provinzen jetzt erst eigentlich bestätigt. Ausdrücklicher als jemals ward zu- gestanden, daß des Reiches Ordnungen und Satzungen sie nicht verpflichten sollten. Und zwar geschah dieß in dersel- ben Urkunde, in welcher man ebenfalls ausdrücklicher als je- mals früher festsetzte, daß der Erb- und Oberherr dieser Nie- derlande Sitz und Stimme am Reichstag haben solle wie Östreich. Es liegt ein sonderbarer Widerspruch darin, daß der Kaiser in demselben Augenblick wo er die Ernennun- gen zum Kammergericht in seine Hand nimmt, sich zugleich so angelegentlich bemüht, sein Erbland von demselben zu exi- miren, und ist doch sehr gut zu erklären. Reich und Kai- serthum fallen noch mit nichten zusammen: dieß ist vor- Bewilligung einer Reichskriegscasse . übergehend, jenes bleibt immer. Die Politik der vorwalten den Mächte ist es allezeit gewesen, selber Einfluß auszuüben, aber keine Rückwirkung zu erfahren. In diesem Augenblicke setzte der Kaiser aber noch eine andre, sehr ungewohnte, für seine Gewalt sehr bedeutende Bewilligung durch. Wie es bei jenem Bundesentwurf einer seiner vornehm- sten Gedanken gewesen war, sich die Mittel zur Fortsetzung des Krieges zu verschaffen, so trug er jetzt auch bei dem Reiche, über das er so viel vermochte, auf Bildung „eines Vorrathes“ d. i. einer Reichskriegscasse an. „Denn vor allem sey es nun auch nöthig den erlangten Frieden zu er- halten: er könne nicht dafür stehn, ob sich nicht gar bald Jemand innerhalb des Reiches auflehnen oder ein auswär- tiger Fürst das Reich, wenn auch nur durch geheime Practik, anfechten werde: nun wisse jedermann welchen Nachtheil die bisherige Unverfassung veranlaßt habe, verfaßte Hand da- gegen wehre Beschwerungen ohne Mühe ab; ihm, der schon so viele Bürden trage, könne man keine weitere Anstrengung zumuthen: er müsse die Stände ersuchen, einen nahmhaften Geldvorrath zusammenzubringen, der dann, aber nicht ohne ihr Vorwissen, zur Erhaltung Friedens und Rechtens ange- wendet werden solle.“ Kais. Mt Proposition und begeren etlich Geld im Reich zum Vorrath zu erlegen. Actum am Pfingstabend 20 Mai 1548. (Berl. Archiv.) Eine Summe Geldes in der Hand eines ohnehin so mächtigen Kaisers, um jede innere Bewegung auf Kosten des Reiches zu erdrücken: wahrhaftig, man braucht nicht Neuntes Buch. Erstes Capitel . zu erörtern wie sehr dieser Gedanke außerhalb alles Her- kommens deutscher Stände lag. Auch fand derselbe, wie wir aus den Protocollen des Churfürstenrathes sehen, starken Widerstand. Mainz be- merkte: durch die letzten Kriege sey ein Jeder in seinem Kam- mergut erschöpft, eine neue Forderung an die ohnehin be- schwerten Unterthanen dürfte Unruhen veranlassen. Bran- denburg meinte, der Kaiser sey wohl an sich mächtig genug, zumal bei den Ordnungen des Kammergerichts und des Land- friedens, einen auftauchenden Widerstand zu erdrücken: man möge doch ja nicht etwas bewilligen was dann vielleicht nicht geleistet werden könne. Votum von Brandenburg. „Kan nit erachten das die ks. Mt darumb beweget werden solt in dem das unmoͤglich; were besser die ursachen jetzo anzuzeigen, denn das man zusagen solt und nit lei- sten; das h. Reich stehe jetzt in ruiglichem wesen, obgleich was ent- stund, seyen die kais. Mt also gefaßt dasselbig zu hindern; ‒ ‒ wann solchs fuͤglich mit erzellung des unvermogens kaiserlicher Mt fuͤrge- tragen wirdet, wird es ks. Mt zu keinen ungnaden bewegen.“ (Pro- tocoll im Berl. Arch.) So erklärten sich auch Pfalz und Trier. Sachsen wünschte wenigstens Aufschub. Cölln, jetzt am meisten kaiserlich gesinnt, rieth doch in diesem Fall, den Kaiser lieber mit der Beitreibung der noch aus dem letz- ten Türkenkrieg rückständigen Steuer zu befriedigen. Genug sie waren im Grunde alle dagegen. Allein es schien jetzt als könne das Reich dem Kaiser nichts mehr abschlagen. Ein Ausschuß ward niedergesetzt, dessen Gutachten alle Gegengründe aufzählt, und doch mit der Bewilligung eines halben Romzugs zu dem angegebenen Zwecke schließt. Fürsten und Churfürsten zogen dasselbe in wei- tere Berathung: sie endigten damit, dieß Erbieten auf einen Ansehen Carls V. ganzen Romzug zu erhöhen. Es bezeichnet die Einfachheit der Epoche, daß sie den ersten Termin dieser Zahlung auf Weihnachten ansetzten, weil man den Unterthanen Zeit lassen müsse ihre Ernte einzubringen und zu verkaufen. Bedenken des Ausschusses 28 Mai; Antwort der Staͤnde 5 Juni; Kaiserl. Resolution 6 Juni; der Staͤnde letzte Antwort 10 Juni. Seit vielen Jahrhunderten hatte nie ein Kaiser eine grö- ßere Hingebung erfahren. Bemerken wir nur mit welcher Rücksicht ihm die gerechtesten Beschwerden vorgetragen wur- den. Denn gewiß lief es seiner Capitulation entgegen, daß er spanische Truppen ins Reich geführt und sie sogar hie und da in Besatzung gelegt hatte. Nichts erregte lebhaftere Klagen, und endlich entschlossen sich die Stände auf den An- trag von Pfalz, die Abschaffung dieses Kriegsvolks in Er- innerung zu bringen. Sie thaten das aber nur, indem sie die Worte wegließen die dem Kaiser hätten empfindlich fallen können: spanisch, fremd: und es dem kaiserlichen Ermessen überließen, ob die Zeit dazu schon gekommen. Der Kaiser er- wiederte: er wisse wohl, daß die Klagen die man gegen sein Kriegsvolk erhebe, größtentheils ungegründet seyen, doch wolle er sie untersuchen lassen: an der Abschaffung der Mannschaf- ten aber werde er durch unvermeidliche Nothwendigkeit gehin- dert. Und für diese „allergnädigste“ Antwort nun, die doch abschläglich ist, danken ihm die Stände unterthänigst, flehen ihn nur an, das nothwendige Einsehen zu haben: dann werde er ein gottgefällig Werk thun: „so sind es“, schließen sie, „gemeine Stände um Kaiserl. Majestät auch unterthänigst zu verdienen willig, und thun sich derselben zu Gnaden hie- mit unterthänigst befehlen.“ Welch eine Häufung des Gnä- Neuntes Buch. Erstes Capitel . digst und Unterthänigst in einer Sache, die sie mit gutem Rechte hätten fordern können. Der Kaiser hatte nicht allein den Sieg erfochten und die Macht im Allgemeinen in Händen, sondern es lagen ihm auch Streitsachen vor, die ihm auf das Wohl oder Wehe der einzelnen Fürsten und ihrer Häuser einen großen Ein- fluß sicherten. Seinen Geburtstag, im Februar 1548, begieng Carl V da- mit, daß er, „sitzend in seiner kaiserlichen Krone, Zierheit und Majestät,“ wie ein gleichzeitiger Bericht sagt, die Chur Sach- sen auf seinen Verbündeten Moritz übertrug. Zehn Fahnen bezeichneten die verschiedenen Rechte und Gebietstheile welche Moritz in Empfang nahm. Reimar Kock Luͤbecksche Chronik: Den 24 Febr. hefft Hartch Moritz tho Außborch mercedem iniquitatis, ik wolte seggen de Herl- chet ‒ ‒ duth, hefft de gode alde Coͤrforste angesehen und gelachet, dat me mit untruw sodane herrlchet voͤrdenen shal und kann. Am 8ten April ward Adolf von Schaumburg in Ge- genwart des Kaisers und des Königs mit allem kirchlichen Pomp zum Erzbischof von Cölln geweiht. Es war die zweite Churwürde die der Kaiser in Folge seines Sieges vergabte. Und schon lag die Entscheidung über eine dritte Chur- würde in seiner Hand. Herzog Wilhelm von Baiern sah mit Verdruß, daß der neue Churfürst von Sachsen und König Fer- dinand von dem Kriege große Vortheile zogen, er dagegen, der das Meiste gethan zu haben glaubte, leer ausgieng. Mit ver- doppeltem Ernst forderte er in die pfälzische Chur eingesetzt zu werden: — gleich als sey er der Entsetzte und Beraubte, wollte er den Besitz der Vettern gar nicht mehr anerkennen, und lehnte, auf seinen Vertrag vom J. 1546 sich stützend, Belehnungen. Pfaͤlzische Chur . jeden weiteren Rechtsgang ab. So deutlich kam jedoch dem Kaiser seine Verpflichtung mit nichten vor: der Herzog mußte sich zu weiteren Erörterungen bequemen, und in den Acten finden wir einen weitläuftigen Schriftwechsel über die Sache. Es kam hiebei zu einem Äußersten das man gar nicht er- warten sollte. Herzog Wilhelm erkannte die goldne Bulle noch nicht an: er zog in Zweifel, ob Carl IV ohne Bewil- ligung des Papstes eine Bestimmung über die Churfürsten- thümer habe treffen können. „Zu dem allen ist nit ein kleiner zweiffel, dieweyl die Orde- nung der Churfuͤrsten von dem bepstl. Stul erstlich gesetzt, ob in Koͤ- nig Carls gewalt gestanden sey one bepstl. Heil. bewilligung und vor- wissen inn sachen die chur betreffende etwas news zu verordnen und zu setzen.“ Herzog Wilhelms von Baiern Gegenbericht 22 Mar- tii 1548. Was war aber Rechtens im Reiche, wenn diese Urkunde nicht zu Recht bestand? Aller- dings war sie im Geist der Opposition gegen das Papst- thum gefaßt: wir erkennen darin nur ein neues Motiv für die Verbindung der Ludwigschen Linie des Hauses Wittels- bach mit Rom; aber wie hätte der Kaiser darauf eingehn können, der nur kraft der goldnen Bulle regierte? Mit den Pfalzgrafen, die ihm nahe verwandt waren, versöhnt, mochte er um so weniger daran denken, den Ansprüchen des Her- zogs Statt zu geben. Schon erhob derselbe noch einen andern Streit gegen seine Vettern. Er forderte die Besitzungen des Pfalzgrafen Otto Heinrich, der mit dem Kaiser noch nicht ausgesöhnt war. Von pfälzischer Seite erwiederte man, daß die Land- schaften dann wenigstens nicht an Baiern, sondern an eine andere Linie des pfälzischen Hauses fallen müßten. Ranke D. Gesch. V. 3 Neuntes Buch. Erstes Capitel . Und ein noch wichtigerer Rechtshandel war indeß von König Ferdinand anhängig gemacht. Er erhob Anspruch auf Würtenberg, weil Herzog Ulrich den Vertrag von Ca- dan, auf welchem sein Recht beruhe, durch seine Theilnahme an dem schmalkaldischen Kriege gebrochen habe. Im Fe- bruar ward ein Gericht aus den kaiserlichen Räthen Seld, Haas, Viglius, Veltwyk unter dem Präsidium des neuen Erzbischofs von Cölln zusammengesetzt, welche bald eine so entschiedene Hinneigung zu Gunsten des Königs kund ga- den, daß die Anwälte von Würtenberg sich nur noch auf das unverwirkte Recht des jungen Herzog Christoph bezie- hen zu können glaubten. Sattler III, 269. Einen andern Proceß, der seit 20 Jahren schwebte, zwi- schen Nassau und Hessen, hielt der Kaiser für gut endlich zu entscheiden. Am 5ten August, nachdem der Reichstag be- reits beendigt war, saß er in seinem Pallast zu offener Au- dienz auf seinem Stuhl; die Procuratoren beider Parteien erschienen vor ihm: die nassauischen baten um Eröffnung des Urtheils, die hessischen auch wegen der Gefangenschaft des Landgrafen um ferneren Verzug; der Kaiser antwortete dadurch, daß er seinen Protonotar herbeirief und ihm anbefahl, das Urtel, das er ihm zugleich übergab, bekannt zu machen. Ein großer Theil der bisher von Hessen behaupteten streiti- gen Pfandschaften, Nutzungen und Gebiete, darunter halb Darmstadt, ward dem Grafen von Nassau zuerkannt, der nun wirklich, wenigstens auf einige Zeit, in Besitz gelangte. Arnoldi Gesch. von Nassau III, 1, 130. Sastrow II, 563. Nicht so entschieden trat der Kaiser in der preußischen Rechtsentscheidungen . Sache auf, die zu Augsburg aufs neue in Anregung kam. Der Deutschmeister Wolfgang Schutzbar von Milchling for- derte die Execution der vorlängst über Herzog Albrecht aus- gesprochenen Reichsacht. Dagegen brachte ein polnischer Ge- sandter, weil Preußen der Krone Polen angehöre, die Auf- hebung derselben in Antrag. Petit rex serenissimus odiosam illam proscriptionem ab- rogari, evelli et eradicari. Oratio Stanislai Laski ap. Dogiel Cod. dipl. Poloniae IV, 318. Ende Januar 1548 ward ein Ausschuß für diese Angelegenheit niedergesetzt. Die- ser vereinigte sich leicht darüber — selbst der Churfürst von Brandenburg stimmte dafür — daß die Acht ohne ein neues Rechtsverfahren nicht aufgehoben werden dürfe. Streit er- hob sich erst, als man nun fragte, ob sie exequirt werden solle oder nicht. Mit vielem Eifer erklärte Baiern, man müsse dem Rechte seinen Lauf lassen, und die ergangenen Ur- tel ausführen, ohne erst auf Gefahren die daher entspringen könnten, Rücksicht zu nehmen: sonst werde bald Niemand mehr zur Erhaltung des Kammergerichts beitragen wollen. Damit drang nun Baiern zwar nicht vollständig durch; — die Majorität des Ausschusses, welche keinen Bruch mit Polen wollte, der den Osmanen zu Statten kommen könne, empfahl dem Kaiser einen erneuten Versuch gütlicher Beilegung — aber es bildete sich doch eine Minorität, die auf unbedingte Vollzie- hung des Rechtes antrug. Der Kaiser hütete sich wohl den Streit zu entscheiden. Er war ein Mittel mehr, das Haus Brandenburg, das an dieser Sache ein so großes Interesse hatte, und dieß auch gar nicht verhehlte, an sich zu fesseln. Uberhaupt gab es kein großes Haus im Reiche, das 3* Neuntes Buch. Erstes Capitel . nicht durch die eine oder die andre Sache von dem Wohl- wollen des Kaisers abhängig gewesen wäre. Protocoll bei Bucholtz IX, 447. Daher kam es eben daß alles sich beugte, alles ge- horchte. Es war einmal wieder ein Oberhaupt von durch- greifender Macht in Deutschland, und Jedermann fühlte daß ein solches da war. Das Interim. Zur Entwickelung dieser reichsoberhauptlichen Macht ge- hört es nun recht eigen und wird davon bedingt, daß der Kaiser es unternehmen konnte, auch in den religiösen Ange- legenheiten Maaß zu geben. Im Anfang der Versammlung, als die altgläubig ge- sinnte Partei sich so zahlreich und stark sah, ward wohl ein Gedanke laut, der auch dem Kaiser einmal früher in den Sinn gekommen, ob es nicht das Beste sey, die Religion in den früheren Stand wiederherzustellen. Der Beichtvater hielt die Sache noch immer für nothwendig und die Umstände für günstig. Er meinte wohl: vor allem müsse man die lutheri- sche Predigt verbieten, ihr unbedingt ein Ende machen: möge dann das Volk glauben was es wolle; fürs Erste komme es nur auf die Erneuerung des alten Ritus und die Her- stellung der Kirchengüter an. Disp. fiorentino 19 Nov. 1547: Il confessore et altri theo- logi sono in oppenione che si rimetta in Alemagna il culto di- vino, creda ogn’uno cio che vuole, restituischinsi i beni eccle- siastici et tolgasi via la predicatione luterana, fomento di tutte eresie. Er drückte die Tendenz der kirchlichen Restauration aus, welche dem Kaiser vom südli- Das Interim . chen Europa her allerdings zu Hülfe gekommen war, aber den Krieg doch nicht entschieden hatte. Denen welche Deutschland kannten und die Lage der Dinge ohne confessionelles Vorurtheil ansahen, kam dieß je- doch unausführbar vor. König Ferdinand erwiederte dem Beichtvater, man möge es unternehmen, wenn man sich in einen neuen Krieg stürzen wolle, der aber noch gefährlicher ausfallen werde als der eben beendigte, — wenn man die Mittel, die Kraft und den Muth dazu besitze: er erinnerte, daß man keinen Heller im Schatz habe. Er seinerseits hatte schon längst einen andern Gedanken gefaßt. War die reine Restauration unmöglich, so durfte man, wie die Dinge nun einmal giengen, auch von keiner künf- tigen Entscheidung des Conciliums etwas Förderliches er- warten; man konnte nicht denken, daß das Concilium etwas andres, als die vollständige Restauration beschließen würde. Ließ sich aber, nach der Niederlage welche die streng- protestantischen Meinungen erlitten, bei dem Übergewicht das der Kaiser in allen Angelegenheiten besaß, jetzt nicht viel- leicht eine Absicht erreichen, die, obwohl auf einer andern Stufe, schon früher gefaßt worden, nemlich: innerhalb des Reiches, ohne Theilnahme des Papstes, eine Vereinbarung beider Parteien zu treffen? Schon im Januar 1547, so wie die Irrungen mit dem Papst wieder ernstlich ausbrachen, rieth Ferdinand seinem Bruder, sich nicht allein auf die Beschlüsse des Conciliums zu verlassen, Il semble chose dangereuse, s’en arreter simplement sur la determination dudit concil general. Bucholtz IX, 407. da man dort wohl nicht alle Puncte durch- Neuntes Buch. Erstes Capitel . setzen werde auf die es ankomme, zumal wenn der Papst fortfahre wie er angefangen; dem Urtheil erfahrner Theo- logen zufolge sey es vielmehr, nachdem die streitigen Arti- kel so vielfach besprochen und verhandelt worden, so schwer nicht, in Deutschland selbst eine solche Consultation und christ- liche Reformation nach den Bedürfnissen der Deutschen auf- zustellen, von der man hoffen dürfe daß die Protestanten wenigstens zum größten Theile sie annehmen und auch Papst und Concil sie nicht verwerfen würden. Zu Abfassung eines solchen Entwurfes brachte der König gleich damals einige Männer, die er für geeignet hielt, in Vorschlag, namentlich Julius Pflug Bischof von Naumburg, und Michael Hel- ding Weihbischof zu Mainz. Eine sehr erwünschte Vorbereitung hiezu war, daß der Fürstenrath bei der ersten Antwort auf die Proposition dem Kaiser heimgestellt hatte einstweilige Ordnung zu treffen. Wiewohl darin lag, daß eine solche nur bis zum Schluß des Conciliums gültig seyn sollte, woher sich denn der Name des Interim schreibt, so hatte die Sache doch an sich eine allgemeine Bedeutung, da jede Vereinbarung dieser Gegensätze, wie bedingt auch immer, ein neuer großer Schritt war, und da ferner die conciliaren Angelegenheiten so eben hofnungsloser wurden, als sie jemals gewesen. Bei der Sendung des Cardinal Madrucci hatte Carl dem Papst bereits angekündigt, daß er die Dinge unmög- lich in dem Zustand lassen könne, worin sie seyen; als dieser nicht allein unverrichteter Sache zurückkehrte, sondern nun erst der völlige Bruch erfolgte, hielt er sich für doppelt be- rechtigt zum Werke zu schreiten. Das Interim . Die politisch-religiösen Interessen des Reiches, die Machtentwickelung die es möglich erscheinen ließ, jetzt etwas zu erreichen, und die Differenz mit dem Papst wirkten zusam- men, um den Gedanken des Interim in Gang zu bringen. Es hätte aber nicht zum Ziele führen können, hiebei den alten Weg ständischer Berathung einzuschlagen. Der Kaiser schien wohl einen Augenblick darauf zu denken. Er ersuchte die Stände, zur Berathung über die Mittel einer christlichen Vereinigung ihre Abgeordneten mit den seinen zu- sammentreten zu lassen; als sie, bei ihrer Heimstellung be- harrend, ihm überließen diejenigen selbst zu wählen die er hiezu für tauglich halte, machte er diesen Versuch wirklich; allein sogleich gab sich die Unmöglichkeit kund, mti diesem Verfahren weiter zu kommen. Er konnte doch nicht vermeiden, von beiden Seiten Männer zu ernennen, die schon an den bisherigen Streitigkeiten Theil genommen: noch einmal saßen der Carmeliter Billik, der päpstlich gesinnte Politiker Leon- hard von Eck neben dem Vorkämpfer des Protestantismus Jacob Sturm. Jene forderten, wie der Beichtvater, die Her- stellung der geistlichen Güter; dieser trug, wie vor 25 Jah- ren, auf ein Nationalconcilium an. Man kann sich darüber nicht wundern. Die großen Ereignisse der letzten Jahre ent- hielten doch nichts was eine innere Annäherung der beiden Parteien hervorgebracht hätte. An eine Vereinigung aber war unter diesen Umständen nicht zu denken: nach einigen Tagen löste die Versammlung sich auf und gab ihren Auf- trag dem Kaiser zurück. Es mußte nun doch dahin kommen, was auch von An- fang Ferdinands Gedanke gewesen, daß ohne so viele Rück- Neuntes Buch. Erstes Capitel . sprache mit den entzweiten Ständen, so wie ohne Rücksicht auf den Papst, unter kaiserlicher Autorität allein, der Ver- such einer Festsetzung gemacht würde, bei der sich beide Theile beruhigen könnten. Wie die Ereignisse vor allem den Erfolg gehabt die Macht des Kaisers zu heben, so kam es hauptsächlich dar- auf an, wie dieselbe hiezu benutzt werden würde. Der Kaiser nahm wirklich die ihm von seinem Bru- der vorgeschlagenen Theologen an, Julius Pflug und den Weihbischof Helding. Churfürst Joachim II von Branden- burg, in dessen Ideen es von jeher lag eine Vermittelung zu suchen, ließ seinen Hofprediger Johann Agricola an der Arbeit Theil nehmen. Die drei Männer waren in gewissem Sinne die Repräsentanten der drei vornehmsten theologischen Parteien: Agricola, der an Luthers Tisch gesessen, der pro- testantischen, Helding der altkatholischen, Julius Pflug der erasmischen. Julius Pflug hatte wohl schon früher die Grundlage des Entwurfs ausgearbeitet; Vgl. Formula sacrorum emendandorum a Julio Pflugio proposita, ed. Gottfr. Müller, Praef. XIII. von Helding findet sich einiges Handschriftliche, dessen sich Pflug bedient zu ha- ben scheint; daß der Antheil Agricolas nur gering gewesen ist, dürfte schon die Ruhmredigkeit beweisen, mit der er da- von spricht, wie denn auch sonst darüber nichts erhellt. Das war nun aber hier nicht die Frage, welche Mei- nungen in dem Gespräche dieser drei Gelehrten die Ober- hand bekommen, sondern vielmehr in wie fern sie Mittel und Wege finden würden den kaiserlichen Gedanken zu ver- wirklichen. Das Interim . Dieser war aber nicht eigentlich religiöser, sondern kirch- lich-politischer Art. Die Absicht des Kaisers mußte seyn und war es auch, die Hierarchie aufrecht zu erhalten, in der er selber einen so hohen Platz einnahm, auf der sein Kaiser- thum beruhte, und dabei doch den Protestanten die Möglich- keit zu verschaffen, sich ihm wieder anzuschließen, oder wenig- stens nicht in offenen Widerspruch mit ihm zu treten. Es ist unleugbar, daß darin zugleich ein großes Interesse der Na- tion lag, sowohl für ihren Frieden im Innern als für ihre Macht nach außen. Die Frage war nur, ob es mit dem Versuche gelingen, ob die Theologen den vereinigenden Mit- telweg entdecken würden. Wir haben ein Schreiben des Fürsten, dessen Seele wohl an diesem Geschäft den größten Antheil nahm, Joa- chims II von Brandenburg, über die Puncte, auf die es hie- bei vorzüglich ankomme. Es sind folgende: der Artikel über die Justification, der Genuß des Abendmahls nach der Ein- setzung des Herrn, Entfernung des Opus operatum aus der Messe, und die Ehe der Geistlichen. Er versichert: der selige Doctor Luther habe sich oft erboten, wenn diese Puncte er- halten würden, dem Papste den Fuß zu küssen und den Bi- schöfen ihre Gewalt zu lassen. Mag es mit dem Sinne dieser Äußerung stehn wie es wolle, gewiß ist, daß vor allem die bezeichneten Puncte wirklich der Erledigung bedurften: und wir haben nun zu sehen, wie der zu Stande gebrachte Entwurf, den der Kaiser jedoch, um der katholischen Orthodoxie vollkommen sicher zu seyn, noch von zwei spanischen Theologen, Soto und Mal- venda, durchsehen ließ, ehe er ihn den Ständen vorlegte, diese Aufgabe angriff. Neuntes Buch. Erstes Capitel . Noch einmal haben wir den schon so oft vorgekomme- nen theologisch-kirchlichen Streitfragen unsre Aufmerksam- keit zuzuwenden. Mit denjenigen Artikeln nun, die am meisten in die Augen fielen, der Priesterehe und dem Genusse von beider- lei Gestalt, hatte es die wenigste Schwierigkeit: die kaiser- lichen Bevollmächtigten urtheilten, in diesen Stücken sey die Neuerung zu weit eingerissen, zu allgemein geworden, als daß man sie ohne die größte Bewegung abstellen könne: das Concilium, dem sich die Stände unterworfen, werde ohne Zweifel dafür sorgen, daß darin dem Frieden der Gewissen und der Kirche gerathen werde. Dagegen war bei dem Artikel von der Justification, über den sich seit den frühern Discussionen das Concil von Trient ausgesprochen hatte, eben hiedurch die Schwierigkeit sich zu vereinigen nur noch größer geworden. Waren diese Beschlüsse auch vom Kaiser nicht anerkannt, auf seine Theo- logen mußten sie gleichwohl wirken; von dem Begriff der in- härirenden Gerechtigkeit konnten und wollten diese nicht ab- weichen. In diesem Lehrstück kam es aber dem Kaiser vor- züglich darauf an, die Beistimmung der Protestanten möglich zu machen. Gewiß war es keine Täuschung, wenn trotz der Annahme jenes Prinzips Julius Pflug sich auf der an- dern Seite doch wieder den Protestanten annäherte; seine ganze Überzeugung gieng dahin. So wenig wie die Drei- stigkeit der Unbegnadigten, die ihm Luthers Auffassung zu veranlassen schien, wollte er doch auch die Sicherheit der Vorgeschrittenen die auf ihre Werke trotzen. Julius Pflug: Aus was guten und loblichen Bewegnussen Genug man Das Interim . setzte zugleich fest, daß Gott den Menschen gerecht mache, nicht aus dessen Werken, sondern nach seiner Barmherzig- keit: lauter umsonst, ohne sein Verdienst: daß sich ein Je- der immer an Christi Verdienst zu halten habe. Wie sich beides mit einander vereinigen lasse, war freilich eine andre Frage: man hütete sich aber wohl darauf einzugehn: man hätte fürchten müssen die Zwistigkeit damit wieder zu erneuern: und war sehr zufrieden eine Satzung gefunden zu haben, welche das als das vornehmste betrachtete Dogma der Pro- testanten gelten ließ. Und noch mehr konnte man sich ihnen in dem Artikel von der Messe nähern, über den in Trient noch nichts be- schlossen war. Julius Pflug gab zu, daß darin lange Zeit ein hochbeschwerlicher Mißverstand geherrscht habe: er ließ den Begriff von dem Sühnopfer, der darnach dennoch fest- gehalten worden ist, fallen: indem er den Ausdruck Opfer festhielt, verstand er darunter doch nur ein Gedenkopfer, ein Dankopfer, wie sie in dem alten Testament vorbildlich be- standen und Christus sie erneuert. In diesem Sinn ist der Artikel abgefaßt. Durch das Blutopfer am Kreuz habe Chri- stus die Versöhnung erworben; das Dankopfer sey nicht dazu eingesetzt, damit wir dadurch Vergebung der Sünden verdienen, sondern daß wir sie, wie sie am Kreuz verdient ist, uns durch den Glauben zu Nutze machen. Eine Auffassung, die Kais. Mt verursacht worden ihre Declaration in Religion sachen dermaßen wie zw Augsburg auf juͤngst gehaltenem Reichstage ge- schehen, vorzunehmen und zu publiciren. Abgedruckt in Tzschirners und Staͤudlins kirchengesch. Archiv Bd IV. Daß damit Pflug nur seinen Entwurf meine, wie der Herausgeber Muͤller annimmt, nicht das publicirte Interim, widerspricht dem Titel geradezu und ist uͤber- haupt eine Chimaͤre. Jenes Motiv wird p. 115 auseinandergesetzt. Neuntes Buch. Erstes Capitel . die sich von der protestantischen hauptsächlich nur durch die Beibehaltung des Wortes Opfer unterscheidet. Julius Pflug ist der Meinung, daß diese Erklärung Niemand mehr einen Vorwand lasse, sich von der Kirche abzusondern. Pflug: „Da man sich einer solchen wohlgegruͤndten und schein- barlichen Erklaͤrung von der Messe vor 30 Jahren haͤtte vergleichen koͤnnen, wuͤrde die Kirche ohne Zweifel solcher Messe halben in die beschwerliche Verbitterung und Weiterung nit gefallen seyn.“ Das war eben die Absicht, bei allen Concessionen die man machte, doch die große kirchliche Einheit aufrecht zu erhalten. Auch in dem Artikel über die Kirche findet sich eine ge- wisse Annäherung an neuernde Vorstellungen: er ist wenigstens durchaus nicht papistisch. Der Papst wird als der oberste Bischof betrachtet, der den andern vorgesetzt ist, um alle Spaltung zu verhüten; aber auch den andern wird zugestan- den, daß sie wahrhaftige Bischöfe seyen aus göttlichen Rech- ten. Der Papst wird erinnert, seine Gewalt sey ihm ver- liehen zur Erbauung, nicht zur Zerstörung. Ubrigens aber wird doch der Begriff der Kirche in aller Strenge behaup- tet: es wird ihr das Recht vindicirt die Bibel auszulegen, die Lehre daraus festzusetzen, „sintemal der h. Geist bei ihr ist,“ und auch über die Cerimonien Bestimmung zu treffen. Die Formel bestätigt die Siebenzahl der Sacramente, sucht Chrisma und letzte Ölung zu rechtfertigen und hält fest an der Transsubstantiation. Auch für das Anrufen der Jungfrau Maria und der Heiligen um ihre Fürbitte, so wie für die Beibehaltung der Fasten findet sie Gründe; den Pomp der Processionen, überhaupt die Ordnung und Pracht der bis- herigen Cerimonien trägt sie Sorge zu behaupten. Das Interim . Wir sehen wohl: es ist die alte Kirche, was hier aufs neue proclamirt ward: etwas weniger abhängig von dem Papst, mit einer in einigen Artikeln dahin modificirten Doctrin, daß die Abweichungen der Protestanten nicht geradezu ver- dammt wurden, aber übrigens sie selbst mit ihrem Kirchen- dienst und in ihrer alten Einheit, als deren Mitrepräsentan- ten sich der Kaiser betrachtete. Es war ohne Zweifel der kaiserliche Gedanke selbst der sich hier aussprach: und man mußte nun sehen welchen Anklang er bei der Reichsversamm- lung finden würde. Der Kaiser legte den Entwurf zuvörderst den mächti- gern der Augsburger Confession beigetretenen Fürsten zur An- nahme vor. Was auf diese Eindruck machte, war die Meinung daß diese Formel für das ganze Reich, auch für den altgläubi- gen Theil gelten sollte. Auch war dieß ohne Zweifel der ursprüngliche Sinn des Kaisers: was hätte sonst die Erklärung über das gött- liche Recht der Bischöfe zu bedeuten gehabt? Nur gegen den Papst war sie gerichtet. Churfürst Joachim II versichert, er habe nicht anders gewußt, als daß dieß die Meinung sey: eben darum ließ er sich so leicht bewegen die Formel an- zunehmen. Er sah darin eine Bestätigung der von ihm von jeher gehegten Meinungen über Justification, Sacra- ment, Priesterehe und Messe, und glaubte daß diesen auf solche Weise der Weg über ganz Deutschland hin eröffnet sey. So- gar einen Fortschritt der evangelischen Lehre meinte er voraus- sehen zu können. In dem Berliner Archiv findet sich ein Aufsatz zur Verthei- Der Churfürst von der Pfalz trat ihm bei. Neuntes Buch. Erstes Capitel . Etwas mehr Schwierigkeiten machte der dritte weltliche Churfürst, Moritz von Sachsen, obwohl er seine Chur der- selben Gewalt verdankte, deren Ausfluß diese Anordnung war. Man dürfte nicht sagen, daß dieß ganz in seiner Willkühr beruht habe. Er hatte seinen Landständen in einem wichtigen Augen- blick, und zwar auf das Wort des Kaisers, unzweideutige Zusagen über die Beibehaltung ihrer Religion gegeben. Daran erinnerte er jetzt den Kaiser, und behielt sich vor, erst mit sei- ner Landschaft zu berathschlagen. Der Kaiser erwiederte, er habe nichts weiter versprochen, als daß er die Lande nicht mit Gewalt von ihrer Religion dringen, sondern die Ver- gleichung nur auf gebührlichem Wege suchen wolle, wie er das jetzt thue; in dem Reiche sey es nicht Herkommens, über das was Fürsten und gemeine Stände bewilligt, an die Landschaften zurückzugehn: Moritz möge sich nicht auch von seinen Theologen verführen lassen, wie seinem Vetter ge- schehen. Moritz versprach zuletzt, in dem Reichsrath nicht durch offenen Widerspruch Irrung zu veranlassen, sondern sich dahin zu erklären, daß er sich zwar in dieser Sache für seine Unterthanen nicht verpflichten könne, aber er denke, sie digung des Interims, worin es heißt: Luther habe dreierlei gewollt: 1) quod Pontifex Romanus non sit caput ecclesiae, sed Chri- stus; 2) missam non esse sacrificium ex opere operato, quae possit applicari pro vivis et mortuis; 3) cerimonias debere esse liberas et adiaphoras. ‒ ‒ Jam, heißt es weiter, in hoc scripto omnia haec tolluntur: conceditur, Romanum pontificem esse pri- mum quidem episcopum propter tollenda schismata, ‒ ‒ et alios episcopos esse simili modo episcopos ut ipse jure divino, et eis esse commissam a Christo administrationem suarum ecclesiarum jure divino; 2) missam non esse sacrificium ex opere operato, sed sacrificium commemorativum etc. etc. Das Interim . würden wohl einsehen, daß es nicht in seiner Macht stehe etwas abzuändern was alle andern Fürsten und Stände ge- willigt. „Ist endlich dahin gehandelt, dieweil sich mein gnaͤdigster Herr ane s. ch. G. Landschaft Rat nicht hat entschließen koͤnnen, wue gemeine Stende durchaus das gestelte Interim annhemen worden, das im Reichsrathe m. gn. Herre keine zerruttung machen, Sondern vor sein Suffragium sagen mochte, es were s. ch. Gn. nicht zu thuen sich seiner unterthanen zu mechtigen, s. ch. Gn. aber konnten wol er- achten, was alle andern Chff. FF. und Stende schloͤssen, das s. ch. Gn. dasselbige weder endern noch wenden konten. Das ist also der kays. Mt durch die koͤn. Mt angezeigt, die seint dorann zu frieden ge- west.“ Protocoll im Dresdner Archiv uͤber die Verhandlungen mit den beiden Churfuͤrsten am 17, 19, 20, und mit dem Kaiser am Palmabend, 24 Maͤrz. Der Kaiser schien das nur für eine eigenthüm- liche Form vollkommener Einwilligung zu halten; wenig- stens gegen Andre drückte er sich so aus, als sey an sol- cher kein Zweifel. Leicht waren die jungen kriegslustigen Fürsten gewon- nen, Albrecht von Brandenburg, Erich von Braunschweig, die bisher überhaupt noch keine entschiedene protestantische Mei- nung kund gegeben. Dagegen gab es auch unter den eifrig- sten Anhängern des Kaisers einige andre, wie Pfalzgraf Wolf- gang, besonders Markgraf Johann von Cüstrin, die sich wi- dersetzten. Beim ersten Überlesen der Formel faßte Johann — dem es besonders nicht zu Sinne wollte, daß man die Heiligen anrufen solle, da doch Christus der einige Mittler sey, — einen heftigen Widerwillen dagegen. Viel zu schwach waren jedoch diese Fürsten, als daß sich der Kaiser um sie gekümmert hätte. Es war ihm ge- nug daß er sich der mächtigsten versichert halten durfte. Die ganze weitere Frage lag für ihn darin, was nun die alt- Neuntes Buch. Erstes Capitel . gläubige Partei dazu sagen würde. Mit Rücksicht auf sie hatte er den Entwurf so überwiegend katholisch eingerichtet. Er hatte bisher hauptsächlich mit der Majorität des Für- stenrathes regiert, er mochte hoffen, denselben auch jetzt auf seine Meinung zu ziehen. Wäre das geschehen, so würde er einen factischen Ein- fluß auf das Innere der Kirche gewonnen haben, der ihm eine überaus großartige Stellung dem Papst und dem Con- cilium gegenüber gegeben, alles was dort ihm zum Ver- druß unternommen worden, aufgewogen hätte. Dann erst konnte von der Einheit der Nation in religiöser Hinsicht wie- der die Rede seyn. Man hätte sehen müssen was mehr ge- wirkt hätte, die Wiederherstellung einiger Äußerlichkeiten auf der protestantischen oder die den neuen Lehrmeinungen ge- machten Concessionen auf der katholischen Seite. Wie wäre es aber möglich gewesen, daß nicht auch jetzt der alte Widerstand sich geregt hätte, der in Momenten dieser Art, auf den verschiedenen Stufen der Entwickelung dieses Ereignisses, immer hervorgetreten war? Wir berührten daß Herzog Wilhelm von Baiern, seitdem seine Absicht auf die Chur nicht durchgegangen, nicht mehr der Freund des Kaisers war. In seinen Anschreiben sprach er das Gefühl seines Verdienstes immer hochfahrender, seiner Kränkung immer bitterer, übellauniger aus. Ein solches Schreiben aus der Sammlung von Arrodenius bei Sugenheim p. 37. Als ihm dieser Entwurf vorgelegt wurde, mit dem doch auch die Macht des Papstes eingeschränkt werden sollte, hielt der Herzog für gut, erst bei dem Papst anzufragen, ob er eine Genehmigung Das Interim . desselben billigen würde. Es könnte aussehen wie Ironie, wäre nicht ein so bitterer Ernst dabei. In Rom und selbst in Frankreich war man schon längst auf diese Entwürfe des Kaisers aufmerksam. Cardinal Bel- lay schlug dem Papst vor, seine Legaten mit den katholi- schen Ständen entfernt vom Reichstag zusammentreten zu las- sen, um zu einer freien Berathung außerhalb der vom Ein- fluß des Kaisers beherrschten Kreise zu gelangen. Instructio C lis Bellaji super rebus concilii. MS St. Germ. Paris 140, 1. Ubi convenient legati ubi Caesar non sit, erit ma- jor libertas. Vgl. s. Schreiben vom 31 Mai. Desto erwünschter kam nun die Anfrage des Herzogs dem römi- schen Stuhl. Der Papst, der nicht versäumte die Hingebung desselben zu beloben, antwortete ihm, er könne eine solche Genehmigung nur mißbilligen. Responsum Pauli III datum „cuidam praepotenti Ger- maniae duci“, der sehr deutlich als der Herzog von Baiern bezeichnet wird: es wird an die Forderung erinnert die von eben dort an Pius IV ergangen. Ohne Zweifel sind die Antworten vor der Bekanntmachung des Interim geschehen, weil davon die Rede ist daß es in den Lan- den des Herzogs eingefuͤhrt werden sollte, was spaͤterhin nicht noͤ- thig war. Bei allem Ansehen das der Kaiser genoß, machte das doch so viel Eindruck auf das fürstliche Collegium, daß die Antwort die es gab, durchaus im Sinne des Papstes aus- fiel. Darin wurde das jetzt auch von Rom her in Erin- nerung gebrachte Argument wiederholt, daß ein Gestatten des früher bei schweren Pönen Verbotenen, z. B. des Laien- kelchs und der Priesterehe, ein Bekenntniß begangener Un- gerechtigkeit enthalten würde: es sey sogar zweifelhaft, ob der Papst in diesen Stücken nachgeben dürfe, wenn er auch wolle, Ranke D. Gesch. V. 4 Neuntes Buch. Erstes Capitel . weil darin eine Abweichung von den Satzungen der Concilien liegen würde. Bestimmungen über die Lehre, die doch dem Concilium heimgestellt worden, seyen aber vollends unstatthaft: man wisse recht gut, was in der gemeinen christlichen Kirche zu glauben, und bedürfe dazu keiner Ordnung des Kaisers. Die Fürsten gaben dem Kaiser zu verstehn, er überschreite seine Befugnisse, nicht alle seine Sätze möchten sich als gut katholisch bewähren: lieber möge er die Protestanten vermö- gen von der augsburgischen Confession abzustehn. Der Fuͤrsten und verordenten Stend Bedenken auf das In- terim, bei Sastrow II, 327, jedoch unvollstaͤndig. Der Kaiser antwortete mit großer Lebhaftigkeit. Man sage ihm, die Lehre sey dem Concilium heimgestellt: aber solle er wohl bis dahin einen Jeden in seinem selbstgeschöpften Glau- ben und bei unwidersprechlichen Mißbräuchen lassen? Man fordere, er solle die Protestanten bewegen von der augsbur- gischen Confession förmlich abzustehn: das heiße, unmögliche Dinge verlangen. Er wisse jedoch, daß man damit nur die Eintracht deutscher Nation verhindern wolle; er kenne die Leute wohl, deren verbittertes Gemüth ihn allenthalben ver- haßt zu machen strebe. Bucholtz VI, 236. Daniel zum Jungen an Frankfurt 23 April: „Ks. Mt ist solch ires Bedenkens ganz ubel zufrieden gewest, und sie weidlich erputzet, mit Vermeldung daß J. Mt inen die Ar- tikel nit haben zustellen lassen daß sie ir Gutbedunken daruͤber an- zeigen solten, sondern daß sie es inen wie es gestellt, gefallen lassen sollten.“ Und so weit gab der Kaiser dieß Mal wirklich nicht nach, daß er sich eine so anzügliche Ansprache hätte gefallen lassen: er ließ sie dem Fürstenrathe zurückstellen, als so be- schaffen daß er sie nicht annehmen könne. Das Interim . Allein auch dahin brachte er es doch nicht, daß er sei- nen ursprünglichen Gedanken hätte durchführen können. Die Fürsten schlossen sich dem Gutachten der geistlichen Churfür- sten an, das allerdings bei weitem milder ausgefallen war, aber doch auch sehr starke katholische Anregungen enthielt, z. B. Herstellung der Güter, Nothwendigkeit der Dispensa- tion in Hinsicht der Priesterehe und des Kelchs, und vor allem dabei stehn blieb, daß die Anordnung Niemand an- gehe, der bisher bei der alten Religion geblieben. Das Letzte mußte der Kaiser wirklich nachgeben. Er er- klärte endlich, daß seine Declaration sich nur auf die prote- stantischen Stände beziehen solle: nur unter diesem Vorbehalt konnte er dazu schreiten ihr gesetzliche Autorität zu verleihen. Am 15ten Mai 1548, Nachmittag 3 Uhr, versammel- ten sich die Reichsstände in der kaiserlichen Behausung: vor Kaiser und König. Erzherzog Maximilian sprach einige ein- leitende Worte; dann ward, was wir als Vorrede bei dem Buche finden, als Proposition verlesen; der Kaiser erinnerte an die ihm geschehene Heimstellung, legte die Schrift vor, und verlangte unverweilte Annahme derselben. Während Kaiser und König auf ihren Stühlen sitzen blieben, traten die Stände vor ihren Augen in dem Saale selbst nach ihren Collegien zusammen. Es ist gewiß, daß sich manche abwei- chende Meinungen regten. Den mächtigern Protestanten war es neu und unerwartet, daß die Erklärung nicht auch für die Katholiken gelten sollte; In der Instruction des Churfuͤrsten von Brandenburg zum Reichstag von 1550 heißt es: „Und wann es nochmalen dahin konnt gehandelt werden, wie es denn auch von anfang und (in) allen Hand- unter den Churfürsten machte 4* Neuntes Buch. Erstes Capitel . Moritz, unter den Fürsten Johann von Cüstrin einige Op- position; mehrere verlangten, daß die Schrift erst abgeschrie- ben und nochmals regelmäßig in Berathung gezogen werden sollte: aber zuletzt drang doch der kaiserliche Wille durch. Nachdem die Unterredung wohl eine Stunde gewährt, trat der Churfürst von Mainz im Namen der Stände mit der Antwort hervor, daß sie sich dessen, was S. Maj. be- gehre, gehorsamlich halten würden. Der Kaiser nahm diese Bewilligung als den Ausdruck der allgemeinen Meinung an und betrachtete seine Schrift nunmehr als Reichsgesetz. Jetzt erst ließ er zu, daß sie in den verschiedenen Collegien abge- schrieben ward: es war dafür gesorgt daß man keine Be- rathung darüber eröffnete. In diesem Augenblick war ein neuer päpstlicher Nun- tius angekommen. Das Interim war der römischen Curie und von dieser der Versammlung zu Bologna mitgetheilt worden: hier hatten ein paar Theologen Anmerkungen dar- über gemacht, welche darauf hinausliefen, daß in den Arti- keln die in Trient noch nicht entschieden worden, gar man- ches Unkatholische aufgenommen worden, in den übrigen aber ohne Zweifel das Beste sey, einfach die tridentinischen Satzungen zu wiederholen. Am 2ten Mai gieng die erste Antwort der Legaten des Con- Es erhellt nicht ganz, ob diese lungen nit anders gemeinet noch von uns und andern stenden ver- standen worden, allein daß die kais. Mt hernach ohne jemands vor- wissen in der Vorrede ein anders eingefuͤrt, daß die so der alten re- ligion seyn dasselbige so wol als die welche der augsb. Confession, annehmen und halten wollten, so waͤre dasselbe unsers Erachtens nicht auszuschlagen, denn wir erhielten ja die vornehmste Punct unser chrisi- lichen Religion, den Articul von der rechtfertigung, den rechten Brauch der Sacramente, die Priesterehe, ‒ ‒ nemen inen auch den Canon aus der meß.“ Das Interim . Einwendungen dem Nuntius schon bekannt waren, welche Aufträge er überhaupt in dieser Hinsicht hatte: auf keinen Fall aber durfte er die Bekanntmachung des Interims billigen. Eben darum eilte der Kaiser seinem Einspruch zuvorzukom- men. Er gab ihm erst Audienz, als die Sitzung vorüber, die Publication geschehen war. Hatte nun aber der Kaiser seinen ursprünglichen Ge- danken, die Formel von allen Ständen annehmen zu las- sen, aufgeben müssen, so blieb ihm doch noch ein andres Mittel übrig, auch auf das katholische Deutschland kirchli- chen Einfluß zu erlangen. Von jeher war über das Verderbniß des Clerus ge- klagt, eine durchgreifende Reformation desselben gefordert wor- den: zuletzt noch an dem Concilium; da sich von demsel- ben nichts erwarten ließ, so trug Carl V kein Bedenken auch in dieser Rücksicht auf eigne Hand ans Werk zu gehn. Schon in dem Pflugischen Entwurf handelt der dritte Theil von diesen Gegenständen: bei weitem ausführlicher aber und practischer war die Reformationsformel, welche der Kaiser wirklich zur Berathung brachte. Über die Wahl der Kirchendiener, ihre verschiedenen Ämter, Predigt, Verwaltung der Sacramente und Beobach- tung der Cerimonien, ihre Zucht und Sitte wurden hier ganz umsichtige und nützliche Anordnungen gemacht. Einige Miß- bräuche, über die man immer geklagt, z. B. Cumulation der cils auf das Interim ab (Rainaldus XXI, 397, nr 51); davon haͤtte der Nuntius, der den 11ten Mai in Augsburg ankam, allenfalls auf dem Wege Notiz bekommen koͤnnen. Ihre ausfuͤhrlichere Erklaͤrung war aber erst vom 12ten. Neuntes Buch. Erstes Capitel . Pfründen, wurden abgeschafft; der Kaiser versprach, den rö- mischen Stuhl zu bewegen, gewisse Vorrechte in dieser Hin- sicht fahren zu lassen; den größten Werth legte er darauf, daß allenthalben Visitationen gehalten und besonders die Provincialsynoden wiederhergestellt würden; den Bischöfen ward ein bestimmter Termin hiefür gesetzt, welchen sie auch größtentheils eingehalten haben. Valde nobis probatur, quod de celebrandis synodis dioe- cesanis ad festum divi Martini proximum constituistis. Caroli V Reformatio ecclesiastica, unter andern bei Goldast Constit. III, 325. Denn darauf war die Hauptabsicht des Kaisers gerich- tet, die deutsche Hierarchie wieder zu erneuern und ihre Wirk- samkeit zu beleben. Noch war das deutsche Bisthum fast überall aufrecht erhalten: da wo es erschüttert worden, z. B. in Meißen und Thüringen, war es jetzt wieder hergestellt; es bedurfte nichts weiter, als die päpstliche Erlaubniß, in den dem Pro- testantismus zugestandenen exceptionellen Fällen zu dispen- siren, um die bischöfliche Jurisdiction überall wieder zur An- erkennung zu bringen. Unter den Befugnissen, die der Kaiser noch außerdem für die Legaten forderte die ihm der Papst schicken sollte, finden wir auch die, über die Herstellung der geistlichen Gü- ter zu verfügen, mit deren Inhabern unter kaiserlicher Bei- stimmung darüber Vertrag zu schließen. Wir sehen: der Kaiser hoffte noch mit allen diesen Din- gen zu Stande zu kommen: die Protestanten, er allein, ohne Zuthun des Papstes, zu beruhigen und sie zur Unterwer- fung unter die Hierarchie des Reiches zu vermögen, — Das Interim . diese auch selber durchgreifend zu verbessern, ebenfalls durch eigene Macht, ohne besondere Mitwirkung von Rom: — und dann an der Spitze des wiedervereinten Reiches die al- ten Rechte des Kaiserthums auf die allgemeine Kirche zur Geltung zu bringen. Zunächst mußte sich zeigen was er mit den Protestan- ten ausrichten würde. Zweites Capitel . Einführung des Interims in Deutschland. Wenn es dem Kaiser gelungen wäre, wie er ursprüng- lich beabsichtigte, der interimistischen Anordnung die er traf, für alle deutschen Landschaften, auch die altgläubigen, Gel- tung zu verschaffen, so würde die Einführung derselben einen ganz andern Character entwickelt haben, als den sie annahm, da dieß nicht durchgegangen war. In jenem Falle hätten die nachtheiligen Einwirkungen, denen sich die Protestanten unterwerfen mußten, durch die Fortschritte die nach der andern Seite hin möglich wurden, eine Art von Ausgleichung gefunden. Von den leitenden Ideen der religiösen Bewegung wäre wenigstens die, welche auf eine nationale Selbständigkeit in religiösen Dingen hin- zielte, genährt und gefördert worden. Nun aber war alles anders. Da der Kaiser sich bewegen ließ, die Altgläubigen aus- drücklich anzuweisen, bei der Einheit der alten Kirche zu ver- harren, so war an keinen Fortschritt der reformatorischen Bestrebungen, an keine gemeinschaftliche und nationale Ent- wickelung des religiösen Geistes zu denken. Der Kaiser seinerseits fand noch ein Mittel, seine kirch- Einfuͤhrung des Interims . liche Gewalt aufrecht zu erhalten: er konnte auf dem poli- tischen Standpunct auf dem er sich befand, allenfalls nach- geben. Für die Protestanten aber wurde nun jede Herstel- lung des von ihnen Abgeänderten, jede Annäherung an das entgegengesetzte Prinzip, von dem sie sich erst losgerissen, zu einem Verluste ohne allen Ersatz. Bisher hatte sich der protestantische Geist nach den eig- nen innern Trieben in freier Autonomie entwickelt; er hatte die Lehre durchaus umgestaltet, und von den Cerimonien nur das behalten was ihm gemäß war. Jetzt sollte er zwar nicht das gerade Gegentheil seines Wesens anerkennen: er ward in seinen Grundmeinungen, in einigen der vornehm- sten seiner Abweichungen geschont, geduldet; allein dabei wollte man ihm Äußerlichkeiten und Gebräuche, auch wohl Mei- nungsbestimmungen aufdringen, die er mit vollem Bedacht, als eigenthümliche Ausflüsse des von ihm verworfenen Prin- zipes, hatte fallen lassen. Die Anordnung, die von dem Gedanken der Versöh- nung ausgegangen, erhielt den Character der Unterdrückung. Die Protestanten bekamen zu empfinden, was es heiße daß sie sich hatten entzweien lassen und ihre Oberhäupter, welche ihr System darstellten, besiegt worden waren. Allein es gab nun keinen Ausweg mehr: der Reichstag hatte den Beschluß gefaßt, die vornehmsten Fürsten, auch der protestantischen Seite, hatten eingewilligt, und der Kaiser war entschlossen die Sache mit aller Kraft ins Werk zu setzen. Wie heftig bedeutete er zwei mindermächtige Fürsten die sich widersetzten. Dem einen, dem Markgrafen Johann, ließ der Kaiser, wie die officielle Relation sagt, mit runden Neuntes Buch. Zweites Capitel . und dürren Worten vermelden, er werde die Gebühr dage- gen vornehmen müssen; dem andern, Pfalzgrafen Wolfgang, ward noch gröblicher angekündigt, er werde nächstens ein paar tausend Spanier in seinem Lande sehen. Die erste große Frage in diesem Augenblicke lag nun darin, wie sich die Städte verhalten würden. Hier hatte ein lange schon dazu vorbereitetes populares Element die reli- giöse Bewegung mit der größten Freude und Zustimmung empfangen; die städtischen Gewalten hatten ihren Wirkungs- kreis dadurch mächtig erweitert, und sich großentheils in sich selber demgemäß umgebildet; unzählige Mal hatte man sich und andern gelobt, Leib und Gut bei der Religion zu lassen. Jetzt kamen die Tage der Prüfung. An dem Reichstag zu Augsburg regte sich in den Städ- ten die Absicht, zu einer gemeinschaftlichen Protestation zu schreiten; sie scheiterte aber, der Frankfurter Gesandte trägt Bedenken zu sagen wodurch. Es muß wohl noch etwas Anderes gewesen seyn als die Verschiedenheit der Religion, von der er ohne Rücksicht hätte reden können. Der kaiserliche Hof behielt auch in dieser Sache den Vortheil, mit den einzelnen verhandeln zu können. Die Zusicherungen die denselben bei den Capitulationen meistentheils mündlich gegeben worden, hinderten ihn nicht, auf die Annahme des Interims zu dringen, als bei welchem, wie ihnen versprochen war, ihre Religion bestehen könne. Zuerst ward diejenige Reichsstadt aufgefordert, in der die popularen Elemente am schwächsten waren, die sich von jeher dem kaiserlichen Hofe am nächsten gehalten, Nürnberg. Der Kaiser wollte sich aber dieß Mal nicht mit dem Ge- Einfuͤhr. des Interims. Oberlaͤndische Staͤdte . sammtnamen Rath abfinden lassen: er ließ den Mitgliedern desselben wissen, von jedem einzeln werde er sich Resolution einholen. Am 19ten Juni langte der kaiserliche Gesandte in Nuͤrnberg an, am 22sten wußte man schon daß die Stadt sich unterwerfe. Hierauf unterwarfen sie sich sämmtlich: die Äl- tern des Rathes, der Rath selbst, und die Genannten des Rathes; sie baten nur, daß man ihnen Zeit lassen möge. Nicht ganz so gefügig zeigte sich der Rath von Augs- burg: er reichte eine Schrift ein, in welcher er sich nur zu einigen Annäherungen erbot. Granvella weigerte sich, die- selbe auch nur anzunehmen, und forderte eine einfach beja- hende Antwort. Er drohte, wenn diese nicht erfolge, werde der Kaiser sich auf eine Weise erzeigen, daß andre Ungehor- same ein Exempel daran zu nehmen hätten. Hierauf, am 26sten Juni, wurde großer und kleiner Rath zusammenberu- fen und folgender Beschluß gefaßt: in wie fern die Ord- nung die Gewissen belange, könne man mit derselben nicht übereinstimmen; aber ein gesammter Rath habe vor allem auf das Wohl der Stadt zu sehen, deren Verderben eine abschlägliche Antwort herbeiführen würde: und so unterwerfe er sich dem kaiserlichen Gebot. Gruͤndliche und ordentliche beschreibung der ‒ ‒ Handlungen in der Stadt Augspurg ‒ ‒ aō 1548 und an den folgenden Reichs- tagen. MS der koͤn. Bibliothek zu Dresden. Dieser Widerstreit zwischen Gehorsam und Gewissen trat an mehreren Stellen hervor: z. B. in der Antwort der Memminger, der Regensburger. Einige Rathsherrn von Re- gensburg bedienten sich des Ausdrucks, sie könnten nicht für ihre Person einwilligen, sondern nur im Namen der Stadt. Gemeiner, p. 231. Neuntes Buch. Zweites Capitel . Schmerzliche Nothwendigkeit, die eigne Gesinnung zu ver- leugnen um das Gemeinwesen nicht zu Grunde gehn zu las- sen. Sie sagten mit alle dem doch zuletzt nur, daß sie ge- nöthigt seyen der Gewalt zu weichen. Die kaiserlichen Beamten spotteten ihrer Bedenklichkei- ten, nicht ohne wegwerfenden Hohn. „Ihr habt Conscien- zen,“ rief der Vicecanzler Heinrich Hase dem Frankfurter Ab- geordneten zu, der sich auch auf das Gewissen bezog, „wie Barfüßerärmel, die ganze Klöster verschlingen.“ Bescheident- lich antwortete der Frankfurter Rathsfreund, er wisse nicht, daß seine Herrn den Geistlichen das Mindeste mit Gewalt entfremdet. „Redet mir nicht davon,“ versetzte Hase, „ich weiß es so gut wie ein andrer; aber das ist des Kaisers Meinung, daß er das Interim gehalten haben will, und sollte er ein Königreich darüber zusetzen. Lernt nur das Alte wieder, oder man wird euch Leute schicken die es euch leh- ren: ihr sollt noch spanisch lernen.“ Bericht des Frankfurter Gesandten Humbrecht in der Samm- lung kaiserlicher Briefe im Frankf. Archiv. Zuweilen trat auch noch eine andre Schwierigkeit ein, die in der Verfassung lag, wie in Straßburg. Der Rath war nach langen vergeblichen Gegenvorstellungen am Ende geneigt, dem Beispiele der übrigen Städte zu folgen; allein die Schöffen entschieden, daß dieß ein Fall sey in welchem die Gemeine gefragt werden müsse. Von dieser Gemeine aber, welche eine sehr entschieden protestantische Gesinnung hegte, war niemals zu erwarten daß sie sich unterwerfen würde. Nur mit großer Mühe und unter allgemeiner Aufregung wurden die Schöffen bewogen ihren Beschluß zurückzuneh- men. Hierauf ward auch hier dem Bischof vergönnt, we- Veraͤnderung der Stadtraͤthe . nigstens in einigen Kirchen das ganze Interim einzuführen, während man sich in andern die freie Predigt vorbehielt. Roͤhrich II, 196. Der Kaiser fühlte sehr wohl, daß er auf einen Ge- horsam dieser Art nicht lange zählen, daß er überhaupt mit Magistraten welche Krieg wider ihn geführt, schwerlich zum Ziele der äußern Einheit, das er sich einmal gesetzt, werde gelangen können. Er war nicht in einer Stimmung um vor durchgrei- fenden Mitteln zurückzuschrecken, und hatte die Macht die dazu gehörte um sie anzuwenden. Zuerst Augsburg, wo er sich aufhielt, sollte ihn kennen lernen. Eines Tages, ganz unerwartet, ließ er die Thore der Stadt schließen und großen wie kleinen Rath, Doctoren der Rechte, Schreiber und Diener sämmtlich in seinen Pallast entbieten. Nachdem sie eine Weile im Hof gewartet, ward ihnen der große Saal eröffnet: und hier erschien nun gegen Mittag der Kaiser, mit einigen seiner Räthe, und ließ ihnen durch Georg Seld, einen gebornen Augsburger, kund thun, wie er mit Schmerzen den Verfall, die Schmälerung und die Unordnung ihrer Stadt ansehe, und sich, um dem Ubel an die Wurzel zu graben, nach fleißiger Nachforschung und seinem besten Verstand entschlossen habe, die Form ihres jetzigen Regiments zu verändern und ihnen einen neuen Rath zu verordnen. Man habe ihm vorgestellt, daß die Verja- gung des alten Clerus und die Theilnahme am schmalkal- dischen Krieg allein von dem Übergewicht der Zünfte und der dadurch herbeigeführten gewaltsamen Herrschaft des Bür- germeisters Herbrot herrühre. Dadurch seyen die Erbaren, die Geschlechter die dem Kaiser mit Leib und Gut anhän- Neuntes Buch. Zweites Capitel . gig, Fugger, Baumgartner, Welser, Neithart, Hörwart, un- terdrückt worden. Sey es wohl billig daß die Feinde des Kaisers auch jetzt noch Herrn der Stadt blieben? — Man hatte ihm als das vornehmste Übel bezeichnet, daß bisher so viele unerfahrene Leute, die besser ihres Handwerks gewartet, in dem Rath gesessen, und er eilte es abzustellen. Sofort in Gegenwart der Versammelten wurden die Namen derjenigen verlesen, denen der Kaiser die Ämter der Stadt und den klei- nen Rath anvertrauen wolle. Es waren ihrer 41. Wir finden unter ihnen 3 Fugger, 3 Paumgartner, 4 Rehlinger, — denn auch dem Ältesten von ihnen, der schon 80 Jahr zählte, Alt-Conrad, ward diese Verpflichtung nicht erlassen, — 2 Welser, 2 Peutinger, überhaupt 31 solche Namen die entweder den wenigen wirklich alten Geschlechtern die noch übrig waren, Von den 33 alten Geschlechtern waren im Jahr 1538 nur noch 8 uͤbrig, 2 Haͤuser Langenmantel, Ravenspurger, Rehlinger, Wel- ser, Hofmeier, Ilsung, Hoͤrwart. oder denen welche im Jahr 1538 diesen mit gleichen Rechten beigefügt worden, angehörten. Der Ge- meinde wurden nur 10 Stimmen bewilligt. Die Zünfte wur- den mit Einem Schlage aufgehoben, ihre Häuser, Baarschaf- ten, Privilegien mußten ausgeliefert werden. Am 7ten und 8ten August ward dem neuen Rath in den verschiedenen Vierteln geschworen. Der Kaiser empfahl ihm noch beson- ders die Religion und das von den Ständen bewilligte In- terim. Bei der Eidesleistung kam die Formel „bei den Hei- ligen“ wieder vor, doch ward sie nur von den Wenigsten nachgesprochen. Wie Kaiser Carol der V ainen cleinen und großen rath zu Augsburg entsetzt geurlaubt, einen neuen Rath und Gericht geordent, Uͤberwaͤltigung von Costnitz . Ähnliche Veränderungen nahm der Kaiser auch in an- dern Orten, z. B. in Ulm vor. Der Rath bestand bisher aus 24 Geschlechtern und 46 aus der Gemeine. Der Kai- ser besetzte ihn für die Zukunft mit 20 Geschlechtern und 11 aus der Gemeine. Es hat einen tiefen Zusammenhang, daß sich einst in dem plebejischen Element das in den Städten emporkam, die erste Opposition gegen die Hierarchie geregt hatte, und daß nun der Kaiser, der diese aufrecht erhalten wollte, wenn auch in seinem besondern Sinn, eben diese plebejische Macht von ihrem Antheil an der öffentlichen Gewalt zurückzudrängen unternahm. Nicht überall aber genügte dieß. Zuweilen schien wohl auch der gegenwärtige Widerstand ein Recht zu verleihen, alte Pläne gegen die Freiheit einer Stadt zu vollführen. Am 6ten August 1548 ward Costnitz, das nichts mehr verbrochen als Andere, aber von dem Haus Östreich schon längst angefochten ward, plötzlich, während die Abgeordne- ten noch mit dem Hofe unterhandelten, in die Acht erklärt, und an demselben Tage machte auch schon ein Haufen Spa- nier einen Versuch, sich der Stadt selber durch Überfall zu bemächtigen. Die Einwohner, obgleich überrascht, wehrten sich doch vor- trefflich: sie sahen ihre Weiber und Kinder an, und waren ent- schlossen sie gegen den wilden Feind, dessen Lüste und Räube- reien ihnen satanisch erschienen, zu vertheidigen, und sollte die in der gruͤndlichen und ordentlichen beschreibung — — 43. Die Taxe fuͤr die Confirmation des neuen Regiments betrug 1200 G. on das Sigel und Canzleygelt. Neuntes Buch. Zweites Capitel . Stadt ihr Kirchhof werden. Als die Vorstadt schon erobert war und die ersten Feinde auf der Rheinbrücke erschienen, so daß man befürchtete, sie möchten zugleich mit den Flie- henden in das Thor eindringen, geschah jene That, die man nicht mit Unrecht der des Horatius Cocles verglichen hat. Ein Bürger, mit zwei Spaniern im Handgemenge, erfaßte sie endlich beide, schrie zu Gott um Vergebung seiner Sün- den und stürzte sich mit ihnen über die Brustwehr in den Rhein: so daß seine Mitbürger wirklich Zeit behielten das Thor an der Brücke zuzuschlagen, und sich überhaupt für dieß Mal des Feindes erwehrten. Das konnte aber alles ihre Freiheit nicht retten. Da sie jetzt von keiner Seite Schutz hatten, weder auf der deut- schen, noch auch von der Schweiz her, wo die evangelischen Verbündeten durch die katholischen Gegner zurückgehalten wurden, hörten sie am Ende auf den Rath eines Haupt- manns in König Ferdinands Dienst, eines gebornen Con- stanzers, Hans Egkli, sich in des Königs Schutz zu bege- ben, als das einzige Mittel um dem Zorne des Kaisers zu entgehn. Am 14ten October 1548 rückten daselbst einige ferdinandeische Fähnlein ein. Die Stadt hatte sich indeß schon von selber bequemt das Interim anzunehmen; damit war der König aber nicht zu- frieden. Er befahl seinen Commissarien die alte wahre Reli- gion wieder in Wesen zu bringen; nach einiger Zeit ward die evangelische Predigt bei Todesstrafe verboten. Mit der reichsständischen Freiheit und der evangelischen Lehre war es in demselben Augenblicke vorüber. Überhaupt entwickelte die Regierungsweise, wie sie der Verfolgung der Prediger . Kaiser nunmehr ausübte, den Character einer gehässigen Ge- waltsamkeit. Nachdem man sich der Gemeinheiten versichert, kam man nun an die Einzelnen: vor allem an die Prediger. Es waren noch fast überall die Männer die in den ersten Zei- ten der Gefahr sich erhoben, alle Wechselfälle die seitdem vorgekommen, bestanden, an der Entwickelung der dogmati- schen Festsetzungen lebendigen Antheil genommen, die kirch- lichen Einrichtungen ausgebildet hatten; ihr Name war vor dem Volke gleichsam die Sache selbst. Die Frage ward an sie gerichtet, ob sie nun auch festhalten, oder im Angesicht des Unglücks, das ihnen ohne allen Zweifel bevorstand, nach- geben würden. Die ehrlichen, frommen, beherzten Männer zweifelten nicht: sie zogen vor, das Unglück über sich ergehn zu lassen. Noch unter den Augen des Kaisers, in Augsburg er- klärte Wolfgang Meuslin dem Rath, er könne und wolle das Interim nicht annehmen: auch nur den Chorrock, von dem zunächst die Rede war, könne er nicht anziehen: nicht als ob daran so viel gelegen wäre: aber er habe dagegen gepredigt: er könne es nicht thun. Er dankte dem Rath für die Wohlthaten die er in Augsburg genossen, und ver- ließ die Stadt unverzüglich. Vergebens hatte Agricola die Prediger in Nürnberg für seine Formel zu gewinnen gesucht. Veit Diedrich, so mild er sonst war, gab zu erkennen, in der Annahme derselben würde eine Verleugnung des evangelischen Glaubens liegen. Als der Rath den Predigern seinen Entschluß ankündigte, das Interim anzunehmen, und sie ermahnte nicht dawider Ranke D. Gesch. V. 5 Neuntes Buch. Zweites Capitel . zu seyn, hörten sie stillschweigend zu und entfernten sich ohne eine Antwort zu geben. Nur die geistig-unbedeutendern aber unterwarfen sich. Veit Diedrich ward durch den Tod diesem Sturme entrissen. Osiander meinte, er wolle weichen bis das Wetter vorübergezogen, und verließ Nürnberg; die Stadt kündigte seiner Frau das Bürgerrecht auf. In Ulm trotzte Frecht auf den Artikel seiner Vocation, daß er das Evangelium ohne allen Zusatz von Menschenlehre predigen solle; er ließ sich auch die Anwesenheit des Kaisers nicht daran hindern. Dafür ward er sammt seinen vornehm- sten Amtsgenossen in Ketten und Bande gelegt und unter der Obhut einer spanischen Wacht dem kaiserlichen Hoflager nach- gefahren. Hinter dem Wagen lief ein Schulknabe her, der es sich nicht nehmen lassen wollte, seinen geistlichen Meistern in ihrem Gefängniß Dienste zu leisten. Auf Fuͤrbitte der Stadt antwortet Arras dem Ulmischen Ge- sandten Marchtaler: „daß sie sich in irer antwurt so uͤbel gehalten, das sie nit werd weren, das sich die von Ulm jrer annemen.“ (March- taler I Sept. 1548.) Johann Brenz in Schwäbisch-Hall saß mit Frau und Kindern bei Tisch, als er erfuhr, ein spanischer Hauptmann sey angekommen und dringe auf seine Auslieferung. Er that als wolle er einen Kranken in der Vorstadt besuchen, und eilte davon zu kommen. Auf einem Edelhofe in der Nähe fand er eine Zuflucht, und auch seine Familie folgte ihm da- hin nach; doch wagte er nur die Nächte daselbst zuzubringen, denn fortwährend ward er gesucht; bei Tage hielt er sich in dem dichten Dunkel einer unwegsamen Waldung auf. Eine bessere Freistatt fand er endlich in dem würtenbergischen Schloß Wettlingen auf dem Gipfel des Hohberges. Er hat daselbst Verfolgung der Prediger . eine Auslegung des 93sten Psalmen geschrieben, mit dessen Verheißungen er sich tröstete. „Die Wasserströme erheben sich, erheben ihr Brausen, heben empor ihre Wellen: grö- ßer aber ist der Herr in der Höhe. Herr, dein Wort ist die rechte Lehre.“ Eins der merkwuͤrdigsten Pseudonymen: „Joanne Witlingio autore.“ So hielten sie sich allenthalben. In Regensburg er- klärte Dr Nopp und seine Gehülfen: sie wollten sich mit Weihwasser, Öl und Chrysam nicht beflecken; in Frankfurt Ambach und Lullus: sie würden eher Hunger, Elend und den Tod ertragen als von der reinen Lehre weichen. In Reutlingen nahm Matthäus Alber, welcher dieser Gemeine jetzt 29 Jahre vorangegangen, an dem Tag seinen Abschied als die erste Messe gehalten ward. Ambrosius Blaurer in Costnitz hatte um die Durchführung des protestantischen Prin- zips in dem obern Deutschland das Verdienst eines Refor- mators: von der Katastrophe seiner Vaterstadt ward Nie- mand tiefer betroffen: gleich nach Annahme des Interims verließ er sie. Am ersten November 1548 hielt Erhard Schnepf seine Abschiedspredigt in Tübingen, denn sein Fürst konnte ihn nicht länger schützen; in langem Zuge begleitete die Gemeinde den ehrwürdigen Greis weit hinaus vor die Stadt. Adami Vitae theologorum. Ein wenig länger hielt sich Straßburg als die übri- gen Städte; aber der Kaiser hatte auch hier an den Begü- terten, den reichen Handelsleuten Verbündete: schon hatten ihrer funfzig die Stadt verlassen, noch mehrere drohten nach- zufolgen, wenn man die Ungnade des Kaisers nicht ver- 5* Neuntes Buch. Zweites Capitel . meide. Hierauf entschloß sich die Stadt, Anfang Februar 1549, dem Bischof zu versprechen, daß in ihren Mauern nicht mehr wider das Interim gepredigt werden solle. Bucerus Calvino 9 Jan. 7 Febr., in Epistolis Calvini nr. 96 (ein vortrefflicher Brief) und nr. 98. In diesem Beschluß sahen Männer wie Butzer und Fagius ihre Entlassung. Butzer fühlte sich ohnehin durch den Ruf, daß er allzu nachgiebig sey, zu viel auf Vergleichung denke, der wie ein Schicksal auf ihm lastete, gedrückt, und wollte den- selben um keinen Preis bestätigen. Fagius entschuldigte in seiner Abschiedspredigt den Rath, der so lange als möglich festgehalten, und die zurückbleibenden Prediger, die gewiß von der rechten Lehre nicht abfallen würden: für sich bat er um die Fürbitte der Gemeine daß er standhaft bleibe in seinem Kreuz. Ein Auszug dieser Predigt findet sich in der schwaͤbischen Chronik des Martin Crusius, der sie hoͤrte, II, 274. Ich nenne nur die vornehmsten Namen: eine große Menge Anderer gesellte sich den Flüchtigen zu. Man wollte bei 400 verjagte Prediger im Oberland zählen. Diese Standhaftigkeit fand nun aber auch weiter im Norden und Osten Nachahmung. Einer Vereinbarung welche Markgraf Albrecht von Culm- bach mit seinen Landständen auf den Grund des Interims getroffen, widersetzten sich die Prediger um so mehr, da man sich vorbehalten hatte, daran zu mehren oder zu mindern. Ein langes Sorgen, sagten sie, sey ein langes Sterben: sie verpflichte ihr Eid, nur das lautere Gotteswort zu lehren; wolle man sie zwingen davon abzuweichen, so wollten sie hiemit sammt und sonders um ihren Abschied gebeten haben. Widerstand in Norddeutschland . Albrecht schrieb dem Kaiser, er sey nicht abgeneigt sie zu entlassen: er wisse nur keine andern zu bekommen. Lang II, 209. 212. Bucholtz VI, 329. Im Calenbergischen, zu Pattenhausen, hielt die Geist- lichkeit förmlich eine Synode, in der sie eine Erklärung ge- gen das Interim, die ihr Superintendent Corvinus verfaßt hatte, unterzeichnete. Fand doch selbst Churfürst Joachim von Brandenburg, der seiner Geistlichen eher sicher zu seyn glaubte, da eins ihrer Oberhäupter an der Abfassung des Interims Antheil genommen hatte, als er sie nach Berlin zusammenrief, den größten Widerspruch. Sie erklärten, sie würden die ewige Verdammniß fürchten, wenn sie von der erkannten Wahrheit abweichen wollten: der Kaiser sey mächtig: aber Gott noch viel mächtiger. Leuthinger Commentarii 219. 228. Auch in Sachsen, in dem Lande des Churf. Moritz sowohl, wie in den Landstrichen welche den Söhnen Johann Friedrichs verblieben, war man in derselben Stimmung. Auf einer Versammlung die Moritz kurz nach seiner Rückkehr vom Reichstage nach Meißen berief, zeigten sich die Theologen besonders über die Vorrede der kaiserlichen Formel, die ihnen hier erst bekannt ward, betroffen, da darin die Doctrin von der sie abgewichen, als ächt katholisch bezeichnet ward: sie erklärten daß sie nur die Neuerungen abgeschafft, und zu den ursprünglichen Lehren der wahren katholischen Kirche zu- rückgekehrt seyen: Grave et hoc est quod nobis tribuitur, fuisse et esse nos autores schismatum et novitatis, cum partis adversae recens excogitatis et in ecclesiam inveclis doctrinae corruptelis et ab- das Verfahren des Kaisers, so mild es Neuntes Buch. Zweites Capitel . auch aussehen möge, bezeichneten sie als verderblich und tyrannisch; auch die einzelnen Bestimmungen des Interim griffen sie mit vielem Ernst an: in einer Erläuterung der Justification von Melanchthons Hand werden die protestan- tischen Grundsätze mit aller Schärfe hervorgehoben. Ganz nach diesem Vorgang stellten die Stände dem Churfürsten vor, daß die Lehre ihrer Lande eben die sey, welche die Glie- der der wahren katholischen Kirche von jeher bekannt: sie erinnerten ihn an sein Versprechen sie dabei zu schützen, das auf allen Kanzeln dem Volk und durch offenen Druck der Welt bekannt gemacht worden sey. Und dazu kam nun daß es im Reiche noch unüber- wundene Regionen gab, welche dem kaiserlichen Willen zu- gleich politischen und geistlichen Widerstand entgegensetzten. In ganz Niedersachsen sprachen sich die Oberhäupter der Geistlichkeit dagegen aus, Äpinus zu Hamburg, Johann Amsterdamus zu Bremen, Medler zu Braunschweig; überall wurden Synoden gehalten: zu Minden, Mölln, Hamburg; die Städte correspondirten darüber unter einander, und wur- den endlich einig, wie der kaiserliche Truchseß Könneritz be- richtet, das Interim sämmtlich zu verwerfen, Leib und Gut darüber zusammenzusetzen. Besonders heftig lautete die Erklärung von Magdeburg. Das Interim verdunkle den Hauptartikel des christlichen Glau- bens, daß wir durch den Glauben ohne alle Werke gerecht und selig werden; es richte die Anrufung der Verstorbenen, Vigilien, Seelmessen und die ganze Gotteslästerung des Pap- usibus cerimoniarum rejectis et repudiatis redierimus ad primam et veterem catholicae ecclesiae doctrinam et traditiones. Widerstand in Norddeutschland . stes wieder auf; es wolle „Uns Alle“ um unsre Seligkeit bringen. Der von Magdeburg Entschuldigung, bit und gemeine christ- liche Erinnerung 1549. Und da die Stadt nicht allein unausgesöhnt, sondern in der kaiserlichen Acht war, da sie nichts weiter zu verlieren hatte, so ward sie plötzlich der Heerd einer leb- haften literarischen Opposition. Eine Fluth von Gegenschrif- ten in jeder Form, — Satyre und Predigt, in Prosa und Versen, — gab das Interim der Verachtung und dem öffent- lichen Hasse Preis; in abenteuerlichen Caricaturen ward es verspottet; man hat sogenannte Interimsthaler, auf denen ein dreiköpfiges Ungeheuer den Ursprung und Inhalt dieser Schrift versinnbildet. Da so viele Fürsten schwankten oder abfielen, wendeten sich alle Blicke auf Johann Friedrich, der, obwohl ein armer Gefangener und in der Gewalt des Kai- sers, doch jedes Ansinnen dem Interim beizutreten standhaft zurückwies. Denn wohl wisse er, daß es in vielen Artikeln dem Worte Gottes zuwider sey: würde er es billigen, so wäre es als ob er Gott droben in seiner Majestät und die weltliche Obrigkeit hienieden mit gefährlichen Worten betrü- gen wolle: er würde die Sünde gegen den heiligen Geist begehn, die nicht vergeben werde. Ruhig sah er zu, als man ihm seine Bibel und seine lutherischen Bücher weg- nahm: er werde schon behalten was er daraus gelernt. Seine Haltung flößte selbst den Feinden Hochachtung ein; in den Gleichgesinnten nährte sie den stillen und standhaf- ten Widerstand der gläubigen Gemüther. War Johann Friedrich früher als der Vertheidiger des reinen Glaubens geachtet und geliebt worden, so ward er jetzt als Held und Neuntes Buch. Zweites Capitel . Märtyrer bewundert und verehrt. Man erzählte sich, bei der Übergabe jener ablehnenden Erklärung habe ein Donner- schlag von heiterm Himmel gleichsam das göttliche Wohl- gefallen bezeugt; man meinte die Gestalt des Churfürsten in der Luft in den Bildungen der Wolken zu sehen. Was würde erst geschehen seyn, wenn der Kaiser wirk- lich, wie man ihm gerathen, den Versuch hätte machen wol- len die alten kirchlichen Zustände geradehin zurückzuführen. Er suchte jetzt nur einige Äußerlichkeiten herzustellen, eine Modification in Lehre und Leben zu Stande zu bringen, in welcher doch auch protestantische Elemente unverkennbar ent- halten waren: und doch wurde sein Entwurf mit tiefem und allgemeinem Widerwillen empfangen. Die Unterwür- figkeit der besiegten, mit dem Ruin ihrer Städte bedrohten oder erst jetzt im Gefolge der Niederlage eingesetzten Ma- gistrate, und einiger schwächern Seelen welche das Exil fürch- teten, wollte doch wenig sagen. Der protestantische Geist, in seiner ganzen ursprünglichen Energie, setzte sich dagegen. Dieser protestantische Geist aber sollte in demselben Au- genblick einen Angriff erfahren, der ihm noch bei weitem tie- fer gieng und gefährlicher wurde. Churfürst Moritz hatte das Interim, wie wir wissen, nicht geradezu angenommen: er hatte es aber auch nicht ent- schieden abgelehnt. Er war dem Kaiser und dem König viel zu sehr verpflichtet, um sich so dringenden Wünschen dersel- ben zu widersetzen: hatte man ihn doch einst in Eger der katholischen Messe beiwohnen sehen! Dagegen aber hatte er seiner Landschaft, welche die protestantischen Doctrinen um so lebendiger aufgenommen, je länger sie derselben entbehren Haltung des Churfuͤrsten Moritz . müssen, das Versprechen gegeben, sie bei ihrer Religion, wie sie jetzt sey, zu schützen, eine Zusage die von dem Kaiser um der Gefahren des Krieges bestätigt worden. Die pro- testantische Gesinnung war durch die Vereinigung der älte- sten evangelischen Länder mit seinem bisherigen Territorium nur um so stärker geworden. Moritz erklärte endlich dem Kaiser, er für seine Person habe nichts gegen die Formel des Interim: was seine Landschaft anbetreffe, so wolle er alles Mögliche thun um sie zur Annahme desselben zu bewegen. Dem Markgr. Hans laͤßt Koͤn. Ferdinand Dienst. nach Trin. sagen: „J. Koͤnigl. Mt wolle J. f. Gn. unangezeigt nicht lassen, daß Herzogk Moritz das Interim vor sein person angenommen, sich auch dabeneben erboten, hoͤchsten und muglichen Fleiß anzuwenden seine Landschaft dahin zu bereden, daß sie solches auch annehmen solte.“ Bei dem ersten Versuch aber ward er inne, daß dieß so geradezu nicht möglich sey. Wenn wir recht unterrichtet sind, fand er überhaupt bei seiner Rückkehr in das Land eine schlechte Aufnahme. Marillac 19 Sept. Vgl. spaͤteres Schreiben bei Ribier II, 218. Bei der ersten Zusammenkunft sei- ner Stände in Meißen empfieng er, wie berührt, eine ent- schieden abschlägliche Antwort. Der Kaiser forderte ihn auf, ungefähr eben so zu ver- fahren, wie er selbst in den oberen Landen und Städten verfahren war, vor allen Dingen Melanchthon zu entfernen, von dem ein Gutachten wider das Interim im Druck er- schienen war. Die Stände dagegen hielten ihm sein Verspre- chen entgegen: sie schienen bereits ihre Augen auf seinen Bruder August zu werfen. Von entgegengesetzten Ansprüchen und Pflichten gedrängt faßte Churfürst Moritz den Gedanken, wenn es ihm nicht Neuntes Buch. Zweites Capitel . möglich sey das ganze Interim einzuführen, den Kaiser doch wenigstens durch möglichste Annäherung an die Formel zu befriedigen. Er forderte seine Stände und Theologen auf, nochmals in Erwägung zu ziehen, was sich dem Kaiser mit gutem Gewissen nachgeben lasse. Näher ward dieser Gedanke für ihn besonders dadurch bestimmt, daß Julius Pflug in das Bisthum Naumburg zu- rückgekommen war, sich aber hier trotz aller Befehle des Kaisers der Beihülfe des weltlichen Armes überaus bedürf- tig fühlte. Und dieser Bischof war nun von den gelehrten Theologen der katholischen Kirche wohl der gemäßigtste, den Protestanten in seinen Meinungen verwandteste, nächste. Chur- fürst Moritz meinte, die Modificationen welche in der augs- burgischen Formel nothwendig seyn würden, durch den Bi- schof, dessen Autorität er dafür wieder anerkannte, dem Kai- ser empfehlen zu lassen. Hätte irgend ein andrer deutscher Fürst diesen Plan ge- faßt oder auch ausgeführt, so würde es so viel nicht zu sa- gen gehabt haben, da die Wirkung doch immer auf ein ein- ziges Land beschränkt geblieben wäre. Hier aber war es von der größten Bedeutung. Das Kriegsglück das für den Kaiser entschied, hatte die Metro- pole des Protestantismus, jenes Wittenberg, von dem bis- her die Festsetzung der dogmatischen Normen hauptsächlich ausgegangen war, in die Hände des Churfürsten Moritz gebracht. Einst, bei den ersten Verfolgungen der Lehre, un- ter Friedrich dem Weisen, war Wittenberg das allgemeine Asyl gewesen. Und noch lebte daselbst der Mann der nächst Luther das Meiste zur Entwickelung der neuen Kirche bei- Haltung Melanchthons . getragen. Dahin war noch immer die Aufmerksamkeit aller Gläubigen gerichtet. Es war ein nicht allein für Sachsen, sondern für die ganze evangelische Welt im höchsten Grade wichtiges Ereigniß, wenn es dem Churfürsten gelang, diesen Mann und seine Amtsgenossen zu einer Annäherung an die kaiserliche Formel zu vermögen. Indem er dieß versuchte, kam ihm zu Statten daß er die in den Kriegsunruhen zerstreute Universität wieder auf- gerichtet, die alten Professoren zurückberufen, sich um alle zusammen und jeden besonders persönliche Verdienste erwor- ben hatte, auch um Melanchthon. Melanchthon war nach England und nach Dänemark, nach Tübingen und Frank- furt a. d. Oder berufen worden, auch die Söhne Johann Friedrichs hatten ihm Anträge gemacht; er zog es aber vor, nach Wittenberg zurückzukehren, an das ihn alle Gewohn- heiten des täglichen Lebens fesselten, wo seine Familie sich wohl befand, — seine liebsten Freunde, einverstandene Col- legen lebten; „als ich bedacht habe, daß die Personen wie wir viel Jahr beisammen gewesen, zu Pflanzung loͤblicher Kuͤnsten und christlicher Lehr nuͤtzlich gedient haben.“ An Mkg. Joachim, Corp. Ref. VI, 734. sein Ehrgeiz war, aus dem großen Schiff- bruch, wie er sagte, die Trümmer zu retten, die Universität, deren Ruf und Daseyn mit dem seinen verwachsen war, wie- derherzustellen. Die neue Regierung zog ihn bei den Ge- schäften zu Rathe, nahm auf seine Empfehlungen Rück- sicht; — als sich einst der Kaiser darüber beklagte, daß der mit ihm noch unausgesöhnte Professor in Wittenberg wieder auftrete, und auf seine Auslieferung dringen zu wol- len drohte, denn eben der sey es, der den vorigen Chur- Neuntes Buch. Zweites Capitel . fürsten in seiner Widersetzlichkeit bestärkt habe, nahm die Re- gierung den Gelehrten in Schutz, und ließ ihn wissen daß sie das that. Einst, auf einer Reise hat sie ihn sogar gleich als sey die dringendste Gefahr vorhanden einen Au- genblick entfernt: es schien ihm wohl als hänge von ihrer Gunst und Fürsprache sein ganzes Daseyn ab. Und zu die- sem Gefühl der Dankbarkeit kam noch ein andres. In den letzten Jahren hatte sich Melanchthon, aus Furcht den al- ternden Luther zu verletzen, nicht mit voller Freiheit bewegt, besonders seine Gedanken über die Abendmahlslehre nicht wie er wünschte zu entwickeln gewagt; auch von dem am Wortlaut festhaltenden Hofe hatte er sich beschränkt gefühlt. In dem Umsturz der Regierung, unter deren Schirme die neue Lehre emporgekommen, sah doch Melanchthon auch wieder auf seinem wissenschaftlichen Standpuncte gleichsam eine Erleichterung. So geschah daß er sich dem neuen Herrn mit einer ganz unerwarteten Hingebung anschloß. Mit jenen Räthen, deren bloßer Name Luthers Wider- willen erweckte, trat er in Verhältniß: wir finden ihn den Dr Komerstadt auf dessen Landgut besuchen, er correspondirt mit Carlowitz. Wer wollte ihn an und für sich darum ta- deln? Mit dem einen berieth er die Geschäfte der Univer- sität, die Herbeibringung der zerstreuten Einkünfte; bei dem andern suchte er etwa für einen alten Freund, Dr Jonas, die Erlaubniß der Rückkehr an seine Stelle in Halle nach. Aber indem man diese Wendung seiner Hinneigung und Abhängigkeit beobachtet, erschrickt man schon vor der Gefahr, in welche seine persönliche Haltung dadurch geräth. In einem unbe- wachten Augenblick, in welchem er dem Carlowitz für die Haltung Melanchthons . Gewährung eben jener Fürbitte für Jonas dankte, 28 April 1548. Corp. Ref. VI, p. 879. ver- lor er das größte Verhältniß seiner frühern Zeiten, das ihn zu dem Manne in der Welt gemacht hatte der er war, die Freundschaft zu Luther, ganz aus den Augen. Das Ge- fühl der Befriedigung brachte ihm ältere vorübergegangene der Verstimmungen ins Gedächtniß. Er ließ Klagen über Lu- thers Eigensinn und Streitsucht einfließen: er erlaubte sich Seitenblicke auf die frühern Herrn. Melanchthons Briefwech- sel erweckt sonst immer Theilnahme, Verehrung, Liebe: diesen Brief aber wollte ich, hätte er nie geschrieben. Es mag seyn daß er, wenigstens bis auf einen gewissen Grad, Recht hatte: wer würde es ihm verargen, wenn er seine Klagen, zu jener Zeit, in den Busen eines Freundes ausgeschüttet hätte. Jetzt aber, nach der Katastrophe seines Fürsten, nach dem Tode des Freundes, Klagen gegen Den, in welchem dieser immer einen Widersacher gesehen, und der das Meiste dazu beigetragen hatte jenen zu stürzen! — nun, man sieht, wohin auch ein edler Mensch, von momentanen Bezie- hungen übernommen, gerathen kann. Melanchthon glaubte wohl in seiner Bescheidenheit, daß er ein einfacher Gelehrter sey. Ein Gelehrter aber wie er, der an den großen Ereig- nissen mithandelnd Antheil nimmt, führt kein Privatleben: er hat die Pflicht eines Staatsmanns, immer das Ganze seiner Thätigkeit im Auge zu behalten, seine Vergangenheit, die unaufhörlich fortwirkt, nicht aufzugeben im überwiegenden Gefühl der Nothwendigkeiten des vorhandenen Augenblickes. Und für ihn war diese Pflicht ganz besonders dringend. In ihm mehr als in irgend einem andern lebenden Menschen Neuntes Buch. Zweites Capitel . lag die Einheit der protestantischen Kirche; der freie Fort- gang ihrer Entwickelung knüpfte sich an ihn. Jetzt war die Zeit gekommen wo er die Zweifel an seiner moralischen Stärke, die sich schon regten, widerlegen, durch eine männ- liche und unnachgiebige Haltung das Zutrauen zur allgemei- nen Sache befestigen mußte. Welche Autorität würde er dann gewonnen haben! wie hätte er mit dem wissenschaft- lichen Sinn und dem religiösen Gefühl die sich in ihm durch- drangen, die vereinigten Geister noch eine Strecke weiter füh- ren können! Die Werkstätte der unabhängigen protestanti- schen Gelehrsamkeit und Theologie, wo sie auch aufgeschla- gen werden mochte, die war für ihn Wittenberg, nicht jener Ort an der Elbe. Eine unglückliche locale Vorliebe aber führte ihn in den Bereich einer staatsklugen und verführeri- schen Gewalt. Melanchthon drückte sich in jenem Briefe auch über den ihm schon mitgetheilten Entwurf des Interims sehr entgegenkommend aus. Er billigte den Artikel über die Kirche und die Herstellung der Gebräuche: er erwähnte selbst, mit welchem Vergnügen er in seiner Kindheit die kirchlichen Ceri- monien mitgemacht; er brachte Vorschläge bei wie die Prediger zu gewinnen seyen: und meinte noch, seine Mäßigung werde den Mächtigen nicht genugthun. Sie gereichte ihnen zum höchsten Erstaunen. Carlowitz theilte den Brief Jedermann mit, der ihn sehen wollte: zahlreiche Abschriften giengen in Augsburg von Hand in Hand: die Anwesenden können nicht ausdrücken, wie zufrieden sich die Prälaten darüber äußer- ten, wie unglücklich sich die Evangelischen darüber gefühlt haben; die Gesandten schickten das Actenstück ihren Höfen ein. Auch dem Kaiser ward das Schreiben vorgelesen: „den Zusammenkunft in Pegau . habt ihr,“ soll er ausgerufen haben, „seht zu, daß ihr ihn festhaltet.“ Von einer Regierung, wie diese moritzische war, so nach- haltig und gewandt, so fest in den einmal gefaßten Gedan- ken und gnädig gegen jeden Einzelnen, die sich vor allem der Persönlichkeiten zu bemächtigen suchte, ließ sich wohl er- warten daß sie das verstehn würde. Am 23sten August ward eine neue Zusammenkunft zu Pegau gehalten, wo die drei Bischöfe, unter ihnen noch Georg von Anhalt, der die geistliche Administration von Merseburg führte, neben Melanchthon noch ein andrer Wittenberger Pro- fessor, Paul Eber, und eine Anzahl fürstlicher Räthe erschienen. Was man den Theologen damals bereits abgewonnen hatte (es darf wohl angeführt werden, daß Melanchthon ein paar Tage vorher, unter dem 20sten Aug., dem Carlowitz eine Schrift gewidmet hat), zeigt sich recht, wenn man das Gut- achten über die Lehre das sie hier vorlegten, mit dem in Meißen abgegebenen vergleicht, obwohl das Pegauer eigent- lich nur eine Überarbeitung von jenem ist. Der Unterschied war nicht allein, daß sie Sätze weg- ließen, worin die Verfasser des Interim und die tridentini- schen Schlüsse zugleich angegriffen waren, z. B. über die Zweifellosigkeit der Erlösung, Adfirmamus igitur falsum esse et mendacium horribile quod dicunt adversarii, dubitandum esse an habeas remissionem peccatorum, was gegen den § 8 des Interim gerichtet ist. In dem deutschen Exemplar heißt es schon milder: „Und ist diese Rede nicht recht daß man zweifeln soll.“ Aber in der Pegauischen Schrift fehlt es ganz. oder in denen der ursprüng- liche Gegensatz beider Systeme lebhaft hervorgehoben war, Neuntes Buch. Zweites Capitel . wie da, wo von den Werken die Rede war, aus denen man ohne Grund Gottesdienst gemacht: in der Lehre von der Rechtfertigung nahm man selbst den Ausdruck eingegossene Gerechtigkeit auf, der der entgegengesetzten Ansicht angehört. In der alten Redaction heißt es: Etsi igitur inchoari obe- dientiam oportet, tamen non est cogitandum hominem habere re- missionem; in der nenen: Etiamsi nova obedientia inchoata est et justitia infusa in homine, non tamen cogitandum est quod pro- pter eam persona habeat remissionem. Es ist auffallend daß sie es nichts desto minder nennen „Caput ex formula Mysnica de- scriptum.“ Julius Pflug war jedoch mit der Art wie das geschah noch nicht ganz befriedigt. Wenn die Theologen festsetzten, die Gerechtigkeit des Versöhnten bedeute nur, daß Gott sich den schwachen Anfang des Gehorsams um Christi willen gefal- len lasse, so forderte man katholischer Seits die Formel, daß der Mensch durch den heil. Geist erneuert werde und das Rechte mit der That vollbringen könne. Die Theologen ha- ben auf Einreden der fürstlichen Räthe endlich wirklich zu- gegeben, daß beide Sätze vereinigt wurden. So ist eine Formel zu Stande gekommen, in der allerdings das prote- stantische Prinzip vorherrscht, die aber nichts weniger als aus Einem Gusse ist: man sieht gleichsam mit Augen, wie eine Vorstellung von anderm Ursprung mit demselben in Be- rührung geräth und dagegen vorzudringen sucht. Höchlich zufrieden erklärte sich Julius Pflug. Da man über die Lehre im Allgemeinen, über die Autorität der Kirche und die Sa- cramente einverstanden sey, Epistola Pflugii ad Georgium Anhaldiae principem 14 Cal. so hofft er daß man sich auch in den übrigen Puncten im Sinne der kaiserlichen Anord- nung vereinigen werde. Zusammenkunft in Celle . Indessen gewann die Sache doch nicht den raschen Fort- gang den er vielleicht erwartete. Bei einer Zusammenkunft einiger Mitglieder der Ritterschaft und einiger churfürstlichen Räthe mit den Theologen, die im October zu Torgau veran- staltet wurde, zeigten sich die letzten unerschütterlich. An der Universität und in der Population war die Stimmung daß man nichts mehr nachgeben dürfe. Man verglich wohl das Interim mit dem Apfel welchen Eva dem Adam dargereicht: ein einziger Bissen habe dem Manne den Zorn Gottes zu- gezogen. Es gieng eine Schrift von Hand in Hand unter dem Titel, „daß man nichts verändern soll.“ Entschuldigung Matthiaͤ Flacii an die Universitaͤt zu Wit- tenberg Bog. 2, III. Dr Cruciger meinte noch in den Phantasien die seinem Tode voraus- giengen, mit Disputationen dieser Art geängstigt zu werden, aber Widerstand zu leisten. Eber an Melanchthon 16 Nov. Corp. Ref. VII, 194. Immer dringender jedoch wur- den die churfürstlichen Räthe. Am 17ten November, als ihr Herr sich bereitete nach Trient zu reisen, um mit dem Bischof von Augsburg den Sohn des Kaisers Don Phi- lipp an den deutschen Grenzen zu empfangen, hielten sie eine neue Zusammenkunft zu Klostercelle mit den vornehmsten Su- perintendenten und Predigern des Landes; nur die drei milde- sten Professoren, Major, Camerarius und Melanchthon waren zugegen. Die Räthe legten denselben den Torgauer Entwurf, jedoch mit abermaligen Modificationen vor, und erörterten da- Oct. 1548. Cum de doctrina de ecclesia ejusque autoritate et potestate, de sacramentis denique jam conveniat inter nos, et ea probemus quae a Caesaris consilio atque voluntate Christiana aliena non sunt. Ranke D. Gesch. V. 6 Neuntes Buch. Zweites Capitel . bei die Gefahr die eine Verwerfung desselben nach sich ziehen möchte: man könne bewirken, daß die Klostergüter, von de- nen sich jetzt Kirchen und Schulen erhalten, ihnen wieder entrissen würden, oder daß gar ein fremdes Kriegsvolk ein- dringe und in Sachsen hause wie in Würtenberg. Vorstel- lungen, die auf die armen Gelehrten, welche an der Wahr- haftigkeit und überlegenen Weltkenntniß dieser Räthe keinen Augenblick zweifelten, den größten Eindruck hervorbrachten. Sie suchten nur den Vorwurf von sich abzulehnen, als seyen sie starrköpfige Leute: vielmehr betheuerten sie, auch sie seyen kaiserlicher Majestät und ihrem gnädigsten Herrn zu unterthänigstem gebührlichem Gehorsam erbötig. Ge- nug sie gaben nach. Schreiben vom 19 Nov. Das deutsche Original: „wird schwer seyn bei dem Volk diese beschwerliche Rede zu stillen,“ waͤre dunkel, wenn es nicht durch die lateinische Fassung erklaͤrt wuͤrde, AA. Synodica X, x , 4: Consideretis ipsi, quam non difficiles se pastores exhibuerint, ‒ ‒ sed potius faciles, neglectis iniquis ju- diciis et obtrectationibus, quas secuturas esse intelligunt et ut reprimantur difficile esse futurum. Eine Formel kam dort in Celle zu Stande, worin die bischöfliche Jurisdiction wiederhergestellt ward, ohne weitere Bedingung, als die ganz allgemeine, das bischöfliche Amt solle nach göttlichem Befehl ausgerich- tet werden; ja der größte Theil der schon abgeschafften Ce- rimonien ward für wieder annehmbar erklärt, Firmelung, Ölung, canonische Gesänge, Lichter, Gefäße, Läuten, fast der ganze Ritus der alten Messe, Fasten, Feiertage. Neh- men wir Rücksicht auf die spätern Äußerungen der Theo- logen, so läßt sich wohl nicht bezweifeln, daß man ihnen hier Vieles so zu sagen über den Kopf weggenommen, ihr Stillschweigen für Übereinstimmung erklärt hat; aber sie Leipziger Interim . wagten noch immer nicht zu widersprechen. Ganz verän- dert und umgekehrt zeigte sich das Verhältniß, als die Stände nach Leipzig berufen und diese Festsetzungen ihnen mitgetheilt wurden. Schreiben der Bischoͤfe in Weller Altes aus allen Theilen der Geschichte Bd I, p. 607, wie denn die auf die Religion bezuͤg- lichen Acten dieser Landtage dort uͤberhaupt zuerst mitgetheilt sind. Aus einer andern Handschrift finden sie sich jetzt im Corp. Ref. VII, 254 ff.; mit einigen Zusaͤtzen, die sich auf den magdeburgischen Krieg und die dem Kaiser zu leistende Geldhuͤlfe beziehen, im Berli- ner Archiv. Auch in den schon bekannt gemachten Stuͤcken zeigen sich da einige merkwuͤrdige Varianten: z. B. bei dem Bedenken ber Theo- logen der Zusatz „gebuͤhrlichen und schuldigen“ Gehorsam, der also nicht ein spaͤterer Nachtrag ist, sondern dem ersten Entwurfe angehoͤrt. Die Stände erhoben Bedenken: die Theologen, weniger eifrig als ihre Pflegbefohlenen, suchten dieselben zu heben. Sie versicherten, daß die Messe doch nie ohne Communicanten Statt finden, das Frohnleichnamsfest mit keiner Procession verbunden, dem Öl keine abergläubi- sche Bedeutung beigelegt werden solle. Nach Maaßgabe der zu Pegau und zu Celle getroffenen Vergleichungen ward eine Schrift verfaßt, die unter dem Namen des Leipziger Interim bekannt ist, und als Norm für die Religionsübung in den sächsischen Landen dienen sollte. Joh. Bugenhagen versichert, er habe seinen grauen Kopf dargeboten, „ehe ich wolt annehmen die laͤsterlichen Pfaffenunction, Consecrationen ꝛc.“; noch ward da (zu Leipzig) vorgetragen die „ extrema unctio nomine theologorum.“ Voigt, Briefe der Gelehrten an H. Albrecht p. 93. Melanchthon an Hardenberg 18 Maͤrz 1549 (er will nicht beurtheilt seyn „ex pagellis, quibus quac- dam inserta sunt quae non sunt nostra“). Corp. Ref. VII, 351. Als die Theolo- gen ihr Werk ansahen, machte es sie selber bestürzt, daß sie sich so weit hatten führen lassen: sie klagten, sie seyen durch die Meinungen der Machthaber unterdrückt; ihr Trost war, 6* Neuntes Buch. Zweites Capitel . daß doch alles was sie zugegeben, sich mit der Wahrheit vereinigen lasse, daß sie dieß Joch nur auf sich genommen, um die Kirche der Verwüstung nicht Preis zu geben. Und so viel ist gewiß, daß sie, obwohl im Weichen und Nachgeben begriffen, in Lehre und Cerimonien doch den evangelischen Lehr- begriff in seinem Wesen nicht verletzt haben. Viele von diesen Satzungen und Gebräuchen waren eben solche, die Luther in seinem Anfang nicht hatte wollen umstürzen lassen. Allein welch ein unermeßlicher Unterschied ist es doch, das Herge- brachte einstweilen bestehn lassen, und das bereits Abgeschaffte wiederherstellen. Dort schont der großmüthige Sieger: hier unterwirft sich, gedrängt und beängstigt, der Besiegte. Wenn auch gemildert durch mannichfaltige Zugeständnisse, immer war es doch zuletzt die Idee der Einheit der lateinischen Kirche, der man sich durch die Umstände genöthigt wieder unter- warf. Nur so lange bis die nöthigen päpstlichen Indulte eingetroffen, überließen die Bischöfe noch die Ordination den protestantischen Predigern. Als Churfürst Moritz von Trient zurückkam, wo er mit dem Prinzen in das beste Vernehmen getreten, eilte er die Agende vollenden zu lassen, die schon in Celle entworfen worden war: im Mai ward sie von den Superintendenten angenommen, und bald darauf als Landes- gesetz verkündigt. Und so geschah nun, daß während sich anderwärts die Oberhäupter der protestantischen Geistlichkeit zum Widerstand unter jeder Gefahr und Bedrängniß entschlossen, das Geburts- land der protestantischen Entwickelung, die Mutteruniversität, von der die Anhänger der neuen Meinungen ausgegangen, ja der große Lehrer selbst, der allgemeine genannt, welcher Einfuͤhrung des Interims . das höchste Ansehen genoß, sich der religiösen Verordnung des Kaisers allerdings zwar nicht unterwarf, aber doch näher anschloß, als Jemand für möglich gehalten hätte. Schreiben Christofs von Karlwitz Torgau 16 Maͤrz (Berl. Arch.), im Anhang: „Mein gn. H. konte leiden daß es ehe bescheen, und heldet embsig darumb an.“ Expositio Ddd „librum agendo- rum confecerunt ad formulam mandatam, qui perfectus fuit mense Martio“ aō 49. Sein Beispiel und sein Rath vermochten nun auch An- dere zu einem ähnlichen Verfahren. Triumphirend verkündigte Agricola in der Schloßkirche zu Berlin die Zugeständnisse der Wittenberger Theologen, über welche zu Jüterbock mit den Räthen Joachims II Rück- sprache genommen worden, als eine Bestätigung des kaiser- lichen Buches, das man so viel geschmäht habe. Hierauf fragten die märkischen Prediger in Wittenberg an, was es mit ihren Beschlüssen auf sich habe: ob wirklich das Wei- hen von Wasser, Salz und Öl, das Heben und Legen des Kreuzes, Singen der Vigilien von ihnen hergestellt sey; ob man sich wirklich wieder des von den Bischöfen geweihten Chrisma bediene? Gern, sagen sie, wollen wir bei eurer Kirche bleiben und alles halten was ihr haltet, als eure Schüler. Bugenhagen und Melanchthon antworteten, nie- mals sey es ihnen in Sinn gekommen, das Weihen von Wasser und Öl zu billigen, noch erschalle die Lehre rein zu Wittenberg und über den Inhalt der märkischen Kirchenord- nung sey man nicht hinausgegangen. Ihr Landesfürst möge das Interim nach Maaßgabe dieser Übereinstimmung einfüh- ren. So viel sey übrigens wahr, daß man eher eine harte Knechtschaft ertragen, als eine Verödung der Kirche zulas- Neuntes Buch. Zweites Capitel . sen müsse. Und eben so antwortete Melanchthon den frän- kischen Predigern. Nicht das ganze Interim, aber eine Kir- chenordnung im Sinne desselben hatte man Diesen vorgelegt, und nur die Wahl zwischen deren Annahme oder dem Exil gelassen. Viele waren geneigt auszuwandern: Melanchthon dagegen rieth ihnen sich nicht zu widersetzen; sey doch in jener Ordnung weder von Weihungen noch von dem Ca- non die Rede, überhaupt nichts darin enthalten was der Lehre geradezu widerspreche. „Wir müssen nur darauf den- ken,“ sagt er, „daß die Kirche nicht verlassen, die Stimme der Wahrheit nicht unterdrückt werde: eine gewisse Knechtschaft müssen wir dulden, wenn sie nur ohne Gottlosigkeit ist.“ Schreiben von Pfeffinger, Ziegler und Alesius an die fraͤn- kischen Prediger Lipsiae XIII Cal. Febr. 1549. Quarto est illud quidem durum ac grave, id accipi quod religio et pietas conscien- tiae refutat. Sed si accipi tali sensu et intellectu jubetur qui non est veritati contrarius, feratur et haec molestia. ‒ ‒ Vestrae conscientiae si sunt integrae et bonae, quod non vestrae gloriae aut fortunarum aut etiam vitae causa, sed ecclesiarum respectu et propter ministerium evangelii hoc jugum subieritis et istam servitutem perpetiamini, permittatis filio dei Jesu Christo salva- tori caetera. Quod si aliqui astute hoc agunt, ut ita paulatim via veritatis obstruatur et reducatur populus in veteres errores, vigilare quidem et diligentes esse oportet ‒ ‒ et exspectare auxi- lium a domino: hic enim illud consilium malum in capita auto- rum convertet. Abschrift im Archiv zu Berlin. Ich bemerke noch daß das Schreiben Melanchthons „Concionatoribus Francicis“, das im Corp. Ref. VII, 140 auf den 12 Sept. gesetzt wird, in der Berliner Abschrift ausdruͤcklich vom 20sten Januar datirt ist: ohne Zweifel mit Recht. Unglückseliger Zustand! Jedes Widerstreben gegen das interimistische Ansinnen erfreute sein Herz. Den noch Un- bedrängten wünschte er Glück zu ihrer Freiheit: von den noch obschwebenden Berathungen über den Canon in der Messe, Einfuͤhrung des Interims . auf dessen Wiederaufnahme Julius Pflug drang, so wie über die Art und Weise der herzustellenden bischöflichen Gewalt fürchtete er noch Schlimmeres; aber indem er klagte daß man Drohungen und Sophismen verbinde, geheimen Zwang ausübe, fügte er sich demselben doch bis auf einen gewissen Punct und rieth Andern sich ebenfalls zu unterwerfen. Er mußte erleben, daß seine besten und wenigstens würdigsten Freunde an ihm irre wurden; der anmahnende Brief den Calvin an ihn erließ, war voll von Hingebung, Anerken- nung und Milde, aber er mußte ihm das Herz zerschneiden. Epistolae Calvini nr 117. Plures tu unus paululum ce- dendo querimonias et gemitus excitasti, quam centum mediocres aperta defectione. Der Brief ist mit 1551 bezeichnet, aber wohl kein andrer als der, dessen nr 115 Erwaͤhnung geschieht, also vom Juni 1550. Wie in den Oberlanden, so machte sich hierauf das Interim, obwohl unter gewissen Milderungen, auch in den nördlichen und östlichen Fürstenthümern geltend. In Hessen schritt man endlich zur Einführung dieser Formel, so sehr die nunmehr herrschend gewordene Gewohn- heit, das religiöse Bewußtseyn, das Selbstgefühl der Land- schaft sich dagegen sträubten. Im Frühjahr 1549 melde- ten die Söhne des gefangenen Landgrafen, das Interim sey zum guten Theil aufgerichtet, wegen des übrigen stehe man im Werk: „wahrlich nicht mit geringer Beschwerung vieler christlichen und gutherzigen Gewissen.“ Den Herzogen von Pommern machte der Kaiser die Annahme des Interims zur Bedingung ihrer Aussöhnung. Sie beriefen ihre vornehmsten Theologen und Prädicanten nach Colbatz, und wenigstens einen Theil derselben überre- Neuntes Buch. Zweites Capitel . deten sie: wie man denn in Greifswald ohnehin gewohnt war, dem Beispiele Bugenhagens, den Lehren Melanchthons sich anzuschließen. Bartholomäus Suave, Bischof von Ca- min, aber evangelisch und verheirathet, mußte auf den aus- drücklichen Befehl des Kaisers das Bisthum fahren lassen. Die Fürsten leisteten auf den kirchlichen Einfluß den sie bis- her ausgeübt, förmlich Verzicht: dem Rath von Stral- sund haben sie erklärt, darin Diejenigen schaffen lassen zu wollen, denen solches Amts halber gebühre. Nach dem Mu- ster des Leipziger Interim ward auch hier zunächst eine ver- mittelnde Formel aufgestellt. Als Herzog Ulrich von Meklenburg zum Bischof von Schwerin postulirt ward, hielt er doch für gut, die Weihen nach der Gewohnheit der alten Kirche zu nehmen. Der Bi- schof Magnus von Skara ertheilte sie ihm, wie er sagt „un- ter Mitwirkung der Gnade des siebenfältigen Geistes.“ Der Herzog von Cleve mußte jetzt endlich, was er bisher noch immer vermieden, auf die Ausführung seines Tractats mit dem Kaiser denken: in Soest, Wesel, Lippstadt ord- nete er die Einführung des Interim an. Mit vielem Selbst- gefühl ließ sich sein Bevollmächtigter Gropper in Soest ver- nehmen: „So will es S. kais. Maj.“, rief er aus, „so will es mein gnädigster Fürst, so will auch ich es haben.“ Hamelmann Hist. renovati evangelii p. 1116. Im Lippischen widersetzten sich vergebens die entschlos- sensten Prädicanten, — merkwürdiger Weise vornehmlich Die, welche aus dem Mönchthum übergetreten, — aber es gab andre die sich fügten. In Ostfriesland setzte der Canzler Westen, dessen Ge- Einfuͤhrung des Interims . sinnung jedoch Vielen zweifelhaft erschien, ein Kirchenformu- lar durch, kraft dessen die weißen Chorröcke wieder erschienen, lateinische Gesänge, und was dem mehr: obgleich man auch hier nicht alle Anordnungen des kaiserlichen Buches einführte. Wohl hörte die Opposition in alle den genannten Län- dern darum nicht auf, aber die äußere Einheit machte doch Tag für Tag Fortschritte. Und indessen wurden im katholischen Deutschland kraft eines von den Prälaten noch zu Augsburg gefaßten Beschlus- ses überall Synoden der Diöcesen und der Provinzen ge- halten, um die von dem Kaiser gebotene Reformation ein- zuführen. Beide Theile wurden von seinem Einfluß, seinem Wil- len beherrscht. Der Fortgang seines Unternehmens war so glücklich und umfassend, daß er wohl meinte auch die scandinavischen Reiche herbeizubringen, sein Interim auch in England durch- zusetzen. Hatte ihn doch der Czaar von Moscau um die Zusendung wie andrer Gelehrten so auch einiger Theologen ersucht, und wenn wir recht unterrichtet sind, die Absicht kund gegeben, durch seine Bevollmächtigten an dem verspro- chenen freien christlichen Concil Antheil zu nehmen. Chytraͤus Saxonia 488. Desiderium conjunctionis cum Germanico imperio adversus Turcas et concordiae in religione ineundae exponit, quam missis ad liberum generale vel nationale in Germania concilium hominibus suis promovere cupiat. Drittes Capitel . Stellung und Politik Carls V 1549 — 1551. Dergestalt machte sich, seit mehr als drei Jahrhunder- ten zum ersten Mal, ein durchgreifender Wille in Deutsch- land geltend, und zwar in derselben zwiefachen Richtung, in welcher die alten Kaiser gewirkt. Es konnte scheinen als würde der Druck den man erfuhr wenigstens dadurch ver- gütet werden, daß die alte Macht der deutschen Nation, ihr Übergewicht in Europa wiederhergestellt würde. Wir haben jedoch längst bemerkt, daß die Interessen der Nation und ihres Oberhauptes mit nichten in einander aufgiengen. Carl V war ein Sprößling des burgundischen Hauses, das mit nationalen Bestrebungen nichts gemein hatte. Im funfzehnten Jahrhundert, als die kirchliche Einheit nicht mehr so unbedingt vorwaltete, die Erbfolgekriege zu haltbarem Besitzstand geführt hatten, England von Frank- reich, Italien von Spanien, Polen von Ungarn abgesondert worden, und seitdem die Nationalitäten sich in festen Schran- ken zu entwickeln begannen, auch die deutsche Nation den Versuch machte alle ihre Glieder durch umfassende Einrich- Stellung und Politik Carls V. tungen zu vereinigen, da war auch diese burgundische Macht emporgekommen: aber im Widerspruch mit allem nationalen Bestreben, nur auf Ansprüche der Erbfolge und Übergewicht der Kräfte über die jedesmaligen Gegner gegründet: auf die- sem Grunde emporstrebend und vom Glück begünstigt. Carl der Kühne kam um, indem er seine Herrschaft über die Grenz- lande von Deutschland und Frankreich auszudehnen suchte. Wie weit aber sollte der Fortgang seines Hauses die Erwar- tungen übertreffen die er hätte hegen können. Carln V , der an dem von seinem Ahnherrn gebildeten Hofe, welcher dessen Ideen festhielt, erzogen worden, der den dynastischen Gedanken Burgunds in seinem Wahlspruch „Mehr Weiter“ auf seine Münzen prägen ließ, kostete es einige Mühe, in den verschiedenen Ländern die ihm zufielen, in Besitz zu kom- men: in den spanischen Königreichen, wo er mit einer gro- ßen Rebellion zu kämpfen hatte, in Italien, wo ihm ein mächtiger Nebenbuhler lange Jahre die Spitze bot; aber es gelang ihm damit: dieser Nebenbuhler, ursprünglich an Ansehen überlegen, vermochte doch das aufkommende Glück Carls V nicht niederzuhalten: bald sehen wir es wie in selb- ständigem Fluge sich erheben und den Glanz der französischen Waffen und Macht verdunkeln. Nicht minder gelang es Carl V , die Beschränkung die ihm jedes einzelne seiner Län- der aufzulegen suchte, zu durchbrechen. Wir haben bemerkt, wie Castilien zu seinen deutschen Kriegen beisteuerte; — ein Sohn jenes seines niederländischen Freundes, des Vicekönigs Lannoy, führte ihm neapolitanische Reiter über die Alpen; — Deutsche und Italiener kämpften für ihn auf den africanischen Küsten; — Antwerpen kam durch den Verkehr mit Spanien Neuntes Buch. Drittes Capitel . und die Rückwirkung der Colonien in Asien und Amerika empor und vermittelte seine Geldhaushaltung. Eine gewisse Einheit ist dieser Macht nicht abzusprechen, aber man würde in Ver- legenheit seyn, wenn man sie mit einem bestimmten an eine Nation anknüpfenden Ausdruck bezeichnen sollte. Noch dürfte man nicht von einer spanischen Monarchie im spätern Sinne des Worts reden: dazu war das spanische Element, da die Niederlande noch ungetrennt gehorchten, da die höchste Würde, das Kaiserthum, von so ganz anderm Ursprung herrührte, noch nicht vorwaltend genug; eher machten die Brabanter den Anspruch alles zu regieren, Die „weltregierenden Brabanter mit ihren spitzen Finan- zen“ sind ihren Nachbarn ein Gegenstand des Hasses. Carl Harst an den Herzog von Cleve 21 Aug. 1540. „Unter dem Scheyn das sy den Keiser haben, verhoffen sie alles unter ir Joch zu bringen.“ doch waren auch sie durch die Masse der übrigen Bestandtheile weit überwogen: die Einheit der Macht beruhte blos in der Person, dem Hause des Fürsten selbst, wie denn durch ihn allein geschah daß die Länder zusammengehörten. Wir werden uns, denke ich, nicht täuschen, wenn wir aus dieser Lage der Umstände das Verfahren herleiten, das er in der innern Regierung seiner Länder befolgte. Es war keins, aus dessen Mitte ihm nicht ein besondrer Wille entgegengetre- ten wäre, wo er nicht mit Landständen zu verhandeln gehabt hätte, von deren Bewilligung die Summe seiner Einkünfte abhieng: er mußte ihre besondern localen Interessen schonen und fördern; aber niemals durfte er irgend einem von ihnen überwiegenden Einfluß auf das Ganze seiner Verwaltung ge- statten: er würde damit alle andern verletzt haben und über- haupt aus dem Mittelpunct seiner Gedanken gewichen seyn. Stellung und Politik Carls V. Die Macht die er besaß, war nichts Fertiges, Abgeschlosse- nes, sondern etwas noch immerfort Werdendes, Sich-ent- wickelndes: noch hatte er nach allen Seiten hin Ansprüche und Pläne, an die er große Gedanken anknüpfte. Die For- derung die er an seine Landschaften stellte war hauptsächlich, ihn bei Verfolgung derselben in seinen auswärtigen Ange- legenheiten zu unterstützen, mit Leuten, Waffen und Geld: besonders mit Geld, wofür alles andre leicht zu bekommen war: sie dazu zu stimmen, bildete einen vorzüglichen Gesichts- punct seiner Staatsverwaltung. Es leuchtet ein, daß die de- liberativen Versammlungen, die früher überall auf eine wenn gleich minder mächtige, aber doch unabhängige centrale Re- gierung Einfluß gehabt, dadurch nicht wenig verloren. Gar bald finden wir in Castilien zwar noch die Städte sich ver- sammeln, welche Bewilligungen machen, nicht aber die Gran- den und hohen Prälaten, die den Königen einst Gesetze ge- geben. Nicht mehr die großen Angelegenheiten, deren Ent- scheidung früher von Wirkung und Rückwirkung der entge- gengesetzten Parteien abhieng, sondern nur provincielle In- teressen kamen überall in den ständischen Versammlungen zur Sprache. Überhaupt muß man sagen daß die Regierung Carls V dem Prinzip ständischer, republicanischer oder muni- cipaler Freiheit nicht günstig war. In Italien wollte er auch da, wo er nicht seine Herrschaft, nur seinen Einfluß gegründet, keine freie Bewegung der Kräfte, die leicht zu einem ihm un- bequemen Umschwung hätte führen können. Er hat Florenz den Medici überliefert, in Genua alles gethan um das Über- gewicht der Doria zu befestigen. Der letzte Mann der die Herstellung der republikanischen Freiheiten in Italien in Sinn Neuntes Buch. Drittes Capitel . faßte, Franz Burlamacchi von Lucca, ist in einem seiner Ge- fängnisse zu Mailand gestorben. Wir berührten, wie die Stadt Gent bei dem ersten Versuche den sie machte, von dem alten Begriffe ständischer Berechtigung aus auf die Krieg- führung Einfluß zu gewinnen, behandelt wurde. In dem Umkreise dieser Gewalt, gleichviel ob sie eine directe oder eine indirecte Herrschaft ausübte, durfte kein Widerstreben sichtbar werden. Carl V besaß die Mischung von Klugheit und Nachhaltigkeit die dazu gehörte um ein solches Verfah- ren durchzuführen, ohne doch das Selbstgefühl der verschie- denen Provinzen zur Empörung aufzureizen. Nun liegt am Tage, daß ein ähnliches System auch in Deutschland befolgt werden mußte, und befolgt ward. So höchst erwünscht der Besitz des Kaiserthums war, welches dieser ganzen Macht erst einen Namen gab, so gieng doch der Sinn Carls V nicht dahin, außer vielleicht in Ei- nem Puncte, dessen wir bald gedenken werden, der Corpora- tion, welche ihm die Würde übertragen, den Anspruch zu gestatten den sie machte, bei der Verwaltung derselben einen wesentlichen Einfluß auszuüben. Er entzog seine Niederlande vollends der höchsten Gerichtsbarkeit des Reiches; während er versprochen die abgekommenen Reichslande wieder herbei- zubringen und bei dem Reiche zu lassen, riß er vielmehr ein altes Reichsland, das Bisthum Utrecht, davon ab und ein- verleibte es seinen eignen Landen; die italienischen Lehen, zu- letzt auch Mailand, nachdem es ihm so lange zu einem Mo- ment seiner Unterhandlungen gedient, vergabte er ohne Rück- sicht auf die Reichsfürsten; er sah das Reichssiegel mit Ver- gnügen aus den Händen des Reichserzcanzlers in die Hände Stellung und Politik Carls V. seines vertrautesten Rathes Granvella übergehn; der ihm aufgelegten Capitulation zum Trotz hielt er fremde Truppen im Reiche. Für die innere Verwaltung des Reichs war ihm der religiöse Zwiespalt, der sie übrigens so schwierig machte, doch in einer andern Beziehung wieder vortheilhaft. Wir wis- sen, wie die Protestanten durch die Zugeständnisse die ihnen geschahen, gewonnen wurden und dabei doch auch die Ka- tholischen, besonders die Bischöfe, den vornehmsten Rückhalt der ihr Bestehen sicherte, in der kaiserlichen Macht erblickten. Schon bisher kam es denn doch zu allgemeinen Bewilligun- gen, gemeinschaftlichen Kriegszügen, wiewohl in der Regel erst nach zweifelhaften Unterhandlungen und neuen Concessionen. Nunmehr aber war es ihm gelungen, auch dieser Nothwen- digkeit widersprechender Rücksichten zu entkommen; in Folge des Krieges beherrschte er die Berathungen der Reichsver- sammlung zu Augsburg, wenn nicht vollständig, doch in ihren wichtigsten Momenten: der deutsche Reichstag fieng an, seinem Einfluß zu unterliegen, so gut wie andre Stände- versammlungen seiner Lande. Auch die Autonomie der Städte hat er, obwohl er sich zuweilen als Städtefreund bezeichnete, in Deutschland so wenig begünstigt wie in seinen erblichen Gebieten. Den Antheil an der Reichsregierung, den sie un- ter seinen letzten Vorfahren wenn nicht ganz rechtsbestän- dig, doch thatsächlich gewonnen, haben sie unter ihm, eben auch großentheils in Folge des Krieges, welcher eine Art von Städtekrieg und zwar der unglücklichste von allen ge- wesen ist, wieder verloren. Genug, zu der Macht welche die Regierung der übrigen dem burgundisch-östreichischen Hause Neuntes Buch. Drittes Capitel . angefallenen Länder bildete, kam nun auch eine tief eingrei- fende Reichsgewalt. Carl V war in den Jahren wo wir stehen der große Fürst von Europa. Fragen wir aber, was er in Besitz dieser Stellung nun weiter beabsichtigte, so erfüllte ihn vor allem der Ehrgeiz, was er war, in vollem Sinne des Wortes zu seyn, nem- lich Kaiser. Er hatte diese Würde, in Bezug auf Macht, aus der Hand seines Vorgängers mehr wie einen Anspruch empfan- gen: er war entschlossen denselben auszuführen. Er faßte aber das Kaiserthum nicht so auf, daß er sich bloß als Oberhaupt des deutschen Reichskörpers erschie- nen wäre: er betrachtete sich alles Ernstes, wie die alten Kai- ser gethan, als das weltliche Oberhaupt der Christenheit. Da hatte er nun den unermeßlichen Vortheil, daß er nicht auf Deutschland allein angewiesen war: die Kräfte al- ler seiner Reiche wirkten dafür zusammen. Der Besitz je- ner burgundischen, spanischen, italienischen, deutschen Lande, verbunden mit dem Königthum seines Bruders in Ungarn und Böhmen, gewann eine höhere allgemeine Bedeutung, in- dem die Realisation der höchsten Ideen der weltlichen Macht im Abendlande sich daran knüpfte. In den Jahren seiner Jugend, bis ziemlich tief in sein Mannesalter hinein, war es nun sein vornehmster Wunsch, nachdem die Christenheit seit dritthalb Jahrhunderten nur Verluste erfahren, ihr wieder einmal einen Sieg zu verschaf- fen. Eine der vornehmsten Tendenzen der spanischen Na- tion zur Eroberung und Colonisation von Nordafrica und die drohende Gefahr, in welcher sich Deutschland, vor al- Stellung und Politik Carls V. lem sein Bruder durch die Osmanen sah, gaben ihm hiezu einen gleich starken Antrieb. Er sah sich in Gedanken schon in Constantinopel, in Jerusalem. Seinen Zug gegen Tunis ließ er sich im Ton einer Kreuzfahrt beschreiben. In den spätern Zeiten nahm jedoch sein kaiserlicher Ehr- geiz eine andre Wendung. Indem er im Jahre 1541, 42 zu beiden Seiten mit den Osmanen schlug, sah er plötzlich durch eine allgemeine Combination seine Macht in dem Innern von Europa ge- fährdet, und mit Nothwendigkeit erhob sich ihm der Ge- danke, daß er vor allem andern erst diese befestigen, eine bessere innere Einheit gründen müsse. Die Kriege mit Frankreich wurden am spanischen Hof als bella intestina betrachtet. Es war der gefähr- lichste Augenblick den er erlebt hat, aber die Politik die er in demselben nach dem Innern gewandt ergriff, führte ihn rasch zu den glücklichsten Erfolgen. Dort in der Nähe von Pa- ris, wiewohl die Würfel noch zweifelhaft lagen, nöthigte er doch den König Franz, zugleich auf seinen Bund mit den Osmanen Verzicht zu leisten und Zusagen zu thun die selbst gegen den Papst angewandt werden konnten. Denn in- dem der Kaiser die weltliche Einheit einigermaßen befestigte, war er schon entschlossen auch die geistliche wiederherzustel- len. Wirklich konnte der Papst sich nun nicht mehr sträu- ben das lange versprochene Concilium anzukündigen. Daß die Protestanten sich weigerten es anzuerkennen, ward ein Anlaß auch sie mit Gewalt der Waffen heimzusuchen. Der glückliche Ausgang dieser Unternehmung gründete die Macht in deren Besitz wir den Kaiser sehen: zur Wiederaufrichtung Ranke D. Gesch. IV. 7 Neuntes Buch. Drittes Capitel . der alten Einheit fehlte es eigentlich an nichts, als an dem Verständniß mit dem geistlichen Oberhaupt. Und war nicht schon das ein großes Resultat daß Carl V den alten Kampf der weltlichen Macht gegen die geistliche, nicht wie frühere oder spätere Könige mit beschränkten Gesichtspuncten, son- dern ganz im Allgemeinen, in den Angelegenheiten desjeni- gen Conciliums das wirklich die katholische Rechtgläubigkeit und Kirchenverfassung auf die folgenden Jahrhunderte fixirt hat, wiederaufnehmen konnte? Einer seiner ursprünglichen Gedanken, mit dem er bei seiner ersten Ankunft in Deutsch- land auftrat, war die Reinigung und Reform der Kirche, freilich in einem andern Sinn als in welchem Luther sie unternahm, in einem solchen, bei dem er als das weltliche Oberhaupt der lateinischen Christenheit bestehn oder vielmehr erst wahrhaft auftreten konnte. Hiefür war es ihm lieb, sich auf die Bedürfnisse und die Autorität des Reiches stützen zu können. Die Anordnungen geistlichen Inhalts die er unter Autorisation des Reiches getroffen hat, gaben ihm eine geistliche Berechtigung. Jetzt nun lebte und webte er in diesem Gedan- ken: seine geistlichen Einrichtungen im Reiche durchzuführen, an den conciliaren Angelegenheiten eingreifenden Antheil zu nehmen, besonders die Reform ins Werk zu setzen, die auch den römischen Hof betreffen mußte: Absichten die nur dem allgemeinen Wohle zu gelten schienen, aber dabei doch die größte Machterwerbung herbeizuführen, den Fortsetzer Carls des Kühnen wirklich zum Oberhaupt des Occidents zu ma- chen versprachen. Wohl lag in dem ursprünglichen Begriffe des deutschen Kaiserthums die Möglichkeit einer ähnlichen Stellung. Wäre Carl V ein Deutscher gewesen, von den nationalen Ideen Stellung und Politik Carls V. jener Zeit durchdrungen, allein auf die Hülfe der Nation angewiesen, so konnte er eben so gut darnach streben, doch nur in evangelischem Sinne. Jetzt aber nahm er sie in Besitz in Folge eines Sieges über die nationalen Bestre- bungen und Bündnisse, zu welchem er durch spanische und italienische Kräfte und eine fremde Gelehrsamkeit unterstützt worden war. Könnte man nicht vielmehr sagen, daß er das Kaiserthum der deutschen Nation entfremdete und gegen dieselbe kehrte, als daß er es in ihrem Sinne verwaltet hätte, zu ihrem Besten? Seine Verhältnisse waren nun aber nicht so beschaffen, daß sie ihm nicht die mannichfaltigste Rücksicht aufgelegt hätten. Er hatte sich zu dem Frieden mit den Osmanen beque- men müssen, die seine natürlichen Feinde waren und blieben. Sein Glück wollte, daß dem neuen König von Frank- reich die Zahlung der Geldsummen welche sein Vater den Engländern versprochen gegen die geringe Sicherheit der da- gegen stipulirten Herausgabe von Boulogne eine zu große Last schien, und so der Krieg zwischen England und Frank- reich, kaum beschwichtigt, wieder ausbrach und die beiden Nationen fürs Erste vollauf beschäftigte. Carl hütete sich wohl, sich in ihre Zwistigkeiten einzulassen: man hat ihm vielmehr Schuld gegeben daß er sie nähre: gewiß hieng es von denselben ab daß er nach andern Seiten hin freie Hand behielt. Dabei versäumte er jedoch nicht alle Bewegungen des Königs von Frankreich mit scharfer Aufmerksamkeit zu be- gleiten. Die Unterhandlungen desselben mit dem Papst und mit Venedig gaben seinen Gesandten viel zu vermuthen und 7* Neuntes Buch. Drittes Capitel . zu schreiben. Instruction à Simon Renard amb r à la cour de France. „Il veillera d’assentir s’il se traictera quelque ligue entre eux (le Pape et le roi) de la quelle il a ja esté pourparlé bien long- temps et avec quclles conditions elle se fera. Die kaiserlichen Minister drücken sich zwar un- besorgt darüber aus, weil doch kein Theil dem andern trauen werde: unter der Hand aber ergreifen sie schon Maaßregeln gegen ihre Erfolge. Mitten im Frieden nehmen sie Anerbie- tungen französischer Hauptleute an, die etwa dahin zielen ihnen eine Festung des Königs zu überliefern, und zahlen ihnen Geld dafür, mit der Weisung daß sie sich still halten sollen bis etwa der König den Frieden breche. Schreiben Granvellas an Renard uͤber die Antraͤge des Ti- berio de la Rocha. Pap. d’ét. III, 374. Einer der vornehmsten Gesichtspuncte des Kaisers gieng dahin, keine Verbindungen der Franzosen in Deutschland zu dulden, weder mit den Fürsten noch auch mit den Kriegshaupt- leuten. Das Gesetz das er am Reichstage durchbrachte, daß Niemand fremde Kriegsdienste nehmen dürfe, nicht allein nicht wider ihn oder seinen Bruder, sondern auch nicht ohne ihre Genehmigung, — das jedoch auch aus allgemeinen Gründen, hauptsächlich darum Widerspruch fand, weil es dem Kriegs- gewerbe schade und man einmal keine Kriegsleute mehr finden möchte, wenn man ihrer bedürfe, — war hauptsächlich ge- gen Frankreich gerichtet. Und aufs strengste ward es in Voll- zug gesetzt. Der Hauptmann Sebastian Vogelsberger hatte dem König von Frankreich bei Gelegenheit seiner Salbung ein paar Fähnlein zugeführt, die zu einer Demonstration ge- gen die englische Grenze gebraucht worden waren. Noch während des Reichstags von Augsburg ward er dafür — nicht ohne Hinterlist — gefangen genommen, herbeigeführt Stellung und Politik Carls V. und zum Tode verurtheilt. Vogelsberger war ein schöner Mann, „daß ich nicht weiß,“ sagt Sastrow, „ob ein Ma- ler einen Mann ansehnlicher hätte malen können, hohes Ge- müths, anschlegig und beredt“: gut evangelisch: die Prote- stanten richteten nach so vielen Verlusten die sie erlitten ihre Augen auf ihn. „Herr Conrad,“ sagte er zu Conrad von Boineburg, den er auf seinem Wege zur Richtstätte ansich- tig ward, „ist mir nicht zu helfen?“ „Mein Bastian,“ ant- wortete ihm Boineburg, „helfe Euch unser Herre Gott.“ „Der wird mir auch helfen,“ antwortete Vogelsberger, und schritt mit aufgerichtetem Haupte zum Richtplatz; er starb, vollkommen im Gefühl daß er unschuldig leide; im Grunde war dieß die allgemeine Meinung. Der Kaiser ward ohne Zweifel dadurch zu seinem Verfahren bewogen, daß einige der nahmhaftesten Obersten, der Rheingraf, Reckerode, Schärt- lin, nach Frankreich geflohen waren und unter dem deutschen Kriegsvolk noch zahlreichen Anhang hatten. Durch den Schrecken dieser Execution suchte er alle Verbindung mit ihnen abzuschneiden. Jede Nachricht von der Anwesenheit eines deutschen Be- vollmächtigten am französischen Hofe setzt ihn in Aufregung. Er beauftragt seinen Gesandten, alles zu thun um dahinter zu kommen, ob ein solcher auch wirklich nur das betreibe, was er als den Zweck seiner Sendung angiebt, oder viel- leicht gar etwas Pflichtwidriges; er soll dabei kein Geld spa- ren: denn es sey eine Sache die man ergründen müsse. Eben so hat der Gesandte die Anweisung, die Unter- handlungen der einzelnen italienischen Fürsten mit Frankreich im Auge zu behalten. Man dürfte nicht sagen, daß der Neuntes Buch. Drittes Capitel . Kaiser keinen Grund dazu gehabt habe dieß zu befehlen — der Herzog von Ferrara z. B., der ihm so viel verdankte, hatte doch gesagt, er wolle sein Land auf keine Weise gefährden, auch nicht zu Gunsten des Kaisers, — aber es bezeichnet sein in jedem Augenblick unsicheres Verhältniß, daß es so war. Obgleich die venezianische Regierung ihm Vertrauen ein- flößte, so versäumte er doch nicht, immer einige der vornehm- sten Edelleute ihrer Terra ferma in seine Dienste zu nehmen. Die alte gibellinische Gesinnung der Colonnas diente ihm den Papst mitten in Rom doch immer in einer gewissen Be- sorgniß zu halten. Gar mancher von den Räthen deutscher Fürsten bezieht eine Besoldung von ihm, unter Andern Carlowitz: die Für- sten selbst, oder wenigstens die jüngeren Söhne aus den re- gierenden Häusern, sind nicht selten durch Jahrgelder oder Kriegsdienste an ihn gefesselt. Selbst an dem Hofe seines Bruders sucht er nicht allein Freunde zu haben, seine Ge- sandten geben ihm über die Gesinnung und politische Ten- denz der Räthe desselben, über jede Abweichung ihrer Politik von der kaiserlichen eine nicht allzeit günstige Kunde. Mit ungemeiner Rücksicht wurden auch die entfernten Höfe behandelt. Mit dem jungen Sigismund August von Polen stand man nicht immer gut. Zu den preußischen An- gelegenheiten, wo er die Widerpart des Kaisers hielt, kamen bald die siebenbürgischen hinzu; seine Vermählung mit einer Eingebornen, nach dem frühen Tode einer östreichischen Prin- zessin, die sich dort keinen Augenblick glücklich gefühlt, hatte kein gutes Blut gemacht; allein für alle ungarischen, os- manischen, selbst für die erbländischen Verhältnisse, — ich Stellung und Politik Carls V. finde unter andern, daß die Franzosen ihn aufgefordert seine alten Rechte an Schlesien geltend zu machen, — war ein freundliches Vernehmen mit ihm unschätzbar. Der Kaiser hätte sonst dem Großfürsten von Moscau gern den Titel König, wie er es wünschte, beigelegt: — die Rücksicht auf Polen hielt ihn davon ab. Aus Herbersteins Moscovia laͤßt es sich wenigstens schlie- ßen; die Gesandten versichern es ausdruͤcklich. Noch viel begründeter war die Feindseligkeit des Hau- ses Östreich gegen Dänemark: aber da die Niederlande schon einmal die Nachtheile des Krieges empfunden, so mußte es bei der Anerkennung Christians III sein Verbleiben haben, wie sehr auch das pfälzische Haus sich dagegen sträubte. Deutsche Fürsten suchten zuweilen durch die Fürsprache des Königs in die Gnade des Kaisers zu kommen; Cragius 303. Christian vermittelte ein freundschaftliches Verhältniß zwischen Carl V und Gustav Wasa. Wie weit die vorsorgende Umsicht gieng, davon ist ein Beispiel, daß einst der portugiesische Gesandte am französischen Hofe bedeutet ward, nicht zu vortheilhaft von der Macht des Sheriff von Marocco zu sprechen, weil man dort sonst Lust bekomme sich mit demselben zu verbinden. Die Erwägung und Behandlung dieser Angelegenheiten bildete nun das Tagewerk des Kaisers. In dem Briefwechsel desselben mit seinem Bruder, sei- ner Schwester Maria, seinen Gesandten, besitzen wir davon die merkwürdigsten Documente. Die Briefe sind wie Ge- spräche, wo alle Verhältnisse, große und kleine, durchgegan- Neuntes Buch. Drittes Capitel . gen, hin und wieder erwogen werden: und so geschieht es wohl daß sie zuweilen ein wenig gedehnt erscheinen; allein sie zeigen ein vollkommenes, den Geist erfüllendes Bewußt- seyn des gegenwärtigen Moments, den sie auf das trefflichste erläutern: sie sind gründlich und fein, umfassend und ein- dringend, sie eröffnen die Motive der Handlungen mit über- raschender Klarheit, und halten immer an der großen Ten- denz fest, welche einmal ergriffen worden. Man dürfte aber nicht glauben daß sie alles sagen. Ferdinand redet wohl einmal von der Möglichkeit, daß der Kaiser Herr von Deutschland werden könne: Carl V würde dieß Wort nie- mals aussprechen, niemals giebt er sich bloß. Vielmehr mit der unausgesprochenen Absicht die in sei- ner Seele lebt, beherrscht er alle und leitet er alles. Anfangs führten Chievres und Gattinara die Geschäfte: da bemerkte man nur, wie eifrig der junge Fürst sich denselben widme, wie er sein vornehmstes Vergnügen daran finde; nach Gattinaras Tod nahm er sie selber in die Hand. Noch heißt es eine Zeitlang, er thue nichts ohne seine Minister: bald darauf hören wir, daß sie nichts thun ohne ihn; allmählig bekennt ein Jeder, daß er selbst die Haupt- sache ausrichtet, daß er von den klugen Leuten die er um sich versammelt, selber der Klügste ist. In dem Minister der ihm während der großen Ereig- nisse die wir betrachtet, vornehmlich zur Seite stand, Nico- las Perrenot Granvella, dem ältern, hatte er jedoch in die- sem Rufe fast einen Nebenbuhler und gewiß einen unver- gleichlichen Gehülfen gefunden. Granvella war ein Mann der den halben Virgil auswendig wußte, sich in seiner Heimath Stellung und Politik Carls V. in der Franche-Comte eine Galerie von den Meisterstücken der Kunst anlegte, durch diese allgemeinen Bestrebungen sei- nen Geist für die Geschäfte erst recht geschärft hatte und den wohlbegründeten Ruf genoß, daß er die europäischen Geschäfte vollkommen verstehe. Er besaß ein ausnehmendes Talent die Dinge sich von ferne bereiten zu sehen: in den schwierigsten Fällen fehlte es ihm nie an einem Auskunfts- mittel. Einige haben gemeint daß er den Kaiser leite: ich finde daß er sich den Gesichtspuncten desselben ohne eine ei- gene Richtung jedes Mal mit vollkommener Hingebung an- schloß. In zwei ganz verschiedenen Epochen der kaiserlichen Politik, der ersten wo sich der Kaiser den Protestanten geflis- sentlich annäherte, und der zweiten wo er sie angriff, finden wir ihn, obwohl es ihm einige Mühe kostete der letzten bei- zutreten, gleich thätig und unermüdlich. Die Epoche des Glückes die nunmehr eintrat, war für ihn, wie Mocenigo sich ausdrückt, ein Brunnen von Gold; doch wußte man wohl, daß ihn kein Geschenk von der Pflicht gegen den Kai- ser auch nur um ein Haarbreit abwendig machen könne, der ihn dafür wie einen Vater ehrte. Mocenigo raͤth seiner Signoria nur, ihm „zuccari confetti, speciarie“ zu schicken. E prudentissimo, destro, piacevole, affabile molto ‒ ‒ Die Methode der Verhandlung zwischen Carl und sei- nen Ministern war, daß bei jedem zu fassenden Entschluß alles was darüber gesagt werden konnte, unter den Rubri- ken Für und Wider zusammengestellt, und die Puncte auf deren Entscheidung es ankam, in Form der Frage dem Kai- ser vorgelegt wurden. Unzerstreut durch irgend eine fremde Neuntes Buch. Drittes Capitel . Gegenwart, mit sich allein, in der Ruhe des Cabinets, er- wog der Herr — denn mit diesem und keinem andern Na- men wird er in seinem Hause bezeichnet — die aufgestell- ten Fragen, und entschied sie mit Ja oder Nein, Worte die er an den Rand des Blattes schrieb, zuweilen mit ein paar näheren Bestimmungen. Alle Morgen trug der Kammer- diener Adrian, eine wichtige Person an diesem Hofe, da er die Stimmung des Augenblickes kannte, — man sagt, es sey ihm zu Statten gekommen daß er weder lesen noch schreiben konnte — die Papiere hin und her. Dieser Adriano della camera spielt in den Berichten der Gesandten, z. B. der florentinischen, immer eine Rolle. Conferen- zen folgten, doch waren sie nicht so häufig, wie man glau- ben sollte: in schriftlichem Verfahren wurden die Beschlüsse eingeleitet und gereift. Überhaupt gieng es am Hofe des Kaisers sehr still her. Er verschmähte sinnliche Genüsse nicht, wie er denn zu viel und zu gut aß: Cose da generar humori, wie Badoero sagt. Er klagte einst gegen Monfalcourt, daß die Speisen unschmackhaft bereitet wuͤr- den; dieser drohte ihm: di far fare una nuova vivanda di polaggi et horologi. Badoero wiederholt freilich nur den Ruf des Hofes, aber er sagt unumwunden: è stato nei piaceri venerei di non tem- perata volontà. von andern Unordnungen möchte er, wenigstens während seines Witwerstandes, nicht frei zu sprechen seyn; dagegen war an lärmende Vergnügungen, Festlichkeiten, äußere Pracht bei ihm nicht zu denken: zu- mal da die Krankheit sein gewöhnlicher Zustand und Ge- sundheit die Ausnahme war. Schon im Februar 1549 wird er uns geschildert, wie er mit gebücktem Rücken, todtenbleich, mit farbloser Lippe, in seinem Zimmer am Stellung und Politik Carls V. Stabe hin und her schleicht; allein er lacht wohl selbst über seinen Aufzug, weil er sich so schwach nicht fühle wie er aussehen möge, und bald erfüllt sich das matte Auge doch wieder mit Glanz und Leben. Nicht übel bezeichnet ihn seine Liebhaberei für künstliche Uhrwerke, wo eine einmal angeregte Kraft alles in regelmäßige Bewegung setzt. Unter den wis- senschaftlichen Dingen gewannen ihm die astronomischen Stu- dien, frei von allen astrologischen Träumen, die größte Theil- nahme ab: dem Wandel der Planeten, dem Ringgang der Gestirne galt seine Aufmerksamkeit und Bewunderung: gern unterrichtete er sich an dem Himmelsglobus. Bis dann die Zeit kam, wo der Gedanke, mit dem er die Welt zu lenken hoffte, in ihm wieder zu voller Kraft gelangte. Ich weiß nicht, ob er denselben in Worten hätte ausdrücken können, ob er nicht davon mehr erfüllt war wie von einem Gefühl, in welchem sich alle seine kirchlichen, politischen und dyna- stischen Bestrebungen zusammenfaßten; es war ein Gedanke, der mit der Macht des Unbewußten in der Tiefe seiner Seele ruhte und doch in jedem Falle mit voller Klarheit und An- wendbarkeit ergriffen, unaufhörlich, mit allen Mitteln des Krieges und der Politik verfolgt ward. Wir haben den Kaiser oft auf seinen Kriegszügen be- gleitet; auch in den Zeiten seiner Krankheit probirt er sich dann und wann den Harnisch an — denn wiewohl natür- licher Weise eher zaghaft, so daß er wohl in seinem Zim- mer vor dem leisesten Geräusch erschrecken konnte, — liebte er doch das Handwerk der Waffen: er hegte ein ritter- liches Gefühl für diesen Beruf und wußte sich Ansehen bei den Kriegsleuten zu erwerben. Dazu jedoch waren die Neuntes Buch. Drittes Capitel . Dinge nicht angethan, weder die eignen Kräfte stark, noch die fremden schwach genug, daß er in offenem Angriff hätte zu seinem Ziele kommen können: sein Verfahren und sein Talent war, aus den entgegengesetzten Elementen sich Sym- pathien zu erwecken und sie zu Hülfe zu rufen. Es ist ihm hiebei das Unglaubliche gelungen. Die Granden von Castilien haben ihm die Communen unterworfen; der Gehorsam der Communen hat ihm dann gedient, die Granden, die ihm entbehrlich geworden, von sei- ner Staatsverwaltung zu entfernen. Ihm haben die Deutschen, nicht ohne den Antrieb eines protestantisch-antipäpstlichen Eifers, Rom erobert und den Papst gefangen gehalten. Dafür ist ihm ein späterer Papst mit Heereskraft ebenfalls aus Religionseifer über die Alpen zu Hülfe gekommen um die Protestanten zu unterwerfen. Nicht selten hat er mit Frankreich über einen Angriff gegen England unterhandelt, dann hat der König von Eng- land doch sich mit ihm gegen Frankreich verbündet. Die Protestanten, die es oft erfahren, daß in der euro- päischen Opposition gegen das Haus Östreich das Ver- hältniß lag das ihnen Raum in der Welt gemacht, hat er doch bewogen, mit ihm wider das Haupt dieser Opposition zu Felde zu ziehen. Dafür sah denn der König von Frank- reich wieder zu, als sie mit Krieg überzogen wurden. Was wäre wohl aus Carl V geworden, wenn die deut- schen Fürsten sich jemals vereinigt hätten, den Begriff, die Rechte des Reiches als einer Gesammtheit gegen ihn zu be- haupten? Es sind öfter Versuche dazu vorgekommen, aber immer noch zur rechten Zeit gesprengt worden. Die Un- Stellung und Politik Carls V. einigkeit der Stände verschaffte ihm vielmehr eine täglich grö- ßere Einwirkung. Und selbst hiemit hätte er noch nichts ausgerichtet, hät- ten sich nur wenigstens die Neugläubigen zur Vertheidigung vereinigt. Wie weit aber war er ihnen an Weltübersicht und Klugheit überlegen! er wußte zu bewirken daß sie einer wider den andern die Waffen ergriffen. Es liegt wohl am Tage, daß eine Politik die immer offen hervorgetreten wäre, von der man gewußt hätte was sich von ihr erwarten ließ, niemals dahin gelangt seyn würde. Wer aber wäre im Stande gewesen diese Politik zu durchschauen? Die entscheidenden Handlungen auf denen ihre Erfolge beruhen, sind immer von Zweifel umgeben, in Dunkel gehüllt. Kein größeres Glück für den Kaiser, als daß die Deut- schen sich der Stadt Rom bemächtigten: er legte Trauer darüber an. Wer kann sagen, ob es irgend eine Bedin- gung gab, unter der er Mailand an einen französischen Prin- zen wirklich abgetreten hätte? doch hat er ein Jahrzehent darüber unterhandelt. Welches war seine wahre Meinung, die welche Held in Schmalkalden aussprach, mochte dieser gleich seiner dama- ligen Instruction entgegenhandeln, oder die welche Lunden darstellte? Wir haben die Zweideutigkeiten erörtert, in denen Carl V sich bei der Gefangennehmung des Landgrafen nicht ohne ein Bewußtseyn davon bewegte. Es wird schwerlich an Tag kom- men, ob er zu der Ermordung Pier Luigis seine Einstimmung gegeben hat oder nicht. Ich will nicht behaupten, daß er jemals etwas ver- Neuntes Buch. Drittes Capitel . sprochen in der bestimmten Absicht es nicht zu halten: aber zuweilen sieht es doch beinahe so aus. Nicht unglaubwürdig wird erzählt, er habe in demsel- ben Augenblick als er im J. 1544 den Protestanten jene speierischen Concessionen gewährte, den Katholiken entgegen- gesetzte Versicherungen thun lassen: ihre Nachgiebigkeit wäre ohne dieß wirklich schwer zu erklären. Kaum hatte er den Frieden mit Christian III geschlossen, der demselben Däne- mark und Norwegen sicherte, so gab er doch dem Pfalzgra- fen, der sich darüber beklagte, die Erklärung, er wünsche daß diese Reiche vielmehr ihm, dem Pfalzgrafen, gehören möch- ten, und werde zu seiner Zeit alles dafür thun. Instruction de Granvelle à Champagny. P. d’ét. III, 94. Wenn wir dabei nicht annehmen sollen daß er das gegebene Wort zu brechen entschlossen gewesen sey, so giebt es dafür keinen andern Grund, als daß auch die entgegen- gesetzte Versicherung so gewiß nicht war. Die Versprechungen werden, wie sich Granvella einmal ausdrückt, nach Zeit und Umständen gegeben. Denn vor allem ist immer ein nächster Zweck zu errei- chen, eine unmittelbar vorhandene Schwierigkeit wegzuräu- men. Die Kräfte die sich entgegensetzen könnten, müssen davon zurückgehalten werden: durch jede Concession die man ihnen machen kann ohne mit sich selbst in offenen Wider- spruch zu gerathen, durch jede Zusage die dem System nicht schnurstracks entgegenläuft. Das hindert aber nicht, daß man nicht insgeheim sich ein weiteres Ziel, und wäre es selbst der Feindseligkeit gegen den jetzt Begünstigten, vorbehalte. Stellung und Politik Carls V. Von der Königin Maria, welche das Geheimniß der kaiserlichen Politik am meisten theilte, haben wir ein Schreiben aus der Zeit, in der, mitten in großen Gefahren, eine An- näherung an die Protestanten durchaus nöthig geworden, in welchem sie dem Kaiser den dringenden Rath giebt darauf einzugehn; aber bemerken wir wohl: sie fügt hinzu: es werde wohl Zeit und Gelegenheit kommen anders mit ihnen zu verfahren. Sie raͤth ihm user du tems, jusques aurez moyen et op- portunité d’en faire autrement. (Schr. o. D. im Br. A.) Der Kaiser trat ihnen nun, wie wir wissen, sehr nahe, aber die Folge zeigte daß er dabei den Vorbehalt künftiger Feindseligkeit keinen Augenblick aufgegeben hat. Man könnte nur fragen, ob er da nicht auf der einen Seite so weit gegangen ist, daß doch sein Vorbehalt nicht wohl damit bestehn konnte. Wenigstens den Mitgliedern des schmalkaldischen Bundes blieb keine Ahnung von der noch fortdauernden Möglichkeit eines feindseligen Verfahrens übrig. Auch in den spätern Jahren tauchte ein ähnlicher Wider- spruch auf. Carl hatte mehrere Stände in ihrer „habenden christlichen Religion“ bestätigt, aber dabei doch ihre Unter- werfung unter das Concilium ausbedungen. Er berief sich auf ihre, sie beriefen sich auf seine Zusage. Und wie es nun bei dieser Bewandtniß der Dinge mit seiner eignen Überzeugung stand? Die Meinungen Carls V mögen sich in mehreren noch unentschiedenen Puncten auf den Grenzgebieten beider Lehren bewegt haben: in der Hauptsache aber kann ich nicht fin- den, daß er von evangelischen Ansichten irgend wie ergriffen Neuntes Buch. Drittes Capitel . gewesen sey: er war und blieb katholisch: an dem Geheim- niß der Eucharistie im katholischen Sinne und den Dien- sten die sich daran knüpfen hat er wohl nie einen Augen- blick gezweifelt. Hat er den Protestanten Concessionen gemacht, so ist er dazu von dem Papst ermächtigt gewesen. Der Beichtvater spielte schon bei ihm eine Rolle. Der jüngere Granvella beklagt sich wohl, daß wenn er zu Ende gekommen zu seyn glaube, die Hydra der Gewissensscrupel immer neue Köpfe hervorbringe. Negotiato di D. Franc. di Toledo per l’acquisto di Piom- bino: Bibliot. Maglibecchiana zu Florenz. Granvella sagt: resur- gevano come i capi della hydra le riprensioni et advertimenti della conscienza. Das vornehmste Ziel das der Kaiser verfolgte, war zwar politischer, aber doch auch dem Wesen nach religiöser und zwar katholischer Natur. Und höchst gerechtfertigt gieng er dabei zu Werke. Er begründete sein Verfahren allezeit auf die Ideen von Reich und Kirche. Alles was er in Deutschland unternahm, ward immer mit den Pflichten gegen die allgemeine Kirche, seinem Eide dieselbe aufrecht zu erhalten, der Rücksicht auf die übrigen Nationen vertheidigt. In jeder Forderung an den Papst dagegen traten die Rechte und Beschlüsse des Reiches, die Nothwendigkeit die Entzweiungen der Reichsglieder beizule- gen, als Bestimmungsgründe hervor. Die alten Formen die er noch einmal zu beleben suchte, gaben ihm eben die Aussicht durch sie zu herrschen. Je grö- Stellung und Politik Carls V. ßern Einfluß er auf den Reichstag gewonnen, desto strenger forderte er die Beobachtung der Beschlüsse desselben; von kei- nem Heimbringen, von keiner Selbstbestimmung einer Land- schaft wollte er mehr hören. Eben so aber dachte er mit dem Concilium zu verfahren. Er wollte den Antheil an der Leitung desselben haben der ihm als Kaiser gebühre, dann sollte Jedermann seinen Satzungen gehorchen, namentlich auch der Papst selbst. Dahin hat es der burgundische Prinz doch gebracht, daß die Wiederbelebung dieser großen Ideen, an denen sich das Mittela lt er entwickelt hat, an sein Daseyn, seine Macht geknüpft ist. Die Doppelseitigkeit seines Bestrebens spie- gelt sich in den entgegengesetzten Eigenschaften die sich in seinem Character vereinigen. Carl V ist zweideutig, durch und durch berechnet, habgierig, unversöhnlich, schonungslos, und dabei hat er doch eine erhabene Ruhe, ein stolzes die Dinge gehn lassen, Schwung der Gedanken und Seelen- stärke. Seine Ideen haben etwas Glänzendes, historisch Großartiges. Das Kaiserthum wie er es faßt, enthält die Fülle geistlicher und weltlicher Gewalt, und er nähert sich der Möglichkeit es herzustellen. Ob es ihm damit gelingen wird, ist die große Lebensfrage für Europa und die Welt. Verhandlungen mit Rom. In den Jahren 1549, 50 war Carl V hauptsächlich in den conciliaren Erörterungen mit dem Papst begriffen. Am römischen Hofe suchte man jede Nachgiebigkeit in geistlichen Angelegenheiten, wenn man sich ja zu einer solchen Ranke D. Gesch. V. 8 Neuntes Buch. Drittes Capitel . herbeilassen wollte, mit der Sache von Piacenza in Verbindung zu setzen. Der Kaiser antwortete sehr trocken: er wolle die öffentlichen Dinge nicht mit Privatangelegenheiten vermengen. Seine Gesandten berichteten wohl, wenn er Piacenza zurück- gebe, oder nur einen Ersatz dafür anbiete, werde er in den übrigen Streitfragen alles was er wolle erreichen: er blieb dabei, daß diese Sache für sich behandelt werden müsse. Vor aller weitern Verhandlung drang er auf rechtliche Un- tersuchung, wem die Stadt gehöre, dem Reiche oder der Kirche: er sey sehr bereit, wenn das Urtel zu Gunsten der Kirche ausfalle, Piacenza zurückzugeben; er wisse jedoch wohl, daß es zum Reiche gehöre, so gut wie Parma. Indem man hoffte, er werde Piacenza herausgeben, erhob er An- spruch auch auf Parma. Er lebte der Meinung, Paul III werde am ersten durch Drohungen bestimmt, und fast schien es als hätte er Recht. Sollte zunächst wenigstens eine vorläufige Ordnung in Deutschland eingeführt werden, so mußte der Papst die deut- schen Bischöfe ermächtigen die den Protestanten durch das Interim gemachten Zugeständnisse anzuerkennen. Eine Zeitlang zögerte er damit, wie das bei dem Wi- derwillen den man in Rom gegen das Interim hegte nicht anders seyn konnte: dann kam er mit ungenügenden Facultä- ten hervor, endlich ließ er sich auch genügendere abgewinnen. Am 18ten August 1549 erschien Cardinal Otto Truch- seß, Bischof von Augsburg, der wenn irgend ein andrer als ein rechtgläubiger Anhänger der römischen Curie betrachtet werden muß, in alle seinem Pomp, unter Vortragung des Kreuzes, silbernen Scepters und seines Cardinalhutes, in der Verhandlungen mit Rom 1549. Domkirche zu Augsburg. Er bestieg eine Kanzel die eigens für ihn aufgerichtet und mit rothem Sammet überzogen war, um zu erklären, daß in dem Interim nichts Schädliches noch Beschwerliches enthalten sey. Aus einem Schreiben des Card. Otto, Dillingen 3 August 1549 (Winter II, p. 151), ergiebt sich, daß seine Indulte nicht allein den Genuß beider Gestalt, sondern auch die Priesterehe umfaßten. Welche Schwierigkeiten dieß gemacht, indem dadurch der Unterschied zwischen Priestern und Laien aufgehoben zu werden geschienen, sehen wir aus dem judicium variorum pracsulum, Rainaldus 1548, nr 66 — 72. Ich bemerke daß sich trotz aller Gelehrsamkeit diese Herrn doch auf die untergeschobenen Canones apostolici beziehen ( nr. 68). Die Indulte welche der Papst gewährt, giengen man- chem Eiferer fast schon zu weit, und der Kaiser mußte durch eine besondere Declaration ihre Anwendung auf die Länder und Städte beschränken, in welchen die neue Lehre Platz ge- griffen. Für diese aber waren sie nicht allein erwünscht, sondern unentbehrlich. Die Anerkennung der Hierarchie auch in den protestantischen Ländern war nur unter dieser Bedin- gung denkbar. Und auch in Hinsicht des Conciliums gab der Papst dem Hasse des Kaisers gegen die Versammlung zu Bologna so weit nach, daß er sie im September 1549 auflöste. Ihm selbst fiel sie bereits zur Last, da sie unter den Umständen der Zeit doch nichts ausrichten konnte. Höchlich erfreut war der Kaiser, als der Papst hierauf die Absicht kund gab, in einer andern Versammlung, zu Rom, die Reformation ernstlich vor die Hand zu nehmen. Er machte nur noch die Bedingung, daß kein Beschluß der- selben den Anordnungen seines Interims oder der von ihm 8* Neuntes Buch. Drittes Capitel . den geistlichen Ständen vorgeschriebenen Reformation wider- sprechen dürfe. Ehe es aber so weit kam, starb Paul III; und eine Wahl trat ein, welche dem Kaiser sogar die Möglichkeit eröffnete, seine geistlichen Absichten noch in aller Form zu erreichen. Die kaiserliche Partei war es — unter Vermittelung des Herzogs von Florenz — durch welche der neue Papst Julius III auf den römischen Stuhl gelangte. In seinem ersten Schreiben erkannte Julius dieß an: nächst Gott keinem Andern als dem Kaiser schrieb er seine Erhebung zu; durch seinen ersten Gesandten versprach er, den Kaiser in allen allgemeinen Angelegenheiten der Chri- stenheit zufrieden zu stellen, namentlich in der Sache des Con- ciliums; es war wirklich einer seiner ersten Beschlüsse (wie denn Jedermann einsah, daß dieß unumgänglich sey, und die Conciliarcongregation selbst dafür stimmte), daß das Con- cilium in Trient wieder eröffnet werden solle. Es lautet nicht sehr wahrscheinlich, wenn Verantius wissen will, Julius III habe dem Kaiser erklaͤrt, uͤber den Ort des Concils wolle er nicht streiten, „etiamsi illud imperator in Belgio Bruxellae haberi velit.“ Viennae 29 Aprilis 1550, bei Katona 21, 1041. Aber der clevische Abgeordnete Masius versichert: Julius sage „ausdruͤcklich er woͤlle das das Concilium einen Fuͤrgangk (habe) es sey zu Trient oder wo es kaiserlicher Maj. gelegen.“ Nichts Bes- seres hatte bisher der Kaiser gewünscht: in einem seiner Briefe an seinen Gesandten in Rom findet sich der Ausdruck: er be- dürfe keiner Versicherung daß der Papst gute Absichten hege, er nehme sie aus seinen Handlungen ab. Es war schon eine glänzende Rechtfertigung seines bis- herigen Verhaltens, daß derjenige Mann der so lange den Vorsitz im Concilium geführt und dabei, als Abgeordneter Reichstag zu Augsburg 1550. Pauls III , sich ihm entgegengesetzt, jetzt nachdem er selber auf den römischen Stuhl gelangt war, diesen Widerstand auf- gab und die Wiedereröffnung des Concils zu Trient bewil- ligte, gleich als erfülle er damit nur eine Pflicht. Aber über- dieß gewährte es ihm für alle seine Pläne eine weite Aus- sicht, daß er endlich doch einen Papst gefunden der ihm gün- stig war und sich seiner Politik anschloß. Zuerst war nun die Erneuerung des Concils wirklich zu Stande zu bringen. Am 26sten Juli eröffnete Carl V einen Reichstag, der sich abermals in Augsburg versammelt hatte, mit einer Pro- position, in welcher er die mancherlei noch unvollzogenen Beschlüsse des vorigen Abschieds, auch in Beziehung auf sein Interim, das er trotz der veränderten Umstände mit nichten fallen lassen wollte, in Erinnerung brachte, hauptsächlich aber den Ständen verkündigte, was bisher bei dem römischen Stuhle nicht zu erhalten gewesen, das sey von dem nun- mehrigen Papste bewilligt worden, die Continuation des Con- ciliums zu Trient. Nach allem was im Jahre 1547 vorgegangen, konnte kein Zweifel seyn, daß die Reichsstände sich zur Beschickung desselben bereit erklären würden. Die einzige Frage war, wie es dabei mit der Theilnahme der Protestanten gehalten werden sollte. Wenn Churfürst Joachim II nochmals aussprach, daß ein nationales Concilium dem allgemeinen voraufgehn solle, um dasselbe vorzubereiten, so war das vielleicht an sich zu wünschen, aber bei der Stimmung des Kaisers und der ka- tholischen Stände nimmermehr zu erreichen. Instruction fuͤr die Reichstagsgesandten im Arch. zu Berlin. Diese hatten Neuntes Buch. Drittes Capitel . die ganze Entscheidung dem Concilium vorbehalten, und es war schon zweifelhaft, ob sie die viel näher liegende For- derung der Protestanten daß die an dem Concil bereits ab- gehandelten Artikel aufs neue erörtert, oder wie diese sich ausdrückten, reassumirt werden sollten, genehmigen würden. Mit ausdrücklichen Worten haben sie dieß in der That nicht gethan, aber sie haben es auch nicht verweigert. In einem Reichsgutachten vom 8ten October heißt es: die Bitte einiger Churfürsten und Fürsten gehe dahin, ihre Abgeord- neten über die Puncte zu hören welche bereits decidirt seyn möchten; leicht würde sonst der Ausdruck Continuation des Conciliums ein Mißverständniß veranlassen. Auch dem Kai- ser schien es rathsam sich in dieser Unbestimmtheit zu hal- ten. Die Acten des Reichstags in den Archiven zu Frankfurt, Dresden und Berlin. Indem er Diejenigen, welche Änderungen gemacht, aufforderte sich an das Concilium zu verfügen und ihnen hiefür sicheres Geleit zusagte, wiederholte er die Zusicherun- gen die er schon am vorigen Reichstag gegeben, und die allerdings einige Worte aus dem Gutachten der protestan- tischen Churfürsten enthielten, jene Forderung aber weder ab- schnitten noch auch gewährten. Er zog es vor, so gut diese wie andre Festsetzungen der künftigen Unterhandlung vor- zubehalten. Auch dem päpstlichen Nuntius, der auf die Her- stellung der geistlichen Güter gedrungen, ertheilte er nur eine ausweichende Antwort: er wollte in diesen Dingen sich im Voraus zu nichts verpflichten. Nur das Eine Versprechen gab er, die Beschlüsse welche das Concilium fassen würde zu vollziehen, Deutschland nicht zu verlassen, ehe ein ernst- Successionsentwurf . licher Anfang dieser Vollziehung gemacht worden. Antwort auf die Instruction des Papstes vom 10ten Juni. Der Kaiser spricht die Besorgniß aus, daß nichts geschehen werde, wenn er vorher den Ruͤcken wende. Seine Autorität mit der des Conciliums zu verbinden, war längst sein Gedanke, der nun zur Ausführung reifte. Damit schien ihm aber die Zeit eingetreten, wo er sich noch mit einer andern Absicht hervorwagen könne, die er längst gefaßt, und die nicht minder weitaussehend war. Successionsentwurf. Der Kaiser hegte den Plan, seinem Sohn Philipp, Prin- zen von Spanien, nachmals König Philipp dem zweiten, die Nachfolge im Kaiserthum zuzuwenden. Schon 1548 hatte er daran gedacht, er hatte nur ge- fürchtet, da so vieles andre im Werke und noch zweifelhaft war, die Eifersucht die das Haus Östreich ohnehin erweckte allzustark zu machen. Darauf beziehen sich die Aͤußerungen Koͤnig Ferdinands in seinem Schreiben vom 15 Juli bei Bucholtz IX, 732. Wie andre Geschäfte mußte auch dieses erst unterbaut, mit Umsicht vorbereitet werden. Vor allem mußte Philipp selbst gegenwärtig und den deutschen Fürsten bekannt ge- worden seyn. Es hatte einige Schwierigkeiten ihn aus Spanien her- überkommen zu lassen, da man dort schon über die Abwe- senheit des Kaisers mißvergnügt war, und die Cortes von Valladolid erklärten sich dagegen. Der Kaiser befriedigte sie dadurch, daß er seinen Neffen Maximilian, dem er so eben Neuntes Buch. Drittes Capitel . seine Tochter Maria vermählte, — denn einen Prinzen von Geblüt sahen sie nun einmal gern an ihrer Spitze — mit der einstweiligen Verwaltung der spanischen Regierung beauftragte. Der Vorwand, wohl auch ein Grund, nur nicht der wichtigste oder einzige, wofür er hier gelten mußte, war der, daß Philipp in den Niederlanden eingeführt werden und die Huldigung daselbst empfangen sollte. Die vornehmste Ab- sicht aber galt unverkennbar dem Reich und den Deutschen. Der Prinz gab sich auch in kleinen Dingen eine fast zu sichtbare Mühe sich den Deutschen anzunähern. Nur auf deutschem Roß wollte er reiten, als er in Trient ankam, auf deutsche Weise tanzen, deutschen Gelagen beiwohnen: es fiel um so mehr auf, da er das alles nicht eben auf das geschickteste vollzog. Ohne Zweifel um Vieles besser erwogen war es, wenn man die Ankunft des Prinzen mit Gnadenbeweisen in po- pulärem Sinn bezeichnete: die armen Ulmer Prädicanten hat- ten so lang in ihrem Gewahrsam schmachten müssen, bis der Prinz erschien um sie zu befreien. In gewissen Kreisen hielt man die Nachfolge des Prin- zen im ersten Augenblick für eine ausgemachte Sache. Die Herzogin von Baiern hatte dem Ankommenden et- was mehr Ehre erwiesen, als den Hofräthen angemessen schien: und dafür sagte ihr denn der Bischof von Trient einige belobende Worte. „Ehrwürdiger Herr,“ erwiederte sie, „ich thue nur meine Pflicht gegen S. Hoheit, der einst- mals unser Herr seyn wird.“ Churfürst Moritz hatte den Prinzen persönlich in Trient eingeholt und war mit demselben, wenn wir den Briefen des Successionsentwurf . Carlowitz trauen dürfen, in das vertraulichste Verhältniß ge- treten. Man wollte wissen, um seine Stimme angegangen habe er gesagt, er sey dem Sohne so ergeben wie dem Vater. Ganz ernstlich nahmen die jungen Landgrafen von Hes- sen die Sache. Das wahre Mittel ihren gefangenen Vater zu erledigen, sahen sie in der Unterstützung welche die bei- den Churfürsten die einst für ihn gutgesagt, Sachsen und Brandenburg, bei diesem Vorhaben dem Kaiser würden zu Theil werden lassen, und trugen kein Bedenken sie darum zu ersuchen. Wilhelm und Ludewig LL. zu Hessen an unsre gnedigste Herrn die Churfuͤrsten zu Sachsen und Brandenburg, Ziegenhain 19 Maji 1549. „Bitten demnach ganz freundlich, E. L. wollen sich nichts verhindern lassen, nochmals an seumen an keys. hove sich zu verfu- gen, den Printzen von Hispanien unsern herrn und freundt an der hant zu behaltten, den bischoff von Arras, als an dem wir horen vil gelegen zu sein, willig zu machen, und sich gegen Keysr Mt Printz Philippsen uf den Fall zu einem Romischen konige zu erwelen und keysr Mt einen stattlichen Reiterdienst zu thun erbieten, wie E. L. das hiebevor zu vielmalen durch uns geschrieben und eroffnet. So glau- ben wir gewißlich es werde was wirken.“ Wie es wohl zu gehn pflegt, Derjenige erfuhr am spä- testen von der Sache, den sie am meisten angieng, König Ferdinand. Endlich aber drang doch das Gerücht, und zwar in der härtesten Form, als sey es die Meinung des Kaisers ihm die Würde und das Amt eines römischen Königs zu entreißen und dieselben auf Philipp zu übertragen, bis zu ihm vor, und er hielt für gut, nicht zwar geradezu seinen Bru- der, aber seine Schwester Maria, die um die geheimsten Anschläge und Verhandlungen zu wissen pflegte, darüber zu fragen. Er that dieß jedoch nicht ohne hinzuzufügen, Neuntes Buch. Drittes Capitel . er halte für so gewiß wie das Evangelium, daß sein guter Bruder, welcher ihm immer ein Vater gewesen, nicht an eine Sache denke die ihm so wenig zum Vortheil und zur Ehre gereiche. Darüber nun wie er das Vorhaben auffaßte, konnte die Königin ihn beruhigen. Obwohl sie sich für nicht hinreichend unterrichtet erklärte, ließ sie doch so viel erkennen, daß nur von einer Versicherung des Reiches nach dem Tode beider Majestäten die Rede sey. Bald aber trat sie einen Schritt näher und gab deutlichere Auskunft. Nach ihrer Auffassung gieng der Gedanke des Kaisers nur dahin, das Verhältniß das zwischen den Vätern bestand, auch auf die Söhne zu vererben. Ferdinands Sohn Ma- ximilian sollte dereinst wie Ferdinand römischer König, Phi- lipp wie sein Vater Carl römischer Kaiser werden. Bisher war wohl nichts verabredet, aber man hatte in der Vor- aussetzung gelebt, daß nicht allein nach dem Abgange Carls sein Bruder ihm in dem Kaiserthum nachfolgen, sondern daß der Anspruch auf diese ohnehin keineswegs erbliche Würde den Söhnen desselben, der in Deutschland angesiedelten Li- nie, nicht einem in Spanien erzogenen Prinzen, zufallen sollte. Auch der ermäßigte Plan war doch der ferdinandeischen Fa- milie unerwartet und in hohem Grade widerwärtig. Maria stellte dem römischen König vor, Philipp werde nur selten im Reiche erscheinen können; für ihn werde aus jener Würde nur die Pflicht hervorgehn, dasselbe zu unter- stützen; aller Vortheil davon werde doch dem Hause Fer- dinands zufallen, zumal da sich Philipp in diesem Fall mit einer seiner Töchter zu vermählen bereit sey. Sie erinnerte ihn an das Verdienst, das sich der ältere Bruder um ihn Successionsentwurf . erworben, indem er ihm die Würde eines römischen Königs verschafft habe, ohne an den eignen Sohn zu denken. Schreiben der Koͤnigin 1 Mai 1550. Vous auriez satisfet a l’obligation de rendre a S. M é le bien qu’il vous a fait de vous avoir preferé a son propre fils en ladite dignité, par etre cause de l’avoir rendu au sien en le preferant au votre, lequel nean- moins demoroit avec plus de commandement a l’empire que led. S r Prince, voiant que peu il porroit etre audit empire. Ferdinand antwortete: wie bisher, so wolle er auch fortan alles thun was zum Dienst seines Bruders und des Prinzen gereiche: nur nicht in diesem Puncte, der nicht dienlich sey. hors cela, hors ledit article, qui n’est a propos. Bei Bucholtz IX, 732. So standen die Verhältnisse, als die beiden Brüder am Reichstag zusammentrafen. Sie sahen einander in der Stadt und machten eine kleine Reise mit einander nach München: von dieser Angelegenheit war zwischen ihnen nie die Rede. Auch die Räthe gedachten derselben nicht mit einem Worte. Will man den Grund davon wissen, so drückt ihn der jüngere Granvella unverholen aus. Er meint, wenn man die Sache einmal vornehme, müsse man den König nicht Athem holen lassen, bis er nachgegeben habe. Dazu sollte die Königin Maria, auf die auch Ferdinand von jeher das größte Vertrauen gesetzt, von den Niederlanden herbeikom- men. Sie selbst giebt einen Vorwand an, unter dem sie erscheinen könne. Aber auch Ferdinand, der wohl ahnen mochte was man ihm nicht sagte, suchte sich Hülfe. Er sprach den Wunsch aus, daß sein Sohn Maximilian aus Spanien zurückkeh- ren möchte. Neuntes Buch. Drittes Capitel . Ich finde, der kaiserliche Hof erschrak hierüber; der Kai- ser und der Prinz giengen mit den beiden Granvellas förm- lich zu Rathe. „Der Hunger“, meinten sie, „treibe den Wolf aus dem Holz.“ Sie beschlossen jedoch ihre Absichten noch nicht zu entdecken; fortwährend vermied der Kaiser mit sei- nem Bruder in die Region dieser Pläne zu kommen; der jüngere Granvella ward sogar beauftragt demselben seine Be- sorgnisse auszureden. Schreiben Granvellas 25 August, im Anhang. Bei der Sammlung der Pap. d’ét. haͤtte man sich nicht so ausschließend an die Besan ç onschen Papiere halten, sondern Wien und besonders Bruͤs- sel consultiren sollen. Erst als Maria angekommen, im September, geschah die Eröffnung. Der König erklärte jedoch, er könne ohne die Anwesen- heit seines Sohnes, den die Sache am meisten angehe, sich in nichts einlassen. Schon waren alle Vorbereitungen zur Rückkehr desselben getroffen. Als Maximilian angelangt, kam auch Maria aus den Niederlanden wieder, und nun erst, im December 1550, begannen ernstliche Unterhandlungen. Da sie mündlich gepflogen wurden, so sind wir über ihren Gang nicht authentisch unterrichtet. Der päpstliche Nuntius, der die Verhandlung mit ge- spannter Aufmerksamkeit verfolgte, behauptet, bei den ersten Eröffnungen sey von einer Erledigung der noch schwebenden Würtenberger Irrungen zu Gunsten des Königs die Rede gewesen; eine Geldhülfe von ein paar Millionen sey ihm zur Fortsetzung des türkischen Krieges angetragen worden. Später wollte man wissen, die Königin sey unwillig über die Räthe Ferdinands, ja über ihren Bruder selber, der Successionsentwurf . ihr wenigtr Zutrauen schenke als diesen Räthen: man wollte bemerken, daß sie einst ganz entrüstet von ihm gegangen, und auch er sie gegen seine Gewohnheit nicht begleitet habe. Lettere dell’arcivescovo Sipontino. Inff polit. Dispacci fiorentini. In dem Publicum liefen sehr abenteuerliche Erzählun- gen über die Entzweiung um, die in der Familie und unter den Räthen des Kaisers und des Königs ausgebrochen sey. Im Februar 1551 faßte endlich der Nuntius einmal das Herz, den Kaiser darüber zu befragen. Der antwortete, er sey bei sich selbst noch nicht entschieden, ob die Sache zum Heile der Christenheit nothwendig seyn werde. Wir sehen nur: die Unterhandlungen waren in tiefes Geheimniß gehüllt: einige Schwankungen mochten eintreten: zuletzt aber führten sie doch zum Ziele. Am 9ten März ward ein Tractat zwischen König Fer- dinand und Prinz Philipp geschlossen, Acte d’accord passé entre Ferdinand roi des Romains et le prince Philippe des Espaigns, le 9 mars 1551 st. d. R. Im Anhang. worin der erste sich anheischig machte, mit allen geeigneten Mitteln dahin zu wir- ken, daß die Churfürsten „nach den glücklichen Tagen des Kaisers“ und sobald er, der König, zum Kaiser gekrönt seyn werde, den Prinzen zum römischen König zu wählen verspre- chen sollten. Man wollte sie ersuchen, dieser Versicherung die andre hinzuzufügen, nach dem Tode Ferdinands und der Krönung Philipps zum Kaiser den jungen Maximilian zum römischen König zu erwählen. In diesem Sinne ward eine Instruction entworfen, die den Churfürsten vorgelegt werden sollte. Allein man konnte sich nicht verbergen, daß es sehr Neuntes Buch. Drittes Capitel . schwer seyn werde, einen so weit in die Zukunft vorgreifen- den Antrag bei ihnen durchzusetzen. Man sah die Antwort voraus, daß eine Bestimmung dieser Art außerhalb ihrer Be- fugnisse liege. Auf diesen Fall beschloß man, daß ein Ver- sprechen Philipps, zu seiner Zeit die Erhebung Maximilians zum römischen König befördern und diesem alsdann die Ad- ministration des Reiches auf dieselbe Weise überlassen zu wol- len, wie sie Ferdinand jetzt führe, genügen solle. Es wur- den noch mehrere Bestimmungen getroffen, z. B. über die Unterstützung die Philipp dem jetzigen römischen Könige bei seinem Krönungszug, ferner gegen jede Rebellion sowohl im Reiche wie in den Erblanden zu leisten habe, über die neue Verbindung der Familien durch die obgedachte Vermäh- lung Philipps; die merkwürdigste, däucht mich, ist die fol- gende. Sollte das Concil, heißt es in dem Tractat, was Gott verhüte, nicht bei Lebzeiten des Kaisers zu Ende ge- bracht werden, oder sollte es den erwünschten Ausgang zur Abhülfe der Sachen des Glaubens und unserer heiligen Re- ligion nicht haben, so verspricht der Prinz, den König zu un- terstützen einmal zum guten Erfolg des Concils, sodann in dessen Ermangelung in jeder andern Weise, um den An- gelegenheiten unseres heiligen Glaubens und der Religion abzuhelfen. S’il advenait, que dieu ne veuille, que duvivant dud. S e Empereur le concile indiqué ne s’acheva ou qu’il n’eut la fin qu’on pretend e desire pour le remede de la ste foy et religion, en ce cas led. sieur prince a promis e promet d’assister pour le bon effet icelui S r roi. Ich darf wohl nicht verschweigen, daß ich kein unterzeich- netes Exemplar dieses Vertrages gesehen habe, sondern nur Successionsentwurf . eine Abschrift, in dem Brüsseler Archiv: allenfalls könnte Jemand vermuthen, daß derselbe nur vorgelegt und viel- leicht nicht vollzogen worden sey. Er bliebe auch dann sehr merkwürdig, weil er die Gedanken des Kaisers, seines Hofes und seiner Räthe besser als irgend ein anderes Do- cument darlegt das bisher bekannt geworden ist. Aber in der That finde ich doch nichts was einen ernstlichen Zwei- fel an der Annahme dieser Verabredungen begründen könnte. Wenigstens ist die im Vertrag erwähnte Instruction von dem römischen König zugleich mit dem Kaiser den Churfür- sten vorgelegt worden. Ferdinand bekennt darin, daß er nach dem Abgang seines Bruders die Hülfe seines Neffen, des Prinzen von Spanien, nicht werde entbehren können: um diesen aber zu vermögen solche zu leisten, sey wohl das einzige geeignete Mittel, daß man ihm jetzt gleich versichere, ihn zu seiner Zeit zum römischen König und künftigen Kai- ser zu wählen. Über die Ansprüche seines Sohnes drückt er sich ganz aus, wie in dem Vertrag festgesetzt worden war. Instruction, schon durch Schmidt und Bucholtz ziemlich be- kannt. Die Urschrift im 12ten Band der Bruͤsseler Documente bie- tet doch noch einiges Eigene. Die Churfürsten erstaunten daß er es that: sie waren über- zeugt, er werde es nicht ernstlich gemeint, nicht gern gethan haben: aber genug, er hat es gethan. Nun sind dieß aber nicht einfache Successionspläne, sondern sie hängen mit allen politischen und kirchlichen Ab- sichten des Kaisers aufs genaueste zusammen. Dem Kaiser entgieng nicht, wie hinderlich es ihm sey, daß man seinen baldigen Tod erwartete und mit demselben eine Auflösung Neuntes Buch. Drittes Capitel . aller derjenigen Verhältnisse welche Deutschland wieder in so nahe Beziehung zu dem südlichen Europa gebracht, und dem Kaiserthum eine so eigenthümliche Stellung und Kraft gegeben hatten. Für die Durchführung seiner Gedanken hatte es unendlichen Werth, wenn Jedermann voraussah, daß auch in Zukunft der König von Spanien zugleich das Kaiserthum besitzen und es in dem nunmehr festgesetzten Sinne verwalten werde. Dadurch würde zugleich, wie doch ein Jeder begehrt, das was er zu Stande gebracht, die Gestalt die er der Welt zu geben gedachte, auf immer be- festigt worden seyn. Ausdrücklich, wie wir sahen, verpflich- teten sich sein Bruder und sein Sohn die Absichten auszu- führen, welche er in Beziehung auf das Concilium und die Einheit des Glaubens hegte. Um so wichtiger ist es, wie diese sich jetzt weiter entwickelten. Die Protestanten in Trient. Außer den übrigen Beweggründen deren wir gedacht, trugen noch Bedrohungen mit einer Nationalkirchenversamm- lung, dieß Mal von Seiten des französischen Hofes, der über die Verbindung des Kaisers mit dem Papst sehr un- ruhig wurde, dazu bei, um Julius III zu vermögen, die Ausführung seines einmal gegebenen Versprechens auf keine Weise zu verzögern. Ende April 1551 erlebten die kaiserlichen Prälaten welche in Trient zurückgeblieben waren und sich so standhaft gewei- gert hatten den Legaten Pauls III nach Bologna zu fol- gen, den Triumph, daß die Legaten eines neuen Papstes zu Die Protestanten in Trient . ihnen nach Trient kamen, um das unterbrochene allgemeine Concil fortzusetzen. Eigentlich nun erst erhielt es den Character der ihm ur- sprünglich vom Kaiser zugedacht worden: es ward jetzt Ernst mit dem Gedanken, die in Deutschland erhobenen religiösen Streitfragen unter lebendiger Mitwirkung der Deutschen auf einem allgemeinen Concil zur Entscheidung zu bringen. Die erste Eroͤffnung fand am 1 Mai Statt, allein zu der Verhandlung zu schreiten schob man bis zum 1 September auf, „per aspettare i Tedeschi.“ Pallavicini XI, xiv , 4. Am letzten Tage des August nahmen die Churfürsten von Mainz und von Trier in der allgemeinen Congregation persönlich ihren Platz ein: die ältesten erzbischöflichen Sitze hatten ihnen den Rang gelassen. Nach einiger Zeit langte auch der Erzbischof von Cölln an; andre Prälaten folgten. Die Hauptsache aber war, daß indeß auch protestanti- sche Theologen und Procuratoren sich fertig machten, am Concilium zu erscheinen. Da diese aber durch keine kirchliche Würde eine Be- deutung besaßen, die persönlich in ihnen geruht hätte, son- dern nur als Repräsentanten der evangelischen Gemeinschaft etwas waren, so bereitete man ihre Sendung durch neue Bekenntnißschriften vor. Das geschah wohl nicht darum, wie man gesagt hat, weil dem Kaiser schon die Benennung der schmalkaldischen Artikel, die einst zu ähnlichem Behuf aufgesetzt worden, oder auch der augsburgischen Confession so verhaßt gewe- sen wäre, daß man ihm damit nicht hätte kommen wollen. Wir wissen recht gut, daß die Abfassung der frühern Confes- Ranke D. Gesch. V. 9 Neuntes Buch. Drittes Capitel . sionen mit Rücksicht auf die obwaltenden Verhältnisse un- ternommen worden war. So sollte es auch dieß Mal ge- schehen. Zurückgezogen nach Dessau, um von den Zerstreuun- gen der Universitätsgeschäfte ungestört zu bleiben, verfaßte Melanchthon die sogenannte sächsische Confession, die er als eine Wiederholung der augsburgischen bezeichnet, wofür sie auch anerkannt worden ist, die aber doch sehr auf den Stand der Streitfragen Bezug nimmt, wie er in diesem Augenblicke war. Ein Schreiben Melanchthon an Kommerstadt giebt eine solche Ruͤcksicht an. Corp. Ref. VII, 796. Die evangelischen Lehren von der Recht- fertigung und der Kirche — in so fern wieder eine und die- selbe, als sie beide auf einem Zurückgehn von dem Äußer- lichen und Zufälligen auf das Innerliche, Ächte, in der hei- ligen Urkunde Enthaltene beruhen — mußten nochmals her- vorgehoben und erläutert werden, da man eben in diesen Puncten zuletzt mit der katholischen Doctrin in eine Be- rührung gerathen war, welche neue Zweifel erweckt hatte. Auch die Lehre vom Abendmahl ward in dem Sinne der noch obwaltenden Concordie ausführlicher erörtert. Indessen ver- faßte Johann Brenz, der seitdem wunderbare Schicksale er- lebt hatte, — Volkssagen symbolisiren die Gefahren die er be- stand und die Rettung die er erfuhr: eine Zeitlang hatte er als Vogt fungiren müssen, — und sich noch immer verborgen hielt, damals im Kloster Sundelfingen, im Auftrag des Her- zogs von Würtenberg eine ähnliche Bekenntnißschrift, unter verwandten Gesichtspuncten. Es ist ein müßiges Vergnü- gen der Gegner der Protestanten, über ihre mancherlei Con- fessionen zu spotten. Die Bekenntnisse enthielten die Lehre bis- Die Protestanten in Trient . her niemals in einer Formel, welche als unfehlbar und allein- gültig betrachtet worden wäre: man konnte sie bei veränder- ten Umständen auch mit andern Worten als den einmal fest- gesetzten schriftgemäß ausdrücken; genug, wenn man das We- sen der Sache behauptete. Die würtenbergische Confession ward in Stuttgart von eilf der nahmhaftesten Theologen ge- prüft und unterzeichnet; die sächsische von den Professoren und Predigern im Gebiete des Herzog Moritz, des Mark- grafen Georg Friedrich von Anspach, der Herzoge von Pom- mern, der Harzgrafen angenommen. Da man nicht hätte wagen dürfen eine allgemeine Versammlung zu berufen, so rechnete man auf allmähligen Beitritt. G. Major an Christian III von Daͤnemark bei Schumacher II, 152: „dieweil alle Theologen so vieler Oberkeith zusammenzu- fordern fast schwer, auch viele Oberkeith sich in solche sache einzu- lassen ein bedenken haben mochten.“ Die Straßburger unterzeichneten die eine und die andre Schrift. Zunächst kam es aber nicht auf Confessionen an: bei dem Stande der Dinge war die Vorfrage über die Art und Weise der neuen Berathung noch von größerer Wichtigkeit. Die Protestanten würden sich selbst das Urtheil gespro- chen haben, wenn sie die bei den frühern Sitzungen in Trient durchgegangenen Decrete anerkannt hätten: sie blieben bei ihrer Forderung der Reassumtion. Und zwar waren sie hiebei der Meinung, daß das ganze Verfahren an dem Concilium abgeändert werden müsse. Me- lanchthon sagte, der Papst und seine Anhänger seyen von den Protestanten so vieler Irrthümer angeklagt, daß eine von ihnen ausgehende Entscheidung nichts anders seyn würde 9* Neuntes Buch. Drittes Capitel . als ein Urtheil in eigner Sache. Sententia et judicium Melanthonis de concilio triden- tino. Corp. Ref. VII, 738. Er kam auf den Gedan- ken zurück, daß man unparteiische Prälaten und Fürsten, die freilich zuerst ihrer Eidespflicht gegen den Papst zu entledi- gen seyen, aufstellen müsse, um zwischen beiden Parteien zu entscheiden. In verwandtem Sinn wurden Ende Septem- ber auch die würtenbergischen Gesandten instruirt, obwohl man hier, wo man der Gewalt so viel näher war, noch mehr Anlaß hatte, Rücksicht zu nehmen. Die päpstlichen Le- gaten sollten nicht mehr präsidiren: sie sollten nicht das Vor- recht haben die consultirenden Theologen anzustellen: den Cle- rikern sollten nicht allein die entscheidenden Stimmen zustehen: vor allem wollten sie auch über die bereits entschiedenen Ar- tikel gehört seyn. Instruction des Herzogs von Wuͤrtenberg an seine Gesand- ten nach Trient, 29 Sept. 1551. Sattler IV, Urkk. 30. Wenigstens die erste dieser Forderungen war dem Kai- ser schon am Reichstag vorgelegt worden; er fand jedoch damals nicht rathsam, weder sie anzunehmen noch sie zurück- zuweisen: er fürchtete Streitfragen anzuregen, welche alles verderben könnten. Jetzt aber war kein längeres Verziehen möglich: eine feste Meinung mußte ergriffen werden, sey es von ihm oder von seinen Bevollmächtigten. Höchst merkwürdig: der kaiserliche Orator am Concil, Licentiat Vargas, erklärte sich ganz im Sinne der Protestan- ten. In einem seiner Briefe an den Bischof von Arras heißt es, die bereits verhandelten Artikel müßten alle wieder aufgenommen werden, von dem ersten über die Erbsünde bis auf die letzte Controverse. Die Protestanten in Trient . Und nicht minder war es seine Meinung, daß die Ver- fassung des Concils überhaupt geändert werden müsse. Wir haben eine Denkschrift von ihm, in welcher er das Verfah- ren des päpstlichen Hofes während der frühern Sessionen, als ein solches, das nur dahin gezielt habe die Mitglie- der in Knechtschaft zu halten, sehr ernstlich tadelt, den Vor- sitz der Legaten überhaupt verwirft, und die Praxis der al- ten Concilien, die Rechte welche den Kaisern dabei zustan- den, wiederhergestellt wissen will. Memoire sur la maniere de regler le concile, in Levassor Lettres et memoires de François de Vargas etc. p. 42. Diese Denkschrift ward vor der Eröffnung des Conciliums geschrieben, und um so bedeutender ist es, daß der Kaiser den Verfasser derselben zu seinem Bevollmächtigten in Trient ernannte. Wir werden den Kaiser nicht so verstehen, als ob er eine geheime Hinneigung zu den Lehrsätzen der Protestanten genährt hätte: davon war seine Seele frei; allein einmal wollte er ihnen nichts auflegen lassen was sie zu offenem Wi- derspruch treiben konnte; sodann war seine Absicht nur gewe- sen sie zur Idee der Einheit zurückzuführen, dem Concilium zu unterwerfen: wenn sie innerhalb dieser Grenze dem Papst- thum Widerstand leisteten, so waren sie vielmehr seine Ver- bündeten als seine Feinde : sie konnten doch niemals anders als sich an das Kaiserthum halten: sie unterstützten seine Politik, welche die alte blieb, auch als er einen befreundeten Papst hatte. Umstände, die freilich nicht dazu beitragen konnten, den Prälaten, die an den herkömmlichen Begriffen des Pontifi- cates festhielten, die Ankunft der protestantischen Abgeordne- ten wünschenswerth erscheinen zu lassen. Neuntes Buch. Drittes Capitel . Anfangs wollten sie nicht glauben, daß die Protestan- ten überhaupt sich einfinden würden: je mehr sich dazu ge- wisse Aussicht zeigte, desto stärker sprachen sie ihren Abscheu dagegen aus: „sie thun alles,“ sagt Vargas, „um den Pro- testanten die Thüre des Conciliums zu schließen.“ Vargas à l’eveque d’Arras, 7 Oct. 1551. Bei Levassor p. 117. Eine erste voraufgehende Frage betraf die Form des ihnen zuzugestehenden sicheren Geleites. Allem Widerstreben des Legaten zum Trotz setzten die kaiserlichen Minister durch, daß dabei die Formel welche das Concil zu Basel, dessen Andenken der römischen Curie ver- haßt war, den Hussiten bewilligt hatte, zu Grunde gelegt, dagegen ein Canon des Costnitzer Concils, durch welchen die den Nicht-Rechtgläubigen zu haltende Treue in Zweifel ge- zogen ward, ausdrücklich zurückgenommen wurde. Schon hatte der kaiserliche Hof dafür gesorgt, daß kein entscheidender Schritt vor ihrer Ankunft geschah. Eine der ersten Arbeiten der neuen Versammlung war die Erörterung der Streitfragen über die Eucharistie. Wäre, wie es wirk- lich beabsichtigt wurde, gegen das Empfangen derselben un- ter beiderlei Gestalt entschieden worden, so würde dieß einer Abkunft mit den Protestanten mächtig in den Weg getreten seyn. Wenige Tage vor der anberaumten Session lief ein Schreiben des Kaisers ein, worin er auf Suspension der Beschlußnahme drang. Der Legat Crescentio fuhr anfangs heraus, er wolle lieber abdanken, als die Schmach des Con- ciliums dulden, daß es mit so gut vorbereiteten Decreten zu- rückhalten müsse; aber zuletzt gab er nach. Die Protestanten in Trient . Der von dem Kaiser eingesetzte und ihm dafür dop- pelt ergebene Churfürst von Cölln äußerte den Gedanken, daß alle Beschlüsse nur vorläufig genommen und erst zuletzt zu einer definitiven Entscheidung zusammengefaßt werden soll- ten. Ein Gedanke, der die momentanen Schwierigkeiten ziem- lich gehoben hätte und mit der Politik des Kaisers, die da- durch den weitesten Spielraum erlangt haben würde, ganz gut zusammentraf. Am 24sten Januar 1552 ließen sich nun die ersten Pro- testanten, zunächst die weltlichen Procuratoren, denn nur erst diese waren angelangt, in der öffentlichen Sitzung des Con- ciliums vernehmen. Der Legat fand die Vollmachten welche die Fürsten den- selben gegeben, ungenügend, weil sie darin nicht ausdrück- lich gesagt, daß sie sich den Entscheidungen des Conciliums zu unterwerfen bereit seyen, ja sogar anstößig, in so fern in denselben von einer geistlichen und weltlichen Reform die Rede war; er verwahrte sich durch eine besondre Schrift gegen jedes Präjudiz das daraus entspringen könne. Die kaiserlichen Minister ließen jedoch diese Protestation nicht zu öffentlicher Verlesung kommen: sie ihres Orts waren mit den Vollmachten zufrieden. Zuerst erschienen die würtenbergischen Procuratoren und überreichten die von Brenz verfaßte Confession, zu deren Er- läuterung und Vertheidigung ihr Herr in Kurzem seine Theo- logen senden werde. Sie setzten voraus, daß dann die schon verhandelten Artikel nochmals erwogen würden; zu dieser Erörterung aber forderten sie die Aufstellung unparteiischer, dem Papst nicht verpflichteter Richter. Neuntes Buch. Drittes Capitel . Die Versammlung erwiederte, sie werde diese Dinge in Erwägung ziehen, und beschäftigte sich hierauf mit einem Ge- suche des Churfürsten von Brandenburg in Hinsicht des Erz- bisthums Magdeburg, das sie gewährte. Die Ausdruͤcke deren sich der brandenburgische Gesandte be- diente, dem alles daran lag Magdeburg fuͤr einen jungen Markgra- fen zu gewinnen, gehen so weit, als es fuͤr einen Protestanten moͤg- lich war, und selbst noch weiter: doch waren sie so wohl abgewogen, daß sich doch keine ernstliche Verpflichtung daher leiten ließ. Vargas bemerkt: il ne specifie point en quoi il se soumet au concil. Am Nachmittag traten die Gesandten des Churfürsten Mo- ritz auf und zwar mit einer Rede, die von allen die am Conci- lium vorgekommen, wohl die merkwürdigste, von dem Herkom- men abweichendste ist Bei Rainaldus XXII, 64. Dr Badehorn trug sie vor. — in welcher sie nicht allein ebenfalls die Reassumtion der schon beschlossenen Artikel und die freie Theilnahme der Theologen an der Besprechung derselben for- derten, sondern auch den protestantischen Grundsatz aufstell- ten, daß bei der Entscheidung die heilige Schrift die einzige Norm zu bilden habe. Auch sie forderten, daß die Mitglie- der des Concils vor allem des Eides, mit dem sie dem Papst verpflichtet seyen, erledigt würden, aber zugleich fügten sie hinzu, im Grunde verstehe sich das von selbst. Denn wie könne sonst wahr seyn, was doch durch die Synoden von Basel und Costnitz festgesetzt worden, daß der Papst dem Concil unterworfen sey. Frei müsse Stimme und Zunge sich fühlen; man müsse nicht nach dem Winke des Einen oder des Andern reden, sondern allein nach den Geboten der hei- ligen Schrift. Dann erst lasse sich erwarten, daß man über die Lehre gültige Satzungen machen, Haupt und Glieder re- formiren, den Frieden der Kirche herstellen werde. Die Protestanten in Trient . Zum ersten Mal berührte das protestantische Prinzip die conciliaren Bestrebungen unmittelbar; die Rede rührt ohne Zweifel von Melanchthon her; sie hatte an dem Concil den größten Erfolg. „In voller Sitzung“, ruft der Bischof von Orense freudig aus, „haben sie ausgesprochen, was wir uns nicht zu sagen getrauen.“ Er urtheilt, in den Reden der Prote- stanten finde sich neben Schlechtem doch auch vieles Gute; sehr weislich habe der Legat dafür gesorgt, daß sie nicht von einer größern Anzahl gehört worden seyen. 24 Januar. Bei Levassor p. 472. „Das Schlachtfeld ist eröffnet,“ sagt Vargas: „Me- lanchthon und seine Gefährten können nun nicht mehr ver- weigern zu erscheinen: aber es ist nothwendig daß sie eilen.“ Er bemerkt, der Papst und seine Minister seyen in hohem Grade erschrocken: es scheine ihnen, als gehe die Absicht des Kaisers auf eine durchgreifende Reformation. Daß dem wirklich so war, ergiebt sich unter andern auch aus einem Schreiben Malvendas. So lebhaft er sonst die Protestanten bekämpft hat, so ist er doch mit ihren Re- formtendenzen höchlich zufrieden. Er findet, da nun einmal die Sache so öffentlich zur Sprache gekommen, so könne S. Majestät nun auch den Papst erinnern, ja bei Pflicht und Ehre und Gewissen auffordern, die alten Mißbräuche zu heben. Schon glaubte sich der Legat so ernstlich gefährdet, daß er mit einem Schreiben des Kaisers hervortrat, worin die- ser versprach, die Opposition seiner Bischöfe gegen die päpst- liche Gewalt zu verhindern. Doch machte er damit nur Neuntes Buch. Drittes Capitel . wenig Eindruck. Vargas meinte, mit dieser Zusage habe man wohl nur den Papst zur Wiedereröffnung des Concils be- wegen wollen; gewiß beziehe sie sich allein auf die gegründe- ten und vernünftigen Ansprüche desselben; bei der Abschaf- fung augenscheinlicher Mißbräuche könne den Prälaten die Hand damit nicht gebunden seyn. Am römischen Hofe war man auch dadurch in Schrecken gesetzt, daß die spanischen Prälaten den Augenblick benutzen zu wollen schienen, um die Collation der Pfarren und Pfrün- den in Spanien ihm entweder ganz zu entziehen oder doch gewaltig zu schmälern. „Daraus soll nichts werden,“ ruft der Papst aus, „eher wollen wir alles Unglück erwarten, eher wollen wir die Welt zu Grunde gehn lassen.“ Giulio III al C l Crescentio 16 Genn. 1552. Dazu kamen nun die Vorträge der Protestanten, die er als extra- vagant und gottlos bezeichnet. „Unter dem Namen Miß- brauch soll man uns das nicht angreifen was kein Mißbrauch ist; man soll unsre Autorität nicht antasten.“ Pp. Giulio a Monsignor de’ Grassi 20 Febr. 1552. Bis auf diesen Punct gediehen die Dinge in raschem Fortgang auf dem neueröffneten Concilium. Der Kaiser war so weit wie jemals entfernt, dem Papst darin freie Hand zu lassen. Er trieb ihn vielmehr von zwei entgegengesetzten Seiten in die Enge. Die alte Oppo- sition der spanischen Prälaten verband sich jetzt mit den hier zuerst erschallenden Forderungen der deutschen Protestanten. Beide schlossen sich an den Kaiser an, der zugleich in Besitz uralter Ansprüche an eine geistliche Mitherrschaft, eine gewal- tige und trotz aller politischen Verbindungen für das Papst- thum furchtbare Stellung einnahm. Die Protestanten in Trient . Wie er nun aber dieselbe zunächst zu benutzen, wohin er die Dinge zu leiten gedachte? Es kann wohl keine Frage seyn, daß er nunmehr jene Reformation an Haupt und Gliedern, deren Nothwendigkeit ihm schon einst sein Lehrer gezeigt, und sein ganzes Leben ihm weiter kund gethan, zu Stande zu bringen beabsichtigte. Es war wie berührt der erste Gedanke, mit dem er einst sein öffentliches Leben begonnen: die Zeit schien gekommen denselben zu verwirklichen. Minder deutlich erhellt, wie er in Hinsicht der dogmati- schen Festsetzungen gesinnt war: ob er in Deutschland den gan- zen Katholicismus mit den in Trient bereits getroffenen Bestim- mungen, oder nur die allgemeine Einheit, mit den Modifica- tionen die sein Interim festsetzte, einführen wollte. Ich sollte das Letztere glauben. Er war zu den interimistischen Satzun- gen auch darum geschritten, weil er von dem Concilium nichts erwartete, was den Protestanten eine Annäherung möglich machte, ohne Beschimpfung; es hatte ihn unendliche Mühe gekostet sie ins Werk zu setzen. Den Vorschlag den man ihm an dem letzten Reichstage machte, in der Durchführung der- selben mildere Maaßregeln eintreten zu lassen, hatte er zu- rückgewiesen, und vielmehr gedroht bei den Einzelnen nach der Ursache ihrer Säumniß zu forschen: er hatte Ausdrücke gebraucht die man fast auf das Vorhaben einer Inquisition deutete. Die Revision der frühern Decrete, die er offenbar begünstigte, konnte doch, wenn sie überhaupt irgend eine Wirkung haben sollte, nur eben diese haben, daß einige Ab- weichungen der Protestanten geduldet wurden. So wäre denn die Wiederherbeibringung der Abgewiche- Neuntes Buch. Drittes Capitel . nen, die Reformation der Verfassung und die Aufrechterhal- tung der alten Einheit zugleich durchgesetzt worden. Denn daran ist kein Zweifel, daß er nun, wenn die Beschlüsse einigermaßen in seinem Sinne ausfielen, alles zu thun entschlossen war um sie zur Vollziehung zu bringen. Und war es nicht in der That der Mühe werth? Die große Genossenschaft zu behaupten, in der sich die europäi- sche Welt seit ihrer ersten Gründung entwickelt, und doch dabei die Mißbräuche zu heben, welche die Alleinherrschaft der römischen Päpste hervorgebracht hatte, war das nicht wirklich eine eines großen Fürsten würdige Absicht? Mit der Idee verband sich aber der mächtigste persön- liche Ehrgeiz. Das Kaiserthum wäre wahrhaft erneuert worden, es hätte Wurzel für die Zukunft geschlagen. So dachte er es noch selber zu verwalten und dann seinem Sohne als einen Besitz seiner Nachkommen zu hinterlassen. Keinen Augenblick verließ ihn dieser Gedanke. Mit den geistlichen Fürsten hat er noch auf ihrer Reise zum Conci- lium darüber unterhandeln lassen, und wenigstens Einer von ihnen, der Churfürst von Cölln, hatte seine besten Dienste versprochen. Unaufhörlich lud er Brandenburg und Sach- sen ein, ebenfalls in die Nähe zu kommen, um die Sache zum Schluß zu bringen. Man glaubte, er denke sich des Conciliums selber zu seinem Zwecke zu bedienen. Lettera dell arcivescovo Sipontino a Pp. Giulio III. In- form. politt. XXII, f. 252. L’intentione di S M à è di provare ogni via di ottenere questo suo disegno con buona volontà degli elettori et altri principi di Germania, se potrà: altrimenti pre- valersi dell’autorità del concilio: e come è stato gia parlato del modo, questa ombra sarà causa che gli elettori ecclesiastici per- Die Protestanten in Trient . Eine andre Frage freilich ist, ob die Erreichung dieser Absichten wirklich so sehr zum Heile der europäischen Welt gereicht haben würde, wie der Kaiser meinte, — ob sie sich auf dem Standpunct befand, wo die Wiederherstellung des Kaiserthums mit seinen kirchlichen Attributen ihr förderlich seyn konnte, — ob namentlich Deutschland sich Glück dazu zu wünschen hatte, Satzungen, wie sie das tridentinische Con- cilium faßte, wenn sie auch gemildert worden wären, anneh- men zu müssen, mit alle seinem besondern nationalen Bestre- ben einer allgemeinen Combination zu dienen. Wir brauchen jedoch diese Frage nicht zu erörtern. So nah am Ziele erhoben sich dem Kaiser unerwartete Hindernisse. Denn nicht so leicht ist die Welt zu überwinden. Je mehr Jemand Ernst machen wird ihr seinen Willen oder seine Meinung aufzudringen, desto stärker werden die freien Kräfte sich dagegen zum Kampf erheben. sonalmente si ritroveranno al concilio et li secolari vi mande- ranno li procuratori. Ancorche non intendano bene il secreto, pur per una certa ombra che tengono che forse l’imperatore non tratti di farli privare dell’elettione, o veniranno o manderanno ad ogni modo. Man sieht daß die Art und Weise festgesetzt war, die Churfuͤrsten das Geheimniß selbst nicht kannten, aber doch etwas fuͤrchteten. Viertes Capitel . Elemente des Widerstandes in den großen Mächten. Wir haben die kirchlichen Entwürfe des Kaisers, da- von fortgezogen, bis zu dem Zeitpunct begleitet, wo sie ihrer Ausführung näher kommen und sich zugleich erst vollständi- ger entwickeln: und sehen wohl, welch ein universalhistori- sches Interesse sich daran knüpft, ob sie ausgeführt werden oder vielleicht doch noch scheitern; um aber die Kräfte die dabei fördernd oder hindernd auf einander wirkten, und die ganze Lage der Welt zu überschauen, müssen wir noch bei den einzelnen Richtungen verweilen, in welchen sich diese so gewaltig aufstrebende Macht bewegt, und das Verhältniß be- trachten, in das sie zu den übrigen Elementen der damali- gen Welt geräth, die sie bekämpft und die ihr widerstreben. Unsre deutsche Geschichte ist nun einmal in diesem Zeit- alter gleichsam die allgemeine Geschichte. Da der Schwer- punct der deutschen Geschäfte in diesem Augenblicke nicht mehr in der Fürstenversammlung am Reichstage lag, son- dern in dem Kaiser, der aber zu diesem Einfluß hauptsäch- lich durch den Zusatz von Macht gelangt war, welchen er Seekrieg im Mittelmeer . aus seinen außerdeutschen Verhältnissen gewann, so wirkte jede Veränderung dieser letzten, oder auch nur ihr Schwan- ken auf den Gang der deutschen Angelegenheiten zurück. Beginnen wir auch dieß Mal mit dem Entferntesten, dem Seekrieg im Mittelmeer, der jedoch zu der Idee des Kaiserthums, wie es Carl V wiederaufzurichten im Sinne hatte, in unmittelbarster Beziehung steht. Seekrieg im Mittelmeer. Es war ein Act zugleich der Großmuth und der Po- litik, daß Carl V dem aus Rhodus verjagten Orden der Johanniter eine Freistatt in Malta gab. Um den Orden nicht länger umherirren zu lassen, son- dern ihm wieder einen festen Sitz zu verschaffen, „damit er,“ wie es in der Urkunde heißt, „seine Kräfte gegen die un- gläubigen Feinde des christlichen Gemeinwesens gebrauchen könne,“ überließ ihm Carl zur Zeit seiner Kaiserkrönung, noch in Bologna, drei nicht unwichtige Plätze, die zu seinem sici- lianischen Königreich gehörten, Malta, Gozzo und Tripoli in Africa, zwar als ein Lehen, aber mit solchen Rechten die einen beinahe unabhängigen Besitz ausmachten. in perpetuo feudo nobile libero et franco, con mero et misto imperio, con ragione di proprietà d’utile dominio, tal- mente che riconoschino il feudo sopradetto da noi come Regi dell’ulteriore Sicilia et da successori nostri sotto feudo solamente d’uno sparviero osia falcone. Die Urkunde ist zu Castelfranco aus- gefertigt, aber schon zu Bologna concipirt und genehmigt. Dem Orden war es anfangs nicht angenehm, daß ihm auch Tripoli übertragen wurde: er hatte nur um Malta und Neuntes Buch. Viertes Capitel . Gozzo gebeten. Der Großmeister de L’isle Adam ergriff selbst von den Inseln nur mit der Hofnung Besitz, sie bald wieder zu verlassen, entweder nach Rhodus zurückzukehren oder sich im Peloponnes anzusiedeln. Erst als Tunis erobert war, faßten die Ritter das Vertrauen Tripoli behaupten zu können; 1541 fiengen sie an, sich in Malta ernstlich zu be- festigen; der Geschichtschreiber des Ordens bemerkt, daß der Großmeister Omedes erst zwei Jahr später, als sich zeigte daß das Unglück des Kaisers vor Algier doch nicht so ver- derbliche Folgen hatte wie man anfangs gefürchtet, aus sei- ner bisherigen Niedergeschlagenheit erwachte. Bosio Istoria della sacra religione et ill ma militia di S. Giovanni Gierusolimitano II , 225. Vgl. 221: l’armata di mare (des Kaisers) restava in manicra restaurata, chel danno patito sotto Algieri appena si sentiva. Endlich sah er sich wieder von einer glänzenden Ritterschaft, die zu Krieg und Berathung zusammengekommen, zuverläßigen Söldnern, zahlreichen Unterthanen umgeben, und mit Schiffen, Waf- fen, und worauf es auf diesem unfruchtbaren Felsen beson- ders ankam, auch mit Lebensmitteln gut versehen. Für den Kaiser bestand der Vortheil der Ansiedelung darin, daß alle Balleien von Europa beisteuern mußten, um diese dem Angriff der Osmanen jetzt zunächst ausgesetzten, zwar für Alle, doch für ihn noch mehr als jeden Andern wichtigen Grenzplätze zu vertheidigen, eine Pflicht die ihm sonst allein zugefallen wäre. Sein Verhältniß als Ober- lehnsherr und seine natürliche Beziehung zu den vier Zun- gen, Deutschland, Aragon, Castilien und Italien (wie denn von den deutschen und den spanischen Mitgliedern das erste Seekrieg im Mittelmeer . Gesuch an ihn ausgegangen war) verschaffte ihm einen grö- ßern Einfluß auf den Orden als je ein Kaiser gehabt. Seit dem Jahre 1541 waren nun die Corsaren noch beschwerlicher geworden, als sie früher gewesen. Mit ihren kleinen geschwinden Fahrzeugen — wir finden wohl, daß sie erbeutete Galeeren zerschlagen, um sich Galeotten und Fu- sten daraus zu zimmern, — bald einzeln, bald in ganzen Geschwadern, durchstreifen sie alle diese Gewässer: kein Schiff ist vor ihnen sicher, das sich aus dem atlantischen Ocean durch die Meerenge wagt, oder auch nur das zwischen Malta und Sicilien segelt, — kein Dorf an den weiten Küsten- gebieten des inneren Meeres, so daß die Landleute sich ge- wöhnen müssen gute Wacht zu halten, die Nächte in na- hen Castellen zuzubringen: — wie oft hat man in Procida Diejenigen wieder losgekauft die an der neapolitanischen Küste, etwa in Castellamare zu Gefangenen gemacht worden waren. Der Kaiser sah sich genöthigt seine Galeeren in mehrere Geschwader zu theilen, um die Communication zwi- schen seinen Ländern nur einigermaßen zu behaupten. Da kamen ihm nun die Galeeren des Ordens, als deren Ca- pitän wir im Jahr 1542 einen Deutschen finden, Georg Schilling, trefflich zu Statten. Die Ordenschronik schildert ihr mannichfaltiges Zusammentreffen mit den Seeräubern: wie diese sich fast immer mit verzweifelter Tapferkeit schla- gen, namentlich die Renegaten unter ihnen, die freilich den gewissen Tod voraussehen, wenn man sich ihrer bemäch- tigte; wie aber auch die Ritter das weiße Ordenskreuz bis in die entferntesten Buchten furchtbar machen und meisten- theils die Oberhand behalten: die Christensclaven die an den Ranke D. Gesch. V. 10 Neuntes Buch. Viertes Capitel . Rudern seufzen, werden befreit; die jungen Türken die bis- her die Herrn waren, an die Ruder geschmiedet; von dem Kauffahrteischiff flieht wohl zuweilen die türkische Beman- nung an das nahe Land: dann empfangen die Neger auf dem Verdeck tanzend und singend den eindringenden Sieger, der jedoch die Sclaverei als ihren natürlichen Zustand an- sieht und, vielleicht bedauernd, ihn beibehält. Vix contingit Rhodias vel deprimi vel capi, tanta est militum illius ordinis virtus et militaris exercitatio. Calvetus Stella de Aphrodisio expugnato. Schard. II, 372. Von dem größten Nutzen für den Kaiser war ferner die Behauptung von Tripoli, besonders des dortigen Ha- fens, welcher als der beste von allen, 200 Miglien weit nach Osten und 200 Miglien nach Westen hin, angesehen ward. In sehr gefährlicher Nähe, zu Tanjura, faßte ein alter Kiaja Chaireddins, der Renegat Morat Aga, Fuß, der mit einer osmanischen Kriegscolonie die er herbeiführte und mit den Eingebornen auf die er Einfluß gewann, den schlecht befestigten Ort auf das ernstlichste bedrohte. La Valette, der sich später in Malta unsterblich gemacht hat, legte die erste Probe seiner Fähigkeit durch die Einrichtungen ab, die er zur Vertheidigung von Tripoli traf. Den Rittern war der Land- krieg ohnehin fast lieber als der Seekrieg. Besonders wirksam zeigten sich die Hakenschützen zu Pferd, nachdem man einmal die Thiere so gut eingeübt hatte, daß man die Hände für den Gebrauch der Büchse frei behielt. Wir erstaunen, wenn wir bemerken, in welchem Sinne dieser Krieg noch geführt ward. Es ist wohl einmal der Vorschlag geschehen, und Anstalt zu seiner Ausführung gemacht worden, über den Vorzug der Seekrieg im Mittelmeer . einen Religion vor der andern, des katholischen Christen- thums oder des Islam, durch einen Kampf von Zwölf ge- gen Zwölf entscheiden zu lassen: ein sonderbares Gegenstück zu den Religionsgesprächen in Deutschland. Die Ritter be- hielten fürs Erste auch hier in den Waffen die Oberhand. Es gelang ihnen, einzelne Eingeborne, Scheiche großer Dör- fer zwischen Tripoli und Tanjura für sich zu gewinnen, An- hänger Morats dagegen, die in ihre Gewalt fielen, zu dem Schwur auf den Koran zu nöthigen, daß sie in Zukunft die Waffen nicht gegen den Orden tragen wollen. Allmählig gefielen sie sich in dem reichen und anmuthigen Lande. Im J. 1548 hat das Generalcapitel des Ordens den Beschluß gefaßt, seinen Hauptsitz in Zukunft in Tripoli aufzuschlagen, nur mit der Bestimmung, daß dieß nach und nach, die er- sten Jahre versuchsweise geschehen solle. che per quel primo anno si mandassero in Tripoli oltre l’ordinario presidio 50 cavalieri, e che cosi d’anno in anno con- seguentemente s’andasse crescendo fin tanto che la religione tutta in quel loco trasportata si trovasse. Bei Bosio I, 256. Unter den Corsaren jener Zeit war nun kein Andrer so geschwind, glücklich und furchtbar, wie Thorgud Thorgudscha- beg, den die Abendländer Dragut nennen, der wahre Nach- folger Chaireddins, der einst wie dieser an eine genuesische Galeere geschmiedet gewesen, aber durch ein Geschenk, zur rechten Zeit der alten Fürstin Doria dargebracht, wieder frei geworden war, und seitdem alle die berufensten Seeräuber, Gasi Mustafa, Uludsch, Karakaso und Andere als ihr natürli- ches Oberhaupt um sich versammelt hatte. Wir erinnern uns, wie sich Carl V nach jenem seinem tunisischen Unternehmen 10* Neuntes Buch. Viertes Capitel . der Stadt Afrikija oder Mehdia zu bemächtigen dachte, wo Juden und Mauren, welche aus Spanien und Portugal verjagt worden, sich eine Art von Republik gegründet hatten. Dieses Platzes bemächtigte sich Dragut mit einer glücklichen von Verrätherei unterstützten Verschlagenheit, und suchte nun von hier aus, je nachdem die Loose des Alfaqui, den er befragte, gefallen, bald die Küsten von Valencia auf, wo er Freunde unter den Morisken hatte, bald die genuesische Riviera, um sich den Doria wieder einmal bemerklich zu machen, oder Gozzo, das er besonders gehaßt haben soll, weil ihm dort ein Bruder gefallen und dessen Leiche nicht herausgege- ben worden: oder wohin das unglückliche Gestirn eines Land- striches ihn führte. Den Seeraub hielt er für sein gutes Recht: er hat wohl den Rittern ihre Grausamkeit gegen die „armen Corsaren“ zum Vorwurf gemacht. Zuweilen hatte er 40 Segel in See. Von den Schlössern wo man ihn wahrnahm, ließ man Rauchsäulen zum Warnungszeichen auf- steigen; doch gab es selten eine Vorsicht, die nicht seiner Hinterlist hätte unterliegen müssen. Im Frühjahr 1550 ver- einigten sich nun die spanisch-italienischen Geschwader des Kaisers mit den Galeeren des Papstes, des Herzog Cosimo von Florenz und des Ordens zu einem ernstlichen Unterneh- men gegen Dragut. Er selbst aber, durch das Beispiel Chaireddins gewitzigt, war längst wieder in See, ehe die Christen ankamen, und diesen blieb nichts übrig als ihm seine Stadt zu entreißen. Die drei Oberhäupter der Flotte, der Vicekönig Vega von Sicilien, Don Garcia de Toledo und Andrea Doria, entschlossen sich endlich dazu, obwohl sie zur Belagerung nur eine verhältnißmäßig geringe Mann- Seekrieg im Mittelmeer . schaft zu verwenden hatten. Was ihnen Muth machte war, daß die benachbarten Maurenfürsten ihnen verspra- chen das christliche Heer mit ihrer Reiterei zu unterstützen und ihre Treue durch Geiseln gewährleisteten. Die Tür- ken vertheidigten die Stadt so gut, wie jemals eine ihrer Galeeren; dieß Mal aber waren ihnen die Christen überle- gen. Mit Tapferkeit und altem Glaubenseifer — wie denn der Beichtvater des Don Garcia wohl ein Crucifix auf eine Pike gesteckt hat, um die Leute zu entflammen — verbanden sie eine größere, gleichsam gelehrte Geschicklichkeit: die Erin- nerung an eine Stelle des Appian soll es gewesen seyn, was denselben Don Garcia auf den Gedanken brachte, auf ein paar mit starken Ankern unbeweglich befestigten Galee- ren eine Batterie zu errichten, welche die Mauern an der Seeseite zertrümmerte und die Eroberung entschied Nach Sandoval II, 671 fuͤhrten sie auch „dos morteretes grandes, que el emperador avia embiado de Alemaña.“ (10 Sept. 1550). Die Johanniter nahmen an derselben nicht allein mit gewohnter Tapferkeit Theil, — unter den Gefallenen fin- den wir auch ein paar deutsche Namen — sondern sie üb- ten auch noch andere Pflichten aus, die ihre Regel ihnen auflegt. Unter dem Zelte des Spittlers fanden die Verwun- deten Pflege und die fremden Ankömmlinge Beköstigung. Diese Eroberung schien aber von um so größerer Bedeu- tung, da einige mächtige Maurenfürsten, wie Ssidi Arif von Cairwan und jetzt auch der Nachfolger des Mulei Hassan in Tunis, der sich früher eher feindlich bezeigt, mit dem Kaiser in Bund traten. Der Gedanke tauchte auf, Carl V werde sich noch mit dem Priester Johann, der doch hier kein an- Neuntes Buch. Viertes Capitel . drer seyn könnte als der Beherrscher von Abyssinien, verbün- den und die Osmanen in Ägypten und Syrien heimsuchen. Um aber ein solches Ziel, wir sagen nicht, zu erreichen, sondern nur ernstlich ins Auge zu fassen, hätte der Kaiser vom Drange der innern Geschäfte weniger eingenommen und im Stande seyn müssen, die volle Gewalt seiner Streitkräfte nach dem Orient hinzuwenden. Wie seine Angelegenheiten wirklich beschaffen waren, ließ sich zweifeln, ob die Eroberung der Küstenstadt ihm nicht eher schädlich seyn werde als vortheilhaft. Der eigentlichen Macht Draguts, die in seinen Galee- ren bestand, hatte man doch keinen Abbruch gethan. So weit zeigte sich das Glück dem Andrea Doria noch einmal günstig, daß er Dragut mit seinen Fahrzeugen in dem Golfe von Dscherbe einschloß, der nach der andern Seite hin von Untiefen und Sandbänken umgrenzt ist, über welche damals sogar ein Weg nach dem Continent führte, den man trocknen Fußes beschritt. Bosio: mare tutto pieno di seccagne e di bassi fondi ‒ ‒ potendosi nondimeno passare in terra ferma con piedi asciutti da huomini da cavalli e dagli armenti per mezzo d’un assai an- gusto sentiero. (II, 284.) La Cantera, oder Alcantarat, die Bruͤcke. Aber Dragut, dieser Küstengewässer trefflich kundig, fand doch einen Ausweg, den er sich freilich zum Theil erst bahnte — dem Arme seiner Matrosen kam die Fluth zu Hülfe —: plötzlich erschien er wieder bei Sicilien; Andrea Doria, der ihn noch bei Dscherbe eingeschlossen zu halten glaubte, mußte von Malta aus benachrichtigt werden daß der Seeräuber, den er bereits als seinen Gefangenen betrach- tete, ihm abermals entkommen war: schon hatte Dragut wie- Seekrieg im Mittelmeer . der die vornehmste sicilianische Galeere erbeutet, und erfüllte die Küsten mit dem Schrecken seiner Nähe. Noch bei weitem wichtiger aber war es, daß hiedurch der Stillstand zweifelhaft wurde, auf dem die ganze Poli- tik des Kaisers beruhte. Carl V entgegnete zwar auf die Beschwerden Suleimans, bei großen Fürsten sey es nicht herkömmlich, Seeräuber in ihre Tractate zu begreifen. Aber lag es nicht am Tage daß es eben diese Seeräuber waren, welche hier für den Sultan kämpften? Um keinen Preis wollte sich Suleiman den Verlust einer Stadt gefallen lassen, die bereits von den Osmanen in Besitz genommen war und seine Oberhoheit anerkannte. Im Juli 1551 erschien eine große Flotte unter dem jungen Sinan, Eidam des Wesir Ru- stan, dem Dragut zur Seite stand, in den sicilianischen Gewäs- sern. Zuerst ließ Sinan die beiden Vicekönige von Neapel und Sicilien wissen, er komme um Mehdia zurückzufordern; da er hierauf eine ausweichende Antwort empfieng, so stürzte er sich, man möchte sagen, nicht ohne eine gewisse Folge- richtigkeit, auf die Besitzungen der Johanniter, welche zu dem Kaiser in einem ähnlichen Verhältniß standen wie die der Seeräuber zu dem Sultan. Malta indeß, das er zuerst angriff, war ihm doch schon zu fest, und die Stadt zu tief im Lande, als daß er dort lange hätte verweilen können; bei weitem weniger Widerstand konnte er in Tripoli fin- den. Die Kräfte der Ritter waren getheilt, Tripoli in dem Schrecken des unerwarteten Anfalls mit Befehlshabern von zweifelhaftem Verdienst und sehr untauglichen, frisch zusam- mengerafften Söldnern besetzt. Hülfe war auch deshalb nicht zu erwarten, weil Andrea Doria sich beschäftigen mußte den Neuntes Buch. Viertes Capitel . Sohn des Kaisers aus Italien nach Spanien und den Nef- fen desselben aus Spanien nach Italien zu führen, was für jene Successionsentwürfe nöthig schien. Unter diesen Um- ständen entschlossen sich die Ritter — und es bedurfte dazu wohl nicht erst, wie man argwöhnte, einer von dem fran- zösischen Gesandten Aramont angesponnenen Verrätherei Nur moͤchte ich ihn nicht mit Flassan aus dem Zeugniß des Großmeisters Omedes rechtfertigen, das freilich in der Uͤbersetzung, wo es heißt: nous attestons que les bruits repandus sont sans fon- dement, sehr positiv lautet, aber nicht im Original, bei Ribier II, 303: quelli che hanno sparso quello rumore, non ci pare , l’ab- biano fatto con ragione. Man hegte in Malta allerdings einigen Verdacht; eine Erwaͤgung der einzelnen Ereignisse aber, wie sie Bosio sehr ausfuͤhrlich und glaubwuͤrdig mittheilt, laͤßt ihn nicht aufkommen. — zur Überlieferung dieses Platzes an Sinan, welche am 14ten August 1551 erfolgte. So rasch giengen die Hofnungen welche der Orden an diesen Ort geknüpft, in Rauch auf; der alte Feind desselben, Morat Aga, erschien als Sandschakbey in Tripoli, wo sich nun das Seeräuberhandwerk wie in Algier unüberwindlich organisirte. Für den Orden war das Un- glück vielleicht nicht so groß: er konnte nun seine ganze Macht auf einen einzigen Punct concentriren, wie er auch gethan hat; dem Kaiser aber war der Verlust des trefflichen Platzes, den er nicht einmal erobert, sondern ererbt, höchst empfindlich: das maritime Übergewicht des mächtigen Fein- des, den er als den allgemeinen betrachtete, stellte sich alle Tag entschiedener heraus. Erneuerung des Kriegs in Ungarn. Ähnlich war der Gang der Dinge in Ungarn. Aus einem Unternehmen das eine große Erwerbung verhieß, ent- Erneuerung des Kriegs in Ungarn . wickelte sich eine Verfeindung mit den Osmanen, welche auch den bisher noch geretteten Besitz gefährdete. Wie den König-Woiwoden Johann Zapolya, so be- trachtete der Sultan auch den jungen Sohn desselben, den er von Ofen nach Siebenbürgen verwiesen, als seinen Vasallen. Dagegen konnte Ferdinand die Verträge, kraft deren das ganze Gebiet Zapolyas an ihn hatte übergehn sollen, noch nicht vergessen, und wir finden ihn von Zeit zu Zeit mit dem siebenbürgischen Hofe über die Auslieferung dieses Landes unterhandeln. Da geschah nun daß dort im Lande selbst ein Zwie- spalt ausbrach. Wir kennen Georg Martinuzzi, Frater György, wie ihn die ungrischen Chroniken nennen, dessen geheimnißvoller und weltkluger Thätigkeit der König-Woiwode sein Bestehn gro- ßentheils verdankte: Ferdinand soll gesagt haben, er beneide diesen seinen Nebenbuhler um nichts als um einen solchen Diener. In Siebenbürgen hatte Martinuzzi jetzt als Vor- mund des jungen Fürsten und Gubernator die Zügel der Macht in seinen Händen. Man sah ihn in seinem rothen mit 8 Pferden bespannten Wagen, von ein paar hundert Husaren und Haiducken begleitet durch das Land fahren und überall gleichsam aus eigner Macht seine Befehle ertheilen. Die Kutte, die er noch immer trug, wie lang es auch her seyn mochte daß er sich um die Klosterregel nicht mehr ge- kümmert, warf er in plötzlichen Kriegsgefahren auch von sich und ward im Wappenrock und weithinwallenden Helmbusch mitten unter den Streitenden gesehen. Er beherrschte den Schatz und dadurch die bewaffnete Macht, das ist das Land überhaupt. Neuntes Buch. Viertes Capitel . Nun konnte es ihm aber bei der Eigenmächtigkeit die- ser Stellung nicht an Gegnern fehlen. Einen gefährlichen Nebenbuhler hatte er in seinem Mitvormund Petrovich, der bei Hofe und im Lande größeres moralisches Zutrauen ge- noß. Zuweilen regte sich wohl der Gedanke, den Mönch wenigstens durch ein aus der Mitte der mächtigen Landherrn zu besetzendes Rathscollegium zu beschränken. Das versichert wenigstens Verantius beabsichtigt zu haben: ut quilibet optimatum dignitate et officio aliquo insigniretur, ex eisque conflaretur consilium quo interregnum moderaretur. Bei Katona XXI, 1071. Besonders fühlte sich die Königin Isabella darüber unglücklich, daß sie so gar nichts vermöge, sich so ganz in der Gewalt eines Menschen befinde, den seine Geburt zu dem niedrigen Dienste, aber zu keiner Herrschaft bestimmt habe; mehr als einmal wollte sie das Land verlassen: endlich entschloß sie sich ihren Schutzherrn, den Sultan, anzurufen, dessen Majestät in dem Kinde, welchem er Siebenbürgen überlassen, verletzt werde. Bei Katona XXI, 793. Ohnehin war Suleiman kein Freund dieses Mannes, an welchen doch die Selbständigkeit des Landes sich knüpfte. Der Pascha von Ofen machte einen Versuch, mit bewaffne- ter Macht in Siebenbürgen einzudringen, ward aber von Martinuzzi zurückgewiesen; einige andre Einwirkungen der Türken ließen dem Mönch keinen Zweifel übrig, daß in Con- stantinopel sein Untergang beschlossen sey. So versichert Ferdinand in einer amtlichen Denkschrift an den Papst bei Bucholtz IX, p. 590. Man sieht daraus, daß die ersten Eroͤffnungen im Jahr 1549 gemacht seyn muͤssen. Dadurch ward aber auch er seinerseits bewogen, sich an den andern Nachbar, König Ferdinand, zu wenden, und Erneuerung des Kriegs in Ungarn . ihm die Ausführung des alten Tractates, die Überlieferung Siebenbürgens und der heiligen Krone anzubieten. Am Hofe des Königs trug man anfangs Bedenken hierauf einzugehn: Johann Hofmann, den wir kennen, soll es widerrathen haben; aber die Gelegenheit war zu lockend um sie nicht zu ergreifen: dieß Mal, glaubte man, könne der Mönch sich nicht wieder mit den Osmanen verständigen. Es wäre hier nicht am Ort, die oft doppelsinnigen Verhandlungen die hierüber gepflogen wurden, im Einzelnen zu begleiten: genug, nach einiger Zeit führten sie zum Ziele. Im Jahr 1551 ergab sich die Königin in ihr Geschick und vertauschte die Herrschaft in Siebenbürgen mit einigen schle- sischen Besitzungen. Hierauf leisteten die Stände zu Clau- senburg die Huldigung an König Ferdinand und überliefer- ten die heilige Krone dem Befehlshaber desselben. Martinuzzi schien hiedurch nur noch mächtiger zu wer- den: er ward von Ferdinand als Schatzmeister und Woi- wode des Landes und zwar ohne Collegen anerkannt und zum Cardinal erhoben: da ihm so viel gelungen, fragte man in diesen Ländern wohl, ob er nicht noch Papst werden könne. Ganz ein andres Schicksal aber stand ihm bevor. Un- verweilt nemlich, noch im September 1551, erschienen die Türken unter einem ihrer nahmhaftesten Anführer, Mehemet Sokolli, 60000 M. stark, von Salankemen her über der Do- nau, eroberten eine ganze Anzahl von Schlössern die vor ihnen lagen, und durchzogen plündernd die von dem bisherigen Kriege noch minder berührten Ebenen des Banates. Zwar wurde nun die blutige Lanze und das blutige Schwert durch alle sie- benbürgischen Ortschaften geschickt; die ferdinandeischen Trup- Neuntes Buch. Viertes Capitel . pen kamen herbei, und mehrere von diesen Schlössern wur- den wiedererobert, selbst das einst noch von Georg von Brandenburg befestigte Lippa; allein einmal fehlte viel daß man den Türken alle ihre Eroberungen wieder entrissen hätte, sodann entspann sich eben aus diesem zweifelhaften Erfolg eine Verstimmung zwischen Martinuzzi und dem ihm zur Seite stehenden östreichischen Befehlshaber, die sofort zu ei- ner gräßlichen Katastrophe führte. Martinuzzi ließ sich wohl vernehmen, er hätte geglaubt die Deutschen würden stärker seyn als er sie gefunden: und obwohl aus den vorliegenden Actenstücken kein Beweis da- für hervorgeht, so ist es doch nicht ohne Wahrscheinlichkeit, daß er daran gedacht hat, wie er sich auch ohne Ferdinand in Siebenbürgen behaupten könne. Die beiden Schreiben des Mohammed Sokolli, abgedruckt bei Hammer III, 723, beweisen doch nichts als daß Br. Georg uͤber die Herausgabe der noch nicht wiedereroberten siebenbuͤrgischen Schloͤs- ser mit Mehemet in Unterhandlung stand. Br. Georg hatte sie selbst eingeschickt. Dagegen schöpften die königlichen Befehlshaber den Verdacht, als unterstütze er sie absichtlich nur schlecht und denke auf ihr Verderben, um sich dann unter türkischem Schutz zum Alleinherrn Siebenbürgens zu machen. Bei Ferdinand trafen ihre Meldungen mit beinahe gleich- lautenden Nachrichten aus Constantinopel zusammen. So wichtig schien ihm der Besitz von Siebenbürgen, so drin- gend die Gefahr das kaum Gewonnene zu verlieren, und von so gewaltsamen Entschlüssen und Handlungen erfüllt waren noch die Zeiten, daß er es über sich gewann, der Erneuerung des Kriegs in Ungarn . Beurtheilung seiner Befehlshaber zu überlassen, ob ein Mann leben oder sterben solle, dessen Schuld ihm selber zweifelhaft war. Nach Ferdinands Instruction fuͤr seine Gesandten an den Papst bei Bucholtz IX, 600 war seine Weisung an Castaldo: ut fortiter dissimularet, quatenus monachum ‒ ‒ differre sentiret: si tamen intelligeret rem aliter transigi non posse ‒ ‒ tunc potius ipse eum praeveniret et tolleret e medio, quam quod primum ictum expectando, ab ipso preveniretur. Castaldo und seine Freunde, von persönlichem Haß, der Besorgniß am Ende selber verrathen zu werden, und der Begierde erfüllt, sich der Schätze des Mönches zu bemächti- gen, von denen man Unglaubliches meldete, trugen kein Be- denken augenblicklich zur That zu schreiten. In dem eignen Schlosse des Mönches, der doch dabei wenig Vorsicht zeigte, Alvinz, fanden sie Gelegenheit an ihn zu kommen. Mar- tinuzzi ward in dem Augenblicke daß er sich anschickte einen ihm überbrachten Brief zu lesen, wie dort in Neuburg Jo- hann Diaz, von den Überbringern ermordet. Seine Schätze fand man weit geringer als man gemeint. Und nun läßt sich denken, daß auch dem König aus diesen Dingen kein Heil erwuchs. Der Tod des Mannes, der alles zusammengehalten, mußte nothwendig alles auflö- sen. In Kurzem finden wir den östreichischen Befehlshaber Castaldo zugleich mit einem Aufstand der Szekler, den Ein- fällen der Walachen und einem neuen türkischen Heere in ungleichem Kampfe. Die Hauptsache war auch hier, daß hiedurch der Still- stand gebrochen war, den man mit so vieler Mühe zu Stande gebracht hatte. Ich finde die Nachricht (wiewohl nicht mit voller Sicherheit), die Unternehmungen auf Mehdia und auf Neuntes Buch. Viertes Capitel . Siebenbürgen seyen von den beiden östreichischen Brüdern zu- gleich in Erwägung gezogen worden: man habe sehr wohl gesehen, daß die Erneuerung des osmanischen Krieges die unausbleibliche Folge davon seyn würde, aber es darauf gewagt, um der großen Vortheile willen die man erwartete. Die Vortheile waren nicht gewonnen; die Nachtheile traten in vollem Maaße ein: zu beiden Seiten erhob sich ein für die beiderseitigen Länder höchst gefährlicher Krieg, der alle Aufmerksamkeit und Kraftentwickelung in Anspruch nahm. Und wenden wir nun unser Augenmerk von dem Osten nach dem Westen, wo die Thätigkeit des Kaisers von sei- nen Beziehungen zu England und Frankreich und dem ge- genseitigen Verhältniß dieser beiden Reiche bedingt wurde, so waren auch hier die größten Veränderungen eingetreten, oder bahnten sich doch in diesem Augenblicke an. Bleiben wir zunächst bei dem Gange der Dinge in England stehn, der zugleich die kirchliche Seite der kaiserli- chen Unternehmungen nahe berührt. Fortgang der Reformation in England. Wenn sich der Kaiser und König Heinrich VIII nach langem Hader wieder verbündeten, so konnte das, so viel dringende Antriebe dafür vorhanden waren, bei der Sin- nesweise jener Zeit doch nicht wohl geschehen, ohne daß auch in ihren kirchlichen Tendenzen wieder eine gewisse Ana- logie eintrat. Nachdem Heinrich VIII mit seinem Clerus und seinem Parlament sich einige Jahre daher in einer Richtung bewegt, die dem deutschen Protestantismus entsprach, vereinigten sich Reformation in England . diese drei Gewalten im J. 1539 zu dem Gesetz der sechs Artikel, durch welches Priesterehe und Laienkelch verworfen, das Dogma der Brotverwandlung dagegen, die herkömm- liche Feier der Messen und die Ohrenbeichte bei strenger Ahn- dung eingeschärft wurde. Fragen wir, was ihn dazu bewog, so werden wir wohl nicht irren, wenn wir dieß Gesetz zu den Maaßregeln der Vertheidigung rechnen, welche er damals gegen die Verbin- dung des Papstes mit dem Kaiser und dem König von Frankreich ergriff. Bei der ersten Nachricht von dieser Ver- bindung waren alle heimlichen Anhänger des Papstes in Be- wegung gerathen; der französische Gesandte meint, es gehöre nichts weiter, als das Interdict und etwa ein kirchliches Han- delsverbot dazu, um den offenen Aufruhr in England zu ent- zünden. Castillon 2 Febr. 1538. Il luy semble (dem Ges.) que qui pourroit trouver moyen que le pape envoyast interdits et excommuniements par les terres et pays qui luy portent obeis- sance, et meme les marins, que nul marchand negociast ou pra- tiquast en façon quelconque avec les Anglais, que sans autre despence le peuple d’Angleterre s’esmouveroit et contraindroit le roi à retourner à l’eglise. Der König glaubte das von ihm ergriffene System nur dadurch behaupten zu können, wenn er seine römisch-ka- tholischen Unterthanen, die noch die Mehrzahl ausmachten, in Hinsicht der wichtigsten Lehrpuncte beruhigte. Eine Auf- fassung die sich beinahe aufdringt, wenn man das Tagebuch von Hollinshed liest, wo die kriegerischen Vorkehrungen die Heinrich VIII traf, — Befestigung der Häfen, Besichtigung aller Landungsplätze, Musterung der Kriegsmannschaften, — und die Verkündigung dieser Artikel in Einer Reihe genannt werden. Hollinshed Chronicles III, 808. Neuntes Buch. Viertes Capitel . Wenn Heinrich VIII dabei fürs Erste mit den Prote- stanten doch noch in Verbindung blieb und jene Ehe mit Anna von Cleve schloß, so geschah das aus dem verwand- ten Grunde, weil ihm nichts erwünschter und nützlicher war als der Widerstand derselben gegen den Kaiser. Sobald sie diesen aufgaben, ward Anna verstoßen, jede engere Verbin- dung abgebrochen, der bisherige Führer der religiösen Neue- rung, Cromwell, seinen Feinden Preis gegeben. Seitdem erst begann man die Artikel mit der Strenge zu handhaben, die ihnen den Namen der blutigen verschafft hat. Die Papisten wurden mit dem Schwert hingerichtet, die Gegner der Transsubstantiation erlitten den Tod im Feuer: beides im Namen des Gesetzes. Dann konnte sich der König auch wieder der Politik des Kaisers nähern, mit dessen zugleich antipäpstlicher und dogmatisch-katholischer Haltung die seine eine bei weitem nähere Verwandtschaft hatte als mit dem Geiste des Prote- stantismus. Nur ganz in seinen letzten Tagen schien es ihm gut, eine Veränderung wenn nicht eintreten zu lassen, doch vor- zubereiten. Es wurden ihm Anzeigen gemacht, — er hat die be- sonders anzüglichen Stellen darin noch mit zitternder Hand unterstrichen Statepapers I, 891. — nach welchen es ihm schien, als ob das Haus Howard, das an der Spitze der katholischen Partei stand, wohl seinem Sohne gefährlich werden könne. Gerade zu der Zeit, in welcher er die Howards einkerkerte oder hin- richten ließ, mußte es nun seyn, daß er diejenigen Männer Reformation in England . schließlich ernannte welche während der Minderjährigkeit sei- nes Sohnes die Regierung führen sollten. Aus dem Ver- zeichniß derselben tilgte er mit eigner Hand den Namen Gardiners, der bisher die katholischen Lehrsätze nicht ohne Geist und mit bemerkenswerther Festigkeit vertheidigt hatte; den Namen Cranmers dagegen, des vornehmsten geistlichen Werkzeugs der Reformation, fand man unter den vom Kö- nig ernannten Executoren des Testaments obenan stehn. Und so bildete sich unmittelbar nach Heinrichs Tode eine Regierung, in der die protestantischen Hinneigungen vorwal- teten. Ein Mann der sie mit Entschiedenheit hegte, Edward Seymour, jetzt zum Herzog von Sommerset erhoben, trat unter dem Titel eines Protectors als ihr Oberhaupt auf: seine Mitexecutoren ließen sich gefallen als seine Räthe zu erscheinen; gab es noch fremdartige Elemente unter ihnen, so wurden sie ohne Mühe ausgestoßen. Mag nun die Gesinnung König Heinrichs gewesen seyn welche sie will, aller Grausamkeit seiner Edicte zum Trotz, durch das Ganze seiner Thätigkeit hat er die Fortschritte der religiösen Neuerung mächtig befördert. Er hat die Summe der geistlichen Gewalt mit der königlichen verbunden. Diese neu begründete kirchlich-weltliche Macht hat er dann einer Vereinigung von Männern hinterlassen, in welcher das pro- testantische Prinzip auf der Stelle die Oberhand bekam. Auch in dem Bisthum hatte unter Cranmers stillem Einfluß die protestantische Ansicht Eroberungen gemacht: der zweite Erzbischof des Reiches, mehrere andere Bischöfe neig- ten sich ihr zu. Es bedurfte nichts weiter als der natürlichen Entwicke- Ranke D. Gesch. V. 11 Neuntes Buch. Viertes Capitel . lung der innerhalb der constituirten Gewalt auf diese Weise schon geschehenen Veränderung, um den neuen Meinungen freien Raum zu machen. Man brauchte von dem durch Heinrich VIII gebahnten Wege der Gesetzlichkeit nicht abzuwei- chen und konnte doch zu ganz andern Resultaten gelangen. Wie hätte die neue Regierung auch zum Beispiel an der Strenge festhalten können, mit welcher Heinrich VIII seine Gebote hatte handhaben lassen. Jetzt erschienen fliegende Blätter und Reime, Hefte, Bücher gegen das bisherige System; die Fasten wurden ge- brochen, Bilder umgerissen. Niemand machte Miene sich darum zu bekümmern. Vielmehr ward, ohne langen Verzug, eine neue Visita- tion vorgenommen um die Mißbräuche der Geistlichen aus- zurotten; sie knüpfte ausdrücklich an diejenigen Artikel an, welche unter Cromwell bekannt gemacht worden. Um das Volk zu unterweisen, verfaßte der Erzbischof Cranmer in deutscher Weise eine Anzahl von Homilien, die sich besonders in dem Artikel von der Justification von dem herkömmlichen System entfernten. Und hierauf nun versammelte sich das Parlament, Nov. 1547, unter dem Eindruck welchen die Veränderung der Regierung überhaupt und besonders eine Unternehmung ge- gen Schottland gemacht, die sehr glücklich gegangen war: es theilte vollkommen die Gesinnung der Regierung. Vor allem wurden die sechs Artikel abgeschafft. Cran- mer brauchte wohl nicht, wie man gesagt hat, erst darauf aufmerksam gemacht zu werden, daß ohne dieß kein weiterer legaler Schritt möglich war. Das Parlament ergriff aber auch Reformation in England . eine positive Maaßregel: es ordnete die Communion unter bei- derlei Gestalt an. Man sollte glauben, daß die Überzeugung von der Rechtmäßigkeit dieser Abänderung sehr verbreitet ge- wesen sey. Unter den Bischöfen waren nur fünf, im Unter- hause der Convocation, welches 64 Stimmen zählte, nicht eine einzige dagegen. Dabei hielt das Parlament das geistliche Supremat der Krone auf das nachdrücklichste fest: besonders ihr Recht die Bischöfe zu setzen. Auch in dem jetzt vorherrschenden Sinne hätte kein Schritt ohne Erlaubniß der Regierung geschehen dürfen. Wie so durchaus anders giengen die Dinge jenseit des Meeres, als diesseit. Bei uns war die Bewegung von der Predigt mit hervorgebracht: dort war die freie Predigt kaum einen Augenblick erlaubt gewesen, so wurde sie wieder verboten. Der Grundsatz ward aufgestellt, daß Niemand Meinungen und Gebräuche die der König noch dulden wolle, in Ver- achtung bringen dürfe; einem Privatmanne könne nicht zu- stehn Neuerungen anzufangen; A letter sent to all those preacher, which the King’s Majesty has licensed. Bei Wilkins IV, 27. die Regierung behielt sich gleichsam das Recht vor, ausschließend die öffentliche In- telligenz zu seyn. Und nur sehr bedachtsam gieng sie zu Werke. In dem Katechismus, den Erzbischof Cranmer übri- gens nach deutschem Vorbild bearbeitete, hütete er sich doch die Ideen vom Priesterthum zu verletzen: die Lehre von dem göttlichen Ursprung und der göttlichen Berechtigung desselben wird darin mit aller Strenge festgehalten. Vgl. Collier II, 251. Es 11* Neuntes Buch. Viertes Capitel . dauerte eine Weile ehe man die Priesterehe erlaubte. Die Commission von Bischöfen und Geistlichen, welche auf Be- schluß des Parlaments dazu schritt eine neue gleichförmige An- ordnung des Gottesdienstes zu entwerfen, ließ es ihr haupt- sächlichstes Geschäft seyn, die verschiedenen Liturgien die in England in Gebrauch waren, von Sarun, Bangor, York, zu vereinigen und zu verschmelzen, und unterwarf sie nur einer Durchsicht und Reinigung. Sie verfuhr nach dem Grundsatz, daß auch Christus bei seinem Werke das Alte nicht ganz verworfen, sondern bei den beiden großen Insti- tutionen die er gemacht, sich an die Gebräuche der Juden angeschlossen habe. Our liturgy is in great mesure a translation from the catholic service. Hallam Constitut. history I, 115. So nahe wie möglich hielt man sich an die historisch gegebenen Grundlagen. Aber dabei kam doch eine Neue- rung zu Tage, durch welche sich auch dort der reformatori- sche Gedanke endlich selbständig Bahn gebrochen hat. Die Lehre von der Brotverwandlung war in England am spätesten durchgedrungen: sie hatte dort in Wikliffe den ersten wirksamen und durchgreifenden Widerspruch gefunden; zwar hatte sie sich nichtsdestominder der Gemüther allmäh- lig bemächtigt und war von Heinrich VIII mit Feuer und Schwert vertheidigt worden, aber sie mußte es doch wieder seyn, was dort, nachdem man bisher hauptsächlich die Ver- fassung und die Gebräuche geändert, zu einer wesentlichen Neuerung in der Lehre den entscheidenden Anlaß gab. Oder sagen wir vielmehr Herstellung, als Neuerung? In England machte es noch größeren Eindruck als in Reformation in England . Deutschland, daß damals das Werk eines Mönches aus dem 9ten Jahrhundert, der immer unter den rechtgläubigen Kirchen- schriftstellern aufgeführt worden, das Buch des Ratramnus von Corbei über Leib und Blut unsers Herrn, bekannt ward, worin nicht allein die Brotverwandlung verworfen, sondern die leibliche Gegenwart überhaupt geleugnet, und diese Ansicht ei- nem mächtigen König der damaligen Welt, Carl dem Kahlen, als die wahrhaft katholische bezeichnet wird. Bertrami presb. liber etc. Col. 1532. Genev. 1541. Einer der Füh- rer der Reformation, Nicolaus Ridley, studirte diese Schrift auf seiner Landpfarre in Kent, und durchdrang sich mit der Überzeugung, daß die herkömmliche Auffassung nicht allein unhaltbar, sondern auch die neuere sey: einer Meinung, die er gar bald seinem Freunde, dem Erzbischof Cranmer mittheilte. Soames history of the reformation in England III, 177. Eben langten aus Deutschland, zum Theil aus- drücklich eingeladen, zum Theil durch die Gewaltsamkeit ver- jagt mit welcher das Interim eingeführt wurde, auch solche Leute an, denen die Wittenberger Concordie noch nicht ge- nügte, wie Peter Martyr, der eine Zeitlang bei Cranmer zu Lambeth lebte, und Johann a Lasco. Sie trugen nicht we- nig zur Befestigung Cranmers in diesen Abweichungen bei, der dann wieder bei der gesammten Geistlichkeit darin Nach- folge fand. Man begnügte sich nicht die Messe aufhören zu lassen, — in der Mutterkirche der Hauptstadt zu St. Paul trat die Communion an die Stelle des Hochamtes, — sondern in der neuen Liturgie ward die Elevation, welche Luther so lange beibehalten, und die Kniebeugung vor der Hostie verboten. Soames III, 377. Die Visitatoren des Jahres 1549 verpönten jede Beibehal- Neuntes Buch. Viertes Capitel . tung der eigenthümlich römischen Gebräuche. Articles bei Burnet II, Coll. nr. 33. that no minister do counterfeit the popish mess: as to kiss the Lords table, ‒ ‒ to use no other cerimonies, than are appointed in the Kings book of common prayers. Auf der Uni- versität Oxfort focht Peter Martyr die Lehre über die Eu- charistie, obwohl nicht ohne harte Kämpfe, durch; wie er sie feststellte, ist sie darnach in die Bekenntnißschriften der engli- schen Kirche aufgenommen worden. Indem nun aber die kirchliche Veränderung die Mo- mente berührte, welche den Kern des katholischen Glaubens ausmachten, mußte in England so gut wie anderwärts eine allgemeine Erschütterung erfolgen. Was die sechs Artikel einst politisch empfahl, zeigt sich erst recht, wenn wir finden, daß die aufrührerische Menge in mehreren Provinzen die Herstellung dieses blutigen Statu- tes forderte. Auch ganz entgegengesetzte Motive mischten sich ein, be- sonders Widerstand gegen das Umsichgreifen des Adels, na- mentlich die weitern Einzäunungen des Landeigenthums, ver- gesellschaftet mit anabaptistischen Regungen, welche fast an den deutschen Bauernkrieg erinnern. Ein gewisser Ket nannte sich der Meister oder Koͤnig von Norfolk und Suffolk; er fuͤhrte die Widerstrebenden in Ketten mit sich fort. Strype II, 290. Diese Bewegungen wurden nun zwar leichter als in Deutschland erdrückt, da sie sich in sich selbst widersprachen, und in England das Herrenrecht der Weltgeistlichkeit, die ganze bischöfliche Hierarchie aufrecht erhalten wurde; allein sie blieben doch nicht ohne die größte Rückwirkung. Um zu Hause nicht zu unterliegen, mußte die Regie- Reformation in England . rung die krieggeübten Leute, die bisher die Besatzung von Bou- logne ausgemacht, von dort wegführen: dadurch aber ward der König von Frankreich veranlaßt, Lorenzo Giustiniani Rel ne di Francia: Levorno i boni sol- dati et esercitati che avevano in questa fortezza et vi mandarono altretanti da sui Englesi non piu stati in guerra, di che acortosi Chiatiglion lo fece saper al Condestabile, che prese questa oc- casion persuase al re mandarci con ogni sforzo. seinen Krieg ernstlicher zu erneuern als bisher; er bemächtigte sich in Kurzem der klei- nen Befestigungen in jenem Gebiete. Auch in Schottland konnten sich die Engländer jetzt nicht länger halten: nach mancherlei Verlusten entschlossen sie sich, den vornehmsten Platz dessen sie sich bemächtigt hat- ten, Haddington, zu verlassen. Wir werden wohl nicht irren, wenn wir den nächsten Grund daß der Protector Sommerset sich nicht behaupten konnte, in der Verflechtung dieser Umstände suchen, in der schlechten Lage der öffentlichen Angelegenheiten, die man ihm Schuld gab, den Mißgriffen die er persönlich dabei begieng: doch nicht hierin allein, sondern zugleich in einer politischen Hinneigung die er dabei an Tag legte. Er nahm sich der bedrängten Gemeinen ganz unzwei- deutig an: die neuen Einzäunungen wurden an vielen Or- ten durch die Commissarien die er ausgesandt hatte, zerstört, und man schrieb ihm die Absicht zu, in dem nächsten Par- lamente eine nachdrückliche Acte zur Abstellung der Übergriffe des Adels einzubringen. Nachdem er die geistlichen Forde- rungen beseitigt, schien er geneigt die weltlichen Ansprüche zu bewilligen. In der von Tytler ( Edward a. M. I, 208) bekannt gemach- ten merkwuͤrdigen Proclamation heißt es vom Adel: non fearing that the lord protector according to his promise would haved redres- Neuntes Buch. Viertes Capitel . Er war jedoch viel zu schwach für einen Plan, zu des- sen Durchführung Sieg im Feld, unbezweifeltes Übergewicht im Rath und die entschlossene Unterstützung eines kräftigen Königs gehört hätten. Er erlag seinen Gegnern, welche schon glaubten daß er es auf eine allgemeine Umwandlung der Verfassung abgesehen habe. Man wird sich nicht wundern, wenn der Sturz des vor- nehmsten Führers der religiösen Umbildung hie und da die Er- wartung hervorrief als würde diese selbst rückgängig werden. Am kaiserlichen Hofe zu Brüssel war man mit der Ver- waltung Sommersets so schlecht zufrieden, daß der dortige französische Gesandte Marillac den Sturz des Protectors von den Einwirkungen des Kaisers herleitet. Bei der Sendung Pagets klagte man am kaiserlichen Hofe: que non obstant qu’on voit qu’ils faisoient la guerre a dieu, ils vouloient que l’empereur les defendist. (Marillac 25 Juli 1549.) Wenigstens ward das Ereigniß von diesem Hofe mit lauter Freude be- grüßt. Der ersten Gesandtschaft des neuen Gewalthabers Warwick, der ihn um Hülfe gegen Frankreich bat, wie auch sein Vorgänger gethan, eröffnete der Kaiser mit einem gewis- sen Vertrauen, daß die englische Regierung sich vor allen Din- gen mit ihm in Sachen der Religion vereinigen müsse. Er erinnert den Koͤnig „him and his council, to have mat- ters of religion first recommended to the end, we may be at the end all of one opinion.“ Cheyne bei Strype Mem. II, 308. Wie wäre aber Warwick, den dieselben Männer — für ihn schlechterdings unentbehrlich — umgaben welche die Veränderung eingeleitet, dasselbe Parlament das sie beschlos- sen und schon so weit eingeführt hatte, wenn er auch ge- sed things in the parliament, which he short ly intended to have set to the intent that the poor commons may be godly eased. Reformation in England . wollt hätte, im Stande gewesen, mit einer rückgängigen Bewegung durchzudringen? Der erste Versuch dazu hätte ihm selber zum Verderben gereicht. In der nächsten Sitzung des Parlaments ward viel- mehr das begonnene Werk in gleicher Richtung fortgesetzt. Die alten Rituale mußten ausgeliefert werden; die Bil- der wurden vollends aus den Kirchen geschafft; ein Ordi- nationsbuch ward verfaßt, in welchem nun auch die Lehre vom Character, die, wie wir oben andeuteten, zur Doctrin von der Transsubstantiation eine nahe Beziehung hat, und die bisherige Ansicht von der Absolution verworfen wurde. Indessen machten sich auch in Cambridge die evangelischen Ansichten von Gnade und Rechtfertigung, Gotteswort und Menschenlehre durch den Einfluß besonders Martin Butzers unter den Gelehrten geltend. Es bereitete sich alles zum Abschluß des Systemes vor, das in den 39 Artikeln festge- setzt und in England behauptet worden ist. Da nun aber um so weniger an Hülfe des Kai- sers gegen Frankreich zu denken war, so mußte die ganze Politik der englischen Regierung sich ändern. Sie bewil- ligte jetzt den Franzosen die Rückgabe von Boulogne ohne so viel drückende Bedingungen wie Heinrich VIII aufge- stellt, und schloß einen Frieden mit dieser Macht, der die einst in Gemeinschaft mit dem Kaiser im Jahr 1543 be- gonnenen Feindseligkeiten allererst beendigte. Zwar hat es dann im Laufe des Sommers noch einige Irrungen über die Grenzen gegen Calais hin gegeben, von denen es wohl Einem und dem Andern schien als würden sie eine neue Fehde veranlassen, aber zuletzt ward doch alles beseitigt und Neuntes Buch. Viertes Capitel . ein ganz gutes Verständniß gegründet, bei dem man sogar die Aussicht auf engen Bund faßte. Und nun leuchtet ein, welche Nachtheile zugleich kirchli- cher und politischer Natur für den Kaiser hierin lagen. Seine kirchlichen Pläne umfaßten die ganze abendlän- dische Christenheit. Unmöglich konnte es ihm gleichgültig seyn, wenn in England die Meinungen emporkamen die er in Deutschland bekämpfte. Während er hier seine vor- nehmste Sorge seyn ließ die Messe herzustellen, ward sie dort aufgehoben. Da sich Prinzessin Maria weigerte, sich der gesetzlichen Uniformität zu unterwerfen, und er sich ihrer hiebei annahm, so gerieth er jetzt selbst in Weiterungen mit der englischen Regierung; King Edwards Journal March 19 1551: Burnet II Coll. 23. The emperors amb r came with a short message from his ma- ster of war, if I no would suffer the princess to use her mass. er hat ihr im Jahr 1551 mit Krieg gedroht, und ich finde daß die flandrischen Küsten gegen einen An- fall, den die Engländer plötzlich unternehmen dürften, in Ver- theidigungsstand gesetzt worden seyen. „per non esser trovati all’improvista.“ (Dispaccio fior.) Eine noch bei weitem dringendere Gefahr für ihn aber schloß es ein, daß König Heinrich II von Frankreich, der sich eben so stark wie sein Vater als der natürliche Ne- benbuhler und Opponent des Hauses Östreich fühlte, durch diesen Frieden freie Hand bekam. Der König selbst hatte gesagt, er wolle dem Kaiser nicht länger das Vergnügen machen, seine Nachbarn in den Waffen gegen einander zu sehen. Die offenen und geheimen Gegner des Kaisers in aller Welt wurden bei dieser Nach- Heinrich II und die Farnesen . richt von der Erwartung ergriffen, daß eine Änderung der allgemeinen Politik bevorstehe: sie tranken wohl einander Glück zu bei der Nachricht von diesem Friedensschluß. Heinrich II und die Farnesen. Ein sehr außerordentliches Verhältniß waltete schon alle diese Jahre daher zwischen dem König von Frankreich und dem Kaiser ob. Im September 1548 trug der König dem Kaiser noch einmal die engste Allianz an, die durch die Vermählung sei- ner Schwester mit dem Prinzen von Spanien bekräftigt wer- den solle. Sehr unumwunden lautet dieser Antrag: Cette intelligence commune seroit à l’ung et l’autre le moyen pour mettre soubs eux et à leur devotion ce qui seroit utile et propre à chacun d’eux. Worte des Connetable in einem Schreiben an Marillac o. D. (Sept. 1548), angekommen im October. Bei der Mittheilung dieses Gedankens rief Gran- vella aus, wenn er den Tod schon zwischen den Zähnen hätte, würde ihn eine Mittheilung dieser Art wieder ins Le- ben zurückrufen, und die Unterhandlungen darüber wurden wirklich eröffnet. Aber gleich bei dem ersten Schritte scheiterten sie auch. Der Kaiser bezeichnete eine Bedingung als unerläßlich, welche die Franzosen schlechterdings nicht eingehn wollten, die Her- ausgabe von Piemont; — vorausgesetzt daß es ja mit je- nem Vorschlag überhaupt jemals dem einen oder dem an- dern Theile Ernst gewesen ist. Montmorency bekennt in einem Brief an Marillac, er habe damit nur Zeit zu gewinnen gesucht. Neuntes Buch. Viertes Capitel . Dagegen sagte wohl auch Granvella, er habe seine weiten Ärmel voll von Beschwerden gegen Frankreich, doch sey die Zeit noch nicht gekommen sie geltend zu machen. Seitdem beobachtete jeder Theil den andern mit bewuß- ter und nur wenig verborgener Feindseligkeit. Von Anfang an aber waren hiebei die Franzosen in Vortheil. Der Kaiser verfolgte ein ideales, kaum jemals erreichbares Ziel. Sie dagegen nahmen mit voller Überle- gung sich vor, nur erst ihre englisch-schottische Angelegenheit zu beendigen und sich dann gegen den Kaiser zu wenden. Wir sahen so eben, wie gut es dem König damit ge- lang. Er hatte die Vereinigung von Schottland und Eng- land zu Einem Reiche dieß Mal wirklich verhindert, die junge Königin nach Frankreich geführt, um sie mit dem Dauphin zu vermählen, Boulogne wiedererobert, und dabei noch ein gutes Verständniß mit England gestiftet. Dergestalt nahm er eine sehr starke Stellung in Europa ein. Er war sieg- reich, jung und kriegsbegierig. Er konnte darauf denken die Opposition zu erneuern, die einst sein Vater gehalten. Den nächsten Anlaß dazu gaben ihm die italienischen, namentlich die farnesischen Angelegenheiten. Nach der unglücklichen Katastrophe Pier Luigis in Pia- cenza hatte Paul III Parma an die Kirche zurückgenommen: Camillo Orsino hielt es bei seinem Tode im Namen der Kirche besetzt. Einem im Conclave gegebenen Versprechen zufolge fieng Julius III seine Regierung damit an, daß er Parma dem Sohn Pier Luigis, Ottavio, wieder zurückgab. Man wollte wissen, der Kaiser habe hoffen lassen, diesen seinen Eidam auch in Piacenza herzustellen. Die Farnesen schmei- Heinrich II und die Farnesen . chelten sich, bei dem guten Verhältniß des Papstes mit dem Kaiser noch in den Besitz alles dessen zu gelangen, was sie der Gunst ihres Großvaters jemals verdankt. Auf dem Reichstage von Augsburg, im September 1550, ward auch hierüber mit dem Kaiser unterhandelt. Es war aber nicht in seiner Weise, eine Landschaft auf die er Rechte zu haben glaubte, und die er größtentheils schon inne hatte, so leicht wieder fahren zu lassen. Daß seine Tochter mit Ottavio verheirathet war, machte auf ihn wenig Eindruck, nachdem das ganze Haus in Pier Luigi tödtlich beleidigt worden. Die Verbindung des jüngsten von den Brüdern, Oratio, mit Frankreich erregte von Anfang an seinen Verdacht und Widerwillen. So weit war er ent- fernt Piacenza zurückzugeben, daß er sogar Ansprüche auf Parma erhob, und eine Untersuchung der zwischen Reich und Kirche schwebenden Streitfrage über die Oberherrlich- keit über diese Städte in Antrag brachte. Pareva meglio che si conoscessero le ragioni della sede apostolica e dell’imperio e le città si dessero a chi aveva ra- gione. (Seine Worte an Pighino 4 Sept.) Ferrante Gon- zaga setzte seine Feindseligkeit gegen die Stadt Parma un- aufhörlich fort. Da konnten nun die Farnesen auch von dem Papst nicht viel Schutz erwarten. Es war nicht das Herkommen im Kirchenstaat, daß die Nepoten eines früheren Papstes von dem regierenden besondere Rücksicht genossen. Eine der In- structionen Julius III beweist unwiderleglich, daß ihn wirk- lich der Gedanke beschäftigt hat, auch Parma dem Kaiser zu überlassen, bei günstiger Gelegenheit, unter den nöthigen Neuntes Buch. Viertes Capitel . Bedingungen. Instruttione al Vescovo d’Imola: Er habe dem spanischen Botschafter gesagt: che se pure S. M à haveva desiderio di haver Parma, si aspettasse la maturità del tempo a parlarne. Dem Herzog Ottavio ließ er endlich ge- radezu wissen, daß die Kammer den Aufwand nicht länger tragen könne welchen ihr der Schutz von Parma verursache. Es blieb kein Zweifel, daß die Farnesen verloren wa- ren, wenn sie nicht zu einem außerordentlichen Mittel griffen. Papst Paul III war durch den Zusammenhang der geist- lichen und weltlichen Geschäfte abgehalten worden, in ein entschiedenes Verhältniß zu Frankreich zu treten. Bei sei- nen Enkeln fielen die geistlichen Rücksichten weg. Allerdings hatten sie in den Gebieten der Kirche und des Kaisers nicht wenig zu verlieren, allein sie konnten auch gewinnen, sich vielleicht rächen, und vor allen Dingen sich als Fürsten in Parma behaupten. Und an wen sollten sie sich wenden, wenn nicht an Heinrich II , in dessen Familie einer von ihnen, Oratio, auf- genommen war? Dem König ward der Antrag gemacht noch ehe die Ir- rungen mit England vollkommen beseitigt waren; er trug dazu bei daß dieß geschah. Zuerst wurden einige zuverläßige Leute nach Italien ge- sendet, um die Lage der Dinge, auch die Haltbarkeit des Platzes zu untersuchen. Als deren Bericht günstig ausfiel, ward ein Vertrag geschlossen, kraft dessen der König die Farnesen in Schutz nahm und eine Mannschaft zu Pferd und zu Fuß nach Parma zu schicken versprach, groß genug um eine Belagerung auszuhalten, Ottavio dagegen sich ver- Erneuerung des Kriegs mit Frankreich . band, die Fahnen von Frankreich fliegen zu lassen, und ohne Einwilligung dieser Macht kein Abkommen mit dem Kaiser einzugehen, auch nicht das günstigste. Wir wissen, wie viel dem Kaiser von jeher daran lag die Franzosen von Italien auszuschließen. Jetzt mußte das Mißverhältniß, in das er zu seinem eignen Eidam gerathen war, sie dahin zurückführen. Leicht hatte der König ein paar tausend Söldner in Italien werben lassen, mit deren Hülfe nun der junge Herzog und seine Stadt plötzlich ein ganz andres Ansehen sich verschafften als sie bisher gehabt. Der Papst war ergrimmt, daß „ein elender Wurm“, wie er Ottavio nannte, sich gegen ihn und den Kaiser auf- zulehnen wage. Seine Angehörigen thaten alles, um ihn desto enger mit dem Kaiser zu verbinden. Battista di Monte an Diego de Mendoza, Lettere di prin- cipi III, 110. Penso che se dalla banda di S. M à li sarà cacciato da voro, che pigliarà l’armi in tutti i modi, et hora è il tempo che l’imperatore si può pigliare l’imperatore tutto per se. Nachdem seine letzten Vorschläge abgewiesen worden, trug er kein Beden- ken im Juni 1551 das Schwert gegen den rebellischen Va- sallen zu ziehen. Merkwürdige Gestalt der Dinge: der Papst führte Krieg mit seinem Vasallen; jenen unterstützte der Kaiser, diesen der König von Frankreich, die doch noch Friede mit einander hatten. Allein schon sah Jedermann, daß der Krieg zwischen den beiden Fürsten selbst sich nicht werde vermeiden lassen. Im September 1551 geriethen die Truppen beider Theile im Piemontesischen an einander. Indessen ließ der König dem kaiserlichen Gesandten an seinem Hofe alle Beschwerden Neuntes Buch. Viertes Capitel . aufzählen, die er schon immer gegen den Kaiser erhoben, — die Züchtigung der Deutschen die in seinen Dienst getreten, die Begünstigung die den Engländern während des Krie- ges zu Theil geworden sey, endlich die Verbindung mit dem Papst wider Parma und Mirandula, — und ihm erklären, da die Freundschaft des Kaisers nur in Worten bestehe, und sich bei jeder Verhandlung in das Gegentheil verwandle, so sey er entschlossen dieß nicht mehr mit anzusehen, sondern seine Angelegenheiten selbst in Acht zu nehmen, wie es Gott erlauben werde. Schreiben des kaiserlichen Gesandten S. Mauris 14 Sept. 1551. Die Worte sind: que veendo el dicho S r rey, que toda la amistad propuesta por V. M d consiste en palabras, y que usa de punctos contrarios en todas negociaciones, ha deliberade de no sufrir mas tal manera de actos, antes proveer en sus cosas come dios permitira. (Arch. v. Simancas in Paris.) So brach die alte Feindseligkeit wieder aus, welche mit so viel Mühe bisher niedergehalten worden. Die Lage des Kaisers ward um so bedenklicher, da sie zugleich mit jener Erneuerung der osmanischen Anfälle verbunden war. Wir wissen: es war der Friede mit diesen beiden Mäch- ten gewesen, was es dem Kaiser möglich gemacht hatte die Protestanten zu überwältigen. Es mußte sich nun zeigen, ob das damals gewonnene Übergewicht auch bei dem Wie- derausbruch jener Kriege sich haltbar beweisen würde. Fuͤnftes Capitel . Elemente des Widerstandes in Deutschland. Im Jahre 1547 hatte der Kaiser sein kriegerisches Un- ternehmen nicht ganz zu Ende geführt; auch seitdem wen- dete er sich nicht selber wider die Städte und Landschaften welche noch unausgesöhnt die Waffen in der Hand hielten: er zweifelte nicht, daß in Folge der Reichsordnungen die er traf, und der Übermacht Derjenigen die seine Partei hielten, ohne weitere Anstrengung von seiner Seite auch die dorti- gen Angelegenheiten ins Gleiche gebracht werden würden. So erhoben sich auch wirklich die Ritterschaften der Stifter Bremen und Verden gegen den Grafen Albrecht von Mansfeld, der sich daselbst auf immer festsetzen zu wollen schien; nach mancherlei Glückswechsel haben sie, unterstützt von den benachbarten Fürsten, ihn noch im J. 1548 wirk- lich genöthigt, alle Schlösser und festen Häuser die er ein- genommen, besonders Vörde und die Rothenburg, heraus- zugeben: jedoch nicht ohne daß ihm dagegen eine ansehn- liche Summe Geldes hätte gezahlt werden müssen. Chytraͤus Saxonia, 488; doch gieng Graf Albrecht nicht so- gleich, wie es dort scheinen sollte, nach Magdeburg: vgl. Schwendi 21 Mai 1548 bei Bucholtz IX, 445. Ranke D. Gesch. V. 12 Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Einen ähnlichen Anlauf nahm Herzog Heinrich von Braunschweig, der nach den Siegen des Kaisers ohne Schwertschlag in sein Land zurückgekehrt war. Er versuchte eine vollkommene geistliche und weltliche Restauration. Die evangelischen Superintendenten fanden wohl eines Morgens das Zeichen der Bedrohung, eine Ruthe und ein Paar Schuhe, an ihre Thüre angeheftet, und eilten hierauf sich durch die Flucht zu retten. Die Mitglieder der Ritterschaft, die sich dem Herzog feindlich gezeigt, die Warberg, Schwichelde, Mandelsloh, Bortfelde, wurden aus ihren festen Schlössern verjagt. Hierauf griff der Herzog auch die Stadt Braun- schweig an, mit der er von jeher in ausgesprochener Feind- seligkeit stand. Zuerst ließ er nur geschehen, daß seine An- hänger den Waarenzügen derselben auflauerten, ihre Dör- fer überfielen und plünderten; die Stadt antwortete da- mit, daß sie diesen ihren Feinden in ihre Schlupfwinkel, in die benachbarten Wälder und Moräste nachsetzte, bis sie dieselben fand und erlegte; eines Tages, bei Gelegenheit ei- ner großen Hochzeit, gelang es ihr, eine ganze Anzahl der- selben auf einmal aufzuheben: zwei von ihnen wurden als öffentliche Verbrecher behandelt und mit dem Tode bestraft. Nun erst erschien der Herzog selber über der Landwehr zu Melverode und schickte sich zur Belagerung an. Auch diese bestand jedoch hauptsächlich darin, daß er das Gebiet der Stadt verwüsten, ihre Saaten — es war im Monat Juli 1550 — niederbrennen, ihre Dörfer zerstören ließ: man sah wohl das Holz von den abgetragenen lutherischen Kirchen zum Verbrauch ins Lager führen; — der Herzog machte fer- ner einen Versuch die Ocker zu dämmen, um die Mühlen Belagerung von Magdeburg . die er nicht zerstören konnte, ungangbar zu machen; aber jene Verluste fühlte, über diese Gefahr erschrak man nicht, da man sich im Voraus mit allen Bedürfnissen versehen hatte: auch die städtischen Reiter streiften unaufhörlich durch das Gefild und waren oft im Vortheil. Im September ver- ließ der Herzog sein Lager. Tagebuch bei Rehtmeier II, 913. Olfen 56 f. Fast gleiches Fehdewesen erfüllte die Umgegend von Magdeburg. Diese Stadt, die nicht allein jede Annäherung an den Sieger von sich gewiesen, sondern sich als Mittelpunct der Widersetzlichkeit gegen das Interim aufgestellt, war längst in die Reichsacht erklärt, doch wollte sich noch Niemand an die Ausführung derselben wagen. Der Sinn des Kai- sers wäre eigentlich gewesen, sie durch die Ritterschaft der beiden Stifter und die Grafen am Harz vollziehen zu las- sen, wie er denn überhaupt in den territorialen Angelegen- heiten mit dem Adel gern in Verbindung trat: Lazarus Schwendi erschien in diesen Gegenden, um die Sache in Gang zu bringen; allein ein großer Theil des stiftischen Adels war selber evangelisch und von der Partei Johann Friedrichs: es kam lange Zeit auch hier zu nichts, als zu kleinen Neckereien mit einzelnen Edelleuten aus dem Stifte oder aus der Mark Brandenburg. Vorwerke und Amtshöfe des Rathes wurden überfallen: eine Fuhre Zerbster Bier, ein Wagen mit Tuch aufgehoben; Heinrich Merckel Wahrhaftiger, ausfuͤhrlicher und gruͤnd- licher Bericht von der Alten Stadt Magdeburg Belagerung. Hort- leder II, 1244. dagegen gelang es auch den 12* Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Magdeburgern, eine Anzahl Junker aus dem Lande Jerichow gefangen zu nehmen; sie überfielen die benachbarten Märkte oder Klöster; auch sie nahmen wohl tangermündische Güter weg, oder suchten sich ihres Schadens an einem reichen Ju- den zu erholen, der mit ihren Feinden in Verbindung stand: das Faustrecht im Kleinen galt gleichsam wieder, und ein Je- der fügte dem Andern so viel Schaden zu als er vermochte. Ernstlichere Feindseligkeiten begannen dadurch, daß der junge Georg von Meklenburg, der dem Herzog Heinrich ge- gen Braunschweig zugezogen war, mit einem Theil der von dort entlassenen Truppen in dem magdeburgischen Gebiete erschien, eigentlich nur, um hindurchzuziehen und in seinem Vaterlande gewisse Ansprüche, die er in Folge einer kaiser- lichen Anwartschaft auf das Bisthum Schwerin erhob, ge- gen seine Brüder und seinen Oheim durchzusetzen. Er hielt es für ganz erlaubt, auf seinem Wege die Ungehorsamen, die Rebellen, wie man sie nannte, ein wenig zu züchtigen. Hase an Viglius 21sten October: „Ist die Sache also er- gangen, das Herzog Joͤrg von Meklenburg ain Zwiespalt mit seinem Vetter und Bruedern des Bischthums Schwerin halber gehabt (vgl. Rudolf N. Gesch. von Meklenburg I, 120; Krey Beitraͤge zur Mek- lenburgischen Kirchen- und Gelehrtengesch. enthaͤlt nichts von Be- lang), da ime etlich trutzige wort von seinem Vetter Hz. Heinrichen begegnet, deren er sich gern gerochen hett, und hat also Hz. Heinrichs von Braunschweigh kriegsvolk an sich gehenkt, in Meinung, sich wie vorlaut zu raͤchen: dieweil er aber kain Gelt gehabt und das kriegs- volk auch arm gewesen, hat er gedacht sich an denjenigen die der magdeburgischen Rebellion etwas anhaͤngig gewesen zu erholen, die- weil sie daselbst nit wol suͤndigen koͤnnen“ — — (Bruͤss. Archiv.) In den Bürgern war noch ein so energisches Selbstgefühl, daß sie auch ihr Gebiet nicht wollten beschädigen lassen und dem Herzog im offenen Lande entgegenzogen. Aber bei wei- Belagerung von Magdeburg . tem krieggeübtere Leute führte dieser, als die Bauern waren welche die Stärke der magdeburgischen Fähnlein ausmach- ten: er trieb sie aus einander, eroberte ihre Wagenburg sammt ihrem Geschütz, und wandte sich nun mit Entschie- denheit gegen sie selber (22 Sept. 1550). Und nicht allein hiedurch sah sich die Stadt plötzlich bedroht, sondern auch alle ihre andern Gegner wurden rege. Die benachbarten Fürsten, denen es gleich unbequem gewesen wäre, wenn sich ein Weitergesessener durch einen plötzlichen Glücksfall daselbst festgesetzt, Dreihaupt Saalkreis I, 272 gedenkt des Vorgebens, daß Georg vertrieben werden solle. oder wenn das Kriegsvolk, das sich so unerwartet gesammelt, aus Man- gel an Sold sich wieder zerstreut hätte, eilten sich der Sache anzunehmen. Zuerst, wenige Tage nach jenem Ereigniß, erschien Chur- fürst Moritz im Lager des Herzog Georg, und nahm zu- gleich mit demselben das Kriegsvolk auf drei Monat in Pflicht. Am 2ten October trafen auch Churfürst Joachim, Markgraf Albrecht von Brandenburg, die vornehmsten Dom- herrn, — nicht ohne einige Mitglieder der Ritterschaft, in dem Lager zu Schönebek ein; da die Stadt die Aufforde- rung sich zu Handen der Churfürsten und Fürsten zu erge- ben zurückwies, und vielmehr auch ihrerseits Kriegsleute von denen bei sich aufnahm, die in oder vor Braunschweig ge- legen, so traf man Anstalt zu einer förmlichen Belagerung: Anfang November ward das erste Blockhaus bei Buckow ge- schlagen. Spangenberg Eislebische Chronik I, 461. Nur wollten weder die einzelnen Fürsten noch die be- Neuntes Buch. Fünftes Capitel . nachbarten Kreise sich mit den Kosten eines so weitausse- henden Unternehmens beladen: sie riefen die Hülfe von Kai- ser und Reich an, die damals eben in Augsburg versam- melt waren. Wie wichtig der gewonnene Vortheil erschien, mag man daraus abnehmen, daß die sächsischen Gesandten nicht war- ten mochten, bis die Vesper aus war, der König Ferdi- nand beiwohnte, sondern während des Gottesdienstes dem- selben ihre Nachricht mittheilten. Franz Kram vom 28sten September. (Dr. A.) Alles erfüllte sich mit neuen Erwartungen und Plänen. Im Fürstenrathe ward der Wunsch geäußert, daß der Kaiser selbst, der den Krieg früher so glücklich geführt, auch den Reliquien desselben, der magdeburgischen Rebellion, un- terstützt vom Reiche, ein Ende machen möge. Man begreift es sehr wohl, wenn unter andern Herzog Heinrich dafür war: gegen Braunschweig hätte ihm nichts besser zu Statten kom- men können: merkwürdig aber, wie weitaussehende Gedanken sich von andern Seiten her daran knüpften. Die Bischöfe hofften, daß eine neue Waffenthat des Kaisers die vollkom- mene Herstellung ihrer Gerichtsbarkeit und der geistlichen Gü- ter zu Folge haben werde; der Deutschmeister hegte die Mei- nung, daß die Eroberung von Magdeburg dem Orden noch den Weg zu einer Restauration in Preußen bahnen dürfte. Franz Kram 13 Nov. „Der Deutzschmeister verhofft nach dis orts vorrichter sache zu Preussen zu kommen, dan er one das we- nig trost sihet das Ime das Reich oder auch Ks. Mt Itziger Zeit helffen werde.“ In Preußen und Polen verlor man wirklich die Bewegun- gen des Ordens keinen Augenblick aus dem Gesichte; man Belagerung von Magdeburg. Reichsvorrath . wollte wissen, der Deutschmeister lege alle Jahr die Hälfte seiner Einkünfte zurück, und habe schon eine bedeutende Baar- schaft in Lübek, um demnächst einen Anfall zu versuchen; es waren Anordnungen getroffen demselben zu begegnen. Indessen fühlte sich der Kaiser weder unbeschäftigt noch gesund genug, um auf diese Gedanken einzugehn: nochmals einen deutschen Krieg auf seine eigenen Kosten zu unterneh- men, war auch er nicht geneigt. Er stimmte bei, wenn am Reichstag der Beschluß durchgieng, daß der Krieg im Namen und auf Kosten des Reiches, durch Churfürst Moritz, ge- führt werden sollte. Er bewilligte selbst, daß das Geld hiezu fürs Erste aus dem indeß aufgebrachten und in den Lege- städten gesammelten Vorrath genommen werden sollte. Da- gegen versprach man auch ihm, zur Ersetzung des Entnom- menen zu schreiten, sobald man nur ungefähr wisse, wie viel die Belagerung kosten werde, und setzte hiezu sogleich eine besondre Versammlung an. Briefe und Acten sind davon voll, wie schwer man dazu schritt. Arras erklaͤrte: „das die ks. Mt von dem vorrath keinen hel- ler nhemen wuͤrde lassen, die ersetzung wurde dann itzo alsbald und auf kurtze fristen gewilliget.“ Carlowitz an Moritz 9 Dec. (Dr A.) Das Geld sollte dem Chur- fürsten nicht in die Hand gegeben, sondern von einem Reichs- pfennigmeister verwaltet werden: Lazarus Schwendi ward als kaiserlicher Commissarius in das Lager geschickt. Es war nicht ein Executionskrieg, wie ihn öfter ein und der andre Fürst übernommen, sondern ein förmlicher Reichskrieg, nur unter dem Oberbefehl eines mächtigen Für- sten, von dem man jedoch hiebei in Erinnerung brachte daß er zugleich Reichserzmarschall sey, durch welchen Magdeburg angegriffen ward. Wenn es unterlag, so wurden die Reichs- Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . ordnungen in Bezug auf Concilium und Interim auch an dieser Stelle durchgesetzt. Doch hatte Moritz auch ein eigenes Interesse gegen Mag- deburg. „Von keinem andern Orte im Reiche,“ schreibt ihm Carlowitz, „sind E. Churf. Gn. mehr gelästert und geschmäht, ihre Unterthanen mehr zu Widerwillen verhetzt worden, und sind in Zukunft bösere Practiken, größere Widerwärtigkeiten zu erwarten: 8 Maͤrz. „es sey dieser Ort, daraus E. Ch. G. und ire unterthanen sich hinfuro mherer widerwertikeit, boser Practiken, hin- derlist, unterschleuff irer widerwartigen und alles boses mher dan sonst aus keiner andern Stadt im Reich zu besorgen haben.“ Niemanden auf der Welt liegt mehr daran, daß die Stadt gedemüthigt und gezüchtigt werde.“ Am 28sten November gelang es dem Churfürsten sich der Neustadt zu bemächtigen, die von ihrem besondern Rath nicht mit gehöriger Vorsicht bewahrt wurde: Besselmeier Historie des Magdeburgischen Krieges: „dann si denselbigen Tag eben den Rath veraͤndert und newe Herrn ge- macht hatten, derhalben sie große Gastung und Schlamp gehalten.“ Hortleder II, iv , 18, 6. wo er sich dann auf das beste befestigen konnte. Damit nicht etwas Ähnliches in der Sudenburg geschähe, eilten die Belagerten sie abzubrechen. Aber hierauf wendete sich nun der ganze Anfall wider die Altstadt selbst; in Kurzem war sie mit Block- häusern, Schanzen, Blendungen und andern Werken einge- schlossen, und alles schien zu einer Entscheidung zu reifen. Rathmannen, Innungsmeister und Gemeine der alten Stadt Magdeburg waren entschlossen dieselbe Gott vertrauend zu erwarten. Moritz hatte ihnen Vorschläge gemacht, so vortheilhaft, daß man am Reichstag überzeugt war, er werde sie bei dem Belagerung von Magdeburg . Kaiser nicht durchsetzen: das freie Bekenntniß der reinen Lehre nach der augsburgischen Confession und die Bestätigung al- ler ihrer Freiheiten; da er aber die Bedingung hinzufügte, daß sie alsdann eine Besatzung von Seiten der verbündeten Fürsten würden aufzunehmen haben, so erhob sich in ihnen der Verdacht, der an den oberländischen Begebenheiten seine Begründung fand, daß diese sie doch mit der Zeit zu dem was der Kaiser begehre zwingen und nicht lange bei der reinen Religion und ihren Freiheiten lassen werde. Der von Magdburg Verantwortung alles Unglimpfs 13 Dec. 1550. „weil dann damit umgangen wirdt, das Paͤpstliche widerchrist- liche tridentinische Concilium zu erfolgen und mitler Zeit das gottlose Interim anzunehmen, das auch alle Gottes Diener von den paͤpst- lichen Bischoͤfen sollen verhoͤrt und habilitirt werden.“ Sie antworteten, sie würden eher sterben als dieser Gefahr sich aussetzen. Von den Theologen, die vor dem Interim wei- chend bei ihnen Aufnahme gefunden, wurden sie mit der stol- zen Meinung durchdrungen, allein bei ihnen habe Gottes Wort noch eine sichere Freistätte: wer sie bekämpfe, der stehe dem Widerchrist bei. Das Gefühl für Gott zu streiten, er- füllte sie auch nach alle den erlittenen Niederlagen ihrer Glau- bensgenossen mit der heldenmüthigen Zuversicht, er werde sie nicht untergehn lassen. Bürger auf der Wache sahen himmlische Gesichte, die sie mit tröstlichen Zusagen erfreuten. Sie trugen kein Bedenken die zahlreiche Einwohnerschaft der Sudenburg, obwohl sie zur Vertheidigung nicht viel beitragen konnte, bei sich aufzunehmen; längst hatten sie sich auf einen Fall dieser Art vorbereitet, sie waren auf mehrere Jahre mit Lebensmitteln versehen. Auch übrigens war die Stadt in gutem Vertheidigungsstand; noch unter den Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Augen des Feindes ward ein neues Bollwerk, von seinem Erbauer genannt der Heideck, errichtet. Alle Thürme wa- ren mit Schlangen und Falkoneten besetzt, die man zum Theil aus dem Metall der aus den Klöstern weggenomme- nen Glocken gegossen: auf dem obersten Umgang an den Domthürmen, 433 Stufen hoch, hatte man ihrer vier aufge- pflanzt; am besten wirkten die Geschütze auf dem St. Ja- cobi Thurm, von dem Büchsenmeister Johann Kritzmann ge- leitet, von dem man sagt, es sey ihm selten Jemand ent- gangen de n er im Felde erblickte. Die geworbenen Trup- pen und die Bürger verpflichteten sich eidlich zu gegenseiti- ger Hülfleistung und Treue, und auf das beste haben sie ihren Schwur gehalten. Von welcher Art Enthusiasmus sie erfüllt waren, zeigt die Meinung die sich unter ihnen ver- hreitete, der Feind sehe bei ihren Ausfällen einen Helden auf weißem Roß vor ihnen daherziehen; sie bildeten sich nicht ein, ihn selber zu erblicken: das litt die protestantische Wahrhaftigkeit nicht; aber sie meinten, der Feind werde durch göttlichen Schrecken mit Zaghaftigkeit geschlagen. Merckel fuͤgt sogar hinzu, sie moͤgen selbst wissen ob es wahr ist. Und ganz glücklich gieng es ihnen mit ihren Ausfällen. Am 19ten December überraschten sie die stiftischen Truppen bei einem Gelage, nahmen mehrere hundert Mann gefangen, Edelleute und Gemeine, und führten den Stiftsbanner mit dem St. Moritz mit sich fort. Da der Churfürst eben einem Kriegs- haufen entgegengezogen der sich im Gebiete von Verden sam- melte, so hielt es Georg von Meklenburg für seine Pflicht diesen Schimpf der Belagerer zu rächen. Er wagte sich aber Belagerung von Magdeburg . dabei so kecklich vor, daß er selber in die Hände der Feinde fiel (20 Dec. 1551); unter ungeheurem Getümmel — gern hätten die Weiber den Tod ihrer Männer an ihm gerochen — ward er in des Kämmerers Haus zum Lindwurm in Gewahrsam gebracht. Bald darauf ward freilich dagegen in dem feindlichen Lager Freude geschossen, weil jener Haufe zerstreut worden, von dem man eine Gegenwirkung besorgt hatte; Churfürst Moritz kam von seinem Zuge wieder und schlug zu den vier bereits vorhandenen ein fünftes Lager vor der Stadt: die Scharmützel giengen nicht immer glück- lich: auch die Geschütze der Feinde machten Wirkung, und fällten unter andern die Zinnen des Jacobi Thurmes; nach und nach dachte man doch daran, ob man nicht die Ar- men zu entfernen habe; man fühlte die Gefahr in der man sich befand. Und nun läßt sich denken, welche Theilnahme dieser Kampf, eben das Schwanken des Kriegsglücks und die Un- gewißheit der Entscheidung bei so viel Muth und Tapfer- keit in der Nation erregte. Wir haben heitere und ironi- sche Volkslieder in alten schwungvollen Weisen übrig, worin der Widerstand gepriesen ward, den das hochgewehrte Haus, die werthe Stadt den fremden Gästen leiste, den Pfaffen- knechten: „will der Kaiser den Wein trinken der auf dem Markte zu Magdeburg im Fasse liegt, so muß er selbst ein Landsknecht werden; will Herzog Moritz die goldnen Schwer- ter haben, die ihn erst zu einem Churfürsten machen, so muß er sie da von den Mauern holen; indessen winden die Jung- frauen ihre Kränze für den alten Churfürsten, dessen Gemah- lin und den Grafen Albrecht, der das Beste gethan.“ Roger Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Asham versichert, in Augsburg rede man von nichts weiter als von der magdeburgischen Sache: jede andre trete dage- gen zurück. Ihm als einem Classisch-gebildeten stellen sich Papst und Kaiser als die mythologischen Ungeheuer dar, als Cerberus und der spanische Geryon, die nur diese Eine Stadt zu unterwerfen wünschen. Werden die Pforten der Stadt erbrochen, so wird jener wieder in Deutschland herrschen, dieser in ganz Europa. Der Kaiser seinerseits ließ nicht in Zweifel, welche Folgen die Ausbreitung seiner Herrschaft in Deutschland haben würde. In Augsburg wurden die Protestanten von dem Kriegs- volk das ihn umgab, als Besiegte behandelt. Während der Predigt in der Kirche zum heiligen Kreuz ergötzten sich die Ita- liener die dort in das Kloster einfuriert worden, mit Ballspiel: der Ball fiel unter das zuhörende Volk auf dem Kirchhof. In St. Ulrich zerbrachen die Spanier Kanzel und Stühle; dem Stadtvogt mit seinen Leuten, die ihnen Einhalt thun wollten, setzten sie sich mit bloßer Wehre entgegen; man bemerkte daß nicht alles gemeine Söldner waren: einen Trabanten des Prinzen Don Philipp unterschied man unter ihnen. Dage- gen sah man wieder die Processionen mit ihren Glöcklein und Lichtern durch die Straßen ziehen; wehe dem der sie beleidigte. Eine Handwerkerfrau, die sich spöttisch verlau- ten ließ, ob dieser Gott nicht ohne Lichter sehe, wurde erst in die Eisen geschlagen, dann aus der Stadt verwiesen: hätte sich Königin Maria nicht ihrer angenommen, so wäre ihr noch Ärgeres geschehen. Auf das strengste ward dar- über gehalten, daß Freitag und Sonnabend nur Fasten- speisen auf die Tische kamen. Die Schulmeister wurden an- Kirchliche Gewaltsamkeiten in Augsburg . gewiesen, nichts zu lehren was nicht entweder der alten Re- ligion oder dem Interim gemäß sey, und ohne Gnade ab- gesetzt wenn sie sich dessen weigerten. Vier Lehrer in der lateinischen Schule, neun in der deutschen, sogar einige Leh- rerinnen waren standhaft genug dieß Schicksal über sich er- gehn zu lassen. Und mit entsprechendem Ernst wurden die Prediger vorgenommen. Vor dem Bischof von Arras wur- den sie examinirt, ob sie auch glauben daß unter Einer Ge- stalt das Sacrament so gut mitgetheilt werde wie unter bei- den; wie viel Sacramente sie überhaupt annehmen. Da ihre Erklärungen seh ev angelisch lauteten, wurden sie ange- wiesen binnen drei Tagen beim Schein der Sonne die Stadt zu räumen; sie mußten schwören in den Grenzen des heil. Reiches niemals wieder zu predigen oder priesterliche Hand- lungen zu verrichten, auch niemals Jemanden die Gründe ihrer Ausweisung mitzutheilen. Abschaffung der evangelischen Predigcanten zu Augsburg und was davor mit inen geredt gehanndelt und von den kays. rethen auf- erlegt worden ist. 26 Aug. 1551. In der gruͤntlichen und ordentli- chen beschreibung, aus der auch unsre andern Nachrichten stammen. Wo die Mönche nicht selbst das Wort wieder ergriffen, wurden doch nur solche Predi- ger geduldet welche sich genau an das Interim hielten. Der Kaiser nahm an diesen Dingen mit einem Eifer Antheil, als wenn seine ganze Autorität davon abhienge. Es blieb ihm nicht unbekannt, wenn ein Bürger von Ulm eins seiner Kin- der auch nur außerhalb der Stadt nach evangelischem Ritus taufen ließ; er drang darauf, daß derselbe dafür aus dem Rathe entfernt wurde. Er verweist es dem Rathe, wenn er einem verjagten Prediger, der ein Handwerk treiben will, das Bürgerrecht gewährt hat. Von allen Seiten wurden Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . die Prädicanten zusammengefordert, um denselben Verpflich- tungen unterworfen zu werden, die in Augsburg auferlegt worden. Da die regensburgischen nicht erschienen, ließ der Kaiser die Rathsherrn von Regensburg vor sich bescheiden und eidlich verpflichten, niemals einen Prädicanten anzuneh- men, der nicht zuvor bei Gott und den Heiligen gelobe sich der alten Religion und dem Interim gemäß zu halten. In weiten und weitern Kreisen zeigten sich verwandte Bestrebungen. Der Erzbischof von Mainz lud wohl die hes- sischen Prediger auf seine Provinzialsynode. Was die Mag- deburger fürchteten geschah wirklich anderwärts. Die hohe Geistlichkeit machte in den Städten den Versuch, den nie- dern Clerus wieder einzusetzen und überhaupt die alten Ver- hältnisse zurückzuführen. Auch in den Reichsgeschäften hielt der Kaiser ein Ver- fahren ein, das allem Herkommen widersprach und das Selbstgefühl der Fürsten aufregte. In einem Gutachten über die Ersetzung des Vorrathes hatten die Stände einige ihrer Beschwerden doch etwas deut- licher als am vorigen Reichstag, aber noch immer sehr be- scheiden zur Sprache gebracht, z. B. die Anwesenheit spani- scher Truppen im Reiche, das bewaffnete Geleit mit wel- chem der Kaiser am Reichstag erschienen war, die mancher- lei Hülfsleistungen die sie in den letzten Jahren geleistet. Der Kaiser nahm dieß nicht wenig übel: schon den Stän- den im Allgemeinen gab er zu erkennen, daß er ihren Auf- satz unbillig finde und sich darüber etwas bewegt fühle; hauptsächlich aber wandte er sich an die Churfürsten. Die beiden persönlich anwesenden, Mainz und Cölln, und von Beleidigung der Reichsfuͤrsten . jedem der andern der vornehmste Rath mußten ihm in das Innere seiner Gemächer folgen, wo er mit dem König feier- lich Platz nahm und dann durch den Bischof von Arras vortragen ließ, mit welchem Mißvergnügen er bemerke daß gerade sie die Hartnäckigsten in der ganzen Versammlung seyen: ganz ohne Grund sey was sie in der übergebenen Schrift ausgeführt: nur unbedeutend erscheine die Reichs- hülfe, wenn man sie mit den überschwenglichen Unkosten ver- gleiche die er selber zur Aufrechterhaltung des Reiches auf- gewendet: der letzte Krieg habe ihm über 60 mal hundert tausend Gulden gekostet, und noch sey nicht so guter Friede, daß er des ohnehin nicht zahlreichen Kriegsvolkes das er noch im Reiche habe, entbehren könnte: man möge nur rück- wärts sehen, so werde man wohl finden daß auch andre römische Könige und Kaiser Truppen an die Reichstage mit- gebracht: er der Kaiser trachte nach nichts als daß die Ge- bühr im Reiche geschehe, und er wolle nur wünschen daß auch kein andrer sich seine Privathändel irren lasse. „Gnädigster Churfürst und Herr,“ schreibt der branden- burgische Gesandte an Joachim II , „wir können nicht unter- lassen Ew. Churf. Gn. anzuzeigen, daß die beiden Churfür- sten, die anwesenden Fürsten und die Räthe der abwesen- den über dieses unerhörte Verfahren entsetzt sind; wer dazu gerathen, hat es schlecht verstanden, und wär es auch der kluge Arras gewesen.“ Großes Aufsehen machte eine Differenz die über die Belehnung des Prinzen Philipp mit den Niederlanden aus- brach. Der Kaiser hatte die Absicht seinen Geburtstag mit diesem Act zu feiern, und ließ eine prächtige Bühne dazu Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . herrichten. Allein der Lehnbrief den er darüber aufsetzen las- sen, wich so sehr von dem Herkömmlichen ab, daß die Chur- fürsten Bedenken trugen ihn anzunehmen. Bei einer und der andern Provinz war mit absichtlicher Unbestimmtheit von der Oberlehnsherrlichkeit des Reiches die Rede; für alle insge- sammt war der Anspruch erhoben daß sie auch durch Frauen vererbt werden sollten. Die kaiserlichen Minister entschuldig- ten das erste damit, daß die alten Lehenbriefe verloren ge- gangen, und man nicht mehr genau wisse was zum Reiche gehöre: das zweite mit dem Wunsche die Niederlande auf immer ungetrennt beisammen zu halten. Allein damit war der Erzcanzler des Reiches nicht zu befriedigen: er wandte ein, wenn der Kaiser z. B. Geldern nicht ausschließlich als Mannslehen anerkenne, so mache er seine eignen Rechte dazu zweifelhaft. Ein Widerspruch der so gut begründet war, daß der Kaiser sich entschließen mußte den Lehenstuhl wie- der abtragen zu lassen. Wollte er seinen Sohn belehnen, so mußte er es in seiner Wohnung thun. Dispaccio Fiorentino 26 Febr. Carlowitz an Moritz 16 Februar. Außer den beiden obigen Puncten hatten die Deutschen noch eingewendet, daß die Lehnsberechtigung auch auf die natuͤrlichen Nachkommen ausgedehnt werde. Sie verstanden darunter Bastarde. Darin aber hatten sie ohne Zweifel Unrecht; die kaiserlichen Mini- ster erwiederten: „das Wort natuͤrliche Erben wollten sie nicht uff Pastarden verstehen, sondern es solle zu dem Wort legitimis geho- ren und an dasselbig gehangen seind: wie man auch sage: natuͤrli- cher Herr.“ Marillac bemerkt daß daruͤber grande mocquerie ent- standen. Je scai au vray que l’investiture que l’empereur bailla au prince d’Espagne sous la cheminée estait des pays bas se re- servant l’administration durant sa vie. Einen allgemeinen Widerwillen erweckte das Betragen der Spanier: — „obwohl ihrer nur eine Handvoll ist,“ sagt Anmaßung der Spanier . eine Augsburger Chronik, „so treiben sie doch allen Muth- willen ohne daß ihnen jemand einredet oder sie daran hin- dert: sie machen daß in Augsburg niemand mehr Herr und Meister ist weder über Leib und Gut noch über Weib und Kind“; — durch ihre nationale Anmaßung fühlten sich die Deutschen gehöhnt. Bei einem Gastgebot, dem der sächsische Gesandte beiwohnte, beklagten sie sich daß ihr Prinz in der Capelle unter den Churfürsten stehe: man wisse in Deutschland wohl nicht was ein Prinz von Hi- spanien bedeute oder vermöge. Ohne Hehl ließen sie sich vernehmen, das Kaiserthum könne ihnen nicht entgehn: der Churfürst von Cölln sey eine Creatur des Kaisers, Mainz der Rath desselben, Pfalz ein noch nicht ganz ausgesöhnter Feind der nichts verweigern dürfe, Sachsen durch die empfan- genen Wohlthaten gefesselt, Brandenburg, das nicht die Mit- tel habe seinen churfürstlichen Stand aufrecht zu halten, werde mit 100000 Gulden und etwa der Versicherung der Stifter zu gewinnen seyn, mit Trier wolle man schon fertig wer- den: wollte Gott die Churfürsten wären nur alle zugegen: sähen sie das Angesicht des Kaisers, würde man ihnen freund- lich zusprechen, mit ihnen bankettiren, so wäre alles aus- gerichtet. Bei jener Vorhaltung in den kaiserlichen Gemä- chern hatte man Alba und Arras über die betroffenen Für- sten und Räthe lachen sehen; die Spanier spotteten über die Sorglosigkeit des Landgrafen, der Thor genug gewesen sey sich mit guten Worten in Haft bringen zu lassen. „Dahin,“ ruft der brandenburgische Gesandte, Christoph von der Straßen, aus, „ist es mit den Deutschen gekom- men, die sonst von allen Nationen gefürchtet waren: jetzt Ranke D. Gesch. V. 13 Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . spottet man ihrer, Gott seys geklagt.“ Er widerräth seinem Herrn nach Augsburg zu kommen, so sehr der Kaiser darauf dringe und so sehr die Wendung welche die religiösen An- gelegenheiten nehmen, es sonst wünschenswerth machen würde. „So viel vermerken wir, die Spanier wollen einen Fuß ins Reich setzen; es gilt Euch Herren, wir bleiben immer arme Gesellen.“ Christoph von der Straßen, Doctor und Ordinarius, Mitt- woch nach Nativitatis Mariaͤ 10 Sept. Der Brief ist von dessen Hand; zugleich hat sich Timotheus Jung unterschrieben. Eine andere Angelegenheit von allgemeiner Bedeutung bildete die noch immer fortdauernde Gefangenschaft des Land- grafen Philipp von Hessen. Während des ersten Reichstags zu Augsburg war er zu Nördlingen, Heilbronn und Hall in Schwaben von Spa- niern bewacht, alsdann den Rhein hinab nach den Nieder- landen geführt und zu Oudenarde in engem Gewahrsam ge- halten, endlich im Sommer 1550 nach Mecheln gebracht worden. Auch in der Gefangenschaft ward Philipp als der regierende Herr seines Landes betrachtet; über alle wichtigen Landesangelegenheiten ward an ihn berichtet. Das hinderte jedoch nicht, daß er sich nicht zuweilen die unwürdigste Be- handlung hätte gefallen lassen müssen. Man hat dem Schrei- ber dem er einen Brief dictirte, das Blatt aus der Hand gerissen, einen Bettler dem er, als er ihn von seinem Fen- ster aus ansichtig ward, ein paar Stüber hinunterschickte, nicht ohne Züchtigung weggetrieben; der spanische Haupt- mann hat die Speisen die an einem Fasttag auf die fürst- liche Tafel getragen wurden, auf den Boden geworfen und Gefangenschaft des Landgrafen Philipp . beschimpfende Worte hinzugefügt. Man sollte nicht so oft tadelnd darauf zurückkommen, daß Philipp sein Unglück bei weitem nicht mit der großartigen Gelassenheit getragen habe, die wir an dem Churfürsten bewundern. Die Lage der bei- den Fürsten ist schon an sich sehr verschieden. Der Chur- fürst war in der Schlacht gefangen und bereits zum Tode verurtheilt gewesen; der Landgraf, wenn wir ja nicht sa- gen wollen, durch Betrug, doch durch Täuschung in die Hände des Kaisers gerathen. Da hat er allerdings Au- genblicke gehabt, wo der Wunsch wieder frei zu werden und Einreden seiner Umgebung ihn zu einer undienlichen Nachgiebigkeit vermocht hat, z. B. in Sachen des Interims: er hat sogar der Messe einmal beigewohnt; aber diese Anwandlungen giengen bald wieder vorüber: in seinem Ge- fängniß hörte man ihn doch mit heller Stimme geistliche Lieder singen. Er ließ sich Schriften der Kirchenväter ge- ben: besonders las er Augustinus gern; es machte ihm Ver- gnügen, wenn ihn gelehrte Katholiken besuchten und mit ihm die Controversen beider Theile, etwa über die Lehre von der Rechtfertigung oder das Papstthum oder die Anru- fung der Heiligen, durchsprachen. Aus der Ferne ermahnt er dann seinen ältesten Sohn, bei dem Evangelium zu ver- harren, es koste gleich Leib oder Gut, die flüchtigen Prä- dicanten zu unterstützen. Auch andre gute Ermahnungen fügt er hinzu: z. B. er möge sich vor einem unreinen Leben hüten, Jedermann Gleich und Recht angedeihen lassen. Auszuͤge aus seinen Briefen bei Rommel II, 530—550. In seinem Gefängniß gedenkt er des Zustandes der armen Ge- fangenen in seinem Lande und bringt die Verbesserung des- 13* Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . selben in Anregung. Er vergißt des Thieres nicht das ihn in glücklichern Tagen getragen hat, das er jetzt bis zum Tode zu füttern befiehlt, noch des treuen Hundes, den er seinem Sohne, denn er könne ihm wohl noch eine Ente fangen, zuschickt: „laß aber wohl aufsehen,“ sagt er, „daß ihn die großen nicht todt beißen, laß ihn in deiner Kammer schla- fen.“ Seine Seele lebt in der Heimath; sie nährt sich in diesen Erinnerungen und Sorgsamkeiten geringfügiger Art; nach so viel stürmischer Thatkraft im Glück entwickelt sie Milde und Treue im Unglück. Von dorther entsprach man ihm mit gleichem Verlangen. Alles was wir von seiner Ge- mahlin hören, zeigt eine grundehrliche, durch nichts erschütterte Hingebung. Aber weder die Erfüllung der Capitulation, noch jene religiösen Annäherungen, noch die Anwesenheit des Prinzen von Spanien, der doch seine Verwendung verspro- chen hatte, vermochten seine Fesseln zu lösen. Man hat dem Kaiser angeboten, das Land fürs Erste zu theilen, so daß Philipp, im Besitz nur der einen Hälfte, während die andre an seinen Sohn fallen möge, gewiß unschädlich seyn werde; er selbst fügte hinzu, er wolle dem Kaiser ein Jahr lang im Felde dienen und sich niemals wieder von ihm sondern: — Alles vergeblich. Vielmehr verlautete wohl, der Kaiser werde der hallischen Capitulation nachgekommen seyn, wenn er den Gefangenen auch erst in seiner letzten Stunde freigebe. Auf eine neue Verwendung der Churfürsten am Reichstage von 1550 erfolgte abermals eine abschlägliche Antwort. Ver- zweifelnd, jemals losgelassen zu werden, faßte der Landgraf den Gedanken, zu entfliehen. Es gelang wirklich durch einen jungen in Antwerpen stehenden Kaufdiener aus Hessen, auf Gefangenschaft des Landgrafen Philipp . dem ganzen Weg von Mecheln nach dem hessischen Gebiete Posten zu legen, d. i. nach dem Sprachgebrauch jener Zeit, von 4 Meilen zu 4 Meilen frische Pferde bereit zu halten; mit den raschesten und sichersten stellte sich der Zeugmeister Hans Rommel in Mecheln selber ein: er hatte einige handfeste Leute, welche Diejenigen zurückhalten sollten, die dem Flie- henden nacheilen würden: und schon waren alle nöthigen Vor- bereitungen getroffen, um den Fürsten aus einem Garten der an den Hofraum seines Gefängnisses stieß, zu entführen, als die unglückliche Furchtsamkeit eines Dieners, der im Voraus für sich selber eine Zuflucht suchte, noch in dem letzten Au- genblick das Vorhaben an Tag brachte. L’escrit du paige (Wersebe) bei Duller Neue Beitraͤge zur Gesch. Philipps des Großmuͤthigen p. 119. Es liegt in der Na- tur der Sache, daß der Gewahrsam des Fürsten nun doppelt streng wurde. Der Kaiser, der namentlich die Aufstellung je- ner Leute für einen Eingriff in seine landesherrliche Gerichts- barkeit erklärte, sagte wohl, er habe Ursach, sich noch an- drer Gestalt zu erzeigen als bisher. Der Landgraf verlor nun vollends seine deutschen Diener und ward überhaupt recht eigentlich mißhandelt; bittere Thränen des Unmuths stiegen ihm über die Art und Weise in die Augen, wie man bei den Vernehmungen mit ihm, einem Reichsfürsten, um- gieng. „Ich will lieber todt seyn,“ schrieb er, „als länger gefangen.“ Wenn er angiebt, daß man ihn nach Spanien zu führen beabsichtige, so darf man dieß für keine Einbildung halten: es ist gewiß, daß der Kaiser dazu entschlossen war. In einem Schreiben des Kaisers an Maria vom 6ten Maͤrz ist daruͤber ganz unumwunden die Rede. Etant deja resolu de faire transporter le landgrave en Espagne. Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Wäre es auch nur aus Mitleid gewesen, so hätten schon darum die deutschen Fürsten sich des Landgrafen in dieser Bedrängniß annehmen müssen. Aber die beiden Churfürsten Brandenburg und Sachsen hatten überdieß eine vertragsmäßige Verpflichtung dazu; wiewohl der Kaiser dieselbe für nichtig erklärte, konnten sie sich ihrer doch noch nicht erledigt glau- ben. Ihre Gesandten bereisten die verschiedenen deutschen Höfe, um auch alle andern zur Theilnahme an einer allge- meinen Fürbitte zu vermögen. Im October 1551 vereinig- ten sich hiezu in Augsburg oberländische und niederdeutsche Abgeordnete, von Meklenburg, Holstein, den pfalzgräflichen Höfen, Würtenberg, Baden; Die Instruction der Gesandten an den Kaiser ist auf einer Zusammenkunft der brandenburgischen Abgeordneten (Ad. v. Tr. und Lamp. Distelmeier) mit den saͤchsischen Raͤthen, Dresden Dienstag nach Galli, berathschlagt worden. die welche keine Gesandten geschickt, Lauenburg, Lüneburg, gesellten sich wenigstens durch feierliche Anschreiben hinzu; auch diejenigen traten bei, die sich bisher eher feindlich gehalten, Baiern, wo ein sehr för- derlicher Regierungswechsel eingetreten war, Östreich selbst, das deutsche, in dem Bruder des Kaisers. Es waren beinahe sämmtliche weltliche Fürsten: die Sache des Landgrafen er- schien als die Sache des deutschen Fürstenthums. Unter diesen Vorgängen breitete sich über die verschiede- nen Landschaften und Bekenntnisse das Gefühl aus, daß das alte freie Germanien überwältigt sey und gegen seinen Wil- len nach einem ihm widerwärtigen Ziele geführt werde. Der Haß der ursprünglich den Spaniern allein gegol- ten, fiel allmählig auch auf den Kaiser. Er soll es selbst bemerkt und dem Herzog von Alba wegen der Vernachläßi- Allgemeine Aufregung . gung der Mannszucht unter seinen Leuten, die solche Fol- gen nach sich ziehe, Vorwürfe gemacht haben. Genug aber, es war so. Als er im Mai 1551 von Augsburg nach Ty- rol gieng, fand man dort einen Anschlag des Inhalts: die Römisch Kaiserliche Majestät begehre, man wolle die Thrä- nen, so wegen J. Majestät, ihres Sohnes und der Spa- nier Abreise fallen würden, fleißig sammeln; J. Maj. be- dürfe derselben zur Arznei und werde sie mit indischem Golde theuer bezahlen. Von den deutschen Fürsten traf ein ähnlicher Haß be- sonders Moritz von Sachsen, der an seinem Vetter, an sei- nem Schwiegervater, an der gemeinschaftlichen Sache zum Verräther geworden sey und sich jetzt auch wider Magde- burg gebrauchen lasse. In gereimten Sprüchen ward er re- dend eingeführt, mit dem Bekenntniß daß er das Evange- lium verleugnet habe. „Schwert und Rautenkranz führe ich: wie ichs gewonnen, als werds verlieren ich.“ Ein Spruch von Hertzog Moritzen von Sachsen; der zuerst in Augsburg zum Vorschein kam, von dem man aber meinte, er sey aus Sachsen gekommen. „Herzog Moritz von Sachssen heiß ich, den namen mit der that hab ich; muͤrrisch und stoͤrrisch bin ich: aigen- koͤpfisch, hochfartig, tyrannisch bleib ich.“ Etc. In hoch- deutschen und plattdeutschen Chroniken erscheint sein Name mit gehässigen Beiworten. Schon fühlte er in seinem eig- nen Lande den Boden unter seinen Füßen erzittern. Seine Ritterschaft hat ihm förmlich verweigert gegen Magdeburg Hülfe zu leisten, und wie berührt, man wollte wissen sie richte ihr Augenmerk auf den jüngern Bruder, Herzog August. In den Städten und auf dem Lande in Sachsen machte die Beweisführung der Magdeburger, daß ihre Sache Gottes Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Sache sey, vielen Eindruck. Moritz ist von seinen Amtleu- ten erinnert worden, wenn er in Glaubenssachen auf die bis- herige Weise vorschreite, so werde ihm von hundert Men- schen nicht einer gehorsam bleiben. Mit neuem Eifer schaarten sich die Geister, und viel- leicht eben darum, weil ihnen eine Richtung nach der ent- gegengesetzten Seite gegeben werden sollte, um das Banner des evangelischen Glaubens. Nie waren die Kirchen in den Städten, wo die Predigt noch erscholl, gefüllter gewesen; wir vernehmen von Augsburg, Straßburg, Regensburg, daß die katholische Geistlichkeit verzweifelte das Volk ohne Ge- walt in Zaum zu halten; so wird es auch anderwärts ge- gangen seyn. In den Kirchengebeten durfte man begreiflicher Weise Magdeburg nicht nennen: aber der dortige Kampf war die große Angelegenheit welche die Gemüther beschäftigte: man bediente sich allgemeinerer Ausdrücke, die jedoch keine andre Beziehung haben konnten als eben auf diesen Kampf. Und indessen triumphirte der Bischof von Arras, daß ihm an dem Reichstage alle sein Vorhaben, bésonders in religiöser Beziehung, gelungen: von den verjagten Predigern rede man so wenig als seyen sie nie da gewesen. In die- sem Lande, rief er aus, sey alles möglich. In der That, noch vieles hatte er vor. Ihm konnte wohl nicht verborgen seyn, wie man die Successionsentwürfe in Deutschland ansehe. „Ich finde Nie- mand,“ schreibt selber Carlowitz, „weder hohen noch nie- dern Standes, unter den Deutschen, der damit zufrieden wäre.“ Ohne die mindeste Rücksicht darauf setzte der Hof die Unterhandlungen mit dem größten Eifer fort, und wandte Allgemeine Aufregung . alles an, um den Widerstand zu brechen den der junge Ma- ximilian noch leistete, und die Churfürsten endlich zu gewin- nen. Mit Schrecken sahen die Vaterlandsfreunde einen Trans- port indischen Geldes aus Spanien ankommen. Sie mein- ten nicht anders, als das Geld solle dienen die Churfürsten zu bestechen. Sie fragten, ob es Jemand wohl wagen werde das Vaterland zu verrathen. Und dazu kam nun die Erwartung der Beschlüsse des Conciliums. Mochten auch die schon abgefaßten Decrete reassumirt, und wie der Kaiser wünschte, in einem den Prote- stanten annehmbaren Sinne umgestaltet werden, so wäre man doch niemals über die Festsetzungen des Augsburger Interims hinausgegangen; diese wären vielmehr wahrscheinlich der ka- tholischen Rechtgläubigkeit noch weiter angenähert und auf das strengste festgehalten worden. Dem starren Begriffe kirch- licher Einheit würde sich alles haben unterwerfen müssen. Schon fruͤher sagte Pighino, nach dem Auszug bei Palla- vicini XI, ii , 16, es bleibe kein Mittel uͤbrig als das Schwert. „ve- devasi che ogni opera era indarno eccetto quella di ferro.“ Tridentiner Beschlüsse, wenn auch nicht ganz wie sie später erfolgt sind, aber diesen doch ohne Zweifel überaus nahe verwandt, nachdem die Protestanten bei ihrer Abfassung zugegen gewesen, für sie verpflichtend, — und zu deren Hand- habung ein Kaiser von der Macht und Gesinnung wie sie Philipp II entwickelt hat: — welch eine Aussicht! Carln V willkommen, dessen Politik in den letzten Jahren dahin ge- zielt hatte; aber eben so drückend und drohend für Deutsch- land, das unter diesen Umständen niemals das spätere Deutschland geworden, der freien geistigen Regung die sein Leben ausmacht verlustig gegangen wäre. Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Eben hier, wo sie zusammentreffen sollten, schieden sich die Interessen des Kaisers und der deutschen Nation auf immer. Hätte man nicht meinen sollen, die Nation, in ihren verschiedenen Ständen beleidigt, in der Tiefe ihres Daseyns angegriffen und in ihrer Zukunft bedroht, werde sich gegen die Gewalt von der sie so vieles litt und noch mehr fürch- tete, plötzlich einmal wie Ein Mann erheben? Das ist nicht ihre Gewohnheit. Durch die Mannich- faltigkeit der herrschenden Gewalten ist ihre Aufmerksamkeit von jeher zu sehr nach verschiedenen Puncten hin zerstreut gewesen, als daß dieß so leicht geschehen könnte. Auch sieht sie gern ihre Fürsten sich vorangehen. Und in diesen fehlte es nicht an geheimem Widerstand und Regungen zu offenem. Wohl merkwürdig, daß sich Absichten wie sie Kaiser Carl V hegte, zunächst ein deutsch-östreichisches und ein bran- denburgisch-preußisches Interesse entgegensetzte. Das erste beruhte auf dem Widerwillen gegen die Succes- sion des Prinzen von Spanien. Ferdinand selbst hatte sich endlich gefügt, aber weder sein Sohn, auf den es eigentlich an- kam, der dem jüngern Vetter sein Lebtag hätte nachstehn müssen, noch auch seine Räthe, welche die Verwaltung des Reiches bald an sich übergehn zu sehen und auf immer in der deutschen Linie zu befestigen hofften. Und auch mit Ferdinand stand der Kaiser nicht mehr in dem alten Vertrauen. Er nahm es übel, daß sich derselbe bei der Fürbitte für den Landgrafen bethei- ligte. Den Übrigen gab er die schon oft vernommene Ant- wort, er wolle sich in Gnaden erweisen, so viel nach Ge- stalt des Handels thunlich; seinem Bruder ließ er außerdem Preußisches Interesse . sagen, wenn er den Landgrafen befreie, müsse er auch Jo- hann Friedrich loslassen. Granvella an Koͤnigin Maria 13 December 1551. „pour picquer led. S r roy pour avoir semblé a S. M. qu’il enclinoit trop a Sa dite Majesté.“ Ferdinand antwortete darauf: „Combien que les mots desd. lettres soient modestes comme toutefois, l’on y voit tres luyre quelque sentement, je crains que S. M. Imp le ne le sente.“ Er wußte wohl, daß Ferdinand die Rückkehr dieses Fürsten nicht wünschte, der noch immer einen starken Anhang in Böhmen hatte. In dem brandenburgischen Hause hatten sich die bei- den thatkräftigsten Fürsten, die dem Kaiser im schmalkaldischen Kriege beigestanden, seitdem von ihm abgewendet: Albrecht von Culmbach, den zuerst die Hinrichtung Vogelsbergers ver- drossen, worin er eine Verletzung der hergebrachten kriegsmän- nischen Ehre und Freiheit erblickte, und Johann von Cüstrin, der sich an dem Interim geärgert, es vom ersten Augenblick von Herzensgrund verdammt hatte. Markgraf Johann sah darin die Prophezeiung Carions erfüllt, daß im J. 1548 falsche Propheten aufstehn würden, und war entschlossen ihm zu widerstehn. Während das übrige Deutschland sich beugte, hat er wohl, fortfahrend wie er angefangen, wunderthätige Bilder zerstört, wie das zu Göritz. Johann Friedrich ver- sichert in einem an Carl V gerichteten Gutachten, daß zu der Haltung des Hauses Brandenburg auch die preußischen Ver- hältnisse beigetragen. Eben in diesen Zeiten waren die An- sprüche der fränkischen Linie erneuert worden, und für die Mitbelehnung des Gesammthauses ein neuer Schritt gesche- hen. Die polnisch-preußischen Stände sahen in der Ver- bindung mit dem Hause Brandenburg eine Versicherung des Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Friedens mit dem Reich, Schreiben des Landtags zu Graudenz ad festum Michae- lis 1548. non esse aversandam conditionem, quin pacis autores in arctiora regni jura recipiantur. Lengnich Preuß. Gesch II, do- cum. 1. der sonst, wie wir wissen, bedroht war. Zu dem Kreise dieser Verbindung gehörte Johann Al- bert von Mecklenburg, der wie Markgraf Johann sein müt- terlicher Oheim, dem Interim zum Trotz die Reform fort- setzte, und sich in diesem Augenblick mit der Tochter des Her- zog von Preußen verlobte. Nun hatte Johann Albrecht in jener Streitigkeit mit seinem Bruder Georg eine kleine Trup- penschaar geworben, deren er für sich nicht mehr bedurfte, als Georg sich gegen Magdeburg wendete und dort stehn blieb. Aber weder für Meklenburg noch für Preußen wäre es rathsam gewesen, Magdeburg in die Hände von Kaiser und Reich fallen zu lassen. Es war ein Gedanke Markgraf Johanns, dem Kaiser wenigstens die Möglichkeit eines neuen Widerstandes zu zeigen, ihm wie er sagte „ein Blatt über die Füße zu welgern.“ Johan Heideck, der sich im ober- ländischen Kriege, dann in Magdeburg hervorgethan, und der junge Graf Volradt von Mansfeld erschienen plötzlich an der Spitze eines Heeres im Verdenschen; durch Vermittelung Johann a Lasco’s empfiengen sie von England — es ist die erste Rückwirkung der dortigen Religionsveränderung — ins- geheim eine erwünschte Geldunterstützung. Bei weitem zu gering jedoch war diese Macht, als daß sich etwas Durchgreifendes von ihr hätte erwarten lassen: sich geradezu und in eigenem Namen dem Kaiser zu wider- setzen, dazu waren überhaupt die Verhältnisse des Hauses Brandenburg nicht angethan. Noch viel weniger hätte Ferdi- Politik des Churfuͤrsten Moritz . nand oder Maximilian, die durch alle denkbaren Bande ge- fesselt waren, dieß wagen können. Vielmehr kam alles auf Denjenigen an, der durch seinen Übertritt zum Kaiser den schmalkaldischen Krieg entschieden hatte, und der jetzt von al- len Fürsten allein die Waffen gewaltig in der Hand hielt. Moritz fühlte wohl schon von selbst die Gefahr einer Stellung die mit der öffentlichen Meinung in Widerspruch ist. Schon längst schloß er sich nicht mehr so unbedingt der kaiserlichen Politik an. Er versäumte nichts was dazu dienen konnte, Maximilian durch geheimen Zuspruch in sei- nem Widerstand gegen die Successionsentwürfe des Kaisers zu bestärken; der ihn dafür für einen der besten Freunde er- klärt die er auf der Welt habe. Es war von einer zwi- schen beiden Fürsten zu veranstaltenden Zusammenkunft die Rede, und die Schwierigkeit lag nur darin sie dem Kaiser un- bemerkt zu Stande zu bringen. Carlowitz mußte antragen: wenn Maximilian den Churfuͤr- sten „an ein geheimen Ort zu sich bescheiden mochte, so wolde E. Ch. G. (Moritz) derselbigen (S. Kgl. Wuͤrde) allerlei anzeygen, doran sie Gefallen tragen solle.“ Maximilian geht darauf ein, je- doch weil er mit seinem Vater nach Ungarn gehn solle, koͤnne er sich „noch nicht entschließen, was wege und mittel zu gebrauchen, damit solches fuglich und unvormarkt geschehen mochte, wolt aber sobald sie hinab kaͤme darauf gedenken und solchs von fernest irem Hern Va- ter selbst auch also ingeheim entwerffen.“ Schreiben von Carlowitz 11 Maͤrz 1551. Bei den jungen Landgrafen ließ Moritz bereits anfragen, wenn zwei Augen sich zuthun würden und er dann etwas zur Erledigung ihres Vaters unternehme, wessen er sich zu ihnen versehen könne. Es war wohl nicht sein Ernst, bis zum Tode des Kaisers zu warten; die Landgrafen machten ihn aufmerksam, der könne noch manchen überleben: vielleicht zeige sich bald eine andre Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Gelegenheit, wenn der Kaiser über Meer gehe, oder wenn sich ihm diesseit ein neuer Krieg erhebe. Auf diese letzte Wahrscheinlichkeit hatte vielleicht von allen Deutschen zuerst Markgraf Albrecht von Culmbach bei einer Anwesenheit in Weißenfels schon im Frühjahr 1550 die Aufmerksamkeit gelenkt. Er sagte, der eine von diesen Fürsten habe den Wahlspruch: Mehr, weiter! der andre zum Zeichen den zunehmenden Mond mit dem Worte „bis er voll wird“: jeder wolle größer werden; aber der eine werde abnehmen, der andre, der die Welt noch nicht so gut ge- witzigt habe, fortschreiten und wachsen; Heinrich II könne dem Kaiser wohl einen Schlag beibringen, so schlimm, als sein Vater jemals von diesem erlitten. Seit dem Frieden Heinrichs II mit England konnte sich Niemand verbergen, daß ein Wiederausbruch des Krieges zwischen den beiden großen Mächten bevorstehe. Wie aber wenn alsdann der König von Frankreich die Oberhand behielt? Er machte kein Hehl daraus, daß er sich der verjagten Fürsten und Kriegsmänner annehmen und sie zurückführen werde. Ein Vorhaben, voll Gefahr für Alle welche den schmalkaldischen Bund zerstören helfen und die Partei des Kaisers gehalten. Moritz ward erinnert, wie schlechte Nachbarn er an den wiederhergestellten Grafen von Mansfeld oder dem eignen Vetter haben werden. Schreiben des Markgrafen an Albrecht 22 Maͤrz 1550 aus dem Dresdener Archiv (im Anhang). Schon früh, im Sommer des Jahres 1550, finden sich Spuren einer Annäherung des Churfürsten an den Kö- nig von Frankreich, der seine Augen auf jede mögliche Op- Politik des Churfuͤrsten Moritz . position, unter andern sogar auf König Maximilian, warf; es fehlte jedoch noch viel, daß wirklich ein Verständniß ge- schlossen worden wäre: es blieb alles ganz im Unbestimm- ten und Weiten. Waren doch die mißvergnügten deutschen Fürsten noch weit entfernt einander zu trauen! Das Ereigniß, wodurch zuerst eine gewisse Annäherung zwischen diesen herbeigeführt worden ist, war das Vorrücken jener meklenburgisch-heideckischen Truppen von Verden her in der Richtung gegen Magdeburg. Moritz, der sich in seiner Belagerung nicht wollte stören lassen, gieng wie be- rührt auf diesen Haufen los, und überlegen in den Waf- fen wie er war, zwang er ihn Verden aufzugeben. Da- bei geschah nun aber das ganz Unerwartete. Der Chur- fürst machte den Anführer der geschlagenen Truppen, Jo- hann Heideck, der mit dem Kaiser noch unversöhnt war, und nicht mit ihm versöhnt seyn wollte, zu seinem Vertrau- ten. Darin lag die erste überzeugende Kundgebung einer veränderten Richtung der moritzischen Politik. Der Sieger gieng, so zu sagen im Momente des Sieges, zu der Mei- nung der Besiegten über. Heideck ließ es eines seiner ersten Geschäfte seyn, daß er eine Zusammenkunft zwischen Churfürst Moritz und Mark- graf Hans zu Stande brachte, die im Februar 1551 in Dresden Statt fand. Markgraf Hans erschien nicht, ohne sich vorher durch hinreichendes Geleite sicher gestellt zu haben. Er traute dem zweideutigen Nachbar mit nichten. Als sie zum Zwiege- spräch kamen, bedachte er sich lange, ehe er mit seiner Mei- Neuntes Buch. Fuͤnftes Capitel . nung hervortrat. Noch viel weniger aber hätte der geheim- nißvolle Moritz geredet. Endlich erwähnte Hans den Ver- denschen Zug, durch welchen ihm Moritz ein gutes Vorha- ben zu Grunde gerichtet habe. „Und doch weiß ich,“ redete er Moritz an, „daß auch du so gut nicht hinkommst. Was würdest du sagen, wenn dir Jemand 4000 Pferde zuführte, um damit gegen Jeden zu dienen, der die Religion und die deutsche Freiheit beschweren wollte?“ „Weißt du nicht,“ sagte Moritz, „daß ich im Dienste des Mannes bin? Mit 4000 Pferden wäre ihm noch nicht viel abzubrechen, doch auch ich, in der Religion bin ich kein Mameluk.“ Zögernd eröffneten sie sich einander. So wie einer den andern aber einmal verstanden, waren sie der Sache bald einig. Moritz versprach, die Religion laut der Augsburger Confession zu be- kennen, und zur Erhaltung derselben, so wie der deutschen Freiheit, Land und Leute zu wagen. Markgraf Hans machte sich anheischig, ihm mit dritthalbtausend Pferden zu Hülfe zu kommen. Am 20sten Februar 1551 ist hierüber eine förmliche Obligation aufgenommen worden. Der Markgraf sah ein, daß vor allem eine Versöhnung der beiden säch- sischen Linien nothwendig sey, und säumte nicht, alles mög- liche dafür zu thun. Protocoll im Dresdener Archiv, abgedruckt bei Langenn. So erhoben sich endlich auch in Deutschland die zer streuten Regungen der Opposition zu einer festen Gestalt, einer bewußten Tendenz. Wunderbarer Anblick, den nun die Lage der großen Angelegenheiten darbietet. In Insbruck wo der Kaiser sich aufhält, am Conci- Allgemeine Lage der Dinge . lium zu Trient hegt man die Meinung, und darf sie hegen, daß die Zeit gekommen sey wo alle Entwürfe desselben sich erfüllen sollen. Die verschiedensten von ferne her angelegten Fäden werden verknüpft, alle entlegnen und zweifelhaften Sympathien aufgerufen, um zu dem großen Erfolg einer Herstellung des Kaiserthums in dem einmal aufgefaßten Sinne und einer Befestigung desselben im Hause Östreich-Burgund, älterer Linie, zusammenzuwirken. Aber indessen haben sich die alten Feinde im Osten und Westen, zur See und im innern Lande, mit denen der Kai- ser früher so oft gekämpft und die sich eine Zeitlang ruhig gehalten, aufs neue erhoben. Und nicht diese allein, son- dern auch die besiegten Oppositionen regen sich wieder, und zwar in ganz unerwarteter Gestalt; neue in der unmittelbar- sten Nähe bilden sich an. Wird es dem Kaiser gelingen dort das Ziel zu errei- chen, so daß er sich dann mit neu gerechtfertigten Waffen gegen seine Feinde, einen nach dem andern, wird wenden können? Oder werden die Feinde ihm zuvorkommen? Werden namentlich die verschiedenen Gegner sich unter einander fin- den und zu einem Angriff auf ihn verstehn? Ranke D. Gesch. V. 14 Sechstes Capitel . Kriegszug des Churfürsten Moritz wider Carl V. Landgraf Philipp spottete darüber, als ihm in sei- nem Gefängniß eine freilich voreilige Kunde von dem Vor- haben seines Schwiegersohns Moritz gegen den Kaiser zu- kam. Denn wie wolle ein Sperling den Geier angreifen; habe doch Moritz selbst die andern Vögel verstört; fremden Nationen komme es lächerlich vor, daß ein Lutherischer wi- der den andern sey. Eben dahin zielten nun die Bemühungen des Markgra- fen Johann, diesen Zwiespalt zu heben, die beiden sächsischen Linien zu versöhnen, dem Krieg von Magdeburg ein Ende zu machen: „damit nicht“, sagt er, „wir Christen unserm eini- gen Haupt Christo zur Schmach, uns unter einander mor- den und würgen.“ Was m. gn. Herr Markgr. Hans in entstandener magde- burgischer guͤtlicher Unterhandlung an Herzogk Moritz mit eigener Hand geschrieben. 1551 27 Merz. Auch nach jener Zusammenkunft hält er noch für nöthig, Moritz zu ermahnen, daß er sich seiner Verbindung mit den Geistlichen, die nur im Blute der Chri- sten zu baden wünschen, entschlage, und Christum mit den Erste Entwuͤrfe . Übrigen bekenne. Wenn dieß geschehen ist, so hofft er alle weltliche Fürsten dieser östlichen und nördlichen Länder, den Herzog von Preußen, die Herzoge von Mecklenburg, Lüne- burg, Pommern, Holstein, in den von ihm mit Moritz ver- abredeten Bund zu ziehen. Die erste Absicht hiebei war durchaus defensiver Natur. In der Obligation welche Moritz dem Markgrafen Hans ausstellte, versprach er mit ausdrücklichen Worten, ein Defensivbündniß einzugehn, zur Erhaltung der Religion und Freiheit der Deutschen, Gut und Blut dabei aufzusetzen; seine Bedingung war allein, daß ihm Markgraf Hans von sei- nen Freunden die Versicherung einer bestimmten Hülfleistung bringe, für den Fall daß er angegriffen werde. Handlung zu Dresden bei Langenn II, 331 ist eine von den hessischen Abgeordneten, ohne Zweifel Simon Bing und Wilhelm von Schachten, aufgesetztes Protocoll uͤber ein Gespraͤch mit Chrufuͤrst Moritz uͤber seine Verhandlung mit Markgraf Hans. Die Obliga- tion vom 20 Febr. ist das officielle Resultat dieser Verhandlungen: „Herzog Moritz“, heißt es darin, „will die Religion laut der augs- burgischen Confession bekennen,“ was also noch immer zweifelhaft war; „will zu erhaltung der Religion und freiheit der Deutschen ein Defensiffbuͤndnuß machen.“ Man hatte den Gedanken, ein Heer von 20000 M. z. F. und 7000 z. Pf. auf- zubringen und mehrere Jahre, oder doch auf Jahr und Tag, auf den Beinen zu erhalten. Ein erster, wiewohl noch sehr unentwickelter Gedanke von der Aufstellung eines stehenden Heeres zum Schutze der Religion. Es scheint als sey die Absicht gewesen, dem Kaiser Bedingungen zur Sicherung vor allem der Religion vorzulegen und diesen mit Aufstellung ei- ner so stattlichen Mannschaft Nachdruck zu geben. Man war jedoch hierüber noch nicht zu bestimmten Entwürfen ge- 14* Neuntes Buch. Sechstes Capitel . langt. Alle Unterredungen von Anfang an lassen doch auch die Möglichkeit offen, mit eignem Angriff zu Werke zu gehn. Welchen Weg man aber auch einschlagen mochte, so mußte man sich eingestehn, daß man, bei der Geringfügigkeit der Landeseinkünfte und der allgemeinen Erschöpfung, sich nicht ganz auf die eignen Kräfte werde verlassen dürfen. Hatte doch der schmalkaldische Bund, dem noch die rei- chen Kämmereien der oberdeutschen Städte zu Gebote stan- den, sich nicht so lange als nöthig gewesen wäre, im Felde zu halten vermocht. Wie nun die Veränderung die in den europäischen An- gelegenheiten eintrat, überhaupt Muth zu dem Gedanken machte sich bewaffnet dem Kaiser entgegenzustellen, so er- weckte sie auch die Hofnung, von den beiden Mächten welche sich schon 1547, nur zu spät und insgeheim, geneigt bewie- sen hatten, jetzt aber in offener Opposition gegen den Kai- ser standen, von Heinrich II in Frankreich und der prote- stantischen Regierung in England, Unterstützung und zwar zunächst in Geld zu erlangen. Bedenken, wes man sich in Handelung gegen den Koͤnig von Engeland zu verhalten ao LI 14 d. Julii. „Ob es sach were, das sich etliche Churfuͤrsten FF. und andre Stende des h. Reichs, wellichen zuforderst unsre h. christl. Religion und Lehre des Evan- gelii auch dazu die Freiheit ires Vaterlandes zu erhalten lieb were und derbei zu bleiben neben einander bedacht weren, in ein christlich Verstendniß einließen, und da sie perurter zweier ursachen willen mit Gewalt und der That angefochten und uͤberzogen, sich der pillichen Defension gebrauchen und also ‒ ‒ etwas wagen wolten, was alsdann der Koͤnig ꝛc.“ Der erste Gedanke des Widerstandes war von dieser Absicht durchdrungen. Bei der Zusammenkunft in Dresden äußerte der Markgraf, man werde wohl 100000 G. des Missionen nach dem Ausland . Monats von Frankreich, 50000 von England erlangen kön- nen. Zugleich dachte man auch schon daran, wie nützlich es werden könnte, wenn der König von Frankreich den Kai- ser etwa durch einen Angriff in den Niederlanden beschäf- tige: dann könne man noch „alle Pfaffen und Mönche“ aus Deutschland verjagen. Im Mai 1551 ward eine neue Zusammenkunft zwi- schen Moritz und Johann in Torgau gehalten, an der auch Johann Albert von Mecklenburg und Wilhelm von Hessen, der älteste von den jungen Landgrafen, Theil nahmen. Schon ihr Erscheinen bewies, daß sie einverstanden waren. Die vier Fürsten beschlossen, sich unter gemeinschaftlichem Namen und Siegel an die beiden Höfe zu wenden. In der Instruction die sie dem nach Frankreich bestimm- ten Gesandten, Friedrich von Reiffenberg, mitgaben, tritt be- sonders der politische Gesichtspunct hervor. Sie machen darin bemerklich, daß der Kaiser, sobald er mit den deut- schen Fürsten, die er in eine der Menschenwürde widerstre- bende Knechtschaft „viehische Servitut.“ zu bringen suche, fertig sey, auch die andern Potentaten und zunächst Frankreich angreifen werde. Um ihm Widerstand zu leisten, gebe es kein Mittel, als sich mit dem Rücken an einander zu stellen. Würde der König sie jetzt unterstützen, — sie bestimmen seine Leistung auf 100000 Kronen, — so würden sie außer andrer vielfältiger Dankbarkeit in Zukunft einem römischen Kaiser auch wider ihn nicht beistehn. In aller Form tragen sie ihm den Wunsch vor, daß er ihnen durch einen Angriff auf Carl von der an- dern Seite her zu Hülfe kommen möge. Neuntes Buch. Sechstes Capitel . Zufällige Hindernisse, z. B. die Abwesenheit des ver- trauten Secretärs, oder Zweifel über einen Titel, bewirkten, daß die Sendung nach England sich bis in den Juli ver- zögerte. Absichtlich, weil man kein Aufsehen erregen wollte, ward sie einem unbedeutenden Mann anvertraut. In dessen Instruction aber hoben die Fürsten besonders den religiösen Gesichtspunct hervor. Sie forderten Eduard VI , als einen christlichen jungen König, der in der wahren und rechten Re- ligion von Anfang an unterwiesen sey, auf, ihnen gegen Diejenigen beizustehn, von welchen diese Religion verfolgt werde, und welche jetzt entschlossen seyen die evangelischen Stände, so viel ihrer noch bei der augsburgischen Confes- sion verharren, vollends auszurotten. Ganz in dem Maaße, in welchem der König ihnen helfe, sind sie erbötig ihn zu unterstützen, wenn er angegriffen werde. 12000 M. wuͤrden 88000 G., 10000 M. 75666 G., 9000 M. 66000 G., 8000 M. 56666 G. kosten. Die beiden Instructio- nen bei Langenn. Der Gesichtskreis der Verbündeten umfaßte auch das nördliche Europa. Churfürst Moritz setzte sich mit dem Kö- nig von Dänemark in Verbindung, der zu seinem Verdruß mit Gustav Wasa so eben in neue Irrungen gerieth. Mark- graf Johann hielt, da der König von Polen allzu entfernt war um ihn zu erreichen, eine Zusammenkunft in dieser Sache mit seinem Nachbar, dem Starosten von Posen. Sie sahen die Macht des Kaisers als eine allen un- abhängigen Ländern von Europa gleich gefährliche an: daß sie eine deutsche sey, kam ihnen nicht zu Sinne. In Deutschland selbst lag die größte Schwierigkeit darin, Missionen nach dem Ausland . die Söhne Johann Friedrichs mit Demjenigen in Friede zu setzen der sie der Chur beraubt hatte. Schon bei der Tor- gauer Zusammenkunft hatte man den Beschluß gefaßt, wenn sie auch die Vorschläge nicht annähmen die man ihnen ma- chen würde, sich doch dadurch von weiterm Fortschreiten nicht abhalten zu lassen, und nur vergeblich bemühte sich Markgraf Johann noch eine Weile sie herbeizuziehen; Mo- ritz, in dessen Briefen überhaupt nichts so häufig und so dringend eingeschärft wird wie das Geheimniß, um so mehr da ihm Gerüchte vom kaiserlichen Hofe kamen, man mißtraue ihm dort und hege Besorgnisse, Er erwaͤhnt der Reden am Hof: „man sol auff Herzog Mo- ritz sehen, wan die Stadt Magtburg erobert, das er nuͤt ein Ge- sellschaft an sich heng und Reiss dem kaiser ein Poßle.“ fürchtete nur immer, es möchte seinen Vettern zu viel mitgetheilt werden, so daß sie ihn verrathen könnten. Er seinerseits hatte für den Erfolg sein Augenmerk von Anfang an noch mehr auf Frankreich gerichtet als auf Deutschland. „Da wir desselben mannes (Heinrichs II) nerva belli nit sollten haben, so acht Ich den Handel bei mir unmuglich.“ Schrei- ben vom 18 Juni. Mit Freuden vernimmt er, daß sich nach allen Nachrichten der Bruch zwischen Carl V und Heinrich II unvermeidlich zeigt. Jetzt, meint er, werde der König Freunde brauchen und fort müssen. Es versteht sich wohl, daß ein Antrag wie der von Reiffenberg überbrachte, dem König von Frankreich im höch- sten Grade willkommen seyn mußte. Was er ohnehin zu thun im Begriff war, dazu forderten jetzt deutsche Fürsten ihn auf. Nicht allein eine sehr erwünschte und nützliche Hülfe bot sich ihm damit dar, sondern auch, da man ihn suchte Neuntes Buch. Sechstes Capitel . und brauchte, die beste Gelegenheit, seine Macht nach der deutschen Seite hin auszudehnen, wo sie bisher durch Carls Vorkehrungen und die Gewissenhaftigkeit des älteren prote- stantischen Bundes nur Verluste erlitten. Gleich die Antwort welche Reiffenberg mitbrachte, gab dem ursprünglichen Gedanken eine etwas andre Wendung. Indem sich der König bereit erklärte auf den ihm ge- schehenen Antrag einzugehn, bezeichnete er denselben so, als habe man ihm für den Fall daß er die Waffen gegen den Kaiser ergreife, sey es zur Vertheidigung oder zum Angriff, und daß er sich dabei der Sache des Landgrafen öffentlich annehme, versprochen, sich für ihn zu erklären und ihm gute Dienste zu leisten. Abgedruckt bei Langenn II, 334. Von dem Defensivbündniß, auf das man zuerst gedacht, zu dessen Ausführung man Hülfe von Frankreich gewünscht hatte, war hier nur noch im Vorbeigehn die Rede. Statt dessen trat die Absicht hervor, gegen den Kaiser mit deutscher Hülfe einen großen Krieg zu beginnen. Oder hatte vielleicht Moritz, der schon seit längerer Zeit für sich allein mit Frankreich in geheimen Beziehungen stand, Die erste Notiz von einer Verbindung zwischen Moritz und Heinrich II findet sich im Juli 1550. Es scheint als habe Moritz sich bald nach der ersten Eroͤffnung Albrechts von Brandenburg an Frankreich gewandt. 29 Juli empfiehlt der Gesandte Marillac einen Italiener als Vermittler. diese Wendung durch frühere Äußerungen veranlaßt? In Kurzem erschien ein französischer Gesandte de Fresse, Bischof von Bayonne, in Deutschland, der sich in demsel- ben Sinne erklärte. Bei einer Zusammenkunft, im Anfang Unterhandlung mit Frankreich . October in Lochau, brachte Markgraf Hans seine Defensions- gedanken nochmals vor. Der Gesandte sagte wohl, auf diese Weise werde die Scheuer der deutschen Fürsten um- friedet, die Umfriedung des Königs von Frankreich zu sei- nem alleinigen Schaden zerrissen. Er wollte nur von ei- nem Offensivbündniß hören, und drang auf sofortige un- umwundene Erklärung darüber, damit man in Frankreich Beschluß fassen könne, wie der Krieg im nächsten Frühjahr zu führen sey. Und hiebei kam ihm die Meinung derjenigen von den fürstlichen Räthen entgegen welche bisher das Geheimniß dieser Geschäfte getheilt oder vielmehr sie geleitet hatten. Mit Heideck war ein Mann in sächsische Dienste getreten, der als Canzler desselben bezeichnet wird und später als sächsischer Amtmann erscheint, Christoph Arnold, der an die- sen Dingen den größten Antheil hatte. Er hauptsächlich hat die Herstellung eines guten Vernehmens zwischen Mo- ritz und Markgraf Hans vermittelt, die Unterhandlungen mit dem weimarischen Hofe veranlaßt; er besorgte die ge- heime Correspondenz: jene Instruction nach England konnte darum nicht ausgefertigt werden, weil er, doch wieder in eben diesen Geschäften, abwesend war. Von Arnold liegt ein Gutachten bei den Acten, in welchem er auf entscheidende Maaßregeln dringt. Jetzt sey die Zeit gekommen, wo man das Haus Östreich, besonders aber den Kaiser in seinem Herzen angreifen müsse; zunächst auf die Niederlande, den Sitz seiner Macht, müsse man losgehn, bis man seine Größe gebrochen; und auf keine Weise dürfe man seine Anhänger in Deutschland dulden; gebe es Leute die nicht von ihm Neuntes Buch. Sechstes Capitel . zu trennen, nicht für den Bund zu gewinnen seyen, die müsse man mit aller Gewalt verfolgen und ausrotten. Der nemlichen Überzeugung war der hessische Bevoll- mächtigte, Simon Bing, der den französischen Gesandten mitgebracht: er legte einen Entwurf eines Offensivvertrages vor, in dem sich zuweilen nahe die Worte des Arnoldischen Gutachtens wiederfinden. Markgraf Hans, von Natur hartnäckig bis zum Eigen- sinn und hier in seinem Rechte, wollte sich seinen ursprüng- lichen Gedanken nicht so ganz umgestalten lassen. Es kam darüber zu Mißverständnissen, zu einem Wortwechsel selbst bei Tafel. „Du sollst“, sagte ihm Moritz, „nicht immer regieren wollen, du sollst mir nicht Fickfack machen.“ Mark- graf Hans hielt fürs Beste sich auf der Stelle zu entfernen: noch denselben Abend, bei Fackelschein, ritt er ab. In einem Schreiben Heidecks an Albrecht 29 Januar 1552 wird dieß dem Markgrafen sehr zum Vorwurf gemacht. „Wo S. Gn. zuvor entschlossen oder bedacht gewesen, one Mittel bei der De- fension zu verharren und sich in kein lauter Offension zu begeben, so sollte man mit dem Koͤnig so weit zu unterhandeln ‒ ‒ unterlas- sen haben.“ Dagegen gieng sein Neffe, Johann Albert von Meck- lenburg auf die neuen Entwürfe so gut ein wie auf die früheren. Die jungen Landgrafen und Moritz theilten längst die Ansicht ihrer Räthe. Sie wollten nicht in den Feh- ler des schmalkaldischen Bundes fallen, der sich hatte isoli- ren lassen, und dadurch vernichtet worden war. Sie wuß- ten sehr wohl, wie der Feind, den sie anzugreifen gedach- ten, ihnen ohne Vergleich an Kraft überlegen, wie klug und kriegserfahren er sey. Sie sahen ihr Heil nur darin, daß es gelinge, ihn unvermuthet, von allen Seiten zu überraschen. Unterhandlung mit Frankreich . Nun kam es nur auf die Bedingungen an, über die man sich mit dem König von Frankreich verstehn würde. Die deutschen Fürsten forderten eine Subsidie von 100000 Kronen des Monats: der König antwortete ihnen dafür mit zwei Gegenforderungen, welche universalhistorisch wichtig geworden sind. Einmal: er verlangte das Zugeständniß, daß er sich der zum Reiche, aber der französischen Zunge gehörigen Städte Metz, Toul, Verdun und Cambrai bemächtigen könne, nicht allein um sie dem gemeinschaftlichen Feind zu entreißen oder vor ihm zu beschützen, sondern auch um sie als Reichsvicar inne zu haben. Sodann — jedoch erst etwas später — kam der französi- sche Gesandte mit der Bemerkung hervor, der Kaiser habe nur darum die hohe Geistlichkeit auf seiner Seite, weil diese von einem Emporkommen seiner Gegner, der Protestanten, ihr Verderben fürchte. Er forderte für seinen König die Be- fugniß, die geistlichen Fürsten in seinen Schutz zu nehmen, wie er mit ihnen Eines Glaubens sey. Vorschläge, die uns einen Blick in die Pläne eröffnen, welche die Franzosen auf Eroberungen über das Reich und einen durchgreifenden Einfluß innerhalb desselben hegten. Dahin war es gekommen, daß man nur die Wahl zwi- schen zwei harten Nothwendigkeiten hatte: entweder den Kai- ser seine Entwürfe vollenden zu lassen, was die Cabinets- regierung desselben wie das Interim befestigt, eine concen- trirte weltlich-geistliche Gewalt einem Prinzen, der trotz al- ler absichtlichen Näherung doch immer als ein Fremder er- schien, überliefert, und die freie Entwickelung der Nation auf Neuntes Buch. Sechstes Capitel . späte Generationen gehemmt hätte: oder sich dem Neben- buhler des Kaisers anzuschließen, der doch selber noch mehr ein Ausländer war, und Absichten auf einen Einfluß kund gab, bei dem die politische Selbständigkeit der Nation im höchsten Grade hätte gefährdet werden müssen. Es traten beinahe Erwägungen ein, wie damals als es zweifelhaft war, ob Carl V oder Franz I zum Kaiser ge- wählt werden solle. Aber der Unterschied lag darin, daß man Carln V kennen gelernt, in Erfahrung gebracht hatte, wozu die höchste Gewalt in diesen Händen führen mußte, jetzt nichts mehr wünschte als sich seiner Übermacht wieder zu entledigen, und daß man dagegen dem König weder das Kaiserthum übergab, wenn man es ihm gleich in der Ferne zeigte, noch jenen Einfluß zugestand. Hatten aber die Fürsten nicht Pflichten gegen den Kai- ser? war ihm nicht überdieß Moritz durch die Bande der Dankbarkeit höher als vielleicht irgend ein andrer Fürst im Reiche verbunden? Wenn man ihn kannte, so durfte man wohl nicht er- warten, daß er hierauf viel Rücksicht nehmen würde. Gleich seinen alten Vater hat Moritz durch eine allzu frühe, ohne dessen Einwilligung vollzogene Vermählung höchst unglücklich gemacht, so daß man fürchtete, dieser möchte „aus solch hohem gefaßten Harm an seinem Leben Schaden neh- men.“ — Und diese seine junge Gemahlin hat dann doch wohl auch einmal die Klage geführt, er habe die Wild-Schweins- jagd lieber als ihre Gesellschaft. Wir kennen die Verdienste Johann Friedrichs um Hein- rich den Frommen, und wie er dann bei dem Tode desselben Moritz . dafür sorgte, daß die Lande ungetheilt an Moritz gelang- ten. Dem zum Trotz, und zwar wohl deshalb weil man es ihn ein wenig fühlen ließ, konnte ihn Moritz nicht lei- den: wie er sich gröblich ausdrückte, „den dicken Hoffart.“ Wie lange hätte es dauern können, besonders bei der Lei- besbeschaffenheit Johann Friedrichs, die ihm kein langes Leben verhieß, so hätte Moritz mit seinem Schwiegervater die Leitung der evangelischen Angelegenheiten in die Hände bekommen. Allein ihn zogen bei weitem mehr die gegen- wärtigen Vortheile an, die ihm der Kaiser anbot: er ge- wann es über sich, von dem ganzen politisch-religiösen Sy- stem abzufallen dem er angehörte: es hielt ihn nicht zurück, daß sein Schwiegervater in denselben Ruin gezogen ward, den er dem Vetter bereitete. Ist es nun aber nicht der gewöhnliche Lauf der Dinge, daß Derjenige, der einem Dritten zu Gunsten die Treue brach, sie auch diesem nicht hält? Zur Entschuldigung von Moritz ist von jeher Viel ge- sagt worden und läßt sich wirklich Mancherlei sagen. Ge- wiß aber hatte er durch sein bisheriges Verhalten nicht zu der Meinung berechtigt, als werde er sich durch Rücksicht auf empfangene Wohlthaten — die er ja überdieß durch entscheidende Hülfe vergolten — abhalten lassen dasjenige zu thun, wozu sein Vortheil ihn einlud. Wenn man sein tägliches Thun und Lassen ansah, so meinte man wohl, nur das Vergnügen des Tages habe Reiz für ihn, die Wildbahn in den dichten Gehölzen von Radeberg und Lohmen und in der erweiterten Dresdner Forst, oder die Freuden der Fastnacht, die Ritterspiele, in Neuntes Buch. Sechstes Capitel . denen er, denn er war sehr stark und gewandt, gewöhnlich das Beste that, oder das lustige Leben auf den Reichstagen und die sich daran knüpfenden Besuche an fremden Höfen, wo er gern mit schönen Frauen Kundschaft machte, oder die Trinkgelage, bei denen er es auch den Meisten zuvorthat. So sahen ihn auch die Italiener an. Kaiser Carl glaubte, Der vermöge am meisten bei ihm, wer ihm darin Vorschub thue. Allein hinter diesem leichtfertigen Wesen barg sich ein tiefer Ernst. Der männliche Muth den er vor dem Feinde bewies und der ihm früh einen Namen machte, zeigte zuerst daß er kein gewöhnlicher Mensch war. Dann aber muß man ihn in seinem Lande beobachten, wie er das ganze Re- gierungswesen umbildet, und ihm in dem Mittelpunct eine stärkere Haltung giebt, wie er die großen Vasallen die An- spruch auf Reichsunmittelbarkeit machen, den Ordnungen des „berainten und bezirkten“ Territoriums, das keine Aus- nahme zuläßt, unterwirft, dafür sorgt daß die Unterthanen Recht und Frieden und eine gewisse Gleichheit der Behand- lung genießen: wie er ferner das System der Schulen grün- det das diesem Lande eine so eigenthümlich alle Classen durchdringende Cultur verschafft hat. Er zeigt eine sehr be- merkenswürdige Gabe sowohl für das Ergreifen politischer Gedanken als für ihre Ausführung. Er bekümmert sich um das Kleinste wie um das Große. Aus dem Feldlager fragt er seine Gemahlin, wie es in ihrem Vorwerk stehe; er schilt darüber, daß man den Knaben in seiner neuen Land- schule zu Pforte brandiges trübes Bier zu trinken gebe. Moritz . In der Regel hielt er sich leutselig. Zwar gerieth er leicht in Zorn; man bemerkte aber daß er den Beleidig- ten dann wieder durch irgend einen Gnadenbeweis zu fes- seln suche. Die religiöse Richtung seines Jahrhunderts hatte auf ihn, so viel ich sehe, weniger beherrschenden Einfluß als vielleicht auf irgend einen andern fürstlichen Zeitgenossen. In seinen Briefen gedenkt er des allmächtigen Gottes, des ge- rechten Gottes, der alles wohl machen werde: tiefer geht er nicht; er scherzt wohl selbst darüber, daß er wenig bete. Allgemeine große Ideen von weltgestaltendem Inhalt, wie sie der Kaiser hegte, finde ich nicht in ihm; desto schär- fer aber faßt er das Näher-liegende, bringe es nun Gefahr oder Vortheil, ins Auge; unaufhörlich arbeitet seine Seele an geheimen Plänen. Er ist dafür bekannt daß er verschwiegen ist: er sagt einmal selbst, man wisse daß ihm der Schnabel nicht lang gewachsen, es wäre denn indem er dieß schreibe. Geht er ja mit seinen Gedanken heraus, so fängt er wohl damit an, das Entgegengesetzte von dem was er wünscht vorzu- schlagen, z. B. im Gespräch mit dem Markgrafen die Be- freiung seines Vetters Johann Friedrich, an der ihm nichts liegt, nur damit dieser selbst die Befreiung des Landgrafen zur Sprache bringe, die er zu bewirken wünscht. An Brie- fen liegt ihm wenig: „ein Gespräch ist besser als viel be- schriebenes Papier.“ Niemals hat er große Eile: ein paar Monat mehr kümmern ihn wenig, wenn die Sache nur gründlich vorbereitet wird und verborgen bleibt. Seine Rä- the beklagten sich nicht mit Unrecht, daß unter Johann Neuntes Buch. Sechstes Capitel . Friedrich selbst im Felde die Canzleien regelmäßiger besorgt, besser berücksichtigt worden seyen als unter Moritz. Das machte: Johann Friedrich hatte in der Regelmäßigkeit der Verhandlungen wirklich die Summe der Geschäfte gesehen. Moritz dagegen trieb das Wichtigste insgeheim, mit einem oder dem andern vertrauten Secretär, während die übrigen Räthe, die auch in seinem Vertrauen zu seyn glaubten, und es bis auf einen gewissen Grad waren, in ihrem einmal ein- geschlagenen Gange blieben, ohne eine Ahnung von den Dingen zu haben die ihr Herr eigentlich im Schilde führte. Wichtige Briefschaften auch nur etwa durch Zufall in ihre Hände kommen zu lassen hütet er sich sorgfältig: er schickt sie an seine Gemahlin, die sie in ihrer Truhe wohlpetschiert aufbewahren soll: Brief nr 12 bei Arndt, Nonnulla de ingenio et moribus Mauritii 1806. sie kannte ihn genug, um sich nicht daran zu vergreifen. Es giebt eine Art praktischer Zweizün- gigkeit, in der er so weit als möglich gieng. Im Februar 1551 hatte er sich verpflichtet das Concilium nicht anzuer- kennen, und war entschlossen dazu: im Februar 1552 war der gute Melanchthon noch unterwegs in keiner andern Mei- nung, als er werde sich nach Trient verfügen müssen. Damals nun hatte Moritz eine ganz entschiedene Rich- tung zum Bündniß mit den Franzosen und gegen den Kai- ser genommen: er war nicht der Meinung, vor einer Forde- rung die Frankreich machen konnte, zurückzuweichen, wofern sie nur nicht dem Zwecke selber entgegenlief. Es mochte hinzukommen, daß der König von England den Antrag, der ihm nunmehr auch geschehen war, mit weit- Unterhandlung mit Frankreich . läuftigen Anfragen über die Namen der verbündeten Fürsten und die Sicherheit die ihm dafür angeboten werden könne, beantwortete, überhaupt eine große Bedenklichkeit kund gab, mit dem Kaiser zu brechen. K. Edwards Journal bei Burnet I, p. 40. Auch konnte dem Churfürsten an einem Defensivbünd- niß überhaupt nichts mehr liegen. Ein großer Schlag, gut vorbereitet und plötzlich mit aller Kraft geführt, das war seine Politik. In seinen Briefen findet sich nicht der Schatten eines Scrupels über die Rechtmäßigkeit seines Verfahrens. Eher blickt ein gewisses Vergnügen durch, daß er ihn angreifen wird und vielleicht niederwerfen, den alten Sieger, der sie alle in Zaum hält. Moritz an Markgraf Hans 13 Aug. 1551. „ich hab gut hofnung zu unserm Handel: wir wollen dem Bock recht an die Ho- den greifen.“ Und so entschloß er sich, wozu man auch auf der Seite der Landgrafen sehr geneigt war, von jenen Forderungen des Königs die erste anzunehmen. Er willigte damit nicht in eine Losreißung der drei Städte vom Reich, dessen Rechte er vielmehr ausdrücklich vorbehielt: der König sollte dieselben besetzen und inne be- halten, aber nur als Reichsvicar, wozu man ihn befördern wolle. Das Unvaterländische dieses Zugeständnisses entschul- digte man damit, daß auch der Kaiser, der sich bereits Cam- brays, Utrechts und Lüttichs bemächtigt habe, ähnliche Ab- sichten auf die drei übrigen Städte hege, wodurch sie dann auch dem Reiche wenigstens nicht minder entfremdet würden. Ranke D. Gesch. V. 15 Neuntes Buch. Sechstes Capitel . Dazu aber, dem König den Schutz über die geistlichen Fürstenthümer anzuvertrauen, ließ Moritz sich nicht bewegen. In dem Entwurfe des Vertrages hieß es: daß die Fürsten Diejenigen, welche sich ihnen widersetzen oder auch nur nicht anschließen würden, für diese Treulosigkeit gegen das gemeine Vaterland mit Feuer und Schwert zu verfol- gen gesonnen seyen. Eben gegen diesen Artikel waren die Einwendungen der Franzosen und ihre Schutzvorschläge ge- richtet. Da der Gesandte sah, daß er damit so im Ganzen nicht durchdringen werde, so wollte er wenigstens Diejeni- gen, die sich nur nicht anschließen würden, vor jener Gefahr sichern. Aber die Fürsten gaben weder das eine noch das andre nach. Sie wollten sich bei ihrer Unternehmung nicht schon von Anfang Hindernisse schaffen, ihre Widersacher nicht mit ihren Verbündeten in Verhältniß setzen. Der Gesandte mußte davon abstehn. Seinerseits erkannte der König die Erwerbungen an, welche Moritz im letzten Kriege gemacht, und versprach — nach einigem Hin und Herhandeln über die Summe — auf die Dauer des Krieges monatlich 60000 Ecus, für die drei Monate aber, die bis zu dem Beginn desselben verlaufen seyn würden, 240000 zu zahlen, die denn zur Vorbereitung des Unternehmens unentbehrlich waren. Markgraf Albrecht von Brandenburg-Culmbach fand es nicht rathsam, in diesen Bund als eigentliches Mitglied desselben einzutreten: ein freies, durch eigenthümliche Ver- träge nach beiden Seiten gesichertes Verhältniß schien ihm besser. Aber wie er wohl der Erste gewesen, der den Ge- danken einer Vereinigung wie diese überhaupt gefaßt hatte, Unterhandlung mit Frankreich . so ließ er sich auch keine Mühe verdrießen sie vollkommen zu Stande zu bringen. Gegen Ende 1551, Anfang 1552 finden wir ihn in Person am französischen Hofe, wo ihn Schärtlin einführte. Er trug den Namen Paul von Bi- berach und gab sich für einen der Hauptleute dieses Kriegs- obersten aus. Schon genug daß ihn der König als den sehr hohen und mächtigen Fürsten, seinen theuren Vetter Albrecht von Brandenburg erkannte. Nachdem alle Schwie- rigkeiten vollends beseitigt, besonders die Geldsachen abge- macht waren, unterzeichnete und beschwur der König den Bund am 15ten Januar auf dem Jagdschloß Chambord in Gegenwart des Markgrafen. Der Markgraf beschwur ihn im Namen der deutschen Fürsten. Urkunde bei Du Mont IV, iii , 33. Schaͤrtlin, der sonst hier gut unterrichtet ist, giebt den 2ten Februar an. So geschah nun doch, was zu verhüten Carl V seit seiner Wahl so viel ängstliche Sorge getragen: deutsche Für- sten vereinigten sich mit dem König von Frankreich, und zwar in der entschiedensten Feindseligkeit gegen ihn, zu einem großen Krieg, zum offenen Angriff. Ohne Zögern rüsteten beide Theile, um so bald wie möglich aufzukommen. Moritz hatte den unschätzbaren Vortheil, daß er die Waffen vor Magdeburg in der Hand hielt. Auch nach jenem ersten Zwiegespräch mit Markgraf Johann setzte er die Belagerung fort: noch immer gab es Scharmützel, noch mehr als einmal floß Blut. Der Mark- graf ermahnte den Churfürsten wohl, den Schein nicht zu weit zu treiben, aber auch er war dagegen, demselben sofort 15* Neuntes Buch. Sechstes Capitel . ein Ende zu machen und die Aufhebung der Belagerung allzu sehr zu beschleunigen. Schreiben vom 4ten Juni: „aus allerhand Bedenken die sich nicht wollen schreiben lassen.“ Erst nachdem sichere Botschaft aus Frankreich gekom- men, Ende August, ward eine ernstliche Unterhandlung mit Magdeburg begonnen. Moritz hielt an den früheren Vorschlägen fest, welche im Wesentlichen dieselben sind, die den oberländischen Städ- ten gemacht worden, allein er ließ sich zu Erläuterungen herbei, die wohl das Außerordentlichste seyn mögen, was unter diesem Titel jemals vorgekommen ist. Der Kaiser hatte gefordert, die Stadt solle sich auf Gnade und Ungnade ergeben: Moritz erläuterte dieß dahin: wenn sie die Capitulation annehme, solle alle Ungnade fal- len, auch kein Prädicant davon betroffen werden. Der Kai- ser hatte ferner Vollziehung der letzten Reichsabschiede und alles dessen was er zum Frieden des Reiches anordnen werde, zur Bedingung gemacht: Moritz erklärte, daß sich dieß nur auf weltliche Angelegenheiten beziehen solle. Capitulation bei Merckel Hortleder II, iv, xix , nr 231. Es ist aber zu merken, daß Moritz diese Capitulation dem Kaiser niemals vorgelegt hat. In einem Schreiben vom 22 Maͤrz 1552 klagt Carl V daruͤber keine Auskunft geben zu koͤnnen, „pour ne nous avoir led. duc Mauris jusqu’à ores envoyé la capitulation.“ Heideck und Arnold waren oft in der Stadt: Moritz verpflichtete sich mündlich, alles heilig zu halten was Heideck insgeheim verabreden werde. Rathmann III, 591. Wir können nicht sagen, wie weit dessen Eröffnungen giengen: so viel aber sahen die Magdeburger wohl, daß sie sich ohne Gefahr für ihre Re- Magdeburger Capitulation . ligion auch derjenigen Bedingung fügen konnten die ihnen früher die widerwärtigste gewesen war: der Aufnahme einer sächsischen Besatzung. Nachdem dergestalt die Capitulation angenommen wor- den, ritt der Churfürst am 9ten Nov., begleitet von dem kai- serlichen Commissarius Schwendi und einer stattlichen Schaar von Fürsten, Herrn und Räthen, in Magdeburg ein. Bei dem Denkmal Ottos des Großen kamen ihm die drei Räthe, die Ordnungsmeister, hundert Mannen der Stadt, sammt ganzer Gemeine, entgegen um ihm die Huldigung zu leisten. Der sächsische Canzler eröffnete den Act mit einer Auffor- derung hiezu, „nachdem“, sagte er, „die Stadt sich nun- mehr ergeben.“ Der Bürgermeister Levin von Emden fiel ihm ins Wort: „vertragen und nicht ergeben.“ Der Chur- fürst sagte: „es ist vertragen: so soll es auch bleiben.“ Hierauf leistete ihm die Bürgerschaft den Eid, bei Gott und seinem heiligen Worte. Man wird Moritz nicht zutrauen, daß er für die Er- weiterung seiner Macht, die hierin lag, gleichgültig gewesen sey; er ward nun, was er so dringend gewünscht, als Burg- graf von Magdeburg anerkannt; in sofern wenigstens, als dieß zu erreichen war, hatte er die Belagerung gewiß ernst- lich gemeint. Aber die Hauptsache war doch immer, daß er eine so ansehnliche Truppenschaar so lange an der Hand behalten hatte. Auch jetzt löste sie sich noch nicht auf, da sie noch nicht ihre vollständige Bezahlung empfangen. Der Reichszahlmeister Wolf Haller gab sich alle mögliche Mühe, Anleihen auf den demnächst einzubringenden Reichs- vorrath — denn der eingebrachte war bereits erschöpft — Neuntes Buch. Sechstes Capitel . bei Ständen und Städten abzuschließen; allein er fand nicht viel Gehör, und es gieng sehr langsam. Indessen behielt Moritz Zeit, die Hauptleute für sich besprechen zu lassen, wozu er sich des nunmehr wieder befreiten Georg von Meck- lenburg bediente, der den Namen dazu hergab, und alles zum Feldzug vorzubereiten. Im Laufe des Februar ward den sächsischen Landstän- den zu Torgau, den hessischen zu Cassel das Kriegsvorhaben der beiden Fürsten zu dem Zweck den gefangenen Landgra- fen zu befreien unumwunden eröffnet. Die sächsischen mahn- ten ihren Herrn geradezu ab, wie man denken kann ohne Erfolg. Die hessischen waren nicht insgesammt erschienen: die anwesenden jedoch versprachen ihren Beistand: die Städte eine nicht unbedeutende Steuer, die Edelleute, ihr Blut für den Fürsten zu wagen. Rommel I, 547. Indessen erklärte auch Heinrich II in voller Sitzung seines Parlaments, daß er sich an Denjenigen zu rächen ge- denke, der durch Thaten, seinem Worte entgegen, gezeigt habe, daß er sein, des Königs, Todfeind sey, — und traf Anord- nung für die Regierung in seiner Abwesenheit. Discours du roi fait au parlement bei Ribier II, 376, doch ist das Datum 12 Jan. wohl ohne Zweifel falsch: bei Belleforest heißt es: Dès le mois de Mars — le roy — alla prendre congé de sa cours de parlement — — Merkwürdigerweise ward sein Unternehmen ihm, wenn nicht allein, doch vornehmlich durch die Beisteuer möglich, zu der sich damals sein Clerus entschloß, um eine von Franz I eingeführte Beschränkung seiner Jurisdiction wieder los zu werden. Kriegszug gegen Carl V. Schon langten die Landsknechte aus Deutschland an, welche Schärtlin, Reckerode und der Rheingraf geworben, drei große Regimenter; aus Italien die alten Fahnen, die bisher den Krieg in Piemont mit vielem Ruhme geführt; zugleich erfüllte sich ganz Frankreich mit eignen Rüstungen. Der ursprüngliche Plan der deutschen Fürsten war, auf den Kaiser, wo er sich auch aufhalten möge, unverweilt los- zugehn und durch irgend einen großen Schlag ihm seine Re- putation in Deutschland zu entreißen. Was die Franzosen dabei thun, ob sie in Italien mit einem großen Heere vor- rücken oder lieber diesseit der Berge nur hauptsächlich die niederländischen Kräfte des Kaisers beschäftigen sollten, lie- ßen die Deutschen unentschieden. Der König wählte, mit seiner ganzen Macht von der Champagne her gegen den Oberrhein vorzudringen: wie er sagte, damit nicht etwa der Kaiser die zu schwachen Kräfte der Fürsten erdrücke, ohne Zweifel auch darum, um die Landschaften und Städte in Besitz zu nehmen, welche er zu erwerben gedachte. Gern ließen sich dieß die deutschen Fürsten gefallen. Um so eher konnten sie hoffen, was sie vor allem im Sinne hatten, dem Kaiser selber mit überlegner Macht beizukommen. Von ihnen rührte der Gedanke her, ohne langen Verzug, schon im März, im Felde zu erscheinen. Anfang dieses Monats sammelten sich die hessischen Völker bei Kirchhain. Sie begannen ihr Unternehmen da- mit, daß sie eine neue Zollstätte niederrissen und das main- zische Amöneburg zur Auslieferung des daselbst befindlichen schweren Geschützes nöthigten. Mitte März finden wir den Landgrafen Wilhelm schon mit einem ansehnlichen Haufen, Neuntes Buch. Sechstes Capitel . nicht ohne den französischen Gesandten, vor Frankfurt, in der Hofnung diese mächtige Reichsstadt gleichsam durch eine Überraschung ihrer protestantischen Sympathien mit sich fort- zureißen: da es vergeblich war, nahm er seinen Weg die große Straße nach Fulda hin, und überstieg den Rhön, um sich hier mit dem Churfürsten zu verbinden. Auch dessen Truppen hatten indeß einen Versuch auf Erfurt gemacht, der aber ebenfalls mißlang; Arnold Vita Mauritii, 1234. Militum proterviam Mauri- tius molestam sibi esse fingebat — sed si oppido potiti fuissent milites, dubio procul neque Caesari neque cuiquam alteri illud restituisset. den Nachwin- ter hatten sie in Mühlhausen und Nordhausen gehalten, je- doch mit nichten, wie Spangenberg sich ausdrückt, zu From- men und Freuden der Bürger: immer noch neue Lands- knechtschaaren waren ihnen zugelaufen; jetzt endlich that sich ihnen der wahre Kriegsherr öffentlich kund: Churfürst Mo- ritz erschien bei ihnen in den Erfurter Gerichten, und führte sie über den Thüringerwald nach Franken. Hier hatte Markgraf Albrecht einen dritten Haufen ver- sammelt. Die drei Haufen vereinigten sich bei Rothenburg an der Tauber, und schlugen nun, ohne einen Augenblick zu ver- ziehen, die Straße nach Augsburg ein. Eben in der Eroberung dieser Stadt, wo der Kaiser so oft Reichstag gehalten, überhaupt seine Macht am stärk- sten entwickelt hatte, die in mancher Beziehung als der Mit- telpunct des Reiches erschien, sahen die Fürsten den großen Schlag welcher die Reputation des Kaisers vernichten sollte. Kriegszug gegen Carl V. Man hat behauptet, es seyen ihnen hier schon aus der Ferne Verständnisse angeknüpft gewesen. Aber bei weitem mehr kam ihnen zu Statten, daß man in Augsburg am meisten den weltlichen und geistlichen Druck des spanischen Regiments empfunden und sich mit einer nationalen Antipa- thie gegen den Kaiser erfüllt hatte. Der Bischof von Ar- ras sollte erfahren, daß die Prediger doch nicht so leicht vergessen waren. Bei der Aufregung welche die Nähe der Verbündeten und ihre Aufforderung, die ganz im Sinne der Einwohner war, verursachten, konnte der Rath nicht verwei- gern die Gemeinde zu berufen; diese erklärte: sie wolle we- der Krieg noch Belagerung. Am 4ten April verließ die bis- herige Besatzung mit ihren rothen Feldzeichen Augsburg; zwei Stunden darauf rückten durch dasselbe Thor die ver- bündeten Truppen mit ihren weißen Kreuzen ein. Churfürst Moritz nahm Wohnung bei dem alten Bürgermeister Herbrot, den der Kaiser als seinen vornehmsten Feind betrachtete. Gassarus bei Mencken I, 1867. Und indem waren nun auch die Franzosen im Felde erschienen. Der erste Gebrauch den sie von ihrem Über- gewicht in den Waffen dieß Mal machten, bestand darin, daß sie die Herzogin Christine von Lothringen, eine Nichte des Kaisers, welche an der Verwaltung des Landes großen Antheil hatte, mit Beistimmung der Stände davon entfernten, sie nöthigten ihnen ihren jungen Sohn auszuliefern und eine Regierung nach ihrem eignen Gutdünken einrichteten. Indes- sen hatte sich der Connetable Montmorency gegen Metz ge- wendet. Wir haben schon oben bemerkt, daß die Partei welche dort die Regungen des Protestantismus unterdrückt Neuntes Buch. Sechstes Capitel . hatte, zugleich französisch gesinnt war. Wäre in Metz die evangelische Meinung durchgedrungen, so würde es sich viel- leicht den Franzosen eben so gut widersetzt haben, wie Straß- burg dieß that. Aber jetzt hatten Diese mehrere Mitglieder im Rath und die hohe Geistlichkeit auf ihrer Seite: durch den Bischof der Stadt, Cardinal Lenoncourt, geschah daß der Connetable aufgenommen ward und die Stadt in fran- zösische Hände übergieng. In dem Bezeigen Heinrichs II erscheinen die schroffsten Widersprüche. Er kannte sehr wohl das religiöse Motiv der protestantischen Fürsten: aber er war nicht ausgezogen, ohne erst von den Märtyrern Rusticus und Eleutherius, und St. Dionysius, dem eigensten Heiligen des allerchristlichsten katholischen Königthums, Abschied genommen zu haben. Er nahm die Grenzlande der deutschen Nation in Besitz und nöthigte ihnen seinen Willen auf, wie er denn die Verfas- sung der Stadt Metz auf der Stelle wesentlich veränderte: und in demselben Augenblick proclamirte er sich als den Ver- fechter der deutschen Freiheit. Indem diese Bewegungen sich erheben, suchen unsre Au- gen unwillkührlich den Kaiser, gegen den sie gerichtet sind. Er war noch in Insbruck, mit seinen conciliaren und dynastischen Entwürfen auf eine Weise beschäftigt daß er für nichts andres Sinn zu haben schien. Eben in dieser Zeit meinte er dem Concil zu Trient die Richtung zu ge- ben, welche er demselben von jeher zu geben beabsichtigt hatte; er hoffte außer den drei Churfürsten am Concil auch die drei andern in Kurzem in seiner Nähe anlangen zu se- hen, um die Successionssache mit ihnen zu Ende zu bringen. Kriegszug gegen Carl V. So eben war ein neuer Versuch auf König Maximilian gemacht worden. Indem er diese idealen Absichten verfolgte und nur so viel als unbedingt nothwendig war, dafür that um den Feindseligkeiten der Franzosen, die er in den Nie- derlanden und in Italien erwartete, daselbst zu begegnen, bemerkte er nicht, was in Deutschland gegen ihn vorberei- tet ward. Es fehlte ihm nicht an Warnungen. Sogar der französische Gesandte hat dem Hof einmal von einer Con- spiration gesagt, von der er höre, wahrscheinlich nur, um denselben auf eine falsche Spur zu leiten, die dann Arras verfolgte, natürlich ohne etwas zu entdecken. Vielen An- dern war die Verbindung der Franzosen mit Moritz längst kein Geheimniß mehr. In der Relation eines veneziani- schen Gesandten ist derselben schon im Jahr 1550, unmit- telbar nachdem sie begonnen hatte, und, wie wir aus den Depeschen Marillacs sehen, auch ganz richtig gedacht wor- den. Gegen Ausgang 1551 war es ein ganz allgemeines Gerücht, das die kleinsten Höfe oder Provinzialregierungen kennen. Auf den Kaiser machte es keinen Eindruck: er ant- wortete, man rde sich nicht von jedem Winde bewegen lassen. Gab ihm doch Schwendi fortwährend über die Stim- mung und die Absichten des Churfürsten ganz günstigen Be- richt: einer von dessen vornehmsten Räthen, Franz Kram, erschien in Insbruck und meldete, sein Herr werde unver- züglich nachkommen. Schreiben Granvellas an die Koͤnigin 30 Dec. L’agent du due Mauris a dit, qu’il ne pouvoit penser que son maitre se vou- lut tant oublier que de faire contre son devoir, comme aucuns semoient par la Germanie, et que non seulement s’il le faisoit Und hatte derselbe nicht seine Pro- Neuntes Buch. Sechstes Capitel . curatoren nach Trient, seine Theologen auf den Weg dahin geschickt? In Rosenheim am Inn hielten sich zwei säch- sische Räthe auf in der festen Meinung, ihren Herrn, der auch wirklich eine Strecke in entsprechender Richtung vor- wärts reiste, zu erwarten. Der Kaiser hielt für gewiß, der Churfürst werde kommen: hätte er etwas anderes im Sinn, das wäre von einem deutschen Fürsten nie erhört. Noch am 28sten Februar schrieb er dem Churfürsten von Bran- denburg, er versehe sich zu Moritz alles Gehorsams, guten und geneigten Willens. Aber einen größeren Meister in der Verstellung hat es wohl kaum je gegeben als Moritz war. Keiner von seinen alten Räthen, Carlowitz so wenig wie die andern, hatten Kunde von seinen Entwürfen. Ob es wohl Grund hat, was der florentinische Gesandte be- richtet: Il duca Mauritio scrive di suo pugno, che procura di ri- tirar il Marchese dall’impresa, con persuaderlo a posar l’armi, promettendo di voler esser al certo alli 12 a Linz. Wenigstens sieht man, was man am Hofe glaubte. Noch von Schweinfurt aus, am 27sten März, hat er die Bitte um die Loslassung des Landgrafen erneuert, unter dem Vorge- ben, daß er sich sonst in das Gefängniß der Kinder dessel- ben einstellen müsse. Und doch vereinigte er in diesem Au- genblicke schon sein Heer mit dem Kriegshaufen eben dieser jungen Landgrafen, durch alle denkbaren Verträge gebunden, dem Kaiser selber zu Leibe zu gehn. Der Kaiser glaubte wohl, als die Sache ernster ward, es sey auf nichts anders abgesehen als eben auf die Be- freiung des Landgrafen. Er ließ sich ganz trotzig verneh- men, er werde den Leib desselben in zwei Theile zerlegen il abandonneroit son service, mais que la pluspart de sa noblesse feroit le meme. Kriegszug gegen Carl V. und jeden davon einer der Parteien, die ihn zwingen woll- ten, entgegenschicken. Straß an Joachim II Osterabend 1552. Allein die Ausschreiben der verbündeten Fürsten, die in Einem Moment durch Deutschland flogen, belehrten ihn bald eines Andern. Nicht allein von dieser Befreiung war darin die Rede, sondern eine ganze Reihe Beschwerden geistlicher und weltlicher Natur ward darin nahmhaft gemacht: der Überdrang der mit dem Concilium geschehe, die Art und Weise wie man auf den Reichstagen eine künstliche Mehr- heit hervorbringe, welche alles zugebe, unter andern eine Schatzung nach der andern, bald unter diesem bald unter jenem Vorwand, die Anwesenheit fremder Truppen im Reiche, während den Deutschen selbst verboten werde auswärtige Kriegsdienste zu nehmen, der Hohn, mit welchem nach dem Kriege Gehorsame und Ungehorsame behandelt worden, die Entfremdung des Reichssiegels, die eigenmächtige Änderung städtischer Räthe. Würden sie, die Zeitgenossen, das dul- den, so würden sie dafür von den Nachkommen als Ver- räther der mit so viel Blut erworbenen Freiheit unter die Erde verflucht werden. Albrecht von Brandenburg prote- stirte, nicht der Person des Kaisers gelte sein Unternehmen, sondern er fechte nur gegen das, was dem heiligen Reich zuwider geschehe. Des durchl. ‒ ‒ Hern Albrechten ‒ ‒ gemein Ausschreiben und Ursachen, bei Hortl. II, V, v; hieruͤber am ausfuͤhrlichsten. Er ge- denkt auch des mit kaiserlichem Privilegium erschienenen Buches von Avila, worin die deutsche edelste und fuͤrnehmbste Nation der ganzen Christenheit abconterfeyt werde, als ob sie irgend eine barbarische un- bekannte Nation sey. Was ihr Sinn war, drückt Moritz in Neuntes Buch. Sechstes Capitel . einem seiner Briefe bündig und unumwunden aus: sie wol- len den Pfaffen und den Spaniern nicht unter dem Fuße liegen. Da leuchtete nun wohl ein, daß es auf eine Abänderung des ganzen kaiserlichen Regimentes, wie es in und nach dem schmalkaldischen Kriege eingerichtet worden, abgesehen sey. Noch einmal erhob sich die ungebändigte Freiheit des al- ten Germaniens gegen die Ordnung und Gewalt welche der Sieger gegründet und zu gründen im Begriff war. Und zwar standen eben diejenigen an der Spitze, die früher von ihren Glaubensgenossen abgefallen, die Niederlage derselben befördert, die Partei des Kaisers gehalten hatten, die mäch- tigsten und krieggeübtesten. Die Antipathien der Religion, die durch alle die bisherigen offenen oder indirecten Angriffe und durch die Bedrohungen des Conciliums angeregt wor- den, gaben ihrem Unternehmen eine breite nationale Grund- lage und kamen ihnen auf das mächtigste zu Hülfe. Und wenn nun der Kaiser gegen diese Erhebung des protestantischen Elementes Hülfe von den Katholischen er- wartete, so sah er sich auch darin getäuscht. Er wendete sich zunächst an die geistlichen Churfürsten, die unter diesen Umständen Trient zu verlassen eilten. Der Churfürst von Trier antwortete, er werde sich immer als ein gehorsamer Reichsfürst bewähren, um aber zu wissen was er in diesem Fall thun solle, müsse er erst mit seinen Räthen sprechen; so erklärte sich auch Cölln; Mainz machte sogar auf Hülfleistung Anspruch. Und nicht bereitwilliger ließen sich die ältesten Verbün- deten und nahen Verwandten vernehmen. Herzog Albrecht Kriegszug gegen Carl V. versicherte seine Ergebenheit auch aus diesem Grunde außer der allgemeinen Pflicht, allein er gab zu bedenken, welcher Gefahr er sich aussetze, wenn er sich jetzt ohne Verzug auf die Seite des Kaisers schlage. Schon früher hatte man sich am kaiserlichen Hofe be- klagt, daß Ferdinand den Versuch, zur Abdankung des von Magdeburg abgezogenen Heeres eine Anleihe aufzubringen, nicht mit seinem Credit unterstützen wollte. Fast feierlich forderte ihn jetzt der Kaiser auf, ihm zu sagen, was er als sein Bruder und als römischer König aus den Mitteln sei- ner Länder in dieser gemeinschaftlichen Gefahr bei ihm zu leisten gedenke. Der König antwortete, er brauche alle seine Kräfte wider die Osmanen in Ungarn. Statt der Unter- stützung kam dem Kaiser vielmehr von dieser Seite eine For- derung zu. Seine Tochter Maria, Gemahlin Maximilians, ersuchte ihn in diesem Augenblick um 300000 Duc. ihrer Aussteuer, wofür sie sich eine gut rentirende Besitzung in Ungarn kaufen wolle. Der Kaiser war sehr geneigt, diese Bitte den Einflüsterungen ihres ihm im Herzen feindlichen Gemahls zuzuschreiben. Er meinte fast, es sey eine allge- meine Verschwörung gegen ihn im Werke. Die Wechsler- häuser in Augsburg, an die er sich wendete, verweigerten ihm ihre Unterstützung, so günstig auch die Bedingungen wa- ren die er ihnen vorschlug. Comme si lesdits marchands avoient entre eux quelque intelligence secrete, pour non nous servir. (Lettre à Ferdinand.) Wie war dem alten Sieger und Herrscher da zu Muthe, als sich in demselben Augenblicke alle Feinde erhoben und alle Mittel versagten. Neuntes Buch. Sechstes Capitel . Einst hatte es in seiner Wahl gestanden, an der Spitze der deutschen Nation, mit Begünstigung des reformatorischen Elementes, laut der Reichsschlüsse von 1544, seine Macht gegen die auswärtigen Feinde zu richten, wie die Franze- sen, welche besonders durch deutsche Unterstützung früher in Italien besiegt und damals in ihrer Heimath zum Frieden genöthigt worden: so hauptsächlich gegen die Osmanen, was in jener Zeit das größte Interesse hatte und der allgemeine Wunsch war. Dann hätte er das Kaiserthum in dem Sinne, wie es ihm bei seinen Zügen nach Africa vorschwebte, ent- wickeln können. Freilich hätte er z. B. Philipp von Hessen nicht als Feind, sondern als Mitstreiter behandeln, die Ein- heit der abendländischen Christenheit nicht in die Gleichför- migkeit des Bekenntnisses setzen müssen: dafür wäre es ihm aber, so lange die Türken sich noch nicht in Ungarn befestigt hatten, vielleicht möglich gewesen zugleich dieses Land zu be- freien und den Trieb der Cultur und Ausbreitung der in den Deutschen lebte, nach der mittlern Donau, dem südöstlichen Europa hinzuleiten. Aber er schlug einen entgegengesetzten Weg ein. Er traf eine Abkunft mit den Osmanen, die ihnen Zeit ließ sich in den eingenommenen Landschaften zu befesti- gen, mit dem Werke der Barbarisirung fortzuschreiten, und nahm sich vor, in den Streitigkeiten des Glaubens und des Ritus, welche die Jahrhunderte nicht haben beseitigen kön- nen, beiden Parteien Maaß zu geben, er, von seinem po- litischen Standpunct aus. Nun konnte aber die natür- liche Feindseligkeit gegen die Osmanen doch nicht auf die Länge beseitigt werden: im Jahr 1551 brach sie wieder in volle Flammen aus. Überhaupt wurde die kaiserliche Politik Kriegszug gegen Carl V. nach dem Tode des ältern Granvella nicht geschickt genug nach den friedlichen Gesichtspuncten hin geleitet. In dem- selben Augenblicke erhob sich die wetteifernde Macht von Frankreich, die man unbekümmert ihrer andern Gegner hatte Herr werden lassen, zu den alten Bestrebungen. Und indeß war doch das Ziel der innern Politik mit nichten erreicht, weder die Kirchenversammlung in die erwünschte Bahn ge- leitet, noch die Succession befestigt worden: vielmehr erwachte in Folge dieser Versuche ein allgemeiner Widerwille in bei- den religiösen Parteien, über Italien und Deutschland hin, und strömte nun in plötzlichem Ausbruch mit den äußern Feindseligkeiten zusammen. In Ungarn verjagte der Pascha von Ofen die Haiducken und Spanier Ferdinands aus Sze- gedin, noch ehe sie sich daselbst befestigt, und bezeichnete den Anfang des April mit der Eroberung von Vesprim. Zugleich näherten sich noch zwei andre Heere unter dem Beglerbeg von Rumili und dem zweiten Wesir der Pforte den ungarischen Grenzen. In Wahrheit, Ferdinand hatte ganz Recht, wenn er darin eine Gefahr erkannte die alle seine Kräfte in An- spruch nehme. Auch zur See regten sich die Feinde: in den Gewässern von Malta erschien Sala Rais in denselben Ta- gen, in welchen der König von Frankreich durch Lothringen nach dem Elsaß und dem Oberrhein zog und die protestan- tischen Fürsten Augsburg bedrohten. Der Kaiser selbst, ohne Truppen, noch Geld, entfernt von den eigenen Landschaften, aus denen er beides hätte zie- hen können, sah sich überrascht in dem wenig verwahrten Insbruck, und so gut wie hülflos. Er dachte sich anfangs zu seinem Bruder zurückzuziehen: Ranke D. Gesch. V. 16 Neuntes Buch. Sechstes Capitel . der konnte es aber, in der verlegenen und schwierigen Lage in der er sich persönlich befand, selber nicht wünschen, und widerrieth es ihm. Ein anderer Ausweg wäre gewesen, sich nach Ita- lien zu wenden und hier sich aufs neue zu rüsten. Allein auch da war der Krieg nicht eben glücklich gegangen, überall war das Landvolk durch die Truppenzüge in Aufregung ge- setzt. Es schien dem Kaiser nicht rathsam, sich mit seiner geringen Umgebung auf die dortigen Landstraßen zu wagen. Auch meinte er, wenn er einmal in Italien sey, eine Reise nach Spanien nicht gut ablehnen zu können; wie leicht, daß ihm dann bei der Überfahrt ein Unfall von den Franzosen oder gar den Osmanen begegne: die größte Schmach in sei- nen alten Tagen. Eher hielt er es für möglich den Ober- rhein zu erreichen und nach den Niederlanden durchzukom- men. Dazu hat er sich wirklich in diesen Tagen entschlossen und den Versuch gewagt. In tiefstem Geheimniß, mit Zu- rücklassung eines Briefes an Ferdinand, der aber erst abgege- ben werden sollte, wenn die Sache gelungen sey, brach der Kaiser am 6ten April nach Mitternacht von Insbruck auf, begleitet von seinen beiden Kammerherrn, Andelot und Ro- senberg, einem eigenen und zwei Dienern Rosenbergs. Sie hofften die große Straße durch die Clause nach Ulm noch frei zu finden. Durch Gebirg und Wald reitend kamen sie am 7ten Mittag nach Nassereith und nach kurzer Rast in die Nähe der Clause. Hier aber erfuhren sie, daß Moritz bereits auf dem Wege sey, um an demselben siebenten Füßen zu besetzen. Sie wären ihm in die Hände gegangen, wären sie fortgeritten, und eilten, nach Insbruck umzukehren. Eigener Bericht des Kaisers an seine Schwester 30 Mai Kriegszug gegen Carl V. Es war für den Kaiser keine Rettung als daß er zuerst nur dieses nächsten und gefährlichsten Feindes durch irgend eine Abkunft, einen Stillstand sich zu entledigen suchte. Und so durfte es noch als ein Glück erscheinen daß sein Bruder immer mit Moritz in freundlicher Verbindung gewe- sen war, und in dem Moment seines Auszugs aus Sachsen eine Zusammenkunft mit ihm in Linz verabredet hatte. Sommaire de la lettre du bourggrave de Meissen (Heinrich Reuß von Plauen) au roy des Romains du 16 m de Mars de Leip- zik: ‒ ‒ qu’il a fait toute instance vers le duc, pour obtenir la surseance des armes, mais que sans le sceu des autres luy n’a rien voulu attendre. Man waͤhlte Linz, „pour garder la reputation à S. M é et que icelle puisse etre de retour a Vienne.“ (Bruͤss. A.) Diese fand am 18ten April wirklich Statt und führte nach einiger Unterhandlung — wir werden gleich davon mehr zu sagen haben — zu einem wenn auch nur vorläufigen Stillstand, der hauptsächlich dazu dienen sollte um eine zahlreichere Ver- sammlung „zur Abstellung der Irrungen und Gebrechen deut- scher Nation“ in Passau möglich zu machen. Allein nicht zu sehr durfte sich der Kaiser auf diesen Stillstand verlassen. Moritz hatte den Anfang desselben wegen der Entfer- nung seiner Bundesgenossen und mit Vorbehalt ihrer Ein- willigung auf den 11ten Mai festgesetzt. Sie genehmigten ihn aber erst vom 26sten Mai an. Nun hatte der Kaiser im Laufe des April doch am Ende einiges Geld zusammengebracht, und begann sich zu rüsten. In weiterer Ferne, bei Frankfurt, so wie in der Nähe, bei Ulm, sammelten sich Truppen auf seinen Namen, 1552, ohne den wir von dieser Thatsache nichts wissen wuͤrden, bei Bucholtz IX, 544. 16* Neuntes Buch. Sechstes Capitel . sein vornehmster Musterplatz aber war Reitti, unfern der Ehrenberger Clause, die er ebenfalls besetzen ließ. Die Ver- bündeten meinten ihn genug zu kennen, um annehmen zu dürfen, daß er ihnen nichts bewilligen werde, sobald er wie- der über ein Kriegsheer gebiete. Moritz trug kein Beden- ken die zwischen der Bewilligung seiner Freunde und der sei- nen inne liegende Zeit zu benutzen, um die versammelten Trup- pen zu zerstreuen und dem Kaiser noch näher zu rücken. Am 18ten Mai griffen die verbündeten Fürsten das Lager von Reitti an und sprengten es auf der Stelle aus einander. Besonders in dem freudigen Georg von Meklen- burg erwachte hierüber eine Schlachtbegier und Siegeszuver- sicht die alles mit sich fortriß. Da sich ein Theil der Trup- pen nach der Clause zurückzog, so ließen sie sich durch ihr gutes Verhältniß zu König Ferdinand nicht abhalten unmit- telbar auf diesen Platz loszugehn. Noch in der Nacht nah- men sie eine Höhe ein welche die Befestigungen beherrschte. Von hier aus den andern Morgen vordringend fanden sie weder in den Schanzen an der Clause, noch in dem verboll- werkten Passe, noch in dem Schlosse selbst nachdrücklichen Widerstand: Nach der Tyroler Relation, in Hormayrs Chronik von Ho- henschwangau Urk. 61 p. 47, blieb das Schloß selbst „unerobert, un- angesehen der feind solchen an sieben Orten vermacht gehabt.“ Die brandenburgischen Gesandten geben den Verlust des Kaisers auf 1200 Todte und 2500 Gef. an. neun Fähnlein fielen in ihre Hand. Und wie nun wenn sie in dem hiedurch eröffneten Lande vordrangen und den Kaiser in Insbruck überfielen? Es ist ein Irrthum anzunehmen, sie hätten das nicht gewollt. Am 20sten Mai ist zwischen ihnen förmlich gerathschlagt worden, ob sie, wie Flucht Carls V. sie sich sehr unehrerbietig ausdrücken, „den Fuchs weiter in seiner Spelunke“ suchen sollten: sie entschlossen sich hiezu. Gott weiß was geschehen wäre, hätte nicht das tumultua- rische Kriegsvolk, eben als es vorwärts gegen Aiterwang geführt werden sollte, nach dem Sturmsold geschrien, den es so eigentlich nicht verdient hatte und der ihm wirklich aberkannt worden ist, und darüber seine Waffen gegen Mo- ritz selbst gerichtet, so daß dieser ihm nur mit Mühe entrann. Dadurch bekam der Kaiser Zeit, Insbruck zu verlassen: er hat die Nachricht von dem Falle der Clause abgewartet, ehe er sich dazu entschloß. Den 19ten Mai Nachmittags ließ er noch den gefangenen Johann Friedrich in den Schloß- garten zu sich bescheiden, und kündigte ihm dort seine Be- freiung selber an: wiewohl unter der Bedingung daß er noch eine Zeitlang dem Hofe freiwillig folgen solle. Fer- ner trug er Sorge, daß die wichtigsten Schriften und Klei- nodien nach dem festen Schloß Rodenegg gebracht wurden. Dann Abend um 9 Uhr brach er auf: beim Scheine bren- nender Windlichter: die Nacht war regnerisch und kalt, das Gebirge noch mit Schnee bedeckt: der Kaiser litt an einem An- fall seiner Krankheit. Sein erster Zufluchtsort war Brunecken, nicht einmal ein eigenes Schloß, sondern dem Cardinal von Trient gehörig, der in den Verhandlungen über die Wahl nicht eben als ein Freund des Hofes betrachtet worden war. Den andern Morgen folgte ihm Johann Friedrich auf diesem Wege. Er erlebte nun, was er immer von seinem Gott erwartet: zum ersten Mal seit fünf Jahren sah er sich von keiner spanischen Garde umgeben; er stimmte auf sei- nem Wagen ein geistliches Danklied an. Neuntes Buch. Sechstes Capitel . Am 23sten Mai rückte Moritz an der Spitze seiner Rei- ter und Fußvölker in Insbruck ein. Schreiben der brandenburgischen Gesandten 1sten Juni: „Der Chf. von Sachsen ist alsbald gegen Insbruck verruckt und alles was spanisch und denselben zustendig gewest, welches die Buͤrger bei schwe- rer straf anzeigen und in ein kaufhaus zusammenbringen muͤssen, preis gemacht: den koͤnigischen aber hat er nichts nehmen lassen.“ (Berl. A.) Die Landsknechte brü- steten sich in den prächtigen spanischen Kleidern, denn alles was den Spaniern gehörte, ward ihnen von dem Churfür- sten als gute Beute überlassen: auf ihren Hüten glänzten portugiesische Goldstücke; einer nannte den andern Don; übrigens aber wußte sie Moritz auf das beste in Zucht zu halten. Er tadelte Georg von Mecklenburg, der sich nur eine Truhe auf dem Schloß hatte eröffnen lassen. Es war ihm genug daß er so weit vorgedrungen, er begehrte nicht mehr. Übrigens blieb er, was König Ferdinand einen Augenblick bezweifelte, entschlossen, den Waffenstillstand von dem be- stimmten 26sten an zu beobachten; unverweilt machte er sich zu der angesetzten Versammlung auf den Weg. Auch ehe wir die Verabredungen berücksichtigen, die da- selbst gepflogen worden, erkennen wir, daß ihm durch den Gang der Begebenheiten und ihre Entscheidung die größten Erfolge gelungen waren. Vor ihm her wich der mächtige Kaiser höher ins Ge- birg, nach Villach: er ließ die Brücken hinter sich abwer- fen und in den schwierigsten Pässen spanische Soldaten auf- stellen, um ein etwaniges Nachdringen zu verwehren. Und indessen löste sich, auf der andern Seite des Ge- birges, das Concilium von Trient von selber auf. Gleich auf die erste Nachricht von den deutschen Ereignissen, am 15ten Aufloͤsung des Conciliums . April, sprach der Papst, der ohnehin nur einen zu bekennenden Grund dazu herbeigewünscht, die erneuerte Suspension des Conciliums aus. Das Concilium, das man für gut hielt selb- ständig handeln zu lassen, machte diesen Beschluß am 28sten April zu dem seinen. Noch widersetzten sich jedoch die ent- schiedenen Anhänger des Kaisers, und bei weitem nicht Alle waren abgereist, als die Nachricht von der Eroberung der Clause erscholl. Man glaubte in Trient, die protestantische Bewegung werde unmittelbar der Stadt des Conciliums gel- ten, und Alles, Prälaten und Einwohner, Vornehme und Ge- ringe, flüchtete in wilder Verwirrung aus einander, höher in die Berge hinauf, oder hinab nach der See: in die dich- testen Wälder oder die festesten Städte. Massarellus: unoquoque rebus suis fuga, vel ad altiores mentes vel densas silvas aut maritima loca seu finitimas civita- tes, consulente. (Rainaldus XXI, p. 70.) Der päpstliche Le- gat Crescentio ließ sich durch seine Krankheit nicht abhal- ten dem allgemeinen Zuge zu folgen. Er starb als er in Verona ankam. Das konnte man wohl vorhersehen, daß eine Combi- nation kaiserlicher und conciliarer Macht, wie die welche Carl V ins Leben gerufen, und mit der er die Christenheit zu beherrschen gedachte, sobald nicht wieder erscheinen könne. Schreiben Bugenhagens an den Koͤnig von Daͤnemark 15 Aug. 1552. „Das Conciliabel ist zu Trennt (zertrennt), es bleibt zu Trennt, zu Trennt, ꝛc. (Schumacher Briefe an den Koͤnig von Daͤnemark I, 186.) Was aber erfolgen würde, wer hätte darüber in der Ver- wirrung jener Tage auch nur eine Vermuthung hegen können? Der König von Frankreich zog im Elsaß hin und her, Neuntes Buch. Sechstes Capitel . besetzte die kleineren Städte, nahm die größeren, z. B. Straß- burg von den Hausbergen aus, in Augenschein. Es war eine Versammlung der nächstgesessenen deutschen Fürsten in Worms gehalten worden, allein sie hatten sich nicht entschlie- ßen können Widerstand zu leisten: nur eine sehr höfliche Bitte legten sie ein. Schwach, wie die meisten waren, ohne die Nähe des mächtigen Kaisers der sie zuletzt vereinigt, von zwei mächti- gen Feinden in die Mitte genommen, und ohne den Rück- halt besonderer Bündnisse die sie sonst wohl geschützt hatten, waren sie auf ein nach beiden Seiten wohl abgewognes Ver- fahren angewiesen, um nicht zu Grunde gerichtet zu werden. Der Herzog von Cleve wagte nicht das längst gegebene Versprechen eines Besuches bei Königin Maria zu erfüllen, weil er fürchtete, Moritz möchte ihn darüber östreichischer Gesinnung verdächtig halten. Schreiben der Koͤnigin 15 Mai, 24 Mai 1552. (Br. A.) So gewaltig erschien damals das Übergewicht der Geg- ner dieses Hauses, daß in einer Versammlung oberdeutscher Fürsten zu Heidelberg die Frage vorgekommen ist, — so ver- sichert wenigstens Königin Maria, — ob Carl V nicht des Reiches zu entsetzen sey. Schreiben der Koͤnigin 1 Aug. 1552. (Br. A.) Allein auch der Kaiser gebot doch noch über mannich- faltige Kräfte, die er nur zu sammeln brauchte; nur die Über- raschung einer unerwarteten Combination hatte ihn im ersten Augenblicke besiegt. Er hoffte sogar einen Theil der Protestanten auf seine Seite zu bringen. Das große Ansehen das Johann Friedrich Aussichten . genoß, sollte ihm dienen, sie um sich zu sammeln. Königin Maria rechnete auf die Anhänglichkeit von Nürnberg und Frankfurt. Ein Gedanke taucht von Zeit zu Zeit auf, der die weiteste Aussicht eröffnet hätte, nemlich der, sich mit dem in den meisten Territorien schwierigen Adel zu verbünden und ihn gegen die Landesherren aufzurufen. Johann Fried- rich meinte, der Kaiser müsse nur vor allem erklären, daß er das Wort Gottes nicht verfolgen wolle, und die freie Predigt erlauben, damit werde er die Zuneigung der deut- schen Nation wiedererwerben. Er rieth ihm den alten from- men Churfürsten von Cölln wiederherzustellen: dann wolle er, Johann Friedrich, die Heerführung selber übernehmen und das feindliche Heer gewiß aus einander sprengen. Les points et articles que le duc Jehann Frederic de Saxe a faict par le secretaire Obernburger, 23 Mai. (Br. A.) Wir sehen: noch schien alles möglich. Verlieren wir uns jedoch nicht in das Allzuentlegene, so ist die Hauptsache daß ein europäischer Krieg ausgebro- chen war, der Deutschland wieder in der Mitte zerschnitt. Es mußte sich zeigen, ob in dem Kampfe der beiden großen Mächte die Deutschen vollends unter einander zerfallen, oder ob sie — denn auch diese Möglichkeit stellte sich dar — zwi- schen denselben zu einer erneuten Selbständigkeit gelangen würden. Zehntes Buch. Epoche des Religionsfriedens. Erstes Capitel . Verhandlungen zu Linz und zu Passau. Es mußte wohl so seyn, daß ein Fürst von der Her- kunft, Weltstellung und Gesinnung wie Carl V Absichten faßte wie er sie gefaßt hat, und bei den Kräften die er ein- setzen konnte, dem Talent das ihm eigen war, und den Feh- lern die seine Gegner begiengen, in ihrer Ausführung so weit vorschritt. Die Nothwendigkeit der Dinge brachte aber doch mit sich, daß er damit nicht zu Ende kommen konnte. Er verfocht Ideen der formellen Einheit der abendlän- dischen Christenheit, welche noch nicht aufgegeben, von den bestehenden Zuständen und den Meinungen der Menschen noch nicht ausgeschieden waren, aber doch auch weder die einen noch die andern mehr beherrschten. Viel zu entwickelt, mächtig und voll Selbstgefühl wa- ren die andern europäischen Reiche, um sich ein Übergewicht des Kaiserthums gefallen zu lassen. Und viel zu tief war der Widerwille gegen die vor- nehmste Repräsentation der geistlichen Einheit gewurzelt, der Widerspruch der wider sie erhoben ward, viel zu gut begrün- Zehntes Buch. Erstes Capitel . det und zu weit verbreitet, als daß auch nur eine beschränkte Unterordnung unter dieselbe sich hätte wiederherstellen lassen. Den aus der Vergangenheit aufsteigenden Ideen der formellen Einheit setzten sich Tendenzen politischer und reli- giöser Unabhängigkeit entgegen, welche den abendländischen Nationen eine neue Zukunft eröffneten. Es bedurfte eigentlich nur einer Verbindung des poli- tischen und des religiösen Gegensatzes, um die geistlich-welt- liche Autorität zu zertrümmern, die sich über beide zu erhe- ben suchte. Da nun aber das Kaiserthum, das zu so umfassenden Planen Anlaß und Rechtstitel gab, wie es auf der deutschen Nation beruhte, so auch die Staatsgewalt in derselben bil- dete, so trat die Gefahr ein, daß durch einen Angriff auf dasselbe auch diese zersprengt, und entweder die Anarchie wieder zurückgerufen, oder einer fremden Macht ein verderb- licher Einfluß eingeräumt werden möchte. Glücklich die Zeiten wo ein einziger nationaler Gedanke alle Gemüther ergreift, weil er alle befriedigt: hier war dieß nicht der Fall. Bei dem ihm selbst unerwarteten Fortgang seines Glückes gab zuweilen auch Moritz der Hofnung auf baldigen Frieden Raum: man versicherte ihm, der Kaiser werde im Reich solche Vorsehung thun, daß den Ständen augsburgischer Confession ihr Glaube, allen ihre Freiheit unangetastet bleibe: er werde sich auch mit dem König von Frankreich über dessen An- sprache an ihn vertragen, worauf alle Macht der Christenheit gegen die Türken gewandt werden könne: wie wäre das aber wirklich zu erwarten gewesen! Verhandlungen zu Linz und zu Passau . Wer auf ein einigermaßen freiwilliges Zurücktreten des Kaisers von den einmal ergriffenen Planen rechnete, der kannte ihn schlecht; noch viel weniger aber wären die Fran- zosen gemeint gewesen, sich mit einer Auseinandersetzung der gegenseitigen Ansprüche zu begnügen, und die Plätze die sie vom Reich eingenommen, so leicht wieder zu verlassen. Vielmehr war nichts anderes zu erwarten als ein lang- wieriger und gefährlicher Krieg, der leicht auf deutschem Bo- den selber ausgefochten werden, alles vollends entzweien, den Türken eher den Weg nach Deutschland eröffnen konnte. In Epochen dieser Art zeigt sich am besten, ob in ei- ner Nation noch jene Kraft vorhanden ist, welche Staaten bildet und erhält, ein constitutiver Genius, der wenn das Bisher-bestandene zerfällt, die Fähigkeit entwickelt etwas Neues und Angemesseneres hervorzubringen. Leicht war es in unserm Falle nicht, einen Ausweg zu treffen. Die alte Parteiung zwischen Östreich und Frank- reich, die alle Interessen anregte, berührte sich mit der reli- giösen Entzweiung, welche längst die Gemüther ergriffen: es schien wohl, als ob es zu einem mitten durch das Reich schneidenden Gegensatz einer französisch-protestantischen und einer östreichisch-katholischen Partei kommen müßte. Das erste Moment was eine Rettung aus dieser Ge- fahr darbot, lag darin, daß der römische König weder die Absichten noch auch das Interesse seines Bruders vollkom- men theilte. Unmittelbar vor dem Aufbruch des Kriegs- heers erinnerte Churfürst Joachim von Brandenburg seinen Nachbar Moritz, sich doch an König Ferdinand zu wenden, der es immer gemißbilligt daß der Landgraf gefangen genom- Zehntes Buch. Erstes Capitel . men worden, überhaupt keinen Theil daran habe, wenn von den kaiserlichen Räthen die Wohlfahrt der deutschen Nation vernachläßigt und so viel Grund zur Beschwerde gegeben worden sey, der vielmehr, „alle Sachen des gemeinen Va- terlandes väterlich, treulich und gnädiglich meine.“ Artikel zu Torga kegen einander uͤbergeben. (Arch. zu Berl) Wir be- rührten schon, wie Moritz, noch in seinem Land, eine Zusam- menkunft mit dem römischen König zu Linz verabredete. Noch vor der Unternehmung auf die Ehrenberger Clause, am 18ten April, fand dieselbe Statt. Churfürst Moritz eröffnete sie mit Aufstellung einiger Forderungen, die sich zum Theil auf das unmittelbar Vor- liegende bezogen, die Befreiung des Landgrafen, Sicherheit für die welche die Waffen ergriffen, zum Theil aber auch, und dieß war ohne Zweifel das Wichtigste daran, auf die großen Angelegenheiten der Religion und der Kirche. Und da war nun besonders merkwürdig, daß er die Zugeständ- nisse wieder forderte, welche der Kaiser zu jener Zeit, in wel- cher der Protestantismus in noch ununterbrochener Entwicke- lung zu seiner größten Macht gelangt war, am Reichstag zu Speier im Jahr 1544 gemacht hatte, und nur noch auf eine klarere Versicherung derselben antrug. Zweite Schrift von Moritz, in Linz. „weil gleichwol die Stende der Augsburgischen Confession, wie s. chf. Gn. anders nicht wissen, mit dem Abschied, so der Religion halber im 44 Jar zu Speyer aufgericht, zufrieden gewest, so verhoffen s. chf. Gn., der Ks. Mt werde auch nochmals nicht entgangen seyn, der Puncten halber clare und gewisse Vorsehung zu thun.“ Bei dem ersten Umschlag des Glückes tauchten sie wieder auf, und zwar unter dem Vortritt Desjenigen, der früher es haupt- sächlich dem Kaiser möglich gemacht sie unausgeführt zu Verhandlungen zu Linz . lassen. Von dem Interim, meinte Churfürst Moritz jetzt, dürfe niemals wieder die Rede seyn; eine Vergleichung der Religion müsse nicht weiter auf einem allgemeinen Concilium, sondern nur auf einem nationalen oder auf einem abermali- gen Colloquium versucht werden. Niemand dürfe in Zukunft der Religion halber Kriegsgefahren zu besorgen haben. Und so viel gab König Ferdinand, wenngleich nur für seine Person, auf der Stelle nach, daß ein allgemeines Con- cilium wie das Tridentiner, zur Beruhigung von Deutsch- land nicht sehr geeignet sey; er zeigte sich überhaupt in al- len Dingen entweder selbst einverstanden oder doch zur Nach- giebigkeit bereit. Nicht so aber der Kaiser, dem die in Linz gewechselten Schriften durch Schwendi zugesandt wurden. Er weigerte sich nicht mehr, den Landgrafen loszulas- sen, aber er forderte eine schwer zu bestellende Sicherheit gegen alle daraus etwa zu erwartenden Nachtheile. Reponse de l’empereur donnée a Zwendy 25 Avril 1552. (Anhang.) Was den Religionspunct betrifft, so verwahrte er sich in seiner officiellen Antwort zunächst nur gegen jede Erwähnung des Nationalconciliums, die ihm von Anfang an verhaßt gewe- sen war, allein kaum war diese Erklärung gegeben, so wollte ihm schon scheinen als lasse sie eine allzu weite Deutung zu, und er erläuterte durch ein paar eigenhändige Worte, daß er auch ferner auf der Heimstellung der Glaubensstreitigkeiten an ein Concil bestehe, gemäß den bisherigen Beschlüssen der Reichstage. Copie des lettres de la main de l’empereur au roi Fer- Ranke D. Gesch. V. 17 Zehntes Buch. Erstes Capitel . Bei diesem festen Verharren des Kaisers auf dem ein- mal ergriffenen Standpunct, und da auch Churfürst Moritz nicht ermächtigt war für seine Bundesgenossen abzuschließen, konnte man hier keinen Schritt vorwärts kommen, und be- schloß jede weitere Erörterung auf eine andre Zusammen- kunft zu verschieben, nächsten 26 Mai, zu Passau, zu wel- cher sämmtliche Churfürsten und eine Anzahl geistlicher und weltlicher Fürsten, die gleich hier benannt wurden, eingela- den werden sollten. Wie geringfügig dieser Erfolg auch scheint, so war er doch hr bemerkenswerth. In frühern Zeiten hatten die beiden Parteien sich in- nerhalb der Reichsversammlung einander entgegengesetzt: jene alte Mehrheit des Jahres 1529, und die protestantische Min- derheit, die jedoch unaufhörlich anwuchs; und der Kaiser hatte es als ein Hülfsmittel der Macht benutzt, zwischen ihnen eine Ausgleichung zu suchen; mochte man sich anstel- len wie man wollte, — in dem Abschied zu Linz drückte man sich auf das behutsamste aus, — so erschien jetzt der Kaiser als Partei, als die andre der in der Kriegshandlung begriffene Bund; schon an und für sich gewann ein Aus- schuß der Reichsfürsten, der ausdrücklich dazu berufen ward um eine gütliche Unterhandlung zwischen ihnen zu versuchen, eine großartige Stellung. Die Absicht des Churfürsten Moritz gieng gleich bei sei- dinand, Inspr. 10 Avril. M’a semblé outre le contenu de la dite reponse vous declairer tres expressement et briefvement mon in- tention qu’est en premier lieu quant a celui de la religion que je n’entends m’obliger ny traitter sy non me remettant a ung con- cile conforme aux decrets passés. Versammlung zu Passau . nem ersten Antrage auf eine solche Versammlung dahin, daß derselben die Beschwerden die man gegen die bishe- rige Regierung zu machen habe, vorgelegt, von ihr erörtert werden sollten. „Dieweil sich denn auch J. Chf. Gn. befaren, wo die beschwe- rungen und mengl so zuwidder der alten loblichen deutschen Nation hergebrachten Freihait an vill weegen angetzogen werden, allererst auf einen Reichstag solten verschoben werden, das solches bey den Sten- den so jetzo beisammen seyn (ohne Zweifel: mit ihrem Kriegsvolk) vorzuͤglich moͤchte angesehen werden und allerley nachdenken machen, So bedachten J. Ch. G. undertheniglichen zuforderst, weill J. Ch. G. auch entlich jetzund allhie zu schließen der andern halben nit gewalt habe, das es am bequemsten und pesten seyn sollte, das alsbald jetzund etlich Chur und Fuͤrsten des Reiches benannt, des gleichen auch ein Tag und Malstadt nach der kunigl. Mt gnedigsten Gefallen an- gesetzt wurde, auf welchem solch Chur und Fuͤrsten neben der Khun. Mt und desselben geliebten Son Kh. Maximilian zusammenkommen und alsodann nach anhorung solcher beschwerung, welche denn ein je- der stand auf dieselbe Zeit seiner Nothdurft nach anzuzeigen wird wissen, aller dieser Articl halber eine gewisse bestendige und freund- liche Vergleichung machen.“ Erklaͤrung von Moritz zu Lintz o. D. im Berliner Archiv. Und keineswegs auf bloße Vermittelung mochte sich diese Versammlung beschränken. Sie war ungefähr auf die nemliche Weise zusammengesetzt wie die alten Regiments- täge, und eine wiewohl unregelmäßige Repräsentation des Reichs. Churfürst Moritz brachte sie eben darum in Vor- schlag, weil er und seine Freunde auf keinen Reichstag war- ten wollten. Um die bestimmte Zeit erschienen die eingeladenen Stände: neben dem römischen König und dem Churfürsten Moritz die fünf übrigen Churfürsten, die Herzöge von Braunschweig, Jülich, Pommern, Würtenberg, Markgraf Johann und der Bischof von Würzburg durch ihre Abgeordnete, der Herzog 17* Zehntes Buch. Erstes Capitel . Albrecht von Baiern, der Erzbischof von Salzburg, der Bi- schof von Eichstädt in Person. Sehr bezeichnend ist die Stellung welche die Stände dem römischen König gegenüber einnahmen. Ferdinand hätte gewünscht an ihren Sitzungen Theil zu haben, denn nicht als Partei sey er hier, etwa als Stellvertreter des Kaisers, dieser habe vielmehr seine eignen Räthe am Platz. Die Stände hatten wohl nicht Unrecht, wenn sie dieß nicht ganz wörtlich für wahr hielten, da der König so eben vom Kaiser kam und mit demselben ununterbrochen in brief- lichem Verkehr stand. Bescheidentlich antworteten sie, ihr Sinn sey nicht, ihn auszuschließen, sondern ihm nur die Mühe zu ersparen, ihren Sitzungen beizuwohnen, die Stim- men abzufordern; aber wie sie sich auch ausdrücken moch- ten, dabei blieben sie, sich erst unter einander berathen zu wollen: die Meinung über welche sie einig geworden, wür- den sie dann dem König vorlegen, und sich mit der verglei- chen, welche er indeß selbst gefaßt habe. Prothocoll Lambert Distelmeyers (hier und im Folgenden meine vornehmste Quelle) im Berliner Archiv. Indem sie sich von ihm absonderten, um nicht gleich bei der ersten Fas- sung der Beschlüsse gestört zu werden, waren sie doch weit entfernt sich ihm entgegenzusetzen. Sie gaben ihm vollkom- men Recht, wenn er darauf drang, daß aller französische Einfluß vermieden werde. Obgleich der französische Gesandte zugegen war, so bekam er doch von deutschen Geschäften nichts zu erfahren. Er hielt eine Rede, von welcher Sleidan XXIV, p. 375 ei- nen Auszug mittheilt. Die Staͤnde forderten ihn auf, zu weiterer Unterhandlung seine Instruction einzugeben, wie damals Sitte war: In dem Entwurf zu einer Instruction, Verhandlungen zu Passau . nach welcher Markgraf Albrecht aufgefordert werden sollte dem von ihm noch nicht angenommenen Stillstand beizu- treten, war als ein Beweggrund angeführt worden, daß der französische Gesandte damit einverstanden sey, ein Mo- tiv das hier wohl eine Wirkung haben konnte: auf die Er- innerung des römischen Königs aber, daß solch eine Bezug- nahme auf eine fremde Macht dem Reiche schlecht anstehe, ließ man sie weg. Der Sinn der Stände war, den Einfluß wie der kai- serlichen, so noch viel mehr der französischen Interessen zu vermeiden, und aus dem Schooße des versammelten Reichs- fürstenrathes eine Vermittelung der ausgebrochenen Strei- tigkeiten hervorgehn zu lassen. Und da lag nun die Summe des Ereignisses, und ge- wissermaßen ein neuer Anfang für die Erhaltung und Ent- wickelung des Reiches darin, daß in dieser Versammlung katholische und evangelische Fürsten vereinigt waren, einmü- thig entschlossen keinen Krieg in Deutschland zuzulassen. Schreiben von Straß vigilia corp. Ch i an den Churf. von Brandenburg. „Die anwesenden stende allhie lassen vernehmen, das sie keinen krigk in Deutschland haben noch leiden wollen: welches denn die sache ser treibet und fordert.“ Bisher hatten die katholischen Reichsfürsten noch immer darauf bestanden, den Protestantismus so weit wie möglich zurückzudrängen, oder lieber ganz zu vernichten, sey es nun er hielt es fuͤr hinreichend ihnen eine Abschrift seiner Rede mitzuthei- len: non denegare orationem habitam scripto communicare, ut et fecit, additis literis asserti secretarii regis Galliarum, ad se non solitis literis sed characteribus (Chiffern) scriptam, qua (epi- stola) asserebat injunctum sibi, ea coram statibus proponere. Also eine chiffrirte Instruction theilte er mit, deren Sinn er selbst aus- legte. Prothocoll Distelmeyers. Zehntes Buch. Erstes Capitel . selbständig, durch die Mehrheit der Stimmen am Reichstag, oder unter der Führung des Kaisers: jetzt sahen sie ein, daß daran nicht mehr gedacht werden könne. Die Übermacht der protestantischen Fürsten war in die- sem Augenblick vielmehr so groß, daß sie selber von ihnen überwältigt, ja vertilgt zu werden fürchten mußten. Der Kaiser war nicht im Stande sie zu schützen, aber wäre ers auch gewesen, so hätten sie wenig Freude daran gehabt: sie fühlten so gut wie die andern, daß sein überwiegendes An- sehen ihre Selbständigkeit, die Autonomie der Nation bedrohe. Eine der wirksamsten Veränderungen bildete der Regierungs- wechsel in Baiern. Jetzt setzte sich kein Leonhard von Eck mehr in den Besitz des maaßgebenden Einflusses bei den katholischen Berathungen; Albrecht V , von Natur gemäßigt und nachgiebig, in seinen ersten Jahren sogar evangelischen Anwandlungen nicht unzugänglich, jetzt überdieß bedroht und gefährdet, hütete sich die Politik seines Vaters fortzusetzen, die wenigstens im Verhältniß zum Kaiser nur zu Nachthei- len geführt hatte. In seinem ersten Gutachten nun gieng Churfürst Moritz von dem Zugeständniß Ferdinands aus, daß ein Concilium wie das tridentinische schwerlich jemals zur Vergleichung füh- ren dürfte, und kam auf die Idee eines Nationalconciliums zurück, das so oft vorgeschlagen worden und nie hatte erreicht werden können. „darin die Gelehrten der h. Schrift beiderseits gehoͤrt wer- den und einander guten christlichen Bescheid geben.“ Die Verhand- lungen begannen 1sten Juni fruͤh 7 Uhr, wo Ferdinand Moritz auf- forderte, wie er dem Kaiser meldet, „de bailler sa reponse et deli- beration sur les articles de Linz.“ Hierauf folgt die Erklaͤrung von Moritz. Doch wollte er es auch auf dessen Ent- Verhandlungen zu Passau . scheidung nicht ankommen lassen. Er forderte vielmehr ei- nen Frieden welcher immer bestehe, möge nun die Verglei- chung zu Stande kommen oder nicht. Denn nur von den Mißbräuchen, sagte er, schreibe sich die Spaltung her; in den Hauptartikeln christlichen Glaubens sey man Gottlob ein- verstanden; der Kaiser müsse die Stände augsburgischer Con- fession vor allem versichern, daß ihnen keine Ungnade noch Beschwerung weiter bevorstehe. Zu dem unbedingten Frie- den aber gehöre ferner, daß man auch keine Entscheidung des Reichstags wo die der Confession entgegengesetzte Par- tei das Mehr habe, noch des Kammergerichts wie es jetzt eingerichtet sey, befürchten dürfe: man müsse die Artikel über Friede und Recht wiederherstellen und zur Ausführung brin- gen, wie sie 1544 gegeben worden. Zweierlei, wie wir sehen, forderte er: das Aufgeben je- ner conciliaren auf die Wiederherstellung der Einheit, auch im Wege der Gewalt, hinzielenden Ideen, und dagegen eine den Frieden der Evangelischen sichernde Einrichtung im Reiche. Es waren ganz die altprotestantischen Tendenzen: nicht zu bekehren, noch zu vertilgen, sondern nur zu bestehn, kraft der alten Berechtigungen der auf Reichsschlüsse sich stützenden Minderheit. Im Jahr 1514 hatten die Protestanten ihre Absicht noch durch den Einfluß der kaiserlichen Gewalt zu erreichen gemeint: im Jahre 1552 hielten sie das Schwert in der Hand um sie durchzusetzen. Der Kaiser war über- rascht, in ferne Alpen zurückgescheucht; die geistlichen Für- sten, die bisher die Majorität gebildet, in ihren Landschaf- ten angegriffen, und schon zum Theil in die Hände der Protestanten geliefert. Unter diesen Umständen bot ihnen Zehntes Buch. Erstes Capitel . Moritz noch einmal die alten Bedingungen an, die freilich, wenn sie dem Kaiser abgerungen waren, weit eine andre Bedeutung erhielten, als wenn er sie frei und gern bewil- ligt hätte. Und auf die erste dieser Forderungen nun giengen die in Passau versammelten Fürsten mit allgemeiner Beistimmung ein. Jene Idee einer Herstellung der Einheit, wie sie von dem Kaiser angestrebt ward, hatte sich ihnen allen selber ge- fahrbringend erwiesen. Auch sie fanden, daß das tridenti- nische Concilium nicht geeignet sey die Spaltung in der Re- ligion zu heben. Zwar wollten sie sich hiebei nicht im Vor- aus gegen ein andres allgemeines Concilium erklären: sie behielten dem Reichstag vor, nochmals zu untersuchen, auf welchem Wege das Ziel am besten erreicht werden könne, durch ein nationales oder doch wieder ein allgemeines Con- cil, oder durch welches andre Mittel. Gutachten der Churfuͤrsten und Fuͤrsten am 6ten Juni, im Berliner Archiv. Darin aber stimm- ten sie dem Churfürsten bei, daß auf jeden Fall Friede be- stehn müsse, welches auch der Erfolg der Vergleichsversuche seyn möge, und eben darauf kam es an. Die Frage war, ob im Kreise der abendländischen Christenheit ein friedliches und sicheres Daseyn möglich sey, ohne die Oberhoheit des Papstthums oder auch eines Concils anzuerkennen, mochte nun da ein Kaiser oder ein Papst den größern Einfluß ha- ben. Diese Frage bejahten jetzt die mächtigsten Reichsfür- sten, auf welchen seit dem dreizehnten Jahrhundert das Reich und zum guten Theil die Kirche gegründet gewesen, katho- lische und protestantische, geistliche und weltliche. Sie mein- Verhandlungen zu Passau . ten, der Friede müsse beiderlei Ständen zu Gute kommen und sie gegen einander sicher stellen. Am 6ten Juni 1552 verfaßten die Fürsten dieses auf ewig merkwürdige Gutach- ten; am 7ten erklärte König Ferdinand in diesem Puncte seine Beistimmung dazu. Wie nun aber dieser Grundsatz in den Ordnungen des Reiches geltend zu machen sey, darüber konnte man sich nicht sogleich vereinigen. Die vermittelnden Fürsten vermie- den noch die Erwähnung der speierschen Beschlüsse von 1544, die ihnen oder ihren Vorgängern größtentheils zuwider gewe- sen: nur Eine Stimme trug auf Wiedererneuerung und Voll- ziehung derselben an; aber sie bewilligten, daß bei dem Abschluß des Friedens auch über die Besetzung des Kammergerichts Bestimmung getroffen würde. König Ferdinand trat noch einen Schritt weiter zurück: er wollte diese Bestimmung so wie die Beschwerden die Moritz vorgebracht, auf den Reichs- tag verweisen. Churfürst Moritz war hiemit nicht zufrieden: er forderte die ausdrückliche Zusicherung unparteiischen Rech- tes und die Aufhebung des Reichsabschiedes von 1530, auf den die Assessoren bisher verpflichtet worden. Es kam hier- über zu einem lebhaften Schriftwechsel, in welchem jeder Theil auf seiner Meinung bestand. Glücklicherweise hatte Moritz auch seinerseits etwas anzubieten. Bei der Versicherung der katholischen Fürsten in ihren Besitzthümern, die eine andre Hauptgrundlage des Friedens bildete, hatte er die Worte ein- fließen lassen: „so viel sie noch in Possession derselben seyen“: eine Clausel von der größten Bedeutung, da schon manches Amt bischöflicher Lande von Markgraf Albrecht in Besitz genommen worden. Die vermittelnden Fürsten machten ihn Zehntes Buch. Erstes Capitel . aufmerksam, daß dadurch das Recht verkürzt, der gesammte Rechtszustand zweifelhaft werde. Indessen bestand Moritz so lange auf seinem Vorschlag, bis sie und der König sich ihm auf der andern Seite wieder näherten. Dabei blieb es auch jetzt, daß die Sache definitiv erst am Reichstag ab- gemacht werden möge: aber im Voraus erklärten die Für- sten, daß alsdann die Gleichheit bewilligt und die Form des Eides frei gelassen werden sollte. Nicht ganz so weit, denn nur in kleinen Schritten, sehr langsam, rücken diese Angelegen- heiten vorwärts, wollte König Ferdinand gehn. Die Gleich- heit im Voraus zu bewilligen, schien ihm ein Punct den der Kaiser nicht genehmigen würde, aber dazu gab er seine Zustimmung, daß es freistehen möge, ob man den Eid zu Gott, oder zu Gott und den Heiligen schwören solle. Man bemerkte, daß in den Rechten beide Formen gültig seyen. „Dieweilen ohne das bede Formen in Rechten befunden.“ Auf des Churfuͤrsten von Sachsen Replik Bedenken der Churfuͤrsten Fuͤrsten ꝛc. Und war dieß nicht im Grunde eben dasselbe? Die evangelischen Assessoren waren bisher zurückgewiesen wor- den, weil sie den Eid zu den Heiligen nicht schwören woll- ten; sie mußten angenommen werden wenn man denselben nicht mehr forderte. Der Verpflichtung auf den Reichsab- schied von 1530 sollte durch eine Clausel begegnet werden, nach welcher kein früherer Schluß dem neuen Friedstand ab- brechen, derogiren solle. Dergestalt vereinigte man sich in einer aus beiden Re- ligionsparteien gemischten Versammlung über die wichtigsten Verhältnisse die in Zukunft zwischen beiden obwalten sollten. Verhandlungen zu Passau . Die Katholischen, welche auch dort die Mehrzahl aus- machten, gaben die Vortheile auf, welche ihnen aus der Idee einer allgemeinen Vereinigung der Christenheit und ihrem Übergewicht am Reichstag entspringen konnten. Dagegen verzichtete man evangelischer Seits darauf, sich der Übermacht die man in diesem Augenblicke besaß, zu bedienen, die hohen Geistlichen, wie man anfangs gedacht, geradezu zu verjagen, oder auch nur die ihnen schon entris- senen Gebietsstrecken zu behalten. Wurde der Rechtsstand der Protestanten erweitert und einigermaßen fixirt, so hatte die andre Partei dagegen die Ge- nugthuung, ihre bedrohten Besitzthümer gesichert zu sehen. Und da man nun in der Hauptsache verglichen war, so folgten die andern Puncte von selber nach. Man kam überein, daß der Landgraf in einer bestimmten Frist zu Rheinfels auf freien Fuß gesetzt werden solle. Für die Urtel die während der Custodie in seinen Angelegenheiten gesprochen worden, ward ihm Suspension und Revision verheißen. Alle Die welche in dem letzten Kriege um Land und Leute gekommen oder die Flucht ergreifen müssen, von den Kriegsanführern der Rheingraf, Albrecht von Mansfeld und sein Sohn, Chri- stoph von Oldenburg, Heideck, Reckerode und Schärtlin, un- ter den Fürsten Wolfgang von Anhalt und Otto Heinrich von der Pfalz, sollten wieder zu Gnaden angenommen wer- den, und sich nur verpflichten, fernerhin nicht gegen den Kai- ser zu dienen; die der jetzigen Kriegsübung Verwandten soll- ten die Waffen niederlegen, ihre Eroberungen herausgeben und dagegen einer Generalamnestie genießen. Mit Freuden melden die brandenburgischen Gesandten Zehntes Buch. Erstes Capitel . nach Haus, daß es so weit gekommen sey, hauptsächlich auch durch das eifrige Bemühen des römischen Königs. Auch Moritz meinte wohl, daß hiemit ein fester Friede im Reich gegründet sey. Sein Rath war, daß der verab- redete Vertrag dem Kaiser zu einfacher Annahme oder Ver- werfung vorgelegt werden solle: indeß wolle auch er zu sei- nen Bundesverwandten reiten und wenn von dem Kaiser die Erklärung der Annahme eingelaufen, den Vertrag ohne weiteres Grübeln unterschreiben. Daß nun aber diese Bedingungen erst dem Kaiser vor- zulegen und von ihm zu bestätigen waren, bildete eine Schwie- rigkeit die sich größer erwies, als man auch nach den be- reits gemachten Erfahrungen glaubte. Die Bevollmächtigten die er in Passau hatte, versäum- ten nichts um ihn dazu zu stimmen. Sie stellten ihm vor, daß in Deutschland alles den immerwährenden Frieden wün- sche, zumal da er, der Kaiser selbst schon um seiner vielfa- chen Beschäftigungen willen nicht im Stande sey eintreten- den Unordnungen zu steuern. Rye und Seld an den Kaiser, 15 Juni: nous trouvons que tous les estats qui sont icy lesquels sont les premiers de toute la Germanie sont merveilleusement enclins a cette paix uni- verselle et les ecclesiastiques pas moins que les seculiers. Car voyant que les choses du concil s’en vont a la longueur et que tous les jours surviennent de nouveaux troubles et que V. M é a tant d’affaires contre les malveillants qu’elle ne peut si bien re- medier aux iuconvenients comme elle desire, tout le monde veut etre assuré. Der König motivirte bei der Einsendung der Artikel die Bewilligung derselben mit der erwähnten Gefahr der katholischen, besonders der geistlichen Fürsten, und mit der Besorgniß, daß sich leicht, wenn die Vereinbarung sich an die Religionssachen stoße, alle andern Widerstand des Kaisers . Stände augsburgischer Confession an die kriegführenden an- schließen möchten. Man machte den Kaiser aufmerksam, daß weder der Papst, noch der König von Frankreich, noch irgend ein andrer Fürst von Europa an die Pflicht denke, die Ketze- reien auszurotten, daß die ganze Last einer solchen Unterneh- mung auf ihn allein fallen würde. Auch liege wohl so viel an Tag, daß man wider die neuen Meinungen mit dem Schwerte nichts ausrichten könne: die Deutschen würden ihre Hand nicht dazu bieten, durch fremde Nationen lasse es sich nicht thun. Im Angesicht der Kämpfe welche die Welt erfüllen, der Kräfte die dazu von beiden Seiten in Anwendung gesetzt werden und der Erfolge die sich ergeben, bilden sich Über- zeugungen, die plötzlich hervortreten und Jedermann ergrei- fen, weil sie aus dem Geschehenen mit Nothwendigkeit ent- springen; man kann sagen: sie enthalten Gesetze für eine, wenn auch erst ferne Zukunft in sich. So fühlte man jetzt die Unmöglichkeit, das alte System der dogmatischen und kirchlichen Einheit in der abendländischen Christenheit aufrecht zu erhalten, die Gemüther mit dem Schwert zu regieren. Und davon hängt die Wirksamkeit eines hochgestellten Menschen mit am meisten ab, in welches Verhältniß er zu Überzeugungen dieser Art tritt, ob er sie annimmt oder sich ihnen entgegensetzt. Carl V hielt unerschütterlich an dem einmal ergriffenen Systeme fest. Es war der Gedanke seines Lebens; daß er in einem unglücklichen Augenblick vor einem plötzlichen Anfall hatte zu- rückweichen müssen, konnte ihn darin nicht irre machen. Die Einheit der Christenheit aufrecht zu halten galt ihm Zehntes Buch. Erstes Capitel . für eine durch die Religion gebotene Pflicht. Während der Verhandlungen wiederholte er seine Behauptung, daß dazu ein allgemeines Concilium das einzig geeignete Mittel sey. Höchstens wollte er die Sache, aber ganz in den gewöhn- lichen Formen und mit Vorbehalt seiner alten Autorität, noch einmal an den Reichstag bringen. Den immerwäh- renden Frieden zu bewilligen, schlug er ohne Weiteres ab. Nicht als ob er, wie es in einem seiner Briefe heißt, daran denke, die Protestanten mit Krieg zu überziehen, wozu er jetzt nicht einmal die Mittel habe: aber durch diese Bewilligung würde alles rückgängig werden, was man mit so vieler Mühe und so vielen Kosten erreicht, das Interim und die letzten Reichstagsschlüsse; er würde die Ketzereien auch dann dulden müssen, wenn sich Zeit und Gelegenheit zum Gegen- theil zeige; schon jetzt müsse er Scrupel haben für die, welche er dann empfinden werde. Und auch jetzt könne er sich nicht damit entschuldigen, daß ihm Gewalt geschehe: noch sey sie nicht geschehen, noch könne er nach Italien oder vielleicht nach Flandern gehn, und gewiß er wolle es thun, ehe er sein Gewissen beschwere, ehe er diesen Zaum sich an- legen lasse. L’empereur au roi, undatirt, jedoch Anfang Juli: Si ne puisje comme qu’il soit consentir la bride que en ce l’on me veut mettre pour non pouvoir jamais procurer le remede. Der Nothwendigkeit der Dinge, die er nicht anerkannte, setzte er, wie wir sehen, seine geistlichen Pflichten entgegen, die er, seitdem er sich so lange mit ihnen getragen, von Un- glück und Gefahr mehr bestärkt als erschüttert, strenger als jemals auffaßte. Widerstand des Kaisers . Ferdinand hielt nicht für rathsam, die Weigerungen und Ausstellungen des Kaisers der Versammlung wie sie waren mitzutheilen, er hätte den Bruch der ganzen Unterhandlung gefürchtet. Nur im Allgemeinen bezeichnete er sie, aber er versprach, sich selbst zu seinem Bruder zu verfügen und al- les zu versuchen, „gleich als gelte es seiner Seelen Seligkeit“, um denselben auf eine andre Meinung zu bringen. Vor seiner Abreise erklaͤrt er den Staͤnden: er wolle „alle muͤgliche Persuasiones, ausfuͤhrung und anzeigung thun, dadurch Keys. Mt zu bewegen, und in Summa den Fleiß anwenden, als langete eß ihrer Mt Seelen Seligkeit an, dann J. Mt hetten dessen treff- liche ursach, und wolten nichts liebers wahn das Deutschland muͤchte zu ruge und die gehorsamen stende unbeschedigt bleiben, so wehre eß auch yhrer Mt eigene nothdurft, welche der schuch also drucket, das sie wohl mehr hinken dann gehen moͤchte. Sie wußten gewiß, das die Tuͤrken auf die stunde wuͤrden vor Tomischwar liegen, und sie konnten doch weder mit Gelde noch mit volke volgen, wehren dieser handlung halben lange aus ihren landen gewest.“ Am 6ten Juli reiste er von Passau ab, am 8ten finden wir ihn in Villach. Er stellte dem Kaiser vor, in welche Gefahr ihn der Wiederausbruch der Feindseligkeiten in Deutschland stür- zen werde: schon sey auch der Herzog von Baiern von den kriegführenden Fürsten aufgefordert sich zu ihnen zu schla- gen, und im Weigerungsfall mit dem Ruin seines Landes be- droht; dagegen verspreche Moritz eine ansehnliche Hülfe in Ungarn zu leisten, wenn der Friede zu Stande komme, und bei den unaufhörlichen Fortschritten der Türken sey für ihn nichts dringender, nothwendiger. Auch bewirkte er damit wohl, daß eine und die andre unwesentliche Einwendung weggelassen ward, welche der Kaiser gegen die vorgeschlage- nen Artikel gemacht; in Bezug auf das Gericht wurden all- gemeine wiewohl nicht eben verpflichtende Versicherungen Zehntes Buch. Erstes Capitel . ertheilt. In der Hauptsache aber richtete Ferdinand nichts aus. Der Kaiser erklärte mündlich eben so standhaft wie er es schriftlich gethan, daß er nichts zulassen werde was seiner Pflicht, seinem Gewissen zuwiderlaufe, und sollte dar- über alles zu Grunde gehn. Lettre de l’empereur à la reine 16 Juill. „qu’il ne fe- roit rien contre son devoir et sa conscience, quand meme tout devoit se perdre.“ Er wolle eher Deutschland dem römischen König überlassen, als etwas gestatten was der Religion nachtheilig sey, oder sich dem Urtheilsspruch Derer unterwerfen, die er zu regieren habe. Den Satz in welchem immerwährender Friede zugesagt wurde auch für den Fall daß man sich nicht verständige, strich er aus. Er gieng nicht weiter, als daß er, wie schon in der Linzer Er- klärung, einem künftigen Reichstag zu bestimmen vorbehielt, auf welche Weise dem Zwiespalt abzuhelfen sey: wohlver- standen jedoch — — „mit Ihrer Majestät ordentlichem Zu- thun“: nur bis dahin versprach er Friede; er wiederholte nicht einmal, daß er die Vergleichung nur durch friedliche und gütliche Mittel herbeizuführen suchen werde. Auch die vorgebrachten Beschwerden sollten dort, unter seiner Theil- nahme, erörtert werden. Der römische König mochte sa- gen was er wollte, so mußte er sich mit diesem Bescheide nach Linz zurückbegeben. Hier hatte man das doch nicht erwartet. Man meinte fast, es liege wohl an Ferdinand selbst, und richtete die dringende Frage an ihn, ob er nicht etwa noch eine Neben- instruction habe. Der König antwortete, er handle rund und ehrbar: hätte er weiteren Auftrag, so würde er densel- Vertrag zu Passau . ben von Anfang angezeigt haben, er habe den Befehl, nicht einen Buchstaben ändern zu lassen. Le Roi des Romains à l’empereur 16 Juill. (Anh.) Sollten nun aber nicht die vermittelnden Fürsten trotz alle dem ihrerseits auf den wohlerwogenen Vorschlägen ver- harren, die sie gemacht? Sie zogen in Erwägung daß der Kaiser ihnen doch in den weniger bedenklichen Puncten meistens beigetreten war, — daß für den Augenblick, da das tridentinische Concilium sich aufgelöst hatte und von einer Ausführung der Beschlüsse desselben nicht mehr die Rede seyn konnte, auch in religiö- ser Hinsicht nichts zu befürchten stand, — daß dem Reichs- tag, an den die Entscheidungen, wiewohl mit dem Vorbe- halt der Idee der allgemeinen Einheit, verwiesen worden, ein weiter Spielraum offen blieb: und hielten für das beste, sich dem unwiderruflichen Willen des Kaisers zu fügen. Die Frage war nur, ob dann auch die Evangelischen ihn annehmen würden, namentlich Moritz, der seitdem noch ein- mal nach Passau zurückgekommen war, und als er sah wie die Sachen standen, es mit der Erklärung verlassen hatte, daß auch er an seine Zusage nicht weiter gebunden seyn wolle. Mit gegründeter Besorgniß nahm er die fortgehenden Rüstungen des Kaisers wahr. Wie im Mai gegen Reitti und die Clause, so stürzte er sich im Juli gegen einen an- dern Musterplatz des Kaisers bei Frankfurt a. M., wo sich bereits 16 Fähnlein z. F. und 1000 M. z. Pf. unter dessen Namen gesammelt. Hier aber war ihm das Glück nicht so günstig wie dort. Nach der Aussöhnung hatte sich in Frankfurt der alte Ranke D. Gesch. V. 18 Zehntes Buch. Erstes Capitel . Einfluß des Kaisers auf die Geschlechter und den Rath von Frankfurt wieder hergestellt: die Stadt entschloß sich, auch unter den gefährlichen Umständen in denen man war, seine Truppen bei sich aufzunehmen. Der Oberst der sie befeh- ligte und der Bürgermeister theilten die Schlüssel der Thore unter einander. Zur rechten Zeit traf ein kaiserlicher Kriegs- commissar mit dem nöthigen Gelde ein, um die Söldner zu- frieden zu stellen und ein gutes Verhältniß mit den Bürgern möglich zu machen. Dadurch zog nun zwar die Stadt den Angriff der Ver- bündeten gegen sich selber herbei. Zersprengte Flüchtlinge, Rauchsäulen von der Holzhauser Öde her kündigten bald das Heer derselben an. Im ersten glücklichen Scharmützel sprengte Moritz bis an die Stadtthore. Zu fürchten aber war bei den guten Vorkehrungen die man in Frankfurt ge- troffen, dieser Feind, dem es an dem nöthigen Belagerungs- geschütz fehlte, mit nichten. Nicht allein seine Anfälle und Stürme wurden abgeschlagen, er erlitt auch einen großen Verlust. Der junge kriegsfreudige Georg von Meklenburg, der selber mit seinem Fausthammer an das Thor von Sach- senhausen klopfte, um zu sehen ob es inwendig gefüllt sey, und da er das nicht so fand, ein Paar Büchsen heranbrin- gen ließ um sie auf dasselbe zu richten, mußte diese Kühn- heit mit dem Tode büßen. Moritz, der die Stadt auffor- derte, bekam darauf die bittere Antwort, er möge erst fromm werden und die Judasfarbe ablegen. Timotheus Jung an den Churf. von Brandenburg. „25 und 26 haben Marggraf und Chf. zwen groß sturm vor Frankfurt ver- loren, und dermaaßen abgewiesen, das sie leichtlich nicht wiederkom- men.“ Vgl. Kirchner II, 192. Vertrag zu Passau . In diesem Augenblick trafen die Abgeordneten mit dem nach der kaiserlichen Anweisung veränderten Friedensentwurf ein. Wäre Moritz Herr von Frankfurt gewesen, wer weiß ob er den Vertrag angenommen hätte. Aber er war es nicht; auch an vielen andern Stellen hielt sich die kaiserliche Macht: wenn er den Vertrag abschlug, so hatte er Achts- erklärung und die unbedingte Herstellung seines Vetters Jo- hann Friedrich zu erwarten; In Passau hatte Johann Friedrich, nicht aus eigner Bewe- gung sondern auf Antrieb des Kaisers, bei den Versammelten anfra- gen lassen: — er erzaͤhlt es selbst in der Proposition auf dem Land- tag zu Saalfeld (Hortleder II, iii , c. 87, nr 7): „was wir uns aufm Fall, da unser Vetter Herzog Moritz geaͤchtigt wuͤrde und wir un- ser Land wider einnehmen sollten, vor Huͤlf und Zusatz bei iren Lieb- den zu versehen.“ er mußte einen neuen Krieg auf Leben und Tod bestehen. Nahm er dagegen den Ver- trag an, so ward der Landgraf befreit, was ihn einer schweren persönlichen Verpflichtung überhob; nicht unbedeu- tende andere Zugeständnisse, wenn auch nicht die letzten die er gefordert, traten in Wirksamkeit; für die Sicherheit sei- ner Erwerbungen war es von dem größten Werthe, wenn er sie zunächst auch unter einer veränderten Ordnung der der Dinge unangefochten behauptete. Seinem Bunde mit dem König von Frankreich entsprach es zwar nicht; aber er wußte sehr wohl daß er darüber mit demselben doch nicht zerfallen würde. Nach einigem Bedenken nahm er am 29sten Juli den Vertrag an; zu Rödelheim bei Frankfurt ist die Originalurkunde, welche die Abgeordneten Ferdinands mit- gebracht hatten, von Moritz, den jungen Landgrafen und Johann Albrecht untersiegelt worden. Adam Trott an den Churf. von Brandenburg, Sonntag 18* Zehntes Buch. Erstes Capitel . Höchst erwünscht war dieß zunächst dem König Ferdi- nand, der nun seine Kräfte nach dem von einem türkischen Einfall aufs neue bedrängten Ungarn wenden konnte; Mo- ritz erneuerte sein Versprechen ihm selbst zu Hülfe zu kom- men. Die vor Frankfurt versammelten Truppen der Ver- bündeten, bis auf ein einziges, das reifenbergische Regiment, das sich zu Markgraf Albrecht schlug, leisteten dem König den Eid der Treue. Ferdinand vergalt die Dienste die er dergestalt empfieng, dadurch, daß er seinen Bruder aufforderte, Johann Friedrich, der noch immer dem Hofe folgte, nicht eher förmlich zu ent- lassen, bis er das zwischen seinen Söhnen und Moritz ent- worfene Abkommen bestätigt habe. Schon war es jedoch dem Kaiser, der täglich die Kräfte seiner Gegner abnehmen und die seinen anwachsen sah, wie- der zweifelhaft geworden, ob er seinerseits den Vertrag auch nur so, wie er ihn zuletzt angenommen hatte, ratificiren solle. Einer seiner Hauptleute und Räthe sagte ihm, bis jetzt sey der Krieg von den Fürsten geführt worden, ohne Wider- 31 Juli. „Syn also uff den Abent Jacobi ankommen (24 Juli) und folgendes tages gehort und an allem was moglich und zu dem fryden, fornemlich zur Erledigung des Landgrafen dienstlich sein mogen nichts unterlassen, aber heut Sontags nach Jacobi (31 Juli) seynd mir erst teutsche Antwort zu erlangen fortrostet und hat myr der Churf. gesagt die Sachen steen dermaß das ich uf der post den Land- grafen holen solle.“ Adam Trott an die Raͤthe zu Passau 1sten Aug. — „magk Euch nicht verhalten, das die Handlung allhie Gott- lobe verrichtet, aber doch nicht one große Mhue und auch durch son- dern Vlyß des Churf. zu Sachsen, und hat sych der Landgraff mit den alten Rheten, die er itzond stattlich bei sich hat, aufs best er- zeigt.“ Das Datum in der neuen Sammlung der Reichsabschiede, gegeben zu Passau 2 Aug., ist ohne Zweifel falsch. Die alten Ab- schriften haben das richtige Datum 16 Juli. Vertrag zu Passau . stand: würden sie ihren Meister und Herrn sich gegenüber sehen, so würde ihnen das Gewissen schlagen und sie wür- den das Herz verlieren. Am 10ten August hat der Kaiser durch Andelot seinem Bruder wirklich noch einmal eine Er- öffnung in diesem Sinne machen lassen: er sehe jetzt die Möglichkeit den gehorsamen Ständen zu Hülfe zu kommen; allzu drückend seyen die Bedingungen die er eingegangen; wer könne dafür stehn, daß Moritz nicht, wenn er nach Un- garn gehn dürfe, dort einen Streich spiele wie vor Magde- burg. Ist Ferdinand je über eine Mittheilung seines Bru- ders erschrocken, so war es damals. Er beschwur ihn, ihm diesen Schimpf nicht zuzuziehen: nur auf sein Zureden, denn er habe immer am meisten auf die Herstellung des Friedens im Reiche gedrungen, seyen die Bedingungen des Vertrags zuletzt von den Fürsten genehmigt worden; von Moritz fürchte er nichts, da die Truppen ihm, dem König, geschworen; und entbehren könne er dessen und des Reiches Hülfe nun ein- mal nicht: ein Bruch würde ihm und seinen Kindern, allen seinen Ländern, in dieser Gefahr vor den Türken, zum voll- kommenen Verderben gereichen. Ferdinand an den Kaiser 20 Aug. 1552. (Anh.) Hierauf entschloß sich der Kaiser den Vertrag zu bestäti- gen. „Ganz allein“, schreibt er seinem Bruder, „die Rück- sicht auf Eure besondre Lage, Eure Königreiche und Lande haben mich dazu bewogen.“ Auch seiner Schwester meldet er, die Betrachtung, welche Bedrängniß Ungarn und die ganze Christenheit von den Türken erfahren werde, wenn Moritz nicht einige Hülfe leiste, habe ihn vermocht den Vertrag zu ratificiren. Zehntes Buch. Erstes Capitel . Unter einem so mannichfaltigen Wechsel von Berathun- gen und Antrieben ist der Passauer Vertrag zu Stande ge- kommen. Man könnte nicht sagen, daß er für die große innere Frage, in den religiösen Angelegenheiten eine definitive Be- stimmung gegeben oder auch nur in sich eingeschlossen habe. Der immerwährende Friedstand zwischen den beiden Be- kenntnissen war ausdrücklich verweigert, die alte Idee der kirchlichen Einheit, als einer Bedingung des politischen Le- bens, vorbehalten, und jede weitere Festsetzung auf den Reichs- tag verschoben worden, von dem sich doch nicht voraussehen ließ, ob er nicht durch seine Consequenz gefesselt unter ähnli- chen Einwirkungen wie früher auch wohl zu ähnlichen Be- schlüssen gebracht werden könnte. Auch wurden nicht einmal die obschwebenden Unruhen dadurch beseitigt. Markgraf Albrecht von Brandenburg wei- gerte sich ihn anzunehmen und setzte seine Züge gegen Stif- ter und Städte, wie er sie in Franken und Schwaben be- gonnen, an Rhein und Mosel fort. Auf sein Beispiel sah Graf Volradt von Mansfeld, der gegen Ende Mai in Ratze- burg eingebrochen war, die silbernen Apostel aus der Dom- kirche geholt und die Domherrn genöthigt hatte den jungen Herzog von Lauenburg zum Bischof zu postuliren: noch hielt er dort an der Elbe eine beträchtliche Mannschaft im Felde. Bei alle dem war der Passauer Vertrag doch ein un- ermeßliches Glück für Deutschland. Das nunmehr auch vom Kaiser zusammengebrachte Heer und das hessisch-sächsische hätten sonst mit einander schla- gen müssen, und die ganze Kriegswuth beider Theile hätte sich nach dem Reiche hin entladen. Entlassung Johann Friedrichs . Jetzt aber wandten die beiden Gegner ihre Kräfte nach den Grenzen hin. In dem Innern ward wenigstens so viel erreicht, daß der gedrückte, durch die Kriegserfolge von 1547 herbeigeführte Zustand aufhörte der bisher obgewaltet. Zunächst kehrten die beiden gefangenen Fürsten in ihr Land zurück. Als der Kaiser sich entschloß die dem gewesenen Chur- fürsten Johann Friedrich bewilligten Erleichterungen in eine vollständige Befreiung zu verwandeln, ihn von dem Hofe, der jetzt wieder nach Augsburg gekommen, zu entlassen, legte er ihm doch noch zwei Bedingungen vor, die eine mehr in seinem, die andre mehr in seines Bruders Sinn. Johann Friedrich sollte sich noch verpflichten, den Beschlüssen eines künftigen Conciliums oder Reichstags in der Religion Folge zu leisten und die Verträge mit seinem Vetter zu beobach- ten. Das letzte war in so fern neu und schwer, als er zu- gleich für seine Söhne gutsagen und andre Sicherheiten her- beischaffen sollte; aber er entschloß sich dazu: er erbot sich die Verträge zu unterzeichnen, sobald als es Churfürst Mo- ritz gethan haben werde. Die sogenannte Assecurationsacte. Eigner Bericht Johann Friedrichs an seine Staͤnde. Hortleder II, iii , 87, nr. 7. Was aber die erste Anmuthung betrifft, so blieb er nach wie vor unerschütterlich. Gern ver- sprach er wegen der Religion mit Niemand in Bündniß zu treten, noch die Altgläubigen thätlich zu belästigen; aber da- hin war er nicht zu bringen, daß er sich eine künftige Ver- gleichung anzuerkennen verpflichtet hätte. In aller Demuth erwiederte er dem Kaiser, er sey entschlossen, bei der Lehre die in der augsburgischen Confession enthalten, bis in seine Grube zu bleiben. Zehntes Buch. Erstes Capitel . Durch seine Haltung in der Gefangenschaft hatte Jo- hann Friedrich erst recht gezeigt, wie Ernst es ihm auch in glücklicheren Zeiten damit gewesen war, seinem Kaiser Ge- horsam zu beweisen. Es ist immer derselbe Gedanke, — bei aller einem Reichsfürsten geziemenden Hingebung, doch in Beziehung auf göttliche Dinge, wo man einer andern Welt angehört, die volle Unabhängigkeit des Gewissens zu bewahren. Früher, bei den Conflicten, in welche die strei- tigen Rechtsverhältnisse brachten, konnte diese Gesinnung nicht immer hell und zweifellos erscheinen: in der Gefan- genschaft, wo sich die Gegensätze reiner und einfacher ge- stalteten, leuchtete sie dann in vollem Glanze hervor. Und recht naturgemäß entsprang sie in ihrer doppelten Richtung aus der deutschen Geschichte. Auf das tiefste hatte die Idee des Reichs und seiner Ordnung die Gemüther durchdrun- gen; eben so lebendig waren sie jetzt von dem göttlichen Ursprung der heiligen Schrift und der unbedingten Gültig- keit einer freieren Auffassung derselben ergriffen; beides zu vereinigen hätte Große und Geringe befriedigt. Aber Carl V verstand das entweder nicht, oder wollte doch nichts davon hören; er wollte sich Gehorsam in göttlichen und menschlichen Dingen erzwingen. Damit erzog er sich eben Die, die ihm endlich den einen wie den andern versagten, und die Waf- fen der Politik und des Krieges, die sie von ihm führen ge- lernt, nun gegen ihn selber wandten. Johann Friedrich da- gegen beobachtete auch in seiner Gefangenschaft vollkommene Treue. Er wollte nicht einmal zugeben, daß jene Fürbitte der Reichsfürsten für den Landgrafen auch auf ihn erstreckt würde; es machte ihm Sorgen, daß die Stände seines Landes und Ruͤckkehr Johann Friedrichs . seine Söhne nicht ganz abgeneigt waren auf die Verbindung mit Moritz einzugehn, und er selber hat es verhindert. Es wäre zugleich grausam und unklug gewesen, einen Mann von dieser Gesinnung länger zurückzuhalten. Der Kaiser versprach: „der Religion halber gegen ihn oder die seinen insonderheit nichts vorzunehmen“ Dieß insonderheit, die gebuͤhrlichen Wege der Vergleichung schlossen noch immer das Con- cilium und eine allgemeine Reichsverpflichtung nicht aus. Am ersten September 1552, dem Tag seines Aufbruchs von Augs- burg, entließ ihn der Kaiser mit der Erklärung, er habe an seinem Verhalten während der Verstrickung ein gnädiges Ge- fallen gehabt: er hoffe auch künftig zu allen Gnaden Ver- anlassung zu haben. Der Fürst schied mit dankbaren Er- bietungen und schlug den Weg nach seinem Lande ein. Von Anfang an zeigte er sich entschlossen, keine Feindse- ligkeiten gegen Moritz vorzunehmen. „Geh hin“, sagte er einem von denen, die ihm zuerst glückwünschend entgegen- kamen, „und sage zu Hause, daß ich ohne Waffen komme und keinen Krieg mehr führen will.“ Welch ein Wiedersehen war es, als er in seinem Stamm- land bei Coburg wieder anlangte! Der erste der ihm ent- gegenkam, war sein Bruder Johann Ernst, der seinen Wahl- spruch: ich trau Gott, nun erfüllt sah. Bald erschien auch seine Gemahlin mit ihren herangewachsenen Söhnen. Die Berge und Wälder wurden besucht, um der lange entbehr- ten Jagdlust zu pflegen und die heimathliche Luft wieder einzuathmen; an den hellen Quellen im Grunde der Forsten ward das Mittagsmahl eingenommen. Vor den Städten erschienen dann weit draußen die Rathsherrn in den schwar- zen Mänteln, ihrer Amtstracht, um den angestammten Herrn Zehntes Buch. Erstes Capitel . zu bewillkommen: die Bürger mit ihren Rüstungen oder in ihren besten Kleidern bildeten ein Spalier; auf den Märk- ten warteten die Geistlichen mit der männlichen Jugend auf der einen Seite, auf der andern die eisgrauesten Bürger mit den jungen Mädchen, die in fliegenden Haaren mit dem Rautenkranz erschienen; die Knaben stimmten das Tedeum lateinisch an, die jungen Mädchen antworteten mit dem deut- schen: Herr Gott dich loben wir; der Fürst, der ihrem Ge- bet seine Rückkehr zuschrieb, zog mit entblößtem Haupte, dan- kend und gnädig, sie alle vorüber; — neben ihm sein Sohn und Meister Lucas Cranach, der aus herzlicher Liebe, die ihm auch erwiedert ward, die Entbehrungen der Gefangen- schaft freiwillig mit ihm getheilt —; wenn er dann abge- stiegen, brachte ihm wohl ein in die Hoffarbe gekleideter Knabe aufgesparte Goldstücke der Bürgerschaft in einem künstlichen Pokale dar. Johann Friedrich erschien wie ein Märtyrer und Heiliger. Als er in Weimar einzog, meinte man ein langes weißes Kreuz über ihm zu sehen. Johann Foͤrster: Custodia et liberatio des durchlauchti- gen ꝛc. Hortleder III, n, 88, nr. 55. Muͤller saͤchsische Annales a. h. a. Schultes Coburg-Saalfeldische Geschichte I, 41. Melanchthon — denn auch aus dem verlornen Lande, von Wittenberg her versäumte man nicht ihn zu begrüßen — verglich ihn mit Daniel unter den Löwen, oder jenen drei gläubigen Israeliten im feurigen Ofen; Gott, der ihm diese Seelenstärke verliehen, und ihn nunmehr freigemacht, habe dadurch gezeigt, daß er wahrhaftig Gott sey, der in diesem sterblichen Leben sich eine ewige Kirche sammle, ihr Bitten und Seufzen erhöre. Schreiben vom 14 Sept. Vgl. Dedication des vierten Theils der lutherischen Schriften vom 29 Sept. ( Corp. Ref. VII, 1072, 78.) Ruͤckkehr des Landgrafen . Um dieselbe Zeit kehrte auch der Landgraf Philipp in sein Land zurück. Erst in dem Augenblick der definitiven Annahme des Vertrags gab der Kaiser Befehl zur Befreiung des Gefangenen; bis dahin hatte derselbe von dem eigen- nützigen und übermüthigen Wächter der ihm beigegeben war, noch manche Mißhandlung auszustehn. In Tervueren nahm er dann von der Königin Maria Abschied, die sich aus sei- nen Reden überzeugte, daß er nun dem Kaiser treu bleiben werde. Als er in Cassel anlangte, begab er sich zuerst in die Martinskirche, die sich sofort mit dem herbeiströmenden Volk erfüllte, und kniete vor dem Denkmal seiner indeß ver- storbenen Gemahlin nieder; so verharrte er in Gebet und Nachdenken und Erinnerung an alle persönlichen Verwicke- lungen der Vergangenheit — bis die ersten Töne der Or- gel den ambrosianischen Lobgesang anhoben. Wie die gefangenen Fürsten, so kehrten auch an vielen Stellen die verjagten Prediger zurück. Hie und da, wie im Würtenbergischen, ward das Interim durch fürstliches Edict abgeschafft. Der Kaiser selbst ward bewogen, unter andern in Augsburg, wo er sonst an den Einrichtungen die er getrof- fen, nicht leicht etwas fallen ließ, neben dem interimistischen Dienst doch auch Prediger zu dulden die sich zur augsbur- gischen Confession hielten. Auch dem Markgrafen Johann gab er vorläufig beruhigende Versicherungen. Der religiöse Geist der Nation athmete wieder auf. Wir sehen: so unerschütterlich der Kaiser auch an den alten Hauptgrundsätzen festhielt, so konnte er doch in diesem Augenblick in ihrer Handhabung nicht mehr fortfahren. Und war es nicht weiter ein großer Gewinn, daß sich Zehntes Buch. Erstes Capitel . in den Berathungen der Reichsfürsten in Passau jene Über- zeugung, deren wir gedachten, obwohl sie dem kaiserlichen Gedanken entgegen lief, durchgesetzt hatte? Sehr gewiß, daß der Kaiser, wenn er wieder in vol- len Besitz seiner Macht kam, derselben nicht Raum geben würde: — Moritz zweifelte nicht, er werde, wenn er köune, auch alles das wieder zurücknehmen was er jetzt zugestanden; Anzeige an den franzoͤsischen Gesandten, unmittelbar vor der Annahme des Passauer Vertrags: „man wußte wol und hetts genug- sam erfahren, das der Kaiser wo er erhalten konnt damit er umb- gehe, — Gott geb er verschreib sich was er wolt, weniger denn nichts halten wuͤrde.“ — allein wie dann, wenn es ihm damit nicht gelang? Dann ließ sich wohl nichts anders erwarten, als daß die in Passau von den Vermittlern gefaßten Gesichtspuncte überwiegen und zur Geltung kommen würden. Nochmals knüpfte sich die Entscheidung über die wich- tigsten innern Verhältnisse von Deutschland an den Aus- schlag der Waffengewalt in dem wiederausgebrochenen euro- päischen Kriege an. Zweites Capitel . Französisch-osmanischer Krieg. 1552, 53. Nach den ersten drückenden Verlegenheiten hatte der Kai- ser doch wieder die Mittel gefunden eine bewaffnete Macht aufzubringen. Wie dort bei Frankfurt, so sammelten sich auch bei Ulm und bei Regensburg Reiter und Fußvölker zu seinen Fahnen; Briefe von Boͤcklin und Schwendi, welche in Boͤhmen die Ruͤstungen besorgten, im Bruͤsseler Archiv. deutsche Fürsten traten wieder in Dienst, unter andern auch Markgraf Johann, den der Fortgang der moritzischen Unternehmungen auf die andre Seite trieb. Über die Alpen kamen ein paar tausend Hakenschützen und einige Geschwader neapolitanischer Reiter. Eine glänzende Schaar spanischer Großen hatte sich durch die Bedrängnisse ihres Königs aufgefordert gefühlt demselben auch über das Meer, was nicht ohne Gefahr geschah, zu Hülfe zu eilen; der Kai- ser kehrte nach Insbruck zurück, um sie daselbst zu empfan- gen. Was aber von allem wohl das Wichtigste war, der Prinz Don Philipp, der sich wieder in Spanien befand, er- füllte das Versprechen das er vor sechs Jahren gegeben: Zehntes Buch. Zweites Capitel . er wußte eine Million Ducaten zusammenzubringen und über- schickte sie seinem Vater. Sepulveda XXVII, § 34, 35. In Kurzem sah der Kaiser wieder ein Heer um sich, wie das, was er damals gegen die Protestanten geführt; und um so erklärlicher ist es, wenn ihm der Gedanke auf- stieg, sein Glück aufs neue in Deutschland zu versuchen. Der Unterschied war nur, daß er damals Friede mit den Osmanen und den Franzosen gehabt hatte, von diesen aber jetzt mit aller Macht angegriffen war. Was hätte, wenn er den Krieg in Deutschland fortsetzen wollte, anders erfolgen sollen, als daß sich die Einen Ungarns, die Andern der Niederlande bemächtigt hätten. Schon ließ Königin Ma- ria ihren Bruder wissen, sie getraue sich nicht, die Nieder- lande den Winter über zu vertheidigen. Besser war es doch, im Reiche den Frieden eintreten zu las- sen und die Waffen gegen die auswärtigen Feinde zu richten. Die beiden Heere, welche bereit geschienen sich mit ein- ander zu messen, zogen es vor, nun von den beiden Fein- den jedes den einen auf sich zu nehmen. Der Kaiser wandte sich gegen Frankreich. Am 19ten September machte er der Stadt Straßburg seinen Besuch, der er für die gute Haltung dankte, welche sie bei dem Ein- fall der Franzosen in den Elsaß bewiesen hatte. Während er im Münster eine Andacht hielt, zog sein Heer an den Mauern der Stadt vorüber. Einige gaben ihm den Rath, wie früher, in das Innere von Frankreich vorzudringen, was den König, dessen Heer schon nicht mehr recht in Stande war, in die größte Verlegenheit Belagerung von Metz . bringen und vielleicht zu einem Frieden wie der von Crespy nöthigen könne. Der stolze Kaiser aber konnte vor allem nicht ertragen, daß eine Reichsstadt von den Franzosen bei seiner Regierung sollte in Besitz genommen seyn. Auch meinte er wohl durch die Eroberung derselben die Sicherheit der Nieder- lande zu vermehren. Der Herzog von Alba, der in diesen An- gelegenheiten das große Wort führte, versicherte, daß es trotz der vorgerückten Jahreszeit noch möglich seyn werde. Am 19ten October erschienen die kaiserlichen Truppen vor Metz. Sehr beschwerlich hätte ihm Markgraf Albrecht werden können, der sich an der Spitze von 10000 M. nach Loth- ringen geworfen hatte; ohne viel Zeitverlust aber gelang es dem Kaiser, — wir werden von den Bedingungen unter denen es geschah und den Ereignissen die sich daran knüpf- ten bald ausführlicher zu handeln haben, — den Markgra- fen auf seine Seite zu ziehen. Und so konnte er seine verstärkte Macht unzerstreut auf die Belagerung wenden, von der man fühlte daß sie noch über mehr, als über die Zukunft dieser Reichsstadt ent- scheide. Der florentinische Gesandte spricht die Überzeugung aus, wenn es dem Kaiser gelinge, so werde er auch alle an- dern Feindseligkeiten seiner Gegner überwinden und auf kein Hinderniß stoßen, wohin er sich auch wende. Nur langsam jedoch schritt die Belagerung vorwärts. „Schon liegen sie mehrere Wochen vor Metz,“ schreibt der König von Frankreich am 28sten Nov. an seinen Verbün- deten, den Sultan, „doch haben sie noch nichts Ernstliches unternommen. Sollten sie es noch thun, so haben wir darin unsern Vetter, den Herzog von Guise, mit mehr als Zehntes Buch. Zweites Capitel . 10000 Mann, die sich nicht so leicht werden überwältigen lassen; im Frühjahr sind wir entschlossen sie wieder aufzusu- chen: bis dahin werden sie durch die Jahreszeit und die häu- figen Regengüsse welche schon angefangen haben, zu Grunde ge- richtet seyn.“ — Eben in diesen Tagen aber hatte der ernstliche Angriff begonnen. Ein Theil der Laufgräben war gezogen; die Batterien waren errichtet, der Kaiser, von seiner Krank- heit wieder einmal frei geworden, hatte in einem benachbar- ten halbzerstörten Schloß Wohnung genommen; das Fuß- volk war gutes Muthes, und zeigte sich bereit zum Sturm, wenn man ihm nur eine hinreichende Lücke eröffne. Hierauf begann die große Batterie von 25 oder 26 Kanonen ihr Feuer, das sie sehr lebhaft unterhielt; am 29sten November stürzte in der That ein Theil der Mauer auf der Südseite der Stadt, zwischen zwei großen Thürmen, zwanzig Schuh breit zusammen: ein lautes Freudengeschrei erscholl und al- les lobte den Geschützmeister des Kaisers, Johann Man- rique: — allein als der Staub sich gelegt und man die Bresche genauer ansah, so zeigte sich hinter derselben eine neue, schon ein paar Fuß erhöhte Brustwehr, von Fahnen und Standarten überweht, mit Hakenschützen dicht besetzt; alles erschien in solchem Stand, daß kein Mensch zu dem Sturme Lust behielt. Man mußte fürs Erste die Laufgräben weiter fortführen. In den Berichten die an den brandenbur- gischen Hof kamen, ist von einem Versuch die Rede, die Mauern, ja den Platz auf welchem sich die Feinde in Schlacht- ordnung zu stellen pflegten, zu untergraben und in die Luft zu sprengen; allein nur des Gedankens wird Erwähnung ge- Salignac Siège de Metz. Coll. univ. de Mémoires XL, p. 86. Belagerung von Metz . than, keines Versuches. Schreiben des brandenburgischen Leuttenampts Sylschrongk an Markgraf Hans 17 Dec. 1552 (Berl. A.). In dem Tagebuch der Belagerten werden Contreminen erwaͤhnt. Überhaupt ist die Geschichte der Belagerung, die wir Tag für Tag aufgezeichnet finden, sehr einförmig. Zu Angriffen welche Hofnung auf Erfolg gege- ben hätten, kam es nicht mehr. Die naßkalte Witterung, die schon den Deutschen sehr beschwerlich fiel, wie wir von einem großen Theil der brandenburgischen Reiter, welche der Belagerung beiwohnten, die Meldung finden, daß sie er- krankt seyen, war den Italienern und Spaniern vollends verderblich. Pontus Heuterus lib. XIII, cap. XVII. Bruma enim con- tinuo gelu corpora urebat, ingensque aere demissa nix molestis- sima erat, quibus incommodis cum mox continuae supervenirent pluviae, omnia aquis tegebantur corrumpebanturque. Man behauptet, daß von den Spaniern ein Drittheil, von den Italienern die Hälfte umgekommen sey. Die Vorhersagungen Heinrichs II bewährten sich nur allzu gut: Anfang Januar 1553 mußte die Belagerung aufge- hoben werden. Die Franzosen priesen den glücklichen Vertheidiger Guise, der wirklich eben so viel Muth wie Umsicht an den Tag gelegt hat, als einen Helden: wir haben Denkmünzen, auf denen ihm dafür die Krone Jerusalem — denn von den Königen dieses Reiches leitete sein Haus sich her — zugesagt wird. Auf der kaiserlichen Seite ergoß sich alles in Tadel gegen den Herzog von Alba, der durch die Hartnäckigkeit, mit der er sich zu ungünstiger Zeit an eine so zweifelhafte Unterneh- mung gewagt, das schönste Heer ohne allen Nutzen zu Grunde gerichtet habe. Dispacci fiorentini. Einst in dem deutschen Feldzug, Ranke D. Gesch. V. 19 Zehntes Buch. Zweites Capitel . wo der Kaiser selbst das Meiste gethan und von allen Sei- ten guter Rath ertheilt worden, habe Alba leicht ein großer Mann seyn können: hier aber, wo guter Rath von Anfang an verachtet worden und der Kaiser persönlich weniger ein- gegriffen, habe er bewiesen, daß es ihm an wahrem Ta- lente gebreche. Und nun erst wurde Metz recht französisch. Gegen Ostern 1553 forderte der Bischof-Cardinal die Macht in weltlichen so wie geistlichen Dingen. Die Dreizehn antworte- ten, in geistlichen Dingen sey er allerdings ihre Obrigkeit, auch stehe ihm einige Befugniß in weltlichen zu, jedoch mit Vorbehalt der höchsten Gewalt, die Dem gehöre, welchem sie von den Ständen des römischen Reiches deutscher Nation zu- erkannt werde: sie wagten den Kaiser nicht zu nennen. Der Cardinal antwortete, er wolle nichts weiter als die alte Gerech- tigkeit seines Stiftes erneuern, und ließ die Gemeinden der verschiedenen Pfarren zusammenberufen, um ihm eine An- zahl Namen zu bezeichnen, aus denen er das Regiment der Stadt ernennen könne. Neue Zeitung aus Metz, Ostern 1553. Auf die Forderung des Bischofs antworteten die Dreizehn: „Sie gestanden ime als irem Bischof die Obrigkeit in spiritualibus, dazu das er auch etliche Ge- rechtigkeit in temporalibus habe, aber nitt das er merum et mix- tum imperium bei inen habe; sondern begeren sie das er dasselbe dem lasse, dem es zugehoͤre, und dem es die Stende des Reiches als zugehorig erkhennen (haben Keys. Mt nit nennen duͤrfen), bitten auch solchs der Zeith nit zu disputiren, ‒ ‒ aber es ist der Cardinal die- ser irer Antwurt nit zufrieden gewesen, sundern gesagt, er gedenk sich der Gelegenheit jetziger Zeit zu widereroberung seines Stifts alte Ge- rechtigkeit zu bedienen, hat darauf der Gemeine bevolen, wie man aus jeder pfarkirchen, deren 19 sein sollen, zu erwellen und jme zu benennen, uß denen er das Regiment besetzen moͤge.“ An jenen Gegensatz des Rathes Feldzug in Ungarn . und der bischöflichen Macht hatten sich einst die Regungen der Reform geknüpft; wären sie durchgedrungen, so hätten sie auch die Mittel und den Eifer des Widerstandes ver- mehrt, und alles müßte anders gegangen seyn. Der Herzog, der die Stadt gegen den Kaiser vertheidigt hat, ist derselbe, der einst die Versammlung in Gorze zerstörte; jetzt ließ er alle lutherischen Bücher auf einen Haufen bringen und ver- brennen. Die Entfremdung der Stadt vom Reich und die völlige Unterdrückung der reformatorischen Regungen giengen Hand in Hand. Wie Carl V gegen Frankreich, so hatte sich Churfürst Moritz nach Ungarn gewendet. Hier war, wie oben berührt, der Feldzug bereits im März 1552 vom Sandschak von Ofen, Ali, einem Eunu- chen, eröffnet worden. Vor Szegedin hatte er die rothe Fahne erbeutet, auf der der kaiserliche Adler mit ausgebrei- teten Flügeln erschien; dann hatte er Vesprim und mehrere Bergstädte eingenommen; den Anführer der aus den Erblan- den zu eilender Hülfe aufgebrachten Mannschaften, Erasmus Teufel, Freiherrn zu Gundersdorf, nahm er gefangen und führte ihn bei seiner Rückkehr nach Ofen förmlich in Triumph auf. Isthuanffius XVIII, p. 206. Taifalum ipsum equo insi- dentem, tympanistis et tibicinibus ac fistulis pedestribus prae- cedentibus moreque suo canentibus cum praecipuis captivis in forum conduxit. Und diesen einheimischen osmanischen Streitkräften zur Unterstützung erschien nun schon im Mai der Wesir Ahmed mit dem asiatischen Heere und den Reiterschaaren die der Beglerbeg von Rumili ihm zuführte, an der Donau. Die 19* Zehntes Buch. Zweites Capitel . vor dem Jahr abgeschlagene Belagerung von Temeswar ward wieder aufgenommen, und auf die türkische Weise un- ter ungeheuren Verlusten, deren man nicht achtete, gegen ei- nen überaus tapfern, aber dieser Macht nicht gewachsenen Feind zu Ende geführt. Die andern Schlösser des Banats folgten nach, und die türkischen Einrichtungen begannen, Hammer aus Dschennabi III, 303. die sich bis zum Jahr 1716 daselbst gehalten haben. Es war nicht größere Tapferkeit was den Osmanen ihre Vortheile verschaffte, sondern nur die Überlegenheit der Anzahl und der Vorbereitung: die Anführer die ihnen wider- stehn sollten, bemerkten es mit tiefem Gram. „Wie glücklich waren die alten Römer,“ ruft Castaldo aus, „die mit zahlreichen wohlversehenen Heeren, so und so viel Legionen und Veteranen nach den entlegenen Provinzen zogen: ich bin in dieses Land gekommen, ohne etwas an- ders sagen zu können, als: ich bin ein Befehlshaber des Kai- sers.“ Er klagt, daß alles wider ihn sey was für ihn seyn sollte, daß sein Volk seit 7 Monat keinen Pfennig Sold empfangen; er erblickt im Geist seinen Kopf schon auf so einem Wagen, wie er ihn eben mit vielen abgeschlagenen Schädeln vorbeifahren sieht. Castaldo an Ascanio Centorio: L. d. p. III, 130. Ganz so unglücklich gieng es jedoch nicht. Nachdem die festesten wohlverwahrtesten Plätze gefallen, hielt sich ein kleinerer, dem man es nicht hätte zutrauen sol- len, Erlau; eine nur geringe Anzahl Landvolk aus der Zips, das die Besatzung ausmachte, wies unter Stephan Dobo, der seinen Namen hier berühmt machte, wie Jurischiz, die Feldzug in Ungarn . Anfälle der vereinigten türkischen Heere zurück: drei große Stürme bestand es siegreich. Und indeß langte Churfürst Moritz mit 5000 M. z. F., 6000 z. Pf. bei Raab an. Es scheint als habe ihm Fer- dinand doch nicht ganz getraut und wenigstens sein Vor- rücken nicht gewünscht. Moritz klagt 15 October, daß der Koͤnig nicht im Rath finde noch zulasse daß er dem Feind entgegenziehe. Langenn I, 552. Aber schon die Nähe einer fri- schen Heeresmacht, unter einem Fürsten der als ein glück- licher Kriegsmann bekannt war, machte einen gewissen Ein- druck bei den Osmanen. Camerarius versichert: jactatas quasdam vaticinationes in turcica gente de quodam acerrimo et quasi fatali oppugnatore po- tentiae suae cujus nomen ad sonum nominis Mauriciani allude- ret, significans facie torvum atque nigrum. Oratio in Maur. VII. Nach Isthuanffy verbreitete sich die Meinung unter ihnen, Moritz werde von der einen, Castaldo von der andern Seite sie angreifen. Seine Anwesenheit, die Tapfer- keit der Besatzung und die ersten Zeichen des herannahen- den Winters wirkten zusammen, um die Osmanen zur Auf- hebung der Belagerung von Erlau zu vermögen. Die erlittenen Verluste herbeizubringen, war seine Macht überhaupt nicht fähig; dazu aber, daß den türkischen Fort- schritten Einhalt geschah und die Grenzen befestigt wurden, hat er allerdings beigetragen. War es aber nicht auch am meisten eben seine Schuld, daß diese Verluste überhaupt erlitten worden sind? Ich bin weit entfernt ihn rechtfertigen zu wollen, aber ich denke doch, dieß war bei weitem nicht so entschieden der Fall wie man meint. Eben so viel Schuld wie Moritz und im Grunde noch größere hatte der Kaiser, der von seinen conciliaren Absichten ganz erfüllt und hingenommen den aus- Zehntes Buch. Zweites Capitel . wärtigen Verhältnissen nur geringe Aufmerksamkeit widmete. Obwohl der Krieg mit den beiden Widersachern schon aus- gebrochen war, hatte er doch versäumt, die westlichen Mar- ken des Reiches in Vertheidigungsstand zu setzen, und seinen Bruder gegen einen Einfall in Ungarn zu sichern. Kriegsheere des Kaisers oder des Königs sind von den Protestanten keinen Augenblick beschäftigt worden. Fern von ihrer Einwirkung, in Italien, gerieth der Kai- ser in ähnliche Nachtheile. Die italienischen Verhältnisse haben in so weit eine ge- wisse Ähnlichkeit mit den deutschen, als der andauernde stille Druck, mit dem auch dort die kaiserliche Oberherrschaft aus- geübt ward, eben so wohl einen geheimen Widerstand erweckte, der nur den geeigneten Augenblick erwartete um loszubrechen. Wie die Farnesen Piacenza verloren, so waren die Ap- piani in Gefahr, Piombino und Elba an Herzog Cosimo abtreten zu müssen. Dagegen erwarteten dessen Feinde, die florentinischen Ausgewanderten, zu einem Theil in Venedig, zum andern in Frankreich aufgenommen, in Kurzem den Tag ihrer Rückkehr zu erleben. In Mailand entdeckte Ferdinand Gonzaga mehr als einmal verrätherische Versuche, die er dann mit scharfer, aber aufreizender Überwachung erwiederte. In Genua suchte Luigi Alamanni, der in einem großen Helden- gedicht französische Tendenzen und Namen verherrlichte, auch einmal die Anhänger Frankreichs zu vereinigen. In Neapel entzweite sich das Oberhaupt des einheimischen Herrenstandes, Fürst Ferrante von Salerno, mit dem Vicekönig: und da er glaubte, man stehe ihm nach dem Leben, so verließ er das Land: nicht ohne den Gedanken, mit Gewalt zurückzukehren. Stillstand in Italien . Und dazu kam noch, daß unter Denen, welche die ita- lienischen Geschäfte im Namen des Kaisers verwalteten, Zwiespalt ausbrach. Gonzaga in Mailand und Mendoza zu Rom standen mit dem Vicekönig von Neapel und dem Her- zog Cosimo von Florenz in ganz offener Feindschaft. Daß die ihm zugesagte Überlieferung von Piombino sich so lange verzögerte, schrieb Herzog Cosimo allein den beiden Gegnern, besonders dem Botschafter in Rom, zu. Unter diesen Umständen können wir uns so sehr nicht wundern, daß die Belagerung von Mirandula und Parma nicht zum Ziele führte. Papst Julius klagt, er habe sich bis auf die Gebeine beraubt, er habe die Ringe verpfändet die er sonst täglich an seinen Fingern getragen; der Unruhe welche der Krieg ihm machte, müde, schloß er im April 1552 einen Stillstand mit den Franzosen, in welchem diese versprachen, weder kaiserliches noch kirchliches Gebiet von diesen Plätzen aus feindlich zu behandeln. Capitoli dell’accordo. Lettere di principi III, 123. Nach einigem Bedacht nahm auch der Kaiser diesen Stillstand an. „Sehr rühmlich für mich,“ ruft Heinrich II aus, „sehr schimpflich für ihn, daß ich mitten in den Ländern des kai- serlichen Gehorsams, ferne von den meinen, zwei feste Plätze behauptet habe!“ Bei Ribier II, 392. Und nothwendig mußte das nun auf die ganze Halb- insel die größte Rückwirkung haben. Im Kirchenstaat erschienen jetzt die Farnesen, Paolo Orsino wieder; der Graf von Pitigliano, von dem Mendoza dem Kaiser gesagt daß er seiner ganz sicher sey, erklärte sich für die Franzosen. Zehntes Buch. Zweites Capitel . Vor allem gährte es in Siena. Von jeher gibellinisch und kaiserlich gesinnt, wollte doch diese Stadt sich die un- mittelbare Herrschaft nicht gefallen lassen, die der Kaiser aus- zuüben unternahm. Schon ein paar Mal hatte sie sich der- selben zu entziehen gesucht, aber den ersten Versuch hatte sie durch die Aufnahme einer Besatzung, den zweiten durch Ablieferung aller Waffen gebüßt. Dann hatte Mendoza eine Festung daselbst aufgeführt. Die Wölfin, das altrömische Abzeichen der Stadt, fand man eines Tages in Ketten ge- legt. Es läßt sich wohl nicht bezweifeln, daß der Kaiser die Absicht hatte eine feste Regierung einzuführen und die Stadt zum Sitz eines Reichsvicariats zu machen. In einem Schreiben vom 18 Nov. 1551 spricht er sehr ru- hig von der „buena occasion, que se ofrece, para justificar lo del vicariato y establecer alli un governo perpetuo.“ Aber um so ge- waltiger brauste der alte Geist republicanischer Unabhängig- keit in Reden und Entwürfen: es bedurfte nichts als der An- näherung einiger Ausgewanderten und Franzosen und des al- ten Rufes zur Freiheit, so erhob sich die ganze Bevölkerung; die Spanier, welche darauf nicht vorbereitet waren, konnten ihr Castell nicht behaupten und wurden verjagt; die Stadt nahm einen französischen Botschafter auf und rief den Kö- nig von Frankreich zu Hülfe. Cardinal Tournon versichert dem König, Siena gehöre ihm mehr an als wenn er Herr davon wäre, und biete ihm nun die beste Gelegenheit dar, zur Unternehmung von Neapel zu schreiten, oder zu jeder an- dern die ihm gefalle. Bei Ribier II, 424. Mit einiger Hülfe des Herzogs Cosimo von Florenz, der zwar von einer Festsetzung der Franzosen in Toscana, Angriff auf Neapel und Corsica . an die sich alle seine Feinde hielten, besonders die Strozzi, kein Heil erwartete, aber sie eben darum weil sie ihm so ge- fährlich waren, mit größter Vorsicht behandelte, brachte im Januar 1553 Don Garcia de Toledo ein kleines Heer zusam- men, das dann auch einige Thäler besetzte, einige Bergfesten einnahm, allein im Ganzen doch nichts Entscheidendes voll- zog, vor Montalcino gänzlich scheiterte. Und in diesem Augenblick traten noch größere Gefah- ren ein. Es liegt wohl sehr in der Natur der Sache, daß die beiden großen Gegner des Kaisers sich endlich auch zu einer gemeinschaftlichen Unternehmung gegen denselben ver- einigten. Schon im Jahr 1552 war eine Verbindung der Flotten beabsichtigt, doch erschienen die Franzosen nicht zur gehörigen Zeit. Desto pünctlicher zeigten sie sich im Jahre 1553. Schon in den griechischen Gewässern trafen die fran- zösischen Galeeren unter de la Garde mit den Osmanen zu- sammen, denen Suleiman statt jeder weiteren Anweisung den Befehl gegeben, alles zu vertilgen was sich dem König von Frankreich widersetze. Zuerst richteten sie ihre Angriffe gegen Neapel. Der Fürst von Salerno war für den Fortgang des Unternehmens vielleicht eher hinderlich, indem er seine Freunde gegen die Gewaltthaten der Osmanen in Schutz nahm. De la Garde an den Koͤnig, bei Ribier II, 443. Aber so viel ward doch immer bewirkt, daß Don Garcia zur Vertheidi- gung von Neapel abberufen und Siena dadurch für dieß Mal ernstlicherer Feindseligkeiten überhoben ward. Dann aber lenkten die Flotten ihren Lauf nach den toscanischen Gewässern. Auch hier sahen es die Osmanen auf Raub Zehntes Buch. Zweites Capitel . und Plünderung ab, die Franzosen auf Eroberung. Bei die- sem Zuge hat Dragut das fruchtbare Pianosa wüste gelegt, so daß es sich niemals wieder hat erholen können. Dage- gen machten die Franzosen einen ersten glücklichen Anfall auf Corsica Sie riefen die Widersetzlichkeit der Eingebornen ge- gen Genua auf und nahmen beinahe die ganze Insel ein. Dem Papst, der sich darüber beschwerte, antwortete der König, er könne die Genueser, von denen dem Kaiser zu Land und zur See Vorschub geleistet werde, nur als Feinde seiner Krone betrachten. Discours hardy du nonce, auquel S. M. a repondu ge- nereusement. Bei Ribier II, 477. Im Besitze der Provence, Corsicas und Porter- cole’s, und dadurch Herr des Meeres, ward er ihnen selbst in hohem Grade gefährlich. Zwar war mit alle dem noch nichts entschieden. Der Kaiser hatte noch allenthalben dem Angriff auch starke Kräfte der Vertheidigung entgegenzusetzen. Aber ein gewis- ses Schwanken kam damit doch wieder in die allgemeinen Verhältnisse, die bereits befestigt geschienen hatten. So nütz- lich es dem Kaiser geworden wäre, wenn er Metz erobert hätte, so sehr mußte nun alle dieses Mißlingen und Ver- lieren sein Ansehen schwächen, so gut in Deutschland wie anderwärts. Überdieß aber nahmen die Dinge in Deutschland durch die Verbindung, in welche der Kaiser mit Markgraf Albrecht getreten war, eine höchst eigenthümliche Gestalt an. Drittes Capitel . Der Krieg zwischen Markgraf Albrecht und Chur- fürst Moritz im Jahr 1553. Vergegenwärtigen wir uns vor allem das ein wenig verwickelte Verhältniß des Markgrafen Albrecht überhaupt. Er war nicht eigentlich ein Mitglied des im J. 1552 zwischen den deutschen Fürsten und der französischen Krone gegen den Kaiser geschlossenen Bündnisses. Er sagt, er habe den Fürsten seine Hülfe zugesagt: gleichwohl unverpflichtet. Er leugnet, daß die Regimenter die er führte, in französischen Diensten gestanden: „keinem Herrn unter der Sonne haben sie geschworen, als uns.“ Wie lebhaft er auch die allgemeinen Interessen umfaßte, so war doch sein Sinn, bei dem aufgehenden Kriegsfeuer zugleich für sich selbst zu sorgen. Von Schulden bedrängt, welche durch seine Unternehmungen im Dienste des Kaisers nur noch immer gewachsen, ohne Hofnung zu den Beloh- nungen zu gelangen, die man ihm versprochen hatte, faßte er den Gedanken sich an seinen Nachbarn, den geistlichen Fürsten, mit denen er in altem Hader lag, und der Reichs- stadt Nürnberg schadlos zu halten. Zehntes Buch. Drittes Capitel . Bei den ersten Bewegungen sprach man allgemein von einer Eroberung und neuen Austheilung der Bisthümer. Der gute Melanchthon warnte seinen Fürsten, sich nicht einer Un- ternehmung anzuschließen, die dahin ziele, die ordentliche Ho- heit und das gefaßte Reich umzuwerfen und eine allgemeine Verwirrung anzurichten. Gutachten Melanchthons bei Hortleder II, v, ii . „Und hat einer neulich zu mir gesagt, das Bier sey noch nicht im rechten Faß, aber es werde bald darein kommen.“ Moritz war viel zu bedachtsam und practisch, um auf Gedanken dieser Art ernstlich einzugehn: es war ihm genug, sich nicht durch entgegengesetzte Verpflichtungen zu fesseln. Dem Markgrafen gab er im Einverständniß mit den übri- gen Verbündeten die Zusicherung, was er von solchen Stän- den, die sich dem Unternehmen nicht zugesellen würden, durch Brandschatzung oder auf eine andre Art erlange, das solle ihm und seinem Kriegsvolk zu Gute kommen. Markgraf Albrecht sah darin eine Art von Berechtigung, und säumte nicht dieselbe unverzüglich gegen die widerwär- tigen und unvorbereiteten Nachbarn geltend zu machen. Zuerst griff er, und zwar mit erneuerter Bewilligung des Bundes, den Bischof von Bamberg an, und zwang ihn ein volles Drittheil seines Stiftes gleich in förmlichem Vertrag abzutreten. Mit Mühe konnte der Bischof seine Heimath Cronach retten. „wo er zu Hause sey und lesen gelernt.“ Hans Fuchs an Wilhelm von Grumbach, Hortleder II, vi , 28, nr. 101. Der Bischof von Würzburg mußte sich nicht minder zu einigen Abtretungen verstehn und besonders einen guten Theil der markgräflichen Schulden übernehmen. Daß Nürnberg sich durch eine Zahlung an die übrigen Für- Markgraf Albrechts Kriegszuͤge . sten sicher zu stellen suchte, konnte auf Albrecht keinen Ein- druck hervorbringen. Laut der ihm gewordenen Zusicherung forderte Albrecht, daß sich die Stadt entweder dem Unter- nehmen beigesellen oder ihm eine große Brandschatzung ge- ben solle: er nöthigte sie ihm 200000 G. zu zahlen. „Wo er hinzieht,“ sagte Moritz einst zu Zasius, „da ist es als ob ein Wetter dahergienge.“ „Ja wohl,“ ver- setzte Dieser, „Donner und Blitz und wildes Feuer könnten nicht erschrecklicher seyn.“ Es schien nicht, als ob das dem Churfürsten mißfiele: er lachte. Und sehr entschlossen war Albrecht, was er dergestalt gewonnen zu behaupten. Nur um diesen Preis wollte er sich der Passauer Pa- cification anschließen. Er forderte Bestätigung der von ihm mit den beiden Bischöfen und der Stadt aufgerichteten Ver- träge: „Das s. fstl. Gn. und dero Erben alles das gelassen werde, so s. f. Gn. in irer befolen und aufgenommen Expedition an Land und Leuten, Geld und Gut wie das namen haben mag erobert.“ „Denn wir versichert, was wir von den Staͤnden so sich J. L. Eini- gung halben widersetzen wuͤrden moͤchten uns zu Guten erlangen, erbrandschatzen oder in andre Weg bekommen, daß uns und unserm Kriegsvolk dasselbe zu Erstattung und Guten gelassen werden solle, und dieweil wir denn von den beiden Pfaffen und Nuͤrnberg ver- tragsweise beschwerlich (kaum) so viel bekommen als wir unserm Kriegsvolk zu thun schuldig gewesen, so hetten wir, da wir dieselben unsere Vertraͤge sollen fallen lassen, in die Capitulation keineswegs bewilligen koͤnnen, es were uns denn eine solche gebuͤhrliche Erstat- tung dagegen beschehen deren wir zufrieden seyn koͤnnen.“ mit den Eroberungen die er gemacht wollte er be- lehnt werden. Wir sehen hier erst, was jene von Moritz bei den Ver- handlungen vorgeschlagene Beschränkung der Ansprüche auf den damals eingetretenen Besitzstand zu bedeuten hatte. Wenn Zehntes Buch. Drittes Capitel . er diese Clausel endlich fallen ließ und den Vertrag ohne solche unterschrieb, so sah Markgraf Albrecht darin eine Treulosigkeit; er hielt sich für berechtigt seinen Krieg al- lein fortzusetzen. Nachdem er noch einmal seine Leuchtku- geln über Sachsenhausen aufsteigen lassen, stürzte er sich auf die Bisthümer am Rhein. Nur mit einer schweren Con- tribution erkaufte der Bischof von Worms die Erlaubniß auf seinen Sitz zurückzukehren. Der Erzbischof von Mainz versenkte sein schweres Geschütz, um es dem Feinde zu ent- ziehen, in den Rhein und verließ seine Hauptstadt; dafür giengen seine Palläste in Feuer auf. Da der Erzbischof von Trier die Anmuthung ablehnte dem Markgrafen die Rhein- und Moselpässe einzuräumen, vielmehr an den wichtigsten derselben seine Befestigungen in Stand setzte, so überstieg Albrecht den Hundsrück und erschien am 25sten August vor Trier. Der Rath der Stadt kam ihm entgegen und über- reichte ihm die Schlüssel seiner Stadtthore, was er nie ei- nem seiner Fürsten gethan; dafür ward bei Todesstrafe ver- boten die Bürger zu beschädigen. Dagegen wurden die Klö- ster und Stifte großentheils geplündert: man wunderte sich, daß die Leute das Blei der Dächer zurückließen. Es scheint nicht als habe ihm dieß viele Feinde gemacht. Mit der Wie- derherstellung der geistlichen Macht war auch der Haß ge- gen sie erneuert worden. Wir finden wohl, daß jetzt wie vor 30 Jahren ein päpstlicher Nuntius auch unter sonst fried- lichen Verhältnissen nicht zu Land nach den Niederlanden zu reisen, ja selbst nicht am Ufer auszusteigen wagte, etwa um einen Fürsten zu begrüßen; seiner Begleitung auf dem Schiff ward eingeschärft das tiefste Geheimniß zu beobachten. Masius an den Herzog von Cleve, 18 Juni. (Arch. zu Duͤss) Albrecht in Verbindung mit dem Kaiser . An der Spitze von 10000 Mann und von einem Theile der Bevölkerung unterstützt, nahm der Markgraf eine sehr bedeutende Stellung ein. Mußte der Kaiser, der jetzt auch des Weges daher zog, um zur Belagerung von Metz zu schreiten, nicht vor al- len Dingen den Versuch machen sich des Widerstandes zu entledigen, den ihm ein deutsches Heer unter der Anführung eines deutschen Reichsfürsten zu leisten drohte? Es kam ihm zu Statten, daß Albrecht, der sich zu füh- len anfieng, sich nicht lange mit den Franzosen verstand. Albrecht versichert, man habe ihm früher versprochen, ihn zum Generalobersten aller Landsknechthaufen zu ma- chen, und ihm außer einer stattlichen Unterhaltung für die nächsten zwei Monat 200000 Kronen zu zahlen, und habe ihm dann von alle dem nichts gehalten. Auch Schaͤrtlin versichert, der Koͤnig habe „uͤbel gehalten, was ihme Marggrafen vom Bischof zu Bajonne und mir zugesagt war.“ ( p. 220.) Albrecht meint, es sey kein ungeschicktes Vorha- ben, mit 100000 Kr. die Niederlande zu erobern. Aus dem Brief- wechsel in den er mit dem Connetable trat, leuchtet der in- nere Widerspruch hervor, der darin liegt, daß Albrecht in Diensten von Frankreich stehn und doch die Würde eines Reichsfürsten behaupten wollte. Den Antrag den man ihm zuletzt machte, daß er mit 100000 Kronen zufrieden seyn und dafür mit seinem Haufen auf vorgeschriebenem Weg nach den Niederlanden vorrücken und diese angreifen solle, fand er unannehmbar, und wies ihn zurück. Dagegen bot ihm nun der Kaiser nicht allein Dienste an, bei denen er als Fürst bestehn, Ehre und Geld erwer- ben konnte, sondern Carl V hatte ihm einen Preis zu bieten, dem von französischer Seite nichts an die Seite gestellt wer- Zehntes Buch. Drittes Capitel . den konnte: die Anerkennung und Bestätigung jener mit den Bischöfen geschlossenen Verträge. Schon öfter haben wir gesehen, wozu der Kaiser, wenn- gleich nicht ohne tieferen Vorbehalt, doch für den Augen- blick, in dringenden Umständen zu bringen war; was er al- les einst den Protestanten bewilligte, um sie von Cleve zu trennen; wie er, im Begriff zur Erhaltung der hierarchischen Ordnungen das Schwert zu ergreifen, dennoch dem Churfür- sten Moritz den Schutz über ein paar große Reichsstifter anvertraute: von allem aber was er gethan hat, wohl das Stärkste, ist das Zugeständniß das er jetzt dem Markgra- fen machte. Die Verträge waren eben Denen abgezwungen welche man für seine Anhänger hielt, und allein auf den Grund, daß sie sich seinen Feinden nicht zugesellen wollten; er hatte sie selbst für ungültig erklärt, und sie waren bereits von den frühern Verbündeten des Markgrafen aufgegeben worden: jetzt bestätigte er sie, und setzte fest, daß sie „voll- kommen, ganz und gar, ohne alle Ein- und Widerrede zu vollziehen seyen.“ „Woͤllen, — was sich die bischof und derselben Capittel ge- gen s. Lieb sampt und sonders verbrieft und verschrieben, das die- selbe verschreibung und Contract vollkommen ganz und gar ohne alle Ein und Widerrede gehalten und vollzogen werden sollen.“ — Metzi- scher Hauptvertrag 10 Nov. 1552 (der erste v. 24 October). Hort- leder II, vi, ii , nr. 45. Dem Markgrafen glückte es noch einen französischen Prinzen, Herzog von Aumale, der ihn feindselig beobach- tete und ihm seine Hauptleute abtrünnig zu machen suchte, mit seiner Reiterei zur günstigen Stunde zu überraschen und sogar zum Gefangenen zu machen. Dann im Glanze ei- nes neuen Sieges stellte er sich dem Kaiser dar, der ihn Markgraf Albrecht im Bunde mit dem Kaiser . mit Freuden empfieng und ihm selber die rothe Feldbinde darreichte. Man wollte bemerken, daß der Markgraf den Kaiser dabei fest ins Auge gefaßt habe, ob er auch der neuen Freundschaft und Zusage trauen könne. Was der Kaiser zunächst beabsichtigte, erreichte er hier- mit allerdings. Er konnte nun seine Belagerung fortsetzen, ohne Gefahr darin gestört zu werden. Sie mißlang, wie wir wissen, hauptsächlich durch die Ungunst der Jahreszeit. Albrecht erwarb sich das Verdienst den Rückzug zu decken. Mit jenem Zugeständniß hatte nun aber Carl den Grund zu einer Bewegung gelegt, die sehr weitaussehend werden mußte. Er hat immer gesagt, sein vornehmstes Motiv sey die Besorgniß gewesen, daß Markgraf Albrecht und Graf Vol- radt, mit Heinrich II verbündet und beide an der Spitze zahlreicher Truppenschaaren, Deutschland noch weiter in Un- ruhe setzen und das Verderben aller geistlichen Staaten her- beiführen würden. Si comme il avoist determiné il se fust servy de la correspondance des gens de guerre que le comte Volradt de Mansfeld tenoit assemblées, pour prenant son chemin par la Fer- rette venir ruer sur les évêques. Und wer möchte nicht an die Wahr- haftigkeit dieses Beweggrundes glauben? Er befand sich in der unbezweifelten Nothwendigkeit, die mächtigen Kriegshäup- ter von den Franzosen zu trennen. Damals hat man all- gemein geglaubt, Carl habe in dem kriegsbereiten Markgra- fen einen Bundesgenossen zur Ausführung seiner alten Ab- sichten zu gewinnen gedacht: König Maximilian hat dem venezianischen Gesandten gesagt, Markgraf Albrecht sey ge- Ranke D. Gesch. V. 20 Zehntes Buch. Drittes Capitel . gen ihn und seinen Vater aufgestellt worden, um sie zu nö- thigen sich in die Arme des Kaisers zu werfen. Relatione di Suriano 1554. Mi disse il re di Bohemia piu volte, che questo (das Verfahren mit Markgr. Albrecht) faceva credere che l’imp re avesse acaro, di veder suo fratello et lui suo genero constituiti in necessità di gettarsegli in braccio. Albrecht leugnet zwar, daß ihn der Kaiser in Dienst genommen um den roͤ- mischen Koͤnig „J. M. Hoheit zu entsetzen,“ und den Sohn des Kai- sers „zu einem Roͤmischen Kaiser wider des h. Reichs Freiheit mit gewalt uͤbertringen helfen“ (Bucholtz VIII, 111): die Worte aber sind so gewaͤhlt, daß dabei doch Vieles wahr seyn konnte. Gegen Ferdinand und auf Gewalt war die Absicht des Kaisers gar nicht gerichtet. Das ist eine nicht zu bezweifelnde Thatsache, daß der Kai- ser seine Successionsentwürfe nach wie vor im Auge behielt. Neujahr 1553 ließ er dieselben bei dem Churfürsten von Brandenburg durch dessen Bruder Markgraf Hans noch einmal ausführlich in Anregung bringen. In der Instruction hiezu werden die früher vorgekommenen Gründe wiederholt, besonders der vornehmste, daß dem römischen König nach des Kaisers Abgang zur Aufrechterhaltung des Reiches die Hülfe des spanischen Prinzen nicht allein förderlich, sondern unentbehrlich sey, dieser aber sich nicht dazu werde verpflich- ten wollen, wenn er nicht die Versicherung erhalte, zu seiner Zeit selbst zur römischen Krone zu gelangen. Der Antrag bezog sich dieß Mal nicht, wie früher, zugleich auf König Ma- ximilian: er gieng nur darauf, daß die Churfürsten sich ver- schreiben sollen, sobald der römische König zum Kaiser ge- krönt sey, den Prinzen ohne Verzug zum römischen König zu wählen; man möge ihm, dem Kaiser, in seinen alten Tagen diese Freude gönnen; der Prinz sey ein Erzherzog und Fürst des Reiches; wie er dazu erzogen worden der Bürde der Erneuerung des Successionsentwurfs . Regierung gewachsen zu seyn, so habe er von seiner Fähig- keit schon jetzt in Spanien gute Proben gegeben; er werde bald wieder ins Reich kommen und so viel möglich seine Residenz daselbst nehmen, deutsche Fürsten und andre ge- borne Deutsche an seinen Hof ziehen, das Reich nur durch Deutsche verwalten lassen und gewiß auch die deutsche Sprache begreifen: jede billige Versicherung werde er ausstellen. Instruction fuͤr Markgraf Hans in dem Berliner Archiv; der Hauptsache nach eine Uͤberarbeitung der alten Instruction von 1550. Wahrscheinlich hängt es hiemit zusammen, daß der Kai- ser auch schon selbst daran dachte, den Deutschen etwas mehr Genugthuung zu geben und einen Reichshofrath aus deut- schen Mitgliedern aufzurichten. Zum Präsidenten desselben bestimmte er den Cardinal von Trient, wogegen der römische König meinte, der Churfürst von Mainz würde den Deut- schen lieber seyn. Zu Beisitzern dachte der Kaiser die Gra- fen von Fürstenberg, Eberstein, Solms, die Freiherrn Wol- kenstein und Truchseß, den Doctor Gienger und einige An- dere zu berufen. Auch die religiösen Antipathien schonte er jetzt. Wenn er z. B. in der frühern Instruction seine Bekämpfung Der- jenigen erwähnt, die unter dem „anmuthigen Schein der Religion“ das Reich unter sich zu theilen gedacht, so er- wähnte er jetzt nur das letzte, die vorgehabte Theilung: den Schein der Religion ließ er weg. Und nicht nur den Churfürsten ließ der Kaiser seine Anträge wiederholen. Auch dem Herzog Christoph von Wür- tenberg, der am französischen Hofe gut deutsch geworden und die Einmischung der Franzosen in die deutschen Angelegen- 20* Zehntes Buch. Drittes Capitel . heiten fast am lautesten verdammte, eröffnete er durch seinen Marschall Böcklin am 26sten Januar 1553, er wisse Nie- mand, der dem Reiche, damit es nicht ganz zerrissen werde, „fürständiger seyn möchte“, als seinen Sohn. Pfister Herzog Christoph p. 213. Allein der Kaiser irrte, wenn er nach alle dem was man erlebt hatte und befürchten müssen, das Vertrauen der Fürsten wieder erwerben und ihnen ein Vorhaben, das ihre Besorgnisse eben am meisten erweckt hatte, annehmlich ma- chen zu können glaubte. Seine Eröffnungen bewirkten das Gegentheil von dem was er wünschte. Schon am 5ten Fe- bruar 1553 kamen Friedrich von der Pfalz, Albrecht von Baiern, Wilhelm von Jülich, von denen ich nicht weiß, ob ihnen ähnliche Mittheilungen gemacht worden, mit Herzog Christoph zu Wimpfen zusammen, Stumpf Diplomatische Geschichte des Heidelberger Fuͤrsten- vereines. Zeitschrift fuͤr Baiern 1817 V, p. 139. um sich förmlich zu ver- abreden, wie dem Eindringen des spanischen Prinzen wider- standen und auch dem Bischof von Arras die Verwaltung der Reichsangelegenheiten, die er noch immer besorgte, ent- rissen werden könne. Es waren, wie wir sehen, abermals Fürsten beider Bekenntnisse. Auch davon handelten sie, auf welche Weise man dem Zwiespalt über die Religion abhel- fen könne, ob nicht doch wirklich durch ein Nationalconci- lium, auch wider den Willen des Papstes. Sie bestärkten sich aufs neue in den Gesichtspuncten die bei den Passauer Verhandlungen vorgewaltet. Es leuchtet ein, wie viel ihnen dann daran liegen mußte die Streitigkeiten zu verhüten, die bei der Rückkehr des Mark- grafen, der nun seine von der höchsten Reichsgewalt bestä- Versammlung in Heidelberg Maͤrz 1553. tigten Forderungen noch viel trotziger geltend machte als frü- her, in Franken auszubrechen drohten. Von dem Kaiser selbst dazu aufgefordert, nahmen die Fürsten diese Sache im Februar in Wimpfen, im März zu Heidelberg in langen Tagsatzungen in die Hand. Sie waren in so weit auf der Seite des Markgrafen, als sie die Bischöfe zu bewegen suchten, die stipulirte Ces- sion, wenn auch nicht durchaus, doch in der Hauptsache zu genehmigen. Wäre es nur auf Würzburg angekommen, so würde man auch wohl dahin gelangt seyn. Das Capitel war nicht abgeneigt sich zu fügen; die Unterthanen fürchteten nichts mehr als die Erneuerung des Krieges; der Bischof selbst besorgte die kaiserliche Ungnade. Dagegen war der Bischof von Bamberg, Wigand von Redwitz, der die ihm entrissenen Ämter indeß wieder einge- nommen, nicht herbeizubringen. Die Nachgiebigkeit von Würz- burg machte auf ihn keinen Eindruck, da es bei diesem mehr auf Geld ankomme, bei ihm aber handle es sich um Land und Leute, und alle fürstliche Regalien; — er wolle lieber todt seyn, als diesen entsagen. Actenstuͤcke bei Hortleder II, vi , 27, nr. 76, nr. 80. Vergebens schlug man dem Markgrafen ein rechtliches Verfahren vor. Er bestand darauf daß seine Gegner auf jeden rechtlichen Behelf Verzicht geleistet. Höchstens zu einer Geldentschädigung wollte sich der Bischof verstehn. Aber dem Markgrafen kam es schimpflich vor, eine Landschaft, die ihm erst von seinen Verbündeten und dann von dem Kaiser versichert worden, gegen eine Geld- zahlung aufzugeben. Zehntes Buch. Drittes Capitel . Nur den Vorschlag ließ er sich gefallen, daß Bamberg das Recht der Wiederablösung haben, aber fürs Erste die Ämter ihm wieder überliefern solle. Da der Bischof von Bamberg diesen Vorschlag, wie sich denken läßt, zurückwies, so konnte auch Würzburg, durch alte Erbverträge beider Stif- ter gefesselt, seine Zugeständnisse nicht vollziehen. Der sogenannte Heidelberger Bund 29 Maͤrz 1553. Und nun meinte wohl der Markgraf, die vermittelnden Fürsten würden auf seine Seite treten. Sie waren aber weit entfernt, die Sache der Gewalt, die doch nur dem Kai- ser zum Vortheil ausschlagen konnte, zu der ihren zu ma- chen. Auch zu Heidelberg unterhandelten sie zugleich über die allgemeinen Angelegenheiten, die Succession im Reiche, die Entfernung des spanischen Einflusses. Und da nicht ab- zusehen war, wohin ein Wiederausbruch der Unruhen füh- ren könne, so vereinigten sie sich wenigstens unter einander und mit den Churfürsten von Mainz und von Trier, ihre Neutralität gegen Jeden der sie angreifen werde, Niemand ausgenommen, gemeinschaftlich zu vertheidigen. Nicht ohne Zeichen des Unwillens gieng Markgraf Al- brecht von dannen: er war entschlossen sich selbst zu helfen. Im Monat April 1553 finden wir ihn bereits mitten in der wildesten Fehde. Indem er würzburgisches Volk, das dem Bischof von Bamberg zuzog, bei Pommersfelden auseinandersprengte, ward er Herr im Stifte Bamberg; am 16ten April fiel die Haupt- stadt, gleich darauf auch die Altenburg in seine Hand; von dem ganzen Stifte hielt sich nichts als Forchheim. Bischoͤfliches Ausschreiben bei Hortleder II, vi , 22. 1221. Fehde in Franken . Hierauf wandte er sich gegen Nürnberg, das sich mit den beiden Nachbarn, deren Unglück es getheilt, auch zum Widerstand vereinigte: einige hundert schlesische Reiter, die auf weitem Umweg durch Böhmen und das Eichstädtische der Stadt zu Hülfe heranzogen, jagte er erst aus einander und nahm sie dann großentheils in seine Dienste; darauf fand er auch hier keinen Widerstand: Laufen und Altdorf wurden gebrandschatzt und nachher doch noch in Brand ge- steckt; fast alle Schlösser, kleinen Städte, Dörfer und Klö- ster des würzburgischen wie des nürnbergischen Gebietes ge- riethen im Laufe des Mai in seine Hand. Auch Schwein- furt, obgleich eine Reichsstadt, trug er kein Bedenken zu be- setzen, als er fürchten mußte, daß es vielleicht sonst in die Hände neuer von Niedersachsen her drohender Gegner ge- rathen würde. Wenn die oberdeutschen Fürsten sich neutral hielten, so gab es doch einige andre im Reich, die nicht gemeint waren ihn so ohne Widerstand um sich greifen zu lassen. Der vornehmste war sein alter Kriegscamerad und Bun- desgenosse Moritz. In seinem Herzen überzeugt, daß der Kaiser ihm nie ver- geben, vielmehr die erste Gelegenheit ergreifen werde um ihn anzufallen und zu verderben, sah Moritz in der Verbindung desselben mit dem Markgrafen vom ersten Augenblick an Gefahr für sich selber. Ohnehin grollte Albrecht wegen des Passauer Vertrags, der mit jener ihm ursprünglich gegebe- nen Zusage in Widerspruch stand, und machte seinem Un- willen nicht selten in drohenden Reden Luft, die dann von dienstbeflissenen Leuten dem Churfürsten hinterbracht wurden, Zehntes Buch. Drittes Capitel . so daß sich dieser ein ganzes Verzeichniß davon anlegte. Langenn I, 557. Nicht, als hätte er jedem dieser Worte geglaubt, aber er fragte doch darüber einmal an, und gutes Blut machten sie nicht. Immer seinen Blick auf die kommenden Dinge ge- richtet, meinte er in demselben Grade bedroht zu seyn, in welchem der Markgraf mehr emporkam. Er entschloß sich, ihm bei Zeiten zu begegnen. Moritz war kein Mann dem es Scrupel gemacht hätte, eben die in Schutz zu nehmen, die einst im Einverständniß mit ihm angegriffen worden; er bot dem König Ferdinand, der mit dem Markgrafen bereits in offenen Hader gerieth, einen Bund an, in welchen die fränkischen Bischöfe einge- schlossen seyn sollten. Und noch an einer andern Stelle, in Niedersachsen fanden sich Verbündete für diese Combination. Auch über die Irrungen der braunschweigischen Edel- leute mit Herzog Heinrich dem Jüngern hatte man in Pas- sau Bestimmung getroffen, und zwar mehr zu Gunsten der ersten; eben darum aber hatte sie der Herzog nicht anerkannt: Zusammenkünfte die man darüber hielt, hatten sich ohne Frucht zerschlagen, endlich war die Fehde wieder ausgebro- chen, in der Graf Volradt sich der Edelleute annahm und den Herzog gewaltig bedrängte. Von den Verwandten des- selben in Calenberg und Lüneburg nicht gehindert, von der Stadt Braunschweig unterstützt, brachte er in Kurzem den größten Theil der festen Häuser Heinrichs, so wie die viel- bestrittenen Klöster Riddagshausen und Steterburg in seine Gewalt. Nur vergebens wendete sich der Herzog an den Verbindung gegen Albrecht . Kaiser, der damals vollauf beschäftigt war, und aus Rück- sicht auf Markgraf Albrecht sich mit dem niedersächsischen Kriegsvolk, das von diesem abzuhängen schien, nicht ent- zweien wollte. Eben dieß zweifelhafte Bezeigen des Kaisers aber verschaffte nun dem Herzog einen andern Freund an Churfürst Moritz. Geübt in Unterhandlungen dieser Art wußte Moritz den Grafen Volradt auf seine Seite zu ziehen: das Kriegsvolk desselben blieb, wie jenes magdeburgische, eine Zeit- lang ohne benannten Herrn; endlich als es sich auflöste, gieng es größtentheils in die Hände Heinrichs über. Hiedurch be- kam dieser aufs neue das Übergewicht, nahm seine Plätze wieder und griff nun seinerseits alle seine Gegner an, die Edelleute, die Städte und seinen Vetter von Calenberg. Leicht verständigten sich hierauf Moritz und Heinrich auch über die fränkischen Angelegenheiten. Schon im März hat Herzog Heinrich den Bischöfen seine Hülfe gegen einen Beitrag zu den Kriegskosten angeboten; Schreiben Heinrichs an Wrisberg, mit dem er damals wie- der gut stand, 12 Maͤrz. Losius Ehrengedaͤchtniß Beil. nr. 41. ohne Zweifel war dieß ein Grund, weshalb der Bischof von Bamberg sich je- der Concession so entschieden widersetzte. Auch Moritz, der den Markgrafen mit einem beißigen Hunde verglich, gegen den sich Jedermann wehren müsse, versprach ihnen einige Reitergeschwader und 10 Fähnlein Fußvolk zuzuführen. Man sprach damals viel von einem neuen Bunde zum Schutze des Landfriedens, über den im Mai auf einer Zu- sammenkunft zu Eger ein ausführlicher Entwurf verfaßt wor- den ist. Er war wohl hauptsächlich darauf berechnet, unter diesem allgemeinen Titel noch andre Kräfte gegen den Mark- Zehntes Buch. Drittes Capitel . grafen zu gewinnen. Der Kaiser wunderte sich, daß man die Bischöfe von Würzburg und Bamberg, die er einem ober- deutschen Verein vorzubehalten wünschte, in diesen mehr nie- derdeutschen Bund aufnehmen wolle, dagegen Johann Fried- drich von Sachsen, der dahin gehöre, davon ausschließe. An- dre machten andre Einwendungen. Nach Bucholtz VII, 124 waͤre der Bund doch zu Stande gekom- men: Sonnabend nach Cantate. Im Archiv zu Berlin findet sich aber ein mit allen Siegeln versehener Abschied, worin es heißt: „Dieweil etz- liche von uns, den Gesandten, mit vollkommenem Befelch nicht versehen gewest und etzliche vorstehender unsicherheit halber sich auf die punct, so in handelung unvorsehenlich vorgefallen, bei iren herrn und obern notturftiges beschaits nit haben erholen moͤgen, als hatt der schluß dieser handellung unumbgehenlich auff ein andere Zusammenkunft mus- sen verschoben werden.“ Ein ausfuͤhrlicher Entwurf ward auch dem Kaiser mitgetheilt. Die naͤchste Zusammenkunft sollte 24 Juli seyn. Eigentlich waren nur der König, der Churfürst, die beiden Bischöfe, Herzog Heinrich und etwa der Graf von Plauen einzutreten bereit, alles Geg- ner des Markgrafen, diese aber waren auch ohne Bund ein- verstanden, und schon allein mächtig genug. Ohne Zweifel hatte der Markgraf zu fürchten, in Fran- ken in Kurzem von allen Seiten, von Böhmen und Meißen, von dem anrückenden Kriegsvolk Heinrichs und neuen Streit- kräften der Stadt Nürnberg angegriffen zu werden. Er faßte den seiner Natur sehr entsprechenden Entschluß, dieß nicht zu erwarten, sondern vielmehr dem vornehmsten Feinde, der jetzt allein gerüstet war, dem Herzog von Braunschweig, sel- ber zu Leibe zu gehn und sich nach Niedersachsen zu werfen. Was ihn dazu vermochte, war die sichere Aussicht, dort Verbündete zu finden. Die Mutter Erichs von Calenberg, geborne Markgräfin von Brandenburg, damals in zweiter Markgraf Albrecht von Brandenburg . Ehe mit dem Grafen Poppo von Henneberg vermählt und in Schleusingen wohnhaft, selber von Herzog Heinrich in ihrem Witthum beeinträchtigt, vermittelte ein gutes Verneh- men zwischen Albrecht und ihrem Sohn. Sich wohl vorsehend, das Gebiet des mächtigen Mo- ritz nicht zu berühren, nahm Albrecht seinen Weg am Ge- birg über Arnstadt, Mansfeld, Halberstadt; bei Braunschweig stießen 1000 Reiter Erichs zu ihm; in Hannover hatte er mit diesem selbst die erste Zusammenkunft. Sie verständig- ten sich vollkommen. Mit vereinten Kräften und mit Hülfe der Städte brachten sie ein Heer zusammen, mit dem sie un- verzüglich, an Statt Herzog Heinrichs, Herrn im Felde wur- den und Jedermann in Schrecken setzten. Die nöthigen Geldmittel wußten sie sich auf ihre Weise zu verschaffen. Das Capitel von Halberstadt hatte dem Markgrafen bei sei- nem Durchzug eine ansehnliche Summe zahlen müssen; in Minden erbeutete er 50000 Thaler Brandschatzungsgelder, welche für Herzog Heinrich aufgebracht waren. Auch politisch und religiös nahm der stürmische Kriegs- mann da noch einmal eine sehr merkwürdige Stellung ein. Während früher die Charactere nahmhafter Deutschen sich eigentlich nur durch das Maaß von Thatkraft und Ener- gie, oder von Treue und Hingebung, das ihnen beiwohnte, unterschieden, wurden sie in unserer Epoche dadurch gebil- det, daß ein Jeder in religiöser Hinsicht eine Partei zu er- greifen, sich selbst zu bestimmen hatte. Ganz andre Elemente der Überzeugung, geschärft durch die Gegensätze auf die sie stießen, drangen dadurch in das persönliche Leben ein. Und dazu kam dann für die Evangelisch-gläubigen, da der Kai- Zehntes Buch. Drittes Capitel . ser ihren Tendenzen zuweilen versteckt, zuweilen ganz offen Widerstand leistete, jener Zwiespalt zwischen weltlichem Ge- horsam und religiöser Überzeugung, dessen wir oben gedach- ten, in welchem die Geister, aufs neue zu eigener Entschei- dung und Wahl aufgerufen, entwickelt oder zersetzt oder we- nigstens geprüft wurden. Von Albrecht sollte es zwar scheinen, als habe ihn die Religion nur wenig gekümmert. Wir finden ihn früh in der Gesellschaft martialischer Kriegshauptleute, welche die ihnen entgegenwachsende kräftige Natur des jungen Fürsten an sich zogen. Wie hätte auch ein Nachkomme des Albrecht Achilles, von dessen weidlichen Thaten man seine jugend- liche Aufmerksamkeit oft unterhalten haben wird, der Sohn des tapfern Markgrafen Casimir, sich entschließen können, an der kleinen Hofhaltung zu Neustadt an der Aisch spar- same Wirthschaft zu führen und die Schulden seiner Väter abzutragen. Sobald sein Alter es zuließ, finden wir ihn bei den Kriegszügen des Kaisers. Er ficht so gut gegen die protestantischen Fürsten, wie gegen die Franzosen. In ei- ner Eingabe an den Kaiser soll er sich wieder als gut ka- tholisch bezeichnet haben. Wer aber glauben wollte daß er sich hiebei beruhigt hätte, würde die Kraft verkennen, mit welcher die evangeli- sche Lehre in diesen Zeiten die Gemüther ergriff. Die Unter- weisung eines guten Lehrers, Arnoldus, Vita Mauritii, bei Mencken II, 1252: a tene- ris annis literarum studiis informatus ‒ ‒ Leuthinger p. 106: in literis, artibus et evangelii doctrina. Opsopaͤus, ein guter Philolog, war sein erster Lehrer. die er in erster Jugend ge- noß, hatte ihren Samen tief in seine Seele gesenkt. Markgraf Albrecht von Brandenburg . Sichtbare Wirkung brachte es zwar auf den Fürsten nicht hervor, daß ihn der Hofprediger Körber bei dem Beginn des schmalkaldischen Krieges vor allem Antheil daran warnte, denn derselbe werde wider die evangelische Lehre gemeint seyn, aber ohne Eindruck blieb es nicht: „wider mein Gewissen“, sagt er, „zog ich fort.“ Als er gegen Magdeburg aufbrach, stellte ihm der Prediger Wolfgang Rupertus vor, daß ein Krieg dieser Art nicht ohne Nachtheil des Leibes und der Seele geführt werden könne. Es ist eine wunderliche Mi- schung von Hohn und Glauben, wenn Albrecht ihm entgeg- nete: „Fahren wir zum Teufel, Pfaff, so sollst du mit uns fahren“, und den Mann, der ihm ins Gewissen redete, wirk- lich als Feldprediger bei sich behielt. Einem andern, der ihn an die jenseitigen Strafen erinnerte, soll er gesagt haben, er werde seine Seele auf die Zäune setzen die Himmel und Hölle scheiden, wer dann von beiden der stärkere sey, der möge sie zu sich herüberziehen, Gott oder der Satan. Das sehen wir wohl: über die großen Fragen war er nicht zur Klarheit gekommen: übrigens aber zeigte er Geist und Thatkraft. Man bemerkte daß er lieber höre als rede; sprach er aber, so that er dieß mit einer natürlichen Beredtsamkeit, die durch den vollen Ausdruck der Wahrhaftigkeit unterstützt wurde: Mienen, Gebehrden und Worte, sagt ein Zeitgenosse, schie- nen nichts auszusprechen, als wovon sein Herz voll war. Roger Asham der ihn am kaiserlichen Hofe sah. Seine Truppen, mit denen er alles theilte, Hitze und Kälte, Hunger und Durst, hiengen ihm dafür mit Hinge- bung an. Er sagte ihnen wohl: Keiner solle Mangel bei Zehntes Buch. Drittes Capitel . ihm leiden, so lange er noch ein Laib Brot im Zelte habe, auch nicht der Geringste, aber eben so wenig Einer ein Haar breit von seinen Befehlen abweichen, auch nicht der Oberste. Über alles gieng ihm die kriegsmännische Ehre. Die Hin- richtung Vogelsbergers konnte er dem Kaiser der sie be- fohlen, und dem Lazarus Schwendi der dazu geholfen, nie- mals vergeben. In Trier ist er in gutem Andenken geblieben; mit Ver- gnügen berichtet der gleichzeitige Chronist, wie er eines Ta- ges die Rathsherrn der Stadt, als er sie in Geschäften suchte, während sie beim Würfelspiel saßen, von der Straße her mit einem Schuß aus seiner Handbüchse, der durch das Fen- ster nach der Decke der Stube gieng, an ihre Amtspflichten erinnerte. Auch noch eine andre Erzählung darf ich wohl aus dieser Chronik wiederholen, von einem Klostervorsteher, der bei der allgemeinen Verfolgung der Geistlichen doch Gnade bei ihm fand. Es war der Prior des Martinsklosters; er gieng dem Eintretenden mit einem Becher des besten Weins entgegen. Der Markgraf kostete den Wein, ließ vier Ohm davon auf seinen Wagen laden und drückte dann sein Sie- gel an die Klosterpforte, zum Zeichen, daß Niemand dieses Kloster antasten dürfe. Gesta Trevirorum ed. Wyttenbach III, 14. Wir berührten oben, wie er auch dann wenn er Dienste genommen, sich doch immer als Reichsfürst fühlte. Der Kai- ser hat ihm einmal, um ihn in einem Moment der Unzu- friedenheit zu begütigen, eine Stelle an seinem Hofhalt an- bieten lassen. Er fragte: wie ihn denn der Kaiser zu etwas mehr machen wolle, als was er schon sey, nemlich Mark- graf von Brandenburg. Markgraf Albrecht von Brandenburg . Überhaupt standen seine Gedanken ihm hoch. Er hat einst der Thronerbin von England seine Hand angeboten. Er ist es doch gewiß, auf welchen sich die Nachricht bei Strype ( Eccl. Mem. II, 374) bezieht. Er soll sich einst gerühmt haben, er werde noch König von Böhmen werden. Er dachte an die Nachwelt, und ich möchte es ihm so übel nicht nehmen, wenn ihn ungünstige Dar- stellungen seiner Thaten, wie bei Avila oder auch bei Slei- dan, verstimmten. Der Widerstreit von Armuth und Kriegslust, Dienstver- hältniß und Stolz, Recht und Gewalt, worin er lebte, und die Übertäubung jener innern Stimme die er doch immer hörte, gaben seinem ganzen Wesen einen Beigeschmack von Wild- heit, der sich denn fortan an seinen Namen geknüpft hat. Furchtbar anzusehen ritt er an der Spitze seines Hau- fens daher: im Panzerhemd, eine Büchse und ein paar Faust- kolben an seiner Seite; Sommersprossen und ein rother Bart bedeckten sein männliches Angesicht; weithin wallte sein blon- des Haupthaar; er nahm wohl selbst eine Fackel zur Hand, um das nächste Dorf seiner Feinde anzuzünden. Das war nun einmal noch der barbarische Gebrauch dieser Zeiten. Merkwürdig: bei alle dem hieng das gemeine Volk ihm an. Er war ein Character, dem man seine Fehler nachsieht, weil man sie von keiner Bosheit herleitet. In dem Hasse gegen die geistlichen Machthaber traf er mit den populären Leidenschaften zusammen. Er wußte das sehr wohl und trotzte darauf. Jetzt war er wieder vollkommen Protestant. Seine An- wesenheit im Calenbergischen bezeichnete er damit, daß er die Zehntes Buch. Drittes Capitel . Abschaffung des Interims vermittelte, die Befreiung der Pre- diger, die noch immer auf ihren Bergfesten im Gefängniß schmachteten, überhaupt die Durchführung des protestanti- schen Prinzipes. Auch Erich trat, wie seine sorgsame Mut- ter vorher berechnet, unter dieser Einwirkung zu dem evan- gelischen Glauben zurück. Auf Albrechts Seite stand noch einmal die Combina- tion die Johann Friedrich 1547 stark gemacht: die evange- lischen Städte an der See und im innern Lande, alle Eifrig- evangelischen bis nach Böhmen. Ferdinand hegte einen Augenblick die Furcht, bei der weitverbreiteten Bewegung, die sich abermal in dem gemei- nen Volke kund thue, dürfte es dem Markgrafen nicht schwer seyn, an der Spitze desselben einen allgemeinen Umsturz zu bewirken. Und dabei behandelte ihn der Kaiser mit aller Rücksicht und Schonung. Er konnte sich nicht mehr weigern, Edicte gegen den Landfriedensbruch zu erlassen: sorgfältig jedoch ver- mied er — es erregte allgemeines Erstaunen — den Mark- grafen darin zu nennen. Eben aber diese energische Haltung, diese weitaussehen- den Beziehungen des Nebenbuhlers wollte Moritz auf keine Weise sich entwickeln und befestigen lassen; gute Worte die ihm derselbe gab, vermochten nichts über ihn. Öffentlich sprach auch er hauptsächlich von dem Bruche des Landfrie- dens den er rächen, von der Ruhe die er herstellen müsse; trat man aber darüber in Unterhandlung, wie Markgraf Hans es that, so bemerkte man bald, daß für diesen Hader, der an die großen Gegensätze der europäischen Welt anknüpfte, kein friedlicher Austrag zu hoffen sey. Moritz in neuem Bunde mit Frankreich . War Albrecht mit dem Kaiser, so war Moritz noch im- mer mit Frankreich verbündet. Schon Anfang September des Jahres 1552, unmit- telbar vor der Rückkehr des Landgrafen Philipp, noch im Einverständniß mit dessen Sohn Wilhelm, welcher die Mei- nung hegte, ihre Sachen seyen noch nicht aufs Trockene ge- bracht, hatte sich Moritz aufs neue an Heinrich II gewen- det und diesem, wie er sich ausdrückt, „eine andre gründli- chere Verständniß“ angetragen. Memorial fuͤr Johann Gametz Freiherrn v. d. Marck. (Dr. A.) Bald darauf erschien ein französischer Abgeordneter, Cajus de Virail, hauptsächlich in der Absicht, die Hülfleistungen welche der Kaiser damals noch vor Metz erwartete, rückgängig zu machen. Moritz er- griff diese Gelegenheit, um jenen Antrag, jedoch für sich al- lein, Es ist sehr hypothetisch, wenn es bei den Versprechungen heißt: „mit denen Fuͤsten so sich mit in Bund geben moͤchten.“ nur noch förmlicher zu wiederholen. Er versprach nicht nur, so viel an ihm, keine Hülfe von Reichswegen wider den König zu leisten, vielmehr dafür zu sorgen, daß diesem selbst so viel deutsches Kriegsvolk zuziehe als er brauche; er wieder- holte auch die in dem Vertrag von 1551 gemachte Zusage, daß der König den Titel eines Reichsvicarius haben, und bei der nächsten Wahl, wenn er es wünsche, selber zur Würde eines Hauptes im Reich erhoben werden solle: wogegen er sich die Beschützung seiner Land und Leute und die Zahlung eines nahmhaften Jahrgeldes ausbedang. Und sehr geneigt erklärte er sich hiebei persönlich mitzuwirken. Obgleich er den Bund den er schließen will, als Defensivbund bezeichnet, so erbietet er sich doch, wenn dem König auf das nächste Früh- Ranke D. Gesch. V. 21 Zehntes Buch. Drittes Capitel . jahr mit einem Heer von 4000 M. z. Pf. und 12000 z. F. gedient sey, dasselbe aufzubringen, wie sich das unter dem Vorwand, daß er von seinem Vetter Johann Friedrich Ge- fahr zu besorgen habe, ganz gut thun lassen werde, und zur bestimmten Zeit am Rhein zu erscheinen. Memorial, damit der Cajus v. Wyraill von Chf. Moritzen dieses Verstendnuß halben nach Frankreich abgefertigt worden. (Dres- dener Archiv.) Undatirt, aller Wahrscheinlichkeit nach vom December. Der König, der sich indeß in Metz auch ohne solch eine Hülfe behauptet, gieng auf diese Anerbietungen nicht so rasch ein, wie der Chur- fürst wünschte. Im Laufe des Winters schickte Moritz Vol- radt von Mansfeld, der noch immer den Titel eines Die- ners der französischen Krone führte, nach Frankreich, um die Sache aufs neue in Anregung zu bringen. Auch Volradt fand anfangs Schwierigkeiten, und es liefen Briefe ein, nach denen Moritz schon fürchtete, sein Antrag werde ausgeschla- gen werden; es reute ihn fast, schon so viel Geld auf die Vorbereitungen verwandt zu haben, als er gethan. In- dem aber wurden die Franzosen andern Sinnes. Am 21sten Mai 1553 leistete Graf Volradt dem König einen neuen Diensteid. Heinrich II wünschte nichts mehr als daß ihm jene Mannschaften zugeschickt würden, die Moritz verspro- chen; am 13ten Juni ordnete er Bevollmächtigte nach Metz ab, die mit den Gesandten welche Moritz dahin schicken werde, verhandeln sollten. Um die Sache zu beschleunigen, begab sich Graf Volradt, begleitet von einem französischen Edelmann, persönlich nach Deutschland zurück. Wir haben mehrere Briefe, in denen er gleichsam von Station zu Station der französischen Regierung von seiner Reise Nachricht giebt. An- fang Juli erreichte er den Churfürsten, als dieser eben in Be- Moritz in neuem Bunde mit Frankreich . griff war, mit seinem Heere gegen Albrecht anzuziehen. „Ich finde ihn“, schreibt er dem König am 4ten Juli, „in allen Dingen, welche die Ehre und den Vortheil der Krone Frank- reich betreffen, vollkommen wohl gesinnt, und entschlossen, von diesem Kriege nicht abzustehn, ehe nicht die Irrungen zwi- schen derselben und dem Reiche ausgemacht seyn werden.“ Schreiben Graf Volradts bei Mencken Scr. R. G. II, 1421. Der König hatte, wie einst Albrecht, so jetzt Moritz zu einem Angriff auf die Niederlande aufgefordert; ein märki- scher Rittmeister, Thomas von Hodenberg, versichert, es sey wirklich die Absicht des Churfürsten, dahin vorzudringen, und Rar von Niederdeutschland aus, sobald er nur mit Mark- graf Albrecht fertig geworden: schon habe er Leute abge- schickt, um den Weg zu untersuchen, namentlich die Furten und Pässe zu bezeichnen, welche man im Voraus einzuneh- men habe. Auch der Kaiser sagt, er habe gehoͤrt „que si ledit duc Mauris surmontoit le dit marquis, il devoit venir assaillir mes pais de Geldern.“ (An Ferdinand 26 Aug. 1553.) Die Anhänger des Hauses Östreich hegten über seine Entwürfe die schlimmsten Vermuthungen. Der alte Fugger hat dem König Ferdinand gesagt, die Absicht des Churfür- sten werde seyn, ihn, den König, zu verdrängen und sich sel- ber einzusetzen. So viel ist richtig, daß wenn man nach dem letzten Ziel der beiden Nebenbuhler fragte, Niemand es hätte nen- nen können. Man erstaunte wenn man sah daß der römische König den Churfürsten mit Kriegsvolk unterstützte, während der Kai- ser den Markgrafen ganz offenbar begünstigte. 21* Zehntes Buch. Drittes Capitel . Aber indem der Markgraf sich an den Kaiser hielt, nahm er zugleich die Evangelischen in Niederdeutschland in Schutz, und schien nach einer popular-protestantischen Macht zu trach- ten. Konnte das der Sinn des Kaisers seyn? Und indem der Churfürst die Hülfe Ferdinands annahm, machte er zugleich dem König von Frankreich Hofnung auf die deutsche Krone, wovon man in Östreich keine Ahnung hatte. Er, der so eben die Waffen für den Protestantismus getragen und durch einen glücklichen Schlag die Fesseln ge- sprengt, die man ihm angelegt hatte oder noch anlegen wollte, stand jetzt mit den fränkischen Bischöfen und mit nem Heinrich von Braunschweig in Bund, der von jehe als einer der größten Verfolger der Protestanten betrachtet worden war. Den Vortheil hatte Moritz, daß er den Landfrieden und den bestehenden Besitz vertheidigte, während Albrecht An- sprüche verfocht, die im Augenblick der Noth mit Gewalt erworben, vor keinem Gerichtshof zu Recht bestehn konnten und durch die Einwilligung des Kaisers noch lange nicht ge- setzlich begründet wurden. Wenn Moritz siegte, so war das Ansehn des Kaisers vollends vernichtet, und sofern es zu dem besprochenen Un- ternehmen auf die Niederlande kam, die Grundlage seiner Macht höchlich gefährdet. Schlug dagegen Albrecht den Gegner aus dem Felde, so hätte wohl ein allgemeiner Sturm auf die Bisthümer be- ginnen können, ja der ganze in Folge der letzten Kriege ge- gründete Besitzstand wäre in Frage gestellt worden: alle Feinde des Churfürsten würden sich erhoben haben. Schlacht von Sievershausen . Unter diesen Aussichten rückten die beiden Kriegshäup- ter im Juli 1553 wider einander. Moritz hatte seine meißnische und thüringische Ritter- schaft zu Halle, Merseburg und Sangerhausen gemustert: in Sangerhausen sammelten sich alle seine Haufen zu Fuß und zu Pferd, und nahmen ihren Weg nach dem Eichsfeld. In Giboldehausen vereinigten sich die fränkischen, in Eimbeck die braunschweigischen Schaaren mit den seinigen. Das ge- sammte Heer mochte nun achttausend M. z. F. und acht- halbtausend Reisige zählen, eingeschlossen tausend böhmische Reiter, welche Heinrich von Plauen im Namen des römi- schen Königs herbeiführte. Markgraf Albrecht lag vor dem festen Haus Peters- hagen, und war eben bei Tisch, als ein Edelknabe des Chur- fürsten ihm dessen Verwahrungsschrift brachte. Albrecht fragte ihn, ob der Churfürst wirklich Pfaffen und Husa- ren zu Haufen gebracht. „Ich sollte dir wohl mehr ge- ben,“ sagte er dem Knaben, dem er vier Kronen schenkte, „aber ich brauche mein Geld jetzt selbst, und dich werden die Franzosen beschenken.“ Indessen, daß er sich den Sieg versprochen hätte, dürfte man nicht glauben. Nur an Fußvolk sah er sich seinem Feinde gewachsen; an Reiterei, davon er nur 3000 M. zählte, obwohl er vor Kurzem von den Niederlanden her verstärkt worden, war ihm dieser bei weitem überlegen. Eben deshalb faßte er den Gedanken, seinen Gegner an günstiger Stelle vorbeizugehn und sich in seinem Rücken durch das Stift Magdeburg auf dessen Erblande zu stürzen. Sehr wohl aber erkannte Moritz diese Gefahr; eine Furt Zehntes Buch. Drittes Capitel . in der Nähe von Sievershausen, welche Albrecht überschreiten mußte um nach dem Magdeburgischen zu gelangen, nahm er glücklich noch vor ihm ein. „Er muß weichen“, heißt es in einem seiner Briefe, „oder er muß schlagen.“ Moritz er- füllte sich mit der Schlachtbegier, die ihn immer bei der An- näherung eines Feindes ergriff. Man hat ihn mit dem Kriegsroß verglichen, das nicht mehr zurückzuhalten ist, wenn es das Wiehern der feindlichen Pferde gehört hat. Als der Gegner herankam, — am 9ten Juli — vergaß er den Be- schluß des Kriegsrathes denselben in der günstigen Stellung die man genommen, zu erwarten, und stürzte sich ihm selber entgegen. Ohne Mühe warf er eine Abtheilung der albrechti- schen Fußvölker über den Haufen. Daß nun aber hiedurch die churfürstliche Schlachtord- nung gestört ward, setzte den Markgrafen in den erwünsch- testen Vortheil. Jetzt rückte er seinerseits vor, drang in die churfürstlichen Reiter ein, und warf sie, unterstützt von dem Westwind, der den Feinden den Staub in die Augen trieb; er nahm wirklich mit seinem Vortrab, dem aber der Gewalthaufe auf der Stelle nachdrückte, die Furt in Besitz, an der ihm alles zu liegen schien. Hiewieder aber setzten sich nun der Churfürst und Her- zog Heinrich in Person, mit dem besten Volke unter den Hoffahnen von Braunschweig und Sachsen, in Bewegung. An dem engen Orte kam es zu einem stürmischen Zusam- mentreffen, in welchem die Reiter ihre Büchsen und Pisto- len mit vielem Erfolg gegen einander brauchten. Mancher wußte nicht, ob er Feind oder Freund getroffen. Die Chur- fürstlichen verloren ihre besten Leute, — zwei Söhne des Her- Schlacht von Sievershausen . zogs von Braunschweig, — Friedrich von Lüneburg, der die Fahne von Moritzens Leibwache trug, erhielt zwei tödtliche Stiche von einem Landsknecht, — den letzten Grafen von Beichlingen, Johann Walwitz der einst Leipzig vertheidigt, und viele andere; aber sie waren an Zahl überlegen: die rothe Binde mit den weißen Streifen, die der Churfürst führte, behielt den Platz. Damit war aber das Geschick noch nicht erfüllt. In dem wilden Getümmel des Reitergemenges, man wußte nicht ob nicht gar aus einem Rohr seiner eignen Leute, war Chur- fürst Moritz von einer Kugel getroffen worden; in einem Zelt, das man ihm unweit an einem Zaun aufgeschlagen, vernahm er den Sieg der Seinen; dann brachte man ihm die erbeuteten Banner und Fähnlein, auch die Papiere des Markgrafen, die er eifrig durchsuchte; er hatte die Genug- thuung, noch den Siegesbericht in seinem Namen abfassen zu lassen; Schreiben des Churfuͤrsten vom 7ten Juli bei Langenn II, 360, 9ten Juli, u. a. bei Mencken II, 1427. allein die Wunde die er empfangen, war gefährlicher als er selber glauben mochte: schon am zweiten Tag nach der Schlacht brachte sie ihm den Tod. Man sagt, sein letztes Wort sey gewesen: „Gott wird kommen!“ Ob zur Strafe, oder zur Belohnung, oder zur Lösung dieser wirren irdischen Händel: man hat ihn nicht weiter verstanden. Eine Natur, deren Gleichen wir in Deutschland nicht finden. So bedächtig und geheimnißvoll; so unternehmend und thatkräftig; mit so vorschauendem Blick in die Zukunft, und bei der Ausführung so vollkommen bei der Sache: und dabei so ohne alle Anwandlung von Treue und persönlicher Rücksicht: ein Mensch von Fleisch und Blut, nicht durch Ideen, Zehntes Buch. Drittes Capitel . sondern durch sein Daseyn als eingreifende Kraft bedeutend. Sein Thun und Lassen ist für das Schicksal des Protestan- tismus entscheidend gewesen. Sein Abfall von dem ergrif- fenen System brachte dasselbe dem Ruine nah; sein Abfall von dem Kaiser stellte die Freiheit wieder her. Wenn er jetzt wieder hauptsächlich mit katholischen Fürsten verbündet war, so würde das ohne Zweifel nicht sein letztes Wort gewesen seyn: unberechenbare Möglichkeiten hatte dieser mächtige und geistreiche Mensch noch vor sich: — da, im Momente des Sieges, in voller Manneskraft, kam er um. Es war immer ein großer Erfolg dieses Sieges, daß die Macht des Markgrafen dadurch gebrochen war, und alle Gedanken, die sich an dieselbe knüpften, in das Nichts zer- rannen. Eine noch viel größere Entscheidung, auch für den Mo- ment, lag aber im Tode des Churfürsten. Was würde daraus geworden seyn, wenn Moritz am Leben geblieben wirklich nach den Niederlanden vorgerückt wäre, und sich dort mit den französischen Heeren, die sich zu entsprechender Zeit in Bereitschaft setzten, vereinigt hätte? Nachdem sich der König von Frankreich der drei andern Städte die ihm zugesprochen waren, bemeistert hatte, dachte er jetzt auch die vierte von der in seinem Bunde mit Moritz die Rede gewesen, Cambrai, zu erobern. Ende August setzte sich seine Macht, ungefähr 40000 M. stark, dabei vier deut- sche Regimenter unter dem Rheingrafen und Reifenberg, ohne sich lange bei Bapaulme und Peronne aufzuhalten, geradezu gegen jene Stadt in Bewegung, und forderte sie auf, ihm als dem Beschützer der Freiheit, deren sie von dem Kaiser Niederlaͤndischer Feldzug . beraubt worden sey, ihre Thore zu öffnen. Wie sehr kam es da dem Kaiser zu Statten, daß jener Angriff von Deutsch- land her, mit dem Moritz umgegangen, nun nicht wirklich eintrat. Er behielt seine Hände frei, wie er sich auch schon sel- ber auf das beste gerüstet hatte. Die Franzosen wagten doch das Lager, das er bei Valenciennes aufsuchte, und in wel- chem er selber erschien, nicht anzugreifen. Bald trat Regen- wetter ein, und sie sahen sich genöthigt, unverrichteter Dinge zurückzugehn. Das fuͤnfte Buch der Memoiren von Rabutin und die Aus- zuͤge authentischer Documente, die sich in der Ausgabe von 1788 (Bd 38, p. 400) dabei finden, erlaͤutern diesen Feldzug. Ihre Verbindung mit den deutschen Fürsten, die von einem so mächtigen Oberhaupt wie Moritz festgehalten noch sehr gefährliche Folgen hätte nach sich ziehen können, löste sich damit weiter auf. Aber auch dem Kaiser konnte nun von dem geschlagenen Albrecht keine besondere Hülfleistung zu Theil werden, wenn er ja überhaupt darauf gerechnet hat. Vielmehr hatte er durch sein Verhältniß zu demselben, die Duldung seines offen- baren Landfriedensbruches, die Wiederherstellung ungerechter und schon von ihm selber vernichteter Verträge seinem reichs- oberhauptlichen Ansehen unendlich geschadet. Um so mehr fühlte man das Bedürfniß, die noch ob- schwebenden Irrungen wo möglich ohne seinen Einfluß zu beseitigen. Viertes Capitel . Allmählige Beruhigung der deutschen Territorien. Gewiß, ein schweres Unternehmen, in Deutschland Friede zu stiften, bei den starken Gegensätzen die es theilten, den gegenseitigen Beleidigungen die man rächen wollte, der Kriegs- begier der Truppen die im Felde standen, und dem starren Sinn der Häupter. Das erste Ereigniß, wodurch die Dinge doch eine friedliche Wendung nahmen, lag in dem Regierungswechsel in Sach- sen, dem Eintritt des Herzog August, Bruders von Moritz. August war wohl nie ganz einverstanden mit seinem Bruder. Gegen die Strenge wenigstens, mit welcher dieser auf die den Vettern nachtheiligste Ausführung der Witten- berger Capitulation drang, hat er sich einst ausdrücklich er- klärt; Schreiben bei Arndt: de variis principum Saxoniae con- troversiis, Doc. p. 21. man meinte, durch eine Reise, die er kurz vor dem Ausbruch der letzten Fehde nach Dänemark unternahm, habe er sein Mißvergnügen darüber kund gegeben. ut eventum belli, quod sine suo consilio et voluntale susceptum esset, e longinquo specularetur. Stephanius Contin. Craghii. Sey dem Eintritt Churfuͤrst Augusts von Sachsen . wie ihm wolle: als er jetzt zurückkam, fand er sein Land durch die Steuern, Hülfleistungen und unaufhörlichen Kriegs- züge so ganz erschöpft und seine Casse mit so unerschwing- lichen Lasten beladen, daß er, und zwar, wie er selbst erzählt, im ersten Augenblick, bei sich beschloß, Friede zu machen. Propositio ufm Landtage zu Dreßden Donnstag nach Ostern 1554. „Und wie wohl wir dieselbe Zeit eine kleine Regierung ge- hapt (vor 7 Jahren), so hatten wir doch ‒ zu dem liebsten gerathen gefordert und geholfen, das frid und einigkeit in diesen Landen und der ganzen deutschen Nation wer erhalten worden. Da es aber an- ders erfolget und sider des ein krig aus dem andern verursachet, das auch diese lande erbermlich verterbet, mordt brand und andre tref- fenliche beschwerung erleyden und ertragen muͤssen, dorin sind wir bil- lig entschuldiget, den es ist am tage, das wir derzu keine ursach ge- geben, sondern nicht ein geringes mitleiden in unserm gemuͤthe ge- hapt.“ — Er sagt nur, daß er den neuen Krieg gegen Albrecht nicht erwartet; bei seiner Ruͤckkehr habe das Kriegsvolk monatlich 64000 G. gekostet. — „Haben bei uns beschlossen durch Gottes Huͤlf und Gnade den Frieden nicht abe noch auszuschlagen sondern zu foͤrdern.“ ( MS der Bibl. zu Berlin.) Auch hatte er freilich weniger Haß auf sich gezogen und daher weniger zu fürchten als sein Bruder. Unmittelbar nach der Sievershauser Schlacht sandte Jo- hann Friedrich seinen ältesten Sohn nach Brüssel, und ließ auf den Fall, daß der Kaiser nicht durch einen besondern Tractat mit August daran gehindert werde, um die Rück- gabe der Churwürde und der verlorenen Lande bitten, wo- für sein Haus dem kaiserlichen ohne Aufhören dankbar seyn werde. Der Kaiser antwortete ihm: auch August sey in der Belehnung mit der Churwürde begriffen: Johann Fried- rich werde nichts von ihm verlangen, was gegen seine Ehre und Pflicht laufe. Schreiben des Kaisers an Ferdinand 26 Aug 1553. Zehntes Buch. Viertes Capitel . Wie hätte auch der Kaiser wagen können, einen Für- sten, der ein so starkes Heer in den Händen und so ausge- breitete Verbindungen hatte, sich zum Feinde zu machen? August war sehr bereit, seine Vettern mit größerer Nach- giebigkeit zu behandeln, wie denn darüber sogleich Unter- handlungen eröffnet wurden, die bald zu der erwünschten Ab- kunft führten: die Chur, welche ihm schon übertragen war, hätte er sich nie wieder entreißen lassen. Da ein Versuch hiezu nun aber nicht zu befürchten stand, so hatte auch der Krieg für ihn keinen Sinn mehr. Die Verbindung seines Bruders mit Frankreich setzte er, so viel wir sehen können, keinen Augenblick fort. Man stellte ihm vor, es dürfte ihm keinen guten Ruf machen, wenn er den Krieg mit Markgraf Albrecht, in wel- chem sein Bruder gefallen, so bald abbreche; von den Rä- then die er fand, waren sowohl die welche die französische, als die welche die deutsch-östreichische Allianz wünschten, Hei- deck so gut wie Carlowitz, für eine Fortsetzung des Krie- ges; Diese Verhaͤltnisse theilte Landgraf Philipp dem Dr Zasius mit. Schreiben desselben 12 Oct. bei Bucholtz VII, 536. König Ferdinand drang darauf. Dagegen forderte die Landschaft, die an dem Krieg so wenig Gefallen gehabt wie August, und von dem Markgrafen, der sich furchtbar zu machen gewußt, mit einem Einfall bedroht wurde, auf einer Versammlung zu Leipzig, August 1553, dringend den Frieden. Die Staͤdte fuͤhrten zu Gemuͤth: do die beschwerlichen last uff den unterthanen lenger ligen, und die kriege continuirt, wurde es die lenge nicht ertragen, und endlichen s. churf. Gn. ein wust ledig und blos land behalten, und sprechen die Hofnung zu S. Ch G. aus, Von den alten Räthen waren doch einige, wie Friede zwischen August und Albrecht . Komerstadt und Fachs, auf ihrer Seite. Sie gaben August Rückhalt genug, um bei seinem ersten Entschluß zu verhar- ren. Unter Vermittelung des Churfürsten von Branden- burg und des Königs von Dänemark kam ein Vertrag zu Stande, zu Brandenburg am 11ten September, in welchem August Frieden mit Albrecht eingieng, mit dem Verspre- chen, die Truppen die er abdanken werde, nicht den Fein- den desselben zulaufen zu lassen, und unter einigen andern dem Markgrafen ganz günstigen Bedingungen, „als eine Vor- bereitung“, wie es in dem Vertrage heißt, „des wieder auf- zurichtenden allgemeinen Friedens.“ An die Vollziehung des egerschen Bündnisses, das eine feindselige Richtung gegen den Markgrafen gehabt, war nun vollends nicht zu denken. Eine Versammlung zu Zeitz, die dazu anberaumt war, kam, so viel ich finden kann, gar nicht zu Stande. Vielmehr, da auch Landgraf Philipp, der seinem Schwie- gersohn Moritz allerdings eine kleine Hülfe gegen Albrecht geleistet, sich jetzt mit diesem aussöhnte, konnte man daran denken, Der siebente Artikel des Vertrages (bei Hortleder II, vi , 14) bestimmt dieß ausdruͤcklich. die alte Erbverbrüderung der drei Häuser Bran- denburg, Sachsen und Hessen, deren erste Gründung einst zur Beruhigung des nördlichen und östlichen Deutschlands schon so viel beigetragen, und deren Auflösung den Un- frieden allgemein gemacht hatte, wieder zu erneuern, und sie werden gnedigst bedacht seyn auff die wege des fridens und das man auß dem krieg komme und der trefflichen unkost und ander be- schwerung enthept. (Saͤchsische Landtagsacten von 1553. MS der K. Bibl. zu Berlin.) Zehntes Buch. Viertes Capitel . zwar jetzt in entschieden protestantischem und zugleich deut- schem Sinne. Dagegen faßte König Ferdinand, der in diesem Augen- blick nach einigem Schwanken der Stände in den Heidelberger Bund aufgenommen ward, die Hofnung, denselben zu einer Er- klärung gegen den Markgrafen zu bewegen. Sollte aber dieser Bund, von dem einst Albrecht Hülfe gehofft, sich jetzt so enge an Östreich anschließen? Mächtige Mitglieder, wie die Chur- fürsten von Mainz und Trier, fühlten die Wunden noch allzu wohl, welche ihnen durch den ersten Einfall des Markgrafen geschlagen worden, wo kein Mensch ihnen Hülfe geleistet; sie hatten bei dessen Rückzug ihre Neutralität versprechen müssen, und waren gesonnen dieselbe zu halten. Zuerst auf einer Versammlung der Räthe zu Ladenburg, hierauf auf einer Zu- sammenkunft der Fürsten zu Heilbronn — die Churfürsten von der Pfalz und von Mainz, die Herzöge von Würtenberg und Baiern waren persönlich, von Jülich und Trier nur die Räthe erschienen — ward über eine neue Verbesserung und Erwei- terung des Bundes gerathschlagt. Allenfalls der Herzog von Baiern scheint geneigt gewesen zu seyn, sich dem Wunsche des römischen Königs zu fügen; von den Übrigen aber wollte Keiner daran: die Clausel, daß die Neutralität gegen beide Theile, die fränkischen Verbündeten und den Markgrafen beob- achtet werden solle, ward zuletzt in aller Form erneuert. Schreiben des Zasius a. a. O. p. 542. Die Actenstuͤcke des Tages allein waͤren ohne diese Erlaͤuterungen nicht zu verstehen. Wie in dem nördlichen, so bildete sich hiedurch in dem östlichen Deutschland eine Vereinigung, deren Prinzip der Friede war. Treffen bei Braunschweig . Den Bemühungen des Hauses Brandenburg gelang es nicht, Albrecht wie mit August so auch mit seinen übrigen Feinden zu versöhnen: aber es war nun wenigstens dafür gesorgt, daß diese Fehde nicht weiter um sich greifen konnte: es waren ihr bestimmte Grenzen gezogen. Innerhalb derselben ließ die Entscheidung nicht lange auf sich warten. Am 12ten September kam es noch ein- mal zu einem Treffen zwischen Herzog Heinrich und dem Markgrafen in der Nähe von Braunschweig. Man er- zählt, Albrecht habe bei seinem Angriff auf eine Meute- rei gerechnet, die sich im Heere des Herzogs, dem es an Geld fehlte, entsponnen: noch zur rechten Zeit aber sey der nürnbergische Kriegszahlmeister eingetroffen, durch welchen Reiter und Knechte befriedigt und wieder freudig gemacht worden. Genug der Markgraf fand seinen Feind nicht al- lein an Zahl überlegen, Nach einem Schreiben von Mandelslo an Markg. Johann, Braunschweig 13 Sept., hatte der Herzog 1500 M. z. F., 3000 z. Pf. und ein gutes Feldgeschuͤtz, der Markgraf 2000 Pf. Tobias Olfen giebt dem letztern nur 1200 Pf. hauptsächlich mit Fußvolk und Ge- schütz auf das beste versehen, sondern auch dieser Truppen sicher, entschlossen und muthvoll. Bei Geitelde und Steter- burg trafen sie auf einander. Die Braunschweiger stiegen auf ihre Zinnen und Thürme, um den Gang des Gefechts zu beobachten. Albrecht schlug mit gewohnter Tapferkeit: zwei- mal warf er den Anfall des Feindes zurück, und fast alle Fahnen desselben sanken; aber auch hier wie bei Sievers- hausen entschied die Überlegenheit der Zahl: dem dritten Anfall konnte er nicht widerstehn. Der Herzog behauptete Zehntes Buch. Viertes Capitel . die Wahlstatt und schoß Victoria, daß in Braunschweig die Fenster erzitterten. Dieses Ereigniß ward aber für Niederdeutschland haupt- sächlich dadurch entscheidend, daß Markgraf Albrecht, durch ungünstige Nachrichten von seinen Erblanden vermocht, den Beschluß faßte dahin zurückzukehren. Herzog Heinrich war und blieb dort zuletzt doch Herr und Meister im Felde. Unverzüglich wandte er sich gegen Braunschweig; doch hätte es ihm wohl schwer werden sollen, mit seinem Geschütz, das er abermal auf einem nahen Berge aufpflanzte, die Stadt zur Überlieferung zu zwingen. Dagegen kam ihm seine Ver- bindung mit dem fränkischen Bunde, der sich seiner Kriegskräfte zu bedienen wünschte, zu einem friedlichen Austrag zu Stat- ten. Erasmus Ebner von Nürnberg leitete eine Unterhand- lung ein, an welcher auch bald die umliegenden Städte, auch Goßlar und Hildesheim Theil nahmen. Der Herzog selber war milder geworden, und da auch er seine Wieder- herstellung wenigstens guten Theils protestantischer Hülfe, der des gefallenen Churfürsten und der Stadt Nürnberg verdankte, mußte er wohl von der Heftigkeit ablassen, mit der er sonst die Bekenner der neuen Lehre verfolgt hatte. Ohnehin waren die Braunschweiger nicht gemeint sich seiner Gnade zu über- lassen. Als der Entwurf des Vertrags in einigen wesent- lichen Puncten abgeändert zu ihnen zurückkam, beschlossen sie lieber mehr Volk zu werben und den Krieg aufs Äußerste fortzusetzen. Hierauf fühlte sich Heinrich bewogen, den Ver- trag anzunehmen wie sie ihn vorgeschlagen. So kam eine Streitsache zu Ende, welche alle nord- Friede zw. Hz. Heinrich u. d. St. Braunschweig . deutschen Gebiete seit so vielen Jahren in Athem gehalten. Der Herzog hatte den Städten die Veränderung der Reli- gion nicht nachsehen wollen, sondern vielmehr eben bei die- ser Gelegenheit sie völlig in seine Hände zu bringen gedacht. Dadurch waren die Städte bewogen worden, auch ihm die Anerkennung seiner Oberherrlichkeit zu versagen; Wechsel der Übermacht und der Herrschaft waren hier zahlreicher einge- treten als irgendwo sonst. Jetzt aber entschloß sich der Her- zog, die veränderte Religionsübung und die alten verbrief- ten Gerechtsame anzuerkennen; wofür man auch ihm hin- wieder seine Ehre gewährte. Die Abgeordneten der Bürger- schaft thaten einen Fußfall; er sagte ihnen, er vergebe ihnen von Herzen und wolle fortan ihr gnädigster Herr seyn und bleiben. Am 29sten October ward zu Braunschweig das Herr Gott dich loben wir unter Paukenschlag gesungen: in allen Kirchen dankte man Gott, daß er den „güldnen“ Frie- den wieder schenke. Tobias Olfen 77. Schon früher war Herzog Erich durch Verwüstung sei- nes Gebietes zu einem Abkommen genöthigt worden: so viel- fachem Vorgang mußten jetzt auch die Edelleute folgen. Hein- rich wandte das Geld, das ihm sein alter Gegner Landgraf Philipp zum Abtrag zahlte, zu ihrer Befriedigung an. Hier fürs Erste gesichert, nahm Heinrich nun den Weg nach Franken, wohin ihn seine Bundesverwandten dringend einluden. Er hätte unterwegs Gelegenheit nehmen können, sich an seinen alten Gegnern, dem Grafen Albrecht von Mansfeld und Johann Friedrich, zu rächen. Auch schien es wohl, als Ranke D. Gesch. V. 22 Zehntes Buch. Viertes Capitel . habe er dieß im Sinn: er drohte alles zu verheeren, was dem Grafen gehöre, seinen besondern Antheil an dem Hause Mansfeld auszubrennen; dem gewesenen Churfürsten warf er neue Verbindungen mit Albrecht vor, und forderte eine unerschwingliche Brandschatzung. Allein die Worte waren schlimmer als die Handlungen. Die Zeiten waren vorüber, wo Herzog Heinrich nur seinen Leidenschaften folgte: jetzt hörte er auf Entschuldigungen und Fürbitten. Für dieß Mal blieben die albrechtischen Besitzthümer unzerstört; mit Johann Friedrich ward ein „endlicher, ewiger und gütlicher Hauptvertrag“ aufgerichtet, in welchem er mit einer leidli- chen Zahlung wegkam. Dergestalt zog sich die ganze Entscheidung nach Fran- ken, wo indeß der Krieg zwischen Albrecht und den Verbün- deten sehr ernstlich fortgegangen war. Zuerst hatten die Völker der Bischöfe und der Stadt in Abwesenheit des Markgrafen die Übermacht im Felde er- langt, und den Landen desselben vergolten was er in den ihren gethan. Als sie Neustadt an der Aisch eroberten, nah- men sie sich gar nicht einmal die Zeit, die dahin zusammen- geflüchteten Güter unter sich zu vertheilen, sondern sie brann- ten die Stadt mit denselben unverzüglich auf. Mit ferdinan- deischem Kriegsvolk war ihnen Heinrich von Plauen vom Voigtland her zu Hülfe gekommen, hatte Hof eingenom- men und sich im Namen des römischen Königs daselbst hul- digen lassen. Hierauf aber, unter dem doppelten Antrieb dieser Nach- richten und der in Niedersachsen erlittenen Niederlage, die ihm dort keine Hofnung übrig ließ, war Albrecht zurückgekommen. Fehde in Franken . Wie erschraken die Plauenschen Söldner, die ihrer Er- oberung sicher, sich vor den Thoren von Hof gütlich thaten, schmausten und zechten, als der Markgraf, den sie weit ent- fernt wähnten, plötzlich mit der niederdeutschen Reiterschaar, die den eilenden Ritt mit ihm gemacht, erschien und sie aus- einandersprengte. Seine Wuth gegen diesen Plauen, „einen Deutschböhmen, der sein von beiden Theilen zusammenge- raubtes Fürstenthum nur immer weiter ausbreiten wolle,“ kannte keine Grenzen; dagegen bewies er den Bürgern, die sich ziemlich gut vertheidigt hatten, alle Anerkennung, die sie verdienten. Er hoffte es noch dahin zu bringen, daß er ihnen alle ihre Verluste erstatten könne. Er hatte noch Baireuth, Culmbach, die Plassenburg, wohin er jetzt das in Hof erbeutete Plauensche Geschütz führen ließ, Schweinfurt und Hohenlandsberg. Bald erfuhren seine Feinde, daß er wieder da war: er entriß ihnen kleine Festungen, wie Lich- tenfels; den ganzen Aischgrund hinauf trieb er Beute von ihnen zusammen. Hätte nur ein Andrer indeß den Krieg in Niederdeutsch- land an seiner Stelle geführt. Da das nicht der Fall war, so geschah was er durch seinen Zug eben hatte verhindern wollen: der Fürst, der dort ihn geschlagen, erschien nun doch und zwar mächtiger und angesehener als je in Franken. Bald mußte Albrecht fühlen, daß er der Verbindung so vieler Feinde nicht gewachsen war. Im Felde erlitt er am 7ten November bei Lichtenfels eine Niederlage; bei Culmbach gelang es ihm nur eben sich durch die Feinde durchzuschlagen. Hierauf flüchteten die Ein- 22* Zehntes Buch. Viertes Capitel . wohner von Culmbach ihre fahrende Habe auf die Plassen- burg und steckten ihre Wohnungen in Brand. Wie Culm- bach, so fiel Baireuth und von neuem auch Hof in die Hände der Feinde. Und indem erschien das lange zurückgehaltene Urtel des Kammergerichts, durch welches Markgraf Albrecht wegen sei- ner landfriedensbrüchigen eigengewaltigen Thaten in die Acht erklärt, sein Leib, Hab und Gut Jedermann Preis gege- ben ward. Albrecht scherzte als er davon vernahm, aber bisher wa- ren diese Urtel noch immer vollstreckt worden, und daß auch ihm nicht wohl dabei ward, zeigt die grenzenlose Wuth, in die er gerieth. Er befiehlt den Hauptleuten seiner Truppen, sie sollen den Pfaffen, seinen Feinden, „zum glücklichen Neu- jahr ein zehen Orte anstecken oder zwanzig; sie sollen ein Feuer anzünden, daß die Kinder im Mutterleibe einen Fuß an sich ziehen oder auch beide.“ „Wenn man mich verdirbt,“ rief er aus, „wohlan, so will ich bewirken, daß auch andre Leute nichts haben.“ Seine Stammesvettern und die Heidelberger Verbün- deten suchten auch jetzt noch einen Austrag zu Stande zu bringen: und zwei Mal ward im Anfang des Jahres 1554 darüber Verhandlung gepflogen; aber die Gegner wollten dem gefährlichen Nachbar, den sie jetzt nach Wunsch einge- trieben, unter keiner andern Bedingung einen Stillstand ge- währen, als daß seine Ruhe von seinen Verwandten ver- bürgt werde und er selber die Waffen niederlege. Dazu wollte er sich nimmermehr verstehn. Noch hielt er an allen seinen Ansprüchen, Brief und Siegel die er habe, Verhaͤltniß zu Frankreich 1554. fest. Die Anmuthung, den Kaiser dieser Verschreibungen zu entlassen, die ihm von dem Hof zu Brüssel zugleich mit dem Versprechen einen alten Rückstand zu zahlen zukam, wies er mit Entrüstung ab; Albrecht an seine Obersten 30 Maͤrz 1554 bei Hortleder II, vi , 25, nr. 45. dem Bischof von Arras, dem er Schuld gab erst ihn in seiner Absicht gegen die Bischöfe be- stärkt und dann diese zum Widerstand gegen ihn ermuntert zu haben, ließ er entbieten, er werde durch keines Andern als seine des Markgrafen Hand den Tod finden. Ein Zustand, worin denn freilich nichts anders als ein rzweifelter Entschluß zu erwarten war. Wie in den beiden vorigen Jahren, so suchte der Kö- nig von Frankreich auch zu dem neuen Feldzug, den er 1554 zu unternehmen beabsichtigte, Hülfe aus dem innern Deutsch- land. An wen hätte er sich, nachdem Moritz gefallen war, eher wenden können als an den Markgrafen? Einen nahen Anlaß bot das Geschäft der Ranzionirung des Herzogs von Aumale dar, der bisher noch immer gefan- gen gehalten worden: — bald aber war man ohne Zweifel noch über andre Dinge einverstanden. Den Nachrichten zwar, welche König Ferdinand seinem Bruder mittheilte, Bucholtz VII, 151. als sey die Abrede, daß Albrecht dem Beispiel der Farnesen folgen und die französischen Fahnen in seinen Plätzen fliegen las- sen, dafür aber mit französischem Geld zur Fortsetzung seines Krieges un werden solle, dürfte man nicht unbeding- ten Glau ssen. Albrecht wenigstens hat erklärt, der Tractat mit dem man sich trage, werde in Nürnberg oder Zehntes Buch. Viertes Capitel . von seinem Feinde Arras geschmiedet worden seyn. Aber wahr ist, und er selber gesteht es unumwunden, daß er die französischen Anträge nicht völlig von sich wies. Schreiben Albrechts an den Kaiser vom 22sten April. „Ob nun durch dieß alls ich als ein armer verlaßner verderbter und ver- jagter Fuͤrst, der vermoͤg der Acht genzlich ausgetilkt werden soll, zum hoͤchsten dazu gedrungen die wege zu suchen, das ich mein Aufent- haltung und Schutz haben moͤge, wo ich halt den find, das wirdet niemands unparteilich verdenken koͤnnen.“ (Arch. zu Berlin.) Die Mei- nung, vom kaiserlichen Hofe mißhandelt, vom Reiche mit Vernichtung bedroht zu seyn, und der trotzige Wunsch, die Waffen um jeden Preis in der Hand zu behalten, trieben ihn zu diesem verzweifelten Schritte. Doch könnte man nicht sagen, worauf die Verabredungen gegangen sind. Es scheint als seyen einige frühere Verbündete im Verständniß gew sen, wie Johann Albrecht von Meklenburg, Erich von lenberg. Auch die alten Kriegsobersten suchte Heinrich II zu gewinnen, deren Name bei jeder neuen Bewegung er- scheint, Christoph von Oldenburg, Wrisberg, von dem wir einen Brief haben, worin er dem Kaiser gar nicht verhehlt, daß er mit fremden Fürsten in Unterhandlung stehe. Bis an die Grenzen von Polen und Pommern waren Muster- plätze eingerichtet, wohin die Landsknechte bereits ihren Lauf zu nehmen begannen; überall sah man gardende Reiter; bald machte sich der Markgraf selbst wieder nach Nieder- deutschland auf den Weg. Aus einer Instruction für einen nach Deutschland bestimmten Abgeordneten sehen wir, daß sich der König sogar der Antipathien der deutschen Linie des Hauses Östreich gegen den Kaiser zu bedienen dachte. Instruction au comte de Roquendolf, pour offrir secours au Roi de Boheme. Ribier II, 507. Verhaͤltniß zu Frankreich . Wie sehr aber waren die Verhältnisse in Deutschland seit jenem ersten Bunde verändert. Jetzt wandte sich der allgemeine Widerwille bereits gegen Heinrich II selbst, der drei Städte des Reiches in Besitz behalten und unter der Hand immer weiter um sich greifen zu wollen schien. Die Leute mit denen er in Verbindung trat, waren bereits ge- schlagen und auf das Äußerste gebracht, sie bedurften eher Hülfe als daß sie deren hätten leisten können. Und schon war Herzog Heinrich allen ihren Werbungen zuvor gekommen. Georg von Holle und Willmar von Münch- hausen brachten ihm hauptsächlich mit fränkischem Geld zwei große Regimenter zu Fuß, Hilmar von Quernheim und Li- borius von Münchhausen 1200 Pferde auf; einige Reiterge- schwader schlossen sich ihm persönlich an; eine Anzahl Lands- knechte hatten sich den Winter über im Verdenschen unterhal- ten. Mit dem Frühjahr suchte er alle Diejenigen heim, die er für Anhänger des Markgrafen oder gar des Königs von Frankreich hielt: die Herzoge von Lauenburg und Lüneburg, welche der Verbindung mit Albrecht entsagen, Städte wie Hamburg und Lübek, welche nicht unbedeutende Summen zum Abtrag alter Feindseligkeiten zahlen mußten, Herzog Jo- hann Albrecht von Meklenburg, im Bunde mit dem Bru- der desselben, Johann Ulrich, der sich Antheil an der Lan- desregierung erkämpfen wollte. Vergebens bot Johann Al- brecht seine Ritterschaft auf: Niemand wollte seine Pferde ge- gen einen Feind satteln, mit dem einer ihrer Landesfürsten ver- bündet war. Chytraͤus 529. Rudloff III, i , 140. Dabei behielt Herzog Heinrich noch Leute ge- nug, um auch nach andern Seiten hin Musterplätze zu zer- Zehntes Buch. Viertes Capitel . stören, z. B. einen in Tangermünde, albrechtische Reiter nir- gends aufkommen zu lassen. Merkwürdiger Anblick, wie der alte Parteigänger sich jetzt als Executor der Reichsordnungen aufgestellt hat, von Ort zu Ort zieht, und alles erdrückt was sich empören will. Er klagt jedoch „das er in juͤngster seiner Noth so gar von der kaiserlichen Majestaͤt verlassen, und auf sein vielfeltig ansuchen nicht 3 oder 4 tausend G. anlehensweise bekommen moͤgen.“ Schreiben Schwendis an Koͤnigin Maria, Wolfenbuͤttel 5 Mai (Arch. z. Br.). Auch sprach der Herzog sehr ernstlich von dem Mißtrauen so der ks. Mt von wegen des Markgrafen Handlung und das er sogar nicht uͤber Acht und Reichsordnung halte auf dem Halse liege, der Kaiser sollte sich seiner Pflicht gemaͤß der Executionssache annehmen. Und nun endlich sprach auch der Kaiser sich aus. Er hatte doch noch gewartet, bis Albrecht ihm seine Dienste förmlich aufkündigte. Hierauf erst (18 Mai) erließ er die Mandate zur Execution der über ihn gesprochenen Acht. Das Schicksal Albrechts neigte sich zu seiner Catastrophe. In Niederdeutschland etwas auszurichten, durfte er jetzt nicht mehr hoffen. Die Absicht gieng ihm durch den Kopf, mit den ausgewanderten Protestanten die bei ihm waren, sich nach Böhmen oder Schlesien zu werfen; aber auch da war man vorbereitet, ihn zu empfangen. Es blieb ihm nichts übrig, als sich nach Franken zurückzuwenden: mit ein paar hundert Reitern, die sich ihm in Ilmenau zugesellt, gelangte er Anfang Juni nach Schweinfurt. Bereits seit ein paar Monaten war diese Stadt auf das ernstlichste von bischöflichem und nürnbergischem Volk belagert. Noch wehrten sich die Truppen Albrechts stand- haft; auch die Einwohner nahmen mit Eifer an der Ver- theidigung Theil, besonders nachdem sie den ersten Schrecken Ausgang Markgraf Albrechts . überwunden, in den sie anfangs durch die in die Stadt ge- schleuderten Feuerkugeln versetzt worden. Kilian Goͤbel Bericht von der Belagerung, bei Reinhard Beitraͤge zur Historie Frankenlandes I, p. 239. „Wurden letzlich Kufen voll Hammelhaͤut eingeweicht und lauter befunden zum Loͤ- schen. Auch wurd der Vortheil also erlernet, daß alsbald sie (die Kugeln) fielen, man wissen kont, ob man sie muͤßte verschiesen lassen oder ob man sie vor dem schiesen mit loͤschen moͤge angreifen.“ Schon war aber der größte Theil der Wehren auf den Thürmen zerschossen, und nur mit großer Behutsamkeit konnte das Geschütz noch bedient werden; die Lebensmittel fiengen an zu mangeln, Krankheiten rissen ein, und nicht immer wollte das Kriegs- volk ohne Besoldung dienen. Der Markgraf sah wohl daß auch hier seines Bleibens nicht sey. Er hoffte noch, sey es nun daß er dazu Grund hatte oder sich einer Täuschung hingab, in Rothenburg Zuzug er- warten zu können. Dahin brach er in der Nacht zum 13ten Juni mit alle den Seinen von Schweinfurt auf. Aber die Feinde waren ihm, und zwar auch, was er nicht gemeint, an Reiterei viel zu überlegen als daß sie ihn dahin hätten entkommen lassen. Schon auf der sandigen Haide zwischen Volkach und Kissingen holten sie ihn ein. Sie hatten 1500 Hakenschützen bei sich, die man die freien Schützen nannte, und die nun hier die besten Dienste leisteten. Auf der Stelle waren die Landsknechte Albrechts aus einander gesprengt und seine Reiter warfen sich in die Flucht; sein Geschütz, sein Silber, seine Briefschaften und Kleider fielen dem Feinde in die Hände. Mit Mühe rettete er sich selbst über den Main. Indessen ward Schweinfurt, obgleich von den Truppen ver- lassen, von den Feinden ohne Erbarmen in Brand gesteckt. Zehntes Buch. Viertes Capitel . Acht Tage später mußte auch die letzte culmbachische Feste, das alte Schatz- und Archivhaus, die Plassenburg, sich er- geben. Für die Verbündeten, deren Altvordern wie sie sel- ber seit Jahrhundert von dieser Burg her befehdet und be- drängt worden, ein erwünschter Anblick, als die Flammen über die Zinnen aufstiegen. Denn ganz im eigentlichsten Sinn mit Feuer und Schwert führte man in diesen Zeiten den Krieg. Markgraf Albrecht erschien, doch nicht mehr als ein Kriegsanführer, sondern nur als ein Verbannter und Hülfe- suchender in Frankreich. Wenigstens nahe gekommen sind ihm noch später sehr weitaussehende Entwürfe, doch ist er niemals wieder im Felde erschienen. Vielmehr erhoben sich ihm allmählig die religiösen Gedanken, mit denen seine Ju- gend genährt worden, in aller ihrer ursprünglichen Stärke. Er sah sein Unglück als eine Strafe Gottes an, dessen Wort er einst verfolgt habe; er rechnete nach, wie Viele von De- nen die den Zug nach Magdeburg mitgemacht, vor der Zeit umgekommen seyen. Das schöne Kirchenlied, durch das er bei den evangelischen Gemeinden in gutem Andenken geblieben ist, zeigt ein nach herber Prüfung wieder gefaßtes, den gött- lichen Rathschlüssen in Leben und Tod vertrauendes Gemüth. Indessen hatte in Deutschland der fränkische Bund die Oberhand. Er nahm kraft kaiserlichen Indultes die Land- schaft des Markgrafen in vorläufige Verwaltung; — auch ließ er sich nicht abhalten, bei einigen Ständen, welche ihm anfangs beigetreten, später aber sich wieder abgesondert, wie der Stadt Rothenburg und dem Deutschmeister, sein Recht mit Gewalt zu suchen. Schon fürchtete Christoph von Wür- tenberg, an den Herzog Heinrich alte Ansprüche erhob, über- Beruhigung deutscher Territorien . zogen zu werden: er ordnete bereits sein Kriegsvolk in ver- schiedenen Aufgeboten; aber das Kammergericht und der Hei- delberger Bund nahmen sich seiner nachdrücklich an. Vier Monat lang hielt der Bund Kriegsvolk im Felde, bis jede Gefahr eines Angriffes vorübergegangen. Herzog Heinrich begnügte sich, die ihm näher gesesse- nen alten Gegner heimzusuchen, den Grafen von Henneberg, Wolfgang von Anhalt, Albrecht von Mansfeld, mit dem er jetzt mehr Ernst machte, und dessen Städte. Und so viel wenigstens ward hiedurch erreicht, daß nun auch die fränkisch-niedersächsischen Länder, wo kein Vertra- gen möglich gewesen, in Folge der Entscheidung der Waf- fen beruhigt wurden. Überhaupt neigte sich alles zum Frieden. Die territo- rialen Streitigkeiten in Deutschland die bisher mit den großen religiösen Fragen oder den politischen Gegensätzen von Eu- ropa in Beziehung gekommen, wurden jetzt von denselben ab- gelöst, und unter dem Einfluß der letzten Ereignisse, die keine große Veränderung weiter erwarten ließen, meistentheils zu Ende gebracht. König Ferdinand hätte nicht in den Heidelberger Bund aufgenommen werden können, hätte er nicht zu einem Aus- trag seiner Streitigkeiten mit Würtenberg, auf das er seine alten Ansprüche selbst im Gegensatz mit dem Kaiser bisher festgehalten, endlich die Hand geboten. Auf dem großen Landtag von 1554, von welchem überhaupt der Geldhaus- halt von Würtenberg einigermaßen geregelt ward, dachte man auf die Mittel, die zur Ausgleichung mit Ferdinand nöthi- gen Zahlungen zu leisten. Herzog Albrecht von Baiern, der in dieser Sache mit Zehntes Buch. Viertes Capitel . großem Eifer vermittelte, setzte die Politik seines Vaters we- der gegen König Ferdinand, mit dessen Tochter er vermählt war, noch gegen die Pfalz fort. Wir finden nicht, daß er der pfälzischen Linie die Chur bestritten habe. Den katzenelnbogenschen Streit, der in allen verschie- denen Lagen der öffentlichen Angelegenheiten aufgetaucht, übernahmen jetzt, da es dem Kaiser mißlungen war, einige Mitglieder des heidelbergischen Bundes, die Churfürsten von Trier und Pfalz, die Herzoge von Jülich und von Würten- berg, auszutragen. Am 25sten October hielten sie die erste Sitzung darüber zu Frankfurt. Nach einiger Zeit brachten sie einen Entwurf zu Stande, der wirklich die Grundlage des Vertrages geworden ist, der einige Jahre später diese Sache geschlichtet hat. Arnoldi III, 147. Noch bei weitem tiefer hatten die Irrungen der beiden sächsischen Linien in die allgemeinen Angelegenheiten einge- griffen. Der unwiderruflichen Entscheidung welche die Waf- fen darin gegeben, trat im Februar 1554 eine Abkunft zur Seite, die den Frieden zwischen ihnen endlich wiederher- stellte. August gab der Wittenberger Capitulation eine sei- nen Vettern bei weitem günstigere Auslegung als sein Bru- der gethan. Jetzt erst empfiengen sie Altenburg, Eisenberg, Herbsleben, Altstädt, das Recht der Einlösung von Königs- berg und mehrere andre Zugeständnisse, die ihnen nach den harten Verlusten die sie erlitten, doch wieder einigermaßen die Möglichkeit verschafften, als deutsche Fürsten fortzudauern. Proposition auf dem Landtag zu Dresden 1554: „Haben ein stattliches nicht angesehen und unß mit gemelten unsern lieben Beruhigung deutscher Territorien . Absichten, wie sie Johann Friedrich auf Magdeburg ge- hegt, waren durch den Lauf der Dinge beseitigt. Der jüngste Sohn des Churfürsten Joachim, Siegmund, noch von sei- nem Lehrer geleitet, trat als Erzbischof ein. Die Oberherr- lichkeit über die Stadt theilten Joachim und August mit ihm. Im Jahr 1555 kam ein ausführlicher Vertrag, ge- nannt das Tripartit, hierüber zu Stande. Unter dem Schrecken der Anwesenheit der braunschwei- gisch-fränkischen Truppen in Boizenburg entschloß sich Jo- hann Albrecht von Meklenburg zu der lange verweigerten Theilung des Landes mit seinem Bruder Ulrich. Die Zwi- stigkeiten zwischen Lauenburg und Ratzeburg wurden dadurch beseitigt, daß der bisherige Bischof austrat und ein meklen- burgischer Prinz ihm nachfolgte. Auch hier wirkte Herzog Heinrich mit; indeß ließ man ihn auch hier nicht allzu weit um sich greifen. Die starke Haltung welche Holstein annahm, hinderte ihn dahin vorzudringen. Der Kaiser selbst, der jetzt zwar wieder mit Heinrich in Verbindung getreten, aber auch mit Holstein gut stand, hätte es nicht gewünscht. Durch den Gang den diese Ereignisse genommen, geschah nun nothwendig, daß die Franzosen in dem Feldzug von 1554, wiewohl sie deutsche Truppen genug an sich zogen, doch keine Hülfe von dem innern Deutschland her empfiengen. Im Juni brach der König mit drei großen Heerhau- Vettern freundlich und in der Guͤthe aller unsrer Gebrechen, benant und unbenant, genzlich und zu Grunde vertragen lassen.“ Der haͤr- teste Artikel war der, nach welchem demjenigen Theil, der den Ver- trag brechen wuͤrde, seine Landschaft „widder rettig noch hilflich“ seyn solle. „Gleichwol“, sagt August, „haben wir dorein gewilliget, und wollen den Vortragk ‒ ‒ halten, thuen euch auch uf obberurten falh zu volge und vereinunge des Vortrags euer pflicht erlassen.“ Zehntes Buch. Viertes Capitel . fen in die Niederlande ein, die sich außer mehreren andern der festen Plätze Marienburg, Bouvines und Dinant bemäch- tigten. Dinant gehörte zu dem Bisthum Lüttich, das der König ungefähr aus demselben Gesichtspunct ansah wie Metz und Cambrai, und dem er es nicht vergeben konnte, daß es mit dem Kaiser in so enge Verbindung getreten. In- dessen sammelte der Kaiser, den die Nachrichten von den Nie- derlagen des Markgrafen von anderweiten Sorgen befreiten, alle seine Macht zu Namur. Er wollte jedoch sein Glück nicht nochmals auf einen Schlachttag wagen, und ließ geschehen daß die Franzosen vor seinen Augen über die Sambre gien- gen und sich nach dem Hennegau zogen; sie bezeichneten ihren Weg mit Verwüstungen eben der blühendsten Orte, der Pal- läste zu Binche, der Gärten zu Marimont, welche sich Köni- gin Maria mit großen Kosten eingerichtet hatte: — angeblich um ähnliche Verwüstungen, die in Frankreich geschehen wa- ren, zu rächen; Schreiben des Connetable an Brissac, gegen Ende Juli 1554: „Avons fait et faisons encores tous les jours de si beaux feux à 4 ou 5 lieues à la ronde du chemin.“ (Mem. Coll. univers. XXXVIII, p 443.) — dann aber gieng das kaiserliche Heer, bei dem wir Graf Günther von Schwarzburg an der Spitze einer schwarzen Reiterschaar finden, die sich nicht wenig her- vorthat, den Franzosen nach, drängte sie nach Artois, entsetzte Renty und drang zuletzt selbst in die Picardie ein. Während dem hatten sich die Kreise, an welche die Executionsmandate des Kaisers gerichtet gewesen, zu Worms versammelt, um jeder Einwirkung welche Frankreich vermöge seiner alten Verbindungen auf Deutschland ausüben könne, zu widerstehn. Sie vereinigten sich, daß dem Angegriffenen Beruhigung deutscher Territorien . oder auch nur Gefährdeten von allen Andern unverzügliche Hülfe bis auf den Betrag eines doppelten Römermonats geleistet werden sollte. Das war jedoch nicht mehr zu befürchten. Kriegsban- denführer konnten sich vielleicht für Frankreich erheben; da- gegen war eine nachhaltige Verbindung eines mächtigen Für- sten mit diesem Lande jetzt nicht mehr zu besorgen. Nach alle dem was geschehen, und worüber man sich vereinigt, hatte Keiner mehr weder die alten Antriebe einen Bund dieser Art einzugehn, noch auch Aussicht dadurch et- was zu erreichen. Da aber der Kaiser hiezu nur wenig beigetragen, und auch er seinerseits des Reiches nicht mehr mächtig war, so geschah daß das Schwanken der allgemeinen Verhältnisse Deutschland überhaupt nicht mehr so unmittelbar berührte und ergreifen konnte wie bisher. Es blieb mehr sich selber überlassen. Und hiedurch waren die Dinge so weit gereift, daß man daran denken durfte, endlich auch die große Frage, von der die allgemeine Unruhe hauptsächlich ihren Ursprung genom- men, die religiöse, zur Entscheidung zu bringen. Fuͤnftes Capitel . Reichstag zu Augsburg 1555. Im Sturme des Krieges war die Überzeugung von der Nothwendigkeit einer religiösen Aussöhnung entsprungen: schon der Passauer Vertrag war die Frucht desselben; durch die beiden seitdem entstandenen Bündnisse, das heidelbergische und das fränkisch-braunschweigische, in welchen Stände des einen und des andern Bekenntnisses einander zu Hülfe ge- kommen, hatte sie weiteren Grund und Boden gewonnen: wie ganz anders als einst, da das Nürnberger und das schmalkaldische Bündniß die exclusiv confessionellen Gegen- sätze repräsentirten, und gegen einander in die Waffen zu bringen drohten; allein mit alle dem war doch noch nichts ausgemacht noch befestigt: nach mehr als zwei Jahren war es noch nicht zu dem Reichstag gekommen, dem der Pas- sauer Vertrag die wichtigsten Festsetzungen vorbehalten hatte; Vielen däuchte es schon wieder gefährlich, daß ein so eifrig katholischer Fürst wie Herzog Heinrich zuletzt das Schwert in der Hand hielt und sich an allen seinen alten Feinden rächen durfte. Als endlich König Ferdinand, dem der Kaiser volle Ge- Reichstag zu Augsburg 1555. walt ertheilt hatte „abzuhandeln und zu beschließen: abso- lute: ohne alles Hintersichbringen“, den versprochenen Reichs- tag eröffnete, zu Augsburg, am 5ten Februar 1555, schien ihm an dem Religionsfrieden wenig zu liegen; bei weitem größeren Nachdruck legte er in seiner Proposition auf die Erneuerung des Landfriedens und eine durchgreifende Exe- cutionsordnung. Einrichtungen zur Sicherstellung des Be- sitzstandes gegen Unternehmungen wie die letzten, wurden wie von ihm, so von der Majorität der Fürsten, besonders den geistlichen, gefordert. Brandenburgische Raͤthe, Jacob Schilling, Christoph von der Straßen, Timotheus Jung und Lambert Distelmeier, letzten Fe- bruar: „Im Fuͤrsten Rhat seind die hendel ‒ ‒ albereith so weith un- derbauett, das sie dahin votiren, das man den Artikel des Landfrie- dens am ersten vor handen nehmen ‒ ‒ sol.“ Die saͤchsischen Gesand- ten, 21 Februar: „Die im Fuͤrsten Rath haben sich anfangs fast bloß geben, was sie des merern theil fuͤrhaben, nemlich allein die handhabung des Landfriedens in weltlichen Dingen zu beschließen, denn daran ist der Koͤn. Mt und den fraͤnkischen Ainungsverwandten al- lein gelegen, und so es durch einen ausschuß dahin gereichte, das sie die andern zu uͤberstimmen hetten, so glauben wir das sie den Frie- den in Religionsachen dießmal nit worden schließen wollen.“ Was der fränkische Bund vollbracht, die Stellung und Verfahrungsweise Herzog Heinrichs hatte deren ganzen Beifall. Auf einem Kreistage zu Frankfurt gegen Ende 1554 war ein Entwurf in diesem Sinne vorgelegt worden, der die Macht in wenigen Händen vereinigt hätte, nach der Wahl der ständischen Mehrheit in den Kreisen: die geistli- chen Fürsten, welche zahlreich erschienen waren, wünschten, daß vor allem andern dieser Entwurf auf dem Reichstag vorgenommen und durchgeführt würde. Unmöglich aber durften die Protestanten dieß geschehen Ranke D. Gesch. V. 23 Zehntes Buch. Fuͤnstes Capitel . lassen, oder auch nur überhaupt die Einrichtung einer star- ken executiven Gewalt zugeben, ohne vorher über die wich- tigste gesetzliche Frage, den religiösen Frieden, beruhigt zu seyn. Unter den Umständen jener Zeit mochten die Gegner, da das Gedächtniß an die letzten Ereignisse noch frisch war, wohl nicht daran denken, die Protestanten zu bekriegen; aber wie leicht konnten die Dinge sich ändern: eine starke Reichs- gewalt in katholischen Händen, gegen die sie nicht rechts- beständig gesichert waren, konnte ihnen einmal so gefährlich werden wie der Kaiser geworden war. Es sieht wie eine nichtsbedeutende Formfrage aus, wenn man vorläufige Berathungen darüber eröffnete, welcher Ge- genstand zuerst vorgenommen werden solle, der Religions- friede oder der Landfriede, aber es ist eine Differenz welche die Summe der Dinge berührt. Die Protestanten fürchteten, wenn über den Landfrieden beschlossen sey, werde man ihnen den Religionsfrieden er- schweren, vielleicht, ehe derselbe bewilligt worden, den Reichs- tag abbrechen. In dem Churfürstenrath wurde auch diese Angelegen- heit, wie jetzt alle andern, zuerst vorgenommen, lange jedoch ohne Erfolg; fünf Mal ward Umfrage gehalten, ohne daß man zu einer Mehrheit hätte gelangen können; schon ge- schah der Vorschlag, daß man die verschiedenen Meinungen dem Fürstenrath referiren solle. Die weltlichen Stimmen, welche auf die Priorität des Religionsfriedens drangen, hatten jedoch den Vortheil, daß ihre Forderung den vorhergegangenen Beschlüssen besser ent- sprach. In dem Passauer Vertrage hieß es, daß der Reichs- Reichstag zu Augsburg 1555. tag die Religionssache bald anfangs vornehmen solle; sie erinnerten ihre geistlichen Collegen, daß auch sie jene Ab- kunft „bei ihren fürstlichen Ehren, in guter rechter Treue, und bei dem Worte der Wahrheit bekräftigt“: würde man von derselben auch nur in Einem Puncte abweichen, so würde alles was darin bestimmt sey, zweifelhaft oder ungültig wer- den. Dazu kam, daß das Collegium, wenn es sich entzweite, an seiner Autorität verlor, was den geistlichen Mitgliedern so wenig erwünscht war wie den weltlichen. Churfürst Johann von Trier, ein geborner Isenburg, der auch sonst als ein gemäßigter und vaterländisch-gesinn- ter Mann erscheint, wie wir denn wohl anführen dürfen, daß ihn Sebastian Münster wegen der Förderung rühmt, die er ihm vor den meisten andern Fürsten zu seiner Kosmo- graphie gethan, erwarb sich das Verdienst, endlich, bei der sechsten Umfrage, auf die Seite der weltlichen Stimmen zu treten. Dadurch war die Mehrheit entschieden; doch hatte es auch dabei nicht sein Verbleiben: Cölln und Mainz folg- ten dem Beispiele Triers nach. Ganz einhellig, und in sol- chen Ausdrücken, in welchen alle Andeutung einer ursprüng- lichen Verschiedenheit der Ansichten vermieden war, faßten die Churfürsten den Beschluß, daß am Reichstag zuerst über den beharrlichen Religionsfrieden berathschlagt werden solle. In dem Fürstenrathe fehlte es nicht an Einwendungen dagegen. Die saͤchsischen Gesandten bemerken: Herzog Heinrich von Braunschweig hat sich noch besonders „unnuͤtz gemacht.“ Die bran- denburgischen bezeichnen den Erfolg in ihrem Schreiben vom 13ten Maͤrz mit diesen Worten: „dabei aber gleichwol so viel abgearbeitet, Besonders machte man geltend, daß der Profan- 23* Zehntes Buch. Fuͤnstes Capitel . friede zunächst bedroht sey, und daher die nächste Fürsorge erfordere; kaiserliche Schreiben und neue Zeitungen wurden eingebracht nach denen ein unmittelbarer Friedensbruch be- vorstehn sollte. Auch meinten wohl Einige, sey erst der Re- ligionsfriede beschlossen, so werde man auf die Einrichtun- gen des Landfriedens nicht mehr Bedacht nehmen. Und wenigstens diese letzte Besorgniß brachte auf die geist- lichen Churfürsten einen gewissen Eindruck hervor. Aber die weltlichen gaben ihnen ihr Wort, daß nach der Festsetzung des Religionsfriedens die Berathung über den Profanfrieden unfehlbar folgen solle. Aller Widerrede zum Trotz mußten am Ende auch die Fürsten sich fügen. Es hat acht Tage lebhaften Kampfes gekostet, ehe man so weit kam; der Ausfall desselben aber gab nun auch für die Hauptsache, zu der man nunmehr schritt, eine größere Sicherheit. Berathungen über den Religionsfrieden. Von allen Forderungen welche die Protestanten jemals aufgestellt, war die wichtigste, daß ihnen ein nicht mehr durch die Aussicht auf eine conciliare Beschlußnahme beschränkter, son- dern ein unbedingter immerwährender Friede bewilligt würde. Nicht als hätten sie mißkannt, wie wünschenswerth für das wir numehr (spaͤterer Zusatz: sonderlich im Churfuͤrstenrathe) ei- nigk seien, das die handlung dieses reichstags nach der ordnung und inhalt der Passauischen handlung und Abschiedes zu dirigiren und zu richten, item, das in keinen ausschuß zu bewilligen (d. h. der Gesammt- heit), item, das die frankfordisch handlung gar hinwegzuthun, welches die vornehmsten puncte unsrer Instruction.“ Berathungen uͤber den Religionsfrieden . die deutsche Nation eine religiöse Wiedervereinigung wäre; aber sie wollten dieselbe nicht mehr von einem Concilium erwarten: schon in Bezug auf den Glauben nicht, für den sie eine festere Grundlage gewonnen, als die in der leicht von zufälligen Einflüssen zu bestimmenden Entscheidung ho- her Prälaten lag, eben so wenig aber für die äußeren Ver- hältnisse der Kirche, wo die Abweichungen, die sie getroffen, das ganze Wesen ihres Staates bedingten. Von allgemeinem Standpunct angesehen, war die Frage die: ob es in der abendländischen Christenheit noch ein als unfehlbar betrachtetes höchstes Tribunal geben sollte, dessen Entscheidungen für Jedermann verpflichtend seyen und mit Gewalt durchgeführt werden müßten. Nicht allein die All- gemeingültigkeit dogmatischer Festsetzungen hieng davon ab, sondern auch, und darin liegt noch mehr ihre welthistorische Bedeutung, alle freie Staatenbildung, zunächst das Bestehn der bereits in der germanischen Welt begonnenen minder kirchlichen Gründungen. Gewährte das Reich einen von keiner conciliaren Ent- scheidung bedingten Frieden, ward dieser zu einem Reichs- gesetz erhoben, so bedurfte es keiner weitern Concession der bisherigen obersten Kirche t, die sich auf ihre Ortho- doxie zurückziehen mochte, aber doch niemals weiter auf legale Unterstützung der Reichsgewalt rechnen konnte. Viel- mehr wäre diese sogar zum Widerstand gegen jeden einsei- tigen Versuch der Gewalt verpflichtet gewesen. Über diese Frage waren die Protestanten im Jahr 1545 mit dem Kaiser zerfallen: sie gab, wie wir sahen, den ei- gentlichen Anlaß zum schmalkaldischen Kriege; nachdem aber Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . der Kaiser gesiegt, war sie noch vollkommener in das allge- meine Bewußtseyn getreten: die Vorbereitungen die dieser nicht ohne Gewalt zur Wiedervereinigung getroffen, darauf die Besorgniß vor einer nahen Entscheidung des Conciliums hatten die Geister in jene allgemeine Gährung gebracht, aus der das Unternehmen des Churfürsten Moritz wenigstens zum Theil entsprang und gewiß seine beste Unterstützung zog. Der Umschwung des Glückes der hieraus erfolgte, brachte dann auch die große Frage sofort wieder in Gang. Der unbedingte Friede war die erste Forderung welche die Pro- testanten in Passau aufstellten, sie enthält die Summe dessen in sich, was ihnen nothwendig war. Wir sahen, wie sich der Kaiser auch unter den ungün- stigen Umständen in denen er sich damals befand, nicht be- wegen ließ sie zu bewilligen. Er hatte sich nun einmal von jeher als den Verfechter und Repräsentanten der großen kirch- lichen Einheit betrachtet. Er drang auch fortan auf die Ver- gleichung der Religion und behielt sie sich vor: nur daß er sich mit minderer Bestimmtheit über die Art und Weise sie zu Stande zu bringen ausdrückte: er gewährte nichts als einstweiligen Frieden. Wäre er wieder Herr im Felde gewor- den, so würde er leicht die Dinge in den alten Gang zurück- geleitet haben. Allein sein Glück war so schwankend gewe- sen, sein Ansehen im Reich so sichtbar in Abnahme gerathen, daß er, die Kräfte erwägend die ihm entgegenstanden, nicht mehr hoffen durfte mit seinem Gedanken durchzudringen. Aber auch das ließ sich nicht erwarten, daß er ihn auf- geben, oder es nur auf die Gefahr ankommen lassen würde, von dem Reiche zu einem seiner Sinnesweise entgegengesetzten Berathungen uͤber den Religionsfrieden . Beschluß getrieben zu werden. Wie er immer gesagt, eher war er entschlossen, das Reich sich selber zu überlassen. Dieß ist der Grund, weshalb er Verzicht darauf lei- stete an dem Reichstag zu erscheinen und die Verhandlung so ganz seinem Bruder überließ. Wir könnten es schon ver- muthen, aber wir wissen es auch aus seinem Munde. Was seine öffentlichen Ausschreiben, enthielten, erläutert er seinem Bruder in einem Briefe vom 10ten Juni 1554 ausführli- cher. Er sagt darin, daß Ferdinand als römischer König auf dem Reichstag alles entscheiden möge, was daselbst vorkomme, ohne von seiner Seite Resolution zu erwarten; die Commissarien die er senden werde, sollen sich doch in die Entscheidung nicht zu mischen haben; diese überlasse er vielmehr dem König und den Ständen vollkommen, nicht in seinem Namen noch in seiner Vollmacht. „Und um Euch den Grund hievon anzugeben,“ fügt er hinzu, „es ge- schieht allein aus Rücksicht auf die Religion, über welche ich meine Scrupel habe.“ Er bittet ihn, keinen andern Grund irgend einer Art zu vermuthen und sich vielmehr daran erinnern zu wollen, was er ihm vollständiger in Villach ge- sagt habe. Die Worte: Et pour vous dire la cause ‒ ‒ et vous priant non la vouloir imaginer autre, c’est seulement pour le respect du point de la religion, auquel j’ai mes scrupules, que je vous ai si pertinemment et plainement declairé et même en ma dernière detenue a Villach. Der ganze Brief aus dem Bruͤsseler Arch. im Anhang. Und nun forderte er zwar auch seinen Bruder auf, nichts anzunehmen, wodurch sein Gewissen beschwert, oder der Zwie- spalt vergrößert und dessen Abhülfe in allzu weite Ferne ge- Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . rückt würde: er hegte die Hofnung noch, das letzte, wider- wärtigste Zugeständniß werde sich vermeiden lassen; war das aber nicht möglich, so wollte er wenigstens nichts damit zu schaffen haben. In ihm hatte sich die religiöse Überzeugung mit dem Selbstgefühl des Staatsmannes durchdrungen, der den Schimpf nicht erleben will, den Gedanken fallen lassen zu müssen, den er mit allen Mitteln lange Jahre daher zu verwirklichen getrachtet. Mochte dann sein Bruder mit sich selber zu Rathe gehn und die Dinge so weit führen als er vermochte. Nun leuchtet ein, wie sehr sich hiedurch die Lage der Dinge änderte. Der Kaiser, der bei den Verhandlungen in Passau der sonst bei den Anwesenden allgemein geworde- nen Überzeugung von der Nothwendigkeit des unbedingten Friedens allein Widerstand geleistet, zog sich zurück und ließ denselben freien Lauf. Freilich fehlte noch viel, daß die Sache damit entschie- den gewesen wäre. An dem Reichstage wurde das geistliche Interesse bei weitem stärker repräsentirt als in Passau. Überdieß war es aber jetzt durch die Thätigkeit des braunschweigisch-fränkischen Bundes bei weitem besser gesichert und der Bedrängnisse über- hoben, welche damals zur Nachgiebigkeit genöthigt hatten. Auch ist es doch ganz etwas anders, eine Sache vorläufig für wünschenswerth zu erklären, wie dort geschehen war, und sie auf immer zu bewilligen, was der Erfolg eines Reichs- tagsbeschlusses werden mußte. Glücklicherweise war das Churfürstencollegium friedlich gesinnt. Die geistlichen Churfürsten waren noch eben Die, Berathungen uͤber den Religionsfrieden . welche durch die albrechtischen Züge erfahren hatten, wohin Religionskriege führen; wer stand ihnen dafür, daß nicht bald ein neues kriegerisches Oberhaupt sich aus den Reihen ihrer Gegner erhob? Zwei von ihnen waren Mitglieder des heidelbergischen Bundes, und dadurch noch besonders zu ei- nem gemäßigten Verfahren gegen die Genossen einer andern Confession verpflichtet. Das mußte denn auch in dem Fürstenrathe unter an- dern auf Herzog Albrecht von Baiern wirken, der demsel- ben Bunde angehörte und der sich auch sonst als ein schlech- ter Freund der Spanier und ihrer Tendenzen auswies. Schon der Ausfall der vorläufigen Frage hatte das Verhältniß beider Räthe, das Übergewicht des churfürstlichen im Allgemeinen herausgestellt. In diesem kam nun auch die Frage von dem unbeding- ten Frieden zuerst zur Verhandlung, und zwar zunächst in einem Ausschuß desselben, der dadurch gebildet wurde, daß nicht die gesammten Gesandtschaften erschienen, sondern von jeder nur Ein Rath. Meine vornehmste Quelle fuͤr dieß und alles Folgende sind 4 Foliobaͤnde im Dresdener Archiv, betitelt: Augsburgische Reichs- tagsacten 1555. Die Schreiben von Lindemann und Kram an Chur- fuͤrst August enthalten nicht allein die Protocolle des Churfuͤrstenra- thes, sondern auch sehr willkommene Erlaͤuterungen der bei der gan- zen Verhandlung vorgekommenen Motive. Und hier wurden nun anfangs einige sehr abweichende Gedanken geäußert. Eine geistliche Stimme rieth, den Ab- schied von 1530 zu Grunde zu legen: die weltlichen erwie- derten, daß dieß das Mittel seyn würde, — denn gegen die- sen Abschied hatte sich die ganze Bewegung des Protestan- Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . tismus erhoben, — nicht Friede zu stiften, sondern den al- ten Haß zu erneuern. Cölln meinte, man möge kaiserlicher Majestät nochmals die Vergleichung heimstellen, — eben da- hin aber hatte man bis jetzt gearbeitet, dem Kaiser die Sache aus der Hand zu nehmen; er selbst ließ sich nicht träumen, daß dieß nochmals geschehen konnte. Nach einigem Hin und Herreden mußte man nothwendig auf die in Passau gefaßten Gesichtspuncte und Vorschläge zurückkommen. Der Canzler von Mainz übernahm, aus dem Abschied von 1544, der jetzt endlich wieder zu Ehren kam, und den Passauer Be- schlüssen einen Entwurf zu neuen Artikeln zusammenzuziehen, die in der That die Grundlage des Religionsfriedens gewor- den sind. Wie sie der Churfürstenrath annahm, so ward darin nicht allein die in Passau beliebte Formel wiederholt, daß man zwar auf eine Vergleichung durch christliche freund- liche Mittel denken werde, der Friede aber bestehen solle, auch wenn die Vergleichung nicht zu Stande komme, son- dern diese ward auf den Vorschlag des sächsischen Gesand- ten durch den Zusatz noch verstärkt, „es solle in alle Wege ein beständiger, beharrlicher, unbedingter, für und für ewig währender Friede beschlossen und aufgerichtet seyn.“ Der Churfuͤrstlichen Raͤth Bedenken und Relation, welcher- maaßen auß dem Abschiede zu Speier aō 1544 der Religionfriede zu begreifen, mit foͤrmlicher Rubrik: Hactenus, bei Lehmann p. 25. Eine vorläufige Frage erhob sich hiebei noch, wie nem- lich die beiden Parteien zu bezeichnen seyen, zwischen denen der Friede geschlossen werde. Trier machte den Vorschlag, die Einen als Bekenner der alten katholischen Religion, die Andern als Verwandte der Confession die im Jahr 1530 Berathungen uͤber den Religionsfrieden . übergeben worden, aufzuführen. Es verdient angemerkt zu werden, daß die weltlichen Churfürsten schon das Erste zu- rückwiesen, denn auch auf der andern Seite bekenne man eine einzige katholische Kirche; selbst den Ausdruck „Ver- wandte der alten Religion“ gaben sie nur zu, weil er schon im Passauer Vertrag gebraucht worden; aber noch viel be- merkenswerther und auffallender ist es, daß sie die ausdrück- liche Beschränkung auf die im Jahre 1530 übergebene Con- fession verwarfen. Sie erinnerten sich, daß die kleine auf die Herstellung der Eintracht in der Abendmahlslehre be- zügliche Abänderung der ursprünglichen Worte von den Geg- nern schon öfters hatte benutzt werden wollen sie zu ent- zweien. Nicht allein Pfalz stimmte gegen die Nahmhaftma- chung der Jahrzahl, sondern auch Sachsen war dagegen. Der sächsische Bevollmächtigte erklärte, die Dinge so enge einzuziehen, würde Mißtrauen erzeugen: hier handle man nicht von Religionsartikeln, sondern vom Frieden; am besten werde man thun, wenn man auch hier dem passauischen Ver- trage folge, worin die Confession im Allgemeinen genannt worden, ohne das Jahr. Schreiben der saͤchsischen Gesandten o. D., in der Samm- lung zwischen den Briefen vom 16 und 22 Maͤrz eingeschaltet. Im Anhang. Und so war der Beschluß, einen Frieden aufzurichten, der unberührt von den Differenzen der religiösen Systeme, der protestantischen Meinung und Verfassung im Ganzen und Großen ein ungefährdetes Daseyn gewähren, aller Ge- waltsamkeit aus religiösem Grunde zwischen den verschiede- nen Ständen auf immer ein Ende machen sollte. Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Als nun aber dieser Entwurf in den Fürstenrath kam, fand er den größten Widerspruch. Der päpstliche Nuntius Morone erinnerte die geistlichen Fürsten, welche hier die Mehrzahl ausmachten, an die Pflicht, mit der sie dem römischen Stuhle verwandt seyen. Hierauf erklärte Bischof Otto Truchseß von Augsburg, daß er von dem vorgelegten Entwurf des Friedens weder viel noch wenig bewilligen könne; er vermaß sich, ehe er auf Verhandlungen darüber eingehe, Leib und Leben, alles was er auf Erden habe, zu verlieren. Protestation bei Lehmann: de pace religionis acta publica p. 24. Viele andere meinten, daß man von einem künftigen Austrag in der Religion nicht absehen, nur einen beschränk- ten Frieden zugestehn, alle Streitigkeiten darüber zur Decla- ration des Kaisers stellen müsse. König Ferdinand machte noch einen Versuch, die ganze Berathung auf den Landfrieden zurückzuführen. Er ließ die churfürstlichen Gesandten persönlich zu sich kommen, um sie dazu zu vermögen, und legte im Reichsrath darauf bezüg- liche Supplicationen vor. Dagegen aber ergriffen die protestantischen Mitglieder des Fürstenraths den Entwurf der Churfürsten mit aller Theil- nahme die er verdiente; besonders zeigte sich Christoph von Würtenberg, den man als „den Rädelsführer der Partei“ bezeichnete, unerschütterlich. Indessen würden sie schwerlich durchgedrungen seyn, hät- ten sie nicht von außen her einige Unterstützung bekommen. Im März 1555 vereinigten sich die Häuser Sachsen, Berathungen uͤber den Religionsfrieden . Brandenburg und Hessen wie berührt zur Erneuerung ihrer alten Erbverbrüderung. Es war recht das Gegentheil von den religiösen Entzweiungen, die bei einem ähnlichen Vorha- ben, im J. 1537 zu Zeiz, zwischen ihnen ausgebrochen, daß sie jetzt dem römischen König einmüthig ihren Entschluß er- klärten, an der augsburgischen Confession festzuhalten und in religiösen Dingen keine Stimmenmehrheit anzuerkennen. Sie beschwuren ihn, sich nicht durch fremde, der deutschen Nation vielleicht feindselig gesinnte Leute von dem hochbe- theuerten passauischen Vertrag abführen zu lassen, vielmehr die Zusage die er einst gegeben, einen beharrlichen Frieden aufrichten zu wollen, nunmehr zu erfüllen. Copia Schreibens von etlichen Chur und Fuͤrsten aus Naum- burg bei Lehmann 116. Der sächsische Gesandte weiß nicht auszudrücken, wie viel guten Namen diese Erklärung der erbverbrüderten Fürsten mache, auch in der Stadt Augsburg: in öffentlicher Predigt habe man Gott dafür Danksagung dargebracht. Ferner aber geschah, daß nach dem Tode des Papst Julius (am 24sten März 1555) die beiden heftigsten Geg- ner des Entwurfs, Morone und Truchseß, beides Cardinäle der römischen Kirche, den Reichstag verließen, um sich zum Conclave zu begeben. Da dergestalt die Einen verstärkt, die Andern geschwächt wurden, so überwog allmählig die mildere Meinung. Die geistlichen Fürsten nahmen zwar nicht, wie ihre weltlichen Collegen, den churfürstlichen Entwurf förmlich an: sie mach- ten vielmehr in dem besondern Gutachten das sie eingaben, viele Ausstellungen dagegen; aber sie wiesen ihn doch auch Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . nicht geradehin von sich: sie giengen auf die Hauptgrund- lagen ein, freilich mit dem Vorbehalt, so weit es ihre geist- liche Amtspflicht erlaube. Merkwürdig welchen Eindruck sie durch diese Erinnerung wie durch jene frühere doch noch einmal bei ihren Amtsbrüdern den Erzbischöfen im Churfürstenrathe hervorbrachten. Es schien fast als wollten diese jetzt auf dieselbe Weise sich verclausuli- ren. Nicht von ihnen, meinten sie, rühre die Einwendung her: da sie aber einmal vorgebracht worden, würden sie ohne Tadel sich nicht weigern können ihr beizupflichten. Die weltlichen Rä- the erinnerten: sie rühre von Leuten her, die dem Papste mehr verwandt seyen als dem Reiche. Sie wollten nichts davon hören, daß jene sich wenigstens Zeit ausbaten, um von ihren Herrn Bescheid über diese neue Schwierigkeit einzuholen; dann, sagten sie, würden auch sie Resolution von den ihren verlangen, bis wohin dann jede weitere Berathung unter- bleiben müsse; sie hatten den Muth die Sitzung ohne Wei- teres abzubrechen. Denn das leuchtete im ersten Augenblicke ein, daß unter einem solchen Vorbehalt, der dem Einfluß des römischen Stuhles, auf den er sich hauptsächlich bezog, Thür und Thor geöffnet hätte, an keine Beendigung des re- ligiösen Streites, keine Festsetzung des Friedens zu denken gewesen wäre. Was der Kaiser schon nicht bewilligen wol- len, war von dem Papst nimmermehr zu erwarten. Wohl fühlten das auch die geistlichen Räthe: sie bereuten ihren Mißgriff fast in demselben Augenblick, in dem sie ihn began- gen. Schon indem man nach Hause gieng, näherten sich einige von ihnen den brandenburgischen Gesandten mit be- gütigenden Worten. Bald darauf erschien der mainzische Berath. uͤb. d. Religionsfr. Jurisdiction . Canzler in der Wohnung der sächsischen Abgeordneten, und bat sie, die gewöhnliche Post an ihren Herrn, durch welche sie von diesem Ereigniß hätten Nachricht geben müssen, nicht abzufertigen. Er verwarf jetzt diese Clausel selbst mit den stärksten Ausdrücken. „Ist uns der mainzisch Canzler in unser herberg nachgangen und uns gebeten, wir wolten je keine post abfertigen, sondern der sa- chen bis auf den andern tag anstand geben, auch unter andern ge- redt, der teufel hette diese clausel gemacht, er muste selber bekennen daß sie nichts werth.“ In den Erzbischöfen und Churfür- sten war von jeher ein lebendiges Gefühl der Autonomie des Reiches, die sie auch im Gegensatz gegen Rom behaup- teten. Den andern Tag ließen sämmtliche Stimmen jenen Vorbehalt fallen. Nun erst konnte der Beschluß, den beharrlichen Frieden zu Stande zu bringen, einigermaßen gesichert scheinen: vor- ausgesetzt daß man sich über die einzelnen Bestimmungen die dabei getroffen werden mußten, einverstehn würde. Am leichtesten kam man mit dem Artikel über die Ju- risdiction zu Stande. Die geistlichen Fürsten beider Colle- gien sahen ein, daß der Vorbehalt der Jurisdiction den Frie- den, ja das Daseyn des Protestantismus überhaupt unmög- lich machen würde. Sie mußten nur darüber beruhigt wer- den, daß man nicht die Capitel aus protestantischen Städ- ten verjagen wolle. Unter dieser Bedingung gaben sie zu, was ohnehin nicht mehr zu ändern stand. So leicht es aber auch ward, so liegt hierin doch im Grunde die Summe der Dinge. Das Bestehen der protestantischen Kirchen gewann erst dadurch allgemeine rechtliche Anerkennung. Was einst Phi- lipp von Hessen im ersten Eifer dem Churfürsten von Mainz Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . abzwingen wollen, ward jetzt durch Reichsbeschluß allen Evan- gelischen gewährt. Auch bei dem Artikel über die geistlichen Güter erhoben sich nicht so viele Schwierigkeiten als man an sich hätte er- warten sollen, und als selbst noch der erste Entwurf, der eine Menge Ausnahmen zum Vortheil einzelner Personen enthielt, erwarten ließ. Die sächsischen Gesandten erwarben sich das Verdienst, einen annehmbaren Vorschlag einzubrin- gen. Er lautete dahin, daß alle eingezogenen Güter, welche nicht Reichsunmittelbaren angehörig gewesen, in dem Frie- den begriffen seyn, Niemand ihrethalb angefochten werden solle. Dahin waren schon lange alle Erklärungen der pro- testantischen Fürsten gegangen, daß man nicht diejenigen Gü- ter auf welche das Reich gegründet sey, angreife, sondern nur die andern, welche in jedem Lande gelegen, zu verwenden gedenke. Es war eine andre Frage, die sich bei pfälzischen Ansprüchen erhob, ob es nicht wieder einem Zweifel unter- liege, in welche der beiden Kategorien jede Stiftung ge- höre: genug daß man den Grundsatz anerkannte. Ob aber nicht über die Verwendung der dergestalt der Hierarchie ent- fremdeten Güter etwas bestimmt werden sollte? Mainz war nicht dafür. Was gegeben, sagte der Canzler, sey für voll gegeben worden; sie seyen doch weg, wer wolle ihnen nach- fragen? Dagegen ward von den Fürsten eine Clausel bean- tragt und wirklich in den Abschied gebracht, nach welcher das nur von den Gütern gelten sollte die schon zur Zeit des Passauer Vertrags eingezogen gewesen. „Man moͤge sie sieden oder braten.“ Schreiben der saͤch- sischen Gesandten vom 14ten April. Berath. uͤb. d. Religionsfr. Geistliche Guͤter . Überhaupt, was bereits geschehen, ließ man sich gefal- len: die großen Irrungen erhoben sich darüber was in Zu- kunft geschehen dürfe. Die weltlichen Churfürsten forderten auf den Vorschlag der Pfalz, daß der Friede allen Denen zu Gute kommen müsse die ihrer Confession auch in Zukunft beitreten würden. Noch einmal regte sich hierüber in den geistlichen die Vor- aussetzung daß der alte Zustand der allein rechtliche gewe- sen: und Cölln meinte wohl, jede weitere Neuerung müsse ernstlich verboten werden. Die weltlichen versetzten: ob es nicht heiße, den Frieden in Unfrieden verkehren, wenn man Diejenigen mit dem Schwert verfolgen wolle, die zu ihnen träten? Die Verhandlungen über diesen Artikel mußten un- terbrochen werden; es dauerte einige Zeit, ehe sich die Geist- lichen von den Begriffen losrissen, die allerdings den al- ten Einrichtungen zu Grunde lagen und die Geister lange Jahrhunderte beherrscht hatten. Unter Vortritt von Mainz gaben sie endlich zu, daß die Anhänger der augsburgischen Confession nicht angegriffen werden sollten, „zu welcher Zeit sie auch derselben verwandt geworden.“ Ein neuer Sturm erhob sich, als dieser Entwurf in den Fürstenrath kam. Die weltlichen Fürsten, die sonst nicht nachzugeben pflegten, zo- gen dieß Mal vor, die letzte Clausel wegzulassen, und ein- fach dabei stehen zu bleiben, daß Niemand wegen der augs- burgischen Confession angegriffen werden dürfe. Nach dem Bericht der saͤchsischen Gesandten wurden sie von den Geistlichen gelobt: „theten ganz billig daß wir jnen nachgeben was uns nicht schadete, und jhnen gegen andern vorweislich; was Und war Ranke D. Gesch. V. 24 Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . das nicht im Grunde dasselbe? Die Zeitbestimmung diente nur Widerspruch zu erwecken. Schon genug, daß der Friede nicht ausdrücklich auf die bereits Beigetretenen beschränkt wurde. Geistliche und weltliche Churfürsten trugen kein Be- denken, hierin dem fürstlichen Collegium nachzugeben. Damit aber näherte man sich einer andern Frage, der wichtigsten und in sich selbst schwierigsten, die bei den Be- stimmungen des Friedens überhaupt vorgekommen ist. Wie nun, wenn auch Diejenigen die Confession annah- men, welche die Hochstifter des Reiches inne hatten? Durch die Bestimmungen die man getroffen, wären auch sie in den Frieden eingeschlossen gewesen. Erzbischöfe und Bischöfe, die geistlichen Churfürsten selbst hätten Protestanten seyn können. Dem evangelischen Bekenntniß wäre die Aussicht eröffnet wor- den, im Laufe der Zeit noch einmal zur vollen Herrschaft im Reiche zu gelangen. Man gab wohl an, daß hiemit das Bestehen des Rei- ches überhaupt gefährdet sey: aber ohne Zweifel mit Un- recht. Die Einwendung, daß die Stifter erblich werden wür- den, ließ sich leicht widerlegen. Man brauchte nur, wie die anwesenden Räthe vorschlugen, durch eine besondere Reichsconstitution festzusetzen, daß dieß nicht geschehen dürfe, daß die Hochstifter bei ihren Wahlen und ihrer sonstigen Verfassung zu lassen seyen; dann lag hierin sogar das ein- zige Mittel, die Einheit des Reiches durch die Gleichheit des Bekenntnisses in geistlichen und weltlichen Herrschaften wie- man aber viel disputirt, die meinung haͤtt es und solt es haben daß die alle fride solten haben so zu uns treten wolten: welchs denn vlei- ßig prothocollirt worden.“ Ber. uͤb. d. Religionsfr. Geistlicher Vorbehalt . derherzustellen und für immer aufrecht zu erhalten. Melanchthon de reservato ecclesiastico. Corp. Ref. VIII, 478. „Dann menschlich ist kein ander Weg zur Einigkeit zu geden- ken, dann dieser das die Warheit soll fuͤr und fuͤr mehr bischoͤfe Fuͤrsten und andre Regenten bewegen diese Lehre anzunehmen und zu pflanzen. Aber unleugbar ist, daß der Vorschlag die größte Gefahr für den Katholicismus einschloß. Bei weitem die meisten Reichsfür- sten waren evangelisch, und leicht konnten alle Stifter von ihnen eingenommen werden. Man darf sich nicht wundern, wenn sich die Geistlichen lebhaft zur Wehre setzten. Sie schlugen vor, das Zugeständniß, daß Niemand wegen der Religion angegriffen werden solle, ausdrücklich auf die welt- lichen Stände zu beschränken, so daß es niemals auf geist- liche angewendet werden könne. Sie führten aus, daß Ent- setzung von Amt und Würden die natürliche Folge des Über- tritts sey. Die weltlichen Räthe antworteten, einmal, daß dadurch der Friede wieder gefährdet werde: die Confessions- verwandten würden ihre Freunde und Blutsverwandten nicht um der Religion willen entsetzen lassen; — und sodann: sey es nicht schimpflich für die Confession, daß sie nur von Weltlichen, nicht auch von Geistlichen bekannt werden solle? es liege eine Art von Strafe darin, daß Jemand des Be- kenntnisses halber von den geistlichen Würden ausgeschlossen sey. Mochten sie aber auch sagen was sie wollten, Ein Argument des Zasius war: „es solten imer die bischoͤfe so lutterisch werden wolten, billich daran begnuͤgen lassen, das es einem irer person halber frei gelassen, den so sie der lehr aus drin- gender Conscienz und Zelo wollten anhangig seyn, so solten sie der dieß Mal drangen sie nicht durch. Mainz, das sonst in den meisten Stücken den Weltlichen beigetreten war, hielt jetzt 24* Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . auch deshalb fest, weil so eben nach dem Tode Heusen- stamms ein neuer Erzbischof, Daniel Brendel, eintrat, der Rücksicht auf die päpstliche Confirmation nehmen mußte. Auch die Weltlichen aber gaben nicht nach. Was in den andern Puncten glücklich vermieden worden, geschah in die- sem: dem römischen König wurden zwei entgegengesetzte Gut- achten eingereicht. Die Reichsstädte, welche noch immer die Nachwehen ihrer Niederlage von 1547 fühlten, zumal da sie sich 1552 nicht wieder zu einem gemeinschaftlichen Interesse vereinigt, nahmen an, wessen sich die obern Stände verglichen, und stimmten bei, daß wegen des Unverglichenen der König an- gegangen werde. Der Frei und Reichsstaͤtte Resolution 20 Junii muͤndlich fuͤrgetragen; bei Lehmann p. 59. Und so kam noch einmal unendlich viel auf König Fer- dinand an, in den verglichenen Artikeln auf seine Beistim- mung, in den unverglichenen auf seine Entscheidung. Ehe er sie gab, nahmen die Stände nun auch die an- dern Angelegenheiten von mehr weltlicher Natur vor, Profan- frieden und Kammergericht, wie im Anfang beschlossen worden. Wir haben ihrer schon öfter gedacht: erst jetzt aber, nachdem man über die Grundsätze des religiösen Friedens einig war und die Reichsgewalt nicht mehr zur Unterdrückung der doch auch auf Reichsschlüssen begründeten protestantischen Einrichtungen gebraucht werden konnte, bekam ihre Erörte- rung Bedeutung für die definitive Gestalt der Dinge. Guter nicht achten, nach der Lehr im Evangelio Ecce reliquimus omnia et te secuti sumus . Wie denn Zasius der Referent dieß ganz honisch geredt.“ Schreiben der saͤchs. Gesandten vom 20 Juni. Berathungen uͤber Friede und Recht . Berathungen über Friede und Recht. Darüber war man längst einig, daß die Bestimmungen des Landfriedens, dessen Grundlagen aus einer Zeit stamm- ten, wo von der religiösen Entzweiung noch nicht die Rede war, und dessen Mängel dann öfter verbessert worden, an und für sich wohl überlegt und zutreffend seyen, und daß es nur an der Handhabung mangle. Für diese hauptsächlich hatten die Kreise, die sich vor dem Jahr zu Frankfurt versammelt, durch eine neue Execu- tionsordnung sorgen wollen. Uͤber die Verhandlungen zu Frankfurt benutzte ich die Acten- stuͤcke die sich im Staatsarchiv zu Berlin finden. Der Entwurf den sie gemacht, ward jedoch schon darum nicht angenommen, weil er sich allzu sehr auf den damaligen Augenblick, die vorgegebene Gefahr vor Markgraf Albrecht bezog, so daß Brandenburg selbst die Einleitung verwarf; es ward vielmehr beschlossen die alten Reichsbeschlüsse zu Grunde zu legen. Allein darum war jener Entwurf nicht unnütz; un- aufhörlich ward er berücksichtigt, und gerade der Gegensatz verleiht den neuen Festsetzungen zum Theil ihren Character. Alles kam hiebei auf eine weitere Ausbildung der Kreis- verfassung an. Erwägen wir, wie wichtig diese in den spä- tern Zeiten des Reiches gewesen ist, wie alle lebendige Hand- habung der höchsten Gewalt darauf beruhte, so sind doch diese Berathungen nicht ohne große Wichtigkeit für unsre Geschichte. Der erste Mangel über den man mit Recht Klage führte, lag darin, daß wenn ein Stand Vergewaltigungen erlitt, erst Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . ein Kreistag ausgeschrieben werden mußte, und wenn dieser dann auf Hülfe schloß, doch noch immer einige Zeit vorüber- gieng, ehe man sich vorbereitet hatte dieselbe zu leisten. In Frankfurt nun hatte man den Entwurf gemacht, in jedem Kreise einen Obersten aufzustellen, der mit den ihm von den Ständen desselben beizugebenden Räthen, welche aber von der Pflicht gegen ihre besondere Obrigkeit entbun- den werden müßten, Beschlüsse fassen und Unternehmungen beginnen dürfe, in denen ihm sämmtliche Kreisstände beizu- stehn schuldig seyn sollten. Wie aber die Macht Eines Krei- ses selten zum Widerstand hinreiche, hatte man es weiter rathsam gefunden, zwei Generalobersten im Reiche aufzustel- len, einen über die sechs oberländischen, einen andern über die vier niederländischen Kreise, die von der Gesammtheit dieser Kreise, jedoch mit Vorwissen des Kaisers und unter Vorbehalt seiner Genehmigung, ernannt werden, und auf eine ähnliche Weise den allgemeinen Zuzug zu bestimmen haben sollten wie die Obersten in den einzelnen Kreisen. Ein Entwurf der den beiden Fürsten welche zu Gene- ralobersten erwählt worden wären, eine ungemein tief eingrei- fende, allen andern überlegene Macht verschafft haben würde. Nicht mit Unrecht bemerkte Joachim II , dieß sey mehr die Verfassung eines Bundes, — wie denn wirklich die An- ordnungen aus denen des schwäbischen und des schmalkal- dischen Bundes zusammengesetzt zu seyn scheinen, — als eine Reichsordnung. Die Churfürsten kamen bald überein, jene Generalobersten überhaupt gar nicht zuzulassen, und auch den Kreisobersten nur so viel Macht beizulegen, als zur Verthei- digung erforderlich sey, nicht eine solche die sie mißbrauchen oder mit der sie den Ständen beschwerlich fallen könnten. Berathungen uͤber die Executionsordnung . Wie das gesammte Executionswesen auf den Ordnun- gen beruhte, welche das Reichsregiment in den ersten Mo- naten seines Bestehens, Ende 1521, Anfang 1522, vorge- nommen, so hatte sich auf den Grund der damals beliebten Bezeichnungen „Als den,“ heißt es in dem ersten Schreiben des Regiments, „den wir im ‒ ‒ Craiß zu solchem sonderlich fuͤrgenommen.“ 17 Febr. 1524. N. S. d. Reichsabsch. ein Herkommen gebildet, kraft dessen in je- dem Kreise Ein Fürst das Amt der Berufung der Stände und der allgemeinen Leitung der Geschäfte erhielt, den man um das J. 1550 den kreisausschreibenden zu nennen an- fieng. Der Vorschlag geschah, zunächst von Sachsen, daß allemal der ausschreibende Kreisfürst zugleich auch Oberster seyn solle, wie denn wirklich später beiderlei Befugnisse bei- nahe ganz in einander geflossen sind und dann das wich- tigste Vorrecht gebildet haben das einem Reichsfürsten über- haupt zustand. Eben deshalb aber weil sich dieß voraussehen ließ, fand der Gedanke großen Widerspruch. Brandenburg, das mit Sachsen in Einem Kreise saß, diesem aber noch den Vor- rang lassen mußte, war nicht minder dagegen als die geist- lichen Churfürsten, die alsdann von ihrem weltlichen Collegen in der Pfalz überflügelt zu werden fürchteten. Es entstand eine Mehrheit in dem churfürstlichen Rathe die den Beschluß faßte, daß die Wahl des Obersten den Ständen jedes Krei- ses anheimgestellt bleiben solle, von denen dann der kreisaus- schreibende Fürst oder auch ein andrer gewählt werden könne. Die ihm beizugebenden Gehülfen wollte man nicht Räthe nennen, was eine Art von Unterordnung unter ihn auszu- drücken schien, sondern Zugeordnete. Man bedingte noch Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . ausdrücklich, daß dem Kreisausschreibenden oder dem Ober- sten durch dieß sein Amt keinerlei Vorrang zufallen solle. Die Frage entstand, ob nicht wenigstens die von den ver- schiedenen Ständen zu ernennenden Zugeordneten ihrer beson- dern Eidespflicht gegen dieselben zu erledigen seyen. Ur- sprünglich war Brandenburg so wie einige andre Stimmen dagegen. Da man aber dann festsetzen wollte, daß der Zu- geordnete die Versammlung verlassen müsse, so oft über eine seinen Herrn angehende Angelegenheit berathschlagt werde, so zog auch Brandenburg die Auskunft vor, daß derselbe zwar der Berathschlagung beiwohnen, aber auf diesen Fall seiner besondern Pflicht erlassen werden möge. „Haben wir es vohr nuͤtzlicher geachtet,“ schreiben die bran- denburgischen Gesandten, „das ehr (der Zugeordnete) seiner pflicht losgezalt wuͤrde, und bei der Berathschlagung bleiben moͤchte, daher wir uns in allewege geflissen die sachen dahin zu richten, das im obersaͤchsischen Kreis E. Ch. Gn. in allen Rheten, so der Execution oder Handhabung des Landfriedens halber muͤchten vorkommen, mit weren.“ Wir sehen, wie sorgfältig man Bedacht nahm, daß nicht durch die neue Ein- richtung der schon begründeten Landeshoheit Eintrag geschähe. Übrigens aber war man sehr bereit das Nothwendige zu lei- sten. Dem Obersten und den Verordneten ward die Befug- niß gegeben, dringenden Falles einen doppelten Romzug auf den Kreis auszuschreiben. Gegen den Vorschlag von Sach- sen, welches für jeden Kreis die Verpflichtung forderte, 500 M. z. Pf. und 1000 z. F. zu stellen, ward die Einwendung gemacht, daß die Kreise ungleichen Vermögens, und nicht wohl zu gleichen Leistungen anzustrengen seyen; und man hielt für besser, bei den Reichsanschlägen stehen zu bleiben. Auch war man einverstanden, daß nicht jedem Kreise die Berathungen uͤber die Executionsordnung . Sorge für sich selbst überlassen werden dürfe, sondern daß in jedem erheblichen Fall deren fünf zusammentreten, die Ko- sten tragen und die Mannschaften stellen sollten. „Damit nicht etwa, wenn Einem ein Rad uͤbers Bein gehe, ein Andrer sich freuen moͤge.“ Die An- führung bestimmte man alle Mal dem Obersten desjenigen Kreises, welcher der Überwältigte sey und die Hülfe der an- dern in Anspruch nehme. Die Säumigen wurden mit den schwersten Strafen bedroht. Als dieser Entwurf in den Fürstenrath gelangte, gieng es damit wie es mit den übrigen Entwürfen gegangen war: die geistlichen Fürsten suchten ihn nach ihren eigenthümlichen Bedürfnissen und Gesichtspuncten umzugestalten. Da sie besorgten, die neue Einrichtung dürfte doch in den Händen der weltlichen Fürsten ihnen zum Nachtheil ge- reichen, so suchten sie die Ernennung der Kreisobersten wo möglich in die Hände des Kaisers zu bringen, von dem sie ihrerseits Rückhalt und Unterstützung erwarteten. In die- sem Sinne arbeitete besonders der Canzler des Bischofs von Augsburg, Dr Braun. Saͤchsische Gesandte 5 Aug.: „Der Ausschuß (des Fuͤrsten- raths) hat wiederumb einen engen Ausschuß, als nemlich des Hz. von Wirtenpergk und D. Braun des Cardinal von Augspurg Ge- sandten erwelet. Des Hz. v. W. Gesandter hat Dr Braun das Con- cept ganz allein uͤbergeben, welcher dann das Concept gestelt und und unsre Ordnung mit Fleiß invertirt.“ (Anfang August kam der Entwurf in den Churfuͤrstenrath zuruͤck.) Die allgemeine Stimmung aber war nicht der Art, um ein solches Vorhaben zu befördern. Nachdem der Einfluß des Kaisers seit mehreren Jahren so tief herabgekommen, konnte man nicht daran denken densel- ben auf diesem Wege wieder zu erneuern. Von jenen Vor- Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . schlägen wurden einige schon innerhalb des Fürstenraths be- seitigt; die übrigen zu verwerfen, blieb den Churfürsten über- lassen, deren Gutachten zuletzt in diesem, wie in den mei- sten andern Puncten angenommen und zum Reichsgesetz er- hoben ward. Und nicht allein gegen innere Unruhen sollte die neue Ordnung dienen, sondern man beschloß sie auch bei den An- griffen auswärtiger Feinde in Anwendung zu bringen. Nur erhob sich hiebei der Zweifel, ob die Verpflich- tung einem Kreise zu Hülfe zu kommen auch auf den nie- derländischen erstreckt werden solle, der in einem beinahe fort- währenden Kriege mit Frankreich lag. Die Sache würde gar nicht haben in Frage kommen können, wenn sich die Nieder- lande ernstlich zum Reiche gehalten, besonders, worauf alles ankam, sich dem Kammergericht unterworfen hätten. König Ferdinand vertheidigte eine Zeitlang die Ansprüche der Nie- derlande. Die Einwendung aber, daß eine auf die Hand- habung des Landfriedens bezügliche Ordnung unmöglich De- nen zu Gute kommen könne, von denen die Reichsgerichts- barkeit in Landfriedensbruchsachen gar nicht einmal anerkannt werde, wußte er nicht zu beseitigen. Er erlangte nur so viel, daß es durch eine neue Clausel in den Willen des Kaisers gestellt wurde, ob er sich mit seinen Niedererblanden jener Jurisdiction unterwerfen wolle. Wir sehen wohl: zum Vortheil Carls V und seiner kaiserlichen Macht gereichten diese Beschlüsse mit nichten. Die executive Gewalt gerieth dadurch eben so gut in die Hände der Reichsstände, wie ihnen die legislative dem Her- kommen nach fast ausschließend zustand. Die Anwendung Berathungen uͤber das Kammergericht . der für das Innere erfundenen Einrichtungen auf die äußern Verhältnisse beschränkte jeden Dienst, der dem Kaiser für seine Kriege daraus entspringen konnte, auf Vertheidigung. Und auch davon wurden nun seine Niederlande noch ausdrücklich ausgeschlossen. Wie viel Mühe hatte er es sich im J. 1548 kosten lassen, um die Anerkennung der Niederlande als ei- nes Reichskreises zu bewerkstelligen. Aber die Bedingung die er dabei gemacht, die Exemtion von den Reichsgerich- ten, hob jetzt den Nutzen auf, welchen er sich davon ver- sprochen. Die Stände sagten kein Wort über den burgun- dischen Vertrag: sie ließen ihn unangetastet stehn; aber der Defensivverfassung im Reiche, welche sie beschlossen, gaben sie eine solche Entwickelung, daß sie auf eximirte Lande wie jene nicht mehr bezogen werden konnte. Es war dabei nicht einmal Vorbedacht, kein übler Wille: es entsprang ganz aus der Natur der Dinge. Auch in einer andern großen Reichsangelegenheit, der Sache des Kammergerichts, mußte man nach allem was vorgegangen und den in Passau gefaßten Beschlüssen, von den Anordnungen des Kaisers zurücktreten. In dem Vertrag zu Passau war nach manchem Hin und Herhandeln zuletzt Förderung bei dem Reichstage ver- heißen, daß die Verwandten der augsburgischen Confession von dem Kammergericht nicht mehr ausgeschlossen würden. Der Zweideutigkeit dieses Ausdrucks suchten sich jetzt einige geistliche Mitglieder des Churfürstencollegiums zu be- dienen, um ihren Rath zu begründen, daß man alles beim Alten lassen möge: denn nicht zu eigentlicher Beschlußnahme, nur zur Förderung seyen sie verpflichtet. Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Nun leuchtet aber ein, daß unbeschränkte Theilnahme am höchsten Gericht eins der größten Interessen der Prote- stanten ausmachte: sie würden sonst in allen ihren Angele- genheiten der Einwirkung einer feindseligen Meinung aus- gesetzt gewesen seyn; unaufhörlich hatten sie darum gekämpft, und wenn es irgend eine Sache gab, worin sie nicht nach- geben konnten, so war es diese. Bald lenkte auch der Canzler von Mainz ein, indem er bemerkte, daß in dem Artikel des Vertrags von einer För- derung mit Erfolg die Rede sey, eine solche aber nicht statt finden könne, wenn man nicht selbst einwillige. Es bedurfte nichts weiter, um allem Widerspruch ein Ende zu machen. Man nahm jetzt an, daß die Sache durch den Passauer Vertrag bereits entschieden sey, Schreiben vom 4ten Mai. Die Kammergerichtsordnung wird verlesen. Bei dem 31: „haben es entlichen dahin bracht, das die Geist- lichen zu setzen gewilligt die presentacion zu bescheen durch beide re- ligion, und das vermuge des passauwischen vertrages die augsb. Con- fessionsverwandten nicht sollten davon ausgeschlossen werden.“ und hatte nichts weiter zu thun als einige Artikel der Kammergerichts- ordnung darnach abzuändern. Man setzte fest, daß Kammerrichter, Beisitzer und andre Gerichtspersonen so gut dem augsburgischen Bekenntniß wie der alten Religion anhängig seyn, — daß sie nicht, wie auch hier vorgeschlagen ward, auf die geistlichen Rechte, sondern auf gemeine des Reichs Rechte und den jetzt bewilligten Friedstand in der Religion, so wie auch, was auf Vorschlag von Mainz hinzugefügt ward, auf Handhabung des Land- friedens verpflichtet werden, daß sie endlich den Eid zu Gott und dem heiligen Evangelium leisten sollten. Berathungen uͤber das Kammergericht . Eben dieß war die Summe dessen, was die Protestan- ten von jeher gefordert, und was ihnen nothwendig war. Auch der Fürstenrath nahm es an. Bei Harpprecht VI, nr. 141 findet sich der Schriftwechsel in ziemlicher Vollstaͤndigkeit. Viele von den zur Sprache gebrach- ten Puncten sind jedoch unerledigt geblieben, bis zum westphaͤlischen Frieden hin. Noch Ein Gedanke kam vor, der jedoch kein vorzugs- weise protestantisches, sondern ein allgemeines reichsfürstliches Interesse hatte: die Achtserklärungen zu beschränken, mit de- nen früher das Gericht, später auch der Kaiser ziemlich ge- waltsam vorgeschritten waren. Was die Achten des Ge- richts gegen Fürsten anbelangt, so hielt das churfürstliche Collegium für gut, daß jedes Urtheil dieser Art erst einem aus Abgeordneten des Kaisers, des Königs, der Churfürsten und deputirten Fürsten bestehenden Ausschuß vorgelegt wer- den solle, der dann entweder auf eine Vergleichung hinarbei- ten oder die Execution des Spruches vorbereiten würde. Aber mit Recht ward hiegegen eingewandt, daß man damit einen unstatthaften Unterschied zwischen Fürsten und andern Stän- den mache; wie der König sagte, daß man die förderlichen Wege die bisher zur Bestrafung des Übels vorgenommen worden, eher verhindern werde. Die Churfürsten konnten da- mit nicht durchdringen, und ließen ihren Antrag fallen. Sonst blieben die churfuͤrstlichen Bedenken uͤber Landfrieden und Gericht fast unveraͤndert. Die saͤchsischen Ges. 10 Aug.: „Haben die Tage nach einander ganz sehr im landfrieden gearbeit und bleibt in Summa in unserm Rath bei dem vorigen Churfuͤrstenbedenken — gleichergestalt wird es auch mit dem Cammergericht zugehen.“ Am 28 Aug. ward das neue Fuͤrsten Gutachten uͤber beide Puncte refe- rirt und fand sich bis auf wenige Puncte dem churfuͤrstlichen gleich- maͤßig. 30 August: „Stehen in Summa die Dinge darauf, daß die Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . Daß die Acht, die man mit Mühe der kaiserlichen Ge- walt zu Gunsten des Gerichtes abgerungen, nun auch noch einer Vorberathung der Fürsten unterworfen werden sollte, war gleichsam zu viel, und hätte das Recht in eine Sache der Convenienz verwandelt. Schon genug daß das Gericht überhaupt ein ständisches war, und dieß durch paritätische Einrichtung nun erst recht vollständig wurde. Die alten, zwei Menschenalter früher festgesetzten Normen gehörten dazu, um die neuen Einrichtungen und den gleichen Antheil der Evan- gelischen möglich zu machen, woran nicht hätte gedacht wer- den können, wenn das Gericht noch wie einst an den Hof gebannt gewesen wäre. Damit sich aber nicht wiederholen möchte was früher öfter geschehen, daß das Kammergericht sich um die durch- gegangenen Veränderungen, wenn sie nur dem Reichsab- schied einverleibt waren, wenig gekümmert hatte, ward der Beschluß gefaßt, daß die Ordnung mit den Veränderungen neu gedruckt werden, als eine neue Ordnung gelten, die Bei- sitzer sie beschwören sollten. Dergestalt vereinigte man sich über die weltlichen An- gelegenheiten, wie man sich, Einen Punct ausgenommen, über die geistlichen vereinigt hatte. Die eine Seite ergänzte gleich- sam die andre. Beide zusammen bildeten ein neues Sta- dium in der Entwickelung des Reiches. im Fuͤrstenrath die Ordnung des Churfuͤrstenraths nicht mehr fech- ten, vergleichen sich auch durchaus in Substancia mit unserm Be- denken außerhalb fuͤnf Punct in der Handhabung und Einem Punct in der Kammergerichtsordnung. Aber in dem fuͤnften im Landfrie- den ist nichts sonderlich prejudicial: — — im Kammergericht ist der Punct der Acht streitig.“ Beschlußnahme . Indessen: wir wissen, noch war man damit nicht zu vollem Beschluß gelangt: an dem Einen Streitpunct konnte noch alles scheitern. Die saͤchsischen Gesandten bemerken 29 Juni, daß „ehr (der Religionsfriede) vielen sauer eingeht, und wenig Lust und guten wil- lens dazu haben.“ 8 Juli: Kram: „ich befinde unsers widertheils gemuͤther jetzo viehl verpitterter gegen uns denn jehmals vor der Zeit: was nun ferner folgen wil gibt die Zeit.“ Beschlußnahme. Schon an und für sich konnte Ferdinand mit seinen Freunden nicht geneigt seyn so große Zugeständnisse zu ma- chen wie man ihm anmuthete. Einen ganz andern Gang der e hatte er erwartet. Er beklagt, daß er zu dem was er wünsche schwerlich noch gelangen werde, und dage- gen zugeben solle was ihm widerwärtig sey. Schreiben Ferdinands am 20sten Aug. Et a la verité je me trouve empesché de resoudre ce que je devrai faire pour ce que je crains que ne pourray obtenir ce a quoy je pretends et d’austre cousté pour etre les conditions qu’ils demandent bien griefves et mal honnestes. Da er mit dem erneuerten Antrag, auf Kosten des Reiches eine Kriegs- macht unter Herzog Heinrich ins Feld zu stellen, nicht durch- drang, so faßte er den Gedanken, und zwar mit Beistimmung seines Bruders, der zwar nicht mehr eingreifen wollte aber noch zu Rathe gezogen ward, den Reichstag auf künftiges Frühjahr zu prorogiren, und brachte es förmlich in Vorschlag. Die Bevollmächtigten fragten bei ihren Fürsten darüber an, allein die meisten, vor allen aber die protestantischen, er- klärten sich mit Entschiedenheit dagegen. Sie fürchteten die Unterhandlungen die in diesem Augenblick mit Frankreich und Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . den Osmanen gepflogen wurden: sie meinten wohl, es könne noch einmal etwas Ähnliches geschehen wie im Jahr 1545, und die Kriegsgewalt des Kaisers, von den übrigen Fein- den frei, sich gegen sie stürzen. Dem König mochten einige seiner geistlichen Freunde beipflichten, allein sie wagten sich aus Rücksicht auf die übrigen nicht zu äußern; Ferdinand à l’empereur 27 Août. Encores que les estats catholiques a ma persuasion y voulsissent prester l’oreille j’en- tends qu’ils n’oseront le faire par respect aux autres protestants. die allge- meine Stimme war dagegen: und er mußte sich entschließen, mit seiner Resolution hervorzutreten. Am 30sten August 1555 gab er sie, aber sie lautete nicht sehr tröstlich. Er weigerte sich die vornehmste Bestim- mung anzunehmen, daß der Friede dauern solle, die Verglei- chung möge nun erfolgen oder nicht; außerdem aber trat er in Beziehung auf die Ausschließung der Protestanten von den Stiftern dem Gutachten der geistlichen Fürsten bei und vertheidigte es mit neuen Argumenten. Es muß wohl dahin gestellt bleiben, ob er die erste Weigerung ernstlich meinte. Das Zugeständniß das in je- ner Formel lag, war schon in Passau gemacht und damals von ihm selbst nicht verworfen worden; es war jetzt bereits angenommen, und die Grundbedingung aller andern Fest- setzungen. Er konnte nicht erwarten mit seinem Widerspruch durchzudringen. Am 6ten September erklärte er in der That den Protestanten in einer mündlichen Conferenz, daß er von seinem Widerspruch ablassen und den unbedingten Frieden in der Formel wie sie ihn vorgeschlagen, annehmen wolle. Da- gegen aber forderte er sie auf, ihm in dem andern Punct, Schlußberathungen uͤber den geistl. Vorbehalt . dem geistlichen Vorbehalt, beizustimmen. Er bat sie, sich auch von ihrer Seite etwas gefallen zu lassen, so wie er manchen sauren Bissen verschlucken müssen; aber er erklärte auch auf das Bestimmteste, daß er davon nicht weichen könne: sein Ansehen bei auswärtigen Fürsten, sein Gewissen gebiete es ihm: wolle man die Bestimmung nicht förmlich annehmen, so möge man ihm wenigstens zulassen sie aus königlicher Machtvollkommenheit auszusprechen, wolle man auch das nicht, nun wohl, — er habe bei seiner Ehre geschworen da- von nicht abzulassen — so möge lieber alles Andre ebenfalls rückg werden. Schreiben der saͤchsischen Gesandten vom 9ten September. (Im Anhang.) Ein Moment voll Entscheidung wie für diese Berathung so für die gesammte Zukunft des Reiches. Der König war dadurch stark, daß er die Geistlichen fast alle auf seiner Seite hatte. Man hat spaͤter gesagt, daß der Vorbehalt wohl zu ver- meiden gewesen waͤre; auch moͤgen einzelne, z. B. Wuͤrzburg, geneigt gewesen seyn. Sonst aber berichten die saͤchsischen Gesandten das Gegentheil: 30 Aug: „haben abermal aus vilen votis so vil verstan- den, das unsere geistlichen nunmehr davon nicht zu bringen, sondern in diesen Dingen gantz auf der Koͤnigl. Mt Seite stehen.“ Die protestantischen Räthe aus beiden Collegien hielten für rathsam, sich über die dem König zu gebende Antwort in diesem außerordentlichen Falle zuerst unter einander zu berathen. Und da drangen nun Viele auch ferner auf die Verwer- fung des geistlichen Vorbehalts, von dem in dem Passauer Vertrag keine Erwähnung geschehen und der dadurch still- schweigend schon aufgegeben sey; daß die Festsetzung dem Kö- nig anheimgestellt werde, ändere in der Sache nichts, da man Ranke D. Gesch. V. 25 Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . sie ja doch bewilligen müsse; eine solche Beschränkung des Bekenntnisses dürfe man sich nicht gefallen lassen. Andere jedoch erwiederten, diese sey vielleicht so groß nicht, wie sie scheine. Der Übertritt ganzer Capitel werde in der vorgeschlagenen Formel nicht verboten; auch werde den Capiteln nicht aufgelegt, sondern nur zugelassen, Bischöfe, die der Confession beigetreten, durch Andere, Altgläubige zu er- setzen. Trotz der Beschränkung die in dem Vorbehalt liege, sey der Friede vortheilhafter als jemals ein andrer, und man werde ihn nicht ausschlagen dürfen. Dieser Meinung war vornehmlich Churfürst A g gust von Sachsen. Auf die Anfrage seiner Räthe bemerkte er zwar alle die Nachtheile die aus einer Satzung wie die vorgeschlagene entspringen müßten: aber er verwarf sie nicht entschieden, be- sonders wenn in dem Abschied angegeben werde, daß die Stände sich nicht dazu vereinigt, und unter der Voraussetzung, daß man ihm eine Gegenforderung bewillige, die er jetzt erst zur Sprache brachte. In vielen bischöflichen Gebieten waren nemlich Städte und Adel großentheils evangelisch; wenn man sie nicht in Schutz nahm, so stand zu befürchten, daß die geistlichen Fürsten einmal Gewalt gegen sie brauchen möch- ten. „mit vorwendung, das es nicht Reichsstete, darauf dieser Friede allein gienge, und das wir den bischofen kein maß zu geben.“ Schreiben des Churf. August an den Rath o. D., vor dem der Raͤthe vom 25 Sept. Churfürst August forderte, daß sie durch einen beson- dern Artikel im Frieden die Versicherung empfangen sollten, bei ihrer Religion bleiben zu können. Nach einigem Bedenken traten die übrigen evangelischen Stände diesem Vorschlage bei. Brandenburg erklärte, es Schlußberathungen uͤber den geistl. Vorbehalt . halte sich in Dingen dieser Art gern an Sachsen, das die vornehmsten Theologen auf seinen Universitäten habe, von denen auch diese Sache berathschlagt worden sey. Allein um so heftiger erhob sich der Widerspruch der Geistlichen. Sie bestanden darauf, daß jede Obrigkeit das Recht habe, über die Religion in ihrem Lande zu verfügen. Sey den Confessionisten bisher Duldung von ihnen gewährt worden, so sey das durch ihren freien Willen geschehen; viel- leicht daß es ihnen gefalle, ein ander Mal ihre alte Befug- niß zu erfrischen und in Übung zu bringen. Forderung und Widerrede veranlaßten eine allgemeine Aufregung. König Ferdinand sagte, er habe schon geglaubt im Hafen zu seyn, da steige ihm plötzlich noch dieß neue Un- wetter mit einem Ungestüm auf, der alles zerrütten könne. So viel erkannte er bei einer nochmaligen Conferenz mit den Protestanten, daß diese in den Vorbehalt auch auf die bedingte Weise, wie es geschehen sollte, nicht willigen würden, wenn man ihnen nicht dagegen auch ihr Verlangen erfülle; da die bischöfliche Würde nun einmal der alten Re- ligion vorbehalten wurde, so hielten sie es für eine Gewis- senspflicht, ihre Glaubensgenossen vor möglichen Gewaltsam- keiten zu schützen. Wollte Ferdinand den Frieden noch zu Stande bringen, so mußte er nicht allein selbst ihnen beitre- ten, sondern auch alle seinen Einfluß dazu anwenden, die Gegenpartei herbeizubringen. Er stellte seinen geistlichen Freunden vor, daß ohne jenes Zugeständniß der Friede nur ein halber Friede sey und dem Bedürfniß nicht genüge. Da sie doch noch Schwierigkeiten machten, eröffnete er ihnen, er werde sie nicht von dannen gehn lassen, bis sie sich mit 25* Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . ihm verglichen hätten. Sein fester Wille bewirkte zuletzt, daß sie sich fügten. Sie machten nur die Bedingung, daß dieser Beschluß nur als eine Declaration und zwar nicht in offenem Abschied erscheine. Auch nachdem man so weit gekommen, fand sich noch eine Schwierigkeit in der Form. In dem Abschied ward jede einen Artikel desselben verändernde Erläuterung für un- statthaft erklärt. Es mußte erst eine Derogation dieser Be- stimmung aufgesetzt und von den Geistlichen bewilligt wer- den, und zwar mit einer Clausel, auf welche besonders die Protestanten drangen, daß eine weitere Erläuterung nicht mehr zugelassen werden könne. Saͤchsische Gesandte 25 Sept. „Und ist hin und wieder bedacht, von einer Clauseln derogatoria derogatoriae; wir haben ge- sagt es must ir (der Geistlichen) consensus auch dobei seyn — ha- ben es endlichen Gottlob dahin bracht, das Jonas ein Clausel ge- stalt, das die Geistlichen bewilligt, die Derogation im Religionsfrie- den solle dieser Erklerung und Entschaid nicht abbruͤchlich seyn.“ Und nun wäre nur noch übrig gewesen, auch über die in Passau gegen die Reichsverwaltung in Anregung gebrach- ten Beschwerden zu Rathe zu gehn. Man ließ die Sache in Augsburg nicht aus der Acht. Die Entfremdung des Reichssiegels, die hohen Taxen der kaiserlichen Canzlei und andre Dinge kamen im Churfürsten- rath zur Sprache. Man schlug wohl vor, daß jeder Stand seine besondern Beschwerden aufsetzen, und die Versamm- lung alsdann ein Verzeichniß aller dem König überreichen möge. Sollte man aber nach einem so großen Umschwung der Dinge nochmals die alten Gehässigkeiten hervorsuchen? Sachsen urtheilte, es sey jetzt nicht mehr schicklich, nachdem Religionsfriede . das vortreffliche Werk des unbedingten Friedens zu Stande gekommen. Man darf also mit nichten schließen, wie Bucholtz VII, 218, daß die Gravamina etwa ein bloßer Vorwand gewesen seyen. „Ha- ben bedacht,“ sagen die saͤchsischen Gesandten, „das die Gravamina eines theils also geschaffen das sie zu erledigen zugesagt, etzliche durch diesen Reichsabschied, wan er erfolgt, erledigt werden, die uͤbrigen ge- hessig, und sich itziger zeit zu erhaltung gelimpfs in einem solchen fuͤr- stehenden fuͤrtrefflichen werk des unbedingten Friedens ein Ding also wie zu Passau zu suchen, sich vielleicht nicht schicken mocht — —“ Aus dem Berichte der brandenburgischen Gesandten ergiebt sich aber daß diese damit schlecht zufrieden waren. Von allen Erinnerungen ward nur die Eine beliebt, daß nach der Zusage des Kaisers ein mit Deut- schen besetzter Hofrath mit einem deutschen Präsidenten er- richtet werden möge. So kam es am 25sten September 1555 zum Reichs- abschied von Augsburg. Man wird eingestehn müssen, daß die Bestimmungen über den geistlichen Vorbehalt und die religiöse Autonomie bischöflicher Unterthanen künftige Zwistigkeiten wohl befürch- ten ließen; indeß man konnte nun einmal nicht weiter kom- men. Diese Bestimmungen drückten ungefähr das Verhält- niß der Macht aus, welches sich damals in den beiden Par- teien entwickelt hatte: sie waren mehr eine Auskunft für den Augenblick als ein Gesetz für alle Folgezeit. Dagegen enthielt der Friede übrigens abschließende Fest- setzungen von höchstem Werthe. Wie wir öfter bemerkt, der Protestantismus ist nicht bekehrender Natur. Er wird sich jedes Beitritts, der aus Überzeugung entspringt, als eines Fortganges seiner guten Sache freuen: sonst aber schon zufrieden seyn, wenn ihm Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . nur selber verstattet ist, sich ungeirrt von fremder Einwir- kung zu entwickeln. Dieß war es wonach die evangelischen Fürsten vom ersten Augenblick an strebten. Unaufhörlich aber hatte man es ihnen streitig gemacht, und die gefährlichsten, allen Besitz umwälzenden Kriege hatten sie darüber bestan- den. Jetzt endlich gelangten sie zum Ziel: es ward ihnen ein unbedingter Friede gewährt. Unter andern legte Koͤnig Ferdinand bei seinen andern Ver- weigerungen darauf den groͤßten Werth: „so theten auch die vorigen Abschied nichts, denn sie weren temporal, dieser aber ewig.“ (9 Spt.) Es mag nur wie ein leichtes Wort erscheinen, wenn es heißt: der Friede solle bestehn, möge die Vergleichung er- folgen oder nicht; aber darin liegt die Summe der Dinge, die große Änderung der Verfassung. Fortan war nicht mehr so viel daran gelegen, ob ein päpstliches Concilium die Protestanten verdammte oder nicht: kein Kaiser, keine Partei in den Reichsständen konnte ferner daran denken, die conciliaren Decrete mit Gewalt gegen sie auszuführen und Grund davon hernehmen sie zu erdrücken. Auch waren es nicht einzelne Meinungen die man dul- dete, wozu Carl V sich wohl entschlossen hätte, es war ein ganzes System der Lehre und des Lebens, das zu eigener selbständiger Entwickelung gedieh. Was Luther in dem ersten Moment seines Abfalls, bei dem Colloquium von Leipzig in Anspruch genommen, Unab- hängigkeit von den Glaubensentscheidungen wie des Papstes so auch der Concilien, das war nunmehr durchgesetzt. Die Vergleichung in der Religion, die man noch in Aussicht stellte, und wohl auch versuchte, hatte zwar noch im- Religionsfriede . mer ein großes deutsches Interesse, minder ein allgemeines: man möchte sagen: für die Welt war es wichtiger, daß sich die gesetzliche Trennung erhielt, die allein eine freie Be- wegung nach dem nun einmal festgestellten Prinzip mög- lich machte. Und dabei hatten sich die Reichsordnungen nach der im 15ten Jahrhundert angebahnten Tendenz erst eigentlich festgesetzt. Die Feindseligkeiten des Kammergerichts waren nicht allein beseitigt, sondern dieser Gerichtshof hatte durch den Antheil der den Protestanten daran zu nehmen gestattet ward, nunmehr erst die ständische Verfassung wahrhaft erlangt, welche ursprünglich beabsichtigt worden. Daß auch die re- ligiöse Abweichung Niemand davon ausschließen sollte, darin lag die volle Durchführung des ursprünglichen auf gleichen Antheil Aller zielenden Gedankens. Die Kammergerichts- ordnung von 1555 ist immer als ein Reichsgrundgesetz be- trachtet worden; im westphälischen Frieden hat man sich dar- auf bezogen: später ist nur der Entwurf einer Veränderung zu Stande gekommen. Zugleich hatte man doch eine gewisse Einheit erreicht, eine Verfassung zum Widerstand gegen innere und äußere Feinde gegründet, die wenigstens alle Diejenigen wirklich ge- sichert hat, die sich ihr angeschlossen. Daß auch diese Ein- richtung großentheils ständischer Natur war, gehörte zu dem Ganzen der neuen Ordnung der Dinge. Wie ganz anders nunmehr, als zu jenen Zeiten wo die Reichstage sich unter dem Vorsitz päpstlicher Legaten versammelten, und die einseitigen Berechtigungen des geist- Zehntes Buch. Fuͤnftes Capitel . lichen und des weltlichen Oberherrn nichts als Verwirrung veranlaßten. Noch bestanden aber die beiden Gewalten, von welchen man sich losriß. Noch lebte der Kaiser, und war in der Nähe, der den Einrichtungen einen ganz andern, dynasti- schen und religiösen Character zu geben gesucht hatte. Noch hielt das Papstthum alle seine Ansprüche fest, und war mäch- tig genug um sie nicht in Vergessenheit gerathen zu lassen. Wir haben zu betrachten welches Verhältniß sich in diesem Augenblicke zu beiden bildete. Sechstes Capitel . Abdankung Carls V. Die Aufmerksamkeit des Kaisers war in den letzten Jah- ren zwar von Deutschland nicht abgewendet, aber doch bei weitem mehr auf England gerichtet, wo ein Ereigniß eintrat, das alle alte Tendenzen seiner Politik nach dieser Seite hin noch einmal belebte. Eduard VI , unter dem die weltlichen und geistlichen Angelegenheiten von England einen ihm so widerwärtigen Gang genommen, starb im Juli 1553; nach kurzem Wider- streben einer von der Bevölkerung, namentlich auch der pro- testantischen, nicht unterstützten Partei bestieg die Tochter Hein- richs VIII von seiner katholischen Gemahlin, Maria, Ge- schwisterkind mit dem Kaiser, den englischen Thron. Das gute Verhältniß das sich hierauf sogleich bildete, genügte jedoch dem Kaiser noch nicht: er wollte es nicht dabei lassen, daß England in dem Kriege zwischen ihm und dem König von Frankreich nur neutral seyn sollte: die Zeit schien ihm gekommen, wo der Gedanke Ferdinand des Ka- tholischen, eine immerwährende Verbindung zwischen Spa- nien, England und den Niederlanden zu Stande zu bringen, Zehntes Buch. Sechstes Capitel . noch besser ausgeführt werden könne als dieser es vermocht: er bot der neuen Königin, mit der er einst selbst verlobt ge- wesen, die Hand seines Sohnes an, des Prinzen Philipp von Spanien, dessen erste Gemahlin vor ein paar Jahren gestorben war. Der römische König brachte einen seiner Söhne in Vorschlag; man wird sich aber nicht wundern, daß der Kaiser darauf nicht eingieng. Kam es darauf an, die antifranzösische und zugleich katholische Politik des west- lichen Europa zu consolidiren, so war hiezu der künftige Be- herrscher Spaniens und der Niederlande bei weitem geeig- neter als ein machtloser Erzherzog. Es war die Zeit, in welcher Churfürst Moritz in der Schlacht blieb und die fran- zösischen Angriffe Widerstand zu finden anfiengen. Carl V glaubte den Glücksstern noch einmal aufgehn zu sehen, un- ter welchem seine früheren Unternehmungen gelungen waren; noch einmal stiegen seine weltumfassenden dynastischen Ge- danken ihm auf. Es ist bemerkenswerth, daß die eifrigsten Geistlichen der alten Kirche, so gut katholisch Philipp II auch war, diese Ver- mählung nicht unbedingt guthießen. Ihrem Enthusiasmus hätte es besser entsprochen, wenn eine jungfräuliche Köni- gin ihre Sache ergriffen, das Schisma abgeschafft, die alten Gebräuche und Lehren wiederhergestellt hätte. Sie sagten ihr wohl selbst, die Sorge für die Succession an der Krone möge sie Gott überlassen, der sie so wunderbar erhoben. Der römische Hof aber billigte die Verbindung. Papst Julius erklärte, einen Gemahl müsse die Königin haben, der ihr die vielen Feindseligkeiten, von denen sie bedroht werde, bestehn helfe; mit einem Eingebornen dürfe sie sich jedoch nicht ver- Verbindung des Kaisers mit England . mählen, denn ein solcher würde, um sich zu halten, den an- dern Großen zu viel Zugeständnisse machen müssen; nur ein Prinz von so großer und so naher eigener Macht, wie Kö- nig Philipp, werde sie gegen äußere und innere Feinde ver- theidigen können und durch sein Ansehen die Wiedervereini- gung des Reiches mit der Kirche befördern. Morone al Card l Polo 21 Dec. 1551. S. S tà per lo con- trario confida in dio che il principe di Spagna, essendo catolico nato e nutrito et avendo la potenza sua vicina di Spagna e di Fiandra, possa con maggior autorità introdurre l’umore alla chiesa e difendere la regina dalli nemici interni et esterni. (MS Corsin.) Und die Haupt- sache: Maria selbst, obgleich um vieles älter, gab einen ganz unwiderstehlichen Drang kund, sich mit Philipp zu vermäh- len. Sie hörte so viel von ihm, daß sie ihn liebte, ehe sie ihn gesehen hatte. Auch schien es ihr ehrenvoll, daß sich eben der reichste und mächtigste Prinz, den es in der damali- gen Welt gab, um ihre Hand bemühte: das religiöse Mo- tiv rechtfertigte die übrigen, genug: sie willigte ein. Im März 1554 kam der Ehetractat zu Stande, durch welchen eine ganz neue Aussicht für die Zukunft eröffnet ward. Der älteste Sohn aus dieser Ehe sollte dermaleinst England und die sämmtlichen burgundischen Erblande ver- einigen. Neben der spanischen und der deutschen wäre noch eine dritte, eine englische Linie des Hauses Östreich entstanden. Aber auch für die nächste Zeit hatte der Tractat viele Bedeutung. Philipp erhielt den Titel eines Königs von Eng- land, und die Befugniß an der Verwaltung des Landes Theil zu nehmen. Und das muß man zugestehn, daß Philipp, der nun nach England kam, — am Tage des heiligen Jacob, des Zehntes Buch. Sechstes Capitel . Apostels von Spanien, am 25sten Juli, ward die Vermäh- lung vollzogen, — sich in seinem neuen Verhältniß mit vie- ler Klugheit betragen hat. Keinen Eingriff, noch viel we- niger irgend eine Gewaltsamkeit, wie allgemein gefürchtet ward, ließ er sich zu Schulden kommen. Vielmehr machte er wohl manche Rechte die ihm zustanden, besonders in Be- zug auf sein Einkommen, nicht geltend. Es war für ihn eine Ehrensache, nichts von England zu brauchen, eher etwas zu geben als zu nehmen. Seine ganze Hofhaltung bestritt er mit spanischem und niederländischem Geld: Micheli Rel ne d’Inghilterra 1556. Troppo ben conoscendo il stato e l’impotenza della regina si è sempre fatto le spese e nelle cose minime a lui e tutti li suoi con quello che di Spagna e di Fiandra li era provisto, havendo per questa via dato un tant utile al regno che già molti anni non ha ricevuto, facendo conto per quello può havere speso lui e li suoi insieme con gli altri forastieri ricapitati per rispetto suo in poco piu d’un anno habbia importato meglio d’un milion d’oro tutto rimaso nell’isola. in langer Reihe sah man Wagen und Saumrosse mit seinen Schätzen bela- den durch die Straßen der Hauptstadt nach dem Tower zie- hen. Er nahm Engländer in seinen Dienst, belohnte Die- jenigen welche der Königin besondere Treue bewiesen, sagte Pensionen zu und ließ sie richtig auszahlen. Da die Königin sehr bald in allem Ernste glaubte, guter Hofnung zu seyn, so gewann Philipp, dem in den Ehepacten für den Fall des Ablebens seiner Gemahlin die Vormundschaft über den Thronerben versichert worden, von Tag zu Tag einen grö- ßern Einfluß. Es leidet keinen Zweifel, daß seine Anwesenheit zur Herstellung des Katholicismus in England mächtig beige- tragen hat. Verbindung des Kaisers mit England . Schon war eine starke Richtung dahin vorhanden, die wohl auch daher rührte, daß die so eifrig protestantisch ge- sinnten Häupter der vorigen Regierung nach dem Ableben Eduards zu weit gegriffen, das Prinzip der einmal festge- stellten Thronfolge verletzt, und einen Weg eingeschlagen hat- ten, der wirklich zur Erneuerung der Bürgerkriege hätte füh- ren können. Unmittelbar nach der Krönung der Königin ver- sammelte sich ein Parlament, das fast wie jene welche wäh- rend der Bürgerkriege von den jedesmaligen Siegern ver- sammelt worden, zu Beschlüssen schritt die den frühern ge- radezu entgegengesetzt waren. Zunächst hielt man noch an der von Heinrich VIII gegründeten Vereinigung geistlicher und weltlicher Macht fest, kehrte aber zu der von diesem König eingeführten Religionsform zurück und widerrief die unter Eduard VI angenommenen Statuten. Natürlich ge- schah das nicht ohne großen Widerspruch, wie die Königin selbst sagt, „nicht ohne heftige Disputation und eifrige Ar- beit der Getreuen“; Non sine contentionc, disputatione acri et summo labore fidelium. Schreiben an Poole 15 Nov. 1553. ( MS Corsin. ) aber es geschah. Nach einiger Zeit konnte man den Gedanken fassen, zu einer noch größern Un- ternehmung zu schreiten. Im November des Jahres 1554 sollte auch die Religionsform Heinrichs VIII aufgehoben und der Gehorsam gegen die römische Kirche überhaupt her- gestellt werden. Ich finde, daß der Kaiser über die Art und Weise dieß zu bewirken zu Rathe gezogen ward. Am 4ten November schreibt der florentinische Gesandte: Il luogotenente d’Amone se ne tornò gia cinque giorni sono in In- ghilterra con la mente di Cesare circa quello che S. M à desi- dera che si tratti nel futuro parlamento. — Per li ravvisi della re- Auf Zehntes Buch. Sechstes Capitel . seine Erinnerung trug man Sorge, den hohen Adel über die Besorgniß zu beruhigen, daß die von ihm in Besitz ge- nommenen geistlichen Güter zurückgefordert werden könnten. Und so stark wuchs nun die katholische Meinung unter dem Einfluß des Hofes und der vorwaltenden Stimmung des Augenblicks an, daß sich das Parlament wirklich entschloß, und zwar beinahe einmüthig, die Begründung einer engli- schen Kirche, auch so weit sie unter Heinreich VIII gedie- hen, aufzugeben und unter den Gehorsam des Papstes zu- rückzukehren. Auf den Kaiser machte es einen großen Eindruck, daß diese Rückkehr eines Königreichs in den Schooß der alten Kirche mit der Aussicht zusammentraf, ein Geschlecht katho- lischer Könige, sein eignes Geschlecht, in demselben fortge- pflanzt zu sehen. Er sagte wohl, wenn er schon halb todt sey, würden ihn Nachrichten dieser Art wieder ins Leben zu- rückrufen. Er sah darin eine unmittelbare Fügung des Him- mels, und gab zu vernehmen, sein Sohn sey noch zu großen Dingen bestimmt, für England und für die Christenheit. Schreiben Pagets vom 13 Nov., Masons vom 25 Decem- ber 1554. He trusted, God had ordained him (Philip) to done some good to the whole estate of Christendom and to that realm. Tytler II, 465. Wäre der Thronerbe geboren worden, den man in öf- fentlichen Gebeten von Gott gleichsam forderte, mit beinahe frevelhaft-stürmischer Überzeugtheit daß das Heil der Welt darauf beruhe, und einer unglaublich sichern Erwartung, so ligione, facendo però prima un decreto, che non si possa trattar in modo alcuno di spogliar di beni ecclesiastici quelli che al dì d’oggi ne son possessori, il numero de’quali interessati ascende a piu di 40000 persone. Verbindung des Kaisers mit England . würde Philipp wirklich in England Fuß gefaßt, alle neuen Einrichtungen würden Festigkeit gewonnen haben. So wunderbar ist in der Verfassung der europäischen Staaten die Verflechtung des Persönlichen und des Allge- meinen, daß es wie eine Art von Weltbegebenheit erschien, als das nicht geschah, sondern die Meinung der Königin über ihren Zustand sich endlich als ein Irrthum auswies. Man fühlte sogleich, daß sich dann die von ihr unter- nommene Herstellung nicht über ihren Tod hinaus erhalten würde. Durch eine Combination günstiger Umstände war sie zu Stande gebracht worden: mit denselben mußte sie ver- schwinden. Zu tief war bereits die evangelische Lehre in die Gemüther gedrungen. Man sah es bei den blutigen Ver- folgungen welche Maria verhieng und mit denen sie ihren Namen zum Abscheu der späteren Geschlechter gemacht hat. Sie brachte damit nur Märtyrer hervor, deren erhabene Standhaftigkeit an die ersten Zeiten des Christenthums er- innerte und auf die Masse stärker wirkte, als die Predigten jemals hätten wirken können, die man damit abzustellen ge- dachte. Auch waren die evangelischen Lehren schon viel zu weit verbreitet: der venezianische Gesandte will versichern, daß es unter den jüngern Männern, von weniger als 35 Jah- ren, vielleicht nicht einen Einzigen von rein katholischer Farbe mehr gebe. Und wie hätte Philipp auch nur hoffen dürfen, sich alsdann persönlich dort zu halten? Man hatte sich wohl gehütet, ihm irgend ein von dem Leben seiner Gemahlin oder dem Daseyn eines Erben unabhängiges Recht zu gewäh- ren, und war jetzt weit entfernt, ihm die Krönung, die er wünschte, zu bewilligen. Vielmehr gährte in der Tiefe der Zehntes Buch. Sechstes Capitel . ganze nationale Widerwille, der seiner Ankunft vorausgegan- gen, Micheli: Nell’ intrinseco gli animi sono piu che mai al- terati, ma non ardiscono di mostrarsi, per la paura che hanno della perdita della vita e delli beni. dessen Ausbruch zu verhüten so viel Vorsicht nöthig gewesen; auch sein Name war durch die blutigen Executio- nen befleckt, als deren Beförderer er galt. Und dazu kam daß die Staatsverwaltung, die freilich seit 20 Jahren haupt- sächlich auf die geistlichen Einkünfte angewiesen war, jetzt da diese wegfielen, — wie denn die Königin ihr Gewissen nur durch Zurückgabe aller der Krone zugefallenen Kirchengüter beruhigen zu können meinte, — aus dem regelmäßigen Gange wich, drückende Maaßregeln ergriffen, Schulden gemacht, und dann doch die nöthigsten Zahlungen nicht geleistet wurden. Es trat ein Zustand ein, wo man nur noch in der Voraus- setzung gehorcht, die bestehende Regierung werde doch nicht lange dauern: wozu hier die schlechte Gesundheit Marias al- len Anlaß gab. Aller Augen richteten sich bereits auf die nächste Nachfolgerin, die Tochter Heinrichs von Anna Bo- len, Mylady Elisabeth. Welch ein Jubel empfieng sie, wenn sie während der Verfolgungen, die auch sie ihres Theils er- lebte, in den Straßen von London erschien, noch in der Blüthe der Jugend, aber angegriffen, bleich, geistvoll und stolz. Bald boten ihr die Mitglieder der vornehmsten Häuser wetteifernd ihre Dienste an; sie konnte als die Königin der Zukunft angesehen werden. Micheli: non è alcuno del regno, nè cavaliere nè signore, che non abbia procurato e procuri tuttavia o entrare nel suo ser- vitio o di metterle qualche suo figlivolo o fratello; tale è l’affet- tion e l’amore che gli vien portato. Aus den Depeschen von Noail- Verbindung des Kaisers mit England . Obwohl Maria noch ein paar Jahr lebte, so mußte doch die Absicht, in welcher der Kaiser sie mit seinem Sohne vermählt, schon im Sommer 1555 als gescheitert betrachtet werden. Man erzählt, er sey gewarnt gewesen; Goselini 201: Gonzaga habe erinnert „dovere, a giudizio suo, la corona di Spagna far poco fundamento dell’Inghilterra pendente dal debil filo di una donna non giovane non sana non fertile.“ aber diese religiös-dynastischen Combinationen waren stärker als seine sonst in Berechnungen geübte Klugheit und Voraussicht: sie rissen ihn mit sich fort. Sehr begreiflich ist die Ungeduld, mit der er die Nach- richt von der Niederkunft der Königin Maria erwartete: er hat den englischen Gesandten einst früh um fünf Uhr an sein Bett kommen lassen, um ihn wegen eines darüber verbrei- teten Gerüchtes zu fragen; — nur ungern und langsam überzeugte er sich von der Nichtigkeit ihres Vorgebens. Hätten die Dinge in England sich befestigt, wäre dann, worüber von London aus eifrig unterhandelt ward, ein Friede mit Frankreich zu Stande gekommen, so möchte der Kaiser wohl auch auf der Prorogation des deutschen Reichstags bestanden und der Concession des Religionsfriedens ernsten Widerspruch entgegengesetzt haben. Statt der Erstarkung des Prinzipes der alten Kirche aber, die man erwartete, brach in der Mitte derselben noch einmal ein neuer Zwiespalt aus. Im Mai 1555 bestieg ein Mann den römischen Stuhl, den der Kaiser von jeher als seinen persönlichen Feind be- les ( V. ) sieht man wie viel Muͤhe es im Anfang des Jahres 1556 den Franzosen machte, die Anhaͤnger der Elisabeth von einer gewalt- samen Machination abzuhalten. Ranke D. Gesch. V. 26 Zehntes Buch. Sechstes Capitel . trachten müssen, Johann Peter Caraffa, Paul IV , — der nun weit entfernt, sich dem Kaiser anzuschließen, wie Ju- lius III , oder auch nur, wie Paul III , mit seinen Feindse- ligkeiten an sich zu halten, ganz offen damit hervortrat, bei der ersten Gelegenheit die Anhänger des Kaisers verfolgte, und nach wenigen Monaten schon so weit war, daß er ei- nen seiner Vasallen aufforderte, seine Truppen fertig zu hal- ten, um die Bewegungen der Kaiserlichen zu unterdrücken. Der alte Hader zwischen Kaiserthum und Papstthum brach nochmals aus. Wenn es dem kaiserlich-toscanischen Heer unter dem Marchese von Marignano um diese Zeit gelang Siena wieder zu erobern, Stadt und Gebiet, auch Porter- cole (April bis Juni), und spanisch-deutsche Besatzungen daselbst einzuführen, so gewannen dagegen die Franzosen an einem Papst, der ihre alten Absichten auf Neapel offen begünstigte, und um den sich alle Mißvergnügten aus den italienischen Ländern des Kaisers sammelten, einen stärkeren Rückhalt, als sie seit vielen Jahren gehabt. Man mußte sich auf einen Krieg gefaßt machen, der das ganze System der spanischen Herrschaft in Italien, das in Folge der letz- ten Kriege aufgerichtet worden, noch einmal in Frage stel- len, und vielleicht ein entgegengesetztes, das der französischen Übermacht, herbeiführen konnte. Bei diesen Aussichten neuer und allgemeiner Gefahren fühlte man zuerst, daß die in der letzten Zeit eingetretene Re- gierungsweise der kaiserlichen Gebiete nicht mehr haltbar war. Die Vermählung seines Sohnes mit Königin Maria hatte der Kaiser dadurch gefeiert, daß er denselben seiner Ge- mahlin auch an Rang gleichstellte und ihm das Königreich Uͤbertragung der italien. Laͤnder an Philipp . Neapel übertrug, und zwar nicht allein dem Titel nach: gleich darauf ward es im Namen Philipps mit allen bei einem Thronwechsel herkömmlichen Formen in Besitz genommen. Informatione di quanto è passato tra il C le di Parecho ed il marchese di Pescara nel pigliar il possesso del regno di Napoli, und Ragguaglio del possesso preso, Inf. pol. XII. Auch Mailand übertrug er ihm, und belehnte ihn mit Siena, ehe dieß noch erobert war. Hatte er ihn nicht zu seinem Nachfolger im Kaiserthum machen können, so überließ er ihm wenigstens diese italienischen Länder, an die ihm frei- lich kein anderer Rechtstitel zustand als die alte Oberherrlich- keit der Kaiser darüber. Diese Übertragung ist der Act, durch welchen diese Länder ihren alten Zusammenhang mit dem Reiche, das dabei in keiner Weise zu Rathe gezogen ward, vollends verloren haben. Damals war damit noch eine innere Regierungsveränderung verknüpft. Die bisherigen Repräsen- tanten des Kaisers in Italien konnten sich nicht mehr halten. Don Diego Mendoza, dem wir erst in Flandern, dann in England begegnen, begab sich nach Spanien. Ferrante Gon- zaga ward nach den Niederlanden berufen und dort einer strengen Untersuchung seines Verhaltens unterworfen, die zwar mit persönlicher Freisprechung, aber doch nicht mit Herstellung in sein Amt sich endigte. Im Juni 1555 er- schien der Herzog von Alba als Generalvicar Philipps II in Italien; die toledanische Partei, der auch der Herzog von Florenz angehörte, behielt unter dem Einfluß des neuen Für- sten zunächst den Platz. Und auch hiebei konnte es sein Ver- bleiben nicht haben. Lange Zeit brachte man auch nach der Übertragung alle Geschäfte die sich auf Italien bezogen, zu- 26* Zehntes Buch. Sechstes Capitel . nächst an den kaiserlichen Hof. Erst nachdem hier Bera- thung darüber gepflogen und vorläufig Beschluß gefaßt war, wurden sie dem königlichen Hofe zu London mitgetheilt. Da- durch entstand nun nicht allein eine neue, sehr unzuträgliche Verzögerung, sondern bald gaben sich auch Meinungsver- schiedenheiten der Minister und der Höfe kund. „Was wir hier diesseit machen,“ heißt es in einem Schreiben vom Hofe Philipps, „wird von Euch da drüben verdorben, und von uns, was Ihr macht.“ Mitgetheilt in den Dispacci fiorentini. Nachdem Mendoza und Gonzaga gefallen, konnte sich auch Granvella, ja selbst Königin Ma- ria, welche bisher die Regierung in der Nähe des Kaisers ungefähr in demselben Sinne geleitet wie jene in Italien, nicht länger in ihrer Autorität behaupten. Das neue Sy- stem das Philipp gründete, trieb das alte mit Nothwendig- keit aus seiner Stelle. Da ereignete sich nun, daß Donna Juana, die Mut- ter des Kaisers, deren Name, mit dem ihres Sohnes vereinigt, noch immer an der Spitze aller königlichen Er- lasse stand, nach einem besonders heftigen Ausbruch ihres Wahnsinns endlich verstarb. Um das hierüber erforder- lich Werdende vorzukehren, und den Spaniern die Genug- thuung zu geben, die sie in der Anwesenheit eines Fürsten aus dem regierenden Hause von jeher erblickten, schien es nöthig, daß entweder Carl selbst oder Philipp nach Spa- nien gienge. Eine Zeitlang schwankten die Meinungen in Brüssel, wel- cher von Beiden diese Reise unternehmen würde: ein ernst- licher Zweifel konnte aber wohl niemals obwalten. Abdankung des Kaisers. (Niederlande.) Dem Kaiser hatten seine Ärzte längst gerathen, sich nach einem wärmeren Himmelsstrich, in reinere Luft zurückzuziehen. Den jungen König würde dagegen eine Entfernung vom Mit- telpunct der Geschäfte, an denen er kaum Antheil zu nehmen begonnen hatte, um allen Einfluß darauf und auch um sein Ansehen in Europa gebracht haben: die Gegner des Hau- ses wünschten nichts Besseres. Wenn sich aber der Kaiser entfernte und Philipp in den Niederlanden blieb, wie er denn daselbst im September 1555 erschien, so war nichts na- türlicher als daß die Regierung auch dieser Lande wie der italienischen an ihn übergieng. Die bisherige Verwaltung hätte ohnehin neben seinen Ministern keinen Augenblick be- stehn können. Noch im Laufe des September wurden die Ritter des goldnen Vließes und die Stände der niederländischen Pro- vinzen eingeladen, auf den bestimmten Tag des folgenden Monats in Brüssel zu erscheinen, um den König Philipp als ihren Herrn und Fürsten zu empfangen. Le Prince à la Princesse d’Orange 28 Spt. Bei Groͤn v. Prinsterer Archives de la maison d’Orange Nassau I, p. 17. Am 21sten October 1555 begann der feierliche Act der Abdication in der Versammlung der Ritter des goldenen Vließes. Der Kaiser zeigte sich weder kirchlich noch poli- tisch sehr friedfertig gestimmt. Er eröffnete dem Capitel, daß er dem König Heinrich II von Frankreich den Michaelsorden zurückzuschicken gedenke, nicht allein wegen der andauernden Feindseligkeit die ihm derselbe beweise, sondern auch weil er Ketzer und Verräther in denselben aufgenommen. Die Frage ward erhoben, ob Churfürst Friedrich von der Pfalz, der Zehntes Buch. Sechstes Capitel . des Lutherthums verdächtig sey, noch ferner zu dem Capitel berufen werden könne. Die Hauptsache aber war, daß der Kaiser den Versammelten seine Absicht ankündigte, wie die Regierung der diesseitigen Länder sammt Burgund, so auch die Würde eines Hauptes und Souveräns des Ordens vom goldnen Vließ, die an dieselbe sich knüpfe, auf seinen Sohn den König von England zu übertragen. Philipp trat ei- nen Augenblick ab, während dessen die Ritter sich besprachen. Man kann denken, daß sich keine Stimme gegen den Vor- schlag erhob, doch sollte keine Form unbeobachtet bleiben. Als Philipp wieder eintrat, ward er als der neue Souverän des Ordens beglückwünscht, und man faßte den Beschluß, demgemäß dessen Siegel zu verändern. Reiffenberg Histoire de l’ordre de la toison d’or p. 441. Hierauf, am 25sten, versammelten sich die Mitglieder der Stände, die von den verschiedenen Landschaften hiezu mit den nöthigen Vollmachten versehen worden, im kaiser- lichen Pallast. Es war derselbe Saal, in welchem Carl vor vierzig Jahren für mündig erklärt worden, und die Re- gierung dieser Lande übernommen hatte. Dazwischen lag sein ganzes mit dem Kampfe aller lebendigen Elemente der Welt erfülltes Leben. Nachdem einer der Räthe die Propo- sition der Abdankung vorgetragen, ergriff der Kaiser selbst das Wort. Er ließ vor seinem Geiste vorübergehn, was ihn persönlich seit jenem Anfang betroffen: wie der Gedanke seiner Jugend, das Gebiet der Christenheit gegen den Erb- feind auszubreiten, durch den Widerstand politischen und re- ligiösen Ursprungs, der sich ihm von allen Seiten erhoben, Abdankung des Kaisers. (Niederlande.) unausführbar geworden sey; wie schwer es ihm gefallen, selbst nur diese nächsten Feindseligkeiten zu bestehn; welche Reisen und Feldzüge er dazu unternehmen müssen, nach dem obern Deutschland, nach Italien, Frankreich, Spanien, Africa, wie oft er das Mittelmeer und den Ocean durchschifft habe: aber noch sehe er sich in gefährliche und heftige Kriege ver- wickelt; er habe gethan was er gekonnt, seine Kraft sey er- schöpft: er würde eine schwere Verantwortung vor Gott auf sich laden, wenn er nicht die Regierung dem kräftigeren Manne, seinem Sohne überlasse, den er ihnen hiemit als ihren Herrn vorstelle. Sein Sinn war noch nicht, demsel- ben Alles abzutreten, er wollte ihm nur die Niederlande ein- räumen. Allein es lag etwas in seiner Rede, als lege er zugleich die ganze Regierung seines Reiches, die Aufgabe den Gedanken derselben zu realisiren, in Philipps Hände nieder. Indem er bekannte, ihm selber mit aller seiner Macht und aller Anstrengung sey es nicht gelungen, ermahnte er noch seinen Sohn und die Stände, an dem obersten Grundsatz wenigstens festzuhalten, von der alten Religion nicht abzu- weichen. Er lehnte sich, indem er sprach, mit seinem linken Arm auf die Schultern des Prinzen Wilhelm von Oranien, den rechten hatte er auf einen Stab gestützt. Ein Moment voll Schicksal und Zukunft! Die Anwesenden wurden von dem Gefühl ergriffen, das sich beim Anblick der Vergäng- lichkeit menschlicher Größe und des irdischen Daseyns der Gemüther unwiderstehlich bemächtigt; auch dem Kaiser sel- ber stiegen die Thränen auf. Nicht das etwa, fügte er noch hinzu, thue ihm Leid, daß er die Herrschaft aufgebe, sondern es schmerze ihn, daß er das Vaterland, worin er Zehntes Buch. Sechstes Capitel . geboren worden, und so viele ergebene Vasallen verlassen müsse; der Tod seiner Mutter rufe ihn nach Spanien. Die letzte Wendung berichtet der florentinische Gesandte. Uͤber die Rede des Kaisers giebt es uͤberhaupt verschiedene Versionen, doch stimmen sie in allem Wesentlichen uͤberein. Eine der merkwuͤrdigsten ist die des Pontus Heuterus XIV, ii . Er begeht allerdings den Feh- ler, den fast alle Geschichtschreiber theilen, daß er die Verhandlung mit den Rittern v. g. Vl. auch auf den 25sten setzt. Das kann aber seine Glaubwuͤrdigkeit, namentlich uͤber die Aͤußerlichkeiten, nicht schwaͤ- chen, da er selbst, 20 Jahr alt, der Versammlung beiwohnte. Auch Königin Maria legte in dieser Versammlung das Amt einer Regentin nieder. Den andern Tag leisteten die Stände dem neuen Fürsten den Eid der Treue. Sogleich aber mußte sich das begonnene Ereigniß noch einen Schritt weiter zu seiner letzten Vollendung entwickeln. Da widrige Winde und ein Krankheitsanfall den Kai- ser an sofortiger Abreise verhinderten, so wurden die wich- tigsten Sachen, auch wenn sie z. B. Italien betrafen, wie denn der florentinische Gesandte den Auftrag hatte den Kai- ser von allem in Kenntniß zu setzen, nach wie vor an ihn gebracht. Er wies sie nicht von sich; da er aber nicht ge- sund genug war sie zu erledigen, und nur die Antipathien und Reibungen der beiderseitigen Minister darüber erwach- ten, so führte dieß zu einer Crisis, aus der die vollständige Abdankung hervorgieng. An sich leuchtet ein, daß bei den engen Beziehungen die sich zwischen den Ländern des Kaisers gebildet, eine Trennung derselben in zwei verschiedene Administrationen die größten Schwierigkeiten darbot. Ganz unübersteiglich zeigten sie sich in einem Augenblicke, wo ein neuer großer Krieg bevorstand. Gegen Ende des Jahres liefen Nachrichten von einem zwi- schen Paul IV , dem König von Frankreich und dem Her- Abdankung des Kaisers. (Spanien.) zog von Ferrara zu einer neuen Vertheilung der italienischen Länder getroffenen Bündniß ein. Disp. Fiorentino 4 Genn. 1555 (56). Questa freddezza (zwischen den beiden Fuͤrsten) è nata di poi la venuta del capitano Alessandro Tomasi, il quale vuole a tutti i partiti dar ad inten- dere a queste MM à ed alli loro ministri, che i Franzesi unita- mente col Papa voglion romper la guerra nel regno (di Napoli). Noch war Sicilien als zu Aragon gehoͤrig unter kaiserlicher Ver- waltung. Man muß bekennen, die Minister Philipps II hatten nicht Unrecht, wenn sie erklär- ten, die burgundischen und italienischen Länder ohne Beihülfe der spanischen nicht vertheidigen zu können. Wir haben un- verwerfliche Nachrichten, daß Philipp II , von einigen Ita- lienern wie Tornabuoni noch besonders angefeuert, dieß sei- nem Vater eines Tages sehr lebhaft und ernstlich vorge- stellt hat. Und zugleich erhob sich in dem Kaiser, bei dem es für alle sein Thun eines äußern Anstoßes bedurfte, eine Sehn- sucht nach Zurückgezogenheit und klösterlicher Büßung, mit der er sich schon lange getragen, zu vollem Bewußtseyn. Noch als seine Gemahlin lebte, hatten sie sich wohl geträumt, am Ende ihrer Tage, nach abgelegter Herrlichkeit der Welt, in ein paar benachbarten Klöstern zu leben, er in einem Mannsconvent, sie unter Klosterfrauen, und dann unter dem Altar einer Kirche gemeinschaftlich begraben zu werden. Bei der Rückkehr von dem unglücklichen Unternehmen gegen Algier an die spanische Küste bemerkte man, welchen Eindruck der Friede, die Einsamkeit und die einfache Lebens- weise des ersten Klosters das er antraf, auf ihn machte. Im tiefsten Geheimniß vertraute er bald darauf, im Jahr 1542, zu Monzon, dem Francisco de Borja seine Ab- Zehntes Buch. Sechstes Capitel . sicht, sich einmal in ein Kloster zurückzuziehen, mit ausdrück- lichen Worten an. Damals aber hatte ihn der Strom der Ereignisse noch einmal ergriffen: im Grunde ist das Meiste was sein An- denken in der Welt unvergeßlich gemacht hat, erst nachher geschehen; er hatte noch einmal den kühnen und großartigen Versuch gemacht, seinen Begriff eines römisch-gläubigen Kai- serthums zu realisiren; damit aber war es nun auch vorbei. Was war ihm an der Macht gelegen, wenn sie ihm nicht mehr zur Ausführung seiner Gedanken dienen konnte? Als er sich in dem Falle sah, den unbedingten Frieden in Deutschland zwar nicht ausdrücklich bestätigen zu müssen, — niemals hätte er das gethan, — aber ihm doch auch nicht widerstreben zu können, meldete er seinem Bruder, daß er ihm die kaiserliche Würde überlasse. Nur in der beson- dern Bedeutung wie er das Kaiserthum gefaßt, hatte es Werth für ihn. Und dazu kam noch eine Gewissensbedrängniß sehr per- sönlicher Art, die jetzt erst hervortaucht. Er bekannte, er habe Unrecht daran gethan, daß er sich aus Liebe zu seinem Sohne nicht zum zweiten Male vermählt habe, und verhehlte nicht, daß er darüber in Sünden gefallen sey die er jetzt büßen wolle, um sich vor seinem Ende mit seinem Gott zu vergleichen. Bericht bei Arnoldi Historische Denkwuͤrdigkeiten p. 31. Am 15ten Januar 1556, in einer Versammlung der angesehensten Spanier die sich in den Niederlanden befan- den, in Anwesenheit der beiden Königinnen seiner Schwe- stern, übertrug der Kaiser auch die spanischen Königreiche an seinen Sohn. Abdankung des Kaisers. (Das Kaiserthum.) In allen spanischen Hauptstädten, auf der Halbinsel selbst und in den Vicekönigreichen auf einer andern Hemi- sphäre, wurden darauf die Fahnen für den König Don Fe- lipe den Zweiten erhoben: nicht anders als ob König Car- los, für sie dieses Namens der Erste, bereits gestorben sey. So rasch und leicht konnte es nun aber mit der Über- tragung des Kaiserthums nicht gehn. Wie Ferdinand später erzählt, langte unmittelbar vor dem Schlusse des Reichstags von 1555 der kaiserliche Ge- heimschreiber Pfinzing bei ihm in Augsburg an: mit der mündlichen und schriftlichen Anzeige, daß Carl das Kaiser- thum ihm abzutreten wünsche, und zwar unverweilt: noch die damalige Reichsversammlung sollte die Sache zu Ende brin- gen. Kaiserlicher Majestaͤt Selbstrede, in den Acten der Resigna- tion des Kaiserthums in Hoffmanns Sammlung ungedruckter Nach- richten p. 27. Ferdinand zeigte wie unmöglich dieß sey, da die Ver- sammlung noch an demselben Tage geschlossen werden müßte, und die Sache ohnehin nicht vor den Reichstag, sondern vor die Churfürsten gehörte. Er versichert, er habe alles gethan um den Kaiser von diesem Gedanken zurückzubrin- gen: vier Mal nach einander, durch Pfinzing und Gusman, dann durch seine Söhne Ferdinand und Maximilian habe er ihm Gegenvorstellungen machen lassen, es sey aber alles vergeblich gewesen. Manche wollten vermuthen, Ferdinand habe absichtlich gezögert die Sache in Gang zu bringen, um nicht etwa seinem Neffen Gelegenheit zur Erneuerung seiner alten Ver- suche zu geben, Cabrera Felipe segundo p. 31. wie denn wenigstens der Einwand, den Zehntes Buch. Sechstes Capitel . die Churfürsten machten, daß man nicht so viele Häupter auf einmal haben könne, durch die Abdankung wegfiel. Al- lein ich finde davon keinen Beweis. Noch vor dem Reichs- tag hatte der Kaiser seinem Bruder die Versicherung gege- ben, daß seine Absicht nicht dahin gehe: nach seiner Art nicht ausdrücklich, aber unzweideutig: daran hielt er fest. In dem Briefwechsel zwischen beiden Brüdern in den Jahren 1555 und 1556, so weit ihn das Brüsseler Archiv aufbewahrt, findet sich überhaupt das alte herzliche Verhält- niß wieder, das früher so lange obgewaltet: war etwas da- zwischen vorgefallen, so war das nun so gut wie vergessen. „Wo ich auch seyn möge,“ schreibt Carl am 19ten October 1555, zu einer Zeit wo von seiner nahen Abreise die Rede war, „immer werdet Ihr in mir meine alte brü- derliche Zuneigung finden, und ich will alles dafür thun, daß sich unsre Freundschaft auch unter den Unsern fortsetze.“ „Ich darf versichern,“ antwortet Ferdinand, „daß ich nichts mehr wünsche, als in der Unterthänigkeit und brüder- lichen Freundschaft, die ich bisher gegen Ew. Majestät ge- hegt, bis ans Ende zu verharren: so bleibe es auch unter unserer Nachkommenschaft: ich werde die Meinen anweisen, daß sie denselben Weg wandeln.“ Noch einmal versichert hierauf der Kaiser seinen Bru- der der Liebe die er ihm schuldig sey: das wisse Der, der sie geschaffen; ein großer Trost würde es ihm gewesen seyn, Ferdinand noch einmal vor seiner Abreise zu sprechen. Ferdinand sendete wenigstens Maximilian, der sonst nicht in Gnaden gestanden; aber jetzt ward auch dieß Verhältniß ausgeglichen: alle gegenseitigen Ansprüche wurden freundlich Abdankung des Kaisers. (Das Kaiserthum.) gehoben, und Maximilian muß gestehn daß er sehr gut be- handelt worden sey. Sorgfältig vermied der Kaiser jede weitere Theilnahme an Geschäften die mehr als bloße Canzleisachen waren. Zu der Reichsversammlung, die im Juli 1556 in Regensburg eröffnet ward, verweigerte er Abgeordnete zu schicken, was er doch noch vor dem Jahre gethan, so daß er jetzt auch gar nicht mehr gefragt werden konnte. „Ich werde mich“, schreibt Ferdinand, „dem Wunsche Ew. Majestät fügen, und im Namen Gottes, so weit er es mir eingeben wird, die Geschäfte führen.“ Man sieht: es ist das Gefühl des Be- ginnens, das sich in diesem Briefe ausspricht: die Leitung dieser Versammlung ist der Anfang der selbständigen Reichs- verwaltung Ferdinands. Endlich, im September 1556 kam dann auch die Zeit wo der Kaiser wirklich von Seeland aus nach Spanien un- ter Segel gieng. Es war eine seiner letzten Handlungen in diesseitigen Landen, daß er eine Gesandtschaft, an deren Spitze Wilhelm von Oranien stand, abordnete, um den Chur- fürsten seine Verzichtleistung zu Gunsten seines Bruders an- zukündigen. In der Urkunde sind die Ausdrücke, die jede Bedingung dabei ausschließen, recht absichtlich gehäuft. Es heißt darin, er trete demselben das heilige Reich und römi- sche Kaiserthum ab, sammt dessen Verwaltung, Titel, Ho- heit, Scepter und Krone, mit allen und jeglichen Rechten, frei, vollkommen, unwiderruflich. Wenn Ferdinand nicht rascher vorschritt, so liegt das nur daran, daß die Dinge in Deutschland überhaupt lang- sam gehn und vor allem gut vorbereitet seyn wollen. Zehntes Buch. Sechstes Capitel . Als die Churfürsten zuerst, doch nur im Allgemeinen, Nachricht von dem Vorhaben der Übertragung des Reiches erhielten, und zu einer Zusammenkunft deshalb eingeladen wurden, fürchteten sie fast, es werde nur von der Verwal- tung die Rede seyn, und Carl werde sich Titel und Krone vorbehalten wollen. Sie urtheilten daß dieß nicht genügen würde, und nicht unmerkwürdig sind die Gründe die Sachsen und Branden- burg, die bei Gelegenheit einer festlichen Zusammenkunft dar- über beriethen, dagegen anführen. Berathschlagung saͤchsischer und brandenburgischer Raͤthe. 1557. (Berl. Arch.) Sie meinen, dann könne es dem Kaiser unter verän- derten Umständen wohl beikommen, die Verwaltung einmal wieder zu ergreifen, Truppen ins Reich zu führen, einen Frem- den zum Kaiser zu machen, und die Churfürsten, die ihre Stimme dazu nicht geben wollen, mit Gewalt zu erdrücken. Oder im Gegentheil, wenn das nicht geschehe, der Kai- ser nur den Namen führe und nicht das Amt verwalte, so könne der Papst daher Anlaß nehmen, die kaiserliche Krone auf Frankreich, wie er ohnehin wünsche, zu übertragen. Überhaupt aber müsse wo möglich der Gefahr ein Ende gemacht werden, daß der König von Frankreich durch seine Kriege mit dem Kaiser veranlaßt gegen das Reich um sich greife: leicht könne derselbe sonst den Rheinstrom gewinnen. Wir sehen wohl, diese ganze Combination, nach wel- cher ein Fürst, dessen Macht auf außerdeutschen Verhältnis- sen beruhte, die Krone inne hatte, und dadurch entweder, wenn er stark und mächtig war, die Freiheit des Reiches gefährdete, oder wenn er das nicht war, die Grenzprovin- Churfuͤrstenversammlung zu Frankfurt . zen dem gewaltsamen Umsichgreifen seiner Feinde aussetzte, wünschten sie abgestellt zu sehen. Eine Übertragung der Ver- waltung verwarfen sie nur als unvollständig: aus demselben Grunde aber waren sie sehr geneigt die Verzichtleistung an- zunehmen. Eine Zeitlang war die Mahlstatt der Versammlung zwei- felhaft. Ferdinand wünschte einen den Erblanden bequem gelegenen Ort, etwa Eger oder auch Ulm, die Churfürsten beharrten auf dem für die Wahlhandlungen durch das Her- kommen festgesetzten Frankfurt; darüber ward dann weitläuf- tig hin und her geschrieben, und es dauerte bis in den An- fang des Jahres 1558, ehe man — und zwar eben in Frankfurt — zusammenkam. Am 25sten Februar 1558 hörten die Churfürsten das Anbringen des Prinzen von Oranien, der sich entschuldigte, daß sein Beglaubigungsschreiben von so altem Datum sey. Da der Antrag mit den Wünschen die sie hegten zu- sammentraf, so fiel jeder Widerspruch weg. Sie ergriffen nur die Gelegenheit, durch die von dem römischen König zu beschwörende Capitulation den zuletzt getroffenen Reichsein- richtungen eine neue Festigkeit zu geben. Noch einmal wurde hier der zu Passau vorgelegten Be- schwerden gedacht: wir finden sie aufs neue Punct für Punct von den churfürstlichen Räthen begutachtet; allein wenn man sich schon in Augsburg überzeugt hatte, daß die meisten durch die dort beschlossenen Einrichtungen von selbst erledigt wor- den, so war das jetzt, da Würde und Verwaltung des Kai- serthums auf immer an Ferdinand übergiengen, noch mehr der Fall: — man hielt für hinreichend, sie demselben, wie Zehntes Buch. Sechstes Capitel . sie waren, zu übergeben, damit er selbst sehen möge, was davon noch abzustellen sey. In der Capitulation dagegen ward nun die Verpflichtung auf die Reichsbeschlüsse des Jahres 1555 überall, wo die Gegenstände derselben in Erwähnung kamen, so nachdrücklich wie möglich eingeschaltet. Ferdinand gelobte, den Religions- frieden sowohl als den Landfrieden und dessen Handhabung, wie sie im Jahr 1555 aufgerichtet worden, und die dort zu Stande gekommene revidirte Kammergerichtsordnung stät und fest zu beobachten. Er versprach nichts dagegen weder selbst zu verfügen, noch sich von einzelnen Ständen bewilligen zu zu lassen, noch auch anzunehmen wenn es ihm bewilligt würde. Alle frühern Reichsordnungen sollten nur gültig seyn, in so fern sie mit den Beschlüssen vom Jahre 1555 übereinstimmen. Am 14ten März 1558 beschwur zuerst Ferdinand in Ge- genwart sämmtlicher Churfürsten in der Churcapelle der Bar- tholomäuskirche diese Capitulation; hierauf setzte ihm der Erz- cämmerer des Reiches, Churfürst Joachim II , die goldene Krone auf; dann begaben sie sich sämmtlich auf eine dort vor dem hohen Chor aufgerichtete Bühne. Indem sie sich hier nach althergebrachter Ordnung niedergelassen: zur Rech- ten des Kaisers Mainz und Pfalz, zur Linken Cölln, Sach- sen und Brandenburg, vor ihm Trier, — die Unterämter von Pfalz und Sachsen Seldeneck und Pappenheim, stan- den mit Reichsapfel und Schwert vor Ferdinand, Joa- chim II hielt das Scepter selbst in seiner Hand, — stiegen von der andern Seite eine breite Brücke welche die Kirche mit der Bühne verband, die Bevollmächtigten Carls V , der Churfuͤrstenversammlung zu Frankfurt . Prinz von Oranien und der Vicecanzler Seld hinauf. Seld verlas die kaiserliche Vollmacht und die Urkunde der Cession; Dr Jonas die der Annahme von Seiten Ferdinands, die denn hauptsächlich enthielt, daß er mit dem Rathe der Chur- fürsten, den er sich erbat, zu regieren gedenke. Hierauf ward König Ferdinand als erwählter römischer Kaiser proclamirt. Im Namen der Churfürsten begrüßte ihn der Erzcanzler des Reiches: im Namen der Reichsfürsten, die sich sehr zahlreich eingefunden, Christoph von Würtenberg; Ferdinand gelobte ihnen ihre Privilegien zu halten. Man sah, daß sich Alle, welches auch ihre religiösen Meinungen seyn mochten, wie- der als eine Einheit fühlten, auf dem Grunde des von kei- ner künftigen dogmatischen Festsetzung abhängigen immerwäh- renden Friedens. Der Gottesdienst mit welchem sie die Feier- lichkeit beschlossen, war so eingerichtet, daß die Einen und die Andern demselben beiwohnen konnten. Man fühlte, daß es auch außerhalb der dogmatischen Gegensätze etwas gebe was doch auch Religion sey, ob- gleich es sich nicht so leicht aussprechen ließ; hauptsächlich aber sah man, daß jenseit der Fragen über Mein und Dein, die daraus entsprungen, und aller damit zusammenhängen- den politischen Irrung, noch etwas Gemeinsames liege, was man schlechterdings festhalten müsse, die Idee des Reiches. Carl V hatte in dem Kaiserthum ein ihm zugefallenes, von ihm persönlich geltend zu machendes Recht gesehen: jetzt kam dasselbe wieder an die Gemeinschaft der Fürsten zurück. In jenem Verzeichniß der Beschwerden wird der Begriff des hei- ligen Reiches festgehalten; es wird als ein solches bezeich- net, das auf dem Wege freier Wahl sich selbst und der gan- Ranke D. Gesch. V. 27 Zehntes Buch. Sechstes Capitel . zen Christenheit ein weltliches Haupt zu setzen habe, und nach den alten Rechten und Herkommen, mit Wissen Wil- len und Rath der Stände zu regieren sey. „Nachdem das heil. Reich deutscher Nation ein frei reich ist — das aus seinen eignen Gliedern durch frei ordentliche wal der Chur- fuͤrsten ein weltlich haupt zu erkiesen hat, welches haupt gleichwol in sachen dasselbig Reich belangend, vermoͤge der guldnen bull, und al- tem herkommen nach, mit Wissen Willen und Rath der Staͤnde und sonderlich der sechs Churfuͤrsten als der vornehmsten Glieder regieren soll.“ Kurtzer Bericht etlicher gemeiner auch sonderbarer beschwerungk des heil. reichs deutscher Nation — allein zu weiterm Nachdenken und Erinnerung gestalt. (Archiv zu Berlin.) Man faßte dabei sehr gut die doppelte Beziehung der innern Ordnung und des äußern Ranges, auf denen es beruht, die mit ein- ander gegründet worden, nicht an die Person, sondern an die Gemeinschaft geknüpft waren, und die man nicht fallen lassen durfte. Ein jeder fühlte wohl, daß er außerhalb die- ser Vereinigung nur wenig bedeute. Besonders waren die sechs Churfürsten davon durch- drungen. Gleich bei der Einladung zu einer persönlichen Zusam- menkunft hatten Sachsen und Brandenburg den Gedanken ge- faßt, dieselbe zur Erneuerung des Churfürstenvereins zu be- nutzen, der lange Zeit die vornehmste Macht im Reiche gebil- det. Sie waren der Meinung, auch das frühere Ansehen des Collegiums lasse sich wiedergewinnen, wenn es nur in allem zusammenhalte, was die Wohlfahrt des Reiches und die eigne Hoheit anlange. „Und wurden die kais. u. koͤn. Mt, wan sie sehen, das die Churfuͤrsten sich wiederum freundlich zusammenhielten, und in dem Es kam ihnen hiebei zu Statten, daß die Erinnerung Churverein von 1558. an die alten Rechte durch ein neues Verdienst wieder be- lebt worden war. Wie wir sahen, waren die Einrichtun- gen des Reichstags von 1555 in alle dem worin man sich vereinigt hatte, das Werk des Churfürstenrathes. In dem neuen Vereine nun, der wenige Tage nach dem Acte der Renunciation, am 18ten März, zu Stande kam, gelobten die Churfü rst en vor allem, über diesen Ordnungen zu halten und zu Hülfe zu kommen, wenn einer von ihnen „dem Frieden in Religions- oder Profansachen zu- wider“ angegriffen werden sollte. Bei dem Entwurf der Ca- pitulation hatten sie sich das Recht vorbehalten wollen, nur in ihrem eigenen Rathe zu deliberiren, nicht zu einem Aus- schuß aus beiden Räthen genöthigt zu werden, — was in der letzten Versammlung ihnen und der gemeinen Sache so vor- theilhaft gewesen war; — Ferdinand hatte jedoch aus Rück- sicht auf das Fürstencollegium Bedenken getragen dieß zu genehmigen: sie halfen sich dadurch, daß sie in dem Ver- eine übereinkamen, zu einem solchen Ausschuß niemals ein- zuwilligen. Mit besonderm Nachdruck verpflichteten sie sich, einer den andern nicht etwa um der Religion oder der Ce- rimonien willen von den Wahlen auszuschließen, dazu un- fähig zu achten. Sie betrachteten sich fortwährend als die vordersten Glieder des römischen Reiches; auch nachdem die Hälfte von ihnen sich von der römischen Kirche getrennt hatte: in ihrer Gesammtheit als die Säulen des Reiches und der Christenheit. Sollte sich Jemand, wer auch im- das des h. reichs wolfahrt und ire selbst churfuͤrstliche Wuͤrde und Hochheit anlangete, vor einen man stunden, ungezweifelt vil under- wegen lassen.“ 27* Zehntes Buch. Sechstes Capitel . immer, unterwinden, das heilige Reich der deutschen Nation zu entziehen und auf eine andre zu übertragen, so wollen sie sich gemeinschaftlich dagegen setzen, keiner soll den an- dern verlassen. Das schwören sie einander, alle in der von den Protestanten angenommenen Formel, bei Gott und dem heiligen Evangelium. Neuester gemeiner Verein aller Churfuͤrsten, unter andern bei Gerstlacher Handbuch der Reichsgesetze IV, 511. G. erinnert, daß 1745 Boͤhmen und Hannover in den Verein aufgenommen wurden. In dieser Urkunde finden sich Ausdrücke die an den frühesten Churverein vom Jahr 1338 erinnern: ein späterer, von 1446, wird darin ausdrücklich erwähnt, die goldene Bulle zu wiederholten Malen. Wie wir bemerkten daß alle seit Friedrich III versuchte Reichseinrichtungen durch die Be- schlüsse von 1555 vollendet und erst recht festgestellt wur- den, so gab es dem neuen Zustand der sich in deren Folge bildete, noch eine besondere Gewähr, daß die Erneuerung der churfürstlichen Macht sich damit verband, deren Wur- zeln in noch bei weitem ältere Zeiten zurückreichen. Freilich konnte sich nun auch Niemand wundern, wenn der Repräsentant der in den hierarchischen Jahrhunderten gebildeten Rechtgläubigkeit und geistlich-weltlichen Gewalt, der römische Papst, sich diesen Dingen widersetzte. Paul IV haßte ohnehin das Haus Östreich, dem er das Emporkommen der protestantischen Meinungen zuschrieb; er konnte Ferdinand nicht vergeben, daß unter seinen Auspi- cien ein Reichsabschied zu Stande gekommen war, wie der augsburgische von 1555. „Was könne“, heißt es in einem seiner Schreiben, „dem katholischen Glauben Widerwärtigeres Paul IV und das Reich . begegnen, als was dort in Augsburg beschlossen worden.“ An den Bischof von Passau 18 Dec. 1555. Bei Rainal- dus 22, 134. Der römische Hof hat ihn niemals anerkannt. Eben so lief es aber allen Begriffen Pauls IV von der päpstlichen Oberhoheit auch über das Kaiserthum entge- gen, daß Carl V demselben entsagte, ohne mit ihm darüber Rücksprache genommen zu haben, und zwar in die Hände der Churfürsten, nicht in die seinen. Er erklärte die ganze Entsagung für null nichtig: für nicht minder ungül- tig die darauf erfolgte W die von Ketzern, ja von Hä- resiarchen vorgenommen worden. Er äußerte Zweifel selbst über die persönliche Befähigung Ferdinands, der da lebe wie Eli, und sich nicht darum kümmere, daß sein Sohn Maxi- milian den Abtrünnigen beigetreten sey. Babou au roi de France 11 Juin 1558 bei Ribier II, 746. Den Gesandten Ferdinands, Martin Gusman, wollte er lange Zeit nicht se- hen: bei Nacht sey er gekommen, rief er aus, bei Nacht möge er sich entfernen; nachdem Gusman eine Zeitlang in Tivoli gewartet, ward er endlich zwar vorgelassen, aber nur als Privatmann, und um die Einwendungen zu hören, welche eine Congregation von Cardinälen gegen das Verfahren der Deutschen erhob. Vgl. die Erzaͤhlung von Nores, das Original aller spaͤteren, bei Bromato Vita di Paolo IV Bd II, 431. Der römische Hof stellte die Forderung auf, der neue Kaiser solle zuerst auf seine Würde wieder Verzicht leisten und erwarten was der Papst alsdann ver- ordnen werde. So weit war es nun doch im Reiche gekommen, daß sich Niemand um diesen Widerspruch bekümmerte. Es war Zehntes Buch. Sechstes Capitel . eine Zeit gewesen, wo die Fürsten auf den Wink des Pap- stes zu neuen Wahlen schritten: jetzt waren sie alle, geist- liche wie weltliche, in der Absicht einverstanden, das Anse- hen des Reiches gegen denselben aufrecht zu erhalten. Viel Worte darüber zu wechseln, schien nicht einmal nöthig. Nur der Kaiser ließ durch den Reichsvicecanzler Seld eine Wi- derlegung der päpstlichen Ansprüche ausarbeiten. Die Beschwerden und Anmuthungen des Papstes ergeben sich aus diesem „ausbuͤndigen treweiffrigen Rathschlag“ beim dritten und vierten Punct p. 189 und 195 besser als aus den bei Goldast p. 166 vorhergehenden apocryphen Artikeln. Vielleicht das Merkwürdigste darin ist, daß auch das Interesse des Reiches zu einer ausdrücklichen Verwerfung der päpstlichen Satzungen aus den letzt vorhergegangenen Jahrhunderten nö- thigte. „Wan E. M. sonsten gemeynet ist die alten heiligen Cano- nes zu halten und bei denselben zu bleiben, so duͤrffen Sie Sich die neuen parteiischen Baͤpst Decretales nicht bekuͤmmern lassen, quia ta- lis est extravagans illa, unam sanctam.“ Seld bei Goldast Poli- tische Reichshaͤndel p. 185. So ernstlich der Kaiser und sein Canzler sonst an der hergebrachten Kirchenlehre festhalten, so sehen sie sich doch auf ihrem Standpunct endlich zu einer Opposition getrieben, die eine gewisse Verwandtschaft mit dem ersten Auftreten des Protestantismus hat. Die ganze politische Entwickelung des Reiches wäre nun einmal ohne Gegensatz gegen das Papst- thum gar nicht möglich gewesen. Wie die Churfürsten, so mußte jetzt auch der Kaiser auf die Zeiten Ludwigs des Baiern zurückkommen. Aventins Darstellung derselben und Lupold von Babenberg sind für Seld eine große Autorität. Während dieser Irrungen lebte nun carl V schon längst in dem Zufluchtsort den er sich ausersehen. Letzte Tage Carls V. In Estremadura, in der Vera von Placencia, die den alten Ruf gesunder Luft genießt, in der Mitte von Baum- pflanzungen, die von frischen Quellen und Bächen vom Ge- birge belebt sind, liegt das Hieronymitenkloster Juste, das damals aus zwei Klostergebäuden und einer Kirche bestand, an dem Abhang eines Hügels der es vor den Nordwinden schützt, in vollkommener Einsamkeit. Dahin hatte sich der Kaiser sogleich nach seiner Ankunft in Spanien begeben. Man dürfte nicht glauben daß er ein Klosterbruder ge- worden sey. Er wohnte nicht in dem Kloster, sondern an der Kirche war ihm ein eigenes Haus erbaut; unfern davon waren Wohnungen für seine Dienerschaft eingerichtet, die noch den ganzen Apparat einer regelmäßigen Hofhaltung dar- stellt. Aus den Legaten seines Testamentes lernt man die Mitglie- der derselben kennen, — eine ganze Anzahl Kammerdiener, besondre Diener fuͤr die Fruchtkammer, Obstkammer, Lichtbeschließerei, Auf- bewahrung der Kleider, der Juwelen, meistens Niederlaͤnder, jedoch unter einem spanischen Oberhofmeister Luis Quixada. Der Leibarzt und eine Apotheke fehlten nicht. Auch ist ein Irrthum, anzunehmen, daß er aller Theil- nahme an den Geschäften entsagt habe. Mit seinem Sohne stand er in unausgesetztem Briefwechsel, und dieser bat ihn noch zuweilen, die Gewalt wiederzuergreifen: in Spanien un- ternahm er noch einiges auf eigne Hand. Unter andern finde ich, daß er nach dem Tode König Johanns III von Portugal im J. 1557 jenen Francisco de Borja, der damals in den Jesuiterorden getreten war, nach Lissabon schickte, unter dem Scheine einer Visitation dortiger Collegien, aber in der That, um zu bewirken, daß in die neue Huldigung der junge Deu Carlos, sein Enkel, aufgenommen werde. que desejava que Portugal jurasse condicionalmente na Der Unterschied Zehntes Buch. Sechstes Capitel . gegen früher lag besonders darin, daß er nicht von laufenden Geschäften bedrängt war und keine Regierungspflicht mehr hatte. Er konnte der Einsamkeit und Ruhe, nach der ihn verlangte, so viel er wollte genießen. Seine Umgebung hatte Befehl, keine Besuche anzunehmen, und in dem Kloster war es so still, als wäre er nicht anwesend. Oder vielmehr, es ward noch stiller durch ihn: er bemerkte mit Mißfallen, daß zuweilen Frauen an die Pforte kamen und mit den Mönchen redeten: auf seinen Wunsch ward es abgestellt. Man hatte dafür gesorgt, daß der Blick aus seinen Zimmern, der über die Klostergärten hinführte, durch nichts Fremd- artiges gestört wurde. Sein Vergnügen war, wenn er sich wohl befand, nach einer kleinen ein paar Armbrustschüsse entfernten Einsiedelei zu lustwandeln, unter dem Schatten dichtgepflanzter Castanienbäume, welche vor der Sonne dieses Himmels schützten; zuweilen machte er den Weg auf einem Saumthier, endlich war ihm auch dieß unmöglich. Besonders gern wohnte er dem Gesange in der Kirche bei, wie er denn Geschmack und Unterscheidungsgabe für die Musik besaß; die Obern des Ordens hatten nicht versäumt, ihre besten Stimmen in dem Kloster zu versammeln. Seine Wohnung war in eine solche Verbindung mit der Kirche gesetzt, daß er in den Tagen der Krankheit den Gesang und die Feier der Messe in seinem Schlafzimmer hören konnte. Und so hoffte er wohl, das Ziel seiner Tage in tiefem Frieden zu erreichen. Jedoch vergeblich. So lange der falta del rey D. Sebastian por sucesor de coroa ao principe D. Carlos su neto. Barbosa Machado Memorias para a historia de Portugal, que comprehenden o governo del rey D. Seb as tiao 1736. Letzte Tage Carls V. Mensch noch athmet und lebt, kann er sich dem Kampfe der Elemente nicht entziehen, welcher die Welt bewegt. Auch in dieser Abgeschiedenheit ward Carl V von den ihm, seit sie den Umsturz seines Glückes veranlaßt, erst recht verhaß- ten neuen Meinungen erreicht. Plötzlich entdeckte man kleine Gemeinen protestantischer Tendenz in Valladolid und Se- villa. MCrie Geschichte der Reformation in Spanien p. 252. Augustin Cazalla, der während des schmalkaldischen Krieges um ihn gewesen und noch in Juste vor ihm gepre- digt, wies sich selbst als ein Lutherisch-gläubiger aus. Der Kaiser war darüber betroffen, ja erschüttert. Am Ende sei- ner Tage mußte er erleben, daß ein Mann der sein Gewis- sen eine Zeitlang geleitet, die Meinungen bekannte, mit de- nen er sein ganzes Leben gekämpft hatte. In seinem letzten Codicill, nur zwölf Tage vor seinem Tode, ermahnt er noch seinen Sohn und die spanische Regierung auf das dringendste, die Ketzereien in ihrem Keime zu unterdrücken. Doch scheint es fast als habe er an menschlichen Mitteln verzweifelt. Er betete nur noch für die Einheit der Kirche: „in deine Hände, o Herr,“ hörte man ihn sagen, „habe ich deine Kirche über- geben.“ In manus tuas tradidi ecclesiam tuam. Sandoval II, 834. Er starb in dem Gedanken der sein Leben aus- gemacht: 21 Sept. 1558. Für eine Kirche von politisch-religiöser Einheit, die ganze abendländische Welt umfassend, wie er sie gedacht, war kein Raum mehr in Europa. Der Gedanke selbst ist niemals wie- der so lebendig in die Seele eines Menschen gekommen, wie Carl V ihn hegte. Schon genug, wenn die südlichen Na- tionen sich der vordringenden Bewegung nur selber erwehr- Zehntes Buch. Sechstes Capitel . ten: von den nördlichen einmal in der Abweichung begriffe- nen war keine Rückkehr zu erwarten. Und beruht denn die Einheit der Christenheit wirklich so ausschließend auf dem gleichen religiösen Bekenntniß? Irre ich nicht, so hat sie sich auch unter den Gegen- sätzen behauptet, die doch die gewonnene Grundlage nicht verleugnen können, sich unaufhörlich auf einander beziehen, einer ohne den andern nicht zu denken sind. Zuletzt ist der gleichartige Fortschritt der europäischen Cultur und Macht an die Stelle der kirchlichen Einheit getreten. Was diese verloren hatte, das Übergewicht über die Welt, ist durch jene im Laufe der Jahrhunderte wiedererworben worden. Wie weit übertreffen die göttlichen Geschicke menschliche Gedanken und Entwürfe. Noch nicht zwei Monat nach Carl starb Maria von England, und die protestantischen Tendenzen, die nur durch die Voraussicht ihres baldigen Todes vom Ausbruch zurück- gehalten worden, traten nun in neuer Kraft, durch die Prü- fung die sie bestanden, erst des nationalen Geistes recht mäch- tig geworden, hervor. Königin Elisabeth bestieg den Thron, und die Herrschaft des Papstthums hörte auch in England auf. In Deutschland bemerkten die evangelischen Fürsten auf der Stelle, wie viel das auch für sie zu bedeuten habe. Aus ihren Briefen ergiebt sich, daß sie sehr wohl die Verstär- kung wahrnahmen, die das von ihnen ergriffene System da- durch erhielt. Siebentes Capitel . Fortgang und innerer Zustand des Protestantismus. Wenn man im funfzehnten Jahrhundert wirklich der Meinung gewesen ist, wie man denn viel davon gesprochen hat, daß sich das Ansehen und die Macht des alten Kaiser- thums in Europa wieder herstellen lasse, so war es dahin nun freilich nicht gekommen. Vielmehr hatte die Verbindung des Reiches mit einem über zwei Welten hin mächtigen Kaiser, wie Carl V , nur neue Verluste nach sich gezogen. Die Siege welche die Deutschen mit den Spaniern in Verbindung in Italien erfochten, führten doch nur dahin, daß die eröffneten Reichslehen, auf deren Erträge man wohl einst die Verwaltung des Reiches zu gründen gedacht, an den Prinzen von Spanien übergiengen und von Deutschland vollends losgerissen wurden. Die Niederlande bildeten zwar dem Namen nach noch einen Kreis des Reiches, aber in ihrer innern Verwaltung waren sie von den Anordnungen der Reichsgewalten vollkommen unabhängig; daß der Kai- ser Geldern und Utrecht in Besitz genommen, war für diese ein eigentlicher Verlust. Und dabei war der Kaiser doch in Zehntes Buch. Siebentes Capitel . seinem Kriege mit Frankreich zuletzt der Schwächere geblieben, so daß der Einfluß der Franzosen in Lothringen überwog, und die Grenzlande der französischen Zunge, die so viele Jahrhun- derte hindurch behauptet worden, geradezu verloren giengen. Wohl gelang es König Philipp dem II , kurz darauf das Gleichgewicht zwischen beiden Mächten herzustellen; Frank- reich mußte sich entschließen alle seine Eroberungen heraus- zugeben; nur die behielt es, die es über das Reich gemacht. Die Eidgenossenschaft und Böhmen mit seinen Nebenlanden, obwohl Glieder des Reiches, waren niemals in die Kreise desselben eingezogen. Wie hätte man daran denken können, die im funfzehnten Jahrhundert von Polen losgerissenen preu- ßischen Landschaften wieder herbeizubringen? In dem Über- reste derselben, dem östlichen Ordenslande, hatte man das einzige Mittel, eine gewisse Selbständigkeit für bessere Zei- ten zu retten, darin gesehen daß man sich unter einem erb- lichen Fürsten der polnischen Krone freiwillig anschloß. Daß die Liefländer sich nicht zu einem ähnlichen Schritte ver- einigen konnten, mußte bald ihre völlige Entfremdung zur Folge haben. Der vornehmste Grund von alle dem lag darin, daß die Begriffe von Kaiser und Reich nicht mehr in einander auf- giengen. Wir bemerkten oft, daß gerade der Kaiser, selbst im Zenith seiner Macht, die sorgfältigsten Vorkehrungen traf, seine Erblande von den Einwirkungen des Reiches zu be- freien. Dagegen wollten auch die Stände nicht zu einem Anhang der großentheils auf fremdartigen Weltverhältnissen beruhenden kaiserlichen Macht werden. Während in allen benachbarten Ländern die erbliche Gewalt fortschritt und zu Einwirk. des Protest. auf d. Reichsverfassung . Unternehmungen nach außen erstarkte, brach in Deutschland ein Widerstreit zwischen dem Oberhaupt und den Ständen aus, der mit der Abdankung des Ersten endigte. Wir wis- sen, daß die Unruhen von 1552 nicht von den religiösen Irrungen allein herrührten, sondern nicht weniger durch den Widerwillen der in ihrer Autonomie gefährdeten Reichsstände gegen das Aufkommen einer durchgreifenden oberherrlichen Gewalt veranlaßt wurden. Glück genug, daß man in den Stürmen und Verwirrungen jener Tage nicht noch größeres Mißgeschick erfuhr, daß nicht, wozu es sich einen Augenblick wohl anließ, der Gegensatz eines französischen und eines kai- serlich-spanischen Anhangs Deutschland geradezu in zwei Par- teien zersetzte. Und waren wohl überhaupt jene Versuche die Reichs- verfassung zu verbessern, dazu angethan, demselben eine starke Stellung nach außen zu verschaffen? Was auch dann und wann beabsichtigt worden seyn mag: die Einrichtungen zu denen es wirklich gekommen ist, waren doch nur friedlicher Natur. Der Kaiser ward als die Quelle des Rechts, als der Ausdruck und Inbegriff der Würde und Hoheit des Reiches verehrt; Macht aber sollte ihm von Anfang nicht gegeben werden: diese sollte allein in der Vereinigung der Stände ihren Sitz haben. Was sich auf diesem Grunde erreichen ließ, war nun doch erreicht worden. Eifersüchtig hatte man den Vorrang festgehalten, der dem Reiche in dem Verein der abendländischen Völker von jeher zukam und auf welchem das Verhältniß der Stände, die Abstufung ihrer Macht und ihres Ranges nun einmal Zehntes Buch. Siebentes Capitel . beruhte, und demselben sogar eine festere unabhängige Aner- kennung verschafft. Der Anspruch der Päpste, über das Reich zu verfügen, entlud sich nur noch in Worten: in der Sache selbst erschien er matt und kraftlos. Überhaupt war den Einwirkungen des römischen Stuhls, der früher, selbst in weltlicher Beziehung, eine wahrhafte Ge- walt im Reiche ausmachte, eine Grenze gesetzt worden. Oder sollte es heutzutage Jemand geben, dem es als ein Nach- theil erschiene, daß päpstliche Legaten nicht ferner deutsche Reichstage eröffneten, der römische Hof nicht mehr zur Be- stätigung von Zöllen, zur Schlichtung von Rechtshändeln herbeigezogen wurde, noch Contributionen in Form des Ab- lasses ausschreiben durfte? Wir können sagen: die Gedanken des vierzehnten Jahr- hunderts, wie sie dem ältesten Churfürstenvereine und der goldnen Bulle zu Grunde liegen, und das Bestreben des funfzehnten, an die Stelle der Willkührlichkeiten, welche der kaiserliche und der päpstliche Hof von der Ferne her aus- übten, wobei sie doch den eingerissenen Gewaltsamkeiten nicht im mindesten steuern konnten, Ordnung Friede und Recht einzuführen, waren jetzt erst vollzogen; die ursprünglich beab- sichtigte ständische Verfassung war in großen umfassenden und friedebringenden Constitutionen befestigt. Es liegt am Tage, daß das Emporkommen der prote- stantischen Meinung an allen diesen Dingen den größten An- theil hatte. Zu der Opposition gegen das Papstthum gab sie zugleich Berechtigung und weiteren Antrieb. Dem Kai- serthum, dem sie an sich nicht entgegen war, mußte sie sich doch wegen seiner Verbindung mit der geistlichen Macht wi- dersetzen. Erst unter ihrem Einfluß kamen Landfriede, Kam- Einwirk. des Protest. auf d. Reichsverfassung . mergericht, Executions- und Kreiseinrichtungen zu bleibender Gestalt; mit dem Religionsfrieden zusammen bildeten sie ein einziges zusammenhängendes schützendes System. Wer es nicht annahm, gehörte nicht mehr in vollem Sinne des Wor- tes zum Reiche. Dadurch geschah nun aber wieder, daß die protestan- tische Entwickelung fortan unter dem Schutze der Reichs- gemeinschaft stand. Das Reich hatte sich verpflichtet, keiner Verdammung der Evangelischen, die etwa das Concilium aussprechen möchte, Folge zu geben. War es nicht ein allgemeiner Gewinn, daß die hierar- chische Macht, die alles weltliche und geistliche Leben der Nationen nach ihren einseitigen Gesichtspuncten zu leiten das Recht zu haben glaubte, endlich einen unüberwindlichen Ge- gensatz gefunden hatte? Es war das Werk des eigenthüm- lich deutschen Genius, der jetzt zuerst auf den Gebieten des selbstbewußten Geistes schöpferisch eintrat, und ein Moment der großen welthistorischen Bewegung zu bilden anfieng. Und dieß geschah nun nicht allein, ohne daß die große Institution des Reiches, in welcher die Nation seit so vie- len Jahrhunderten lebte, verletzt worden wäre, sondern mit einer inneren Befestigung seiner ständischen Ausbildung. Es ist schon gesagt worden, und hat eine unzweifel- hafte Wahrheit, daß die Reichsgeschichte, in die sich seit dem Abgang der großen Häuser des alten Kaiserthums niemals alle Kräfte recht zusammenfassen, erst wieder ein großes In- teresse gewinnt, seitdem die religiöse Neuerung sich erhob. Man beschäftigte sich wieder mit einer Angelegenheit die aller Anstrengung und Aufmerksamkeit würdig war. Einen Augen- blick hatte es den Anschein, als sollte die Neuerung alle Ele- Zehntes Buch. Siebentes Capitel . mente durchdringen und den vollen Sieg behalten. Da das nicht geschah, so war wenigstens ein Glück, daß sie dazu beitrug, den allgemeinen Einrichtungen festere Formen zu ge- ben. Auf den beiden Gegensätzen und ihrem Verhältniß be- ruhte fortan das Reich. Es lag nun alles daran, fremde Einwirkungen, sey es der Meinung oder des Interesses, nicht wieder eingreifen und das Eben-gegründete zersprengen zu lassen. Dann konn- ten die geistigen Momente die das Reich enthielt, die althisto- rischen, die seiner Bildung zu Grunde lagen, und die neuen den Fortgang der Entwickelung bedingenden, sich in friedli- chem Beisammenseyn noch inniger durchdringen. Noch schritt das protestantische Element unaufhörlich fort. Was Churfürst Friedrich von der Pfalz zwar unternom- men, aber doch nicht mit voller Entschiedenheit ausgeführt, die Reformation der Rheinpfalz, davon ließ sich dessen Nach- folger, Ottheinrich, durch keine Rücksicht abhalten. Elsassi- sche und würtenbergische Theologen wirkten dabei zusammen: bei der Reformation der Universität Heidelberg ward Me- lanchthon zu Rathe gezogen. Den deutschen Fürstenhäusern, die bereits in so großer Mehrzahl die Sache der Reform ergriffen, gesellte sich im Jahr 1556 auch Baden bei; Markgraf Carl von Baden- Durlach sah besonders dahin, daß seine neue Kirchenordnung den nachbarlichen gleichförmig ausfiel. Viele Priester alten Glaubens nahmen sie an. Und da wo die Fürsten zögerten, ergriffen die Stände diese Angelegenheit. Im Frühjahr 1556 ward Herzog Al- brecht von Baiern durch die beharrliche Weigerung der welt- Verhaͤltniß katholischer Landesfuͤrsten . lichen Mitglieder des Landtags vorher auf seine Propositio- nen einzugehn, genöthigt, den Genuß des Abendmahls un- ter beiderlei Gestalt und die Straflosigkeit der Übertretung der Fastengesetze zu bewilligen. Das Versprechen das er gab, so viel an ihm sey, dafür zu sorgen daß das Wort Gottes durch taugliche Seelsorger im Sinne der apostolischen Kirche verkündet werde, ließ die weiteste Auslegung zu, so unbestimmt auch die Worte gewählt waren. Freiberg Landstaͤnde II, 330. Durch ähnliches Andringen der Stände ward auch Kai- ser Ferdinand in demselben Jahre bewogen, die General- mandate, durch die er dem Gebrauch des Kelches im Abend- mahl und andern Abweichungen Einhalt zu thun gedroht hatte, fürs Erste einzustellen und die Zugeständnisse, die in Böhmen und Mähren unwiderruflich geworden, jetzt auch in den östreichischen Herzogthümern eintreten zu lassen. In Schlesien gab er auf, die von Fürsten und Ständen vor- genommenen Veränderungen rückgängig zu machen. Es wäre eine Täuschung gewesen, hätte man die Ein- willigung des römischen Hofes zu diesen Schritten erwarten wollen. Mit heftigen Scheltworten empfieng Paul IV den clevischen Abgeordneten Masius, der im Juli 1556 nach Rom gekommen war, um einen verwandten Antrag zu ma- chen. Masius Bericht vom 4ten Juli. „Darauf sy (paͤpstl. Hei- Er ergoß sich in Ausrufungen über die Undankbarkeit der Deutschen gegen die Kirche, welche doch das Kaiserthum von den Griechen auf sie übertragen habe; der Abfall der Nation werde verursachen, daß ihr durch die Türken eben so geschehe, wie diese einst den Griechen gethan. Ranke D. Gesch. V. 28 Zehntes Buch. Siebentes Capitel . Diese Fürsten mußten sogar in Bezug auf ihre altgläu- bigen Unterthanen sich selber helfen. Man kennt die Strenge, mit welcher Herzog Wilhelm von Cleve seine Rechte bei der Besetzung der Pfarrstellen festhielt und keinerlei Eingriff ei- ner fremden geistlichen Jurisdiction in seinem Lande gestat- tete; Er habe „leinene Saͤcke aufhenken lassen, worin diejenigen, so der geistlichen Jurisdiction halber etwas anzubringen unternehmen wuͤrden, — als proditores patriae ersaͤuft werden sollten.“ seine Edicte haben allen spätern Regierungen zur Norm gedient. Laspeyres Verfassung der katholischen Kirche Preußens p. 195. Östreich und Baiern lagen mit den Bischöfen der Diöcesen, zu denen ihre Landschaften gehörten, in unaufhör- lichem Hader. Auf den Synoden zu Salzburg 1549 und 1550, zu Mühldorf 1553, erhoben die Geistlichen laute Kla- gen, daß man ihrer Gerichtsbarkeit nicht achte, ihre Immu- nitäten verletze, ihnen ungewohnte Lasten auflege. Die Für- sten vertheidigten sich damit, daß sie den Bischöfen Vernach- läßigung ihrer geistlichen Pflichten Schuld gaben. Auszuͤge aus den gewechselten Schriften bei Bucholtz VIII, 208. Sugenheim 207. 218. „So sein,“ sagt Ferdinand 1549, „die geistlichen solcher ihrer geistlichen Recht, Gewaldts und Gerichts- zwangs, — sonderlich in unsern Erblanden — gar nicht in Gebrauch; — halten fuͤr billig, das diej. Laien, so de crimine heresis, sacri- legii, falsi, simoniac, usurarum, adulterii, fractae pacis et perjurii in Verdacht oder uͤberwunden, nindert anderstwohin als von der weltlichen Obrigkait gerechtfertigt und gestraft und kainswegs fuͤr die gaistlich Obrigkait gewisen oder gezogen werden sollten.“ Es blieb dabei, daß in den weltlichen Gebieten die kirchlichen Angele- genheiten hauptsächlich unter dem Einfluß fürstlicher Räthe, nur mit Zuziehung eines und des andern ergebenen Clerikers verwaltet wurden. Wenn man die Untersuchungen über an- gebliche Wiedertäufer ansieht, die in Baiern noch dann und ligkeit) von Stund an mit vielen und heftigen worten, als die sich etwas entsetz, mir geantwort, solches sey nicht zuzulassen.“ Verhaͤltniß katholischer Landesfuͤrsten . wann vorkommen, so findet man, daß solche von den her- zoglichen Religionsräthen veranlaßt, von einer Provinzialre- gierung und dem Pfleger eines kleinen Bezirks geführt wer- den ohne alle eigentliche Theilnahme der bischöflichen Ge- walt, der man nur zuletzt einen als schuldig betrachteten Priester zu canonischer Strafe ausliefert. Winter Geschichte der Baierischen Wiedertaͤufer p. 83. Nicht so durchaus verschieden wie es scheinen sollte, ist das Verhältniß der weltlichen Fürsten der alten Kirche zu den Bischöfen von dem, das sich in den Landschaften der augsburgischen Confession bildete. Nur erwehrte man sich hier der bischöflichen Jurisdiction vollständig und mußte daran denken sie anderweit zu ersetzen. Wir dürfen nicht versäumen, auf diese Seite des Ereignisses noch einen Blick zu werfen. Grundzüge der protestantischen Kirchenverfassung. Wie der alte Zustand des mittelalterlichen Staates auf einem Zusammenwirken der geistlichen und weltlichen Gewalt beruhte, so entsprang die Neuerung zunächst daher, daß, als die Bischöfe die Anhänger lutherischer Lehren zu bestrafen versuchten, die Fürsten ihnen dabei ihren weltlichen Arm nicht mehr liehen. Dieß allein reichte hin, der bischöflichen Jurisdiction, welche bisher, z. B. in Sachsen, ziemlich be- schwerlich gefallen, ein Ende zu machen. Die Erzpriester und Diaconen, oder Officialen und Commissarien, durch welche sie bisher ausgeübt worden, und die, da sie mit ihrer Ein- nahme an die Sporteln verwiesen waren, sich selten ein Ver- gehen hatten entschlüpfen lassen, erschienen nicht mehr. 28* Zehntes Buch. Siebentes Capitel . Nachdem aber dieses ganze System gefallen, sah man doch auch, daß es etwas Gutes gehabt hatte und nicht ganz zu entbehren war. Man trug Bedenken, Ehesachen, die bisher einen so be- deutenden Zweig der geistlichen Jurisdiction gebildet, geradezu an die weltlichen Gerichte zu überweisen, weil der Richter, wie die Theologen oftmals wiederholen, darin dem Gewis- sen rathen müsse. Ferner bedurfte der geistliche Stand, der früher jede Unbill die er erfuhr, als ein Verbrechen gegen die allgemeine Kirche geahndet, jetzt eines andern Schutzes: über Beleidi- gungen der Patrone oder der Pfarrer hatte er nicht selten zu klagen. War aber nicht für diesen Stand selber Aufsicht nö- thig? Gar bald fanden sich auch unter den protestantischen Predigern Leute, die ein unordentliches Leben führten, oder in der Lehre ihrem Gutdünken nachhiengen: unmöglich konnte man sie gewähren lassen. Endlich forderten öffentliche Laster ein Einschreiten auch von kirchlicher Seite heraus; der gemeine Mann, der sonst alle Jahr fünf, sechs Mal vor den Official citirt worden war, und jetzt nichts mehr von demselben hörte, mußte auf eine andre Weise in Zaum gehalten werden. Anfangs war nun der Gedanke, einen Theil dieser Be- fugnisse und Pflichten an die Pfarrer und Superintendenten übergehn zu lassen, an jene den Bann und die Ehesachen, an diese Aufsicht und Schutz. Es finden sich Citationen, welche Luther im Namen des Pfarrers von Wittenberg in ganz juristischer Form erlassen hat. Allein bald zeigte sich, daß dieß nicht ausreiche. Die Protestantische Kirchenverfassung . Pfarrer waren doch der weltlichen Angelegenheiten nicht kun- dig genug, um nicht zuweilen groben Betrügereien ausge- setzt zu seyn, und in den geistlichen vielleicht nur zu heftig. Hauptsächlich aber, es fehlte ihnen an allem Nachdruck, al- ler Zwangsgewalt. In dem hauptsaͤchlich von Bugenhagen und Jonas herruͤh- renden Bedenken der Theologen heißt es: „die Pfarrer seyen erm- lich versorgt und mit andern sachen ufgehalten: die Superintenden- ten haben keine Execution, keine Gewalt zu citiren, kein Einkommen um nur die Boten zu lohnen.“ Und woher sollte diese auch überhaupt genommen, wor- auf begründet werden? Man konnte sie nicht aus dem päpstlichen Recht her- leiten, das man verwarf, noch aus der alten Praxis, die wieder auf dem Rechte beruhte. Auch ließ sich nicht ein Gemeinwille der Mitglieder der Kirchengesellschaft nachwei- sen, die noch lange nicht hinreichend von dem Prinzip durch- drungen zum großen Theil erst zu unterrichten, ja zu zäh- men waren und noch reg i werden mußten. Es fehlte der neuen Geistlichkeit an einem zu Recht bestehenden Grund ihrer Jurisdiction. Die Wittenberger Theologen fühlten diesen Mangel so lebhaft, daß sie endlich Johann Friedrich baten, ihnen ei- nen Commissar zu geben, einen rechtsverständigen Mann, der die Jurisdiction aus unmittelbarem Auftrag des Für- sten ausübe. „Derselbig must ein wolgeschickter mann sein, gelehrt in jure, und auch in der h. Schrift; derselbige soll die Jurisdiction haben aus Befehl ane mittel des landesfuͤrsten.“ Bedenken der Theologen. Fer- ner „Hochvonnoͤthen gewisse Consistoria aufzurichten, do die Judices Befel und Gewalt hetten, rechtlich zu citiren, auch Urtel Straf und Buß ufzulegen und entlich execution zu thun.“ Zehntes Buch. Siebentes Capitel . Die große Wendung für die Verfassung evangelischer Landeskirchen liegt darin, daß Johann Friedrich sich entschloß, diese Bitte zu erfüllen. Ich denke wohl: er war dazu hinreichend befugt. Die alten Reichsschlüsse hatten die einzelnen Landschaften, in de- nen eine allgemeine Verwirrung ausgebrochen war, ermäch- tigt, für sich selber Ordnung zu treffen. Schon hatten die sächsischen Landstände, im Frühjahr 1537 in einem größern Ausschuß versammelt, wahrscheinlich auf Antrieb des Canz- lers Brück, die Errichtung einiger kirchlichen Behörden, die sie Consistorien nannten, in Antrag gebracht, hauptsächlich zu den Ehesachen und dem Schutz der Pfarrer; und es war be- schlossen worden, dieselben aus dem Sequestrationsfends zu besolden. Johann Friedrich entsprach dem Auftrag des Rei- ches, dem Begehren der Stände, dem dringenden Ansuchen der Theologen selbst, wenn er seine landesfürstliche Macht zur Gründung eines festeren kirchlichen Zustandes anwandte. Er setzte das Consistorium aus zwei weltlichen und zwei geist- lichen Mitgliedern zusammen, die er als seine Beauftragte in Kirchensachen, wie er es ausdrückt, als „seine von der Kirchen wegen Befehlshaber“ bezeichnet. Sie sollen in den durch ein beigeschlossenes Gutachten der Theologen bestimm- ten Fällen — eben in den oben angegebenen — die Befug- niß haben, seine Unterthanen vorzubescheiden, Verhör zu hal- ten, Untersuchung zu führen, und wofern es nöthig, rechtlich zu verfahren. Alle Amtleute, Schösser, Vögte, in den Städ- ten die Räthe weist er an, das zu vollziehen, was dieselben verfügen oder erkennen werden. Copei churfurstlichen Gwalts und Vollmachts: den Commis- sarien des Consistorii gegeben: undatirt, von anderer Hand mit der Protestantische Kirchenverfassung . Einst hatten die Bischöfe die weltliche Macht zu ver- drängen gewußt, zuweilen ganze Diöcesen zu Fürstenthümern umgewandelt. Jetzt trat in weltlichen Gebieten die umge- kehrte Entwickelung ein: die fürstliche Macht dehnte ihre Ju- risdiction über geistliche und gemischte Fälle aus, die bisher ein geistliches Forum gehabt. Die Theologen fanden, daß eine solche Ausdehnung dem ursprünglichen Begriffe der Obrigkeit, wie er in der h. Schrift vorliege, nicht allein vollkommen entspreche, sondern durch dieselbe vorausgesetzt, gefordert werde. Durch Stellen des alten und des neuen Testaments bewiesen sie, daß die Obrig- keit auch in geistlicher Beziehung Schutz gewähren und das Böse bestrafen müsse. Eine Stelle Esaiaͤ 49 „die Koͤnige werden der Kirchen Naͤh- rer seyn“ mag nun wohl diesen Sinn urspruͤnglich nicht haben: man verstand sie aber in aller Aufrichtigkeit nicht anders. Das hängt auch damit zusammen, daß die Reforma- toren die Kirche nicht mehr in den Bischöfen, dem geistlichen Stande sahen, sondern eine Theilnahme der Laien, nament- lich der angesehensten, an ihren Geschäften für zuträglich und nothwendig hielten. An einen Gegensatz der verschiedenen Stände war hier nicht zu denken, da alle vereinigt, nur ein und eben dasselbe Ziel hatten. Die fürstliche Autorität war nicht zu entbeh- ren, um die kirchliche Ordnung wieder aufzurichten. Doch hätte sie allein nicht vorschreiten können; sie bedurfte der Mitwirkung der Geistlichen, und zwar aus dem eigenen, von keinem Auftrage des Fürsten stammenden Prinzipe derselben. Jahrzahl 1538 bezeichnet; ferner ein Schreiben des Churfuͤrsten, Creuz- burg Donnerstag nach Dorotheaͤ (11 Febr.) an die eben bezeichneten Mitglieder. (Weim. Arch.) Zehntes Buch. Siebentes Capitel . Auch an andern Stufen sollten die beiden Zweige concurri- ren. Bei der jährlichen Visitation aller Kirchen des Bezir- kes, die dem Consistorium aufgetragen ward, sollte sich das- selbe in den Städten mit zwei Mitgliedern des Raths und zweien von den Vorstehern des gemeinen Kastens, in den Dörfern mit den Ältesten oder einigen Mitgliedern der Ge- meinde vereinigen, um Wandel und Haushalt des Pfarrers zu prüfen; mit Herbeiziehung des Pfarrers selbst sollte dann das Betragen der Gemeine untersucht werden. Kein Mit- glied sollte Laster dulden, durch welche der Zorn Gottes über die Menschen komme. Denn dabei blieb man immer, daß die Kirche ein gött- liches Institut sey, welches durch ein Zusammenwirken aller Kräfte aufrecht erhalten werden müsse. Die weltliche Gewalt erbot sich, den Übelthätern, „als die ihren Taufbund verleugnen,“ ihr Handwerk zu legen, alle bürgerliche Gemeinschaft zu untersagen. Das erste Consistorium trat in Wittenberg im Februar 1539 zusammen. Es bestand aus den Theologen Justus Jonas und Johann Agricola, und aus den Juristen Kilian Goldstein, der anfänglich bestimmt war den Vorsitz zu füh- ren, es aber abgelehnt hatte, und Basilius Monner; war aber noch sehr formlos. Es fehlte sogar an einem Amts- siegel: die Mitglieder mußten sich bei der Ausfertigung ihrer Petschafte bedienen. Eine eigentliche Instruction erfolgte erst 1542, Constitution und Articul des churf. geistl. Consistorii zu Wit- tenberg in Sachsen aō 42 aufgericht. (Weim. A.) Darin wird denn auch der Bann sehr ausdruͤcklich gebilligt. die denn zugleich für zwei andre Consistorien, die in Protestantische Kirchenverfassung . Zeiz und in Saalfeld errichtet werden sollten, bestimmt war: doch fehlte viel, daß alles sogleich ins Werk gesetzt worden wäre. War doch überhaupt der ganze Zustand noch proviso- risch. Bei der ersten Aussicht auf eine allgemeine Reforma- tion im Reiche erklärten sich die protestantischen Fürsten be- reit, diese kirchliche Jurisdiction den Bischöfen zurückzugeben, vorausgesetzt daß die Reinheit der Lehre gewahrt, und ein ähnliches Institut wie das Consistorium unter bischöflicher Autorität eingerichtet würde. Davon erfolgte jedoch, wie wir wissen, das Gegentheil. Das Interim war auf eine vollständige Herstellung der Hierar- chie des Reiches abgesehen: bei aller Vorsicht, mit der es sich ausdrückte, neigte es doch so überwiegend zu dem Sinne der alten Kirche, daß dieser nothwendig den Sieg hätte da- von tragen müssen. In Bezug auf die Verfassung ward das Interim selbst da wo man sonst dazu geneigt war, nicht ausgeführt. So sehr man sich in den moritzischen Landen der kaiserlichen For- mel annäherte, so konnten doch die Bischöfe auch hier die Ordination, die mit einer Prüfung in katholischem Sinne ver- bunden gewesen wäre, nicht wiedererlangen. Wie viel weniger war daran zu denken, nachdem die ganze Kraft der kaiserlichen Anordnungen gefallen war! Auf einer Zusammenkunft sächsischer und hessischer Theo- logen zu Naumburg, im Mai 1554, der von den Oberlän- dern Sleidan beiwohnte, ward der Beschluß gefaßt, auf die frühern Einrichtungen definitiv zurückzukommen. Relation der Verhandlungen im Convent zu Naumburg. Corp. Ref. VIII, 282. Neudecker Neue Beitraͤge I, 102. Man er- Zehntes Buch. Siebentes Capitel . klärte es für unmöglich, die Ordination den Bischöfen zu überlassen, von denen die rechte Lehre nach wie vor verfolgt werde, und beschloß dieselbe den Superintendenten zu über- weisen, bei denen sie denn auch fortan geblieben ist. Etwas ganz anders war es in England, wo das große national- kirchliche Institut, — bei allem Wechsel den es durchmachte, doch in sich selbst unangetastet, — zuletzt das evangelische System in seinen Grundlehren annahm; und doch hat auch da die Beibehaltung der Vorrechte des Bisthums den hef- tigsten Widerspruch hervorgerufen. In Deutschland hätte man an die Mysterien des Ordo wohl niemals wieder ge- glaubt. Man behielt nur den einfachen Ritus der Hand- auflegung bei, wie man das Vorbild davon in der Schrift fand, und trug dafür Sorge, daß der Ertheilung dieser Weihe immer erst Unterweisung und Prüfung vorangieng. Die Consistorien traten wieder in ihre ursprüngliche Geltung ein. Die Theologen ersuchten nur die Fürsten, ihre Amt- leute zu unnachsichtiger Execution der gefaßten Decrete an- zuweisen: sie wiederholten aufs neue, daß die Erhaltung dieses Institutes ein Gottesdienst sey, der in das Amt der Fürsten gehöre. Auch hatte es jetzt von Seiten der Gegner damit keine Gefahr mehr. Auf der Versammlung zu Augsburg im Jahr 1555 beschloß das Reich, daß den Bischöfen in den zur augsburgischen Confession übergetretenen Gebieten kein An- spruch auf die Jurisdiction mehr zustehe. Es kam gleich- sam auf die im Jahr 1526 ausgesprochene Delegation zu- rück, und bestaͤtigte, was in Folge derselben geschehen war. Seitdem setzte sich denn die Consistorialverfassung überall Protestantische Kirchenverfassung . und auch da durch, wo man bisher die bischöflichen For- men beibehalten hatte. Melanchthon findet folgenden Vortheil. „Wo Consistoria sind, sagt er, da ist nicht einer allein gewaltig, sondern die Sachen muͤssen durch etliche erfahrne Personen bedacht werden und alsdann an die Herrschaft gebracht, die solches auch weiter bedenken kann.“ Bedenken vom Synodo 1558. Sie beruht auf einer Vereinigung des neuen geistlichen Prinzipes und der Landeshoheit, die dem Ereigniß wie es sich nun einmal vollzogen hatte, voll- kommen entspricht. Die Geistlichkeit hätte sich ohne das Fürstenthum nimmermehr behaupten können; dieses dagegen erlangte durch eine ergebene Geistlichkeit eine Ausdehnung sei- ner Befugnisse, welche auch in katholischen Ländern gesucht, aber doch nicht in so vollem Maaße erreicht werden konnte. Freilich waren damit auch wieder bei weitem größere Schwierigkeiten verknüpft. Es war nur erst ein Grund ge- legt, ein Anfang gemacht, und schon sollte man die bedeu- tendsten, weitaussehendsten Irrungen erledigen. Von der Lehre war die Absonderung von der alten Kirche und die Einrichtung eines neuen Gemeinwesens ausgegan- gen: nichts konnte widriger und bedenklicher seyn, als daß man sich über die Lehre wieder entzweite. Theologische Streitigkeiten. Vor dem schmalkaldischen Kriege herrschte in der pro- testantisch-theologischen Welt ein ziemlich allgemeiner Friede. Wohl war kurz vorher der alte Ingrimm Luthers gegen die schweizerische Meinung noch einmal aufgeflammt, Calvin, Expositio consensionis capitum: ex sopitis car- bonibus subinde micabant scintillae. eine Be- Zehntes Buch. Siebentes Capitel . wegung aber war daraus nicht mehr entstanden. Der Zwing- lianismus, wie ihn Bullinger bekannte, war wie berührt da- mals in sehr enge Grenzen eingeschlossen; die deutschen Kir- chen hielten an der Wittenberger Concordie fest. Eine kleine Veränderung, Urspruͤnglich hieß es: docent, ‒ ‒ quod corpus et sanguis Christi vere adsint et distribuantur vescentibus in coena domini et improbant secus docentes; — spaͤter: docent, quod cum pane et vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus in coena domini. die Melanchthon in dem Wortlaut der augs- burgischen Confession vorgenommen, ward ihm wenigstens auf der evangelischen Seite noch nicht zum Vorwurf ge- macht. Luther billgte beim Wiederabdruck aͤlterer Streitschriften in der Sacramentssache die Weglassung anzuͤglicher und beleidigender Stellen. Salig Gesch. der Augsb. Conf. III, Abweichende Meinungen regten sich dann und wann, wie des Eisleber Agricola oder Osianders in Nürn- berg: sie wurden aber leicht beschwichtigt. Die hohe Schule zu Wittenberg, die jedoch bei schwierigen Fragen niemals versäumte auch andre angesehene besonders practische Theo- logen herbeizuziehen, bildete eine Autorität, vor der sich alles beugte. In ihr selber ließen sich zwar verschiedene Richtun- gen unterscheiden, die sich an die Sinnesweise der beiden großen Lehrer, Luther und Melanchthon, knüpften, allein sie traten vor einem höheren Einverständniß zurück. Ein un- vergängliches Denkmal dieser Gemeinschaft der spätern Jahre ist die neue Ausgabe der Bibelübersetzung, bei der Melanch- thon, Cruciger, Bugenhagen und mehrere Jüngere den Doctor Luther, jeder mit seiner besondern Kunde unterstützten, und die nun nicht wie in den ersten Zeiten in Form einer Flugschrift, sondern als ein Codex göttlicher Wissenschaft der deutschen Na- Universitaͤt Wittenberg . tion dargeboten wurde. Auch sonst übte diese Universität ei- nen unermeßlichen Einfluß aus. Die ganze deutsche Nation, von Liefland bis nach Östreich auf der einen, und nach Bra- bant auf der andern Seite, schickte ihre Jugend zu den Fü- ßen der Wittenberger Lehrer. Im Jahr 1540 finden wir 448, 1541 461, 1542 594, 1543 503, 1544 814, 1545 556, 1546 748 Inscripti. Die große Masse der Studirenden gaben die naͤchsten Landschaften, Meißen, Thuͤringen, Franken, Brandenburg, Hessen; sehr regelmaͤßig finden wir unter den Inscribirten auch Lieflaͤnder und Preußen, ferner z. B. im Jahr 1544 35 Schlesier, 15 Pommern, 11 Hamburger, im Jahr 1543 7 Westphalen, 5 Frieslaͤnder, 4 Coͤllner; und diesen Norddeut- schen gesellten sich dann die Oberdeutschen und Rheinlaͤnder in ziem- lich gleicher Anzahl bei: im Jahr 1543 finden wir 10 Augsburger und noch 6 andre Schwaben, 2 Straßburger, 3 von Speier: Frank- furt und Nuͤrnberg erschienen jedes Jahr mit einer Anzahl Inscriptio- nen, eben so Oͤstreich, auch die Stadt Wien. Schweizer, Hollaͤnder, Brabanter sind doch immer Einige. Wittenberg war seit Bologna und Paris die erste selbständige hohe Schule die es gab: keine Colonie mehr, wie die früheren gewesen. Eher konn- ten die kleineren protestantischen Universitäten als Pflanzstät- ten von Wittenberg gelten, von wo aus sie großentheils be- setzt worden waren. Wenn man sich hier nur verstand, so brauchte man übrigens keinen Zwiespalt zu fürchten. Der Eid den die zu Wittenberg creirten Magister schwuren, sich in streitigen Fragen bei den Älteren Raths zu erholen, war darauf berechnet, unreife Meinungsäußerungen und daraus zu besorgenden Zwiespalt zu verhüten, wenn er auch nicht darauf gieng, wie ihn einige verstehn wollten, als sollten die wittenbergischen Lehrer immer zuerst gefragt werden. Wenn die Dinge in diesem Gange geblieben wären, so hätte sich wohl eine ruhige Weiterbildung der Lehre in Zehntes Buch. Siebentes Capitel . den Puncten wo sie noch nicht genügte, namentlich in dem Artikel vom Abendmahl, wo die Grundsätze der Wittenber- ger Concordie noch nicht recht durchgearbeitet, zur Allgemein- gültigkeit erhoben waren, erwarten lassen. Aber die großen Ereignisse, der schmalkaldische Krieg und was demselben folgte, unterbrachen auch hier den na- türlichen Lauf der Dinge. Wir gedachten oben der interimistischen Händel. Die Metropole der evangelischen Doctrin, in den Bereich der vor- dringenden Restaurationsversuche gezogen, ließ sich zu Annähe- rungen herbei, die im Drange des Augenblicks allenfalls ent- schuldigt, niemals aber die allgemeine Norm werden konn- ten. Sie mußten vielmehr Denen ein Greuel seyn, die un- ter persönlicher Gefahr ähnlichen Anmuthungen widerstan- den, Flucht und Verbannung vorgezogen hatten, und auch Die zurückstoßen, die von der vordringenden siegreichen Ge- walt nicht erreicht worden waren. Melanchthon gerieth un- ter dem Einfluß einer provinziellen Politik in eine einseitige Stellung, in der er aufhörte „den Wagen Israels“ zu lenken. In seiner unmittelbaren Nähe brach ihm darüber Wi- derspruch aus. Ein junger Lehrer der hebräischen Sprache, Matthias Vlacich von Albona, genannt Flacius, — der einst im Kloster von den Schriften Luthers angeregt, diesen per- sönlich aufgesucht, und sich, nicht ohne den Zuspruch dessel- ben, unter heftigen inneren Bedrängnissen, von der Rechtfer- tigungslehre allein durch den Glauben durchdrungen, ihre heil- bringende Kraft an sich erprobt hatte, — wollte nicht mit ansehen, daß man sich in diesem Hauptartikel jetzt wieder dem alten Systeme annähere. Da er jedoch weder mit schrift- Theologische Streitigkeiten. (Flacius.) lichen noch mit mündlichen Erinnerungen bei seinen Lehrern Eingang fand, so entfernte er sich lieber aus Wittenberg, und begab sich nach den Gegenden wo man von den Vermitte- lungsversuchen noch unberührt geblieben war. In Magde- burg vereinigte er sich mit Amsdorf, der sein Bisthum ver- loren hatte, und die Versuche seiner frühern Collegen, sich mit den Feinden zu versöhnen, denen er weichen müssen, wohl nicht anders als verdammen konnte: und mit Nicol. Gallus, der des Interims wegen von Regensburg ausgewandert war: von Hamburg her kam ihm Westphal, bei dem er sich erst Raths erholt hatte, zu Hülfe. Noch besonders durch jenen Brief an Carlowitz gereizt, trugen sie endlich kein Beden- ken, den allgemeinen Lehrer in offenen Schriften anzugrei- fen. Sie zogen die Differenzen ans Licht, die man früher zu berühren vermieden, und erklärten die Zugeständnisse, zu denen sich Melanchthon widerstrebend hatte bewegen lassen, für eine absichtliche Abtrünnigkeit. Daß er bei der Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben das Wort „allein“ weggelassen, oder den Papst nicht mehr geradezu für den Antichrist erklären wollte, schien ihnen eine Anbahnung zu neuer Unterwerfung unter das alte System. Ein theologi- scher Krieg brach aus, der das Getümmel der Waffen mit seinem Geräusche durchbrach. Nachdem wir die Rettung des großen Prinzipes betrach- tet, was unsre Aufgabe war, wollen wir nicht diese Ent- zweiung im Einzelnen verfolgen; — fassen wir nur auf, wo- von hauptsächlich die Rede war. Die erste Streitigkeit betraf den Artikel über Glauben und gute Werke. Zehntes Buch. Siebentes Capitel . Es konnte Niemand mehr beikommen, unser Heil von den gebotenen kirchlichen Werken herzuleiten, oder die Erwer- bung desselben damit in Verbindung zu setzen. Dann aber machte die Ausdrucksweise, die man in der evangelischen Kirche beibehielt, daß gute Werke zur Seligkeit nicht nöthig seyen, allerdings ein Mißverständniß möglich, welches in jenen Tagen unter dem Volke öfter hervorgetre- ten ist, als sey schon der historische Glaube an das My- sterium der Erlösung zur Seligkeit hinreichend. Die Be- hauptung, die Lehre mache dadurch sichere und rohe Leute, gab den Gegnern wieder Waffen in die Hände, und ohne Nutzen wäre es nicht gewesen ihnen jeden Grund dazu zu entreißen. Dahin eigentlich gieng die Absicht Majors und Osian- ders, deren Doctrinen die Fehde, die sonst mit dem Interim selbst hätte aufhören müssen, aufs neue belebten. Georg Major, ein Schüler und treuer Anhänger Me- lanchthons, blieb bei dem practischen Gesichtspunct stehn, und lehrte, Niemand sey noch selig geworden durch böse Werke, Niemand werde es ohne gute Werke. Er war der Meinung, die Wiedergeburt bringe so unfehlbar gute Werke hervor, wie die Sonne Licht und Wärme verbreite; und so sprach er die Lehre aus: gute Werke seyen zur Se- ligkeit ohne allen Zweifel nothwendig. Obgleich sich Osiander gegen die Wittenberger Schule, deren Autorität ihn früher zuweilen beschränkt hatte, na- mentlich gegen Melanchthon und dessen Anhänger, die Phi- lippisten, in heftigen Widerspruch warf, Nur sollte man nicht immer wieder sagen, daß der Neid des so gieng doch seine Theologische Streitigkeiten. (Osiander.) Meinung eben dahin: nur daß er sie tiefer ergriff, und nicht ohne Anklang an die deutsche Mystik und die taulerischen Lehren, von denen auch Luther einst ausgegangen, entschie- dener ausbildete. Das Eigenthümliche seiner Meinung ist, daß er, an dem Mittleramt Christi und der Lehre von der Genugthuung durch dessen Leiden und Sterben festhaltend, doch den Artikel von der Erneuung und Heiligung, die er mit dem Worte Rechtfertigung bezeichnete, stärker hervor- hob als es gewöhnlich geschah, und zu größerer Bedeu- tung auszubilden suchte. Er war mit dem Begriffe von der Einwirkung des heiligen Geistes nicht zufrieden, indem diese nichts als ein creatürliches Leben wirke und nur uneigent- lich als ein Einwohnen Gottes bezeichnet werden könne: er lehrte vielmehr, daß die Gottheit in ihrer Fülle in De- nen wohne welche lebendige Glieder Christi seyen, wie in Christo selbst. Die Rechtfertigung bezeichnet er als die in uns wirkende wesentliche Gerechtigkeit Gottes, die ein ge- rechtes Wollen und gerechte Werke hervorbringt: das gött- liche Licht, das dem Menschen zu Theil wird, als das- selbe das den Tod überwindet, das Leben und Wort Got- tes, Christus, Gott selbst. Im Wesentlichen das Nemliche was Tauler lehrt, daß Gott sein Wort im Grunde der See- len spricht, das Wort, in welchem alle Dinge geschaffen sind. Nur daß Osiander seine Sätze dem Sprachgebrauch der Zeit annähert und mit aller Gelehrsamkeit schriftmäßiger Staphylus uͤber eine Bevorzugung Osianders in der Professur den Anlaß zum Streit gegeben habe. Arnold hat laͤngst gezeigt, daß Staphylus bereits resignirt hatte, ehe Osiander ernannt ward. Kir- chengesch. p. 413. Ranke D. Gesch. V. 29 Zehntes Buch. Siebentes Capitel . Theologie zu beweisen sucht. Sein Sinn ist, daß Christi Leiden und Sterben, auf das man gleichwohl allein zu trauen habe, durch den Glauben ergriffen, den Leib der Sünde in uns zerstöre und allmählig den alten Menschen tödte: eben wie Major die innere Nothwendigkeit der guten Werke be- hauptete, nicht die äußere. Man wird nicht leugnen, daß diese Ansichten von ho- her Wichtigkeit, einer weiteren Ausbildung höchst würdig wa- ren: wie sie denn auch gleich damals nicht ohne Rückwir- kung blieben; Osiander selbst behauptet dieß: Widerlegung der ungegrund- ten undienstlichen Antwort Philippi Melanthonis: „warumb hat er aber solchs in allen seinen Puͤchern nie gelehrt, noch bekennet, bis ichs ihm in diesem 1551 jar mit der h. schrift abgedrungen hab.“ aber durchdringen konnten sie nicht, schon darum nicht, weil sie wenigstens das Ansehen hatten als näherten sie sich dem in Trident ergriffenen System: zu einer Zeit wo nach kurzem Vermittelungsversuch das Prin- zip der Absonderung und des Gegensatzes wieder die Ober- hand gewonnen hatte. Man wollte keine Annäherung mehr, weil dadurch diesseit nur Schwanken und Entzweiung, jenseit Bestärkung und neue Umgriffe veranlaßt würden. Melanch- thon selbst verwarf die Ausdrucksweise Majors, weil es doch scheinen könne, als werde den Werken Verdienst zuge- schrieben, Vgl. s. Brief an die Nordhauser 13 Jan. 1555. Er gab nur zu, die Werke seyen noͤthig: nicht aber „noͤthig zur Seligkeit.“ und Major mußte sie endlich fallen lassen. Auch die Osiandristen unterlagen, wiewohl sie mächtige Unterstützung gefunden hatten. Aber der strenger orthodoxen Partei, die hier den Sieg behalten, wurde darum doch nicht gestattet ihr Prinzip zu weit auszudehnen. Übertreibende Behauptun- Theologische Streitigkeiten. (Calvin.) gen, zu denen sich Flacius und Amsdorf fortreißen ließen, wurden zuletzt allgemein verworfen, und namentlich dem er- stern selbst verderblich. Es herrschte in der Gesammtheit so viel gesunder Sinn, daß sie sich aus der unter Luthers Füh- rung eingeschlagenen Bahn, die sie den Katholiken gegenüber behauptete, nicht auch nach der andern Seite hin abführen lassen mochte, wo sie in das Sectirerische gefallen wäre. Während dem aber war auch der älteste innere Streit, über das Abendmahl, wieder in Gang gekommen, womit es folgende Bewandtniß hat. In der Wittenberger Concordie gaben, wie wir sahen, die beiden Parteien die schroffsten Behauptungen auf, durch die sie sich früher an einander geärgert hatten. Ohne Zwei- fel behauptete die lutherische Auffassung das Übergewicht, aber sie erschien doch in sehr milder Gestalt. Jene Ände- rung in dem Wortlaut der augsburgischen Confession be- wirkte daß diese von Jedermann angenommen werden konnte. Wohl waren damit noch nicht alle Bedenken gehoben: noch gab Manchem der sich übrigens anschloß, der Ausdruck des Darreichens, oder die Bezeichnung „real, körperlich“ Anstoß, Andere wollten sich nicht überzeugen, daß auch Un- würdigen der Leib Christi mitgetheilt werde. Melanchthon suchte in den neuen Ausgaben seines theologischen Lehr- buchs, der Loci, einige dieser Zweifel zu heben: wie er z. B. im Jahr 1543 den Ausdruck „körperlich“ nach dem Vor- gang des Cyrillus besser auslegte, als es bisher geschehen war; nur bewirkte die Furcht, die alten Antipathien Luthers aufzuwecken, daß er äußerst behutsam vorschritt. Die Concordie hielt unter diesen Umständen nicht al- 29* Zehntes Buch. Siebentes Capitel . lein in Deutschland die Gemüther vereinigt, sondern sie drang auch in der Schweiz vor. In Bern und den von dieser mächtigsten Stadt der Eidgenossenschaft abhängigen Land- schaften gewannen die lutherischen Ansichten zwischen 1540 und 1546, unter dem Vortritt Simon Sulzers, unbezwei- felt die Oberhand. Calvin, der nach Genf zurückgekommen war, und dort seine große Laufbahn begann, ward noch als ein Gegner Zwinglis betrachtet. Recht im Gegensatz mit den Zürchern, welche durch die Behauptung der substanziellen Gegenwart hauptsächlich verhindert waren sich der Concordie anzuschließen, Ruchat Histoire de la reformation de Suisse V, 552. bekannte er einst in seiner Confession über die Eucharistie, welche auch von Butzer unterschrieben wor- den, die Mittheilung der Substanz des Leibes und Blutes unsers Herrn. „ita ut nos ille (spiritus sanctus) carnis et sanguinis domini substantia vere ad immortalitatem pascat.“ Worte der confessio fidei quam obtulerunt Farellus, Calvinus, Viretus, cui subscripserunt Bucerus et Capito. Die räumliche Gegenwart nahm er wohl nicht an, aber er tadelt die Schweizer daß sie in Bekäm- pfung derselben zu weit gegangen, und fast aus der Acht gelassen, wie mit dem Zeichen auch die Wahrheit vereinigt sey. De coena domini, Opera VIII, p. 10. non cogitarunt, ita signa esse ut veritas cum eis conjuncta sit. Wir finden ihn im Jahr 1540 unter den deutschen Theologen welche die Religionsgespräche besuchen; zu Genf fuhr er fort diese Meinungen zu bekennen. Sehr auffallend, wie das Unglück des schmalkaldischen Bundes im Gebiete der Eidgenossenschaft sogar auf die rein geistlichen Angelegenheiten zurückwirkte. Woher es auch rühren mag, wahrscheinlich doch aus Theologische Streitigkeiten. (Calvin.) der Furcht, durch eine fernere Trennung von Zürich allen Rückhalt zu verlieren: mit jenem Unglück trat eine Re- action gegen die lutheranisirenden Meinungen in Bern ein. Man besetzte entstehende Vacanzen trotz des Widerspruchs der angestellten Geistlichkeit mit Anhängern des reinen Zwing- lianismus; die Zöglinge der theologischen Schule wurden einst einer Prüfung unterworfen, und von sechszehn nur ihrer drei als ächte Anhänger Zwinglis befunden, alle übrigen in gefängliche Haft genommen; nach einiger Zeit wurden Sul- zer und dessen nächste Freunde durch förmlichen Rathsschluß ihrer Stellen entsetzt, und bald sollte auch in der Waat nichts anders anerkannt werden als was mit den Schlüssen der Berner Disputation übereinstimme. Hundeshagen: Die Conflicte des Zwinglianismus, Luther- thums und Calvinismus in der bernischen Landeskirche p. 200. Calvins nächste Freunde und er selbst sahen sich in Bern bedroht und mißhandelt. Man eiferte dort über Calvinismus und Bucerianismus, was man für einerlei hielt; man warf Calvin dunkle lutherani- sirende Lehren, den Begriff der Impanation vor; man ta- delte ihn heftig, als er einst nach Lausanne gekommen um da zu predigen; in Genf selbst, sagten seine Feinde, müsse er aus dem Kirchendienst gestoßen werden. Bei den politischen Verhältnissen Genfs, das nur un- ter dem Schutze von Bern die Reformation angenommen, ließ sich in der That nicht denken, daß sich dort eine Lehre halten könne, die hier verdammt wurde. Wie ein Seufzer aus tiefster Seele bricht in einem Briefe Calvins der Ausruf hervor: es wäre ehrenvoller gewesen die geistliche Herrschaft von Rom zu dulden als die von Bern. Utrum generosius saltem fuit, Romae an Bernae sub- Zehntes Buch. Siebentes Capitel . Wohl kam ihm der Gedanke, von Genf, wo die alten Feinde sich aufs neue regten, abermals zu weichen, aber da- gegen machte sich doch wieder die Betrachtung geltend, welch ein treffliches Mittel schon die Lage dieses Ortes zur Aus- breitung der Lehre nach allen Seiten hin darbiete. Dum expendo quantum habeat hic angulus momenti ad propagandum Christi regnum, sum sollicitus de eo tuendo. Aus einem Schreiben Calvins (Mai 49) bei Hundeshagen p. 254. Und mußte es denn wirklich zu einem Äußersten dieser Art kommen? Calvin war sich bewußt, daß der Haß mit dem man ihn verfolgte, großentheils auf falschen Vorstellungen beruhte, daß er bei seinem Bekennen der positiven Momente, dem Wesen nach wie sie in der Concordie ausgedrückt waren, doch keineswegs in allen Streitpuncten mit den Zwinglia- nern in Widerspruch stand. Wie nun wenn er versuchte dieß Verhältniß geltend zu machen? indem er sie anerkannte, sich selber Anerkennung zu verschaffen? Man dürfte nicht sagen, daß hier lediglich von Nachgie- bigkeit die Rede gewesen sey: es waltete ein viel höheres und allgemeineres Interesse ob. Calvin mußte zugleich das Werk fortsetzen das Butzer nicht zu Ende bringen können, und eine Vereinigung von allgemeiner Bedeutung unternehmen. Butzer hielt es noch nicht für möglich: er machte einige Artikel nahmhaft, in welchen man in Zürich niemals nach- jici. Calvin an Bullinger 6 Cal. Jul. 1548 bei Henry II Anh. 132. Es ist nur sehr auffallend, daß dieser Brief schon einmal abgedruckt ist, aber nicht ohne große Abweichungen, bei Fuͤsslin, Epistolae ab ec- clesiae Helveticae reformatoribus scriptae, nr. 66. Obige Worte lauten da: quid profecimus, tyrannide Papae excussa. Bei Henry denke ich ist das Urspruͤngliche. Theologische Streitigkeiten. (Calvin.) geben werde; und Calvin selbst fühlte, welch eine schwere Sache er unternehme. Wie oft hatte er früher über den Starrsinn der Züricher geklagt, die sich in ihre Meinungen und Feindseligkeiten immer mehr hineingeredet, über das Selbst- genügen Bullingers, der ein harter Kopf sey. Als er jetzt, im Juli 1549, in Begleitung Farels nach Zürich kam, schien es nicht anders zu stehn als früher, und es war ein Au- genblick wo er zum Ziele zu kommen verzweifelte. Plötz- lich aber, sagt er, sahen wir Licht. Vielleicht, daß deutsche Flüchtlinge wie Musculus von Augsburg, der in Bullingers Hause Aufnahme gefunden, dazu beigetragen hatten persön- liche Vorurtheile zu zerstreuen. Rascher als man hätte glau- ben sollen, kam zwischen Bullinger und Calvin eine Vereini- gung zu Stande, der Consensus Tigurinus, in welchem einige Meinungen Zwinglis wiederholt werden, aber dabei doch auch die Grundgedanken der entgegengesetzten Lehre ihr Recht be- haupten. Den Satz, daß der Leib Christi auch den Unwür- digen gegeben werde, ließ Calvin sich nicht entreißen, so vie- len Anstoß auch die Schweizer von jeher daran genommen hatten: er erläuterte nur näher, daß die Verheißung zwar nur den Gläubigen zu Gute komme, welche Christum geist- lich genießen, mit dem Zeichen aber doch auch die Wahr- heit desselben und ihr Inhalt den Ungläubigen dargeboten werde. Den Ausdruck „darreichen: darreichende Zeichen“, der den Sinn der Wittenberger Concordie so recht eigentlich aus- sprach, und von den Schweizern bisher verschmäht worden war, hielt er fest. Fatemur dignis simul et indignis Christum corpus suum offerre, nec ullius hominis pravitate fieri quin panis verum sit et exhibitivum, ut loquuntur, Christi corporis pignus. Er lehrte unverändert, daß der Leib Zehntes Buch. Siebentes Capitel . Christi welcher dargeboten werde, der nemliche sey der am Kreuze gelitten. Defensio ad Westphalum VIII, 775. Scio quod semel mortale Christus corpus induit, nunc novis coelestis gloriae qua- litatibus esse praeditum, quae tamen non impediunt quo minus idem substantia sit corpus; dico igitur illo corpore quod in cruce pependit non minus in spiritualem vitam animas ipsas vegetari, quam pane terreno corpora nostra aluntur. Genug, vom Objectiven des Mysteriums wich er nicht ab. Es läßt sich aber gar nicht denken, daß er es zu dieser Anerkennung desselben gebracht haben würde, hätte er nicht dagegen wieder einige eigenthümliche schweizerische Meinungen zu den seinen gemacht. Er gab zu, was dort immer behauptet worden, daß in den Sacra- menten nur Gottes eigene Kraft wirke, und erklärte sich sehr nachdrücklich gegen Die, welche das Göttliche in den Ele- menten sehen wollen. Wie Zwingli nahm er an, daß Chri- stus im Himmel wohne und räumlich von der Erde ent- fernt sey; er fügte nur hinzu, durch seine göttliche Kraft steige er doch zu uns herab. In der Auslegung der Ein- setzungsworte pflichtete er den Schweizern unumwunden bei. Ich weiß nicht, ob er nicht vielleicht in einem und dem an- dern Punct, wenigstens im Ausdruck, einen Schritt weiter gegangen ist, als er ursprünglich beabsichtigt hatte; leicht aber gab er zu, was die Summe seiner Ansicht nicht ver- letzte, womit er übereinstimmen konnte. Ohne Zweifel trägt Ego aliter verba temperaveram, sagt Calvin in einem Briefe an Butzer, ceterum quia haec quam usurpavimus forma nihil con- tinebat nisi quod sentiebam, aliam eis concedere non fuit religio. In dem ersten Entwurf des Consensus (bei Henry II Anh.), der im Mai nach Bern geschickt wurde, fehlt die ausdruͤckliche Anerkennung der schweizerischen Auslegung. Und enthaͤlt nicht in der That die Lehre Calvins das lutherische Ist doch auch in sich? Theologische Streitigkeiten. (Calvin.) der Consensus noch ein ziemlich starkes Gepräge des Ortes wo er geschlossen wurde, der Umstände unter denen er zu Stande kam, aller jener provinziellen Bedingungen: als das letzte Wort in der Sache kann er nicht betrachtet werden; aber dabei läßt sich doch, historisch angesehen, nicht leugnen, daß die Ideen der Wittenberger Concordie, in denen das lutherische Element überwog, dadurch einen Fortschritt mach- ten, an einer Stelle Eingang fanden, wo man bisher noch niemals etwas davon hatte hören wollen: der Consensus ist schon eine neue Concordie, nur mit starker schweizerischer Versetzung. Die Kraft der Formel zu der man sich verei- nigte, liegt darin, daß sie beide Momente in sich enthält; der Freund Calvins, Butzer, der einige Abweichungen die in England vorkamen und von Peter Martyr befördert wur- den, nicht billigte, war doch mit dem Consensus einverstan- den: er sah darin eine Fortsetzung seines eignen Werkes. Es gieng auch dieser Formel wie es Vermittelungen zu gehn pflegt: sie fand auf beiden Seiten Widerspruch. In Zürich zeigten sich die Anhänger Zwinglis, in Ba- sel die mehr lutheranisirenden Theologen ein wenig verstimmt. Die so eben in Bern emporgekommene Zwinglische Partei verweigerte eine Zeitlang ihre Unterschrift. Es gehörte die ganze Autorität des alten Bullinger dazu, um sie endlich dazu zu vermögen; doch hat es bis in das Jahr 1551 gedauert, ehe man den Consensus durch den Druck be- kannt machte. Hundeshagen p. 252. Kaum aber war es hier so weit gekommen, so erhob Zehntes Buch. Siebentes Capitel . sich der Widerspruch von einer andern Seite her in tumul- tuarischer Aufwallung. In einer ähnlichen Stellung wie damals die Zwinglia- ner in Bern, welche die lutherischen Meinungen verdrängt hatten, waren die Lutheraner in den niederdeutschen Städten: ihre Herrschaft gründete sich auf eine Unterdrückung zwinglia- nisirender Meinungen, die hier einmal sehr stark gewesen, und jetzt, sobald nur eine Annäherung dazu in Bremen hervor- tauchte, sich plötzlich wieder lebhaft regten. Dafür, daß Cal- vin eine vermittelnde Richtung verfolgt, der diesseitigen Auf- fassung in ihrem Wesen bei den alten Gegnern Raum ge- macht, hatten die Niederdeutschen keine Augen. Sie bemerk- ten nur die Hinneigungen nach der Zwinglischen Seite, sie faßten einige anzügliche Ausdrücke auf, durch welche ihnen das Gedächtniß Luthers verunglimpft zu seyn schien, das vielleicht auch mehr hätte geschont werden können: mit hef- tiger Leidenschaft begannen sie den Krieg. Die frühern, schon in Gang gesetzten Streitigkeiten strömten bald mit die- ser zusammen: Melanchthon meinte von Anfang, er sey es hauptsächlich, dem auch dieser Angriff gelte. Scito quosdam praecipue odio mei eam disputationem movere, ut habeant plausibilem causam ad me opprimendum. An Calvin 14 Oct. 1554. Corp. Ref. VIII, 362. Mochte denn nun auch Calvin sie auf den wahren Stand der Dinge aufmerksam machen, Calvin bezeigt in der Defensio ad Westphalum, Opp. VIII, 785, sein Erstaunen daruͤber. Mihine, qui piae sacraeque concilia- tioni semper dedi operam, haec merces nunc referenda est? Eben dieß Mißverstaͤndniß der Gegner gab ihm aber die Uͤberlegenheit, die in jener Streitschrift unverkennbar ist. so blieben sie dabei, ihn mit Zwingli gleich zu achten. Sie ihrerseits forderten jetzt die schrofferen Ausdrücke der ungeänderten augsburgischen Confession zu- Maͤngel der Verfassung . rück; die Wittenberger Concordie betrachteten sie als nicht geschlossen; ihre Unterscheidungslehre, die Doctrin von der Ubiquität des Leibes, bildeten sie jetzt erst förmlich aus und nahmen symbolische Autorität dafür in Anspruch. So erfüllte sich das ganze Gebiet der evangelischen Kirche mit innerem Krieg und Hader. Mängel des kirchlichen Zustandes. Es leuchtet ein, daß die Consistorialverfassung, die nur auf die innern, gleichsam häuslichen Verhältnisse berechnet war, nicht dazu beitragen konnte ihn zu heben. Eben darin lag für die neuen Einrichtungen die große Schwierigkeit, daß es auch kein andres Institut gab, das dazu geeignet gewesen wäre. Oftmals dachte man auf einer allgemeinen protestantischen Synode eine Ausgleichung zu ver- suchen. Mächtige Stände wie Pfalz und Würtenberg haben es mehr als einmal in Vorschlag gebracht; andre, wie Chur- sachsen, es wenigstens ernstlich in Berathung gezogen. Vor allem wäre dann nöthig gewesen den Antheil der weltlichen Stände festzusetzen, wie denn hievon schon bei den frühern Entwürfen des allgemeinen Conciliums oft die Rede gewe- sen war. Melanchthons Bedenken vom Synodo Corp. Ref. IX, 463. „Soll die Potestas selbst als ein Gliedmaß der christlichen Kirchen auch eine Stimme und vocem decisivam haben.“ Man dachte sich zu dem Grundsatz zu bekennen, daß die Mehrheit das Recht der Entscheidung habe, und die Minderheit sich ihr unterwerfen müsse. Ob sich aber auch eine Mehrheit hätte gewinnen lassen, in der das Ge- fühl der Einheit, das Bewußtseyn der gemeinschaftlichen Ge- Zehntes Buch. Siebentes Capitel . danken die Oberhand bekommen hätte? man dürfte das doch wohl nicht schlechthin in Abrede stellen. Bei einer Zusam- menkunft, die im Jahr 1557 zu Frankfurt gehalten wurde, hatten doch die gemäßigteren Tendenzen, wiewohl sie noch nicht zu vollem Verständniß gelangt waren, das offenbare Übergewicht. Vgl. das Schreiben eines Flacianers de conventu Franco- ford. 1557 bei Salig III, 276 Note. Und wie Viele gab es, die das Verdächtig- machen alter Ehrenmänner, das Schelten auf den Kanzeln, welches jetzt überhand nahm, auf das ernstlichste mißbillig- ten. Es wäre schon ein unendlicher Gewinn gewesen, über- haupt die Form einer allgemeinen Verfassung aufzustellen. Indessen das Ungewohnte, Neue des Gedankens, so wie die damit doch auch unleugbar verbundene Gefahr, schreck- ten von seiner Ausführung zurück. Brenz sagte wohl: „ja wenn unter den Fürsten ein Constantin lebte, oder unter den Gelehrten ein Luther!“ Melanchthon urtheilte, die Sache müsse erst unter den einzelnen Fürsten vorbereitet werden, man müsse der Einigkeit im Voraus gewiß seyn, ehe man sie unternehme. Berathung unter den vorwaltenden Fürsten war wirklich das einzige Mittel das man zur Beilegung der Irrungen ergriff. Und Diese waren nun, in der Epoche in der wir stehn, sehr friedfertig gesinnt. Wir berührten wie sie sich beim Abschluß des Reli- gionsfriedens nicht zu Bestimmungen fortreißen ließen die den Zwiespalt zwischen ihnen selber hätten entzünden können. Bei jener merkwürdigen Zusammenkunft vom J. 1558 zogen sie neben den Reichsangelegenheiten auch die Religions- Maͤngel der Verfassung . sache in Betracht. In dem Receß, der daselbst abgefaßt worden, drückten sie sich über den wichtigsten Punct, die Eucharistie, auf eine der Fortbildung der Concordie gemäße Weise aus. Es schien ihnen genug daß sie von der we- sentlichen, substanziellen Gegenwart redeten: der körperlichen zu gedenken enthielten sie sich. Die merkwuͤrdigste Auffassung dieses Recesses ist wohl die von Hospinian Historia sacramentaria II, 438. Der Gegensatz den sie aus- sprechen ist noch immer hauptsächlich gegen die alte Kirche, gegen die Anbetung des Sacraments gerichtet. Wenn sie die Lehre verdammen, daß die Zeichen bloß äußerliche Zeichen seyen, so konnte das wahrhaftig Calvin nicht treffen. In einer sehr zahlreich besuchten Versammlung, zu Naumburg im Jahre 1561, erkannten sie aufs neue die abgeänderte augsburgische Confession an: Neque animus est nobis, quod discedere ab ea (confes- sione) quae anno XL exhibita est vel in minimo velimus. Prae- fatio ad Ferdinandum bei Gelbke Naumburger Fuͤrstentag p. 184. mit den Erklä- rungen die der Churfürst von der Pfalz gab, der schon als ein Calvinist betrachtet wurde, zeigten sie sich zufrieden. Mit alle dem gelangte man jedoch nicht zur Herstel- lung der Eintracht: es gab jedes Mal Fürsten und Stände die sich absonderten und Widerspruch erhoben. Und nicht allein von bösem Willen dürfte man das herleiten. Die Dinge hatten innere Schwierigkeiten, denen auf diese Weise nicht beizukommen war. Vielmehr zeigte sich eben in den Versuchen sie zu erledigen eine neue, und zwar eine solche die nicht geringer war als die übrigen. Die große Hauptsache war gewonnen, ein legales Da- seyn gegründet; für die Entwickelung desselben auf dem glück- Zehntes Buch. Siebentes Capitel . lich eroberten Grund und Boden aber lagen noch viele un- gelöste Fragen vor. In unsrer historischen Betrachtung stellen sich deren be- sonders drei heraus. Nachdem der Grundsatz von der Rechtfertigung durch den Glauben allein erhalten war, bedurfte doch die Lehre von der innigen und geheimnißvollen Verbindung, in welche der Mensch durch die fortgehende Erneuerung mit der Gott- heit tritt, noch neuer Erläuterungen, um tieferen Geistern völlig zu genügen. Hatte nicht eine Durchdringung der al- ten ächten deutschen Mystik mit dem erneuerten Dogma in der ursprünglichen Absicht gelegen? Noch war sie wohl nicht gelungen. Nur allzu oft schlugen sich die jungen, streitbaren Theologen wieder um die harten Schalen des Glaubens, die aus der Scholastik übrig geblieben. Ferner war, wie berührt, der Zürcherische Consensus noch nicht der letzte Schritt in dem großen Werke der Ver- einigung über die Abendmahlslehre. Es wäre wohl die Auf- gabe gewesen, das an Zeit und Ort des Ursprungs Erinnernde, mit zufälligen Beschränkungen Behaftete, das er noch an sich trug, vollends fallen zu lassen, und die wesentlichen Momente beider Ansichten noch tiefer mit einander zu durchdringen. Von allen Gelehrten eignete sich gewiß Melanchthon am meisten, diese Sache durchzuführen; allein in schwieriger Lage und von Widersachern umgeben fand er nie den Muth, sie mit vollem Ernst in die Hand zu nehmen, der Meinung die er in sich trug, eine allseitig entwickelte Form zu geben und ihr ein festes Daseyn zu erkämpfen. Und wie viel war noch in Hinsicht der Verfassung zu Unerledigte Fragen . thun übrig! Das Verhältniß der Geistlichen zu den Ge- meinen, so wie zu den Obrigkeiten, hatte noch viel Unbe- stimmtes, von momentanen Regungen Abhängiges. Indem die Landesherrschaften so mächtig eingriffen, regte sich an andern Stellen der heftigste Widerspruch gegen jede Einmi- schung derselben. Es fehlte gleichsam an dem Schlußstein des Gebäudes, einer Einrichtung um über die aufsteigenden Irrungen zu einer gültigen, von Jedermann anerkannten Ent- scheidung zu gelangen. Eine natürlich entstandene Autorität wie die der hohen Schule zu Wittenberg hätte sich erweitern, fortpflanzen las- sen: hergestellt werden konnte sie nicht, nachdem sie einmal gebrochen worden. Den Protestanten war es nun einmal nicht gegeben, sich als eine einzige Genossenschaft zu entwickeln. Aus vie- len Gründen möchte man wünschen, es wäre geschehen; ob es in jeder Rücksicht das Beste gewesen wäre, wer will es sagen? Da es aber nicht der Fall war, und doch überaus wichtige Fragen die öffentliche Theilnahme, die lebendigen geistigen und politischen Kräfte beschäftigten, so mußte erfol- gen, daß sich auf einer Stelle mehr das eine, auf einer an- dern mehr ein anderes Prinzip geltend machte. Die Bewegung warf sich in die verschiedenen Territo- rien, wo sie mit mannichfaltigen andern Bestrebungen in den Zweigen der Administration oder des Rechts, der Cultur oder der Befestigung des Landes zusammenfiel. Dieses land- schaftliche Moment entwickelt sich in den nächsten Zeiten auf das eigenthümlichste, und zwar in den Ländern der altgläu- Zehntes Buch. Siebentes Capitel . bigen Stände nicht minder als in den protestantischen. Wir müssen uns enthalten hier näher darauf einzugehn. Die po- litischen Gestaltungen der einzelnen Landschaften, die seither allerdings vorbereitet worden, sind doch erst später zu ei- ner gewissen Festigkeit gelangt, und zwar unter den wech- selnden Einwirkungen anderer Weltverhältnisse als der hier betrachteten. Nur Eine Frage scheint mir muß für unsere Epoche noch erörtert werden. Wir sahen wie die kirchliche Neuerung aus der Gesammtheit einer großen geistigen Bewegung ent- sprang. Seitdem hat jene die öffentliche Aufmerksamkeit fast ausschließend beschäftigt. Betrachten wir noch, welchen Fort- gang diese in derselben Zeit genommen hat. Achtes Capitel . Entwickelung der Literatur. Den mächtigsten innern Antrieb hatte der deutsche Geist im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts durch die Be- kanntschaft mit dem classischen Alterthum empfangen, die, schon in den carolingischen Zeiten begonnen, während der Herrschaft der Hierarchie unterbrochen oder in Schatten ge- stellt, ihm jetzt in aller Fülle zu Theil wurde. Wir sahen wie dieses Studium zuerst in den gramma- tischen Schulen erneuert ward, wie viel Mühe es kostete und was es zu bedeuten hatte, daß es sich endlich auch auf den Universitäten festsetzte. Auch in dieser Beziehung nahm Melanchthon eine be- deutende Stellung ein. In dem Sinne, wie er die alte Li- teratur in Wittenberg förderte, thaten es die ihm nächstver- bundenen Freunde, Camerarius in Leipzig, Sabinus in Kö- nigsberg und Frankfurt a. d. O.; seine Schüler in Marburg, Tübingen, Heidelberg. In Rostock gewährte Johann Al- bert von Meklenburg, dessen politische und kriegerische Un- ternehmungen wir zuweilen berührten, und der zugleich einen offenen Sinn für höhere Bildung bewies, diesen Studien seinen Schutz. Melanchthon sieht im Geiste die allenthal- Ranke D. Gesch. V. 30 Zehntes Buch. Achtes Capitel . ben verstoßenen griechischen Musen bei ihm im Norden ihre Zuflucht suchen. Ergo per extremam Germani litoris oram Hospitium miserae supplice voce petunt. Corp. Ref. X. Carm. nr. 249. Dabei behaupteten sich aber auch noch einige Schulen in großem Ruf. Erst seit dem Jahre 1531 entwickelte sich das ganze Verdienst Valentin Trotzendorfs in Goldberg; — er hatte eine Art von Jugendrepublik errichtet, mit Consuln, Sena- toren, Censoren, in deren Mitte er sich selber als immerwäh- renden Dictator aufstellte. Der letzte Abt von Ilfeld, der dieses Kloster aus eig- nem Antrieb in eine Schule verwandelt hatte, fand in einem Zögling von Goldberg, Michael Neander, ganz den Mann, der dazu gehörte, nach seinem Tode diese Stiftung fortzu- führen und ihr allgemeine Wirksamkeit zu verschaffen: — ei- nen stillen Gelehrten, von gebrechlichem Körper und einem in seiner Tiefe der Religion zugewandten Gemüthe, aber doch weltklug und umsichtig genug, um seine Klosterschule gegen die Ansprüche mächtiger Nachbarn zu schützen, und von unermüdlicher Thätigkeit. Die Kenntniß der griechi- schen Sprache hat er in den niedersächsischen Gegenden erst verbreitet; er wird als ein zweiter Lehrer von Deutschland gepriesen. Juventutis formandae artifex juxta dexterrimus ac feli- cissimus. Rhodomannus, Oratio de lingua graeca, der diese Aus- druͤcke braucht, fuͤgt hinzu: man habe auch griechisch bei ihm schrei- ben lernen: es sey wohl gesagt worden: „plures ex eo gymnasio graece doctos quam proceres ex equo trojano.“ Havemann Mit- theilungen aus dem Leben Neanders p. 23. 24. Eine fast noch mehr europäische als deutsche Wirksam- Schulen . keit erlangte die Schule welche Johann Sturm 1537 in Strasburg errichtete. Johann Sturm nahm an den öffentli- chen Angelegenheiten lebendigen, wohl selbst eingreifenden An- theil: In Schumachers Briefen an die Koͤnige von Daͤnemark fin- den sich viele von Sturm, mit ganz guten Notizen uͤber damalige Kriegsereignisse. doch verlor seine Schule dabei nicht, der er vielmehr aus dem allgemeinen Gesichtspuncte um so größeren Eifer widmete. Sie ward gleichsam eine allgemeine weltliche Aca- demie für die protestantische Welt, wie Genf eine theologische. Auch wurde sie gern von dem deutschen Adel besucht, dessen Bedürfnisse der Vorsteher in eignen Schriften erwog. Bei der würdigen Stellung welche diese Studien em- pfangen, konnte sich das tumultuarische Händel-suchende Trei- ben der frühern Poetenschulen nicht mehr halten. Das Schicksal des Simon Lemnius, der es unter den Augen Luthers fortsetzen wollte und darüber verjagt ward, ist für die Richtung überhaupt bezeichnend. Der neue Olymp die- ser Poeten ward schon wieder verworfen. Der feine und elegante Micyll will nur von einer züchtigen Muse wissen. Er und seine Schüler haben wirklich keine andern Gefühle, als die der großen Tendenz entsprechen in welcher die Na- tion hauptsächlich begriffen ist. Micyllus: — Quae domini plantata est vinea verbo Si cultu careat, terra jacebit iners. Quos igitur cultus aut quas adhibebimus artes? Nempe has quas secum Musa pudica refert. Schon nahm man mit ernstem und anhaltendem Be- mühen an der Arbeit der Wiederbekanntmachung und Erläu- terung der classischen Werke Antheil. 30* Zehntes Buch. Achtes Capitel . Noch waren die lateinischen Schätze deutscher Klöster, wie Hirschfeld oder Lorsch, nicht erschöpft; man hatte Welt- verbindung und Theilnahme für die Sache genug, um auch griechische Handschriften aus dem Orient an sich zu brin- gen, wie z. B. die Stadt Augsburg im Jahr 1545 zu Corfu eine Summe Geld daran wandte; manches brachten Ge- sandte des römischen Königs oder Procuratoren der Fugger herbei. Vincenz Opsopäus, der Lehrer des Markgrafen Al- brecht, soll die deutschen Buchdrucker zuerst angeregt haben, mit dem Ruhme der Aldus und Junta zu wetteifern und die Werke der Alten diesseit der Berge zu publiciren. Er selbst konnte der Welt einen der großen Geschichtschreiber des Alterthums, Polybius, aus einem Codex, den der Zu- fall von Constantinopel nach Nürnberg geführt hatte, wieder vorlegen; er hat diese Arbeit auf eine Weise vollzogen, die ihm noch heute Ehre macht. Schweighaͤuser, Praefatio: Non paucae lectiones in hac editione reperiuntur probatissimae, et ex hac in Basileensem transierunt, a quibus temere deinde recessit Casaubonus. (LXXV ed. Oxon.) Nach und nach entwickelte sich eine lebhafte Thätigkeit in diesem Zweige. Flavius Jo- sephus und Ptolemäus, die wesentlichsten Ergänzungen des Diodorus Siculus, Livius, Ammianus und wie vieler an- derer Schriftsteller in beiden Sprachen giengen zuerst aus deutschen Pressen hervor. Andre Autoren erschienen mit ihren Scholiasten, spätern Fortsetzern: oder in berichtigten Texten, die griechischen mit Übersetzungen, die zum Theil noch den heutigen Ausgaben beigegeben werden. Es mag seyn, daß diese Arbeiten noch oftmals kritisch-grammatische Genauig- keit vermissen lassen; aber es giebt auch solche, die ein tie- Philologie. (Hier. Wolf.) feres Eingehen, Kritik und ächtes Verständniß beweisen. Joa- chim Camerarius hat für Plautus vielleicht von allen Her- ausgebern das Meiste gethan; Vgl. Lessing Von dem Leben und den Werken des Plautus. Saͤmmtliche Schriften herausgeg. von Lachmann III, 17. er ist der Erste der die Spuren einer doppelten Recension in dem vorliegenden Texte der ciceronianischen Schriften, möge dieselbe nun stammen woher sie wolle, bemerkt hat. „quam observationem fecit suam C. Stephanus.“ Literar- notiz vor der Zweibruͤcker Ausgabe des Cicero I, p. LXXXV. Ein entschiedenes philologi- sches Talent war Hieronymus Wolf aus Öttingen: — eine zarte, schwächliche, leicht verletzbare Natur, der darüber er- röthete wenn ein Andrer eine Unwahrheit sagte, der von der Sohle bis zur Scheitel erzitterte, als er zuerst den berühm- ten Melanchthon ansichtig wurde; immer voll Furcht vor dem Hasse der Menschen und dem widrigen Einfluß gehei- mer satanischer Kräfte; aber eben darum mit einsiedlerischem Fleiße unter den ungünstigsten Umständen den Studien hin- gegeben, und seiner Sache, obwohl er nie recht damit zu- frieden war daß er sie ergriffen hatte, vollkommen Mei- ster. Er wagte sich an die Übersetzung des Demosthenes, eine Arbeit, vor der Erasmus und Budäus zurückgeschrocken waren, und führte sie auf eine Weise durch, die seinen Na- men mit dem seines Autors auf immer verknüpft hat. Er ist auch in der Kritik des Textes F. A. Wolf: saepe orator ibi etiam inoffensius legitur quam in postrema Lipsiensi. Vgl. Becker Literatur des Demosthe- nes p. 96. der Sospitator der Red- ner, und hat sie den spätern Zeiten erst wieder zugänglich, verständlich gemacht. Ohne seinen Fleiß würden die Byzan- tiner wohl noch lange unbekannt geblieben seyn: er ist glück- Zehntes Buch. Achtes Capitel . lich gleichsam ein Ganzes byzantinischer Geschichten zusam- menzustellen. Sehr lesenswürdig ist doch die Autobiographie die er hinterlassen hat. Hieronymi Wolfii ad cl. v. Joannem Oporinum commen- tariolus de vitae suae ratione ac potius fortuna, in den Oratt. Attic. v. Reiske, Tom. VIII, p. 773. Er erscheint darin als ein recht ehrlicher Patriot, freilich als ein solcher, der mit dem was um ihn her vorgeht, oftmals schlecht zufrieden ist: als ein überzeugter evangelischer Christ, ohne Parteiwesen, wie denn seine Religiosität nur dann und wann unwillkührlich hervor- bricht: und als ein Philologe, der das Alterthum in Fleisch und Blut verwandelt hat: die sinnreichsten Sprüche bieten sich seiner Erinnerung dar: man kann an ihm sehen, daß diese Elemente einander nicht widersprechen. Und Niemand sollte sagen, daß diese Studien in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Abnahme gerathen seyen: in die ja Sturm, Neander und Wolf zum großen Theil gehören. Schon lebten ihre Nachfolger Rhodomann und Sylburg. Auf die Fortpflanzung der Studien allein kam es je- doch nicht an. Wir beschäftigen uns mit einem Zeitalter, von dem man nicht mit Unrecht gesagt hat, alle vier Fa- cultäten seyen da im Grunde nur eine einzige gewesen, nem- lich die der Grammatiker. Von der Herstellung und Aus- legung der Texte hieng jeder Fortschritt ab. Wir brauchen nicht darauf zurückzukommen, wie sehr dieß in der gelehrten Theologie der Fall war, die eben auf diesem Grunde beruhte. Die Publication der Kirchenväter, auch der lateinischen, um die sich nach dem Vorgange des Rechtswissenschaft. (Haloander.) Erasmus auch andere deutsche Philologen viel Verdienst er- warben, kam den Abweichungen der Protestanten mächtig zu Statten. Vor der ursprünglichen Auffassung des christlichen Alterthums verschwanden die hierarchischen Satzungen. Verwandter Natur, wenn auch lange nicht so weit aus- sehend, ist, was in der Rechtsgelehrsamkeit geschah. Bei weitem enger hatten sich die Glossatoren ihrer Ur- kunde, den justinianeischen Rechtsbüchern angeschlossen, deren Wiederbelebung und Verbreitung die Welt ihnen eigentlich verdankt, als die scholastischen Theologen der heiligen Schrift. Ihr Text beruht auf alten Handschriften, ihre Anmerkun- gen sind nicht selten ganz treffend. Aber dabei ist doch un- leugbar, daß diese besonders unter den Händen ihrer Nach- folger sich immer mehr mit fremdartigen Elementen versetz- ten und nur größere Dunkelheit hervorbrachten, Bebel an Zasius: Creverunt Glossatorum commentaria super omnes constitutiones, nec ullus finis est sperandus, nisi Caesar ‒ ‒ verbositatem nodosissimam atque obscurissimam in compendium reducat. jener durch willkührliche Eintheilungen und Zusätze entstellt, nichts weni- ger als zuverläßig war. Und doch wurden diese Rechtsbü- cher als die kaiserlichen, allgemein gültigen betrachtet, und sollten practisch in Anwendung kommen. Die pisanische Handschrift der Pandecten, wie hoch man ihren Werth auch anschlug, so daß man sich ihr nur mit einer Art von aber- gläubischer Verehrung näherte, war noch nicht zu öffentli- chem Gebrauche benutzt. Da wollte nun die Gunst des Zufalls, daß ein junger Deutscher, Gregor Hoffmann aus Zwickau, genannt Haloander, der in Begleitung Julius Pflugs eine Reise nach Italien machte, in Bologna eine Zehntes Buch. Achtes Capitel . Abschrift von einer Collation jener Handschrift benutzen konnte, die einst Politian an dem Rand eines Exemplars der Vul- gata verzeichnet hatte. Auch von den Novellen, die bisher nur in der sogenannten Authentica vorhanden waren, gro- ßentheils übersetzt und unvollständig, fand er dort Gele- genheit die Abschrift eines Manuscriptes Daß dieß die florentinische Handschrift war, ist von Biener, Geschichte der Novellen Justinians p. 560 f., nachgewiesen. zu copiren, das bei manchen Lücken und Mängeln die es hatte, doch die originale Grundlage eines neuen Studiums darbot. Mit diesen Hülfsmitteln erschien Haloander im J. 1528 zu Nürn- berg, wo ihm der protestantische Abt des Ägidienklosters freundliche Aufnahme und der Rath eine nicht unbedeutende Geldunterstützung gewährte, so daß er ohne persönliche Sorge unverweilt zur Herausgabe schreiten konnte. Haloander hat nach dem Urtheil der kundigsten Männer, wie Savignys, bei der Arbeit historische Gelehrsamkeit und kritisches Ta- lent gezeigt. Bei den Pandecten wußte er sich der politia- nischen Collation, die an sich sehr unzureichend und über- dieß durch den ersten Abschreiber Ludovicus Bologninus; an einem schlagenden Beispiel zeigt dieß v. Savigny, Geschichte des Roͤmischen Rechtes im Mittelalter VI, p. 319. hie und da gröblich miß- verstanden war, doch so geschickt zu bedienen, daß er damit eine große Menge Fehler weggeschafft hat; es gelang ihm Stellen klar zu machen, deren Sinn man vorher nicht ein- mal zu errathen vermochte. Dem Codex der Constitutionen gab er seine zwölf Bücher wieder; er spricht seine Genug- thuung aus, wie viel Lücken er ausfüllen, wie viel Wunden er habe heilen können. In den Jahren 1529 bis 1531 Rechtswissenschaft. (Oldendorp.) erschienen die einzelnen Theile des Corpus juris — denn auch die Institutionen konnten nach der Arbeit über die Pan- decten leicht verbessert werden — in einer der ursprünglichen Fassung über alles Erwarten angenäherten Gestalt. Und mit der größten Freude ward nun diese Gabe von den Gelehrten empfangen. Dem Kaiser Carl, der in Justinian seinen Vorgänger, in dessen Rechte sein eigenes sah, bemerkte Johann Olden- dorp, wie früher durch die verunstalteten Gesetze die Rechts- übung selbst unsicher geworden sey, jetzt aber habe man Ge- setze und Constitutionen in ihrem ursprünglichen Wortlaut wie- der: seit vielen Jahrhunderten habe kein Volk etwas Ruhm- volleres erlebt. Variarum lectionum libri III. 1540. Dedication. Oldendorp verbarg sich nicht, daß damit noch nicht alles was wünschenswerth wäre geschehen sey. Sehr schmerzlich empfand er den Verlust der alten Rechts- quellen, aus denen erst volle Bestimmtheit und Klarheit her- vorgehn würde. Institutiones et libri rerum quotidianarum Caji , actiones in ordinem ab Appio Claudio compositae, edicta praetorum ‒ ‒ ‒ quare non potuissent conservari? Wenn ich ihn recht verstehe, war seine Meinung, daß sich das System auf der nunmehr gewon- nenen Grundlage wissenschaftlich weiter ausbilden, und zum allgemeinen Recht aller Nationen erheben lasse. Aber auch Leute die nicht so weit giengen, sahen doch in der Anwendung des geschriebenen Rechtes eine Verbesse- rung. Ich finde überhaupt daß man weite Aussichten er- griff, schon damals die Tortur verwarf, Jacob Lersener: Antwort, Bericht vnd Beweiß, Auff die Frage, Ob es besser sei, nach gewissen, beschriebenen, vnnd sonst be- die Confiscation Zehntes Buch. Achtes Capitel . zu beschränken gedachte, den Mißbrauch der Privilegien rügte, eine Menge Übelstände zur Sprache brachte, die noch lange fortgedauert haben. Gabriel Mudäus, einer der ausgezeich- netsten Lehrer auf der sehr besuchten Rechtsschule zu Lö- wen, erwarb sich das Verdienst, von seinem civilrechtli- chen Standpunct aus den Gewaltsamkeiten der Inquisition entgegenzutreten. Genug, mit dem Studium empfieng zugleich die Praxis eine neue starke Anregung, die dann besonders auf die deut- sche Provinzialgesetzgebung von größtem Einfluß gewesen ist. Und wenden wir unsern Blick auf eine dritte Facul- tätswissenschaft, die Arzneikunde, so traten auch in diesem Gebiete durchgreifende Umwandlungen ein. Die Medicin hieng von viel verderbterer Überlieferung ab als das Recht. Die griechische Heilkunde, wie sie einst Galen systematischer als seine Vorgänger, aber schon nicht mehr in voller Originalität zusammenfaßte, hatte einen wei- ten Weg gemacht um nach Deutschland zu gelangen: — wie sie von arabischen Sammlern begriffen, dann durch Ver- mittelung des Castilianischen in ein barbarisches Latein über- tragen, und etwa von italienischen Commentatoren dem Be- dürfniß der Zeiten angenähert worden, so ward sie damals werten breuchlichen Rechten, Gesetzen, Ordnungen vnd Gewonheyten, Oder nach eygner Vernunfft, Sinn, Witz ‒ ‒ zu regieren, zu Vrtey- len ꝛc. Getruckt zu Marpurg. 1542. C iij: „man findet, die lust dazu haben leute zustoͤcken vnd peinigen, suchen allerley newe kuͤnstlein vnmenschlicher marter, dar durch sie auch den aller vnschuldigsten da- hin engstigen koͤnnenn, das er was sie woͤllen, vnd das jme nie ge- treumet oder in sinne gefallen, verjehen muͤsse, meynen sie haben jr ampt damit wol außgericht, Wie offt sein leute also getoͤdtet wor- den? wie offt sein leuth auff solche bekentnus gericht worden, deren vnschuld sich hernach befunden hat?“ Medicin. (Paracelsus.) auf den deutschen Universitäten gelehrt; der Canon des Avi- cenna, der Commentar des Johann d’Arcoli über eine Schrift Arrasi’s waren die geschätztesten Lehrbücher, die man z. B. noch in den zwanziger Jahren des sechszehnten Jahrhunderts in Wittenberg brauchte. Adami Vitae Medicorum p. 38. Praelegebantur Avicenna, qui princeps totius artis habebatur, Rasis deinde, etc. Es leuchtet ein, daß auf diesem Grunde die Kunst nicht gedeihen konnte, zumal da sich ihr eine große Anzahl mittelmäßiger Köpfe widmete, die man ohne Schwierigkeit zu Doctoren erhob. Man muß sich diesen Zustand vergegenwärtigen, um die Opposition des Paracelsus dagegen zu begreifen. Im ho- hen Gebirg aufgewachsen, wo sich mancherlei sonst verschwun- dene Kenntnisse erhalten hatten, im Umgang mit Geistlichen von geheimnißvoller Erfahrung, mit Freunden chymischer Versuche, wie Siegmund Fugger zu Schwatz, in stetem Ver- kehr mit Bergleuten, Hüttenarbeitern, dem gemeinen Mann überhaupt, hatte Paracelsus nicht allein Mittel kennen gelernt und durch glückliche Curen erprobt, sondern sich auch Welt- ansichten gebildet, die allem widersprachen was auf den ho- hen Schulen galt. Als er 1527 zu Basel auftrat, erklärte er zuvörderst, daß er nichts auf fremde Autorität lehren werde. Er spottete über den Proceß der ererbten Recepte; den Ca- non des Avicenna hat er einst in ein Johannisfeuer ge- worfen; er wollte von nichts als von der Natur hören. So Christus spricht: perscrutamini scripturas, warum sollt ich nicht auch sagen: perscrutamini naturas rerum? Die erst De- fension Opp. III, 163. Denn nur die Bücher seyen wahrhaft und ohne Falsch welche Gott geschrieben: die Elemente müsse man studiren, Zehntes Buch. Achtes Capitel . der Natur nachgehn von Land zu Land, da jedes einzelne nur ein Blatt des großen Buches sey; die Augen, „die an der Erfahrenheit Lust haben“, die seyen die wahren Professoren; und wie er sonst seinen Widerwillen gegen die Schriftgelehr- samkeit ausspricht. Auch das was er leistete, ist in neuern Zeiten wieder mehr zu Ehren gekommen: Marx Zur Wuͤrdigung des Paracelsus, Lessing Leben des Paracelsus, Schulz Homoͤobiotik u. A. auf einen Laien, der seine Bücher durchläuft, macht besonders seine Ansicht von der fortwirkenden Energie des einmal angeregten Lebens Eindruck, von der dem Organismus eingebornen und den- selben von innen her erhaltenden Kraft der Natur. Es lebt in ihm ein sinnvoller, tiefer und mit seltenen Kenntnissen aus- gerüsteter Geist, der aber von dem Einen Puncte aus, den er ergriffen, die Welt zu erobern meint: viel zu weit aus- greifend, selbstgenügsam, trotzig und phantastisch: wie solche wohl in der deutschen Nation noch öfter hervorgegangen sind. Damals war mit der allgemeinen Bewegung der Gei- ster auch ein Versuch verknüpft, das Joch der Zucht, die Regel der antiken Disciplin, ja Kirche und Staat von sich abzuwerfen. Die münzerischen Inspirationen, die sociali- stischen Versuche der Wiedertäufer und diese paracelsischen Theorien entsprechen einander sehr gut; vereinigt hätten sie die Welt umgestaltet. Zur Herrschaft aber konnten sie doch nicht kommen: dazu waren sie in sich zu verworren und überladen: sie hätten nur den großen welthistorischen Gang der Cultur unterbrochen. In der Medicin war es zunächst, eben wie in andern Wissenschaften, erforderlich, auf die ächtern Quellen der Be- lehrung zurückzugehn. Medicin. (Cornarus.) Merkwürdigerweise war es ein Landsmann Haloanders, Johann Cornarus, der die Bahn hiezu brach. In Witten- berg auf die Nothwendigkeit sich vor allem des Hippokra- tes wieder zu bemächtigen aufmerksam gemacht, unternahm er hiezu eine Reise nach Italien, aber schon in Basel kam ihm so zu sagen sein Autor selber entgegen: im Jahr 1526 war der griechische Text von Aldus, wiewohl sehr uncor- rect, gedruckt worden, und vor kurzem angelangt. Bei dem ersten Studium durchdrang sich Cornarus noch mehr mit der Überzeugung, daß die Griechen die einzigen wahren Meister der Heilkunde seyen, die man nur zuvörderst wieder bekannt machen müsse. Mit Hülfe einiger Handschriften die Froben herbeischaffte, stellte er einen bei weitem richtigern Text auf, und konnte es dann wagen auch eine Übersetzung zu ver- suchen: Er fand alle fruͤhern Versuche unbrauchbar, „tribus aut quatuor ad summum libellis exceptis.“ ein Werk, von dem sein Lebensbeschreiber rühmt, es werde seit zwei Jahrtausenden in der lateinischen Sprache vermißt: so ganz fühlte man sich diesseit noch als wesentlichen Bestandtheil der alten lateinischen Culturwelt. Hierauf er- scheinen an den Universitäten Vorlesungen über Hippokrates und den ächten Galen, dem Cornarus einen ähnlichen Fleiß zuwandte; bei der Prüfung der Doctoranden legte man wohl eine Stelle aus den Aphorismen, oder eine Definition Ga- lens zur Erklärung vor. Es begann eine allgemeine Re- action gegen die Araber. Leonhard Fuchs, ein glücklicher Nebenbuhler des Cornarus, sah ihre Wissenschaft fast aus dem Standpunct einer nationalen Feindseligkeit an: als eine solche, durch die, wenn sie länger bestünde, der Untergang Zehntes Buch. Achtes Capitel . der Christenheit befördert werden würde: niemals seyen die Griechen von ihnen verstanden worden; ihre Theorien und ihre Heilmittel seyen gleich verwerflich; er seinerseits werde nicht aufhören gegen diese Saracenen zu streiten. Nun konnte man sich aber in der Medicin unmöglich wie in der Jurisprudenz an die hergestellten Texte halten: man ward durch die Alten selbst zu eigener Beobachtung der Natur fortgetrieben; nur auf eine ganz andre Weise als Pa- racelsus im Sinn gehabt, eben auf dem von den Alten an- gebahnten, noch nicht vollendeten Wege. Die ersten wichtigen Erfolge erlangte man in der Ana- tomie, nachdem man sich einmal der Vorurtheile entschlagen, die bisher eine genügende Untersuchung des menschlichen Kör- pers verhindert hatten. Es war eine auffallende Neuerung, daß Dr Augustin Schurf in Wittenberg im Juli 1526 die Anatomie eines Kopfes vornahm. Etwas Ähnliches ver- suchte ein andrer Deutscher, Johann Günther von Ander- nach, zu Paris, doch wollte er weder von den Arabern noch vollends von Galen lassen. Einer seiner Schüler aber, An- dreas Vesalius, aus einer Familie von Ärzten die von We- sel herstammten, geboren in Brüssel, that endlich den ent- scheidenden Schritt. Vesalius war gleichsam von Natur zum Anatomen bestimmt: von Kindheit auf hatte er sich halb aus Muthwillen an Thieren geübt; in Paris trieb er sich mit Lebensgefahr auf dem Kirchhof des Innocents oder den Hö- hen von Montfaucon herum, um aus den Gebeinen die er auflas, wo möglich ein ganzes Skelett zusammenzusetzen. Eben daran hatte es Galen gefehlt, und bald wurde der muthige junge Mann die Irrthümer des alten Meisters inne. Anatomie. (Vesalius.) Er war erst 29 Jahr alt, als er im J. 1543 sein Werk über den Bau des menschlichen Körpers zu Basel drucken ließ, das die Grundlage aller spätern Anatomie geworden ist. Es fand um so mehr Eingang, da ein Schüler Titians, Jo- hann von Calkar, den Text mit vortrefflichen Abbildungen erläuterte. Wäre Vesalius nicht als Leibarzt Carls V dem Hofe gefolgt, so hätte er vielleicht die Entdeckungen noch vollendet die er angefangen, und wenigstens seine Schüler nicht bestritten, die sie wirklich gemacht hatten. Sprengel Geschichte der Arzneikunde, Bd III, Abschnitt uͤber die vornehmsten anatomischen Entdeckungen § 46—78. Auch am Hofe hatte er von den Anhängern Galens viel zu leiden. Auf jeden Fall war hiedurch der große Schritt gesche- hen, auf den alles ankam: die innere Kraft des von den Alten angeregten forschenden Geistes führte über die Gren- zen ihrer Wissenschaft hinaus. In allen verschiedenen Zweigen der Naturgeschichte gieng man daran, die Kenntnisse der Alten zugleich zu sammeln und zu erweitern. Die Eigenthümlichkeit dieses Bestrebens lernt man recht an dem zoologischen Werke Conrad Geßners kennen. Geß- ner arbeitete viel für das Bedürfniß des literarischen Publi- cums, übersetzte, und verfaßte Wörterbücher: im Grunde aus Noth. Er war glücklich, wenn er einmal die besonderen Ge- genstände seiner Neigung festhalten konnte, wie in der No- menclatur der den Alten bekannten Pflanzen, der er die nicht ohne Mühe aufgesuchten neuen Namen beisetzte. Endlich erhob er sich zu dem Gedanken, den Namen auch die Be- schreibungen hinzuzufügen, in einem umfassenden Werke über Zehntes Buch. Achtes Capitel . die Thierwelt alles das zusammenzustellen was man über- haupt von ihr wisse. Die Schilderungen der alten Auto- ren, der heiligen und der profanen, bilden die Grundlage; damit werden die Notizen der spätern Schriftsteller, auch der arabischen, so weit sie den Lateinern zugänglich sind, verbunden, und unter wiederkehrenden Rubriken, z. B. Va- terland, körperliche Beschaffenheit, Nutzen, beigeordnet; Non physice aut philosophice tantum, sed medice etiam et grammatice, — — ut ad alios autores super iisdem rebus post- hac non sit recurrendum — auch die Sprichwörter der verschiedenen Sprachen, die sich auf Thiere beziehen, werden herangezogen; die Maxime des Verfassers war, nichts zu wiederholen, nichts wegzulassen. Nicht so häufig wie man meint ist das Talent der Compi- lation. Soll sie der Wissenschaft dienen, so muß sie nicht allein aus vielseitiger Lectüre hervorgehn, sondern auf äch- tem Interesse und eigener Kunde beruhen, und durch feste Gesichtspuncte geregelt seyn. Ein Talent dieser Art von der größten Befähigung war Conrad Geßner. Als alles beisam- men war, zeigten sich erst die Lücken. Geßner setzte seine literarischen Bekannten in den verschiedenen Ländern, deren er über 50 zählt, Italiener, Franzosen, Engländer, Polen und hauptsächlich Deutsche, in Bewegung, um ihm mit Be- schreibungen des noch Unbekannten und mit Abbildungen zu Hülfe zu kommen. So brachte er einen Thesaurus zoolo- gischer Kenntnisse zusammen, Conradi Gesneri historiae animalium libri: opus philoso- phis, medicis, grammaticis, philologis et poëtis et omnibus re- rum linguarumque studiosis utilissimum simul jucundissimumque futurum. Tiguri 1551. 4 Foliobaͤnde hat er noch selbst herausgegeben. in dem sich Gemeinnützigkeit Botanik . und Wissenschaftlichkeit vereinigen der fortan für den Fort- gang des Studiums eine treffliche Grundlage bildete und noch heute unentbehrlich ist. Das Gleiche wünschte Geßner nun auch für das Pflan- zenreich zu leisten, wofür er sein ganzes Lebenlang im Stillen gearbeitet und alles vorbereitet hatte; doch war es ihm nicht beschieden, damit zu Stande zu kommen. Große Erwartun- gen erweckte einst für diesen Zweig Valerius Cordus, der als Studirender und junger Lehrer in Wittenberg sich so zu sa- gen in inneren Besitz der Pflanzenbeschreibungen der Alten setzte, und damit einen unermüdlichen Eifer selber zu suchen und zu beobachten verband: er hat das meißnische Hochland ganze Tage durchstreift, um ein einziges Heilkraut zu finden; aber eben dieser Ungestüm der Lernbegier zog ihm auf einer italienischen Reise, wo er des Climas nicht achtete, einen frü- hen Tod zu. Per mare sic rutilas pinus latura cohortes Ante diem rapido fulmine mota cadit, sagt Cruciger von ihm, wie denn uͤberhaupt sein Tod als ein allge- meiner Verlust beklagt ward. Man kam jedoch auch hier um vieles wei- ter. Man hatte den natürlichen Vortheil über die Alten, daß sich die wissenschaftliche Forschung eines von denselben noch nicht beherrschten Ländergebietes bemächtigen konnte. In den Kräuterbüchern von Brunfels und Fuchs werden hauptsächlich die einheimischen Gewächse in die allgemeine Kunde eingeführt. Es war ein ganz eigenes Ungluͤck der Botanik, daß L. Fuchs ein groͤßeres auf 3 Theile, jeden mit 300 Abbildungen, berechnetes sehr weit verbreitetes Werk „von allerlei Baͤumen und Kraͤutern“ auch nicht beendigte. Sein Briefwechsel mit Albrecht bei Voigt p. 274. Ranke D. Gesch. V. 31 Zehntes Buch. Achtes Capitel . Und sogleich ward die aus dem Alterthum stammende Wissenschaft durch diese neue Berührung mit dem Boden Ger- maniens auf ein Gebiet gerichtet, dessen sie sich nur noch unvollständig bemächtigt hatte: das Reich der Mineralien. Es war eigentlich die Erwähnung metallischer Arznei- stoffe, deren sich die Alten bei äußern Schäden viel bedient haben und die man nicht wiedererkannte, was einen jun- gen, von der classischen Richtung durch und durch ergriffe- nen Arzt, Georg Agricola, veranlaßte, seine Wohnung bei den Bergleuten im Joachimsthal aufzuschlagen. Georgii Agricolae Bermannus: Quid mirum, si ulcera quae- dam ‒ ‒ non sanamus, cum pauca admodum emplastra, praesertim ex metallicis composita, quibus veteres ‒ ‒ usi sunt ‒ ‒ (vergl. Hecker Gesch. der Heilkunde I, 447) conficere possimus. Quae sane prae- cipua fuit causa, quam ob rem me ad loca quae metallis abunda- rent contulerim. (ed. Froben p. 422.) Indem er nun aber alle Notizen der Alten über die Mineralien sammelte, und sie mit dem verglich was er vor Augen sah, ward er inne, daß ihn eine Welt umgab, von der sich wenigstens aus den übrig gebliebenen classischen Schriften kein Begriff bilden ließ. Er gieng von dem Wunsche aus, was die Alten gewußt, für seine Zeit wieder zu beleben; sah sich aber gar bald in dem umgekehrten Falle, die deutschen Bezeichnungen die er vorfand, in die gelehrte Sprache auf- zunehmen. In dem uralten Betriebe des deutschen Bergbaues hatte sich eine schon weit gediehene Kunde der Erze und Ge- steine gebildet; bei den mancherlei metallurgischen Operationen die man vornahm, hatte man in den Hütten Wahrnehmun- gen gemacht und Erfahrungen gesammelt, die nur aufgefaßt und in der Sprache der Gelehrsamkeit ausgedrückt zu werden Mineralogie . brauchten, um in der Reihe der Wissenschaften eine würdige und glänzende Stelle einzunehmen. Dieß gethan zu haben und zwar mit eigener Einsicht und dem unabläßigen Eifer, der allein wissenschaftliche Erfolge zu sichern vermag, ist das Ver- dienst Georg Agricolas. Die Beziehung auf die Alten gab er darum nicht auf. De vett. et novis metallis (383). De rebus subterraneis, quas vel sparsas et disjectas in Graecorum et Latinorum libris inveni, vel ex bene peritis artis metallicae didici, vel denique ipse vidi in fodinis et officinis, explicavi. Er hatte das Glück, nicht Anfänge noch zweifelhafte Versuche, sondern erprobte und zusammen- hängende Kenntnisse, beinahe Systeme der Mineralogie und Metallurgie darbieten zu können, die eine Grundlage aller spätern Studien nicht allein diesseit der Alpen sondern für die Welt geworden sind. Man findet bei ihm spathum, quarzum, wismuthum, zin- cum, cobalum. Beckmann Beitraͤge zur Geschichte der Erfindungen III, 552. Ein herrliches Werk würde seyn, wenn einmal die Theil- nahme welche die Deutschen an der Fortbildung der Wissen- schaften überhaupt genommen haben, im Lichte der europäischen Entwickelung jedes Jahrhunderts mit gerechter Würdigung dargestellt werden könnte. Zu einer allgemeinen Geschichte der Nation wäre es eigentlich unentbehrlich. Denn nicht allein in den Bildungen des Staats und der Kirche, oder in Poesie und Kunst, tritt der Geist eines großen Volkes hervor; zu- weilen werfen sich die besten Kräfte auf die wissenschaftlichen Gebiete; man muß wissen, was sie da schaffen und vollbrin- gen, wenn man die Bestrebungen einer Epoche überhaupt verstehen will. Die Zeit die wir hier betrachten, würde eine 31* Zehntes Buch. Achtes Capitel . der fruchtbarsten seyn. Schon erscheinen, z. B. bei Para- celsus, die Anfänge der Chemie. Es kommen die feinsten und eingreifendsten physikalischen Beobachtungen vor. Georg Hartmann zu Nuͤrnberg, der sich mit der Verfertigung von Compassen beschäftigte, hat dabei die Inclination des Ma- gnets entdeckt; er bemerkte, wie der Nordmagnetismus beim Streichen südliche Polarität hervorbringe; er scheint noch mehr gewußt zu haben als was er ausdrücklich ausspricht. Gern unterhielt er theilnehmende Fürsten, den König Ferdinand wäh- rend des Reichstags, oder den Herzog Albrecht von Preußen in Briefen, von der geheimnißvollen Tugend und Kraft des Magneten. Voigt Briefwechsel und Erlaͤuterung bei Dove Repertorium der Physik II. Die Wißbegier Carls V die von von seiner Stel- lung zu beiden Hemisphären genährt ward, veranlaßte zu Ar- beiten der mathematischen Geographie, welche allen Nationen zu Statten gekommen sind. Beispielsweise fuͤhre ich an: Cosmographie ou description des quatre parties du monde etc. escrite par Pierre Apian: corri- gée et augmentée par Gemma Frisius excellent geographe — — Anvers 1581. So fast in allen Sprachen. Aus Duisburg, von Mercator rührt die erste durchgreifende Verbesserung der Zeichnung der Land- und Seecharten her. Ich werde mich in diesen Gebieten nicht weiter vorwärts wagen: wie es denn auch nicht an diesen Ort gehören würde einzelnen Richtungen nachzugehn; gedenken wir nur noch einiger Erscheinungen von allgemein- ster Bedeutung. An den östlichen Grenzen wo die deutschen Elemente sich mit den polnischen berühren, gieng aus einer der geschil- derten ähnlichen Beschäftigung mit dem Alterthum, gleich- Astronomie. (Copernicus.) sam unter dieser geistigen Atmosphäre, eine der größten Ent- deckungen hervor die dieß Jahrhundert auszeichnen, die des wahren Sonnensystems. Ptolemäus beherrschte, wie die Erdkunde, so auch die Astronomie: seit vielen Jahrhunderten war er hierin das Ora- kel von Orient und Occident. Schon einige Zeit daher aber, nachdem man ihn besser verstand und wieder eigene Beobachtungen begannen, regten sich Zweifel gegen seine Unfehlbarkeit. Neue Berechnungen der Polhöhe verschiedener Städte z. B. wollten mit seinen Angaben nicht stimmen; aber so groß war die Verehrung für ihn und die Alten, daß man eher an eine seitdem eingetretene Veränderung im Weltsysteme als an die Mangelhaftigkeit ih- rer Beobachtungen glaubte. Nicolaus Copernicus aus Thorn, Domherr zu Frauen- burg, — ein auch in den Staatsgeschäften des dem deut- schen Orden entrissenen preußischen Landes vielbeschäftigter Mann — fand nicht allein die Beobachtungen mangelhaft, wenigstens so weit sie vorlagen, sondern auch das ganze System unverständlich und zur Erklärung vieler Erscheinun- gen unzureichend. Er meinte wohl, die besten Beobachtun- gen möchten verloren gegangen oder den Hypothesen zu Gun- sten willkührlich verändert worden seyn; indem er dann in den Alten weiter forschte, fand er auch Andeutungen eines ganz andern Systems als des ptolemäischen. Incertitudinem mathematicarum traditionum cum diu me- cum revolverem ‒ ‒ hanc mihi operam sumpsi ut omninm philo- sophorum quos habere possem, libros relegerem ‒ ‒ ac reperi Im Alter- thum war gesagt worden, daß sich die Erde bewege, daß Zehntes Buch. Achtes Capitel . sie nicht allein eine rotirende Bewegung um sich selber, son- dern auch eine fortschreitende habe: wie nun wenn hierin die noch unbekannte Wahrheit lag? Copernicus ergriff die- sen Gedanken mit aller Kraft eines die Wahrheit vorahnen- den Genius. In seiner Wohnung am Dome zu Frauenburg, die ihm einen großen Horizont eröffnete, betrachtete er die Höhen der Planeten, des Mondes, der Sonne und der Fix- sterne, mit sehr unzulänglichen Instrumenten, nicht selten von dem aus dem frischen Haff aufsteigenden Nebel behindert, aber im Ganzen vortrefflich; er überzeugte sich, daß die Er- scheinungen die bisher unbegreiflich gewesen, sich wirklich nur erklären ließen, wenn man die verworfene Hypothese, die Bewegung der Erde annehme, und sie mit der Bewegung der Planeten und des Mondes combinire. So erst ließen sich die Erscheinungen der täglichen Bewegung der Himmels- kugel, des jährlichen Laufs der Sonne in der Ekliptik, der Wechsel der Jahreszeiten und Tageslängen, des Vor- und Rückgehens der Planeten verstehen; die Erläuterungen die er davon gab, kamen einem Beweise seines Hauptsatzes nahe. Ideler Uͤber das Verhaͤltniß des Copernicus zum Alterthum. Wohl war dieser noch unvollständig und nicht von allen Irrthümern riß sich Copernicus los; aber er hatte einen Gedanken von so ächter Wahrheit ergriffen, daß Mängel der Darstellung denselben nicht hindern konnten sich allmählig Platz zu machen. Was man von Aristarch von Samos gesagt, das hat in der That erst Copernicus vollbracht: er setzte den Heerd des Kosmos in Bewegung. Die Erde erschien ihm als quidem apud Ciceronem, primum Nicetam dixisse terram moveri Copernicus de revolutt. orbb. coelestium. Praefatio. Astronomie. (Copernicus.) das was sie ist, in dem Verhältniß eines Punctes zum Gan- zen: auf das gewaltigste durchbrach er die Welt des Scheines. In diesem Gedanken aber, der aller Anschauung, in der sich die Menschen bewegen, zuwiderläuft, liegt etwas, was den Urheber desselben wohl bedenklich machen konnte ihn zu äußern. Copernicus meinte fast, es sey das Beste wenn er wie Pythagoras seine Lehre nur mündlich fortpflanze. Es gereicht der Schule von Wittenberg zur Ehre, daß einer ihrer jungen Professoren, Rhäticus, durch das Gerücht in Kenntniß gesetzt, sich zu Copernicus begab, der Welt die erste sichere Nachricht über die Entdeckung mittheilte, und wirklich den Druck des von dem Autor beinahe bei Seite gelegten Werkes veranlaßt hat. Den Vorwurf dürfte man überhaupt der Wittenberger Schule damaliger Zeit nicht machen, daß ihre Theologie sie ab- gehalten hätte sich auch mit andern Wissenschaften zu beschäfti- gen. Wir finden die eifrigsten Theologen, wie Wigand zu Eis- leben, die benachbarten Berge durchstreifen um die Wunder Gottes in den seltenen Kräutern zu schauen; Michael Nean- der zu Ilfeld verband mit der Kräuterkunde selbst medici- nische Einsichten: er wird als der Chiron des Harzes geprie- sen; Johann Mathesius besaß eine treffliche Kenntniß der Metalle und Erdgewächse. In hohem Ansehen bei seinem Leben und unvergänglichem Gedächtniß nach seinem Tode stand Caspar Cruciger, Professor der Theologie, den aber phy- sikalische und besonders mathematisch-astronomische Einsich- ten persönlich fast noch mehr auszeichneten. Laudes Crucigeri im Corp. Ref. VII, 223. Melanchthon, der sich immer in lebendiger Theilnahme Zehntes Buch. Achtes Capitel . an allen diesen Fortschritten zu halten suchte, in dessen Vor- lesungen z. B. Valerius Cordus Anregung zu seinen bota- nischen Ausflügen empfieng, widmete doch seinen besten und fruchtbarsten Fleiß den philosophischen Studien. In seiner Jugend, noch in Tübingen, hatte er es sich beinahe als die vornehmste Aufgabe seines Lebens gedacht, die Werke des Aristoteles von den Verunstaltungen zu befreien, die sie während des Mittelalters erlitten, und den wahren Sinn dieses Philosophen zu erforschen. Wie von einer ganz an- dern Natur auch der Beruf war, den ihm Leben und Ge- schichte anwiesen, so tauchen doch auch dann und wann jene Gesichtspuncte auf. Wir finden bei ihm polemische Erörterun- gen gegen die arabische Auffassung aristotelischer Begriffe, „prodigiosas naenias Averrois.“ und neue Versuche, den ächten Sinn derselben, zuweilen im Wider- spruch mit den griechischen Erklärern, zu ergründen. Z B. bei der Erklaͤrung der Entelechie: de anima p. 19. Nur war sein Ziel hiebei nicht die Wiederherstellung des Autors, sondern die Ermittelung einer objectiv haltbaren Doctrin. In den mancherlei Lehrbüchern die er verfaßte, —, über Dia- lectik, Moral, Psychologie, sogar Physik — verglich er im- mer auch die übrigen Philosophen mit Aristoteles. In der Regel zog er den letzteren vor, dessen Feder in Sinn und Verstand getaucht sey; die Hyperbeln der Stoa, die Zwei- felsucht der Akademiker, die Ableugnungen des Epicur fand er gleich unerfreulich; jedoch stieß er auch bei ihnen auf man- ches Gute und nahm es an; am entschiedensten wich er von Aristoteles ab, wo dieser mit den Urkunden der Offenbarung in Widerspruch kommt. Stellen wir uns in den Gesichts- Philosophie. (Melanchthon.) kreis jener Zeit, so konnte von einer mit unbedingtem Selbst- vertrauen auf die höchsten Probleme hinstrebenden Anstrengung des Gedankens überhaupt gar nicht die Rede seyn. Das Räthsel der Welt war schon gelöst, die Summe der Dinge war schon bekannt; die allgemeine Ansicht gieng vielmehr dahin, daß man „die allmächtige Kraft der göttlichen Ma- jestät nicht schärfer zu erforschen habe;“ nicht ohne Tiefsinn sagt Herzogin Elisabeth von Braunschweig: „könnten wir Gott durch unsere Vernunft ausgründen, so nähme die Gottheit ein Ende.“ Fuͤrstenspiegel von Strombeck p. 70. Es konnte nur darauf ankommen, die Resul- tate des philosophischen Nachdenkens mit der Schrift in Ein- klang zu bringen. Thesis von 1542: angefuͤhrt von Brucker Hist. phil. IV, 281. Prodest studiosis erudita collatio philosophiae et doctrinae quam deus tradidit ecclesiae . Man dürfte wohl nicht sagen, daß daraus ein blos formelles Ergebniß hervorgegangen wäre. In den philosophischen Schriften Melanchthons treten einige Vorstellungen, besonders über das Wesen des Geistes, mit ei- genthümlicher Stärke auf. Die Meinung als sey die Seele einer reinen Tafel gleich und erwerbe die Begriffe erst durch Erfahrung, verwirft er mit Widerwillen: er weist vielmehr zwei verschiedene Arten angeborener Begriffe nach, speculative des reinen Denkens, und practische der Moral; Ethicae doctrinae elementa, 1554, p. 210. eine ganze Reihe von Urgrundsätzen beiderlei Art führt er auf; Quodlibet est aut non est; omnia quae oriuntur, ab aliqua causa oriuntur; effectus non est praestantior causa; veritas amanda est; pacta sunt servanda. De anima p. 265. Vergl. Buhle Ge- schichte der Philosophie II, 499 f. von dem gott- ähnlichen Wesen des Geistes wohnt ihm eine unerschütter- Zehntes Buch. Achtes Capitel . liche Überzeugung bei. So hat er denn auch, ohne an- dere Beweise für das Daseyn Gottes zu verschmähen, doch den moralischen mit besonderem Eifer ausgebildet. Die natürliche Unterscheidung zwischen Gut und Böse, die dem Menschen inwohne, das lastende Bewußtseyn welches aus den Verbrechen entspringe, die Freudigkeit, mit der das Gute erfülle, endlich den heroischen Aufschwung des Ge- müthes bei der Gründung von Staaten oder auch im Reiche der Wissenschaften, sieht er als Beweise eines gött- lichen Ursprungs und eines höchsten Geistes an, von dem der menschliche herrühre. Zwei Jahrhunderte beinahe — so lange nemlich der Glaube an die Offenbarung volles Leben hatte — sind diese Ansichten und das darauf gegründete sehr einfache und bescheidene System in den protestantischen Schu- len herrschend gewesen; während in den katholischen die siegrei- chen Mönchsorden das labyrinthische Gebäude der früheren Zeit auch mit dem ächten Aristoteles aufrecht zu erhalten wußten. Später haben sich an den Gränzgebieten beider Wel- ten andere Tendenzen des allgemeinen Geistes entwickelt. Selb- ständig haben doch vornehmlich protestantische Gelehrten auf den Gang der hiedurch angeregten Bewegung eingewirkt. Un- möglich kann die Summe der Ideen die sich diesseit be- festigt hatten, ohne Einfluß auf die Art und Weise gewe- sen seyn wie dieß geschehen ist. Welches aber auch das Verhältniß seyn mochte, in das die Theologie zu andern Wissenschaften trat, Eine wenigstens empfieng durch dieselbe einen neuen, überaus förderlichen An- trieb, die Wissenschaft der Geschichte. Wollte man sich den Fortschritt encyclopädischer Ge- Geschichte. (Sleidan.) schichtskunde mit Einem Blick vergegenwärtigen, so dürfte man nur das im Anfange des Jahrhunderts ungemein oft gedruckte Compendium, den Fasciculus temporum von Rolewink, mit dem vergleichen, das um die Mitte desselben aufkam und sich lange in Geltung erhielt, dem Buche Sleidans von den vier Monarchien. Dazwischen liegt noch die erste Chronica Carionis, ohne Zwei- fel hauptsaͤchlich ein Werk Melanchthons. Vergl. dessen Schreiben an Corvinus, Januar 1532. Misit ad me Carion farraginem quan- dam negligentius coacervatam, quae a me disposita est . Dort ist hauptsächlich von Päpsten, Märtyrern und Heiligen die Rede: hier beruht schon alles auf der erneuerten Bekanntschaft mit dem Inhalt so vieler seitdem wieder gedruckten Autoren. Sleidan kennt die Al- ten sehr gut, überall giebt er die Stellen an, aus denen ausführlichere Nachricht zu schöpfen ist; da er auch einen gro- ßen Theil der Chronisten des Mittelalters studirt hat, so er- weitert er auch da den Gesichtskreis nach allen Seiten; es mag wenig Compendien geringen Umfangs von so gründ- licher Arbeit geben. Auch in andern Beziehungen wirkte das Studium der alten Historiker ein. Man nahm sie sich bei Behandlung der Zeitgeschichte wenigstens in der Sprache zum Muster: recht glücklich unter andern Ursinus Velius; einen unermeßli- chen Eindruck machte auch in dieser Hinsicht der so weit seine Forschungen reichten, zugleich urkundlich-gründliche Sleidan. Mit alle dem aber war doch der Weg zu einer wah- ren Geschichte besonders der Zeiten des Mittelalters noch nicht eröffnet. Der ganze Umkreis derselben war von ab- sichtlicher Fiction oder unwillkührlicher Dichtung verdunkelt Zehntes Buch. Achtes Capitel . und umzogen. Während sich in andern wissenschaftlichen Zweigen die Critik zur Anschauung des Ächten erhob, hatte hier, seitdem der falsche Berosus erschienen war, der Wahn noch einmal um sich gegriffen. Wohl erhoben sich einzelne Stimmen dagegen, aber der Betrug war doch immer so geschickt angelegt, daß sich die Gelehrsamkeit jener Zeit noch täuschen ließ. Einmal aber auf den Irrweg geführt, gieng man recht absichtlich darauf weiter. Die Provinzialchronisten, unter denen sich gleichwohl einige entschiedene Talente finden, namentlich für die Erzählung, die sich dann und wann zu he- rodoteischer Anmuth entfaltet, machten sich fast ein Geschäft daraus, die Fabel nach allen Seiten auszuarbeiten. Unter diesen Umständen brauchte man nichts so dringend als eine durchgreifende Critik auf irgend einer Seite, welches dieselbe auch seyn mochte. Die Tendenz des Protestantismus bewirkte, daß sie zunächst im kirchlichen Gebiete hervortrat. Flacius und dessen streng lutherischen Freunde, Wigand, Judex, Bas. Faber, vereinigten sich unter einander und mit einer Anzahl jüngerer Freunde zur Abfassung einer ausführ- lichen Kirchengeschichte. Sie hatten es dabei hauptsächlich auf eine Sammlung urkundlicher Materialien über den Fort- gang der Lehre, der Cerimonien, der Kirchenregierung in den verschiedenen Jahrhunderten abgesehen, und schon diese Aus- dehnung der Gesichtspuncte über den herkömmlichen Kreis der Kenntnisse muß als ein Verdienst betrachtet werden. Sie beabsichtigen, wie es in der Vorrede heißt, quoddam cornu copiae omnium ecclesiasticarum materiarum et negotiorum maxima diligentia et solertia comparatum . Ein noch viel größeres war, daß sie Ernst damit machten, Geschichte. (Centuriatoren.) das Unächte zurückzuweisen, und die große kirchliche Fiction die sich im Laufe der Zeiten ausgebildet, zu durchbrechen. Gleich beim ersten Jahrhundert nahmen sie die Frage über die falschen areopagitischen Schriften vor, die Erasmus zwar angeregt, aber lange nicht zu Ende geführt hatte; Centuria II, c. IV, p 72. Den areop. Schriften weisen sie auch ihre Zeit an. — beim zweiten griffen sie mit gutem Recht einige Pseudepigraphen an, z. B. den Hirten des Hermas; schon da, noch mehr aber im dritten und vierten Jahrhundert stellen sich ihnen die falschen Decretalen dar. Die Centuriatoren sind die Ersten, welche die Unächtheit derselben recht eingesehen und mit ein- leuchtenden unwiderleglichen Beweisen dargethan haben. II, 7. III, 7. IV, 7. (Alles folgt nach durchgehenden Hauptru- briken.) Ihr Urtheil: non est absimile vero, circiter id tempus (Caroli M.), cum ecclesiae occidentales passim ex Romana biblio- theca libros peterent, confictas et suppositas late sparsas esse . Wie sie anderweit einzelne Interpretationen bekaͤmpften, davon ist Bd II, p. 906 ein Beispiel. Ge- wiß wurden sie hiebei von ihrem polemischen Eifer gegen das Papstthum angefeuert, aber indem sie die Nebelgestalten zertheilten, durch welche die hierarchische Macht ihren eige- nen Ursprung verhüllt hatte, leisteten sie zugleich der allge- meinen historischen Wissenschaft einen großen Dienst. Ohne ein solches Verfahren war nirgends zu einer richtigen An- schauung geschichtlicher Entwickelung zu gelangen; sie mach- ten wenigstens an Einer Stelle ziemlich freie Bahn. Der fleißigen Sammlung stellte sich eindringende Critik zur Seite: was eben die beiden Grundlagen aller Historie ausmacht. Nichts ist stärkender als ein siegreicher Kampf gegen Irr- Zehntes Buch. Achtes Capitel . thum und Wahn. Die Erkenntniß der Wahrheit an Einem Puncte macht sie an andern nothwendig, und ruft das Be- streben danach hervor. Nach und nach regte sich die For- schung in jedem Zweige. Wir überschauen die Arbeit in welcher der deutsche Geist begriffen war. In allen Gebieten reißt er sich von der Über- lieferung los, welche sich im Laufe der Zeit in hohem Grade verfälscht und mit Aberglauben erfüllt hatte. Aber indem er zu ächteren Quellen der Belehrung aufsteigt, be- merkt er doch was auch diese zu wünschen übrig lassen Er ist überall bemüht, die Kenntniß welche die Alten be- saßen zu erweitern und zu ergänzen. Gegen die Systeme die sie gebildet, ruft er den fragmentarischen Widerstand zu Hülfe, der sich unter ihnen selbst geregt hat, und schickt sich an, aus eigner Kraft zur Anschauung der Natur der Dinge hindurch zu dringen. Die gewonnene religiöse Überzeugung flößt ihm Vertrauen und Furchtlosigkeit ein: Forschung und Critik werden ihm Natur. Wir nehmen nicht ein Bestre- ben wahr das aus dem Schooße der Nationalität ohne fremde Einwirkung hervorgegangen wäre: der deutsche Geist sucht vielmehr den Boden der schon vor Zeiten gegründe- ten Wissenschaft nun auch seinerseits vollständig zu gewin- nen und an der Arbeit der Jahrhunderte thätigen Antheil zu nehmen. Wenn es eben daher rührt daß Latein die ausschlie- ßende Sprache der Wissenschaft blieb, so ward doch auch die auf die Muttersprache angewiesene Bevölkerung von der Theilnahme an der Bewegung nicht ausgeschlossen. Schon die theologischen Flugschriften, die Predigten, die Uͤbersetzungen . immer schwerere Fragen in Anregung brachten, nahmen die Aufmerksamkeit der Ungelehrten in Anspruch. Ein großer Theil der alten Literatur ward ihnen in deutschen Übersetzungen zugänglich gemacht: es ist bezeich- nend was man übersetzte, was man bei Seite ließ. Man nahm z. B. die Aeneide, die Metamorphosen, nicht Horaz, noch Catull: es war hauptsächlich der Stoff, den man sich anzueignen suchte. Man beschäftigte sich viel mit Terenz, sei- nes lehrreichen Inhalts wegen, der gleich auf dem Titel ge- rühmt ward, wenig mit Plautus; man übersetzte nicht die Reden Ciceros, sondern seine populären philosophischen Schrif- ten. Am sorgfältigsten sind vielleicht diejenigen Werke be- arbeitet, die zu unmittelbarem Gebrauch bestimmt waren. Vitruvius erscheint „als ein Schlüssel aller mathematischen und mechanischen Künste die zu der Architectur gehören, aus rechtem Grund und sattem Fundament, so daß jeder Kunst- begierige einen rechten Verstand fassen möge“: einer der schön- sten Drucke jener Zeit mit trefflichen Holzschnitten, unter de- nen auch das Bildniß Albrecht Dürers prangt. Vergl. Degen, Nachtrag zu der Literatur der Uͤbersetzungen der Roͤmer p. 300. Fehlt es auch nicht durchaus an freier Production, so ist es doch noch mehr die Aneignung, Popularisirung schon vorhandener fremder Stoffe, was auch der deutschen Lite- ratur jener Zeit ihren Character giebt. So recht eigen ist dieß das Element, in welchem sich die umfangreichen Werke des „sinn- und kunstreichen, wohl- erfahrnen“ Meister Hans Sachs bewegen. Einen großen Theil der heiligen Bücher, alten und neuen Ranke D. Gesch. V. 32 Zehntes Buch. Achtes Capitel . Testamentes, giebt er in Reimen wieder; daran schließen sich die Historien von den Märtyrern; dann folgen die weltlichen Geschichten, wo denn bei der alten Welt „der griechische Weise Herodotus“, oder Justin oder Johann Herolt abwechselnd als die Gewährsmänner genannt werden, in der neuern die Chronisten, die französisch Chronica, die hochburgundisch Chronica; weiter finden sich die Erzählungen der Volksbücher, wie vom hörnen Siegfried oder der schönen Magelone; die Sprüche der alten Philosophen und die Thierfabel fehlen nicht; zuweilen werden theologische Fragen aufgeworfen, wo dann jeder Theil seine Zeugnisse aufführt, Propheten und Apostel gewissermaßen redend erscheinen. Indem sich aber Hans Sachs fast überall frühern Autoren anschließt, weiß er sich doch ihrer Form zu erwehren. Sein Verfahren steht anderer Poesie beinahe entgegen. Während Andere dem überlieferten Stoffe neue Gestalt zu geben suchen, führt er das Gestaltete auf den Stoff zurück. Er nimmt zu- weilen alte Comödien herüber, aber gleichsam auszugsweise; ihm gewinnen hauptsächlich nur die Situationen, ihre Aufein- anderfolge und das daraus hervorgehende Ergebniß Theilnahme ab. Seine dramatischen Arbeiten sind höchst sonderbar: man könnte sagen, sie entbehren des Dialogs; wenigstens arbeitet sich derselbe aus der Erzählung nur eben erst hervor. Und selbst mit seiner Erzählung verhält es sich oft auf eine ähn- liche Weise: er epitomirt die Volksbücher. Den großen Inhalt der Literatur, der ihm selbst zu Handen gekommen, rückt er in einen seinen Lesern entsprechenden Gesichtskreis. Nur da entwickelt er dichterische Gaben, wo er sich ent- weder in diesem Kreise schon bewegt, wie in den Schwän- Hans Sachs . ken, Gervinus Geschichte der poetischen Nationalliteratur II, 475. oder wo er das Anmuthige, Heitere, Unschuldig-sinn- liche berührt. Die grüne Tiefe der Wälder, die Maien- lust der Wiesen, Schönheit und Schmuck der Jung- frauen weiß er mit unnachahmlicher Anmuth und Zartheit zu schildern. Überhaupt muß man ihm Zeit lassen und ihm nach- gehn. Seine Anfänge pflegen prosaisch und uneben zu seyn; weiterhin wird die Sprache fließender, und die Gedanken tre- ten mit voller Deutlichkeit hervor; mit treuherziger Einfalt spendet er besonders die Lehre aus. Es ist ihm nicht ge- nug, in seinem Garten die schönsten und würzigsten Blu- men gepflanzt zu haben: er will auch kräftige Wasser, heil- same Säfte daraus abziehen, zur Stärkung der Geistig-schwa- chen. Religiöse Überzeugung und moralische Absicht sind aber in ihm eins und dasselbe. Mögen die Theologen über einzelne Puncte noch hadern: ihn berühren diese Streitigkei- ten nicht: er hat eine sichere Weltanschauung gewonnen, die alles umfaßt, der sich alles was in sein Bereich kommt, von selbst unterwirft. Er hat Gefühl für den Reiz der ir- dischen Dinge, und oft beschäftigt ihn die Vergänglichkeit derselben; man sieht wohl, daß dieser Gegensatz inneren Ein- druck auf ihn hervorbringt: aber er hat dafür einen ewi- gen Trost ergriffen, an dem ihm nichts irre machen kann. Diese Bildung, die doch auch von ihrem Standpunct aus die Welt umfaßt, und diese Gesinnung flößen uns Hoch- achtung gegen den damaligen Stand der deutschen Handwerker ein, aus dem sie hervorgieng. An vielen Orten wo von je- her die Poesie geblüht, fand man noch Meistersänger. Um Hans Sachs hatten sich deren, wie man sagt, über zweihun- 32* Zehntes Buch. Achtes Capitel . dert in Nürnberg gesammelt und noch oft hielten sie ihre Singschule zu St. Catharina. Sie wiederholten gern die Sage ihrer Altvordern, wie ihre Gesellschaft einst bei ih- rem Ursprung von allem Verdacht der Ketzerei freigesprochen, und von Kaiser und Papst bestätigt worden sey; Als die vier Urheber bezeichnet Metzgers meisterliche Freiung der Singer einen hohen Geistlichen, einen Ritter, einen Gelehrten und einen Handwerker. wenn dann aber das Hauptsingen begann, welches immer schrift- mäßig seyn mußte, hatte der Vorderste der Merker die lu- therische Bibel vor sich, und gab Acht, ob das Lied, wie mit dem Inhalt des Textes, so auch mit den reinen Worten de- ren sich Doctor Luther bedient hat, übereinstimmte. Wagenseil uͤber die Minnesinger. De civit. Norimberg . 544. Von den künstlerischen und poetischen Hervorbringungen dieser Zeit haben wohl diejenigen überhaupt den meisten Werth, welche die religiöse Gesinnung aussprechen. Das Kirchenlied, dessen Ursprung wir berührten, bildete sich von Jahr zu Jahr mannichfaltiger und eigenthümlicher aus; es vereinigt die Einfalt der Wahrheit mit dem Schwung und der Tiefe des auffassenden Gemüthes; es ist zugleich von dem Gefühle des Kampfes, dessen verschiedene Epochen sich darin ausgedrückt haben und der Gewißheit des Sieges durchdrungen: es ist oft wie ein Kriegsgesang gegen den noch immer drohenden Feind. Und mit dem Liede ist zugleich die Melodie hervorgegangen, häufig ohne daß man sagen könnte wie das geschehen ist. Nur geringe Anfänge enthalten die ersten Liederbücher von 1524; im Jahre 1545 erscheinen schon 98 Melodien, im Jahre 1573, denn mit der Zeit wuchs auch die Gabe, 165. Biblische Kirchenlied . Texte hatten eine besondere Kraft die Musiker anzuregen: zu dem Magnificat finden sich vier verschiedene Weisen, alle gleich trefflich. Und hieran knüpfte sich die kunstgerechte Ausbildung des Chorals. Das Unächte und Überladene, das sich der frühern Musik beigesellt hatte, ward ausgesto- ßen: man bemühte sich nur die Grundtonart streng und har- monisch zu entfalten; Winterfeld, der evangelische Kirchengesang. die evangelische Gesinnung gewann im Reich der Töne Ausdruck und Darstellung. Gewiß schloß man sich auch hier an das Vorhandene an: es hat Kirchenlieder vor Luther gegeben, die neue Mu- sik gründete sich auf die alten Gesänge der lateinischen Kirche; aber alles athmete doch einen neuen Geist. So beruhte sei- nerseits auch der gregorianische Gesang auf den Grundsätzen der antiken Kunstübung. Eben darin liegt die Eigenthümlichkeit der ganzen Be- wegung, daß sie das Conventionelle, Abgestorbene, oder doch nicht zu weiterem Leben zu Entwickelnde von sich stieß, und dagegen die lebensfähigen Momente der überlieferten Cultur unter dem Anhauch eines frischen Geistes, der nach wirklicher Erkenntniß strebte, zu weiterer Entfaltung brachte. Dadurch ward sie selbst ein wesentliches Glied des uni- versalhistorischen Fortschrittes, der die Jahrhunderte und Na- tionen mit einander verbindet. In keiner andern Nation wäre dieß so bedeutend ge- wesen wie in der deutschen. Die romanischen Völker beruhten doch noch, der Haupt- sache nach, auf den Stämmen, von denen die Herrlichkeit des Alterthums ausgegangen: in Italien sah man die alte Welt Zehntes Buch. Achtes Capitel . wohl als die eigene nationale Vorzeit an: — daß ein ursprüng- lich verschiedener Geist, der germanische, an der Erneuerung der alten Cultur lebendigen Antheil nahm, nicht allein lernend, sich aneignend, sondern mithervorbringend, und zwar im Reiche der positiven Wissenschaften, die von nun an unauf- hörlich fortschritten, trug erst recht dazu bei, sie zu einem Ge- meingut der Menschheit zu machen. Wie dadurch eigentlich erst ausgeführt wurde was Carl der Große bei seinen scholastischen Gründungen beabsichtigt hatte, so war auch dieser Standpunct wieder nur eine Stufe. Es bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen sich durcharbeiten, bewähren konnten: — auf Copernicus mußte erst Kepler folgen; — die Einwirkungen der mitstreben- den Nationen der europäischen Gemeinschaft mußten erst wo sie fördernd waren aufgenommen, wo aber das Gegentheil, was doch auch geschah, überwunden werden. Die Wissen- schaften waren noch zu streng an den Gebrauch der lateini- schen Sprache gebunden, als daß der Geist der Nationen neuerer Zeit sich mit voller Freiheit darin hätte bewegen können. Die Tiefe und Ursprünglichkeit der eigenthümlich germanischen Anschauungen war gleichsam zu stark zurück- gedrängt. Es ist eine Zeit gekommen, wo der deutsche Geist das Alterthum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimniß der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu eigner und doch allgemein gültiger Darstellung gelangt ist. Dazu gehörte aber freilich — denn auch der wissen- schaftliche Fortschritt beruht auf dem langsam reifenden all- gemeinen Leben — eine Entwickelung der politischen Verhält- nisse, die es möglich machte. Schluß . Und für diese standen, trotz alle dem was bereits er- reicht war, noch die schwersten Kämpfe bevor. So viel hatte Carl V doch bewirkt, daß sich der pro- testantische Geist nicht der ganzen deutschen Nation und ihrer großen Institute bemächtigen konnte. Bald nach ihm aber trat in der alten Kirche selbst eine Umwandlung in Leben und Verfassung ein, die ihr neue Ener- gie verlieh: in Kurzem warf sie sich dem noch immer vor- dringenden protestantischen Elemente mit ganz andern Kräf- ten entgegen als bisher. Auf das Zeitalter der Reforma- tion folgte das der Gegenreformationen. Es gelang dem Papstthum zuerst, in den Ländern sei- nes Ursprungs und seiner ältesten Herrschaft alle entgegen- gesetzten Regungen zu ersticken, alsdann auch in Deutschland vorzudringen, und die Landschaften die keine protestanti- schen Obrigkeiten hatten, sich wieder vollkommen anzueig- nen; der Widerstand, auf den es hiebei an einer oder der andern Stelle doch stieß, gab ihm Anlaß, endlich nochmals zu den Waffen zu greifen; durch eine Verflechtung politi- scher und religiöser Verhältnisse, die es zu keiner Vereinigung unter den Protestanten kommen ließ, gewann es den Sieg; seine Heerschaaren überflutheten die Länder, aus denen der Protestantismus hervorgegangen; der Gedanke an eine all- gemeine Herbeibringung konnte sich noch einmal regen. Dahin freilich kam es nicht daß er auch ausgeführt worden wäre; allein es mußte in einem wilden und verwil- dernden Kriege, der die gewonnene Cultur zum Theil wirk- lich zerstörte, dagegen gekämpft werden; und als man endlich den Religionsfrieden erneuern und auf die alten Grundla- Zehntes Buch. Achtes Capitel . gen der Verfassung zurückkommen wollte, war die Selbstän- digkeit der Nation durch eine von beiden Seiten angerufene und alsdann nicht wieder so bald zu beseitigende Theilnahme auswärtiger Mächte gefährdet. Wie viel Mühe und lange andauernden Kampf hat es gekostet, in Epochen voll wechselnden Glückes und neuer Ge- fahren den fremden Einfluß abzuwehren! wir müssen sagen, erst in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war es ei- nigermaßen geschehen. Eher aber konnten die ursprünglichen Bestrebungen, welche das Zeitalter das wir betrachtet haben, erfüllten, nicht in vol- ler Freiheit und Kraft wieder aufgenommen werden. Sie zielten dahin, an den lebendigen Momenten der allgemeinen und nationalen Geschichte festhaltend, eine allseitige und un- abhängige Entwickelung der Nation hervorzubringen; sie ver- knüpfen die Anfänge unserer Geschichte mit ihrer fernsten Zukunft. Gedruckt bei A. W. Schade .